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Seewölfe 54 1
Roy Palmer 1.
„Zeigt’s den Bastarden!“ Der Ruf des Profos’ Edwin Carberry hallte über Deck. Aber er war im Grunde genauso überflüssig wie die Kaskade von barschen Kommandos, die er folgen ließ. Befehle brauchten eigentlich gar nicht mehr auf die Männer der „Isabella V.“ niederzuhageln und sie anzutreiben - sie befanden sich bereits in Fahrt, und zwar so sehr, als reite sie der Teufel höchstpersönlich. Während ein Drittel der Crew weiterhin die Segelmanöver ausführte, hantierten die anderen zwei Drittel wie besessen und mit wutverzerrten Mienen an den Kanonen. Philip Hasard Killigrew stand auf dem Achterdeck seiner Galeone und blickte mit dem Kieker achteraus. Durch das Okular erkannte er die Reste des Floßes, das einen Treffer erhalten hatte und auseinandergefetzt worden war. Er hatte die ehemaligen Sträflinge das Floß zimmern lassen und sie dann vor der Insel La Vache ausgesetzt. La Vache befand sich östlich querab vom südlichsten Zipfel der Westseite Hispaniolas, und ihre Konturen hoben sich als deutlicher Schattenriß ab. Sie lag nicht weit entfernt. Und doch hatte sich die Distanz für die elf Galgenvögel fast bis ins Unendliche vergrößert. Das Floß bestand nur noch aus Trümmern. Ein paar Kerle klammerten sich an die Balken und versuchten, die Insel zu erreichen. Hasard wollte und konnte sich nicht mehr um diese Galgenvögel kümmern. Er mußte kämpfen. Er brauchte den Kieker nur etwas weiter nach links zu richten, um den vordersten Angreifer in voller Größe vor sich zu haben. Es war eine der drei Schaluppen, die hinter der Landzunge hervorgeglitten waren, als sie die elf Kerle gerade außenbords befördert hatten. Sofort hatte eine Schaluppe das Feuer auf das Floß eröffnet und es voll erwischt. Aber dann hatte man sich nicht weiter um das Floßwrack gekümmert. Tolldreist segelten die Schaluppen auf die Galeone zu. Grauweiße
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Pulverqualmwolken pufften über ihren Bordwänden hoch, und gleichzeitig erklang der Böller ihrer Geschütze. Wasserfontänen stiegen hinter dem Heck der _Isabella“ und vor ihrer Backbordseite auf. Sie hatte sich auf östlichem Kurs befunden. Aber jetzt hatte der Seewolf sie abfallen lassen und drehte sie mit einer Halse durch den handigen Südost. Er präsentierte den Schaluppen die imposante Breitseite der „Isabella“ — zwölf Culverinen auf der Kuhl, die auf Back und Achterdeck verteilten Drehbassen nicht mitgerechnet. Sie mußten vom Wahnsinn befallen sein, die Kerle auf den Schaluppen. Es gab nur eine Sorte von Satansbraten, die unter derartigen Bedingungen bereit waren, eine Schlacht zu führen — Karibik-Piraten. Es würde ein Kampf bis aufs Messer werden, Auge um Auge, Zahn um Zahn. „Jetzt haben wir sie wieder am Hals“, sagte Hasard zu seinem Bootsmann und ersten Offizier Ben Brighton. „Die ,Brüder der Küste’ haben seit der Schlacht in der Windward-Passage die Nase offenbar immer noch nicht voll. Scheint so, als sei unsere ‚Isabella’ zur Zeit das begehrteste Beuteobjekt unter diesen Hunden.“ „Ist Caligu mit von der Partie?“ fragte Ben. „Nein.“ Der Seewolf steckte den Kieker weg und trat hinter eine der Drehbassen auf dem Achterdeck. Caligu, der Teufel unter den Piraten, ließ sich noch nicht wieder blicken. Er leckte wohl noch seine Wunden. Aber Hasard nahm sich vor, die Kerle von den drei Schaluppen dort drüben stellvertretend für Caligu zu den Haifischen zu schicken. Er kochte innerlich und mußte sich bezwingen, nicht zu explodieren wie ein randvolles Pulverfaß. Der Kutscher hatte weise Voraussicht geübt und gleich beim ersten Schuß der Piraten die Holzkohlefeuer in der Kombüse gelöscht — bevor ihn Carberry in der üblichen ruppigen Art dazu auffordern konnte. Jetzt rannte der Kutscher auf der Kuhl herum und streute Sand aus. Die Decksplanken vibrierten unter dem unrhythmischen Auf und Ab der Schritte,
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unter dem Trommeln von Stiefeln und dem Patschen nackter Fußsohlen. Der Kutscher wurde von seinen Gefährten beinahe über den Haufen gerannt. Während er noch damit beschäftigt war, Segeltuchpützen und hölzerne Kübel mit Wasser bereitzustellen, hatten die Männer auf den Gefechtsstationen die Stückpforten hochschwingen lassen, die Laschungen gelöst und die Kanonen auf ihren Hartholzrädern ausgerollt. „Deck!“ schrie Dan O’Flynn aus dem Großmars. „Die Hunde halten direkt auf uns zu!“ Al Conroy, Philip Hasard Killigrews Stückmeister, richtete eine der schweren Culverinen an der Backbordseite der Kuhl. „Na wartet“, sagte er immer wieder. „Wartet bloß ab, kommt nur ‘ran, ihr Bastarde, und wir zeigen euch, was für eine Stinkwut wir im Bauch haben.“ Er hatte Pulver in das Bodenstück seines 17Pfünders gefüllt, so viel, daß das Gewicht des Pulvers der Hälfte des Kugelgewichts entsprach. Al Conroys Gemütszustand entsprach der allgemeinen Stimmung der Crew. „Das hat man davon, wenn man Samariterdienste an Galgenvögeln versieht!“ rief Smoky. „Oh, hätten wir diese Schurken doch von Anfang an ihrem Schicksal überlassen!“ „Es ist zum Kotzen!“ sagte Gary Andrews. „Ich hab die Nase gestrichen voll von Sträflingen, Piraten und ähnlichen Hurensöhnen“, meinte Blacky. „Die Karibik ist ein Rattenteich“, pflichtete Stenmark ihm zähneknirschend bei. Der einzige, der sich nicht äußerte, war Matt Davies. Er kauerte links neben Al Conroy an einem Geschütz und stieß mit verbissenem Eifer die Kelle, einen zylindrisch geformten Kupferlöffel, in das Rohr. Seine Miene wirkte steinern. Er zog die Kelle wieder heraus, nahm den Ansetzer und preßte mit erstaunlichem Geschick ein Knäuel Kabelgarn auf die Pulverladung. Mit seiner Hakenhand und der Schnittwunde in der Schulter trug er das derzeit größte Handikap an Bord und hätte allen Grund gehabt, sich nicht am
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Kampf zu beteiligen. Aber er wollte nicht zurückstehen. Er war ein harter Mann, dieser Matt Davies. Er hatte sich binnen kürzester Zeit wieder erholt, wenn die Schulterwunde auch noch schmerzte. Der Halunke Vasco, einer der von der aufgelaufenen Galeone geretteten Sträflinge, hatte sie ihm zugefügt. Matts jetzt grauer Haarschopf, vormals dunkelblond, zeugte von der grauenvollsten Nacht, die er durchgestanden hatte. Vasco hatte ihn außenbords gestoßen, war dann selbst hinterhergesprungen und hatte ihm im Meer einen erbitterten Kampf geliefert. Der Seewolf hatte vorsorglich Balken und eine Gräting auswerfen lassen, während er nach Matt suchte. Die Gräting war zum Schauplatz des Zweikampfes und zum mörderisch umfochtenen Rettungsgerät geworden. Matt hatte die Messerwunde an der Schulter einstecken müssen, aber dann hatte er doch gesiegt. Das Blut hatte die Haie angelockt. Sie hatten sich zuerst an Vasco, den Portugiesen, gehalten, hatten ihn in die Tiefe gerissen und verschlungen. Matt hatte sich auf die Gräting gerettet. Die gierigen Menschenfresser hätten auch ihm den Garaus bereitet, wenn nicht plötzlich das Beiboot der „Isabella V.“ zur Stelle gewesen wäre, das Boot, auf dessen Duchten er schließlich zusammengebrochen war. Hasards Männer waren so aufgebracht gewesen, daß sie die verbliebenen 18 Sträflinge an Bord der „Isabella“ am liebsten einen nach dem anderen auseinandergenommen hätten. Doch der Seewolf hatte die Kerle das Floß bauen lassen. Es wäre die Ideallösung gewesen, die undankbaren Schufte auf der Insel Vache auszusetzen, wenn die Verzögerung ihnen nicht die Konfrontation mit den Piratenschaluppen eingebracht hätte. „Ho“, sagte Al Conroy. „Sie sind flinker als wir, die Scheißpiraten. Sie können besser manövrieren. Aber wir haben vierundzwanzig Culverinen und zehn Drehbassen.“ Er hatte die Kugel in den Lauf eingeführt. Kabelgarn hielt sie in der
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richtigen Lage. Das Zündloch war bereits mit Pulver gefüllt. Die gleichen Vorbereitungen waren sowohl an den übrigen Geschützen der Backbordseite als auch an der Steuerbordseite abgeschlossen worden. Die Zugtaljen, die die Kanonen beim Laden festhielten, wurden gelöst. Dann tönte wieder die Stimme des Profos’ über Deck: „Klar bei Lunten!“ Die Zündschnüre begannen zu glimmen. Knisternd fraß sich die Glut durch das trockene Material. „Feuer!“ Die vorderste Schaluppe hatte sich hart am Wind aus südwestlicher Richtung dem Heck der „Isabella“ genähert und luvte jetzt an, um ihr gleichfalls die Backbordseite darzubieten. Mitten in das Wendemanöver hinein fiel das Wummern der Culverinen. Zwölf Feuerblitze stachen aus den Stückpforten der „Isabella“ hervor, zwölfmal warf der Rückstoß die Kanonen zurück. Die Lafetten wurden von den Brooktauen gestoppt. Donnernd jagten die Kugeln auf die Schaluppen zu. Al Conroy zurrte seine Kanone wieder mit der Zugtalje fest, dann spähte er durch die Stückpforte und hielt sich dabei mit beiden Händen am Süll fest. Er sah, wie die Kugeln in die erste Schaluppe schlugen. Er wußte, daß seine Ladung mit dabei war, denn er hatte mit größter Präzision gezielt. Er brüllte „Hurra“ und „Zur Hölle mit den Piraten und der Karibik“ und hätte Matt Davies beinahe vor Freude auf die Schulter gehauen. Im letzten Augenblick hielt er sich zurück. „Das ist aber auch dein Glück“, sagte Matt. Er grinste so freundlich wie ein Haifisch. „Zieh mir bloß nicht deinen Eisenhaken durchs Gesicht“, erwiderte Al. „Ich kann mich beherrschen.“ Al beeilte sich, den 17-Pfünder neu zu laden. Auf dem Vorkastell und Achterkastell brüllten jetzt die Drehbassen los und deckten- die Piraten mit neuem Feuer ein. Die Gegner heulten vor Wut. Auf der vordersten Schaluppe ging der Mast in die Brüche. Eine Spiere zersplitterte und durchbohrte mit ihrem einen Ende einen Mann. Der Mann ging
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über Bord. Der Mast und das daranhängende Zeug hingen nach Backbord über. Die Schaluppe krängte erheblich, war manövrierunfähig und wirkte jetzt wie eine flügellahme Ente. Sie hatte außerdem einen Einschuß unterhalb der Wasserlinie sitzen. Sie sank. Die Piraten feuerten ihre Musketen auf die „Isabella“ ab. Sie gaben nicht auf. Sie waren Hunde der Verdammnis, und in ihrer Verzweiflung entwickelten sie einen unglaublichen Widerstandswillen. Sie zeigten, daß sie bereit waren, bis zum Äußersten zu gehen. Während die erste Schaluppe immer mehr Wasser übernahm und querzuschlagen drohte, rückten die beiden anderen näher. Der Seewolf ließ die Halse vollenden, ging dann auf westlichen und gleich darauf mit halbem Wind auf südwestlichen Kurs, bis die Segel standen und die Galeone volle Fahrt lief. Auf Südwestkurs glitt die „Isabella“ dahin und präsentierte den Piraten ihre Steuerbordbreitseite. * Die beiden anderen Piratenschaluppen waren noch nicht nahe genug heran, um ihre Geschütze wirkungsvoll einsetzen zu können. Die „Isabella“ hingegen war eine schwimmende, feuerspeiende Festung, die von einem einzigartigen Kapitän und einer großartig aufeinander eingestellten Mannschaft uneinnehmbar gemacht wurde. Sie war ein Drachen, der dem Widersacher seinen Gift- und Feuerhauch entgegenspuckte. Die Reichweite der Stücke wurde voll ausgespielt: Die beiden noch unversehrten Piratenschaluppen fanden sich im dicksten Getümmel wieder, bevor ihre Besatzungen überhaupt zum Zug kamen. Das Blei flog ihnen nur so um die Ohren. Sie schrien Zeter und Mordio. Die zweite Schaluppe geriet in arge Bedrängnis, die dritte hingegen konnte sich durch geschicktes Manövrieren einem Treffer in die Bordwand entziehen. Eine 17-Pfünder-Kugel riß ihr lediglich ein
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Loch in die Fock, durch das ein Ochse seinen Schädel hätte stecken können. Al Conroy, Matt Davies, Smoky, Gary, Blacky und die anderen auf der Backbordseite der „Isabella“ hatten derweil genügend Zeit, ihre Geschütze nachzuladen. „Jetzt wartet mal ab“, sagte Al. „Wenn wir wieder am Zug sind, knallen wir den Piraten ein paar Überraschungen vor die Schnauze. Griechisches Feuer zum Beispiel. Oder das hier — he. Matt! Steck doch nicht die Kugel in den Lauf!“ „Was hast du denn da?“ fragte Matt zurück. „Eine Stabkugel mit Pulver drin. Wenn du die zu den Bastarden ‘rüberjubelst und ein bißchen Feuer drangerät - dann gute Nacht, Marie.“ Matt ließ sich das nicht zweimal erklären. Er griff vorsichtig nach der Stabkugel, die Al ihm entgegenhielt und ließ sie dann unter größter Behutsamkeit in das Eisenrohr seiner Culverine gleiten. Al zog jetzt alle Register: Er ließ sich vom Kutscher helfen, der mußte Kettenkugeln und Kastenkugeln über Deck schleppen und verteilen. Die Steuerbordbreitseite war abgeschossen und konnte jetzt ebenfalls mit Al Conroys „Überraschungen“ nachgeladen werden. Die „Isabella“ ging über Stag, fiel ab und präsentierte den Piraten wieder ihre Backbordseite. Sie schien Arroganz und Überlegenheit zu beweisen, die schmucke Lady. Beinahe war es, als manövriere sie sich selbst durch die See - ohne Pete Ballie am Kolderstock, ohne Carberrys Flüche und Befehle, die den einen Teil der Besatzung immer wieder an die Schoten und Brassen purrten. Der Seewolf hatte gewußt, warum er damals, als dieses Schiff noch „San Josefe“ geheißen und die spanische Flagge geführt hatte, so scharf darauf gewesen war. Sie war behäbig, fast zu schwerfällig, die stolze Lady. Mit den früheren Schiffen Philip Hasard Killigrews ließ sie sich überhaupt nicht vergleichen, was Wendigkeit und gute Am-WindEigenschaften betraf. Sie war ein dicker Raumschotsegler, aber ein überragend
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armierter! Und genau das brauchte Hasard. Unter den Ladeluken stapelten sich die in der Neuen Welt erbeuteten Reichtümer ein Schatz kaum vorstellbaren Ausmaßes, der alles bisher Dagewesene in den Schatten stellte. Unter den Karibik-Piraten hatte sich die Legende vom Seewolf und seinem immensen Schatz wie ein Lauffeuer verbreitet. Und Caligu hätte ihm das für England bestimmte Silber und Gold, die Juwelen und meisterhaft gearbeiteten Schmuckstücke sowie den sagenhaften goldenen Anker längst streitig gemacht, falls er, Hasard, ein weniger gut bestücktes Schiff unter den Füßen gehabt hätte. Bei ihrem neuen Manöver glitt die „Isabella V.“ nun in östlicher Richtung ab und gewann wieder etwas Abstand zu den Schaluppen. Gischtende Wasserfontänen türmten sich hinter ihr und vor ihrer Backbordseite auf. „Die Piraten schauen mal wieder in die Röhre!“ rief Al Conroy. Er rieb sich die Hände. „Aber wir nicht! Wir könnten ihnen noch auf eine halbe Meile Entfernung ein Ding verpassen, das sich gewaschen hat.“ „Quatsch nicht!“ sagte Matt Davies. „Feuer!“ brüllte der Profos vom Quarterdeck. Mit wahrem Donnergrollen brach es da aus den 17-Pfündern hervor. Rotgelbe Stichflammen leckten aus den Geschützrohren, stießen ihre Ladungen vor sich her und ließen beißenden Pulverqualm aus den Mündungen steigen. Der Qualm breitete sich in Schwaden über Deck aus. Al kriegte eine Ladung ab. Er hustete und rieb sich die Augen, dann lauschte er beinahe andächtig dem Heulen, mit dem sich die „Überraschungen“ ihren Weg zu den Schaluppen suchten. Eine Kettenkugel erwischte die Fallen der Großrah der zweiten Schaluppe, riß sie weg, brachte die Spiere ins Taumeln und ließ sie schließlich mit krachen auf das Deck schlagen. Der Seewolf und seihe Männer vernahmen dieses Geräusch deutlich. Und sie hörten auch das Schmerzgeschrei der Verletzten und das
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Wutgeheul, mit dem die Piraten die Attacke quittierten. Eine mit Pulver gefüllte Stabkugel mußte die erste Schaluppe getroffen haben. Sie war ohnehin schwer angeschlagen und hatte sich fast ganz auf die Seite gelegt. Als jetzt aber noch griechisches Feuer auf sie zuraste und auf ihr Deck niederging, als gleich darauf eine Stichflamme hochzuckte und danach eine zweite, größere Flamme himmelan stach, da wußte der Seewolf, was sich ereignet hatte. Es hatte eine Art Kettenreaktion gegeben. Das griechische Feuer hatte die Pulverladung der Stabkugel gezündet. Funken waren bis ins Munitionsdepot gesprüht und hatten es in die Luft gejagt. Jetzt riß es die Schaluppe ein Stück aus dem Wasser hoch, fetzte sie auseinander und verstreute die wirbelnden Trümmer in alle Himmelsrichtungen. Es waren nicht nur Holz- und Eisenteile, die da flogen. Es befanden sich auch menschliche Gliedmaßen darunter. Ein einziger, vielstimmiger Schrei, der sich unter den dumpfen Schlag der Explosion gemengt hatte, war jetzt verstummt. Wen es buchstäblich auseinanderriß, der konnte nicht mehr schreien. Stab- und Kettenkugeln, griechisches Feuer und Kastenkugeln — mit Musketenkugeln geladene Zinnbüchsen — deckten auch die zweite Schaluppe vollends ein und setzten ihr Deck und die Takelung in Brand. Im Nu war das Rigg vernichtet. Nichts hielt die Überlebenden des Massakers an Deck. Sie sprangen ins Wasser. Die blutigen Leichenteile in der See lockten die Haie an, doch es bestand immer noch die Chance, sich vor ihren Mäulern auf die Insel La Vache zu retten. Erste dreieckige Rückenflossen zeigten sich in der See. Sie glitten nicht sonderlich hastig auf die treibenden Menschenreste von der ersten Schaluppe zu. Sie fielen darüber her und gewährten dem kleinen Resthäufchen Piraten von der zweiten Schaluppe die Möglichkeit, schwimmend auf die Insel zu gelangen.
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Blacky nickte. „Falls sie es schaffen, die Hunde, können sie sich auf dem Eiland mit den verfluchten Sträflingen herumschlagen. Die Kerle von der dritten Schaluppe kümmern sich jedenfalls nicht um ihre Kameraden.“ Die dritte Schaluppe hatte sich durch zwei, drei Kreuzschläge gegen den Südostwind aus der Gefahrenzone gebracht und schlich sich jetzt an das Heck. der „Isabella“ heran. Ihre Besatzung wollte das Durcheinander ausnutzen. Und wirklich, die Crew der „Isabella“ wurde für eine Weile durch die grausigen Vorgänge drüben vor der Insel abgelenkt. „Aus dem Landgang wird nichts“, sagte Matt Davies bissig. „Seht doch.“ Die Zahl der Haie vergrößerte sich fast schwunghaft. Einige der blutrünstigen Mörder schwammen jetzt den Überlebenden von Floß und Piratenschaluppe nach — und plötzlich gellte ein fürchterlicher Schrei zur Galeone herüber. Dan O’Flynn oben in seinem Großmars schüttelte sich unwillkürlich. Er sah allzu genau durch den Kieker, was geschah. Einer der Schwimmenden war nach unten in die Fluten hinabgerissen worden. Dort, wo er eben noch zu sehen gewesen war, färbte sich das Wasser dunkel. Neben einem anderen Mann klaffte plötzlich ein mit spitzen Zähnen bewehrtes Maul auf. Dan verfolgte, wie dem schreienden Mann der Arm abgebissen wurde, und wie sich der Hai dann regelrecht über ihm auszustülpen schien. „Mein Gott“, murmelte Dan O’Flynn. Arwenack, der Schimpansen junge, hockte neben ihm auf der Segeltuchverkleidung des Großmarses und hielt sich mit beiden Händen die Augen zu. Philip Hasard Killigrew stand unterdessen mit leicht abgewinkelten Beinen auf dem Achterdeck hinter seiner Drehbasse. „Ben“, sagte er. „Wir begehen einen Riesenfehler, wenn wir die Kerle der dritten Schaluppe unterschätzen. Die stecken nicht auf. Die wollen sich anpirschen und uns übertölpeln. Himmel
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und Hölle, Bootsmann Brighton, reiß die Augen auf!“ „Aye, aye, Sir!“ Sie richteten ihre Geschütze auf die schlanke Silhouette der Schaluppe. Hasard justierte die Waffe in der drehbaren Gabellafette immer wieder neu. Er folgte der beständigen Auf- und Abbewegung des Feindschiffes in den Wogen, fand schließlich die Zielposition und stellte seine Waffe fest. „Klar bei Kartuschen!“ rief der Seewolf. „Aye, aye, Sir!“ Ben Brighton und die anderen vier Geschützführer auf dem Achterdeck, darunter Karl von Hutten und Jean Ribault, feuerten ihre Drehbassen fast zur selben Zeit. mit dem Seewolf ab. Ohrenbetäubender Lärm erfüllte das Achterdeck der „Isabella“ und stieg an dem Segel des Besanmastes auf. Die Kugeln hagelten auf die Schaluppe zu, und der Seewolf beobachtete scharf, was geschah. Seine Kugel riß dem Feindschiff ein Stück vom Bugspriet weg, als es gerade den Bug hochreckte. Hasard fluchte, denn seine Kugel strich haarscharf an der Fock und am Mast vorbei und verschwand irgendwo nutzlos in den Fluten. Die übrigen Geschosse räumten ein paar Piraten von Deck ab, richteten aber auch nichts Entscheidendes aus. Vielleicht lag es daran, daß Hasard und seine Männer beim Zielen von der Sonne geblendet wurden, vielleicht handelte es sich auch nur um einen dummen Zufall. Jedenfalls hielt die Schaluppe weiterhin mit ungebremster Fahrt auf sie zu. Hasard erkannte: ihm blieb weder die Zeit, die Drehbassen nachzuladen, noch die Galeone herumzunehmen und eine der Breitseiten auf die Freibeuter abzufeuern. Es war zu spät. Die Schaluppe schob sich heran. Sie war ein gestochen scharfer Schattenriß vor dem Morgenhimmel, schnell und wendig. Im Verhältnis zur „Isabella“ nahm sie sich geradezu lächerlich klein aus. Doch es waren nicht mehr die Proportionen, die den Verlauf der Dinge bestimmten. Es war die Hurtigkeit. Die Schaluppe hatte das Feuer unterlaufen
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und verbuchte einen entscheidenden Trumpf für sich. „Sie entern!“ rief der Seewolf. 2. Die Schaluppe näherte sich gespenstisch schnell dem Heck der „Isabella“, strich sehr nahe an der prunkvoll verzierten Galerie vorbei und ging längsseits. Die Piraten hatten die Backbordseite als für ihr Manöver ideal ausersehen - und jetzt flogen die Enterhaken. Sie wirbelten zwischen dem steil aufragenden Mast der Schaluppe und der Bordwand der Galeone fast bis zum Schanzkleid hoch. Einige kehrten nach unten zurück, andere aber krallten sich mit spitzen Eisendornen an den Berghölzern und anderen Vorsprüngen im Schiffsrumpf fest. Ein Johlen brandete von Bord des Piratenschiffes zu Hasard und seinen Männern hoch. Die Schaluppe klebte wie ein Egel am Leib der Galeone. Die Piraten brüllten, heulten, fluchten und enterten katzengewandt auf. Die Männer des Seewolfes hatten sich auf Achterdeck und Quarterdeck versammelt und standen mit Musketen, Pistolen, Hiebund Stichwaffen bereit, die Piraten gebührend zu empfangen. Batuti nahm einen Pfeil aus dem Köcher und spannte seinen Bogen. Auch Dan O’Flynn hatte seinen luftigen Posten verlassen. Und sogar Arwenack turnte auf Rüsten und Webeleinen der Besanwanten herum und hielt ein paar Kokosnußschalen bereit. Hasard beugte sich blitzschnell nach außenbords, legte auf einen der Piraten an und drückte ab. Seine zweischüssige sächsische Reiterpistole blaffte los und zerhieb einem der Angreifer das Gesicht. Die Piraten schrien vor Wut. Hasard betätigte den zweiten Abzug. Das Radschloß lief schnurrend ab. Der zwischen die Hahnlippen gespannte Schwefelkies rieb sich an dem gezahnten Rädchen, versprühte Funken und zündete die Ladung. Wieder traf der Seewolf, wieder schlug sich ein Gegner die Hände
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gegen das blutige Gesicht, ließ seinen Halt los und kippte nach unten weg. Die Piraten schossen zurück. Der Seewolf zog den Kopf ein. Doch jetzt traten seine Männer in Aktion. Musketenund Pistolenläufe schoben sich über das Schanzkleid und überschütteten die Feinde mit Kugeln, gehacktem Blei und Eisen. Der Aufruhr unter den Piraten war groß, aber dennoch ließen sie sich nicht vollends in die Flucht schlagen. Tote und Schwerverletzte stürzten in die Fluten oder prallten hart auf das Deck der Schaluppe zurück. Aber es gelang einigen, das Schanzkleid der „Isabella“ zu erklimmen. Arwenack sah einen Kerl, wie er sich an den Webeleinen des Besanmastes aufrichtete: Er feuerte eine halbe Kokosnußschale auf ihn ab. Das Geschoß saß. Es gab einen hohlen Laut, und der Kerl taumelte. Batuti ließ seinen Pfeil von der Bogensehne surren. Der Pfeil bohrte sich in die Brust des Gegner. Röchelnd taumelte der Mann zurück, verlor das Gleichgewicht und stürzte in die Tiefe. Er nahm dabei fast einen seiner Kumpane mit. Doch nun war der Rest der Bande heran. Unter Kampfgebrüll kletterte er über Berghölzer und Schanzkleid, sprang an Deck und warf sich der Crew des Seewolfs entgegen. Die Klingen von Degen, Entermessern, Schiffshauern und Dolchen blitzten. Ein Bursche mit rotem Kopftuch, der noch eine zweite Pistole im Gurt trug, feuerte seine Steinschloßwaffe auf Ben Brighton ab. Ben warf sich geistesgegenwärtig zur Seite. Karl von Hutten drückte seine Muskete auf den Piraten ab. Die Distanz war gering, und der Angreifer wälzte sich plötzlich als blutüberströmtes Bündel auf dem Achterdeck. Hasard schlug einem Piraten die leergeschossene Pistole aus der Faust. Der Kerl hatte sie als Wurfgeschoß benutzen wollen. Jetzt zückte er seinen breitklingigen Schiffshauer. Hasard konterte mit dem Degen. Im Nu entstand ein erbitterter Zweikampf.
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Der Mann mit dem Schiffshauer hatte ein schmales Gesicht mit rötlichbrauner Haut. Der Blick seiner Augen war stechend. Unter seinem sichelförmig nach unten gezwirbelten Schnurrbart zeichneten sich dünne, grausame Lippen ab. Er trug ein am Bund zusammengeknotetes Hemd und eine halb zerfetzte Hose, weiter nichts. Sein dichter Haarschopf wurde vom Wind zerzaust. Er brüllte den anderen Piraten Befehle zu — auf französisch. Hasard verstand kaum ein Wort. Aber er wußte jetzt, daß dieser schnauzbärtige Bursche der Anführer der Schaluppenbesatzung war. Zu spät erkannten die letzten Piraten, auf was für ein Satansschiff sie geraten waren. Gewiß, sie hatten es weitergebracht als ihre Kumpane von den beiden anderen Schaluppen. Sie hatten geentert. Aber ihr Wunsch, sich wie die Furien über Deck zu arbeiten und Leichen zu säen, erfüllte sich nicht. Plötzlich sahen sich die Piraten einer total entfesselten, vernichtend auf sie eindreschenden Schar verwegenster Gestalten gegenüber. Da waren zwei Männer mit Hakenprothesen — Matt Davies und Jeff Bowie. Matt trug seinen Eisenhaken an Stelle der rechten Hand. Bei Jeff ersetzte der.. scharf geschliffene Armersatz die linke Hand, aber er konnte inzwischen genauso gut damit kämpfen wie Matt. Die Haken pfiffen wie Sicheln durch die Luft und fanden reichlich Widerstand. Matt hieb einem Piraten, der ihm seinen Säbel in den Leib rammen wollte, den Haken in den Mund, riß ihn an sich vorüber und ließ ihn mit dem Kopf gegen den Besanmast knallen. Jeff spaltete einem Feind den Schädel, wie man einen Holzklotz in zwei Hälften zerlegt. Die Piraten schrien auf, als Batuti mitten unter sie sprang und die Zähne fletschte. Er rollte mit den Augen, stieß die wüstesten Laute aus und schoß einem Kerl aus nächster Nähe einen Pfeil in die Brust. Arwenack sprang einem Mann mit nacktem Oberkörper mitten ins Gesicht, hieb kreischend und zeternd auf ihn ein
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und traf Anstalten, ihn regelrecht zu skalpieren. Und dann all die anderen Männer, und ihnen voran jener schwarzhaarige, degenschwingende Teufel mit den eisblauen Augen! Die Piraten begriffen, welch entsetzlichen Fehler sie begangen hatten. Sie hatten die Crew im Nahkampf gründlich unterschätzt. Jetzt wurde ihnen die Rechnung präsentiert. Einige wollten flüchten, andere kapitulieren. Aber es war zu spät, Kompromisse einzugehen. Philip Hasard Killigrews Männer hatten die Karibik satt bis obenhin. Ihre aufgestaute Wut entlud sich in diesem Kampf. Und der Seewolf hielt sie nicht zurück. Dieses Mal gab es keine Gefangenen. Schon oft hatte ihm das nichts als Verdruß eingebracht, zuletzt mit den Sträflingen von der gestrandeten Galeone. Und Panfilo de Retortilla? Hatte jener Sklavenaufseher und Schinder, den er vor dem sicheren Tod gerettet hatte, nicht beinahe ein paar Männer seiner Crew umgebracht? Und Caligu? Warum hatte er jenen Hundesohn nicht gleich, vor der Küste von Grand Cayman, aus dem Weg geräumt? Er hatte sich darauf beschränkt, dessen beide Schiffe zu versenken - und hatte Lehrgeld bezahlt. Caligu hatte ihn gejagt, hatte die Tortuga-Piraten zusammengerottet und ihm die Schlacht in der Windward-Passage geliefert. Bittere Erfahrungen, für die der schnauzbärtige Piratenführer in diesem Augenblick mitbezahlen mußte. Hasard täuschte ihn durch ein paar Finten und lockte ihn zu sich heran. Er ging ein paarmal zurück, ließ ihn dann auflaufen und führte eine glänzende Parade. Unter seinen Degenhieben zerbrach die Verteidigung des Todfeindes. Die Klingen prallten klirrend zusammen und drohten sich zu verhaken. Hasard vollführte eine blitzschnelle Bewegung, und der Schiffshauer des Piratenanführers flog zur Seite. Arwenack hob ihn auf und trug ihn keckernd davon. Hasard zögerte nicht.
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Er stach dem Piraten ins Herz, zog die Klinge rasch wieder heraus und sah zu, wie der Mann in die Knie sank. Seine Lippen öffneten sich, als wollte er noch etwas sagen. Stattdessen brach ein Schwall Blut über seine Lippen. Er kippte vornüber und blieb bäuchlings auf den Planken liegen. Der Seewolf blickte sich um. Stille war eingetreten. Seine Männer standen inmitten des blutigen Durcheinanders. Schwer atmend richteten sie sich über Leichen auf, grinsten sich plötzlich zu, klopften sich auf die Schultern. Einige hatten Schnitt- oder Prellwunden oder andere kleine Blessuren davongetragen. Aber niemand war ernsthaft verletzt. „Kutscher“, sagte Hasard. „Du versorgst die Verwundeten. Zum Auswaschen und Reinigen der Kratzer nimmst du puren Rum. Den kann man sowohl von außen als auch von innen anwenden, verstanden?“ „Aye, aye, Sir.“ Der Kutscher lachte, und die anderen fielen ein. Hasard enterte mit Ben, Ferris und Karl von Hutten auf die Piratenschaluppe ab. Ringsum schien die See zu kochen. Grauweiße Leiber hoben sich aus den Fluten hervor, tummelten sich, hielten furchtbare Mahlzeit. Selbst die Haie spielen verrückt, dachte der Seewolf. Er bemerkte mit einem Seitenblick, daß Karl von Hutten ein wenig blaß geworden war. „Über uns können sich die verdammten Haie nicht beklagen“, sagte Ferris Tucker. „Wir liefern ihnen genügend Nahrung. Hoffentlich erinnern sie sich daran, wenn mal wieder einer von uns ins Wasser fällt.“ „Du bist ein Witzbold“, sagte von Hutten. Sie durchsuchten die Schaluppe. Hasard machte sich keine großen Hoffnungen, Gold, Silber oder anderes wertvolles Gut zu finden. Und so war es auch: Die Piraten hatten keinerlei Beute an Bord mitgeführt. Nur Waffen und Munition ließen sich sicherstellen. Nachdem Hasard den Fund nach oben hatte mannen lassen, gab er Ferris einen Wink. Der rothaarige Riese wußte sofort Bescheid. Er nickte nur knapp. Es bedurfte da keiner großen Worte, schließlich hatte
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er schon bei anderen, ähnlichen Gelegenheiten seine Kenntnisse als Schiffszimmermann angewandt. Die Schaluppe hatte keinen Nutzen für sie, sie konnte versenkt werden. Ferris Tucker bohrte ihren Boden an, danach ging er als letzter von Bord. Wasser trat gurgelnd durch die Bohrlöcher und füllte den Innenraum der Schaluppe. Der Seewolf war auf das Achterdeck der „Isabella V.“ zurückgekehrt. Gerade warfen die Männer die letzten Leichen außenbords. Hasards Blick suchte die mächtige Gestalt Edwin Carberrys und fand sie auf dem Quarterdeck. „Profos! Ich will, daß die Decks blitzblank gescheuert werden. Teil ein paar Männer zum Aufklaren ein.“ „Aye, aye, Sir!“ „Ben!“ „Sir?“ „Wir gehen wieder auf Ostkurs und segeln weiter an der Küste Hispaniolas entlang.“ Hasard stand am Backbordschanzkleid des Achterdecks, als die Crew die Segel wieder setzte. Der Wind hatte etwas gedreht und fiel jetzt von Süden ein. Die Segel der „Isabella“ mußten getrimmt werden, sie segelte über Backbordbug. Hasard warf einen prüfenden Blick in die Takelage, hatte nichts zu beanstanden und drehte sich nach achtern. Das Seewasser hatte inzwischen bereits die Reling der Schaluppe erreicht, überspülte sie und ließ die letzten Konturen des Schiffsrumpfes in den Fluten versinken. Zuletzt ragte nur noch der Mast mit dem Großsegel und der durchlöcherten Fock auf. Er war der letzte Zeuge der kurzen, furiosen Schlacht. Wie ein Mahnmal schien er weitere Angreifer davor warnen zu wollen, sich auf die Fährte des Seewolfes zu setzen und ihm seine Beute abjagen zu wollen. Hasard wandte sich um. Er stieg über den Niedergang auf das Quarterdeck und dann auf die Kuhl hinunter, um nach den Verletzten zu schauen. Der Kutscher betätigte sich fleißig als Feldscher. Und weisungsgemäß benutzte er den Raum nicht nur zum Reinigen der Wunden,
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sondern auch zur „Innenbehandlung“. Eine Flasche war bereits geleert worden, eine zweite machte die Runde unter den Männern. Sie hatten die Sonderration verdient. 3. Am 14. Oktober 1579 umsegelte die „Isabella“ die mittlere Südspitze der Insel Hispaniola, Cap Beata. Der Wind pendelte zwischen Süd und Südost, so daß die Galeone über Backbordbug liegend nach wie vor den Ostkurs gut halten konnte. Philip Hasard Killigrews Ziel war die Mona-Passage zwischen Hispaniola und Puerto Rico. Von dort aus wollte er in den Atlantik vorstoßen und die Reise von Kontinent zu Kontinent antreten. Er hoffte, dies nunmehr ohne Verzögerung tun zu können. Schon längst hatte er auf dem Atlantik sein wollen, denn er brannte darauf, seinen Schatz Ihrer Majestät Elizabeth I., der „königlichen Lissy“, zu überbringen. Es war Mittag. Blauer Himmel, nur gelegentlich von treibenden Wolkenfetzen durchsetzt, spannte sich über der Karibik. Die Sonne strahlte mit ungehemmter Kraft auf die Decks der Galeone nieder, und die meisten Männer versahen ihren Dienst mit nacktem Oberkörper. Die Stimmung an Bord war gut – seit der Auseinandersetzung vor der Insel La Vache hatten die Männer keine Piraten mehr gesehen. Piet Straaten, der strohblonde Holländer, hatte zu diesem Zeitpunkt den Ausguck im Hauptmars übernommen. Die Verlockung, ein Nickerchen zu halten, war groß. An der Kimm war rundum nichts, aber auch gar nichts zu entdecken. Der Seegang war ruhig, unten an Bord herrschte Stille. Das Knarren der Blocke und Rahen, das Schmatzen des Wassers an den Bordwänden waren eine Begleitmusik, die einen Mann regelrecht einlullen konnte. Aber Piet riß sich zusammen. Nur zu genau konnte er sich nach daran erinnern, was Patrick O’Driscoll, den irischen Dickschädel, eine derartige
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Nachlässigkeit gekostet hatte. Er hatte auf Wache an Land geschlafen - und glatt die Zweimast-Karavelle von Caligu, dem Piraten, übersehen. Sie war an ihnen vorbeigezogen. Das war vor Cayman Grae gewesen. Hätte Valdez sie nicht vor Caligu gewarnt, wären die Piraten in einem Überraschungsangriff über den Seewolf und seine Crew hergefallen und hätten wahrscheinlich gesiegt. Hasard hatte O’Driscolls Vergehen geahndet. Der Ire hatte die neunschwänzige Katze zu spüren gekriegt. Daraufhin hatte er Valdez zu töten versucht und war zu Caligu übergelaufen. Und etwas später hatte O’Driscoll seinen unverzeihlichen Fehler mit dem Tod büßen müssen. Piet hielt sich all das vor Augen. Mit aller Macht zwang er sich dazu, ja nicht einzupennen. Als Arwenack, der gewöhnlich auch Dan O’Flynn Gesellschaft leistet, schließlich zu ihm in den Großmars kletterte, hatte er Gesellschaft und Abwechslung. Arwenack keckerte, kratzte sich unter den Armen, fletschte die Zähne, turnte auf der Verkleidung herum - kurzum, er stellte seine üblichen Späße an. Piet Straaten hatte richtig den Eindruck, Arwenack wolle ihm etwas erzählen. Sie verstanden sich beide nicht, amüsierten sich aber prächtig einer über den anderen. Gleichzeitig achtete der Holländer darauf, die Kimm im Auge zu behalten. Arwenack riß erstaunt und neugierig die Augen auf, als Piet sich plötzlich aufrichtete. „Da drüben“, sagte Piet. „In südöstlicher bis südlicher Richtung, da treibt was, Arwenack.“ Der Schimpansenjunge drehte sich um und hielt angestrengt Ausschau. Weil er nichts erkennen konnte, kratzte er sich verzweifelt am Hinterkopf. Piet spähte unterdessen durch den Kieker, war plötzlich alarmiert und beugte sich über die Segeltuchverkleidung. „Deck!“ rief er. „Treibendes Beiboot Steuerbord voraus! He, ho, sitzt ihr auf euren Ohren?“
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„Nein!“ Unten an der Five-Rail des Achterdecks stand Edwin Carberry. und hielt die Fäuste in die Seiten gestemmt. „Du Segler auf dem Nachttopf!“ brüllte er. „Was ist denn an einem treibenden Beiboot Besonderes dran?“ „Es liegt ein Mann drin!“ „Dann drück dich nächstes Mal genauer aus“, polterte der Profos. Hasard war neben ihn getreten. Ben Brighton stieg über den Niedergang zwischen Quarterdeck und Achterdeck herauf. Die Mannschaft spitzte die Ohren und wartete Befehle ab. „Ben, Ed, Pete“, sagte Hasard. „Wir luven an, gehen in den Wind und nehmen Fahrt aus dem Schiff.“ Er hob sein Spektiv ans Auge und fing die Umrisse des treibenden Bootes mit dem Okular ein. „Wenn wir nahe genug heran sind, setzen wir in Lee ein Beiboot aus.“ Wenig später wurde das Beiboot der „Isabella“ abgefiert. Carberry stieg hinunter und setzte sich auf die Achterducht. Als Rudergasten wurden Smoky, Gary, Stenmark, Al, Sam Roskill und Buck Buchanan eingeteilt. Sie pullten das Boot zu dem fremden Gefährt hinüber. Das Boot schaukelte auf den Wellen. Carberry lugte höchst argwöhnisch hinüber. „Sieht harmlos aus. Aber der Schein kann trügen. Vielleicht ist es ein Trick.“ „Ein Trick ?“ Stenmark lachte. „Ich glaube nicht, daß die Piraten auf eine so blöde Idee verfallen. Was sollte denn ein einzelner Kerl gegen uns ausrichten?“ Carberry richtete sich von der Achterducht auf und versuchte, etwas von dem in dem treibenden Boot liegenden Mann zu erkennen. „Möglich, daß es kein Pirat, sondern ein Spanier ist.“ „Was sollte der wohl gegen uns ausrichten?“ fragte Stenmark. „Himmel, Arsch, du kapierst das nicht“, gab der Profos barsch zurück. „Aber das eine schwöre ich euch, Leute, ich weigere mich entschieden, wieder irgend so ein Rübenschwein an Bord zu nehmen, das uns nachher ins Nest scheißt - wie Panfilo de Retortilla, dieser Sohn einer triefäugigen
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Ziege. Wenn der Kerl ein Spion, Intrigant oder Verräter ist, knall ich ihn höchstpersönlich ab.“ „Gegen den Befehl von Hasard?“ sagte Smoky. „Nein, natürlich nicht, du Kanalratte. He, Männer, Riemen ein, wir sind fast dran an der Nußschale.“ Nachdem sie längsseits gegangen waren, beugte sich Carberry zu dem fremden Boot hinüber und inspizierte - immer noch mißtrauisch - den zwischen den Duchten liegenden Mann. „Bewußtlos“, sagte er. Er kratzte sich am Kinn. Das klang, als wandere eine ganze Kolonie Schaben über eine ausgerollte Seekarte. „He, Männer, seht euch mal das rechte Bein von dem Kerl an.“ Al Conroy kniff die Augen. zusammen. „Das ist kein Bein, Ed. Das ist eine Prothese.“ „So eine, wie Matt und Jeff sie tragen?“ „So ähnlich. Das Ding ist aus Holz, und der Teufel soll mich holen, wenn er damit richtig laufen kann.“ „Kann er nicht“, sagte Smoky. „Er braucht ein Paar Krücken dafür. Ich freß meinen Hut, wenn es nicht so ist. Ob das wirklich ein Don ist?“ „Warte mal“, sagte Sam Roskill. „Er ist alt und sieht richtig verwittert aus mit seinen weißen, silbrigen Haaren. Armer Teufel. Profos, ob der auch wirklich nur bewußtlos ist?“ „Wie meinst du das?“ „Vielleicht ist er tot?“ Carberry fluchte, enterte auf das Boot über und untersuchte den alten Mann flüchtig. „Das Herz schlägt, verdammt noch mal. Bei einem Toten marschiert die Pumpe nicht mehr, oder? Also willig jetzt, ihr Affenärsche, ich hieve ihn zu euch ‘rüber und ihr nehmt ihn in Empfang. Ich will hier keine Ewigkeit verweilen, kapiert, was, wie?“ „Aye, aye“, sagte Smoky. In dem fremden Beiboot befand sich außer dem Besinnungslosen nichts. Nicht einmal die Riemen. Carberry ließ es treiben, nachdem er den alten Mann an die Kameraden weitergereicht hatte und selbst
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wieder auf das Boot der „Isabella“ übergewechselt war. Zügig pullten sie zu ihrem Schiff zurück. Der Bewußtlose wurde in Lee übernommen. Die Bootsmannschaft enterte dann auch über eine Jakobsleiter auf und zog das Beiboot wieder über Taljen hoch. Der alte Mann war noch nicht richtig auf Deck gelegt worden, da -tauchte Dan O’Flynn auf. Er hatte Freiwache gehabt, war aber - wie üblich - durch Geräusche auf Deck geweckt worden und hatte seine Neugierde nicht zähmen können. Jetzt trat er neben die Kuhlgräting. Er wirkte noch ein bißchen verschlafen und benommen. Aber als er den alten Mann genauer in Augenschein nahm, schien ihn der Schlag zu treffen. „Mensch — Mann o Mann — Himmel, Arsch und Zwirn — ich glaub, ich drehe durch ...“ Die Crew sah ihn verdutzt an. Batuti, der einen besonderen Narren an dem Jungen gefressen hatte, stürzte sofort auf ihn zu und legte ihm die Pranken auf die Schultern. „Kleines O’Flynn, ganz ruhig sein. Batuti bei dir ...“ „Großer Gott. ich brauche keinen Beistand — aber Jesus, ich bin total verrückt!“ Tatsächlich, er war im Gesicht weiß wie Ziegenkäse, und seine Augen hatten sich geweitet, als wollten sie aus den Höhlen quellen. Es konnte einem angst und bange werden bei seinem Anblick. Außerdem mußte allein die Tatsache, daß er plötzlich den lieben Gott und Jesus anrief, Verwirrung hervorrufen. Nicht im gewaltigsten Sturm, nicht im dicksten Kampfgetümmel — niemals hatte Dan O’Flynn so belämmert und hilflos dagestanden, denn trotz seiner achtzehn Jahre mangelte es ihm nicht an Mut. Tatkraft und Draufgängertum. Was war los? Dan fiel auf die Knie. Batuti hatte plötzlich die glorreiche Idee, ihm einfach eine Ohrfeige zu verabreichen. Es klatschte. Dan hockte plötzlich auf der Kuhlgräting, schüttelte sich und prustete wie ein Seehund. Alle dachten, Dan würde vor
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Wut auf die Palme gehen, wie es seinem Charakter entsprach. Aber er sagte nur: „Danke, Batuti!“ Jetzt war auch der Seewolf zur Stelle. Er beugte sich über den bewußtlosen Mann, fuhr zusammen und zeigte auch offene Bestürzung. Er drehte sich zu den Männern um. „Ja, erkennt ihr ihn denn wirklich nicht? Pete!“ Pete Ballie, der Rudergänger, konnte seinen Platz am Kolderstock nicht verlassen. Er richtete sich bloß auf und spähte auf die Kuhl hinunter. „Gary, lös ihn ab’’, sagte Hasard. „Pete, komm her und sieh dir diesen Mann genau an.“ Er wartete, bis Gary Andrews nach achtern geflitzt war und das Ruder übernommen hatte, wartete, daß Pete neben ihn trat und fuhr fort: „Erinnerst du dich daran, wie wir die ‚Isabella von Kastilien’ von Plymouth nach Falmouth gesegelt haben, damals, vor drei Jahren, um sie vor Thomas Doughty und den spanischen Agenten in Sicherheit zu bringen? Als wir an der Pier vertäuten, wer spazierte da über die Gangway und versuchte, uns die Hölle heißzumachen?“ „Na, Sir John Killigrew, oder? Ich packte ihn auf deinen Befehl hin und beförderte ihn über die Gangway zurück an Land, nachdem auch Doughty, dieser falsche Hund, sich zurückgezogen hatte.“ „Und wer rückte dann an?“ „Himmel“, sagte Pete. „Mir fällt’s wie Schuppen von den Augen!“ rief Smoky plötzlich. „So was gibt es nicht“, stieß Ben Brighton hervor. „Kleines O’Flynn“, ächzte Batuti. „Batuti begriffen. Oh, damals in Falmouth, alter weißer Mann, hart wie Granitfelsen und mit zwei Dingsbums ...“ „... mit zwei Krücken“, sagte Ferris Tucker verdattert. Sie umstanden den bewußtlosen alten Mann und starrten ihn an wie das elfte Weltwunder. „Ja“, sagte Dan erschüttert. „Es ist mein Alter — Donegal Daniel O’Flynn!“
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Batuti stand neben Dan, besorgt, unschlüssig, ein Koloß aus Muskelkraft und Rührseligkeit. Dan rutschte auf der Gräting herum. Er schlug mit den Fäusten auf das hölzerne Gitterwerk und erweckte immer noch den Anschein, als würde er jeden Augenblick aus den Nähten platzen. „Kleines O’Flynn“, sagte Batuti. „Ich dir noch eine scheuern?“ „Kleines O’Flynn“, blaffte Dan. „Ich bim nicht klein, verflucht und zugenäht.“ „Dan, komm zu dir“, sagte Smoky. „Haut ab!“ schrie der Junge. „Laßt mich in Ruhe. Mann, mir ist zum Heulen zumute. Der Alte — hier, Tausende von Meilen von zu Hause weg, mitten in der Karibik zwischen Haien und Piraten und gottverdammten Dons! Mann, O’Flynn, konntest du nicht in Falmouth bleiben, wo du mich früher mit deinem verdammten Holzbein verdroschen hast, wenn du so richtig in Fahrt warst?“ Er glitt von der Gräting und stolperte auf den liegenden alten Mann zu. Der war trotz des Lärms und Aufruhrs an Bord der „Isabella“ immer noch nicht wieder zu sich gekommen. „Was hat dich bloß hierher verschlagen?“ rief Dan O’Flynn. „Ich kann’s immer noch nicht fassen. So ein Zufall — das kann doch nicht wahr sein!“ Arwenack war vom Hauptmars abgeentert und saß jetzt auf Batutis Schulter. Gerne hätte er wohl auf seine Art versucht, Dan zur Ruhe zu bringen, aber selbst er begriff, daß es nicht der passende Moment war, dem Jungen nahezutreten. Philip Hasard Killigrew war da der einzige, der sich Gehör verschaffen konnte. Er legte Dan die Hand auf die Schulter. „Jetzt hol mal tief Luft, Seemann, und zähl bis zehn. Das hilft.“ Dan japste. „Ich könnte heulen, Hasard.“ „Vor Wut?“ „Schnallt dem Alten das Holzbein ab, sonst drischt er mir damit auf dem Rücken herum!“ „Dan! Brauchst du nur eine Dusche oder bist du wirklich übergeschnappt?“
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Dan sah seinen Kapitän an, und sein Blick wurde flehend. „Mann, Hasard, begreifst du mich denn nicht? Ich versuche doch nur, was zu überspielen. Ich hab keinen Haß auf den Alten. Ich doch nicht! Du kennst mich, Hasard, es ist alles bloß hohles Zeug, was ich immer so über ihn hergeredet habe.“ Unversehens wandte er sich ab, lief auf den alten Mann zu und breitete die Arme aus. Es sah dramatisch, aber nicht übertrieben aus. Dan befand sich auf dem Gipfelpunkt seiner Verzweiflung. „Seht ihn euch an! Er ist gezeichnet! Mehr tot als lebendig. Himmel, er könnte schon vor ein paar Wochen gestorben sein, wenn ich in mir so betrachte!“ „Ich habe an seiner Brust gehorcht“, sagte Carberry.. „Du brauchst dich nicht so aufzuregen, Junge. Wir stellen ihn schon wieder auf die Beine, deinen Alten.“ Dan wandte ruckartig den Kopf. „Kutscher, he, Kutscher!“ Der trat vor. Er hatte die Kombüse mitten in den Vorbereitungen für die Mittagsmahlzeit verlassen. Das Kombüsenschott stand offen, das Holzkohlefeuer wurde schwach und schwächer und drohte ganz auszugehen. Der Kutscher schaute ziemlich verdattert auf den alten Mann. „Verdammt, bist du hier der Doc an Bord oder nicht?“ schrie Dan. „Mein Alter stirbt, kapierst du das nicht? Er hat seit Tagen nichts im Bauch gehabt, das sieht doch ein Blinder. Er ist total ausgelaugt, und verhungert und verdurstet, wenn du nicht sofort was unternimmst. Kutscher, ich bring dich um, wenn du nichts tust!“ Der Kutscher fand seine Fassung wieder. „Einen Ohnmächtigen kann man nicht mit heißer Suppe aufwecken. Erstmal muß er zu sich kommen. Und da er nicht auf der Kuhl liegenbleiben soll, schlage ich vor, daß wir ihn zuerst mal in eine Kammer tragen, ihn warm zudecken und ihm ein paar heiße Umschläge machen. So was hilft.“ „Auf was wartest du noch?“ brüllte Dan. „Was glotzt ihr mich alle so an? Los, helft mir doch!“ Er hob seinen Erzeuger auf und hätte ihn allein in Richtung Achterdeck
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geschleppt, wenn Batuti und Smoky nicht sofort mit zugepackt hätten. Der Profos kratzte sich wieder am Kinn — ein Zeichen von Verlegenheit. „Himmel, Arsch und Zwirn, der ist wirklich völlig aus dem Häuschen. Dabei glaube ich, daß wir seinen Alten ganz bestimmt durchbringen. Scheint ein harter Brocken zu sein, und Unkraut vergeht schließlich nicht, was, wie?“ Der Kutscher war Dan, Batuti und Smoky nachgelaufen, um dafür zu sorgen, daß Donegal Daniel O’Flynn auch ordnungsgemäß in einer Kammer des Achterkastells untergebracht wurde. Er konnte Carberry also keine Antwort geben. Da war nur die Crew mit ihren bedrückten Mienen, und unter den Männern Jean Ribault, der sich als einziger zu einer Gegenäußerung bereitfand: „Tja, ich weiß nicht, Ed ...“ Da lief Carberry dunkelrot im Gesicht an und brachte seine Stimme wieder auf das übliche Kommandovolumen. „Was heißt hier, ich weiß nicht, was, wie? Teufelsbraten und Hurensöhne, gesengte Säue und miese Kakerlaken, würdet ihr das Dan vielleicht gönnen — daß sein Alter ins Gras beißt?“ „Davon spricht doch keiner“, sagte Jean. „Was unkst du dann, du französischer Hugenottenprinz, der von seiner Urgroßmutter im Linksgalopp ...“ „Hör auf“, unterbrach Ben Brighton den Profos. „Wir kennen die Leier. Durch dein Gebrüll machst du den alten O’Flynn auch nicht wieder putzmunter, Ed. Es kommt jetzt ganz auf die Künste des Kutschers an.“ „Diesen Kombüsenhengst bringe ich auf Trab, wenn er kein Wunder vollbringt!“ Carberry war selbst überrascht, wie temperamentvoll er hier Partei für den alten O’Flynn und dessen Wohlergehen ergriff. Er hatte den jungen Dan eben auch ins Herz geschlossen, obwohl er das offen niemals zugegeben hätte. Und es schnitt ihm tief in dieses unter einer rauhen Schale verborgene Herz, Dan so leiden zu sehen. „Eines steht fest“, sagte Hasard. „Dan kriegt noch einen echten Tobsuchtsanfall,
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wenn er so weitermacht. Ich gebe euch einen Rat. Das Beste ist, ihn vorläufig in Ruhe zu lassen. Dann kommt er am ehesten wieder zu sich. Nehmt es ihm nicht übel, wenn er euch an die Karre fährt. Stellt euch mal vor, wie euch zumute wäre, wenn ihr ein Mitglied eurer Familie aus heiterem Himmel halbtot aus der See fischen würdet.“ „Eines will mir nicht in den Kopf“, sagte Buck Buchanan, der stets etwas schwerer von Begriff war als die anderen. „Warum ist Dan so um seinen Alten besorgt, wenn er ihn doch auf den Tod nicht riechen kann?“ Carberry schnaubte unmutig. „Du eingepökelter Hering — natürlich liebt Dan seinen Vater über alles. Was sich liebt, das neckt sich auch, oder? Die beiden haben sich wahrscheinlich schon immer auf ihre ganz eigene Art geneckt.“ „Stimmt“, bestätigte Hasard. „Aber wenn sie sich angebrüllt haben, so war das immer noch etwas anderes als das, was sich zwischen meinem Alten und mir an Streit abgespielt hat, nicht wahr, Ben?“ „Glaube ich auch.“ Hasard fuhr sich mit den Händen durch die Haare und sagte: „Ihr kennt doch alle die Geschichte, wie der alte Donegal Daniel O’Flynn in der Irischen See bei John Killigrew gefahren ist, oder?“ „Ich nicht”, erklärte Jean. „Wir ehemaligen Karibik-Piraten haben sie noch nicht vernommen.“ „Ach, wirklich? Also, bei einem Gefecht mit einer schwedischen Kogge fehlte dem alten O’Flynn plötzlich ein Bein. Sir John bestellte ihm beim Sargtischler von Falmouth ein neues. Und mit dem vertrackten Holzbein verpaßte er dem Dreikäsehoch Dan jeden Tag einen Tritt in den Hintern, egal, was anlag. Schließlich sollte Dan bei dem Sargtischler in die Lehre gehen. Da büchste er aus und fiel der Preßgang der ,Marygold’ in die Hände, die sich gerade mit mir vor der ,Bloody Mary’ von Nathaniel Plymson herumschlug - na, und über den Rest wißt ihr ja bestimmt alle Bescheid.“
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„Ja“, erwiderte Jean. „Im übrigen müßt ihr alle zugeben, daß unser Dan ein außergewöhnlicher Junge ist. Er ist nicht nur gewieft, er hat auch Gefühl. Man könnte ihn für etwas oberflächlich halten, aber das ist er nicht.“ „Richtig“, sagte der Profos. „Und wer das Gegenteil behauptet, dem hau ich die Schnauze ein. Sehen wir jetzt nach, was mit dem alten O’Flynn ist? Er darf nicht abkratzen. Väter dürfen überhaupt nie sterben, auch wenn sie ihre Söhne verdreschen, kapiert ihr das, ihr Rübenschweine? He, Buck Buchanan, will das in deinen Schädel?“ „Aye, aye.“ Hasard wandte sich zum Gehen. „Ed, du bleibst gefälligst auf Deck und achtest darauf, daß alles seinen ordnungsgemäßen Verlauf nimmt. Daß mir ja keiner in Schlendrian verfällt! Haltet die ‚Isabella’ auf Kurs und paßt auf, daß wir nicht an Fahrt verlieren. Wenn es dem alten O’Flynn bessergeht, sage ich euch Bescheid.“ „Aye, aye, Sir!“ rief der Profos stellvertretend für die gesamte Mannschaft. Er wäre seinem Kapitän ebenso gern wie die anderen Männer ins Achterkastell gefolgt, um nach dem Alten zu sehen. Aber er sah ein, daß das unsinnig gewesen wäre. Also bezwang er seine innere Unruhe wie die anderen und konzentrierte sich auf den Dienst. Der Seewolf schritt am Backbordschanzkleid der Kuhl entlang, kletterte über den Niedergang aufs Quarterdeck und schlüpfte durch die Öffnung des Schotts ins Achterkastell. Während er dem Geräusch der verhaltenen Stimmen des Kutschers, Dans, Batutis und Smokys nachging, dachte er über den Vorfall nach. Was war nur dem alten O’Flynn widerfahren? Es war absurd: Sie hatten England praktisch den Rücken gekehrt und ihre Familien, ihre Freunde und Bekannten wußten nicht, wo sie sich befanden. Dan war als 15jähriger aus Falmouth getürmt, das war 1576 gewesen. Inzwischen schrieb
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man Oktober 1579. Dan war achtzehn Jahre alt geworden. Er war noch der jüngste an Bord, hatte aber seinen Stimmbruch überwunden, krähte nicht mehr, war nicht mehr ganz so grün hinter den Ohren - möglich, daß sein Erzeuger ihn nicht einmal wiedererkannte, falls er zu sich kam. Daß Vater und Sohn sich ausgerechnet mitten in der Karibik an der südlichen Küste von Hispaniola begegneten, war purer Aberwitz. Hasard fand keine Erklärung dafür. Aber eine dumpfe Ahnung hatte ihn beschlichen. Und dieses Gefühl verdichtete sich immer mehr, suchte nach einer Bestätigung, wollte zur bitteren Gewißheit werden. Hasards Gesicht verhärtete sich. Er zwang sich, nicht nachzugrübeln, nicht alle möglichen Erwägungen zu wälzen, bevor der Alte nicht aufgewacht war. Aber es gelang ihm nicht. Die düsteren Gedanken waren da und ließen ihn nicht mehr los. Tief in seine Überlegungen verstrickt betrat der Seewolf die Kammer. Die Tür stand halb offen. Dan und die anderen drei schauten auf. Dan hatte — wohl mehr instinktiv als bewußt — den der Kapitänskammer am nächsten liegenden Raum gewählt. Im Grunde hatte er eigenmächtig gehandelt. Er hätte die Order seines Kapitäns abwarten müssen. In jedem anderen Falle hätte Hasard ihm wohl die Hammelbeine langgezogen, aber jetzt ließ er die Dinge auf sich beruhen. Er war ja auch einverstanden damit, daß der alte O’Flynn im Achterkastell und nicht im Vordeck untergebracht wurde. Das stand ihm sozusagen dienstgradmäßig zu. Hasard erschrak unwillkürlich. Er gab sich Mühe, seine Gefühle zu verbergen. Der Alte lag reglos, mit halboffenem Mund. Er sah ausgemergelt und abgezehrt aus. Faltige, ledrige Haut spannte sich über seine Gesichtsknochen und erfüllte die Höhlungen mit schlaffen Runzeln. Alles in allem wirkte er wie einer, der bereits den langen Sprung über die düstere Schwelle des Todes angetreten hat.
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Der Kutscher war noch damit beschäftigt, den Alten abzutasten. Er öffnete ihm die Kleidung, befühlte ihn hier und da, nickte manchmal, sagte aber kein Wort. „Und?“ Dans Stimme klang schwach. „Verletzungen hat er keine, und ich kann auch keine inneren Verwundungen feststellen“, erklärte der Kutscher. „Das ist viel wert“, sagte Hasard. Smoky zeigte eine Leichenbittermiene, und Batuti war auch kein guter Schauspieler. Nein, es gab keinen Grund zum Frohlocken, und das wußte Dan am allerbesten. Der Kutscher versuchte eben nur, den Optimisten hervorzukehren, dem Jungen Mut zu machen und ein bißchen zu übertuschen, wie bedenklich es um den Alten bestellt war. Dan atmete ein paarmal tief durch. „Ihr braucht mir nichts vorzugaukeln“, sagte er. „Ich bin ja nicht blöd.“ Hasard gab sich Mühe, ein bißchen zu lächeln. Es gab nur eine Möglichkeit, dem Jungen über das qualvolle Warten und die Ungewißheit hinwegzuhelfen. Man mußte ihn beschäftigen. „Wenn du nicht blöd bist, dann holst du jetzt warmes Wasser. Vielleicht heizt du vorher die Kombüsenfeuer wieder ein bißchen an. Und vergiß die trockenen Tücher nicht, die der Kutscher für die Umschläge braucht. Na los, auf was wartest du noch?“ Dan blickte verwirrt. „Ist das — ein Befehl?“ „Ja.“ „Ich — aber ich kann doch jetzt nicht von meinem Alten weg, Hasard.“ „Ob du bei ihm hockst oder nicht, davon kriegt er seine Besinnung keine Sekunde früher wieder. Setz dich in Trab, Dan. Na schön, wir haben den alten Donegal Daniel aus der See geangelt, aber deswegen kannst du dich nicht einfach über sämtliche Pflichten hinwegsetzen, die du an Bord hast. Auf, marsch, marsch, oder soll ich dir erst Beine machen?“ Batuti wollte sich anbieten, das Wasser und die Tücher zu holen. Aber Smoky legte ihm rechtzeitig die Hand auf den Unterarm. Sie wechselten einen Blick. Batuti verstand nur allzu deutlich zu lesen,
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was Smokys Augen spiegelten Misch dich jetzt bloß nicht ein, wir haben da nicht mitzupalavern! „Aye, aye, Sir“, sagte Dan. Er erhob sich, lief an Hasard vorbei und hetzte den Gang zum Schott entlang. Der Kutscher schaute auf. „Das war eine gute Idee. Ehrlich gesagt, um den alten Mann ist es nicht gut bestellt. Es nimmt sich schon wie ein Wunder aus, daß sein Herz überhaupt noch schlägt. Hätten wir ihn erst gegen Abend oder gar erst morgen aus dem Beiboot geholt – mein Gott, ich weiß nicht, ob wir nicht einen Toten geborgen hätten.“ Hasards Gesicht war wie aus Stein gehauen. Kein Muskel regte sich. Da war sie wieder, die dumpfe Ahnung. Aber er hütete sich, sie offen auszusprechen. Er wäre ein Narr gewesen, denn die Stimmung wäre durch eine solche Äußerung noch tiefer gesunken. Smoky blickte drein, als hätte er einen Scheuerlappen verschluckt. Batuti brütete vor sich hin. Der Kutscher war ratlos und entmutigt. „Was er am meisten braucht, ist Wärme“, sagte Hasard ruhig. „Das mit dem Essen und Trinken haben wir ja schon besprochen. Wir würden ihn umbringen, wenn wir ihm jetzt was eintrichtern würden.“ „Ja“, sagte der Kutscher. „Also können wir bloß bei ihm Wache halten, ein paar Umschläge auflegen und im übrigen zum Herrgott beten, daß er durchkommt.“ „Ja.“ Schritte tappten heran. Hasard und die anderen verstummten. Dan erschien in der Türöffnung, trug eine Segeltuchpütz warmes Wasser durch den Raum und setzte sie neben der Koje ab. Er drückte dem Kutscher die Tücher in die Hand, die er besorgt hatte. Dann ließ er sich wieder wortlos neben dem Lager seines Vaters nieder. „Dan“, sagte der Seewolf. „Sir?“ „Bilde dir bloß nicht ein, daß du dich heute nacht aufs Ohr hauen kannst.“
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Der Junge richtete sich auf, in seinem Blick lag Stolz. „Ich werde keine Minute von seiner Seite weichen.“ „Dann ist es gut. Das wollte ich nur hören.“ Philip Hasard Killigrew drehte sich um und verließ die Kammer. Dans verwunderter Blick folgte ihm. Smoky, Batuti und der Kutscher wußten, daß der Seewolf Dan absichtlich nicht mit Samthandschuhen anfaßte. Wenn der alte O’Flynn sterben würde, dann mußte sein Sohn es mit Fassung und Würde tragen. Er hatte verrückt gespielt, und das war verständlich gewesen, aber jetzt hatte er genügend Zeit, zu sich zurückzufinden und sich innerlich auf alles vorzubereiten. Für jeden schlug einmal die Stunde. Es war das Los der Jüngeren, dem Ende ihrer Erzeuger und Erzieher beizuwohnen. 4. Die Nacht kam, und die Stunden verstrichen quälend langsam. Ein Talglicht war in der Kammer des alten O’Flynn angezündet worden. Dan hockte in kaum veränderter Haltung neben der Koje. Vor dem Raum auf dem Gang saß Batuti, der riesige Gambia-Neger. Er hatte sich mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt. Taktvoll hielt er Distanz zu Dan, der mit seinem Vater allein sein wollte. Dennoch wollte er den Jungen nicht im Stich lassen und sich für jede Eventualität bereithalten. Deswegen saß er im Gang. Auf dem Schiff war Ruhe eingetreten. Aber die Männer, die in ihren Kojen schliefen, würden bei einem einzigen Alarmruf hochschrecken, nach achtern stürzen und Dan aufsuchen. Sie waren auf alles gefaßt. Der Kutscher hatte sich noch einmal über den Zustand des alten O’Flynn vergewissert. Es war keine Änderung eingetreten. Donegal Daniel O’Flynn atmete schwach, das Blut pulsierte träge in seinen Adern. Neben seinem Lager grinste der unsichtbare Schnitter Tod, aber, Hölle und Teufel, die unverwüstliche Natur des Mannes wehrte sich gegen das Zupacken der vernichtenden Klauen.
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Dan beobachtete seinen Vater. Hin und wieder waren die Schritte der Deckwache oben zu vernehmen. Der Wind hatte auf Südwest gedreht und fiel jetzt raumschots ein, die „Isabella V.“ lief gute Fahrt. Die leichte Dünung der See versprach nichts Schlimmes. Das Wetter hätte besser nicht sein können. Alles war gut -nur der Kampf des alten Mannes überschattete die Situation und ließ die Männer Beklemmung verspüren. Dan hatte den Eindruck, ihm säße ein Kloß im Hals. Mehrfach hatte er versucht, ihn herunterzuwürgen. Es war ihm nicht gelungen. Der Kloß wollte einfach nicht weg, er wollte da steckenbleiben und ihm ständig zu verstehen geben, was für ein Wurm er, Dan O’Flynn, doch war. Die Welt war häßlich, die Menschen unzulänglich und schlecht. Jeder mußte einmal verrecken, warum sollte ausgerechnet der Alte mit dem granitenen Gesicht und den weißen Haaren dem Teufel von der Schippe springen? Warum? Hatte er’s vielleicht verdient? Du bist ein armseliger Wurm, sagte Dan zu sich selbst, und auch dir geschieht es ganz recht, wenn der Alte jetzt in die verdammte Kiste springt. Das Beten nutzt jetzt auch nichts mehr. Das hier, das nimmt ihm doch keiner ab. Du auch nicht. Mußt dich endlich damit abfinden. Wie hat der Kutscher das einmal genannt, wenn einer in die Bewusstlosigkeit verfällt, die den Tod einleitet? Agonie oder so ähnlich ... Dan formte die Hände zu Fäusten und preßte die Finger zusammen, bis das Weiße an den Knöcheln hervortrat. Das Talglicht blakte. Die Flamme zuckte und warf wallende Muster auf das Antlitz des Alten. Agonie, verschwinde, dachte Dan voll Haß und Erbitterung. Hau ab, Gevatter Tod, spring bloß außenbords, sonst hau ich dir die Fresse voll! Lieber Gott im Himmel, laß meinen Alten noch ein paar Jahre leben. Ich will nie wieder fluchen. Ich bereue, auf Kaplan Francis Fletcher, Drakes Bordgeistlichen, geschimpft zu haben, ich bereue alles. Ich will dafür büßen und lieber selbst
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abkratzen, lieber Gott, aber gib meinem Vater seine fünf Sinne wieder! Es nutzte nichts. Donegal Daniel O’Flynn lag weiterhin reglos da, sein Atem ging flach und kaum wahrnehmbar, seine einzige überragende Kraft war das Herz, das sich erdreistete, beflissen in seiner Brust zu schlagen und nicht auszusetzen. Dan saß eine Weile schweigend da und versuchte, an nichts zu denken. Es klappte nicht. Die Gedanken begaben sich auf Irrfahrt und spiegelten ihm die wahnwitzigsten Dinge vor. Wo war die Stelle, an der man auf dem schmalen Grat ausglitt, der das Normalsein vom Wahnsinn trennte? Dan fiel etwas Neues ein. Er beugte sich vor, grinste und sagte leise: „Also schön, Alter, schließen wir einen Pakt: Ich gestatte dir feierlich und in aller Form, das Holzbein abzuschnallen und mir damit den Rücken und den Hintern zu versohlen, sooft du nur willst. Bis ich blau anlaufe, jawohl - blau! Was sagst du dazu? Ist das nicht nach deinem Geschmack? He, du warst doch früher immer ganz versessen darauf, mir Anstand und Manieren beizubiegen. Reizt dich das jetzt plötzlich nicht mehr?“ Er wandte den Kopf, weil er ein Geräusch hinter sich vernommen hatte. Batuti steckte den Kopf zur Tür herein und fragte: „Verdammich, alles in Ordnung, kleines O’Flynn?“ „Ja, zum Teufel. Ich führe bloß Selbstgespräche. Geh pennen.“ „Batuti nicht pennen.“ „Verschwinde doch, du kannst eine Mütze voll Schlaf gut gebrauchen. Meinst du, Hasard will sich über einen übernächtigten und verbiesterten Batuti rumärgern, wenn er morgen früh auf Deck erscheint?“ „Batuti bleibt.“ Punktum und aus. Batuti konnte mächtig stur sein, wenn es darauf ankam. Er zog sich wieder in die Dunkelheit des Ganges zurück. Dan drehte sich wieder seinem Vater zu —und erstarrte plötzlich. Täuschte er sich, oder hatte der Alte wirklich mit dem Augenlid gezuckt? Atmete er nicht plötzlich rascher, kräftiger,
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oder beruhte das alles auf reiner Einbildung? Dans Oberkörper straffte sich. Er schob sich ein Stück vor, so behutsam, als könnte er den alten O’Flynn durch eine unbedachte Bewegung erschrecken, ja, ihm sogar Schmerzen zufügen. Es stimmte. Der alte Donegal Daniel O’Flynn ließ einen Seufzer vernehmen. Er klapperte ein bißchen mit den Augendeckeln, hob die rechte Hand an und ließ sie wieder fallen. Dan zitterte vor Aufregung. Er war versucht, aufzuspringen und seinen Vater wachzurütteln, aber er hielt sich mit aller Macht zurück. Eine Dummheit konnte alles vernichten —bei dem Zustand, in dem sich der alte Mann befand! Endlich, endlich hob der alte O’Flynn die Lider an und ließ sie nicht mehr sinken. Eine Zeitlang blickte er ausdruckslos. Dann schienen die Konturen seiner Umgebung sich für ihn deutlicher abzuheben. Jedenfalls zeigte er eine erste Reaktion. Er fluchte. „Hölle und Teufel ...“ „Dad“, sagte Dan. Es klang sanft. „Zum Teufel mit den verdammten Spaniern ...“ „Dad, erkennst du mich nicht?“ Der Alte blinzelte ein paarmal, dann hellte sich seine Miene auf. Ein Schimmer des Erkennens glitt über seine Züge. Er hob beide Arme, breitete die Hände aus und stieß heiser hervor: „Dan, du Satansbraten!“ Dann lagen die beiden sich in den Armen. Der alte O’Flynn hustete, keuchte und lachte, er erstickte fast an dem freudigen Wiedersehen. Batuti steckte wieder seinen Kopf zur Tür herein. Und bevor Dan von seinem Vater freikam und ihn mit seinen Fragen bestürmen konnte, war der Gambia-Neger an die Tür der Kapitänskammer gerannt, hatte angeklopft und den Seewolf gewahrschaut. Wie der Blitz war Hasard aus seiner Koje. Er kleidete sich hastig an und verließ seine Kammer. An Batutis Gesichtsausdruck erkannte er, daß er nicht gerufen worden war, um den letzten Atemzügen des Alten beizuwohnen.
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Hasard konnte es kaum glauben: Donegal Daniel O’Flynn hockte aufrecht in seiner Koje und betrachtete seinen Sohn von oben bis unten. „Verflucht und zugenäht“, sagte er. „Dan, du bist ja schon wieder gewachsen.“ „Meinst du, Dad?“ „Doch, doch, ich sehe das ganz deutlich — und du kannst es nicht beurteilen. Himmel, aus dir ist ja ein richtiger Mann geworden. Ich kann es überhaupt nicht fassen. So ein Zufall! So ein Wunder!“ „Du kannst heilfroh sein, daß du lebst“, sagte Dan. „Und ob ich das kann“, sagte der Alte grimmig. „Du hast ja keine Ahnung, was passiert ist. Oh, wenn ich dir das erzähle!“ „Batuti“, sagte Hasard. „Geh den Kutscher wecken. Er soll die Suppe wärmen und damit anrücken. Ich glaube, unser Schiffbrüchiger ist jetzt in der Verfassung, Nahrung zu sich zu nehmen.“ Batuti lief davon. Donegal Daniel O’Flynn riß die Augen weit auf, blickte an seinem Sproß vorbei und fixierte den Seewolf. „He, Augenblick mal!“ rief er. „Das ist doch dieser Himmelhund von einem Killigrew — der Seewolf! Komm her, Seewolf, und laß dich begrüßen. Ihr habt mich aus der verdammten Karibik gefischt. Ihr habt einen alten Mann vor den Haifischen gerettet und davor, daß Hunger und Durst ihn fertigmachen. Dafür gebührt euch mein ganzer Dank.“ „Ist doch nicht der Rede wert“, sagte Dan und schnäuzte sich. Hasard trat neben die Koje des Alten, schüttelte ihm die knöchrige Hand und sagte: „Ich bin glücklich, daß Sie am Leben sind, Donegal. Es wäre gut, wenn Sie uns ausführlich schildern könnten, was sich zugetragen hat.“ Der Alte wurde noch einmal durch Batuti und den Kutscher aufgehalten, die in diesem Moment den Raum betraten. Neugierig beäugte er sie. Besonders auf dem schwarzen Koloß verharrte sein Blick, und ein wenig Argwohn trat in seine Züge.
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Er erinnerte sich wohl noch ziemlich genau an die Begebenheiten, die sich damals um die „Isabella von Kastilien“ in Falmouth zugetragen hatten. Noch lange hatte die Legende von dem riesigen Neger berichtet, der den jungen John Malcolm Killigrew auf Arwenack ordentlich durchgenommen hatte. John Malcolm spürte heute die Fausthiebe nicht mehr, die Batuti ihm damals verpaßt hatte —aber Falmouth sprach noch davon, das war sicher. Langsam begann der Alte, die Suppe zu löffeln, die der Kutscher ihm reichte. Schließlich legte er den Löffel weg. „Trinken“, sagte er. „Habt ihr was Anständiges an Bord?“ „Man kann die Suppe auch trinken“, meinte der Kutscher. Dan schüttelte den Kopf. „Er meint Rum.“ „Um Himmels willen — Rum kann ich bei seinem Zustand auf keinen Fall empfehlen.“ „Tut nicht wie die Abstinenzler“, sagte der alte O’Flynn verächtlich. „Ihr habt garantiert was zum Saufen an Bord. Wie wär’s mit Rotwein?“ „Batuti“, sagte Hasard. „Hol Rotwein.“ Und wieder flitzte Batuti davon. Erst, nachdem der Alte sich ein paar kräftige Schlucke aus der Korbflasche genehmigt hatte, war er bereit, weiterzusprechen. Seine Miene verfinsterte sich. „Das war so. Ihr könnt euch einfach nicht vorstellen, was sich im November letzten Jahres in Falmouth zugetragen hat. Ihr legt glatt die Ohren an, wenn ihr das vernehmt. O Satan, was für eine Schande! Die Dons, diese gottverfluchten Hunde, überfielen uns, zerstörten zum Teil den Hafen und machten Gefangene.“ „Das — das schlägt doch dem Faß den Boden aus“, sagte Dan entgeistert. Hasard spürte plötzlich einen kalten Schauer auf dem Rücken. Das ungute Gefühl, das ihn seit der Begegnung des Alten aus dem treibenden Beiboot befallen hatte, fand seinen Widerhall in der Wirklichkeit. Die ganze Zeit über hatte er an etwas Derartiges gedacht. „Gefangene?“ wiederholte er endlich. „Wie viele, Donegal?“
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„Unterbrecht mich doch nicht dauernd“, erwiderte der Alte rabiat. Sein Verhalten war das sichere Zeichen dafür, daß es ihm bereits wieder einigermaßen gut ging. Je besser er sich fühlte, desto kiebiger wurde er. „Außer mir wurden elf Männer überwältigt und an Bord der spanischen Schiffe gebracht. Welch eine Niederlage! Noch nie in meinem Leben habe ich mich so schimpflich erniedrigt gefühlt. Wir haben uns wacker geschlagen, o ja, das haben wir. Ich schwör’s euch bei meinem Holzbein, daß wir den elenden, kastanienfressenden Dons eingeheizt haben, bis wir nicht mehr konnten. Aber alle Anstrengungen nutzten nichts. Ja, verflucht, ich muß es zugeben: sie waren die Stärkeren.“ „Bestimmt waren sie in der Überzahl“, sagte Dan. Er war schon wieder wachsbleich im Gesicht. Erst die Aufregung über das Auftauchen seines schiffbrüchigen Vaters — und jetzt das! Der Alte schnaubte aufgebracht. „Natürlich, was glaubst du wohl! Sie fielen wie die leibhaftigen Teufel über uns her. Auf einen von uns kamen zehn von ihnen.“ „Hat es Tote gegeben?“ erkundigte sich der Kutscher. Der Alte nickte. Er nahm noch einen kräftigen Zug aus der Flasche, setzte sie ab und wischte sich mit dem Handrücken über die Lippen. „Ich hab doch gesagt, ihr sollt mich nicht dauernd unterbrechen. Einige von unseren Männern fielen im Kampf. England kann stolz auf sie sein. Der Herr sei ihren armen Seelen gnädig. Himmel, Arsch und Zwirn, ich wäre froh, wenn ich auch ins Gras gebissen hätte und das, was danach folgte, nicht mehr hätte erleben müssen ...“ „Nein!“ rief Dan. Der Alte grinste schief. „Reg dich nicht auf, Söhnchen, der alte Krieger ist ja schon wieder auf dem Damm. Bin eben zäh wie Leim. Wenn du scharf drauf bist, kann ich dir auch bald wieder den Hosenboden versohlen.“ „Dan hat richtig Heimweh danach“, sagte der Kutscher.
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Niemand lachte. Hasard hielt die Augen unverwandt auf den alten Mann gerichtet. „Was mich bei dieser Geschichte am meisten interessiert: ist unter den Gefangenen noch jemand, den wir kennen? Die Toten kann keiner mehr erwecken, aber das Schicksal der anderen Gefangenen, das liegt mir am Herzen:’ Donegal Daniel O’Flynn druckste ein wenig herum. Schließlich rückte er aber doch damit heraus: „Ja, zum Teufel. Du erinnerst dich doch an den alten Shane, was, Seewolf? Nun, Big Old Shane, wie du ihn wohl immer nanntest, ist auch mit deportiert worden.“ Und ob Hasard sich des alten Schmiedes Shane entsann! Er war für ihn Freund und väterlicher Ratgeber auf der Stammfeste der Killigrews gewesen. Für ihn, Hasard, hatte der große Mann mehr bedeutet als Sir John Killigrew, der durchtriebene Alte. Hasard hatte Shane, was die Verbundenheit anbetraf, mit seiner Mutter Anne gleichgesetzt. Shane, der gute, alte Shane — jetzt befand er sich in der Hand der Spanier. Wo? Hasard wollte die Frage aussprechen, da redete der alte O’Flynn weiter. „Aber das ist noch nicht alles. Ich könnte mich umbringen vor Schmach und Schande. Aber ich muß es euch ja erzählen, was bringt’s mir ein, wenn ich was Verschweige ...“ Hasard hatte den Eindruck, eine kalte Faust greife nach seinem Herzen. Er ahnte, was jetzt kam. O’Flynn sandte ihm einen verständnissuchenden, gleichsam wehmütigen Blick zu. „Es wurden nicht nur wir zwölf Männer von den Philipps verschleppt“, sagte der Alte. „Auch meine Tochter kriegten die Hurensöhne zu fassen. Gwendolyn war gerade bei mir zu Hause zu Besuch. Sie kommt so selten, aber ausgerechnet an diesem Tag ... Allmächtiger, es war, als habe das Schicksal es so gewollt. Verdammt — gafft mich doch nicht wie die Hornochsen an! Ich hätte mein Leben für das ihre gegeben, wenn ich noch
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gekonnt hätte. Aber die Dons hatten mich bereits entwaffnet und fest in der Zange.“ Dan ließ einen Ächzer vernehmen. „Gwen —sie ist doch nicht...“ „Sie ist was? Jesus, nein, sie lebt, aber unter welchen Bedingungen.“ Der Seewolf taumelte. Ja, er mußte sich in diesem Augenblick tatsächlich am Türrahmen festhalten. Die Nachricht traf ihn wie ein Hieb. Aber nicht aus heiterem Himmel, o nein, er hatte die Befürchtung ja schon gehegt, genau, wie er sich die bestürzenden Ereignisse in Falmouth auszumalen gewußt hatte. Insgeheim hatte er aber immer wieder gehofft und darum gefleht, daß sich seine bösen Ahnungen nicht bestätigen würden. Aber jetzt konnte er sich den Tatsachen nicht mehr verschließen. Jetzt mußte er sie hinnehmen und schlucken, die bittere Wahrheit! Die kalte Faust hatte sich um sein Herz geschlossen und drückte es zusammen. Er fühlte sich wie gelähmt und war unfähig, auch nur ein Wort zu sagen. Für ein paar Sekunden war ihm schwindlig. Drückende Stille breitete sich in dem kleinen Schiffsraum aus. Gwendolyn Bernice O’Flynn — damals war sie achtzehn Jahre alt gewesen und damit Dans „große Schwester“. Nie würde der Seewolf vergessen, wie sie beim Einlaufen der „Isabella von Kastilien“ in den Hafen von Falmouth dabei gewesen war. Wie sie auf der Kaimauer gestanden und nach Sir Thomas Doughtys und Sir John Killigrews Rückzug ein dreifaches Hurra für den Seewolf angestimmt hatte! Das war der Augenblick gewesen, in dem sich die ersten zarten Bindungen zwischen ihnen beiden geknüpft hatten. Hasard hatte sie durch den Kieker beobachtet, wie sie auf der Kaimauer stand, hatte ihre vollendeten Formen und das hübsche Gesicht bewundert — ebenmäßige Züge, eine kleine, gerade Nase, darunter ein sanft und sinnlich geschwungener Mund, ein festes Kinn. Und Ben Brighton hatte ihn etwas später gefragt, ob er etwas Nacktes im Badehaus gesehen hätte — so, wie er am Kieker gehangen hatte.
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Es war das erste daß Hasard tiefer für eine Vertreterin des schwachen Geschlechtes empfunden hatte als für die vielen Frauen, denen er den Hof gemacht hatte. Er hatte Charme, der schwarzhaarige Teufel mit den Schultern, die breit wie eine Großmarsrah waren, und der Gestalt, die mühelos eine Tür verdecken konnte. Die alten Weiber von Falmouth waren bei seinem Anblick wieder jung geworden. Die jungen Frauenzimmer hatten sich gewünscht, älter zu sein, um ihn an die Brüste und unter die Bettdecke zu kriegen. Er hatte die Jagd nach den Weiberröcken damals als so eine Art Sport betrieben, und seine drei Brüder John Malcolm, Simon Llewelyn und Thomas Lionel hatten ihm mächtig den Erfolg geneidet, den er bei den Frauen genoß. Aber bei Gwendolyn — bei Gwendolyn war alles anders gewesen. Sie war nicht das Mädchen, bei dem man einen brutalen Frontangriff landen konnte. Sofort hatte er das gewußt, so was spürte man. Es existierte eine Menge frivoler Frauenzimmer auf der Erde, aber auf Gwen paßte die Bezeichnung einfach nicht. Und überhaupt, wenn jemand ernsthafte Ambitionen auf ein Mädchen hatte, so versuchte er sich ihr gewiß nicht auf die ungestüme Art zu nähern. Ihr Äußeres konnte einen Mann schon verrückt machen. Da war alles am richtigen Platz, kein Quäntchen Fett und doch alles wohlproportioniert und vollkommen ausgebildet, daß es einem Vollblutmann heiß werden konnte. Trotzdem: Hasard hatte sich zu benehmen gewußt. Es war der Tag gewesen, von dem an er alles, was er irgendwie im Zusammenhang mit dem Gedanken an sie tat, mit größter innerer Beteiligung durchgeführt hatte. Gwendolyn - sie war schlank und großgewachsen, hatte rotblonde Haare, besaß Augen von unvergleichbarer grüner Tönung, wie Hasard sie noch nie bei einem Mädchen gesehen hatte. Mit diesen Augen konnte sie tief ins Innere eines Mannes vordringen und ein unverlöschbares Feuer in ihm schüren.
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Der alte O’Flynn, der sieben Söhne hatte und mit der Tochter nichts anzufangen gewußt hatte, zumal die Mutter früh gestorben war - er hatte das Mädchen in die Obhut einer verwitweten Tante gegeben. Dann, 1576, war Gwen als Zofe von Lady Anne Killigrew, Hasards Mutter, auf Arwenack aufgenommen worden. Sie war ein Vollblutweib, stolz und mit Haaren auf den Zähnen, wenn es darauf ankam, beispielsweise einen unliebsamen Bewerber abzuwimmeln - wie John Malcolm Killigrew, dieses aufgeblasene Ferkel. Er hatte sich an sie heranpirschen wollen, aber das war ihm schlecht bekommen. Sie hatte ihm damals eine Abfuhr erteilt, die sich gewaschen hatte. Und auch davon hatte Malcolm bestimmt kein Detail vergessen. Und: Gwendolyn Bernice O’Flynn hatte mitgeholfen, Hasard aus dem Turmkerker der Stammfeste Arwenack zu befreien. War das nicht der beste Beweis dafür, wem sie, wenn überhaupt, ihr Herz zu schenken gedachte? Der Funke der Zuneigung war nicht nur vom Seewolf auf sie übergesprungen, auch umgekehrt war’s der Fall. Aber dann hatten sie sich leider, leider aus den Augen verloren. Und jetzt das! Hasard war bestürzt und zornig zugleich. In seinem Gesicht spiegelte sich Wut und Haß auf die Spanier. Aber da war noch mehr in seiner Miene. Ein Ausdruck, wie ihn seine Männer zum ersten Male sahen. Es konnte einem angst und bange dabei werden. Philip Hasard Killigrew sah wirklich und wahrhaftig zum Fürchten aus. Mit tonloser Stimme sagte er: „Bitte weiter, Donegal.“ Der alte O’Flynn rieb sich die Nase. „Tja, wir dreizehn wurden also nach Spanien verfrachtet. Aber dort endete die Reise nicht. Die Dons - der Teufel soll sie in sämtlichen Höllenfeuern schmoren lassen beschlossen, uns über den Atlantik nach Hispaniola zu bringen. Zwangsarbeit sollten wir leisten, wurde uns gesagt!“ „Batuti erwürgt Dons. Alle.“ Der GambiaNeger hob die Hände. Er schloß und öffnete sie, als hätte er bereits einen der
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Gegner zu fassen. Die anderen Männer sagten nichts. Sie hingen mit ihren Blicken an den Lippen des Alten und fragten sich im stillen, ob es noch schlimmer kommen könnte. „Vor einer Woche wurden wir im Hafen von Santo Domingo ausgeschifft“, berichtete der Alte weiter. „Aber da habe ich den Philipps ein Schnippchen geschlagen. Bevor wir im Hafen festmachten, habe ich mich befreit, mir das Boot geschnappt und bin geflohen. Das war kein leichtes Stück, kann ich euch flüstern. Starrt mich nicht so an. Nein, ich konnte Gwendolyn nicht raushauen und mitnehmen, genauso, wie ich die anderen elf Männer nicht herauspauken konnte. Es wäre unser aller Tod gewesen. Ich bin schon heilfroh, mit knapper Not entwischt zu sein, bevor jemand meine Flucht bemerkte. Hätte ich das nicht geschafft, dann hätte niemand jemals etwas von unserem Schicksal erfahren.“ „Das ist nicht von der Hand zu weisen.“ Hasards Stimme klang immer noch erschreckend tonlos. „Niemand tadelt Sie, Donegal, kein Mensch kann Ihnen etwas vorwerfen, und Sie brauchen sich weiß Gott nicht zu rechtfertigen. Für mich steht schon jetzt fest, was ich tun werde.“ „Die Gefangenen befreien“, sagte Dan. „Darauf kannst du Gift nehmen.“ „Meine arme Schwester ...“ „Nicht heulen, kleines O’Flynn“, sagte Batuti. „Ach, hör doch auf, du schwarzer Bär.“ Der Alte beäugte den Herkules aus Gambia wieder und wunderte sich über den eigenartigen kurzen Dialog zwischen ihm und seinem Sproß. Ihm blieb aber nicht genügend Zeit, ausgiebig über das Phänomen zu staunen. Hasard ergriff wieder das Wort und wandte sich an ihn. „Donegal, ich bitte Sie, teilen Sie uns die volle Wahrheit mit. Was passiert ist, ist schlimm genug. Aber können wir die Gefangenen überhaupt noch retten?“ „Wenn wir uns beeilen, ja.“ „Und befinden sich unter den Gefangenen der Spanier nicht vielleicht auch Mitglieder der Familie Killigrew, und Sie
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verschweigen es mir aus unangebrachter Rücksichtnahme?“ „Verschweigen? Rücksichtnahme?“ Der Alte wurde richtig aufgebracht. „Da hört sich doch alles auf. O nein, mein Junge, das tue ich nicht. Habe nämlich keinen Grund dazu, wenn du’s unbedingt wissen willst. Aber mach dich auf was gefaßt, die Wahrheit ist eine gallebittere Nuß, an der du schwer zu kauen hast.“ „Heraus damit, Donegal.“ „Also schön: deinen Familienangehörigen — deinem Alten, deiner treusorgenden Mutter und deinen drei mißratenen Brüdern — ihnen geht es aller Wahrscheinlichkeit nach großartig. Denn sie haben den Angriff auf Falmouth heil überstanden. Wie ich die Dinge sehe, aalen sie sich zu Hause auf Arwenack und lachen sich halbtot über das Pech, das uns widerfahren ist. Ist ja auch zu witzig, daß wir verschleppt wurden!“ Dan wollte aufbegehren, aber der Kutscher hielt ihn zurück. Wenn der Alte so offen sarkastisch über die Killigrews urteilte, hatte er seine guten Gründe dafür. Es war hinlänglich bekannt in Cornwall, daß Sir John mit dem alten O’Flynn stets ein Herz und eine Seele gewesen war. Was hatte sich zwischen ihnen ereignet, daß der Alte jetzt Gift und kleine Steine spuckte? O’Flynn fluchte ein paarmal kräftig, dann kam er auf den Kernpunkt zu sprechen. „Die Killigrews haben keine Hand, geschweige denn ein Bein gerührt, um uns zu befreien oder den Spaniern nachzusetzen, als die Bastarde Cornwall wieder verließen. Nein, sie haben sich fein auf ihrer Stammfeste verschanzt, ihr Gemäuer nach allen Regeln der Kunst verteidigt, und im übrigen haben sie auf das Schicksal ihrer Mitbürger gepfiffen! Wenn ich daran denke, packt mich die Wut. Einen Dreck haben sie sich um das geschert, was mit uns passierte.“ „Bleib ganz ruhig“, sagte Dan. „Du schadest mal wieder deiner Gesundheit.“ „Kriege ich noch einen Schluck Rotwein?“ Der Kutscher blickte seinen Kapitän an. Der nickte. Der Alte durfte wieder an der Flasche nuckeln, und er tat es nach
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Herzenslust. Er spülte seinen Ärger herunter. „Es wäre besser, noch ein wenig Suppe zu löffeln“, sagte der Kutscher. Der Alte funkelte ihn drohend an. „Zum Teufel mit deinem Fraß. Willst du mich vergiften? Der Tropfen in der Flasche hier ist gut. Und es gibt nichts, was den Blutfluß besser in Schwung bringt.“ Damit hatte er nicht ganz unrecht. Im übrigen benahm er sich — besonders nach Dans Dafürhalten —bereits wieder ganz wie im fernen Falmouth — als fluchendes, taktloses, lästerndes Rauhbein. Der Seewolf trat neben die Koje. Sein Blick ließ das Gesicht des Alten nicht los. „Das Benehmen der Killigrews ist mir unverständlich. Eines Tages werde ich vielleicht herauskriegen, warum sie das getan haben. Aber eins ist mir noch nicht klar. Wieso fiel Big Old Shane den Spaniern in die Hände, wenn doch Arwenack erfolgreich gegen die Angreifer verteidigt wurde?“ „Ganz einfach“, gab der Alte zurück. „Ich sagte doch, Gwen war gerade bei mir. Und Shane hatte sie begleitet. Schließlich kann ein Mädchen wie Gwen nicht so einfach ohne Begleitschutz auf die Straße geschickt werden, oder? Also, Shane war mitgegangen und wurde mitgefangen. Die Dinge sind gelaufen, wie sie laufen sollten, Seewolf, was kann ich noch daran ändern? Ich bin ein alter Narr und kann noch dem Himmel oder sonst wem danken, daß die Dons mich nicht gleich totgeschlagen haben. Wenn uns die Killigrews nur nicht im Stich gelassen hätten! Teufel, dabei bin ich immer ein kompromißloser Anhänger deines Alten gewesen!“ „Stimmt“, sagte Dan. „Ihr braucht das nicht so groß hervorzuheben“, entgegnete der Seewolf. „Ich weiß es doch. Aber jetzt sind Sie wie Gift und Galle gegenüber meiner Familie, nicht wahr, Donegal? Nun, ich kann Ihnen das nicht verdenken. Außerdem wissen Sie ja, daß mir nur an meiner Mutter etwas gelegen ist. Oder ist das noch ein Geheimnis, wie ich über meinen Alten und über meine Brüder denke?“
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„Keineswegs.“ Der Alte kniff die Augen zu Schlitzen zusammen. „Sir John hat sich ja auch zur Genüge über dich ausgelassen. Daß du ein mißratener Bastard seist und das schwarze Schaf und so weiter.“ „Ist mir bekannt.“ „Dieser Narr — hat allen Grund, an seinem vierten Sohn kein gutes Haar zu lassen. Er hat ein schlechtes Gewissen. Ja, zwischen euch beiden besteht wahrhaftig ein Unterschied wie Tag und Nacht. Aber die Nacht ist er, der sture, durchtriebene alte Halunke! Fein hat er sich benommen, der alte Bock, fein, das muß ich wirklich sagen. Und wenn sie uns die Köpfe abgehauen hätten, er hätte sich nicht in Marsch gesetzt. Saß ja hinter dicken Mauern auf seiner uneinnehmbaren Feste und hatte gut lachen. Er hat nur an sein eigenes Wohlergehen gedacht, und das vergesse ich ihm nicht.“ Er schimpfte noch eine Weile herum. Er ließ wirklich kein einziges gutes Haar an den Killigrews. Aber über Lady Anne verlor er wohlweislich kein Wort. Dan O’Flynn grinste sich eins. Hasard dachte nicht im Traum daran, den Alten zu stoppen oder ihn gar zurechtzuweisen. Den inneren Ansporn, die männlichen Vertreter der KilligrewSippe zu verteidigen, verspürte er nicht. Er kannte ihre Einstellung zum Leben ja zur Genüge. Das sah ihnen ähnlich, diesen Lumpen! Lady Anne hatte bestimmt ihre ganz persönliche Auffassung zu dem Verhalten ihres Mannes und ihrer Söhne während des Kampfes gegen die Spanier in Falmouth. Aber sie hatte sich nicht durchsetzen können. In bestimmten Situationen behauptete sie sich, in anderen ließ sich Sir John nicht dreinreden. O, Hasard hätte dabei sein mögen! Der Kampf um Falmouth wäre sicherlich anders verlaufen! .Aber alles „hätte“ und „wäre“ brachte nichts ein, an den Gegebenheiten ließ sich nicht mehr rütteln. Donegal Daniel O’Flynn händigte seinem Sohn die leere Korbflasche aus. Dann sank er ermattet auf seine Koje zurück. Keine Minute verstrich, und er hatte die Augen
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geschlossen. Seine Brust hob und senkte sich wie vorher, als er bewußtlos gewesen war. „Himmel“, stieß Dan hervor. „Heiliger Strohsack!“ Der Kutscher lächelte. „Nein, nein, du brauchst keine Angst mehr zu haben. Dein Vater ist über den Berg. Der Rotwein scheint ihm wirklich gut getan zu haben.“ Der Alte bestätigte dies durch Schnarchtöne. „Er ist vor Erschöpfung eingeschlafen“, sagte der Kutscher. „Morgen früh, wenn er wieder wach ist, sehen wir weiter. Vielleicht nimmt er meine Suppe dann an.“ „Ja“, sagte der Seewolf grimmig. „Morgen sehen wir weiter, das versichere ich euch. In jeder Beziehung.“ 5. Noch in der Nacht dirigierte der Seewolf die „Isabella V.“ auf neuen Kurs um. Sie drehte sich mit dem Bug nach Norden, ließ Cap Beata backbord achteraus liegen und lief unter Vollzeug mit Kurs Nordost auf die Küste von Hispaniola zu. Das neue Ziel hieß Santo Domingo. Hasard ließ das Schiff auf Geschwindigkeit trimmen. Er holte aus der Galeone heraus, was an Tempo in ihr steckte. Dick und mächtig klüste sie durch die Nacht. Die ganze Besatzung erfuhr, um was es ging. Als der Morgen seine nebliggrauen Schleier auswarf und die Sonne ihren Aufgang ankündigte, sah die Crew ihren Kapitän hinter der Five-Rail des Achterdecks auf- und abschreiten. Er hielt die Arme auf dem Rücken gekreuzt. Er sprach kein Wort, grübelte herum und wirkte alles in allem wie ein gereizter Tiger. „Dan hat sich einigermaßen beruhigt“, sagte Ben Brighton zu Ferris Tucker. „Jetzt muß man aufpassen, Hasard nicht zu nahe zu treten, sonst wird dieses Schiff zum Tollhaus.“ Der rothaarige Riese kratzte sich im Nacken. „Was der alte O’Flynn da erzählt hat, ist unserem Seewolf mächtig unter die Haut gegangen. Die Schwester von Dan
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und sein alter Shane in den Klauen der Spanier, das ist ein harter Schlag.“ „Ja.“ „Hoffen wir, daß sie noch leben.“ „Mal nicht den Teufel an die Wand, Ferris.“ „Mann — unser Kapitän würde nie wieder der Alte werden, wenn sie sterben. Zuerst hat er auf Arwenack nur seine Mutter und Shane als Vertraute gehabt. Dann trat Gwendolyn Bernice O’Flynn hinzu. Sie sind ineinander verschossen, darauf kannst du Gift nehmen, bloß hat’s einer dem andren noch nicht gestanden. Also, wenn dem Mädchen was passiert, dreht Hasard durch.“ „Hör auf“, sagte Ben Brighton. „Daran mag ich gar nicht denken.“ Philip Hasard Killigrew hatte sich wirklich erheblich gewandelt. Er war schon immer ein harter Mann gewesen, gewiß. Auch hatte er seine Crew gelegentlich gewaltig zusammengestaucht. Aber das gehörte zur Borddisziplin und den ungeschriebenen Regeln an Bord eines Schiffes. Er hatte sich von „einem von denen aus dem Vorschiff“ zum Kapitän hochqualifiziert — und das in kürzester Zeit. Er hatte dem Teufel ins Gesicht gespuckt, hatte Stürmen und verheerenden Schlachten getrotzt, aber alles, alles war ihm nicht so nahe gegangen wie das hier. Und darum hatte sich eine Veränderung in ihm vollzogen. Wie aus Eisen war er jetzt — trotzig, verschlossen, unnahbar. Hier spielte sich etwas ab, das seinen persönlichen Bereich betraf. Tatsächlich hatte er an die Stammfeste Arwenack nur drei Bindungen: Lady Anne, Gwendolyn und Big Old Shane. Jetzt riskierte er, zwei von ihnen zu verlieren. Gwendolyn — so lange hatte er über sie nachgesonnen, aber erst jetzt glaubte er richtig zu wissen, was sie ihm bedeutete. Damals in Falmouth war ihm das wegen ihrer nur flüchtigen Begegnung und des raschen Ablaufes der Geschehnisse nicht richtig bewußt geworden. Schön, er hatte ein Auge auf sie geworfen, und der berühmte Funke der Zuneigung hatte zwischen ihnen zu sprühen begonnen.
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Aber jetzt merkte er, was los war. Er hatte sich bis über beide Ohren in sie verliebt. Seine Sorge um sie und die anderen Gefangenen bestimmte sein Verhalten. Ganz abrupt unterbrach er seine Wanderschaft über das Achterdeck: „Profos!“ „Sir?“ Carberry eilte über den Niedergang zu ihm herauf. „Profos, habe ich dir nicht gesagt, daß ich die Decks sauber sehen will? Und was ist das hier? Hier sind immer noch Blutflecken von unserem Kampf mit den Piraten. Los, schieb ab und teile Männer zum Schrubben ein. Sie sollen sich meinetwegen die Knöchel wundscheuern, und wenn es diesmal nicht ordentlich wird, ziehe ich dir die Haut in Streifen vom Hintern!“ „Aye, aye, Sir!“ „Pete Ballie!“ Pete drehte sich am Kolderstock um. „Sir?“ „Einen Viertelstrich nach Steuerbord abfallen, zum Teufel! Nennst du das vielleicht Kurs halten?“ „Einen Viertelstrich nach Steuerbord“, wiederholte Pete beflissen. Er stemmte sich gegen den Kolderstock und meldete dann: „Neuer Kurs liegt an, Sir!“ Hasard ging nicht weiter auf Petes Antwort ein. „Mister Brighton, laß die Fallen klarieren, verdammt noch mal. Was für ein Sauhaufen seid ihr eigentlich geworden? Habt ihr vergessen, daß ich keine Schluderei an Bord meines Schiffes dulde?“ Plötzlich wurde seine Stimme leise. „Setzt euch bloß in Trab, oder es gibt Ärger.“ Wenn der Seewolf leise wurde, das war ihnen allen hinlänglich bekannt, wurde es ernst. Bitterernst. Die Männer zogen die Köpfe ein. Hätten sie nicht gewußt, um was es ging und daß letztlich der Zweck die Mittel heiligt, hätten sie Hasards Benehmen für reine Schikane und Schleiferei gehalten. Aber sie wußten ja, was der Grund für seine Gemütswandlung war. Da gab es nur eines — kuschen. Schlucken, was er ihnen an die Köpfe warf.
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Er war ihnen gegenüber jetzt nahezu ungenießbar geworden. Der oft heitere, stets gelassene, ruhige Seewolf hatte sich in eine knurrende Bestie verwandelt. Es ging ihm plötzlich nicht mehr darum, die wohlbehütete Beute, die in den Frachträumen der Galeone lagerte, unbeschadet nach England zu bringen. Das Zusammentragen des Goldes, Silbers und der vielen Juwelen hatte viel Aufwand und einigen Männern aus seiner Crew das Leben gekostet, aber was zählte das jetzt noch? Er pfiff auf den Schatz. Prioritäten mußte man im Leben setzen. Für Philip Hasard Killigrew war es absolute Priorität, Santo Domingo anzulaufen, Tod und Teufel zu riskieren und die zwölf englischen Gefangenen von ihrem grausamen Los zu befreien versuchen. Er war rabiat und gefährlich geworden. Menschen aus seiner Vergangenheit, Menschen, die ihm näher waren als alles andere auf der Welt, standen unter größter Bedrohung. Zwangsarbeit! Das konnte, wenn man die Spanier so gut kannte wie Hasard, ebenso Sklaverei wie auch nur einen Vorwand bedeuten. Möglicherweise planten die Dons, Gwendolyn Bernice O’Flynn, Shane und die anderen elf langsam, aber sicher zu Tode zu quälen. Vielleicht wollten sie ein Exempel statuieren. Sie hätten die Gefangenen ja gleich in Falmouth hinrichten können, aber nein, das wäre ein zu schneller Tod gewesen. Leiden sollten sie, damit alle Welt sah, wie Spanien mit aufmüpfigen Widersachern umsprang. Valdez, der in Ehren ergraute Soldat an Bord der „Isabella“, konnte ein Lied von den sadistischen Gewohnheiten gewisser Landsleute singen, vor allen Dingen von denen in der Neuen Welt. Valdez hatte erkannt, daß er jahrelang einem falschen Ideal gedient hatte. Hasard hatte die Spanier nie verteufeln wollen, aber er hatte Dinge gesehen, die ihm einfach den Magen umgedreht hatten. Unter all diesen grauenvollen Vorstellungen und der Sorge um die Gefangenen knüppelte er nun die
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„Isabella“ voran. Stets blieb er an Deck. Er überwachte die Segelstellung und die Ruderführung. Keiner der Männer blieb von seiner Kritik verschont. Auch als der Wind zunahm, wurde die Galeone auf Höchstfahrt getrimmt. Nicht ein Segel wurde geborgen. Die „Isabella“ pflügte in rauschender Fahrt die Fluten. Ihr stolzer Bug schob eine breite, hohe Bugwelle vor sich her. Gischtflocken sprühten wie Schneeflocken hoch bis zur Galion, Schaum leckte an den Bordwänden entlang. Die „Isabella“ war ein Schlachtroß, das unermüdlich über unendlich erscheinende Landschaften preschte, unaufhaltsam dem Ziel entgegen. Ein Roß, das die drängenden Wünsche seines Herrn verinnerlicht zu haben schien. „Der Seewolf segelt dem Teufel mal wieder ein Ohr ab“, sagte Edwin Carberry ehrfürchtig. Keiner murrte. Jeder Mann der Crew hielt mit. Sie gaben ihr Letztes, weil auch sie erkannt hatten, daß sie gegen die Zeit kämpften. Gleich am frühen Morgen hatte Hasard noch einmal den alten O’Flynn in seiner Kammer im Achterkastell aufgesucht. Er hatte gewartet, bis er aus tiefem Schlaf erwacht war, dann hatte er gefragt. „Ganz ehrlich, Donegal, wie ist es um die Gesundheit der Gefangenen aus Cornwall bestellt?“ Der Alte hatte betrübt das Gesicht verzogen. „Übel. Sie sind unterernährt und zerschunden. Man hat sie geprügelt und gedemütigt.“ Hasard hatte die Fäuste zusammengepreßt. „Und Gwendolyn?“ „Sie ist als einzige ein bißchen verschont worden. Ein kleines bißchen Respekt scheinen die Dons ja doch vor einem Mädchen zu haben. Außerdem läßt Gwen keinen an sich ‘ran. Ha, sie beißen sich die Zähne an ihr aus, aber ich weiß nicht, wie lange das noch so fortdauern kann. Ich weiß es wirklich nicht.“ Hasards Gesicht war weiß, seine Lippen strichdünn und blutleer. „Ich vergesse mich, wenn sie ihr was angetan haben. Ich brenne ganz Hispaniola nieder und mache
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alles dem Erdboden gleich, wenn auch nur einer der Gefangenen getötet wurde. Das schwöre ich, bei allem, was mir heilig ist.“ Der Kutscher und Dan hatten dem Alten mittlerweile reichlich zu essen und zu trinken verabreicht, vor allen Dingen zu trinken. „Ich bin für Flüssignahrung“, verkündete O’Flynn mehrfach grantig. „Hau mit deiner elenden Suppe ab, Kutscher. Da schwimmen ja Kakerlaken drin.“ Fluchend und zeternd kam er schließlich wieder auf die Beine. Als er sich, von seinem Sproß und dem Kutscher gestützt, am Nachmittag dieses Tages zum erstenmal auf Deck begab, sah er, wie der schwarzhaarige, blauäugige Teufel dort oben auf dem Achterkastell mit seinen Leuten umsprang. Hasard beschwerte sich gerade über den seiner Meinung nach „hundsmäßigen Stand der Blinde“ und pfiff Carberry an. O’Flynn stieß unwillkürlich ein leises Ächzen aus. „Himmel, ist der immer so wild?“ „Er ist der beste Kapitän, den du dir denken kannst“, erwiderte sein Sohn. „Und um Gwendolyn ist er besorgter als du.“ „Fängst du auch schon an, Knabe?“ „Nein. Ich will mich nicht mit dir streiten.“ „Zum Teufel!“ „Bleib ganz ruhig, Dad.“ „Na warte“, sagte der Alte. „Wenn ich es erst wieder schaffe, mein Holzbein abzuschnallen. Brauche bloß noch ein paar Krücken, um hinter dir herhumpeln zu können. Jedenfalls versohle ich dir anständig den Hintern. Hast lange keine Naht gekriegt, und das ist aller Laster Anfang. Hölle und Teufel, ich bin hier ja wohl auf einem Schiff von Teufelsbraten gelandet.“ Wer ihn so gut kannte wie der junge Dan, der wußte, daß dies ein Ausdruck höchster Anerkennung war. Man mußte die Worte des Alten eben nur richtig zu deuten wissen. *
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Der alte O’Flynn zeigte große Fortschritte in der Genesung. Am Morgen des folgenden Tages hatte er sich so weit in Schwung gebracht, daß er fast schon wieder Energie an die anderen Männer abgeben konnte. Er wetterte mit Dan herum, ließ an der Suppe und überhaupt an der ganzen Küche des armen Kutschers kein gutes Haar, legte sich mit Batuti an, ärgerte sich über Arwenack. Batuti nannte er einen „Himmelhund von einem schwarzen Satan“. Der Neger nahm das mit Gelassenheit hin. Er wußte ja, daß der Alte es nicht so meinte, wie er es sagte. Arwenack, der Schimpansenjunge, versuchte O’Flynn mit einer Kokosnußschale zu bombardieren, als dieser seinen Kopf aus dem Schott des Achterkastells ins Freie reckte. Dan verhinderte es im letzten Augenblick. Der Alte war in Hochform. Aber keiner nahm ihm seine Unbotmäßigkeiten übel. Von Carberry war man ja einiges gewohnt. Die Mannschaft hatte Übung im Einstecken von Beschimpfungen und Beleidigungen, die gehörten zum täglichen Einerlei wie das Salz in der Suppe. Von Bedeutung war eben nur, wer solche Ehrenkränkungen ausstieß. Einem anderen hätten die Männer längst den Hals umgedreht. Doch der Alte genoß gleichsam Narrenfreiheit an Bord der „Isabella“. Sein einziges Handikap war, daß er sich tragen lassen mußte. Mit dem Holzbein hatte er sich noch nie ohne Hilfsmittel vom Fleck bewegen können. Und seine guten alten Holzkrücken waren im vorigen Jahr in Falmouth im Nahkampf mit den Spaniern in die Brüche gegangen. „Setzt ihn mal hier ab“, sagte Ferris Tucker gegen Mittag. Er hatte etwas freie Zeit gefunden. Überdies beobachtete er den alten Donegal Daniel schon eine ganze Weile. Ihm war eine Idee gekommen. Ferris war Schiffszimmermann, konnte mit seinen Händen, groß wie Ankerklüsen, erstaunlich geschickt basteln, und war auch in der Not erfinderisch.
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Donegal Daniel O’Flynn wurde also auf der Kuhl abgesetzt. Dan und Batuti die Träger, knieten sich neben ihn hin. Ferris schnappte sich einen Belegnagel und rückte damit auf den weißhaarigen Alten zu. „He, was soll das?“ O’Flynns Augen weiteten sich. „Willst du mich umbringen, du Stier?“ Ferris tastete ungerührt mit dem Belegnagel an dem Körper des Alten herum. Der reckte die Fäuste. „Was fällt dir Ungeheuer ein, an mir ‘rumzufummeln? Ich bin kitzlig. Willst du wohl die Finger stillhalten und abhauen?“ „Ich nehme Maß“, brummte Ferris. „Du bist ja nicht ganz dicht. Du hast nicht alle Tassen im Schapp, Mann.“ Der Kutscher war zu ihnen getreten. Ferris grinste breit. „Mal ganz ehrlich, Kutscher, ist der deiner Meinung nach noch ganz richtig im Oberstübchen?“ „Ich glaube schon ...“ „Du bist der Feldscher, du mußt es wissen. Also, wenn er nicht beknackt ist, ist er eben bloß schwer von Begriff.“ „Ich rate dir, deine Zunge zu hüten“, sagte Dan scharf. „Reg dich ab“, antwortete Ferris seelenruhig. „Ich will mich doch mit keinem anlegen. Ehrlich nicht.“ Sprach’s, zog mit seinem Koffeynagel ab und verschwand im Vordeck. „Da brat mir einer einen Frosch“, sagte der alte O’Flynn. „Dem ist die Sonne nicht bekommen. Wer mit Belegnägeln an alten Männern ‘rumfummelt, muß ja einen Stich haben.“ Einige Zeit später änderte er seine Meinung über Ferris gründlich. Der Schiffszimmermann erschien wieder auf Deck, suchte nach den beiden O’Flynns und entdeckte sie auf dem Quarterdeck. Ferris trug etwas den Niedergang herauf und zeigte es stolz vor: zwei lange Holzgebilde, an denen er mit Akribie herumgehobelt und -geschliffen hatte. „Krücken“, staunte der Alte. „Verdammt, das hätte ich mir nicht träumen lassen.
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Hättest du nicht gleich sagen können, was du vorhast, du feuerroter Holzkopf?“ „Anpassen“, sagte Ferris nur. Dan winkte Batuti heran. Gemeinsam stellten sie O’Flynn auf sein gesundes Bein und sein Ersatzbein, dann schob Ferris Tucker ihm die Krücken unter. Old O’Flynn hoppelte nach Backbord hinüber und dann wieder nach Steuerbord zurück, verharrte — und grinste. „Donnerschlag, die sind ja besser als die alten Stelzen, auf denen ich früher herumgeturnt bin.“ Da strahlte Ferris Tucker wie ein Vollmond. Inzwischen hatte er den Alten einschätzen gelernt und wußte, daß es das Höchstmaß an Lob war, das ein O’Flynn auszusprechen vermochte. „Was für ein Schiff von Teufelsbraten!“ sagte der Alte wieder. „Und’ du, Dan, fährst hier seit drei Jahren?“ „So wahr ich hier stehe.“ „Potzblitz, das sind Kerle! Und du, Junge, hast dich gemausert, wie ich das nie für möglich gehalten hätte.“ Ferris Tucker grinste, als wollte er sich mit den Mundwinkeln die Ohrläppchen abbeißen. „Was meint ihr, Leute, dürfen wir ihm zeigen, was wir in den Frachträumen haben?“ „Klar dürfen wir das“, erwiderte Dan. Und dann stieg Old O’Flynn mit ihnen in den Schiffsbauch hinunter. Hilfe lehnte der Alte jetzt energisch ab. Er konnte mit den Krücken umgehen wie Matt und Jeff mit ihren Hakenprothesen. Ohne einen einzigen Fehltritt balancierte er die Stufen der Niedergänge hinunter. Erst, als er sah, was sich da unter den Ladeluken stapelte, legte er sich beinahe flach. Gold- und Silberbarren lachten ihn an. Ehrfürchtig strich er mit den knochigen Fingern darüber. Schatzkisten luden dazu ein, geöffnet zu werden. Der Alte klappte probeweise den einen und den anderen Deckel auf. Ihm stockte der Atem. Juwelen, Perlen Diademe, Ketten, Ringe und prunkvolle Gehänge häuften sich da, so üppig, so reichlich, wie er es noch nie gesehen hatte.
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„Hol’s der Teufel“, japste er. „Gegen das hier sind die Raubzüge von Sir John, dem alten Aas, ja nur Dumme-Jungen-Streiche. Unglaublich, Kinder, einfach unglaublich.“ „Und vorn auf dem Vordeck der ,Isabella’ ist ein goldener Anker verzurrt“, erklärte Dan feierlich. „Ein goldener Anker? Aber — den hätte ich doch längst entdecken müssen.“ „Er ist mit einem Bleiüberzug versehen“, sagte Ferris. „Da sticht er nicht so ins Auge. Wir haben ihn einem spanischen Kapitän abgenommen, der ihn mit seiner Galeone nach Spanien schmuggeln wollte.“ Als sie nach oben zurückkehrten, trat ihnen der Seewolf entgegen. Er schnitt ein Gesicht, als wolle er sie fressen. „Wo seid ihr gewesen?“ „Unten“, entgegnete der Alte kichernd. „Habe euren Schatz gesehen. Mann, das ist ja ein Monster-Schatz.“ „Wer hat euch die Erlaubnis dazu gegeben?“ Hasards Miene hatte sich nicht verändert. Old O’Flynn bewies Geistesgegenwart. „Ich war so frei, mich durch das Schiff führen zu lassen. Habe jetzt meine neuen Krücken, Seewolf, da konnte ich nicht umhin, sie mal richtig auszuprobieren. Na, und so stieß ich auf die Frachträume.“ „Ach ja?“ Hasard hatte die Augenbrauen hochgezogen und musterte sie einen nach dem anderen. „Das ist euer Glück. Ich dulde keine Eigenmächtigkeiten bei meiner Crew. Ferris, Dan und Batuti, nachdem ihr Old O’Flynn hochgepäppelt- und zu neuen Krücken verholfen habt, habt ihr nichts Besseres zu tun, als im Schiff herumzukriechen? Meldet euch beim Profos und laßt euch zum Dienst einteilen! Nehmt euch ein Beispiel am Kutscher, der ist schon längst wieder auf seinem Posten.“ „Aye, aye, Sir“, sagte Ferris. Nachdem der Seewolf gegangen war und Dan, Batuti und Ferris ziemlich belämmert dreinschauten, kicherte der alte O’Flynn wieder nach Herzenslust. Gott, was für ein Schiff! Was für ein Schatz! Und dann dieser unnachgiebige Seewolf erst! Der Alte war entzückt.
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Drei Tage, nachdem die „Isabella V.“ Donegal Daniel O’Flynn aufgenommen hatte, erreichte sie die Küste von Hispaniola und befand sich ein paar Meilen unter Land westlich von Santo Domingo. Philip Hasard Killigrew fand eine Bucht, die knapp zwei Meilen westlich vom Hafen entfernt lag. Hier ließ er nachts vor Anker gehen. Ein neues Abenteuer wartete auf ihn und seine Crew. Eins, bei dem es um weitaus Wertvolleres als um Gold, Silber, Juwelen oder Perlen ging. 6. Die Nacht war kühl und klar, der Himmel über Santo Domingo war von silbrigen Tupfen durchwirkt wie ein kostbares Gewand. Der Teniente Andres de Prada hatte einen kurzen Spaziergang unternommen. Er genoß den Ausblick auf den Hafen mit seinen Schiffen und deren Mastwerk, das in seinen geradlinigen Konturen wie ein fremdartiger, bedrohlicher Wald wirkte. De Prada atmete ein paarmal tief durch, dann drehte er sich wieder um und hielt auf den Gefängnisbau neben der Hafenkommandantur zu. Das Gefängnis war ein trutziger, festungsähnlicher Bau. Schwere Bruchsteinquader waren hier unter großen Anstrengungen in jahrelanger Arbeit aufeinandergeschichtet worden. Die Mauern waren stellenweise bis zu anderthalb Yards dick. Die eisernen Gitterstäbe vor den Kerkerfenstern hatten den Durchmesser menschlicher Arme. Dieses Gefängnis galt als ausbruchsicher und uneinnehmbar, und darauf war de Prada stolz. Er war ein ehrgeiziger Mann. Jung, schlank, sehnig und in seinen Zügen von asketischer Härte, war er die Personifizierung für Disziplin und Diensteifer. Während der Jahre, in denen er sich zum Leutnant hochgedient hatte, hatte er sich nie etwas zuschulden kommen lassen. Er glänzte durch vorbildliche Pflichterfüllung. Mehrfach hatte er
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Belobigungen des Gouverneurs entgegengenommen. Es war nur eine Frage der Zeit, und er würde Manuel de Buarcos, den eitlen, fetten Hafenkommandanten von Santo Domingo, ablösen. Das war sein Ziel. Er arbeitete mit allen Mitteln darauf hin. De Prada suchte das Wachlokal hinter den wuchtigen Kerkermauern auf. Er schlich sich bis an die Tür - dann riß er sie auf. Prompt ertappte er die beiden diensthabenden Soldaten beim Würfelspiel. Sie versuchten noch, mit hastigen Bewegungen die Würfel vom Holztisch zu räumen, aber de Prada hob die Hand. „Nicht nötig. Ich habe genug gesehen. Das bringt euch eine zusätzliche Wachschicht ein, und wenn ich bei meinem Rundgang jetzt irgendwelche Vorkommnisse oder Unregelmäßigkeiten aufdecke, wißt ihr, was euch blüht. Oder?“ „Stockhiebe auf die Fußsohlen, Senor Teniente“, beeilte sich einer der beiden zu antworten. Sie hatten Haltung angenommen. „Richtig. Wegtreten.“ Sie salutierten, sagten „Senor, si, Senor Teniente“ und brachten sich aus seiner Reichweite. Andres de Prada stieg mit dünnem Lächeln die Steinstufen in den eigentlichen Zellentrakt hinein. Im Gang zwischen den Verliesen verbreitete eine Fackel zuckendes Licht. Der Teniente schritt auf sie zu. Sie steckte ganz am Ende des Ganges in einer eisernen Halterung. Unmöglich für die Gefangenen, sie durch einen Griff zwischen den Gitterstäben hindurch zu erreichen und sie in eine der Zellen zu ziehen, um sich einer Waffe zu bemächtigen. Auch wer überdurchschnittlich lange Arme hatte, würde keinen Erfolg haben. Unmöglich, auch nur an Ausbruch zu denken! De Prada hatte gewisse Einrichtungen erneuert und alle Sicherheitsvorkehrungen genau studiert. Das war seine Lieblingsbeschäftigung. Hier, so wußte er, steckten die Gefangenen wie in einem Hungerturm. Bevor sie nicht
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zur Zwangsarbeit abkommandiert wurden, hatten sie nicht die geringste Chance, auszubrechen. Zwangsarbeit — waren sie dazu überhaupt noch zu gebrauchen? De Prada betrachtete sie durch die Gitterstäbe der Zellentüren. Sie schliefen, die elf Engländer. Er hatte sie zu jeweils zweien in die Verliese gesteckt. So hatten sie weniger Möglichkeiten, sich untereinander zu beraten und ein Komplott zu schmieden. Sie sahen ausgemergelt und schwach aus, die maldichos Ingléses, die verdammten Engländer, wie er sie zu nennen pflegte. Bald würde es zu spät sein, sie auf den Plantagen von Hispaniola einzusetzen. Sie würden sterben. Die Ernährung, die de Prada ihnen zuteilen ließ, ließ den Aufbau neuer Energien nicht zu. Wasser und Brot reichten gerade aus, einen abgezehrten Mann am Leben zu halten. Nur einer verfügte über erstaunliche Widerstandskraft. Der Hüne! De Prada lugte durch die dem Gangende am nächsten gelegene Zellentür der rechten Seite und sah ihn auf dem Steinboden liegen. Der Mann war groß und muskulös und schien von enormen Reserven in seinem mächtigen Körper zu zehren. Jedenfalls war er bei weitem noch nicht am Ende. Er war Schmied, soweit de Prada herauszuhören geglaubt hatte. Der Teniente Andres de Prada haßte alle Engländer, aber diesen Mann haßte er am meisten. Am liebsten hätte er ihn hungern lassen, um zu sehen, ob er dann nicht endlich weichgeklopft wurde und seine Überheblichkeit ablegte. Aber da war Manuel de Buarcos, der Hafenkommandant, der gleich im Gebäude nebenan wohnte. Er vertrat die Auffassung, daß diese Männer gute Sklaven abgeben würden und daß man sie gegebenenfalls sogar aufpäppeln mußte, um Ertrag aus ihnen zu schlagen. Kurzum, er war genau gegenteiliger Auffassung. Und das leckerste Stück aus dieser Gefangenengruppe hatte er sich selbst reserviert — das Mädchen.
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Es mußte nicht im Kerker schmachten, sondern hatte eine Zelle im nebenan liegenden Haus der Hafenkommandantur erhalten. De Prada ahnte, was dahintersteckte. Manuel de Buarcos war ein Lüstling. Er wollte das Mädchen verführen. De Prada schloß seinen Inspektionsgang ab. Alle Gefangenen schliefen. Den zwölften Mann, dem die Flucht von Bord der Transportgaleone gelungen war—ein weißhaariger Alter mit einem Holzbein — mochten die Haifische inzwischen vertilgt haben. Weit konnte er mit seinem geraubten Beiboot nicht gelangt sein. Vor Entkräftung mußte er bewußtlos geworden sein, soviel konnte der Teniente sich ausmalen. Hatten ihn die Haie nicht erwischt, so war er entweder Wilden oder Piraten oder Spaniern in die Hände gefallen. Ganz gleich wer, sie hätten bestimmt kurzen Prozeß mit ihm gemacht. De Prada stauchte noch einmal die beiden Wachsoldaten zusammen, dann ging er in die Kommandantur hinüber. Im Obergeschoß hatte de Buarcos seine persönlichen Wohn- und Diensträume, das Erdgeschoß und das Kellergewölbe waren für die Erfordernisse der Kommandantur eingerichtet. Wachtposten verhinderten, daß der Teniente ins Kellergewölbe hinabstieg. Er mußte sich erst bei de Buarcos melden. De Buarcos hatte sich bereits entkleidet und ein kostbares, brokat besticktes Gewand übergeworfen, das man vor dem Zubettgehen oder am Morgen nach dem Aufstehen benutzte. Ziemlich ungnädig ließ er den Teniente in seinen prunkvoll eingerichteten Salon vor. Er saß auf einem Polstergestühl mit verschnörkelten Beinen und sagte: „Also bitte, was ist los? Ich habe nicht viel Zeit, Teniente. Ein anstrengender Tag liegt hinter mir.“ Anstrengend, dachte de Prada. Welcher Art die Betätigungen des Hafenkommandanten waren, wußte er ja zur Genüge. De Buarcos hurte gern herum, liebte den Suff und alle anderen erdenklichen Laster. Wie er da so auf seinem Stuhl saß, erinnerte er
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de Prada zum wiederholten Mal an ein sattes, gemästetes Schwein. Daß de Buarcos von Natur aus korrupt und feige war, wurde in Santo Domingo hinter vorgehaltener Hand getuschelt. Es war ein offenes Geheimnis. Wo er etwas nehmen konnte, da packte er zu, der Kommandant. Und stark fühlte er sich nur unter dem Schutz seiner Soldaten. Seine weiteren Eigenschaften: er war grausam, lüstern und verfressen. Natürlich stand neben ihm auf einem marmornen Beistelltischchen eine Platte mit Eßwaren. Gebackene Tintenfische und Garnelen, Oliven und winzige Artischocken - gelangweilt griff er von Zeit zu Zeit zu, ohne de Prada auch nur ein Teilchen anzubieten. „Ich wollte nur den üblichen Rapport erstatten, Comandante.“ De Prada lächelte scheinheilig. „Jetzt, um diese späte Stunde?“ „Den Gefangenen geht es gut. Zu gut. Ich sage, sie sind zu dreist, Comandante. Es würde ihnen gut tun, ein paar Tage lang zu hungern.“ De Buarcos maß ihn mit einem verschlagenen Blick. Er war glatzköpfig und trug eine stark parfümierte Perücke. Auch sonst betupfte er sich reichlich mit Puder und duftenden Essenzen, denn er war ein fauler Mensch, dem Wasser zuwider war und Waschen als eine geradezu unanständige Zeitverschwendung galt. Andres de Prada indes wußte, daß weder Puder noch Parfüm gegen Flöhe, Läuse und intensive Schweißentwicklung auf die Dauer etwas nutzten - und so hielt er sich auf Distanz. „Das kommt gar nicht in Frage, Teniente.“ „Die Gefangenen könnten einen Ausbruch wagen. Sie sind gemein, hinterlistig und stecken voller Mordpläne gegen uns.“ Manuel de Buarcos lachte. Seine Bauchpartie geriet bedrohlich ins Wackeln. „Ha, das ist gut! Natürlich hassen sie uns. Schließlich haben wir sie entführt und wollen sie zu Sklaven machen. Teniente, nur ein kräftiger Sklave ist ein guter Sklave.“ „Nur ein toter Engländer ist ein guter Engländer!“
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De Buarcos’ harte, dunkle Augen funkelten aufgebracht. „Was verstehen Sie schon von kaufmännischen Regeln, Sie Narr? Sehen Sie mich nicht so wütend an, weil ich Sie einen Narren genannt habe. Wollen Sie aufsässig werden, Teniente de Prada?“ „Selbstverständlich nicht, Senor Comandante.“ „Ich hatte den Eindruck. Oberster Befehlshaber in diesem Hafen bin ich, falls Sie das vergessen haben sollten.” Er rieb sich angelegentlich die Knopfnase, langte wieder mit seinem viel zu langen Arm nach dem Tablett und verleibte sich einen Tintenfisch ein. Es war ein nußgroß es Tierchen, und er kaute genüßlich darauf herum. De Prada schaute den mahlenden Kiefern, den geröteten, wabbelnden Wangen und den befeuchteten Lippen zu und empfand Ekel. „Ich könnte jederzeit eine Meldung an den Gouverneur erstatten“, fuhr de Buarcos fort. „Wegen Ihres Ungehorsams. Ich beobachte Sie, Teniente. Sie trumpfen mir zu sehr auf.“ „Ich bitte um Verzeihung, Comandante.“ „In Ordnung. Kommen Sie mir nicht wieder mit so dummen Vorschlägen, und wir werden uns weiterhin gut verstehen.“ De Buarcos grinste falsch. „Wir verstehen uns doch, oder?“ „Si, Senor.“ „Zu gegebener Zeit werden wir den Gefangenen eine Extraration Wasser und Brot verabreichen. Das bringt sie auf die Beine, die Hunde. Sie brauchen nicht viel, um wieder zu Kräften zu gelangen. Man investiert bei diesen nordländischen Dickschädeln wenig und erntet viel, kapiert, Teniente?“ „Selbstverständlich. Wie steht es um die weibliche Gefangene?“ „Was geht Sie das an?“ „Ich — da Sie im Begriff sind, zu Bett zu gehen, Senor.“ Comandante, hatte ich gedacht, ich könnte noch einmal nach ihr sehen und mich vergewissern, daß alles seine Ordnung hat.“ Manuel de Buarcos lachte anhaltend. Er mußte sich den Bauch halten, weil der ein beängstigendes Eigenleben zu entwickeln
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drohte. „Also wirklich, Sie sind ein Witzbold, Teniente. Verschwinden Sie jetzt. Ab ins Gefängnis mit Ihnen, da gehören Sie hin. Ha, ich weiß, daß Sie ein Auge auf das hübsche Mädchen geworfen haben. Das kann ich sogar verstehen. Aber ich lasse nicht zu, daß Sie sie mit ihren dürren Fingern angrapschen. Und jetzt raus.“ „Si, Senor.“ Andres de Prada schritt mit verdrießlicher Miene ins Erdgeschoß hinunter, erwiderte den Gruß der Wachsoldaten nicht und kehrte in den Gefängnisbau zurück. Er war mehr als konsterniert. Wut loderte in seinem Inneren. Aber er wußte sich zu bezwingen. Er war heißblütig, doch er hatte ein großes Maß an Selbstkontrolle. Warte nur, du fettes Schwein, dachte er, meine Stunde schlägt schon noch. Vielleicht bald! * Manuel de Buarcos genehmigte sich noch eine Handvoll Tintenfische, ein paar kleine Garnelen und zwei schwarze Oliven, dann erhob er sich von seinem Gestühl. Er ging ins Schlafzimmer, betrachtete sich im Spiegel und nickte in eitler Selbstbestätigung. Nichts an seinem Äußeren konnte ihn erschüttern, nicht die Fettleibigkeit, nicht die im Verhältnis zum Körper zu langen Arme, nicht die unter dem Gewand verborgenen O-Beine. In grenzenloser Selbsttäuschung empfand er sich als zwar von der Natur nicht allzu sehr begnadeter Mensch, jedoch als unwiderstehlicher Frauenheld. Huren aller Hautschattierungen und aller Altersklassen — er hatte sie reihenweise durchgenommen. Inzwischen brauchte es schon einige Zeit, um ihn richtig in Fahrt zu bringen. Das ausschweifende Leben, das er geführt hatte, forderte seinen Tribut. Doch de Buarcos fühlte sich in dieser Nacht in Hochform. Denn was er dort unten im Kellergewölbe verborgen hielt, war endlich einmal etwas anderes — eine Abwechslung zu den erfahrenen, durchtriebenen Huren, deren
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Gunst er sich gewöhnlich erkaufte. Endlich einmal wieder eine weiße, blutjunge, hübsche und phantastisch gebaute Frau, die ein unübliches Amüsement versprach. Er witterte förmlich, daß sie noch unberührt war. Und das brachte ihn in Schwung, wie er schon lange nicht mehr in Schwung gewesen war. Gwendolyn Bernice O’Flynn hieß sie, das wußte er. Bereits nach der Ausschiffung der englischen Gefangenen hatte er sie ins Auge gefaßt. Sofort hatte er sie von den anderen Sträflingen trennen lassen — zwecks „eigener Verwendung“. Wenn es darum ging, sich einen Vorteil zu verschaffen, so war de Buarcos ideenreich und emsig. Es war dies die wundervollste Art von Beschäftigung — und die einzige, der er nachzugehen pflegte. Mit zwei Flaschen Rotwein bewaffnet verließ de Buarcos seine Gemächer und stieg ins Erdgeschoß und dann in das Kellergewölbe hinab. Die Wachtposten grinsten sich hinter seinem Rücken zu. Der Hafenkommandant ahnte das, aber es störte ihn nicht. Er hatte Macht. Ein Wort, das ihm zu Ohren kam, und es setzte Stockhiebe auf die Fußsohlen, Auspeitschen oder — in drastischen Fällen — Degradieren und Fortjagen. Die Soldaten wußten, daß sie zu kuschen hatten. Ein Soldat unter Manuel de Buarcos hatte seinen guten Sold, ein ruhiges Leben und wenig Ärger, und das setzte man nicht gern aufs Spiel. Im Kellergewölbe brannten Fackeln und Talglichter. In der Zelle, auf die de Buarcos zumarschierte, schickte eine Öllampe ihren anheimelnden Schein aus. Der Kommandant hatte die Zelle für das Mädchen herrichten lassen. Ein Teppich bedeckte den Boden. Es gab eine Waschgelegenheit. Weiche Pfühle, auf denen die Schöne sich nach Herzenslust tummeln konnte. Die einzige Unannehmlichkeit war, daß sie ein vergittertes Fenster vor Augen haben mußte. De Buarcos grinste bei dem Gedanken. Aber immerhin, sie hatte Ausblick auf den Hafen, und das war ja auch eine Menge wert.
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Seit sie die Zelle bewohnte, hatte es ihr an nichts gemangelt. Im Gegensatz zu den anderen englischen Gefangenen hatte sie stets reichlich zu essen und zu trinken erhalten. Der fette Kommandant wollte, daß sie sich ihre Formen erhielt und kräftig blieb. Für mein Amüsement, dachte er vergnügt. Ich werde sie zu meiner Leibeigenen, zu meiner ganz privaten Lieblingssklavin machen. Zum Teufel mit allen Indianerhuren, Negerweibern und abgetakelten spanischen Matronen! Er tappte unter den Gewölbebogen dahin. Wuchtige Steinsäulen, vom Licht beschienen, warfen gespenstische Schatten. Seine Schritte knirschten auf dem Boden, das Geräusch hallte von den Wäldern wider. Er trat an die Zellentür und schloß sie auf. Da lag sie! Sie hatte sich auf ihrem geräumigen Kissenlager ausgestreckt. Das rotblonde Haar umrahmte ihr Gesicht in sanften Wellen. Gwendolyn Bernice O’Flynn trug lediglich ein halb zerfetztes Kleidchen. Es war das, das sie beim Abtransport aus Falmouth auf dem Leib gehabt hatte. Die Strapazen der unfreiwilligen Reise und das ewige Waschen hatten den Stoff mürbe werden lassen. De Buarcos fand, daß diese Tatsache nicht nur alles sehr erleichterte — er brauchte es ihr nur vom Körper zu reißen —, er war auch der Ansicht, daß sie in diesem Fetzchen unerhört erotisch wirkte. In der Tat waren ihre prachtvollen langen Beine bis zu den Schenkeln hinauf nicht bedeckt. De Buarcos konnte sie aber nur sekundenlang in ihrer vollen Pracht bestaunen. Gwendolyn zog jetzt die Beine an den Körper. Kalt blickte sie ihn aus ihren grünen Augen an. In ihrer Körperhaltung lagen Abwehr und Widerwillen. Hafenkommandant Manuel de Buarcos fand auch das hinreißend. Je mehr sie sich sträubte, desto mehr würde sie ihn reizen. Er zog die Tür zu. Sie quietschte in rostigen Eisenangeln. Langsam trat er auf
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sie zu, die beiden Flaschen Rotwein unterm Arm. „Was willst du?“ sagte Gwendolyn. „Hau ab. Verschwinde. Bilde dir bloß nicht ein, ich ließe mich von dir anfassen. Da liegst du bei mir falsch, Freundchen.“ De Buarcos verstand kein Wort, aber er war hochentzückt. Wie sie sprach! Eigentlich konnte er Englisch nicht ausstehen, aber in ihrem Mund sah er die Sprache regelrecht aufgewertet. „Himmlisch“, sagte er. „Wir werden eine vergnügliche Nacht miteinander haben, mein Zuckertäubchen. Querida, vielleicht weißt du nicht, wie hoch du in meiner Gunst stehst. Komm, laß dich an meine Brust drücken, und du wirst sehen, wie zuvorkommend ich dich behandle.“ Er lachte meckernd. „Querida?“ wiederholte Gwen höhnisch. Sie erhob sich von ihrem Lager. Mit ein paar nutzlosen Bewegungen versuchte sie, ihr Kleidchen glattzustreichen und den Saum weiter nach unten zu befördern. „Hör zu, du Dickwanst, sag mir, was du willst. Du kannst mir drohen, aber tritt mir bloß nicht zu nahe.“ De Buarcos lauschte hingerissen den Sätzen, die er nicht zu deuten wußte, und dachte nur noch daran, wie sie wohl nackt aussah. Mit einem kurzen Schritt brachte er sich näher an sie heran. Seine flinke kleine Zungenspitze fuhr über die Lippen, die jetzt spröde zu werden drohten. Er war aufgeregt, und er fand das großartig. Einige Zeit hatte er verstreichen lassen müssen, bis er sich um sie hatte kümmern können. Schließlich hatte er nicht wie ein Wolf über sie herfallen können, nein, das lag ihm nun auch wieder nicht. Dann war der Gouverneur von Hispaniola in Santo Domingo erschienen und hatte eine ziemlich ausführliche Inspektion vorgenommen. Teniente Andres de Prada, dieser scharfe Hecht, hatte natürlich mit seinen Taten geprotzt. Zum Beispiel, daß er den Grund unter dem Gefängnisboden durch Steine und Eisenstangen undurchdringlich gemacht hatte. Eine seiner Verbesserungen war das. Auf diese Weise würde es keinem Sträfling mehr
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gelingen, sich durch den Boden zu graben, einen Stollen zu bauen und das Weite zu suchen. Der Gouverneur war hocherfreut gewesen. Er, de Buarcos, hatte die ganze Zeit über aufgepaßt und ein waches Auge auf den Teniente geworfen. Nun, de Prada hatte nichts über das im Keller der Hafenkommandantur versteckte Mädchen verlauten lassen. Das war sein Glück gewesen. Er wußte, daß er den Kommandanten nicht öffentlich bloßstellen konnte. Er war ein Wichtigtuer, aber ein de Buarcos hatte viele einflußreiche Freunde in Santo Domingo. Der Gouverneur war also wieder abgereist, und endlich konnte Manuel de Buarcos sich seinem Juwel widmen. Hätte der Gouverneur, dieser alte Fuchs, sie entdeckt, hätte er sie bestimmt mitnehmen wollen! Oh, de Buarcos kannte dessen Gelüste. Deswegen hatte er auch -so gebangt, der Teniente würde ihn verraten. Doch jetzt hatte er wieder Oberwasser. De Prada hatte zu kuschen. Unumstrittener Herrscher in Santo Domingo war Manuel de Buarcos! „Täubchen“, sagte de Buarcos sanft. „Du mußt dankbar sein, dankbar, verstehst du? Manuel hat sich aufopfernd für dich eingesetzt, sonst wärest du jetzt vielleicht bereits auf irgendeiner Plantage im Landesinnern.“ Gwen stemmte die Fäuste in die Seiten und betrachtete ihn von oben bis unten. „Ich kapier kein Wort, aber ich weiß, was du willst. Hast du dich mal im Spiegel betrachtet? Du siehst aus wie ein Mastschwein. Stinken tust du auch.“ „Querida!“ De Buarcos stellte die Weinflaschen auf den Tisch. „Sei ein bißchen nett zu Manuel, ja?“ Er wandte sich um, schloß ab und steckte den Schlüssel in die Tasche seines pompösen Gewandes. Gwen überlegte. Wie konnte sie diesen aufgeblasenen, widerlichen Kerl am besten überlisten? Sie hatte eine gesunde, robuste Natur und die bisherigen Entbehrungen während der Über- fahrt in die Neue Welt hatte sie
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durch das gute Leben in dieser Zelle rasch wieder ausgeglichen. Aber offen mit diesem Dicken zu kämpfen, das traute sie sich doch nicht zu. Er sah abgeschlafft aus, aber bestimmt hatte er doch genügend Mumm in den Knochen, um sie niederzuschlagen. Also mußte sie anders vorgehen. Der direkte Angriff empfahl sich nicht. „Also schön“, sagte sie. Mit einem Mal trat ein Lächeln in ihr Gesicht. „Trinken wir einen Schluck, du Sohn einer Hündin. Ich glaube zwar nicht, daß du von ein oder zwei Glas Rotwein gleich unter den Tisch rutschst. Du scheinst Übung im Trinken zu haben, du triefäugiger Schakal. Aber ich schätze, ich kann dich ein bißchen einlullen, und darauf kommt’s mir an.“ „Hinreißend“, schwärmte de Buarcos. „Wenn ich nur deine Sprache beherrschen könnte, Querida, um zu erfassen, was du mir Süßes zu sagen hast.“ „Red keinen Quark”, erwiderte sie. „Ich glaube, du bildest dir wirklich ein, ich würde dir Komplimente wegen deines guten Aussehens machen, was? Los, öffne die Flasche und schenk ein, du Mastochse. Steh nicht so tatenlos herum.“ Sie wies auf die Flaschen. Beflissen löste de Buarcos den Verschluß. Im Flaschenhals glänzte auf der Oberfläche des Weines ein Tropfen Olivenöl, der dichtete den Verschluß ab und verhinderte, daß der Wein sauer wurde. De Buarcos schlug das Öl fachmännisch durch eine schnelle Bewegung in die Waschschüssel ab. „Fein hast du das gemacht, du stinkender Iltis“, sagte Gwen. „Trinken wir?“ Sie bedeutete ihm durch eine Gebärde, Gläser zu füllen. Er tat auch das. Er grinste dreckig und prostete ihr zu. Sie tranken, dann wollte er sie zu sich heranziehen. Da reagierte Gwen. Zunächst ließ sie ihn noch das Glas absetzen. Sie stellte auch ihr Glas auf die Holzplatte des Tisches. Er rückte ihr auf den Leib. Sie konnte ihn riechen. Ekel stieg in ihr auf. Sie lächelte aber verführerisch und lockte ihn in ihren Bann. Ihre Blicke verfingen sich ineinander.
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„Du elender Bastard“, sagte sie leise. „Bastard“, wiederholte er fasziniert. „Umbringen sollte man dich.“ „Um -brin-gen“, formulierte er schwerfällig. Gwen griff nach rechts, aber er bemerkte es nicht. Er schwebte wirklich in einer Art Trance. Auch, als sie die eine Flasche Rotwein — die volle —anhob, schöpfte er noch keinen Verdacht. Er wollte eine seiner stämmigen, kurzfingrigen Hände in ihren Ausschnitt stecken, da schlug sie zu. Gleichzeitig sprang sie zurück. Das erwies sich als schlau. Die Flasche zersprang nämlich auf Manuel de Buarcos’ gepuderter Perücke in hundert Stücke, und die Scherben flogen nur so. Es gab kein großes Klirren, nur einen patschenden Laut. De Buarcos stöhnte auf. Er ging in die Knie. Glassplitter und Rotwein regneten auf ihn nieder. Seine Schädelplatte hatte sich als hart genug erwiesen, eine Flasche zum Zerbersten zu bringen, aber er war nicht hart im Nehmen: Jammernd sank er zu Boden. Mit beiden Händen hielt er sich den Kopf. Ein feines rotes Rinnsal grub eine Spur in sein gepudertes Gesicht — Blut. „Ich sterbe“, klagte er. „Idiot“, zischte Gwen. Sie bückte sich nach ihm. Er wollte sie schlagen, aber sie trat ihm mit dem Fuß gegen die Brust, daß er nach hinten überkippte. De Buarcos war noch zu benommen, um an wirklichen Widerstand zu denken. Diese Chance nutzte Gwendolyn. Sie griff in die Tasche, in der sie den Zellenschlüssel wußte, rannte zur Tür, schloß sie auf und schlüpfte hinaus. Sie wollte sie zuwerfen, aber de Buarcos war jetzt heran. Er kriegte die Tür gegen den fetten Bauch. Wieder stöhnte er. Seine Perücke saß schief und drohte ganz vom Kopf zu rutschen. Unter Fluchen und Wimmern drängte er sich aus der Zelle. Gwen jagte durch das Gewölbe. Ihre nackten Fußsohlen patschten über den Steinboden. Sie warf ihm eine Kiste in den Weg — und prompt stolperte er darüber. Dumpf kam er zu Fall.
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Gwen eilte die Treppe hinauf. Sie konnte sich noch daran erinnern, wie die Hafenkommandantur von innen aussah. So schnell sie ihre Beine trugen, hastete sie ins Erdgeschoß hoch, wandte sich gleich nach links und damit dem Ausging zu. „Halt!“ brüllte jemand hinter ihr. Sie gab Fersengeld und schoß förmlich durch die offenstehende Tür ins Freie hinaus. Aber plötzlich wurde ihr der Boden unter den Füßen weggerissen. Jedenfalls erschien es ihr so. Sie ging zu Boden, wollte sich aber zur Seite fortwälzen. Es hatte keinen Zweck. Der Soldat, der ihr auf den Ruf seines innen postierten Kameraden hin vor der Haupttür ein Bein gestellt hatte, warf sich auf sie. Grinsend hielt er sie fest. Zwei, drei Soldaten erschienen in der Türöffnung. Dann war auch Manuel de Buarcos zur Stelle. Die Perücke hatte er im Kellergewölbe verloren. Mit seiner Glatze und der Beule und dem Blut im Gesicht bildete er einen gottvollen Anblick. Die Wachtposten hatten Mühe, nicht laut loszulachen. „Hure!“ stieß er hervor. „Vorbei ist es mit meiner Gutmütigkeit. Das wirst du mir noch büßen.“ Er schritt auf sie zu und hob beide Fäuste. „Aber, aber.“ Der Teniente hatte, durch den Lärm alarmiert, das benachbarte Gefängnisgebäude verlassen. Die Hände auf dem Rücken, trat er auf sie zu. „Wer wird sich denn an einer wehrlosen Frau vergreifen, Senor Comandante? Darüber werden Sie doch wohl erhaben sein.“ De Buarcos kämpfte seine schäumende Wut nieder. „Bin ich auch. Schafft sie weg! In den Kerker zu den anderen mit ihr!“ Nur zu gern führte der Teniente diesen Befehl aus. Er dirigierte Gwendolyn, die von zwei Soldaten festgehalten wurde, in sein Gefängnis und ließ sie mit zu dem Hünen in die Zelle stecken. Er hoffte, der Schmied würde einen Ausbruchversuch unternehmen, damit er seine Pistole zücken und ihn
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niederstrecken konnte. Aber den Gefallen tat ihm der Mann nicht. Shane nahm nur die zitternde Gwendolyn in die Arme und strich ihr mit der mächtigen Hand über die Haare. „Ganz ruhig, Gwen. Mein Gott, was haben sie mit dir gemacht? Ich könnte ihnen sämtliche Knochen brechen.“ „Nicht — darauf warten die ja bloß. Es ist nichts geschehen, ich habe mich bloß meiner Haut gewehrt. Der Hafenkommandant wollte mich erobern, da habe ich ihm eine Flasche Rotwein auf den Kopf geknallt.“ Shane lachte grollend. De Prada wurde zornig, weil er die Unterhaltung der beiden nicht verstand. Wo sollte er in der Nacht einen Dolmetscher herkriegen? „Ruhe!“. rief er. „Oder ich lasse euch in Ketten legen.“ Keiner der Soldaten wagte sich zu nahe an Big Old Shane heran. Er maß sie mit einem Blick, vor dem man das kalte Grausen kriegen konnte. Sie hatten einen unheimlichen Respekt vor ihm. Rückwärts gehend zogen sie sich aus der Zelle zurück. De Prada warf die Tür zu und ließ abriegeln, dann verzog er sich mit seinen Leuten. Shane atmete auf. „Einen gewissen Schutz kann ich dir bieten, Gwendolyn. Du hast ja gesehen, die Dons haben die Hosen voll, wenn ich sie bloß mal scharf ansehe. Aber das täuscht nicht darüber hinweg, daß sie uns niemals entwischen lassen würden. Ich grüble immer noch darüber nach, wie ich uns alle befreien kann.“ „Die Fackel“, sagte Gwen. Sie blickte zu der blakenden Lichtquelle, die in der Eisenhalterung am Ende des Ganges steckte. „Wir kommen nicht ‘ran“, erwiderte Shane. „Ich hab’s schon hundertmal versucht.“ „Aber ich noch nicht“, sagte Gwen. Plötzlich konnte sie wieder lächeln, obwohl sie nicht wußte, ob soviel Zuversicht am Platz war. 7.
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Der Anker der „Isabella“ war kaum gefallen, da ließ Philip Hasard Killigrew eins der Beiboote abfieren und besetzen. Außer ihm begaben sich Carberry, Stenmark, Batuti, Jean Ribault, Ferris Tucker, Al Conroy, Jeff Bowie, Bob Grey und die beiden O’Flynns mit an Bord. „Wozu brauchen wir Old O’Flynn?“ sagte Jeff. „Er ist noch zu schwach für ein solches Unternehmen.“ „Halt doch den Rand“, protestierte der Alte. „Das mußt du mit deinem Eisenhaken gerade sagen.“ „Damit kann man Spundlöcher verdübeln, sich in der Nase bohren, Leuten den Schädel einschlagen oder --den Arsch aufreißen“, erklärte Jeff ihm freundlich. „Das kannst du mit deinem Holzbein und den Krücken nicht, Opa.“ „Warte, bis ich mein Bein abgeschnallt habe und ...“ „Hört auf“, fiel Hasard ein. „Ich brauche Old O’Flynn, weil er das Hafengelände von Santo Domingo kennt. Ruhe jetzt. Wir legen ab und pullen dicht unter Land nach Osten.“ Das Beiboot glitt aus der Bucht. Zurück blieb die „Isabella“, die vor Bug- und Heckanker lag und ihre Steuerbordbreitseite seewärts gerichtet hielt. Sie war gefechtsklar, Ben Brighton hatte während Hasards Abwesenheit das Kommando an Bord übernommen, und er würde jeden Spanier, der seine Nase in die Bucht steckte, Bekanntschaft mit den 17Pfündern schließen lassen. Schweigend pullten die Männer im Beiboot. Die Dünung der See war mäßig. Der Wind fiel von Südwesten ein, und eine günstige Strömung verlieh ihrer Fahrt mehr Geschwindigkeit. Binnen kurzer Zeit hatten sie die zwei Meilen Distanz bis nach Santo Domingo zurückgelegt. Es war Mitternacht, als Dan, der vorn im Bug hockte, mit seinen scharfen Augen einen verlassenen Holzsteg entdeckte. Sofort ließ der Seewolf beidrehen, auf das Ufer zuhalten und das Boot am Steg vertäuen. Wenig später hatten sie das Boot verlassen und stiegen auf die Kuppe eines Hügels.
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Von hier aus konnten sie die wenigen Lichter erkennen, die in der Stadt brannten. Der alte O’Flynn hatte die Führung übernommen. „Oh, das wird ein böses Erwachen für euch, ihr Höllenhunde“, prophezeite er imaginären Zuhörern zu seinen Füßen. Er reckte sogar den Arm und schüttelte die Faust gegen die Spanier. „Nicht so sicher sein“, flüsterte Dan. „Vergiß nicht, daß die Spanier in der xfachen Überzahl sind.“ „Ach was. Ich habe den Hafenkommandanten gesehen. Das ist ein fettes Schwein mit Hängebacken. Was ist von dem schon an Widerstand zu erwarten?“ „Na, ich weiß nicht“, brummte Ferris Tucker. „Solche Typen von Dons haben wir schon kennengelernt. Die können manchmal ziemlich tückisch sein - wie dieser Don Francisco Rodriguez zum Beispiel, der Befehlshaber des Schiffskonvois aus Cartagena ...“ „Hört auf zu palavern, verdammt noch mal“, sagte der Seewolf verhalten. „Ihr seid wohl nicht recht bei Trost, wie? Folgendes: wir schleichen uns nicht direkt an den Kerkerbau heran, sondern schnappen uns diesen Hafenkommandanten. Er ist uns als Geisel von größtem Nutzen. Denkt mal an Panama.“ „Und ob“, erwiderte Carberry. „Das war ein Fest!“ Kurze Zeit darauf hatten sie sich in -zwei Gruppen aufgegliedert. Die eine bestand aus dem alten und dem jungen O’Flynn, aus Hasard, Bob Grey und Jeff Bowie. Die andere wurde von Carberry angeführt. Von zwei Seiten arbeiteten sie sich durch die schlafende Stadt an die Kommandantur heran. Einen Hintereingang oder ein Fenster, durch das man heimlich in das Gebäude eindringen konnte, existierte nicht. Also blieb nur der Weg nach vorn, zur Haupttür des Baus. Hasards kleiner Haufen pirschte sich von rechts an, Carberrys Meute von links. Keiner bezweifelte, daß das Vorhaben des Seewolfes, den Hafenkommandanten gefangen zu nehmen,
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die beste Methode war, um Druck auszuüben. Doch vor den Lohn hatte der Herrgott bekanntlich den Schweiß gesetzt. Zwei Soldaten bewachten das Gebäude. Hasard und seine Männer hielten sich so dicht wie möglich an die Mauer gepreßt. Der alte O’Flynn gab sich redlich Mühe, auf den Katzenköpfen der Straße keine Geräusche mit seinen Krücken zu verursachen. Sie verständigten sich durch Zeichen. Dann hatte Hasard eine Idee. Er tippte Dan an, zeigte ein paar Gebärden. Dan grinste. Er hatte begriffen. Der Seewolf griff mal wieder in die Trickkiste. Hasard löste sich von der Mauer. Er war ein Unding, sich bis auf kürzeste Distanz an die beiden Soldaten vor der Haupttür heranzuschleichen. Hasard torkelte über das Kopfsteinpflaster, suchte nach Halt, wo es keinen Halt gab und ging ein paarmal beinahe zu Boden. Er war schwarzhaarig und daher schon bei anderen Gelegenheiten glatt als echter Spanier durchgegangen. Auch diesmal markierte er den echten Südländer. Ein paar wüste spanische Verwünschungen auf den Lippen, so stolperte er auf die Uniformierten zu. „He, Jorge“, sagte der eine Soldat. „Der Kerl ist ja stockbesoffen. Jag ihn weg.“ Jorge rief: „He, du! Verzieh dich. Zeig die Hacken!“ Hasard wankte auf ihn zu. „Compadre, ich - wa-warum gehen wir nicht zusammen einen saufen? Oh, Madre de Dios, ich fühle mich so einsam. Wa-warum leistet mir kakeiner Gesellschaft?“ „Den stecken wir in eine Kerkerzelle“, sagte Jorge. „Alles andere hat keinen Zweck.“ Hasard warf sich gegen ihn und klammerte sich an seinen Schultern fest. Bevor der Mann es sich versah und richtig zur Kenntnis nahm, daß der vorgebliche Betrunkene keine Alkoholfahne hatte, riß Hasard ihn mit sich zu Boden. Jorge strampelte mit den Beinen. Sein Brustpanzer behinderte ihn in seinen Bewegungen.
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Sein Kamerad wollte ihm zu Hilfe eilen und Hasard mit Fußtritten traktieren. Aber er wandte dem Feind im Dunkel den Rücken zu -wovon er natürlich nichts ahnte. Dan O’Flynn saß ihm plötzlich wie ein Affe im Nacken, er machte wirklich Arwenack alle Ehre. Hasard schlug Jorge die Faust gegen das Kinn. Die Wucht eines Rammklotzes saß hinter diesem Hieb. Jorges Kiefer knackte, und der Mann ließ den Kopf nach hinten sacken. Der alte O’Flynn, Bob Grey und Jeff Bowie waren Dan zu Hilfe geeilt, und jetzt stürmten auch Carberry und seine Begleiter von der anderen Seite heran. Der zweite Soldat drehte sich, um den Jungen abzuwerfen. Bob Grey trat ihm gegen das Schienbein, riß die Faust hoch, traf aber nicht genau das Kinn. Der Don wankte. Dan preßte ihm die Hände um den Hals zusammen, aber er brachte doch noch einen Schrei heraus. Da schlug Jeff kurz zu. Seine Hakenprothese grub sich in den Hals des Spaniers, riß ihm eine tiefe Wunde und bereitete ihm den Garaus. Gurgelnd schlug der Mann hin. Dan sagte: „So ein Scheiß. Wenn es drinnen ein Wachlokal gibt, hat er die Kerle jetzt gewarnt.“ „Nichts wie hinein“, sagte Hasard. „Auf sie mit Gebrüll“, sagte der alte Donegal Daniel O’Flynn grimmig. Er humpelte auf seinen neuen Krücken hinter dem Seewolf und seiner Schar her. In wilder Hatz ging es die wenigen Treppenstufen zum Eingang hinauf, dann über den Flur — und in diesem Augenblick erschienen zwei neue Soldaten auf der Bildfläche. Hasard hätte schießen können, aber er wollte nicht mehr Lärm verursachen, als irgend nötig. Zwar zückte der Mann eine Pistole. Aber der Seewolf war schneller. Er hatte seinen Degen aus der Scheide gezogen und vollführte einen Ausfall gegen den Pistolenarm des Mannes. Der erstarrte und blickte in grenzenloser Verblüffung auf seine Hand. Die Degenspitze hatte das Gelenk getroffen,
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Blut schoß daraus hervor. Ächzend ließ der Soldat seine Pistole sinken. Hasard trat ihm gegen die Brust und beförderte ihn gegen seinen Kameraden. Dann war es, als sei das Wachlokal bis zur Decke mit Soldaten der spanischen Krone angefüllt. Immer mehr Leiber drängten sich aus der Tür hervor, stießen in den Flur vor und warfen sich den Angreifern entgegen. Messer und Degen blitzten, Klingen prallten gegeneinander. Carberry, Ferris Tucker und die anderen kämpften wie die Berserker. Sogar der alte O’Flynn griff in das Kampfgeschehen ein. Er hatte das Holzbein abgeschnallt und teilte Hiebe aus. Ein Don wurde ihm direkt vor die Füße katapultiert—er knallte ihm die Prothese auf den Schädel und sah grinsend zu, wie der Don sich ausstreckte und keinen Laut mehr von sich gab. Ein Soldat brachte doch seine Steinschloßpistole hoch. Er drückte ab. Er hatte auf Jean Ribault gezielt. Doch Ferris handelte geistesgegenwärtig und schleuderte den Gegner in die Bresche, auf den er gerade mit seinen Fäusten eindrosch. Der Mann mußte als Kugelfang herhalten. Der Schütze brüllte vor Wut und Entsetzen, als er den Landsmann zusammensinken sah. Das Krachen des Schusses hallte durch das ganze Haus. Hasard stach noch einen Soldaten nieder, dann hatte er den Weg zur Treppe nach oben frei. Oben, so hatte er gesehen, hingen hinter einer prunkvollen Balustrade große Ölgemälde, standen Statuetten auf Marmorsockeln. Das gesamte Obergeschoß schien von gediegener Einrichtung zu sein, und nur dort konnte ein Hafenkommandant wohnen. Also raste Hasard nach oben. Unter ihm brandete der Nahkampf zwischen seinen Männern und den Wachsoldaten weiter hin und her. Er blieb auf der Empore hinter der Balustrade stehen und schaute sich um. Eine Tür stand offen. Er lief darauf zu und fand sich in einem Salon mit hohen Fenstern wieder. Mondlicht fiel ein und tauchte die Möbel in weißes, kaltes Licht. Hasard entdeckte eine weitere Tür, hinter
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der soeben Licht aufflackerte. Er lächelte grimmig. Auf Zehenspitzen schlich er hin. Hinter der Tür bewegte sich jemand, schlurfende, tastende Schritte waren zu vernehmen, dann Husten und Fluchen. Hasard wartete den richtigen Augenblick ab. Dann zuckte sein Fuß hoch, traf die Tür und trat sie mit solcher Wucht ein, daß sie aus ihren Angeln gehoben wurde. Sie knallte gegen den Leib eines fetten Menschen. Der Mensch kreischte, wurde zurückgeworfen, landete wieder auf seinem Bett. Ein Bett mit Baldachin war das, und die Kissen waren mit bunten Stickmustern versehen. Der Dicke zappelte. Hasard sprang über die niederkrachende Tür weg, richtete die Degenklinge auf ihn und sagte: „So, mein übergewichtiger Freund, und jetzt wollen wir mal ein paar Wörtchen miteinander wechseln.“ Sein Spanisch war perfekt, er hatte ja auch lange genug geübt. „Wie heißt du?“ „Manuel — de Buarcos.“ „Fein. Du bist der Hafenkommandant hier?“ „J-ja.“ „Hübsch hast du dich eingerichtet, das muß dir der Neid lassen. Aber du hast dich zum letzten Mal in deinem verwanzten Bett geaalt, wenn du nicht augenblicklich aufstehst und dir ein paar Klamotten überwirfst.“ „Wer bist du? Was willst du von mir?“ Hasard setzte ihm die Degenspitze gegen den speckigen Hals. De Buarcos pumpte Luft wie ein kranker Frosch. Seine Finger verkrallten sich in der Bettdecke. „Ich — ich will ja alles tun, was du befiehlst, Fremder. Nur Hasard ritzte seinen Hals mit der Degenspitze. Aus einer winzigen Wunde quoll ein Tropfen Blut hervor und perlte an de Buarcos feister Brust herab. Zum zweiten Mal in dieser Nacht sah der Hafenkommandant sein eigenes Blut fließen. Ihm wurde schwindlig. Ihm war übel. Er hätte ohnmächtig werden können, und am liebsten wäre er’s auch geworden — aber die Vernunft siegte.
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Er rutschte von seinem Bett, so flink, wie er das nie in seinem Leben getan hatte. Er stieg in seine Kleider. „Töte mich nicht“, flehte er. „Ich habe dir nichts getan.“ Zeit gewinnen, dachte er, es kommt nur darauf an, Aufschub zu erlangen, für den Rest sorgen dann im richtigen Moment die Wachen. „Beeil dich“, sagte Hasard. „Wir wollen doch nicht in deinem Schlafgemach verweilen. Es sind zu viele Läuse und Wanzen drin, nehme ich an. Außerdem habe ich meine Zeit nicht gestohlen.“ Manuel de Buarcos bebte am ganzen Leib. Ja, er zitterte um sein Leben, denn er hatte Angst vor diesem wilden, degenschwingenden Teufel, den er noch nie zuvor in seinem Leben gesehen hatte. Woher kam der und was wollte der? Und wo, um alles in der Welt, steckten die Soldaten? De Buarcos sah ein, daß es keinen Zweck hatte, um Hilfe zu rufen. Er hatte Angst, aber er war nicht dumm. Bevor die Wache, wo immer sie auch steckte, zur Stelle war, hatte dieser Eindringling ihn zwei- oder dreimal mit seinem Degen durchbohrt. Er konnte ihn abstechen wie ein Stück Vieh. „Gut“, sagte Hasard, nachdem de Buarcos sich angekleidet hatte. Hübsch sah er aus, der Dicke: Eine enge seidene Strumpfhose schloß sich um seine O-Beine, die darübergestreifte kurze Hose plusterte seine Hüften noch mehr auf, das Schoßwams stand albern von seinem Wanst ab. „Was ist mit deinem Kopf passiert?“ fragte Hasard. „Ich - ich habe einen Unfall gehabt.“ „Von der Treppe gefallen, was?“ „J-ja.“ „Das kannst du einem erzählen, der sich die Hosen mit der Zange anzieht. Los, stülp dir noch die Perücke über die Glatze, mit der Beule siehst du so unappetitlich aus. Willig, wenn ich bitten darf.“ Die Degenspitze geriet wieder bedrohlich in de Buarcos’ Halsnähe. Er beeilte sich, die Perücke von einem Ständer zu raffen und sich aufzusetzen.
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„Wir gehen nach unten“, ordnete der Seewolf an. Dann hatte Manuel de Buarcos ausreichend Gelegenheit, sich von dem fatalen Stand der Dinge in seinem Kommandanturgebäude zu überzeugen. Unten im Flur hatte eine wahre Schlacht stattgefunden. Soldaten lagen in ihrem Blut, und wer nicht tot oder verletzt war, den hatten sie zumindest bewußtlos geschlagen. Sie, das waren die Männer, die triumphierend über den Überwältigten standen. Einer hatte rote Haare, einer einen eisernen Haken statt der linken Hand, einer ein Rammkinn und ein narbiges Gesicht, einer silberweiße Haare, und, was geradezu grotesk wirkte, zwei Holzkrücken. Alle sahen sie zum Fürchten aus, und selbst der Invalide schien sein Teil zum Sieg beigetragen zu haben. Spanier, so begriff de Buarcos, waren das auf keinen Fall. Dann durchzuckte ihn die furchtbare Erkenntnis. „Ingléses“, hauchte er. „Ja“, sagte Hasard hinter ihm. „Die erste Runde ist an uns gegangen, du Fettsack.“ Jean Ribault hob seinen Degen und rief: „Es lebe der Seewolf - el Lobo del Mar!“ Die Männer stießen einen Hurraruf aus. Und Manuel de Buarcos wurde es abwechselnd heiß und kalt, in seinen Knien wackelte es, als habe er Gelee darin. El Lobo del Mar! Wer hatte nicht von diesem höllisch gefährlichen Kumpanen des berüchtigten „El Draque“ - Francis Drake gehört, der schon seit einiger Zeit die Karibik verunsicherte? Jetzt war er hier, in Santo Domingo. De Buarcos wurde erst jetzt richtig klar, was er oben im Schlafgemach durch eine unbedachte Geste oder Äußerung riskiert hätte. Er begann wie Espenlaub zu zittern und hätte sich am liebsten in ein Mauseloch verkrochen. Es war klar: der Seewolf wollte die englischen Gefangenen aus dem Kerker befreien. Aber wenn er erfuhr, was er, der Hafenkommandant, mit dem schönen Mädchen hatte anstellen wollen - was war dann?
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Andres de Prada hatte sich schlafen gelegt. Er erwachte aus traumdurchwebtem Dahindämmern und glaubte, Geräusche vernommen zu haben. Dann wurde gegen seine Zimmertür geklopft. Sofort war er hellwach. Die Pflicht rief, und er war kein de Buarcos, der sich vor Unannehmlichkeiten am liebsten drückte. „Was ist los?“ „Senor Teniente“, sagte vor der Tür einer der Wachsoldaten des Gefängnisgebäudes. „Drüben in der Kommandantur scheint der Teufel los zu sein.“ „Schon wieder? Ich komme.“ Hurtig glitt er von seinem Lager, zog sich an und hastete zu den Soldaten ins Wachlokal. Ja, jetzt konnte er deutlich das Geschrei vernehmen, das von drüben herüberwehte. Er sprach ganz offen seine Abneigung gegen de Buarcos aus. „Dieser aufgeblasene Gockel, hat er noch mehr Weiber im Keller versteckt - einen ganzen Harem vielleicht? Das lasse ich mir nicht bieten. Soll er herumhuren, soviel er will, aber nicht unter meinen Augen. Ich werde dem Gouverneur Meldung erstatten. Ich habe die Nase voll, gestrichen voll.“ „Si, Senor“, sagten die beiden Soldaten wie aus der Pistole geschossen. Alle drei blickten durch eins der Bleiglasfenster in die Nacht hinaus. Da der an die Kommandantur stoßende Kerkerbau in schräg versetzter Linie dazu errichtet war, hatten sie direkten Ausblick auf die Haupttür. De Prada fuhr zusammen. Auf den Steinstufen dort drüben lagen zwei Soldaten - reglos. Und soeben stürmte ein wilder Haufen Männer aus dem Eingang. Sie zogen vor dem Kerker auf. In ihrer Mitte befand sich Manuel de Buarcos. De Prada glaubte, die Zusammenhänge zu begreifen. „Engländer. Ich will verbrennen, wenn es nicht so ist. Sie haben sich in die Stadt geschlichen, und de Buarcos, dieser Narr, ist ihnen in die Hände gefallen. Dieser Weichling. Ich wette, er hat sich nicht einmal gewehrt.“
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„Was sollen wir tun, Senor Teniente?“ fragte einer der Soldaten. „Das fragst du? Verrammelt die Türen! Schlagt Alarm und laßt eure Kameraden anrücken, die im oberen Stockwerk schlafen. Wir verbarrikadieren uns. Waffen und Munition haben wir genug, um diese Festung zu halten.“ „Senor si, Senor Teniente.“ Der Soldat rannte davon. De Prada zückte seine Pistole. Es war ein reich verziertes Modell Mit aufwendigem Schnapphahnschloß. De Prada spannte den Hahn. Er war geübt, wußte gut zu zielen und wartete jetzt nur darauf, daß einer der Kerle dort draußen näher trat. Nur ein bißchen, dachte er, das genügt schon. Sie taten ihm nicht den Gefallen. Nur ein großer, schwarzhaariger Mann löste sich aus der Gruppe. Er stieß de Buarcos vor sich her. Zwei Schritte trennten ihn von der Meute. Aber er stand hinter dem Kommandanten und benutzte ihn als lebenden Schutzschild. Einfach abknallen konnte de Prada den fetten Kommandanten nicht — nein, das ging wirklich nicht. Er haßte ihn, aber er durfte den Bogen nicht überspannen. De Buarcos zu opfern, um an den schwarzhaarigen Mann heranzukommen, bedeutete, einen taktischen Fehler zu begehen. „De Prada!“ rief der Schwarzhaarige jetzt. „Wir wissen, daß du dort drinnen bist. Wir haben deinen Kommandanten, wie du siehst. Gib die zwölf englischen Gefangenen frei, und wir krümmen ihm kein Härchen. Wenn du dich aber weigerst, schieße ich de Buarcos zuerst in den einen Arm. Dann in den anderen. Er wird schreien, de Prada!“ De Prada lächelte tückisch. So, er kannte also seinen Namen, der schwarzhaarige Hund! Und wie gut er Spanisch sprach! Er mußte ein intelligenter Bursche sein und schien sich genau auf jeden seiner Züge vorbereitet zu haben. Der Soldat kehrte aus dem Obergeschoß zurück. „Befehl ausgeführt, Senor Teniente! Die Männer sind wach und verrammeln, was zu verrammeln ist.
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Musketen und Pistolen werden geladen. Wir sichern den Kerker nach allen Seiten.“ „Ausgezeichnet“, erwiderte de Prada. Er drückte einen Fensterflügel ein wenig auf. Dann rief er: „Das habt ihr euch fein ausgedacht. Aber wir spielen nicht mit. Holt euch die Gefangenen, wenn ihr meint, ihr schafft es! Aber wenn euch euer Leben lieb ist, rückt ihr ab!“ Philip Hasard Killigrew richtete seine Reiterpistole auf den Hafenkommandanten. De Buarcos begann zu wimmern. Andres de Prada lachte laut auf. „Ich denke nicht daran, auf eure Erpressung einzugehen. Soll er doch zum Teufel gehen, der Kommandant. Knallt ihn gleich ab oder foltert ihn langsam zu Tode, mir ist es egal!“ „Das ist — ungeheuerlich“, sagte de Buarcos mit schwacher Stimme. „Das darf nicht sein.“ Dann heulte er: „De Prada! Ich befehle dir ...“ „Nein“, brüllte der Teniente zurück. „Nichts haben Sie mir zu befehlen, jetzt nicht mehr! Ich halte den Kerker! Für das Vaterland! Und damit basta!“ „Aha“, sagte der Seewolf leise. „Da haben wir also einen ganz Scharfen vor uns. Einen rücksichtslosen Hurraschreier für König und Vaterland, was, de Buarcos? Und mir scheint, er ist scharf auf deinen Posten.“ „Schon lange.“ „Es sieht schlecht für dich aus.“ „Töte mich nicht.“ De Buarcos wäre auf die Knie gefallen, wenn Hasard ihn nicht am Schlafittchen gehabt hätte. „Ich will dich reich beschenken“, flüsterte de Buarcos. „Ich habe Geld. Und Frauen. Schöne farbige Weiber, junge und fleischige, alles, was du willst ...“ „Du kotzt mich an. Halt das Maul.“ Hasard packte ihn mit beiden Händen und schleuderte ihn zurück, auf die Crew zu. Ferris und Ed Carberry griffen sich den japsenden Dicken. Hasard trat zurück. „Schön, sie igeln sich ein, diese Hunde. Aber ich bin bereit, bis zum äußersten zu gehen. Will jemand einen Rückzieher machen?“
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Schweigen. Keiner der Männer in seinem Rücken bedeutete auch nur durch ein Kopfnicken, daß er der drohend bevorstehenden Auseinandersetzung lieber aus dem Weg ging. Es war mehr eine Verbalfrage gewesen, denn auch der Seewolf wußte, daß die Männer sich für ihn in Stücke hauen ließen. Hasard legte die Hände wie einen Schalltrichter an den Mund. „Mein letztes Wort, de Prada.“ Den Namen des Teniente hatte er von de Buarcos erfahren. „Laßt ihr die Gefangenen frei?“ „Nein!“ tönte es zurück. „Dieser Idiot“, ächzte Manuel de Buarcos. Hasard behielt die Hände am Mund und schrie: „Shane! Big Old Shane, hör mich an! Die Verhandlungen sind gescheitert, aber wir pauken euch heraus! Wir werden alles daransetzen, hörst du? Haltet aus! Verzagt nicht! Killigrew ist hier und kämpft für euch - Philip Hasard Killigrew!“ „Der Seewolf!“ brüllte Edwin Carberry. Im Wachlokal des Kerkerbaus zuckte der Soldat neben de Prada zusammen. „Seewolf? Soviel Englisch verstehe ich. Das heißt ,Lobo del Mar’. Santa Maria, über den habe ich Schreckliches vernommen. Er soll ein wahrer Teufel sein. In Panama hat er zwölf oder noch mehr Galeonen versenktund den Hafenkommandanten um sein Privatvermögen gebracht.“ Andres de Prada grinste. „Und in Santo Domingo wird er den Hafenkommandanten töten, damit ein qualifizierter Mann auf dessen Posten aufrückt. Haltet euch bereit. Macht die Musketen schußklar. Wer nicht seinen Mann steht, wird von mir persönlich hingerichtet. Auf der Stelle!“ * In den Zellen des Kerkers waren die elf Männer und das Mädchen vom Steinfußboden hochgefahren. Alle hatten die Stimme draußen vor dem Bau vernommen, alle hatten allein dem Klang
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nach erkannt, wer da zu ihrer Hilfe angerückt war. „Der Seewolf“, flüsterte einer der Männer in der Zelle neben Shane ehrfürchtig. Und Big Old Shane, dieser Klotz von einem Mannsbild, wild, verwegen, mit nackter Brust, wirrem Grauhaar, Graubart und grauen Augen, runenzerfurchtem Gesicht und eisenharten Muskeln - Shane erhob sich und stieß einen grollenden Laut aus. Er hob eine Pranke und fuhr sich damit über die Wange. „Hasard, du toller Hund, mein Gott ...“ Sein Zellenpartner, der eben gerade erwacht war, drängte sich neben ihn. „Mann, Shane, habe ich da eine Träne gesehen oder spinne ich?“ „Du spinnst, du Affe“, brummte Shane. Dann wandte er sich um. „Gwen, Kind, Mädchen, Himmel, hast du das vernommen? Ist das nicht Musik in deinen Ohren? Gott, ich fühle mich wie neu geboren. Ich könnte Bäume ausreißen. Los, wir müssen was tun, um Hasard von hier drinnen aus zu unterstützen. Wie hat er bloß zu uns gefunden? Wie ist das möglich? Ach, das ist ja jetzt auch unwichtig.“ Gwen lächelte. „Ich bete, daß Old O’Flynn bei ihm ist. Es wäre zu schön, um wahr zu sein.“ „Was tun wir jetzt bloß?“ Shane schlug sich mit einer Faust in die andere Pranke, daß es klatschte. Er rüttelte an den Gitterstäben -zwecklos. Gwen sagte: „Hilf mir mal hoch, Shane. Ich habe schon ein paarmal versucht, an die Fackel heranzukommen.“ „Das schaffst du nicht, ich hab’s dir doch gesagt.“ „Hilf mir, Shane.“ Er stemmte sie so mühelos hoch, als wäre sie ein schlanker Zweig. Gwendolyn Bernice O’Flynn drehte sich ein bißchen, daß sie mit dem Rücken gegen das Mauerwerk drückte. Dann zwängte sie sich mit dem Oberkörper an dem äußersten rechten Gitterstab der Zellentür vorbei. „Sie ist viel dünner als wir“, sagte Shanes männlicher Zellenkamerad. „Sie gelangt bis an die Fackel heran.“
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„Unfug“, sagte Shane aufgeregt. „Da ist noch was, was wir beide nicht haben, du Trottel.“ In der Tat, Gwen hatte einige Mühe, ihre prallen Brüste an dem Gitterstab vorbeizukriegen. Sie keuchte und schimpfte, hielt den Atem an, drückte und preßte. Ihre rechte Hand hielt sie ausgestreckt. Die Fingerspitzen rückten näher an die Eisenhalterung der zuckenden Fackel heran, und sie befand sich dank Shanes Mithilfe auch hoch genug, um das begehrte Objekt erreichen zu können. Die anderen zehn Männer aus den Nebenzellen klammerten sich an den Eisengittern der Türen fest und verfolgten wie gebannt, was sich weiter abspielte. Gwen stemmte sich bis zu den Hüften an dem Gitterstab vorbei. Dann umspannten ihre Finger die Fackel. Die Männer begannen zu lachen. Gwen hob die Pechfackel aus der Halterung, führte sie vorsichtig an sich vorüber und nach unten. Shanes Kamerad stand bereit, er griff zwischen zwei Stäben hindurch und packte die Fackel. „Das Eisen erhitzen“, ordnete Shane mit seiner Baßstimme an. „Halte die Fackel ganz dicht heran.“ „In Ordnung.“ Gwendolyn wollte in die Zelle zurückkehren, aber plötzlich saß sie fest. Sie steckte hilflos zwischen Mauer und Gitterstab. Ihre Augen weiteten sich vor Angst. „Ganz ruhig, Kind“, sagte Shane. „Zieh mich ‘raus“, bat sie. „Ich will dich doch nicht kaputtreißen.“ „Nun mach schon, Shane.“ Er zerrte ein bißchen an ihren Beinen, aber das nutzte auch nichts. „Warte“, sagte sie keuchend. „Laß mich ein paarmal ruhig durchatmen. Ich mache mich so flach wie möglich. Wenn ich mich hier hereingezwängt habe, muß ich doch auch wieder freikommen.“ „Ja. Ruhig Blut, Mädchen.“ Draußen ertönte plötzlich das Krachen einer Schußwaffe. Aber niemand schrie. „Das war eine Muskete“, raunte ein Mann aus der Nebenzelle. „Wie ich die Lage
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einschätze, hat der Teniente auf den Seewolf feuern lassen. Hasard ist aber nicht so dumm, sich einfach abknallen zu lassen. Was wird er jetzt tun?“ „Das wissen die Götter“, meinte Shane. „Gegen die Übermacht kann er nicht anstinken. Hölle und Teufel, ich hab schon immer gesagt: wer gegen den Wind pißt, kriegt nasse Hosen. O Gwen, verdammt noch mal, ich hab ja ganz vergessen, daß wir eine junge Lady unter uns haben. Entschuldige vielmals ...“ Gwen mußte lachen. Und plötzlich rutschte sie aus ihrer verzwickten Schräglage direkt dem Schmied von Arwenack in die Arme. Sie kicherte und zupfte ihn an seinem Bartgestrüpp. „Na siehst du, es hat was genutzt. Du brauchst dich also nicht zu genieren.“ Shane rieb sich die mächtigen Pranken. „He, du Hering“, sagte er zu seinem Zellengenossen. „Wie weit bist du?“ „Siehst du das nicht? Ich habe den Gitterstab hier an seinem unteren Ende zum Glühen gebracht.“ „Er muß rotglühen, du Satansbraten. Gib mal her.“ Big Old Shane kniete sich hin und tat, was er schon immer getan hatte — zeit seines Lebens: Eisen durch Feuer weichen. Plötzlich ging alles sehr schnell. Als das untere Stück des Stabes wirklich rot glühte, reichte er seinem Partner die Fackel, sprang auf und packte mit beiden Fäusten den Stab. Er zerrte daran, daß die Adern an seinen Schläfen hervortraten. Er legte alles in diese Unternehmung — und plötzlich gab es einen rupfenden Laut und einen Ruck. Der Eisenstab hatte sich unten gelöst. Shane setzte nicht aus. Er bog den Stab samt seinem noch glühenden unteren Ende hoch. Wieder hielten die Männer und das Mädchen den Atem an. Es war doch einfach unglaublich, welche Kräfte in diesem Hünen steckten! Er drückte das Eisen so weit hoch, daß es zum Schluß in waagerechter Stellung über seinem Haupt wippte. „Gwen. Versuch mal, da hindurchzusteigen.“ Shane grinste. Gwendolyn drückte sich seitwärts in die
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entstandene Öffnung. Und wirklich, sie konnte hindurchschlüpfen. Als sie im Gang stand, fragte sie etwas ratlos: „Was soll ich jetzt tun?“ „Nach Eisenstreben, Nägeln und anderem Zeug suchen. Irgendwo müssen die Dons doch solches Zeug horten. Schau mal nach, ob nicht eine der vorderen Zellen offensteht. Mir scheint, ich habe da alte eiserne Bettgestelle gesehen, als sie uns hier eingepfercht haben, die Hundesöhne. Paß auf, daß dich keiner erwischt, Kind.“ Gwen lief leichtfüßig davon. Shane blickte seinen Zellengenossen an. „Los, du Hering, versuch’s.“ Der Mann war abgemagert, aber er schaffte es trotzdem nicht, wie Gwendolyn durch die Lücke im Gitterwerk zu steigen. Er blieb stecken. Shane mußte ihn mit beiden Händen herauszerren. „Du bist ein Holzkopf“, sagte er. „Es ist doch nicht meine Schuld, wenn ich nicht dünner bin.“ „Quatsch nicht. Gib mir noch mal die Fackel.“ Shane erhitzte den Eisenstab links neben der Lücke. Er schwitzte und fluchte, die Fackel war weit heruntergebrannt und drohte, ganz zu erlöschen. Im letzten Moment brachte Shane das Eisen zum Rotglühen. Er warf die Fackel einfach weg, griff wieder mit seinen stahlharten Pranken zu und bog den zweiten Stab hoch. Diesmal konnten sowohl er als auch sein Kamerad in den Gang treten. Gwen kehrte zu ihnen zurück. „Es stimmt. Vorn in einer offenen Zelle stapeln sich Eisenbetten.“ „Die hat der Leutnant, dieser scharfe Hund, aus den Zellen entfernt, damit die Gefangenen auf dem Fußboden schlafen müssen“, sagte Shane wütend. „Dieser dienstgeile, sadistische Hund! Na warte. Hast du auch Nägel oder so was aufgestöbert?“ Sie öffnete die Hand und zeigte ihm die Nägel. Shane suchte sich einen davon heraus. Zu seinem Zellengenossen sagte er: „Los, lauf nach vorn und fang an, die Bettgestelle gegen die Tür des
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Zellentraktes zu wuchten, so daß sie eine Barrikade bilden, kapiert?“ „Ja. Und du?“ „Ich öffne hier die Zellenschlösser.“ Und dann lieferte Shane wieder einmal einen Beweis, welche Geschicklichkeit in seinen gewaltigen Pranken steckte. Zuerst bog er den Nagel an seinem Ende um, dann trat er an die Zelle neben der seinen und stocherte mit dem Eisenprint in dem Schlüsselloch herum. Die beiden Männer hinter der Tür verfolgten fasziniert seine Bestrebungen. Unvermittelt ertönte ein Knacken. Shane klappte den Riegel weg und riß die Tür auf. „Ich will hier doch nicht ewig Gitterstäbe krummbiegen“, sagte er grinsend. „Warum umständlich, wenn’s auch einfach geht?“ Die Männer verließen die Zelle, klopften ihm dankbar auf die Schultern und liefen dann zu dem anderen Mann nach vorn, um ihm beim Verbauen der Tür des Traktes zu helfen. Shane bosselte die übrigen Zellentüren auf. Draußen fielen keine Schüsse mehr. Es war Ruhe eingetreten. „Die Ruhe vor dem Sturm“, urteilte Shane. „Bin mal gespannt, was Hasard, dieser Lümmel, jetzt ausheckt.“ Er beeilte sich, die letzten Schlösser aufzusperren. Dann eilten sie alle nach vorn, verarbeiteten die Eisenbetten aus der offenen Zelle zu einer einzigen, riesigen Barrikade und verkeilten diese vor der Tür. Gwen entdeckte Eisenstreben. Sie teilte sie aus. „Jetzt haben wir auch Schlagwaffen“, sagte, Shane. Probeweise schwang er einen der Metallknüppel. Er verursachte ein surrendes, bedrohliches Geräusch. „Der Teniente kann mit seinen Bastarden nicht mehr an uns ‘ran, Leute. Wißt ihr, was das bedeutet?“ Gwen nickte aufgeregt. „Er hat gegenüber dem Seewolf kein Druckmittel mehr in der Hand. Wir sind für ihn wertlos geworden.“ „Sollen sie kommen, die Dons“, versetzte einer der Gefangenen aufgebracht. „Sie haben uns lange genug gepiesackt. Jetzt sind wir am Zug. Wer immer die Barrikade
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beseitigen will, kriegt Dresche, die er nicht wieder vergißt.“ 9. Dan O’Flynn hastete durch die Nacht. Er hatte den Hügel, von dem aus sie zuvor die Stadt beobachtet hatten, längst hinter sich gebracht und hatte auch den hölzernen Landesteg mit ihrem Beiboot hinter sich liegen lassen. Allein konnte er nicht pullen. Außerdem war er ein guter Läufer. Stundenlang konnte er das Tempo, das er vorgelegt hatte, durchhalten. Der Seewolf und die anderen Männer waren zur Belagerung des Kerkers in der Stadt zurückgeblieben. Sie konnten nicht angreifen, es wäre heller Wahnsinn gewesen. Unter dem Musketenfeuer der Soldaten de Pradas wären sie wie die Fliegen gestorben. De Prada hatte Hasard ja auch zur Warnung vor die Füße feuern lassen. Aber belagern konnten die Männer das Gefängnisgebäude! Wer heraustrat, war ein toter Mann. Gleichzeitig bestand aber die Aussicht, daß Andres de Prada sich des gleichen Tricks wie Hasard bediente — daß er nämlich die Gefangenen als Geiseln benutzte und den Ausbruch aus dem Gefängnis versuchte. Daher drängte die Zeit. „Lauf“, hatte Hasard gesagt. „Du bist der Schnellste von uns, Dan. Die zwei Meilen bis zu unserer Ankerbucht hast du schnell hinter dich gebracht. Du weißt, was du zu tun hast.“ O ja, das wußte Dan! Seine Fußsohlen trommelten auf dem weichen Untergrund, er war ein Kurier, von dem alles abhing. Er raste über Land und riskierte, auf ein Hindernis zu geraten, zu fallen und sich die Knochen zu brechen. Er mußte damit rechnen, auf Spanier zu stoßen. Alles war denkbar, aber er hatte sich in den Kopf gesetzt, die „Isabella V.“ um jeden Preis zu erreichen. Und sie waren hartnäckig, die O’Flynns! Der Apfel fiel nicht weit vom Stamm. Der Morgen graute noch nicht, da hatte Dan die kleine Bucht vor sich. Er zögerte
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nicht, stieg ins Wasser, breitete die Arme aus und warf sich in die Fluten. Keuchend schwamm er. Der Spurt machte sich jetzt doch bemerkbar. Dan fühlte Stiche in seinen Seiten. Dennoch verlangsamte er sein Tempo nicht. Die Arme abwechselnd eintauchend, mit den Beinen auf- und abschlagend, arbeitete er sich an die Galeone heran. Wie ein schwarzes, gigantisches Tier lag sie vor ihm in der Bucht. Dan war ungefähr auf das Drittel einer Kabellänge an die Backbordseite heran, als die Gestalt eines Mannes hinter dem Schanzkleid hochwuchs. „Halt! Wer da?“ Es war Karl von Hutten, der die Deckswache ging. „Wahrschau!“ rief Dan. „Hasard schickt mich. Sag Ben Brighton Bescheid!“ Karl warf eine Jakobsleiter aus und belegte sie oben am Schanzkleid. Gleichzeitig rief er nach Matt Davies. „Matt! He, schläfst du?“ „Du spinnst wohl“, meldete sich Matt vom Achterdeck. „Soll ich dir vielleicht den Schädel eindellen?“ „Nein, du sollst Ben auf Deck rufen.“ Dan stieß bis an die Jakobsleiter vor, klomm an den Sprossen hoch und kletterte auf die Kuhl. Er schüttelte sich wie ein nasser Hund, und Karl von Hutten kriegte eine Ladung Salzwasser ab. Er wetterte, aber wenig später, als sich die Crew auf Deck versammelt hatte und Dan O’Flynn berichtete, lauschte er genauso atemlos wie die anderen und unterbrach das Bürschchen nicht ein einziges Mal. „Ben“, sagte Dan schließlich. „Du sollst mit der ,Isabella’ auslaufen und den Hafen von Santo Domingo überfallen, das Feuer auf die Kanonen an Land und auf den Piers sowie auf die vier spanischen Galeonen im Hafenbecken eröffnen.“ „Ein Blitzüberfall“, sagte Ben Brighton. „Er muß sofort und schlagartig Wirkung zeigen. Ich habe verstanden, was Hasard vorhat. Männer, wir gehen ankerauf, setzen die Segel und klüsen, was das Zeug hält, auf Santo Domingo zu!“ *
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Der Teniente Andres de Prada verfolgte mit Genugtuung von seinem Platz hinter dem Fenster des Wachlokals aus, was sich draußen abspielte. Der Lärm vor der Hafenkommandantur und der Musketenschuß, den er schließlich hatte abfeuern lassen, hatten einen Teil der Bevölkerung und vor allen Dingen sämtliche Soldaten, die sich noch in der Stadt befanden, in Alarmzustand versetzt. Die Soldaten hatten sich allmählich angeschlichen. Jetzt hatten sie die Geschütze an Land und auf den Piers besetzt. Mittlerweile hatten sich auch die vorher bewußtlos geschlagenen Soldaten aus der Kommandantur an die Seite der aktiven Kameraden gebracht. Sie hatten berichtet, was sich zugetragen hatte. Santo Domingo verschanzte sich, Santo Domingo wartete darauf, dass sich das Rudel Engländer wieder irgendwo zeigte. Aber der Seewolf, Manuel de Buarcos und die anderen zehn Männer ließen sich nicht mehr blicken. De Prada hatte Hasard mit der Muskete niederknallen lassen wollen — jetzt waren die Feinde, die wie die Raubtiere in die Stadt eingefallen waren, wie vom Erdboden verschluckt. De Prada sandte immer wieder forschende Blicke auf die Gebäude am Hafen und die dazwischenliegenden Einfahrten und Gassen aus. Wo steckten die Gegner? Er glaubte nicht, daß sie die Flucht ergriffen hatten. Sie lauerten irgendwo, bereit, ihn und seine Männer heimtückisch niederzumetzeln. Die Dunkelheit über der Stadt war ihr Verbündeter. Der Wolf und sein Rudel lagen im Hinterhalt und warteten nur auf ihre Chance, als Heckenschützen aktiv zu werden. Aber de Prada wollte ihnen die Suppe versalzen. Und zwar gründlich! Der Morgen graute fast, als er sich zu seinem Entschluß durchgerungen hatte. „So kommen wir nicht weiter“, sagte er zu seinen Männern. „Wir müssen die Schurken aus ihrem Schlupfwinkel locken.“ „Aber wie?“ fragte einer der Soldaten.
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„Wir könnten einen Ausbruch versuchen“, schlug ein anderer vor — es war einer von denen, die der Leutnant beim Würfelspiel ertappt hatte. Ganz klar trachtete er danach, das Vergehen wieder auszugleichen und Punkte zu sammeln, wie man sagte. De Prada schüttelte den Kopf. „Das haben wir nicht nötig. Los, steigt in den Keller hinunter und holt die Gefangenen. Das Mädchen und den Hünen laßt ihr in einer Zelle. Die anderen zehn werden uns als Geiseln von höchstem Nutzen sein. Ich glaube nicht, daß der Engländer auf seine Landsleute schießen läßt.“ Ein Trupp Soldaten rückte in den Keller des Baues ab. Andres de Prada lächelte verschlagen. Es war gut, wenn er den bärenstarken Schmied dort unten ließ. Der Kerl war ihm zu stark. Er konnte, selbst auf die Gefahr hin, erschossen zu werden, einen blitzschnellen, brutalen Ausfall unternehmen. So ein Bursche war zu allem bereit. Und dieses Risiko wollte de Prada nicht eingehen. Und das Mädchen? Nun, er wollte sie aufsparen. Für sich. Natürlich war auch er für ihre Reize nicht unempfänglich. Sollten die anderen Gefangenen zum Teufel gehen, das Mädchen mit den grünen Augen würde noch froh sein, wenn es um seine Zuneigung betteln durfte. Das Blättchen wendete sich. Für de Buarcos’ Leben gab er keinen Pfifferling mehr. Bald würde er der Kommandant in diesem Hafen sein und sich das Leben einrichten, wie er es sich schon lange wünschte. Plötzlich kehrten zwei der zu den Zellen beorderten Soldaten ins Wachlokal zurück „Teniente!“ rief der eine. „Die Tür zum Zellentrakt! Sie läßt sich nicht öffnen!“ „Was soll das heißen?“ „Sie muß von innen verrammelt sein.“ Andres de Prada fluchte ungehalten, lief selbst nach unten und stieß sich an der Tür fast den Kopf. Sie war wie zugenagelt. Da half kein Rütteln. De Prada trat einen Schritt zurück, die Soldaten wichen rasch zur Seite. De Prada schrie: „Aufmachen! Ich zähle bis drei, dann lasse ich das Feuer eröffnen,
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ihr Narren!“ Spanisch verstanden sie nur wenig, die Gefangenen, aber es mußte genügen, daß sie begriffen, was er wollte. Es gehörte kein Scharfsinn dazu. De Prada zählte, dann ließ er das Musketenfeuer gegen die Tür prasseln. Kugeln aus Blei und gehacktes Eisen schlugen durch das Holz — aber die Tür gab nicht nach. Und drinnen schrie auch kein Verwundeter auf. Sie hatten sich auf den Boden geworfen, diese verdammten Engländer! De Prada tobte. „Holt einen Rammklotz! Es ist mir egal, woher ihr ihn kriegt! Ich will, daß die gottverfluchte Tür fällt. Und dann schießt ihr nieder, wer sich noch aufsässig zeigt!“ Wenig später wuchteten die Soldaten einen dicken Balken die Kellertreppe hinunter. Zu zwölft packten sie ihn, holten aus, liefen gegen die Kerkertür an und ließen das Rammholz dagegen krachen. Die Tür vibrierte, gab aber immer noch nicht nach. „Weiter!“ rief de Prada. Er kehrte ins Wachlokal zurück. Die am Fenster postierten Soldaten starrten in den aufziehenden Morgen hinaus, als wäre eine Seeschlange aus dem Hafenbecken aufgestiegen oder hätte sich sonst etwas Absurdes ereignet. Ihre Münder standen offen, ihre Augen waren geweitet. Dann sah de Prada selbst, was der Anlaß für ihre Betroffenheit war. Eine große, stolze Galeone mit drei Masten hatte sich auf Santo Domingo zugeschoben und legte sich jetzt breitseits in die Hafeneinfahrt. Da wurden Segel weggenommen, wurde mit großem Können manövriert. De Prada nahm ein Spektiv zur Hand. „Wer in aller Welt ist das? Was ist das für eine Art, hier einfach so aufzukreuzen, ohne sich zu erkennen zu geben? Der will doch nicht etwa ...“ Weiter kam der disziplinierte Teniente nicht, denn in diesem Augenblick stoben. über den offenen Stückpforten der Galeone dicke weiße Wolken hoch. Der Kanonendonner rollte heran, wälzte sich auf den Gefängnisbau und die Hafenkommandantur zu und rüttelte an den Mauern. Die Kugeln aus den
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Bordgeschützen rasten in die Piers und trieben sie in Fetzen auseinander. Sie legten Hafenanlagen in Schutt und fegten Kanonen weg, bevor die daran postierten Spanier überhaupt Luft geholt hatten. De Prada verschluckte sich. Er hustete mit tränenden Augen. Der nächste Blick, den er aus dem Bleiglasfenster warf, zeigte ihm: die Soldaten nahmen Reißaus. Wer die höllische Breitseite der unheimlichen Galeone überlebt hatte, nahm die Beine in die Hand und türmte ins Hinterland. Im Nu waren die Männer wie ein Spuk aus dem Hafengelände verschwunden. „Nein“, brüllte de Prada verzweifelt. „Allmächtiger —nein!“ „Beruhigen Sie sich. Senor Teniente“, sagte einer der Soldaten hinter ihm. „Noch haben wir die Geiseln — die englischen Gefangenen.“ „Haben die Männer die Kerkertür aufgebrochen?“ „Noch nicht.“ „Hölle und Verdammnis“, stieß Andres de Prada hervor. „Wir sitzen in der Falle. Wir können weder vor noch zurück, will das nicht in eure Köpfe?“ Es hatte schon immer zu seinen hervorstechenden Eigenschaften gehört, Situationen auf Anhieb richtig einzuschätzen. Hatten die Soldaten auf der Kellertreppe die Tür zum Kerker bis jetzt nicht aufgestoßen, so würden sie es auch nicht mehr schaffen. Zu perfekt war die Barrikade, die die Gefangenen errichtet hatten. Und draußen im Hafen wendete das mächtige Schiff, um ihnen die andere Breitseite zu präsentieren. „Zwei Freiwillige zu mir“, sagte er. Sein Gesicht war kalkweiß, seine Augen quollen aus den Höhlen hervor und hatten jetzt einen fanatischen Glanz. „Wir unternehmen einen Ausfall. Wäre doch gelacht, wenn wir diesen Hunden nicht doch noch ein Schnippchen schlagen würden. Man muß stets das tun, mit dem sie am allerwenigsten rechnen.“ Zwei Soldaten traten vor. Es waren die, die sich beim Würfelspiel hatten ertappen lassen. Ein dritter mußte die Klinke der Gefängnistür herunterdrücken. Als de
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Prada „jetzt“ sagte, riß er sie auf — und die drei Männer stürmten mit gezückten Pistolen ins Freie. Sie waren keine zehn Schritte weit gelangt, da bellte ihnen eine Stimme entgegen: „Stehenbleiben! Laßt die Waffen fallen, oder es ist um euch geschehen!“ Die beiden Freiwilligen verlangsamten ihren Schritt. Unsicher hielten sie nach allen Seiten Ausschau. Andres de Prada stürmte weiter und hob die Pistole. Es ließ sich nicht genau orten, woher der Ruf ertönt war. Aber er wußte, wer ihn ausgestoßen hatte. Der Seewolf ! Plötzlich sah er ihn, den verhaßten schwarzhaarigen Teufel! Er stand unter der Türfüllung im Eingang der Hafenkommandantur. Dort hatte er sich also mit seiner Meute verschanzt! De Prada schlug einen Haken nach links, brachte sich in den Schutz der Mauer und drückte seine Pistole auf den Seewolf ab. Philip Hasard Killigrew lag plötzlich flach auf dem Bauch. Seine zweischüssige Radschloßpistole blaffte in das Krachen von de Pradas Waffe hinein, die Schüsse erfolgten fast gleichzeitig. Sie kreuzten sich. Heißes Blei strich über Hasards Rücken weg. Und de Prada krümmte sich plötzlich. Hasards Kugel hatte sein Herz durchbohrt. Die leergeschossene Pistole entglitt seiner Hand. Er kippte vornüber und schlug auf das Pflaster, zuckte noch ein paarmal und blieb dann reglos liegen. Die beiden Freiwilligen standen zwischen Kerker und Kommandantur, warfen ihre Waffen weg und hoben hastig die Hände. Musketenläufe hatten sich aus den Fenstern der Hafenkommandantur geschoben und auf sie gerichtet. „Ihr da“, rief der Seewolf noch im Liegen. „Sagt euren Kameraden, sie sollen aufgeben. Es hat keinen Zweck, sich länger zu widersetzen!“ Die beiden Soldaten drehten sich um und marschierten, die Hände immer noch erhoben, auf das Wachlokal des Gefängnisses zu. Eine Weile debattierten sie aufgeregt mit ihren Landsleuten im
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Innern des Baues, dann war der Bann gebrochen: die Soldaten traten einzeln und ohne Waffen heraus. Sie hatten keine Lust, die Märtyrer fürs Vaterland zu spielen. Das Befreiungswerk war gelungen. De Prada war tot. Der Seewolf stellte sich vor die Kommandantur und winkte zur „Isabella V.“ hinüber. Ben Brighton, der ihn durch den Kieker beobachtete, verstand. „Spart die Kugeln, Männer!“ rief er auf die Kuhl hinunter. „Die eine Breitseite hat genügt, um den Dons das große Flattern beizubringen.“ Hasard gebührte es, zur Kerkertür hinabzuschreiten und dagegenzuklopfen. „Ihr könnt öffnen“, sagte er grinsend. „Ich bin’s.“ Da wurde innen geschrien und gelacht, da wurde Schweres zur Seite gerückt, irgendwohin geworfen, dann legte jemand seine Hand auf den Griff und zog die knarrende Tür auf. Hasard sah Gwendolyn Bernice O’Flynn, die auf ihn zuraste und ihm plötzlich am Hals hing. „O du Teufel!“ schrie sie. „Was für ein Wiedersehen. Daß ich das erleben darf!“ Tränen erstickten ihre Worte. Sie preßte ihre Lippen auf Hasards Mund, und ihr Kuß schmeckte nach salzigen Tränen. Hasard wurde es heiß und kalt. Big Old Shane drängte durch die johlenden Gefangenen, drückte Hasard und Gwen gleichzeitig an seine gewaltige Brust — und brachte auch kein Wort mehr heraus. Diesmal schämte er sich der Träne nicht, die aus seinem linken Augenwinkel rann, die Wange hinunterkullerte und sich in dem wilden Bartgestrüpp verlor. Sie gingen nach oben und wurden vor dem Kerkergebäude von dem alten O’Flynn, Carberry, Stenmark, Batuti, Jean, Ferris, Al Conroy, Jeff Bowie und Bob Grey in Empfang genommen. Old O’Flynn tanzte auf seinen Krücken herum wie ein Verrückter und sang schmutzige Lieder von der Frau Wirtin mit ihren vielen Liebhabern und davon, was ein trunkener Seemann alles beim Landgang anstellt. Die „Isabella“ hatte ein Beiboot ausgesetzt. Ben Brighton, Dan O’Flynn und ein paar
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andere Männer pullten herüber, um an der Wiedersehensfeier teilzunehmen. Dan umarmte seine Schwester. Und dann fragte er sie ganz zufällig: „Sag mal, weißt du, warum dieser Fettsack de Buarcos eine Beule auf der Glatze spazieren trägt?“ Gwen sagte es ihm. Da brach der urwüchsige Zorn der O’Flynns in dem Jungen durch. Er stürzte sich auf den Hafenkommandanten, trat ihm gegen die Schienbeine und deckte ihn mit einem Hagel von Fausthieben ein. De Buarcos half alles Jammern und Beteuern seiner Unschuld nichts — er mußte die Hiebe einstecken. „An die Arbeit, Männer“, sagte der Seewolf. „Wir zerstören den Hafen. Dann gehen wir an Bord unseres Schiffes und segeln weiter ostwärts. Gwen, ich werde dir einen reizenden kleinen Burschen
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vorstellen, den wir nach der Stammfeste der Killigrews benannt haben.“ „Arwenack?” „Ja.“ „Wer ist das?“ fragte Shane erstaunt. „Ein Moses?“ Carberry grinste. „Nein. Ein Affenmarsch von einem Affen. Ein richtiger Schimpansenjunge, hol’s der Teufel— o Verzeihung, junge Lady.“ „Schwamm drüber“, erwiderte Hasard. „Ihr habt die gute Erziehung nicht mit Löffeln zu euch genommen, aber ihr seid ein Haufen Pfundskerle, und das ist mehr wert als alle guten Manieren dieser Welt. Gwen, du wirst dich an diese Satansbraten gewöhnen.“ „Das fällt mir nicht schwer“, sagte sie lachend. „Von Old Shane bin ich ja einiges gewöhnt.“
ENDE