Oskar Döring / Der Räuber Heigl
Oskar Döring
Der Räuber Heigl Ein Tatsachenroman aus dem Bayerischen Wald
MITTELBAY...
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Oskar Döring / Der Räuber Heigl
Oskar Döring
Der Räuber Heigl Ein Tatsachenroman aus dem Bayerischen Wald
MITTELBAYERISCHER VERLAG REGENSBURG
Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme Ein Titeldatensatz für diese Publikation ist bei Der Deutschen Bibliothek erhältlich
Umschlagmotiv: Karl Höcherl als „Räuber Heigl“, gemalt von August Philipp Henneberger, Privatbesitz.
Oskar Döring Der Räuber Heigl. Ein Tatsachenroman aus dem Bayerischen Wald © Mittelbayerischer Verlag KG, Regensburg 1991, 2001 3. überarbeitete und verbesserte Auflage www.mz-buchverlag.de e-Book by Brrazo 11/2008 Umschlag: Anna Braungart, Regensburg Satz: Fotosatz Vollnhals, Mühlhausen Druck: Donaudruck GmbH, Regensburg ISBN 3-931904-91-1 (ISBN 3-927529-39-7 1.-2. Auflage)
Vorwort
Vor etwas mehr als hundert Jahren trieb sich in den Wäldern am Kaitersberg ein Kerl herum, der schließlich zum Räuber und zehn Jahre lang von Gendarmen, zuletzt von einem ganzen Militäraufgebot gehetzt wurde. Während der Jahre, die ich in dieser Gegend zubrachte, fing ich an, die hunderterlei Erinnerungen zu sammeln, die sich bis heute von dem Räuber Heigl erhalten haben. Und als ich daranging, die Geschichten zu ordnen, kam mir durch Zufall ein dicker Stoß Akten in die Hände. Ich habe von diesen amtlichen Aufzeichnungen, die unter dem Titel „Gefährdung der öffentlichen Sicherheit“ vom Landgericht Kötzting geführt wurden, ausgiebig Gebrauch gemacht und daraus eine Geschichte geformt, die sowohl den volkstümlichen Meinungen als auch den harten Tatsachen der Akten Rechnung trägt. Im besonderen muss in diesem Zusammenhang erwähnt werden, dass alle Romanstellen, die von den damaligen Gendarmen handeln, durchaus aktenmäßig und eher abgeschwächt als etwa übertrieben sind. – Umsonst hat nicht die Polizeischule Fürstenfeldbruck die Akten schon mehrmals ausgeliehen, man kann sich die Gründe hierfür denken! – Es kann sich also auch durch die damals nachweisbar vorgekommenen Untaten heutzutage niemand getroffen fühlen. Oskar Döring
In der letzten Maiwoche des Jahres 1832 wurde in der Sommerau ein landfahrender Bursche aufgegriffen, der sich Michl Heigl nannte und angab, sechzehn Jahre alt und ein Inhäuslerbub von Beckendorf zu sein. Es war ein kalter Tag, wie es drinnen im bayerischböhmischen Waldland manchmal so traf, dass das aufnehmende Jahr wieder aussetzt und in den Höhen noch einmal der Schnee aufblühen will. Am Vormittag hatte der Bursch zusammen mit einem früheren Schulkameraden, dem Fendl Martin, die Häuser in Lam abgebettelt, und lange hatten sie sich vertragen. Dann aber wurden sie um das Stück Wurst der Metzgerin streitig, und daraufhin ging der Fendl allein weiter. Der andere wusste nicht recht, wohin er sich wenden sollte. Da kam hinter ihm drein eine Bauernfuhre mit Reisig, auf die sprang er ungesehen auf und setzte sich unter die überhängenden Tannenäste. Es wurde keine bequeme Fahrt. Der Bauer hatte junge Pferde am Zeug, der Wagen zockelte hinum und herum, stand einmal und rasselte dann wieder, so dass es den Mitfahrer wie einen Nusssack schüttelte. Endlich schauten hinter einem Ackerbuckel ein paar Häuser heraus. Da sprang der Bursch ab und ging zu dem Wald hinüber. Er hatte noch einen Scherz Brot im Sack, das reichte ihm für den Tag, und nun überlegte er, wo er über die Nacht bleiben könnte. Ein ungutes Wetter hatte angefangen. Schon während der Fahrt hatte es genieselt, und jetzt, gegen Abend, fielen die Wolken ganz herunter und schleiften an der Erde hin. Weil er nichts Besseres fand, schlüpfte er beim Schneiderberger ins Holzschüpfl, setzte sich hinter den Hackstock und versuchte, gegen die Wand gelehnt, zu schlafen. 7
Es wurde bald finster, aber die Nacht brachte doch keine Ruhe. Am Anfang rissen die Hunde an der Kette, und dann war es, als gingen heimliche Tapper um die Hütte herum. Auf einmal riss jemand die Tür auf, schwenkte eine Laterne vor sich, und hinter ihm drein drängten etliche andere Männer. Wie sie den Schlafenden fanden, schrie einer mit seiner ganzen Stimme: „Ergib dich! Ergib dich!“ Da hob der Bursch den Arm von den Augen und sagte schläfrig: „Was plärrst denn? Ich ergib mich ja eh!“ Sie zogen ihn heraus, führten ihn hinüber ins Haus und fragten: „Han, bist du dersell, den sie den schwarzen Webermichl-Buben nennen, der im Weißenregen das Opfergeldstöckl aufgesprengt und das goldene Heiliggeist-Täubl abgeschrauft hat. Han, bist du’s?“ „Ich bin net dersell Michl“, sagte der Bursch. „Der Michl Heigl bin ich, im sechzehnten Jahr und ein Inhäuslerbub von Beckendorf – auf meine Seligkeit, dass es wahr ist!“ Sie durchsuchten seine Sachen, aber in seinen Säcken konnten sie bis an den Boden hinuntergreifen, es hatte keiner noch eine ganze Naht. Und wie sie ihn so abmusterten, seine ausgefranste Hose und die speckige Joppe anschauten, bekamen sie schier Mitleid mit ihm. Bloß der Lohberger Politiv – der Teufel mag wissen, wie der gerade dazugekommen war – ließ sein Herz nicht weich werden. „Ich möchts fast selber glauben“, sagte er, „dass er das Täubl net hat, aber wer vermags sicher zu wissen? Ein Umfahrer ist er jedenfalls, das sieht man ihm an. Und da kehr ich bei keinem net die Hand um. Die stehlen und räubern allesamt, und was Goldenes nehmen sie lieber als das Tumbakene. Und haben sie was ergaunert, so sind 8
sie schlau genug, dass sie’s eine Weile net sehen lassen, sondern irgendwo vergraben, bis die Luft wieder sauber ist. Also scheints mir am besten, wir schaffen den Burschen auf Kötzting hinunter, so mag der Herr Landrichter ihn näher abfragen und auslusen.“ Da musste der Schneiderberger noch in der Nacht einspannen und den Gefangenen in die Kötztinger Fronfeste einliefern. * Wie sie ihn dann hineinbrachten, schubste ihn der Keuchenmeister mit einem Tritt in das stockrammelfinstere Loch hinein und fluchte höllisch dazu: „Himmelherrgottsakrament, net einmal in der Nacht hat man vor enk Lumpen seine Ruhe!“ Hernach schlug er die Tür zu und schob den Riegel vor. Ja, liebe Leute, so ist das. Immerzu langt eine Hand auf uns hin, wir sehen sie nur nicht und achten zu wenig drauf, bis sie uns am Kragen packt. Da aber ist es dann meistens schon zu spät. * Drüben im Landgericht meinten sie am nächsten Tag: „Wie, Bürscherl, lass dich genau anschauen. Dich haben wir doch schon einmal dagehabt, hm?“ „Ja“, sagte der Michl, „als ganz Kleinen. Wie ich noch in der Fatschen gelegen bin – meine Mutter hat mir’s so erzählt. Dass der Kötztinger Marktgendarm in unserm Stübl nach Hasenhäuteln gesucht hat – weil einer verraten gehabt hat, der Vater tat ein Wildbretschütz sein. Und 9
wie der Gendarm nachher in der Kindswiege was Haariges herausspitzen sieht, packt er die Wiege gleich ganz zusammen und schafft sie aufs Gericht hinein. Er hats aber net gemerkt, dass ich in der Wiege drin gelegen bin – und ein kleinwuseltes Masskrugbübl bin ich ja gewesen, das sagte meine Mutter noch manchmal. Wie sie aber dann im Gericht das Deckbett abziehen, wird mir das Wasser laufend, und ich seich gleich dem Nächsten bei mir über den Bauch hinunter. Und das ist fein der Herr Landrichter Pürnschlögl gewesen – wie auch meine Mutter erzählte hat!“ Eine Weile lachten sie zu der Geschichte, dann aber machten sie gleich wieder ihr sirriges Amtsgesicht und meinten, nein, das seis nicht, was sie wissen wollten. „Was anderes ist mir net erinnerlich“, behauptete der Michl. Da holten sie aus dem großen Schrank heraus eine blaue Akte, banden das Schnürl auf und lasen ihm vor: „… ist erstens in Verdacht, zusammen mit seinem Bruder Adam, dem bürgerlichen Hufschmied Kaspar Drunkenbolz, allhier zu Kötzting, ein silbernes Sackührl im Werte von achtzehn Gulden entwendet zu haben. Doch konnte der Nachweis der Täterschaft nicht erbracht werden. … ist zweitens in Verdacht, der Barbara Glasschrötterin auf der Heuhofermühl mittels Diebstahls ein Stückel Leinwand, nicht sehr groß und im Wert von höchstens einundzwanzig Kreuzern, von der Bleiche hinweg entwendet zu haben. Doch konnte der Nachweis der Täterschaft nicht erbracht werden. … und ist drittens in Verdacht, in Verbindung mit einem zweiten bei dem Bauern Johann Greilhinger zu Simpering aus dem unversperrten Stall eine Zuchtsau 10
entwendet, selbe in einem nahegelegenen Acker gestochen und das Fleisch fortgeschafft zu haben. Doch konnte der Nachweis der Täterschaft nicht erbracht werden!“ Sechzehn solche Blätter lasen sie dem Michl vor, aber es war lauter altes blindes Pulver, und sie merkten selbst, dass sie damit keinen Spatzen umbringen konnten. Ach, weiß Gott im Himmel, wie viel alle Jahre an solchen Anzeigen zum Gericht kommen. Man könnte denken, auf und ab würde bloß gestohlen und geräubert werden. Aber wie kommts denn zu dem papierenen Regen? Schaut Euch nur einmal um. Da geht der Bauer mit Weib und Kind in den Acker und lässt daheim Tür und Tor sperrangelweit offen. Und geht der Knecht am Abend aus dem Wald, so lässt er gleich für den andern Tag die Hacke draußen liegen. Und wie viel sind es gar, denen das Geld zu einem Türschlössl erbarmt, sie haben oftmals nicht einmal einen Riegel am Stall. Die Leute tun mit ihrem Zeug, als hätten sie’s gefunden oder geschenkt bekommen. Fehlt ihnen aber dann etwas, und ists bloß ein Besenstiel oder ein Schneuztüchl, so schreien sie Mordio und rennen um den Gendarm. Und der Wachtmeister kann dann stundenweit bis ins Einödhöfl hinabtraben. Und hat er’s fleißig untersucht und in sein Büchl geschrieben und fragt er hernach, wer’s wohl gewesen sein könnt, so ist man um ein paar Namen nicht verlegen. Hat der Beckendorfer Häuslbub im vorigen Jahr nicht ein paar Nägel von der Beschlagbruck weggenommen – so wird er also auch das Sackührl stibitzt haben. Und hat der Bankert nicht ein Stumpf! Erdäpfel vom Acker ausgegraben – wird sie auch nicht trocken fressen wollen und hat sich hernach die Sau dazu geholt! 11
So geht das, und am Ende schreibt der Gendarm eine Anzeige ans Gericht. Und wenngleich sich daran kein Haar beweisen ließ, so wirft man die Blätter hernach doch nicht weg, sondern legt sie fein sauber in einen Aktendeckel und bindet ein Schnürl herum. Denn, freilich ja, es weiß niemand, wie und wann man alles wieder einmal brauchen kann. Wie sie nun dem Michl die Rechnung machten, den Strich ziehen und auf und ab zählen wollten, reichte es aber nicht für allzu viel. Da ließen sie ihm einfach, damit er den Tag nicht gleich wieder vergisst, zwölf auf den Sitzfleck dreschen. Wegen Müßiggehens, sagten sie und drohten ihm, beim andern Mal nicht mehr so guter Hand zu verfahren. „Guter Hand?“, fragte der Michl grimmig. „Ich dank schön für eine solche Barmherzigkeit.“ Und als sie ihn durchs Tor hinausließen, schrie er zurück: „Hundsfotzen – mich kriegts nimmer, dassell merkts enk!“ Als er dann heim ins Beckendorfer Häusl kam, fragten sie nicht viel, wo er sich die letzten drei Wochen herumgetrieben hatte. Aber der Vater knurrte: „Zum Fressen sind uns nie net zu wenig!“ * Am nächsten Morgen war Pfingsten, und den Tag darauf hatten die Kötztinger wieder ihren großen Tag. Gegen Abend ging der alte Heigl in den Markt hinein und stamperte über den Platz hinauf. Er hatte unterm Arm einen Sack, daran schlenkerten die leeren Zipfel. Überall wurde geputzt und gekehrt. Beim Wirt weißelten die Maurer die Hausfront herunter. Zu viert hingen 12
sie an den Leitern und strichen und bürsteten, dass es nach allen Seiten hin spritzte. Drüben beim Metzger mussten die Burschen noch wursten. Sie hatten die große Waschbank in den Hof gestellt, klopften und kneteten das Brät und stopften es dann in die Därme. Riesenblunzen machten sie, schier so dick wie Getreidesäcke, und dazu Wurstkränze, mit denen man die ganze Toreinfahrt umspannen hätte können. Man sah auch, dass sie mit Fleischbröckeln und Speck nicht sparten. Wer wirds denn gar so groß und gut angeschafft haben? Etwa der Pfingstlreiter? Dem Heigl tröpfelte das Wasser unter dem Schnauzbart herunter, wenn er daran dachte, was es alles zu fressen geben würde. Wie er dann nach einem Stündchen wieder über den Platz herunterkam, sah er im Metzgerhof die Blunzen und Wurstkränze zum Abtrocknen aufgehängt. Die Burschen saßen derweil im drübern Stübl beim Vesperbier. Da konnte sich der Heigl nicht mehr halten. Er sprang hinein, riss den langen Wurstkranz herunter, stopfte ihn in seinen Sack und schob ums Eck hinüber davon. Der Weg bis zum Beckendorfer Häusl war nicht weit, aber wenns dem Teufel sein Wille ist, dann kam doch keiner ungesehen hin, und mochte einer gleich drunten am Wasser hinauflaufen. Kaum war er daheim, schrie er die Buben und Dirndl zusammen, warf die Joppe herunter und holte dann den Wurstkranz aus dem Sack. „Da – fresst!“, sagte er. Und noch einmal: „Fresst und schickts enk!“ Und wie sie noch gafften und sich nicht drantrauten, riss er für jeden ein Trumm herunter und stopfte dem Gangerl, dem jüngsten seiner Kinder, eine 13
Wurst ins Maul und schob sie dem Buben fast in die Gurgel hinunter, so dass ihm das Wasser aus den Augen lief. Es war ein Bampfen und Würgeln, und doch wollte es dem Vater allweil noch nicht schnell genug gehen. „Zum Teufel“, schrie er, „so tummelts enk. Und fresst mir fein auch die Häutl und Schnürl mit! Was gefressen ist, das derschmeckt kein Hund nimmer!“ Und gerade, als hätte er’s gewusst oder gespürt: Kaum war der lange Kranz aufgegessen, da sprang der Marktgendarm in die Stube hinein und fing an zu schnüffeln und zu schreien. Doch wenn der von der Wurst sprach, dann redete der Heigl von seinem Knie, das er sich vor Jahren einmal ausgekugelt hatte, und das ihm seither oftmals anschwoll und sulzig wurde. Er stülpte dazu auch ein paar Mal den Hosenärmel hinauf, wies dem Gendarm die dicke Stelle und schwor immer wieder: „Herrgott und alle Heiligen! Wenn ich sag, dass ich in der ganzen Woche net weiter als bis zum Hoftürl gekommen bin – so seht doch! Und wer was anderes sagt, der hat sich verschaut!“ Der Marktgendarm hatte aber wenig Glauben an diese Schwüre. Er fing an, von der Anreicht und am Tisch die Schubladen herauszuziehen, griff mit seinen Armen unter den Kasten, schaute auch in den Krautzuber und kroch zuletzt noch ein Stück den Rauchfang hinauf, so dass er schwarz wieder herunterkam. Wie aber nun der Heigl und die Buben über ihn lachten, schlug er mit der Faust auf den Tisch und schrie mit solcher Gewalt, dass ihm die Stimme umschnappte: „Manderl, dein Handwerk wackelt!!“ Dann sprang er davon.
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* So war es in dem Nest, in dem die Heiglbrut aufwuchs, und das Nest war ein kleines schiefes Gebäude mit einer Stube und einer Kammer und nebendran mit einem eingewölbten Stall. Die Wände und Decken in der Stube waren aus rohem Holz, das schwarz und pechig war von Rauch und Ruß, und aus den Rissen und Klunsen wuchs der Baumschwammerl, der den Balken einen Bart machte. Aber wie schlecht so ein Stübel auch sein mochte, der Kindlbaum blühte doch fleißig darin. Zehn Kinder hatte die Heiglin auf die Welt gebracht, sechs davon sind geblieben, die anderen hatte die Totenfrau bald fortgetragen. Aber dort, wo die Bank kurz ist, sind auch sechs nicht zu füttern, und wie sie eines Abends zur Nachtsuppe zusammensaßen und die Buben breit am Tisch lümmelten, überkam den Alten der gache Zorn. Er schlug mit dem großen Löffel in die Schüssel, dass die gestöckelte Milch nach allen Seiten spritzte, und schrie: „Elende Krawoten, wollts denn enker Leben lang von meiner Hand fressen?! Es wird Zeit, dass ich ein paar aus dem Haus schaff, eh dass ich unter dem Tisch drin bin!“ Und noch in derselben Woche brachte er den Adam, den ältesten der Buben, hinüber zum Hirmann, und den Michl verdingte er beim Ramsrieder Bauern als Hirtenjunge. Eh sich der Michl auf den Weg machte, sagte der Vater noch: „Ein Jahrl oder zwei kannst es im Heustock aushalten, hernach wirst Rossknecht und hast dein eigenes Bett. Und wenn du die Rösser fleißig striegelst, kannst zuletzt selber an eins kommen.“ Dann erzählte er aus seiner eigenen Dienstzeit als 15
Oberknecht. Der Michl hatte aber keinen Glauben an seine Worte, weil doch der Vater auch kein Ross hatte, sondern mit Hundsschanden bloß an zwei dürre Geißen gekommen war. Lieber als solches Predigen war dem Burschen, dass ihm die Mutter noch einen Keil Brot an die Straße hinausbrachte. Er biss gleich ab und ging davon, ohne sich nochmal umzudrehen. * Dem Michl passte seine Stellung am Anfang so gut, dass er sich vorderhand nichts anderes wünschen mochte. In der Frühe trieb er das Vieh auf die Weide, und wenn die Bremsen und Hurneißl nicht gar zu lästig waren, konnte er sich einen faulen Tag machen. Ein alter Sägknecht kam öfter zu ihm hinauf. Sie nannten ihn den Hussdax. Er hatte einmal ein Stück weit in die Welt hinausgeschmeckt, als er mit den Franzosen auf Russland hineinzog. Davon erzählte er oft. „Der Napoleon“, sagte er, „das ist einer gewesen, den seine Mutter net in einem seidenen Bett auf die Welt gebracht hat, und der hernach doch über alle andern hinausgekommen ist. Gleich ihm sollt mans auch probieren und in die Hände spuckn, ob mans net zwingen kann!“ Der Hussdax hatte ein Buch, in dem die Geschichte vom bayerischen Hiasl zu sehen und schön zu lesen war. Der Michl mochte nichts lieber, als diese Bilder anzuschauen, die ihm der Hussdax erklärte. „Ist fein ein Generalskerl gewesen, der Hiasl! Einmal haben die Jager den ganzen Wald umstellt, aber der Hiasl hats dervor schon geschmeckt und ist ausgerissen, eh dass die Streifer schön stad anrucken. Und derweil sie 16
alle Brombeerstäudl abklopfen und den Ring machen, spaziert der Hiasl eiskalt ins Forsthaus hinein, wo die Frau Oberförster grad Küchl backt, damit die Mannschaft nach dem schweren Tag was Extriges kriegt. Die Frau kennt den Hiasl net, sondern hält ihn für einen Forstgehilfen, und fragt ihn: Habts jetza den Hiasl? – Ja, sagte der Hiasl, jetza haben wir ihn. Und das freut die Frau so, dass sie dem Boten gleich die zwei Hand voller Küchl gibt. Wie er dann geht, gibt er ihr zum Dank ein Bussl, sagte aber bei der Tür: Gell, sags fein deinem Mann net, dass dich der Hiasl abbusselt hat!“ „Höllsakrisch“, meinte der Michl, „das ist aber einer gewesen, ein ganz angespitzter Schlawiner!“ „Jawohl“, bestätigte der Hussdax, „so einen gibts nimmer, und die Leut haben auch getränzt, wie man ihn in Dillingen erdrosselt und geradelt hat, und die Weiber sind in die Unmacht gefallen dabei.“ Dem Michl ging der Mund nicht mehr zu vor Staunen, und mit lauter Zuhören hatte er das Vieh ganz vergessen. Wie er es am Abend eintreiben wollte, fehlte ihm das rote Kalb. Da wurde ihm aber der Hintern warm. Der Bauer kannte bei solchen Geschichten keinen Spaß, er würde wohl gar mit dem blinken Hackl zudreschen, wenn das Kalb verloren wäre! Der Michl rannte also los und suchte gehetzt, bis er das Stück endlich droben im Wald fand. Und weil er dann erst später heimkam, drosch ihn der Bauer, dass er sich kaum noch selber spürte. * Aber man gewöhnt sich an alles, wenn es nur nicht gleich das Hängen und Rädern ist. 17
Einmal, als sie wieder aneinander gerieten und der Bauer schon die Hand aufzog, sprang der Michl auf ihn hin, packte ihn am Arm und biss ihm den Daumen bis aufs Bein durch. Da wurde der Bauer, dem sonst nicht leicht was ankonnte, weiß wie das Kirchenmäuerl und ächzte vor Schmerzen: „So ein Sauhund bist du!“ Von da ab hatte der Bursch sein Ding mit ihm gewonnen. Wenn es am Sonntag Bier gab, rückte der Bauer dem Michl den Krug öfter als sonst hin und sagte: „Sauf – die Schneid soll dir noch mehr wachsen!“ Auch sonst ließ er ihm nun mancherlei zukommen, was er ihm zuvor verwehrt und verweigert hatte, und zeigte ihm auch, was er zuvor versteckt und heimlich gehalten hatte. Da sah der Michl, dass ein Mensch mehrerlei Hosen und Seiten haben konnte. Die erste, die der Bauer hatte, war für die Welt – wie er ihm erklärte. Die zog er an, wenn er im Hof oder im Acker schaffen musste. Dann spuckte er in die Hände und werkelte wie ein Wilder. Er lud zwei Fuder, noch ehe der Knecht das erste hatte. Und wenn der Bauer ackerte, ließen die Rösser am Abend ihre Zunge bis an die Erde herunterhängen. Mittendrin aber schlüpfte der Bauer in die zweite Hose, und die war für den Wald. Dann kam er durch die Hohlgasse herauf, winkte dem Michl und rief ihm zu: „Ich brauch dich für eine Weil!“ Der Bauer arbeitete sich voran durchs Kleinholz, holte aus einem leeren Baumstock oder einem Erdloch einen Schraubstutzen, und dann brannte es in seinen Augen wie 18
Feuer. „Dass du mir fein das Maul haltst!“, drohte er, und die beiden lurten und schlichen wie die Wildkatzen durchs Revier. Auf einmal packte er den Michl beim Arm, deutete auf eine Stelle und sagte ganz leise: „Dort drin knackts!“ Er machte ihm Zeichen, wie er das Wild angehen und sprengen sollte, damit es richtig vor die Büchse käme, und als der Schuss gefallen war und das Reh auf der Erde lag, brachen sie es auf, richteten es sauber. Der Michl schaffte es hinunter in den Viehunterstand, steckte es in einen Sack, stopfte Gras und Laub dazu, und als er am Abend das Vieh eintrieb, warf er den Sack einer Kuh über, und kein Mensch dachte sich etwas dabei. * Bald bemerkte der Michl eine Veränderung an sich. Der Wald hatte Arme bekommen, mit denen er nach ihm greifen und ihn zu sich ziehen wollte. Wenn er sah, wie droben in der Höh die Eichkätzchen scherzten und der Fuchs durch die Wiese schlich, dann packte ihn plötzlich ein solches Gelüst nach dem Wald, dass er hinaufrennen musste und wenn sich alle Kälber und Schafböcke gleichzeitig verlaufen sollten. Davon erzählte er einmal der Mutter, die ihn daraufhin angstvoll anblickte und meinte: „Es ist net der Wald. Der Teufel langt nach dir hin, Bub! Und so hat er’s sellmal auch dem heiligen Toni gemacht!“ „Warum“, fragte der Michl, „hätt der Tonerl ein Wildschütz sein mögen?“ „O du Narr“, wehrte sie ab, „hast es denn nie net in der Predigt gehört. Mit dem Gelüst nach dem unerlaubten Fleisch hat der Böse den Toni fangen wollen. Aber er hat 19
net nachgegeben, und weißt, wie er’s gemacht hat? Mit einem Strick hat er sich eingeschnürt von oben bis unten her. Und so sollst es auch machen, wenn der Teufel wieder an dich will!“ „Jessas“, sagte der Michl, „da könnt ich ja nimmer rennen!“ * Wenn man einen Bock auf der Erde liegen hat, da zittern einem die Arme. Bei dem ersten hat man noch Angst und Scheu vor den glasigen Augen und dem rinnenden Blut. Aber dann kriegt man eine solche Gier darauf, dass man von dem warmen Fleisch fressen möchte wie der Wolf. Einmal war der Bauer mit dem Burschen droben auf dem Kühbuckel, da schossen sie einen stolzen Bock, und die zwei liefen darauf hin. Der Bock war aber gar nicht aufs Blatt getroffen, sondern bloß von einem Preller gestreift und mehr vor lauter Schreck als durch die Kugel gestürzt. Auf einmal kam er wieder zu sich, arbeitete mit Kopf und Läufen, stieß, schlug und sprang auf, ehe noch der Bauer das Messer zur Hand hatte. Aber schnell und ohne weiter darüber nachzudenken, hängte sich ihm der Michl an den Hals. Der Bock fing an zu rennen, schüttelte und wehrte sich, baumelte und riss den Burschen mit durchs Gebüsch. Doch der Michl ließ nicht mehr los, und konnte den Bock endlich zum Stehen bringen, so dass der Bauer herankommen und mit dem Knicker zustoßen konnte. Wie dann der Michl auf sein Hemd hinunterschaute, das nach der wilden Rauferei nur mehr lauter Fetzenzeug war, lachte der Bauer und sagte: „Bürscherl, dich möcht 20
ich gar um den Teufel schicken, ich glaub du bringst ihn mir im Hosensack daher.“ Es ist wahr, ein rechter Stingl und Balg war der Michl in der Ramsrieder Zeit geworden. Er mochte mit jedem Stierbummerl raufen und aus den höchsten Nestern die jungen Wildtauben herunterholen. Von der Größe war er dem Bauern schon gleich, und bald würde er über ihn hinausschauen. An seiner Joppe merkte man, wie ihm die Arme allweil noch mehr aus den Ärmeln herauswuchsen. Und ehe das zweite Jahr zu Ende ging, sagte der Bauer: „Du Zaunstingel bist mir für deine geringe Arbeit zu schad. Auf den Hirgst ding ich dich als Rossknecht!“ * Der Michl stieg aber nicht zum Rossknecht auf. In der Woche nach dem Peterstag hatte der Bauer seine dritte Hose angelegt, und die war fürs Züchthaus. Der Hussdax hatte ihm dazu verholfen – der Teufel reit seine grundschlechte Seel! Als eines Tages die Gendarmen dazukamen, wie der Hussdax droben am Wald ein paar Drahtschlingen einhängte, packten sie ihn am Genick und sagten: „Haben wir dich endlich – im Verdacht bist du eh schon lang!“ Da schrie er, warum sie es gerade auf ihn abgesehen hätten, die Großkopferten aber könnten frei jagern und wildern, wie und wo sie wollten – ja, sie sollten nur einmal beim Ramsrieder Bauern nachschauen! Daraufhin hatte man den Bauern für zwei Jahre nach Amberg geschafft – dem Mich! grauste es, wenn er daran dachte. Denn nicht viel hätte gefehlt, und so wäre auch ihm so eine Hose angemessen worden. Doch der Bauer hatte nichts verraten und alles auf sich genommen. 21
* Gleichwohl hatte der Michl jetzt keine Freude mehr an seinem Dienstplatz, und darum sagte er der Bäuerin die Arbeit auf und machte sich auf zum elterlichen Anwesen. Aber im Beckendorfer Inhäusl standen die Dinge gar nicht gut. Der Vater lag krank auf der Bettstatt, das sulzige Knie war im Winter wie ein Sausack aufgetrieben und ganz gläsern. Der Michl musste allfort Dachziegel am Feuer erhitzen und damit das kranke Knie wärmen. Derweil mähte und gabelte die Mutter beim Bauern von früh bis in die sinkende Nacht hinein, was ihr von Tag zu Tag schwerer fiel. Sie war jetzt schon am Sechziger und so zusammengerackert und dünn, dass man bald gar durch sie hindurchschauen konnte. Und wenn sie dann in der Nacht nach verrichteter Arbeit heimkam, so schrie der Vater auf sie lös: „Geh mir net zu nah, du Teufelsluder, sonst derschlag ich dich mit der Mistgabel!“ Schöntun zwischen dem Vater und der Mutter hatte der Michl nie gesehen. Doch wie es der Vater jetzt gegen die Mutter trieb, das war nicht mehr mit anzusehen. Die Mutter hatte sich aber längst daran gewöhnt und meinte beschwichtigend: „Lass ihn. Es ist seine eigene Unmacht, die ihn so fuchtig macht. Er merkts, dass er allweil letzter wird und denkt, ich hätt ihm den Wehdam angewünschen, weil ich ihm doch so oft abgeboten hab, wenn er ins Böhmische hinüber ist.“ „Hat er noch oft für den Rosshandler getrieben?“, fragte der Michl zurück. „Ja, für den und gleichviel für unsern Bauern, der im 22
letzten Hirgst auch wieder fleißige Handelschaften gehabt hat mit Ochsen und Rössern, die sie drüben von Kreuzwinkel und in der Grün geholt haben. Oftmals sind sie die ganze Woche ausgewesen, und ich hab mich zu Tod geängstigt, weil doch im andern Jahr ein paar Treiber von den Grenzgendarmen erschossen worden sind. Und jetza hat sichs der Vater in den Kopf gesetzt, ich sollt den Adam heimtun, damit er statt seiner treibt, und das leid ich net!“ Wie der Michl nun in den Boden stierte und nichts darauf antwortete, sagte sie: „Vielleicht wird er dich auch drum angehen. Aber ich lass es net zu, solang mir der Herrgott das Leben gibt. Net beim Adam und net bei dir und bei keinem von meinen Kindern, dass eins auf den Weg kommt, wo jeder Gendarm ungestraft drauf schießen darf wie aufs Freiwild!“ Ja, das sagte sie damals, und daran hat sie sich noch oft erinnert, wenn in späteren Jahren die Streifer haufenweis gegen den Michl ausmarschiert sind und dabei so leichterhand mit den Gewehren herumgefuchtelt haben, als hätten sie es gar nicht auf ein Leben, sondern bloß auf das Ziel in einer Scheibe abgesehen. * Dem Michl wurde das Hinsitzen und Aufwarten beim Vater schon nach einer Woche so zuwider, dass er nicht mehr bleiben mochte. Da sagte er zur Mutter: „Am liebsten war mir, ich könnt irgendwo als Jagerbursch ankommen. Glaubst net, dass mich der Lichtenegger nimmt?“ Die Mutter fragte: „Muss es denn ein Platz als Jager sein? Tuts net auch einer bei einem Schlosser? Dafür wüsst ich dir was.“ 23
Der Michl wusste aber gut, worauf die Mutter hinauswollte. Wie ihm der Vater schon erzählt hatte, war in der vorletzten Woche die Kötztinger Botenfrau da gewesen und hat für den Further Schlosser eine Anfrage weitergeleitet: Weil er jetza ans Haus drangebaut hat, möchte er einen Buben in die Lehr nehmen. Ob nicht die Heiglin einen von den Ihrigen ins Handwerk geben wollt. Denn weil sie zueinander eine Verwandtschaft hätten, möchte er zuerst hier anfragen. Der Michl überlegte hin und her, was er machen sollte. Dann packte er eines Tages seine paar Sachen zusammen und richtete sich zum Fortgehen. Er wollte das Angebot des Further Schlossers annehmen. Denn wiederum hatte der Vater so abscheulich gegen die Mutter geflucht, dass es schier nicht mehr zu Ertragen war. „Es sind die letzten Schnäbler, die er tut“, sagte die Mutter beim Abschied traurig zum Michl. „Ich weiß es lang, dass es für ihn nix mehr zu hoffen gibt. Gleich wie es angefangen hat, hab ich auf dem Weißenregen ein Kerzl für ihn aufgesteckt, aber es ist noch beim ersten Vaterunser ausgelöscht. Bub, das bedeutet was, dassell weiß ich.“ Als der Michl dann noch einmal die Dachplattl erhitzte, verabschiedete er sich vom Vater. Da wusste er hoch nicht, dass er ihn da zum letzten Mal sehen sollte. Schon ein paar Wochen später ist sein Licht für allweil ausgelöscht worden. Der Michl hörte aber erst lang hernach davon. Denn um einen Häuselmann ging die Leichenbitterin nicht fürs Dorf hinaus, und von so einer Leich wurde auch nichts herumerzählt, weil erst gar keiner hinging. Am meisten schimpfte deswegen der Beckendorfer Bauer. Mit aufgehobenen Händen bat ihn nämlich die 24
Heiglin, dass er für die Kosten aufkommen und ihrem Mann das letzte Bett richten sollte. „Himmelherrgott“, plärrte er sie herzlos an, „soll ich ihn jetza auch noch einscharren lassen, wo ich ihn eh sein halbes Leben lang für nix und wieder nix geatzt und gewandet hab!?“ Schließlich kamen sie überein, dass der älteste von den Heiglbuben, der Adam, sich beim Bauern verdingen sollte, aber so lange ohne Lohn, bis die Schuld abgearbeitet wäre. Seht, liebe Leut, so ist das mit einem Häuselmann. Er hat von seinem Bauern eine notdürftige Logis in einem an die äußerste Ecke des Hofes oder auch bis an den Waldrand hinausgebauten Inhäusel. Er hat einen Bifang Erdäpfel und ein Körbl Weißkraut, dazu ein Festmaß Scheiter zum Brennen und Holzschuhschnitzeln und noch einen Karren voll Besenreiser. Aber davon ist nichts geschenkt, sondern muss mit Weib und Kind abverdient werden, wann und wie es der Bauer verlangt. Und hat der Häuselmann an solchen Arbeitstagen auch das Essen vom Bauern, so ist das Jahr doch vielmal länger und hat auch Feiertage, über die man sich dann auf andere Weise hinüberfretten muss. Da wirds manchmal schon not, dass man ein Ochsel über die Grenze treibt oder dass die Kinder zum Betteln und Stehlen gehen. Und stirbt dann so ein notiger Hund, so muss seine Anverwandtschaft noch sein Grab abarbeiten. Die Heiglin hatte sich immer gewünscht, dass es ihren Kindern einmal besser gehen sollte, und oft genug hat sie ihnen gesagt: „Was ist denn an einem Häuselmann? Er ist net mehr als die Laus im Hemd. Wenn der Meister kratzt, muss man laufen und kommt doch seiner Not net ledig, sollt eins gleich hundert Hände rühren!“ Wie jetzt der Michl seinen Weg auf Fürth zu suchte und hinter Thenried durchs Holz ging, spürte er wieder, 25
wie der Wald ihn packte. Im Wald hatte die Welt ein anderes Licht, das tröpfelte über die Blätter herunter wie ein grünes Brünnel und putzte Augen und Ohren. Über sich hörte er den Wildtauber gurren und droben in der Baumkrone sah er den Brutplatz. Da vergaß der Michl gleich seinen Weg, kraxelte hinauf und plagte sich wie ein Aff. Aber das Nest war leer. An einer anderen Stelle, wo vom Sengenbühl eine Waldstraße auf Madersdorf hinüberging, sah er bei einem Dickicht die zerfledderten Flügel einer Gans, und nicht weit davon war das Fuchsloch. So suchte er den Dingen nach, bis es Mittag war. Da rastete er neben einem Waldbrunnen und aß aus dem Hosensack heraus sein Brot. Er schätzte, dass es bis auf Fürth hinein noch drei Stunden Weg war, und weil er fand, dass er noch früh genug an den Schraubstock kommen würde, blieb er lange sitzen. Ach, es ist eine schlechte Wanderschaft, wenn einem kein bisschen Lust und Liebe das Gangwerk schmiert! Wer konnte ihm denn versprechen, dass er an einen guten Platz kommen würde, für den sich das Laufen überhaupt lohnte? Die Mutter hat oft recht ungut über den Further Vetter geredet und gesagt: „Der ist von Streithausen, und seine Frau ist in Wassersuppen daheim. Die Vögel hätten die zwei net schöner zusammentragen können.“ Da wurden dem Michl die Beine noch schwerer. Seiner Lebtag, dachte er, würde er mit trockenem Brot zufrieden sein, wenn er dafür frei sein könnte wie der Holzfuchs. Erst wie es auf die Nacht zu ging, riss er sich zusammen und setzte seinen Weg fort. *
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Im Schlosserhaus fing es gleich ungut an, als der Michl kaum recht eingetreten war und seine Sache vorgebracht hatte. „Jessas“, jammerte die Frau, „was tun wir mit einem solch alten Lackl. Wir hätten an einem spintigen Bübl genug gehabt, das mir das Wasser tragt und die kleine Zenzi ein bissl in der Kindsschäsen herumfahrt!“ „Ich werd auf den Hirgst einundzwanzig“, sagte der Michl, „und ein Ausgewachsener kann allweil besser zupacken wie ein Milchsuppenzuzler.“ Währenddessen sich dann der Schlosser nach der Heiglin und den Beckendorfer Umständen erkundigte, legte die Frau einen Brotlaib auf den Tisch und brachte dem Michl dazu ein Stückchen Fleisch – aber nicht dicker und breiter wie zwei Finger. Der Michl setzte sich nieder, langte gleich auf das Fleisch und wollte es auf einmal in seinen Mund schieben. Da schrie sie ihn an: „So nimm doch das Messer und zipfel es dir auf, dann hast länger dran!“ „Wie das?“, fragte er sie. „Glaubst denn, der Bauch wird ehnder voll, wenn ich ihms kleinweis eingeb?“ Er schob nun erst recht gleich das ganze Fleischbröckl hinein, machte sich dann an den Brotlaib und verschlang mehr als die Hälfte davon. Da bekam die Frau im Gesicht alle Farben und rannte plärrend in die Flötz hinaus. „O du lieber Himmelvater“, tränzte sie, „er wird uns arm fressen, wenn wir ihn behalten!“ „So schrei bloß net“, vertröstete sie der Schlosser, „ich will ihn schon gehend machen. Aber wenn man dem Hund den Schwanz abzwickt, lasst man ihm die Scher net dervor sehen.“ Und es wurde bald offenbar, wie der Schlosser seine 27
Schere ansetzen wollte. Er nahm den Michl mit in den Stall hinaus, gab ihm eine Gabel und einen Schärrer und befahl ihm: „Mist den Säuen aus und kratz hernach bei den Hennen die Häufl ab!“ Und kaum hatte der Michl das erledigt, stellte der Meister ihm die Eimer hin und schaffte an: „Hol drent beim Reitberger das Wasser, das unsrige stinkt so!“ War der Michl dann genug gelaufen, so holte ihn der Schlosser in die Werkstatt und ließ ihn die Eisenstangen über den Amboss halten. Er schlug aber gerade so, dass es dem Burschen die Arme prellte. So ging es fortan einen Tag wie den andern, und der Meister wusste allweil was, wie er den Burschen springen und schwitzen lassen konnte. Wenn es nicht schon wieder auf den Winter zugegangen wäre, wäre der Michl wohl auf der Stelle davongerannt. Denn eines war ihm lange klar, in Fürth würde er nicht Schlossermeister werden. * Als dann die Welt wieder grün wurde und ihr frisches Jöppl überstreifte, packte den Michl endgültig das Gelüst nach einem freien Leben. „Ich geh“, sagte er, „Meister, zahl mich aus!“ „Was net gar“, zahnte der Schlosser, „auszahlen sollt ich dich auch noch, wo du uns eh arm gefressen hast. Zwei solchene wie du arbeiten den größten Bauernhof auf.“ Am Abend musste der Michl drüben im Pfarrhof einen Schlüssel an eine Truhe anpassen. Als das Schloss der Truhe aufschnappte, sah er drin einen Strumpf mit Geld. Lauter Dreier und Batzen, wie sie beim Opfergeben in den Teller klapperten. 28
Ein paar machen noch keine Dulle, dachte er bei sich und wollte sich etwas auf die Hand zählen, als hinter ihm die Tür knarzte. Da ließ er gleich den ganzen Strumpf in seinen Sack fallen, sprang ebenerdig zum Fenster hinaus und rannte davon. Er lief aber nicht zum Schlosserhaus, sondern auf der anderen Seite zur Stadt hinaus, und das gestohlene Geld hetzte und trieb ihn weiter und weiter. Es wurde schon finster, da fand er schließlich ein Erdloch, in das er sich kopfvoran hineinwarf. Aber wie tief er sich auch hineinduckte, – er fand keine Ruhe. Das Geschrei der Nachtvögel verfolgte ihn, und von weit her hörte er es kreischend krächzen: „Manderl, dein Handwerk wackelt!“ Da fuhr er aus seinem Unterschlupf heraus, hob die Faust und brüllte trotzig dagegen: „Leck mich die ganze Welt. Mags also wackeln!!“ Am andern Tag putzte sich der Himmel und sorgte für einen blauen Tag. Der Hunger scheuchte den Michl aus dem Wald hinaus. Er ging nach Aign hinüber, klopfte ein paar Häuser ab, machte sich hernach weiter auf Warzenried zu und strich hinum und herum wie ein Vogel, dem die Holzmacher das Nestbäuml weggeschnitten hatten. Er kannte die Sprüchlein, mit denen man den Leuten etwas abbetteln konnte und erinnerte sich noch recht gut daran, wie ihn damals der Vater angelernt hatte. „Als Waisenbübl musst anfangen“, hatte er gesagt, „und hilfts nix, so gib dich für ein Abbrandlerkind aus. Und tuts auch das net, so sag, dein Vater sitzt eingesperrt, weil er den Gendarm geschlagen hat – das hilft auch bei den knickerigsten Bauern.“ Daran hielt sich der Michl auch jetzt, und es geschah gar nicht selten, dass ihm die 29
Bäuerinnen noch ein Kreuzerl auf den Brotscherz drauflegten. Als später die Wiesen schon abgeheut waren und das Kornfeld untenher gelbe Stiefel anzog, kam Michl an den Brennessenhof. Alle Türen standen sperrangelweit offen. Da müsste eine Anfrage leicht sein, dachte er spitzbübisch und wollte eine Gelegenheit abwarten. Aber da kam aus dem Stall heraus eine Dirn gelaufen und rief ihm entgegen: „Du, kannst du mir ebba helfen?“ „Was es halt ist“, meinte er zurückhaltend. „Weißt“, erklärte sie ihm, „die Gescheckete kalbet, und ich kann das Motscherl net kriegen.“ „Ich bin auch net als Hebamm gelernt“, lachte er. „Aber Kraft hast doch wohl?“ „Dassell ja. Oftmals gar zu viel!“ Sie gingen also gemeinsam in den Stall hinein, und dem Michl machte es gar nicht viel Mühe, bis er das Kalb hatte. Da schnaufte die Dirn erleichtert auf, und wie sie dann von ihm hörte, dass er schon länger unterwegs wäre, ging sie mit ihm ins Haus, schlug ein halbes Dutzend Eier in die Pfanne und stellte ihm dazu ein Haferl Milch hin. „Jetza iss“, sagte sie, „derweil hol ich dir ein anderes Gwand, das deinige pickt ja vom Dreck!“ Als sie dann mit einem leinenen Hemd aus der Kammer kam, setzte sie sich nebenhin auf die Bank. „Es ist eins vom Bauern“, meinte sie leichthin, „aber er siehts ja net. Weißt, er ist heut auf Sankt Katharina hinüber ins Wallfahrten. Sched ums Beten aber wird ihm net sein. Er hat dort drüben eine Wittib, und die möcht er nach 30
der Amt heiraten, weil doch die Seinige im überandern Jahr gestorben ist.“ „Und da lauft er bis auf Kathrinen“, meinte der Michl verwundert, „und dich mag er net?“ „Noja“, gestand sie ihm offenherzig zu, „hie und da mag er mich schon, und ich kenns gleich, wenn er gelüstig wird, nachher Seifert ihms Maul und tröpfelt ihms Wasser übers Leibl herunter. Und der Wasterl, der bei uns der Knecht gewesen ist, hat mich fein auch angelinselt, und deswegen hat ihn der Bauer auf Lichtmess ausgeschafft. Seither sind wir zu zweit!“ Ach Gott, was schwätzte sie nicht alles, und der Michl mochte es gern hören, wie ihr der Schnabel surrte. Öfter und öfter blickte er auf sie hin, und da wurde es ihm warm und es rumorte in ihm wie in einem Imbenstöckl, wenn er ausfliegen will. „Ich weiß gar net“, schnaufte er, „du hast mir dennerst nix getan, und doch möcht ich dich jetza drosseln und würgeln.“ Sie fürchtete seine Wildheit nicht, sondern lachte bloß dazu und kuderte allweil ärger. „Weißt“, sagte er, „so eine wie dich möcht ich einmal heiraten. Vielleicht könnten wir uns ein Ackerl dersparen und ein Häusl. Ja, da wärst du mir die Richtige dafür.“ Bei ihrem Gekuder hätten sie bald den Bauern überhört, der entgegen seiner Abrede schon zeitig wieder heimgekommen war. Denn weil seine Heilige die Gebetlein nicht anhören wollte, so war gleich das Amen und das Kreuz gemacht. Speib der Teufel die Wand an! So was brachte einen Bauern wie den Brennessen noch lang nicht um. Er hatte sich dafür im Rittsteiger Wirtshäusl getröstet, wo er mit ein paar durstigen Saufbrüdern seinen Ärger hinunterge31
schwemmt hatte, bis er die Welt nicht mehr von einem Erdapfel unterscheiden konnte. Da hingen sie ihm dann eine Kuhglocke um den Hals und richteten ihn auf den Weg, den er fort und fort dahinglöckelte wie der Prangochs. Ungesehen konnte der Michl nun nicht mehr hinaus, der Bauer tanzte schon aufs Haus zu. Da wisperte die Dirn: „Spring schnell auf den Dachboden hinauf und duck dich unter meinem Bettstattl unter!“ So was ließ sich keiner zweimal schaffen. Und erst am andern Tag in der Frühe stieg, er durchs Dachfenster hinaus, kletterte hinunter und machte sich wieder auf den Weg. „Dirndl“, rief er zurück, „den Weg merk ich mir, und hinaufzu soll er mich das andermal besser freuen als hinabzu!“ * Wie er dann auf der Straße fortging, kam ihm das Häusl mit dem Acker wieder in den Sinn. Da und dort, meistens ganz versprengt und auf die kalte Hangseite verschlagen, sah man solche Nester, wo sich einer auf einem kleinen Erdfleck angesetzt hatte. Es waren armselige Hütten, darunter viele genug, die über die Grundmauer nicht hinausgewachsen waren, oder die schon wieder verfallen und leer dalagen wie hohle Schneckenhäuser. Ach Gott, dachte er bei sich, was spinnt man nicht alles, wenn einem der Gockel im Hirn pickt! Im Weitergehen wurde der Michl wieder nüchtern. Sein Weg führte ihn ins Böhmische hinein. Dort drüben 32
wohnen zünftige Leute. Dort lassen sie am Prangertag die Militärmusik mitmarschieren. Und dort drüben gelten die frommen Bettelsprüchlein noch mehr als herüben, dachte er bei sich. Der Sommer zog bereits heran und das Wetter war schön. Da hatten die Herumziehenden keine Not. Nun waren die Nächte warm und lind, und der Wald hatte jetzt für jeden ein Bett. Bei seinen Fahrten fand er immer leicht Gesellschaft. Denn wie er waren im ganzen Lande noch viele unterwegs. Heimatlose, versprengte Kerle und Weibsbilder von überall her. Wie sich einmal eine ganze Gruppe zusammengefunden hatte, zeigte einer ein Büchlein herum, darin waren die Landfahrer mit Namen, Aussehen und Herkunft aufgezeichnet, die der Mitterfelser Landrichter in seinem Amtsbereich angetroffen hatte. Da waren spaßige Leut drunter: kröpfet, schlechfotzet, hatschet und hinkend, gestroblet und sommermirlet, zahnlucket und braschet. Und die einen gingen, wie zu lesen war, schmierbig und dreckig, andere hatten saubere Janker oder Soldatenröcke mit glänzenden Plattlknöpfen, und sogar solche mit Pfarrerkutten waren darunter. Die Landfahrer hatten alle Professionen, wie es der Tag und die Stunde verlangte. Heute waren sie Schneider oder Körbelzäuner, morgen gaben sie sich als Schinder oder Siebelflechter. Die meisten trieben herum wie Schaumblasen in einem Wasserwirbel und hatten kein Verlangen danach, irgendwo eine feste Bleibe zu finden. Aus ihrer angestammten Heimat hatte man sie hinausgejagt und mit 33
einem Fußtritt über die Grenze geschubst, und nun mussten sie die andern haben – ob sie es wollten oder nicht. Einmal traf der Michl mit einem zusammen, den sie den Zwiedämb nannten, weil an der einen Hand sein Daumen gespalten war, so dass der Finger wie doppelt aussah. Der Zwiedämb hatte früher im Steinbruch von Metten gearbeitet, aber in dieser Zeit mehr gestochen und gerauft als Steine geschlagen. Seine Geschichten waren auf und ab bekannt wie Falschgeld. „Weißt“, sagte er, „wenn ich bei einem Dorf vorne hineingeh, lasst hinten im letzten Hof die Bäuerin schon den Hund von der Leine. Das hat auch sein Gutes. Ich brauch allweil bloß bis an den Zaun zu gehen und zu pfeifen, alsdann schicken sie mir gleich was heraus!“ Wie der Zwiedämb weiter erzählte, hatte er ein festes Revier, über das er nicht hinausging. Er kannte auf und ab alle Heuschupfen und Getreidestadel, in denen man für die Nacht unterschlupfen konnte. Und kam der Winter, so ging er wieder nach Metten und ließ sich ein paar Wochen lang einsperren. „Das ist ganz einfach“, sagte er grinsend, „ich bettle beim Landrichter oder setz dem Assessor offen meinen Dreck vor die Tür, und schon weisen sie mich ein. Wenn du einmal hinkommst auf Deggendorf, so schau dir die Wand in der Keuche an. An die dreißigmal siehst du dran die zwiedämbige Hand, und das ist die Unterschrift, die ich überall hinsetz.“ * Auch das schönste Jahr hat nicht lauter blaue Tage, und nun ging es schon dem Herbst zu. Überall hing es grau und trüb, der ganze Wald war wolkenumkränzt und ku34
schelte sich zusammen wie die Katz, wenn sie sich zum Schlafen niederlegt. Die Bauern brachten die Erdäpfel heim und ackerten bereits für das Winterkorn. Da erinnerte sich der Michl wieder an die Dirn vom Brennessenhof. Ob der Glöckelbauer vielleicht doch noch seine Heilige aus Katharinen herübergeholt hatte, dachte er und lurte auf das Haus hin. Drin rührte sich nichts. Drüben hinter dem Hausgarten schaffte der Bauer mit der Dirn. Dem Michl schien es die richtige Stunde zu sein. Er stieg übers Schindeldach hinauf und kraxelte durch das Fenster in den Dachboden hinein. Es wunderte ihn aber, dass er auf dem Dachboden die Bettstatt nicht mehr fand. Gern hätte er sie dem Dirndl ein bisschen vorgewärmt für die Nacht. Er setzte sich schließlich in eine Ecke und wollte die Nacht abwarten. Dabei schlief er ein. So schlief jetzt, als die Sonne am Untergehen war, draußen im Wald auch mancher Ringeltauber ein, ohne zu ahnen, dass der Marder schon auf dem Ast saß und nach ihm lurte. Gleicherweise verschwendete der Michl in seinem Winkel keinen Gedanken daran, dass ihm von der Absetz her der Gendarm nachgestiefelt war. Als es ganz finster war, sprangen auf einmal zwei auf ihn drauf, setzten ihm die Knie in den Bauch und banden und schnürten ihm die Hände zusammen. „Was habts denn – was wollts denn!?“, schrie er erschrocken. Als sie ihn hinunter in die Stube brachten, erkannte er den Gendarm von Lam und den Glöckelbauern, und zuletzt kam auch noch die Dirn dazu. „Jessas“, schrie sie, „der Lump hat gar das Hemd vom Bauern an! Ziehts ihm aus!“ 35
Es half dem Michl nichts, dass er sie an das Motscherl und das Eierschmalz erinnerte. Sie war vor ein paar Wochen Bäuerin geworden, und darum war jetzt das Sach vom Bauern auch ihr Sach, und nun stand ihre Bettstatt drunten neben der vom Bauern. Ja, die Zeit bringt die Leut zusammen, und dabei macht sie manchmal seltsame Hupfer. „Marsch jetzt“, sagte der Gendarm, „wir zwei tun auf Kötzting hinunter!“ * Als sie den Michl in Kötzting sahen, sagten alle: „Soso, kommst wieder und hast es doch so hoch verschworen, dass wir dich nimmer kriegen!“ Sie fragten ihn, warum er denn das Faulenzen und Strawanzen nicht aufgegeben und sich nach einem festen Arbeitsplatz umgeschaut hätte. „Habs eh getan“, sagte er, „ich war übers zweite Jahr der Hütkerl beim Ramsrieder Bauern, aber jetza sitzt er in Amberg, und dorthin mag ich ihm net nach.“ Was er denn weiter getrieben habe, fragten sie. Der Michl war schlau genug, dass er von seiner Further Zeit nichts verlauten ließ, also gab er ihnen Auskunft: „War im vorigen Sommer bei den Bauern von Lam und hätt der Stierhirt auf dem Osser werden mögen, aber sie haben mich net angenommen.“ Sie wollten es ihm glauben, sagten sie, es war aber doch keine richtige Arbeit für ihn. Ob er denn nicht in ein Handwerk wolle? „Freilich will ichs“, erklärte er, „ich möcht gleich auf der Stell ein Büchsenmacher werden.“ Warum akkurat so was? Dafür sei kaum ein Platz zu 36
finden. Ob er nicht beim Gulder, dem Kötztinger Huterer, einstehen möchte, der suche für sein Handwerk einen kräftigen Kerl. „Dafür taug ich net“, sagte der Michl. „Hasenbälge schaben, das steht mir net für die Nase. Ist auch eine stinkende Arbeit. Aber der Gulder könnt mich für einen Jager annehmen, ich tat ihm gern die Hasen schießen, damit er allweil genug Häutel hat.“ Nein, das würde nicht gehen! „Alsdann lasst mir meinen Fried!“ Da holten sie abermals den blauen Pappendeckel aus dem Schrank, banden das Schnürl auf und hielten dem Michl eine neue Lesung: „… ist siebzehntens in Verdacht, bei dem Gütler Paul Dimpfl von Grub mittels Wegnahme durchs Fenster hindurch ein Filigrankreuzl und einen Georgitaler entwendet zu haben. Beruht auf Habhaftmachung und Vernehmung des Michl Heigl.“ „War nie net in Grub“, sagte der Michl, „und das Filigrankreuzl hab ich vor etlichen acht Wochen bei einem Weibsbild gesehen, die im Haibühler Gäu geht und die Schörgen-Kathl genannt ist.“ Sie notierten seine Angabe aufs Blatt und nahmen das nächste zur Hand: „… ist achtzehntens in Verdacht, in Verbindung mit dem Joseph Pongratz von Kager, vulgo Maulaffenhiasl, bei dem Metzger Wolfgang Zachmann zu Grafenwiesen mittels gewaltsamen Einschiagens einer Fensterscheibe drei und ein halb Pfund Schaffleisch entwendet zu haben. Beruht auf Habhaftmachung und Vernehmung des Michl Heigl.“ „Weiß dem Metzger sein Haus gar net“, verteidigte sich der Michl. 37
Ob er dann den Maulaffenhiasl auch nicht kenne, fragten sie weiter. „Doch! Ich kenn ihn, bin aber net öfter als zwei-, dreimal mit ihm zusammengewesen, und das war einmal drent in der Viechtacher Gegend und herent in Chamerau, aber nie net in Grafenwiesen!“ Sie vermerkten seine Aussage auch hierzu und lasen weiter: „… ist neunzehntens …!“ Dem Michl wurde das Kragenbandl immer enger, er zog und riss daran wie an einem Halsstrick und dachte bei sich: ‚Jetzt wird das Further Strümpfl kommen, und darauf gibt es keine Widerrede mehr. Dann tun sie mir das Kettl an die Hand.’ Aber das Further Strümpfl stand nicht in den Kötztinger Papieren. Das Strümpfl war furthisch, und furthisch war oberpfälzisch, und das ging auf Regensburg zu. Kötzting aber war niederbayerisch, und das ging auf Landshut. Das sind zweierlei Straßl und Gang. * Als das Gericht diesmal die Rechnung machte, blieb ein wenig was stehen, und der ledige Inwohnerssohn Michl Heigl von Beckendorf wurde wegen fortgesetzten Müßiggehens zu vierzehn Tagen Arrest verurteilt und gleich abgeführt. Nun saß er wie ein Häuflein Elend in der stinkenden Keuche, und obwohl er durch das Fenster sehen konnte, dass es draußen das allermiserabelste Wetter hatte und es durcheinander regnete und schneite, so mochte er dem Kötztinger Assessor doch nicht dafür danken, dass er ihm ein Dach über dem Kopf verschafft hatte. Da fiel im der Zwiedämb wieder ein – ja, der würde 38
jetzt dem Deggendorfer Assessor sein Stückel mit Absicht bringen, damit ihm der strubbelige Schädel nicht nass werden würde. Aber für den Michl war das Eingesperrtsein genauso, als wäre er bereits gestorben. In der Keuche hatte die Welt keinen Himmel, und mochte auch ein Fenster in der Mauer sein, es gab doch keine Sonne, die da hereinschien. Die zwei Wochen waren für ihn wie eine Ewigkeit. Jeden Tag kratzte er einen Strich in die Wand, achte, neune. Endlich kam das vierzehnte. Der Keuchenmeister warf ihm seine Habseligkeiten vor die Füße und sagte mahnend: „Leg jetza dein Gewand wieder an und lass dich net mehr blicken bei uns! Das merk dir. Das nächste Mal marschierst ins Arbeitshaus. So ist das bei uns der Gang. Je öfter einer kommt, je besser wird er eingetaucht. Drum sei gescheit, schaff was – bist zum Lernen noch lang net zu alt!“ „Ich probiers also“, erwiderte der Michl aufrichtig, „vielleicht find ich einen Platz als Jager.“ „Spinnst allweil noch auf so was?“ „Ja, allweil tracht ich auf das, was mich freuen tat“, gestand der Michl. Und wie er dann sein eigenes Gewand wieder am Leib hatte, wurde er wieder munter und spürte das Blut, wie es lebhaft durch seine Adern floss und wie sein Herz voller Erwartung schlug. Da streckte er sich wie einer, der lange geschlafen hatte und jetzt voller Tatendrang in die Welt hinaus wollte. „Na na“, sagte der Keuchenmeister, „so wirds nix mit dir! Tu dich net so groß machen. Duck dich besser, Michl, duck dich!“ „Dassell kann ich net“, sagte er, „wills auch net lernen. Es laufen eh schon zuviel herum, die bucklet gehen wie die Katzen.“ 39
Und dann ließ er seinen Darm poltern, dass dem Keuchenmeister grauste. Kurz darauf hatte der Michl das eisenbeschlagene Tor hinter sich und stamperte noch ein wenig im Markt herum. Er überlegte, wohin er nun gehen sollte. Vielleicht sollte er wenigstens auf einen Sprung nach Hause schauen. Dass der Vater gestorben war, hatte er schon gehört. Er wusste auch, dass jetzt der Adam der Inmann beim Beckendorfer Bauern war und fleißig Ochsen und Rösser trieb. Vom Apfelbeck Hans, der auch über die Grenze gegangen war, hatte er gehört, dass es bei einem Viehtrieb erst vor kurzem einen kleinen Unfall gegeben hatte. Adam musste nämlich, zusammen mit einem anderen, einen Trieb Ochsen aus dem Böhmischen herüberschaffen, und das waren so gschreimäulige Rinder gewesen, dass sie bei jeder Gelegenheit ihre Mäuler aufrissen und wie die Hirsche röhrten. Dazu waren sie auch faul im Gangwerk gewesen. Da hatte man ihnen Säcke ums Maul gebunden und ihnen, damit sie besser liefen, am Tag zuvor nichts zu fressen gegeben. Dass man ihnen aber auch nichts zu saufen gegeben hatte, war eine grobe Dummheit gewesen. Denn als der Trieb über die Berge zog, hatte einer der Ochsen einen Waldbach gewittert und um das Wasser geschrien. Und gleich hatten die anderen zu brüllen begonnen, dass man es schier bis auf Neukirchen hinein hören konnte. Daraufhin pfiffen weither vom Hangerhölzl ein paar Kugeln herüber, und eine hatte den Adam gestreift und ihm einen Büschel Bart samt der Haut abgeputzt, so dass er auf dem weiteren Weg auch mit verbundenem Maul gehen musste. Es war aber dann nichts weiter mehr geschehen, die 40
Ochsen waren gut nach Beckendorf gekommen, und der Bauer hatte sich an ihnen ein schönes Stück Geld abschneiden können. Wie nun der Michl auf die Regenbrücke hinunterging, begegnete ihm die Kötztinger Bötin und sprach ihn an: „Bist aber ein Prackel Mannsbild geworden, seitdem ich dich nimmer gesehen hab. Deine Mutter weiß es fein schon, dass sie dich in Kötzting drin in der Keuchen gehabt haben.“ „Ja“, sagte der Michl, verärgert über diese Nachricht, „das Leutgeschwätz hat eine schnelle Umfuhr.“ „Und die Mutter tränzt arg hart um die Schand, in die du sie gebracht hast“, erzählte die Bötin weiter. „So“, versetzte der Michl, „hat sie dann auch getränzt, wie der Vater in Kötzting drin gesessen ist? Ich hab fein seinen Namen net bloß einmal an der Wand eingeschrieben gesehen.“ Die Bötin redete weiter auf ihn ein, aber er hörte kaum noch zu. Die Freude aufs Heimgehen war ihm verdorben. Da überlegte er es sich anders und wanderte ins Zellertal hinüber. Er war noch nicht weit gekommen, da warf ihm der Kötztinger Assessor einen Prügel hinterdrein. Tat er es, weil er es bei der Aburteilung vergessen hatte oder wollte er dem Michl zeigen, dass das Gericht auch auf einen Lumpenfurz eine Antwort hätte? Kurzum: Man schlug an der Amtstafel den Beschluss an, dass der ledige Inwohnerssohn Michl Heigl für die Dauer von zwei Jahren unter Polizeiaufsicht gestellt und dass es für diese Zeit für jedermann untersagt wurde, dem Genannten Unterkunft und Herberge zu geben. Als die Heiglin davon erfuhr, weinte sie wieder. „So41
weit ist es also mit ihm gekommen“, jammerte sie, „dass ihm der Gendarm aufpassen muss bei jedem Schritt!“ Sie fing an zu beten. „Du lieber Herrgott“, rief sie zum Kreuzbild hinauf, „lass den Buben nicht ganz zum Lumpen werden!“ Doch ihre Gedanken wollten nicht zugleich mit den Worten hinauf zum Himmel gehen. Wann in ihrem ganzen Leben, überlegte sie verzweifelt, hatte sie schon einmal einen guten Tag gehabt? Das Sechzehner-Jahr fiel ihr ein, in dem sie den Michl zur Welt gebracht hatte. Eine arge Zeit war das gewesen! Hundert und elf Tage hatte es ohne Aufhören geregnet, so dass alle Ackerfrucht ausgeschwemmt und ersäuft worden war. Dazumal hatten die Müller statt der reinen Kornfrucht vielmal mehr Baumrinde, Queckenwürz und Steinmoos gemahlen, und die Bäcker hatten saichelndes Stierblut unter den Teig gemanscht und Brot gebacken, das ausgesehen und geschmeckt hatte, als hätte es vorher schon einer gefressen gehabt. In diesem Notjahr hatte die Heiglin den Michl zur Welt gebracht. Beim Viehhüten, droben an der Beckendorf er Häng, war das Kind einfach gekommen – kaum dass sie es gemerkt hat. Es war auch nicht mehr gewesen als ein strizzblauer Wurm, den sie dann in ihr Kopftüchl eingebunden und dem Schafhammel übergehängt hatte, damit das Neugeborene nicht auskühlen würde. Wer hätte damals gedacht, dass aus dem dürftigen Ding ein so wilder Kerl werden würde? Ach, die Heiglin hatte in ihren alten Tagen gar noch mehr Kummer und Sorgen als in früheren Jahren. Was sollte es denn überhaupt noch werden in dieser buckligen Welt. Man erzählte nichts Gutes. Die Leute redeten viel davon, dass die Erde nicht mehr lang halten würde! 42
„Bis in den letzten Mauswinkel hinein“, hatte der Mühlhiasl prophezeit, „wird alles ausgeputzt. Und fängst einmal an, so hälts auch keiner mehr auf. Keinem wirds dann noch was nützen, wenn er schnell den Herrgott aus dem Kasten holt und recht fromm an die Wand hängt. Der große Bankabräumer raitert die Leute nicht, sein Besen geht über alle wie über Hundsdreck, und wo er zuschlägt, verbrennt Erd und Stein!“ Ach, du allgütiger Herrgott, warum gibst du der Menschheit keine bessere Botschaft und lässt es zu, dass man so in Angst und Not leben muss? * Den Prügel des Kötztinger Gerichts bekamen bald ein paar zu spüren. Als ersten traf er den Bauern Joseph Mühlbauer von Hudlach, der, wegen nächtlicher Unterschlupfgebung an den Heigl, fünf Gulden ans Gericht zahlen musste. „Wie hätt ichs denn wissen sollen“, begehrte der Bauer auf, „es kommt schier alle Tage einer, und manchmal sind sie zu dritt und mehr, die ums Nachtschlafen im Streuschüpfl anhalten. Es hats aber keiner an sein Jöppl geschrieben, ob man ihn herbergen darf oder net. Und weigert mans dem Lumpenvolk, so gehen die Lackel ungefragt hinein, und man muss noch fürchten, dass sie einem vor dem Weggehen den Hof abbrennen.“ Doch das ganze Schimpfen nützte ihm nichts. „Zahl oder sitz dafür drei Tage“, beschieden sie, und so zahlte halt der Bauer. Dann traf es die Inwohnerin Franziska Lemberger von Watzlhof, und weil sie es nicht abstritt, dass der Heigl in ihrem Hüttl genächtigt und sogar in ihrem Bett geschla43
fen hatte, wurde sie für vier Tage in die Fronfeste geschafft und musste dort Getreidesäcke und Putzhadern flicken. Und bald schlug der Prügel immer mehr auf den Heigl selber ein. Als er im Sengenbühl, wo er schon einmal für ein paar Tage im Holz gearbeitet hatte, nach einer Unterkunft fragte, lehnte der Bauer ab: „Brauchen könnt ich dich, aber nehm ich dich, so kann ich nachher mein Holzgeld aufs Gericht hineintragen.“ So verfiel der Heigl immer mehr der Straße, und je öfter er abgewiesen wurde, desto weniger bittelte und bettelte er, sondern er nahm sich jetzt einfach heimlich, was er brauchte. So ging er immer öfter aus dem Kötztinger Land hinaus und war oft drüben in Viechtach und draußen in Deggendorf, wohin der Kötztinger Arm nicht reichte. In Gotteszeil traf er einmal den Stambauffer-Hansl. Der war auch ein Landfahrer und hatte in seinen achtzig Jahren nie eine feste Heimat gehabt. Er wusste nicht einmal, wo er geboren worden war. „Irgendwo hinter einem Zaun wars, wo mich meine Mutter abgesetzt hat“, erzählte er. „Sie war eine Landfahrerin und ist bald hernach an der Lunglsucht gestorben. Da haben sie mich auf Ebrach ins Kloster eingeschafft und haben mir dort das Drahtflechten gelernt. Und seither treib ichs und flick den Bäuerinnen die Milchsiebl und Troadraitern und mach Mausfallenhäusl!“ Als ihm der Heigl erzählte, dass er sich davor fürchte, wieder aufgegriffen zu werden und ins Arbeitshaus zu kommen, gab ihm der Hansl den Rat: „So schau dir um eine Handelschaft! Geh ins Häfendorf hinaus oder auf 44
Straubing, wo man die irdenen Weitlinge und Krügel macht. So was lässt sich allweil gern an die Leut bringen.“ Mit dieser neuen Idee im Kopf marschierte er weiter, und – egal ob es in Kröning oder in Straubing gewesen ist – er fand wirklich einen, der ihm für eine erste Handelschaft ein paar Schüsseln und Krüge und dazu ein halbes Dutzend glasierte Engel gab. Die trug er nun in der Kürbe von Haus zu Haus. Und bald konnte er seinen Handel vergrößern. Er legte sich einen Karren und einen Zughund zu und alles schien seinen Gang zu nehmen. Aber das Feuer, das der Hansl da entfacht hatte, machte auch Rauch und Gestank. Die Wege waren mühsam und dreckig, und das Geld war rund und wollte zu den Wirtshäusern rudln! Bei seiner Umfuhr wurde er bald von einem Dirndl begleitet, die Annamirl vom Gruber auf der Woid. Die Annamirl war eine Rotangespitzte und kratzte und biss, wenn man sie kitzelte. Der Heigl wurde durch dieses Techtelmechtel nicht frommer und fleißiger. Wie dann die Butzlküh fielen, trug sie ein Kind, und der Heigl brachte sie für eine Weil heim zu ihren Eltern. Als sie aber im nächsten Jahr wieder mit einem Kind kam, machte die Gruberin dem Heigl eine Faust und schrie ihm entgegen: „Wer Vögel züchten will, der sollt sich zuvor ums Häusel sorgen!“ Da kehrte er gleich bei der Tür um, zog wortlos weiter und ließ sich eine lange Zeit nicht mehr sehen. Oft war er drüben im Böhmischen beim Gattlgang in Holzschlag. Der stammte auch aus dem Kötztinger Gäu. Als sie ihn zu den Soldaten einziehen wollten, war er über die Grenze gegangen und hatte dort eine Bierschen45
ke eröffnet. Bei ihm trafen sich alle Schwürzer, die etwas hinüber oder herüber bringen wollten, und an manchen Abenden war die Stube brechend voll. Da ging dann den Burschen das Mundwerk, sie erzählten ihre verwegenen Geschichten und spielten voreinander auf, als wären sie allesamt über den Teufel hinaus und die Grenzer bloß dumme Affen. Manchmal saßen unter den Schmugglern auch ein paar Menscher, das waren richtige Luder. Sie gingen den Treibern voraus, schnatterten und kuderten recht laut durch den Wald, damit die Grenzer auf sie zuliefen und lenkten diese ab. In der Zwischenzeit brach dann der Trieb über die Grenze. In dieser gesetzeslosen Gesellschaft gefiel es dem Heigl, und dann tat ihm sein Geld auch nicht mehr leid. * Mittendrin fand Heigls Handelsgeschäft ein jähes End. Er wollte nach seinem Dirndl schauen und fuhr ins Kötztinger Gäu hinüber, als ihn ein Gendarm anhielt und ihn nach seinem amtsmäßigen Gewerbeschein fragte. „Gewerbsschein – zu was jetza das?“, fragte der Heigl erstaunt. „Wen kümmerts, dass ich Häfel und Engelköpf verhandel? Ich treibs jetza im vierten Jahr, und um den Gewerbsschein hatte mich noch keiner angehalten. Und hat net der Stambauffer-Hansl sechzig Jahr oder länger Siebel und Mausfallenhäusl verhandelt?“ „Heut ist nicht gestern“, versetzte der Gendarm, „wir haben jetza eine neue Zeit!“ „So so“, ärgerte sich der Heigl, als er dann neben dem Gendarm nach Kötzting fuhr, „kommts jetza auch über mich, die neue Zeit? Wie sie ausschaut, dassell weiß ich 46
eh, der Moosbrucker Nagelschmied hat. mirs unlang erzählte. Dass also seine Kuh in den Pfarrers garten hinein war und ein paar Salatstäudl abgerupft hat. Dafür hat der Nagelschmied drei Gulden Straf zahlen müssen. Wie aber dann die Pfarrerskuh in das Gartl vom Nagelschmied eingebrochen war, hat wieder der Nagelschmied zahlen müssen, weil an seinem Zaun eine schlechte Stelle gewesen sein soll!“ „Dein Schwätzen macht dir keine freien Hand“, versetzte der Gendarm. „Ich hab meine Anweisungen und krieg alle Tage noch mehr dazu. Die Welt springt jetza einen andern Tanz, seitdem wir die neue Regierung haben.“ . „Und wie der Tanz geht, das merk ich lang schon“, sagte der Heigl. „Es laufen noch zuviel frei herum, und ehvor würde keine Ruhe sein, bis net in jedem Dorfl ein paar Gendarmen sitzen, die aufpassen, dass auch alle mit dem richtigen Fuß vom Bett aufstehen, und dass hernach am Abtritt keiner die bloßen Finger hernimmt!“ „Ja mei“, sagte der Gendarm, „es werden allweil mehr Leut und dazu brauchts auch allweil neue Vorschriften.“ „Freilich“, fiel ihm der Heigl aufgebracht ins Wort, „in allen Häuseln sitzen die Leut schon übereinander, und da brauchts neue Vorschriften, Gewerbsscheine und andere Papierfetzen. Wer aber sorgt denn dafür, dass die Leut auch was zu fressen kriegen? Die Bauern wollen kein Holz mehr schlagen, weils keinen Preis mehr hat. Und jetza sollt einem auch noch die Handelschaft verboten sein – dassell darfs doch net geben!“ Als sie in Kötzting angekommen waren, lachte der Gendarm: „Hast dich jetzt ausgeschleimt? Dir ist gut zuhorchen, aufs Hirn bist du nicht gefallen und aufs Maul auch nicht!“ 47
„Na ja“, beruhigte sich der Heigl, „ich hab halt gesagt, was ich mir denk und was ich jeden Tag seh und hör. Wenn man fleißig herumgeht, wird man viel inne!“ * Nun saß er wieder auf der Holzpritsche in der Fronfeste. Sein Gewand hatten sie ihm weggenommen und dafür die haarige Keuchenkluft hingelegt. Sie würden ihm nicht trauen, sagten sie. Bloß seinen Hut hatten sie ihm gelassen. Es war derselbe alte Deckel, den er schon während seiner Zeit als Viehhirte gehabt hatte. Er glänzte vom Grind, und doch roch er tausendmal besser als das muffige Keuchenzeug. Wenn man dran schnüffelte, musste man an Baumpech und Tannenzapfen denken. Und da wurde dem Heigl noch mehr Angst um sein freies Leben. Das Hinwarten und Stillsitzen machte ihn ganz rabiat. Er musste hier raus und wenn es mit Gewalt wäre! In seinem Zorn riss er von der Pritsche ein Brett weg, aber es gelang ihm nicht, die Tür damit auszuheben. Wütend stürzte er den gemauerten Ofen um und warf die Steine gegen die Tür. Von dem gewaltigen Lärm alarmiert, sprang der Keuchenmeister mit seinem Gehilfen herein. Das waren handfeste Leute, die den wildgewordenen Kerl bald auf der Erde hatten. Sie legten ihm Handschellen an und hängten ihn für eine Zeit an der Wand fest, bis ihm seine Spaße vergangen waren. Die Anschuldigung lautete diesmal auf unerlaubte Handelschaft. Recht bedächtig ging die Sache ihren Weg. Der Assessor hörte die Geschichte vom Moosbrucker Nagelschmied und was ihm der Heigl sonst noch alles 48
erzählte, nicht sehr gern. Immer wieder unterbrach er Heigls verteidigende Worte und ließ ihn zurück in die Keuche bringen, bis Heigl den Mut verlor. Dann endlich kam seine Stunde. Er ließ Heigl zur Protokollierung vorführen und mahnte ihn: „Merk Er sich, wenn Er sich wieder muckst, kann Er abermals eine Woche zuwarten!“ Der Heigl versprach ruhig, dass er jetzt alles in Ruhe und Geduld über sich ergehen lassen wolle. Da machte sich der Gerichtsherr zur Protokollierung bereit und ließ mit einem Wink den Gerichtsdiener abtreten. Heigl bemerkte aus dem Augenwinkel, dass die Tür ein wenig offen blieb. Nun beugte sich der Assessor ganz dem Schreiber zu, der vorne neben dem Fenster am Tisch saß, und diktierte ihm: „… ist der ledige Inwohnerssohn Michl Heigl von Beckendorf wegen unerlaubter Handelschaft in Verhaft genommen und mehrmals dazu verhört worden, wobei besagter Heigl glaubwürdig vorgegeben hat, die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen nicht gekannt und solcherhalb im guten Glauben gehandelt zu haben, weshalb von einer strafrechtlichen Verurteilung abgesehen, jedoch besagter Heigl, da er sich keiner ordentlichen Beschäftigung auszuweisen vermag, auf die Dauer von zwei Jahren in das Arbeitshaus eingeschafft wird, wozu hiermit Anweisung ergeht, dass …!“ Der Assessor sprach ohne Anhalten weiter: „… wird außerdem besagter Heigl für das von ihm an den Tag gelegte ungebührliche Verhalten Gerichtspersonen gegenüber und für den durch seine mutwillige Sachzerstörung in allhiesiger Fronfeste angerichteten Schaden in eine Strafe von fünfundzwanzig Stockschlägen genommen, welche Strafe sofort …!“ 49
Das hörte sich in Heigls Ohren alles ungeheuerlich an und während der Assessor unbeirrt seine Strafen zu Protokoll gab, stand der Heigl ganz langsam auf, schlüpfte aus den Pantoffeln und wischte strumpfsockig durch die halboffene Tür hinaus – kein Rauchwölkchen könnte leiser verwacheln. Indessen diktierte der Assessor noch immer an seinem Beschluss, der kein Ende nehmen wollte, und die Feder des Gerichtsschreibers fuzzelte und kratzte über das Papier. Auf einmal schaute der Schreiber einen Schnaufer lang aus dem Fenster – und was sah er dort zu seinem Schrecken? Heiliger Gottvater, konnte es denn das geben. Dort draußen rannte der Heigl über die Straße! „Jessas“, schrie er und sprang auf, „Herr Assessor! Dort rennt uns ja der Heigl davon!“ Der Assessor war ungehalten, weil er so jäh aus seinen Gedankengängen gerissen wurde. Da schaute er über seine Augengläser auf die Bank hin, wo der Heigl gesessen hatte, und wie er dort nur noch den Hut liegen sah, schrie er den Schreiber fuchtig an: „Was reden S’ denn für einen Mist! Wie soll uns denn der Heigl davonrennen, er hat ja seinen Hut noch da!“ * Sein Herz schlug heftig. Juchhe, der Heigl war wieder ein freier Mann! Er erlaubte es sich noch, dem Gerichtshaus eine lange Nase zu drehen, dann verschwand er im nächsten Gässchen. Währenddessen schimpfte der Assessor auf den Schreiber ein, warum er nicht eher was gesagt hätte. Die ganze Protokollierung sei jetzt eine Arbeit für die Katz! 50
Und als es offensichtlich war, dass der Heigl seinen Hut nicht mehr abholen würde, ging das Geschrei und Gelärm erst richtig los. Bald war das ganze Amt auf den Beinen. Alle, die abkömmlich waren, mussten mit hinaus. Die Gendarmen wurden geholt, und es fanden sich auch genug Kötztinger Bürger, die aus Spaß oder Eifer mitrannten. Sie wetzten hinunter in die Regentalwiesen, und allen voran lief der Assessor und fuchtelte mit seinen Armen und schrie in einem fort: „Er kann soweit nicht sein. Gleich werden wir ihn haben. Gleich. Gleich!“ .Nicht derwischt ihr ihn’, antwortete ihm einer, wie es ja manchmal so scheint, dass in unseren Ohren eine Stimme laut wird, ohne dass wir den Sprecher wahrnehmen: ,Nicht derwischt ihr ihn. Nicht heut und nicht morgen. Nicht. Nicht!’ Indem aber die Gerichtsleute über die Wiesen hinabschwärmten und mit Eifer die Sträucher abklopften und alle Heuhöderl umstürzten, rannte der Heigl schon droben im Wald zum Kaitersberg hinauf. Er hatte einen so großen Vorsprung, dass er sich erlauben konnte, von einer freien Stelle aus hinter sich hinabzuschauen und ein wenig zu verschnaufen. Es war schon weit über den Mittag, als die Streifer wieder einrückten. Nun hingen ihnen die Köpfe bis auf den Boden hinunter, und der Assessor, der im Eifer seine Augengläser verloren hatte, tappte recht kleinweis hinter den anderen drein. Und als es jetzt wieder in seinen Ohren hallte: ,Nicht derwischt ihr ihn. Nicht!’ – da schrie er nicht mehr dagegen an. *
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Der Heigl marschierte indessen weiter den Weg zum Berg hinauf. Als er an die Straße nach Reitenberg kam, kam plötzlich ein Bauer daher. Den packte er kurzerhand, zog ihn bis aufs Hemd aus und warf dem verdatterten Mann dafür seine Keuchenkluft hin. Dann gab er ihm den Rat, in diese Kötztinger Haut zu schlüpfen, sich aber damit nirgends blicken zu lassen. Denn in dem rauhaarigen Hosenboden würde eine scharfe Anweisung auf fünfundzwanzig Stockprügel stecken! Daraufhin schlüpfte er in das Bauerngewand und eilte weiter. Er wusste in der Nähe das Schönbuchner Wirtshaus und kannte dort den Wirt. Bei ihm wollte er einkehren und sich mit dem Geld aus der Bauernhose einen Krug Bier kaufen. Der Wirt lachte über den Aufzug, in dem der Heigl bei ihm auftauchte, und fragte ihn, bei wem er sich denn schneidern ließe, weil ihm die Hose nicht um den Bauch ginge. „Einen Dreck gehts dich an!“, knurrte der Heigl fuchtig. Der Wirt zog ihn aber weiter auf und da verlangte der Heigl eine Kreide und machte damit einen Kreis auf den Tisch. „Siehst es, was ich da mach?“, fragte er den Wirt, der neugierig zuschaute. „Das da ist die Welt, und da ist der Kaitersberg!“ Dann zog er das Bauernmesser heraus, haute es voller Zorn in den Tisch und schrie mit seiner ganzen Stimme: „Und das Messer da im Kaitersberg – das bin ich!“ Da schüttelte der Wirt seinen Kopf: „Dassell versteh ich aber net, wie ein Messer ein Mensch sein soll!“ „Von heut an kenn ich gegen die Kötztinger keine Gnad mehr“, schrie der Heigl ganz außer sich. „Tausend 52
Mann sollen sie gegen mich schicken – ich schieß sie alle zusammen, und derwischen soll mich keiner mehr!“ Der Heigl kannte auf dem Berg eine Höhle, die aussah, als hätte der Gipfel ein Maul, und davor lagen ein paar Reihen Felsbrocken. Vor einiger Zeit hatte drin ein Bär gehaust, ein Riesenvieh, groß wie ein Mastochse und mit einer Haut, zäher als das dickste Leder. Die Kötztinger Bötin wusste noch davon und erzählte auch manchmal, dass die Jäger ganze Säcke voll Pulver und Blei verschossen hatten, aber die Kugeln waren an dem Tier abgeprallt wie an einem Stein. Einmal hatte der Bär unten beim Schrenken zu Rimbach das Stalldach abgedeckt und die vier Kühe gerissen. Daraufhin hatte man den Ramspirger von Au hinausgeschickt. Der war so stark, dass ihn keine vier Rösser von der Stelle bewegen konnten. Beim Petersmarkt in Straubing hatte er das einmal vorgeführt und zwei links und zwei rechts am Arm gehalten, ohne dass ihm die Füße vom Boden weggerutscht sind. Der Ramspirger hatte auch keine Flinte gebraucht, sondern bloß einen frischgebackenen Laib Brot, mit dem er den Bären aus der Höhle lockte. Dann ging er auf ihn los und erschlug ihn mit einem Schleifprügel. So erzählte es wenigstens die Bötin und ergänzte: „Selbigesmal hats noch Mannsbilder gegeben, die was in den Joppenärmeln dringehabt haben – die späteren sind dagegen bloß Birnbutzen.“ Als der Heigl entschlossen zur Höhle hinaufstieg, fiel ihm diese Geschichte wieder ein, und da wünschte er sich, es wäre wieder ein Bär in der Höhle. Er würde sich jetzt gerne mit ihm balgen und ihm das Fell über die Ohren ziehen! 53
Der Weg hinauf wurde immer steiler, je weiter er ging. Dort droben hatte noch kein Knecht Holz geschlagen, nur der Sturm arbeitete hier und warf manchmal die Bäume um und verrammelte den Berg noch mehr. Dort oben hausten noch Holzweibl, die das gefluderte Baummoos spannen, und dort gab es auch He-Männer, die in der Nacht von einem Berg zum anderen schrien: „Heee-hooo!“ Dort droben war die Welt noch so, wie sie einmal war, bevor die Bauern hereingekommen sind und Steige und Äcker ausgerodet haben. Diese Wildnis gefiel dem Heigl. Er schaute eine Weile dem feuerköpfigen Specht zu, der an einem kernfaulen Baum hämmerte. Und wie dann weit draußen die Sonne in den Wald eintauchte, verkroch er sich in dem Bärenloch und machte sich aus Moos und Laub eine Liegestatt. * Ein paar Tage brachte er sich mit dem durch, was der Wald hergab. Jetzt hatten die Wildtauben und Elstern Junge und Eier im Nest, und die Bäume trieben saftige Astspitzen. In der Not war der Bauch mit allem zufrieden. Nach einiger Zeit wagte er sich ein bisschen weiter fort. An der drüberen Seite des Berges, wo es auf Traidersdorf und Arnbruck zu hinunterging, standen am Wald ein paar Einödhäusl. Dorthin kam selten einmal ein Landstreicher, und darum waren die Leut nicht geizig. Sie gaben einem gern ein Haferl Geißmilch und ein Stück Brot, und wenn man ihnen ein bisschen was von draußen, von der Welt, erzählte, brachten sie einem auch ein paar Eier auf den Tisch oder etwas Fleisch. 54
In ihrer Einfachheit waren sie so gottverlassen, dass sie nicht einmal wussten, was in ihrer näheren Umgebung geschah, und würde einmal der Landshuter Kirchturm umfallen, dann würde man den Plumpser dort drin erst hören, wenn der Turm schon wieder aufgebaut worden ist. Auf der herüberen Bergseite lauerten dagegen die Gendarmen. Ganz heimlich hatten sie in einer Heuhütte außerhalb von Beckendorf einen Doppelposten eingerichtet. Aber recht viel Hoffnung, den Heigl zu erwischen, machten sie sich nicht. Der Brigadier war ein alter Jäger und wusste nur zu gut, dass ein aufgesprengter Fuchs nicht gleich zu seinem Bau zurückkehrt. Man musste ihn zuvor schon zur Ruhe kommen lassen. Der Landrichter und der Assessor aber waren anderer Meinung. Und die schafften an und trieben zur Eile, damit der entwischte Kerl wieder eingefangen wurde, bevor die dumme Geschichte seiner Flucht sich noch weiter verbreitete. Im Kötztinger Gäu zahnten und bleckten sowieso schon alle über den zurückgelassenen Hut! „Der Flüchtige“, meinte der Assessor, „hat nichts bei sich. Er wird aus Furcht vor seiner Ergreifung versuchen, in eine andere Gegend, vielleicht sogar über die Grenze zu kommen. Dazu braucht er wenigstens eine kleine Barschaft, und von woher soll er diese kriegen, wenn nicht von seiner Anverwandtschaft?“ Der Brigadier schüttelte über diese Ansicht den Kopf, aber noch ehe er seine Zweifel anbringen konnte, ergänzte der Assessor: „Es gibt für ihn freilich auch andere Wege, um zu Geld zu kommen. Wir wollen jedoch nicht gleich an das Schlimmste denken!“ Darum mussten die beiden Gendarmen noch eine Weile im Beckendorfer Heuhüttl auf der Lauer liegen, wäh55
rend die übrige Mannschaft fleißig die Straßen und Wege ablaufen und alle verdächtigen Personen überwachen und aufgreifen musste. Der Heigl hatte aber seine Augen nicht verschlossen, und beobachtete seine Umgebung scharf. Und als er merkte, dass die Gendarmen so fleißig herumschwirrten, ging er frech nach Kötzting und kehrte beim Festlwirt ein. Am Tisch beim Fenster sah er den Fendl Marti sitzen, zu dem ging er hin, wenn ihn auch diese Gesellschaft nicht allzu sehr freute. Mit dem Fendl hatte er sich damals in Lam um die Wurst gestritten, und seither war er ihm nicht wieder begegnet. Denn bald nachher hatte man den Fendl für ein Jahr ins Zuchthaus gesteckt, weil er sich nicht mehr mit dem kleinweisen Zusammenbetteln zufrieden gegeben hatte, sondern auf die Geldkatze des Kötztinger Rentboten hingelangt und ihm achtzig Gulden gestohlen hatte. Der Fendl wusste am Anfang nicht recht, wie er sich geben sollte. Erst als ihm der Heigl seine Geschichte erzählte, wurde er aber zutraulicher und bot ihm wie der große Herr Vetter an: „Michl, wenn du was brauchst, so sags mir, ich tu für dich, was ich kann, und ich kenn die Schliche besser als du!“ Der Heigl mochte es ihm nicht ins Gesicht sagen, dass er sich schon selber zu helfen wusste, sondern meinte ausweichend: „Ja, brauchen könnt ich mehrerlei, aber du wirst mir auch net dafür können. Das war also zuerst einmal ein guter Zwieläufer, mit dem ich mir was schießen könnte.“ Der Fendl nahm den Wunsch aber für echt und antwortete lachend: „Beim Revierförster magst dir halt keinen ausborgen, oder drinnen beim Gericht. Dort liegen in dem Kammerl, wo sie das eingezogene Zeug 56
aufheben, zwei saubere Büchsen. Und was brauchst sonst noch?“ „Ein bissl Geld könnt ich brauchen. So achtzig Gulden!“ Da merkte der Fendl, dass ihn der Heigl nur auf den Arm nahm, und ohne ein weiteres Wort stand er auf und ging verdrossen davon. Erst später machte sich auch der Heigl auf den Weg. Da warnte ihn der Wirt: „Dem Fendl trau net. Den seh ich diemaln bei den Gendarmen aus- und eingehen. Der ist ein schlitzohriger Hund und tragt auf zwei Achseln!“ Es geschah dem Heigl in der nächsten Zeit oft, dass man ihm ganz unverhofft Freundschaft und Hilfe antrug. Erst vor kurzem hatte ihm sogar der Holzmüller im Wirtshaus den Krug hingeschoben und gesagt: „Sauf aus, Michl! Du freust mich!“ Und der Pfefferlbauer meinte: „Heigl, wenn ich meine Hochzeit hab, dann kimmst zu mir. Was du isst und trinkst, soll mir der Wirt aufschreiben.“ Heigl begegnete auch einigen, die offen oder versteckt zu erkennen gaben, dass sie Lust hätten, mit ihm zu ziehen. Es gab ja auf und ab genug, denen ihr Gwandl zu eng war und die einmal aufmucken und der Welt gern die trotzige Faust zeigen wollten. Und dazu schien ihnen der Heigl recht, weil sie sich allein nicht trauten. Doch der Heigl hatte nach solcher Kameradschaft kein Verlangen, er fühlte sich allein sicherer. * Nachdem die Kötztinger Gendarmen ihren gewohnten Dienst wieder aufgenommen hatten, dachten sie nicht mehr so viel an den Heigl. Sein Name stand mit zwanzig oder 57
dreißig anderen in ihrem Fangbüchl, und sie warteten eher darauf, dass ihn der Zufall einmal in ihre Hand brachte. Aber dann geschah zu Anzenberg etwas, was das Feuer wieder anschürte. Da kam an einem Sonntagvormittag ein Bursch in das Haus vom Schreinerbauer und fragte: „Ist der Bauer da?“ „Nein“, antwortete die Dirn, die beim Ofen stand und für das Mittagessen die Erdäpfel rieb, „er ist auf Blaibach in die Kirche, und vor einer Stunde wird er net kommen.“ „Ist dann die Bäuerin da?“ „Die ist auch auf Blaibach“, antwortete die Dirn. Und um allen weiteren Fragen dieser Art zuvorzukommen, setzte sie noch hinzu: „Alle sind in die Kirchen, und außer mir ist niemand da.“ „Sakrament“, fluchte der Bursch, „das ist jetza dumm. Mich schickt der Pflügl ums Zinsgeld, und warten kann ich net, weil ich noch weiter muss.“ Darauf meinte die Dirn stolz: „Wenns bloß ums Geld ist, das kann ich dir auch geben. Ich weiß den Schlüssel schon. Wie viel machts denn?“ „Achtzig Gulden gradaus.“ Da ging die Dirn an den Hängkasten, nahm dahinter den Schlüssel heraus und brachte dem Burschen leichtfertig den vollen Zugbeutel. „Zähle es dir selber heraus“, sagte sie. Das tat der Bursche und verabschiedete sich schnell. Er war gewiss schon weit, als der Bauer endlich von der Kirche heimkam und entsetzt von dem Schwindel hörte. Was nützte es ihm aber, wenn er der Dirn alle groben Namen gab, er musste sich schon selber schimpfen, weil er das Geld vor dem einfältigen Weibsbild nicht besser verwahrt hatte.
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„Unter Umständen wäre dadurch die Geschichte noch schlimmer abgegangen“, meinten sie später beim Gericht. „Der Bursche hätte gegenüber der schwachen Weibsperson wohl auch nicht vor Gewaltanwendung oder Quälereien zurückgeschreckt, um den Aufbewahrungsort des Geldes zu erfahren.“ „Er war fein gar net grob zu mir“, gab da die Dirn zu Protokoll. „Wie ich ihm den Zugbeutel hingehalten hab, hat er mich recht freundschaftlich auf den Hintern getätschelt, und da hab ich mir gedacht, der meints gewiss ehrlich.“ Man fragte sie: „War der Bursch groß?“ „Ja.“ „Wie groß denn?“ „Schon recht groß.“ Als man ihr am Türstock eine Höhe zeigte, sagte sie immer ja, egal ob man die Hand hoch oder tief hielt, und auch alle anderen Fragen bejahte sie: „Ja, er war schwarz.“, „Ja, er hatte einen Schnauzbart gehabt.“, „Ja, er war von blasser Gesichtsfarb.“ Man fand in der Sache auch nicht weiter, als die Bäuerin dazu noch angab, es fehle ihr seitdem die Bandischere, die sie am Fensterbrett liegen gehabt hatte. Als man drinnen beim Gericht noch über den Protokollen saß, brachte der Brigadier den Festlwirt zum Verhör. Anfangs stritt er alles ab. Als man ihm aber mit Haft und Schankentzug drohte, gab er zu, dass der Heigl vor einiger Zeit bei ihm im Wirtshaus gewesen wäre und in der Unterhaltung mit dem Fendl gesagt hätte, er brauche Geld, achtzig Gulden wenigstens. „Das genügt“, sagte der Assessor, und für alle war der Fall nun klar. Wie aber der Festl mit einem Buckerl weggehen woll59
te, ließ ihn der Assessor wieder niedersitzen und diktierte ihm wegen unerlaubter Unterkunftgebung an den Heigl einen Strafzettel über acht Gulden. * Nun liefen die Gendarmen wieder fleißig am Kaitersberg herum, und mehrmals hatten sie schon mitten in der Nacht die Beckendorfer Häuser bis in den letzten Winkel abgesucht. Der Heigl aber ging ihnen nicht auf den Leim, es gab genug andere Orte, an denen er sich auch gerne aufhielt. Als er einmal nach Hohenwarth kam, warnte ihn der dortige Wirt: „Geh dennerst gleich wieder. Drei Tage hintereinander waren sie jetza da!“ „Aber heut bin ich da“, versetzte er lachend, hockte sich an den Tisch in der Wirtsstube, zog aus der Joppentasche ein Stück Rauchfleisch heraus und ließ sich dazu Bier und Brot bringen. Der Wirt wunderte sich über seine Ruhe und fragte ihn: „Derschmeckst du leicht die Gendarmen? Ich tat an deiner Stell in eine andere Gegend gehen. Bei uns bist du ja keine Stunde mehr sicher.“ „Herrgott, so lass mich halt mit Appetit mein Fleisch essen“, erwiderte der Heigl aufgebracht. „Was tu ich in einer anderen Gegend? Da herinnen kenn ich jeden Stein und jedes Heuschüpfl, woanders aber bin ich der Aff.“ Als er gegessen hatte, machte er dem Wirt ein Zeichen, dass er nun in den Heustadel zum Schlafen gehen würde. Um drei Uhr in der Früh kamen dann tatsächlich die Gendarmen unverhofft daher, aber der Heigl war schon davon. „Er muss es rein schmecken“, meinte der Wirt still für sich. Zu den Gendarmen aber sagte er grantig: 60
„Hat man denn jetza keine Ruhe mehr vor euch? Was weiß ich, wo der Heigl ist, ich hab keine Hundsnase.“ Als sie alle Kammern, den Stall und den Stadel ergebnislos abgesucht hatten, liefen sie weiter in den Wald hinauf. An die hundertmal hatten sie den Weg schon gemacht, aber was wollten vier Mann ausrichten in diesem riesengroßen Wald, in dem man acht Stunden dahingehen konnte, bis man wieder auf einen freien Fleck kam. Bis über den Mittag hinaus rannten sie kreuz und quer und hatten zuletzt Müh und Not, wieder auf einen Weg zu finden. Den Heigl aber sahen sie nirgends, nicht einmal eine Spur von ihm. Wo steckte der nur? Der Heigl war an diesem Tag einfach zum Pfefferlbauer auf die Hochzeit gegangen! Ja, so was wollte er sich nicht entgehen lassen. Schon in aller Früh war er auf Thenried hinüber und holte sich beim Schwürzen Girgl den neuen Anzug, den er sich angeschafft hatte. Hernach ließ er sich noch den Bart abkratzen und den Balg stutzen. Wie ihm der Bader dann mit der gutschmeckenden Kopfschmiere die Haare schön glatt wie ein Krautblatt hinbürstelte, war er kaum noch zu erkennen. Der Hochzeiter selber musste ihn lang anschauen, bis er zu dem irgendwie bekannten Gesicht den Namen fand. „Gell“, sagte der Heigl, „ich setz mich fein beim Mahl hübsch ans End hinunter.“ Da kam er aber gerade zwischen zwei Gesellen zu sitzen, von denen ihm anfangs keiner gefallen wollte. Auf der einen Seite saß – wie sich herausstellte – der Eschlkamer Gendarm in Zivil, und auf der anderen Seite setzte sich der Pfarrer hin, der dem Hochzeiter auf ein Glas Wein die Ehre geben wollte. 61
Der Heigl lurte am Anfang auf alle hin. Als er aber merkte, dass ihm keiner was wollte, redete er auch mit. Bald schickte es sich, dass die Unterhaltung auf den Heigl kam, und der Pfarrer sagte: „Ein Sapperlottskerl muss er schon sein!“ Das hörte der Gendarm gar nicht gerne und ereiferte sich dagegen: „Er wird nimmer lang der Sapperlottskerl sein! Man hat jetzt droben am Predigtstuhl sein Schlupfloch gefunden, und wie mir bekannt ist, sind heute vier Mann hinauf. Ich getrau mir zu wetten, dass sie ihn schon haben!“ Da mischte sich der Heigl frech selber ins Gespräch: „Und ich getrau mir zu wetten, dass sie ihn net haben, dafür kenn ich ihn zu gut.“ Der Pfarrer fragte neugierig zurück: „Wie schaut er denn eigentlich aus?“ Und der Gendarm riss dienstgefällig sein Fangbüchl heraus und blätterte es auf. „Gesehen hab ich ihn noch nicht“, sagte er dabei, „aber da stehts ganz genau. Ist sechsundzwanzig Jahr alt, sechs Schuh groß, hat schwarzes Haar und einen hängenden Schnauzbart. Trägt Kleidung wie ein Bauernknecht oder Holzhauer, dazu Schnallenschuh oder auch Zugstiefel und einen grünen Hut mit Spielhahnfeder. Ist sonst ohne besondere Kennzeichnung.“ Indem der Gendarm das Büchl wieder einsteckte, meinte der Pfarrer: „Hm ja, schön und gut, aber ein sicheres Bild gibt so eine Beschreibung halt nicht.“ „Vielleicht für andere nicht“, gab der Gendarm streng zurück, „aber für unsereinen reichen diese Angaben vollkommen aus. Ich würde jedenfalls den Heigl sofort erkennen, wenn er mir begegnen würde.“ Als dann der Gendarm am anderen Tag aus seinem 62
Rausch aufwachte, fand er in seiner Joppentasche einen Zettel, darauf stand: „Rindvieh, du kennst den Heigl net!“ So ging die Zeit hin, und wenn auch nicht alle Tage eine Hochzeit war, so gab es doch manches lustige Stündchen, über das man die hungrigen Tage vergessen konnte. Dann kam der Winter. Ganz vorsichtig streute er ein paar Schneeflocken umeinander. Aber der Himmel war noch zu leicht, der Schnee zerrann wieder zu Dreck. Die richtige Art wurde es erst, als die Wolken stahlblau anliefen und der kalte Wind in den Fingern nagelte. Dann wachelte der Schnee von der Seite her und füllte die Gruben und Löcher aus. Nun musste der Heigl sich nach einem anderen Unterschlupf umschauen. Er ging hinüber zu den Einödhäusern und war damit zufrieden, dass man ihn droben im Heuboden schlafen ließ. Dafür half er den Leuten tagsüber schnitzeln und bitzeln, höhlte Kochlöffel aus, spitzte Rechenzähne oder schnitt mit dem großen Stoßhobel Schindeln. In den armen Häusern konnte man auch im Winter nicht feiern. Von den Gendarmen hatte man in diesen Wochen nicht viel zu fürchten. Jetzt konnten sie nicht überallhin, der Schnee hatte die Wege zum Berg meterhoch zugeschüttet. Und dann wurde der Himmel wieder lichter und höher. Man sah den Hausacker allmählich durch den Schnee herauswachsen, und auf den Wiesen kamen allweil mehr grüne Flecken heraus. Ein paar Tage prasselte der Regen herunter, dann schaute die Welt wie neugewaschen aus. Und schon zog der Heigl wieder fleißig im Wald herum. In aller Frühe ging er auf Gotzendorf zu und wollte nach seiner rotangespitzten Kätzin schauen. 63
Auf dem Weg fuhr ihm der Rosshändler vor. Wie eine feiste Mastsau saß er auf dem Gäuwägerl. Der hatte es verstanden, wie man sich in die Höhe brachte. Zuvor hatte er mit dem alten Heigl Ochsen und Rössl geschwürzt, bis er selber eine Handelschaft hatte anfangen können. Jetzt ließ er andere für sich treiben und in seinem Hosensack klang immer Musik von Dukaten und Guldenstückeln, die ihm aufspielten. Er kannte den Michl und fragte ihn: „Wo steckst denn die ganze Zeit, du Ausbrecher?“ „Ich bin kein Ausbrecher“, antwortete ihm der Heigl. „Sie haben mir die Tür aufgemacht, und da bin ich halt gegangen.“ „Hehe, tu nur net so brav“, lachte der Händler, „es nimmt dir ja außer den Kötztinger Herren keiner übel, weil du ihnen davon bist. Die Geschichte ist fein in der Zeitung gestanden!“ Weil der Heigl nichts darauf erwiderte, fragte der Händler: „Was willst jetza anfanga? Willst ein Wildbretschütz werden oder ein Räuber?“ „Alles, alles will ich“, schrie der Heigl wild, „bloß net mehr der kleine Batzenmichl will ich sein, den jeder Hund anseichen und beißen darf.“ „Heiliger Mordian, pfugezz mich nur net gleich an“, wich der Händler zurück. „Mit deiner Wildheit kannst einem Angst machen! Aber ich weiß schon eine Salbe für deinen Verdruss.“ Und während er ein Geldstück aus seiner Tasche holte und es dem Heigl hinhielt, riet er ihm: „Da, kauf dir ein paar Mass Bier und spül deinen Zorn hinunter, nachher gfallt dir die Welt gleich wieder besser.“ „Nimmer gfallt sie mir!“, schrie der Heigl und spuckte dem Händler in die Hand. „Ich pfeif auf deine Salbe! Schmier damit die Kötztinger Herrn, mit denen man dich 64
allweil beisammen sieht. Die machen dir für dein stinkendes Geld schöne Buckerl.“ Da stieg der Händler vom Wagen, packte den Streitlustigen an der Schulter und schaute ihm fest in die Augen. „Du denkst gar“, sagte er ganz ruhig, „ich tu den Herren schön, damit sie fleißig den Hut vor mir abziehen. Was hätt ich gar von der Ehrerweisung? Schau, Michl, die ganze Kötztinger Sippschaft ist mir net mehr wert als daheim mein Hund. Aber ich bin net so dumm, dass ichs ihnen sag oder zeig, und noch viel weniger mach ich ihnen die Faust, wenn einmal was nicht nach meinem Kopf geht. Und wenn ich mich zu ihnen an den Tisch setz und zahl ihnen was, so hat das seinen besonderen Grund. Dadurch erfahr ich manches, was mir sonst keiner blasen würde.“ Wie nun der Heigl überrascht schaute, setzte der Händler hinzu: „Und ich sag dir auch, Michl, was ich drin beim Postwirt gehört hab, ganz heimlich natürlich. Morgen in aller Herrgottsfrüh gehen sie nach dir streifen, die Gendarmen und Gerichtsleute, der Rauchfangkehrer und der Landwehrkommandant, die Forstleut und wer sonst noch alles mitlaufen mag. Sie wollen dein Nestl ausheben!“ Da stierte der Heigl wortlos vor sich in den Boden. „Ja“, versicherte ihm der Händler, „die Schlauheit tragt oft mehr ein als das Wildtun. Schau dich um. Es sind net lauter Bären im Wald, sondern auch Fuchs und Nattern. Und die Fuchs und Nattern brüllen und schlagen net, und es verreckt doch ehnder ein Bär als sie!“ Wie ihm dann der Rosshändler wieder das Geldstück hinhielt, nahm es der Heigl schweigsam. Er stamperte weiter auf Gotzendorf zu. Ein paar Mal war er schon bei seinem Dirndl gewesen, und für manche 65
kalte Nacht hatte sie ihm eine warme Bettstatt gemacht. Aber obgleich das jedesmal in aller Heimlichkeit geschehen war, hatte das Gericht doch was in die Nase bekommen und daraufhin das Dirndl unter Polizeiaufsicht gestellt und zum Brandlbauern auf Gotzendorf gebracht. Dort musste sie sich als Hütdirn verdingen und der Bauer hielt sie scharf unter der Fuchtel. Als ihr der Heigl jetzt oben bei den Stauden pfiff, eilte sie zu ihm hinauf und fing gleich mit der Jammerei an: „Der Bauer tut allweil ärger gegen mich, er nennt mich bloß das Raubermensch.“ „So lass das Geviechert“, sagte er. „Geh mit mir, ich bring uns zwei schon durch.“ Wie sie noch überlegte, fragte er: „Oder willst lieber unter der Aufsicht bleiben und der Putzhadern sein, an den jeder hinstoßen darf?“ Gerne würde sie mit ihm kommen, meinte sie. Wer aber sollte sich dann um die zwei Kinder sorgen, die daheim bei der Mutter waren. „Denen wachsen die Haar und Zahn auch ohne dich“, sagte der Heigl. „Kannst denn jetza recht viel tun für sie, wenn du beim Bauern sein musst? Mich hat meine Mutter auch net kindsen und auf dem Arm herumtragen können, sondern hat mich einfach ins Eckerl gesetzt und ein paar kalte Erdäpfel hingeschmissen. Da lernt eins dann schon das Rutschen und Fressen. Und es schickt sich leicht was, dann kannst auch einmal daheim nachschauen.“ Schließlich machte sie sich mit ihm auf den Weg. Sie duckten sich am Waldrand entlang, bis sie das Dorf hinter sich hatten. Wie sie zum Hundsruckerhof kamen, ließ er sie hinter dem Garten warten. „Wenn einer kommt, nachher pfeifst mir!“, sagte er und schob dann auf das Haus zu. 66
Er ging in die Küche und sah die alte Bäuerin allein mit den kleinen Kindern. Sie zipfelte gerade das Brot in die Suppenschüssel, und als der Bursch zum Tisch trat, schnitt sie ihm ein Stückel ab und hielt es ihm hin. „Ich brauch mehr“, sagte er, „gib mir das Laibl ganz!“ „Hehe“, wehrte sie ihn ab, „wirds jetza den Bauern angeschafft, was sie geben müssen?“ Wie sie noch fortschimpfen wollte, riss er ihr den Laib aus der Hand und schrie: „Und jetza das Fleisch!“ Sie hätte im ganzen Haus keins, sagte sie, aber er packte sie und riss sie mit in die Kammer. Ehe sie noch recht wusste, was nun werden sollte, nahm er ein paar Stücke Rauchfleisch und sprang wieder hinaus. Mit weiten Schritten lief er zum Gartenzaun, wo das Dirndl auf ihn wartete. „Kimm!“, schrie er ihr zu und rannte mit ihr zum Wald hinauf. Mittendrin schaute sie um und sah voller Angst, dass die Bäuerin die Hunde von der Kette ließ und ihnen nachhetzte. Es waren zwei zottige Viecher, schwarz wie die Teufel, sie keuchten und rissen die Mäuler weit auf. „Jessas, Jessas!“, schrie sie und war ganz außer sich. Im Augenblick wich ihr alle Farbe aus dem Gesicht, die Knie brachen ihr ein, sie stolperte, blieb auf der Erde liegen und hielt die verkrampften Hände vor das Gesicht. Der Heigl, der ein paar Sprünge voraus war, rannte zu ihr, stellte sich vor sie hin und packte ein paar Steine. Da verloren die Hunde ihren Schneid, sie blieben stehen, bellten und liefen dann mit eingezogenen Schwänzen zurück. Er bückte sich nieder zu ihr und half ihr wieder auf die Füße. „Was hast jetza auf einmal gehabt?“, fragte er sie besorgt. 67
Aber lange konnte sie ihm keine Antwort geben. Erst als sie sich droben im Wald von ihrem Schrecken erholt hatte, sagte sie: „Ich hab gemeint, sie zerreißen dich in tausend Fetzen. Weil sie – weil sie gar so teuflisch ausgesehen haben!“ Gegen Abend machten sie sich auf. Sie hängte sich dem Heigl an den Arm und drückte sich ganz eng an ihn. „Hast allweil noch Angst?“ Er schaute sie fragend an. „N-n-n-a-a“, antwortete sie und lachte und konnte es doch nicht richtig überzeugend herausbringen. „Bist doch sonst nie so gewesen!“ „Ich weiß net, wie es über mich gekommen ist!“ Als sie dann nahe bei der Hohenwarther Straße zum Heuschupfen der Mühlbauerin kamen, zog er das Dirndl hinein, stieg in den Heustock hinauf, und da wurde die rotangespitzte Katz bald wieder so wild, wie sie es zuvor auch gewesen war. Als es der Früh zu ein bisschen hell wurde, hörten sie auf der Straße Schritte wie von marschierenden Soldaten. Der Heigl schob an der Giebelwand ein Brett weg, und durch das Loch sahen sie die Kötztinger Streifer ausrücken. Vierundzwanzig Mann, voran der Assessor, und alle hatten wie die Jäger die Büchse über die Schulter gehängt. „Die wollen ebba einen fanga, weil die Gendarmen dabei sind?“, flüsterte das Dirndl ahnungslos. „Ja“, antwortete der Heigl leise lachend, „auf die Fuchspaß werden sie wohl net ausrucken.“ „Ebba hat sich der Schleiferlump da herein verzogen, oder ist ihnen der Hütschuster von Ränkam ausgekommen!?“ „Auf einen ganz anderen haben sie es abgesehen!“ „Dann ebba auf den, wo die Leut erzählen, er hätt 68
sechs Weiber mit einem Strick zusammengehängt und in die Donau geworfen?“ „Auch net auf den“, sagte er, und wie sie ihn fragend anschaute, packte er sie am Hals und schrie übermütig: „Auf mich rucken sie aus. Der Rosshandler hat mirs gestern verraten.“ Da machte sie sich los von ihm, rückte einen Schritt zurück, und ihre Augen waren wieder voller Angst. „Hast denn einen umbracht?“, fragte sie ihn bestürzt. „Ich weiß gar net, was ich ihnen Großes getan hab“, antwortete er ihr, „ich hab keinen erstochen und keinen erschossen, und alles, was ich ihnen getan hab, ist, dass ich ihnen davon bin.“ Wie er nun wieder nach den Streifern sah, merkte er, dass sie direkt auf die Heuhütte zuhielten. „Sakrament. Sie kommen!“, fluchte er. „Duck dich!“ So schnell es nur ging, riss er im Winkel das Heu auf, schob das Dirndl hinunter und schlüpfte hernach selber nach. „Heilige Mutter!“, begann sie, aber er verbot ihr das Gejammer. „Du verrätst uns – sei stad!“ Sie horchten auf jeden Laut. Sie hörten, wie drunten der Türbalken aufgeklappt wurde und wie dann einer die Sprossenleiter heraufstieg. Endlich schrie einer von unten herauf: „Wir gehen weiter! Da herin ist nix! Ich habs gleich gesagt!“ Da schnauften die beiden in ihrem Loch auf, und als sie wieder herauskrochen, hüpfte und tanzte der Heigl und meinte übermütig: „Es sind doch lauter dumme Affen!“ Dem Dirndl aber schaute noch lang die Angst aus den Augen. Und als der Heigl mit ihr am Abend zum Berg hinaufging, waren ihr die Knie schwer wie Blei.
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* Im Sommer bekam die Zeit lange Füße. Unten am Regen waren die Wiesen schon gemäht. Es gab in diesem Jahr viel Heu. Gegen den Abend zu schoben die Knechte und Mägde die dicken Schwaden auf Höderl zusammen. Der Heigl ging auf die Hauser Mühle zu. Er wollte es dem Müller heimzahlen, weil er neulich im Wirtshaus so ungut über ihn geredet hatte. „Für mich ist und bleibt der Heigl ein Lump“, hatte er über alle hinein geschrien, „und wenn seine Mutter bei Verstand gewesen war, so hätt sie ihn gleich im ersten Badwasser ertränken müssen!“ Ja, es gab überall solche, die es offen heraus sagten, dass der Heigl von ihnen keine Hilfe und Schonung zu erwarten hatte. Auch der Mühlbauer von der Haselstauden war so einer, der kein Blatt vor den Mund nahm. „Wir brauchen da herin keinen zweiten bayerischen Hiasl“, hatte er unlängst gesagt, „das führt zuletzt zu Mord und Totschlag. Und wer ebba so dumm ist, dass er sich vom Heigl was erhofft, der brennt sich an allen zehn Fingern. Mit was wollte er denn helfen, wenn er selber nix hat?“ Er wünschte sich jetzt, dass der Müller zu ihm an den Bach herauskäme. Er würde ihm gern ein heißes Badwasser machen! Aber der Müller war nicht daheim, und weil dem Heigl das Hinwarten zu lang wurde, begann er, die Höderl von der Wiese wegzubrennen. Das beobachtete der Mühlknecht. Der erkannte ihn und rannte gleich auf Kötzting hinein. „Zum Teufel!“, fluchte der Brigadier, „grad heut bin ich allein daheim!“ 70
Er wollte aber die Gelegenheit doch nicht ungenutzt lassen, hängte sich schnell das Gewehr um und holte als Verstärkung den Marktgendarm, der eben mit dem umgeschnallten Säbel aus dem Haus gehen wollte. Der Brigadier legte sich schnell einen Plan zurecht. Er wollte dem Heigl beim Sperlhammer den Weg abpassen. Dort war viel Staudenwerk und ein guter Platz, um jemandem aufzulauern. Und wirklich dauerte es nicht lange, da kam der Heigl über die Wiesen herunter, direkt auf die Stauden zu, und wie er vorbeigehen wollte, rumpelte der Brigadier aus seinem Versteck heraus, hielt ihm das Gewehr vor den Bauch und schrie: „Tu keinen Rührer mehr, sonst gehörst der Katz!“ Der Heigl hatte nicht einmal einen Stecken bei sich. „Gegen zwei kann ich net an“, sagte er und stellte sich brav hin. Da lehnte der Brigadier das Gewehr an eine Staude und griff nach der Schließkette in seiner Hosentasche. Wie das der Heigl sah, machte er einen Satz, stieß den Brigadier zur Seite, packte das Gewehr und rannte damit davon. Das ging alles so schnell, dass der Marktgendarm nicht einmal seinen Säbel herausbrachte. Die beiden liefen hinter dem Heigl her, bis dieser auf einmal zum Wasser hin sprang. Er duckte sich hinter einen Stein und legte den Gewehrlauf auf. „Tut keinen Rührer mehr“, schrie er den beiden Verfolgern entgegen, „sonst gehört jetza ihr der Katz!“ Nun war das Spiel verloren, und der Brigadier konnte mit seinem Helfer recht wütend auf Kötzting zurückmarschieren. *
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Wenn ein Gendarm sein Gewehr einbüßte, dann war das soviel, als hätte er seine Ehre und Seligkeit verspielt, und das konnte keiner auf sich sitzen lassen. Darum ging jetzt die Mannschaft wieder fleißig streifen, und der Brigadier hetzte sie richtig auf. Einmal glaubte er den richtigen Wind in der Nase zu haben und rückte mit zwei Mann zum Predigtstuhl hinauf. Sie stießen auf einen Zug Holzhauer, an die zwanzig Männer und Burschen, die seit ein paar Wochen dort oben schafften. Als die Gendarmen sie nach dem Heigl fragten, antworteten die Holzhauer, sie würden ihn nicht kennen und sich nicht um ihn kümmern und auch nicht um die, die ihm Sachen zutrügen. Ja, bestätigten sie, der Heigl habe seine gewissen Leute, die ihm Fleisch und Brot brächten und es bei einer bestimmten Stelle hinterlegten. Vor allem seien es die Kürbenweiber, die das Brot verhandelten. Womöglich könnten auch Bauern darunter sein. Denn unlängst habe einer ein ganzes Kalb hinaufgetrieben, das hätte der Höllgirgl-Bub gesehen. Wie schließlich die Gendarmen fragten, ob der Heigl jetzt wohl oben sein könnte, sagten die Holzhauer: „Es mag schon sein. Vor einer Stunde oder zwei ist dort einer mit einem Gewehr gegangen, und das wird wohl kein Forstgehilfe gewesen sein.“ Da stiefelten die Gendarmen voller Zuversicht weiter. Vorhin hatten sie sich darüber gewundert, weil von den Holzhauern keiner den Heigl kennen wollte. Wie sie aber nun untereinander fragten, stellte sich heraus, dass von ihnen selber – außer dem Brigadier – auch noch keiner den Heigl aus der Nähe gesehen hatte. Auf einmal stieg dem Brigadier vom Berg her Rauch in die Nase. Da grinste er und mahnte seine Männer, vor72
sichtig weiter zu pirschen und ja auf keinen dürren Ast zu treten. Und dann blieben sie alle wie auf einen Ruck stehen. Dort beim Felsen sahen sie das Feuer, und der Heigl saß ganz sorglos dabei, hielt ein Stück Fleisch darüber und pfiff so mutterseelenvergnügt wie der Spatz im Getreidefeld. In dem Augenblick, als sie auf ihn lossprangen, rumpelte er auf und setzte über eine Steinmauer hinunter. Die Gendarmen rutschten ihm über die Wand nach und liefen hinter ihm drein. Man konnte hören, wie sie im Laufen den Gewehrhahn aufzogen, aber zwischen die Bäume hindurch konnten sie nicht schießen, der Abend gab kaum noch genug Licht zum Zielen. Und auf einmal war der Heigl verschwunden, wie vom Erdboden verschluckt. Wo konnte er hin sein? Man kannte die Geschichten, dass Wilderer und Holzfrevler sich unsichtbar machten könnten, und es gab viele im Waldland, die das für echt und wahr beschwörten. Hinten bei Lam hatte sich einer herumgetrieben, der sich allzeit zu einem Baumstöckel hatte machen können, und einmal hatte sich der Waldhüter gerade auf ein solches Baumstöckel gesetzt und dort seine Brotzeit gegessen. Als er fertig war, hatte er sein Messer in das Holz gestoßen, und da hatte das Holzstöckel geschrien und geblutet, dass es ganz grauslich gewesen war! Freilich, die Kötztinger Gendarmen glaubten nicht an solche Geschichten. Sie suchten rundum alles ab und liefen wieder zurück zu den Holzknechten, die jetzt an ein paar Feuerstellen ihre Nachtsuppe aufwärmten. „Suchts den Heigl immer noch?“, fragte einer von den Burschen und gab gleich die Anweisung: „Dort hinaus müssts laufen!“ Hatte sich der Heigl doch auch zu einem Baumstöckel 73
gemacht? Aber nein! Der wusste sich anders zu helfen. Als er in die Nähe der Holzhauer gekommen war, hatte er sich zu ihrem Feuer gestellt, als gehöre er mit dazu, und er selber war es, der den Gendarmen gezeigt hatte, wohin sie laufen sollten. Wie das der Heigl am andern Tag im Grafenwiesener Wirtshaus erzählte und die Kötztinger später davon hörten, kochte ihr Zorn erst recht, und gleich in der Nacht darauf streiften mehr als dreißig Mann den ganzen Berg ab. In derselben Nacht aber stieg der Heigl in das Kötztinger Gericht ein und holte aus der Kammer, die ihm der Fendl verraten hatte, einen Jagdstutzen samt Pulver und Blei und das große Dienstsiegel. Er wusste schon, wie man mit dem Stampus umzugehen hatte. * Nicht viel später bekamen aber vier Gendarmen den Heigl bei Eschlkam so glücklich in den Bogen, dass sie ihm den Weg zum Wald abschneiden konnten. Sie nahmen ihn in die Zange, ließen ihn nicht rechts und nicht links ausbrechen und trieben ihn geradeaus auf die Heuhofermühle zu. Der Heigl rannte, dass der Dreck hinter ihm aufspritzte. Zuvor schien es ihm als ein glücklicher Umstand, weil die Gendarmen nicht auf das Haus schießen konnten. Wie er aber merkte, dass sie ihn an die Hausmauer drücken wollten, sah er plötzlich keinen Ausweg mehr. Da sprang er im letzten Augenblick in den Mühlschuss hinein und ließ sich vom Mühlrad auf die andere Seite hinüberheben. „Herrgott, kanns denn sein!?“, sagten die Gendarmen, als sie sahen, dass vom Heigl keine Spur mehr zu finden war. 74
Wie sie dann daheim den Rapport machten und glaubten, für ihren Eifer Anerkennung verdient zu haben, haute der Landrichter auf den Tisch und schrie sie an: „Warum ist ihm denn keiner in den Mühlschuss nachgesprungen? Solang der Lump mehr Schneid hat als vier Gendarmen, wird er der Übere sein!“ * Mit solchen Geschichten vergingen die Jahre schnell. Wer hatte denn gemerkt, dass die Welt derweil älter geworden war? Der Wind hatte auf dem Berg ein paar Bäume abgerissen, aber tausend andere sind dafür wieder gewachsen. Die Kötztinger Gendarmen hatten derzeit manchen Namen in ihrem Fangbüchl ausstreichen können, andere waren wieder dazukommen, und der vom Heigl stand immer noch vorn dran und bekam mit jedem Jahr ein Kreuzchen mehr. Wie mochte es nur zugehen, dass man ihn nicht in die Hand bekam? Vierundachtzig größere Streifen hatte man auf ihn angesetzt, ungerechnet die vielen übrigen Dienstgänge – aber aller Eifer war umsonst. Der letzte Winter hatte viel Schnee gebracht. In der Woche vor Weihnachten waren die Berghäuser bis an den Rauchfang hinauf zugewachelt, so dass man durch das Dach aus und ein musste, bis ein Weg gebahnt werden konnte. Da hofften die Gendarmen heimlich, dass ihnen der Lump von selber zulaufen und sich auf Gnade und Ungnade ergeben würde. Sogar die Hasen und Rehe waren wegen des harten Winters bis vor die Haustüren gekommen und hatten einem aus der Hand gefressen. Wo aber 75
der Heigl Unterschlupf gefunden hatte, das wusste keiner. Er zeigte sich einmal da und einmal dort und tauchte manchmal so unverhofft auf, dass man sich fürchten musste, seinen Namen zu nennen. Am Unschuldigkindleinstag waren ein paar Männer und Burschen beim Schönbuchner Wirt, und der Stangl, der Kötztinger Gerichtsdiener, kam auch dazu. Wie sich die Unterhaltung schickte, lupfte sich der Stangl auf und protzte: „Ich furcht den Heigl net! Einmal hab ich ihm schon die Nase auf den Erdboden hingedruckt, und ich druck sie ihm noch ärger hin, wenn er mir wieder in die Hand kommt!“ Es war draußen schon finster, der Schnee wachelte, der Wind pfiff über das Hausdach hinauf und burrte im Kamin herum. Da sagte der Lissenschuster zum Spaß: „Stangl, mach keine Spruch, ich schrei fein dem Heigl!“ „Ja, schrei ihm nur“, sagte der Stangl, „und wenn du ihn heut herschreist, ist es mir lieber als morgen.“ Der Schuster entriegelte das Fenster, riss einen Flügel auf und krächzte hinaus: „K-i-i-i-mm, Hei-ei-gl, k-i-i-imm!“ Und wie noch alle lachten und auf den Stangl schauten, ging die Tür auf, und der Heigl stand leibhaftig dort und fragte: „Wer hat um mich geschrien?“ Die Gesellschaft war so verdattert, dass keiner ein Wort herausbrachte. Endlich deutete einer auf den Kötztinger und sagte: „Der dort. Der Stangl hats wollen!“ Da sprang der Heigl auf ihn zu, der Stangl rumpelte auf, und die zwei rauften miteinander wie die roten Hunde. Der Stangl war kräftig, und er kannte auch die Griffe, wie man einem die Finger einbiegt und den Arm aufdreht. Ehe er aber dazu ansetzen konnte, packte ihn der 76
Heigl um die Mitte und schüttelte und beutelte ihn, als wollte er ihm den Hintern vom Kreuz abreißen. Hernach, wie dem Stangl schon der Kopf baumelte und das Blut aus der Nase tröpfelte, warf ihn der Heigl seitlings über die Bank, dass das Brett krachte. „Jessas, mach ihn nur net hin!“, schrien ein paar in ihrer Angst. „Schad wärs net um ihn!“, schnaufte der Heigl und wischte sich das Gesicht ab, das ihm der Stangl gehörig zerkratzt hatte: „Schad wärs net um ihn und um keinen, wie sie drin beim Kötztinger Gericht sind!“ Und bevor er sich zum Gehen wandte, plärrte er noch wilder auf den Stangl hin: „Richts ihnen fein aus, deinen Herren. Allen schneid ich noch die Gurgel ab, damit wieder ein Fried wird bei uns herin!!“ Wie er schon bei der Tür war, sah er in der Ofenecke noch den Beckendorfer Gemeindediener sitzen. Mit dem hatte er auch was abzurechnen. Mit erhobener Faust ging er auf ihn los und schrie: „Und du heiß meine Mutter noch einmal eine Zuchthäusler-Hur!“ Der Gemeindediener konnte sich gerade noch hinter den Tisch ducken, so traf der Schlag nur seinen Hut, der wie ein Hadern durch die ganze Stube flog. Dann packte der Heigl die Krüge, die am Tisch standen und schüttete das Bier auf den Gemeindediener. Hernach ging er und verschwand so ungesehen, wie er gekommen war. Blutsauerei, das waren keine Spaßettel mehr! Wie man später herausfand, hatte sich der Heigl im Winter oft im Kagerhäusl aufgehalten. Die zwei Pongratzen-Buben waren mit ihm ziemlich im gleichen Alter und passten auch sonst zu ihm. Besonders der ältere, der Sepp, den 77
sie wegen seiner breitgetätschten Goschen den Maulaffenhiasl nannten, war ein verwegener Kerl, auf den die Gendarmen schon lange lurten, um ihn einmal auf frischer Tat zu ertappen. Indessen hatten sie drin beim Gericht fleißig die Rechnung für den Heigl geschrieben: „… ist beschuldigt, in Verbindung mit einem unbekannten Mittäter dem Bauern Peter Schlieritz von Zittenhof mittels Einsteigens durch ein offenstehendes Fenster zwei Stücke Leinwand von zusammen vierzig Ellen entwendet zu haben. Der Heigl ist dabei von dem zehnjährigen Buben des Bauern gesehen und an seinem zerkratzten Gesicht erkannt worden, das er von der Schönbuchner Rauferei gehabt hat! … ist beschuldigt, im Bräuhaus zu Neukirchen zwei Betten samt Ziechen und Kissen entwendet zu haben, wobei der Täter sich als Mooshändler ausgegeben hat und mit einem gefüllten Sack erschienen ist und um ein Nachtlager angehalten hat. Der Verdacht richtet sich gegen den Heigl, weil dieser vor einiger Zeit gegenüber der Neukirchner Brottragerin geäußert, er werde für sich und sein Dirndl schon ein weiches Bett machen! … ist weiterhin beschuldigt, verschiedenen Orts- und Zeitpunkts eine größere Anzahl von Gegenständen entwendet zu haben, die bei dem Inhäusler Josef Lemberger zu Watzlhof vorgefunden und von diesem, wenn auch nicht ganz glaubwürdig, als dem Heigl gehörig erklärt wurden. Für die Täterschaft des Heigl spricht der öftere Aufenthalt bei dem Lemberger!“ So schrieb man fleißig ein Blatt ums andere, und die blauen Aktendeckel beim Gericht wölben sich immer mehr. Man hatte auch nicht vergessen, dass er den Ge78
richtsdiener Stangl tätlich angegriffen und mehrmalig am Körper verletzt und dabei lebensgefährliche Drohungen gegenüber königlichen Amtspersonen ausgestoßen hatte. Aber wer konnte schon sagen, was von den vielen Blättern richtig war? Der Landrichter selber zuckte mit der Achsel und bemerkte einmal: „Wie es vorkommt, dass Leute beim Krämer einkaufen, den Schuldbetrag jedoch auf einen andern schreiben lassen, so scheint es, als wäre es einigen übelbeleumundeten Personen grade recht, ihre eigenen Untaten auf den Heigl abzuwälzen. Es soll unter diesem Volke die geläufige Rede sein, der Heigl habe einen breiten Buckel und könne viel tragen.“ Ein Beispiel dafür hatte man neulich erst gehabt. Es war nämlich dem Brigadier an dem Fendl aufgefallen, dass er oft lange in den Wirtshäusern hockte und viel Geld vorweisen konnte. Da sagte man ihm eines Tages auf den Kopf zu, dass er die achtzig Gulden beim Schreinerbauern in Anzendorf geholt hätte. Schließlich fand man in seiner Joppentasche auch die Bandischer, die er damals mitgehen hatte lassen. Da gab er es endlich zu. Und die Dirn bestätigt es auch: „Ja, der wars, der mich getätschelt hat!“ Der Fendl aber war ein Strick und wusste die Sache noch im letzten Augenblick zu seinen Gunsten zu drehen. Er fing an zu weinen und beteuerte, er habe das Geld nur herausgeschwindelt, um die Bauern gegen den Heigl umzustimmen. Dadurch kam er am Zuchthaus vorbei und bekam nur fünf Jahre Arbeitshaus. Recht viel hatte er dadurch freilich nicht profitiert! *
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Wie es mit dem Jahr aufwärts ging und auf den Höhen die Holzäpfel aufblühten, war der Heigl mit seinem Dirndl wieder auf dem Berg. Recht gern ging sie nicht mehr mit ihm. Bei ihr war – wie man so sagte – das Öfel am Einfallen, und es sollte noch mehr bei ihr fallen. Nun sagte sie es ihm geradeheraus: „Allweil muss ich in der Angst um dich sein. Ehvor ich damals vom Gotzendorfer Bauern mit dir fort bin, hat mir geträumt, dass dich der große Hund niederwirft und in tausend Fetzen zerreißt. Und vor einem solchen End furcht ich mich seitdem. Tu halt wieder Häfen handeln, und ich geh gern mit dir überallhin!“ „Wie sollt ichs denn noch können“, setzte er ihr auseinander, „wo ich auch hingeh, überall greifen sie mich auf und tun mich nachher ins Arbeitshaus oder gar ins Zuchthaus, und dafür war mir mein Leben zu schad!“ Als sie darauf nichts mehr sagte, fragte er sie: „Glaubst denn, dass ich einen Hund fürchte? Er kann noch so groß und wild sein, so putz ich ihn mit der Büchse weg. Und die Gendarmen scheuch ich sowenig wie den Teufel selber!“ Sie richtete sich auf, aus ihrem Gesicht war wieder alle Farbe gewichen, und aus ihren Augen schaute die Sterbensangst. „Ein wilder Narr bist“, schrie sie, „so verbissen hast dich, dass du dein End nimmer siehgst! Den Kopf werden sie dir draußen in Straubing abhauen, das wird der Schluss sein, und davor furcht ich mich am meisten!“ Da sie merkte, dass ihm ihre Mahnung nicht naheging, fuhr sie fort: „Ich bin gewiss keine von denen, die in die Unmacht fallen, wenn einer Henne der Kopf weggeschlagen wird, und bei einem andern könnt ichs viel80
leicht mit anschauen, wenn ihm der Kopf weggeputzt wird. Aber bei dir! Michl, verstehst mich denn net. Ich könnts net überleben!“ „Jessas“, sagte er nach einer Weile und zwang sich zu einem Lachen, „dann gehst halt net hin, wenn sie mich einmal soweit haben.“ Hernach nahm er seinen Stutzen und ging auf die Jagd. Als er gegen Abend zurückkam, hatte sie ganz ohne fremde Hilfe einen Jungen zur Welt gebracht, und der lag jetzt, eingewickelt in ihren Rock, neben ihr auf dem Waldboden. „Trag es der Mutter hinunter“, bat sie ihn erschöpft, „und richt ihr aus, dass ich bald nachschauen komm.“ Ehe er ging, sagte er vor sich hin: „Grad so hat mich meine Mutter auch gebracht. Auf dem harten Erdboden. Es fallt alles, wie es seine Art ist, und leichter fallts in den Dreck als hinaufzu an die Wolken.“ Er wollte lachen dazu und konnte es doch nicht, als er sah, dass dem Dirndl das Wasser in den Augen stand. Da ging er fort, und als er nach ein paar Stunden wieder zurück war, war das Dirndl nicht mehr da. Wie er dann später hörte, dass man sie auf drei Jahre ins Arbeitshaus getan hatte, dachte er bei sich: „Dort braucht sie nichts zu fürchten. Dort hat sie auch bei der Nacht den Schutzengel mit dem geladenen Gewehr neben der Holzpritsche!“ * Was hilft es, den Kopf hängen zu lassen, die Traurigkeit bringt die Leute bloß um. Es wurde Pfingsten, da ging der Himmel über dem Wald weit auf, damit das Heiliggeist-Täubl hereinfliegen 81
konnte. Die Kötztinger hatten wieder ihren großen Tag und putzten und bürsteten und weißelten und wursteten. Wer wird denn der Pfingstlreiter sein? Da musste man schon hinschauen. Im andern Jahr wars der Wiesmüllerbub, und heuer sollte es der Fischerbräu-Peterl sein. Ja, die Kötztinger sind fromme Leute, und wenn nur der Vater einen Hausstock und dazu ein Geschäft hatte, das Taler machte, so konnte der Sohn leicht aufs Rössl kommen und das Pfingstkranzerl schwenken. Bei einem Häuselleutkind hielt die Unschuld nicht so lange, bei denen kriegt sie die ersten Risse und Löcher schon, noch eh eins richtig laufen gelernt hatte. Gegen Abend zu ging der Heigl zum Weiß auf der Höhe und schaute in die Wirtsstube, wer alles drin war. Er sah den Raimer Michl von Rimbach und den Zitzelsberger Sepp von der Maierau, da setzte er sich dazu. Aber es wollte lange keine Lustigkeit aufkommen. Die Musikanten schauten drein wie die abgebrockten Stockrosen und hielten den Kopf in der Hand. „Höllteufel“, schrie der Heigl, „da herin ists stad wie beim König seiner Leich! Hat denn die Pfingstlbraut den Fischerbräu-Peterl derdruckt?“ Er warf den Musikanten ein paar Geldstücke hin, und das verscheuchte ihnen gleich den Schlaf. Zuerst tanzten die Burschen. Dann trieben sie allerhand Dummheiten, schütteten sich Schnaps ins Bier und gossen sich die Krügl in den Halskragen hinein. „So gfreuts mich besser!“, lachte der Heigl, „und jetza machen wir den Pfingstlreiter!“ Er warf dem Raimer und Zitzelsberger eine Rossdecke über, setzte sich darauf, schwenkte den Hut und schrie über alle hinweg: „Leutl, das siebenundvierziger Jahr 82
merkts enk. Da ist dem Teufel sein Junger der Pfingstlreiter gewesen!“ Es waren damals schon ein paar dabei, die sich das gemerkt und es dann später wieder vorgebracht hatten. Aber da war der Heigl nicht mehr der Pfingstlreiter und der Raimer und der Zitzelsberger waren nicht mehr sein Rössl, und ein Spaß ist es auch nicht mehr gewesen! * Wo steckten denn in der Zwischenzeit die Kötztinger Gendarmen? Jetzt trabten sie nicht mehr so fleißig, sie spürten ihre müde gewordenen Füße. Der alte Brigadier hatte das Reißen im Knie, er konnte das Bergsteigen nicht mehr mitmachen und trachtete auf einen Posten draußen im Gäuboden, wo die Straßen eben dahinliefen. Von seiner Mannschaft hatten es schon ein paar erreicht, dass sie auf einen leichteren Posten versetzt worden waren. Der neue Brigadier war ein resoluter Mann. Den hatte – so schien es – seine Mutter mit der Pfeffersuppe aufgezogen. Noch in der ersten Woche wollte er dem Heigl den Kragen umdrehen! Als er die Akten und Aufschreibungen durchgesehen hatte, glaubte er darin einen Fehler gefunden zu haben, und diensteifrig schrieb er an seinen Hauptmann nach Landshut: „Es ist nicht bloß das äußerst schwierige Gelände mit den vielen Bergen, ausgedehnten Wäldern und tiefen Schluchten, weshalb alle bisherigen Bemühungen um die Habhaftmachung des Heigl erfolglos geblieben sind, sondern man hat in unkluger Weise alle Streifen stets auf die frühen Morgenstunden angesetzt. Und wenn man dann endlich mühsam den Berg erreicht hatte, war 83
der Heigl schon wieder unterwegs. Man muss daher auf ihn vielmehr am Abend ausrücken, so wird man ihn im Schlaf überraschen und desto gefahrloser überwältigen können!“ Gleich bei der nächsten Gelegenheit wollte er. zu seiner Rechnung die Probe machen. Dazu fand sich schon nach ein paar Tagen eine gute Gelegenheit, als gegen Abend einer gelaufen kam und angab, der Heigl halte sich im Stadel beim Blaibacher Pechsieder versteckt. Sofort machte sich der Brigadier mit drei Mann auf den Weg. Sie liefen ganz abseits von der Straße und schlugen einen weiten Bogen. Dem Brigadier glänzte das ganze Gesicht vor lauter Eifer und verhaltener Freude. „So muss man die Füchsel angehen“, sagte er und zwickte die Hand auf und zu, „dass man ihnen von hintenher an den Kragen greift, alsdann können sie nicht beißen.“ Wie er aber den großen Stadel sah, der nach allen Seiten hin freistand, schienen ihm vier Mann zu wenig. Da holte er aus den Häusern ein paar Burschen und Männer, und die brannten bald vor Eifer. Mit einem Anlauf, als sollten sie gleich gar durch das Dach hineinspringen, rissen sie das Tor auf und stürmten in den Stadel, leuchteten herum und lurten, wo nun der Fuchs aufspringen würde. Aber der Heigl lag schon lange nicht mehr im Heu. Sobald er die Männer gehört hatte, war er aufgestanden und hatte sich hinter das Tor gestellt. Und als sie in den Stadel kamen, mischte er sich einfach unter die Sucher, nahm einem die Laterne weg und leuchtete den Gendarmen. *
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Ja, so trieb er es, und je öfter ihm ein solches Stück glückte, um so mehr grinsten die Leute. Den Gendarmen gönnte man es, dass sie so oft ins Leere tappten. Waren diese Grünfräcke nicht immer so siebengescheit, wenn sie mit dem ausgestreckten Finger in ihrem Dienstbuch herumzeigten? Und wenn einem Bub nur der Rotz von der Nase herablief, fanden sie dazu gleich den passenden Paragraphen. Und seht, Leute, jetzt war ihnen einer überlegen, und der war bloß ein Häuselleutkind und hatte nichts weiter gelernt als ein bisschen Lesen, Schreiben und Rechnen. Und wenn der die neunmalklugen Herren fuchste und foppte, konnte es mit ihrer Gescheitheit nicht gar so weit her sein. Wozu also warf man ihnen dann alle Monate ein Heidengeld in die Hand? Freilich, sie fingen manchmal auch einen Lumpen und dafür musste jemand da sein, damit einem nicht das Bett unterm Hintern weggestohlen wurde. Aber musste man sich es denn gefallen lassen, dass sie einem ehrlichen Christen mittendrin ins Haus fielen, das Zeug aus dem Kasten rissen und alles durchwühlten? Weil – wie sie angaben – ein gewisser Verdacht bestand. Als sie neulich zum Siedlinger gekommen sind und das Haus verriegelt fanden, haben sie einfach die Tür eingeschlagen! Und da half keine Beschwerde und nichts, weil sie alle zusammenhielten, ob es die Unteren sind oder die Oberen. Beim Glasspinnerdirndl von Hohenwarth hatte man es auch erlebt. Die hatte man einfach in den Arrest gesperrt, weil irgendeiner behauptet hatte, er habe sie einmal mit dem Heigl gesehen. Und da hatte kein Schwören und nichts geholfen, und es war auch für die Katz, dass der Glasspinner deswegen bis nach Landshut hinauf zur Regierung gegangen ist. „Ja“, hatten sie dort gesagt, „es 85
kommt manchmal vor, dass auch ein Unschuldiger leiden muss.“ Für so einen Trost gab einem keiner was! Es geschah den Herren also schon recht, dass die Leute hinter ihnen dreinlachten – was anderes konnte man eh nicht gegen sie tun. * Vielleicht hätte alles noch einigermaßen glimpflich enden können. Dazu schickte sich eine gute Gelegenheit, als der Heigl wieder einmal mit dem Rosshändler zusammenkam, der gerade ins Gäu fuhr. „Sitz auf“, sagte er und machte für den Heigl Platz. Der Händler war ein gewitzter Mann und wusste, wie man die Dinge anpacken musste. Eine Zeitlang schaute er geradeaus auf sein Ross. Auf einmal wandte er sich dem Heigl zu und fragte ihn: „Wie muss man nachher jetza zu dir sagen?“ „Warum?“, gab der Heigl verwundert zurück. „Na ja, einmal hast zu mir gesagt, du willst alles sein, bloß nimmer der kleine Batzenmichl. Was bist denn jetza in den vier, fünf Jahren geworden?“ „Herrgott“, fing der Heigl an zu schimpfen, „willst wieder an mich hinkampeln? Was gehts dich an? Das dauernde Predigen haben net einmal die alten Weiber gern.“ Der Händler lachte vor sich hin. Er wusste, dass keiner schrie, außer es tat ihm etwas weh. Und der Heigl hatte schon auch einen Fleck, wo ihn was drückte und zwickte. „Geh fort“, sagte der Händler, „geh zum Ziegelschlagen auf Wien oder nach Ungarn! Dort kennt dich keiner, und deiner Mutter wird das Sterben leichter, wenn sie 86
nimmer mit anschauen muss, wie die Gendarmen auf dich gehen!“ Der Händler erwartete keine Antwort, und wie zum Spaß nahm er die Peitsche und schnalzte ein Gsätzl. Wie er dann meinte, jetzt könnte es der Heigl hinuntergewürgt haben, fragte er bloß: „Na?“ – und hielt ihm die ausgestreckte Hand hin. Da zupfte der Heigl an seinem Ärmel, als müsste er zuvor den Arm freimachen. Aber dann schlug er ein und versprach, er wolle gleich morgen aufbrechen und sich heute Abend noch von seiner Mutter verabschieden. Er sprang vom Wagen und lief hinüber zum Wald. Den Kopf hatte er tief unten, als suchte er etwas auf dem Weg, und seine Gedanken waren schon weit, weit fort. Derweil fuhr der Händler wie einer, der sich was verdient hatte, nach Kötzting hinein und erzählte den Gendarmen von seiner geglückten Abmachung mit dem Heigl und riet ihnen, sie sollten den Heigl in Frieden gehen lassen. Gleich anfangs war der Brigadier über ein solches Ende froh. Wie er aber dann wieder allein war, sein Fangbüchl aufblätterte und durch den Namen vom Heigl einen Strich ziehen wollte, wurde er stutzig. Sollte er nun an den Rand schreiben: „Freiwillig abgerückt!?“ Da hörte er auf einmal wieder das böse Lachen, das er schon so oft hinter sich gehört hatte: „Hahaha – freiwillig abgerückt!“ Durch und durch ging einem das. Nein, dazu durfte es nicht kommen! Auf der Stelle wurde die ganze Mannschaft zusammengeholt, dazu die Gerichtsdiener und was sonst abkommen konnte, und dann rückten sie nach Beckendorf aus und legten sich, immer drei und drei, rundherum in den Hinterhalt. 87
Wie dann in der Nacht der Heigl kam, rumpelten vorne an den Hecken drei Mann auf ihn los und packten ihn von allen Seiten. Ein Säbel bohrte sich zwischen seine Knie, er stürzte, und die drei warfen sich auf ihn. Nun lag er auf der Erde wie damals der Bock, den er mit dem Ramsrieder Bauern gejagert hatte. Er strampelte, stieß und schlug um sich, riss einem das Gewehr aus der Hand und drosch damit auf sie ein. Es war sein Glück, dass der Gendarm den Säbel nicht mehr aus der Scheide brachte, der war so krumm verbogen wie die Mondsichel. Mit aller Gewalt rappelte er sich hoch und kam auch auf die Füße, ehe von der Seite andere herangelaufen kamen. Bloß einer hing ihm noch am Hals. Da nahm er das Gewehr und zielte. Der Schuss traf den Gerichtsdiener Huber an beiden Füßen, so dass er mit einem Aufschrei umsank. Ehe die anderen da waren, war der Heigl frei und floh in den Wald zurück. Als er sich sicher wusste, schrie er zurück: „Ihr meineidigen Hunde – von heute an schon ich keinen mehr!!“ * Gleich am andern Tag konnte man das Gewehr wieder krachen hören. Der Heigl sah zufällig den Mühlbauer von der Haselstauden mit dem Hund zum Wald hinaufgehen. Da legte er wild entschlossen hinter einem Baum an und schoss den Hund zusammen. „Ich kann die Viecher nimmer ausstehen“, rief er, „die Hex hat mir gesagt, dass mich der große Hund umbringt.“ Nun sprangen die Gendarmen wieder. Drei Tage nacheinander machten sie große Streifen mit hundert und mehr Mann und ließen auch ein Viechtacher Aufgebot von drüben herüber suchen. 88
Der Heigl aber saß derweil droben im Wipfel einer großen Buche und wartete, bis sich alle wieder verzogen hatten. In der Nacht ging er auf den Hohen Bogen hinüber. Er kannte auch dort den Wald wie seine Westentasche und wusste genug Löcher, in denen man unterschlüpfen konnte, und dort waren auch Bekannte, die einem aushalfen, wenn man Hunger hatte. Als er auf Schwarzenberg zu kam, kreuzte ein Dirndl seinen Weg, der man am Gesicht ansah, dass sie auch eine Herumtreiberin war. Er schaute sie genauer an und sprach sie an: „He, du! Dich kenn ich doch! Bist du net die Resl von Gotzendorf, die sie den Hütstempen nennen?“ Ja, erwiderte sie, die sei sie. Und als er sie weiter ausfragte, erzählte sie ihm, dass sie im sechzehnten Jahr sei, und jetzt hätte ihr der Vater angeschafft, sich nach einem Dienstplatz umzuschauen. Aber die Nase stehe ihr nicht nach der Bauernarbeit. Am liebsten möchte sie auf und davon laufen, wenn sie nur wüsste wohin! „Magst net mit mir gehen?“, fragte der Heigl nach kurzem Überlegen. Wie sie ihn nun genauer anschaute, sagte sie. „Ich kenn dich aber net. Bist ebba der Räuber?“ „Wie kommst jetza auf das? Hast Angst vor mir?“ „Nein“, gestand sie, „fürchten tu ich dich net. Net dich und kein Mannsbild, und sollt einer statt dem Bart lauter gespitzte Eisennägel in der Fotzen haben.“ „Gfallt dir mein Bart net?“, fragte er, und weil sie nur darauf lachte, horchte er sie weiter aus. „Wie kommst jetza da drauf, dass ich der Räuber bin?“ „Weils jetza überall genug gibt. Und geht man wo heimgarten, so heißts immer bloß: der Hiasl, der Heigl, der Schnauhuber, der Pfefferkorn – und wie sie sonst 89
noch alle heißen. Es werden eh bald alle Mannsbilder bloß noch Räuber sein.“ „Oder Gendarmen“, sagte der Heigl, „solche wachsen fein auch genug!“ Sie lachte: „Mich haben sie schon einmal eingesperrt gehabt, die Gendarmen! Weil ich dem Schirghofer ein Geißkitz vertragen hab. Ich habs aber net verraten, dass ich das Kitz auf dem Straubinger Markt verkauft hab!“ „Dann magst also die Gendarmen net? Und wenn dir ein Räuber lieber ist, nachher nimm nur gleich mich. Ich bin der Heigl und brauch für meine Räuberburg eine Hauserin.“ Sie schaute ihm ins Gesicht und lachte dann: „Dich könnt ich fein mögen!“ Wie sie dann miteinander gegen Abend zum Berg gingen, stieg hinter dem Arbergipfel der Mond herauf. Das Dirndl deutete hinauf: „Der aufnehmende Mond bedeutet Glück. Und viele Kinder!“ Aber dann zog ein Wolkenfaden durch die Sichel und zerbrach sie. Doch das sahen die zwei schon nicht mehr. * Nicht lange nach dem neuen Brigadier kam auch ein neuer Assessor. Als der alte abreiste, meinten die Leute: „Er geht, aber den Heigl, den er ausgelassen hat, der bleibt uns zum Andenken da.“ Der neue Assessor schaute auch die Akten und Aufzeichnungen durch, und da glaubte er gleichfalls einen Fehler zu finden und schrieb an die Regierung nach Landshut: „So sehr der Eifer und die Leistungen der hiesigen Gendarmen zu loben sind, so kann doch nicht übersehen 90
werden, dass für das weithin ausgedehnte Gebiet des Landgerichts Kötzting die vorhandenen zehn Mann, von denen vier zu Kötzting und je drei zu Lam und Eschlkam stationiert sind, bei weitem nicht ausreichend sind. Es wird daher untertänigst die Bitte unterbreitet, die Brigade um sechs Mann zu verstärken, um damit zu Hohenwarth, das unmittelbar am Fuße des Kaitersberges liegt, eine neue Station errichten zu können. Da diese Maßnahme ausschließlich zur endlichen Habhaftmachung des Heigl erforderlich ist, sollen die Gemeinden Hohenwarth, Gotzendorf, Grafenwiesen, Arndorf, Ansdorf, Atzlern und Kolmstein die Kosten für die vermehrte Sicherheitsmannschaft tragen, nachdem die Einwohner dieser Gemeinden den Heigl in jeder Weise unterstützen und so seine Einbringung verhindern.“ Da ging der Tanz erst richtig an! Gleich liefen die Bürgermeister zum Landrichter und schrien: „Jetza sollen ebba wir dafür zahlen, weil zehn Gendarmen net genug sind, um den Heigl zu fangen! Wir trauen uns, ihn zu jeder Stund aufzubringen!“ „Warum fangt ihr ihn dann nicht?“, fragte der Assessor. „Uns hat er nix getan“, antworteten die Männer. „Aber er stört dauernd die öffentliche Sicherheit, er gefährdet den Landfrieden, er schießt auf königliche Amtspersonen und bedroht sie lebensgefährlich!“ „Ja“, sagten die Männer spöttisch, „dann hättet ihr ihn halt net auslassen sollen. Und wer gibt uns denn eine Garantie dafür, dass er net wieder auskommt, wenn wir ihn bringen?“ So ging es hin und her, aber es half keine Beschwerde bei der Regierung und kein Bittgesuch beim König. Im Gegenteil: Das allerhöchste Ministerium zeigte sich recht 91
ungnädig und drohte, man werde auf Kosten der sieben Gemeinden eine ganze Kompanie Soldaten aus Straubing holen und sie so lange in der Einquartierung lassen, bis der Heigl gefangen sei. „Kreizsakrament!“, fluchten die Bauern – aber es half nichts. * Es dauerte auch nicht lange, so waren die sechs neuen Gendarmen da. Im Hohenwarther Schloss wurden sie einquartiert, und der Kötztinger Brigadier übernahm selbst das Kommando. Also, Leute, jetzt zahlt brav und seid froh, dass euch die Regierung nicht gleich hundertzwanzig Mann, sondern vorderhand bloß ein halbes Dutzend geschickt hat! Aber auf wen fielen denn die Kosten? Der Häuselmann zahlte nichts, der hatte nichts und dem konnte keiner was nehmen. Zahlen mussten die Bauern, und je größer der Hof war, desto weiter konnte er den Zugbeutel aufreißen. Den ärgsten Zorn hatten die Herren vom Sperlhammer und der Kötztinger Bürgermeister, dem das Schlossgut von Hohenwarth gehörte. Sie waren freiwillig bei allen größeren Streifen mitgegangen, und nun mussten sie auch noch das Strafkommando mitzahlen! Da wurde den Gendarmen jetzt jedes Bröckerl ins Maul gezählt. „Fresst nur fest und schlaft dann gesund, wir zahlens ja!“ Aber die Gendarmen schliefen gar nicht soviel, vor allem nicht die sechs Hohenwarther. Die kamen oft schon vor dem Tagwerden ans Haus, schlugen einem halb die Tür ein und durchsuchten dann alles bis zum letzten Winkel. Sie durchstöberten auch die Heuhütten entlang 92
der Straßen, in denen am Abend die Landfahrer unterschlüpften, und dann mussten die Hütten niedergerissen werden. Leute, kuscht und kraupts euch nur nicht, sonst reißt man euch noch die Häuser über dem Kopf zusammen. Der Assessor hatte ohnehin nach Landshut geschrieben, dass der Wald links und rechts der Straße ausgelichtet und an besonders unübersichtlichen Stellen ganz weggeschlagen werden musste. Am Ende würden die Herren noch den ganzen Wald wegputzen, bis der Kaitersberg bloß mehr ein leerer Steinhaufen ist. Und dagegen würde es keine Hilfe und keine Widerrede geben! * Seit neuestem hatte der Heigl ein Spekulierröhrl. Damit hatte er die Hohenwarther Gendarmen bald ausgespäht. Als er dann beim Wirt in Liebenstein war, zeigte er es den neugierigen Männern. Da sagten sie: „Über was du net alles kommst!“ Und der Laumer, der als Erster das Röhrl in die Hand bekam, schaute es wie ein Wunder an und gestand: „Ich hab fein überhaupt net gwusst, dass es so was gibt!“ „Aber eine Brillen wirst dennerst schon gesehen haben?“, meinte der Heigl. „Jetza hat sogar der Kummersdorfer eine, der wo im Regen das Gold sucht. Wirds wohl auch brauchen, weil die Goldkörnl gar so klein sind. Na ja, und das Spekulierröhrl ist grad so ein Glasl, es geht bloß viel weiter. Damit siehgt man dem Mondschein bis in die Nasenlöcher.“ „Aber zu was musst ihm denn in die Nasenlöcher schauen?“, fragte der Laumer zurück. „Ach wo, ich schau ja net hinauf, ich schau auf den 93
Kötztinger Markt hinein, und da siehg ich die Herren beim Landgericht in den Schreibstuben sitzen und ihre Federn spitzen. Und ich siehg mit dem Röhrl auch auf Hohenwarth hinunter und siehg den Herrn Brigadier, ob er sich grad ein Schnüpfl Tuwak auf die Hand haut, und was ihm die Köchin kocht. Oder er ihr!“ „Ja“, sagte er, wie ihm die Männer zulachten, „und wenn dann die Stiefelscheißer umschnallen und ausrucken, das siehg ich auch, und dann knöpfel ich mir die Hose ab und setz ein Blüml auf den Weg hin und stamper ganz gemütlich auf der andern Seite davon.“ Sie lachten noch mehr und fragten: „Han, wie bist denn zu dem Röhrl gekommen? So was mag hübsch teuer sein.“ „Das hat mich gar nix gekostet“, sagte der Heigl. „Ich hab es dem Herrn aus der Hand weggenommen, der vor etlichen Wochen da war und sich die Gegend angeschaut hat. Es soll ein Regensburger hochgeweihter Prälat gewesen sein. Augengläser hat er auch gehabt, und da hab ich zu ihm gesagt, zu was brauchst du gleich zweierlei Glasl?“ „Ein rechter Bazi bist schon!“, meinten die Männer bewundernd. Wie der Heigl dann am Nachmittag über die Auwasserwiesen ging, waren die Burschen und Mägde vom Dimpfl-Metzger beim Heuen. Einer von den Gesellen kannte ihn und schrie hinüber: „Heigl, geh uma und verzähl uns was, die Weiber möchten gern lachen.“ Da sah er bei der Irlstaude einen Bierkrug stehen und soff ihn in einem Zug aus. „Jetza habts was zu lachen“, meinte er. So etwas gefiel den Leuten auch. *
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Und dann wurde der Heigl auf einmal geistlich. Der Maulaffenhiasl hatte ihn darauf gebracht, und machte auch mit. „Bruderherz“, sagte der eines Tages, „das Fechten in dem schmierbigen Jöppl tragt allweil weniger, mit dem Kripsen ist auch net viel zu holen, und geht man mit dem Jagdstutzen und schießt was, dann laufen schon von links und rechts die Gendarmen her!“ Da gab ihm der Heigl gerne recht. „Aber“, meinte der Maulaffenhiasl weiter, „ich hab gesehen, wie heuer der Bischof herin war und die Kinder gefirmelt hat, da haben die Leute fleißig Gulden gegeben. Und wenn der Einsiedel von Bogen mit seiner Schmalzbüchse herumgeht, kann er sie am Abend kaum noch dertragen. Auf solche Art ist eher noch was zu kriegen.“ Da besorgten sie sich Kutten, schrieben Listen, druckten ein paar Mal den Kötztinger Stempel darauf und gingen dann über Viechtach auf Deggendorf zu. Sie kannten etliche lateinische Wörter, wie sie der Pfarrer beim Amt sang, und sagten „Dominus wobisdu“ und „Ky-rie-eläs“ und machten den Leuten vor, der allerhochwürdigste Herr Bischof möchte auf die Regensburger Türme draufbauen, und dafür sollten fromme Almosen eingesammelt und Messen eingeschrieben werden. Da liefen die Bauernweiber und buckelten und knicksten vor den zwei Spitzbuben, und gab die eine zwei Gulden, so legte die nächste noch ein Halbstückl mehr drauf. So grasten die beiden Ort um Ort ab, bloß in die größeren Dörfer, in denen es eine Kirche und einen Pfarrer gab, gingen sie nicht zu weit hinein. Und wenn sie das Geld schön in die Liste eingeschrieben hatten, machten sie sich weiter auf den Weg. Dort vorn beim Wald wartete schon das Hütstempendirndl, die in einem Sack die weltlichen Kleider vorantrug. Am Abend saßen sie dann 95
zu dritt im Wirtshaus und ließen die Regensburger Türme wieder umfallen. „Bruderherz“, sagte der Maulaffenhiasl, „es geht ja doch alles auf eins hinaus. Die einen lassen einen Bären tanzen, andere zeigen einen angewandeten Affen, der am Seil geht, wieder andere verkaufen Glücksbriefl oder lesen aus den Karten heraus – alles ist bloß darauf abgemacht, den Leuten das Geld aus dem Sack zu ziehen, und Dumme gibts in jedem Haus überall genug.“ Bis auf Landshut hinauf gingen die geistlichen Spitzbuben sammeln, dort aber zog ihnen einer heimlich die Liste heraus und schaute sich den Stempel genauer an. Als dann die Liste nach Kötzting geschickt wurde, wussten sie dort gleich, wer der Bauführer beim Turmaufsetzen war. * Inzwischen war auch ein neuer Landrichter gekommen, der Herr von Paur. Der war schon ein richtiger Mann, seinen Namen sollte man sich merken. Der schaute ebenfalls die Akten und Aufzeichnungen durch, aber er vermochte in dem Geschreibsel keinen Grund und Boden zu finden. Da ging er hinaus in den Wald, stieg auf die Höhen, ging in die Dörfer, schaute in die Häuser und redete mit den Leuten, und so kam er auf die wirklichen Fehler und schrieb an die Regierung: „Man hat in früheren Jahren immer wieder darauf hingewiesen, dass die hiesige Gegend mit den hohen Bergen, ausgedehnten Wäldern und vielen Schluchten für solche Menschen wie den Heigl besonders günstig wäre und dass in Anbetracht des schwierigen Geländes die 96
vorhandene Sicherheitsmannschaft nicht ausreiche. Man hat aber bei allen diesen Betrachtungen die Bevölkerung und ihre besonderen Lebensverhältnisse ganz außer acht gelassen. Die wenigsten von ihnen haben einen eigenen Besitz von Ackern oder Wald, die Grundbesitzer aber halten selten einmal ordentliche Dienstboten, sondern bedienen sich der Inhäuselleute als billige Arbeitskräfte. Diese sind der weitaus größte Bevölkerungsteil, sie hausen in schlechten Wohnungen, und es ist gar nicht selten, dass in ein oder zwei schlechten Kammern zehn und zwölf Personen zusammengedrängt sein müssen. Es sind unter diesen Leuten viele ordentliche und brauchbare Menschen. Aber wie sollen sie ihren Lebensunterhalt finden, wenn ihnen niemand Arbeit gibt? Sie sind daher gezwungen, sich ihr Brot durch Betteln, Stehlen oder auch durch Schwärzen zu suchen, wozu die nahe Grenze von Böhmen eine gute Gelegenheit bietet. Es erscheint gar nicht so vordringlich, dass der flüchtige Heigl aufgegriffen und der verdienten Strafe zugeführt wird, sondern vielmehr ist alles zu tun, um zu verhüten, dass noch mehr dieser darbenden Menschen denselben Weg einschlagen. Man muss daher versuchen, diesen Leuten ein menschenwürdiges Dasein zu ermöglichen, dann werden sie auch ganz von selbst auf dem Boden von Gesetz und Ordnung verweilen oder daraufhin zurückkehren, wenn sie diesen bereits verlassen haben. Wie es ja eine alte Wahrheit ist, dass Hunde, die ordentlich gehalten werden, nicht ins Feld laufen und Hasen und Rehe reißen. Damit aber der flüchtige Heigl nicht noch andere zu sich lockt, sondern beizeiten ergriffen werden kann, sollte für seine und des Maulaffenhiasls Einbringung eine Geldbelohnung von fünfundzwanzig Gulden ausgesetzt werden.“
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Ja, der Herr von Paur hatte schon die richtigen Augen und sah den Dingen auf den Grund. Aber was wussten die bei der Regierung und am Ministerium schon davon? Landshut und München lagen weit von Kötzting. Man reiste schon bald leichter und schneller nach Paris als in den Bayerischen Wald, wo es einem passieren konnte, dass die Pferde auf den engen und schlechten Straßen nicht mehr weiter konnten. Und wie sollte man denn diesen Leuten dort hinten helfen? Sollte man ihnen am Ende Butter und Honig schenken? Da war es schon einfacher, im Notfall ein paar weitere Gendarmen zu schicken. Streunende und wildernde Hunde konnte man nämlich auch dadurch beim Haus halten, dass man sie an die Kette legte. Mit dem Vorschlag, ein Fanggeld auszusetzen, konnte man schließlich einverstanden sein. Das riss kein allzu großes Loch in den Geldsack. Also wurde an allen Amtstafeln angeschlagen und in den Zeitungen ausgeschrieben, dass jedermann, welchen Alters, Geschlechts und Standes er auch sei, für die Ergreifung des Heigl und Maulaffenhiasls eine Geldbelohnung von fünfundzwanzig Gulden gemäß den gesetzlichen Bestimmungen zu erwarten habe. * Indessen baute der Heigl noch frisch an seinen Regensburger Türmen und kam über den Brennes herüber in die Gegend von Lam. Da traf er beim unteren Wirt ein paar Händler und Bauern, die schon die zweite Nacht durchsoffen und so voll waren, dass sie Tag und Zeit nicht mehr kannten. Im Ofeneck hockte der Himmelreicher. Die Holzhänd98
ler hatten ihm seinen Flecken Wald abgenötigt, und weil es ihm nicht wert erschien, das Geld heimzutragen, verbrauste er jetzt die Bäume und sagte in einem fort vor sich hin: „Himmel, sind wir reich! Himmel, sind wir reich! Himmel, sind wir reich!“ Nebendran saß einer von Haibühl, der in seinem Summserer eine verwirrte Geschichte vom Kolmsteiner Einsiedler erzählte. Der könnte fein ein schönes Erntewetter machen und die Wolken vom Himmel abputzen, wenn man ihm ein Weckl Butter gäbe. Und im beginnenden Frühling, auf den Georgitag zu, habe er einer buckligen Hexe den Teufel ausgetrieben, der als rotes Eidaxl aus ihrem Maul ausgefahren sei! Da mischte sich der Heigl ein und sagte: „Dassell trau ich mir auch und wenn ihrs wollt, so lass ich enk den Gankerl sehen.“ Er deckte seinen Hut über die Kerze, die am Tisch brannte, und wie es so grün und schwefelgelb durchschien, raunte er: „Jetza hab ich ihn! Da drunten knockt er! Und jetza derdruck ich ihn!“ Er riss schnell den Hut weg und wand ihn zusammen, so dass eine Rauchfahne daraus aufstieg, es dampfte, wie aus einem warmen Spülhadern. Da gafften sie und die Mäuler standen ihnen offen. Ängstlich lurten sie daraufhin, was noch kommen würde. Nach einer Weile sagte der Haibühler enttäuscht: „Warum hast ihn denn derdruckt? Zuvor hast gesagt, du lasst uns den Gankerl sehen, ich möchts wissen, ob er Hörndl aufhat.“ Der Heigl gab ihm einen Spiegel und hieß ihn, fest mit dem linken Auge hineinzuschauen, aber ja nicht mit allen zweien! Der Haibühler zwickte das Auge ein, aber lange wollte 99
ihm das eine nicht zubleiben und das andere nicht aufgehen, und da nickten auch die andern neugierig hin und wollten einen Blick ins Glas tun. Und wie sie dann ihre versoffenen Gesichter sahen, erkannten sie sich selber nicht mehr. „Jessas – da schaut er heraus!“, schrie einer. Im selben Augenblick schmiss der Haibühler, der mit seinen unsicheren Händen zu nahe an die Kerze gekommen war, den Spiegel hin und plärrte ganz irr: „Sakrisch, jetza hat er mich brennt, der Gankerl!“ Er blies und schleckte an seine Finger und die andern duckten sich in den Tisch. „Jetza weißt es“, sagte der Heigl, „er beißt und zwickt fein, wenn man ihm zu nah kommt!“ Wie es dann dem Morgen zu wurde, machte er sich weiter auf den Weg. Erst lange später wurden die Händler und Bauern munter. Da merkten sie, dass ihre Taschen ausgeleert waren, und der Wirt sah, dass ihm die Kette samt der Sackuhr fehlte. Um die Mittagszeit kam der Gendarm zum Wirt, und da erzählten sie es ihm und fragten, ob einem der Gankerl das Geld aus dem Sack tat und die Uhr abhängt. Der konnte ihnen dann schon sagen, wer der Gankerl war. Bloß der Haibühler blieb dabei, dass ihn der Teufel an der Hand gehabt hatte, und schnell kreuzelte er sich übers Gesicht herunter. * So ging die Zeit herum. Was war ein Sommer drinnen im Wald? Im Mai trieben die Birken aus, und auf den Laurenzitag verfärbten sie schon wieder. 100
In der ersten Septemberwoche kam das Hütstempendirndl mit einem Buben nieder. Der Heigl legte ihn auf seine Joppe, riss sich dann einen Ärmel vom Hemd und putzte und trocknete das Kind. Es war ein netter Bub, und den Heigl rührte es, wie da auf einmal etwas Lebendiges war. „Ich tat dich ja gern behalten“, sagte er, „wenn ich nur ein Pfoadl und Bettstattl für dich hätt. Aber ich weiß dir schon einen guten Platz, wo Kühel im Stall stehen, die Milch und Schmalz machen, und dort gibts auch schöne weiche Bettl.“ Er holte aus seinem Versteck einen Korb, stopfte Heu hinein und trug das Kind zum Weidenhofbauern hinunter. Dort legte er es beim Fenster auf die Holzschar. Es ging schon auf die Nacht zu, der Weidenhofbauer kniete gerade vor dem Kreuzbild und betete, wie es seine tägliche Gewohnheit war, für seine zehn Kinder, die ihm alle weggestorben waren. Da schlugen die Hunde an. Er hörte beim Fenster Geräusche und schaute hinaus. Da sah er das nackte Kind und bemerkte beim Zaun einen Mann. „Ich hab dir einen Trummeltauber gebracht“, rief der Heigl hinüber, „mit den deinigen hast eh kein Glück gehabt. Halt ihn fein gut und trag ihn zur Tauf!“ Es schmerzte den Weidenhofbauern sehr, dass ihm alle seine Kinder gestorben waren, aber gegen den fremden Balg wehrte er sich doch: „Ich mag anderer Leute Kinder net, und schon gar net, wenn ich net weiß, von wem sie sind.“ Da schrie der Heigl, der schon im Weggehen war, zurück: „Ich bin der Heigl. Tu fein dem Kindl nix, sonst kimm ich mit dem Stutzen!“ Was blieb dem Bauern übrig? Er nahm halt in Gottesnamen den Bankert, ließ den Buben auch in der Wettzel101
ler Kirche taufen und gab dann beim Gericht alles an, wie es sich zugetragen hatte. Sieben Kinder vom Heigl hatte man dort vermerkt, drei vom Gruberdirndl und vier vom Hütstempendirndl – lauter Buben –, und drei davon waren solche Trummeltauber, die der Heigl zu den Bauern gebracht hatte. Als man später die Kinder ins Arbeitshaus steckte, soll der Landrichter schmunzelnd gesagt haben: „Es ist unser Glück, dass der Heigl net fleißiger gewesen ist, sonst könnten wir für seine Nachkommenschaft noch ein eigenes Arbeitshaus bauen.“ Als der Heigl erfuhr, dass man auf ihn und den Maulaffenhiasl einen Preis ausgesetzt hatte, sagte er: „Dassell muss ich mir schon anschauen.“ Er zog sich, wie die Holzhauer, den Hut über die Ohren, hängte sich die Joppe über die Achsel, nahm eine Axt unter den Arm und ging am helllichten Tag auf Kötzting hinein. Wie er beim Gericht stand, wo der gedruckte Wisch an der schwarzen Tafel angeschlagen war, musste er vor sich hinlachen. Viel ist ihnen unser Fleisch nicht wert, dachte er, wenn man es sich ausrechnete, kam das Pfund höchstens auf sechs Kreuzer. Vom Ochsen kostet das Pfund allweil schon fünfzehn Kreuzer. Da ging auf einmal einer auf ihn her, schaute ihn an und sagte: „Wie – bist du net der Heigl?“ Es war einer von den Gendarmen, er schrieb sich Blüml und war von allen am längsten in Kötzting. Der Heigl schaute auf, war aber gleich gefasst, und indem er zornig die Axt aufzog, sagte er: „Sag fein das nimmer – sonst geb ich dir einen Heigl!“ Da wich der Gendarm zurück und sagte zu seiner Ent102
schuldigung: „Ich hätts jetzt fast gemeint – nix für ungut, wenn ich mich verschaut hab.“ „Dann mach deine Augendeckel besser auf“, brummte der Heigl grantig und ging hernach seinen Weg weiter. Nun war er nicht so dumm, dass er das ausgesetzte Fanggeld nicht richtig eingeschätzt hätte. Er wusste wohl, dass fünfundzwanzig Gulden für einen Notnickel viel Geld bedeuteten. Und warum sollte nicht einer die Hand danach ausstrecken, wenn es sich schickte? Da verzog er sich mit seinem Dirndl auf eine Zeit ins Böhmische hinüber. Der Maulaffenhiasl war schon zuvor ausgerissen und zum Ziegelschlagen nach Sünching gegangen. Ein paar Wochen lang rührte sich nichts im Kötztinger Landl, und der Landrichter rieb sich die Hände und sagte: „Fünfundzwanzig Gulden sind doch ein gutes Marschierpulver.“ „Besser und billiger wohl als sechs neue Gendarmen“, meinten die Bauern. Andere aber glaubten noch an kein Ende und sagten: „Es ist allweil noch net Feierabend.“ Auf einmal geschah wieder etwas. Der Foidlbauer von Zenching rannte aufs Gericht hinein und gab an, dass der Heigl in der vergangenen Nacht gegen zehn Uhr in sein Haus eingebrochen sei und aus der schönen Stube zwölf Gänse geraubt habe. „Aber doch nicht aus der schönen Stube“, wandte der Schreiber ein, der ein akkurater Federfuchser war. „Wisst Ihrs denn anders?“, begehrte der Foidl auf. „Mann“, erklärte ihm der Schreiber, „wenn Ihr bei euren Angaben nicht genauer seid, kriegen wir den Heigl unser Lebtag nicht.“ „Den kriegt ihr so und so nicht“, stritt der Foidl. Und 103
wie er den Schreiber fuchtig werden sah, setzte er mit aller Bestimmtheit hinzu: „Die Gänse waren aber in der schönen Stube.“ Da warf der Schreiber verzweifelt die Feder hin und jammerte: „Tag und Nacht schreib ich jetzt bloß noch für diesen Malefizhund, den Heigl, und jede Woche gehts ein paar Mal auf Landshut, und von Landshut kommts wieder mit roten Strichen zurück, mit denen sie mir einen Ausputzer um den andern geben, weil ihnen das eine nicht ausführlich und das andere nicht genau genug ist. Und hernach fragt das Ministerium wieder nach, warum denn der Malefizhund noch immer nicht gefangen ist!“ Es war schon ein Kreuz. Die Akten über den Heigl wuchsen in die Höhe wie der angedampfelte Brotteig. Nun hatte man schon drei Stöße, jeden so dick, dass man keinen mehr mit der ausgestreckten Hand umspannen konnte. Wohin sollte das noch führen? Die Gendarmen hatten jetzt um eine Gehaltszulage eingegeben, sie mussten dauernd Sonderdienst machen, und zerrissen sich auf den beschwerlichen Streifgängen Montur und Stiefel – und das alles verursachte Schreiberei. Auf einmal ging dem Schreiber das rechte Licht auf, er wandte sich wieder ganz dem Foidl zu und sagte: „Dann waren es womöglich gar keine Gänse?“ „Jessas, wie sollens denn keine gewesen sein? Hab ich sie net selber abgekragelt, und mein Weib hat sie gerupft und sollt sie heute auf den Chamerer Markt bringen.“ „Na, was sag ich!“, rief der Schreiber fast fröhlich. „Ich habs doch gleich richtig geschmeckt. Mann, Ihr seid nicht akkurat. Ihr schwätzt bloß, wie Ihrs von daheim gewohnt seid! Denn schaut, schreibe ich also Gänse, so denkt jedermann an lebende Tiere! In Wirklichkeit aber handelt es sich doch um Gänseleiber!“ 104
Wie der Schreiber noch über dem Bericht saß, kam der Kuchler von Haibühl aufs Amt, und der schaute mit seinen Beulen und blutunterlaufenen Augen nicht eben schön aus. Er gab an, dass in der vergangenen Nacht, etwa um zehn Uhr der Heigl bei ihm im Hof eingebrochen und ihn mehrmals mit einem Prügel über den Kopf geschlagen hätte, weil er ihm nichts geben wollte. Schließlich habe er nicht mehr anders gekonnt und ihm die Saubladern mit ungefähr dreißig Gulden hingeworfen. „Und das war gestern Abend um zehn Uhr?“, fragte der Schreiber. Er schaute zum Foidl hinüber. „Und Euere Gänse hat der Heigl auch gestern Abend um zehn Uhr weggeholt?“ „Ich weiß die Zeit ganz genau“, beharrte der Foidl, „und dass es der Heigl war, weiß ich auch, weil ich ihn kenne.“ „Der Lump macht mich noch verrückt!“, rief der Schreiber. „Es ist doch einfach unmöglich, dass der Heigl zur gleichen Zeit an zwei verschiedenen Orten sein kann, die noch dazu fünf oder sechs Stunden voneinander entfernt sind!“ „So was gibts fein“, sagte der Foidl, „ist net der Sträußlwirt von Neukirchen so einer gewesen? Wenn sie geheugt haben, ist der Sträußl auf der Wiese gewesen und zur gleichen Zeit auch daheim in seinem Stadel!“ „Dem hat vielleicht der Teufel geholfen“, sagte der Schreiber. „Ja“, stimmten ihm die Bauern zu, „der hilft dem Heigl auch. Den Sträußl hat fein zuletzt der Passauer Bischof ins Höllbachgspreng verschafft – vielleicht könnt er auch den Heigl verschaffen?“ Es dauerte lange, bis die beiden Bauern aus dem Gericht kamen. Wie sie dann zusammen über den Marktplatz heruntergingen, sagten sie zueinander: „Wenn wir 105
den Heigl net fangen, dann dauert die Gaudi noch fünfzig Jahre. Die drinnen beim Gericht derwischen ihn seiner Lebtag net!“ * Der Winter schaute wieder ins Land. Der Osser hatte seine Schneehaube übergezogen, der böhmische Wind pfiff darüber hinweg. Dem Heigl fuhr die Kälte durch die Hose ein und aus. Es würde ein wilder Winter werden, befürchtete er und hatte seine Sorgen. Ehe ihm der Schnee das Loch zuwachelte, ging er auf Rattenberg hinunter. Sie kannten ihn auch da, und wie er sich beim Wirt niedersetzte, bekamen die Bauern es mit der Angst und liefen davon. Nur einer blieb, den sie den Lixl nannten. Er soff oft und viel und war mit allen verfeindet. Einmal hatten sie ihn draußen in Straubing festgehalten wegen einer Brandsache. Doch sie konnten ihm nichts beweisen und mussten ihn wieder freilassen. Nun rückte er zum Heigl hin, warf eine Handvoll Geld auf den Tisch und sagte: „Heigl, du gfreust mich, und das lass ich mir auch was kosten. Was du heute saufst, das zahl ich.“ Und dann fing er mit seiner alten Geschichte an und beteuerte, wie unrecht man ihm in der Brandsache getan und wie schlecht er es mit seinem Weib erraten hätte. Der Heigl sagte nicht ja und nicht nein, und als ihm das Geschwätz zu dumm wurde, schob er dem Wirt den Krug hin und stand auf, um zu gehen. Gleich war auch der Lixl auf der Höh und sagte, er müsse auch heim, und es wäre ihm bequem, wenn er ein Stückchen mitgehen könnte. 106
Sie waren noch nicht weit, da rückte er mit seiner Sache heraus. „Du“, sagte er, „für dich wüsst ich was, könntest dir ein schönes Geld machen damit!“ Der Heigl wusste, dass Handelschaften mit dem Lixl nichts einbrachten, darum wich er ihm aus, redete vom Winter und wie er nun auf lange hinaus seine Not haben würde. „Da lässt sich helfen“, sagte der Lixl schnell, „net eine hungrige Stund sollst mehr haben, wenn du sie mir abtust!“ Der Heigl schaute auf, aber der Lixl ließ sich nicht unterbrechen. „Ist für dich das richtige Handwerk“, sagte er, „musst sie bloß fest anpacken, sie tut keinen Laut, dassell garantier ich dir.“ „Wie schwer ist die Sau?“, fragte der Heigl. „Die Sau – die Sau? Wer sagt denn was von einer Sau?“ „Ich sollt sie dir doch abmetzgern!?“ „Ja, aber doch net die Sau! Die Alte, mein Weib bring mir um, Heigl! Derstich sie, derschlag sie oder wie du es machen willst. Aber verrat mich fein net!“ Der Heigl blieb mitten am Weg stehen und sagte voller Verachtung: „Ich bin kein Leutumbringer, das merk dir! Ich mach mir keine blutigen Hand, wenn mir keiner nix tut.“ „Heigl“, bettelte der Lixl fort und fort und packte den Heigl am Arm, „tu mir den Gefallen, mir soll kein Geld zuviel sein!“ Da machte sich der Heigl unwirsch los und ging schnell über die Felder davon. Ein paar Tage später bekam der Lixl schier die Maulsperre, als er in der Frühe in den Stall kam und daran den Zettel fand: „Ich hab doch lieber die Sau gestochen.“ Und wahrhaftig, da fehlte im dritten Verschlag die Zweizentnersau, die fette Prachtsau! 107
* Und dann wurde es richtig Winter, und der Wald schlief ein. Die kleinen Nester und Einschichthöfl waren für lange Zeit schier unerreichbar weit auseinandergerückt. Wenn jetzt droben an der Höh einer starb, musste er sich schon noch ein paar Wochen gedulden, bis man ihn zum Friedhof bringen konnte. Die Leute hockten untätig in den Stuben herum, es war ein armseliges Hausen. Einen Tag wie den andern gab es Erdäpfel zu essen und dazu einmal Kraut und das andermal eine Milchsuppe. In der Woche vor Lichtmess ging ein Trupp Burschen und Dirndl hinaus nach Straubing, um bei den Gäubauern einen Dienstplatz zu suchen. Es waren auch ein paar abgehauste Waldbauern darunter. Ja, es rutschten alle Jahre ein paar von ihrer Sach. Der Waldboden war glatt wie ein gefrorenes Straßl. Ein Teil der Wandersleut walzte sogar bis auf Wien oder nach Ungarn zum Ziegelschlagen oder zum Bahnbau. Seit neuestem sollte man im Türkenland beim Festungsbau leicht Arbeit finden. Überall gab es Platz und Arbeit, bloß der Wald hatte für seine Leute keinen Acker und kein Brot. Bevor sich die Wandersleute auf den Weg machten, hielten sie im Wirtshaus Abschied. Da tranken sie die ganze Nacht durch für das Geld, das sie im Herbst heimbringen würden, sie sangen und schrien, und als sie dann aufbrachen, wusste mancher nicht, ging es nun hinfür oder ruckaus auf Straubing hinaus. Beim Wirt in Grafenwiesen war diesmal die ganze Stube voller Wandersleute. Wollten denn jetzt alle weglaufen? 108
Ja, wenn sie nur alle könnten! Es wurde jedes Jahr schlechter im Wald! Das Holz hatte schon bald keinen Preis mehr. Die Stadtleute heitzten jetzt mit Kohlen, die wärmten besser und waren billiger. Derweil verfaulten drinnen im Wald die Scheiter auf der Erde. Als es nach Mitternacht war, kam der Heigl mit seinem Dirndl in die Wirtsstube. Wollten die beiden etwa auch mit? „Ich hab net hergeheiratet auf Kötzting“, sagte er, „ich tu hinunter aufs Banat, dort kriegt man das Land geschenkt, wenn man drauf ansät. Dort kann auch ein Häuselleutkind Bauer werden.“ Sie fragten ihn, ob er nicht fürchte, dass man hinter ihm dreinschreiben und ihn dann nach Kötzting ausliefern würde. „Die Müh können sie sich sparen“, gab er zur Antwort und zog den Stempel aus der Tasche. „Mit dem mach ich mir alle Namen, den Heigl findet in der ganzen Welt keiner mehr.“ Gegen Morgen, als der Himmel über den Berg bereits aufhellte, brachen die Wandersleute auf und sangen für die Zurückbleibenden ein Abschiedslied: „A Liedl tu enk singa, a Liedl, ganz neuch: I will jetza gehn aufs Ungarn und Österreich. Dirndl, jetza pfüat dich Gott, wann i geh fort, muss alle verlassen, muss lassen mein Heimatort. Pfüat enk, Vater und Mutter beisamm, Vergelts Gott für alles, was mir Gutes habts tan. Pfüat Gott, Gschwistert, tuts mir beten glei, wenn meine Reisschaft mein Tod müsst sein. Und wenn i ausfahr über Land und Meer, I denk doch auf enk und mein Heimat her.“
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Als sich nun der Heigl seinen Hut aufsetzte, drückte sich sein Dirndl an ihn: „Aber mich wirst dennerst net dalassen wollen?“ „Ehnder gehet ich ohne meine Hosen“, gab er ihr lachend zur Antwort. „Wie sollt ich denn als Bauer anfangen, wenn ich dazu keine Bäuerin net hätt?“ Sie hängte sich an seinen Arm: „Ich bleibet auch net ohne dich, Michl!“ Da schaute er sie an: „Von jetza an bin ich fein nimmer der Michl und nimmer der Heigl!“ Und heimlich flüsterte er ihr ins Ohr: „Jetza bin ich der Franz Walser.“ „Und ich?“, fragte sie. „Na, wer wirst denn sein? Halt die Walserin!“ Viele waren froh, als sie hörten, dass der Heigl fort war. Gleich rührten sich die Bauern: „Sollen jetza die vielen Gendarmen noch dableiben? Es werden eh überall mehr Spatzen. Am Gericht drin ist ein zweiter Assessor, und der Marktgendarm hat jetza einen Gehilfen. An jedem Eck wachsen ein paar dran, die von dem fressen, was der Bauer schafft. Und alle fressens mehr und besser als der Bauer!“ Aber wer hörte es denn schon, wenn hinten in den Einödhöfen ein paar in den Tisch schlugen? In Landshut rechneten sie derweil recht sauber zusammen, was sechs Gendarmen in einem Monat brauchen und schickten die erste Rechnung über vierhundertsechsundzwanzig Gulden, elf Kreuzer und zwei Pfennige. Da schrien die Bauern noch ärger: „Net zahlen wirs. Net!“ Und immer hörte man dazwischen: „Wir haben den Heigl net auslassen, und wenn zehn Gendarmen net genug sind, dass sie ihn fangen, so kann man uns dafür net strafen!“ 110
Dann rannten sie zum Advokaten und begehrten: „Schreib uns an den König. Schreib: Eh dass wir seine Gendarmen zahlen, ehnder wollen wir böhmisch werden! – Und schreib: Wenn er net nachgibt, machen wir einen Krawall, dass mans bis auf München hört! – Schreib: Er soll seine königlich-bayerischen Gendarmen selber futtern und sein Geld net an das spanische Weibsbild hängen, die ihm alle Nacht nacket auf tanzt, und die er zur Gräfin gemacht hat! – Ja, schreibs nur! Wir haben auch keine Weiber, die uns nacket auftanzen!“ Es klang freilich ganz anders, was der Advokat dann zu Papier brachte, es stand nichts drin vom Böhmischwerden und nichts vom spanischen Frauenzimmer, und als es die Bauern lasen und unterschrieben, sagten sie zustimmend: „Ja, gut hast es gemacht – grad so haben wirs gemeint.“ Aber droben in München wurden die bittend aufgehobenen Hände und die in viel Demut gebeugten Knie nicht angenommen. Da musste der Advokat wieder nach Landshut schreiben. Dass der Heigl aus dem Land fort war, dass aber die Hohenwarther Gendarmen immer noch da waren und wie zuvor die Häuser abvisitierten und umräumten, bloß damit die braven Leute geschunden wurden. Als auch darauf keine Antwort kam, knurrten die Schreier und wünschten in ihrem Zorn: „Gleich soll der Heigl wieder kommen und endlich ein paar abmurksen, wir sagen ihms schon, welche!“ * Im Kötztinger Gericht hörte man die Schreier wohl, aber man machte sich nicht viel aus ihnen. Mein Gott, warum 111
sollte man den Leuten das Maul zubinden? Die meisten von ihnen lebten das ganze Jahr in der Einöde und hatten nichts um sich herum als ihre vier Wände und einen Streifen Wald. Die mussten sich auch einmal ausschreien. Wenn sie dann auf dem steinigen Acker hinter den müden Ochsen den Pflug dreinschoben, wurden sie schon von selber wieder ruhig und manierlich. Mehr als das bekümmerte das Gericht der Zweifel, ob denn der Heigl wirklich weggegangen war. Zwar stellte man mit Befriedigung fest, dass seither die Sicherheitsstörungen erheblich nachgelassen hatten und dass man mit den vermehrten Gendarmen und der ausgesetzten Belohnung auf dem richtigen Wege war, dem Heigl den Aufenthalt zu verleiden. Doch konnte er dem Gericht keinen übleren Streich spielen, als in dem Augenblick auszurücken, da man ihm so nahe am Hals war. Einer von den beiden Assessoren war übrigens der festen Meinung, dass der Heigl gar nicht fortgewandert war. Dem Fuchs war nicht zu trauen, meinte er. Er war schon öfter für kürzere oder längere Zeit verschwunden und war dann ganz plötzlich wieder aufgetaucht. Der schlaue Bursche hatte seine besondere Taktik. Was wollte er denn drunten in Ungarn suchen? Er kam dort in Verhältnisse, die ihm völlig fremd waren, hatte lauter unbekannte Menschen um sich, deren Sprache und Lebensweise er nicht kannte und von denen er auch in der ärgsten Bedrängnis keine Hilfe zu erwarten hatte. Er wäre dort der Blinde unter den Sehenden und könnte nicht mehr der Heigl sein! Nach einer Weile bekam der Assessor ein Zeitungsblatt in die Hand und las darin zu seinem großen Erstaunen, dass der landbekannte Räuber Heigl dem Kunstschmied 112
Alfons Ellenreiter zu Nürnberg ein schön gearbeitetes Rössl aus schwerem Silber samt Reiter gestohlen hätte. Man wollte den Heigl ganz sicher erkannt haben und nahm an, dass er sich in die ihm wohlbekannten Wälder seiner Heimat zurückziehen würde. Nun lagen die Kötztinger Gendarmen ein paar Tage lang an den Wegen, die von Nürnberg und Cham herkamen und warteten darauf, dass ihnen der Heigl das silberne Rössl brachte. Da geschah droben auf dem Kaitersberg etwas, und das war eine abscheuliche Sache. Da war der Hudlacher Bauer am Morgen eines Feiertags zum Vogelschießen gegangen, und als er nach etwa zwei Stunden heimkam, fand er seine Frau tot in der Wohnstube. Sie war mit einer Ofenkachel erschlagen und grässlich zugerichtet worden. Ach, ihr lieben Heiligen, wer konnte seiner Lebtag dieses grauenvolle Bild vergessen, wenn man das frische und gute Gesicht der Frau zuvor gesehen hatte! Zugleich fand man den Hängkasten aufgebrochen, daraus waren um die siebzig Gulden weggenommen worden. Die beiden dreijährigen Kinder hatten es mit angesehen, wie ein im Gesicht geschwärzter Mann mit der Mutter gerauft und sie dann zu Boden geworfen hatte. Mehr konnten sie darüber nicht sagen. Es war schon erheblicher, was der Knecht erzählte, der in die Frühmesse auf Hohenwarth gegangen war und gegen Mittag zurückkehrte. „Ja“, sagte er, „droben im Wald war einer mit einem Gewehr, der hat die Hand vors Gesicht gehalten. Und das war der Heigl.“ Die Gendarmen suchten nun den ganzen Wald ab und ließen aus Viechtach eine Streife von der andern Seite her kommen. Als man droben auf dem Berg einen Kessel 113
machte, war aber nichts drin, nicht der Heigl und auch kein anderer. „Das hätten wir enk gleich sagen können“, erklärten die Leute. „Der Heigl hat die Hudlacher Bäuerin net umgebracht. So was tut der Heigl net, er hats selber gesagt, dass er sich keine blutigen Hand machen will. Und überhaupt ist er net da!“ Ein paar schoben es auf den Maulaffenhiasl oder den Raimer, die man zuletzt wieder oft angetroffen hatte. Aber warum konnte es nicht auch sonst einer getan haben? Es gab ja noch mehr Lumpen auf der Welt! Unlängst hatte man es doch bei dem Lamer Gendarm gesehen, der dem kleinen Wirtsdirndl von Engelshütt Gewalt angetan hatte! * Was da zu Hudlach geschehen war, war das Scheußlichste, was sich seit Menschengedenken herinnen im Wald zugetragen hatte. Als man die Bäuerin hinunter in den Hohenwarther Friedhof brachte, da weinten auch die Männer, und viele, die sich bisher kalt oder gleichgültig gegen alles Lumpenvolk gezeigt hatten, sahen verschreckt in das Grab. War es denn nun so weit, dass der Mann nicht mehr zwei Stunden lang aus dem Haus gehen durfte? Der Landrichter, der für die Bäuerin einen Kranz niederlegte, malte in seiner Ansprache keinen schönen Himmel über das Kötztinger Land. Einhundertachtzehn Sicherheitsstörungen hatte man in den letzten zehn Monaten gezählt, nämlich zweiundsechzig einfache Diebstähle, einundfünfzig Diebstähle mit Einbruch, ein Notzuchtverbrechen, drei Raubüberfälle und zum traurigen 114
Ende jetzt diesen Raubmord! In derselben Zeit hatte man im Kötztinger Bereich zweihundertvierundachtzig landfahrende Personen festgestellt, von denen ein erheblicher Teil erst in der letzten Zeit neu hinzugekommen war. Aber was die Zuhörer erwarteten, dass der Landrichter jetzt die Faust gegen das Lumpenpack aufheben würde, das kam nicht. Dafür sprach er zu den Bauern und zu allen, die durch Gottes Vorsehung das Glück hatten, von ihren Eltern einmal einen Besitz geerbt zu haben, der ihnen ein gesichertes Leben ermöglichte. Sie sollten nicht bloß an ihr eigenes Wohlergehen denken, sondern auf alle andern bedacht sein, die hungrig vor der Tür stehen mussten und die vielleicht durch die bittere Not gezwungen wurden, sich auf unrechtmäßige Weise das zu suchen oder zu nehmen, was sie zu des Lebens Notdurft brauchten. „Ja“, sagte er, „an diesem Grabe stehen mit dem trauernden Gatten auch zwei unmündige Kinder, denen nun die Mutter weggenommen worden war. Aber waren auf und ab im Lande nicht viele andere Kinder, die zwar die Mutter hatten, doch von ihr keine Fürsorge und Liebe erwarten konnten, weil diese Mütter in der härtesten Not leben mussten? Sind nicht auch diese Kinder des Mitleids und aller Hilfe bedürftig?“ Dieser Mann wusste schon in die Herzen zu treffen, und wie sie nun alle noch auf die Hudlacher Bäuerin hinunterschauten, mochte keiner was dagegen sagen. Als aber dann die Männer zum Leichenbier gingen und auf dem Weg zum Wirtshaus einen Blick über ihre Wiesen und Felder warfen, waren sie wieder bei sich selber. „Besser hätt ein Kapuziner auch net predigen können“, sagten sie untereinander, „es hat bloß noch gefehlt, dass 115
hernach der Assessor oder sonst einer vom Gericht mit dem Klingelbeutel eingesammelt hätt. Aber da hätt ich mich fein druckt!“ „Wir schon auch!“, stimmten die anderen zu. Und was sagten die Frauen, die nun zu ihren Höfen, Mühlen und Schneidsägen zurückkehrten? „Ich geb fein jedem Handwerksburschen ein Stückl Brot“, bekannte eine, „aber wenn einer gleich um ein Paar Söckl anfragt, weil ihn in die Zehen friert, dem hau ich schon die Tür zu. Wohin möchts denn kommen, wenn einer gleich den halbeten Hof begehrt!?“ * Als der Landrichter auf dem Heimweg durch Beckendorf fuhr, kam es ihm plötzlich in den Sinn, einmal in das Haus zu schauen, in dem der Heigl aufgewachsen war. Er ließ beim Ortseingang halten und erkundigte sich nach dem Weg. „Ja, dort das Hüttl, das mit dem halbeingefallenen Dach. Ja, da drin wohnt die Heiglin.“ Was Schönes hatte sich der Landrichter nicht erwartet, was er aber dann vorfand, übertraf alle seine Befürchtungen. An der Tür blieb er stehen. Man musste sich fast fürchten, in dieses Loch einzutreten, in dem die aufgerissenen Balken von der Decke hingen. Es stank nach Dreck von den Kindern. Ja, sieben waren da, dazu zwei jüngere Frauenzimmer, von denen die eine mit dem Adam und die andere mit dem Gangerl lebte. Verheiratet waren sie nicht, das konnten sie sich nicht leisten. Einem der Kinder klebte am Kopf der eitrige Grind, ein anderes lag auf einem Sack an der Ofenbank. 116
„Es hat die Bauchwassersucht“, entschuldigte sich eine der Frauen, „was es isst, geht gleich wieder als Wasser hinaus. Ja, das stinkt und das ist arg. Nein, zum Doktor können wir net schicken, soviel Geld haben wir net. Ja, es sind schon vier weggestorben, sonst wären es elf!“ Drüben beim Fenster saß die alte Heiglin und schaute zur Straße hinauf, die am Kaitersberg entlangging. Sie sah noch gut, aber sie hörte kaum noch was, und ihre Füße waren ohne Kraft. Als man ihr ins Ohr schrie, dass der Landrichter gekommen war, richtete sich ihr krummer Rücken ein wenig auf: „Bringt er ebba den Michl. Ich siehg den Michl gar nimmer!“ Nachdem man das verneinte, wandte sie sich gleich wieder zum Fenster und murmelte vor sich hin: „Ja, der Herr Landrichter hat viel Arbeit mit uns. Wir sind ihm eine gute Kundschaft. Dervor hat er meinen Mann eingesperrt, dann den Michl und jetza sitzen der Adam und der Gangerl gleich zu zweit. Und wer eingesperrt ist, der hat alle Tage sein Brot, aber wir habens oft net. Das sechzehner Jahr, wie der Michl auf die Welt gekommen ist, war hart, und das achtundvierziger auch. Da haben die Handler das wenige Troad zusammengekauft und die armen Leut haben das Gras von der Wiese fressen müssen!“ Eine von den Frauen schrie ihr ins Ohr: „Net von dem wills der Herr Landrichter wissen, sondern vom Michl!“ Sie schaute in Gedanken vor sich hin: „Arg lang hab ich ihn nimmer gesehen. Die Gendarmen lassen ihn net zu mir, und die gehen mit ihren Gewehren gegen ihn und schießen drauf, und ich kanns ihnen net wehren. Aber die Hudlacher Bäuerin hat er net umgebracht, das darf keiner vom Michl denken! Die war eine saubere und gute Frau. 117
Ich hab sie noch als kleins Dirndl gekannt. Es ist hart für einen Menschen, wenn er so gach sterben muss, ich bet ihr schon fleißig und dem Michl auch!“ Da fing sie an zu weinen und brummelte weiter vor sich hin. Erst als der Landrichter vor dem Weggehen kurz seine Hand auf die der alten Frau legte, schaute sie noch einmal auf, aber vor lauter Tränen sah sie ihn doch nicht. „So hockt sie den ganzen Tag dort“, erzählten die beiden Frauen, „und mittendrin wird sie spinnet und schreit nach dem Michl. Da. Seht, Herr!!“ Die Heiglin schob am Fenster den Riegel weg, zog es auf, und mit einer Stimme, die schon nicht mehr aus dieser Welt zu kommen schien, rief sie: „Mi-i-i-chl, ki-iimm!“ Als der Landrichter dann heimfuhr, war ihm übel. „Ja“, sagte der Kutscher, „da siehts der Herr Landrichter jetza selber. Unsere Straßl sind schlecht, da hutschts einem auf d’Nacht noch die Morgensuppe herauf!“ * Was der Landrichter am Grab der Hudlacher Bäuerin vom Kötztinger Land gesagt hatte, das hörten auch die Hohenwarther Gendarmen. Und gleich schrieben sie wieder nach Landshut um eine Zulage, nachdem sie ihnen das erste Mal abgeschlagen worden war. Die meisten von ihnen waren gegen ihren Willen aus dem Gäuland hierher geholt worden. Draußen lebte man besser und billiger und zerriss nicht soviel Zeug, und draußen hatte man seine festen Dienststunden, und hernach konnte man ins Wirtshaus gehen und mit den Bauern tarocken. Die rechneten sich das zur Ehre an. Hier 118
aber ruckten die Leute weg, wenn der Gendarm ins Wirtshaus kam. Sie formulierten ihr Gesuch endlich so, dass man ihnen die Zulage bewilligte, es schien ihnen eh nicht viel. Sechzehn Kreuzer für den Brigadier und zehn für den Mann. Und nun liefen sie wieder mit mehr Eifer und stiefelten im Winter oft bis zur Brust hinauf durch den Schnee. Sie trieben die Bauern von den Ofenbänken und ließen links und rechts an der Straße den Wald auslichten und stellenweise ganz abschlagen. Dazu brachten sie alle Wochen noch vier oder fünf Anzeigen ein. Was konnte man mehr von ihnen verlangen? Am Neujahrstag überraschten sie den Knecht vom Hudlacher Bauern, wie er sich von den Musikanten aufspielen ließ. Er hatte viel Geld im Sack, aber alles gespart, gab er vor. Dann brachten sie ihn zum Hof hinauf, schwärzten ihm das Gesicht, und gleich sagten die beiden Kinder: „Ja, dersell hat mit der Mutter gerauft!“ Die Kinder hätten es vermutlich auch bei jedem andern gesagt, wenn ihnen einer so gegenübergestellt worden wäre, aber der Knecht fiel darauf herein, sah sich überführt und gestand den Mord. Man fand hinter einem Dachbalken noch einen erheblichen Teil des geraubten Geldes. „Nein“, verteidigte er sich, „ums Geld hab ichs net getan, sondern weil mich die Bäuerin geschimpft hat, ich sollt mir die Fuß sauberer waschen und net mit dem Kuhdreck dran in die Stube gehen. Und das Geld hab ich bloß darum genommen, weil ich mir gedacht hab, es ist jetza eine Sund!“ Siebzehn Jahre war der Bursch alt, noch kaum recht aus der Feiertagsschule. 119
„Und was ich über den Heigl gesagt hab“, gestand er, „war mir bloß so eingefallen, weil doch der Heigl die Leut umbringt!“ * Den Gendarmen gelang in dieser Zeit noch mehr, sie putzten jetzt schon gehörig aus. Drüben in Arnbruck fing der Viechtacher Brigadier endlich den Raimer Michl. Man brachte ihn herüber und stellte ihn der Pritzlbäuerin vom Eckeishof gegenüber. „Ja“, sagte sie, „der wars, der mich angepackt und an den Haaren gerissen hat, bis ich ihm das Geld gezeigt habe! Dem sein Gesicht wird auch unter dem Ruß net anders, es schaut so und so einem Geierschnabel gleich.“ Auch das Kolmsteiner Brotweibl erkannte den Raimer, der ihr vor einem halben Jahr die ganze Kürbe mitsamt allen Weckeln weggenommen hatte. Das gab schon eine gehörige Rechnung für den Raimer. Inzwischen lurte der Chamer Brigadier auf den Maulaffenhiasl, der sich im Oberpfälzischen herumtrieb. Der hatte auch ein schönes Sündenpackl beisammen. Erst neulich hatte er beim Zimmermann in Arpflet die Frau überfallen und mit einer Kerze so lange an den Fußsohlen gebrannt, bis sie ihm das Geld herausgegeben hatte. Drei Tage und drei Nächte warteten der Brigadier und fünf Mann unter der Brunndorfer Brück, bis endlich der Lump mit seinem Mensch daherkam. Sie packten ihn von hinten, rissen ihn nieder und nahmen ihm sein Gewehr und seine zwei Pistolen. Die Gendarmen lachten, der Vogel war ihnen fünf120
undzwanzig Gulden wert, und das feierten sie auch, und der Brigadier tat noch ein übriges und kaufte in der Freude seiner Frau einen Federhut. Wenn die Gendarmen freilich gewusst hätten, dass so ein Geld schwerer zu kriegen war wie der Lump, so hätten sie mit ihrer Feier schon noch eine Weil gewartet. Drei Jahre ging die Schreiberei um die fünfundzwanzig Gulden hin und her! Die Regierung sagte: „Die Auszahlung der Geldbelohnung kann erst erfolgen, wenn ein rechtskräftiges Urteil vorliegt.“ Das Appellationsgericht entschied: „Der Maulaffenhiasl kann erst verurteilt wurden, wenn der Heigl eingebracht ist, den man als Hauptzeugen benötigt.“ „Himmelherrgott!“, fluchten die Gendarmen, „am End verreckt der Lump dervor noch, dann kriegen wir das Geld überhaupt nicht!“ Drinnen beim Kötztinger Gericht wurde ein neuer Akt angelegt: „Betreffend Auszahlung der durch Allerhöchstes Reskript auf die Ergreifung des Joseph Pongratz, vulgo Maulaffenhiasl, ausgesetzten Geldbelohnung“. Es wurde demütigst gebeten, beschlossen, angefragt, geantwortet und registriert. Endlich entschloss sich das Gericht doch dazu, den Maulaffenhiasl auch ohne die Gegenwart des Heigl abzuurteilen. Er bekam Kettenstrafe auf lebenslänglich. Aber er legte gegen den Spruch Revision ein. Als dieser Einspruch endlich verworfen war, merkte man, dass versehentlich im Urteil nicht vermerkt worden wurde, dass die Geldbelohnung nun ausgezahlt werden konnte. Also musste ein neues Urteil gemacht werden. Bis dann die Gendarmen ihre fünfundzwanzig Gulden bekamen, war vom Federhut der Brigadiersfrau nichts 121
mehr übrig. Ja, einer der Gendarmen hatte die Auszahlung seines Anteils nicht mehr erlebt, er war inzwischen gestorben. * Der grauverhängte Himmel über dem Kötztinger Land war auf einmal lichter geworden, und gleich hatten sich auch viele der Landfahrer wieder verlaufen. Die Regierung in Landshut hörte das gerne, sie gab nun auch die Anweisung, die Hohenwarther Station aufzulösen und die sechs Gendarmen an ihre früheren Dienstorte zurückzuschicken. Als sie schließlich abzogen, meinten sie bitter: „Jetzt wissen wir, was die trifft, die Vater und Mutter nicht ehren. Die kommen auf Kötzting hinein und müssen den Heigl fangen!“ Weil es mit dem Maulaffenhiasl und dem Raimer so gut geglückt war, wollten die Landshuter, dass auch der Heigl endlich gefangen wurde, und deswegen fragten sie an, warum er noch immer nicht in Haft gebracht worden war. „Weil er nicht da ist!“, antwortete der Landrichter unfreundlich. Aber vielleicht würde er nun zurückgelockt, wenn er erfuhr, dass die sechs Gendarmen von Hohenwarth abgezogen waren. Er empfahl deshalb, man solle in kluger Voraussicht die ausgesetzte Geldbelohnung auf hundert Gulden erhöhen. So was konnte die Regierung in Landshut aber nicht entscheiden, das musste bis zum Ministerium. Und von dort schrieben sie recht dreckig herunter: „Wenn der Heigl nicht da ist, wird ihn auch für hundert Gulden keiner fangen.“ 122
Das ärgerte einen dann schon, und da konnte selbst der Herr von Paur seine Wut nicht mehr verbeißen. Er haute auch kräftig auf den Tisch und fluchte lästerlich, als ihm eines Morgens gemeldet wurde, dass der Michl Raimer aus der Fronfeste entwichen war. Mit einem Nagel hatte er das Gitter aus dem Fenster herausgekratzt. Gar so fest war die Fronfeste offenbar nicht gebaut, und ein Lump war kein Stück stinkendes Fleisch. Gleich ging das Stehlen und Räubern wieder los. Man sah den Raimer mehrmals mit dem Peter Penzkofer, der der Laumer Peter genannt wurde, und das gab schon das richtige Gespann. „Da siehgt mans“, sagten die Leute, „mit einem rostigen Nagel kann einer die ganze Fronfeste abbrechen. Wie wollen sie dann den Heigl im Loch festhalten?“ Jetzt konnten die Gendarmen wieder laufen. Leinwand wurde gestohlen, Fleisch beim Metzger, im Miltacher Schloss wurde in der Nacht die Tür ausgehängt und der schwere silberne Tischleuchter samt anderen Wertgegenständen weggeholt, in Sperlhammer verschwand eine Sau, und im Weißenregener Kircherl wurde der Opferstock aufgesprengt. Der Landrichter war voller Zorn, wenn er am Morgen ins Amt kam, und fuchtig ging er am Abend wieder. Wenn er aber dann draußen war und am Bergacker die Leute sah, die dort Jahr für Jahr die Steine abklaubten und dabei nicht unmutig wurden, obwohl sie wussten, dass der Pflug im Herbst wieder ebenso viele andere Steine aufwerfen würde, und wenn er die Häuselweiber sah, die sich den ganzen Tag bei ihren Bauern geschunden hatten, und nun noch am späten Abend von den Rainen das Gras für ihre Geißen absichelten, da vergaß er seinen Unmut und Verdruss wieder. Das waren die rich123
tigen Waldlersleut, und so waren sie einmal alle, bis der Wald nicht mehr ausgereicht hatte für die vielen Menschen. Seither war die Not mit jedem Jahr angewachsen, und sie hatte keinen redlicher gemacht. Der Herr von Paur war schon ein Mann, vor dem alle den Hut ziehen sollten. Schaut nur, was er bereits alles getan hatte. Das Distriktskrankenhaus war gebaut worden, und jetzt wurde eine Sparkasse eingerichtet. Und was er am Grabe der Hudlacher Bäuerin gesagt hatte, war nicht bloß für den Augenblick geredet! Nun bestand ein Verein, der sich der verwahrlosten und hilfsbedürftigen Kinder annahm. Für alte Leute wurde ebenfalls ein Unterstützungsverein gegründet, zu dem der Landrichter selber einen erheblichen Teil seines Vermögens einbezahlt hatte. Von diesem Geld wurde neulich auch die Beerdigung der alten Heiglin bezahlt. War das nicht ehrenwert von ihm? Wer weiß, ob die bedauernswerte Frau sonst ein ordentliches Grab bekommen hätte. Seit neuestem bestand in Kötzting auch ein Kornverein, durch den alljährlich Getreide eingelagert wurde, damit man in Notzeiten Brot an die Armen verteilen konnte. Nun musste sich keiner mehr von Baumrinde und Stierblut ernähren. Für die Bauern wurde ein landwirtschaftlicher Verein gegründet, und nun wurden am Ludwigsturm Alleen mit Maulbeerstauden gepflanzt, damit die Leute Seidenraupen züchten und daran etwas verdienen konnten. Bei jeder Gelegenheit besuchte der Landrichter die Schulen und redete mit den Kindern. Neulich hatte er gesagt: „Kinder, ihr habts eine schöne Heimat, aber sie ist arm, und da muss eins fleißig sein und sich brav halten, damit es uns allen besser geht!“ 124
Solche Worte gingen durch die Wände, und die wurden auch draußen gehörte. Sagts selber Leut, wo hat man einen solchen Landrichter? Einmal sagte er zu seinen Freunden: „Was habe ich denn geleistet, wenn ich ein paar Dutzend Spitzbuben und Lumpen einsperre? Das kann auch jeder Gendarm und sonst einer, dem man eine Uniform anzieht und den Schlüssel zur Fronfeste in die Hand gibt. Jawohl, ich bin von Amts wegen aufgestellt, Recht zu sprechen und Strafen festzusetzen, aber ich kann die Spitzbuben, die man vorführt, gar nicht einmal alle hassen, wie doch keiner den Marder oder den Habicht hasst, die vom Haus die Hühner wegfangen!“ Als das die Gendarmen hörten, steckten sie die Köpfe zusammen und sagten untereinander: „Jetzt wissen wir, was wir beim Landrichter gelten. So was muss man sich merken!“ * Und dann war der Heigl auf einmal wieder da. In der Nacht wurde im Gerichtshaus eingebrochen. „Diesmal hatte er es auf die große Gerichtskasse abgesehen“, stellte der Assessor fest. Aber die war fest am Boden angeschraubt und hatte ein doppeltes Schloss. Die trug keiner weg und die sprengte man auch nicht einfach mit einem Holzprügel auf. Am Mittag spazierte der Heigl ins Theninger Wirtshaus. „Bist ebba übers Kötztinger Gericht hergeflogen?“, fragte der Wirt und zwinkerte ihm zu. „Ja“, gab der Heigl zu, „es kommt einer manchmal von der unverhofften Seite her.“ 125
Dann schaute er finster vor sich hin, und lange wollte er dem Wirt auf keine Frage antworten. Erst nach dem dritten Krug Bier ging ihm das Maul auf: „Im Banat drunten, das war lauter Schwindel. Eine Sandgruben hätten sie mir für einen Bauernhof gegeben. Und die Weinwirtschaft, die ich dann in Pressburg in der Pacht gehabt habe, war ein Dreckloch. Gleich im achtundvierziger Jahr haben sie revoluzziert und haben mir alle Fenster eingeschossen und die Tische und Stühle kaputtgeschlagen. Ich hab in den anderthalb Jahren genug mitgemacht, mir steht die Nase nimmer nach der weiten Welt!“ ,Gar so schlecht wirds auch nicht gewesen sein’, dachte der Wirt, wie er den Heigl so musterte, ,er hat einen sauberen Anzug, neue Schuhe und am Leibl eine Uhrkette. Es ist nicht mehr derselbe Heigl, dem es einmal wurscht gewesen ist, wenn ihm die Ellbogen aus den Joppenärmeln herausgestanden sind, und der auch wochenlang barfuß gelaufen ist, wenn er keine Schuhe gehabt hat.’ Als der Wirt den nächsten Krug zum Tisch brachte, sagte der Heigl: „Dassell sag ich dir, mein Dirndl wenn ich net bei mir gehabt hätte, ich war dort drunten verreckt. Die hatte immer wieder was aufgetrieben, wenn wir nichts mehr zu fressen gehabt haben. Und die hat sich auch vor mich hingestellt, wie die Revoluzzer mit dem aufgepflanzten Gewehr gegen mich los sind!“ Nun wachte er aus seinem Sinnieren auf und schrie: „Wirt, schick auf Ansdorf um die Brandlbuben, die sollen mir heut aufspielen!“ Und dann rührte sich was! Die Trompeten und Fiedeln machten die richtige Gaudi, und das holte die Leute zusammen. Das hörte auch der fast taube Kraxentrager, der mit 126
seinen Schuhwichsschachterln und Kreuzerbandln um die Wege war. Der torkelte schnell, wenn er in einen Maßkrug schaute. „Saufts, Leut, saufts, bis enk die Binsenstengel aus der Nasen herauswachsen! Und wenn das Gerstl versoffen ist, nachher rucken wir auf den Gnögel aus!“, schrie er. Dann mussten die Musikanten dazu das Liedl spielen, und der Kraxentrager plärrte über alle hin: „Am Gnögel haust ein alter Graf, dort drobn halt er sein Geisterschlaf. Auf einmal rumpelt er umdum, und haut mit seinen Boanern rum. A Schatz steigt auf, ist lauter Gold, und aus ists Gfrett, wer sich den holt: drum auf und drauf und hebts ihn los, versoffen wird er dann im G’Schloss!“ Das war ein Lied! Das riss alle von der Bank auf, und lange schrien sie zusammen: „Drum auf und drauf und hebts ihn los, versoffen wird er dann im G’Schloss!“ „Bluatsauerei“, schrie der Heigl, „dös ist waldlerisch, und so gfallts mir. Leut, heut bring ich enk noch die Geldtruhe vom Viechtacher Rentamt. Die weiß ich, wo sie liegt, und die ist net angeschrauft!“ Wenn gar so laut geschrien wurde, mussten es auch die Gendarmen hören, und auf einmal waren sie zu viert da. Aber wo war jetzt der Heigl? „Ja“, sagten die versoffenen Brüder, „dort ist er grad noch gesessen! Am End ist er schon voraus auf Viechtach hinüber und holt die Geldtruhe. Gehen wir ihm entgegen!“ „Nicht auf Viechtach, sondern auf Kötzting wird marschiert“, sagten die Gendarmen und trieben die ganze 127
Gesellschaft vor sich her. Dann hagelte es Strafzettel auf fünf und acht Gulden. Dem Wirt wurde für ein halbes Jahr der Ausschank entzogen, und die Musikanten bekamen gar vierzehn Tage Arrest. „So, darf man jetza nimmer aufspielen?“, beschwerten sie sich. „Für andere schon“, erklärte man ihnen, „aber nicht dem Heigl!“ * Schnell sprach es sich herum, dass der Heigl wieder da war. Die Weiber dachten an die alte Heiglin, die im Frühjahr gestorben war, und tuschelten auf dem Kirchweg untereinander: „Ich hätts ihr vergunnt, dass sie den Michl noch einmal gesehen hätt. Allweil ist sie beim Fenster gesessen und hat auf ihn gewartet, bis sie dann eines Abends kalt und tot dortgehockt ist. Das muss fein für die andern grauslich gewesen sein, sie war ja schon eiszapfenkalt, als man sie aufwecken hat wollen!“ Zu ihrer Beerdigung waren nicht viele Leute gekommen, obwohl sie es verdient gehabt hätte. Mein Gott, ihr Bub war halt doch ein Räuberbazi, und wenn er nicht bald umkehren würde, würde er noch zum Lumpen, und dann würden sie ihm den Kopf herunterschlagen. Bald krachte es wieder am Kaitersberg. Bei der Schönbuchen wurde dem Gerichtsdiener Huber der Fanghund weggeschossen. Zwar zeigte sich der Schütze nicht, aber wer sollte es denn anderes gewesen sein als der Heigl? Gleich darauf bekam ein Häuselbub eine Tracht Vogelschrot in den Hintern, als er im Frauenhölzl dürre 128
Prügel sammelte. Wird ihn halt der Heigl für einen Kundschafter gehalten haben. Da wurde der Assessor wepsig. „Im achten Jahr dauert jetzt die Sauerei“, schimpfte er, „nun muss ein Ende gemacht werden!“ „Was sollen wir denn noch tun?“, fragten ihn die Gendarmen, „wir rennen eh Tag und Nacht und holen alle verdächtigen Burschen zusammen. Die Fronfeste ist dauernd überbelegt, man dürfte schier dranbauen.“ Der Landrichter war auch der Meinung, dass man alles daransetzen musste, um den Heigl endlich zu fassen. Aber wie man es anstellen sollte, wusste er freilich genauso wenig. Setzte man wieder mehr Gendarmen oder gleich gar eine Kompanie Soldaten ein, traf es die Bauern am schwersten, und am Ende riss der Lump wieder aus, und man stand abermals dort, wo man vor zwei Jahren gewesen war. Da tat man, was man schon sooft getan hatte und was man wohl noch oft tun würde: Man ging streifen, und ein paar Mal führte der Landrichter selber die Mannschaft. Aber der Heigl war nicht auf dem Berg, er trieb sich am Hohen Bogen herum. Sein Dirndl war bei ihm, die hängte ihm dran wie seine Hand, und er war froh darum. Sie kannte kaum einer, und sie konnte auch am helllichten Tag nach Kötzting hineingehen und herumlusen, was sich dort tat. Sie konnte in den Dörfern betteln, und sie fing die Hennen und Gickerl von der Straße weg und wusste, wie man das Viehzeug packen musste, dass es keinen Schrei tat. Sie wusste auch zu helfen, wenn man sich an einem Glasscherben den Fuß auseinander schnitt oder wenn man sich den Knöchel verstauchte. Dann strich sie Baumpech darauf, das zog die Haut zusammen, oder legte Hauswurzblätter darauf, das nahm die hitzige 129
Geschwulst. Und sie konnte auch schießen und traf auf hundert Schritt jeden Bock. Ja, wer im Wald wohnte, musste mehr können als der im Dorf oder in der Stadt. Dort drin brachte sich auch ein Blinder oder Lungenfäuliger durch, im Wald würde so einer bald verkommen. Wie das Leben im Wald wirklich war, erzählte der Heigl einmal dem Frisch Jakl, dem Kötztinger Glashändler, als sie eine Weile außerhalb von Haibühl am Wegesrand saßen. Der Heigl wartete gerade auf sein Dirndl, die im Dorf bettelte. Der Jakl wollte für eine Zeit seine Kraxe abstellen und rasten. Es war ein heißer Tag. Die Nacht hatte nicht abgefrischt, und nun wurde es gegen Mittag zu dämpfig wie in einer Backstube. Am Abend würde es wohl ein Gewitter geben. „Glaub fein net“, sagte der Heigl, als ihn der Frisch um sein Waldleben beneidete, „glaub fein net, dass das so einfach ist, wie es sich manche denken. Ja, der Wald ist ganz schön, wenn man auf ein paar Stunden drin spazieren geht und Maiglöckerl brockt oder Hoiber sucht. Aber allweil der Wald und nix wie der Wald – das druckt auf einen!“ „Warum sollts denn drucken“, wandte der Glashändler ein, „du bist wenigstens dein eigener Herr, und der Wald ist groß und weit.“ Der Heigl verzog das Maul zu einem bitteren Lachen: „Frei, sagst! Und groß und weit ist der Wald! Dann geh nur einmal hinein und wart, bis die Bäume über dir zu krachen und zu gehen und zu fallen anfangen, wie es im sechsundvierziger Jahr am Ulrichstag gewesen ist, als der Sturm auf einmal im Wald umgefetzt ist, dass gleich die dicksten Hölzer mitsamt den Wurzeln durch die Luft geflogen sind. Da hockst dann schon recht klein und armse130
lig mitten drunterdrin und hältst die Hände über den Kopf und weißt net, sollst jetza linkshin oder rechtshin rennen. Ja, da bist dann schon ein freier Herr! Und schau dir droben einmal ein richtiges Donnerwetter an“, meinte der Heigl weiter, „wenn es so kohlrammeldick und schwarz hereinfahrt und die Wolken nach keiner Seite mehr auskönnen, sondern die ganze Gewalt herunterfallen muss wie ein Schmiedhammer, an dem der Stiel abbricht. Dann gibts keinen, der net den Hut bis über die Augen herunterzieht, wenn ihm das Blitzfeuer ums Gesicht herumpfuggezt! Aber vielleicht ist das noch gar net das Ärgste“, setzte der Heigl dazu, ehe der Glashändler dreinreden konnte. „Hast es schon einmal gespürt, wenn dir die Ameisen zwischen die Zehen gekommen sind? Das sind fein Luder, die kommen überall hin, an den Hals, in die Ohren und in die Augen. Die zwicken und können einen sauber abfieseln! Und am Abend die vielen Staunzen! Wenn du in deinem Glaserhäusl ein paar in deiner Schlafkammer hast, so druckst sie an die Wand hin und schlägst sie von der Weißdecke herunter, und dann kannst dich ins Bett legen und schlafen. Aber dort im Wald – ja, wo willst denn da noch hinschlagen, wenn sie in ganzen Wolken herunterfallen?“ Jetzt wartete er drauf, dass der Glashändler noch was sagte, aber der war stad geworden. „Und der Wald schmeckt fein scharf und rass“, sagte der Heigl noch, „das ist so, wie wenn einer früh die Tür zum Rossstall aufmacht und die ganze dicke Luft auf ihn zukommt, das geht einem in den Kopf und treibt ihn auf wie eine Bladern!“ „Na ja“, gab der Frisch jetzt zu, „ich glaubs schon. Überall hats was, und wo man ist, gfallts einem am allerwenigsten.“ 131
„Aber ein Gutes hat man dort droben“, bekannte der Heigl, „man kriegt von dem harten Leben ein zahges Rindl um sich herum. Ich könnt mich nacket in die Dornstauden legen, und ich schlafet drin so gut wie du in deinem Federnbett!“ Wie dann der Kraxentrager wieder aufhuckelte, kam das Räuberdirndl vom Dorf her. Man sah schon von weither, dass sie was unter ihrer Schürze hatte. „O du lieber Herrgott“, sagte sie lachend, „dort drin sind lauter arme Leut. Dort haben auch die Bauern nix als Laus und Flöh. Da hab ich alsdann beim Pfarrer einen Gickerl weggeschnappt.“ Der Glashändler war dumm genug, dass er in Kötzting herumerzählte, wie gut er sich mit dem Heigl abgeschwatzt hatte. Gleich kamen die Gendarmen, nahmen ihm den Handelsschein weg und drohten ihm mit der Fronfeste. „Nein“, sagten sie, „es darf nimmer soweit kommen, dass der Lump überall seine Freunderl findet.“ * Nun ging der Spaß vollends zu Ende. Jetzt kam es hart auf hart. Ein paar Mal hatte man den Heigl zusammen mit dem Raimer und dem Laumer Peter gesehen. Als der Landrichter davon hörte, fragte er besorgt: „Soll nunmehr eine regelrechte Räuberbande entstehen, etwa mit dem Heigl als Hauptmann?“ Recht ausführlich vermerkte er das in seinem Bericht, den er alle Monate an die Regierung zu schreiben hatte. Da antworteten sie ihm zurück: „Es ist wohl richtig, dass die geschilderten Umstände Schlimmes befürchten 132
lassen, doch sollte vom Landgericht weniger geschrieben, sondern mehr gehandelt werden!“ Das war auch so ein Satz, den man nicht vergisst. Der Landrichter ließ daraufhin wieder mit großer Mannschaft streifen. Die Bürgermeister aller am Kaitersberg liegenden Gemeinden mussten sich daran beteiligen und dazu noch möglichst viele Männer und Burschen mitbringen. Beim ersten Mal kamen über zweihundert zusammen, beim zweiten Mal waren es immerhin noch achtzig, beim dritten Mal aber kaum mehr vierzig. Wer lief da auch gerne mit? Beim ersten Mal machte man es der Neuigkeit wegen. Wenn man aber dann mit zerrissenen Hosen und Joppen heimkam, Hände und Gesicht zerkratzt, die Schuhe abgestoßen oder durchgelaufen, sterbensmüde von dem Steigen und Krabbeln, dann hatte jeder schnell genug. Wer gab einem denn eine neue Hose oder ein anderes Paar Stiefel? Und wenn der Heigl doch einmal in die Enge getrieben wurde und schoss? Wer zahlte einem etwas für das Loch im Bauch? Beim Gericht machte man sich Gedanken darüber, warum denn selbst das größte Aufgebot keinen Erfolg brachte. Man hatte den Verdacht, dass der Heigl von allen Unternehmungen so rechtzeitig Bescheid erhielt, dass er sich früh genug in Sicherheit bringen konnte. „Es sind überall herum genug Lumpen“, erklärten die Gendarmen, „die dem Heigl alles zutragen. Das ganze Volk dieser verfluchten Gegend gehört ins Zuchthaus, und davon sind auch die Bauern nicht ausgenommen. Man siehts ja, wie sie unter der Tür stehen und schadenfroh lachen, wenn die Gendarmen zerschunden und todmüde vom Berg kommen. Eine große Geißel sollte 133
man nehmen und auf sie dreinschlagen. Was anderes verdienen sie nicht!“ Sie wussten aber schon, wie sie es den Leuten heimzahlen konnten. Nun visitierten sie wieder fleißig, durchsuchten die Häuser und rissen das Zeug aus den Kästen und Truhen und verlangten, dass im Stadel der ganze Heustock umgegabelt wurde. Selbst der Landrichter verlor allmählich seine Ruhe und Zuversicht, und nun stellte er alle um den Kaitersberg liegenden Gemeinden unter Polizeiaufsicht! Er ließ überall anschlagen, dass fortan jedermann, sofern er nach Alter und Gesundheit dazu in der Lage war, an den Streifen teilzunehmen und auch sonst alles zu versuchen hatte, um den Heigl aufzubringen. In allen Ortschaften mussten doppelte Nachtwachen aufgestellt werden. Und der Wald an der Straße von Kötzting nach Hohenwarth musste noch weiter ausgelichtet werden. Da begehrten die Leute auf: „Darfs denn so was geben?!“ Sofort musste der Advokat an den Minister schreiben, und diesmal half es auch. Das Ministerium ordnete an, dass die allgemeine Polizeiaufsicht umgehend wieder aufgehoben werden musste, ferner wurde klargestellt, dass außer den Bürgermeistern und sonstigen Amtspersonen niemand zur Teilnahme an den Streifen verpflichtet werden konnte. Das klang völlig anders als das, was der Landrichter befohlen hatte, und viele lachten darüber, weil der Meister neben den Nagel getroffen hatte. „Nimmer gehen wir mit!“, sagten alle. Sie änderten ihre Meinung auch nicht, als bald hernach das auf den Heigl ausgesetzte Fanggeld auf hundert Gulden erhöht wurde.
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* Die Gendarmen aber machten die hundert Gulden wieder eifrig. Sie rannten fleißig nach allen Seiten hin, und die Leute schauten hinter ihnen drein und wunderten sich über ihr Treiben. Was war auf einmal los? Hatten sie neue Anweisungen, weil sie nicht mehr zusammen ausrückten, sondern einer dahin, der andere dort hin, der dritte nach rechts und der vierte nach links lief? Sie jagten jetzt dem Geld nach, das jeder möglichst ungeteilt für sich allein holen wollte! Der Brigadier glaubte fest daran, dass ihm ein glücklicher Tag die hundert Gulden bringen würde. Er hatte vom Hohenwarther Müller gehört, der Heigl wechsle des öfteren am späten Abend oder am frühen Morgen bei der Schwemme, wo das Wasser breit auseinander floss, über den Regen, weil ihm der Weg über die Brücken zu unsicher sei. Seither verfolgte der Brigadier seinen eigenen Plan und legte sich Nacht für Nacht unten bei der Schwemme auf die Lauer. Als er sich eines Morgens recht durchfroren und halbsteif aus dem nassen Gras erhob, sah er oben an der Kummersdorf er Brücke einen stehen, der dem Heigl ähnlich sah. Er war es auch wirklich! Er wartete da auf seinen ältesten Buben, der ihm etwas zutragen sollte. Wenn der Brigadier jetzt hinter den Stauden heranschleichen würde, um auf eine sichere Schussweite zu kommen, dann könnte ihm die Festnahme glücken. Er aber dachte nur noch an die Belohnung, und da hob und schwenkte er das Gewehr und schrie wie der Hansdumm: „Bleib stehen – ich schieß net!“ 135
Im selben Augenblick hatte sich der Heigl auf der andern Seite über das Geländer geschwungen, war in den Bach gesprungen und auf und davon. * Nachdem das Einzellaufen auch nichts eingebracht hatte, gingen die Gendarmen wieder zusammen und kämmten den Wald nach allen Seiten durch. Der Heigl saß wieder einmal bei den Hudlacher Holzhauern. Die fragten ihn, wie er es denn anstelle, dass er immer wieder davonkomme. „Das ist ganz einfach“, erklärte er ihnen, „ich machs grad so wie die Kinder, wenn sie Versteckerl spielen. Ich stell mich hinter einen Baum und lass die Schandi ganz ruhig auf mich zugehen. Kommen sie von rechts her, so geh ich links hinter dem Baum herum, und kommen sie links her, geh ich nach rechts. Die Bäume sind dick genug, dass sich auch zwei dahinter ducken können!“ Die Leute aber glaubten zu wissen, dass der Heigl auch andere Hilfen hatte. Am Sonntag vor der Amt war der Heigl auf der Lohberger Kirta. Gegen Abend saß er mit etlichen Burschen beim Wirt. Sie zeigten untereinander das Zeug herum, das sie an den Ständen gekauft hatten. Einige wiesen ihre neuen Messer vor und probierten sie. Sie zogen die Klingen über den Daumennagel und versuchten, ein am Zipfel gehaltenes Blatt Papier auseinander zu schneiden. „Na ja“, meinte der Heigl, als er ein Messer testete, „ein ganz schönes Blech, aber zum Pfeiferlschnitzen taugt es schon.“ 136
„Oho“, empörten sie sich, „mach sie uns nur net schlecht! Hast du ein besseres?“ Er zeigte ihnen sein Messer. Freilich, das war ohne Neid ein Prachtstück! Das Heft war mit Silber beschlagen und in die blitzblanke Klinge sah man einen doppelten Mond eingehämmert. „Drunt in Ungarn hat es mir ein türkischer Schmied gemacht“, erzählte er, „und das hat auch eine Blitzschneid!“ Als es einer anzweifeln wollte, ließ ihn der Heigl den Stiefel auf den Tisch heben. Dann fuhr er mit dem Messer entlang der Sohle, und mit diesem einzigen Strich schnitt er das zähe Leder mittendurch. „Ja“, bekräftigte er mit Lachen, „so was kriegt man auch net in einem Marktstandl. Der doppelte Mond zaubert fein, der zeigts an, wann der Gankerl kommt!“ Er warf das Messer gegen den Türstock, in dem es steckenblieb. Wie noch alle darauf hinschauten, fing es auf einmal an zu zittern und zu schwingen. Der Heigl sprang auf, riss es heraus und rannte durch die Küchentür hinaus. „Was hat er jetza?“, fragten sie untereinander. In diesem Augenblick kam bei der vorderen Tür der Gendarm herein. * In diesem Jahr fiel der Schnee, noch ehe die Bäume sich ganz verfärbt hatten. Dann aber schlug der Donner ein paar Mal, es fing an zu regnen, und die Holzzieher, die bereits die Schlitten gerichtet hatten, konnten lange nicht ausfahren. In der Zeit des Hinwartens hörte man von einer Untat, die sich draußen im Mitterfelser Gericht zugetragen hatte. 137
Laut schrien es die Leute herum: „Der Heigl hat die alten Müllersleute in der Irlmühle überfallen!“ „Wo ist denn die Irlmühle?“, fragten alle. Denn keiner vom Kötztinger Land war je dort hingekommen. Es waren immerhin sechs bis sieben Stunden zu der Mühle, die ganz abseits lag. Das war in diesen Wochen nicht die einzige Geschichte dieser Art. Man hatte für den Heigl wieder manche Sache aufgeschrieben. Dass er sich aber so weit draußen herumtreiben sollte, wollte man nicht so recht glauben. „Wenn das zutreffen sollte“, meinte der Assessor, „dann wird er zu Weihnachten die Straubinger Schrannenkasse holen.“ Man nahm sich daher der Mitterfelser Geschichte mit besonderer Sorgfalt an. Folgendes war geschehen: Am 9. Oktober 1852, so gegen elf Uhr, drangen zwei Burschen in die Irlmühle ein, überfielen den alten Müller und seine Frau im Bett, rissen sie heraus und banden ihnen die Hände auf dem Rücken. „Ihr habts Geld im Haus“, schrie einer der beiden Räuber, die sich schwarze Fetzen vors Gesicht gebunden hatten. „Wenigstens sechstausend Gulden müssen da sein. Wo ist das Geld, sagts es, sonst derschießen wir enk!“ In seiner Angst gab der Müller an: „Droben am Dachboden. In dem Schubladl vom großen Kasten. Und der Schlüssel dazu liegt in dem kaputten Haferl, das oben drauf steht!“ Es war eine windige Nacht, die Wolken schoben sich über den Himmel und ließen zwischendurch den Mondzipfel blinken. Den Lumpen war das gerade recht. Einer von ihnen tappte im Halblicht zum Dachboden hinauf, der andere blieb derweil in der Schlafkammer. 138
Der Müller war schon ein klappriger Mann, er zitterte vor Angst und Kälte. Seine Frau aber zeigte sich mutiger. Sie zog an den Riemen, bis sie die Arme frei bekommen hatte, bückte sich dann schnell zur Bettstatt hin, wo der Müller für solche Notfälle ein Hackl versteckt hielt, packte es, zog auf und schlug es dem Räuber mit einer Wucht über sein Gesicht, dass ihr das warme Blut über die Hand spritzte. Von dem Lärm alarmiert, kam der andere vom Boden herunter, und ehe die Frau noch einmal traf, banden sie ihr aufs neue die Arme und schlugen und traten sie, dass sie glaubte, sie würde es nicht überleben. Die Lumpen drohten ihnen abermals und fragten nach dem Geld – in der Schublade waren nur hundert Gulden gewesen. „Wo ist das andere?! Sagts, oder wir machen enk kalt!“ Die Müllersleute verrieten aber nichts mehr. „Wir werden es auch so finden“, sagten endlich die beiden Räuber, und damit sie das Haus ungestört durchsuchen konnten, zerrten sie die Müllersleute in den Keller und beschwerten die Falltür mit einer Anrichte. Aber wie sie auch herumstöberten, sie kamen an kein Geld mehr. Dafür nahmen sie andere Sachen mit, die ihnen gefielen. Darunter war eine schwarzbeinerne Spieldose. Als man die Müllersleute dann beim Gericht verhörte, sagten sie aus: „Nein, wir haben keinen erkannt, und obs der Heigl gewesen ist, können wir net angeben, da wir ihn noch nie gesehen haben. Aber unter dem gerauberten Geld war ein schöner Taler mit dem Bild der Augsburger Stadt und der Zahl 1626. Vielleicht sieht man den Taler irgendwo, solche Augsburger sind net viel.“ Besonderen Wert maß das Gericht diesen Angaben nicht bei. Trotzdem versuchte man alles und schrieb 139
überall herum, dass man auf den Taler und die Spieldose achten sollte. Der Landrichter berichtete über den Vorfall recht ausführlich an die Regierung und erreichte damit zweierlei: Sogleich kamen wieder sechs Gendarmen auf die Hohenwarther Station und die auf den Heigl angesetzte Belohnung wurde überraschend schnell auf zweihundert Gulden erhöht. Da schluckten die armen Fretter wieder wie an einem großen Brocken: „Zweihundert Gulden – sakrisch, das ist ein Haufen Geld!“ Wenn aber einer zu den Gendarmen kam und ihnen einen Hinweis geben wollte, zeigten sie ihm die kalte Schulter. „Wir wissen selber Bescheid“, meinten sie schroff. „Wir trauen keinem mehr. Es sind schon genug dagewesen, und wenn wir ausgerückt sind, war der Heigl ganz woanders!“ * Wenn auch die Bauern wieder schimpften und wetterten über die sechs Gendarmen, sie machten sich doch bald bezahlt. In kurzer Zeit fingen sie den Raimer und den Laumer Peter, und diesmal kettete man sie an die Wand, damit es keinem mehr einfiel, das Fenstergitter herauszukratzen. Nun fehlte ihnen bloß noch der Generallump, der Heigl. Eines Tages sahen ein paar Neukirchner Bauern auf dem Hohen Bogen einen Kerl, der sich dort ein Feuer angeschürt hatte und an einem Stecken ein Stück Fleisch darüber hielt. Die Bauern merkten sich den Platz, und am andern Tag gingen sie mit Pistolen und Stricken hinaus. Sie 140
brauchten diesmal gar nicht so weit hinaufzusteigen, der Kerl kam gerade über die Straße beim Burgstall herunter. Sechs gegen einen war eine leichte Sache. Als ihn die Bauern auf die Erde hinwarfen und fesselten, schrie er aber. „Lassts mich aus – ich bin nicht der Heigl!“ Doch sie glaubten ihm nicht, schnürten ihn zusammen und führten ihn dann wie einen Tanzbären auf Kötzting hinein. Es war gerade Markttag, und da gab es nun ein Gelauf und Geschrei: „Jetza bringen sie den Heigl!“ Der Kötztinger Schmied stand auf der Beschlagbruck, und wie er den Aufzug sah, ging er hin und griff dem Gefangenen die Taschen ab. „Wie, lassts mich sehen“, sagte er, „ob er das Sackührl noch hat, das er mir gekripst hat!“ Als er in den Taschen nichts fand, gab er dem Burschen ein paar Maulschellen, dass es nur so patschte. Von der anderen Seite lief der Huterer hin, der schob dem Gefangenen den Hut aus dem Gesicht und sagte dann: „Einen Dreck habts – des ist der Heigl net!“ „Ja“, gaben jetzt die Bauern zu, „wir haben es uns im Hergehen auch schon gedacht, dass er der Heigl net ist!“ Aber das war ihnen egal, gefangen war gefangen, und vielleicht ließ sich aus dem Burschen etwas herausfragen. Da gestand er dem Landrichter: „Ich bin der Lutz, ein geheimer Gendarm und vom Landshuter Hauptmann hergeschickt, damit ich in der Verkleidung eines Holzhauers den Heigl fange.“ Er konnte dann auch wirklich ein Geheimschreiben vorweisen, das in das Futter seiner Joppe eingenäht war. Das ärgerte die Kötztinger Gendarmen und mehr noch den Landrichter aber erst so richtig. War es jetzt so weit, dass die Droberen solche versteckte Geschichten machen? 141
Der Kötztinger Schmied aber sagte lachend: „Das hätt ich mir in meinem Leben net denkt, dass ich einem königlichbayerischen Gendarmen eine Maulschelle geben dürft, ohne dass mir dafür der Hals abgerissen wird!“ Und schlecht hatte der Schmied fein nicht hingeschlagen! Der Zwischenfall brachte den Landrichter immerhin auf die Idee, etwas Ähnliches zu versuchen. Er wollte es aber schlauer anstellen, und da fiel ihm der Fendl ein, der zu Ebrach im Arbeitshaus saß und den größten Teil seiner Strafe abgesessen hatte. Man könnte ihm den Rest erlassen, wenn er sich dafür bereit erklärte, den Heigl in die Hände der Gendarmen zu spielen. Die Regierung war damit einverstanden, und der Fendl war froh, dass er ein paar Monate früher herauskommen würde. „Ja“, sagte er, „das bring ich leicht zuweg. Und in acht Tagen habt ihr den Heigl. Aber lasst ihn ja nimmer aus, sonst derschießt er mich!“ Den Leuten erzählte er, dass er aus Ebrach ausgebrochen wäre und nun Müh und Not hätte, nicht wieder eingefangen zu werden. Es dauerte nicht lange, da traf er auf den Heigl. „Ausreißen sollten wir“, sagte der Fendl zu ihm, „auf Amerika hinüber, wo uns keiner mehr derwischt, Aber für die Überfahrt braucht man wenigstens zweihundert Gulden auf den Kopf.“ Dem Heigl wäre es jetzt auch recht gewesen, wenn er fort gekonnt hätte, und Amerika würde ihm besser gefallen als Ungarn. Er hatte gehört, dass man dort drüben gut verdienen konnte und mancher soll mit einem einzigen Schaufelstich so viel Gold herausgegraben haben, dass er sein Leben lang davon fressen und saufen konnte. Aber wie sollte man hinüberkommen? 142
Da fiel ihm die Geldtruhe vom Viechtacher Rentamt wieder ein. Es war damals im Theninger Wirtshaus nicht bloß Spaß gewesen, als er davon geredet hatte. „Ja“, stimmte der Fendl zu, „die Truhe möcht schon reichen.“ Und nun schmiedeten sie ihren Plan, den sie gleich am nächsten Abend in die Tat umsetzten wollten. Oben am Predigtstuhl verabredeten sie sich für die Mittagszeit. Hernach ging der Fendl zu den Gendarmen und gab ihnen die Anweisung, wann sie ausrücken und wie sie sich droben aufstellen sollten. Das Wetter machte sich gut, es regnete ganz fein, und da glaubte der Heigl die Gendarmen schön daheim in der warmen Stube. Mittags ging der Fendl auf den Berg, und es schien alles in bester Ordnung. „Dassell sag ich dir aber“, erklärte der Heigl noch, ehe sie sich auf den Weg machten, „geteilt wird das Geld durch drei. Mein Dirndl nehm ich fein mit nach Amerika, die lass ich dem Landrichter net da.“ Der Fendl war mit allem einverstanden. Er ging voran, gerade auf die Stelle zu, wo die Gendarmen standen. Da stolperte der Heigl über eine Wurzel, und wie er so am Boden lag, rumpelte schon der erste Gendarm hinter seinem Baum heraus. Im gleichen Augenblick war der Heigl wieder in der Höhe, sprang zurück zu den Felsen und legte sein Gewehr auf ihn an. Wie dann die anderen Gendarmen auch herauskamen, schrie der Heigl auf den Fendl herunter, der sich rasch hinter einen Baum geduckt hatte: „Aha, jetza spann ichs, wohin die Reise hätt gehen sollen – du grundfalscher Hund!“ 143
Was sollten die Gendarmen jetzt machen? „Ich schieß“, schrie der Heigl, als sie näher herankommen wollten. „Jeden, der einen Muckser nach vorn oder nach der Seite macht, brenn ich weg!“ Einer der Gendarmen hob trotzdem sein Gewehr, aber der Schuss ging nicht ab, weil die Zündkapsel im Regen nass geworden war. Bis in die tiefe Nacht hinein standen die sechs Mann vor dem Heigl, aber keiner traute sich anzugreifen. Es mochte halt keiner gern, wenn ihm ein Loch in den Bauch geschossen wurde. Als es dann stockfinster geworden war, rückten sie wieder auf Kötzting ein. „Sakrament!“, fluchte der Brigadier, „diesmal wenns mögen hätt, war uns der Lump nimmer ausgekommen.“ Für einen solchen Trost gab ihm keiner ein Fünferl. Am meisten Schiss hatte der Fendl, und der Heigl erwischte ihn schon bald darauf in Eschlsaign. Da drosch er ihm den Gewehrkolben über den Buckel und schoss ihm noch eine Ladung Schrot in die Haxen. Die Leute merkten sich das. „Jetza seht ihrs“, sagten sie, „wie der Heigl sein kann, wenn ihn einer ausliefern will!“ Und über die Gendarmen sagten sie: „Sechs trauen sich den Heigl net anpacken – ist das net eine Schand vor Gott und der Welt?! Und von uns verlangen sie, dass wir ihn aufgreifen, wo und wann ihn einer trifft.“ * Es dauerte diesmal lang, bis es über diese Geschichte wieder ruhiger wurde, und schon wurde der Heigl wieder keck. Als die Nebel schon so dick waren, dass alles drin wie in Milch schwamm, kam er ein paar Mal auf Beckendorf hinunter. 144
Schier auf allen vieren krabbelte er ins Inhäusl. Er wusste gut, dass da in Beckendorf ein paar auf ihn lurten. Es waren solche, die eine alte Feindschaft mit allen Heigin hielten und die sich am Michl das Fanggeld verdienen wollten. Am begierigsten darauf war der Gemeindediener. „Ich derlebs noch, dass der Bazi einmal kommt“, versicherte er, „aber dann zahl ichs ihm heim, weil er mir in der Schönbuchen den Hut heruntergehaut hat. Ich schlag ihm gleich den Schädel ab, dann sparen sich die Straubinger das Köpfen!“ Es hatte den Heigl oft danach gelüstet, wieder einmal heimzuschauen, und gern wäre er auch einmal zu seiner Mutter gekommen, als sie noch gelebt hatte. „Aber“, sagte er, „was war denn gewesen? Sie hätt getränzt und mir gute Lehren gegeben, und helfen hätt sie mir net können und ich ihr net. War zuletzt leutmaulig geworden und man hätt sie auf ihre alten Tage gar noch in die Fronfeste eingeliefert, wie mans genug andern gemacht hat.“ Daheim war es immer tröstlich, auch wenn die Stube bloß ein finsteres Ratzenloch war. Da waren der Adam und der Gangerl, und die zwei Weibsbilder waren auch da, die erzählten und waren lustig. Wie sie nun so miteinander redeten und zu ihren Geschichten lachten, rumpelte es draußen, und auf einmal sprangen zwei Gendarmen mit vorgehaltenen Gewehren herein, und hinter ihnen sah man den Assessor und den Gerichtsdoktor. Es war finster und rauchig in der Stube, die Lampe auf dem Tisch flackerte und rauchte. „Wo ist der Heigl?“, schrien die Gendarmen. Im diesem Augenblick hatte sich der Heigl gefasst und antwortete: „Drent in der Kammer liegt er und schlaft.“ 145
Einer der Gendarmen packte die Lampe, und nun drängten sie hinüber in die Kammer und suchten herum. Derweil riss der Heigl das Fenster auf und sprang hinaus. Weil die Gendarmen den Michl nicht gefasst hatten, nahmen sie dafür einfach den Adam und den Gangerl mit. „Es ist eh bald net mehr der Mühe wert, dass wir daheim noch niedersitzen“, sagten sie. „Ja“, drohte man ihnen, „beim nächsten Mal marschiert ihr ins Arbeitshaus!“ Beim Weggehen merkten die Gendarmen, dass der Assessor nicht mehr da war. Wo konnte er denn hingekommen sein? „Der Teufel wird ihn schon nicht geholt haben“, meinte der Doktor, „was finge er denn mit dem Pfifferling an?“ Schließlich hörten sie unten im Haus jemanden schreien, und da fanden sie den Assessor im Erdäpfelkeller, in den er durch das offene Fallloch hinuntergepurzelt war. * In dieser Zeit griff man in der Landshuter Gegend einen Burschen auf, der sich mit seinem Wanderbuch als der Joseph Iglhaut aus Siedling bei Cham auswies. Er gab bei seiner Verhörung an, er hätte in einem Dorf bei Regensburg auf einem Bauernhof gearbeitet und sei nun auf dem Weg in seine Heimat. Die Landshuter Gendarmen wandten forsch ein: „Da herauf geht der Weg nicht auf Cham“. Und weil der Bursch unsicher wurde und für seinen Umweg keinen festen Grund angeben konnte, sagten sie ihm auf den Kopf zu: „Du bist der Heigl, und dein Papier ist falsch!“ 146
„Nein“, beteuerte der Bursch, „ich bin net der Heigl, aber ich kenn ihn gut. Hab ihn vor etlichen acht Wochen bei Sünching im Regensburger Gäu gesehen, wie er in einem Weiberkittel gegangen ist.“ Beim Teufel, sagten sie darauf, warum er ihn nicht gefasst hätte? „Hätt ich das sollen?“ Freilich, freilich! Das brauchte auch keiner umsonst zu tun. Wer den Heigl aufbrächte, bekäme eine Geldbelohnung von zweihundert Gulden! „Sapprawoll – zweihundert Gulden?“, sagte der Iglhaut und erzählte, es wäre für ihn keine große Kunst, den Heigl zu fassen, und wenn er ihn auch in Sünching nicht mehr erwischen könnte, so wüsste er doch am Kaitersberg jedes Loch. „Also gut“, erklärte er, „so geh ich gleich auf Kötzting und bring enk den Räuber!“ Nein, nein, wehrten sie ab, so schnell ginge es auch wieder nicht. Er müsse zuvor schon seine Straf absitzen, weil er von dem ihm vorgeschriebenen Marschweg abgewichen war. Sie brachten ihn in die Landshuter Fronfeste und ließen ihn vierzehn Tage abbrummen. Bei aller Gutherzigkeit konnte ihm das nicht geschenkt werden. „Die zwei Wochen bringen mich auch net um“, sagte der Iglhaut, „und den Heigl bring ich enk trotzdem.“ Er erzählte nun aufs neue, wie leicht ihm das gelingen würde, denn so schlau und listig, wie man den Heigl hake, sei er gar nicht. Der Landshuter Landrichter verstand den Iglhaut gut und schrieb sofort an die Regierung hinüber: „Die bisher auf die Habhaftmachung des Heigl vergeblich aufgewendeten Mittel lassen die Überzeugung gewinnen, dass hier eher List als große Haufen ausge147
sendeter Mannschaften zum Ziele führt, und es ist anzunehmen, dass derselbe Heigl den einfachen Winkelzügen eines anscheinlich Gleichgesinnten eher erliegen dürfte, als wenn ein Aufgebot nach ihm ausgeschickt wird. So glauben wir in dem Iglhaut den geeigneten Mann gefunden zu haben. Da er jedoch zur Ausführung seiner Pläne auch Geld benötigt, stellen wir an die hohe Regierung das Ersuchen, es möchten die notwendigen Mittel in Höhe von zehn bis fünfzehn Gulden ausgeworfen werden!“ Wie sie es dem Iglhaut vorlasen, erwiderte der: „Ja, so ist es mir schon recht, und das Geld glangt mir derweil.“ Aber die in der Regierung gingen mit ihrem Geld nicht so leichthin um, sondern schrieben zurück: „Wie es überall sei, dass man den Lohn erst nach verrichteter Arbeit empfange, wird es nicht für gut befunden, dem genannten Iglhaut im vorhinein Geld zu verabreichen. Man verweise ihn dieserhalb auf die ausgesetzte Belohnung von zweihundert Gulden.“ „Nein, nein“, beharrte der Iglhaut, „das ist nix. Ich hab keinen einzigen roten Batzen, wie soll ich mit der leeren Hand bis auf Kötzting kommen? Es ist jetza Hirgst und kalt und im Wald drin hats schon Schnee. Da kann ich im Heu net schlafen!“ Endlich gaben sie ihm fünf Gulden als Marschgeld. „So ists recht“, sagte der Iglhaut, „um fünf Gulden kann man sich die Sau fackeln lassen!“ Dann machte er sich auf den Weg. Aber die Landshuter Stadt hatte viele Gassen, und die eine war die Grasgasse und die andere die Rosengasse, darin war das Pflaster fürs Laufen schlecht, und da hingen überall die Wirtshausschilder in den Weg, und da musste einer noch mehr Acht haben, dass er nicht torkelte. 148
Und wie vermutet, kam er auch nicht weit. Er kehrte in einem Wirtshaus ein und versoff die fünf Gulden in einem Saus. Als er wieder nüchtern war, ging er zurück zum Gericht, erzählte, man hätte ihn im Schlaf ausgeraubt, und da erbarmten sie sich und halfen ihm noch einmal mit fünf Gulden weiter. Und diesmal marschierte er einen anderen Weg und kam tatsächlich wohlbehalten bis Kötzting. Dort wussten sie schon über ihn Bescheid und empfingen ihn wie den fünfzehnten Nothelfer. Der Iglhaut schaffte an: „Was ich brauch, das ist dies: eine feste Montur, in meinem dünnen Zeug frierts mich. Dann brauch ich Stücker drei, vier Repulfer mit genug Kugeln. Und schließlich brauch ich noch Geld, denn ohne das ist man überall der Aff.“ Gut, sie gaben ihm eine bessere Montur, gaben ihm drei Pistolen und dazu Kugeln, und sie gaben ihm auch nochmal fünf Gulden. Endlich ging der Räuberfänger los, nahm recht bedachtsam seinen Weg über die Regenbrücke hinaus und tippelte die Straße entlang. Am Nachmittag kam er schließlich nach Hohenwarth. Und da er Hunger und Durst hatte, kehrte er erst einmal in das Wirtshaus ein. Er ließ sich vom Wirt auftischen, und weil es ihm fürs erste genug war, verlangte er für die Nacht ein Bett. Es traf sich, dass am Abend ein paar Bauern zum Wirt kamen. Sie schauten den Iglhaut von der Seite her an, hielten ihn für einen Handwerksburschen, wunderten sich aber, wie er ein Geldstück ums andere herausholte. „Han“, fragte ihn einer, „hast leicht einen Holzhandler durchgetan?“ Da wurde der Iglhaut ungehalten, zog seine drei Pistolen heraus und legte sie auf den Tisch vor sich hin. 149
Gleich duckten sich die Bauernköpfe. „He, habts Angst?“, lachte der Iglhaut. „Nein, ich tu enk nix! Die Repulfer sind für den Heigl, und wenn ich ihn derwisch, schieß ich ihn her wie eine Sandraitern!“ Die Bauern wussten nicht, woran sie mit dem Großmaul waren. War der Kerl ein gefährlicher Bazi oder ein großmäuliger Narr? Da ging einer hinüber zur Gemeindestube und sagte: „Du, dort drent knockt einer mit ein paar Schießeisen, und Geld hat er auch.“ „Sollts ebba der Heigl sein?“ Das konnte eigentlich keiner genau sagten. Der Heigl hatte mehrerlei Gesichter, bald so, bald anders. Einmal sah man ihn mit einem zottigen Bart, hernach wieder ganz sauber abrasiert. Es könnte am End auch ein Gendarm sein, meinte der Bauer, vielleicht so ein verkleideter wie der vom Hohen Bogen. Der Gemeindepolitiv machte sich jedenfalls auf alles gefasst, schnallte sich den Säbel um und ging mit zum Wirt hinüber. Es reichte ihm schon, als er die drei Pistolen liegen sah, und schnell riss er den Burschen hinterrücks über die Bank hinunter. Mit einem Kälberstrick banden sie ihm dann die Hände zusammen. So brachten sie ihn noch in der Nacht nach Kötzting hinein und schrien beim Gericht: „Macht dennerst gleich auf, da haben wir einen, der ist noch ärger wie der Heigl!“ Das trieb den Landrichter aus dem Bett. Wie er aber dann dem Gefangenen ins Gesicht leuchtete und die ganze Geschichte hörte, konnte er sich nicht mehr halten und gab dem Iglhaut einen Tritt. „Jessas, Jessas“, schrie er, „wie kann sich denn ein Mensch so blöd anstellen?!“ 150
„Nun ja“, rechtfertigte sich der Iglhaut, „ich hab mir halt denkt, dort hinterhalb Cham sind die Leut net so hell und wief. Und also wollt ich ihnen ein bissl das Hosensaichen machen!“ Da schrie ihn der Landrichter noch ärger an: „Und ein solches Rindviech schicken sie von Landshut her, damit er den Heigl fangen soll!? Die dort droben müssen schon eine seltsame Vorstellung vom Heigl haben!“ Und nachdem man den Iglhaut für den Rest der Nacht in die Fronfeste gelegt hatte, warf man ihm am nächsten Tag seine alte Montur hin und schubste ihn in seine Heimat ab. Das für ihn aufgewandte Geld war freilich futsch. Schade um jeden Kreuzer! Recht bitter berichtete dann der Kötztinger Landrichter nach Landshut und bemerkte dazu, dass man mit einem derart einfältigen Lockvogel den Heigl nicht erwischen könne. Man bewirke damit nur, dass die Akten über ihn noch weiter anwüchsen. Sie hätten nun schon den Umfang von zweiundvierzig Bündeln und insgesamt die Höhe eines Tisches erreicht! * Es fing an zu schneien. Zuerst ganz fein wie stäubendes Mehl, aber dann fegte der Schnee immer dicker herunter und deckte die Gräben zu. Der Heigl hatte sich drüben in Maierau beim Zitzelsberger ein Quartier gesucht, das Dirndl war bei ihm. Sie erwartete wieder ein Kind, wie es ja oft so war, dass auf dem ärmsten Grund die meisten Blüten an den Bäumen ansetzten. Der Zitzelsberger sah es nicht gern, was da wurde. „Bleiben könnt ihr schon“, sagte er zum Heigl, „aber Kin151
dergeschrei kann ich in meinem Haus net brauchen. Dort draußen geht das Straßl vorbei, und wenn ein Kind schreit kommt gar einmal einer herein und fragt ihm nach.“ „Wenns so weit ist, hab ich schon einen Platz“, sagte der Heigl. Als es dann an’ der Zeit war, lag der Schnee so hoch, dass man fast nicht mehr zur Tür hinaus konnte. Aber jetzt half nichts, das Dirndl musste zu ihrer Mutter auf Gotzendorf hinüber. Da machte sich am Abend der Heigl mit dem Dirndl auf den Weg. Mühsam arbeiteten sie sich durch die Schneewachten. Der Heigl bahnte voraus den Weg und zog das Dirndl hinter sich nach. Wenn sie dann keuchte, dass ihr die Zunge herausfallen wollte, trug er sie eine Weile auf dem Rücken. Es war schon tiefe Nacht, als sie endlich nach Gotzendorf kamen. Das Dirndl konnte nicht mehr bis ins Dorf hineingehen, sie drückte die Hand gegen ihren Leib und glaubte, dass das Kind schon käme. „Das kleine Streckl musst noch aushalten“, versuchte der Heigl sie anzuspornen und nahm sie wieder auf seinen Buckel. Gerade zu dieser Zeit kam von der anderen Seite her der Geiger Sepp, und als er etwas hörte, duckte er sich hinter einem Zaunpfosten und lurte dahinter vor. Der Geiger war auch aus Gotzendorf, er arbeitete als Schachtelmacher und war an diesem Tag drüben in Neukirchen auf der Handelschaft gewesen. ,Das ist ja der Heigl’, dachte er überrascht und beobachtete, wie die zwei ins Inhäusl beim Pöschlbauern liefen. Da packte es den Schachtelmacher: „Der Heigl – das sind zweihundert Gulden, und die verdien ich mir jetzt.“ 152
Er lief die zwei Stunden Weg auf Kötzting hinein und gab den Gendarmen an: „Der Heigl ist im Inhäusl beim Pöschlbauern.“ Die Gendarmen sprangen sofort in ihre Uniformen, holten die Gerichtsdienergehilfen und rückten aus. Zusammen waren es neun Mann, jeder mit einem Gewehr und einer Pistole bewaffnet. Der Schachtelmacher war ganz aufgeregt und ließ es sich nicht nehmen, den Gendarmen auf dem Weg noch einmal alles auseinander zu setzen: „Gleich rechts im Hof beim großen Birnbaum ist die Tür, und drinnen im Haus gehts ebenerdig links in die Kammer!“ „Schon gut“, sagten die Gendarmen kurz angebunden, „wir wissens selber, wie wirs anpacken müssen. Wir brauchen dich nimmer.“ Der Schachtelmacher lief aber doch mit bis zum Hof und wartete nun hinter dem Zaun darauf, dass sie den Heigl und sein Dirndl daherbringen würden. Aber was trieben denn die Gendarmen? Jessas, die Männer gingen ja links, schlugen an die Tür des Hofes, holten den Bauern heraus und durchsuchten das Haus von oben bis unten! Und als sie damit fertig waren und ins Inhäusl gingen, war der Heigl mit dem Dirndl schon hinten hinaus und davon. Bloß das neugeborene Kind fanden sie, das hatte noch Blut daran. Freilich nahmen sie das nicht mit, so was musste mindestens noch zwölf Jahre wachsen, bis man es verhaften konnte. Dem Schachtelmacher zitterten vor Zorn und Wut die Hände. „Zum Teufel“, sagte er, „sind sie nun so dumm oder so feig?“ *
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Nicht viel anders schrieb es der Landrichter an die Regierung: „Jedermann muss auffallen, dass es der Sicherheitsmannschaft immer noch nicht gelungen war, den seit nahezu zehn Jahren flüchtigen Heigl aufzubringen. Es lässt sich nicht verschweigen, dass die Gendarmen das in sie gesetzte Vertrauen nicht vollkommen zu rechtfertigen vermögen. Sie haben es vor allem nicht verstanden, zur Bevölkerung ein gutes Verhältnis zu finden, und es ist auch die allgemeine Meinung, dass es den Gendarmen in der entscheidenden Stunde an der ruhigen Überlegung und ebenso an dem notwendigen Mut gebricht.“ Der Landrichter schlug darum vor, die teilweise zu alten Gendarmen durch jüngere zu ersetzen. Außerdem sollte für jede Station die Beschaffung eines abgerichteten Fanghundes genehmigt und den Gendarmen erlaubt werden, bei ihren Dienstgängen bürgerliche Kleidung zu tragen. Das wurde nun eine Teufelsschreiberei hin und her! Wenn ein Gendarm im Dienst bürgerliche Kleidung tragen wollte, so musste das bis ans Allerhöchste Bayerische Kriegsministerium und das mit den Hunden gefiel den Landshutern auch nicht, denn es lasse sich mit dem militärischen Charakter eines Gendarmen schlecht vereinbaren, wenn er mit einem Hund ausrücke. Schließlich wurde das Geld für den Ankauf von vier abgerichteten Fanghunden doch genehmigt. Dummerweise hatte man aber vergessen, gleichzeitig auch die Gewährung eines Futtergeldes zu beantragen. Nun musste neuerdings hinauf und hinunter geschrieben werden, und bis endlich drei lausige Kreuzer je Hund und Tag zugestanden wurden, war bereits einer der Hunde verreckt. 154
„Himmelherrgott“, fluchte der Landrichter, „mit solcher Federfuchserei kriegen wir den Heigl nie!“ In seinem Zorn wollte er radikal ausputzen. Er ließ sich die Akten bringen und schrieb alle Personen heraus, die einmal mit dem Heigl in Verbindung gebracht worden waren. Daraufhin wurden weitere sechzig Personen unter Polizeiaufsicht gestellt, vierzehn schaffte man ins Arbeitshaus – darunter die zwei Brüder des Heigl –, sechs Wirten wurde die Schankerlaubnis entzogen und allen Brotträgern der Handel untersagt. Während man noch damit beschäftigt war, kam der Kötztinger Bräuknecht aufs Gericht und gab an: „Gestern war ich mit dem Fuhrknecht draußen in Straubing, da ist der Schleiferlump geköpft worden, und dabei hab ich den Heigl getroffen. Er hat gesagt, so was schaue er sich allweil gern an. Es sind ja jedesmal an die zwanzigtausend Leute dort, und die Weiber mit ihren Kindern sitzen schon in der Früh um drei an, damit sie einen guten Platz kriegen. Der Heigl hat weiter gesagt, dass er auch gesehen hat, wie man den Matzeder und den Geißreiter auf der Hagenwiese geköpft hat, und da hat der Matzeder auf dem Karren, mit dem sie ihn hingeführt haben, Kirschen gegessen und die Steinbexen auf die Leut hingeschossen. Und beim nächsten, das ist der Pfefferkorn, will der Heigl wieder hingehen, hat er gesagt, vielleicht schießt der dann Pfefferkörnl unter die Leut, dass es sie an der Nase beißt!“ Auf einige Nachfragen gab der Bräuknecht noch weiter an: „Nein, ich habs keinem Gendarmen sagten können, dass einer den Heigl gefasst hätt. Da ist man so eingezwängt in den Haufen, dass keiner umfallen kann!“ Der Landrichter merkte sich das, und als dann der Pfefferkorn hingerichtet wurde, schickte er drei Gendar155
men in Zivilkleidern nach Straubing hinaus. Sie konnten aber den Heigl nirgends entdecken. * Als man in Landshut las, was der Landrichter über die Gendarmen geschrieben hatte, wollte man einmal selber nach dem Rechten sehen und gab dem Leutnant Fürst die Anweisung, die Umstände zu untersuchen, die der Ergreifung des Heigl entgegenstünden. Der Leutnant war noch kaum einen ganzen Tag in Kötzting, da kam ein reitender Bote von Viechtach herüber und brachte die Meldung, dass mittags gegen zwölf Uhr der Viechtacher Brigadier Stefan Sommer vom Heigl und seinem Lumpenmensch angeschossen und lebensgefährlich verletzt worden war. Sogleich ließ der Leutnant anspannen und fuhr hinüber. Es war schlimm, sehr schlimm. Die Hand des Brigadiers war bloß noch ein blutiger Fetzen, er war auch am Bauch getroffen. Der Doktor hatte die Wunde schon genäht und den Verband angelegt. Wie konnte es denn dazu kommen? Der Brigadier war mit noch einem Gendarm nach Maierau gegangen, weil er gehörte hatte, der Zitzelsberger im Schlätzenhäusl habe eine schwarzbeinerne Spieldose. Außerdem sollte sich bei ihm auch der Heigl manchmal aufhalten. Diesen Gerüchten wollte man anfangs wenig Glauben schenken. Der Zitzelsberger war als frommer und braver Mann bekannt, der zwar in ärmlichen Verhältnissen, aber doch allzeit rechtschaffen lebte. Er war zwar angeblich weitschichtig mit dem Heigl verwandt, aber das besagte so gut wie nichts. Hier im Wald waren alle untereinander 156
verwandt, da gabs – wie man so sagte – tausenderlei Vetternschaften vom neunten Suppenschnittl her. Zur selben Zeit saß der Heigl mit seinem Dirndl aber wirklich beim Zitzelsberger. Wie er nun durchs Fenster schaute und die Gendarmen herangehen sah, stieg er mit seinem Dirndl schnell über die Stiegenleiter zum oberen Dachboden hinauf, klappte die Falltür zu, setzte sich darauf und horchte nun, was geschehen würde. Die Gendarmen suchten unten die Stube ab, und als sie am Fensterbrett hinter dem Blumenstock die Spieldose fanden, forschten sie auch nach dem Taler. „Nein“, beteuerte der Zitzelsberger, „ich hab im ganzen Haus keinen, auch keinen Augsburger. Und die Spieldose hat der Heigl dagelassen, als er vor langer Zeit einmal vorbeigekommen ist. Gewiss, dass es wahr ist!“ Als die Gendarmen dann ganz hinten im Kasten, in einem Gebetbuch versteckt, den Augsburger Taler fanden, beschwor der Zitzelsberger aufs neue: „Ist auch vom Heigl, ich habs gar nimmer gewusst, dass er den Taler noch dahat!“ Nun gaben sie aber keine Ruhe mehr und kehrten in den zwei Stuben alles um. Na, da kam ja allerhand heraus. Ein fremdes Bett, an die dreizehn Pfund Schaffleisch, ein Kübel mit Unschlitt, eine Packung Pulver, ein Dutzend Hemden, die sauber mit einem roten Bandl kreuzweise gebunden waren! Wie die Gendarmen noch dabei waren, es in ihr Büchl zu schreiben, hörten sie über sich einen Rumpier. „Es wird der Wind was umgeworfen haben, oder die Katz!“, sagte der Zitzelsberger erschrocken. Der Brigadier schaute halb lachend zur Weißdecke hinauf, dann ging er hinaus, stieg über die Leiter und wollte 157
den Bodendeckel aufheben. Nur einen halben Finger hoch konnte er ihn lupfen, dann fiel er gleich wieder zu. „Aufgemacht!“, schrie er. „Aufgemacht – oder ich schieß durchs Brett!“ Wie er noch einmal drückte, ging der Deckel seitlings einen Spalt breit auf, es fuhr ein Schuss herunter und gleich hernach noch ein zweiter. Der Brigadier stürzte von der Leiter, das Blut spritzte ihm aus seiner Hand. Der andere Gendarm sah, dass zuvor einmal dem Verwundeten geholfen werden musste, und während er sich darum bemühte und den Arm abband, hob droben der Heigl ein Stück vom Schindeldach ab und kletterte mit seinem Dirndl hinaus. So war es abgelaufen, und so erzählte man es dem Leutnant, der nun rundherum alle Gendarmen aufrief und bis an die Donau hinaus und hinüber bis zur Grenze streifen ließ. Der Heigl hatte gewusst, dass es jetzt um alles ging und dass man ihn nun überall suchen würde. Da wandte er sich dorthin, wo er am wenigsten vermutet wurde. Gar nicht weit von Maierau wusste er im Wald ein Erdloch, in dem die Jäger den Füchsen nachgegraben hatten. Dorthin floh er mit dem Dirndl. Mit den bloßen Händen scharrten sie so viel Schnee weg, dass sie hineinkriechen konnten. Ganz aneinandergedrückt legten sie sich hinein, und der Wind wachelte ihre Spuren und das Loch wieder zu. Bei ihrer überstürzten Flucht hatten sie nur an ihre Gewehre gedacht, die sie um keinen Preis zurücklassen wollten. Aber was nützten die ihnen jetzt? „Wenn wir wenigstens einen Sack mitgenommen hätten“, sagte das Dirndl mit klappernden Zähnen. 158
„Die drei Tage in dem kalten Loch“, sagte der Heigl später einmal, „waren in meinem Leben die härtesten. Zuletzt bin ich in Hemdsärmeln gelegen und habe die Joppe dem Dirndl angezogen, die vom letzten Kind her noch ohne Blut und Wärme gewesen ist!“ Als dann der Leutnant nach Kötzting zurückkam und seinen Bericht für den Landshuter Hauptmann schrieb, ging ihm die Feder anders, als er sie bei seiner Ankunft gespitzt hatte. Am meisten profitierten dabei die Gendarmen, die über alles gelobt und wegen ihres schweren Dienstes und großen Eifers sehr gerühmt wurden. Um so weniger Nachsicht und Schonung erfuhr die Bevölkerung des Waldlandes. Der Leutnant mochte dabei vor allem an den Zitzelsberger denken, der bisher als braver Mann gegolten und nun soviel Verworfenheit gezeigt hatte. Übernächtig und mit kitzblauen Fingern, die sich nicht erwärmen wollten, schrieb er: „Die Verworfenheit und Verstocktheit der Bewohner weist ein solches Ausmaß auf, dass man weit und breit kaum einen anständigen Menschen findet. Man hat bei den abgehaltenen Streifen in verschiedenen Behausungen so üble Schlupfwinkel gesehen, dass man derlei nicht in einem kultivierten Lande vermuten würde. In solchen Behausungen wird der Heigl stets mit offenen Armen empfangen. Ja, wenn man den Gerüchten glauben darf, findet er selbst in frommen Hallen ein Asyl, und so ein Rehböckchen ist auch dem Herrn Pfarrer ein willkommener Bissen!“ Und wie einer, der weder Hilfe noch Rat wusste, schrieb der Leutnant am Ende: „Die Rückkehr erfolgt in tiefster Finsternis. Die Kräfte sind aufgezehrt!“ 159
* Wie sollte es nun weitergehen? Es schien allen gewiss, dass der Heigl für längere Zeit aus der Kötztinger Gegend verschwinden würde. Und wirklich berichtete man schon bald darauf, man habe ihn in Landshut gesehen, wie er auf dem Viehmarkt ein Rössl hatte einhandeln wollen. Dann schrieb die Zeitung, der Heigl sei eines Abends in Straubing im Reidlwirtshaus gesehen worden. Er habe sich dort eine Mass Bier geben lassen, es aber abgelehnt, dass die Kellnerin eine Kerze auf den Tisch stellte. Ehe die Polizei herbeigeholt werden konnte, hatte sich der Gast schon wieder verzogen. Dann wurde berichtet, der Heigl säße drüben im Böhmischen, treibe allerlei Handel und führe beim Gattlgang in Holzschlag ein lustiges Leben. Er bewege sich dort ganz frei und ungehindert und habe vom Klattauer Bezirkshauptmann einen Pass und auch die Heiratserlaubnis erhalten. Als daraufhin der Kötztinger Landrichter einen verkleideten Gendarm hinüberschickte, wollte in ganz Holzschlag niemand etwas vom Heigl wissen. Am meisten Aufsehen verursachte ein Bericht der Passauer Zeitung. Darin war zu lesen, man habe den Heigl in der Nähe von Eggenfelden im Backofen eines Bauernhofes überrascht. Da er nicht anders daraus hervorkommen wollte, zündete man ein Feuer an und trieb ihn dann durch Rauch und Hitze heraus. Es war auch recht sauber und genau vermerkt, dass man bei dem Räuber ein überaus langes Messer, zwei Pistolen, einen Wecken Brot und an Geld einen Gulden gefunden habe. 160
Auch an dieser Meldung war kein wahres Wort. „Leider“, bemerkte der Landrichter, „wird der Heigl durch solche Zeitungsnotizen erst recht bekannt und die Bevölkerung in ganz Bayern auf ihn aufmerksam. Doch erzählt man immer nur seine harmlosen Streiche, dagegen verschweigt man seine Verbrechenstaten oder kennt sie nicht.“ Er schlug deshalb der Regierung in Landshut vor, man solle eine Zusammenstellung der schwerwiegendsten Straftaten in den Zeitungen bekannt geben. Außerdem sei zu erwägen, ob man nicht auf Grund der Akten und der vorhandenen Zeugen in Abwesenheit gegen den Heigl verhandeln und ein Urteil sprechen sollte. Dadurch könnten vielen Leuten, die in ihm nur den losen Vogel sahen, die Augen geöffnet werden. Die Regierung ging auf keinen dieser Vorschläge ein. Einer Aburteilung in Abwesenheit, so schrieb sie, stünden die Gesetzesbestimmungen entgegen, und eine Veröffentlichung des Aktenmaterials würde vermutlich gerade das Gegenteil von dem bewirken, was damit beabsichtigt werde. Also musste weiter gestreift und in Geduld der günstige Augenblick abgewartet werden, der den Erzgauner eines Tages doch in die Hände der Gerechtigkeit liefern würde. Der Landrichter glaubte, man erreiche am ehesten etwas, wenn man jede Gelegenheit dazu benütze, um ein vertrauensvolles Verhältnis zur Bevölkerung zu gewinnen. Die Gendarmen hielten nichts davon. „Man muss ihnen im Gegenteil noch mehr die Faust zeigen“, meinten sie. „Das Lumpenvolk verdient und verträgt keine Milde. Am Iglhaut hat man es ja gesehen, wie die Leute sind und denken. Den haben sie festgenommen, weil sie ihn für einen heimlichen Gendarmen gehalten haben!“ 161
Sie ließen den Schachtelmacher kommen und schrien ihn an: „Du verfluchter Hundling, wie kannst du herumerzählen, wir hätten in Gotzendorf keine Schneid gehabt? Hast du uns nicht falsch angewiesen, wir sollten zuvor den Bauernhof absuchen?“ „So hab ichs net gesagt“, erwiderte der Schachtelmacher trotzig. „Jawohl hast du es!“, schrien sie zu dritt dagegen und verdroschen den Mann mit ihren Fäusten und Säbelscheiden. In der folgenden Nacht kamen sie in die Hohenwarther Mühle, wo der Mühlknecht auf der Bank lag und aufs Mahlglöckl horchte. „Steh auf, du Heigl-Lump!“ Aber der Knecht reagierte nicht, wenn sie ihm auch noch so in die Ohren brüllten. „Wenn ich der Heigl bin“, sagte er, „dann seid ihrs auch.“ Da knüppelten sie ihn mit einem Ochsenfiesel, bis er endlich aufsprang. „Wo ist der Heigl?!“ „Er ist net da.“ Sie rissen alles herum, warfen die Säcke durcheinander, leerten die Truhen aus, und wie der Knecht schnell durch die Tür hinauswischen wollte, brachten sie ihn zurück und verhauten ihn abermals. „Sakrament, muss man sich so was gefallen lassen?“ Die Geschlagenen liefen zum Landrichter und beschwerten sich. Er vertröstete sie und wies die Gendarmen an, sie sollten ihren Zorn etwas bändigen. Aber was nützte es? Unter den nächsten, die verprügelt wurden, war der bürgerliche Handels- und Fuhrmann Andrä Holzapfel. 162
Den bearbeiteten sie so, dass er blass und bucklig aus dem Haus kam. Da hoben viele die Faust und drohten: „So wenns weitergeht, werden bald ein paar derschossen – aber net vom Heigl!!“ Nun musste der Advokat an den Minister schreiben. Ob denn die Leute bloß mehr das Vieh waren, mit dem man alles anstellen durfte? Aber es schrieben auch die Gendarmen: „Ein Volk, das einen Verbrecher schützt und die Sicherheitsmannschaften wiederholt auf falsche Fährten gelockt hat, verdient keine Schonung. Leider wird diesen Leuten beim Landgericht viel zu viel Gehör und Glauben geschenkt, wodurch Ansehen und Wirkung der Sicherheitsmannschaften verloren gehen. So ist es dahin gekommen, dass die Gendarmen beim Landgericht nicht einmal Schutz gegen den Vorwurf der Feigheit gefunden haben, was für einen Mann ohnehin das Verächtlichste ist, was man ihm nachsagen kann.“ Voller Feuer gingen nun alle gegeneinander, der Teufel hätte sie nicht besser aufeinander treiben können. Als in diesen Tagen der Wachtmeister von Lam ins Hohenwarther Bräuhaus kam, standen alle Bauern auf und verließen den Raum. An der Tür schrie der Högerl zurück: „Wir wollen mit keinem Leutschinder in derselben Stube beisammen sein!“ Als ein Gendarm im Kagerhof visitieren wollte, schrie die Magd den Bauern an: „Wenn du ein Mannsbild bist, dann renn dem Rotkrägler die Mistgabel durch den Bauch!“ Der Wirt von Neunußberg sagte offen heraus: „Wir brauchen jetza den Heigl, sonst ist eh keiner mehr da, der die Gendarmen zusammenschießt! Und wenn der Heigl 163
zu mir kommt, gebe ich ihm alles, und wenn er meine letzte Hose verlangt!“ Nun wusste man, was man angerichtet hatte! Hieß es nicht in einer alten Geschichte, Kötzting stünde auf dem Deckel der Hölle? Jetzt ist der Deckel aufgerissen, und der Teufel ist ausgekommen! * Als sie droben im Ministerium die Berichte lasen, gaben sie im Namen Seiner Majestät den allerhöchsten Befehl, umgehend die Verhältnisse im Kötztinger Landgericht zu untersuchen. Sollte sich dabei bewahrheiten, dass die Bevölkerung den Heigl unterstütze und seine Gefangennahme verhindere, sei auf Kosten der Einwohnerschaft in jedes Dorf eine sechsköpfige Gendarmeriemannschaft zu stationieren. Sollte sich aber bewahrheiten, dass der Vorstand des Landgerichts sich einer dienstlichen Vernachlässigung schuldig gemacht hätte, sei mit Nachdruck gegen ihn einzuschreiten. Das machte den Landshutern Füße. „Man muss hinfahren und selber nachsehen“, riet der Assessor Christoph, der ein rühriges Männlein war. „Ja“, stimmten sie zu, „man kommt kaum noch drum herum, wenngleich so eine Fahrt kein Vergnügen ist.“ Der Assessor scheute die Anstrengungen der Reise nicht, und so erhielt er am 6. März 1853 den Auftrag, sich ohne Verzug nach Kötzting zu begeben. „Ziehen Sie sich nur warm an“, riet ihm der Regierungsrat Oberndörffer, „zumindest zwei Unterhosen. Dort hinten geht ein scharfes Lüfterl!“ Der Assessor schaute verdutzt und fragte: „Wie soll das gemeint sein?“ 164
„Wie ichs sagte“, erwiderte der Regierungsrat, „in Kötzting ziehts das ganze Jahr. Dort steht der Wind mit den Hühnern auf und geht mit den Eulen schlafen!“ Es war noch kein Streifen Licht am Himmel, als der Assessor am nächsten Tag von Landshut abfuhr. Das Wetter war günstig, es lag nur mehr wenig Schnee, und der Boden war leicht gefroren. Munter trabten die Rösser, und am späten Nachmittag war das Ziel erreicht. Da machten sie beim Gericht große Augen über den unverhofften Besuch. Der Landrichter biss sich auf die Lippen, als ihm der Landshuter seine Anweisung überreichte und erklärte: „Ich bin mit der Vollmacht eines königlichen Regierungs-Spezialkommissars hergeschickt und bitte, mir jede Auskunft zu erteilen und Einsicht in die Akten zu gestatten!“ .So, hm – ja’, dachte der Landrichter voller Grimm, ,das ist nun die allerhöchste Anerkennung dafür, dass man sich sechs Jahre lang darum bemüht hat, in diesem elenden Waldwinkel nach Kräften dem Vaterlande zu dienen!’ * Es sprach sich schnell im Markt herum, dass ein Herr aus Landshut eingetroffen war. Etliche hatten ihn auch am Gericht aussteigen sehen. „War net schon einer von Landshut da?“, fragten die Leute untereinander. „Ja, das war der Leutnant Fürst, der war bloß von der Gendarmerie geschickt. Der jetzige aber kommt von der Regierung, und die ist höher!“ „Und wenn noch einmal einer kommt?“ 165
„Der wird dann vom Ministerium sein, und das ist noch höher!“ „Und ganz zuletzt kann dann bloß noch der König selber kommen. Das ist der Allerallerhöchste!“ Am Abend saßen beim Weiß auf der Höh ein paar Männer um den Ofentisch herum, und einer fing von der Neuigkeit an und meinte: „Jetza wird uns ebba der Landshuter Marsch auftrummelt?“ Einer fragte: „Wie heißt er denn, der Landshuter?“ „Christoph“, antwortete der Nachbar, der es zufällig am Gericht gehört hatte. Da schaute der Stoiber Hansl recht sinnierend an die Weißdecke hinauf: „Christoph. Chri-i-! Jeggas, ist das leicht dersell, den wir schon in der Schul gehabt haben. Der selbigesmal bei der Landshuter Hochzeit den – den Dingsda – na ja, so einen Polackischen vom Ross abgestochen hat?“ Wie sie nun einander fragend anschauten, mischte sich der Wirt ein und sagte: „Manner, was redets denn da! Dersell Christoph bei der Landshuter Hochzeit hat doch vor vierhundert Jahren gelebt. Und der war ein Herzog und groß und stark. Der hat einmal einen Stein mit vier Zentnern zwanzig Schritte weit geschützt. Der jetzige Christoph aber ist bloß ein spintiges Manderl, so an die dreißig Jahr. Und ist kein Herzog, sondern bloß ein Assessor – wie der bei unserm Gericht!“ Da wurden sich die Männer am Tisch schnell einig darüber, dass der jetzige Christoph den Heigl nicht fangen würde. Dazu brauchte man schon den anderen Christoph, der den Stein geschützt und den Polackischen vom Ross abgestochen hatte. – Aber der war ja schon vierhundert Jahre tot.
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Doch der jetzige Christoph zeigte den Kötztingern bald, dass er auch Schneid hatte und zu stechen verstand. Und wer ein wenig herumschaute, der konnte sehen, wie nun die Gendarmen ihre aufgewichsten Schnauzbarte hängen ließen, als hätte ihnen einer eine brennende Kerze darangehalten. Der Landrichter hatte dem Kommissar den als tüchtig gerühmten Rechtspraktikanten Anton Perchtold als Gehilfen beigegeben. Er war der Sohn vom Neukirchner Marktschreiber und ein orts- und leutkundiger Mann. Die beiden fuhren zuerst nach Gotzendorf und Hohenwarth hinaus. Der Kommissar schaute sich die Gegend sehr genau an und zeichnete die Straßen und Häuser in sein Notizbuch. „Ich halte es für äußerst wichtig und vordringlich“, sagte er zu seinem Begleiter, „dass sofort eine ausreichend große Karte des gesamten Gebietes angefertigt wird. Denn wie mag ich den Groschen in der Tasche fanden, wenn ich die Tasche selber nicht genau kenne, in der er steckt!“ Recht eigenartig fand der Landshuter die vielen Irrhäusl bei den Höfen. Manche standen bis zu einer Viertelstunde entfernt, ganz am Wald oder schon darin. „Es sind die Tagwerkerhäusl“, erklärte ihm der Rechtspraktikant, „man sieht derlei nicht in anderen Gegenden.“ „Das ist ja eine ganz üble Sache“, fand der Kommissar, „ich möchte das mit den Schlupflöchern von Ackermäusen vergleichen. Ich könnte mir denken, dass der Heigl im Falle der Verfolgung beim ersten Häuschen hinein, hinten hinaus ins zweite läuft und auf diese Weise ganz leicht und beinahe ungesehen bis an den Wald hinaufkommt. Das ist natürlich ein scheußlicher Zustand!“ Dann bestieg er am Kaitersberg eine vorspringende 167
Höhe, von der aus sich das ganze Auwassertal überblicken ließ. Auch darüber schrieb er fleißig in sein Buch. Wie er den weiten wilden Wald über sich sah, wurde er aber kleinlaut und bedrückt. „Eine wüste Gegend“, bemerkte er, und der Rechtspraktikant stimmte ihm zu und wies darauf hin, dass vor einigen Jahren der Regensburger Domherr Graf Kaspar Maria von Sternberg, ein hochgelehrter Mann, eine Fahrt in den Bayerischen Wald unternommen und dabei festgestellt hätte, dass die Urwälder am Mississippi und Orinoko nicht schauerlicher sein konnten als diese Gegend im Herzen Europas mit ihren unwegsamen Wäldern, Windbrüchen, Felswänden, Abgründen und Wildwassern. Aber der Landshuter fand auch in dieser Wüstenei noch einen Weg. Er mochte vielleicht daran denken, dass sich ein Eichkätzchen im Wald äußerst schwer, aber doch verhältnismäßig leicht im freien Feld fangen ließ. Und da schrieb er: „Das Terrain ist so schwierig, dass es zweifelhaft erscheint, ob der Heigl darin gefangen werden kann, auch wenn man ein noch so großes Aufgebot gegen ihn ausschickt. Es wäre eher möglich und deshalb anzuraten, den Heigl durch fortgesetzte Streifen vom Kaitersberg zu verscheuchen, um ihn dann anderswo in einem leichteren Terrain zu fangen.“ Das war ein guter Einfall, über den man sich bei der Regierung ebenso wie in Kötzting freute. Was aber der Landshuter weiter schrieb, war doch recht sonderbar. Er vermerkte nämlich: „Sollte dann der Heigl anderswo gefangen werden, so musste ein solcher Erfolg gleichwohl als ein Erfolg der Kötztinger gewertet werden!“ Dachte denn der hohe Herr, die Kötztinger sähen den 168
Heigl so sehr als ihren Mann an, dass sie es einem andern nicht vergönnen wollten, ihn zu fangen? Da täuschte sich der Landshuter aber! Die Kötztinger erinnerten sich noch gut daran, wie vor einigen Jahren der Chamer Brigadier den Maulaffenhiasl und sein Lumpenmensch aufgebracht hatte. Mein Lieber, das war kein leichtes Fliegentatschen, der Maulaffenhiasl war in jedem Fall verwegener und gefährlicher als der Heigl. Der Landshuter Hauptmann, der Herr von Sturm, hatte den Eifer auch gelobt und an die Regierung geschrieben, es schiene ihm wohl angebracht, dass man dem Brigadier und seinen Helfern von Seiten der Hohen Königlichen Regierung eine ehrende Anerkennung zukommen ließe. Der Hauptmann wusste, dass man einem fleißigen Rössl nicht bloß seinen Hafer und sein Heu gab, sondern ihm auch einmal an den Hals klatschen und übers Maul streicheln musste, damit es hernach wieder lieber trabte. Aber wie hatte die Regierung damals reagiert? Sie hatte den Bericht zurückgegeben und an den Rand geschrieben: „Ist ad acta zu nehmen, da die Gendarmen lediglich in Erfüllung ihrer Pflicht gehandelt haben.“ Würde es denn anders sein, wenn man einmal den Heigl gefangen hatte? „Alsdann, so fangts ihn endlich, den Heigl“, sagten darum die Kötztinger, „und ob er in Kötzting oder in Wurmannsquick gefangen wird, das ist uns wurscht. Und wurscht ists uns auch wer sich die zweihundert Gulden holt. Aber fangts ihn endlich, dass eine Ruh wird! Fangts ihn!“ Aber soweit war es noch nicht. Als der Landshuter von der Geländebesichtigung zu169
rückkam, schaute er sich die Kötztinger Fronfeste an. Er wusste, dass ein Vogelsteller nicht bloß den Wald kennen musste, in dem er seine Fallen auslegte, sondern auch um den Käfig besorgt sein musste, in den er dann den Vogel einschließen wollte. Die Besichtigung ergab kein zufriedenstellendes Bild: „Die Fronfeste“, schrieb er, „ist klein, zur Zeit überfüllt, unzweckmäßig und zu leicht gebaut und ungünstig an der Straße gelegen. Wenn daher der Heigl gefangen werden soll, muss dafür Sorge getragen werden, dass er alsbald weggeschafft werden würde.“ Gut, das war geschehen, und obgleich es ziemlich viel Zeit erfordert hatte, so war es doch bloß das Vorspiel. Jetzt aber ging es an die Hauptsache, und das würde eine hitzige Stecherei werden. * Für den nächsten Tag waren mehr als zwei Dutzend Männer geladen, die über die Gendarmen aussagen sollten. Als erste wurden der Gemeindevorsteher Joseph Geiger von Gotzendorf und der Gemeindevorsteher Georg Stoiber von Hohenwarth aufgerufen. Sie gaben zu Protokoll: „Was die Gendarmen angeht, so müssen wir behaupten, dass es schon mehrmals vorgekommen ist, dass sie sich net anzugreifen getrauten, wenn ihnen der Heigl verraten wurde. Dies war namentlich der Fall, als der Heigl im Rosenauer Häusl logiert hat, weiter auf dem Predigtstuhl, ebenso auf den Wiesen beim Stanglsteg in Hundzell und schließlich abermals am Predigtstuhl, wo sie zu sechst oder siebt gewesen, aber einen halben Tag lang hingestanden sind, ohne anzupacken.“ 170
Das waren harte Worte, und den Landshuter schmerzten sie mehr, als er es sich anmerken ließ. Er fragte weiter, ob die beiden Männer denn samt und sonders alle Gendarmen meinten. Da antworteten sie: „Einige von den jetzigen mögen dergleichen net ganz so viel an sich haben und sind vielleicht schneidiger. Allein deswegen wird doch net ausgewischt und verdrückt, was einmal gewesen ist, und wenn man schon immer schreit, dass die Zivilpersonen daran schuld sind, wenn der Heigl noch net gefangen ist, so muss man gerechterweise auch das sagen!“ „Ja, gut also!“ Hierauf wurde der Hohenwarther Schachtelmacher aufgerufen. Er erzählte, wie damals die Gendarmen im Pöschlhof gesucht hatten, während der Heigl im Inhäusl gesessen ist. „Na ja“, meinte der Kommissar, „das ist freilich eine peinliche Verwechslung gewesen, die da den Gendarmen passiert ist.“ „So – eine Verwechslung solls sein!?“, versetzte der Schachtelmacher hart. „Ist das dann auch eine Verwechslung gewesen, wie die Gendarmen nach zwei Wochen zu mir gekommen sind und mich angeschrien und geschlagen haben, weil ich ihnen angeblich eine falsche Angabe gemacht habe? Wollten sie da ebba den Heigl statt meiner schlagen? Es hat ihnen wohl gestunken, weil der Pöschlbauer ihr Heldenstückl den Leuten erzählt hat. Und dem Holzapfel haben sie es net anders gemacht.“ „Gut, der Holzapfel soll kommen!“ Der gab an: „Schon im Jänner heurigen Jahres ging hier das allgemeine Gerede, dass man die Gendarmen nach Gotzendorf geholt habe und dass sie dann in dem Haus daneben visitiert haben und der Heigl inzwischen 171
hintenaus davon ist. Das habe ich gehört und dann draußen in Straubing, wo ich allwöchentlich hinkomme, im Loichingerischen Bräuhause dem Gerichtsdienergehilfen Waas erzählt, als mich dieser fragte, ob denn der Heigl immer noch net gefangen sei. Durch den Waas wird dann der Inhalt meiner Erzählung nach Kötzting gekommen sein!“ „Gut, und war weiter etwas?“ „Freilich war noch etwas, und weil ich das eine gesagt habe, muss ich auch das andere sagen. Da ließ mich dann der Brigadier in das Lokal der Gendarmen kommen und sogleich plärrte er auf mich wegen der Äußerung in Straubing, und ohne dass er mich zu Wort kommen ließ, gab er mir ein paar Fotzen, das heißt, mit seiner Hand Schläge ins Gesicht, beutelte mich auch bei den Ohren und schimpfte mich einen Spitzbuben, der es mit dem Heigl halte.“ „Hm, hm!“ „Ich ging dann“, gab der Holzapfel weiter an, „und wo man über die Stiege herabkommt, stand ein anderer Gendarm, der mich ein paar Mal über den Rücken schlug, was er nur hauen konnte. Ich glaube, es geschah mit einer ledernen Säbelscheide, es kann aber auch ein Ochsenfiesel gewesen sein!“ „War dann noch etwas?“ Da gab der Holzapfel an: „Weil ich gar nie noch in meinem Leben was beim Gericht zu tun gehabt habe und auch nichts damit zu tun kriegen wollte, habe ich die Misshandlung net angezeigt und dachte, ich lass es gut sein. Der Mensch muss auch manches leiden und erdulden. Ich hätte auch nie eine Anzeige gemacht und überhaupt nix gesagt, wenn net die Frau, die bei den Gendarmen kocht, den Vorfall sogleich dem Fischer Huterer 172
erzählte hätte, durch den die Sache in Umlauf gekommen ist.“ „Pfui Teufel, das sind keine angenehmen Geschichten!“ Dem Landshuter wurde bei diesen Vernehmungen das Feuer, das ihn hergetragen hatte, merklich kleiner und lauer. Er hatte geglaubt, in Kötzting lauter brave dienstbeflissene Gendarmen und als ihren Peiniger einen unfähigen und gewissenlosen Landrichter zu finden. Aber nun verschob sich das Bild gerade ins Gegenteil. Nein, dieser würdig angesehene Herr von Paur war keines Tadels wert! Er hatte allen Grund, den Klagen der Gendarmen kein Gehör zu geben und erwies sich als vornehm genug, dass er ihr Verhalten nicht schärfer getadelt oder geahndet hatte. Auch darüber schrieb der Landshuter in seinem Bericht: „Der Landrichter zeigte ein achtunggebietendes, würdevolles Benehmen, Lebendigkeit und Rührigkeit, reges Gefühl für alles Gute und Schöne, innige Teilnahme gegen alle Mitmenschen und Liebe zum Herrscherhaus, die er auch dadurch bekundet hatte, dass er mit einem Aufwand von zwölfhundert Gulden aus seinem Privatvermögen den Ludwigsturm erbauen ließ. Der Landrichter genießt auch allseitig Sympathien, seine Biederkeit und Gradheit sind weitere Zeichen seiner vortrefflichen Person!“ Was aber sonst um den Landrichter herum war, brauchte eine gründliche Auskehr! Na ja, man würde es sehen. Im Vorzimmer saßen noch eine Reihe von Klägern, die mussten ebenfalls gehört werden. Indessen warteten in einem andern Zimmer die Gendarmen auf ihren Aufruf. Lange stierten sie stumm vor sich hin, aber allmählich tauten ihnen die Zungen auf. 173
Da schimpfte der Brigadier zu seinem Nebenmann: „Am liebsten würde ich dem Landshuter mein Kappl und meinen Säbel hinschmeißen und sagen: Leckts mich alle miteinander, ich geh jetzt Steinklopfen oder Holzhacken!“ Was der Brigadier frei heraussagte, war auch die Meinung seiner Mannschaft. Sie erwarteten sich von den Vernehmungen nichts Gutes. „Nun wirds der Landshuter aufschreiben, was die Hunde ihm angeben“, sagten sie, „und da wirds heißen, wir haben geschlagen, wir haben keine Schneid gehabt, als wir am Predigtstuhl vor dem Heigl gestanden sind. Aber keiner wirds angeben, dass es damals geregnet hat und dass die Zündkapsel nass und die Gewehre nicht mehr zu brauchen gewesen sind!“ Und wie sie es befürchtet hatten, so kam es zuletzt auch. Das Urteil über sie war schon gesprochen, ehe sie gehört worden waren. „Zwar kann nicht abgesprochen werden“, schrieb der Landshuter, „dass die Gendarmen teilweise mit Eifer am Werke sind, aber manche von ihnen zeigen doch eine erschreckende Unentschlossenheit und verstehen es nicht, beim Volke Vertrauen zu gewinnen. Es wird daher empfohlen, die vorhandenen Gendarmen alsbald zu entfernen und durch andere zu ersetzen, wobei das Kommando an den neuen Viechtacher Brigadier übertragen werden sollte!“ Ja seht, Leute, der Landshuter war schon ein Mann, und wenn er auch kein Herzog und Lanzenstecher war, so warf er doch sechzehn Mann mit einem einzigen Federstrich um. *
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Für den nächsten Tag war die große Ansprache angesetzt, zu der alle Bürgermeister, die Beigeordneten und Gemeindediener und sonst einige Personen geladen worden waren, die sich öfters an den Streifen beteiligt hatten. Es war für den Markt ein großer Tag, wie von allen Seiten die Geladenen zusammenströmten und sich zum Posthalter in den großen Tanzsaal begaben. Die meisten der hundertfünfzig Männer hatten an diesem kalten Märzmorgen bereits einen weiten Weg gemacht. Der Sporrer von Rittsteig, der mit zwei Gemeindebevollmächtigten und dem Gemeindediener gekommen war, musste schon um halb vier Uhr morgens von daheim aufbrechen. Die drei von Lam waren gar schon gestern Nachmittag hergefahren. Sie hatten Sorge, der Heigl könnte von der Sache erfahren haben und ihnen am Weg auflauern. Sie hatten zur Sicherheit auch ihre doppelläufigen Pistolen mit. Da lachte der Hastreiter von Warzenried auf die Angsthasen: „Enkere Schusseisen könnts enk rötzen! Auf wen wollts denn losdrucken? Der Heigl war sider einem Vierteljahr gar net da. Das wissen auch die drin beim Gericht – und deswegen machen sie jetza den ganzen Kramasuri.“ Die Männer hatten ihre Rösser im Wirtsstall eingestellt und sich dann eine heiße Wurst machen und eine Mass Bier bringen lassen. Wie sie sich hernach in dem warmen Saal niedersetzten und warteten, überkam manchen die Müdigkeit, und sie mussten aufpassen, dass sie nicht einnickten. Der Plöderl von Neukirchen beugte sich zum Kötztinger Rauchfangkehrer hin und fragte: „Ist ebba das der Landshuter, der vorhin beim Stiegenglander gestanden ist und die dicke Zigarrn in der Goschen gehabt hat?“ 175
Der Gefragte schüttelte den Kopf: „Kennst denn den net? Der ist doch der Müller, der Gerichtsdoktor, der das saftige Büchl drucken hat lassen. Kennst ihn denn net?“ Der Plöderl schüttelte den Kopf und fragte weiter: „Was ist das nachher für ein Büchl, weilst sagst, dass es saftig ist?“ „Gedichtl – weißt, solche Versl, bei denen man rot wird im Gesicht. Sie heißen ihn ja überall den Saumüller. Aber mir gfallen seine Versl. Ruck näher her, dann sag ich dir eins – es ist aber von den handsamsten, ein anderes trau ich mir net aufsagen, sonst könnts dort drent der Hohenwarther Kooperator hören. Also, lus: ,Des Nächsten Hausfrau hab ich noch mein Lebtag net begehrt! Ich hab net lang den Mann drum gefragt, ich habs der Frau gleich selber gsagt, dass sie mir lieb und wert!’“ Die beiden lachten aufeinander, und der Plöderl wollte gleich noch einen Vers hören. Aber da ging vorne die Tür auf. Der Landrichter kam herein und neben ihm der Landshuter. Ein paar Schreiber schwänzelten hinterdrein. Die Männer rumpelten von ihren Bänken auf, und als sie sich wieder setzten, wispelte der Rauchfangkehrer dem Plöderl zu: „Das andere Versl sag ich dir dann hernach.“ Gleich nachdem es im Saal ruhig geworden war, begann der Landshuter seine Rede, die er vor sich fertig auf dem Papier hatte: „Liebe Männer! Eine der wichtigsten Obliegenheiten einer tüchtigen Staatsverwaltung ist die Obsorge für die Beobachtung und Geltendmachung der Gesetze und die Sicherung des schuldigen Gehorsams denselben, in welcher Beziehung leider mehrfach begründete Klagen gegen einen Teil der Bevölkerung des diesseitigen Landgerichtsbezirkes laut werden mussten, welche Veranlassung gaben, dass die Hohe Königliche Regierung von Nieder176
bayern einen Spezialkommissar in meiner Person hierher abgesandt hat, um das Sachverhältnis an Ort und Stelle zu prüfen!“ Das war ein schwerer Satz, aber weil der Redner nicht an Stimme sparte, riss er seine Zuhörer darüber hinweg und packte dann die Sache direkt an: „Es ist euch, meine Männer, allen bekannt, dass der leidige Michael Heigl vor zehn Jahren aus der hiesigen Fronfeste entwichen ist und seitdem nicht mehr zu Verhaft gebracht werden konnte, wohl aber einer Reihe von Verbrechen und Vergehen dringendst verdächtigt wird. Es ist euch gleichfalls bekannt, dass von Seiten der Königlichen Regierung, des Landgerichts, sowie der Gendarmerie alles aufgeboten wurde, dieses gefährlichen Individuums habhaft zu werden, dass jedoch alle Bemühungen und Anstrengungen fruchtlos waren.“ Aha, dachten die Männer, da gaben sie sich selber ihr Fleißbillettl. „Jeder Vernünftige begreift“, fuhr der Landshuter mit gesteigerter Stimme fort, „dass die umfassendsten Maßregeln umsonst sind, wenn sich der Heigl einer ausgedehnten Unterstützung durch die Einwohnerschaft zu erfreuen hat, die es ihm leicht macht, im entscheidenden Augenblick zu entwischen und sich anderwärts herumzutreiben. Meine Männer, es sei hier ausdrücklich bemerkt, dass dieser Vorwurf nicht euch alle, sondern jene trifft, welche in dieser Beziehung eine Schuld tragen! Aber es muss wiederholt werden, dass sich bei einem Teil der Bevölkerung ein Geist des Ungehorsams gezeigt hat, der um so beklagenswerter ist, als man so gerne von den Bewohnern des Bayerischen Waldes, einem heiteren, braven Gebirgsvolk, nur Treuherzigkeit, Vertrauen zu 177
seinen Behörden, Sinn für Gesetz und Ordnung, Gehorsam vor dem Gesetz und Liebe und Treue zu unserm König und Herrn erwarten möchte!“ Ja ja, der Landshuter wusste schöne lange Sätze zu machen und verstand es, seine Sache auf einem hübsch verblümelten Teller zu bringen. Aber nun fuhr er fort: „Die ganze Angelegenheit hat jetzt einen von ihrem Ursprung ganz verschiedenen Standpunkt erreicht, und es handelt sich jetzt nicht bloß mehr um die Verhaftung eines Verbrechers, der dem Gesetze verfallen ist, sondern um den Ungehorsam eines Teiles der Bevölkerung gegen die Gesetze und Regeln des Staates. Und solcher Ungehorsam darf nicht länger geduldet werden! Der Staat hat in seiner starken Hand genug Mittel, um dieser Widerspenstigkeit zu begegnen und den Vollzug seiner Anordnungen zu erzwingen, die Ungehorsamen zu züchtigen, und wenn der hier im Lande herrschende Zustand sich nicht in kürzester Zeit ändern wird, so könnt ihr euch darauf verlassen, dass meinen mahnenden Worten die Strafe auf dem Fuße folgen wird!“ ‚Sakradi’, dachten die meisten, ‚jetzt wird er aber scharf! Wollen sie uns denn noch alle hinter Schloss und Riegel bringen, es sitzen eh schon genug in der Fronfeste und zu Ebrach.’ Dann fuhr der Landshuter fort: „Es besteht für mich kein Zweifel zu der Annahme, dass einerseits die Unterstützung des Heigl und andererseits die Furcht vor ihm die Schuld daran tragen, wenn man seiner bisher nicht habhaft werden konnte. Furcht vor einem Verbrecher aber ist das Schmählichste und Unwürdigste, was man sich von einem kernigen Gebirgsvolk denken kann. Ein solches Benehmen beweist, dass die Männer ihre Schuldigkeit gegenüber dem Staat 178
nicht kennen und beweist auch Mangel an Religion und festem Vertrauen zu Gott. Denn nicht Feigheit oder Furcht vor den Menschen, sondern nur die Macht und Gnade und der Wille des Herrn kann euch und eure Habe vor Nachteil und Schaden behüten! Glaubt ihr überhaupt, dass sich der Heigl durch den ihm gewährten Vorschub zu Dank verpflichtet fühlen kann? Dass ihm hiedurch ein guter Dienst geleistet wurde? – Mitnichten! – Wenn er imstande wäre, sein elendes Los nur ein wenig zu übersehen, so musste er klar erkennen, dass er klüger getan hätte, sich schon lange freiwillig zu stellen und die verdiente Strafe freiwillig zu leiden, als eine immer erbärmlicher werdende Existenz in der Freiheit vorzuziehen. Er müsste einsehen, dass gerade diejenigen, welche ihm Vorschub geben, schuld an seinem Elend sind!“ Ein paar nickten mit dem Kopf und dachten: ,Recht hat er ja, aber der Heigl wird es halt nicht einsehen wollen. Und wer möchte es ihm gleich sagen? Der Landshuter gewiss nicht! Der wird morgen wieder abfahren, und wenn der Heigl einen erschießt, hört und spürt er es nicht!’ Indessen holte der Kommissar zum Schluss aus und tönte mit selbstbewusster Stimme: „Ergreift so schnell als möglich die Gelegenheit, der ergangenen Aufforderung zu genügen, die Schmach und Schuld von euch abzuwaschen. Dies ist zuletzt auch das einzige Mittel, die teuere Exekutionsmannschaft fernzuhalten. Seid gehorsam dem Gesetze und beweist durch Befolgung der Gesetze die Liebe und Treue zu eurem König und Herrn, die ihr im Herzen tragt – und Gott wird euch schützen!“ Das war ein kräftiger Schluss, und wenn es im Ganzen 179
auch ein bisschen lang gedauert hatte, so machte es jetzt der Kötztinger Landrichter kurz und bündig. Er ließ sich den Mahnruf, aus allen Kräften an der Einbringung des Heigl mitzuhelfen, mit einem lauten „Ja!“ bekräftigen. Nun traten alle an den Tisch heran und unterschrieben auf dem Blatt, auf dem die Rede des Landshuters niedergeschrieben war. Als dann der Plöderl den Kötztinger Rauchfangkehrer stehen sah, ging er hin und raunte ihm zu: „Ich hab fein allweil an das saftige Sprüchel von dem Saumüller denken müssen – sag mir jetza das andere!“ „Ja, merk auf, es ist aus dem Gedichtl, wie der Doktor beim Beichten gewesen ist, da heißts: ,Was tuts mich denn lang fragen, wie oft i bei ihr gschlafen? Dös kunnt i nimma zammazählen, und täts mich gleich drum strafen. Am besten ists, wir rechnen so, dann sind wir gleich im reina: Im ganzen Monat sind vier Tag, da lasst sie mich net eina!’“ Beim Weggehen empfahl der Rauchfangkehrer: „Plöderl, das Büchl kaufst dir, und wenn dich die Wach auf dem Kaitersberg trifft, dann hast zum Zeitvertreib was zu lesen!“ „Du kämst mir grad recht“, antwortete der Plöderl, „den Heigl fangts enk schon selber! Zu uns kommt er net hinüber – und wir haben ihn auch net auslassen!“ Als die Männer in ihre Dörfer zurückfuhren, schrieb der Landshuter seinen Bericht fertig, den er der Regierung vorlegen wollte. Er erwähnte darin, dass bei seiner Ansprache sowohl der Hinweis auf Seine Majestät als auch die Androhung von Exekutionen sichtlich großen Eindruck gemacht hatten und dass zum Schluss vielen der Zuhörer Tränen in den Augen gestanden sind. Damit sah der Kommissar seinen Auftrag für glücklich 180
erledigt an, und wenn er seiner Regierung auch nicht den Heigl bringen konnte, so würde er doch einen ausführlichen Bericht vorlegen, der auf neunundvierzig Seiten angewachsen war und mit folgenden Worten endete: „Unter schlusslicher Vorlage der Liquidation der erlaufenen Kosten in Höhe von neunzig Gulden und siebenundvierzig Kreuzern mit der Bitte um deren gnädigste Genehmigung und Einweisung verharre ich in tiefster Ehrfurcht, Einer Hohen Königlichen Regierung untertänigster und gehorsamster Christoph, Königlicher Regierungs-Assessor.“ * Alle waren froh, als der Kommissar endlich wieder abfuhr. Einen Schnüffler hatte schließlich niemand gern im Haus. Dann dauerte es nicht lange, da kamen die neuen Gendarmen, und der Viechtacher Brigadier Andreas Suffa übernahm das Kommando. Die Kötztinger Station überließ er einem Wachtmeister, er selber zog nach Hohenwarth hinaus. „Dort bin ich dem Heigl näher“, meinte er. Er hatte dafür auch noch andere Gründe, aber die verriet er nicht. Dort draußen in Hohenwarth und Gotzendorf musste er nämlich möglichst viele Männer und Burschen für sich gewinnen, die sich dann an den Streifen beteiligen sollten. Die Kötztinger gingen eh von selber mit. Er verstand es bald mit den Leuten, ließ ihre Häuser nicht abvisitieren, sondern ging zu ihnen in die Stuben, als käme er nur zu Besuch, und sagte: „Schaut, Leut, es muss wieder Ruh und Fried werden da herinnen bei uns!“ 181
Gleich anfangs antworteten sie: „Nein, wir liefern den Heigl net aus! Wenn er am End geköpft wird, müsst man sich hernach Vorwürfe machen!“ „Es braucht ihn ja keiner ausliefern“, erwiderte der kluge Brigadier. „Wir wollen den Heigl gar net fangen, sondern bloß aus der Gegend vertreiben. Und wenn er merkt, dass ihm keiner mehr helfen will, geht er ganz von selber und schaut sich um einen andern Platz und fängt dann ein neues Leben an!“ Nun ja, dazu konnte man schließlich was tun, dachten die Männer und erklärten sich bereit, bei den Streifen mitzugehen, um den Heigl zu vertreiben. Dann suchte sich der Brigadier ein paar, die den Kaitersberg gut kannten. Das war einmal der Paul Hansl, der im Bräuhaus als Dienstknecht arbeitete, und dann der Inhäuselbub, der Stoiber Sepp. Die wussten am Berg jedes Loch und jeden Stein. Den Zuverlässigsten erklärte der Brigadier, wie sie bei einem Aufruf zu gehen hätten, damit der ganze Berg wie auf einen Schlag umstellt werden konnte. Der Landrichter bemerkte zufrieden, wie sich der Brigadier mit den Leuten abgab. Er selbst nutzte auch jede Gelegenheit, allen gut zuzureden und zu helfen, wo Hilfe notwendig war. Gleich damals, als der Landshuter Kommissar gekommen war, hatte er keine Freude mehr an seiner Stellung gehabt und war nahe daran, um seine Versetzung zu bitten. Aber nun wollte er bleiben und seine Pläne weiter verfolgen. „Und den Heigl – ja, den fang ich noch!“, sagte er dann einmal, als er mit ein paar Bekannten beisammen saß. Das hörte auch der Rosshändler, der ein paar Tage später den Heigl drüben im Böhmischen traf. „Michl, 182
druck dich!“, riet er ihm, „jetza ist noch Zeit, dass du gehst. Wenn sie dich einmal haben, ist es zu spät!“ Aber der Heigl lachte bloß und antwortete: „Dass sie mich fangen wollen, hört man schon seit zehn Jahren. Und ich furcht sie allesamt net, heut so wenig wie davor.“ „Michl, sei gscheit!“, mahnte ihn der Händler noch einmal, aber er redete vergeblich auf ihn ein. Als nach einigen Wochen die kalten Nebel auf die Erde niedersanken und der Winter nur mehr auf einer Zehe ganz oben am Berg stand, kam der Heigl wieder ins Kötztinger Gäu herüber. Der Bauer von Simmerleinsöd war mit seinen beiden Knechten oben an der Waldwiese und schlug mit ihnen die Stauden um. Da ging der Heigl mit seinem Dirndl auf sie zu und bettelte um Brot. Wie Hunde, die lange nichts mehr gehabt hatten, schlangen sie die dürren Stücke hinunter. „Es geht dem Heigl net gut“, erzählte dann der Bauer herum, „ich möcht in seiner Haut net stecken!“ Eines Tages holte man ihn samt seinen Knechten ins Gericht und fragte sie, warum sie den Heigl nicht gefangen hätten, da sie doch mit ihren Äxten und Beilen gut ausgerüstet gewesen wären. Weil sie keine ausreichende Entschuldigung vorbringen konnten, wurden sie wegen Außerachtlassung ihrer Bürgerpflicht bestraft. Der Bauer hatte gar fünfzig Gulden zu zahlen, und die beiden Knechte erhielten vierzehn Tage Arrest. Da fing das Schimpfen und Drohen wieder an: „Ist das noch eine Gerechtigkeit?“ Aber es waren nur mehr wenige, die dagegen die Faust erhoben. Der kleine Christoph hatte doch vielen die Schneid abgekauft. 183
* Es wurde Sommer, man sah und hörte nicht viel vom Heigl. Dann kam der 16. Juni 1853, und diesen Tag würde man sich gut merken. Da war am Abend zuvor der junge Auhofbauer mit seinem Dirndl zu den Wiesen am Regen hinuntergegangen. Man wusste ja, wie in den frühen Sommerwochen das junge Volk nicht mehr schlafen wollte. Überall war alles aufgeblüht, die Welt schien einem so frei und weit, dass man sich mittenhinein werfen wollte wie der Vogel, der zum Himmel auffliegt. Es wurde eine schöne Nacht, der Mond kam groß herauf, das Wasser im Bach spielte weißsilbern, und das Gras duftete wie Honig. Auf einmal sah der Auhofer von der drüberen Seite zwei Gestalten herankommen. Ganz langsam gingen sie über die Wiesen und wateten durch das Wasser. Wer konnte das jetzt um Mitternacht sein? Da erkannte er den Heigl und das Hütstempendirndl und sah, wie die zwei eine kurze Weil stehen blieben und hinaufschauten zu den Sternen, die wie lauter goldene Nägel herunterfunkelten. „Groß ist so eine Nacht!“, sagte der Heigl, hernach ging er mit dem Dirndl auf den Wald zu. Da erhob sich der Auhofer aus dem Gras, in das er sich ganz tief hineingeduckt hatte, und flüsterte: „Jetza lauf ich auf Hohenwarth und sags!“ Gleich holte der Brigadier die ganze Mannschaft zusammen, schickte Boten nach Kötzting und Lam und gab Anweisung, möglichst viele Streifer zu bringen. Über 184
vierhundert kamen zusammen, und gegen vier Uhr früh umschlossen sie den ganzen Berg. Der Paul Hansl und der Stoiber Sepp, die alle Schlupfwinkel kannten, gingen dem Gotzendorfer Haufen voraus. Da rumpelte hinter einem Felsen der Heigl auf, schaute verschreckt, sah fragend die beiden Burschen an und wusste nicht, wohin er sich wenden sollte. Sie gaben ihm ein Zeichen mit dem Kopf, aber nach der Seite, wo der große Haufen nachrückte. Auf einmal sah der Heigl die Kette der Streifer vor sich und merkte, dass nach keiner Seite eine freie Gasse war. Er sprang zurück, schlüpfte mit seinem Dirndl durchs Gebüsch und beide verkrochen sich darunter. Wie es sein sollte, kamen gerade die beiden Todfeinde des Heigl auf die Stauden zu: der Mühlbauer von der Haselstauden und der Voglbauer von Gotzendorf, der einen großen Hund bei sich hatte. Der Mühlbauer sah unter den Sträuchern zwei Füße herausschauen und schrie: „Bist ebba der Heigl?“ Und ohne eine Antwort abzuwarten, feuerte er auf etwa zwanzig Schritte eine Ladung Schrot ab. Das Blei verpuffte viel zu hoch, und der Heigl rumpelte auf der anderen Seite mit dem Dirndl hinaus. Sie wussten, dass es jetzt um ihr Leben ging und wollten mit verzweifelten Sprüngen nach oben ausbrechen. Weit hinter allen drein rannte der Brigadier, der die Kette der Streifer zusammenhielt. Als er oben den Schuss fallen hörte, ging es ihm durch und durch. „Heiliger Gott“, sagte er verzweifelt, „hat einer wieder net warten können?“ Er glaubte alles verloren und vertan. Durch den Schuss war aber der Hund des Voglbauern 185
munter geworden und bellend hetzte er dem Heigl hinterher. Der blickte sich um. „Jessas – das Hundsviech!“, schrie er und riss im Laufen das Gewehr herum. Aber er traf nicht! Noch einmal wandte er sich um und wollte einen Haken nach der Seite schlagen, da hatte ihn der Hund schon, packte ihn am Fuß und warf ihn nieder. Der Heigl kugelte sich, schlug mit dem Gewehr nach dem beißenden Tier, konnte sich seiner aber nicht erwehren. Von drüben rannten der Mühlbauer und der Voglbauer her. Noch im Liegen feuerte der Heigl auf sie und traf den Mühlbauer mit einem Preller an der Stirn. Und ehe er noch einmal aufkonnte, war der Voglbauer über ihm und warf sich auf ihn. In wenigen Augenblicken waren noch andere Männer da und packten den Heigl, wo sie ihn zu fassen kriegten. „Lassts mich aus!“, brüllte er mit ganzer Kraft. „Lassts mich aus – ich derschieß enk sonst allesamt!“ Der Voglbauer riss ihm das Gewehr aus der Hand, und als er sich immer noch nicht ergeben wollte und stieß und schlug und biss, drosch ihm der Bauer den Gewehrkolben über den Kopf, dass er taumelte. Ein paar Männer versorgten den Mühlbauer, dem das Blut über das Gesicht lief. Der Kötztinger Bader kam dazu und legte einen Verband über. Bald war der Brigadier mit gut hundert Mann da. Er legte dem Heigl Schellen an die Hände und Füße, nahm ihm das lange Messer aus dem Sack und griff ihn bis ans Hemd ab. Dreizehn Gulden und vierzig Kreuzer hatte der Räuber in der Tasche. „Wo ist das andere Geld?“, fragten ein paar. „Ich hab net mehr“, stöhnte der Heigl. Nicht weit von ihnen hatten sie auch das Räuberdirndl 186
hingeworfen. Vielleicht hätte sie in der großen Verwirrung noch entkommen können. Doch im entscheidenden Augenblick hatte sie nicht an sich gedacht, sondern wollte zu ihrem Mann laufen. Mit einem Holzprügel schlug sie einer nieder, ehe sie zu ihm kommen konnte. Der Brigadier schaute auf die Uhr. Gerade war es sieben. Die Sonne schien schon in aller Früh heiß und stechend herunter. Hart hatten sich alle abgeschunden, doch danach fragte jetzt keiner mehr. Sie standen um den Heigl herum, der am Boden hockte und den Hut weit in die Augen hereingezogen hatte. Dann rissen sie ihn in die Höhe. „Jetza los!“ Es ging nur langsam voran, in den Fußschellen konnte man nur kleine Schritte machen. Einmal schaute er auf sein Dirndl zurück, das sie hinter ihm her brachten. Auch ihr hatte man Schellen an die Arme gelegt. Er nickte ihr zu. Was sollte das bedeuten? Nahm er schon Abschied von ihr? Als sie auf die Holzzieherbahn kamen, die steil gegen den Regen hinabfiel, bäumte sich der Räuber einmal auf, riss sich mit aller Kraft los, stieß ein paar neben sich nieder und warf sich dann wie ein Hecht über den Hang hinunter. Er schlug auf den Boden, kugelte wie ein losgewordenes Blochholz und arbeitete dabei mit verzweifelten Stößen. Er achtete nicht darauf, dass er sich an den Baumstrunken die halbe Hose herabriss und sich Stirn und Knie aufschlug. Auf solche Weise war er den Gendarmen schon einmal ausgekommen, als sie ihm schon die Hände gefesselt hatten. Aber damals hatte er die Füße frei, und da fiel es ihm leicht, aufzustehen und fortzurennen. Damals hatte er auch nur drei Mann gegen sich, jetzt aber waren es so viele. 187
Gleich stürzte ein ganzes Rudel hinter ihm den Hang hinunter, dann packten sie ihn an den Schultern und Füßen und trugen und schleiften ihn zurück auf den Weg. Als sie nach Hohenwarth kamen, liefen die Weiber und Kinder aus allen Häusern zusammen. Sie schauten auf den angeketteten Räuber wie auf ein wildes Vieh, aber kaum einer sprach ein lautes Wort. Es war beinahe wie bei einer Leich, und die Leute spürten auch, dass jetzt etwas tot und kalt wurde. Der Brigadier ließ zwei Wagen fertig machen, darauf brachte man die beiden Gefangenen nach Kötzting. Kaum einmal war um einen Menschen so viel Geschau und Gelauf gewesen. Da kam auch der Schmied her, aber diesmal traute er sich nicht mehr, dem Gefangenen nach der Uhr in den Sack zu greifen. Auch der Gulder stand wieder an der Straße. „Ja“, sagte er, „diesmal habts den Richtigen – das ist der Heigl!“ Der Brigadier sorgte dann noch dafür, dass der Heigl in der Fronfeste gut angehängt wurde, und erst, als die Posten bei der Zellentür und draußen vor dem Fenster aufgezogen waren, ging er heim und schrieb einen eiligen Bericht an den Landshuter Hauptmann. Groß und mit einem weitausgeholten Schwung setzte er seinen Namen unter das Schriftstück. Und die Hand zitterte ihm dabei. * Schon am übernächsten Tag traf der Hauptmann in Kötzting ein und wollte die sichere Verwahrung des Räubers selber überprüfen. „Wir haben ihn schon gut angehängt“, versicherte der Keuchenmeister, „diesmal kommt er uns nimmer aus!“ 188
Man hatte den Heigl in die Zelle neben dem Zimmer des Aufsehers gebracht. Darin lag er Tag und Nacht auf der Pritsche, hatte Handfesseln, die an der Mauer angeschmiedet waren, und war zusätzlich mit starken Fußschellen gefesselt, von denen weg eine lange Kette durch ein Loch in der Wand in das Zimmer des Aufsehers führte. „Wenn er sich rührt“, erklärte der Keuchenmeister, „so hören wir es drüben, auch wenn er sich nur auf die andere Seite kehrt. Und dann schau ich sogleich nach ihm.“ Vor der Tür stand Tag und Nacht ein Posten, der allstündlich in die Zelle ging und die Fesseln überprüfte. Außerdem wurde bei Nacht noch eine Wache draußen vor dem Fenster postiert, damit der Gefangene von draußen her keine Hilfe bekommen konnte. Der Hauptmann war sehr zufrieden. Dennoch riet er, den Heigl sobald als möglich in die Straubinger Fronfeste zu bringen. Dort gab es eine Turmzelle, aus der selbst der gefährlichste Ausbrecher nicht entweichen konnte. Dem widersetzte sich aber der Assessor Dr. Schmid, der die Vernehmung des Räubers durchführte. „Wie soll ichs denn machen“, erklärte er, „es sind mehr als fünfhundert Zeugen zu hören, die Akten sind anderthalb Tisch hoch. Dazu brauch ich den Heigl hier, ich kann nicht jeden zweiten Tag auf Straubing fahren!“ Ja, freilich, der Heigl war kein einfacher Fall, das war richtig. „Vielleicht aber kann ich die Voruntersuchung schneller als gedacht abschließen“, überlegte der Assessor. „Der Heigl zeigt sich ruhig, gibt auf alle Fragen eine anständige Antwort und ist in allem das Gegenteil von dem, was man erwartet hat. Nein, er führte sich nicht auf wie ein wilder Bär, im Gegenteil!“ 189
„Hm – ja“, meinte der Hauptmann, „ich würde gerade deswegen äußerst vorsichtig sein. Wer weiß, ob er nicht auf einen günstigen Augenblick wartet? – Was wirds denn mit ihm werden?“, fragte er und fuhr sich mit der Hand über den Hals. „Man kann noch nichts sagten“, erwiderte der Assessor. „Knapp stehts ihm jedenfalls. Sein Kopf wackelt!“ Gut, man ließ ihn also erst einmal in Kötzting. Ehe der Hauptmann nach Landshut zurückfuhr, ließ er alle Gendarmen und die Gerichtsdiener antreten und gab ihnen die scharfe Anweisung, die Überwachung mit genauester Sorgfalt vorzunehmen. „Sollte der Heigl infolge Gleichgültigkeit oder Nachlässigkeit wiederum entkommen, so haften die Schuldigen für sämtliche Kosten, die für seine Wiederhabhaftmachung entstehen würden. Verstanden?!“ „Jawohl“, riefen die Männer. „Und noch einmal: für sämtliche Kosten. Verstanden?!“ Abermals riefen sie: „Ja!“ Als der Hauptmann dann in den Wagen stieg, rief er dem Brigadier noch zu: „Und verkauft gleich die Hunde, die Fanghunde. Sie haben ohnehin nur Scherereien gemacht!“ „Jawohl!“ Dann fuhr der Wagen ab, und der Staub wirbelte hinter den Rädern auf und machte eine langgezogene Wolke über die Straße. * Zehn Jahre lang war der Sturm über die Kötztinger Gegend gefegt. Nun war es auf einmal still geworden. Die Leute schauten durchs Fenster: „He, Nachbar – will sich nichts mehr rühren?“ 190
Niemand wusste, welche heimlichen Freunde und Helfer der Heigl gehabt hatte, um so mehr traute man ihnen zu. Hatte ihm nicht sogar der Teufel manchmal geholfen? Warum also konnte es nicht mittendrin einmal rumpeln? Dem Heigl passte scheinbar das lange Hinwarten auch nicht. Er wehrte sich gegen die Art seiner Gefangenhaltung und ließ eine Beschwerde schreiben. Er könne nicht Tag und Nacht auf der harten Holzpritsche liegen. Die Fesseln wären ihm zu schwer. Er wolle bei Nacht schlafen, das werde ihm aber unmöglich gemacht, wenn die Zelle allstündlich abvisitiert wurde. Der Gerichtsdoktor gab ihm recht. „Dem wildesten Stier hängte man nicht so viel Eisen an“, sagte er, „halb so viel reicht überallhin.“ Auch der Untersuchungsrichter stimmte zu und schlug vor, dass die schweren Fesseln und Springer wenigstens zum Teil beseitigt werden sollten, zumal sich der Gefangene bisher ganz ruhig verhalten und zu keinen Klagen Anlass gegeben hatte. Als der Landshuter Hauptmann davon hörte, schrieb er sogleich an die Regierung hinüber: „Es wird mit allem Nachdruck gegen irgendwelche Erleichterungen protestiert, da sonst für die Folgen einer solch schlecht angewendeten Humanität nicht gutgestanden werden kann. Der Heigl ist zu schlau und mag gerade durch sein ruhiges Verhalten und seine Bereitwilligkeit zu Auskünften Mitleid und Vertrauen erwecken, um dadurch seine Fluchtpläne besser verwirklichen zu können.“ Der Landrichter sah wohl auch, dass man zu hart zu dem Räuber war, dennoch riet er von irgendwelchen Erleichterungen ab, da die Fronfeste zu schwach und unzweckmäßig gebaut wäre. Der Heigl musste also weiter in schwerem Eisen liegen. 191
Als ihm einmal der Gerichtsdiener das Essen brachte, hörte er durch die offene Tür von der Gasse her den Schmied schlagen. Da bat der Heigl den Gerichtsdiener: „Geh, hol den großen Hammer und schlag mir damit den Schädel auseinander, dass das Hirn bis an die Weißdecke spritzt – dann ist ein End! Das schnelle Verrecken tut net so weh als das langsame!“ Die Hohenwarther Gendarmen waren nun abgerückt. Die Bauern waren darüber froh. Als ihnen die neue Rechnung mit über siebenhundert Gulden vorgelegt wurde, liefen sie wieder zum Advokaten, der ein Gesuch an den König richten musste. „Diesmal könnte uns der König das Geld doch schenken“, sagten die Bauern, und der Advokat suchte schöne Worte zusammen: „Könnten Euere Majestät“, formulierte er, „in die raucherfüllten Hütten der Mehrzahl der Bewohner dieses so ärmlichen Landstrichs sehen, so würde der Anblick der an Not grenzenden Ärmlichkeit gewiss einen Akt der Gnade herbeiführen! Die Aufbringung einer so ungeheuer großen Summe muss den betroffenen Gemeinden um so schwerer fallen, weil die hiesige Gegend zu den unfruchtbarsten des ganzen Königreiches zählt. Der Genuss von Fleischspeisen oder von Bier ist hier nur an hohen Festtagen bekannt, dagegen Haberbrot und Kartoffeln die übliche Nahrung!“ „Ja, das ist schon richtig“, sagten die Waldler, „aber schreib fein auch, dass wir den Heigl gefangen haben!“ Der Advokat fuhr also fort: „Ein weiteres Motiv, die Exekutionskosten allergnädigst zu erlassen, dürfte unzweifelhaft in dem Umstände liegen, dass die mit der Aufbringung des Geldes bedrohten Gemeinden in der 192
Überzeugung leben, dass sie ihrerseits alles getan haben, was zur Ergreifung des Heigl dienlich war. Zu den mehrmaligen Streifen hatten sich alle wehrfähigen Männer gestellt, und schließlich waren es nicht die Polizeiorgane, sondern unerschrockene Männer der hiesigen Gegend, die den Heigl überwältigt haben!“ Die Bauern nickten mit den Köpfen und waren sich darüber einig, dass dieses Schreiben den König bis ins Innerste rühren und gnädig stimmen müsste. Aber der König ließ nicht mit sich handeln, und sein Minister sagte es den Waldbauern schon deutlich. Dass eben durch ihre jahrelange Unterstützung des Räubers diese hohen Kosten erwachsen wären. Daran ändere sich auch nichts, wenn der Heigl nun gefangen worden war. Trotzdem probierten es die Bauern noch ein zweites Mal, und diesmal fand der Advokat besonders schöne Worte und begann das Gesuch mit dem Satz: „Die herrlichste und freundlichste Perle in der Krone Euerer Königlichen Majestät ist das Recht der Begnadigung, diese Perle ist von Gott in die Krone Euerer Königlichen Majestät eingesetzt!“ „Sakrisch“, sagten die Bauern, „das hast ihm aber gut hingerieben. Ja, du bist halt ein Studierter und hast andere Einfälle als unsereins.“ Und der Advokat baute dann auch an den Schluss einen besonders wirkungsvollen Satz und schrieb: „Unsere Berge werden widerhallen von der Freude, Gnade bei unserem angestammten König gefunden zu haben!“ Aber der König hörte auch darauf nicht. Es musste gezahlt werden. „Er muss schon ein blutarmes Manderl sein“, sagten die Waldbauern. „Vielleicht derleben wirs, dass er ein193
mal zu uns hereinkommt, dann schenken wir ihm extra ein Kreuzerl!“ * Der Brigadier Suffa war nun nach Kötzting hereingezogen. Er schaute fleißig nach dem Heigl und horchte auch draußen herum. Da entdeckte er eines Tages zu seinem allerärgsten Schrecken in dem Stadel, der nahe bei der Fronfeste stand, ein paar Kisten mit Pulver. Er sah auch Schnüre am Boden liegen, die er für Zündvorrichtungen hielt. In der größten Eile schrieb er an den Landshuter Hauptmann: „Es handelt sich um nicht weniger als sieben Zentner eines hochgefährlichen Zünd- und Sprengstoffes, und es ist für mich ohne Zweifel, dass dieser für die Befreiung des Heigl hergebracht wurde. Es gibt ja in Kötzting und in der Umgebung genug Leute, denen nach meiner Meinung an der Befreiung des Gefangenen viel gelegen ist!“ In ganz Kötzting wollte zunächst niemand etwas von dem Pulver wissen. Auch der Kaufmann Windorfer, dem der Stadel gehörte, stritt es ab. „Es ist die allerhöchste Zeit“, schrieb sogleich der Brigadier an seinen Hauptmann, „dass dieser gefährliche Mensch Heigl endlich einmal aus den Gauen Kötztings weggeschafft wird.“ Es mochte ihm nicht ganz wohl bei dem Gedanken gewesen sein, der Heigl könnte eines Tages doch noch auskommen. So was ging einem nach bis in den Schlaf, und dann stöhnt man, als hätte man einen Zentnerstein auf der Brust liegen. Schließlich aber klärte sich die Sache mit dem Pulver 194
auf. Der Kaufmann Windorfer gab endlich zu, das Pulver heimlich gekauft und in seinem Stadel gelagert zu haben. Er habe aber für einen solchen Handel keine Erlaubnis gehabt und deswegen habe er es geleugnet. Die am Boden liegenden Schnüre erwiesen sich nur als gewöhnliche Zuckerschnüre, die als Zündvorrichtung keinesfalls geeignet waren. Der Landrichter beruhigte dann auch den Landshuter Hauptmann und versicherte ihm, dass er sich persönlich sehr eifrig um die Verwahrung des Heigl annehme. Er habe nunmehr einen pensionierten Militärsmann als besonderen Gefangenenwärter für den Heigl angestellt. Es hieß in dem Bericht auch, „dass in den unteren Volksschichten von irgendeiner Äußerung der Teilnahme am Schicksal des Heigl nichts erforscht werden konnte. Die Volksstimmung ist vielmehr allgemein dahin gewendet, dass man froh ist, weil sich der Heigl endlich in sicherem Gewahrsam befindet.“ Derweil hatte sich der Assessor Schmid mit der Verhörung auch recht beeilt, und am 1. September brachte man den Heigl fort. In ganz Kötzting wusste kaum ein Dutzend Leute davon. Um halb vier in der Früh spannte der Posthalterknecht ein und fuhr mit dem Leiterwagen, auf dem ein Schübel Stroh lag, zur Fronfeste. Dort wartete schon der Brigadier mit sechs Gendarmen. Sie waren alle müde wie abgehetzte Hunde. Seit einer Woche waren sie Tag und Nacht auf Stillwache gewesen und hatten hinter der Fronfeste und an der Straße gegen Straubing hinaus herumgehorcht und alle Gräben und Durchlassrohre abgesucht. Aber es war weit und breit nichts zu sehen und zu hören gewesen. Ohne einen Knarzer ging die Tür auf. Sie brachten den Heigl heraus, der an Armen und Füßen gefesselt war. Als 195
sie ihn auf den Wagen legten, fragte er bitter: „Gehts heut auf die Straubinger Wallfahrt? Zu was für einem Heiligen bringts mich denn hin?“ Dann stiegen die Gendarmen hinauf und rückten auf den beiden Sitzbrettern zusammen. Drei vorn, drei hinten. Die Kötztinger schliefen noch, als der Wagen über den Marktplatz und hinaus nach Straubing fuhr. Eine Weile war es noch stockfinster, dann wurde es in der Höhe ein wenig hell. Der Kaitersberg spannte sich einen rosaroten Bogen um den Gipfel. Der Heigl schaute lang darauf hin, dann aber drehte er den Kopf nach der anderen Seite. Jetzt war alles aus. Gegen Mittag waren sie draußen in Straubing und lieferten den Räuber wohlbehalten in der Fronfeste ab. Derweil hob in Kötzting ein anderer Tanz an. Nun stritten sie sich um das Fanggeld. Der Mühlbauer von der Haselstauden glaubte das erste Anrecht auf die zweihundert Gulden zu haben. Er hatte den Heigl aus dem Gebüsch aufgesprengt und dafür auch ganz schön einstecken müssen, sein Leben hatte er riskiert! Über drei Monate hatte er an der Verletzung zu leiden gehabt und war nun dem Bader, dem Doktor und Apotheker achtundfünfzig Gulden und zwölf Kreuzer schuldig. „Ist alles gut und recht“, meinte dagegen der Voglbauer, „aber was war denn gewesen, wenn nicht mein Hund den Heigl niedergeworfen und ich ihm zuerst das Knie in den Bauch gesetzt hätte?“ Auch die beiden Bürgermeister von Gotzendorf und Arnsdorf meldeten sich zu Wort und gaben an, sie beide hätten den Heigl erst überwältigt und seine Fesselung durch die Gendarmen möglich gemacht. 196
Das war nun eine harte Nuss! Jedermann wusste, dass zweihundert Gulden in einer Hand ein ganz schönes Geld waren. Wenn die Summe aber in viele Teile zerrissen wurde, hatte zuletzt keiner was davon. Am schnellsten tröstete sich der Paul Hansl. „Soviel krieg ich schon“, sagte er, „dass es zu einem Fetzenrausch langt, und auf den freu ich mich!“ Schließlich erledigte das Ministerium alles auf einen Schlag und teilte Geld und Gnaden aus: Als erstem wurde dem Landshuter Hauptmann Freiherr von Frays für die von ihm erteilten zweckmäßigen Anordnungen die lobende Anerkennung ausgesprochen. Dem Brigadier Andreas Suffa wurde für seine zweckmäßigen und mit seltener Umsicht und Ausdauer geleisteten Dienste die besondere Anerkennung zuteil. Aber wer sollte nun das Geld kriegen? Es wurde zu gleichen Teilen dem Mühlbauer von der Haselstauden und dem Voglbauern von Gotzendorf zugesprochen, die mit persönlichem Mute und unter Lebensgefahr die Arretierung des Heigl bewirkt hatten, wofür ihnen auch noch das besondere Wohlgefallen ausgedrückt wurde. „Das Wohlgefallen können sie sich behalten“, sagte der Vogl, „das Geld ist mir lieber!“ Ja, aber das konnte noch dauern. Man wusste es noch vom Maulaffenhiasl her, dass zuvor ein rechtskräftiges Urteil vorliegen musste. Darüber hinaus erhielten der Paul Hansl und der Stoiber Sepp, die die Schlupfwinkel des Räubers ausgekundschaftet hatten, sowie der junge Auhofbauer, der ebenfalls wesentlich bei der Einbringung des Räubers mitgewirkt hatte, eine Extrabelohnung von je zwanzig Gulden, die auch sofort ausgezahlt werden konnten. 197
„Das gibt schon den richtigen Rausch“, sagte der Paul Hansl und lachte. Enttäuscht aber strich der Auhofbauer die zwanzig Gulden ein und meinte: „Wenn ichs net gesagt hätte, dass der Heigl dem Berg zugegangen ist, war er net gefangen worden!“ Und endlich wurden auch noch die achtundfünfzig Gulden und zwölf Kreuzer bewilligt, damit der Mühlbauer seine Arztkosten bezahlen konnte. * Fast ein ganzes Jahr verging, bis dem Heigl beim Straubinger Schwurgericht endlich die Rechnung gemacht wurde. Nie zuvor hatte man bei einer Verhandlung so viele Leute gesehen. Der Zuhörerraum war lange vor der Zeit bis auf den letzten Platz gefüllt. Aber immer noch drängte und schob die Menschenmenge über die Treppe hinauf. Der Gerichtsdiener, der oben vor der Saaltür stand, wusste sich kaum dagegen zu wehren. „Seids doch gscheit“, schrie er über alle hin, „ich kann keinen mehr einlassen!“ Da begehrten die aus der Kötztinger Gegend auf: „Himmelherrgott, jetza sind wir zehn Stunden weit hergelaufen und sollen wieder heimtappen wie die unverkauften Ochsen? So werfts die Straubinger aus dem Saal hinaus, hernach ist gleich Platz für uns. Ist der Heigl leicht aus der Stadt?“ Ja, da kam jetzt heraus, was man damals dem Landshuter Kommissar nicht zugeben wollte. Der Heigl war schon einer von den Kötztingern – oder genauer: einer 198
von Auwasser und Zellertal, wozu freilich Kötzting mitgezählt werden musste. Als dann der Gerichtsdiener noch herunterschrie: „So wartet halt, bis der Heigl geköpft wird, da können dann alle zuschauen. Auf dem Hagen draußen ist Platz für ganz Kötzting!“, da schrien sie dagegen: „Der Kopf ist ihm noch net abgesprochen – tuts ihn nur net schon dervor hinmachen!“ Aber was half das Schreien? Am Ende verloren die Wartenden doch die Geduld und gingen. Es war nur gut, dass zur selben Zeit der Petersmarkt war, da waren am Stadtplatz die Dultstände aufgestellt, da gab es was zu schauen und zu kaufen. Beim unteren Tor stand der Drehorgelmann. „Leutl, kommts und lusts auf das Liedl. Kennt ihrs? Es ist die Moritat vom Räuber Heigl, und die geht so: 1. Im Wald am Kaitersberg, bummbumm, da geht der Räuber Heigl um, er lurt auf Weiber und aufs Geld, das ist ihm ‘s Liebste auf der Welt. Lump und Bazi, Räubersgsell, etzawell, etzawell packt der Gendarm dich auf der Stell. 2. Da hat verurteilt ihn das Gericht, die Strafe passte ihm gar nicht, drum wischt er durch die Tür hinaus, und bis mans sieht, ist er schon drauß. Lump und Bazi, Räubersgsell, etzawell, etzawell lupf den Arsch und lauf nur schnell!
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3. Er steckt sich dann ein Messer ein und schleicht den Leuten hinterdrein, die murkst er einfach eiskalt ab und schaufelt sich damit sein Grab. Lump und Bazi, Räubersgsell, etzawell, etzawell kommt das letzte Ende schnell. 4. Und eines Tags hams ihn gehabt, im tiefen Walde aufgeschnappt. Sein Ende sieht man hier ganz klar, als um den Kopf er kürzer war. Lump und Bazi, Räubersgsell, etzawell, etzawell kimmst zum Teufel in die Höll!“ Inzwischen brachte man den Heigl oben beim Gericht in den Saal. Er war wieder an Armen und Füßen gekettet. Zwei Polizisten gingen an seiner Seite und hinterdrein waren zwei mit aufgepflanztem Gewehr. Als er hereinkam, sagte er zu seinen Begleitern: „Tuts mir den Hut ab, ich kann ja net!“ Und als sie schnell hingriffen, setzte er hinzu: „Aber lassts mir fein den Kopf noch droben!“ Dann führten sie ihn zur Bank, und als er sich gesetzt hatte, nahmen sie ihm die Fußschellen ab und legten seinen Hut nebenhin auf die Bank. Er schaute darauf hin, und in seinen Augen glänzte was wie eine lustige Erinnerung. Ja, so war auch damals in Kötzting sein Hut neben ihm gelegen, als er dann aufgestanden und gegangen war! Nun brachten sie den Raimer und den Zitzelsberger. Wisst ihr noch? Da saßen die drei jetzt wieder bei200
sammen wie anno siebenundvierzig, als sie den Pfingstlreiter machten und der Heigl schrie: „Merkts enk das Jahr. Da ist dem Teufel sein Junger der Pfingstlreiter gewesen!“ Nun war Pfingsten vorbei, und was nach Pfingsten kam, das hatte seine schönste Zeit schon gehabt. Zuletzt brachten sie noch die zwei Räuberdirndl, die rotangespitzte Katz und das Hütstempendirndl. Der Heigl lachte auf das Gruberdirndl hin. Jetzt war das Ende da, von dem sie einmal geredet und vor dem es ihr gegraust hatte. Aber sie musste dabei sein. Hernach wandte er sich gegen die andere Seite des Saales, wo die Zuhörer saßen. Vorne saßen ein paar, die fleißig schrieben, das waren die von den Zeitungen. Einer davon war der Maximilian Schmidt aus Eschlkam, den sie den Waldschmidt nannten. Er schrieb Gedichte und Geschichten für den Kalender und hatte sich im Herfahren geäußert, er wolle einen Roman über den Heigl verfassen, eine schöne Geschichte von einem Liebespaar, die dann der Heigl erschießen musste. So was gefiel den Leuten, und das lasen sie gerne. Oft schaute der Schmidt herüber und kritzelte in sein Notizbuch: „Der Heigl ist über sechs Fuß groß, von untersetztem muskulösem Körperbau und achtunddreißig Jahre alt. Nichts von seinem Äußeren verrät sein böses Handwerk. Seine Gesichtszüge sind im Augenblick der Ruhe mehr einnehmend als abstoßend. Unter einer hohen, gewölbten Stirn blitzt ein lebhaftes Auge hervor. Seine Nase ist gebogen, sein Mund ziemlich groß, aber wohlgeformt, und um seine starken Mundwinkel spielt ein Humor verratendes Lächeln. Dieser gewinnende Ausdruck des blassen Gesichtes verschwindet aber, sobald es innere Aufregung 201
zeigt. Alsdann bekommt sein Blick etwas Dämonisches. Dadurch, sowie durch seine körperliche Kraft, durch seine List und Verwegenheit hat er einen Teil der Einwohner zehn Jahre lang in Schrecken gehalten. Andrerseits hat er sich durch seine Freigebigkeit viele Freundschaften erworben, hauptsächlich unter dem ärmsten Volk. Eben darum, sowie durch die örtliche Beschaffenheit des Terrains, welches durch seine fast undurchdringlichen Wälder, durch seine vielen Höhlen und Klüfte ihm sichere und fast unzugängliche Schlupfwinkel bot, war es ihm möglich, den eifrigen und vielen Versuchen der Sicherheitspolizei zehn volle Jahre zu trotzen!“ Inzwischen waren auch die fünf Advokaten gekommen, die für die Angeklagten vom Gericht bestellt worden waren: Für den Heigl würde der Rechtspraktikant von Stubenrauch sprechen, für den Raimer der Akzessist Flurl. Und endlich kam auch der hohe Gerichtshof, der Präsident Persch mit fünf Richtern und den zwölf Geschworenen. Die Schreiber hatten die hohen Aktenstöße am Tisch aufgebaut, daraus nahm nun der Staatsanwalt Maier einen kleinen Packen heraus und las die Anklage ab. „Seit dem Jahre 1841“, so hob das Sündenregister an, „sind gegen den Angeklagten Michl Heigl dreiundsechzig Untersuchungen anhängig gemacht worden, darunter siebenundvierzig wegen Verbrechen, wobei sich fünfzehn Fälle von Raub befinden. Ein sehr erheblicher Teil dieser Fälle wurde jedoch während der Voruntersuchung aus Mangel an Beweisgründen oder weil sie wegen Geringfügigkeit ohne Einfluss auf die zu erwartende Strafe sind, fallengelassen, so dass das jetzige Verfahren folgende Fälle umfasst: drei Verbrechen des Raubes vierten und höchsten Grades, zwei Verbrechen des Raubes drit202
ten Grades, ein Verbrechen des nächsten Versuches zum Verbrechen des Mordes in idealer Konkurrenz mit dem Verbrechen der Körperverletzung sowie ein Verbrechen des nächsten Versuches zur Tötung und schließlich drei Fälle des ausgezeichneten Diebstahls!“ Recht breit und, wo es anging, noch mit besonderem Nachdruck las der Staatsanwalt die Anklageschrift ab. Es kam einem vor, als habe er dabei den Lumpen am Krawattl und als treibe und stoße er ihn nun durch eine Gasse von Gaffern. Da wurde es auf einmal hinten auf den Zuhörerbänken still, man hörte keinen Huster und keinen Schneuzer, und bei manchem sah man, wie ihm der Kopf rot anlief. „Mein Gott“, dachte die Posthaltermutter, „konnte denn ein Mensch so viel anstellen in seinem Leben?“ Der Heigl saß indessen schier erbarmungswürdig da, stierte vor sich in den Boden hinein und biss sich auf die Lippen. Ja, Freunderl, jetzt ging es nicht mehr bloß um die Sackuhr, und jetzt war es auch kein Spatzenschießen mehr! Hört nur, was sie ihm alles aufs Gesicht zusagten: „… wird beschuldigt, in Verbindung mit noch einem in die Irlmühl eingedrungen zu sein und nach Misshandlung der Santlschen Eheleute Geld und Effekten von beiläufig hundert Gulden Wert entwendet zu haben, worunter sich auch ein Augsburger Taler und eine schwarzbeinerne Spieldose befunden hatten, die dann bei dem Mitangeklagten Zitzelsberger zu Maierau aufgefunden und von diesem als dem Heigl gehörig bezeichnet wurden. Der Verdacht der Mittäterschaft richtet sich gegen den Mitangeklagten Raimer, der bald nach dem Überfall gelegentlich einer Tanzmusik zu Neukirchen auffallend viel Geld gezeigt hat!“ 203
„Bins net gewesen“, sagte der Heigl. „Bin nie net in meinem ganzen Leben in der Irlmühle gewesen. Und was der Zitzelsberger sagt, das ist net wahr!“ Auch der Raimer leugnete. Der Präsident nutzte die Gelegenheit und redete dem Heigl und den übrigen Angeklagten ins Gewissen: „Das Leugnen wird keinem nützen, im Gegenteil! Das Gericht wird bei der Festsetzung des Strafmasses nicht unberücksichtigt lassen, inwieweit sich die Angeklagten zu ihren Taten bekannt haben.“ „Ich brauch eine solche Lehr net“, erwiderte der Heigl trotzig. „Wo ich was ausgefressen hab, da steh ich auch dafür ein. Und ich täts auch sagen, wenn ich in der Irlmühl gewesen war!“ Nun das nächste Blatt: „… wird zweitens beschuldigt, an einem Sonntagvormittag mit geschwärztem Gesicht und bewaffnet mit einem Gewehr in der Simmerleinsöd durch den Kuhstall eingedrungen zu sein und die allein im Haus befindliche Katharina Dachs zu Boden geworfen und mit dem Tode bedroht zu haben, wenn sie ihm nicht verrate, wo das Geld sei. Nachdem sich die Frau nicht mehr zu helfen gewusst und es gesagt hat, nahm der Täter aus dem Kasten elf Gulden sowie einen Ablasspfennig und ein goldenes Ringlein und erbrach hierauf noch zwei weitere Kästen und entwendete daraus mehr als tausend Gulden. Als er noch einen andern Kasten aufbrechen wollte, sagte die Dachs, der gehöre ihrem Bruder, und der habe kein Geld und sei bloß der Knecht im Haus. Darauf ließ der Täter von der gewaltsamen Aufbrechung ab mit den Worten: ,Nun, so lassen wirs, der Hansl ist ein armer Bursch!’“ „Bins net gewesen“, sagte wieder der Heigl, „und die Dachs wirds auch net behaupten können.“ 204
Als sie aufgerufen wurde, erklärte sie, dass sie den Heigl trotz des geschwärzten Gesichtes erkannt habe. Er sei auch zuvor schon ein paar Mal im Hause gewesen und habe daher die Kästen gewusst und die Verhältnisse gekannt. „Bins net gewesen!“, stritt der Heigl nochmals ab, „und die Dachs ist manchmal net ganz heil im Kopf, das weiß ich schon aus meiner Bubenzeit!“ „… ist drittens beschuldigt, im sogenannten Pritzlhäusl bei Pirka den Söldnerseheleuten Georg und Anna Greil unter Bedrohung Geld und verschiedene Gegenstände im Werte bei etwa hundertzehn Gulden geraubt zu haben. Der Mittäterschaft ist die Therese Pritzl verdächtig, bei der man ein Stückl Seidenzeug zu einem Leibl und ein Filigrankreuzl mit einem Gebetszettel gefunden habe, die von den Greil-Leuten als ihr Eigentum bezeichnet wurden. Die Mitangeklagte Pritzl hat auch in der Voruntersuchung gestanden, die bezeichneten Gegenstände vom Heigl erhalten zu haben!“ „Das ist net wahr“, erklärte nun die Pritzl, „und was ich damals bei der Verhörung angegeben habe, das hat mir der Gendarm so eingeredet. Ich sollt doch was zugeben, so ginge es dann schneller, und es tat mir auch net so viel.“ Auch der Heigl leugnete. Dann kamen die Zeugen, schauten auf den Heigl hin und sagten: „Sicher können wirs net sagen, aber der Räuber war von der gleichen Statur und hat ein Gewehr gehabt. Und die andern Leute haben dann auch gleich geglaubt, dass es der Heigl war!“ Man fragte den Heigl weiter, ob er denn auch leugne, im Hause des Zitzelsberger zu Maierau zusammen mit der Pritzl auf den Brigadier Stephan Sommer geschossen zu haben, in der Absicht, diesen zu töten? 205
„Freilich bin ich dort gewesen“, erklärte der Heigl. „Hab sellmal auch geschossen. Und alle zwei Schüsse waren von mir, die Pritzl hat net geschossen. Hab in der Not geschossen, und umbringen hab ich den Brigadier net wollen.“ Man fragte den Zitzelsberger, ob er gewusst habe, dass der Heigl in seinem Haus logiert habe? „Ich habs gewusst“, gab er zu. „Am Niklotag auf die Nacht ist er mit der Resl zu mir gekommen und hat gesagt: ,Lass uns eini, aber verrats keinem, sonst derschieß ich dich’!“ „Hab nix vom Derschießen gesagt“, warf der Heigl ein. Ob er denn nicht auch anderen oft mit dem Erschießen gedroht habe, fragte der Präsident weiter, etwa dem Mühlbauer von der Haselstauden und den Gerichtspersonen gegenüber? „Na ja“, erwiderte der Heigl, „das sagt man halt so bei uns. Meine Mutter selig hats auch öfter zu uns Kindern gesagt. Ich derschlag enk noch alle oder ich wirf enk in den Bach – aber sie hats ja auch net so gemeint!“ Weiter: Ob er zugebe, gelegentlich seiner Gefangennahme auf dem Kaitersberg auf den Bauern Joseph Mühlbauer geschossen zu haben, in der Absicht, diesen zu töten? „Ich gib den Schuss zu“, sagte der Heigl, „ich weiß nimmer, ob er gezielt war oder ob mir das Gewehr beim Hinfallen losgegangen ist. Und umbringen hab ich den Mühlbauer net wollen, auch wenn zwischen uns eine alte Feindschaft ist. Zum Umbringen hätt ich oft genug Gelegenheit gehabt, net erst am Berg droben! – Und grad so wenig hab ich den Brigadier Sommer umbringen wollen. Sellmal war ich in der Not, und da schießt einer leicht und denkt nicht!“ 206
Ob er dann zugebe, dem Kötztinger Huterer Gulder Zeug und Geld von zusammen zweiunddreißig Gulden gestohlen zu haben, wobei seine damalige Geliebte Annamaria Gruber bei der Straße auf der Pass gestanden sei? Ja, das gab der Heigl zu, und die Gruber gestand auch ein, dass sie gepasst hatte. Auch noch einen anderen Diebstahl zu Eschlsaign gab der Heigl zu und sagte dann: „Wo ichs gewesen bin, da geb ichs auch zu, ich furcht mich net vor dem Zuchthaus und net vor dem Köpfen!“ Dann zog man noch ein besonderes Blatt für den Raimer hervor und fragte ihn, ob er damals zu Ecklshofen eingebrochen und aus dem Bett des Bauern fünfzig Gulden herausgenommen hätte. „Ja“, gestand der Raimer, „das war ich, aber der Heigl war net dabei und hat mich auch net angerichtet dazu.“ Eine ganze Woche lang zog sich die Verhandlung hin, mehr als hundert Zeugen wurden gehört. Auch den Kötztinger Bürgermeister hatte man geladen. „Nein“, sagte er, „ich habe durch den Heigl niemals einen Schaden erlitten und habe doch große Besitzungen zu Kötzting und Hohenwarth.“ Was würde mit ihm werden? Manche redeten davon, dass der Scharfrichter schon bestellt sei, andere wieder wollten noch auf etwas warten. „Bevor ich seinen Kopf net fallen seh“, sagten sie, „glaub ichs net, dass es mit dem Heigl schon ganz aus ist.“ Derweil dudelte am Stadtplatz noch immer die Drehorgel: „Lump und Bazi, Räubersgsell, etzawell, etzawell, kimmst zum Teufel in die Höll!“ *
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Am 27. Juni 1854 wurde schließlich das Urteil gesprochen: „Im Namen Seiner Majestät, des Königs von Bayern, erkennt der Schwurgerichtshof von Niederbayern zu Recht, was folgt: gegen den Michl Heigl auf Todesstrafe mittels Enthauptung durch das Schwert, gegen Michl Raimer auf lebenslängliche Kettenstrafe, gegen Joseph Zitzelsberger auf Freisprechung, gegen Annamaria Gruber auf fünf Jahre Arbeitshaus, und gegen Therese Pritzl auf eine in einem Zwangsarbeitshaus zu erstehende Gefängnisstrafe von zehn Monaten. Zugleich werden die den Verurteilten abgenommenen Messer und Schießapparate, sofern sie nicht Eigentum eines Dritten sind, von Staats wegen eingezogen.“ In dem Trubel, der entstand, als die Gerichtsleute und Zuhörer den Gerichtssaal verließen, fand der Heigl eine Gelegenheit und sprang zum Hütstempendirndl und reichte ihr seine geketteten Hände hin. Aber gleich rissen sie ihn wieder zurück. * Dann schrieb der Advokat ein Gesuch an den König. Der König wandelte die Todesstrafe in lebenslängliche Kettenstrafe um. Bei einer Rauferei in der Strafanstalt Au wurde der Heigl von einem Mitgefangenen erschlagen. Seine Leiche wurde – wie man so sagte – ausgeschunden und das Skelett in der Anatomie zu München aufgestellt. In einer Nacht des Jahres 1944 traf eine Bombe die Anatomie, und der Heigl starb zum zweitenmal. Aber tot war er auch jetzt nicht. Noch immer erzählt und raunt man von ihm, seine Geschichten wischen noch heute durch die bayerisch-böhmischen Wälder! 208
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