Das neue Abenteuer 307
E. R. Greulich: Der Prozeß findet nicht statt Erzählung aus dem Leben der Familie Karl Liebkne...
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Das neue Abenteuer 307
E. R. Greulich: Der Prozeß findet nicht statt Erzählung aus dem Leben der Familie Karl Liebknechts
Verlag Neues Leben, Berlin 1971
V 1.0 by Dumme Pute
Lizenz Nr. 303 (305/74/71) ES 9 A Umschlag und Illustrationen: Ladislaus Elischer Typografie: Walter Leipold Schrift: 8 p Excelsior Gesamtherstellung: (140) Druckerei Neues Deutschland, Berlin
I.
UNHEIMLICHE MORGENBEKANNTSCHAFT
Immer ich, dachte Helmi und seufzte unhörbar, das hat man davon, wenn man als erster, vor Bobbi und Verotschka, aus den Federn ist. Er stand, als suche er noch etwas. "Nun mach schon", sagte die Mutter, "du weißt, wie sich Papa freut, wenn er nach dem Morgenkaffee gleich in die Zeitungen schauen kann." "Ja, ja", sagte er, zog die Tür des Zimmers zu und stieg die Treppe hinab. Auf dem Flur kam ihm Frau Decker, die Pensionswirtin, entgegen, die den Kaffeetisch der Familie Liebknecht auf der Terrasse gedeckt hatte. Er grüßte sie einsilbig. Sie schien Helmuts Verstimmung nicht zu be merken und erwiderte freundlich seinen Gruß. "Ich bringe gleich den Kaffee, die Eier kochen auch schon." "Es eilt nicht - muß wieder Zeitungen holen", verkün dete Helmi mißmutig. "Fein, daß Sie Ihrem Vater den Gang abnehmen." Sie verschwand in der Küche, und er hörte sie dort geschäftig hantieren. Gemächlichen Schritts ging Helmi nach Oberwiesenthal hinein. Es gefiel ihm nicht, daß Frau Decker von seinem Unmut keine Notiz genommen hatte, gerade weil er die hilfsbereite, stille Frau mochte. Seit diesem Sommerurlaub spricht sie mich mit Sie an. Anstandshalber habe ich ihr gesagt, das hat noch Zeit, ich bin doch erst dreizehn. Al lerdings muß ich wohl beinahe den Eindruck eines Er wachsenen machen. Plötzlich bemitleidete er sich wieder. Das ist es ja eben. Von mir verlangt man immer alles. Verotschka ist ja noch ein sooo kleines Kind mit ihren
sieben Jahren. Bobbi mit seinen zehn versteht sich auch ganz schön klein zu machen, wenn es was zu tun gibt. Der könnte ruhig mal sagen, heute hole ich die Zeitungen für Papa. Als er an den Vater dachte, meldete sich Helmis schlechtes Gewissen. Meist ist er ja als erster aus dem Bett und holt sich seinen Lesestoff allein. Ist es mal nicht der Fall, freut er sich natürlich, wenn ich ihn überrasche. Eigentlich kein Beinbruch, die zehn Minuten Weg. Wenn ich Dauerlauf mache, nur die halbe Zeit. Er setzte sich in Trab, und heftig atmend kam er vor dem Schreibwarenladen Frau Schumms an. Wenn er auftauch te, bekam die Dame einen verkniffenen Mund, bediente ihn zwar höflich, aber kühl. Sie wußte, daß er der Älteste des Doktor Liebknecht war, und gegen den schien sie etwas zu haben. Wieder einmal waren der "Vorwärts" und die "Leipziger Volkszeitung" angeblich nicht geliefert worden. Helmi nahm das Lokalblatt von Oberwiesenthal und noch drei andere Zeitungen. Als er aus dem Laden trat, stand vor dem Schaufenster ein Herr, der sich eine ausgehängte Zeitschrift anschaute. "Guten Morgen", grüßte er, "Sie scheinen auch zu den Frühaufstehern zu gehören." Er lüpfte dabei den modi schen Strohhut, und Helmi dachte, das ist reichlich viel Ehre. Ehe er Zeit fand, sich länger darüber zu wundern, fuhr der Fremde fort: "Ich sah Sie vorgestern ungefähr zur gleichen Zeit hier Zeitungen holen. Wissen Sie zufällig, ob die neueste ,Berliner Illustrierte' schon verkauft wird?" "Nein", sagte Helmi abweisend, "aber es steht Ihnen ja frei, sich bei Frau Schumm danach zu erkundigen." Der Mann tat nichts dergleichen, sondern erklärte: "Ich finde, es ist die interessanteste Illustrierte. Sicherlich lesen Sie die zu Hause in Berlin auch?"
Helmi schüttelte den Kopf. "Ich lese den ,Wahren Ja cob', der ist wenigstens lustig." "Man merkt gleich, daß Sie ein aufgeweckter junger Mann sind." Der Fremde ließ sein Stöckchen rotieren wie ein Mensch, der viel Zeit hat. Er blieb an Helmis Seite, der sich beeilte, zur Pension zurückzukommen. Helmi be trachtete den Herrn verstohlen. Er war großstädtisch ge kleidet, fast zu elegant. Das braune Gesicht mit der gebo genen Nase und den beweglichen Knopfaugen erinnerte an einen pfiffigen Kasperle, doch hatte Helmi noch keinen Kasperle mit einem schwarzen Bärtchen auf der Oberlippe gesehen. Er konnte nicht sagen, weshalb ihm der Mann nicht sehr gefiel. War es dessen Schmeichelei oder die etwas aufdringliche Art? Brüsk fragte er: "Wie kommen Sie darauf, wir wohnten in Berlin?" Der mit der farbigen Schleife über dem seidenen Ober hemd wurde nicht verlegen. "Das hört man an der Spra che." Trotzig erwiderte Helmi: "Ich bin mir nicht bewußt, ber linert zu haben." Gelassen bemerkte der Fremde: "Wer in der Reichs hauptstadt geboren ist, hat ein feines Ohr für berlinischen Akzent." Mit dem Stöckchen wies er auf eine scharrende Drossel im Gebüsch. "Wie eifrig sie Würmchen sucht. So muß jeder um sein täglich Brot sorgen." Helmi wurde schwankend in seiner Ansicht. Er hätte dem dandyhaften Menschen nicht zugetraut, daß er die Natur beobachte. "Sind Sie das erstemal in Oberwiesenthal?" fragte der Fremde wie nebenhin. "Wir machen schon mehrere Jahre hier Sommerurlaub, die Gegend gefällt meinen Eltern."
Der Fremde nickte. "Sie ist wunderschön. Gefällt es Ih nen und Ihren Geschwistern hier auch?" Jetzt stellst du ihn auf die Probe, dachte Helmi. "Ge schwister?" fragte er langgezogen, als wäre er sein Leben lang das einzige Kind der Familie gewesen. Der Herr tat, als sei das völlig unwichtig. "Ist es nicht manchmal langweilig so allein?" "I wo, mein Vater wandert gern. Heute wollen wir zur böhmischen Grenze." Sie waren vor dem villenartigen Haus angekommen, und Helmi sagte höflich: "Einen schönen Tag wünsche ich Ihnen - adieu." "Ah, hier in der Pension Decker wohnen Sie. Da haben Sie's gut getroffen. Die Inhaberin Decker ist eine adrette Frau. Wenn ich nicht irre, kauft sie beim Schlächter Mek kel." "Nein", korrigierte Helmi, "sie geht nur zu Doßler. Sie sagt, der hat die beste Wurst und bedient sie am kulante sten." Er trat von einem Bein auf das andere, aber der Neugierige schien wirklich viel Zeit zu haben. "Ist Fräu lein Betty Frau Deckers Tochter oder Nichte?" Nun glaubte Helmi zu wissen, was ihm die Ehre dieser Bekanntschaft verschafft hatte. Der Herr Müßiggänger war auf eine Tändelei aus. Spitz betonte Helmi: "Die Haushaltshilfe Fräulein Betty hat einen Verlobten. Sie ist mit Frau Decker nicht ver wandt." Der Fremde lächelte gewinnend. "Verzeihen Sie meine Wißbegierde. Aber wenn man so allein im Urlaub ist, hat man manchmal Langeweile." "Ich muß nun aber endlich gehen", sagte Helmi abwei send, "adieu, mein Herr." "Es freut mich, Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben,
hoffentlich sehen wir uns bald einmal wieder. Adieu, junger Mann." Abermals hob der Fremde die gelbe Kreis säge mit schwarzem Band, schwenkte unternehmungs lustig das Stöckchen und ging pfeifend von dannen.
Kopfschüttelnd sah ihm Helmi nach und dachte, um sich an Fräulein Betty heranzupirschen, hätte er sich wirklich jemand anders aussuchen können. Die Familie saß schon um den runden Kaffeetisch unter dem großen Sonnenschirm auf der Terrasse. Der Nebel in den Tälern lichtete sich, die Vögel jubilierten. Mit hellem Morgengruß legte Helmi die Zeitungen auf den Tisch. Freudig überrascht sah Doktor Liebknecht den Ältesten und dann seine Frau Sophie an. "Ich danke euch." "Euch? - Helmi hat den Morgenlauf gemacht", betonte die Mutter. Wohlgelaunt wiegte der Vater den Kopf. "Ich schätze, die Mama hat ein bißchen nachgeholfen."
Helmi hätte gern protestiert, doch dann hätte er lügen müssen. Er nahm sich vor, das nächstemal ohne Aufforde rung die Zeitungen zu holen. Während er sich selbst die Honigbrötchen schmecken ließ, sah er, wie der Vater mit Behagen ein gekochtes Ei köpfte, beim Essen aber des öfteren verstohlen nach den Zeitungen sah. Helmi wußte, was er suchte. Heute mußten die Urteilsverkündungen im Prozeß gegen die Beamten der Militärverwaltung zu lesen sein. Sie waren von Leuten des Kanonenkönigs Krupp bestochen worden und hatten Geheimnisse verraten. Das alles hatte Vater aufgedeckt. Sein Strafgericht im Reichs tag hatte in der ganzen Welt Aufsehen erregt. Das war im Juni gewesen, aber bis jetzt, im August, waren die Angrif fe der ertappten Kriegsmacher gegen Vater immer heftiger geworden. Im Reichstag, in den Zeitungen und durch gehässige Briefe, auf denen meist kein Absender stand. Helmi war stolz auf den Vater, daß er so mutig für den Frieden eintrat. Denn Krieg war etwas Furchtbares, da wurden Tausende Menschen getötet und verkrüppelt. Unauffällig betrachtete er den Papa und dachte, er sitzt da, trinkt seinen Kaffee und sieht aus wie jeder andere Mensch. Daß er weltbekannt ist und von manchen ge fürchtet, macht uns eigentlich nur Ärger. Seit Papas Reichstagsreden gegen Krupp und die andern Waffenfa brikanten ist Studienrat Kreftich noch boshafter gegen mich geworden. Fast könnte der mir die Lust am Gymna sium verleiden. Als sich alle gesättigt zurückgelehnt hatten, sagte der Vater: "Nur mal schnell schauen, was über den Prozeß drinsteht, gestern war der letzte Tag." Wie gewöhnlich, fiel es ihm auch heute nicht leicht, mit der Zeitungslektüre zu warten. Aber da er nicht mochte, daß jemand mit der
Zeitung vor dem Gesicht saß, während die andern aßen, hielt er sich auch selbst an diese Forderung. "Na so was von Gerechtigkeit", höhnte er, "alle sieben Angeklagten sind mit Gefängnis bestraft worden - sämt lich unter einem Jahr. Dafür hat man sechs Verhandlungs tage gebraucht." "Und die von Krupp haben gar nichts abbekommen?" fragte Helmi enttäuscht. "Die sind im nächsten Prozeß dran", gab der Vater Aus kunft, "hübsch säuberlich getrennt, damit es möglichst keine Widersprüche gibt." "Schade, daß du dann nicht Staatsanwalt bist", bedauerte der Sohn altklug. "Sind ,Vorwärts' und ,Leipziger Volkszeitung' wieder nicht dabei?" fragte der Vater. Helmi verneinte. "Frau Schumm meinte, mit der Bestel lung ist etwas schiefgelaufen." "Ich muß wenigstens wissen, was der ,Vorwärts' dazu bringt", sagte der Vater mehr für sich und überlegte. Dann schaute er entschlossen auf. "Ich fahre in die Kreisstadt. Dort wird sich ja wohl das Parteiorgan auftreiben lassen." Die drei LiebknechtKinder blickten betroffen. Da dürfte es also mit der Wanderung heute nichts werden. Wer weiß, ob morgen wieder so schönes Wetter sein würde. Die Mutter sah die enttäuschten Gesichter der drei und rückte näher zum Vater. Liebevollspöttisch strich sie ihm über das Haar. "Ist Urlaub machen wirklich so schwer, Caro lus?" Hastig breitete er die Zeitung auseinander, wies auf meh rere Artikel. "Schau dir die Hetze an. Aus dem Krupp Skandal machen sie einen Fall Liebknecht. Darauf muß man in einer Form antworten, die sie sich nicht hinter den
Spiegel stecken." "Du willst hier schreiben?" Er lehnte sich zurück und sann vor sich hin. "Wenn ich die Stellungnahme unserer Parteipresse kenne, könnte ich den Artikel wenigstens vorbereiten. Das beruhigt mehr, als schöbe ich alles bis zur Heimkehr auf." Schon wieder Ärger, dachte Helmi, dieser Kanonenkönig und seine Gesinnungsfreunde verderben uns sogar den Urlaub. Ob ich den Vater nicht erinnern sollte, wie wir uns freuen, ihn wenigstens in den Ferien für uns zu haben? Er schaute auf den Bruder. Bobbi schien ähnliches zu denken, doch war er mit dem Zeichenstift flinker als mit dem Munde. Verotschka zog einfach nur einen Flunsch, aber der Vater war zu erregt, um es zu beachten. Die Mutter spürte, was in den Kindern vorging. "Ich fragte doch nur, weil du für heute die Wanderung zum Grenzfließ versprochen hattest." Der Vater machte ein unglückliches Gesicht. "Es ist mir selber peinlich. Aber die Unruhe ." Verotschka schmiegte sich an den Vater. "Es tut mir so leid, Papa. Hättest du bloß nicht die dummen Zeitungen gelesen." Alle mußten lachen. Das Lächeln des Vaters war weh mütig, als er sagte: "Wenn man damit alle Probleme aus der Welt schaffen könnte ." "Weißt du was?" Die Augen der Mutter blickten er leichtert. "Ich fahre mit Verotschka nach Annaberg, besor ge dir dort die Zeitungen, und so kommen alle zu ihrem Recht." Die Kinder jubelten. Auch Vera war sehr einverstanden. Nichts tat sie lieber, als mit der Mutter bummeln gehen. Der Vater gab der Mutter einen freudigen Kuß.
"Dann wollen wir nicht trödeln. Ihr beide macht euch auf zum Bahnhof und die Männer auf die Wanderung. Um ein Uhr können wir dann alle wieder um den Mittagstisch sitzen." Eben wollte die Familie aufbrechen, als Frau Decker mit dem großen Tablett kam, um den Kaffeetisch abzuräumen. Etwas verlegen sagte sie: "Hoffentlich lachen Sie mich nicht aus, Herr Doktor. Aber ich habe was Seltsames erlebt und dachte, ich sage es Ihnen lieber." "Heraus da mit, Lindenwirtin." So sprach der Vater manchmal Frau Decker an, wenn er gut gelaunt war. So falsch war es nicht, unter den vielen großen Bäumen rings um die Pen sion Decker gab es auch einige prächtige Linden. Frau Deckers geschickte Hände räumten das Geschirr aufs Tablett. "Ich komme vom Einholen, da spricht mich ein Herr an. Ob es stimmt, fragte er mich, daß die Familie Liebknecht bei mir wohnt. Er sei ein guter Bekannter und wolle sie gelegentlich besuchen. Ich glaube, ich hätte es ihm nicht sagen sollen, womöglich ist es Ihnen nicht recht." Die Eltern sahen sich beirrt an. "Hat er seinen Namen nicht genannt?" fragte der Vater. Frau Decker war betrübt. "Leider nein, ich hätte danach fragen sollen." Der Vater hob die Schultern. "Wir werden es wissen, wenn er kommt." "Hat er sonst noch etwas gefragt?" forschte die Mutter. "Das war es ja eben, was mich stutzig gemacht hat", er widerte Frau Decker. "Ganz im Vertrauen wollte er wis sen, ob ich mit meinen unruhigen Gästen zufrieden sei. Ob ich mir den Pensionspreis im voraus hätte bezahlen lassen, denn die Liebknechts seien dauernd in Geldverlegenheit.
Und die Spannungen in der Familie seien ja auch bekannt. Der Älteste habe doch Schwierigkeiten im Gymnasium, und die Stiefmutter sei so lieblos zu den Kindern." Die vorhin noch so frohen Gesichter der Eltern verdun kelten sich. Beherrscht fragte der Vater: "Und was haben Sie darauf geantwortet?" Die Gefragte setzte noch einmal das Tablett ab, daß die Tassen klirrten. "Den habe ich unsanft abfahren lassen. Die Liebknechts sind meine liebsten Sommergäste. Noch nie ist mir der Doktor etwas schuldig geblieben, im Ge genteil . Und ob der liebe Bekannte sich nicht schäme, solche Lügengeschichten aufzutischen." "Das war anständig, ich danke Ihnen, Frau Decker", sagte der Vater traurig. Sie hob das Tablett wieder auf. "Es hört sich vielleicht an, Herr Doktor, als wollte ich mich bei Ihnen einschmei cheln. Aber ich war so aufgeregt, daß ich ihm hin terhergeschimpft habe. Doch dieser Gigerl drehte sich lachend um und schwenkte sein Stöckchen. Ich solle mich nur nicht so aufplustern wegen des kleines Spaßes. Er habe nur einmal ausprobieren wollen, ob er meine Pension empfehlen könne. Schließlich sei es doch nicht unwichtig, ob eine Pensionswirtin gut oder schlecht über ihre Gäste rede." Frau Decker verschwand im Haus, mit ernstem Gesicht sah ihr der Vater nach. "Das war natürlich kein Spaß", sagte er wie für sich. "Dieser Herr Schnüffler ist angesetzt worden, um Material gegen mich zusammenzutragen." "Frau Decker sagte doch, sie weiß nicht, wie er heißt", wunderte sich Vera. Die Jungen belächelten sie mitleidig, der Vater sagte grimmig: "Schnüffler ist kein Name, sondern eine Cha
raktereigenschaft. Man nennt solche Leute auch Acht groschenjungen oder Spitzel." Helmi hatte der Erzählung mit wachsender Spannung zugehört und war sich ziemlich sicher, daß es sich bei seiner Morgenbekanntschaft und Herrn Schnüffler um ein und dieselbe Person handelte. Doch er wollte es genau wissen und rannte ins Haus. Er fand Frau Decker in der Küche. "Frau Decker, hat dieser - dieser Schnüffler eine Butterblume aufgehabt und eine Schleife zum seidenen Hemd getragen?" Sie nickte bejahend. "Wie kommen Sie darauf?" "Einen karierten Anzug und weiße Dackeldecken über den schwarzen Lackschuhen?" Sie nickte abermals, und er rief im Hinauslaufen: "Das ist bestimmt derselbe, der mich heute früh auch schon ausfragen wollte!" Ehe sich die Eltern erkundigen konnten, wohin er ge rannt war, sprudelte Helmi heraus: "Der Spitzel hat sich heute früh auch schon bei mir anmeiern wollen. Ich habe Frau Decker gefragt, wie er angezogen war. Als sie vom Stöckchen erzählte, ist mir der Verdacht gekommen." "Weshalb hast du uns nichts davon gesagt?" erkundigte sich die Mutter. "Bei mir hat er doch getan, als interessiere ihn Fräulein Betty. Er fragte mich, ob sie Frau Deckers Tochter oder Nichte sei. Ich habe ihn abblitzen lassen und gesagt, sie sei verlobt." Der Vater ließ sich den Vorgang genau erzählen, dann rieb er sich überlegend das Kinn. "Das ist eindeutig. Ich bin überzeugt, der Bursche wird weiter spionieren." Er sah die drei Kinder bedeutsam an. "Wenn euch irgendein Fremder ansprechen sollte, antwortet auf keine Frage. Sagt
freundlich, er möge mitkommen zu euren Eltern, die könnten viel besser Auskunft geben." Die drei beteuerten, sie würden so tun, wie der Vater geraten. Vera und Bobbi beneideten Helmi. Er war der einzige der Familie, der den Schnüffler kannte. Insgeheim hofften sie, der geheimnisvolle Fremde würde ihnen auch noch begegnen. Vera ließ sich ihn noch einmal vom Bru der genau beschreiben und fragte dann naiv: "Sollen wir ihn nicht gleich von einem Schutzmann verhaften lassen, Papa?" Helmi lachte schallend. "Spitzel sind doch von der Poli zei." Der Vater wiegte den Kopf. "Dieser Pinkerton scheint mir eher im Solde Krupps oder einer anderen Waffenfirma zu stehen." "Pinkerton?" Bobbi sah den Vater fragend an. "Das ist eine berüchtigte Privatdetektei Amerikas. Die vermieten ihre Agenten an reiche Fabrikanten, damit sie die Arbeiter bespitzeln und Streikbrecher schützen. Es sind meistens entlassene Polizisten oder ähnliche gestrau chelte Existenzen." "In den Groschenheften werden die Pinkertons als Hel den hingestellt, die für die Gerechtigkeit kämpfen", prahlte Helmi ein wenig mit seinem Wissen. "Diese Denunzianten haben es bitter nötig, daß man sie weiß färbt", sagte die Mutter. "Möglich ist auch, daß der Schnüffler im Auftrage Herrn Hugenbergs arbeitet", erinnerte der Vater halblaut, "um irgend etwas gegen mich im ,Lokalanzeiger' oder seinen andern Blättchen bringen zu können." In ehrlicher Bewunderung fragte Vera: "Wie kannst du das wissen, Papa?"
"Wäre er ein kaiserlicher Geheimpolizist, brauchte er nicht so mühsam Einzelheiten zusammenzutragen. Auf der örtlichen Polizeibehörde würde er all das mühelos erfah ren." "Ich wundere mich auch, wie plump er besonders bei Frau Decker vorgegangen ist", pflichtete die Mutter bei, "er mußte doch damit rechnen, daß sie es uns erzählt und wir so gewarnt sind." Der Vater bekam einen bitteren Zug um den Mund. "Ist jeder so anständig wie Frau Decker? Er wird es wieder und wieder bei anderen versuchen, bis er irgendwelchen Tratsch aufgabelt. Bei Frau Schumm beispielsweise wird er mehr Glück mit seinen provokanten Behauptungen haben als bei Frau Decker. Wie überall gibt es auch in Oberwiesenthal Leute, die uns nicht grün sind." Helmi fand, der Vater habe leider recht. Plötzlich glaubte er auch den tieferen Grund seines Unbehagens zu kennen, wenn es hieß, er solle Zeitungen holen gehen: Die Laden besitzerin Schumm zeigte ihm stets deutlich, daß sie die Liebknechts nicht ausstehen konnte, womöglich gar haßte. Der Vater sah das grübelnde Gesicht seines Ältesten, er gab sich einen Ruck und munterte die Familie auf. "Nun macht keine Tragödie daraus. Es ist zwar übel, daß sie uns nicht einmal im Urlaub in Ruhe lassen, aber ganz neu ist uns ja so etwas nicht. - Kommt, Jungens, holen wir uns für die Wanderung Proviant bei Frau Decker, und", seine Hand fuhr Vera begütigend über die Wange, "die Damen wollen sich sicherlich für die Reise auch noch ein bißchen fein machen."
II.
ZWISCHENFALL AM WALDRAND
Die "drei Männer" waren zuerst reisefertig. Der Vater hatte sich einen Taschenkompaß und eine Landkarte der Umgebung eingesteckt, in einem Kinderrucksack befan den sich Butterbrote nebst einer Flasche ungesüßten Tees. Da Helmi den Rucksack freiwillig auf die Schulter nahm, ordnete der Vater an, er sei abwechselnd von den Söhnen zu tragen. Gleich hinter dem Ort nahm sie kühler Mischwald auf, dem sich bald ein Dom hoher, dunkler Tannen anschloß. Es roch nach Tau und Morgenfrische. Obwohl es leicht bergan ging, sangen sie einige Lieder. Dann wurde der Anstieg steiler und ihnen etwas wärmer, und sie beobach teten still die Natur, was auch viel Reiz hatte. Sie schauten einem Specht bei seiner emsigen Arbeit zu, überraschten einen Eichelhäher, der mit Alarmrufen davonstob. Auf einem bemoosten Felsstück entdeckte Bobbi eine Smarag deidechse beim Sonnenbad. Er bat, sie skizzieren zu dür fen. Vater und Helmi verschnauften unterdessen auf einem umgestürzten Baumstamm. Gedankenverloren spielte Helmi mit einem Tannenzap fen, plötzlich sagte er: "Ich habe öfter geschaut, ob der Schleicher uns verfolgt." Der Vater verkniff sich ein Schmunzeln und fragte scheinbar ernst: "Hast du ihn entdeckt?" "Leider nein." "Wieso leider?" "Dann hätten wir drei ihn zur Rede gestellt, abgeurteilt und an einen Baum gebunden." Nun mußte der Vater doch lachen.
"Und wir hätten seinen Skalp als Siegestrophäe an den Gürtel gehängt." Trotz Vaters gutmütigem Spott faszinierte der Gedanke Helmi. "Aber er hätte es doch verdient, nicht wahr?" "Wir leben nicht im Wilden Westen, Helmi." "Angenommen, er käme jetzt anspaziert und spielte den Harmlosen. Was würdest du tun?" Karl Liebknecht war nie ungehalten über Fragen seiner Kinder. Im Gegenteil, er meinte, nur Dumme verstünden nicht zu fragen. Aber die Antwort auf diese romantische Wißbegier mußte bedacht sein. Er setzte umständlich den Kneifer zurecht. "Wir leben unter zivilisierten Umständen, und dementsprechend müssen wir uns verhalten. Mit Spott und Hohn würde ich ihm die Lust an seinen Schnüffeleien vergällen."
"Und wenn er dich dann angreift?" "Notwehr ist etwas anderes, als einen Menschen fesseln und ihn dem Hun gertode ausliefern." Schade, dachte Helmi, Vater hat wohl recht, doch eine Abreibung für den Gigerl würde mir besser gefallen. "Jetzt ist sie fort!" rief Robert, "ein Tannenzapfen wäre ihr beinahe auf den Kopf gepurzelt, und da ist sie wegge huscht." Er steckte sein Skizzenbuch in die Tasche. Vater und Bruder hätten sich gern die Skizze angeschaut, doch sie fragten lieber nicht. Wenn Bobbi seine Zeichnungen nicht selbst vorzeigte, war er unzufrieden mit sich und gegen alle Betrachter ungnädig. Der Weg wurde steiler und beschwerlicher. An jeder Ga belung nahm der Vater Karte und Kompaß zur Hand, weihte die Söhne in die Kartenlesekunst ein. Schnaufend verhielten sie dann an jenem Punkt, den der Vater auf der Karte mit einem kleinen Kreuz markiert hatte. "Hier muß irgendwo das Fließ sein, die Grenze zwischen Deutschland und Österreich." Sie hörten ein leises Glucksen. Auf einem Wildwechsel zwängten sie sich durchs Tannendickicht. Helmi warf den Rucksack ins Moos, rannte einen kleinen Abhang hinab und machte einen Sprung über das Wässerchen, das hier oben eher ein Bach als ein Fließ war. "Hurra, ich bin in Österreich!" Bobbi tat es ihm nach, stolz winkten sie dem Vater und meinten, dies sei eine historische Minute. Der Vater winkte fröhlich zurück. "Der Provinz nach seid ihr in Böhmen." Er suchte einen schattigen Rastplatz und setzte sich auf einen flechtenüberwachsenen Stein. Sie ließen sich die Schnitten schmecken, viel zu früh war der kühle Tee alle. Die Jungen fanden es romantisch, Bach
wasser als neuen Trinkvorrat einzufüllen. Der Vater betrachtete die Karte. "Wenn wir dem Was serlauf folgen, sind wir am schnellsten wieder in Oberwie senthal. Es ist beschwerlicher, aber auch abwechslungsrei cher. Um ein Uhr spätestens wollen wir zurück sein." Bergab, über Bachsteine und morsche Baumstämme das war ein Heidenspaß. Der Bach wurde breiter und tiefer, es war nun schon schwerer, von einem Land ins andere zu springen, bald unmöglich. "Wetten, daß ich rüberkomme, ohne naß zu werden?" Die wachen Augen Bobbis maßen die beträchtliche Entfernung. Helmi bestritt es. Bobbi ließ sich vom Vater das Taschenmesser geben, ging zu der Stelle und hob eine Erlenstange auf, die halb im modernden Laub versteckt lag. Mit dem Messer kappte er die Zweige und wog die Stange in der Hand wie ein Stabhochspringer seinen Stab. Er übte einigemal den Anlauf und setzte dann mühelos über den Bach. Helmi gestand sich ein, daß er auf die großartige Idee des Bruders neidisch war. "Läßt du mich mal?" Bobbi tat, als sei er taub. Er gedachte, den Triumph ein wenig auszukosten, seine Sprünge wurden weiter und sicherer. "So, dann trägst du jetzt den Rucksack!" Es war schnöde Rache, und Helmi schaute schuldbewußt zum Vater. Der war schon ein Stück voraus und hatte nichts gehört. Trot zig legte Helmi den Rucksack ans Ufer und ging, um sich eine ähnliche Stange zu suchen. Mißmutig streifte sich Bobbi die Riemen über die Schulter. Der Rucksack war hinderlich und die Baumelei auf dem Rücken direkt unsportlich. Das Ungemach gebar eine Idee.
Wer würde schon bis zum Mittag verdursten? Also fort mit der pumpernden Flasche. Wohin damit? Natürlich ins Wasser. Das gäbe eine rich tige Flaschenpost, wenn ich das Wasser ausschütte. Fla schenpost ohne Brief? Wenn man wüßte, daß sie dieser Spionierer auffischt. Doch so was kommt wohl nur im Märchen vor. Aber jemand wird sie doch finden. Rasch trennte Bobbi eine Seite aus seinem Skizzenbuch und malte in Druckbuchstaben: "Sagen Sie dem Pinkerton von Oberwiesenthal, er ist ein Skunk und soll uns den Buckel runterrutschen!" Säuberlich schob er das zusammenge rollte Blatt in die leere Flasche, verkorkte sie fest und ließ sie auf den Wellen davontanzen. Ob sie überhaupt jemand aus dem Ort fand? Vielleicht gelangte sie weiter. Bis ins Meer, in den Ozean und an die Gestade Amerikas. Wo möglich fand sie dort ein Indianer. Der würde wenigstens wissen, was ein Skunk ist.
Helmi hatte auch eine Stange gefunden. Hei, das gab einen sportlichen Zweikampf. Schnell steigerte er sich zum wilden Wettkampf. Der Vater hatte sich einigemal umgesehen und gemahnt, sie kämen zu spät zum Essen, wenn sie weiter so trödelten. Zwar gelobten die beiden, daran zu denken, doch wie schnell ist ein Versprechen bei einem derart aufregenden Spiel vergessen. Mehr und mehr Mut und Kraft mußten sie aufbringen, um das immer breiter werdende Fließ zu überqueren. Aber gerade das reizte. Manchmal rutschte man am jenseitigen Ufer ab und hätte um ein Haar im Wasser gelegen. Beider Stiefel, Strümpfe und Hosen waren schon klitschnaß. Der Vater war längst ihren Blicken entschwunden, als die beiden sich eingestehen mußten, daß sie das Fließ nun nicht mehr bezwingen konnten, da es zu breit geworden war. Der Rückweg verlangte doch mehr Zeit, als Liebknecht kalkuliert hatte. Schon am Stand der Sonne sah er, daß sie sich höllisch beeilen mußten, wollten sie rechtzeitig in der Pension sein. Vielleicht ist es kleinlich, dachte er, aber versprochen ist versprochen. Zu oft zwingen mich die Umstände zu Verspätungen, die mir jedesmal zuwider sind. Unpünktlichkeit ist ein Merkmal von Unzuverlässig keit. Hier, wo ich nun in der Lage bin, die Umstände zu zwingen, tun die Jungen nicht dergleichen. Mehrmals sah er sich um, von den beiden war weder etwas zu sehen noch zu hören. Leiser Unmut stieg in ihm auf. Endlich lichtete sich der Wald, durch das Grün blinkten die ersten Häuser Oberwiesenthals. Auf einem Fahrweg, in der Mitte zwischen Waldende und Ortsanfang blieb Liebknecht stehen und zog die Uhr. Sie würden sich be trächtlich verspäten. Von den Jungen war noch nichts zu
sehen. Sonnenglast flimmerte über den Wiesen, es roch nach frisch geschnittenem Gras. Ein Stück den Wiesen hang hinauf mähten zwei Männer. Auch aus der Ferne machte es Spaß zuzusehen, wie die Schwaden gleichmäßig vom Sensenblatt sanken und eine saubere Spur geschnitte nen Grases bildeten. Manchmal blieben die Männer ste hen, zogen die Wetzsteine aus dem Stiefelschaft und schärften die Sensen. Der Ton war nicht gerade melodisch, doch er paßte in die Landschaft. Ob einer der Jungen ins Wasser gefallen ist, fragte sich Liebknecht beunruhigt. Ist es nicht besser zurückzugehen? Ich hätte sie gar nicht aus den Augen lassen sollen. Nun ärgerte er sich auch über sich. Die beiden tauchten auf. Verschwitzt und verdreckt, doch gemächlich und zufrieden, als gäbe es auf dieser Welt weder Zeitgebote noch andere Pflichten. "Ich bin böse auf euch!" rief der Vater, "nennt ihr das beeilen?" Die beiden sahen sich maßlos erstaunt an. Diesen Ton hatten sie beinahe noch nie vom Vater gehört. Trotz stieg in ihnen auf. Sie gingen keinen Deut schneller, schlurften verstockt auf den Wartenden zu. Des Vaters Unmut wan delte sich zu Zorn. "Ich hätte Lust, Euch Beine zu machen. Es ist lange eins durch, hatten wir nicht versprochen, um diese Zeit am Mittagstisch zu sitzen?" "Was ein Wesen um das bißchen Mittagessen", murmelte Bobbi verdrossen. "Was sagst du da?" Mit schnellen Schritten ging der Va ter auf den Jüngeren zu, packte dessen Oberarme und schüttelte ihn. "Schämst du dich nicht? Geht es nicht um Wichtigeres als um das Essen?" Völlig verstört über den ihm unbegreiflichen Zorn des
Vaters, begann Bobbi zu heulen. Kaum weniger fassungs los als der Bruder, heulte auch Helmi aus Trotz und Bru dergefühl mit. Das machte den Vater nervös, er schalt noch lauter. Erschrocken wandten sich die beiden Mäher um. Was geschah dort? Wie auf Kommando rannten sie auf die Gruppe zu, vergaßen sogar die Sensen hinzulegen. Als die Jungen die Männer mit den Sensen daherge stürmt kommen sahen, verstanden sie die Welt nicht mehr. Das sah aus, als wollten die den Papa umbringen. Ihr Geheul wurde zum angstvollen Schreien. Schnaufend kamen die Männer heran. "Das ist ja der Doktor Liebknecht", wandte sich Bauer Demmler an seinen Sohn und schnauzte: "Sind Sie denn von Gott verlassen, die Kinder zu mißhandeln?" Erregt rückte der Vater seinen Kneifer zurecht. "Von Mißhandlungen kann wohl hier nicht die Rede sein."
"Würden die sonst schreien wie am Spieß?" "Ihre Sensen haben sie mehr erschreckt als meine Schelte." Das vom Laufen verschwitzte Gesicht Demmlers färbte sich dunkelrot. "Nun sind wir noch die Schuldigen, was?" Der Vater hatte sich wieder in der Gewalt. "Von einer Schuld hat hier niemand gesprochen. Im übrigen, mischen Sie sich bitte nicht in die Auseinandersetzung mit meinen Söhnen ein." "Ob Söhne oder nicht, solange ich dabei bin, wird kein Kind angefaßt." Der Vater wurde spöttisch. "Sie haben Ihren Sohn für Verstöße sicher immer nur mit Zuckererb sen belohnt." "Dem habe ich mehr als einmal den Arsch versohlt!" schrie Demmler, "wenn er was ausgefressen hatte. Aber die beiden waren doch ganz artig." "Das entzieht sich völlig Ihrer Beurteilung." "Soso", Demmler war wütend, daß der Vater ihm durch Beherrschung überlegen war. "Jetzt stecken Sie den feinen Herrn heraus. Es ist Ihnen unangenehm, von einfachen Leuten was gesagt zu kriegen." "Auch einfache Leute haben nicht das Recht, in solcher Form über Dinge zu urteilen, die sie nicht kennen kön nen." "Vater, komm", drängte der Sohn Demmlers, "es geht uns ja wirklich nichts an." "Halt du dein Maul", schnauzte Demmler, "du warst nicht gefragt." "Aber man muß ja nicht gleich ." "Warst du nicht auch erschrocken?" giftete sich Demm ler, "du bist doch auch hergerannt?" "Schon - man kann sich ja mal irren." Der Vater benutzte den Streit der Demmlers, um sich mit
seinen beiden Übeltätern davonzumachen. Die Jungen schwiegen betroffen und trotteten schuldbewußt neben ihm her. Helmi war auch aus einem anderen Grund nicht wohl zumute. Hätte das der Spionierer eben miterlebt, der hätte sich vor Schadenfreude die Hände gerieben. Mit ihrer übertriebenen Heulerei hätten sie dem Schnüffler keinen besseren Dienst erweisen können. Und das dem eigenen Vater, der wirklich genug Sorgen hatte. Verstohlen schaute Helmi in jede Gasse und Seitenstraße, ob nicht irgendwo die gelbe Butterblume mit dem lackglänzenden Haar darunter auftauchte. Es war nach zwei Uhr, als sie in der Pension eintrafen. Aufatmend kam ihnen Frau Decker entgegen. "Gott sei Dank - wenigstens kommen Sie, Herr Doktor. Ihre Gattin ist noch nicht da." "Da haben wir ja Glück gehabt." Helmi brummelte es wie für sich. Er riskierte einen Blick zum Vater, der sagte milde: "Grundsätzlich meine ich, daß man eigene Unpünktlichkeit nicht mit der anderer entschuldigen darf. Und immerhin sind Mama und Verotschka auf Verkehrsmittel angewiesen, wir waren es nicht." "Soll ich erst für Sie drei auftragen, Herr Doktor?" fragte Frau Decker. Der Vater bejahte. "Wahrscheinlich haben unsere Damen den Zug verpaßt und essen in Annaberg." Gewaschen und erfrischt, die Jungen in trockenen Ho sen, Strümpfen und Schuhen, saßen sie dann beim späten Mittagsmahl. Wenn Helmi nicht alles täuschte, war der Vater jetzt geneigt, den Zwischenfall am Waldrand von der komischen Seite zu nehmen. Denn er sagte mit einem Augenblinzeln: "Was sagen wir denn nun der Mama?" "Müssen - äh - muß man ihr denn unbedingt den Ur
laub versalzen?" fragte Helmi und dachte daran, daß sie schon heute morgen Ärger genug mit dem Schnüffler hatten. Der Vater rieb sich die Nase, während er nachdachte. "Du meinst, unser Krach sei sozusagen Männersache, mit der man erholungsbedürftige Damen nicht behelligen sollte." Helmi war begeistert und nickte zustimmend. Wohlgesonnen erkundigte sich das Familienoberhaupt: "Was meinst du, Bobbi?" "Ich wünsche Mama auch keine Aufregung", beteuerte der Jüngere. "Es ist doch alles nur durch das Wassersprin gen gekommen." "Ihr versprecht mir, euch nicht wieder so zu vertrödeln?" Helmi und Bobbi hoben zugleich die Schwurfinger. Bobbi, glücklich über die bekräftigte Harmonie, schaute den Vater schräg von unten an. "Du warst aber auch - so bist du noch nie gewesen." Der Vater unterdrückte ein Schmunzeln mit gespieltem Ernst. "Vielleicht habe ich euch bisher immer zu sanft angefaßt. Nun kam mal ein kleines Donnerwetter, und schon wart ihr schockiert." Helmi meinte, dem Bruder beispringen zu müssen. "So klein war es aber nicht, Papa." "Ihr habt doch gehört, wie Bauer Demmler es damit hält. Soll ich mal ein größeres veranstalten?" Die beiden lachten, sie wußten, daß die Frage nicht ernst gemeint war. Rechtschaffen müde hielten die Liebknechts Mittagsru he. Als sie aufstanden, ging es auf vier zu. Beunruhigt wanderten sie zu dritt zum Bahnhof. Auf halbem Wege kamen ihnen die Mutter und Vera entgegen. Stürmisch
rannte sie auf den Vater zu und begrüßte ihn, als käme sie von einer kleinen Weltreise. Dann mußten alle ihrer Eitel keit Tribut zollen. "Schau mal, Papa, ein neuer Südwe ster!" Sie hielt die Hände in die Hüften und wandte den Kopf mit dem weißen Leinenhütchen nach allen Seiten. "Nun ist mir auch klar, weshalb ihr euch so verspätet habt", neckte sie der Vater. Die Mutter hielt ihre Basttasche auf, die voller Zeitungen war. "Selbst wenn ich die alle an einer Stelle bekommen hätte, würden wir wohl den vorigen Zug kaum geschafft haben. Alle fehlenden Nummern, die dein Herz begehrt." Liebevollspöttisch sah sie ihren Mann an. "Ich dachte mir, daß einige Stunden Unruhe über unser Späterkommen nicht so schlimm sind, wie ohne Zeitungen heimzu kommen." Der Vater bot der Mutter seinen Arm. "Ach, Schatz, ich bin froh, daß ihr endlich da seid." Die Mutter sah ihn prüfend von der Seite an. "Und ein bißchen auch über die Zeitungen, nicht wahr?" Vera stellte sich auf die Zehenspitzen und flüsterte Bobbi etwas ins Ohr, der machte daraufhin ein zweifelndes Ge sicht. "In Annaberg?" fragte er. Schwesterchen tut sich wieder mal wichtig, dachte Hel mi, hätte aber doch gern gewußt, was es zu tuscheln gab. Bobbi tat ihm den Gefallen. "Sie glaubt, den Pinkerton in Annaberg gesehen zu haben." "Bestimmt!" versicherte Verotschka und machte große Augen. "Wo in der Ferne jemand mit einem flachen Strohhut auftauchte, wollte Verotschka unbedingt hin, jedesmal überzeugt, es müsse der Schnüffler sein", sagte die Mutter lachend.
"In Annaberg gibt es genau 1111 Männer mit Kreissä gen", sagte Helmi todernst zur Schwester, "da hättest du einige Tage zu tun gehabt." Bobbi lachte schadenfroh, Verotschka ging beleidigt voraus und warf den Kopf. "Ach, ihr!" Drei Tage später fand sich ein Brief im Postkasten der Pension mit der Aufschrift: "An den roten Hetzer und Advokaten Liebknecht". Der Absender fehlte, doch so etwas war den Liebknechts nicht neu. Dennoch war die Familie gespannt, welcher persönliche Feind des Vaters sie hier in der Sommerfrische aufgestöbert haben mochte. Der Inhalt des Kuverts war ein Ausschnitt aus dem Lokalblätt chen für Oberwiesenthal und Umgebung mit roten Unter streichungen und Ausrufungszeichen am Rand. Halblaut las der Vater vor: "Überschrift: Liebknecht als Erzieher. Ein gewisser Herr Doktor Liebknecht, stolze Zierde der Sozialdemokratie, der sich im Reichstag und auf öffentli chen Versammlungen nicht genug tun kann im Eifern gegen Prügelstrafen und angebliche Rekruten mißhandlungen, praktiziert in der eigenen Familie jene Methoden, gegen die er überall agitiert. Gestern hat er seine beiden minderjährigen Söhne am Ortsausgang Oberwiesenthals derart verhauen, daß die armen Kinder in jämmerliches Wehklagen ausgebrochen sind. Als der rechtschaffene Bürger und Landwirt, Herr Demmler, gegen die Kindesmißhandlung einschritt, wies ihn der rabiate Erzeuger mit arroganten Worten ab und erklärte, er verbäte sich jede Einmischung in seine private Sphäre. Schlagend beweist dieser Vorfall den Gegensatz von Theo rie und Praxis bei tonangebenden Sozialdemokraten. Öffentlich predigen sie Sanftmut und Liebe, privat erwei sen sie sich als Prügelhelden gegen ihr eigen Fleisch und
Blut." Die Familie war sprachlos über diese Gehässigkeit. Am betroffensten waren die Mutter und Vera. Kurz erzählte Helmi, wie es sich wirklich zugetragen hatte, und nahm alle Schuld auf den eigenen Rücken und den des Bruders. Der Vater entgegnete ihm, wenn er gleich alles von der heiteren Seite genommen hätte, wäre kaum etwas daraus entstanden. Hinterher hätten sie es mit Humor betrachtet und diese Bagatelle den Frauen gegenüber nicht erwähnt. "Es ist bodenlos gemein", sagte die Mutter, "das darfst du dir nicht gefallen lassen." Sonst riet sie stets, an solche Vorkommnisse keine Zeit zu verschwenden. Hier, in der Ruhe der Sommerfrische, wirkte der hinterhältige Angriff wohl besonders auf sie. Der Vater war nachdenklich und traurig. Konnte denn ein Mensch wie der Demmler derart durchtrieben einen Zu sammenstoß provozieren, um ihn öffentlich auszuschlach ten? "Du mußt ihn verklagen", sagte Helmi. Der Vater riß sich aus seiner Grübelei. "Es geht nicht anders. Diese Schmiererei wird die Runde durch alle rechtsstehenden Gazetten machen. Nur durch eine Verur teilung des Demmler kann ich sie zu einer Berichtigung zwingen." "Da kommt der böse Demmler ins Gefängnis und kann mal nachdenken, was er angerichtet hat", versuchte Verotschka den Vater zu trösten. Der lächelte nachsichtig. "Gegen Ehrabschneider muß man privat klagen, da gibt es höchstens Geldstrafen, aber kein Gefängnis." Die Mutter brachte Federhalter und Papier. Sie wußte, daß durch die Abfassung der Klagebegründung der Vater
am ehesten über den Ärger hinwegkommen würde. Auf dem gemeinsamen Spaziergang wurde das Ein schreiben an das Amtsgericht Oberwiesenthal am Spät nachmittag zur Post gebracht. III.
PROZESS NICHT STATTGEFUNDEN
- UND DOCH GEWONNEN
Familie Liebknecht war aus dem Urlaub nach Berlin zurückgekehrt, und der Alltag verlangte wieder sein Recht. Eines Tages, Helmi war im Arbeitszimmer des Vaters und wollte dessen Meinung über ein Aufsatzkon zept hören, schellte die Wohnungsklingel dreimal kurz und herrisch. Vater und Sohn hörten, wie Frau Manke, die Haushälte rin, die Wohnungstür öffnete. Irgendwer wollte Doktor Liebknecht sprechen. Kurz darauf kam Frau Manke ins Arbeitszimmer und legte zwei Visitenkarten auf den Schreibtisch. Halblaut und kopfschüttelnd las der Vater: "Hasso von Zettwitz, Oberleutnant der Reserve". Auf der andern stand: "Ehrhardt von Grabenthin, Hauptmann der Reserve". "Lassen Sie die Herren eintreten", sagte der Vater, und Helmi setzte sich schnell auf einen Stuhl in der dunkelsten Ecke des Zimmers. Zwei Herren in Schwarz traten über die Schwelle. Wie auf Kommando nahmen sie die Zylinder ab, der kleine Zierliche stellte sich mit einem ruckartigen Beugen des Kopfes vor: "Von Zettwitz." In gleicher Prozedur klappte der andere nach: "Von Grabenthin." Der Vater blieb ernst und sagte höflich: "Bitte, nehmen
Sie Platz." "Danke, wir stehen lieber", sagte Hauptmann von Gra benthin. Er war groß und stark und erinnerte an einen vierschrötigen Kürassier, den man in eine schwarze Mas kerade gesteckt hat. "Womit kann ich Ihnen dienen, meine Herren?" Der Hauptmann mit dem Rotweingesicht schnarrte: "Als alte Regimentskameraden und Freunde Herrn Doktor Dregers stehen wir vor Ihnen als dessen Sekundanten. Ich übergebe Ihnen die Visitenkarte Doktors Dregers. Er fordert Sie zu einem Pistolenduell heraus." Helmi, den die beiden in seiner dunklen Ecke nicht be achteten, bekam einen Schreck. Was würde der Vater jetzt tun? Der Herausgeforderte tat sich keinen Zwang mehr an und sagte lachend: "Das ist ein gelungener Witz, meine Herren. Wollen Sie mir nun endlich ." "Herr Doktor Liebknecht", forderte der Zierliche mit schriller Stimme, "wir raten Ihnen, die Angelegenheit ernst zu nehmen, sonst sähen wir uns gezwungen, Sie ebenfalls ." "Bitte, meine Herren, Ihre Visitenkarten habe ich ja be reits. Auf ein Duell mehr oder weniger kommt es Ihnen, scheint's, nicht an." "Wir müssen Sie auffordern, wenigstens die Form zu wahren", knarrte Hauptmann von Grabenthin. Der Vater nahm den Kneifer ab und wischte sich die Au gen. "Ein Herr Doktor Dreger, den ich nie gesehen habe, fordert mich zum Duell. Und Sie verlangen, ich soll ernst bleiben?" Oberleutnant von Zettwitz akzentuierte die Worte wie auf einer Generalstabsbesprechung: "Wir dürfen voraus
setzen, daß Ihnen zumindest der Name Doktor Dreger bekannt ist." "Falls es sich um den famosen Direktor handelt, der ebenfalls in den KruppSkandal verwickelt ist, allerdings." "Sie meinen LiebknechtSkandal", widersprach der rot gesichtige Hauptmann. Erheitert winkte der Vater ab. "Eine politische Diskussion scheint mir in dieser Situati on Zeitvergeudung. Wie meine Enthüllungen Sie und Doktor Dreger getroffen haben müssen, beweist Ihr Auf tritt." Jawohl, jawohl, dachte Helmi und mußte sich beherr schen, um nicht Beifall zu klatschen. "Sie irren, mein Herr", korrigierte von Zettwitz und ver gaß einen Augenblick den schnarrenden Offizierston. "Doktor Dregers Forderung auf Pistolen nimmt Bezug auf Ihre infamen Behauptungen und unbewiesenen Unterstel lungen in dem Artikel ,Hokuspokus'. Doktor Dreger fühlt sich persönlich beleidigt, ebenso wie er die Ehre des Hau ses Krupp als dessen langjähriger Mitarbeiter zu verteidi gen gedenkt." "Und Herr Doktor Dreger hat sich wirklich eingebildet, ich werde die Forderung annehmen?" "Jawohl!" betonte von Grabenthin martialisch. "Mögen Ihre Ehrauffassungen auch andere oder gar nicht vorhan den sein. Aber öffentlich der Feigheit geziehen zu werden, als Memme dazustehen, die sich des mannhaften Zwei kampfes entzieht, das dürfte auch Ihnen nicht gleichgültig sein, meinte Herr Doktor Dreger." "So, meint er das? - Dann sagen Sie bitte Ihrem ver ehrten Doktor, ich hegte nicht die geringste Illusion, daß er sich um die Vorgänge im Reichstag einen Pfifferling
schert. Sonst hätte er meine unzweideutigen Stellungnah men zur DuellFrage dort kennen müssen. Es dürfte auch Sie interessieren: Meine Partei und ich, wir halten Duelle für anachronistischen Widersinn, eines Menschen unserer Zeit unwürdig." "Schlimm genug, von einem - hm - immerhin Aka demiker derartiges zu hören." Von Zettwitz zeigte kaum noch soldatische Beherrschtheit. "Schließlich sind doch wohl auch Sie Mitglied einer Verbindung gewesen." "Keiner schlagenden." Gelassen sah der Vater den Oberleutnant an. "Schon als Student habe ich das für Unfug gehalten." Unfug ist noch höflich ausgedrückt, fand Helmi. "Langer Rede, kurzer Sinn", Hauptmann von Gra benthins Stimme klang ungeduldig und drohend, "Sie nehmen nicht an?" "Ich denke nicht daran." "Sie sind sich klar, daß wir Ihre Weigerung in entspre chender Form veröffentlichen werden?" "Tun Sie das, meine Herren." Der Vater stand auf, ver gnügten Gesichts zog er sich die Weste glatt. "Das ist die beste Propaganda für meine Partei. Was wäre ich für ein komischer Sozialdemokrat, wenn ich öffentlich gegen mittelalterliche Barbarenbräuche spräche, mich ihnen aber privat unterwürfe." Die beiden Sekundanten in Schwarz sahen sich an. Ruckartig setzten sie die Zylinder auf, klappten mit den Hacken. Laut verkündete von Grabenthin: "Wir betrachten Sie als ehrlos. Deshalb ist es unter unserer Würde, uns mit einem Gruß zu empfehlen." Exakte Kehrtwendung, sie marschierten über die Diele, hinaus aus der Wohnung.
Helmi sprang vom Stuhl und schlug die Faust in die fla che Hand. "Den beiden Sargträgern hast du es fein gege ben, Papa! Das mußt du in die Zeitung setzen, damit noch viele Leute was zu lachen haben." Schmunzelnd ging der Vater auf und ab, die Daumen in die Ärmelausschnitte der Weste gehängt. Er blieb stehen und hob überlegend den Kopf. "Das ist kein schlechter Gedanke. Eine gepfefferte Notiz im ,Vorwärts' als Würze zum Margarinebrot in der Frühstückspause gäbe den Genossen in den Fabriken willkommenen Spaß." Ent schlossen setzte er sich wieder an den Schreibtisch. "Komm, besprechen wir dein Konzept, und dann schreibe ich die Notiz." Sie einigten sich eben über den Schluß des Konzepts, als Frau Manke die Nachmittagspost hereinbrachte und eine Quittung für ein Einschreiben des Amtsgerichts Oberwie senthal auf den Schreibtisch legte. Der Vater unterschrieb und schlitzte dann das amtliche Kuvert auf. Während er las, huschte Helmi hinüber ins Kinderzimmer. Bobbi saß dort und malte. "Das Amtsgericht Oberwiesenthal hat geschrieben", verkündete Helmi freudestrahlend, "bestimmt wegen des Prozesses gegen Demmler." Das elektrisierte den Bruder, er warf seinen Tuschpinsel hin und sprang auf. "Du, da müssen wir als Zeugen auf treten!" Beide sausten hinüber ins Arbeitszimmer. Der Vater hatte den Freudenruf gehört und erklärte sachlich: "Der Termin ist zum 28. August anberaumt. Aber daß ich meine beiden Jungen als Zeugen mitbringen soll, davon steht hier nichts." Die Jungen starrten ihn ungläubig an. Helmi erinnerte
sich rechtzeitig einer Weisheit, die er aufgeschnappt hatte. "Drei Zeugen zählen aber mehr als einer, Papa." Der Vater zeigte sich nicht sehr beeindruckt, er erläuter te: "Nur im äußersten Fall ladet ein Gericht Kinder als Zeugen, denn der Wert ihrer Aussagen wird als gering erachtet." "Mit dreizehn Jahren ist man doch kein Kind mehr", behauptete Helmi selbstbewußt. Der Vater pflichtete iro nisch bei: "Es sind ja auch nur noch acht Jahre, bis du majorenn bist." "Sonst bist du immer dafür, daß die jungen Leute schon mit achtzehn für voll genommen werden. Mich nimmst du aber überhaupt nicht ernst." Helmi sagte es so todtraurig, daß der Vater lachen mußte. Helmi ließ nicht locker. "Vielleicht behauptet Demmler, deine Kinder haben sich wirklich von dir bedroht gefühlt. Dann kann ich sagen, daß wir nur aus Trotz geheult haben. Und Angst haben wir erst vor den Sensen gekriegt." Stolz auf den logischen Gedanken des Sohnes, gab der Vater zu: "Unter dem Aspekt könnte es vielleicht nützlich sein, dich mitzunehmen." Ein Freudenschrei Helmis antwortete ihm. Bobbi war enttäuscht und zog sich beleidigt wieder ins Kinderzimmer zurück. Helmi packte die Gelegenheit beim Schopfe, er brauche nun einen Brief an den Direktor des Gymnasiums, denn fünf, sechs Tage Schulbefreiung würden sich wohl nötig machen. Seufzend setzte sich der Vater an den Schreibtisch und schrieb ein Gesuch um drei Tage Urlaub für seinen Sohn Helmut Liebknecht. "Schade", bedauerte Helmi, "ich glaubte, solch ein wichtiger Prozeß dauert mindestens drei
Tage." "Für die Herren im Talar dort ist das eine Bagatellsache, die sie so schnell wie möglich vorn Tisch zu haben wün schen", belehrte der Vater den Prozeßwütigen. Das Gesuch brachte Helmi am nächsten Tag zum Di rektor. Der genehmigte es und übergab es dem Klassenor dinarius Studienrat Kreftich, der sich nicht verkneifen konnte, hämisch zu bemerken: "Dein Vater wünscht dich wohl schon als Nachfolger und künftigen Anwalt zu trai nieren." Er sagte es allerdings erst, als der Direktor wieder das Klassenzimmer verlassen hatte. "Ich denke nicht daran, Rechtsanwalt zu werden", erwi derte Helmi. "Das interessiert hier niemanden", verwies ihn Kreftich. In der Pause wurde Helmi von den Klassenkameraden mit Fragen bestürmt. Er spielte ein bißchen den Sohn des berühmten Anwalts, für den es gar nichts Besonderes bedeutet, in einem Prozeß als Zeuge aufzutreten. Die Jungen ergingen sich in abenteuerlichen Vermutungen, was mit dem verklagten Bauern Demmler geschehen würde. Helmi, bewanderter in derlei Fragen, hütete sich, eine ähnlich nüchterne Auskunft zu geben, wie sie ihm der Vater erteilt hatte. Der Tag der Abreise war heran. Der übrige Teil der Fa milie brachte Vater und Sohn zur Bahn, und um das Maß der Freude voll zu machen - auch als Trostpflaster für Bobbi -, war Herr Dillack mit seiner Droschke bestellt worden, der den Vater hin und wieder mit seinem braunen Wallach "August" durch Berlin kutschierte. Die Eltern nahmen im Fond Platz, ihnen gegenüber die beiden Jüng sten, Helmi durfte auf dem Bock sitzen.
"Abfahren!" kommandierte Herr Dillack und sah sich befriedigt nach hinten um. "So 'ne feine Porzellanfuhre hat Aujust lange nich jezottelt, Herr Dokter." Helmi konnte sich nicht verkneifen, dem freundlichen Mann den Sinn der Reise haarklein auseinanderzusetzen. Der Alte und der Junge auf dem Kutschbock unterhielten sich lebhaft über mögliche Wendungen des Prozesses. Während die Mutter Bahnsteigkarten besorgte, trugen Herr Dillack und Helmi die kleine und die große Reiseta sche zum Zug. Kurz vor der Abfahrt trat Dillack zu den aus dem Abteilfenster Schauenden und hielt beide Dau men hoch. "Na denn, auf in den Kampf, Herr Dokter. Zeigen Sie dem Kerl, was 'ne Harke is." Vater und Sohn übernachteten in der Pension Frau Dek kers und machten sich am andern Morgen auf den Weg zum Amtsgericht. Das steinerne Gebäude schien noch nicht recht erwacht zu sein, die Fliesen der Halle strömten Morgenkühle aus, Reinemachefrauen beendeten eben ihre
Arbeit. Ein grauhaariger Herr mit Goldrandbrille kam auf die beiden zu. "Herr Doktor Liebknecht? - Guten Morgen. - Wagenführ, Vertreter des Beklagten Alois Demmler. Großartig, daß Sie frühzeitig hier sind. Ich hoffe, wir können uns ein langes Hickhack ersparen." Wagenführs rotwangiges Gesicht strahlte Zuversicht aus. Der Vater blieb freundlich, ohne jedoch seine Skepsis zu verbergen. "Sie machen mich gespannt." "Mein Mandant ist zu entsprechender Buße bereit, wenn Sie die Klage zurückziehen." "Das ist wahrlich eine Überraschung", sagte der Vater. "Auf einen derart bösartigen Artikel Rückzug ohne Ver teidigungsversuch?" Wagenführs muntere Augen hinter dem Goldrand blin zelten vertraulich. "Sie wissen doch, wie das in so einem Nest ist, Herr Kollege. Der Demmler ist gar nicht so un eben, hat sich nur in der Schenke wichtig getan. Zufällig - ich betone: zufällig - war solch ein Subjekt anwesend. Der fragte dem biederen Bauern Löcher in den Bauch, bis der ganz wirre war, und dann hat jener Ehrenmann das Pamphlet zusammengeschmiert. Eigentlich ist er der Schuldige und müßte belangt werden." "Herr Demmler bleibt trotzdem der Urheber." "Es ist Ihr gutes Recht, sich an ihn zu halten." "Und es ist das gute Recht Herrn Demmlers, sich an den Wortverdreher zu halten." Wagenführ lachte zustimmend. "Das habe ich ihm aus einandergesetzt, ebenso aber auch, daß er sich neue Schwierigkeiten auf den Hals lädt, falls er seine Drohung in die Tat umsetzt und dem Schmieranten eine Tracht Prügel verabreicht."
"Juristisch haben Sie völlig korrekt geantwortet - mo ralisch hätte der sie verdient." "Ich sehe, wir verstehen uns, Herr Kollege. Es brauchte nicht vieler Worte, um Herrn Demmler klarzumachen, daß es am billigsten sei, vorher einem Vergleich zuzustim men." "Wie sähe der aus?" Doktor Wagenführ zog ein Blatt Papier aus der Brustta sche. "Dies ist ein Entwurf, über Einzelheiten würden wir uns schon verständigen." Halblaut und geschäftsmäßig las er vor: "Ich, Alois Demmler, Landwirt in Oberwiesenthal, distanziere mich von dem Artikel ,Liebknecht als Erzie her' und erkläre dazu folgendes: Zwar habe ich jenen Vorfall weitererzählt, gebe aber zu, daß es sich dabei um ein Mißverständnis meinerseits handelte. Durch den Be richterstatter Herrn Seidig ist der Vorfall bösartig aufge bauscht worden mit Worten, die ich niemals benutzt habe. Ich bedaure die dadurch entstandene Diffamierung des Reichstagsabgeordneten Herrn Dr. Karl Liebknecht und werde diese Berichtigung in der betreffenden Zeitung durchsetzen. Ich bin bereit, die entstandenen Gerichtsko sten zu tragen." "Und wer trägt meine Reisekosten, die drei Tage Ar beitsausfall?" Wagenführ machte ein Gesicht, als wolle er gleich wei nen. "Lieber, bester Herr Kollege, ich sagte schon, der Demmler ist nicht uneben, hat aber einen harten Bauern schädel. Machen wir ihn jetzt mit Ihrer Forderung hals starrig, zieht er womöglich seinen Vergleichsvorschlag zurück." Nervös schaute er auf die große Normaluhr. "In fünf Minuten soll die Verhandlung beginnen. Notfalls kann ich fünfzehn Minuten Aufschub beim Amtsge
richtsrat erwirken. Aber die Zeit würde nicht reichen, um Demmlers Zustimmung zu Ihrer unerwarteten Forderung zu erlangen." "Wo ist er denn?" Zugleich mit dem Vater sah sich auch Helmi suchend um, und beide erblickten in der Nähe eine Gestalt, die wie ein Schatten hinter einer Säule ver schwand. "Wir müßten ihn von zu Hause holen lassen. Im Vertrau en auf Ihre bekannte Hochherzigkeit habe ich Herrn Demmler versprochen, den Vergleich zustande zu brin gen." Wagenführ lachte gewinnend. Der Vater lachte ebenfalls. "Sie sind eine harte Konkur renz, Herr Kollege." Wagenführ parierte schlagfertig. "Schachspiel macht am meisten Spaß mit einem starken Partner." "Auf jeden Fall möchte ich mir Ihren Entwurf in Ruhe durchlesen", sagte der Vater wieder ernst. "Gehen wir ins Anwaltszimmer", schlug Wagenführ vor. Helmi, der sich kein Wort der Unterhaltung hatte entge hen lassen, war nicht sehr erbaut, als der Vater ihn bat, auf einer Bank im Flur zu warten. Nachdem Doktor Liebknecht Wagenführs Entwurf auf merksam durchgelesen hatte, legte er die liberale "Tägli che Rundschau" und die konservative "Deutsche Tageszei tung" auf den altersbraunen Amtstisch und wies auf die beiden Artikel mit den gleichlautenden Überschriften, die wie der übrige Wortlaut aus dem Oberwiesenthaler Lo kalblatt übernommen worden waren. "Sehen Sie, Herr Kollege, diesem Treiben möchte ich so schnell wie mög lich Einhalt gebieten, deshalb bitte ich um folgende Er weiterung Ihres Entwurfs: , . werde ich diese Berichti
gung durchsetzen und umgehend eine Erklärung gleichen Wortlauts drucken lassen, die am Amtsgericht und allen anderen amtlichen Anschlagstellen Oberwiesenthals zum Aushang kommt'." Wagenführ strich sich überlegend das Kinn. Karl Liebknecht stieß nach: "Das ist ja der Hauptscha den, den mir Demmler mit seiner Plauderei am Stamm tisch zugefügt hat. Wenn Sie mir solche gedruckten Erklä rungen zusenden würden, könnte ich ohne langatmige Auseinandersetzung Berichtigungen bei den betreffenden Gazetten durchsetzen. Denn ehe die Erklärung Demmlers im Oberwiesenthaler Lokalblatt erscheint, dürfte etliche Zeit vergehen. Wenn mich nämlich nicht alles täuscht, ist dieser - dieser Gentleman Seidig von gewissen Leuten gekauft und auf mich und meine Familie hier im Urlaub angesetzt worden." "Ausgezeichnet kombiniert", stimmte Wagenführ zu. Doktor Liebknecht sah ihn verständnisheischend an. "Fairneß gegen Fairneß. Durch solch eine gedruckte Er klärung Demmlers könnte ich Seidigs Auftraggeber am schnellsten ad absurdum führen. Für ein Entgegenkommen Ihrerseits wäre ich bereit, von allen weiteren Kostenforde rungen abzusehen und Ihrem Vergleichsvorschlag zuzu stimmen." "Einverstanden." Wagenführ hielt Karl Liebknecht die Hand hin, der einschlug. "Ich habe eigentlich damit gerechnet, aber man darf es der Gegenseite auch nicht zu leicht machen", sagte der gewitzte Anwalt Demmlers. Er versprach, die soeben getroffene Vereinbarung zu fi xieren und eine Ausfertigung davon in die Pension Decker bringen zu lassen. "Jetzt muß ich eilen", entschuldigte er
sich, "der Herr Amtsgerichtsrat wird über die Verzögerung murren, aber unter uns gesagt, diese Lösung wird auch ihm angenehm sein." - Nachdem die beiden Männer im Anwaltszimmer verschwunden waren, trollte sich Helmi zu der angewiesenen Bank und ließ sich dort grämlichen Gesichts nieder. Das große Abenteuer war futsch. Kein Prozeß mit feuriger Anklage und wackerer Zeugenaussa ge, kein Held des Tages. "Nun, junger Mann, Langeweile?" Leicht erschrocken schaute Helmi auf. Ein Herr unbestimmbaren Alters in schlichtem Dunkelgrau und gleichfarbenem Filzhut hängte seinen Schirmgriff über die Banklehne, stellte die Akten tasche daneben und setzte sich dann umständlich. "Jaja, auf dem Gericht muß man Zeit haben." Er sprach ohne Hast und beinahe in mitfühlendem Tonfall. Helmi glaubte, der Fremde komme ihm irgendwie bekannt vor. "Ich hoffe, es wird nicht lange dauern", antwortete er aus Höflichkeit und weil ihm in seiner Enttäuschung die nette Art des ändern zusagte. Worauf mochte der hier warten? Um eine Zeugenaussage zu machen oder als Beklagter? Innerlich schien er nervös, denn er konnte die Hände kaum still halten. Erst spielte er mit einem Schlüsselbund in der Rocktasche, dann faltete er den Schirm mehrmals auf und zu, als probiere er, ob die Mechanik noch funktioniere. Dabei sagte er wie nebenhin: "Haben Sie eine gute Reise gehabt? Ich sah Sie gestern zufällig auf dem Bahnhof ankommen." "Komisch, ich habe Sie nicht gesehen." "Das ist ja ein sozusagen mathematisches Gesetz: Wer bekannt ist, wird von vielen gesehen, der Unbekannte bleibt unbekannt. Ihren Herrn Vater kennt doch jeder." "Ich finde das etwas übertrieben." Der Fremde überging
den Einwand. "Doktor Liebknecht ist ein exzellenter Strafverteidiger, sein Kontrahent Wagenführ wird keinen leichten Stand haben." Irgend etwas in Helmi warnte. "Sie wissen ja gut Be scheid. Sind Sie etwa Doktor Wagenführs Bürodiener?"
Einen kleinen Augenblick schien der Mann in Grau über die boshafte Frage verblüfft, doch er fing sich schnell. "Ich? - Nein. Ich habe anderweitig auf dem Gericht zu tun. Aber ganz Oberwiesenthal spricht doch von dem Prozeß." "Ich glaube, Sie bauschen gern auf. So wichtig ist ja die Angelegenheit nun auch nicht." "Sagen Sie das nicht. Wenn Doktor Liebknecht verliert, würde sich das sehr unangenehm auf seine politische Tätigkeit auswirken." "Sie sagten, Doktor Wagenführ wird einen schweren Stand haben. Weshalb sollte mein Vater also verlieren?" "Tscha, lieber Herr Liebknecht junior, Tatsachen sind
Tatsachen, die kann auch kein Wortkünstler aus der Welt schaffen." "Die Tatsachen sind für uns." "Nanu? Es heißt doch, die beiden Demmlers schwören Stein und Bein, daß sich alles so zugetragen hat, wie es in der Zeitung stand." Der Verdacht war in Helmi immer stärker geworden. Dieser ernst wirkende Mensch schaute zwar keinesfalls wie ein Dandy aus. Sein Gesicht war blaß, ohne jede Som merbräune, ein Stutzbärtchen zierte die Oberlippe. Aber die gebogene Nase, die pfiffigen Augen hinterm Glas der Nickelbrille . Helmi stand auf und stellte sich vor den Mann hin. "Jetzt weiß ich, wer Sie sind. Bestimmt derjenige, der die Lügen in die Zeitung gesetzt hat." Dem Grauen verschlug es einen Augenblick die Sprache. Dann entrüstete er sich wie ein schlechter Schauspieler. "Unerhört! Wie können Sie so etwas behaupten? Und wie wollen Sie beweisen, daß es Lügen sind?" "Eben haben Sie schon wieder gelogen. Herr Demmler denkt gar nicht daran zu schwören. Er will alles zurück nehmen." Behende sprang der Angeschuldigte auf und ließ trium phierend den Schirm am Griff rotieren. "Sehen Sie, klei nes Schlaumeierchen, das, genau das wollte ich von Ihnen erfahren!" Helmi zitterte vor Zorn. "Sie - Sie trauriger Pinkerton. Sie haben mich schon auf dem Weg von Frau Schumm zur Pension ausfragen wollen. Und Frau Decker haben Sie Gemeinheiten über unsere Familie erzählt." Der Ertappte feixte gehässig. "Sie merken aber auch al les, nur ein bißchen zu spät." Die Tür des Anwaltszimmers ging auf, Doktor Lieb
knecht trat heraus. Mit einem schnellen Blick sah es Sei dig, er zischte Helmi ins Gesicht: "Bestellen Sie Ihrem klugen Herrn Vater, er kann gar nicht so viel Prozesse führen, wie wir über ihn ausfindig machen werden. Adieu." Gleich darauf war er verschwunden, als habe ihn der Erdboden verschluckt. Nichtsahnend kam der Vater auf Helmi zu. "Was machst du für ein Gesicht? Ist es denn so schwer zu ertragen, daß deinem Vater der Ärger eines Prozesses erspart bleibt?" Helmi schien wie aus einer Betäubung zu erwachen. Ha stig berichtete er und schloß verzweifelt: "Ich habe mich von dem Kerl hereinlegen lassen. Er sah aus wie ein ande rer." Beruhigend fuhr der Vater ihm übers Haar. "Das sind so die Tricks dieser üblen Gesellen. Falsche Bärtchen, falsche Brillen, alles ist so falsch an ihnen wie sie selbst. Bald erfahren die Kanaillen ohnehin, daß sie in dieser Angele genheit schachmatt gesetzt wurden." "Aber Papa, was er zum Schluß gesagt hat. Ich habe Angst." Sie verließen das Amtsgericht. Freundschaftlich nahm der Vater den Sohn beim Arm. "Diese Drohungen sind alt und abgedroschen. Übel ist nur, daß man sogar meine Kinder mit hineinzieht. Doch das härtet dich frühzeitig ab. Du hast nun selbst erlebt, was den erwartet, der für das Gute eintritt. Aber wer sich seiner Sache sicher ist, den bestärkt es nur darin." Da noch Zeit war, wanderten Vater und Sohn, plaudernd wie zwei gute Freunde, durch die alte, idyllische Stadt. Bei Frau Decker aßen sie zu Mittag und fuhren mit dem Nachmittagszug zurück. Die Familie hätte eher mit einem Späterkommen als mit
einem verfrühten Erscheinen der beiden gerechnet. Auf merksam lauschten die Mutter, Verotschka und Bobbi dem Bericht von Vater und Sohn. Bis in die Einzelheiten genau erzählte Helmi seinen Zusammenstoß mit dem verkleide ten Pinkerton. Die Geschwister beneideten ihn um dieses aufregende Erlebnis. In ihrer Phantasie wurde Seidig beinahe zu einem Zauberer, der sich auf Wunsch verwan deln oder verschwinden konnte wie jener Pudel im Pup penspiel vom Doktor Faustus, das sie gerade gesehen hatten. Alle Familienmitglieder schlossen sich der Meinung des Vaters an, der das abenteuerliche Erlebnis mit den Worten abschloß: "Der beste Prozeß ist der, den man gewann, ohne ihn führen zu müssen."
Heft 308
Ulrich Waldner Gift vom schwarzen Markt
Herbst 1946. Karl Kalluweit streift über den schwarzen Markt. Er braucht dringend Penicillin. Seine Mutter hat eine Lungenentzündung, und es ist nicht sicher, ob sie mit dem Leben davonkommt. Endlich findet Karl einen Schwarzmarkthändler, der ihm für horrendes Geld das Medikament verkauft. Karl weiß nicht, daß er "gepansch tes" Penicillin in Händen hält. Wird seine Mutter am Leben bleiben? Werden er und Kommissar Reinhardt den Schwarzmarkthändler finden und hinter Schloß und Riegel bringen können?