Atlan - Minizyklus 06 Intrawelt Nr. 03
Der Seelenhorter von Leo Lukas
In der Milchstraße schreibt man das Jahr 1225 N...
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Atlan - Minizyklus 06 Intrawelt Nr. 03
Der Seelenhorter von Leo Lukas
In der Milchstraße schreibt man das Jahr 1225 Neuer Galaktischer Zeitrechnung, das dem Jahr 4812 alter Zeit entspricht. Atlan, der relativ unsterbliche Arkonide, hält sich jedoch nicht in seiner Heimatgalaxis auf, sondern in Dwingeloo. Dort kämpft er auf scheinbar verlorenem Posten gegen die mysteriösen Lordrichter und deren Heerscharen. Jüngst jedoch gelang ihm der Kontakt zu einer Widerstandsorganisation, und von dieser wurde Atlan um Hilfe gebeten: Als eines der wenigen Wesen, die jemals »hinter den Materiequellen« waren, sei es ihm als Einzigem möglich, in die geheimnisvolle Intrawelt einzudringen und von dort den Flammenstaub zu besorgen. Atlan beschließt, das Wagnis einzugehen, und verschafft sich Zutritt in die gigantische Hohlwelt. Zunächst gerät er in Sklaverei, kann sich aber – auch dank der Mithilfe des Echsenwesens Jolo – befreien. Gemeinsam mit Jolo macht sich Atlan auf, die Intrawelt weiter zu erkunden und mehr Informationen über den Flammenstaub zu beschaffen. Doch unterwegs begegnet ihm ein mächtiger Widersacher. Es ist DER SEELENHORTER …
Der Seelenhorter
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Die Hautpersonen des Romans: Atlan - Der Arkonide findet seinen Meister. Albia - Die »Hohe Frau« ist nicht, was sie zu sein vorgibt. Jolo - Das Echsenwesen bleibt Atlan treu – soweit es kann. Vischgret - Eine Konkubine lässt Männerherzen höher schlagen. Ritz Toyd - »Der Eisenfaust« erweist sich als treuer Gefährte. Peonu - Der Einsiedler erhält erstaunlich viel Besuch.
Das Böse siegt immer. Die Ärzte
Prolog: Aufwärmen Ehrlich, ich mag Leichen. Weil sie sehr gute Zuhörer sind. Sie lassen einen immer ausreden und stellen keine dummen Zwischenfragen. Auch fühlen sie sich nie bemüßigt, das Erzählte durch eigene Anekdoten zu übertrumpfen. Was bei dieser, meiner Geschichte freilich schwer fiele. Denn sie umspannt einen Zeitraum, den normale Sterbliche sich kaum vorzustellen vermögen. So viele Galaxien habe ich gesehen, so verschiedene Universen … Sogar jenseits des Kosmos, in den sie alle eingebettet sind, habe ich mich aufgehalten. Doch da mir die Erinnerung daran weitgehend genommen wurde, belastet mich zumindest diese Episode nicht. Ach Liebste, zuweilen fürchte ich, mein Schädel müsse demnächst platzen. Von innen heraus explodieren, gerade so wie deiner. Paff! und dann: endlich Ruhe. Verlockend, in gewisser Weise. Nicht, dass ich mit dir tauschen möchte. Du bietest, wenn ich das so sagen darf, nicht unbedingt den schönsten aller Anblicke. Dein Make-up hat, vorsichtig ausgedrückt, ein wenig gelitten. Aber tröste dich, ich habe Schlimmeres erblickt. Viel Schlimmeres. Und ich kann nichts davon vergessen. Ein perfektes Gedächtnis ist gleichermaßen Segen und Fluch. Was man einmal erlebt
hat, wird man nie wieder los. Selbstverständlich weiß ich, dass es mir keine nennenswerte Erleichterung verschaffen wird, wenn ich meine Vergangenheit vor dir ausbreite. Gleichwohl. Ab und an ist mir danach, mich auszusprechen. Jetzt zum Beispiel. Die Gelegenheit scheint günstig. Der Weißhaarige namens Atlan hat sich, nachdem er in die Schranken gewiesen wurde, wieder auf den Weg gemacht. Von ihm verspreche ich mir einiges; keine Wunderdinge, doch traue ich ihm jedenfalls mehr zu als den meisten anderen. Meine getreuen, an der Parzellengrenze postierten Häppchen haben gemeldet, dass weitere Reisende in unseren unmittelbaren Machtbereich eingedrungen sind. Sehr gut. Nachschub ist mir immer willkommen. Bis man die Neuzugänge hierher gelotst haben wird, bleibt genügend Zeit für meine Biographie. Die ich in aller Unbescheidenheit als einzigartig bezeichne. Es lohnt sich also, dass du die Reste deiner Ohren spitzt, mein süßer, gesichtsloser Schatz. Außerdem finde ich, du solltest erfahren, weswegen du gestorben bist. Nicht woran – das hast du ja noch mitgekriegt. Sondern aufgrund welcher weit, weit höheren Zusammenhänge. Zu deinen Lebzeiten hätte ich dich in diese nachgerade kosmischen Geheimnisse klarerweise nicht einweihen können. Siehst du – noch ein gravierender Vorteil, den dein Tod mit sich gebracht hat. Du bist, wenn nicht zu beneiden, so doch zu beglückwünschen. Milliarden Bewohner dieser Welt gäben viel dafür, an deiner Stelle lauschen zu dürfen. Doch sie alle sind ungeeignet, da noch nicht so weit. Im Grunde meines Seelenhorts
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verabscheue ich sie. Unter uns: Ich kann sie nicht ausstehen, sie widern mich an. Leichen hingegen erwärmen mein Herz. Aber das habe ich, glaube ich, bereits erwähnt.
1. Hochlandkinder »Los, verschwinde, Blödmann! Troll dich!« »Troll dich selber. Das ist meine Burg.« »Gar nicht wahr! Die hab ich gebaut, ich ganz allein. Jeder weiß das.« »Na und? Jetzt gehört sie mir. Kannst ja probieren, sie wieder zurückzuerobern. Wirst dir bloß eine Packung Ohrfeigen holen. Los, trau dich!« »Du blöder, blöder, blöder Volltrottel!« »Schimpf, soviel du willst. Davon kriegst du die Burg nicht zurück. Musst mich schon besiegen. Also was ist, Schwächling? Greif mich an. Oder hast du Angst?« »Vor dir? Pah!« »Sicher. Du zitterst ja.« »Tu ich nicht!« »Tust du doch! Machst dir schon fast in die Hosen.« »Mach ich nicht!« »Machst du doch. Bist eh zu feig, mit mir zu kämpfen.« »Bin ich nicht!« »Bist du doch.« Und so weiter und so fort. Es war immer das Gleiche, nach jedem Regenguss. Wenn es donnerte und die ersten Tropfen fielen, flüchteten wir schnell in unsere Hütten. Draußen zu verweilen, wagte niemand, nicht einmal Kurnel, der Größte und Stärkste von uns. Die schweren Tropfen, oft durchmischt mit Hagelkörnern, prasselten so wütend und schmerzhaft hernieder wie Peitschenhiebe. Lautstark trommelten sie auf das Dach, in wilden Wirbeln. Ratatatata! Ratatatata! Die Jüngeren weinten oder wimmerten, in ihre Decken verkrochen. Bei jedem Wolken-
bruch bekoteten sich unweigerlich ein paar von ihnen. Gestank breitete sich aus, bis ein Arbeiter kam, sie säuberte, die Sudelei beseitigte und Duftmittel versprühte. So abrupt, wie das Unwetter eingesetzt hatte, hörte es wieder auf. Dann rannten wir hinaus und wälzten uns, kreischend vor Erleichterung, im feuchten Gras. Die Wiese dampfte. Die Luft roch sehr gut. Viele der aus Lehm gebauten, in der Sonne getrockneten Burgen waren zerstört worden, mehr oder minder dem Erdboden gleichgemacht. Um die wenigen, die den Regenschauern einigermaßen standgehalten hatten, entbrannte jedes Mal sofort heftiger Streit. Die geschicktesten Baumeister waren nämlich nicht unbedingt die besten Raufer. Und Kurnel, der ließ sowieso lieber andere für sich schuften. Wer dagegen Einspruch erhob, wurde verprügelt, gnadenlos und nicht zu knapp. Rasch hatten wir einen Kreis um Kurnel und Myaze gebildet, deren Burg er für sich beanspruchte. Der Ausgang dieses Konflikts stand von vornherein fest. Gegen den breitschultrigen, hoch aufgeschossenen Rabauken besaß das zarte Mädchen nicht den Funken einer Chance. Es war verwunderlich, dass Myaze sich überhaupt mit ihm anlegte. »Ich warne dich«, piepste sie. »Raus da, oder es passiert was.« Kurnel lachte höhnisch. »Ui, da fürchte ich mich aber. Geh zu den anderen Windelkindern, Kiesel lutschen. Du bist ja schon ganz weiß vor Schiss.« »Bin ich nicht!« War sie aber doch. Und sie schlotterte am ganzen Körper. Irgendwie tat sie mir Leid. Myaze stand eine gewaltige Abreibung bevor, wenn sie nicht im letzten Moment doch noch klein beigab. Zu Hilfe würde ihr bestimmt niemand kommen. Kurnel befehligte zahlreiche Mitläufer, die er sich in den vergangenen Perioden gefügig gemacht hatte. Mit zwei Argumenten, gegen die keiner von uns ankam:
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seiner linken und seiner rechten Faust. Einige, denen er bei früheren Gelegenheiten übel mitgespielt hatte, waren zu den Arbeitern gelaufen und hatten ihr Leid geklagt. Erfolglos. Die Stählernen waren, ohne im Geringsten auf das Gejammer zu reagieren, weiter ihren Tätigkeiten nachgegangen. Sie versorgten uns, ohne je zu ermüden, doch sie mischten sich niemals in unsere Auseinandersetzungen ein. »Schieb ab, du Baby«, sagte Kurnel. Seine Stimme klang brüchig und viel tiefer als die aller anderen. Körperlich war er uns weit voraus, obwohl ihn die Arbeiter zur selben Zeit hierher verfrachtet hatten wie Myaze, mich und die übrigen 497 Älteren. Die Jüngeren waren zehn Perioden später aus den Spielkrippen angeliefert worden. »Gib mir die Burg zurück, Doofsack, oder …« »Du drohst mir? Du mir?« Lässig an die Lehmwand gelehnt, ließ Kurnel seine Muskeln spielen. »Womit, wenn ich fragen darf?« Das zierliche Mädchen, nicht viel größer als die Puppen, die manche Jüngere durch die Gegend schleppten, stampfte zornig mit einem dünnen Bein auf. Sie schwankte, konnte sich kaum mehr gerade halten. Ihr schmächtiger Leib wurde hin und her geschüttelt, wie von einer Windbö, die nur Myaze allein erfasst hatte. Plötzlich schrie sie auf, hoch und gellend. Dann geschah etwas ganz und gar Unerwartetes, noch nie Dagewesenes, schrecklich Faszinierendes. Ein Ereignis trat ein, das uns alle bis ins innerste Mark erschüttern und unser Dasein vollkommen verändern sollte.
Knirschend rollte ein Arbeiter den Hügel herunter. Auf halber Höhe blieb er stehen, die Sehröhren auf die Szene gerichtet. Doch er griff nicht ein. Myaze verstummte. Kurnels unkontrollierte Bewegungen erlahmten. Seiner Brust entrang sich ein lang gezogener Seufzer. Dann Stille. Ich hielt den Atem an, wie alle anderen in der Runde auch. Niemand rührte sich. Nur Myaze kippte langsam vornüber, fing sich mit den Händen ab und kroch auf allen vieren zu Kurnel hin. Als wisse sie nicht, was zu tun sei, verharrte sie, über den Leblosen gebeugt. Ein strenger Geruch wehte zu mir her. Unwillkürlich zählte ich in Gedanken bis zwanzig. Fünfundzwanzig. Dreißig. Dann ging ein Ruck durch Myaze. Sie streckte die Zunge heraus und leckte Kurnels feuchtes Gesicht ab. Schmatzte dabei; genüsslich, wie mir dünkte. Sein Körper verlor die Spannkraft. Myaze jedoch erhob sich, energischer denn je. Sich um die eigene Achse drehend, musterte sie, die Hände in die Hüften gestemmt, uns Umstehende. »Wessen Burg?«, rief sie. In ihrer mädchenhaft hohen Stimme hallte eine zweite, vollere, tiefere nach. »Deine«, murmelten wir im Chor, verdattert und furchtsam. Während wir uns wie auf ein geheimes Kommando in alle Richtungen zerstreuten, nahm der Arbeiter Kurnels entseelte Hülle in seine stahlblauen Arme und transportierte sie ab.
* * Der unhörbare, für uns Zuschauer nicht fühlbare Sturm griff auf Kurnel über. Nun zuckte und zappelte auch er. Verrenkte seine Glieder, klappte zusammen. Wand sich in Krämpfen, hellrote Schaumflocken vor dem Mund, der mit einem Mal zu eng für die Zunge schien.
Erst nach drei Hauptmahlzeiten begannen wir, über das Vorgefallene zu tuscheln. Leise, verschwörerisch und nur, wenn Myaze nicht zugegen war. »Sie hat ihn umgebracht.« »Mit ihrem bösen Blick. Und diesem grauslich spitzen Schrei.« »Unsinn. Blicke töten nicht, Töne ebenso
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wenig. Da hätte Kurnel schon viel früher tot umfallen müssen.« »Ach. Und wie erklärst du es dir dann? Seit wir hier sind, ist noch nie jemand von uns einfach so gestorben.« »Vielleicht war er, äh, krank?« »Krank? Was ist das?« »So was Ähnliches, wie wenn du dich verletzt. Nur von innen. Glaube ich.« »Nie gehört. Wo hast du das her?« »Aus einer der Lesefolien, Dummbeutel.« »Meinst du, Myaze hat ihn ›krank‹ gemacht? Ihm wehgetan, aber innerlich?« »Wäre möglich, oder?« »Sie hat ihm das Leben ausgesaugt. Weggeschleckt. Seine Seele gefressen.« »Kann sie das mit uns auch?« Achselzucken. Betretenes Schweigen. Schaudern. »Sie ist ein Monster.« »Eine Hexe.« »Ich hab Angst …«
* »Pst! Da kommt sie.« Bis vor kurzem war Myaze eine der Unscheinbarsten von uns Älteren gewesen. Seit ihrem Sieg über Kurnel aber strahlte sie Macht und Autorität aus. Als hätte sich ihre Willenskraft schlagartig verdoppelt. In ihrer Begleitung befanden sich Shdrott, der eine Art Adjutant von Kurnel gewesen war, und eine der Jüngsten. Das o-beinige Gör hielt sich an Myazes Hand fest und sah fast pausenlos hingebungsvoll und verklärt zu ihr hoch. »Hallo.« »Hallo, Myaze.« Die drei schlenderten an unserer Gruppe vorbei. Shdrott grinste und zwinkerte spöttisch. Myazes Haltung signalisierte, dass sie wusste, worüber wir geredet hatten und wieder reden würden, sobald sie außer Hörweite war. »Ich hab Angst …« Eine ganze Periode lang passierte weiter nichts Erhebliches. Wir aßen und wuchsen,
lasen und spielten. Hauptsächlich bauten wir an den Burgen oder balgten uns, nach dem täglichen Sturzregen, um deren Ruinen. Versteht sich, dass Myaze davon unbehelligt blieb – niemand wollte so enden wie Kurnel. Die Burg, an der sie mit Shdrott und etlichen Gefolgsleuten arbeitete, wurde immer höher, immer ausgedehnter, immer besser befestigt. Angesichts ihres uneinholbaren Vorsprungs verloren manche Ältere die Lust und wandten sich anderen Wettkämpfen zu. Hindernislauf kam in Mode, Zielschießen mit Steinschleudern sowie ein Ballspiel, bei dem man auf einem Bein hüpfen musste. Ich beteiligte mich an alldem eher halbherzig, da ich vordringlich mit mir selbst zu tun hatte. Etwas rumorte in mir. Ich fühlte mich unausgeglichen, fremd im eigenen Körper. Mal hatte ich keinen Appetit, dann wieder schlang ich mehrere Portionen hintereinander in mich hinein. Mal war ich den ganzen Tag müde, dann wieder platzte ich vor Tatendrang – ohne zu wissen, wonach mir eigentlich der Sinn stand. Immer öfter litt ich unter Konzentrationsschwierigkeiten. Und ich schlief schlecht, träumte seltsames, wirres Zeug, in dem nicht selten Angehörige des anderen Geschlechts eine zentrale Rolle spielten. Eines Morgens trat ich als Erster unserer Hütte vor die Tür. Die Tische auf der Veranda waren ungedeckt; die Arbeiter hatten das Frühstück noch nicht angerichtet. Ich setzte mich trotzdem, stützte den Kopf in die Hände, starrte ins Nichts. Und erschrak fast zu Tode, als mich jemand am Ärmel zupfte. »Auch schon wach?«, fragte Myaze.
* Kurnels Mörderin. Die Hexe. Das Monster. Ich brachte kein Wort heraus, vollführte linkisch eine zustimmende Geste. Meine Ge-
Der Seelenhorter danken rasten. Wollte sie jetzt mir an den Kragen? Aber warum? Ich hatte ihr nichts getan, war ihr nach Möglichkeit ausgewichen. »Hast du kurz Zeit?« »W-wozu?« »Ich brauche dich.« »Mimi-mich?« Eiseskälte wehte über meinen Rücken. Sollte ich als Nächster ausgesaugt werden? War sie scharf auf meine Lebenskraft? »Nicht dich persönlich, Blödmann. Irgendjemand, der nicht zu meinen Freunden zählt. Einen – wie heißt das Wort? – Neuralen.« »Neu … ›Neutralen‹. Äh. Glaube ich.« »Auch recht. Was ist, kommst du?« Wer hätte gewagt, Myaze einen Wunsch abzuschlagen? Ihre Vorrangstellung war viel unangefochtener, als es Kurnels je gewesen war. Sie führte mich zu ihrer Burg. Shdrott lümmelte beim Eingang des äußeren Walls. Myaze trug ihm auf, am Posten zu bleiben und niemand eintreten zu lassen, unter gar keinen Umständen, wir wollten ungestört sein. Abermals überkamen mich Zweifel und Ängste. Was hatte sie vor? Tappte ich in eine Falle? Sie versetzte mir von hinten einen Stoß, und ich stolperte durch die bogenförmige Öffnung im Lehmhügel. Innen war es stickig und dunkel. Als sich meine Sehorgane angepasst hatten, bemerkte ich, dass sich eine weitere Person hier drin aufhielt: das kleine Mädchen, welches Myaze so sehr verehrte und in letzter Zeit kaum von deren Seite gewichen war. »Du kennst Graini, nicht wahr?«, fragte Myaze. Wieder schien mir, als hörte ich leise auch eine rauere, tiefere Stimme mitschwingen. »Ja. Klar. Flüchtig. Vom Sehen.« »Gut. – Pass auf. Graini möchte zu mir kommen.« Verwirrt glotzte ich die beiden an. Ha? Sie waren doch ohnehin beisammen. Haut-
7 nah. Der niedrige Raum bot gerade Platz für uns drei. »Jungs. Zu dämlich zum Urinieren!«, rief Myaze abfällig. »Also schön, ganz langsam. Graini möchte, dass ich sie zu mir nehme. So wie Kurnel, verstehst du? Nur mit dem Unterschied, dass es aus freien Stücken stattfindet, auf ihren ausdrücklichen Wunsch hin.« Mir schwirrte der Kopf. »Geht das denn?« »Ich denke, ja. Besser gesagt, ich fühle es. Und Graini ebenso.« »Aha. A-aber was habe ich damit …« »Du sollst bezeugen, dass ich sie nicht überwältigt und gezwungen habe. Sondern dass Graini freiwillig in mir aufgegangen ist.« Ungeduldig trat sie mit dem Fuß gegen die Lehmwand. »Glaubst du, ich weiß nicht, was hinter meinem Rücken gemauschelt wird? Wie die anderen mich nennen?« Hexe. Monster. Mörderin, dachte ich unwillkürlich. Doch ich wagte die Wörter nicht auszusprechen. »Sie würden annehmen«, mischte sich erstmals Graini ein, »dass Myaze auch mich umgebracht hat. Deshalb musst du ihnen hinterher berichten, dass es ganz anders abgelaufen ist.« »Nämlich wie?« »Das wirst du schon sehen.« Meine Kopfhaut juckte. Ich sah wie durch Nebel, hörte wie durch Watte. »Darf ich was fragen?« »Von mir aus.« »Wieso? Wieso willst du unbedingt in …?« »In Myaze eingehen?« Bei der bloßen Vorstellung fröstelte mich. »Weil ich spüre, dass das … richtig ist«, flüsterte die Kleine feierlich. »Dass wir zusammengehören. Viel enger verbunden sein sollten, für immer und ewig. Allein bin ich schwach und nichts wert. Aber mit Myaze, bei Myaze, in Myaze …« Ich konnte es nicht begreifen. Mich selbst aufzugeben zugunsten eines anderen erschien mir obszön.
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Andererseits erkannte ich, dass Graini und Myaze von ihrem Vorhaben nicht abzubringen waren. Mitspracherecht besaß ich sowieso keines. Ich war bloß als Beobachter vorgesehen. »Reicht dir das?«, fragte Myaze drängend. Sie zitterte; vor Sehnsucht, vermutete ich. So, wie sie damals vor Wut gezittert hatte. Ich schluckte, nickte. Hockte mich hin. Etwas von der Spannung, die den Raum erfüllte, übertrug sich auf mich. Meine Zunge schwoll an. Kurz wallte Panik in mir auf, weil ich zu ersticken fürchtete. Glücklicherweise legte sich dieses Gefühl nach ein paar tiefen Atemzügen wieder. Die Mädchen knieten, einander zugewandt, nieder und legten sich gegenseitig die Hände auf die Schultern. Sie summten ein Lied, wiegten sich leicht in dessen Rhythmus. Dann öffnete Graini den Mund. Myaze tat es ihr gleich. Ihre Zungen kamen zum Vorschein, wurden länger und länger, schlängelten sich aufeinander zu, bis die Spitzen zusammenstießen. Bei der Berührung gaben beide Mädchen ein Stöhnen von sich. Ich ertappte mich dabei, dass ich ebenfalls gestöhnt hatte. Meine Hände und Arme waren feucht, desgleichen mein Oberkörper. Flüssigkeit tropfte von meinem Kopf, doch ich konnte mich nicht dazu aufraffen, sie abzuwischen, um den Zauber des Moments nicht zu stören. Myaze keuchte. Graini bäumte sich auf, umschlang die Ältere, sackte an ihr, in ihren Armen, zusammen. »Willkommen«, raunte Myaze.
* Ob ich Wunderbarem oder Grauenhaftem beigewohnt hatte, vermochte ich nicht zu beurteilen. Stellte, was Myaze getan hatte – unter aktiver Mithilfe Grainis –, ein heiliges Mysterium dar? Oder verbrecherischen Frevel?
Ich wusste es nicht. Sehr wohl aber war mir klar, dass mich das Erlebnis in hohem Maß erregt hatte. Ein nie zuvor gekanntes Verlangen rührte sich in mir. »Na, auf den Geschmack gekommen?«, erriet Myaze meine Gedanken. Wir standen, weich in den Beingelenken, draußen vor der Burg. Sie hatte Shdrott weggeschickt und Grainis Leichnam einem Arbeiter übergeben, der so prompt erschienen war, als habe er schon darauf gewartet. »Was geschieht mit uns?«, fragte ich heiser. »Ist das … normal?« »Wir werden älter«, antwortete sie schlicht. »Kräftiger. Mächtiger. Das ist, dünkt mir, der natürliche Lauf der Dinge.« In der Tat wirkte Myaze abermals gewachsen. Ich überragte sie fast um Haupteslänge; dennoch kam ich mir neben ihr klein vor. Schwach. Und allein. Ich bemerkte, dass mir die Zunge triefend aus dem Mund pendelte. Irgendwie peinlich. Und doch auch … »Geil dich nicht zu sehr auf«, sagte Myaze im Tonfall eines gut gemeinten Ratschlags; dreistimmig, wenn man genau hinhörte. »Es wäre verfrüht. Du brauchst noch ein bisschen.« Die Erkenntnis dessen, was sie damit andeutete, sickerte sehr langsam ein. Dann traf sie mich wie ein Hieb in den Nacken. Ich schwankte, hielt mich am Lehmwall fest. »Du meinst«, stammelte ich, »dass … nicht nur du …?« »Natürlich nicht. Wir alle besitzen die gleichen Anlagen. Bei mir sind sie bloß zuerst ausgebrochen.« Mich schwindelte. Bebend horchte ich in mich hinein. Myaze hatte Recht. Die Einsamkeit schmerzte. Leere gähnte, lechzte danach, ausgefüllt zu werden. »Wart's ab«, sagte Myaze. Es klang tröstlich, zugleich warnend. »Lang dauert's bestimmt nicht mehr. Du bist reifer, als ich dachte. Und eindeutig ein Nehmer, kein Geber. Doch halte dich, was mich betrifft, lieber zurück. Es wäre töricht, kämen wir zwei
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uns zu früh in die Quere.« »Abbaba …« Ich hatte Schwierigkeiten beim Sprechen, musste erst meine Zunge unter Kontrolle bringen. »Aber wenn wir uns, einen nach dem anderen … Wie soll das enden?« Sie betrachtete mich nachdenklich, mitleidig. »Liegt das nicht auf der Hand? Einer bleibt übrig. Oder«, ein Lächeln flackerte über ihr Gesicht, »eine.«
2. Grenzüberschreitung Die Parzelle Karaporum umfasst eine Fläche von weniger als zehn Millionen Quadratkilometern. Das ist nicht viel, gemessen an den meisten anderen Parzellen oder gar der gesamten Intrawelt. Die Grenze zu Poricium bildet ein Fluss, welcher Zanf genannt wird. Es handelt sich um ein flaches, jedoch sehr breites und tückisches Gewässer voller Wirbel, sumpfiger Untiefen und Schwärmen von blutrünstigen Raubfischen. Schon mancher, der wähnte, den Zanf leichthin durchqueren zu können, ist einige Tage danach ein schönes Stück flussabwärts als Skelett aufgefunden worden. Außerdem fungiert der Zanf als Klimascheide. Wie das mangels Bergketten funktioniert, entzieht sich der Kenntnis der Parzellenbewohner. Jedenfalls präsentiert sich das sanfthügelige Poricium feuchtkühl und stark bewaldet, während Karaporum so trocken ist, dass man das Knacken der dörrenden Erdkrume weithin vernimmt. Gelbe und violette Hochgräser mit lanzettförmigen, messerscharfen Blättern beherrschen die weiten Savannen. Endlos erstrecken sich die Ebenen, die selten von niedrigen Tafelbergen durchbrochen werden. Da die Sonne immer im Zenit steht, wie überall auf – oder besser: innerhalb – dieser gigantischen Hohlwelt, fällt die Orientierung sehr schwer. Irgendwann hat irgendjemand die wichtigsten Handelswege mit Stangen
markiert, an denen ausgebleichte Fahnen knattern. Davon abgesehen gibt es nur wenige Anhaltspunkte, wo man sich befindet und wohin man den Schritt lenken sollte. Auffällige Geländemerkmale sind dünn gesät. »Halblinks an den zwei Menhiren vorbei« ist schon das Präziseste, was du den gängigen Reiseführern entlocken kannst. Tja, Fortbewegung gestaltet sich hier mühsam. Es sei denn, du hast die Maulspindler auf deiner Seite. Aber dazu später.
* »Wir benötigen ein Floß«, sagte der Rotäugige mit dem für mein ästhetisches Empfinden von allzu vielen Knubbeln und Unebenheiten verunstalteten Schädel. Genau: nämlicher Atlan, den ich eingangs erwähnt habe. Sein Begleiter Jolo, unser gerissenes kleines Ungeheuer, erwiderte, eine herausfordernde Grimasse schneidend: »He, wir müssen da nicht rüber. Gemütlich abbiegen und dem Flusslauf folgen hat auch was für sich. Weiter unten wohnen gewiss sehr nette, gastfreundliche Leute.« »Dieser Einsiedler Peonu aber nicht, den du mir als Auskunftsperson empfohlen hast.« »Stimmt. – Übrigens, mich hungert.« »Schon wieder? So kurz nach dem Frühstück? Nichts da. Zuerst setzen wir über.« »Grmpf.« »Zurück zum Wald!«, befahl Atlan. »Bäume entwurzeln, Lianen abreißen, zur Not mit den Zähnen. Wir haben uns ein Ziel gesetzt; das wollen und werden wir erreichen.« Der Weißhaarige gefiel mir ob seiner Tatkraft und Entschlossenheit. Seine Ankunft war auf dem üblichen Weg gemeldet worden. Ich freute mich darauf, ihn näher kennen zu lernen. Nicht überstürzt, versteht sich. Ehe ich mich ihm vorstellte, wollte ich ihn studieren,
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mir durch unauffällige Beobachtung ein Bild von dem Fremden machen. Aus dem Normaluniversum war schon mancher Lump hierher gelangt. Wer wusste das besser als ich? Es sind nicht immer die Schlechtesten, die auf der Strecke bleiben. Und beileibe nicht immer die Besten, die durchkommen …
Kurz: Ildo mochte alles andere als das Ideal meiner feuchten Träume darstellen; für den Anfang, sozusagen zum Üben, kam sie mir allemal gelegen. Zumal ich spürte, dass ich meine Gier nach Ergänzung nicht mehr lange zu zügeln vermochte.
3.
»Das ist aber eine schöne Puppe. Hat sie auch einen Namen?« »Ja.« »Verrätst du ihn mir?« »Wozu?« »Äh …« Ich stockte, rang nach Worten. Das hatte ich mir einfacher vorgestellt. »Ihr Großen macht euch doch schon lang nichts mehr aus Puppen«, sagte sie patzig. Sie kauerte an der Hüttenwand, die Beine wie zum Schutz hochgezogen, das Spielzeug vor die Brust gepresst. »Also was willst du wirklich?« Ich erkannte verblüfft, dass Ildo zwar scheu, doch nicht dumm war, und sah mich um. Niemand befand sich in unserer Nähe. Wie üblich konzentrierte sich das lärmige Geschehen auf die Burgen und die Wettkampfstätten. »Fühlst du dich nicht oft sehr einsam?«, fragte ich. Sie senkte den Kopf, gab keine Antwort. »Ich kenne das. Als ich in deinem Alter war, haben mich die anderen auch geschnitten.« Das war gelogen. In Wahrheit hatte ich nie unter derartigen Schwierigkeiten gelitten, sondern war immer ganz gut mit allen zurechtgekommen, ohne mich sonderlich hervorzutun. Da Ildo weiter schwieg, fuhr ich fort: »Du hättest gern einen Freund, der dir hilft und dich beschützt – wäre das nicht toll?« Sie gab einen kläglichen Laut von sich, den ich mit viel gutem Willen als Zustimmung auslegte. Ich setzte mich neben sie, ohne sie zu berühren; mir war daran gelegen, Nähe herzustellen, die Kleine jedoch nicht über Gebühr einzuschüchtern.
Tollpatsch Myaze sollte Recht behalten. Mein Reifungsprozess schritt rasch voran. Neunmal essen, fünfmal schlafen, dann schnappte ich mir die erste Seele. Sie war ein durch und durch verschrecktes Gemüt, ein blasses Wesen, das förmlich darum bettelte. Mit Ildo, so hieß das Mauerblümchen, wollten selbst die Jüngeren nicht spielen, weil sie beim geringsten Anlass losheulte. Zudem zog sie, der geborene Pechvogel, sich ständig kleinere Verletzungen zu, obwohl sie sich kaum weiter als ein paar Schritte von der Hütte zu entfernen traute. Das Brodeln in meinem Inneren hatte sich verstärkt, die Intensität meiner Träume und meines Begehrens weiter gesteigert. Ungefähr im selben Ausmaß wuchs mir ein instinktives Wissen über die Eigenheiten meines Volkes zu, und so wurden die Phasen der Desorientierung wieder seltener. Ich ahnte, dass ein schwacher Charakter wie Ildo keine große Bereicherung für mich darstellen würde. Ihr fehlte sowohl Kurnels Aggressivität als auch Grainis bedingungslose Hingabe. Jedoch fühlte ich mich noch nicht stark genug für ungefähr Gleichwertige, und ich hatte Myazes Warnung gut im Gehör. Andererseits galt es, die Zeit zu nutzen. Noch herrschte die Ruhe vor dem Sturm. Bald aber würden auch die anderen Älteren sich so weit ausgewachsen haben, dass die »Nehmer« unter ihnen aktiv wurden. Wenn dann die Seelenjagd erst einmal in großem Maßstab begonnen hatte, konnte jeder kleine Vorsprung entscheidend sein.
*
Der Seelenhorter Nach einer längeren Pause sagte ich, leise und vertraulich: »Es gibt sogar noch etwas Besseres. Wenn du tief in dich hineinhorchst, begreifst du vielleicht, was ich meine.« »Du willst mich aufschlecken. So, wie es Myaze mit Kurnel und Graini gemacht hat.« »Ja«, gab ich zu, verdutzt ob ihrer Direktheit. »Was ist, wenn ich nicht sterben möchte? Bringst du mich trotzdem um?« »Äh … nein.« Das war mir vorschnell herausgerutscht, und ich ärgerte mich darüber. »Glaub ich dir nicht.« Sie drehte sich weg. Jeden Moment würde sie zu flennen anfangen. Da half nur noch Aufrichtigkeit. »Hör mal: Offen gesagt weiß ich schlichtweg nicht, ob ich stark genug bin, dich gegen deinen Widerstand aufzunehmen. Mir wäre daher lieber, du wehrst dich nicht.« »Klar«, murmelte sie. »Auf diese Weise sparst du Kraft für den Nächsten.« Daran hatte ich gar nicht gedacht. Langsam beschlich mich so etwas wie Respekt vor Ildo. Die um zehn Perioden Jüngere besaß einen scharfen Verstand oder zumindest ein erkleckliches Maß an Intuition. Ich änderte meine Taktik. Ursprünglich hatte ich gehofft, sie mit ein paar Schmeicheleien übertölpeln zu können. Jetzt sah ich ein, dass ich ernsthaft um sie werben musste. Interessanterweise erhöhte das Ildos Attraktivität beträchtlich. »Schau, auf Dauer wirst du ohnehin nicht allein bleiben. Das wäre gegen unsere Natur, habe ich Recht?« »Mhm.« »Und du stimmst mir auch zu, dass du kein Führungstyp bist – keine Nehmerin, sondern eine Geberin?« »Mhm.« »Also wirst du über kurz oder lang von jemandem … integriert. Je später, desto mächtiger wird er oder sie sein; und desto rücksichtsloser dir gegenüber.« »Mhm.« »Im Vergleich dazu bist du mit mir, jetzt
11 und hier, besser dran, oder etwa nicht? He, und ich finde, wir zwei passen richtig gut zusammen!« Zu meiner eigenen Verwunderung meinte ich das, wie ich es sagte. Sie hatte ein helles Köpfchen, während mir ein bisschen mehr Intelligenz gewiss nicht schaden konnte. Ich ließ ihr Zeit, drängte nicht weiter. Summte leise die Melodie, die ich von Myaze und Graini aufgeschnappt hatte. Zögerlich wandte Ildo sich um und schob das feuchte Gesicht, Zentimeter für Zentimeter, hinter ihrer Puppe hervor. »Ich will ja eh«, hauchte sie. »Sehr sogar. Und ich mag dich, weil du ehrlich zu mir bist und nie so gemein warst wie andere.« »Na dann …« »Dennoch hab ich Angst.« »Ich auch«, gestand ich. »Es ist schließlich auch für mich das erste Mal.« »Aber du stirbst nicht dabei.« »Sterben ist sowieso der falsche Ausdruck«, versuchte ich sie zu ermutigen. »Dein Wesentliches lebt in mir weiter.« »Würdest du mir etwas versprechen?« »Was?« Sie richtete sich auf, sodass unsere Köpfe auf gleicher Höhe waren. »Wenn ich in dich eingehe … Versprich mir, dass du mich ganz nimmst.« »Wie?« Ich verstand nicht. »Alles. Alles von mir. Nicht bloß meine Lebensenergie und ein paar kleine Splitter meiner Persönlichkeit.« »Ginge das denn?« Auf die Idee, bewusst auswählen zu können, wäre ich nicht im Traum gekommen. Obgleich es logisch klang. Meine Ahnung verdichtete sich, dass ich mehr von der kleinen Ildo profitieren würde, als ich anfangs gedacht hatte. Erstmals zeigte sie den Ansatz eines Lächelns, strich dabei mit einem Finger sacht über meinen Unterarm. Mir wurde schummrig. Gerührt gab ich ihr das erbetene Versprechen. Ein mit herkömmlichen Sinnen nicht wahrnehmbares Feld war zwischen uns entstanden. Diese Aura, die ich nicht sah, je-
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doch lesen oder vielmehr schmecken konnte, hüllte uns ein und schottete uns von der Umwelt ab. Es gab nur noch mich und Ildo. Ildo, die jetzt, leise singend, ihren schmalen Mund öffnete und gleichzeitig ihren Geist. Ildos Zunge. Ildos Seele, die mit meiner verschmolz.
durchaus schmerzhaft; an der eigenen Seele erfuhr –, war eine Selektion ausschließlich während der Vereinigung möglich. Hinterher hatte man sich mit dem Ergebnis abzufinden; musste, ob es einem behagte oder nicht, leben mit dem, was man sich angeeignet hatte.
* * Ich empfand unbeschreibliches Glück, verging fast vor Euphorie. Der Kern all dessen, was mich ausmachte, zerbarst, wurde in einem einzigen, unendlichen Moment auseinander gerissen. In die entstandenen Lücken fügte sich, weich und leicht wie tausend Daunenfedern, Ildo ein. Trotz meiner seligen Entrücktheit registrierte ich, dass ich über die Fähigkeit gebot, den Vorgang zu beeinflussen. Einzig und allein bei mir lag die Entscheidung, welchen Fremdkomponenten ich Einlass gewährte und welchen nicht. Ich hätte auslesen können, sondieren und Unliebsames, mit üblem Beigeschmack Behaftetes abweisen. Eine instinktive Abneigung gegen gewisse Schwächen und Missbildungen drängte mich regelrecht dazu. Doch ich Idiot tat nichts dergleichen. Ließ sie stattdessen einströmen in all ihrer Fülle, ganz und gar, wie ich es Ildo versprochen hatte. Böser Fehler. Denn auf diese Weise erwarb ich mir nicht nur zusätzliches Wissen, neue Talente und sämtliche Erfahrungen eines zweiten jungen, kurzen Lebens; sondern ich heimste auch Ildos Zweifel ein, ihre Phobien, ihre Neurosen. Und davon hatte sie reichlich besessen. Als ich begriff, wie und warum sie sich zur Außenseiterin entwickelt hatte, war es zu spät. Fortan klebte Ildos Pech an mir; ich wurde es nicht mehr los. Jeder Versuch, es wieder abzuschütteln, sollte misslingen. Wie ich damals lernte – beziehungsweise,
Die Ekstase war kaum abgeklungen, da machte sich Ildos Vermächtnis auch schon bemerkbar. Ich erschrak bis ins Mark, als in der Nähe ein metallisches Geräusch erklang, sprang viel zu unbeherrscht hoch und schlug mir den Kopf an der Traufe des Vordachs wund. Nahe daran, das Bewusstsein zu verlieren, taumelte ich blindlings umher, trat auf Ildos schlaffen Körper, strauchelte und fiel der Länge nach hin; wobei ich mir, als ich mich abfing, prompt ein Handgelenk verstauchte. Fast hätte mich auch noch der Arbeiter überfahren, dessen eigentlich wohlvertrautes Scheppern mich in plötzliche Panik versetzt hatte. Er stoppte gerade noch rechtzeitig, hupte tadelnd, dann rollte er um mich herum und mit Ildos Leichnam von dannen. So ging es weiter, beinahe pausenlos. In den folgenden Tagen tappte ich von einem Missgeschick ins andere. Die Serie der Unfälle riss nicht ab. Mit einem Mal besaß ich, der stets alles beherzt und sachgerecht angepackt hatte, zwei linke Arme. Und zwei wacklige, schlackernde Beine, die öfter gegen- als miteinander arbeiteten. Was Wunder, dass ich immer unsicherer wurde. Ehe ich mich's versah, fand ich mich in Ildos alter Rolle wieder: Jede Gefahr scheuend, mied ich die Gesellschaft der übrigen Heranwachsenden. Und da ich ihnen, abgesehen von den Mahlzeiten, ängstlich auswich, ja geradezu vor ihnen floh, war ich bald als Feigling und Eigenbrötler abgestempelt. Mehr als einmal verfluchte ich Ildo sowie das unüberlegte Versprechen, das ich ihr gegeben hatte. Ich schwor mir, mich nie wie-
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der zu einer solch dummen, kindischen Sentimentalität hinreißen zu lassen. Ja, aus Schaden wird man klüger. Und ich hatte einiges an Schaden davongetragen … Der Gerechtigkeit halber sei angefügt, dass meine erste Seelenvermählung keineswegs nur Nachteile mit sich brachte. Meine Sichtweise der Welt war radikal verändert worden, die Beobachtungs- und Auffassungsgabe geschärft. Mit Ildos Paranoia hatte sich auch ihre Fähigkeit zur kritischen Analyse auf mich übertragen. Zumindest dafür sollte ich ihr später dankbar sein – wenngleich ich das wahrscheinlich um vieles billiger hätte haben können.
* Gestatte mir, meine vorbildlich geduldige Zuhörerin, dass ich die nächsten, durchweg unerquicklichen Perioden nur kurz streife. Hauptsächlich war ich damit beschäftigt, die geistige Überforderung zu bewältigen, das Widerfahrene zu verdauen und nebenbei das tägliche Leben zu meistern, ohne mir schwerwiegende Verletzungen zuzuziehen. Außerdem musste ich mich, zunehmend häufiger, der Nachstellungen anderer Älterer erwehren. Viele, deren Verlangen mittlerweile ebenfalls erwacht war, hielten mich wegen meiner Unbeholfenheit und Tollpatschigkeit für ein ideales Opfer. Lästig war das, obwohl durchaus verständlich: Aus demselben Grund hatte ich ja Ildo ausgesucht! Meist gelang es mir, lüsternen Freiern durch simples Davonrennen zu entkommen. Aber manchmal ließen sie sich nicht abschütteln und stellten mich; weil mir die Beine wieder einmal einen Streich spielten oder ich von den Handlangern, mit denen sich manche charakterstarke Nehmer umgaben, in die Enge getrieben wurde. Dann war ich gezwungen, ihnen die Zunge zu zeigen und meine von Ildos Seelenpest verunzierte Aura zu offenbaren. Der Ekel, der mir daraufhin entgegen-
schlug, steigerte mein angeknackstes Selbstbewusstsein nicht gerade. Immerhin verging den Verfolgern der Appetit, und sie schoben ab, mich angewidert verhöhnend. Eine Dauerlösung war das keine. Die Zahl der Dorfbewohner schrumpfte rasch. Gerüchte machten die Runde, dass einige schon vier oder fünf Seelen aufgesaugt hätten; Myaze sagte man sogar nach, sie trüge bereits mehr als zehn in sich … Die Geber, also jene, die gern und freimütig auf eine eigenständige Existenz verzichteten, wurden Mangelware. Bald gab es keine Jüngeren mehr, überhaupt keine Solisten; und selbst die, welche erst eine einzige Fremdseele in sich trugen, waren eine Minderheit. Die wenigen Burgen, an denen noch gebaut wurde, ragten inzwischen als wahre Festungen auf, streng bewacht bei Tag und Nacht. Die Anführer zogen es vor, nicht mehr in den Hütten zu schlafen, aus Angst, dort überwältigt zu werden. Das Essen ließen sie sich von ihren Hilfskräften bringen. Auch die Wettkämpfe wandelten sich von harmlosen, höchstens ab und an etwas ruppigen Spielen zu mörderischen Duellen, nach denen sich die Sieger der Seelen der Unterlegenen, verteidigungsunfähig Geschlagenen bemächtigten. Ich hütete mich, daran teilzunehmen. Doch wurde mir klar, dass ich gleichwohl nicht mehr lange verschont bleiben würde, ungeachtet des abstoßenden Geschmacks, den ich Ildos Erbe verdankte. Rasende Fresswut hatte das Dorf erfasst. Bloß noch hundert Köpfe zählten wir, dann achtzig, dann fünfzig. Zu dieser Zeit überwand ich endlich den Schock, den mir die vollständige Aufnahme von Ildos verzweifelter Seele zugefügt hatte. Ich fand mich selbst wieder. Unter großen Mühen war es mir gelungen, alle negativen Einflüsse so weit zu verarbeiten, dass ich sie – und damit mich – einigermaßen unter Kontrolle hatte. Doch um welchen Preis! Entsetzt stellte ich fest, dass ich sträflich verabsäumt hatte,
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mit den anderen Schritt zu halten. Ich war ins Hintertreffen geraten, mein Vorsprung längst verspielt. Myaze hingegen hatte den ihren weiter ausgebaut. Was nun? Zwei Alternativen sah ich: Entweder ich gab auf, ging zu Myaze und bot mich ihr unterwürfig an – damit ich wenigstens gleich, wenn auch nur als verschwindend geringfügige Ingredienz, zur so gut wie sicheren Siegerin gehörte. Oder …
* Ich floh. Das sagt sich leichter, als es war. Auf der Suche nach möglichen Verstecken hatte ich die Umgebung des Dorfes ausgiebig erkundet. Schroffe, unerklimmbare Felswände umgaben das Hochplateau. Nur an einer Stelle gab es eine Lücke, von der eine Schotterstraße in die Tiefe führte. Auf diesem Weg waren die Fahrzeuge gekommen, die uns alle hierher gebracht hatten – schlafend; was vorher war, weiß ich nicht mehr. Gleich neben der Lücke stand die Baracke der Arbeiter. Darin bereiteten sie unsere Mahlzeiten zu; darin verschwanden sie auch mit den Leichen und sonstigem Abfall. Ildo hatte sich vor ihnen gefürchtet und sie entsprechend argwöhnisch beobachtet. Sechs Arbeiter bildeten gewöhnlich einen Riegel vor dem einzigen Ausweg aus dem Hochland. Ihre Sehröhren waren erloschen, als schliefen sie. Doch als ich mich ihnen bis auf wenige Meter genähert hatte, flackerten die Linsen auf, und ein warnendes Hupen ertönte. »Ich will ins grüne Tal absteigen«, sagte ich. Wie erwartet bekam ich keine Antwort. Ich ging weiter. Sie rückten vor mir enger zusammen. Ich versuchte mich durchzudrängen, die kalten, blechernen Leiber beiseite zu drücken. Keine Chance.
Auch damit hatte ich gerechnet. Mehrmals hieb ich mit der Faust auf den mir am nächsten stehenden Arbeiter ein, legte alle meine Kraft in die Schläge. Es gelang mir, den silbrigen Stab zu verbiegen, der aus seinem eckigen Schädel ragte. »Aufhören«, erklang eine tiefe, brummige Stimme. »Widrigenfalls Betäubung.« Dies war das erste Mal, dass ein Arbeiter zu jemand von uns sprach. Ich hielt inne. »Nur, wenn ihr meine Fragen beantwortet.« »Zurück! Widrigenfalls Betäubung.« Meine Hand blutete, dennoch drosch ich ein weiteres Mal hin. »Das halte ich für eine leere Drohung. Und weißt du, warum? Weil ihr damit in den Seelenwettstreit eingreifen würdet. Bringt ihr mich am helllichten Tag bewusstlos ins Dorf, werde ich so gut wie sicher absorbiert.« Das musste ich der vermaledeiten Ildo zugestehen: Eine derartige Scharfsinnigkeit wäre mir allein nie und nimmer eingefallen. Die Arbeiter behüteten uns, und zwar nach strengen Regeln. Welche sich, falls man es richtig anfing, gegen sie einsetzen ließen. Dass meine Aura für die anderen widerlich schmeckte und mich einstweilen noch schützte, war eines der Details, um die sich die Metallenen nicht kümmerten. Erneut schlug ich zu, ungeachtet der Schmerzen. »Genauso wenig dürft ihr zulassen, dass ich mich selbst ernstlich verletze. Nicht, wenn ihr es verhindern könnt, ohne das Endergebnis zu verfälschen. Und das könnt ihr – indem ihr mir Auskunft gebt.« Innerlich war ich mir meiner selbst bei weitem nicht so sicher, wie ich tat. Mein Verhalten gründete sich auf pure Spekulation, die Prioritäten der Arbeiter betreffend: dass nämlich die Preisgabe einiger Informationen als geringeres Übel eingestuft würde. »Also. Warum versperrt ihr mir den Weg?« »Der Abstieg ist dir nicht gestattet.« Na bitte. Ging doch. »Bedeutet das, wir müssen für immer und
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ewig hier oben bleiben?« »Nein. Wer alle anderen in sich aufgenommen hat, dem steht es frei zu gehen.« Der Kerl wurde noch regelrecht gesprächig! »Wohin? Was ist danach vorgesehen?« »Angabe verweigert.« »Wieso?« »Angabe verweigert.« »Weil dieses Wissen meine Motivation und Handlungsweise beeinflussen könnte?« »Angabe verweigert.« Ich sah ein, dass ich alles erfahren hatte, womit sie herausrücken würden. Daher ließ ich mir die Hand verbinden und kehrte in meine Hütte zurück.
* Voller nervöser Anspannung harrte ich des nächsten Wolkenbruchs. Als mit grellen Blitzen und Donnergetöse das Gewitter einsetzte und sich die Schleusen des Himmels öffneten, hüllte ich mich in alle Decken, die ich unauffällig hatte auftreiben können, und trat ins Freie. Sogleich traf mich, von der verschlissenen Bettwäsche nur unzureichend gedämpft, die Wucht des Regens und des Hagels. Dutzende Grobiane vom Schlage Kurnels prügelten zugleich auf mich ein, knüppelten mich nieder, als wollte die entfesselte Natur meine Anmaßung bestrafen. Ich war nahe daran, meinen Entschluss zu widerrufen und reuig umzudrehen. Doch ich überwand mich, unterdrückte Ildos reflexhaft einsetzende Todespein. Gebückt hastete ich, so schnell es das glitschige Gras erlaubte, von Hütte zu Hütte. Jenseits des Dorfes, im offenen Gelände, erfassten mich Sturmböen mit Macht. Sosehr ich mich dagegen anstemmte, sie wirbelten mich herum, stießen mich hin und her und her und hin, dass im Aufruhr der Elemente die Orientierung kaum mehr möglich war. Auch zerrten sie an meinem bescheidenen Schutz und drohten die Decken fortzureißen. Ich war gezwungen, den Weg auf al-
len vieren fortzusetzen. Bibbernd vor Kälte und Überanstrengung, gelangte ich zum Rand des Plateaus. Beinahe hätte ich die Lücke zwischen den Bergwänden verfehlt. Hinter vom Wind gepeitschten Regenschleiern war die Baracke der Arbeiter nur als dunkler, verwaschener Fleck auszumachen. Ich setzte darauf, dass auch die Blechernen nicht wesentlich mehr erkennen konnten als ich und dass sie bei einem Unwetter ebenso im Haus blieben wie ihre Schützlinge. Trotzdem presste ich mich, so flach ich konnte, an den Boden. Längst hatten sich die Decken mit Wasser voll gesogen und lasteten schwer und klamm auf mir. Das Kriechen war schon höchst beschwerlich gewesen; das Robben wurde vollends zur Tortur. Jeder Meter, den ich unter diesen Bedingungen zurücklegte, forderte mir mehr ab, als ich je geglaubt hatte, geben zu können. Bei jeder Bewegung war ich aufs Neue davon überzeugt, dass diese die letzte meines Lebens wäre. So kämpfte ich mich unter Aufbietung aller meiner Reserven voran, Fingerbreit um Fingerbreit. Und ich schaffte es. Gras wurde von Kieseln abgelöst. Unter mir neigte sich der Boden erst leicht, dann stärker abwärts. Ungeheure Erleichterung wallte in mir auf. Ich hatte die Straße erreicht, die ins grüne Tal führte; hatte das Unvorstellbare, Verbotene, für unmöglich Gehaltene zustande gebracht. Ich war draußen. Ich, der Pechvogel, der Tollpatsch, hatte das Dorf und das Hochland, meine Heimat, die einzige Welt, die ich kannte, verlassen.
4. Experiment Stundenlang schufteten sie, bis das Floß fertig war. Es maß knapp zwei Mannslängen im Quadrat. Obwohl es sehr roh wirkte, war es gerade richtig dimensioniert für die beiden Er-
16 bauer und in Anbetracht dessen, dass sie über keinerlei Werkzeug verfügten, erstaunlich raffiniert und stabil konstruiert. Unzweifelhaft besaß Atlan, der ohnehin die Hauptarbeit geleistet hatte, reiche Erfahrung in derlei Situationen. Interessant. Der Grenzfluss Zanf wälzte sich träge durch sein breites, seichtes Bett. Trotzdem fixierte der Weißhaarige ein langes, aus Lianen geflochtenes Seil an einem Uferfelsen und, nachdem er es über eine Umlenkung geführt und sorgfältig in Schlingen gelegt hatte, am Floß. Der Strick sollte im Zusammenspiel mit einem als Ruder dienenden Holzstück verhindern, dass sie zu weit abgetrieben wurden. Wie überaus umsichtig. Atlan half Jolo, das Floß zu besteigen. Die so wandlungsfähige Visage des grünhäutigen, nur einen Meter großen Echsenwesens drückte dabei eine Verzagtheit aus, die spontan Mitleid erregte sowie das dringende Bedürfnis, dem drolligen Kerl jede nur erdenkliche Unterstützung zu gewähren. Was exakt der Sinn der Sache war. Eigentlich stellte Jolo, woher immer seine Spezies stammen mochte, ein Argument gegen die Evolutionstheorie dar: körperlich schwach, unter erbarmungswürdigen Problemen bei Essensaufnahme und Verdauung leidend, jedoch wie zum Hohn ständig von Heißhunger geplagt … nicht unbedingt die Krone der Schöpfung. Allerdings hatte ihm Mutter Natur – oder ein unbekannter Genetiker? – zum Ausgleich eine Fähigkeit geschenkt, die sich am ehesten als »Gefühlsmimikry« umschreiben ließ. Jolo vermochte sein an sich hässliches Gesicht mit den beiden gelben, weit auseinander liegenden Rundaugen, der langen, warzigen Schnauze und den links und rechts davon klaffenden Nasenlöchern extrem ebenso zu verziehen wie in feinsten Nuancen. Auf diese Weise stellte er Emotionen verschiedenster Intelligenzwesen nach. Bei seinem Gegenüber erzeugte das ganz nach Bedarf jene Reaktionen, die Jolo gerade ge-
Leo Lukas nehm waren. Der Trick funktionierte sogar, wenn man ihn im Prinzip längst durchschaut hatte. Atlan bugsierte seinen Begleiter mit der Fürsorglichkeit einer Amme zur Haltestange, die quer über das schwankende Floß verlief. Als ihm zum Bewusstsein kam, dass er wieder einmal auf Jolos Mimik hereingefallen war, versetzte er diesem einen leichten Knuff, ergriff energisch das Ruder und stieß vom Ufer ab. Gemächlich bewegten sie sich, schräg zur Flussrichtung, auf den Zanf hinaus. Der weißhaarige Humanoide lenkte das Floß geschickt. Mit einer Hand betätigte er das Ruder und steuerte gegen die Strömung; mit der anderen gab er, wenn nötig, Seil nach. Dabei erweckte er den Eindruck, als bereite ihm die anstrengende Übung durchaus Spaß – und das, obwohl er nach der langen, schweißtreibenden Arbeit nur eine kurze, zur Regeneration kaum ausreichende Pause eingelegt hatte. Bemerkenswert zäh. Unvermittelt drehte er ruckartig den Kopf nach links und rechts. Mit zusammengekniffenen Augen suchte er Wasseroberfläche und Uferböschungen ab. Fühlte er sich beobachtet? Ahnte er etwas? Oder besaß er gar eine parakognitive Begabung? Ich beschloss, ihn auf die Probe zu stellen.
* Ohne Zwischenfälle trieben Atlan und Jolo bis in die Flussmitte und darüber hinaus. Wirbel, Säurequellen, Schlingalgen konnten ihnen nichts anhaben. Der Bau des Floßes hatte sich gelohnt. Auch die angriffslustigen, mit nadelspitzen Zähnen bewehrten Fische wurden um ihre Opfer betrogen. Vorläufig. Langsam näherte sich der schwimmende, aus zusammengebundenen Baumstämmen bestehende Untersatz dem anderen Ufer. Es sah ganz so aus, als gelänge es den unglei-
Der Seelenhorter chen Gefährten, dem tückischen Zanf ein Schnippchen zu schlagen. Unter normalen Umständen waren keine Schwierigkeiten mehr zu erwarten. Die beiden hätten bravouröser übergesetzt als viele vor ihnen … … wäre nicht plötzlich der Wasserspiegel gestiegen. Tosen und Brausen erfüllten die Luft. Die Dhedeens flatterten von den Schultern ihrer Träger hoch. Zu spät kreischte Jolo eine Warnung. Eine gewaltige Flutwelle rollte heran, zerschmetterte das Floß und riss dessen Besatzung mit sich. Du wunderst dich, mein süßlich duftender Schatz, wie das möglich war angesichts der Breite des Zanf? Nun, in den flussaufwärts gelegenen Hügeln befindet sich ein Stausee, auf dessen Schleusen eines meiner braven Häppchen einen gewissen Einfluss hat. Atlan hielt sich recht gut, zumindest für einen zweibeinigen Landbewohner ohne Schwimmhäute oder nennenswerte körpereigene Auftriebsblasen. Prustend tauchte er aus den schäumenden Fluten, orientierte sich und kraulte mit kraftvollen Stößen zu einem der im reißenden Strom treibenden Baumstämme. Er war von der Welle genauso überrascht worden wie Jolo. Präkognition fiel also definitiv aus. Schade. Wäre nützlich gewesen, obzwar nicht ganz einfach in der Handhabung. Während er verschnaufte, mit den bemitleidendswert unflexiblen Armen an den Stamm geklammert, ließ sich wieder ein Dhedeen auf seiner Schulter nieder. Der rotäugige Hüne wischte die Haarsträhnen vom Gesicht und blickte sich um. Weiter hinten entdeckte er, knapp über der Gischt flatternd, ein weiteres der gelb gefiederten Übersetzer-Vögelchen und darunter Jolo. Der Echsische paddelte wie verrückt mit den kurzen Tatzen, ging jedoch immer wieder unter. »Rette mich!«, quäkte er. »Ich kann nicht schwimmen!« »Spinnst du? Du bist eine Echse!«
17 »Na und?« Gurgelnd schluckte Jolo etwas von der brackigen Brühe und verschwand. Als er den Kopf wieder aus dem Wasser bekam, japste er: »Hast du noch nie … einen Vogel getroffen, der … keine vernünftigen Flügel besaß?« »Du willst mich nicht zufällig wieder mal drankriegen?« »Außerdem ist … das flüssige Zeug … verdammt kalt. Ich werd … schon ganz steif!« Tatsächlich erlahmten seine Bewegungen. Atlan ließ den Baumstamm los und schwamm, gegen den Strom ankämpfend, zu Jolo. Der ihn erst vor kurzem verraten und verkauft hat, dessen Charakter als windig und dessen Loyalität weiterhin als dubios einzuschätzen ist. Diesmal flunkerte er ausnahmsweise nicht. Er wäre ertrunken, hätte Atlan ihn nicht davor bewahrt. Was den Weißhaarigen selbst in Todesgefahr brachte – denn der panische Jolo umschlang ihn und drückte ihm die Saugnäpfe seiner Extremitäten auf Stirn, Hals und Arme, sodass Atlan in seiner Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt war. Trotz dieser nicht unerheblichen Behinderung rettete er letztlich sich und den Echsischen in einen stilleren Seitenarm und ans Ufer; freilich weit unterhalb der Stelle, wo sie geplant hatten, an Land zu gehen. Dafür umso näher bei mir. Mein kleines Experiment hatte Resultate gezeitigt. Ich wusste nun deutlich mehr über den Fremden, der vor fünf Tagen in die Intrawelt gekommen war. Sein bisheriges Verhalten gab zu den schönsten Hoffnungen Anlass. Atlan war ausdauernd, tatkräftig, vielseitig bewandert; dabei hilfsbereit, solidarisch, sentimental. Ein »Guter«. Mit anderen Worten: ein nützlicher Narr. Ich werde viel Freude mit ihm haben, sobald wir uns persönlich begegnet sind. Kann's kaum noch erwarten …
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* Jolo erwachte aus der Ohnmacht, rülpste und sagte: »Ich habe Hu…« »›Danke‹ wäre als erste Äußerung nach deinem Beinahe-Tod auch nicht ganz unangebracht gewesen«, unterbrach ihn Atlan. Sie lagen auf einer flachen Anhöhe, wenige Meter über dem neuen Bett, das sich der Fluss erobert hatte. Ringsum war das Land schwarz, bedeckt von Ruß und verkohlten Stoppeln; in diesem Teil Karaporums hatte offenbar kürzlich ein Steppenbrand gewütet. Die Sonne brannte auf sie herab, Atlans Kleidung und seine weiße Mähne waren schon fast wieder trocken. Mit zusammengepressten Lippen pflückte er braun schimmernde, fette, doppelt fingerlange Egel von seinen Waden und Knöcheln. Schmollend rieb sich Jolo das Hinterhaupt. »Mich bedanken? Dafür, dass du mich brutal bewusstlos geschlagen hast?« »Ich hatte keine Wahl, sonst … Vergiss es.« Zu erschöpft für lange Wortgefechte, untersuchte Atlan seine Unterarme und bemerkte die Blutergüsse, die Jolos Saugnäpfe verursacht hatten. Er betastete Hals und Gesicht. »Sehe ich hier auch so aus?« »Du meinst die Knutschflecken? Mach dir nichts draus, Kumpel. Alle werden dich für einen begnadeten, außergewöhnlich feurigen Liebhaber halten, hihihi!« Das Grinsen der Echse zog sich um ein Gutteil ihres Schädels. Dazu zwinkerte sie rhythmisch mit den Nickhäuten. Atlan seufzte, lächelte matt. »Möchte zu gern wissen, womit ich dich verdient habe. – Bist du so weit in Ordnung?« Jolo spreizte die Tatzen und verwand den schlanken, aufgrund des Knorpelskeletts äußerst biegsamen Rumpf. »Denke schon. Abgesehen davon, dass mich schrecklich hungert …« »Ach, halt die Klappe.« Faulig riechender Dunst umgab sie und ein Schwarm ebenso winziger wie hart-
näckiger Stechmücken. Atlan atmete noch einige Male tief durch, dann stand er ächzend auf und lockerte seine Muskulatur. »Gehen wir.« »Wohin?« »Wenn ich mich recht erinnere, bist du hier der Einheimische, Scherzbold. Jedenfalls flussaufwärts. Oder hast du eine bessere Idee, wie wir die Route zu der Einsiedelei wiederfinden?« »Hm. Was hältst du von Fragen?« »Sehr witzig. Und wen?« »Die da?« Er streckte die linke Tatze aus. Atlan wirbelte herum. Auf einer niedrigen Kuppe, etwa fünfzig Meter landeinwärts, waren drei Gestalten erschienen. Eine davon winkte mit einem langen Arm; so enthusiastisch, als könne sie die Freude kaum fassen, ausgerechnet diese beiden getroffen zu haben.
5. Kuckucksei Frag mich nicht, o stumme Geliebte, wie ich ins Tal gelangt bin. Irgendwann rutschte mein geschundener Leib weg. Ich fand keinen Halt, stürzte inmitten einer Lawine aus nassem Geröll über eine Kante und fiel, mich überschlagend, wieder und wieder und wieder hart aufprallend, in die Tiefe, bis ich das Bewusstsein verlor. Als ich stöhnend zu mir kam, war der Regenguss vorüber. Goldene, warme Sonnenstrahlen stachen durch dichtes grünes Blätterdach. Drei Tage und Nächte lag ich zwischen den Farnen, unfähig, mich zu erheben. Getier kroch über mich hin, bleiche Wurzeln streckten sich nach mir aus, als wäre ich bereits Humus. Allmählich ließen die Schmerzen nach, dafür kamen Hunger und Durst. Letzteren stillte ich ein wenig, indem ich den Tau von Blattpflanzen schleckte, die ich unter großen Mühen bis in Reichweite meiner Zunge herabbog. Das Knurren im Magen wurde immer
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drängender. Mein Körper schrie nach Energie für den Heilungsprozess, doch ich konnte sie ihm nicht verschaffen. Und dabei hingen die ganze Zeit in den Ästen über mir pralle, saftige Früchte, wie sie uns die Arbeiter oft serviert hatten! Am vierten Tag raffte ich den letzten Rest meiner Lebenskraft zusammen, rappelte mich hoch und erhaschte, nach etlichen vergeblichen Versuchen, eine Frucht. Köstlicheres habe ich nie verschlungen – zumindest was fleischliche Genüsse betrifft. Immer noch halb im Delirium, torkelte ich durch den Dschungel. Ein Ziel besaß ich nicht; von oben, beim Blick durch die Lücke in den Felswänden, hatten wir nur einen breiten Streifen Grün ausmachen können, und dahinter eine ferne Bergkette. Wie lange ich so umherirrte, könnte ich nicht sagen. Eines Abends stieß ich auf eine geschotterte Straße, der ich folgte.
* An dieser Stelle muss ich mich ein wenig zur Ordnung rufen, wozu du, mein Schatz, ja nicht mehr fähig bist; es ruft sich schwer ohne Mund. – Gleichwohl, ich darf nicht länger auf jedes Detail eingehen, will ich meine Geschichte zu Ende bringen, bevor die avisierten Reisenden eintreffen. So viel gibt es noch zu erzählen, so unglaubliche Dinge zu berichten … Also kurz und knapp: Im Lauf der nächsten Tage fand ich weitere Dörfer wie jenes, aus dem ich geflohen war. Alle waren durch natürliche Hindernisse von der Umgebung abgeschottet. Das erste lag auf einer Insel in einem kleinen See und war über eine schmale Furt zu erreichen, welche auf Dorfseite von Arbeitern bewacht wurde. Ich konnte mich in der Dämmerung nah genug heranschleichen, um zu erkennen, dass hier nur noch rund ein Dutzend Jugendliche lebten, die sich gegenseitig belauerten. Die Entwicklung war also bereits fortgeschrittener als in meiner Heimat. Ich zog weiter.
Das zweite Dorf, mitten im Urwald, umgeben von einem viele Meter hohen Zaun aus Dornenhecken, war überhaupt verwaist. Arbeiter bauten gerade die Hütten ab und verluden deren Bestandteile auf Transportfahrzeuge. Ich zog weiter … … und weiter und weiter. Erst die fünfte Kolonie, gelegen in einem Canyon in den Ausläufern der nächsten Bergkette, bot mir geeignete Bedingungen. Dieses Dorf war deutlich später besiedelt worden als das unsrige. Die volle Zahl von tausend Kindern, zur Hälfte jüngere, tummelte sich zwischen den Hütten, einem schmalen Bach und den Wänden der lang gezogenen Schlucht. Wie wir uns um die Lehmburgen gebalgt hatten, so stritten die Hiesigen um Felshöhlen; auch veranstalteten sie leidenschaftlich Schiffchen-Rennen. Ich schaffte es, unbemerkt einzudringen. Die Arbeiter sicherten gegen Ausbrüche ab; sie rechneten nicht damit, dass jemand von der anderen Seite kam. Auch gehörte es nicht zu ihren Aufgaben, die Insassen individuell zu behandeln. Sie konnten uns nicht auseinander halten, das wusste ich noch von Ildos Beobachtungen. Den Bewohnern fiel gleichfalls nicht auf, dass sich ein Tausendunderster zu ihnen gesellt hatte und sich in ihrer Mitte einnistete. Zumal ich, körperlich ein Spätentwickler, keineswegs der Größte war. Nicht einmal als ich den Schlafplatz meines ersten Opfers übernahm, schöpften sie Verdacht. Meine Behauptung, mit ihm getauscht zu haben, schluckten sie ohne Argwohn. Derlei passierte häufig. Vor allem aber war ihre Aufmerksamkeit anderweitig gebunden, da bei den Älteren gerade die Pubertät einsetzte. Mir sollte das recht sein. Schamlos nutzte ich mein Plus an Erfahrung, Reife und Willenskraft aus. Ehe bei den am weitesten Entwickelten der Seelenhunger erwachte, hatte ich schon mehr als zwanzigmal zugeschlagen.
*
20 Dabei ging ich äußerst dezent vor, peinlich darauf bedacht, keine Zeugen zu haben. Die Herde durfte nicht zu früh aufgescheucht werden. Um die Leichen hingegen brauchte ich mir keine Gedanken zu machen, die wurden von den Arbeitern prompt entsorgt. Anfangs wählte ich prädestinierte Geber, Jüngere, Außenseiter von Ildos Sorte. Ohne vollends zu begreifen, wie und was ihnen geschah, fielen mir ihre Seelen anheim, eine nach der anderen. Jede Verschmelzung war aufs Neue ein orgiastischer Moment. Dennoch gab ich Acht, nur wertvolle, »leicht verdauliche« Substanz zu integrieren. Selbst wenn ich anderes versprochen hatte, um mich einzuschmeicheln und das Misstrauen zu zerstreuen, hielt ich mich nicht daran. Ich hatte meine Lektion bitter gelernt und nicht vor, den gleichen, um Haaresbreite fatalen Fehler zweimal zu begehen. Zudem wäre es unsinnig gewesen, dieselben Anlagen mehrerer Artgenossen zu absorbieren. Ich erstrebte Qualität, nicht Masse und suchte ganz gezielt danach. So wuchs ich innerlich und wuchs und wuchs. Gestärkt, ja vor Mentalenergie pulsierend, konzentrierte ich mich sodann auf potenzielle Konkurrenten: Wortführer, Bandenchefs, Persönlichkeiten, die sich durch ein gewisses Charisma auszeichneten. Das waren natürlich Nehmertypen; entsprechend mehr Gegenwehr leisteten sie. Und wenn schon. Sie hatten keine Chance. Ich erwischte sie unvorbereitet und überrumpelte sie; nötigenfalls, indem ich hemmungslos Gewalt anwendete, was bei ihnen zu diesem Zeitpunkt noch völlig unüblich war. Reiche Ernte hielt ich in jenen glücklichen Tagen. Ein Gutteil der Widersacher schaltete ich aus, bevor sie mir gefährlich werden konnten. Als die Ersten darauf kamen, worum es hier eigentlich ging, und ihrerseits die Seelenjagd eröffneten, lagen sie bereits weit abgeschlagen hinter mir zurück.
Leo Lukas Der Wettstreit wurde inzwischen in aller Öffentlichkeit ausgetragen. Die anderen hatten dennoch nichts zu melden. Mittels meiner in der heimlichen Periode erworbenen Ausstrahlung, Autorität und Willenskraft regierte ich das Dorf, in das ich mich quasi eingeschlichen hatte, nach Belieben. Einer meiner Lakaien verfiel auf die krause Idee, mich als »Majestät« zu titulieren; wahrscheinlich hatte er den Begriff einer Lernfolie entnommen. Ich ließ ihn gewähren; es spielte keine Rolle, wie sie mich nannten, solange sie gehorchten. Denn eine Gefahr bestand, und sie wurde immer akuter, je näher es dem Ende zuging. Zwar vermochte mir keiner der Verbliebenen meine hundertfach angereicherte Seele zu rauben; dafür war ich schon viel zu stark. Sehr wohl allerdings konnten sie versuchen, mich einfach so zu töten. Damit wäre zwar der in mir versammelte, größte Teil des mentalen Potenzials dieser Kolonie unwiederbringlich verloren gewesen. Aber immerhin hätten sie mich aus dem Weg geräumt, und es trüge doch noch jemand anders den Sieg davon. Ich will dich nicht auf die Folter spannen, mein verwesender Schatz; das haben wir hinter uns, und ich denke gern daran zurück. Selbstverständlich behauptete ich mich gegen die ebenso spärlichen wie lachhaft unvermögend durchgeführten Attentate. Wäre mir das nicht gelungen, säße ich schließlich heute nicht hier. Worauf ich schon ein wenig stolz bin, ist, dass auch keine sonstigen vorzeitigen, also sinnlosen Todesopfer zu beklagen waren. Soll heißen, ich nahm alle tausend Seelen in mich auf. Nicht eine einzige ging mir durch die Lappen. Jede einzelne von ihnen erweiterte mein Bewusstsein, mein Wissen, meine Lebensenergie, meine Macht. Darüber hinaus hatte ich, als alles überstanden war, zwei zusätzliche Erkenntnisse gewonnen: Manchmal ist es erst der Umweg, der uns ans Ziel bringt; und sehr oft sind falsches Spiel und Hinterlist die taug-
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lichsten Mittel zum Erfolg.
* Was danach geschah? Nun, ich brach, bestens gelaunt, strotzend vor Selbstsicherheit, zum Ausgang der Schlucht auf, um bei der Baracke der Arbeiter meinen Siegespreis abzuholen: Informationen. Aufklärung über die Hintergründe. Und, nicht zuletzt, die persönliche Freiheit sowie hilfreiche Tipps, was damit anzufangen sei. Vor dem offenen Tor standen zehn Blecherne hübsch aufgereiht Spalier. Ich schlenderte an ihnen vorbei, huldvoll winkend, durchglüht vom Triumph und der Überfülle, die ich in mir trug. Beim Letzten blieb ich stehen und frug (ja, frug; zu feierlich war mir zumute, als dass ich simpel fragte): »Habt ihr der Majestät nicht noch etwas mitzuteilen, Jungs?« »Du wirst abgeholt.« Das klang nicht ganz so großartig, wie ich es mir vorgestellt hatte. »Abgeholt? Von wem?« Von oben ertönte ein Geräusch, ein durchdringendes Summen und Sirren, das rasch anschwoll und näher kam. Ein fliegendes Etwas senkte sich aus dem Himmel herab; eine Libelle, nein: ein Vogel, abermals nein: eine Mischung aus Arbeiter und Hütte und Transporter und … Nie zuvor hatte ich dergleichen gesehen. So groß war das metallisch funkelnde Ding, dass es unmöglich in der Enge des Canyons hätte aufsetzen können. Es blieb daher in der Luft schweben, summend, sirrend, funkelnd, die Sonne verdunkelnd. Atemlos stand ich und starrte hinauf. Da erfasste mich jählings eine unsichtbare Riesenhand. Sie riss mich nach oben, auf das Flugding zu; und, durch eine ebenso plötzlich entstandene Öffnung, in es hinein.
* Innen war es kühl und dunkel, doch nicht
unangenehm. Nicht wie während des Unwetters, eher wie damals in Myazes Lehmburg. Aber viel sauberer, und die Luft roch nach Blüten und Gewürzen. Das Loch im Boden schloss sich sofort wieder. An seiner Stelle entstand eine Sitzgelegenheit, in der Wand davor ein Fenster; ein sehr großes, ovales, doch blindes. Außer mattem Graublau ließ sich nichts erkennen. »Wo bin ich?«, stieß ich hervor, obwohl sich außer mir niemand in dem seltsamen Raum aufhielt. »In einem Gleiter«, antwortete eine Stimme, ähnlich denen der Arbeiter. »Wir fliegen durch Wolken, deshalb siehst du nicht viel.« Ich war reichlich perplex, doch geistesgegenwärtig genug, weitere Fragen zu stellen. Wenn sich jemand, wo auch immer er oder sie steckte, von sich aus mitteilsam benahm, durfte ich diese Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen lassen. Folgendes erfuhr ich, wobei ich zusehends fassungsloser in den weichen Polstern versank: Es gab auf diesem Himmelskörper, einem sogenannten Planeten mit dem Eigennamen Sarac, nicht bloß die fünf mir bekannten Kinderdörfer, sondern viel mehr. Insgesamt waren es, über den ganzen Globus verstreut, genau eine Million. Eine Million! Das bedeutete tausend mal tausend oder mal nochmals je tausend ursprünglicher Bewohner … »Ja«, bestätigte die Stimme: »exakt eine Milliarde relativ gleichaltriger Lutveniden – so lautet die Bezeichnung für deine Gattung – zu Beginn des Ausleseverfahrens.« Dessen erste Phase, wie der unsichtbare Sprecher weiter ausführte, gerade planetenweit abgeschlossen wurde. Die zweite stand unmittelbar bevor. Das Grau vor dem Fenster zerfaserte und gab den Blick auf eine Weite frei, die mir unendlich schien. Inmitten einer Ebene, die sich bis zum Horizont erstreckte, erhoben sich Gebäude; zahllose titanische Türme, im Sonnenlicht gleißend, wunderschön anzusehen und Furcht einflößend zugleich. »Was ist das?«, flüsterte ich, mich an der
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Lehne festhaltend. Denn wir schienen vornüberzukippen, stürzten auf das stählerne und gläserne Gebirge zu; obwohl mein Sitz nicht verrutschte und der Boden des fliegenden Zimmers waagrecht blieb. »Keine Angst, in der Kabine herrscht lokale Gravitation. – Das ist eine Stadt. Sie heißt Ra-Tajcik und wurde vor Jahrtausenden vom Volk der Akotos erbaut. Inzwischen hat man sie selbstverständlich geräumt und sterilisiert, um Platz für die Finalisten zu schaffen.« »Finalisten?« »Für dich«, sagte die Stimme heiter. »Für dich und deine 999.999 Gegner.«
6. Steppenwölfe Die geringe Entfernung überwanden sie rasch und mühelos, beflügelt vom unablässigen Winken und anfeuernden Geschrei der drei Gestalten auf der Kuppe. Allerdings stiegen bei jedem Schritt Flocken von Ruß und Asche auf. Atlan und Jolo langten, trotz des eben erst absolvierten Bades, vollkommen verdreckt bei der anderen Reisegruppe an. »Willkommen soll frommen, von Herzen willkommen!«, singsangte das Wesen, das ihnen auf den letzten Metern entgegeneilte. Flott, obgleich es keine Beine besaß. Die hintere Hälfte seines Leibes glitt über den Boden; die vordere war aufgerichtet und unbekleidet, sodass zwischen gelblichen Schuppen zwei Reihen schlaffer, faltiger Brustzitzen zu sehen waren. Sechs dünne Ärmchen wedelten fahrig durch die Luft. »Ich werde Albia gerufen«, stellte sie sich vor, »oder auch derzeit, unter Geschwistern, ›Hohe Frau, Schau Genau‹. Und wer seid ihr?« Sie überragte Jolo um den halslosen Kopf. Das freundlich und Vertrauen erweckend wirkende Gesicht wurde von zwei Glupschaugen dominiert. Auf der Stirn prangte ein Paar langer, dicker, in alle Richtungen pendelnder Fühler. Wenn sie beim
Sprechen den breiten Mund öffnete, blitzte oben und unten je eine durchgehende Zahnschneide auf. Atlan verneigte sich, nannte seinen und Jolos Namen und fügte hinzu: »Wir sind zwei Wanderer, die der Zanf ein wenig aus der Bahn geworfen hat. Gerade als wir viel weiter oben übersetzen wollten, hat uns das Hochwasser erwischt.« »Tja, so was kommt in den besten Familien vor«, raunte die langbeinige Zweite und hob den riesigen, glockenförmigen Sonnenschirm an. Auch sie war unübersehbar weiblich. Atlan glotzte so auffällig nicht auf ihre wohlgerundeten Brüste, dass keinem der Übrigen die spontane Affinität zwischen den beiden Humanoiden entging. »Mein Name ist Vischgret«, sagte sie mit samtiger Stimme. »Erfreut, eure Bekanntschaft zu machen.« Der Weißhaarige ergriff wie in Trance die ausgestreckte Hand und führte sie an seine gespitzten Lippen. »Ganz meinerseits.« »Ah, ein Kavalier, der weiß, was sich gehört. Und das in dieser gottverlassenen Gegend! Vischgret ist entzückt.« »Und ihrerseits überaus entzückend.« Atlan nickte galant lächelnd, stoppte dann abrupt und hielt den Kopf schief, als lausche er einer inneren Stimme. Sichtlich verwirrt ließ er Vischgrets schlanke, mit knallrot lackierten Nägeln besetzte Finger los, blinzelte und fuhr sich über das Gesicht. Du, meine Gefährtin und Geliebte für viel zu wenige, viel zu kurze Tage, warst zeitlebens, ich möchte sagen: naturgemäß solch exzessive Gefühlsregungen gewohnt. Aber versetz dich doch mal in die Lage dieses Fremden, von weit her in die Intrawelt Verschlagenen, der unvermittelt einem Wesen seiner eigenen Art gegenübersteht! Einer Schönheit, die ihn anrührt, buchstäblich zu Tränen … Fraglos war die Ähnlichkeit im Körperbau frappierend, wenn man einmal von den überdeutlich erkennbaren Geschlechtsmerkmalen absah (was wie gesagt nicht leicht fiel). Und wenn man die Kleinigkeit außer
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Acht ließ, dass Vischgret, die Atlan um einen halben Kopf überragte, ein Auge mehr ihr Eigen nannte. Das blieb ihm aber vorerst verborgen, denn es saß, ebenso strahlend blau und von langen Wimpern beschattet wie die anderen beiden, auf der Rückseite des elegant geschwungenen, haarlosen Schädels. »Au ja, wie überaus entzüüückend!« Jolos komischer, seinen Begleiter parodierender Gesichtsausdruck ließ sich mit »unverschämt brünstig« nur mangelhaft und bestenfalls ansatzweise umschreiben. Seine ordinär überzogene Mimik erfüllte den beabsichtigten Zweck. Die Umstehenden lachten schallend; außer Atlan selbst, der eher ertappt und säuerlich dreinschaute.
* »Ihr tragt keine Waffen«, stellte der Dritte im Bunde fest – jener, der am heftigsten gewinkt hatte. »Seid ihr so friedliebend, habt ihr sie im Zanf verloren, oder könnt ihr euch bloß keine leisten?« Atlan räusperte sich. »Alle drei Punkte treffen in gewisser Weise zu«, antwortete er. »Wir suchen keinen Streit, erwehren uns aber sehr wohl unserer Haut, sollten wir dazu gezwungen werden. Und wir besitzen im Augenblick nur unser nacktes Leben, da der Fluss alle unsere Habseligkeiten mit sich gerissen hat.« »Gut gegeben!«, befand der Muskelbepackte, von der Grundform her ebenfalls Humanoide. »Ich merke, du bist ein Mann des geschliffenen Wortes, insofern ein Geistes-, um nicht zu sagen Seelenverwandter. Empfange den Gruß und Kuss von keinem Geringeren als Ritz Toyd, den man landauf und landab auch als Eisenfaust Der Unbezwingbare kennt!« »Der?« echote Jolo verschmitzt. »Der Eisenfaust?« »Ja, genau, der und kein anderer.« Toyd breitete die Arme aus, als nähme er auf einer Bühne Applausstürme entgegen. »Danke. Ich danke euch vielmals, meine Freunde,
dass ihr nicht vor mir auf die Knie fallt. Das finde ich immer so furchtbar peinlich.« Sodann umarmte er Atlan und drückte ihn fest an sich, was der fast genau gleich Große, doch etwas Schlankere mit indigniert gehobenen Augenbrauen über sich ergehen ließ. »Ein Hoch und Hurra auf das gütige Schicksal, das uns fantastische fünf hier und heute zusammengeführt hat!« Die Dhedeens übersetzten simultan, wiewohl Ritz Toyd nicht im herkömmlichen Sinn verbal kommunizierte. Sein Kopf bestand aus zwei aufrecht stehenden, tellerförmigen Elementen, die sich stets leicht zueinander verschoben und am Scheitel auseinander klafften. Von dort stiegen, wenn er das Wort ergriff, Blasen auf. Deren Farbe, Größe und Geruch sowie Geräusch beim Zerplatzen ergaben kombiniert die »Wörter« seiner Sprache. Angehörige dieser Rasse werden deswegen allgemein als »Blubbler« bezeichnet. Man kann fast in jeder Parzelle der Intrawelt auf sie stoßen. Sie gelten als abenteuerlustig und stehen im Ruf, die Gesetze zuweilen recht frei und eigenwillig auszulegen … Aber wer tut das nicht? Toyds Schädel war von grellpinker Farbe und mit unzähligen Pusteln bedeckt, aus denen kurze blonde Borsten wuchsen. Eine Vielzahl stecknadelkopf-großer Augen bildete zusammen mit winzigen Atem- und Riechlöchern das rund um den dicken, gedrungenen Hals verlaufende Sinnesband. Der Mann, der sich »Eisenfaust« betitelte, trug ebenso einen Dhedeen wie alle anderen auf der Kuppe Versammelten. Allerdings wirkte das Vögelchen zerzaust und merklich mitgenommener als seine Artgenossen, was möglicherweise an olfaktorischer Überstimulierung lag. Manche der von dem Blubbler ausgestoßenen »Silben« stanken nämlich ganz gehörig. Nachdem die Begrüßungs- und Vorstellungsrunde endlich abgeschlossen war, erklärte Albia, dass sich das Trio auf dem Weg zu einem Sammelloch im Herzland der
24 Parzelle Karaporum befände. Atlan nannte im Gegenzug Peonus Klause als sein und Jolos Ziel. »Ah, Peonu … Vischgret hat schon von dem Eremiten gehört«, gurrte die Langbeinige unter dem Sonnenschirm hervor. »Soviel Vischgret weiß, liegt seine Klause praktisch auf unserer Route. Wollt ihr euch uns nicht anschließen?« »Hervorragende Idee!«, bekräftigte Ritz Toyd in überschwänglich bunten, knallenden und duftenden Blasen. »Die Steppe soll, hört man, kein ganz ungefährliches Gelände sein. Nicht, dass wir Verstärkung benötigen würden; schließlich bin ja ich dabei, um auf die Mädels aufzupassen, gelle?« Er versetzte Vischgret einen schallenden Klaps auf den Po, was diese mit glöckchenhell perlendem Gekicher quittierte. »Wie's auch sei, einerlei, fünf sind allemal besser als drei«, flötete Albia, die Hohe Frau. Prosaischer fuhr sie fort: »Je mehr, desto sicherer vor Überfällen der Lonbals.« Atlan horchte auf. »Was sind das wieder für welche?« »Du kennst dich aber auch wirklich weniger aus als ein Neugeschlüpftes!«, tadelte Jolo mit der Miene eines Oberlehrers. Von den Raubtieren, erläuterte er, welche Karaporums Savannen durchstreiften, stellten die Lonbals die größte Bedrohung für Wanderer dar. Mit den bis zu drei Meter langen, oft in Rudeln jagenden Echsen legte man sich besser nicht an. »Am besten reist man, sofern einem die Gegend vertraut ist, ohnehin in der Nacht«, ergänzte Ritz. »Da hängen die Biester, wurde mir gesagt, starr und steif auf den DuumBäumen.« »Kommt nicht in Frage«, quiekte Jolo. »Oder nur, wenn mich jemand trägt. Ich bin zufällig ebenfalls Kaltblüter, falls euch das noch nicht aufgefallen sein sollte.« »Wir werden eine Lösung finden. Ich, der Eisenfaust, habe noch immer eine gefunden, und sei es mit Bomben und Granaten. Also was ist, Burschen, tun wir uns zusammen?« »Äh … Ich nehme an, ihr habt Proviant
Leo Lukas dabei?« »Reichlich.« »Gebongt.« »Nicht so schnell. – Euer Angebot ehrt uns«, fuhr Atlan dazwischen, »und klingt sehr verlockend. Bitte gestattet, dass wir uns dennoch kurz beraten. Ich will euch damit keineswegs zu nahe treten oder gar beleidigen, aber …« »Schon klar, schon wahr«, sagte Albia sanftmütig. »Offenheit ist gut, Misstrauen besser. Überlegt euch in Ruhe, ob ihr mit uns weiterziehen wollt oder nicht.« »Es wäre allerdings nett, wenn ihr euch ein wenig beeilen könntet«, schnurrte die Vollbusige und trippelte auf der Stelle. »Vischgret muss nämlich mal für kleine Mädchen – und hier gibt's weit und breit kein Gebüsch!«
* »Was sind das für Leute?«, flüsterte Atlan, sobald sie sich ausreichend weit von der Gruppe entfernt hatten. »Kannst du sie irgendwo einordnen?« »Klar kenne ich die Sorte«, zischelte Jolo zurück. »Vaganten. Herumstreuner. Fahrendes Volk. Mit Verpflegung.« »Gauner?« »Hm nja … Kommt drauf an, was du darunter verstehst …« »Diebe. Räuber. Mörder.« »Quatsch. Ich würde sagen, eher Abzocker. Und falls doch – wozu sollten sie sich an uns die Finger schmutzig machen? Was kann man dir und mir noch wegnehmen? Die haben genau kapiert, dass bei uns nichts zu holen ist. Und sie haben was zu essen.« »Toyd ist stark, durchtrainiert, ein Schlägertyp. Bewaffnet dazu. In seinem Gürtel steckt ein Messer, und unter der Jacke trägt er ein Schwert auf den Rücken geschnallt. Überdies hat er Bomben und Granaten erwähnt.« »Stinkbomben und Granatäpfel, wenn's hoch kommt. Der Kerl ist ein Prahlhans, ein
Der Seelenhorter Marktschreier, Preisringer oder etwas in der Art. Kennst du das Sprichwort ›Brüllende Frösche explodieren nicht‹?« »Sinngemäß, ja. – Könntest du es übrigens sein lassen, dauernd Gesichter zu schneiden, als würdest du jeden Augenblick verhungern? Jetzt sind wirklich nicht die Zeit und der Ort dafür.« »Genauso gut könnte ich von dir verlangen, dass du das Atmen einstellst, Kumpel. – Die fette Kriecherin macht mir einen weit verdächtigeren Eindruck als der Angeber.« »Inwiefern?« »Weiß nicht. Nur so ein Gefühl. Irgendwas stimmt nicht mit der. Außerdem ist sie Spielerin, und die bluffen und betrügen von Berufs wegen.« »Wie kommst du darauf?« »Bist du blind? Hast du nicht gesehen, was sie in dem Bauchbeutel mitschleppt? Karten, Würfel, Hütchen … Aber natürlich, Herr Atlan hatte ja nur Augen für die Rieseneuter von Fräulein Vischgret, hihihi.« »Sehr witzig. Wenn du's genau wissen willst – mich hat etwas ganz anderes irritiert und angezogen.« »Angezogen? Wohl eher aus, im Geiste.« »Nein, da war eine Art Aura … Egal. Du meinst also, die drei sind Schausteller?« »Jetzt hat er's begriffen. Der Geschwollene rauft für Geld, Albia spielt. Für welche Bedürfnisse deine angebetete Vischgret zuständig ist, dürfte wohl auch nicht schwer zu erraten sein.« »Wenn du noch ein einziges Mal damit anfängst, nehme ich dich nie mehr huckepack! Dann kannst du dir deine Stummelbeinchen ablatschen, bis du schwarz wirst.« »Ich bin schon schwarz, vor Ruß. Du übrigens auch.« Atlan raufte sich die aschgrauen Haare. »Okay. Du meinst also, wir sollten ihr Angebot akzeptieren?« »Was hätten wir zu verlieren? Wir sind bettelarm und müssen froh sein, dass sie uns überhaupt mitnehmen, ohne unmoralische Forderungen zu stellen. Obwohl, bei Vischgret käme dir das eh zupass, hm? – Au! Au!
25 AUUU! Lass das! Mach den Knoten wieder auf! Man wird doch noch ein wenig scherzen dürfen …«
7. Elite Der Gleiter raste ins höchste der Bauwerke. Er schlug ein wie ein Schrapnell. Und kam, ohne dass sich in der Kabine etwas bewegt hätte, ebenso abrupt wie sanft gebremst zum Stillstand. »Aussteigen«, sagte die Stimme. »Folge dem Licht.« Ich kniff mich in den linken oberen Arm, um mich zu vergewissern, dass ich nicht träumte. Dann kletterte ich durch die wieder erstandene Öffnung. Rechts war die Röhre finster, links erleuchtet. Ergo fiel mir die Wahl nicht schwer. Ich stakste dahin, unsicher auf den Beinen, verängstigt im Gemüt. Eine Million Seelen. Und nur eine einzige davon wird übrig bleiben. Die »Zweite Phase«, hatte es geheißen, begann demnächst. Alle Dorfsieger wurden nochmals aufeinander gehetzt. Möge der oder die Bessere gewinnen. Eine Million. Tausend mal tausend. Jeder und jede davon aufgeladen mit den Mentalinhalten einer ganzen, wiederum tausend Seelen umfassenden Kolonie. Ich war damals nur rudimentär mathematisch gebildet. Doch wie niedrig meine Chance lag, als Letzter zu überdauern, konnte ich mir sehr wohl ausrechnen. Das hieß … Moment! Einen Vorteil besaß ich. Mutmaßlich hatte sich in vielen Dörfern der Endkampf dahin gehend gestaltet, dass Konkurrenten eliminiert worden waren. Erwürgt, ertränkt, erdrosselt, erschlagen … wie auch immer. Jedenfalls, ohne das Potenzial der in ihnen vereinten Seelen weitergegeben zu haben. Solche Sieger waren, gemessen an mir, jetzt schon Verlierer. Denn sie gingen deutlich schwächer an den Start.
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Und selbst wenn andere, gleich mir, alles an sich gerafft hatten, was ihnen dargeboten worden war – ich hatte mich, bedingt durch meine Flucht vor der sicheren Auslöschung, um eine Seele mehr bereichert. Der Unterschied war gering. Tausendundeins. Aber möglicherweise entscheidend.
* Das Licht leitete mich zu einem kleinen Raum, leer bis auf eine einfache Pritsche. Ich legte mich darauf in der Annahme, dass das von mir erwartet wurde. Kaum hatte ich mich ausgestreckt, schossen aus der Unterlage hauchdünne Fäden. In Sekundenschnelle woben sie ein Netz um mich, bis ich wie in einen Kokon eingesponnen war. Es ging so schnell, dass ich gar nicht dazu kam, zu erschrecken oder mich dagegen zu sträuben. Anschließend begannen die Fäden, sacht zu vibrieren. Das war kein unangenehmes Gefühl, im Gegenteil entspannend, ja einlullend. Ich verfiel in einen milchigen, schwebenden Zustand zwischen Schlafen und Wachen. Während ich so dahindämmerte, strömte Wissen in mich ein. Der Vorgang war im weitesten Sinn mit der Aufnahme von Seelenkomponenten vergleichbar; aber auch wieder gänzlich anders, zumal ich ihn nicht steuern und nicht im Geringsten selektieren konnte. Die sanfte Sturzflut aus Informationspartikeln wurde mir aufgepfropft, ob ich wollte oder nicht. Jedes Zeitgefühl kam mir abhanden. Der Kokon beeinflusste meine Körperfunktionen, verlangsamte sie um einen mir unbekannten Faktor. Daher vermag ich nicht abzuschätzen, ob ich wenige Stunden dort lag oder viele Tage. Irgendwann hörten die Vibrationen auf, die Fäden fielen von mir ab und verschwanden spurlos. Ich erhob und streckte mich, fühlte mich wie neugeboren. In gewisser Weise war ich das auch. Hingelegt hatte ich mich als Wilder, als Primi-
tivling, tumber Tor, naive Unschuld vom Lande. Als Städter stand ich wieder auf. Jahrtausende der Zivilisationsentwicklung hatte ich in dieser Hypno-Schulung nachvollzogen. Die Metropole Ra-Tajcik flößte mir keine Minderwertigkeitskomplexe mehr ein, sondern ich betrachtete sie als mein natürliches Zuhause, als eine Art dritte Haut, so, wie Kleidung und Ausrüstung die zweite bildeten. Ich kannte sämtliche Gebäude und Verkehrswege wie meine Westentasche, sah sie als mein ureigenstes Revier an; obzwar ich wusste, dass sie nicht von Lutveniden errichtet und angelegt worden waren, sondern von den längst ausgestorbenen Akotos. Deswegen ein schlechtes Gewissen zu empfinden kam mir nicht in den Sinn. Schwaches musste weichen, damit Stärkeres sich entfalten konnte. Das war der Lauf der Evolution, der Urgrund und Endzweck alles Lebens. Kollateralschäden wie die Ausrottung der hiesigen Ureinwohner mussten, so bedauerlich sie erscheinen mochten, in Kauf genommen werden. Irgendwann hätten die Akotos sowieso das Zeitliche gesegnet. Ihr Schicksal verblasste vor dem hehren Ziel des wahrhaft großen Unterfangens: die seelische Substanz der Bewohner eines ganzen Planeten in einem Einzigen, dem Besten, dafür Geeignetsten zu konzentrieren. In mir.
* Ich werde den Verlauf der Auseinandersetzungen nicht detailliert schildern, auch wenn manch amüsante Episode darunter wäre. Im Großen und Ganzen gestaltete sich die Seelenfischerei auf hohem intellektuellem Niveau. Wir waren ja nun aufgeklärt, kultiviert, eben urban. In Diskussionsveranstaltungen verschiedenster Art – Versammlungen, Medienereignissen, Netzforen – warben wir um einander. Jeder und jede zählte die Argumente auf, die dafür sprachen, dass gerade er oder sie die idealen Voraussetzungen mitbrachte, am Ende alle Lutveniden in sich zu vereinigen. Die
Der Seelenhorter ganze Sache hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit den »Wahlkämpfen« im Rahmen jener perversen, in manchen Systemen gepflegten Regierungsform, welche »Demokratie« genannt wird. Es verwundert dich gewiss nicht, Liebste, dass hinter den Kulissen dieser Scheinheiligkeit manipuliert und intrigiert wurde, was das Zeug hielt. Kaum jemand war seiner hochstehenden ethischen Grundsätze wegen ins Finale gekommen. Offiziell redeten wir mit Engelszungen; doch insgeheim war allen bewusst, das es letztlich um nichts anderes ging als: Fressen oder Gefressenwerden. Das Ringen dauerte einige Umläufe des Planeten Sarac um seine Sonne, die in den uns vorliegenden Dokumenten als ValachoVI/C verzeichnet war. In welcher Sternenregion sie sich befand, habe ich bis zum heutigen Tag nicht erfahren. Was mich, nebenbei bemerkt, kaum bekümmert; ich habe nie den Wunsch gehegt, an die Stätte meiner Kindheit und Adoleszenz zurückzukehren. Wozu? Ich bin Kosmopolit, Galakto-Trotter. Wohin man mich verlegt, wo man mich engagiert, dort mache ich mich ohne viel Federlesens heimisch. Doch ich greife vor. Zurück nach Sarac, zum Grande Finale der Lutveniden-Destillation! Schon nach wenigen Monaten hatten wir uns den Globus aufgeteilt. Fundierend auf der Infrastruktur der Akotos, schufen wir Wirtschaftskonzerne und Medienimperien, gründeten Staatenbünde und Religionen – was immer uns geeignet dünkte, zu guter Letzt ein weltweites Monopol zu erzwingen. Und natürlich rüsteten wir auf; erst heimlich, dann unheimlich (Pardon wegen des Wortspiels, mein Schatz, aber Spaß muss auch mal sein). Da große Kriege kontraproduktiv gewesen wären, vermieden wir sie, obwohl wir über schlagkräftige Roboterarmeen verfügten. Das Risiko, wertvolle Mentalsubstanz zu vernichten, wäre zu hoch gewesen. Scharmützel fanden freilich immer öfter statt, doch hauptsächlich benutzten wir die
27 Werkzeuge der Diplomatie: Lug und Trug, Verleumdung und Erpressung, geheimdienstliche Aktivitäten aller Art, bis hin zu Attentat und Terror. Schließlich kristallisierten sich zwei Machtblöcke heraus, die sich gegen alle Mitbewerber durchsetzten. Den anderen kontrollierte Myaze.
* »Ich habe immer schon geahnt, dass es auf uns beide hinauslaufen würde«, sagte sie. »Tatsächlich? Ich nicht. Es gab eine Zeit, da war ich überzeugt, nicht einmal die erste Phase zu überstehen.« »Jungs. Sehen den Wald vor lauter Bäumen nicht.« Wir lachten, wurden rasch wieder ernst. Das Geschlecht hatte keine Relevanz mehr für uns. Wir trugen längst ebenso viele männliche wie weibliche Komponenten in uns: beide jeweils knapp eine halbe Milliarde. Seit meiner Flucht aus dem Dorf waren wir uns nicht mehr persönlich begegnet. Auch Myaze war älter, geradezu erwachsen geworden, jedoch zierlich geblieben wie eh und je. Als Ort für dieses ultimative Treffen hatte sie das Hochplateau vorgeschlagen, und ich hatte nach kurzem Bedenken zugestimmt. Vielleicht erhoffte sie sich einen psychologischen Vorteil von dieser Reminiszenz. Immerhin hatte sie dort bereits einmal gewonnen, während ich der Konfrontation ausgewichen und weggelaufen war. Mich störte das nicht. Das Plateau zeigte keine Spuren mehr vom Kinderdorf. Auch die Burgen waren längst von den Regengüssen weggespült worden. Alles wirkte viel kleiner, als ich es in Erinnerung hatte. Wir blickten von der Lücke, wo die Baracke der »Arbeiter« gestanden hatte, hinab ins grüne Tal. Wie vereinbart waren wir mit einfachen Gleitern gekommen, ohne jegliche
28 Waffen oder Robotsoldaten. Dieser letzte Kampf wurde nicht mit materiellen Waffen ausgetragen; zu viele Seelen standen auf dem Spiel. Auch an die Möglichkeit eines Hinterhalts oder einer sonstigen Überrumpelung hatte ich keinen Gedanken verschwendet. Dazu waren wir viel zu stark. Keiner von uns vermochte das gewaltige Reservoir des anderen gegen dessen Willen zu übernehmen. »Hast du schon einmal überlegt, ob es nicht auch zwei Sieger geben könnte?« »Ex aequo? Absurd. Es kann nur einer übrig bleiben, das hast du selbst gesagt.« »Oder eine.« »Oder eine, ja.« »Ich spüre selbstredend das Drängen, die Begierde, die Unersättlichkeit ebenso wie du. Das ist unsere Natur oder unsere Programmierung, wenn du so willst.« »Eben. Selbst wenn wir das erstrebten – und warum sollten wir? –, kämen wir dagegen nicht an.« »Bist du ganz sicher?« »Was soll das, Myaze? Versuchst du mich zu verwirren?« »Natürlich. Aber überlege: Wäre es nicht denkbar, dass wir zu zweit, also weiterhin getrennt, effektiver wären als vereint? Egal, ob unter deiner oder meiner Dominanz?« Ich dachte nach. »Nein. Wir sind mehr als die Summe unserer Teilseelen. Die Mentalkapazität wird nicht addiert, sondern multipliziert sich.« Sie vollführte eine unwillige Handbewegung. »Das weiß ich. Aber wären wir nicht dennoch mächtiger, wenn wir, anstatt zu verschmelzen, uns einfach verbündeten? So, wie wir oft und oft zusammengearbeitet haben, um Konkurrenten auszuschalten? Das hat doch wunderbar funktioniert.« »Es gibt keine Konkurrenten mehr. Bloß noch dich und mich.« »Und das ist gut so. Warum es nicht dabei belassen?« Abermals wog ich ihre Argumente ab. Abermals verwarf ich sie. »Ich will dich, Myaze. Dich und deine Hälfte der Welt.
Leo Lukas Hier und jetzt. So ist es vorgesehen, so muss es sein.« »Na schön. Ich hab's probiert. Also du oder ich. Sollen wir eine Münze werfen?« Im selben Moment griff sie an. Die Wucht des geistigen Schlages, ja die Attacke als solche überraschte mich, ganz wie sie es beabsichtigt hatte. Dem hatte der seltsame Diskurs gedient: mich in Sicherheit zu wiegen und unvorbereitet zu treffen! Dennoch gelang es ihr nicht, mich zu betäuben und mir meine Seele zu entreißen. Wie ich schon ausführte: Wir waren zu stark, zu gleichwertig. Ich wankte, doch ich fiel nicht. Myazes Versuch scheiterte. Mehr noch: Indem sie alles auf eine Karte gesetzt, alle Energie in den einen Hieb gelegt hatte, eröffnete sie mir die Möglichkeit eines Gegenangriffs. Ich zögerte nicht.
* Hinterher übermannte mich eine tiefe Ohnmacht. So kurz das finale Duell gedauert hatte, so anstrengend war es gewesen. Noch mehr verlangte mir die Absorption von Myazes gigantischem Seelenpotenzial ab. Beinahe hätte ich mich, salopp ausgedrückt, daran überfressen. Als ich wieder zu mir kam, befand ich mich nicht mehr auf dem Planeten Sarac. Auch vom System der Sonne Valacho-VI/C hatte ich mich unvorstellbar weit entfernt. Das ist nicht übertrieben; wie ich ja, das darfst du mir glauben, mein Schatz, generell kaum zu Übertreibungen neige. Denn wenn mir auch die Position von Sarac nie mitgeteilt wurde, so lag sie doch unzweifelhaft im Normaluniversum. Was man von dem Ort, an dem ich wiedererwachte, nicht behaupten konnte.
8. Wirrlichter Ritz Toyd, wer sonst, übernahm die Füh-
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rung. Er schlug ein hohes Marschtempo an. Atlan hielt mühelos Schritt, Vischgret mit ihren langen Beinen sowieso; und erstaunlicherweise auch Albia. Die Hohe Frau mochte entfernt einer Schnecke ähneln, doch ihr Hinterleib glitt auf tausenden Lamellen flink dahin. Da der Steppenbrand jegliche Hindernisse beseitigt hatte, kam auch Jolo gut voran. Die Sonne stand im Zenit des wolkenlosen Himmels. Nirgendwo auf der verkohlten Ebene fand sich auch nur das winzigste Fleckchen Schatten. Für die einzige, seltene Abwechslung in der schwarzen Einöde sorgten abgestorbene Bäume, die ihre dürren, fragmentarischen Äste anklagend gen Himmel reckten. »Heiß, gelle?«, blubberte Toyd nach einer Weile, ohne sich umzudrehen. »Angenehm«, fiepte Jolo aufgekratzt. »Äh … Dürfte ich eventuell bei Gelegenheit noch was von dem ausgezeichneten Gepökelten haben?« »Na, du kannst aber ordentlich reinhauen, Jungchen. Sehr sympathisch. Vischgret mag Männer mit einem gesunden Appetit.« »Viel gekaut, laut verdaut«, sang die Hohe Frau. »Sollen wir eine Pause einlegen?« »Weiter«, knurrte Atlan. Seine Stirn war gerötet. Auch an den anderen unbedeckten Stellen verfärbte sich seine helle Haut. »Du bist nicht von hier, gelle?« »Nein.« Schweigen. Trockenheit. Ödnis. »Heiß, gelle?«
* Längst war der Grenzfluss Zanf aus ihrem Blickfeld entschwunden. Die Sonne stand im Zenit, und sie brannte unerbittlich herab. »Heiß, gelle?« »Etwa vierzig Grad, schätze ich«, murmelte Atlan, während er mechanisch einen Fuß vor den anderen setzte. »Vierzig was?«, fragte Jolo, munter dahinhüpfend. »Celsius. Eine Maßeinheit, dort, wo ich
herkomme. Also, nicht ursprünglich – oder doch, wenn man die Lemurer … Ich war lange in einer Tiefseekuppel … Vergiss es.« »Du redest wirr, Kumpel. Pass auf, dass dich kein Sonnenstich ereilt. Ihr Warmblüter seid da anfällig.« »Mach dir um mich keine Sorgen. Ich bin unter einer sehr großen, sehr heißen Sonne aufgewachsen und überdies gegen fast alle Krankheiten gefeit.« Soso. Hochinteressant; nachgerade faszinierend. »Wie messt ihr hier eigentlich die Temperatur, Kleiner? Habt ihr eine Skala dafür?« »Klar: warm – kühl – verdammt kalt – Zeit zum Schlafengehen.« »Entschuldige, dass ich gefragt habe.«
* Die Hitze trocknete die Schleimhäute aus, an oder in welchen Körperteilen auch immer die so unterschiedlichen Mitglieder der Reisegemeinschaft welche besaßen. Von Zeit zu Zeit verteilte Vischgret Wasserflaschen aus einem anscheinend nie versiegenden Vorrat. Doch was sie auch in ihre jeweiligen Trinköffnungen schütteten, der Durst stellte sich kurz danach wieder ein. »Äh … Da wir gerade von Nahrungsaufnahme sprachen …« »Jungchen, wo frisst du das hin, wo liegt dein Gewinn?« Der Ruß verklebte die Poren und kroch in die Atmungsorgane. Abwischen, Husten, Schneuzen, Spucken: Nichts half. Um sich Erleichterung zu verschaffen, tränkte Atlan einen Fetzen Stoff, den er aus seinem Hemd gerissen hatte, mit Wasser und drapierte ihn wie eine Kapuze um Kopf und Oberkörper. »Du bist für diesen Himmel nicht geschaffen. Unter meinem Sonnenschirm ist Platz für zwei. Vischgret lädt dich ein, mit ihr zu gehen.« Atlan blickte hinunter zu Jolo, dessen wortloser Kommentar Bände sprach. »Nein danke, ich komme zurecht.«
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Leo Lukas »Heiß, gelle?«
* Gehen. Gehen. Gehen. Durch den Tag, den endlosen Tag. Linker Fuß, rechter Fuß, linker Fuß. Rechter Fuß. Linker … Die Sonne stand im Zenit. Auch am Panorama änderte sich wenig. Alle freuten sich wie über eine grandiose Sehenswürdigkeit, als sie das Gerippe eines Lonbals passierten. »Der tut uns nichts mehr«, rief Jolo. Übermütig schlug er einen Salto. Atlan trat beiseite, fingerte an seinem Hosenschlitz und wartete, bis die Hohe Frau an ihm vorbeigeglitten und im flirrenden Glast verschwommen war. Dann lief er zum Skelett und brach einen Knochen ab, wobei er ihn so verdrehte, dass eine scharfe Splitterfläche entstand. Er steckte die notdürftige Klinge hinten in den Hosenbund und verfiel in einen forcierten Trab, um wieder zu den anderen aufzuschließen.
* Die Sonne stand im Zenit. Sie stand immer im Zenit, überall; vom Aufflammen am Morgen bis zum Erlöschen am Abend. Der Tag dauerte doppelt so lang wie die Nacht. »Häutest du dich häufig?« »Eigentlich nicht.« Atlan pulte Hautfetzen von seinen Handrücken. »Muss an der UV-Strahlung liegen. – Was ist das für ein Sammelloch, zu dem ihr unterwegs seid?« Ritz Toyd blubberte: »Ein neutraler Handelsplatz, seit vielen Jahrtausenden.« »Ihr reist hin, um eure Künste vorzuführen?« »In der Tat, mein roter Bruder. Mit etwas Glück kann man dort in wenigen Tagen ein kleines Vermögen verdienen.« »Du kennst den Platz?« »Vischgret und ich waren schon öfter dort; von Albia weiß ich es nicht, die hat sich uns erst vor ein paar Tagen angeschlos-
sen. Wenn Karawanen der Grün-Nomaden am Sammelloch zugegen sind, geht es gewöhnlich rund, und die Geldbeutel sitzen locker. Diesmal wird besonders viel Betrieb sein, denn Luck, der Proporze, soll in Kürze eintreffen.« »Proporze?« »Ja. Nie von ihm gehört?« Endlich hatten sie den Rand der vom Steppenfeuer verwüsteten Fläche erreicht. Übergangslos löste mannshohe Vegetation die verbrannte Erde ab. Viel weniger eintönig wurde die Landschaft deswegen nicht. Ohne seinen Schritt zu verlangsamen, griff Toyd hinter sich und zog einen Krummsäbel aus der auf den Rücken geschnallten Scheide. Mit beachtlicher Geschicklichkeit und Schnelligkeit hackte er eine Schneise in das gelb-violette Gräsermeer. Dies erforderte allerdings seine ganze Aufmerksamkeit und Energie, sodass das Gespräch abbrach. Nur jene Blasen stieß er in regelmäßigen Abständen aus, die Atlan bereits zur Genüge kannte und mittlerweile auch ohne Dhedeen verstanden hätte: »Heiß, gelle?« Zwischen den Gräsern stand die Luft, was die Hitze noch drückender machte. Atlan, der Jolo geschultert hatte, lernte rasch, dass man die schmalen, spitzen Blätter besser nicht mit bloßen Händen anfassen sollte. Er zog sich einen Schnitt in der Handfläche zu, der jedoch nach bemerkenswert kurzer Zeit wieder verheilt war. Beschleunigte Regenerationsfähigkeit. Sieh einer an.
* Nachdem sich die Sonne mit einem deutlich, wenngleich verzögert hörbaren Knacks abgeschaltet hatte, erhöhte die Reisegesellschaft nochmals das Tempo. Man wollte die Dämmerstunde nutzen, in der das nunmehr rötliche Licht und die Temperatur allmählich weniger wurden. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit erklärte Ritz Toyd die Tagesetappe für beendet.
Der Seelenhorter Mit seinem Krummsäbel schuf er eine kreisförmige, etwa fünf Mannslängen durchmessende Lichtung. Vischgret entnahm ihrem Rucksack ein fingerdickes Seil und legte es rund um den Lagerplatz aus. Als sie die beiden Enden verknotet hatte, begann es pulsierend zu leuchten. Jolo pfiff anerkennend. »Tolles Ding. Hält die Dropits fern, nicht wahr?« »Ja. Vischgret hat hart dafür gearbeitet.« »Drogg?« »Mag sein.« Atlan schnappte sich die Echse und fragte halblaut: »Dropits?« »Die Herrscher der Dunkelzeit. Wanderinsekten, die alles fressen, was ihnen zwischen die Mandibeln gerät. Sehr, sehr lästig. Aber vor Feuer schrecken sie zurück.« »Verstehe. Das flackernde Seil simuliert, dass es hier brennt. Während ein echtes Feuer, angesichts des vielen ausgedörrten Grases ringsum, zu gefährlich wäre.« »Hast ein kluges Köpfchen, Kumpel.« »Und was bedeutet ›Drogg‹?« »Glaub, mir, das willst du gar nicht wissen.« Jolo entwischte, um Albia eine weitere Proviantration abzuschnurren. Dem Echsischen beim Essen zuzusehen war ein zweifelhaftes Vergnügen. Unter großen Anstrengungen und beträchtlicher Geräuschentwicklung schlang und würgte er dermaßen erbärmlich, dass einem Betrachter leicht der Appetit vergehen konnte. Sein weit aufklappbarer Mund, dessen Unterkiefer bei Bedarf ausgerenkt werden konnte, besaß nur rudimentäre Zähne, kaum dazu geeignet, die Nahrung weiter in den Rachen hineinzuschieben. Während sie das Nachtmahl verzehrten, zu dem die Hohe Frau auch den vom Sonnenbrand gezeichneten Rotäugigen einlud, wurde es vollkommen finster. Ohne das Leuchtseil hätten sie die eigene Hand vor den Augen nicht mehr gesehen. »Dieser Proporze …?«, nahm Atlan den Faden wieder auf. »Luck? In diesem Gebiet eine lebende Le-
31 gende. Sein Nomadenstamm ist bekannt für hochqualitative und anderswo kaum erhältliche Ware.« »Womit handelt er?« »Mit allem Möglichen. Sklaven, seltenen Fundstücken, technischem Brimborium …« »Auch Informationen?« »Sicher. Ein wertvolles Gut, das er sich teuer bezahlen lässt.« Toyd musterte Atlan kritisch. »Hast du dir schon Gedanken gemacht, wie du zu Geld kommen willst?« »Es wird sich was ergeben, hoffe ich.« »Höre: Falls wir zusammenbleiben, könnten wir einen Schaukampf veranstalten, du gegen mich. Alle werden natürlich sofort sehen, dass du gegen den unbezwingbaren Eisenfaust keine Chance hast. Ich malträtiere dich ein Weilchen, um diesen Eindruck noch zu verstärken. Dadurch steigen die Einsätze.« »Also, ich weiß nicht recht …« »Nein, warte, jetzt kommt der Clou. Da in solchen Fällen immer betrogen wird und gewöhnlich der Außenseiter gewinnt, werden sie wie verrückt auf dich setzen. Dann verdresche ich dich endgültig, und wir sind mit einem Schlag gemachte Leute. Du brauchst nur den Kopf hinzuhalten und ein wenig Gegenwehr zu leisten, solange du dazu im Stande bist. Ich gebe dir … zwanzig Prozent. Na, was sagst du?« »Ich werd's mir überlegen.« »Gut, fünfundzwanzig. – Wir brauchen einen Namen für dich, dein richtiger gibt zu wenig her. Was hältst du von ›Der Rote Ekel‹? Das hat was, gelle?«
* In der Nacht wurde es empfindlich kühl. Albia schien das nichts auszumachen. Ritz schlüpfte in isolierende Kleidung. Jolo rollte sich zusammen und erstarrte zu einer Statue seiner selbst. Die drei waren im Nu eingeschlafen. Nur Atlan wälzte sich auf dem harten Boden hin und her. »Dich friert. Vischgret hat eine Decke. Magst du zu mir kommen, Roter Ekel? Wir
32 hätten beide was davon.« »Du bist sehr freigebig.« Sie lachte leise. Es klang, als striche man zart über ein Glockenspiel. »Da irrst du dich gewaltig. Vischgrets Dienste muss man teuer erkaufen. Doch keine Sorge, wenn wir uns aneinander wärmen, beruht das auf Gegenseitigkeit.« Er legte sich zu ihr. »Du bist schon weit herumgekommen? Ich meine, du siehst sehr jung aus; aber Ritz hat angedeutet …« »Charmeur! Vischgret weiß wohl, dass sie eine Veteranin der Straße ist und man die Spuren sieht.« Atlan widersprach pflichtbewusst, dann fragte er: »Kennst du die Maulspindler und ihre Gondeln? Hast du sie benutzt?« »Gondeln hat Vischgret schon erblickt, aber nur aus der Ferne. Ihr graut davor, sie würde nie in so etwas einsteigen.« »Wie sehen sie aus?« »Wie blaue Zigarren, die schnurgerade durch die Lüfte schweben, bis sie als kleine Punkte im Himmel verschwinden. Brrr!« Sie schüttelte sich, doch nicht vor Kälte. Von der Stelle, wo Ritz Toyd lag, stiegen in regelmäßigen Abständen kleine Blasen auf, die im Flackern des Seils matt glimmten. Atlans Dhedeen übersetzte die »Worte« mit: »Chrrr … chrrr … chrrr …« »Du hast viele Parzellen bereist?« »Vier«, sagte sie stolz. »Dieselben wie Albia: außer Karaporum noch Poricium, Echthnis und Dariae. Das ist ein schönes Stück Land, mein Lieber, in dem man sich jahrelang herumtreiben kann, ohne zweimal denselben Ort aufzusuchen. Obwohl die Hohe Frau meint, alles zusammen mache bloß ein Siebentausendstel unserer Welt aus.« »So groß … Du kennst sicher auch eine Menge Geschichten, nicht wahr? Ich denke, dass deine Kunden allerhand ausplaudern.« »Das kannst du laut sagen. Vischgret weiß Dinge, die manche Siedlung in den Grundfesten erschüttern könnten. Doch Vischgret schweigt.« »Klug von dir. – Hast du auch etwas über die Erbauer der Intrawelt gehört? Oder über
Leo Lukas Themen, die sonst eher vermieden werden, wie zum Beispiel, äh, der Flammenstaub?« »Ach, solche Geschichten meinst du. Hm. Gelegentlich. Das ist eine der Legenden, die bei Schlechtwetter erzählt werden; eine der Sagen über die Schöpfer der Welt. Angeblich ernähren die sich von dem Zeug. Aber Genaues weiß man nicht darüber.« »Glaubst du daran?« »Vischgret glaubt an warme Mahlzeiten, saubere Unterkünfte und komfortable Schuhe. Der Rest schert unsereins wenig. Märchen sind für Kinder, und Vischgret war nicht lange Kind. – Gute Nacht, Roter.« »Gute Nacht.« Eng aneinander gepresst dösten sie ein.
* Ein metallisches Klicken ließ Atlan hochschrecken. Jenseits des in verschiedenen Orangetönen pulsierenden Rings breitete sich die Savanne als endlose, absolute Finsternis aus. Sie war erfüllt von leisen Geräuschen. Schwacher Wind strich durch die Gräser. Die abkühlende Krume knackte und knarrte. Es mochte auch allerlei kleines und größeres Getier den Lagerplatz umkreisen … Vischgret schlief tief und fest. Behutsam schob sich Atlan unter der gemeinsamen Decke hervor und stand auf. Er hatte, bevor sie sich zur Ruhe begeben hatten, angeregt, abwechselnd Wache zu halten. Doch die anderen hatten das für unnötig befunden: Die Größe der Gruppe und das Flackerseil reichten ihrer Meinung nach als Abschreckung für die hiesige Fauna vollkommen aus. Ritz Toyd blubberte im Schlaf; Jolo furzte. Albia, die Hohe Frau, hatte es sich mit dem Vorderleib in Vischgrets Sonnenschirm gemütlich gemacht. Die Szene wirkte friedlich und heimelig. Den Kopf mit den ehemals weißen Haaren leicht zur Seite geneigt, die Arme vor der Brust verschränkt, stand Atlan in der Mitte des Kreises und starrte in die dunkle, mond- und sternenlose Nacht hinaus. Seine
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Lippen bewegten sich still, als führe er ein Selbstgespräch. Dann rotierte er, unvermittelt und geschmeidig, einmal um die eigene Achse. Fühlte er sich erneut beobachtet wie heute Morgen am poricischen Ufer des Zanf? Wenn du wüsstest, wie nahe ich dir bin … Als Atlan einige Zeit später zu Vischgret unter die Decke schlüpfte, blickte die Kurtisane ihn aus zwei großen, glänzenden Augen an. »Was ist?«, gähnte sie. »Hast du ein Wirrlicht gesehen?« »Woran sollte ich das erkennen?« »Keine Ahnung. Aber wenn es welche gäbe und du eines gesehen hättest, wärst du mit Sicherheit nicht mehr hier.« Sprach's, drehte sich um, schloss auch das dritte Auge und schlief auf der Stelle wieder ein.
9. Champions Ich kam zu mir, so körperlich ausgeruht und geistig verwirrt zugleich, als hätte ich eine halbe Ewigkeit geträumt. Welch dummer Ausdruck! Die Hälfte von »ewig« ist immer noch ewig, so, wie das Doppelte von null wieder null ergibt; zumindest in diesem Universum. Dort aber, wohin ich unmittelbar nach dem Finalsieg über Myaze verschleppt worden war, besaßen diese Gesetze keine Gültigkeit. Ich kann daher auch nicht abschätzen, wie viel Nicht-Zeit ich an jenem NichtOrt verbracht habe – weil er außerhalb von Zeit und Raum, ja außerhalb des Kosmos situiert war, ist und immer sein wird. Hinter den Materiesenken. Das teilten sie mir mit, lakonisch, im Anschluss an die Rücküberstellung in ein Hier und Jetzt. Beim ersten Appell nach meiner Ankunft auf dem TRÄGER. Langsam. Nicht so durcheinander! Schön der Reihe nach. Gut. Ich erwachte, wie gesagt, und fand mich auf einer Pritsche, identisch mit jener,
auf der ich die Belehrung über die Stadt RaTajcik, den Planeten Sarac und den Existenzgrund meines Volkes, der Lutveniden, empfangen hatte. Das Gespinst der Fäden fiel gerade von mir ab und verschwand, bevor die letzten Reste den spiegelnden Boden erreichten. Diesmal jedoch, so spürte ich am äußersten Rand meines Bewusstseins, war der Prozess in umgekehrter Richtung verlaufen. Man hatte mir nicht Wissen zugeführt, sondern wieder entrissen: nämlich die Erinnerung daran, wo, wann, wie ich mich dazwischen befunden hatte. Zusammen mit dem Kokon, in den ich eingesponnen gewesen war, lösten sich die Traumfetzen in nichts auf. Ein Nachhall von vulgär in sich selbst verschlungenen Kausalitätsketten, ein Pandämonium fraktaler Fratzen, das Echo einer Kakophonie aus widersinnigen Sinneseindrücken – das alles entschwand; unwiederbringlich. Und ich war froh darüber. Jedoch hatte man mir nicht nur genommen, sondern auch gegeben. Immerhin, ein Andenken war mir verblieben. Ich bemerkte es, sobald ich mich von der Liege erhoben hatte. Mein Spiegelbild – denn auf dem TRÄGER oder wenigstens in jenem Bereich, der uns zugänglich war, spiegelten alle Flächen – zeigte mir, dass ich eine frische Narbe auf der Brust trug: ein Muster, kristallin wie das einer Schneeflocke. Aha. Es gab keine Tür. Wozu? Man ging durch die Wand. Durch irgendeine Wand. Der TRÄGER wusste ohnehin, wohin man wollte, oder besser gesagt: befohlen war. Bis ich das herausfand, rannte ich, zunehmend verzweifelt, um die Pritsche herum. Schrie gegen die Spiegel an, die mein Gebrüll ebenso millionenfach, milliardenfach zurück- und zwischen sich hin und her warfen wie das Abbild meines tobenden Körpers. Zerschlug die Liegestatt in kleinste Fragmente. Erst als ich, mit dem Kopf voran, unge-
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achtet dessen Empfindlichkeit, gegen die Wand anstürmte, erwies diese sich als durchlässig. Ich stolperte dahin, meinen Schwung mit größter Mühe abbremsend, und wäre unweigerlich gestürzt, hätte ich mich nicht im letzten Moment am Katheder des Dirigenten abgestützt. »Ein fürwahr gelungener Auftritt«, kommentierte Coh Ac zynisch. »Darf ich vorstellen: der Absolvent der Chaotakademie von Valacho-VI/C – unsere heiß ersehnte Nummer Zehn.«
* Vor Scham wollte ich am liebsten in den Boden versinken, doch dieser tat mir den Gefallen, sich unter mir zu öffnen, leider nicht. In der Rundumsicht, welche den, nein: mir, dem Lutveniden, angeboren ist, erkannte ich einen großen Raum, geformt wie die Innenseite eines zwölfflächigen Kristalls. Auf jedem der zueinander geneigten Dreiecke, das meinige eingeschlossen, stand eine Person. Erspare mir, o duldsame Geliebte, ausführliche Beschreibungen. Sie tun nichts zur Sache. Im Lauf unserer Einsätze wechselten wir so oft das Aussehen, dass du unmöglich den Überblick behalten könntest, selbst wenn du noch Augen besäßest. Wir trugen so viele Masken, wurden so unzählige Male kybernetisch oder biotechnologisch für die jeweiligen Rahmenbedingungen adaptiert, dass … Aber ich überhole mich schon wieder selbst. Jedenfalls, da war ich, mehr hängend als stehend; und hinter dem Katheder, dem einzigen Einrichtungsgegenstand, thronte Coh Ac. »Ich gebe zu«, stichelte er, »dass wir uns dich ein wenig … souveräner vorgestellt haben. Andererseits, du weiltest bis vor kurzem noch hinter den Materiesenken. Da sei dir ein gewisser Grad an Desorientierung zugebilligt.« »Der soll uns führen?«, fragte ein Sche-
men, den ich als Nummer Drei kennen und, na ja, schätzen lernen sollte. »Der hat doch schon Probleme, seine eigenen Gliedmaßen zu koordinieren.« »Xpomul hält große Stücke auf ihn«, erwiderte eine Gestalt, die man nicht sah, weil man ihren Anblick nicht ertragen hätte: Nummer Acht, die notorisch gutmütige Defensiv-Strategin. »Lasst ihn erst mal zeigen, was er kann«, dröhnte ein Nachtmahr, dessen Stimme Lava fror (Nummer Eins, was sonst). »Aber bitte bald, bevor wir uns hier vor Langeweile selbst zerfleischen.« Auch andere murrten. Coh Ac beruhigte die Gemüter mit einer kaum merklichen Geste. »Ihr tretet demnächst an, der Termin steht seit langem fest. Gönnt dem Zehner eine Trainingseinheit zur Akklimatisierung, und ihr werdet merken, was in ihm steckt.« Während des Wortwechsels hatte ich mich so weit gefangen, dass ich es wagte, meine mentalen Fühler nach den zukünftigen Mitstreitern auszustrecken. Ein Schock war die Folge. Ich griff ins Leere. Die zehn besaßen außerordentliche, zum Teil einzigartige Fähigkeiten – aber keine Seelen.
* Ich sollte an dieser Stelle nachtragen, dass der Aufenthalt hinter den Materiesenken mein Talent verändert hatte. Oder vielleicht war es auch nur das Faktum, dass die zweite Phase und damit mein Wachstum beendet war. So oder so, ich vermochte nicht länger Mentalsubstanz en gros in mich aufzunehmen. Fortan musste ich mich mit vergleichsweise kleinen Happen begnügen. Das tat meiner Macht über andere keinen Abbruch. Im Gegenteil: Indem ich willkürlich Teile der ÜBSEF-Konstante meiner Opfer herausschnitt und in mir barg, band ich diese umso dauerhafter an mich. Und zwar, anders als zuvor, bei lebendigem Leib und
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nahezu intakter Persönlichkeit. Die Vorzüge dieser Modifikation meiner Psi-Gabe lagen auf der Hand. Du guckst – nun ja: moderst – so entzückend konsterniert, mein Schatz. Bist wohl über ein Fremdwort oder eine Abkürzung gestrauchelt. Ah: ÜBSEF-Konstante. Ausgeschrieben »Überlagernde Sextabezugs-Frequenz-Konstante«. Steht für die individuelle, sechsdimensionale Energie, die nur bei hochentwickelten Lebewesen anzutreffen ist. Nenne es Geist, Vitalkraft oder Seele – sie zeichnet intelligentes, sich seiner selbst bewusstes biologisch-organisches Leben aus. Wurde auch schon als »fünfdimensionaler Appendix« definiert, was angeblich einen Unterschied macht. Mir ist das, unter uns, herzlich egal. Ich konnte mich noch mit keiner Theorie so weit anfreunden, dass ich nicht die praktische Anwendung in den Vordergrund gestellt hätte. Wie es genau funktioniert – wen kümmert's? Mich jedenfalls nicht. Mir reicht, dass ich beliebig viele Seelenfragmente horten und dadurch deren ursprüngliche Besitzer in erheblichem Maße von mir abhängig machen kann.
* Für das Training, das Dirigent Coh Ac angeordnet hatte, brachte uns der TRÄGER zu einem Sonnensystem mit neun Planeten. Vier davon sowie einige Monde und Raumhabitate, waren von Intelligenzwesen besiedelt, welche an aufrecht gehende Wiesel erinnerten. Die Mujiri, wie sie sich nannten, standen auf einer recht niedrigen Entwicklungsstufe, nämlich erst an der Schwelle zur interstellaren Raumfahrt. Bisher hatten sie weder die Grenze ihres Systems überwunden noch Kontakt zu anderen Spezies hergestellt; ihre Heimat lag in einem abgeschiedenen Seitenarm der Galaxis. Kurz: unbedeutende Hinterwäldler, unse-
rer Elitetruppe als Gegner nicht im Mindesten ebenbürtig. Aber es handelte sich schließlich um eine Übung, bei der wir das Zusammenspiel unserer jeweiligen Stärken erproben sollten. Coh Ac stellte uns folgende Aufgabe: »Ziel ist die totale Zerstörung des MujSystems in möglichst kurzer Zeit.« »Lachhaft«, warf Nummer Drei ein. »Das erledigt der TRÄGER im Vorbeifliegen.« »Halt die Klappe und lass mich ausreden. Das System hat dauerhaft unbewohnbar gemacht zu werden, und zwar ohne dass Spuren einer Einmischung von außen zurückbleiben. Was bei den Waffen des TRÄGERS und seiner Beiboot-Flotte der Fall wäre. Haben wir uns verstanden?« Ich hob die Hand. »Zehner?« »Es soll also so aussehen, als hätten die Mujiri sich und ihren gesamten Lebensraum selbst vernichtet?« »Exakt. Zusatzaufgabe: Je länger diese Halbwilden nicht merken, wie ihnen geschieht, desto besser. Also Heimlichkeit. Ein Rat, weil du neu bist: Pass auf, Nummer Elf tendiert dazu, im Eifer des Gefechts überhastet vorzupreschen.« Der Angesprochene protestierte, doch eher der Form halber. Coh Ac brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen und setzte fort: »Falls er oder ein anderer zurückgepfiffen werden muss, weil die Tarnung aufgeflogen ist, gibt das Punkteabzug. Noch Fragen? – Gut. Dann los, und macht mir keine Schande!«
* Während dieses zweiten Appells, dem eine kurze Hypno-Schulung vorangegangen war, begriff ich endgültig, welche Rolle mir innerhalb des Teams zugedacht war – nämlich die des kreativen Koordinators, des Lenkers und Gestalters, wenn man so wollte: der Seele, deren die Mannschaft bis zu meiner Rekrutierung entbehrt hatte. Und wer hätte diese Lücke besser ausfül-
36 len können als ich, der ich die Essenz von einer Milliarde Lutveniden in mir trug? Die übrigen Mitglieder der Truppe waren hochgradige Spezialisten und hatten gewiss vergleichbare Ausleseverfahren durchlaufen. Doch uns elf Individualisten zu einer organischen Einheit zu formen, aus den einzelnen Akteuren eine perfekte Maschinerie zu schmieden, das oblag in erster Linie mir. Anfangs belauerten sie mich und sahen mir bei allem, was ich anpackte, genauestens auf die Finger. Sollten sie. Ich selbst hegte keine Zweifel daran, dass ich für diese Schlüsselposition der richtige Mann war: Fast eine Milliarde Konkurrenten überflügelt zu haben verleiht ein erkleckliches Maß an Selbst- und Sendungsbewusstsein. Bald hatte ich die anderen weitgehend überzeugt. Ich stellte nachdrücklich meine Fähigkeiten unter Beweis: Taktik und Strategie, Willens-, Nerven- und Führungsstärke, Multitasking und Reaktionsschnelligkeit … Nicht zuletzt das Seelenhorten erwies sich als überaus nützlich dabei, die Mujiri binnen kurzem in einen barbarischen, mit atomaren Waffen geführten Bürgerkrieg zu hetzen. Diejenigen, welche ich – im Schutz eines Tarnfeldes aus dem TRÄGER-Arsenal – eines Splitters ihrer Seele beraubte, empfanden ein Gefühl der Unvollständigkeit, das sich nicht selten in chronischer Melancholie und heftigen Depressionsschüben äußerte. Sie spürten, dass sie nicht mehr ganz sie selbst waren; aber auch, dass das, was ihnen fehlte, ich in mir trug. Natürlich stellte ich mich meinen »Häppchen«, wie ich sie bei mir scherzhaft bezeichnete, nicht mit richtigem Namen und Funktion vor. Sondern ich gab mich, je nach ihren religiösen Präferenzen, als göttlicher Gesandter oder teuflischer Dämon aus. Einen Unterschied machte das nicht: So oder so waren sie bereit, alles zu tun, damit sie die Fragmente ihrer ÜBSEF-Konstante wieder zurückbekamen. Diese konnte ich nicht nur speichern, sondern auch verändern, um die Abhängigkeit
Leo Lukas noch schwerer erträglich zu machen; im Extremfall bis zu einem Punkt, an dem die Opfer, falls ich das zuließ, Selbstmord begingen. Dieses Mittel wandte ich im Zusammenspiel mit meinen Teamgefährten allerdings selten an. Eine Frage des Führungsstils: Ich vermied es, mich über Gebühr in den Vordergrund zu drängen. Einige von uns, insbesondere die Nummern Neun und Elf, waren noch besser als ich dafür geeignet, unliebsame Störenfriede auszuschalten (Ha! In diesem Fall das genaue Gegenteil, nämlich Pazifisten). Zumal sie auch aus weit größerer Distanz zuschlagen konnten. Außerdem wäre ich schlecht beraten gewesen, unseren »Schützenkönigen« ihre Trophäen streitig zu machen. Die Stimmung in der Truppe hing nicht zuletzt davon ab, dass jeder auf seine Kosten kam. Gerade die Jungs und Mädels von der Offensiv-Abteilung, intern »Knipser« genannt, waren da sehr empfindlich, regelrechte Diven. Als meine wichtigste Helferin stellte sich Nummer Acht heraus, ein wahres Arbeitstier. Obwohl meist unbedankt – die spektakulären Aktionen fielen so gut wie immer anderen zu, die sich auch ausgiebig dafür feiern ließen –, rackerte sie unermüdlich und ebenso verbissen wie verlässlich. Sie hielt die Verbindung zwischen den Mannschaftsteilen aufrecht, merzte ohne die leiseste Beschwerde Fehler aus, die ihre Kollegen im Überschwang begangen hatten, stellte sich und ihre unerschöpflichen Ressourcen stets zur Verfügung, wenn es galt, eine neue Attacke zu planen und einzuleiten. Vor allem aber hielt sie mir den Rücken frei. Mit traumwandlerischer Präzision: Acht war immer zur Stelle, wenn ich sie brauchte, und kam mir doch, so spontan ich auch agieren mochte, nie in die Quere. Diese Harmonie, dies blinde Verständnis zwischen uns war mit Sicherheit der Hauptgrund unseres Erfolges. Einmal sprach ich Coh Ac, den Dirigenten, darauf an, wieso er sie bei den Nachbesprechungen unserer Einsätze nie positiv
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hervorhob – obwohl sie doch so oft die Hauptlast getragen hatte. Seine Antwort lautete: »Sie ist eine Nummer Acht. Sie braucht das nicht. Sie weiß selbst am besten, was wir an ihr haben.«
* Die Übung endete glorios. Nach nur zwei Mondumläufen bombten die Mujiri sich und ihre Heimat auf Nimmerwiedersehen in den Orkus der Geschichte. So ungefährdet war das Ergebnis, dass während der Aufräumarbeiten in der Schlussphase sich sogar noch einige Mitglieder der Reserve auszeichnen durften. Das betraf die wenigen versprengten Überlebenden in Tiefbunkern und Raumstationen und wurde von unseren Knipsern salopp »den Sack zumachen« genannt. Ich löste auch die Abwehrkette auf, um den Flankendeckern und vor allem dem Dreier ebenfalls Gelegenheit zu geben, Punkte für ihre Abschusslisten zu sammeln. Beim anschließenden Appell spendete Coh Ac großes Lob. »Das war ausgezeichnet, schon nahe an der Perfektion. Dramaturgie, Tempowechsel, systematische Einengung der gegnerischen Räume – alles hat gestimmt. Großartig, Leute. Ich bin stolz auf euch.« Er sah uns an, ohne den mächtigen Schädel drehen zu müssen, da er ebenso wie ich über Rumdumsicht verfügte. »Freilich hat es sich nur um eine Trainingseinheit gehandelt und um einen von vornherein hoffnungslos unterlegenen Gegner. Bald kommen ungleich schwerere Kaliber auf euch zu. Doch ihr werdet auch diese Aufgaben meistern. Wenn ihr weiter so diszipliniert zusammenarbeitet, steht euch eine ruhmreiche Zukunft bevor. Ich bin mir sicher, dass ihr die Erwartungen, die man höheren Orts in euch setzt, voll und ganz erfüllen werdet.« Und so war es auch.
*
Manche der Einsätze dauerten deutlich länger. Naturgemäß brauchte es mehr Aufwand, eine ganze Galaxis zu destabilisieren, als ein kleines Sonnensystem zu verwüsten. Und gegen eine Superintelligenz, selbst wenn es sich um eine vergleichsweise junge handelte, mussten ganz andere Tricks angewendet werden als gegen die dummen, ahnungslosen Mujiri. Trotzdem gingen zu guter Letzt jedes Mal wir als Triumphator vom Platz. Mag sein, dass wir nicht immer »schön« agierten – von Fairness war sowieso keine Rede –, aber wir gewannen. Und nur das zählte. Rückblickend würde ich diese Zeit als die glücklichste meines Lebens bezeichnen. Ich führte ein fantastisches Team an. Wir waren Profis, elf tolle Typen, die ihre Aufgaben keineswegs nur erledigten, weil sie vom Dirigenten dazu angehalten wurden. Wir taten unsere Arbeit gerne. Wir hatten Spaß. Und wir hielten zusammen. Einer plagte sich für den anderen, jeder sprang sofort ein, falls Not am Mann war. Niemand war sich zu schade, ab und an untergeordnete Tätigkeiten zu verrichten. Selbst der Neuner lungerte nicht bloß in der Nähe der feindlichen Bastion herum, auf die Chance zu einem weiteren Abschuss lauernd, seiner immensen Trefferquote vertrauend; sondern er half ganz selbstverständlich aus, wenn der Gegner einen Entlastungsangriff startete. Durch diesen bedingungslosen Einsatz für das Team bewältigten wir jedwede kritische Situation. Wir gaben niemals auf, mochten wir zwischendurch noch so sehr mit dem Rücken zur Wand stehen. Mehr als einmal wendeten wir in letzter Sekunde das Blatt, verwandelten eine sicher scheinende Niederlage in einen Sieg oder zumindest ein Unentschieden. Wie gesagt, die Stimmung war blendend, kameradschaftlich im besten Sinn, getragen von hohem gegenseitigem Respekt. Schwierigkeiten bereitete eigentlich bloß der Dreier.
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* Auch wenn er es nie zugegeben hätte, wahrscheinlich auch vor sich selbst nicht: Unverkennbar neidete er mir meine Position. Der Schemen wurde wegen seiner ungeheuren Widerstandsfähigkeit als Abwehrstratege im Nahbereich der eigenen Basis eingesetzt. Zweifelsohne war dies ein verantwortungsvoller, eminent wichtiger Posten. Doch während Nummer Zwei, der andere Innenverteidiger, und Nummer Eins, der Nachtmahr, der den eigentlichen Stützpunkt befehligte, voll in ihrer Rolle aufgingen, strebte der Dreier nach Höherem. Ständig forderte er mehr Freiheiten, sich in den Angriff einzuschalten. Zum Glück stärkte mir Coh Ac den Rücken. In schöner Regelmäßigkeit lehnte er die diesbezüglichen Ansinnen des Dreiers ab: Für unsere an größtmöglicher Effektivität ausgerichtete Vorgangsweise war es essentiell, dass jeder unter allen Umständen die ihm zugewiesene Stellung hielt – ausgenommen lediglich gewisse zeitlich streng limitierte Standardsituationen, während deren die eigene Defensive ohne Risiko entblößt werden durfte. Alles in allem hielten sich die Spannungen, die sich aus dem unstillbaren Ehrgeiz von Nummer Drei ergaben, in erträglichen Grenzen. Schließlich wusste auch er um die uralte Weisheit, dass man ein erfolgreiches Team nicht verändern soll. Zwischen den Einsätzen ruhten wir in den spiegelnden Stasis-Boxen, mit denen unsere Quartiere im TRÄGER ausgestattet waren. Keiner wäre auf die Idee gekommen, an der Sinnhaftigkeit dieser Regelung zu zweifeln: Wir lebten für den Kampf, nicht für den Müßiggang. Uns war es mehr als recht, dass keine Minute unserer Lebensspanne nutzlos vergeudet wurde. Ob wir während der Pausen Jahre, Jahrhunderte oder Jahrmillionen im Tiefschlaf verbrachten? Nebensächlich. Der Dirigent,
ein Kunstgeschöpf, das nicht alterte, hätte uns vermutlich Auskunft gegeben. Doch niemand fragte. Auch sonst waren wir, abseits der Feindbeobachtung, nicht neugierig. Das Wissen, gut in dem zu sein, was wir taten, reichte uns völlig. In der Vergangenheit eines Kameraden zu wühlen wäre niemandem eingefallen. Und obwohl wir uns voll Stolz als »Xpomuls Champions« titulierten, entwickelten wir keinerlei Ambitionen, mehr über unseren Auftraggeber herauszufinden. Wer zufrieden ist, fragt nicht lang nach. Ja, es ging uns ganz ausgezeichnet. Wir führten ein herrliches Leben. Aber jedes Glück muss einmal enden. Wer wusste das besser als du, mein Schatz?
10. Brunftschwestern »Mir ist nicht wohl in meiner Haut.« »Sei froh. Mir ist nicht wohl in meinem Bauch. Willst du tauschen?« »Kein Wunder, wenn du alles in dich hineinschlingst, was du Albia abluchsen kannst.« Atlan blieb stehen, stieg auf einen Baumstrunk und sah sich um. Gras, Gras, Gras. Gelb-violette Steppe, so weit das Auge reichte. Trostlos. Er hatte sich mit Jolo ein wenig hinter ihre drei Mitreisenden zurückfallen lassen. »Mich beschleicht immer wieder das mulmige Gefühl«, raunte er, »jemand beobachtet oder vielmehr überwacht uns.« »Da bist du bei mir an der richtigen Adresse. Mulmige Gefühle sind mir bestens vertraut. Mein täglich Brot sozusagen.« »Hör auf zu blödeln! Und zieh nicht so ein jämmerliches Gesicht. Das verfängt bei mir nicht mehr. – Ist dir irgendetwas aufgefallen?« »Kumpel, ich reiche dir gerade mal bis zum Gürtel. Wenn du nicht über die verdammten Stängel hinaussiehst, was soll dann erst ich sagen?«
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»Du hast also nichts Ungewöhnliches bemerkt?« »Nö.« Sie gingen weiter, behielten aber den Abstand zu den anderen dreien bei. Jolo bettelte darum, getragen zu werden, was Atlan mit dem Hinweis auf dessen Flatulenzen verweigerte: »Bei dem Rückstoß, den du entwickelst, solltest du eigentlich fliegen können.«
* »Was sind Wirrlichter?«, fragte er etwas später. »Wo hast du denn das aufgeschnappt?« »Weich mir gefälligst nicht immerzu aus. Der Marsch ist mühsam genug.« »Hast du etwa letzte Nacht ein Wirrlicht gesehen?« »Nein. Ich nehme an, du wirst jetzt gleich sagen, das versteht sich von selbst, denn wenn es welche gäbe und ich eines gesehen hätte, wäre ich mit Sicherheit nicht mehr hier.« »Woher weißt du das? Kannst du Gedanken lesen? He, das ist Spitze! Mit dem Trick kannst du am Sammelloch auftreten und eine Menge Bares kassieren. Dann bist du nicht mehr davon abhängig, was dir dein Liebchen zusteckt!« »Sie ist nicht … Jolo!!! Sei für einen Moment ernst, ja? – Könnte am Gerede von diesen Wirrlichtern etwas dran sein?« »Oh, sie sind ein sehr probates Mittel, Kinder abends ins Bett zu scheuchen.« Schlagartig änderte sich die Mimik der Echse: »›Husch, husch, ihr Fratzen, ab mit euch, sonst kommt ein Wirrlicht und nimmt euch mit an einen dunklen Ort, wo keine Sonne scheint und von dem ihr nie wieder zu Mami zurückfindet!‹ – Alles klar?« »Wesen oder Apparaturen, die Personen versetzen?«, überlegte Atlan halblaut. »Per Teleportation? Oder ein zweites Transportsystem, neben den Gondeln der Maulspindler?« »Frag mich nicht. Oder von mir aus frag
mich, wenn du es dir nicht verkneifen kannst; aber erwarte keine Antwort. Vielleicht weiß Peonu etwas darüber oder Luck, der Proporze.« »Ja. Vielleicht schicken sie uns aber auch bloß zum Nächsten weiter. Ich hasse solche Schnitzeljagden.« »Oh, gegen ein saftiges Schnitzel hätte ich jetzt nichts einzuwenden.« »Du treibst mich noch in den Wahnsinn. Denkst du eigentlich an irgendetwas anderes als ans Essen?« »Sicher. Ans Verdauen. Das ist der wesentlich schwierigere Part.«
* Wieder einige Kilometer Steppe später … »Kleiner, ich hege zwar durchaus meine Zweifel, wie weit ich dir trauen kann, aber – was hältst du diesbezüglich von unseren Wandergefährten?« »Nette Leute. Gut ausgerüstet, vor allem mit …« »Sag's nicht. Schluck's runter.« »Was denn? Das ist ja gerade das Problem!« »Ich frage mich allmählich, ob hinter deinem Gealbere nicht Methode steckt. Du ziehst mit Gewalt alles ins Lächerliche. Was willst du damit verbergen? Dass du mir gar nicht helfen willst? Dass deine Loyalität in Wahrheit jemand anderem gehört?« »Ich bin eben ein lustiges Kerlchen. Dafür kennt und liebt man mich, trotz aller Schicksalsschläge …« »… und du lenkst schon wieder ab! Mit dir ein vernünftiges Gespräch zu führen und dich auf ein Thema festzunageln ist schwieriger, als mit bloßer Hand einen Aal zu fangen.« »Kann gut sein. Aal, meine ich. Gegrillt oder in Aspik oder …« »Jetzt reicht's. Entweder du reißt dich zusammen, oder ich sorge dafür, dass du zehn Tage auf Nulldiät gesetzt wirst.« »Um Himmels willen! Das würdest du niemals tun, oder?«
40 Jolos Visage verzog sich zum personifizierten Kindchenschema: große, schmachtende Kulleraugen, Pausbäckchen, ein zuckersüßes Lächeln … Man hätte ihn auf der Stelle knuddeln wollen. Atlan nicht. »Und ob ich das tun würde«, versicherte er. »Du bist ein Meister der Verstellung. Schau mich an. Bluffe ich?« »Äh … nein?« »Das wäre somit besprochen. Und jetzt Klartext. Du kennst dich in dieser Welt besser aus als ich, weil du hier geboren bist.« »Sagt wer?« Der Weißhaarige stutzte. »Stimmt. Das hast du nie behauptet. Ich bin stillschweigend davon ausgegangen, aber du kommst ebenfalls von außerhalb?« »So ist es.« »Wann wurdest du hierher verschlagen und wie?« »Vor …« Die Dhedeens hatten offenbar Schwierigkeiten mit den verschiedenen Maßeinheiten der jeweiligen Herkunftsplaneten. Nach einer Kunstpause einigten sie sich auf »… einer Zeit, die meiner halben Lebenserwartung entspricht. Und aufgrund einer Verkettung misslicher Zufälle.« »Darüber musst du mir bei nächster Gelegenheit ausführlicher erzählen. Zunächst aber zurück zu den drei Schaustellern.« »Zurück? Sie sind vor uns.« »Kleiner, ich warne dich zum letzten Mal. Zehn Tage Fasten.« »Schon gut. Was ist mit ihnen?« »Genau das frage ich dich. Du hast, auch wenn du nicht hier aufgewachsen bist, lange Zeit in der Intrawelt verbracht und die Bewohner, ihre Sitten und Gebräuche studiert. Sonst könntest du sie nicht so gut manipulieren.« »Richtig«, gab Jolo zu. »Also solltest du die drei auch besser einschätzen können als ich. Nimm Ritz Toyd, den sogenannten Eisenfaust. Ich kann mich des Verdachts nicht erwehren, dass er mehr ist als bloß ein freundliches Großmaul. Im übertragenen Sinn«, fügte er schnell hinzu,
Leo Lukas mit dem Finger drohend, denn sein Begleiter hatte bereits zu einem Einwand angesetzt. »Ich weiß, dass er gar keinen sichtbaren Mund hat und sich den Nahrungsbrei in den Spalt oben auf seinem Schädel schüttet.« »Scheint mir übrigens nicht sonderlich praktisch zu sein. Wie auch immer – an ihm erkenne ich nicht mehr Falschheit und Verstellung, als in diesem Landstrich normal ist. Ich meine, er würde seine eigene Großmutter für einen Humpen Spritzwein verkaufen, aber wer würde das nicht?« Atlan räusperte sich. »Schön. Weiter. Albia, die Hohe Frau.« »Die, bei Licht betrachtet, weder sehr hoch ist noch sehr …« »Sehr was?« »Ich habe sie heute Morgen belauscht, wie sie mit Vischgret gesprochen hat. Albia sagte sinngemäß, sie sei nicht immer eine Frau gewesen und werde es auch nicht mehr lange bleiben.« Atlan pfiff durch die Zähne. »Wie meint sie das? Ist sie ein Er und nur als Frau verkleidet? Spielt sie ein falsches Spiel?« »Keine Ahnung. Das war alles. Dann habe ich mich bemerkbar gemacht, wegen des Frühstücks.« Bei diesen Worten schaute Jolo so unschuldig drein, als könne er kein Wässerchen trüben. Atlan rang die Hände gen Himmel, über den auch heute kein einziges Wölkchen zog. Die Haut ist viel weniger gerötet als gestern. Sein Organismus hat sich rasch an die Strahlung angepasst. Rascher als bei Humanoiden üblich, schon gar bei Albinos. Sollte uns das nicht zu denken geben? »Da ist noch was«, sagte Jolo. »Du hast Recht, ich kann Gefühle sehr gut interpretieren. Normalerweise. Aber bei Albia, da tu ich mich schwer. Die ist irgendwie nicht ganz … echt.« »Hm. Geht das etwas präziser?« »Ich fürchte, nein. Es könnte auch daran liegen, dass mir noch kein Wesen ihrer Art untergekommen ist.« »Soso. – Und Vischgret? Sie irritiert mich
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am meisten.« »Das glaube ich dir aufs Wort.« »Nicht, wie du meinst. Eine eigenartige Aura umgibt sie. Ich krieg's nicht zu fassen, was es ist. Als wäre sie von etwas sehr Mächtigem gestreift worden … Spürst du das nicht ebenfalls?« »Ach so, die Weihe.« »Weihe?« »Im Tempel der Echthnischen Brunftschwestern. Vischgret muss dort gewesen sein. Ein Parfüm, eine Art Imprägnierung, die mit viel Tamtam aufgetragen wird. Macht alle Männer verwandter Spezies kirre. Dafür hat die Holde sicher eine schöne Stange Geld investiert.« Atlan war die Enttäuschung anzumerken. Jolo tröstete ihn: Das sei ja der Sinn der Sache, dass man glauben sollte, auf jemand ganz Besonderen getroffen zu sein. Der Weißhaarige kaute eine Zeit lang auf seiner Unterlippe herum. Als er gerade zu einer neuen Frage ansetzen wollte, stiegen etwa dreißig Meter vor ihnen große, bunt schillernde Blasen aus dem Grasdickicht hoch. »Die Einsiedelei!«, übersetzten die Dhedeens. »Wir sind da, Freunde!«
11. Transferzeit Ich muss dich nun leider beseitigen, Liebste. Wir wollen die Neuen doch nicht gleich bei ihrer Ankunft vor den Kopf stoßen; das kommt früh genug. Aber keine Angst, ich erzähle meine Geschichte zu Ende, während ich dich verscharre. Was man angefangen hat, soll man auch fertig machen, gelle? Obwohl jetzt jener Teil dran ist, den ich am wenigsten mag. Der Niedergang. Der Abstieg. Die Zeit vergeht. Überall, wiewohl nicht überall gleich schnell; doch überall gleich unerbittlich. Und auch Champions werden älter, selbst wenn sie Jahrtausende oder millionen in Stasis-Boxen überdauern.
Ja, jedes Glück muss einmal enden. Man will es zuerst nicht wahrhaben; will die Zeichen an der Wand nicht erkennen und lesen schon gar nicht. Man redet sich ein, es sei nur ein kurzes Zwischentief, das man bald wieder überwinden werde. Wonach wieder alles beim Alten sein und ewig so bleiben würde. Aber was ist schon ewig in diesem Kosmos, außer Dummheit und Gier? Nummer Acht nahm mich beiseite, während des Rückflugs zum TRÄGER, nach einem unserer weniger berauschenden Einsätze. »Auf ein Wort, Nummer Zehn.« Wir drückten uns in eine der verspiegelten Nischen. »Nicht so toll gelaufen diesmal, was?«, sagte ich. Das war leicht untertrieben. So knapp waren wir wohl noch nie an einer Niederlage vorbeigeschrammt. Sie lachte auf, bellend, humorlos. Ohne Seele neigt man selten zur Ausgelassenheit. »Deswegen wollte ich mit dir reden.« »Falls du mich darauf hinweisen willst, dass ich kurzzeitig die Lage nicht ganz richtig beurteilt und uns damit in Bedrängnis gebracht habe – das weiß ich selbst. Tut mir Leid, aber niemand ist unfehlbar. Außer vielleicht Xpomul, doch wenn er nicht von Zeit zu Zeit auf uns angewiesen wäre, würde er uns wohl nicht durchfüttern. So was kann vorkommen; soll nicht, klar, und wird auch nicht mehr. Ehrenwort.« »Es war nicht das erste Mal. Du baust ab, Zehner. Kontinuierlich, bei jedem Auftrag ein kleines bisschen mehr. Ich sage es nicht gern, aber lang werde ich das nicht mehr kaschieren können.« »Jetzt mach mal halblang!«, brauste ich auf. »Schlägst du dich neuerdings auf die Seite des Dreiers? Der hat seine Position verlassen, obwohl ich es ihm ausdrücklich untersagt hatte.« »Ja, hat er. Und dir damit Leben und Karriere gerettet. Falls du das nicht registriert hast, steht es noch schlimmer um dich, als ich befürchtet hatte.« Das saß. Mit einem Mal stürzten, als wäre
42 ein Damm gebrochen, reihenweise Szenen auf mich ein, die ich bis dahin verdrängt hatte. Die knifflige Situation am Mahlstrom von Uxmiin, als ich, überfordert und ungewohnt entschlussschwach, die Initiative an der linken Front ganz allein der Sechs überlassen hatte … Das Rückzugsgefecht im Hyperkorridor zwischen Pigonkel und der Namenlosen Galaxie, bei dem wir aufgrund einer Organisationspanne fast die Sieben verloren hätten … Nicht zuletzt der peinliche Moment vor der Zitadelle B'Knbr, als ich den gegnerischen Feldherrn mit meinem Psi-Talent zur Selbstentleibung zwingen wollte, jedoch scheiterte. Neun war glücklicherweise zugegen, stand wie immer goldrichtig und knipste ihn aus, sodass hinterher nicht viel Aufsehen darum gemacht wurde … »Meine Kraft schwindet«, flüsterte ich, plötzlich erkennend, was Nummer Acht schon lange vor mir bemerkt hatte. Und was sie, treuer Muskel, der sie war, seither ausgebügelt hatte, indem sie ihre ohnehin nicht geringen Anstrengungen verdoppelte … »Entschuldige bitte, was ich vorhin von mir gegeben habe«, sagte ich reumütig zu dem blinden Fleck in meinem Gesichtsfeld. »Es steht mir nicht zu, dir etwas vorzuwerfen. Höchstens, dass du mich nicht früher darauf aufmerksam gemacht hast.« »Ich dachte, das gibt sich wieder. Jeder unterliegt Formschwankungen. Auch Champions haben schlechte Tage.« »Aber wenn diese sich zu häufen beginnen …« »Sollte ein Profi besser in sich gehen. Oder, falls das nichts hilft, weg.« »Das Team verlassen?« Der Gedanke war mir unerträglich fremd. »Kann ich denn … Ich meine, wer würde an meiner Stelle …?« »Der Dreier macht sich Hoffnungen. Vergeblich, so viel steht fest. Ich habe etwas läuten hören, dass eine neue Nummer Zehn bereits in Züchtung ist.« Der Schock raubte mir beinahe die Sinne. Ich hatte ein Déjà-vu, Fand mich auf einmal
Leo Lukas wieder am Plateau, außerhalb des Dorfes der Hochlandkinder, hoffnungslos im Rückstand gegenüber Myaze. Vor der Wahl, entweder mich aufzugeben – oder meine Heimat. Myaze. Tief, tief drin in mir lachte sie. Jungs. Zu blöd zum … Was wollte sie damit andeuten? Dass ich das Offensichtlichste nicht sah. Dass ich abermals vorm Abgrund stand; vor dem rettenden, von Arbeitern versperrten. Ich kapierte die Botschaft. Und tat, was ich schon damals getan hatte. Ich haute ab.
* Peonus Wohnstatt war eine große, annähernd kreisrunde, tiefe Erdkuhle, zu zwei Dritteln überdeckt mit plump geflochtenem Savannengras. Die Lichtung, inmitten deren die Eremitage lag, besaß eine beachtliche Ausdehnung. Diese Fläche frei von Bewuchs zu halten, benötigte man mehr als bloß einen Krummsäbel. Am Rand befanden sich eine Tränke sowie ein kleiner Teich. Der Platz wirkte ausgestorben. Doch der Boden, festgestampft von unzähligen Füßen, und die Brandflecken vieler Lagerfeuer zeugten davon, dass hier kürzlich scharenweise Gäste genächtigt hatten. »Unter einer Einsiedelei versteht man dort, wo ich herkomme, etwas anderes«, sagte Atlan. Argwöhnisch musterte er sowohl das Umfeld als auch seine Begleiter. »Peonu wohnt allein«, erklärte Jolo beschwichtigend. »Aber er bekommt oft und viel Besuch.« »Ich kann mir nicht helfen: Hier ist etwas faul«, beharrte der Weißhaarige. Er starrte in die Kuhle hinab, dann fixierte er Albia mit zusammengekniffenen Augen. »Dies scheint mir ein guter Zeitpunkt, die Karten auf den Tisch zu legen. Ich würde mich nicht wundern, wären sie gezinkt.« »Misstrauen abbauen ziemt Männern wie Frauen«, erwiderte sie mild. »Aber falls du ein Spielchen machen möchtest, stehe ich
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gern zur Verfügung.« Zahlreiche farbenprächtige Blasen blubbernd, drehte sich Ritz Toyd, die muskulösen Arme in die Hüften gestemmt, langsam um die eigene Achse: »Hallo! Jemand zu Hause? Der Unbezwingbare Eisenfaust und Der Nicht Mehr Ganz So Rote Ekel fordern alle potenziellen Gegner auf, unverzüglich aus ihren Löchern zu kriechen und sich zum Kampf zu stellen!« »Große Worte. Am falschen Orte?« Albia wiegte den Kopf. Die Fühler pendelten in alle Richtungen. »Ich wittere nichts, was auf die derzeitige Anwesenheit eines Bewohners hindeuten würde.« »Peonu ist öfters unterwegs«, sagte Jolo. »Ach. Und warum erfahren wir das erst jetzt?« »Du hast mich nicht danach gefragt, Kumpel. Aber da er das Dach nicht völlig geschlossen hat, kann er nicht weit sein.« Gereizt fauchte Atlan: »Wenn's wahr ist!« »Nur die Ruhe. Macht euch nicht selbst verrückt. Vischgret nimmt erst einmal ein Bad.«
* Ich stieg mit gemischten Gefühlen in die Stasis-Box. Woher wollte ich wissen, ob man mich jemals wieder aufwecken würde? Außer dem Gerücht über einen neuen Zehner, das ich von Nummer Acht erfahren hatte, gab es keine weiteren Indizien dafür, dass ich in Ungnade gefallen wäre. Die Nachbesprechung mit Coh Ac war verlaufen wie immer: unspektakulär; professionell. Fehler, darunter meine, waren kritisiert und analysiert worden, doch niemand hatte mir einen Vorwurf gemacht; auch Drei nicht. Alles eitel Wonne. Nichts, was auf meine baldige Ablösung hindeutete. Und doch … Über etwaige Vorgänger in Xpomuls Sondereinsatz-Kommando hatten wir nie spekuliert; obwohl der Gedanke nahe lag. Was war aus ihnen geworden? Hatten sie sich in den Tiefschlaf begeben, um nie mehr zu er-
wachen? Oder existierte irgendwo ein Planet für Veteranen, wo sie, aller Erinnerungen an ihre Taten ledig, in fröhlicher Eintracht und sorgloser Einfalt Wein, Obst und Gemüse züchteten? Schwer vorstellbar. Deutlich realistischer dünkte mir, dass man sich ihrer beiläufig entledigt hatte. Es stirbt sich schnell; oft schneller, als man denkt. Ich und du, mein Schatz, wir wissen das. Der Deckel fiel zu. Kaum hatte ich das Bewusstsein verloren, erlangte ich es wieder. Alles war wie gewohnt. Erleichterung: Offenbar wurde ich noch gebraucht. Ich begab mich in die Medo-Station, wo ich mehr Aufmerksamkeit als sonst den Anzeigespiegeln der Anamnese-Geräte widmete. Meine physischen Werte stellten mich hoch zufrieden: Ich war ein Lutvenide im besten Mannesalter, fit wie ein Kampfstiefel, ohne die geringsten Spuren körperlicher Abnützung. Freilich verdankte ich meine Aufstellung im Team der Champions vorrangig meinen psychischen Kapazitäten, die aus dem Reservoir der Seelensplitter gespeist wurden. Diesbezüglich, das spürte ich, als ich in mich hineinhorchte, hatte ich meinen Zenit überschritten. Vielleicht hing es damit zusammen, dass ich nur mehr Häppchen aufnehmen konnte, winzige Fragmente von ÜBSEF-Konstanten. Diese machten anscheinend den berufsbedingten Schwund an Mentalenergie nicht ausreichend wett. Vielleicht handelte es sich aber auch um eine ganz natürliche, auf Dauer unabwendbare Alterserscheinung, die zu stoppen keine Mittel verfügbar waren: Hätten die für uns zuständigen Experten der TRÄGER-Klinik etwas dagegen unternehmen können, so hätten sie das ganz gewiss getan. Wie auch immer. Beim Appell ließ ich mir nichts anmerken, schaffte es sogar, jeden Gedanken an meine Situation und den Entschluss, den ich gefasst hatte, zu verdrängen. Die Nummern Eins und Sieben besaßen
44 telepathische Fähigkeiten; wie viel von meinem geistigen Innenleben ich vor Coh Ac und dem TRÄGER selbst zu verbergen vermochte, war ohnehin ungeklärt. Der Auftrag erwies sich als einer der leichteren. Irgendwelche Möchtegernnachfolger der Porleyter machten sich in einem Galaxienhaufen wichtig, der im Limbus zwischen zwei Mächtigkeitsballungen lag und daher weder unserer noch der Gegenseite zuzurechnen war. Und dabei sollte es, befand das Oberkommando, auch bleiben. Von welchen übergeordneten strategischen Erwägungen die Mächte, die über uns Champions geboten, dabei geleitet wurden, interessierte uns nicht. Wenn Xpomul wünschte, dass wir Bütteln der Kosmokratenbrut auf die Finger klopften, taten wir das – und zwar so lange, bis sie auch keine Hände, Arme, Schultern et cetera mehr hatten. Ich genoss den Einsatz im Wissen darum, dass es mein letzter war. Packte alle Tricks aus, gab einmal noch mein Bestes. Ich wollte als Sieger abtreten, zumindest den Eindruck hinterlassen, es sei am Höhepunkt meiner Karriere und meines Könnens geschehen. Ich gebe zu, dass mich zwischendurch, in ruhigeren Phasen, Wehmut ergriff. Wir waren so verdammt perfekt eingespielt, so herrlich abgebrüht, so teuflisch unberechenbar! Wir attackierten mit Macht, um uns gleich darauf wieder zurückzuziehen. Verfielen scheinbar in Passivität, luden durch gespielte Überheblichkeit und vorgetäuschte technische Mängel zu Gegenangriffen ein – und konterten die Feinde, sobald wir überraschend die Initiative an uns gerissen hatten, blitzschnell und gnadenlos aus. Paff! Bumm! Knips!, und schon drehten wir wieder jubelnd ab. Ähem. Entschuldige bitte, meine blinde, stumme, verbleichende Geliebte, falls ich zu sehr ins Schwärmen geraten bin. Aber es war nun einmal eine wahre Freude, im Zentrum dieser Mannschaft zu agieren. Schärfere, wildere, härtere Hunde als uns fandest du
Leo Lukas im ganzen Universum nicht. Kurz kokettierte ich damit, doch noch ein, zwei Einsätze anzuhängen. Bewies ich nicht gerade eindrucksvoll, dass ich sehr wohl in der Blüte meiner Kunst stand und noch lange nicht zum alten Eisen zählte? Nein. Die Opposition war schwach, die Kontrahenten besaßen nicht unsere Klasse. Dennoch widerfuhren mir zwei, drei Schnitzer, wie sie früher undenkbar gewesen wären. Ich besserte sie höchstpersönlich wieder aus, ohne die Hilfe der Achterin in Anspruch nehmen zu müssen; wandelte einen davon sogar in eine Gegenattacke um, die ich zusammen mit dem Dreier ausführte und zu einem glanzvollen Abschluss brachte. Trotzdem fühlte ich, noch während wir uns lässig gratulierten und in die Grundformation zurückkehrten, buchstäblich den Zahn der Zeit an mir nagen. Wieder war ein Weniges an Psi-Kraft abgebröckelt. Nach wie vor vermochte ich Seelen zu schmecken, davon zu kosten, mir ein Stückchen zu schnappen. Immer noch machte ich mir auf diese Weise, wen immer ich wollte, Untertan; dagegen gab es kein Mittel. Doch ich konnte die Häppchen kaum mehr würzen, sie nicht länger beliebig verändern; und wenn, dann nur durch neuerlichen, intensiven Zungenkontakt. So bitter es auch war, ich musste mich der Erkenntnis stellen: dass ich mich auf dem absteigenden Ast befand. Dass die Zeit gekommen war, auszusteigen, also zu – grässliches Wort! – desertieren. Unauffällig richtete ich es in der Endphase der Auseinandersetzung so ein, dass wir, nachdem die Reservisten »den Sack zugemacht« hatten, getrennt den Rückflug zum TRÄGER antraten. Wo ich nie ankam. Beim Durchqueren einer hyperphysikalisch instabilen Zone, in der mein Beiboot kaum zu orten war, änderte ich den Kurs und setzte mich ab. Ohne ein Abschiedswort, ohne eine Erklärung zu hinterlassen. Was hätte ich schreiben sollen? »Macht's gut und danke …«?
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* Du räkeltest deinen göttlichen Körper im Teich, schöne Vischgret; und ich, so nahe und doch unerkannt, entbrannte beim Anblick deiner Nacktheit endgültig in Liebe zu dir. So groß war mein Verlangen, dass ich beinahe die Tarnung aufgegeben hätte. Doch ich hielt mich zurück, wollte deine Begleiter, insbesondere diesen Atlan, noch ein kleines Weilchen länger erforschen. Nachdem auch sie sich gründlich gesäubert und ein wenig ausgeruht hatten, erhob sich der Rotäugige, schlug die Faust mehrmals knallend in die Fläche seiner anderen Hand und rief: »Ich halte die Untätigkeit nicht länger aus. Zumal dieser Platz etwas an sich hat, was mir eine Gänsehaut nach der anderen verschafft.« Jolo sagte mit vollen Backen: »Krieg dich wieder ein, Kumpel. So nervös kenne ich dich gar nicht. Außerdem ist das kein Geflügel, sondern Stockfisch, hmnjammjamm. Setz dich wieder zu uns, iss noch ein paar Bissen, das beruhigt. Peonu wird jeden Moment auftauchen.« Atlan schüttelte den Kopf. »Ich sehe mir seine Behausung an.« Der Echsische erschrak so sehr, dass er einen Teil der Nahrung ausspuckte und den Rest in die falsche Kehle bekam. Nach Luft röchelnd, sprang er auf die Beine und stieß würgend hervor: »Nein! Das – hrrrgl! – darfst du nicht.« »Ach. Und wer sollte mich daran hindern?« Entschlossen schritt Atlan zur Kuhle. Ritz Toyd war eingenickt und blubberte leise vor sich hin. »Heiß, gelle?« »Sei so frei, mir einerlei, doch ich bin nicht dabei.« »Vischgret begleitet dich, Hellrosa Ekel.« »Von mir aus. Aber ein für alle Mal: Unterlass es bitte, mich so zu nennen. Ich heiße Atlan und damit basta!« Er war wirklich sehr übel gelaunt und überaus unhöflich und barsch zu dir. Nun, er
würde schon bald seine Strafe erhalten. Ihr stiegt die Treppe hinab und verschwandet unter dem Grasdach. Da du dabei warst, muss ich nicht lang und breit beschreiben, was ihr vorgefunden habt: eine für diese Region luxuriöse Unterkunft. Kleidung, Schuhwerk, allerhand Hausrat; darunter ein Stück dünnes, kaum sichtbares Garn von außerordentlich hoher Festigkeit. Als Atlan wieder zum Vorschein kam, war er mit einigen Gegenständen beladen. Er lud einen Stapel Bücher und Datenträger sowie einen kleinen Apparat vor den anderen ab. »Das hier ist höchst wahrscheinlich ein Lesegerät«, sagte er. »Kann jemand von euch damit umgehen? Oder wenigstens die Schrift entziffern? Mein Dhedeen versagt mir den Dienst. Na los, helft mir schon!« »Einen Dreck werde ich«, zeterte Jolo, immer noch außer sich vor Angst. »Leg die Sachen sofort wieder zurück dorthin, von wo du sie entwendet hast!« »Fremdes Gut gedeiht nicht gut. – Ich will ebenfalls nichts damit zu tun haben.« Atlan rüttelte Toyd wach. Der hatte zwar weniger Hemmungen, stellte aber nach einigem Herumhantieren fest, dass er weder die Schrift lesen noch das Gerät in Betrieb nehmen konnte. »Tut mir Leid, aber das ist nicht mein Metier.« Der Weißhaarige tänzelte auf der Stelle. »Diese geschmackvoll ausgestattete sogenannte Einsiedelei«, sagte er leise, mit mühsam unterdrückter Wut, »wird von einem Strom erzeugenden Aggregat sowie einem mir unbekannten Energieträger mit Licht und Kühlung versorgt. Begreift ihr nicht, was das heißt?« »Peonu hat es hell und schattig?«, blubberte Toyd. »Beneidenswert.« Atlan atmete tief durch. »Und was sagt ihr dazu?« Er hielt ihnen den Cueromb hin. »Ganz eindeutig Hochtechnologie. Seht ihr? Man kann ihn um den Unterarm schnallen und verschiedenste miniaturisierte Werkzeuge ausklappen.« Er führte das Gerät vor. »Hammer, Kelle,
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Schaufeln in verschiedenen Größen. Sogar ein Handbohrer. Leider enthält das Ding keine Energie. Aber es ist sehr leicht und fühlt sich angenehm und ungemein praktisch an.« »Vischgret hat so was noch nie gesehen und schätzt, dass es sehr wertvoll ist. Sein Besitzer wird nicht erfreut sein, dass du es an dich genommen hast.« Der Rotäugige tat den Einwand mit einer unwirschen Handbewegung ab. »Da ist noch was. Wenn man das Gerät etwa bis auf Unterarmlänge zum Ohr bringt, fühlt man sich angesprochen. Man hört eine Stimme flüstern. Die Sprache klingt vertraut, so als ob man sie eigentlich verstehen müsste. Aber mein Dhedeen übersetzt nicht.« »Gib's wieder runter! Trag es zurück!« Jolo hüpfte auf und ab, das Gesicht zu einer Fratze des Entsetzens verzogen. Atlan ignorierte ihn. »Führt man das Gerät noch näher ans Ohr, wird die Stimme leiser. Legt man es ganz an die Ohrmuschel, verstummt sie.« »Es gehört Peonu. Nimm endlich Vernunft an, Kumpel! Wenn er zurückkehrt und dich damit sieht, landest du auf dem Friedhof!« »Auf welchem Friedhof?« Mit beiden Händen hielt sich Jolo den Mund zu. »Kein Friedhof. Hier gibt's keinen Friedhof. Hab mich versprochen«, nuschelte er. »Ist mir bloß so rausgerutscht. Ich wollte nicht Friedhof sagen, sondern, äh, äh, Frikassee. Und Hühnerhof. Frikassee vom Hühnerhof. Kurz: Frik-Hof. Sehr zu empfehlen.« Doch Atlan schritt bereits den Umkreis der Lichtung ab, die Augen zum Boden gerichtet. Fast genau gegenüber von der Wasserstelle hielt er an; bückte sich; untersuchte eingehend die lehmige, festgetretene Erde. Dann machte er einige rasche Schritte zwischen die Grashalme, klappte den Spaten aus dem Cueromb und begann damit zu graben.
*
Um das Folgende würde ich mich gerne drücken. Es ist mir unsagbar peinlich. Doch du, meine Vischgret, deren Schönheit ein wenig unter dem Loch leidet, welches an Stelle deiner drei Augen gähnt – du, Schätzchen, sollst auch den Rest noch hören. Während ich dich sanft bedecke, mit fruchtbarer Lehmerde, damit Gras über dich wachse … Für eine Weile verschwand ich gänzlich von der Bildfläche. Ich bemühte mich, alle Spuren zu verwischen; tauchte unter; hielt still. Mir war klar, dass meine Auftraggeber mich jederzeit wieder einfangen konnten, wenn sie dies wirklich anstrebten. Sie brauchten nur beispielsweise die Champions auszuschicken. Meine ehemaligen Teamgefährten hätten mich mit Sicherheit aufgespürt, selbst ohne eine voll einsatzfähige neue Nummer Zehn. Doch ich hegte die berechtigte Hoffnung, dass ich, da mein Stern ohnehin im Sinken begriffen war, derlei Aufwand einfach nicht rechtfertigte. Und dass eine erbärmliche Existenz wie jene, die ich nun führte, sich schlichtweg unterhalb des Wahrnehmungshorizonts von Xpomul und seinesgleichen befand. Ja: erbärmlich. Halb wahnsinnig wurde ich vor Sehnsucht nach dem, was ich aufgegeben hatte. Ich vermisste die intellektuelle Herausforderung, den Rausch des mörderischen Spiels. In meinem Schlupfloch schrie und stöhnte ich, wand mich vor Krämpfen, erlitt Höllenpein, tagaus, tagein. Der Entzug meiner Macht, meiner Position, meines gesamten Lebensinhalts brachte mich beinahe um. »Freizeit« war für mich viele Lebensjahre lang ein Fremdwort gewesen. Was sollte ich mit mir anfangen, jetzt, da ich im Übermaß damit geschlagen war? Drogen und diverse Stimulanzien zu besorgen wäre mir leicht gefallen. Doch ich fürchtete, mich zu verraten oder eine andere Dummheit zu begehen, wenn ich nicht klaren Kopf behielt. In garantiert ungestörten
Der Seelenhorter Fluchtwinkeln, ich gestehe es, habe ich freilich mit allem Möglichen experimentiert. Doch selbst wenn es mir glückte, mich vollkommen zu betäuben – hinterher kehrten die Qualen nur umso stärker wieder. Einen Zeitvertreib entdeckte ich schließlich, der mir wenigstens kurzfristig Ablenkung und eine gewisse Entspannung bereitete: Sex. Ich weiß, das mag seltsam klingen, doch tatsächlich hatte ich bis dahin zölibatär gelebt. Auf Sarac hatte ich wohl die ersten Anzeichen der Geschlechtsreife gespürt. Aber dieser Trieb wurde alsbald von einem weit stärkeren überlagert: dem nach Vereinigung in unvergleichlich viel umfassenderem Ausmaß. Und als Mitglied von Xpomuls Champions hatte ich wahrlich Besseres zu tun gehabt – ganz abgesehen davon, dass Nummer Acht nicht unbedingt mein Typ gewesen wäre. Klarerweise stand mir keine Lutvenidin als Sexualpartnerin zur Verfügung. Mein Verdacht, der Letzte meiner Art zu sein, erhärtete sich mit der Zeit. Niemand, dem ich begegnete, sah mir ähnlich; keiner hatte je von meinem Volk gehört. Der nötigen Zahlungsmittel wegen verdingte ich mich ab und an als Söldner für lächerlich belanglose und unoriginelle Aufträge. Erobere dies, ermorde jenen … Es fiel mir nicht leicht, mich mit der Letztklassigkeit der Liga abzufinden, in der zu spielen ich nunmehr gezwungen war. Ich, der Xpomuls Champions von Triumph zu Triumph geführt hatte! Der den absoluten Spitzenkräften der Kosmokratendiener die Stirn geboten hatte und nicht ein einziges Mal geschlagen vom Schlachtfeld gegangen war! Es tat weh, mein Licht unter den Speikübel zu stellen, meine Perlen vor Shiwasonzen zu verstreuen. Denn selbstverständlich waren meine Fähigkeiten im Vergleich zu den Tölpeln, mit denen ich mich abgeben musste, immer noch überragend zu nennen. Ich hätte mit Leichtigkeit ganze Sternenreiche und halbe
47 Galaxien in die Tasche stecken können. Doch erstens hätte dies möglicherweise doch die Aufmerksamkeit meiner ehemaligen Auftraggeber erregt und zweitens: wozu überhaupt? »Majestät« war ich bereits gewesen, »Mogul« desgleichen. »Nummer Zehn« hätte ich sein wollen, auf immer und ewig, klar. Aber in einer richtigen Mannschaft, nicht mit irgendwelchen stupiden Schlagetots, die meine simpelsten Anweisungen nicht verstanden hätten – geschweige denn die Fähigkeit besessen, sie auszuführen! Wo war ich? Ach ja: Sex. Als ich mit der Erledigung von Drecksarbeiten, für die ich früher keinen Finger gerührt hätte, genügend Geld verdient hatte, um mir die Operation leisten zu können, ließ ich mir ein variables biologisches Implantat verpassen, das mich mit einer großen Zahl von Spezies kompatibel machte. Danach hurte oder vergewaltigte ich, wie's gerade daherkam. Die Befriedigung war kurz: ein äußerst mangelhafter Ersatz für das, wonach mich wirklich gierte – doch immerhin ein Surrogat oder, wenn man so will, ein Stellvertreterkrieg. So trieb ich dahin, etliche Jahre lang. Bis ich eines Tages, aus heiterem Himmel, ein etwas attraktiveres Angebot erhielt.
12. Verlängerung Sein Name war Yagul Mahuur, und er bezeichnete sich als »Lordrichter«. Ups! Ich bemerke, dass ich mich ein wenig verplaudert habe – was Wunder bei einer solch charmanten Gesprächspartnerin! – und nun die Zeit schon sehr drängt. Also rasch, in Stichworten, während ich dein Grab zuschütte: Dieser Mahuur wollte mich engagieren. Ich sollte für ein Gebilde, das er »Schwert der Ordnung« nannte, die »Intrawelt« suchen und eine Dosis »Flammenstaub« beschaffen. Mit all diesen Begriffen fing ich herzlich
48 wenig an. Zudem schien mir der Lordrichter nicht gewillt, mit der ganzen Wahrheit über die Hintergründe herauszurücken. Deshalb versuchte ich, ihn gefügiger zu machen, indem ich mir ein Häppchen seiner Seele holte. Im selben Moment, in dem ich zum Angriff ansetzte, baute sich um Mahuur eine eisglitzernde Nebelwolke auf, die ihn meinem Zugriff entzog. Fraglos eine Projektion, doch beeindruckend wirkungsvoll und überdies mit einer starken mentalen Ausstrahlung. Dies erregte ein Gefühl in mir, das ich sehr lang vermisst hatte: Neugierde. Ich akzeptierte den Auftrag. Erhielt weitere Hinweise, aufgrund deren ich die Intrawelt fand. Wechselte auf dem obligaten Weg in diese über. Unweit der Mündung des Transportschlauchs richtete ich mir einen Stützpunkt ein: die Eremitage. Dann begann ich mit den Nachforschungen; und wie gewohnt mir dienstbare Geister zu verschaffen: die Häppchen. Mittlerweile erstrecken sich meine diesbezüglichen »Kontakte« auf etwa ein Drittel der Fläche im Inneren der Hohlwelt. Mit der Zeit mehrten sich die Anzeichen dafür, dass jener geheimnisvolle Flammenstaub um vieles mächtiger und auch für mich persönlich interessanter sein dürfte, als ich zunächst angenommen hatte. Ich erfuhr, dass das mysteriöse Zeug von den Gründern der Intrawelt aufbewahrt wird. Angeblich ist der Flammenstaub »an einer Stelle zwischen Tag und Nacht« verborgen. Was immer man darunter verstehen soll. So groß ist seine Macht, berichten meine (unterschiedlich vertrauenswürdigen) Quellen, dass die ganze Intrawelt nur zu dem einen Zweck erbaut wurde, ihn vom Normaluniversum fern zu halten. Bis auf einen sagenumwobenen, mythischen Helden namens Choch ist es noch niemandem gelungen, sie wieder zu verlassen. Den Flammenstaub kann man nicht einfach in einem Sack transportieren. Sondern er geht auf beziehungsweise in den Körper
Leo Lukas des Trägers über. Erst nach dessen Tod kann er in reiner Form wiedergewonnen werden. Ja, liebes, stilles Grab meiner vorläufig letzten Liebsten: Das impliziert, dass die Lordrichter mich, nachdem ich meinen Auftrag erfüllt habe, töten wollen. Pfui, wie gemein und hinterhältig! Ich lache oft und herzlich darüber. Mahuur und seine Kumpane haben offensichtlich keine Ahnung, mit wem sie sich eingelassen haben: mit der Nummer Zehn von Xpomuls Champions. Mich aufs Kreuz zu legen, haben schon ganz andere vergeblich versucht. Wenn ich sagte, dass der Flammenstaub mittlerweile auch mein privates Interesse erweckt, so ist das nicht untertrieben. Eröffnet sich mir damit doch eine Chance, dem tristen, bis vor kurzem unausweichlich scheinenden Los der Verelendung doch noch zu entkommen. Ich hatte mich darauf eingestellt, meiner Fähigkeiten sukzessive immer weiter verlustig zu gehen; mich damit abgefunden, würdelos zu altern, um irgendwann einsam, verbittert und desillusioniert zu sterben. Aber wenn der Flammenstaub sich tatsächlich als so mächtig erweisen sollte, wie man munkelt – und dafür spricht der Aufwand, der um ihn getrieben worden war und immer noch wird –, dann kann ich ihn vielleicht für mich selbst verwenden, um den geistigen Verfallsprozess aufzuhalten, eventuell sogar umzukehren. Ich bin kein Tagträumer, der sich Hirngespinsten hingibt. Jedoch bietet mir die vage Hoffnung, ich könnte dank dieses Wundermittels meine frühere Hochform zurückgewinnen, genau die Perspektive, die ich so lange entbehrt hatte. Und dann … Ich hege keine Zweifel, dass ich, stünde ich erst wieder in Saft und Kraft wie eh und je, mit offenen Armen im TRÄGER aufgenommen würde – und meine Position als Nummer Zehn von Xpomuls Champions erneut einnehmen könnte. Dass mir ein Comeback gelänge; dass mir ein zweites wahres Leben, wenigstens eine Art Verlängerung oder Nachspielzeit zugestan-
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den würde. Zukunftsmusik, klar. Vorerst muss ich weiter forschen, mein Netzwerk ausbauen, Informationen sammeln. Ich denke, dass den Schlüssel zum Flammenstaub die geheimnisvollen Erbauer der Intrawelt darstellen. Auf sie konzentriere ich meine Bemühungen. Im Hinblick darauf rekrutiere ich neue Häppchen, wann immer sich die Gelegenheit dazu bietet. Keineswegs wahllos, sondern stets erst nach reiflicher Beobachtung; bereits auf Sarac habe ich gelernt zu selektieren. Nur solche gliedere ich in mein diskretes Heer ein, die mir geeignet erscheinen, die Suche irgendwann erfolgreich abzuschließen. Von diesem Atlan zum Beispiel verspreche ich mir, wie eingangs schon erwähnt, recht viel.
* Er war im Begriff, das Gräberfeld zu entdecken und die wohlverdiente Ruhe deiner Vorgängerinnen zu stören. Da ich dies nicht zulassen wollte, gab ich meine Tarnung auf. Zusammen mit mir streiften meine drei Leibwächter die Camouflage-Gaze ab, die uns sämtlichen herkömmlichen Sinnen entzogen hatte, obwohl wir nur ein paar Schritte außerhalb der Lichtung gestanden waren. Die drei plumpen Kerle, die mir als Schutzstaffel dienten, hielten die Spieße gesenkt, doch deutlich sichtbar, als wir aus den Hochgräsern auf die Freifläche schritten. Zwischen der Wohnkuhle und Atlan blieben wir stehen. »Sieh an, Besuch«, sagte ich. »Wie schön. Und wie nett, dass ihr euch gleich nützlich macht. Allerdings erledige ich meine Gartenarbeit lieber selber.« Der Weißhaarige klappte den Spaten zusammen, wobei er sich keine Mühe gab, den Cueromb vor mir zu verbergen. »Peonu, nehme ich an. Ich grüße dich.« Er stand sprungbereit, wirkte weniger ertappt als herausfordernd. Seine roten Augen waren geweitet. Ich las in ihnen, dass er
meine körperliche Präsenz ähnlich unangenehm empfand wie ich die seine. Mit anderen Worten: Wir waren uns auf Anhieb durch und durch unsympathisch. »Mich trifft keine Schuld, Herr, ehrlich«, winselte Jolo. »Ich habe alles versucht, ihn davon abzuhalten, in deinen Sachen zu wühlen.« »Geschenkt.« Atlans Aura stellte sich mir feuerrot dar, durchzogen von weißen Schlieren. Diese verdichteten sich in seiner linken Schulter. Dort saß auch die Quelle des Geruchs, der mich so vehement abstieß. Wir waren einander fremd wie Tag und Nacht, wie Feuer und Wasser. Jedoch hatten wir gemeinsam, dass wir beide weit überdurchschnittliches Charisma besaßen. Reichlich Erfahrung. Führungsqualität. Fähigkeit zur Selbstbehauptung; Wille zur Tat. Und beide waren wir mit höheren Mächten in Berührung gekommen: Was an Widerlichem in seiner Schulter saß, entsprach in gewisser Weise der kristallinen Narbe auf meiner Brust. Nur stammte es von der gänzlich anderen Seite. »Die Freitümmler haben mir deinen Namen genannt«, sagte er, seine Abneigung mir gegenüber ganz gut durch Höflichkeit übertünchend. »Ich erbitte Auskünfte; man meinte, du seist gewillt, solche zu erteilen.« »Gemach, gemach«, erwiderte ich ebenso übertrieben freundlich. »Deine Wünsche seien mir Befehl. Zuerst aber lass mich dir den Begrüßungskuss geben.«
* Ich überwand meinen Ekel und ging zu ihm, die Arme ausgebreitet. Im letzten Moment zuckte er zurück. Vielleicht hatte ich den Mund einen Hauch zu früh geöffnet, und meine Zunge erschreckte ihn. Jedenfalls nahm er Abwehrstellung ein. Sehr flink, das musste ich ihm lassen. Seine Reflexe waren ausgezeichnet. An Körper-
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kraft und Schnelligkeit mochte er mir nahezu ebenbürtig sein. Außerdem verfügte er unverkennbar über eine gediegene Nahkampfausbildung. Doch half sie ihm wenig. Ich hatte schon mit vielen seiner Statur gerungen; diese ist im Universum weit verbreitet – weiß Xpomul, warum. Atlan hingegen kannte keine Lutveniden. Mein Facettenhaupt verriet ihm in Ermangelung einer für ihn deutbaren Mimik nicht, was ich vorhatte. Meine Bewegungsabläufe vermochte er kaum einzuschätzen. Sie mussten für ihn seltsam schlenkernd, vielleicht sogar spaßig anmuten: Ich besitze an meinen Extremitäten je ein Gelenk mehr als er, das noch dazu in alle Richtungen drehbar ist. In einem längeren Kampf hätte er sich vielleicht auf mich einstellen können. Ich aber zögere selten, einen Vorteil auszunutzen. Mein blitzschnell geführter Aufwärtsschlag durchbrach Atlans Deckung, traf sein Kinn und fällte ihn wie ein dürres Bäumchen.
* Tumult entstand. Ritz Toyd fühlte sich bemüßigt, seinem Reisegefährten zu Hilfe zu eilen. In grellen Farben blubbelnd, den Krummsäbel hoch erhoben, rannte er zu uns her. Der Narr! Hätte ich Verwendung für ihn gehabt, ich hätte ihn geschont. Doch der strohdumme Wichtigtuer erfüllte keines meiner Auswahlkriterien. Sein pseudoheroischer Anfall war der beste Beweis dafür. Auf einen Wink von mir durchbohrten ihn meine Leibwächter mit ihren Spießen. Der Eisenfaust starb so sinnlos, wie er gelebt hatte. Nachdem Toyd, wie man ganz und gar fälschlich sagt, seine Seele ausgehaucht hatte, flatterte sein Dhedeen zu mir her. Ich fing das Vögelchen aus der Luft und zerquetschte es zwischen den Fingern; ich mag die Vie-
cher nicht, ich brauche sie nicht. Albia, die Hohe Frau, war klug genug, keine Gegenwehr zu leisten. Sie blieb, wo sie war, alle sechs Ärmchen von sich gespreizt. Auch du, zauberhafte Vischgret, ergabst dich in dein Schicksal. Jolo zählte sowieso nicht. Da nun die Situation geklärt war, beugte ich mich zu Atlan hinunter und leckte genüsslich über sein Gesicht. Er schmeckte nach sprödem rotem Holz, mit einer Prise von Zimt und scharfem Pfeffer: durchaus delikat, wäre nicht der grässliche, wie Zinn kreischende Beigeschmack der weißen Schlieren gewesen. Kaum hatte ich meinen Happen genommen, kam Atlan zu sich. Ächzend schlug er die Augen auf und sah mich an. »Bist du in Ordnung?«, fragte ich. »Wie fühlst du dich? Fehlt dir irgendetwas?« Seine Pupillen verengten sich. Er wand sich unter mir weg, vollführte eine Rolle rückwärts, kam auf die Beine, sprang auf mich zu, den rechten Arm mit der geballten Hand schwingend … … und ließ ihn langsam, keuchend, zitternd wieder sinken. »Beachtlich«, kommentierte ich seinen Angriffsversuch, der mich überrascht hatte. Dass er sich so schnell wieder erholte, hätte ich ihm nicht zugetraut. »In der Tat beeindruckend«, lobte ich ihn. »Jedoch kannst du mich von nun an nicht mehr attackieren. Das fühlst du genau, nicht wahr? Dein eigener Selbsterhaltungstrieb verbietet es dir. Denn ein Teil deiner Seele gehört jetzt mir. Und nur, wenn du schön folgsam bist, bekommst du ihn – womöglich – wieder zurück …«
Epilog: Auslaufen Das ist das Angenehme an meinen Häppchen: Sie mögen mich verabscheuen, verachten, hassen gar; doch sie würden niemals aufmucken: Sogar, wenn sie sich so weit selbst ver-
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leugnen, dass sie es bis zum Entschluss bringen, gegen mich vorzugehen: Sie schaffen es nicht, den schändlichen Plan gegen sich selbst zu verwirklichen. Zu stark ist das unsichtbare Seelenband, das sie an mich kettet. Sie spüren es, ob sie wachen oder schlafen; gleich dem undefinierbaren, doch allzeit präsenten Ziehen und Zwacken einer Operationsnarbe, die nie verheilt. Es erinnert sie, wie weit sie sich auch räumlich von ihrem Herrn entfernen, permanent an ihre Verpflichtung mir gegenüber. Und sie laufen sich die Füße wund, um sich meines Wohlwollens zu versichern. Alles gäben sie dafür, dass die Chance aufrecht bleibt, ihr fehlendes Seelenfragment eines Tages wieder zurückzuerhalten. Treuere Untertanen kann man sich nicht wünschen. Wie hätte Ritz Toyd gesagt: »Heiß, gelle?«
* Atlan tat mir fast Leid, wie er vor mir stand, mit hängenden Armen und Schultern, zurechtgestutzt, gedemütigt, gebrochen. Er war es nicht gewohnt, sich dermaßen unterzuordnen. Aber er würde es lernen. Ich hatte kurz mit mir gehadert, ob ich ihn wirklich wollte. Der perfide Hauch der Kosmokraten haftete ihm an; der Ruch der Gefahr, gegen die ich so lange gekämpft hatte. Letztlich entschied ich mich trotzdem dafür, ihn am Leben zu lassen und für meine Zwecke einzusetzen. Atlans Anlagen nicht zu gebrauchen wäre töricht gewesen. Edeldomestiken seiner Güteklasse dirigiere ich höchstens ein paar Dutzend in der Intrawelt. Nach ihm gab ich auch Albia und dir, o süße Vischgret, den uns dauerhaft vereinenden Kuss. Die Hohe Frau ist geschickt und intelligent, zudem als Spielerin geradezu prädestiniert, Informationen aufzuschnappen, die auf offiziellen Wegen kaum zu beschaffen sind. Des Weiteren kann es nicht schaden,
wenn sie Atlan in Auge und Fühler behält; für alle Fälle. Man weiß nie. Deine Qualitäten wiederum verstanden sich von selbst. Ich konnte es kaum erwarten, sie zu konsumieren.
* Einen Tag und zwei Nächte kamt ihr in den Genuss von Peonus weithin berühmter Gastfreundschaft. So ich mich nicht nach Kräften dir widmete, besprach ich mit Atlan dessen nächste Schritte. Ich erlaubte ihm großzügig, seinen persönlichen Absichten nachzugehen, forderte nicht einmal, dass er mir diese offen legte; überließ ihm sogar den Cueromb und Toyds Krummsäbel. Hochmut? Nein. Ein ehemaliger Kosmokratenknecht war zwar garantiert nicht aus purem Vergnügen in die Hohlwelt gekommen. Aber falls er ebenfalls hinter dem Flammenstaub her war, konnte mir das nur recht sein. Selbstverständlich verpflichtete ich ihn und Albia, mir umgehend zu berichten, falls sie etwas über die Erbauer der Intrawelt herausfanden. Als Nächstes würden sie sich zur Gondelstation Hoch-331 begeben. Diese liegt noch tiefer im Kernland der Parzelle Karaporum, etwa vier Tagesmärsche von der Einsiedelei entfernt, auf der Spitze des sogenannten Rundkegels. Sie wird von einem Maulspindler namens Abertack gewartet. Ich bereitete Atlan und die Hohe Frau darauf vor, dass Abertack sie einer strengen Prüfung unterziehen würde. Das ist üblich. Nur wer die Prüfung besteht, darf die Weiten der Intrawelt mit Hilfe des Gondelsystems durchqueren. Den Plan, das Sammelloch und Luck, den Proporzen, aufzusuchen, sollten sie, riet ich ihnen, einstweilen verwerfen. Zugang zum buchstäblich weltumspannenden Transportsystem der Maulspindler zu erhalten war gewiss das vordringliche und lohnendere Ziel. »Meine besten Wünsche begleiten euch!«, rief ich ihnen nach, als sie von der
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Lichtung wegmarschierten. Keiner der drei blickte oder winkte zurück. Wer will es ihnen verdenken? Höchstwahrscheinlich werden sie scheitern und irgendwo unterwegs verloren gehen, wie Unzählige vor ihnen. Falls sie aber Erfolg haben, ist das ganz in meinem Sinne. Wie auch immer. Wir werden sehen. Dich, mein Herzblättchen, bat ich, bei mir zu verweilen. Gerne kamst du meinem Wunsche nach. Scheinbar. Etwas später aber hast du mich sehr traurig gemacht. Gut, ich mag ein wenig … unersättlich gewesen sein. Und nicht immer ganz sanft. Aber, ehrlich, ich war überzeugt, dass du es ganz genau so mochtest. Wir hätten ja auch darüber reden können, oder? War das wirklich nötig: die Sprengkapsel in deinem Kopf zu zünden (ein Vermächtnis der Brunftschwestern mutmaßlich)? Selbstmord zu begehen, diesen begnadeten Körper zu zerstören, nur, um dich mir endgültig zu entziehen?
Ich bin, mit Verlaub, enttäuscht, Vischgret. Gerade von dir hätte ich mehr Durchhaltevermögen erwartet als von den vielen anderen auf dem Friedhof meiner Sehnsucht. Deinen Liebreiz, deine Eloquenz, die entzückende Marotte, von sich selbst nur in der dritten Person zu sprechen – all das werde ich vermissen. Und die Brüste. Obwohl, eine von den demnächst eintreffenden Neulingen soll auch ganz gut gebaut sein. Ähem. Ich werde dein Andenken in Ehren halten, Nummer 314. Du hast getan, was du konntest; gegeben, was du hattest. Zum Ausgleich dafür habe ich dir meine Geschichte erzählt. Mein Leben, sozusagen, gegen deines. Nicht wahr, das war doch lieb von mir? ENDE
ENDE
Gefangen im Himmelsnetz von Wim Vandemaan Atlan hat im Kampf gegen den Seelenhorter den Kürzeren gezogen, ihm wurde ein Teil seiner Seele geraubt. Der Arkonide weiß diesen Umstand zu diesem Zeitpunkt noch nicht einzuschätzen. Er spürt nur mit einem Mal, dass er nicht mehr vollständig ist. Und mit diesem beklemmenden Gefühl macht er sich weiter auf die Suche nach dem Flammenstaub und gerät dabei in die schwindelerregenden Höhen der Maulspindler.