Nr. 428
Der Saboteur Atlan im Kampf gegen die Maschinerie des Todes von Horst Hoffmann
Nachdem Atlantis-Pthor, der Di...
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Nr. 428
Der Saboteur Atlan im Kampf gegen die Maschinerie des Todes von Horst Hoffmann
Nachdem Atlantis-Pthor, der Dimensionsfahrstuhl, in der Peripherie der Schwarzen Galaxis zum Stillstand gekommen ist, hat Atlan die Flucht nach vorn ergriffen. Nicht gewillt, untätig auf die Dinge zu warten, die nun zwangsläufig auf Pthor zukommen werden, fliegt er zusammen mit Thalia, der Odinstochter, die Randbezirke der Schwarzen Galaxis an und erreicht das sogenannte Marantroner-Revier, das von Chirmor Flog, einem Neffen des Dunklen Oheims, beherrscht wird. Dort, von Planet zu Planet eilend und die Geheimnisse der Schwarzen Galaxis ausspähend, haben Atlan und seine Gefährtin schon so manche tödliche Gefahr gemeinsam bestanden – bis der Planet Dykoor zu Thalias Grab wurde. Doch auch nach Thalias Tod geht für den Arkoniden die kosmische Odyssee weiter. Nach kurzem Aufenthalt auf Säggallo, der Residenz Chirmor Flogs, und einem Zwischenspiel auf dem Planeten Ghyx erreicht Atlan an Bord eines Schiffes einer unheimlichen Transportflotte den sogenannten Stern der Läuterung. Dort stößt der Arkonide auf ein grauenvolles Geheimnis der Schwarzen Galaxis. Was er entdeckt, läßt ihn den Kampf gegen die Maschinerie des Todes führen – und er wird DER SABOTEUR …
Der Saboteur
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Die Hautpersonen des Romans: Atlan - Der Arkonide verliert seinen Extrasinn. Leenia - Das Wesen von den Höheren Welten stiftet Unfrieden auf einem friedlichen Planeten. Vaskäner - Kommandant von Ärterfahl. Gusärleng - Ein unsterblicher Scuddamore. Kirso Bal Taur - Ein junger Gralle.
1. Atlan hatte den Versuch, einige der überall im Transporter aufeinandergestapelten Schläfer zum Leben zu erwecken, längst aufgegeben. Von ihnen konnte er nichts erfahren, ebenso wenig wie von den Robotern – nichts über den »Koordinator der Ewigkeit«, nichts über den Sinn der Impfaktion auf Ghyx, nichts über das Ziel der sternförmigen Schiffe, aus denen mittlerweile eine ganze Flotte wurde. Der Arkonide beobachtete durch eine Luke, wie immer neue Verbände aus den Tiefen des Weltalls auftauchten und sich dem ursprünglich nur aus den sechzehn Schiffen bestehenden Transport anschlossen, die auf Ghyx gelandet waren, um Tolfex' Opfer aufzunehmen. Es war anzunehmen, daß sie von anderen Welten kamen, auf denen ebenfalls Koordinatoren aufgetreten waren. Dann mußten sich an Bord ebenfalls schlafende Angehörige von anderen Zivilisationen der Schwarzen Galaxis befinden. Atlan versuchte sich auszumalen, was ihn und die Scheintoten am Ziel erwartete, das, wie er vermuten mußte, der geheimnisvolle »Stern der Läuterung« war. Nach einer Weile gab er es auf. Nur eines wußte er mit Sicherheit: Die versprochene Unsterblichkeit war es bestimmt nicht. So vergingen Stunden, und die Ungewißheit wurde immer quälender. Atlan konnte nichts tun. Die Robotbesatzung war nicht ansprechbar oder gab Auskünfte, mit denen der Arkonide nichts anfangen konnte. Die Maschinen schienen auf irgend etwas zu warten. Der immer noch an »Atlans« Transporter angedockte Raumgleiter, mit dem Atlan und Artin die Flucht von Säggallo geglückt war, gab ein gewisses Gefühl der Si-
cherheit, aber wohin sollte Atlan sich damit wenden? Irgend etwas wird geschehen! riß der Extrasinn den Arkoniden plötzlich jäh aus seinen Gedanken. Irgend etwas greift nach uns! Es ist da, Atlan! Die letzten Worte kamen mit solch einer Heftigkeit, daß Atlan aufsprang und herumfuhr. Sie schienen sich ins Unerträgliche zu verstärken. Der Arkonide preßte beide Hände fest gegen die Schläfen, als er das Gefühl hatte, der Schädel müsse ihm zerspringen. Immer noch war der Extrasinn zu hören. Er schrie. Atlan taumelte und sah schwarze Flecke vor den Augen. »Hör auf!« brüllte er. »Du bringst mich um!« Doch es wurde nur noch schlimmer. Irgend etwas tobte in seinem Bewußtsein. Es war, als flösse siedendes Öl durch seine Gehirnwindungen. Atlan stürzte. Er schrie, ohne sich dessen bewußt zu sein. Jetzt sah er wie durch Schleier, wie die Scheintoten sich überall um ihn herum zu regen begannen. Einer nach dem anderen standen sie auf und fielen übereinander her. Sie gebärdeten sich wie Wahnsinnige. Einer griff Atlan an, und der Arkonide war nicht imstande, sich zu wehren. Er wälzte sich auf den Bauch, beide Hände schützend in den Nacken gelegt. Von allen Seiten kamen die Ghyxaner. Ein Gedanke schob sich durch das Chaos in seinem Bewußtsein und begann sein Denken zu beherrschen. Das Beiboot! Auf allen vieren kroch er auf dem kalten harten Boden herum. Er schüttelte die Ghyxaner, die über ihn fielen, unbewußt ab. Jeder kämpfte gegen jeden. Die Schleuse! Irgendwo mußte es einen Weg aus diesem Hexenkessel geben. Atlan mußte noch einige Dutzend Schläge einstecken, bevor er sie
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endlich fand. Er mußte sich aufrichten, um das Innenschott zu öffnen. Jede Bewegung kostete Kraft und verursachte neue Schmerzen. Endlich fuhr das Schott zur Seite. Atlan machte einen Satz in die Schleusenkammer hinein und ließ sich fallen. Wieder wurde ihm schwarz vor Augen. Er hatte jedes Gefühl für die Zeit verloren. Plötzlich wich der Druck aus seinem Kopf. Die Wände und die Decke der Schleusenkammer schienen sich um Atlan zu drehen. Dieser Spuk verging so schnell, wie er gekommen war. Plötzlich war nur noch Stille. Im Transporter wurde nach wie vor gekämpft. Ghyxaner fielen übereinander her und attackierten Roboter. Im Moment hatten sie das Interesse an Atlan verloren. Atlan sah aufgerissene Münder, aus denen etwas geschrien wurde, aber er hörte nichts. Er war nicht plötzlich taub geworden, aber die unheimliche Stille, jene Leere, die ihn zu verschlingen schien, schien auch die Laute der Tobenden zu schlucken. Endlich besann sich der Arkonide. Er hatte wieder Kraft in den Gliedern und warf sich gegen das Außenschott. Er berührte den Öffnungsmechanismus und fiel regelrecht mit dem nach außen aufschwingenden Schott in den freien Weltraum. Das Goldene Vlies schützte ihn gegen das Vakuum und die Kälte, bis er den Gleiter erreicht hatte.
* Atlan atmete schwer. Er versuchte, seine Gedanken zu ordnen, als er den Transporter, aus dem er geflohen war, hinter sich kleiner werden und einen anderen scheinbar auf ihn zukommen sah. Er versuchte, sich über das klar zu werden, was plötzlich über ihn und das Schiff hereingebrochen war. Das Unbekannte hatte zugeschlagen, noch bevor die ersten Scheintoten sich zu bewegen begonnen hatten. Atlan rief nach dem Extrasinn, doch dieser schien keine Erklärung parat zu haben. Er meldete sich nicht. Der Arkonide steuerte das Beiboot weiter
auf das nächste Sechseckschiff zu. Er mußte wissen, was geschehen war und immer noch geschah. Vielleicht bildete der Transporter, von dem er jetzt kam, eine Ausnahme, und an Bord der anderen war alles noch friedlich. Atlan glaubte nicht daran. Er dockte das Beiboot an dem Schiff, das er jetzt erreicht hatte, an und stieg aus. Als er durch die Schleuse des Transporters gegangen war, hatte er die Gewißheit, die er brauchte. Nun wußte er, daß es in allen Schiffen gleich aussah. Die Scheintoten waren erwacht und übereinander hergefallen. Sie, die bedauernswerten Opfer einer Manipulation, deren Zweck noch im Dunkel lag, zerfleischten sich selbst. Hier handelte es sich um Angehörige eines Volkes von Echsenabkömmlingen. Atlan schlug einige der zwei Meter großen Wesen zurück und rettete sich schnell wieder in die Schleusenkammer. Was, bei Arkon, hatte dies alles zu bedeuten? Die Warnung des Extrasinns: Irgend etwas greift nach uns! Warum meldete der Extrasinn sich nicht wieder? Warum sagte er seinem Träger jetzt, da er ihn brauchte, nicht, was er zu tun hatte? Atlan fühlte sich hilflos, fast im Stich gelassen. Atlan bestieg wieder den Gleiter und flog zum Schiff mit den Ghyxanern zurück. Jetzt, da er nicht mehr so wehrlos war wie vorhin, sollte es ihm gelingen, eines der Krötenwesen von den Kämpfenden zu trennen und zum Reden zu bringen. Atlan ertappte sich beim Andocken dabei, wie er bestimmte Schaltungen mehrmals korrigieren mußte. Es war, als ob er gewisse Dinge zum erstenmal und ohne Kontrolle über seine Handlungen tat. Als er den Transporter mit den Ghyxanern wieder betrat, erwartete ihn der nächste Schock. Die eben noch Rasenden lagen wieder auf dem Boden, teilweise ineinander verschlungen in unnatürlichen Stellungen, als hätten sie sich gegenseitig die Knochen gebrochen. Die Stille wurde noch unheimlicher. Atlan trat vorsichtig auf eines der häßli-
Der Saboteur chen Wesen zu und untersuchte es. Als er seine schreckliche Entdeckung machte, zuckte er nicht einmal mehr zusammen. Es war ein Punkt erreicht, an dem das Grauen nicht mehr zu steigern war. Die Ghyxaner waren endgültig tot. Der Arkonide fand eine freie Stelle und ließ sich mutlos auf den Boden sinken. Die Roboter standen fast noch an den gleichen Plätzen wie zuvor. Kalte Augen waren auf den Arkoniden gerichtet. In einem Anflug von Wut versetzte er dem am nächsten stehenden einen so heftigen Fußtritt, daß die Maschine gegen eine zweite geschleudert wurde und mit ihr zu Boden ging. »Sagt endlich etwas!« brüllte Atlan. »Sagt mir, was das zu bedeuten hat! Wer sind die Mörder?« Keine Reaktion, weder auf den Angriff noch auf die hinausgeschrienen Worte. Wieder betrachtete Atlan die Toten. Irgend etwas hatte ihnen den letzten Rest Leben einfach entzogen, die Seelen vom Körper getrennt, wie jemand eine Flamme ausblies. Sie waren leere Hüllen. Leer! »Nein«, flüsterte Atlan kaum hörbar, als ihn die Erkenntnis bei dem Gedanken daran mit ungestümer Gewalt traf. »Nein, nur das nicht! Es kann nicht sein!« Atlan rief nach seinem Extrasinn. Aus Angst wurde Panik, als er auch diesmal keine Antwort erhielt. Irgend etwas greift nach uns! hatte der Extrasinn verzweifelt gewarnt. Die Leere im Kopf, die Schmerzen, der unerträgliche Druck! »Melde dich!« schrie Atlan. »Mein Gott, melde dich doch endlich! Sprich zu mir, wenn es dich noch gibt!« Die Stille war Antwort genug. Atlans Augen verloren jeden Glanz. War ein Leben ohne den Extrasinn für ihn überhaupt vorstellbar? Der Arkonide saß, stumm vor sich hin starrend, auf dem Boden des Transporterraums, allein mit sich und der Erkenntnis, daß das, was den Geist aus den Körpern der
5 Geimpften gesogen hatte, auch einen Teil seines eigenen Ichs mit fortgerissen hatte. Atlans Extrasinn war verschwunden.
2. Es war, als hätte jemand einen Bruder verloren, ein Mensch einen anderen, dem er blind hatte vertrauen können. Daß er jemals ohne seinen Extrasinn sein würde, war etwas, das für Atlan bisher schlichtweg unvorstellbar gewesen war. Jetzt, wo er das Unfaßliche zu akzeptieren hatte, brauchte er zuerst einmal Ruhe, um wieder einigermaßen zu sich zu kommen. Der Arkonide befand sich wieder an Bord des Raumgleiters zwischen den schweigend dahinziehenden Sechseckschiffen. Er wollte allein sein. Daß er dennoch einen der Roboter mitgenommen hatte, hatte seinen Grund mehr im Gefühlsmäßigen als in der Hoffnung, die Maschine könne ihm etwas nutzen oder ihm Arbeit abnehmen, damit er sich voll auf seine Probleme konzentrieren konnte. Es sah allerdings nicht so aus, als solle der Arkonide die Ruhe finden, die er sich wünschte. Genau in Flugrichtung des Verbands stand eine große gelbe Sonne, die allmählich größer wurde. »Ist dies der Stern der Läuterung?« fragte Atlan den Roboter. »Ja«, bestätigte die Maschine. »Diese Sonne ist unser Ziel.« Atlan sah die Maschine überrascht an. Er hatte keine Antwort erwartet. Der Roboter unterschied sich äußerlich nicht von den anderen. Es handelte sich um ein Vielzweck-Modell mit der Grundform eines Quaders, aus dem Greifarme, Antennen, kleine, sich ständig bewegende Plättchen und andere Extremitäten herausragten. Atlan stellte weitere Fragen, doch diesmal schwieg der Roboter. Es fiel dem Arkoniden schwer, die Frage zu formulieren. Oft verlor er mitten in einem Gedankengang den Faden. Dann wieder starrte er auf den Bildschirm, der die gelbe Sonne zeigte, und verspürte den dringenden
6 Wunsch, irgend etwas zu tun, um nicht gänzlich unvorbereitet jenen gegenüberzutreten, die auf diesem ominösen »Stern der Läuterung« das Sagen hatten. Er war wie gelähmt. Das, was ihn sonst vorantrieb, fehlte. In solchen Augenblicken war Atlan nahe daran, zu resignieren. Er empfand die Hilflosigkeit tief und wünschte sich, alles, was ihn belastete, was sich als unübersehbarer Berg von Problemen vor ihm auftürmte, einfach vergessen zu können. Diesen Momenten folgten jene des Aufbegehrens gegen das grausame Schicksal, des Zornes auf jene Mächte, denen er seinen Zustand zu verdanken hatte. Zwischen diesen beiden Gemütszuständen lagen die schrecklichen Sekunden, in denen Atlan an sich selbst zweifelte und sich fragte, ob er wirklich noch er selbst war. Atlan kämpfte dagegen an. Er mußte lernen, ohne den Extrasinn zu leben – zumindest vorerst. Der Extrasinn konnte nicht einfach nicht mehr existieren. Wer immer den Geimpften ihren Geist entzogen hatte, verfolgte mit solchen Maßnahmen einen bestimmten Zweck. Es war also möglich, daß der Extrasinn irgendwo weiterhin existierte, und der Gedanke daran, gab dem Arkoniden etwas Auftrieb. Als die Flotte nahe genug an ihrem Ziel war, konnte Atlan feststellen, daß der »Stern der Läuterung« nur einen Planeten besaß, der dafür allerdings ein ziemlich großer Brocken vom fast dreifachen Durchmesser der Erde war. Als die schwarzen Schiffe verlangsamten und Anstalten machten, in eine Kreisbahn um den Planeten zu gehen, steuerte Atlan den Raumgleiter aus dem Verband heraus, ohne aufgehalten zu werden. Der Roboter machte keine Anstalten, Atlan dahingehend zu beeinflussen, daß er zurückkehrte. Erst als der Arkonide den Gleiter weiter auf den Planeten zusteuerte, begann er eine Reihe von Daten herunterzurasseln und sagte schließlich: »Die Soll-Werte der Produktion sind nicht nur erreicht, sondern zu 24 Prozent übertrof-
Horst Hoffmann fen worden.« Atlan fragte sich verwundert, was diese Auskunft zu bedeuten hatte. Nur Sekunden später beantwortete ein Blick auf den Bildschirm diese Frage, als Atlan eine zweite Entdeckung machte. Eine ganze Flotte von Organschiffen stand hinter dem Planeten im Raum. Es sah so aus, als warteten sie auf irgend etwas. Atlan nahm einige Schaltungen vor, bis eines der noch Tausende von Kilometern entfernten Schiffe groß auf dem Schirm zu sehen war. In der transparenten Bugkuppel befand sich keine Galionsfigur. Nachdem Atlan zwei weitere Organschiffe optisch herangeholt hatte, hatte er Gewißheit. Das Fehlen von Galionsfiguren und die Oberflächenstruktur der Organmasse um das Gerüst der Raumer herum bestätigten seine Annahme. Artins Auskunft, daß die schwarzen Transporter etwas mit der Herstellung von Organschiffen zu tun hätten, rundete das Bild ab. Dort unten also wurden die von den Hilfsvölkern Chirmor Flogs benutzten Schiffe produziert – zumindest ein Teil der riesigen Organschiff-Flotten. Bedeutete die unaufgefordert gegebene Auskunft des Roboters, daß dieser in Atlan jemanden sah, der er nicht wahr? Ein Kontrolleur, der auf Ghyx an Bord seines Transporters gekommen war, um die Produktion der Schiffe zu überprüfen? Der Arkonide beschloß, weitere Auskünfte der Maschine abzuwarten, bevor er sich durch unvorsichtige Fragen verraten konnte. Er konzentrierte sich wieder auf das Geschehen im Weltraum. Inzwischen hatten die Sechseck-Schiffe ihre Kreisbahn wie erwartet eingeschlagen. Auch sie machten nun den Eindruck, als warteten sie auf etwas, und es dauerte nicht lange, bis Atlan erfuhr, was dies war. Der Planet war von dichten Wolkenfeldern umgeben, so daß seine Oberfläche nur teilweise zu erkennen war. Atlan sah durch die Lücken in den Wolken ausgedehnte Komplexe, ohne Zweifel gigantische industrielle Anlagen, und große Wasserflä-
Der Saboteur chen. Es mußte dort unten ziemlich warm sein. Jetzt stieg ein Pulk von Organschiffen durch die Wolken in den Weltraum auf. Gleichzeitig kam Bewegung in die schwarzen Transporter. Ein Teil von ihnen senkte sich auf den Planeten herab. Es waren genau so viele, wie Organschiffe die Welt verließen. – Organschiffe ohne Galionsfiguren und mit einer Hülle, die keine Spuren von Abnützung zeigte. Ein grauenvoller Verdacht stieg in Atlan auf. Die schreckliche Vision, die er für Augenblicke hatte, trieb ihn wieder in den Bereich der Depression. War es für einen Menschen auf die Dauer ertragbar, angesichts des Grauens, das diese Galaxis bereithielt, zu leben, ohne daran zu zerbrechen? Atlan hielt den Gleiter in ausreichend großer Entfernung von sowohl den sich sammelnden Organschiffen als auch den schwarzen Transportern. Noch gab es keine Anzeichen dafür, daß irgend jemand auf dem Planeten ihn als Störenfried empfand. Sein Raumgleiter mußte geortet worden sein, aber niemand funkte ihn an oder zeigte sich. Es verging etwa eine halbe Stunde, bis sich wieder Sechseckschiffe aus dem Verband lösten und landeten, während gleichzeitig ein neuer Pulk von Organschiffen aufstieg und sich den im Weltraum wartenden anschloß. Atlan beobachtete weiter. Seine Hände waren zu Fäusten geballt, der Blick starr auf den Bildschirm gerichtet. Innerhalb von zwei Stunden waren viermal Transporter mit ihrer Leichenfracht gelandet und neue Organschiffe zu den Wartenden gestoßen. Nun gab es für Atlan keinen Zweifel mehr daran, was auf dem Planeten vorging. Es übertraf seine schlimmsten Spekulationen über das, was mit den Geimpften geschehen würde, bei weitem. Dort unten, auf einem hoch namenlosen Planeten der Schwarzen Galaxis, wurden Organschiffe hergestellt. Dort unten wurden sie mit ihrer organischen Komponente ver-
7 sehen. Dort unten wurden von ihren Welten entführte intelligente Wesen zu dem umgewandelt, was diese organische Hülle bildete. Atlan hatte das Gefühl, sich erbrechen zu müssen. Welches Monstrum verbarg sich hinter der Bezeichnung »Dunkler Oheim«? fragte er sich immer wieder. Er hatte gesehen, welche Veränderung mit Chirmor Flog unter dem Einfluß des Zellaktivators vor sich gegangen war. Es war zu früh, um endgültige Schlüsse zu ziehen, aber es hatte den Anschein, als ob zumindest dieser Neffe nicht an sich durch und durch böse war. Das Böse wurde ihm also aufgedrückt wie ein Stempel. Atlan biß die Zähne zusammen. Ein neuer Glanz trat in seine Augen und verriet wilde Entschlossenheit und maßlosen Zorn. Plötzlich war alles andere als diese Welt unter ihm vergessen. Nur eines beherrschte in diesen Momenten sein Denken. Er würde alles tun, was in seiner Macht stand, um diese Maschinerie des Grauens zu zerstören – und wenn es das letzte war, das er in seinem langen Leben in Angriff nahm. Dabei war er sich darüber im klaren, daß er diesmal allein in den Kampf ging, daß jede Unachtsamkeit und jeder Leichtsinn, vor dem ihn bisher der Extrasinn gewarnt und bewahrt hatte, ihm das Genick brechen konnte. Allein deshalb erschien ihm sein Vorhaben fast undurchführbar, zumal er nicht den Hauch einer Ahnung hatte, wie es auf dem Werftplaneten aussah. Auf einem von vielleicht vielen Planeten dieser Art, die es innerhalb der Schwarzen Galaxis gab – vielleicht einen in jedem Revier. »Wer verwaltet die Produktion?« fragte der Arkonide seinen wortkargen Begleiter. »Wer kontrolliert sie jetzt?« fügte er schnell hinzu. »Es hat seit dem letzten Besuch eines Kontrolleurs keine Auswechslung gegeben«, sagte der Roboter. »Vaskäner erfüllt seine Aufgabe zur Zufriedenheit.« »Du wirst mich zu ihm führen«, sagte er,
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wobei er daran denken mußte, daß möglicherweise gerade jetzt ein wirklicher Kontrolleur hierher unterwegs sein könnte. Schon verfluchte er seine Dreistigkeit, als der Roboter mit der Antwort zögerte. Dann sagte die Maschine: »Es ist nicht möglich, Herr.«
3. Jeder Versuch, den Raum zu beschreiben oder begreifen zu wollen, in dem die Wesenheiten existierten, die von jenen, die um ihre Existenz wußten, »die Körperlosen« genannt wurden, wäre von vorneherein zum Scheitern verurteilt. Die Sinne eines Menschen reichen nicht aus, um ihn und seine Bewohner zu erfassen. Stellen wir uns ihn deshalb unter extremer Vereinfachung als einen unendlichen Ozean aus samtig purpurner Flüssigkeit vor, die ständig in Bewegung ist und sich hier verdichtet und an anderen Stellen so dünn wird, daß man schon fast von Vakuuminseln sprechen könnte. Wo die Konzentration am stärksten ist, ballt sich die Energie (denn nichts anderes ist unsere purpurne Flüssigkeit) Tausender von Wesenheiten zusammen, die einst entweder in unserem »normalen« Universum existierten und sich dahingehend entwickelten, daß sie am Endpunkt ihrer Evolution die höheren Daseinsebenen erreichen konnten, oder die sofort nach ihrer Geburt in diese Räume katapultiert wurden, weil sie unfähig waren, in unserem Universum zu existieren. Stellen wir sie uns als golden schimmernde Blasen in diesem Ozean vor. Für die meisten Wesen, die in den »Höheren Welten« ihre Heimat gefunden hatten, galt, daß sie sowohl dort als auch im normalen Universum existieren konnten, bis das Böse von jenem Teil des Normaluniversums Besitz ergriff, in dem sie sich allein manifestieren konnten – in der Schwarzen Galaxis und ihrer näheren Umgebung. Dies war lange her, und seitdem hatte es für die Körperlosen keine Möglichkeit mehr gege-
ben, länger als Minuten, und eingebettet in eine schützende Sphäre, in der Aura des Bösen zu existieren. Doch sie wollten nicht für immer abgeschnitten sein. Das Ergebnis all ihrer Bemühungen, einen der Ihren in die Aura der Schwarzen Galaxis schicken zu können, ohne daß dieses Mitglied ihrer Gemeinschaft darin zugrunde ging, hieß Leenia. Viele Jahrhunderte lang hatte Leenia ein Schattendasein geführt, bis Pthor, auf dem sie von den Körperlosen plaziert worden war, zur Schwarzen Galaxis zurückkehrte. Auf diesem Dimensionsfahrstuhl, so hatte der Plan es vorgesehen, sollte sie die Schwarze Galaxis erreichen und in ihr wirken können, doch es war anders gekommen. Leenia hatte sich mit einem artverwandten Wesen – Wommser – verbunden und bildete fortan eine untrennbare Einheit mit ihm. Und diese Vereinigung hatte bewirkt, daß Leenia Fähigkeiten erhalten hatte, an die selbst ihre »Konstrukteure« nie zu denken gewagt hatten. Leenias zweiter Einsatz stand nun unmittelbar bevor. Lange Zeit hatte sie nach ihrer Rettungsaktion für Atlan und Thalia nicht daran zu denken gewagt, daß sie wieder die Erlaubnis erhielt, den Bereich der Höheren Welten zu verlassen, um einem Sterblichen zu helfen, der ausgerechnet zu dem Zeitpunkt aufgetaucht war, in dem die Körperlosen damit beginnen wollten, die Verhältnisse innerhalb der Schwarzen Galaxis wieder in ihrem Sinn zu beeinflussen. Dabei hatte er jetzt schon mehr erreicht als alle anderen, die sich gegen die Herrschaft des Bösen aufgelehnt hatten. Die anfängliche Skepsis der Bewohner der Höheren Welten war fast ganz verschwunden. Atlan wirkte in ihrem Sinn, und obwohl er nur ein Sterblicher war, waren die Körperlosen nun entschlossen, ihm stärker als bisher zu helfen. Deshalb hatten sie verhindert, daß jener Teil von Atlans Bewußtsein, der zusammen mit den Bewußtseinsteilen der geimpften Planetenvölker an Bord der Schwarzen Transporter geraubt worden war, nicht dort-
Der Saboteur hin gelangte, wo die anderen Bewußtseine gesammelt und gespeichert wurden. Für Atlan selbst hatten sie nichts tun können. Ihm den geraubten Teil seines Bewußtseins zurückzugeben, sollte Leenias Aufgabe sein. Nur sie war dazu in der Lage. Leenia war eine der vielen hundert Blasen im Zentrum einer ungewöhnlich starken Verdichtung des purpurnen Ozean aus reiner Energie. Sie gewann an Größe und Helligkeit, je mehr Energie ihre Artverwandten in sie überfließen ließen, bis sie aufgeladen genug war, um ins untergeordnete Kontinuum überzuwechseln. Bist du bereit? strömte die Frage von allen Seiten zugleich auf sie ein. Leenia signalisierte Zustimmung. Sie führte sich noch einmal zu Bewußtsein, was sie über die Entführung der Bewußtseine durch die Schergen des Dunklen Oheims wußte. Nachdem die Opfer durch die an ihnen vorgenommene Impfung dahingehend präpariert worden waren, daß man ihnen ihre Bewußtseine aus dem schon so gut wie leblosen Körper entziehen konnte, wurden diese Bewußtseine in ihre positiven und negativen Komponenten aufgespalten. Die positiven Bewußtseinsteile wurden nach ihrem Abzug in einer bestimmten Blase, zu der die Körperlosen bisher noch keinen Zugang gefunden hatten, gesammelt und gespeichert. Über den Zweck, den diese für den Dunklen Oheim zu erfüllen hatte, war nichts bekannt. Man wußte nur, daß sie sich in einem übergeordneten Kontinuum befand und mit dem Dunklen Oheim verbunden sein mußte. Die negativen Bewußtseinsteile wurden ebenfalls gesammelt. Die Theorie der Körperlosen über sie war dahingehend, daß es irgendwo eine Zentrale gab, in der alles Negative und Böse gespeichert und über ein ausgeklügeltes Verteilernetz wieder in der Schwarzen Galaxis abgegeben wurde. Auf diese Weise entstand die dunkle und bedrückende Aura, die dieser Sterneninsel ihren Namen gab. Es war das Fernziel der Körperlosen, eines Tages diese Sammelstelle zu finden und sie ebenso wie das Verteilernetz zu zerschlagen.
9 Dazu brauchen wir Atlan, dachte Leenia, an die Wesenheiten um sie herum gewandt. Ja, kam die Antwort. Wir werden ihm bei seinem Kampf gegen den Dunklen Oheim und dessen Neffen helfen und versuchen, ihn in unserem Sinn zu lenken. Nur ein Sterblicher ist in der Lage, die Motive Sterblicher zu begreifen und ihnen entgegenzutreten. Verhaltener Spott schwang in Leenias Gedanken mit, als sie entgegnete: Noch vor kurzem dachtet ihr anders über ihn. Wir geben zu, daß wir ihn unterschätzten, obwohl wir nie an seiner positiven Gesinnung zweifelten, Leenia. Und du weißt, warum wir uns dagegen sträubten und immer noch dagegen sind, daß du zu lange in der Aura des Bösen verweilst. Ja, dachte Leenia. Sie wußte, daß sie zu kostbar war, um leichtfertig in Gefahr gebracht zu werden, und noch stellte jeder Einsatz ein unkalkulierbares Risiko dar. Daran änderte auch die Tatsache nichts, daß sie bisher keinen Schaden bei ihren »Ausflügen« genommen hatte. Sie war kostbar und anders. Leenia stellte die Frage diesmal offen. Sie wollte wissen, wer sie war, ob sie sich aus sich selbst heraus zu dem entwickelt hatte, was sie nun darstellte. Wie immer erhielt sie keine Antwort darauf, obwohl sie ihre Frage fordernder als je zuvor stellte. Du mußt jetzt gehen, sagten sie und verschlossen sich. Allerdings entging Leenia einige ablehnende Schwingungen nicht, die gegen Wommser gerichtet waren. Wommser wurde, das wußte Leenia, für ihr respektloses Auftreten den anderen gegenüber verantwortlich gemacht. Leenia nahm den geraubten Bewußtseinsteil Atlans in sich auf und konzentrierte sich. Die anderen wichen zurück, als sich die Energien um sie herum ballten. Ein Wirbel entstand im endlosen purpurnen Ozean, und dann war Leenia von einem Augenblick zum anderen verschwunden.
4.
10 Auch als Atlan den Raumgleiter am Rand eines der zahlreichen Werftkomplexe landete, hatte man ihn weder über Funk angerufen oder ihm ein Empfangskommando entgegengeschickt. Dies war um so verwunderlicher, als der Arkonide mittlerweile festgestellt hatte, daß es auch auf dieser Welt des Grauens Scuddamoren gab, die sich die Arbeit und die Überwachung der Produktion offensichtlich mit Robotern teilten. Entweder gehörte es hier zur alltäglichen Routine, daß Angehörige von Hilfsvölkern kamen und gingen, oder die Scuddamoren waren so beschäftigt, daß sie ihn gar nicht zur Kenntnis nahmen. Vielleicht hatten sie auch wirklich Angst vor Kontrolleuren, oder es galt schlichtweg als Ding der Unmöglichkeit, daß Unautorisierte zum Werftplaneten gelangten und auf ihm landeten. Sein Vorhaben, als Kontrolleur aufzutreten, mußte Atlan jedoch schnell wieder aufgeben. Es war anzunehmen, daß die hier arbeitenden Scuddamoren einen Steckbrief von ihm hatten. Atlan mußte sich vor ihnen verborgen halten, solange es ging. Aber wie? Der Anzug der Vernichtung vermochte zwar vieles, aber er konnte seinen Träger nicht unsichtbar machen. Atlan blickte den Roboter neben sich an. Wieweit konnte er sich auf die Maschine verlassen? Wurde jedes Wort, das er zu ihr sagte, automatisch an andere Stellen weitergegeben, oder stellte sie eine isolierte Einheit dar? Atlan mußte das Risiko eingehen, daß andere »mithörten«. Je länger er darüber nachdachte, desto wahrscheinlicher erschien es ihm allerdings, daß sein Begleiter »harmlos« war. Hätten seine Artgenossen oder die Scuddamoren von ihm schon etwas erfahren, so müßten sie längst erschienen sein. Daß er Atlan nicht zu diesem Vaskäner führen konnte, der wohl der Kommandant der hier stationierten Scuddamoren war, zeigte, daß er für die Scuddamoren gar nicht existierte. Er war unwichtig. Dem Roboter gegenüber wollte er seine Rolle weiterspielen. Wieder ertappte er sich dabei, daß er still in sich hineinlauschte, um
Horst Hoffmann eine Bestätigung oder einen Widerspruch zu hören. Bevor er den Roboter instruierte, schaltete er noch einmal einige Photographien, die er vom Weltraum aus und unter der Wolkenschicht gemacht hatte, auf den Bildschirm. Atlan sah noch einmal die gewaltigen Anlagen, die fast die Hälfte der Landmassen des Planeten bedeckten, der zu zwei Dritteln aus Meeren bestand. Infrarotbilder zeigten, daß die Anlagen bis tief unter die Oberfläche dieser Welt reichten. Atlan hatte sich zur Landung einen Platz ausgesucht, an dem die Ballung der Anlagen am stärksten zu sein schien. »Du weißt, warum ich hier bin«, sagte er nun zu seinem Begleiter. »Und du müßtest ebenfalls wissen, daß ich für die hier stationierten Scuddamoren unerwartet komme.« »Kontrolleure kündigen ihre Besuche selten vorher an«, antwortete der Roboter. »Allerdings ist noch nicht viel Zeit seit dem letzten Besuch eines Kontrolleurs vergangen.« Atlan nickte grimmig. Seine Befürchtung, von einem echten Kontrolleur überrascht zu werden, schien unbegründet zu sein. »Das hat seinen Grund«, fuhr er fort, jedes Wort reiflich überlegend. »Ich habe vor, mich überall dort umzusehen, wo man mich nicht erwartet. Du wirst dafür sorgen, daß ich nicht gestört werde.« Als der Roboter schwieg, fügte Atlan hinzu: »Um mir meine Arbeit zu erleichtern, wirst du mir genaue Pläne der hiesigen Anlagen beschaffen, dazu Skizzen des Produktionsablaufs von der Landung der Transporter bis zur Fertigstellung der neuen Organschiffe. Dadurch spare ich Zeit. Außerdem wird es deine Aufgabe sein, den Scuddamoren glaubhaft zu machen, daß ich ihre Arbeit von hier aus kontrolliere. Ist dies soweit klar?« »Ja, Herr«, kam es vom Roboter. Atlan atmete auf. »Kannst du direkt mit den Robotern in den Werften in Verbindung treten – mit allen?« »Ja, Herr.«
Der Saboteur »Dann teile ihnen mit, daß sie mich zu ignorieren haben. Du weißt, daß die Befehle eines Kontrolleurs Vorrang vor allen anderen haben?« Einen Moment lang hatte der Arkonide das Gefühl sich auf Glatteis zu begeben. Er fieberte jedesmal der knappen Antwort des Roboters entgegen. Es waren bange Sekunden, in denen er sich fragte, was ein plötzliches »Nein, Herr« auslösen würde. Doch wieder bejahte die Maschine. »Sie sind instruiert, Herr.« »Gut. Dann besorge mir jetzt die Pläne.« Atlan erschrak, als der Roboter sich umdrehte und auf die Schleuse des Raumgleiters zu ging. Dann fragte er sich, was er eigentlich anderes erwartet habe? Um ihm das Gewünschte zu beschaffen, mußte der Roboter den Gleiter verlassen und sich an die Computer, die wahrscheinlich einen Großteil der Produktion der Organschiffe lenkten, anschließen. Der Arkonide unterdrückte den Wunsch, seinen Begleiter zurückzurufen. Unsicherer denn je beobachtete er über den Bildschirm, wie der Roboter über das freie Gelände bis zu den nächsten großen Kuppeln schwebte und in einer von ihnen verschwand. Er hielt den Atem an, als kurz darauf sieben Scuddamoren erschienen. Doch sie kamen nicht auf ihn zu, sondern bestiegen eine breite Plattform, die sich sofort erhob und auf das Landefeld hinausschwebte. Jetzt konnte Atlan sehen, wie sich mindestens zwanzig schwarze Transporter aus der dichten Wolkendecke schälten und zur Landung ansetzten. Die Scuddamoren kamen nun von überallher. Das Landefeld – Atlan schätzte seine Größe auf etwa drei mal drei Kilometer – war nach einer Seite hin frei und ansonsten von den riesigen Kuppeln und schlanken, durch meterdicke Röhren miteinander verbundenen Türmen umrahmt. Hinter diesen Bauwerken befand sich die eigentliche Anlage, die sich nach allen Richtungen viele Kilometer ins Land hinein erstreckte. Wie weit sie in die Tiefe des Planeten hineinreichte, war kaum abzuschätzen, doch da Atlan aus der Luft
11 nur gelandete Sechseckschiffe, aber keine Organschiffe gesehen hatte, mußten sich die eigentlichen Produktionsanlagen unter der Oberfläche befinden. Während nun überall hektische Betriebsamkeit herrschte, nahm immer noch niemand von seinem Gleiter Notiz. Zu den Scuddamoren gesellten sich Roboter der verschiedensten Typen. Sie kamen direkt aus dem Boden. Überall bildeten sich Öffnungen. Mehrere große Transportscheiben erschienen vor den Sechseckschiffen und warteten, bis sich deren Schleusen öffneten. Atlan mußte mitansehen, wie die Toten entladen und auf die Transportscheiben verfrachtet wurden, die sofort wieder im Boden des Landefelds verschwanden, sobald sie voll beladen waren. Atlan mußte sich zusammenreißen und den unbändigen Drang unterdrücken, jetzt schon den Gleiter zu verlassen, loszurennen und sich blind vor Zorn und Abscheu auf die Roboter und Scuddamoren zu stürzen. Hilflos mußte er dem grausamen Treiben zusehen, bis alle Schiffe entladen und die Roboter und Scuddamoren mit ihren Scheiben verschwunden waren. Wieder breitete sich Stille aus. Was nun geschah, fand unter der Planetenoberfläche statt. Atlan durfte nicht daran denken, um nicht den Verstand zu verlieren. Er wünschte sich eine Streitmacht, einige zu allem entschlossene Kämpfer, mit denen er losschlagen konnte. Doch er war allein – allein gegen eine ganze Welt. Endlich kehrte der Roboter zurück. Wieder im Gleiter, reichte er dem Arkoniden einige Folien mit Skizzen und Texten darauf, die sich aus einem Schlitz in seinem Körper schoben. Atlan studierte sie sorgfältig und nahm alles, was ihm wichtig erschien, in sich auf. Er wußte nun in etwa, wo er anzusetzen hatte. Als er den Raumgleiter verließ, war Atlan für die robotischen Helfer der Scuddamoren identisch mit dem nach Ärterfahl gekommenen Kontrolleur. Den Namen des Werftplaneten hatte Atlan ebenfalls den Skizzen ent-
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Horst Hoffmann
nehmen können. Der Arkonide gelangte in die Kuppel, die der Roboter betreten hatte, ohne aufgehalten zu werden. Die Oberfläche des Planeten, zumindest in der Umgebung des Landefelds, wirkte jetzt wie ausgestorben.
* Atlan wußte in etwa, wie und wo sich die Produktion der Organschiffe unter der Oberfläche vollzog. Dort wurde der organische Stoff für die Hüllen der Raumer zum größten Teil in riesigen Kesselanlagen gezüchtet. Die Leiber der Toten bildeten nur einen winzigen Teil der fertigen Organmasse. Die Konstruktion des anorganischen Gerüsts der Schiffe unterschied sich nicht sehr von der »normaler« Raumschiffe. Fast alle über der Oberfläche gelegenen Anlagen dienten der Kontrolle und Koordination, dem Verkehr mit anderen Welten und als Wohn und Aufenthaltsräume der Scuddamoren. Es war so gut wie unmöglich, hier etwas auszurichten. Lange bevor es Atlan gelingen konnte, die Computer umzuprogrammieren oder von hier aus auf andere Weise in den Produktionsprozeß einzugreifen, würde man ihn entdeckt und als Saboteur entlarvt haben. Er mußte nach unten gelangen, wo ein direkter Eingriff möglich war. Atlan verwarf zahlreiche Überlegungen, bevor er beschloß, sich Zugang zu den Kesseln zu suchen, in denen die Organmasse herangezüchtet wurde. Dort eine Manipulation vorzunehmen erschien ihm am erfolgversprechendsten. Das Problem, das sich zunächst stellte, war, wie er unbemerkt unter die Oberfläche gelangen konnte. Atlan befand sich in einem mit fremdartigen Instrumenten ausgefüllten Raum, von dem aus er durch eine Luke das Landefeld überblicken konnte. Als sich erneut schwarze Transporter darauf herabsenkten und die Roboter und Scuddamoren aus den Öffnungen im Boden kamen, war er bereit. Er wartete mit klopfendem Herzen, bis die Entladungstrupps bei den gelandeten
Schiffen waren. Dann verließ er die Kuppel und rannte auf die nächste Bodenöffnung zu. Es war ein Schacht, dessen Ende nicht zu erkennen war. Es gab weder Leitern noch Treppen oder Anzeichen dafür, daß die Roboter mit einem Lift an die Oberfläche gebracht worden waren. Atlan sah sich um und fand eine große Schraube. Er hob sie auf und ließ sie in die Tiefe fallen. Wie er gehofft hatte, wurde sie von einem Antigravfeld aufgefangen und sank langsam nach unten. Atlan vertraute sich dem Feld an. Es wurde dunkel um ihn herum, und bald sah er nur noch einen hellen Punkt über sich. Dann wurde unter ihm ein rötliches Leuchten wahrnehmbar, dessen Intensität sich bald schnell steigerte, bis Atlan festen Boden unter sich sah. Er landete sanft mitten in einer flachen, ausgedehnten Halle – und neben einem Robotertrupp. Die etwa anderthalb Meter großen Maschinen, Eier mit allerlei Tentakeln und Antennen, blieben nur kurz stehen, als sie ihn bemerkten. Atlan spürte, wie ihm das Blut in den Kopf schoß. Instinktiv machte er einige Schritte zurück und nahm eine abwehrende Haltung ein. Er rechnete mit einem Angriff oder zumindest einem Anruf, doch die Roboter setzten sich wieder in Bewegung, ohne ihn weiter zu beachten. Sie schoben etwas auf einer Art Lore vor sich her. Es sah aus wie ein Sack, der sich zu bewegen schien. Der Trupp erreichte die gegenüberliegende Wand, verschwand in einer Nische und sank langsam nach unten. Atlan sah sich um. Die Halle war leer – bis auf ein halbes Dutzend eben jener Säcke, wie sich einer in der Lore befunden hatte. Jetzt erst fielen dem Arkoniden die in den Boden eingelassenen schmalen Schienen auf. Er ging ihnen nach bis zum Ende der Halle, wo sie wenige Meter neben den Säcken in einer zweiten Nische endeten. Atlan beugte sich vor, um nach unten zu sehen, und schrak zurück. Ein zweiter Robotertrupp kam auf einer Liftplattform herauf. Die Lore, um die sie herumstanden, war leer. Sie wurde auf die
Der Saboteur Schienen gesetzt. Atlan stand fest gegen die Wand gedrückt und beobachtete, wie die Maschinen einen der Säcke packten und ihn vorsichtig in die Lore legten. Und diesmal sah er es ganz genau: Der aus schwarzem, plastikähnlichem Material bestehende Sack bewegte sich. Atlan wartete, bis die Roboter mit ihrer Fracht die Halle durchquert hatten und in der gegenüberliegenden Nische verschwunden waren, dann ging er vorsichtig auf die Säcke zu und streckte langsam eine Hand nach einem aus. Das Material war völlig glatt und ließ sich mühelos eindrücken. Im nächsten Augenblick stieß der Arkonide einen Schrei aus und riß den Finger zurück, als der Sack sich blitzschnell vorwölbte und sich um seine Hand schließen wollte. Was immer sich in ihm befand – es reagierte auf die Berührung. Es lebte. Atlan hörte den Aufzug wieder kommen und zog sich schnell zur Wand zurück. Der nächste Sack wurde aufgeladen und forttransportiert. Atlan rief sich die Skizzen, die er von seinem Roboter erhalten hatte, in den Kopf zurück. Wenn er sich im Antigravschacht nicht gedreht hatte, lag die Nische, in die die Säcke geschafft wurden, in der gleichen Richtung, in der sich auch die Behälter mit der organischen Zuchtmasse befanden. Befand sich dann in den Säcken einer der Grundstoffe für diese Substanz? War es Protoplasma ohne eigenes Bewußtsein, das nur instinktiv auf Bewegungen reagieren konnte, oder handelte es sich bereits um eine Form bewußten Lebens? Atlan mußte zu den Kesseln gelangen, um die Antwort zu erhalten. Er überlegte, ob er sich nicht einfach der nächsten Roboterkolonne anschließen sollte. Als wieder ein Trupp erschien, ohne Notiz von ihm zu nehmen, wagte er es, wobei er wieder darauf wartete, daß sich etwas in ihm meldete und ihn warnte oder anspornte. Nichts. Atlan wartete, bis die Roboter einen Sack aufgeladen hatten, und schloß sich ihnen an. Sie zeigten keine Reaktion. Sie erreichten die
13 Nische. Atlan zwängte sich neben den Robotern hinein, bevor die Liftplattform sich in die Tiefe senken konnte. Er verspürte ein Ziehen im Magen, als es schnell abwärts ging. Die Plattform kam zum Stillstand. Atlan befand sich mit den Robotern und ihrer Fracht in einer kleinen Kammer. Lautlos fuhr eine Wand zur Seite, und nun blickte der Arkonide in einen riesigen Komplex. Die Halle war mehrfach unterteilt. Ihr Ende war nicht zu erkennen. Die Decke befand sich schätzungsweise zwanzig Meter über Atlans Kopf. Überall in den Wänden waren Nischen, zu denen Schienenstränge führten. Einige Loren standen leer davor oder direkt vor den Kesseln. Es waren eher riesige Bottiche aus kupferfarben schimmerndem Metall Atlan schätzte ihren Durchmesser auf zehn und die Höhe auf fünfzehn Meter. Oben verjüngten sie sich wie Glocken. Mehrere durchsichtige Röhren führten von großen Würfeln aus überall in sie hinein, andere, erheblich dicker und nicht transparent, verschwanden in der Decke. Atlan zählte vier Kessel, aber es war möglich, daß es weitere in anderen Hallen gab. Vor jedem der Würfel befand sich ein schräg in ihn hineinführender Trichter, und in einen dieser Trichter entleerten die Roboter die Säcke. Atlan sah angeekelt, wie eine dunkelbraune Masse zuckend aus den Säcken glitt und in den Trichter rutschte. Er war bei der Nische stehengeblieben. Jetzt mußte er zur Seite weichen, als der nächste Trupp mit neuem Plasma erschien. Weitere Roboter befanden sich weiter hinten in der Halle. Von Scuddamoren war nichts zu sehen. Plötzlich heulte eine Sirene auf. Atlan schrak zusammen. Sie haben mich entdeckt! war sein erster Gedanke. Er sah sich um, suchte nach einem Fluchtweg, aber nichts geschah, außer daß die Roboter den Trichter in den Würfel hinein klappten. Aus einer anderen Nische tauchten neue Maschinen auf, die ebenfalls etwas in Loren
14 vor sich her schoben. Diesmal handelte es sich um Behälter, die Atlan an große Gasflaschen erinnerten. Sie machten vor einem anderen Würfel halt und kippten die Behälter in dessen Trichter. Atlan sah zur Decke auf und war sicher, daß die dort verschwindenden Röhren über ihr weiterliefen und die in den Kesseln produzierte Substanz weiterleiteten, bis sie nach mehreren Verarbeitungsprozessen ihr Ziel erreichte: die eigentlichen Werften, wo die unfertigen Organschiffe auf ihre Hülle warteten. Hier mußte er ansetzen. Solange weitere Grundstoffe in die Kessel gegeben wurden, konnte der Prozeß, der in ihnen ablief, nicht beendet sein. Vermutlich dauerte es sogar noch Stunden oder Tage, bis die »gezüchtete« Organsubstanz sie verlassen würde. Atlan besaß keine Waffen. Mit einem leistungsfähigen Strahler hätte er die gesamte Anlage vielleicht so zusammenschmelzen können, daß sie nie mehr zu gebrauchen war. Was auch immer in den Kesseln zusammengebraut wurde – es entstand nach einem genauen Rezept. Mit zusammengebissenen Zähnen beschloß Atlan, diesen Kuchen gehörig zu verderben. Dies konnte nur ein erster Schritt sein. Atlans Ziel war es, die gesamte Werft ein für allemal unbrauchbar zu machen. Vielleicht bot sich ihm die Chance dazu in dem Chaos, das es erst einmal zu entfesseln galt. So machte sich der Arkonide auf die Suche nach etwas, das er in einen der Trichter geben konnte. Der Zufall kam ihm zu Hilfe. Die Roboter, die die Säcke hierhertransportiert hatten, machten sich auf den Rückweg. Ihre Aufgabe war nun offensichtlich erfüllt. Atlan schloß sich dem zweiten Trupp an. Diesmal wurden sie, wie er vermutet hatte, vom Aufzug nach oben getragen. Doch er brachte sie nicht in die Halle, in der sie die Säcke aufgeladen hatten, sondern in eine an-
Horst Hoffmann dere, kleinere. Und diesmal sah Atlan Scuddamoren. Der Arkonide reagierte instinktiv. Er sah eine Reihe von Kisten gleich links neben sich. Zwischen ihnen und der Wand war ein kleiner freier Raum, in den er gerade hineinpaßte. Er ließ sich hinter die Kisten fallen und hoffte inbrünstig, daß die Roboter ihn nicht verrieten, denn noch hatten die Scuddamoren ihn nicht bemerkt. Sie waren zu dritt und über eine hüfthohe Säule gebeugt, auf der eine Kugel saß. Anscheinend handelte es sich um ein Kommunikationsgerät, denn sie sprachen irgend etwas vor sich hin, das Atlan nicht verstand. Die Kugel leuchtete rhythmisch immer dann, wenn sie schwiegen. Durch einen Spalt zwischen zwei Kisten verfolgte Atlan, wie die Roboter nun von ihnen instruiert wurden. Ein Trupp kam genau auf die Stelle zu, an der Atlan steckte, und nahm eine der Kisten. Atlan rückte weiter nach links. Als er dann sah, was weiter geschah, mußte er einen Triumphschrei unterdrücken. Die Maschinen öffneten die Kisten. Ein brauner, mit grünen Adern durchzogener Klumpen klatschte zu Boden. Ein Roboter holte einen der bekannten schwarzen Säcke herbei. Erst jetzt sah Atlan, daß mehrere leere Säcke in einer Ecke des Raumes aufeinandergestapelt waren. Das war also die braune Schlacke im Urzustand. Die Roboter machten sich daran, die grünen Adern säuberlich aus ihr herauszuschneiden, wobei die Masse um so heftiger zu pulsieren begann, je mehr Adern entfernt wurden. Die Sorgfältigkeit, mit der die Maschinen zu Werke gingen, deutete darauf hin, daß die Adern unter keinen Umständen mit in die Säcke und später in die Kessel gelangen durften. Als die Scuddamoren die Halle verließen, nachdem sie die Arbeit der Roboter eine Zeitlang überwacht hatten, wußte Atlan, was er zu tun hatte.
*
Der Saboteur Atlan wartete. Immer wieder zwang er sich zur Geduld und rückte weiter nach links, wenn von rechts Kisten genommen wurden. Schon fragte er sich, wie er sich herausreden wollte, falls die Roboter alle Kisten öffnen würden, als wieder ein Heulton erklang und sie ihre Arbeit einfach stehenließen, um die Halle zu verlassen. »Na endlich!« knurrte Atlan. Er kam jetzt hinter den Kisten hervor. Etwa zwei Dutzend Säcke waren mit der braunen Masse gefüllt worden. Die grünen Adern lagen wie glitschige Würmer auf einem Haufen. Sie stanken furchtbar. Atlan vermutete, daß als nächstes ein Trupp auftauchen würde, um den »Abfall« abzuholen – jene Substanz, die nicht in die Kessel gelangen durfte. Atlan wollte nicht darauf warten. Er nahm einen der leeren Säcke, hielt ihn mit einer Hand auf und griff mit der anderen in die grüne Masse hinein. Die glitschigen Adern rutschten ihm durch die Finger. Nur mit äußerster Selbstüberwindung schaffte der Arkonide es, wieder nach ihnen zu greifen. Der Ekel drohte ihn zu überwältigen. Doch schließlich war der Sack voll. Atlan versteckte sich wieder hinter den Kisten und wartete, bis wieder Roboter kamen. Sie holten nicht den »Abfall«, sondern die vollen Säcke. Wohin sie sie brachten, war leicht zu erraten. Atlan schloß sich dem zweiten Trupp an. Er trug den Sack mit den grünen Adern, die zu einem zähen Brei geworden waren. Wenn die Roboter dies wahrnahmen, reagierten sie nicht darauf. Atlan erreichte die Halle, in die er von der Oberfläche aus gelangt war, dann auf dem gleichen Weg wie schon zuvor die riesige Anlage mit den Kesseln. Wieder mußte er warten, bis eine Gruppe von Robotern gerade verschwunden und der nächste Trupp noch nicht erschienen war. Diejenigen weiter hinten an den anderen Kesseln interessierten ihn im Augenblick nicht. Er lief mit dem Sack auf den nächsten aus einem Würfel ragenden Trichter zu und
15 schüttete etwa ein Viertel der grünen Masse hinein. Dann hastete er zum nächsten Kessel und verfuhr dort genauso. Eine Sirene heulte auf, und diesmal bedeutete sie nicht, daß ein Arbeitsprozeß beendet war oder begonnen werden mußte. Atlan wußte, daß ihm vielleicht nur noch Sekunden blieben. Er sorgte dafür, daß auch der dritte Kessel mit dem grünen Brei versorgt wurde. Als er Kessel Nummer vier erreichte, waren die Scuddamoren da. »Packt ihn!« schrie einer von ihnen. Atlan ließ den Sack fallen und sah sich gehetzt um, als die Schattenhaften von allen Seiten anrückten und ihre Waffen auf ihn richteten. »Nicht schießen!« hallte eine dunkle Stimme durch die Anlage. Sie kam nicht von einem der Scuddamoren. »Wir brauchen ihn lebend!« »Niemals!« schrie Atlan. Er sah die Lore, rannte darauf zu und stieß die beiden Roboter, die sie schoben, zur Seite. Dann brachte er das Gefährt in Schwung und warf sich hinein. Neben ihm explodierte etwas. Grelle Blitze blendeten ihn. Er hörte die Schreie der Scuddamoren und weitere Detonationen. Irgend etwas fuhr pfeifend an seinem Ohr vorbei. Die Lore rollte weiter. Es gab einen Ruck. Atlan wurde aus dem Wagen geschleudert und blieb benommen liegen. Seine Ohren waren taub, und immer noch konnte er nichts sehen. Doch irgend etwas geschah mit ihm. Er kannte dieses Gefühl im Magen. Er mußte eine der Nischen erreicht haben, und der Aufzug raste mit ihm irgendwohin – ob nach oben oder unten, vermochte der Arkonide nicht zu sagen.
5. Bordinfeel war einer jener Planeten innerhalb der Schwarzen Galaxis, dessen Bewohner noch relativ frei leben konnten. Natürlich waren auch sie der Aura dieser Sterneninsel ausgesetzt, doch sie hatten gelernt, damit zu leben. Es gab keine Stützpunkte raumfahrender Rassen auf Bordinfeel. Die
16 Welt der Grallen war für die Hilfsvölker der Neffen uninteressant. Bordinfeel war eine Sauerstoffwelt am Rand des Marantroner-Reviers, auf den ersten Blick ein unberührtes Paradies. Nur wer genauer hinsah, bemerkte die schnurgeraden Kanäle, die die Savannen und Buschwälder durchzogen, die an verschiedenen Stellen zu Zisternen erweitert waren. In diesen Zisternen hockten die Erbauer der Wasserwege, wenn sie ihr Tagwerk vollendet hatten oder nachdachten. Die Grallen waren Philosophen und Denker. Sie sahen einem ovalen Kürbis mit sechs Ärmchen nicht unähnlich, dazu kamen zwei kräftige, mit Schwimmflossen versehene Beine. Der Kopf war eine Verdickung am oberen Teil des Körpers, mit zwei kleinen Augen, einer Mund und einer Atemöffnung. Das Lebensziel eines jeden Grallen war es, einen perfekten Kanal zu bauen, in dem diese Wesen sich selbst verwirklicht sahen. Sie trieben diese Kanäle nicht einfach in die Landschaft, sondern bauten sie nach ganz bestimmten Gesichtspunkten. An der Art und Weise, wie ein Kanal angelegt war, konnten alle anderen die geistige Reife des Konstrukteurs erkennen. Ein Gralle baute mehrere Jahre an seinem Bannistero, wie dieses Volk seine Kanäle nannte. Als Namenloser begann er sein Werk, und als geachtetes, reifes Mitglied der lockeren Gemeinschaft beendete er es. Jede Zisterne dokumentierte ein Stück des Reifeprozesses, den ein Gralle beim Bau seines Bannisteros durchmachte. Für die Grallen gab es nichts Schlimmeres als die Zerstörung ihrer Arbeit durch Naturgewalten oder die wild lebenden Tiere. Sie hatten gelernt, die Kanäle gegen alle nur denkbaren schädlichen Umwelteinflüsse abzusichern. Dennoch kam es immer wieder zu Katastrophen. Ein solches Unglück war Kirso Bal Taur widerfahren, ausgerechnet ihm, dem noch jungen Grallen, der schon jetzt, nachdem er gerade die zweite Zisterne hatte errichten können, die Hochachtung der Älteren genießen durfte. Grallen kamen oft von weither,
Horst Hoffmann um die Perfektion zu bewundern, mit der Taur zu Werke ging. Nun stand er vor den Ruinen seiner Arbeit. »Das ist nicht das Werk eines Tieres«, sagte Minko Bal Poohl. Die Laute wurden von einer auf und abschwellenden Blase zwischen dem oberen Armpaar produziert. Ein Mensch hätte sich an das Quaken von Laubfröschen erinnert gefühlt und niemals für möglich gehalten, welche Feinheiten die Sprache der Grallen besaß. Der alte Gralle war eigens von seiner siebten Zisterne zum Ort der Verwüstung geeilt, um mit eigenen Augen zu sehen, welches Unglück über Taur gekommen war. Minko Bal Poohl trug, frei übersetzt, den Titel »Meister der Geradlinigkeit«. Außer ihm gab es zur Zeit nur zwei Grallen auf Bordinfeel, von denen man wußte, daß sie sieben Zisternen besaßen. Alle anderen, die jetzt gekommen waren, um Taur zu trösten und neuen Mut zuzusprechen, begegneten ihm mit großem Respekt. »Nein«, sagte Taur. »Es war kein Tier und auch nicht das Wirken eines bösen Naturgeists. Irgend jemand hat den Bannistero mutwillig zerstört.« Damit sprach er einen schwerwiegenden Verdacht aus. Es gab unter den Grallen keinen größeren Frevel, als die Arbeit eines anderen zu sabotieren. Wer solches tat, wurde aus der Gemeinschaft ausgestoßen und gebrandmarkt, so daß er nirgendwo auf ganz Bordinfeel je wieder Aufnahme in die Gemeinschaft der Kanalbauer finden würde. Die Herbeigeeilten schwiegen betroffen. Einige gingen unruhig auf und ab. Die Fortbewegung und der Aufenthalt auf festem Land waren unangenehm für sie. Wenn ein Gralle den anderen besuchte, kam er normalerweise auf dem Wasserweg. Alle fertigen Bannisteros waren an einer einzigen, gut abgesicherten Stelle durch einen kleinen Kanal mit den anderen verbunden. »Bist du dir über die Konsequenzen deiner Worte im klaren?« fragte Keena Dol Muun besorgt. Sie sollte den Bannistero mit
Der Saboteur Taur teilen, wenn er fertiggestellt war und Taur die Mannesreife erreicht hatte. Noch lebte sie im Bannistero ihrer Eltern. »Du willst die Beschuldigung aussprechen?« kam es wieder von Minko Bal Poohl. Taur erschauerte. Lange starrte er unsicher auf die Verwüstung – ein mehrere Körperlängen messendes Stück der Kanalwand kurz vor der zweiten Zisterne. Das Erdreich war schwarz, als hätte ein furchtbarer Brand gewütet, aber Lehm fing nicht von alleine Feuer und die Gräser ringsherum waren unversehrt. Kein Feuer hätte die armdicke Lehmschicht des Kanalrandes durchdringen können. Es sah fast so aus, als hätte sich die schwarze Glut hindurchgefressen. Das aus dem Bannistero entwichene Wasser füllte eine ebenfalls einfach in den Boden gebrannte Mulde, in der zehn Grallen Platz gefunden hätten. Die Beschuldigung … Wer sie aussprach, bezichtigte ein Mitglied der Gemeinschaft der Sabotage. Die Grallen würden ihre Arbeit an ihren Bannisteros einstellen und nicht eher ruhen, bis entweder der Schuldige gefunden oder die Frist von zehn Monden ergebnislos verstrichen war. In letzterem Fall würde derjenige, der die Beschuldigung ausgesprochen hatte, selbst verstoßen werden. So verlangten es die uralten Gesetze. Die Grallen waren ein friedliches Volk, aber unerbittlich jedem gegenüber, der ihre Harmonie zu stören wagte. »Nein«, sagte Taur leise. »Ich werde eine neue Wand bauen und dabei die Augen offenhalten. Ich habe keine Feinde unter euch.« Dies war eine verbreitete Formulierung, mit der ein Gralle seinem Stolz Ausdruck gab, anerkanntes und geliebtes Mitglied der Gemeinschaft zu sein. Taur wußte sehr wohl, daß es Neider gab, die ihm seinen steilen Aufstieg nicht recht gönnten. »Dann ist es gut«, sagte Minko Bal Poohl. Der Würdenträger wandte sich an die anderen: »Laßt uns in unsere Zisternen zurückkehren. Taur ist gefestigt genug, um sich
17 von diesem Schlag des Schicksals zu erholen. Der Geist sei mit dir, Kirso Bal Taur!« »Der Geist sei mir dir!« erwiderte der Junge Gralle den Gruß. »Mit euch allen!« Er blieb allein zurück. Traurig sah er Keena Dol Muun nach, als sie mit den Älteren davonging. Wie sehr sehnte er sich nach dem Tag, an dem er die vierte Zisterne errichten und damit die Würde erlangen konnte, sie zur Gefährtin zu nehmen und einen Nachkommen zu zeugen. Die Katastrophe hatte ihn um viele Monde zurückgeworfen. Taur ließ sich ins Wasser fallen und schwamm in den durch das Unglück entstandenen Teich. Noch einmal untersuchte er die Wände. Der Lehm war nicht nur schwarz, sondern so glatt, als ob er geschliffen worden wäre – glatter als die Wände von Poohls Zisternen. Kein Gralle konnte dieses Wunder in einer einzigen Nacht vollbracht haben, und erst recht kein Tier. Kein Blitz war in der vergangenen Nacht vom Himmel geschleudert worden. Die einzige Erklärung, die Taur finden konnte, war, daß tatsächlich ein ihm nicht wohl gesinnter Naturgeist verantwortlich war. Aber warum? Taur hatte sich streng an die Gesetze gehalten und jeden Körperbreit seines Bannisteros der Allmacht der Natur geweiht. Taur machte sich an die Arbeit. Mühsam schaffte er neuen Lehm heran und holte Zweige, um daraus ein feines Netz zu machen, das das Fundament der neuen Kanalwand bildete und dem Lehm den nötigen Halt gab. Dann mußte er die Mulde leeren und mit Erdreich füllen, denn neben einem Bannistero durfte kein Wasser stehen. So verging der Tag. Am Abend zog sich der junge Gralle in seine Zisterne zurück, doch nicht, um im Schlaf neue Kraft für den nächsten Tag zu sammeln. Taur legte sich auf die Lauer, und als der Mond am höchsten stand, sah er das fremde Wesen mit den leuchtenden Augen.
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6. Es gab einen heftigen Ruck, und Atlan wußte, daß die rasende Fahrt im Aufzug zu Ende war. Der Druck auf den Ohren hatte nachgelassen. Immer noch war es dunkel um ihn herum. Atlan wurde sich bewußt, daß er immer noch auf dem Bauch lag. Einen Moment lang wußte er nicht, wie er sich zu verhalten hatte, ob er sich aufrichten oder liegen bleiben sollte. Er fühlte erneut die furchtbare Hilflosigkeit, die schreckliche Leere in sich. Dazu kamen die Zweifel. Hätte er mit dem Extrasinn ebenso gehandelt? Hätte er nicht eher gründlichere Vorbereitungen getroffen, bevor er zuschlug? »Melde dich doch!« schrie er. »Du mußt noch existieren, irgendwo!« Sofort schalt er sich einen Narren. Mußte er die Scuddamoren unbedingt auf sich aufmerksam machen, bevor sie ihn von sich aus fanden? Die Nische, in der er angekommen war, öffnete sich. Grelles Licht drang herein. Wieder wurde Atlan geblendet, doch seine Befürchtung, bei den Explosionen in der Kesselhalle erblindet zu sein, bewahrheitete sich nicht. Nach wenigen Sekunden konnte er sehen. Erst jetzt nahm er das Heulen der Sirenen bewußt wahr. Er blickte in einen nur mäßig erleuchteten Raum, in dem allerlei Geräte, alte Kisten, kaputte Werkzeuge und defekte Roboter herumlagen oder in einer Ecke auf einen bis an die Decke reichenden Schuttberg gestapelt waren. Zwischen dem Schrott befand sich eine Art Schaufellader und darin ein Roboter. Ansonsten war niemand im Raum. Hier gab es keine Nischen – außer der, in der Atlan sich noch befand –, sondern Atlan genau gegenüber einen breiten Korridor mit zwei markierten Fahrbahnen. Der Roboter im Sitz des Laders drehte den Kopf. Atlan sah in zwei rote Linsen und wußte, daß in diesem Augenblick der nächste Scuddamorentrupp hierher gerufen wur-
de. Er sprang auf, rannte auf das Fahrzeug zu und stieß den Roboter aus dem Sitz. Dann sprang er selbst hinein. Wieder fühlte er sich wie gelähmt, als er die Kippschalter mit den Lämpchen darüber auf dem rechteckigen Kontrollbrett vor sich sah. Er hatte keine Sekunde zu verlieren und probierte sie der Reihe nach durch. Die mächtige Schaufel fuhr in die Höhe und schlug hart gegen die Decke, dann, als Atlan den betreffenden Schalter schnell wieder in die Ausgangsstellung brachte, fiel sie auf den Boden zurück und knallte dort ebenso hart auf. Der Arkonide wäre fast aus dem Sitz geschleudert worden. Die nächsten Schalter. Lichter gingen an und aus, ein Signal ertönte, und endlich setzte sich der Lader mit einem Ruck in Bewegung – allerdings in die falsche Richtung. Atlan fand die Bremse gerade schnell genug, um nicht in die hinter ihm liegende Wand zu fahren. Schon hörte er Schreie und Schritte aus dem Korridor. Der Lichtkegel eines Scheinwerfers war auf einer Wand vor einer Biegung zu sehen. Atlan kippte den Schalter diesmal nicht nach oben, sondern nach unten. Sofort fuhr das Fahrzeug los. Es wurde durch eine Art Fahrradlenker gesteuert, mit dem Atlan nun keine Schwierigkeiten mehr hatte. Bremsen und Beschleunigen erfolgte durch Druck auf zwei Knöpfe. Als die Scuddamoren in kleinen, schalenförmigen Wagen mit sechs Rädern erschienen, hatte der Arkonide den Schaufellader gewendet und beschleunigte voll. Sein Fahrzeug ruckte an und schoß auf den Korridor hinaus. Die Scuddamoren schrien auf und wollten zur Seite ausweichen, doch Atlan fuhr genau in der Mitte des Korridors. Einige der völlig überraschten Schattenhaften konnten rechtzeitig abspringen. Die anderen wurden mit ihren Wagen einfach zermalmt. Atlan beschleunigte weiter. Mit gesenkter Schaufel raste der Lader durch den Korridor, passierte weitere Hallen und fuhr immer geradeaus, wenn Fahrbahnen abzweigten und in links und rechts gelegene Teile des subplanetaren Komplexes führten. Die Sirenen
Der Saboteur heulten ununterbrochen. Atlan hatte nur eines im Kopf: weg von hier! Er floh blind, als ob er sich nicht in einer Gigantanlage befand, wo der Gegner überall war. In den Hallen standen Scuddamoren mit feuerbereiten Waffen, die offensichtlich nur darauf warteten, daß der Befehl, den Eindringling unter allen Umständen lebend zu fangen, aufgehoben wurde. Immer wieder dröhnte die seelenlose Stimme durch die Korridore: »Gib auf! Du kannst nicht entkommen!« Atlan raste weiter. Alles, was ihm im Weg stand, ob es nun leere Container waren oder Fahrzeuge, mit denen die Scuddamoren die Bahn zu blockieren versuchten, wurde von der Schaufel erfaßt und zur Seite geschleudert. Der Wortlaut der ununterbrochen gegebenen Aufforderung zur Kapitulation änderte sich: »Gib auf!« hallte es in Atlans Ohren. »Du wirst die Möglichkeit erhalten, dich vor einem Gericht des Neffen Chirmor Flog für deine Taten zu rechtfertigen!« »Ha!« brüllte Atlan. »Ich gebe auf, wenn von der Werft nichts mehr übrig ist!« Andere Sirenen mischten sich in das ohrenbetäubende Geheul und die Stimme. Atlan drehte sich um und sah, daß er verfolgt wurde. Die schwerbewaffneten Scuddamoren verfügten ohne Zweifel über schnellere Fahrzeuge als er und würden ihn bald eingeholt haben. Atlan nahm eine Abzweigung. Er gelangte auf einen schmaleren Korridor. Das Licht war hier noch spärlicher. Ohne die starken Scheinwerfer des Schaufelladers hätte er kaum sehen können, wohin er fuhr. »Gib auf!« hörte er wieder. »Wir geben dir noch zehn Sekunden. Wenn du dich dann nicht ergeben hast, ergeht der Schießbefehl!« Atlan lachte grimmig. Er hatte sich in einen wahren Rausch hineingesteigert. Er fuhr weiter, und erst die Schüsse der Verfolger brachten ihn zur Besinnung. Sie waren knapp an ihm vorbei gezielt. Vermutlich
19 versuchten sie doch noch, ihn lebend in die Hände zu bekommen. Doch Atlan wußte, daß diesen Warnschüssen besser gezielte folgen würden, wenn er jetzt nicht aufgab. Fieberhaft überlegte er, wo er sich befand. Mit Sicherheit tiefer in der Anlage als zuvor, also unter den Kesselhallen. Alles deutete darauf hin, daß hier der oben angefallene Abfall gelagert und irgendwo vernichtet wurde. Vielleicht fuhr er geradewegs auf einen Konverter zu. Atlan sah, wie sich vor ihm eine Öffnung in der Korridorwand bildete, und handelte. Er bremste so hart ab, daß er mit dem Oberkörper gegen die Kontrollen flog, und sprang aus dem Sitz, als er auf gleicher Höhe mit dem aus der Wand dringenden Licht war. Sein ganzes Denken war jetzt davon beherrscht, den Scuddamoren für den Moment zu entkommen. Vielleicht sprang er geradewegs in eine ihrer Fallen, als er nun hart auf dem Boden aufkam und sich abrollen ließ. Schüsse, die direkt neben ihm in die Wand fuhren, blendeten ihn. Kräftige Hände packten seine Arme und zogen ihn aus dem Korridor. Gleich darauf hörte der Arkonide, wie eine schwere Tür zuschlug. Sein unbekannter Helfer zerrte ihn noch ein Stück mit sich fort, bis Atlan auf die Beine kam und aus eigener Kraft mitlaufen konnte. Immer noch konnte er nichts sehen. Hinter ihm war das Röhren von schweren Energiewaffen zu hören, deren Strahlen sich zischend in Stahlwände fraßen. Weitere Türen wurden von seinem Helfer aufgerissen und geschlossen, bis Atlan wieder das Gefühl hatte, in einem Aufzug nach oben oder nach unten getragen zu werden. Nur Sekunden später erhielt er von dem Unbekannten einen Stoß in den Rücken und taumelte in einen erleuchteten kleinen Raum mit einem flachen Tisch und einem Stuhl darin. Außerdem sah er mehrere unfertig wirkende technische Geräte und ein Ding, das wie die Mischung zwischen einem altmodischen Fernsehgerät und einer mobilen Kleinstfunkstation aussah. Eine Tür schlug
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krachend zu. Atlan drehte sich um und stieß einen Schrei aus. »Es scheint, daß mein Warten sich doch gelohnt hat«, sagte das Wesen, das breitbeinig vor ihm stand. Es war ohne Zweifel ein Scuddamore, obwohl er rein äußerlich nicht sehr viel mit jenen gemeinsam hatte, die Atlan bisher zu Gesicht bekommen hatte. Der Fremde hielt eine Strahlwaffe auf die Brust des Arkoniden gerichtet.
* Vaskäner starrte auf den Bildschirm, bis die Rauchwolken sich verzogen hatten. Sie waren alles, was von dem Raumgleiter übriggeblieben waren, mit dem der Fremde auf Ärterfahl gelandet war. Der Kommandant der Scuddamoren auf dem Werftplaneten schaltete ab und drehte sich langsam um. Zwischen zwei seiner Offiziere stand der Roboter, der mit dem Gejagten gekommen und gewaltsam aus dem Gleiter geholt worden war. »Du siehst, daß dein Freund uns nicht entwischen kann«, sagte Vaskäner. »Selbst wenn er jemals wieder den Weg zur Oberfläche fände, säße er fest.« »Es handelt sich nicht um einen Freund«, erklärte der Roboter zum wiederholten Mal. »Er kam auf Ghyx an Bord unseres Schiffes und starb nicht wie die anderen Organischen. Ich mußte annehmen, daß es sich um einen vom Neffen geschickten Kontrolleur handelte.« Der Kommandant wandte sich an die beiden Scuddamoren neben der Maschine. »Er weiß nicht mehr, als er bereits gesagt hat und ist nutzlos für uns. Bringt ihn fort. Löscht seinen Datenspeicher und programmiert ihn neu.« Vaskäner blieb mit drei Beratern in seiner Zentrale zurück. Sie befand sich in einer der Kuppeln am Rand des Landefelds, das nun von schwarzen Sechseckschiffen übersät war. Sie waren alle gelandet. Im Weltraum stand eine neue Flotte von Organschiffen, die noch mit Galionsfiguren bestückt wer-
den mußten. Aber es war fraglich, wann und ob überhaupt ihnen weitere folgen würden. Fast die Hälfte der schwarzen Transporter war noch nicht entladen. Es hatte keinen Sinn, die Toten von Bord zu bringen, solange nicht feststand, ob der Schaden an den subplanetaren Anlagen überhaupt noch behoben werden konnte, ohne daß Spezialisten von anderen Welten kommen mußten. Der Fremde hatte ganze Arbeit geleistet. Vaskäner fluchte lauthals. Nein, es handelte sich um keinen Fremden mehr. Vaskäner hatte wie jeder verantwortliche Scuddamore eine genaue Beschreibung des Mannes, der Chirmor Flog schon mehr Schaden zugefügt hatte als je ein Rebell vor ihm, und von dem es hieß, daß er sogar schon bis nach Säggallo vorgedrungen war und dem Neffen persönlich gegenübergestanden hatte. Daß er von dort entkommen war, machte ihn nicht nur Vaskäner unheimlich. Nun befand er sich in der Unterwelt von Ärterfahl, und Vaskäner war entschlossen, sich die Chance, die sich ihm hier und jetzt bot, nicht entgehen zu lassen. Welche Belohnung mochte demjenigen winken, der Atlan fing oder, falls das nicht möglich war, zur Strecke brachte? Vaskäner fluchte wieder. Er mußte realistisch bleiben. Seine Belohnung konnte so aussehen, daß ihm die Strafe für sein Versagen erspart blieb. Allein deshalb mußte er Atlan festsetzen oder dem Neffen als Leiche präsentieren. Die Fertigstellungsprozesse der Organschiffe waren lahmgelegt. Der Stoff, den Atlan in die Kessel gegeben hatte, hatte zu einer unvorstellbar schnellen katastrophalen Wucherung der Organmasse in den Behältern und schließlich zu deren Explosion geführt, als der Druck nicht mehr aufgefangen werden konnte. Allein dafür hatte dieser so plötzlich aufgetauchte Mann den vielfachen Tod verdient. Vaskäner betrachtete die Produktion der Organschiffe für das Marantroner-Revier als seine Lebensaufgabe. Atlan mußte bald gestellt werden, damit
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in absehbarer Zeit wieder neue Organschiffe in den Weltraum starten konnten, und zwar unter Vaskäners Kontrolle. Um so wütender wurde der Scuddamore, als er die Meldung erhielt, daß Atlan unauffindbar war – wie vom Boden verschlungen. »Sucht weiter!« brüllte er unbeherrscht in die Mikrophone. »Durchkämmt jeden Winkel der Anlage. Ich lasse die Produktion auch in den Hallen mit den Schiffsrohbauten stoppen. Alle Roboter haben sich ab sofort nur der Aufgabe zu widmen, den Eindringling zu fangen oder zu töten. Sie sind sofort umzuprogrammieren!« Vaskäner wartete die Bestätigungen aus den verschiedenen Teilen des Gigantkomplexes nicht ab. Er schaltete die Computer ein. Jeder Korridor, jeder Aufzugschacht, jede Halle wurde durchsucht und mit Infrarotstrahlen durchleuchtet. Das Ergebnis war negativ. Vaskäner zerbrach sich den Kopf darüber, welches Versteck es geben könnte, von dem er nichts wußte, und das auch den Computern unbekannt war. Wo auch immer er sich befand, dachte der Scuddamore, er kann nicht für immer dort bleiben, wenn er nicht verhungern oder verdursten will. Vaskäner brauchte also nur zu warten. Noch einmal würden sich die Scuddamoren nicht überrumpeln lassen. Angesichts der neuen Situation verzichtete Vaskäner darauf, Atlan doch noch lebend zu fangen zu versuchen. Er gab den Befehl, ohne Anruf zu schießen, sobald Atlan gesichtet wurde. Der Kommandant von Ärterfahl wußte nichts von Atlans Zellaktivator und der Bedeutung, die ein lebender Atlan für Chirmor Flog hatte.
* Atlan machte einen Schritt zurück, den Blick nicht von der Waffe in der scheinbar zerfließenden Hand des Scuddamoren nehmend. Dieser deutete mit dem Strahler auf den Stuhl. »Setz dich!«
Atlan hatte keine andere Wahl, als zu gehorchen. Neue Fragen schossen ihm durch den Sinn. Wer war dieser Unheimliche? Wieso alarmierte er nicht sofort die anderen Scuddamoren? »Du hast gar nichts erreicht«, sagte der Fremde zu Atlans Überraschung. »Überhaupt nichts! Die Anlagen werden für Wochen, vielleicht für Monate keine organische Substanz für die Raumschiffe mehr produzieren können, aber dann werden sie wiederaufgebaut und wieder funktionsfähig sein. Du brauchst nicht stolz zu sein!« Atlan glaubte, nicht recht zu hören. Steckte nur Spott hinter diesen Worten, oder war es Enttäuschung? »Wer … wer bist du?« fragte der Arkonide. Der Scuddamore lachte! »Zuerst du, mein Freund. Ich habe dich beobachtet, als du um die Roboter herumschlichst und in der Kesselanlage herumspioniertest. Du kanntest dich also hier nicht aus, und für jemanden, der hier fremd ist, hast du deine Sache nicht einmal schlecht gemacht, nur …« Der Scuddamore machte drei Schritte auf Atlan zu und brüllte ihn, nun unmittelbar vor ihm stehend, an: »Du bist ein großer Stümper, mein Freund! Du konntest dich im Gegensatz zu mir frei bewegen, wenn ich auch nicht verstehe, warum. Du hättest sie vernichten können! Alle! Ein für allemal!« Atlan mußte sich dazu zwingen, ruhig sitzen zu bleiben. Wenn dieser Scuddamore nicht auf der Seite seiner Artgenossen stand, wenn es sich um einen Rebellen handelte, konnte er ihn als potentiellen Verbündeten betrachten. Oder hatte er einen Wahnsinnigen vor sich? War es nur die Wirkung des Schildes, oder zitterte er wirklich? Etwa vor grenzenlosem Haß auf seine Artgenossen, der ihn dazu gebracht hatte, Atlan zu retten? »Ich weiß, was du getan hast«, fuhr der Scuddamore fort, »aber sonst nichts. Ich will wissen, wer du bist, woher du kommst, warum du das Heebor in die Kessel gabst. Al-
22 les!« Die Fragen bewiesen, daß Atlans Gegenüber tatsächlich nicht zu den Scuddamoren gehörte, die hier für den Neffen arbeiteten. Sonst müßte auch er über ihn Bescheid wissen. Erst jetzt fiel ihm auf, daß die Sirenen hier nicht zu hören waren. Überhaupt war es totenstill. Atlan nannte seinen Namen und berichtete in knappen Zügen, wie er in die Schwarze Galaxis gelangt war und was er im Kampf gegen Chirmor Flog erlebt hatte. Der Scuddamore stellte immer wieder Detailfragen. Atlan antwortete geduldig. Auf diese Weise gewann er Zeit. Vielleicht ergab sich eine Möglichkeit, den Unbekannten zu überrumpeln. Vielleicht hatte er tatsächlich einen Verbündeten gefunden, wenngleich er sich von der Art, wie der Scuddamore sich gab, eher abgestoßen fühlte. War dieser Fremde überhaupt ein Scuddamore? Der Gedanke ließ Atlan stocken. Sofort drängte der Unheimliche ihn, fortzufahren. Als Atlan berichtet hatte, wie er von Ghyx aus an Bord eines schwarzen Transporters nach Ärterfahl gekommen war, legte der andere seine Waffe auf den Tisch. Atlan hätte schnell nach ihr greifen können, aber er hütete sich vor solchem Leichtsinn. Wenn sein Gegenüber ihn so auf die Probe stellte, hatte er mit ziemlicher Sicherheit einen oder mehrere weitere Trümpfe im Ärmel. »Du hättest die Chance gehabt!« dröhnte die dumpfe Stimme jetzt wieder, und erneut folgte ein irres Lachen. »Die große Chance, diesen ganzen Planeten zu vernichten! Kennst du überhaupt die Furcht der Scuddamoren vor einem Kontrolleur des Neffen? Alles hätte dir offengestanden!« Er sprach von »den Scuddamoren«, sagte nicht: »uns«. Atlan fragte scharf: »Wer bist du?« »Du weißt es nicht? Natürlich! Niemand weiß, daß ich noch lebe. So ist es gut. Sie sollen denken, daß ich tot bin. Sie …« Der Unheimliche schrie noch lauter: »Wenn sie mich jetzt finden, ist es allein deine Schuld!
Horst Hoffmann Sie werden immer weiter suchen und sich daran erinnern, daß es auf Ärterfahl schon Anlagen gab, bevor sie ihre Werften bauten, und daß ich immer dafür war, diese Anlagen …« »Was?« fragte Atlan schnell, als der andere schwieg. »Mein Name ist Gusärleng«, bekam er zur Antwort. »Gusärleng, den sie den Wahnsinnigen nannten, den sie vergessen haben, weil die Erinnerung unangenehm ist. Die Erinnerung an einen großen Scuddamoren, an ein … Genie!« Das verkannte Genie, dachte Atlan enttäuscht. Schon hatte er geglaubt, jemanden gefunden zu haben, der mit ihm gegen die auf Ärterfahl begangenen Verbrechen kämpfen würde, und nun hatte er nichts als einen Wahnsinnigen vor sich. »Du siehst nicht aus wie die anderen Scuddamoren«, sagte Atlan dennoch, um Genaueres über Gusärleng zu erfahren. Auch ein Wahnsinniger konnte ihm von Nutzen sein, wenn es ihm gelang, ihn und seine Emotionen in den Griff zu bekommen. »Du hast recht«, antwortete der Unheimliche. Gusärleng begann, vor Atlan auf und ab zu wandern, die Arme auf dem Rücken. Dann blieb er stehen und sah den Arkoniden wieder an. »Ärterfahl sah nicht immer so aus wie jetzt. Es waren Scuddamoren unter meiner Führung, die mit dem Auftrag hierher kamen, Werftanlagen für Organschiffe zu bauen. Du kennst nur das, was du gesehen hast. Das ist gar nichts! Der ganze Planet bildet eine Einheit, was die Produktion der Schiffe angeht. Du hättest an anderer Stelle zuschlagen müssen, dort wo die Grundstoffe für die Organmasse gewonnen werden. Aber du wolltest wissen, wer ich war und wie ich zu dem wurde, was ich bin.« Die letzten Worte waren geschrien. Doch sofort hatte der Scuddamore sich wieder unter Kontrolle. Er ging zu dem Gerät mit dem Bildschirm und aktivierte es. Aus einem Lautsprecher kam das Sirenengeräusch, während auf dem Schirm gleich mehrere Sektoren der subplanetaren Anlage zu sehen
Der Saboteur waren. Überall wimmelte es von Scuddamoren und Robotern. Atlan erschrak. »Sie finden uns nicht«, sagte Gusärleng. »Noch nicht. Wie ich schon sagte, hatte ich die Leitung der Arbeiten auf diesem Planeten, dem wahrscheinlich einzigen im Marantroner-Revier, der die Voraussetzungen für den Bau von Organschiffen an Ort und Stelle bietet. Natürlich könnten die Grundstoffe für die Organmasse auch zu anderen Welten gebracht werden, aber das wäre kostspieliger und riskanter. Wir bauten einen Großteil der auch heute noch vorhandenen Anlagen hier und auf dem Nachbarkontinent. Dabei stießen wir auf die tief unter der Oberfläche gelegenen Städte einer Zivilisation, von deren Existenz wir bis dahin nichts ahnten. Ich betrat mit einigen mir treu ergebenen Scuddamoren eine der Städte und erkannte schnell die Möglichkeiten, die sich uns eröffneten. Ich gab den Befehl, sie nicht, wie es angeordnet war, zu zerstören, um Raum für unsere Werftanlagen zu bekommen, sondern sie uns zunutze zu machen.« Wieder das unheimliche Lachen. »Diese verbohrten Narren meuterten und entzogen mir das Kommando. Der Befehl, Jasgölg als neuen Kommandanten einzusetzen, kam direkt von Säggallo. Es kam zum Kampf. Meine wenigen Anhänger wurden ermordet, und auch mich hielt man für tot, als man meinen Gürtel mit dem Schattenschild-Projektor fand.« Gusärleng lachte dröhnend. »Diese Narren! Ich lebte! Bevor ich meinen eigenen Schattenschild ablegte, nahm ich die Gürtel von zwei gefallenen Anhängern und sorgte dafür, daß diese beiden Toten nie entdeckt wurden. Ja, Atlan, ich trage die beiden Gürtel seither, und die beiden Schilde haben mich unsterblich gemacht.« Atlan glaubte nicht daran, ließ sich jedoch nichts anmerken. »Wie lange ist das her?« wollte er wissen. »Ich habe längst aufgehört, die Jahre zu zählen. Mein Zeitmaß sind die Kommandanten nach Jasgölg. Vaskäner ist der fünfundzwanzigste.« Wenn Gusärleng die Wahrheit sagte, lebte
23 er tatsächlich schon sehr lange. Atlan wußte nicht mehr, was er glauben sollte. Die beiden Schattenschild-Projektoren erklärten Gusärlengs Aussehen – eine dunkle Wolke mit der annähernden Form eines normalen Scuddamoren. Atlan wußte ja, daß er hinter den Schilden ganz anders aussah. »Diese eingeborene Zivilisation«, sagte der Arkonide langsam. »Was hat es mit ihren Städten auf sich? Existieren sie noch?« »Darauf komme ich später zu sprechen. Vorerst hat dich zu interessieren, wie die Rohstoffe für die Organmasse gewonnen werden, zum Beispiel die braune Masse, die du gesehen hast. Auf dem Nachbarkontinent gibt es Pflanzen mit geringer Intelligenz. Ursprünglich waren sie Fleischfresser und ernährten sich von kleinen Insekten. Im Lauf der Zeit machten sie eine Entwicklung durch, die sie völlig ungefährlich für ihre bisherigen Opfer machten. Ich war derjenige, der sie untersuchte und feststellte, daß es mit der Entwicklung von einer Art Moral zusammenhing. Die Gargat-Pflanzen sahen sich als Bestandteil einer planetenumspannenden Einheit der Natur. Für uns waren sie interessant, weil sie als Fleischfresser bei der Verdauung ihrer Opfer eine Substanz produzierten, die wir brauchten – eben jene braune Masse, die in unseren Anlagen zu dem Plasma umgewandelt wird, das du kennst. Wir mußten sie wieder dazu bringen, dieses Plasma zu produzieren und installierten zu diesem Zweck eine Anlage auf dem Nachbarkontinent, von der aus riesige Felder der Gargat-Pflanzen einer ständigen Bestrahlung ausgesetzt werden, die ihre Entwicklung rückgängig machte und dies solange tut, bis jemand sie abschaltet oder zerstört. Dort hättest du ansetzen sollen, du verdammter Narr! Alle übrigen Grundstoffe werden aus dem Meer gewonnen. Aber sie nützen den Scuddamoren gar nichts, wenn sie nicht das Plasma haben. Wenn die Gargat-Pflanzen keine Abfallprodukte mehr produzieren, wird es keine neuen Organschiffe mehr geben, weil eine Produktion der Organmasse ohne das Plasma nicht mög-
24 lich ist. Ärterfahl wird nutzlos für den Neffen sein, und er wird alle bestrafen, die für die Katastrophe verantwortlich sind.« Gusärleng kicherte. »Von denen er glaubt, daß sie es sind.« »Warum willst du das?« fragte Atlan. »Weil Chirmor Flog erkennen soll, wie unfähig jene sind, die mich verstießen und ermorden wollten! Weil sie für das, was sie taten, bestraft werden müssen!« Also doch nur blinder Haß und die Gier nach Rache. Der Arkonide hatte gemischte Gefühle. Einerseits sah er die große Chance, durch den Wahnsinnigen doch noch zum Ziel kommen zu können. Andererseits jedoch widerte der Scuddamore ihn an, der nicht davor zurückschreckte, vielleicht Tausende seiner Artgenossen in den Tod zu schicken, damit er seine Rache hatte. Atlan sah wieder die Ghyxaner vor sich, wie sie leblos vor ihm lagen, wie Vieh aufeinandergestapelt. Das gab den Ausschlag. »Du hast mich nicht hierher geholt, um mir das zu sagen, Gusärleng. Du erwartest doch etwas von mir?« »Ich sollte dich einfach niederschießen!« brüllte der Scuddamore. »Viele Generationen lang war ich für die Scuddamoren tot, doch jetzt wird man so gründlich nach dir suchen, daß man auch meine Verstecke findet. Ich wollte noch warten, bis ich sie strafen konnte. Jetzt muß ich schnell handeln, und du wirst mir dabei helfen. Du fliegst mit mir zum Nachbarkontinent.« »Das ist unmöglich«, protestierte Atlan zum Schein. »Niemand kann unbemerkt an die Oberfläche gelangen.« Gusärleng sah den Arkoniden lange an. »Wie einfältig du doch bist! Ich beginne an deinen Schilderungen zu zweifeln. Aber du wirst bald beweisen können, wozu du fähig bist. Vielleicht bist du in Wahrheit ein Spion der Scuddamoren, die die Jagd auf dich nur zum Schein veranstalteten, um mich aus der Reserve zu locken. Dann stirbst du vor mir.« Atlan schwieg. Gusärlengs Gedanken waren voller Widersprüche. Die lange Zeit der
Horst Hoffmann Einsamkeit hatte den Geist des Scuddamoren verwirrt. »Wir warten, bis es über uns etwas ruhiger geworden ist«, verkündete Gusärleng, »falls sie den Zugang hierher nicht finden und wir sofort fliehen müssen.« »Wohin?« »Du wirst es früh genug sehen«, sagte der Unheimliche ablehnend.
7. Der Zellaktivator sorgte dafür, daß Atlan ohne Schlaf auskam. Er hätte in Gegenwart des alten Scuddamoren keine ruhige Minute gehabt. Atlan fragte sich, woher Gusärleng seine »Unsterblichkeit« wirklich hatte. Hing sie damit zusammen, daß er sich gegen die Befehle von Säggallo aufzulehnen in der Lage gewesen war? Atlan dachte an Artin und seine Auflehnung gegen die von Chirmor Flog gegebenen Befehle, aber das war etwas völlig anderes gewesen. Artin und seine Gruppe hatten geglaubt, daß die überraschenden und für sie unverständlichen Anordnungen durch die Manipulation der roten Scuddamoren zustande gekommen waren. Gegen sie hatten sie revoltiert. Es gab irgend etwas, von dem Gusärleng nicht sprechen wollte. Atlan sah ein, daß es keinen Sinn hatte, weitere Fragen zu stellen. Und er wußte, daß er Gusärleng keinen Moment aus den Augen lassen durfte. Er mußte mit ihm gemeinsame Sache machen, solange es darum ging, die Organschiffproduktion zu stoppen, wenn auch nur für einige Monate oder Jahre. Atlan ahnte, daß Gusärleng vorhatte, die Anlage auf dem Nachbarkontinent zu zerstören, durch die die Pflanzen manipuliert wurden. Aber auch eine solche Anlage konnte neu errichtet werden. Was nach dem Sabotageakt kam, falls er überhaupt gelang, war eine andere Sache. Vielleicht fand er auf dem Nachbarkontinent eine Möglichkeit zu Flucht von Ärterfahl. Atlan hatte die Stunden nicht zu zählen versucht, die vergingen, bis Gusärleng sagte:
Der Saboteur »Es ist soweit. Komm jetzt!« Der Scuddamore ließ den Arkoniden an sich vorbeigehen, nachdem er auf die einzige Tür des Raumes gezeigt hatte. Atlan öffnete sie und betrat den dahinterliegenden Gang. Erst jetzt sah er, daß es sich um keinen Korridor wie die handelte, die er bisher gesehen hatte. Dieser Gang war alt. Links gab es nach wenigen Metern eine Abzweigung. Atlan sah Treppen, die nach oben führten, vermutlich zu dem Aufzug, der ihn und Gusärleng hier herunter gebracht hatte. Atlan fragte sich, ob dieser Aufzug tatsächlich von den Scuddamoren »vergessen« sein konnte. »Weiter!« drängte Gusärleng. »Geradeaus!« Der Unheimliche blieb hinter Atlan, als dieser nun schneller ging. Nach etwa hundert Metern begann der Gang in einem Winkel von etwa vierzig Grad abzufallen. Die Wände waren in den Fels geschlagen. Zentimetertiefer Staub bedeckte den Boden. Nach einer halben Stunde ununterbrochenen Marschierens blieb Gusärleng stehen. Der Gang war zu Ende. Atlan wurde aufgefordert, zur Seite zu treten. Gusärleng untersuchte die Wände, bis er eine mit weißer Farbe markierte Stelle fand. Sein Lachen schallte im Gang. Der Scuddamore richtete seinen Strahler auf die Markierung und begann zu schießen. Es kam zu keiner Hitzeentwicklung. Die Wand wurde einfach desintegriert, bis ein Loch entstanden war, das groß genug war, um Atlan und Gusärleng hindurchkriechen zu lassen. Wieder mußte Atlan als erster gehen. Er kam in einer kleinen dunklen Halle heraus. Gusärleng brachte eine Kugel zum Vorschein, die sofort zu leuchten begann und ein so helles Licht verstrahlte, daß der Arkonide seine Umgebung jetzt erkennen konnte. Er fühlte sich in einen modernen Rohrbahntunnel hineinversetzt. Wenige Meter vor ihm stand auf einer Schiene ein raketenförmiges Fahrzeug, das nach oben hin offen war und drei Sitze besaß. »Dieser Tunnel gehörte zum Verkehrssy-
25 stem der Planetarier«, erklärte Gusärleng. »Die Stadt, zu der dieser Tunnel gehörte, ist wie alle anderen von den Scuddamoren zerstört worden, aber die Tunnel sind meist noch erhalten. Jasgölg maß ihnen keine Bedeutung zu und ließ sie versiegeln. Danach gerieten sie in Vergessenheit. Steig ein – vor mir!« Wortlos kletterte Atlan in den vordersten Sitz. Der Gedanke daran, daß es sich bei den Ureinwohnern Ärterfahls offensichtlich um humanoide Intelligenzen mit einer großen Zivilisation gehandelt hatte, verstärkte sein Unbehagen noch. Er wollte etwas tun, selbst die Initiative ergreifen, aber Gusärleng allein kannte die Wege in die trügerische Freiheit. Atlan fühlte sich herumgestoßen und noch hilfloser als ohnehin schon. Seine Stimmungen wechselten erneut zwischen Depression und der wilden Entschlossenheit, sein Werk auf dieser Welt zu Ende zu führen und den Extrasinn wiederzufinden. Gusärleng kletterte in den mittleren Sitz und betätigte einige Schaltungen. Das Fahrzeug setzte sich die Schiene entlang in Bewegung. »Man wird uns orten!« warnte der Arkonide. »Niemand wird das können«, kam es von Gusärleng. »Diese Bahnen haben chemischen Antrieb. Ich habe früh genug dafür gesorgt, daß mir dieser Fluchtweg offenbleiben würde.« Die Rakete wurde immer schneller. Es ging durch stockdunkle Tunnel. Kein Hindernis blockierte den Weg. Endlich wurde die rasende Fahrt langsamer. Das Fahrzeug hielt an. Gusärlengs Kugel erhellte wieder einen Hohlraum. Atlan sah mehrere Schienenstränge und einige Raketenbahnen, die nur darauf zu warten schienen, daß jemand sie bestieg. Gusärleng stieg aus. Atlan folgte ihm. Der Scuddamore war einen Augenblick lang unaufmerksam. Sollte Atlan ihm jetzt die Waffe entreißen? Ihn damit zwingen, seine Geheimnisse preis zu geben und ihn zu führen? Als der Scuddamore sich wieder zu ihm
26 umgedreht hatte, war die Chance vertan. Atlan hatte das Gefühl, gar nichts mehr wert zu sein, blind und ohne Verstand. »Fehlt dir etwas?« fragte Gusärleng. »Schon gut«, knurrte der Arkonide und biß die Zähne so fest aufeinander, daß die Kiefer schmerzten. »Dann geh vor. Dort die Treppe hinauf!« Atlan sah die Stufen, die in einer der Wände zu verschwinden schienen. Gusärleng blieb hinter ihm stehen und machte sich an der Wand zu schaffen. Gleich darauf erfolgte eine Detonation, und Licht fiel auf die Stufen. Atlan kletterte auf das Drängen des Scuddamoren weiter und gelangte ins Freie. Er sah bewaldete Hügel, die einen kleinen Talkessel umschlossen. Wenige Meter neben ihm stand auf drei Teleskopbeinen ein schwerer Gleiter. Über die Maschine war ein Tarnnetz mit Blättern und Ästen darin gespannt, so daß sie aus der Luft nicht zu erkennen war. »Du siehst, daß ich an alles gedacht habe«, sagte Gusärleng triumphierend. »Vaskäner mag sich für noch so klug halten, er …« Das Geräusch aus der Luft schnitt dem Unheimlichen das Wort ab. Atlan sah auf und erblickte die drei schnell größer werdenden dunklen Punkte am Himmel. »Sie können uns nur durch Zufall gefunden haben!« schrie Gusärleng. »Steig ein, schnell!« Diesmal rannte er zuerst los, riß eine Luke in der Unterseite des Gleiters auf und zwängte sich hinein. Atlan war kaum neben ihm in der Pilotenkanzel, als die Aggregate auch schon aufheulten und der Gleiter zu zittern begann. Gusärleng schaltete eine Reihe von Bildschirmen ein. Auf einem waren die Scuddamoren-Gleiter zu erkennen, die jetzt ihren Kurs, der sie weit am Versteck vorbei geführt hätte, änderten. Das Netz wurde abgesprengt. Gusärleng war ein dunkler Schatten neben Atlan. Es sah aus, als ob schwarze Rauchwolken durch die Luft auf die Kontrollen zuflossen. Der Gleiter stieg
Horst Hoffmann senkrecht in die Luft, verharrte einen Augenblick und schoß wie von einem mächtigen Katapult abgefeuert in westlicher Richtung davon – genau zwischen den Jägern hindurch. Zwei Maschinen der Scuddamoren vergingen im Feuer der Bordkanonen. Die dritte mußte wenden. Als sie ihr Manöver beendet hatte, war der Gleiter außer Reichweite ihrer Geschütze. »Kommt nur!« schrie Gusärleng wie besessen. »Schicke alles, was du hast, Vaskäner! Ich bin bereit!« Atlan verfluchte sich dafür, daß er nicht gehandelt hatte, als der Wahnsinnige ihm die Chance dazu geboten hatte. Nun war er ihm ausgeliefert – auf Gedeih und Verderb, Statist in Gusärlengs Privatkrieg gegen seine Artgenossen.
* Vaskäner stand wie erstarrt vor dem Bildschirm. Eben noch hatte er triumphiert, als er die Meldung erhielt, daß ein Suchtrupp Atlans Spur gefunden und den Vaskäner nicht bekannten Raum noch unter den untersten Stockwerken des Werftkomplexes entdeckt hatte. Die Scuddamoren hatten auf seinen Befehl hin sofort die Verfolgung aufgenommen und eine weitere Entdeckung gemacht: das Rohrbahnsystem, über das auch die Computer keine Auskunft geben konnten. Nur in den Aufzeichnungen des ersten scuddamorischen Kommandanten auf Ärterfahl, Jasgölg, war von den Städten einer eingeborenen Rasse die Rede. Normalerweise wäre niemand auf den Gedanken gekommen, Jasgölgs private Aufzeichnungen einzusehen. Dies galt, wie auch bei den Notizen aller anderen bisherigen Kommandanten, als Tabu. Die Umstände hatten Vaskäner dazu gezwungen, und er hatte keinen Augenblick gezögert, die Verfolgung auch auf den Luftraum auszudehnen, nachdem er den ungefähren Verlauf des Bahnsystems, in das Atlan sich geflüchtet hatte, kannte. Es war reiner Zufall gewesen, daß die drei Patrouil-
Der Saboteur
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lengleiter gerade in der Nähe des getarnten Ausgangs gewesen waren, als die beiden Flüchtigen auftauchten. Die beiden Flüchtigen! Atlans Begleiter war ein Scuddamore. Die Suchtrupps hatten von einer mit technischem Gerät eingerichteten Kammer berichtet, und nun, wo Vaskäner Einblick in Jasgölgs Aufzeichnungen genommen hatte, ahnte er, wer der Scuddamore war. Also war Gusärleng doch kein Hirngespinst, und jene, die immer wieder davon redeten, daß ein unsterblicher Scuddamore irgendwo auf Ärterfahl lebte und eines Tages schreckliche Rache nehmen würde, waren keine Phantasten. Zwei Patrouillengleiter waren vernichtet worden. Der dritte hatte keine Chance, die Fluchtmaschine einzuholen. Sie war viel zu schnell und von einer Bauart, wie die Scuddamoren sie lange nicht mehr kannten. Dennoch war dieser veraltete Typ den modernen Gleitern an Schnelligkeit und Wendigkeit überlegen. Nur ein Genie wie Gusärleng konnte ihn so umgebaut haben, daß auch die zwanzig Gleiter, die Vaskäner ihm hinterhergeschickt hatte, ihn nicht einholen würden. Vaskäner gab weiteren Gleitern den Startbefehl. Ganze Staffeln stiegen bei der Küste auf. Gusärleng und Atlan flogen auf schnurgeradem Kurs nach Westen. Über ihr Ziel konnte es nach Atlans Sabotageakt keinen Zweifel geben. Vaskäner versetzte die Basen auf dem Nachbarkontinent in Alarmbereitschaft. Wenn die Wahnsinnigen ihr Ziel erreichten und die Anlage zerstörten, war der Schaden für Ärterfahl kaum noch zu reparieren. Die Folgen für die gesamte Raumfahrt im Marantroner-Revier mußten verheerend sein. Vaskäner zog alle Register seiner Macht. Eine planetenumspannende Jagd begann. Aus dem Netz, das sich um die Flüchtigen zusammenzog, durfte es kein Entkommen geben.
8.
Kirso Bal Taur hatte nie zuvor ein solches Wesen gesehen. Es war nicht rund wie die Grallen, sondern unglaublich dünn und hoch. Es besaß nur zwei Arme und hatte keine Schwimmhäute an den Beinen. Es war für den jungen Grallen unverständlich, daß es sich auf diesen beiden dünnen Beinen halten konnte. Es hatte Haare wie die wilden Tiere des Waldes, allerdings nur auf dem Kopf, der aus dem eigentlichen Körper herausgewachsen zu sein schien. Doch das, was Taurs ganze Aufmerksamkeit auf sich zog, waren die strahlenden Augen. Taur drückte sich fest auf den Boden der Zisterne, so daß er das Wesen gerade noch sehen konnte, ohne selbst entdeckt zu werden. Er wartete darauf, daß etwas geschah. Das Wesen stand am Rand seines Bannisteros und blickte auf das Wasser, als wäre es unschlüssig, was es zu tun habe. Taur bekam Angst. Er spürte, wie seine Körpertemperatur rapide absank. Was erwartete er? Daß diese strahlenden Augen jenes Feuer versprühten, das seinen Kanal verwüstet hatte? Er wurde enttäuscht. Plötzlich drehte das Wesen sich um und verschwand ebenso schnell wieder, wie es gekommen war. Taur wagte sich an die Oberfläche und schwamm in den Bannistero hinaus bis zu der Stelle, an der das Wesen gestanden hatte. Nichts war zu sehen – keine Spuren, keine Beschädigung. In dieser Nacht fand der junge Gralle keinen Schlaf. Früh am Morgen verließ er seine zweite Zisterne, um Minko Bal Poohl über seine Beobachtung zu informieren. Mühsam schleppte er seinen Körper über das grasbewachsene Land. Er hatte noch nicht die Hälfte des Weges zurückgelegt, als er zwei anderen Grallen begegnete, die aufgeregt auf den nächsten Bannistero, den von Jerga Bal Munk, zurobbten. »Es ist gut, daß du da bist, Taur!« rief Josco Bal Mengo. »Komm mit uns. Heute dürfen alle Bannisteros benutzt werden. Minko Bal Poohl erwartet uns schon bei seiner sechsten Zisterne. Wir sollten dich ho-
28 len.« »Alle Bannisteros sind offen?« fragte Taur verwundert. Es kam nur in ganz wenigen Ausnahmefällen vor, daß auf Geheiß des Würdenträgers jeder Gralle seinen Kanal allen anderen zur Benutzung zur Verfügung stellte. »Was ist geschehen?« Er hatte einen Verdacht, sagte aber noch nichts. Seine Gedanken waren bei dem Wesen mit den strahlenden Augen. »Minko Bal Poohls sechste Zisterne wurde furchtbar verwüstet. Ein schwarzer Graben zieht sich bis zu Fayns Bannistero, so daß die beiden Wasser sich vereint haben. Ein furchtbarer Fluch lastet auf uns, Taur!« Ein schwarzer Graben! Jetzt hatte der junge Gralle keine Zweifel mehr. Deshalb also hatte das Wesen seinen Bannistero nicht weiter beschädigt. Es hatte sich ein anderes Ziel gesucht. Aber warum brachte es soviel Unglück über die Grallen? Wo kam es her? War es am Ende ein zu Fleisch gewordener Naturgeist? Taur ließ sich nach den beiden anderen Grallen in den nächsten Bannistero gleiten. Sie schwammen bis zum Ende des Kanals und mußten noch eine kleine Strecke auf dem Land zurücklegen, bis sie den Ort der Verwüstung erreichten. Schon von weitem hörten sie die aufgeregten Stimmen der zusammengekommenen Grallen. Minko Bal Poohls sechste Zisterne war bereits ein Heiligtum und wurde nur noch von der siebten übertroffen. Kaum jemand näherte sich diesen Orten ohne triftigen Grund, und zur siebten Zisterne gelangten nur jene, die dort vom Würdenträger ihre Mannesweihe oder die Frauentaufe erhielten. Minko Bal Poohl stand schweigend bei seinen beiden Gefährtinnen und seinen vier Kindern. Nur ihm, dem Würdenträger, war es gestattet, mehr als einen Nachkommen zu zeugen. Auf diese Weise sorgten die Grallen dafür, daß es niemals zu viele von ihnen gab und nicht der gesamte Planet eines Tages durch die vielen Kanäle völlig zerstört sein würde. Es war Teil ihrer Philosophie, daß
Horst Hoffmann ein jeder danach eiferte, so viele Zisternen wie möglich zu bauen, jede in einem genau vorgeschriebenem Abstand zur vorherigen. Je mehr Zisternen ein Gralle sein eigen nennen durfte, desto länger war sein Bannistero, desto weiser seine Planung und desto höher sein Status. Nun wirkte der Würdenträger wie ein Gralle, der alles, was er in seinem langen Leben aufgebaut hatte, mit einem Schlag verloren hatte. Taur zweifelte keinen Augenblick daran, daß Minko Bal Poohl sich noch an diesem Tag daran geben würde, seinen Bannistero zu reparieren und die sechste Zisterne neu zu bauen. Aber es war fraglich, ob er noch die Kraft dazu hatte, dieses Werk zu vollenden. Die Stimmen verstummten, als die Grallen Taur in ihrer Mitte sahen. Minko Bal Poohl blickte auf. Er trug die Farben der Trauer. Die Schwimmhäute und die Kiemen schimmerten in tiefem Blau. »Nun werde ich es sein, der die Beschuldigung auszusprechen hat«, sagte der Würdenträger an Taur gewandt. Taur wußte um die Qualen dieses alten Grallen, der alle anderen Grallen in diesem Teil der Welt als seine Kinder betrachtete und sie liebte. Die Beschuldigung auszusprechen hieß, einen von ihnen der böswilligen Zerstörung des Bannisteros zu bezichtigen. »Warte noch«, bat Taur. Dann berichtete er von seinem nächtlichen Erlebnis. »Du bist sicher, daß du dich nicht getäuscht hast?« fragte Poohl. »Du weißt um die trügerischen Bilder, die in Nächten mit hellem Mond entstehen können.« »Es war ein Wesen aus Fleisch und Blut«, beharrte der junge Gralle. »Du darfst die Beschuldigung nicht aussprechen – nicht gegen einen von uns. Zweimal besuchte dieses Wesen mich. Beim ersten Mal verwüstete es meinen Bannistero. Vielleicht kommt es ein drittes Mal. Wir sollten uns darauf vorbereiten und ihm eine Falle stellen.« »Du bist sehr edel, diesen Vorschlag zu machen«, sagte der Würdenträger traurig. »Denn du weißt, daß dies die völlige Zerstörung deines Bannisteros und deiner Zister-
Der Saboteur nen zur Folge haben kann.« »Es ist ein Opfer, das gebracht werden muß, soll unsere Arbeit nicht umsonst gewesen sein.« »Und wenn es sich um einen bösen Naturgeist handelt?« fragte jemand. »Dann wird er um die Falle wissen und sie meiden. Wir müssen das Wesen mit den Waffen stellen, die wir gegen die wilden Tiere der Wälder benutzen.« Die Grallen schwiegen. Es war lange her, daß die Waffen und Netze zum letztenmal aus den Zisternen geholt worden waren. Die Grallen benutzten sie nur, um sich zu verteidigen, und auch dann nur mit Widerwillen. Der Würdenträger hatte jetzt die Entscheidung zu treffen. »Du hast wohl recht, Taur«, sagte er nach langem Nachdenken. »Es darf keine weiteren Katastrophen mehr geben. Wir leben in Frieden mit dem. Auf und Ab des Lebens, und so soll es bleiben. Bist du bereit, die Arbeiten zu leiten und die Jäger in deinem Bannistero zu beherbergen?« »Ich bin es mit Freuden«, antwortete Taur. »Dann ist es gut. Ich übertrage dir die Leitung und die Verantwortung. Ich selbst bin zu alt und darf meine zerstörte Zisterne nicht verlassen. So wollen es die Gesetze.« »Der Geist sei mit dir, Minko Bal Poohl!« rief Taur aus. Alle anderen Grallen stimmten in den Ruf ein. »Der Geist sei mit euch«, sagte auch der Würdenträger. Als die Grallen sich abwandten, um ihre Waffen und die Netze aus ihren Zisternen zu holen, rief Minko Bal Poohl Taur noch einmal. »Ja?« »Wenn ihr dieses Wesen mit den strahlenden Augen gefangen habt, bringt ihr es zu mir«, bat Poohl. »Und danach wirst du zuerst deinen Bannistero ausbessern. Bist du gewillt, anschließend zu mir zu kommen und mir bei der Arbeit zu helfen?« Kirso Bal Taur erstarrte. Die Sprechblase begann heftig zu vibrieren. Taur wußte, was die Worte des Würdenträgers bedeuteten.
29 Ein Würdenträger bat nur denjenigen um Hilfe, in dem er seinen Nachfolger sah. Und er hatte ihn angesprochen – Kirso Bal Taur, der erst zwei Zisternen sein eigen nennen durfte. Taur hatte Mühe, die Gefühle unter Kontrolle zu halten, die sich seiner bemächtigt hatten. Voller Ehrfurcht und noch etwas unsicher sagte er: »Ich bin bereit, Meister der Geradlinigkeit. Aber ich habe diese Gunst nicht verdient.« »Darüber habe ich zu entscheiden, Kirso. Und nun geh.«
* Es war schon spät am Tag, als die ersten Grallen mit ihren Harpunen und den Netzen erschienen. Wie Taur hatte ihre Haut die Farbe der Jäger angenommen. Sie waren bereit zum Kampf. Taur hieß sie alle willkommen und zeigte ihnen die Stelle, an der das Wesen mit den leuchtenden Augen gestanden hatte. Sie verteilten sich im Bannistero und warteten auf den Einbruch der Dunkelheit. Von seiner zweiten Zisterne aus beobachtete Taur die Ufer. Der Mond stieg am Himmel auf und spendete sein fahles Licht. Die Nacht war klar. Lange Zeit geschah nichts, so daß Taur bereits die Hoffnung aufgab, das fremde Wesen könne in dieser Nacht wieder bei seinem Bannistero auftauchen. Doch dann stand es plötzlich da. Taur hatte es nicht kommen sehen. Es war, als ob es aus dem Nichts heraus entstanden war. Also doch ein Geist? durchfuhr es den jungen Grallen. Er zögerte und sah, wie die anderen Grallen im Kanal unruhig wurden. Sie hatten sich bis auf den Grund sinken lassen, um nicht gesehen zu werden. Taur wurde sich der ungeheuren Verantwortung bewußt, die auf ihm lastete, und erinnerte sich an seine eigenen Worte: Ein wirklicher Naturgeist würde in keine Falle laufen.
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Horst Hoffmann
Taur riß sich zusammen und gab den Befehl, die Netze abzuschießen.
9. Gusärleng mußte Jahre an dem Gleiter gearbeitet haben. Ein perfekteres Fluchtfahrzeug konnte Atlan sich kaum vorstellen, als er nun sah, wie die von Gusärleng gezündeten ferngelenkten Raketen ihr Ziel fanden und die Maschinen, die einen wahren Sperriegel vor den Flüchtlingen gebildet hatten, eine nach der anderen zur Explosion brachten. Immer weitere Scuddamoren-Gleiter stiegen auf. Sie kamen aus allen Richtungen. Gusärleng steuerte und schoß gleichzeitig. Er kannte kein Erbarmen. Die Gleiter, an denen er vorbei war, blieben hoffnungslos zurück. Diejenige, die nahe genug herankamen, ohne vernichtet zu werden, trafen mit ihren Energiegeschützen nicht. Gusärleng mochte wahnsinnig und mordlüstern sein, aber Atlan hatte kaum einmal einen besseren Piloten erlebt. Atlan stockte bei den wahnwitzigen Ausweichmanövern der Atem. Mittlerweile war der Gleiter über dem Meer. Ein Funkempfänger sprach an. Gusärleng lachte dröhnend, als er Vaskäners Stimme hörte. Der Kommandant bot Verhandlungen an. »Du Narr!« brüllte Gusärleng. »Glaubst du im Ernst, mich täuschen zu können? Spar dir deine Worte, sie lenken mich nicht ab. Ich habe deine Schiffe längst geortet, Elender!« Atlan fuhr herum. Er starrte Gusärleng einen Moment lang ungläubig an, dann sah er die Reflexe auf dem Orterschirm. »Die Organschiffe werden gleich über uns sein und das Feuer eröffnen«, sagte der Unheimliche. »Das Meer wird kochen, aber uns erwischen sie nicht! Dort!« Atlan sah durch die transparente Decke und entdeckte die beiden dunklen Punkte, die schnell größer wurden. Im nächsten Augenblick wurde er fast aus dem Sitz gerissen. Der Gleiter jagte im Sturzflug der Mee-
resoberfläche entgegen, nachdem Gusärleng eine weitere Staffel von Scuddamoren-Maschinen abgeschossen hatte. Im ersten Moment glaubte Atlan, daß der Gleiter abstürzte. Aber er hatte keinen Treffer erhalten, und Gusärleng saß so sicher wie zuvor hinter den Kontrollen. »Wir werden tauchen und den Nachbarkontinent unter Wasser erreichen«, erklärte der Scuddamore. Tatsächlich durchstieß das Fahrzeug wenige Sekunden später die Wasseroberfläche. Der Winkel, in dem es in die Tiefe jagte, verringerte sich nur wenig. Alles hatte Atlan erwartet, aber kein Amphibienfahrzeug. »Man wird Unterseeboote auf uns hetzen«, sagte er. »Es gibt keine auf ganz Ärterfahl! In einer bestimmten Tiefe sind wir völlig sicher, auch vor Ortungen. Ich kenne die unterseeischen Zugänge zum Rohrbahnsystem auf dem Nachbarkontinent. Da! Sie schießen!« Weit über dem Gleiter fuhren die Energiestrahlen der Organschiffe in das Meer. Das Wasser brodelte. Die Außentemperatur stieg bedrohlich an, aber Gusärleng zeigte keine Spur von Unsicherheit. Im Gegenteil wurde er immer draufgängerischer. Er beschleunigte. Atlan wußte jetzt, daß er die Gelegenheit gehabt hatte, vor der Vernichtung der subplanetaren Städte der Ureinwohner Ärterfahls deren Technik zumindest teilweise zu studieren und sich Geräte zu beschaffen. Wie hoch mochte diese ausgelöschte Kultur wirklich entwickelt gewesen sein? fragte Atlan sich immer wieder. War sie wirklich nicht in der Lage gewesen, den Invasoren Widerstand zu leisten? »Sie waren degeneriert«, sagte Gusärleng auf eine entsprechende Frage. »Ihre Rasse war schon im Aussterben begriffen. Nur noch wenige lebten, als wir Ärterfahl damals in Besitz nahmen. Was hätten wir aus ihrer Technik machen können! Aber für Jasgölg war sie uninteressant, nur weil sie von der unseren grundverschieden war! Dieser Gleiter soll allen beweisen, wer damals recht hatte!«
Der Saboteur Nach etwa einer halben Stunde stellten die Organschiffe ihren sinnlosen Beschuß ein und gaben damit die Bestätigung für Gusärlengs Behauptung, daß der Gleiter bald nicht mehr zu orten sei. Der Druck, der nun auf ihm lastete, war ungeheuerlich, und doch hielt das Material ihm stand. Es war völlig dunkel. Gusärleng steuerte entweder nach Gefühl oder nach den für Atlan nichtssagenden Anzeigen auf den Schirmen. Die Tauchfahrt ging weiter. Atlan zählte die Stunden nicht. Er versuchte, sich voll und ganz darauf zu konzentrieren, wie er von Ärterfahl fortkommen konnte, falls der Sabotageakt gelingen sollte. Es waren Gedanken, die er sich schon vorher gemacht hatte, und wieder führten sie zu keinem greifbaren Ergebnis. Eine Möglichkeit sah der Arkonide – eine einzige, die Erfolg versprach, aber dazu müßte er zurück zu den Werftanlagen gelangen, und der Ausgang des Abenteuers, in das er sich stürzen müßte, war ungewiß. Endlich sagte Gusärleng: »Wir nähern uns der Küste. Mach dich zum Aussteigen bereit.« Atlan sah ihn überrascht an. Er sah nichts außer dem Schwarz der Tiefsee um den Gleiter herum. Wo sollte er aussteigen? Gusärleng schaltete die Außenscheinwerfer des Fahrzeugs ein, und jetzt konnte der Arkonide eine gewaltige Wand erkennen, die vor dem Gleiter aufragte. In ihr befand sich eine einzige Öffnung, und Gusärleng steuerte genau darauf zu. Die Maschine glitt in einen Stollen, der in einen gewaltigen Hohlraum mündete. Atlan entdeckte eine Schleuse. »Sie werden glauben, daß wir tot sind«, sagte Gusärleng. »Wir werden ihnen den Glauben lassen, bis wir zuschlagen, Atlan. Du hast dich lange genug ausruhen können. Wenn wir am Ziel sind, wird es Arbeit für dich geben.« »Darum hast du mich mitgenommen? Weil du allein es nicht schaffst, die Anlage zu zerstören?« »So ist es«, bestätigte der Scuddamore
31 kühl. Atlan nickte. Zumindest wußte er jetzt, was er zu tun hatte, nachdem sie ihr Zerstörungswerk vollendet hatten. Allerdings war ihm klar: Gusärleng machte sich ebenfalls Gedanken, und er mußte seinerseits versuchen, sich in Atlans Lage hineinzuversetzen. Es würde ein Spiel um Leben und Tod werden.
* Hinter der Schleuse lag ein Tunnel, der sich in nichts von dem unterschied, durch den Atlan und Gusärleng den Scuddamoren entkommen waren. Wieder standen mehrere Raketenbahneinheiten bereit. Diesmal allerdings brauchte Gusärleng einige Zeit, um eine davon in Betrieb zu setzen. Das Antriebsgemisch hatte er im Gleiter gehabt, der jetzt nicht mehr benötigt wurde und in der unterseeischen Höhle zurückgelassen worden war. Die dünne Luft im Tunnel war kaum atembar. Gusärleng hatte einen Schutzanzug aus dem Gleiter geholt und ihn Atlan angeboten. Der Arkonide hatte dankend abgelehnt. Ihm genügte das Goldene Vlies. Sollte der Scuddamore sich auch einmal den Kopf zerbrechen. Gusärleng begriff offenbar nicht, wie sein Begleiter ohne Schutzanzug hier unten leben konnte, aber er stellte keine Fragen. Nur manchmal bedachte der ehemalige Kommandant der Scuddamoren den goldenen Anzug verstohlen. Atlan kletterte wieder vor dem Scuddamoren in das raketenförmige Fahrzeug. Gusärleng hatte die Waffe längst weggesteckt. Er brauchte keine Furcht zu haben. Hier kannte nur er sich aus. Ohne ihn war Atlan verloren. Die Bahneinheit setzte sich in Bewegung. In rasender Fahrt ging es durch stockdunkle Tunnel, große Hallen mit weiteren Fahrzeugen und über Brücken hinweg, unter denen nichts als gähnende Tiefe war. Allmählich stiegen die Schienen an. Als Atlan endlich
32 merkte, daß die Fahrt sich verlangsamte, waren wiederum Stunden vergangen. In einer Art Bahnhof war Endstation. Gusärleng und Atlan stiegen aus. Die Leuchtkugel des Scuddamoren erhellte den Weg, bis sich wieder eine Wandöffnung bildete, hinter der Treppenstufen zu erkennen waren. Atlan ließ sich führen. Dann waren sie an der Oberfläche. Der Zugang zum Tunnelsystem war gut getarnt – die Natur selbst hatte dafür gesorgt. Es war Nacht, doch hell genug, um Atlan seine Umgebung erkennen zu lassen. Was er sah, verschlug ihm den Atem. Die Helligkeit kam nicht vom Himmel. Es waren Tausende von wunderschönen Blumen, die sie spendeten. Sie erinnerten Atlan an Lilien und reichten ihm bis zur Brust. Als er noch fassungslos dastand und das Wunder bestaunte, sagte Gusärleng: »Das sind sie, die Gargat-Pflanzen.« Er lachte finster. »Spürst du nichts?« Atlan schüttelte den Kopf. Er konnte den Blick nicht von den halb geöffneten, violett schimmernden Blütenkelchen nehmen, die wie ein Weizenfeld im leichten Wind auf und ab wogten. »Sieh dich vor!« warnte der Scuddamore. »Zwar haben die Pflanzen durch die ständige Bestrahlung von der Anlage aus an Wirkung verloren, doch können sie leicht beeinflußbare Wesen immer noch betören. Als ich ihnen zum erstenmal begegnete, hatte ich Glück, daß ich Roboter bei mir hatte, die mich aus ihrem Bann rissen. Sobald du merkst, daß du dich leicht und sorglos fühlst, mußt du dagegen ankämpfen. Es kommt von den Pflanzen.« Leicht und sorglos? Atlan mußte zugeben, daß der Anblick der Pflanzen etwas Beruhigendes hatte, aber war dies schon eine Beeinflussung? Was hatte Gusärleng gesagt? Er hatte sich im Bann der Blumen befunden und konnte nur durch Roboter gerettet werden? »Wie war es?« fragte der Arkonide vorsichtig. »Damals, meine ich. Hattest du das Gefühl, daß sie dir einen fremden Willen
Horst Hoffmann aufzwingen wollten?« »Unsinn! Jeder, der in ihre Nähe geriet, fühlte sich wie ein König. Sie berauschten uns. Wer einmal in diesen Rausch geriet, war verloren. Die ersten Scuddamoren, die unter meiner Führung hierherkamen, waren unvorbereitet. Zwar hatten wir einige Pflanzen, auf die ein Erkundungskommando zufällig gestoßen war, in unseren Labors studiert, aber nur wenn sie zu mehreren zusammenstehen, können sie ihren Einfluß ausüben. Diejenigen, die ihrem Locken erlagen, starben einen furchtbaren Tod. Ihre Zellen begannen zu wuchern. Nun sind die Pflanzen relativ harmlos, wie ich schon sagte. Aber paß trotzdem auf!« »Dann bist du der einzige, der in ihren Einfluß geriet und gerettet werden konnte?« »Ja«, sagte Gusärleng kurz angebunden. »Und nun komm!« Atlan folgte ihm schweigend, als der Scuddamore sich einen Weg durch die Blütenpracht bahnte. Atlan sah, wie die Blumen niedergewalzt und umgetreten wurden. Einem plötzlichen Impuls folgend, versuchte er, Gusärleng zurückzuhalten. »Was ist?« fragte der Scuddamore. »Es geht schon los! Wenn sie dir leid zu tun beginnen, mußt du dich vorsehen. Versuche sie zu hassen!« Der Unheimliche marschierte weiter. Wohin, das interessierte Atlan im Moment kaum. Er dachte an etwas anderes. Zellwucherung! Wenn Gusärleng sich tatsächlich im Bann der Pflanzen befunden hatte, bis die Roboter ihn aus deren Einflußbereich befreiten, mußte auch er etwas abbekommen haben. Wenn die Pflanzen auf die Prozesse, die in den Körperzellen der Scuddamoren abliefen, Einfluß nehmen konnten, mußte auch er diesem Einfluß ausgesetzt gewesen sein, wenn auch nur für kurze Zeit. Gerade lang genug, um den Alterungsprozeß der Körperzellen aufzuhalten? War dies das Geheimnis von Gusärlengs relativer Unsterblichkeit? Hatten die Pflanzen darüber hinaus noch etwas anderes bewirkt? War es ihrem Einfluß zuzuschreiben, daß er anders
Der Saboteur zu denken begonnen hatte als seine Artgenossen, und daß er am Ende von ihnen gejagt worden war? Atlan folgte Gusärleng und vermied es, so gut es ging, weitere Blumen umzutreten. Er spürte, daß etwas versuchte, in sein Bewußtsein zu dringen. Darauf vertrauend, daß er mentalstabilisiert war, öffnete er sich den Blumen ein wenig. Er empfand keine Euphorie – im Gegenteil. Atlan spürte Trauer und Leid. Das Leid einer ganzen Welt, die gnadenlos versklavt wurde. Er sah Dunkelheit und Schatten, wo leuchtende Farben hätten sein sollen, fühlte Schmerz, wo Glück sein könnte. Mitleid. Ja, genau das war es, was der Arkonide jetzt empfand. Vielleicht würde er nie erfahren, welches Drama sich hier vollzogen hatte. Aber eines spürte er ganz genau, und er war sicher, daß es ihm nicht vorgegaukelt wurde: Diese Pflanzen waren nicht böse. Wenn sie am Tod der Scuddamoren schuld waren, dann nur deshalb, weil sie sich mit den ihnen gegebenen Mitteln gewehrt hatten. »Du mußt sie hassen!« sagte Gusärleng wieder. »So hassen, wie ich es tue!« Atlan antwortete nicht. Immer weiter ging es durch die Wunderwelt aus wogendem violetten Licht, und kein Ende des Feldes war in Sicht. Als der Morgen zu dämmern begann, blieb Gusärleng stehen. Er deutete geradeaus, und Atlan sah einige schlanke Türme, die weit in den Himmel ragten. An ihren Spitzen saßen riesige Parabolspiegel. »Wir … wir sind schon da?« fragte der Arkonide überrascht. »Das ist die Station, die die Pflanzen bestrahlt?« Atlan hielt es für unmöglich, daß es in der Nähe dieser für die Scuddamoren so wichtigen Anlage keine Wachen gab. Es mußte doch von ihnen wimmeln – gerade jetzt, wo Vaskäner wußte, daß er und Gusärleng gen Westen geflohen waren, wo es nur ein Ziel für einen Saboteur geben konnte. Vaskäner konnte nicht so leichtsinnig sein, darauf zu vertrauen, daß die Flüchtlinge im Ozean ums Leben gekommen waren.
33 »Das ist die Station«, bestätigte Gusärleng jedoch. »Du hast es dir schwerer vorgestellt, hierher zu gelangen? Auf dem Land und dem Luftweg wären wir auch nicht hierhergekommen. Kein Insekt könnte das. Die gesamte Anlage, also auch die Pflanzen, deren Ausscheidungen in regelmäßigen Abständen gesammelt werden, liegt unter einem riesigen Energieschirm. Nur haben jene, die sich für schlauer als Gusärleng hielten, vergessen, ihn tief genug in die Erde zu projizieren. Wir befinden uns unter ihm. Ich garantiere dir, daß es im Luftraum von Patrouillengleitern jetzt wimmelt, aber hier, unter der Glocke, fühlen die Scuddamoren sich sicher. Natürlich ist die eigentliche Station streng bewacht, und wir werden die Besatzung auszuschalten haben. Dazu brauche ich dich, Atlan. Du wirst zu den Scuddamoren gehen.« »Was soll ich tun?« »Du hast dich nicht verhört. Du wirst sie ablenken und sagen, daß du aufgibst. Erzähle ihnen, daß du zusammen mit mir bis hierher vordringen konntest und ich starb, als ich zu lange zwischen den Pflanzen war. Sie werden Vaskäner benachrichtigen, und dieser wiederum wird in den alten Unterlagen, die er bestimmt längst ausgegraben hat, eine Eintragung über den Zwischenfall finden, von dem ich dir berichtete. Er wird deiner Geschichte also Glauben schenken, vor allem, wenn du ihm meinen Schattenschild-Projektor zeigst.« Gusärleng schnallte sich einen der beiden Gürtel mit den in den Schnallen untergebrachten Projektoren ab und reichte ihn Atlan. Dieser begriff. »Hier«, sagte der Scuddamore und reichte Atlan zusätzlich ein winziges Funkgerät. »Damit wirst du die Station anfunken und erklären, daß du kommst, um dich zu ergeben, nachdem du eingesehen hast, daß du ohne mich deinen geplanten Sabotageakt nicht ausführen kannst. Sage den Scuddamoren, daß sie nicht schießen sollen und daß du wichtige Informationen für Vaskäner hättest. Sie werden dich holen und alle Aufmerk-
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samkeit auf dich richten. Dann kann ich in aller Ruhe an die Arbeit gehen.« Und dich in aller Ruhe aus dem Staub machen, bevor der Tanz beginnt, fügte Atlan in Gedanken hinzu. Es war klar, welche Rolle er von Anfang an in Gusärlengs Plänen gespielt hatte. Er sollte das Kanonenfutter sein, während der Besessene die Anlage zerstörte – und spurlos verschwand. Atlan nickte. Er mußte zum Schein darauf eingehen. Sein Ziel war es ebenso wie das des Scuddamoren, daß die Produktion von Organschiffen auf Ärterfahl unmöglich gemacht wurde. Er würde das tun, was Gusärleng ihm gesagt hatte, bis die Sabotage erfolgt war. Dann aber war die Zeit des Wartens und der Gängelei vorüber. Atlan wollte dem Wahnsinnigen die Suppe gehörig versalzen. Zwar waren die Scuddamoren seine Gegner, aber er durfte nicht zulassen, daß Gusärleng in seinem blinden Haß zu den Werftanlagen zurückkehrte und vielleicht Tausende von ihnen umbrachte. So nahm Atlan das Funkgerät und den Gürtel an sich und ging langsam auf die Türme zu. Es war mittlerweile hell. Gusärleng beschwor den Arkoniden, seine Geschichte eindringlich und glaubhaft zu erzählen und die Scuddamoren zu beschäftigen, bis die Alarmanlagen zu schrillen begannen. Dann verschwand er zwischen den Blüten der Gargat-Pflanzen. Atlan fragte sich, wie diese auf das Ende der Bestrahlung reagieren würden, und ob Gusärleng diese Reaktion in seine Überlegungen miteinbezogen hatte. Dann sprach er in das scuddamorische Funkgerät.
* Atlan brauchte nicht lange zu warten. Als Gusärleng davon gesprochen hatte, daß die Station unter dem Energieschirm »streng bewacht« sei, war das eine glatte Untertreibung. Eine halbe Scuddamoren-Armee rückte an, um Atlan zu holen. Sie kamen mit Gleitern und fliegenden Plattformen, auf
dem jeweils zwei von ihnen hinter einem Energiegeschütz standen. Atlan wurde an Bord eines der Gleiter gebracht, wobei ihm auffiel, daß die Scuddamoren im Gegensatz zu Gusärleng streng darauf achteten, daß sie so wenige Blumen wie möglich umtraten. Bevor die Scuddamoren kamen, hatte der Arkonide im übrigen beobachten können, wie die Blumen einige Insekten fingen. Ihre Blütenkelche schlossen sich über den Tieren und erdrückten ihre Opfer. Atlan hatte vergeblich nach der Schlacke gesucht, die den Grundstoff für die braune Plasmamasse lieferte. Offensichtlich waren die hier gelegenen Felder gerade »abgeerntet« worden. Im Frachtraum des Gleiters wurde Atlan zur Station geschafft. Fünf Scuddamoren hielten ihn mit schweren Energiewaffen in Schach. Niemand sprach mit ihm. Atlan war sicher, daß der Leiter der Anlage sich das Verhör selbst vorbehalten hatte. Vielleicht war sogar Vaskäner gekommen, um den Mann zu sehen, der ihm solchen Schaden zugefügt hatte. Der Gleiter kreiste über den Türmen mit den riesigen Projektoren. Die Station bestand aus einem einzigen, ringförmigen metallenen Wulst von etwa zehn Meter Dicke. Er umschloß eine kreisförmige Fläche von gut zwei Kilometern Durchmesser. Hier wuchsen die Türme in den Himmel. Rund um die Station lag eine freie Zone von einigen hundert Metern, hinter der die Blumenfelder begannen. Kurz vor der Landung im Innenhof konnte Atlan in der Ferne einige plump wirkende kastenförmige Maschinen erkennen, die über den Pflanzen schwebten und aus denen mehrere dicke Schläuche herabhingen. Wenige Minuten später stand er dem Leiter der Anlage gegenüber. Es handelte sich um einen Scuddamoren namens Ballung. Außer ihm befanden sich an die zwanzig Bewaffnete in dem Raum, in dem er Atlan erwartet hatte. Atlan trug immer noch den Gürtel und das Funkgerät bei sich. Beides reichte er Bal-
Der Saboteur lung. »Setz dich«, sagte der Scuddamore, nachdem er den Schattenschild-Projektor kurz begutachtet und weitergegeben hatte. »Vaskäner ist auf dem Weg hierher. Bis er eintrifft, werde ich mich mit dir zu unterhalten haben. Du behauptest also, daß Gusärleng tot ist?« »Ich habe den Beweis mitgebracht«, entgegnete Atlan. »Wir werden den Gürtel prüfen. Wo hast du Gusärleng zurückgelassen, und wie seid ihr unter die Energieglocke gelangt?« Ich muß Zeit gewinnen! dachte Atlan. Dabei war ihm klar, daß ausweichende Antworten, vor allem, was den angeblich toten Gusärleng anbetraf, das Mißtrauen der Scuddamoren verstärken würden und sie veranlassen konnten, eben jene großangelegte Suchaktion nach dem Besessenen zu starten, die gerade vermieden werden sollte. Atlan mußte selbstbewußt auftreten. Die Scuddamoren mußten annehmen, daß er Gusärleng nur als Werkzeug benutzt hätte. »Über Gusärleng rede ich nur mit Vaskäner selbst«, sagte der Arkonide daher, darauf hoffend, daß der Kommandant von Ärterfahl nicht auftauchte, bevor Gusärleng sein Werk vollendet hatte. »Dagegen könnt ihr gern hören, wie ich euch Narren überlistete. Es war ein Kinderspiel, nachdem ich Gusärleng soweit hatte, daß er mir half.« Atlan berichtete. Er begann bei der Flucht aus Gusärlengs Versteck und ließ nichts aus, bis er auf das Rohrbahnsystem unter den Blumenfeldern zu sprechen kam. Er machte einige vage Angaben und sagte, daß Gusärleng den Gleiter, mit dem sie gekommen waren, vernichtet habe, bevor er es verhindern konnte. Bevor die Scuddamoren seine Angaben überprüft hatten, würde wertvolle Zeit vergehen. Und Atlan bezweifelte, daß sie die vollgetankte Bahneinheit überhaupt würden benutzen können, falls sie sie bei der Verfolgung der deutlichen Spuren fanden. Ballung stellte immer neue Fragen. Atlan beantwortete sie geduldig, soweit sie nicht Gusärleng betrafen. Ballung erwies sich als
35 außerordentlich wißbegierig. So wollte er wissen, woher Atlan kam, welchem Volk er angehörte rund wie er es fertiggebracht hatte, den Scuddamoren bisher zu entkommen. So verging weitere kostbare Zeit, bis Vaskäner eintraf. Doch es sollte nicht mehr zur Begegnung mit ihm kommen. Die Alarmsirenen heulten auf. Ballung fluchte und hastete zu den Kommunikationsgeräten des Raumes, über die eben noch die Ankunft des Kommandanten gemeldet worden war. Nun war das »Gesicht« eines anderen Scuddamoren auf einem Bildschirm zu sehen. »Der Energieschirm!« hörte der Arkonide. »Er bricht zusammen. Die Generatoren sind total überlastet. Irgend jemand hat sie manipuliert. Die Energieabgabe nähert sich dem kritischen Punkt!« Ballung drehte sich um und warf Atlan einen vernichtenden Blick zu. »Die Projektoren werden explodieren!« rief eine andere Stimme. Der Scuddamore auf dem zweiten Schirm wollte etwas hinzufügen, als dröhnendes Gelächter den Raum erfüllte. Atlan kannte es nur zu gut. »Ja, ihr Narren!« hallte Gusärlengs Stimme in seinen Ohren. »Ihr glaubtet, ich sei tot! Ihr dachtet, ihr hättet mich besiegt – mich, Gusärleng! Das ist erst der Anfang. Ich werde furchtbare Rache nehmen! Ihr seid verloren, alle! Vaskäner, ich weiß, daß du mich hörst! Auf diesen Augenblick habe ich gewartet, seitdem Jasgölg mir das Kommando abnahm. Denke an ihn, wenn du stirbst!« Atlan zögerte nicht länger. Als alle Scuddamoren zur Decke starrten, woher die unheimliche Stimme zu kommen schien, entriß er dem ihm am nächsten stehenden die Waffe und stürmte aus dem Raum. Der dahinter liegende Korridor war leer. Atlan erreichte das Freie, ohne daß sich ihm jemand in den Weg gestellt hatte. Als die Scuddamoren sich besannen, war es zu spät für sie. Eine erste Explosion ließ die Station erzittern, als die Verfolger hinter ihm erschienen. Atlan sah, wie einer der großen Parabolspiegel
36 nach dem anderen zerbarst. Trümmerstücke schossen durch die Luft und bohrten sich in den Boden. Staub wurde aufgewirbelt. Für wenige Augenblicke sah Atlan nichts um sich herum. Hinter ihm wurde geschossen. Atlan rannte weiter, ohne genau zu wissen, in welche Richtung. Nur weg von der Station und den Scuddamoren. Am Himmel blitzte es. Als die Luft sich wieder klärte, hatte der Arkonide die Pflanzen erreicht und warf sich zu Boden. Er kroch weiter, nur von dem einen Gedanken besessen, Gusärleng zuvorzukommen. Er hatte keinen Zweifel daran, daß der Besessene die Station schon verlassen hatte, als seine Worte das Chaos einläuteten. Und er konnte nur ein Ziel haben: zuerst den wartenden Gleiter zu erreichen. Es gab weitere Explosionen. Nachdem Atlan glaubte, weit genug von der Station entfernt zu sein, richtete er sich vorsichtig auf und blickte über die Blütenkelche. Immer noch war Staub in der Luft. Mehrere Gleiter waren in großer Höhe am Himmel zu erkennen. Keiner der Türme stand mehr. Die Station brannte. Gusärleng hatte ganze Arbeit geleistet. Atlan konnte keinen rechten Triumph empfinden. Sein Ziel war erreicht. Ärterfahl spielte für lange Zeit keine bedeutende Rolle mehr im Marantroner-Revier. Die Gargat-Pflanzen waren frei und würden sich beim nächstenmal besser gegen eine neue Manipulation zu wehren wissen. Atlan spürte es. Es war wie eine Woge, die ihn mit sich fort riß. Die Impulse drangen von allen Seiten auf ihn ein. Atlan zwang sich zur Konzentration. Es fiel schwer, denn die Impulse waren voller Glück. Er mußte sie ignorieren und hinter Gusärleng her, bevor der Wahnsinnige den Gleiter erreichen und die Werftanlagen in Schutt und Asche legen konnte. Es hatte genug Tote gegeben, und nur bei den Werftanlagen konnte Atlan die Möglichkeit zur Flucht von Ärterfahl finden. Man verfolgte ihn nicht. Aber wo war der Zugang zum Rohrbahnsystem? Atlan hatte keine Orientierung. Allein würde er ihn nicht wiederfinden, zumindest nicht recht-
Horst Hoffmann zeitig genug. Ein phantastischer Gedanke schoß ihm durch den Kopf. Er konzentrierte sich ganz auf die Stelle, an der er zusammen mit Gusärleng das subplanetarische System verlassen hatte, und den Wunsch, dorthin zurückzukehren. Und die Pflanzen halfen ihm. Atlan wußte plötzlich, wohin er sich zu wenden hatte. Er ließ sich führen. Sobald er einen Schritt in die falsche Richtung machte, wurde er korrigiert. Er rannte nun, um Gusärlengs Vorsprung aufzuholen. Die Pflanzen bestätigten seine Annahme, daß dieser vor ihm war. Sie waren keine Telepathen, die Worte oder Gedankenbilder in seinem Bewußtsein entstehen lassen konnten. Sie leiteten ihn durch Gefühle. Atlan brauchte nur an etwas zu denken, eine Frage in Gedanken zu formulieren, und schon empfing er positive oder negative Impulse. Über allem lag ein Gefühl unbändiger Freude. Die Schatten waren verschwunden. Farben traten an ihre Stelle. Zwischen den Impulsen lag Dankbarkeit. Die Pflanzen wußten, daß Atlan nicht zu jenen gehörte, die sie versklavt hatten, und sahen in ihm eine Art Erlöser, obwohl eigentlich Gusärleng die Türme vernichtet hatte. Der Gedanke an den Scuddamoren reichte schon, um sofort wieder negative Impulse zu spüren. Die Pflanzen haßten ihn. Als Atlan vor dem unter den großen Blättern und violetten Blütenkelchen versteckten Zugang zum Rohrbahnsystem stand, wußte er, daß Gusärleng bereits unten war – und noch etwas. Gusärleng war verletzt und nahe daran, endgültig den Verstand zu verlieren. Atlan opferte wertvolle Sekunden und blieb einige Augenblicke lang stehen. Er betrachtete die violette Blütenpracht. Insekten flogen zwischen ihnen umher und wurden nicht gefangen. Es war, als atmete Atlan frische Luft, als träte er aus einem dunklen Verlies in das Licht der Sonne. Noch einmal spürte er die ganze Dankbarkeit der Pflanzen. Er hätte am
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liebsten noch Stunden zwischen ihnen verbracht, um mehr über sie zu erfahren und an ihrem Glück teilzuhaben. Aber gerade sie waren es, die ihn drängten. Wie sehr mußten sie Gusärleng hassen! Aber war es nicht ganz natürlich, daß sie in ihm ihren Erzfeind sahen? Mit Gusärlengs Auftauchen vor langer Zeit hatte ihr Unglück begonnen, und sie hatten nichts vergessen. Er strahlte das Böse aus, und sie litten. Wieder hatte Atlan die schwache Vision, daß der Besessene schwer verletzt auf dem Weg zum Gleiter war. Sie kam von den Gargat-Pflanzen, und diesmal gewann Atlan eine etwas konkretere Vorstellung. Gusärleng hatte sich nicht nur bei seinem Sabotageakt verletzt – schlimmer war das, was die Pflanzen ihm zugefügt hatten. »Ich danke euch«, murmelte der Arkonide. Dann riß er sich los und lief die Treppenstufen unterhalb des getarnten Zugangs hinunter. Als er die Halle mit den RaketenbahnEinheiten erreichte, war jene, mit der er und Gusärleng gekommen waren, verschwunden. Atlan sah Blut auf dem Boden, daneben eine Stelle, an der der Staub aufgewirbelt worden war. Gusärleng mußte gestürzt sein. Weiter! drängte es ihn. Atlan lauschte wieder in sich hinein, überrascht darüber, daß die Impulse der Pflanzen bis hierher reichten. Er »erfuhr«, daß die Scuddamoren mit vielen Gleitern gelandet waren und zur Verfolgung ansetzten, aber von den Pflanzen daran gehindert wurden. Die Vorstellung, daß wieder Dutzende von Scuddamoren einen qualvollen Tod erleiden mußten, löste Widerwillen aus, der aber sofort von der Botschaft der Blumen überlagert wurde. Als Atlan sich wieder in Bewegung setzte, wußte er, daß der Besessene sich irgendwo im Tunnel befand – hilflos und dem Tode nahe. Er hatte den Gleiter nicht erreicht. Atlan rannte in den Tunnel hinein, in den die leere Schiene führte.
*
Er fand den Sterbenden schon nach knapp einer Stunde. In der absoluten Dunkelheit hatte Atlan mehrmals pausieren und immer öfter das Tempo drosseln müssen, um nicht zu stolpern und sich den Hals zu brechen. Nun sah er ein Licht voraus. Gusärlengs leuchtende Kugel lag neben dem Fahrzeug, in dessen vorderem Sitz der Scuddamore zusammengekauert hockte. Gusärlengs Strahler befand sich neben ihm auf dem Sitz. »Ich wußte, daß du kommen würdest«, sagte der Verwundete mit kaum hörbarer Stimme. Atlan blieb mißtrauisch und nahm die Waffe an sich, bevor er sich über ihn beugte. Die Kontrollen und der Boden waren voller Blut. »Du brauchst keine Angst mehr zu haben«, flüsterte Gusärleng. »Jetzt nicht mehr. Die Pflanzen haben es geschafft. Ich … ich kann wieder denken, Atlan …« Der Arkonide hatte plötzlich Mitleid mit dem Scuddamoren. Was sollte das heißen, er konnte wieder »denken«? »Stelle jetzt keine Fragen, Atlan«, preßte Gusärleng hervor, als hätte er Atlans Gedanken gelesen. »In wenigen Minuten ist alles vorbei. Ich weiß es. Meine Verletzungen sind zu schwer, und selbst wenn du mir helfen könntest, würde ich es nicht wollen, jetzt nicht mehr. Es ist durchgebrochen, all das, was ich so lange vergessen konnte.« Atlan schwieg und ließ den anderen reden. Er spürte, daß Gusärleng sich eine furchtbare Last von der Seele reden wollte, bevor er starb, und so erfuhr er, daß Gusärleng schon beim erstenmal, als er in den Bann der Pflanzen geriet, durch ihren Einfluß von der ihm wie allen Scuddamoren gegebenen Konditionierung befreit worden war, wenn auch nur für kurze Zeit. Nach seiner »Rettung« durch die Roboter hatte sein Unterbewußtsein die furchtbare Erkenntnis dessen, was es bedeutete, ein Scuddamore zu sein, verdrängt. Gusärleng war dennoch für den Rest seines Lebens geprägt gewesen. Obwohl er vergessen hatte, was er in Wirklichkeit war, begann er alle Scuddamoren zu hassen. Seine Besessenheit,
38 entgegen den Befehlen des Neffen zu handeln, war nur eine Folgeerscheinung dessen. Alle anderen Scuddamoren, die in den Bann der Pflanzen geraten waren, hatten ihr Wissen um ihre Identität niemandem weitergeben können. Nur bei Gusärleng war die Zellwucherung zum Stillstand gekommen. Genau genommen, hatte sie gar nicht erst richtig eingesetzt. Seine Zellen hatten sich, wie Atlan bereits vermutet hatte, verändert. Er hörte auf zu altern. Nach seinem vorgetäuschten Tod widmete er sich ungestört dem Studium der Kultur der eingeborenen Zivilisation, die für seine Artgenossen nicht existierte. Der Rest war Atlan bekannt. »Du mußt deinen Weg zu Ende gehen«, flüsterte Gusärleng. »Nimm den Gleiter und suche eine Möglichkeit, von Ärterfahl zu entkommen.« Die Worte kamen langsamer. Gusärleng hatte bei jedem einzelnen Mühe. »Du mußt weiterkämpfen. Ich …« »Du kannst mir dabei helfen!« appellierte der Arkonide an den Lebenswillen des Scuddamoren. »Nun, da du die Wahrheit kennst …« »Ich … ich kann nicht … mit ihr leben. Du mußt …« Gusärlengs Körper sank leblos in sich zusammen. Lange stand Atlan erschüttert neben ihm und versuchte seiner Gedanken Herr zu werden. »Sie haben dich gehaßt und dich gestraft«, murmelte er dann. »Und doch haben sie dir dein Leben zurückgegeben.« Atlan fluchte lauthals. Er kam sich vor wie ein Prediger, der ein paar fromme Sprüche am Grab eines Toten von sich gab. Und doch mußte er mit seinen Gefühlen kämpfen. Eben noch war Gusärleng für ihn ein Monstrum gewesen, und nun sah Atlan auf ein Wesen, das wohl mehr gelitten hatte, als er sich vorstellen konnte. Gusärleng war nicht das wahnsinnige Genie gewesen, das er anfangs in ihm gesehen hatte, und nicht der kaltblütige, vor Haß verblendete Massenmörder. Bange fragte Atlan sich, was geschehen
Horst Hoffmann würde, wenn alle Scuddamoren erführen, wer und was sie waren. Der Arkonide zwängte sich auf den Sitz hinter Gusärleng und betrachtete die Kontrollen. Die Raketenbahn konnte von jedem der drei Plätze aus gesteuert werden. Atlan hatte gesehen, wie Gusärleng an den Knöpfen und Hebeln hantiert hatte. Er hielt den Atem an und versuchte sein Glück, nachdem er die Leuchtkugel geholt hatte. Die Bahn setzte sich in Bewegung. Atlan beschleunigte und ließ sich müde im Sitz zurückfallen. Er konnte nichts tun, bis er die Endstation vor der Schleuse erreicht hatte, hinter der der Gleiter wartete. Die Stunden zogen sich in die Länge. Atlan fragte sich, was die Scuddamoren inzwischen unternahmen. Sie wußten, daß er entkommen war, und mußten annehmen, daß er auf die gleiche Art fliehen wollte, auf die er gekommen war. Die unterseeische Höhle mit dem Gleiter war viel zu tief gelegen, als daß ihr von den Maschinen und Organschiffen der Scuddamoren Gefahr drohte. Aber irgendwann mußte Atlan auftauchen. Endlich erreichte er die Endstation. Er stieg aus und sah Gusärleng ein letztes Mal an. Er konnte nichts mehr für ihn tun. Atlan fand schnell den Mechanismus, der die Schleuse öffnete. Der Gleiter lag unversehrt im ruhigen Wasser. Jetzt zahlte es sich aus, daß Atlan jeden Handgriff des Scuddamoren beobachtet und sich gemerkt hatte. Nach wenigen Minuten saß er in der Pilotenkanzel und startete das Fahrzeug. Er war vorsichtig, weil er keine Ahnung hatte, welche Überraschungen noch in ihm steckten, und was eine falsche Schaltung alles auslösen konnte. Der Gleiter tauchte und gelangte durch den Stollen in den Ozean. Atlan mußte mehr oder weniger blind steuern. Sein Ziel lag irgendwo im Westen – das war alles, was er wußte. Atlan brachte die Maschine auf volle Beschleunigung und ließ sie nur leicht aufsteigen. Solange wie möglich wollte er im Schutz der Tiefsee bleiben. Er hatte keinen
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Zeitanzeiger und somit keine Vergleichswerte, die ihm sagten, wann etwa er bei gleicher Geschwindigkeit wie auf dem Herweg den Nachbarkontinent erreichen würde. So mußte er sich voll und ganz auf sein Gefühl verlassen. Sobald er auftauchte, würde eine gnadenlose Jagd beginnen. Atlan hoffte inbrünstig, daß er dann einen nur halb so guten Piloten abgeben würde wie Gusärleng.
* Vaskäner befand sich an Bord der MILJIEN, des Organschiffs, mit dem er gekommen war, um Atlan zu übernehmen und bei den GargatPflanzen nach dem Rechten zu sehen. Nun wartete er darauf, daß der Mann, der für die Katastrophe verantwortlich war, aus dem Ozean auftauchte. Für ihn war klar, daß Atlan noch lebte und von Ärterfahl zu fliehen versuchen würde, nachdem er die Arbeit von Generationen zunichte gemacht und die Anlagen zur Kontrolle der Pflanzen vernichtet hatte. An Gusärleng verschwendete der Kommandant der Scuddamoren keinen Gedanken mehr. Man hatte seine Blutspuren gefunden und von ihnen auf die Schwere seiner Verletzungen schließen können. Gusärleng mußte tot sein. Vaskäner wußte, was auf ihn zukam. Bald würden die Schiffe des Neffen über Ärterfahl erscheinen, um ihn und alle, die für die Organschiffproduktion verantwortlich waren, zur Bestrafung abzuholen. Doch bevor sie kamen, wollte Vaskäner abrechnen. Atlan war nun noch wichtiger für ihn geworden. Seine Rache war gleichzeitig die einzige Chance, die er vielleicht noch hatte. Wenn er Chirmor Flog den Saboteur präsentierte, war vielleicht nicht alles für ihn verloren. Die MILJIEN stand etwa fünftausend Meter über dem Ozean. Unter ihr befanden sich fast alle Gleiter, die Vaskäner zur Verfügung hatte. Wie ein Netz lagen sie über dem Meer, so verteilt, daß, eines von ihnen die
Maschine des Saboteurs orten mußte, wenn diese aus dem Wasser schoß. Vier weitere Organschiffe warteten neben der MILJIEN. Vaskäner wünschte sich, daß die im Weltraum stehenden neuen Einheiten bereits über Galionsfiguren verfügt hätten, so daß er auch sie einsetzen könnte. Alle Gleiter hatten Schießbefehl. So wartete der Scuddamore. Er war für niemanden zu sprechen. Die Station im Zentrum der Pflanzenfelder war total vernichtet. Die Besatzung war entweder bei den Explosionen umgekommen oder in den Bann der Pflanzen geraten und durch sie gestorben. Nur weil Vaskäner und die Besatzung der MILJIEN noch nicht in der Anlage gewesen waren, hatten sie überlebt und fliehen können. Bei den Werftanlagen taten seine Offiziere das, was noch zu tun war. Ein letzter Pulk neuer Organschiffe, für deren Fertigstellung die noch vorhandene fertige Organmasse gerade noch gereicht hatte, würde in wenigen Stunden in den Raum starten. Danach gab es für die Scuddamoren auf Ärterfahl nur noch das Warten. Die Stunden vergingen, und Vaskäner begann bereits daran zu zweifeln, daß Atlan noch lebte, als er die Nachricht, auf die er so sehnlich wartete, endlich erhielt. Zwei nahe an der Westküste des Hauptkontinents patrouillierende Gleiter orteten die aus dem Meer schießende Maschine gleichzeitig. Sie zögerten keine Sekunde und schossen. Atlans Gleiter wurde getroffen und raste steuerlos auf das Festland zu. Ungläubig starrte Vaskäner auf die Bilder, die ihm übermittelt wurden. Er hatte einen Luftkampf erwartet, damit gerechnet, daß Atlan sich verbissen wehren und zurückschießen würde. Nichts dergleichen geschah. Als der Gleiter sich über dem Festland befand, erhielt er den letzten und vernichtenden Treffer. Brennend stürzte die Maschine ab und bohrte einen tiefen Krater, als sie aufschlug. Vaskäner fühlte sich zwischen Triumph und Zweifel hin und her gerissen. Atlan hatte ganze Verbände von Scuddamoren-Schif-
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fen im Marantroner-Revier zum Narren gehalten. Immer wieder war er seinen Jägern entkommen. Sah so das Ende dieses gefährlichen Rebellen aus? Aber die Bilder ließen keinen Zweifel zu. Atlans Gleiter lag als Wrack im Absturzkrater. Niemand konnte den Abschuß überlebt haben. Dennoch wollte Vaskäner ganz sichergehen. Er ließ die MILJIEN Fahrt aufnehmen.
10. Leenia hockte auf einer Kuppe eines kleinen Hügels und sah auf die Kanäle hinab, die den ganzen Planeten überzogen. Sie fühlte sich erschöpft und enttäuscht. Immer noch war es ihr nicht gelungen, Atlan durch ihre parapsychologischen Konzentrationsübungen herbeizulocken. Manchmal glaubte sie, daß sie einfach zu schwach dazu war, daß diese Methode, die ihr, wie sie es empfand, von der Gemeinschaft der Körperlosen aufgezwungen worden war, uneffizient war und es besser wäre, Atlan zu suchen. Doch dann sagte sie sich wieder, daß sie von vorneherein nicht hatte damit rechnen dürfen, in wenigen Tagen Erfolg zu haben. Vielleicht empfing Atlan ihre Impulse und war einfach nicht in der Lage zu kommen. Vielleicht steckte er in einer Klemme und brauchte Hilfe. Vielleicht hatte er ganz einfach kein Schiff und somit keine Möglichkeit, zu ihr zu gelangen. Leenia begann, neue Energien aufzubauen, um mit dem nächsten Versuch beginnen zu können. Es wurde von Mal zu Mal schwerer. Irgend etwas in ihr sträubte sich dagegen, und sie wußte genau, was es war. Wommser hatte sie verändert. Vor der Vereinigung mit dem artverwandten Wesen hätte sie unter keinen Umständen an den Entscheidungen der Gemeinschaft zu zweifeln gewagt und schon gar nicht offen gegen sie aufbegehrt. Nun geschah es immer häufiger, daß sie den Drang verspürte, auf eigene Faust zu handeln, sobald sie sich in der Exi-
stenzebene der Körperlichen befand. Du hast keinen Grund, dir Vorwürfe zu machen, kam es von Wommser. Wir haben als Einheit unter den Körperlichen gelebt und gelernt, sie und ihre Logik zu begreifen. Die Mitglieder der Gemeinschaft sind dazu nicht in der Lage. Es ist zu lange her, daß sie sich unter Körperlichen bewegten. Leenia gab keine Antwort. Es war nicht nur Wommser, der sie zunehmend verunsicherte. Der in ihrem Bewußtsein verankerte Extrasinn wurde immer mehr zu einem störenden Faktor und einer Belastung. Manchmal hatte sie das Gefühl, er wolle von ihr Besitz ergreifen. Oft wußte sie nicht, ob es Wommser oder der Extrasinn war, der sie dazu drängte, diesen Planeten zu verlassen und auf die Suche nach Atlan zu gehen. Die Gemeinschaft hatte dafür gesorgt, daß ihr das nicht möglich war. Theoretisch hatte sie die Möglichkeit, zu entmaterialisieren und jeden gewünschten Ort im Marantroner-Revier zu erreichen. Doch sie trug den roten Anzug, über den sie von der Gemeinschaft kontrolliert wurde. Außerdem war sie nicht darüber informiert worden, wo Atlan sich zu dem Zeitpunkt, als sie nach Bordinfeel geschickt wurde, befand. Das offensichtliche Mißtrauen der Körperlosen verstärkte ihren Trotz. Sie war dazu verurteilt, hier zu warten, bis sie einen Erfolg erzielte oder wieder abberufen wurde. Doch das war nicht das, was sie am tiefsten bekümmerte. Vieles deutete darauf hin, daß sie dann, wenn sie sich dem Ansturm der vom Extrasinn kommenden Impulse zu erwehren hatte, zeitweise die Kontrolle über sich verlor und stundenlang wie von Sinnen umherirrte, ohne zu wissen, was sie tat. So hatte sie während ihrer nächtlichen Wanderungen Stellen an den Kanälen der Planetarier, die sich Grallen nannten, gefunden, die durch Hitzeeinwirkung verwüstet worden waren, wie kein natürliches Feuer sie produzieren konnte, wohl aber sie selbst. So wie diese Stellen hatte die Erde ausgesehen, die Leenia auf Pthor bei den dort zu
Der Saboteur bestehenden Kämpfen verbrannt hatte. Leenia hatte versucht, sich zu erinnern, die ganze Zeit, die sie auf Bordinfeel verbracht hatte, vor ihrem geistigen Auge Revue passieren zu lassen. Und tatsächlich mußte sie feststellen, daß ihr mehrere Stunden einfach fehlten. Auch Wommser konnte keine Antwort liefern. Sein und Leenias Bewußtsein bildeten eine Einheit. Wenn Leenias Geist ausgeschaltet war, war auch Wommser »tot«. Ihr Verdacht wurde dadurch fast zur Gewißheit, daß die ansonsten völlig friedfertigen Grallen, von denen Leenia sich bisher bewußt ferngehalten hatte, in der letzten Nacht versucht hatten, sie mit auf sie abgeschossenen Netzen einzufangen. Leenia hatte sich wieder auf einer ihrer rastlosen Wanderungen befunden, um nach neuen Spuren zu suchen, die auf ihre unbewußten Aktivitäten hinweisen konnten. Nur dadurch, daß sie die Netze verbrennen konnte, bevor sie sich zu eng um sie legten, konnte sie entkommen. Um zu entmaterialisieren, hätte sie erst ihre Energien aufbauen müssen, was Zeit gekostet und vor allem die Aufmerksamkeit der Gemeinschaft auf sie gelenkt hätte. Der Gedanke daran, daß sie die mühevoll angelegten Kanäle und Zisternen der Grallen zerstören könnte, ließ sie jedoch nicht zur Ruhe kommen. So hatte sie viel Mühe, sich erneut auf Atlan zu konzentrieren. Als sie wieder aus ihrer Versenkung erwachte, war es Abend. Der Extrasinn drängte heftiger denn je. Leenia hatte das Gefühl, daß er jetzt mit aller Gewalt auszubrechen versuchte. Es war ein fast unerträglicher Druck in ihrem Bewußtsein. Leenia spürte Aggressionen in sich aufsteigen, von denen sie wußte, daß sie nicht von ihr kamen. Sie kämpfte dagegen an, bis sie unterlag wie an allen anderen Abenden zuvor. Als sie sich auf den Weg machte, war sie nicht sie selbst. Ihre Bewegungen waren die einer Marionette. Und diesmal war sie wehrlos, als sie in die Falle der Grallen ging.
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* Der erste Schrecken war überwunden. Taur wußte, daß er nicht nur seinen Bannistero, sondern sein Leben riskierte, als er darauf wartete, daß das fremde Wesen mit den glühenden Augen wiederkam – sein Leben und das der anderen Grallen, die zusammen mit ihm auf der Lauer lagen. Keiner von ihnen versuchte, seine Angst zu verbergen. Wenn die furchtbaren Strahlen aus den glühenden Augen diesmal nicht die Netze, sondern die Grallen trafen, gab es keine Rettung. Und doch mußte auch dieses Opfer gebracht werden, wenn die Grallen wieder in Frieden leben und ihre Arbeit an den Bannisteros fortsetzen wollten, ohne befürchten zu müssen, diese am nächsten Tag verwüstet vorzufinden. Wieder hielten sie die Harpunen mit den Netzen schußbereit, diesmal jedoch nicht, um das fremde Wesen damit zu fangen. Es würde sich ebenso wie in der letzten Nacht wehren – und in die vorbereitete Falle gehen. Die Mulde neben Taurs Bannistero war sorgfältig mit Zweigen und Gras überdeckt worden. Den ganzen Tag über hatten alle Grallen im Mannesalter Taur dabei geholfen, sie so weit zu vertiefen, daß das Wesen keinen Boden fand, wenn es hineinstürzte, und darin ertrinken mußte. Als der Mond am höchsten stand, erschien es, und nun strahlten seine Augen noch heller als in den Nächten zuvor. Taur ließ sich sofort tiefer ins Wasser des Bannisteros sinken, bis nur noch die Augen daraus hervorragten. Und was er mitansehen mußte, ließ ihn alle Vorsätze vergessen. Das Wesen ging nicht wie sonst langsam auf den Bannistero zu, sondern bewegte sich hektisch und zuckend, als ob es gegen einen unsichtbaren Gegner zu kämpfen hatte. Es erreichte den Rand des Bannisteros mehrere doppelte Körperlängen von den wartenden und vor Angst bebenden Grallen und blieb abrupt stehen. Seine Augen blitzten auf, und die furchtbaren Strahlen schossen in die ge-
42 genüberliegende Wand des Kanals. Eine neue Mulde entstand hinter dem in unglaublicher Schnelle verbrannten Lehm und füllte sich mit dem dampfenden Wasser aus Taurs Bannistero. Das Wasser im Kanal sank, so daß die Oberkörper der darin liegenden Grallen sichtbar wurden. Das Wesen schien sie nicht zu bemerken. Wieder schickte es seine Strahlen in den Boden und richtete Verwüstungen an, die schlimmer waren als alles, was Taur bisher gesehen hatte. Dann stieß es einen furchtbaren Laut aus und bäumte sich wie unter Schmerzen auf. Die Strahlen fuhren in den Himmel, dann in einen in der Nähe stehenden Baum, den sie in Brand steckten. Noch einmal schrie das Wesen. Dann war es plötzlich vollkommen ruhig. Nur das Knacken des brennenden Holzes war zu hören. Taurs Körpertemperatur war fast bis zu jenem Punkt abgesunken, an dem er erstarrte und in einen Zustand des Scheintods verfiel. Er mußte sich dazu zwingen, bei Bewußtsein und handlungsfähig zu bleiben. Das Wesen mußte unschädlich gemacht werden, jetzt und hier! In diesem Augenblick wollte Kirso Bal Taur sich opfern. Er richtete sich völlig auf, so daß die Hälfte seines ovalen Körpers aus dem Wasser ragte, und forderte die anderen Grallen auf, seinem Beispiel zu folgen und das Wesen heranzulocken. Dabei schlug er mit den freien Ärmchen auf das Wasser, daß es eine Körperlänge hoch in die Luft spritzte. Die Grallen sahen ihn voller Angst und Zweifel an. Dann endlich taten zwei von ihnen es ihm gleich. Der Kopf des Wesens fuhr herum. Taur begann vor Angst zu zittern, als er die glühenden Augen genau auf sich gerichtet sah. Doch sie verschossen keine Strahlen mehr. Das Wesen kam unsicher auf die Grallen zu, sich nahe am Rand des Bannisteros haltend. Weiter! dachte Taur. Komm weiter heran, bis zur Mulde! Komm doch! Noch wenige Körperlängen. Die Grallen
Horst Hoffmann hatten sich nun alle aufgerichtet, mit Ausnahme von dreien, die scheintot auf dem Wasser schwammen. Sie hielten die Harpunen mit den Netzen bereit. Als das Wesen kurz vor der Mulde stehenblieb, schossen sie. Die Netze flogen durch die Luft, aber so, daß sie im Rücken des Wesens herunterfallen mußten. Und das Wesen reagierte so, wie die Grallen es sich erhofft hatten. Es fuhr herum und zerstrahlte die herabfallenden Netze. Dabei ging es Schritt für Schritt zurück und brach endlich ein. Ein gellender Schrei war das letzte, was Taur von ihm hörte. Das Wasser der Mulde spritzte in die Höhe, als der schwere Körper darin versank. Sofort wurden neue Netze abgeschossen, die an den Enden beschwert waren und sich über die Mulde legten. Taur kletterte aus dem Bannistero und sah, wie die Hände des Wesens nach den Maschen griffen und versuchten, sie auseinanderzureißen. Es konnte ihm nicht gelingen. Luftblasen stiegen auf. Das Gesicht des Wesens war noch einmal zu sehen. Die Augen hatten zu leuchten aufgehört. Dann versank es endgültig. Es dauerte Sekunden, bis die Grallen begriffen, daß sie das geschafft hatten, woran wohl keiner von ihnen ernsthaft geglaubt hatte. Und sie lebten noch! Ihre Freude war grenzenlos. Nur kurz fühlte Taur sich unwohl bei dem Gedanken, getötet zu haben. Sie hatten es tun müssen, um sich und ihre Bannisteros zu schützen. Das fremde Wesen hatte grundlos angegriffen, nicht die Grallen. Mit Taur an der Spitze machten sie sich auf den Weg zu Minko Bal Poohl, um ihm die freudige Nachricht zu überbringen. Das tote Wesen in der Mulde war schon so gut wie vergessen. Morgen würden einige Grallen es aus der Mulde bergen und zum Würdenträger bringen. Vielleicht wollte dieser sich auch selbst zur Stätte des Triumphs begeben.
*
Der Saboteur Als Leenia die Absicht der Grallen erkannt hatte, war es zu spät gewesen. Hilflos war sie in ihre Falle gegangen – in einem Stadium, in dem sie gerade dabei war, wieder zu sich selbst zu finden. Der Schock und der Sturz ins kalte Wasser brachten sie vollends zur Besinnung. Leenia versuchte, schwimmend zu entkommen, aber die Netze verhinderten, daß sie ihren Kopf an die Oberfläche bringen konnte. Leenia war ein Wesen aus reiner Energie, solange sie in den Höheren Welten weilte. Aber sobald sie die Existenzebene der Körperlichen betrat und ihren Körper annahm, war sie ebenso wie die Körperlichen darauf angewiesen, zu essen, zu trinken und zu atmen. Und falls es ihr nicht schnell gelang, aus dem Wasser zu entkommen, würde sie ertrinken. Der Extrasinn und das, was er angerichtet hatte, war vergessen. Leenia, das unsterbliche Wesen aus einer anderen Dimension, kämpfte ums nackte Leben. Als sie erkannte, daß sie nicht durch die Netze gelangen konnte, ließ sie sich absinken und begann sich zu konzentrieren. Alles hing davon ab, daß sie die für eine Entmaterialisation nötigen Energien aufbauen konnte, bevor sie das Bewußtsein verlor. Schon fühlte sie das Ziehen in der Brust, und es fiel ihr schwer, die aufkommende Panik zu unterdrücken und sich zu konzentrieren. Silberne Punkte tanzten vor ihren geschlossenen Augen. Die Zeit reichte nicht, erkannte Leenia bestürzt. Sie konnte auch ihre einzige und vernichtende Waffe nicht einsetzen. Wenn sie versuchte, die Netze zu zerstrahlen, würde sie selbst in den von ihr entfesselten Gewalten umkommen. Sie hatte das Gefühl, als würde ihre Brust auseinandergerissen. Plötzlicher Schwindel drohte ihr die Sinne zu rauben. Die Panik brach durch, und Leenia konzentrierte sich auf einen verzweifelten Hilferuf. Stolz und Trotz waren vergessen. Die abziehenden Grallen sahen nicht, wie es über der Mulde rötlich zu glühen begann. Leenias Anzug sog die aus der anderen Da-
43 seinsebene überfließenden Energien in sich auf und gab sie an seine Trägerin weiter. Halb bewußtlos registrierte Leenia die neuen Kräfte und bündelte sie in ihrem Bewußtsein, bis das notwendige energetische Niveau erreicht war. Leenia entmaterialisierte aus der Daseinsebene der Körperlichen. Aber sie ließ etwas zurück. Der Extrasinn Atlans, der die ganze Zeit über versucht hatte, aus Leenias Bewußtsein zu entkommen, das er wie die Mauern eines Gefängnisses empfand, nutzte den Augenblick der Instabilität und entwich.
11. Atlan wartete die Nacht ab, bevor er die kleine Bucht verließ, an der er an Land gekommen war. Es waren keine Scuddamoren-Gleiter am Himmel zu sehen. Links von ihm war bewaldetes Gelände, und zur Rechten befand sich in etwa zweihundert Meter Entfernung das leicht silbern schimmernde Rohr, das am Ende der Bucht aus dem Wasser kam und geradlinig auf die Werftanlagen zu führte. Es war die Entdeckung der unterseeischen Förderanlage gewesen, die Atlan veranlaßt hatte, den Gleiter zu verlassen und den Scuddamoren etwas vorzugaukeln. Er konnte nur hoffen, daß sie das Wrack nicht untersuchten, bevor er das Werftgelände und die noch auf Ärterfahl befindlichen neuen Organschiffe erreicht hatte. Sie waren seine einzige Hoffnung. Dabei wußte er nicht einmal genau, ob es sie noch auf dem Planeten gab. Er ging davon aus, daß die vor seinem Sabotageakt produzierte fertige Organmasse ausgereicht hatte, um noch einige Schiffe fertigzustellen, und hoffte, daß Vaskäner sie noch nicht in den Weltraum geschickt hatte. War dies jedoch der Fall, dann saß Atlan ein für allemal auf Ärterfahl fest und war über kurz oder lang gezwungen, sich den Scuddamoren zu ergeben. Doch noch war es nicht soweit. Atlan glaubte, in der allgemeinen Verwirrung eine gute Chance zu haben, unbemerkt in die Nä-
44 he der neuen Organschiffe zu gelangen. Wo diese zu finden sein mußten, hatte er auf den von seinem Roboter gleich nach der Landung beschafften Folien gesehen. Atlan erreichte das Rohr. Es hatte einen Durchmesser von etwa drei Metern und lief in einer Höhe von fünf Metern über in regelmäßigen Abständen aufgestellte Stützpfeiler. Sollten Scuddamoren-Gleiter auftauchen, bot sich hier die bestmögliche Deckung. Atlan marschierte unter dem Rohr entlang nach Osten. Er schätzte, daß er zwei Tage lang unterwegs sein würde, bevor er die Werftanlage erreichte. Seine Gedanken schweiften zurück. Er sah wieder die Blumen vor sich, dann Gusärleng, die Kontrollen des Gleiters, als er in ihm über den Meeresgrund jagte, und schließlich die Förderanlage. Sie befand sich wenige Kilometer vor der Küste des Hauptkontinents. Atlans Plan war es zunächst gewesen, so nahe wie möglich am Festland aus dem Wasser zu schießen und eine Notlandung zu versuchen, ehe die Scuddamoren ihn abschießen konnten. Dann hatte er die bessere Idee gehabt. Die Anlage filterte bestimmte organische Stoffe aus dem Meeresboden, eine der vielen »Zutaten« für die Organmasse zum Verkleiden der Organschiffe. Der gewonnene Stoff wurde auf ein Förderband geladen, das in dem Rohr verschwand. Atlan war ihm bis zur Küste gefolgt, und hatte so die Bucht erreicht. Er marschierte die ganze Nacht hindurch und machte auch keine Pause, als der Tag anbrach. Atlan trug Gusärlengs Waffe. Sie gab ihm ein gewisses Gefühl der Sicherheit. Zwar konnte er damit kaum etwas gegen angreifende Gleiter ausrichten, aber im direkten Kampf mußte sie den Strahlern der Scuddamoren überlegen sein. Immer noch gab es kein Anzeichen dafür, daß man die Jagd auf ihn wieder eröffnet hatte. Atlan hütete sich jedoch vor allzu großem Optimismus. Vaskäner durfte nicht unterschätzt werden. Früher oder später mußte er Atlans Trick durchschauen.
Horst Hoffmann Atlan dachte an den Extrasinn, und er empfand einen irrationalen Stolz darauf, daß er es auch ohne ihn bis hierher geschafft hatte. Er empfand die Hilflosigkeit nicht mehr so stark wie in den Stunden nach dem Verlust. Begann er sich bereits daran zu gewöhnen, in Zukunft ohne den Extrasinn auskommen zu müssen? Nein, dachte der Arkonide. Ich bin augenblicklich berauscht von meinem Erfolg. Das wird sich ändern. Der Tag verging ohne Zwischenfall, und als die Dunkelheit hereingebrochen war, waren am Horizont bereits die fernen Lichter der Werftanlagen zu erkennen. Und etwas anderes. Sie kamen, Dutzende von hellen Punkten am Himmel. Vaskäner hatte also herausgefunden, daß Atlan nicht mehr im Gleiter gewesen war. Die Scuddamoren konnten sich nun ausrechnen, wo etwa er an Land gegangen war. Die Lichtpunkte wurden schnell größer, und leicht gefächerte Lichtbahnen durchschnitten die Luft. Die Suchscheinwerfer der Gleiter machten die Nacht zum Tag, und sie konzentrierten sich auf das Transportrohr und seine Umgebung. Nachdem der erste Schrecken überwunden war, rannte der Arkonide auf den nächsten Pfeiler zu. Noch waren die ersten Gleiter mehr als einen Kilometer entfernt, und sie flogen langsam. Atlan atmete tief durch und begann, den Träger hinaufzuklettern. Seine Hände rutschten am glatten Material ab. Endlich fand er die Sprossen, die zum Rohr hinauf führten. Als die Gleiter heran waren, war er oben und preßte seinen Körper halb gegen das Rohr, halb gegen den Pfeiler. Der Boden unter ihm wurde in helles Licht getaucht. Die Gräser warfen unheimliche, wandernde Schatten. Der erste Gleiter zog vorbei. Ihm folgten weitere, tiefer fliegende. Das Licht wanderte am Pfeiler empor, immer näher an Atlans Füße kommend. Der Arkonide hielt sich an der obersten Sprosse dicht unter dem Rohr fest und zog die Beine so weit wie möglich an. Atemlos sah er, wie das Licht weiter auf
Der Saboteur ihn zu wanderte. Noch wenige Zentimeter bis zu seinen Füßen … Schlagartig wurde der Pfeiler wieder dunkel. Der tieffliegende Gleiter war vorbei. Atlan sah fünf Maschinen weiter auf die Küste zuschweben. Er atmete auf. Im Augenblick hatte er Ruhe, aber sie würden zurückkommen, wenn sie bis zum Ozean geflogen waren, ohne etwas zu finden. Atlan konnte seinen Weg nicht wie bisher fortsetzen, darauf hoffend, immer dann gerade in der Nähe eines Trägerelements zu sein, wenn die nächste Staffel auftauchte. Das Rohr! Es war hohl. Das Förderband befand sich in der unteren Hälfte. Die auf ihm transportierte Substanz war ziemlich flach darauf geschichtet, so daß Platz für einen Menschen bleiben mußte, wenn es ihm gelang, ins Rohr zu gelangen. Der Gedanke war phantastisch und nicht gerade sehr realistisch, mußte Atlan sich eingestehen. Dennoch wollte er es auf einen Versuch ankommen lassen. Was hatte er zu verlieren? Die Pfeiler teilten sich am oberen Ende und bildeten einen Ring um das Rohr, dick genug, um daran hochklettern zu können. Atlan überzeugte sich davon, daß keine Scuddamoren im Anflug waren, und riskierte es. In bestimmten Abständen mußte es Zugänge zum Förderband geben, für den Fall, daß Reparatur und Wartungsarbeiten durchgeführt werden mußten. Welche Stellen boten sich eher an als diejenigen, die über die Pfeiler schnell zu erreichen waren? Umsonst hatten die Scuddamoren keine Sprossen installiert. Nach wenigen Minuten befand Atlan sich auf dem Rohr. Es war schwer, in der Dunkelheit Unebenheiten zu erkennen. So mußte der Arkonide sich ganz auf seinen Tastsinn verlassen. Er kroch über die glatte Oberfläche, bis seine Hände gegen etwas stießen. Es gab ein schnappendes Geräusch, und Atlan fuhr instinktiv zurück – gerade rechtzeitig, um nicht von der plötzlich aufspringenden Klappe am Kopf getroffen zu wer-
45 den. Vor ihm lag eine runde Öffnung von einem Meter Durchmesser, aus der schwaches Licht drang. Atlan sah das Förderband mit der Substanz aus dem Meeresboden unter sich hinwegziehen, dann die Leuchtstäbe am unteren Rand der Öffnung. Atlan zerschlug sie mit dem Kolben seiner Waffe, um die Scuddamoren nicht unnötig auf sich aufmerksam zu machen. Dann ließ er sich auf das Band fallen, die Hand am Griff auf der Unterseite der Klappe, den er im Licht gesehen und sich gemerkt hatte. Er zog sie über sich zu und ließ sich vom Förderband forttragen. Es stank fürchterlich. Atlan wurde fast übel. Wieder war es völlig dunkel um ihn herum. Aber dafür war er vorerst vor einer Entdeckung sicher, falls es den Scuddamoren nicht einfiel, das Band zu stoppen und das Rohr zu untersuchen. Atlan erkannte, daß er eine furchtbare Dummheit begangen hatte. Wenn es ihm nicht gelang, rechtzeitig wieder ins Freie zu gelangen, landete er dort, wo die organische Substanz verarbeitet wurde. Und das konnten Öfen, Kessel voller giftiger Chemikalien oder weitere Filter und Zerkleinerer sein.
* Vaskäner tobte. Fieberhaft wartete er auf die Nachrichten von den Patrouillengleitern, und immer wieder mußte er das gleiche hören: »Atlan ist nicht aufzufinden. Er ist verschwunden, wie vom Boden verschluckt.« Aber er mußte leben! Hier, irgendwo in der Nähe der Anlagen. Nur sie konnten sein Ziel sein. Er hatte Vaskäner nicht täuschen können. Die Untersuchung des Wracks hatte das bestätigt, was für ihn schon fast zur Sicherheit geworden war. Vaskäner wunderte sich nicht mehr darüber, wie ein einzelner Mann auf so vielen Welten des Marantroner-Reviers immer wieder seinen Verfolgern entkommen konnte. Aber diesmal sollte es ihm
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nicht gelingen! Vaskäner ließ Köder auslegen. Überall auf dem Gelände der Werftanlagen standen bald Gleiter bereit, an Stellen, an denen jeder Eindringling sie finden mußte. Sämtliche mit Galionsfiguren versehene Organschiffe wurden von ihrer Besatzung geräumt. Nur wenige Kämpfer blieben an Bord, um Atlan gebührend zu empfangen, sobald er sich eines der Schiffe zu bemächtigen versuchte. Vaskäners Jagd! Der Scuddamore dachte nicht mehr an Chirmor Flog und an seine Aufgaben auf Ärterfahl. All sein Streben war darauf gerichtet, den Saboteur zu fangen. Dabei machte er zwei Fehler. Er erwartete von Atlan, das zu tun, was auch er an seiner Stelle getan hätte, nämlich den direkten Weg zu wählen. Und er vergaß die Organschiffe, die noch hatten fertiggestellt werden können und darauf warteten, in die Umlaufbahn um Ärterfahl gebracht zu werden.
* Atlan verbrachte qualvolle Stunden der Ungewißheit auf dem Band, bis er ein dumpfes, allmählich lauter werdendes Stampfen hörte. Es kam aus der Richtung, in die er getragen wurde. Kein Zweifel – er befand sich bereits in der Anlage, und das Stampfen kam von dorther, wo die Substanz aus dem Meeresboden abgeladen wurde. Der Arkonide wußte, daß er jetzt aus dem Rohr heraus mußte. Er richtete sich vorsichtig auf, bis seine tastenden Hände über die Innenwand des Rohres glitten. Als er einen Widerstand fühlte, packte er zu. Es war eine Stange, an der er sich hochziehen konnte, bis er seinen Körper zwischen sie und die Rohrwand gezwängt hatte. Und noch einmal kam ihm das Glück zu Hilfe. Ohne es zu merken, mußte er einen Kontakt berührt und einen Mechanismus ausgelöst haben. Wieder schwang eine Klappe nach außen auf, und Atlan sah fremdartige
Geräte, Leuchte und Röhren über sich. Er kletterte ins Freie. Das Rohr lief nicht mehr auf Pfeilern, sondern ragte nur mit der oberen Hälfte aus dem Boden einer Halle, deren Ende aus leuchtenden energetischen Feldern bestand, in die das Rohr mündete. Atlan stieß zischend die Luft aus, als er sah, wie nahe er dem Tod gewesen war. Erst jetzt sah er sich genauer um. Es gab weder Scuddamoren noch Roboter in der Halle. Hier lief alles vollautomatisch. Atlan hatte keine Ahnung, wo er sich genau befand. Um sich zu orientieren, mußte er weiter nach oben gelangen. Nach kurzer Suche fand er eine der bekannten Nischen und wartete ab, bis ein Aufzug erschien. Zwei Roboter betraten die Halle. Atlan stand dicht an die Wand gedrängt und zerstrahlte die Maschinen, bevor sie ihn entdecken und Alarm schlagen konnten. Dann sprang er in den Aufzug, der sich schon wieder nach oben in Bewegung setzte. Atlan ließ sich tragen, bis der Lift zum Stillstand kam. Als sich eine Wand vor ihm zur Seite schob, sah er ins Freie. Unter ihm lag das riesige Landefeld mit den schwarzen Transportern. Atlan befand sich in einem der schlanken Türme zwischen den Kuppeln. Ein großer Teil der Wände bestand aus Glas. Atlan war allein. Er mußte lächeln, als er überall die unbewachten Gleiter herumstehen sah. Atlan war sicher, daß Hunderte von Scuddamoren in den Kuppeln darauf warteten, daß er sich dort unten zeigte und auf eines der Fahrzeuge zuschlich. Er würde sie enttäuschen. Jetzt, wo sich ihm Orientierungspunkte boten, hatte Atlan die Skizzen auf den Folien wieder in allen Details im Kopf. Er wußte, wohin er sich zu wenden hatte. Als der Aufzug sich wieder nach unten in Bewegung setzte, sprang Atlan hinein.
* Vaskäner verlor immer mehr die Kontrolle über sich. Der Zorn über seinen Mißerfolg
Der Saboteur machte ihn rasend. Irgendwo in der Nähe steckte Atlan! Und wenn er überhaupt nicht fliehen wollte? Wenn er vielmehr die Absicht hatte, weitere Zerstörungen anzurichten? Wenn er Vaskäner bewußt auf eine falsche Fährte gelockt hatte? Dieser Gedanke erschien dem Scuddamoren immer einleuchtender. Ein anderer Kampf begann für ihn. Er mußte nicht nur dafür sorgen, daß Atlan gefangen oder getötet wurde, er mußte vielmehr ebenso darauf bedacht sein, zu verhindern, daß der Saboteur weitere Triumphe feiern konnte. Alles, was ihm als Ziel dienen konnte, mußte sofort entweder völlig abgeschirmt oder besser noch von Ärterfahl weggebracht werden. Vaskäner brüllte Befehle in seine Mikrophone. Einer dieser Befehle lautete: Alle noch in den Werften stehenden Neukonstruktionen müssen sofort in den Weltraum gebracht werden! Vaskäner überwachte den Start der Organschiffe, bis das letzte in den Wolken verschwunden war. Als er vom zurückkehrenden Begleitschiff die Nachricht erhielt, daß der Pulk sich im Orbit befand, war ihm wohler. Die Suche ging weiter. Jedes Gebäude, jede Halle und jeder Korridor wurden durchkämmt, wobei Vaskäner besonderen Wert darauf legte, daß man die unteren Stockwerke der unter der Oberfläche liegenden Anlagen auf versteckte Zugänge zu eventuellen weiteren Verstecken absuchte. Vaskäner ließ einige Anlagen, die längst nicht mehr in Betrieb waren, sprengen. Er ließ Giftgas in jene Komplexe pumpen, in denen nur Roboter arbeiteten. Er tat alles, was ihm in den Sinn kam, um den unfaßbaren Gegner zu erledigen. Doch der Erfolg blieb aus, ebenso wie die erwarteten Hiobsbotschaften von neuen Sabotageakten. So vergingen zwei Tage voller Hektik für Vaskäner. Als auch am Morgen des dritten Tages nichts geschehen war, begann der Scuddamore daran zu zweifeln, daß Atlan
47 sich noch in den Werftanlagen befand. Er mußte sich eingestehen, daß er gescheitert war, daß er alle Logik vergessen und sich nur von seinen Gefühlen hatte leiten lassen. Vaskäner befragte die Computer. Er fütterte alles in sie ein, was über Atlan bekannt war, und beauftragte sie, unter allen denkbaren Fluchtmöglichkeiten und unter Zugrundelegung von Atlans bisherigem Verhalten jene zu ermitteln, die den höchsten Wahrscheinlichkeitsgehalt dafür aufwiesen, daß Atlan sie ergriffen hatte. Als er das Ergebnis vorliegen hatte, fiel es ihm wie Schuppen von den Augen.
* Das Organschiff hatte die ungefähre Form eines Pfeifenkopfs. Der Kopf selbst war oval, sechzig mal dreißig Meter groß, und ging in das zylinderförmige Bugteil über. Dieser wiederum war achtzig Meter lang und hatte einen Durchmesser von zwanzig Meter. Das Schiff besaß zwei Schleusen, eine auf der Heckseite des »Kopfes«, die andere im zylindrischen Teil. Seine Hersteller hatten ihm auch schon einen Namen gegeben. Das Organschiff, in dem Atlan auf die Scuddamoren wartete, hieß DARIEN. Ebenso wie bei den anderen Einheiten des im Orbit um Ärterfahl treibenden Pulks war die transparente Halbkugel am Bug noch leer. Atlan hatte es im letzten Augenblick geschafft, unbemerkt an Bord eines der schon startbereit gemachten Schiffe zu gelangen und mit ihm in den Weltraum zu entkommen. Doch nun sah es so aus, als hätte er sich die Hoffnung, mit der DARIEN aus diesem System in den interstallaren Raum fliehen zu können, nachdem es mit einer Galionsfigur ausgerüstet worden war, umsonst gemacht. Organschiffe waren von Ärterfahl gestartet und begannen, jedes einzelne Schiff des Pulks zu durchsuchen. Vaskäner hatte also
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zumindest den Verdacht, daß Atlan sich an Bord eines der Schiffe befand. Bald würden bewaffnete Scuddamoren auch an den Schleusen der DARIEN sein. Atlan hatte nicht einmal mehr Gusärlengs Waffe, um sich zu verteidigen. Er hatte den Strahler auf dem Weg zu den startbereiten Schiffen verloren. Durch ein Bullauge sah er die Suchtrupps immer näher kommen, und diesmal, so wußte er, gab es kein Entrinnen mehr. Hätte er anders gehandelt, wenn er noch im Besitz des Extrasinns gewesen wäre? Atlan schüttelte stumm den Kopf. Chirmor Flog konnte Ärterfahl vorerst abschreiben. Die Ziele, die Atlan sich gesetzt hatte, waren erreicht. Was nun kam, darauf hatte er keinen Einfluß mehr. Sollte er auf ein neues Wunder hoffen? Die Zeit der Wunder, der glücklichen Zufälle war vorbei. Atlan preßte die Zähne aufeinander. Niemand würde auf ihn Rücksicht nehmen – so oder so. Er würde seine Haut so teuer wie möglich verkaufen. Mit geballten Fäusten sah er, wie die Suchtrupps die Nachbarschiffe erreichten und betraten.
12. Leenia fühlte sich wegen des Verlusts des Extrasinns nicht schuldig. Sie war nicht bereit, als Angeklagte vor den Mitgliedern der Gemeinschaft zu stehen. Im Gegenteil. Sie war es, die Vorwürfe zu machen hatte. Sie beklagte sich heftig darüber, daß man sie blind in die Daseinsebene der Körperlichen geschickt hatte, daß die Gemeinschaft ihr Atlans Aufenthaltsort verschwiegen und nicht stabilisierend eingegriffen hatte, als der Extrasinn den Kampf gegen sie aufgenommen hatte. Leenia stellte Forderungen. Sie wollte die Bewegungsfreiheit erhalten, die ihr fehlte. Sie wollte eine neue Chance, um den Extrasinn erneut an sich zu binden, allerdings auf eine für sie ungefährlichere Art und Weise, und ihn Atlan zurückgeben zu können. Lange herrschte Schweigen in den Höhe-
ren Welten. Dann verkündete die Gemeinschaft ihren Beschluß. Leenia sollte eine zweite Chance erhalten, denn Atlan mußte den Extrasinn zurückbekommen, wenn er im Sinn der Körperlosen agieren sollte. Leenia erfuhr, daß der Extrasinn sich noch auf Bordinfeel befand. In dem Augenblick, in dem er aus ihr entwichen war, hatte er sich mit einem neuen Bewußtsein verbunden – mit dem eines Grallen. Ich soll also nach Bordinfeel zurückkehren? fragte Leenia. Ja, kam die Antwort von allen Seiten zugleich. Doch nicht allein. Du darfst nicht noch einmal das Risiko eingehen, vom Extrasinn übernommen zu werden. Du wirst nicht noch einmal zu seiner Trägerin werden, sondern dir einen neutralen Bewußtseinsträger beschaffen, bevor du nach Bordinfeel zurückkehrst. Da wirst einen Molg finden müssen. Leenia erschrak heftig. Einen Molg! Ja, Leenia. Dieser Molg wird Atlans Extrasinn aufnehmen und so lange in sich beherbergen, bis eine Rückführung möglich ist. Leenia schwieg. Sie kapselte sich ab und machte damit von dem Recht Gebrauch, sich für kurze Zeit völlig von den anderen Mitgliedern der Gemeinschaft zu isolieren. Sie hatte von ihnen gehört, den unheimlichen Gebilden, die aus den Wracks verunglückter Organschiffe hervorgingen. Und sie wußte, in welche Gefahr sie sich zu begeben hatte, wenn sie einen Molg finden wollte. Und dies wurde ihr ausgerechnet von den Mitgliedern der Gemeinschaft zugemutet, die sich sonst so sehr dagegen sträubte, sie viel geringeren Gefahren auszusetzen. Was steckte dahinter? Galt diese Maßnahme nicht wirklich ihr und ihrem Ziel, sondern einem anderen? Wommser? Ja, kam es von diesem. Sie sehen immer mehr einen Fremdkörper in mir, der allein dafür verantwortlich ist, daß du nicht so ge-
Der Saboteur
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worden bist, wie sie dich haben wollten. Ihr Ziel ist es, uns zu trennen. Niemals! erwiderte Leenia heftig. Dann, ruhiger, fragte sie: Wie wollten sie mich haben, Wommser? Was weißt du? Wie bin ich entstanden? Ich weiß nicht mehr als du, Partnerin. Wir sind ein Bewußtsein.
Ja, dachte Leenia. Und sie beschloß, die Herausforderung anzunehmen. Sie hatte gar keine andere Wahl, denn ohne die Gemeinschaft war sie nichts.
ENDE
Weiter geht es in Atlan Band 428 von König von Atlantis mit: Expedition der Magier von Marianne Sydow