LUX
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. Weltgeschichte in spannenden Einzelheften Jedes Heft 64 Seiten
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LUX
H I S T O R I S C H E
R E I H E
. Weltgeschichte in spannenden Einzelheften Jedes Heft 64 Seiten
Heftpreis Nr. 1—19: 75 Pfg., ab Nr. 20: 90 Pfg.
LUX HISTORISCHE REIHE bringt in fesselnder Darstellung, plastisch und farbig, Zeitbilder und Szenen aus dem großen Abenteuer der Menschheitsgeschichte. Menschen, Völker, historische Schauplätze und Landschaften aus allen Zeitaltern der Vergangenheit erstehen in bunter Folge vor dem Auge des Lesers. Geschichte wird hier zur lebendigen Gegenwart. Jedes Heft gibt ein abgerundetes und in sich abgeschlossenes Bild des dargestellten Zeitraumes. Titel der ersten Hefte: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10.
Sphinx am Strom Priester und Magier Götter und Helden Die Griechen Die Perserkriege Die Tempel Athens Alezanderzug Pyrrhus — der Abenteurer Hannibal Untergang Karthagos
11. Marius und Sulla 12. Kaiser ohne Krone 13. Das Goldene Rom 14. Die ersten Christen 15. Hadrian und Marc Aurel 16. Das geteilte Weltreich 17. Germanenzüge 18. Hunnenschlacht 10. Die Mönche von Monte Cässiho
Titel der folgenden Nummern: Karl der Große Heiliges Römisches Reich Kaiser und Päpste Die Kreuzfahrer Friedrich Barbarossa Die Hohenstaufen Bürger und Bauern Die Humanisten Der Schwarze Tod Die Renaissance Neues Land im Westen Fahrendes Volk Ritter und Landsknechte Kaiser der Welt Der Große Krieg
Der Sonnenkönig Ruf übers Meer Der Preußenkönig Rokoko Im Schatten der Bastille General Bonaparte Kaiser Napoleon Kongreß in Wien Eiserne Straßen Der vierte Stand Verschwörer und Rebellen Sieg der Technik Bismarck Die rote Revolution Demokratie und Diktatur
und viele weitere Hefte. LUX HISTORISCHE REIHE bringt jedes Heft mit farbigem Umschlag, Illustrationen, Geschiehtskundlichen Landkarten, Anmerkungen und Zeittafel. VERLAG SEBASTIAN LUX — MURNAU VOR MÜNCHEN
LUX
HISTORISCHE
REIHE
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OTTO ZIERER
DER PROPHET ALLAHS DAS
JAHRHUNDERT MOHAMMEDS
• VERLAG SEBASTIAN LUX MURNAU - M Ü N C H E N • INNSBRUCK • BASEL
miwMüRUNG Als die große germanische Völkerwanderung, die jahrhundertelang Europa in Bewegung gehalten und sein politisches Kartenbild völlig verwandelt hat, zu verebben beginnt, erhebt sich aus der arabischen Wüste der Völkerzug der mohammedanischen Reiterstämme und verändert erneut das Ländergefüge der Alten Welt. Nur der Wucht des Hunnen- und des Mongolen\sbarmes vergleichbar, brandet die Hochflut des Islam j wie ein Zyklon über die Kulturen rings um das Mittelmeer und sucht im Osten und Westen den Durchbruch in die Herzgebiete des Abendlandes. Innerhalb eines Menschenalters organisiert sich unter der Fahne des Propheten zwischen dem Indischen und dem Atlantischen Ozean auf achttausend Kilometer Länge das Weltreich der Mohammedaner, das an Ausdehnung das Römerreich übertraf. Der Arabersturm zerschneidet nicht nur die Lebensadern Europas im Mittelmeerraum, sondern auch das Geäder der großen Seewege, die seit dem Altertum in die Welt hinausgeführt haben. Der Sturm der Wüstenkrieger zwingt das Ostreich von Byzanz, all seine Kräfte an seinen Südgrenzen zusammenzufassen und ermöglicht es den aus Rußland eindringenden Slawen den Balkan zu besiedeln. Während so in Osteuropa und an den Küsten des Mittehneeres eine neue Welt und neue Kulturen entstehen, sieht sich Mittel- und Westeuropa gezwungen, in Abwehr und Selbstbesinnung seine eigenen Kräfte zu entwickeln, getrennt vom christlichen Reiche von Byzanz und in ständiger Gefährdung; denn tausend- Jahre lang, vom 7. bis zum 17. Jahrhundert, wird, das Abendland unter der Bedrohung durch den Islam stehen, dessen Flammen der Prophet Allahs in der Heiligen Stadt Mekka entzündet hat. B Von Mohammed und seinem Jahrhundert erzählen die folgenden Seiten. 2
Die Ureinwohner nennen Arabien „Die Insel"; denn wie eine Insel wird es im Osten von den blauen Fluten des Persergolfs, im Süden vom Arabischen Meer und im Westen durch die Wasser des Koten Meeres umspült; der Norden aber ist durch wasserarme Ebenen und Gebirge einer steppen- oder wüstenartigen Landschaft von der übrigen Welt geschieden. Das riesige Land wird von ausgedehnten Gebirgszügen durchschnitten, es hat keine Flüsse und nur wenige Quellen, die in Zisternen geleitet werden oder in tief eingegrabenen Klüften oder in Salzsümpfen versickern. Endlos scheinen die sandigen, von glühendem Hauch durchwehten Flächen. Über hochgelegenen Tafelländern zittert die heiße Luft. In zerklüfteten, von Sonne und Sandsturm angefressenen Formen ragen die purpurnen Felstürme der GebirgsstÖcke auf. Blaue Schatten lasten über den Wadis, den Trockentälern, die bei seltenen Regengüssen reißende gelbe Wasser führen. Es gibt Bezirke, in denen viele Tagereisen weit kaum ein paar Salztümpel oder einige verborgene, oft ausgetrocknete Brunnenlöcher zu finden sind. Rings um diese unerschlossene, schweigende Welt Arabiens stehen wie Mauern die Küstengebirge, an deren Hängen die Monsune ihre Wolkenlast ausregnen lassen. Vor allem in den Südlandschaften Jemen und Hadramaut gibt es beregnete Gegenden zwischen Berg und Meer, in denen der Ackerbau gedeiht und die Menschen in festen Siedlungen hausen. Dichter besiedelt sind sonst nur die weitverstreuten Oasen. Hier treten die unterirdischen Wasseradern in tiefen Brunnen oder kleinen Teichen zutage. Das lebenspendende Naß wird durch Kanäle über das durstende Land verteilt und schafft scharf von der Wüste abgegrenzte fruchtreiche Bezirke.
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Arabien, Palästina, Syrien und Persien
Kingsum weht der glühende Tod wie ein Gespenst, das sich in die roten Schleier des Sandes hüllt. In den Oasen aber herrscht das Leben. Hochragende Dattelpalmen streben mit braunen Stämmen dem tiefblauen Himmel entgegen, den das Gefächer ihrer Wedel durchschneidet. Am Rande der Wassergräben wächst langes grünes Gras, schwarzhaarige Ziegen weiden dort; über die abgeernteten Hirse- und Weizenfelder trotten langbeinige Kamele, hinter den Tamariskensträuchern, unter blühendem Hibiskus und Jasmin schachteln sich die Würfelhäuser der Beduinen. Kleine Gärten mit allerhand Wurzeln, mit Lauch und Zwiebeln, mit Fruchtbäumen und Mannasträuchern 4
drängen sich um die gelben Lehmmauern, die nach außen ein abweisendes Gesicht zeigen, denn die Wüste ist voller Gefahren. Hinter dieser Mauerhürde, die von Menschenhand aus Feldsteinen, häckselvermischtem Lehm und einigem Astwerk errichtet worden ist, schieben sich die flachen Araberhütten in- und übereinander. Auf den strohgedeckten Dächern und dem hartgebrannten Lehm sproßt ein wenig Kraut, das die klettergewandten Ziegen abweiden. Die Oase ist eine Insel des Lebens, ja, des Überflusses inmitten eines mörderischen Ozeans von Sand, Hitze und Durst. Ein greller Sonnenhimmel liegt über dem Land, draußen durch die Wüste ziehen die Heimatlosen, die Nomaden, die Räuber. Manchmal schlagen sie ihre aus schwarzer Ziegenwolle gewebten, groben Zelte am Rande eines Trockentales oder einer Oase auf und hüten ihre Kamele und Schafe, von denen sieleben. Ihre ganze Existenz hängt an dem Wissen um den jahreszeitlich bedingten Wuchs von etwas Gras, wenigem Dorngesträuch oder Unkraut, das sich am Grunde eines Wadi findet; es hängt das Dasein des Stammes oder der Horde von den Führereigenschaften eines Scheichs ab, der in der trostlosen Weite der Gebirge und Wüsten die paar Wasserlöcher und Grünflächen kennt und rechtzeitig zu finden weiß. Diese frühen Söhne der Wüste sind schlanke, hochgewachsene Menschen mit schmalen, adlerscharf geschnittenen Gesichtern, in denen feurige Augen glänzen; viele haben weit nach hinten ausladende Schädel und kühn gebogene Nasen. Jeder Araber ist mit anmaßendem Stolz erfüllt und beugt seinen Willen nur dem Interesse der Familie, vielleicht noch der Horde, schon seltener dem Stamm — aber niemals dem eines Volkes oder Staates. In einem ordnungs- und rechtlosen Bereich, über dem Sonne, Sturm und glühende Erde herrschen, kann sich keine menschliche Obrigkeit herausbilden, es sei denn die freigewählte und frei anerkannte Führerschaft eines Stammesältesten, dem man folgt, weil er die meiste Erfahrung im Lebenskampfe hat und weil er die Wasser- und Weidestellen am sichersten kennt. Gesetz der Wüste ist die Macht, sie scheint den Nomaden das erste und natürlichste Recht zu sein. Zwischen Horden- und Stammesbrüdern mag vielleicht die Ratsversammlung entscheiden. Handelt es sich um Konflikte Ol
mit Stammesfremden, so fragt man, wenn man guten Willens ist, eine weise Frau, einen der heiligen Asketen der Wüstenberge oder einen angesehenen Scheich. Doch es gibt keinen Zwang, den Spruch der Befragten anzunehmen. Zuletzt entscheiden doch Gewalt, Dolch und Lanze. Unter der brennenden Sonne fordern Blutrache, Sippenfehde und Ausrottungskrieg viele Opfer. Und es gibt viel Feindschaft in der Wüste. Kaub ist Sitte, und Gewalt bleibt ohne Strafe. Wer wollte die dürftigen Weiden inmitten von länderweiten Gebieten begrenzen! Altüberkommene mündliche Überlieferung verbrieft den ziehenden Horden und ihren Herden das spärlich sickernde Wasser eines Brunnens, den aber vielleicht auch eine andere Horde zur Erhaltung ihres Daseins benützen muß. In der Frühzeit ungezählter Jahrtausende ist die arabische Seele unter den harten Bedingungen der Wüste herangewachsen. Unauslöschlich ist der Charakter der Menschen von den Urerlebnissen zahlloser und namenloser Geschlechter geprägt. Grausam und hart ist das Dasein, und grausam und hart sind die Menschen. Ohne Mitleid und ohne höheren Sinn verläuft das Leben, willkürlich und ohne anerkannte Ordnung hat sich diese Welt gebildet. Ohnmächtig und ausgeliefert ist der Araber den Mächten des Himmels und der Erde. Ergebenheit zeichnet die Weltstimmung Alt-Arabiens, unausweichlich ist das Schicksal. Das Wissen um Tod und Erliegen spricht ebenso aus den Worten der Dichter wie das stolze Aufbegehren gegen die übersinnlichen, gnadenlosen Mächte: . „Sind wir nicht einem blinden Geschick unterworfen und lassen uns noch täuschen durch Speise und Trank? Vögel sind wir, Fliegen und Würmer, und doch kühner als reißende Wölfe. Die Wurzeln meines Adels reichen bis in die Tiefe der Erde, und doch raubt mir der Tod meine Jugend, Leib und Leben und bringt mich baldin den Staub. Wie kann ich vom Sohicksal Milde erhoffen, das die festen Berge nicht verschont, H da ich doch weiß, daß es mich binnen kurzem mit seinen Fängen packen wird, wie es meinen Vater und meinen Vorvater getroffen h a t . . .U1. Aus der Härte und Mitleidlosigkeit des Daseins retten sich die Menschen der Wüste hinüber in das Keich der 6
, Träume. In der Fata Morgana der Phantasie gaukeln die ewigen Wünsche der Wüste: schattige Gewölbe und Haine, Oasen mit grünen Weiden und hohen Palmen, sprudelnde Brunnen, aus denen in unerschöpflicher Fülle reines, klares und kühles Wasser fließt. Weder Schatten noch Wasser, noch märchenhafte Paradiese schenkt die Natur des Landes den Menschen. So bleiben nur Traum und Sehnsucht. Aus Phantasie und Fabel, aus Wünschen und Märchen werden eines Tages im Aufbruch der Stämme die Träume Arabiens geschichtliche Wirklichkeit werden...
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*
Im Norden und Nordwesten grenzt die Arabische Halbinsel an die äußersten Randgebiete des Oströmischen Reiches: Ägypten, Palästina, Syrien und die Provinzen Kleinasiens. Im sechsten Jahrhundert nach Christus ist das Oströmische Reich, das erst vor kurzem dem Ansturm der germanischen Völkerwanderung getrotzt hat, erneut an all seinen Grenzen umstürmt. Die Zeit ist wie ein Vulkan, unaufhörlich speit sie Tod und Verderben, Krieg und Feindschaft aus. Auf den Balkan, wo die Nordprovinzen des Reiches hegen, brechen aus dem russischen Raum die Slawen vor2 und bedrohen das Vorfeld der Haupt- und Kaiserstadt Byzanz-Konstantinopel. Aus Vorderasien, wo die Perser i ein ausgedehntes Reich errichtet haben, dringen persische Reiterscharen in die oströmischen Provinzen, besetzen das j Land am Euphrat und Tigris? erobern Syrien, das Heilige Land, Jerusalem, Teile von Ägypten und Kleinasien und werden zu Nachbarn Arabiens. Erste Vorhuten erscheinen auch vor Konstantinopel. Der Sieg des Heidentums gegen das christliche Byzantinische Reich scheint in Nord und Süd unabwendbar. In dieser Schicksalsstunde, da es um Bestand oder Untergang geht, sammelt Heraklius, der Kaiser Ostroms3, die Kraft des großen Byzanz. Er ruft die Christenheit zum Kreuzzug gegen die Todfeinde auf. Ostrom — schon über dem Abgrund schwebend — wird vom Sturm des Heldenmutes erfaßt. Byzanz bricht auf, mit neuen Heeren, mit todbereiten Scharen, um alles wiederzugewinnen, was verlorengegangen ist. Der Krieg wälzt sich auch über den Nordrand der arabischen Halbinsel. Die Horden des Stammes der Mutebair, 7
die im Dienste der Perser stehen, durchziehen raubend die Wüste und überfallen auch ein Zeltlager des Stammes der Schammar, der von dem Scheich Mulms ibn Hafas angeführt wird. Kamele werden fortgetrieben, Ziegen gestohlen, und eine Anzahl der schwarzen Zelte geht in Flammen auf. Seit diesen Tagen sucht Mukris ibn Hafas Vergeltung und Blutrache. Aber das Glück ist nicht auf seiner Seite. *
Nach einigen erfolgreichen Überfallen auf die verstreuten Horden der Mutabair reiten die Krieger Mukris'ibn Hafas in einen geschickt gelegten Hinterhalt der Gegner und werden fast gänzlich zusammengehauen. Nur wenige Gerettete entkommen in die Wüste. Sie führen den schwer verwundeten Mukris ibn Hafas mit sich fort. Als sie die Verfolger abgeschüttelt haben, machen sie halt, um die furchtbare Wunde des Scheichs zu behandeln. Im Grunde eines mit Disteln bewachsenen Wadi treffen die Männer eilends die Vorbereitungen. Ein Hanife, ein asketischer Einsiedler und Heilkünstler, der sich den Flüchtlingen angeschlossen hat, nimmt sich des Schwerverletzten an. „Wenn ich am Leben bleibe", schwört der totenbleiche Mukris ibn Hafas, atemlos vor schrecklichen Schmerzen, „so will ich ein Gelübde tun und eine der berühmten heiligen Quellen, ein Baum- oder Bergheiligtum oder gar den schwarzen Stein von Mekka aufsuchen. Ich will ein Büßer werden und dem wahren Gott dienen . . . " Während einige der Schammar große, braune Ameisen mit den starken, riesigen Kieferzangen suchen und sie einsammeln, hat der Hanife einen Topf mit Kamelbutter heißgemacht und ein krummes Messer haarscharf geschliffen. Mukris ibn Hafas hegt, seiner Sinne kaum mächtig, auf einem Fell. Vier kräftige Männer knien sich auf seine Arme und Beine. Der von einer Lanze durchstochene Leib wird freigemacht, ein Knabe wehrt mit einem Stück Fell die Fliegen ab. Der Arzt tritt heran, steckt das Messer ins kochende Fett und überstreicht seine Finger mit der heißen Brühe. Mit raschem Schnitt öffnet er die Bauchdecke des Patienten, so daß der blutende, vom Lanzenstich durchbohrte Magen hervorquillt. Die Wundränder, die schon dunkelrot und entzündet sind, werden mit siedendem Fett übergos8
sen. Mit einem Entsetzensschrei fallt Mukris ibn Hafas in Bewußtlosigkeit. Ein Beduine drückt die Wunde zusammen, ein zweiter bringt die Ameisen, und der Hanife hält Tier um Tier an die Wundränder, in welche die Ameise ihre Kieferklammern schlägt. Kaum hat sich das Tier festgebissen, wird sein Körper abgetrennt, und die Klammer hält die Wunde zusammen. So entsteht schnell eine Naht. Mit Dornen wird die Bauchdecke geschlossen, siedendes Fett über die Wundstelle geträufelt. Dann wird der halbtote Patient, der fahl wie eine Leiche daliegt, zur Erwärmung in die Haut eines [ frisch geschlachteten Kamels eingewickelt und zwischen zwei liegende Tiere gebettet. Dreißig Tage bleiben die Schammar in dem Trockental. Bis zum vierzehnten Tage ringt Mukris ibn Hafas mit dem Tode. Dann schließt sich die letzte Wundstelle, der Verletzte beginnt zu essen und sich zu erholen. In der vierten Woche reitet er nach stummem Abschied von den Stammesgenossen langsam an der Seite des Hanifen den Wüstenbergen entgegen. * Der Begleiter legt um den Genesenden zu schonen, lange Rasten ein. Wenn abends das Feuer aus Kamelmist und Dornengesträuch brennt, sprechen sie über Leben und Tod, über Götter und Menschen. Auf die Frage des Scheichs, zu welchem heiligen Ort er pilgern solle, um sein Gelübde zu erfüllen, rät ihm der fromme Einsiedler, in die ferne Stadt Mekka zu gehen. Dort liege die heilige Quelle Zem-Zem, an der Hagar, die Stammutter der Araber, ihren neugeborenen Sohn Ismael getränkt habe. Hagar sei die Nebenfrau Ibrahims gewesen, der sie um Sarahs und ihres legitimen Sohnes Israel willen verstoßen habe. Mekka besitze noch ein anderes, einzigartiges Heiligtum, den Stein des Weltschöpfers, den er unter die Menschen geworfen habe. Um diese Stadt Mekka und ihre Heiligtümer sei vor einem Menschenalter ein heftiger Krieg mit dem König der Äthiopier entbrannt, der mit einem Heer von Afrikanern über das Meer gekommen sei. Von diesem „Krieg des Elefanten" weiß der Einsiedler vieles zu berichten. Manche seiner Geschichten sind Legenden, wie sie an den Lagerfeuern der Wüsten und in den Sternennächten erfunden und phantastisch ausgeschmückt werden. 2 (20)
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Ein Pilger hat dem Hanifen berichtet, daß jüngst in Mekka ein neuer Heiliger aufgetreten sei. Seltsame Lehre verkünde er: „Der Weise von Mekka spricht: ,Und einem jeden Menschen befestigen wir sein Los am Halse, und am Jüngsten Tage wollen wir ihm ein Buch geben, das ihm geöffnet vorgelegt werden soll, und zu ihm sagen: Lies dein Buch! Du selbst sollst Rechenschaft wider dich geben 4 !" Und noch ein anderes Wort hat der Hanife im Gedächtnis bewahrt: „Ich habe keine Macht über mein eigenes Wohl und Wehe, außer, insoweit Allah es will! Jedes Volk hat seine Frist. Wenn seine Zeit gekommen ist, so kann es sie um keine Stunde verschieben oder beschleunigen 5 !" Seltsam angerührt von den Weissagungen des Heiligen von Mekka, glaubt auch der Scheich der Schammar, daß für ihn die Stunde der Berufung gekommen sei. Er verabschiedet sich von dem getreuen Hanifen und macht sich allein auf die Pilgerfahrt nach Mekka. * Zweimal im Jahre — während des siebenten Monats Radschab und zwischen dem elften Monat des alten und dem ersten des neuen Jahres — herrscht für die Karawanen der Wallfahrer, die zur heiligen Stätte Mekka pilgern, Landfrieden in Nordarabien. Mukris ibn Hafas wählt die Zeit des Radschab für seine Reise und schließt sich einer Karawane an, die nach Süden geht. Auf seinem weißgrauen Rennkamel kauernd, mit Schwert, Dolch und Lanze ausgerüstet und in den schwarzen Burnus gehüllt, schaukelt Mukris im Paßgang seines Reittieres dahin. Das Geschrei der Kameltreiber, das häßliche Brüllen widerspenstiger Tiere und das Gekreisch der kreisenden Geier sind die einzigen Laute, die das Schweigen der Wüstenberge stören. Kahl und zerrissen ragen die Felshäupter des Sinai im Westen auf. Wie ein Ozean von gleißendem Silber Hegt der Golf von Akaba zur Rechten. Die Männer der Karawane nächtigen in der kleinen Grenzstadt Aelana, die am äußersten Ausläufer des Golfes Hegt. Die Stadt ist^weithin zerfaUeh oder zerstört. Die Perser 10
haben auf ihrem Vormarsch bis zum Roten Meer Feuer in die Gassen geworfen, vor ihnen haben Christen die Tempel der Heidengötter zerbrochen und die Säulen und Ornamente für den Bau ihrer Kirchen verwendet. Die öffentlichen Gebäude der alten Zeit sind nur noch Ruinen. Bei Aelana überschreitet die Karawane die in dieser Zeit dauernd wechselnde Grenze des Byzantinerreichs. Arabische Horden lauern den Handelszügen längs der Straße auf, unbekümmert darum, ob Oströmer, Perser oder örtliche Machthaber sich rühmen, Herren des Landes zu sein. Die Heerstraße führt durch unwegsame Einöden, an Wüstengebirgen und den Ufern des Roten Meeres entlang südwärts. Allerorts trifft man auf die Reste einstiger Handelsstationen, halb zerfallene kegelförmige oder würfelartige Lehmhütten hinter Mauern aus Bruchstein und Lehm, die zur Karawanserei mit niederen Bogengängen geworden sind und einen weiten Innenhof mit der Zisterne einschließen. Einst waren diese Arabersiedlungen wohlhabende und beliebte Rast- und Marktplätze. Seit der Handel stockt, sind sie verlassen und verarmt. Die Wanderer durchqueren Dörfer mit jüdischer Bevölkerung, Nachkommen jener Isrealiten, die in den Tagen der Judenkriege unter den Römerkaisern Titus oder Hadrian6 flüchtend nach Süden ausgewichen sind. Es heißt, daß sich jüdische Siedlungen längs der Karawanenstraße bis in den gesegneten Jemen hinabzögen. Abseits des Karawanenweges sehen die Pilger manchmal die Höhlen christlicher oder arabischer Asketen, die von wildem Honig, von Heuschrecken und Wurzeln leben, in der Einsamkeit Gott suchen und sich von der Menschheit zurückgezogen haben. Manche Christen hausen auch, um winzige Brunnen geschart, in der Sandwüste. Seit die Karawane die Ufer des Roten Meeres erreicht hat, treten die Gebirge weiter zurück, eine kahle, nur wenig bebaute Ebene öffnet sich nach Südosten. Tagelang treffen die Reisenden kein Zelt, keinen Busch, keine Oase. Die Sonne brennt inmitten des gelben Himmels; über den trägen Wassern des Meeres flimmert die heiße Luft. Manchmal tauchen schräggestellte Segel auf, oder weit draußen zieht mit der Vielzahl ihrer Ruder eine oströmische Galeere ihre Bahn. Es ist ein Indienfahrer, vielleicht auch ein Ägypter, der aus dem Goldlande oder von den 11
Küßten des Weihrauchlaiides, vom Jemen oder einem anderen Gestade Arabiens kommt. Der Handelsverkehr bat sich wegen der Ulisicherheit der Landwege aufs Meer verlagert. An dem Umschlagplatz Janbu dicht am Strand des Meeres bleibt ein Teil der Karawane zurück, der Rest biegt nach Osten ab und strebt einer Stadt mitten in den Bergen zu, die Jatrib 7 genannt wird. Von diesem Ort berichtet der Führer der Reisegesellschaft, daß er in einer gartenähnlichen Landschaft liege, die von einigen Quellen bewässert werde. Man lebe dort vor allem vom Ackerbau, von den Früchten der Dattelpalmen und von Kamelzucht. „Aber", fügt der Karawanenführer hinzu, „auch dort haben Fehden und die Blutrache überhandgenommen, so daß sich kaum mehr jemand ohne Lanze und Schild aufs Feld wagt und die Bauern ängstlich hinter den Mauern ihrer Gehöfte sitzen. Schlechte Zeiten für den Handel, es müßte einer kommen, der Ordnung schafft!" Von Jatrib ab reitet Mukris ibn Hafas allein seinen Weg. Nach Süden, immer entlang der Küstenebene, führt der Pfad, tagelang unter glühender Sonne. Sein nächstes Ziel ist der Felsenhafen Dschidda. Es ist eine kleine Stadt mit niedrigen Mäuerchen und unbewehrten Felstürmen an der schmalen Hafeneinfahrt. Fischerboote und schmale, spitzschnäbelige Segler hegen im dunklen Wasser unter den Felsen. Von Dschidda laufen nicht nur Handelsschiffe aus, I sondern auch ganze Flottillen von Piraten, die sich nachts an die Kauffahrer der Indienroute heranschleichen, die Schiffe entern, ausplündern und die Besatzungen auf die Sklavenmärkte bringen. |fg Mukris ibn Hafas wohnt als Gast im Hause eines arabischen Händlers. Er ist — wie viele Araber — ein begabter Dichter und Fabelerzähler, eine Eigenschaft, die einem Fremden den Zugang zu den Zelten und Häusern des Landes öffnet. Das einzige Bindeglied zwischen den arabischen Stämmen ist die gemeinsame Sprache und die Neigung zur Poesie. Dieses Land, dem die Gestirne näher zu stehen scheinen als anderen Ländern, in dem die Nächte erfüllt sind vom klagenden Schrei der Schakale, vom Dröhnen der hitzegeladenen, berstenden Felsen, über das Gewitter und Stürme rasender hinwehen und in dessen Herzen immer die Flamme der Sehnsucht nach Paradiesen und Märchen
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brennt, liebt das phantastische Spiel mit Worten und die schwermütigen, vom Geist der Wüste erfüllten Gesänge. Als Freund wird der Sänger an jedem Lagerfeuer begrüßt. In Dschidda erfährt der Pilger Mukris ion Hafas Einzelheiten über Mekka, das Ziel seiner langen Reise. Mekka liegt an der Gewürzstraße, welche die Karawanen von der Bahreinküste amPersisehen Golf querdurch die Wüste Arabiens nach dem Hafen Dschidda führt; es gilt als Hauptmarkt für Kamelhäute und Sklaven, und es besitzt als gehütete Kostbarkeit die beiden Heiligtümer, die allen Beduinen ehrwürdig sind, die Kaaba und den Brunnen Zem-Zem. Nach wenigen Tagen der Erholung bricht Mukris ibn Hafas von neuem auf, obschon ihn sein Gastfreund gewarnt hat, jetzt nach Mekka zu gehen, das von Unruhen und inneren Streitigkeiten erfüllt sein soll. Der Prophet, von dem bereits der Hanife dem Scheich der Schammar berichtet hat, habe eine Partei von Armen um sich gesammelt und greife die uralten Traditionen des herrschenden Stammes der Koreisch an. Der Handelsverkehr mit Mekka sei in letzter Zeit zurückgegangen, weil niemand wisse, ob man nicht in einen allgemeinen Wüstenkrieg hineingerate und Tiere und Ladung verliere. Getrieben von seiner Sehnsucht, Gott an den heiligen Plätzen nahezukommen, reitet Mukris ibn Hafas durch das Küstenland dem steil abfallenden, gelben Gebirge entgegen, hinter dessen Felsmauern die geheimnisvolle Stadt
liegt.
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Steil windet sich der Weg die Felsen hinan, wie von Messern eingeschnitten führt der finstere Paß durch die roten Wände, blaue Schatten liegen in der Kluft, hinter der sich wie ein flammendes Tor der Himmel über dem Tal öffnet. Auf der Höhe verhält Mukris ibn Hafas sein Kamel und beschattet die Augen. Eine von ausgedörrten Wüstengebirgen umkränzte Hochfläche zieht sich bis zum Horizont, tiefe Schrunden sind in die weißglühende Ebene gerissen, als öffne sich der Mund der gequälten Erde zum Aufschrei; hier und dort erheben sich die mächtigen Tafeln gewaltiger Bergstöcke einsam und kahl über die Fläche. Am Fuß der Berge hegt Mekka. Es gibt keinen Gürtel von Gärten, der 13
das Geschachtet der viereckigen Lehmhäuser umgrenzte. Nicht einmal die Dattelpalme, die in ihrer Bedürfnislosigkeit Nachtkälte wie Tageshitze erträgt, wächst in dieser Talebene. Wenige braungebrannte, dürftige Weiden und Gruppen von Dornsträuchem winden sich an den nackten Felsen zu Tal. Mulms* scharfes Auge entdeckt inmitten des trostlosen Ortes eine weite, freie Fläche, um die sich eine Arkadenmauer zieht. Auf dem weißen, sonnezitternden Platz steht ein riesiges, würfelförmiges Zelt aus schwarzem Filz. Das ist das Ziel, die Kaaba, das Heiligtum der Götter! Der Pilger treibt sein Kamel an und trabt eilends bergab. * Die Straßen sind in der Mittagshitze wie ausgestorben. Nur vor der Kaaba steht eine Gruppe fremder Pilger. Mukris ibn Hafas hat sein Kamel einem Knaben übergeben, der es zu einer Zisterne führt. Er nähert sich, von ehrfürchtigen Schauern durchbebt, dem Heiligtum. Der Scheich der Beni Schammar ist am Ende seiner Pilgerfahrt. Das schwarze Zelt steht auf einer Lehmummauerung und ist etwa vierzig Fuß hoch; mit Palmfaserstricken verspannt, ragt es dunkel drohend empor. Eine kleine Treppe führt zu der einzigen Tür, die eine Mannshöhe über dem Erdboden liegt. Als Mukris den Baum betritt, umfangen ihn Dämmerlicht und Kühle. Teppiche und Felle hängen von den Holzgerüsten, die den Zeltkörper tragen, auch der Boden ist mit kostbaren Teppichen bedeckt. Gläubige liegen auf den Knien und verneigen sich vor den holzgeschnitzten oder bronzenen Götzenbildern, den Gottheiten der Beduinenstämme. Dort betet ein Hudhail — Angehöriger eines Stammes, der die Gegend um Mekka bewohnt — und bezeugt im murmelnden Gesang der Göttin al Manat, der Schicksaisgeberin, seine Verehrung; ein Mann aus Taif ar-Babba verbrennt Weihrauch vor dem Holzbild der Herrin Allat, und ein Beduine aus dem Süden murmelt seine Gebete vor der Bronzestatue der Mächtigsten, die Alussa genannt wird. Auf einem schwarzverhangenen Altar ruht der heilige Stein. Er ist das Göttersymbol des Weltschöpfers Hobal oder Allah, ein rötlich-schwarzer, kreisförmiger, sechs Zoll hoher 14
und acht Zoll breiter Stein, der durch die Berührung unzähliger Gläubiger wie poliert erscheint. Anbetend sinkt der Pilger nieder und bhckt scheu auf die heiligen Runen, die der Stein trägt, unlesbare Schriftzeichen Allahs, eine Botschaft aus dem Jenseits, die den Menschen unbegreiflich bleibt. Mukris ibn Hafas wartet auf die göttliche Erleuchtung, auf ein Zeichen des Höchsten und Erhabenen. Aber sein Herz bleibt stumm, und keine Antwort wird dem drängenden Fragen seiner Seele. Ernüchtert und von der Trauer der Enttäuschung erfüllt, verläßt der Scheich die Kaaba und tritt hinaus in die Hitze des Platzes. Jetzt erst, da sein Blick nicht mehr von dem Heiligtum gebannt ist, bemerkt er die kleine Gruppe unter den Arkaden, die von Neugierigen umstanden ist. ^ In der mörderischen Sonnenglut ist ein hölzerner Strafblock aufgestellt; ein riesiger Neger, ohne Kopfbedeckung und seiner Kleider beraubt, sitzt gekrümmt, eingespannt in das Gerüst. Neben ihm liegen zwei Beduinen, ebenfalls gefesselt und nackt, die Einwirkung der Sonne auf den ungeschützten Körper hat sie bewußtlos gemacht. Der Neger lallt, zermürbt von Durst und Hitze, ununterbrochen ein einziges Wort: „Akhad! Akhad!" — „Einer, Einer..." Die Umstehenden lachen spöttisch. Als Mukris ibn Hafas fragt, was hier geschehe, sagt man ihm, daß dieser Sklave namens Bilal ein Anhänger des falschen Propheten sei, der ganz Mekka in Aufruhr bringe, weil er die Götter der Stämme schmähe und dadurch das Leben Mekkas als Wallfahrtsort bedrohe. Dieser Prophet Mohammed verkünde allerorten die ketzerische Lehre: „Es gibt keinen Gott außer Allah." %jm_ Der Mann, der Mukris Auskunft gibt, schwingt erregt | die Fäuste gegen ein mehrstöckiges, aus Bruchstein und Lehm gebautes Haus jenseits des Kaabaplatzes. „Dort haust dieser Scheitan, der Teufel, Fremder! Es ist die Karawanserei der Witwe Chadidscha, in die dieser Mohammed eingeheiratet hat. Ein Koreisch ist er. Sein Großvater Abd-al Mutalib ist der Wiederentdecker des heiligen Brunnens Zem-Zem — der Enkel aber schändet die Götter!" „Da kommt er!" Der Araber deutet mit zornigen Augen auf ein paar Männer im dunklen Burnus, die aus dem Tor
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der Karawanserei treten. „Dort, der Schwarze mit dem rotgefärbten Bart! Das ist Mohammed, der sich für einen Propheten hält! Sieh nur, er hat sich wieder die Wimpern und Brauen mit Bleifarbe und Kohle bemalt und Gift in die Pupillen geträufelt, damit seine Augen glühen. Sieh nur den zahnlosen Alten neben ihm, das ist sein Vetter Waraka. Der Magere mit dem bleichen Gesicht ist Abu Bekr, manche meinen, er sei der Gefährlichste der ganzen Bande. Und der Athlet hinter Mohammed — vor dem uns die Götter beschützen mögen! —, das ist sein Vetter Ali. Sieh, er trägt ein Krummschwert! Hüte dich vor ihm, er ist jähzornig und böse! Auch Zaid, der Christensklave der Chadidscha, ist unter ihnen, und das ganze Sklavengesindel des Hauses!" Aus den umliegenden Häusern treten bewaffnete Männer auf den Platz und bücken neugierig dem Aufzug entgegen. Ganz Mekka wartet, was der Prophet angesichts des Strafgerichtes tun werde, das die Ratsältesten Mekkas über drei seiner Anhänger verhängt haben. Mohammed geht an dem Neger vorbei, kein Wort spricht er zu ihm, er scheint ihn kaum zu bemerken. Schnell und elastisch, „als schreite er einen unsichtbaren Berg hinab", tritt er in die Mitte des Kreises, der sich um ihn schließt. Er hebt die Arme, gebieterisch Kühe heischend. Mohammed beginnt zu sprechen. Wie immer, wenn er von seinem Gotte spricht, glühen seine Augen im Feuer. Die Stimme rollt wie ferner Donner, beängstigend und bedrängend. „Allah — es gibt keinen Gott außer ihm, dem Lebendigen, dem Ewigen! Schlummer und Scnlaf ergreifen ihn nicht. Sein ist, was in den Himmeln und auf Erden . . . Er kennt Vergangenheit und Zukunft, aber die Menschen begreifen nichts von seinem Wissen, außer was er will. Sein Thron reicht weit über Himmel und Erde, und ihre Erhaltung ist ihm keine Last. Er ist der Hohe und der Erhabene 8 !" Stille liegt über dem Platz, die Menschen blicken neugierig oder gebannt, schwankend zwischen Furcht, Bewunderung, Ablehnung und Spott. Mohammed hebt abermals die Stimme: „Beim niedergleitenden Sterne! Nicht hat euer Gefahrte Mohammed geirrt, noch sich getäuscht, 16
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Noch, spricht er aus eigenem Verlangen, Es ist nichts als eine Offenbarung, die ergeht, Die der Kraftvolle ihn lehrte, Der Erzengel Gabriel. Da stand er wahrhaftig, Und zwar am höchsten Punkte des Himmels, Dann näherte er sich und kam heran Und offenbarte, was er offenbarte. Es ist kein Trug des Herzens, was er gesehen. Wollt ihr etwa ihm streitig machen, was er gesehen
hat?
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Und ein andermal sah er Gabriel wahrhaftig nieder./;. steigen Beim Lotosbaum am äußersten Ende Neben dem Garten der Heimkehr. Da den Lotosbaum bedeckte, was bedeckte, Nicht senkte sich der Blick, noch schweifte er ab, Wahrlich, er hat von Allahs Zeichen die größten gesehen 9 !" Einen Augenblick verharrt Mohammed, Beine Eechte weist zum Scheitelpunkt des Himmelsbogens, als erwarte er von dort erneut den Anruf des Engels. Dann wendet er sich um und geht langsam, wie zu Tode erschöpft, in das Haus zurück. Stumm folgen ihm die Freunde. Zögernd schließt sich auch Mukris ibn Hafas dem Gefolge an. In diesen wenigen Augenblicken spürt er zum erstenmal den Bann der heiligen Stadt. Vor der Eingangspforte zum Hause der Chadidscha begegnet Mohammed einem Sklaven, der der neuen Lehre anhängt. Der Unglückliche stürzt schluchzend zu Füßen des Gottesgesandten nieder und klagt, daß ihn sein Herr zwingen wolle, seinem Glauben an Allah abzuschwören. „Sie wollen mir keine Kühe lassen, o Prophet, ehe ich dich nicht geschmäht habe 10 !" Mohammed fragt: „Wie ist dein Herz, Ammar?" Der Sklave antwortet: „Treu im Glauben!" M „Alsdann", sagt der Prophet, „schmähe mich, den Propheten, wenn dein Herr mit neuen Schlägen droht, und du wirst trotzdem ohne Sünde sein!" Mukris ibn Hafas ist zaghaft an Abu Bekr herangetreten; während Mohammed zu dem Sklaven spricht, flüstert er Abu Bekr zu: „Bruder, belehre mich und sage mir, daß der Prophet von Gott gesandt ist." 2 (20)
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Abu Bekr, der sein Vermögen der Sache Mohammeds geopfert hat, umarmt den Fremden. „Keine Seele kann ohne Allahs Erlaubnis gläubig werden, er wirft seinen Zorn auf diejenigen, welche nicht begreifen! Wem Allah kein Licnt gibt, der hat kein Licht! Siehst du nicht, daß Allah alles preist, in den Himmeln und auf Erden, und die Vögel mit den ausgebreiteten Schwingen! Jedes kennt sein Gebet und seine Lobpreisung, und Allah weiß, was sie tun. Und Allah ist das Reich der Himmel und der Erde, und zu Allah ist die Heimkehr 11 !" Du aber, mein Bruder, kehre heim zum Allerbarmer und Allumfasser, zu Allah und seinem Propheten, der da Mohammed genannt wird." Von dieser Stunde an folgt Mukris ibn Hafas dem Verkünder des neuen Glaubens als ein getreuer Gefährte auf allen Wegen. * Abul-Kasim Mohammed ibn Abdullah, der sich Gesandter Allahs nennt, ist als Sproß der vornehmen, verarmten Familie der Koreischiten zu Mekka geboren worden12, als der große oströmische Kaiser Justinian schon einige Jahre tot war und König Chosroe I. Anuschirwan nur noch wenige Jahre zu leben hatte. Sein Vater Abdullah hat die Geburt seines Sohnes nicht mehr erlebt, und seine Mutter ist dem Frühverstorbenen bald gefolgt. Mohammed ist als Waisenknabe im Hause des Großvaters, des angesehenen Koreisch-Scheichs Abd al Muttalib, und nach dessen Tode im Hause seines Oheims Abu Talib aufgewachsen und Händler geworden, wie viele Bewohner Mekkas. Im Hause der reichen Witwe Chadidscha, wo er als Gehilfe arbeitete, fand er bald eine Heimat. Chadidscha reichte dem um zehn Jahre jüngeren Manne ihre Hand. Aus der Ehe gingen zwei frühverstorbene Söhne und vier Töchter hervor. Alles war wohlgefügt, aus Abul-Kasim Mohammed einen angesehenen und einflußreichen Mann der Stadt zu machen. Die Sippe der Koreisch galt für ehrwürdig, der Großvater Muttalib war es, der in seinem Garten eines Tages eine vergoldete Rüstung, alte Schwerter und Helme gefunden und sie in feierlichem Zuge dem Schatz der Kaaba 18
zugeführt hatte, später war ihm die Wiederentdeckung der heiligen Quelle Zem-Zem geglückt, an der Gott einst die Hagar und ihren Sohn Ismael getränkt hatte.
I Der junge Mohammed hat die Welt gesehen und ist mit einer Karawane seines Oheims Abu TaHb bis nach Damaskus ins oströmische Syrien gezogen. Seine Heirat mit Chadidscha und sein neuer Reichtum haben ihm die Tore der besten Häuser Mekkas geöffnet. Damals war die heilige Kaaba durch Hochwasser unterspült worden und stand schief und einsturzgefährdet im Herzen Mekkas. Man beschloß im Rat der Stadt — einer Versammlung der Familienältesten — die Erneuerung des ehrwürdigen Platzes und fürchtete sich zugleich vor der Veränderung. Wer sollte als erster Hand anlegen an die von den Göttern behüteten Mauern? H Es fand sich ein mutiger Mann namens Ab-Walid, der die Hacke in die Mauern schlug. Da ihm nichts geschah und auch in der folgenden Nacht weder das Weltende noch ein Erdbeben eintrat, riß man die Fundamente der alten Kaaba nieder und baute sie neu und besser. Als der Tag kam, da der heilige Stein neu aufgestellt werden mußte, entbrannte der Streit, wer die heilige Handlung vornehmen sollte. Der Rat beschloß, die Ehre demjenigen zuzubilligen, der am Morgen des Festtages als erster den Platz betreten werde. Der erste, den die Sonne des großen Tages traf, war Mohammed. Er löste die Frage der Überführung des Heiligtums in kluger Bescheidung. Indem er den Stein auf seinen Mantel legte, bat er die vier einflußreichsten Stammesführer, je einen Zipfel des Mantels aufzunehmen, und schritt selber voran. Seither galt er als einer der weisesten Männer des Rates. Mitten in dieser Zeit der Reife und der wachsenden Erfolge empfing Mohammed den Anruf Gottes. Das Licht aus den j enseitigen Räumen, das auf ihn als den Erwählten des Himmels fiel, hob ihn heraus aus der Menge und schied ihn für immer von den übrigen. Von nun'ab konnte er nur noch Rufer und Künder oder Opfer und Ausgestoßener sein. ; 1
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In Mekka lebten Angehörige mancherlei Bekenntnisse. Es gab abeßsinische Christen unter den Negersklaven und oströmische Christen, die von Handelsschiffen geraubt und zu Sklaven gemacht worden waren; wie an allen Handelsplätzen des Ostens hatten sich auch Juden hier niedergelassen, ein paar Perser, die dem Feuerglauben anhingen, und Sektierer der Götzendienste Innerarabiens. Oft wenn die Händler, die Kaufleute, Handwerker und Sklaven bei hereinbrechender Nacht vor ihren Häusern oder Wohnhütten saßen, um die Kühle zu genießen, war Mohammed zu ihnen gegangen und hatte mit ihnen über ihren Glauben gesprochen. So war er zu der Einsicht gelangt, daß alle dasselbe Ziel suchten, die Gottheit, die der Erde und den Menschen ihre Gesetze gibt. Und er hatte erkannt, daß die Anhänger des Christentums und die Juden, die einen einzigen und alleinigen Gott anbeteten, die stärkste Glaubenskraft besaßen. Von Jugend auf litt Mohammed unter Anfallen, die ihn jählings zu Boden warfen. Die Abergläubischen nannten es eine heilige Krankheit, sie meinten, aus den wirren Schreien des Befallenen die Stimmen von Geistern zu hören, die Besitz von seinem Körper ergriffen hätten.
Mohammed ist vierzig Jahre alt, als er immer häufiger aus der Geborgenheit der Familie in die Einsamkeit geht, um in den Bereichen der Wüste Klarheit über das Leben, über Gott und Glauben zu gewinnen, so wie es seit je die Einsiedler und Büßer getan haben. Er nimmt nichts mit sich als einen wassergefüllten Ziegenschlauch, etwas getrocknete Datteln und Fladenbrot. Nordwestlich von Mekka ragt wie ein Burgfels der Tafelberg Hira empor. Über dem Gebirge spannt sich ein goldüberzogenes Himmelszelt, und unablässig fluten sengendes Licht und verzehrende Hitze herab. Staub liegt über dem weißgelben Tal, in dem nur da und dort ein paar Mimosen, Ginster- oder Distelbüsche als Farbflecke zwischen die Steine hingetupft sind. Von der Höhe des Berges Hira fliegt der Blick weit hinüber zu den dunklen Gebirgen des Ostens, zu den grell überflammten, safrangelben Wänden des Westens und in den glühenden Kessel, auf dessen Grunde das hellgebleichte. Häusergewürfel Mekkas ruht. 20
Mohammed findet eine Höhle auf dem Gipfel und wirft sich nieder zum inbrünstigen Gebet. Er ist ganz allein, ein Mensch unter dem Himmel, der die Erde nur noch wie einen Schemel unter sich fühlt, der ihn erhöht bis in die Grenzbereiche zwischen Irdischem und Unendlichem. Ein Mensch, der Gott sucht und sich vom Hauch der Ewigkeit angeweht fühlt... Der Einsame ruft den, der ihn angerufen hat: Allah, den geistigen, erhabenen Gott: „Preis sei Allah, dem Herrn der Welten, • Dem Allerbarmer, dem Barmherzigen, nä Dem König am Tage des Gerichts! Dir allein dienen wir, und zu dir rufen wir um Hilfe. jfe Führe uns die gerade Straße, H Den Weg derer, denen du gnädig gewesen bist, Nicht den Weg derer, denen du zürnst, p Und nicht den der Irrenden13!' \ Er breitet die Arme aus, als wäre in seiner Seele die zehntausendjährige Sehnsucht dieses dürstenden, am Tage der Schöpfung vergessenen Landes erwacht, die Sehnsucht nach dem Paradies, nach dem Glück, welches das Einssein mit Gott verleiht. Die Nacht sinkt herab. Wie eine Feuerwand ist der Tag über die gezackten Paßhöhen hinabgesunken und schickt nur noch wenige Flammenstrahlen über die Grate. In violettem Dunst Hegt die Wüste und verschwimmt mit der Ferne. Dort unten, wo im Tal die Stadt Mekka liegt, glimmen rote Punkte. Hoch oben aber stehen in silbrigem Gefunkel die Gestirne. In diesen Nächten erkennt Mohammed, daß Friede und Sicherheit nur beim Allerbarmer sind, daß von Angst und ewiger Furcht geplagt alles menschliche Streben ist, ohne die Gewißheit der Gnade des Gottes, der ruhig strahlt gleich seinen Gestirnen. „Allah ist das Licht der Himmel und der Erde! Sein • Licht gleicht einer Nische, in der sich eine Lampe befindet. Die Lampe ist in einem 14Glase, und das Glas gleicht einem leuchtenden Stern ." Die Kälte der Nacht überfallt den Einsamen, aus den Klüften steigen die Nebel, aus der Tiefe dringt der klagende Schrei der Hyänen. Silbern schwimmt die Mondscheibe durch gespenstischen Dunst, Geräusche der Nacht nahen mit unsichtbarem Tritt. Gibt es Geister, die in den
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Räumen wohnen und dem Menschen übelwollen? Selbst voller Furcht, flüchtet Mohammed sein Herz in den Schutz der Gottheit. „0 Versammlung der Geister und der Menschen! I Wenn ihr die Grenzen der Himmel und der Erde zu überschreiten vermögt, so überschreitet sie. Aber ihr könnt sie nur mit seiner Ermächtigung überschreiten . . . Feuerflammen und Rauch werden wider euch entsandt werden, und ihr werdet euch nicht verteidigen k ö n n e n . . . 15 " Die Einsamkeit der Nächte auf dem Berge Hira ist groß und manchmal kaum zu ertragen. Doch in der Verlassenheit fühlt sich Mohammed seinem Gotte verbunden, dessen Allgegenwart er seit Jugendtagen ahnt und dessen Ruf nun wie ein lodernder Brand aus der Glut seiner Seele emporschlägt. „Verlassen hat dich nie dein Herr, noch ist er dir abgeneigt. Das da drüben ist besser, als was sich auf Erden zeigt. Er gibt dir noch, was dir zur Lust gereicht. Fand er dich nicht als Waise und ernährte dich als Irrenden und führte dich als Dürstenden und tränkte dich 18 ?" Zu vielen Ufern fliegen die Gedanken Mohammeds in diesen Nächten. In wirren Wachträumen erscheint ihm Jahve, der. Gott der Juden, der den unlösbaren Bund mit seinem Volk geschlossen hat, und Christus, der Gottessohn der Christen, der einst am Jüngsten Tage über die Menschheit von Anbeginn bis zum Ende richten wird. Dieser letzte der Tage wird heraufsteigen im schillernden Glanz fallender Gestirne, im blutroten Flammenschein der sterbenden Sonne. Schauer ergreifen den einsamen Büßer auf dem Berge Hira, und er sieht das Ende des Seienden kommen. „An diesem Tage werden die Menschen verwehten Motten, Werden die Berge auseinandergezxrpfter Wolle gleichen. An jenem Tage, an dem einige der Zeichen des Herrn erscheinen, wird einer Seele ihr Glaube nichts nützen, Die zuvor nicht glaubte, noch in ihrem Glauben Gutes tat... Wer eine gute Tat vollbringt, wird das Zehnfache erhalten, 22
Und wer eine schlechte Tat vollbringt, wird nur ihr Gleiches m Als Lohn bekommen; niemandem aber soll Unrecht widerfahren.. , 17 " Wieder sinkt der Abend. Mohammed ist geschwächt und doch geklärt vom Fasten, geläutert in der Hitze der einsamen Tage und doch aufgewühlt von den Erscheinungen der Nächte. Sind nicht auch die großen Propheten der Juden und Christen in die Stille der Wüste gegangen, bevor ihnen die Offenbarung zuteil ward: Moses, Elias, Johannes der Täufer und Jesus? Abermals steigt der Sternenhimmel über die Krone der Berge, und die violetten Schatten verschlingen die Ebene. Aus den Klüften heben sich lautlos die Schwaden der Nacht. Jählings wie die Nacht bricht der Wind aus den Tiefen der Erde und schwillt wie eine unsichtbare Flut zur Höhe des Berges empor. Wo ist Gott inmitten der Abgründe seines Alls? Warum schweigt der Herr, den meine Seele mit brennender Sehnsucht ruft? 5ff Und da geschieht es, daß Mohammed in der Nacht Gott zu hören glaubt, der sich seinem Knecht und Propheten offenbart. Eine schemenhafte Gestalt von übermenschlichen Ausmaßen scheint aus den Nebeln hervorzutauchen, sie ist hoheitsvoller als alles, was Menschen je gesehen haben, Licht strömt von ihrem Antlitz, und das gebreitete Schwingenpaar reicht bis an den Band des Bummels. „ . . . Ich sah den Erzengel Gabriel! H Neben dem Baum an der äußersten Grenze des ruhevollen Paradieses. Ich blickte nicht zur Seite, und ich sah eines der herrlichsten Wunder des Herrn 18 ." Ja, das ist der Erzengel, es ist Gabriel, den Allah seinem Auserwählten sendet. I „Er sendet seine Engel nieder nach seinem Befehl, sprechend: Verkünde, daß es keinen Gott gibt außer H mir, und fürchte dich nicht 19 !" gl Eine Stimme, von der Mohammed nicht weiß, ob sie aus seinem Herzen dringt oder von den erzenen Bummeln fällt, fordert: Ikra! Lies! Der Erzengel hält eine feurige Schrift in Händen und spricht mit donnernden Worten, die von Horizont zu Horizont widerhallen: 23
„Im Namen Deines Herrn, der Dich geschaffen hat! Erschaffen hat Er die Menschen aus einem Blutklümpchen. — Und Dein Herr ist gut, der die Feder I schreiben gelehrt hat und der die Menschen lehrte, was sie vordem nicht wußten .. .20" Das ist die Stunde, in der Mohammed sich zum Propheten berufen glaubt. Glückseligkeit erfaßt ihn, er vermeint die Wunder des Paradieses zu schauen. Und die Sehnsüchte seines Volkes, die in Jahrtausenden der Dürre und Sonnenglut, des Durstes und der Kargheit dem Herzen Arabiens eingeprägt worden sind, werden im Aufschrei zum stammelnden Wort und Vers. * Vom Berge Hira kehrt Mohammed zurück nach Mekka — ein Verwandelter, einer, der wie auf Wolken schreitet und der alle Träume wahr werden sieht. Aber noch mißtraut er den Menschen, deren Art er kennt, Spott und Hohn auszuschütten über alles, was sie in ihrer Mittelmäßigkeit nicht zu begreifen vermögen. Er vertraut sich nur Chadidscha, der mütterlichen Gattin, an. Sie glaubt an ihn und bestärkt in ihm die Gewißheit, daß die Erscheinung auf dem Berge kein böser Dschinn, kein Teufelsbote, sondern wahrhaft Gottes Erzengel gewesen sei. In innerem Zwiespalt kämpft Mohammed mit seiner menschlichen Schwäche, mit Zweifeln und Nöten, er scheut vor dem schweren Wege zurück, der ihn trennen muß von allem, was ihm Heb ist. H Durch Allah selbst glaubt er sich herausgehoben aus der Masse, als er ihn und keinen anderen gerufen hat. Und ein zweitesmal wandert Mohammed hinaus auf den Berg Hira, und wieder meint er den Erzengel zu sehen, der ihm befiehlt, sein Prophetenamt anzutreten. So kehrt er nach Mekka heim, um zu verkünden, was ihm aufgetragen. „La Haha illa Allah wa Mohammed Rasul Ullah!", so beginnt er jede Arisprache. „Es ist kein Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Prophet!" Es ist sein erster und einziger Glaubenssatz, an ihn muß jeder glauben, der der neuen Lehre anhängen will. Um Mohammed sammeln sich zunächst nur Sklaven, Niedriggeborene, Kameltreiber, Lastträger, Arme und U
Neugierige. Ihnen preist er seinen Glauben, den er Islam — Entflammung zu Gott — nennt. „Mohammed ist der Bote Allahs; und die mit ihm sind, sind hart gegen die Ungläubigen, mild untereinander; du siehst sie sich verbeugen und zur Erde werfen in dem Verlangen nach Allahs Bevorzugung und Wohlgefallen . . . Versprochen hat Allah denjenigen von ihnen, die glauB ben und die gute Werke tun, Verzeihung und großen Lohn.. .21" Er verkündet, von seiner Sendung entflammt, das Götzenwerk aus Ton, Holz und Bronze, das in der Kaaba stehe, sei Tand und Trug von Menschenhand, es gebe nur den einen Gott des Weltalls, der Allah genannt werde. Er malt seinen Zuhörern mit der Phantasie des Arabers, des Dichters und Märchenerzählers, den Tag des Gerichts. Die Abrechnung stehe nahe bevor und die Menschen seien aufgerufen, sich im rechten Glauben und in guten Werken, in Bußfertigkeit, Gebet, Wohltätigkeit, auf das Letzte Gericht vorzubereiten. Dem, der vor dem Richter bestehe, winkten die Freuden des Paradieses, und er spricht von der Gleichheit aller Menschen im Glauben an Allah. Die Gleichheitslehre führt ihm vor allem die Sklaven und Ausgestoßenen als Anhänger zu, unter den Vornehmen schließen sich ihm nur sein und Chadidschas Freund Abu Bekr und Ali, der Sohn des Oheims Abu Talib, an, der Mohammed gegenüber seinen Gegnern in Schutz nimmt, aber selbst nicht Moslem wird. Die Angriffe des neuen Propheten gegen die Götzen der Kaaba, die Gleichstellung von Sklaven mit freien Arabern und seine Vertrautheit mit den Armen Mekkas machen ihn den Häuptern der besitzenden und mächtigen Familien verdächtig. Was soll werden, wenn die Beduinen der Wüste die gottlose Stadt mei den und nicht mehr zum Markte kommen, wenn die beleidigten Götter Sturm und Erdbeben als Strafe schicken? Was soll sein, wenn die Sklaven Freiheit und die Armen ihren Anteil am Gut der Reichen fordern? Der tatkräftigste Widersacher Mohammeds ist der „Vater der Weisheit", ein Mann aus einflußreicher Familie und ein mächtiger Häuptling. Mohammed nennt ihn in aller Öffentlichkeit Vater der Dummheit. Einen anderen Todfeind beschimpft; Mohammeds scharfe Zunge mit Vater des Höllenfeuers. 25
Tiefer und spürbarer werden die Risse in der Gemeinschaft Mekkas, schon ist es zu Ausschreitungen, zu Strafaktionen und bewaffneten Zusammenstößen gekommen. Die Anhänger des Propheten befinden sich in hoffnungsloser Minderheit, da fast alle Männer von Rang auf der Gegenseite stehen. * Mukris ibn Hafas, der bekehrte Pilger, dient im Hause der Chadidscha als Wächter; denn es ist notwendig geworden, das Leben des Propheten durch Bewaffnete zu schützen, unversöhnlich ist die Feindschaft der Stammeshäuptlinge und reichen Kaufleute Mekkas. Tagsüber stehen einige Anhänger Mohammeds mit Krummschwert, Dolchen und Speeren an den Torbogen der Karawanserei; und sie alle halten ein aufmerksames Auge auf den großen Platz der Kaaba und auf die Straße, die breit und sandig von den Bergen herabsteigt und nahe dem Friedhof durch ein aus Stein und Lehm gebautes Tor in die Stadt einmündet. Die Straße wird gesäumt von den fensterlosen Wänden der Häuser; dunkel drohen die Tore, niemand weiß, was sich hinter den Lehmmauern zusammenbraut. Mekka ist in zwei Lager gespalten und liegt in gefährlichem Schweigen. Handelsverkehr und Marktbesuch lassen nach, nur kleine Gruppen von Wüstenbeduinen kommen noch, um die heiligen Stätten zu besuchen. Die Handelsherren Mekkas — vor allem die Verwandten aus der Koreisch-Sippe— geben Mohammed die Schuld an dieser Entwicklung. Man weiß im Hause der Chadidscha längst, daß geheime Beratungen und Abmachungen gepflogen werden, die Dinge mit Gewalt zu ändern. Wenn Mohammed sein festes Haus verläßt, um sich am Brunnen Zem-Zem zu waschen und vor dem heiligen Stein Allahs zu beten, folgt ihm stets seine Leibgarde nach. Die Männer gehen durch eine Mauer des Hasses; Spottverse und Flüche folgen ihnen. Schon sind einige Anhänger des Propheten aus Furcht vor der kommenden Auseinandersetzung aus Mekka geflüchtet und haben sich in der nördlich gelegenen Stadt Jatrib niedergelassen. In Jatrib sind die Einwohner den Moslems wohlgesonnen. Hier wohnen fast ausschließlich Israeliten, die seit langem Konkurrenten Mekkas und seines Marktes sind. 26
Mit Spannung verfolgen sie den Niedergang Mekkas und seine wachsende Unbeliebtheit bei den reisenden Händlern und den benachbarten Beduinenstämmen. Streng geregelt ist der Tageslauf der Anhänger Mohammeds. Fünfmal am Tage läßt Abu Bekr, der das Amt des Gebetsrufers ausübt, den Ruf des Asan erschallen: bei Sonnenaufgang, um die Mittagszeit, am Nachmittag, zu Sonnenuntergang und vor dem Schlafengehen. Zu den Gebetsstunden steht Abu Bekr auf der Mauerkrone der Karawanserei und ruft mit lauter Stimme zum Gottesdienst. Dann versammeln sich die Gläubigen im Innenhof, breiten die Teppiche in den Sand und beginnen mit der Erfüllung ihrer religiösen Pflichten. In feststehendem Rhythmus werden die vorgeschriebenen Verneigungen ausgeführt. Tief beugen sich die Frommen, bis ihre Stirnen den Boden berühren. Sie nehmen die Richtung gegen die heilige Stadt Jerusalem; denn dort haben die Vorläufer des Propheten, Abraham, Moses, Jesaias, Elias, Johannes und Jesus, gelebt. Die heilige Siebenzahl, die schon in den Priesterlehren des alten Babylon zu finden ist, bezeichnet die Zahl der Propheten. Mohammed ist der letzte und größte von ihnen. Gegen Abend finden sich die Freunde des Propheten im Innenhof hinter wohlverriegelten Toren ein. In der letzten Zeit sind es nicht nur Sklaven und Kameltreiber, auch angesehene Männer, Besitzer von Herden und Häusern, gehören nun schon zu seinen Anhängern. Auf den hölzernen Galerien der Karawanserei erscheinen die verhüllten Gestalten der Frauen, in ihrer Mitte Chadidscha, die hinfällig und müde geworden ist, aber trotz ihres Alters von zweiundsechzig Jahren noch immer von Mohammed um ihrer Güte und ihres Verständnisses willen geliebt wird. Auch die Frauen sollen Anteil an Gott haben, lehrt der Prophet. „Heiratet Frauen, die euch gut dünken, zwei, drei oder vier, und wenn ihr fürchtet, nicht gerecht zu sein, dann heiratet nur eine oder auch eine Sklavin dazu. Gebt euren Frauen die Morgengabe freiwillig... Denn die Männer werden ihren Anteil am Verdienst erhalten, und die Frauen werden ihren Anteil nach Verdienst bekommen, darum bittet Allah um seine Gnade...! 22 " 27
Hat sich die Gemeinde versammelt, so tritt Mohammed in ihre Mitte und predigt über die Gebote des neuen Glaubens. Dann kann es geschehen, daß ihn der Geist überkommt und der Wille Allahs aus ihm spricht. Überstürzt und hastig spricht er, manchmal kaum verständlich. Diese Offenbarungen werden Wort für Wort von seinen Anhängern aufgeschrieben und als Glaubenssätze, Suren, heilig gehalten. Neben den fünf Tagesgebeten verlangt Mohammed von den Gläubigen die Armenspende — die freiwillige Abgabe für die Notleidenden. Der Monat Ramadan wird zum Fastenmonat. Die Heimatstadt Mekka aber macht Mohammed zum Mittelpunkt der Glaubensbewegung. M „Verkündet den Menschen die Pilgerfahrt! Sie sollen zu Fuß kommen und auf jeglichem schwankenden Kamel, aus jedem tiefen Tale! Und vollziehet die Pilgerfahrt nach Mekka und den Besuch um Allahs willen! Und wenn ihr verhindert seid, so bringt ein kleines Opfer dar! Und schert eure Häupter nicht eher, als bis das Opfer geleistet i s t . . . " Der Kampf um des Glaubens willen ist auf die Fahne des Islam geschrieben. „Oh, ihr, die ihr glaubt! Kämpfet wider die Ungläubigen in eurer Nähe und lasset sie eure Standhaftigkeit spüren! Und wisset, daß Allah wahrhaft mit den Gottesfürchtigen ist! Und bekämpfet sie, bis die Verfolgungen aufhören und der Glaube Allahs i s t . . . " Kein Wein ist im Hause der Gläubigen zu finden, kein Würfelbecher, und niemand wirft mit geschnitzten Pfeilen das Los um Geldeswert. Denn der Prophet hat geboten: „Wenn sie dich nach dem Wein und dem Glücksspiel fragen, so sprich: In beiden liegt große Sünde und Nutzen für den Menschen. Doch die Sünde ist größer als der Nutzen..." *
Der Kampf der Koreisch gegen Mohammed und seine Anhänger weitet sich aus. Die Leidtragenden sind vor allem die bekehrten Sklaven und die Armen ohne Einfluß, ohne Besitz und ohne den Schutz einer weitverzweigten Familie. Der freie Araber betrachtet den Sklaven als willenloses Besitztum, als geist- und seelenloses Tier, und 28
dem Armen und dem Fremden ohne Herkunft und Familie begegnet er mit tiefster Verachtung. Das große Vermögen Chadidschas und Abu Bekrs erschöpft sich durch den Loskauf von Sklaven, die von ihren Herren wegen ihrer Teilnahme an den Gottesdiensten Mohammeds mißhandelt und gequält werden. Viele schwarze Sklaven flüchten aus Mekka und gehen über Dschidda nach ihrer Heimat Äthiopien zurück, wo sie den Islam auszubreiten beginnen. Andere schließen sich heimlich den Kaufmannskarawanen aus Jatrib an; an diesem Handelsplatz genießen die Anhänger Mohammeds Schutz gegen Angriffe und Verfolgungen. Unter den Flüchtigen befinden sich die treuesten und fanatischsten Anhänger des Propheten, der immer noch die Versöhnung und den Ausgleicn mit den Gregnern sucht. Seitdem viele Jünger Mohammeds die Stadt verlassen haben, ist es ruhiger und friedvoller geworden in Mekka. Vielen scheint es, als sei der Prophet zum Nachgeben und Einlenken bereit. Eines Tages zieht Mohammed mit großem Gefolge vor die Kaaba und beginnt zu predigen. Wieder beschwört er das Bild des feurigen Erzengels Gabriel, der ihm erschienen sei, dann fährt er zur Überraschung seiner Gefährten mit erhobener Stimme fort: „Ich frage den Engel: Was hältst du von Al-Lat und Al-Oza und von Al-Manat?" Das sind die Hauptgötzen der Kaaba, die Hausgottheiten der mächtigsten Familien der Koreisch, deren Angehörige aufmerksam den Worten des Propheten folgen. Mohammed verkündet: Diese Göttinnen sind erhabene Frauen, deren Fürbitte ohne Zweifel wünschenswert ist! Die Koreisch springen auf und spenden dem Redner lauten Beifall. Der lösende Ausgleich zwischen dem Alten und dem Neuen scheint gefunden. Mohammed hat dem einen geistigen Gott die Götzen an die Seite gestellt. Doch Mohammed ist nicht mehr alleiniger Herr seines Willens; die Flut, die er angestaut hat, reißt ihn mit sich fort. Seine Anhänger zwingen ihn, die „Höllensuren" zu widerrufen, den Götzenspuk fortzufegen und zur alleinigen Ein-Gottheit Allahs zurückzukehren. Und Mohammed widerruft; aber sein Widerruf weckt die Feindschaft zu neuem Brand. Noch sind Mohammed und die arabischen Gläubigen durch das einzig beherr29
sehende Gesetz Arabiens, die Blutrache, geschützt. Als die Häupter der Koreisch versuchen, Abu Talib, den Oheim Mohammeds, zum Abfall von seinem Neffen zu bewegen, erscheint Abu Talib, begleitet von einer Anzahl hochgewachsener Jünglinge der Familie in der Kaaba und tritt vor die Gemeindeversammlung, die ein gewaltsames Vorgehen gegen den Propheten befürwortet. „Enthüllt, was ihr unter den Mänteln tragt!" befiehlt der Greis seinem Gefolge. Da entfalten sich die Burnusse, und blanke Schwerter und Dolche werden sichtbar. Abu Talib sagt: „Bei den Göttern der Kaaba, tötet ihr ihn, so wird nicht einer von euch am Leben bleiben!" Es ist unmöglich, den Friedensstörer mit Gewalt zur Buhe zu zwingen, ohne ganz Mekka in furchtbare Blutfehden zu stürzen. Die Koreisch beschließen die wirtschaftliche und gesellschaftliche Ächtung. Da von der Ausschließung die ganze Familie mit allen Zweigen betroffen wird, bricht über Mohammed der Haß der ungläubigen Verwandtschaffe herein« Abu Lahab, der Oheim des Propheten, den Mohammed Vater des Höllenfeuers genannt hat, macht seinem Zorn auf offenem Markt Luft. „Glaubt ihm nicht", schreit er, „er ist ein Knecht der Juden!" Mohammed antwortet mit der Gewalt seiner Predigt. „Verflucht seien die Hände Abu Lahabs! Verflucht sei er selber! Man soll ihn werfen in die Flamme, die da bratet, Ihn und seinWeib; und das Tier,beladen mit Brennholz, . Mit einem Strick aus Palmfasern um den Hals24." Da Mekka sich dem Propheten in erbitterter Feindschaft verschließt und zahlreiche Trupps von Moslem aus der feindseligen Stadt ziehen, um Allah in der Ferne zu dienen, wendet sich der Prophet an die Beduinen in der Wüste. Zwar hat eine Predigt, die er in den östlichen Gebirgen, in der Oase Taif, hält, keinerlei Erfolg — die aufgebrachten Wüstenaraber vertreiben ihn mit Steinwürfen —! aber unter den Pilgern, die nach Mekka kommen, gewinnt er zahlreiche Anhänger. Die Bewohner von Jatrib sind ihm besonders geneigt. An einem einzigen Tage bekehrt er zwölf vornehme Araber aus Jatrib, die dem Propheten Blutsbruderschaft schwören. Langsam verlagert sich der Mittelpunkt der neuen Eeligion von Mekka nach anderen Plätzen. 30
In dieser Zeit wird die junge Gemeinschaft der Gläubigen von einem schweren Schlage getroffen. Fast gleichzeitig rafft der Tod die beiden Hauptstützen Mohammeds fort: Chadidscha, die mütterliche Geliebte, und den getreuen Oheim Abu Talib. Die Dämme sind niedergebrochen, die der Todfeindschaft der Koreisch Widerstand geleistet haben. Freunde aus Jatrib schicken Botschaft, Mohammed und seine Anhänger möchten sich rechtzeitig in ihre Stadt retten. In geheimer Besprechung beschließen der Prophet und Abu Bekr die Flucht.
Im Juni des Jahres 622 halten die Koreisch eine Versammlung ab, in der beschlossen wird, das Hans Mohammeds zu überfallen und den Propheten zusammen mit seinem gefährlichen Freund Abu Bekr zu ermorden. Die Koreisch besetzen in der Nacht vor dem Anschlag alle Straßen und Brunnen rings um die Stadt, damit der Verlorene nicht entkommen könne. Mohammed erhält rechtzeitig Kenntnis von dem Vorhaben seiner Gegner. In der Nacht des 16. Juni 622 verläßt er, gefolgt von Abu Bekr und einem halben Dutzend vertrauter Anhanger, durch ein Fenster in der die rückwärtige Mauer das Gehöft, schleicht unter dem Sternenhimmel von Dach zu Dach über die Häuser der südlichen Vorstadt und erreicht über Treppchen, steile Wege und durch pechschwarze Gassen die Stadtmauer. Die Männer lassen sich an Palmfaserstricken hinab und eilen den Gebirgen zu. Dort oben hat Mohammed eine versteckte Höhle entdeckt, die nahe dem Gipfel des Berges Thor liegt und sicheren Schutz vor den Verfolgern bietet. Drei Tage lang suchen die bewaffneten Banden der Koreisch die Gegend ab, sie finden keine Spur von dem Propheten und seinen Freunden. Vier Tage später sind die Wege wieder frei. Auf verborgenen Pfaden werden den Flüchtlingen Kamele zugetrieben. Sie besteigen die Tiere und machen sich eilends auf den Weg nach Jatrib. Elf Tage lang reiten sie hungernd und dürstend nach Norden. Endlich erblicken sie die große Oase am Horizont. Dattelpalmhaine und fruchtbare Gärten tauchen auf, das weiße Gewürfel der großen Handelsstadt wird sichtbar, und 31
Scharen von Kamelreitern sprengen, in gewaltige Staubwolken gehüllt, den Ankommenden entgegen. Das ist Mukris ibn Hafas, der Freund und Vertraute, der in Jatrib erfolgreiche Bekehrungsarbeit geleistet hat. Er führt dem Propheten Hunderte von Freunden entgegen. Mohammed zieht unter dem Jubel seiner Anhänger in die Stadt ein. Unter den Gewölben des Marktes stehen bärtige Juden, mit riesigen Turbanen, die Handwerker lassen ihre Werkzeuge ruhen, die Kaufleute laufen aus ihren Hallen, Kinder und Frauen füllen die Gassen. Die Häupter der vornehmsten Familien Jatribs streiten auf dem Markte, wer die Ehre haben solle, dem Propheten Unterkunft und Gastfreundschaft zu gewähren. Mohammeds Geschick entscheidet die Streitfrage. Er läßt sich aus dem Sattel seiner Kamelstute Al-Kaswa heben und befiehlt dem Tier, das Quartier zu suchen. Die Stute nimmt, begleitet von vielen Neugierigen, ihren Weg durch die Gassen, trabt würdevoll über Plätze und Höfe und legt sich endlich in einem verlassenen Kamelhof der Vorstadt nieder. Der Platz für das Haus des Propheten ist gefunden, sogleich beginnen die Freunde des Vertriebenen mit dem Bau einer festen Behausung und eines Bethauses, einer ersten Moschee. Ein neuer Abschnitt des Islam hebt an. Auf den Rat Mohammeds schließen die geflüchteten Mekkaner Mann für Mann Blutsbrüderschaft mit den Häuptern der einflußreichen Familien Jatribs und gewinnen den Schutz der Bürgerschaft. Der Prophet benützt die Ruhe, um seine Lehren straffer zusammenzufassen und dem neuen Bekenntnis eine feste Organisation zu geben. In seinem Quartier in der südlichen Vorstadt lagern stets Dutzende bewaffneter Männer in den Höfen. In einem abgeschlossenen und dem allgemeinen Zutritt verbotenen Teil des Anwesens liegt das Frauenhaus des Propheten. Nach dem Tode der Chadidscha hat Mohammed die junge Tochter Abu-Bekrs, die reizende Aischa, geheiratet, doch hat er in sein gastliches Haus auch Jüdinnen, Witwen gefallener Freunde und Sklavinnen aufgenommen. Die gegenüberliegende Seite zeigt Bilder aus der mohammedanischen Welt: o b e n : befestigter Ort am Rande der Wüste; Araber in Gebetsstellong und beim Lesen des Korans; M i t t e : die Kaaba, das zentrale Weltheiligtum des Islam; u n t e n : Koranpult und Häuser in altarabischem Baustil.
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Von dem schlanken Türmchen der Moschee herab ruft der Neger Bilal täglich fünfmal zum Gebet: „Gebet ist besser als Schlaf... Ich bezeuge, daß es keinen Gott gibt außer Allah . . . " Mohammed sucht die Freundschaft der führenden jüdischen Geschlechter Jatribs. Er speist oft im Hause der BeniNadir und Beni-Amar, er ist Blutsbruder der klugen israelitischen Handelsherren und läßt von seinen bewaffneten Gefolgsmännern die Karawanen der Gastgeber beschützen. Doch die Freundschaft währt nicht lange. Das Judentum der Wüste, das einst von Römerheeren aus der alten Heimat Palästina verjagt worden ist und lieber die Kargheit der Fremde litt, als den Glauben der Väter aufzugeben, nimmt die Lehren des Propheten nicht an. Es begegnet den Offenbarungen des ungelehrten Arabers mit dem überlegenen und wissenden Lächeln einer uralten Gottesweisheit und wehrt jeden Bekehrungsversuch mit gelassener Sicherheit ab. Mohammeds Worte grollen. In Jatrib verkündet er den Gläubigen: „Und als wir mit den Kindern Israels einen Bund schlössen, sprechend: Dienet allein Allah, seid gut zu euren Eltern und Verwandten, und zu den Waisen und den Armen und sprechet nur Gutes zu den Menschen, und verrichtet das Gebet und gebt Almosen! Da wandtet ihr euch bis auf wenige ab und wurdet abtrünnig.. . 25 " Zwei Jahre lebt die Gemeinde Mohammeds zu Jatrib, aber sie ist nicht aufgegangen in der alten Einwohnerschaft. Die Kluft zu dem führenden Judentum vertieft sich zum gefährlichen Abgrund. Aus der Wüste stoßen neue Anhänger zu Mohammed, von Mekka folgen ihm Freunde nach. Um das Haus der südlichen Vorstadt zieht sich ein Feldlager mit einem Heer von Waffenträgern, das den alten Machthabern gefährlich zu werden beginnt. Schon nennen viele das alte Jatrib Medina, Stadt des Propheten. Die Raubfahrten, die kampftüchtige Freunde Mohammeds zu unternehmen begonnen haben, der Kleinkrieg Omars und Mulms* ibn Hafas gegen die Karawanenwege Mekkas, bringt Beute und zieht viele ruhelose Wüstenaraber an. Eines Tages, im zweiten Jahr nach der Flucht, als Mohammed in der kleinen Moschee die Gebete vorspricht 34
und sich zum Zeichen seines Bundes mit Israel in Richtung Jerusalem verneigt, packt ihn jählings der Zorn über den hartnäckigen Widerstand der Juden. Er richtet sich auf, macht eine scharfe, wutstampfende Wendung und verneigt sich das dritte Mal nach Süden, dorthin, wo in weiter Ferne Mekka, das geliebte und unvergessene, mit der heiligen Stätte der Kaaba liegt. Von diesem Tage an richten sich die Blicke jedes gläubigen Moslems in die Richtung von Mekka, wenn er seine vorgeschriebenen Gebetsübungen macht. Der Islam hat sich endgültig aus der Verbindung mit Israel gelöst.
Mit Hilfe seiner Freunde und einiger Wüstenstämme, mit denen er Bündnisverträge schließt, gelingt es Mohammed, sich zum Herrn der Stadt Medina auf zuwerfen. Seine Kriegsfahrten in die Wüste von Mekka werden bedrohlicher, die Beute größer. H Von Anbeginn an wird der Ertrag der Beutezüge nach dem heiligen Schlüssel zwanzig zu achtzig geteilt. Zwanzig Anteile erhält der Prophet für Zwecke der Armenpflege und öffentlicher Abgaben, achtzig Teile fallen in gerechter, gleichmäßiger Aufteilung an die Gläubigen. Gegen Ende des zweiten Jahres nach der Flucht erhält Mohammed die Nachricht, daß eine große syrische Karawane unter Führung des Scheichs Ssulfjan von Gaza die Küstenstraße heraufkommen werde. Fast alle mekkanischen Häuser haben Geld in die Waren investiert, die Kamele sind mit Türkisen, Kupferbarren, Silberschmuck, Waffen und Damast, mit Brokaten und persischen Treibarbeiten beladen. Am gleichen Tage noch ruft der Prophet seine Freunde zum Aufbruch. Auf dem Marktplatz von Jatrib-Medina sammeln sich mit Kamelen und Waffen dreiundachtzig Mekkaflüchtlinge und zweihunderteinunddreißig Männer aus Medina und den benachbarten Stämmen. Mohammed sitzt im eingelegten, mit Seide und Goldblech beschlagenen Sattel der Kamelstute Al-Kaswa, sein Bannerträger Ejub trägt an einem Bambusstab die Fahne des Propheten. „Bekämpfet auf Allahs Wegen, wer euch bekämpft!" ruft er, und die Gläubigen schwingen unter jauchzendem 35
Zuruf die Waffen. Langsam reiten die Dreihundert unter dem Schall der Zimbeln und Trommeln aus der Stadt, der Karawane des Ssulf jan entgegen. * Die Wüste hat viele Augen und Ohren. Der Späher Mukris' ibn Hafas hat erkundet, daß die Syrer mit den Waren für Mekka einen Umweg eingeschlagen haben und vermutlich den Brunnen Badr in der Küstenebene bei Dschidda und Yanba erreichen wollen. Die Scharen Mohammeds nehmen den kürzesten Weg und treiben die Tiere zu schärfster Gangart an, um den Platz noch vorher zu besetzen. Wer die Zisternen besitzt, ist Sieger in der Wüste. Doch auch Ssulf jan ist nicht müßig gewesen, einer seiner bezahlten Agenten in Medina jagt auf einem Rennkamel der Karawane entgegen und warnt den Scheich vor dem Überfall. Wenig später galoppiert einer der Söhne Ssulfjans nach Mekka mit dem Befehl: „Bietet alles auf, dem Räuber Mohammed eine Niederlage zu bereiten. Treffpunkt soll der Brunnen von Badr sein!" Auf dem Platz vor der Kaaba in Mekka werden die erzenen Gongs geschlagen, in Eile rottet sich das Aufgebot der Koreisch zusammen. Auf buntbehangenen Rossen, perlenbestickten Satteldecken, mit hellfarbenen Vollblutkamelen reiten die erbitterten Mekkaner zuhauf; Banner und Wimpel flattern von den Lanzen, spitze Perserhelme und lederne Kopfhauben, über die man die bunten Burnusse zieht, mischen sich mit vergoldeten Beutehelmen, die einst römischen oder griechischen Soldaten gehört haben. Ohne Aufenthalt bricht das Heer in Stärke von fast tausend Mann auf. Ihm folgt der übliche Troß, Wagen mit Weinschläuchen und lebender Proviant in Gestalt von schwarzen Ziegen- und Schafherden. An den Rastplätzen wird geschlachtet, die Scheichs halten lange Beratungen, und die Jugend vergnügt sich mit Bogenschießen, Lanzenstechen und Reiterspielen. Kesselpauken und schrille Flötenmusik durchbrechen die Stille der Wüstenberge im Lärm, langsam wie ein glitzernder Wurm kriecht die Truppe über die Pässe der Küstenebene dem Brunnen Badr entgegen.
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Als sich die Karawane Ssulf jans von Norden und das mekkanische Heer von Süden her der Oase nähern, entdecken die vorausreitenden Späher, daß Mohammeds Schar die Wasserstellen besetzt hat. Der Prophet wird angesichts der Überlegenheit des Gegners von Schauern der Furcht erfaßt. Krämpfe werfen ihn nieder, die Gläubigen umstehen ihn in stummer Ehrfurcht. Plötzüch springt er auf und spricht wie von Sinnen die Worte seiner Offenbarung: „Am Tage des Gerichts sollen die Wunden der Gefallenen leuchten wie Rubinen und duften wie Balsam! Nicht gleich sind diejenigen der Gläubigen, die ohne Not zu Hause bleiben, und diejenigen, die kämpfen auf Allahs Wegen mit ihrem Gut und Leben . . . bevorzugt hat Allah die Kämpfer vor denen, die nicht kämpfen.. . 26 " Der Prophet übersteigert sich, er sagt die Hilfe eines Engelsheeres voraus, das mit dreitausend Schwingenpaaren durch die aufgewühlten Lüfte herbeibrause, er schildert die geöffneten Höllenpforten, die bereitstünden, die Feigen und Weichenden zu verschlingen. Seine Worte reißen die leichtentzündbaren Gemüter zu wilder Begeisterung hin. „Bei den schnellen Rossen, die schnaubend dahineilen Und mit ihren Hufen Funken aus dem Gestein schlagen, Bei denen, die in der Morgenfrühe auf den Feind einstürmen Und dabei Staubwolken aufwirbeln und 27 Die feindlichen Haufen durchbrechen.. • " Mit einem einzigen Aufschrei werfen sich die Männer in die Sättel der Kamele und stürmen dem heranziehenden Feind entgegen. In ihren Ohren dröhnen die Worte des Propheten, sie glauben die Engelsscharen aus den Staubwolken herabschweben zu sehen, sie hören im Schall der Kesselpauken und Hörner die Fanfaren des Jüngsten Gerichts. Todesentschlossen werfen sich die Dreihundert gegen die Mauer der Mekkaner. Am Rande der Oase aber steht Mohammed und wirft drei Hände voll Sand wie einen Fluch wider die Feinde. Das weit überlegene Heer der Koreisch wird zersprengt | und geschlagen, die Karawane des Ssulfj an fällt in die Hände der Sieger. Triumphierend kehrt die Schar nach Medina zurück. * 37
Der Erfolg von Badr ist wie Sturmwind, der in die Glut des Islam fährt. Hunderte von Arabern treten dem Bunde bei, und die Macht Mohammeds in Medina wächst so gewaltig, daß er es wagen kann, den jüdischen Widerstand gewaltsam zu brechen. Mit überlegenen Kräften greift er die jüdische Stammessippe an, die das Goldschmiedemono- j pol besitzt, belagert die Goldschmiede in ihren festen Quartieren und zwingt sie zur Ergebung. Unter Verlust ihres gesamten Eigentums müssen sie die Stadt räumen. Der Kampf gegen den Handel von Mekka geht weiter. Es kommt zu verlustreichen Gefechten und Schlachten. Beduinen der Wüste greifen ein, sie werden von Beute und Kriegsruhm gelockt, den Propheten erkennen sie als oberste Gewalt in Krieg und Frieden an. Da auf diesen Kriegszügen die Manneszucht unter dem zügellosen Weintrinken leidet, verbietet Mohammed, der bisher den Trunk geduldet hat, jeden Alkoholgenuß. Aber das strenge Fastengebot des Ramadan-Monats wird für die Dauer von Kriegs- oder Reisezügen aufgehoben. Im März 627 kann der Prophet eine von seinem Gegner Ssulfjan geführte Expedition von 10000 Mann vor den Wällen Medinas zum Halten bringen. Nach vergeblicher Belagerung ziehen sich die Angreifer zurück. In dieser Zeit rottet Mohammed die letzte jüdische Gruppe in Medina aus. Der Kleinkrieg der Wüste setzt sich fort. Bei einem Streifzug geschieht es, daß Aischa, die jugendliche Gattin Mohammeds, die er neben anderen Frauen ins Feld mitführt, auf der Suche nach einem verlorenen Halsband von deT Truppe abkommt und die Nacht außerhalb des Hauses verbringen muß. Die Feinde Aischas und des Hauses Abu Bekr nehmen den Vorfall zum Anlaß, der Gattin des Propheten Untreue vorzuwerfen. Ali, der Sohn Abu Talibs und Vetter Mohammeds, tritt gegen Aischa auf. Eine Todfeindschaft innerhalb der Familie, die Mohammed am nächsten steht, nimmt ihren Anfang. Aus ihr werden später weltgeschichtliche Verwicklungen entstehen. Durch eine seiner Offenbarungen wird Mohammed nach einem Monat von der Unschuld Aischas überzeugt — doch die Kluft zwischen Aischa und Ali bleibt bestehen. Durch Zulauf und Bündnis ist die Heeresmacht des Propheten zu solcher Stärke angewachsen, daß er durch eine Wallfahrt nach Mekka, die einem Kriegszug nicht unähnlich sein wird, seine Gegner herauszufordern wagt. Ein zum 38
äußersten Widerstand entschlossenes Heer der Koreisch sperrt die Straßen, man schlägt ein Lager auf und schließt nach langen Verhandlungen einen Vertrag, der die Feindschaft beenden soll und Mohammed und den Gläubigen für das kommende Jahr die Wallfahrt erlaubt. Man vereinbart eine Waffenruhe von zehn Jahren. Sein Selbstgefühl ist erstarkt. Von Medina aus schickt er Sendschreiben mit anmaßenden Forderungen an die Herrscher der Welt. Ein Schreiben geht an Kaiser Heraklius von Ostrom-Byzanz, ein anderes an den persischen Großkönig, ein drittes an den Kaiser von Abessinien. An Kaiser Heraklius schreibt er: „Im Namen Allahs, des Allerbarmers, des Allbarmherzigen! Von Mohammed, dem Diener und Gesandten Allahs, an Heraklius, Herrscher des Oströmischen Reiches. Friede sei mit Dir, der dem rechten Wege folgt! Hiermit ergeht an Dich meine Aufforderung zum Bekenntnis zum Islam. Werde ein Moslem, und Du wirst Frieden finden. Allah wird Dir eine doppelte Belohnung geben. Aber wenn Du Dich abwendest, wird wahrlich die Sünde Deiner Untertanen über Dich kommen. Kommet herbei zu einem gerechten Vergleich zwischen uns und Euch, auf daß wir allein Allah dienen und ihm nichts an die Seite stellen. Und wenn sie sich abwenden, so bezeuget, daß wir Moslem sind!" In Byzanz wird diese Schrift eines unbekannten Wüstenscheichs aus dem unerforschten Süden säuberlich registriert, in einen Elfenbeinbehälter gesteckt und unter einem purpurfarbenen Aktenzeichen in einem Regal des Archivs abgelegt. Byzanz hat in diesem Augenblick andere Sorgen, als den „Größenwahnsinn eines Sektierers" zur Kenntnis zu nehmen. Denn in dieser Stunde schlägt der Kreuzfahrergeist, den Kaiser Heraklius geweckt hat, wie eine donnernde Brandung an die Dämme des morschen Perserreichs. Jerusalem ist zurückerobert, und das oströmische Heer ist mit überlegenen Kräften in Persien eingefallen. Die Byzantiner haben in einem letzten Aufbruch ihrer Geschichte das blutende Euphrat- und Tigrisgebiet erreicht und haben die Feuertempel niedergebrannt, so wie vor Jahren die Perser die christlichen Kirchen zerstört haben. 39
In den Talebenen des Euphrat und Tigris vollzieht sich in dieser Zeit ein tiefgreifender Wandel; denn seit Generationen hat sich das Klima verschlechtert. Das Land, in dem die Menschen das Paradies vermutet haben, beginnt auszutrocknen und vom Sand der Wüsten überflutet zu werden. Der Verfall der lebensnotwendigen Bewässerungs-, Deich- und Schleusenanlagen durch den fortdauernden Krieg ist nicht mehr aufzuhalten. In dem gequälten Land bricht alles zusammen. Das persische Heer, das einst die Meerengen und Byzanz-Konstantinopel bedroht hat, besitzt keine Kampfkraft mehr. Der Großkönig erliegt einer Verschwörung und wird ermordet, der neue Herr zieht Knaben und Frauen zum Heeresdienst ein, so sehr ist Persien ausgeblutet. Im Innern jagen sich Palastrevolutionen und Aufstände. In den Wirren der Zeit verschwindet das Schreiben, das Mohammed auch an den Perserkönig gerichtet hat; der erste warnende Anruf aus der Wüste bleibt ungehört. •
Im Jahre 629 kann Mohammed endlich an der Spitze vieler Tausende von Gläubigen die Wallfahrt zur Kaaba antreten.
SRRTI
Die Pilger steigen schon am Berge Arafat von den Kamelen und schlagen das Lager auf. Unten im Tal liegt die heilige Stadt, die von ihren heidnischen Bewohnern aus Furcht vor Zwischenfällen verlassen ist. Nur wenige Familien — Verwandte und Freunde Mohammeds — sind in ihren Häusern geblieben. Am Morgen bildet sich der Festzug, dem Mohammed — ein Mann von fast sechzig Jahren — in weißem Gewand voranschreitet. Tausende von Beduinen, Männer aus Medina und Taif, Araber aus den zahlreichen Wüstensiedlungen des Hudhail und des Nedschd reihen sich dem Zuge ein. Fast alle tragen das einfache Tuch des Pilgers um den Leib geschlungen, keine anderen Waffen sieht man als Schwerter und Dolche. Der Bück Mohammeds geht über die Wüstenstraße hinab zu dem weiten, von Laubengängen umgebenen Platz, auf dem die Morgensonne liegt. Dort steht auf dem Lehmsockel das schwarze Zelt, die Kaaba — Ausgangspunkt und Ziel des Islam. 40
Es ist erreicht, der Gesandte Allahs kehrt heim in das Heiligtum, das er von Götzen gereinigt hat. ?M Schweigend, aber unaufhaltsam wie ein Strom, der die Dämme gebrochen hat, wälzt sich der Pilgerzug talwärts, schiebt sich durch die Tore und engen Gäßchen, vorbei an ausgestorbenen Häusern, und ergießt sich auf den übersonnten Platz. Tief ergriffen sehen die Gläubigen und die wenigen zurückgebliebenen Mekkaner, wie der Prophet siebenmal das heilige Zelt umwandert, die Arme gen Himmel hebt und ruft: „Hier bin ich, du, mein G o t t . . . hier bin ich!" Und die Tausende antworten wie aus einem Mund: „La Haha üla Allah wa Mohammed Rasul Ullah!"
Einige der mekkanischen Gegner Mohammeds werden durch die eindrucksvolle Feier veranlaßt, ihre bisherige feindselige Haltung aufzugeben und zu Anhängern des Propheten zu werden. Im Lager am Berge Arafat erscheint auch Chaüd ibn al-Walid, der Feldherr der Koreisch, den Mohammed zu seinem Heerführer bestimmt; er wird später den Beinamen Schwert des Islam tragen; aus der Familie der Umaijaden tritt Amr ibn al-Aß über, dem vom Schicksal bestimmt ist, Ägypten für den Islam zu erobern. *
Mehr und mehr Wüstenstämme nehmen den Glauben des Islam an, der Ruf Mohammeds verbreitet sich über die Lande. Selbst aus dem fernen Ägypten, das eben durch die Heere des Kaisers Herakiius von den persischen Eroberern befreit worden ist, trifft Botschaft ein. Immer noch ist Mohammed ohne männlichen Erben. Seine Söhne mit Chadidscha sind im Kindesalter gestorben. Nach Jahren erst schenkt ihm die koptische Sklavin Mirjam den erwünschten Sohn Ibrahim. Da seine Sendschreiben an die Mächtigen der Erde ohne Antwort geblieben sind, schickt der Prophet noch einmal \ Botschaft an die Kommandanten der Grenzfestungen. Einer dieser Boten wird getötet. Mohammed befiehlt seinem Feldherrn Walid, mit einem Heer gegen die oströmischen Grenzwachen vorzugehen.
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Die Truppen gelangen bis an die byzantinische Grenze; hier treten ihnen die geschulten Grenzer entgegen und bereiten ihnen eine vernichtende Niederlage. In dieser Zeit gelingt es indes einem anderen Feldherrn des Islam, die Araber der nördlichen Oasen zu unterwerfen. Im Ramadan, dem Fastenmonat des achten Jahres nach der Flucht, sammelt Mohammed die ganze Macht seines Aufgebots gegen Mekka. Hunderttausend Beduinen scharen sich unter seinem schwarzen Banner zusammen und rücken gegen die Stadt vor. Schon auf dem Marsch treffen Ergebenheitsadressen von Häuptern der wichtigsten Familien ein. Selbst der hartnäckigste Gegner, Ssulf jan der Umaijade, reitet ins Lager des Propheten und unterwirft sich. Der Widerstand bricht zusammen, ohne Kampf zieht Mohammed als Sieger in Mekka ein. Siebenmal umkreist er zu Pferde die Kaaba und rührt mit dem Stabe den schwarzen Stein an. Dann befiehlt er die Zerstörung aller Götzenbilder. Der Glaube an Allah, den einen Gott, ist aufgerichtet. „Wahrlich, ich bin das angezündete Feuer Allahs!" verkündet der Gesandte des Himmels. Hf *
Nach der Eroberung von Mekka, das zum Mittelpunkt des Allah-Kultes erwählt wird, sind Mohammed nur noch zwei Jahre znm Leben bestimmt. Der Prophet lebt iu diesen letzten Jahren meist in seinem Hause zu Medina, umgeben von seinen Getreuen. Noch einmal trifft ihn das Leid alles Menschsems, der einzige Sohn Ibrahim erliegt einem Fieber.1 In Sorge um die Zukunft der Glaubensbewegung verzehrt sich Mohammed. Schon kämpfen seine Feldherren1 gegen Perser und Oströmer, schon flammt der Islam, vom Sturmwind eines großen Aufbruchs getragen, über die Wüste hinaus. Sie alle, die einst mit dem Propheten aus Mekka geflohen sind, werden zu Feldherren ihres Gottes — Omar, Ali, Mukris ibn Hafas und Abu-Bekr. Im Frühjahr des Jahres zehn nach der Flucht aus Mekka schickt der Prophet ein neues Heer unter seinem alten Freund Zaid gegen die Christen des Byzantinerreichs aus. Wohin die Araber die Fahne des Propheten tragen, verkünden sie Freiheit und Gleichheit für alle Gläubigen, Duldung für Andersgläubige, die freilich durch hohe Sondersteuern erkauft werden muß. 42
Den Ausgang des Unternehmens erfährt Mohammed nicht mehr, er wird plötzlich von Fieberschauern erfaßt. Sein Ende vorausahnend, läßt er sich noch einmal zu nächtlicher Stunde auf den Friedhof von Medina hinausführen, wo viele seiner dahingegangenen Getreuen zur letzten Buhe gebettet sind. „Glücklich ihr", so ruft er ihnen zu, „die ihr in der Ruhe des Grabes dem Schicksal der Lebenden entzogen seid. Denn die Lebenden sind umlauert von Versuchungen, eine schlimmer als 61Q andere, wie von Räubern in dunkler N a c h t . . . " In den folgenden Tagen, die Mohammed fiebernd und halb ohnmächtig auf seinem Lager Hegt, übernimmt Abu Bekr die Rolle des Vorbeters bei den täglichen Gottesdiensten. Als der Prophet seinen Freund Omar ruft und ihm sein Vermächtnis diktieren will, weigert ihm der Getreue den Gehorsam, auf daß nicht das Wort eines Fiebernden die Sache des Glaubens gefährde. Hilflos sinkt Mohammed in die dunklen Abgründe der Krankheit zurück. Die Nacht ist unruhig und wirr. Das Leben des Propheten neigt sich dem Ende entgegen. Am Morgen, als die Gläubigen sich im Hof zum Gebet sammeln, tritt zur allgemeinen Überraschung Mohammed aus der Tür und hebt segnend die Arme, dann taumelt er wortlos auf sein Lager zurück. Wieder schlagen die Wogen des Fiebers über ihn zusammen. Aischa, die nicht von seiner Seite weicht, trocknet ihm die feuchte Stirn. Gegen Abend öffnen sich seine Augen noch einmal: „Gott, verzeihe mir, erbarme dich meiner und nimm mich in den höchsten Himmel auf!", stammelt er mit trockenen Lippen. Mohammed sinkt zurück, sein Blick wird trübe unol glanzlos, das Herz des Kämpfers für Allah hört auf zu schlagen28. * „Der Prophet ist tot!" Der Aufschrei der Gläubigen gellt über Medina, er lauft durch die Gassen zum Markt, überspringt die Mauern und eilt, wie vom Sandsturm gejagt, von Oase zu Oase durch Arabien. Er trifft mitten in das Herz der Wüste. Mohammed ist davongegangen wie alle die Sterblichen vor ihm, er hat den Islam verlassen, die Gemeinde ist ohne Haupt und Stimme. Der Traum vom Gottesreich scheint 44
zu Ende geträumt, und all das Vergangene kehrt wieder: die Blutfehden der Wüste, der Zerfall der Stämme, das Faustrecht der mächtigen Familien, die Götzendienerei und die Ratlosigkeit der Seelen. Alle, die dem Propheten anhängen, haben geglaubt, der von Allah Erwählte werde seine Freunde bis ans Ende der Tage, bis zur Stunde des bald schon erwarteten Gerichtes, fuhren. Die Stimme Gottes ist verstummt, wer soll den "Willen des Höchsten und Erhabenen der Welt verkünden? So groß ist die Verwirrung, daß man die Leiche Mohammeds mehrere Tage ohne Fürsorge liegen läßt, ehe man daran denkt, sie zu bestatten. Dann treten die engsten Vertrauten des Propheten in dem Diwan, einem weiträumigen Gemach des Gehöftes, zur Beratung zusammen. Da sitzt der riesenhafte, gefürchtete Omar, der Unbotmäßige und Aufsässige im Heerlager mit der schweren Nilpferdpeitsche zur Ordnung zu rufen pflegt. Zur Rechten Omars ruht graubärtig Abu Bekr, der alt gewordene Vater Aischas. Als der auf allen Schlachtfeldern siegreiche Abu übaida eintritt, neigen sich ehrfürchtig die Scheichs, die Stammesfürsten und Unterfeldherren. Zwischen den drei einflußreichsten Gefährten des Propheten — Omar, Abu Bekr und Abu Ubaida — entscheidet sich die Frage der Nachfolge. Nach langem Redestreit wird der Älteste, Abu Bekr, der in den letzten Wochen vor Mohammeds Tod das Amt des Vorbeters ausgeübt hat, zum Kalifen, zum Nachfolger des Propheten, gewählt. Nach der Wahl ziehen sich die Machthaber in das innere Gemach zurück. „Eine große Aufgabe ruft dich, Abu Bekr", sagt Omar feierlich, „du wirst zu vollenden haben, was der Prophet — sein Name sei gelobt! — begann, die Welt unter Allahs Willen zu beugen. Befiehl dem Heer, die Fahne zu erheben und die Völker im Osten und Westen, im Norden und Süden dem Gebete Mohammeds zu unterwerfen, denn es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Prophet!" Abu Bekr, der Kalif, hat dunkle Ringe unter den müden, glanzlosen Augen, sein Gesicht ist von vielen Falten durchzogen und von durchscheinender Blässe. „0 ihr Freunde", sagt er, „als ich vor einigen Tagen über den Hof schritt, vernahm ich das Gebet eines Wüstenbeduinen. Er sprach: ,Allah, erbarme dich meiner und 45
Mohammeds und iiiemands außer uns!' Unsere Gläubigen sind kaum fähig, einen anderen Gedanken zu fassen als den an sich selber, an ihre Familie und vielleicht noch an ihren Stamm. Sie sind Räuber seit Urvätertagen, sie träumen von Beute, von paradiesischen Landschaften und Palästen. Ihr Dasein voller Härte und Entbehrungen hat ihnen diese Sehnsüchte in zahllosen Geschlechtern eingebrannt. Unsere Armeen sind zusammengelaufene Horden ohne Sold und ohne Disziplin, die nur von der Hoffnung auf Beute und Raub zusammengehalten werden. Der Tod des Propheten wird sie mutlos zerstreuen, die erste Niederlage gegen die Heere Ostroms oder des Perserreiohes wird sie auflösen." Omars Hand greift nach dem Schwert, er richtet sich hoch auf. „Jedes Verzagen ist Gotteslästerung!" grollt er, „bist du nicht Mohammeds Kalif? Und wenn du die Niederlage fürchtest, so sorge dafür, daß die Heere siegreich sind. Gib den Stämmen Arabiens ein gemeinsames Ziel, erfülle ihre Sehnsucht nach Paradiesen, nach Raub und nach Beute, und sie werden eine einzige Flamme sein, die über die Erde geht." „Allah hat uns das Ziel gewiesen!" ruft Abu Ubaida, der Feldherr, und seine Stimme dröhnt wie der Schlachtruf der Glaubenskünder, „Arabien muß den Auftrag erfüllen: Fürchtet, ihr Ungläubigen, das Feuer, dessen Nahrung Menschen und Steine sind und das für die Ungläubigen bereit ist! Die Fremden mögen eine Raaja — eine Herde unter arabischen Hirten — werden. Darum meine ich, ist es auch an der Zeit, Medina und ganz Arabien von Andersgläubigen, von Juden und Christen, zu säubern. Für sie ist kein Platz im Reich Allahs." Abu Bekr hebt abwehrend die Hände. „Was rätst du, Austreibung der Juden und Christen, da wir doch nicht wissen, wer noch zum Propheten hält und wer die Fahne verläßt? Wir werden andere Sorgen haben." „Allah und sein Prophet werden uns führen!" sagt der Feldherr Abu Ubaida. * Die Kunde vom Hinscheiden Mohammeds entfesselt in allen Landesteilen und Stammesgebieten Arabiens Aufstände. Stämme weigern sich, künftig die Armensteuer zu bezahlen, in anderen Stämmen treten falsche Propheten 46
auf und führen die Männer auf eigene Faust zu Raub und Plünderung. Die Koreisch, die einstigen erbitterten Gegner, fordern dreist die Führerrolle und geraten darüber in Kampfe mit anderen Stämmen. Verlustreiche Kleinkriege suchen die Oasen der Wüste heim, und Abu Bekrs Kampfgenossen haben alle Hände voll zu tun, die Gegner nieder-j zuwerfen. I Mehr als ein Jahr muß der Kalif mit den Kräften des Zerfalls ringen, bevor er die Herrschaft des Propheten wiedererrichten kann. Bis an die Küste des Persischen Golfs ziehen die Kamelreiterkorps und pflanzen die schwarze Fahne des Islam auf die Wüstenkastelle und die Marktplätze der Oasensiedlungen. Jetzt erst vermag Abu Bekr den letzten Plan des Propheten aufzunehmen, die kriegerische Ausbreitung des Glaubens über Arabiens Grenzen hinaus. I Der Zeitpunkt für das Unternehmen erscheint günstig. In Persien haben mörderische Bruderkämpfe die Königsmacht geschwächt. Der lange Krieg mit Ostrom hat die wirtschaftlichen und militärischen Kräfte erschöpft. Die drückende Herrschaft eines im Luxus verkommenen Adels wird von den ausgebeuteten Volksmassen nur noch murrend ertragen. Ausgeblutet ist die altpersische Panzerreiterei im Kampf mit Byzanz. Abu Bekrs erster Vorstoß gilt deshalb nicht Ostrom, sondern dem persischen Babylonien. Südbabylon fallt schnell unter den Schlägen arabischer Heere. Der Islam greift von dort aus weiter nach Osten und Norden. Im Frühjahr 634 unternimmt der Kalif einen Vorstoß gegen das Heilige Land, um dem Islam das ehrwürdige Jerusalem zu gewinnen. Eine aus allen Stämmen gebildete Kamelreitertruppe fällt in Palästina ein, brennt Bethlehem nieder und erscheint vor den riesigen Festungsmauern der Heiligen Stadt. Am Rand der Wüste Juda steht das Heer der Byzantiner, geführt vom Reichsfeldherrn Aretion. Die Schlacht, die angesichts des Toten Meeres und der Sandterrassen der Wüste stattfindet, zersprengt das oströmische Heer. Aretion wirft sich mit Kernscharen hinter die Mauern Jerusalems, ein Teil seiner Truppen flieht über den Jordan, durchsticht die Staudämme und rettet sich im Schutz einer Flutwelle. Der Sieg berauscht die fanatisierten Massen der Wüste. Sie treiben die weichenden Truppen der Oströmer an der 47
Festung Bostra vorbei bis in die Landschaft von Damaskus, der Hauptstadt Syriens. I Den Belagerungsring um Damaskus zu sprengen, eilt Kaiser Heraklius mit einer Armee aus seinem Hauptquartier in Antiochia herbei. Er hat einst den Kreuzzug angeführt, der Borns Standarten zum letzten Male in seiner Geschichte an die Ufer des Euphrat und Tigris getragen hat, und er will nicht glauben, daß eine Handvoll Wüstenstämme den Siegeslauf seines Lebens beenden soll. War nicht Damaskus seit Jahrhunderten die Stadt der römischen Statthalter? Ist nicht das hochgebaute Jerusalem die heiligste Stätte des Christentums? Diese Plätze darf Ostrom nicht verlieren, will es nicht tödlich getroffen hinabstürzen. Aber der Geist der Kreuzfahrt scheint erloschen. Esj geht kein Verzweiflungsschrei durch die Provinzen wie damals, als die Perser über die Grenze brachen. Es erfolgt kein Aufbruch um Christi willen wie vor einem Jahrzehnt, | als die Kreuzfahnen wider die heidnischen Banner Persiens flogen. Aus den Städten strömen keine FreiwilligenBcharen, nirgends zeigt sich Widerstandsgeist, nirgends ist Kampflust. Zu stark ist die Steuerschraube in den letzten Jahren angezogen worden, zu willkürlich haben Gutsherren, Steuereintreiber und Beamte in den Provinzen gehaust! Warum soll Syrien sich gegen Eroberer wehren, die ihm eine höhere Form von Freiheit und eine bessere Art des Lebens versprechen? Schwerfällig zieht das oströmische Heer über die Flüsse: des Antilibanon in Richtung auf Damaskus. Als die Späher des Kaisers von den Höhen hinab ins Tal bücken, erkennen sie, daß über der Zitadelle bereits das Banner des Propheten weht. Damaskus ist mohammedanisch geworden. *
In Medina ist Abu Bekr den Anstrengungen seines hohen Amtes erlegen. Omar, der alte Kampfgefährte Mohammeds, hat als zweiter Kalif die Nachfolge angetreten. Ihm legt Chalid, der große Feldherr, das eroberte [Damaskus zu Füßen. Aber noch sind die Eroberungen in Syrien nicht gesichert. Als das Frühjahr 636 mit reichlichen Regengüssen einen grünen Grasteppich über die syrische Steppe legt, 48
ftthrt der oströmische General Theodoros ein gewaltiges, reich gerüstetes Heer gegen die Verbindungslinien der Araber und bezieht Stellang in den galilaischen Bergen. Die Moslems erwarten die Feinde am Bach Jarmuk, der unterhalb des Sees Genezareth dem Jordan zueilt. Am 20. August kommt es zur Schlacht. Die oströmischen Legionen werden vernichtend geschlagen. Chalid besetzt alles Land bis hinauf nach Homs, Syrien scheint für Byzanz endgültig verloren. * Der Schwerpunkt der Kampfe verlagert sich erneut nach Babylonien. Dort sind die siegreichen Araber noch immer am Mittellauf des Euphrats abwartend in Bereitschaft. Der neue König des Perserreiches, Jesdegerd, rafft alle Kräfte des sterbenden Reiches zur Abwehr zusammen. Noch einmal ziehen die gepanzerten Perserritter von ihren Felsenburgen talwärts, ihnen folgen die Spießknechte, die sich aus den abhängigen Landpächtern rekrutieren. Die Wüstenreiter werden von Abu Ubaida und Ssad ibn abi Wakkaß, den alten Freunden Mohammeds, geführt. Auf Befehl des Kalifen Omar haben die arabischen Heere nahe der vertrauten Wüste zwei feste Lager erbaut: Kufa | und Basra. Die Lager sind nach römischen Vorbildern mit Wällen, Gräben und Mauerwerk umgeben worden, vier Tore lassen vier Hauptstraßen aus den vier Himmelsrichtungen ein, im Innern reihen sich die Zeltstraßen der Krieger. Da nach dem Willen des Kalifen die umherziehenden Nomadenstämme sich ganz dem Kriegshandwerk zu Ehren Allahs widmen sollen und die Söhne der Wüste selbst lieber Kriegsbeute machen als ihre Segenherden auf dürren Grassteppen weiden, haben sich zahlreiche Stämme und Sippen innerhalb der festen Lager niedergelassen. Weiber, Kinder, Schaf- und Kamelherden drängen sich auf engem Raum, Handwerker schlagen ihre Buden auf, Händler kauern unter den Sonnensegeln und bieten ihre Waren feil, und auf den freien Plätzen finden Reiterspiele statt. Aber wenn die Erzgongs dröhnen und die Trommeln zum Alarm rufen, ist in weniger als einer Stunde das Heer mit dem notwendigen Troß marschbereit. Seit die Araber in den alten Kulturländern am Rande der Wüste Krieg führen, haben sie auch BelagerungU HBBW
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masohinen — Katapulte, Schildkröten, Widder und Rammen — erbeutet und nachgebaut; in Kufa und Basra sind riesige Lager von Sturmgerät angehäuft. Ein stetes Kommen und Gehen, wie es dem unruhigen, wenig an Disziplin gewöhnten Geist der Beduinen entspricht, herrscht in den Lagerstraßen. Gegen diese Herzpunkte der arabischen Macht wendet sich die Armee der Perser. Der Kampf — eine Folge zielund planloser Gefechte in einem weiten Tal — hebt an. Drei Tage lang stürmen die persischen Kader gegen die wilden Wüstenkrieger. Als der dritte Tag der Schlacht heraufsteigt, nähert sich der Kampf der Ortschaft Kadesia. Die Augustsonne brennt unerträglich auf die Eisenhelme der persischen Bitter, die tödlich umklammert sind. Jählings bricht der Widerstand zusammen, das persische Heer löst sich auf, und die Teile flüchten in panischem Entsetzen nach Osten. Wenige Tage später nähern sich die arabischen Reitermassen der Hauptstadt des besiegten Reiches, der Metropole Ktesiphon am Tigris. Kampflos reiten sie durch die Tore, unter denen der Rat die Sieger demütig empfangt. Die Wüstenhorden ergießen sich durch die gepflegten Straßen der Großstadt. Hinter den verhangenen Fensterritzen starren angstvolle Augen auf die braunen Wüstenkrieger, auf die halbnackten Neger und die fast weißhäutigen Nordaraber. Burnusse in allen Farben wehen, der Schrei von Kamelen und das Schnauben der Rosse durchtobt die Häuserschluchten, Waffen klirren, Lanzenspitzen und blanke Säbel blitzen und wallende Banner, mit Amuletten behangen, flattern. Das Schmettern der Hörner, das aufreizende Gefiedel der Saiteninstrumente, das Pauken der Kesseltrommeln und das Klingeln der Zimbeln übertönt jeden anderen Laut. Staunend umfängt der Blick der Sieger den Reichtum dieser Stadt. Die Männer können es noch nicht begreifen, was ihr Schwert erobert hat, welches Reich sie kraft ihres Glaubens gestürzt haben. Sie ahnen, daß Arabien aus dürren Wüsten und tödlicher Einsamkeit eingekehrt ist im Hause seiner Träume, daß Allah ihnen allen Überfluß und das Paradies auf Erden geschenkt hat. Im letzten Augenblick flüchtet König Jesdegerd aus dem umstellten Palast. In einer einsamen Mühle in der Umgebung findet, er als Unbekannter Aufnahme. Dem 50
Auge des Müllers sind die kostbaren Schätze, die der Flüchtling verborgen hält, nicht entgangen. Als der König in tiefem Schlafe liegt, erschlägt ihn der Habgierige. Mit Jesdegerd stirbt das alte Persien.
Als die Siegesnachrichten aus Persien ihn erreicht haben, befiehlt Kalif Omar die Wiederaufnahme des Feldzuges gegen Jerusalem. Vom Lager bai Dschabija bricht der Feldherr Chalid mit einem Heer gegen die Heilige Stadt auf, in der noch immer die Truppe des Oströmers Aretion die Bastionen hält. Die Kamelreiterkorps ziehen die Wüstenstraße von Juda herauf gegen den Berg von Bethanien; sie steigen über die Höhen von Bethlehem ins Kidrontal herab und sperren die in uralten Tagen angelegte unterirdische Wasserversorgung der Stadt; arabische Zeltlager breiten sich wie schwarzes Dickicht über die Höhen rings um den Felsen Davids. Allzu viele Stürme sind über die Heilige Stadt hingegangen; die einstmals zyklopischen Mauern, die steil aus dem Kidrontal aufstrebten und die Hänge über dem ölberg bekränzten, sind zerfallen, und die Breschen sind nur behelfsmäßig ausgebessert, die Torwerke sind halbe Ruinen, das gewaltige Viereck des Tempelplatzes ist verödet und mit Mauerresten bedeckt. Nichts ist mehr zu erkennen von der Pracht des Herodianischen und Salomonischen Tempels, nur einige Pfeiler und Quadern sind von der römischen Burg Antonia übriggeblieben. Gegen die Angriffe eines überlegenen, mit Belagerungsmaschinen gerüsteten Gegners ist der Fels der Christenheit und des Judentums nicht mehr zu verteidigen. Omar genehmigt der übergabebereiten Besatzung milde Bedingungen: Den Christen werden Leben und Eigentum, die Erhaltung ihrer Kirchen und Religionsfreiheit gegen die übliche Tributzahlung zugesichert, von der jüdischen Gemeinde fordert Omar, daß sie die Stadt Davids und Salomons räume. Knarrend öffnen sich die Tore, der Kalif zieht an der Spitze seiner Reiter in Jerusalem ein. Die engen Gassen hinter dem Damaskustor sind menschenleer. Verödet sind die sonst mit lärmendem Leben angefüllten Gewölbe der Handwerker, über die flachen 51
Treppen unter den Strebebogen wogt heute nicht der bunte Markt der Händler. Aus den zahllosen Torbogen, den in den Fels gehauenen Wendeltreppen treten keine bärtigen Juden, keine Kinderschar spielt im Schatten der fast fensterlosen Gebäude. Durch die Gassen tobt der fremde Tumult der Wüste, hochbeinige Kamele streifen mit wiegendem Schritt an den Hauswänden entlang; Säbel und Lanzen flirren im Licht, seltsame Heeresmusik schallt zum Berg Davids hinauf, bunte Banner und bebänderte Feldzeichen der Stämme wehen. Als der Kalif den Felsen am Tempelplatz erreicht hat, steigt er aus dem Sattel seines Rosses und geht mit ergriffen gesenktem Haupt zu Fuß. Dies ist die heilige Stätte für Juden, Christen und Moslems. An den Lagerfeuern des arabischen Heeres erzählt man sich, daß von diesem Felsenhaupt Jerusalems der Prophet auf feurigem Rosse gen Himmel geritten sei. Demütig sinkt Omar, der Sieger, zu Boden, küßt den Stein, und hinter ihm fallen viertausend Araber in die Knie. Der Kalif erhebt die Stimme: „Lob sei Gott, dem Herrn der Welten, Dem Allerbarmer, dem Barmherzigen, Dem König am Tage des Gerichts .. Z'29. Er befiehlt den Bau einer Moschee über dem Felsen, denn Jerusalem soll für alle Zeiten kostbarer Besitz des islamitischen Glaubensstaates sein. Dann wendet sich die geballte Macht der Wüste gegen Ägypten, die lebenswichtige Kornkammer des Byzantinischen Reiches. * Im Januar des Jahres 639 erscheint ein arabisches Korps vor Pelusium, der starken Sperrfestung vor dem Nildelta, und nimmt die Grenzstadt im Handstreich. Der Kampf um Ägypten hat begonnen. Nahe dem alten Memphis steht eine große byzantinische Armee zur Abwehr bereit. Der kaiserliche Feldherr Theodoros kommandiert die Streitkräfte. j ^ T o r s i c h t i g dringen die Araber in das Delta ein, sie überschreiten die zahlreichen Kanäle und bilden Flotten aus den beschlagnahmten Lastkähnen. 52
In den Nächten glühen auf den weiten, dampfenden Feldern des Deltas die sparsamen Lagerfeuer der Fellachen, die schon in dem ersten Morgengrauen mit der Arbeit beginnen. Wenn die Bauern im Dämmerlicht auf den Dämmen die Silhouetten der Kamelreiter ziehen sehen, stecken sie die Köpfe zusammen. Ein Traum nimmt Gestalt an: Die Befreier nahen; mit den Fremden wird eine neue Zeit einziehen, die ihnen endlich Besitzerrechte am Acker der Großgüter geben, sie aus der Knechtschaft der Steuereintreiber lösen und ihnen Sicherheit der Eeligionsausübung bringen wird. Die Hoffnung auf Freiheit und Lösung uralter Sklavenketten erfaßt die armseligen ägyptischen Dörfer. Das Volk sieht dem Kampf der Eroberer und der alten Herren wie den Tierhetzen im Zirkus zu. Im April, als wieder die Ernte auf den Feldern reift, gelingt es den Arabern, die Legionen der Byzantiner aus den Wällen zu locken. Es kommt zur Schlacht, die sich nach wenigen Stunden zugunsten der Araber entscheidet. Die Oströmer fluten aufgelöst hinter die rettenden Schanzen zurück. Das arabische Heer rückt gegen Alexandria vor. Da jeder Widerstand gegen die überlegenen Eroberer aussichtslos ist, nimmt Byzanz Friedensverhandlungen auf. Ein Vertrag kommt zustande, nach dem, wie überall, den Christen der Besitz der Kirchen und freie Glaubensausübung gegen Tributzahlung zugestanden wird. Am 17. September 641 räumen die Byzantiner Alexandria und geben Ägypten für immer auf. Auch ein Flottenvorstoß, der vier Jahre später mit unzulänglichen Kräften unternommen wird, vermag nichts mehr zu ändern. Byzanz, die Millionenstadt am Bosporus, ist seiner Getreidekammer beraubt. Der siegreiche arabische Feldherr läßt oberhalb des Deltas die arabische Lagerstadt Fostat errichten, die man später Kairo, „Siegreiche Stadt", nennen wird. Ägypten gehört dem Islam. * Für die Wüstenstämme ist Ägypten eine unerschöpfliche Schatzkammer. Da die Immans und Truppenbefehlshaber streng darauf achten, daß nicht geplündert wird, rauben die Beduinen die Toten aus. Stehen nicht überall 53
in der Wüste, in Felsentälern die riesenhaften Grabmäler als Zeiohen vergangener Größe, die Gedenkstätten und Totenhäuser der Könige? Mit gierigen Händen erbrechen die Eroberer die Pyramiden, die Felsgrotten der Wüste, die Schächte der Tempel und schleppen goldene Masken, Gefäße, alte Prunkschalen, Glaskrüge, Schnitzwerk und Edelsteinschmuck, goldene Särge und sagenhafte Schätze heraus. Mumien, die seit Jahrtausenden dem Verfall widerstanden haben, werden zu Staub; Papyrusrollen, mit unverständlichen Zeichen bedeckt, flammen am Lagerfeuer der Wüstenreiter. In dieser Zeit entdecken arabische Weise unter den Ruinen der niedergebrannten christlichen Philosophenschule zu Alexandria die kostbaren Elfenbeinbehälter, in denen griechische und lateinische Bücher verwahrt sind. Sie halten die Bollen in Händen, als hätten Kinder einen Schatz gefunden, von dem sie ahnen, daß er von unendlichem Wert ist. Rhetoren und Gelehrte Alexandriens lesen den frommen Immans die Namen der Verfasser vor: Aristoteles, Piaton, Eratosthenes, Epikur, Origines, Paulus, Augustinus und Boethius. Es ist eine fremde Welt, die sich den Arabern in den von Dolmetschern übersetzten Worten der Alexandriner auftut; noch vermögen sie die Schrift nicht zu entziffern, doch schon gibt es Araber, die den Wunsch haben, Griechisch zu lernen und Bücher zu lesen. Wieder hebt ein Traum seine Schwingen, der Traum von einem unermeßlichen, geistigen Reich, das noch zu erobern ist. * Manches hat sich gewandelt seit jenem Tage, da die ersten Kamelreiterkorps zu dem großen Abenteuer des Glaubenskrieges aufgebrochen sind. Ihre religiöse Toleranz und eine gerechte Steuer- und Sozialpolitik haben ihnen die Herzen der Armen und Unterdrückten gewonnen. Heute aber klagen bereits viele der eroberten Provinzen über die Tyrannei der Nachfolger jener ersten Glaubensstreiter. Die Feldherren kämpfen nicht mehr für die Bekehrung der Ungläubigen, sondern suchen Unterwerfung, militärischen und persönlichen Machtgewinn. 54
Westeuropa in der Zeit des arabischen Vorstoßes
Wie Risse im Wüstenboden, den allzu lange und zu glühend die Sonne der Siege beschienen hat, verästeln sich Spaltungen, Parteiungen und Zwietracht. Überall erwacht die alte Eifersucht der Stämme von neuem, Blutfehden fordern Opfer. Neue Kalifen steigen empor und fallen, bis 55
sich aus langen Wirren, Konfessions- und Bürgerkriegen der große Abdelmalik30 zum unbestrittenen Herrscher des islamitischen Reiches emporschwingt. Als die Feldherren des neuen Kalifen die Opposition niedergezwungen haben, beginnt Abdelmalik das schwere Werk einer Reform des Reiches. Damaskus wird endgültig die Residenz des Reiches, die heilige Landschaft in Arabien tritt hinter das neue Machtzentrum zurück. Die Araber — bisher bevorrechtete Eroberer und Staatsträger—verlieren ihre überragende Stellung. Eine Steuer- und Verwaltungsreform stellt die Gleichheit aller Moslems vor dem Gesetz fest, jeder Gläubige, ob Araber, Perser, Syrer oder Ägypter, bezahlt die gleiche zehnprozentige Armenabgabe an den Kalifen, jeder Glaubensstreiter erhält den gleichen Sold. Das Arabische wird zur Staatssprache in allen Reichsteilen. * Nach dem Tode des Kalifen Abdelmalik ruft sein Sohn und Nachfolger Walid31 die Moslems zu neuen Glaubensund Eroberungskriegen auf. Statt auf Byzanz stoßen seine Heere in die östlichste Provinz des einstigen Perserreiches vor. Arabische Scheichs errichten Herrschaften längs der uralten Karawanenstraße, die über Buchara und Samarkand nach Kaschgar und von dort in das Märchenreich Indien und weiter nach China führt. Arabische Truppen lagern in den Steppen am Kaspischen Meer, am Aralsee und an den Ufern des Oxusstromes. Die Sterne der Steppe funkeln zu Häupten der Beduinen, ihre Zeltlager breiten sich weithin. In der Grasebene weiden Kamele, Yaks und Pferde, und wie ein irdischer Widerschein ewiger Gestirne funkeln die tausend Feuer der Heerlager. Der Eroberungszug führt bis an die Himmelsmauer des Hindukuschgebirges. Fast gleichzeitig mit diesem Vorstoß dringen arabische Streitscharen in die Landschaft südlich der afghanischen Pässe ein. Ihr Anführer ist der junge Scheich Muhammed Quasim. Im Frühjahr 711 nähern sich islamitische Kolonnen den alten Durchgangspforten der Himmelsmauer, flankierend rückt Muhammed Quasim mit ungeheurem Troß auf den Bergstraßen von Kabul aus vor. Wieder einmal öffnen sich die Tore Indiens, um Eroberer einzulassen. 56
Die Wüstenreiter brechen wie eine schäumende Woge ins Land, sie fegen die Heere der Hindus fort, zerschmettern mit schweren Belagerungsmaschinen die Burgen der Landesfürsten, sie stürzen sicn wie Verdurstende auf die Beichtümer der goldenen Städte. Das Fünfstromland zwischen Indus und Ganges, das Kerngebiet des heutigen Pakistan, geht in der Flamme des Islam anter. Aber die Araber erkennen bald die stille Kraft Indiens, die Bedürfnislosigkeit seiner Menschen, das zahllose Gewühl der Völker. Hier kann man nicht herrschen, wenn man Todfeindschaft aufrührt, dieses wuchernde Volk verschlingt sonst die Sieger. Strenge Befehle gehen von der Oberleitung des Heeres an alle Unterführer, Stammesfürsten und Statthalter: Die Hindus sollen ihre Tempel behalten, und ihre Götterwelt soll unangetastet bleiben. Es genügt, wenn die Unterworfenen Kopfsteuer und den Zehnten der Feldfrüchte entrichten. Noch während der Waffenlärm des Krieges die indischen Länder erfüllt, während die Eroberer mit ihren schwarzen Bannern am Indus entlang bis zum Indischen Ozean vorrücken, sind arabische Heere von Ägypten aus entlang der nordafrikanischen Küste vorgedrungen. Die oströmische Herrschaft in Afrika, mit den westlichen Stützpunkten des Byzantinischen Reiches, bricht zusammen. Karthago fallt, der Sturm fegt durch die Gebirge der Berber bis zum Atlantischen Ozean. Araberscheichs sitzen auf den Kastellen am Bande der Sahara, an den Meeresküsten, an den Gebirgspässen, sie herrschen über die Städte, die sich seit einem Jahrtausend wie eine Perlenkette zwischen dem Nildelta und dem Atlantik aneinanderreihen. Der Kriegerstamm der Schammar ist als Vorhut unter der Führung des Unterfeldherrn Tarik bis an die Meerenge am Westende des Mittelmeeres32 geritten. Hier, wo das Wasser Kontinent von Kontinent scheidet, scheint die Grenze der entzündeten Feuer Allahs erreicht zu sein.. H Kundschafter, die in den Nächten auf kleinen Booten die Überfahrt auf das gegenüberliegende Festland wagen, bringen erstaunliche Botschaft. Dort drüben, wo die blauen Felsen einer weit vorspringenden Halbinsel anfragen, liegt ein Königreich blonder, blauäugiger Männer, 57
die sich Westgoten nennen. Es ist ein verwirrtes, von Glaubens- und Machtkämpfen zerrissenes Land, das von einem König namens Roderioh beherrscht wird. Tarik erwirkt sich vom Oberbefehlshaber der Moslemheere die Befugnis, einen Erkundungsvorstoß ans andere Ufer zu unternehmen. Wenige Nächte später landen Tariks Scharen auf beschlagnahmten Dhaus, Galeeren und Fischerkähnen an einem steil vorspringenden, wuchtigen Felsen, den sie Dschebel al Tarik nennen33. Es ist die Südspitze Spaniens. Bei Wadi Bekka, einem Landstrich nördlich des Felsens der ersten Landung, trifft Tarik auf das westgotische Heer. Zwei Tage ringen die Germanen des Westens und die Wüstenreiter um den Sieg. Als König Roderich den Tod findet, bricht der westgotische Staat fast widerstandslos zusammen. Die unerwartete Siegesmeldung erweckt die Eifersucht des obersten Feldherrn. Er stößt mit einem aus Berbern und Arabern schnell zusammengestellten Heer nach und übernimmt an Tariks Stelle den Oberbefehl. Kämpfend und siegend bahnen sich die Moslems den Weg quer durch Spanien bis an das große Gebirge im Norden, bis zu den Pyrenäen. Noch im Jahr seines Triumphes über Indien und Spanien stirbt Kalif Walid. Einer der neuernannten Statthalter Spaniens, Abderrachman, rüstet zum weiteren Eroberungszug ins christliche Abendland. Gleichzeitig greifen arabische Heere die Dardanellen und Byzanz, die östliche Pforte der Christenheit, an. Das Oströmische Reich ist durch Kirchenstreitigkeiten zerrissen und uneins. In Byzanz stürmt der Pöbel die alten Kirchen, reißt die Bilder von den Altären und zerstört die herrlichen Marmorskulpturen. Mohammeds Verbot von Bildwerk und Heiligenkult wirft seine Schatten auch auf die oströmische und christliche Kulturwelt. I Der Angriff der Araber scheitert an den zyklopischen Mauern der Stadt Byzanz. Noch ist die Stunde für die Goldene Stadt nicht gekommen... Abderrachman bricht im Jahre 732 mit zahllosem Kriegsvolk über die Pyrenäenpässe vor, überrennt Südfrankreich und stößt ins Herz Europas, in Richtung auf 58
Paris vor. Hier, auf dem Boden der alten Römerprovinz Gallien, treffen die Wüstenreiter auf das junge, lebenskräftige Königtum der Franken. Germanische Reiter und Bauernkrieger scharen sich um ihren König und um Karl Marteil, den Hausmeier. Auf den Höhen von Tours und Poitiers begegnen die Kamelreiter, Mauren, Berber, Ägypter und Araber, Spanier und Kabylen den festgeschlossenen Reihen der Frankenkrieger. Eine Schlacht zweier Welten entbrennt. Der Islam, dessen Verkünder hundert Jahre vor der Entscheidung von Poitiers gestorben ist, hat in einem Siegeslauf ohnegleichen sein Riesenreich zwischen Osten und Westen erricntet. Nun aber trifft Arabien auf eine Kraft, die noch nicht von der Last jahrtausendalter Kultur und Geschichte geschwächt ist. So wie im fernen Indien die Eroberung Muhammed Quasims an der Grenze der innerindischen Staaten zum Stehen gekommen ist, so wie die Moslemheere vor den Bastionen Europas in Byzanz gescheitert sind, so gebietet nun ein germanisches Heer im Westen dem Sturm aus der Wüste Einhalt. Sieben Tage wogt der Kampf über die Hügel Frankreichs, dann nuten die Kamelreiter zurück und ziehen ihre Spur mit Brand und Ruinen über die Pyrenäen. B Der Bogen der Macht ist ausgespannt, das Reich Allahs hat vorerst seine äußersten Grenzen erreicht. Die Welt ist unter Buddha, Mohammed und Christus geteilt.
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BEGRIFFSERKLÄRUNGEN Beduinen, arabisch Badawi, Bedu Arab, die nomadisierenden Stämme der arabischen Völkergruppe. Berber, Angehörige einer nordafrikanischen Völkergruppe, zu der Kabylen, Mauren, Numidier, Tuareg und andere Stämme zählen. Die Berber wurden im 7./8. Jh. durch die arabische Eroberung stark arabisiert und überwiegend dem Islam gewonnen. Harem, das Ünbetretbare oder Heilige, bei den Arabern ursprünglich das verschlossene Gebiet der Städte Mekka und Medina; später auch der den Frauen und Kindern vorbehaltene Teil des arabischen Hauses, der für Männer verboten war. Die Abschließung und Verschleierung der Frauen ist keine Neuerung, die der Islam einführte, beides bestand schon vordem in Persien und in Arabien. Kaaba, ein viereckiges Zeltgebäude in Mekka von 12 X 10 X 15 m, mit dem Schwarzen Stein (vermutlich Meteorstein, dessen Schmelzrillen die Araber für göttliche Schriftzeichen hielten). Die Kaaba ist der religiöse Mittelpunkt des Islam und wird bei der alljährlichen Wallfahrt (Hadsch) siebenmal umkreist. Eine Prozession (Mahmal) bringt den heiligen Teppich (Kiswa), mit dem der Würfel alljährlich neu umkleidet wird. Die Kultachse aller Moscheen ist nach der Kaaba ausgerichtet. Koran, bedeutet Rezitation oder Vortrag; die Sammlung der Aussprüche und Offenbarungen Mohammeds, die unter Kalif Othman 653 redigiert und herausgegeben wurde. Der Koran umfaßt 114 Suren oder Kapitel. Die Koranausgabe Othmans wird nur durch die Glaubensrichtung der Schiiten angefochten. Im Islam wird die Koranauslegung (Tafsir) als Wissenschaft gepflegt. Suren, die einzelnen Kapitel des Korans. Der Koran ist nach der Länge der Suren geordnet, wobei man Mekkaner und Medinenser Suren unterscheidet, je nachdem ob diese Suren in einer der beiden Städte von Mohammed verkündet worden sind. Wadi, Trockental der Steppe oder Wüste, das nur jahreszeitlich Wasser führt und grünt, dann wieder austrocknet. 60
ANMERKUNGEN l
) Aus einem Werk des Scheichs Imra Alkaiß, um 600 n.Chr.; — *) im
5. und 6. Jh. n. Chr.; — *) regierte von 575 bis 641; — *) aus dem Koran, Sure (Kapitel) 17; — 8) aus dem Koran, Sure 10; — 8) im Jahre 70 n. Chr. eroberte und zerstörte Kaiser Titus Jerusalem; im Jahre 131 n. Chr. schlug Kaiser Hadrian einen Aufstand der Juden nieder;—7) das spätere Medina;— 8
) aus dem Koran, Sure 22; — 9) aus dem Koran, Sure 53; —10) nach einem
Text der Sunna, der Überlieferung über Leben, Wirken und die Aussprüche des Propheten Mohammed; — u) nach dem Koran, Sure 24; — 12 ) um das Jahr 570 n. Chr.; — M) nach dem Koran, Sure 1; — M) nach dem Koran, Sure 24; —1B) nach dem Koran, Sure 55; —16) nach dem Koran, Sure 93; — ") nach dem Koran, Sure 101 und 6; —18) aus der Sunna;—M) und20) nachdem Koran, Sure 16 und 96; — l l ) nach dem Koran, Sure 48; — M ) nach dem Koran, Sure 4; — **) die folgenden Zitate nach dem Koran, Sure 22 und 2;— M
) nach dem Koran, Sure 3; — **) nach dem Koran, Sure 2; — *•) nach dem
Koran, Sure 4; — ") nach dem Koran, Sure 100; — *•) Mohammed starb am 8. Juni 632; — w) aus dem Koran, Sure 1; — ao) regierte von 685 bis 705; — ") regierte von 705 bis 715; — **) Straße von Gibraltar; — M) Felsen von Gibraltar (arabisch: Dshebel al Tarik, „Felsen des Tarik").
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ZEITTAFEL um 570 n. Chr. um 595 um 610
Mohammed aus dem Geschlecht der Koreischiten in Mekka geboren. Mohammed heiratet die Kaufniannswitwe Chadidscha. Mohammeds erste Visionen.
Sept. 622 Mohammeds Flucht (Hedschra) nach Medina. I Gründung des islamitischen Gottesstaates. 624 Kampf mit den Mekkanern bei Badr. 630 Einzug in Mekka. Mekka wird Mittelpunkt des neuen Glaubens. Kriegszug der Anhänger Mohammeds gegen die byzantinischen Grenzfestungen. 631 Botschaften an die Herrscher von Byzanz, Persien und Abessinien. 632 Abschiedswallfahrt Mohammeds zur Kaaba. 8. Juni 632 Tod Mohammeds in Medina. 632—634 Kalifat Abu Bekrs. Niederwerfung von Aufständen der Beduinen. 633 Beginn des Heiligen Krieges gegen Syrien und Persien. 634—644 Kalifat Omars, des „Beherrschers der Gläubigen". 636 Eroberung der byzantin. Provinz Syrien. 637—644 Eroberung des Perserreiches. 638 -
Jerusalem in der Hand des Kalifen. Einführung der mohammedanischen Zeitrechnung (Ausgangsjahr: 622, Jahr der Hedschra). 639—642 Eroberung der byzantinischen ProvinzÄgypten. 644 Omar von persischen Fanatikern ermordet. 644—656 Kalifat Othmans. 647 Vordringen in der byzantinischen Provinz Afrika bis Tunesien. 62
651
Vordringen ins Indusgebiet.
653
Niederlegung des Korans mit 114 Suren (Kapiteln). Ermordung Othmans.
656
656—661 K a l i f a t Alis. 658—661 Erster Konfessions- und Bürgerkrieg um Nachfolge und Lehre. Verfall der Einheit des Islam. 661—680 K a l i f a t M u a w i j a s I. 670
Vordringen bis Marokko.
680—685 Zweiter Konfessions- und Bürgerkrieg. 685—705 K a l i f a t A b d e l m a l i k s . Wiederherstellung der Reichseinheit. Abdelmalik herrscht als absoluter Monarch. 698
Die ganze byzantinische Provinz Afrika dem Islam unterworfen.
H
705—715
K a l i f a t W a l i d s I.
711 711
Angriff auf Indien. Tarik landet in Spanien. Zusammenbruch des Westgotenreiches.
712 Beginn der Islamisierung der Türken. 715—717 K a l i f a t S u l e i m a n s . 8 Vergebliche Belagerung Konstantinopels (Rettung Osteuropas). 721
732
Unter Suleimans Nachfolger übersteigen die Araber die Pyrenäen und fallen ins Frankenreich ein. Sieg Karl Martells über die Sarazenen bei Tours und Poitiers. Rückzug der Muslims bis hinter die Pyrenäen (Rettung West- und Mitteleuropas). Alle Rechte vorbehalten. Umschlaggestaltung: Karlheinz Dobsky Kartenzeichnungen: Anton Eckert; Illustrationen: E. 6. Strick Druck: Dr. F. P. Datterer & Cie. - Inhaber Sellier - Freising/Obb.
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Der Leser, der die in diesem Heft geschilderten Ereignisse in dem großen Bahrnen des historischen Werdegangs der Völker des Orients weiterverfolgen will, wird auf die Bpannend geschriebene
GESCHICHTE INDIENS UND DES ISLAM verwiesen.
von OTTO ZIERER
Die vier Bände dieses großen Geschichtewerkes fuhren den Leser durch vier Jahrtausende historischer Entwicklung. Sie erzählen in mitreißenden Szenen und Schilderungen von den geheimnisvollen Frühkulturen an den Ufern des Indus, von versunkenen Städten und Palästen. Buddha, der Erhabene, wandelt durch die Städte und Dörfer am Ganges und Indus und lehrt die Weisheit und Stille östlicher Religion. Fern in den Wüsten und Oasen Arabiens aber weht die Fahne des Propheten Mohammed im Sturmwind religiöser Erhebung. Die Heere der Kalifen tragen sie nach dem Westen und Osten, bis in. das Herz Indiens, bis an die Bastionen des Abendlandes, unter die Mauern der Kaiserstadt Wien. Bis zu den Ereignissen unserer Tage folgt Zierer — immer lebendig, fesselnd, und von Szene zu Szene, von Schauplatz zu Schauplatz wechselnd — der jahrtausendealten Entwicklung der östlichen Völker. Zum ersten Male ist hier in einer großartigen, dramatischen Überschau die Geschichte Indiens und des Islam anschaulich und verständlich dargestellt. Band 1: VÖLKER AUS STEPPE UND WÜSTE Band 2: KAISER UND KALIFEN Band 3: DIB GOLDENEN TEMPEL Band 4: GOUVERNEURE UND REBELLEN
(2000 v. Chr. bls700n.C!hr.) (700 bis 1500 nach Chr.) (1500 bis 1760 nach Chr.) (1760 bis zur Gegenwart)
Jeder Band enthält Kunstdrucktafeln, historische Karten und Anmerkungen, ausführliche Begriffserklärungen, Quellen- und Literaturnachweise. Ganzleinenausgabe jeder Band DM 9,—, alle 4 Bände in Kassette DM 86,— ixusausgabe jeder Band DM 10,50, alle 4 Bände in Kassette DM 42,— Maßgebliche Urteile über die GESCHICHTE INDIENS UND DES ISLAM „Das Werk Zierers ist in hervorragender Weise geeignet, das Wissen um diese erwachenden Völker weit Ober das hinaus, was der Geschichtsunterricht der Schule bieten kann, zu erweitern." Amtsblatt des Hessischen Ministers für Erziehung und Volksbildung „Bei aller Dramatik und Farbigkeit der Schilderung arbeitet Zierer auch in diesem Werk mit den Mitteln des echten Historikers. So ist ein wahrhaft lebendiges Geschichtswerk entstanden, das man begeistert liest und das darüber hinaus auch einen hohen Bildungswert aufweist." Westdeutsche Allgemeine, Essen Durch jede Buchhandlung zu beziehen. Prospekte vom VERLAG SEBASTIAN LUX — MURNAU VOR MÜNCHEN
Der Leser, der die in diesem Heft geschilderten Ereignisse im großen Rahmen weiterverfolgen will, wird auf die spannend geschriebene Weltgeschichte
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BILD DER JAHRHUNDERTE von OTTO ZLEREU
verwiesen. In neuartiger, eindrucksvoll erzählender Darstellung behandelt Otto Zierer im „Bild der Jahrhunderte", dem der Text zu dem vorliegenden Heft im wesentlichen entnommen ist, die Geschichte des Abendlandes und der Welt von ihren Anfängen bis zur Gegenwart.
Der Kauf leicht gemacht Das „Bild der Jahrhunderte" kann auf Wunsch bei sofortiger Lieferung ohne Anzahlung gegen zwanzig Monatsraten erworben werden: DM 10,90 für die Botleinen-Ausgabe, DM 13,75 für die Lux-Luxus-Ausgabe. Das Werk besteht aus zwanzig Doppelbänden, dem Band 41/44 und dem Historischen Lexikon; es umfaßt rund 8000 Selten. 189 ausgewählte Kunstdrucktafeln, 500 Lexikonbilder und 124 historische Karten ergänzen den Text. Jeder Band enthält Anmerkungen, ausführliche Begriffserklärungen und Zeittafeln. Zusätzlich können zur vollen Erschließung des „Bild der Jahrhunderte" der Registerband mit Sach- und Namensverzeichnis und einer Inhaltsübersicht über das Gesamtwerk und „Lux-His torischer Bildatlas" mit 131 sechsfarbigen Karten 18,5 x 25,5 cm sowie 72 Seiten historische Bilder und Texte geliefert werden. Preis des Werkes bei Barzahlung: Botleinenausgabe DM 198,— Lux-Luxusausgabe DM 250,— Registerband DM 7,50 Begisterband DM 10,50 Lax-Historischer Bildatlas, Lux-Luxusausgabe DM 19,80 Presseurteile zu Otto Zierer: BILD DEB JAHBHÜNDEBTE „Wenn Napoleons Formulierung, Genie sei die Verbindung von Phantasie und Fleiß, zutrifft, so liegt diesem Werk gewiß Genie zugrunde. Die Wucht, mit der dem wissenden Leser längst Versunkenes wieder emporgeholt, dem weniger Wissenden Neues vorgetragen wird, bleibt aller Bewunderung wert." Die Neue Zeitung „Mit einer unwahrscheinlichen Anpassung in Sprache und Szenerie trifft der Autor die Atmosphäre, die aus dem Wissen um die geschichtlichen Ereignisse ein so lebendiges Erleben schafft, daß der Leser sich als Teilnehmer an den abrollenden Ereignissen wähnt. Mehr vermag ein Geschichtswerk nicht zu geben. Die Absicht des Autors ist in diesem Werk voll erfüllt." EÜROPA-Union Prospekte durch jede Buchhandlung und durch den Verlag VERLAG SEBASTIAN LUX — MUBNATT VOB MÜNCHEN