Gruselspannung pur!
Der Schattenkiller von Bamberg
von C.W. Bach Dämonenjäger
Mark Hellmann Kati und Lars teilten ei...
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Gruselspannung pur!
Der Schattenkiller von Bamberg
von C.W. Bach Dämonenjäger
Mark Hellmann Kati und Lars teilten ein Geheimnis miteinander: Die Siebzehnjährige und ihr ehemaliger Klassenkamerad hatten ein Liebesnest in der Hölle! Damit war allerdings nicht Mephistos dämonische Unterwelt gemeint, sondern eine schmale Gasse in der Bamberger Altstadt. Das Sträßchen zwischen Eisgrube und Unterer Seelgasse hieß wirklich so. In der Hölle befand sich die Dachwohnung eines Freundes von Katis Vater, der für sechs Monate in Australien arbeitete. Die auszubildende Arzthelferin hatte sich bereit erklärt, das Apartment regelmäßig zu putzen. So hatte sie eine sturmfreie Bude, wo sie sich mit ihrem Freund ausgiebigen Liebesspielen hingeben konnte. Ohne von ihren sittenstrengen Eltern gestört zu werden… Mark Hellmann - die Gruselserie, die Maßstäbe setzt! 2
Auch in der Nacht vom 27. auf den 28. Juni 1999 waren Kati und Lars wieder intensiv miteinander beschäftigt. Das Mädchen mit der blonden Kurzhaarfrisur lag auf dem schmalen Bett unter dem Fenster. Kati warf ihren Kopf hin und her, verzückt von den Bewegungen ihres Freundes, die ihr höchste Lust schenkten. Scharf sog sie den Atem ein, fühlte den Höhepunkt mit Gewalt nahen… Plötzlich erstarrte der durchtrainierte Junge über ihr. »Was ist?« fauchte Kati. »Mach doch weiter! Es ist gerade so schön…« Lars antwortete nicht. In das dunkle Zimmer fiel nur ein trüber Lichtschein von der Straßenbeleuchtung draußen. Aber das Mädchen erkannte, wie ihr Freund vor Entsetzen wie gelähmt war. Er mußte etwas entdeckt haben, das ihn aus der Bahn geworfen hatte. Katis Lust verging schlagartig. Auch sie wollte nun sehen, was sich draußen abspielte. Sie stemmte ihre Hände gegen die Brust ihres Freundes. Versuchte, sich von seinem Gewicht zu befreien. Endlich gelang es ihr. Die Blonde erhob sich auf die Knie und schaute aus dem Fenster. Nun erblickte auch sie das, was Lars offenbar so geschockt hatte. Es regnete brennende Kreuze! * Da Bamberg wie die italienische Hauptstadt auf sieben Hügeln liegt, wird es auch »Fränkisches Rom« genannt. Dem Vatikan vergleichbar befindet sich eine kirchliche Stadt auf dem Bamberger Domberg, deren älteste kirchliche Gebäude aus dem 11. Jahrhundert stammen. Und auf diese altehrwürdigen Kirchen prasselten nun riesige Holzbalken in Kreuzform herab. Kati und Lars rissen das Fenster auf. Von der Gasse namens Hölle aus hatte man einen guten Blick auf den Domberg. Nun erkannten sie auch, daß es umgedrehte Kreuze waren, die in das Dach des Domes schlugen und es in Brand setzten. Umgedrehte Kreuze - das Symbol Satans! Manche der hölzernen Brandbomben waren so lang wie ein Mittelklassewagen. Einige rasierten förmlich die Turmspitzen des 3
kirchlichen Gebäudes und schlugen dann auf das Kopfsteinpflaster des Domplatzes nieder. Die Glocken wurden durch die Erschütterung angeschlagen. Es entstand ein unheimliches Läuten, das Kati durch Mark und Bein ging. Der Flammenregen schien sich auf den Dom zu konzentrieren. Der Dachstuhl brannte bereits lichterloh. Sirenen heulten auf. Einsatzfahrzeuge von Polizei und Feuerwehr kämpften sich durch die engen Gassen der Dominikanerstraße und Judenstraße zum Domberg hoch. Die Stadt erlebte eine grauenvolle Nacht. Der Zweite Weltkrieg hatte Bamberg ziemlich verschont. Darum war die herrliche alte Bausubstanz gut erhalten geblieben. Und nun das! Kurz vor dem Beginn des 21. Jahrhunderts ein Kreuzregen wie in einem mittelalterlichen Angsttraum! »So was kann es doch nicht geben!« Lars hatte endlich seine Sprache wiedergefunden. Der dunkelhaarige Junge legte den Arm um die schmalen Schultern seiner Freundin. Er merkte, daß sie zitterte. Als Technikfreak war der Fachoberschüler durch und durch Realist. Später wollte er Maschinenbau studieren. In seinem Weltbild kamen keine umgedrehten Kreuze vor, die brennend vom Himmel regneten. Umso größer war jetzt seine Erschütterung. »Ich weiß nicht…« Kati zappelte nervös herum. Erst nach und nach beruhigte sie sich halbwegs wieder. Denn wie ein »normaler« Gewitterschauer flachte auch der Kreuzregen leicht ab und versiegte schließlich ganz. Nur noch drei oder vier dieser Satanssymbole fielen aus einer dunklen Wolkenbank. Dann breitete sich gespenstische Ruhe aus. Man hörte nur noch die Rufe der Feuerwehrmänner und die Geräusche, mit denen sie die Leitern ausführen und die Schläuche in Position brachten. Die Blonde ließ sich rückwärts aufs Bett fallen. Starrte für eine Minute nachdenklich an die Decke. Die Lust war ihr offenbar gründlich vergangen. Lars legte sich neben sie. Es war ihm deutlich anzusehen, daß auch sein Interesse am Sex geschrumpft war. Und er versuchte nicht, diesen Stimmungsumschwung zu verbergen. Plötzlich schnippte Kati mit den Fingern. »Erinnerst du dich an Struppy?« »Struppy?« echote Lars verständnislos. »Na, dieses Mädchen aus Weimar, das wir letzte Woche im 4
Internet beim Chatten kennengelernt haben.« Zusammen mit ihrem Freund suchte Kati öfter zum Spaß das Netz der Netze auf. Aus Neugier und Interesse an anderen, oder einfach, um mit denen Blödsinn zu machen und zu lachen. Dabei waren sie auf eine andere Userin gestoßen, die sich »Struppy« nannte und angeblich aus Weimar kam. Stundenlang tippten die Chat-Teilnehmer ihre Botschaften auf ihre Tastaturen. Alles erschien auf dem Bildschirm und konnte von den anderen Teilnehmern ebenfalls gelesen werden. Interaktivität war das Stichwort. »Ach, die Struppy. Muß 'ne ziemliche Schrilltante sein.« »Möglich. Jedenfalls hat die doch behauptet, ein Freund von ihr wäre so eine Art Spezialist für Unerklärliches. Ein Exorzist oder so was.« »Exorzist?« Katis Freund grinste. Er erinnerte sich dunkel an den Chat. »So was gibt's doch nur im Film.« »Abwarten. Ich hätte jedenfalls Lust, Struppy den fetten Schocker zu mailen, den wir gerade erlebt haben. Vielleicht interessiert das ja ihren Exorzistenkumpel.« Lars biß sich auf die Lippen. Noch vor einer Stunde hätte er seine Freundin angesichts ihres Vorhabens mit Hohn überschüttet. Doch diese Kreuze da draußen waren nicht ganz echt. Er konnte es drehen und wenden, wie er wollte. Außerdem gab es keine natürliche Erklärung für den Angriff auf den Dom. Trotzdem konnte er es nicht ganz lassen, herumzumotzen. »Hat denn dieser tolle Exorzistenfreund auch einen Namen?« »Mark Hellmann, glaube ich.« * Ich kannte die Stadt nicht. Es war eine schöne Stadt, mit herrlichen Gebäuden aus dem Mittelalter, der Renaissance und Gotik. Und doch lag über den liebevoll gepflegten Häusern der Schatten des absolut Bösen. Eine Atmosphäre der Bedrohung. Als ob ein übermächtiger Dämon seine Klauen um diesen wunderbaren Ort geschlungen hätte. Wieso war ich überhaupt da? Was sollte ich dort? Das konnte ich nicht sagen. Ich schien durch die gewundenen Gassen zu schweben. Sie waren menschenleer. Ich kam mir vor 5
wie in der künstlichen Realität eines Computerspiels. Meine Beine konnte ich nicht sehen. Auch sonst schien kein Stück meines einsneunzig großen, doch recht kräftigen Körpers vorhanden zu sein. Aber ich bewegte mich einen Hügel hoch. Ob ich es wollte oder nicht. Irgend etwas zog mich dort unwiderstehlich an. Etwas, das mich wollte. Und dann war ich da. Auf einem breiten Platz, umsäumt von kirchlichen Gebäuden. Kein Laut war zu hören. Wie in einem Vakuum. Plötzlich leuchtete etwas über mir auf. Obwohl ich körperlos zu sein schien und deshalb auch keine Augen hatte, schmerzte die Helligkeit. Ein widersinniges Phänomen. Zumal die ausgestorbene Stadt in nächtlicher Dunkelheit lag. Nur einige Straßenlaternen spendeten ein trübes Licht. In der Luft über mir materialisierte sich etwas. Es war ein Schloß, mit Zinnen und Türmen bis in den Himmel hinein. Das verschwenderisch gestaltete Gebäude schien aus reinem Silber gefertigt oder errichtet zu sein. Es schwebte fünfzig Meter über dem Kopfsteinpflaster des Platzes. Das zweiflügelige Tor öffnete sich langsam. Wer immer jetzt herauskam, hatte einen Sinn für dramatische Auftritte. Zuerst sah ich nur eine rötliche Höllenglut. Mephisto? Die Gestalt in dem bodenlangen mittelalterlichen Gewand schien meine Gedanken gelesen zu haben. »Wer ist schon Mephisto?« höhnte der Unheimliche. Das Wesen im Torbogen des Silberschlosses hatte ein langes, pferdeartiges Gesicht, das von einem schwarzen Bart umrahmt wurde. Gelbe Augen glitzerten mich tückisch an. Sie wurden überschattet von mächtigen Augenbrauen, deren lange Haare das Blickfeld ziemlich einschränken mußten. Trotzdem hatte ich das Gefühl, von diesem starren Blick förmlich aufgespießt zu werden. Für einen Moment fiel mir Junker Leichenbaum wieder ein, der Ritter mit dem bösen Blick (Siehe MH 34!). Er hatte mit seinen Augen den Menschen seinen Willen aufgezwungen. Aber am Ende hatte es ihm trotzdem nichts genützt. Da hatte ich ihn nämlich zur Hölle geschickt. »Was willst du von mir?« fragte ich zurück. Die Gestalt in dem langen Gewand ging nicht darauf ein. »Ich bin Clingh, der König aller Zauberer von Vergangenheit, 6
Gegenwart und Zukunft. Alle Geheimnisse der Schwarzen Magie habe ich ergründet. Es gibt niemanden, der es mit mir aufnehmen kann.« An Minderwertigkeitsgefühlen litt der Bursche mit den struppigen Augenbrauen jedenfalls nicht. »Und ich fordere dich, Mark Hellmann, zum Duell!« »Zum Duell?« »Du hast richtig gehört, Kämpfer des Rings. Die halbe Hölle taucht zitternd in Schwefelseen unter, wenn nur dein Name genannt wird. Aber Clingh fürchtet sich nicht vor einem Menschlein wie dir. Du bist für mich so unbedeutend wie ein Teufelsfurz. Es knallt einmal laut - doch zu sehen ist nichts. Vor allem nicht, wenn ich dich in der Luft zerreiße!« Dieser Clingh schien nicht nur der König der Zauberer, sondern auch der Angeber zu sein. Ich wußte nicht so recht, was ich von ihm halten sollte. »Und was ist, wenn ich keinen Zweikampf mit dir will?« Der Ausdruck auf Clinghs Gesicht wurde noch heimtückischer. Seine Kralle deutete auf ein Gebäude mit vier hohen Kirchtürmen am Rande des Platzes. »Siehst du diesen schönen Dom dort?« Ich nickte. »Es ist der Dom von Bamberg. Erstmals geweiht im Jahre 1012. Paß auf!« Clingh murmelte einige Worte in einer unverständlichen Sprache und wirbelte mit den Armen herum. Plötzlich regneten umgedrehte Kreuze vom Himmel! Die satanischen Symbole krachten auf das Dachgestühl des Doms, zerstörten die Türme und setzten das ganze Gebäude in Brand. Ich fuhr auf, wollte eingreifen. Doch im selben Moment wurde mir klar, daß ich keinen Körper hatte. Ich schwebte als reines Bewußtsein oder als Vision von mir selbst durch diesen Traum. Wenn es wirklich einer war… Clingh lachte teuflisch. Der Anblick des rot lodernden Gotteshauses schien ihn in beste Stimmung zu versetzen. »Du kommst nach Bamberg, Mark Hellmann! Dort werde ich dich erwarten. Zu unserem Duell, das nur einer von uns überleben wird. Wenn du nicht erscheinst, werde ich die ganze Stadt dem Erdboden gleichmachen. Und alle Menschlein von Bamberg sollen in der Hölle schmoren!« Zur Untermalung seiner Worte fiel ein riesiger brennender Deckenbalken aus dem Dach des Domes auf den Platz hinunter. 7
Instinktiv wollte ich zurückspringen. Aber ich hatte ja keinen Körper, mit dem ich dag tun konnte. Das flammende Trümmerteil krachte mitten in mich hinein! Ich fühlte nur noch einen wild auflodernden Schmerz, und hörte Clinghs satanisches Lachen, mit dem er das Brausen der Feuersbrunst übertönte… * Schreiend erwachte ich. Die Vision war so wirklichkeitsnah gewesen, daß ich den Gestank meiner verbrannten Haut in der Nase zu haben glaubte. Aber ich roch nur meinen eigenen Angstschweiß. Und das Duschgel meiner Freundin Tessa Hayden, die in diesem Moment nackt aus der Dusche gestürmt kam. »Was ist passiert, Mark…?!« - Mit einem Blick hatte sie die Situation gecheckt. Wie man es von einer erfahrenen Polizistin erwarten konnte. Tessa linste auf meinen geheimnisvollen Siegelring, der uns vor keiner aktuellen Dämonengefahr warnte. Als meine Freundin und Kampfgefährtin hatte sie schon oft selbst erlebt, wie das von dem französischen Seher Nostradamus hergestellte Kleinod wirkte. Momentan schien jedenfalls in meiner Wohnung in der Florian-Geyer-Straße zu Weimar keine greifbare Gefahr zu drohen. »Schlecht geträumt…« Ich fuhr mir mit beiden Händen durch mein blondes Haar, strich es zurück. Tessas schlanker, knabenhafter Körper kam durch den kleinen Raum auf mich zu. Sie setzte sich neben mich auf das Futonbett. »Geträumt? Hast du denn überhaupt geschlafen, Mark?« Ich erschrak. Sie hatte recht. Die Vision von diesem verdammten Zauberer hatte mich im hellwachen Zustand überfallen. Vor fünf Minuten hatte ich noch auf dem Bett gelegen und in einem Geschichtsbuch über den Partherkönig Tiridates gelesen. Eine geheimnisumwitterte historische Figur, die als mein Freund Vincent van Euyen wiedergeboren worden war (Siehe MH 52!). Dann war ich plötzlich, von einem Moment zum nächsten, in Bamberg gewesen, wo mir dieser Clingh seine Macht vorgeführt hatte. Wenn dieser Dämon eine solche Gewalt über meinen Geist hatte, würde ich mich verdammt warm anziehen müssen… 8
Jetzt dachte ich allerdings überhaupt nicht daran, in meine Klamotten zu schlüpfen. Tessas feingliedrige Hände glitten über meine Oberarmmuskeln und das rot-blau-goldene Hexenmal auf meiner linken Brustseite, Sie versuchte auf ihre ganz eigene Art, mich den erlittenen Schrecken vergessen zu lassen. Mit wenigen Worten hatte 'ich ihr berichtet, was ich in dieser Vision gesehen hatte. Resolut drückte sie mich aufs Bett zurück. Und bevor ich es mich versah, hatte sie auch schon ihre wohlgeformten Oberschenkel über meine Hüften geschwungen. Und begann damit, sich lustvoll auf mir auf und ab zu bewegen. Plötzlich kicherte die Fahnderin. Ihre plötzlichen Heiterkeitsausbrüche waren für mich nichts Neues. Trotzdem fragte ich nach. »Was ist so komisch?« »Mir fällt gerade dieses Kinderlied ein.« Und sie begann zu trällern: »Hoppe, hoppe, Reiter, wenn er fällt, dann schreit er. Fällt er in den Sumpf… - wie ging die Strophe noch weiter?« »… dann macht der Reiter bums!« schlug ich vor. Gleichzeitig umfaßte ich ihre prallen Pobacken mit meinen Händen und wuchtete ihr von unten meine Lenden entgegen. Tessa schaffte es immer wieder, mich in absolute Raserei zu versetzen. Sie war wirklich eine phantastische Frau. Der zweistimmige Schrei, mit dem wir den Höhepunkt erlebten, würde meinem neugierigen Vermieter Artur Stubenrauch wahrscheinlich in diesem Augenblick die Pantoffeln wegfliegen lassen. Aber das war nicht unser Problem. Er mußte sie suchen. Wenig später lagen Tessa und ich schwer atmend nebeneinander. »Ich muß mich beeilen, wenn ich nicht zu spät zum Dienst erscheinen will. Was hast du mit diesem komischen Fling vor, Mark?« Ich zog die Brauen zusammen. »Er heißt Clingh, Tessa. Und ich glaube nicht, daß man diesen Dämon auf die leichte Schulter nehmen sollte.« »Willst du die Herausforderung zum Duell etwa annehmen?« Davon hatte ich meiner Freundin natürlich auch berichtet. »Auf jeden Fall will ich nicht, daß Menschenleben gefährdet werden. Und wenn er wirklich Bamberg zerstören will…« »Das kann ja jeder behaupten«, meinte Tessa. Sie wollte natürlich nicht, daß ich mich unnütz in Gefahr begab. 9
Andererseits kannte sie meine Bestimmung als Träger des Rings, der dazu auserwählt war, gegen das Böse in jeder Form zu kämpfen. Ich zog mir Boxershorts an und stiefelte ins Wohnzimmer hinüber, statt mich unter die Dusche zu stellen. Eine innere Stimme riet mir, sofort den Fernseher einzuschalten. Eigentlich bin ich überhaupt kein Fan vom Frühstücks-TV, aber ich schaltete den Kasten dennoch ein. Auf einem Privatsender wurde gerade Götz Aismann interviewt, der seine neue CD vorstellte. Die Elvis-Tolle des Entertainers schien sich förmlich durch den Bildschirm zu schieben. Ich hatte ihn schon einmal persönlich kennengelernt (Siehe MH 44!). Nervös zappte ich weiter. Auf dem nächsten Kanal gab es Werbung. Die dritte Station brachte das, was ich befürchtet hatte. Die Kamera zeigte einen von historischen Gebäuden umgebenen Platz. Eines der Häuser war nur noch eine schwarze Brandruine. Feuerwehr-Einsatzfahrzeuge parkten auf dem Kopfsteinpflaster. Brandbekämpfer erstickten die letzten Schwelbrände. Alles schien genauso zu sein wie in meiner Vision. Eine Reporterin im fliederfarbenen Minikostüm stöckelte ins Bild. »… es keine Informationen über die Brandursache. Obwohl sich einige Zeugen gemeldet haben, die brennende Kreuze auf den Barnberger Dom hinabstürzen gesehen haben wollen, wird diese Version von Einsatzleitung und Bischof angezweifelt. Fest steht schon jetzt, daß ein nicht wiedergutzumachender Schaden entstanden ist. Das Bauwerk aus dem frühen Mittelalter ist das Kernstück des sogenannten Fränkischen Vatikans…« Ich schaltete ab. Wenn ich noch einen Beweis für Clinghs dämonische Macht benötigte, dann hatte ich ihn nun geliefert bekommen. Die Vision mochte ein Trugbild gewesen sein, aber die Zerstörung des Doms war echt. Also würde Clingh wohl auch den Rest seiner Drohung wahrmachen. Die Bamberger Bevölkerung war in höchster Gefahr! In diesem Moment schellte es an meiner Wohnungstür Sturm. Tessa war inzwischen komplett angezogen und ging, um zu öffnen. Sollte sich Meister Stubenrauch über unsere lauten Liebesspiele beschweren, wollte ich ihm vorschlagen, sich mehr um seine Frau zu kümmern. Nach dem Zwischenhoch von vor 10
paar Wochen ließ sich der gute Mann wieder arg hängen, hatte ich das Gefühl. Doch als Tessa die Tür öffnete, leuchtete ihr nur der grüne Haarschopf von Struppy entgegen. Unsere junge Freundin, die mit richtigem Namen Mechthild Schaumburg-Klöten heißt, war noch aufgedrehter als bei ihr ohnehin üblich. Und das wollte was heißen! »Hallo, Tessa! Hallo, Mark, alter Geistergreifer!« Ich grinste säuerlich. Wenn Struppy nur gekommen war, um die Plaudertasche zu mimen, war sie damit bei ihrem neuen Lover Freddy Bimba besser aufgehoben. Auf mich wartete jetzt wahrscheinlich ein Haufen Arbeit. Aber da fiel Struppy schon mit der Tür ins Haus. »Sind dir schon mal brennende umgedrehte Kreuze untergekommen, Mark?« Ich horchte auf. »Meinst du die Sache in Bamberg, die im Fernsehen…?« »Im Glötzophon? No, Sir. Ich habe gerade 'ne e-mail von so einer Schnalle gekriegt, mit der ich ein bißchen gechattet habe. Und die will live mitgekriegt haben, wie diese Dinger den Dom abgefackelt haben. Läuft das jetzt schon in der Flimmerkiste? Fett, Mann…« Wenn ich Struppys Sprüche richtig übersetzte, hatte sie eine Augenzeugin an der Hand, die selbst beobachtet hatte, was in Bamberg geschehen war. Tessa fuhr sich noch einmal über ihre brünette Kurzhaarfrisur und verabschiedete sich mit einem Kuß von mir. Sie mußte dringend zu ihrer Arbeitsstelle in der Polizeidirektion Weimar. Mich mit Struppy allein zurückzulassen, bereitete ihr keine Probleme. Zwar hatte ihre Eifersucht nicht nachgelassen, aber Tessa betrachtete die grünhaarige Achtzehnjährige mit den wasserblauen »Hans Albers«-Augen nicht als weibliches Wesen, sondern als eine Art Kobold. Vielleicht lag sie damit gar nicht so falsch. Struppy fläzte sich auf mein Sofa. Stolz wie ein Spanier angesichts ihrer wichtigen Information. Sie lehnte sich zurück. Das hätte sie lieber nicht tun sollen. Zwischen der Dachschräge und der Zimmerecke lag der Raum im Halbdunkel. Auch die Rückenlehne des Sofas wurde momentan nicht von der Sommersonne beschienen. Ein langer Schatten fiel auf diesen Teil des Zimmers. 11
Und dieser Schatten wurde plötzlich lebendig. Er drohte Struppy zu verschlingen! * Ich reagierte sofort. Mein Siegelring prickelte und erwärmte sich, zeigte mir die schwarzmagische Gefahr an. Zum Glück stand mein Einsatzkoffer griffbereit in der Nähe. Darin bewahre ich neben anderen weißmagischen Instrumenten und Schriften auch meinen geheimnisvollen armenischen Silberdolch auf. Diese Waffe zog ich nun. Und stürmte auf den Schatten los. Das Schemen hatte keinen stofflichen Körper. Und doch mußte seine Kraft ungeheuer sein. Das bemerkte ich an Struppys schmerzverzerrtem Gesicht, als sie von dem dunklen Dämon aufgehoben wurde. Die Grünhaarige schwebte einen Meter über dem Fußboden. Die sich ständig bewegende und wabernde Gestalt des Schattens zerrte an ihr, bog ihre Arme und Beine zu den unglaublichsten Verrenkungen. Wenn Struppy nicht so gelenkig gewesen wäre, hätte sie das sicher nicht unverletzt überstanden. Aber lange konnte sie das nicht mehr aushalten. Ich hieb meinen Dolch in die schwarze feinstoffliche Gestalt. Es prickelte und knisterte, als ob rund um meine Waffe Wunderkerzen abgebrannt würden. Aber einen sichtbaren Effekt brachte mein Angriff nicht. Dort, wo mein Dolch getroffen hatte, verschwand der Schatten. Aber er machte keine Anstalten, sich ganz aufzulösen. Oder gar schwächer zu werden. Das bekam ich im nächsten Augenblick schmerzhaft zu spüren. Wie ein kaum gebremster Überlandbus knallte der massige Schatten gegen mich. Ich wurde durch die Wohnung geschleudert wie ein nicht angeschnallter Dummy beim Crashtest. Unsanft kam ich im Flur auf. Wenn ich als aktiver Kampfsportler nicht das Fallen gelernt hätte, wäre mein Sturz noch übler ausgegangen. Aber auch so reichte es mir. Wenigstens hatte ich den Dolch nicht verloren. Struppy kreischte, als ob ihr die Haut abgezogen würde. Ihr Sommerkleid hing bereits in Fetzen von ihr herunter. Ich sprang 12
auf die Füße und startete eine neue Attacke. Meine Klinge fuhr durch den Schatten. Mit dem einzigen Erfolg, daß er nun auch mich umschlang und in die Luft hob. Plötzlich kam mir eine Idee. »Ich komme nach Bamberg!« brüllte ich. »Noch heute! Aber laß das Mädchen los! Sie hat damit nichts zu tun!« Ein dreckiges Lachen ertönte. Und dann eine Stimme. Dieselbe Stimme wie in meiner Vision. »Ich habe dein Wort, Mark Hellmann!« Als wäre plötzlich die Sonne hinter den Wolken hervorgekommen, verschwand der dämonische Schatten blitzartig. Wie ich vermutet hatte, steckte dieser Clingh hinter dem Angriff des körperlosen Wesens. Struppy und ich fielen zu Boden. * Das Mädchen war fix und foxi. Als »Lara Croft«-Fan war Struppy für jede Art von Action zu haben. Aber möglichst nur bei Computerspielen. Höchstpersönlich von einem lebendigen Schatten zerrissen zu werden, entsprach nicht ihrer Vorstellung von fun. Ich strich ihr tröstend über den mageren Rücken, während mein Gehirn auf Hochtouren arbeitete. Dieser Clingh war verdammt ungeduldig. Er konnte es kaum erwarten, sich mir zum Kampf zu stellen. Dafür war ihm jedes Mittel recht. Wenn ich Unbeteiligte schonen wollte, mußte ich wirklich sofort nach Bamberg. Aber ganz unvorbereitet wollte ich nicht gehen. »Hast du vielleicht 'nen Kaffee, Mark?« schniefte die Grünhaarige. »Klar - wenn du ihn dir selber kochst. Ich muß telefonieren…« Sie trabte in die Küche, während ich auf meinem Handy die Nummer meiner Eltern eintippte und gleichzeitig ein T-Shirt überzog. Drüben in der Siedlung Landfried am Rande von Weimar läutete ein paar Mal der Apparat. Dann hob meine Mutter Lydia den Hörer ab. »Hellmann.« »Ich bin es, Mutter.« Ich nannte Ulrich und Lydia Hellmann Vater und Mutter. Denn 13
ich liebte sie wie meine richtigen Eltern, die ich ja nicht kannte. Als Zehnjähriger war ich nackt und ohne Erinnerung an mein bisheriges Leben in der Weimarer Altstadt aufgegriffen worden. Mit nichts bei mir als dem geheimnisvollen Siegelring an einem Lederband um meinen Hals. Die Hellmanns hatten mich seinerzeit adoptiert und mir den Namen Markus Nikolaus gegeben. Später sollten mich alle nur Mark nennen. »Mark! Wie schön, daß du anrufst! Willst du zum Mittagessen vorbeikommen? Es gibt Kartoffelsalat mit Wiener Würstchen. Ein leichtes Essen, bei der Hitze…« Gute Lydia. Trotz meiner inzwischen neunundzwanzig Jahre war ich für sie immer noch der kleine Junge, der durchgefüttert werden mußte. So sind Mütter eben. »Ich habe es leider eilig, Mutter. Kannst du mir Vater ans Telefon holen?« Täuschte ich mich, oder seufzte Lydia gequält auf? »So ist die Jugend von heute. Alles muß schnell gehen, nie ist Zeit…« Ich blieb hartnäckig. »Warum kann denn Vater nicht an den Apparat kommen?« »Weil er gerade hypnotisiert wird!« * Dr. Paul Abaringo hockte auf der vordersten Kante eines Sessels und ließ seine kurzen Beine herunterbaumeln. Der zwergenhafte Parapsychologe aus Südafrika war sofort nach Weimar gekommen, nachdem sein Freund Ulrich Hellmann ihn darum gebeten hatte. Und nun saß er dem pensionierten Kripomann in dessen Arbeitszimmer gegenüber. »Dir fehlen also drei Tage in deinem Leben«, stellte der Afrikaner fest. Ulrich Hellmann fuhr sich durch sein weißes, immer noch volles Haar und zündete mit einer unwilligen Bewegung seine Pfeife an. »Richtig, Paul. Nachdem ich in die vierte Dimension dieses Zeitdämons Polydorus geraten bin, war ich hier in meinem wirklichen Leben in Weimar drei Tage verschwunden. Und ich weiß absolut nicht, was ich in dieser Zeit unternommen habe. Und wo ich gewesen. Und wann. Da ist ein schwarzes Loch in 14
meinem Bewußtsein.« Der Parapsychologe nickte versonnen. »Ja, die Zeit ist eines der größten Geheimnisse der Menschheit. Aber es gibt einen Weg, Ulrich. Deshalb hast du mich ja wohl hergebeten.« Vater stieß eine Tabakwolke aus. »Genau. Hypnotisiere mich. Zapfe mein Unterbewußtsein an. Dort wird die Wahrheit schlummern. Ich spüre es ganz deutlich.« Dr. Paul Abaringo warf Ulrich Hellmann einen ernsten Blick zu. »Bist du sicher, daß du die Wahrheit auch ertragen kannst?« »Ja«, erwiderte der Pensionär ohne Zögern. »Alles ist besser als diese Ungewißheit.« Der Parapsychologe nickte verständnisvoll. Wie Ulrich selbst war auch er Mitglied in dem internationalen Zusammenschluß, der sich LIGA nannte. Eine Gruppe von seriösen Okkultisten, die sich den Kampf gegen das Böse zur Lebensaufgabe gemacht hatten. Vor ein paar Wochen erst hatten sich einige von ihnen in einem Weimarer Hotel getroffen und Erfahrungen ausgetauscht. (Nachzulesen in MH 51!) »Sind wir ungestört?« »Auf jeden Fall, Paul. Lydia habe ich erzählt, daß ich dich um eine Hypnose gebeten habe. Sie ängstigt sich zwar. Aber du weißt ja, wie sie ist. Trotzdem wird sie uns alle Besucher und Anrufer vom Hals halten.« Der Afrikaner senkte zustimmend den Kopf. Vielen Menschen waren Dinge wie Hypnose oder Trance immer noch unheimlich. Obwohl sie inzwischen auch in der modernen Medizin als Heilverfahren eingesetzt wurden. »Dann sollten wir direkt beginnen, Ulrich.« Mit diesen Worten hatte Abaringo einen Kugelschreiber aus seinem Jackett gezogen. Er bewegte ihn nur leicht hin und her wie das Pendel einer Standuhr. »Folge dem Stift. Nur mit den Augen.« Das Ritual vollzog sich einige Minuten lang. Ulrich Hellmann hatte seine Tabakspfeife im Aschenbecher abgelegt. Die Arme ruhten entspannt auf den Lehnen seines Schreibtischstuhls. Die Atemzüge des alten Mannes wurden gleichmäßiger. Der Parapsychologe spürte mit der Erfahrung seiner jahrzehntelangen Praxis, daß sein »Patient« nun soweit war. Mit ruhiger und leiser Stimme redete er auf den pensionierten Kripomann ein. »Wer bist du?« 15
»Ulrich Hellmann.« »Du wirst jetzt in die vierte Dimension fallen, Ulrich Hellmann. Aber du brauchst keine Angst zu haben, denn ich bin bei dir. Sage mir nur, was du siehst.« »Ja. Ich falle jetzt… Die Zeitmaschine zieht mich an…« In Vaters Pupillen flackerte es. Im nächsten Moment öffnete er den Mund zu einem entsetzlichen Schrei! * Clingh saß im Rittersaal seines Silberschlosses. Um ihn herum huschten die Schatten, seine willenlosen Diener. Der Magier konnte sich jeden Schatten auf der Welt gefügig machen. Mit ihrer Hilfe würde er Mark Hellmann vernichten! Der Zauberer war ein Dämon mit Ehrgeiz. Viel zu lange hatte er sich seiner Ansicht nach mit Kleinkram begnügt. Fürsten waren durch seine schwarzmagischen Ränkespiele von ihren Thronen gestürzt, Reiche untergegangen. Doch all das war nichts im Vergleich zu seinen neuen Plänen. Clingh wollte Mephistos Platz einnehmen! Natürlich wußte der pferdegesichtige Zauberer, daß sein Gegner mit allen Schwefelbrühen gewaschen war. Der Megadämon würde sich nicht einfach so entmachten lassen. Das hatten schon andere Wesen vor Clingh versucht. Ihnen allen war es übel bekommen. Mephistos Grausamkeit kannte keine Grenzen. Aber der Zauberer glaubte, den Ansatzpunkt gefunden zu haben. Mark Hellmann. Dieser Träger des Rings war Mephistos Todfeind Nr. 1. Wenn er, Clingh, den Weimarer im Duell besiegte, wäre das eine grenzenlose Beschämung für den Megadämon. Die ganze Hölle würde sich Mephistos Macht nicht mehr beugen. Und Lucifuge Rofocale würde als Höllenkaiser gar keine andere Möglichkeit haben, als Clingh zu seinem neuen »Spitzenmann« zu machen. Grinsend fuhr sich der Magier mit seinen dürren Spinnenfingern durch den langen Bart. Er würde sich mit Hellmann duellieren und ihn endgültig zermalmen. Der Sieg war ihm sicher. Zumal Clingh nicht vorhatte, mit fairen Mitteln zu kämpfen. 16
* Ich verzog den Mund. Zur Kaffeeköchin war Struppy eindeutig nicht geboren. Eine Karriere als Sekretärin beim FBI New York kam dann wohl nicht in Frage. »Schmeckt's, Mark?« fragte das grünhaarige Girl hoffnungsvoll. »Er ist stark und heiß«, antwortete ich wahrheitsgemäß und trank den Becher mit Todesverachtung in Rekordzeit aus. Zum Glück steht immer eine gepackte Reisetasche in meiner Wohnung bereit. Deshalb würde ich sofort in Richtung Bamberg aufbrechen können. Struppy hatte ihr von dem Schatten zerfetztes Kleid durch eines meiner T-Shirts ersetzt. Inzwischen schien sie sich von dem Schock halbwegs erholt zu haben. Jedenfalls plapperte das Girl schon wieder über Gott und die Welt, über diese Kati aus Bamberg, die sie im Internet-Chat kennengelernt hatte… »Gibst du mir die Adresse? Vielleicht ist ihr als Augenzeugin des Kreuzregens noch was Wichtiges aufgefallen.« Das tat Struppy. Danach verließen wir gemeinsam die Wohnung. Ich hatte Mutter am Telefon eingeschärft, daß Vater mich sofort auf meinem Handy zurückrufen sollte, wenn er aus der Trance erwacht war. Ich brauchte dringend mehr Informationen über diesen Clingh. Und Ulrich verfügte einfach über die beste Datenbank zu okkulten Themen, die ich jemals benutzt hatte. Sorgfältig sammelte er noch die scheinbar unwichtigste Information. Alte Legenden und neueste Forschungsergebnisse fügte er zu einem großen Ganzen zusammen, wie es wohl sonst noch keine Einzelperson auf der Welt getan hatte. »Warum läßt sich Onkel Hellmann denn hypnotisieren?« So nannte Struppy meinen Vater. An meiner Seite trabte sie die Treppe hinunter. »Weil ihm drei Tage in seinem Gedächtnis fehlen. Er will wissen, was damals geschehen ist.« »Das kenne ich«, kicherte die Göre. »Das ist mir nach der Schulabschlußparty auch passiert. Als ich wieder aufwachte, lag ich in einem Jäger-Hochsitz bei Apolda. Keine Ahnung, wie ich dorthin gekommen bin. Und meinen BH von damals habe ich bis 17
heute nicht wiedergefunden…« Ich wollte eine schlagfertige Antwort geben, aber in diesem Moment kam mein Vermieter aus seiner Erdgeschoß-Wohnung hochgestürmt. Artur Stubenrauch verabscheute mich aus tiefstem Herzen. Ich war für ihn sozusagen das rote Tuch unter seinen Mietern. Daß das Haus eigentlich seiner Frau gehörte und er zudem unter ihrem Pantoffel stand, machte die Sache nicht einfacher. Der kleine Sachse warf Struppy einen halb giftigen, halb lüsternen Blick zu. Das T-Shirt hatte die Länge eines Superminis. Vielleicht erinnerte er sich daran, daß sie sich einmal als seine uneheliche Tochter ausgegeben hatte (Siehe MH 40!). »Herrrrr Hellmann! Muß das denn sein, dieser ewige Damenbesuch Tag und Nacht? Ist dieses junge Ding mit der unmöglichen Frisur überhaupt schon volljährig? Am Ende bekomme ich noch ein Verfahren wegen Kuppelei oder so. Bei Honecker hätte es das nicht gegeben…« Artur war ein hemmungsloser Ostalgiker, dem die vergangene DDR als ein Paradies auf Erden erschien. »Keine Angst, ich bin schon erwachsen, Herr Stubenrauch!« meinte Struppy. Und bevor er es verhindern konnte, hatte sie ihm einen Kuß mitten auf die Nase geschmatzt. Der Schädel des Vermieters nahm die Farbe einer reifen Tomate an. Und sein Schimpfen wurde hörbar leiser. Irgendwie mußte es ihm wohl gefallen haben. Wir traten auf die Straße hinaus. »Wenn du so weitermachst, verguckt sich der alte Artur noch in dich.« »Er ist ein armes Würstchen, Mark. Wenn fun für ihn nur heißt, seine Mieter langzumachen - das ist doch total depri, oder?« Da hatte sie recht. Wir umarmten uns zum Abschied. Dann stieg ich in den stahlblauen BMW, den ich schräg vor der Haustür geparkt hatte. Struppy winkte und hüpfte auf und ab wie ein Gummiball. Und ich lenkte meine Karre Richtung Westen. * Dr. Paul Abaringo hüpfte vom Sessel und ging auf Ulrich Hellmann zu. Dem alten Mann stand der kalte Schweiß auf der Stirn. Seine Augen starrten ins Leere. 18
Der Parapsychologe tastete nach dem Pulsschlag des Pensionärs. Ulrichs Herz schien zu rasen. Nach dem lauten Schrei jedoch war kein Geräusch mehr über seine blutleeren Lippen gekommen. »Ich bin bei dir, Ulrich.« Der Afrikaner nahm sein Einstecktuch und tupfte damit den Schweiß von der Stirn seines Freundes. »Sage mir, was du siehst.« »Die Welt von Polydorus ist grauenvoll«, brachte Ulrich mit klappernden Zähnen hervor. »Wesen aus Alpträumen. Schlechtigkeit, die man greifen und fühlen kann. Aber es ist jetzt vorbei. Ich bin wieder in unserer Welt. Aber es ist eine andere Zeit. Und ein anderer Ort.« »Wo bist du? Was tust du?« »Ich sitze in einer Kutsche, Paul. Es ist Sommer. Ich fahre durch eine bergige Landschaft auf eine kleine Stadt zu…« * Vergangenheit Die Postkutsche rumpelte an Memmelsdorf vorbei auf Bamberg zu. Der Kutscher schob seinen Hut in den Nacken und blies das Posthorn. Es war schönes Wetter, und die Bedrohung durch Räuberbanden hielt sich in Oberfranken seit einiger Zeit in Grenzen. Daher war keiner der Passagiere erstaunt, daß die hochbeinige Kutsche nun auf die Hauptstadt des bayerischen Obermainkreises zurollte. Bis auf einen. Ulrich Hellmann. Er saß auf der hinteren der beiden breiten Sitzbänke. Plötzlich war er da, von einem Moment zum anderen. Doch keiner seiner Mitreisenden schien daran Anstoß zu nehmen. Der pensionierte Kripomann blickte unauffällig an sich hinab. Er trug einen schwarzen Frack, wie er bei Bürgern und Beamten zu Beginn des 19. Jahrhunderts Mode gewesen war. Auf dem Kopf hatte Vater einen hohen Zylinderhut, an den Füßen schmale Zugstiefel mit Gamaschen. Seine Hose war ebenfalls pechschwarz. Seine Hände steckten in leichten Handschuhen. Sie waren auf einen Spazierstock mit metallenem Knauf gestützt. Die anderen Passagiere trugen ebenfalls Fräcke oder lange Joppen, die Frauen lange Röcke bis zum Boden. Ihr Haar war 19
unter Hauben oder Umschlagtüchern verborgen. Zwei Bäuerinnen schmückten sich mit ihrer Sonntagstracht. »Gelobt sei Jesus Christus!« sagte ein Pastor, ein magerer, glattrasierter Mann. »Der Herr hat seine schützende Hand über uns gehalten!« Dabei warf der Geistliche einen Seitenblick auf Ulrich Hellmann, als ob dieser versuchen würde, ihn in die Hölle zu zerren. Vater hob irritiert eine Augenbraue, sagte aber nichts. Er mußte sich erst einmal von der Überraschung erholen, in diese Zeit versetzt worden zu sein. Er tippte auf das späte 18. oder das frühe 19. Jahrhundert. Und diese Landschaft hier war eindeutig Bayern oder Franken. Als ehemaliger Kripomann verfügte Ulrich über eine scharfe Beobachtungsgabe. Ihm fiel auf, daß alle Mitreisenden mehr oder weniger Angst vor ihm zu haben schienen. Sie rückten so weit von ihm ab, wie das in der engen Kutsche möglich war. Und wenn einer seiner Nebenmänner durch das Holpern der Räder gegen den Pensionär geschleudert wurde, fuhr er zurück, als würde Ulrich unter Strom stehen. Der Kutscher ließ die Peitsche knallen. Sie überholten einige Ochsenkarren, die von barfüßigen Bauern begleitet wurden. »Gutes altes Bamberg«, hörte Ulrich einen kleinen Mann mit Backenbart sagen. Nun wußte mein Vater immerhin, in welche Stadt es ihn verschlagen hatte. Sie passierten ein Stadttor, überquerten die Regnitz auf einer breiten Steinbrücke. Schließlich hielt die Kutsche auf einem großen Platz. Die Reisenden streckten sich, schüttelten ihre eingeschlafenen Glieder und stiegen aus. Ulrich folgte ihrem Beispiel. Wenn er auch überhaupt keine Ahnung hatte, was er hier sollte. Das änderte sich im nächsten Moment. Ein stämmiger, bierbäuchiger Gendarm trat auf ihn zu. Die runden Wangen des Beamten glänzten wie Äpfel. Sein Schnurrbart ist fast so beeindruckend wie der von Marks Freund Pit Langenbach, dachte Ulrich schmunzelnd. Die linke Hand am Säbel, führte der Gendarm die rechte salutierend zu seinem Helm. Die Stiefelhacken knallten gegeneinander. Verwundert stellte Vater fest, daß ihn der Ordnungshüter ehrerbietig grüßte. 20
»Willkommen in Bamberg, Euer Gnaden. Wünsche eine gute Reise gehabt zu haben. Ich bin Xaver Bichler, Gendarmeriewachtmeister.« Der Mann sprach wahrschein den härtesten Dialekt. Trotzdem verstand Ulrich jedes Wort. Doch das erstaunte ihn weniger als die Tatsache, daß er offenbar von dem Polizisten erwartet wurde. Dieser nahm auch keinen Anstoß daran, daß sich Ulrich nicht vorgestellt hatte. Der Pensionär ging auf sein Gegenüber ein. »Danke, danke. Keine besonderen Vorkommnisse.« »Das ist gut. Ich bringe Euch in Euer Quartier.« Auch die Zeitreise hatte Ulrich Hellmann nicht von seiner Behinderung befreit. Er humpelte mit dem steifen Fußgelenk neben dem Gendarmen her, der vom Kutscher eine große Ledertasche vom Kutschendach gereicht bekommen hatte. Offenbar enthielt sie Ulrichs Habseligkeiten. »Ihr habt ein feines Zimmer in der Wirtschaft Zur Rose«, plapperte der Beamte. Die beiden Männer schoben sich zwischen den Fachwerkhäusern der Altstadt durch. Man hörte im Hintergrund das Hämmern und Bohren der Handwerker und das Jauchzen der spielenden Kinder. »Dort gibt es auch ein feines Bierchen!« Er rieb sich genießerisch seinen Wanst. Ulrich glaubte ihm sofort, daß er sich in puncto Gerstensaft erstklassig auskannte. Aber Vater wollte auch noch andere Dinge erfahren. »Die Reisenden waren mir gegenüber etwas zugeknöpft«, sagte er betont beiläufig. Bichler lachte, daß sein dicker Bauch nur so wackelte. »Das wundert mich nicht, Euer Gnaden. Das Pack ist nun mal abergläubisch. Und habt Ihr schon einmal gehört, daß jemand gerne mit einem Henker zusammen reist?« * Gegenwart Tessa Hayden war unruhig. Mit lustigen Sprüchen und Erotik hatte sie Marks Vision zu überspielen versucht. Aber der Gedanke daran ließ ihr keine Ruhe. 21
Die junge Kommissarin hockte an ihrem Schreibtisch in der Polizeidirektion Weimar und las bestimmt zum zehnten Mal ein Vernehmungsprotokoll, ohne ein einziges Wort zu verstehen. Warum wollte sich dieser verdammte Zauberer mit ihrem Freund duellieren? Wie ernst war dieser Dämon namens Clingh zu nehmen? Und wie gefährlich war die Mission, zu der Mark inzwischen schon aufgebrochen sein würde? »Hallo! Ist jemand zuhause?« Pit Langenbach hatte sich über Tessa gebeugt und ihr mit der Faust auf die Stirn geklopft. Allerdings nur ganz leicht, denn der Kraftsport trainierende Hauptkommissar verfügte über Bärenkräfte. Die hatte er auch schon oft gut gebrauchen können, wenn er mit seinem besten Freund Mark Hellmann zusammen den Mächten der Hölle die Zähne gezeigt hatte… »Häh? Was…?« »Ich habe schon dreimal nach dir gerufen, Tessa! Was ist los mit dir?« Die Brünette beschloß, Pit ins Vertrauen zu ziehen. Auch er hatte schon oft genug übersinnliche Bedrohung am eigenen Leib erfahren müssen. Mit knappen Worten setzte sie ihn ins Bild. »O Mann.« Pit pflanzte sich auf Tessas Schreibtischecke und steckte sich einen Zigarillo ins Gesicht. Er wollte sich das Rauchen schon lange abgewöhnen. Wenn er trotzdem schwach wurde, war das bei ihm stets ein Streßsymptom. »Dieser Clingh will also mit Mark Mann gegen Mann kämpfen?« Tessa nickte düster. In diesem Moment steckte ein uniformierter Kollege den Kopf durch die Tür. »Ich sag's ja nicht gerne, Frau Hayden. Aber jemand hat an Ihrem heißen Ofen die Reifen aufgeschlitzt!« Tessa verdrehte die Augen. »Verdammte Scheiße! Heute ist nicht mein Tag. Und das, obwohl ich mitten vor der Direktion geparkt habe!« Ihr Vorgesetzter schlug ihr auf die Schulter. »Komm, Tessa. Ich helfe dir, das Motorrad auf den Hof zu schaffen. Dann organisiere ich einen Mechaniker. Ich habe da so meine Verbindungen.« »Du bist ein Engel, Pit.« Tessa und Pit traten hinaus auf den Bürgersteig und schoben die japanische Maschine hinein. »Wir sollten dein Reiskorn nicht in der prallen Sonne rumstehen 22
lassen«, schlug der Hauptkommissar vor. »Da hinten ist Schatten.« Tessa nickte. Für Ende Juni war es schon ziemlich heiß. Doch kaum hatten sie die Maschine im Schatten des Nebengebäudes aufgebockt, als beide instinktiv eine unheimliche Bedrohung spürten. »Weg hier!« brüllte Pit und zog geistesgegenwärtig seine SIG Sauer, die mit geweihten Silberkugeln gefüllt war. Aber wie will man auf einen Schatten schießen? Das Halbdunkel um sie herum bewegte sich plötzlich. Turmhoch ragten schwarz die körperlosen Wesen vor Pit und Tessa auf. Der Hauptkommissar hob seine Dienstwaffe. Aber schon wurde sie ihm von einem dunklen Schleier aus der Hand geprellt. Obwohl das Ding keine Substanz hatte, fühlte sich mein Freund, als wäre er von einem Gaul getreten worden. Der durchtrainierte Polizist landete keuchend auf dem Rücken. Tessa versuchte wegzulaufen. Aber auch sie hatte kein Glück. Bis zu den Hüften versank sie in einer körperlosen, schwarzen Masse, die trotz Feinstofflichkeit so zäh war wie Teer. Als würde die Fahnderin einen Alptraum erleben, in dem man fliehen muß, aber die Beine nicht bewegen kann. Instinktiv schlug die Polizistin um sich. Aber auch ihre durch Karate gestählten Fäuste konnten die formlose Materie nicht zurückdrängen. Die Schatten schoben sich an ihr hoch. Tessa brüllte wie am Spieß. Dann war die Dunkelheit so weit gestiegen, daß sie das Sonnenlicht verbarg. Die Schatten spannen sich um Pit und Tessa wie Kokons. Und hoben ihre Opfer mit sich hinweg. Einige Polizisten kamen auf den Hof gelaufen, vom Schrei der Kommissarm zu Hilfe gerufen. Doch sie entdeckten nichts außer Tessas Motorrad, das auf dem Pflaster lag. Es fiel ihnen nicht auf, daß der Schatten des Nebengebäudes verschwunden war… * Gegenwart Die Fahrt von Weimar nach Bamberg verlief ohne Zwischenfälle. Hinter dem Hermsdorfer Kreuz hatte ich die Grenze zwischen den 23
Freistaaten Thüringen und Bayern bald hinter mir gelassen. Der Verkehr floß ruhig dahin. Zeit genug für mich, mir über diesen Clingh Gedanken zu machen. Woher kam der Magier? Was führte er im Schilde? Warum wollte er sich unbedingt mit mir duellieren? Und warum hatte er gerade das idyllische Bamberg als Kulisse für seine Zerstörungsorgien ausgewählt? Gab es eine Beziehung zwischen der Stadt und ihm? Fragen über Fragen. Viele davon würde mein Vater hoffentlich beantworten können. Doch der hüllte sich immer noch in Schweigen. Sehnsüchtig schielte ich zum Handy hinüber. Mehrfach checkte ich, ob vielleicht inzwischen der Akku seinen Geist aufgegeben hatte. Aber das Mobiltelefon arbeitete einwandfrei. Bei einer Rast im Bayerischen Vogtland schob ich mir eine Portion Sauerbraten mit Klößen hinter die Kiemen, bevor ich vor Hunger noch aus den Latschen kippte. Mein Frühstück hatte nur aus dem von Struppy gebrauten Kaffee bestanden. Mutter Lydia hätte die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen angesichts meiner »Ernährung«. Kurz vor Bayreuth bog ich Richtung Bamberg ab. Plötzlich erschien auf der linken Spur wie aus dem Nichts ein schwarzer Van mit breiten Reifen und getönten Scheiben. Ohne zu blinken, zog er direkt vor mir nach rechts. Fluchend trat ich auf die Bremse. Ein Blick in den Rückspiegel. Hinter mir ein zweites Fahrzeug gleicher Bauart, wie es im Polizeijargon heißt. Ein ziemlich neues Ford-Modell. Ich konnte den Fahrer durch die getönten Scheiben nicht erkennen. Der Lieferwagen vor mir verlangsamte die Fahrt. Die Absicht der beiden war klar. Sie wollten mich in die Zange nehmen. Doch mein braver BMW war noch im hohen Autoalter ziemlich schnell. Ich setzte den Blinker und wollte links an ihnen vorbeizischen. Leider schloß in diesem Moment ein dritter schwarzer Van auf der linken Spur die Lücke. Ich saß in der Falle. Nun machte mein Vordermann eine Vollbremsung. Zum Glück war das Tempo schon ziemlich gedrosselt. Trotzdem wurde ich in den Gurten kräftig durchgeschüttelt, ohne sie hätte ich mir wohl den Schädel eingeschlagen. Der BMW stand. Die drei Lieferwagen ebenfalls. 24
Ihre Insassen ließen sich nicht lange bitten. Bevor ich auch nur meinen Sicherheitsgurt lösen konnte, wurden die Heckklappen des Wagens vor mir aufgestoßen. Die von den beiden anderen Fahrzeugen auch, den Geräuschen nach zu urteilen. Die Männer waren maskiert. Mindestens vier oder fünf richteten ihre Maschinenpistolen auf mich. Die anderen stürmten an den BMW heran. Einer riß die Fahrertür auf und zielte mit einer SIG Sauer auf mich. In diesem Moment hatte ich den Gurt gelöst. Ich drehte mich und stoppte ihn mit meiner Schuhsohle. Der Kerl taumelte zurück und hielt sich mit beiden Händen den Bauch. Da waren seine Kameraden schon heran. Ich stürmte los! Rammte meinen Kopf einem der Angreifer in die Magengrube. Er ging zu Boden. Ein weiterer Maskierter packte mich von hinten. Ich stellte mein linkes Bein hinter seine Beine und machte dann eine blitzschnelle Drehung mit dem Oberkörper. Der Kerl wurde von den Füßen gefegt. Ein uralter, aber immer noch wirksamer Kung-Fu-Trick. Im nächsten Moment traf mich ein Gummiknüppel am Schädel. Für einen Augenblick sah ich Sterne. Die Welt schien unterzugehen. Und dann hatten mich die Maskierten überwältigt. Es waren einfach zu viele. Sie drückten mich flach auf die Fahrbahn, knieten auf mir. Erst jetzt bemerkte ich, daß ihre dunkelgrünen Overalls die weiße Aufschrift POLIZEI trugen. Ich war einem Sondereinsatzkommando in die Hände geraten. Aber was konnten die Beamten von mir wollen? Ich war viel zu benommen, um überhaupt zu protestieren. Mir wurden Plastikfesseln angelegt. Aus meiner Froschperspektive beobachtete ich, wie nun ein älterer Mann in Zivil hinzutrat. Einer der Maskierten ergriff das Wort. »Zugriff erfolgreich durchgeführt, Herr Hauptkommissar. Das ist der Mann, der hinter dem Brandanschlag auf den Bamberger Dom stecken soll.« *
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Vergangenheit Ulrich Hellmann blieb äußerlich gelassen. Doch in seinem Inneren war er aufgewühlt. Er selbst - ein Henker? Deshalb also hatte ihn der Gendarmeriewachtmeister erwartet. Ulrich würde hier in Bamberg wohl ein Todesurteil vollstrecken müssen… Als hätte Bichler seine Gedanken gelesen, öffnete der dicke Gendarm wieder den Mund. »Es gibt einige Arbeit für Euch, Euer Gnaden. Der eine Haderlump wird gleich morgen früh dran glauben müssen. Und dann haben wir uns noch einen zweiten Galgenstrick eingefangen, der sein Leben verwirkt hat. Schwerverbrecher, alle beide. Aber was rede ich da? Ihr kennt euch ja aus in Eurem Metier…« Und er lachte wie über einen besonders guten Witz. Inzwischen waren die beiden Männer bei der Wirtschaft »Zur Rose« angekommen. Im Herzen des historischen Bamberg, zwischen dem linken und dem rechten Regnitzarm. Der Gendarm begleitete Ulrich noch in die Gaststube, wo ein eifrig katzbuckelnder Wirt Vater seinen Zimmerschlüssel überreichte. Auch er schien es ziemlich unheimlich zu finden, einen Henker zu Gast zu haben… Bichler salutierte abermals. »Morgen hole ich Euch in aller Herrgottsfrühe ab. Dann habt Ihr etwas Gesellschaft für den Weg zum Zuchthaus!« Ulrich setzte sich an einen der Tische in der niedrigen Schankstube. Verlangte ein Bier und ein Essen. In seinem Frack hatte er auch eine Geldbörse mit etlichen Talern gefunden. Zahlen würde er also können. Vater wollte seine Gedanken ordnen und sich etwas von den Anstrengungen der Zeitreise ausruhen. Der Wirt brachte ihm Rauchbier, eine Bamberger Spezialität. Dazu gab es einen Karpfen im Bierteig mit Wurzelgemüse und Zwiebeln. Das Essen ließ Ulrichs Kräfte zurückkehren. Warum war er gerade in dieser Zeit und an diesem Ort gelandet? Und warum als Scharfrichter? Zufall? Daran wollte der ehemalige Kripomann nicht glauben. Eher steckte eine dämonische Logik dahinter. Oder vielmehr der grausame Humor einer Kreatur wie Mephisto. Hatte nicht auch der Höllenfürst dafür gesorgt, daß Ulrich einst seinen eigenen Vorfahren in Notwehr tötete? (Siehe MH51!) Vorerst war er jedenfalls in Bamberg. Und zwar genau am 6. 26
Juni 1810. Dieses Datum zeigte der Abreißkalender hinter der rauchgeschwärzten Theke, die nur von einer funzeligen Petroleumlampe beschienen wurde. Draußen vor den Butzenscheibenfenstern war inzwischen die Nacht hereingebrochen. Ulrich aß den Karpfen auf und klopfte dann automatisch auf seine Westentaschen. Seine geliebte Pfeife war in Weimar geblieben. Immerhin fanden sich in den Tiefen des Fracks einige Zigarren. Besser als nichts, dachte Ulrich und steckte sich einen der Stinkbolzen in den Mund. Er kam nicht mehr dazu, den Tabak anzurauchen. Denn in diesem Moment ertönte ein unmenschlicher Schrei, der ihm alle Haare zu Berge stehen ließ! * Gegenwart »Brandanschlag? Ich? Das ist doch kompletter Irrsinn!« Die SEK-Männer hatten mich auf die Beine gestellt. Mir gegenüber hatte sich nun ein Beamter aufgebaut, der sich als Hauptkommissar Josef Waldner vorstellte. Ein kräftiger, leicht übergewichtiger Mann mit einem Gesicht, das normalerweise wohl nur Ruhe und Gemütlichkeit ausstrahlte. Normalerweise. Jetzt zwinkerte er mich ziemlich giftig an. Bei der Kripo Bamberg war Waldner der Leiter der flugs aufgebauten Sonderkommission Dombrand. »Hüten Sie Ihre Zunge, Hellmann!« Er schien offenbar genau zu wissen, mit wem er es zu tun hatte. »Ich war bisher noch nie in meinem Leben in Bamberg«, preßte ich mit erzwungener Ruhe hervor. »Und ich habe überhaupt kein Interesse daran, Ihren schönen alten Dom zu zerstören. Das ist die Wahrheit…« »Aha! Sie wissen also davon!« »Natürlich weiß ich davon!« blaffte ich zurück. »Es ging ja schließlich durch alle Fernsehsender, oder nicht?« Josef Waldner erwiderte darauf nichts. Denn einer der SEKMänner rief nun nach ihm. Während ich mit dem Hauptkommissar palaverte, hatten seine Kollegen meinen BMW durchsucht. 27
Triumphierend hielt die in Plastikhandschuhen steckende Hand des Polizisten einen kleinen Gegenstand in die Höhe. »Brandbeschleuniger!« rief Waldner mit grimmigem Triumph. »Nicht gerade die Freizeitausrüstung eines harmlosen Touristen, was, Hellmann?« Ich war sprachlos. Doch der durchsuchende Beamte setzte noch einen drauf. »Das ist nicht alles, Herr Hauptkommissar! Hier sind auch Flugblätter einer satanistischen Sekte, die zum Kirchenbrand und zum. Mord am Bamberger Bischof aufruft. Unterzeichnet von Markus Nikolaus Hellmann!« Er kam herüber und hielt mir das Papier unter die Nase. Die obere Kante war mit umgedrehten Kreuzen »verziert«. Und unten rechts prangte meine Unterschrift. Jedenfalls war diese Paraphe nicht von meiner zu unterscheiden. Überflüssig zu sagen, daß ich niemals meinen Namen unter so einen gefährlichen und boshaften Schrieb gesetzt hätte. Aber für schwarzmagische Kräfte war es eine der leichtesten Übungen, eine Unterschrift zu fälschen und belastendes Material in meinen Kofferraum zu zaubern. Mir dämmerte, daß ich wieder einmal im Zentrum einer teuflischen Intrige stand… »Rufen Sie Hauptkommissar Langenbach in der Polizeidirektion Weimar an!« bat ich Waldner eindringlich. »Er hat schon oft mit mir zusammengearbeitet und wird sich für mich verbürgen!« Der Bamberger zögerte. Ich spürte, daß er im Grunde ein guter Kerl war. Momentan sprach wirklich alles gegen mich. Ich konnte ihm nicht verdenken, daß ich in seinen Augen wohl zum Staatsfeind Nr. 1 aufgestiegen war. Schließlich lenkte er ein. Setzte sich hinter das Lenkrad seines Dienstfahrzeugs und stellte eine Verbindung mit meiner Heimatstadt her. Das Gespräch dauerte nicht lange. Ächzend erhob sich der Hauptkommissar wieder aus seinem Sitz. »Bedaure, Hellmann. Aber der Kollege Langenbach ist offenbar spurlos verschwunden. Stecken Sie da vielleicht auch dahinter?« Für diese Bemerkung hätte ich ihm den Hals umdrehen können! Aber es brachte nichts, jetzt wütend zu werden. Ich war sowieso schon auf 180! »Dann holen Sie Kommissarin Tessa Hayden an den Apparat. Bitte, Herr Waldner!« 28
Achselzuckend baute er die Verbindung nach Weimar noch einmal auf. Diesmal winkte er noch schneller ab. »Keine Chance, Hellmann. Von Frau Hayden fehlt ebenfalls jede Spur. Das kommt mir alles sehr verdächtig vor. Jetzt ist aber Schluß mit Lustig!« Er straffte seinen Körper. »Markus Nikolaus Hellmann, Sie sind vorläufig festgenommen. Es besteht der dringende Verdacht auf gefährliche Brandstiftung, Aufforderung zu Straftaten, versuchten Mord und Bildung einer terroristischen Vereinigung. Sie haben das Recht, die Aussage zu verweigern…« Undsoweiter. Ich war wie betäubt. Was war mit Tessa und Pit geschehen? Und was würde aus mir werden? Ich erreichte Bamberg auf andere Art, als ich es mir vorgestellt hatte. Gefesselt auf dem Rücksitz eines Polizeifahrzeugs, mit je einem bewaffneten Beamten links und rechts von mir. * »Wo bin ich?« Als Tessa Hayden die Augen aufschlug, war sie umgeben von schimmerndem Silber. Das Edelmetall befand sich überall, soweit das Auge reichte. Die Wände um sie herum und der Boden unter ihr waren aus reinem, schwerem Silber. Und doch konnte keine Freude über diesen unvorstellbaren Reichtum aufkommen. Denn die Fahnderin mußte feststellen, daß auch ihre Beine bis zum Knie in flüssiges Silber gegossen worden waren! Danach war das Edelmetall offenbar erkaltet. Jedenfalls konnte sie ihre Beine überhaupt nicht mehr bewegen. Als ob sie Betonschuhe tragen würde. »Verdammter Mist!« Mit dieser Bemerkung meldete sich Pit Langenbach zu Wort. Auch der Hauptkommissar steckte bis zu den Knien in massivem Silber. Er spannte seine Muskeln an und versuchte, die Beine zu heben. Vergeblich. »Was ist passiert, Pit?« Tessa bemühte sich, nicht hysterisch zu werden. Immerhin schienen ihre Beine nicht verletzt zu sein. Obwohl jemand sie offenbar in heißes, flüssiges Silber gesteckt hatte. »Keine Ahnung, Kollegin. Ich weiß nur noch, wie diese verdammten Schatten über uns hergefallen sind. Dann waren nur 29
noch Schwärze und Stille um mich herum. Aufgewacht bin ich in diesem Lametta-Palast…« Ein höhnisches Lachen unterbrach den Weimarer Hauptkommissar. Ein Wesen in einem schwarzen Umhang war plötzlich auf einer breiten Freitreppe erschienen. Theatralisch kam er die Stufen herunter. »Lametta-Palast nennst du mein Silberschloß, schäbiger Polizist? Sei froh, daß ich gute Laune habe. Sonst würde ich dir sofort die Augen ausstechen und meine Schatten damit Pingpong spielen lassen. Nur so zum Spaß!« Tessa lief ein eiskalter Schauer über den Rücken. Sie spürte, daß diese Gestalt dort mit den langhaarigen Augenbrauen und den gelben Augen wirklich zu so etwas fähig war. Es bereitete ihm Spaß, die Menschen zu quälen. »Ich bin Clingh, der größte Zauberer aller Zeiten!« fuhr der Unheimliche fort. »Und ich werde euren geliebten und geschätzten Mark Hellmann in die Hölle befördern!« »Das haben schon viele Schwefelfurzer versucht!« raunzte Pit. Der Magier machte eine leichte Handbewegung. Der Hauptkommissar wand sich vor Schmerzen. »Keine Freude, wenn einem giftige Nattern unter der Haut kriechen, was, Langenbach? Also keine Respektlosigkeiten mehr. Sonst denke ich mir noch viel schönere Sachen für dich aus…« Trotz ihrer Wut bewahrte Tessa einen klaren Kopf. Das dort mußte dieser Zauberer sein, der Mark vor wenigen Stunden in einer Vision erschienen war. Der schwarzmagische Bastard, der mit der Zerstörung von Bamberg gedroht hatte. »Was hast du mit uns vor, Clingh?« »Oh, die Frau Kommissarin hat die Sprache wiedergefunden!« ätzte der heimtückische Dämon. »Mit euch? Eigentlich nichts. Ihr seid nur so eine Art - wie nennt ihr Menschen im 20. Jahrhundert das? - Lebensversicherung für mich. Falls mich Mark Hellmann wirklich in Bedrängnis bringen sollte. Was natürlich nicht passieren wird. Aber falls doch, habe ich euch beiden Hübschen als Geiseln in der Hinterhand…« * Vergangenheit 30
Ulrich fuhr hoch. Der Sechsundsechzigjährige war trotz seiner Behinderungen noch recht rüstig. Seine Rechte faßte den dicken Spazierstock fester. Ein Blick in die Runde sagte ihm alles. Sowohl der Wirt als auch die Gäste mußten den grauenvollen Schrei ebenfalls gehört haben. Aber sie alle duckten sich zitternd über ihre Bierkrüge oder Teller und taten, als ob nichts geschehen wäre. Der Gendarm Bichler war schon vor längerer Zeit verschwunden. Vater würde sich also der Gefahr dort draußen allein stellen müssen… So schnell es sein behindertes Bein erlaubte, humpelte der alte Mann durch einen schmalen Gang neben der Theke. Mitten hinein in die Dunkelheit. Er konnte förmlich die dämonische Bedrohung spüren. Ein weiterer Schrei erklang. Vielleicht noch verzweifelter als der erste. Ulrich spürte unter seinen Stiefelsohlen nun den festgetretenen Lehm des Hofes. Hier draußen konnte man die Sterne am Himmel funkeln sehen. Auch der Mond spendete Licht. Doch was Vater nun erblickte, ließ ihm trotzdem den Atem stocken! Ein Mann lag auf dem Boden, wehrte sich mit schwachen Bewegungen. Und über ihm stand breitbeinig ein rotgekleideter Kobold! Der Winzling trug eine Art Wams und Hosen, dazu Stulpenstiefel. Sein Schädel war breit, mit einer flachen Stirn. Ein grauer Bart sträubte sich um einen Mund, in dem große, gelbe Zähne zu erkennen waren. Die toten Augen der Kreatur richteten sich nun auf Ulrich Hellmann! Vater hob seinen Spazierstock. Über eine weißmagische Waffe verfügte er nicht. Aber andererseits bestand der Knauf des Stocks aus echtem Silber. Ein Edelmetall, vor dem die meisten Dämonen Respekt haben. Einen Versuch war es wert. Eine andere Möglichkeit blieb Ulrich sowieso nicht übrig. Denn nun wandte sich der bösartige Zwerg von seinem ersten Opfer ab und sprang Vater an! Das heißt, er versuchte es. Trotz seines Alters hatte Ulrich Hellmann nie die Nahkampfausbildung vergessen, die er bei der Volkspolizei in der damaligen DDR durchgemacht hatte. Gelernt war eben gelernt. 31
Deshalb steppte er nun zur Seite, packte den Kobold und zog ihm in Ermangelung eines Gummiknüppels den Spazierstock über den Schädel. Die Kreatur brüllte auf, als wäre sie mit kochendem Wasser übergossen worden. Doch noch gab sie nicht auf. Das wäre zu schön gewesen, um wahr zu sein. Bei dem nächsten Angriff war der kleine Satansbraten schlauer. Er achtete besser auf den Silberknauf, der ihm offenbar besondere Schmerzen verursacht hatte. Doch auch Ulrich versuchte etwas Neues. Der Stock verfehlte den Zwerg. Die Kreatur rollte ab, schnellte auf Vater zu und wollte ihre Zähne in seine Wade schlagen. In diesem Moment sprach Ulrich Hellmann den Bann. »Silber und Nickel - ich krieg' dich am Wickel!« Der Kobold erstarrte in seiner Bewegung. Er schien plötzlich wie gelähmt zu sein. Deshalb konnte er auch nicht mehr ausweichen. Ulrich zog ihm noch ein paar Mal seinen silbernen Stockknauf über den Rücken. Dadurch verlor das schwarzmagische Wesen offenbar an Kraft. Als sich der Kobold wieder bewegen konnte, flüchtete er jammernd und jaulend wie ein Köter, der Prügel bezogen hat. Vater blickte ihm nach, wie er in der Toreinfahrt verschwand und sich die Schritte der kleinen Füße auf der Gasse entfernten. Dann humpelte Vater zu dem Opfer hinüber, das sich nun stöhnend bewegte. »Seid Ihr schwer verletzt?« fragte Vater besorgt und beugte sich zu dem Menschen hinunter. »Nein, es ist auszuhalten. Ich verdanke Euch mein Leben.« Diese Worte waren von den Lippen eines kleinen Mannes gekommen, der nach der Mode des frühen 19. Jahrhunderts einen dünnen Backenbart und etwas längeres Haar trug. Sein Frack und sein Hemd waren arg zerfetzt. Doch bis auf einige blutige Kratzer auf Brust und Armen schien er keine ernsthaften Verletzungen davongetragen zu haben. Stöhnend erhob er sich von dem schmutzigen Lehmboden. »Dieses Biest hätte glatt aus einer meiner Geschichten stammen können«, sagte er versonnen. Und während Ulrich noch über die Bedeutung dieses Satzes nachdachte, stellte sich der Mann mit einer Verbeugung vor. »Gestatten: Ernst Theodor Amadeus Hoffmann. Ich bin meines Zeichens Musikdirektor am hiesigen Theater.« Vater war verblüfft. 32
Der Mann, dessen Hand er nun schüttelte, war mit seinen Geistergeschichten in die Weltliteratur eingegangen. Einer der größten Dichter der deutschen Romantik stand vor Ulrich Hellmann! Ernst Theodor Amadeus Hoffmann. Besser bekannt als E. T. A. Hoffmann! * Gegenwart Die mit Stahlblech beschlagene Tür wurde hinter mir ins Schloß geworfen. Mit metallischem Knirschen drehte sich der Schlüssel. Der Untersuchungshäftling Hellmann, Markus N. war nun allein in seiner Zelle in der Bamberger Justizvollzugsanstalt. Stundenlang hatten mich Hauptkommissar Waldner und seine Leute verhört. Immer wieder hatte ich meine Unschuld beteuert. Vergeblich. Die Indizien sprachen ganz klar gegen mich. Immerhin hatte ich erfahren, daß meine Verhaftung kein Zufall gewesen war. Ein anonymer Hinweis hatte die Bamberger Polizei mit allen Einzelheiten versorgt. Wann ich, der »Täter«, in die fränkische Stadt zurückkehren wollte. Aus welcher Richtung ich kam. Meine Automarke und mein Nummernschild. Meinen Namen und wie ich aussah. Kein Detail wurde ausgelassen. Waldner vermutete hinter dem verräterischen Anruf ein Mitglied »meiner« satanistischen Bande, das aussteigen wollte. Nur daß es eine solche Gruppe überhaupt nicht gab… Aber das konnte ich den Beamten nicht klarmachen. Deshalb fand ich mich nun in dieser Zelle wieder. Alle persönlichen Gegenstände waren mir abgenommen worden, auch mein Siegelring. Immerhin hatte ich als Untersuchungshäftling meine eigene Kleidung behalten dürfen. Der Schließer kam und schob mir das Abendbrot in meine neue Behausung. Zwei Scheiben Brot, mit Jagdwurst und Schmierkäse, dazu einen Joghurt ohne Geschmack und Hagebuttentee. Nicht gerade meine Leibspeise, aber das lange Verhör hatte mich hungrig gemacht. Aber in der Not frißt der Teufel bekanntlich Fliegen. Währenddessen dachte ich nach. Und was ich da herausfand, gefiel mir überhaupt nicht. 33
Clingh steckte hinter meiner Verhaftung. Da gab es für mich keinen Zweifel. Er hatte alles perfekt inszeniert, um mich zum Verbrecher abzustempeln. Mehr noch. Ich befand mich jetzt in Bamberg. In der Stadt, wo ich mich mit dem Magier duellieren sollte. Aber in meiner Zelle hatte ich den Einsatzkoffer nicht zur Verfügung, noch nicht einmal meinen Ring. Mit ihm konnte ich normale Gegenstände auf Zeit in weißmagische Waffen verwandeln. Praktisch stand ich mit leeren Händen da. Wenn mir der Zauberer jetzt seine Schatten auf den Hals hetzte, wußte ich wohl gar nicht, wie ich mich verhalten, geschweige denn wehren sollte. Kaum war mir diese Gefahr bewußt geworden, als ich auch schon unterdrückte Stimmen und Fußstapfen auf dem Gang hörte. Ich federte von meiner Pritsche hoch. Suchte verzweifelt nach einer Waffe. Aber es gab in dieser Gefängniszelle natürlich überhaupt nichts, was man als Waffe einsetzen konnte. Die Tür wurde aufgeschlossen. Öffnete sich quälend langsam. Ich stand sprungbereit da, die Nerven bis zum Zerreißen angespannt. Einige kräftige Männer betraten den kleinen Raum. Sie trugen bayerische Trachtenkleidung. Ich entspannte mich. Denn ich hatte den alten Mann erkannt, der, von seinen Leibwächtern umrahmt, auf mich zuschritt. Er trug die Uniform eines bayerischen Husarengenerals. Komplett mit Reitstiefeln, Degen und blauem Waffenrock. Ich machte eine tiefe Verbeugung. »Guten Abend, Euer Majestät!« Vor mir stand Ludwig II. der totgeglaubte König von Bayern! * Ächzend ließ sich der Monarch auf meine Pritsche nieder, während seine Männer und ich ehrerbietig stehenblieben. Ludwig II. war nicht mehr der Jüngste. Der König war vor über hundertfünfzig Jahren geboren worden. Sein biblisches Alter verdankte er einem chinesischen Wunderelixier, wie ich wußte. Schließlich hatte ich ihm in der Vergangenheit als Leibwächter gedient und ihm dabei das Leben gerettet (Siehe MH 27!). Außerdem hatte ich damals erfahren, daß Ludwig II. auch im 34
Jahre 1999 immer noch lebte, und zwar in einem geheimen Bergversteck und ohne Wissen der Öffentlichkeit. Aber nun hatte er es offensichtlich verlassen, um mich in meiner Zelle zu besuchen… Der Monarch lachte leise und strich durch seinen schütteren Bart. »Wir sehen dich überrascht, Mark Hellmann. Aber unser Königlicher Nachrichtendienst funktioniert immer noch, wenn es auch mein Königreich nicht mehr gibt. Nachdem wir erfahren haben, daß du unschuldig in den Kerker geworfen wurdest, wollten wir es uns nicht nehmen lassen, dich höchstpersönlich zu befreien.« Ludwig II. drückte sich etwas umständlich aus, wie man es halt von einem Mann aus dem 19. Jahrhundert erwarten konnte. Außerdem sprach er als Herrscher von sich selbst grundsätzlich in der Mehrzahl. Aber beides war mir egal. Ich hätte ihn in diesem Moment umarmen können. Aber das wäre weder schicklich noch seiner Gebrechlichkeit angemessen gewesen. Also grinste ich nur wie ein Honigkuchenpferd. »Dera damische Wachn hobn wia schlofn glegt«, ergänzte einer der Königstreuen, ein Urbayer mit langem Bart und Krachledernen. »Trotzdem bleibt uns nicht viel Zeit.« Die Ermahnung des Greises kam nicht von ungefähr. Wir befanden uns schließlich in der Bamberger Justizvollzugsanstalt. Und meine Befreier konnten ja wohl kaum das ganze Personal »betäubt« haben. Obwohl ich dem König auch das zugetraut hätte… »Wir werden dir jetzt ein paar wichtige Informationen mitteilen, Mark Hellmann. Was du daraus machst, ist deine Angelegenheit. Sobald du das Gebäude verlassen hast, können wir dir nicht mehr helfen. Dann bist du auf dich allein gestellt.« Ich nickte. Der Urbayer öffnete eine große Reisetasche und holte daraus meinen Einsatzkoffer und meinen Siegelring hervor. Weiß der Henker, wie sie diese »Beweisstücke« der Polizei entrissen hatten. Ich fragte nicht danach, sondern nahm alles dankbar an. Ludwig II. sprach ruhig, aber zügig weiter. »Das Wesen, welches dir den Fehdehandschuh hingeworfen hat, nennt sich jetzt Clingh. Aber in der Vergangenheit war es auch als Klingsor oder Herzog Klinschor oder Clinghesor bekannt.« 35
Ich horchte auf. »Ihr kennt Clingh?« »Die Bayerische Geheimpolizei hatte schon zu meiner Regierungszeit eine dicke Akte über ihn. Ursprünglich ist der Magier wohl ein Ungar gewesen, der in Krakau, Paris und Rom die schwarze Zauberei studiert hat. Er soll sich auch lange in den arabischen Ländern aufgehalten haben. Das ist lange her. Schon im Mittelalter ist er zur Hölle gefahren und als Dämon zurückgekehrt. Wir haben Nachricht darüber, daß er ein Zauberschloß aus purem Silber besitzen soll.« Das Silberschloß, aus dem Clingh in meiner Vision getreten war!? »Wo befindet sich dieses Gebäude, Majestät? Und warum ist es aus Silber? Das ist ein Metall, das normalerweise von Schwarzblütern gefürchtet wird!« Der König hob die schmalen Schultern. »Wir glauben, daß dieses Silberschloß keinen festen Platz hat. Und warum der dämonische Clingh das Silber nicht scheut, wissen wir ebenfalls nicht. Es ist deine Aufgabe, dies herauszufinden, Mark. Nicht wir sind der Dämonenjäger, sondern du.« Damit hatte er allerdings recht. Es wurde auch höchste Zeit, daß ich mich dem Magier zum Kampf stellte. Ich konnte keinesfalls in U-Haft bleiben, bis sich meine Unschuld herausstellte. Obwohl ich fest an die Gerechtigkeit glaube. Aber dieser Clingh war gemeingefährlich. Er mußte von mir so schnell wie möglich aus dem Verkehr gezogen werden. »Eines können wir dir allerdings noch mit auf den Weg geben«, fügte Ludwig II. mit einem verschmitzten Lächeln hinzu. »Es gibt einen Bannspruch, mit dem du dir Clinghs mordende Schatten vom Leib halten kannst. Er lautet…« In diesem Moment packte der Schatten unter meiner Pritsche die Beine des alten Königs. Ruckartig wurden sie nach hinten gezogen. Ludwig II. fiel auf sein Gesicht! * Ich schnellte nach vorne und packte den Oberkörper des greisen Monarchen. Damit er nicht von den satanischen Kräften ins Halbdunkel gezerrt werden konnte. Auch die Königstreuen 36
reagierten prompt. Drei von ihnen zogen wie auf Kommando Weihwasserphiolen und benetzten .damit den Zellenboden unter meiner Bettstatt. Doch das bekam ihnen übel. Ein Teil des Schattens schoß hervor und hüllte die Bayern ein. Mit einem entsetzlichen Geräusch brach dem ersten von ihnen das Genick. Der zweite wurde mit ungeheurer Kraft gegen die Zellenwand geschleudert. Dort, wo sein Hinterkopf den Stein traf, bildete sich ein blutiger Fleck. Ich zerrte immer noch an dem König, der nun schon bis zur Hüfte in dem schwarzmagischen Dunkel verschwunden war. Der Schatten war eindeutig stärker als ich. Da überwand Ludwig II. seine Benommenheit. Bevor die unheimliche Macht auch den dritten seiner Getreuen töten konnte, öffnete der König den Mund und brüllte: »Nigredo Albedo!« Gleichzeitig hatte er ein großes christliches Kreuz unter seinem Uniformrock hervorgezogen und schwenkte es hin und her. Die Wirkung war erstaunlich. Der Schatten verschwand, löste sich einfach auf. Entgegen allen Gesetzen der Physik herrschte plötzlich unter der Pritsche strahlendes Licht. Auch überall sonst in der schmucklosen Zelle. Stöhnend erhob sich Ludwig II. Ich und zwei seiner Männer stützten ihn dabei. Bis auf seine blutige Nase schien er unverletzt zu sein. Auf seinen Lippen erschien ein feines Lächeln. »Es funktioniert wirklich. Diese Bannformel haben wir aus einer Geheimakte, die schon vor über hundert Jahren angelegt wurde. Ein Mönch hat sich damals angeblich mit Hilfe dieser Worte dem dämonischen Zauberer entgegengestellt. Merke sie dir gut, Mark! Aber es soll nur wirken, wenn man gleichzeitig ein christliches Kreuz zeigt. Die Schatten lösen sich auf und das Böse verliert vorerst seine Macht.« Nigredo Albedo. Das bedeutete wahrscheinlich soviel wie »Das Dunkle weicht dem Hellen.« Ich prägte mir die Bannformel ein. In den nächsten Stunden würde ich sie wahrscheinlich noch verdammt gut gebrauchen können… Unter Führung des Königs machte sich unser kleiner Trupp zum Abmarsch bereit. Die toten Getreuen nahmen wir mit. Im ältesten Trakt der JVA gab es einen Geheimgang, der seit der Regierungszeit von Ludwig II. vor über hundert Jahren, nicht mehr benutzt worden war. Durch ihn gelangten wir ins Freie. Ich hörte in meiner 37
unmittelbaren Nähe einen Fluß rauschen. Am Ufer der Regnitz verabschiedete ich mich von meinen Rettern. Der König stieg mit seinem Gefolge in zwei große Mercedes Benz der neuesten Baureihe. Er winkte mir zum Abschied freundlich zu. »Wir drücken dir die Daumen für den Kampf gegen Clingh! Möge dich der Herr beschützen!« * Vergangenheit E. T. A. Hoffmann hatte es sich nicht nehmen lassen, Ulrich Hellmann zum Dank für die Lebensrettung zu einer Maß Bier einzuladen. Die beiden so unterschiedlichen Männer saßen in der Gaststube der Wirtschaft Zur Rose über ihren Krügen. »Ihr scheint Euch mit den schwarzen Künsten auszukennen, Gevatter Hellmann«, sagte der Romantikdichter vielsagend. Vater hatte sich ihm inzwischen auch vorgestellt. »Wie kommt Ihr darauf?« »'Silber und Nickel - ich krieg' dich am Wickel! Das habt Ihr gerufen, um das Scheusal zu vertreiben. Das sind Sprüche, die nicht jeder Bauernbursche kennt. Und auch nicht jeder wackere Bürgersmann!« »Ich habe den Aberglauben unserer Vorfahren studiert«, sagte Vater ausweichend. Er wollte Hoffmann nur das Nötigste erzählen. Die ganze Wahrheit hätte ihm wahrscheinlich noch nicht einmal dieser phantasiebegabte Dichter abgenommen. »Ihr redet nicht viel, Gevatter Hellmann. Nun, das bringt wohl Euer Beruf so mit sich…« Ulrich biß die Zähne zusammen? Wieso hielt ihn eigentlich jeder hier für einen Scharfrichter? Gendarm Bichler hatte ihn sogar erwartet und von der Postkutsche abgeholt. Dabei war Vater doch von diesem verfluchten Zeitdämon Polydorus nur zufällig in das Jahr 1810 geschleudert worden. Oder war das gar kein Zufall gewesen? Steckte ein satanischer Plan dahinter? Ein grausames Spiel mit ihm, Ulrich Hellmann, als ahnungsloser Schachfigur? Der Pensionär versuchte, mehr Informationen herauszukriegen. So, wie es der Ex-Kripomann sein Leben lang getan hatte. 38
»Kobolde fürchten Silber, Gevatter Hoffmann. Darum hat der uralte Bannspruch auch gewirkt. Aber - was ist mit Euch? Wie kam es dazu, daß Ihr von diesem üblen Gesellen angegriffen wurdet?« »Ich habe wohl meine Nase zu tief in die Welt dieser bärtigen Poltergeister gesteckt«, gestand der Gespenstergeschichtenerfinder. »Aber nachdem ich die Schauermärchen über die Hauskobolde von Bamberg gehört habe, mußte ich ihnen einfach auf den Pelz rücken. Wir leben in einer Zeit der Wunder, Gevatter Hellmann. Wenn ich an diesen Magier Clingh denke…« »Was für ein Magier?« »Habt Ihr noch nichts von ihm gehört? Aber natürlich - Ihr seid ja erst heute mit der Kutsche aus Nürnberg gekommen. Dieser Clingh soll Raum und Zeit überwinden können mit seiner Schwarzen Kunst.« »Tritt er im Zirkus auf? Ich meine…« E.T.A. Hoffmann lachte und paffte etwas Zigarrenrauch Richtung Decke. »Ei, kein Gedanke! Clingh ist kein billiger Kirmes-Trickser. Nur die reichsten Geldsacke unserer Stadt suchen seinen Rat. Für Normalsterbliche wie Euch und mich wird er wohl noch nicht mal seinen Zauberstab zücken…« Ulrich Hellmann versank in nachdenklichem Schweigen. Er hörte den Namen Clingh von E. T. A. Hoffmann zum ersten Mal. Und doch spürte er in seinem tiefsten Inneren, daß es eine Verbindung zwischen ihm selbst und diesem Zauberer gab. Aber welche? Das würde er ergründen müssen… Der Romantikdichter deutete das Verstummen seines Gesprächspartners falsch. Er stand auf. »Ihr seid gewiß müde, Gevatter Hellmann. Die lange Reise in der wackeligen Kutsche ist kein Pappenstiel. Ich verabschiede mich nun. Doch wenn ich Euch in Bamberg irgendwie weiterhelfen kann: Ich wohne schräg gegenüber, in Nummer 26.« Die beiden Männer schüttelten sich zum Abschied die Hände. Vater humpelte die Stiege zu seinem Zimmer hinauf. Überfallartig hatte ihn die Müdigkeit gepackt. Vor seinem Federbett stand die große Reisetasche aus Leder. Ulrich bückte sich, um sie zu öffnen. Obenauf lag ein schweres Richtbeil. Der rasiermesserscharfe Waffenstahl wurde durch ein Lederfutteral geschützt. Grollend 39
pfefferte Vater das Henkersbeil in die Tasche zurück. Er hatte den Gedanken die ganze Zeit verdrängt. Aber nun kam er mit Macht zurück. Am nächsten Morgen würde er einem Menschen den Kopf abschlagen müssen! * Gegenwart Streifenwagen rasten mit rotierendem Blaulicht durch die Nacht. Ich duckte mich hinter einen Baum am Rand der Nonnenbrücke. Preßte mich so dicht an die Rinde wie möglich. Die Beamten in den Autos mußten mich übersehen haben. Die Fahrzeuge entfernten sich auf dem Kopfsteinpflaster der Altstadt. Ich griff mir meinen Einsatzkoffer und sprintete über die Brücke. Ich, Mark Hellmann, der entflohene »Verbrecher«! Hinter der Nonnenbrücke begann die Richard Wagner-Straße. Von dort konnte es nicht mehr weit bis zur Schützenstraße sein. Jedenfalls hatte das der Betrunkene behauptet, den ich vor einer Viertelstunde nach dem Weg gefragt hatte. Mit etwas Glück würde er sich morgen nicht mehr an mein Gesicht erinnern. Morgen, wenn im Fernsehen mein Fahndungsfoto zu sehen sein würde. In der Schützenstraße wohnte Kati Wiesinger. Das Mädchen, mit dem Struppy im Internet Kontakt gehabt hatte. Die Augenzeugin des schwarzmagischen Angriffs auf den Dom. Sie war die einzige Person in Bamberg, an die ich mich Wenden konnte. In der Ferne heulten noch einmal die Polizeisirenen auf. Kamen sie näher? Ich suchte in der Hainstraße den Schutz eines schattigen Hauseingangs. Gleichzeitig wurde mir klar, wie trügerisch diese Sicherheit war. Jeder Schatten konnte von diesem verdammten Clingh in ein mordendes Unwesen verwandelt werden! Immerhin kannte ich jetzt einen Bannspruch, mit dem ich mich wehren konnte… Die Streifenwagen rasten vorbei. Es war kurz nach Mitternacht. Aus den Biergärten ertönte Gelächter und teilweise Gesang. Doch ansonsten waren die Straßen der friedlichen Stadt wie ausgestorben. Das konnte mir nur recht sein. Je weniger Leute 40
mich wahrnahmen, desto besser. Endlich erreichte ich die Schützenstraße. Der nächtliche Zecher hatte mir eine gute Wegbeschreibung geliefert. Auch die passende Hausnummer fand ich rasch. Ein zweistöckiges Mietshaus, das sich mit anderen um einen kleinen baumbestandenen Hof gruppierte. Die Wiesingers wohnten im ersten Geschoß. Ich spähte hinauf. Täuschte ich mich, oder war da gerade ein Mädchen in ein erleuchtetes Zimmer getreten? Sie zog ihr T-Shirt über den Kopf. Und machte sich offensichtlich daran, ihren BH zu öffnen. Bevor ich endgültig zum Spanner wurde, hob ich lieber einige Steinchen auf und warf sie gegen ihre Fensterscheibe. Die Kleine erschrak, als sie das Prasseln hörte. Schnell schlüpfte sie wieder in ihr T-Shirt. Öffnete das Fenster. »Lars…?« Ich mußte grinsen. »Nein«, flüsterte ich, so laut ich konnte. »Hier ist Mark. Mark Hellmann aus Weimar. Der Kumpel von Struppy…« »Der Dämonenjäger«, erwiderte Kati. Sie war blond und recht attraktiv. »Komm hoch, Mark. Aber nimm den Baum. Sonst wachen meine Eltern auf…« Sie deutete auf eine Linde, über deren starke Äste man ihr Fenster bequem erreichen konnte. Ob auch ihr Freund öfter diesen natürlichen Einstieg in die Wiesinger-Wohnung benutzte? Darüber konnte ich später philosophieren. Wie ein Kater kletterte ich an dem Baum hoch. Für mich als ehemaligen Zehnkämpfer und aktiven Kampfsportler kein Problem. Obwohl ich mit der einen Hand den Einsatzkoffer halten mußte. Eine knappe Minute später schwang ich mich von dem Ast hinüber auf Katis Fensterbank. Sie lächelte mich gespannt an. »Das ist ja wie im Krimi, Mark. Erst die brennenden Kreuze in der Nacht und dann…« Ich würde nie herausfinden, was sie noch sagen wollte. Denn im nächsten Augenblick verwandelte sich ihr in Pastellfarben gehaltenes Mädchenzimmer in eine blutige Hölle! * 41
Kati knipste die Deckenbeleuchtung aus, während sie sprach. Nun wurde der Raum nur noch von ihrer Schreibtischlampe erhellt. Und das bedeutete: In allen Ecken lauerten plötzlich schwarze Schatten! Mein Ring schlug Alarm. Er prickelte und erwärmte sich. Aber da war es schon zu spät. »Vorsicht, Kati!« brüllte ich. Doch die Schatten erwischten sie mit voller Wucht. Das Mädchen hatte keine Chance. Ich riß eines meiner Holzkreuze aus der Jacke. Um sofort reagieren zu können, hatte ich es schon nach der geglückten Flucht aus meinem Einsatzkoffer genommen und griffbereit in die Tasche gesteckt. »Nigredo Albedo!« rief ich laut und zielte mit dem Kreuz auf den Schatten. Doch da hatte er sein gräßliches Werk bereits getan. Das Mädchen schrie wie am Spieß. Mit brutaler Gewalt schleuderte die dämonische Kraft die arme Kati gegen die Wand. Sie wurde förmlich zermalmt. Ihr blutiger Körper rutschte an der Tapete zu Boden. Selten habe ich etwas Gräßlicheres gesehen. Da war es auch kein Trost, daß sich der Schatten nach meinem Bannspruch sofort in Nichts auflöste. Trotzdem hatte er sein verfluchtes Zerstörungswerk noch vollenden können. Ich fuhr herum und brüllte noch zweimal »Nigredo Albedo!« Meine Beine waren bereits im Halbdunkel untergetaucht. Doch nun verschwanden die übrigen Schatten ebenfalls, als hätte es sie nie gegeben. Ich hastete zu Kati hinüber. Aber schon ein flüchtiger Blick sagte mir, daß hier jede Hilfe zu spät kam. Dafür brauchte man kein Arzt zu sein. Jedem, der das erlebt hätte, würde nur ein einziger Gedanke durch den Kopf schwirren: Rache! Und auch mir ging es nicht anders. Nun wurde die Zimmertür von außen aufgerissen. Der Mann im Morgenmantel, der sofort seine Flinte auf mich richtete, war offensichtlich Katis Vater. Die Schreie mußten ihn angelockt haben. Er sah, wie ich über der blutüberströmten Leiche kniete. Außer mir war niemand im Zimmer. Klar, daß er mich für die Tat verantwortlich machte. »Meine Tochter…!« Die Stimme des kahlköpfigen Mannes war tränenerstickt. »Verfluchter Mörder!« 42
Er richtete das Gewehr auf mich und drückte ab… * Vergangenheit »Entkommen ist er! Der Haderlump, der damische!« Gendarmeriewachtmeister Xaver Bichler war so empört, daß er sich fast an seiner Leberkässemmel verschluckt hätte. Der Polizist saß Ulrich Hellmann in der Gaststube bei einem sehr frühen Frühstück gegenüber. Dem Gast aus dem 20. Jahrhundert gelang es nur mühsam, ein erleichtertes Lächeln zu verbergen. Der Todeskandidat aus dem Zuchthaus war während der Nacht geflohen. Darum fiel die frühmorgendliche Exekution aus. Ulrich konnte sich nicht vorstellen, einem Menschen den Kopf abzuschlagen. Andererseits sagte er sich, daß seine Rolle als Henker etwas zu bedeuten haben mußte. Darum hatte er sich nicht einfach in die nächste Postkutsche gesetzt, um Barnberg wieder zu verlassen. Bichler griff grimmig nach der sechsten Semmel, um sie zu vertilgen. »Aber den Saubuam, den Ihr morgen in die Hölle schicken sollt, wird' ich persönlich bewachen. Und wenn ich mich auf seinen Bauch setzen muß!« Vater fand diese Vorstellung ziemlich lustig. Wenn sich Gendarm Xaver Bichler mit seinem dicken Hintern auf einem Gefangenen niederließ, mußte sich dieser schon etwas einfallen lassen, um trotzdem fliehen zu können. Ulrich gelang es erneut, das Lachen zu unterdrücken. Ohnehin war ihm nicht gerade zum Scherzen zumute. Er fragte sich, was noch alles passieren sollte, bevor er durch Raum und Zeit wieder in die Küche seines eigenen Hauses geschleudert wurde. Genüßlich schlürfend trank der Gendarm seinen Kornkaffee aus, erhob sich und schnallte unter Auferbietung aller Kräfte sein Koppel fester. »So, die Pflicht ruft. Ich hole Euch dann morgen früh um dieselbe Zeit ab. Und dann könnt Ihr Eures Amtes walten.« Ulrich nickte nur. Er hatte eine Idee. E. T. A. Hoffmann hatte ihm von diesem Zauberer namens Clingh erzählt, der angeblich Raum und Zeit überwinden konnte. 43
Vielleicht war ja dieser Clingh dazu bestimmt, den Pensionär in das Jahr 1999 zurückzubringen? Vater beschloß, ihn aufzusuchen. Ulrich Hellmann beendete ebenfalls sein Frühstück, durchquerte humpelnd die noch leere Gaststube und wollte in den schmalen Gang, der zur Gasse führte. Ein Flur, der so früh am Morgen völlig im Schatten lag. Plötzlich merkte der alte Mann, wie er angehoben wurde. Vater verlor den Boden unter den Füßen. Der Zylinderhut fiel von seinem Kopf. Um Vater herum war plötzlich eine schwarze, körperlose Masse. Er konnte sich nicht gegen sie wehren. Diese feinstoffliche Nicht-Materie hielt ihn so massiv umfangen, als ob er in zähestem Schlick stecken würde. Ulrich Hellmann war eher verblüfft als ängstlich. Zumal ihn diese Schatten nicht verletzten, sondern nur vom Erdboden hochhoben. Er kam sich vor, als würde er auf einem fliegenden Teppich durch Bamberg reisen! Die schwarzmagische Erscheinung flog mit Ulrich durch die Tür nach draußen. Höher und höher ging die es in den kühlen Morgenhimmel hinauf. Bald erkannte der alte Mann unter sich den linken und den rechten Regnitzarm. Weit links der Bamberger Dom und die übrigen sakralen Gebäude des Bistums. Außerdem die Altenburg, die Neue Residenz, das 1789 gegründete Krankenhaus… Der Rundflug dauerte nicht lange. Die Schatten trugen Ulrich Hellmann über die Stadtgrenze hinaus. In einem Waldstück kurz, vor Litzendorf schwebte ein Silberschloß über dem Boden. Ein riesiger Bau, mit großen Zinnen und einem Dutzend Türmen und Türmchen unterschiedlicher Größe. Die Tore öffneten sich. Ulrich wurde von seinen feinstofflichen Entführern über eine breite Treppe getragen. Bis in ein großzügig ausgestattetes Gemach. Sternenkarten und Modelle von Planeten hingen und standen überall herum. Es gab auch einen Globus. Eine Weltkugel von einer Welt, die Vater völlig fremd war. Und inmitten dieser fremdartigen Gegenstände saß ein Mann mit gelben Augen und einem langen, schwarzen Bart. Sein hinterhältiger Blick ruhte auf dem Pensionär. Er war Ulrich auf Anhieb unsympathisch. Der Schloßherr ergriff das Wort. »Ich bin Clingh, der größte 44
Zauberer von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Als du dir vorgenommen hättest, mich aufzusuchen, habe ich dich gleich abholen lassen. Ist das nicht nett von mir?« Die Schatten stellten den Ex-Kripomann auf seine Füße. Ulrich hatte in den vergangenen Monaten unfreiwillig schon genügend Schwarzblüter kennengelernt. Sein Instinkt sagte ihm, daß Clingh eine Höllenkreatur war. Ulrich Hellmann stützte sich auf seinen Spazierstock, den er während des Fluges umklammert gehalten hatte. Das Silber des Knaufs fühlte sich kühl in seiner Hand an. Gleichzeitig wunderte er sich darüber, daß ein schwarzmagisches Wesen wie Clingh offenbar in einem Schloß aus purem Silber leben konnte. Normalerweise haßten diese Kreaturen das Edelmetall wie die Pest. Der Magier lachte. Es war, als hätte er die Gedanken des Entführten gelesen. Und vielleicht hatte er das ja auch wirklich. »Wenn er versucht, mich mit seinen dämlichen Silberkugeln zu besiegen…« Ulrichs Augenbrauen zogen sich zusammen. »Mark! Was willst du von ihm?« »Das geht dich nichts an!« schnappte der unheimliche Magier. »An deiner Stelle würde ich mir lieber Gedanken um mich selbst machen. Der Zeitdämon Polydorus hat dich hierher geschleudert, wie du weißt. Was mit dir passiert, ist ihm egal. Wenn es nach Polydorus geht, kannst du in dieser Zeit verrotten. Ich könnte dich wieder in deine Gegenwart zurückbringen - wenn ich wollte…« »Und was willst du dafür haben?« Vater wußte schon seit langem, daß Dämonen nichts ohne Gegenleistung taten. Und daß sie grundsätzlich ihr Wort brachen. »Oh, nichts Besonderes.« Unter den langhaarigen Augenbrauen des Zauberers blitzte kurz ein heimtückischer Blick auf. »Du mußt einfach nur tun, was man von dir verlangt, Ulrich Hellmann. Töte den Verurteilten, den man dir morgen früh vorführen wird. Erfülle deine Aufgabe als Henker. Dann bringe ich dich heil in deine Gegenwart zurück…« Ulrich Hellmann kniff die Lippen zusammen. Er sollte einen wehrlosen Menschen töten. Das gefiel ihm überhaupt nicht, auch wenn es ein verurteilter Verbrecher war. Außerdem würde er das Gefühl nicht los, daß die Sache außerdem einen ganz gewaltigen 45
Haken hatte… * Gegenwart Katis Vater erwischte mich mit einem Streifschuß. Ich hatte das Gefühl, als würde mir Mephisto seinen weißglühenden Dreizack über die Haut ziehen. Wäre Wiesinger nicht so aufgeregt gewesen, er hätte mir glatt eine Kugel ins Herz verpassen können. Denn er war ein versierter Schütze. Das merkte ich an den routinierten Bewegungen, mit denen er die Waffe bediente. Außerdem war es in dem kleinen Zimmer fast unmöglich, einen Menschen zu verfehlen. Und ich war der einzige Anwesende. Sollte ich ihm vielleicht erzählen, daß körperlose Schatten sein Kind so grausam zugerichtet hatten? Das hätte er mir nie geglaubt. Nicht in diesen Sekunden. Wieder einmal sprach alles gegen mich. Mir blieb nur die Flucht. Kämpfen wollte ich gegen den verzweifelten Familienvater keinesfalls. Die Verletzung an meinem Oberschenkel schmerzte kaum. Das lag am Schock. Es würde erst später richtig weh tun. Aber ich konnte meine Beine immer noch benutzen. Und das zählte. Ich warf meinen Einsatzkoffer aus dem Fenster. Hechtete selber hinterher. Wiesinger feuerte weinend sein Gewehr noch einmal ab. Diesmal verfehlte er mich zum Glück. Vor mir tauchte die Schwärze der Nacht wie eine Wand auf. Ich sah mich schon mit gebrochenen Knochen auf der Erde liegen. Doch ich hatte mich weit genug durch die Luft geschnellt. Meine Hände bekamen einen der Äste des Baumes zu fassen. Doch er brach ab! Ich ließ ihn wieder los, als wäre er aus glühendem Metall. Mit dem Kopf voran raste ich auf den Boden zu, den ich nicht mal sehen konnte. Dann knallte mein Unterarm wieder gegen den Baum. Verzweifelt griff ich zu. Diesmal erwischte ich eine Astgabel, die hielt. Mit weichen Knien kletterte ich hinunter. »Verfluchter Mörder!« Nun erkannte ich die Silhouette des verzweifelten Vaters in dem Rechteck des erleuchteten Fensters. Eine seiner Kugeln schlug 46
neben mir in die Baumrinde. Dann hatte ich endlich wieder festen Boden unter den Füßen. Ich wollte weglaufen. Doch sein nächster Schuß war besser gezielt. Es war ein Gefühl, als würde ein Riese mit seiner Keule mein Schulterblatt zerschmettern. Für einen Moment sah ich Sterne. Diesmal half mir auch der Schock nichts. Es tat so höllisch weh, daß ich beinahe aufgeschrien hätte wie am Spieß. Beinahe wäre ich in den Knien eingeknickt. Da stieß mein Fuß gegen ein Hindernis. Mein Einsatzkoffer! Ich hob ihn unter Schmerzen auf. Klemmte ihn unter meinen Arm. Nur mühsam konnte ich verhindern, der Länge nach hinzuschlagen. Weiter vor mir waren die Laternen der Schützenstraße. Dorthin versuchte ich zu laufen. Das nächste Geschoß des Vaters verfehlte mich wieder. Dafür mußte sein Gebrüll bis an die Stadtgrenze zu hören sein. »Aufhalten den Mörder!« Ich begann zu humpeln. So ganz ohne war der Streifschuß wohl doch nicht gewesen. Mein Hosenbein war bereits durchnäßt von meinem Blut. Endlich brachte ich eine Hausecke zwischen mich und Wiesingers Flinte. Nun hatte er kein freies Schußfeld mehr. Ich mußte verschwinden, bevor er vor mir auftauchte. Aber wie? Durch die Schüsse und die Schreie waren zahlreiche Nachbarn aufgewacht. Jedenfalls ließen die erleuchteten Fenster darauf schließen. Wie auf dem Präsentierteller hetzte ich keuchend bis zur Ecke Amalienstraße. Bamberg war eine kleine Stadt. Es würde nur Minuten dauern, bis die Polizei hier war. Und dann? Ich sah schon die Schlagzeilen vor mir. ENTFLOHENER BRANDSTIFTER ERMORDET MÄDCHEN! Wie würde ich jemals meine Unschuld beweisen können? In diesem Moment brannten bei mir die Sicherungen durch. »Clingh!« brüllte ich in die große Leere des Nachthimmels hinein. »Du hast mich zum Duell gefordert! Laß uns damit beginnen! Zeig dich endlich!« Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Sie bestand in einem höhnischen Gelächter. 47
Der Schwarzmagier materialisierte sich über der Straßenkreuzung Schützenstraße/Amalienstraße. Clingh trat genauso auf wie in meiner morgendlichen Vision. Die gelben Augen in seinem pferdeartigen Gesicht schienen mich durchbohren zu wollen. »Du irrst, Mark Hellmann! Unser Duell hat schon längst angefangen. Aber bisher hast du leider immer nur verloren. Es scheint nicht, als ob der Kämpfer des Rings den großen Clingh besiegen könnte…« »Das werden wir ja sehen!« grollte ich und zog meine SIG Sauer, die wie fast immer mit geweihten Silberkugeln geladen war. Ich hatte sie schon zuvor aus meinem Einsatzkoffer gezogen, um sie im Notfall zur Hand zu haben. Dreimal bellte die Pistole auf! Die Geschosse durchschlugen Clinghs feinstofflichen Körper. Zeigten aber überhaupt keine Wirkung. Die meisten Dämonen werden durch geweihtes Silber zumindest abgeschreckt. Aber der Magier schien durch das Edelmetall an Kraft und Macht sogar noch zuzunehmen! Plötzlich mußte ich an das Silberschloß denken, in dem er sich mir in dieser Vision gezeigt hatte. Doch da kam schon Clinghs Gegenangriff. Er machte eine leichte Handbewegung. Ein Energiestrahl warf mich mehrere Meter rückwärts durch die Luft. Ich schlug mit meiner verletzten Schulter auf das Straßenpflaster. Der Schmerz raubte mir beinahe die Sinne. Clingh schüttelte spöttisch mißbilligend den Kopf. »Schwache Leistung, Mark Hellmann. Ganz schwache Leistung. Ich gebe dir noch einen kleinen Tip, weil du ja sozusagen Anfänger bist, hehehe… Such mich in der Vergangenheit. Vielleicht bist du im Jahre 1810 ja nicht so tölpelhaft. Obwohl ich es mir nicht vorstellen kann…« Mit diesen Worten löste er sich auf. Ich schüttelte benommen den Kopf. Da hörte ich die Stimme, die über Megaphon verstärkt wurde. »Hier spricht die Polizei! Legen Sie sich flach auf den Boden und falten Sie die Hände hinter dem Kopf!« *
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»Ulrich ist hier!« »Was?!« Pit Langenbach hatte vor sich hingedöst. Er konnte seine Beine nicht einen Millimeter bewegen. Er hatte sich schon in vielen ausweglosen Situationen befunden. Am schlimmsten war es wohl damals gewesen, als sein gesamter Körper in eine steinerne Statue verwandelt worden war (Siehe MH 13!). Aber im Moment fühlte er sich auch nicht viel besser… »Ulrich ist hier! Marks Vater!« Tessa wiederholte noch einmal das, was sie eben gerade gesagt hatte. In ihren schönen braunen Augen blitzte wieder die Hoffnung auf. »Ich spüre es ganz deutlich…« »Woher willst du das wissen?« Der Kripo-Hauptkommissar blieb skeptisch. »Ich weiß es eben nicht, Pit! Ich fühle es nur. Bis vor ein paar Minuten war die Ausstrahlung dieses Silberschlosses durch und durch düster und dämonisch. Und jetzt glaube ich, daß sich ein nicht-schwarzmagisches Wesen in den Räumen befindet. Und zwar nicht irgendein Mensch, sondern Ulrich Hellmann!« Pit wußte, daß sein pensionierter ehemaliger Vorgesetzter einer der größten Dämonenexperten auf der Welt war. Natürlich hatte er auch von der unfreiwilligen Zeitreise des alten Mannes in der vorigen Woche erfahren. Aber daß Marks Vater nun ausgerechnet hier auftauchen sollte, erschien ihm reichlich unwahrscheinlich. Arme Tessa, dachte Pit und zupfte nervös an seinem Schnurrbart. Die Verzweiflung gaukelt ihr Wunschträume vor… * Sie hatten mich umstellt. Während meines kurzen Kampfes mit Clingh war die Ordnungsmacht bereits eingetroffen. Drei Streifenwagen hatten die Kreuzung abgeriegelt. Die Schützenstraße hinter mir war ebenfalls durch einen Mini-Bus der Bamberger Polizei versperrt. Ich saß in der Falle. Die Beamten waren mit Maschinenpistolen im Anschlag hinter ihren Autos in Stellung gegangen. Kein Wunder. Sie hielten mich für einen flüchtigen Verbrecher und Mörder. »Dies ist die letzte Aufforderung!« blaffte die Megaphonstimme 49
drohend. Ich ließ langsam meine SIG Sauer zu Boden gleiten. Tat so, als würde ich mich ergeben. Aber ich dachte nicht daran. Plötzlich riß ich mir die Kleider vom Leib! Ich konnte förmlich die Verblüffung der Beamten spüren. Vielleicht hielten sie mich ja für einen Verrückten. Um so besser. Solange sie verblüfft waren, handelten sie wenigstens nicht. Und gaben mir die Zeit, die ich brauchte. Mein Siegelring hatte bei dem Kampf mit Clingh heftig reagiert. Er hatte sich erwärmt und prickelte immer noch heftig. Das machte ich mir nun zunutze. Schnell aktivierte ich das Kleinod, indem ich es gegen mein rot-blau-goldenes Hexenmal auf der linken Brustseite drückte. Einige der Polizisten keuchten überrascht auf, als sie den leuchtenden Strahl aus meinem Ring aufzucken sahen. »Vorsicht! Er hat eine Strahlenwarfe!« Ich hörte das Geklirr ihrer Maschinenpistolen, mit denen sie auf mich anlegten. Aber es war zu spät. Schon hatte ich die Rune für das Wort »Reise« auf das Straßenpflaster vor mir geschrieben. Der stilisierte Drache auf meinem Siegelring schien ins Riesenhafte anzuwachsen und mich zu verschlingen. Wieder stürzte ich in den Korridor aus überirdischem Licht. Mein Körper verschwand aus dem Jahr 1999 und raste auf dem Zeitstrom zurück… * Vergangenheit Ich landete auf feuchtem Gestein. Rasende Kopfschmerzen tosten durch meinen Schädel. Außerdem fühlte ich mich schlapp, völlig erledigt. Immerhin waren durch die Zeitreise meine beiden Schußverletzungen aus der Gegenwart verheilt. Da nahm ich mein Formtief gerne in Kauf. Ich versuchte mich zu orientieren. Es war ziemlich kalt und feucht. Und so dunkel, daß ich noch nicht mal die sprichwörtliche Hand vor Augen sehen konnte. Mich fröstelte, und ich kriegte eine fürchterliche Gänsehaut. Wo zum Kuckuck war ich gelandet? 50
Vorsichtig erhob ich mich. Und knallte mit dem Kopf gegen etwas, das ich in der Finsternis nicht gesehen hatte. Fluchend hielt ich mir den Schädel. Meine Worte hallten wider. Ich mußte mich in einem ziemlich großen hohlen Raum befinden. War es vielleicht eine Höhle? Gleich darauf bestätigte sich der Verdacht. Meine Hände tasteten über das Hindernis, mit dem meine Hirnschale gerade Bekanntschaft gemacht hatte. Eine Tropfsteinsäule, an der ein feiner Wasserfilm herunterperlte. In der Umgebung Bambergs gab es einige große Tropfsteinhöhlen. Jedenfalls erinnerte ich mich, im Fernsehen mal etwas darüber angeschaut zu haben. Ich war also in der richtigen Region gelandet. Fragte sich nur, in welcher Zeit. Plötzlich zerriß ein Geräusch die Stille um mich herum. Es entstand durch schnelle Schritte. Durch laufende Füße, die sich auf mich zubewegten. Es knirschte immer lauter. Kein Wunder, denn der Boden war übersät mit Calzitkristallen, die auch Teufelskonfekt genannt werden. Mit zusammengekniffenen Augen spähte ich in die absolute Dunkelheit. Weit entfernt meinte ich, nun einen Lichtschein erkennen zu können. Rufe ertönten. Schaurig hallten sie durch die riesige natürliche Kuppel der Höhle. Eine Frau mit langem Haar eilte auf mich zu. Ihr Körper schien in der Finsternis zu leuchten. Das war auch kein Wunder. Denn sie war splitternackt! * Vergangenheit E. T. A. Hoffmann hockte in seiner Mansarde, die er selbst als »Poetenstübchen« bezeichnete. Vor sich auf dem niedrigen Tisch ein weißes Blatt Papier, auf dem links oben zwei Worte geschrieben standen. DER DÄMON. Weiter war der Erfinder berühmter Gespenstergeschichten noch nicht gekommen. Und er überlegte sich ernsthaft, ob er nicht lieber von der Schreiberei die Finger lassen sollte. Sein suchender Blick schweifte über die dicken Bücher links und 51
rechts von ihm. Draußen, hinter der trüben Fensterscheibe, wurde es schon dunkel. Zeit, die Lampe anzudrehen. Die Schatten in den Ecken seines Zimmerchens wurden immer länger. Kaum hatte E. T. A. Hoffmann dies gedacht, als sich das Dunkel auch schon zu bewegen schien. Der Romantikdichter schüttelte sich, als hätte er in einen sauren Apfel gebissen. Ging seine Phantasie mit ihm durch? Doch es war keine Einbildung. Einer der Schatten löste sich aus der Ecke zwischen Tür und Schrank. Er glitt lautlos von hinten an Hoffmann heran und umfaßte den Mann an dem Schreibtisch. Obwohl die Gestalt nur feinstofflich war, blieb dem Dichter die Luft weg. Der Schatten drohte ihn zu zerquetschen! In Todesangst riß E. T. A. Hoffmann den Mund auf. Er wollte schreien. Doch von seinen Lippen löste sich nur ein ersticktes Röcheln. Auch die anderen Wesen aus dem Halbdunkel krochen nun näher. Sie schoben sich über seinen Schreibtisch, verdeckten das Papier und die Bücher. Im Handumdrehen war Hoffmann in einer schwarzen Welt gefangen! Eine absolute Schwärze, in der plötzlich ein silbriger Schimmer zu erkennen war. Umgeben von dieser Edelmetall-Aura nahm der Körper von Clingh direkt vor den Augen des Dichters Gestalt an. »Du hast dich mit Ulrich Hellmann angefreundet, Schreiberlein.« Die verachtenden Worte des Zauberers waren keine Frage, sondern eine Feststellung. Stumm nickte der Mann am Schreibtisch. Seine Atemluft war zu kostbar, um sie mit Reden zu vergeuden. »Du weißt, wer ich bin?« »Clingh.« Immerhin schaffte es E. T. A. Hoffmann, dieses einzelne Wort hervorzuwürgen. »Richtig! Clingh, der größte Zauberer aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Man nennt mich auch den Herrn der Schatten. Du hast ausgesprochen Pech, Meister Hoffmann. Du hättest lieber in deiner Stube bleiben und dir Geistergeschichten ausdenken sollen. Aber du bist bei meinem Duell mit Hellmann zwischen die Fronten geraten!« Duell? Herr der Schatten? Der Dichter verstand kein Wort. Aber 52
dann sagte Clingh etwas, das ihn erstarren ließ. »Du könntest Hellmann junior oder senior vielleicht helfen. Keine wirkliche Gefahr für mich angesichts deiner schwachen Kräfte aber ich will kein Risiko eingehen. Deshalb schicke ich dich jetzt zur Hölle!« Der Magier gab seinen Schatten ein Zeichen. E. T. A. Hoffmann erlebte, wie es um ihn herum dunkel wurde. Eine Finsternis, als würde er schon tot und begraben in der Gruft liegen. Da verlor der Dichter das Bewußtsein. * Das schöne Gesicht der jungen Frau war von Panik verzerrt. So schnell sie konnte huschte die durch die Dunkelheit. Doch der Abstand zu den sie verfolgenden Irrlichtern verkleinerte sich. Ich trat neben der mächtigen Tropfsteinnadel hervor. »Brauchst du Hilfe?« Das Mädchen zuckte zusammen, als hätte sie einen Geist gesehen. Doch dann ging sie mit den Fäusten auf mich los. Die Kleine hatte einen ganz schön kräftigen Schlag drauf. »Bist schon nackert, Sauräuber, damischer? Willst mich schänden, du Lump? Deine Kumpane hobn mir allerweil die Kleider vom Leib gerissen, die Buschklepper, die elenden!« Ich hielt ihre Handgelenke fest. »Ich will dir nicht weh tun!« raunte ich ihr zu. »Lauf weg, Mädchen! Ich werde die Kerle aufhalten!« Ungläubig starrte sie mich an. Das konnte ich trotz der schlechten Beleuchtung erkennen. Aber ich schob sie an mir vorbei. »Lauf und suche den Ausgang! Hole Hilfe!« Ich hörte, wie sie sich in der Dunkelheit wieder von mir entfernte. Ihre Schritte verloren sich in der offenbar riesigen Höhle. Hoffentlich gab es dort hinten wirklich einen Zugang zum Tageslicht. Ihre Verfolger näherten sich mir. Noch hatten sie mich nicht entdeckt, weil ich mich wieder hinter dem herabhängenden Stalaktiten verbarg. Es waren wirklich Räuber. Dreckige abgerissene Burschen, zum 53
Teil barfuß. Alle mit langen Barten und unordentlichen Haaren. In ihren Gürteln steckten Messer, Pistolen oder Dolche. Und jeder von ihnen hatte eine Fackel in der Hand. Das waren die Irrlichter gewesen, die ich vorhin gesehen hatte. Weil sie erkannten, wohin sie traten, kamen sie schneller voran als die Nackte. Ich wartete, bis der erste in meiner Reichweite war. Dann schoß ich aus meinem Versteck hervor und verpaßte ihm einen fürchterlichen Karate-Highkick. Meine Fußkante bretterte gegen seine Nase. Es gab ein knackendes Geräusch. »Himmelsakra…!« Die Pechleuchte entfiel seinen Fingern. Auf dem Boden liegend beleuchtete sie den mörderischen Kampf, der nun folgte. Ich schlug und trat kompromißlos um mich. Das war auch notwendig. Denn erstens war ich unbewaffnet. Und zweitens würden die Kerle nicht gerade begeistert sein, daß ich mich zwischen sie und ihre »Beute« stellte. Damit hatte ich mich nicht getäuscht. »Schlägt's eam den Schädel ein!« kommandierte ein gedrungener Kerl mit blondem Bart und breitem Kreuz. Mein erster Gegner hatte sich inzwischen wieder aufgerafft und seinen Dolch gezogen. Ich schickte ihn mit einem Fußfeger wieder auf den Boden und trat die Stichwaffe weg. Da stürmten schon die nächsten beiden Räuber heran. Ihr Hauptmann richtete seine Knarre auf mich. Es war eine Reiterpistole mit zwei Läufen. Wie ein Kanonenschuß dröhnte es in der Grotte, als er eine Kugel in meine Richtung abfeuerte. Einer seiner Männer stolperte in die Schußbahn. Der Strauchdieb wurde in den Rücken getroffen. Das Blut spritzte aus seinem weit aufgerissenen Mund, als er zu Boden ging. Ich steppte zur Seite. Einem meiner Gegner rammte ich den Ellenbogen gegen den Brustkorb, dem anderen verpaßte ich einen Uppercut, daß ihm fast der Schädel wegflog. Durch meine Größe hatte ich bei einer Schlägerei gute Karten. Meine Arme waren länger als die der Räuber. Dadurch konnte ich sie auf Distanz halten. Aber gegen ihre Waffen würde mir das auch nichts helfen… »Auf ihn! Reißt eam in Stücke!« Im fahlen Fackelschein sah ich einen Degen aufblitzen. Unerwartet ließ ich mich zu Boden fallen, drehte die Beine wie ein Kung-Fu-Kämpfer und hämmerte dann meine Fersen gegen die 54
Knie des Buschkleppers. Der Kerl legte sich prompt auf seinen verfilzten Bart. Wieder einmal beglückwünschte ich mich für jede Trainingsstunde, die ich beim Polizeisportverein Weimar mit Kampfsport verbracht hatte. Dank der Fürsprache meines Freundes Pit durfte ich dort kostenlos trainieren. Und die Instruktoren hatten mich nie geschont, sondern stets das Äußerste von mir verlangt. Der Räuberhauptmann verschoß nun die zweite Kugel seiner Reiterpistole. Diesmal hatte er besser gezielt. Das Geschoß schlug unmittelbar neben meinem Schädel in den Boden. Die Calzitkristalle flogen mir um die Ohren. Das tödliche Stück Blei schwirrte als Querschläger davon. Ich hob noch einmal meinen Fuß und verpaßte dem knienden Strolch mit dem Degen einen Tritt gegen die Schläfe. Er legte sich schlafen. Ich hechtete auf ihn zu und entwand ihm seine Stichwaffe. Da hackte ein bulliger Kerl auch schon mit seiner Axt nach mir! Ich fintete und stach ihm in den Unterarm. Das reichte offenbar nicht, um ihn außer Gefecht zu setzen. Wieder hob er mit infernalischem Gebrüll das Beil. Seine Kameraden versperrten mir den Fluchtweg. Sie drängten mich in eine Ecke der Höhle. Und stocherten mit ihren Fackeln nach mir. Ein paar Mal konnte ich meine nackte Haut durch Ausweichen vor dem Verbrennen bewahren. Aber lange konnte das nicht gutgehen. Wild hieb ich mit dem Degen um mich. Aber die Räuber waren kampferprobte Männer. Und weit in der Überzahl. Ihr Hauptmann lud in aller Ruhe seine Reiterpistole durch. »Dich krieg ich, du nackerter Bazi«, grollte er. »Ich schieß dir die Augen aus!« Einen Räuber konnte ich noch niederstechen. Dann packten sie meinen rechten Arm und entwanden mir den Degen. Mit zwei, drei Karatetritten säbelte ich einen Angreifer zur Seite. Aber es waren einfach zu viele. Die rauhbeinigen Burschen rangen mich zu Boden. Schmerzhaft stachen die Calzitkristalle in meine nackte Haut. Wutentbrannt trat mir einer der Kerle in die Rippen. Der Anführer zielte auf meinen Kopf. Schüsse bellten auf. Ganze Salven. 55
Aber es war nicht der Räuberhauptmann, der den Stecher seiner Reiterpistole durchzog. Drei seiner Leute stürzten tot oder schwerverletzt zu Boden. Uniformierte drangen über eine schmalen Felsengalerie in die Hauptgrotte vor. Wahrscheinlich Soldaten oder Gendarmen. Der Widerhall ihrer Gewehrschüsse rollte wie Donner durch die Höhle. Der Kampf war kurz, aber brutal. Einige der abgerissenen Strolche versuchten zu entkommen und wurden niedergeknallt. Nun bemerkte ich, daß die Uniformierten von zwei Seiten kamen. Sie hatten die Räuberbande eingekesselt. »Das war Rettung in letzter Minute«, sagte ich aufatmend zu einem Offizier, der mit gezogenem Säbel herangestürmt kam. In der linken Hand trug er eine Fackel. »Halt's Maul!« Bevor ich reagieren konnte, drosch er mir mit der flachen Seite seines Säbels auf den Schädel. Ich sah Sterne, zumal ich von der Zeitreise und der Keilerei mit den Räubern noch angeschlagen war. »Fesseln und abführen!« Der Befehlshaber bedachte mich mit einem bösen Blick. »Alle!« * Ich war im Frühling des Jahres 1810 in Franken gelandet. Die Grotte, in der sich die Bande versteckt hatte, wurde Teufelshöhle genannt. Was ich ziemlich passend fand. Mephisto hätte sich ins Fäustchen gelacht, wenn er mich zerschunden und gedemütigt zwischen diesen Strauchdieben entdeckt hätte. Die Tropfsteinhöhle befindet sich in der Nähe des Dörfchens Pottenstein. Von dort trieben uns die Königlich Bayerischen Soldaten mit Kolbenhieben Richtung Bamberg, wo wir im Zuchthaus auf unseren Prozeß warten sollten. Wie ich auf dem Marsch erfuhr, war ich der Bande des Gelben Hansl in die Quere gekommen. So wurde offenbar der stämmige Blonde genannt, der den Fehler gemacht hatte, seine Pistole auf die Ordnungsmacht zu richten. Sie hatten ihn gleich mit zwei Kugeln erwischt. Räuberbanden wie diese gab es zu der Zeit in Deutschland zu tausenden. Oft trieb die blanke Not die Männer ins Verbrechen. 56
Viele waren vor ihrem Wegelagererleben Bauern gewesen, die nach hohen Abgaben und einer Mißernte schlicht und einfach nichts mehr zu essen hatten. Andere suchten aus Abenteuerlust oder Freiheitsdrang das Leben in den Wäldern, das oft ziemlich schnell an einem Galgen oder unter der Guillotine endete. Ich hoffte immer noch, daß sich meine Unschuld bald herausstellen würde. Statt dessen kam alles nur noch schlimmer. Im Bamberger Zuchthaus verpaßte man mir wenigstens Anstaltskleidung. Ich war ja immer noch nackt. Aber dafür nahmen mir die Schließer meinen Siegelring ab. Endlose Stunden ließen sie mich und die Räuber in einem fensterlosen Raum unter Bewachung warten. Wir standen, uns die Beine in den Bauch. Sitzen durften wir nicht. Endlich kam ein dürrer älterer Herr mit schwarzem Frack und Kneifer, der sich als Bezirksstaatsanwalt vorstellte. »Sooooo«, dehnte er grimmig, während er verächtlich die Nase rümpfte. »Das ist also der armselige Haufen dieses sogenannten Gelben Hansl. Und wer von diesen Lumpen ist der Gelbe Hansl?« Ein Sergeant deutete wortlos auf mich. Jetzt reichte es mir aber endgültig. Ich muckte auf. »Das ist nicht wahr, Herr Staatsanwalt! Ich heiße Markus Hellmann und bin selber, von diesen Männern beraubt worden.« Ich konnte ja schlecht sagen, daß ich aus der Zukunft kam. »Es gibt eine Zeugin, ein junges Mädchen. Ich habe ihr die Flucht ermöglicht. Ich…« Der Beamte baute sich vor mir auf, blickte zu mir hoch und verpaßte mir eine saftige Ohrfeige. »Er redet nur, wenn Er gefragt wird! Verstanden? Du da« - er wandte sich einem der gefangenen Buschklepper zu, »wer ist dein Hauptmann?« »Das ist der Gelbe Hansl, Herr«, erwiderte der Räuber eingeschüchtert. Und er zeigte dabei auf mich! Der Bezirksstaatsanwalt wiederholte dieses Spielchen noch mit zwei weiteren Gefangenen. Auch sie meinten plötzlich, in mir ihren Anführer zu erkennen. »Ihr habt doch alle einen Sprung in der Schüssel!« brüllte ich. »Der Gelbe Hansl wurde in der verdammten Höhle niedergeschossen!« »Ein besonders verstockter Verbrecher«, sagte der Jurist zu dem Sergeanten. »Die Todesstrafe ist in diesem Fall mehr als 57
gerechtfertigt.« * Auf meinen Prozeß brauchte ich nicht lange zu warten. Es war wie in einem Angsttraum. Alles schien sich gegen mich verschworen zu haben. Das Mädchen, das ich gerettet hatte, war wie vom Erdboden verschluckt. Alle Räuber behaupteten, ich wäre ihr Hauptmann. Es gab sogar Zeugen, die in mir den Mörder ihrer Angehörigen wiedererkennen wollten. Doch in Wirklichkeit steckte nur einer hinter diesem tödlichen Narrenspiel. Clingh. Dies war offenbar seine Art zu kämpfen. Er stellte sich mir nicht offen, sondern verhexte die Menschen in meiner Umgebung. Spann seine Intrigenfäden, bis ich in dem Netz krepieren würde. Das Todesurteil für mich überraschte niemanden. Auch mich selber nicht. Wenn der Magier eine Falle stellte, dann tat er das gründlich. Ich verstand nur nicht, warum er mich in das Jahr 1810 gelockt hatte. Auch in meiner Gegenwart hätte er mich erledigen können. Es mußte also einen ganz bestimmten Grund dafür geben. Aber welchen? In meiner Todeszelle hatte ich genügend Gelegenheit, darüber nachzudenken. Mein Prozeß war Ende Mai über die Bühne gegangen. Anfang Juni wollten sie mir den Kopf abschlagen lassen. Sobald der Henker seinen nächsten Termin in Bamberg hatte, wie es hieß. Hungrig schlang ich die zerkochten Bohnen und das altbackene Brot hinunter, das es jeden Tag als Gefängnisfraß gab. Ich mußte bei Kräften bleiben. Denn Mark Hellmann gibt nicht auf, solange er auch nur die kleinste Chance für sich sieht. Aber je mehr Zeit verstrich, desto schlechter standen die Dinge. Ein Ausbruch war unmöglich. Das Zuchthauspersonal hatte mich als äußerst gefährlich eingestuft. Entsprechend wurde ich bewacht. Besuch durfte ich natürlich auch keinen empfangen. Wer hätte auch zu mir kommen sollen? In der Nacht vor meiner Exekution spürte ich trotzdem, daß ich plötzlich nicht mehr allein in meinem Loch war. Inmitten eines silbrigen Schimmers nahm Clingh Gestalt an. 58
»Ich wollte dir Auf Wiedersehen sagen, Mark Hellmann. Bald wirst du in der Hölle schmoren und am eigenen Leib spüren, wie das Böse wirklich funktioniert…« »Du feige Ratte!« brüllte ich ihn an. »Warum kämpfst du nicht ehrlich gegen mich? Mann gegen Mann!« Der Zauberer schüttete Hohn und Spott über mir aus. »Der ehrliche, aufrechte Mark Hellmann! Für wie dämlich hältst du mich eigentlich? Ich will gewinnen, nicht fair kämpfen, hehehe… Ich verstehe wirklich nicht, warum Mephisto und seine Trottelgarde so einen Respekt vor dir haben. Es wird wirklich Zeit, daß sich in der Hölle etwas ändert…« Ein Machtkampf zwischen Dämonen, bei dem ich das Faustpfand darstellte. Wenn mich Clingh tötete, würde das seinen Ruf im Reich des Bösen ungeheuer aufpolieren. Ich federte von meiner harten Pritsche hoch und stürzte mich auf ihn. Es mußte einen Grund dafür geben, daß er den direkten Kampf mit mir scheute. Auch der Satansmagier hatte gewiß eine schwache Stelle. Aber wo? Ich erfuhr es nicht. Jedenfalls nicht in dieser Nacht. Als ich ihn wutschnaubend anspringen wollte, war er schon wieder verschwunden. Nur sein gräßliches Gelächter hing noch für ein paar Minuten in der Luft. Viel Schlaf fand ich in dieser Nacht nicht. Um sechs Uhr früh kam ein Priester, um mir die Beichte abzunehmen. Auch er glaubte mir nicht, daß mein wahrer Name Mark Hellmann ist. Und daß ich mit der Räuberbande überhaupt nichts zu tun hatte. »Bereue deine Sünden, mein Sohn«, sagte der Gottesmann zu mir, »sonst wirst du der ewigen Verdammnis sicher sein. Und der Antichrist wird seine schwarzen Klauen auf dich legen…« Damit kam er der Wahrheit näher, als ihm vermutlich klar war. Was für ein Festtag für die Dämonen der Hölle, mich endlich tot zu sehen! Eine halbe Stunde nach dem Priester erschienen vier Gendarmen, um mich in die Richtkammer zu schaffen. Die Hände wurden mir wieder gebunden. Die Beamten gingen wirklich kein Risiko ein. Über einige Treppen ging es in den Gewölben des Bamberger Zuchthauses hinunter bis zu einem großen fensterlosen Raum. In der Mitte des schmucklosen Zimmers befand sich ein Richtblock 59
aus Holz, auf den ich offensichtlich meinen Schädel legen sollte. Davor ein großer, geflochtener Weidenkorb. Man brauchte keine Phantasie, um sich vorzustellen, wozu er diente. Im Boden waren einige Ablaufrinnen eingearbeitet. Für das Blut… Immer noch hatte ich die Hoffnung auf Rettung nicht aufgegeben. Aber diesmal sah es ziemlich bescheiden für mich aus. Die Gendarmen zwangen mich auf die Knie. Sie zerrten das Oberteil meiner Anstaltskleidung herunter. Und drückten mich nach vorne, bis ich das Holz des Richtblocks an meiner Wange spürte. Rasiert war ich nicht. Dann würde ich eben mit stoppeligem Kinn zur Hölle fahren… »Der Scharfrichter!« Dieser ehrfurchtsvolle Ruf erklang, als sich nun die schwere Tür wieder öffnete, durch die auch wir eingetreten waren. Ein schlanker Mann in einem schwarzen Frack kam hereingehumpelt. Mit seiner rechten Hand stützte er sich auf seinen Spazierstock, in der linken hielt er eine große Henkersaxt. Sein Kopf war mit einer schwarzen Maske bedeckt, die nur zwei Löcher für die Augen hatte. Den Bewegungen nach mußte es ein älterer Knabe sein. Wenn es nicht so verrückt gewesen wäre - ich hätte schwören können, meinen Vater Ulrich vor mir zu haben! * Der bayerische Gendarmeriewachtmeister Xaver Bichler war wieder von preußischer Pünktlichkeit. Wie schon am Vortag stopfte er sich mit Semmeln voll, während er Ulrich Hellmann mit Schauergeschichten über die Untaten des Räuberhauptmanns unterhielt. Des Verurteilten, dessen Kopf Vater in Kürze abschlagen sollte. »Der Gelbe Hansl ist ein Haderlump!« faßte Bichler mit offenem Mund kauend zusammen, »allerweil am Schießen und Morden und Stechen. Aber jetzt haben die Kameraden ihn endlich erwischt.« Ulrich erwiderte nichts. Er fürchtete sich vor der Begegnung mit diesem Gelben Hansl. Allein schon deshalb, weil er sich an das Versprechen von Clingh erinnerte. Der Satansmagier wollte Ulrich in die Gegenwart zurückzaubern, wenn er seine Aufgabe erfüllte 60
und den Verurteilten tötete. Der Weimarer wußte genau, was von den Versprechungen eines Dämonen zu halten war. Trotzdem war er neugierig. Warum lag diesem verdammten Clingh so viel daran, daß er, Ulrich, die Hinrichtung vollzog? Diese Frage spukte weiter durch seinen Kopf, während er an der Seite des eifrig plappernden Bichler durch das stille morgendliche Bamberg marschierte. Als sie im Zuchthaus angelangt waren, ließ sich der Gendarm in der Magazinkammer einen Pappumschlag geben und reichte ihn an Ulrich weiter. »Die Habseligkeiten des Gelben Hansl«, erklärte er. »Ihr bekommt sie, weil er keine Verwandten mehr hat. Wie es die Tradition verlangt.« Achtlos steckte Ulrich den Umschlag in seinen Frack. Seine linke Hand umklammerte die Richtaxt. In seinem tiefsten Inneren wußte er genau, daß er keinen wehrlosen Menschen töten konnte. Obwohl - einst hatte der pensionierte Kripomann seinen eigenen Vorfahren Balthasar Höllemann umgebracht (Siehe MH 51!). Aber das war im Kampf geschehen, in Notwehr. Balthasar Höllemann war ein grausamer Dämonenknecht gewesen, dem Ulrich seine bleibenden Behinderungen »verdankte«… Bichler und Vater betraten einen Vorraum, der offenbar zur eigentlichen Richtkammer gehörte. Dort lag auf einem Tischchen eine schwarze Maske bereit. Ulrich streifte sie über, als wäre das eine alltägliche Handlung für ihn. Wie Zähneputzen oder Schuhe zubinden. Er fühlte sich, als würde er neben sich selbst stehen. Einen Film anschauen, in dem er die Hauptrolle spielte. Sogar der Redefluß des rundlichen Gendarmeriewachtmeisters war nun verstummt. Auch er schien die Nähe des Todes zu spüren. Entschlossen stieß Ulrich Hellmann die Tür. auf. Er mußte jetzt einfach herausbekommen, was ihn erwartete. Was er dann tun würde, konnte er nicht sagen. Aber alles war besser als diese verdammte Ungewißheit. Doch im nächsten Moment glaubte er, sein Herz würde stillstehen. Eine rotglühende Dämonenklaue schien seinen Magen zu zerreißen. Der Verurteilte, der schon mit dem Kopf auf dem Richtblock lag, war kein anderer als Mark Hellmann! Sein eigener Sohn! 61
* Der maskierte Scharfrichter kam in Begleitung eines dicklichen Gendarmen. Nun waren insgesamt fünf Ordnungshüter in der fensterlosen Kammer anwesend. Außerdem der Henker und ich selbst, die Hauptperson. Ich kicherte ohne Humor. »Lachst noch, wenn es dir ans Leben geht«, murmelte einer der Uniformierten. »Bist 'n sturer Hund, Gelber Hansl.« »Ich heiße Mark Hellmann!«, grollte ich, fast schon automatisch. »Zum letzten Mal, ich bin unschuldig!« Wahrscheinlich wirklich zum letzten Mal, sagte ich zu mir selbst. Der Scharfrichter tappte auf mich zu wie ein Zombie. Oder wie eine Marionette. Er hatte die große und scharf geschliffene Richtaxt in seinen behandschuhten Händen. Die Gendarmen preßten meinen Kopf auf den Richtblock. Ich spürte das harte Holz an meiner Wange. Die glatte Fläche unter mir war sauber geschrubbt. Wahrscheinlich wurde sie jedesmal nach Gebrauch gründlich gereinigt. War der Henker wirklich Ulrich Hellmann, mein eigener Vater? Oder spielten mir Clingh oder andere höllische Kräfte etwas vor, um mich noch zusätzlich zu quälen? Ich biß die Zähne zusammen. Wollte meinen Feinden nicht den Triumph gönnen, mich schreien zu hören. Der Kämpfer des Rings sieht dem Tod gelassen ins Auge. Auch wenn er seinen Ring verloren hat. »Gott sei deiner armen Seele gnädig…«, murmelte einer der Uniformierten. Der Scharfrichter hob mit beiden Armen sein Richtbeil, was ihm nicht ganz leicht zu fallen schien. Eine Hand schien etwas behindert zu sein. Wie bei Ulrich, meinem Vater. War er es wirklich? Ich konnte es nicht glauben. Das war zu gräßlich, um wahr zu sein. Unsere Blicke trafen sich ein letztes Mal. Dann sauste das schwere Metall auf mich herunter. Ich spürte fast keinen Schmerz. Aber mein abgeschlagener Kopf fiel mit einem lauten Krachen in den geflochtenen Korb. Das Blut pulsierte aus meinem Halsstumpf. 62
* Ulrich Hellmann schrie in der Hypnose. Dr. Paul Abaringo konnte ihn kaum beruhigen. »Was immer geschehen ist, ist geschehen, Ulrich. Es ist vorbei. Du bist jetzt hier, in deinem Haus in Weimar. In der Siedlung Landfried.« »Ja - ja! Aber Mark, ich habe Mark… Ich habe meinen eigenen Sohn getötet! Mephisto hatte Recht! Ich werde im Siebten Kreis der Hölle schmoren, für alle Zeit. Erst mein Vorfahr, Balthasar Höllemann. Und nun Mark, mein geliebter Sohn. Ich bin ein Killer, Paul!« Der Parapsychologe aus Südafrika spürte, daß sein deutscher Freund in großer Gefahr war. Konnte er es wirklich riskieren, ihn aus der Hypnose zurückzuholen? Wenn ein Patient schon in Trance so erregt war, wie würde er sich dann erst mit seinem normalen Bewußtsein fühlen? Abaringo fürchtete um den Verstand von Ulrich Hellmann. Doch die Entscheidung wurde ihm abgenommen. Plötzlich schwebte die feinstoffliche Gestalt von Nostradamus neben den beiden Männern im Raum. Auch Ulrich nahm ihn wahr, obwohl er in Gedanken immer noch seine Zeitreise ins Bamberg des 19. Jahrhunderts durchlitt. »Es mußte sein«, sagte der französische Prophet. So deutliche Worte war man von ihm nicht gewöhnt. Normalerweise drückte er sich gerne in Rätseln und Vergleichen aus. Aber diesmal redete er Klartext. »Hol ihn zurück!« forderte Nostradamus den Afrikaner auf und deutete dabei auf Ulrich Hellmann. »Das könnte gefährlich werden.« »Vertraue mir.« Der Parapsychologe beschloß, es zu riskieren. »Ich zähle jetzt von zehn rückwärts bis eins, Ulrich. Wenn ich bei eins angelangt bin, wirst du wieder in der Realität sein. Im Weimar des Jahres 1999.« »Zehn… neun… acht… sieben… sechs… fünf… vier… drei… zwei… eins!« Mit weit aufgerissenen Augen stürmte der pensionierte 63
Kripobeamte aus seinem Sessel nach vorne, als wäre er von einem Katapult geschnellt worden. Er rang nach Luft. Ein unheimliches Krächzen drang aus seiner Kehle. Dr. Paul Abaringo fürchtete um das Leben seines deutschen Freundes. Ein Schlaganfall? Eine Herzattacke? Oder vielleicht ein dämonischer Einfluß? Doch nach einer Minute hatte sich der schreckensbleiche Ulrich Hellmann wieder gefangen. Er blinzelte Nostradamus an, als sähe er ihn zum ersten Mal. »Mark…«, brachte er schließlich unter Tränen hervor, »… ich habe meinen Jungen getötet. Enthauptet wie einen verurteilten Schwerverbrecher!« »Es mußte sein«, wiederholte der französische Seher aus dem 16. Jahrhundert. »Marks vorübergehender Tod war das letzte Mittel, um den Kräften der Hölle zu trotzen. Die Saat des Guten ist noch nicht aufgegangen. Wir müssen uns in Geduld üben. Unsere Stunde wird kommen. Aber Mark mußte geopfert werden, um Schlimmeres zu verhindern. Für die ganze Menschheit in eurer Zeit, ihr guten Männer.« Der scharfsinnige Ex-Kripomann hatte trotz seines Schmerzes genau hingehört. »Du hast von einem vorübergehenden Tod gesprochen…« Nostradamus machte eine unbestimmte Handbewegung und schob die Unterlippe vor. »Angesichts der Unendlichkeit des Universums gibt es keine endgültigen Entscheidungen. Das denkt ihr Menschen nur, weil eure Lebensspanne so kurz ist. Aber vor dem Antlitz der Ewigkeit sind auch tausend von den Erdenjahren nicht mehr als ein Wimpernschlag.« »Ich will trotzdem wissen, was du mit vorübergehendem Tod meinst!« beharrte Ulrich Hellmann. Der Prophet aus dem 16. Jahrhundert öffnete zögernd den Mund. * Pit Langenbach war vor Erschöpfung eingedöst. Und das trotz seines knurrenden Magens. Seit Clinghs Killerschatten ihn und Tessa in dieses verdammte Silberschloß geschafft hatten, hatte er 64
sich nichts hinter die Kauleisten schieben können. Und seine Zunge klebte ihm förmlich am Gaumen. Ha! dachte der Kripo-Hauptkommissar im Traum. Jetzt ein frisch gezapftes Köstritzer Schwarzbier! Oder ein Quedlinburger Puparschknall, da ist nicht so viel Alkohol drin, und man wird von dem vielen Malz auch noch satt. Doch nicht der Gerstensaft erschien ihm im Schlaf. Sondern Mephisto, der Megadämon und Höllenfürst! Pit hatte dem Leibhaftigen schon oft genug gegenübergestanden. Diesmal zeigte sich der Böse wieder in seiner Lieblingsverkleidung. Als mittelalterlicher Jäger, mit grünem Wams, Stulpenstiefeln und langer, roter Feder am Hütchen. Sein dreieckiges Gesicht wurde von einem roten Bart umrahmt. »Sind dir schon die Füße eingeschlafen?« erkundigte sich Mephisto heimtückisch. Es gefiel ihm immer, wenn Menschen litten. Auch wenn es nur kleine Dinge waren, die sie quälten. »Was geht es dich an, Schwefelfurzer. Du hast doch sowieso einen Bocksfuß!« Pit zeigte nicht die Spur Respekt vor dem Megadämon. Der Polizeibeamte verabscheute das Böse aus tiefster Seele. Und wer verkörperte die Schlechtigkeit besser als Mephisto, der Höllenfürst? Doch die satanische Traumgestalt lachte. »Ganz schon frech, der kleine Hauptkommissar mit dem großen Schnurrbart! Fast so keß wie dein Busenfreund Mark Hellmann. Dabei solltest du mir dankbar sein. Der gute Onkel Mephisto wird dich und die schöne Tessa jetzt nämlich befreien!« »Uns befreien?« echote Pit. »Von dir kommt doch nur Haß und Gemeinheit. Warum solltest du plötzlich etwas Gutes tun?« »Kluges Kerlchen.« Mephisto zeigte mit seiner rechten Klaue auf den Hauptkommissar. Ein Energiestoß pulste auf Pit zu. Es war, als wäre der Polizist von einem Starkstromkabel umschlungen worden. Er wand sich in Schmerzen. »So, das mußte ich mir zwischendurch doch gönnen«, fuhr Mephisto fort, nachdem Pit vor Schmerzen stöhnend in sich zusammengesunken war. »Ich tue wirklich nie etwas Gutes. Das hast du messerscharf kombiniert, mein kluger Kommissar. Aber 65
manche meiner Vorhaben können euch trotzdem hilfreich sein. Obwohl sie in erster Linie mir nützen. Kapiert?« Pit Langenbach erwiderte nichts. Er hatte alle Mühe, nicht die Besinnung zu verlieren. Mephisto deutete sein Schweigen als Einverständnis. »Dein Freund Mark Hellmann ist tot!« Der Kopf des Höllenfürsten schoß vor wie der eines Geiers. »So tot, wie man ohne Schädel nur sein kann. Sein eigener Adoptivvater, der liebe Ulrich Hellmann, hat ihm die Rübe abgeschlagen! Wie findest du das?« »Mefir«, brachte der Hauptkommissar hervor, obwohl sich ihm der Magen umdrehte. »Die Menschen wußten schon, warum sie dich schon in alter Zeit den Vater der Lügen nannten…« Noch nicht einmal damit konnte er den normalerweise so eitlen und empfindlichen Mephisto beleidigen. Zu groß war diesmal das Triumphgefühl des Mega-Dämonen. »Dein Busenfreund Hellmann wird der Herr des Neuen Babylon! Meine Stadt wird erbaut auf den Trümmern von Weimar - und auf den Gebeinen von dir und deinesgleichen!!!« Das Hohnlachen des Höllenfürsten wurde erst lauter, ebbte dann ab und verklang schließlich. Pit war sich nicht sicher, ob er geträumt hatte oder wach gewesen war. Er wußte nur, daß er sich so entsetzlich fühlte wie nie zuvor in seinem Leben. Als er die Augen aufschlug, war das Silberschloß um ihn herum verschwunden. Über ihm breitete sich der Sommerhimmel mit kleinen Schäfchenwolken aus. Die Gegend kam Pit bekannt vor. Irgendwo zwischen Bad Berka und Blankenhain. In der ländlichen Umgebung Weimars. Tessa lag ein Stückchen neben ihm auf einer grünen Wiese. Ihr tränenüberströmtes Gesicht bewies dem Hauptkommissar, daß er nicht geträumt hatte. Sie mußte den Dialog zwischen ihm und Mephisto mitgekriegt haben. »Mephisto blufft doch nur!« meinte Pit mit einem Lachen, dessen Falschheit er selber hörte. Mit zitternden Fingern zündete er sich ein Zigarillo an. »Der lügt doch, wenn er sein höllisches Maul aufmacht!« »Er war so siegessicher, Pit!!!« »Das ist er schon oft gewesen, Tessa. Und immer wieder hat ihm Mark ein Schnippchen geschlagen.« »Aber - verstehst du denn nicht?« brach es aus der Fahnderin 66
hervor. »Warum hat uns Mephisto gnädigerweise aus dem Silberschloß befreit? Weil das Duell zwischen Mark und diesem elenden Clingh entschieden ist! Und weil sich der Höllenhund an unserer Verzweiflung weiden will! O Gott! Mark…« Tessa Hayden fiel in einen Weinkrampf. * Ich schwebte. Weit unter mir erkannte ich meinen eigenen toten Körper und den abgetrennten Kopf. Aber es war, als würde dieses Fleisch zu einem Fremden gehören. Langsam glitt ich davon. Es war ein wenig wie bei meinen Zeitreisen. Und doch auch gleichzeitig wieder völlig anders. Ich sah noch einmal die Silhouette des schönen Bamberg, wie es zu Beginn des 19. Jahrhunderts gewesen war. Dann hatte ich das Gefühl, die ganze Welt gleichzeitig erkennen zu können. Einfach unbeschreiblich. »Da bist du ja!« Ich kannte die Stimme, die mich mit einem unbekannten Namen rief. Sie gehörte meinem Schwesterlein. In meinen ersten zehn Lebensjahren, an die ich keine Erinnerung hatte, mußte ich viel mit ihr gespielt haben. Wir waren zusammen sehr glücklich gewesen. Irgendwann war sie gestorben. Über und vor mir breitete sich strahlendes Licht über dem ganzen Horizont aus, unendlich weit. Ich schwebte auf dieses Licht zu, meinem Schwesterlein entgegen. Ich empfand keine Furcht und kein Bedauern. Ich hatte mein Bestes gegeben. Es tat mir nur leid um die Menschen, die ich zurücklassen mußte, um die, die ich liebte und schätzte. Tessa Hayden. Ulrich und Lydia Hellmann. Pit Langenbach und seine Familie. Die freche Struppy und ihre seltsame Großtante. Vincent van Euyen natürlich, meinen alten Freund und Reporterkollegen. Nostradamus, meinen väterlichen Freund aus einer anderen Dimension. Ja, sogar mein Hauswirt Artur Stubenrauch würde mir fehlen. Trotzdem schwebte ich weiter auf das Licht zu. Die Welt der Menschen verschwand immer mehr aus meinem Bewußtsein. Da ertönte eine grollende Stimme. 67
»Tut mir leid, Kleine! Aber du wirst noch warten müssen, bis du mit deinem Bruderherz spielen darfst! Dieser Kerl wird noch gebraucht!« Etwas packte meinen Geist und zog ihn mit sich. * Plötzlich schien ich wieder einen Körper zu haben. Jedenfalls verfügte ich über eine Schulter, auf die mir jemand einen derben Schlag versetzte. Ich befand mich in Asgard, der Welt der germanischen Götter. Und wer mich da gerade so kumpelhaft getätschelt hatte, war kein anderer als mein Kampfgefährte Odin gewesen. Der oberste der germanischen Götter. »Überrascht?« fragte er und funkelte mich mit seinem einen Auge tatendurstig an. Das andere hatte er geopfert, um einen Blick in den Born der Weisheit werfen zu dürfen. Das hier mußte wirklich Asgard sein. Das spürte ich. Die Weltesche stand inmitten dieses Sphäre, der gewaltigste Baum, den ich jemals gesehen hatte. Hugin und Munin, die Raben des Odin, umflatterten krächzend ihren Herrn. Er erschien in seiner üblichen Gestalt. Mit grauem Bart, strotzenden Muskelpaketen und blauem Mantel. Seine magischen Stäbchen hatte er griffbereit. »Das kann man wohl sagen, Odin! Eben war ich noch tot…« Er tippte mir mit seinem riesigen Zeigefinger auf die Brust. Wirklich komisch, daß ich plötzlich wieder einen Körper zu haben schien. Doch dieser war ganz anders als mein früherer Menschenleib. Er schien aus purer Energie zu bestehen. »Tot bist du auch immer noch, Mark Hellmann! Oder glaubst du vielleicht, sonst wärst du hier?« Damit hatte Odin recht. Asgard war die Welt der germanischen Götter. Und die der getöteten Krieger, die für das Gute gekämpft hatten. Sie versammelten sich in Walhalla, um sich für den letzten Kampf gegen das Böse zu stärken. Offenbar schien der oberste germanische Gott sehr froh zu sein, mich an seiner Seite zu haben. Wieder hieb er mir auf die Schulter. »Jetzt gehen wir rüber nach Walhalla und trinken erstmal ein Met zusammen! Und ich stelle dich deinen Waffenbrüdern vor!« Er machte eine Pause und grinste listig. »Danach überlegen wir 68
gemeinsam, wie wir es diesem Zauberer Clingh heimzahlen können!« * E. T. A, Hoffmann blinzelte verwirrt. In seinen Gedanken purzelten schreckliche Monster, unirdische Felsenklüfte und Lavameere durcheinander. War er wirklich in der Hölle gewesen, wie diese seltsame Erscheinung namens Clingh es angedroht hatte? Oder war er nur an seinem Schreibtisch eingenickt, von der eigenen Phantasie überwältigt? Er würde es nie erfahren. Der Dichter der Romantik knüllte das Blatt Papier zusammen, auf dem links oben die Worte DER DÄMON standen. Der Anfang gefiel ihm nicht mehr. Er hatte jetzt eine bessere Idee. Sie war ihm auf seiner Stippvisite in der Hölle gekommen. Ob sie nun ein Trugbild oder Realität gewesen war - was für einen Unterschied machte das? E. T. A. Hoffmann tauchte seinen Federkiel wieder in das große Tintenfaß. Nahm ein neues Blatt Papier zur Hand. Und kritzelte mit schnellen Bewegungen die Überschrift. DIE ELIXIERE DES TEUFELS. Der Geistergeschichtenerfinder konnte nicht ahnen, daß er sein Leben nur der Eitelkeit eines Mega-Dämons verdankte. Clingh hatte ihn wirklich zur Hölle geschickt. Doch ebenso schnell war er von Mephisto höchstpersönlich wieder zurück an seinen Schreibtisch gezaubert worden. Denn wenn E. T. A. Hoffmann an diesem Junitag im Jahre 1810 gestorben wäre, wer hätte dann »Die Elixiere des Teufels« schreiben sollen? »Schreib schön, Menschlein«, flüsterte Mephisto, der unsichtbar in einer dunklen Ecke dem Tun des Dichters zuschaute. »Schreib über die gräßliche Macht meiner Kreaturen…« Der Dichter verdankte sein Leben der Eitelkeit des Höllenfürsten. Allerdings würde er es nie erfahren. E. T. A. Hoffmann blickte auf. Hatte jemand zu ihm gesprochen? Doch er war allein in seinem Poetenstübchen. Wahrscheinlich nur der Wind an den Fensterläden, sagte er sich und tauchte erneut die Feder in die Tinte.
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* »Mark Hellmann«, begann Nostradamus mit seinen Erklärungen, »heißt eigentlich Mektur Natmoq. Das ist der Grund, warum der Siegelring mit einem M und einem N geziert ist. Nicht etwa, weil meine Wenigkeit auf den Namen Michel de Notre Dame hört.« Dr. Paul Abaringo und Ulrich Hellmann hingen an seinen Lippen. Die beiden Männer saßen immer noch in dem Arbeitszimmer des pensionierten Kripobeamten. »Mektur Natmoq«, wiederholte Ulrich stockend. »Was ist das für ein Name?« »Ein valusianischer Name«, erwiderte Nostradamus prompt. Marks Adoptivvater zog die Augenbrauen zusammen. Er erinnerte sich an das, was sein Sohn vor langer Zeit von einer erzenen Stimme erfahren hatte. Über die Valusianer (Siehe MH 1!). Noch ehe der Mensch wart, kämpften die Dämonen der Finsternis mit den Kindern des Lichts. Werwölfe, Nachtmahre und Dämonen sind aus diesen Zeiten zu den Menschen übergekommen. Der Keim des Bösen war allezeit. - Die Rasse der Valusianer schritt über den kochenden Schlamm und das Magma, das die Oberfläche der Erde bedeckte. Der Prophet aus dem 16. Jahrhundert blinzelte. Es war, als würde er Ulrichs Gedanken lesen. »Die meisten Valusianer haben sich dem Bösen verschrieben. Aber es gab ein Paar, das diese Existenz nicht ertragen konnte. Sie halfen den Menschen, anstatt sie zu peinigen. Das war in den Augen ihrer Stammesgenossen eine Todsünde.« Dr. Paul Abaringo schaltete sich ein. »Waren das die Erzeuger von Mark?« Er scheute sich, das Wort Eltern zu gebrauchen. In seinen Augen - wie auch für alle anderen Menschen - waren Ulrich und Lydia Hellmann Marks Eltern. Nostradamus nickte bedächtig. »So ist es. Schon vor Anbeginn der Menschheit flohen Mekturs -Marks - Erzeuger vor ihresgleichen. Sie verbargen sich bei den stolzen Amazonenköniginnen von Kass-Amun. Der Kaiser von Xanadu gewährte ihnen Zuflucht. Und so ging es immer weiter. Das Kind 70
kam zur Welt und wurde dem Guten geweiht. In einer uralten Zeremonie, die bisher einmalig geblieben ist. Dieses Kind kämpfte fortan gegen die Mächte der Finsternis. Starb und wurde wiedergeboren. Und starb wieder. Und kehrte erneut zurück.« »Du meinst…« - Ulrich wagte es kaum zu hoffen, - »Mark wird eines Tages reinkarniert?« Aber Nostradamus schüttelte traurig den Kopf. »Nicht als Mensch. Dies war sein letztes Leben als Mensch. Das Universum hat seine eigenen Gesetze. Auch wir müssen uns ihnen fügen.« Der Ex-Kripomann nickte vor sich hin. Er begann, sich in das Unvermeidliche zu fügen. Aber ihn schien etwas anderes zu beschäftigen. »Als ich Mark damals gefunden habe - nackt und nur mit dem Ring bei sich - was war da mit ihm los?« Wenn Nostradamus kein Geist gewesen wäre, hätte er tief Luft geholt. »Ich und einige andere Diener des Guten konnten ihn aus einer Zeremonie herausholen, bei der Mark Lucifuge Rofocale geopfert werden sollte. Sein eigener Bruder wollte ihm das Herz herausreißen und es essen.« »Sein Bruder?« echote Ulrich. »Ja, sein Bruder. Mephisto.« Ulrich Hellmanns Schnurrbartspitzen zitterten. »Mephisto…« »…ist der Bruder von Mark Hellmann. Oder von Mektur Natmoq. Die beiden hatten auch noch eine Schwester. Dieses Mädchen hat Mephisto bereits getötet. Vor langer, langer Zeit. Aber ihre Seele hat er nicht bekommen. Die reine Seele der Kleinen ist dort, wo das Böse ihr nichts mehr tun kann.« Er machte eine Pause, damit Ulrich und Abaringo das Gesagte erst mal verdauen konnten. »Mephisto ist ein Bastard, eigentlich nur Marks Halbbruder. Vielleicht haßt er ihn deshalb so sehr. Auf jeden Fall ist Mephisto ein richtiger Valusianer. Er steckt voller Haß und Grausamkeit. Darum mußte er seine Familie vernichten, die sich dem Guten verschrieben hatte. Der Höllenfürst hat seine Mutter und seinen Vater und seine Schwester ermordet. Es hätte nicht viel gefehlt, und die Kräfte des Bösen hätten auch Mark töten können.« »Dafür habe ich es getan«, warf Ulrich bitter ein. »Es mußte sein«, wiederholte Nostradamus geduldig. »Denn jetzt ist Mark dort, wo er weiter gegen das Böse kämpfen kann.« *
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Ich kam direkt aus den Wolken. Mein Pferd war ein Geist, genau wie ich selbst. Und doch konnte ich die pulsierende Energie meines Wolkenrosses spüren. Ich hatte einen Blitzspeer in der Hand. Odin hatte ihn mir geschenkt. Mein Einstand in Walhalla war ausgiebig begossen worden. Das Met hatte köstlich geschmeckt. Betrunken geworden war ich davon nicht. Geister können ziemlich viel vertragen. Ich kehrte auf die Erde zurück, für eine kleine Stippvisite. Unter mir erschien das Silberschloß von Clingh inmitten einer schönen grünen Landschaft. Für einen Moment bedauerte ich es, nicht mehr auf dieser Welt zu sein. Aber in Walhalla war es auch schön. Außerdem würde ich eines Tages für immer zurückkehren. Für den Endkampf gegen die Mächte der Finsternis. Jetzt drückte ich erst mal mit meinen Schenkeln die Seiten meines Wolkenpferdes. Das Geistertier verstand und begann mit einem tosenden Galopp. Der Boden um das Silberschloß schien zu beben, als ob sich eine Gewitterfront direkt über der Zuflucht des Satansmagiers entlud. Clingh kam aus seinem Schloß hervor. Seine feige Visage verzerrte sich vor Entsetzen, als er mich erkannte. Er hatte es sich perfide ausgedacht, mich durch meinen eigenen Vater töten zu lassen. Dafür sollte er nun die Quittung bekommen. Sein Finger hob sich gegen mich, um einen Energiestoß loszulassen. Doch ich. schleuderte im selben Moment meine Blitzlanze. Die positive und die negative Energie prallten aufeinander. Der Zauberer bemerkte schaudernd, wie leicht der Blitz seinen Schutzschirm durchbrach. Im nächsten Moment hatte die Energie des Guten auch seine eigene schwarzmagische Existenz beendet. Clingh, den Teufelsmagier, gab es nicht mehr. Leider ist die Hölle immer noch voll mit seinesgleichen, dachte ich, während ich mein braves Wolkenpferde herumriß und in meine neue Heimat zurückkehrte. Nach Asgard. Für einen Moment dachte ich an die Freunde, die ich hier zurücklassen mußte. Aber ihr Kampf gegen die Mächte der Finsternis würde weitergehen, da war ich mir sicher. Denn auch für mich war alles noch lange nicht vorbei.
ENDE 72