Der Porsche-Chef
Ulrich Viehöver ist Wirtschafts- und Automobiljournalist unter anderem für die Die Zeit, Focus und A...
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Der Porsche-Chef
Ulrich Viehöver ist Wirtschafts- und Automobiljournalist unter anderem für die Die Zeit, Focus und Automobilwoche, arbeitet ferner als RedaktionsCoach und als Dozent in der Journalistenausbildung.
Ulrich Viehöver
Der Porsche-Chef Wendelin Wiedeking – mit Ecken und Kanten an die Spitze
Campus Verlag Frankfurt/New York
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN 3-593-37207-X
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Copyright © 2003 Campus Verlag GmbH, Frankfurt/Main Umschlaggestaltung: Guido Klütsch, Köln Umschlagmotiv: dpa Bilderdienst Satz: Leingärtner, Nabburg Druck und Bindung: Friedrich Pustet, Regensburg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier. Printed in Germany
Besuchen Sie uns im Internet: www.campus.de
Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Teil 1: Jubelzeit, Jugend, Studienzeit . . . . . . . . . . . . . 11 Die öffentliche Person . . . . . . . . . . . . »Mr. Porsche«, der Mensch . . . . . . . . . Herkunft und Heimat . . . . . . . . . . . . Jugend und Schule . . . . . . . . . . . . . . Aachen: Arbeit, Studium, Promotion . . . . Nebentätigkeit: Makeln und Firmen gründen
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Exkurs: Porsche-Piëchs – der einflussreiche Doppelclan . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 Aktiengesellschaft mit Familienanschluss . . . . . . . . . . . . . . . . 64 Die Erben der dritten Generation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 Porsches Schattenmann: »Ferdinand II. Piëch« . . . . . . . . . . . . . . 85
Teil 2:Vorgänger,Versäumnisse und der Aufstieg . . . . . 98 Lehrreiche Jahre an der Basis . . . . . . . . . . . . . . . . Die Porsche-Spitze: Von Branitzki zu Bohn . . . . . . . . . Wilde Zeiten im Vorstand: Wiedeking sammelt Pluspunkte . Der Rationalisierer – nichts für sensible Gemüter . . . . . . Fernöstliche Begegnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . Geld und Preise für Sparideen . . . . . . . . . . . . . . . . »Ratio«: Stress am laufenden Band . . . . . . . . . . . . . . Boss der Bosse statt Gleicher unter Gleichen . . . . . . . .
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Teil 3: Manager, Macher, Medienstar . . . . . . Einer muss bestimmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Für Betriebsräte und Mitarbeiter: Zuckerbrot und Peitsche Der Goliath von Zuffenhausen . . . . . . . . . . . . . .
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204 204 220 235
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Wiedekings dickster Brocken . . . . . . . . . . . . . . . Schwierigkeiten bei der Cayenne-Produktion . . . . . . Vom Retter zum Ritter: »Jeck am Ring mit Wiedeking« . Eintracht Porsche e. V.: Eine Hauptversammlung . . . . . Das Spiel mit der Presse: Tue Gutes und kommuniziere es
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Teil 4:Wiedekings Karriereszenario . . . . . . . . . . . . . 282 Das Ende der Boomzeit: Eine neue Chance für den Aufsteiger? . . . . 282 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294
Vorwort
Als der Verlag mich bat, eine Biografie über den Porsche-Chef Wendelin Wiedeking zu verfassen, zögerte ich. Käme eine solche Würdigung nicht zu früh, fragte ich mich. Der erfolgreiche Autobauer hat sicher noch »einiges im Rohr«, wie er sagen würde. Schließlich steckt seine Karriere voller Dynamik. Andererseits verspricht allein sein erstaunliches Wirken bei der Stuttgarter Sportwagenmarke Porsche durchaus eine spannende Story. Denn so viel wusste ich über Wiedeking: Er ist ein Ausnahme-Manager – überaus vielseitig und selbstbewusst, aber auch mit etlichen Ecken und Kanten. Ich selbst hatte Gelegenheit, den Firmenboss in den vergangenen Jahren in Gesprächen und Interviews kennen zu lernen. Als Wirtschaftsjournalist beobachte und begleite ich die Porsche AG seit fast zwei Jahrzehnten. Dabei imponieren mir nicht nur die Leistungen des Porsche-Lenkers, sondern auch seine frische Art als Kritiker von Missständen. Kaum ein deutscher Firmenlenker meldet sich so offen und scharfzüngig zu Wort. Das macht Wiedeking interessant. Warum also nicht die Erfolgsgeschichte dieses Wirtschaftskapitäns der besonderen Art einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen? Sein Name und die Automarke sind inzwischen wie Pech und Schwefel miteinander verbunden. Doch der »Mensch Wiedeking« ist trotz der Fülle von Preisen und Auszeichnungen (mehrfach »Manager des Jahres«) kaum bekannt. Da gibt es einiges zu entdecken. Daher nahm ich schließlich mit gutem Gefühl das Angebot an, eine Biografie über den Manager Wiedeking zu schreiben. Meine Zuversicht erhielt jedoch bald einen schweren Dämpfer. Als ich über Anton Hunger, den Leiter der Pressestelle, um Kontaktmöglichkeiten zum Firmenchef nachsuchte, da fiel die Tür für mich zu. Herr Wiedeking wünsche jetzt und auch in nächster Zeit keine Biografie über sich. Obwohl zahlreiche Anfragen von Interessenten vorlägen, lehne der Porsche-Chef solche Ansinnen kategorisch ab. Selbstverständlich dachte ich nicht an eine bezahlte Auftragsarbeit, sondern an ein Produkt aus journalistisch-neutraler Distanz. Trotzdem, Wendelin Wiedeking ist auch für solche Biografen nicht zu sprechen. Offenbar hält er es wie sein Lieblingsschriftsteller Wilhelm Busch:
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»Für die gewöhnlichen biographischen Schreibereien, die naturgemäß entweder lügenhaft, langweilig oder indiskret sind, besitze ich keinerlei absonderliche Verehrung … Die bösen Menschen brauchen nicht gleich alles zu wissen.« Dem Dichter erschienen gerade mal acht Seiten über sein Leben schon als zu ausschweifend. Indes, Wiedekings schroffe Ablehnung bedeutete für mich, dass ich seit meinem Telefonat zu fast keiner Porsche-Veranstaltung mehr eingeladen wurde. Begründung: Ich könnte dem Manager ja zu nahe treten und (unangenehme?) Fragen stellen. Und während meiner Recherchen stieß ich regelmäßig auf Personen, die sofort wissen wollten, ob mein Vorhaben mit Porsche beziehungsweise Wiedeking abgestimmt sei. Falls nicht, dann dürften sie auf keinen Fall mit mir sprechen. Sie wüssten von einer Anweisung bei Porsche, wonach alles von der Presseabteilung beziehungsweise vom Firmenchef persönlich genehmigt werden müsse. Dieser Maulkorb gilt für aktuelle und ehemalige Porsche-Mitarbeiter wie für Freunde und Bekannte. Aus diesem Grund lehnten tatsächlich eine Reihe potenzieller Gesprächspartner den Kontakt zu mir ab. Manche, wie Wiedekings Klassenlehrer Horst Tillmann, bemühten sich vergebens um eine Erlaubnis beim Chef. Selbstverständlich ist es das gute Recht des Betroffenen, sich einer Biografie zu verweigern. Ob dies auch klug ist, kann offen bleiben. Der PorscheMacher ist nun mal durch eigenes Zutun zum Manager der Medien und damit zu einer Person der Zeitgeschichte geworden. Diese Präsenz weckt automatisch die Neugier auf seine Person. Die vorliegende Biografie ist also nicht von Wendelin Wiedeking autorisiert. Sie ist stattdessen das Resultat von Informationen und Meinungen vieler Gesprächspartner, die Wiedeking in verschiedenen Lebensabschnitten, in seinen diversen Positionen und unter verschiedenen Vorzeichen kennen gelernt haben. Die Aussagen enthalten durchaus auch subjektive Einschätzungen. Um jedoch den Blick hinter die Kulissen zu ermöglichen, schien es mir wichtig, möglichst zahlreiche Ansichten und Perspektiven zu berücksichtigen und zum Teil erstmals in Worte zu fassen. Der daraus entstehende Spannungsbogen über Wiedeking und sein Handeln machen den Reiz dieser dokumentarischen Biografie aus. In manchen Fällen lasse ich daher auch offensichtliche Gegensätze bewusst unüberbrückt stehen. Für die zahlreichen Informationen und Anregungen zu meinen Recherchen bedanke ich mich sehr herzlich. Da einige Gesprächspartner Nachteile befürchten müssten, sofern sie im Text genannt würden, sehe ich mich leider gezwungen, auf namentlich gekennzeichnete Zitate von Informanten großteils zu verzichten. Andererseits lasse ich auch allzu persönliche Details weg,
um die Privatsphäre des Managers zu respektieren. Den Mittelpunkt meiner Betrachtung bilden ohnehin Wiedekings Aktivitäten als Automanager bei Porsche, seine Arbeit als Sanierer, seine Stärken sowie einige seiner Schwächen. Der letzte Teil des Buches enthält ein Karriereszenario. Es ist unter dem Eindruck einer heraufziehenden Wirtschaftsflaute für ein Leben Wiedekings mit und ohne Porsche angelegt. Den Werdegang und die Persönlichkeit eines Menschen so realistisch wie möglich zu beschreiben und einzuschätzen heißt, sich in ständiger Herausforderung kritisch mit Argumenten und Thesen auseinanderzusetzen, um dem Bild des Porträtierten möglichst nahe zu kommen. Die absolut objektive Wiedergabe ist ein Ideal – das Besondere am Ideal jedoch ist seine Unerreichbarkeit. Stuttgart, im Juni 2003
Ulrich Viehöver
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Teil 1 Jubelzeit, Jugend, Studienzeit
Die öffentliche Person Das íst der Gipfel. Ein Manager allein leistet ganze Arbeit und räumt über Jahre an Preisen und Auszeichnungen so ziemlich alles ab, was die nationale und internationale Motor- und Wirtschaftspublizistik zu bieten hat. Obwohl er »nur« der Chef einer für die Autobranche kleinen Familienfirma ist, arbeitet sich Wendelin Wiedeking endgültig zum gekrönten Medienstar unter den Wirtschaftsbossen hoch. Der anfangs unscheinbare Ingenieur aus Westfalen legt als Sanierer, Retter und Stratege der Porsche AG eine lückenlose Erfolgsserie hin, die kaum noch zu toppen ist. Diesem Manager gelingt sogar das Kunststück, offenbar alle glücklich zu machen: die Belegschaft der Sportwagenschmiede, die Aktionäre – darunter die Inhaberfamilien Porsche und Piëch – und zahlreiche begeisterte Porsche-Fans. Sie alle sind Nutznießer der mehr als zehnjährigen Ära eines tatkräftigen Machers an der Spitze. Allein das außerordentlich ereignisreiche Jahr 2002 wird für den Aufsteiger zum Jubeljahr ohnegleichen. Ein Höhepunkt nach dem anderen krönt die Leistungen des Porsche-Lenkers: Rekordergebnisse bei Umsatz, Absatz und Gewinn; die Zahl der Mitarbeiter erhöht und dazu eine zweite Porsche-Fabrik in Leipzig als hoffnungsvoller Start einer dritten Modellreihe. Auch auf den Export schaut der Rekordmann aus Zuffenhausen mit großer Genugtuung. Selbst die Belegschaft erhält am Ende eine Sonderausschüttung von 2 700 Euro zusätzlich zum vollen 13. Monatsgehalt. »Für Porsche Deutschland war 2002 ein Rekordjahr«, meldet die Pressestelle (17. 2. 2003, Nr. 17/03) hoch zufrieden. Die 12 212 Zulassungen seien das »höchste Ergebnis aller Zeiten«. Der Boss und die ganze Autoschmiede schweben auf Wolke sieben. Wie mit der Präzision eines Computerhirns erdacht, fällt in dieses Superjahr auch ein runder Geburtstag, Wiedekings Fünfzigster. Bei allen Höhenflügen und Spitzenleistungen, bei den ungezählten Preisen, Ehrungen und Auszeichnungen ist der Jubel für den Ruhmreichen programmiert. Die erste rauschende Party für den Jubilar steigt,monatelang vorbereitet,pünktlich zum
erstellt von ciando
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Geburtstag am 28. August 2002 im Porsche-Casino. Für viele Bewunderer, Freunde, Kollegen, Wettbewerber und Politiker ist es die Gelegenheit, den Boss live auf seiner Erfolgsfahrt zu erleben, mit ihm zu feiern. Wie gut indes ist Wiedeking auf diesen Lebensabschnitt vorbereitet, der für viele schon den (Vor-)Ruhestand bedeutet? Von den Schwaben hat der Westfale mittlerweile gelernt, dass sie mit 40 Jahren »gscheit«, klug und weise, werden. Daher feierte er ja seinen 40. im Schwabenland, still und leise. »Aber geholfen hat das auch nicht viel«, analysiert der Manager in seiner typisch selbstironischen Art im Gespräch mit der Bietigheimer Zeitung (6. 7. 2002). »Ein Oldie will er nicht sein«, folgert das Blatt, aber: »50 ist schon ein Schnitt.« Und die Zeit rast für ein Arbeitstier wie den Porsche-Chef, der täglich den Stunden hinterherjagt. 50, das spürt er, ist für ihn kein einfaches Alter. Vor dieser Zahl, welche die zweite Hälfte des Lebens signalisiert, erschrickt Wiedeking vielleicht im ersten Moment, der Kopfmensch gerät ins Grübeln. Was soll er jetzt noch anstreben, was er nicht schon erreicht hat? Geld, Macht, Ansehen, Bekanntheit, Glück und Gesundheit. Eine kurze Sprachlosigkeit überfällt den Porsche-Lenker bei solchen Gedanken, ausgerechnet ihn, der sonst nicht auf den Mund gefallen ist. Der Westfale hat doch so ziemlich alle Ziele erreicht, die er sich seit seiner Jugend und Schulzeit gesetzt hatte. Als Privatmann wie als Firmenboss kennt er bisher nur eine Richtung: aufwärts. Schließlich diktiert der Jubilar den Journalisten, die er normalerweise mit Bonmots verwöhnt, knapp in die Blöcke, zum Datum 50 gebe es schlicht nichts mehr – nicht mal einen Spruch. »Das ist schon ein verqueres Alter, man weiß nicht, was kommt«, fällt ihm dazu ein. Schimmert hier Lebensangst durch, die angeblich typisch für Menschen ist, die wie Wiedeking im Sternzeichen der Jungfrau geboren sind? Hat er im vergangenen Jahrzehnt etwas versäumt (etwa einen besseren Job?), was er nie mehr nachholen kann? Wohl kaum, sagt er sich, und schon erwacht Wiedekings Lust am scharfsinnigen Analysieren zu neuem Leben, und er verspricht öffentlich, »eigensinnig« zu bleiben – wieder ganz der Alte.
Prominenter Geburtstag Für Beschaulichkeit oder depressive Momente ist an seinem Jubeltag ohnehin keine Gelegenheit. Wiedekings Fünfzigster fällt auf einen Mittwoch, für die meisten Porscheaner ein normaler Werktag. Schon am späten Nachmittag vor der Gala stauen sich die Autos im Industriegebiet von Zuffenhausen rund um den neu gestalteten Porsche-Platz.Gut 300 Gäste sind an diesem milden Sommerabend ins Casino des Unternehmens ins Werk 2 geladen. Draußen vor
den Toren regelt die Polizei den Verkehr, um mit dem Aufmarsch der Prominenz fertig zu werden. Die kommt in Begleitung, mit und ohne Gattin, vor allem aber mit Bodyguard. Zwar kommen die meisten Besucher aus dem Unternehmen und seinem Umkreis – Vorstände,Hauptabteilungs- und CostCenter-Leiter nebst Sekretärinnen, ehemalige Manager sowie der Betriebsratsvorsitzende Uwe Hück nebst einigen Mitgliedern aus dem Betriebsrat, vom Wirtschaftsausschuss sowie natürlich die Mitglieder des Aufsichtsrats, Familie, Gewerkschafter, Banker, Lieferanten –, aber die illustren Gäste von außen ziehen die Aufmerksamkeit auf sich. Unter den Gratulanten sind die Großen der Autozunft, wie Jürgen Schrempp und Jürgen Hubbert von DaimlerChrysler, Audi-Chef Martin Winterkorn, Ex-BMW-General von Kuenheim oder VDA-Präsident Bernd Gottschalk. Ebenso geben sich Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt, Hermann Scholl vom Großlieferanten Robert Bosch, Ferdinand Piëch in seiner Funktion als VW-Aufsichtsratsvorsitzender und wichtiger Vertreter der Hauptaktionäre nebst anderen Mitgliedern der Doppelfamilie Porsche-Piëch und viele, viele mehr an diesem Abend die Ehre. Nur Erwin Teufel, Ministerpräsident von Baden-Württemberg, fehlt. Er hat dem Geburtstagskind bereits am Mittag an seinem Regierungssitz in der Stuttgarter Villa Reitzenstein das Bundesverdienstkreuz überreicht. Für die fehlende Landesprominenz bietet die Bundespolitik vollwertigen Ersatz: »Überraschungsgast« Bundeskanzler Gerhard Schröder reist extra aus München an. Mitten im Wahlkampf macht er in Zuffenhausen Station, um »seinem Freund Wendelin« am 50. seine Gunst zu erweisen. Das große Aufgebot wird durch die Anwesenheit der Kanzlergattin Doris Schröder-Köpf vervollständigt, die eigens mit einem Hubschrauber eingeflogen werden muss. Dann folgen die Geschenke. Neben Wiedekings Lieblingszigarren, zahlreichen Weinen oder den Modellautos, die er so liebt, sind auch dicke Überraschungen dabei. So zum Beispiel ein Buch zum fünfzigsten Wiegenfest wie zu seinem zehnjährigen Firmenjubiläum gleichzeitig – mit dem Titel Wendelin Wiedeking. Das Davidprinzip. Herausgeber des Bandes ist Pressechef Anton Hunger. Das Präsent ist eine Anthologie mit Beiträgen von 16 prominenten Mitautoren unter anderem Martin Walser, Hans-Magnus Enzensberger, Steffi Graf, Gerhard Schröder, Rezzo Schlauch und Lothar Späth. Die gesammelten »Erfolgsstrategien der Kleinen«, so die PR-Abteilung, werden von Kanzler Schröder mit den launigen Worten überreicht, auf das Unternehmen treffe der Titel zu, nicht aber auf Wiedeking: »Als Person sehe ich ihn eher als Goliath.« Das in der Presseabteilung in Zusammenarbeit mit dem Frankfurter Eichborn Verlag konzipierte Werk mutet wie ein frühes Denkmal für einen Wirtschaftsführer an, zumindest bildet es den Sockel dazu. Um die-
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sen Eindruck zu vermeiden, heißt es mutig im Pressetext vom 29. August 2002 (Nr. 129/02), der auch am Schwarzen Brett im Betrieb ausgehängt wird: »Den zahlreichen Anfragen von Verlagen und Autoren, Wendelin Wiedeking zu einem Sachbuch in gewohnter Manier zu bewegen, hat der Porsche-Chef aus einem einzigen Grund immer widerstanden: Diese Bücher langweilen. Das Davidprinzip dekliniert deshalb nicht schlaue Erfolgsrezepte durch, sondern folgt in unterhaltsamer und zum Nachdenken anregender Form dem Ansatz des Porsche-Vorstandsvorsitzenden.« So aufwändiges Kulturgut als Geschenk der Firma für ihren Chef dürfte in anderen Unternehmen selten vorkommen. Diese Anstrengung verdeutlicht die besondere Stellung Wiedekings zu seinen direkten Untergebenen. Auch die Kollegen im Porsche-Vorstand lassen sich nicht lumpen. Sie schenken ihrem Vorsitzenden ein Originalgemälde mit dem Titel: »Mister High-Tech« in Acryl auf Leinwand. Urheber dieses Werks ist der Stuttgarter Künstler Jan Peter Tripp. Auf dem realistischen Bild ist Wiedeking persönlich vor eintönig hellem Hintergrund abgebildet, wie er mit einem Modellauto in der Hand am Schreibtisch sitzt. Der Chef blickt schräg und streng zur Seite ins Publikum, fast diabolisch. Das Auto ist selbstverständlich der legendäre »356er«, der erste Porsche-Renner überhaupt. Spontane Reaktion mancher Bildbetrachter über den Seitenblick des Chefs: »Man fühlt sich beobachtet und hat das Gefühl, Wiedeking guckt einen scharf an.« Ein eigenes Präsent denken sich auch die Leute aus dem Vertrieb in Ludwigsburg unter ihrem Ressortleiter Hans Riedel für das Geburtstagskind aus. Es ist ein Video mit Computeranimation zu Szenen von Wiedeking als »Big John« (nach dem Country-Song), weil der Westfale gern über den Acker fährt, Furchen zieht und Jazz mag. Es ist eine freundliche Anspielung auf sein geliebtes Kartoffelfeld samt Erdfrüchten. Ihre besondere Aufwartung macht auch die Arbeitnehmerseite vom Betriebsrat bis zum Gewerkschafter, Hans Baur, stellvertretender Vorsitzender im Aufsichtsrat, im Casino. Die Delegierten haben sich im Namen der Belegschaft ebenfalls einen literarischen Leckerbissen ausgedacht. Den überreicht Betriebsratschef Uwe Hück denn auch brav dem Jubilar. Es ist ein »Porsche-Comic« mit dem Titel Das Wendelin-Prinzip. Auch diese Positivsatire in vielen Bildern nebst Sprechblasen über das erfolgreiche Wirken des großen Vorsitzenden seit 1992 entstand in mühevoller Fleißarbeit in der PR-Abteilung und geht auf Rechnung der Firma. Das Comic-Buch bekommen auch alle »lieben Kolleginnen und Kollegen«.Deren Urteil:»Ganz nette Satire, aber aktuelle Konflikte werden ausgeblendet.« Manche Mitarbeiter hatten statt des Comic-Bandes wieder ein Porsche-Auto als Modell, etwa den Cayenne, erwartet, ähnlich wie beim 80. Geburtstag von Ferry Porsche.
Damals gab es den Prototypen eines Panamericana im Miniformat. Das Präsent ist heute ein wertvolles Sammlerstück, was der Porsche-Comic möglicherweise auch werden kann. Das Geburtstagskind selbst reagiert auf die lustige Danksagung amüsiert und ist glücklich. Das rauschende Fest im Casino dauert bis in die frühen Morgenstunden. Zur Unterhaltung, mal jazzig, mal rockig, tragen zwei Klavierspieler bei, wie es dem Musikgeschmack des Jubilars entspricht. Und der standfeste Westfale hält wacker durch. Plötzlich ist es Donnerstagmorgen gegen halb sechs, ein neuer Arbeitstag beginnt. Im Werk 2, unterhalb des Casinos, steht ein ausgelassenes Völklein mit Wiedeking, einigen fröhlichen Männern samt Damen, letztere barfuß mit ihren Schuhen in der Hand. Vergnügt beobachten die Partygäste, wie die Arbeiter der Frühschicht eintrudeln. Überrascht schaut der Porsche-Chef auf die Uhr: »Was! Es ist schon halb sechs! Jetzt beginnt die Arbeit! Dann muss ich aber gehen.« Das Fest im Gästecasino ist zu Ende. »Es ist wieder spät geworden«, bemerkt Wiedeking. Hart arbeiten, dann einen draufmachen, an diesem Prinzip hält der Westfale fest. Bei Porsche, das weiß er, werden Geburtstage wie Jubiläen traditionell groß zelebriert.
Wiedekings »Schlossparty« Die gebührende Nachfeier zu seinem Geburtstag lässt nicht lange auf sich warten und wird so großartig wie das Fest im Werk. Die Party steigt am Samstag darauf im so genannten Bietigheimer Schloss,in Wiedekings schwäbischer Wahlheimat. Den Ort hat er günstig gewählt, denn das repräsentative, prächtig hergerichtete Gemäuer war nach gründlicher Sanierung bisher nicht für die Öffentlichkeit geöffnet. Es stehen dem Porsche-King und seinen Gästen also nagelneue Gemächer zur Verfügung. Außerdem ist an diesem Augustsamstag in Bietigheim auch Pferdemarkt, der höchste Feiertag der Stadt sozusagen. Die sommerliche Stimmung ist prächtig. Eingeladen ins »Schloss« sind rund 320 Gäste, darunter neben Porsche-Leuten und Managern aus der Autobranche diesmal auch Wiedekings Verwandte, Schulkameraden, sein ehemaliger Gymnasiallehrer sowie ehemalige Freunde und Nachbarn aus seiner westfälischen Heimat Beckum. Sein oberster Kontrolleur, Professor Helmut Sihler, würdigt sein Können erneut in einer kurzen Ansprache. Auch die Daimler-Bosse Schrempp und Hubbert feiern mit, und natürlich ist auch seine engste Familie nebst Frau Ruth dabei. Ebenso dürfen Repräsentanten aus der Politik nicht fehlen, darunter als Hauptgast Bundesfinanzminister Hans Eichel. Den SPD-Politiker und Duzfreund aus Hessen kennt Wiedeking aus seiner Zeit als Manager bei einem Autozulieferer in Wiesbaden,
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Glyco. Wohl wegen dieser Verbindung hat er sich von Eichel überreden lassen, bei der Anzeigenkampagne der rot-grünen Bundesregierung zugunsten der Steuerreform – Werbespruch: »Die Steuerreform 2000 ist ein echter Meilenstein« – mitzumachen. Die Party im »Schloss« ist ganz privat. Selbst die Lokalpresse muss draußen bleiben, alles wird abgeschirmt. Nachdem das Geburtstagskind seine Gäste kurz begrüßt hat, hält der ehemalige österreichische Finanzminister KarlHeinz Grasser die Eröffnungsrede. Grasser war erst vor kurzem gemeinsam mit drei Gleichgesinnten aus der umstrittenen Freiheitlichen Partei Österreichs, FPÖ, von seinem Amt zurückgetreten, was die gesamte Alpenrepublik in eine tiefe Krise stürzte. Dieser Auftritt des FPÖ-Politikers zu Ehren Wiedekings signalisiert deutlich die bis in die Gegenwart vitalen Verbindungen Porsches zu Österreich. Salzburg ist ja auch der Sitz der Familien-Holding der Porsche-Piëchs. Und bevor der FPÖ-Mann Grasser in die Regierung in Wien einzog, war er Spitzenmanager und Kommunikationschef bei dem großen austro-kanadischen Autozulieferer Magna. Auf diesen Paradekonzern schaut die gesamte Autowelt – auch die Wiedeking-Crew. Für tief schürfende geschäftliche Gespräche jedoch bietet die Schlossfete nicht den passenden Rahmen, Geld wird andernorts gemacht.
Über den Wolken Von Geschäften versteht der Jubilar schon einiges. Für diese Annahme spricht allein sein Erfolgskurs, der ihn seit Jahren von Gipfel zu Gipfel führt. Der Porsche-Primus ist für viele das Vorbild eines profilierten Firmenchefs mit außergewöhnlichen Methoden. Auch die Medien feiern den Mann mit dem sorgfältig gestutzten Schnauzer und der schweren ovalen Brille mit dünnem Gestell wie einen Triumphator, der aus Wirtschaftsschlachten ruhmreich heimkehrt. Freudig eilt die Presse mit ihm von Rekord zu Rekord. Besonders zum Geburtstag und zu seinem zehnjährigen Firmenjubiläum überschlagen sich die Journalisten mit superlativen Huldigungen. »Wiedeking der Wunderking«, »Ein Macher auf Erfolgsfahrt«, »Wunderkind am Porschesteuer«, »Erfolgreichster Manager« …, dazu Fotos von ihm im ordentlichen Nadelstreifenanzug, Hände brav übereinander gelegt, halb auf einem Porsche sitzend, ein aufgeräumter Wirtschaftsführer mit 50 Jahren eben. Der Automanager ist für die Journaille wie ein registriertes Markenzeichen – und er lächelt fast immer auf offiziellen Fotos. Gut lachen haben alle, die von Wiedekings glanzvollen Geschäften direkt profitieren. Die Porsche-Aktionäre zum Beispiel, die ein wahrer Geldregen
erwartet. Sie sollen fürs erfolgreiche Geschäftsjahr 2001/02 »nicht nur eine verbesserte Grunddividende, sondern zusätzlich eine hohe Sonderdividende erhalten«. Dieses Zubrot beschließt der Aufsichtsrat am Freitag, dem 25. Oktober 2002, in seiner Sitzung im Entwicklungszentrum im württembergischen Weissach bei Stuttgart. Eine freudige Botschaft, die Wiedeking sehr gern und flott per Pressemitteilung Nr. 183/02 veröffentlichen lässt. Große wie kleine Aktionäre erhalten einmalig zur Grunddividende 14 Euro dazu. Auch der Belegschaft möchte der Firmenboss durch großzügige Geldgaben das Gefühl vermitteln, dass es »sich lohnt, für das Unternehmen hart zu arbeiten«. Stolz teilt er im Herbst 2002 den Mitarbeitern mit: »Wir gewähren die höchsten Sonderzahlungen in der Branche und in der Firmengeschichte.« Die Gesamtsumme beträgt rund 18 Millionen Euro. Eine fette Beute als Gruß an alle ist typisch Wiedeking. Mit klingender Münze erinnert der Karrieremann die Welt an ein für ihn wichtiges Jubiläum. Gemeint ist nicht die Silberne Hochzeit, die das Ehepaar Ruth und Wendelin 2002 in aller Stille in dieser Zeit begeht, sondern das entscheidende Datum in seiner beruflichen Laufbahn. Vor zehn Jahren nämlich – im Oktober 1992 – hat der Westfale das Lenkrad in Stuttgart-Zuffenhausen in die Hand genommen und steuert Porsche seitdem unentwegt bergauf. Der für seine Offenherzigkeit berühmt-berüchtigt gewordene Wirtschaftskapitän würde seine Erfolgsbilanz am liebsten wie ein Marktverkäufer allen direkt zurufen: »Seht her ihr Aktionäre, ihr Skeptiker und Journalisten, ihr Mitarbeiter und Gewerkschafter! Ein Jahrzehnt mit Wendelin Wiedeking als PorscheChef hat sich gelohnt. Alle habt ihr handfeste Vorteile davon, dass ihr mich damals ans Steuer des kaputten Wagens gelassen habt.« Und bei jedem sich bietenden Anlass rechnet er vor: »Wer vor zehn Jahren bei mir eine Aktie für umgerechnet etwa 50 Euro gekauft hat, der nennt nun ein Wertpapier von 380 bis zeitweise mehr als 500 Euro sein Eigen.« Der Wert der Firma explodierte seit 1992 glatt von rund 300 Millionen auf bis zu 9,5 Milliarden Euro, beim Höchstkurs von 542 Euro am 15. März 2002. »Sie bekommen heute als Dividende das ausgeschüttet, was das Unternehmen damals [1992/93, der Autor] an der Börse wert gewesen war«, zieht der Manager für seine Amtszeit beim Aktionärstreffen am 24. Januar 2003 in Stuttgart stolz Bilanz. Und diplomatisch fährt er fort: »Wir verstehen die einmalige Sonderdividende als Anerkennung dafür, dass uns viele Aktionäre in den schlechten Zeiten die Treue gehalten haben.« Es sei eine »Entschädigung für niedrigere Ausschüttungen in den Krisenjahren«. Die Aktionäre fordern längst bei jeder Hauptversammlung, sie endlich am Siegeszug Porsches materiell teilhaben zu lassen. Und jetzt, genau in Wiedekings Rekord- und Jubiläumsjahr inklusive fünfzigstem
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Geburtstag, kommt der Manager diesem Drängen nach. Er gewährt ihnen eine Megadividende – einmalig in der mehr als 50-jährigen Firmengeschichte. Runde 292 Millionen Euro kassieren die Aktionäre, sechsmal mehr als im Jahr zuvor. Davon dürften gut 180 Millionen Euro in die Schatullen der Mitglieder der Familien Porsche und Piëch fließen. Ein Wiedeking rentiert eben. Wo das Auge hinfällt, überall Gewinne und Gewinner. Die internationalen Börsen gestehen der Sportwagenaktie in jenem Herbst 2002, als das Klima in der Autoindustrie abkühlt, exklusiven Kultstatus zu. Sie handeln die Marke mit dem Stuttgarter »Rössle« im Wappen mit einer Art Wiedeking-Aufschlag von bis zu 38 Prozent Bonus. Dieses weit überdurchschnittliche Vertrauen an den Weltbörsen wird bei Fahrzeugen nur von der US-amerikanischen Motorradikone Harley-Davidson übertroffen, mit der Porsche im Übrigen kooperiert. Wiedeking schöpft die Möglichkeiten im Markt und gegen die Konkurrenz konsequent aus, wie Marktanteile und Margen belegen. Aktienanalysten, die Zeremonienmeister der Kapitalkultur, staunen nur noch. Der Zwerg aus Zuffenhausen weist die höchsten Renditekennzahlen aus, weil die Sportwagenfirma in der Nische prima wächst. Selbst der Fiskus darf sich in die lange Liste der Wiedeking-Profiteure einreihen. Pressechef Anton Hunger rechnet genüsslich vor, dass allein für 2001/02 Körperschafts- und Gewerbesteuer in Höhe von 305 Millionen Euro und damit 56 Millionen mehr als im Vorjahr gezahlt wurden. Das Unternehmen sei »immer ein guter Steuerzahler gewesen« und werde dies auch in Zukunft bleiben. Sein Chef bringt es auf die griffige Formel: »Wir verzichten auf Subventionen, und wir zahlen Steuern.« In der Tat: Kaum ein Unternehmen der Stadt Stuttgart und wenige in der gesamten Republik zahlen in diesen schwierigen Zeiten mehr in die Staatskassen ein als die Sportwagenschmiede. Dabei beherbergt die Neckarmetropole unter den 40 230 steuerpflichtigen Betrieben Riesen wie DaimlerChrysler, Bosch, Allianz-Lebensversicherung oder Mahle. Doch Porsche, der wesentlich kleinere Betrieb, ist seit einigen Jahren größter Gewerbesteuerzahler der Kommune. »Jeder siebte Euro an Gewerbesteuer kommt vermutlich aus Zuffenhausen«, meldet die heimische Presse über Wiedekings Leistungen. Beim städtischen Fiskus liegt Porsche klar vor den Lokalmatadoren Landesbank Baden-Württemberg und Robert Bosch GmbH, wie eine »Steuer-Hitliste« der Stuttgarter Nachrichten (9. November 2002) dokumentiert. Auch mit diesem Rekord punktet der Autozwerg beim Ansehen klar bei den Rathausoberen wie in der Öffentlichkeit.
Vom Referenten zum »Porsche-King« Wiedekings Aufstieg ist auch eine unendliche Mediengeschichte, die gute Schlagzeilen produziert. Das Grundmuster für das Thema gibt Porsche vor. Es ist die sagenhafte Story vom Kellerkind Wendelin Wiedeking, der ganz unten angetreten ist, um die am Boden liegende Sportwagenfabrik in StuttgartZuffenhausen vor dem sicheren Ruin zu retten – die Journaille repetiert diesen spannungsgeladenen Vergleich der guten mit den schlechten Zeiten liebend gern. Beflissen zitieren Presseleute, wie viel höher allein die Superdividende für das Geschäftsjahr 2001/2002 ausfällt und wie schmal dagegen die Kost Anfang der neunziger Jahre war. Im Krisenjahr 1991/92 etwa habe Wiedeking als frisch gebackener Vorstandssprecher vor die Aktionäre treten und ihnen die geringe Dividende von 2,50 Mark (1,25 Euro) pro Aktie beichten müssen. Bitter für den ehrgeizigen Aufsteiger, dessen Karriere bis dahin ohne Bruch verlaufen war. Damals, in den Jahren 1993 bis 1995, habe der Manager vorsichtig gehofft, »wenn es gut läuft, können wir einmal 30 000 Autos bauen. Und heute sind wir bei über 50 000 angelangt«, staunt er im Frühjahr 2003 selbst in seiner Rede vor den Aktionären. Allein für 2002/03 sagt Wiedeking einen Gesamtabsatz von 65 000 Fahrzeugen voraus. Unbedingt möchte er auf der Überholspur bleiben. Diese Dynamik im historischen Vergleich zu seinen Vorgängern und gegenwärtig zu seinen Wettbewerbern macht den Charme der Mediengeschichte aus. Das kommt an bei Lesern, Hörern, Zuschauern – bedeutend besser als nur spröde Zahlen, um den Aktienkurs zu pflegen. Er ist der leibhaftig gewordene Karrieretraum: vom einfachen Porsche-Angestellten zum gefeierten »Porsche-King«. In flottem Tempo überrundet sich Wendelin Wiedeking beinahe selbst. Die Rekordmarken des Superjahres 2001/02 markieren für den nach vorne drängenden Manager keinesfalls das Ende. »Wir dürfen uns nicht zurücklehnen«, lautet einer seiner Standardappelle. Auch im neuen Jahr und danach strebt der Spitzenmann des Sportwagenbaus wieder nach Höchstleistungen. »Erfolg macht süchtig«, räumt er ein. Daher will er nie stehen bleiben. »Porsche wird unbeirrt von den vermeintlichen Ratschlägen der weniger Erfolgreichen seinen eigenen Weg gehen«, verspricht er selbstbewusst den Aktionären. Dafür schickt Wiedeking ein neues Auto ins Rennen, seinen Hoffnungsträger Cayenne. Der sportliche Geländewagen, hämmert der Boss allen und überall ein, muss das Unternehmen bei Umsatz, Absatz und Gewinn in eine neue Größenordung bringen, rastlos weiter von Rekord zu Rekord. Erleichtert berichtet der vom Erfolg verwöhnte Firmenlenker am 4. Dezember 2002 auf der jährlich veranstalteten Bilanzpressekonferenz, dass in nur vier
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Monaten bereits 25 000 Gelände-Porsche verkauft worden seien. Diese Marke hatte er als Untergrenze für ein komplettes Jahr angepeilt, sobald die Produktion im neuen Werk in Leipzig erst mal voll liefe. Und schon deutet der Porsche-Primus Modellneuheiten in seiner typisch direkten, flapsigen Sprache an: »Wir haben im Sportwagenbereich noch einiges im Rohr.« Sobald der Autoschmied an der Spitze zupackt, zieht er viele in seinen Bann, versetzt sie in einen Rausch der Rekorde. Vor der Presse am 4. Dezember 2002 verspricht er, beim künftigen Wachstum die ohnehin schon spitzenmäßige Verzinsung des eingesetzten Kapitals und die vom Umsatz (mehr als 17 Prozent) nochmals höher schrauben zu wollen. Ähnliches gelte für die Gesamtkapitalrendite, die Porsches Finanzvorstand Holger Härter für 2001/02 auf über 10 Prozent beziffert. Sämtliche Konkurrenten wären froh, 4 oder 5 Prozent bei dieser Ziffer zu erreichen. Andererseits macht der Rekordmann den 10 150 Mitarbeitern Druck und teilt ihnen mit, dass weiter Kosten gesenkt und die Produktivität gesteigert werden müsse. Als Seitenhieb gegen forsche Betriebsräte oder müde Belegschaftsmitglieder fügt er auf der Hauptversammlung Anfang 2003 hinzu: »Wenn es so gut läuft, ist die Gefahr groß, zu großzügig zu werden. Wir werden uns intern weiterhin sehr bockig aufstellen.« Im Klartext: Selbst wenn Porsche im Geld schwimmt, gespart wird immer – jetzt erst recht. Die stramme Haltung gefällt Aktionären und Börsianern. Einer für alle und Rekordrunden auch bei der Entlohnung. Für die beiden Superjahre (2000/01 und 2001/02) kassiert Wiedeking nach Schätzung der Branche das fürstliche Gehalt von jeweils rund acht bis achteinhalb Millionen Euro. Auch hier zählt der Manager absolut zur Spitzengruppe unter Deutschlands Angestellten. Dabei pflegt er zu betonen, dass der größte Teil dieses Supersalärs an die Ertragsentwicklung von Porsche gekoppelt ist. Deshalb kann der aus einfachen bürgerlichen Verhältnissen stammende Westfale mit den mehrfachen Lottogewinnbeträgen ruhig schlafen. Offensiv verteidigt der Großverdiener den Millionensegen als gerechtfertigte Gegenleistung: »Ich fühle mich nicht ungerecht behandelt. Seit einiger Zeit habe ich ein deutlich besseres Einkommen als früher, aber das liegt auch daran, dass es dem Unternehmen gut geht. Als Porsche vor der Sanierung stand, wurden die erfolgsabhängigen Komponenten der Vergütung definiert.« Diese, das weiß er heute, stehen nun zu seinen Gunsten. Sollte die Firma wieder weniger erfolgreich sein, würde »die Erfolgsbeteiligung auch ganz schnell wie Eis in der Sonne schmelzen.« Leisen Selbstzweifel am Megagehalt wischt der Manager angesichts seiner Leistungen energisch beiseite: »Man kann natürlich immer darüber streiten, welchen Anteil davon das Management erhalten soll.« Aber, so tröstet er sich, »da gibt es keine absolute Wahrheit«.
Preis-wert und prominent wie nie Zum Geldsegen kommt eine Fülle von Auszeichnungen und Ehrungen. Mit Medaillen wird der Karrieremanager nur so überhäuft. Bereits im Juni 1984 (da arbeitet er bereits bei Porsche) verleiht ihm zum Beispiel die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule (RWTH) in Aachen, wo er studierte und promovierte, die »Borchers-Plakette«, mit der die besten Absolventen ausgezeichnet werden. Ebenfalls schon sehr früh in seiner Funktion als Porsche-Chef, 1994, ernennt ihn die Zeitschrift Top Business zum »Manager des Jahres«. Etwa zur gleichen Zeit erhält Porsche Preise als »Fabrik des Jahres«. Gleich drei Jahre hintereinander zeichnet ihn die Heinz Goldmann Foundation für internationale Kommunikation, Genf, mit »Führungspreisen« aus (Pressemeldung vom 1. 3. 2002, Nr. 15/02): 1999 »Wachstumsmanager der neunziger Jahre«, 2001 »Excellence in Leadership« und für 2002 »Leadership in turbulenten Zeiten«. Für Letzteren wurden 45 Vorstandsvorsitzende deutscher Unternehmen gefragt: »Welcher Manager hat im vergangen Jahr 2001 mit Führungsqualität und innovativen Methoden die Profitabilität eines Unternehmens in wirtschaftlich unsicheren Zeiten am überzeugendsten gesteigert?« Teilnehmer der Veranstaltung zu Ehren Wiedekings sind unter anderen Rolf Breuer (Deutsche Bank), Peter Hartz (VW), Uli Hoeness (Bayern München), Henning Kagermann (SAP), Lothar Späth (Jenoptik), Erwin Staudt (IBM). Der Stifter Heinz Goldmann in seiner Laudatio: »Porsche ist unter der Leitung Wiedekings nicht nur zum profitabelsten Automobilhersteller, sondern auch zu einem der imagestärksten Unternehmen der Welt geworden. Das Bundesverdienstkreuz am Bande für Wiedeking mutet im Vergleich dazu wie Graubrot an. Nun ist der Porsche-Manager so prominent wie nie zuvor. Vor allem bei Verlagen von Magazinen und Wirtschaftsblättern steht er hoch im Kurs. Bekannte und unbekannte Medien und Organisationen aus aller Welt ehren den König der Porscheaner und die Firma durch irgendwelche Auszeichnungen und Preise. Sympathiebekundungen erreichen ihn am laufenden Band: »Manager des Jahres« wird er gleich mehrfach. Und 1997 wählt ihn das amerikanische Fachblatt Automotive Europe zum »besten Automobilmanager Europas«. 1998 reiht ihn das US-Wirtschaftsmagazin Business Week unter die 25 Topmanager des Jahres 1997 ein. »Nie war die Marke Porsche sympathischer als heute«, behauptet im Frühjahr 2002 das manager magazin (2/02). Das Hamburger Wirtschaftsblatt setzt die Wiedeking-Firma für die Jahre 2000 und 2001 an die Spitze der deutschen Unternehmen mit dem besten Image. »Das ist schon wundersam«, reflektiert Autor Frank Scholtys, »ausgerechnet der
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Hersteller von Luxusautos, der – gemessen am Gebrauchswert – keinen hervorstechenden Nutzen bietet, genießt das höchste Ansehen aller deutschen Unternehmen.« Das Ergebnis basiert immerhin auf Umfragen, die das Bielefelder Emnid-Institut im Auftrag des Magazins bei 2 500 Managern auf Vorstands-, Geschäftsleitungs- sowie auf zweiter Führungsebene durchgeführt hat. Die Mehrheit votierte laut der Pressemitteilung von Porsche (24. 1. 2002) für die Sportwagenschmiede. Der Ruf erscheint makellos. Denn danach erreicht Porsche als Gesamtsieger 864 von insgesamt 1000 möglichen Punkten – deutlich vor BMW (854) und Audi (825). Selbst Weltmarken wie CocaCola, Nokia oder Siemens verblassen gegenüber dem Zwerg aus Zuffenhausen. DaimlerChrysler und Volkswagen müssen sich beim »Imageprofil« des manager magazins mit einem weniger guten Ruf bescheiden. Ähnlich positiv für den Porsche-Primus fällt der Image-Test der Financial Times Deutschland und der ARD aus. Auch hier liegt der Westfale beim Renommee weit vor den anderen 15 Topmanagern (Financial Times Deutschland, 14. 2. 2003), die abgefragt wurden. Die Erfolgsspirale dreht sich wie von selbst nach oben.
Spitzenreiter beim Image Die Ernte an Preisen und Würdigungen fällt 2001/02 besonders reichhaltig aus, wie dem Geschäftsbericht zu entnehmen ist. Wiedeking zählt einige auf der Hauptversammlung im Januar 2003 auf. Neben dem genannten Imagepreis vom manager magazin nennt er den Deutschen Image Award 2002, den das Unternehmen zusammen mit dem Leiter Öffentlichkeitsarbeit, Anton Hunger, im September 2002 erhielt. Die Auszeichnung würdigt das Image Wiedekings, das laut Jury, »zur Zeit von keinem anderen Manager eines deutschen Großunternehmens übertroffen wird«. Wenige Wochen später landet Porsche bei einem »breit angelegten Shareholder-Value-Test« über die Rentabilität von 500 Konzernen in Europa an der Spitze der Autoindustrie und schafft den Sprung unter die ersten 20 im Gesamtklassement. Wieder im manager magazin untersucht, belegen die Zuffenhäuser bei deutschen Aktionären den ersten Platz in einem Börsenbarometer. Auf internationaler Ebene unter 130 Aktiengesellschaften landet Porsche in der Automobil- und Zulieferbranche an der Spitze vor Harley-Davidson (bewertet von der Boston Consulting Group für die WirtschaftsWoche). Und schließlich setzt eine Jury den Sportwagenbauer im November 2002 auf den dritten Platz. Sie analysiert im Auftrag der britischen Economist Intelligence Unit die Ertragskraft, Imagestärke, Strategie und Innovationsfähigkeit führender Unternehmen Europas. Auch bei dieser internationalen Untersuchung schneidet Porsche als
bestes deutsches Unternehmen ab. Mit solchen Huldigungen geht es fast im Wochenrhythmus auf nationaler wie internationaler Ebene weiter. Bei soviel Glorie suchen sich viele im Glanz des Glorreichen zu sonnen. Diese Menschen wie auch die Preisverleiher selbst versuchen, ihrerseits von der »Marke Wiedeking« zu profitieren oder doch zumindest bei Porsche herauszufinden: »Wie macht ihr das bloß, dass ihr so erfolgreich seid?« Deshalb rollt immer, wenn Wiedeking oder das Unternehmen gewürdigt werden, eine Lawine auf die Zuffenhäuser zu. Viele Leute rufen an oder mailen und wollen das Geheimnis des Supermanagers und seines Teams ergründen. Unter den zahlreichen Interessenten sind Konkurrenten, Personalchefs von Firmen, Studenten, Aktionäre, Rentner und andere. Selbst Manager, also Kollegen Wiedekings,sollen über ihr Sekretariat vorsichtig nach dem Erfolgsrezept forschen lassen.Bei der Fülle von Auszeichnungen und Anerkennungen herrscht in der Kommunikationszentrale regelmäßig Hochbetrieb. Wie ist diese außergewöhnliche Anerkennung noch zu steigern? Für Wiedeking persönlich vielleicht durch einen schmucken Professorentitel, verliehen von seiner Studienheimat in Aachen, der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH). Ein erster Schritt ist bereits getan. Der promovierte Maschinenbauer erhält eine Gastprofessur an der RWTH für das Wintersemester 2002/03. Sein Thema im Rahmen einer Vorlesungsreihe bei den Ingenieur- und Wirtschaftswissenschaften ist das »Innovationsmanagement«. Dieser Kontakt zur Universität ist ausbaufähig. »Die RWTH schätzt sich glücklich, in dieser Konstellation die Verbindung zu ihrem Absolventen … noch enger gestalten zu können. Die Studierenden werden dieses sicherlich mit großer Freude aufgreifen«, weiß das Grenz-Echo (30. 7. 2002) zu berichten. Der universell Erfolgreiche kostet seinen Ruhm aus – sogar im Showbereich. Die »Marke Wiedeking«, sagt sich der Firmenlenker, taugt selbst für den Narrenkäfig im Karneval. Deshalb lässt er sich medienwirksam als »53. Ritter des Ordens wider den tierischen Ernst« von den Jecken des Aachener Karnevalsvereins von 1859 (AKV) vermarkten, inszeniert mit Narrenkappe, Seifenkiste und dem ganzen Programm vor laufenden Kameras. »Ich glaub’, mich tritt ein Pferd«, soll Wiedeking gedacht haben, als ihm AKVPräsident Dirk von Pezold die Verleihung des Ordens antrug. Aus dem Retter wird ein Ritter, zumindest in Aachen in der Narrenzeit. Mit der Spaßnummer ist die Reihe der Ehrungen aber noch nicht beendet. »Vielleicht bekommt der Porsche-Chef bald die Ehrenbürgerschaft von Bietigheim verliehen«, vermutet ein Einheimischer. In dieser schwäbischen Kleinstadt hat Privatmann Wiedeking seine neue Wahlheimat gefunden. Und hier engagiert er sich wie andernorts ebenfalls. So sponsert Porsche im Win-
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ter die Eishockey-Mannschaft Bietigheimer »Steelers«. Und vor allem entstehen durch Wiedekings Wirken in der Gemeinde bis zu 500 Arbeitsplätze in einem neuen Dienstleistungszentrum. Bei dem starken Engagement des Managers in diversen Kommunen ist es nur eine Frage der Zeit, bis sie den Wirtschaftslenker fürs eigene Image reklamieren und ihm die Ehrenbürgerschaft andienen. Der Wettlauf um Wiedeking hat schon begonnen, wer macht das Rennen: Aachen, Beckum, Bietigheim, Leipzig oder Stuttgart? Die Neckarmetropole sichert sich vorsorglich seine Sympathie und verleiht ihm 2003 schon mal die 28. Bürgermedaille der Stadt. Der umschwärmte Alleskönner braucht offenbar nur seine Hand auf-, den Kopf hin- und die Brust gerade zu halten und schon fallen die Ehrennadeln hinein, sitzt die Narrenkappe drauf oder hängt die Medaille am Revers. Eine mehr als reichliche Ernte für den promovierten Maschinenbauer nach zehn Porsche-Jahren. Wer ist dieser Wundermann, der für seine Werke so gerühmt und prämiert wird? Was kann er, was andere offenbar nicht können?
»Mr. Porsche«, der Mensch In seiner Selbsteinschätzung fühlt sich der Westfale Wiedeking eng mit den Schwaben verwandt. Deshalb lobt er die Gastgeber in seiner Wahlheimat als »grundehrlich und bodenständig«. Und »da sind wir Westfalen ganz ähnlich gestrickt«, pflegt er gern anzumerken. Beide Volksstämme werden mit erdverbundenen Eigenschaften in Verbindung gebracht, wie sie der Manager liebt. Allerdings gehört auch eine gewisse Stur- und Dickköpfigkeit dazu, wie sie dem westfälischen Charakter nachgesagt wird. Seine Landsleute, »trinkfeste, sentimentale Eichen« (Wiedeking), seien verlässliche Partner in einer Freundschaft – sofern sie erst einmal geschlossen ist. Zur Riege der Standfesten rechnet sich der Porsche-Chef allemal. »Ehrlichkeit« und »Offenheit« nennt er seine »Lieblingstugenden«. Das indes setzt Selbstbewusstsein und ein hohes Maß an Willensstärke – Motto: handeln statt lamentieren – voraus, die im negativen Bereich bis zur sturen Verbohrtheit reichen kann. Der Manager, das ist seine persönliche Marke, ist jemand, der Konflikte nicht scheut. Er bürstet gern gegen den Strich – auch mit öffentlichen Äußerungen. Sein ungebrochenes Ego, gepaart mit starkem Pflichtgefühl macht ihn zu einem entscheidungsstarken Sanierer; das sind genau jene Eigenschaften, die er für seinen Porsche-Job gerade in der schweren Anfangszeit benötigt. Manchen gilt er als einer der modernsten Manager unserer Zeit, anderen inzwischen als »Son-
nenkönig«. Die Mitte zwischen beidem ist der fortschrittliche Patriarch, der mit seinem autoritären Stil neuzeitliche Ziele verfolgt und durchsetzt. Wie der Name Wiedeking schon verrät: »König der Weide«. Im Altgermanischen standen die Worte wide, weite oder wite für Weide(fläche), Grasland, Wald (Baumname) oder auch Jagdgründe. Und der King war die Respektsperson, die als Anführer einer Gruppe angesehen wurde. Jahrhunderte später ist aus dem Weideland das Unternehmen Porsche und aus dem »King« der Westfale Wiedeking geworden. Der temperamentvolle Anführer von heute macht seinem Namen alle Ehre, geht geradlinig oder stur seinen Weg. Rigoros kann er Vorhaben durchboxen und dabei die Menschen schonungslos in Gegner und Anhänger spalten. Entsprechend breit fällt das Spektrum der persönlichen Urteile über Wiedeking aus. Es reicht von »Rambo«, »Patriarch« und »Sonnenkönig« im negativen Bereich bis »Superchef«, »Vorzeigeunternehmer« und »Alleskönner« auf der positiven Seite der Sympathieskala. Kein Wunder, dass der Turbomann – vor allem von der Presse – für so ziemlich jede freie Spitzenposition in der Wirtschaft gehandelt wird. Assistenten, Sekretärinnen, Mitarbeiter in seiner direkten Umgebung respektieren ihn durchweg als Boss. »Wiedeking hat was los, ist präsent. Den hört man. Er flüstert nie«, lauten die typischen Meinungen über ihren Vorgesetzten. Ebenso eindeutig ist auch der Eindruck von seiner Körpersprache: »Er ist ein kräftiger Mensch mit sehr strammem, zielgerichtetem Schritt, aber nicht zackig.« Die meisten trauen dem PorscheLenker zu, dass er genau weiß, wo er hin will. »Er ist einfach ein Chef«, charakterisiert ihn eine Sekretärin. Ehrgeizig und irgendwie klar zielorientiert war die Führungskraft schon in den sechziger und siebziger Jahren, damals in Beckum, seiner Heimat. Schon in seiner Jugend träumte Wiedeking davon, Maschinenbau zu studieren und später eine eigene Maschinenfabrik zu gründen. Sein eigener Herr, Unternehmer, Fabrikant wollte er werden. Was der Manager im Leben erreicht hat, gelang ihm meist aus eigener Kraft. Er stammt aus einfachen Verhältnissen, ohne großes Vermögen im Hintergrund. Aufgewachsen ist Wiedeking in ländlicher, konservativ-katholischer Umgebung, in Beckum/Westfalen. Bestimmt auch deshalb fühlt sich der Porsche-Chef auf dem Land so wohl. Wiedeking ist katholisch getauft, aber nicht mehr eingeschriebenes Mitglied der Kirche. Er ist seit mehr als 25 Jahren verheiratet mit Ehefrau Ruth. Die beiden haben zwei Kinder, eine Tochter, Isabelle (19), und einen Sohn (17), der einer Familientradition entsprechend auch Wendelin wie der Vater und Großvater heißt. Die Kinder leben im Haushalt der Eltern. Heute ist der Porsche-Chef bereit, der Öffentlichkeit mehr vom Privatmann Wiedeking als früher preiszugeben. Anderer-
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seits scheint ihn panische Angst vor Entdeckungen zu plagen, die mögliche Kriminelle auf den Plan rufen könnten. Er versucht, seine Familie aus den Medien herauszuhalten, so gut es geht. In seinem Büro lässt er zuweilen Wachszeichnungen und Bilder seiner Kinder weghängen, bevor ein Journalist zum Interview empfangen wird. Gelegentlich redet der Industrieboss über die frühe Partnerschaft mit seiner Frau. Er lernte Ruth bereits mit 16 Jahren in seiner Heimat kennen, gut zehn Jahre später haben sie geheiratet. Ein ausgesprochener Heiratsantrag sei nicht nötig gewesen, erinnert er sich. Die Wiedekings lebten damals während der Studentenzeit in Aachen in »wilder Ehe«. Nach einem gemeinsamen Blick in die Splittingtabelle der Einkommensteuer – der Studiosus muss also schon gut verdient haben – sei beiden klar geworden, dass der Gang zum Traualtar überfällig war. Das Einverständnis habe der »Augenaufschlag« bestätigt. »Das war bei mir Fügung, mit Planung hat das nichts zu tun«, witzelt er im Gespräch mit dem Berliner Tagesspiegel (15./16. 12. 2000). Seine Ansichten über Ehe und Familie klingen pragmatisch bieder. Eine glückliche Familie sei für ihn ein Hort der Stabilität. Zu Hause eine Front und im Betrieb auch eine, das tauge nichts. »Wenn es daheim richtig kracht, sind Sie in der Firma nicht gut. Sie sind abgelenkt, völlig logisch. Wenn ich wichtige Termine habe, dann mache ich dicht«, nimmt der Manager für sich in Anspruch. »Die Familie … spürt das: ›Lass den Kerl in Ruhe, der ist gerade ziemlich angespannt‹«, schildert Wiedeking dem Tagesspiegel. Der ruhelose Macher kann schwer abschalten, selbst im Urlaub nicht. Für die meisten Spitzenmanager wie ihn ist es ohnehin schwierig, einen scharfen Trennungsstrich zwischen Arbeit und Freizeit zu ziehen. Ein »Mr. Porsche« ist eigentlich fast immer im Dienst. Daher ist er ständig mit einem Notizblock bewaffnet, um sich Dinge fürs Büro zu notieren. Die Zeit für Urlaub, Wandern in den Bergen, Rad- und Skifahren sowie gelegentliches Segeln, ist sowieso knapp bemessen. Zu Hause versuche sich der willensstarke Primus zu zügeln. Seine Frau und er würden gemeinsam entscheiden, erzählt er der Presse und fügt augenzwinkernd hinzu: »Ich kann auch nachgeben, jedenfalls in kleinen Dingen.« Der Umtriebige besitzt auch im eigenen Heim sein kleines Reich, über das er nach Herzenslust herrschen, in dem er sich wohlfühlen kann. Noch als erwachsener Mann tüftelt er gern in seinem prächtig ausgestatteten Hobbyraum an Modellflugzeugen herum, hat wie schon als Kind und Jugendlicher Freude an seiner Modelleisenbahn im Keller seiner Villa und düst, laut Porsche-Comic, mit allem umher, woran mit Erfolg gebastelt werden kann, wie »neuen Automobilen, Motorrädern …« Der praktisch veranlagte Ingenieur
schreinert, hängt Bilder auf und repariert Uhren, die er auch sammelt. »Handwerklich bin ich nicht ungeschickt«, hält er sich zugute. Und dann nennt der Hausherr ja noch zwei knallrote Porsche-Traktoren sein Eigen, die seine Frau ihm schenkte. Mit diesen tadellos funktionierenden Oldtimern inklusive Pflug traktiert der Westfale in der Freizeit leidenschaftlich den eigenen Kartoffel- und Gemüseacker. »Ich bin auch zu Hause unternehmungslustig. Da wird hier eine Mauer eingerissen, dort etwas verändert, da schenkt mir meine Frau einen Trecker, der macht die Garage schwarz, dann braucht der Trecker eine Scheune …« Und meist bleibt der Hausherr in Bewegung. Das hält den 1,83 Meter großen, schlanken Mann topfit. Wiedeking kann stolz von sich behaupten: »Ich war noch nie krank.«
Leistung und Lebensgenuss Der standhafte Westfale feiert mit Vorliebe Feste. Der Manager ist der Ansicht, dass Leistungsfähigkeit und Lebensgenuss sich ergänzen müssen, ein Stück Dolce Vita als Lohn für harte und zielstrebige Arbeit. Ab und an dem Elfenbeinturm entfliehen – das rät der promovierte Maschinenbauer auch dem studentischen Nachwuchs als Lebenselixier. Zuweilen legt Wiedeking den dunkelblauen oder schwarzgrauen nadelgestreiften Anzug ab und vertauscht ihn etwa mit der Küchenschürze. Privat kocht er gelegentlich selbst, etwa westfälischen Schmorbraten, oder er grillt Steaks bei Partys. Und am liebsten isst er Kartoffelsalat nach Art des Chefs mit Erdäpfeln der Sorte »Rosenland-Kartoffeln« aus eigenem Anbau. Zur musikalischen Unterhaltung mag er Jazz ebenso wie Oldies aus den sechziger und siebziger Jahren wie die Beatles oder Bee Gees. Bei den Klängen von einst indes will er nicht stehen bleiben. Auch gegenüber neueren Pop-Bands wie PUR sei er aufgeschlossen, betont der 50-Jährige. »Ich bin ganz offen für neue Stilrichtungen, da wundern sich die Leute manchmal, was für Musik ich mir genehmige« (Bietigheimer Zeitung, 6. 7. 2002). Das gilt auch für die Malerei. Hier umgibt sich Wiedeking gern mit der modernen Malerei von Hundertwasser. Was Kleidung betrifft ist sein Farbgeschmack nicht sonderlich bunt: »Ich bevorzuge grau, grau in allen Variationen. Sie glauben gar nicht, wie viel Grautöne es gibt. Wenn Sie nur meinen grauen Anzugschrank sehen könnten …«, witzelt er. Bei anderer Gelegenheit betont er dagegen: »Da passt auch Schwarz gut dazu. Dunkelblau ist auch in Ordnung. Auf dieser Grundlage sind Sie mit wenigen Entscheidungsschritten immer gut gekleidet, da kann nicht viel schief gehen …« Offenbar haben es ihm die dunklen Nicht-Farben angetan. Wesentlich eindeutiger steht Wiedeking zu den leiblichen Genüssen. In
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gemütlicher Runde pafft der Pilstrinker genüsslich seine Kuba-Zigarren, zum Beispiel der Marke »Cohiba«, das Nonplusultra für Che Guevara wie für Gerhard Schröder, dazu einen Grappa oder Gin Tonic. Bei besonders festlichen oder geschäftlichen Anlässen geht er später auch zu Rotwein über. Auf alle Fälle steht der wackere Westfale an der Bar seinen Mann nach dem Motto: »auf keinen Fall schwächeln«. Das gehört bei ihm zum Standing eines echten Geschäftsmannes. Zu seinen Leidenschaften zählt seit Kindertagen das Sammeln von Modellautos. Den Sammlerstücken spürt er überall auf der Welt in Spezialläden nach. Wiedeking nennt inzwischen rund 1 500 Spielzeugautos sein Eigen. Von den kleinen Vehikeln ist der Manager zu Hause wie im Porsche-Büro umgeben: »Ich habe ganze Vitrinenwände. Bei mir sehen Sie an jeder Ecke Autos, es stört keinen, mein Sohn ist genauso verrückt, und meine Frau und Tochter finden das auch gut. Um Platz musste ich nie kämpfen« (Aachener Zeitung, 11. 2. 2003). Das Sammeln von Erinnerungen an die Kindheit ist unter Managern übrigens verbreitet. Wiedekings westfälischer Freund, der DaimlerChrysler-Manager Jürgen Hubbert zum Beispiel, sammelt Teddybären. Es sind, abgesehen von Luxuszigarren, die einfachen Dinge, welche den PorscheLenker erfreuen, nicht der Protz. Das gilt auch für den Literaturgeschmack. Seinen Lieblingsautor Wilhelm Busch zieht er allemal irgendwelchen Biografien – »dafür habe ich keine Zeit« – vor; auch die Lyrik ist nicht seine Welt. Ansonsten liest der Manager vorwiegend praktischen Lesestoff, neben Zeitungen und Magazinen, Vorstandsvorlagen und Hausmitteilungen, Briefen, Faxen, E-Mails, kleinen und großen Zetteln auch Fachliteratur – falls die Zeit für alles ausreicht. Selbst in seiner schwäbischen Heimat Bietigheim-Bissingen versucht Wiedeking als möglichst unauffälliger Bürger zu leben. Sein Wohnstil ist normal und gemütlich, auf keinen Fall pompös übertrieben. Ein Häuschen mit Scheune, Garten und »Äggerle«, westfälisch-schwäbisch eben. Als Refugium besitzt er zudem in den Alpen ein respektables Landhaus, ein Ruheraum vor dem Alltagsstress. Überhaupt liegen dem Automann beschauliche Ortschaften weit eher als das Dickicht der Großstädte. Daher wohl erschien es dem Manager nach seinem Einstieg bei Porsche wie selbstverständlich, den Sitz der Familie einige Kilometer außerhalb von Stuttgart zu wählen. So fuhren Wiedeking und seine Frau bei der Wohnungssuche übers »Ländle«, um sich interessiert nach einer neuen Heimat umzuschauen. Und als sie auf Bietigheim stießen, da verliebte sich das Paar spontan in den Ort, genauer in den Vorort Bissingen. Deshalb wohnt die Familie nicht in Stuttgart, sondern in einer Weingegend Württembergs, einige Kilometer außerhalb der Metropole. Von
hier aus ist das Büro in Zuffenhausen leicht zu erreichen. Die Infrastruktur Bietigheims entspricht ganz Wiedekings Vorstellungen: »Die Stadt ist überschaubar, zu Fuß und mit dem Rad ist alles gut erreichbar, und für die Kinder gibt es ein tolles Schul- und Freizeitangebot«, lobt der Zugereiste. (Bietigheimer Zeitung, 6. 7. 2002). Allerdings kannte der Westfale die Kleinstadt schon von früher. In der Anfangszeit, als er nämlich noch keine feste Bleibe als Porsche-Angestellter hatte und auf Wohnungssuche war, da gastierte er in einem Hotel am Marktplatz in der Altstadt Bietigheims, beim »Schiller-Wirt« neben dem Rathaus. In dieser Zeit entstand auch eine Freundschaft zu den Besitzern, der Familie Schork. Für den »Schiller-Wirt« entwickelte sich daraus ein lukratives Zubrot. Die schwäbischen Gastronomen kochen heute regelmäßig auf Messen wie bei vielen anderen Anlässen für Porsche.
Investitionen für die Wahlheimat Als Investor und Sponsor besitzt der Porsche-Chef in der Kommune den Ruf des Großzügigen. Denn auch seine neue Heimat Bietigheim, in der einst Lothar Späth (CDU) als Bürgermeister seine politische Laufbahn begann, profitiert von Wiedekings typischer Bodenständigkeit, gepaart mit Geschäftssinn. Der Manager will überall »im Umfeld der Standorte« soziale Verantwortung zeigen und sein Engagement verstärken. Auch seinen Wohnsitz in der großen Kreisstadt Bietigheim rechnet er offenbar zur Kategorie Standort. »Der Westfale ist an Enz und Metter heimisch geworden«, begrüßt die Bietigheimer Zeitung (6. 7. 2002) den zugezogenen »Erfolgsmenschen mit Bodenhaftung« freudig im Ort. Wiedeking besucht und unterstützt dort das Jazz-Festival Best of Music. Auch hat es sich in der Kleinstadt herumgesprochen, dass Porsche die winterlichen Eishockey-Abende bei den Bietigheimer »Steelers« sponsert. Und am meisten profitiert der Ort von den hohen Investitionen, die Wiedeking durch Porsche in seinen württembergischen Wohnsitz pumpen lässt. Denn seine Wahlheimat darf an seiner Expansionspolitik für die Autofirma teilhaben, was Bietigheim bis zu 500 Arbeitsplätze beschert. So errichtet Porsche 2003 einen siebenstöckigen Bürokomplex für ein Dienstleistungszentrum (Finanzen und Beteiligungen) im Industriegebiet Laiern entlang der Bundesstraße 27. Der Hochbau steht heute wie eine Visitenkarte vor den Toren der Stadt. In diese Zentrale werden unter anderem noch der Deutschland-Vertrieb mit rund 70 Leuten sowie die Fremdentwicklung für Kunden (Porsche Engineering GmbH), die erheblich verstärkt werden soll, einziehen. Bereits im Jahr 2002 ist Porsche in Bietigheim wie schon in Stuttgart Hitlistenführer bei der Gewerbesteuer. Die »positive Einstellung der Stadt als
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auch die moderaten Gewerbesteuersätze sprachen für den Ort«, begründet Wiedeking seine Entscheidung (Bietigheimer Zeitung, 6. 7. 2002). Wo sich der Manager mit seiner Familie heimisch fühlt wie in Bietigheim, da ist er auch zu Geschäften mit den Ortsansässigen bereit. Das Bodenständige an dem Westfalen wird an dieser sehr persönlichen Art seiner Standortpolitik deutlich. Auf diese Weise will er seinen unternehmerischen Erfolg mit seiner unmittelbaren Umgebung teilen – und in gewissem Sinne Dank sagen. Denn er weiß, dass zu Können und Fleiß auch eine gute Portion Glück im Leben gehört. Und dieses ist dem Aufsteiger aus Beckum häufig gewogen. »Ich habe Glück gehabt. Bislang war ich immer im richtigen Moment an der richtigen Position«, äußert Wiedeking mehrfach gegenüber der Presse. Auch das macht den Erfolg einer Karriere aus. Zum Beispiel, dass er bereits als Student und Doktorand in Aachen einen freundlich gesinnten Doktorvater findet, der wiederum beste Verbindungen zum einflussreichen Produktionschef bei Porsche in Stuttgart pflegt. Dieser Kontakt zur richtigen Zeit verhilft dem jungen Wissenschaftler zum Karrieresprung seines Lebens. Ebenso profitiert er bei seiner späteren Rückkehr zu Porsche vom anhaltenden Chaos an der Vorstandsspitze. Der steile Aufstieg ist in seiner Jugend für niemanden absehbar und die oft überzogene heroische Darstellung, vor allem in den Medien, wird dem Manager selbst lästig. Als Privatmann versucht er mit seiner ursprünglichen Direktheit dagegen anzugehen und schlicht auf dem Teppich zu bleiben. Er ist »grad heraus« und im persönlichen Umgang »ein unterhaltsamer Typ«, charakterisiert ihn ein ehemaliger Vorgesetzter. Eine andere Seite indes ist seine Ungeduld – auch gegenüber sich selbst. Der Ehrgeiz treibt das Kraftpaket stets zu neuen Höchstleistungen – und entfremdet ihn schleichend von seiner engsten Umgebung. Das empfindet der Karrieremann heute als großen Mangel. Er räumt ein, dass er stark darunter leide, dass »ich mich nicht durchsetze, mehr Privatleben zu haben. Hin und wieder müsste ich schnoddriger sein und sagen: Kinder, jetzt hört’s auf, ich mag nicht mehr. Das ist sicher eine große Schwäche. Ein freier Terminkalender und Zeit sind für mich das größte Geschenk.« (Aachener Zeitung, 11. 2. 2003) Dass er allerdings jemals freiwillig von dem rasenden Karrierezug abspringen will, daran glaubt der Firmenboss ernsthaft nicht. Dazu ist der Lorbeer zu angenehm, war die Eroberung des Managergipfels für den promovierten Maschinenbauer einfach zu mühsam.
Herkunft und Heimat Wendelin Wiedeking stammt aus Westfalen, geboren wurde er in der Industrie- und Kohlekommune Ahlen. In dieser ehemaligen Bergleutestadt war seine Mutter Liesel Wiedeking vor ihrer Ehe beheimatet. Ihre Familie betrieb dort eine Schlachterei, die einen gewissen Wohlstand ermöglichte. Zwar wohnte Liesel Wiedeking bereits Anfang der fünfziger Jahre in der 12 Kilometer entfernten Nachbarstadt Beckum, aber sie traute damals den Geburtskünsten der Ärzte am Krankenhaus ihrer Heimatgemeinde mehr zu. Daher brachte sie ihr erstes Kind, ihren Sohn Wendelin, am 28. August 1952 in Ahlen zur Welt. Traditionsbewusst tauften die Wiedekings ihren Erstgeborenen auf den Vornamen des Vaters, Wendelin. Mit »Wendel« war das Familienglück komplett. Die Eltern lebten in gesicherten bürgerlichen Verhältnissen. Vater Wiedeking, Jahrgang 1921, wurde als studierter Bauingenieur in der Aufbauphase nach dem Krieg dringend gebraucht. Er machte später Karriere als Leiter des Hochbauamts im damaligen Landkreis Beckum, wo er für die Wasserversorgung der Region zuständig war. Bis zur Gebietsreform Anfang der siebziger Jahre war Beckum Kreisstadt, dann wurde sie dem Kreis Warendorf zugeschlagen.
Geburtsort Ahlen, Heimatstadt Beckum Anfangs wohnten Wiedekings Eltern noch zur Miete in Beckum. Hier im Herzen der Region Lippe-Westfalen wuchs »Wendel«, wie er in der Familie und von Freunden gerufen wird, auf. Er ging hier in die Volks- und Realschule und schaffte schließlich sein Abitur. In der Heimat der Bäche zwischen Dortmund und Bielefeld, Münster und dem Sauerland lernte der Teenager mit der braven Knabenfrisur seine Jugendliebe Ruth, die später seine Frau wurde, in der Tanzschule kennen. Auch sie kommt aus einer Beckumer Familie. Beckum, die bald 800 Jahre alte Traditionsstadt an der Werse im Münsterland, bleibt für den Topmanager die Heimat. Hierher kehrt er regelmäßig zurück. Er »hängt an seiner Heimatstadt«, sagen seine Landsleute. An den Geburts- und Nachbarort Ahlen indes hat er keine besondere Erinnerung. »Ich bin Beckumer«, antwortet der Automanager ohne Zögern auf entsprechende Fragen. Mit Beckum verbindet Wendelin das Leben. Sein Herz hängt trotz des beruflich bedingten Wegzugs noch immer an seiner Heimatstadt. Als der heranwachsende Wendelin hingebungsvoll mit seinen einfachen Wicking-, Schuco- und anderen Modellautos spielte, mit dem Fahrrad in die Städtische Realschule Beckum am anderen Ende der Stadt fuhr und später
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mit Freundin Ruth die ersten Liebeserfahrungen sammelte, da war die Welt in seiner westfälischen Heimat noch in Ordnung – zumindest in gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Hinsicht. Das galt auch für die großen Unternehmen, für Handel und Gewerbe. Die Menschen im münsterländischen Beckum hatten ihren Anteil am Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit. Fast alle standen in Lohn und Brot und waren mit der Mehrung ihres materiellen Wohlstands beschäftigt. Jedes Jahr ging es ein Stück weiter aufwärts. Auch bei der Familie Wiedeking, die sich 1957 sogar ein eigenes Haus mit Garten, damals noch am Rand der Innenstadt gelegen, leisten konnte. Arbeitslosigkeit war in der optimistischen Zeit der fünfziger und sechziger Jahre kaum das zentrale Thema der Erwachsenen. Und als gehobener Kreisbediensteter konnte Vater Wiedeking auf ein festes Einkommen und eine sichere Zukunft bauen. Die Familie wuchs inzwischen auf sechs Personen an; zwei jüngere Brüder, Heinz-Josef und Günter, der Jüngste im Bunde, sowie die Tochter Marie-Luise wurden geboren. Aber auch die Kehrseite der Wirtschaftsblüte zeigt sich schon in dieser Zeit: die zunehmende Umweltbelastung, die wachsende Luftverschmutzung, der starke Lärm durch tonnenschwere Lastwagen und die hektisch um sich greifende Bautätigkeit.Die Schlote rauchen gewaltig – für manche Nasen und Lungen um einiges zu stark. Zu einem drängenden Problem für die Bevölkerung rund um Beckum und Ahlen wird die Besonderheit der dortigen Landschaft: die Kalksteinböden mit den riesigen Steinbrüchen. Hier ist im Lauf der Jahrzehnte ein großes Abbaugebiet der Kalkstein verarbeitenden Industrie entstanden, die während Wiedekings Kindheit und Jugend ihre größte Blütezeit erlebt. Die Produkte aus den Steinbrüchen – Kalk, Zement und die daraus gepressten Bauteile – bilden die Grundlage für den Bauboom der Nachkriegszeit. Bis zu einem Viertel des bundesdeutschen Bedarfs an Zement und Zementprodukten liefert die Grundstoffindustrie im Raum Beckum in den besten Jahren. Um die Verkehrsbelastung durch stinkende und tosende Baulastwagen in Grenzen zu halten, wird zwar für das »Gold« aus den Steinbrüchen extra eine »Zementbahn« ins sauerländische Warstein gelegt, aber der Zug kann die gewaltige Umweltbelastung durch diesen Rohstoff lediglich mildern. Der Beton hinterlässt deutliche Spuren in der Stadt: Viele Tage im Jahr sind novembertrüb, die Luft voll Zementstaub liegt bleiern über dem Ort. Ein feiner und die Gesundheit gefährdender Grauschleier lagert schwer über Dächern, Feldern, Balkonen und Gärten. Wegen der dicken Luft in der Zementmetropole bleiben die Fenster an vielen Tagen besser geschlossen. Bis in die siebziger Jahre ist Beckum wahrhaft grau. Wäsche kann nicht im Freien aufgehängt, Gemüse nicht ohne Abdeckfolie angebaut werden. »Immer hing
damals ein Zementschleier über der Stadt«, erinnert sich ein Schulfreund Wiedekings an das Umweltproblem Nummer eins in den sechziger und siebziger Jahren. Die Grundstoffindustrie, die in diesem Raum bereits seit dem 19. Jahrhundert prägend ist, fordert von den Beckumern ihren Tribut. Doch die wirtschaftliche Stabilität behält über Jahrzehnte Vorrang vor der Gesundheit und Lebensqualität des Einzelnen. Ganz früher beherrschten patriarchalische Betriebe, wie die Portland-Cement- und Wasserkalkwerke Klasberg & Comp. zu Beckum Wirtschaft und Gesellschaft. Solche Firmen heuerten für die krank machende Schwerstarbeit in den Brüchen und Stollen laufend Hilfsarbeiter an. Von diesen »prächtigen Zeiten« bleiben in Beckum noch die Klasberg-Villa des einst berühmten Zement-Direktors und der Zementzug übrig.
»Zementköppe« gegen »Schwatte« Inzwischen sind die Umweltsorgen der Region deutlich in den Hintergrund getreten. Strenge Auflagen zwangen den Zement- und Kalkfabriken – sofern es sie noch gibt – Staubfilter und Abluftanlagen auf. Von den Zementwolken aus Wiedekings Kinder- und Jugendzeit ist kaum noch etwas zu spüren.In der Gegenwart drücken viel eher die ökonomischen Probleme. Der wirtschaftliche Wandel hinterlässt tiefe Spuren, auch im Kreis Warendorf. Da ringt jede Kommune im Kampf um Wohlstand und Sicherheit allein. Wie so oft bei Nachbarorten in deutschen Landen herrscht gerade unter ihnen eine manchmal bis zur offenen Feindschaft ausgetragene Konkurrenz. So teilweise auch zwischen Beckum und der etwas größeren Nachbarstadt Ahlen. Jede der gerade mal ein Dutzend Kilometer von einander entfernten Kommunen will die bessere und reichere sein, in der Kultur, als Wirtschafts- und Freizeitstandort – fürs ganze Leben eben. »Zementer« oder »Zementköppe« nennen die lieben Landsleute aus Westfalen-Lippe die Beckumer wegen der Kalkgewinnung bis heute. Die Bürger von Beckum wiederum rächen sich und deklarieren die Ahlener als »die Schwatten«, weil dort traditionell der Kohlebergbau, zuletzt die Zeche Westfalen, beheimatet war. Dabei gehören beide Kommunen längst zum Landkreis Warendorf und haben durch ihre jüngste historische Entwicklung ähnliche Probleme. Ahlen und Beckum galten über viele Jahrzehnte hinweg als traditionelle Arbeiterstädte, am Rand des Ruhrgebiets gelegen. Geprägt wurde die Region von der katholischen Kolping-Gemeinde. In der Nachkriegszeit spielte hier die christlich-soziale Arbeiterbewegung eine wichtige Rolle in der Gesellschaft. Das über die Grenzen hinaus berühmt gewordene »Ahlener Programm« der Nachkriegs-CDU mit dem
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klar formulierten Grundsatz »Eigentum verpflichtet« ist bis heute mit der ostwestfälischen Industriestadt verbunden. Auch eine besondere Fußballleidenschaft wird den Einheimischen jenseits von Dortmund und der Bundesliga traditionell nachgesagt. Wenn auch heute mancher Fußballverein aus früheren Glanzzeiten, wie die Spielvereinigung Beckum oder ehemals TuS Ahlen wirtschaftlich am Boden liege, so hängt das Herz der (männlichen) Bevölkerung noch immer an diesem Ballsport. In Wendelin Wiedekings Kinder- und Jugendjahren noch fuhren fanatische Fußballfans auf der primitiven Pritsche eines Lastwagens zu den Lokalderbys in die Nachbarstädte und machten dort ordentlich Radau. Eine raue Fußballerwelt, die allerdings nicht die des späteren Porsche-Chefs sein sollte. Wendel ist in der Schulzeit kein sportlicher Typ und geht eher eigene Wege. Der schon früh sehr pflichtbewusste Wendelin fühlt sich mehr an Haus und Familie gebunden. So ist er nur ab und zu dabei, wenn die Buben mit Stöcken und Stangen gegen andere Banden »Krieg« spielen. Er zeigt stärkeres Interesse an technischen Dingen, an Bausätzen, Märklinkästen oder Werkzeug. Mit Vorliebe bastelt und repariert er im Garten und Keller des Elternhauses Seifenkisten, Modellflugzeuge und -autos. »Ich habe schon als Kind gerne geschraubt, gewerkelt, an Holz und Metall«, weiß er noch. Und es macht ihm noch heute Spaß, im Keller Modellflugzeuge zu reparieren. Die kleinen Gewohnheiten überleben, während große Fußballvereine von einst inzwischen fast vergessen sind. Wiedekings Heimatstadt ist in einem kräftigen Wandel begriffen, weg von großindustriellen Strukturen der Grundstoffindustrie mit dem Gesicht einer Arbeiterstadt hin zum mittelständischen Bürgertum. Im Stadtrat gibt das konservative Lager mit der CDU an der Spitze den Ton an. Auf den Betrachter wirkt das bürgerliche Beckum, der geografische Mittelpunkt von WestfalenLippe, wie eine gemütliche Kleinstadt. In der City dominieren die üblichen Fußgängerzonen mit dem typischen Mix aus einheimischen Handels- und Gewerbebetrieben sowie überregionalen Filialketten und Gastronomie. Der historische Stadtkern und die Straßenzüge drum herum bieten ein Gemisch aus Sehenswürdigkeiten alter Zeiten. Was nicht der gnadenlosen Abrissbirne in den sechziger und siebziger Jahren zum Opfer fiel – zum Beispiel das alte Rathaus,heute Stadtmuseum, Kreisständehaus, Bürger- und Fachwerkhäuser, Villen aus der Gründerzeit, Jugendstilfassaden – zeugt von der großen Tradition dieser fast 800 Jahre alten Stadt. Manche Bausünde aus der Boomzeit, als Beton, Stahl und Teer die Architektur regierten, wird gerade beseitigt, bekommt ein sehenswerteres Gesicht. Dennoch hält sich der Tourismus nach Beckum in Grenzen. Die Kommune ist überwiegend katholisch, und auch
Wiedeking ist entsprechend der Familientradition katholisch getauft. Das Vereinsleben ist intakt und vielseitig. Typisch für die Gegend ist noch ein gutes Dutzend an Schützengilden. Ebenso haben Skat- und Kegelclubs noch eine gewisse Bedeutung fürs Gemeinwesen. In den fünfziger und sechziger Jahren allerdings war das gemeinsame Spiel als Freizeitbeschäftigung für die Beckumer viel wichtiger. Als Wendel noch klein war, spielten seine Eltern ebenfalls Karten in einem »Kartenclub«. Heute, im Zeitalter von Fernsehen und Internet, leisten sich die Beckumer wie überall eher die gehobenen Freizeitvergnügen – vom Fitnesscenter bis zum Reitsport. Was indes im Stadtbild weitgehend fehlt, sind die Produkte aus Zuffenhausen. Beckum ist nahezu Porsche-freie Zone. Die Flitzer aus Wiedekings Werk müssen mit der Lupe gesucht werden, und das nächste Porsche-Zentrum liegt in Münster. Oder haben die Beckumer ihren Porsche alle in der Garage? Die Kaufkraft der Einwohner ist vergleichsweise gut. Das liegt am funktionierenden wirtschaftlichen Wandel in der westfälischen Kommune, deren Stärke heute kleinere und mittlere Unternehmen sind. Viele Betriebe sind aus den Zulieferfirmen der inzwischen darbenden Kalk- und Zementindustrie entstanden. Aus den Spezialisten für Förderanlagen, Steinbearbeitung oder Recycling entwickelten sich vielseitige Anbieter im Bereich Maschinen-, Apparate- und Behälterbau nebst dazugehörigen Anlagen. Bekannte Vertreter sind Polysius, heute ThyssenKrupp, Bernhard Beumer-Fördertechnik oder Ehrhardt, die auch stark exportieren. Sie machen Beckum zu einem Zentrum der Investitionsgüterindustrie. Die Riesen aus der Kalk- und Zementindustrie von früher sind eher auf dem Rückzug: Existierten vor 30 Jahren noch mindestens ein halbes Dutzend Kalk- und Zementwerke, so sind heute gerade noch drei aktiv, zwei Werke von Readymix, eins von Phönix, dazu riesige Verarbeitungsanlagen der Eternit-Gruppe. Die Betonbarone beschäftigen immer weniger Menschen. Der Konzern Dyckerhoff-Zementwerke mit Zentrale in Wiesbaden machte 2002 nahezu dicht; von zuletzt 125 Mitarbeitern werden etwa 15 weiterbeschäftigt, damit die Genehmigung für das riesige Werk nicht verfällt. Was Beckum und Umgebung von der einst reichen Grundstoffindustrie indes unübersehbar auf Generationen bleibt, das sind monumentale, ewig novembergraue Fabrikkomplexe, die trist und hässlich die Landschaft stigmatisieren. Ein Hauch von Kultur und Freizeit soll die steingraue Gegend bunter machen. Auch von der früheren Möbelindustrie ist so ziemlich alles weg. Anschluss an die Moderne sucht die Gemeinde, wie viele andere, durch die Hilfe bei der Gründung »junger Unternehmen« zu erhalten. Davon versprechen sich die Stadtoberen die Ansiedlung von Firmen in zukunftsfähigen Branchen.
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Närrisches Beckum Neben neuen Industrien sind Dienstleistungen begehrt, darunter besonders das Unterhaltungsgewerbe. Hier kommt den Beckumern eine alte Tradition gerade recht: das Narrentreiben in der »fünften Jahreszeit«. Auf diesen Brauch sind die Bürger besonders stolz. Ihrem Karneval in den tollen Tagen, behaupten sie, hätten die »Schwatten«, die Ahlener also, nichts Vergleichbares entgegenzusetzen. Abschätzig bis mitleidig beobachten sie, wie im Nachbarort mit viel Tamtam die Narretei seit wenigen Jahren künstlich zu lustigem Leben erweckt werden soll. Dieser triste Versuch sei für sie eher ungewollt komisch. Hämisch freut es die »Zementer«, wenn dann bei ihrem Rosenmontagszug noch immer wie in alten Zeiten viele Ahlener mitfeiern. Denn was für Außenstehende überraschend ist, das Karnevalstreiben ist für die Beckumer seit Jahrhunderten Tradition. Die Beckumer Narretei, behaupten die Chronisten der Stadt, ist älter als der Kölner oder Aachener Karneval und natürlich »immer viel lustiger«. Die Wurzeln des Karnevals im katholisch geprägten Beckum gehen auf das 15. Jahrhundert, auf den Frohsinn der »Bauknechte« zurück. Leider wissen das nur wenige außerhalb der Gemeinde. Von wegen sture Westfalen: Wiedekings Heimatort entpuppt sich wirklich als Hochburg des närrischen Treibens. Hier wird gern und ausgiebig gefeiert. So sehr, dass die Stadt mindestens 20 Karnevalsvereine zählt, fünf große Clubs und ein paar winzige und neu gegründete. Der Dachverband, dem alle 19 Gesellschaften angeschlossen sind, der jährlich den »Stadtprinzen« stellt und den Rosenmontagszug organisiert, ist die Karnevalsgesellschaft »Na, da wären wir ja wieder« mit rund 500 Mitgliedern. Hier ist auch Wiedeking seit 2002 zahlendes Mitglied. Die vielen Anhänger der Narretei sorgen für einen gewissen Boom – zumindest in der Gastronomie und beim Handel. Die Tage zwischen »Fettdonnerstag«, ein nur dort gebräuchliches Wort für Weiberfastnacht, und Rosenmontag gelten hier für alle als Sonderfeiertage. Diese Festtage lässt sich der Porsche-Chef nicht nehmen, sofern es der Kalender zulässt. Schon zu Altweiberfastnacht kommt er gern regelmäßig nach Hause. Bereits als Kind feierte der Beckumer Bub im Karneval mit, »als Cowboy natürlich«. Als Aktiver in einem Narrenverein wurde Wendel jedoch von seinen Schulkameraden und Freunden nie gesichtet. Außerdem, einer, der ständig vor Humor sprüht und ständig Witze erzählt, sei Wendel nie gewesen. Er vergnügte sich lieber mit der ganzen Clique in den Kneipen und beim Karnevalsumzug auf der Straße. Ernsthaft sauer reagieren die Beckumer Narren von heute, als sie aus der Zeitung erfahren, dass ausgerechnet die Konkurrenz in Aachen den gegenwärtig bekanntesten Sohn ihrer Stadt zum Ordensritter
schlägt und mit ihm mächtig für ihre Popularität wirbt. Irgendwie hatte es bei den Jecken nicht gefunkt. Wohl auch deshalb, weil die Beckumer Wiedeking bisher kaum mit ihrem Karneval in Verbindung brachten.Sein aktiveres Interesse für die Narretei hat er wohl auch erst in letzter Zeit entdeckt. In den Büttenreden der Karnevalisten seiner Heimatstadt jedenfalls kommt der Manager bis dato nicht vor. »Es gibt keinen Anlass ihn aufzugreifen. Er hat nichts verbrochen«, gibt ein westfälischer Jeck trocken zur Antwort. Fest steht, dass der Porsche-Chef erst in jüngerer Zeit ins Bewusstsein der Beckumer Bürger gerät. Pech für sie, dass die Aachener den Marketingeffekt mit prominenten Namen viel eher als andere Narren erkannten.
Buhlen um den großen Sohn In Konkurrenz stehen Ahlen und Beckum auch um die Gunst von Wiedeking, dem großen Sohn der jüngsten Geschichte aus ihren Mauern. Seit der Porsche-Chef zum allseits bewunderten Medienstar aufstieg und selbst in politischen Kreisen als personifiziertes Wirtschaftswunder gilt, buhlen der Geburts- und der Heimatort darum, im Licht seines Glanzes stehen zu dürfen. Auch bei diesem Poker um Image und Sponsorengelder haben die Vertreter aus der ehemaligen Bergmannsstadt die schlechteren Karten. Erste Versuche, den gefeierten Spitzenmann für sich zu gewinnen, kamen kaum über den Schreibtisch von Wiedekings Sekretärin hinaus. »Wir kommen an Wiedeking nicht heran. Er zeigt uns nur die kalte Schulter«, klagt ein Kommunalpolitiker, der den Automanager vergeblich als Sponsor für ein Sanierungsprojekt in der City zu gewinnen suchte. Ebenso erfolglos blieb die örtliche Zeitung. Die Redaktion versuchte anlässlich ihres Jubiläums 1998, Kontakte mit Wiedeking aufzunehmen. Mehrere Versuche blieben im Ansatz stecken: »Er war sehr abweisend, wir fühlen uns ziemlich barsch abgebürstet.« Nach vielen vergeblichen Versuchen mussten die Redakteure feststellen: »Wiedeking bekennt sich nicht zu Ahlen.« Sie empfanden das als »sehr eitel«. So schnell aber gibt Ahlen nicht auf. Sobald sie wieder mehr Geld im Stadtsäckel haben, wollen sie ihn als Schirmherrn für die landesweite Aktion »Ab in die Mitte« (Revitalisierung der City) gewinnen.Das wird schwierig werden.In Wirklichkeit nämlich ist das Rennen der Nachbarorte um die Gunst des großen Sohnes schon gelaufen, bevor es begonnen hat. Der gefeierte Wirtschaftskapitän möchte sich nur in Beckum, am Ort seiner Kindheit und Jugend, engagieren. So spendete Wiedeking dem Albertus-Magnus-Gymnasium, an dem er 1972 sein Abitur ablegte, über seinen damaligen Klassenlehrer Horst Tillmann – zu ihm pflegt er bis heute regelmäßigen Kontakt – 5 000 Mark für den Physikunterricht.
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Jugend und Schule Seine enge Verbundenheit zu Beckum wird daran deutlich, dass Wiedeking regelmäßig nach Hause kommt und seine jüngeren Brüder besucht. Die beiden, Heinz-Josef und Günter, betreiben dort gemeinsam Firmen, an denen Bruder Wendel maßgeblich beteiligt ist. Solange die Mutter Liesel lebt, die Ende 2000 nach langer Krankheit stirbt, schaut ihr Sohn Wendel stets bei ihr vorbei. Seine Wurzeln in Beckum sind tief, zumal ja auch seine Frau Ruth von hier stammt. In diesem Ort wächst er in geordneten bürgerlichen Verhältnissen auf. Gern erinnert sich Wendel daran, wie er als Kind von seiner Oma Wiking-Modellautos im Maßstab 1 zu 87 geschenkt bekam. Mit solchen Modellen spielt er dann begeistert bei Kindergeburtstagen – die Anfänge eines Autonarren. Auf diese frühe Vorliebe führt Wiedeking seine Sammelleidenschaft für Modellautos zurück, von denen er inzwischen ganze Glasschränke voll zu Hause und in seinem Büro bei Porsche stehen hat. Seine Schulkameraden erinnern sich gut daran, wie Wendel als sieben bis neun Jahre alter Bube in einer Bande gegen eine andere mit Holzschwertern und Stöcken gekämpft hat. Dann ging’s unter den Jungs zur Sache, auf dem Hof und bei Nachbars wurde draufgedroschen. Doch es blieb stets ein Kinderspiel. Auffällig oder besonders aggressiv, sagen seine Altersgenossen, sei Wiedeking nie gewesen. Er war ein umgänglicher Kerl. Wiedekings Kindheit in Beckum verläuft harmonisch im Schoße einer schützenden Familie. Die Eltern sind »solide, nette, ordentliche Leute«. Vater Wendelin schlägt eine vielversprechende Laufbahn als Bauingenieur bei der örtlichen Kreisbehörde ein. Doch die Idylle wird 1967 schlagartig gestört. Wiedekings Vater erliegt plötzlich einem Herzinfarkt. Der 46-Jährige hinterlässt, zehn Jahre, nachdem das eigene Haus gebaut war, eine fünfköpfige Familie. Von heute auf morgen steht die Witwe allein mit vier Kindern da. Diese wachsen nun als Halbwaisen auf. Um halbwegs über die Runden zu kommen, bleibt die kleine Dachwohnung des zweieinhalb Stockwerke hohen Eigenheimes vermietet. Die Einnahmen werden dringend benötigt, um die Raten für das Haus abstottern zu können. Der Lebensunterhalt wird überwiegend von der Witwen- und Waisenrente bestritten. Für die Familie nicht gerade üppige Kost bei einer enormen Haushaltsbelastung mit vier Kindern. Den Aufwand kann Mutter Liesel, die schon früh kränkelte, alleine kaum schultern. Ein Familienmitglied, der Älteste, muss ran. So wird Wendel schon als Teenager mit 15 Jahren in die Pflicht genommen. Seine jüngere Schwester Marie-Luise kann diese Rolle nicht übernehmen, sie leidet
schon in jungen Jahren unter einer schweren Zuckerkrankheit. Also ist es an Wendelin, bald Verantwortung zu übernehmen und sich um die Familie zu kümmern. Ersatzweise schlüpft der große Bruder nun in die Vaterrolle hinein, besonders für den Kleinsten, Bruder Günter. Wendelin wächst in eine Weltordnung, die schon früh von Fleiß, Vorsicht und Gründlichkeit geprägt ist.
»Das macht Wendel« Wendel betreut die Geschwister, unterstützt die Mutter, besorgt die Einkäufe, kümmert sich ums elterliche Haus – und wird schon als Jugendlicher »der Boss«. Und das alles neben der Schule. Die Mutter ist mächtig stolz auf ihren Erstgeborenen, was sie jedoch nach außen nie besonders zeigt. Auf ihn kann sie sich einfach verlassen. Sie lobt ihren fleißigen Wendel als braven, mustergültigen Sohn. Liegt etwas an, sagt Mutter Liesel immer: »Ach! Das macht unser Wendel schon.« Selbst während der Studentenzeit,als er regelmäßig von Aachen nach Hause kommt, unterstützt er seine Mutter weiter: Gartenarbeit, Besorgungen, Reparaturen … »Er ist ja so praktisch veranlagt«, freut sie sich. Und selbst seine Brüder sagen bis heute zum Ältesten so scherzhaft wie respektvoll: »Wendel ist der Boss, wir sind nur die Handlanger.« Wiedeking bleibt also auch vom fernen Aachen aus die treibende Kraft der Familie. Von dort aus gründet und betreibt er die Immobilienfirmen zusammen mit Partnerin Ruth. Vielleicht liegt es an dieser frühen Vaterrolle, dass Wiedeking in seiner späteren Laufbahn wie auch bei Porsche ganz natürlich als »Chef« empfunden wird – und diese Rolle auch gern akzeptiert. Wiedekings Mutter bleibt stets eine einfache und bescheidene Frau. Daran änderte sich auch nichts, als Wendel in den neunziger Jahren in Stuttgart seine Traumkarriere bei Porsche macht und immer häufiger in der Presse gefeiert wird.»Sie blieb auf dem Teppich«,berichten die Beckumer.Mit dem Opel der Mutter, einem knallroten Kadett B Coupé, sammelt Wendelin seine erste Fahrpraxis. Später kauft er sich als erstes Auto einen uralten Käfer, »kurz vor der Rettung vor dem Schrottplatz«, so Wiedeking. Mehr konnte er sich damals nicht leisten. Seine Freunde haben noch in Erinnerung, wie er später mit einem gebrauchten Renault durch die Gegend kurvte. Das eigene Auto trägt zur persönlichen Befreiung des jungen Menschen bei. Was braucht er mehr zum Glücklichsein? Mutter Liesel jedoch, deren Krankheit allmählich fortschreitet, ist sehr froh, dass »Wendel, der Boss« die Familie so lange wie möglich zusammenhält. Er verschafft in der Folgezeit seinen Brüdern HeinzJosef, dem Zweitältesten, und Günter, dem Kleinsten, sogar gemeinsam eine
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Existenzgrundlage als Unternehmer im Bereich Immobilien und Wohnungsbau. Die beiden Wiedekings bleiben ihrer Heimat Beckum treu. Die letzten Jahre vor ihrem Tod wird Mutter Liesel von einer Frau betreut. Im elterlichen Haus lebt zudem seit langem ein Bruder Wiedekings. Hier ist heute das Büro der Firmen untergebracht. Das Attribut »Bodenständigkeit« überträgt sich bei den Wiedekings sogar auf den Beruf: Wendelin Wiedeking befasst sich bei seiner ersten Nebentätigkeit als Student mit festem Grund und Boden, Immobilien. Mit dieser sicheren Basis unter den Füßen und dank einer zähen Ausdauer schafft es Wendel als Einziger der Familie bis zum Abitur und schließlich bis zum promovierten Maschinenbauer – ein Aufstieg, der neben seinen starken familiären Verpflichtungen und frühen unternehmerischen Engagements läuft.
Die Chance mit dem »F-Zweig« Dabei war Wendelin Wiedeking eher ein Spätzünder. Auf der Volksschule Beckum, wie sie damals noch hieß, verbrachte er fünf Jahre von April 1959 bis März 1964. Ein Jahr später als üblich wechselte Wendel dann in die Städtische Realschule Beckum von April 1964 bis Juni 1969. Dorthin kam der Schüler am besten mit dem Fahrrad, da die Schule auf der anderen Seite der Stadt lag. Der Abschluss Mittlere Reife schien zu jener Zeit für den praktisch veranlagten Sohn eine bessere Alternative zu sein als eine humanistisch-theoretisch ausgerichtete Bildung am Gymnasium. Als Fremdsprache verlangte die Realschule Englisch und legte umso stärkeres Gewicht auf jene Fächer, welche die Schulabgänger im damaligen Aufbau-Deutschland nach Ansicht der Bildungspolitiker und Lehrer am dringendsten für ihre künftigen Berufe benötigten: Mathematik, Physik, Chemie und Deutsch. Alles sollte ganz praktisch fürs spätere Berufsleben sein. »Die Realschule von Beckum hatte den Ruf, dass dort weniger das Denken, sondern vielmehr das Pauken gefördert wurde«, urteilt ein Pädagoge im Rückblick. Mit der zehnten Klasse war der Realschulabschluss fällig; Wendel machte die Prüfung zur Mittleren Reife, Oberschulreife, im Juni 1969. Doch diese Qualifikation war dem 16-Jährigen jetzt zu wenig. Er wusste inzwischen, dass er erfolgreich büffeln konnte und traute sich mehr zu als Mittelmaß. Mit der Realschulreife in der Tasche wagte er den Sprung von der Paukerfabrik ins Gymnasium. Damals gab es in Beckum die Möglichkeit, nach Abschluss der Realschule in einen besonderen Aufbauzug am Albertus-Magnus-Gymnasium (AMG) zu wechseln. Sohn Wendelin belegte hier den neu ins Leben gerufenen technischen Zweig mit Naturwissenschaften; Schwerpunkte waren die Fächer
Physik, als Abitur-Fach, Chemie und Mathematik. Nicht verlangt wurden Latein und Griechisch oder eine zweite Fremdsprache, Französisch, wie es am Albertus-Magnus-Gymnasium, bis 1960 Städtisches Gymnasium Beckum, sonst üblich war. Der neue Zug, »F-Zweig« genannt, war als Aufstiegschance für technisch-naturwissenschaftlich Begabte gedacht. Diese Möglichkeit kam Wendel, technisch orientiert wie er nun mal war, sehr entgegen. Eine reformierte Oberstufe gab es damals noch nicht. Zudem bot das Gymnasium in Beckum noch den Vorzug, dass es deutlich näher an der Wohnung lag. Der neue Gebäudekomplex für die Oberschule wurde erst 1967 eröffnet. Und es stellte sich bald ein weiterer Vorteil heraus. Alle Teilnehmer an dieser Oberstufe der 11. bis 13. Klasse – Männlein wie Weiblein, zusammengewürfelt aus Realschülern und Gymnasiasten aus der Gegend um Beckum – kamen in einen eigenen Klassenverband unter Leitung von Gymnasiallehrer Eberhard Krone. Horst Tillmann, der Klassenlehrer, kam erst als junger Assessor, später Studienrat, an die Schule und übernahm diese spezielle Oberstufe. Nach den Sommerferien 1969 ging es für Wiedeking und 19 weitere Aufsteiger an der Oberschule los. In dieser Klasse sollte sich im Laufe der drei Schuljahre ein enger Zusammenhalt entwickeln, der für die meisten Schüler bis in die Gegenwart anhält. Das Experiment F-Zweig, bei dem Wendel Aufnahme fand, stieß auch unter Pädagogen am Albertus-Magnus-Gymnasium auf Zustimmung. Fast alle Teilnehmer wollten wirklich etwas für sich lernen und strengten sich an. »Mit dem F-Zweig haben wir immer Glück gehabt«, versichert ein Lehrer, und ein anderer lobt: »Die Realschüler haben sich alle sehr gut bewährt. Sie hatten den Vorzug, außerordentlich pflichtbewusst und fleißig zu sein und waren ernsthaft bemüht, Ergebnisse zu erreichen und schnell ans Ziel zu gelangen.« Die »F-Zweigler« hätten im Gegensatz zu verwöhnten »NurGymnasiasten« auch wirklich ihre Hausaufgaben gemacht. Dieser Klassenverband schuf natürlich auch so etwas wie eine Bewährungssituation. Das gemeinsame, freiwillige Streben nach einem Ziel schmiedete die zunächst bunt gemischte Gruppe zu einer fester Gemeinschaft zusammen, eine sehr positive Erfahrung für alle. Bald herrschte unter den Schülern ein Geben und Nehmen. Eine Schulkameradin: »Wir habe alle dick zusammengehalten. Die Besseren haben nachmittags mit den Schlechteren gepaukt und ihnen beispielsweise bei der Mathe- oder Physikarbeit geholfen.« Auch Wiedeking hat den Verband zusammengehalten und galt als »sehr kameradschaftlich«. Er verhielt sich an der Schule zwar unauffällig, war aber kein Außenseiter. Mitschüler bekamen bald mit, dass seine Stärken in Mathe und den Naturwissenschaften Physik
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und Chemie lagen. In diesen Fächern konnte er anderen Klassenkameraden helfen. Als Schüler, urteilen seine Mitschüler, war »Wendel stinknormal, kein Überflieger«. Die Schulleistungen fielen eher mittelmäßig aus. Zu den Besten der Klasse auf allen Gebieten gehörte er also nicht, aber in Zeitgeschichte und Politik war Wiedeking sehr wach. »Da hat er immer gern mitdiskutiert und sich intensiv hervorgetan.« An Fußball oder viel Sport war er weniger interessiert. Vielleicht hatte er als Boss der Familie durch seine Doppelbelastung – Elternhaus und Schule – für diesen Spaß zu wenig Zeit. Die Streiche, welche die F-Zweigler ausgeheckt haben, waren aus heutiger Sicht ausgesprochen harmlos. Da wurden mal die Mulden in den Stühlen der Pauker nass gemacht, oder die Lehrer wurden in verfängliche Diskussionen verwickelt. Auch Wendelin war hier und da dabei, ohne jedoch der Anführer oder Wortführer zu sein. Mit den Lehrern vertrug er sich ausgesprochen gut, zu seinem Klassenlehrer Tillmann pflegte er ein gutes Verhältnis, das bis heute anhält. Daher benoten die Pädagogen von einst sein Verhalten positiv als »eher brav«. Wiedekings Schulbilanz aus ihrer Sicht: »Er hat alles klar bestanden, ohne Wenn und Aber.« Und zum guten Schluss legte er im Mai 1972 am AlbertusMagnus-Gymnasium ein »ordentliches Abitur« hin, eine Punktlandung: »Zeugnis der Reife«, 29. Mai 1972. Wiedeking war der Einzige vom F-Zweig, der nach der schriftlichen nicht zur mündlichen Prüfung musste. »Meine durchschnittliche Note reichte fürs Studium,und ich hatte vier Wochen mehr Freizeit als die anderen.« (Tagesspiegel, 15./16. 12. 2000) Wiedekings Selbstzeugnis über seine Schulzeit heute: Er sei »nie top, aber auch nicht schlecht« gewesen. In einem Gespräch mit der Aachener Zeitung (12. 4. 1997) zum Thema »Eliteförderung« gibt er zu Protokoll: »Ich war in der Schule nie der Primus, unter Eliteförderung wäre ich nie gelaufen. Aber Begabungen entwickeln sich. Letztlich kommt es nicht darauf an, was Sie fachlich können, sondern wie Sie als Mensch aufgestellt sind.« Und wieder ganz der Pragmatiker und vom Standpunkt seiner damaligen familiären Situation aus urteilend, merkt er an: »Die soziale Empfindsamkeit ist ein wesentlicher Aspekt. Da können Sie noch so hoch begabt sein, deswegen müssen Sie noch lange nicht in der Lage sein, auch nur zwei Leute zu führen.« In Beckum damals übernahm Wendel als gestrenger Bruder bereits die Verantwortung für drei Personen, seine jüngeren Geschwister. Das ist der Hauptgrund, warum der Teenager Wendel schon als Kind bei seinen Altersgenossen nicht so sehr in Erscheinung trat: »Wiedeking war als Jugendlicher sehr unauffällig, eher scheu und fiel weder positiv noch negativ auf«, sagen sie. Für sein Alter wirkte er eher »angepasst, konservativ«, ergänzt ein ehemaliger Spielkamerad. Und eine Freundin urteilt kurz: »Wendel war
nett!« Ein Außenseiter abseits einer Clique sei er nie gewesen. Mit zunehmender Reife erwies sich Wiedeking in seiner Heimatstadt als kumpelhafter Westfale. Ende der Sechziger, Anfang der Siebziger war auch die Zeit, wo Pennäler gemeinsam zu Schulpartys im Klassenverband gingen. So zog auch Wendelin mit Schulkameraden und Gleichgesinnten durch die Gemeinde. Die so genannten »Pennälerkneipen« in Beckum, eine Art Stammlokale für Abiturienten und solche, die es werden wollten, hatten es ihnen angetan. Das Wirtshaus Pulverschoppen zum Beispiel oder die gemütliche Hausbrauerei Stiefel-Jürgens, die älteste Westfalens (seit 1680), in der Innenstadt. In diesen Lokalitäten geht damals wie heute die Party ab. Die Jugendlichen trafen sich in den Gaststätten meist abends, manchmal auch schon nachmittags. Das Bier dort kostete um die 40 Pfennig und war damit preiswert. Hier wurde palavert, wurden Späße gemacht und Kontakte geknüpft. Doch auch private Partys waren in diesen Jahren angesagt. Bei solchen Gelegenheiten, an denen auch Wendelin teilnahm, wurde kräftig gefeiert. Und Schulkameraden erinnern sich lebhaft an flotte Feste im Partykeller bei Wiedekings während der Gymnasial- und Abiturzeit – und noch lange danach: »Es verlief alles sehr harmonisch.« Seine Jugendfreundin, langjährige Partnerin und spätere Frau lernte der Heranwachsende züchtig, wie es sich damals in Beckum gehörte, an der dortigen Tanzschule kennen.Zu jener Zeit war es noch üblich,dass ein Schuljahrgang gemeinsam die Tanzschule besuchte und noch vor dem »Einjährigen«, etwa Mittlere Reife, tanzen lernte. Wendel war als 16-Jähriger noch an der Realschule und hatte beim Tanzkurs ein Auge auf Ruth geworfen. Die Brünette aus Beckum besuchte ebenfalls die Realschule. Der Teenager »poussierte früh mit Ruth«, erinnern sich die Beckumer. Sie sehen das traute Paar noch immer Händchen haltend zusammen gehen. »Die beiden gingen immer eng umschlungen, und Wiedeking war sehr stolz auf seine Freundin.« Die Realschülerin absolvierte nach ihrer Mittleren Reife eine Ausbildung bei einer renommierten Notariats- und Rechtsanwaltskanzlei in Beckum. Ruth folgte ihrem Wendel dann stehenden Fußes nach Aachen, als er dort nach dem Abi studierte.
Treffen mit Schulkameraden Wendelin Wiedeking, Abitur Mai 1972, dürfte heute zu den namhaftesten Absolventen des Albertus-Magnus-Gymnasiums (AMG) zählen, obwohl die 1910 als »Vollanstalt« gegründete Schule auch Professoren und Direktoren hervorbrachte. Seine steile Karriere, sagen Schulkameraden über ihn, sei damals nicht absehbar gewesen. Dieser Erfolg kommt für alle aus seiner Schulzeit
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überraschend. In ihren Augen war Wendel ursprünglich kein planerischer Karrieremensch. »Die Zeiten waren damals anders«, so ein Schulkamerad. Als Wiedeking fast zwanzigjährig Beckum verließ, da war es für den heimatverbundenen jungen Mann wie der tiefe Sturz aus der Geborgenheit des Nests. Die Familie, die Freunde, Beckum … alles auf einmal hinter sich lassen? Zunächst hatte der strebsame Abiturient das 220 Kilometer entfernte Aachen fest im Auge. Dort wollte er studieren, um eine gediegene Ausbildung als Maschinenbauer zu erhalten. Die 18 Monate Dienst bei der Bundeswehr blieben ihm erspart. Bei seiner Musterung im Kreiswehrersatzamt in Münster wurde er auf die Ersatzbank, »Ersatzreserve II«, gesetzt, und auch die Nachmusterung machte aus Wiedeking einen Soldaten zweiter Klasse. Für ihn war es kein Nachteil, er sparte 18 Monate und durfte sofort studieren. Den Bezug zu Beckum, zu seiner Familie wie zur Region verlor Wiedeking nie. So zum Beispiel folgte er einer Einladung des verstorbenen FDPPolitikers Jürgen W. Möllemann in den »Liberalen Club« nach Münster. Dort veranstaltet die Partei regelmäßig im ABC-Schützenhof ein viel beachtetes Event, und in diesem Kreis sind Vorträge wie die des Vorzeigemanagers aus Stuttgart besonders beliebt. Ebenso, wenn Wiedeking die Firmenjubiläen mittelständischer Unternehmen, wie der in Beckum durch die Seniorchefin besonders engagierten Firma Blumenbecker (Elektrotechnik, Maschinenbau), durch Ansprachen und seine bloße Anwesenheit bereichert. Ein großer Sohn kehrt heim, allmählich wie ein prominenter Goliath. Auch seine Oberschule, das Albertus-Magnus-Gymnasium, lud ihren bedeutenden Eleven zum 24. November 2000 als Festredner ein. Die Schule feierte gleich drei Gedenktage auf einmal: Das Schuljubiläum lief daher unter der Zauberformel »90 – 70 – 40« (90-jähriges Bestehen, vor 70 Jahren erstmals Mädchen aufgenommen, seit 40 Jahren Albertus-Magnus-Gymnasium). Die Schulleitung fühlte sich hoch geehrt, dass ein so prominenter Manager bei ihnen die Festansprache halten wollte. Daher waren die Studienräte beflissen, sämtliche Vorgaben der Firma Porsche für den Auftritt des Karriereschülers zu erfüllen. Dazu zählte neben den üblichen Sicherheitsvorkehrungen für den VIP auch die Forderung, dass das Pult für den Redner eine genau bestimmte Höhe haben musste. Wiedekings Festvortrag stand unter dem staatstragenden Thema: »Ist Deutschland auf die Zukunft vorbereitet? Unser bildungspolitischer Auftrag heute aus der Sicht der Wirtschaft.« Mehr als 300 Gäste kamen in die Sporthalle des nüchternen Gebäudekomplexes des Gymnasiums. Anschließend fand eine Diskussion statt und danach ein Umtrunk im Foyer der Oberschule. Dabei hatte Wiedeking Gelegenheit, mit alten Freunden und Lehrern zu plaudern. In seiner Jubiläumsrede vertrat der ehemalige Schüler
die Meinung, die Schule könne von der Wirtschaft lernen, während andererseits die Betriebe ihre Verpflichtung zur Jugendbildung stärker wahrnehmen müssten. Der heutige Porsche-Chef brachte seine Ansicht sinngemäß auf die Kurzformel: »Ausbildung ist auch Bildung«. Der jetzigen Pennälergeneration riet der F-Zweigler von einst: »Den Jugendlichen möchte ich empfehlen, die Massentrends von heute nicht als Gesetz von morgen anzusehen, düstere Zukunftsprognosen geflissentlich zu ignorieren und in erster Linie auf die eigenen Fähigkeiten, Kräfte und Ideen zu vertrauen und zu bauen.« Wie der zielorientierte »Oberschüler Wendel« aus den siebziger Jahren, möchte man ergänzen. Während seines Festvortrags und in der folgenden Diskussion kam der gefeierte Aufsteiger auch auf seine verhassten Gegner zu sprechen, die »Bedenkenträger«, die nach seiner Ansicht alles Fortschrittliche blockieren. Und im Eifer seiner Aggression gegen solche Ja-Aber-Sager rutschte ihm der unselige Satz heraus: »Bedenkenträger müssen entsorgt werden …« Einige sensible Lehrer und Klassenkameraden waren über diese Äußerung entrüstet. Besonders stieß ihnen das Wort »entsorgen« auf. Es klang in ihren Ohren nach Müll, Abfall. Sie fragten sich: »Wie muss es in Firmen zugehen, wo Menschen wie Müll entsorgt werden können? Ich wäre am liebsten rausgegangen, und nicht nur ich. Mehrere andere Kollegen empfanden den Diskussionsbeitrag als eine richtige Entgleisung«, weiß noch heute ein Gymnasiallehrer. Schließlich fanden die Pädagogen unter sich ihre Erklärung für die Worte Wiedekings. Sie kamen zur Erkenntnis, dass ihr behüteter Schulkosmos und die raue Wirklichkeit da draußen in der Wirtschaft recht unterschiedliche Welten sein müssen. Und diese Realität verändert und prägt im Laufe einer Berufskarriere – offenbar auch den Absolventen Wiedeking. Der bescheidene AMG-Oberschüler von einst habe wohl inzwischen »abgehoben«, beschlich einen Teil der Zuhörer nach der Diskussion das Gefühl. Andere urteilten gnädiger und meinten, dass ein Manager eine gewisse Härte zeigen müsse und nicht jedes Wort auf die Goldwaage gelegt werden dürfe. Einen Eindruck bei ihrem Wiedersehen bekräftigen die meisten von Wiedekings Ex-Paukern und Schulkameraden: Seine konservative Grundhaltung habe der brave Beckumer Bube und Schüler von einst bis heute nicht verloren. Seine Heimattreue beweist der fix flügge gewordene Sohn der Stadt auch dadurch, dass er über die Jahrzehnte hinweg bis zur Gegenwart Kontakt zu seinen Schulfreuden des F-Zweigs hält. Wiedeking ist nach Möglichkeit dabei, wenn sich der Abiturjahrgang von 1972 trifft. Denn gut ein Dutzend der Mitschülerinnen und Mitschüler vom damaligen Aufbauzug kommt einmal jährlich an einem Wochenende im Mai/Juni zusammen. Organisator der
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Abi-Ausflüge ist der ehemalige, inzwischen pensionierte Klassenlehrer Tillmann. Ort der Oldieparty ist längst nicht mehr nur Beckum. Die Zusammenkunft der intakten Gemeinschaft findet nunmehr auch irgendwo in Deutschland statt, wo ein F-Zweigler Karriere macht. So traf sich das treue Dutzend des Jahrgangs schon mal in Berlin, Dessau, Weimar oder Prag. Ihr 30. AbiJubiläum feierte der 72er Jahrgang 2002 bei einem Schulfreund in Dresden. Und im Frühsommer 1996 lud auch Wendel seine Klassenkameraden zu sich nach Hause ins Schwäbische zur feucht-fröhlichen Party ein. Es war »eine laue Sommernacht auf dem Balkon und im Garten«, erzählen sich die westfälischen Freunde. »Eine respektable Fassbieranlage war aufgebaut worden, die bis zum frühen Morgen bis auf den letzten Tropfen geleert wurde.« Bei den Jahrgangstreffen unter den Ehemaligen aus Beckum gebe sich Wiedeking »ganz natürlich«. Er hält ordentlich beim Bier und Schnaps mit den Jungs und Mädels von damals mit, pafft mächtig Zigarren – und manchmal geht es bis zum Umkippen. Seit der Manager jedoch die Pfingstferien für seinen Urlaub nutzt, »schwänzt« er die Klassenparty wegen Terminüberschneidung häufiger.
Aufbruch nach Aachen Die atemberaubende Karriere des Wendelin Wiedeking sah vor gut drei Jahrzehnten nach dem Ende der Schulzeit niemand voraus, weder ein Lehrer, noch ein Klassenkamerad vom F-Zweig. Nur der frisch gebackene Abiturient wusste schnell, wohin er streben sollte. Genügend Willensstärke zum Geldverdienen besaß Wendel damals schon. Nach dem Abi erst eine Zeit lang durchhängen, sich auf die faule Haut legen, soviel Muße ist für den jungen Mann nicht drin. Schließlich hat er dafür von zu Hause kein Geld zu erwarten. Die so genannte Studentenrevolte Ende der sechziger Jahre, für die Wendelin noch zu jung ist, Flower-Power oder verführerische Drogen rauschen an ihm ziemlich spurlos vorbei. Er gönnt sich nur eine kurze Pause. Den jungen Mann aus Beckum zieht es an die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule (RWTH) in Aachen. Dort schreibt er sich für das Wintersemester 1972/73 im Fach Maschinenbau als Student ein – wohl wissend, dass ein Studium in der Kaiserstadt »sehr schwierig« sein würde. Denn die durchschnittliche Studiendauer an dieser Universität ist länger als anderswo. Wer in Naturwissenschaften begabt ist, geht als Nordrhein-Westfale nach Aachen, sagt sich der bastelfreudige Abiturient. Schließlich hat er dafür auf dem Gymnasium genug Mathematik und Physik gebüffelt. Und für sein künftiges Ansehen und die Bewerbung später bei einem Arbeitgeber kann die harte Schule dort nur von Vorteil sein.Ein kleiner Mann will nach oben.»Die Hoch-
schule ist im Maschinenbau gut ausgestattet«, begründet Wiedeking seine Karriereplanung in den siebziger Jahren. Ein anderes Studium, etwa der Sozialoder Geisteswissenschaften, kommt für den technikbegeisterten Abiturienten ohnehin nicht infrage. Die zu jener Zeit als »politisch links« verschriene Universität Münster oder weniger renommierte Fachhochschulen aus der engeren Umgebung wie Paderborn oder Dortmund schieden deshalb als Alternativen für einen Studienplatz bald aus. Ähnliches gilt für weiter entfernte Studienorte wie Hannover, Berlin oder Darmstadt. Wiedekings Entscheidung für Aachen ergibt ein Optimum aus geeignetem Studienfach und imageträchtiger Adresse, dazu nicht allzu weit von Beckum entfernt. Bereut hat der Manager seine wohlkalkulierte Entscheidung nie, wie er gut 30 Jahre später der Hochschulzeitung in einem Interview bekräftigt (Alumni Persönlich, RWTH Aachen am 20. 11. 2002): »Für einen jungen Mann wie mich mit einer engen Bindung an die Heimatregion war es einleuchtend, dass ich nicht allzu weit von zu Hause entfernt studieren wollte. Die Entfernung zwischen daheim und Aachen beträgt 200 Kilometer – genug, um sich unabhängig zu fühlen, genau richtig, um übers Wochenende nach Hause zu fahren, wenn es gewünscht ist. Ein anderer Faktor ist, dass die Hochschule in Aachen für eine ausgezeichnete Ausbildung auf dem Gebiet des Maschinenbaus und der Wirtschaft bekannt war. Von daher waren die Voraussetzungen für mich perfekt.« Also werden im Spätsommer 1972 die Koffer gepackt und es geht – am Ende für elf Jahre – ab nach Aachen. Den Wohnsitz in Beckum behält er bei. Und seine Freundin Ruth folgt wie selbstverständlich ihrem Wendel ins neue Glück. Allerdings, so völlig ins Ungewisse zieht das Pärchen nicht von dannen. Sie müssen ja irgendwie für ihren Lebensunterhalt sorgen. Bereits im Juni 1972, Wiedeking hat erst seit wenigen Tagen sein Reifezeugnis in der Tasche, heuert er schon als Praktikant in einer Maschinenbaufirma an. Das bringt ein wenig Geld, vor allem jedoch praktische Erfahrungen fürs Studium. Aber für eine ausreichende finanzielle Basis brauchen sie ein langfristig tragfähiges Konzept. Ruth und Wendelin nehmen daher in ihrem Gepäck nach Aachen einen kühnen Plan mit, den sie schon daheim durchdacht haben. Sie wollen sich nämlich auf dem Gebiet der Wohnungsvermittlung und -verwaltung versuchen, um Geld nebenher zu verdienen. Ein ungewöhnlicher Gedanke für ihr Alter. Ein eigenes Gewerbe aufzuziehen bedeutet für die jungen Leute, statt sich mit Kommilitonen in der Kneipe unbekümmert zu vergnügen und auf Reisen die Welt zu entdecken, neben dem schwierigen Studium noch zu schuften. Doch nebeneinander arbeiten und lernen war für den gestrengen großen Bruder aus Beckum ja eher der Normalfall. Wiedeking bleibt also an seinem Studienort seiner Tugend treu.
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Aachen: Arbeit, Studium, Promotion Die Aachener mögen heute »ihren Wiedeking«. Nachdem sie den ehemaligen Studiosus aus Beckum gut zwei Jahrzehnte nicht zur Kenntnis genommen hatten, überhäufen sie den international bekannt gewordenen Automanager nun mit einer Ehrung nach der anderen. Zuerst kommen 1995 zarte Angebote von der Technischen Hochschule an ihren ehemaligen Studenten, wissenschaftlichen Mitarbeiter und Doktoranden, doch mal der Studentengeneration von heute und dem hiesigen Publikum seine Erfolgsstory nahe zu bringen. Im Oktober 1997 hält Wiedeking vor 700 Zuhörern einen beachteten Vortrag im großen Aachener Kármán-Auditorium: »Eine besondere, eine äußerst emotionale Angelegenheit …«, unterstreicht die Aachener Zeitung (9. 10. 1997). Er habe von »seinem Produkt und von den Zukunftschancen junger Ingenieure« gesprochen und sei dabei »elegant von Superlativ zu Superlativ« gehüpft. Selbstbewusst macht der einstige TH-Absolvent von 1978 seine Firmenstrategie gegen die Großen zum Thema, geschickt wirbt er für sein Einführungskonzept für den Porsche-Boxster und lobt ausdrücklich deutsche Ingenieure. Anwesenden Studenten habe der Porsche-Chef sogar geraten: »Sie können sich bei uns bewerben … Doch – wir nehmen nur die Besten!« Auch die örtliche Sparkasse entdeckt den in Süddeutschland zu Ehren gekommenen Ex-Aachener als Festredner für ihr Renommee und ihr Publikum. Den Knaller jedoch und damit den Durchbruch zur absoluten Popularität in Aachen liefern ausgerechnet die Jecken der Stadt dem Automanager. Der Karnevalsverein schlägt ihn, begleitet von monatelangem Medienrummel, zum 53. Ritter »Wider den tierischen Ernst« vor, als ersten Manager überhaupt. Neben diesem Spektakel geht die Information beinahe unter, dass Wiedeking fast zeitgleich im Wintersemester 2002/03 an seiner ehemaligen Fakultät eine Vorlesung im Rahmen eines Lehrauftrags an der RWTH hält. Dabei führt er Studenten der Ingenieur- und Wirtschaftswissenschaften im Rahmen der Reihe »Innovationsmanagement« in seine Erfolgsgeheimnisse ein. »Eine Honorar-Professur ist bald unvermeidlich« frotzelt ein Beobachter. Und möglicherweise lässt sich die Kommune weitere Huldigungen für den berühmt gewordenen Absolventen einfallen. Immerhin verbrachte er hier elf wichtige Jahre seines Lebens. Wird Wendelin Wiedeking seinerseits auf die Grenzstadt angesprochen, beginnt er sogleich zu schwärmen: »Aachen! Eine tolle Stadt!« Obwohl er die Region im Herbst 1983 als frisch gebackener Dr.-Ing. gen Süden verließ, kommt sie ihm bei seinen Besuchen wie eine zweite Heimat vor. Sein Herz
hängt noch immer an »seiner« Hochschule, an der urbanen Altstadt mit dem stattlichen Dom, am friedlichen Zusammenleben von Studenten und Bevölkerung. Hier, in dieser traditionsreichen europäischen Grenzregion von Deutschland, Belgien und den Niederlanden, erlebte der einstige Studiosus und Gewerbetreibende aus Beckum seine fruchtbarste Zeit. In der rund 220 Kilometer von der Heimat entfernten Residenz Karls des Großen findet auch ein Stück weit die Befreiung von den Fesseln der Familie statt. Wiedeking und seine Partnerin Ruth können sich in der Großstadt besser entfalten. Es läuft im Rückblick auf die eigene Geschichte alles nach Plan. Immerhin heirateten die beiden während der Zeit in Aachen 1977, Wiedeking war 25 Jahre alt. Und die Lernziele wurden glatt erreicht. »Ich habe gern Maschinenbau studiert«, sagt der Ingenieur heute an die junge Generation gewandt und spricht doch im gleichen Atemzug von einer »harten Schule«. Einen Abschluss an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule betrachtet er weiterhin als besonderes Gütesiegel. Doch das Marketing der Universität gefällt dem heutigen Manager nicht, und er empfiehlt: »Die RWTH könnte noch viel besser für sich werben. Allein beim Blick ins Ehemaligenverzeichnis findet man aus jedem namhaften Unternehmen einen Vertreter. Diese Quote muss man vermarkten.«
»Nur einen einzigen Urlaub« Damals in Aachen wird Wiedeking zum Kämpfer: Student, Kellner und Makler in einem. Sein fast sechsjähriges, anspruchsvolles Studium von Herbst 1972 bis Frühjahr 1978 finanziert er »grundsätzlich durch Arbeit« – ein hartes Stück Brot für den Beckumer. Denn Nebenjobs – »Ich habe als Student gekellnert« (Stuttgarter Nachrichten, 20. 11. 2000) – sowie Praktikantentätigkeiten in verschiedenen Maschinenfabriken (bis April 1974) verschlingen Kraft und Zeit. Und dann ist da ja noch der ehrgeizige Plan aus Beckum, ins Makler- und Hausverwaltergewerbe einzusteigen, der auch verwirklicht werden will. Bei dieser Aufgabe wie später beim Betrieb des Gewerbes arbeitet Ruth kräftig mit. Die beiden wohnen zeitweise im Nachbarort Herzogenrath, der recht nahe zur Hochschule liegt und damals noch eigenständig war. Zum Durchhängen in Aachens Szene, für Müßiggang in der Hippie-Kultur oder für Selbstfindungstrips mit und ohne Drogen bleibt bei diesem Fleißpensum kein Raum.»Bei so einem Quatsch haben die Maschinenbauer nicht mitgemacht«, wehrt Wiedeking in der Aachener Zeitung (11. 2. 2003) bohrende Fragen ab. Die Vorzüge des Studentenlebens genießt er in seiner spärlichen Freizeit lieber mal in einem Jazz-Keller. Zuweilen entspannt er sich in einer etablierten
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Studentenkneipe in der Innenstadt oder besucht einfach ein normales bürgerliches Lokal wie den Goldenen Schwan. So steht Wiedeking gelegentlich an der Theke im Postwagen oder nebenan im Apfelbaum, zwei Restaurants am Marktplatz, und verbringt dort hin und wieder feucht-fröhliche Nächte. Auch im Leierkasten, einer urigen, verrauchten Kneipe, schaut der Studiosus bei Gelegenheit gern vorbei. »Natürlich haben wir unser Bier im Postwagen getrunken, auch zwei oder drei. Aber ansonsten wurde gearbeitet, anders hatte man keine Chance, den nächsten Schein zu kriegen«, erzählt der Manager der Aachener Zeitung (11. 2. 2003). Und er erinnert sich, bis zum Diplom nur »einen einzigen Urlaub« gemacht zu haben. So stramm also zieht Wiedeking sein Maschinenbau-Studium durch – mit gutem Erfolg. Im März 1978 wird er als Diplomingenieur der Fachrichtung Fertigungstechnik graduiert. Wieder, wie schon nach der Realschule in Beckum möchte jetzt auch der frisch gebackene Akademiker höher hinaus: Wiedeking will in seinem Fach an der TH Aachen promovieren. Für sein Ziel findet der Ehrgeizige im damaligen Inhaber des Lehrstuhls für Werkzeugmaschinen, Professor Dr. Manfred Weck, problemlos einen hilfreichen Doktorvater. Der angesehene Wissenschaftler kennt den strebsamen Westfalen schon seit längerem. Denn bereits seit November 1976 ist der gelehrige Studiosus als Hilfsassistent in seinem Laboratorium für Werkzeugmaschinen und Betriebslehre der RheinischWestfälischen Technischen Hochschule Aachen mit organisatorischen Dingen beschäftigt. So bereitet es dem Professor keine Kopfschmerzen, seinen ehemaligen Studenten und Hiwi nahtlos als wissenschaftlichen Mitarbeiter in sein Institut auf- und als Doktorand unter seine Fittiche zu nehmen. In Wecks Labor forscht der 25-Jährige nun vorwiegend an Projekten zur Verbesserung von Maschinen und verfolgt zugleich das Ziel, den Doktorgrad zu erlangen. Doch Wiedeking wäre nicht der strebsame junge Mann aus Beckum, wenn er nicht schon bald die nächste Etappe ins Visier genommen hätte: einen lukrativen Posten in der Industrie als »Dr. Wiedeking«. Die Voraussetzungen für die Lebensplanung sind in Wecks Laboratorium ideal. Das Institut ist eine regelrechte »Dr.-Ing.-Fabrik«. Es besitzt weit über die Grenzen Aachens und Deutschlands hinaus den Ruf, ein Karrieresprungbrett ersten Ranges zu sein. Die mal als WZL (Werkzeugmaschinenlabor) abgekürzte, mal ausführlich als Laboratorium für Werkzeugmaschinen und Betriebslehre bezeichnete Forschungsstelle zählt zu den größten Universitätsinstituten der Welt im Maschinenbau. Ältere Semester gebrauchen noch heute den Namen Opitz-Institut. 1906 von der Hochschule in Aachen gegründet, gelangte die Einrichtung unter dem renommierten Wissenschaftler Herwart Opitz, der das Laboratorium von 1937 bis 1973 führte, zu welt-
weitem Ansehen. Bei dessen Ausscheiden beschäftigte das Institut bereits 370 Mitarbeiter. Heute sind am WZL 610 Menschen tätig, davon 160 Wissenschaftler, die wie einst Wiedeking zumeist promovieren wollen und in die Lehre einbezogen sind. Denn die Hauptaufgabe ist nach wie vor die Ausbildung der Studenten im Bereich Produktionstechnik – und deren Förderung ins und im Berufsleben. Die Bilanz des WZL als Karriereschmiede kann sich sehen lassen: Von den dort in den vergangenen Jahrzehnten promovierten rund 1 100 Ingenieuren stieg nach groben Schätzungen bis heute fast jeder Dritte in ein Führungsgremium (Vorstand, Geschäftsführung) bei teilweise namhaften Unternehmen auf. Der Porsche-Chef ist einer der erfolgreichsten Ehemaligen aus dieser Riege. Zu den Praktikern kommen etwa 100 Professoren weltweit hinzu. Hinter dem Aachener Laboratorium steckt eine regelrechte Seilschaft Ehemaliger (Alumni), die das Maschinenbauinstitut und seine Wissenschaftler bis heute mit Sympathie und Aufträgen fördern. Auch Wiedeking hält Verbindung zu seiner wissenschaftlichen Wiege, schon wegen der »personellen wie geschäftlichen Aspekte«. Er kommt regelmäßig zu Kolloquien und Vorträgen und besucht Alumni-Treffen. Bei solchen Anlässen lernen sich Alt und Jung kennen. Dabei kann Wiedeking locker im Pullover im Kreis ehemaliger Kommilitonen sitzen – so wie früher. Zu seinen Professoren und Studienkameraden hält der Manager bis heute Kontakt. Wiedeking im Alumni-Informationsorgan des RWTH: »Während des Studiums haben sich einige gute Freundschaften entwickelt, die bis heute Bestand haben. Auch bei Branchenveranstaltungen bei den Zulieferunternehmen von Porsche treffe ich hin und wieder auf ehemalige Studienkollegen.« (keep in touch, Juni 2002).
Doktorarbeit mit Praxisbezug Parallel zu seiner wissenschaftlichen Arbeit und der Tätigkeit im Maklergewerbe verfasst Wiedeking seine Dissertation. Das 121 Seiten starke, etwa DIN-A-5-große Werk behandelt das Thema »Geräuschanalyse und Geräuschminderung an Einzelhub-Exzenterschneidpressen«. Es geht darum, die gebräuchlichsten Werkzeugmaschinen leiser und damit für die Menschen sicherer zu machen. Dieses Umweltthema war damals aktuell, und ein bisschen klingt auch Sozialkritik an. Gesetzgeber wie Gewerkschaften forderten deutlich niedrigere Geräuschemissionswerte für Maschinen, sodass die Hersteller im Interesse ihrer Kunden handeln mussten. »Diese verstärkten Aktivitäten auf dem Lärmsektor hängen direkt mit der besorgniserregenden Höhe angezeigter und entschädigter Fälle von Lärmschwerhörigkeit zusammen«,
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begründet Wiedeking die Problemstellung seiner Arbeit und verweist auf die statistisch belegbare Lärmschwerhörigkeit durch Lärmbelastung am Arbeitsplatz. Seine Dissertation befasst sich schwerpunktmäßig mit der Umformtechnik, konkret mit einer möglichen Umgestaltung der Konstruktion von Schneidepressen. Untermauert werden die Thesen durch »experimentelle und praktische Erprobung geräuschmindernder Maßnahmen«. Wiedekings Untersuchung beleuchtet einen wesentlichen Teil moderner Fertigungstechnik, ein Gebiet also, auf dem der spätere Porsche-Manager sein Theoriewissen in der Praxis erproben sollte. Wissenschaftler Wiedeking kommt zu dem positiven Ergebnis, dass seine aufgezeichneten Lärmminderungsmaßnahmen die Möglichkeit bieten, »Einzelhub-Exzenterschneidpressen unter wirtschaftlich vertretbarem Aufwand … leiser zu gestalten.« Doktoranden, die so betriebsbezogen forschen und arbeiten, brauchen kaum um ihre berufliche Zukunft zu fürchten. Sie können sogar – damals wie heute – unter guten Angeboten auswählen. Die besten Jobs in Unternehmen und Behörden sind meistens schon verteilt, bevor der Doktorhut auf dem Kopf sitzt. »Wer beim WZL tätig ist, hat beste Chancen, vor seiner Promotion eine gute Arbeitsstelle zu bekommen«, bestätigt ein Sprecher des Instituts. Aufgrund der Forschungskooperationen mit der Industrie, die 75 Prozent des Budgets ausmachen, stehen die Wissenschaftler in ständigem Kontakt mit Unternehmen. Und die Industrie wählt gern beim Laboratorium Leute für eine künftige Maschinenbauelite aus. Wichtige Kunden der Aachener Kaderschmiede kommen aus dem Fahrzeugbau, darunter sehr viele aus dem süddeutschen Raum. So pflegt auch Doktorand Wiedeking beim WZL den direkten Draht zur betrieblichen Praxis. Und durch sein Spezialgebiet – Untersuchungen des Geräusch- und Schwingungsverhaltens und dessen Verbesserung bei Werkzeugmaschinen – entstehen automatisch enge Verbindungen zu den mittelständischen Werkzeugbauern und deren Kunden in der Autoindustrie in Südwestdeutschland. Auf diese Weise kommt der Westfale laufend mit den leitenden Ingenieuren in diesen Betrieben ins Gespräch. Der Koreferent zu Wiedekings Dissertation, Professor Dr. W. Panknin, ist zum Beispiel gleichzeitig einer der Geschäftsführer der Firma Schuler-Pressen im württembergischen Göppingen. So persönliche Kontakte ergeben das ideale Sprungbrett in den Beruf. Diese Chance ergreift Wiedeking. Auch er profitiert vom weit gespannten Netzwerk ehemaliger Maschinenbau-Absolventen an seinem Institut. Sein Ziel liegt, den Kraftfeldern im Auto- und Maschinenbau entsprechend, südlich der Mainlinie. Ohne große Schwierigkeiten findet er eine vielversprechende Anstellung. Und als der wissenschaftliche Absolvent aus Aachen nach
über fünf WZL-Jahren am 16. Dezember 1983 die mündliche Prüfung bei seinen Professoren ablegt und die Promotion mit dem Prädikat »summa cum laude« abschließt, da hat er schon seit Wochen einen festen Anstellungsvertrag als »Referent des Vorstandsbereiches Produktion und Materialwirtschaft« der Firma Porsche, Stuttgart, in der Tasche; Arbeitsbeginn war bereits am 1. Oktober 1983.
Von Aachen nach Stuttgart Der erste Mentor Wiedekings bei Porsche ist an der Aachener »Dr.-Ing.Fabrik« kein Unbekannter: Professor Dr. Rudi Noppen, im Hauptberuf Produktionschef im Vorstand von Porsche und im Nebenamt Lehrkraft im Fach Fertigungstechnik an der RWTH. Der Manager, der vom Niederrhein stammt, hatte nämlich auch in Aachen studiert und 1973 – ein Jahrzehnt vor Wiedeking – just am selben Laboratorium für Werkzeugmaschinen und Betriebslehre promoviert, vermutlich gerade noch in der Ära des legendären Herwart Opitz. Manager Noppen hielt ständig Kontakt zum neuen Institutsleiter Weck. Als etablierter WZL-Ehemaliger und Kollege ließ er sich vom Professor laufend über den Stand des Nachwuchses und mögliche Prädikatsabsolventen am Institut informieren. Noppen testete schon vor Wiedeking regelmäßig Empfehlungen der Fakultät Maschinenbau. Diplomanden und Doktoranden aus Aachen waren und sind bei Porsche keine Seltenheit. Daher ist es kaum ein Zufall, dass der Automanager über Weck 1983 auf den ambitionierten Nachwuchsmann Wiedeking stößt. Dieser stand ja kurz vor dem Abschluss seiner Dissertation, war also reif für die Praxis. Dem zupackenden Westfalen ging unter den Wissenschaftlern der Ruf voraus, sich durchsetzen und auch noch mit Geld umgehen zu können. Das ist eine seltene Kombination, die ihn auch für den schwäbischen Autobauer empfehlen sollte. Noppen hat selbst erst im Januar 1983 vom Maschinen- und Anlagenbauer KHD in Köln (unter Schutz) zu Porsche ins Ressort Produktion und Materialwirtschaft gewechselt. Jetzt braucht er dringend eine durchsetzungsfähige Kraft für den Planungsstab. Sinngemäß erkundigt sich der Niederrheiner beim Doktorvater Wiedekings: »Können Sie für mich einen managementmäßig kräftigen Absolventen aus der Promotion heraus für Porsche abstellen?« Der WZL-Wissenschaftler kann! Weck präsentiert als seinen Wunschkandidaten Wiedeking, den Hoffnungsträger. Noppen folgt dem Rat des Kollegen, denn auch ihm ist der junge Mann bereits aufgefallen. Noppen lädt den Doktoranden zu Porsche nach Stuttgart ein. Dieser wunderbare LockAnruf führt den Nordrhein-Westfalen direkt nach Zuffenhausen. Mit dem
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Sportwagenhersteller hatte Wiedeking vorher geschäftlich nichts zu tun. Aber der Eliteabsolvent aus Aachen schwärmt in den höchsten Tönen von der Marke – gerade bei seinem Vorstellungsgespräch. Diese Emotionen für Porsche speziell und seine Affinität zu Autos im Allgemeinen beeindrucken Noppen stark. Nachdem der erste Fragenkatalog mit den üblichen Themen wie Tätigkeit, Gehalt und so weiter für beide Seiten positiv abgehakt ist, eröffnet Wiedeking die zweite Runde mit der überraschenden Frage: »Bekomme ich als Angestellter auch einen Dienstwagen, der Porsche heißt?« Leicht verdutzt antwortet der Produktionschef: »Ja, sicher!« Jetzt sind sich beide einig. Noppen schließt aus dieser Statusfrage, dass der Bewerber ein Autoliebhaber sein müsse. Damit ist er nicht allein, für viele Bewerber ist ein Porsche als Dienstwagen ein Grund, dort anzuheuern. Wiedeking wird schon zum 1. Oktober 1983 bei dem Sportwagenbauer eingestellt – und bleibt hier zunächst für fünf Jahre. Der Doktorand aus Aachen ist über die Anstellung, seine erste feste berufliche Station außerhalb der Hochschule, überglücklich. »Für einen technikbegeisterten Autonarren, wie ich einer bin, war es die Erfüllung eines Traums, aber für einen Hochschulabsolventen auch eine enorme Herausforderung. Zwar hatte ich schon während meines Studiums erste unternehmerische Erfahrungen als Gründer einer Immobilienfirma gesammelt. Aber Porsche, das hatte natürlich eine ganz andere Dimension«, schildert seinen ersten Eindruck (keep in touch, Juni 2002). Und weil er ja noch das Fahrzeug als Dienstwagen dazubekommt, sagt er sich, »also wirklich, es gibt Schlimmeres«. Noch im selben Jahr zieht er nach Stuttgart um. Für diesen Schritt wird er ewig dankbar sein. Denn in seiner ersten Zeit hat der Theoretiker Wiedeking im beruflichen Alltag »viel dazugelernt, vor allem über die praktischen Abläufe in einem Unternehmen«.
Nebentätigkeit: Makeln und Firmen gründen Der Wechsel nach Stuttgart verläuft zügig, und das Ehepaar Wiedeking sucht sich noch im Herbst 1983 eine Bleibe in der neuen Wahlheimat in Württemberg. Es ist für die kleine Familie ein totaler Neubeginn. Während sie sich hier eine neue Existenz aufbauen, müssen sie in Aachen beziehungsweise verstärkt in Beckum gleichzeitig für Ordnung sorgen. Und das betrifft vor allem ihr kleines, einträgliches »Schattenimperium«, das sie in gut einem Jahrzehnt mühsam neben den übrigen Aktivitäten hochgezogen hatten: das Immobi-
lien- und Vermittlungsgeschäft. Es floriert 1983/84 so gut, dass sie den Betrieb vollends in ihre ursprüngliche Heimat nach Beckum verlagern und Firmen mit einer eigenen Rechtsform (OHG, KG, GmbH) gründen. Auf dieser Basis können sich heute die Brüder Wiedeking als respektable Bauträger betätigen. Die schwierige Aufbauarbeit dafür haben Wendelin Wiedeking, der Ehrgeizige, und seine treue Partnerin Ruth geleistet. Sie hatte nach der Realschule in einer Beckumer Anwalts- und Notariatskanzlei das Immobiliengewerbe kennen gelernt.
Der Jugendtraum: Millionär mit 30 Die Marktbedingungen waren in den siebziger Jahren völlig andere als heute. Bis in die achtziger Jahre herrschte in Deutschland, besonders in Ballungsgebieten, Wohnungsnot. Die Bautätigkeit war daher wesentlich reger. Damals »war noch mehr los«, beschreibt ein Aachener Makler die Lage. »In der Hochkonjunktur konnte man noch gut Geld verdienen.« In dieser Situation, vermutet das Pärchen aus Beckum, muss doch auch für sie Geld mit Immobilien und Versicherungen zu machen sein. Nennenswertes Gründungskapital und spezifisches Fachwissen sind Ruth und Wendel kaum vonnöten. Schnell zu einem Vermögen zu kommen, dieser Traum steht Wiedeking ja schon seit seiner frühen Jugend vor Augen. In seiner Zeit als Abiturient fasziniert den Schüler der Gedanke an Selbstständigkeit und unternehmerische Unabhängigkeit immer mehr. Geld zu verdienen, viel Geld, das ist für den jungen Mann aus der Provinz bald ein erstrebenswertes Ziel. Im zarten Alter von 15 – zu der Zeit, als sein Vater starb – nahm sich der Beckumer vor, im Alter von 30 Jahren schon eine Million (Mark) zu besitzen. »Ich hatte von zu Hause aus nichts, und ohne Ziel erreicht man nichts«, erklärt Wiedeking seinen Jugendtraum in mehreren Interviews. »Nur« zu studieren und zu promovieren scheint dem aufstrebenden Westfalen in Aachen zu wenig, vergeudete Zeit. Studium und Job gemeinsam durchziehen, das ist seine Welt. Also gründen die Zugereisten zwei Betriebe, eine Bauträgerfirma und eine Versicherungsagentur, die heute seine beiden jüngeren Brüder fortführen. Häufig pendeln Wiedeking und seine Partnerin die 220 Kilometer zwischen Aachen und Beckum hin und her. Nicht nur, um die Familien und Freunde zu besuchen, sondern auch, um das eigene Gewerbe zu betreiben. Sie bauen das Makler-, Immobilien- und Finanzgeschäft systematisch von Aachen aus auf. Immobilien werden vermakelt, vermietet, verwaltet und bei Finanzierungen, Versicherungen, wird den Kunden geholfen. Spuren des Gewerbes aus den Anfangsjahren sind allerdings nicht vorhanden. In den
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Behördenunterlagen ist offiziell nichts zu finden. Und über den Auslöser für Wiedekings Unternehmen gibt es verschiedene Versionen. Freunde aus Beckum glauben sich daran zu erinnern, dass Wendel bereits als Abiturient seine ersten Ideen vom Immobilien- und Maklergeschäft entwickelt haben muss. Er selbst beschreibt die Firmengründung eher als Resultat eines zufälligen Erlebnisses. Der Presse schildert Wiedeking, dass er das Maklergeschäft spontan für sich entdeckt habe. Der Groschen sei bei ihm gefallen, als er sich im Raum Aachen als Student einquartieren und für die Vermittlung seiner Behausung eine saftige Maklergebühr berappen musste. In verschiedenen Interviews (z. B. keep in touch, Juni 2002) gibt Wiedeking die Begebenheit etwa so wieder: »Ich befand mich auf der Suche nach einer neuen Studentenbude. Bei einem Besichtigungstermin kam die zuständige Maklerin mit einem nagelneuen BMW vorgefahren. Und mir kam der Gedanke, dass ich dieser Dame über die fällig werdende Provision womöglich nun auch noch einen Satz neuer Reifen finanzieren werde. Wohnungen vermitteln – das kann ich auch, dachte ich mir. Und es dauerte nicht lange, da war ich gut drin im Aachener Immobiliengeschäft.« Mit diesem Gewerbe hätten er und seine Partnerin ein kleines Vermögen verdient. Über die wahre Höhe der Einnahmen in der Aachener Zeit jedoch gehen die Angaben auseinander. Dazu Wiedeking, sinngemäß aus diversen Pressegesprächen: »Ich war so erfolgreich, dass ich mir einen gebrauchten Mercedes leisten konnte. Für einen Studenten zu jener Zeit, der nicht von seinen Eltern unterstützt wurde, war das nicht selbstverständlich.« In anderen Veröffentlichungen (z. B. Stern, 14/2000) wird Wiedeking sogar deutlich reicher dargestellt: Er sei noch Student gewesen, erfahren die Leser, da habe er sich schon eine Eigentumswohnung und einen Mercedes 230 C leisten können. »Aber einen nagelneuen – war in Ordnung, war in Ordnung«, wird Wiedeking zitiert. Und nebenbei habe er seine jüngeren Brüder mit Jobs in seinen Firmen versorgt. Trotz der unterschiedlichen Darstellungen scheint doch festzustehen, dass der strikte Wille zum Geld Wiedeking zum Erfolg verhalf. Der angehende Ingenieur und seine Frau hatten kaufmännisches Gespür und ein gutes Händchen für Geschäfte. Im Interview mit der Hochschulzeitung der RWTH Aachen (20. 11. 2002) bestätigt der Manager die Vermutung: »Das ist gewiss wahr. Ich habe immer versucht, genügend Geld zu verdienen, um unabhängig zu sein – je nach Lage der Dinge. Aber ich habe auch immer die Chancen dafür gesehen, die Verantwortung für die Entwicklung einer Firma im Falle einer sehr attraktiven Herausforderung zu übernehmen …« Ein Schulkamerad aus Beckum, der ihn in Aachen besuchte, bestätigt, dass Wiedeking dort neben seinem Studium ein Immobiliengeschäft betrieben habe, zusammen
mit seiner Partnerin Ruth, »die den Laden mit aufgebaut hat«. Offiziell sei alles über seine Frau gelaufen. Doch ein Eintrag unter dem Namen seiner Frau bei der IHK-Gewerbekartei ist für die ersten Jahre nicht zu finden. Als jener Freund Wendelin Wiedeking einmal an der Universität trifft, erwähnt Wendel stolz seinen neuen Mercedes Coupé 123 [in Interviews wird ein 230 C erwähnt; der Autor], den er durch sein Maklergeschäft verdient habe. Der Schulkamerad jedenfalls gewann den Eindruck, dass sich die Wiedekings ein echtes Standbein aufgebaut hatten, von dem sie prima leben konnten. Der Nebenerwerb läuft offenbar so gut, dass ihn die Eheleute am Ende der Zeit in Aachen nicht aufgeben wollen, sondern Zug um Zug nach Beckum verlagern. Als Wiedeking im Herbst 1983 zu Porsche in Stuttgart wechselt, ist das Unternehmenskonzept praktisch fix und fertig, um als eigenständige Existenzgrundlage auf seine Brüder in Beckum übergehen zu können. Ob der Studiosus und Doktorand allerdings so nebenher bis zum Alter von 30 Jahren – da begann er gerade bei Porsche – wirklich schon zum Millionär wurde, wovon er als Jugendlicher geträumt hatte, dazu äußert sich der Selfmademan freilich recht ungenau und lässt Spielraum für Interpretationen. In einigen Interviews antwortet er auf die Frage, »mit 30 Millionär?« mit »Ja«, aber er gibt nie Auskunft darüber, wie er das neben Studium und Promotion mit seiner Immobilienfirma geschafft haben will. Als Erfolgsrezept verweist er allgemein darauf, dass es »nur mit Arbeit und Disziplin« funktionieren könne.
Der unbekannte Makler Wer im Geschäft mit den vier Wänden so viel Geld in so relativ kurzer Zeit verdient, müsste irgendwie auffallen. Doch in der Branche der Wohnungsvermittler und Immobilienhändler, bei Verbänden und Kammern im Raum Aachen hinterlassen die Wiedekings kaum Spuren. Bei der IHK Region Aachen, Gewerbeeintragungen, findet sich lediglich eine erste Eintragung Wiedekings als Kleingewerbetreibender vom Juli 1978. Darin werden als Gegenstand »Versicherungsvertretungen« (Finanzdienstleistung) sowie die »Verwaltung von Immobilien« genannt. In dieser Zeit, genau seit April 1978, ist Wiedeking als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Laboratorium für Werkzeugmaschinen und Betriebslehre (WZL), dem Institut von Professor Weck, angestellt. Sein Studium hatte er im März abgeschlossen. Doch was hat er nebenher von 1972 bis 1978 als Student gemacht? Eine Eintragung als Firma im Handelsregister der Stadt oder Region Aachen ist ebenfalls nicht auffindbar. Festzustehen scheint nur, dass er bei seiner ersten Anstellung Haupt- und Nebenberuf klar voneinander trennen wollte. Denn ein Gewerbe ist steuer-
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pflichtig, sobald es genügend abwirft. Die Abmeldung des Gewerbes erfolgt bereits zum Dezember 1982, also in jener Phase, als Wiedeking den Abschluss seiner Doktorarbeit absehen kann. Und gleich anschließend, am 1. Januar 1983 meldet Wiedeking in Beckum eine offene Handelsgesellschaft (OHG) an, deren Geschäftsinhaber und persönlich haftender Gesellschafter er wird. Der Maklerszene in Aachen sind die Wiedekings als Berufskollegen indes total unbekannt. Selbst alten Hasen, die das Immobiliengeschäft seit den siebziger Jahren und länger betreiben, sagt der Name nichts. »Wiedeking als Immobilienmakler in Aachen? Das höre ich heute zum ersten Mal«, lautet eine typische Reaktion aus der Branche. Oder: »Da hat niemand von uns was gemerkt, auch nicht unter dem Namen seiner Partnerin.« Bei den großen Maklerverbänden, RDM und VDM, sind die Wiedekings in der Kaiserstadt gleichfalls No-Names und dort nie registriert worden: »Wenn es bedeutend gewesen wäre, dann hätten wir das bemerkt«, versichert ein gestandener Berufsvertreter. »In Aachen gibt es so viele Studenten, die auch mal makeln«, rätselt ein anderer Immobilienexperte herum und vermutet: »Das hat er wohl nach Gutsherrenart gemacht«, so als »Küchen-Makler« inoffiziell unter der Hand. Oder woher rührt der Widerspruch zwischen völliger Unbekanntheit unter den Berufsmaklern und Wiedekings Äußerungen, in diesem Geschäft ein Vermögen gemacht zu haben? Verdiente er das Geld eher durch Vermittlung von Finanzierungen zum Wohnungserwerb? Sicher ist, dass die Wohnungsnachfrage damals wesentlich höher war. Mit Studentenbuden alleine war allerdings schon kein riesiges Geschäft mehr zu machen. Die dicken Provisionen steckten im Vermakeln und Handeln mit Häusern, Wohnungen, Büros und ähnlichen Objekten. Stießen die Wiedekings vielleicht auf eine Goldader und zogen einige fette Fische an Land, oder lag der Schwerpunkt ihrer gewerblichen Aktivitäten in der westfälischen Heimat? Zu diesen offenen Fragen aus der Zeit in Aachen hält sich Wiedeking bedeckt. Er betont stets, dass damals die Fundamente für eine kleine Firmengruppe gelegt worden seien, die bis in die Gegenwart existiert.
Wiedeking-Immobilien Im heimischen Beckum, soviel ist sicher, zählen die Brüder Wiedeking heute zu den größten Bauträgern der Region. Sie errichten – oft auf eigenes Risiko – komplett fertige Projekte im Wohnungsbau wie im gewerblichen Bereich und vermarkten sie auch gleich. Sie betreiben jedoch kein eigenes Bauunternehmen, sondern führen Regie über Architekten, Handwerker, Baufirmen sowie die Finanzen der Kunden. »Wiedekings bauen, was kommt«, sagen die
Leute im Kreis Warendorf: Die Palette des Angebots beginnt mit schlüsselfertigen Villen für betuchte Beckumer und reicht über Mehrfamilienhäuser bis zu stattlichen Gewerbeobjekten. Sie lassen zum Beispiel in der Innenstadt altes Gemäuer abreißen oder vom Brand zerstörte Fachwerkhäuser ausbeinen und bauen darauf ein neues, größeres Geschäftshaus. Die Immobilien werden dann meist von ihnen verkauft und nach Möglichkeit auch gleich verwaltet. Wiedekings besitzen eigene Grundstücke, vermitteln Versicherungen und »irgendwie gehört noch eine Werkzeugschleiferei dazu«, meint ein Branchenkenner zu wissen. »Die sind hier immer am Bauen«, staunen die Beckumer und wundern sich: »Schon wieder wird ein Haus von Wiedeking-Immobilien gebaut …«, wenn in der Stadt trotz Baukrise wieder eine große Tafel aufgestellt wird und für ein neues Projekt und das Unternehmen wirbt. Die Hauptfirmen der Brüder heißen »GIPA Gesellschaft für industrielles Planen und Bauen« und »GIPA Wohnbau GmbH & Co.«,Beckum.So steht zum Beispiel auf einem Plakat an einer großen Baustelle direkt in Beckums City zu lesen: »GIPA/Wir bauen für Sie/Einfamilienhäuser Doppelhäuser Eigentumswohnungen/Beratung/Verkauf …« In der Firmenpräsentation wirbt die GIPA: »Seit Gründung unseres Unternehmens im Jahre 1984 beschäftigen wir uns mit allen Fragen um die langfristige, wirtschaftliche Nutzung der Immobilien.« Zum Angebot gehören neben der Immobilienbetreuung und -verwaltung auch die Finanzberatung nebst »dem qualifizierten Mahnverfahren«. Die Wiedeking-Immobilien, wie die Einheimischen die Unternehmen prägnant nennen, sind stadtbekannt. Das gilt auch für den persönlich haftenden Gesellschafter und Geschäftsführer, den Kaufmann Heinz-Josef Wiedeking. Der zweitälteste der Wiedeking-Brüder und seine Familie stehen in Beckum eher in der Öffentlichkeit als der Porsche-Chef. Heinz-Josef gilt nämlich seit Mitte der neunziger Jahre als engagiertes Ratsmitglied der CDU im Stadtrat von Beckum. Dort betätigt sich der Ratsherr auch im Bauausschuss der Stadt aktiv – was kein Nachteil fürs Immobiliengeschäft sein muss. Und in der Freizeit ist der Unionspolitiker Mitglied im örtlichen Schützenverein, was in der konservativen Kommune mindestens so viel zählt wie die neuerliche Mitgliedschaft seines Bruders Wendelin im Karnevalsverein. In Erinnerung der Einheimischen ist zudem, dass die Frau von Heinz-Josef Wiedeking 2001 die Schützenkönigin der Stadt war. Günter, der jüngste Bruder, arbeitet im Familienbetrieb als Juniorpartner und Prokurist mit. Obwohl Wendel, der Gründer, bei den Unternehmen nach außen nie auftritt, erzählen sich die Beckumer, dass er hie und da in ein Vorhaben seiner Brüder einsteigt und Geld investiert. Nur so können sie sich den Expansionsdrang der Wiedeking-Immobilien vor dem Hintergrund der Konjunkturflaute – Bau-
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und Möbelbranche am Boden,große Firmen schließen – erklären.»Bei einem Mitgesellschafter mit 8,5 Millionen Euro im Rücken [gemeint ist Wiedekings vermutetes Jahressalär bei Porsche; der Autor] funktioniert das noch«, mutmaßt ein Beckumer. Für viele hat der Manager bei den Firmen »die Hand im Spiel«, die Brüder seien nur »die Handlanger«. Doch die genauen Verhältnisse kennen die Einheimischen kaum. Ist Wendelin Wiedeking noch Gesellschafter seiner ursprünglichen Firmen? Nach Informationen des Handelsregisters in Beckum fungiert er noch immer als haftender Gesellschafter, wenn auch beschränkt auf seine Kapitaleinlage. Laut Auszug aus dem Handelsregister beim Amtsgericht Beckum (Nr. HR B 1509, HR A 1733, HR A 1765) von Ende 2002 sehen die Firmenkonstruktion und die Besitzverhältnisse bei den Wiedeking-Immobilien wie folgt aus:Das einfache Vermittlungsgeschäft wurde noch in der Aachener Zeit auf die Immobilien Wiedeking OHG, Beckum übertragen. Geschäftsinhaber und persönlich haftende Gesellschafter dieser offenen Handelsgesellschaft (Personengesellschaft) sind Dipl.-Ing. Wendelin Wiedeking, Herzogenrath (zuvor Beckum; geändert: März 1983) und Kaufmann Heinz-Josef Wiedeking, Beckum; Beginn: 1. Januar 1983. Diese offene Handelsgesellschaft stellt die Keimzelle des Wiedekingschen Gewerbes aus der Aachener Zeit dar. Das jüngere und bei weitem bedeutendere Geschäft indes läuft seit Frühjahr 1984 – Wendelin Wiedeking ist schon fest angestellt bei Porsche – über die GIPAGesellschaften. Deren Kern ist die GIPA Wohnbau GmbH & Co. KG, Beckum, also eine aus Haftungs- und Steuergründen typisch gemischte Rechtsform (GmbH & Co. KG). Dabei fungiert die GIPA Wohnbau GmbH (Beckum) mit einem Stammkapital von 25 000 Euro (Mindesteinlage) als Geschäftsinhaber und persönlich haftender Gesellschafter der Kommanditgesellschaft. Kommanditisten der zum 22. Mai 1984 eingetragenen Kommanditgesellschaft sind Dr.-Dipl.-Ing. Wendelin Wiedeking, Bietigheim-Bissingen, und Kaufmann Heinz-Josef Wiedeking, Beckum. Sie haften jeweils im Insolvenzfall nur mit der Mindesteinlage von 2 500 Euro. Die aktiv am Markt tätige Firma ist also die am 6. April 1984 ins Beckumer Handelsregister eingetragene GIPA Wohnbau GmbH. Als »Gegenstand« (Geschäftszweck) des Unternehmens werden der An- und Verkauf von Immobilien, die Vermittlung von Grundstücksgeschäften, Miet- und Pachtverträgen sowie von Geschäften ähnlicher Art angegeben. Die Firma ist zudem berechtigt, »weitere gleichartige oder ähnliche Unternehmen neu zu errichten oder bestehende zu erwerben oder sich an bestehenden zu beteiligen.« Zu den Tätigkeiten gehört auch die Errichtung von Immobilien durch beauftragte Unternehmen (Bauträger) und deren Verkauf. »Die Gesellschaft erhebt für ihre Leistungen angemessene
Entgelte.« Persönlich haftender Gesellschafter und Geschäftsführer ist der Kaufmann Heinz-Josef Wiedeking. Der jüngste Bruder, Günter Wiedeking, Beckum, erhält am 12. November 1993 Einzelprokura. Als Prokurist ist der Junior auch »zur Veräußerung und Belastung von Grundstücken ermächtigt«. Der Gesellschaftervertrag für die GmbH »ist am 3. Januar 1984 abgeschlossen und durch Beschluss der Gesellschafterversammlung vom 10. Februar 1984 hinsichtlich des Firmennamens abgeändert worden«. Es folgen einige Bestimmungen zur Regelung der Geschäftsführung und Hinweise auf die Satzung. Ähnlich ist die Konstellation bei der GIPA Gesellschaft für industrielles Planen und Bauen. Nach diesen Einträgen sind alle drei Brüder an der verflochtenen Firmengruppe mit der GIPA GmbH als Stammhaus beteiligt. Der Porsche-Chef selbst wirkt seit Frühjahr 1984 nur noch als OHG-Teilhaber und Kommanditist im Hintergrund mit. Das Tagesgeschäft für das kapitalintensive und von Konjunkturschwankungen abhängige Gewerbe überlässt er seinen beiden Brüdern. Das hält ihn freilich nicht davon ab, sein Geld über die Firmenbeteiligungen hinaus in einzelne Objekte zu stecken. Mit vereinten Kräften schafften es die drei geschäftstüchtigen Brüder,die einst in Aachen begonnene Aktivität durch alle schwierigen Fahrwasser hindurchzumanövrieren. Inzwischen sollen die Unternehmen in Westfalen so effizient sein wie Porsche in Stuttgart, lässt der Porsche-Manager in der Öffentlichkeit durchsickern. Die Wiedekings, das vermuten Beckumer längst, müssen knallharte Geschäftsleute sein.
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Exkurs: Porsche-Piëchs – Der einflussreiche Doppelclan
Aktiengesellschaft mit Familienanschluss An der gewichtigen Doppelfamilie Porsche-Piëch kommt bei der Sportwagenfirma niemand vorbei. Manager, die höhere Weihen in der Firma genießen, wissen, dass die deutsch-österreichische Autodynastie allein das Sagen in der Aktiengesellschaft hat. Denn die Porsche-Piëchs regieren über den Gesellschafterausschuss, wie der Familienrat heißt, und reden bei allen wichtigen Entscheidungen mit – oft bevor offizielle Gremien gefragt werden. Nichts geht an der Familie vorbei, weder die Entscheidung über ein neues Modell noch eine geänderte Vertriebsstrategie, weder die Standortpolitik noch wichtige Personalfragen. Ihre Macht haben Wendelin Wiedeking wie alle Mitglieder im Vorstand und auf der Ebene der Abteilungsleiter darunter zu respektieren. Die faktische Vorrangstellung des Clans gilt seit der großen Erbteilung 1972, als sich die Porsche-Piëchs selbst aus dem aktiven Tagesgeschäft verabschiedeten und es seitdem familienfremden Managern überlassen. Dieser direkte private Einfluss weniger Personen aus dem Aktionärskreis ist der gravierende Unterschied zu anonymen Kapitalgesellschaften wie DaimlerChrysler, General Motors (GM) oder ThyssenKrupp. Hier sagen Manager, also Angestellte, im Aufsichtsrat – etwa von Großbanken oder Versicherungskonzernen – anderen Managern, was sie zu tun oder zu lassen haben. Dagegen hat eine Familien-AG wie Porsche trotz ihrer Rechtsform als Aktiengesellschaft noch immer einen besonders familiären Charakter. Dieses private Element kommt im Porsche-Management zum Beispiel dadurch zum Ausdruck, dass es wesentlich vorsichtiger mit den Finanzen umgehen muss. Daher wird viel weniger Dividende an die Aktionäre ausgezahlt, als möglich wäre. So verfügt Porsche über ungewöhnlich hohe, frei verfügbare Geldreserven und hat so gut wie keine Bankschulden. Die langfristige Entwicklung des Unternehmens und der Investitionen wiegen in der Firmenpolitik wesentlich schwerer als der kurzfristige Verlauf des Aktienkurses. Wenn dann noch der eigene Familienname mit dem des Unternehmens identisch ist, so ist die Empfindlichkeit der
Inhaber, auch gegenüber der Öffentlichkeit, besonders hoch. Darauf muss das Management Rücksicht nehmen. Diese Vorsicht verhindert zum Beispiel, dass die Firmenspitze waghalsige Aufkäufe anderer Betriebe riskiert oder sich zu irgendwelchen modischen Schnellschüssen verleiten lässt.
Der Urahn Ferdinand Porsche Der familiäre Charakter Porsches entspricht der Firmentradition. Die Wurzeln reichen bis in die Pionierzeit des Automobilbaus zurück. Begonnen hatte alles Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts. Ferdinand Porsche (1875–1951), der Begründer der Industriellendynastie, tüftelte an und mit allem, was damals technisch interessant schien: Motoren, Autos, Elektrizität, Flugzeuge. Einen Durchbruch schaffte der 24-jährige österreichische Erfindergeist 1900 auf der Weltausstellung in Paris. Er brachte den Radnabenmotor, ein englisches Patent, im Zusammenspiel mit dem Vorderradantrieb zum Laufen. Porsche setzte erstmals Elektromotoren auf die Vorderräder, mit denen dann auch direkt gelenkt werden konnte. In diesem sensationellen Lohner-Porsche-Wagen steckt bereits das Prinzip des modernen Vierradantriebs. Ludwig Lohner war ein Wiener Kutschenbauer und Porsches Auftraggeber. Im gleichen Jahr begann der Dynast auch, seine eigenen Konstruktionen im Rennsport auszuprobieren. Dabei wurde er zum Rennfahrer seiner eigenen Wagen. Er wetteiferte mehrmals mit einem anderen PS-Pionier auf den Rennpisten, mit Ettore Bugatti. 1906 ging Porsche als Technischer Direktor zur Austro-Daimler AG, wo er 17 Jahre lang blieb. Bereitwillig diente er schon im Ersten Weltkrieg unter der Regie von Austro-Daimler der Kriegsmaschinerie. Für die Armee des Kaisers von Österreich baute er Flugmotoren und erfand Logistiksysteme für Truppen, Material und Geschütze. Lange nach dem Krieg interessierte sich Ferdinand Porsche für die Idee vom leichten und doch robusten, preiswerten Auto. Eine Idee, die geradewegs zum Volkswagen führen sollte. Und in der edleren Sportversion wird aus dieser Vision viel später ein »Porsche«. 1923 wechselt der streitbare Technikfreak zu Daimler nach Stuttgart. Doch hier hält es den leicht reizbaren, knorrigen Autoentwickler deutlich kürzer als geplant. Schon 1928 verlässt Porsche den inzwischen zu Daimler-Benz fusionierten Konzern wieder und kehrt nach Österreich zur Firma Steyr zurück. Als Technikchef konstruiert er dort den legendären Austria – und hat wieder Pech. Die Steyr-Werke fallen in die Hände einer Gruppe, derentwegen er sechs Jahre zuvor Austro-Daimler den Rücken gekehrt hatte. Als Ausweg wählt der brüskierte Dynast – in der wirtschaftlich schwierigsten Zeit – die Selbstständigkeit im Ausland.
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Neustart in Stuttgart Ferdinand Porsche geht zurück nach Stuttgart, wo auch Daimler-Benz residiert, und eröffnet hier am 25. April 1931 sein eigenes Konstruktionsbüro. Die Firma wird auf den Namen »Dr. Ing. h. c. F. Porsche GmbH Konstruktionen und Beratungen für Motoren- und Fahrzeugbau« ins örtliche Handelsregister eingetragen. Zu den Mitarbeitern des Gründers zählen von der ersten Stunde an treue Weggefährten wie die Konstrukteure Karl Rabe, Porsches rechte Hand, Karl Fröhlich, Josef Kales, Erwin Komenda, Josef Mickl oder Joseph Zahradnik, deren Kinder und Kindeskinder teilweise bis heute in oder für die Firma arbeiten. Selbstverständlich gehören auch Schwiegersohn Anton Piëch (1894–1952, Vater von Ferdinand Piëch) als Anteilseigner und Rechtsberater sowie Porsche-Sohn Ferry (22) sofort zur Tüftler-Truppe in Schwaben. Hauptberuflich blieb Vater Piëch vorerst als Anwalt und Strafverteidiger in Wien. Dritter Gesellschafter sowie kaufmännischer Geschäftsführer war Adolf Rosenberger, »ein reicher jüdischer Herrenfahrer mit technischer Phantasie« (Ferdinand Piëch, Auto. Biographie). Mitbegründer Rosenberger floh vor der Judenverfolgung der Nazis nach Amerika. 1934 holte der Patriarch auch seine Tochter Louise in den Familienbetrieb. Die junge Konstruktionsfirma in Schwaben entwickelte vielfältige Dinge für einst namhafte Auftraggeber. So konstruierte das Team zum Beispiel kleine Autos für Zündapp und NSU oder Mittelklassewagen für Wanderer, eine Edelmarke. Und sie waren auch am monumentalen Silberpfeil-GrandPrix-Wagen der Auto Union (heute Audi) beteiligt. 1936 galt die Auto Union in Europa als dominierendes Rennteam – unter anderem gegen Mercedes sowie einen »Reichsrennwagen«. Zu den bedeutendsten und lizenzträchtigsten Porsche-Patenten zählte die Drehstabfederung. Das brachte Geld zum Ausbau des eigenen Konstruktionsbetriebs. Und 1932 ließ sich der Erfinder den Heckmotor patentieren. Während der NS-Zeit laborierten die Autonarren im Auftrag von Daimler-Benz an einem »VolksTraktor« (Piëch) herum, der besonders schnell sein sollte. Der T 80 war achteinhalb Meter lang und hatte vier angetriebene Hinterräder. Ein 2800-PS-Motor sollte das Ungetüm auf 650 Kilometer pro Stunde beschleunigen. Doch der Kriegsausbruch verhinderte den Größenwahn aus Stahl und Eisen. Der vermeintliche Weltrekordtrecker wurde nie eingesetzt.
Hitler fördert Porsche Zwischendurch hatte Porsche das großzügige Angebot Josef Stalins abgelehnt, oberster »Reichskonstrukteur« der Sowjetunion zu werden. Sein Nein für die brisante Offerte begründete der Patriarch jedoch nicht mit ideologischen oder politischen Argumenten, sondern vor allem mit den Sprachbarrieren. Bis heute sehen sich die Porsche-Piëchs am liebsten als über Politik und Zeitgeschichte stehend. »Verlassen kann man sich einzig und allein auf die Festung Familie und die Loyalität einiger weniger. Man mischt sich nicht ein, erst recht nicht in die Politik. Ein Porsche steht allein für sich, für niemanden sonst« (Rita Stiens, Ferdinand Piëch. Der Automacher). Andererseits war Ferdinand Porsche bei seinen persönlichen Kontakten mit Hitler von dem Diktator durchaus angetan. Der »Führer« unterstützte umgekehrt den alpinen Autokonstrukteur bei seinen Motorisierungsideen und bei dem Vorhaben, sich wieder »eindeutschen« zu lassen. Die Papiere lägen bereit. Denn Ferdinand Porsche, der in der österreich-ungarischen k. u. k. Zeit im böhmischen Maffersdorf geboren wurde, hatte nach den Wirren des Ersten Weltkriegs die tschechische Staatsbürgerschaft angenommen. Das deklarierte ihn zum Sieger und eröffnete ihm den Weg ins europäische Ausland, um dort ungehindert an Automessen und Grand-Prix-Rennen teilnehmen zu können. Als Hitler schließlich 1934 von begnadeten Autonarren des Reiches ultimativ den »wirtschaftlichen Kleinwagen für jedermann« verlangte, da standen auch die Porsches stramm. Sie konnten sogar sofort weit gediehene Konstruktionen aus ihren Schubladen ziehen, die wesentliche Merkmale des späteren Käfer vorwegnehmen sollten. Prompt bekamen sie 1934 den Auftrag zur raschen Umsetzung der AutoMobilmachung für die »Volksgenossen«. Bereits 1936 liefen Versuchsfahrten in größerem Stil. Verantwortlich dafür war, so Auto-Selbst-Biograf Ferdinand Piëch, der Sohn des Firmengründers, sein Onkel Ferry Porsche. Als Hitler die Errichtung eines eigenen Werkes für den KdF-Wagen (KdF = »Kraft durch Freude«; nationalsozialistische Organisation für Urlaubs- und Freizeitgestaltung) beim niedersächsischen Fallersleben, nach 1945 in Wolfsburg umbenannt, anordnete, führte Ferdinand Porsche bereits die Geschäfte für Technik und Planung. Sohn Ferry berichtet, dass der Diktator die spätere Volkswagenfabrik zu Ehren seiner gefügigen Autopioniere auf den Namen »PorscheWerk« taufen wollte. Der Geehrte, Ferdinand Porsche, habe jedoch abgelehnt. Trotzdem dienten die Porsches und zunehmend auch Ferdinand Piëchs Vater Anton als Konstrukteure und Verwalter dem Hitler-Regime untertänigst in der ersten Reihe. Tausende von Zwangsverpflichteten und Zwangsarbeitern
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aus den besetzten Gebieten, besonders Polen und der Sowjetunion, sowie später auch Juden und Kriegsgefangene wurden für ihre technischen Träume und ihren Profit als rechtlose Werkzeuge und Arbeitssklaven missbraucht. Deren Schicksal ging den braven Technokraten und Bürokraten aus Wien und Stuttgart weder ans Gewissen noch weckte es bei ihnen politischen Widerstand gegen die NS-Barbarei. Die Technik, das reibungslose Funktionieren der gigantischen KdF-Maschinerie waren den als geniale Gesellen gefeierten Porsche-Piëchs wichtiger als Menschenrechte und Menschenwürde. Diese unrühmliche Geschichte wird von dem heutigen Sportwagenbauer, der Dr. Ing. h. c. F. Porsche AG, nicht als verpflichtendes Vermächtnis anerkannt. Das Unternehmen bekennt sich zwar allgemein zur moralischen Verantwortung, aber es sieht sich juristisch nicht in der Nachfolge der Firmen aus der NS-Zeit. Die Porsche AG datiert den Beginn ihrer Geschichte nämlich erst auf die Nachkriegszeit. Dann seien die ersten Sportwagen unter eigenem Namen gebaut worden.Diese Zäsur ist eng mit der ersten österreichisch-deutschen Teilung des Familienbetriebs verbunden. Die Spaltung der Unternehmensmasse treibt vor allem die Porsche-Tochter Louise Piëch gegen Kriegsende voran. Weil die kämpferische Frau stets der Volkswagenstadt misstraute, die seit ihrer Entstehung 1938 »Stadt des KdF-Wagens« hieß, forderte sie eine Herauslösung der Piëch-Anteile aus der Stuttgarter Porsche KG. Noch während des Dritten Reichs boxte die für ihre Durchsetzungskraft berüchtigte Louise Piëch ihren Plan durch, die Interessen ihrer Familie in einer eigenen, sicheren Firma zu bündeln. Mit Vehemenz und siebtem Sinn für das Nachkriegsdesaster gründete sie eine separate Gesellschaft auf österreichischem Boden mit der Verwaltung in Zell am See und einer kleinen Fertigung im stillen 1 100-Seelen-Dorf Gmünd in Kärnten. Diese Flucht vor Bomben und Besatzungsmächten rettete in den anschließenden Nachkriegswirren der Großfamilie einen Gutteil des Vermögens samt den saftigen Patenteinnahmen aus der VW-Entwicklung. Als »Rückversicherung« (Piëch) auch für den Familienfrieden dient bis heute der alpine Landsitz Schüttgut bei Zell am See im Salzburger Land. In der dortigen Privatkapelle befindet sich auch die letzte Ruhestätte beider Familien. Das Schüttgut in Österreich diente ursprünglich als Treffpunkt der Familie, dann immer mehr als Zufluchtsort, vor allem nach Kriegsende. Heute ist das Refugium vor alpenländischer Kulisse ein EdelBauernhof mit eigener Alm und Porsche-Hotel in der Nähe samt einem kleinen öffentlichen Flughafen. Die Landebahn wurde extra für das Firmenflugzeug verlängert. Die Aufspaltung in einen österreichischen und einen deutschen Zweig eröffnete im Sommer 1946 die Möglichkeit, mit ausländischen Auftraggebern
bald nach dem Krieg wieder Geschäfte zu treiben. Piëch spricht von »Auftragsarbeiten«, die von Seilwinden, Mähfingern und Handkarren bis zu einem Grand-Prix-Wagen, der Cisitalia, gereicht hätten. Fest steht, dass in jenem Ort in Kärnten im Juni 1948 der erste Sportwagen unter dem Namen Porsche gebaut wurde: der 356/1. Von diesem rundlichen, entsprechend seiner »Gene« sehr dem VW-Käfer ähnelnden Flitzer wurden dann 52 weitere »GmündPorsche« (Piëch) in Handarbeit hergestellt. Der 8. Juni 1948 gilt daher als Geburtsstunde für die Sportwagenfirma, die Ende 1946 bereits mehr als 200 Personen beschäftigte. Als Standort für die Herstellung von Autos in größerer Stückzahl jedoch war das Kärntner Dorf zu entlegen. Der schrittweise Umzug der Produktion nach Stuttgart-Zuffenhausen ab Herbst 1949 wurde unvermeidlich. Doch der Neuanfang zögerte sich hinaus. Das Werk 1 wurde noch als Lazarett gebraucht. Die französische und später amerikanische Besatzungsmacht hatte den schlichten rötlichen Backsteinbau als Isolierstation für Tuberkulosekranke beschlagnahmt. Später benutzte die US-Armee die Gebäude als Reparaturwerk für ihre Lastwagen. Es brauchte viele Gespräche eines Freundes von Porsche, bis die Soldaten davon überzeugt werden konnten, dass der kleine Stammbetrieb wieder der Familie zurückgegeben werden sollte. Im Werk 1 waren schon im Dritten Reich Büro und Versuchswerkstatt untergebracht.
Der erste Porsche mit Nutzwert In der Nachkriegszeit griff die Doppelfamilie nach jedem Strohhalm, der sich im Geschäft bot. Der 356 entwickelte sich nur langsam zu einem hundertprozentigen Porsche, später unter der Projektziffer 901, die dann in 911 umbenannt wurde. Um Geld hereinzuholen und Zuffenhausen auszulasten, wurden Aufträge für alle möglichen Projekte abgewickelt – auch wieder für die Rüstungsindustrie – und für Sportwagenfans. Die Rettung vor dem drohenden Zerfall brachte 1947/49 erst mal der Cisitalia-Rennwagen, von Ferry Porsche für einen italienischen Industriellen entwickelt. Das ZwölfzylinderMittelmotor-Gefährt mit 385 PS und Allradantrieb füllte die Kasse und verhinderte das Auseinanderbrechen des Doppelclans. Mutig beschritten die Deutsch-Österreicher wieder eigene Wege jenseits von Sport- und Rennwagen. So konstruierte und baute Porsche in den kargen fünfziger und sechziger Jahren auch Traktoren. Diese wurden in einem Teil des MTU-Werks, heute DaimlerChrysler, in Friedrichshafen-Manzell am Bodensee produziert. Dafür wurde eigens eine Schlepper-Gruppe, die Porsche-Dieselmotoren GmbH, Friedrichshafen, gegründet. Geldgeber für das Projekt war der Düsseldorfer
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Mannesmann-Konzern, damals Stahl, Kohle, Röhren, Großanlagen. Die Traktoren mit luftgekühlten Ein- bis Vier-Zylinder-Motoren kamen tatsächlich als begehrte rote Porsche-Diesel-Schlepper mit den typischen gelben Felgen auf die Felder. Die Trecker – Junior, das Nesthäkchen, Standard, Master, Super – waren sozusagen die ersten Porsche mit Nutzwert – weit vor dem heutigen Cayenne. Die schmalen Zugmaschinen mit der sanft wie in einer Carrera-Kurve geschwungenen Motorhaube haben noch heute eine große Fangemeinde – darunter Porsche-Chef Wiedeking selbst, der zwei Porsche-Diesel sein Eigen nennt – und dazu den entsprechenden Seltenheitswert. Doch ist der Manager gewiss nicht der einzige Schlepper-Anhänger im Hause. Es wird geschätzt, dass mindestens 50 Porsche-Mitarbeiter einen solchen Oldtimer im Schuppen oder in der Garage stehen haben. Es existiert sogar ein eigener Club für Porsche-Traktor-Besitzer, die ihre roten Sammlerstücke hegen und pflegen. Für Porsche selbst blieb der Ausflug in die Landwirtschaft eine Ausnahme. Das Geschäft, das kaum lohnte und im Rückblick mehr für das Image tat als es Gewinn einfuhr, brach zusammen. Die rauen, lauten luftgekühlten Porsche-Diesel wurden durch stärkere und vor allem leise, wassergekühlte Maschinen ersetzt. Konkurrenten waren amerikanische Konzerne, denen die Zuffenhäuser als winzige Außenseiter nicht gewachsen waren. Große Absatz- und Umsatzschwankungen waren über viele Jahre normal. Vor der einschneidenden Umwandlung in eine Aktiengesellschaft (1972) konnten zeitweise nicht einmal die Löhne und Gehälter regelmäßig gezahlt werden. Die betriebliche Altersversorgung fiel daher mäßig aus. Aus der finanziellen Klemme halfen damals zeitweise Autohändler etwa aus Frankfurt am Main, Hamburg, Hannover, Stuttgart und der Schweiz, indem sie das Geschäft vorfinanzierten. In den fünfziger Jahren wurden zunächst nur kleine Flächen in der gegenüberliegenden Karosseriefabrik Reutter angemietet und Dienste dieser Firma in Anspruch genommen. Als die überraschend flott expanierende Sportwagenfabrik Anfang der sechziger Jahre dann das Karosseriewerk kaufen wollte, blockierte die damalige Hausbank des Familienbetriebs, die Commerzbank. Die allzeit übervorsichtigen Bankbeamten schätzten wohl die Zukunftschancen der rassigen Boliden aus Zuffenhausen nicht eben hoch ein – zumal mit Daimler-Benz ein etablierter Konkurrent ganz in der Nähe residierte. Das Nein der Commerzbank hätte das frühe Ende Porsches als Autoschmiede bedeuten können. Nur auf Vermittlung des damaligen Oberbürgermeisters von Stuttgart, Arnulf Klett,den die Familie um Hilfe in der Not angehen musste,klappte der Deal mit Karosserie-Reutter dann doch. Es gelang schließlich, bei der dama-
ligen städtischen Spar- und Girokasse den notwendigen Kredit für die hohe Investition aufzutreiben. Das war der Anfang einer langjährigen Geschäftsfreundschaft zwischen den Porsche-Piëchs und dem im Sparkassenlager in Württemberg viele Jahre maßgeblichen Bankmanager Dr. Walter Zügel. Sein Kreditinstitut, die Landesgirokasse Stuttgart, durfte Porsche schließlich im April 1984 an die Börse führen. Seitdem nimmt auch Zügel für seine Dienste als Berater der Familien im Aufsichtsrat des Autobauers Platz. Die Weigerung des mächtigen Frankfurter Geldhauses Commerzbank indes, den Aufstieg Porsches finanziell zu unterstützen, war für Ferry Porsche und die nachfolgenden Topmanager Anlass zu einer klaren Schlussfolgerung: sich ja nie bei Banken hoch verschulden und damit die Selbstständigkeit aufs Spiel setzen. Diese Devise gilt bis heute. Daher kann auch Wiedeking, ganz in der Tradition des Hauses stehend, gegenüber den Geldhäusern ungestraft öffentlich bekennen: »Ich bin kein Bankenfreund – für mich sind das Regenschirmverteiler. Und sobald es anfängt zu regnen, sammeln die ihr Zeugs wieder ein.« Mit dem Sparkassengeld ging der Aufstieg Porsches weiter.
Ferdinand Porsche II. – »Ferry« Der Sohn Ferdinand Porsches, Ferdinand Anton Ernst, genannt »Ferry«, war bereits als junger Mann seit Ende der zwanziger Jahre im väterlichen Betrieb tätig. Er wuchs sozusagen mit den Autos des Vaters auf. Ferry gilt – auch in der Belegschaft – als der eigentliche Begründer der Sportwagenschmiede nach dem Zweiten Weltkrieg. Er baute den Familienbetrieb vom Konstruktionsbüro und VW-Anhängsel zu einer Weltmarke der PS-Zunft auf. Zunächst aus kleinsten Anfängen mit handwerklicher Fertigung, dann als Sportwagenspezialist mit immer größeren Serien. Schon Ferry muss bald den Kampf »David gegen Goliath« um die Unabhängigkeit und eine gewisse Mindestgröße des Betriebs ausfechten. Schließlich überrundet Porsche traditionsreiche Konkurrenten wie Ferrari, Maserati oder Aston Martin an Stückzahlen um Längen. Dabei war der Seniorchef »nie besonders ehrgeizig«, meint ein Weggefährte. »Höchstens 500 Flitzer sollten jährlich gebaut werden, dann sollte wieder Schluss sein. Doch die Kunden rissen ihm die Autos förmlich aus der Hand.« Schließlich setzt Ferrys Fabrik mit mehreren Modellreihen zum Sprung an und wird der kleinste unabhängige Serienhersteller in der Autowelt. Ein völlig eigenständiger, international agierender Vertriebsapparat kommt erst Anfang der neunziger Jahre hinzu. Der Unternehmer Ferry, den seine Umgebung als bescheiden und bodenständig erlebt – »Er gab für sich nicht viel Geld aus« – setzte sich stets zum Ziel, gebrauchstüchtige und nicht
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zu teure Fahrzeuge nur für Rennpisten und Superreiche zu bauen, was in der Zunft der Sportwagenschmiede relativ ist. Immerhin erreichte und erreicht ein Durchschnitts-Porsche nicht annähernd das luftige Preisniveau eines Ferrari, Lamborghini oder Bentley. Dennoch gehört Porsche seit jeher zur Familie der sportlichen Luxusmarken. So sehr Ferry seit seiner Jugend schnelle Autos liebte und selbst bei Rennen mitfuhr, so sehr betrachtete er sich doch als Unternehmer, der die Kräfte in der Familie bündeln und zwischen den Lagern moderieren wollte. Und ein gewisser Wendelin Wiedeking darf heute als oberster Angestellter des kompakten Konzerns für sich in Anspruch nehmen, pro Jahr mindestens zwölfmal mehr Kunden als Ferrari und gut 200-mal mehr als Lamborghini begeistern zu können. Ferry (19. 9. 1909 bis 27. 3. 1998) hielt den Familienbetrieb gut vier Jahrzehnte bis zu seinem Tod mit 88 Jahren zusammen. Sämtliche Firmenangelegenheiten besprach der Seniorchef zuerst mit seiner Schwester, Louise PiëchPorsche (29. 8. 1904 bis 10. 2. 1999). Die Mitbegründerin des Konzerns, die knapp ein Jahr nach ihrem Bruder im Alter von 94 Jahren in Zell am See starb, leitete den österreichischen Teil von 1952 bis 1972. Der unternehmenstüchtigen Kommerzialrätin und seit 1976 auch Ehrensenatorin der TU Wien, blieb die Familie Maßstab aller Dinge. Auch sie fuhr wie ihr Bruder begeistert Auto. Die Geschwister Ferry und Louise hatten 1947 Porsche in Gmünd, Kärnten, gemeinsam gegründet und später den Neuanfang in StuttgartZuffenhausen bewältigt. Danach herrschte in der Doppelfamilie eine respektierte wie strikte Gewaltenteilung auf der Ebene der zweiten Generation: Die Porsche-Tochter wurde Herrin über die Familien-Holding in Salzburg, der Sohn »Ferdinand II.« hatte das Sagen bei Porsche in Stuttgart. Durch seine ständige Präsenz im Werk fiel Ferry die Rolle als Integrationsfigur zu. Er wurde zum Symbol für die Familienbindung und irgendwann zur Legende. Der Senior war, wenn er konnte, bei jedem Jubiläum – Weihnachten, Jubilarfeiern, Rentnertreffen im Firmencasino – dabei. Bis heute schwärmen die Porscheaner davon, wie Ferry über den Hof lief und den Beschäftigten persönlich die Hand schüttelte. Nur zündende Reden vor großem Publikum oder in Versammlungen halten, das lag dem stets elegant gekleideten Herrn nicht. Dafür fühlte er sich eher im kleinen Kreis wohl. Viele Mitarbeiter sind davon überzeugt, dass das Betriebsklima während der familiären Ferry-Ära sozialer und wärmer gewesen sei. Schließlich waren es familienfremde Steuermänner, die Porsche mit dem Stuttgarter Rössle im Wappen kräftig die Sporen gaben. Über die Jahrzehnte betrachtet, ging es stetig aufwärts. Zu einer wirklich ungetrübten Beziehung zwischen Ferry, der Familie insgesamt und den jeweiligen Firmenchefs
reichte es jedoch nie ganz. »Mit seinen höchsten Angestellten wurde der Deutsch-Österreicher nie so recht glücklich«, weiß ein Vertrauter. Alle Firmenchefs, außer Wiedeking, wurden vorzeitig entlassen. Ein Manager wurde gleich beim Vorstellungsgespräch gewarnt: »Ein Wesenszug der PorschePiëchs ist es, dass es Dankbarkeit nicht gibt, und freiwillig bekommen Sie nichts.« Die einen, Professor Ernst Fuhrmann, Österreicher von Geburt, oder der Berliner Heinz Branitzki, hatten dem leidenschaftlichen Sportwagenfahrer zu wenig Drive, waren ihm zu bieder. Er vermisste bei ihnen den gewissen sportlichen Kick, gepaart mit kaufmännischer Umsicht. Und als Fuhrmann dann noch die 911er-Reihe – heute der Erfolgs-Porsche – einstellen und nur noch auf große Wagen (darunter als Limousine eine Art Pullman-Porsche) setzen wollte, da zog die Familie nicht mehr mit. Entweder waren die Manager zu sehr Kauf- oder Marketingmann,wie Schutz,Branitzki und Bohn,oder sie waren zu sehr in die Technik verliebt wie Ferdl, sein Neffe, oder wie Fuhrmann und Bez. Und streckenweise beherrschte pures Draufgängertum auf der Überholspur die Firmenpolitik – koste es, was es wolle. Im Gasgeben, vor allem Richtung USA, war der Deutsch-Amerikaner Peter W. Schutz ein Meister. Das ging so lange gut, bis der im Alltagsgeschäft chaotisch agierende Porsche-Lenker mit Ferrys Firma Richtung Abgrund raste. Schutz, der fast sieben fette Jahre lang, von Januar 1981 bis Dezember 1987, das Unternehmen lenkte, war der bis dahin erfolgreichste Porsche-Manager. Er erweckte den 911er zu neuem Leben – »Porsche braucht ein Cabrio. Wir lassen den 911 nicht sterben.« – und forcierte das Amerikageschäft auf mehr als 50 Prozent des Umsatzes. Der damals gewaltig hohe Dollarkurs verleitete ihn dazu. Diese Exportpolitik benachteiligte jedoch das Inlandsgeschäft mit langen Lieferfristen. Schutz war stolz darauf, den Dollarkurs in der Kalkulation so hoch angesetzt zu haben, dass »wir pro Auto mindestens 30 000 Mark an Devisengewinnen hereinholen«. Der Deutsch-Amerikaner war sich seiner Sache so sicher,dass er erst gar nicht mit einem Verfall der US-Währung rechnete und dafür nicht genügend vorsorgte.Das brach ihm als Firmenchef – und beinahe auch Porsche – den Hals. Als der Dollar dann drastisch fiel, und es im Oktober 1987 schließlich zum ersten großen Börsen-Crash nach dem Krieg kam, da verlor auch Schutz den Boden unter den Füßen. Es dauerte keine zehn Wochen, und alle Familienaktionäre – einschließlich Ferry – verurteilten ihn jetzt, obwohl sie ihm kurz zuvor wegen des profitablen AmerikaEngagements zugejubelt hatten. Sie erklärten ihn zum Sündenbock für den Einbruch. Solange er Erfolg hatte und die Millionen säckeweise hereinholte, hatte Schutz, der seine Besucher auf zwei unbequemen, an die Wand geschraubten Sitzen des Porsche 911 warten ließ, völlig freie Hand für teilweise
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utopistische Extravaganzen. So wollte er die Marke auf die Luftfahrt ausdehnen. Der Manager ließ Flugmotoren bauen – ein Riesenflop. Statt der 20 000 erhofften Triebwerke wurden kaum 2 000 mühsam abgesetzt. Schutz hatte den Markt total falsch eingeschätzt. Von der Gattung der Flugzeuge, die Porsche mit Motoren versorgen wollte, wurden 1989 weltweit nur 350 neue Maschinen gebaut. Dann wollte er der Sportwagenfirma auch noch das Geschäft mit Kleinhubschraubern aufhalsen. Seine Begründung: Der Bedarf zur Überwachung aus der Luft, etwa des Straßenverkehrs oder von Strommasten, sei künftig riesengroß. Schutz rechnete ernsthaft damit, dass der Aerobereich bald größer als der Autosektor sein würde. Zudem ließ er die Entwicklungsmannschaft an Rettungssystemen (Orbit) und an Feuerwehr-Bergungswagen (Savesystem) herumtüfteln. Mit solchen Projekten lief Porsche Gefahr, sich zu verzetteln. Eine Supererfolgssträhne schützt also bei Porsche nicht davor, von heute auf morgen entlassen zu werden. »Die Familie«, wie der Doppelclan der Porsches und Piëchs intern heißt, glaubte jedenfalls in der Vergangenheit, genügend Gründe dafür zu haben, ihren Managern regelmäßig ins Lenkrad zu greifen – typisch für Aktiengesellschaften mit Familienanschluss.
Der Stuttgarter Erbfolgestreit Zermürbender als alle Auseinandersetzungen und Zerwürfnisse mit ihren hohen Angestellten verliefen indes die Feindschaften innerhalb der Familie. Zuweilen fighten die Clans auch in wechselnden Koalitionen. Am meisten Energie jedoch kostete den Patriarchen der Streit mit seinem Neffen Ferdinand (Ferdl) Piëch. Ferry versuchte bis zu seinem Tod, den Heißsporn zu zähmen. Vor allem in den sechziger und siebziger Jahren, als der Sohn seiner Schwester im elterlichen Betrieb arbeitet, ist er von dessen Spinnereien im Rennsport wenig angetan. Doch der Neffe ist hartnäckig. Er will jetzt aller Welt zeigen, was in ihm als Techniker steckt, und seinen Willen durchsetzen. Koste es, was es wolle – der jugendliche Hitzkopf drängt nach oben. Stein des Anstoßes ist das sündhaft teure Rennprojekt 917, das der Querdenker allein durchboxt. Ferdl war – und ist – davon überzeugt, der beste Autofachmann der Familie zu sein. Auf sein Diplom als Ingenieur ist der Neffe besonders stolz. In seiner Auto.Biographie schreibt er: »In der Familie waren sie froh, dass endlich einer aus dem Porsche-Piëch-Clan das Studium der Technik tatsächlich abgeschlossen hatte. Mein älterer Bruder Ernst hatte zwar auch Maschinenbau studiert, sich aber mit der Maschinenbau-Matura abgefunden. Großvater war ja reiner Autodidakt gewesen, und sein Sohn Ferry war quasi zwangsläufig ins Berufsleben des Technikers hineingewachsen, sodass ihm gar
keine Zeit mehr für ein properes Ingenieurstudium blieb. Beide Herren brachten es dann zu genügend akademischen Titeln ehrenhalber.« Diese Darstellung lässt erkennen, wo sich der Erbe aus dritter Generation im Verwandtenkreis sieht: an der Spitze. Mit dem Einstieg der dritten Generation in den Familienbetrieb weiten sich die Positionskämpfe um die Macht im Hause unter den Cousins aus. Neben Ferry als Oberhaupt in Stuttgart und Schwester Louise als einflussreicher Gesellschafterin in Salzburg wollen weitere fünf Nachkommen bei dem Sportwagenbauer mitreden. Denn bald ist neben Ferdinand Piëch, Entwicklungs- und später zudem Produktionschef, auch sein Bruder Michel Piëch tätig. Der Jurist ist zeitweise Personalleiter. Ferrys ältester Sohn, Ferdinand Alexander (F. A.) Porsche besorgt als Kreativer das Styling. Hans Peter Porsche fungiert lange als Produktionsleiter; und Wolfgang Heinz Porsche volontiert bereits im elterlichen Betrieb, ist aber noch zu jung für einen herausgehobenen Posten; er studiert noch in Wien. Auch der älteste Sohn von Louise, Ernst Piëch, redet als Co-Geschäftsführer der Porsche-Austria im Management mit. Nur die Tochter Louise Ahorner-Piëch sowie der Landwirt Gerd Porsche bleiben dem Unternehmen fern. Unter den Neffen indes dominiert keiner so sehr im Betrieb wie Ferdl Piëch. »Ferdinand II. Porsche«, wie ihn Österreichs Presse wegen seines Machtanspruchs spöttisch nennt, lässt sich durch nichts und niemanden davon abbringen, den Stuttgartern seinen Stempel aufzudrücken, wie es ihm passt. Doch seine Eigenmächtigkeiten gehen in der Firma mit der dünnen Kapitaldecke stark ins Geld. Der Coup des Cousins droht die geometrische Klarheit des Erbmodells zu stören. Das Gleichgewicht der Familie, die Machtverteilung in der zweiten Generation – Ferry und Louise – gerät im Streit mit Ferdl ins Wanken. Die strikte Regel, die Porsches hätten in Stuttgart das Sagen und die Piëchs in Salzburg, in der dortigen Familienholding, ist außer Kraft gesetzt. Am Ende jedoch verliert der Draufgänger den Machtkampf. Die beiden Urgesteine des Porsche-Clans halten zusammen. Und Ferry setzt seinen streitbaren Neffen Ferdinand Piëch rigoros an die Luft, um den Betrieb in dieser schweren Zerreißprobe vor den zerstörerischen Folgen eines Erbenkrieges zu bewahren. Ein langer und offener Clinch der Clans hätte beiden Seiten Verluste gebracht. Mit Ferdls Ausstieg erfolgt zugleich die Entmachtung der gesamten dritten Generation durch Ferry und Louise. Neben Ferdl verlieren alle Kinder in der Sportwagenfirma ihre Ämter und dürfen nie mehr zurück ins Topmanagement. Doch auch der Firmengründer selbst wird geopfert, muss unverhofft seinen Chefsessel im eigenen Unternehmen räumen. Dabei glaubt Ferry bis zum Schluss des Stuttgarter Erbfolgestreits daran, gemeinsam mit
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einem familienfremden Manager die Firma weiter führen zu dürfen. In seinen Erinnerungen – Ferry Porsche. Mein Leben – räsoniert er Jahrzehnte später: »Manchmal denke ich darüber nach, ob ich 1972 nicht zu früh die Geschäftsführung abgegeben habe.« Doch der geschasste Neffe fordert die Gleichbehandlung aller Porsches und Piëchs und damit den Rauswurf des Seniorchefs. Die ganze Familie scheidet zum März 1972 aus der aktiven Geschäftsführung aus. Gleichzeitig mit der Trennung von Familie und Firma findet 1972 eine juristische Zäsur statt. Porsche Stuttgart wird von einer Kommanditgesellschaft (KG) in eine Aktiengesellschaft (AG) mit anfangs zehn stimmberechtigten Aktionären (die beiden Senioren und ihre jeweils vier Kinder) umgewandelt. Jedes Familienmitglied einschließlich der Alten, Ferry und Louise, besitzt nun also 10 Prozent der Firma. Und das Gesamtvermögen in Stuttgart und Salzburg liegt bis heute jeweils genau zur Hälfte bei den Porsches und den Piëchs. Der Autokonstrukteur Heinz Fuhrmann und der Kaufmann Heinz Branitzki stehen als erste familienfremde Manager gemeinsam an der Spitze. Ferry Porsche wird Vorsitzender des Aufsichtsrats, Schwester Louise Piëch, Herrin in Salzburg, wird Stellvertreterin. Ferry bleibt bis zur Hauptversammlung im Frühjahr 1993 im Aufsichtsrat der Gesellschaft. Ausgerechnet im Verlustjahr 1992/93 legt er sein Amt nieder. Bis zum Ende der Ferry-Ära hält sich der typische Charakter einer paternalistisch orientierten Familienfirma.
Die Erben der dritten Generation Die achtköpfige dritte Porsche-Piëch-Generation übernimmt seit dem Frühjahr 1972 Kontroll- und Repräsentationsfunktionen bei der Porsche AG. Und als Aktionäre haben ausschließlich sie das Sagen. Denn nur die Autodynastie verfügt gemeinsam über die Stimmrechte des Kapitals. Für Außenstehende ist der Doppelclan allerdings kaum durchschaubar. Die Unklarheiten beginnen schon mit den Vornamen. Viele Söhne heißen wie der berühmte Urgroßvater Ferdinand, die Tochter wie die Mutter Piëch, also Louise. Um Durchblick zu erhalten, greift die Familie zu eigenen Rufnamen, Zusätzen oder Abkürzungen. Porsches Erstgeborener Ferdinand trägt wegen seiner Vorliebe für rassige Autos von Kindesbeinen an den Beinamen »Ferry«. Sein Cousin und Porsche-Neffe Ferdinand Piëch wird »Ferdi« oder »Ferdl«, auch »Burli«, gerufen. Ferrys älterer Sohn, der Designer Ferdinand Alexander wird entweder liebevoll »Butzi« genannt oder in der Firma auch als »F. A.« abgekürzt. Ferdl Piëchs jüngerer Bruder Hans Michel heißt auch »Michi«, der älteste Piëch-
Sohn Ernst »Ernsti«. Und entsprechend österreichisch-deutscher Tradition werden die Porsche-Söhne Gerd »Gerdi« und Wolfgang »Wolfi« oder »Wolferl« gerufen. Nur Peter Porsche bleibt für die meisten schlicht der »Peter«. Die Autodynastie wird von zwei Clans geprägt, die sich in vielem voneinander unterscheiden. So trennen die Familien zum Beispiel Erziehung und Mentalität, die Faszination fürs Auto andererseits eint sie. Während die PiëchSöhne eine Internatserziehung genossen und dort schnell lernen mussten, hart zu sein und sich durchzusetzen, erfuhren die Porsche-Söhne überwiegend eine anthroposophische Ausbildung an Waldorfschulen. Dort wurden ihre Sinne mehr fürs Künstlerische, Kulturelle, für die schönen Dinge des Lebens geschärft. Das macht eher weich und kompromissbereit, Eigenschaften, die leicht für schwach und nachgiebig gehalten werden können. Ferry selbst bezeichnet sich als »Muttersöhnchen«. In der Tat gibt die Porsche-Seite in Streitfällen häufig dem Drängen der Piëchs nach, besonders dem willensstarken Vetter Ferdinand. »Gegen den können wir doch nichts ausrichten«, dürfte ihre Ansicht sein. Es scheint, als wollten sie oft lieber in Ruhe gelassen werden, und häufig fehlt den Porsches wohl die eigene Meinung zu Themen. Dennoch belauern sich beide Seiten misstrauisch, damit ja keine zu kurz kommt, etwa in den Entscheidungsgremien. »Wenn zwei von Porsche in der Firma drin sind, dann müssen auch zwei von Piëch drin sein, lautet das ungeschriebene Gesetz«, so ein Manager.
Geschlossene große Gesellschaft Ursprünglich betrug die Zahl der Familienaktionäre bei der Erbteilung 1972 wie beschrieben zehn Personen. Nach dem Tod der Senioren Ferry Porsche und Louise Piëch sowie dem Verkauf einiger Pakete innerhalb der Familie, gibt es im Clan große und kleine Porsche-Aktionäre. Ferdinand und Michel Piëch sowie auf der Porsche-Seite Ferdinand Alexander, Hans Peter und Wolfgang Porsche dürften mit zweistelligen Prozentanteilen heute jeweils zu den reichen Erben gehören. Daneben gibt es Teilhaber, die inzwischen entweder – wie der älteste Piëch-Sohn Ernst – ihre Aktien ganz verkauft oder ihren Anteil drastisch reduziert haben. Eines indes ist der Doppelfamilie stets sicher: Alle Aktien, die mit Stimmrechten am Unternehmen versehen sind, gehören ihr. Denn das Geld der freien Aktionäre nimmt der Clan zwar dankbar zur Finanzierung des Unternehmens entgegen, aber bei den Mitspracherechten gehen die Externen leer aus. Sie müssen bei Abstimmungen in der Hauptversammlung schweigen. Die Familie bleibt wie eine geschlossene Gesellschaft unter sich. Tausende von Kleinaktionären und mehr oder minder
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wichtige Manager von Fondsfirmen und Vermögensverwaltungen haben bei der Porsche AG nichts zu sagen. Denn sie besitzen seit 1984 nur so genannte Vorzugsaktien. Deren »Vorzug« besteht darin, dass der Aktionär seine Stimme gegen die Garantie einer etwas höheren Dividende an der Garderobe der Hauptversammlung abgibt. Die stummen Teilhaber dürfen daher nur kluge Fragen an Wendelin Wiedeking oder an den Vorsitzenden des Aufsichtsrats oder an jeden anderen Porsche-Verantwortlichen stellen. Das fehlende Mitbestimmungsrecht fremder Aktionäre bietet der Sportwagenschmiede Vorteile. Der Einfluss der Familie sichert Porsche den Erhalt als unabhängiges Unternehmen und schützt vor feindlichen Aufkäufern oder böswilligen Spekulanten. So hatte kein Automobilgigant bisher die Chance, bei Porsche ohne ausdrückliche Zustimmung der Familie einzusteigen. Versuche startete fast jeder größere in- und ausländische Konzern. Die Selbstständigkeit ist ein Postulat der Gründer an ihre Erben. Ferry Porsche, zuletzt Ehrenvorsitzender im Aufsichtsrat (eine Position, die das Aktienrecht nicht kennt), stand zeitlebens für die Unabhängigkeit der Familienfirma. Allen Versuchen, sein Unternehmen einem Wettbewerber zu verkaufen, hielt der Gründer stand. »Solange ich lebe«, lautete Ferrys Credo, bleibt Porsche selbstständig.Diese Linie hält auch die dritte Erbengeneration auf beiden Seiten des Stammes wacker durch.
Engagements für Stuttgart und Salzburg Für die Porsche AG engagieren sich die einzelnen Familienmitglieder, die alle nahe am oder schon im Pensionsalter sind, recht unterschiedlich. Und die meisten verstehen etwas vom Auto; jeder ist da irgendwo Fachmann. Die Aufsichtsratsmitglieder Ferdinand und Hans Michel Piëch sowie Ferdinand Alexander und Wolfgang Porsche sind zudem in zahlreichen Aufsichtsräten von Porsche-Tochterfirmen etwa in ausländischen Vertriebsniederlassungen vertreten. Ähnliche Positionen bietet auch die zweite Hälfte des betrieblichen Familienvermögens, die Porsche Holding GmbH in Salzburg. Diese Obergesellschaft besitzt Beteiligungen an Firmen, vertreibt und handelt mit Pkws, Motorrädern und, weltweit, mit Autoteilen, finanziert Händler in Österreich, Frankreich sowie in sämtlichen ehemaligen k. u. k. Ländern. Als lukrative Dienstleistung gibt es dazu über die Porsche Holding GmbH, Salzburg, zum Beispiel eine Porsche Bank AG oder eine Porsche Versicherungs-AG. Auch in dieser Unternehmensgruppe, einer der größten Österreichs, nehmen die Erben diverse Funktionen wahr. Ferdinand Piëch ist grundsätzlich als Techniker gefragt, Bruder Michel tut sich als Rechtsanwalt in Sachen Vertrieb und
internationale Markt- und Absatzeinschätzungen hervor, und Kaufmann Wolferl kümmert sich als Sprecher der Familie um Grundsatzfragen. Er zeichnet auch für den Import und Handel von Motorrädern (Yamaha) in Salzburg verantwortlich. Designer F. A. blüht auf, wenn es um Styling und Ästhetik geht. Ein Kollege: »Mit dem kann man unters Auto kriechen, dann sagt er ganz deutlich seine Meinung über Scheinwerfer und hochgezogene Kotflügel, über Linienführung oder Porsche-spezifische Luftlöcher in der Karosse. Und in Sitzungen meldet er sich auch zu Wort, zum Beispiel zum Cayenne, den er vorne für gut gelungen hält.« Auch auf das Porsche-Piëch-Imperium übt Ferdl Piëch wie schon in Stuttgart den stärksten Einfluss aus. Gegen den langjährigen Topmanager der Autoindustrie und sendungsbewussten, klugen Taktierer, der alle Argumente x-mal wiederholt, richten alle Porsche-Söhne zusammen wenig aus. Piëchs jüngerer Bruder Hans Michel steht dagegen eher im Hintergrund. Der Wiener Rechtsanwalt, ein ruhiger Typ, stimmt in den offiziellen Sitzungen allerdings häufig mit seinem Bruder. Trotzdem gilt der Anwalt in seinem Fachbereich als eigenständiger, kenntnisreicher Experte und Berater. Längst ausgeschieden bei der Porsche AG dagegen ist der älteste Piëch-Sohn Ernst. Das schwarze Schaf der Familie lieferte den Grund dafür, dass das Firmenimperium vor rund 20 Jahren gehörig ins Wanken geriet. Der Porsche-Enkel, verheiratet mit Elisabeth Nordhoff, Tochter des ersten VW-Chefs nach dem Krieg, Heinrich Nordhoff, schockierte die ganze Familie 1984 mit der Botschaft, seine Firmenanteile an arabische Potentaten verkaufen zu wollen. Ernst Piëch hatte sich nämlich bei Immobiliengeschäften unter anderem im Burgenland mit Millionensummen verspekuliert und musste dafür nun sein Erbe versilbern. Um den drohenden Ausverkauf bei Porsche zu verhindern, übernahmen die übrigen neun Familienaktionäre seinen Zehnprozentanteil. Sie bezahlten ihm damals 98 Millionen Mark (knapp 50 Millionen Euro). Der Gesamtwert der Autofirma wurde auf eine runde Milliarde Mark geschätzt. Der Piëch-Erbe zog sich erst mal auf die Bermudas zurück. Heute ist er wieder als Makler, Bauträger und Immobilienhändler in Europa – Großbritannien und Österreich – im Geschäft.Und noch ein zweites Mitglied der PiëchFamilie wollte damals kurz nach dem Bruder Kasse machen, Louise AhornerPiëch, einzige Tochter der Familie. Dieser Aderlass jedoch hätte den Clan endgültig überfordert. Die Idee konnte ihr vorerst ausgeredet werden. Louise Ahorner-Piëch, später Daxer-Piëch, war nie in der Firma aktiv; ihr Kapitalanteil ist inzwischen deutlich gefallen. Auch auf der Porsche-Seite gibt es heute nur zwei Köpfe, die das Unternehmen aktiv repräsentieren und einen hohen Kapitalanteil besitzen: Ferdi-
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nand Alexander Porsche und sein Bruder Dr. Wolfgang Porsche. Dagegen bleiben die beiden anderen Brüder, Peter und Gerd, ganz im Hintergrund. Peter Porsche, der einst die Produktion der Autos geleitet hatte, schied nach zähem Zweikampf mit Vetter Ferdl frustriert aus dem elterlichen Betrieb aus. Nach der endgültigen Erbteilung 1972 baute er gemeinsam mit Bruder Butzi (Ferdinand Alexander) als 50-Prozent-Gesellschafter erfolgreich ein Designstudio im österreichischen Zell am See, beim Familiensitz Schüttgut, auf. Aus dieser Neugründung zog sich Peter aber später zurück. »Er hat sich privatisiert«, formuliert sein Kompagnon Ferdinand Alexander. Peter lebte lange in Monaco und betreibt nun eine Handelsfirma, die auch Designprodukte des Bruders Butzi im Programm führt. Gerhard (Gerd) Anton Porsche, Ferrys zweitgeborener Sohn, mischte nie aktiv in Stuttgart mit. Der gelernte Agraringenieur lebt als Vollerwerbslandwirt in Zell am See in der Nähe des Familiensitzes. Gerd war in erster Ehe mit Marlene (Marliese, geborene Maurer) Porsche verheiratet. Die Gattin wurde ihm jedoch vom Vetter Ferdinand Piëch Mitte der achtziger Jahre ausgespannt. Aus der zehn Jahre dauernden »freizügigen Beziehung« (Piëch) gingen zwei Kinder hervor – und für den Ferdl dazu ein kleines, aber wertvolles Aktienpaket von Porsche. Denn Landwirt Gerd soll seiner Frau Marlene in einer Liebesnacht einige Porsche-Aktien geschenkt haben, etwa in der Größenordnung um 1 Prozent. Als Marlene dann die Lebensgefährtin des Vetters wurde, konnte dieser bei Abstimmungen mit den Anteilen von Marlene jonglieren. Die Piëch-Seite bekam plötzlich Zugriff auf die Stimmenmehrheit – was Ferrys Erbmodell ausdrücklich vermeiden wollte. Öffentlich am ehesten in Erscheinung tritt Diplomkaufmann Dr. Wolfgang Heinz Porsche, der jüngste Sohn Ferrys. Er ist im Namen der PorscheSeite bei den meisten Anlässen präsent; der Jüngste ist sozusagen der Publicity-Mann. Diese Aufgabe, auch als starker Interessensvertreter seiner Familie aufzutreten, macht dem Diplomökonomen, Studium in Wien, Promotion in Graz, offenbar Spaß. Wolfgang Porsche und seine Frau Susanne, ursprünglich TV-Journalistin, sind auch im Medien- und TV-Business tätig; in Stuttgart einst mit der Medien Produktion Stuttgart (MPS). Seit einigen Jahren lebt das Paar in München. Bevor der Porsche-Spross endgültig in den Bereich Verkauf und Marketing der väterlichen Firma eintreten konnte, absolvierte er ein Praktikum bei Daimler-Benz. Zuerst lernte er das Autogeschäft in der Mercedes-Niederlassung in München und später in der Firmenzentrale von Daimler in Stuttgart kennen. Unter der Obhut von Konzernchef Professor Joachim Zahn praktizierte der Porsche-Junior in der Abteilung für Auslandsbeteiligungen. Hier lernte er eine nette Kollegin kennen und lieben. Diese
Beziehung sollte dazu führen, dass dem Porsche-Erben Jahre später der Vorsitz im Aufsichtsrat des Familienunternehmens verwehrt blieb. Die junge Dame gefiel Wolfgang Porsche nämlich so sehr, dass er sie bei Porsche unterbrachte, und die Liebesbeziehung fortgesetzt werden konnte. Die Frau war bald mit allen Porsche-Söhnen per Du. Wolfgangs Affäre sprach sich herum, und Ehefrau Susanne forderte empört, die Angestellte sofort zu entlassen. Doch dagegen lief der Betriebsrat Sturm. Nach heftigem Hin und Her konnten die Belegschaftsvertreter die Kündigung zwar nicht mehr verhindern, aber sie forderten für die Niederlage später einen hohen Preis. Als nämlich Anfang der neunziger Jahre, in der tiefsten Krise, der Vorsitz im Aufsichtsrat vom Senior Ferry auf den Sohn Wolfgang Porsche übergehen sollte, da legten sich die Betriebsräte gegen den Vorschlag aus der Familie quer. Wolfgang als Kandidat für den obersten Kontrollposten war nicht mehr zu halten. Der heraufziehende Eklat wurde nur vermieden, weil Butzi (Ferdinand Alexander) nach langem Zureden doch noch als Ersatzmann präsentiert werden konnte. Zuvor allerdings hatte sich der älteste Spross Ferrys stets mit Händen und Füßen geweigert, sich zum Vorsitzenden des Aufsichtsrats küren zu lassen. Nun wurde er im Frühjahr 1990 doch dazu gemacht – übergangsweise. Als einfache Mitglieder gehörten die Söhne Wolfgang und Ferdinand Alexander indes schon viele Jahre dem obersten Kontrollorgan an. Die Stelle von Butzi im Aufsichtsrat übernahm bald ein familienfremdes, neutrales Mitglied, nämlich Professor Dr. Helmut Sihler. Damit kehrte in das Unternehmen viel mehr Ruhe ein. Neben Wolfgang wird Ferdinand Alexander inoffiziell als eigentlicher Kopf der Porsche-Familie respektiert. Obwohl sich der Designer am liebsten von der Autoschmiede fernhält, ist er doch in entscheidenden Dingen ein gefragter Mann, auf alle Fälle die graue, kreative Eminenz des Clans. Seine Welt ist die schöne Seite. Er will »Dinge des Alltags« veredeln, ihnen eine Kultur geben: Kameras, Brillen, Feuerzeuge, Tabakpfeifen, Aktenkoffer, Füllfederhalter, Uhren, Sparschweine … Für Firmen, zum Beispiel für Siemens, gestalten er und sein Team Geräte wie Kaffeemaschinen, Haartrockner, Toaster, Wasserkocher oder Kochgeschirr und Autofelgen. Er verdient auch an Lizenzprodukten »im Design von F. A. Porsche«. Aufträge für Designprodukte kommen aus aller Welt. Seine Kreativzentrale ist seine Firma Porsche Design GmbH & Co. in Zell am See, etwa einen Kilometer entfernt vom Familiensitz Schüttgut. Butzis Refugium ist sein eigenes Gut; sein bevorzugtes Rückzugsgebiet ist die Jagd. »Lasst’s mich doch in Ruhe«, pflegt der wortkarge Mann zu antworten, wenn wieder einmal aus der Stadt, von der Fabrik jemand mit einer Aufgabe auf ihn zukommt. F. A., der Erstgeborene, verkör-
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pert bis heute das Unternehmen als Porsche-Sohn, als Namensgeber und Gestalter des ersten 911er. Er wird in der Welt herumgereicht, von Amerika bis Fernost. Butzi kreierte das Formel-1-Auto 904 und ein Jahr später stylte er auch den 911er, der 1963 präsentiert wurde. Gefragt, warum er lieber Jaguar statt Porsche fährt,pflegt der Designer zu antworten:»Ich hab’ihn ja g’macht.« Dennoch, seine Kreativität bleibt in Stuttgart gefragt. Ferdinand Alexander sitzt im Designberatergremium der Firma Porsche, erhält dort Detailaufträge. Er ist ständig im Boot, auch bei den neuen Modellen Cayenne, Boxster und so weiter. Als Purist und Freund strenger Formen kritisiert er den wassergekühlten 996er, vor allem den Innenraum und das Cockpit, als »zu verspielt«. Das habe nicht mehr viel gemein mit dem ursprünglichen 911er. Butzi empfindet sich als Künstler, weich wie sein Vater Ferry. Und wie der Senior hasst auch er große Auftritte, bevorzugt bodenständige, unscheinbare Sachen. So ist der Porsche-Enkel schon mal Obmann einer »Güterweggenossenschaft« in Zell, oder er sponsert lokale Initiativen, »wenn sie mir wichtig erscheinen«. Kein Wunder, dass der publikumsscheue Ästhet damals im Amt als Aufsichtsratschef »wider Willen« nicht immer eine gute Figur machte, bei einem Part, den er gar nie spielen wollte. Da der Österreicher kein Formulierungskünstler ist, liest er als Sitzungsleiter alles stur vom Blatt ab. So referierte er einmal bei der Eröffnung: »Alle Mitglieder sind anwesend«, dabei fehlten in dem überschaubaren Kreis noch drei Personen. Die harten Konfliktsituationen der Bohn-Ära Anfang der neunziger Jahre überforderten den Mann der Formen als Aufsichtsratsvorsitzenden häufig. Inzwischen ist Butzi viel souveräner und weiß, was er will. Sein Sohn, Dr. F. Oliver Porsche, tritt als Geschäftsführer der Porsche Design Management GmbH & Co., Salzburg, in des Vaters Fußstapfen. Der Spross nimmt zugleich Aufgaben in der Porsche Holding Salzburg wahr. Der formenkreative F. A. und der autokreative Ferdl, die schon als Butzi und Burli auf dem Gutshof Schüttgut zusammen bastelten, können gut miteinander. Jedenfalls sucht Ferdinand Piëch regelmäßig den Konsens mit seinem Lieblingsvetter. Beide wurden auf ihre Weise zu Königen der Familie. Der eine als »Ferdinand II. der Milde« (Ferdinand Alexander), der andere als »Ferdinand II. der Wilde«.
Porsche hat den Namen, Piëch das Sagen Dennoch sind die Gewichte in der dritten Generation ungleich verteilt. Bei den Stellvertreterkämpfen ziehen die Porsches fast regelmäßig den Kürzeren. Mehr unternehmerischer Drive für die Sportwagenfirma könnte den FerrySöhnen nicht schaden. Die genauen Beteiligungsverhältnisse der einzelnen
Mitglieder der Doppelfamilie an der Porsche AG sind nicht veröffentlicht. Die Medien sind auf grobe Informationen angewiesen. So dürften heute schon mehr als die ursprünglichen zehn Aktionäre Anteile mit Stimmrecht besitzen. Folgende Meldung unter der Rubrik »Porsche nennt Anteilseigner« wurde ein beziehungsweise zwei Jahre vor dem Tod von Ferry und Louise veröffentlicht (Stuttgarter Nachrichten, 13. 2. 1997): »Porsche hat die Anteilseigner genannt, die 100 Prozent der AG-Stimmrechte ausüben: Prof. Dr. Ing. h. c. Ferdinand Porsche 0,16 Prozent, Ferdinand Alexander Porsche 12,18 Prozent, Hans Peter Porsche 12,18 Prozent, Gerhard Anton Porsche 5,73 Prozent, Dr. Wolfgang Porsche 12,18 Prozent, Dr. Oliver Porsche 0,04 Prozent, Kommerzialrätin Louise Piëch 0,20 Prozent, Louise Daxer-Piëch 6,12 Prozent, Josef Ahorner 0,76 Prozent, Louise Kiesling 0,76 Prozent, Dr. techn. h. c. Ferdinand Piëch 13,06 Prozent, Dr. Hans Michel Piëch 13,06 Prozent, Porsche GmbH 23,57 Prozent.« Dieser kleine Zeitungsartikel lässt die Besitzverhältnisse der Familie nur vage erahnen. Die Anteile von Ferry und Louise, vermutlich auch in der Porsche GmbH untergebracht, dürften inzwischen ebenfalls entsprechend auf die Erben übergegangen sein. Auch wird aus dieser Aufstellung nicht ersichtlich, wohin der Anteil von Marlene Porsche (um 1 Prozent) gewandert ist. Darf Ferdinand Piëch als ihr ehemaliger Liebhaber über die Aktien verfügen? Die Lösung vieler Rätsel steckt sicher hinter der Porsche GmbH, der immerhin fast ein Viertel des Unternehmens gehört. Auch über die Salzburger Holding dürften einige Fäden gezogen werden. Zudem wird an der Börse vermutet, dass die Familien zusammen mindestens noch mehr als 10 Prozent der stimmrechtslosen Vorzugsaktien und damit eine sichere Porsche-Mehrheit besitzen. Es wird sogar spekuliert, dass die Piëch-Brüder Ferdinand und Hans Michel heute direkt und indirekt über Beteiligungsfirmen die meisten stimmberechtigten Aktien der Porsche AG besitzen. Das könnte ihnen bei einer Konfrontation Vorteile bringen. So wären die alte Regel strikte Trennung der Vermögen in Stuttgart und Salzburg und auch das ungeschriebene Gesetz der Familie gefährdet: Porsche ist Stuttgart, Piëch ist Salzburg. Die Kraftlinien haben sich in Wirklichkeit schon verschoben, denn die Machtverhältnisse lauten heute: Porsche hat den Namen und Piëch das Sagen. Die führenden Manager bekamen diese Realität häufig zu spüren. Andererseits ist der Zusammenhalt des Clans immer dann besonders groß, wenn Gefahr von außen droht. Die Doppelfamilie kann sich zwar bis aufs Messer bekriegen und angiften, aber – immer nach dem Motto: »Blut ist dicker als Wasser« – gegen einen Dritten rückt sie stets zusammen und geht auf ihn los. Mit scharfer Kritik indes hält sich die Familie seit einigen Jahren stark zurück. Die Ruhe hat auch mit dem beeindruckenden Erfolg von Wendelin
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Wiedeking zu tun. Fast zehn Jahre lang braucht der Manager das Eingreifen der Familie nicht zu fürchten. Im Gegenteil: Der Clan billigt ihm sogar die Position des »neutralen Dritten« zu. »Mit seiner Durchsetzungskraft«, so ein Unternehmensberater, »hat er als Porsche-Chef große Freiheiten.« Diese Sonderrolle wird auch vom messerscharfen Beobachter, Ferdi II. Piëch, akzeptiert. Der Schattenmann Piëch bringt dem erfolgreichen Porsche-Lenker sogar eine gewisse Sympathie und Anerkennung entgegen. Allerdings kann das für Wiedeking kein Ruhekissen sein. Wenn die wirtschaftliche Situation bei Porsche dramatisch kippt, melden sich die stärksten Bedenkenträger aus der Familie postwendend zurück. Diese diskutieren ihre Vorbehalte gegen Manager zuerst unter sich im Machtzentrum der Familie, im Gesellschafterausschuss. Hier hat selten ein hoher Angestellter des Hauses Zutritt. Die Entscheidung des Clans wird dem Management dann über den Aufsichtsrat mitgeteilt – das kann auch die Entlassung bedeuten. Wie die Firma allerdings unter dem Einfluss der kommenden, an Kopfzahl viel größeren Generation fortbestehen soll, ist eine spannende Frage. Nach der Rechnung von Autobiograf Piëch zählt die vierte Generation bereits 33 und die fünfte 25 Kinder (Stand: Ende 2001).
Porsches Schattenmann: »Ferdinand II. Piëch« Hinter jedem Topmanager bei Porsche taucht ein langer Schatten auf: Ferdinand Piëch, der höchst einflussreiche Erbe der Autodynastie. Wer sich in dem Unternehmen an der Macht halten oder erst etwas werden will, muss um seine Gunst buhlen. Der Mann ist Großaktionär und Nachkomme, Sohn der Porsche-Tochter Louise, »Aloisia«, verheiratete Piëch, sowie von Rechtsanwalt Dr. Anton Piëch, einstmals erster Werksdirektor bei Volkswagen unter Hitler im Zweiten Weltkrieg. Und er ist schließlich Enkel des Käfer-Erfinders Ferdinand Porsche. Ferdinand Piëch hat genug Porsche im Blut, um jederzeit als kompetenter Autonarr der PS-Dynastie bei seinem Unternehmen eingreifen zu können, wenn er es für notwendig hält. Auf eine solche Parade sollte es niemand in der Sportwagenfirma ankommen lassen. Als langjähriger Spitzenmanager der Autoindustrie – 21 Jahre bei Audi, gut zehn Jahre VWChef – kann sich das überaus selbstbewusste Familienmitglied nämlich auch im Alleingang gegen den ganzen Clan durchsetzen – so geschehen in zahlreichen Clinchs, zuletzt spektakulär gegen Wiedekings Vorgänger Arno Bohn. Die österreichische Wirtschaftspresse fand es passend, Ferdinand Piëchs
Machtpotenzial und seinen Stil mit der Selbstherrlichkeit einstiger k. u. k. Monarchen gleichzusetzen. Sie verlieh dem Porsche-Erben den Titel »Ferdinand II.«, auch in Anlehnung an den ersten Porsche-Dynasten Ferdinand Porsche (1875 bis 1951), seinen Großvater, Gründungsmotor von Volkswagen wie Porsche. Tatsächlich ist mit dem geborenen Machtmenschen nicht zu spaßen. Er ist gleichsam das personifizierte Über-Ich für jeden Angestellten im Betrieb, der heimliche Regisseur der Doppelfamilie.Ferdinand II.tritt als Managermacher ebenso in Erscheinung wie als gnadenloser Karrierekiller. Wiedeking weiß daher genau, dass er mit dem technikverliebten PS-Enthusiasten unbedingt auskommen muss. Denn der ist im Ernstfall Ankläger und Scharfrichter in einer Person. Manche bezeichnen ihn daher ehrfurchtsvoll als »den Paten von Porsche«. Etwas diplomatischer tritt Ferdinand Piëch erst in jüngster Zeit infolge seiner »Altersmilde« auf, wie er die Reife im Alter zu bezeichnen pflegt. Vielleicht liegt dieser Hauch von Milde bei ihm auch daran, dass er inzwischen 13 Kinder in die Welt gesetzt und beruflich so ziemlich alles erreicht hat, was ein ehrgeiziger Aufsteiger in der Autobranche leisten kann. Einen Wiedeking oder andere Topmanager als Konkurrenten braucht Ferdinand Piëch, der Multimillionär, längst nicht mehr zu fürchten. Wer ist dieser für Porsche so maßgebliche Mann, der am 17. April 1937 in Wien zur Welt kam?
Mit Autos aufgewachsen Angefangen hat es auf dem Familiensitz der Porsche-Piëchs namens Schüttgut. Dort verbringt Ferdinand Piëch seine Kindheit und Jugend und kommt früh in Kontakt mit allerlei technischen Geräten, Motoren, Autos, Lokomotiven, Flugzeugteilen. Nachdem Ferdinand erhebliche Schwierigkeiten an der Hauptschule am Ort hat, vor allem in Englisch und Deutsch, schickt ihn seine Mutter auf ein abgelegenes »alpines Internat« in der Schweiz. Damit verfügt die Familie bereits über Erfahrung durch Piëchs jüngeren Bruder, Hans Michel, und zwei seiner Cousins. »Die Schule war ein typisches Abhärtungsinternat,elitär,schlicht und streng«,schildert Ferdinand Piëch die Zuchtanstalt im Hochgebirge in seiner Auto. Biographie. Seine Erinnerung ist vorwiegend negativ, nämlich »an eine finstere Zeit des Erziehungswesens« in den frühen fünfziger Jahren: scharfe Überwachung der Zöglinge, die bis zu den Geldausgaben in den Gasthäusern der Umgebung reicht, rigide Sperrstunden nebst strengen Strafen und zeitgeschichtlich wenig lehrreichem Schulstoff. Piëchs Fazit, der einige Storys zu erzählen weiß: »Man hatte damals ganz schön
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gefährlich gelebt in solchen Internaten.« Bleibende Schäden für Leib und Seele indes will der später selbst als hart und unerbittlich auftretende Mensch mit autistischen Zügen nicht davongetragen haben. Dem scharfen Überlebenstraining in den Schweizer Bergen folgt 1959 das Ingenieurstudium an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich. Dem Piëch-Porsche-Spross kommt ein klassisches Ingenieurstudium entgegen. Schon von klein auf faszinierte ihn die Welt der Technik, besonders die Autos des Großvaters. Burli reparierte auch gern die Märklin-Modelleisenbahn des älteren Bruders Ernst oder er bastelte mit Lieblingsvetter Butzi (Ferdinand Alexander Porsche) auf dem elterlichen Gutshof herum. Dort nutzten die Jungs sozusagen die Ressourcen der heimatlichen PorscheSchmiede für ihr technisches Interesse. »Wir bauten Dinge, die sich bewegen ließen oder fliegen konnten. Wir errichteten ein Wehr am Bach und bauten eine Turbine.« Und von Onkel Porsche bekamen Burli und Butzi sogar eine alte Dampfmaschine mit Kessel, die zur Bodenstation einer Seilbahn über fünf Meter wurde. Mit diversen Motoren und ganzen Autos von Onkel, Mutter und Neffen versorgt – Porsche 356 Speedster oder Coupé –, reift der zweite Piëch-Sohn zum Automenschen mit Blei im Blut heran. Da ist es nur natürlich, dass Piëch sein neunmonatiges Praktikum vor dem Studium in den Werkstätten in der Salzburger Alpenstraße ableistet, am Gründungsort der späteren österreichischen Porsche Holding. Ebenso folgerichtig erscheint es dem Studenten später, seine Diplomarbeit über die Entwicklung eines luftgekühlten Zwölfzylinder-Formel-1-Motors zu schreiben. Als kaum 22-Jähriger heiratet Piëch übrigens seine heimliche Angebetete aus Internatszeiten, Corina von Planta. »Es war die erste Liebe, und Heiraten war damals die logische Konsequenz, wenn ein Kind unterwegs war.« Am Ende des Studiums ist der Ferdl Vater von drei Mädchen: Arianne, Corina und Desiree. »Im Dezember 1962 war ich also ein Diplomingenieur und Familienvater von 25 Jahren und holte erst einmal alles an Skifahren nach, was ich während des Studiums versäumt hatte«, erzählt Autobiograf Piëch über sein Leben. Mit der Arzttochter aus Sankt Moritz hat er schließlich fünf Kinder. Am liebsten wäre der frisch gebackene ETH-Ingenieur Flugzeugkonstrukteur bei der für ihn ausschließlich infrage kommenden schweizerischen Flugzeugindustrie geworden. Der Leichtbau hat es ihm damals wie heute (Alu-Karossen) angetan, dem Vorbild seines Großvaters folgend. Die hochfliegenden Hoffnungen der helvetischen Luftwaffe stürzen jedoch zusammen mit zwei Jägerflugzeug-Prototypen jäh in den Bodensee. Nun ist für Piëch in der Schweiz kein Job mehr frei. Also folgt der junge Technicus und Autonarr den »Kraftlinien, wie sie sich damals in der Großfamilie Piëch-Porsche logisch
darstellten«. Gleich nach Ende der Skisaison tritt er bei Porsche in Stuttgart an. Am 1. April 1963 startet der 26-jährige Diplomingenieur seine Karriere in der familieneigenen Autoschmiede – für ihn auf unterster Stufe. Der stolze Ingenieur muss zuerst mit dem schnöden Posten eines Sachbearbeiters im Rennmotorenversuch vorlieb nehmen. Die Abteilung ist mit rund einem Dutzend Mitarbeitern übersichtlich. Piëch steigt rasch auf und ist nun für den Serienmotor zuständig. Es klingt wie eine leise Kritik an seinem Onkel Ferry, wenn er in seinen Erinnerungen bemerkt: »Meine Karriere wurde nicht durch meinen Onkel, sondern vorerst durch den Technischen Leiter Hans Tomala bestimmt.« Schon 1965 übernimmt der ehrgeizige Piëch-Sohn die Leitung Versuch. Und als seinen Stellvertreter holt er einen gewissen Helmuth Bott ins Labor, der Jahre später die gesamte Porsche-Entwicklung führen sollte. »Im Tandem absolvierten wir auch die kommenden Karrieresprünge«, freut sich Piëch. Er »konnte Bott gut leiden, zumal ich immer die am meisten schätzte, die am meisten leisteten.« Dagegen legt sich Piëch bald mit seinem Vorgesetzten Tomala an. Seine technische Lösung für Federbeine befindet der 29-Jährige glatt für »Pfusch«. Dem Angestellten wirft er auch noch vor, ihn übergangen zu haben, »was zur Konfrontation mit mir führen musste. Ich stellte meinen Onkel vor die Entscheidung. Tomala ging – ich blieb.« Piëchs erster Schultersieg gegen einen Manager. Solche Konfrontationen muss Ferry nun weit mehr fürchten, als ihm für den Betriebsfrieden lieb sein konnte. Denn Konflikte scheut der Autospross Piëch nur selten.
Mit Vollgas an den Abgrund In jenen Jahren verfügen die Stuttgarter über ansehnliche Summen für Aktivitäten im Rennsport. Der Grund: Nach einem komfortablen Abkommen bezahlt VW zwei Drittel der Ausgaben ohne Begrenzung nach oben.Da kann der junge Ferdl fröhlich schalten und walten. Weder stört seine Unberechenbarkeit, noch fällt seine verschwenderische Experimentierlust ins Gewicht. Geld ist ja genug da, und so macht der Junior weiter Karriere. Mit knapp 31 leitet Piëch die gesamte Entwicklungsabteilung, und ab dem 1. April 1971 bekleidet er schon die Topposition eines technischen Geschäftsführers. Das entspräche heute dem Entwicklungsvorstand – doch der Erbe strebt nach Höherem. Kurzfristig darf der Piëch-Sohn im Frühjahr 1971 sogar von Peter Porsche das Ressort Produktion übernehmen, sodass er die gesamte Technik dirigiert. Und nun geht er aufs Ganze und schielt auf den Thron – eine Position, für die er sich für geeignet hält. Um die Familie zu überzeugen –
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namentlich Onkel Ferry, dessen Technikbegeisterung er teilt –, will sich der Porsche-Enkel mit dem rassigsten Boliden auf den Rennpisten der Welt als Entwickler ein Denkmal setzen – koste es, was es wolle. Sein Lieblingsauto in der Porsche-Entwicklung ist der »kurze 908«, ein ungestümer Raser mit kleinen Flügeln. Piëch verleiht dem Flitzer mit einem gewaltigen 4,6-Liter-Zwölfzylinder noch mehr Schub und konstruiert daraus den 917. Bis heute war kein Rennfahrer jemals in der Lage, die maximale Geschwindigkeit dieser Rakete auf Rädern auf einer Piste auszutesten. »Eine Aktion, die ich mir in meiner späteren Karriere nicht mehr zugetraut hätte«, gibt der Tempofreak klein bei. Doch damals gibt er einfach 25 sündhaft teure und unerprobte Autos direkt »vom Zeichenbrett weg in Auftrag«. Seine unverfrorene Eigenmächtigkeit spaltet die brüchig gewordene Eintracht der Porsches und Piëchs. Die Disziplinlosigkeit des von Angestellten als »very eins-zwei-drei« belächelten Unruhestifters markiert den Anfang vom Ende eines mühsam aufrechterhaltenen Familienfriedens. Angeblich soll Ferry diese Kühnheit seinem Neffen noch im Gespräch unter vier Augen wieder verziehen haben, doch hinterher, im Familienkreis, räumt Piëch ein, »hat er fürchterlich geschimpft, was für ein Blödsinn das sei. Das regte wieder die Seinigen auf: Wie kannst du das dem Ferdinand wieder durchgehen lassen, diesen Größenwahn und überhaupt?«
Querdenker und Querkopf Ob das Porsche-Oberhaupt nun, wie sein Neffe behauptet, ein duldsamer Mitläufer beim 917-Projekt ist oder ein steter Warner und scharfer Kritiker, wie viele Zeitzeugen sagen, ist umstritten. Fest steht, der junge Piëch stört mit seinen extrem aufwändigen Konstruktionen laufend das Verhältnis der Familien. Das geht sogar so weit, dass Ferry samt dem damaligen Pressechef Porsches, Huschke von Hanstein, der Präsentation des 917 – bis dahin mit 140 000 Mark immerhin die teuerste Kreation Porsches – auf dem Genfer Automobilsalon 1969 demonstrativ fernbleibt. »Ich kann als Techniker nicht einfach irrealen Ideen nachhängen oder spintisieren …, mir also Spinnereien erlauben, die dann später nichts bringen«, schäumte der alte Porsche (Rita Stiens, Der Automacher). Allemal ein Tiefschlag für den Piëch-Sprössling, über den freilich die Mutter und Ferry-Schwester Louise weiter schützend die Hand hält. Doch es folgt schon die nächste Niederlage. Beim ersten Le-Mans-Einsatz 1969 verunglückt der englische Privatfahrer John Woolfe mit dem 917 in der ersten Runde tödlich. Er bringt das wilde Gefährt nicht in seine Gewalt und unterschätzt das Tempo, das ihm Konstrukteur Ferdinand Piëch gab.
Gezähmt wird der 917 übrigens erst nach vielen aerodynamischen Entwicklungsschritten. »Der 917 hatte der Firma Ruhm gebracht und draußen in der Rennwelt Schrecken verbreitet, aber intern hatte mir der ganze Feldzug nur geschadet«, zieht Piëch Bilanz. Ökonomische Fakten und Probleme der Umwelt zählen damals für den hemdsärmeligen Aufsteiger nicht. Unbeirrt hängt der Fetischist für PS, Zylinder und Nockenwellen seinen fantastischen Visionen nach. Und bis heute stellt Piëch seine Entwürfe für Porsche als Investitionen für die Zukunft dar. »Im Rückblick gehört der Porsche 917 sicher zu den größten Sportwagen aller Zeiten«, lobt der Automanager seinen »nützlichen Irrwitz« in höchsten Tönen. Die meisten Zeitgenossen jedoch werten Piëchs Rennwagen-Alleingänge als waghalsige Spielereien,die das im Aufbau befindliche Seriengeschäft gefährden konnten. Kaltschnäuzig wie ein Spieler ignoriert der Draufgänger im Porsche-Labor alle finanziellen Grenzen – so sehr, dass die Kostenexplosion selbst der Bürokratie im fernen VW-Konzern auffällt und die Wolfsburger die Notbremse ziehen. »Bei seinen tollen Entwicklungen hat er das Budget kräftig überzogen«, erinnern sich Mitarbeiter an Piëchs Hauptproblem. Diese Rücksichtslosigkeit stößt seinem Onkel Ferry immer übler auf. Denn er ist es schließlich, der die Gesamtverantwortung für den Betrieb trägt und dafür sorgen muss, dass die Kosten nicht aus dem Ruder laufen. Doch just diese Umsicht als Kaufmann verübelt ihm Piëch-Junior als kleinkariert. »Als Entwickler wollte ich einfach immer das Beste«, beharrt er bis in die Gegenwart auf seinem Standpunkt. Der Autonarr ist eben Querdenker und Querkopf in einem. Und die Mischung daraus ist der Querlenker, der so viel Unruhe stiftet und den Bruch der Doppelfamilie Porsche-Piëch riskiert. Der eigenmächtige Junior achtet nur wenige Menschen und noch weniger Instanzen. In der Porsche-Belegschaft ist der privilegierte Überflieger bald mehr gefürchtet als geachtet.Schon wenn er morgens mit seinem Fahrrad von der Porsche-Villa auf der Höhe des Killesbergs nach Zuffenhausen hinabbraust und im Werk auftaucht, da wären nicht wenige am liebsten vor ihm geflohen. Sie haben Angst vor seinem Rumgebrülle; der Neffe ist berüchtigt dafür, dass er »seine Angestellten« wegen Kleinigkeiten zusammenstaucht. Wie unbeliebt der so aggressive wie streitbare Juniorchef bei vielen Mitarbeitern wird, zeigt eine – vielleicht übertriebene – Geschichte, die bis heute in Zuffenhausen und Weissach kolportiert wird. Der gestrenge Kollege Piëch soll mit der Stoppuhr vor den Werkstoiletten gestanden haben, um die »Fehlzeiten« einzelner Angestellter zu registrieren. Kein Wunder, dass die Belegschaft den Unsympathen der Familie bis heute kritisch beäugt. An einem harmonischen und vertrauensvollen Betriebsklima ist Ferdl Piëch kaum gelegen.
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Er fordert unbedingten Gehorsam – was nicht unbedingt für ihn selbst gelten muss. Bei seinem späteren Aufstieg bei Audi verrät er: »Als Versuchschef braucht man einen gewissen Drang zum Ungehorsam, es liegt in der Natur der Jobs: Man musste sich Dinge trauen, für die es keine Genehmigung und kein Budget gibt.« In seiner Zeit bei Audi lässt der Selbstherrliche ohne Kenntnis der Muttergesellschaft VW zum Beispiel einfach einen eigenen Dieseleinspritzmotor (TDI) und den allradgetriebenen A 1 entwickeln. Autobiograf Piëch verteidigt: »Ich sagte Ja dazu und ließ das Projekt unter der Hand laufen, ohne Papierkrieg, um die Mutter nicht aufzuscheuchen.« So ließ sich Piëch einige Entwicklungen erst nachträglich von den VW-Bossen absegnen. Eine solche Großzügigkeit indes kann und will Ferry Porsche seinem selbstherrlichen Neffen nicht länger durchgehen lassen. Sein Verhalten, fürchtet er, grenzt schon an Größenwahn. Andererseits steht Piëch der Familie distanziert, fast kalt gegenüber. Mit dem Misstrauen auf beiden Seiten kann es im Betrieb nur abwärts gehen. Daher denkt der Porsche-Patriarch – immer wieder aufgebracht und beunruhigt über unberechenbare wie verschwenderische Abenteuer des Rennsportfanatikers Ferdinand – an eine völlige Umgestaltung des Betriebs. Und am Ende eines schweren Kampfes mit dem ganzen Clan wie mit sich selbst, gelangt er zu der Erkenntnis, dass er den Einfluss der Großfamilie, besonders der Cousins aus der dritten Generation, radikal beschneiden müsse. Nur durch eine scharfe Trennung privater Karriereinteressen einzelner Mitglieder vom Unternehmen, scheint ihm, rettet er die Familienfirma für die Zukunft und drängt den Gefahr bringenden Querlenker endlich aus der Firmenleitung.
Neubeginn in Ingolstadt Der ungeplante Ausstieg aller Porsche- und Piëch-Angehörigen aus den operativen Tätigkeiten in Stuttgart sowie bei der Porsche Holding in Salzburg ist zwar auf den 1. März 1972 datiert worden, aber Ferdinand Piëch zieht es vor, bereits Ende 1971 das Weite zu suchen. Nach mehr als acht ereignisreichen Porsche-Jahren fährt er zunächst ausgiebig Ski in den Alpen und macht sich fürs Erste als Ingenieur selbstständig. Es hat in dieser Zeit den Anschein, als ob er in Stuttgart dauerhaft ein Ingenieurbüro eröffnen würde. Die PorscheSeite nimmt diesen offensichtlichen Rückzug Ferdls durchaus mit großer Genugtuung auf. Die Freude indes kommt zu früh. Ein fanatischer Autotechniker wie Piëch findet leicht Anschluss, in diesem Fall gleich bei Mercedes. Allerdings liefert er sich nur ein Zwischenspiel mit dem Konzern. Er schließt
auf Wunsch des damaligen Daimler-Benz-Bosses Professor Joachim Zahn nur einen Beratervertrag ab. Piëch soll auf Basis des 240-D-Pkw-Motors fünf Prototypen für ein Fünfzylinder-Dieselaggregat entwickeln. In nur fünf Monaten ist der Auftrag erledigt. In seinen Erinnerungen berichtet Piëch, dass ihn Zahn bei einem Abendessen gern als künftigen Entwicklungschef angeheuert hätte. Aber schon der ausdrückliche Hinweis des Daimler-Lenkers darauf, dass seine Entwickler auch auf die Kosten zu achten hätten, reicht Piëch, um das Angebot mehr oder minder schroff abzulehnen. »Schöne neue Autos gibt’s nicht ohne Geld«, soll er Zahn geantwortet haben. Also bleibt Daimler für Piëch 1972 nur ein Intermezzo. Der Porsche-Ableger findet bald einen neuen Arbeitgeber. Schon zum 1. August 1972 tritt Piëch bei Audi in Ingolstadt, damals Audi NSU Auto Union AG, an. Bei dem süddeutschen Ableger von VW stehen dem Sohn von Anton Piëch, der ja einer der ersten Werksdirektoren in Wolfsburg war, die Tore weit offen. Doch vorerst kann dem Enkel des Käfer-Erfinders nur eine Stelle »zur besonderen Verwendung« im Rang eines Hauptabteilungsleiters geboten werden. Er soll bei Audi dem ehemals ruhmreichen MercedesKonstrukteur Dr.Ludwig Kraus zu Diensten sein.Piëch akzeptiert die Lösung zwar, aber »irgendwie war es doch eine Demütigung, dass ich gegenüber meinem Porsche-Job zwei Hierarchiestufen verlor.« In Stuttgart boxte sich der Erbe in kaum acht Jahren vom einfachen Sachbearbeiter zum Geschäftsführer hoch. Wie lange wird er dafür nun in Ingolstadt brauchen?
Der Herr der Silberringe Das Porsche-Karriere-Tempo legt der erst 35 Jahre alte, von sich sehr überzeugte Autonarr nun auch bei Audi in Ingolstadt vor. Seine als »Niederlage« empfundene hierarchische Herabstufung muss rasch in Siege verkehrt werden. Tatsächlich nimmt Ferdinand Piëch einen unaufhaltsamen Aufstieg in Angriff. Wieder eckt er vielfach bei Vorgesetzten an, wirft trickreich vermeintliche Konkurrenten für seine Karriere aus der Bahn und gewinnt Runde um Runde. Schon nach kurzer Zeit, Anfang 1973, leitet der Neue den Gesamtversuch und bereits 1974 beerbt er den geschätzten Doktor Kraus und wird für ein Probejahr erster Mann der Audi-Entwicklung direkt unterhalb der Vorstandsebene. Bereits ab Herbst 1975 sitzt der Karrierist, der sich vor jeder Stufe nach oben »für den besseren Mann« hält, endgültig im Audi-Vorstand. Insgesamt bleibt Piëch weitere siebzehneinhalb Jahre bei der Audi AG. In dieser Zeit rückt er 1983 zum Vize des Vorstandsvorsitzenden auf. Am
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1. Januar 1988 hält er endgültig das Lenkrad bei der Marke mit den vier verketteten Ringen (sie stehen für DKW, Audi, Horch und Wanderer) in der Hand, ist erster Mann in Ingolstadt. Und wo es geht, drückt der unbändige Automensch der Umgebung seinen Stempel auf. Die Rivalität der Marken Audi und VW genießt er als »Audi-Selbstfindung«. Immerhin verwandelt er die Marke Audi mit dem ehemals biederen Hosenträger-Image in eine begehrte Marke für Aufsteiger. BMW und Mercedes-Benz nehmen die vier Silberringe bald ernst. Doch der Glamour, den die Firmenfassade wie die Modelle versprechen, täuscht. Hinter den Kulissen dominiert die Kommandostruktur einer strengen Kasernenhofgesellschaft Audis Alltag. Disziplin und Gehorsam – nicht selten im Gegensatz zu Piëchs eigenem Verhalten – sind oberste Gebote. Für einen technisch orientierten Geist wie Piëch und einen Autorambo dazu ist ein Unternehmen weniger ein menschlicher Organismus, sondern eher eine Apparatur mit zig Zylindern, Nockenwellen, Ventilen und Steuerelementen, die auf Knopfdruck wie geschmiert zu funktionieren haben. Fehler werden selten verziehen. »Man traut Ferdinand Piëch grundsätzlich alles zu. Im Positiven wie im Negativen. Der mächtige Macher und Erbe wird so zu einer Instanz, der vorauseilender Gehorsam gewiss ist«, urteilt Piëch-Biografin Rita Stiens.
General in Wolfsburg Trotz seiner Skurrilität darf der Audi-Mann 1993 auch noch den VW-Olymp in Wolfsburg besteigen. Doch dieser Aufstieg verläuft für den als knallharter Manager verschrienen Audi-Chef beschwerlich. Carl Horst Hahn, VWs Konzern-Lenker, zögert von Mal zu Mal. Und schließlich möchte er Piëch doch nicht mehr als seinen Nachfolger sehen. Als respektable Alternativen bringt er kurzfristig den Conti-Vorstandsvorsitzenden Helmut Werner, später Mercedes-Chef, und dann seinen Vize im Vorstand, den Marken-Chef Daniel Goeudevert ins Gespräch. Zu dieser Zeit steckt der Autokonzern in einer tiefen Krise. Deshalb ist sich keiner der Entscheidungsträger – von Gerhard Schröder (SPD), der als Ministerpräsident Niedersachsens die graue Eminenz bei VW ist, bis zum IG Metall-Boss Franz Steinkühler – bei der Kandidatenwahl sicher. Dem Porsche-Erben wird zwar die Sanierung von Volkswagen am ehesten zugetraut, aber zu welchem Preis, mit wie vielen Entlassungen? Schließlich muss Piëch all seine diplomatische Kraft aufwenden, bei Sozialdemokraten wie bei Gewerkschaften gut Wetter machen und einer harten Linie abschwören. Nur so kann er schließlich seinen ärgsten Wider-
sacher, Goeudevert, trickreich aus dem Weg räumen. »Die Ratlosigkeit des zuständigen Vorstands war unglaublich. Die inhaltlichen Gründe für die Situation lagen in der außergewöhnlich schlechten Produktivität von VW …, im völligen Versagen auf dem US-Markt, unglücklicher Vertriebsplanung insgesamt …«, rechnet Piëch in seiner Auto. Biographie mit seinen Vorgängern ab und nimmt das Steuer fast ein Jahrzehnt fest in die Hände. Als unbeugsamer VW-General wird der Gnadenlose zum Vollstrecker, sobald er Schlendrian und Schludrigkeit wittert. Berüchtigt werden seine Dienstreisen mit Topmanagern von Audi und später auch VW in diverse Länder, um die Qualität der Autos zu testen. Vor allem in der Zeit, als Piëch der Autowelt den »Fugenkrieg« erklärt hatte. Sein Ideal ist nämlich das nahtlose Aneinanderstoßen von zwei Blechen oder Blech an Plastik, etwa bei Türen, Stoßstangen und der Karosserie. Techniker sprechen bei der Größe der Fuge von »Spaltmaß«. Und Ferdinand Piëch galt wegen seines unbarmherzig verfolgten Ziels der »Nullfuge« als »Spaltmaß-Fetischist« oder, wie er in seinem Buch selbst zugibt, liebevoller als »Fugen-Ferdl«. So lustig, wie dieser Spitzname klingen mag, ist dieser Fugen-Feldzug damals nicht gewesen. Denn wer beim pedantischen Spaltmaßmessen als Schuldiger geoutet wird und durch die Prüfung fällt, kann seine Karriere bei VW, Audi & Co. über Nacht an den Nagel hängen. Einfach so, und tschüss! Das Schicksal entschied sich häufig bei den gemeinsamen Touren in den hohen Norden oder in die Sahara auf Einladung – besser Anordnung – Piëchs. Dann nämlich prüft der Boss pingelig die jüngsten Produkte persönlich auf Herz und Nieren. Gefürchtet von den Untergebenen ist sein Falkenblick auf die Qualität der Materialien. Es ist die reinste Inquisition. Berüchtigt wird der spitzfindige Streifzug seiner Finger über die Spaltmaße von Fugen und Kanten der Karossen, bei dem er unbarmherzig jede Abweichung oder Unebenheit registriert. Unerbittlich ist das Gehör des gewieften Autohandwerkers, wenn er die Motorgeräusche abhört, Zylinder um Zylinder, Ventil um Ventil. »Ich bringe mit meinem Blick manchmal Menschen durcheinander, ohne dass ich es erklären könnte«, sagt Piëch von sich. Wer nach dem Urteil des Scharfrichters in Sachen Technik und Qualität gescheitert ist, erfährt es spätestens abends in seinem Hotelzimmer. Statt der gewohnten Blumen oder einer netten Widmung des großen Meisters liegt die Rückflugkarte nach Deutschland für den nächsten Morgen auf dem Nachttischschränkchen – die Botschaft von »Fugen-Ferdl« ist klar. Sie gilt auch für die Karriereaussichten unter dem Kommando des Technikgurus. Verständlich, dass diese kalte Art des Abservierens viele Mitarbeiter im mittleren und oberen Management in Schwierigkeiten bringt. Den von Piëch geliebten Wer-
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beslogan »Vorsprung durch Technik« wandeln seine Kritiker in »Vorsprung durch Hektik« ab. So demonstrieren sie damit, dass sie mit dem Tempo und den Visionen des Technikführers nicht klarkommen. Auch die Öffentlichkeitsarbeit in Ingolstadt wie in Wolfburg funktioniert nach Gutsherrenart, also gar nicht. Anfragen von Journalisten bleiben oft tagelang liegen und werden dann lapidar abgebügelt.
Porsche stets im Visier Der dunkle Schatten des Ferdinand Piëch lag und liegt weiter über dem Familienbetrieb in Stuttgart. Sein erzwungener Abschied aus der PorscheFührung 1972 ändert daran nichts. Im Gegenteil: Mit Falkenaugen behält Ferdl das Geschehen dort im Visier. Dabei ist es gleichgültig, wo er gerade residiert, in Ingolstadt, Wolfsburg oder auf dem Schüttgut bei Salzburg. Wer bei der Porsche AG eine gehobene oder obere Führungsposition einnimmt, muss bis in die Gegenwart mit seinem Einfluss und gegebenenfalls auch mit seinem energischen Eingreifen rechnen. Der Porsche-Enkel bleibt präsent und ist regelmäßiger Gast bei der Sportwagenschmiede. Und er besucht häufig die wichtigen Porsche-Events. So war er im Sommer 2002 selbstverständlich Gast bei der Eröffnung des Cayenne-Werks in Leipzig, bei Wiedekings rauschender Geburtstagsparty zum 50. im August 2002 oder später bei der Händler-Präsentation des neuen Geländewagens auf Sardinien. Ebenso schaut er hie und da persönlich bei den großen Vertriebszentralen in Übersee vorbei. Und während der Automessen ist es für Piëch selbstverständlich, auch seine Familienfirma zu besuchen. Die Macht seines langen Arms haben alle Porsche-Vorstandschefs und -mitglieder von Fuhrmann und Schutz über Bohn bis Wiedeking zu spüren bekommen. Und falls nötig, benutzt der normalerweise verschlossene, im Hintergrund agierende Machtmensch auch mal gezielt die Presse, um Druck auf Familienmitglieder und Manager auszuüben. Im Kreis der Verwandten setzte sich der Auto-Ferdl in nahezu allen wichtigen Fragen durch. Als Einzelperson dürfte er den größten Einfluss innerhalb der Familie besitzen, gegen ihn läuft bei Porsche mit Sicherheit nichts. Bis auf eine kurze Episode während der Liaison mit Marlene Porsche ist Ferdinand Piëch auch ständiges Mitglied im Aufsichtsrat. Seit den achtziger Jahren gab es keine wichtige Personalentscheidung im obersten Führungsgremium von Porsche, an der er nicht mitwirkte. Denn für Ferdinand Piëch ist jeder ein Rivale, der ihm persönlich ins Gehege kommt. Wiedeking kann seinem Schöpfer danken, dass der Porsche-Erbe inzwischen im Rentenalter ist und nicht mehr nach Vor-
standsposten schielen muss.Und er ist gut beraten,freundschaftlichen Kontakt zu dem Porsche-Erben zu suchen. Gelegentliche gemeinsame Segeltörns und Treffen bei Festen können da nicht schaden. Doch das größte Plus für den Porsche-Chef ist, dass die Geschäfte seit einigen Jahren glänzend laufen. Das verleitet den Patron sogar zu einem Lob für seinen ersten Angestellten: »Natürlich frage ich mich manchmal aus heutiger Sicht, ob ich den Turnaround von Porsche genauso effektvoll geschafft hätte wie Wiedeking … Ich muss … zugeben, dass mich Wiedekings Mut zur Radikalität dieser Umsetzung schon verblüfft hat – ich bin mir nicht sicher, ob ich mich das so getraut hätte.« (Piëch, Auto. Biographie).
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Teil 2 Vorgänger,Versäumnisse und der Aufstieg
Lehrreiche Jahre an der Basis Als der junge Dr. Wiedeking Anfang der achtziger Jahre in der Abteilung des in der gesamten Branche berühmten Produktionsprofessors Rudi Noppen seine ersten Sporen verdienen darf, da muss der frisch promovierte Maschinenbauer aus Aachen die offensichtlichen Schwachstellen in den Fabriken von Zuffenhausen bald bemerkt haben. Hier steht ein Paradies für ausgebildete Rationalisierungsexperten wie ihn mit vielen Möglichkeiten offen. Doch halt! Die Zeit zu hemdsärmeligem Handeln, wie es später typisch für den rührigen Westfalen wurde, ist längst nicht reif. Schließlich führt er keine Abteilung, wo er Befehle geben könnte. Vorerst muss er als Referent und später als Assistent im Vorstandsbereich Produktion und Materialwirtschaft brav alle Aufgaben erfüllen, die ihm sein Ressortchef Noppen zuweisen lässt. Sein direkter Vorgesetzter in den Anfangsjahren ist Hauptabteilungsleiter Alfred Auwärter. Der im Hause respektierte Produktioner untersteht direkt dem Planungsstab von Noppen. Wiedeking, der soeben im Winter 1983 am Laboratorium für Werkzeugmaschinen und Betriebslehre an der RWTH Aachen promovierte Theoretiker in Sachen Produktion, bekommt bald die Chance, seine aktuellen Kenntnisse aus der Wissenschaft bei einer geplanten neuen Lackieranlage zu erproben. Der Mann aus Westfalen wird zum Leiter für das wichtige Projekt Lackieranlage im Werk 2 ernannt. Die alte, umweltschädigende Produktion muss dringend ersetzt werden; nicht zuletzt, weil sich Anwohner ständig über dicke Luft beschweren. Der junge Ingenieur arbeitet dabei Hand in Hand mit dem Anlagenbauer Dürr direkt neben Porsche zusammen sowie mit dem Chemieriesen BASF in Ludwigshafen. »Es gibt bei solchen Großprojekten immer zwei Möglichkeiten: Entweder man überlässt es voll dem Lieferanten, wenn man eine 08/15-Anlage will, oder man muss es mit ihm zusammen machen«, erläutert Heinz Branitzki, ehemaliger PorscheChef und langjähriger Finanzvorstand, die Aufgabenstellung. Der Sportwagenbauer entscheidet sich dafür, bei dieser strategischen Investition als
gleichberechtigter Partner mitreden zu wollen. Und die zentrale Funktion des Planers wird Wiedeking übertragen. Er entwickelt sich in diesem Dreierbund zu Porsches Lackierexperten. Immerhin steht ein Pionierprojekt zur Disposition, bahnbrechend in Sachen Gebäudetechnik und Abluftanlage. »Es hat von Anfang an hervorragend funktioniert«, erinnert sich noch heute Wiedekings oberster Chef, Heinz Branitzki. »Umwelttechnisch erste Sahne«, lobten damals auch die Technikkollegen. Nach dem ersten großen Erfolg beim Lack darf der junge Ingenieur in ähnlicher Position anschließend den Totalumbau des Karosseriewerks leiten. Im Rahmen seiner Planungsaufgaben gehört Wiedeking auch dem wichtigen Bauausschuss an. Und hier kommt er bei den vielen Besprechungen mit einflussreichen Managern wie Betriebsräten gleichermaßen zusammen – wichtige Kontakte für seine spätere Karriere. »Er war als Mitglied im Bauausschuss sehr korrekt und kooperativ«, weiß ein Vertreter der Arbeitnehmer zu berichten. Wiedeking setzt sich nicht über Arbeitsschutzgesetze hinweg, gibt den Mitarbeitern nie das Gefühl, von ihm »übern Tisch gezogen zu werden«. Der Nachwuchsmanager beschäftigt sich sachlich mit oft weit divergierenden Anforderungen. Die wesentlichen Kerndaten – Kosten, Stückzahlen, Maße, Produktionszeiten und vieles mehr – legt ohnehin der Vorstand fest. Auf den Vertrauensvorschuss unter Kollegen aller Seiten kann er später als Firmenlenker aufbauen. Auch das Topmanagement, etwa Porsche-Chef Branitzki, schätzt Wiedeking für seine »sehr verantwortliche Aufgabe unter Professor Noppen«, er habe alles »immer zur großen Zufriedenheit erledigt.«
Ein Mitglied der »Inquisition« Weil sich der anfängliche Produktionstheoretiker rasch zu einem brauchbaren Praktiker in der Produktionssteuerung mit analytischen Fähigkeiten entwickelt – Branitzki: »Er hat sich um viele Dinge gekümmert« –, übertragen ihm seine Vorgesetzen noch eine heikle Spezialaufgabe. Wiedeking wird im April 1988 in das 12-köpfige Strategieteam (»zwölf Verschworene«) aufgenommen, das neun Monate lang eine brisante Aufgabe zu erfüllen hat: Die Gruppe muss unter den damals rund 4 000 so genannten »nicht produktiven Mitarbeitern« diejenigen ausfiltern, auf welche die Firma sofort verzichten könnte. Diese Abschusskandidaten, die noch nichts von ihrem Unglück wissen, arbeiten fast überall im Unternehmen. Wiedeking und die elf MitAnalysten müssen die Kolleginnen und Kollegen nach dem berüchtigten Verfahren der Gemeinkosten-Wertanalyse aussieben. Die als GWA gefürchtete Methode wird damals von der amerikanischen Unternehmensberatung
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McKinsey in sehr vielen Betrieben unter Anleitung ihrer Berater durchgeführt. Die unter zu hohen Kosten, geringer Effektivität und letztlich unter zu viel Personal leidenden Firmen wollen auf diese Weise effizienter werden. Auch beim kriselnden Stuttgarter Sportwagenbauer ist 1988 »McKinseyZeit«, wie es in den oberen Etagen heißt. Wie zahlreiche Konkurrenten ruft auch Porsche die gnadenlosen Rationalisierer ins Haus. Die Familienfirma steht am Beginn einer schweren Krise, die bis 1995/96 dauern sollte. Der in sieben goldenen Jahren wegen seiner profitablen Exporterfolge in die USA hochverehrte Porsche-Lenker Peter W.Schutz war erst wenige Wochen zuvor aus dem Amt gejagt und an seine Stelle nur kommissarisch der bisherige Finanzchef Heinz Branitzki beordert worden. In Zuffenhausen brennt es lichterloh. Das Management muss sofort handeln. Die Aktionäre, allen voran der Doppelclan Porsche-Piëch, wollen Taten sehen. Und in dieser brenzligen Situation kommen die berüchtigten Stellenkiller von McKinsey gerade recht. Deren Vorgehensweise gleicht, wie sich Opfer wie Teilnehmer des Verfahrens erinnern, »einer wahren Inquisition«. Wiedeking & Co. werden zu folgsamen Erfüllungsgehilfen von McKinsey-Leuten gemacht. Dieses Aussieben von Mensch und Material von April bis Dezember 1988 geht auch dem kollegialen Westfalen an die Nieren. Für Prüfer wie Prüflinge, Vorgesetzte wie Untergebene ist es schließlich »eine ganz, ganz heiße Phase im Unternehmen«. Im Porsche-McKinsey-Team zur Durchführung der Gemeinkosten-Wertanalyse (GWA) sitzen jeweils sechs Kaufleute und sechs Techniker, darunter Wiedeking. Sie müssen Abteilung für Abteilung streng durchforsten und dann Vorschläge zur Rationalisierung entwickeln. Ihr Auftrag betrifft bis zu 4 000 Mitarbeiter – Verwalter, Sachbearbeiter, Einkäufer, Verkäufer, Entwickler, Techniker oder Ingenieure an allen drei Standorten, in Zuffenhausen, Weissach und Ludwigsburg/Tamm. Deren Arbeitsplätze werden durchweg kritisch auf den Prüfstand gestellt. Die Identifikation läuft zyklisch ab. Jeder Abteilungsleiter tritt alle vier Wochen an und zeigt im ersten Schritt zunächst 40 Prozent Einsparungspotenzial an Material und Menschen in seiner Organisation auf. Vier Wochen später – im zweiten Zyklus – muss er dem Strategieteam per Unterschrift garantieren, dass er mindestens weitere 20 Prozent seines Funktionsbereichs in Mark und Pfennig einsparen kann. So zieht das Rationalisierungsteam in den kommenden Monaten die Daumenschrauben immer fester an. Um die Situation bei den oft abends stattfindenden Sitzungen zu entspannen, genehmigt sich die Runde ein Bier, bevor die nackten traurigen Zahlen auf den Tisch kommen. Die »Inquisition« verläuft äußerst erfolgreich – zumindest auf dem Papier. In den neun Monaten McKinsey-Zeit identifizieren Wiedeking & Co. mehr
als 25 Prozent oder gut 1 000 Porscheaner als »nicht produktiv« und damit als »verzichtbar«. Zu diesem Resultat schreibt das Strategieteam zwar massenhaft Berichte mit Analysen und Rationalisierungsvorschlägen, die dem Vorstand monatlich zur Kenntnis gebracht werden, aber konkret umgesetzt wird von den Papieren nichts. Erst gut vier Jahre später zieht ein Noppen-Assistent, Wendelin Wiedeking, als nun erster Mann im Hause die bitteren Konsequenzen aus den nüchternen Erkenntnissen von einst und ordnet über Nacht den schärfsten Personalabbau in der Firmengeschichte an. Die Verantwortlichen im Vorstand zuvor, Branitzki und Arno Bohn nebst Produktionschef Rudi Noppen indes bringen nicht diesen Mut zu radikalen Schritten auf. Sie stellen zeitweise sogar noch Personal ein, so etwa entgegen der McKinsey-Empfehlung rund 300 Mitarbeiter im Entwicklungszentrum Weissach. Die Vorstände schätzen damals offenbar ihre Fähigkeiten falsch ein. Denn während Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre die gesamte Autoindustrie von Aachen bis Berlin, von Hamburg bis München ihre Häuser auf den Kopf stellt und eine schlanke Massenproduktion favorisiert, geht es in Zuffenhausen vergleichsweise handwerklich, gemächlich zu. Ein anschauliches Beispiel für die gefährliche Rückständigkeit mag der Bau der mit hohem Aufwand aus der Vierzylinder-Serie 924/944 entwickelten dritten Baureihe, des sehr aufwändigen Vierzylinders 968, sein.
Pannen in der Produktion Produktionsmann Noppen traut es sich zu, den so umstrittenen wie komplizierten Sportwagen zu schultern. »Wir können es besser als mögliche fremde Hersteller«, verspricht er forsch der Eignerfamilie wie den Vorstandskollegen. Diese Haltung – »Wir in Zuffenhausen sind die Allergrößten« – wird dem Manager später als Selbstüberschätzung ausgelegt – und dann zum Verhängnis. Denn in Wahrheit gerät der Fertigungs- und Logistikprozess zu einem abschreckenden Lehrbeispiel. Weil Zuffenhausen längst nicht über die technischen Möglichkeiten verfügt, Cabrios wie Coupés komplett und rationell an einer Stelle zu bauen, treten die Karossen eine muntere Wanderschaft quer durch Deutschland an. Die Rohkarosserien müssen beim rund 500 Kilometer entfernten Spezialisten Karmann in Osnabrück gefertigt werden. Dann werden sie zurück ins Stammwerk Zuffenhausen gebracht, um Motor, Getriebe, Fahrwerk und die Innenausstattung anzubringen und das Blech zu lackieren. Danach geht die Reise weiter nach Heilbronn, zum Hersteller von Dachaufbauten ASC. Dort werden die Innen- und Kofferraummontage fortgesetzt sowie hintere Seitenteile zur Verstärkung des Wagens komplettiert.
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Das Cabrio-Verdeck muss eigens aus den USA eingeführt werden, weil hierzulande kein Lieferant für ein solches Komfortdach gefunden wird. Doch bei der Lieferung kommt es immer wieder zu gravierenden Pannen. Schließlich gehen die – fast schon fertigen – 968er-Modelle erneut zurück ins Heimatwerk. Hier muss noch die Qualitätskontrolle durchgeführt, kleinere Ausbesserungen vorgenommen und die neuen Wagen Probe gefahren werden. Denn jeder Porsche, der in Zuffenhausen (oder heute auch in Leipzig oder in Finnland bei Valmet) gefertigt wird, muss rund 30 km ums Werk so eingefahren werden, wie es auch der Kunde tun würde. Dann erst erfolgt der Verkauf ab Werk Zuffenhausen. Viermal fuhren die 968er-Karossen damals in Sichtweite des Porsche-Vertriebszentrums vorbei, bis sie endlich ein Händler zu Gesicht bekommen durfte – ein Supergeschäft für den Spediteur. Die Transportkosten für diesen Produktionstourismus waren enorm. Auch die Vierzylinder-Autos der 924/944-Serie sind in jener Zeit aus produktionstechnischer Sicht eine Art Reise-Mobil. Allerdings gestalten sich die Wege etwas kürzer. Der ursprünglich in den siebziger Jahren für VW entwickelte leichte Sportwagen, den jedoch die Wolfsburger nicht herstellten, wird im nur 50 Kilometer entfernten Audi-Werk in Neckarsulm komplett zusammengebaut, abgenommen und von dort aus auch ausgeliefert. Die Motoren werden aus Zuffenhausen, das Cabrio-Verdeck von ASC aus Heilbronn zugeliefert. Dieses Konzept einer möglichst umfassenden Lohnfertigung unter der Regie von Audi ist demnach wesentlich günstiger als das später von Noppen für den 968er praktizierte. Allerdings schlagen hier die hohen Stückzahlen zu Buche. In rund anderthalb Jahrzehnten werden weit über 300 000 Stück vom 924 (wurde Ende 1988 eingestellt) beziehungsweise 944 gefertigt. Ideal indes war die Produktion der Vier-Zylinder-Reihe nie. Im Stammwerk Zuffenhausen funktioniert die Fabrikation der Autos alles andere als reibungslos. Obwohl Noppen sich als Produktionspapst schmeicheln lässt – er stammt ja aus der renommierten Aachener Maschinenbauschule und hat an der dortigen Universität einen Lehrstuhl inne –, sind seine Methoden allmählich veraltet. Auch beim Bau der 911er und des dicken, rundlichen Luxusautos 928 (auch mit 8-Zylinder-Motor, wie beim Geländewagen Cayenne) hakt und stockt es allerorten. So bekommt Noppen, der von seinen Untergebenen nur als »Herr Professor« angesprochen werden darf, die Tücken der Variantenvielfalt nebst stark differierender Zulassungsvorschriften für die einzelnen Exportmärkte kaum in Griff. Da passiert es immer wieder, dass eine für Amerika bestimmte Serie mit falschen Scheinwerfern, Reifen oder Abgastechnik ausgestattet wurde. Das bedeutet, dass die Fahrzeuge in handwerklicher Kleinarbeit aufwändig umgerüstet werden müssen. Auch
Lackschäden oder Mängel an der edlen Lederausstattung summieren sich. Die Probleme in der Herstellung führen dazu, dass sich die Herstellungszeit unplanmäßig verlängert. All die Pleiten und Pannen in der Produktion erfordern umständliche Reparaturen an Autos, die eigentlich längst hätten fertig sein sollen. Die zig Nachbesserungen wiederum verteuern die ohnehin zu hohen Produktionskosten. Bereits in der Karosseriemontage sind die Wege der einzelnen Arbeitsschritte und Standzeiten zu lang. Die unfertigen Modelle werden teilweise umständlich auf fahrbaren Gestellen, so genannten Böcken, über den Hof im Werk 2 gekarrt. In der Motorenfertigung, in der Noppen lange Zeit Gruppenarbeit testen und für etwa 350 Leute auch einführen lässt, muss ebenfalls noch viel von Hand gearbeitet werden. Der Produktionschef hat zwar den Ehrgeiz, dass ein ganzer Porsche-Motor nur von einer Fachkraft allein zusammengebaut wird, aber mit dieser verantwortungsvollen, fast olympiareifen Aufgabe sind auch zeitraubende Lernkurven und Fehler verbunden. Bis heute werden Porsche-Motoren maßgeblich von einem Monteur gebaut, was Wiedeking mit dem neuen Motorenwerk wieder eher einschränken will. Doch vermutlich waren die Voraussetzungen damals für ein derart anspruchsvolles Vorhaben noch nicht gegeben. Wenig Glück hat Noppen auch mit seinem ganzen Stolz, dem neuen Hochregallager, damals Europas modernstes in der Autoindustrie. Es erweist sich bei der stark schrumpfenden Produktion als ausgesprochen unrentabel. Die einzelnen Teile liegen dort viel zu lange. Im Durchschnitt beherbergt das Hochregallager Bestände im Wert von 40 bis 50 Millionen Mark – zu teuer für die relativ kleine Fabrik. Als Wiedeking im Herbst 1991 Noppens Nachfolger im Produktionsvorstand wurde, wollte er auf Anraten der japanischen Berater, die er ins Werk holte, den überdimensionierten Lagerbau sofort abreißen lassen. Die Teile für die Produktion sollten vom Lastwagen direkt ans Band geliefert werden. Heute existieren nur noch Reservepuffer als Sicherheit für ein bis zwei Tage, falls Verzögerungen bei der Belieferung auftreten. Mit dieser Reduktion schrumpfte der Lagerbestand seither auf rund 7,5 Millionen Euro zusammen, obwohl heute etwa dreimal soviel Fahrzeuge produziert werden. Bis dieses Ziel unter Wiedeking als verantwortlichem Macher für Fabrik und Materialwesen angepackt wurde, sollte es noch gut drei Jahre dauern. Bis dahin herrscht der traditionelle Geist von Professor Rudi Noppen. Dieser unnahbare Mann gilt im Haus als Pedant und Pünktlichkeitsfanatiker, der sein Essen im Casino lieber allein zu sich nimmt. Auch die Kontakte zu seinen Vorstandskollegen beschränken sich vorwiegend auf die Arbeitsebene, ebenso
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das Verhältnis zum jungen Wiedeking, das eher distanziert ist. Dies, obwohl der Produktionschef den Westfalen 1983 ja selbst von seiner Hochschule in Aachen in seine Abteilung zu Porsche geholt hatte. Der Professor delegierte, und seine Zöglinge haben zu spuren. Dadurch kann sich um Noppen herum kaum eine Fangemeinde entwickeln. Er bleibt in seinem Büro im Werk 2 isoliert; manchen gilt er zunehmend als abgehoben. Bei den Arbeitern und Angestellten im Werk lässt er sich selten blicken. Dafür hat er seine Assistenten. Auf der Führungsebene – Abteilungs- und Hauptabteilungsleiter bis in den Vorstand – verliert der eigenwillige Kollege zunehmend an Sympathie. Auch deshalb, weil sich Noppen dem Anschein nach gern in die Angelegenheiten anderer einmischt und, meist ungebeten, Verbesserungsvorschläge macht. Unter seinen Querschlägen leiden vor allem der Vertrieb unter Hans Halbach und Walter Gnauert (er musste 1990/91 neun Monate den Vertrieb mit übernehmen), das Personalwesen unter Kurt Femppel und die Öffentlichkeitsarbeit in unterschiedlicher Besetzung. Den Presseleuten hätte er am liebsten vorgemacht, wie er die Journaille in den Griff bekommt. Der Personalabteilung pfuscht der Ingenieur ins Handwerk, indem er ohne Absprache plötzlich eine Prämie nur für seine Mitarbeiter in der Produktion verteilt. Diese einseitige Aktion macht im ganzen Unternehmen böses Blut. Ein Lieblingsspruch des Niederrheiners lautet: »Die Entwicklung entwickelt, die Produktion produziert, und der Vertrieb vertreibt die Kunden.« Mit diesem Kollegenspott macht sich Noppen vor allem die in Ludwigsburg bei Stuttgart angesiedelte Vertriebsmannschaft zum Feind. Seine Provokationen führen schließlich dazu, dass ihm die anderen nun genauer auf die Finger schauen.
Der glückliche Absprung Noppens Versäumnisse in der Produktions- und Materialwirtschaft bleiben den Mitarbeitern nicht verborgen. Solange der Unnahbare jedoch die Zuneigung der Familie Porsche genießt, sitzt er fest im Sattel. Allerdings ist mit dem Wohlwollen von Ferry, Butzi, Peter & Co. auf Dauer noch keine Überlebensgarantie im Haus verbunden. Auf den unangenehmen Show-down, der nach Ansicht enger Mitarbeiter Noppens immer unausweichlicher wurde, will indes der inzwischen zum Vorstandsassistenten beförderte Wiedeking nicht mehr warten. Das Produktions- und Rationalisierungsass zieht es vor, in der Fremde Karriere zu machen. Er heuert bei Glyco, einem Zulieferbetrieb in Wiesbaden, an. Dieser Absprung im Herbst 1988 bewahrt den jungen Ingenieur davor, irgendwann für die krassen Fehler seines Vorgesetzten mitverant-
wortlich gemacht zu werden. Der Wechsel, pünktlich im ersten Krisenjahr nach der Ära Schutz, macht Wiedeking – gewollt oder ungewollt – zum Gewinner. Solange der Westfale auf seiner Stelle die ihm übertragenen Projekte zur großen Zufriedenheit aller erfüllte, kann er persönlich für Fehlentwicklungen im Produktionsressort als Assistent nicht verantwortlich gemacht werden. Und bevor die Situation brenzlig wird, verlässt er das merklich angeschlagene Unternehmen in Stuttgart. Wiesbaden bedeutet für Wiedeking beruflich einen Aufstieg. Er wird als »Bereichsleiter Technik« bei dem Gleitlagerhersteller Glyco eingestellt. Die Inhaberfamilien Daelen und Hofmann wurden auf den strammen Nachwuchsmann bei Porsche aufmerksam und engagierten ihn. In ihrem mittelständischen Betrieb darf Wiedeking die ersehnte Leitungsfunktion ausüben. Später wird er für diesen Arbeitsplatzwechsel zur richtigen Zeit seinem Schicksal danken: »Ich habe oft Glück gehabt und war zur richtigen Zeit am richtigen Ort«, räumt er freimütig ein. Andererseits traut er sich mit den reichlich bei Porsche gesammelten positiven wie negativen Erfahrungen nun eine schwierige Sanierungsaufgabe bei dem Autozulieferer Glyco zu. Für das Alumni-Blatt der Hochschule Aachen (keep in touch, Juni 2002) gibt er zu Protokoll: »Nicht, weil es mir bei Porsche nicht gefallen hätte, im Gegenteil. Aber ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass man als junger Mensch ein möglichst breites Spektrum an praktischen Erfahrungen sammeln sollte. Schließlich wächst man an seinen Aufgaben. Deshalb habe ich mich im Oktober 1988 neuen Herausforderungen gestellt, mit denen zugleich eine größere Verantwortung verbunden war.« Mit diesem Sprung ist seine erste fünfjährige Porsche-Phase von 1983 bis 1988 unter Produktionsprofessor Noppen und Produktionsplaner Alfred Auwärter abgeschlossen.
Porsche 1988: Im Tal der Tränen Wieder zurück zu Porsche – ohne Wiedeking. In dem Unternehmen wird die Lage für Noppen wie für die Firma selbst von Tag zu Tag ungemütlicher. Bei der Sportwagenschmiede beginnt 1988 ein mehr als siebenjähriger Leidensweg. Der US-Dollar fällt und fällt – und mit ihm der Porsche-Absatz in den USA. Und die Börsen- und Konjunkturkrise lähmt allgemein die Kauflust der Autokunden. Zu allem Übel fehlen Porsche nun die geeigneten Modelle, um der Flaute trotzen zu können. Monatlich weniger Absatz heißt jeweils noch schwierigere Produktionsbedingungen, was Ressortchef Noppen besonders hart und teilweise unvorbereitet trifft. Es wird für ihn zum Kunststück, drei völlig unterschiedliche Baureihen in unzähligen Varianten in
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einer Gesamtstückzahl von bald weniger als 20 000 Einheiten ertragreich zu fabrizieren. Doch das Geschick verlässt den Porsche-Produktioner – was er allerdings lange durch flotte Sprüche und seine rhetorische Begabung zu kaschieren weiß. Bei den Vorstandssitzungen, bei denen es immer hitziger zugeht, gerät sein Ressort kaum in die Kritik. In der Schusslinie stehen vielmehr eine angeblich verfehlte Modell- und Marketingpolitik. Diese jedoch sind Sache der Kollegen Hans Halbach beziehungsweise kurzfristig Walter Gnauert (für den Vertrieb) und von Professor Helmuth Bott beziehungsweise nach ihm von Ulrich Bez (für die Entwicklung). Und natürlich schweben über allem die Vorstandsvorsitzenden, bis Ende 1989 der Interimschef Heinz Branitzki und später Arno Bohn. So gelingt es Noppen regelmäßig elegant, bei den Vorstands- und Strategiesitzungen von den Problemen in der Fertigung abzulenken – und zu seinem Glück bohren weder Branitziki noch Bohn ernsthaft nach. Stattdessen diskutiert sich die Führungselite in den Jahren 1988 bis 1992 vorwiegend zu Fragen der Vertriebsstrategie und über die geeigneten Automodelle die Köpfe heiß.
Erstes Köpferollen im Vorstand Dieser Dauerclinch führt dann auch prompt zum Wechsel im Ressort Vertrieb. Hans Halbach, der zuständige Vorstand, sowie Ulrich Heyl, Vertriebschef Deutschland, verlassen im Verlauf der Streitigkeiten abrupt das Haus. Auch im Ressort Entwicklung, Bez, rollen Köpfe. Doch Noppen hält sich wacker. Er besitzt sogar die Kühnheit, seine Wochenprotokolle an den Vorstandsvorsitzenden selbst in der tiefsten Krise mit dem knappen, rheinländischen Satz zu verzieren: »Die Produktion löpt stabil«. Dieser lockere Spruch brachte den damaligen Assistenten des Vorstandsvorsitzenden Tilman Brodbeck einerseits in Verlegenheit gegenüber seinem Chef, andererseits auf die Palme. Interessant ist es, zu beobachten, wie beträchtlich der Einfluss einer starken Persönlichkeit wie Noppen auf die Geschicke eines Unternehmens sein kann – gerade bei einem familiär geprägten Unternehmen wie Porsche. Denn merkwürdigerweise ist gleich nach Abgang des Produktionschefs im September 1991 allen Verantwortlichen klar, wo die wirklich großen Reserven zur Gesundung des Unternehmens liegen: In der Fertigung steckt das Geld. Hier könnte durch Modernisierung und Rationalisierung schnell viel bewegt werden. Diese Erkenntnis birgt die Riesenchance für Noppen-Nachfolger Wendelin Wiedeking. Vorerst jedoch geht alles unter der Regie des Alten in den Fabriken seinen gewohnten Gang. Noppen verstärkt zwar mächtig den Druck auf Untergebene, aber er bewegt in der Mannschaft nichts. Er kann
Einzelne knallhart abstrafen und Leute von jetzt auf nachher abservieren, doch damit gewinnt er bei den Untergebenen nicht an Glaubwürdigkeit. Er »predigt sanft wie ein Pfarrer«, werfen seine Kritiker ihm vor, und setzt den Werkern dann »die Stückzahl-Jäger an den Hals«, um die Taktzahl in der Produktion zu beschleunigen. »Aber nichts Entscheidendes passiert.« Noppens besonderes Plus ist sein persönlicher Draht zur Familie, den er für seine Ambitionen auf den Chefsessel zu nutzen versucht. Sein Streben ist durchaus realistisch, der »Herr Professor« wird von den Porsches sehr geachtet. Selbst die Porsche-Söhne Ferdinand Alexander, Peter und Wolfgang sagen »Herr Professor« zu ihm. Andererseits erhält sich der Produktionsmann das Wohlwollen der Familie durch kleine Geschenke. Regelmäßig schaut Noppen im Büro des Seniorchefs Ferry Porsche auf der Vorstandsetage im Backsteinbau, Werk 1, vorbei. Dann hält er ein Schwätzchen mit dem Familienoberhaupt, erkundigt sich nach dem Wohlbefinden und der Stimmung des Patriarchen und schenkt ihm selbstgemachte Marmelade. Oder den Sohn Peter Porsche beglückt er zuweilen mit seltenen Modellen von Spielzeugeisenbahnen. Bei solchen Treffen sein Image aufzupolieren, darauf ist der Mann vom Niederrhein erpicht. Das bringt ihn vermutlich auch auf die Idee, ein Fest für die Beschäftigten in der Produktion zu initiieren. Auf diese Weise kann auch die Familie den Mitarbeitern ihren Dank aussprechen. Noppen nimmt die Organisation für das Fabrikfest in die Hand – an der Personalabteilung vorbei. Aus dieser Party ist inzwischen das alljährliche Sommerfest für alle Porsche-Mitarbeiter und deren Angehörige vor den Werksferien entstanden. Irgendwann aber zieht Noppens Schmusekurs bei der Familie nicht mehr. Einflussreiche Informanten müssen die Porsches in ihrer ursprünglichen Zuneigung erschüttert haben. Darunter dürfte wohl einer der kritischsten Beobachter gewesen sein: Ferdinand Piëch, der zu dieser Zeit den Thron bei Audi bestiegen hatte. Da sein Familienbetrieb im Audi-Werk Neckarsulm Porsche-Autos fertigen lässt, findet laufend ein enger Informationsaustausch zwischen den Werksingenieuren auf der mittleren Managerebene statt. Und diese Fachleute müssen Piëch gesteckt haben: »Bei Porsche kann noch viel optimiert werden.« Dem Audi-Chef kam wohl auch zu Ohren, dass sich Noppen zuwenig um Koordination und Kontrolle der täglichen Abläufe bei der Produktion des 968 und der Modelle 924/944 zwischen Porsche und Audi sowie mit dem Dritten im Bunde, Karmann, kümmert. Die zeitraubenden Gespräche mit den Produktionsleuten in Neckarsulm oder Osnabrück überlässt der Professor oft lieber den Vertriebsleuten, und das sind überwiegend mit Technik wenig vertraute Kaufleute.
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Noppens Verhalten provoziert zunehmend Kritik an seinen Produktionsmethoden. Zwar führt er teilweise neue Techniken ein – Roboter im Rohbau mit flexibler Fertigung, saubere Lackieranlage, modernstes Hochregallager Europas –, aber das Zusammenspiel in der Gesamtorganisation bleibt durch die unproduktive Nacharbeit unrationell. Ein Vorstandskollege von einst: »Neue Ideen aufzunehmen war nicht Noppens Stärke.« Auch ein Zirkel württembergischer Unternehmer und Spitzenmanager, der gemeinsam Fabriken besichtigte,sieht nicht nur Vorbildliches.Bei ihrer Visite in Noppens Autoschmiede entdecken kundige Fabrikanten wie der inzwischen verstorbene »Mr. Mercedes«, Werner Niefer, oder der Sägenfabrikant Stihl in Zuffenhausen Leerlauf, organisatorisches Durcheinander und manchen Modernisierungsbedarf. Gut möglich, dass diese Defizite der Familie zu Ohren gekommen sind. Noppens Stern jedenfalls beginnt zu sinken. Im Familienrat,wo auch der ausgewiesene Autoexperte Ferdl Piëch seine Bedenken äußerte, wächst die Skepsis gegenüber Noppen. Und bald dämmert es allen Familienmitgliedern, Ferry (Ehrenaufsichtsratsvorsitzender), Ferdinand A. Porsche (Aufsichtsratsvorsitzender), Wolfgang Porsche, Ferdinand Piëch und Hans Michel Piëch, dass das Produktions- und Materialwesen ein Sanierungsfall ist. Der »nette Professor« ist nicht mehr länger tragbar. Weil Ende 1991 gerade Noppens zweiter Vorstandsvertrag abläuft, scheint die Stunde für einen Wechsel günstig zu sein. Die Eignerfamilie beauftragt den amtierenden Vorstandsvorsitzenden Arno Bohn damit, die Sache zu regeln und insgeheim einen geeigneten Nachfolger fürs Produktionsressort zu suchen. So wird der Niederrheiner bei aller Rhetorik und seinen guten Kontakten zur Familie am Ende ein Opfer seiner Lässigkeit. Als Noppen im Frühjahr 1991 davon erfährt, dass für ihn bereits ein Nachfolger gesucht wird – und mit Wendelin Wiedeking bald gefunden ist –, da weiß er, dass seine Zeit bei Porsche abgelaufen ist. Erhobenen Hauptes sagt er seinen Kritikern sinngemäß: »Ich gehe, doch es muss so aussehen, als ob es freiwillig geschieht.« Dann sucht er sich unverzüglich einen neuen Posten und scheidet von sich aus kurz vor Ablauf seines Vertrages zum 30. 9. 1991 aus. Dieser aufrechte Abgang nach knapp achtjähriger Tätigkeit bei Porsche erspart es ihm, wie ein Verlierer abtreten zu müssen. Noppen kauft sich beim bayerischen Autozulieferer Webasto AG (Schiebedächer, Standheizungen, Klimaanlagen) in Stockdorf ein. Dort übernimmt er eine adäquate Stelle auf der Chefetage. Wendelin Wiedeking, sein einstiger Assistent, tritt seine Nachfolge zum 1. 10. 1991 an.
Die Porsche-Spitze:Von Branitzki zu Bohn Ohne diese Vorgeschichte mit ihren gravierenden Versäumnissen in der Führung von Porsche wäre die Erfolgsstory von Wendelin Wiedeking vermutlich nie so entstanden – zumindest nicht bei Porsche. Doch die Fehler seiner Vorgänger liefern dem Maschinenbauingenieur seine große Chance. Die gröbsten Schnitzer sind ausgerechnet während Wiedekings Abwesenheit passiert. Sie liefern schließlich der Grund dafür, dass die Stuttgarter den Mann aus Beckum wieder zurückholen. Wie notwendig die Rückholaktion für Porsche schließlich wurde, zeigt ein Schlaglicht auf die Szene in der Chefetage zwischen 1988 und Ende 1991 bei Wiedekings Rückkehr. Es war damals auch für die Öffentlichkeit eine packende Zeit. Denn die erheblichen Spannungen im Haus, die auch die Inhaberfamilie Porsche-Piëch erfassen und schließlich zu offenen Streitigkeiten führen, werden bis in die Medien getragen. Die zunehmend negative Außendarstellung von Porsche macht Heinz Branitzki die Arbeit schwer. Der langjährige Finanzchef ist seit 1. Januar 1988 kommissarisch Vorsitzender im Vorstand des Unternehmens. Der PorscheManager schien der Familie nach dem jähen Sturz des Deutsch-Amerikaners Peter W. Schutz im Herbst 1977 in diesen schweren Zeiten – Börsenkrach im Oktober 1987, Dollarverfall, Wirtschaftskrise – vorerst die sicherste Bank zu sein. Eine typische Personalentscheidung der Familien Porsche und Piëch, sie vertrauten im Zweifel dem Mann am meisten, der das Geld für sie verwaltete und die irdischen Grenzen der kleinen Sportwagenfabrik genau kannte. Branitzki – Grand Seigneur alter Schule, korrekte Kleidung, seriöses Auftreten – enttäuscht ihr Vertrauen als Kassenwart nie. Der Berliner, der 1972 neben dem Österreicher und Motorenentwickler Ernst Fuhrmann nach der Umfirmierung in eine Aktiengesellschaft als erstes Nicht-Familienmitglied in den Vorstand aufrückte, machte Porsche zu einer angesehenen Adresse in der Banken- und Börsenwelt. Denn zu Zeiten der Familien-KG galt die Sportwagenschmiede als wenig kreditwürdig. Der zur Finanzierung der Firma notwendige Geldfluss litt erheblich unter stark schwankenden Umsätzen. Zudem traute das etablierte Kreditgewerbe dem konjunkturabhängigen Geschäft mit schnellen Autos bis tief in die siebziger Jahre hinein wenig zu. Porsches Kassenlage in den Gründerjahren war also ausgesprochen angespannt. Selbst wichtige Partner wie das Karosseriewerk Reutter in unmittelbarer Nachbarschaft lieferten ihre Teile nur gegen Bargeld. Aus dieser finanziellen Not halfen anfangs einige Autohändler heraus, unter anderem aus Frankfurt am Main, Hamburg, Hannover, Stuttgart oder der Schweiz, indem sie das Geschäft vorfinanzierten. Die Enttäuschung über das Verhalten der Banken
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führte andererseits dazu, dass sich Firmengründer Ferry Porsche sein Leben lang weigerte, bei ihnen hohe Schulden zu machen. Also wurde es für die PS-Enthusiasten aus Zuffenhausen stets eng. Branitzki befreit den Betrieb aus dieser Klemme und bringt als angesehener Finanzmann die Kasse allmählich in Ordnung. Doch die Familie traut ihrem erfolgreichen Finanzchef die Führung der Firma nicht zu. Ihr schwebt eher ein turbomäßiger Dynamiker vor. Dieser soll möglichst in der Öffentlichkeit wie bei Kunden Tempo und Jugendlichkeit ausstrahlen – was der Endfünfziger Branitzki kaum bieten konnte. Und ein Finanzmann ist vom Typ her selten ein abenteuerlicher Draufgänger wie ein Rennfahrer. So kommt es, dass die Familie, Ferry eingeschlossen, während seiner kurzen Amtszeit ständig aus dem Hintergrund an ihrem ersten Angestellten herummosert. In dieser Position als Chef auf Abruf ist es besonders schwierig, harte Entscheidungen zum Beispiel über Massenentlassungen zu treffen. Seine Rolle als nur befristeter Retter in der Not spielt der Finanzexperte mit abnehmender Überzeugung. Dabei stehen dringende Weichenstellungen an. Der frustrierte Berliner zieht praktisch kaum Konsequenzen aus den schwerwiegenden Ergebnissen der McKinsey-Untersuchung, nach der mehr als 1 000 Stellen gestrichen werden sollten. Obwohl er die Rationalisierer mit ihrer Gemeinkosten-Wertanalyse (GWA) 1988 selbst ins Haus geholt hatte, wandert das umfangreiche Berichtsmaterial folgenlos in die Schublade. Im Flautejahr 1989 ordnet Übergangsmanager Branitzki lediglich Kurzarbeit an und setzt einen so moderaten wie humanen Abbau von 250 Stellen ohne Kündigungen in Gang. Viel zu zögerlich geht der Führungsmann auch die Modellpolitik an, die allerdings schon unter Branitzkis Vorgänger Schutz umstritten und diffus verlaufen war. Nur das Kernsortiment, die 911er, hatten den richtigen Drive. Doch auch deren Absatz wurde schroff gebremst, nachdem die Preise im Dollarraum über Nacht um bis zu 25 Prozent erhöht werden mussten, um den Verfall der US-Währung auszugleichen. Von da an rauscht der Export nach Amerika steil bergab. Immerhin setzt der Interimschef noch die Einstellung des kleinen Vierzylinders 924 durch. Dieses problematisch gewordene Modell ist längst kein Ertragsrenner mehr, und doch bedeutet das Ende des volumenstarken Fahrzeugs ein beträchtliches Risiko für Umsatz und Beschäftigung. Aber es gibt dazu kaum eine Alternative, denn Porsche-Fans akzeptieren das Einsteigermodell kaum noch als »echten Zuffenhäuser«. Der 924, lange das Brot-und-Butter-Auto im Sortiment, ist nämlich eine Gemeinschaftsproduktion mit Audi in Neckarsulm. Der Sportwagen war ursprünglich, Mitte der siebziger Jahre, sogar als Prototyp von Porsche für VW/Audi entwickelt worden. Doch VW-Chef Toni Schmücker sah
damals keinen Bedarf mehr, und die Stuttgarter kauften die Entwicklung zurück. Durch die Nähe zum VW-Konzern enthielt der 1976 auf den Markt gekommene Wagen jede Menge sichtbarer Teile von Audi (Innenraum, Türverkleidung, Fensterheber und vieles mehr), und diese Verwandtschaft vergrätzte das Publikum mit der Zeit. Das soll der »reinrassige« Nachfolger 944 ausgleichen. Doch das gehobenere Modell kann den fehlenden 924 bei den Absatzahlen nicht annähernd ersetzen. Der Wechsel reißt 1988 ein tiefes Loch in die Verkaufsbilanz – besonders in Amerika, sodass die US-Händler rebellieren. Sie bekommen für ihren Umsatzausfall schließlich satte Ausgleichszahlungen aus Zuffenhausen. Vorbereitet wurde das Aus für den kleinen Vierzylinder übrigens 1987 noch in der Ära Schutz. Der Deutsch-Amerikaner hatte klar entschieden, dass es in Zukunft kein Einsteigermodell mehr geben wird.
Dauerstreit über neue Modelle In den Entwicklungslabors lässt Branitzki die Tüftlerteams unter Leitung von Professor Helmuth Bott und später von Ulrich Bez munter werkeln. Doch der große Wurf für den nach Innovationen lechzenden Markt bleibt aus, obwohl in den Schubladen sehr interessante Vorschläge liegen. So geht Branitzki bereits ein Geländewagen nach Art des Range Rover durch den Kopf, sozusagen ein Cayenne. Doch dieses Projekt hätte eine enge Kooperation mit einem Partner aus der Autoindustrie erfordert, weil es allein viel zu teuer und zu aufwändig geworden wäre. Der Wunschpartner jedoch, Daimler-Benz, will deutlich mehr als eine simple Kooperation. Der riesige Stuttgarter Nachbar fordert als Dreingabe eine Minderheitsbeteiligung am Kapital von Porsche. Dieses Ansinnen lehnt die Familie jedoch strikt ab, wohl ahnend, dass ihr Einfluss auf das Unternehmen bald verloren gegangen wäre. Zum alles beherrschenden und umstrittenen Thema unter Branitzki – später mehr noch unter Arno Bohn – wird das Projekt einer viertürigen Limousine. Es ist die Idee von einem sportlichen »Zwei-plus-zwei-Sitzer«. Der wahre Plan wird nach außen lange bewusst verschleiert, um Porsche in der Presse nicht in die Nähe möglicher Wettbewerber wie Daimler oder Jaguar zu bringen. Doch der Gedanke an ein erstes Familienauto aus Zuffenhausen war bereits unter Professor Fuhrmann recht konkret erwogen worden. Später wird das Projekt dann von Bott, Bez und schließlich von Branitzki-Nachfolger Bohn mit Volldampf weiter verfolgt. Und alle Manager können sich getrost auf den Senior des Hauses berufen, der einen Lebenstraum hatte: Ferry Porsche wollte zeitlebens ein wirklich nutzwertiges Auto, eine Limousine bauen. Sie sollte aus dem schweren, dicken 928er (1976/77 bis 1990) eigenständig als
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fortschrittlicher sportlicher Wagen für mehr als zwei Personen mit Frontantrieb entwickelt und gebaut werden. Als Unternehmer erschien es ihm zu wenig, »nur« Spielzeuge für rennbegeisterte reiche Leute im Programm zu haben. Stattdessen wünschte sich der Firmengründer ein richtiges, bequemes Auto mit vier Türen und Platz für vier Personen, blitzschnell wie ein Porsche. Ferry wollte »alltagstaugliche Autos bauen«, wie er sagte. Damit versuchte er der Linie seines Vaters und Onkels Anton Piëch zu folgen, preiswerte Vehikel in Leichtbauweise zu fertigen, schließlich das Ur-Konzept für den Volkswagen. Ferrys sehnlichstem Wunsch wollen die Herren nun endlich pflichtschuldigst nachkommen. Doch Pläne und Praxis sind im Automobilgeschäft stets zweierlei. Was die Tüftler fleißig ausbrüten, ist mit der betrieblichen Kalkulation und den Bedürfnissen des Vertriebs immer weniger unter einen Hut zu bringen. Es kommt zu anhaltenden Grabenkriegen zwischen den Ressorts. Doch bevor es endgültig in der Chefetage knallt, kann »Kommissar« Heinz Branitzki sein aufreibendes Amt im Frühjahr 1990 an einen Nachfolger weiterreichen und in den Ruhestand gehen. Bei seiner Abschiedsvorstellung am 24. Januar 1990 gibt sich der Porsche-Lenker mit Verfallsdatum vor der Presse recht optimistisch. Er rühmt sein Sanierungswerk als »gelungen« und kündigt eine Produktionssteigerung auf 108 Autos täglich in Zuffenhausen an und dazu sogar 500 Neueinstellungen. Und pünktlich zu seinem Abschied schüttet Branitzki, der Bilanzexperte, den Aktionären eine um eine Mark erhöhte Dividende aus. Er kann für sich sogar noch einen Weltrekord verbuchen. »Die Dr. Ing. h. c. F. Porsche AG ist größter Anbieter für die Entwicklung kompletter Fahrzeuge für Drittkunden.« Die Kasse sei mit »über 500 Millionen Mark« gefüllt, meldet Branitzki. Zuversichtlich prognostiziert der scheidende Manager fürs neue Jahr »gut 30 000 Fahrzeuge« (es werden nur 26 179) und gibt in Bezug auf eine Krise Entwarnung. Die Wende, auch im Amerikageschäft, sei geschafft. Diesmal jedoch irrt der langjährige Porsche-Bedienstete. Die schreckliche Talfahrt sollte erst richtig beginnen.
Endlich wieder ein fester Chef Der Hoffnungsträger nach Branitzki heißt ab März 1990 Arno Bohn – die große Überraschung für die ganze Autowelt. Der künftige Vorsitzende im Porsche-Vorstand bekleidete bis dahin keinen Führungsposten in der Fahrzeugbranche, er ist in der Zunft also völlig unbekannt. Der jugendlich, locker und frisch wirkende 42-jährige gelernte Programmierer verdiente seine Sporen in der Computerindustrie bei der Nixdorf Computer AG in Paderborn. Dort arbeitete sich der Badener in der Boomphase der Bits-und-Bytes-Bran-
che in den siebziger und achtziger Jahren an die Spitze des Vertriebsapparats hoch. Mit 31 Jahren schaffte er bereits den Sprung in den Nixdorf-Vorstand. Als erfolgreicher Marketingchef machte sich Bohn beim damals sprunghaft wachsenden Elektronikunternehmen international einen guten Namen. Doch der Computerkonzern stürzte Ende der achtziger Jahre in eine Existenzkrise und wurde dann von Siemens übernommen. Bei Porsche konnte Bohn nun endlich selbst der oberste Chef sein. In Paderborn war ihm dieser Wunsch stets verwehrt geblieben. Dort regierte Klaus Luft, den er nicht beerben konnte. Luft hatte früher einige Jahre dem Aufsichtsrat von Porsche angehört. Anfang Dezember 1989 beruft der Aufsichtsrat Arno Bohn zum Vorstandsvorsitzenden – und der »Neue« läuft sich sofort warm. Der Newcomer wird in Stuttgart mit hohen Erwartungen, aber auch unter gemischten Vorzeichen empfangen. Obwohl gänzlich unerfahren im Geschäft, soll der Computerfachmann und Absatzprofi die Marke Porsche zu neuem Ansehen und neuer Größe führen. Doch die Meinungen über Bohns Berufung gehen vom ersten Tag seiner Amtsführung auseinander.Der damals zum Vorsitzenden des Aufsichtsrats berufene Ferdinand Alexander Porsche, Ferrys Erstgeborener, ist von Anfang an skeptisch. Jung sein und Porsche-Autos fahren allein reichen ihm nicht. Den Seniorchef indes überzeugt fürs Erste das korrekte Äußere Bohns – blank geputzte Schuhe, Designerhemden, tolle Krawatten – sowie seine tadellosen Manieren; Ferry beurteilte seine Manager gern nach Kleidung und Benehmen. Den seit langem favorisierten Wunschkandidaten Wolfgang Reitzle, Topmanager bei BMW, konnte er im Familienkreis damals nicht durchsetzen, da der Mehrheit die Forderungen des Automanagers zu hoch erschienen. Außerdem war Reitzle vertraglich angeblich noch bis Ende 1994 an BMW gebunden. Was Bohn anbetrifft, wartet Ferry ebenso erst mal ab wie sein distanzierter Neffe Ferdinand Piëch, wie das mit einem krassen Außenseiter und Nicht-Techniker an der Spitze gut gehen kann. Der jüngste Porsche-Sohn, Wolfgang, steht immerhin fürs Erste auf der Seite des frisch gebackenen Kronprinzen von Zuffenhausen. Doch den stärksten Rückhalt in seiner kaum dreijährigen Amtszeit – er tritt zum 1. Januar 1990 in den Vorstand ein und übernimmt ab 9. März auch den Vorsitz – genießt Bohn bei der Belegschaft beziehungsweise der Mehrheit im Betriebsrat. Den Kontakt zu dem ehemaligen Nixdorf-Mann knüpft Dr. Walther Zügel. Zügel, der auf Wunsch des Doppelclans im Aufsichtsrat sitzt, bringt Bohn als neuen Chef ins Gespräch. Er schätzt dessen ausgleichende, ruhige Art – das könne dem gespaltenen Haus von der Spitze bis zur Belegschaft und hin zur Familie gut tun, hofft Zügel. Bohns Stärke liegt nämlich im Moderie-
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ren zwischen den Fronten. Und es gilt ja, das über Absatzkrise und Modellpolitik heftig zerstrittene Führungsteam wieder unter einen Hut zu bringen. Deshalb ist der Doppelclan durchaus damit einverstanden, dass diesmal kein Entwickler oder Produktioner Porsche-Chef wird. Bohn soll also gezielt zwischen den Fronten vermitteln, bessere Managementmethoden einführen und sein Geschick als ausgewiesenes Verkaufsgenie beweisen. Unter diesen schwierigen Umständen fällt die Entscheidung nach Vorschlag Zügels im Familienrat für den Außenseiter Bohn. Dieser ist soeben dabei, die Computermisere und seinen abrupten Abschied von der kriselnden Nixdorf-Gruppe zu verdauen. Zur Regeneration und Auffrischung seines Managementwissens hatte er sich in Boston, USA, an der Harvard Business School fortgebildet. Den ersten Kontakt zwischen Bohn und der Familie vermittelt Zügel, angesprochen wurde der langjährige Nixdorf-Manager dann von Dr. Wolfgang Porsche. Schließlich sucht sogar der Auto-Gewaltige Ferdl Piëch das Gespräch zu dem Kandidaten, den er persönlich anruft. Bei Bohn, der gerade im Raum Paderborn unterwegs ist, klingelt das Autotelefon und kein Geringerer als der Audi- und Porsche-General Piëch ist am Apparat und fragt ihn spontan: »Könnten Sie sich vorstellen, Porsche-Chef zu werden?« Nach Sekunden der Bedenkzeit willigt Bohn freudig ein, sich mit ihm und der Familie zu treffen. Er kontaktiert anschließend alle Familienmitglieder, »teilweise unter vier Augen« (Bohn). Das Ergebnis der Gesprächsrunden war der Beginn eines kurzen, aber heftigen Dienstverhältnisses, von dem Bohn nach eigenen Worten bis heute keinen Tag missen möchte. Damals meint der Aufsteiger: »Ich freue mich mit ganzem Herzen auf diese Aufgabe.« Jahre später wird er sagen: »Ich habe bei Porsche viel gelernt.« In Unkenntnis der schwierigen, teils intriganten Verhältnisse bei Porsche wie auch der Branchengepflogenheiten hatte Bohn vermutlich nie eine echte Chance, in seiner Rolle als Moderator und Marketingmann zu bestehen. Die anfängliche Freude, mit Anfang 40 Chef dieses exklusiven Autounternehmens mit Weltgeltung zu sein und Dinge nach eigenen Vorstellungen bewegen zu dürfen, wich bald der Ernüchterung. Bohn erkannte, dass die Realität von innen und genauer betrachtet weit dramatischer war, als es den Anschein hatte. Den Manager belasten damals, Anfang 1990, drei gravierende Probleme: Die Modellpalette ist reichlich angestaubt. Im Entwicklungszentrum Weissach steht für keine der bestehenden Baureihen – 911, 928 und 944 – ein marktreifer Nachfolger bereit. Erschrocken muss Bohn in den Labors feststellen, dass die »Hinterlassenschaft unter Professor Bott extrem mager« ist. Sein zweites Problem ist die allgemeine Weltlage. Der erste Golfkrieg drückt die Stimmung bei potenziellen Porsche-Kunden und treibt den Ölpreis hoch.
Der schwache US-Dollar, bereits Krisenpunkt seit Schutz und Branitzki, sackt bis auf 1,37 Mark ab und pendelt lustlos zwischen 1,40 und 1,50 Mark. In den Boomjahren zuvor stand er weit über 1,60 Mark, zeitweise sogar bei 3,40 Mark. Bohn und seine Männer wünschten sich, dass die US-Währung wenigstens bei 1,60 Mark stagnieren würde: »Damit könnten wir ganz gut leben« –, doch die Devisenspekulanten drücken den Greenback immer tiefer. Umgekehrt schnellen die Preise für einen Porsche in US-Dollar auf dem wichtigen amerikanischen Markt in die Höhe. Aus dieser Zwickmühle resultiert großteils Problem Nummer drei: Der Fahrzeugverkauf im In-, vor allem jedoch im Ausland gerät ins Rutschen. Durch die Währungsnachteile und zu hohe Kosten, verstärkt durch die umständliche Produktionsweise, »haben wir uns regelrecht aus dem Markt gepreist«, müssen die Vertriebsleute Bohn bald berichten. Bis zu 9 000 unverkaufte Porsche stehen jetzt allein bei den Händlern weltweit auf Halde. Ein Zeitzeuge, der Wirtschaftsjournalist Christian Deysson, schildert, wie verzweifelt Porsche Anfang der neunziger Jahre den amerikanischen Markt zu halten versucht. Immerhin betrug dessen Anteil am gesamten PorscheUmsatz bis Mitte 1987 in der goldenen Schutz-Ära fast 60 Prozent. Dazu notiert der US-Korrespondent (Option, 3/90): »Vom Boom des Jahres 1986, als in den USA 30 471 Porsche verkauft wurden, ist das Unternehmen heute weit entfernt.« Porsches Preisentwicklung der vergangenen Jahre ist »selbst für den Geschmack gut betuchter Amerikaner einfach etwas zu steil.« Der 928 zum Beispiel kostete 1983 noch 43 000 Dollar, bis 1990 steigt der Preis um 73 Prozent bei einer Inflationsrate in den USA von nur 25 Prozent. Ähnlich steil entwickeln sich die Preise für den Carrera beziehungsweise Carrera 2. Trotz einer 18 Millionen Dollar teuren Werbekampagne im Fernsehen und in US-Magazinen bleiben die Kunden aus. Nach Erinnerung von Händlern zogen ganz raue Zeiten herauf, mit Monaten, in denen die Stuttgarter in den Vereinigten Staaten kaum 100 Fahrzeuge losschlagen konnten. Denn nicht nur Preise und Weltlage schmecken den Amerikanern nicht, sondern auch die Produkte von Porsche erscheinen ihnen nicht mehr frisch genug. Im Land der Kurzlebigkeit ist ständige Abwechslung gefragt. Erneut Chronist Deysson, der den damaligen Konzernchef von General Motors, Roger B. Smith, indirekt über die Schwaben lästern lässt: »Wenn ich ein neues Auto kaufe, dann soll die Nachbarschaft auch von weitem sehen, dass es neu ist« (Option, 3/90).
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Ein Chefverkäufer kündigt über Nacht Bei solchen Schlägen kann der neue Chef nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Die unter Umsatzschwund leidenden Porsche-Händler wollen Taten sehen. Also drängt Marketingmann Bohn seine Verkaufsmannschaft, umgehend gegenzusteuern. Doch Vertriebsverantwortlicher Hans Halbach findet nach der x-ten Krisensitzung im Vorstand noch immer kein geeignetes Rezept gegen den Käuferschwund.Allerdings krempelt der Vertriebsmann zu jener Zeit die Organisation so grundlegend um wie kaum jemand vor oder nach ihm. Im Vertrieb stehen Entscheidungen von existenzieller Bedeutung an.Unter Halbachs knapp siebenjähriger Regie,er kam unter Schutz,wird das Porsche-Händlernetz drastisch gestrafft. Die Struktur gilt bis heute. Doch die schweren Eingriffe stoßen auf entsprechenden Widerstand. So fehlt den Stuttgartern auf dem entscheidenden Schlüsselmarkt USA damals der direkte Durchgriff. Wie also hätte Halbach dort den Einbruch des Geschäfts um 35 Prozent und mehr verhindern können? Schließlich muss das Händlernetz in Amerika in einem Kraftakt ohnegleichen von über 300 auf unter 200 Stützpunkte ausgedünnt werden, ohne dass die Zentrale in Deutschland nennenswerten Einfluss auf die US-Tochter in Reno nehmen kann. Denn Porsches weltweit größten Vertriebsapparat besitzt bis tief in die neunziger Jahre weitgehend die Großaktionärsfamilie Porsche-Piëch über ihre Holding in Salzburg. Bei dieser Firma hat allein der Clan das Sagen (inzwischen gehört die Porsche Cars North America ganz der Porsche AG). Der dominierende Einfluss der Autodynastie bremst den Elan Halbachs, der daher höchst selten im US-Quartier in Reno auftaucht. Neben dieser Machtlosigkeit macht noch ein weiteres Ärgernis zu schaffen: Billige Grauimporte von so genannten Originalersatzteilen, die häufig auf dem US-Markt auftauchen und Porsche das profitable Reparaturgeschäft verderben. Und zu allem Übel läuft der Vertrieb dieser Billigteile ausgerechnet über die familieneigene Porschefirma in Salzburg. Die Holding der Porsches und Piëchs handelt überall auf der Welt auch mit Autoteilen. Die Grauimporte indes schmerzen, denn an Reparaturteilen verdient Porsche wie alle Autohersteller durch saftige Aufschläge das meiste Geld. Doch gegen die eigenen Großaktionäre sind Halbach und Bohn machtlos. Irgendwann werden dem Chefverkäufer Halbach die verzwickten Verhältnisse in der Porsche-Welt und die Absatzkrise zu viel. Er kämpft seit längerem erfolglos dagegen, dass die Bedingungen für seine Arbeit von Mal zu Mal schlechter werden. Der angeschlagene Manager, der auf seine Kollegen ziemlich abwesend wirkt und dann nicht mehr richtig zuhören kann, löst das Prob-
lem auf seine Art. Halbach wirft seinen Job nach einer Aufsichtsratssitzung über Nacht im Oktober 1990 einfach hin. Sein rasanter Abgang kommt für alle, Management wie Familie, sehr überraschend. Immerhin hat er doch viel bewirkt. Offiziell scheidet Halbach auf eigenen Wunsch zum 31. Oktober 1990 aus und geht zurück nach Göteborg zu Saab. Die Schweden haben ihm wohl ein attraktives Angebot unterbreitet. Halbachs plötzlich vakant gewordene Stelle im Ressort Vertrieb übernimmt Finanzchef Walter Gnauert in Personalunion. Porsches Produktionsprofessor Rudi Noppen hatte sich zuvor dagegen gesträubt, diesen von ihm ungeliebten Posten zusätzlich ganz oder teilweise zu übernehmen.
Der Traum von einer Sportlimousine Der Vorstandsbereich Vertrieb ist nicht der einzige, der Bohn Kopfzerbrechen bereitet. Auch die Verhältnisse in der Modellplanung und Technik sind besorgniserregend. Schließlich können die Verkäufer nur die Produkte absetzen, welche ihnen die Kreativen aus der Entwicklung zur Verfügung stellen. Doch hier, im Innovationszentrum in Weissach rund 20 Kilometer von Zuffenhausen enternt, herrscht seit geraumer Zeit – gelinde gesagt – ein Zustand der Orientierungslosigkeit. Die 2 200 fleißigen Tüftler, Techniker, Ingenieure, Bastler und PS-Enthusiasten sind sehr mit sich selbst beziehungsweise ihren genialen Schöpfungen beschäftigt. Die Faktoren Kosten und Rendite gehören für sie in eine andere Welt. Ernsthaft Gedanken über das Preis-Leistungs-Verhältnis und damit dieVermarktbarkeit ihrer Entwicklungen macht sich kaum jemand, vor allem nicht die Führung. Im Entwicklungszentrum Weissach handeln die Verantwortlichen bisher meist nach der Devise: »Das Beste ist gerade gut genug.« Das ist auch das Motto bei der Suche nach neuen Modellen. Getüftelt wird in Weissach zwar in allerlei Richtungen, aber greifbare Ergebnisse werden nicht erzielt. Es herrscht ein nahezu lethargischer Zustand, als Bohn an Bord kommt. Die vorhandenen Serien 911, 928 und 944 beziehungsweise dann 968 haben einfach nicht den Pepp und Drive eines »wahren Porsche«. Und über das Klassikermodell 911 mokiert sich inzwischen die Motorpresse, er sei »angejahrt«, gar »verstaubt«. Ein ähnlich negatives Urteil fällt auch Bohn. Nach Durchsicht der Entwicklungspläne in Weissach registriert er verblüfft: »Es ist ja nichts Neues da! Für keine der vorhandenen Baureihen ist ein Nachfolger entwickelt oder geplant.« Hauptursache dafür war der lähmende Grundsatzstreit über die künftige Ausrichtung Porsches auf dem Automobilmarkt: Sollte der Sportwagenbauer seine bisherige Domäne verlassen und eine größere, viertürige Limousine bauen, oder
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sollten besser jüngere Kunden durch ein preiswertes Sportauto unterhalb des 911ers angesprochen werden? Entwickler wie Management vor Bohn hatten wie erwähnt bereits erste Alternativen ins Auge gefasst. Der Viertürer für mehr als zwei Personen war schon unter Fuhrmann und Bott ein ständiges Diskussionsthema. Bohn sollte die Rolle zufallen, das Vorhaben einer viertürigen sportlichen Luxuslimousine energisch voranzutreiben. Er ist sich über die Brisanz des Viertürers klar: »Sehr viele Emotionen gingen hin und her, auch in der Familie«, erinnert sich der Manager. Der Porsche-Pilot kann sich dabei auf einen starken Sympathisanten im Haus stützen, den Seniorchef Ferry Porsche persönlich, der sich seit Jahren ein wirklich nützliches Auto für mehr als zwei Personen wünscht. Ferry ist begeistert von dem Plan. Eine Limousine hätten anfangs »viele gewollt, nicht nur Ferry«, beteuert Bohn. Auch von der Familie kommt kein Widerstand. Die Limousine ist als »ganz hochklassiges«, teures, Fahrzeug für eine dritte Baureihe, das ist heute der Cayenne, geplant. Konsens im Management wie in der Familie sei es gewesen, so Bohn, dass »alle eine zusätzliche Plattform schaffen wollten«; mit unterschiedlichen Varianten, »zuerst zwei, dann drei und so weiter.« Also erklären der Porsche-Lenker und Entwicklungschef Ulrich Bez den mächtigen Pullman-Porsche zum vordringlichen Projekt.Endlich soll die Schar der Kritiker an dieser zusätzlichen dritten Baureihe – »kein echter Porsche« – Lügen gestraft werden. Mit großem Eifer gehen Bohn, Bez & Co. ans Werk. Der flotte Sportwagen »für mehr als zwei Personen« (offizieller Sprachgebrauch) mit der Projektnummer 989 soll zu Preisen von knapp unterhalb der 100 000-Mark-Schwelle aufwärts angeboten werden. Die familienfreundliche Limousine muss sowohl neue wie bisherige Porsche-Kunden ansprechen, die außer dem kleinen Handgepäck und nur einem Beifahrer/einer Beifahrerin auf Reisen einiges mehr mitnehmen wollen. Zudem wird der edle Viertürer mit dem starken 3,5-Liter-V-8-Motor so schnell wie möglich, geplant 1995, das ungeliebte Ufo-förmige Modell 928 ersetzen. Der breite, zu teure wassergekühlte Sportwagen mit V-8-Frontmotor und Heckantrieb wird im Markt nicht angenommen. Der Verkauf ist seit Jahren rückläufig. Der Nachfolger 989 sollte also eine verkaufte Stückzahl von mindestens 5 000 Einheiten im Jahr einfahren, um den Ausfall des 928 wettzumachen. Als Alternative zu diesem Supersportwagen existieren damals nur Pläne und Studien für einen Roadster mit der Nummer 986 – daraus entstand später der Boxster – einen kleinen, preiswerten, Flitzer unterhalb des 911. Doch für dieses Auto für Porsche-Einsteiger hebt niemand bei den Strategiesitzungen die Hand – weder im Vorstand noch aufseiten der Familie. Aus der Sicht
Bohns erscheint die viertürige Limousine als die bessere, erfolgversprechendere Entscheidung. Für ihn hat die Exklusivität der Marke Vorrang: »Klasse statt Masse« formuliert der Marketingexperte in der Öffentlichkeit. In seiner ersten Bilanzpressekonferenz im Januar 1991 bekennt sich Bohn eindeutig zur Limousine: »Mit unserem neuen Sportwagen für mehr als zwei Personen wollen wir ganz neue Maßstäbe in dieser Klasse setzen.« Die Markteinführung für den exklusiven Porsche ist für 1995 vorgesehen.
Den Entwicklern laufen die Kosten davon Doch bei den Mitarbeitern stößt der mächtige Pullman-Porsche auf ein äußerst geteiltes Echo. Das Projekt 989 rast schon in der Entwicklungs- und Erprobungsphase in eine Sackgasse. Die »Lieblingskiste von Bez«, wie Kritiker tuscheln, wird immer teurer. Das Budget ist nach kurzer Zeit um 50 Prozent überzogen. Die Preislatte für die Rennlimousine geht damit hoch auf 160 000 bis 170 000 Mark, und irgendwann hätte der Superwagen aus Zuffenhausen sogar 190 000 Mark kosten sollen – viel zu viel für ein Familienauto, das gegen Modelle von Mercedes, BMW oder Jaguar hätte konkurrieren sollen. Porsches Limousine wäre unter den schwierigen Marktbedingungen ohne Chance geblieben. Die anvisierten Stückzahlen sind bei diesen Mondpreisen kaum noch realistisch. Bez gleitet die Entwicklung aus den Händen: Der eigenwillige Entwickler ignoriert sowohl die Kostenexplosion als auch die bittere Realität eines inzwischen aggressiveren Wettbewerbs. Er treibt das Projekt unverdrossen voran und verschweigt Vorstand wie Familie die wahre Kostenentwicklung. Andererseits lässt Bohn den Exzentriker gewähren. Seine milden Mahnungen – »Halten Sie sich bitte an Ihr Budget« – ziehen nicht. Der promovierte Ingenieur Ulrich Bez ist schon unter Bohns Vorgänger eine harte Nuss. Branitzki kennt als langjähriger Finanzchef die Schwächen dieses Tüftlers und bremst ihn bei seinen Höhenflügen immer wieder. Bez besitzt durchaus die Genialität, um Porsche zu neuen Ufern zu bringen. Der Entwickler war im Herbst 1988 von BMW gekommen und hatte die lange Ära von Professor Helmuth Bott abgelöst. Für Bez war es sein zweiter Einstieg bei den Stuttgartern. Er begann 1972 seine berufliche Laufbahn bei Porsche und entwarf zum Beispiel den kleinen Vierzylinder, ursprünglich ein VW-Auftrag, und dazu ein flottes sportliches Modell, das deutlich einem Roadster ähnelte. Als Bez 1982 zu BMW wechselte, kursierte das – unbewiesene – Gerücht, dass er die Roadster-Pläne nach München mitgenommen habe. In all seinen Aktivitäten indes ist Bez ehrgeizig genug, an die Spitze zu
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wollen – auch was Porsche angeht. Von seinem Vorgänger Bott erbte er das Projekt Nr. 993, das er energisch vorantreibt. Es steht daher für die meisten Beobachter fest: Ohne Bez gäbe es keinen 993er, das damalige Projekt für den nächsten luftgekühlten 911, den eine große Fangemeinde bis heute als den »echten, wahren 911« bejubelt. Dieser 911 wird zur IAA’93 in Frankfurt am Main präsentiert und 1994 auf den Markt gebracht. Das Modell 911/993 leitet schließlich für Wiedeking den ersten Aufschwung ein. Und noch ein zweites, späteres wichtiges Erfolgsmodell, das in Wiedekings Zeit fällt, beschäftigt die Weissacher bereits damals intensiv: der künftige Boxster. Der Vorläufer wird bereits im Team von Bez ausgetüftelt. Nur der richtige Name ist noch nicht gefunden. Doch in den Schubladen existiert längst eine Vorstudie auf Basis des Klassikers 911, der Panamericana, der den Vorstellungen für den späteren Boxster recht nahe kommt. Auf diese Weitsicht ist Bohn heute stolz: »Ich habe den Boxster bereits im Labor entstehen sehen.« Trotz dieser Kreativität geht die Modellpolitik weder in den Labors von Weissach, noch bei den Vorstandssitzungen in Zuffenhausen richtig voran. Die negative Entwicklung bei der geplanten dritten Baureihe, dem mit allen Hoffnungen begleiteten Projekt 989 für einen viersitzigen Sportwagen, überschattet sämtliche Diskussionen. Irgendwie wird die Limousine von Besprechung zu Besprechung technisch anspruchsvoller, die Ausstattung edler und die Kosten immer höher. Doch von Bez richtig informiert über den Fortgang des 989er-Projekts fühlen sich weder Bohn noch die übrigen Vorstandsmitglieder. Stattdessen tauchen wilde Gerüchte auf mit dem Vorwurf, dass der introvertierte Konstrukteur »seinen Laden nicht im Griff hat«. Er sei als Manager ein Fehlgriff, ein Einzelgänger, ein »Ich-bezogener Mensch«, der die große Mannschaft weder zu motivieren, noch zu führen verstehe. »Er hält sich für den Schönsten, Besten«, behaupten seine Leute in Weissach. Ein ehemaliger Kollege schildert ihn als »Sonderling, der zwar ein richtiger Automann ist, aber nicht integrieren konnte. Auch Marketingdenken war ihm fremd.« Solist Bez ist bei seinem Team nicht gerade beliebt. Die ersten Konstrukteure kehren Weissach den Rücken. Bereits als Bez 1988 von BMW zurückkam, erzählten sich die Mitarbeiter allerhand Geschichten über ihn. Bez sei eigenbrötlerisch und gehe eigene Wege. So habe er bei BMW im stillen Kämmerlein ohne offiziellen Auftrag bei einer kleinen Tochterfirma den Sportwagen Z 1 entwickelt. Und dieser weise in Teilen auffallende Ähnlichkeiten mit jener Porsche-Studie auf, an der Bez einst selbst gearbeitet habe. Auch bastle er gern an Dingen herum, die ihm Spaß machen, etwa an Luxusfahrrädern. Bei Porsche erforscht der hart arbeitende Techniker auch Rettungs- und Bergungssysteme. Vieles an seiner Art erinnert altgediente Porscheaner an einen
anderen eigenmächtigen Chefentwickler vor gut zwanzig Jahren, an den Porsche-Erben Ferdinand Piëch. Die Vorbehalte gegen Bez werden immer lauter.
Riesenpleiten im Rennsport Die Ära Bez ist zudem mit einer ungewöhnlichen Riesenpleite belastet, die mächtig am Image der Sportwagenfirma kratzt: dem totalen Versagen in der Formel 1. Die Aktivitäten im Rennsport gehören in den Verantwortungsbereich der Entwicklung. Bez will als Verfechter des Grand-Prix-Sports an die glorreichen Zeiten im Team mit McLaren 1984, 1985 und 1986 sowie an die Triumphe in Le Mans anknüpfen, als Porsche Weltmeister wurde. Als Ressortleiter Entwicklung ist er nicht nur mit der technischen Realisierung der Boliden beauftragt, sondern auch mit dem organisatorischen Ablauf. Dazu gehört die Finanzierung und damit die schwierige Suche nach Sponsoren. Denn damals wie heute war und ist der Formel-1-Zirkus ein sündhaft teurer Spaß: einst auf bis zu 200 Millionen Mark pro Saison geschätzt; heute liegen die Kosten mehr als doppelt so hoch bei über 250 Millionen Euro. Für ein kleines, von der Krise gebeuteltes Unternehmen wie Porsche ist das ein gefährliches Abenteuer. Doch als Verfechter rassiger Renner – später wird Bez Chef bei der Ford-Tochter Aston-Martin/GB – scheut der Manager kein Risiko. Allerdings sind potente Geldgeber und Partner in den Jahren 1988/89 für die Königsklasse in Deutschland partout nicht zu finden. Dauersieger war damals Honda. Bez muss ins Ausland, nach Japan, Belgien und Großbritannien ausweichen.Doch diese Beifahrer haben es in sich.Der erste Sponsor,der belgische Immobilien- und Börsenhai Jean-Pierre van Roosem entpuppt sich bald als ziemlich fragwürdig. Dem dubiosen Moneymaker, seine Computerhandelsfirma hieß »Moneytron«, eilt der Ruf voraus, das Gefängnis schon mal von innen gesehen zu haben. Daher bricht der Kontakt zu dem Belgier, dessen Leumund und Aussehen dem auf Äußerlichkeiten bedachten Ferry bös auf den Magen schlagen, rasch wieder ab. Bez muss erneut Formel-1-Gelder eintreiben. Und Bohn lässt ihn getrost alleine durch die Welt laufen. In einem Herrn Ohashi in Osaka im fernen Japan findet der Entwicklungschef endlich im zweiten Anlauf einen Sponsor. Der Selfmademan besitzt die Footwork Corp., einen Mischkonzern, der mit Restaurantketten, Hotels, Transport- und Paketdiensten sowie im Fahrzeughandel rasch groß wurde. Ohashis Unternehmen will mehr als 50 Millionen Mark allein in die Motorenentwicklung bei Porsche plus weitere Gelder in die Promotion stecken. Und ebenfalls nach langer Suche finden die Stuttgarter mit dem britischen
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Rennstall Arrows, Ex-Ford-Betreuer, unter Teamchef Jackie Oliver einen für ihr Image gerade noch passablen Chassishersteller und Rennpromotor. Auch diesen Vertrag vom 4. Februar 1990 fädelt Einzelkämpfer Bez im Alleingang ein. Irgendwie jedoch steht der Grand Prix von Anfang an unter einem schlechten Stern. Nichts passt richtig zusammen, klappt auf Anhieb. Porsches Rennmotoren – zwei Sechszylinder-Turbo werden einfach eins zu eins zu einem Zwölfzylinder-Triebwerk hochgerüstet – vertragen sich anfangs nicht mit dem Fahrwerk der Briten. Schließlich treten Kühl- und Schmierprobleme beim Motor auf.Die Pannen haben zur Folge,dass sich das PorscheArrows-Team nur für wenige Rennen qualifiziert. An einen Formel-1-Sieg ist bei den peinlichen Auftritten des Gespanns nicht ernsthaft zu denken. Porsche muss sich im Oktober 1991 schon wieder aus der Königsklasse verabschieden, um ein endgültiges Desaster durch eine ruinöse Rufschädigung zu verhindern. Außer enormen Spesen nichts gewesen. Zugleich lernen die Schwaben auch in den USA beim Hochgeschwindigkeitsolympia der Cart-Serie mit ihren Motoren nur das Pech kennen. Bei diesen in Amerika populären Rennen rasen Formel-1-ähnliche Brummer mehr oder weniger im Kreis. In diesen Materialschlachten – Abschlussrennen in Indianapolis, daher auch »Indy-Serie« – verliert Porsche spektakulär. Die unter Bez entwickelten Indy-Wagen kommen buchstäblich nicht aus der Kurve, weil die Ölschmierung der Achtzylinder-Maschinen versagt. Angeblich ging den Schwaben das Geld aus, um die Technikprobleme in den Griff zu bekommen. Zum Bauernopfer für die schwere Pleite wird der erfahrene Motorenentwickler Hans Mezger erkoren – ihm wird das rufschädigende Desaster auf den Pisten zur Last gelegt. Der bewährte Konstrukteur wird zur Buße in den vorzeitigen Ruhestand geschickt. Immerhin verschlingen das Renn-Fiasko samt der Formel-1-Pleite rund 200 Millionen Mark. Bez wird dieses Drama auf seinem Stuhl nur noch kurz überdauern.
Der Vize stürzt den Chef Die Passivität von Porsche-Chef Bohn bei der Modellentwicklung und in der Rennsport-Krise beunruhigt die Weissacher. Sie fürchten das Risiko, ähnlich wie im Fall Mezger unschuldig für die Fehler anderer, hier Bez, büßen zu müssen. Wer muss den Kopf hinhalten, wenn das immer aufwändigere Projekt 989/Viertürer am Ende doch noch gekippt wird? Beobachter sind inzwischen der Ansicht, dass Bohn schon viel zu lange am Viertürer festhält. Vom Pullmann-Porsche laufen sogar schon Prototypen in Zuffenhausen, doch die stoßen bei den Eingeweihten auf ein geteiltes Echo.
Während das Familienauto bei einer Mehrheit im Vorstand Anklang findet, fühlen sich andere beim Anblick der Vehikel nicht an Porsche, sondern an Citroëns der siebziger Jahre oder bestenfalls an lang gestreckte 911er erinnert. Ist die Limousine noch zu stoppen? Immerhin verschlingt die Entwicklung jetzt schon mindestens 600 Millionen Mark – eine gewaltige Summe, gemessen am Umsatz von 3,1 Milliarden Mark 1990/91 beziehungsweise nur noch 2,7 Milliarden Mark 1991/92. Doch Insider wissen, dass die Angaben über die Kosten, die im Sommer/Frühherbst 1991 offiziell zum Viersitzer kursieren, eher dem Wunschdenken einiger Entwickler entsprechen. Dadurch werden die von Bez für seine Rennlimousine anvisierten Verkaufszahlen immer unrealistischer. Das ehrgeizige Projekt mit der Nummer 989 droht Porsche zu verschlingen. Doch wer hat endlich den Mut, die Eskapaden in Weissach zu stoppen und die Wahrheit zu offenbaren? Die Führungsspitze um Bohn schafft es nicht. So kommt es 1991 schließlich fast zur Meuterei gegen den obersten Autoentwickler Bez. Es ist Horst Marchart, ein Porsche-Urgestein seit 1960 und Österreicher, der die Tragödie als verantwortlicher Fahrzeugentwickler in Weissach nicht mehr länger tatenlos mit ansehen will. Marchart nutzt seinen guten Draht zu Ferry und schenkt diesem – von Österreicher zu Österreicher – eines Tages reinen Wein über sein Wunschprojekt ein: »Wir bauen den Viertürer zu dem Preis nie«, vertraut er ihm an und packt beherzt aus: »Sie, die Zahlen stimmen nicht!« Schließlich kennt der Autoentwickler die Kosten für die Limousine ganz genau, die sein Vorgesetzter Bez nicht wahrhaben will. Dem Seniorchef gegenüber legt Marchart dann die Fakten auf den Tisch – und nun kommt der Stein gegen Bez ins Rollen. Doch es hilft noch ein anderer aus dem Familienrat mit Kritik nach, bis der glücklose, exzentrische Manager Bez kippt: Ferdl Piëch. Der Bayer, der in dem Viertürer »nie eine Porsche-taugliche Lösung« sah, giftet von seinem Audi-Dienstsitz in Ingolstadt zur 989-Limousine herüber: »Das Projekt ist nicht machbar. Das Auto wird nichts.« Nun rückt Porsche-Senior Ferry, der ebenfalls von seinem Neffen für den Supersportwagen gerüffelt wird – »Der Onkel liegt ganz falsch« – endgültig von seinem Traum ab. Er muss einsehen, dass seine Vision für Porsche nicht zu finanzieren ist. Die Familienoberhäupter schnippen mit den Fingern, und Bez wird umgehend der Abgang zum 30. September 1991 nahe gelegt. Nur elf Tage später übernimmt Marchart, sein schärfster Kritiker und lange Zeit seine rechte Hand, die Leitung in Weissach. Die Pressemeldung vom 17. September 1991 verharmlost den ungewöhnlichen Vorgang: »Dr. Ulrich Bez, 47, scheidet auf seinen Wunsch einvernehmlich … aus.« Im entlegenen Korea findet der Entwickler schließlich eine Führungsposition
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beim Autokonzern Daewoo. Vom Nachfolger Marchart wird später noch mal die Rede sein, denn er wird als erfahrener Techniker und Vertrauter der Familie eine wichtige Stütze beim Erfolg von Wendelin Wiedeking sein.
Die Familie bringt Bohn in Bedrängnis Für den Vorstandsvorsitzenden Bohn wird es allmählich eng. Denn nicht er ist als Chef die handelnde Person beim Wechsel von Bez, sondern der Aufsichtsrat, getrieben von der Familie. Und den Anstoß dafür gibt der Hauptabteilungsleiter Marchart – für Bohn ein ziemlicher Machtverlust. Doch es sollte noch schlimmer kommen. Denn Bez ist nun zwar gekippt, aber das höchst brisante Projekt 989 steht noch. Anstatt geschickt die Personalentscheidung umgehend mit der überfälligen Einstellung der Arbeiten am Viertürer zu verknüpfen, zögert Bohn immer noch. Im Betrieb wie in der Presse hält er sogar fest zum Familien-Sportwagen oder weicht in Sachen Modellpolitik aus. Auf die damals in Interviews regelmäßig gestellte Frage, ob sich Bohn nicht besser einen kleinen, preiswerten Flitzer unterhalb des 911 vorstellen könne, vertritt er die alte Linie von Schutz, Branitzki & Co. und antwortet stur: »Ein Einstiegs-Porsche kann nur ein Gebrauchter sein.« Ein billiges Auto aus Zuffenhausen sei aus Imagegründen ein Widerspruch in sich, verteidigt Bohn seine Politik. Damit spricht er sich eindeutig gegen den späteren Boxster aus. »Diese Antwort war aus der Not geboren. Es gab ja zu der Zeit kein modernes Modellangebot, und ich konnte der Öffentlichkeit doch nicht sagen, dass sie noch ein paar Jahre warten sollte«, verteidigt Bohn gut ein Jahrzehnt später im Gespräch mit dem Autor seine Position. Doch damals führt sein monatelanges Zögern dazu, dass erneut andere das Steuer bei Porsche in die Hand nehmen. Bald führt der oberste Manager auch in der entscheidenden Frage der Modellpolitik nicht mehr Regie. In der Porsche-Krise ist der branchenfremde Bohn an allen Ecken und Enden gefordert und deshalb häufig in Europa und Nordamerika unterwegs. Auf seinen Reisen benutzt der Manager entweder das Kleinflugzeug seines Bruders, das er oft selbst fliegt und das Porsche anmietet, oder er fährt im Auto. Doch auf einer seiner vielen Fahrten erleidet Bohn einen schweren Unfall und ist für längere Zeit abwesend. Bei Porsche allerdings geht der Streit um die richtigen Autos um so verbissener weiter. Da bei der Sportwagenschmiede in der Modellpolitik traditionell von der Familie über den Aufsichtsrat mitentschieden wird, nehmen die Dinge auch in Abwesenheit des Vorstandsvorsitzenden ihren Lauf, vor allem in Sachen Limousine. Die führenden Köpfe der Familie setzen zunächst im Familienrat und anschlie-
ßend im Aufsichtsrat machtvoll durch, dass der Viertürer endlich aus dem Programm genommen wird. Eine schmerzhafte Entscheidung – fürs Unternehmen wie für Bohn. Marchart: »Wir haben fast zwei Jahre am 989 herumentwickelt und dann einen Schmiss gemacht«, zieht der Konstrukteur heute enttäuscht Bilanz. Immerhin stecken nun in diesem Flop mehr als 300 Millionen Euro an Entwicklungsgeldern. Bohn behält sein Amt vorerst trotzdem. Seine Erklärung für »den Schmiss« klingt einfach: Der Viertürer »wurde von der Presse zersägt«. Das Auto sei viel zu teuer, kein echter Porsche, eine Familienkutsche, eher ein Jaguar oder sportlicher Mercedes, habe es damals geheißen. Bohns Fazit heute: »Die Porsche-Limousine passte nicht in die Zeit.« Doch er weiß auch, dass der stärkste Widerstand damals aus der Familie kam, die das Projekt 989 hinterrücks gekillt hat. Mal wieder übte das Familienmitglied mit dem meisten Benzin im Blut, Ferdinand Piëch, den stärksten Druck aus. Er lehnte den Viertürer ja von Anfang an vehement ab und überzeugte wiederum seinen Onkel Ferry davon, sofort der Einstellung des Projekts zuzustimmen, um ein noch größeres Millionengrab zu vermeiden. Wie wenig Bohn in dieser stürmischen Zeit Herr des Verfahrens ist, offenbart die Tatsache, dass er eine Woche vor der Verkündung des Entwicklungsstopps noch auf der Bilanzpressekonferenz keinen Ton zu den neuen Modellen sagt. Strikt blockt der Porsche-Chef alle bohrenden Fragen zum Viertürer ab. In der Planung gebe es nichts Neues zu berichten. Doch nur wenig später, nach der Sitzung des Gesellschafterausschusses der Familie, kommt plötzlich alles ganz anders. Die Pläne für den Super-Sportwagen sind vom Tisch, und es wird ab sofort intensiv an einem billigeren Porsche gebastelt. Für diese Kehrtwende um 180 Grad plädiert auch der neue Produktionschef des Hauses, Wiedeking. In einer verklausulierten, zweiseitigen Presseinformation von Porsche vom 24. Januar 1992 liest sich die Beerdigung erster Klasse so: »Porsche stellt Weichen für die Zukunft. Die Porsche AG trifft wichtige Entscheidungen für die zukünftige Modellpolitik und Kostenstruktur. Verlagerung der Entwicklungs-Schwerpunkte. Der Vorstand der Porsche AG hat beschlossen, einen Teil des zukünftigen Modellprogramms, das im für Konjunkturschwankungen besonders anfälligen Hochpreis-Segment angesiedelt war, umzustrukturieren …« Neben den bisherigen Baureihen 968, 928 und 911 konzentriere sich das Unternehmen »auf eine unterhalb der jetzigen Preisskala angesiedelte neue Baureihe auf technisch veränderter Basis. Mit dieser Baureihe wird sich Porsche zunehmendes Kundenpotential erschließen. Diese Umorientierung der Modellpolitik ist die Reaktion auf ein sich veränderndes Käuferverhalten im obersten Preis- und Marktsegment. Demzufolge wird die zeitliche Entwicklungspriorität für den
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›Sportwagen für mehr als zwei‹ zurückgestuft.« In der Mitteilung kündigt der unterlegene Bohn noch eine »Überprüfung der Arbeitsstrukturen mit dem Ziel nachhaltiger Kostensenkung« an. Aus dem umständlich wie streckenweise unverständlich formulierten Pressetext ist herauszulesen, wie schwer es dem Porsche-Chef gefallen sein muss, diesen Inhalt zu veröffentlichen. Dies um so mehr, als Bohn über die nun geplante preiswertere Baureihe – den späteren Boxster also –noch keine konkreten Angaben machen kann – weder zum Fahrwerks- und Motorenkonzept noch zur Preiskategorie. Offenbar ist die Entscheidung zu diesem Termin noch gar nicht endgültig gefallen. Fakt ist, dass der im Januar 1992 öffentlich angekündigte Bau einer neuen Modellreihe unterhalb des 911er erst im Sommer 1992 offiziell vom Vorstand und Aufsichtsrat abgesegnet wird. Bis dahin gelang es Bohn offensichtlich, die Kehrtwende zu vollziehen. Und in all den Wirren landet er noch einen zweiten Sieg für sich: Nach einem spektakulären Streit hinter den Kulissen der Firma und innerhalb der Familie wird sein Vertrag am 25. Februar 1992, also nur einen Monat nach dem Aus für die Sportlimousine, vom Aufsichtsrat »einstimmig« verlängert. In der Pressemitteilung heißt es knapp: »Der Aufsichtsrat … hat … Herrn Arno Bohn mit Wirkung vom 1. Januar 1993 für weitere drei Jahre zum Vorstandsvorsitzenden bestellt.« Bohn hätte demnach noch fast vier Jahre im Amt bleiben dürfen.
»Das war ein Ringen« Allerdings wachsen die Widerstände und Vorbehalte nach der Vertragsverlängerung auf beiden Seiten der Familie. Bohns kollegialer Führungsstil wird ihm nun als Unsicherheit ausgelegt. Trotz aller Skepsis jedoch beweist der erste Mann im Management, dass er sehr lernfähig ist. Auch Bohn ist sich damals sehr bewusst, dass Porsche dringend ein preiswerteres Modell unterhalb des 911ers braucht, das hohe Stückzahlen bringt. Seine engsten Mitarbeiter berichten: »Damals war schon klar, dass der dicke 928er, der immer weniger Käufer fand,sterben wird,also keinen Nachfolger mehr bekommen wird.« Aber wieder kann sich Bohn auch beim teuren 928 zu keinem Ende mit Schrecken durchringen, obwohl es drei unterschiedliche Baureihen sind. Stattdessen gibt er der Exklusivität den Vorrang und präsentiert im Frühjahr 1992 ein weiteres, noch teureres Topmodell vom »dicken« 928, den 928 GTS als »stärksten Serienwagen der Welt«: noch mehr PS, noch schneller, die Spitze der 928er-Entwicklung mit Reifenkontrollsystem von Bosch und viel Elektronik. Er vertritt die Meinung, dass Porsche »nicht zum Mengenwachstum
verdammt ist«. Doch das kostspielige Kraftpaket wird trotz seiner Hochwertigkeit von der Fangemeinde als nicht »100-prozentig Porsche« empfunden. Der 928 GTS findet viel zu wenig Kunden, obwohl selbst die Mitarbeiter durch kräftige Nachlässe zu Käufen animiert werden. In Zuffenhausen beträgt die Produktion bald nur ein bis zwei am Tag, keine 600 im Jahr. Den späteren Boxster hätte Bohn gern auch noch in größerer Stückzahl gebaut. Das Modell war ja längst als Entwicklungsprogramm aufgelegt worden, fast parallel zum Viertürer. Bohn stellt sogar in Weissach ein Entwicklungsteam unter der Verantwortung eines erfahrenen Technikers zusammen. Sie sollen eine Studie über ein Fun-Auto für junge Leute erstellen. Zudem treibt der neue Entwicklungschef Marchart das Roadster-Projekt 968 sehr energisch voran. Doch die strittigen Diskussionen an der Führungsspitze drehen sich immer wieder um einen heiklen Punkt: Eine der vorhandenen Baureihen muss eingestellt werden, um dem »Kleinen« Platz zu machen, wobei das Erfolgsauto 911 nie zur Disposition stand. Eine vierte Modellserie hätte die kleine Autoschmiede sicher nicht verkraftet, weder finanziell in der Entwicklung und Produktion noch im Vertrieb und Service. Bohn dazu: »Das war ein Ringen. Wir mussten uns erst darüber klar werden, was das kostet. Ob wir die richtigen Leute fürs Marketing haben, ob der vorhandene Vertrieb dazu passt, und ob sich ein billigeres Auto mit dem Imageprofil eines Porsches deckt.« Und wie schon die gescheiterte exklusive Limousine, stößt auch ein Fahrzeug unterhalb des 911er auf zahlreiche Kritiker. Doch schließlich war es dann soweit. »Wir hatten im Sommer 1992 eine Vorstands- und Aufsichtsratsentscheidung für den Boxster«, erinnert sich Bohn ganz genau. Beruhigt konnte der Porsche-Chef nun allen übrigen Ressorts sein »i. O.« (in Ordnung) für den künftigen Kleinen geben. Die Idee für die pfiffige Bezeichnung »Boxster« entsteht übrigens in einer kleinen Runde Kreativer in der Weissacher Technikschmiede, an der auch Marchart und Chefstylist Harm Lagaay teilnehmen. Die Kombination aus den Wagentypen Roadster oder Speedster mit dem Antriebskonzept eines Boxermotors inspiriert sie zu der Wortmischung »Boxster«. Den Beteiligten ist zu dieser Zeit, im Sommer 1992, schon klar, dass der Boxster aus Kostengründen technisch auf der gleichen Basis wie der Absatzrenner 911 gebaut werden muss. Diese Entscheidung ist die Geburtsstunde der Gleichteilepolitik bei Porsche. Nach diesem Konzept soll die neue Baureihe so viel Elemente wie möglich von der Carrera-Serie mitbekommen.Das spart Kosten bei der Produktion, beim Einkauf wie im Service (Ersatzteile). Bisher unterschied sich jede Baureihe trotz der geringen Stückzahlen bis ins letzte Detail von der anderen. »Alles war anders an den Autos«, sagt Bohn. »Alle drei
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Baureihen, 911, 944/968, 928, hatten verschiedene Motoren, Karosserien, Teile bis zum Türgriff.« Dem Luxus, drei unterschiedliche Antriebskonzepte – mal Luft-, mal Wasserkühlung, mal Heck-, mal Mittelmotor, mal die mal jene Karosse – wird für alle künftigen Entwicklungen und Fertigungsverfahren ein für alle Mal abgeschworen. Dieser Grundgedanke wird sofort auf den Hoffnungsträger Roadster angewandt. Es ist das inzwischen von Bohn, Marchart, Wiedeking & Co. verfolgte Projekt 986, das bald als Boxster seine Geburt feiern sollte. Nun wird streng auf die Kosten in Entwicklung (am Ende vergleichsweise niedrige 750 Millionen Mark) und Produktion geachtet. Der kleine Flitzer soll ja eine neue Käuferschicht, die Ein- und Aufsteiger, zu einem möglichst niedrigen Preis, um die 77 000 Mark, anlocken. Der 986 entsteht mit Hochdruck unter Regie des Bez-Nachfolgers Marchart. Es ist eine wichtige Vorleistung für Wiedeking. Die Entwicklung läuft 1991/92 unter Bohn schon auf Hochtouren. Auch wird damals unter dem Diktat des Sparens erstmals ein Gleichteilekonzept angewandt und die Anfänge einer Art Plattformstrategie gelegt. Äußerlich ist dies daran zu erkennen,dass die Boxster-Schnauze auffallend der des 996ers (neuer 911er) ähnelt. Auch andere Komponenten wie eine Reihe von Innenteilen oder Vorder- und Hinterachse sind mit dem 911er identisch. Ursprünglich sollten noch mehr Gleichteile aus dem 911er-Programm benutzt werden, aber das hätte die Wagen wie Zwillinge aussehen lassen und beiden sicher nicht gut getan. Die Gleichteilestrategie ist übrigens heute weltweit in der Autoindustrie üblich. Sie verkürzt auch die Entwicklungszeit des Boxsters enorm. Ebenfalls schon weit vorangekommen ist der langfristige Fahrplan für die Modellgeneration der Zukunft. Der nächste 911er, Projektnummer 993, der letzte legendäre luftgekühlte Carrera (Bohn: »Wurde noch federführend unter Bez gemacht«) ist bereits weit gediehen. Zugleich steckt der 996, die übernächste Generation eines wassergekühlten 911ers, bereits konkret in der Planung. Er soll im Frühjahr 1997 auf den Markt kommen. Selbst beim Fertigungskonzept schlägt Bohn schon ein Stück weit neue, sehr effiziente Wege ein. Er lässt die Produktion unter Wiedekings Regie so umstellen, dass im Motorenwerk mit den gleichen Werkzeugen auf ein und demselben Band zwei verschiedene Modelle – Boxster und 911er – gebaut werden können. Für die Zuffenhäuser eine Revolution. Die Modelle und manche Methoden, die wenige Jahre später den Aufstieg von Wiedeking begründen sollten, sind jedenfalls bereits unter Bohn kräftig angeschoben worden. Und seit den Niederlagen vom Herbst 1991 (Bez, Formel 1) und im Januar 1992 (Stopp der Limousine) weiß der Porsche-Chef, dass er nun Gas geben muss. Dazu gehört auch die Straffung der Fertigung und Organisation.
Im Juni 1992 nimmt Bohn schließlich den lange umstrittenen Personalabbau von zunächst 850 Mitarbeitern in Angriff.Und im Management setzt der Porsche-Chef Zeichen. Sein großes Verdienst ist es, die Mannschaft wieder zusammengebracht zu haben. Bohn arbeitet daran, bei Porsche das Teamdenken über Ressortgrenzen hinweg einzuführen: Wichtige Entscheidungen werden gemeinsam gefällt. So sei der Boxster, betont Bohn im Gespräch, erstmals im Unternehmen im Team erörtert und durchgesetzt worden. Manager aus der Entwicklung, dem Finanzbereich, Marketing, Controlling, aus der Produktion und Verwaltung bringen gemeinsam ihre verschiedenen Vorstellungen ein und dann unter einen Hut. Bohn: »Gemeinsam wurde über den Einstiegspreis diskutiert, über das Motorenkonzept, die Kosten, den Vertriebsapparat und so weiter.« Mitspracherechte bekommen nicht nur Mitglieder des Vorstands, sondern auch sämtliche durchführenden Kräfte vom Hauptabteilungsleiter, Abteilungsleiter bis zum Projektleiter. Zuvor habe es, so Bohn, nur Einzelentscheidungen gegeben. »Die Entwicklung für sich, die Produktion, der Vertrieb und so weiter. Einzelne Vorstandsbereiche lagen gedanklich und mental weit auseinander.« Denn »vorherrschend war die Kultur, nur in Abteilungen zu denken.« Das begünstigt bekanntlich Intrigen in der Firma. Für seinen kooperativen Managementstil wird der Ex-Porsche-Chef von Mitarbeiten gelobt: »Bohn strahlte trotz der schwierigen Situation Ruhe aus und verlor nicht die Nerven.«
Arno Bohn gegen Ferdinand Piëch Doch die Zeiten verlangen nicht nach einem Schmusekurs. Bohns durchaus fortschrittlicher und ausgleichender Stil hätte in einer Schönwetterperiode sicher hervorragend eingeschlagen. Aber bei Porsche ist fortwährend Sturm angesagt. Die Verkaufszahlen brechen weiter ein. Im umkämpften Schlüsselmarkt USA zum Beispiel stürzt der Verkauf im ersten Halbjahr 1991 dramatisch um 50 Prozent auf nur noch 2 844 Einheiten ab. Die dortige Vertriebstochter kündigt darauf 77 von 339 Beschäftigten. Und in der Bilanz des Mutterhauses deutet sich erstmals nach positiven Jahren ein satter Verlust an. Und wirklich wird das Geschäftsjahr 1991/92 das erste Verlustjahr seit langer Zeit. Noch dickere Verluste sollten folgen. Für Ruhe ist keine Zeit. »Es darf nicht ein Jahr mehr länger dauern«, warnen selbst wohlgesinnte Porsche-Leute. Von nun an fallen bis zu 250 Millionen Mark Betriebsverluste im Jahr an. Schon unter Bohn ist »der Topf fast leer«, wie ein Familienmitglied kritisch bemerkt. Was in anderen Häusern als dickes Polster gilt, löst bei Porsche traditionell Sturmwarnung aus. Denn die Finanzreserven decken 1992 mit etwa 900 Mil-
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lionen Mark gerade noch die Lohn- und Gehaltssumme für ein Jahr. Bei einem Unternehmen, das keine großen Schulden machen und ganz aus eigner Kraft überleben will, lösen die Aussichten auf rote Zahlen Krisenstimmung aus. Auch bei der mal gespaltenen, mal geeinten Familie, welche die Situation mit von Monat zu Monat wachsendem Argwohn betrachtet.Es läuft wirtschaftlich einfach schlecht. Und alle, der Clan wie die ganze Mannschaft, vermissen unter Bohn den großen Ruck, der nach Branitzkis Hängepartie endlich durch die Firma gehen soll. Für einen wirklichen Befreiungsschlag bringt der Führungsmann in der Folge immer weniger Kraft auf. Denn ausgerechnet mit dem mächtigsten Vollstrecker der Firma, Ferdinand Piëch, muss sich der oberste Manager einen Kampf um die Frage, wer der eigentliche Herr im Hause Porsche ist, liefern. Auslöser des formaljuristischen Streits ist der Umstand, dass Piëch als Entwicklungs- und Vorstandschef des Konkurrenten Audi zu tiefen Einblick in seine Familienfirma hat. Denn er sitzt auch im Aufsichtsrat der Porsche AG. Aufgrund dieser Position bekommt der Familienaktionär selbstverständlich sämtliche Informationen aus dem Management, wie zum Beispiel auch über Entwicklungsprojekte, die Porsche in Weissach im Auftrag fremder Unternehmen durchführt. Unter den Kunden sind nicht wenige Firmen, die in direkter Konkurrenz zu Audi beziehungsweise VW stehen, wie Daimler, BMW oder Japaner. Und Bohn wie Bez und Marchart müssen sich von den Wettbewerbern immer wieder die unangenehme Frage gefallen lassen, wie es denn das Aufsichtsratsmitglied Piëch als führender Audi- und VW-Manager mit der Geheimhaltungspflicht hält. Die Konkurrenten hegen nämlich konkret die Befürchtung, dass über Aufträge an Porsche Firmengeheimnisse Richtung Ingolstadt und Wolfsburg abwandern könnten. Aufträge für Entwicklungen sind aber stets Vertrauenssache, denn die Autohersteller geben hier ihre Pläne schon über Jahre im Voraus preis. Dafür verlangen sie höchste Diskretion, damit niemand in ihre Karten schauen kann.
Ferdinand Piëch schlägt zurück In diesem diffizilen Punkt nimmt Ferdinand Piëch – wie so oft – eine vom Branchenbild weit abweichende Haltung ein, wie er auch in seiner Auto. Biographie bekräftigt. Natürlich verdammt auch er den Geheimnisverrat, doch für ihn ist das alles nicht so tragisch. Er meint, dass selbst das Know-how eines Chefentwicklers »nicht höher als 5 Prozent vom Wissensstand seiner Abteilungen« sein könne. Piëch glaubt deshalb, »man überschätzt den Wert des Insiderwissens, das ein Technikchef mitnehmen kann. Die jeweiligen Mann-
schaften sind derart auf einen Arbeitsstil in Entwicklung und Forschung eingeschworen, dass der Abgang des Lotsen das Schiff nicht gleich aus dem Kurs bringt.« In übertragener Form dürfte seine Meinung sicher ebenso für ein Mitglied im Aufsichtsrat von Porsche gelten. Aber das schafft den Interessenskonflikt bei Porsche nicht aus der Welt. Wer kann den Automanager und Porsche-Erben im Ernstfall kontrollieren, wenn er bei seiner Familienfirma nach dem Rechten schaut? Würde es der Werksschutz in Weissach wagen, einem Ferdinand Piëch den Zutritt zu den heiligen Hallen der Tüftlerwerkstatt zu verwehren? Wohl kaum. Normalerweise haben zwar Fremde, also nicht Betriebsangehörige oder Kunden ohne Begleitung von Mitarbeitern in Weissach keinen Zutritt, aber ein Ferdinand Piëch lässt sich davon nicht aufhalten. Andererseits schwört der Autokenner stets Stein und Bein, niemals seine Doppelposition – hier Audi-Chef, dort Porsche-Aufsichtsrat – zur Werksspionage bei Porsche ausgenutzt zu haben. Deshalb dementiert er 1992 auch eine ungeheuerliche Begebenheit, die in dem Magazin WirtschaftsWoche, 10/1992) kolportiert wird. Demnach soll Piëch samstags ab und zu in die Denkfabrik im schwäbischen Weissach gereist sein. An solchen arbeitsfreien Tagen durchschreite der Ingenieur »die menschenleeren Zeichensäle des Entwicklungszentrums, lüfte Abdeckplanen und inspiziere den Windkanal.« Das hätten Bohns Mitarbeiter berichtet. Ihr ungeheuerlicher Vorwurf gegen Piëch aufgrund dieser Beobachtungen lautet, so die WirtschaftsWoche: »Der Porsche-Aufseher klaue in Weissach womöglich Ideen, die er dann als AudiChef in die Tat umsetze.« Piëch schwört dagegen, solche Inspektionen in dieser Absicht niemals durchgeführt zu haben. Trotz aller Dementis halten sich in Zuffenhausen wie in der Autobranche hartnäckig Gerüchte, dass es in Weissach ein Leck geben müsse. Ein übler Verdacht, der für Porsche geschäftsschädigend sein kann. Würde er sich bestätigen, könnten die Stuttgarter ihre Kundenentwicklung in Weissach schließen. Auch auf der Hauptversammlung im März 1992 sind Piëch und der Interessenkonflikt ein brennendes Thema, schließlich treiben die schweren Befürchtungen den gesamten Porsche-Vorstand um. Auslöser ihrer Besorgnis ist, dass Porsche-Techniker meinen, zwischen dem Allradantrieb eines Audi und dem eines Porsche seltsame Parallelen entdeckt zu haben. Es wird aber noch brisanter: Entwickler sehen in dem gerade in Weissach entstehenden Roadster, dem späteren Boxster, und einem neuen Audi Quattro-Spyder-Prototypen auffallende Ähnlichkeiten. Piëch lässt seine Studien im Herbst 1991 auf den Salons in Frankfurt und Tokio ausstellen. Die Weissacher sind entsetzt, der gesamte Porsche-Vorstand empört. Das Management glaubt nun an Details der Quattro Spyder-Studie von Audi den Beleg dafür gefunden zu haben, dass
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Geheimnisse aus dem Entwicklungsbereich nach außen dringen. So gerät Piëch als Audi-Chef in den Verdacht des Geheimnisverrats. Bestätigt wird diese Anschuldigung übrigens nie. Die Porsche-Führung geht dennoch zum Angriff über. »Ich fand den Posten als Vorstandsvorsitzenden bei Audi und einen Sitz im Aufsichtsrat bei Porsche inkompatibel«, verteidigt Bohn noch heute sein Vorgehen. »Ich habe diese Meinung deutlich vertreten.« Und da Bohn kollektiv führt, soll der Vorstand in dieser brisanten Sache einheitlich auftreten. Also fordert tatsächlich das gesamte Gremium Piëch auf, seinen Posten im Aufsichtsrat zu räumen. Um ihrem Drängen Nachdruck zu verleihen, geben sie bei Wirtschaftsanwälten ein Gutachten in Auftrag, das die Unvereinbarkeit der Tätigkeit von Ferdinand Piëch als Audi-Chef mit seinem Aufsichtsratsmandat bei Porsche juristisch untermauern soll. Das Ergebnis lautet prompt: Es liegt ein Interessenkonflikt vor. Piëch solle besser seine Kontrollfunktion im Familienbetrieb abgeben. Tapfer übergibt der komplette sechsköpfige Porsche-Vorstand im Februar 1992 das Gutachten samt der daraus abgeleiteten Konsequenz an Ferdinand Piëch – für ihn eine glatte Kriegserklärung. Bitter registriert der Porsche-Enkel: Unter dem Gesuch prangen neben der Unterschrift Bohns auch die von Walter Gnauert (Finanzen), Kurt Femppel (Personal), Horst Marchart (Entwicklung) sowie die der erst im Oktober 1991 in die Führungsspitze berufenen Neulinge Dieter Laxy (Vertrieb) und Wendelin Wiedeking (Produktion und Materialwirtschaft). Der brisante Brief sollte die meisten Unterzeichner ins Aus führen; außer Wiedeking und Marchart sollte diesen Aufstand niemand überstehen. Am wenigsten Bohn selbst. Als Piëch vom geballten Misstrauen gegen ihn im Vorstand Wind bekommt, startet er einen Gegenangriff. Die Konfrontation fällt genau in die Phase, als er hilft, das Projekt 989/Sportlimousine und zuvor schon den Entwicklungschef Bez an Bohn vorbei zur Strecke zu bringen. Und nun steht auch noch die Verlängerung von Bohns Vertrag auf der Tagesordnung. Piëch, dessen Harmoniebedürfnis, wie er selbst sagt, »begrenzt ist«, setzt alles daran, den missliebigen Angestellten loszuwerden. Dazu spannt der kampfgestählte Porsche-Erbe alles ein, um den Manager zu demontieren – selbst die ungeliebten Medien. Auf einem Treffen der Autobranche in Stuttgart Anfang 1992 steckt der Querlenker Journalisten, dass der BMW-Entwicklungschef Wolfgang Reitzle bald neuer Porsche-Boss werde. Details über Reitzles millionenschweres Vertragsangebot und über Bohns Schwächen machen plötzlich in der Presse die Runde. Außerdem tauchen immer neue Gerüchte auf. Die Belegschaft vermutet eine Intrige und als möglichen Kopf des Ganzen den Bayern Ferdinand Piëch. »Irgendjemand petzt in der Presse«,
schimpfen Arbeitnehmervertreter. Es macht sie wütend, tatenlos zusehen zu müssen, wie ihr Betrieb durch Berichte über Familienzwist, Missmanagement und Verkaufsgerüchte in Verruf gerät. »Jede Woche steht irgendein Käse über Porsche in der Zeitung«, ärgern sich die Mitarbeiter. Um dem Spuk ein Ende zu setzen, protestiert der gesamte Betriebsrat unter Führung des Vorsitzenden Franz Steinbeck direkt bei der Familie wie beim Management und droht selbst mit der Öffentlichkeit. Erst nach diesem Schuss vor den Bug kehrt allmählich wieder Ruhe ein.
Das Ende der Bohnzeit In der Frage Bohn wird allen deutlich, dass die wankelmütige Doppelfamilie Porsche-Piëch gespalten ist. Zwar verspricht der damalige Aufsichtsratschef Ferdinand Alexander Porsche den Vertretern der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat (sie standen als Einzige voll hinter Bohn) im Januar 1992, Bohns Vertrag zu verlängern, aber pikanterweise mit dem Zusatz: »Ich weiß nur noch nicht, wie lange.« Außerdem wühlen die unsichere Zukunft Porsches, die nach wie vor umstrittene Modell- und Vertriebspolitik sowie das Thema Piëch und der Vorwurf der Werksspionage die Gemüter der Sippe auf. Mal stehen die Erben mehrheitlich auf Bohns Seite, mal opponieren alle gegen ihn. Hinter vorgehaltener Hand weckt das Vorgehen des Vorstands gegen den Bayern Ferdl durchaus große Sympathien bei Ferry und anderen Porsches. Denn Ferdinand Piëch, der gerade schwer um den Chefposten bei Volkswagen ringt, muss der Spionagevorwurf sehr ungelegen kommen.Die Porsches,so ein Manager,lauern geradezu darauf, dass der Audi-Chef bei VW als Vorstandskandidat durchfällt. Insgeheim soll Onkel Ferry schon frohlockt haben: »Mein Neffe wird sich wohl bald mit einem Ingenieurbüro selbstständig machen müssen.« In anderen Punkten liegen Porsches und Piëchs auf einer Linie. So werden alle immer skeptischer, was Bohns Fähigkeiten als Automanager anbelangt. Ende 1991, Anfang 1992 ist der Clan durch den Clinch derart blockiert, dass das Ende des Porsche-Chefs besiegelt zu sein scheint. Belegschaftsvertretung und Vertreter der Kleinaktionäre sind alarmiert: »Die Familie steht nicht zu ihrem Wort«, schimpfen die Aufsichtsräte. »Man muss Porsche vor den eigenen Inhabern schützen«, fordert ein Vertreter der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz. Bohn hat schließlich noch mal Glück. Wunschkandidat Reitzle kommt nicht vorzeitig aus seinem Vertrag bei BMW heraus, und ein anderer Gegenkandidat findet sich nicht. Am Ende zündet ein Ultimatum, das Bohn an beide Familien richtet, doch noch: »Wenn die sich bis Ende Februar nicht entscheiden, bin ich hier weg.« Der Porsche-Lenker
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erhält darauf eine Vertragsverlängerung um drei Jahre ab 1993, was ihm nach seinem Ausscheiden bereits im September 1992 ein »Schmerzensgeld« in Höhe eines Super-Lottogewinns beschert.Vermutlich stützt ihn die Mehrheit im Aufsichtsrat noch mal, um Bohn nicht allzu deutlich als Opfer Piëchs dastehen zu lassen. Doch in Wirklichkeit ist es nur eine Galgenfrist. Piëch verliert also diese erste Runde. Die Medien hat er zu früh mobilisiert und damit seinem eigenen Ruf geschadet. Doch den Vorwurf der Werksspionage lässt er nicht auf sich sitzen. Er gibt seinerseits umgehend ein Gutachten in Auftrag. Piëch ist sich völlig sicher: »Ich habe so penibel auf Transparenz und Vereinbarkeit geachtet, dass ich guten Gewissens ein Gegengutachten in Auftrag geben lassen konnte«, teilt er dazu in seiner Auto. Biographie mit. Und wirklich, dieses »Obergutachten« gibt jetzt dem Miteigentümer Recht. Nach Piëchs Erinnerungen verlief die Sache mit dem Audi Quattro Spyder und der Boxster-Entwicklung nämlich genau umgekehrt, als es bei Porsche damals beobachtet wurde. »Der wahre historische Verdienst des Quattro Spyder sollte aber eher in einer ungewollten Dimension liegen: Er inspirierte die Porsche-Leute zum Boxster, und zwar rein von der Form und Größe her«, blickt der Porsche-Enkel in Richtung Stuttgart. Nachdrücklich fügt er hinzu: »Das hatte aber nichts mit mir zu tun und ist eine andere Geschichte.« Mit Piëchs Gegenwehr ist Bohns Ende besiegelt. Die Fronten bröckeln, seine Durchsetzungskraft lässt weiter nach. Umso kritischer schaut ihm die ganze Familie jetzt auf die Finger. Er wird immer wieder mit wechselnden Koalitionen im Streit der Clans konfrontiert. Auch Ferry geht auf Distanz, zweifelt an seinem ersten Angestellten. »Herr Bohn, was Sie mir da erzählen, das klingt für mich nicht so gut«, soll er ihm in seinem gemütlichen österreichischen Dialekt bei einem seiner Besuche beigebracht haben. Und Bohn darauf: »Herr Porsche, das müssen Sie mir halt glauben.« Indes, der NichtIngenieur und branchenfremde Computerkaufmann ohne Hausmacht steht bald isoliert da. Auch in den Folgemonaten agiert Bohn unglücklich, legt sich weiter mit Piëch an. Schließlich lässt ihn der ganze Clan fallen. Wieder bewahrheitet sich die alte Regel, die Porsche-Manager schon beim Eintritt hören: »Es ist enorm schwierig bei einer Familienfirma zu arbeiten, aber es ist nahezu unmöglich, in einer Zwei-Familien-Firma zu arbeiten.« Bohn fühlte sich wegen der vermeintlichen Rückendeckung der Porsches zu stark. Doch die Familie knickte ein. Heute weiß er, dass er sich verschätzt hatte: »Bei Auseinandersetzungen mit Ferdinand Piëch bin ich in die Oppositionsrolle geraten«, erkennt Bohn erst, als es zu spät ist. Mit der Zeit bekam die »Familie das Fracksausen angesichts der schlechten Zahlen«, meint
Bohn. Die zweite – und letzte – Runde geht schließlich klar an den Erben mit den höchsten Porsche-Anteilen im Blut. Die Familie – auch Ferry – unterstützt Piëch, eben jenen, der den Manager seit gut einem Jahr gehasst (»der kann das nicht«) und mit dieser Kraft geschasst hat. Bohn, der sich wie viele Marketingprofis als Generalist empfindet, scheitert am stärksten General des Hauses – wie einige Manager vor ihm. Porsche, das halb gesunkene Schiff, wieder zu heben, das geht eben nur mit Brachialgewalt. Der Mann mit den guten Manieren und dem ausgleichenden Wesen kam mit dem falschen Auftrag zur falschen Zeit. Das verschaffte der Familie die Möglichkeit, unter Bohn sehr viel mitzuentscheiden. Beobachter meinen im Rückblick, dass »der Aufsichtsrat über Monate die Weichen stellte«. Der gescheiterte Porsche-Chef hätte seine Samthandschuhe sofort ausziehen und als harter Sanierer entschlossen zupacken müssen. Ein solcher Managertyp indes wirbelt bereits seit einigen Monaten im Hause: Produktionschef Wendelin Wiedeking.
Wilde Zeiten im Vorstand:Wiedeking sammelt Pluspunkte Bohns Kollegen in nächster Umgebung beginnen im Sommer 1992 zu begreifen, dass der Topmanager nur noch Chef auf Abruf ist. Nur über den Zeitpunkt seines Abgangs werden noch Wetten abgeschlossen. An der Firmenspitze sickert durch, dass Bohn bereits gesicherte Kontakte zu seiner alten Branche, der Elektronikindustrie, aufgenommen hat. So führt er Gespräche mit General Electric. Und tatsächlich erhält Bohn bei dem US-Konzern sofort nach seinem Ausstieg bei Porsche eine Führungsposition im Bereich Medizintechnik, Dienstsitz ist Paris. Bohn fällt also nicht hart, kann den Abschied verschmerzen: »Ich bin nicht im Unfrieden geschieden und habe keine schlechten Erinnerungen an die Zeit. Ich bin auch auf niemanden sauer oder neidisch«, zieht der Manager, der noch Kontakt zur Porsche-Spitze hat, ein Jahrzehnt später den Schlussstrich. Mit Bohns Ausscheiden indes muss die Familie schon wieder einen neuen Firmen-Lenker suchen. Und trocken notiert Piëch in seinen Erinnerungen dazu, alle seien sich einig gewesen, »dass wir uns bei dieser Besetzung absolut keinen Fehler mehr erlauben durften«. Zu sehr steht das Unternehmen Anfang der neunziger Jahre im Schatten der heftigen innerfamiliären Streitigkeiten. Porsches Image liegt im negativen Bereich, und der abermalige Wechsel an der Spitze schadet dem Ruf erneut. Doch die Auswahl an geeigneten Kandidaten auf dem Markt ist aus-
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gesprochen mager. Die dauernden Querelen in der Firma und Familie schrecken Manager aus der Autobranche von einem Wechsel zu Porsche ab. Sie befürchten, wie ihre Vorgänger zwischen die Fronten der Familienclans zu geraten.
Wieder ein Chef gesucht Irgendwie erwartete die Fahrzeugindustrie den großen Knall bei Porsche, zumindest die Übernahme durch einen Konkurrenten. Doch dieses Ereignis bleibt aus. Trotz der existenzgefährdenden Situation bewahren die Zuffenhäuser ihre Selbstständigkeit. Bedanken können sie sich nachträglich bei ihrem Stuttgarter Nachbarn, Daimler-Benz. Der Multi greift der schwächelnden Autofirma im entscheidenden Moment unter die Arme. Das Verhältnis zwischen Porsche und Daimler war schon immer ein besonderes. Nicht nur, weil Ferdinand Porsche bereits viele Jahre für den Konzern gearbeitet hatte, sondern weil Daimler stets – und gerade in der Zeit der großen Krise – ein vitales Interesse am Schicksal der Sportwagenfabrik hatte und hat. Der langjährige erste Mann der Marke, Werner Niefer, »Mr. Mercedes«, hielt stets engen Kontakt zum Haus wie zur Familie, namentlich zu deren Oberhaupt Ferry. Daher ist Daimler-Benz guter Dinge, sich Porsche irgendwann einverleiben zu können (»Wir haben einen Fuß in der Tür«, Spiegel 38/1991). Der Konzern hatte dafür in der Bilanz bereits eine Rückstellung gebildet. Andererseits wollten Niefer & Co. unbedingt verhindern, dass ihnen ein Konkurrent die kleine Flitzerfabrik pfiffig vor der Nase wegschnappt. Je lauter nämlich die Krisensignale werden, umso mehr empfehlen sich die Wettbewerber als Retter, darunter BMW, Fiat, Ford, General Motors, VW und sogar Japaner. Toyota soll damals bereit gewesen sein, bis zu 1,5 Milliarden Mark für Porsche auf den Tisch zu blättern. Und Honda wollte den Aktionären in der schlimmsten Krisenzeit sogar bis zu 4 Milliarden Euro anbieten. Daimler buhlt daher intensiv um eine Beteiligung; zuerst eine kleine und schrittweise irgendwann mehr vom großen Rest. Und weil kleine Geschenke die Freundschaft erhalten, versorgt Mercedes-Mann Niefer die Sportwagenschmiede mit einem dicken Auftrag. Durch seine persönliche Geste wird die Entwicklung in Weissach und später die Produktion in Zuffenhausen inmitten der Krise kräftig ausgelastet. Daimler beauftragt die kriselnde Firma damit, die rund 130 000 Mark teure High-Speed-Limousine Mercedes-Benz 500E zu entwickeln und zu fertigen – es wird ein halber Porsche. Das Modell läuft sechs Jahre lang in Zuffenhausen; zwischen 2 500 bis zu 4 800 Einheiten
im Jahr werden gefertigt. Aus den anfangs vereinbarten 4 000 Karossen werden am Ende mehr als 10 000. Niefer kam Porsche bei den Verträgen sogar so weit entgegen, dass Daimler-Benz das Gebäude, das zur Produktion des 500E notwendig ist, auch großenteils bezahlt – einmalig in der Firmengeschichte und ein Rettungsanker in der Not. Ihr Ziel, sich den Zwerg in Zuffenhausen einzuverleiben, erreichten die Daimler-Strategen durch ihr Entgegenkommen indes nicht. Die Eignerfamilie wehrt jeden Übernahmeversuch energisch ab und sieht sich lieber weiter nach einem geeigneten Bohn-Nachfolger um. Bei der Suche nach einem neuen Porsche-Lenker, der von außen kommen sollte,hat der Clan zunächst wenig Glück.Mit fortschreitender Erfolglosigkeit machen sich daher einige Mitglieder der Führungselite im eigenen Haus Hoffnungen auf den bald vakanten Chefposten. Im Verlauf der hektischen Monate bis zu Bohns Abschied kristallisiert sich beim Gerangel um den Topjob intern eine Dreier-Gruppe heraus. Folgende Herren rechnen sich Chancen auf die Position der Porsche-Chefs aus: Finanzchef Walter Gnauert, der neue Vertriebsvorstand Dieter Laxy und der junge Rückkehrer Wendelin Wiedeking.
Der halbe Vorstand wird ausgewechselt Bevor es endgültig zur Konstellation dieser »Dreierbande« im Porsche-Vorstand kommt, wie sie von Insidern genannt wird, muss der Blick um etwa ein Jahr zurück auf den heißen Herbst 1991 gerichtet werden. Das Personalkarussell an der Spitze kreist kräftig. Der umstrittene Entwicklungschef Ulrich Bez wird – wie beschrieben – von Ferdinand Piëch abgeschossen. Und der Produktionsprofessor Rudi Noppen räumt ebenfalls, zum 30. September 1991, seinen Schreibtisch. Am Tag darauf, am 1. Oktober, treten gleich zwei Vorstandsneulinge ihr Amt an: Wendelin Wiedeking, der langjährige frühere Assistent von Rudi Noppen, beerbt seinen glücklos gewordenen Vorgesetzten. Der Vertriebsprofi Dieter Laxy übernimmt am selben Tag die schon vor elf Monaten über Nacht vakant gewordene Stelle von Hans Halbach.Und nur elf Tage später wird das bewährte Hausgewächs Horst Marchart auf den Posten des Entwicklungsvorstands gesetzt. So wird die Porsche-Spitze in kurzer Zeit zur Hälfte runderneuert. Bohn lässt die Doppel-Personalie Laxy/Wiedeking in einem Fax am 16. Juli 1991 (Porsche-Pressemitteilung, SO, 16. Juli 1991, 15 Uhr 10) mit folgendem Inhalt verbreiten: »Porsche-Vorstand komplett./Der Aufsichtsrat der Dr. Ing. h. c. F. Porsche Aktiengesellschaft bestellte die Herren Dieter Laxy, 48, und Dr.-Ing. Wende-
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lin Wiedeking, 38, zu Vorstandsmitgliedern./Dieter Laxy war seit 1986 in der Geschäftsführung von Volvo Deutschland, seit 1988 deren Vorsitzender. Er wird in der Porsche AG das Vorstandsressort Vertrieb und Marketing übernehmen./Dr.-Ing. Wendelin Wiedeking war zuletzt Vorstandsvorsitzender der Glyco AG Metall-Werke in Wiesbaden und bereits vom 1. Oktober 1983 bis 30. September 1988 bei Porsche in verantwortlicher Position im Bereich Produktion tätig. Er wird bei der Porsche AG zuständig sein für das Vorstandsressort Produktion und Materialwirtschaft.« Der in Wiesbaden bei einem Autozulieferer (Lagerschalen, Motorenteile) erfolgreiche Karrieremanager Wiedeking kehrt auf den schwankenden Boden seines ersten Arbeitgebers in Stuttgart zurück. Bei der Glyco-Gruppe, rund 2 500 Beschäftigte, hatte sich Wiedeking seit Oktober 1988, also in zwei Jahren, von der zweiten Führungsebene als Bereichsleiter Technik zur Spitze als Vorstandsvorsitzender dieser Familienfirma hochgedient. Schon ab November 1989 gehörte der flotte Westfale der Geschäftsleitung an und war für den Geschäftsbereich Technik zuständig. Kein Jahr später übernahm er im September 1990 bei dem Familienunternehmen den Vorsitz der Geschäftsleitung. Was bewegt den Westfalen angesichts dieser steilen Karriere, eine wieder in sicherere Bahnen gelenkte Firma zu verlassen, um bei Porsche auf ein schlingerndes Gefährt aufzusteigen? Er weiß doch, welcher Horror ihn in Zuffenhausen erwarten würde. Die internen Vorgänge dort verfolgt Wiedeking auch von Wiesbaden aus ganz genau. Es muss ihn eine tiefe Sehnsucht nach Porsche erfasst haben. Bei der Firma Glyco ist allerdings inzwischen auch einiges in Bewegung geraten. Die Familien Daelen und Hofmann verkauften im September 1990 zuerst 50 Prozent und im November 1990 den Rest ihres Unternehmens an den US-Konzern Federal Mogul Southfield/Michigan. Bei einem so gravierenden Eigentümerwechsel wird das Topmanagement in fast allen Fällen früher oder später auch ausgetauscht. Genau in der Phase des Eigentümerwechsels übernahm Wiedeking den Spitzenjob bei Glyco. Befürchtet der strebsame Enddreißiger nun, dass er nach geglückter Sanierung seine Schuldigkeit für die Amerikaner getan hat? Es ist zudem Ende 1990 völlig ungewiss, was der Konzern Federal Mogul, der in Deutschland und Europa mehrere Firmen besitzt, mit Glyco vorhat. Wiedeking kann sich seines Chefpostens in Wiesbaden jedenfalls nicht mehr hundertprozentig sicher sein. Zu seinem Nachfolger bestimmt einen Manager aus den eigenen Reihen, einen Deutsch-Amerikaner aus den USA. Bald hatte Glyco seinen Status als eigenständiges Unternehmen eingebüßt und existierte nur noch als Markenzeichen unter dem großen Firmendach von Federal Mogul. Der US-Konzern
wiederum musste 2002 Insolvenz anmelden, weil er sich mit Firmenkäufen weltweit verkalkuliert hatte. Wiedeking blieb Glyco noch einige Zeit als Vorsitzender des Aufsichtsrats verbunden.
Wiedekings Rückkehr zu Porsche Die wechselvollen Jahre 1990 und 1991 zwingen Wiedeking also zu wichtigen Entscheidungen. Da erreicht ihn der Ruf von Porsche, zurück nach Zuffenhausen zu kommen. Und er wagt den riskanten Schritt. Das bedeutet für den entscheidungsfreudigen Westfalen erneut, die Koffer samt der ganzen Familie zu packen und die rund 200 Kilometer von Hessen nach Württemberg umzuziehen. Obwohl ihn die eigene Familie in dem Plan bestärkt, wieder nach Stuttgart und zu Porsche zurückzukehren, ist es schon eine denkwürdige Entscheidung, die ihn zögern lässt. Er blickt auf seinen Karriereweg und sinniert: »Ich bin hier schnell nach oben gekommen und bin glücklich! Ich wurde Vorstandsvorsitzender eines Zulieferbetriebes mit weltweit acht Werken, habe eine harte Sanierung durchgezogen, und es gab wieder schwarze Zahlen.« Und trotz dieses Erfolgs reist der Jungmanager im Frühsommer 1991 mit großen Erwartungen zum entscheidenden Kontakttermin nach Stuttgart. Im Hotel Schlossgarten gegenüber dem Stuttgarter Hauptbahnhof, wo in den Konferenzecken gewiss zahlreiche solcher Karrieregespräche stattfanden, trifft Wiedeking Bohn. Die beiden verstehen sich recht gut. Wer letztlich das Urheberrecht für die Idee in Anspruch nehmen kann, Wendelin Wiedeking wieder zu Porsche zurückzuholen und auf den Vorstandsposten für Produktion und Materialwesen zu setzen, das bleibt offen. Denn sowohl Wolfgang Porsche als auch Ferdinand Piëch wollen den Einfall zuerst gehabt haben. Der Vorstoß jedenfalls verläuft erfolgreich.Allerdings will Wiedeking das Angebot noch mal überdenken und zögert sogar. In der Presse erklärt er später warum: »Ich bin ein berechnender Mensch und mache mir Gedanken, bevor ich mich entscheide und laufe nicht einfach los, weil jemand sagt: Guck mal, das ist doch super« (Tagesspiegel, 15./16. 12. 2000). Doch er überwindet seine Bedenken nach dem ersten Gespräch mit Bohn und sagt der Firma wie der Familie Porsche-Piëch zu. Das Angebot, den Vorstandsposten im Ressort Produktion und Materialwirtschaft zu übernehmen – im selben Ressort, in dem er früher unter Noppen gearbeitet hatte –, das war für ihn schon sehr verlockend. In Interviews bekräftigt er seinen Entschluss: »Obwohl die Situation damals – gelinde gesagt – alles andere als rosig war,habe ich dieses Angebot gerne angenommen. Es reizte mich einfach, in einer Führungsposition mitzuhelfen, den
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damals angeschlagenen Sportwagenhersteller wieder flott zu kriegen und seine Zukunft als unabhängiges Unternehmen erfolgreich abzusichern.« Skrupel persönlicher Art sind für den hartnäckigen Westfalen eher zweitrangig: »Ich habe mich vor einer Entscheidung noch nie gefragt, ob die Konsequenzen ein persönliches Problem für mich werden könnten«, gibt sich der Manager hart. Außerdem, so macht er sich wieder bewusst, »habe ich mir noch keine Schutzzäune gebaut.« Bei seinen Überlegungen über Porsche kommt dem Aufsteiger zudem wieder jener heiße Schwur in den Sinn, den er bei seinem Abschied von der Sportwagenfirma 1988 geleistet hatte: »Sollte ich jemals wieder zu Porsche zurückkommen, dann nur als Vorstand.« Dieses ehrgeizige Versprechen kann sich Wiedeking jetzt erfüllen. Also sagt der 38-Jährige erfreut zu. Und die Wiesbadener trösten sich bei seinem Abschied mit der Erkenntnis: »Sein Herz hängt noch immer an Porsche.« Der gesuchte Produktionsspezialist zieht im Herbst 1991 glücklich dort ein, wo er vor drei Jahren ausgezogen war, allerdings nun ins Vorstandsbüro im Werk 2. Äußerlich zumindest eine Welt, die ihm höchst vertraut ist. Doch Wiedeking ist in diesen Tagen nicht das einzige Mitglied aus dem Vorstand, das seine neuen Amtszimmer bezieht. Der zweite Neuling an Bord, Dieter Laxy, schlägt seine Zelte beim Porsche-Vertrieb einige Kilometer weiter entfernt auf dem Tammerfeld zwischen Ludwigsburg und Stuttgart auf. Der 48jährige Automann sammelte früher Erfahrungen bei Volkswagen, bei großen VW-Händlern sowie bei Rover und Volvo. Bei Porsche müssen er und Wiedeking sich jetzt darauf einstellen, dass ihnen der Wind ins Gesicht bläst. Als Erstes tangiert sie der eskalierende Streit zwischen Bohn und Piëch in der Frage der Interessenskollision im Aufsichtsrat.Doch Vertriebsmann Laxy wird schon sehr schnell von der Absatzkrise der Marke eingeholt. Besonders beim Verkauf in den USA muss er, wie schon sein Vorgänger Halbach, bei den Planungen von Besprechung zu Besprechung schlechtere Zahlen vorlegen. Es gibt Monate, in denen kaum mehr als zehn Neuwagen verkauft werden. Und im Inland nehmen es viele Kunden Porsche noch immer übel, dass sie als Käufer zweiter Wahl behandelt und mit langen Wartezeiten bestraft wurden, als der US-Dollar hoch stand. Die andauernde Talfahrt im Verkauf beeinträchtigt auch Wiedekings Bereich. Die Produktion läuft wegen der Absatzschwankungen instabil. Weil Bohn zögert, eine harte Sanierung fürs gesamte Unternehmen anzugehen, betätigt sich der Westfale vorerst als strammer Kostenbremser in seinem Ressort. Hier zeigt er seine Stärken. Wieder krempelt Wiedeking entschlossen die Ärmel hoch, packt zu. Diesen Elan hatten alle, die den promovierten Maschinenbauer von früher kannten,nun erwartet.»Er tritt wieder an mit viel
Ehrgeiz und Insiderkenntnissen«, prophezeien Mitarbeiter aus seiner Umgebung. Der Rückkehrer hat ja das dicke Plus, sich nicht erst wochenlang in seine Aufgabe, ins Haus und in die Autobranche einarbeiten zu müssen. Wiedeking weiß aus seiner früheren Tätigkeit sofort, »wo der Hammer hängt«, wie die Techniker sagen. Und zu seiner Tatkraft bringt er die Ideen zur Veränderung des Noppen-Ressorts schon in sein Amt mit. Wiedeking kennt alle Schwachstellen in der verwinkelten und zerstückelten Autofabrik von Zuffenhausen. Und diese, seine Basis, sucht der Oberproduktioner ständig auf – wenn es sein muss täglich. Denn – typisch Wiedeking – er will genau wissen, wo er anpacken muss. Diese persönliche Präsenz indes ist neu für die knapp 5 000 Frauen und Männer im Werk, denen der ehemalige Assistent bis dahin kaum aufgefallen war. Den bisherigen Produktionschef Professor Noppen hatten die »Fabrikler« selten leibhaftig zu Gesicht bekommen. Er schickte meist seine Assistenten. Von nun an jedoch begegnen sie dem jungen Vorstand laufend. Wiedeking taucht buchstäblich ein in sein Werk, kniet sich hinein in die Aufgabe, redet mit Meistern, Arbeitern, Verwaltern, wo der Schuh drückt. Aus den Gesprächen mit Praktikern versucht der Manager, die richtigen Konsequenzen für seine Planung, für die Organisation und Logistik zu ziehen. Bloßes Herumdoktern an einzelnen Stellen, das wurde Wiedeking dabei sofort klar,reicht nicht mehr aus.Die Fabrikation der Sportwagen sowie das Lagerwesen müssen radikal vereinfacht und daher gewaltig umgekrempelt werden.
Erstes Ziel: Japanisch schlank und unterwürfig Vorreiter auf diesem Feld sind Ende der achtziger Jahre die Japaner, allen voran Toyota und Honda. Aufgefallen ist dieser Vorsprung durch eine kritisch-vergleichende Untersuchung, die das Massachusetts Institute of Technology, MIT, in Boston, USA, über die Massenproduktion von Autos in Amerika, Europa und Fernost durchgeführt hatte. Bei der Veröffentlichung der Studie Anfang der achtziger Jahre zeigte sich, dass die Asiaten in Sachen Lean Production weit vorne lagen. Dieses aufsehenerregende Ergebnis bildete in Nordamerikas und Westeuropas Autoindustrie den Auslöser dafür, die eigenen Produktionsmethoden zu überprüfen und nach japanischem Vorbild grundlegend zu rationalisieren (Business Re-Engineering). Dieser Prozess war an Porsche weitgehend vorbeigegangen. Deshalb muss Wiedeking darauf drängen, dass die verlorene Zeit rasch wettgemacht wird. Er greift nach allen Hilfsmitteln – und Bohn gibt ihm freie Hand. Als Erstes holt er sich nicht nur die Theorien der Asiaten ins Haus, sondern gleich die Menschen dazu. Sofort
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reist der neue Produktionsvorstand mit einer guten Hand voll Leuten aus seinem Ressort nach Japan, um deren produktive Fabriken zu studieren. Der Deutsche inspiziert vor allem die gelobten Fertigungsstätten von Toyota und Honda, was für einen Konkurrenten eigentlich unmöglich war. Die skeptischen Japaner befürchteten nämlich Werksspionage der Langnasen. Sicher hätten sie damals Manager von VW oder Daimler nie ins Allerheiligste ihrer Fabriken gelassen, doch Wiedeking überzeugte die Japaner: »Wir kommen von Porsche, einem Technikunternehmen und winzigen Hersteller von Sportwagen.« Für Giganten wie Toyota könne der Minibetrieb doch kaum eine ernsthafte Bedrohung sein. Schließlich könnten die Japaner auf ihre Entwicklungshilfe in Sachen »Fertigungsmethoden« mächtig stolz sein. Das zieht, und Wiedeking samt seinen Leuten – Ingenieure und Meister – wird persönlich vom Toyota-Management empfangen und höflich betreut. Umgekehrt sind anfangs 15 Toyota-Manager bereit, nach Zuffenhausen ins Werk zu kommen und jeden Schritt im Produktionsprozess auf Optimierung zu überprüfen. Sie bilden dann Teams aus Mitarbeitern, welche ihrerseits die Verantwortung für ganze Abschnitte in der Montage übernehmen sollen. Die so geschulten Porsche-Leute dürfen sogar das Band anhalten, sofern etwas schief läuft. Nachdem sie bei Toyota, Honda & Co. alles registriert und fleißig notiert haben, ruft Wiedeking auch andere Vorstände sowie das Mittelmanagement dazu auf, ebenfalls in die Welt hinauszugehen und sich andere Werke anzusehen. Die Porscheaner haben dort viel gelernt. Später dürfen auch andere Produktioner und sogar der Betriebsrat zur Nachhilfe nach Fernost reisen. Wiedeking ist so von den Methoden der Asiaten begeistert, dass er den Mitarbeitern ein Buch über Japans Managementkonzept »Kaizen« schenkt. Diese Anleitung zur rationellen Fertigung enthält neben vielen simplen Weisheiten auch allerhand Allgemeinplätze; etwa Sätze wie: »Man macht die Verbesserung um der Verbesserung willen.« Dennoch überwiegen die Vorteile, auch für Bohn: »Die Japan-Erfahrung bringt einen enormen Schwung in die Produktion.« Das Kapitel »Japaner« sollte eine wichtige Etappe werden, nachdem Wiedeking die Führung bei Porsche übernommen hatte. Doch schon als Chef der Produktion erkennt er, dass die Japan-Methode viel bewegt. Von da an tritt er selbstsicher auf und sagt der Belegschaft offen: »Jeder muss bereit sein, seinen eigenen Arbeitsplatz infrage zu stellen.« Streng lässt der Oberingenieur sein Gespür fürs Kaufmännische durchblicken, denn bei ihm muss »alles funktionieren und Geld bringen, sonst werden Konsequenzen gezogen.« Der jugendhafte Manager verlangt auch Opfer von den Frauen und Männern im Werk: »Viele notwendige Eingriffe werden schmerzen«, deutet
er ihnen an und versucht ihnen Mut zu machen: »Wir zeigen Flagge und schlagen die Asiaten dann mit den eigenen Waffen.« Doch zwischen diesen Worten und seinen ehrgeizigen Zielen sollten harte Jahre folgen mit Stellenstreichungen, Versetzungen, mit viel Streit und Maßregelungen, die zuweilen bis zur Erniedrigung der stolzen Porscheaner führen.
Ferry sucht Hilfe bei Ferdl Weil Wiedeking vom Start weg gründlich seine Hausaufgaben macht, sammelt er bald Punkte beim PS-Enthusiasten des Hauses, Ferdinand Piëch, und dem Rest der Familie. Andererseits verliert Bohn merklich an Rückhalt. »Der Computerkaufmann hat doch kein Feeling für Fahrzeuge«, murren ungeduldig die mit Benzin gewaschenen Autonarren noch im dritten Jahr seiner Amtszeit. »Bohn müsste viel stärker durchgreifen«, mahnen seine Kritiker und urteilen heute: »Er war nicht der Pusher, den Porsche in dieser schwierigen Situation gebraucht hätte.« Wer jedoch ist dann der Retter in der Not für den inzwischen finanziell angeschlagenen Sportwagenbauer? Im Geschäftsjahr 1991/92 kann Porsche es bei aller Bilanzkosmetik nicht mehr vermeiden, seit langem wieder einen echten Verlust, 33 Millionen Euro, auszuweisen. Die intensiven Bemühungen der Familie, den Entwicklungschef Wolfgang Reitzle von BMW zu engagieren, verlaufen im Sande. Der Münchner pokert hoch, und nimmt das Angebot aus Stuttgart dennoch nicht an. Der damalige BMW-Chef, Eberhard von Kuenheim, lässt den Manager angeblich nicht ziehen. »Und Reitzle kämpfte nicht dagegen an, so simpel sehe ich das«, macht sich Piëch in seiner Auto. Biographie säuerlich seinen Reim darauf. Wieder müssen die Porsche-Piëchs nach einem ersten Angestellten suchen.Doch vor dem Hintergrund negativer Ereignisse – Querelen im Clan, Absatz- und Modellkrise, Verlust – verlaufen diese Bemühungen am Ende ergebnislos. Die Not am Mann ist angeblich in Zuffenhausen so groß, dass die Familie Porsche sogar bereit gewesen wäre, den lebenslang mit Argwohn verfolgten Neffen und Vetter Ferdl Piëch als Bohns Nachfolger zu akzeptieren. Ein Zugeständnis, das erfolgt wäre, nachdem Ferry Porsche den unfolgsamen wie draufgängerischen Sohn seiner Schwester Louise vor fast zwanzig Jahren nur unter der Bedingung aus dem eigenen Betrieb drängen konnte, dass sich ausnahmslos alle Mitglieder der Doppelfamilie für immer aus der aktiven Firmenspitze zurückzogen. Dieser Verzicht 1972 war gerade für den Seniorchef Ferry eine bittere Pille. Piëch jedenfalls behauptet in seiner Auto. Biographie, dass die Wahl nun auf ihn gefallen sei: »Ich bekam das zu Reitzle identische
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Angebot.« Insider bestätigen diese überraschende Darstellung. Tatsächlich wird eine solche Auffanglösung im Familienkreis als Alternative ernsthaft eine ganze Zeit lang diskutiert. Der Porsche-Seite, die ohne Gegenvorschlag dasteht, imponiert offenbar, wie sich Ferdinand Piëch hartnäckig bei Audi und VW hochgeboxt und den Ingolstädter Konzern zum Erfolg geführt hat. Onkel Ferry muss wohl tatsächlich seinen Neffen Ferdl um Hilfe gebeten haben. Doch der Verwandte mit dem meisten Blei im Blut hat 1992 Höheres im Sinn. Er ist gerade dabei, sich seinen lang gehegten Lebenstraum zu erfüllen: den Thron bei VW, Europas größtem Autobauer, zu besteigen und Nachfolger Carl Hahns zu werden. Er selbst indes nennt für seine Absage einen typischen Porsche-Piëch-Grund: »Ich entschied mich nicht automatisch für die wesentlich größere Firma. Der Porsche-Chef war durchaus ein Posten, der mich reizte, allerdings sah ich deutlich alle Komplikationen eines Familienunternehmens vor mir, sobald die Firma wieder aus dem Gröbsten heraus sein würde. So nahm ich das Porsche-Angebot nicht an.« Piëch wird wirklich General in Wolfsburg – und zieht auch noch in Stuttgart die Fäden.
Die »Dreier-Bande« im Vorstand Nachdem der eindeutig mächtigste Kandidat aus dem Rennen ist, wird es nun für die potenziellen internen Bohn-Nachfolger höchste Zeit, an den Start zu gehen. Als künftige Porsche-Lenker aus dem Haus kommen nur Mitglieder aus dem Vorstandsgremium infrage, nämlich Dieter Laxy (Vertrieb), Walter Gnauert (Finanzen/Organisation) und Wendelin Wiedeking (Produktion und Materialwirtschaft). Das Trio, intern »Dreier-Bande« genannt, verfolgt längst eigene Interessen und macht streckenweise gemeinsame Sache. Je angreifbarer und schwächer Bohns Position wird, umso mehr macht sich jeder der drei Vorstandskollegen Hoffnung auf den Chefsessel. Und je mehr der Noch-Porsche-Chef unter Druck der Familie gerät, desto mehr nehmen sie ihn in die Zange. Die Sitzungen werden hitziger. Auch der jüngste in der Runde, Wiedeking, heizt ein und zeigt sich als Hardliner einer deutlich schärferen Gangart bei der Rationalisierung. Der geplante Stellenabbau unter Bohn ist schwierig genug, aber manchen Leuten längst nicht scharf genug. Der Porsche-Chef weigert sich, über die zunächst 600, dann 850 Arbeitsplätze hinaus weitere Jobs zu streichen. Doch während der Vorstandsvorsitzende zaudert, erscheinen der Familie Wiedekings weitergehende Alternativen vielversprechender, effektiver für die Sanierung zu sein. Da schlägt die Stunde des Westfalen. Er führt in Fragen der Umstrukturierung das große Wort, was Bohns Stellung weiter schwächt. Wiedeking, der forsche Ingenieur, ist bereit,
eine harte Linie mit einem weitaus größeren Stellenabbau durchzusetzen. Dafür kämpft er offen im Vorstand. Eine Mitarbeiterin, die den Lärm aus den Vorstandsrunden wahrnahm: »Ich höre immer nur den Jungen sprechen«, wundert sie sich. Dabei spielt der Produktionsmann seine Vorteile geschickt aus – auch gegenüber der Familie. Wiedeking scheint zu wissen, was Ferry, Ferdl, Butzi & Co. jetzt von ihren Managern erwarten. Er profiliert sich in seinem Ressort als erfolgreicher Rationalisierer und stellt eine 30-prozentige Kostenreduzierung in Aussicht. Das ist ein Wort. Und da Wiedeking den Ruf eines verlässlichen Vollstreckers genießt, steht sein Ressort wie schon unter Noppen so gut wie nie in der Kritik. »Die Produktion wurde überhaupt nicht als Themenfeld erkannt«, besinnt sich ein Manager. Doch neben dem rasch an Profil gewinnenden Wiedeking sieht Bohn immer blasser aus. Das kostet ihn am Ende die Führung. Denn sobald der Porsche-Chef nun offene Flanken zeigt, wird er von Wiedeking, Laxy und Gnauert in die Mangel genommen. Sie alle fühlen sich plötzlich als potenzielle Chefs. Die immer schärfere Konfrontation an der Spitze zermürbt den mehr auf Kooperation ausgerichteten Spitzenmann.
»Porsche der Zukunft« Als die Situation für alle immer brenzliger wird, da entschließt sich die Dreier-Bande im Sommer 1992 zu einer gemeinsamen Reise nach Österreich. Das Ziel ist das Schüttgut in Zell am See, wo die Familie Porsche-Piëch ihren Sitz hat. Das Trio hat verschiedene Ideen im Gepäck, wie die taumelnde Firma endlich wieder stabilisiert werden könnte. Es geht dabei um die bereits diskutieren Vorschläge über Rationalisierungen großen Ausmaßes, um eine gewaltig verjüngte Modellpalette sowie um eine Vertriebsoffensive. Bei den anschließenden Gesprächen entsteht auf dem Schüttgut eine Vision von »Porsche der Zukunft«. Diese Skizze der Manager für den Weg aus der Krise gefällt der Familie gut. Was den Eigentümern jetzt lediglich noch fehlt, das ist der geeignete Macher an der Firmenspitze, der das Konzept für die Zukunft auch durchsetzen kann. Weit in die Fremde schauen braucht der Clan jetzt nicht mehr – die Auswahl an Personen sitzt ja direkt vor ihnen. Wer aber ist der »Richtige«, Gnauert, Laxy oder Wiedeking? Als Erster scheidet der am selben Tag mit Wiedeking in den Porsche-Vorstand eingetretene Dieter Laxy wieder aus der engeren Wahl aus. Er hatte sich überwiegend selbst als Kandidat ins Spiel gebracht und an die beiden starken Wortführer angehängt. Laxy glaubte, als künftiger Porsche-Chef habe er das bessere Konzept. Den wegen der Absatzkrise frustrierten Händlern signali-
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sierte er daher sinngemäß: »Für die Modellpolitik tragen andere die Verantwortung. Hätte ich das Sagen, dann würde ich das besser machen!« Laxy hatte stets mit der Sportlimousine sympathisiert. In der wichtigen Frage des Einsteigerautos, des späteren Boxsters, indes hält sich der Manager eher heraus – ungewöhnlich für einen Vertriebsmann – oder macht sich gar als Zweifler am Billig-Porsche unbeliebt. Sein teilweise als »unkalkulierbar« geschildertes Verhalten wird ihm als »unsolidarisch«, als »illoyal« zum Haus ausgelegt und schadet seinem Ruf in der Firma wie bei der Familie. Und das in einer Phase, als der Vertriebsmann in der Händlerorganisation hart durchgreifen muss, was ihm naturgemäß Feinde schafft. Über den Flurfunk ist bald zu vernehmen, Laxy habe die Händlerschaft nicht mehr voll hinter sich, sie komme nicht mit ihm klar. Auch seine mangelnde Begeisterung für den Motorsport wird dem zunehmend verunsicherten Manager negativ angekreidet. Objektiv betrachtet hatte Laxy nie eine reelle Chance, bei Porsche weiter Karriere zu machen und Bohn zu beerben. Die Verkaufszahlen stimmen nicht hoffnungsfroh. Um aus dieser misslichen Lage herauszukommen, wird von ihm ein rettender Schlachtplan gegen den Absatzeinbruch erwartet. Aber das kann Laxy, eher ein Pragmatiker, nicht bieten. Zudem sollte er koordinieren, motivieren und begeistern können. Doch der oberste Porsche-Vermarkter scheint von der – tatsächlich wenig attraktiven – Modellpalette selbst nicht überzeugt zu sein, was die Händler bald deutlich spüren. Die Folge ist, dass sich »alte Hasen« schließlich bei der Familie über den Vertriebsvorstand beschweren. Auf solche Kritik hört die Familie. Spätestens jetzt kann Laxy seine leise gehegten Ambitionen auf Bohns Sessel begraben.
Die Familie favorisiert den Finanzchef Damit bleiben als Nachfolgekandidaten nur noch Gnauert und Wiedeking übrig. Haushoher Favorit von den beiden ist der Finanzmanager. Er gilt wie schon sein Vorgänger Branitzki aus Sicht der Familie als »sichere Bank«. Denn Gnauert weiß, wie der ausgezehrte Familienbetrieb finanziell wieder gesunden kann. Außerdem kannte damals nur er das Geheimnis, wo die Geldpolster versteckt waren und wie sie steuersparend im Ernstfall zu heben wären. Einer alten Porsche-Tradition folgend, fungiert der Finanzchef des Hauses nämlich für einige Familienmitglieder auch als Anlageberater und Vermögensbetreuer. Diese intime Kenntnis von Privatkonten schweißt beide Seiten zusammen. Immerhin geht es um riesige Vermögen der Familie in Deutschland, Österreich, Frankreich, Großbritannien, Spanien, Italien, USA und noch weiter.Die Autodynastie hat stets Sympathie für Sicherheit und Finanzen gezeigt.
Und Gnauert, der klassische Finanzmann – ein vorsichtiger Mensch, rational, ruhig, doch wenn es sein muss, auch mal aufbrausend zornig – verkörpert solche Eigenschaften. Hinzu kommt, dass der Herr des Geldes bei Porsche einen zusätzlichen Platzvorteil besitzt. Sein Arbeitsplatz liegt wie der aller Kassenwarte direkt gegenüber dem Büro von Seniorchef Ferry. Dieser Raum steht der Familie noch heute als Aufsichtsratsbüro zur Verfügung. Kurze Wege bedeuten zwangsläufig enge Kontakte. Diese weiß Machtmensch Gnauert zu nutzen. Wegen dieser Nähe zur Familie gilt er im ganzen Haus inoffiziell als die »graue Eminenz«. Auch in der Presse taucht der Finanzmann neben Bohn häufiger auf. Der Manager, der einst von Bosch zu Porsche gewechselt hatte, erscheint nach außen praktisch als Einziger, der ernsthaft als Bohn-Erbe infrage kommen konnte. Beim Rauswurf von Bez wurde er bereits als VizeChef ins Gespräch gebracht und als solcher von manchem Mitarbeiter schon betrachtet. Für den diplomierten Kaufmann spricht auch sein Fleiß – er ist wie Wiedeking ein Workaholic – und seine mehrjährige Erfahrung bei Porsche. Neben dem Finanzressort ist Gnauert auch für die gesamte Organisation im Haus verantwortlich. Und nachdem der frühere Vertriebschef Hans Halbach im Oktober 1990 über Nacht die Brocken hingeworfen hatte, übernahm der Manager bereitwillig neun Monate lang den schwierigen Part des obersten Vermarkters. Gnauerts Tüchtigkeit und seine engen Kontakte zur Familie führen den Mittfünfziger indes nicht auf den Porsche-Thron. Wieder einmal greift eine Hand dazwischen, welche die scheinbar vorgezeichneten Pläne durchkreuzt. Wieder einmal ist es der einflussreiche Mann aus Ingolstadt, Ferdinand Piëch, der Gnauert die Krone im letzten Moment verweigert. »Die Familie favorisierte ziemlich geschlossen den Finanzvorstand, dessen Sparsamkeit bestens bekannt war, aber darin konnte wirklich nicht die Perspektive für Porsche liegen«, begründet Piëch seine Meinung (Auto. Biogaphie). Obwohl er mit diesem Veto anfangs ziemlich alleine dasteht, streitet der Bayer, im Hauptberuf Audi-Chef und bald VW-General, mit Hingabe für seine überraschende Position. Piëch plädiert für Wiedeking als Bohn-Nachfolger. Die Porsche-Familie zögert noch, vor allem, weil sie dem kaum 40-jährigen Manager eine so schwere Aufgabe nicht zutraut. Doch mit der üblichen Beharrlichkeit gelingt es dem Ferdl einmal mehr, die letztlich unschlüssigen Verwandten auf seine Seite zu ziehen. »Ich focht einen zähen langen Kampf und kam dann mit dem Kompromiss durch, Wiedeking nicht gleich als Vorstandsvorsitzenden, sondern als Sprecher des Vorstandes zu bestellen, sodass man eine kurzfristige Korrekturmöglichkeit hatte.« Diese Zwischenlösung überzeugt die PorscheSeite – und sie stimmt in der entscheidenden Sitzung zu.
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Die Überraschung ist perfekt: Wendelin Wiedeking wird als gemeinsamer Vorschlag der Doppelfamilie Porsche-Piëch im Aufsichtsrat als Nachfolgekandidat präsentiert. Die verblüfften Mitglieder der Arbeitnehmerseite – Betriebsräte und IG Metaller – reagieren zunächst ebenfalls skeptisch. »Diesen jungen Mann, kaum 40, nach weniger als einem Jahr im Vorstand gleich zum Porsche-Chef küren? Kann das gutgehen?« Und schließlich stimmen auch die Ratsmitglieder der Belegschaft dem Vorschlag der Familie nur unter der Bedingung zu, dass Wiedeking innerhalb des Vorstands lediglich die Funktion eines »Gleichen unter Gleichen« zugestanden werden solle. Wiedeking dürfe also nicht wie seine Vorgänger der unumschränkte oberste Chef sein. Auch die anderen Manager im Vorstand sollten stets gefragt werden und mitentscheiden dürfen. Ein Mitglied des Aufsichtsrats begründet den Vorschlag: »Wir wollten damals einen gleichberechtigten Vorstand mit Sprecher haben, da Wiedeking zu kurz im Haus war und zu wenig Erfahrung aufwies. Mit diesem Modell sollte erst mal einige Zeit abgewartet werden. Aber das ging schnell schief, auch mit Finanzchef Gnauert.« Trotz aller Unsicherheit geben die Aufsichtsräte also dem Produktionsmann aus Westfalen eine Chance und machen ihn zum »obersten Sprecher« von Porsche. Bohn, der noch amtierende erste Manager, hat im September 1992 zwar ein Ende mit Schrecken nicht so schnell geplant, aber ihm wird nun klar, wie aussichtslos seine Lage geworden ist. Zu viele Probleme im Unternehmen sind ungelöst, zu hart wird er von Sitzung zu Sitzung in den Gremien in die Zange genommen. Bohn gibt schließlich klein bei. Am 22. September 1992 räumt der Vorstandsvorsitzende seinen Schreibtisch im Porsche-Werk 1 in Stuttgart-Zuffenhausen. Als Dreingabe erhält er ein schönes Trostpflaster mit auf den Weg: Eine ansehnliche Abfindung für die vertraglich zugesicherten Jahre 1993 bis 1995, die er nun nicht mehr erfüllen muss. Für seinen persönlichen Erfahrungsschatz bleibt Bohn die Erkenntnis, dass er hier »viel gelernt hat und keinen Tag bei Porsche missen möchte«. Und längst mit der Geschichte versöhnt, findet er immer noch: »Da gehört auch mal eine Auseinandersetzung mit der Familie dazu.«
Der Rationalisierer – nichts für sensible Gemüter Mit dem Angebot der Familie und der Arbeitnehmerseite winkt dem promovierten Maschinenbauer aus Nordrhein-Westfalen in Württemberg eine Traumkarriere. Wiedeking braucht nur noch »ja« zu sagen und den Ruf anzunehmen – schon wäre er der Chef. An der Spitze einer Weltmarke zu stehen,
das ist schon was für den 39-Jährigen. Andererseits aber erscheint ihm das Risiko, mit der schwierigen Aufgabe zu scheitern, immens hoch. Dann stünde er vor aller Welt als Verlierer da. Doch ein Wendelin Wiedeking verliert nicht gern. Sollte er das Angebot also doch besser ausschlagen? Der sonst so turboschnelle Pragmatiker zaudert und bittet die Gesellschafter im Spätsommer 1992 um einen Monat Bedenkzeit für seine Entscheidung. Er will das Angebot von allen Seiten gründlich abwägen. Schließlich steht ihm noch das unwürdige Schauspiel vor Augen, wie sein gescheiterter Vorgänger Stück für Stück demontiert wurde. Das möchte der erfolgsverwöhnte Aufsteiger nicht auch erleben. »Es gibt Angebote, auf die man wartet, auf die man hofft, die man sich herbeiwünscht. Aber auf dieses Angebot hatte ich weder gewartet noch gehofft«, beschreibt der Manager zehn Jahre später seine Situation (Wendelin Wiedeking, Das Davidprinzip).
Kandidat bittet um Bedenkzeit Wie miserabel es Porsche damals wirklich ging, das weiß der Manager selbst am besten. »Aber Außenstehende ahnen ja gar nicht«, schießt es ihm durch den Kopf, »wie schlecht es um das Unternehmen tatsächlich steht.« In nächster Zeit sind ganz sicher hohe Verluste zu erwarten. Muss ich dafür vor den Aktionären und der Öffentlichkeit allein die Verantwortung tragen? Hält die Familie durch? Brauchen wir riesige Bankkredite? Und bei so viel Verantwortung soll ich nur als Sprecher des Vorstands und nicht als vollwertiger Chef agieren. Als Gescheiterter indes will Wiedeking nicht gelten. Dem Berliner Tagesspiegel offenbart er seinen Zwiespalt (15./16. 12. 2000): »Ja … wieder habe ich gezögert. Die Firma war in einem desolaten Zustand, die Halbwertzeit der Vorsitzenden war verdammt kurz. Ein Schleudersitz. Die Frage war, riskierst du das? In dem Alter in dieser Rolle einen Fehler zu machen, kann dramatische Auswirkungen auf die weitere Karriere haben.« Ein Scheitern hätte seine »Lebensplanung wieder annulliert, das persönliche Koordinatensystem vollständig verändert«, ist dem Jungmanager bewusst (Wendelin Wiedeking, Das Davidprinzip). Andererseits ist ihm klar, wenn es klappt, »ist es die Löwen-Nummer.« Hat Wiedeking Angst? »Nein, ich sah ja auch die großen Chancen der Marke. Aber werden wir die Durststrecke überstehen …?« Eines weiß der Karrieremann genau: Falls er den Schleudersitz besteigen sollte, dann darf er sich bestimmt mit einer Person bei Porsche niemals anlegen, mit Ferdinand Piëch, dem Königsmacher und Königsmörder zugleich. Dafür kennt der Realist Wiedeking die Machtverhältnisse zu genau. Zwar hat die Porsche-Familie den Namen, aber die Macht hat der Neffe und Vetter.
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Den knorrigsten Erben zum Feind zu haben bedeutet das sichere Aus im Haus wie schon bei Schutz, Bez und Bohn. Er muss sich also stets mit der ganzen Familie gutstellen, ohne die Kreise des Porsche-Patriarchen zu stören. Denn wer Piëch einmal negativ aufgefallen ist, der hat verspielt, kann sich nicht mehr lange in dessen Blickfeld halten. Die stechenden Augen dieses Mannes treffen fast wie eine Waffe. In seiner Auto. Biographie sagt dieser von sich, dass er den »sturen Blick« von seiner Mutter übernommen habe. Er könne irgendwo hinstarren und darüber die Welt vergessen. »Es passiert, dass jemand erschrickt, obwohl ich ihn völlig harmlos anschaue. Ich bringe mit meinem Blick manchmal Menschen durcheinander, ohne dass ich es erklären könnte.« Wiedeking kann also sicher sein, dass Piëch, der nach eigener Einschätzung »seine wesentlichen Sinneseindrücke übers Hinschauen und Beobachten bezieht«, jeden Porsche-Chef scharf ins Visier nimmt. Wiedeking wägt ab. Im Falle einer Zusage bleibt ihm nichts anderes übrig, als sich mit dem mächtigen Eigentümer gutzustellen. Das wird nicht einfach sein für den Westfalen, der eher auf einer kumpelhaften Ebene kommuniziert – gar bei »Ferdinand dem Zweiten«. Dem verwegensten Querlenker der Autoindustrie will niemand auf der Überholspur begegnen. Wiedeking muss sich auf einen Mann einlassen, der Menschen auf Distanz hält und selbst dann noch das »Du« ablehnt, wenn es ihm ein wohlgesonnener Vorgesetzter anbietet. Piëch hatte sich beruflich nur mit einem geduzt, dem Werksarzt von Audi in Ingolstadt. Körperliche Nähe, Umarmung, Schulterklopfen und Ähnliches ist ihm ein Graus. Piëch schätzt Sachlichkeit. Und genau auf dieser Basis glaubt Wiedeking bei dem PS-Fanatiker für sich punkten zu können. Denn im Vergleich zu Bohn, Branitzki oder Gnauert ist er Ingenieur und Autonarr wie Piëch und versteht etwas vom Fahrzeugbau. Auf diesem Gebiet hat er schließlich in Aachen eine grundsolide Ausbildung genossen. Dieses Rüstzeug werde ihn in die Lage versetzen, macht sich der promovierte Maschinenbauer Mut, »die richtigen Entscheidungen zu treffen.« Später bekräftigt er diese Selbsteinschätzung im Interview: »Ich weiß genau, was technisch machbar ist bei der Entwicklung und der Produktion eines Automobils und was nicht. Bis heute macht mir da niemand ein X für ein U vor« (keep in touch, Juni 2002).
»Ich mach’s« Kandidat Wiedeking stellt der negativen Seite die positive gegenüber. Und hier stehen als dickster Posten die schweren Versäumnisse und Fehler seiner Vorgänger, die Porsche so tief in die Krise drückten. »Es war ja nichts in Ordnung. Kein einziger Bereich. Das war natürlich für eine Sanierung eine Steil-
vorlage, da konnten wir richtig ausmisten. Und wenn Sie ausmisten, dann direkt, gleich am Anfang oder nie. Sonst haben Sie keine Glaubwürdigkeit mehr«, offenbart er später der Öffentlichkeit. Große Defizite herrschen in der Modellpolitik und im Fertigungsbereich – auf jenen Gebieten also, wo der Westfale seine Stärken weiß. Die braucht er in der neuen Position nur richtig und konsequent auszuspielen, und dann kann eigentlich nichts schief gehen. Schließlich will Wiedeking bei seiner Entscheidung auf Nummer sicher gehen und konsultiert einen ihm befreundeten Mediziner aus seiner Heimat. Er sucht während seiner Bedenkzeit gezielt einen Branchenfremden auf. Wiedeking denkt sich, »so ein Sparringspartner muss nur gut zuhören und die richtigen Fragen stellen. Wenn einer wie ich verliebt ist in Motorblöcke und einen anderen holt, der auch Motorblöcke liebt, der sagt dann zu schnell zu.« Eine distanzierte Beratung klärt vieles. Schließlich rät ihm der Freund, das Angebot bei Porsche anzunehmen. Nachdem auch sein privates Umfeld zustimmt, sagt Wiedeking zu sich und der Familie: »Ich mach’s!« Diese Chance kann sich der ehrgeizige Jungmanager doch nicht entgehen lassen. Er akzeptiert auch den unsicheren Posten als Sprecher des Vorstands und behält darüber hinaus seinen Posten als Chefingenieur. Die Kühnheit seiner Zusage ist ihm bewusst: »Ich war mir nur sicher, es zu tun.« Am 25. September 1992 beruft ihn der Porsche-Aufsichtsrat zum neuen Chef – »einstimmig«, wie er betont.
Männerfreundschaft Mit leeren Händen tritt Wiedeking sein schweres Amt zum 1. Oktober 1992 nicht an. Schon in dem einen Jahr als Produktionsvorstand hat er Piëchs Vertrauen gewonnen. Diesem imponieren die Tatkraft des 39 Jahre jungen Ingenieurs für sein Ressort und dessen Rationalisierungserfolge. Umgekehrt beachtet Wiedeking die Ratschläge des erfahrenen Automannes von Audi und später VW. Auf der sachlichen Ebene finden beide einen guten Draht zueinander. Piëchs Rückendeckung, die Wiedeking schon als Produktionsverantwortlicher genoss, sollte sich noch verbessern. Umgekehrt verfolgt der neue Mann an der Spitze – statt Konfrontation wie Bohn – einen Schmusekurs, was seine Position nur stärken kann. So funken Wiedeking und Piëch, die beiden Ingenieure, in wichtigen Aufsichtsratssitzungen meist auf einer Wellenlänge. Zuweilen wird das Duo auch auf gemeinsamen Segeltörns auf dem Bodensee gesichtet. Diese leise Männerfreundschaft hilft Wiedeking entscheidend dabei, seinen schwierigen Start erfolgreich durchzustehen. Besonders in dieser Anfangsphase hält er engen Kontakt zu Ferdinand Piëch.
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Er bespricht sich mit ihm in allen wichtigen Dingen wie Modellstrategie, Personalabbau, technische Fragen und so weiter. Zugleich holt sich der Manager auch genug Rückhalt vom starken Mann für seinen knallharten Sanierungskurs. Insider sprechen in der Anfangsphase von einer Schiene WiedekingPiëch. Allerdings läuft der Kontakt der beiden nicht so offensichtlich ab, dass ihn jeder mitbekommen hätte. Mancher Deal bleibt geheim, um nirgends Misstrauen zu wecken.Diese Art von Geheimdiplomatie läuft etwa bis um die Jahre 1994/95, als ein Marktdurchbruch in der Modellpolitik – BoxsterErfolg, neuer 911 – sichtbar wird. Andererseits ist Wiedeking soweit Diplomat und Taktiker, dass er stets den Konsens mit beiden Eigentümerfamilien sucht. Management und die Doppelfamilie treffen sich mindestens einmal im Jahr, um die grundsätzlichen Strategien gemeinsam zu bereden. Rasch nimmt Wiedekings Selbstsicherheit als Porsche-Chef unter der schützenden Hand Piëchs zu. Der anfangs auf manche tapsig wirkende Jungmanager verschafft sich in den entscheidenden Gremien bald Respekt. Er tritt in Aufsichtsrats- und Vorstandssitzungen »sehr kompetent und selbstbewusst auf«, schildern ihn Beobachter. »Die Termine, die er zu leiten hat, sind ausführlich und gründlich vorbereitet, Unterlagen sauber aufbereitet.« Wie es seiner Ordnungsliebe entspricht, gilt das auch für seinen Vortrag und die der anderen Vorstände. Wiedeking stottert nicht. Und er präsentiert sich auch souverän gegenüber der Familie. Er hat das Geschehen schnell und geübt im Griff. Fragen von Aufsichtsräten oder Managern, die der Vorstandsvorsitzende nicht sofort beantworten kann, verspricht er umgehend zu beantworten, sobald er die Daten dazu hat. Nichts bleibt dem Zufall überlassen. Entscheidungen werden gründlich vorbereitet. Das gilt besonders, wenn es um Automodelle geht. Hier lässt der neue Chef die Entscheidungen nun zum Beispiel durch Markt- oder Imagestudien absichern. Denn seine Devise lautet: »Wir bringen kein Produkt, wo sich Porsche auf dem Markt selbst Konkurrenz macht.« Auf Fangfragen, etwa eines Familienaktionärs oder Betriebsrats, fällt er nicht herein. Für eine Aufsichtsratssitzung ist zwar meist ein Tag angesetzt, aber der Porsche-Chef vermeidet es, dass daraus Marathonveranstaltungen werden. Unter Wiedekings Organisation ist die Runde meist nach wenigen Stunden beendet. Das ausgeprägte Selbstbewusstsein des Westfalen, betont durch seine kraftvoll-laute Stimme, sichert ihm trotz seines jugendlichen Alters als neuem Autoboss bald unangefochten die Führungsposition. Die anfängliche Unsicherheit, die den öffentlich völlig unbekannten Manager dazu noch unscheinbar wie einen Postbeamten erscheinen lässt, legt sich schnell. Seine erstaunliche Entschlusskraft überzeugt Freund wie Feind. Dazu Wiedeking:
»Das darf einem nur keine Angst machen. Ich habe Führungskräfte kennen gelernt, die haben sich vor jeder Entscheidung stundenlang gefragt, was kann dabei für mich schief gehen? Das verlangsamt den Prozess und gibt die falschen Hilfsgrößen für die Entscheidung.« Mit dieser Entscheidungsstärke zieht der Manager nun eine gnadenlos gründliche Sanierung durch. Und dennoch stellen sich ihm in der ganzen Zeit keine Widersacher ernsthaft in den Weg, die ihn stürzen wollten – weder aus der Firma, noch zu seiner Erleichterung aus Kreisen der Doppelfamilie. Andererseits müssen Kritiker, die Wiedeking im Verdacht haben, eine bloße Marionette Piëchs zu sein, ihre Ansicht korrigieren. Er nimmt das Heft fest in die Hand und achtet vom ersten Tag an darauf, dass hier nur einer die Weichen stellt: Wiedeking persönlich. Sein Einsatzwille drängt den Einfluss des Clans auf die Tagesgeschäfte weitgehend zurück. »Seit Wiedeking wird das Unternehmen wieder vom Vorstand geführt«, atmen Mitarbeiter erleichtert auf. Sein Vorgänger Bohn hatte die Zügel nie so straff in der Hand wie er. Jetzt regiert der eiserne Besen im Haus, den er bei Bedarf als Erster in die Hände nimmt. Keiner vor ihm verwirklichte so radikal die grimmigen Empfehlungen des Rationalisierungsteams aus der McKinsey-Zeit bei Porsche (1988),dem er selbst angehört hatte. Ohne Wenn und Aber propagiert der Ingenieur die schlanke Produktion. Das ist keine Aufgabe für sensible Gemüter mit Berührungsängsten. Konflikte mit den vielen Betroffenen scheut er nicht und erklärt sich selbst zum »Treiber« – von den einen gehasst, von den anderen respektiert. Eine Stärke Wiedekings ist es, dass er vom ersten Tag an schnörkellos offen mit den Leuten »da unten« (in der Fabrik) redet und sie anleitet. Notfalls legt der Boss auch selbst mit Hand an, wenn es gilt, die Dinge voranzutreiben. Dass der höchste Chef von seinem Elfenbeinturm herab in die Niederungen der Fabrik steigt und sich dort persönlich um die Abläufe kümmert, imponiert den Frauen und Männern bei Porsche am Band. Wie schon als Chefingenieur, hält er gerade jetzt den Bezug zur Basis. »Er stellt sich persönlich vor die Angestellten« (FAZ am Sonntag, 2. 12. 2001), um ihnen die prekäre Lage zu erklären. »Werkleiter, mach mal«, diese Kommandomethode des Überbringens schlechter Nachrichten, berichtet die Zeitung, »lehnt er grundsätzlich ab.« Die Rolle als großer, oft gestrenger Bruder, ist Wiedeking aus seiner Jugend und seiner Studentenzeit wie auf den Leib geschnitten. Bereits damals war »Wendel der Boss der Familie«, der den Geschwistern unter die Arme griff. In Stuttgart ist er nun das Oberhaupt einer größeren Familie, der Porsche AG. Und die will er mit aller Kraft in Ordnung bringen.
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»Hart in die Eisen gegriffen« Der frisch gebackene Boss legt sofort los. Wiedekings Hauptthemen sind »Produktivität und Fertigungsqualität«. Beim Ausscheiden Bohns steht eine gigantische Entlassungswelle an. Der erste Stellenabbau 1991/92 – 850 Stellen, Kosten: rund 15 Millionen Euro – reicht längst nicht aus, um die Überkapazitäten zu beseitigen. Allein im Entwicklungszentrum Weissach steht nach einer ersten Abbaustufe, 250 Beschäftigte, ein weiterer Schub in mindestens gleicher Größenordnung an. Und in den Fabriken sind die Verhältnisse noch trostloser. Hier wird der Fertigungsfachmann den Hebel zur stärksten Veränderung einschließlich Entlassungen ansetzen. Ihm ist klar: In der Produktion ist das meiste zu holen, hier liegt das Geld. Der Eingriff zieht auch die Streichung vieler Zulagen nach sich, die ein kämpferischer Betriebsrat über die Jahre an Sonderzuschlägen und Vergünstigungen bei der normalen Arbeitszeit herausgeholt hatte. Das macht viele Kräfte in der schweren Absatzkrise zu teuer. Wie viel Menschen, gemessen am Absatzvolumen, jetzt zu viel an Bord sind, kann der McKinsey-geschulte Ingenieur leicht an fünf Fingern ausrechnen. Die Konsequenzen daraus verkündet er schon nach einer Woche im Amt: 1 850 Mitarbeiter müssen gehen. Den meisten werden freiwillige Aufhebungsverträge mit dicken Abfindungen angeboten. Doch bald werden es noch mehr sein. Deutlich über 2 000 Porsche-Beschäftigte verlieren bis Ende 1992 ihre Arbeit. Und hätte Daimler-Benz nicht weitere 85 Mercedes 500 E in Zuffenhausen geordert, dann hätten noch mal 300 Porscheaner vor dem Aus gestanden. Bei aller Tragik dieser Einschnitte versteht es Wiedeking, der Belegschaft in seiner direkten, manchmal auch verletzenden Sprache den Ernst der Lage drastisch zu schildern, eben so, wie er sie selbst einschätzt. Ungeschminkt stellt er der Belegschaft von einem Tag auf den anderen den stärksten Stellenabbau in Aussicht, der je in der Firmengeschichte stattfand. Wiedeking gibt sich unerbittlich: »Jeder muss bereit sein, seinen eigenen Arbeitsplatz infrage zu stellen.« Sein Ziel ist es, dass nach der Rationalisierung kein Stein mehr auf dem anderen stehen soll. Im Comic-Buch, das Wiedeking zum 50. Geburtstag erhielt, wird der massenhafte Stellenabbau mit einer Zeichnung symbolisiert, die überwiegend alte, teils greise Arbeiter zeigt. Auf die Frage eines jungen Porsche-Arbeiters von heute: »Da mussten doch bestimmt Leute gehen?«, ruft eine Sprechblase den Entlassenen nassforsch zu: »Und tschüss!!!« Ob das die gut 2 000 Betroffenen witzig finden? »Die Zeit, die wir gerade durchmachen, gibt uns die Chance eines kompletten Wandels im Unternehmen«, wirbt der Sanierer damals diplomatischer um Verständnis. »Ich habe diesen Satz zu einem Zeitpunkt gesagt, als viele
noch nicht das Gefühl hatten, dass bei Porsche wirklich etwas verändert wird, als viele Dinge nach außen hin noch nicht so bekannt waren«, rechtfertigt sich der Porsche-Chef im FAZ-Magazin (Nr. 695; 25. Juni 1993). Wiedeking ist nicht zimperlich. Der Presse (Tagesspiegel, 15./16. 12. 2000) schildert er Jahre später sein Vorgehen: »Ich habe hart in die Eisen gegriffen und aufgeräumt. Wir sind von 9 000 Mitarbeitern runter auf 6 200. Schon eine Woche nach meinem Amtsantritt gab es einen bösen ersten Schub. Denn anhand der Produktionszahlen können Sie leicht ausrechnen, wie viele Leute Sie nicht brauchen, das geht ohne Taschenrechner, mit einem Dreisatz.« Eine Mitarbeiterin von damals bestätigt: »Es war ein Rauswurf mit Turbo-Effekt. Wiedeking gab Gas mit Geld. Je schneller sich jemand für den Abschied entschied, um so höher fiel die Abfindung aus.« Gegen das Gespenst von Massenentlassungen geht spontan ein Aufschrei durchs Unternehmen. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) meldet am 7. Oktober 1992, dass »mehr als 3 000 Beschäftigte zur Unterstützung des Betriebsrats« gegen den geplanten Stellenabbau von 1 850 Arbeitsplätzen protestiert haben. Wiedeking aber bleibt hart. Der Protest ändert an der hohen Zahl der Stellenstreichungen nichts. Allerdings lässt sich Wiedeking darauf ein, soziale Aspekte stärker zu berücksichtigen. Nach zähem Ringen mit dem Betriebsrat werden die meisten Arbeitsplätze schließlich durch Abfindungen aufgrund »freiwilliger Kündigungen« sowie durch Frühpensionierungen (Mitarbeiter ab 57 Jahre) abgebaut.Ein Teil der Arbeitsplätze wird in befristete Qualifizierungsmaßnahmen verlagert. Ein großes Verdienst von Wiedeking ist es, dass er sich mit der Gewerkschaft IG Metall und dem Betriebsrat von Porsche auf einen umfangreichen Beschäftigungspakt einlässt. Der brutale Rausschmeißer, der bedenkenlos Tausende von Menschen auf die Straße setzt, wie es in der Presse oft anklingt, ist der neue Boss nicht. Er stimmt zu, dass viele Mitarbeiter, die keine Arbeit mehr haben, in separaten Beschäftigungsfirmen für künftige Aufgaben qualifiziert werden. Ziel dieses Beschäftigungspaktes mit dem Betriebsrat ist die Qualitätssicherung der Mannschaft für bessere Zeiten. »Man muss sehen, dass die Leute gehalten werden«, sagt Wiedeking. Schwieriger indes ist die Situation in Weissach mit 2 200 Beschäftigten. Dort wird gerechnet: Sind 300, 400, 500 … Jobs zu viel? Befürchtungen kommen auf, dass die Modellpolitik nicht mehr zu halten sein könnte. Schließlich wurde in der Entwicklung unter Einsatz sozial verträglicher Instrumente nur wenigen Mitarbeitern gekündigt. Unsicherheit geistert nun auch durch die Topetage. Obwohl die Herren selbstverständlich nicht offen gegen Wiedekings Rigorosität protestieren, so haben sie doch die Botschaft des Neuen kapiert. Er wird sie kaum verschonen, wie seine harsche Kritik ihnen zeigt: »Die Jungs haben ihren Job nicht
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gemacht«, formuliert Wiedeking an die Adresse der Manager einschließlich der Vorstandskollegen. Auch sein Vorgänger dürfte damit angesprochen sein. Das Warnsignal an den Führungskreis ist taktisch klug. Nur so kann er die geplante Streichorgie unter der breiten Belegschaft halbwegs rechtfertigen. Er ist überzeugt, dass das Management Schuld an der Misere trägt, nicht die einfachen Mitarbeiter. »Dann tut es besonders weh, wenn Sie Tausenden Menschen sagen müssen, wir trennen uns. Hinter jedem steht schließlich eine Familie, stehen Kinder«, räumt Wiedeking in Interviews ein. Einer der ersten Schläge trifft tatsächlich das mittlere und gehobene Management, wo seiner Ansicht nach »etliche Bedenkenträger hockten.« Wiedeking: »Wir haben radikal Abläufe und Führungsstrukturen verändert.« Knall auf Fall ordnet er an, die Hierarchieebenen von sechs auf vier Aufstiegsmöglichkeiten zu verringern. Das hat zur Folge, dass die Zahl der Führungskräfte, vor allem im mittleren Management, kräftig – um 38 Prozent – sinkt. Der Gruppenmeister – die unterste Ebene – wird abgeschafft, Obermeister teilweise zu Fertigungsleitern befördert und darüber Cost-Center-Leiter installiert. Mit der neuen Struktur punktet der Sanierer sowohl bei Aktionären wie auch bei den meisten Beschäftigten. Sie beklagen seit jeher, dass es bei Porsche zu viele »Großkopfete« gibt. Franz Steinbeck, damals Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats, drängt auf Opfer in der Führungsspitze: »Es dürfen nicht nur Indianer bluten, sondern auch Häuptlinge müssen büßen und natürlich ebenso Vorgesetzte im Mittelmanagement.« Darauf geht Wiedeking ein. Mit diesem Zugeständnis sind auch die Betriebsräte zu Kompromissen bereit. Für sie steht fest, dass »auch ohne Wiedeking vieles nicht mehr an der Produktion vorbeigegangen wäre.« Eine Mitarbeiterin staunt bis heute: »Es waren bewegte Zeiten, alles wurde umgestülpt. Und jedem wurde klar: Wiedeking muss das Ruder rumreißen, die Produktion schlank machen und so. Das Besondere an ihm war, dass er den Turbo reingehauen hat.« Bereits knapp ein Jahr später, im Sommer 1993, hatWiedekings Wirbelsturm vieles bewirkt. Sein ehrgeiziges Ziel bleibt die »Null-Fehler-Produktion«. Wer von nun an bei der Arbeit Fehler macht, bekommt die Chance, seine Qualität in »unbezahlten Pufferzeiten« nachzubessern – Nachsitzen in der Fabrik wie in der Schule. Als Gegenleistung verspricht das Management, die 35-Stunden-Woche einzuführen. Doch ganz so schlimm kommt es für die Werker dann nicht. Die schärfsten Forderungen können im Lauf der Zeit abgemildert werden. Und 1995 wird endlich der erste Silberstreif am Horizont und damit auch die Gewinnzone sichtbar. Allerdings muss die Belegschaft in der schlimmsten Leidenszeit mit Ereignissen fertig werden, die als »Japan-Invasion« bis heute in den Köpfen der Menschen haften bleiben.
Fernöstliche Begegnungen Auf seine Art ist Wiedeking ein Provokateur. Und besonders in seinen Sturm- und Drangjahren legt es der junge Mann mit dem zuweilen spitzbübisch harmlosen Gesicht richtig darauf an, die Porsche-Leute aus der Reserve zu locken. Der Hang zum Revoluzzer tritt beim Japan-Abenteuer deutlich hervor, das der Porsche-Chef den stolzen Sportwagenbauern zumutet. Er fordert die Entwicklungshilfe von Toyota-Gesandten an, um der Firma den entscheidenden Ruck zu geben. In den Augen der betroffenen Belegschaft, die sich bis dato als Elite der Autobauer verstand, allerdings eine unmögliche Zumutung. Doch der Westfale bleibt stur. Was er, andere Vorstandsmitglieder, Manager, Meister und Betriebsräte damals bei ihren Reisen nach Fernost gesehen und gelernt haben, das soll nun die gesamte Mannschaft vorwärts bringen. Wiedeking engagiert für die kommenden Jahre japanische Berater, Trainer und Macher, die seinen Leuten direkt vor Ort zeigen sollen, wo’s langgeht. Die Instrukteure schickt vorwiegend Toyota, der drittgrößte Autobauer der Welt. In ihrem Gepäck bringen sie die Anleitungen für »Kanban« und »Kaizen« mit. Der erste japanische Begriff steht, frei übersetzt, etwa für »kurze und schnelle Wege (in der Fertigung)«, der zweite für einen »kontinuierlich laufenden Verbesserungsprozess von Produktion und Produkten«. Weil Kaizen und Kanban damals als vorbildlich für die gesamte Autoindustrie galten und im Trend waren, und vielfach noch sind, existieren in der Branche verschiedene Begriffe für ein und dieselbe Sache. So wird Kaizen entweder mit »kontinuierlicher Verbesserungsprozess« (KVP) oder englisch mit »Continued Improvement Process« (CIP) übersetzt. Manche Betriebe haben dafür ihre eigenen Etiketten gefunden, so auch Porsche. Bei harten Verhandlungen mit Wiedeking über die Anwendung von Kaizen pocht Betriebsratschef Franz Steinbeck schließlich darauf, dem Ganzen nicht nur ein firmeneigenes Profil, sondern auch einen eigenen Namen zu geben. Er will als Kompromiss zum kontinuierlichen Verbesserungsprozess (KVP) die ohnehin schwierige Sache »PVP«, wie »Porsche-Verbesserungs-Prozess«, nennen. Das klingt in den Ohren der Belegschaft etwas vertrauter und ist für die Belegschaftsvertreter an der Basis besser vermittelbar. Der Begriff »PVP« wird dann auf Druck Steinbecks offiziell in Vertriebsvereinbarungen aufgenommen. Diese Genugtuung verschafft der Porsche-Boss dem Betriebsrat gern. Doch ansonsten bleibt auch PVP wie KVP oder CIP ein Folterinstrument der Rationalisierung hoch drei. Japanische Berater ins Porsche-Land zu holen ist Wiedekings Bubenstück. »Weil die Fertigung krankt, muss die Sache aus der Not heraus betrieben wer-
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den«, besänftigt er zwar die Gemüter, in Wirklichkeit aber will er bewegen, umkrempeln, einreißen, verdrängen, aufbauen – eine neue Porsche-Welt schaffen. Er riskiert die Revolution – in Absprache mit Piëch und der Familie versteht sich. Wiedeking weiß genau, was er tut. Es überfällt ihn sogar heute noch Schadenfreude, wenn er daran denkt: »Die Japaner! Das war für die Bedenkenträger ein Albtraum«, lacht Wiedeking befreit in einem Gespräch mit der Aachener Zeitung (12. 4. 1997) wie in anderen Interviews. Damals setzt er alles auf eine Karte: »Das hat nur noch geknallt, und allen war klar: Der Wiedeking weiß, wo es langgeht. Wir hatten freie Bahn.« Die JapanWorkshops werden den Abteilungs- und Hauptabteilungsleitern einfach von oben verordnet – einige Seminare laufen übrigens bis in die Gegenwart. Alle Führungskräfte werden damals angehalten, bereits nach fünf Workshops die höhere Produktivität eines Konzernbereichs ihrer Wahl zu erzielen – Stress pur. Wiedeking, dem Revoluzzer, kommt es darauf an, im ersten Schritt die Köpfe von Porsche zu erobern. Und bald büffeln gestandene Schwaben perfekt fremdländisch: »Kaizen« (japanisch) = kontinuierlicher Verbesserungsprozess; »Kanban« (japanisch) = auf Porsche-Deutsch: alle Modelle und ihre Varianten werden auf einer Produktionslinie gefertigt; »Muda« (japanisch) = Verschwendung, auf Porsche-Deutsch: überflüssige Prozesse, Verschwendung eben; »Lean Production« (amerikanisch) = schlanke Produktion; »Just-inTime« (amerikanisch) = zeitgenaue Lieferung aller Teile für Fertigungsbereiche, auf Porsche-Deutsch: Ersparnis von Lagerflächen, Vermeidung von »Muda«; »Cost-Center« (international) = Fertigungsbereiche als eigenständige, eigenverantwortliche Unternehmen im Unternehmen, auf Porsche-Deutsch: Fertigungsbereiche, die weniger kosten als sie bringen sollen; »Teamwork« (englisch) = theoretisch unhierarchisch organisierte gemeinschaftliche Arbeit, alle ziehen an einem Strang, auf Porsche-Deutsch: alle ziehen an einem Strang, und zwar nach oben. In diesem Sinne macht sich später der Porsche-Comic über die durchaus ernst gemeinte Kulturrevolution im Württemberger Land lustig. Bei allen Ideen zur Verbesserung, die Wiedeking verlangt, muss die extrem schwierige Lage des Porsche-Werks im Tal von Stuttgart-Zuffenhausen berücksichtigt werden. Kaum eine Fabrikation auf der Welt ist so zerstückelt, von Verkehrsstraßen zerschnitten, auf mehrere Stockwerke sowie auf einzelne, weit voneinander getrennte Gelände verteilt. Was nach dem Krieg bescheiden in einem Backsteinbau mit Werkstätten und Ingenieurbüros an der Zufahrtsstraße nach Zuffenhausen begann und dann um das ehemalige Karosseriewerk Reutter herum auf der anderen Straßenseite fortgesetzt wurde, wuchert wild zusammenhangslos hinein ins angrenzende Industrie-
und Wohngebiet:Ganz außen die Lackiererei,lose verbunden mit dem Karosserierohbau über eine markante gläserne Transportbrücke jenseits des heute mehrspurigen Autobahnzubringers. In der zweiten Linie folgen Motorenund Fahrzeugmontage, dazwischengeklemmt die Motorenprüfstände. Isoliert für sich stehen die Fertigungsstätten von Komponenten, die Teilereparatur, die Lehrlingswerkstätten sowie das neue Motorenwerk. Bänder laufen über zwei Geschosse und Zwischengeschosse sowie über die große Brücke der Schwieberdinger Straße. Die Abteilungen sind beengt. Die Japaner schlagen die Hände überm Kopf zusammen, als sie die Wiege des begehrten Porsches zu Gesicht bekommen: Alles ist eng und verwinkelt und die Wege sind zu lang. »Ein schreckliches Werk«, meinen sie leise. Toyotas Produktionsleiter Taiichi Ohno, der Kaizen-Supermann, entdeckt hier überall Verschwendung von Arbeitskraft, Material und Zeit.
Fortschritte in kurzer Zeit Für Kanban und Kaizen oder Porsche-Verbesserungs-Prozess (PVP) ist Zuffenhausen der ideale Tummelplatz. Daher erreichen die Asiaten zusammen mit den Deutschen vergleichsweise große Veränderungen in kurzer Zeit. Auch deshalb, weil Betriebsrat und Gewerkschaft in diesem Punkt mit dem Management im Grundsatz kooperieren. »Die Umstellung, nach japanischer Art zu produzieren, war damals ein Zeichen der Zeit, die gerade bei Porsche überfällig war«, beschreibt ein IG-Metaller und Aufsichtsratsmitglied die Ausgangslage. »Das Besondere an Wiedeking war eben, dass er am ersten Tag seines Chef-Seins mit brachialer Konsequenz darauf drang, die Ideen der Asiaten in Zuffenhausen umzusetzen.« Sein Ziel ist es, mit den Japanern »das Gold in den Köpfen der Leute zu heben.« Wer die Notwendigkeit nicht begreift, dem wird auf japanische Art nachgeholfen. »Das muss den Werkern beigebracht werden«, lautet ein Standardsatz Wiedekings im Kreis seiner Ingenieure und Rationalisierungsexperten – grimmige Zeiten für alle. Gemessen an der Produktivität und den betriebswirtschaftlichen Resultaten verläuft der Japan-Einsatz recht erfolgreich. Ziel ist die »Just-in-time-Produktion«, also ein kontinuierlicher Fertigungsfluss ohne große Lagerkapazitäten. Es gilt: vom Lastwagen direkt ans Band. Systematisch zerlegen die Japaner die produktive Arbeit in lauter kleine Schritte und trennen sie scharf von unproduktiven Tätigkeiten (Arbeitsvorbereitung, Nacharbeit, Logistik, Verwaltung und so weiter). Gründlich krempeln die Fremden an allen Ecken und Enden um und geben skeptischen Porscheanern ungewohnte Anweisungen. So wer-
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den Fehler sofort im Produktionsprozess erkannt und buchstäblich am laufenden Band behoben. Notfalls dürfen sogar die Bänder angehalten werden, wenn es die Qualität erfordert. Der Stopp soll vermeiden, dass die Mängel durch die ganze Fertigung geschleppt und am Ende noch von einer opulenten Fehlerkontrolle übersehen werden können. Erst wenn der Makel beseitigt oder zumindest erkannt ist, darf der Produktionsprozess fortgesetzt werden. Diese eigenständige Kontrollfunktion wertet die »Fabrikler« auf, verleiht ihnen Selbstbewusstsein und schärft ihr Qualitätsdenken. Das gilt ebenso für die Vorgabe, dass die Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz selbst nach Fehlern untersuchen sollen. Die Beschäftigten fühlen sich so vom Management ernst genommen. Die Folge: Maschinen, Werkzeuge und die Produkte selbst werden viel weniger beschädigt, die Arbeitsabläufe sind klarer strukturiert und mit eigenen Verantwortlichkeiten versehen. Arbeitsplätze und Bänder bleiben sauber,nichts wird mehr achtlos weggeworfen.»Man kann vom Boden essen«, weil die Arbeitsplätze endlich von überflüssigem Material und nutzlosen Einbauteilen entrümpelt sind, staunt ein Meister: »Dadurch sinkt die Verschwendung von Bauteilen gegen null.« Weil weniger Hand- und Zwischenlager (Puffer) existieren, gibt es deutlich mehr Platz und Ordnung am Arbeitsplatz. Kostensenkung, kürzere Wege, geringe Lagerhaltung – langsam entsteht nach der japanischen Fertigungsfibel eine neue Kultur. »Ihr Deutschen sollt einfache Strukturen schaffen, die beherrschbar sind«, lautet stoisch ihr Rat. Die Schwaben nicken und bestätigen: »Heute ist alles clean.« Jetzt arbeiten die Menschen in der Fabrik wieder mehr miteinander als gegeneinander. Doch bis es soweit kommt und sich die Einheimischen halbwegs mit den Lehrmeistern aus einer anderen Welt arrangieren, vergeht einige Zeit, gibt es Reibereien, fließen Schweiß und Tränen. Als beispielsweise die beiden von Wiedeking engagierten Chefberater Yoshiki Iwata und Chihiro Naka von der Firma Shingijutsu (etwa: »Neue Technologie«) das Werk betreten, provozieren sie misstrauische Blicke der Arbeiter. Die Asiaten grüßen und bitten die Deutschen: »Bringt uns in die Fabrik. Das hier ist ein Lagerhaus.« Sie meinen damit die zig Kisten und Kästen und das lose Material, das überall ihren Weg versperrt. Was jedoch können die gehänselten Arbeiter für das Chaos? Das Duo ist gekommen, um hochrangige Kräfte ebenso wie die Blaukittel in mehrtägigen Workshops zu drillen und zu schleifen. Niemand wird geschont. Ein japanischer Trainer etwa schickt die Arbeiter unvermittelt los, sie sollen beim Baumarkt einen Einkaufswagen besorgen. Anschließend demonstriert er mit dem Wägelchen, wie einfach und genau jeder die Teile für sich selbst holen könnte, die er für einen bestimmten Zeitraum in der Fertigung benötigt. Das soll unnötige Zwischenlager und lange
Wege einsparen. Und: Keine Stapel, keine Unübersichtlichkeiten, kein Chaos. Als Kopfstationen richten die Japaner »Shoppingcenter« in den Fabriken ein, kleine Handlager mit verschiedenen Teilen. Dort sollen sich die Arbeiter ihre Teile zur Produktion oder Montage nach Bedarf besorgen. Sie müssen dafür »Einkaufszettel« ausfüllen. Dann fahren die Fabrikarbeiter an ihre Arbeitsplätze zurück und verbrauchen »den Einkauf«. Irgendwann bevölkern ganze Gruppen mit ihren SB-Einkaufswagen das Werk. »Die meisten Leute waren belustigt«, schildert ein Betroffener die Aktion, einige amüsierten sich sogar köstlich über diesen Streich. Wiedeking, der Minimalist, sucht weiter fieberhaft nach Einsparungspotenzialen in Lagerhallen und Fabriken. Die Asiaten helfen ihm nach Kräften. Sie haben die Erlaubnis, schnell und direkt vor Ort zu verändern, was ihnen missfällt. Ohne Bürokratie und viel Rücksicht stellen sie zum Beispiel die Logistik auf den Kopf. Fortwährend wird umgebaut, Regale werden abgesägt, damit die Hallen übersichtlich werden. Große Lager würden die Japaner gern ganz abschaffen. Im Weg steht ihnen vor allem das Hochregallager, der Stolz von Wiedekings Vorgänger Rudi Noppen. Es galt noch vor kurzem als das modernste Europas, und nun brauchen sie diesen Bau nicht mehr, weil die Teile für die Produktion ja direkt ans Band geliefert werden sollen. Aber mit dieser Radikalkur setzen sich die Söhne Nippons am Ende nicht durch. Es steht noch. Die zu diesem Thema in vielen Gazetten kolportierte Geschichte, Wiedeking habe in seiner Sturm-und-Drang-Zeit demonstrativ eine Flex, Trennschleifer, gepackt und damit eigenhändig die Lagergestelle etwa auf Sichthöhe abgesägt, bestätigen Zeitzeugen so nicht. Vielleicht war es von ihm nur als symbolische Geste gemeint, zeigt doch die Episode, dass den Arbeitern mit allen Mitteln bewusst gemacht werden sollte, wo die Führung rasch hinsteuert. Vor dem drastischen Einschnitt in die Vorratshaltung reichten die Lagerbestände für mehrere Tage. Heute ist der Lagerbestand stark geschrumpft, bei weitaus höherer Produktion. Porsche genügen kleine Puffer, um einen Vorlauf von ein bis zwei Tagen zu haben und bei Verzögerung durch Lieferprobleme oder Streiks überbrücken zu können. Auch die betriebseigene Sattlerei, in der die Porsche-spezifischen Lederüberzüge für Sitze und den Innenraum für anspruchsvolle Kunden fast von Hand gefertigt werden,wollen die Kaizen-Päpste am liebsten sofort aufgeben. Schon machen sich die Japaner daran, die ebenfalls noch von Noppen für 3 Millionen Euro komplett modernisierte Sattlerei ganz leer zu räumen. Sie wollen die Arbeit kostenreduziert und effektiver in den laufenden Produktionsprozess direkt im Werk integrieren. Doch jetzt wehren sich die rund 300 Betroffenen energisch gegen ihren Rauswurf. Der Betriebsrat blockiert das
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Schließungsvorhaben ohne Wenn und Aber. Es kommt zum Kompromiss, und die Lederabteilung bleibt doch erhalten – auch, weil es die Exklusivität der Marke fördert.
Turbo stark,Turbo verletzend Porsche »inside« wird immer stärker japanisch geprägt. Mit den Asiaten laufen regelmäßig Schulungen der Belegschaft. Es werden Teams für Japan-Seminare gebildet, und schließlich werden die Deutschen unmittelbar am Arbeitsplatz in der Fertigung, und anfangs teilweise in der Verwaltung, nach den ToyotaMethoden trainiert, »gecoacht«. Überall in der Produktion hängen alle paar Meter Schilder mit Parolen und Sprüchen von der Decke, die zu mehr Einsatz und Qualitätsbewusstsein mahnen. Viele Mitarbeiter – nicht zuletzt aus Ostdeutschland – fühlen sich unangenehm an DDR-Zeiten erinnert. Aber irgendwie ist »alles sehr japanisch« und sehr »turbomäßig«, bemerken Besucher erstaunt. Selbst auf Fußabtretern prangen Parolen. Das Besondere bei Porsche ist das »Power-Paket« mit dem speziellen Turbo-Effekt, den Wiedeking überall verbreiten lässt. So spricht er von »PVP – Der Qualitätsturbo«; »Neue Power für Porsche: Der Porsche-Verbesserungs-Prozess« und so weiter. Die neue Firmenkultur soll einen Namen bekommen. Selbst potenzielle Kunden bezieht Wiedeking in seine Kulturrevolution auf japanisch ein. So erhalten Käufer des damals neuen 911 Carrera eine Broschüre »Das PowerPaket«, in der ihnen die hausinternen Veränderungen mit dem Porsche-Verbesserungs-Prozess erläutert werden: »Das ist der Weg für die Zukunft des Unternehmens … Mit PVP … können wir das erreichen, was wir alle erreichen wollen:die Eigenständigkeit des Unternehmens Porsche und die Sicherheit unserer Arbeitsplätze …« In der Werbung darf auch der Hinweis auf die Produktion nicht fehlen: »Übrigens: Beim Motorenbau verzichten wir ausnahmsweise auf Teamarbeit. Ein Monteur baut jeweils einen ganzen Motor zusammen – von Anfang bis Ende. Damit die Rechte weiß, was die Linke tut.« Hier spricht der Maschinenbauer Wiedeking. Was in der Kundenbroschüre human klingt,bedeutet in Wirklichkeit Knochenarbeit und Kampf quer durch Fertigung und Logistik. Hartnäckig spüren die Fremden aus Fernost kritische Punkte in der Organisation in Zuffenhausen auf, legen die Finger in die Wunde. Ihre Forderungen jedenfalls sind klar: Rationalisierung und Reduzierung menschlicher Arbeitszeit. Mancher Porscheaner rechnet sich dabei ängstlich aus, wann er sich selbst wegrationalisiert. Doch bei ihren praktischen Anleitungen und in den drei bis fünf Tage dauernden Japan-Seminaren nehmen die Asiaten auf Befindlichkeiten und Ein-
wände nachdenklicher Mitarbeiter keine Rücksicht. Die Asiaten springen mit den Porsche-Leuten ziemlich rüde um. Ihr Tonfall ist herrisch, ihr Gehabe erscheint militant. Sie drohen hin und wieder – auch älteren Mitarbeitern: »Wenn Sie nicht mitziehen, dann können Sie gehen.« In dieser Zeit lässt Wiedeking viele Arbeiter und Angestellte versetzen. Zur Erinnerung: Parallel zur Japan-Welle läuft 1992/93 das gewaltigste Stellenabbauprogramm der Firmengeschichte. Was Wunder, dass die verbleibenden Porscheaner kuschen. Ihre Angst um den Arbeitsplatz ist durch den Rationalisierungsdruck größer als ihr früherer Porsche-Stolz oder ihre demokratische Widerstandskraft. »Es wird gebolzt und eingeschüchtert«, klagt ein Sachbearbeiter aus der Materialverwaltung über die radikalen Methoden. Aber niemand kann den Turbo bremsen. »Die kantigen Japaner haben sicher Rückhalt bei Wiedeking«, befürchten die Betroffenen. In der Frühphase nimmt Wiedeking als Produktionschef höchst persönlich an den Freitagspräsentationen teil.Dabei werden üblicherweise die Ergebnisse und Vorschläge der Gruppen aus den Japan-Workshops präsentiert. Dann muss entweder ein Meister oder Teamsprecher rund fünf Minuten lang die gemeinsamen Rationalisierungsresultate referieren – und da wollen alle vor dem großen Boss gut dastehen, Deutsche wie Japaner. Die Kaizen- und Kanban-Propheten machen während der Schulungen zwar Vorschläge, aber die Teams, in der Belegschaft »Schulklassen« genannt, müssen die Vorgaben und die Wege zu den Ergebnissen erarbeiten und dann in der Praxis umsetzen. Für die meisten ist das eine ungewohnte Stresssituation. Immerhin lässt sich die Firma »die fernöstliche Gehirnwäsche« (Mitarbeiterspott) was kosten: Im Durchschnitt sind in Zuffenhausen im Laufe der Zeit meist zwei Japaner und dazu ein oder zwei Dolmetscher anwesend. Der Aufwand für eine Woche wird auf etwa 50 000 Euro geschätzt. Über die Jahre summiert, kommen für das Japan-Programm Millionen zusammen.
Brachialer Kulturkampf im Werk Die Deutschen werden bei Kontakten mit ihren »Lehrern« häufig frustriert. Sie gewinnen den Eindruck, »das meiste, was sie in der Diskussion an Argumenten vorbringen, verstehen die Japaner gar nicht – weder mental, noch sprachlich.« Das gilt besonders für Probleme im kaufmännischen Bereich. »Höchstens 10 bis 20 Prozent kommt bei denen an von dem, was wir sagen wollen«, resigniert ein Angestellter. Mit Fremdsprachen sind die Japaner spärlich gesegnet. Das führt zu erheblichen Verständigungsproblemen auf beiden Seiten. In einer Trainingsgruppe sprechen von sechs Japanern nur drei Eng-
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lisch – und das auch nur gebrochen. Eine Dolmetscherin aus München – Japanerin, Germanistikstudentin, seit zwei Jahren im Land – beherrscht viele Fachausdrücke nicht. Auch die meisten Unterlagen von Porsche, etwa aus der Verwaltung, können die Lehrherrn aus Fernost nicht lesen. Sie müssen sich alles von der Dolmetscherin übersetzen lassen, was sich als sehr zäh erweist. Aufgrund solcher Erfahrungen werden die Japaner aus der Porsche-Verwaltung bald wieder abgezogen. Andauernde Spannungen und Schwierigkeiten in der Kommunikation führen schließlich dazu, dass die Japaner manchmal die Fassung verlieren. »Einer wurde fast gewalttätig. Er schrie in Japanisch-Englisch, brauste auf, alles ging durcheinander«, schildert ein Zeuge den Vorfall. Je ruppiger das Benehmen der Japaner, umso emotionsgeladener reagiert die Belegschaft. »Unsere Kommisssäcke«, fluchen einige. »Die spielen sich hier auf wie Diktatoren«, schimpfen andere. Es drohen fast Schlägereien am Arbeitsplatz und selbst in Workshops. Immer deutlicher treten die erheblichen Unterschiede der Kulturen in wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fragen zutage. Mitbestimmung und Betriebsräte wie in Deutschland kennen die Japaner zum Beispiel nicht. Stattdessen sind die Toyota-Leute strikt auf Gehorsam, fremdbestimmte Leistung und Unterwerfung innerhalb einer Hierarchie getrimmt. »In Japan«, so glauben zumindest viele Menschen hier, »nehmen sich die Manager noch das Leben, wenn sie im Unternehmen versagen.« Der Kulturschock findet in Zuffenhausen auf beiden Seiten statt. Zwar hat sich die Situation längst entspannt, aber im Bewusstsein der Belegschaft ist die Japan-Welle als sehr kritischer und teilweise unwürdiger Eingriff in Erinnerung. Vor allem die radikalen Methoden und einzelne Vorkommnisse sind unvergessen. Zum Beispiel auch ein Vorfall aus der Anfangsphase der vielen Japan-Workshops: Da ergreift ein japanischer Berater die Hand eines Porscheaners, der zufällig in seiner Nähe steht. Er hält sie für die Hand eines deutschen Arbeiters, schaut sie sich demonstrativ genau an, dreht sie um und sagt laut zu den Anwesenden:»Die Hände sind sauber,er hat nichts gearbeitet.« Der Betroffene ist so sprachlos wie alle Anwesenden. Peinlich an dieser Demonstration ist nur, dass der ausgesuchte und bei dieser Vorführung als »Faulenzer« geoutete Delinquent ausgerechnet ein hauptamtlich tätiges Betriebsratsmitglied ist. Dem japanischen Trainer dürfte diese Feinheit zwar sicher entgangen sein, aber gewiss nicht den anwesenden Deutschen. Viele Mitarbeiter erinnern sich noch lebhaft an mindestens einen Streit mit einem Trainer. Manchmal sei es haarscharf an Handgreiflichkeiten vorbeigegangen. »Ihre Ideen waren zwar frisch, aber die Standpunkte wurden zu autoritär vertreten«, meint ein Verwaltungsmann. Der Computer zum Bei-
spiel ist für die Japaner ein Heiligtum. Wer es sich getraut hätte, daran Kritik zu üben, wäre sehr unangenehm aufgefallen. Also ducken sich besonders Verwaltungsleute. Dann gibt es noch andere Vorfälle wie diesen: Während eines Kaizen-Seminars packt ein Lehrmeister einen Porscheaner rüde am Arm. Dieser hatte sich während des Seminars eine Zigarette angesteckt. Derart in den Griff genommen, führt der Japaner den Kandidaten zum Fenster, um die Zigarette für alle sichtbar auszudrücken und hinauszuwerfen. Oder: Während die Betriebsräte in der heißen Phase der Rationalisierung bei Wiedeking durchsetzen, dass die Japaner keinesfalls auf eigene Faust eine Zeitermittlung in der Produktion durchführen dürfen, geht diese Abmachung an einigen der Berater vorbei. In einem Workshop lehrt ein Trainer die Anwesenden: »Man kann statt einer Uhr auch den Herzschlag heranziehen, um die Arbeitszeit zu erfassen.« Die Belegschaft ist beunruhigt. Überwachen die Japaner unsere Arbeitsleistungen doch hinter unserem Rücken? Die Fremden geraten in Verdacht, dass sie eingeschleust wurden, um insgeheim einzelne Leute beim Training nach deren Auffassungsgabe, Mitarbeit, Verhalten oder Loyalität zu bewerten. Konkrete Anhaltspunkte dafür finden sich nie – doch das Misstrauen spricht Bände. Was bringen Drill und Schliff, der ganze Ärger, das Erlernen und Trainieren neuer Fertigungs- und Organisationsmethoden? Schwappte die JapanWelle spurlos über die Porsche-Belegschaft hinweg? Insgesamt fällt die Bilanz über die Drillmeister aus Fernost trotz der Querelen versöhnlich aus – auch aus Sicht von einzelnen Betroffenen. »Die Japaner haben in der Produktion einiges bewegt, aber in der Verwaltung ist vieles gescheitert«, bilanziert ein Angestellter. Auch er, ein langjähriger Porscheaner, gesteht Wiedeking zu, dass es in den wilden Zeiten nach Bohn und der gefährlichen Depression Anfang der neunziger Jahre zu diesem radikalen Kurs »kaum Alternativen gegeben hätte«. Die Methoden aus Asien samt ihren Propheten waren damals offenbar notwendig, um Porsche aus der Erstarrung wieder in Bewegung zu bringen. Eine normale deutsche Beratertruppe hätte diesen rigorosen Kraftakt vermutlich nicht geschafft. »Wir hätten niemanden gehabt, der das so zügig und rigoros durchgeführt hätte«, weiß ein Manager. Und »so wie man früher die McKinsey-Leute geholt hat, waren jetzt die Japaner die Prellböcke. Dafür bekamen sie auch ein gutes Schmerzensgeld.« Heute finden nur noch wenige Japan-Workshops statt. Veranstaltet werden sie noch etwa viermal im Jahr, wobei jeweils zeitgleich acht Arbeitsseminare eine Woche lang zu verschiedenen Themen angeboten werden. Jedoch fehlt der turbomäßige Druck von einst. Den Veranstaltern gehen allmählich die Ideen aus. Oft werden normale Planungsaufgaben einfach
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zu Japan-Workshops umfunktioniert. Andererseits macht Wiedeking mit den Erfahrungen aus den zahlreichen Crashkursen noch ein Geschäft. Denn er holt nicht nur die engsten Vertrauten um Toyota-Produktionschef Taiichi Ohno sowie andere Beraterteams ins Haus, sondern er verwertet das angesammelte firmenspezifische Wissen selbst und gründet eine Beratungsfirma, die Porsche Consulting GmbH. Diese Gesellschaft gibt die Lehren und Erkenntnisse aus dem kontinuierlichen Verbesserungsprozess an Mittelständler samt dem speziellen Know-how aus der engen Zusammenarbeit mit den Lieferanten weiter. Für diesen Zweck hat er das Projekt »POLE« wie »Prozess-Optimierung durch Lieferanten-Einbindung« initiiert. Erster Mann bei POLE und Geschäftsführer der Porsche-Beraterfirma wird 1994 ein gewisser Michael Macht, der Ziehsohn von Wiedeking. Macht ist heute im Vorstand Produktionschef. Seine Aufgabe damals ist es, die wertvollen Erfahrungen aus PVP und dem Projekt POLE an branchenfremde, vor allem mittelständische Betriebe weiterzugeben. So stiftet die Japan-Welle zusätzlichen Nutzen, denn die Beratungsfirma wirft seit einigen Jahren Gewinne ab.
Lieferanten auf der Schulbank Alle sollten damals ihren Tribut für die Sanierung zollen, selbst Porsches Lieferanten. Doch längst nicht alle dürfen ihren bisherigen Status behalten. Wiedeking siebt kräftig aus. Von den ursprünglich rund 1 000 Betrieben bleiben nur etwa 300 Firmen übrig, die den Sportwagenbauer beliefern dürfen. Und diese müssen kräftige Zugeständnisse machen, um im Geschäft zu bleiben. Porsche spart durch eine neue modulare Bauweise die meisten Lieferanten ein. Denn durch Zusammenfassung bisher einzelner Komponenten zu technischen Einheiten – in der Fachsprache Module oder Systeme genannt – fallen automatisch Teilehersteller weg. Die verbleibenden Systemlieferanten liefern wie zum Beispiel ThyssenKrupp komplette Vorder- und Hinterachsen samt Bremsen oder andere Räder mit Reifen, den Dachaufbau oder das Vorderteil eines Porsches samt Scheinwerfern, Stoßstange, Träger und Lüftung. Damit spart Zuffenhausen komplette Arbeitsgänge ein, weil sie von außen bezogen werden. Das Prinzip gilt ebenso für die Logistik, da die Lieferanten ihre Fertigware von nun an bedarfsgerecht und pünktlich direkt ans Band zu liefern haben. Heute entsteht ein Porsche zu gut 80 Prozent bei den Lieferanten; der Autobauer steuert also selbst noch ein Fünftel des Produktionsvolumens bei. Beim Cayenne stammen sogar rund 90 Prozent der Fertigungsleistungen von Zulieferern.
Damit das komplizierte Zusammenspiel reibungslos klappt, müssen auch die verbleibenden Lieferanten bei Porsche die Schulbank drücken. Daher lässt Wiedeking die künftigen Partner in Zuffenhausen gruppenweise zu Praxisseminaren antreten. Sie sollen jetzt mit eigenen Augen sehen, welche Umwälzungen hier mit Kaizen und Kanban mithilfe der Japaner im Gange sind. Und darüber hinaus sollen sie ebenfalls einen kreativen Beitrag leisten. Also beordert Wiedeking die Lieferanten ins Werk. Ohne sie vorher zu fragen, lässt er schon mal alles für sie organisieren. Die Zulieferer erhalten eine ultimative Einladung – besser: Aufforderung –, zu einem für sie bereits festgesetzten Termin drei Tage lang an einem Kaizen-Workshop mit Japanern teilzunehmen. Preis der Veranstaltung: 4 000 Euro und mehr – zu bezahlen selbstverständlich von den Eingeladenen selbst. Damit das Seminar wirklich ein durchschlagender Erfolg wird, bittet Wiedeking in seinem Brief ausdrücklich: »Schicken Sie bitte ein hochrangiges Mitglied der Geschäftsleitung …« Die meisten Angeschrieben leisten der Aufforderung tatsächlich Folge. Topmanager teilweise riesiger Autolieferanten und sogar Betriebsinhaber erscheinen für drei lange Tage persönlich in Zuffenhausen und in der Fabrik. Wie in einer Schulklasse sitzen sie im Seminarraum und lauschen, was sie der japanische Kaizen- und Kanban-Experte lehrt. Auch die Mitarbeit der Führungskräfte wird verlangt. Denn die Japaner dozieren nicht nur, sondern sie demonstrieren Fertigungsmodelle und stellen den Gruppen praktische Aufgaben. Da breitet zum Beispiel der asiatische Lehrer rund 125 Teile auf einem Rollwagen aus, die alle von der Stoßstange über Scheinwerfer bis zur letzten Unterlegscheibe nötig sind, um das »Frontend«, den vorderen Teil eines Porsche, zu bilden. Dazu erklärt er, dass für die Montagearbeit bisher zwei Facharbeiter gut zwei Stunden lang beschäftigt sind, und er fragt die Runde: Wie kann der Aufwand stark reduziert werden? Antwort: Die vielen Kleinteile werden beim Lieferanten vormontiert und beispielsweise in 20 Baugruppen bei Porsche angeliefert. Den Rationalisierungseffekt lässt der Japaner anschließend von zwei Monteuren demonstrieren. Sie müssen bei ihrer Arbeit weiße Handschuhe tragen. Nun wird die Zeit gestoppt, die sie für den Zusammenbau der Baugruppen brauchen. Sobald sie fertig sind, ziehen sie die Handschuhe aus und recken als Zeichen ihre sauberen Hände in die Luft. Ergebnis: Sie leisten das Pensum in nur rund 20 Minuten. Mit dieser Frontend-Montage demonstrieren die Japaner den Lieferanten, dass sie mitdenken sollen, weil sie selbst einen hohen Beitrag zur Rationalisierung leisten könnten. Ein anderes Beispiel: Die Experten zeigen eine Türverkleidung, die unterhalb des Seitenfensters umständlich mit mehr als hundert Druckknöpfen auf
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den Türrahmen gedrückt werden muss. Die Schwierigkeit dabei ist, dass alle Druckknöpfe zugleich eingesetzt werden müssen. Dafür sind mindestens vier Hände, also zwei Arbeiter notwendig. Oft muss mühsam nachjustiert oder sogar neu angesetzt werden, wenn nicht alle Knöpfe auf einmal zusammengedrückt werden konnten.Über diese umständliche Arbeit haben sich die Montageleute häufig beschwert und gefordert, doch eine spezielle Vorrichtung dafür anzufertigen, erzählen sie bei dem Seminar. Aber diese Verbesserung sei stets mit dem Hinweis auf zu hohe Kosten abgelehnt worden. Nun fordert ein Japaner die Lehrgangsteilnehmer heraus: »Ich will für dieses Problem noch heute eine Lösung«, sagt er zu den Lieferanten und fügt erschwerend hinzu: »aber ohne Kosten, sonst geht keiner heim.« Nachdem sich die Wogen der Verwunderung gelegt haben und Teams gebildet wurden, gehen die Teilnehmer ans Werk und tüfteln. Nach einiger Zeit rennt plötzlich eine Gruppe hinaus in die Werkstatt. Dort besorgen sie sich ein altes Holzbrett und schneiden es in Größe und Kontur eines Porsche-Türrahmens unterhalb des Fensters aus. Dann holen sie einen alten Autoreifen, schneiden aus dem Gummi viele Stücke heraus und bringen diese auf der Holzvorlage entlang des Verlaufs der Druckknöpfe auf – und fertig ist die Vorrichtung. Nun legt nur ein Mann aus dem pfiffigen Team die Verkleidung mit der vorgefertigten Holzkontur richtig justiert zu den Druckknöpfen auf den Türrahmen und – klick! –, die Aufgabe ist erledigt. Ersparnis: Eine Arbeitskraft, gute Handhabung und das mit einer Vorrichtung, die praktisch nichts kostet. Die Teilnehmer sind über ihre eigene Kreativität verblüfft. Ähnlich positive Beispiele gibt es während der Japan-Seminare noch mehrere. Die Crash-Kurse öffnen vielen Lieferanten die Augen dafür, wie unerschöpflich die Möglichkeiten für bessere und einfachere Produktionsverfahren sein können. Die Lehrgänge der Liefertanten mit den Japanern verbucht Wiedeking als Erfolg, schon deshalb, weil er ständig ein waches Auge auf die hochkarätig besetzten Veranstaltungen hat. Der Chef des Hauses kreuzt nämlich regelmäßig in den Seminarräumen auf, setzt sich in die hintere Reihe und hört zu, was die Japaner mit den Teilnehmern an Ideen und Vorschlägen gerade erarbeitet haben. Von den erzielten Resultaten ist Wiedeking oft begeistert und lobt die Anwesenden: »Wir stoßen hier gemeinsam auf riesige Potenziale. Wenn wir nur einen kleinen Teil davon umsetzen, dann hat das enorme Auswirkungen auf die Rationalisierung.« Die besten Ideen wie die vielen gewonnenen Erfahrungen nutzt Wiedeking 1994 dazu,selbst eine Beratungsfirma zu gründen und das Wissen über die Prozessoptimierung mit Lieferanten in Geld umzumünzen. Porsche steht übrigens heute als Kunde auf der Beliebtheitsskala der Lieferanten hinter BMW auf Platz zwei. Die Teilehersteller
rühmen die Gesprächspartner in Zuffenhausen und Weissach für ihre Kompetenz und Fairness. Das gute Abschneiden gegenüber den meisten anderen Autoherstellern liegt auch daran, dass die Zuffenhäuser bereit sind, auftretende Probleme gemeinsam mit Zulieferern anzugehen.
Automatisierung und Humanisierung Ein starker Vertreter der Rationalisierung sowie einer Neuorganisation nach japanischem Vorbild ist Uwe Loos. Wiedeking engagiert den promovierten Ingenieur zum 1. Oktober 1993 als Vorstandsmitglied für das Schlüsselressort Produktion und Logistik bei Porsche, das er bis jetzt selbst geleitet hat. Loos wird also Nachfolger Wiedekings, der sich nun völlig auf seine Aufgabe als Vorstandschef konzentriert. Was die Betriebsführung anbelangt, sind der Pfälzer Loos und der Westfale Wiedeking Brüder im Geiste.Das umtriebige Ingenieurs-Duo glaubt nämlich unerschütterlich an die ständige Verbesserung und Beschleunigung der Fabrikation durch technische und organisatorische Hilfsmittel. Und beide sind gelehrige Schüler strenger fernöstlicher Meister. Kaum, dass Loos im Betrieb wirbelt, da eilt ihm schon der Ruf voraus, dass Kaizen und PVP ein privates Hobby von ihm sein müssen. Wiedekings starker Mann in der Fabrik legt zum Beispiel dem 29-köpfigen Betriebsrat samt Gewerkschaftsfunktionären und seinem Produktionsmanagement ans Herz: »Geht hinaus in die Welt und schaut euch in den USA, Europa und Japan in den Autoproduktionen der Wettbewerber um. Da könnt ihr etwas lernen.« Er selbst legt sich sofort ins Zeug und lässt nichts aus, was einer schlanken Produktion dienen könnte, berichten Ex-Mitarbeiter. Wie Wiedeking setzt auch er sich gegen Widerstände bei der ungeliebten Rationalisierung hinweg. Dafür genießt Loos in Fachkreisen einen exzellenten Ruf als Produktionsmann und Fertigungslogistiker. Kein Wunder, bringt der geborene Wormser doch von seiner Ausbildung und Praxis her (Krupp, Siemens, INA) die gleichen Fähigkeiten mit wie Wiedeking. Der Porsche-Chef belohnt seinen Turbo-Rationalisierer für die schwere Aufgabe sogar mit einem Fünf-JahresVertrag. Eine Spezialität von Loos ist die Visualisierung aller Abläufe in Produktion und Logistik. Er lässt daher überall Monitore installieren, auf denen Produktionszahlen, Teilestatistiken oder Qualitätskennziffern abrufbar sind. Mit diesen Angaben ist das Management jederzeit über den Stand der Dinge informiert, macht Staus und Fehler im Fertigungsverlauf aus und kann sofort eingreifen. Noch immer steckt Porsche mitten in der heißen Sanierungsphase, und bis zur Gewinnzone ist es noch ein weiter Weg. Unter Loos wird also erst mal
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richtig automatisiert. Stehen bisher die einzelnen Karossen in der Montage auf einem einzelnen fahrbaren Bock, der umständlich im Takt von Hand weitergeschoben werden muss, ersetzt Loos diesen Anachronismus durch eine Verkettungstechnik. Und neben technischen Neuerungen krempelt er vor allem die Organisation total um. Der Einsatz der Arbeitskräfte wird viel flexibler geordnet. Arbeiter wie Facharbeiter werden darauf getrimmt, bis zu acht oder sogar zehn Tätigkeiten auf einmal zu beherrschen oder als universelle Springer an verschiedenen Arbeitsplätzen eingesetzt zu werden – ein Projekt, das schon vor Wiedeking und Loos angeschoben wurde. In der Zeit von Loos wird die Anreicherung der Arbeitsinhalte auch mit mehr Verantwortung der Arbeitkräfte begründet. Management wie Betriebsräte verfolgen das Ziel, die Fabrikarbeit zu humanisieren. Tatsächlich orientiert sich der Porsche-Verbesserungs-Prozess anfangs an qualifizierter Gruppenarbeit mit gewählten Gruppensprechern (keine Meister). Alle sollen in den Arbeitsprozess einbezogen werden. Per Betriebsvereinbarung wird die Humanisierung der Arbeitswelt in einer Mischung aus schwedischem Modell, Volvo, und japanischem Arbeitsdrill festgeschrieben. Darin sind auch eine gewisse Mitsprache im eigenen Tätigkeitsbereich und flexible Arbeitszeiten vorgesehen. Als Gegenleistung für diese Humanisierung werden – typisch Wiedeking und Loos – mehr Effizienz, bessere Qualität sowie Einsparungen bei den Kosten verlangt. Allerdings, der Leistungsdruck damals, 1992/93, ist wegen Mangel an Aufträgen wesentlich geringer. Diejenigen, die im Unternehmen bleiben durften, empfinden das im Rückblick als eher »angenehmen Zustand«. Endlich kann sich die Belegschaft wieder aufs Autobauen konzentrieren. Um Angestellte und Arbeiter für das harte Programm zur Rationalisierung zu begeistern, stellen es Wiedeking, Loos & Co. unter den Oberbegriff »Turbo«. Als eine Art Leitfigur wird »Tom Turbo« geschaffen, eine Gestalt mit einem Propeller auf dem Kopf, der die Belegschaft mittels Sprechblasen zu mehr Leistung und besserer Qualität anspornen soll. Turbo-Umkrempler beim Turbo-Programm ist Loos. Der Produktionsverantwortliche will schnell viel bewegen und setzt dafür auch die Betriebsmeister ein. Ihre Funktion bleibt weitgehend ohne Einschränkungen erhalten, obwohl es nun zusätzlich gewählte Gruppensprecher gibt. Das bringt die Meister automatisch in eine gewisse Opposition und erzeugt Spannungen in der Produktion. In der täglichen Arbeit geraten sie in eine Zwitterstellung zwischen den vorgesetzten Managern oben und den Arbeitern mit ihren weniger kompetenten Sprechern unten, was ihre Rolle als Vorgesetzte untergräbt. Loos indes entscheidet, dass »die Meister diejenigen sein müssen, welche die Optimierung der Produktion vorantreiben müssen.« Sie sorgen dafür, dass »bis in den letzten
Winkel der Fabrik hinein knallhart rationalisiert wird« (Stefanie Winter, Die Porsche-Methode). Zur Umsetzung der unerbittlichen »Ratio-Vorgaben« (hausinterner Sprachgebrauch) empfiehlt Loos den Werksmeistern, Zielvereinbarungen mit ihren Arbeitern zu treffen. Aber er sagt ihnen nicht, wie sie das machen und durchsetzen sollen, die Konkretisierung bleibt ihnen selbst überlassen. Solche Vorgaben mögen im autoritären Japan funktionieren, hierzulande aber beschwören sie unheilvolle Konflikte herauf. Der Meister glaubt sich vom Management als Prellbock missbraucht, und die Mannschaft fühlt sich um die zugesagte Mitsprache am Arbeitsplatz betrogen. Diese Zwietracht hätte Loos durch eine eindeutigere Organisation unterbinden müssen. Etwas weniger Japan in Zuffenhausen – Kooperation statt Konfrontation – wäre an dieser heiklen Stelle mehr gewesen. Die Konflikte mit Meistern und Gruppensprechern beginnen die Position des ersten Produktioners im Haus zu schwächen und steigern das Misstrauen gegen ihn. Ein Zeitzeuge: »Vieles war übertrieben bis hin zur standardisierten Arbeitskleidung, wie sie in japanischen Betrieben üblich ist.«
Geld und Preise für Sparideen Ein Lieblingsthema von Loos ist das Vorschlagswesen. Dieses Führungsinstrument entdeckte der Fertigungsexperte auf seinen Japan-Reisen Ende der achtziger und Anfang der neunziger Jahre sozusagen wieder neu. Hierzulande führte dieses uralte Instrument der Mitarbeitermotivation und der Qualitätssteuerung ein kümmerliches Schattendasein. Vor allem bei Toyota konnte Loos die Vorteile des Ideenmanagements als zentrale Zielvorgabe für die Unternehmenskultur studieren. Was er von seinen früheren Wanderjahren an fernöstlichen Anregungen nach Hause gebracht hat, will Loos nun bei Porsche anwenden. Und Wiedeking gibt ihm dafür freie Hand. Aus diesem Grund ist die Japan-Phase, von der schon viel die Rede war, in den Köpfen der Porscheaner auch eng mit dem Gespann Loos-Wiedeking verbunden. Der erste Mann der Fabriken, Loos, hat es auf die Kreativität und den Ideenreichtum der Belegschaft oder – wie er sagt – auf das »Gold in den Köpfen« abgesehen. Das setzt Mitdenken im Arbeitsprozess voraus. Organisiert und kanalisiert wird die Ausbeute des Einfallsreichtums der Beschäftigten durch das so genannte Vorschlagswesen. Allerdings brauchen Erfindergeister auch Freiräume, die naturgemäß jeder festen Organisation zuwiderlaufen. Und auf diesen Gegensatz stößt das Porsche-Management daher bald. Es ist ein durch-
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aus gut gemeintes Ziel, brachliegende Ideen aus der Praxis am Arbeitsplatz zu fördern und zu prämieren. In diesem Sinne puscht Loos das Vorschlagswesen bei Porsche über Nacht extrem. Bis dahin rangierte der kleine Fahrzeugbauer im Vergleich der Autoindustrie stets weit hinten. Der Fertigungsexperte jedoch braucht nur zwei Jahre, um die Sportwagenfirma an die Spitze der Branche zu bringen. Diesen Sprung thematisiert Wiedeking medienwirksam als große Leistung und wird prompt mit positiven Schlagzeilen belohnt. Die Wende beim Ideenmanagement schafft Loos indes mit Zuckerbrot und Peitsche. Einerseits verlangt er von den Vorgesetzten, dass ihre Untergebenen kreativ kräftig mitziehen, andererseits lobt er für Verbesserungsvorschläge mit attraktiven Prämien aus. Schon 50 Mark gibt es für einen einfachen, 100 Mark für einen besseren und noch mehr für einen ganz tollen Vorschlag. Zusätzlich können die Ideenspender Punkte wie Rabattmarken sammeln. Wer am Jahresende die meisten Punkte auf dem Konto hat, kassiert den Hauptgewinn, mal eine Weltreise, mal eine Harley Davidson. Zudem findet eine Jahresauslosung statt. Und die besten Vorschläge werden im Betriebsfernsehen »Carrera-TV« vorgestellt. Loos trommelt als Promotor eines prosperierenden Ideenwettbewerbs persönlich dafür, Vorschläge zur Verbesserung von Produktion und Produkt einzureichen: »Damit könnt ihr euer Gehalt verbessern«, verspricht er den Leuten im Werk. Bei so viel Verlockungen will kaum noch jemand abseits stehen, und bei manch hellem Kopf klingelt es Sturm: »Da muss doch was zu holen sein!?« In einigen Ohren klingt das Versprechen von Loos gar wie eine Lizenz zum Gelddrucken. Und nun rollt eine wahre Lawine von Sparideen auf die Verwaltung zu. Die Sachbearbeiter fürs betriebliche Vorschlagswesen kommen mit dem Auswerten der eingereichten Vorschläge bald kaum mehr nach, die Prämien sprudeln munter. Als Vorinstanz sollen bis zu drei Meister eine Idee gutheißen, doch diese sind rasch mit ihrer Aufgabe weit überfordert. Für Loos bildet, wie bereits betont, der Werksmeister den Dreh- und Angelpunkt seiner Führungsstrategie in der Fertigung.Diese Vorgesetzten der untersten Ebene sind die Einzigen, die ständig einen direkten Draht zu den Arbeitern haben. Sie kennen die Leute, sie wissen, was richtig und falsch ist. Als Druckmittel schreibt Loos den Meistern vor, wie viel Vorschläge im Monat aus ihren Abteilungen jeweils zu vermelden sind. Durch diese Vorgaben geraten die Meister automatisch untereinander in Konkurrenz. Jeder will – oder muss – nun der Bessere sein, Monat für Monat. Das bedeutet Stress pur, für alle. Denn die Vorgesetzten geben den Druck von oben umgehend an ihre Abteilung weiter, was Sinn der Sache ist. Wer bei der Auszählung der Vorschläge zum Schluss auf den hinteren Plätzen landet, nimmt sich seine
Gruppe gründlich vor. Ein Beteiligter erzählt: »Einige Meister haben in Panik ihre Leute zusammengetrommelt und ihnen vorgeworfen, dass sie Flaschen seien. Warum kommt von euch nichts! Das muss im nächsten Monat besser werden.« Jeder Meister, der ins Hintertreffen gerät, besitzt ein vehementes Interesse daran, beim nächsten Mal so viel Ideen wie möglich an die Verwaltung zu melden und wieder zu glänzen. Dieser Wettlauf um die eigene Existenz überfordert am Ende alle. Er führt bei Meistern wie Arbeitern schließlich zu einer ungewollten Art von Ideenreichtum: Sie beginnen zu mogeln. Eigentlich sollten ja immer drei Meister die Vorschläge kritisch auf ihre Inhalte prüfen, doch im Zweifel zählt für alle nur die Statistik und das gute Abschneiden der eigenen Abteilung. Also sehen sich brave Porscheaner genötigt, mehr noch, provoziert, sich die Verbesserungsvorschläge einfach aus der Nase zu ziehen, wenn die großen Würfe fehlen.Nun läuft das Ideenmanagement aus dem Ruder.In der Verwaltung kommen die blödsinnigsten, abstrusesten Vorschläge an: Blumenstock, der stört, verschieben, 50 Mark. Blumenstock wieder zurückstellen, 50 Mark … Dieselbe Idee wird für das Hin und Her einer Tafel, für ein Bild … entwickelt. Macht im Doppelpack mindestens 100 Mark zusätzlich zum Gehalt. Auch für ein Schild an einer Tür, das von rechts nach links gehängt werden soll, sodass es nicht mehr sichtbar war, und dann wieder zurück sichtbar an den alten Platz, kassiert der Ideengeber zweimal Prämie. Ähnlich lohnende Einfälle haben die Arbeiter mit Feuerlöschern, Regalen oder irgendwelchen Apparaten, die sowieso nur im Weg stehen. Der Bonus ist meist sicher.
Das Ideenmanagement gerät außer Kontrolle Auf diese Weise wird das Vorschlagswesen bei Porsche tatsächlich zu einer Lizenz zum Gelddrucken pervertiert. Es geht so weit, dass sich manche Leute die Prämienzettel kurzerhand selbst ausstellen und die gestressten Meister blind unterschreiben lassen. In manchen Fällen leisten Meister sogar Hilfe beim Betrug. Sie werden, sofern die Sache entdeckt wird, fristlos entlassen. Damit gerät das als Motivationsinstrument gedachte Vorschlagswesen endgültig aus den Fugen: »Da wird betrogen und getrickst, was das Zeug hält«, wird hinter vorgehaltener Hand gemunkelt. In ihrer Not stellen Meister die Zettel teilweise allein aus. Sie haben schon entsprechende, unterschriebene Formulare vorbereitet in der Schublade. Die wenigen Sachbearbeiter im Personalwesen sind mit der Kontrolle der Zettel bei der Dynamik der Ereignisse ohnehin überfordert. Denn inzwischen wurden einige der vorgesetzten Stellen im Mittelmanagement gestrichen, welche die Vorschlagszettel auf den Inhalt hin hät-
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ten kontrollieren können. Und irgendwann stellen Loos und dann Wiedeking an den Ausgaben für Prämien einen olympiareifen Rekord von Verbesserungsvorschlägen fest, der mächtig ins Geld geht. Kritisch nimmt der PorscheComic, Wiedekings Geburtstagsgeschenk zum 50., das Kapitel »Verbesserungsvorschläge« von 1992 bis 1995, das sein Hoch unter Loos erlebte, aus der zeitlichen Distanz auf die Schippe: »Na ja, da sind natürlich auch viele Ga-GaVorschläge dabei gewesen, aber immerhin wurde jede Menge mehr als früher gemacht, also haben sich die Leute offenbar wieder mehr engagiert.« Und in einer Sprechblase wird ausdrücklich daran erinnert: »Porsche war im Vergleich zur übrigen Branche absolute Spitze.« Im Hintergrund sind Balkendiagramme mehrerer Autofirmen zur Bilanz der Ideen abgebildet, wo Porsche alle überholt – wieder ein kecker Kick gegen die Konkurrenz. Der Selbstbedienungsladen »Vorschlagswesen« wird allmählich zum Bumerang. Die Fehlkonstruktion liegt vor allem im Druck auf die vorgesetzten Meister, die an der Zahl der Vorschläge ihrer Untergebenen gemessen werden. Inzwischen ist die Situation längst wieder normal, der Dampf abgelassen. Damals indes war die gesamte Produktion wie vor den Kopf gestoßen. »Das Management hätte generell in der Produktion differenzierter vorgehen müssen und nicht alles über einen Kamm scheren dürfen«, resümiert ein Fertigungsfachmann. Doch das wäre schwieriger, personalaufwändiger und zeitraubender geworden. Die Porsche-Führung mit Loos wollte damals schnelle Wirkungen erzielen. Allerdings wurmt Wiedeking die enorme Geldverschwendung dann doch. Als er das wahre Ausmaß erfasst, reagiert er »stocksauer über das Fass ohne Boden«. Scharf kritisiert er die Zustände und die Inflation von Vorschlagszetteln. Und – wieder typisch Wiedeking – er greift selbst zum Rechner und vergleicht die Rekordprämien, die in den zurückliegenden Monaten ausgezahlt wurden mit den tatsächlich erzielten Einsparungen durch Rationalisierungen und Verbesserungen. Und siehe da: Die Zusatzgelder schlagen weit höher zu Buche als die in der Produktion erzielten Spar- und Qualitätseffekte. An einigen Stellen wird der Betrieb durch das auf Masse getrimmte Vorschlagswesen nicht besser, billiger und rationeller geführt, sondern umgekehrt. Den Rest der Beweisführung erledigt die hausinterne Revision. Sie zeigt, dass die Rechnung von Loos mit dem Ideen-Boom der Fabrikler nicht aufgegangen ist. »Tausende von Verbesserungsvorschlägen bringen nicht die qualitative Verbesserung«, sieht der Porsche-Vorstand jetzt ein. Eine bittere Erkenntnis, die besonders dem Vater des verordneten Vorschlagswesens schadet: Uwe Loos. Zum ultimativen Sündenbock indes eignet sich der ausgewiesene Fertigungsfachmann nicht. Immerhin entspricht seine forsche Gangart auch Wie-
dekingscher Politik, Porsche in erster Linie in Aufbruchstimmung zu versetzen. Und ganz so schief konnte Loos mit seinen Vorstellungen nicht gelegen haben, denn seine Arbeit wurde mehrfach ausgezeichnet. So erhält er 1996 den »Denker-Preis«, der die betriebswirtschaftliche Leistung des PorscheManagers honoriert. Und im selben Jahr werden Loos und die Firma mit der Auszeichnung »Fabrik des Jahres« geehrt. Das schützt den Produktionsmann vor Anfeindungen – zumindest eine Zeit lang. Denn sein Job und der ständige Rationalisierungsdruck sind wie gesagt nicht beliebt. Dabei zählt Loos nicht zu jenen Produktionschefs, die im Elfenbeinturm verharren und anhand theoretischer Zahlen und Vorgaben entscheiden, sondern er taucht regelmäßig an der Basis auf. Er hat wie Wiedeking keine Berührungsangst, in die Produktion zu gehen und dort nach dem Rechten zu sehen. Dann zieht er seinen grauen Arbeitskittel an und läuft durch die Fabrik. Hier kennt er sich aus. Loos wird als »zugänglich für Ratschläge« beschrieben, als einer der wenigen Manager, der den Werkern zuhört und den Dingen nachgeht. Die Leute können jederzeit zu ihm kommen, ihm ihre Probleme schildern – etwa, wenn ein Werkzeug oder eine Anlage defekt ist –, dann kümmert sich der Chef persönlich darum und lässt die Sache beheben. Heute ist diese Nähe nicht mehr so gefragt. Loos-Nachfolger Michael Macht taucht kaum noch in der Fabrik auf. Loos genießt als präsenter Produktionsmann Respekt an der Basis. Doch irgendwann muss der Pfälzer doch noch über das vertrackte Vorschlagswesen und die selbst gestrickten ehrgeizigen Vorgaben gestolpert sein. Anfangs rationalisiert Loos sehr erfolgreich, stößt aber dann an Grenzen. Die hoch gesteckten Rationalisierungsziele, die von Wiedeking erwartet werden, sind von Monat zu Monat schwerer zu erfüllen. Produktivitätsfortschritte von mindestens 10 Prozent im Jahr – gegenwärtig liegen sie zwischen 6 und 8 Prozent –, sind irgendwann nicht mehr erreichbar, und dann steht der oberste Produktioner mit dem Rücken zur Wand. Auf der Suche nach Schuldigen akzeptiert Loos indes Schuldzuweisungen an ihn nicht: »Die Ziele sind einfach nicht mehr zu erfüllen«. Und es beginnen Querelen mit Wiedeking, die das gute Verhältnis der beiden Manager zueinander trüben. Wieder wittert der Porsche-Chef einen »Bedenkenträger«. Auch Loos seinerseits sieht Gründe für Bedenken. Seine Leistungen werden ihm viel zu wenig gewürdigt – vor allem in der Öffentlichkeit. Während der erste Mann als Sanierer durch zahlreiche Auftritte in der Presse glänzt, stehen er und die anderen Topmanager im Schatten. Mit dieser Statistenrolle kann sich der preisgekrönte Produktioner Loos nicht anfreunden. Die Zurücksetzung berührt sein Selbstbewusstsein, seine Eitelkeit ist verletzt. Ausgerechnet der Herr der Fabriken darf die eigenen Erfolge nicht öffentlich
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verkaufen. Er erfährt, dass Wiedeking Auftritte seiner Mit-Vorstände bremst. Sein Pressechef Anton Hunger ist angewiesen, »Mr. Porsche« die Vorfahrt in der Öffentlichkeit zu lassen. Doch diese Rolle als Zuschauer genügt Loos nicht, zumal er ja bei Porsche erlebt, wie gut die Mechanismen zwischen Management und Medien nach dem Motto »Tue Gutes und rede darüber« (Wiedeking) fürs eigene Image funktionieren können. Und eigentlich, denkt Loos, sollte gerechterweise auch er »seinen Hunger« haben. Doch schon der Gedanke daran ist verwegen. Die Chemie zwischen Wiedeking und dem Produktionsvorstand beginnt zu leiden. Loos nimmt den Zwist zwar gelassen, sucht sich aber dann einen neuen Job. Im Juni 1998 wechselt er als künftiger Chef zum Kugellagerspezialisten FAG nach Schweinfurt. Seinen Fünf-JahresVertrag bei Porsche erfüllt er nur knapp.
Die Japan-Welle läuft aus – der Darwinismus bleibt Der Weggang von Uwe Loos fällt in die Zeit, als die Japan-Phase bei Porsche ausläuft. Es werden zwar noch »Japan-Workshops« – meist außer Haus – abgehalten, aber dabei werden aktuelle Themen bearbeitet. Die Söhne Nippons sind als Coaches und Berater nur noch selten zugegen. Doch deren Ideen und Rezepte sind als wesentliche Bestandteile im Porsche-Alltag akzeptiert worden.Grundlegende fernöstliche Fertigungsweisheiten prägen den Alltag bis in die Gegenwart. Ein ehemaliger Porsche-Berater, der selbst für Japaner arbeitete, erklärt das Grundprinzip der Asiaten: »Sie sind klar strukturiert, und sie machen, was sie machen, alles sehr einfach und gut. Und das reicht.« Die Japaner würden den Weg, den sie zu gehen haben, erst einmal zu Ende gehen. Das heißt, sie verkomplizieren die Dinge nicht schon, bevor sie die Grundlagen im Griff haben. Toyota hat 80- statt 100-prozentige technische Lösungen – und das funktioniert. Da braucht man keine Wissenschaft drum herum zu machen. Die Japaner packen zum Beispiel einfach weniger Varianten in ihre Angebote hinein. Sie bieten statt 20 Farben pro Auto nur acht oder kommen mit weniger Elektronik aus. Sie wissen, dass sich mehr Farben oder Sonderausstattungen auf allen Ebenen auswirken: Entwicklung, Produktion, Karosse, Kunststoffe und so weiter. »Das sind Kosten, die überall durchschlagen. Bei acht Farben kann ein Porsche zum Beispiel 95 000 Euro kosten, bei 20 bis 30 – mit Sonderfarben – 110 000 Euro. Was ist für die Kunden gerechter? Wer ist mein Kernkunde? Scheich oder aufsteigender Mittelständler? Daraus erwächst zwangsläufig die Entscheidung, nicht die letzte Variante ins Auto zu bringen, um den Preis noch hinzubekommen«, verdeutlicht der JapanExperte. Diesen klaren kaufmännischen Zusammenhang habe Wiedeking
»kapiert: Ein Maximum an Kundenzufriedenheit bei möglichst geringen Kosten zu erreichen.« Alle Porsche-Abteilungen – Produktion, Entwicklung, Marketing/Werbung und so weiter sind heute strikt auf dieses Ziel eingeschworen worden: antizyklisch arbeiten, optimal werben und Marketing betreiben und auf geringe Lagerhaltung achten. Wiedekings ständige Predigt lautet: »An dem Auto müssen wir erst mal Geld verdienen.« So gesehen, schwimmt Porsche beim Sparen weiter auf der Japan-Welle. Auf der Basis der Erfahrungen und spezifischen Erkenntnisse durch die Hilfe aus Asien gründet Wiedeking 1994, wie erwähnt, eine eigene Unternehmensberatung für Mittelständler, die Porsche Consulting GmbH. Der Ableger, damals mit dem typischen Porsche-Motto »Einfach. Schnell.« und dem Symbol einer geöffneten Wallnuss – wächst, gedeiht und wirft Gewinne ab. Das ist die Methode Wiedeking: Aus der Not eine Tugend für ertragreiche Geschäfte machen, nichts geschieht ohne Nutzwert, das entspricht dem pragmatischen Handeln des Maschinenbauers. Und in der Weltsicht der Ingenieure sind Wiedeking, Loos & Co. verwandte Seelen: Ein Betrieb samt lebendem Inventar darin ist für sie nichts anderes als eine große Maschine. An dieser sind Stellschrauben, Hebel, Knöpfe und Überdruckventile zum Dampfablassen oder -hineinpumpen angebracht, an denen die Obertechniker nach Belieben drehen, schalten, drücken, ziehen, heben und senken dürfen – so funktioniert alles nach Plan. Stellenabbau – und sei er noch so brutal – ist für sie ein notwendiges Übel zur Behebung von Pannen. Die so genannten Kostenmanager und Sanierer sind die Vollstrecker in einem gnadenlosen Wirtschafts-Darwinismus. Sie entlassen viele Menschen, um wenige Arbeitsplätze wie in einer chirurgischen Operation retten zu können. In diesem Sinne äußert sich Wiedeking häufig. So erklärt er etwa der Aachener Zeitung (12. 4. 1997) über die sozialen Folgen seiner harten Sanierungsarbeit: »Das ist wie beim Arzt, der irgendwann sagt: Tut mir leid, aber wenn ich dein Leben retten will, muss ich das Bein amputieren.« So simpel ist das. Vorwürfe in der Presse, zumindest in der Anfangsphase ein »brutaler Kostenkiller«, »Rambo« oder »gewissenloser Vollstrecker« gewesen zu sein, kontert der Porsche-Chef: »Ist das wirklich so brutal, wenn sie den Menschen sagen, wir wollen uns nicht von 3 000 Mitarbeitern trennen, sondern 6 000 Arbeitsplätze erhalten? Für mich ist das einfach die Wahrheit. Und die Mitarbeiter haben gemerkt, Kosten sparen ist nicht plötzlich das Hobby vom Boss, es geht ums Überleben des Konzerns. Es war ja nichts in Ordnung. Kein einziger Bereich …« Der oben zitierte Unternehmensberater pflichtet Wiedeking bei. Er betrachtet die Sanierungsaufgabe auch als eine Imagefrage: »Es ist einfach falsch, immer von 1 000 Entlassungen zu reden, wenn gleichzeitig 8 000 Stellen gerettet wer-
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den.« Und der Porsche-Chef habe ein »unheimliches Standing«, um solche Positionen richtig nach außen zu vertreten. Wiedeking gelingt nach zähen Verhandlungen mit dem Betriebsrat während der großen Japan- und Entlassungswelle von 1992 bis 1994 eine sanfte Sanierung. Fast niemand wird ersatzlos auf die Straße geworfen. Das hat dem Betriebsfrieden gut getan.
»Ratio«: Stress am laufenden Band Bei Porsche bekommt der Dauerstress einen kurzen Namen: »Ratio«. Die fünf Buchstaben stehen für ständige »Rationalisierung«. Sie beschreiben alle Arten von Anstrengungen, um die Organisation des Unternehmens zu straffen, die Fertigungszeiten zu verkürzen und die Qualität der Arbeit anzuheben. Diese Vorgaben entsprechen dem Konzept, das Wiedeking in seiner Amtszeit eingesetzt und durchgeführt hat. Ratio als Dauerveranstaltung ist für die Betroffenen ein gefürchtetes Schwert. Einmal, weil sie es als eine ständige Bedrohung für die Sicherheit ihres Arbeitsplatzes ansehen müssen, und zweitens, weil Ratio vielfach Stress bedeutet. Die »Arbeitsverdichtung« nimmt ständig zu, weil ein Mitarbeiter immer mehr Aufgaben in kürzerer Zeit bewältigen muss. Ein Blick zurück verdeutlicht die Dimension: Die 8 331 Porsche-Beschäftigten, die 1991/92 auf den Lohn- und Gehaltslisten standen, erwirtschafteten nur etwa ein Drittel des Umsatzes, den 10 143 Mitarbeiter im Geschäftsjahr 2001/02 erzielten. Das bedeutet, dass der durchschnittliche Umsatz eines Beschäftigten in diesen zehn Jahren von 164 000 Euro auf 483 000 Euro oder fast auf das Dreifache gestiegen ist. Das sind ungeheure Produktivitätsfortschritte unter Wiedeking. Diese kommen auch in schnelleren Fertigungszeiten durch die immer schnelleren Rhythmen zum Ausdruck. »Von September 1991 bis Juli 1994 verringerten sich die Fertigungsstunden pro Fahrzeug um 34 Prozent«, bilanziert der Manager bereits im Geschäftsbericht 1993/94. In dieser Darstellung kündigt Wiedeking neben einem Foto aus der Motorenmontage, überschrieben: »Ein Leben für das Auto«, »weitere Maßnahmen zur Verringerung der Fertigungszeiten« an, »ohne dabei das Ziel der weiteren Qualitätsverbesserung aus den Augen zu verlieren … der Prozess ›lean‹ zu werden, schreitet weiter fort.« Mit seiner Prognose behält Wiedeking Recht. Die Zahlen in den Produktionsstatistiken und Bilanzen belegen es. 1997 benötigt ein Porsche 911, der ausschließlich in Zuffenhausen hergestellt wird, nur noch 60 Prozent der ursprünglichen Fertigungszeit. »Und Porsche«, bekräftigt der Boss überall, »verfolgt konsequent die ›Null-Fehler-Strategie‹«.
Bei Porsche sind besondere Könner am Werk, ein Arbeiter muss also hoch qualifiziert sein. Diesen Anspruch unterstreicht Wiedeking seit jeher immer wieder. Dem FAZ-Magazin (Nr. 695; 25. Juni 1993) schildert er die Gründe: »Solche Autos zu bauen, muss man jahrelang lernen. Der Arbeitsplatz eines Mitarbeiters bei einem Großserienhersteller hat einen Arbeitsinhalt von etwa einer Minute …« Werde der Job indes durch mehrere Tätigkeiten zusätzlich angereichert, etwa durch zwei, drei oder bis zu fünf Arbeitsplätze, dann wachse das Arbeitspensum auf etwa fünf Minuten an. »Bei uns muss ein Mitarbeiter, der an dem Band mit der kürzesten Taktzeit steht, mindestens einen Arbeitsinhalt von 14 Minuten beherrschen …«, fordert Wiedeking und erwartet von dem Beschäftigten, »… dass er mehr als einen Arbeitsplatz beherrscht. Sein Arbeitsinhalt sollte zwischen 28 und 42 Minuten liegen. Hinzu kommt, dass das Produkt, das er zusammenbaut, eine gleichbleibend hochwertige Qualität haben muss. Diese Minutenzahlen gelten nur für das Modell mit der größten Stückzahl. Für Autos, die in kleinerer Stückzahl hergestellt werden, muss jeder Mitarbeiter mindestens eineinhalb Stunden Arbeitsinhalt beherrschen.« So qualifizierte Facharbeiter wie bei Porsche sind »nicht so leicht in der Welt zu finden, wie sich das manche Leute vorstellen«, lobt Wiedeking die Beschäftigten und beschleunigt gerade wegen ihres Könnens von Anfang an seine High-Speed-Ratio-Tour: »Wir werden bei den neuen Autos, die 1996 auf den Markt kommen [zunächst der Boxster, dann der neue 911er; der Autor] die Fertigungszeit mehr als halbiert haben«, sagt er damals, als die Auftragsbücher wieder voller werden. Hinter dieser flotten Gangart und den nackten Fakten stecken für den Einzelnen Belastungen, die ein langjähriger Porsche-Angestellter so beschreibt: »Wir bezahlen alle den Preis für das rasche Wachstum durch Krankheit, durch unser verkümmerndes Privatleben, durch Isolation und wachsende Aggression.« Dieses Urteil ist typisch für die High-Speed-Firma. Das schnelle Wachstum – Wiedekings Erfolg – geht auf die Knochen. »Es gibt zu wenig Arbeitskräfte für das hohe Aufgabenspektrum«, lautet eine gängige Ansicht. Der Angestellte resümiert: »Wir sind zu klein, um groß zu sein, und zu groß, um klein zu sein.« Und er sagt voraus: »Irgendwann ist Schluss mit Ratio. Das Tempo und die Arbeitsbelastung sind über all die Jahre zu hoch.«
Akkord an der Oberkante Seit seinem Amtsantritt im Jahr 1992, und bereits ein Jahr zuvor als Produktionschef, setzt Wiedeking die Fertigung und Organisation einer ständigen Optimierung aus. Das bedeutet vor allem in der Fabrik: Bei Porsche ist jeden
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Tag Olympiade. Der andauernde Verbesserungsprozess gleicht einer pausenlosen Hochleistungsveranstaltung, ebenso das Diktat für die so genannte Null-Fehler-Produktion. Diese Vorgabe ist nach menschlichem Ermessen bei den komplizierten Vorgängen einer Autoproduktion nie realisierbar. Die Hochleistung von heute ist der Normalfall von morgen. Dann ist als nächster Kick von der Belegschaft eine noch bessere Superleistung gefragt. Doch die Gladiatoren in diesem Wettkampf, die normalen Mitarbeiter können sich kaum dagegen wehren. Denn die Manager sind Trainer und Richter zugleich, sie legen die Daumenschrauben an, bestimmen Härte, Tempo und Energieaufwand. Sie belohnen die Sieger im täglichen Kampf oder Mobbing – mit Geld und Karriere – und bestrafen die Verlierer durch weniger Lohn. So wird Ratio immer weiter getrieben. In der Bilanz Wiedekings klingt das so: »Wir haben Sonderschichten in Zuffenhausen gefahren und jeden Tag eine Arbeitsstunde drangehängt. Dennoch haben wir den höchsten Auftragsbestand in der Geschichte des Unternehmens …« Porsche-Mitarbeiter müssen ein Arbeitsleben lang topfit sein – ein unmenschliches Verlangen. Längeres Verschnaufen, Durchhängen oder gar langes Kranksein ist in dieser Arena der Hochleistungen kaum noch vorgesehen. Warum auch? War doch der Porsche-Chef selbst, wie er betont, in seinem Leben bisher nie ernsthaft krank. Andererseits kennen Arbeiter, die über 40 Jahre alt sind nur ein Ziel: weg vom Band! Für Porsche wirft dieser ständige Verbesserungsprozess hohe Profite ab. Die Aktionäre – große wie kleine – sind begeistert und danken es dem Manager seit Jahren mit viel Applaus. Es freut sie, dass die Produktivität ständig zunimmt. Für die Mitarbeiter ist das eher traurig. »Porsche ist mit der Ära Wiedeking immer härter und fordernder geworden. Das gilt für die Angestellten ebenso wie für den Werker am Band, der heute einer viel höheren psychischen Belastung ausgesetzt ist«, beschreibt ein langjähriger PorscheAngehöriger die Folgen. Das komme daher, dass der Chefmaschinist persönlich die »Stellschrauben« anzieht, wie er es bildhaft nennt, und »die Ventile schließt, um den Druck zu erhöhen.« Mindestens 150 Porsche müssen heute täglich vom Band rollen, um das Jahrespensum von 33 000 Einheiten zu schaffen. Vor einem Jahrzehnt verließen nur etwas mehr als 100 Fahrzeuge am Tag das Werk in Zuffenhausen. Andererseits wuchs seitdem die Zahl der Fabrikarbeiter kaum. »Akkord an der Oberkante«, bringt ein Stuttgarter IG-Metaller Wiedekings Ratio-Prinzip bündig auf den Punkt. »Der Betrieb steht ständig unter Hochdruck.« Die Arbeitsdichte sei gewaltig. Mit jedem Absatzrekord und mit jedem neuen Modell liegt die Messlatte höher. Der Gewerkschafter: »Porsche operiert ständig an der Kapazitätsgrenze, und umgekehrt werden die
Taktzeiten verkürzt.« Auch in der Verwaltung gibt es kein Ausruhen. »Rasten gibt es bei uns nicht, wir sind ständig in Bewegung«, so eine Beschäftigte. In seinem Bericht auf der Hauptversammlung am 24. Januar 2003 bezeichnet Wiedeking »6 Prozent Produktivitätsfortschritt jedes Jahr« als normal. Doch diese Forderung hat es in einer so gründlich durchrationalisierten Organisation wie Porsche in sich. Es ist ein sehr ehrgeiziges Tempo, das aber dem eingefleischten Produktioner noch nicht reicht. Daher setzt er, außerhalb des Vortragsmanuskripts, eins drauf: »… aber wir erwarten 8 Prozent, wenn wir ehrlich sind.« Er möchte wieder einen neuen Rekord einfahren und sagt es deutlich: »Wir dürfen uns also nicht zurücklehnen. Im Gegenteil: Wir müssen unsere bereits großen Anstrengungen noch steigern (– Redepause –), so schwer verständlich dies auch für viele im Unternehmen, bei der Handelsorganisation oder unseren anderen Partnern klingen mag.« Die Aktionäre in ihren weichen Sitzen in Stuttgarts festlicher Liederhalle hören die Sätze gern – für die Betroffenen indes klingen die Worte wie Peitschenhiebe. Die Olympiade geht weiter, jetzt nur nicht schlappmachen! Denn für Wiedeking ist das Umkrempeln des Betriebs ein Dauerzustand und sein Beruf. »RumBubeln [spielen, Blödsinn machen; der Autor] geht da nicht«, wissen die Schwaben unter dem strengen Kommando des Westfalen. Denn ihren Chef treibe dauernd die Frage um: »Was kann man aus dieser Fabrik noch rauspressen?« Als Ausgleich und Anreiz für den Stress verteilt Wiedeking Zusatzprämien, wie die besonders hohe Dreingabe »für das tolle Geschäftsergebnis« im Jahr 2001/02: 2 700 Euro. Überall in den produktiven Bereichen der Sportwagenfabrik ist ein schleichender Abbau des Personals zu beobachten. Leistung zählt, nicht die Kopfzahl. Produziert wird unter strikten Zeitvorgaben, berechnet von Computern, kontrolliert über Monitore. Und wie fast in allen Betrieben, werden auch bei Porsche die Alten mit Hochdruck gegen die Jungen ausgetauscht. Das geeignete Instrument dafür ist die Möglichkeit der Altersteilzeit. Während bundesdeutsche Politiker von längerer Lebensarbeitszeit träumen, schaffen die Unternehmen, so auch Porsche, gegenteilige Fakten. Ab 55 können Arbeiter wie Angestellte in den Ruhestand gleiten. Die Abmachung gilt bis Juli 2005. Zweieinhalb Jahre lang bekommen sie für etwas weniger Arbeit ein geringfügig niedrigeres Bruttogehalt, und dann kippt die Relation um. Mit 57 und einem halben Jahr sind die Vorruheständler auf Raten dann endgültige Rentner. Weg aus dem Betrieb, weg von Porsche. Die Zuffenhäuser haben diese Art von Entsorgungssystem nicht erfunden. Doch machen die Beschäftigten bei Porsche von diesem Angebot, das der nüchterne Rechner Wiedeking den goldenen Handschlag nennt, lebhaft Gebrauch (bisher weit mehr als
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500-mal). Ein Ehemaliger: »Viele haben einfach genug. Sie sagen sich, jetzt will ich noch ein paar Jahre leben und die Welt genießen. Und die meisten Porscheaner bereuen diese Entscheidung nicht.« Anfangs fällt der Schritt ins Aus noch schwer, obwohl viele durch den Arbeitsalltag verbraucht sind. Für Porsche zu arbeiten, das bedeutet selbst für den einfachsten Gehilfen eine Auszeichnung. Das Produkt, die Technik, der Glamour, der Name …, das schmeichelt dem Selbstbewusstsein. Doch diese emotionale Bindung verflüchtigt sich bald. »Schon nach kurzer Zeit wollen selbst eingefleischte Porscheaner von ihrem langjährigen Arbeitgeber kaum mehr etwas wissen«, weiß der Frühruheständler. Es gibt tatsächlich ein Leben nach Porsche – zumindest für den gemeinen Mitarbeiter. Betriebspsychologen, nicht bei Porsche fest angestellt, urteilen wenig schmeichelhaft über das »System Dauerstress« unter Wiedeking. Die überwiegend auf Prämienanreize ausgerichtete Firmenkultur zerstöre jede innere Bindung an das Unternehmen. Sie werde ersetzt durch ein äußeres und oberflächliches Verhältnis zum Geld. Die Motivation, der Stolz auf die eigene Arbeit, gehe mit der Zeit völlig verloren. »Ohne extra Cash läuft bei Porsche doch nicht mehr viel, weil sich die Leute an die Zulagen gewöhnt haben«, analysiert ein Psychologe, der sich seine eigenen Gedanken über die internen Zustände unter der Belegschaft und über die Folgen durch die vielen Anreizsysteme macht. Sein Urteil fällt hart aus: »Unter der Ägide Wiedeking ist das Unternehmen zum Drogensystem geworden. Jedes Tun oder Lassen wird mit einer Prämie abgegolten.« Ein Verlust an Prämie werde von den Betroffenen wie der Entzug der Drogen bei Abhängigen als Bestrafung gewertet. Also erwarten die Menschen immer mehr Geld. Das Vorschlagswesen, das Mitte der neunziger Jahre seine Blüten bei Porsche trieb, sei das härteste Beispiel dafür. »Es fand schon eine innerbetriebliche Denunziation statt«, schimpft der Experte. Vorgesetze oder zuständige Mitarbeiter seien damals offen vorgeführt worden, weil ihre Untergebenen für Vorschläge zu Missständen prämiert worden seien, die eigentlich der verantwortliche Meister längst hätte sehen und beheben müssen. Daher tauge dieses aus Fernost reimportierte Führungssystem nichts in einer aufgeklärten Gesellschaft. Der Betriebspsychologe geht davon aus, dass die Kosten für die dauernden Dreingaben auch für Porsche auf Dauer zu hoch sein werden. »Das kann sich nur ein so gut gehendes Unternehmen wie Porsche erlauben.« Was also passiert, wenn der Erfolg und damit die Prämienzahlungen ausbleiben? Mit zunehmender Krisenstimmung in der Wirtschaft kann diese Frage auch bei Porsche bald akut werden.
Kurze Schritte, schneller Takt In Sachen Ratio kann sich Wiedeking sehen lassen: Von Rationalisierung und Kostenmanagement versteht der promovierte Maschinenbauer und Nebenerwerbs-Unternehmer etwas. Und er weiß alle Instrumente zu nutzen. So auch eine Beschleunigung im Produktionsprozess, indem das Arbeitspensum in immer kleinere, sich rasch wiederholende Tätigkeiten zerlegt wird. In Anlehnung an die Sprache der Musik wird der Rhythmus der Fertigungsschritte in der Fabrik als »Taktzeit« bezeichnet. Je kürzer die Schritte, umso schneller der Takt und damit die Autoproduktion. In dieser hochautomatisierten Maschinerie führt der Mensch immer weniger Handgriffe aus,die ihm dann wie Tanzschritte eines Roboters vorgegeben sind. Allerdings fallen beim Bau eines aufwändigen Porsche 911 erheblich mehr Handgriffe an, als etwa für einen VW-Polo oder Opel-Astra nötig sind (die Produkte sind nur bedingt vergleichbar). Doch das Ziel, die Fertigung drastisch zu beschleunigen, ist in allen Fabriken gleich. So halbierte die deutsche Autoindustrie die Taktzeiten seit Anfang der neunziger Jahre im Durchschnitt auf anderthalb bis maximal zwei Minuten. Bei Porsche sind die Taktzeiten aus dem genannten Grund im Vergleich zu den Massenherstellern deutlich länger. Hier betragen sie heute fünf bis fünfeinhalb Minuten im Durchschnitt. Doch sie sind im Vergleich zu Anfang der neunziger Jahre fast auf ein Drittel geschrumpft. »Wir hatten mit 12 bis 14 Minuten die längsten Taktzeiten der Autoindustrie«, blickt Wiedeking kritisch zurück. Der Boxster wurde anfangs mit sechs bis acht Minuten hochgefahren. Und Wiedeking sowie sein Produktionsverantwortlicher Michael Macht geben weiter Gas, auch wenn es bei immer kleineren Schritten nur noch um Sekunden geht. Die großen Sprünge sind vorbei. Nun werden die Taktzeiten zum Beispiel von 5 Minuten und 10 Sekunden auf 5 Minuten verkürzt. Dieses ständig zunehmende Tempo erhöht den Druck auf die betroffenen Arbeiter erheblich. Die Folge: Das Durchschnittsalter bei den Neuzugängen in der Fließbandfertigung liegt bei nur noch 25 bis 28 Jahren. Im Büro und in der Technik beträgt das Einstiegsalter etwa 30 Jahre. Ältere Bewerber, etwa Sachbearbeiter, Techniker oder Ingenieure, die älter als 40 Jahre sind, bekommen selten eine Chance.
Das Rad der Humanisierung wird zurückgedreht Stress am laufenden Band ist zum Alltag in der Industriegesellschaft geworden. Die Standardisierung der Arbeitsleistung mit immer rascheren, kürzeren Handgriffen liegt schon jetzt an der Grenze des Zumutbaren, weil die Arbeit
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körperlich extrem belastend ist. Damit werden die Rationalisierungsgewinne teuer erkauft. Das Erstaunliche an der zweiten so genannten industriellen Revolution der Neuzeit ist: Sie setzt dort an, wo die vorige etwa in den achtziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts zu scheitern drohte, nämlich beim uralten, monotonen Taylorismus des Henry Ford in den zwanziger Jahren. Bei Opel wie bei DaimlerChrysler, bei VW, Audi oder BMW ist durchweg eine »Re-Taylorisierung« in den Fabriken im Gang – und auch in Zuffenhausen. Firmen wie Daimler oder GM, die zumindest einige Jahre erfolgversprechend mit Gruppenarbeit experimentierten, drehen das Rad des sozialen Fortschritts – mehr Pausen, Mitsprache am Arbeitsplatz – wieder zugunsten einer harten, bis zur Erschöpfung monotonen Fließbandarbeit zurück. Selbst der Pionier in Sachen Humanisierung der Arbeitswelt mit ausgedehnter Gruppenarbeit, Volvo in Schweden, musste seine Produktionsmethode Anfang der neunziger Jahre unter dem Druck globaler Konkurrenzverhältnisse und der Hardliner aufgeben. Deren Arbeit wurde durch »getaktete«, monotone Produktionsabläufe uneinholbar kostengünstiger. Selbst die inzwischen üblich gewordene flexible Arbeitszeit ist strikt getaktet. Sie orientiert sich am Rhythmus der Produktion – und diese wiederum an der Anzahl der verkauften Autos. Auch die Gewerkschaften finden daran Gefallen: So können sie das starr vorgegebene Arbeitspensum am besten abschätzen. Klassische Gruppenarbeit auf breiter Ebene kannte und kennt Porsche kaum, weder in der stürmischen Japan-Phase unter Wiedeking noch unter seinen Vorgängern. Unter deren Regie galt noch die Einzelmontage in kleineren Einheiten als zeitgemäß. Porsche-Karossen standen auf Förderschienen oder gar auf einzelnen Hebewagen und wurden darauf bearbeitet oder zusammengeschraubt. Die Karren mussten immer zum nächsten Arbeitsgang geschoben werden. Doch diese fast handwerklich anmutende Methode, mit der Wiedeking und sein Nachfolger Uwe Loos endgültig aufräumten, ist Geschichte. Lediglich in der Motorenmontage existiert bis heute eine Art »Ein-Mann-Gruppe«. Diese ganzheitliche Montage entspricht einer individuellen Lösung, allerdings eingebunden in den Gruppenakkord. Doch dieses reichhaltige Arbeitspensum ist, wie gesagt, die Ausnahme vom Trend zum Taylorismus. Und im künftigen Motorenbau will Wiedeking ohnehin eine wesentlich straffere Akkordarbeit mit kurzen Wiederholungsrhythmen durchsetzen. Er folgt damit dem Beispiel anderer Autobauer. Bei Porsche werden die Autos (seit 1997) wie bei allen Serienherstellern dieser Welt auf so genannten Schubplattenbändern durch die Fabrikhallen geschoben. An diesen Förderanlagen müssen die Arbeiter die exakt vorgegebenen Handgriffe in der vom Produktionsmanagement diktierten Zeit verrichten. Der Unter-
schied zum hergebrachten Fließband ist, grob gesagt: Die Werker stehen nicht an einer Stelle des Bandes, sondern darauf und fahren – kräftig hantierend – eine kurze Zeit mit. Sie schrauben und kleben, löten und drehen Teile für den unfertigen Torso aus Blech, Plastik und Stahl. Es wird in »getakteter Fließbandarbeit gefertigt«, wie Gewerkschafter Hans Baur in technisierter Sprache erläutert. Es existieren also genaue Zeitvorgaben für die Monteure, die heute sämtliche Bauteile auf einem großen Wagen neben dem Band stehen haben. Die Datenermittlung läuft klassisch nach REFA-Methoden über ein EDVSystem. Dieses gibt stur die Arbeitszeiten und -inhalte vor. Auf diese Weise wird der Personalbedarf so knapp wie möglich bemessen. Das geschieht auch dadurch, dass die Pufferstationen zwischen den einzelnen Arbeitsgängen reduziert werden. Andererseits wirken die Lehren der Japaner nach. Traute sich zunächst niemand, den Produktionsfluss bei Fehlern anzuhalten, so passiert das heute eher. Dagegen drängt das Management darauf, dass das Band ständig läuft, um die Rationalisierung voll auszuschöpfen. »Die Leute treten sich in manchen Stationen gegenseitig im Akkord auf die Füße«, berichtet ein Arbeiter. Das macht mehr Stress unter den Werkern, ein kurzes Ausruhen ist kaum mehr möglich. Diesen Turbo führte Wiedeking zuerst im Motorenbau ein. Doch gegen die komplette Abschaffung von Ruhepausen in der Produktion bäumten sich Betriebsrat und Betroffene auf – mit Erfolg. Nach Protestaktionen der Belegschaft sichert der Firmen-Lenker ein gewisses Maß an Erholungspausen zu.
Boss der Bosse statt Gleicher unter Gleichen Während die Veränderungen in den Werken und in Teilen der Organisation im Sinne des Sanierers Wiedeking sofort zügig vorankommen, stößt der ungestüme Manager zu Beginn seiner Amtszeit auf Widerstände im Führungsstab. Er glaubt, dass nicht alle Mitglieder seine harte Tour vorbehaltlos unterstützen wollen. Besonders verdächtigt der junge Boss diejenigen – etwa auch im Vorstand –, die ihn bei der Sanierung bremsen oder gar seine Spitzenposition gefährden könnten. Formal darf er ja nicht wie ein unumschränkter Chef agieren, sondern nur als »Sprecher des Vorstands«, als der Erste unter Gleichen eines Kollegiums also. In dieser Funktion müsste er sich mit den Vorstandskollegen in wichtigen Fragen ständig abstimmen. Indes, Titel und Formalitäten sind eine Sache, die raue Wirklichkeit bei Porsche eine andere. Und angesichts der schweren Sanierungsaufgabe und der gigan-
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tischen Entlassungswelle für mehr als 2 000 Stellen sieht der neue PorscheChef wenig Diskussionsbedarf, was die Zielrichtung angeht. Er weiß von früheren Debatten, dass seine brachiale Gangart nicht jedermanns Sache ist und starke Nerven erfordert. Zumindest kann der Westfale davon ausgehen, dass nicht jedes Vorstandsmitglied seine Hemdsärmeligkeit und Härte teilen wird. Zumal Wiedeking ja in der damaligen Führungsspitze auch jene Manager wähnt, »die ihren Job nicht gemacht haben«. Als ihn der erfahrene Finanzchef Gnauert anfangs väterlich zur Vorsicht mahnt – »Wer sich hier zu weit aus dem Fenster lehnt, riskiert den Kopf« – da lacht Wiedeking nur (Aachener Zeitung, 12. 4. 1997). Bremser braucht der frisch gebackene Porsche-Lenker am wenigsten. Er gibt Gas. Da darf ihm niemand im Weg stehen. Wie locker der Umgang mit Menschen gesehen werden kann, verdeutlicht der PorscheComic (Das Wendelin-Prinzip). Dort heißt es zu den Personalveränderungen auf Führungsebene von damals lapidar: »Nun ja – die einen gingen, die anderen kamen, etliche blieben dabei. In der Produktion, im Vertrieb, in der Entwicklung und Verwaltung. So genannte ›Bedenkenträger‹ mussten sich über kurz oder lang halt nach was anderem umschauen.« Dieser einfache Standpunkt entspricht auch der Weltsicht Wiedekings. In seinen Äußerungen tauchen regelmäßig zwei Typen auf: die Erfolgreichen und die Erfolglosen. Sie unterscheiden sich seiner Ansicht nach »nicht im Erkennen des Problems, wohl aber in der Art und Weise seiner Lösung, auch wenn die Schritte dazu schmerzhaft sind.« Der Westfale zählt sich zweifelsfrei zur ersten Gattung Mensch.
Die Verschlankung der Führungsspitze Zur Vorwärtsstrategie Wiedekings passt eine Forderung des Betriebsrats, den Aderlass in der Belegschaft dann zähneknirschend mitzutragen, wenn auch an der Führungsspitze Opfer gebracht werden. In diesem Sinne fordert der um einen Pakt zur Standortsicherung kämpfende Betriebsrat unter Führung von Franz Steinbeck, dass im Gegenzug auf der obersten Hierarchieebene »verschlankt« wird. Das bedeutet, weniger Mitglieder im Vorstand, die mehr Aufgaben zu erfüllen haben. So übt Wiedeking neben seinem Amt als »Sprecher« des Vorstands noch seine Position als Produktionschef aus und besorgt zeitweise auch den Einkauf. Auch Finanzchef Gnauert übernimmt noch in der Ära Bohn für neun Monate zusätzlich das plötzlich verwaiste Vertriebsressort nach Halbach. Und schon damals steht die Überlegung im Raum, auch den Bereich Personal einem anderen Vorstandsressort (Finanzen oder Vorstandschef) anzugliedern. Nun, im Herbst 1992, tauchen diese Pläne wieder auf,
wodurch der Amtsinhaber, Personalchef Kurt Femppel, automatisch ins Visier der Rationalisierer gerät. Wie in deutschen Unternehmen üblich, bekleidet er zusätzlich die Funktion eines Arbeitsdirektors. Der Diplomvolkswirt kommt zum 1. Januar 1987, Ära Schutz, vom Bosch-Konzern zu der Familienfirma in Zuffenhausen. Porsche-Manager fragen anfangs erstaunt: »Was will denn jemand von diesem Riesenunternehmen bei uns?« Auf die PS-Protze wirkt er oft betulich. Doch Femppel erwirbt sich in den wirren Zeiten hohen Respekt. Er wird bald als sehr sachkundig, vor allem in Arbeitsfragen, anerkannt. Seine Souveränität in vielen strittigen Verhandlungsrunden mit Betriebsräten und Gewerkschaftern bewahrt Porsche vor manchen Irrtümern. Femppel will das Klima im Betrieb nicht zu sehr durch Provokationen belasten. Er pflegt die vorsichtige Rücksichtnahme eines Personalers klassischer Schule, der Argumente abwägt und verträgliche Lösungen sucht. Als »realistischer Personalmann« mahnt er auch die eigenen Manager zur Vorsicht, weist sie auf Knackpunkte hin: »Ja, aber haben Sie das dabei bedacht, haben Sie sich das gründlich überlegt, auch die juristischen Folgen …« Allerdings sind Personalvorstände im Allgemeinen auf deutschen Vorstandsetagen nicht hoch angesehen. Das bekommt auch Femppel zu spüren. Die meisten Personaler sind eher geduldet, weil die Gewerkschaften bei Verhandlungen mit den Unternehmen auf entsprechend kompetente und hochrangige Ansprechpartner drängen. Doch diese Funktion kann auch ein anderes Vorstandsmitglied zusätzlich wahrnehmen. Und in diese Richtung bewegt sich die Diskussion auch bei Porsche, besonders seit dem Niedergang des Autobauers Anfang der neunziger Jahre. Zwar übersteht der penible Personalmann Femppel gleich mehrere Entlassungswellen und zieht erfolgreich drei Interessensausgleiche durch, aber nun taktiert er in seiner ruhigen, stillen Art nicht draufgängerisch genug. Seine abwägende Rolle als ausgleichender Diplomat ist nicht mehr gefragt. Wiedeking will den Stellenabbau mit Karacho durchziehen. Viel Zeit für Verhandlungen und Raum für Kompromisse nach Art eines vorsichtigen Femppel bleibt da nicht mehr. Und plötzlich bekommt der Personalchef auch noch Druck aus dem Kreis der Großaktionäre. Ferdinand Piëch meldet sich erregt bei ihm und haut ihm die Sozialpläne vor Zuhörern um die Ohren. Der Porsche-Enkel behauptet, er habe die Abfindungen bei Porsche mit denen anderer Autofirmen verglichen und sei zu dem Ergebnis gelangt, dass sie »viel zu teuer sind!« Drohend wirft der Hauptaktionär seinem Angestellten vor: »Sie verschwenden das Geld der Familie.« Zwar kann Femppel diesen bösen Verdacht später durch eigene Vergleiche und Recherchen bei Wettbewerbern entkräften, aber helfen wird ihm das wenig. Er ist durch Piëchs Angriff mächtig angeschlagen.
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Femppel verliert endgültig den Boden unter den Füßen. Seine Gründlichkeit und Bereitschaft zu Kompromissen stellen ihn im High-Speed-Unternehmen Porsche in die Ecke der Bremser oder der von Wiedeking so sehr verachteten »Ja-Aber-Sager«. Aus Sicht Wiedekings gehört er bald zur schlimmsten Kategorie von Managern, den »Bedenkenträgern«. Doch der gestandene Personaler will sich keine Vorschriften vom Porsche-Chef machen lassen, Einmischung in sein Ressort verbittet er sich. Nur Befehlsempfänger des in Personalfragen unerfahrenen Westfalen will Femppel nicht sein. Der Graben zwischen ihm und Wiedeking wird tiefer und tiefer, und schließlich steht der Personalchef dem stürmischen Sanierer im Weg. Femppel wird Wiedekings erstes Opfer, obwohl der Anstoß für die Entlassung vermutlich aus dem Kreis der Familie kommt. Offiziell scheidet Porsches Personalchef und Arbeitsdirektor zum 31. 12. 1992 »in gegenseitigem Einvernehmen« aus. In der Öffentlichkeit lässt Wiedeking Femppels Wechsel am 4. Dezember 1992 mit der »weiteren Straffung der Führungsstruktur« begründen, »um das Unternehmen noch flexibler und dynamischer zu gestalten.« Nur »stellvertretend« für Femppel wird ab 1. Januar 1993 sein langjähriger zweiter Mann, Harro Harmel, in den Vorstand berufen. Dessen Position indes wird nicht neu besetzt. Das ist mit der Straffung gemeint, die im Pressetext angesprochen wird. Nun ist der erste Wechsel im Porsche-Vorstand vollzogen, nur wenige Wochen nach Wiedekings Amtsantritt. Mit Femppels Ausscheiden zum Jahresende 1992 verlassen noch einmal fast 2 000 Mitarbeiter das Haus – beinahe jeder Vierte.
Der nächste Vorstandswechsel Auch auf Vertriebsvorstand Dieter Laxy, der am selben Tag wie Wiedeking zu Porsche kam, steigt der Druck. Der Manager wird mit der scharfen Absatzkrise und den Problemen in der Organisation nicht fertig. Die Folge: Große Mengen unverkaufter Fahrzeuge stehen überall verstreut auf den Höfen von Händlern oder unmittelbar auf dem Werksgelände in Zuffenhausen. In Ludwigsburg, Porsches Vertriebszentrale, muss extra ein Zelt in der Nähe des Einkaufszentrums Bräuninger-Land nahe der Autobahn errichtet werden, um die überschüssigen Wagen trocken und sicher zu lagern. In der tiefsten Depression 1992/93 dürften weltweit mindestens 6 500 kostbare Porsche vergebens auf Käufer gewartet haben (in den Medien wurden bis zu 9 000 unverkaufte Flitzer genannt). Das entspricht damals fast einer halben Jahresproduktion. Diese Halde ist für Porsche auch wegen der hohen Kapitalbindung ein harter Brocken und für Laxy zunehmend eine schwere Belastung. Er muss
wie schon sein glückloser Vorgänger Halbach den Bedarfsplan für den Verkauf Weltmarkt alle zwei Monate nach unten korrigieren. Im Geschäftsjahr 1992/93 kann er nur noch 12 000 verkaufte Porsche melden. Das markiert einen Tiefpunkt, wie er seit fast einem Vierteljahrhundert nicht erreicht wurde. Dieser bedrohlichen Talfahrt hat der Vertriebschef weder eine Hoffnung weckende Strategie entgegenzusetzen, noch gelingt es ihm, die genervten Händler zu motivieren. Stattdessen gibt er ihnen wie schon unter Bohn zu verstehen, dass die Schuld für die Misere in einer falschen Modellpolitik liege. Doch alle Schuldzuweisungen helfen in dieser auch konjunkturell schwierigen Situation nichts. Laxy findet immer weniger Kunden, und die Händler klagen über Existenznot. Mit den paar Porsche können sie ihre Betriebe kaum mehr auslasten. Sein anhaltender Misserfolg untergräbt Laxys Position als einer der starken Männer an der Spitze. Zum Verhängnis wird ihm, dass er nicht richtig mit der Händlerschaft klarkommt. Durch die wachsende Kritik gerät er zunehmend in eine Verteidigungsposition und immer deutlicher zu Wiedeking – was auch ihn wie einen »Bedenkenträger« aussehen lässt. Der Stern des ersten Mannes im Vertrieb in Opposition sinkt rapide. Durch die dramatische Situation im Verkauf naht unausweichlich der Punkt, dem Vertriebsverantwortlichen den Abschied nahe zu legen. Laxy, der vor kaum zwei Jahren wie Wiedeking mit einem Drei-Jahres-Vertrag gekommen war, räumt vorzeitig zum 31. August 1993 seinen Schreibtisch. Er kehrt zu seinem früheren Arbeitgeber, Volvo, zurück. Es vergehen fünf Monate, bis das Vertriebsressort im Vorstand wieder besetzt ist. Und diesmal kommt der Neue endlich von BMW – so, wie es sich die Familie seit Jahren wünscht. Der Diplomkaufmann Hans Riedel, der bei den Bayern für die Motorradsparte verantwortlich war, zieht ab 1. Februar 1994 in Ludwigsburg ein, wo der Porsche-Vertrieb zwischen Einkaufsmärkten und Gewerbebetrieben seinen Sitz hat.
Endgültig Chef Der August 1993 bringt für Wendelin Wiedeking einen weiteren Sprung auf der Karriereleiter nach oben. In diesem Sommermonat besetzt er, gerade 40jährig, endgültig die Spitzenposition bei Porsche. Der Westfale wird offiziell zum Vorsitzenden des Vorstands berufen. Zehn Monate reichten der Familie im schlechtesten Jahr der Firmengeschichte, um die Qualitäten des Sanierers zu erkennen. Nun wird aus dem Gleichen unter Gleichen, der nur für alle sprechen darf, endgültig der Boss der Bosse bei Porsche. Jetzt ist sein Wort Befehl. Der Einzige im Vorstand, dessen Schatten er noch spürt, ist Walter
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Gnauert, verantwortlich für Finanzen und Betriebswirtschaft. Der Herr des Geldes und der Organisation gehörte als aussichtsreichster Favorit, neben Laxy, zur »Dreier-Bande«, welche die Zukunft ohne Bohn besiegelte. Doch der Ältere und Erfahrenere Gnauert musste überraschend dem jungen Draufgänger Wiedeking den Vortritt an die Führungsspitze lassen. Nach dem verlorenen Wettstreit um den Chefsessel vermutet Gnauert in Wiedeking einen Kontrahenten. Er hofft dennoch, als inoffizielle Nummer zwei im Haus respektiert zu werden und an wichtigen Entscheidungen mitwirken zu dürfen. Doch diese Sonderrolle gesteht ihm der Westfale nicht zu. Wiedeking, der einen »klaren Blick für Finanzen hat« (Bohn), schaut Gnauert schärfer als sein Vorgänger auf die Finger. Das muss bei einer starken Persönlichkeit wie Gnauert zu Auseinandersetzungen führen. Verschiedene Meinungen zum Beispiel sind in der Bilanzierung an der Tagesordnung, etwa wenn es um die Anlage liquider Gelder oder um die wichtige Frage geht, wie das Währungsrisiko zum Dollar am besten abgesichert werden kann.Nun war Gnauert »keiner, der gekuscht hat, absolut nicht«, weiß eine Assistentin. Einmischungen in sein Ressort lehnt er strikt ab, bietet Wiedeking Paroli. Zwischen beiden »hat es ziemlich gerauscht«, erzählen Zeitzeugen. Gnauert lässt sich in Vorstands- und Aufsichtsratssitzung manchmal so weit provozieren, dass der normalerweise ruhige Finanzchef die Fassung verliert und sich in seiner Argumentation verrennt. Schließlich muss er nicht nur um seine Standpunkte, sondern auch um seine Position bei Porsche kämpfen. Wie üblich in solchen Konfliktfällen, werden mögliche Fehler dann besonders kritisch unter die Lupe genommen. Und da sich Gnauert eine breite Verantwortung auflädt, ist auch das eine oder andere aus Gegenwart und Vergangenheit zu finden. So hat er in seiner Zeit als kommissarischer Vertriebsleiter nach Halbachs Abgang ein Projekt des Vertriebsleiters Deutschland,Ulrich Heyl,unterstützt. Dieser richtete im Juni 1991 – nach der Wende – in Berlin-Dahlwitz/Hoppegarten eine neue Vertriebsniederlassung ein, das Porsche Zentrum Hoppegarten GmbH. Doch dieser Standort liegt viel zu weit vom Zentrum und damit von den Kunden entfernt. Als schließlich im Vorstand erhebliche Zweifel an dem Millionenprojekt aufkommen,gerät Gnauert in Bedrängnis.Nach mehrfachem Nachbohren seiner Kollegen muss er eingestehen, die Örtlichkeit Hoppegarten und ihre Distanz zur Hauptstadt vor der Investitionsentscheidung persönlich nie richtig inspiziert zu haben. Diese Blamage kommt sogar den Aufsichtsräten zu Ohren. Hoppegarten ist übrigens bis heute ein ungelöstes Problem.
Finanzvorstand Gnauert stolpert Wesentlich teurer als dieses Porsche-Zentrum gerät Gnauerts Versuch, die Elektronische Datenverarbeitung umzugestalten. Der Finanzchef, der auch für die gesamte Organisation verantwortlich zeichnet, will die EDV in einem eigenen Rechenzentrum zusammenlegen. Das Jahrhundertvorhaben soll gemeinsam mit einem Spezialbetrieb, Taylorix, durchgeführt werden. Dieser EDV-Betreuer, dessen Hauptbetrieb ebenfalls in Stuttgart-Zuffenhausen lag, gehörte damals zum Einflussbereich der Porsche-Familie. Vielleicht will Gnauert durch die Kooperation auch sein Standing bei der Familie stärken. Sicher ist, er will 1992/93 die Kosten für sein Ressort über einen massiven Personalabbau in der Datenverarbeitung von Porsche reduzieren. Es werden mindestens 50 Mitarbeiter ausgegliedert und in das gemeinsame Projekt mit Taylorix gesteckt, eine juristisch selbstständige Tochterfirma. Doch es kommt bald zu erheblichen Spannungen unter den Mitarbeitern, weil die Kulturen eines Industriebetriebs wie Porsche und eines EDV-Dienstleisters wie Taylorix zwei verschiedene Welten sind. Die Mitarbeiter der jeweiligen Häuser harmonieren überhaupt nicht miteinander. Gnauert, den die oft chaotischen Zustände furchtbar ärgern, bekommt das Projekt nicht in den Griff. Das Fusionsvorhaben wird noch dadurch erschwert, dass die diversen EDV-Systeme von Porsche in Ludwigsburg nicht kompatibel sind mit denen in Zuffenhausen und Weissach. Damit ist unproduktive Beschäftigung buchstäblich vorprogrammiert. Da hilft alles Gebrüll von Gnauert nichts – das Taylorix-Projekt kommt nicht auf die Beine. Das gescheiterte Abenteuer mit Taylorix – der Partner erleidet bald selbst Schiffbruch – kostet ein paar Millionen. Der Schnitzer bringt Gnauert den Vorwurf ein, er verschwende Geld, weil er zwar viel von Finanzen, aber weniger von Datenverarbeitung und Organisation verstehe. »Er kann zwar gut die Hand auf den Geldsack legen und den Sparkommissar spielen, aber selbst geht er nicht immer sparsam genug mit dem Geld um«, lästerte ein Manager. Endgültig zum Stolperstein für Gnauert wird die Währungsabsicherung gegenüber dem US-Dollar. Dieses Finanzinstrument ist gerade in der Exportfirma Porsche im Amerikageschäft wichtig – und stets ein heikler Punkt. Denn der launische Dollar macht der Finanzwelt zu schaffen. Gnauert hat das Pech, dass die US-Währung plötzlich wieder mal schwächelt. Während er den Dollar in der Planung bei etwa 1,60 Mark sieht, fällt der Greenback stattdessen auf 1,40 Mark. Die Hausbankiers hatten übrigens einen Kursanstieg auf 1,80 Mark vorausgesagt. Angeblich schenkt Gnauert diesem Optimismus zu viel Glauben. Die Fehlprognose hat zur Folge, dass ein Teil des Umsatzes
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aus dem Dollarraum mangels Termingeldern zu einem niedrigeren Kurs auf dem freien Kapitalmarkt umgetauscht werden muss. Nach unbestätigten Gerüchten sollen diese Währungsverluste ein Loch von rund 60 Millionen Mark in die Bilanz gerissen haben (Spiegel 24/1995). So wird aus einem einkalkulierten Bilanzgewinn plötzlich ein Verlust. Dieser gefährdet angeblich die ganze Sanierung von Porsche. Händeringend sucht Gnauert liquide Mittel. Im Haus kursiert das Gerücht, er wolle an die Rückstellung für Betriebspensionäre heran,was die Familie entsetzt.Denn die stillen Reserven Porsches betrachtet Senior Ferry als unveräußerliche Kronjuwelen. Nun soll durch eine einzige Schieflage beim Währungspoker alles verloren sein? Schon wenige Jahre zuvor hatte der Kassenwart vergeblich versucht, Tafelsilber für die Sanierung zu veräußern. Damals bot er das Vertriebshochhaus in Ludwigsburg auf dem Tammer Feld zum Verkauf an. Doch es fand sich weder ein Käufer noch ein geeigneter Mieter. Aber am Ende gelingt es Gnauert in beiden Fällen doch noch, das Loch in der Kasse zu stopfen. Der Streit um Dollar und Moneten im Vorstand zermürbt jedoch den aufrechten Finanzmann. Ihm werden zudem Vorwürfe gemacht, er habe 201 Millionen Mark aus der Kapitalerhöhung von 1994 nicht optimal angelegt. Stammen diese Anschuldigungen von Ferdinand Piëch? Ist dies seine späte Rache dafür, dass auch Gnauerts Unterschrift unter dem Brief stand, der ein Gutachten zu Piëchs Doppelrolle als damaligem Audi-Chef und PorscheAufsichtsrat forderte? Offenbar schoss der mächtige Automann Gnauert an – wenn nicht sogar ab. Denn wichtige Angaben für einen Artikel des manager magazins (9/1995) sollen nach Informationen aus Journalistenkreisen von Ferdinand Piëch, damals VW-Chef, stammen. Darin steht auch der Vorwurf, dass der Finanzchef die Wechselkurse nicht genügend abgesichert und die Mittel aus der Kapitalerhöhung nicht profitabel genug angelegt habe. Gnauert fühlt sich gemobbt. Seine Kritiker, darunter auch Wiedeking, können ihm letztlich keinen schwerwiegenden Fehler nachweisen, weder im Fall der Währungsabsicherung, noch im Zusammenhang mit der Kapitalerhöhung, die er nach Ansicht von Experten gut durchzog. Das Tischtuch zwischen dem Porscheund dem Finanz-Chef ist zerrissen. Gnauert merkt, dass sein Weg bei Porsche zu Ende geht. Er entscheidet sich bewusst dafür, »nicht länger als bis 60 in diesem Hochleistungssport zu arbeiten«. Dieser persönlichen Lebensplanung entsprechend unterrichtet Gnauert den Vorsitzenden des Aufsichtsrats, Professor Helmut Sihler,bereits im Herbst 1994 davon,dass er keine Verlängerung seines erst 1996 bei Porsche auslaufenden Vertrages mehr wünsche. Walter Gnauert scheidet aber schon 1995 im 58. Lebensjahr aus. »Aus persönlichen Gründen«, wie in der Pressemeldung steht. Zu seiner Ehrenrettung veröffent-
licht Porsche am 17. 8. 1995 auch noch ein Dementi auf den Artikel im manager magazin. Für das vergangene Geschäftjahr (1994/95) und auch darüber hinaus seien die Wechselkurse »befriedigend abgesichert«, heißt es dort beschwichtigend.Andernfalls wäre ein ausgeglichenes Ergebnis im Geschäftsjahr 1994/95 (31. Juli) gar nicht möglich gewesen. Ebenso seien Vorwürfe, Gnauert habe 201 Millionen Mark aus der Kapitalerhöhung 1994 nicht optimal angelegt, »nicht berechtigt«. Andererseits bestätigt der geplante Abgang Gnauerts die Spekulationen im Magazinbericht indirekt. Das Wirtschaftsblatt hatte behauptet: Der Manager komme mit seinem Rückzug Porsche-Chef Wiedeking und den Gesellschaftern, insbesondere Ferdinand Piëch, zuvor. Denn nur der Aufsichtsrat könne über Vertragsverlängerung oder -aufhebung entscheiden. Als Gnauert das Unternehmen verlässt, zeichnet sich schon ab, dass der Höhepunkt der Krise des Unternehmens überschritten ist – Pech für ihn. Eine Mitarbeiterin, die das Treiben auf der Vorstandsetage beobachtete, macht sich ihren eigenen Reim auf den Streit: »Es ist normal, dass eine Führungskraft ihre Truppen um sich sammelt. Und Gnauert gehörte eben für Wiedeking nicht mehr dazu.« Auf jeden Fall wird der Boss der Bosse nun den letzten der von ihm kritisierten »Bedenkenträger« im obersten Führungskreis los. Wiedeking zeigt Killerinstinkt. Später gesteht er ein, »ich habe radikal zugelangt, im Management richtig aufgeräumt, damals 1992 und später.«
Die Vorarbeit der Vorgänger Als Wendelin Wiedeking im Oktober 1992 die Führung übernimmt, sind die Weichen für die Zukunft bei Porsche schon gestellt. Eine analytische Rückschau darauf, was die Vorgänger beziehungsweise das Vorstandsteam und natürlich die übrige Mannschaft bereits vor dem Herbst 1992 für den Aufschwung geschafft und auf den Weg gebracht haben,macht Wiedekings wirkliche Leistungen transparent. Vor allem in den Darstellungen mancher Medien werden dem heutigen Porsche-Chef Errungenschaften zugeschrieben, die in Wirklichkeit auf die Aktivitäten anderer zurückzuführen sind. Das minimiert die Leistungen der Vorgänger unnötig und erhöht Wiedeking damit zum Goliath. Doch Ehre, wem Ehre gebührt: Schon der Blick auf den Kalender zeigt, dass der neue Mann in den wenigen Monaten zwischen seinem Amtsantritt im Oktober 1992 und der IAA’93 in Frankfurt am Main nie ein solches Modellfeuerwerk, wie es die Initiativen für Boxster und 911er bedeuten, hätte zünden können. An diesem Aufschwung haben also außer dem aktuellen Porsche-Chef auch seine Vorgänger nebst den jeweiligen Teams ihren Anteil. Denn der überwiegende Teil der Modellpolitik, die den
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Aufstieg Wiedekings begründet, reicht entweder vor seine Zeit zurück oder wurde gemeinsam im Team erarbeitet. Arno Bohn erinnert sich an die Chronologie der Ereignisse: »Schon drei Monate, nachdem ich weg war, wurde auf der Detroiter Motor-Show im Januar 1993 eine Boxster-Studie vorgestellt und auf der IAA im Herbst 93 der 993 (911). Das hat schließlich den Aufschwung eingeläutet.« Auch ein Ingenieur aus Weissach bestätigt: »Schauen Sie auf den Kalender, wann der Boxster erstmals öffentlich vorgestellt wurde. Er muss also weit vorher angeschoben worden sein. Die Entscheidung war längst im Vorstand und Aufsichtsrat gefallen.« Außerdem wurden Formen des künftigen Boxsters als Prototypen bei einer Leichtathletik-Weltmeisterschaft in Stuttgart in jener Zeit ausgestellt. Mit der Entwicklung eines Roadsters muss daher bereits um 1989/90 begonnen worden sein. Und die ersten Entwürfe für den 993 (911er) gehen noch auf Professor Helmuth Bott, Vorgänger von Horst Marchart und Ulrich Bez, zurück und datieren somit auf die zweite Hälfte der achtziger Jahre. Wenn auch die Familie an den entscheidenden Stellen kräftig nachhelfen musste, so war bereits unter Bohn jedem klar, wohin die Reise in der Modellpolitik, in den Werken,mit den Lieferanten sowie im Handel gehen musste.Alle – Management, Belegschaft, Familie – wissen: Jetzt kommen die harten Zeiten, damit es wieder aufwärts gehen kann. Die Entscheidung für den späteren Boxster war ja bereits in der Bohn-Ära im Sommer (Juni/Juli) 1992 im Vorstand wie im Aufsichtsrat für das Projekt 986 Roadster gefallen. Seit Jahren schon existierte für den späteren Boxster in der Schublade eine Vorstudie auf Basis des 911er: der Panamericana. Und, wie ausführlich geschildert, war die 180-GradWende sozusagen auch eine Gemeinschaftsentscheidung in der Modellpolitik im Trio Bohn, Marchart und Wiedeking als Produktionschef. Absehbar ist bei Wiedekings Start auch, welche Modelle vom Markt genommen werden müssten. Die Überlegungen betreffen vor allem den erfolglosen 968er, der nur als müder Aufguss des Vierzylinders 944 empfunden wird, und den zu teuren Hightech-Porsche 928 mit V-8-Frontmotor und Heckantrieb. Damals unter Bohn »war schon klar, dass der 928er sterben wird, also keinen Nachfolger mehr bekommen wird«, bestätigt ein Zeitzeuge. Wiedekings Vorgänger Bohn ließ zwar noch im Frühjahr 1992 ein weiteres Topmodell, den 928 GTS, präsentieren – noch mehr PS, noch schneller, noch mehr Technik und Elektronik –, aber das war eher aus der Not geboren. Für die anstehenden Automessen von Detroit über Genf bis Tokio war nichts Besseres greifbar. Und der 968er bekommt sein Gnadenbrot. Er wird jetzt nur noch in Zuffenhausen fabriziert, »um die Fabrik zu füllen«. Das Vorgängermodell 944 wurde ja weitgehend in Neckarsulm bei Audi gebaut.
Selbst der Klassiker, der aus dem Urvater 964 abgeleitete, luftgekühlte 911er hat schon einige Jahre auf dem Buckel, lahmt gleichfalls. Auch hier wird das Nachfolgeprojekt mit der internen Entwicklungsnummer 993 bereits federführend unter Bohn, beziehungsweise unter dem umstrittenen Entwicklungschef Ulrich Bez konkretisiert. Dieser 993er ist der letzte 911er mit dem charakteristischen luftgekühlten Heckmotor. Enthusiasten feiern ihn noch heute als den eigentlich »echten Porsche mit dem richtig brummigen Sound«, der Härte beim Fahren und den strengen Konturen. Er kam im Herbst 1993 auf den Markt. Der 993 bringt Porsche wieder Erfolgserlebnisse und läutet für Wiedeking »den Aufschwung ein« (Bohn). Die 911er-Einführung wurde zur IAA’93 in Frankfurt am Main zelebriert. Und selbst der übernächste 911er mit der Projektnummer 996, für damals gut 60 000 Euro vorgesehen, ist vor Wiedekings Amtsantritt längst in Weissach in der Mache. Der erstmals wassergekühlte, neu gestylte 911er kam mit einigen Monaten Verzögerung 1997 in den Verkauf. Die Umstellung auf die leisere und saubere Wasserkühlung wurde notwendig, weil der bis dahin stets luftgekühlte 911er die Umweltauflagen nicht mehr hätte erfüllen können. Wiedeking als neuer Mann an der Spitze braucht also nur noch einzusteigen und mit Vollgas abzufahren. In seiner bis jetzt knapp elfjährigen Amtszeit verantwortet Wiedeking »nur« zwei grundlegende Modellentscheidungen: die für die Entwicklung und den Bau des sportlichen Geländewagens Cayenne sowie für ein extravagantes Sondermodell, den Supersportwagen Carrera GT. Seine nächste wichtige Weichenstellung steht für die geplante vierte Baureihe an. Urteile über Erfolg oder Misserfolg dieser Porsche-Produkte kämen viel zu früh.
Ein mutiger Entscheider und Vollstrecker Musste sich Wiedeking bei so viel Vorarbeit anderer folglich nur ins gemachte Nest setzen? Hätte der glücklose Vorgänger Bohn lediglich ein, zwei Jahre länger im Amt ausharren müssen, was ihm laut Vertrag zustand, um wie sein Nachfolger automatisch wie Phönix aus der Asche aufsteigen zu können? Muss die Geschichte über den Aufstieg des Porsche-Königs und seinen Aufschwung also neu geschrieben werden? Gewiss nicht, aber deren Bewertung sollte differenzierter erfolgen. Es bleiben genug Pluspunkte für Wiedeking übrig, derer er sich rühmen kann. Da ist zuerst seine Tatkraft zu nennen, die er schon als oberster Produktioner ohne Zögern unter Beweis stellt. Dann, als erster Mann im Haus, zeigt er erst recht, was in ihm als Autobauer und Rationalisierer steckt. In den Fabriken herrscht ein neuer Wind. »Dort steht kein Stein mehr auf dem anderen«, berichtet der Manager schon im Sommer 1993
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den Medien: »In 18 Monaten wurde ein in der Firmengeschichte einmaliger Wandel vollzogen« (Focus 27/1993). Der hemdsärmelige Westfale kommt, analysiert und exekutiert. Er beschränkt seine Handlungen nicht auf die Rolle als Fachmann für Fließbänder und Maschinen, sondern er mischt auf allen Ebenen mit. Und er achtet von Anfang an bei allem darauf, dass klar wird, wer das Steuer in der Hand hält. Seit Wiedeking werden die Weichen im Vorstand und nicht wie zuvor bei entscheidenden Fragen im Aufsichtsrat gestellt. Dieser Machtzuwachs fürs Management zählt sicher zu den wichtigsten Errungenschaften, die Porsche eine neue Stabilität verleihen konnten. Das Management der freien Hand führt darüber hinaus zur mutigsten Entscheidung, die vor ihm niemand gewagt hatte: Wiedeking beschließt, das Modellangebot von drei auf nur noch eine Baureihe zu reduzieren. Bis zur Einführung des Boxsters 1996 setzt er alles auf das bewährte Brot-und-Butter-Auto 911. Dieser drastische Schritt bedeutet, dass Porsche bis auf weiteres bald weder einen Sportwagen der Superluxusklasse, wie den 928, noch einen für »normale Käufer«, wie die Vierzylinder-Serie 944/968, im Programm hat. Wiedekings Wagnis – es hätte genauso gut den Zusammenbruch bedeuten können – ist typisch für ihn. Dem FAZ-Magazin (Nr. 695; 25. Juni 1993) vertraut der Westfale damals im Sommer 1993 an: »Ich scheue das Risiko nicht …, halte auch den Kopf dafür hin. Vielleicht ist es ein Gebot des Alters, dass ich das nötige Schutzgefühl noch nicht aufgebaut habe, um mich mit Gremienentscheidungen abzusichern. Ich treffe Entscheidungen öfter allein, aber dazu stehe ich auch mit allen Konsequenzen.« In diesem Sinne vollstreckt er seinen Willen umgehend, stellt die Produktion des dicken, aber bei den Kunden unbeliebten 928er sofort ein, obwohl dieses Modell mindestens bis 1995 hätte laufen sollen.Auch mit der Talfahrt der Vierzylinder-Reihe 968 »kann es so nicht weitergehen«, befindet der Chef und killt kurzerhand auch dieses Porsche-Modell. Der seit Sommer 1991 in Zuffenhausen zu aufwändig gefertigte 944-Nachfolger zündet im Markt einfach nicht. Der letzte 968 wird im Frühjahr 1993 gebaut. Diese Autos bringen keine Effektivität mehr, hat der neue Boss messerscharf erkannt, und trennt glasklar zwischen »Effizienz« und »Effektivität«. Denn seiner Logik nach ist »Effizienz nichts anderes als eine Form, die Produkte immer rationeller und kostensparender herzustellen. Von Effektivität dagegen spricht man, wenn man die richtigen Produkte anbieten kann« (Das Davidprinzip). Für Wiedeking hat es keinen Sinn, »ein wenig marktgängiges Produkt ständig in der Fertigung zu optimieren und die Entwicklung anderer vom Markt begehrter Produkte zu vernachlässigen.« Diesen analytischen Scharfsinn bewundern selbst seine Kritiker samt der daraus folgenden Maßnahme »als eine sehr gute und mutige Entscheidung. Er hat das
heiße Eisen angepackt!« Nachdem Wiedeking zunächst einen Gang zurückschaltet, kann sich die Mannschaft völlig auf die Innovationen, Boxster und 911, konzentrieren. Erst 1995 schnellt der Absatz wieder von 16 000 auf 20 000 hoch, und 1996 geht es mit dem Boxster dann richtig los. Die Kapazitäten erreichen bald 33 000 Einheiten, Zuffenhausen ist an der Kapazitätsgrenze angelangt. Die strikte Modellpolitik wird ein wichtiger Schlüssel zu Wiedekings Aufstieg. Die Autos sind klar um den Porsche-Klassiker 911 herum positioniert und seit der großen Absatzkrise technisch »gehaltvoller« geworden. Damit wird auch das Preis-Leistungs-Verhältnis deutlich verbessert, etwa beim 911er. »Da steckt heute mehr Inhalt drin, sicherer, besser in der Handhabung und einiges mehr«, schwärmt ein Porsche-Fan von den neuen Modellen. Und mit der geschilderten Tatkraft und Hartnäckigkeit bleibt der neue Mann an der Spitze am Ball. Mit ungeheurer Power beschleunigt er die verschiedenen Entwicklungsstufen. So gelingt es ihm, Porsche bald zum Innovationstempo früherer Zeiten zurückzuführen, also im Durchschnitt alle vier Jahre ein neues Modell zu präsentieren. Hart, aber mit offenem Visier und »klaren Vorstellungen« (Wiedeking) – dieses zähe Betreiben der Umstrukturierung »hat ihm auch unglaublich viel Respekt im Management eingebracht«, loben seine Mitarbeiter. Trotz der ausgewachsenen Krise verniedlicht er nichts, schildert die schwierigste Situation ehrlich. Wiedekings Risikofreude kommt auch bei den Investitionen zum Ausdruck. Für die Entwicklung in Weissach und die Fabrik in Zuffenhausen greift er tief in die Kasse. »Wir haben 1,6 Milliarden Mark investiert, für den Boxster und die nächste 911er-Generation. Das war das Rad, das wir drehen wollten. Ein großes Rad«, erzählt er später in den Medien. Bei diesen Summen behält der kostenbewusste Manager immer die Effizienz im Blick. Sofort nach Bohns Weggang führt er für Porsche ein neuartiges Kontrollsystem ein: »Projekttreiber« ist intern die respektvolle Bezeichnung. Da werden Fachkräfte aus verschiedenen Bereichen des Hauses in einer Gruppe zusammengefasst, unter deren Verantwortung die Entwicklung eines neuen Automodells beschleunigt vorangetrieben werden soll. Für diese Projektgruppen legt Wiedeking Kurzbezeichnungen fest. Das Team für den Boxster heißt »Baureihe BB«, für den Carrera »BC« (Baureihe Carrera) oder für den Cayenne »BE«, weil der Geländewagen unter dem Arbeitstitel »E 1« läuft. Auch nach Überwindung der großen Krise bleibt diese Neuerung bestehen. Denn Wiedekings Grundsatz ist unumstößlich: »in der Entwicklung läuft kein Fahrzeugprojekt mehr, ohne dass auch Vertrieb und Produktion an dem Konzept beteiligt sind.« Die Verkäufer zum Beispiel bringen den Kaufmannsverstand
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ein. Damit zieht der Boss die Lehren aus den früheren, millionenteuren Flops aus den Tüftlerwerkstätten. Nie mehr soll wie damals in der Ära Bez unkontrolliert ein zu teurer 928 auf den Markt kommen. Oder noch schlimmer, sich ein Abenteuer wie das mit der Viertürerlimousine in Weissach wiederholen. Ohne Mitsprache des Vertriebs samt Marktforschung und -studien, Prognosen und Käuferbefragungen wie beim Cayenne läuft nichts mehr. Wiedeking hämmert den Leuten ein: Ein Auto, das Porsche entwickelt, muss auch verkauft werden können – und zwar mit Gewinn. Bei dieser Ermahnung kommen Porscheanern die schlechten Erfahrungen aus früheren Zeiten in den Sinn. Zum Beispiel mit der Sonderserie 959. Das exklusive Modell für Superreiche, 420 000 Mark teuer, wurde 1986/87 auf Wunsch des damaligen Porsche-Chefs, des Deutsch-Amerikaners Peter W. Schutz, entwickelt und weltweit verkauft. Doch es wurden nur 240 Stück gebaut. Die Folge: Die Miniserie des 959 war finanziell für Porsche ein herbes Verlustgeschäft. Die hohen Kosten für die Entwicklung mussten auf spätere Modelle umgelegt werden. Dabei hätte Porsche den Luxusflitzer wesentlich teurer anbieten können. Denn der Renner galt bald als Sammlerstück und wurde in den USA, Japan und in der Golfregion unter Freaks »gebraucht« für mehr als eine Million Mark gehandelt. So soll ein Ölscheich davon gleich drei Exemplare gekauft und ein Riesengeschäft gemacht haben. Da er die beiden anderen Porsche für weit mehr als zwei Millionen Mark weiterverkaufte, besaß er nach dem Deal eine Million Mark mehr und dazu einen tollen Rennwagen von Porsche. Damit in Zuffenhausen solche gravierenden Fehlkalkulationen nie mehr passieren können – auch nicht beim Supersportwagen Carrera GT – lässt Wiedeking das Markt- und Preispotenzial der Projekte schon im Frühstadium ausloten. Beim Carrera GT zum Beispiel wartet Wiedeking so lange ab, bis genügend Bestellungen im Haus sind, um die gesamten Kosten zu decken und noch einen schönen Gewinn zu machen. In diesem Fall liegt die Grenze bei etwa tausend Einheiten. Typisch für Wiedekings Stil sind auch deutlich mehr Aktivitäten in Vertrieb, Service und Marketing einschließlich Werbung. Das kommt bei den Händlern gut an, motiviert sie. »Wiedeking ist zwar ein hart handelnder Manager«, gesteht ihm der Inhaber eines Handelshauses im Rheinland zu, »aber er hat für uns nur Vorteile gebracht.« Vor allem seien es die Produkte, die unter seiner Regie »einschlagen«. Die frühere Behauptung Bohns, »unterhalb des 911er kann Porsche wirtschaftlich kein Modell packen«, habe Wiedeking glatt widerlegt. Den eigenen Vertrieb führt Wiedeking vom ersten Tag an straff »mit Zug und Druck«, wie Vorgänger Bohn, selbst Marketingmann, anerkennen muss.
Die Verlagerung von Risiken Unbeirrt treibt Wiedeking die Umstrukturierung voran, seine starke Leistung. Als echter Westfale bringt er für diese schwere Aufgabe die richtige Sturheit und Beharrlichkeit mit. Dafür erntet er auch von Arno Bohn gute Noten: »Ich kann nur das Beste von ihm sagen, er kam zur richtigen Zeit.« Auch die Entscheidung, den kleinen Boxster zum größten Teil nicht im Stammwerk Zuffenhausen, sondern in Finnland bei der Firma Valmet fertigen zu lassen, geht voll aufs Konto Wiedekings. Diese Strategie ist seine typische Vorgehensweise: Einerseits spart Porsche durch die Auslagerung Investitionskosten für Produktionsanlagen sowie Löhne, andererseits bleibt das Unternehmen durch diese verlängerte Werkbank sehr flexibel. Denn das Absatzrisiko geht überwiegend zu Lasten von Valmet. Werden wie seit Sommer 1991 weniger Boxster verkauft, dann spüren das die Werker im fernen Finnland zuerst und weniger die in Zuffenhausen. Tatsächlich arbeiten eine Zeit lang in Valmet etwa 400 Beschäftigte kurz. Daheim bei Porsche indes erspart dieser finnische »Puffer« Ärger mit der Belegschaft und dem Betriebsrat und dazu negative Schlagzeilen. Seine Art der Flexibilität kommentiert der Porsche-Chef in einem Zeit-Interview (Die Zeit, 21. 11. 2002): »Wir können notfalls unsere Stückzahlen deutlich reduzieren. Das wird zwar im Ergebnis spürbar, aber auf der Beschäftigungsseite kommt es nicht so schnell zu Problemen. Ein Unternehmen muss auch für die Absicherung seiner Mitarbeiter sorgen.« Das Verlagern von Risiken und Aufgaben auf andere ist ein WiedekingPrinzip – auch im Verhältnis zu Lieferanten. Nur noch eine sorgfältige Auswahl von ihnen wird von nun an eng bei Entwicklung und Produktion als Systempartner eingebunden. Auf diese Weise verlagert Porsche Investitionen und laufende Ausgaben nach außen. Bei der angespannten Kassenlage damals ein geschickter Schachzug. Noch drei Verlustjahre wie 1992/93, und sämtliche Geldreserven im Unternehmen wären verbraucht. Da greift der junge Manager gierig alle Hilfsmittel auf, die »neu« und »visionär« klingen. Das kommt auch in der Öffentlichkeit gut rüber. Gern lenkt Wiedeking das Interesse der Presse in den Anfangsjahren mit der Nase auf seine besondere Einkaufspolitik und die damit verbundenen Rationalisierungserfolge. So redet er über »unsere Zusammenarbeit mit BMW auf einer speziellen Lieferantenschiene oder unsere Aussagen über ein gemeinsames Projekt mit Audi« [gemeint war die Produktion des Kombifahrzeugs Audi-80-Avant RS 2; der Autor]. Er stellt in Aussicht: »Aber das wird bei weitem noch nicht alles sein.« Der frische Wind bewegt vieles offenbar in die richtige Richtung.
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Das kommt auch in den Medien immer besser an. Diese Resonanz jedoch ist meist kein Zufall. Dahinter steckt ebenfalls eine sorgfältig ausgeklügelte Strategie. Mit Wiedeking zieht bei Porsche eine völlig andere Politik gegenüber der Presse ein. Hier sagt plötzlich einer, noch dazu ein Chef, frei von der Leber weg seine Meinung. Durch eine inhaltlich gezielte Strategie der Kommunikation macht der Neuling aus der Not bei Porsche eine Tugend.Und »er achtet sehr genau darauf, mit wem er wann über welches Thema spricht«, schreibt Stefanie Winter (Die Porsche-Methode). Das weckt die Geister in der Belegschaft wie auch unter den Händlern. »Er ist ein prima Botschafter fürs Unternehmen, weil er in seinen öffentlichen Reden den Enthusiasmus für die Automodelle und im Betrieb fördert. Das bewirkt in der Summe sehr viel Gutes«, bilanziert der Besitzer eines Autohauses. Wiedekings kommunikatives Turbo-Programm bewegt so ziemlich alles, auch den Kurs der Aktie an den Börsen. Finanzjongleure, Analysten und Aktionäre, die schnell zu oberflächlichen Betrachtungen neigen, fangen Feuer. Der Porsche-Stratege bietet ihnen die Inszenierung, die sie brauchen. In einer der ersten Hauptversammlungen verkündet Wiedeking alle halbe Stunde den aktuellen Aktienkurs. Dieser zieht an nur einem Vormittag von anfangs 700 (50-Mark-Aktie) bis auf 1 100 Mark an. Zum Kursfeuerwerk trägt auch die Ankündigung eines neuen Modells, nämlich des Boxsters, bei. Geradezu euphorisch reagiert die Börse auf seine Rede, in der er den Prozess der Umstrukturierung mit nachhaltigen Kostensenkungen betont. Und spätestens 1997 werden die Aktionäre dem gelobten Sanierer für seinen Kurs mit stehenden Ovationen danken. Schon im Januar 1993 zeitigt der Auftritt des Porsche-Neulings auf der Detroit Motorshow geradezu eine globale Wirkung – nur ein Vierteljahr nach seinem Amtsantritt. Die dortige Messe- und Presseschau vor Motor- und Wirtschaftsjournalisten kann als Geburtsstunde Wiedekings zum internationalen Medienstar gelten. Erstmals nimmt die Autowelt nicht nur von der Aufbruchstimmung bei Porsche Kenntnis, sondern auch von dem Macher, der dahinter steht, und seinen Methoden. Das manager magazin beschreibt das Erstaunen der Amerikaner, wie ausgerechnet ein Deutscher mihilfe von Toyotas Fertigungsexperten die Produktionskosten drastisch senken will. Ebenso überrascht die Offenheit des Porsche-Managers in Detroit. Der Neuling wird nach Angaben der Zeitschrift damals etwa so vorgestellt: Wiedeking sei der erste Deutsche, der den Mut habe, sich Hilfe aus Japan zu holen – und noch darüber zu reden … In den USA jedenfalls kommt die Botschaft des »netten Deutschen« an. Wenige Monate später schwärmt Wiedeking 1993 im FAZ-Magazin (Nr. 695; 25. Juni 93) über die für ihn gelungene Inszenierung: »Und nehmen Sie
nur mal das Presse-Echo über den Boxster, die Roadster-Studie, die wir im Januar auf der Automesse in Detroit der Weltöffentlichkeit vorgestellt haben. Jede Automobilzeitung der Welt hat den Boxster auf der Titelseite abgedruckt.« Untersuchungen hätten gezeigt, dass die Autostudie das am meisten publizierte Modell von Detroit war. »Das spricht doch dafür, dass man schon lange auf so etwas von Porsche gewartet, ja gehofft hat«, unterstreicht der Manager. Höchste Priorität genießt die öffentliche Darstellung und der daraus erzielbare Nutzen fürs Prestige und in Euro und Cent bis heute unter Wiedeking. In der Welt des pragmatischen Ingenieurs dient alles, was er mit Energie anpackt, einer handfesten, nützlichen Sache. Der Umsatz- und Ertragssteigerung ordnet er wie selbstverständlich seine Kommunikationsstrategie einschließlich der Pressearbeit unter. Der Erfolg der PR erstreckt sich auch auf den Boxster. Zum Absatzrenner wird der nämlich erst so richtig nach einer Serie geheimnisumwobener Händlereinführungen im In- und Ausland. Die Story um die Produkt- und Werbekampagne liefert maßgeblich die Presseabteilung. »Da ging der quasi ab wie eine Rakete«, lobt der PorscheComic. Dieses gelungene Marketingkonzept empfiehlt der Porsche-Chef heute den Nachwuchsstudenten als vorbildliches Modell.
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Teil 3: Manager, Macher, Medienstar
Einer muss bestimmen Porsche strotzt gut ein Jahrzehnt nach Wiedekings Amtsantritt vor Selbstbewusstsein. Das wird überall im Unternehmen deutlich, selbst bei der Suche nach neuem Personal. Außergewöhnlich auffallend nutzen die Autobauer ihren Anzeigentext im Stellenteil etwa der heimischen Tageszeitungen (Stuttgarter Nachrichten, Stuttgarter Zeitung, 22. März 2002) auch zur Imagewerbung. Unter dem Foto eines Porsche 911 Carrera, Rückansicht, heißt es: »Diese Anzeige sollten Sie besser ausschneiden. Allein schon wegen des Bildes. … Wir suchen Sie als …« Diesen Aufruf braucht der erste Angestellte des Hauses allerdings nicht zu beachten. Er hat seinen Weg gefunden. Wendelin Wiedeking, der ehemalige Referent im Vorstand, darf auf eine beispiellose Porsche-Karriere blicken.Unter seiner Führung steht der einst krisengeschüttelte Sportwagenbauer glänzend da. Wiedeking steht auf dem Gipfel einer glanzvollen Managerkarriere, eilt von Rekord zu Rekord, stellt andere Automanager in den Schatten. Diese Erfolgsgeschichte kann dem Westfalen niemand nehmen. Als der damals 40-Jährige im Verlustjahr 1991/92 zum ersten Mal im Geschäftsbericht unter seinem Foto – mit dem typischen Schnauzer, jung aussehend und mit wachem, fordernden Blick durch eine riesige ovale Brille – als Vorstand die Lage zu beurteilen hatte, da schrieb er gedämpft von »Markt … unter Druck« oder »Umsatz unter Vorjahr«. Zu jener Zeit ahnte niemand, dass dies der Anfang seiner Verwandlung von der grauen Managermaus zum Porsche-King werden sollte, der Start einer Karriere mit Karacho.
Eine Firmenkultur der Anpassung Heute steht Wiedekings Reich so fest, als ob die Porsche AG und ihr erster Angestellter identisch wären. Doch diese Fixierung auf den einen Helden ist Stärke und Schwäche des Managers mit dem eisernen Willen und raschen Redefluss zugleich. Das Werk Wiedekings ist erschreckend pedantisch von
den Vorstellungen und Handlungen des Meisters geformt. Die gezielte Personalisierung mit einem Medienstar an der Spitze lässt die Arbeit der restlichen 10 000 Mitarbeiter untergehen. Die Belegschaft steht abseits hinter der Kulisse einer Medieninszenierung, aufgeführt unter dem Kommando eines klassisch autoritären Chefs. Die Nummer eins, »King Porsche«, lässt neben sich niemanden wirklich gelten. Und im Zweifel nimmt der Topmanager das Heft entschlossen in die Hand. Zufälligkeiten und unklare Verhältnisse mag er nicht. Diese Eigenschaft wird bald nach seinem Amtsantritt sichtbar. Damals, als frisch gebackener Chef, misstraut er durchweg der Loyalität der meisten Führungskräfte. Und in einem solchen Fall bringt er es glatt fertig, sich selbst zum obersten Sparkommissar aufzuschwingen – getreu dem Spruch seines Lieblingsdichters Wilhelm Busch: »Ach, reines Glück genießt doch nie, wer zahlen soll und weiß nicht wie.« Wiedeking zeichnet tatsächlich eine Zeit lang sämtliche Rechnungen ab tausend Mark eigenhändig – oder er lehnt sie ab. Diese Ein-Mann-Aktion ist unvergessen. Denn heute wird sich niemand im Führungskreis mehr trauen, etwas zu verheimlichen oder das sauer verdiente Geld wieder zum Fenster hinauszuwerfen. Sparsamkeit bleibt selbst im Rausch der Rekorde das oberste Gebot des Westfalen. Obwohl Porsche Luxusgüter fertigt, gibt es an dem Unternehmen nichts Protziges. Der Stil ist schwäbisch schlicht, zeitlos. Das Chefbüro im Bau 1, dem alten Backsteinhaus, wirkt etwas eng, ein großer und ein kleiner Tisch, Vitrinen mit Modellautos. Vielleicht wird alles einmal pompöser, sollte das Porsche-Museum in neuem Glanz erstrahlen. Doch für diese Pläne lässt sich der Boss Zeit. Mit Wiedeking entsteht eine streng vom Kopf her geprägte Unternehmenskultur mit festen Hierarchien. So ist es zum Beispiel kein Zufall, dass er in der ersten Zeit seines Chefseins ausgerechnet Japaner als Pusher zu Porsche holt. Wer hätte strammer noch als sie – autoritär, unterwürfig und ordnungsliebend – den künftigen Geist verkörpern können? Denn im relativ simplen Weltbild Wiedekings dominieren die klassischen Regeln des Teile und Herrsche, von Befehl und Gehorsam, von Zuckerbrot und Peitsche – selbst dann noch, wenn es zu einer Kultur der Anpassung und des Abtauchens vieler Mitarbeiter führt. Mögliche Zweifler oder Kritiker passen nicht in diesen Rahmen, werden postwendend zu »Bedenkenträgern« abgestempelt. Um seine Herrschaft abzusichern, besetzt der Macher an der Spitze systematisch von Anfang an wesentliche Führungspositionen mit Leuten seines Vertrauens. Und auch beim Nachwuchs wird sehr auf Stromlinie geachtet.Heute bekommen innerbetrieblich nur wenige eine Chance zum Aufstieg. Früher war eine Karriere vom Meister zum Manager üblich – Cost-Center-Leiter –, jetzt werden den Alten Junge von der Hochschule, möglichst mit Doktortitel, vor
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die Nase gesetzt. Das treibt einem Gewerkschafter die Zornesröte ins Gesicht: »In der EDV und im Controlling sitzen überall neoliberale Yuppies herum, die als Angestellte im vorauseilenden Gehorsam Arbeitgeberpositionen unterstützen.« Dieses systematische Aussieben nach einem Freund-FeindMuster führt zwangsläufig zu einer Kompanie getreuer Ja-Sager. Die Ausgegrenzten fliehen sobald wie möglich aus der Firma oder gehen in die innere Emigration. »Er ist irgendwie stets präsent und hat überall Leute bis zum Vorstand hinauf positioniert, die seinen Geist vertreten«, charakterisiert ein ehemaliger Manager Wiedekings Herrschaftsstil. Solche rückwärts gewandten Prinzipien verinnerlicht der Porsche-Chef so überzeugend, dass er sich ihnen wie naturgegeben unterwerfen will. »Wir haben konservative Werte«, sagt er im Plural und meint doch zuerst sich selbst, interpretiert die FAZ am Sonntag seine Einstellung (2. 12. 2001). Gehorchen und vollstrecken, das ist seine Erfolgsformel für den Aufstieg. Wiedeking ist der konservative »Wendel« geblieben, der er schon für seine Schulkameraden in Beckum war. Freilich hat er bei seiner Berufskarriere mit starker Willenskraft darauf geachtet, möglichst rasch derjenige in der Hierarchie zu sein, der befiehlt und die Peitsche schwingt. Denn die Freiheit, über sich selbst bestimmen zu können, war und ist ihm stets ein hohes Gut. »Die Zeit zwischen Aufstehen und Schlafengehen allein zu definieren«, bedeutet für ihn »vollkommenes Glück«. Diese Antwort gibt Wiedeking im Prominenten-Fragebogen des FAZ-Magazins (8. September 1995) auf eine entsprechende Frage. Und weil ihm seine Unabhängigkeit so sehr wichtig ist, notiert er im selben Frage-Antwort-Katalog zum Punkt »Traum vom Glück« nochmals: »Meinen Tagesablauf in bester Kondition allein zu bestimmen«. Bei allen Entscheidungen ist der Porsche-Lenker zutiefst davon überzeugt, für alle Gutes zu tun, weil es ja dem Unternehmen dient. Diese Mission ist ihm wichtig. Daran glaubt er wie an ein Gesetz der Natur, das er intern wie extern immer wieder hervorhebt: »Wenn Sie das Gesamtsystem nicht gefährden wollen, müssen Sie die Ziele des Einzelnen dem unterordnen. Das gilt auch für mich. Ich hätte damit kein Problem« (Tagesspiegel, 15./16. 12. 2000). In dieser Haltung liegt der Schlüssel zu seinem autoritären, in Konfliktsituationen äußerst strengen Führungsstil, den er gar nicht leugnet. Es gilt die klassische Kommandostruktur: Gehorsam leisten statt Gehör schenken. Wiedekings Welt ist geprägt von Druck und Zug.
Ein folgsames Management Brave Vollstrecker funktionieren im harten Alltag des Verdrängungswettbewerbs oberflächlich betrachtet besser als eigenständige Größen. So auch bei Porsche, wo das System der Untergebenen selbst die Vorstandskollegen nach Möglichkeit einschließt. Seit dem letzten, eher unfreiwilligen Abgang von Uwe Loos, Chef über Produktion und Logistik bis 1997, kommt es an der Spitze viele Jahre zu keiner überraschenden Personalveränderung mehr. Der langjährige Entwicklungsvorstand, Horst Marchart, ging im Frühjahr 2001 in Pension. Zu seinem Nachfolger kürte Wiedeking einen seiner Favoriten, den Diplomingenieur Wolfgang Dürheimer. Der erste Mann im großen Tüftlerzentrum Weissach sowie bei der Porsche Engineering GmbH, Fremdentwicklung in Bietigheim, behauptet sich in einer relativ unabhängigen, distanzierten Stellung. Zu seinen ihm näher stehenden, getreuen Gesellen indes darf Wiedeking die Ressortverantwortlichen für Finanz- und Betriebswirtschaft, Holger Härter, sowie für Produktion und Logistik, Michael Macht, zählen. Finanzmann Härter muss sich angesichts der Gefahr eines Dollarverfalls auf stressigere Zeiten einstellen und sich eine sichere Auffangposition einfallen lassen. Ein optimaler Gegenwert für die US-Währung ist für die PorscheBilanz wieder ein sehr wichtiger Faktor geworden, da die Abhängigkeit vom Dollargeschäft kräftig steigt. Sie dürfte bald die Marke von 50 Prozent beim Umsatz überschreiten, weil ja vor allem der Cayenne in Amerika ein Hit werden soll. Wegen der Währungssicherung, stets ein heikles Finanzgeschäft, fiel sein Vorgänger Walter Gnauert einst in Ungnade. Weit stärker noch als Härter ist Wiedekings Ziehsohn und ehemaliger Assistent, Michael Macht, gefordert. Der Fertigungsexperte hat mit den Projekten Werk Leipzig und Cayenne alle Hände voll zu tun. Der geborene Stuttgarter muss mit erheblichen Anlauf- und Koordinationsproblemen bei den beiden wichtigen Aufgaben fertig werden. Macht, ein ehemaliger Wissenschaftler am Stuttgarter Fraunhofer-Institut, wird von seiner Umgebung als Typ »abstrakter Akademiker« geschildert. Er soll bevorzugt über Computer statt durch persönliche Ansprache mit Menschen kommunizieren. Dieser unpersönliche Stil im Alltag unterscheidet den betont auf sein Outfit achtenden Techniker deutlich von der zupackenden Art des Pragmatikers Wiedeking, besonders in der Sanierungsphase. Porsche-Leute befürchten, dass Macht die schwierige Herausforderung im Stammwerk Zuffenhausen unterschätzt, wo »jede Abteilung ein Nadelöhr ist«. Unter diesen Bedingungen müssten Macht und sein Stab mehr improvisieren können. Stattdessen strebt er an, die Zahl seiner technischen Planer zu erhöhen – ein Vorhaben, das bei
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Wiedeking auf wenig Gegenliebe stößt. Macht steht unter Druck und weiß – wie alle Manager bei Porsche –, dass er die Geduld seines Ziehvaters nicht zu sehr strapazieren darf. Denn seit Frühjahr 2003 ziehen über dem Unternehmen dunkle Wolken auf. Viele Schnitzer sollte sich in dieser schwierigen Situation niemand leisten. Es könnte bei der gefürchteten Ungeduld Wiedekings das rasche Ende einer Porsche-Karriere bedeuten. Inzwischen kann Wiedeking allerdings dank seiner glanzvollen Ergebnisse und bei der gegenwärtigen Zusammensetzung der Führungsspitze mehr Gelassenheit an den Tag legen, als er es in der Anfangszeit vermochte. Menschlich ist das Verhältnis der Manager untereinander gut. Alle Auserwählten im Porsche-Olymp kennen sich persönlich, sie duzen sich. Diese Form der Kollegialität entspricht auch Wiedekings Bedürfnis nach sozialer Harmonie, besonders in seiner unmittelbaren Umgebung. Bei aller Härte, auch der knallharte Manager will geliebt, zumindest bewundert werden. Die Tuchfühlung mit seinen Gefolgsleuten verleiht ihm eine gewisse Sicherheit, sodass sein strenger Kurs von den meisten ohne Murren akzeptiert wird. Der in Regie der PR-Abteilung entstandene Porsche-Comic klärt die Belegschaft darüber auf, dass der Dr. Wendelin Wiedeking eigentlich »WW« genannt sein will. Diese Abkürzung ist jedoch unter den gut 10 000 Beschäftigten nicht sehr gebräuchlich. Tatsächlich fühlt sich der Manager wohl wie der Leitwolf in einem riesigen Porsche-Rudel, dem die Kapitalseite ebenso angehört wie jeder einzelne Mitarbeiter. Einer gibt die Richtung vor und der Rest folgt dem Anführer möglichst bedingungslos. Bei einzelnen Etappen darf vielleicht der eine oder andere mal seine Meinung sagen, aber am generellen Kurs soll nicht gerüttelt werden. Hält nämlich die Gruppe das Zepter in der Hand, befürchtet Wiedeking, dann gewinnt am Ende »der Langsamste«. Solche Bremser sind dem großen Anführer ein Dorn im Auge. Seine Linie macht er den Porscheanern wo es nur geht klar, wenn es sein muss, auch über die Medien: »Ich habe nur in zwei, drei Situationen versucht, Konsens herbeizuführen. Diese Zeitgenossen bekehren zu wollen, das war zu teuer. Bedenkenträger muss man, hart gesagt, nach Hause schicken«, diktiert der Porsche-Chef dem Berliner Tagesspiegel (15./16. 12. 2000) in den Block. Zweifel seien lediglich »vorher« angebracht. »Nur irgendwann muss eine Strategie verabredet sein, dann gibt es kein Wenn und Aber mehr. Die müssen Sie auch exekutieren.« Wieder zieht der promovierte Maschinenbauer die Natur als Vorlage für sein autoritäres Weltbild heran: »Wenn Sie Äpfel geerntet haben und einer wird faul und Sie lassen ihn liegen, wird die ganze Lage faul. Also schmeißen Sie den einen weg. Das sind Grundprinzipien, die können Sie aus der Natur lernen.«
In der Belegschaft zeigen Wiedekings Worte Wirkung. Die Hauptabteilungs- und Cost-Center-Leiter kuschen, besonders wenn er sie vor versammelter Mannschaft abbügelt.Und Bereichsvorstände getrauen es sich oft nicht mehr, gravierende Entscheidungen allein zu treffen. Sie ducken sich lieber. Die autoritäre Kultur strahlt schließlich bis auf die zweite und dritte Führungsebene aus. Alle wissen: »Der Boss hat den Bums drauf« (ein Ex-Mitarbeiter), »er meint, was er sagt.« Der forsche Ton lässt Kritiker verstummen, in Gesprächsrunden dominieren zunehmend positive Aspekte. »Überbringer schlechter Nachrichten will keiner mehr sein«, deutet ein Teilnehmer die Stimmung. Zwischen Sein und Schein klaffe ein »riesiger Unterschied«, es entstehe eine »Firmenkultur des Anlügens«, beobachtet der Kritiker. Im Buch zu seinem 50. Geburtstag Das Davidprinzip behauptet Wiedeking dagegen: »Wir pflegen eine Unternehmenskultur, die nicht differenziert zwischen Sonntagsreden und Alltagshandeln.« Das ändert freilich nichts am Führungsstil eines gestrengen Patriarchen. »Selbstherrlichkeit und Arroganz wachsen«, befürchten Skeptiker und beobachten eine negative Veränderung, verursacht durch den Erfolg des Managers: »Er lässt sich heute gern hofieren und sucht sich in einer Runde diejenigen aus, die ihn loben und ihm zujubeln.«
Bedingungsloser Gehorsam Mitarbeiter, die nicht auf der Duz-Ebene mit Wiedeking stehen, befürchten, bereits wegen einer falschen Äußerung oder Handlung von ganz oben zur Rechenschaft gezogen zu werden. Der große Boss kann nämlich nachtragend sein. Auf die Frage »Ihr größter Fehler« räumt Wiedeking im ProminentenFragebogen des FAZ-Magazins (8. September 1995) ein: »Unnachgiebigkeit, nicht zu vergessen«. Das kann so weit gehen, dass er Untergebene, die vom Pfad seiner Tugend abweichen,auf der Stelle in ihre Schranken weist – gleichgültig, welcher Ebene der Firmenhierarchie sie angehören. Niemand seiner 10 000 Seelen darf sich vor seinen Augen danebenbenehmen. Dann schreitet er gnadenlos ein. Ein Beispiel dafür bietet er im Sommer 2002 bei einem Besuch der CDU-Politikerin Angela Merkel während des Bundestagswahlkampfs. Als die Parteivorsitzende die Fabrik inspiziert, steckt ihr plötzlich ein Arbeiter, der Anfang der neunziger Jahre aus der DDR gekommen war, außerhalb des Protokolls einen Brief zu. Der Werker beschwert sich darin, dass er angeblich bei Porsche dauernd gemobbt werde. Zudem kritisiert der aufgebrachte Mann – in der Firma ein Einzelgänger – seinen höchsten Vorgesetzten Wiedeking auf einer Betriebsversammlung , dass dieser ein Riesengehalt kassiere, während anderswo die Menschen hungern und verhungern:
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»Wie können Sie mit so viel Millionen noch ruhig schlafen?« Anstatt auf die Anschuldigungen des einfachen Arbeiters gelassen zu parieren, reagiert der Porsche-Chef zutiefst beleidigt. Widerspruch, Aufmüpfigkeit, das verträgt Wiedeking nicht. Auf seinen Druck hin muss der Mann – noch dazu ein Schwerbehinderter – gefeuert werden, koste es, was es wolle. Der Arbeiter wird so lange in die Mangel genommen, bis er »freiwillig« einen Aufhebungsvertrag mit einer Abfindung unterschreibt. Dagegen wehren sich wiederum andere Kollegen. Sie bilden einen Solidaritätskreis zugunsten des Kollegen und für seine Wiedereinstellung. Doch dann bekommen Mitglieder dieser Gruppe ebenfalls Schwierigkeiten, und so geht es weiter. Bedingungsloser Gehorsam aus Prinzip – das gilt auch für Führungskräfte aller Ebenen. Eigenmächtigkeit ist eine Todsünde. Diese Härte bekommt auch Fred Schwab, der langjährige Porsche-Chef von Nordamerika zu spüren. Als der Vertriebsmann zur Eröffnung des Cayennewerks im Sommer 2002 in Leipzig ist, wird er von Wiedeking laut angegangen. Schwabs Vergehen: Er trete auf dem US-Markt dafür ein, den Verkauf des Boxsters durch Rabatte zu fördern. Diese Haltung ist für Wiedeking unakzeptabel. Er ist derart empört, dass er den Amerikaner rüffelt, so laut, dass es die Anwesenden hören. Wiedeking wirft dem US-Repräsentanten vor, eigenmächtig Preisnachlässe (1 500 Dollar) für den Boxster verkündet zu haben, um den Absatzrückgang in Amerika zu stoppen. Wütend verurteilt der Porsche-Lenker Schwabs Aktion. »Wir lassen uns von der derzeit in Amerika geübten Rabattpraxis nicht zu unverantwortlichem Handeln verleiten. Rabatte kosten dem Unternehmen Geld … Für jeden Fahrzeughalter bedeutet der Rabatt eine Abwertung seines Altfahrzeuges …« bekräftigt Wiedeking erneut auf der Hauptversammlung am 24. Januar 2003 in Stuttgart. Obwohl der Absatz in Amerika von Monat zu Monat stärker lahmt, sei seine Politik »klar und unumstößlich«. Porsche lüge sich »nicht mit einem gekauften Markt in die eigene Tasche«. Die Vehemenz solcher Worte müssen dem getadelten Schwab, seit 1985 in der US-Führungsriege mit starkem Rückhalt bei der Porsche-Familie, noch in den Ohren geklungen haben, als er mit ungutem Gefühl nach Atlanta, US-Bundesstaat Georgia, nach Hause flog. Der Zusammenstoß zwischen dem US-Manager und seinem höchsten Vorgesetzten ist auch im Kreis der Kollegen Gesprächsthema Nummer eins. Wie lange wird Schwab diesen Crash überdauern, fragen viele? Fünf Monate später gibt eine Presseinformation die Antwort: »Fred Schwab legt Verantwortung in jüngere Hände«, lautet nüchtern die Überschrift über jene Personalie, die das Aus des langjährigen President und CEO von Porsche-Nordamerika meldet. »Nun neigt sich eine erfolgreiche Karriere ihrem Ende zu«, steht da zu lesen. Fred Schwab,
»Mr. Porsche« in den USA und Kanada, wird zum 1. März 2003, vier Wochen vor seinem 64. Geburtstag, in Rente geschickt. Unter seiner zehnjährigen Führung sei der nordamerikanische Kontinent nicht zuletzt durch den Boom des Boxsters »zum weltweit größten Absatzmarkt für Porsche-Fahrzeuge geworden«. Doch nun ist Schluss, jähes Ende einer Erfolgstour. Schwabs Nachfolger wird ein Getreuer aus der zweiten Reihe: Peter Schwarzenbauer. Er stammt aus der ehemaligen BMW-Motorrad-Gruppe um Hans Riedel,die von 1992 bis 1994 vom bayerischen Autobauer direkt in den Porsche-Vertrieb wechselte.
Geld, Gratis-Porsche und der »Geschäftsbereich Politik« Zum Dank für Anpassung und Schufterei gibt es Zulagen, Prämien und – vorwiegend für die höheren Stände auf Entscheidungsebene – einen Porsche gratis oder zumindest finanziell günstige Leasingverträge. Darin ist per Dienstanweisung nach einem Hierarchieplan genau festgelegt, wer wie oft und an welchen Wochentagen seinen Werks-Porsche zum Nulltarif waschen lassen darf. Nur ein Hochgestellter darf sein Vehikel siebenmal in der Woche einschließlich sonntags reinigen lassen. Die anderen werden nur an bestimmten Tagen in der Woche zur Wagenpflege zugelassen. Das Thema MitarbeiterPorsche nebst Vergünstigungen bewegt seit jeher die Gemüter. Das Leasingangebot – in der Rate ist vieles enthalten, Versicherung, Steuer, Kundendienst, Winterreifen – gilt als prestigeträchtige Auszeichnung für Aufsteiger und solche, die schon oben sind. Zu den Privilegierten können auch Mitglieder des Betriebsrates zählen. Schon bei Neueinstellungen lockt die Hoffnung auf einen Porsche, vor allem bei jungen Leuten, nach dem Motto: »Jetzt bin ich bei Porsche und fahre bald auch einen.« Wiedeking nutzt diese begehrte »Naturalie« intensiv als Anreiz zur Leistungssteigerung. Mit Geld steuern oder übersteuern, das ist immer eine Gratwanderung. Denn was die einen motiviert, das frustriert verständlicherweise all jene, die nicht von den Segnungen profitieren. Das lässt eine große Zahl vermeintlicher Verlierer entstehen. Und dann lebt der Mensch auch bei Porsche nicht vom Brot allein. Daher können nicht alle Rädchen mit Zulagen, Prämien und Privilegierten-Porsche geschmiert werden. Um trotzdem die Maschinerie reibungslos in Gang zu halten, gibt es dafür geeignete Stellen. Eine davon ist der Geschäftsbereich Politik, »GP«. Diese Miniabteilung nimmt wichtige Aufgaben zwischen dem Vorstandsvorsitzenden und dem übrigen Apparat wahr. Diese Stabsstelle ist daher direkt Wiedeking unterstellt. Sie wird von Dr. Gerhard Schäfer geleitet, der im Haus als
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»graue Eminenz« gilt. Der einst direkt aus dem Finanzministerium BadenWürttembergs – CDU – übergewechselte Abteilungsleiter assistiert Wiedeking bei allen Themen der Politik. Doch er spielt auch den Verbindungsmann zum Aufsichtsrat. Schäfer schreibt Reden und fungiert für Wiedeking intern als »Lobbyist« und extern als »Außenminister«. Er gründete und übernahm zum Beispiel das Verbindungsbüro in China anlässlich des Projekts »ChinaVolks-Auto«. Für einen Schwerpunkt hält Schäfer den Draht zur Arbeitnehmerseite einschließlich Gewerkschaft. Aber der Politmanager im Führungsstab bereitet zum Beispiel auch inhaltlich vor, was sein Chef der Familie Porsche-Piëch im Aufsichtsrat sagen will, und er setzt Themen oder Vorschläge für die Sitzungen fest. Schäfer hält die Zügel aus der zweiten Reihe in der Hand, knüpft Kontakte zur Politik und beschwichtigt selbst bei Streitigkeiten im Betrieb. Wiedekings politische rechte Hand wird auch vorgeschickt, wenn der übrige Vorstand von heiklen Themen vorerst nichts erfahren soll. Er fungiert also nicht nur als Botenjunge zwischen Wiedeking und dem Aufsichtsrat beziehungsweise den Belegschaftsvertretern, sondern er erfüllt auch inhaltliche Funktionen. So musste Schäfer sachte die Stimmung im Aufsichtsrat ausloten, als es 1997 um die Position des damaligen Produktionschefs Uwe Loos ging. Der Porsche-Chef wollte nämlich die Stimmung auf der Arbeitnehmerbank für oder gegen den Vorstandskollegen erkunden. »Ich glaube nicht, dass es für Wiedeking Überraschungen bei Abstimmungen im Aufsichtsrat gibt«, sagt ein interner Kenner der Szene mit Verweis auf die Funktion Schäfers. »Nichts dem Zufall überlassen«, dieser Grundsatz des Managers wird in Aufsichtsratssitzungen gleichsam zur Überlebensstrategie. Dank Schäfers diplomatischer Vorarbeit und Wiedekings Witterung für Stimmungen schneidet der Westfale im Kontrollorgan bisher gut ab. Es ist – im Gegensatz zu seinen Vorgängern – kein Dissens mit der Familie erkennbar. Am ehesten knirscht es zwischen Arbeitnehmerlager und Kapitalseite – ein eher natürlicher Vorgang.Trotzdem werden nahezu alle Beschlüsse in Eintracht gefasst. Lediglich bei Sitzungen Ende 2002 und im Frühjahr 2003 scheiterte Wiedeking mit seinen hochfliegenden Plänen, die Entwicklung und besonders die Fertigung von Fahrzeugen für Drittkunden durch Beteiligungen an Firmen in dreifacher Millionenhöhe aufzustocken. Der Manager will unabhängiger von Konjunkturschwankungen im Autobau werden,doch der Familie scheint das Risiko eines solchen Engagements in der krisenhaften Zeit – Irak-Krieg, weltweite Wirtschaftsflaute – zu hoch.
Zwischen Sicherheit und Kontrolle Auf Nummer sicher geht der ordnungsliebende Porsche-Lenker auch beim Schutz des Unternehmens vor äußeren wie inneren »Feinden«. Dieser Wunsch ist insoweit verständlich, als sich Porsche besonders vor Diebesbanden schützen muss. Doch die heikle Frage bei der Schutzbedürftigkeit lautet stets, wo die Grenzen zwischen Sicherheit und Überwachung, etwa der Belegschaft, jeweils verlaufen. Wiedeking jedenfalls wünscht sich eine starke Sicherheitstruppe im Haus. Nur so glaubt er, Vorfälle wie in der Vergangenheit künftig verhindern zu können. Es gab Phasen, da zog Porsche Kriminelle geradezu magisch an. Und manche Diebe arbeiteten und arbeiten als Hehler sogar mit Kontaktpersonen direkt in der Firma zusammen oder schmuggeln eigene Leute ein. So machte sich etwa im Frühjahr 2001 eine Bande von Autoschiebern ans Werk, Autoteile aus der Produktion zu stehlen und sie Stück für Stück ins Ausland,vorwiegend nach Spanien, zu verschieben. Bei einem dieser organisierten Verbrechen soll sogar der damalige Leiter der Sicherheitstruppe Porsches entscheidend mitgewirkt haben. Bei ihm wurden in Garagen Fahrzeugteile gefunden. Seinem Nachfolger gelang es dann in mühsamer Kleinarbeit, den Fall aufzuklären. Es ist also keine Frage, dass sich der Sportwagenbauer vor Kriminalität schützen muss, zumal die Täter dreist vorgehen. So etwa, wenn sie am helllichten Sonntagmorgen während des Kirchgangs ganze Wagenladungen vom Werksgelände stehlen, auf Lastwagen verladen und gen Osten abtransportieren. Oder wenn Gefahren in der eigenen Belegschaft lauern. So zum Beispiel, wenn höhere Angestellte ihre Position im Gebrauchtwagenverkauf dazu nutzen, Hunderte von Sportwagen über die Niederlassung in Chemnitz an einen Grauimporteur in Paris zu verschieben, um kräftig für nie erbrachte Aufbereitungsleistungen der Autos abzukassieren. Und jemand muss sofort im Haus Alarm schlagen, wenn komplette Räder – ein Satz hat für Endkunden einen Wert von 4 000 Euro und mehr – aus dem Vorratslager verschwinden. Dieser Fall wurde erst von der Polizei bei Straßenkontrollen entdeckt. An dieser Tat sollen unter anderem auch zwei Werksmeister beteiligt gewesen sein. Und es muss den Firmenchef natürlich besonders schmerzen, wenn sogar sein früherer Leibwächter in dubiose Machenschaften verwickelt ist. Der Sicherheitsmann, der oft locker mit der Knarre spielte, wohnte sogar im Haus der Wiedekings und hatte daher einen persönlichen Zugang zur Familie. Er soll unter dem Namen Wiedekings krumme Sachen mit zwei Porsche-Turbos gedreht haben. Solche Vorfälle verunsichern die Firma regelmäßig, obwohl Wiedeking glaubt, »die Guten und die Schlechten« im Hause genau zu kennen und fest
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im Auge zu haben. Doch irgendwo scheint es Schwachstellen in seinem Herrschaftsbereich zu geben. Daher verfolgt der Manager das Ziel, mögliche Lecks, denen er zum Teil persönlich nachspürt, endgültig zu schließen. Den neuen Sicherheitschef seit 2001 wies er daher an, seinen Bereich viel schlagkräftiger als vorher zu organisieren. Diese strikte Vorgabe macht allerdings viele Mitarbeiter hellhörig. Sie befürchten, dass der oberste Wachmann weit übers Ziel hinausschießen könnte. Denn der nun amtierende Security-Leiter ist andere Dimensionen als die bei Porsche gewohnt. Bei seiner vorigen Stelle befehligte der Mann nämlich die Sicherheitstruppe am Frankfurter Flughafen und damit fast eine kleine Armee mit 2 500 Sheriffs. Und davor soll er Abteilungsleiter beim Bundeskriminalamt, BKA, gewesen sein. Was jedoch motiviert ihn, jetzt eine vergleichsweise kleine Mannschaft von bestenfalls 75 Werksschützern zu führen, die dem Personalressort untersteht? Gerüchte sprechen von einem »Hochsicherheitskonzept«, das eine stärkere Bewaffnung der Sicherheitsleute vorsieht und dazu an jeder Pforte elektronisch überwachbare Durchgangskontrollen für jeden Passanten. Das klingt für manche wie der Einstieg in den Überwachungsstaat im Kleinen. Entsprechend heftig ist der Widerstand des Betriebsrats gegen diese »Alles-unter-Kontrolle-Mentalität«. Daher ist die ursprünglich vorgesehene Totalüberwachung von Belegschaft wie Besuchern durch Porsche-Polizisten per Videokameras, Chipkarten und Computer durch ein ständiges Veto der Arbeitnehmervertreter vorerst vom Tisch. Zur Furcht mancher Porscheaner passt auch die zeitweise Angst von Führungskräften, dass ihr Telefon abgehört werden könnte. Als freilich eigens von der Deutschen Telekom aus Frankfurt am Main herbeigerufene Experten den Verdacht untersuchten, kamen sie zu einem negativen Ergebnis. Das Thema Sicherheit steht allerdings weiter auf der Tagesordnung, weil Wiedeking eher an einer Verschärfung der inneren Sicherheit festhält.
Die zwei Gesichter des Karrieremanagers Der Ehrgeiz, alles unter Kontrolle zu haben, erstreckt sich ganz besonders auf die Außenwirkung der Sportwagenfirma. Hier sollte alles möglichst wie Gold glänzen. Denn wer so hoch steigt wie der Junge aus einfachen Verhältnissen in Beckum, der möchte gerade bei Vergleichen mit der Konkurrenz ungern als Verlierer dastehen. Niederlagen und solche, die er dafür hält, steckt der verwöhnte Aufsteiger nämlich schlecht weg. So reagiert er besonders empfindlich, wenn Porsche-Autos im Urteil der Medien nicht spitze abschneiden. Diese Schmach widerfuhr Wiedeking ausgerechnet bei seinem jüngsten Baby, dem Geländewagen Cayenne. Das Spaßauto belegte bei der Vergabe des
»Goldenen Lenkrads« (Springer-Presse) »nur« Rang drei. Auf dem Spitzenplatz landete der billigere Bruder des Cayenne, der Touareg von VW. Den 2. Preis in der »Sonderklasse Geländewagen« ergatterte der BMW X 5. Die Jury begründete den Trostpreis für Porsche im November 2002 vor allem damit, dass der Cayenne zu teuer und daher nur für wenige erschwinglich sei. Dieses Urteil nahm Wiedeking tödlich beleidigt auf, sodass er die Gala-Veranstaltung zur Preisverleihung – sie wurde im Fernsehen übertragen – mit Verachtung strafte und gar nicht erst erschien. Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Diese Regel für aufrechte Verlierer hätte der Wirtschaftsboss just zu dieser Zeit anlässlich seiner Ritterrede in Aachen üben können. Das persönliche Gekränktsein passt so gar nicht zu dem auf allen offiziellen Fotos von ihm verbreiteten bekannten Lächeln. Die zwei Gesichter Wiedekings – nach außen der moderne, sozial verantwortliche, umweltfreundliche Unternehmer, nach innen der harte Manager, der kaum Widerspruch duldet und knauserig jeden Cent beäugt – sorgen für Verwirrung. Da ist der scheinbar unnachgiebige Boss, der seinen Mitarbeitern bei Löhnen, Gehältern und bei Arbeitszeiten möglichst hohe Zugeständnisse abtrotzen will und andererseits öffentlich die »soziale Verantwortung« von »nur jammernden Unternehmern« anmahnt und dazu den Standort Deutschland hochhält. »Es dürfen nicht immer nur die anderen gesellschaftlichen Gruppen zum Verzicht auf überholte Besitzstände aufgefordert werden.« Dieses Verhalten sei »billig und kontraproduktiv«, hören Porscheaner ihren Chef mutig sagen. Aber in seiner Firma sind es die Untersten, auf deren Rücken die nächste Krise als Erstes ausgetragen wird. Für die Porscheaner auf Abruf mit befristeten Arbeitsverträgen klingen solche Beteuerungen, wie auch für viele andere Beschäftigte im Werk, wie Hohn. Da ist der starke Porsche-Chef, der kleine Nachbarn des Stammwerks in Zuffenhausen die wirtschaftliche Not fürchten lässt, weil sie sich gegen die Lärm- und Geruchsbelästigung durch das neue Motorenwerk wehren. Dem steht das werbewirksame Bekenntnis Porsches zu umweltfreundlicherer Produktion und ebensolchen Produkten entgegen. So preist Wiedeking den Porsche 911 in einem Vortrag an der Hochschule in Aachen als sauberstes Auto der Welt: »Jeder, der dieses Auto nicht fährt, stinkt mehr.« Starke Worte für jemanden, der im Glashaus sitzt. In Widersprüche zum Umweltschutz wie zum Thema »Subventionen« verwickelt sich Wiedeking auch in einem Streit mit der Gemeinde Weissach. Dort tritt ein scharf kalkulierender Topmanager massiv auf, der sich strikt weigert,eine Abgabe für ein dringend notwendiges großes Auffangbecken für Abwässer zu entrichten. Besonders erschrocken sind die Gemeindeoberen über einen von ihnen als »erpresserisch« empfundenen Brief. In diesem
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Schreiben droht der Porsche-Boss unverhohlen für den Fall, dass der Ort Porsche über Gebühr zur Kasse bitten sollte: »Dann gehe ich eben nach Leipzig!« Nun fragen sich die Betroffenen verdutzt: »Was zählt denn eigentlich? Wiedekings Worte oder seine Taten?« Steht Porsche nicht zu der offen geäußerten ökologischen Verantwortung? Auf der anderen Seite fließen Millionen in Sponsorenaktivitäten sowie in ein vielfältiges Mäzenatentum. Politisches und soziales Engagement in öffentlichen Auftritten und Interviews anzumahnen, ist eine Seite des Porsche-Lenkers; knüppelhart und – für die Betroffenen – rücksichtslos die eigenen Interessen zu vertreten, seine andere. Da lenken mildtätige Spenden für Flutopfer und Kirchen eher von der rauen Wirklichkeit ab. Beim Thema »Jahresgehalt« wächst der Manager erneut zum Goliath heran. Er äußert sich zwar nie zur genauen Höhe seiner Bezüge, aber Insider schätzen, dass sein Verdienst mehr als die Hälfte der gesamten Vorstandsbezüge von 19,5 Millionen Euro ausmacht (Geschäftsjahr 2001/02). Daher wird sein Salär abzüglich der Pensionsrückstellungen auf etwa 8,5 Millionen Euro taxiert. In den vergangenen fünf Erfolgsjahren dürfte er insgesamt um die 40 Millionen Euro kassiert haben. Damit zählt der Porsche-Chef konstant zu den »Spitzenverdienern« (manager magazin, 20. 7. 2001) unter Deutschlands FirstClass-Angestellten. Doch so gern er zu brisanten Themen das Wort ergreift, so schweigsam bleibt er bei der pikanten Frage, wie er sein Riesengehalt rechtfertigt. Matt verteidigt er es mit seiner Leistung und findet andererseits die Veröffentlichung seines genauen Verdienstes nicht gut. Ebenso ungern will er darüber diskutieren. Dies müsse zwangsweise »zu einer Angleichung nach oben führen«. Beim Geld hört bei Wiedeking der soziale Anspruch auf, und es heißt wie bei anderen Topmanagern: einer für alle. Ein Teil dieser Widersprüche erklärt sich aus dem Anspruch Wiedekings an sich selbst, überall der Beste sein zu wollen: der effizienteste und kostengünstigste Autofabrikant in Deutschland einerseits, aber auch der sozialste Chef andererseits; ein kreuzbraver Steuerzahler und Verweigerer jeglicher Subventionen einerseits, andererseits jedoch wird ein Großteil des Cayenne im VW-Werk Bratislava gefertigt, wo ebenso direkt wie indirekt staatliche Zuschüsse an die Vorlieferanten, VW und Zulieferbetriebe, fließen. All das wäre weniger verwerflich, wenn der Porsche-Stratege bei der Selbstdarstellung in den Medien bescheidener auftreten, wenn er bei seinen Rundumschlägen nicht mindestens einen Tick zu weit gehen würde. Zu penetrant präsentiert er sich den Konkurrenten als »Mr. Hundertprozent«. Seine Kritik an staatlichen Beihilfen für profitable Unternehmen, an der kopflosen Verlagerung ganzer Fabriken in Billiglohnländer, an Bossen von Banken und
Börsen oder an zu hohen Managergehältern in Amerika zielen oft in die richtige Richtung, doch sind sie vielfach zu dick aufgetragen. Auch der PorscheManager ist angreifbar. Zum Beispiel in der Standortdebatte um »Made in Germany«: Von den drei Baureihen stammt nur die 911er-Serie ganz aus Deutschland. Der Boxster entsteht, gemessen an der Wertschöpfung (Montage, Innenraum, Motor, Elektrik und so weiter), zu gut 60 Prozent in Finnland. Und weit über 90 Prozent der kleinen Flitzer werden bei der Fremdfirma Valmet im finnischen Uusikaupunki gebaut. In Zuffenhausen werden bis 2002 nur 500 bis 700 Boxster von 20 000 und mehr pro Jahr gefertigt – und das auch nur auf Druck des Betriebsrats. Erst seitdem im Stammwerk auch die Fertigung des 911ers sinkt, wird die Produktion des Boxsters hier hochgefahren. Wenig von »Made in Germany« ist auch am Geländewagen Cayenne zu finden. Die Motoren allerdings kommen wie beim Boxster aus Zuffenhausen. Alles in allem dürfte der Eigenanteil an der Cayenne-Produktion kaum mehr als 10 Prozent betragen. Danach müsste sich Wiedeking der eigenen Standortkritik stellen.
Schwachstellen bei Porsche Die Stärken Wiedekings liegen in Produktion und Logistik. In der Organisation existieren jedoch noch kritische Schwachpunkte. Dazu gehört sicher mehr Ordnung im EDV-Bereich. Hier müsste das lästige Durch- und Gegeneinander verschiedener veralteter Systeme in Vertrieb, Verwaltung, Service sowie in der Zusammenarbeit mit Lieferanten endlich beseitigt werden. Längst warten die betroffenen Mitarbeiter darauf, dass die Computerarbeit mit einer einheitlichen Software für alle Standorte modernisiert wird. Dieser überfällige Schritt in der Ressortverantwortung von Holger Härter wurde immer wieder hinausgezögert. Nun läuft ein Projekt über die stattliche Summe von 350 Millionen Euro samt IT-Truppe an. Doch der ersehnte Durchbruch lässt weiter auf sich warten. Und selbst in der Produktion halten sich hartnäckig ein paar Probleme. Die aufwändige Nacharbeit etwa bei Motoren ist zu einem Ärgerthema geworden. Die Fehlerquote bei den komplizierten Porsche-Aggregaten ist so hoch, dass sich inzwischen eine eigene Abteilung darum kümmern muss. »Heute wird eine bestimmte Fehlerquote einfach akzeptiert«, bedauert ein alter Hase aus dem Werk. Die Rückläufe von den Werkstätten und Händlern werden still auf eine Palette verladen und ab damit in die Ersatzteilfertigung. Die speziell für Reklamationen zuständige Abteilung »Ersatzteilmotoren« wurde erst im Jahr 2000 im Werk 6 eröffnet, speziell für wassergekühlte Antriebe. Hier
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werden auch Ersatzteile für defekte Motoren produziert. Inzwischen ist die Nacharbeit ständig belegt, was die Schaffung einer eigenen Ersatzteillinie mit inzwischen 28 Beschäftigten im Herbst 2002 erforderte. Diese kostenträchtige Nacharbeit entspricht immerhin einer kompletten Schicht am Band. Die Gründe für mangelhafte Leistungen im Aggregatebau sehen Insider im Zwang zu ständig kürzeren Fertigungszeiten. Gemeinsam mit Abteilungsleitern bis zur dritten Führungsebene legt Wiedeking strikte Zielvorgaben fest. Die Arbeiter werden dabei nicht gefragt. In diesen Plänen wird zum Beispiel ein Rationalisierungsziel in der Fertigung von 8 Prozent vorgegeben, wovon die Abteilungen dann mindestens 6 Prozent erfüllen müssen. Vor dieser »Ratio-Knute« ziehen sämtliche Werker den Kopf ein. Doch »jetzt wird die Luft allmählich dünner, besonders im Motorenbau«, stöhnen die Betroffenen und verweisen auf negative Folgen. Sie beobachten zum Beispiel, dass bestimmte Prüfungsvorgänge während der Produktion nicht mehr sorgfältig ausgeführt werden, weil die Zeit dafür fehlt. Manchmal müssen ganze Serien in einer kompletten Acht-Stunden-Schicht nachgearbeitet werden. Mit diesen Qualitätsmängeln verkehrt sich der von oben diktierte Rationalisierungsfortschritt ins Gegenteil. Porscheaner sprechen dann von »MinusRatio«. Solche Schwächen sind typisch für eine Struktur, die blind Befehle erteilt, ohne die Konsequenzen im Detail zu bedenken. Neben negativen Folgen durch den Zeitdruck tritt noch ein fertigungstechnisches Problem speziell bei wassergekühlten Motoren für den 911er auf. Die seit 1997 angebotenen Aggregate leiden unter einer hohen Ausschussquote, rund 10 Prozent, besonders auf den ersten 5 000 bis 10 000 Kilometern. Die Zylinderlaufflächen für die Kolben der Motoren werden nach einem speziellen Porsche-Verfahren gefertigt. Die Maschinen dafür werden auf Wunsch von Wiedeking in Japan beschafft. Doch irgendwie bekommen die Techniker den Prozess der Direktbeschichtung in der Zylinderfertigung seit Jahren nicht in den Griff. Auch dieser Mangel führt zu Einbußen bei der Qualität und verursacht hohe Kosten. Warum der ausgewiesene Produktionsfachmann Wiedeking hier nicht konsequenter durchgreift, ist Beobachtern ein Rätsel. Doch solange bei Umsatz, Absatz und Dividende »die Zahlen stimmen«, sind diese Pannen nur Randnoten einer Erfolgsstory.
Feiern bis zum Abpfiff Was der Porsche-Lenker den Mitarbeitern an Leistungsstress und Überstunden abverlangt, das versucht er durch ein Stück Ambiente auszugleichen. Zumindest für die mittlere und obere Führungsebene ist das sein Angebot im
Sinne einer zusätzlichen Mitarbeitermotivation. Es ist zugleich die typische Art, wie der Westfale die Maxime von »leben und leben lassen« versteht. »Man darf sich nicht immer nur der Arbeit widmen,sondern muss auch mal Mensch sein.« Von dieser Weisheit des Managers aus dem Aachener Karnevalstreiben sind auch Stückchen im Unternehmen zu finden. »Unter Wiedeking haben die Feiern eine Konstanz bekommen, auch in schwierigen Phasen«, stellen Mitarbeiter fest. Und meistens sei »der Job mit Vergnügen verbunden«. Wintererprobung der Vehikel im hohen Norden, Vorführungen bei Händlern in aller Welt, Messen übers ganze Jahr, Weihnachtsessen, Jubiläen, Geburtstage, Sitzungen, Termine und Tagungen im Entwicklungszentrum in Weissach oder in einem Luxushotel. Nach dem offiziellen Teil geht es meist hemdsärmelig entspannt mit Bier, Schnaps und Wein zur Sache. Manager sollten möglichst eine besondere Standhaftigkeit aufweisen. Denn dann ist der Chef auch zu persönlichen Fragen ansprechbar, so ein Beteiligter, »am besten morgens gegen drei Uhr nach dem zehnten Bier«. Die traditionellen »Hocketsen« (schwäbischer Ausdruck für ausgiebiges ausgelassenes Feiern) der Leitenden in Weissach dauern oft bis in die Frühe. Besonders Mitglieder aus dem Vorstand sollten sich in solchen Männerrunden als trinkfest mit gutem Sitzfleisch erweisen. Wichtig ist, wer an der Tafel neben dem Boss sitzen darf. Und jedes Jahr im Hochsommer, kurz vor den Werksferien, findet eine »Hocketse« für die ganze Belegschaft samt Anhang am Stammsitz Zuffenhausen statt. Dann begrüßt Wiedeking die 10 000 bis 12 000 Gäste, macht den Fassanstich, »hockt« unterm Volk und lobt die Schwaben als »grundehrlich und bodenständig, da sind wir Westfalen ganz ähnlich gestrickt«. Ein Chef zum Anfassen will der Westfale auch sein, wenn er die Kollegen ab und zu privat in seine Villa einlädt, etwa nach offiziellen Sitzungen wie Aufsichtsrat, Wirtschaftsausschuss oder nach Geschäftsterminen und Reisen. Mit Lust Geschäfte machen, behaupten die einen. »Wenn das der Ferdinand [Ferry Porsche; der Autor] wüsste«, heben andere mit diesem geflügelten Wort bei Porsche den Finger. Beim leiblichen Genuss stiehlt die kleine Sportwagenschmiede den konkurrierenden Riesen gern die Show. So wartet Wiedeking bei Messen und Treffen mit persönlichem Koch und schwäbischen Spezialitäten auf – selbst im fernen China. Auf der Automobilmesse in Peking jedenfalls fand der Messestand der Zuffenhäuser ziemlichen Anklang. Die chinesische Regierung hatte damals die Autobauer des Westens aufgefordert, einen Vorschlag für einen familienfreundlichen »Volkswagen« zu machen. Porsche präsentierte die Entwicklung C 88 (Projekt Büro Schäfer), den »China-VW«. Überraschend erschien auf dem Messestand die höchste Politprominenz des Landes und steuerte direkt auf Porsche zu. Die benachbarten
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Mercedes-Kollegen staunten nicht schlecht, dass das Staatsoberhaupt sofort zum Zwerg aus Zuffenhausen ging und nicht zuerst zu ihnen kam. Selbst nach Abschluss der offiziellen Präsentation im Lufthansa-Hotel, Kempinski Peking, zog das Porsche-Team im Bierkeller deutlich mehr Leute an als der große Stern von Stuttgart. Und natürlich stand Wiedeking für diesen Triumph selbst seinen Mann. Bis zum Abpfiff um Mitternacht wurde zünftig gefeiert. Das verleiht Porsche die persönliche Note als Familienbetrieb – und ist wieder mal typisch für den minimalistischen Wiedeking: mit wenig Mitteln viel erreicht.
Für Betriebsräte und Mitarbeiter: Zuckerbrot und Peitsche Der Umgang mit der Belegschaft ist stets eine schwierige Herausforderung. Bei dieser Führungsaufgabe spielen Geschick und Taktik in Abstimmungsfragen mit Betriebsräten den wichtigsten Part. Die Bedeutung dieser Kontakte wird Wiedeking als Porsche-Chef sofort klar. Gerade Unternehmen von der Größe Porsches, dazu noch in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft, müssen weitgehende Mitbestimmungs- und Gestaltungsrechte der Arbeitnehmer beachten. In einer derart »mitbestimmten« Firma existiert neben dem Betriebsrat auf der Arbeitsebene zusätzlich eine starke Einflussnahme über den Aufsichtsrat.Denn die Hälfte der Mitglieder in diesem obersten Kontrollund Mitbestimmungsorgan werden von der Belegschaft gewählt. Im Streitfall – er ist in Deutschlands Aufsichtsgremien höchst selten und wird möglichst im Vorfeld vermieden – verfügt der Aufsichtsratsvorsitzende, der die Kapitalseite vertritt, stets über zwei Stimmen. Bei Porsche sitzt der ehemalige Henkel-Manager und zeitweilige Sanierer der Deutschen Telekom, Professor Dr. Helmut Sihler, dem Aufsichtsrat vor. Sein Stellvertreter ist üblicherweise ein Vertreter der Arbeitnehmer, hier der Gewerkschaftsfunktionär Diplomingenieur Hans Baur. Auch der Betriebsratsvorsitzende, Uwe Hück, sowie andere Funktionsträger der Mitarbeiter,etwa leitende Angestellte,gehören dem Gremium an. Für die Führungsspitze eines Unternehmens sind die Machtverhältnisse im Aufsichtsrat und sogar die Meinungen einzelner Mitglieder von immenser Bedeutung: Sie müssen dem Vorstand kraft ihrer Kontrollfunktion auf die Finger schauen, und sie sind es auch, welche die Vorstände faktisch berufen oder wieder in die Wüste schicken können. Ein Vorstandsboss ist daher gut beraten, sich mit beiden Seiten – Familie wie Arbeitnehmern – gut zu stellen. Sie sind ja schließlich seine »persönlichen Arbeitgeber«.
Kritik aus ihren Reihen kann die Position jedes Managers erschüttern und seine Wiederwahl gefährden. Menschen, die wie Wiedeking politisch denken, erklären daher den Umgang mit den Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat zur Chefsache.Das Ziel ist es, die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in die Firmenstrategie einzubinden. Zentrale Aufgabe dabei ist die regelmäßige Auseinandersetzung mit den Betriebsräten, die eine vorbehaltlose und kluge Kontaktpflege zu den Spitzen der Belegschaft erfordert – die hohe Schule erfolgreichen Managemts. Ferdinand Piëch, Porsche-Großaktionär und Förderer Wiedekings, ist mit dieser Strategie an die Spitze des Volkswagenkonzerns gelangt. Er macht für sich im Hintergrund Wahlkampf im Gewerkschafts- und Arbeitnehmerlager (Franz Steinkühler, Walter Riester) sowie bei Vertretern des Landes Niedersachsen (graue Eminenz: der damalige Ministerpräsident Gerhard Schröder) – und gewinnt. »Über die Jahre hatte ich mich weitgehend aus dem Feindbild der Gewerkschafter herauslösen können«, beschreibt der Porsche-Erbe in seiner Biografie. Er habe »selber dazugelernt« und sich »ein Mindestmaß an Diplomatie angeeignet«. Klassenkampf sei längst nicht mehr das Thema gewesen, »sondern Krisenbewältigung«. Eine solche pragmatische Haltung gegenüber führenden Vertretern der Arbeitnehmer nimmt auch Wiedeking zunehmend ein – wenn auch die diplomatische Seite nicht immer zu seinen Stärken zählt. Der schnörkellose Westfale geht die Kontakte lieber direkt an. Das kann in der Praxis bis auf die Kumpelebene hinab führen. Der Chef bemüht sich schon mal persönlich und geht über die Straße ins Werk 2 zum Betriebsratsbüro, um den Vorsitzenden Uwe Hück zu sprechen, wenn ihm ein wichtiges Anliegen auf den Nägeln brennt. Oder der Boss sucht den direkten Draht übers Telefon, um den Vorsitzenden des Betriebsrats in seinen Standpunkt einzuweihen.
Wiedeking im Nahkampf »Wiedeking harmoniert sehr gut mit dem Betriebsrat und hat den Draht nach unten nie verloren, weil er seine Herkunft nie verleugnet. Er war ja sozusagen mal einer von ihnen.« Diese Aussage ist typisch für die Meinung im Haus zu diesem Thema. »Wenn einer den direkten Kontakt zu ihm sucht, dann bekommt er den auch.« Der Porsche-Comic lässt denn auch allen Ernstes in einer Sprechblase fragen: »… wäre wohl auch ein guter Gewerkschaftsboss geworden, oder?« Antwort eines älteren Kollegen: »Könnt’ ich mir gut vorstellen. Aber er ist nun mal auf der anderen Seite …, weil wir ja auch einen starken Betriebsrat haben, der mit WW [Wendelin Wiedeking, der Autor] wohl ziemlich gut kann und …« Entgegnung: »… offenbar auch umge-
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kehrt?!« Sprechblase des Alten: »Davon gehe ich mal aus. WW ist ja bis heute auch eher auf dem Boden geblieben als andere, die so’ne vergleichbar mächtige Position haben.« Dieser nette Comic-Sketch verrät allerdings nur die halbe Wahrheit. Der Porsche-Primus vertritt seine Positionen im Belegschaftskreis mit großer Autorität, wie auch seine Körpersprache verrät. Dann hebt der große Boss warnend den Finger, klopft zuweilen auf den Tisch und befiehlt: »So wird das jetzt gemacht! Und nicht anders!« Und damit das auch so verstanden wird, wie es gemeint ist, versetzt der Firmenchef den Mitarbeitern hier und da – etwa über die Presse – einen verbalen Tritt: »Wen ich beim Zurücklehnen erwische, den mische ich auf.« Zwar gibt er diese derbe »Uneigenart« offen zu (Aachener Zeitung, 11. 2. 2003), aber er unterdrückt sie nicht, wohl wissend, dass er damit Menschen einschüchtert, anstatt sie anzuspornen. Stattdessen beschwichtigt Poltergeist Wiedeking: »Ich versuche halt, in meiner Belegschaft nahe am Ball zu bleiben und nehme mir das Recht heraus, klar durchzusteuern. Ich weiß, dass ich dann unangenehm werden kann.« (Aachener Zeitung, 11. 2. 2003). In der Hitze des Gefechts kann der Boss sogar beleidigend werden, Untergebenen direkt den Rausschmiss androhen. Bei Widerspruch reagiert er nicht zimperlich: »Dem schneide ich die Eier ab«, haben ihn Mitarbeiter zum Beispiel schon schimpfen hören. Oder er verkündet: »Wir brauchen hier Leute, die motiviert sind und arbeiten.« Andersdenkende seien unerwünscht. Diese Schroffheit eines Patriarchen gepaart mit westfälischer Sturheit fördert oder provoziert gar eine ablehnende Haltung in der Belegschaft. Manche Beschäftigten empfinden Wiedeking zunehmend als »Gewerkschaftshasser«. Streiks zum Beispiel, auch bei Zulieferfirmen, kontert er ohne langes Zögern durch Verlagerung der Produktion. Der Chef glaube zwar, alles im Griff zu haben, nur hätte er lange Zeit nicht die Souveränität aufgebracht, sich selbst im Griff zu halten, kritisieren sie. Beleidigungen, Drohungen, cholerische Ausfälle gegenüber Untergebenen führen sie als Beweise an. Wer einmal seinen starken Willen gereizt und seinen kantigen Stil verspürt hat, behaupten Mitarbeiter, ist vor ihm nicht mehr unbedingt sicher. Sie meinen: »Wiedeking ist rachsüchtig.« Kritiker im Hause würden gnadenlos rausgemobbt und – Hauptsache weg! – notfalls mit Geld kaltgestellt. Er habe mehrfach gedroht: »Rein in den Betrieb kommst du nicht mehr!« Gelegentlich wird sich der Boss seiner autoritären Art bewusst und fällt in Selbstironie: »Ab und zu möchte ich mich nicht zum Chef haben.« In jüngerer Zeit habe sich sein Verhalten gebessert, räumen allerdings auch Kritiker ein. Wiedekings Stärke im Umgang mit der Belegschaft liegt »im Nahkampf«, im direkten Gespräch. »Man kommt mit ihm nur auf der persönlichen
Schiene weiter«, weiß ein Verhandlungspartner. »Im kleinen Kreis ist er kommunikativer, umgänglicher, aber auch einnehmender.« In großen Sitzungen, bei Versammlungen,vor einer Mitarbeiterkulisse wirkt der Manager schroffer, verhaspelt sich, reagiert auf Kritik oft ungehalten, ist nicht mehr spontan. »Im großen Rahmen wirkt der große Boss eher kontaktscheu, so, als wäre da eine Mauer.« Im Betrieb sucht Wiedeking seltener den Kontakt zum Publikum. Umso gezielter bindet er die führenden Köpfe der Arbeitnehmer geradezu kumpelhaft ein, wenn es seiner Sache dient. Gewollt oder ungewollt grenzt er damit alle anderen vom Arbeitnehmerlager einseitig aus. Dieses Verhalten stellt für die umworbenen Betriebsräte und Gewerkschafter allerdings eine Quelle ständiger Anfeindungen und des Misstrauens aus der Belegschaft dar. Damit trägt Wiedeking dazu bei, mögliche Gegensätze – auch im Betriebsrat – noch zu verschärfen. Manche halten diese Teile-und-herrsche-Politik für pure Absicht. So soll sich Wiedeking bei einer großen Konferenz mit Vertretern der Tarifparteien gebrüstet haben, dass er »den Betriebsrat im Griff« hat. Eine solche Aussage untergräbt nicht nur das Vertrauen zu ihm, sondern ebenso zum betreffenden Betriebsratsvorsitzenden. Dasselbe gilt, wenn ausgerechnet der Firmenboss dem Betriebsratsvorsitzenden, damals Steinbeck, nach einer Betriebsversammlung ebenso demonstrativ wie plump zu seinen Erfolgen gratuliert. Setzt er dann noch eins drauf und bedeutet seinem wichtigsten Verhandlungspartner, dass er sich »nicht allzu sehr von den Radikalinskis in den eigenen Reihen beeinflussen lassen und eigene Wege gehen« solle, dann entfernt dieser väterliche Rat den Betriebsrat schlagartig meilenweit von der Basis. Denn ein solcher Spaltungsversuch eint eher die misstrauisch gewordenen Kollegen. Es ist schwer nachvollziehbar, warum bei Porsche trotz lang anhaltender Erfolgssträhne so viel brisanter Konfliktstoff zusammenkommt. Offenbar gibt es immer genügend zu regeln. Die Themen – dauernde Rationalisierung, Qualitätsvorgaben, Standortsicherung Zuffenhausen, neues Werk Leipzig, befristete Arbeitsverhältnisse, Entlohnung, Ausgliederung von Unternehmensteilen und vieles mehr – schaffen ständigen Klärungsbedarf. Dabei entzündet sich mancher Streit an Wiedekings flottem Expansionstempo unter dem Diktat seines straffen Sparkurses.Denn selbst wenn die Kasse noch so voll ist, verlangt der Manager eisern, dass alles effizient sein und Geld bringen muss. Doch seine Verhandlungspartner auf der Arbeitnehmerseite kommen dadurch in Bedrängnis, denn der Belegschaft werden selbst in den besten Zeiten Opfer abverlangt. Und in der Krise erhöht Wiedeking diesen Druck noch, wie in den wilden Zeiten zu Beginn: »Wir haben mit unseren Mitarbeitern keinen Schmusekurs gefahren, wir haben den Menschen gesagt, wie
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es um das Unternehmen steht«, gibt er zu Protokoll (Aachener Zeitung, 12. 4. 1997). Sofort bei seinem Einstieg wurden viele Leistungen, darunter auch das Weihnachtsgeld, gestrichen, was die Betroffenen – wie die Entlassungswelle – auf die Barrikaden trieb. Wiedeking erinnert sich noch an jenen Tag, als die gesamte Belegschaft Ende 1992 vor dem Verwaltungssitz gestanden habe und er ihnen seinen Standpunkt erklärte: »Die B 10 war gesperrt. Da bin ich mit dem Megaphon rausgegangen und habe gesagt: Ihr könnt schreien und trampeln, ich habe keine andere Chance – und dabei habe ich mich schlecht gefühlt. Aber das gehört alles dazu, wenn man das Unternehmen wieder flottkriegen will.«
Die Spaltung des Betriebsrats Wie jedoch schafft es Wiedeking bei solchen Frontstellungen, den Betriebsrat in den meisten Fällen auf seine Seite zu ziehen? Die Antwort liegt in seiner hartnäckig verfolgten Umarmungstaktik, die er durch seine ganz persönliche Art zum Erfolg bringt. Auf eine einfache Formel gebracht: Wiedeking wendet eine konservative Politik von »teile und herrsche« an und bringt sich dabei selbst ein. Der Porsche-Manager konzentriert dabei sein Handeln auf die führenden Mitglieder im Betriebs- und Aufsichtsrat (IG-Metaller). Sie bindet er eng in seine Taktik ein, um ihnen ein gewisses Maß an Mitverantwortung aufzubürden. Das gelingt ihm zum Beispiel gut, als es Anfang bis Mitte der neunziger Jahre darum geht, die Produktion in Zuffenhausen mithilfe japanischer Methoden (Kaizen, Kanban, Just-in-Time) im Hauruckverfahren zu straffen. Die Situation war ziemlich kritisch, »Porsche stand auf der Kippe und der konjunkturelle Hintergrund erschien düster. Da klammerte sich jeder an seinen Posten«, schildert eine Mitarbeiterin. Um jedoch die Widerstände gegen Stellen- und Sozialabbau zu überwinden, lädt Wiedeking Arbeitnehmervertreter dazu ein, sich vor Ort selbst ein Bild von den »schlanken Produktionen« in Japan und Nordamerika zu machen. Das ist der Startschuss für einen Fabriktourismus von Porsche-Vorständen gemeinsam mit Belegschaftsvertretern nach Fernost. Ebenso besuchen Betriebsräte in zwei Gruppen die USA und Kanada und sind rund eine Woche lang unterwegs. Die mitreisenden Betriebsräte sind sich der hintersinnigen Absicht Wiedekings bei solchen Einladungen sehr wohl bewusst: »Es ist eine gängige Methode des Managements, um Arbeitnehmervertreter in die Aufgaben und Zielsetzungen des Managements einzubinden«, räumt ein damals Mitreisender ein. Andererseits bieten solche Touren auch die Chance, sich ein objektiveres Bild von den Vorstellungen der Firmenspitze zu machen, um mit ihr auf
Augenhöhe verhandeln zu können. Letztlich aber läuft Wiedekings Form der Einbindung darauf hinaus:Die Betriebsräte organisieren den Stellenabbau mit und vermitteln ihn der Belegschaft. Aus Sicht des Managements klappt diese Kooperation bei Porsche bis heute recht gut. Dafür geraten zum Beispiel die mitreisenden Betriebsräte ins Schussfeld der Belegschaft, indem sie den Argwohn der Daheimgebliebenen – »Was wird da eine Woche lang mit den Vorständen ausgekungelt?« – wecken. Insofern bergen solche Weltreisen gefährlichen Zündstoff für den Betriebsfrieden. Die daheim gebliebenen Belegschaftsvertreter reagieren skeptisch, fühlen sich ausgegrenzt, gar ausgetrickst, drohen mit einer Spaltung der Belegschaftsvertretung. Bei Porsche findet dieser Prozess in den neunziger Jahren tatsächlich statt, wobei sich schwerwiegende Vorwürfe vor allem gegen den Vorsitzenden Franz Steinbeck richten: »… macht zu wenig für uns, ist zu eng mit Wiedeking auf Du und Du, zu häufig bei Festen dabei, nicht mehr entscheidungskräftig, lässt die Dinge schleifen, informiert zu wenig, selbstherrlich, Ämterhäufung …« Dabei haben trotz der zahlreichen Kontroversen alle mitgezogen – Belegschaft, Betriebsrat, Management. Jeder bewahrt sein Gesicht, denn die Verträge über die Standortsicherung und flexible Arbeitszeiten (1995) stellen keine Seite bloß. Die in zähem Ringen mit Wiedeking ausgehandelte Betriebsvereinbarung ist zum Beispiel besser als die bei Opel, spätere Verträge bauen darauf auf. Und alle wesentlichen Punkte der Kompromisse werden von der IG Metall mitgetragen. »In fast jeder Sitzung war ein Vertreter der Gewerkschaft dabei«, bestätigt ein Zeitzeuge. Dennoch, eingeklemmt zwischen Wiedekings Umarmungen und der fordernden Kritik der Kollegen, verliert Steinbeck im Sommer 1997 sein Amt als Betriebsratsvorsitzender. Einer seiner schärfsten Kontrahenten, Uwe Hück, wird sein Nachfolger.
Mit der Elite auf Du und Du An Wiedekings Zug-und-Druck-Methode ändert der Wechsel nichts. Seine Umarmung funktioniert auch bei Steinbecks Nachfolger als Betriebsratschef. Hück, ein charismatischer Arbeitertyp, Thai-Boxer und Sozialhelfer für ausländische Jugendliche im Nebenjob, kämpft bald ebenfalls mit dem Charme bürgerlicher Freundschaftsgesten. Sofern das arbeitende Volk von Porsche unter sich ist, lässt sich das 1,85 Meter große, kahl geschorene Kraftpaket von lautstarken Anhängern für seinen Tatenkampf feiern wie der »König von Porsche« und verspricht ihnen in flammender Rede: »Wir werden kämpfen wie d’ Sau!«. »Lasst uns nicht untergehen«, fleht der Badener die Seinen an. Besonders junge Porscheaner will der ehemalige Lackierer für sich gewinnen.
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Bei aller Solidarität jedoch, auch er knickt manchmal ein, wird in Fights mit dem standfest auftretenden Boss weich. Und wenn wieder einmal eine Sache ganz wichtig ist oder eilt, dann trommelt Wiedeking selten das gesamte Betriebsratsgremium zusammen, sondern er ruft den Vorsitzenden auf dem kurzen Dienstweg zu sich oder sucht ihn mal direkt auf. Ab und zu passiert es, dass Wiedeking Hück abends schnell auf ein Bier zu sich privat in die Villa einlädt, um mit ihm noch etwas Wichtiges zu bereden. So wird der oberste Betriebsrat in die Firmenziele eingebunden – ob er will oder nicht. Und wieder sät das traute Miteinander von Kapital und Arbeit erhebliches Misstrauen, wie schon bei den Weltreisen während der Japan-Welle oder ähnlichen Vier-Augen-Gesprächen unter seinem Vorgänger. Häufig geht es nämlich bei den Zweierkontakten um die Auslegung längst getroffener Betriebsvereinbarungen, um wichtige Details, bei denen Wiedeking nun Nachbesserung verlangt. Durch dieses Hin und Her werden schwebende Verträge häufig präzisiert und korrigiert. So zum Beispiel bei der Zusage des Vorstands, die Motorenfertigung in Zuffenhausen zu belassen, wo Wiedeking nach der ursprünglichen Einigung mehrere Änderungswünsche durchdrückt. Auch der von Hück & Co. dringend geforderte Vertrag für die rund 350 Mitarbeiter über Lohn- und Arbeitszeitregelungen im Cayenne-Werk Leipzig liegt monatelang auf Eis. Der Vorstand spielt auf Zeit, schraubt die Forderungen an Hück (»Wir schwitzen bei den Verhandlungen«) und die IG Metall immer höher. Zum 1. August 2003 erreichen die Arbeitnehmervertreter einen recht passablen Tarifvertrag mit der 38-Stunden-Woche und weiteren Verbesserungen in der Zukunft. »Wichtig ist, dass eine Einigung erzielt wird«, betont Hück, der sich in manchem mit der Person Wiedeking identifiziert, etwa in der Dominanz des Auftretens: »Wenn wir in einen Raum reinkommen, dann kann man uns nicht übersehen.« Der Wille zum Siegen sei bei ihm wie bei Wiedeking stark ausgeprägt. Hück: »In unseren Pässen steht drin, dass wir nicht geboren sind, um zu verlieren.« Die herzliche Kumpelhaftigkeit Wiedekings und seine Annäherungen als Teil seiner Umarmungstaktik wirbeln die Hierarchien durcheinander. »Wiedeking duzt jeden«, stellt ein Mitarbeiter befremdet fest. »Auch Hück macht mit. Sie duzen sich im kleinen Kreis nach offiziellen Terminen, Uwe duzt auch neue Cost-Center-Leiter.« Bei Wiedeking drückt das »Du« die Personenbezogenheit seiner Kommunikation aus. Auch viele leitende Angestellte duzen sich. Und wenn der Boss den Leuten vertraut auf die Schulter klopft und aufmunternd sagt: »Das packen wir schon«, dann erwacht die alte Familienfirma zu neuem Leben, wo der Gründer noch jedem persönlich die Hand schüttelt und ihn namentlich kennt. Bei Porsche, so will es der Chef, sollen
sich alle auf einer geschäftlichen Ebene duzen – ein radikaler Wandel. Wurden einst die ganz hohen Herren wie Bott, Noppen und selbst Ferry Porsche ehrfurchtsvoll mit »Herr Professor« angesprochen, so sind inzwischen der Vorstand und zumindest die Ebene darunter untereinander per Du. Bereits mit dem Betriebsratsvorsitzenden Steinbeck machte Wiedeking gelegentlich auf »du, Franz«. Doch als ihn dieser seinerseits mit »Wendelin« anredete und der Tag heller wurde, schreckte Wiedeking zurück. Auch der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende und IG-Metall-Sekretär Hans Baur – für seine Freunde »Butz« – und Wiedeking duzen sich gelegentlich, wenn sie in harten Männerrunden unter sich sind.Baur verteidigt sich:»Ich bin schon per Sie mit ihm … Kommt auf die Gelegenheit an …« Und schließlich: »Wir haben ein geschäftsmäßiges Verhältnis.« Das »Du« mit Wiedeking wäre keine Schande. Immerhin steht der Porsche-Chef auch mit dem Kanzler und dem Bundesfinanzminister auf Du und Du. Wer dieser hohen Gesellschaft angehören will – selbst Gewerkschaftsführer zeigen manchmal Schwächen – macht mit bei den Männerfreundschaften. Auch »Butz« Baur ist ab und zu dabei, berichten Kollegen. Und es kommt schon einer kleinen Sensation gleich, dass Wiedeking bei der Hauptversammlung im Januar 2003 den Gewerkschafter Baur als Stellvertreter Sihlers vorne direkt neben diesem platzieren lässt. Normalerweise nehmen alle Aufsichtsräte in der hinteren Reihe gleichberechtigt nebeneinander Platz. Nun aber sitzt der IG-Metaller mit den übrigen Vorständen in der ersten Reihe, direkt vor den anderen Mitgliedern des Aufsichtsrats, darunter alle Familienmitglieder. Die geänderte Sitzordnung macht sichtbar, für wie wichtig der Porsche-Chef die Rolle des Gewerkschafters hält. »Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft«; dieses alte Motto zieht auch bei Porsche. In einem Betrieb, wo so schicke und imagestärkende Sportautos hergestellt werden, fallen freundliche Gesten leichter. So steht dem Betriebsratsvorsitzenden automatisch ein Dienst-Porsche zu. Und für einzelne Mitglieder lässt sich über Leasingverträge – es gibt gute und bessere – auf dem kleinen Dienstweg manches regeln. »Einige Betriebsräte werden regelrecht eingeseift«, behauptet ein Kritiker. Beim begehrten Privileg Leasing-Porsche seien sie gleichgestellt mit dem Führungspersonal oder vielen Ingenieuren im Entwicklungszentrum Weissach. Ein Porsche als Geschenk oder preiswertes Leasingfahrzeug für obere Leistungsträger ist erst unter seiner Ägide wieder zu neuem Leben erweckt worden. »Und unten wird dafür massiv gespart«, bemerkt ein Werksangehöriger bitter. Wenn früher ein Arbeiter oder Angestellter für ein Jubiläum oder privates Fest, zum Beispiel eine Hochzeit, einen Porsche wollte, dann war es üblich, dass er sich ohne weiteres einen Wagen
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beim Vorgesetzten ausleihen konnte. »Heute ist es viel strenger, oft unmöglich, weil es über eine Zuteilung geht.« Diesen Abstieg nehmen die Betroffenen auch dem Betriebsrat übel: »Auch Hück kann mit Wiedeking gut und denkt dabei zu wenig an uns«, klagen jene, die sich ausgestoßen und schlecht vertreten fühlen. Der neue Betriebsratschef ist bald ähnlichen Vorwürfen ausgesetzt wie sein Vorgänger Steinbeck.
Das Erstaunen über die ständige Sparpolitik Regelmäßige Reibungsflächen zwischen Betriebsrat und Management sind jene Bereiche, die Wiedeking zu seinen Kernpositionen zählt. Hier muss Thai-Boxer Hück vehement für die Interessen der Beschäftigten kämpfen. Einer der Brennpunkte ist das Ärgerthema »Befristete«. Das sind Arbeitskräfte mit befristeten Verträgen, die überwiegend in der Produktion tätig sind. Seit 1995 – mit der neuen Montage und flexiblen Arbeitszeiten – stellt Porsche solche Befristeten ein. Mit ihnen bewältigt Wiedeking Spitzenbelastungen, etwa in Anlaufsituationen bei neuen Modellen. Da Zeitverträge nicht beliebig oft verlängert werden können, werden diese Reservekräfte immer wieder ausgetauscht; es sind Porscheaner auf Abruf. Von diesen Mitarbeitern zweiter Klasse beschäftigt das Unternehmen bei guter Auslastung im Durchschnitt um die 200, in der Spitze bis zu 400. Seit Frühjahr 2003 halbierte das Management deren Zahl parallel zum Rückgang der Autoverkäufe innerhalb weniger Wochen. Den Rückgriff auf befristet beschäftigte Werker setzt Wiedeking gezielt für eine flexible Personalpolitik ein. Ähnlich wie beim Boxster, dessen Produktion er überwiegend nach Finnland verlagerte, bleibt so die Stammbelegschaft in der Flaute zunächst von Kündigungen verschont. »Ich stelle lieber befristet ein, bevor ich wieder wie einst massenweise entlassen muss. Das geht auch mir an die Nieren«, begründet der Manager den Abschluss von Zeitverträgen. Das bedeutet aber auch, dass er »bei unbefristet eingestellten Mitarbeitern den Daumen drauf hat«, beklagen Arbeitnehmer. Der Boss persönlich bestimmt über Umfang und Art der wenigen Neueinstellungen mit unbefristeten Verträgen, nicht der Personal- oder Ressortchef. Aufgebaut wird vorwiegend bei Stabsstellen, Projektbeauftragten und Ingenieuren. Andererseits werden ausscheidende Mitarbeiter im gewerblichen Bereich oft nicht mehr ersetzt. An ihre Stelle treten nur teilweise Befristete. Die Stammbelegschaft in Zuffenhausen wird somit tendenziell ausgedünnt. Der Konflikt mit den Betriebsräten ist vorprogrammiert. Denn während der jahrelang guten Firmensituation stößt Wiedekings eiserne Sparpolitik auf dem Rücken der Werker auf Unverständnis. Da ordnet der Porsche-Lenker
zahlreiche Sonderschichten, Überstunden und Samstagarbeit an, doch die Zahl der Kernbeschäftigten in Zuffenhausen fällt eher. Ständig hoffen die betroffenen Arbeiter mit Zeitvertrag auf eine feste Übernahme und sind dann vor den Kopf gestoßen, wenn es am Ende doch nicht klappt. Sie strengen sich mächtig an, und der Vorgesetzte macht ihnen Hoffnung, doch sobald der Vertrag maximal dreimal verlängert wurde oder maximal zwei Jahre herum sind, ist doch Schluss. Die Vorgesetzten, denen die Situation oft selbst unangenehm ist, müssen den maßlos Enttäuschten dann erklären: »Ich darf dich leider nicht übernehmen, diese Anweisung kommt von ganz oben.« Die Betriebsräte drängen regelmäßig darauf, dass die Zahl der Befristeten endlich limitiert wird. Denn in der Vereinbarung zur Standortsicherung für das Stammwerk Zuffenhausen (2001) ist auch der Umfang der Stammbelegschaft festgelegt. Doch außer ein paar Details, um die Hück & Co. immer wieder heftig ringen, bewegt sich nichts. Bei den Befristeten bleibt Wiedeking stur und berichtet wiederholt von seinem Trauma aus der Anfangszeit, Leute entlassen zu müssen. Seitdem schlage sein soziales Gewissen, und er könne deshalb nicht mehr ruhig schlafen. Das hohe Risiko für eine zu große Stammbelegschaft wolle er daher nie mehr übernehmen. Viele Mitarbeiter bleiben skeptisch. Sie halten sein Angst-Argument für eine Schutzbehauptung. Ähnlich restriktiv verhält sich der Porsche-Chef auch bei der wachsenden Zahl von Unternehmen, die er nicht mehr als Teil der Stammfirma definiert, beziehungsweise die zugekauft werden. Diese Ausgliederung von Betrieben, Outsourcing, macht wie überall auch bei Porsche Schule. Es bietet dem Management auch den Vorteil, vorhandene Betriebsvereinbarungen wie Tarifverträge bei diesen Töchterfirmen unterlaufen zu können. Das spart enorm Kosten, spaltet allerdings auch die Belegschaft. Solch eine juristisch selbstständige Firma bei Porsche ist zum Beispiel das neue Werk in Leipzig. Dort liegt das Lohnniveau durch den Sachsen-Tarifvertrag um zirka 25 Prozent unterhalb des Westniveaus. Und statt einer 35-Stunden-Woche werden dort 38 Stunden gearbeitet, wobei der Samstag und teilweise sogar der Sonntag als Arbeitstage gezählt werden. Nach Ansicht von IG-Metallern kann das auf eine 60-Stunden-Woche bei zwei Schichten und Samstagsarbeit hinauslaufen. Bei Porsche ist der Umgang mit der Belegschaft in Leipzig daher sehr umstritten. Die schlechten Tarifbedingungen dort sind für die Arbeitnehmervertretungen ein Albtraum. Doch einen unmittelbaren Einfluss auf die juristisch selbstständigen Gesellschaften und die dortigen – unerfahrenen – Mitarbeiter haben die Kollegen in Stuttgart nicht. »Wiedeking schafft mit neuen Tochterfirmen überall tariffreie Zonen oder zumindest schlechtere Tarifbedingungen. Das hat System, passt aber nicht zum sozialen Image, das er sich
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und Porsche verordnet hat«, werfen ihm kritische Teile der Belegschaft vor und verweisen auf einen Widerspruch: In der Presse fordert der Manager von Unternehmern »soziale Akzeptanz« und »gesellschaftliche Verantwortung«, doch im eigenen Betrieb weht der Wind aus einer anderen Richtung. Selbst an kleinen Dingen wie Werkzeugen oder Messgeräten für die Produktion wird gespart. Doch wenn die Prominenz erscheint, dann vergisst Wiedeking den Sparkommissar. So staunen Mitarbeiter nicht schlecht, wie generös, gar weltmännisch Wiedeking sein kann, wenn zum Beispiel Bundeskanzler Gerhard Schröder ins Haus kommt. Bevor nämlich der Politiker im Sommer 2002 Wahlkampf in Zuffenhausen macht und zu seinem 50. Geburtstag »überraschend« aus München anreist, da wird vorher die Fassade im Hauptgebäude von einem Tag auf den anderen frisch gestrichen und der Boden des Haupteingangs mit Marmor ausgelegt. Als Tarifgegner ist Wiedeking ein harter Brocken, wie am Aufbau des Cayenne-Werks in Leipzig deutlich wird. Dort lehnt er kategorisch die Bezahlung von Lohnzuschlägen für Samstagsarbeit ab. Stattdessen forciert er sein Prämiensystem mit niedrigem Grundlohn und leistungsbezogenen Boni und einer Erfolgsbeteiligung. Der Boss verweist auf die Chance, sich hohe Sondervergütungen zu erarbeiten. Nur vorsichtig signalisiert er Kompromisse: »Natürlich muss das für die IG Metall ein Dorn im Auge sein. Aber wir haben in Leipzig unsere Chance gehabt, unsere Wünsche zu verwirklichen, und zwar in enger und vertrauensvoller Zusammenarbeit mit dem dortigen Betriebsrat. Keine Frage: Wir sind natürlich immer gesprächsbereit …« Die Verhandlungen mit der Gewerkschaft ziehen sich allerdings über Monate – ergebnislos – hin. IG-Metaller und Porsche-Aufsichtsrat »Butz« Baur zeigt im Gespräch sogar ein gewisses Verständnis: »Der Betriebsrat [des Werks Leipzig; der Autor] ist sicher ein anderer als in Zuffenhausen … Die Fabrik dort steckt in einer sehr schwierigen Anlaufphase, aber Leipzig wird ein wachsender Betrieb sein, und dann entsteht automatisch immer wieder ein Verhandlungsbedarf.« Baur hat noch Hoffnung,dass Wiedeking einem Tarifvertrag mit besseren Konditionen zustimmt. Denn der Vorstand ist auf eine »dauerhafte Zusammenarbeit angewiesen, und die braucht Regeln und Ruhe.« Einen solchen Kompromiss hat die Arbeitnehmerseite mit dem Management nach monatelangen Querelen bei der 50-prozentigen Tochter CTS – Car Top Systems, Korntal-Münchingen und Hamburg (die andere Hälfte gehört DaimlerChrysler) erzielt. Hier lag die Forderung auf dem Tisch, statt 35 Stunden pro Woche wieder 40 Stunden einzuführen – bei gleichem Lohn und mit unbezahlten Samstagsschichten. Der Clinch mit der Dachtochter, bei der Porsche heute das Sagen hat (DaimlerChrysler plant den Ausstieg) konnte
schließlich friedlich geklärt werden. Es bleibt bei 35 Stunden pro Woche. Aus dem Konflikt hielt sich Wiedeking auffallend lange heraus. Hück und die IG Metall wollen sich die interne Konkurrenz billiger Tochterfirmen künftig vom Leib halten. Die Arbeitnehmervertreter installierten im Frühjahr 2003 einen Konzernbetriebsrat. Davon hatte Wiedeking zwar abgeraten, aber er konnte das Vorhaben nicht verhindern. Kopf des künftigen Konzernbetriebsrats: Uwe Hück. Auch Wiedekings System einer leistungsbezogenen Bezahlung mit einem komplizierten Prämiensystem und einer vom Gewinn abhängigen Zulage ist ein ständiger Konfliktherd. Arbeiter und Angestellte beklagen, dass Lohn- und Gehaltserhöhungen vermehrt aufs Tarifgehalt angerechnet und Zulagen dabei nicht unbedingt berücksichtigt werden. Bezieht sich andererseits der Begriff »Leistung« im Wesentlichen auf die Lohn- und Gehaltshöhe, dann bekommen die Großverdiener automatisch mehr. Tendenziell nimmt dadurch bei einigen Beschäftigten das Effektivgehalt ab, und die Kluft zwischen Normal- und Besserverdienern wächst ständig. »Seit der Krise haben nur Vorstände erheblich mehr bekommen«, protestiert die Basis beim Betriebsrat, und der oberste Boss bekomme »eine megastarke Erfolgsbeteiligung«. Allerdings steht dieser Kritik des Einzelnen die Tatsache gegenüber, dass die kleine, erfolgreiche Sportwagenfirma heute im Durchschnitt etwa so gut bezahlt wie der große Nachbar DaimlerChrysler; Ausnahmen: Gehälter der Ingenieure. Das war nicht immer so. Andererseits wendet sich auch Wiedeking mit Wünschen an den Betriebsrat. Er plädiert Jahr für Jahr aufs Neue dafür, doch endlich seinem Vorschlag zuzustimmen, dass die von ihm eingeführte jährliche Sonderzahlung in leistungsabhängige Komponenten aufgespalten werden kann. Diesen Vorstoß lehnt Hück jedoch jedes Mal strikt ab; er will an der »Kopfprämie« oder am »Volks-Bonus« – Mitarbeiterspott, weil nach Köpfen bezahlt wird – festhalten. Die freiwillige Zahlung, für den Porsche-Chef eine »Leistungsprämie«, betrug für 2001/02 immerhin 2 700 Euro, im Vorjahr: 2 500 Euro. Sie wird jeweils im Herbst fällig und allen fest angestellten tariflichen Mitarbeitern nach Dauer der Betriebszugehörigkeit gewährt. Für Befristete gilt eine Stichtagsregelung: Nur wer das ganz Jahr da war, bekommt auch den ganzen »Volks-Bonus«. Wer schon früher ausscheiden musste, bekommt nichts.
PR nach innen Gute Nachrichten verkündet der Porsche-Lenker auch im eigenen Haus am liebsten selbst. Dafür nimmt er zumindest an einer der vier Betriebsversammlungen im Jahr teil, bevorzugt jedoch im Herbst, denn dann kann er sich gut
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verkaufen und kurz vor Weihnachten den Mitarbeitern mit großer Spannung die Höhe der Sonderzulage mitteilen. Oder WW (Wendelin Wiedeking) berichtet begeistert über steigende Absatzzahlen, über ein neues Ertragshoch, das in Sicht ist. Bei dieser Gelegenheit spart der König des Porsche-Volks nicht mit Lob und Anerkennung für die Seinen. Auf solchen Höhepunkten kommt Stimmung auf und die Belegschaft spendet für die frohen Botschaften spontan Applaus.Gern berichtet der Manager auch,wenn Porsche in Le Mans das 24-Stunden-Rennen gegen BMW oder sonstige Kämpfe gegen Konkurrenten gewonnen hat. Solch aufmunternden Worte bei Betriebsversammlungen schmieden die Porsche-Familie zusammen wie in alten Tagen. Ist Wiedeking auf dem Weg, ein Populist zu werden? Seine Rhetorik hat jedenfalls mit den trockenen Rechenschaftsberichten zahlenverliebter Finanzbuchhalter nichts zu tun, wie sie andernorts üblich sind. Es bereitet ihm heute Freude, mit Vorträgen zu unterhalten – und immer wieder zu provozieren, selbst firmenintern auf Versammlungen. Ein Angestellter ist beeindruckt: »Man kann ihm prima zuhören.« Doch Wiedekings Vortrag vor versammelter Belegschaft war nicht immer so gekonnt. Wie anfangs in der Öffentlichkeit auch, kam der junge Manager an der Mitarbeiterbasis wenig an. Er verhaspelte sich häufig, weil er zu viel auf einmal sagen wollte. Seine fordernde Art, die stampfenden Worte, die wie der Hammer auf den Amboss fielen, und sein strammer Befehlston irritierten die Leute. »Der redet ja wie einer von der Bundeswehr oder wie ein Volkstribun, nur ohne Training«, tuschelten die Leute bei Porsche. Aber auch diese Schwachstelle bei Stil und Image lernt der anpassungsfähige Westfale zu beheben. Rhetorikübungen und psychologische Beratung tragen auch für Auftritte im Betrieb bald Früchte. Und inzwischen steigt er sogar für die Karnevalsjecken in Aachen in die Bütt. Dr. Wiedeking ist beim Volk angekommen. Ging es in der Krisenzeit noch um Sein oder Nichtsein, um Lohn- und Gehaltsfragen, um Rentenkürzungen, Arbeitseffizienz und bessere Qualität, dann waren die Betriebsversammlungen gut besucht. Jetzt, in der gesättigten und trotzdem stressigen Zeit, lässt das Interesse deutlich nach. Nur bei wichtigen Konflikten, wenn es etwa um die Sicherung der Arbeitsplätze in Zuffenhausen geht oder mitten in einer Tarifrunde, strömen viele Leute in die Versammlungen. Dann kann es auch inhaltlich zwischen der Porsche-Basis und der Führungsspitze kontrovers zugehen.Applaus ist bei heiklen Punkten nicht sicher. Im Gegenteil: »Mindestens zweimal wurde Wiedeking schon auf Betriebsversammlungen ausgepfiffen«, erinnert sich ein Teilnehmer. Und im Jahr 2000 verlässt der Boss plötzlich erregt die Zusammenkunft, weil er zu einigen kritischen Fragen aus der Belegschaft nicht Stellung nehmen will.
Damals geht es um das Cayenne-Werk in Leipzig, um die Höhe der Investitionen und die Zukunft der Produktion in Zuffenhausen. Einige Arbeiter äußern ihre Sorge, dass das Stammwerk allmählich ausbluten und verlagert werden könnte. Anstatt zu antworten, steht Wiedeking wutentbrannt auf und rennt hinaus. Die übrigen Vorstandskollegen folgen ihm brav. Auch Mitte der neunziger Jahre, als es um die Reduzierung von Fehlern geht – Ziel: NullFehler-Auto –, beschimpft der Firmenchef die Belegschaft: »Sie alle haben Fehler gemacht und das muss besser werden!« Diese Verallgemeinerung ihres obersten Vorgesetzten schmeckt den Werkern ganz und gar nicht, und sie pfeifen ihn vor versammelter Mannschaft aus. Auch die Tendenz, Arbeitskräfte fast nur noch befristet einzustellen und immer weitere Teile der Kernfirma auszugliedern, weckt an der Basis beträchtlichen Unmut. Ja, selbst der Verzicht auf die staatlichen Subventionen in Höhe von 50 Millionen Euro für Leipzig, den Wiedeking so imagefördernd in den Medien ausschlachtet, stößt in der Belegschaft auf ein geteiltes Echo. »Was er vom Staat nicht bekommt, das quetscht er jetzt bei uns heraus«,knurren einige Mitarbeiter enttäuscht.Sie denken dabei auch an den Dauerstreit über die Verlagerung ganzer Geschäftsbereiche oder über leistungsbezogene Entlohnung: Einerseits Olympiamannschaft, andererseits Verlierer. Viele Leute betrachten die Rekordgewinne bei Porsche und glauben, dass sie bei der Verteilung zu kurz kommen. Diese verbreitete Ansicht macht vor allem unter gewerblichen Kräften böses Blut. Sie nehmen es Wiedeking auch übel, dass er die obligatorische Betriebsrente in der Krisenzeit 1993/94 spürbar gesenkt und bis heute nicht wieder angehoben hat.
»Ihr lebt im Paradies« Auf harsche Kritik von unten reagiert der Spitzenmanager bei Betriebsversammlungen zuweilen beleidigt. Auch darin kommt Wiedekings zunehmend autoritärer Führungsstil zum Vorschein. Sein Verhalten, von Teilnehmern als »unsouverän« beurteilt, lässt für viele den Schluss zu: »Wiedeking ist so lange freundlich, solange niemand seine Kreise stört.« Kritik beantwortet Wiedeking oft mit einem Gegenangriff. Dann kann er auf die wesentlich schlechteren Bedingungen in anderen Unternehmen verweisen und auf Betriebsversammlungen sinngemäß an die Belegschaft appellieren: »Ihr lebt doch im Paradies und wisst gar nicht,was in der Welt los ist …« Oder er provoziert:»Ihr schwebt doch auf Wolken. Schaut mal auf die Zulieferer, denen es viel schlechter geht. Da müssen wir uns anpassen.« Schließlich rät er: »Fragt doch mal andere Mitarbeiter, wie es denen in ihrem Betrieb geht …« Wohl dem
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Erfolgsmanager,der sich solche Vergleiche vor seinen Mitarbeitern (noch) leisten und die meisten damit ruhig stellen kann. Gerade die Porscheaner wissen, was um sie herum los ist. Denn sie brauchen nur ein paar hundert Meter weiter zu einem Nachbarn, Alcatel-SEL, hinüberzuschauen. Während Porsche aufblüht und Jahr um Jahr Rekordergebnisse erzielt, meldet das Unternehmen der Kommunikationstechnik einen Stellenabbau und eine Betriebsverlagerung nach der anderen. Bei Alcatel-SEL sind heute kaum noch ein Fünftel der Arbeitsplätze von vor 30 Jahren übrig. Gemessen an diesem Trauerspiel ist die Sportwagenfirma ein Glücksfall, der auch gute Zeiten für Zuffenhausen bringt. Andererseits findet bei den Versammlungen im Betrieb kaum noch ein offener Schlagabtausch mit dem Porsche-Chef statt. Stattdessen kommen positive Seiten zur Sprache – Tenor: »Es wird immer besser, es geht aufwärts, wir dürfen nicht nachlassen, es kann noch besser werden …« –, was die Belegschaft nicht mitreißt. »Es hat stark nachgelassen«, meint ein Mitarbeiter. »Da loben sich ja immer nur wenige.« Statt an der Versammlung teilzunehmen, spielen einige lieber Karten. Und Wiedeking selbst zeigt Zeichen von Langeweile. Teilnehmer beobachten, wie er in Betriebsversammlungen dasitzt und liest oder in diversen Unterlagen blättert, während andere reden. In Wiedekings Reden und Ansprachen verändern sich auch die Inhalte. Dann wird es für die Zuhörer wieder spannender, zum Beispiel, wenn der Boss seine Rundumschläge auf Politik, Gesellschaft und mehr verteilt. Über allgemeine Themen scheint er heute lieber zu reden als über konkrete betriebliche Probleme. Wohl auch deshalb, weil der Mann an der Spitze zu allem was zu sagen weiß. So spricht er selbst auf Betriebsversammlungen über Bildungs-, Renten- und Sozialpolitik oder darüber, dass die Verzinsung bei den Renten zu gering sei, und über seine »alten Hobbys« Standortpolitik, Fusionen, Subventionen, Spekulationen. In diese Themen kann sich der Vorstandschef vor seinen Mitarbeitern richtig hineinsteigern, weshalb sich mancher Porscheaner fragt: Will Wiedeking eines Tages in die Politik wechseln und Wirtschaftsminister werden? Auf solche Vermutungen direkt angesprochen, entgegnet Wiedeking (Bild am Sonntag, 15. 9. 2002): »Nein, ich kann als Unternehmer viel besser agieren … Außerdem liegt mir das ewige Taktieren in der Politik nicht.« Aber warum dann die häufigen verbalen Ausflüge in die Politik? Für viele Beschäftigte entfernt sich Wiedeking zunehmend von seinem Ursprung als Produktioner bei Porsche. Munter verteilt der Boss Zigarren an Politiker, Verbandsfunktionäre, Konkurrenten, Manager, Börsianer und so weiter. Diese Ausflüge in die weite Welt könnten ihm einmal als Größenwahn ausgelegt werden, sobald die Zeiten wieder schlechter werden.
Die Ausritte in fremde Gefilde beäugt die Belegschaft jedenfalls mit wachsender Distanz. Sie erleben einerseits einen immer selbstbewusster auftretenden Wiedeking, andererseits indes auch seine immer unerbittlichere Art. Auf die Frage der Bild am Sonntag (15. 9. 2002): »Würden Sie gern unter sich arbeiten?«, antwortet der Porsche-Patriarch mit entwaffnender Ehrlichkeit: »Es gibt Zeiten, wo ich mir das besser nicht antun würde (lacht schallend) … Ich bin manchmal schon sehr hart, auch zu mir selbst und außerdem kein Typ, der sich in die Ecke setzt und heult, wenn etwas schief geht. Ich werde auch mal laut – aber nie ohne Grund.« Und dann legt der Manager nach: »Wenn ich feststelle, jemand hält nicht, was er mir versprochen hat, dann klage ich das ein.« Nicht selten endet die Klage mit dem Rauswurf.
Der Goliath von Zuffenhausen Wenn es um die Interessen Porsches geht, kann aus dem selbsternannten David Wendelin Wiedeking ein Goliath werden. Diese Unerschrockenheit erleben nicht nur Porsche-Mitarbeiter, sondern alle, die dem Boss in die Quere kommen. Dann bricht in ihm der Westfale durch, der in Verhandlungen stur wie ein Panzer sein kann. Das bekommen auch Porsches Nachbarn zu spüren,die sich gegen den Neubau des Motorenwerks in Stuttgart-Zuffenhausen wehren. Die etwa 40 Bewohner – Hausbesitzer und Mieter – in der Schützenbühl- und Adestraße stören Wiedekings Pläne. Sie begehren dagegen auf, dass ihr Wohngebiet entlang der erweiterten Porsche-Fabrik über Nacht von der Stadt Stuttgart zu einem Teil des Industriegeländes herabgestuft worden ist. Für die betroffenen Eigentümer kommt das einer Enteignung gleich. Doch die Kommune stellt sich auf die Seite Porsches, des größten Steuerzahlers. Die expandierende Autofabrik frisst sich immer tiefer in Wohngebiete hinein. So werden die Motoren für das Offroadfahrzeug Cayenne und künftige Modellgenerationen auch in Zuffenhausen gebaut. Wiedeking will den Aggregatebau im Stammwerk von 50 000 Einheiten in nächster Zeit auf jährlich angeblich 160 000, offiziell werden 120 000 genannt, steigern. Allein dafür lockt er mit Investitionen von weit mehr als 50 Millionen Euro. Bereits im ersten Schritt ist die Produktion von 100 000 Motoren im Drei-SchichtBetrieb vorgesehen. Das bedeutet für die angrenzenden Nachbarn: Lärm, Gestank und Stress – Tag und Nacht. Doch eine Anfechtung dieser Belästigung vor Gericht hat wenig Aussicht auf Erfolg. Stuttgarts Stadtoberhaupt
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Wolfgang Schuster erteilte dem Umweltamt grünes Licht, das Genehmigungsverfahren in Sachen Emissionsrecht und Lärm zugunsten von Porsche zu ändern. Besonders enttäuscht sind die Anlieger von Porsche. »Das Weltunternehmen hält sich politisch aus der Aktion völlig heraus.« Nur einmal, im Frühjahr 2002,habe ihnen Wiedekings politische rechte Hand,Gerhard Schäfer, den Standpunkt der Firma klar gemacht. Und ein Lokaljournalist weiß, dass Wiedeking oder seine Leute »nie im Bezirksbeirat von Zuffenhausen aufgetreten sind, um selbst über die Werkserweiterung zu sprechen«.
Ein Rathaus erfüllt alle Wünsche Um den Bürgermeister und die Stadtverwaltung vom Ernst der Lage zu überzeugen, demonstriert der Porsche-Boss seine unverrückbare Haltung in Sachen Erweiterung des Motorenwerks energisch. »Wenn das in Stuttgart nicht läuft, dann geht Porsche eben nach Leipzig«, soll er nach Informationen der Betroffenen erklärt haben. Diese Drohung aus dem Mund von Wirtschaftskapitän Wiedeking wird im Rathaus wie ein Marschbefehl gedonnert haben. Dabei entgeht den Empfängern offenbar, dass mit dem Projekt in Wirklichkeit kaum zusätzliche Arbeitsplätze entstehen. Denn Wiedeking verspricht lediglich, etwa hundert Mitarbeitern eine Festanstellung geben zu wollen, die bisher schon befristet tätig sind. Den Rathausoberen indes mag seine Drohung, aus Stuttgart mit der Motorenfertigung abzuziehen, schon genug Schrecken eingeflößt haben. Für sie scheint klar zu sein, dass bei dieser Aussicht die Pläne von Stuttgarts größtem Gewerbesteuerzahler Vorrang haben. Was nun folgt, dürfte für die Amtsverweser und den Bürgermeister traurige Routine gewesen sein. »Bürgermeister Schuster«, vermutet eine Hausbesitzerin, »hat Wiedeking sehr früh zugesichert, dass es klappt.« Tatsächlich erfüllt das Rathaus der Autoschmiede so ziemlich alle Wünsche. So bleibt den bedrängten Anwohnern vorerst nur der Klageweg und die verhaltene Kritik an ihrem Nachbarn, dass es »nicht imagefördernd sein kann, wenn sich Porsche aus einem solchen Konflikt so weit heraushält.« Obwohl die Kleinen in der Nachbarschaft des industriellen Goliaths den Kampf mit Porsche und der Stadt Stuttgart mit der Drohung aufnehmen, vor Gericht zu ziehen, bleibt der Manager noch nach Monaten des Kampfes hart. »Wir werden bauen, und die Bagger werden fahren«, beharrt er in einer Pressekonferenz am 4. Dezember 2002 und gibt sozusagen den offiziellen Startschuss für das Motorenwerk. Wiedeking beteuert stets, dass er formal über alle Genehmigungen für den Bau im Gebiet Schützenbühl-/Adestraße verfügt. Um nochmals die Dimensionen deutlich zu machen, gibt der Porsche-Len-
ker bekannt, jetzt in den Standort Zuffenhausen einschließlich Motorenwerk rund 125 Millionen Euro investieren zu wollen. Schon prangt am Zaun des künftigen Werkskomplexes ein weithin sichtbares Plakat mit einer Fotomontage der Fabrik: »Hier baut die Porsche AG ein neues Motorenwerk.« Für die gesamte Dauer des Streits hält sich Wiedeking taktisch klug die Hintertür zu »alternativen Standorten« offen. Gemeint ist in erster Linie das neue, weiträumige Werk in Leipzig, das dann die erste Priorität hätte. Dieses Druckmittel dürfte Richtung Betriebsrat wie gegen Politiker des linken Lagers im Stadtparlament gleichermaßen wirken. Das Motorenwerk ist nämlich auch ein zentraler Bestandteil des Vertrages, den Wiedeking mit dem Betriebrat zur Sicherung des Standorts Zuffenhausen geschlossen hatte. Würde der Chef diese Zusage zurücknehmen, wäre dieses Scheitern auch für den Betriebsratsvorsitzenden Uwe Hück ein Desaster. Er steht nämlich bei den »lieben Kolleginnen und Kollegen« im Wort. Durch diesen Schachzug zieht Wiedeking einen der stärksten Mitstreiter auf seine Seite und mit ihm die Belegschaft, die Gewerkschaft sowie die große Mehrheit der Sozialdemokraten im Stuttgarter Stadtparlament. Denn es lauerte stets die Gefahr, dass die oppositionelle SPD, die Grünen und der eine oder andere Kommunalpolitiker das Porsche-Projekt hätten politisch aushebeln wollen.
Porsche unter Zugzwang Im Frühjahr 2003 allerdings ist es für das Motorenprojekt höchste Eisenbahn. Ursprünglich sollte bereits Ende 2003 Richtfest gefeiert und gegen Mitte 2004 die Produktion gestartet werden. Nun jedoch sorgen sich Wiedeking und sein Team ernsthaft um die Einhaltung des Terminplans. Die ersten Cayenne-Geländewagen stehen bereits bei 124 Händlern, der Verkauf läuft. Vorsorglich lässt der Manager rund 40 000 Cayenne-Motoren in einer Halle bei Leipzig teuer einlagern, aber der Vorrat dürfte nur bis Herbst 2004 reichen. Sollten hartnäckige Anwohner den Streit juristisch bis zur höchsten Instanz in Karlsruhe durchfechten, riskiert der Stratege, bei seinem Spiel in Zugzwang zu geraten. Der Rechtsweg kann Jahre dauern. In einer Marathonsitzung am 23. Dezember 2002, so lässt die Stadt Stuttgart in der Presse verbreiten, sei schließlich doch noch ein Kompromiss gefunden worden. Alle Anlieger stimmen dem Verkauf ihrer Häuser beziehungsweise einer Entschädigung zu. Allerdings keinesfalls, so behaupten sie, weil sie das Vorgehen von Kommune und Porsche akzeptiert hätten, sondern weil sie der Gewalt gewichen seien – »Wir haben vom Oberbürgermeister Schuster furchtbar viel Druck bekommen« – und um ihre finanzielle Existenz
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gefürchtet hätten. Allein die Anwaltskosten verschlingen im ersten Streitjahr bereits 50 000 Euro, und die entscheidenden Schlachten vor Gericht standen noch bevor. »Die Stadt Stuttgart braucht Porsche«, lässt der Oberbürgermeister mitteilen. Wiedeking wird das mit Genugtuung aufgenommen haben.
Das Problem Umweltschutz Verraten und verkauft fühlen sich Stuttgarter Umweltschützer, einige Kommunalpolitiker wie auch Anwohner beim Thema »Motorenprüfstände«. Der Streit über diese Anlagen reicht weit zurück. Er flackert jedoch wieder auf, als bekannt wird, dass Porsche den Motorenbau im Stammwerk langfristig verdreifachen will. Dabei könnten jede Menge Abgase entstehen, weil jedes einzelne Aggregat unter Volllast getestet und zugleich kräftig heißlaufen muss. Schon die bestehenden neun Anlagen zum Test der Triebwerke gelten als wahre Dreckschleudern. Umweltexperten berechnen, dass die Motorenprüfstände in Zuffenhausen pro Stunde 300 Liter Superkraftstoff aus den 25 Meter hohen Kaminen hinauspusten. Das entspricht im Dreischichtbetrieb täglich dem Abgasvolumen von rund 60 000 Fahrzeugen auf einem Streckenabschnitt von einem Kilometer Länge! Die Gase werden zwar wie bei jedem Auto gefiltert, aber es gelangen dennoch Gifte und Staubpartikel in die Luft. Alternativen, die Testanlagen umweltverträglicher zu gestalten und darüber hinaus mit der überschüssigen Energie zu heizen oder die Abgase nutzbringend in Stromgeneratoren zu leiten, lehnt Porsche ab. Die Technik dafür wäre verfügbar. Besserung jedoch ist in Sicht. Für das neue Motorenwerk realisiert Wiedekings Team nämlich eine genial umweltfreundliche und rationelle Idee: Die Aggregate werden künftig – etwa ab 2005 – direkt am laufenden Band »kalt getestet«, sodass die giftigen Abgase entfallen. Das bedeutet zugleich den sukzessiven Abbau der Motorenprüfstände. Mit dieser Lösung reagiert Wiedeking auf viele Einsprüche besorgter Nachbarn. Und er erfüllt das eigene Credo, beim Produkt wie in der Produktion ökologisch an der Spitze zu sein. Dieser Anspruch dürfte auch an ein weiteres Projekt herangetragen werden, das Porsche plant, nämlich ein zeitgemäßes Lackierwerk (die bestehende Lackiererei wurde Mitte der achtziger Jahre unter Projektleiter Wiedeking errichtet). Eine solche Riesenanlage birgt ökologischen Sprengstoff.
Wiedekings dickster Brocken Wiedekings wichtigste Modellentscheidung bei Porsche ist die für den Cayenne. Dieser sportliche Geländewagen steht für die so genannte dritte Baureihe, welche seit Dezember 2002 auf dem Markt ist. Der atypische Sportwagen muss ein Erfolg werden, denn er ist aus der einzigen Serie, die von A bis Z allein unter Wiedekings Regie entstanden ist. Ein Fehlschlag wäre für ihn persönlich ein Debakel. In diesem Falle wären mindestens 650 Millionen Euro an Investitionen für Entwicklung und zusätzliche Werksanlagen in Leipzig und Zuffenhausen verloren, sowie möglicherweise auch der gute Ruf als sportliche Erfolgsfirma. Doch der weltweite Bestelleingang für das Auto signalisiert dem Firmenlenker, dass er seine ambitionierten Wachstumspläne mit diesem Vehikel realisieren kann. In Pressekonferenzen und in der Presseinformation (6. 12. 2002, Nr. 188/02) zum Verkaufsstart in Deutschland, Österreich und der Schweiz – »Der Porsche Cayenne ist da« – spricht der Manager von »deutlich mehr als 100 000 heißen Kaufinteressenten«, die weltweit nur darauf warten, »diesen neuen Porsche erstmals Probe zu fahren …« Der Schub des Cayenne – als schnellster Geländewagen der Welt nach der ultrascharfen Pfefferschote aus Südamerika benannt – könnte die kleine Sportwagenschmiede in eine neue Größenordnung katapultieren: »Wir haben im Segment Sportwagen einen Weltmarktanteil von 9 bis 10 Prozent. Das ist gut, aber wir wollen wachsen. Denn wer nicht wachsen will, der ist schon dem Untergang geweiht« (Tagesspiegel, 15./16. 12. 2000). Wiedeking rechnet fest damit, vom Geschäftsjahr 2003/04 an 25 000 Cayenne jährlich weltweit verkaufen und damit bei Porsche ein Volumen von bis zu 80 000 Fahrzeugen erreichen zu können. Das käme mehr als einer Verdoppelung seit 1997/98 (36 686) gleich. Der Weltmarkt für diese hochwertige Kategorie von Spezialitäten, die so genannten Sports Utility Vehicles (SUV), expandiert und bleibt nach Prognosen von Experten weiter aufnahmefähig. Als Optimist ist Wiedeking auch davon überzeugt, die längst etablierte, mächtige Konkurrenz aus dem Feld schlagen zu können. Immerhin konkurriert der Zwerg aus Zuffenhausen mit allen großen Wettbewerbern, von Ford (Range Rover) und Toyota über DaimlerChrysler (Jeep Grand Cherokee und Mercedes-M-Klasse) bis BMW und Mitsubishi. Porsche darf sich als Nachzügler in dieser gut besetzten Nische also keinen Fehltritt leisten. Alles muss daher stimmen, das Produkt, die Qualität und der Preis. Anlässlich der Weltpremiere des Cayenne beim Automobilsalon in Paris am 28. September 2002 ist die Anspannung zu spüren. Ungewohnt vorsichtig spricht Wiedeking im Kreis von Journalisten bei der Pressekonferenz im Pariser Hotel d’Évreux: »Nur wer mit Seherqua-
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litäten gesegnet ist, mag erahnen, ob dies der Beginn einer neuen erfolgreichen Epoche bei Porsche sein wird.« Diese Einschätzung spiegelt bereits die stark nachlassende Automobilkonjunktur sowie die weltweit heraufziehende Wirtschaftsflaute,lähmende Irak-Krise,wider.Verlässt Fortuna den Glückspilz Wiedeking ausgerechnet in dieser entscheidenden Phase?
Mit 266 Sachen übers Feld Die Baureihe Cayenne ist vom ersten Moment der Entscheidung an, Mitte der neunziger Jahre, umstritten. Bei Porsche ist das eigentlich der Normalfall, denn es gibt kein Modell, das im Haus nicht heftige Pro- und Kontra-Reaktionen ausgelöst hätte. Das fast drei Tonnen schwere Auto jedoch bedeutet für die Sportwagenfirma, die traditionell der ursprünglichen Idee des Leichtbaus gefolgt ist, eine Kulturrevolution. Der 5-Sitzer mit fünf Türen und großem Ladevolumen, der mit 266 Sachen querfeldein fahren und einen Anhänger von bis zu 3,5 Tonnen hinter sich herziehen kann, ist der zweite Porsche mit Nutzwert in der Firmengeschichte nach dem unvergessenen Porsche-Traktor in den fünfziger und sechziger Jahren. Das jetzige Allradvehikel hat mit den bisherigen, grazilen Sportautos vorwiegend das enorme Tempo gemein: mit 266 Kilometer die Stunde über den Acker, turbomäßig sozusagen. Das Auto für moderne Abenteurer ist in zwei Grundversionen zu haben: Als S-Version mit V-8-Vierventil-Motor, 4,5 Liter Hubraum; 340 PS, Höchstgeschwindigkeit 242 Kilometer pro Stunde oder in 7,2 Sekunden von 0 auf 100 Kilometer pro Stunde. Der noch kraftvollere Cayenne Turbo hat zwei Abgasturbolader und bringt es auf 450 PS, wie ein großer Lastwagen. Das wuchtige Gefährt ist schneller als der Boxster S. Die S-Version kostet mindestens 60 204 Euro, der Preis für den Turbo beginnt bei 99 876 Euro. Mit diesen Preisen auf dem Niveau einer Eigentumswohnung ist der Cayenne unter den Konkurrenten der Teuerste. Ein kritischer Punkt an diesen rasenden vierradgetriebenen Tonnagen ist der enorme Spritverbrauch. Er steigt bei flotter oder bergiger Fahrt leicht auf mehr als 20 Liter Super je 100 Kilometer. In Zeiten explodierender Ölpreise kann der Benzindurst zum Kaufhindernis werden. Einen Dieselmotor bietet Porsche noch in keinem Wagen an. Für Fans sportlicher Autos wäre das der letzte Tabubruch. Deshalb geht Wiedeking mit diesem heißen Thema um wie mit einem rohen Ei und kocht die Dieseldiskussion auf kleinster Sparflamme. Er nimmt stattdessen den »dieselfreien« US-Markt fest ins Visier. Doch ausgerechnet zur Einführung des Cayenne in Nordamerika (15. März 2003) erreicht eine breite Kampagne gegen alle spritfressenden Allradautos und SUVs in den USA einen Höhepunkt. In den Augen politisch
konservativer Gegner der Allradwelle unterstützen alle, die zu viel Benzin verbrauchen, die Terrorbewegungen im Nahen Osten – und werden damit zu Feinden der Vereinigten Staaten deklariert. Dieser Feldzug könnte auch den Porsche-Geländewagen treffen, zumal das Gefährt »Made in Germany« ist, wie Wiedeking zu betonen weiß. Ausgerechnet deutsche Prestigeprodukte, in den neunziger Jahren hoch begehrt, geraten nun ins Visier. Wird Wiedekings übermächtiger Cayenne Opfer einer Trendwende? Als Hauptabsatzgebiet für Porsches Allradauto identifizieren Marktforscher unverdrossen die USA,gut die Hälfte,wo die Nische universeller Geländewagen bis 2006 um 40 Prozent wachsen soll – die Folgen des Irak-Krieges freilich nicht einkalkuliert. Daneben gelten die reichen Golfstaaten – Dubai, Saudi Arabien, Kuwait –, Fernost und selbst Russland oder Südamerika als ideale Exportregionen. Der Off-Roader könnte überall dort gefragt sein, wo es wenig Asphaltstraßen und viel Gelände gibt. Ein Berg von Bestellungen bis zum Start am 20. August 2002 im nagelneuen Montagewerk in Leipzig lässt denn auch eine glänzende Entwicklung vermuten. Der Firmenchef erwartet sogar längere Wartezeiten, besonders beim Turbo, und tröstet die Wartenden: »Die Menschen wollen immer nur das Beste,und das ist doch eigentlich schön für uns.« Allerdings wird sich ungefähr nach einer Jahresproduktion, etwa 25 000 Einheiten, zeigen, ob der Cayenne der gepriesene Verkaufsrenner sein wird oder nicht. Vorsichtshalber kalkuliert Wiedeking das Projekt E 1, wie die dritte Baureihe »sportlicher Geländewagen« in der Entwicklungsphase heißt, von Anfang an sparsam. Als im Juni 1998 endgültig die Entscheidung fällt, bekommt der federführende Koordinator für die Arbeiten, Klaus-Gerhard Wolpert, die strikte Order, auf jeden Cent zu achten. Fest steht auch, dass die Entwicklungs- und Produktionskosten für den Cayenne, wie er ein Jahr später heißt, auf mindestens zwei Schultern verteilt werden sollen. Und wie beim Vorbild Boxster soll die eigentliche Fabrikation so risikolos wie möglich angelegt sein. Der erste Versuch indes, den E 1 gemeinsam mit dem Nachbarn DaimlerChrysler auf der Basis der Mercedes-G-Reihe auf die Räder zu stellen, scheitert. Das Mercedes-Management fordert erneut als Gegenleistung eine Beteiligung von 15 bis 20 Prozent an Porsche, was mit der Familie nicht zu machen ist. Da bringt sich 1995 Großaktionär Ferdinand Piëch ins Spiel, damals Chef von Volkswagen und ebenfalls auf der Suche nach einem Partner für sein vergleichbares Touareg-Projekt. Er bietet als Ausgangsplattform die LT-Reihe, also die Leichttransporter aus dem VW-Werk in Hannover an. Wiedeking und Piëch sind sich bald einig: Porsche konstruiert in Weissach den eigenen Cayenne zu Ende und entwickelt dazu parallel das VW-Produkt,
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den Touareg. Volkswagen ist dann anschließend für einen Großteil der Produktion im slowakischen Bratislava sowie den Einkauf der Teile zuständig. Dieses »einmalige Gemeinschaftsprojekt« feiert Piëch noch heute in seiner Biografie: »Volkswagen hat einen fabelhaften Geländewagen zu günstigen Fertigungskosten.« Die Wolfsburger und die Zuffenhäuser sparen jedenfalls bei diesem partnerschaftlichen Deal, Porsche mindestens eine halbe Milliarde Euro. Dann geht alles sehr schnell. Nachdem die Entscheidung für den Montagestandort auf Leipzig gefallen ist – am 17. September 1999 »so gegen 17 Uhr 30« (Porsche-Comic) –, wird die Fabrik auf der grünen Wiese in Rekordzeit von rund zweieinhalb Jahren aus dem Boden gestampft. Auf dem riesigen Gelände, 200 Hektar in bester Lage im Norden Leipzigs, teilweise Naturschutzgebiet, werden neben der Fabrik auch eine etwa vier Kilometer lange Prüf- sowie Geländestrecke als Einfahr- und Testmöglichkeit gebaut. Weiter kommt ein 36 Meter hohes Kundenzentrum in Form eines futuristischen Ufos neben dem Montagewerk hinzu. Bei allen Aktivitäten ist die Stadt Leipzig sehr zuvorkommend. Die offizielle Eröffnung nach nur 31 Monaten Bauzeit am 20. August 2002 findet im Beisein der politischen Prominenz statt, darunter Bundeskanzler Gerhard Schröder, sowie 1 300 Ehrengästen samt der Familie Porsche-Piëch. Aus Sicht von Produktionsexperte Wiedeking reift mit dieser rund 128-Millionen-Euro-Investition (Pressemittelung vom 5. 8. 2002, 119/02) ein Plan heran, der ihm eine extrem hohe Verzinsung verspricht. »Wir haben die Chance, in Leipzig richtig Gas zu geben.« Sowohl die Möglichkeiten zur Expansion weit über die zunächst angepeilten 25 000 Cayenne jährlich als auch für Einsparungen sind riesig. Durch die Arbeitsteilung mit dem VW-Standort im slowakischen Bratislava – die Fabrik stand vor dem Erwerb zehn Jahre leer – und einigen Hauptlieferanten, die komplette Module wie Achsen,Elektrik oder das Dach liefern,beträgt die Fertigungstiefe im Werk Leipzig kaum 10 Prozent. Dort findet nur noch der letzte Teil einer Endmontage sowie die Endabnahme statt. Der Cayenne kommt bereits zu gut 80 Prozent vorproduziert aus der Fabrik von VW. Diese typische WiedekingLösung bindet die Lieferanten, einschließlich VW, ins Produktions- und Absatzrisiko ein und führt bei relativ geringen Investitionen und Stückzahlen zu einer hohen Wirtschaftlichkeit. Wenn nur 20 Prozent der Fabrikkapazitäten ausgelastet sind, rechnet Wiedeking vor, dann ist die Cayenne-Produktion schon rentabel. Bei anderen Autobauern liegt diese Schwelle zwischen 70 und 80 Prozent. Diese hohe Effizienz würde das investierte Kapital in einem kurzen Modellzyklus schnell wieder zurückbringen.
Die Kritik am Cayenne Wie jedes Sparmodell, so hat auch Wiedekings arbeitsteilige Partnerlösung ihren Preis: Die Koordination des Fertigungsprozesses mit VW ist in der Praxis wesentlich aufwändiger und schwieriger. Das wird schon beim Serienanlauf deutlich. Wegen gravierender Qualitätsprobleme zu Beginn muss die ursprünglich geplante Markteinführung im Handel vom 9. November auf den 7. Dezember 2002 verschoben werden – und dann sind viele Kinderkrankheiten noch längst nicht behoben. Außerdem macht sich allmählich der direkte Cayenne-Konkurrent bemerkbar, der Zwilling von Volkswagen und bald von Audi, der Touareg. Er kostet rund 20 000 Euro weniger als der Cayenne im Standardpaket. Beide Geländewagen stehen zwar technisch wie konzeptionell auf einer Plattform (Leichttransporter-Reihe aus dem VW-Werk Hannover), aber von dem gemeinsamen Stammbaum – hier Volkswagen, dort die Prestigemarke aus Zuffenhausen – dürfen die Kunden nie etwas spüren. Eine Verwischung der Markenidentität würde Porsche verheerend treffen – diese Gefahr ist noch nicht gebannt. Vergleiche zwischen Cayenne und Touareg beginnen schon bei der äußeren Form, dem Design. Hier glauben Journalisten eine gewisse Verwandtschaft entdeckt zu haben. Und manche vermissen die richtige sportliche Würze bei Porsches »Mini-Truck«. Auf andere Kritiker wiederum wirkt das Innere des VW-Ablegers edler. Sie begründen das zum Beispiel mit billig aussehenden aluminiumfarbenen Blenden aus Plastik beim Cayenne, während der Touareg einen natürlichen, holzigen Eindruck vermittele. Auch das Antriebskonzept ist umstritten. Immerhin bietet der VW-Touareg, geplante Jahresproduktion: 65 000 Stück im Gegensatz zu Porsche eine Dieselalternative. Solche Vergleiche zum Bruder Touareg nehmen Wiedeking und seine Vertriebsmannschaft in Ludwigsburg sehr ernst. Der scharfe Verdrängungswettbewerb und ihre Kunden lassen ihnen kaum eine andere Wahl. Die entscheidende Schlacht wird vermutlich beim Image geschlagen. Der Name Porsche verteidigt in der Autowelt eindeutig den Ruf als »GewinnerMarke«. Dann ist beim Cayenne zu fragen: Passt das im Vergleich zum 911er und Boxster doch recht breit und wuchtig wirkende Schwergewicht noch in die sportliche Linie von Porsche? Wichtig ist also nicht nur, ob der Cayenne selbst ein Erfolg wird, sondern vielmehr, wie die Käufer teurer Boliden (911, Carrera GT) auf dieses ungewohnte »Nutz«-Fahrzeug in der Modellfamilie reagieren. Ob die Kundschaft wirklich »zu dem Produkt steht«, wie es Wiedeking wünscht, muss sich noch erweisen. Marketingexperten heben in diesem Zusammenhang die sensiblen Grenzen zu niedrigeren Produkt- und
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Preiskategorien hervor, welche Topmarken wie Porsche ganz besonders zu beachten haben.Ein preiswerter »Volks-Porsche«,wie er 1969 mit dem 914 auf den Markt kam, gefährdete eben das Markenimage erheblich. Der damalige Porsche für Einsteiger,der gemeinsam mit VW vertrieben und in Neckarsulm bei Audi gebaut wurde, erreichte zwar hohe Stückzahlen, aber er vergraulte mit der Zeit die wohlhabende Kernkundschaft. Denn der Wagen etablierte sich nie in der Ahnengalerie der reinrassigen Porsche. Mehrfach in der Firmengeschichte spielte die Firma mit dem Gedanken, ihr exklusives, sportliches Image in die Waagschale zu werfen, um ein Familienauto zu bauen, das so eng und hart wie ein 911er ist und doch eine breite Kundschaft anspricht. Stets jedoch wurde ein Rückzieher gemacht, wie bei der fast zur Serienreife gediehenen viertürigen Porsche-Limousine. Ebenso wurden Überlegungen verworfen, ein viertüriges Coupé oder einen stark motorisierten Minivan zu bauen. Masse und Klasse, so abgegriffen dies klingen mag, schließen sich einfach aus. Umstritten ist nur, wo genau die Mengen- und Preisgrenzen liegen.
Emotionale Markenbindung Unbestritten hängt der exklusive Weltruf von Porsche in erster Linie von den rassigen Boliden – in kleinsten Stückzahlen Made in Germany – ab. Je teurer, desto höher das Ansehen. Die Brot-und-Butter-Autos, so betonen Marktforscher, sind dabei die Mitläufer. Das unterstreicht zum Beispiel eine Studie der BHF-Bank (Focus, 27/2001) vom Februar 2001. Danach hängt der PorscheAbsatz »sehr von der Attraktivität ab« und unterliegt zudem einer großen »emotionalen Bindung«. Die Marke steht dem »Segment der Luxushersteller wie Bulgari, Boss, Gucci oder Harley-Davidson« viel näher als den Serienautos. Die Emotionen bestimmen den Entschluss zum Kauf und weniger der Preis. Ein Porsche wird immer aus Spaß und Freude und nicht wegen eines Nutzwertes gekauft.Ein Abenteurerauto passt daher immer zum Image.Doch entspricht der Cayenne dieser Vorstellung, und kann er in seiner Art das Markendach mittragen? Die Stärken der Marke Porsche sind klar definiert. Sie werden vor allem mit den Attributen »schnell, sportlich, dynamisch, Fahrspaß, Prestige, 911er, Carrera, Rennsport« in Verbindung gebracht, bekräftigt eine Studie des Marketingexperten Professor Franz-Rudolf Esch von der Justus-Liebig-Universität Giessen im Jahr 2001. Doch was ist dann mit dem Cayenne? Gilt diese Zustimmung auch für den Geländewagen? Ein Reaktionstest, den Esch mit einem Phantombild vom Cayenne durchführte, gibt in dieser Frage zu denken: »80 Prozent der Assoziationen waren bei der gleichen
Zielgruppe negativ«. Mit dem gezeigten Modell verbanden die Befragten Eigenschaften wie »unsportlich, Stilbruch, unbeweglich, langsam, Jeep-Imitation«. Dieser Test mag nicht repräsentativ sein – Porsche berichtet von positiven Resonanzen –, und doch erscheint der Cayenne dem Image-Experten Esch »ein problematischer Grenzfall« zu sein. Die in Jahrzehnten aufgebaute Exklusivität der Marke setzt dem Angebot und dem Wachstum bei Porsche enge Grenzen. So würde sich zum Beispiel der Einstieg ins klassische PkwSegment verbieten. »Eine viersitzige Sportlimousine wäre zu bieder, zu traditionell und zu langweilig, aber einen sportlichen Stadtflitzer wie den SmartRoadster könnte ich mir gut vorstellen«, relativiert Professor Willi Diez (Focus, 27/2001) vom Institut für Automobilwirtschaft der Fachhochschule Nürtingen. Er hält den Cayenne indes durchaus für vertretbar – selbst mit einem Dieselmotor unter der Haube. Damit die Perle aus Zuffenhausen ihren Ruf als Siegerauto behält, muss Porsche den Mythos aus dem Rennsport stets neu beleben. »Die Marke Porsche lebt von der Überlegenheit der Fahrzeuge, und das muss glaubhaft vermittelt werden, meint Professor Ferdinand Dudenhöffer im Gespräch mit dem Autor. Und der richtige Rennsport »ist heute Formel 1«, unterstreicht der Autoexperte der Fachhochschule Gelsenkirchen. Schon in den kommenden Jahren müsse das Label seiner Ansicht nach wieder »durch sportliche Substanz gestärkt« werden. Das jedoch dürfte mit dem klobigen Cayenne schwer fallen. Welten trennen ihn von einem echten Sportflitzer. Diese Einschätzung ist auch in der Branche vielfach zu hören. Kaum nämlich taucht der allradgetriebene Dreitonner als Ausstellungsstück auf den Messen in Paris, Detroit oder Genf auf, da spottet die Konkurrenz mit Blick auf den Cayenne, dass mancher gezeigte Pkw besser zu einer Ausstellung für Nutzfahrzeuge gepasst hätte. Schon lästern sie über einen von hinten derb aussehenden »zu klein geratenen Lastwagen«. Mit dieser Häme versuchen die Wettbewerber, den Erfolg der dritten Baureihe von Porsche zu bremsen. Ohne Frage, der Cayenne ist für die Marke rassiger Sportautos ein unternehmerisches Wagnis. Am Ende entscheidet, wie schon beim Boxster, der Kunde – und den gibt es überall auf der Welt. Wiedeking ist bereit, die Verantwortung zu übernehmen: »Wir haben drei Jahre diskutiert und dann entschieden, wir gehen ran! Die wichtigste Entscheidung war: Wo produzieren wir? … Interessant war: Amerikaner und Asiaten akzeptieren für ein hier produziertes Auto sogar einen Mehrpreis. Als das klar war, habe ich die Sache ohne weiteres Gerede durchgezogen.« (Tagesspiegel, 15./16. 12. 2000). Das klingt nach dem mutigen Macher, der Interessenten in einem Interview (Die Zeit, 21. 11. 02) versichert: »Sämtliche Gene des Autos sind Porsche pur.« Das Projekt E 1 – sportlicher
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Geländewagen, hat offenbar alle Filter durchlaufen und viele Hürden, einschließlich der Familie, übersprungen. Aber was bietet er dem Kunden Besonderes, das es rechtfertigt, dass er den Porsche-Aufpreis bezahlt? Jetzt muss Wiedeking sehen, wie er mit dem schweren Brocken – seinem Baby – fertig wird.
Schwierigkeiten bei der Cayenne-Produktion Aller Anfang ist schwer – diese Erfahrung bewahrheitet sich mehr denn je beim Bau des Cayenne. Wiedeking muss erleben, dass die geplante Produktion des Geländesportwagens viel zu spät und unter großen Schwierigkeiten anläuft. Die Ursachen dafür sind vielschichtig. Einerseits kann das VW-Werk im slowakischen Bratislava nicht in der nötigen Stückzahl und Qualität Fahrzeuge fürs Finish im Porsche-Werk Leipzig liefern. Andererseits klappt auch in Sachsen die Organisation überhaupt nicht. Die Mannschaft dort ist noch längst nicht eingespielt. Die Anlaufphase für den Cayenne sollte im Oktober, spätestens November 2002 abgeschlossen sein. Im Frühjahr 2003 jedoch ist dieses Ziel immer noch nicht erreicht. Daher verschiebt der Porsche-Chef als Erstes die Markteinführung für das rasante Allradauto vom Oktober auf den 7. Dezember 2002. Das war die erste herbe Enttäuschung. Ursprünglich wollte Wiedeking der staunenden Öffentlichkeit einmal mehr demonstrieren, wie schnell die Sportwagenschmiede ist. Bis zu 25 000 Universalvehikel wollte er gleich im Geschäftsjahr 2002/03 in Sachsen bauen. So jedenfalls lauteten die internen Vorgaben des Firmenchefs. Beim Bau der Cayenne-Fabrik in Leipzig ist ihm der Tempotest noch gelungen. Das Objekt wurde in Rekordzeit realisiert; vom Spatenstich mit Sachsens Ministerpräsident Biedenkopf, Leipzigs Oberbürgermeister & Co. im Februar 2000 bis zur Einweihung im August 2002 vergingen kaum zweieinhalb Jahre. Doch jetzt wird sein Ehrgeiz Woche für Woche jäh gebremst. Gewünscht waren 130 bis 140 Cayenne am Tag, aber Wiedeking und sein Produktionsmann Macht müssen ihre Planungen laufend nach unten korrigieren. Noch im Frühjahr ist unklar, wie das auf 15 000 Wagen reduzierte Plansoll erfüllt werden soll. Selbst die vorsichtig anvisierten 70 Autos täglich schafft Leipzig lange nicht. Stattdessen hat die inzwischen eigenständige Tochterfirma wochenlang große Mühe, kaum 30 Einheiten am Tag auszuliefern. Dabei kannten die Macher die Risiken von Anfang an: Ein neues Modell wird mit neuer Mannschaft in einer neuen Fabrik hergestellt. Und endlich, ab der zweiten Februar-Hälfte,
erreicht die Produktion bis zu 170 Cayenne täglich, allerdings nur im kräftezehrenden Dreischichtbetrieb, sechs Tage in der Woche. In der Zeit, als sich Wiedeking im Aachener Karneval lustig als 53. Spaßritter feiern lässt, hat er beim Thema »Cayenne« nichts zu lachen. Es knirscht hinten und vorne: beim Zusammenspiel der etwa 300 angelernten Werker untereinander, bei der Lieferbeziehung zum VW-Vorproduzenten in Bratislava. Die notwendigen Wagen für die Markteinführung in den USA zum 15. 3. 2003 sind teilweise schwer zu bekommen. Es müssen weit mehr sein als die 35 Cayenne, die am 20. November 2002 bereits vom Flughafen HalleLeipzig mit einem Frachtflugzeug, Typ Antonov 124-100, nach Amerika geflogen worden sind. Die einmal sorgfältig ausgeklügelte Arbeitsteilung zwischen Volkswagen und Porsche erweist sich nun als größter Pferdefuß. Der Nachschub aus der Slowakei stockt. Dabei findet in Leipzig nur noch die so genannte »Hochzeit« statt. Rund 85 Prozent des Autos kommen von außerhalb, das meiste aus Bratislava. Von dort wird die Karosse komplett lackiert samt Innenausstattung und Elektrik angeliefert. Bei Porsche werden im Wesentlichen der Antriebsstrang (Motor/ZF-Getriebe), das von ThyssenKrupp vorgefertigte Achsmodul und der Schalldämpfer mit der Karosse zusammengebracht, das Lenkrad eingesetzt, die Schaltkulisse eingebaut, die Räder auf den Wagen montiert, die Funktionsfähigkeit geprüft, Probe gefahren und fertig. Die ganze Montage ist im Fünf- bis Sechs-Minuten-Takt vorgesehen. Doch Beobachter berichten, dass die viel zu umfangreiche Nacharbeit wegen Pfusch und Organisationsmängeln alle Vorgaben immer wieder zunichte mache. In den Wochen vor Weihnachten hätten die Spezialisten, teilweise aus Zuffenhausen, bis zu 80 Stunden an einem Cayenne herumdoktern müssen, bis die Qualität stimmte. Im Frühjahr seien noch immer rund zehn Stunden Nacharbeit fällig gewesen (zum Vergleich: in Zuffenhausen fallen zwei bis vier Stunden an).
Wiedeking platzt der Kragen Noch kritischer sind die Ausfälle bei Lieferanten, besonders bei kleineren. Kleine Ursachen haben oft große Wirkungen. So zum Beispiel, wenn die Roboter, welche die Räder montieren sollen, nicht funktionieren. Die verantwortlichen Firmen – Maschinenbauer, Elektrik, Software – ringen um die eigene Existenz, sind teilweise insolvent und stehen für die Reparatur kaum zur Verfügung. Andere Zulieferer, meist billige Zwerge aus der ehemaligen Tschechoslowakei, streichen bald die Segel. Sie sind, wie der Hersteller der anspruchsvollen Frontscheibe, nicht in der Lage, die großen Mengen, die sie
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liefern sollten, vereinbarungsgemäß auch in entsprechender Qualität zu fertigen. Wieder stockt der Produktionsfluss, bis rasch Ersatzlieferanten, teilweise im Westen,gefunden werden.Dann ruht eine komplette Schicht,weil Motorschläuche fehlen. Die Verantwortlichen in Leipzig wie in Bratislava »improvisieren nur noch«, staunt ein Augenzeuge. Zeit und Geld kostet auch die ständige Nacharbeit mangelhafter Gefährte, die eigentlich längst beim Händler stehen sollten.Zeitweise müssen Mitarbeiter von Personalverleihfirmen angeheuert werden, welche die fertigen Cayenne auf dem Firmengelände einfahren und für die Endabnahme testen. Als Wiedeking im Herbst 2002 der Kragen platzt, macht er für die Pannenserie öffentlich auf einer Bilanzpressekonferenz neben ungenannten Teileproduzenten indirekt auch den VW-Partner in Bratislava verantwortlich. Er weist vorsichtig auf Probleme bei der Produktionssteigerung hin: »Der Engpassfaktor liegt eindeutig bei den Lieferanten.« Ein zarter Wink Richtung Wolfsburg.Was die Öffentlichkeit indes nicht weiß,ist,dass die Einkaufsmacht auch für die Cayenne-Teile bei Volkswagen liegt. So wurde die Arbeitsteilung im Vertrag festgelegt. Porsche sind also ziemlich die Hände gebunden. Doch durch die Kritik Wiedekings fühlt sich sein Gönner und Großaktionär Ferdinand Piëch kräftig vors Schienbein getreten. Er zählt als ehemaliger Volkswagen-Chef und nun Aufsichtsratsvorsitzender in Wolfsburg zu den Hauptverantwortlichen für die Zwillingsproduktion des Porsche-Cayenne und VWTouareg in Bratislava. Es dauert nicht lange, und in der slowakischen Fabrik wackeln die Wände. Rund 100 Beschäftigte werden dort im Februar 2003 einfach auf die Straße gesetzt, »als reine Disziplinierungsmaßnahme«, vermuten Porscheaner. Eine weitere Härte für die Mannschaft, die schon jetzt viele Überstunden schiebt und völlig übernächtigt ist. Wiedekings Rundumschlag gen Osten bewirkt indes, dass in Bratislava ab jetzt wesentlich mehr Cayenne vorproduziert werden als geplant. Denn – Glück im Unglück – der Zwillingsbruder VW-Touareg hat in der Anfangszeit schwere Absatzprobleme. Das Sechszylinder-Modell kommt auf dem Markt kaum an. Die Interessenten bevorzugen, bei drastisch steigenden Spritpreisen, die Dieselversion. Diese wird nur langsam hochgefahren. Deshalb sind die Verhältnisse am Band in Bratislava auf den Kopf gestellt. Statt sechs Touareg und einem Cayenne werden sechs Cayenne und nur ein Touareg an der gemeinsamen Produktionslinie gefertigt. Dieser Schub ist für Porsche bestenfalls ein Lichtblick, aber noch kein Durchbruch. Ohne kräftiges Zutun der Zentrale in Zuffenhausen laufen in Leipzig nur die Kosten weg, von sich aus bewegt sich wenig. Das jedoch war weder von Wiedeking noch von Macht eingeplant. Der Ableger in Leipzig
sollte ohne starken Einfluss des Stammhauses völlig eigenständig entstehen. Für das erste Zweigwerk Porsches lautete die Devise in Machts Konzept: alles besser, billiger, schneller. Für dieses Ideal bekam vor allem der Produktionsmanager von Wiedeking ziemlich freie Hand.In der Entstehungsphase ist auch Entwicklungsvorstand Horst Marchart in den Neuaufbau involviert. Das Management engagiert im gesamten Stadium der Planung und Realisierung möglichst externe Kräfte. Es sorgt dafür, dass Leipzig nicht vom »Virus Zuffenhausen« angesteckt werden kann. Wiedekings rechte Hand Macht strebt ein völlig freies, schlankes Modell an, ohne starre Festlegung des Arbeitspensums, ohne Taktzeiten, ohne Taylorismus und ohne Tarifbindung, nach modernsten Fertigungstheorien. Diese basieren darauf, den Fabrikarbeitern beim Arbeitspensum hohe Ziele vorzugeben, Druck zu machen und die Realisierung den Leuten selbst zu überlassen. Bei dieser Art von Selbstausbeutung würden wache Betriebsräte und Gewerkschafter nur stören. Deshalb darf sehr lange Zeit kein Unbefugter aus Zuffenhausen das Gelände in Leipzig betreten oder mit Beschäftigten reden. Eine Besuchserlaubnis wird abgelehnt. Manche sprechen von »Kontaktsperre«. Da nimmt es kaum wunder, wenn zwischen den Sachsen-Porscheanern und den Schwaben-Porscheanern nur tiefes Misstrauen herrscht. Die Installation eines Betriebsrats in Leipzig wird zum Coup mit besonderer Brisanz. Der Geschäftsführer der Porsche-Tochter, Siegfried Bülow, – er war zu DDR-Zeiten in leitender Position bei Wartburg in Eisenach – lässt die Arbeitnehmervertretung sehr bald im Frühjahr 2002 von gerade mal rund 40 Mitarbeitern wählen. Das kleine Wahlvolk ist eine von Porsche handverlesene, elitäre Vorhut, überwiegend Angestellte, keine Gewerkschafter. Die künftige Mannschaft in Leipzig wird erst später nach und nach auf rund 350 Köpfe, einschließlich Vertriebszentrum, aufgestockt. Sie finden aber bereits einen Betriebsrat vor, in dem IG-Metaller weit in der Minderzahl sind. Und der gewerkschaftsferne Vorsitzende ist dem Vorwurf der Gewerkschaft ausgesetzt, »keine Betriebsvereinbarung zugunsten der Mitarbeiter abschließen zu wollen.« Immerhin verdienen die Leipziger mit 13 Euro pro Stunde im Durchschnitt, ohne Leistungs- und Sonderprämie, deutlich weniger als ihre Kollegen in Zuffenhausen. Und dafür arbeiten sie auch noch ohne Überstundenzuschläge deutlich länger. Der Frust über Benachteiligungen und Stress am Arbeitsplatz wächst. »Wenn sich die Zustände nicht ändern«, sagen schon einige Sachsen hinter vorgehaltener Hand, »wechseln wir zum weit größeren BMW-Werk«, das ebenfalls in Leipzig entsteht und bereits einen Tarifvertrag hat. Doch angeblich, so die Gerüchte, gibt es Absprachen unter Personalern von Porsche und BMW, keine Wechsler anheuern oder abwerben zu wollen.
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Inzwischen treffen auch Briefe beim Betriebsrat in Zuffenhausen mit dem Wunsch ein, doch in Leipzig Sprechstunden einzurichten. Aber diesem Anliegen sind juristisch Grenzen gesetzt. Offiziell getrauen sich die Ostdeutschen nicht einmal, mit den Schwaben offen zu sprechen – höchstens im Einzelgespräch. Sobald ein Dritter dazukommt, befürchten sie, es könnte ein Spitzel sein. Dabei bekommen die Leipziger inzwischen genügend Mitarbeiter aus dem Stammhaus zu Gesicht. Es sind sozusagen die Feuerwehrleute, die als Nothelfer nach Leipzig entsandt werden, um die Autohalden abzuarbeiten.
Porsche-Leute werden gefilzt Manager Machts Modell »Grüne Wiese« – das »auf die Qualifikation erfahrener Leute verzichtet« habe und von »Grünschnäbeln« geplant worden sei – sei »gescheitert«, behaupten Augenzeugen. Sie fühlen sich in ihrer Kritik bestärkt durch den anschwellenden Werkstourismus zwischen Zuffenhausen und den Fabriken draußen. Das Porsche-Management sieht sich Anfang Februar 2003 sogar gezwungen, nach militärischem Vorbild eigens eine schnelle Eingreiftruppe für Leipzig und Bratislava zu bilden. Etwa 20 gestandene Mitarbeiter, gewerbliche und normale Angestellte, seien ständig als Entwicklungshelfer im Osten tätig, wundern sich Insider. Dazu geselle sich Führungspersonal aus verschiedenen Abteilungen, sodass laufend ein gutes Dutzend Spezialisten vom Abteilungsleiter über Techniker bis zum Arbeiter mit Sonderaufgaben in Leipzig oder Bratislava gebunden seien. Sie helfen zum Beispiel bei der Nacharbeit, weil eine ganze Halle mit Cayennes verstopft ist, sie beheben Mängel am Motor oder Schäden an der Karosse, sie leisten Hilfe in der Fertigungstechnik oder managen die Verwaltung mit. Fast komplette Abteilungen, etwa vom technischen Teileeinkauf, seien zeitweise in der Slowakei, um die riesigen Probleme mit den Zulieferbetrieben in den Griff zu bekommen. Das emsige, aber systemlos erscheinende Hin und Her, fast wie einst zwischen BMW und Rover, nur auf niedrigerem Niveau, zehrt auch an den Kräften der Stammfirma. Viele Arbeiten werden jetzt hektisch parallel erledigt, manche Aufgabe bleibt liegen,und immer häufiger fällt eine Entscheidungsebene ganz aus, weil der Cost-Center- oder Abteilungsleiter auf Dienstreise in Sachen Leipzig oder Bratislava ist. Der Cayenne hält mehr Porscheaner auf Achse, als je geahnt. Recht bitter kann ein Besuch für zugereiste Schwaben im slowakischen Bratislava ausgehen. Dort herrscht der VW-Konzern über die gemeinsame Fertigungsstätte. Und der will sich von den Porsche-Leuten keinesfalls in die
Karten schauen lassen. Die Rennfahrer aus Zuffenhausen gelten vielen VWlern als »arrogant«. Laut Vertrag zwischen Wiedeking und Ferdinand Piëch liegt die Führerschaft zur Entwicklung der Modelle Cayenne und Touareg bei Porsche. Doch jetzt, in der Produktion und Teilelogistik – auch im Zusammenspiel der Lieferanten – hat Wolfsburg das Sagen. Der Teileproduzent Brose etwa baut vor Ort in einem großen Werk Türsysteme für beide Modelle. Doch weil gerade die Anlaufphase – für Autos generell eine heikle Sache – bei weitem nicht so klappt wie geplant, würden Experten aus Entwicklung und Produktion aus Zuffenhausen gern in Bratislava nach dem Rechten sehen. Doch die Porsche-Leute, besorgt um Zeit, Kosten, Qualität und Image, kommen den VW-Leuten gerade recht – besonders in dieser Situation. Betroffene aus Zuffenhausen berichten: Das Misstrauen auf beiden Seiten sitze tief, und bald seien die Stuttgarter auf offene Ablehnung gestoßen. Deren Ratschläge zu Produktion und Entwicklung hätten den gestressten VW-Mitarbeitern gerade noch gefehlt. »Wir müssen jetzt die Fehler ausbaden, die ihr uns bei der Entwicklung eingebrockt habt«, schimpfen VW-Ingenieure zurück. Schon am Eingang zum Werk in Bratislava würden die Abgesandten aus Zuffenhausen roh gefilzt und oft einfach stehen gelassen – selbst Führungskräfte. Angeblich fühlten sich VW-Leute von Porsche ausspioniert und bei der Arbeit gestört. Dafür würden die Besucher aus Zuffenhausen unglaublich gemobbt. An der Pforte gehe es los. Dort stehe ein automatisches Alkoholtestgerät (»Alcomat«), weil im Werk ein totales Alkoholverbot herrscht. Die Sicherheitsleute von VW bestimmten willkürlich, wer von den Porscheanern ebenfalls dem Test unterzogen werden müsse. Die in die Slowakei Anreisenden müssten für ihre Arbeit und ihr persönliches Wohl eigene Ersatzteile und sogar Proviant mitbringen. Manche berichten, sie hätten nicht mal Mineralwasser zum Trinken bekommen. In der Fabrik würden sich die Mannschaften gegenseitig behindern, so streng seien die Geheimhaltungsvorgaben. Weil es wegen unterschiedlicher Auffassungen zwischen den Gruppen – Entwickler und Produktioner – Streit um die »richtige Methode« gebe, komme es zu Reibereien. Einigen Porsche-Technikern werde sogar Hausverbot erteilt. Der Vorwurf von VW-Seite: Sie hätten alles nachgemessen, überprüft und schließlich kritisiert. Dieses Verhalten – immerhin des Kunden! – führe bei VW zu Nacharbeit und Verwirrung der Belegschaft. Tatsächlich beklagen die Profis von Porsche in Bratislava, dass Maschinen nicht richtig eingestellt seien, Maße nicht stimmten und überhaupt, es laufe nichts rund. Doch VW bestreitet die Fehler. Stattdessen schiebe jede Seite der anderen den schwarzen Peter zu.
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Die Kunden dürfen nichts merken Hoffentlich bekommen die ahnungslosen Autokäufer von den furchtbaren internen Streitereien nichts mit, bangt die Porsche-Seite. Peinlich nur, wenn die Kunden mit der Nase auf Pfusch gestoßen werden, wie es am Vorabend des Journalistentests in Spanien, einem Bericht der Zeit (21. 11. 2002) zufolge, passiert sein soll. Ein aufmerksamer Medienmann entdeckte im Motorraum eines ausgestellten Cayenne ein Plastikteil mit VW-Logo darauf. Das könnte dem Porsche erheblich schaden. Übrigens stammten die Vorzeigeautos für die Pressevorführung Anfang November 2002 im südspanischen Jerez de la Frontera durchweg nicht aus der Serienproduktion. »Da darf kein Fehler dran sein«, mahnt das Management. Die Cayenne für die Medieninszenierung kommen aus der Vorserie in Leipzig, wo sie viel handwerkliche Nacharbeit mit längerer Produktionszeit hinter sich haben. Im November 2002 beginnt Wiedeking auch, die Öffentlichkeit auf einen niedrigeren Ausstoß beim Cayenne vorzubereiten. Er spricht jetzt vorsichtig von einem »qualitätsgesteuerten Anlauf«,in dessen Rahmen die Produktion in Leipzig langsam auf die vorläufig angestrebte Stückzahl von 120 Fahrzeugen hochgefahren worden sei. Wiedeking rechnet damit, 25 000 Autos der neuen Baureihe im Jahr verkaufen zu können, aber den vollen Schub bei Absatz und Gewinn wird der Cayenne vermutlich erst im Geschäftsjahr 2003/04 entfalten können. Porsche und Wiedeking werden ihn brauchen können.
Vom Retter zum Ritter: »Jeck am Ring mit Wiedeking« Mitten in die frustrierenden Ereignisse des Arbeitsalltags platzt das Angebot für eine neue, amüsante Huldigung für den Porsche-Boss. Der Tausendsassa soll geadelt werden, zumindest für die fünfte Jahreszeit. Die hohe Ehre trägt ihm der Aachener Karnevalsverein 1859 (AKV)an, und sie steht für »Prominenz und freche Schnauze«: Es geht um den Orden für den 53. Ritter »Wider den tierischen Ernst«. Als erster Manager überhaupt wird Wiedeking in den Narrenzoo der Prominenz aufgenommen. Seine 52 Vorgänger sind allesamt Politiker und Diplomaten oder große Tiere aus Kultur und Kirche. Im Wahljahr 2002 steuern die Jecken bewusst einen Manager an, Politiker als Preisträger wären zu politisch. »Nach all den Politikern wollen wir jetzt mal einen Menschen zeigen«, begründet AKV-Präsident Dirk von Pezold die Wahl. Um im Vorfeld richtig Stimmung für Wiedeking zu machen, loben die Herrn vom organisierten Frohsinn ihren Kandidaten überschwänglich. Der Vereins-
präsident schwärmt von einem »ausgesprochen sympathischen Preisträger mit Witz und Esprit, der unseren Antrag wohl sehr gerne angenommen hat.« Sein Kumpan und Vereinsgeschäftsführer Christian Mourad wirbt vollmundig: »Der neue Ritter wird ein Renner, der gibt Vollgas.« Wiedeking sei bekannt für sein »loses Mundwerk«.
Die schwerste Rede seines Lebens Den Antrag aus Aachen nimmt der Wirtschaftsboss geschmeichelt an, zumal er dahinter einen Werbegag ersten Ranges vermutet. Die Fernsehquote spricht nachträglich für diese Annahme. Außerdem feiert er einfach gern. Und »mitschunkeln ist immer drin«. Karnevalslieder indes singt er erst so nach dem fünften Bier und mit Vorsänger mit. Ein waschechter Witzbold wird aus dem wachsamen Westfalen eben nicht. Er hört gern gute Witze, sie jedoch zu erfinden ist nicht sein Ding. Deshalb ist die Büttenrede, die er aus dem Narrenkäfig heraus vor laufenden TV-Kameras abfeuern muss, für den Manager kein reines Vergnügen, vielmehr eine »Herausforderung«. Die Monate dauernden Vorbereitungen für den Spaß fallen ihm nicht leicht. »Da bin ich aufgeregter als bei einer Hauptversammlung mit meinen Aktionären«, gibt er bei einer der Vor-Pressekonferenzen (Aachener Zeitung, 1. 2. 2003) zu Protokoll. Um so intensiver bereitet sich der Fleiß- und Kopfmensch wieder einmal auf den Auftritt vor. Woher so schnell die Witze für ein Millionenpublikum nehmen? Der gelehrige Schüler schaut sich Videos mit alten Ritterreden aus AKV-Sitzungen an und nimmt an der Generalprobe teil. Noch eine Woche vor seinem Showdebüt gibt er im Gespräch mit der Aachener Zeitung (11. 2. 2003) zu: »Für mich ist das wirklich die schwerste Rede meines Lebens.« Zwei Monate arbeiten PR-Chef Anton Hunger und seine Leute nebst externen Spaßspezialisten daran, die Ansprache auf den typisch karnevalistischen Frohsinn zu trimmen. Das Schöne sei jedoch, so Wiedeking, dass er in der Bütt für den Inhalt nicht belangt werden könne. »Ich habe sehr viele Reden gehalten, auch spontane Reden«, überlegt er in einem Interview im WDR-Fernsehen (16. 2. 2003). »Aber das ist doch etwas Besonderes. Politiker werfen mal ganz schnell mit Worten um sich, doch das ist bei uns Wirtschaftlern nicht so, ergänzt er. Wird er beim Oecher Boxenstopp zu deftig, zu frech, zu angriffslustig, dann nehmen ihm das die werten Kollegen seiner Zunft – einmal mehr – übel. Da nützt der schützende Narrenkäfig wenig. Prominente durch den Kakao ziehen, das kann das eigene Image beschmutzen. Schließlich sitzen unter den Gästen auch sein Oberaufseher Helmut Sihler und der Sprecher der Porsche-Familie, Wolfgang Porsche samt Gattin.
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Während der rund vierstündigen Öcher Karnevalsgala strengen sich alle mächtig an. Offenbar schon ins satirische Fach übergewechselt ist Arbeitsminister a. D. Norbert Blüm – vielleicht, um seine Rente aufzubessern. Als Porsche-Schlosser im Blaumann und mit Schiebermütze ätzt der CDU-Sozialpolitiker als einziger wirklich an allen Schichten, einschließlich denen da oben.Auch der Porsche-Chef bekommt sein Fett weg.»Die Schwielen an den Händen sind mit Sicherheit so viel Wert wie der Doktortitel auf der Visitenkarte.« Dann der Meister und künftige Spaßritter Nummer 53 selbst, im Narrenkäfig. Stolz tritt er auf als Stenz im blau-weiß gestreiften Anzug mit Fliege und passendem Brusttüchlein – eine Persiflage auf den Wirtschaftsboss. Unter der Jeckenkappe des AKV 1859 e. V., die er von nun an samt Blechplakette zu jeder Vorstandssitzung zu tragen habe, lässt sich manches mit Humor sagen. Der erste »Schelm in Nadelstreifen« teilt aus, geradezu schwäbisch trocken, manchmal zu trocken, sodass der eine oder andere Gag beim Publikum verspätet ankommt. Politiker und Kollegen der Wirtschaft nimmt er ins Visier. »Eine Koalition ist ein Zusammenschluss zweier Parteien, die gemeinsam an Zielen festhalten, die sie alleine nie verfolgt hätten.« Oder er lästert über Schröders Kurs: »Keine Firma macht auch nur annähernd Gewinne, wenn die einzige Konstante der ständige Richtungswechsel ist.« Und bei seinem Lieblingsthema »Kleine gegen Große« klingt sein Kampfgeist gar in Versen: »In Nippons Händen, welch’ ein Graus! Wie sähe heute Porsche aus?« Und zum Schluss reimt der neue Ritter versöhnlich frei nach Wilhelm Busch: »Was ich will, ist motivieren, hab’ genug vom Lamentieren. Packt mit an und stoßt ins Horn, dann stehn wir morgen wieder vorn.« Doch sein Schelmengesicht wirkt bei mancher Pointe angespannt. »Bisweilen fühlt man sich in die Aktionärsversammlung der Porsche AG versetzt, wo der Chef Tacheles redet«, notiert die Aachener Zeitung (17. 2. 2003). So richtig raus aus seiner engen Wirtschaftswelt kommt Wiedeking nur schwer,selbst dann nicht, wenn es tierisch ernst klingen soll. Ein loses Mundwerk ist eine Sache, aber ein polternder Humor oder rheinischer Mutterwitz sind nicht jedem angeboren. Diplomatisch wird seine Narretei in Aachen als unverblümt und sein Vortrag als »klug, hintergründig und witzig« beurteilt, so etwa vom Vorjahresritter und Laudator Thomas Borer. Die überregionale Presse fängt das Ereignis distanziert auf einem AP-Bild mit einer typischen Geste Wiedekings ein: mit erhobenem Zeigefinger, stramm mit mahnendem Blick aus dem Narrenkäfig, ähnlich jenem »Lehrer Lempel« bei seinem Vorbild Wilhelm Busch. Muss Wiedeking den ersten Schelm in Nadelstreifen mimen? Ja, er kann es nicht ablehnen. Obwohl der aus Aachen bestellte Humor allen schwer zu
schaffen macht und monatelang Kopfzerbrechen bereitet – Redenschreibern, Trainern und Wiedeking selbst –, dieses verlockende Angebot kann der ehrgeizige Porsche-Manager nicht an sich vorbeiziehen lassen. Sein Ego braucht das. Und dazu ein gehöriges Maß an Lob, das der Karnevalsverein AKV von ihm als Grußwort im Internet verbreitet: »Starke Worte, große Taten, da braucht niemand lang zu raten, wessen Handschrift das wohl sei: Wendelin werd’ ich genannt/bin als furchtloser Macher gut bekannt …« Zur rheinischen Frohnatur ist Wiedeking bei aller Dichtung und trotz des Trainings bei den Jecken nicht geworden. Für den durch und durch rationalen Kopfmenschen ist das sicher keine Schande.
Eintracht Porsche e. V.: Eine Hauptversammlung Mit einem solchen Rekordansturm zu dieser Hauptversammlung hat niemand bei Porsche – und erst recht nicht bei der Stadt Stuttgart – gerechnet. Dabei wird der Firmenchef die besten Zahlen aller Zeiten in seinem Jubiläumsjahr präsentieren. Rund 3 100 Aktionäre, Banker, Gäste und Journalisten strömen am Morgen des 24. Januar 2003 in die Stuttgarter Liederhalle. Sie alle wollen den König von Porsche, Wendelin Wiedeking, live erleben. Rasch sind die Parkhäuser belegt, die Autos stauen sich auf den Straßen rund um das Kongresszentrum, und die Kommune sieht sich wieder mal nicht in der Lage, ihrem größten Steuerzahler bei der Organisation dieser Großveranstaltung zu helfen. An den Eingängen der Liederhalle stehen noch um zehn Uhr, als die Hauptversammlung offiziell beginnen soll, mehrere Menschenschlangen im leichten Schneeregen. Die Gäste und ihre Taschen werden wie auf dem Flughafen gründlich kontrolliert und elektronisch gefilzt, bevor das Sicherheitspersonal sie durchlässt. Nur wenige murren. Die PorscheGemeinde nimmt es gelassen. Ein Aktionärssprecher bittet später bei seiner Wortmeldung, doch dafür zu sorgen, dass Einlasszeiten von 20 Minuten künftig vermieden werden. Der Aufsichtsratsvorsitzende Professor Dr. Helmut Sihler, der die Veranstaltung leitet, zeigt sich »von dem Ansturm überrascht« und verspricht »Besserung«. Die nächste Aktionärsversammlung 2004 findet ohnehin in Leipzig statt. Die Aktionäre treffen sich jedes Jahr einmal, um den Rechenschaftsbericht des Vorstands zu hören, darüber und über die Verwendung des Gewinns zu diskutieren und über Personalien zu entscheiden. So sieht es das Aktienrecht vor. Nur bei Porsche haben die externen Eigentümer kein Stimmrecht, weil
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ihre so genannten Vorzugsaktien eine Mitbestimmung ausschließen. Ein Aktionär spricht von »Eunuchen-Papieren«. Nur Inhaber normaler Stammaktien haben pro Papier eine Stimme.Doch solche Aktien gibt es an der Börse von Porsche nicht zu kaufen, weil alle den Familien Porsche und Piëch gehören. Und auch bei dieser Eigentümerversammlung werden die »kleinen« Aktionäre bei den »großen« darum betteln, ihre 8,75 Millionen kastrierten Aktien doch in echte Wertpapiere umtauschen zu lassen. »Wann werden endlich die Vorzugsaktien abgeschafft«, fragt einer beschwörend und wendet sich wieder einmal direkt an die offenbar anwesenden Bremser: »Familie Piëch, springen Sie doch endlich über Ihren Schatten! … Darüber sollten Sie doch endlich nachdenken.« Für Wendelin Wiedeking ist die Hauptversammlung nicht der Tag der Abrechnung, sondern des Triumphes. Der Primus steht jetzt ganz oben. Nicht nur im riesigen Konzertsaal der Liederhalle auf einer Bühne, sondern mehr noch in der Liga der Firmenlenker. Porsche ist zur Stunde gute 6,6 Milliarden Euro wert (Aktienkurs: 378 Euro). Der Manager, der da hinter einem Pult steht und vor »seinem« Publikum Bilanz zieht, ist zwar stolz, weiß sich aber zu beherrschen. Er gibt, wie es so seine Art ist, den Takt an und unterdrückt den inneren Jubel immer wieder: »Auch wenn die Erinnerung an die schlechten Zeiten von Porsche kaum noch vermittelbar ist«, betont er bereits nach wenigen Minuten seiner Ansprache, »so ist die Besinnung darauf immer auch ein Stück Selbstschutz vor Überheblichkeit und Fahrlässigkeit.« Und in guten Zeiten will der Erfolgsmanager auch an schlechte denken. Er appelliert an die Zuhörer: »Man sollte bei allem Erfolg nicht zu gierig werden.« Das Thema »Einst und heute« ist Wiedeking auch nach mehr als zehn Jahren Amtszeit als Porsche-Chef so wichtig, dass es sich wie ein roter Faden durch seine Rechenschaftsberichte zieht. Seine Botschaft an die Aktionäre, unter ihnen viele Belegschaftsmitglieder, wie an die Vertreter der Presse lautet: Seht her, aus welch tiefem Loch wir dank meiner Führung nun zum höchsten Gipfel aufgestiegen sind. Der Boss hinterm Rednerpult spricht nicht nur über ein Geschäftsjahr, nein, er referiert über ein ganzes Jahrzehnt. Das ist die Inszenierung, der Spannungsbogen, welcher die Wiedeking-Story ausmacht. So nebenbei rechnet er vor, dass Porsche 1992/93 an der Börse zu einem Preis von etwa 300 Millionen Euro gehandelt wurde, und hüpft dann gekonnt in die Gegenwart: »Sie bekommen heute als Dividende das ausgeschüttet, was das Unternehmen damals wert gewesen war.« Damit ihm solche »Damalsschlecht-heute-gut-Vergleiche«, die indirekt auch seine Vorgänger klein machen, nicht als Hochmut ausgelegt werden können, versucht er möglichen Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen. Zum Schluss seiner Rede
versichert er ausdrücklich: »Wir haben in der Zwischenzeit gelernt, mit unserem Erfolg umzugehen, und sind deshalb weit entfernt von Übermut. Denn wir waren ganz unten und kennen aus eigener Kraft die Fallhöhe, die sich schnell in Erinnerung drängt, sobald einem bewusst wird, dass man oben steht.« Und nochmals wiederholt er diesen Gedanken im letzten Satz seines Vortrags, so, als ob in letzter Sekunde Zweifel aufgetaucht wären: »Seien Sie versichert, die Narben erinnern uns immer wider an den Schmerz, auch im Hochgefühl dieses Tages.«
Ein Lob in lockerer Atmosphäre Der Wiedeking im Jahr 2003 ist längst nicht mehr der bubenhaft wirkende Anfänger, der unbekannte Maschinenbauer aus Beckum, sondern der anerkannte Boss. Der Routinier am Rednerpult spricht 20 Seiten lang und noch ein bisschen mehr, weil er hier und da pfiffig etwas ergänzt oder witzelt. Sobald er nicht vom Blatt abliest, hebt er entweder belehrend den Finger, oder er begleitet seine Worte mit kleinen Handbewegungen. Seine Schlagfertigkeit durchbricht die Statik auf der Bühne, belebt die Szene im Konzertsaal. Als er etwa die hohe Sonderdividende in Aussicht stellt, da weicht er flink vom Manuskript ab: »Jetzt hätte ich Applaus erwartet … Ich rede über Ihr Geld – nicht über meines.« Nur wenige Meter hinter ihm, auf dem in Licht getauchten Podest, am Tisch der Aufsichtsräte, sitzen die wahren Eigentümer, die Porsches und die Piëchs. So viele Arbeitgeber auf einmal machen selbst den abgebrühtesten Manager nervös. Doch welcher Angestellte kann sich vor seine Geldgeber hinstellen und selbstbewusst die Sätze sagen: »Meine Damen und Herren, den bisher größten wirtschaftlichen Erfolg im Geschäftsjahr 2000/2001 konnten wir im Berichtsjahr wieder einmal übertreffen. Und ich muss mich wiederholen: Nie zuvor in der Geschichte des Unternehmens haben wir unsere Ziele so eindrucksvoll erreicht wie im abgelaufenen Geschäftsjahr und besser noch als im ohnehin sehr guten Jahr zuvor.« Diese Bilanz schützt vor Kritik, selbst wenn Wiedeking noch so sehr provoziert. Was der Westfale Wendelin Wiedeking »seinen Aktionären« zu sagen hat, kommt prima an. Das Problem dabei: Er weiß das. Sein Vortrag in klarem Hochdeutsch wird mehrfach spontan von Beifall unterbrochen. Wenn er die vorbereitete und fleißig einstudierte Rede vorträgt, dann wird deutlich, wie stark er bei seinen Sätzen auf den richtigen Tonfall zielt, einen unterschiedlichen Rhythmus sucht und an den Pointen feilt. Und meistens klappt es auch. Manchmal hängt er den Wörtern ein schwäbisches »le« an, das wärmt. Hier und da verfällt er in seine westfälische Kumpelhaftigkeit, etwa wenn er sich
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eigens an die »Verkaufsfront« wendet und dem Vertrieb dankt: »Das haben die Jungs wirklich gut gemacht.« Anschließend, als er in freier Rede auf die Fragen von Aktionären antworten muss, spricht Wiedeking viel schneller, verhaspelt sich mehr und wird zum Schluss fast kurzatmig. Das klingt wie ein drohendes Anstrengungsasthma. Jetzt kommt die Anspannung zum Ausdruck. Dabei sind es fast nur seine Erfolge, über die der Porsche-Chef reden darf. Oder – meist so nebenbei – über die Misserfolge der Mitbewerber. »Es gab im Wettbewerbsumfeld welche, die es härter traf«, stichelt er zum Thema sinkender US-Absatz und 11. September 2001. Andererseits, alle, die sich zu Wort melden, loben ihn ausdrücklich. »Sie haben eine Herkules-Aufgabe gestemmt.« Oder: »Bei Ihnen werden Aktionärsträume wahr.« Und: »Es gibt keinen Geschäftsbericht, wo die Eigenkapitalrelationen so gut sind.« Ein Diskutant wendet sich an den Aufsichtsratsvorsitzenden Sihler, der einige Monate zuvor die gebeutelte Deutsche Telekom managen musste, und bittet ihn: »Herr Wiedeking muss hierbleiben. Die Telekom können Sie alleine ausbaden.« Klatschen und Gelächter in der Stuttgarter Liederhalle. Die Hauptversammlung, die viele andere Firmen formalistisch steif zelebrieren, gerät stellenweise zur Folklore. Zum Beispiel, wenn Sihler als Replik auf einen Aktionär den alten Spruch »Wir wollen unsren alten Kaiser Wilhelm wieder haben« abwandelt in »Wir wollen unseren Wendelin behalten«. Oder wenn er einen Opponenten, der einen Beitrag mit nahezu kabarettistischen Einlagen geliefert hat, verabschiedet: »Besonders gut hat mir Ihre Krawatte gefallen.« Es ist ja auch Faschingszeit, und wenn ein Unternehmen so glänzend läuft wie Porsche, dann haben alle gut lachen. Der eine oder andere Redebeitrag trägt den Charakter von Büttenreden in Mainz, Köln oder Aachen. »Die Sonderdividende ist einmalig – einmalig im Jahr«, witzelt ein Aktionär über den Supergewinn. Die Porsche AG wird zur Harmonie AG. Sogar der berüchtigte Berufsopponent Kurt Fiebich hat für den Spitzenmanager nur Lob übrig: »Sie haben eine hinreißende Rede gehalten … Mit viel Wiedekingschem Eigenbau … Sie sind nicht der Querdenker, wie immer behauptet wird, Sie denken klar!« Fiebich will den Vortrag gern nachlesen. Auch Versammlungsleiter Sihler, ein gebürtiger Österreicher, lässt sich zu kommentierenden Wertungen hinreißen – ungewöhnlich für das trockene Organ einer Hauptversammlung. Als der Vorstandsvorsitzende seinen Rechenschaftsbericht abgeschlossen hat, leitet Sihler zum Tagesordnungspunkt »Aussprache« mit den Worten über: »Bei diesem eindrucksvollen Bericht über ein sehr erfolgreiches Geschäftsjahr bin ich fast geneigt zu sagen: Damit ist die Hauptversammlung beendet.« Das würde jedoch eklatant gegen das Aktienrecht verstoßen.
Der Spaßgesellschaft vergeht der Spaß In dieser fast herzlichen Atmosphäre ist Wiedeking wirklich der King. Im Unternehmen ist nach seiner Schilderung alles weitgehend in Butter, die Zahlen sind soweit in Ordnung, und die Prognosen fürs laufende Jahr stimmen in den schwierigen Zeiten froh. Nur der schwelende Irak-Konflikt macht ihm Sorge.»Natürlich spielt auch die Kriegsangst aktuell eine Rolle bei unseren Absatzerwartungen in den USA.« Aber noch ist in der Porsche-Welt alles friedlich. Kaum einen Monat später werden die Beschäftigten aufgefordert, ihre Überstunden abzufeiern, werden ganze Schichten gestrichen. Hier und heute kann der Gefeierte noch einmal beruhigt seine Lieblingsthemen reiten: Börse, Weltpolitik, Konkurrenten. Seine Kritik an der Finanzszene packt er geschickt in Fragen: »Wie konnten Fälle wie Enron oder Worldcom ein ganzes System in Misskredit bringen?« »Warum stürzte der gute Ruf einst angesehener Berufe wie der des Analysten und Investmentbankers ins Bodenlose? Warum glaubt ihnen fast keiner mehr?« Alle bekommen ihr Fett weg. Eine seiner Antworten lautet, dass die Bundesregierung nur ein Spiegelbild dessen sei, »was sich bei uns abspielt: Der Crash an den Börsen, das beinahe totale Verschwinden dessen, was wir kühn einmal als New Economy bezeichneten, die Fehl- oder Überinvestitionen im Hightech- und Telekomsektor, wo Controller bei den Entscheidungen offensichtlich Berufsverbot hatten … und letztlich auch das Ignorieren ökonomischer Binsenweisheiten durch Menschen,die sich selbst als Eliten im Wirtschaftsleben bezeichneten.« Er sagt eine »neue wirtschaftliche Zeitrechnung« voraus und legt nach: »Der Spaßgesellschaft ist der Spaß abhanden gekommen.« Andererseits folgert er: »Wenn nur Gewinn alle offenen Fragen beantwortet, dann müssten wir alle im Drogengeschäft sein. Dort jedenfalls existiert keine andere Moral.« Das kapitalistische System könne »nicht losgelöst von humanen und freiheitlichen Grundsätzen existieren.« Glaubwürdigkeit geht laut Porsche-Chef vor Gewinnstreben. »Wir verzichten auf Subventionen, und wir zahlen Steuern. Diese Kombination ist so ziemlich einmalig – und sie hat auch etwas mit unserem Erfolg zu tun.« Für den Porsche-Piloten ist das der Kern einer »sozialen Akzeptanz«, die er bei sich und generell anmahnt. »Ich sagte es schon oft, und ich wiederhole es immer wieder:Einen Porsche kauft sich niemand,wenn der Nachbar mit dem Finger auf ihn zeigt.« Solche Appelle genießt der Mann, sind sie doch von Applaus gekrönt. »Viele Kunden rekrutieren wir heute aus gesellschaftlichen Schichten, die noch vor zehn Jahren aus Gründen fehlender Sozialakzeptanz niemals unser Produkt gefahren hätten.« Und dann richtet er seinen Kauf-
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mannsblick auf die finanzielle Seite seiner Moral. Sie bilde sich in Form von Vertrauen »auf der Gegenseite der Bilanz in sozialem Kapital unseres Unternehmens ab«. Anschießend drischt er auf jenen Typus ein, den er offensichtlich für den Schurken im kapitalistischen Stück hält, die Enrons oder Worldcoms in den USA, die EM.TVs oder Babcocks in Deutschland. »Diesen Unternehmen, meine Damen und Herren Aktionäre, nimmt heute so schnell keiner mehr ein Stück Brot aus der Hand. Das Vertrauenskapital, das sie zunächst wieder anzuhäufen haben, schaffen sie nicht über Nacht. Und bei Flowtex und Comroad ist sowieso der Ofen aus – die Verantwortlichen sitzen da, wo sie hingehören: hinter Gittern.« Eines sei diesen Gescheiterten gemeinsam: »Sie haben – wenn man von den kriminellen Figuren einmal absieht – unter dem Begriff Wirtschaft mehr oder weniger lediglich den technischen Austausch von Produktionsfaktoren verstanden.« Scharfe Worte gegen Manager und Unternehmen, wie sie in Hauptversammlungen äußerst selten sind. Die meisten Vorstände beschränken sich in ihren Berichten auf unverdächtige Kritik, meist pflichtschuldigst an Politik, Gewerkschaften oder Missständen in der Branche. Der direkte Angriff wird gemieden. Schließlich trifft sich die Elite ja dauernd in Ausschüssen, Verbänden, Aufsichts- und Beiräten und bei den vielen repräsentativen Anlässen. Und eine Hand wäscht die andere. Wer wird sich da den Zorn oder gar die Feindschaft der Mächtigen durch seine Schmähkritik einhandeln wollen? Vielleicht Wendelin Wiedeking. Er kann sich so richtig in Rage reden – besonders, wenn es um den bedauerlichen Zustand des »ehrbaren Kaufmanns«, um Vertrauen, Glaubwürdigkeit, Subventionen oder Konjunktur geht. Und wenn ihn andere dafür »mitleidig belächeln«, dann »wird uns das auch in Zukunft gleichgültig sein. Entscheidend ist die Haltung und der Charakter der Akteure, und da lasse ich auch nicht mit mir diskutieren.« Er zieht vom Leder und schafft es irgendwie, seine Angriffe mit dem Wohl und Nutzen der Porsche AG zu verbinden. Der Automanager fühlt sich zunehmend bestätigt. Und wenn es die Auszeichnungen sind, die dem Unternehmen, also Wiedeking, in den vergangenen Monaten zuteil wurden. Schon zählt er vor den Aktionären Punkt für Punkt die Orden und Ehrenzeichen auf, die ihm Medien als Führungskraft »vor BMW, Audi, Coca-Cola und DaimlerChrysler« verliehen haben und betont: »Wir genießen ein Maß an Vertrauen, das für einen Sportwagenbauer wie Porsche außergewöhnlich ist – und zwar in der Öffentlichkeit, bei Kunden, aber auch in den Finanzmärkten.« Es sind die auffallend vielen Auszeichnungen, das Lob, das Medienecho, diese Wolke sieben, auf der die Wiedeking-Firma seit längerem schwebt, welche eine wachsende Zahl von Managern auf Distanz zum Mr. Porsche und nicht wenige auf die
Palme bringt. Dabei schwingt eine Mischung aus Missgunst und echter Feindschaft mit. Vieles, was aus Zuffenhausen kommt, halten sie für raffiniert inszeniert, für Hochmut, pures Eigenlob, einfach nur Show. Solange Porsche nach Ansicht von Wiedeking »einsam an der Spitze der weltweiten Automobilindustrie« liegt, akzeptiert er die Gegnerschaft seiner Konkurrenten als Teil eines Spiels und kann sich erneut eine Spitze nicht verkneifen: »Schon heute gibt es fast keinen Automobilhersteller mehr, der nicht auch ein Sportwagenprogramm oder zumindest so etwas Ähnliches in seiner Produktpalette aufzuweisen hat.« Mr. Porsche tut so, als hätte sein Haus das Sportauto erfunden. Wo bleiben Mercedes, die Audi-Vorläufer, die Briten, Franzosen oder Italiener? Auch wenn er betont, dass der Cayenne unter den vergleichbaren Mehrzweckautos das »einzige Fahrzeug ist, das in Deutschland produziert wird«, dann provoziert das die Kollegen in Stuttgart, München und Wolfsburg erneut. Solche Angriffe können auf Wiedeking zurückfallen – spätestens, wenn sein Stern sinkt. »Es gibt keinen Zweifel: Der Kampf wird härter«, stimmt er die Eigentümer in Stuttgarts Liederhalle vorsorglich auf die nahende Zukunft ein. Er spricht zwar vom Unternehmen, aber das ist unter seiner Führung ohnehin nur er. Schon wenige Wochen später muss Wiedeking deutliche Einbrüche beim Verkauf der 911er- und Boxster-Modelle melden. Die Grenzen seines Wachstums kommen in Sicht. Er beginnt, den eisigen Wind auf dem Gipfel seines Ruhms zu spüren: »Oben ist man nicht auf ewig. Zum Sieger gehören immer auch Verlierer«, philosophiert der Wirtschaftsmann, der die Ziele der Absteiger genau zu kennen scheint: Sie wollen wieder nach oben kommen. »Auch die Wettbewerber haben gute Ingenieure, engagierte Mitarbeiter und kreative Führungskräfte, die uns vom Sockel stoßen wollen«, gesteht er ihnen zu. Doch er verspricht, seine Position mit »Klauen und Zähnen« zu verteidigen. »Wir bleiben am Ball«, fährt der Porsche-Lenker in seiner blumigen Sprache fort. »Wir zielen aufs Tor, sobald er richtig liegt.« Wiedeking ist in seinem Element, die Zuhörer freut es. »Mir war die heutige Hauptversammlung wichtiger als die gestern von Siemens«, bemerkt Aktionär Fiebich Richtung Vorstand. Das geht runter wie Öl. Einmal mehr erweist sich der Porsche-Primus als Perfektionist, eine Rolle, die er vorzüglich spielt. Er verspricht den Anwesenden, sein Geschäft stets ein Stück weit zu verbessern, denn solange dies gelingt, »brauchen wir auch keine Angst zu haben, dass uns der Kapitalmarkt oder die Börse abstrafen«. Und trotzig bekräftigt er unter Beifall seine Haltung: »Ja, es war richtig, und ich bleibe dabei: Wir publizieren keine Quartalsberichte, weil es nur der Börse und den Banken dient, aber nicht uns und nicht Ihnen, meine Damen und
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Herren Aktionäre.« Als Beleg für die Richtigkeit dieser Haltung verweist er auf jüngste Erkenntnisse hochrangiger Ökonomen in den USA, »dem Mutterland der Quartalsberichte«. Dort finde ein Umdenken statt, die Amerikaner würden von Europa lernen. »Von Europa lernen«, wiederholt er mit Nachdruck, die Hand dabei hebend. Und abseits vom Manuskript ruft er in den Saal: »Wir stehen zu unsrem Wort!« In diesen Rahmen gehört auch eine besondere Zeremonie zur Einweihung des neuen Werks in Leipzig. »Es wurde pastoral eingeweiht – wie es sich für Porsche gehört, nicht allzu ernst, aber mit ausreichend Respekt vor der symbolischen Handlung. Es soll uns jedenfalls ein gutes Omen sein.« Dann hebt Wiedeking wieder den Finger und wiederholt: »Sie haben richtig gehört, pastoral eingeweiht. Welches Werk wird schon pastoral eingeweiht?« (Gelächter).Und er vergisst nicht,die riesige Resonanz in der nationalen und internationalen Presse hervorzuheben: »Unbezahlte Kommunikation! … Einen besseren Einstieg hätten wir uns nicht wünschen können. Und noch heute hält die Berichterstattung über unser jüngstes Baby an … Man muss auch etwas über sich kommunizieren, das bringt dann schon was.« Für einen Ausflug ins Kommerzielle weicht der Redner hier und da gern vom Manuskript ab. So weist er die Aktionärsgemeinde darauf hin, dass ja die erste Probefahrt mit einem Porsche kostenlos sei. »Und dann ist der Griff zum Kuli oder Füllhalter und zum Scheckbuch nicht mehr weit …« Wiedeking macht eine entsprechende schreibende Handbewegung. An die Aktionäre gewandt, verwandelt sich der PorscheChef schlagfertig in einen Autoverkäufer. Die Eigner sollten am besten »die hohe Dividende in einen Cayenne einlösen.Das wäre auch nicht schlecht.« Er nickt bullig und schmunzelt.
Der Starverkäufer Es ist eine kurzweilige Rede, die der Automanager mit riesigem Beifall des Publikums abschließt. Dem Zeitalter der Unterhaltung entsprechend, enthält sie den perfekten Mix aus Sachinformation, Angriffspotenzial und Witz. Gut gebrüllt, Wiedeking! Sein oberster Kontrolleur, Helmut Sihler, und alle übrigen Vertreter im Aufsichtsrat klatschen, auch Ferdinand Piëch. Nur einer blickt vergleichsweise ernst und angespannt ins Auditorium: Wendelin Wiedeking. Hätte der Westfale jetzt Heizdecken, Aktienanlagen oder Autos anzubieten, dann würde nach seinem engagierten Beitrag sicher eine große Zahl von Zuhörern in der Halle auf ihn zustürzen, bereitwillig den Kuli oder Füller zücken und bei ihm einen Vertrag unterschreiben. Denn der alles andere als spröde auftretende promovierte Maschinenbauer besitzt die Gabe, ein
Starverkäufer zu sein, der die Massen durch Worte bewegt. Dabei entpuppt er sich als Meister der Suggestion. »Unternehmen müssen einfach begreifen, dass …«, leitet er unterschwellig pauschalisierend eine Aussage ein. Seine Standpunkte sind »unerschütterlich«. Sie werden bekräftigt durch Formulierungen wie »… dass es unser fester Wille ist …« oder mal trotzig: »Ja, es war richtig, und ich bleibe dabei …« Ohne dass es ihnen bewusst wird, bindet Wiedeking die Hörer durch seine suggestive Wir-Sprache in seine Sache ein. Er redet fortwährend im Plural und verkauft die Firma, sich und sein Anliegen in einem Guss. In den meisten seiner Sätze wird das »Wir« zur alles beherrschenden positiven Gruppe gemacht – nicht nur in diesem Rechenschaftsbericht. »Wir alle, Sie und wir, werden feststellen, dass …« leitet er seine Aussagen ein. Oft verknüpft Wiedeking sein »Wir« mit positiven Aussagen wie in »Was wir derzeit wieder lernen …« Er beschwört das Vertrauensverhältnis zwischen »Wir« und »Sie«: »Sie, meine Damen und Herren Aktionäre, haben nie daran gezweifelt, dass wir ehrliche Treuhänder Ihres uns anvertrauten Kapitals sind …« Und standfest strahlt er Sicherheit bezüglich der einhelligen Auffassungen aus: »Wenn Sie unser Ergebnis betrachten, werden Sie uns sicher zustimmen …« Gelegentlich bindet Wiedeking gar die ganze Nation in seine Wir-Form ein: »Was wir wirklich brauchen, ist eine konstruktive Grundhaltung …« Doch »Wir«, das ist in den meisten Fällen Wiedeking selbst: »wir« = »W« wie »Wendelin« oder »Wiedeking«. Es gelingt ihm, die Leute in seine »Wendelin-WiedekingWir-Welt« einzuwickeln, perfekt wie der begnadete Straßenverkäufer. Mit dieser Gabe wird Wiedeking auch in Zeiten gesättigter Märkte nie verhungern. Verkaufstalent ist überall gefragt. Und ein guter Verkäufer ist immer auch ein hervorragender Selbstvermarkter. Seine Vielfalt macht das Besondere des Porsche-Lenkers aus. Er versteht etwas von Technik, vom Autogeschäft, und er kann es verkaufen. Für manchen klingt das womöglich zu populistisch. Was halten seine Hauptaktionäre hinter seinem Rücken von so viel Verkaufsrhetorik? Was denkt der entscheidende Porsche-Eigner, Ferdinand Piëch, der ihm jetzt wie sinnbildlich im Genick sitzt und schweigt? Solange ihr erster Angestellter von Erfolg zu Erfolg eilt, sind solche Überlegungen offensichtlich Nebensache. So gehen denn auch die restlichen Punkte der Tagesordnung dieser ordentlichen Hauptversammlung glatt durch – ohne eine Gegenstimme: Die Entlastung Wiedekings wie des gesamten Managements und Aufsichtsrats und natürlich die Verwendung des höchsten Bilanzgewinns aller Zeiten. Auch die Aufsichtsräte Professor Dr. Helmut Sihler, Dr. Wolfgang Porsche, Dr. Ferdinand Piëch und Dr. Hans Michel Piëch werden im Galopp widerstandslos für eine
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weitere Amtszeit gewählt. Ebenso besteht keinerlei Diskussionsbedarf über eine Satzungsänderung oder die Wiederwahl des Abschlussprüfers, Ernst & Young AG. Wo gibt es noch so viel Harmonie in unserer Gesellschaft? Da will Versammlungsleiter Sihler den passenden Schlusspunkt setzen. Er bedankt sich herzlich bei Wiedeking: »Bei einem solchen Vorstand ist es eine Lust, Aufsichtsratsvorsitzender zu sein.« Anschließend ziehen sich die Herrschaften bei einem Essen in der Liederhalle zur Aufsichtsratssitzung zurück. Viele der kleinen Aktionäre, darunter etliche Paare, erkunden Porsche outside. Sie lassen sich bei Häppchen und Getränken ausgiebig die Produkte des Hauses zeigen und setzen sich in die Fahrzeuge. Vielleicht sind sie die nächsten Kunden. Die Veranstaltung, die rund eine halbe Million Euro kostet, sollte sich ja auch lohnen.
Das Spiel mit der Presse:Tue Gutes und kommuniziere es Ohne den überragenden Beitrag der Öffentlichkeitsarbeit wäre die Ära Wiedeking nur unvollkommen dargestellt. Regelmäßige Präsenz des Chefs wie der Firma in den Medien ist Teil seiner Erfolgsgeschichte. Sein Profil in der Presse, die Story, stimmt. Denn das Besondere an den Medienaktivitäten Porsches ist eine personalisierte Kommunikation, zugeschnitten auf den Chef persönlich. Schon sehr früh zeigt sich der Manager gegenüber einer aktiven Öffentlichkeitsarbeit aufgeschlossen und deklariert sie zu einem wesentlichen strategischen Element seiner Unternehmensführung. Diese Aufgeschlossenheit ist in den Chefetagen sonst eher noch die Ausnahme, gerade bei technisch orientierten Managern, die meist keinen Draht zu den Medien haben. Im Gegensatz dazu nutzt Wiedeking das latent vorhandene Interesse eines breiten, internationalen Publikums an der Weltmarke Porsche. Die Befriedigung dieser Neugier will er jedoch ebenso wenig den Launen der öffentlichen Meinung überlassen wie den Interessen der Journalisten. Wiedeking wäre nicht der ordnungsliebende und gestaltende Maschinenbauer, würde er nicht auch in die Medienmaschinerie eingreifen wollen, um sie in seinem Sinne zu steuern. Mit vorausschauender Umsicht wartet er deshalb nicht, bis die Presse auf ihn zukommt, um über ihn oder die Firma zu berichten, sondern er ist es, der die Themen vorgibt – wenn es sein muss, auch fernab von der eigentlichen Autowelt. So überschreitet der Porsche-Lenker bewusst die Grenzen der engen Produkt-PR, wie sie das Gros der Betriebe als billigen Werbungsersatz betreibt. Seine Pressearbeit kommt an, weil er den
Medien geschickt Bälle zuwirft, um deren Aufmerksamkeit mit provokanten Sprüchen und Neuigkeiten zu wecken. Ja, Wiedeking spielt geradezu mit Journalisten, indem er mit Vorliebe gegen den Strich bürstet – besonders mit öffentlichen Äußerungen. Gezielt lockt er die Presse mit brisanten Themen aus Politik, Gesellschaft, Börse und Branche, anstatt sie nur mit banalen Zahlen und simplen Werbesprüchen abzuspeisen. Er zettelt Diskussionen an, mischt sich aktiv in politische Grundsatzdebatten ein und spricht so ziemlich über alles: Firmenstrategien, Made in Germany, Quartalsberichte, Ethik der Börsianer, Moral der Manager, Macht der Banken, Fusionsfieber, David gegen Goliath … Was Medienleute besonders lieben ist, wenn sich der Manager über Konkurrenten lustig macht. Solange Wiedeking erfolgreich ist, darf er offenbar zu allem fast alles sagen.
Offensive Kommunikation Kein anderer Manager verteilt so lustvoll Seitenhiebe: »Porsche, der größte Steuerzahler Stuttgarts«; das geht gegen die Nachbarn Daimler, Bosch und Allianz. Der Feldzug gegen Subventionen: »Luxus und Stütze, das passt nicht zusammen.« Diese Aussage richtet sich gegen die gesamte Branche, besonders aber gegen BMW. Die Münchener kassieren für ihr Werk in Leipzig kräftig Steuermittel, während die Stuttgarter auf einen zweistelligen Millionenbetrag für ihre Fabrikansiedlung in Sachsen verzichtet haben. Als »Clown der Autobranche« beschimpfen ihn seine Gegner. Für Wiedeking jedoch ist dieser ernst gemeinte Feldzug der wesentliche Teil eines PR-Konzepts, das Porsche in den Zusammenhang mit Politik, Wirtschaft und Gesellschaft bringt. »Allein im letzten Geschäftsjahr haben wir über 40 Pressemeldungen zu wirtschaftlichen Themen veröffentlicht«, hebt der Manager in seiner Rede auf der Hauptversammlung im Januar 2003 hervor. Insgesamt ließ er 2002 fast 200 Mitteilungen publizieren. Dieses löffelweise Anfüttern der Presse – »Spoonfeeding« nennen es die Amerikaner – lassen sich Journalisten gern gefallen. Sie bekommen ohne großen Aufwand brisante Neuigkeiten, eine gute Story und dazu eine mediengerechte Figur, Wendelin Wiedeking. Pflege der Pressekontakte – weltweit – ist für den ersten Angestellten bei Porsche ein Wert an sich. Offensiv zu kommunizieren, meint er, zahlt sich aus: in den Medien sowieso, aber auch im öffentlichen Ansehen, bei Kunden, Händlern, Mitarbeitern und langfristig auch zur Stabilisierung des Aktienkurses. Bei dieser themenbezogenen Medienarbeit ist raffinierte Inszenierung alles. »Tue Gutes und rede darüber«, von diesem angestaubten Berufsmotto gestandener PR-Leute allein lässt sich Wiedeking bei seiner PR-Kommuni-
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kation nicht leiten. Da wird den Presseleuten einiges mehr geboten. Etwa wenn der eigene 50. Geburtstag unausweichlich ansteht, wenn ein neues Modell vor der Markteinführung steht oder bei der Einweihung der Cayenne-Fabrik in Leipzig. Dann darf der neue Standort schon mal »pastoral geweiht« werden und Wiedeking-Freund, Bundeskanzler Gerhard Schröder, »die letzte Schraube des ersten Serien-Cayenne symbolisch anziehen. Die Bilder gingen jedenfalls um die Welt und haben noch vor der offiziellen Premiere in Paris für große Begeisterung gesorgt.« Während Wiedeking von diesem PR-Erfolg vor Aktionären schwärmt, präsentiert er ihnen auf großen Leinwänden Presseausschnitte nationaler und internationaler Magazine wie Jagdtrophäen. Die Rechnung mit so viel öffentlichem Rampenlicht auf eine inszenierte Medienwirklichkeit geht nur auf, weil die Leitfigur bereitwillig mitspielt. Und da ist der Porsche-Primus mit seiner raschen Auffassungsgabe, dem scharfsinnigen Verstand und seiner treffsicheren, knappen Sprache offenbar genau der Richtige. Diese Mischung macht ihn seit Jahren zum Medienliebling unter allen Managern. Porsches instrumentalisierte Offenheit seit Wiedeking, die auch bei unangenehmen Informationen gezielt angewandt werden kann, steht im Gegensatz zur abschirmenden Pressepolitik seiner Vorgänger. Der Westfale bricht Tabus, bekennt sich zu den offensichtlichen Schwierigkeiten bei Porsche: Absatz- und Modellprobleme, Rekordverlust und Stellenabbau … Das schafft Aufmerksamkeit und Glaubwürdigkeit – seit 1993 das Rezept einer neuen Kommunikationspolitik. Porsche outet sich allerdings dosiert und gezielt auf Wirkung bedacht – eine kanalisierte Kommunikation sozusagen.
Zwei Anfänger finden zusammen Der Kontakt mit der Öffentlichkeit ist am Anfang, also 1992/93 alles andere als vielversprechend. Es gibt nur schlechte Nachrichten: Im Porsche-Aufgebot fehlt ein attraktives Zugpferd, der Betrieb steckt tief in der Krise, die Belegschaft zittert um ihre Arbeitsplätze, der Dauerclinch in der Doppelfamilie und der ständige Wechsel im Management bescheren negative Schlagzeilen. In diesem ganzen Schlamassel sitzt nun ein ernst dreinblickender, schnauzbärtiger Westfale, der zu jugendlich für die schwere Aufgabe wirkt und dazu noch ein unbeschriebenes Blatt ist, das kaum jemand in den Medien kennt. Es kommt noch schlimmer: Der Abteilung »GO«, Geschäftsbereich Öffentlichkeitsarbeit, fehlt ein erfahrener Kopf. Vorgänger Arno Bohn hatte nämlich kurz vor seinem Abgang noch einen neuen Pressechef engagiert, einen gewissen Anton Hunger. Dieser betritt just in dem Moment das Haus,
als sein vermeintlicher Dienstherr Ende September 1992 seinen Schreibtisch im Werk 1 räumt. Der Pressemann, gelernter Schriftsetzer, studierter Volkswirt und bis dahin praktizierender Wirtschaftsjournalist, ist verdattert. Bohn auf einmal weg und ein neuer – »ein Doktor Wiedeking«? – tritt an seine Stelle. Sollte er sofort wieder gehen? In seiner Not wendet sich ein herrenloser Hunger an Personalchef Kurt Femppel, um ihn um Hilfe und Rat zu fragen. Ihn kennt Hunger gut, mit ihm hatte er mehrfach im Hotel Mövenpick in der Nähe des Stuttgarter Flughafens über seinen Job verhandelt. »Was soll ich jetzt tun?«, fragt er unsicher. Femppel rät schließlich zum Abwarten. Der Rat ist für den Zeitungsmann Gold wert. Hungers Einstieg bei Porsche wäre nämlich um ein Haar gescheitert. Femppel, der den neuen Öffentlichkeitsarbeiter damals im Auftrag von Bohn engagiert hatte, wurde dafür vor versammelter Mannschaft scharf von Ferdinand Piëch zur Rede gestellt: »Wie kommen Sie dazu, einen solchen Mann als PR-Chef einzustellen, der meinen Onkel [Ferry Porsche; der Autor] kritisiert hat?« Hunger hatte als Wirtschaftsjournalist einen kritischen Artikel über Ferry und das Haus Porsche im Industriemagazin, später: Top business, München, geschrieben, zu jener Zeit, als sich die Medien generell mit dem Problemthema Porsche beschäftigten. Doch dieser Angriff des einflussreichen Erben kann abgewehrt werden. Hunger bleibt und wartet gespannt auf den Neuen. Am 23. September 1992 meldet sich der Hauptabteilungsleiter Presse in Wartestellung und mit pochendem Herzen beim frisch gebackenen Porsche-Boss einige Türen weiter übern Flur. Der Porsche-Comic, Das Wendelin-Prinzip, nimmt die Szene von damals auf die Schippe.Ein total verunsicherter Hunger – Sprechblase: »Ja, äh, nein …, e-hem, guten Tag … eigentlich schon. Ich habe hier ja vor einiger Zeit einen Vertrag abgeschlossen, aber …« Wiedeking begrüßt den Angestellten laut Satire: »Aha! Sie sind also mein neuer Öffentlichkeitsarbeiter und Pressechef, Anton Hunger, frisch aus Bayern – Schwaben-erprobt und ziemlich fit, wie ich gehört habe.« Hunger reagiert unsicher: »Sorry, damals hatte ich eben alles soweit noch mit dem Herrn Arno Bohn ausgehandelt … Ob ich meine Zusage von damals aufrecht erhalten kann …« Darauf Wiedeking: »Also, ich bin hier Produktionsvorstand und habe als Sprecher des Vorstandes soeben auch die Aufgaben Ihres so genannten Ex-Chefs-in-spe-und-Ex übernommen. Und wie jener stelle ich mir vor, so jemanden wie Sie für meine weiteren Pläne ziemlich gut gebrauchen zu können und …« Sprechblase Hunger: »… Das ehrt mich zwar, doch kennen wir uns ja nun gar nicht. Ich muss Ihnen fairerweise sagen: Ich bin mir nicht sicher, ob ich diesen Job hier tatsächlich zum 1. 10. antreten soll …« In einer Denkblase gibt der Comic die Gedanken
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des verzagten Schwaben wieder: »Am liebsten würd’ ich dem sagen: I hen oifach koi Luscht meh …« Im Lauf des Gesprächs kommt es bei einem Schnaps und dicken Zigarren indes zur Annäherung. »Jesses, Maria und Josef – der Job wird heiter«, ahnt der endgültig engagierte PR-Mann. Und Wiedeking bläut mit typisch erhobenem Zeigefinger – »Die Wette gilt!« – seinem Medienmann noch ein: »Damit es aber kein Vertun gibt: Wir machen entgegen Ihrem Vertrag ab sofort eine Kündigungsfrist von 15 Minuten miteinander aus.« Anschließend tauchen beide gemeinsam in die Porsche-Produktion ab – der Beginn einer langen Männerfreundschaft. Bald wird deutlich, dass Wiedeking und Hunger auf einer Wellenlänge funken. Der erste Journalist im Haus ist seiner Herkunft nach so bodenständig wie der Chef selbst. Hunger wuchs am Fuße der Schwäbischen Alb auf und erlernte dort seinen Beruf als gediegenes Handwerk. Engagement für soziale Themen ist beim damals sozialdemokratisch engagierten Öffentlichkeitsarbeiter in der Praxis mehr vorhanden als beim großen Vorsitzenden. Der Plan, Porsche ein »sozial akzeptiertes Image« zu verpassen, ist Hunger sicher wie auf den Leib geschnitten. Zudem ist Loyalität für den ehemaligen Wirtschaftsredakteur mit Schwerpunkt Autoindustrie so wichtig wie der Gleichklang mit der Stimme seines Herrn. Schließlich muss er für ihn auch Reden schreiben. Hochleistung zählt und wird auch bei Untergebenen vorausgesetzt. Und noch in einem anderen Punkt ergänzen sich Hunger und Wiedeking bestens: Beide sind sehr ehrgeizig und wissen, wo sie hinwollen. Hunger will aus seinem Chef eine eigene Marke machen. Mit dem 23. September 1992, zwei Tage, bevor Wiedeking offiziell inthronisiert wird, sollte eines der erfolgreichsten Duos in der Kommunikationsbranche an den Start gehen. Und beide ziehen an einem Strang: Ein westfälischer Workaholic der eine, ein schwäbischer Schaffer der andere. Letzterem gelingt es dennoch immer wieder, auf Distanz zu seinem fast mörderischen PR-Job zu gehen. Das PorscheComic-Buch, entstanden in Hungers Abteilung, ist ein beredtes Beispiel dafür. Und weil ein Pressemann in einem Unternehmen permanent zwischen den Stühlen hockt – Management auf der einen, Journalisten auf der anderen Seite – bezeichnet sich der Pressechef selbst als »Bändiger frei laufender Missverständnisse«. Ein PR-Mensch, der wie Hunger Position bezieht, sitzt auf einem Schleudersitz. Für diese Arbeit als Vermittler wird er 1996 zum PRManager des Jahres gekürt. Und zusammen mit »seiner Marke Wiedeking« erhält er den Deutschen Image Award 2002. Der Preis wird vom FAZ-Institut für Management-, Markt- und Medieninformation (FAZ-Gruppe) zusammen mit der Mainzer Partner Prime Research für entsprechende Imagepflege verliehen.
Bei ihrer ersten Begegnung und die Wochen danach können die PorscheNeulinge von solchen Ehrungen bestenfalls träumen.Ihr erster wichtiger Termin ist der Automobilsalon in Paris. Laut Comic-Satire verläuft diese Messe für das Duo enttäuschend. »In Paris werden wir es zu tun haben mit dem 968 CS, dem Carrera Speedster, dem 911 Turbo 3.6 – und mit jeder Menge peinlicher Fragen seitens der Presse …«, stimmt Wiedeking seinen Zeitungsmann bei der Fahrt in die französische Hauptstadt auf das Abenteuer ein. Tatsächlich folgt ein glanzloser Auftritt. Zum ersten Mal setzt sich Wiedeking der internationalen Journaille aus – und ist frustriert. Die Medienleute interessieren die verstaubten Modelle auf dem Porsche-Stand wenig. Der Zulauf bei der Konkurrenz ist weit größer. Stattdessen stellen die Medien die alten Fragen an den neuen Vorstandssprecher: »Wird Porsche überleben? Wer wird Porsche übernehmen? Was sind Ihre Pläne und Strategien?« … und so weiter. In Paris stößt die Porsche-Spitze in der Presse auf große Skepsis. »Mensch, mon dieu, da haben wir aber ordentlich Prügel eingesteckt, was?«, lässt der Comic Wiedeking sagen. Niedergeschlagen sitzen die beiden mit einem Glas Bier in der Hand an der Hotelbar, alleine, ohne den bei anderen Autobossen üblichen Tross von Journalisten um sich herum. Im letzten Bild dieser Szene erklärt ein finster dreinschauender Porsche-Chef trotzig: »Klar, jetzt erst recht, oder?!« Wie im Comic üblich, ist die Geschichte überzeichnet. Doch ihr Kern entspricht der Wahrheit. Und ein weiteres Paris darf es nicht geben. Die nächste öffentliche Herausforderung findet ausgerechnet auf der Showbühne in Detroit im Januar 1993 statt. Dafür lassen sich Hunger und Wiedeking etwas Besonderes einfallen, um nicht erneut als Verlierer dazustehen. Der erste Anlauf jedoch geht daneben. Die öffentliche Rede des Porsche-Chefs auf der Motorshow vor deutschen wie internationalen Journalisten muss grausig gewesen sein. Dem Vortrag fehlt die Eleganz; da referiert pflichtschuldigst noch der Maschinenbauer, abgehackt, monoton, ohne Eloquenz. Dennoch gelingt Porsche dort ein Durchbruch mit der Präsentation einer Boxster-Studie und durch Wiedekings offenes Bekenntnis, sich in der Not von japanischen Produktionsexperten helfen zu lassen. Vor allem die Amerikaner sind von dem jungen, offenherzigen Manager aus Germany angetan. Allmählich gewinnt die PR-Strategie der Stuttgarter an Kontur und Fahrt. Hier gereicht Hunger eine Stärke Wiedekings zum Vorteil: Der Topmanager ist sich nie zu schade, auf Experten zu hören und ihre Hilfe anzunehmen. Das ist in der Wirtschaftselite eher selten. Selbstkritisch erkennt der Westfale seine Schwächen an. Er ist sehr lernfähig, arbeitet und feilt ständig an sich herum. Bei einer Psychologin nimmt er Unterricht in Rhetorik und lässt sich in Sachen Image trainieren und perfektionieren. Auch sein anfangs legeres Out-
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fit passt der Aufsteiger mit der Zeit seiner herausgehobenen Position an. Steht Wiedeking vor schwierigen Herausforderungen bei spektakulären Auftritten, Pressekonferenzen oder Talkshows im Fernsehen, dann spielt er vorher mögliche Fangfragen und heikle Situationen penibel durch. Engster Vertrauter an seiner Seite ist Anton Hunger, auf den er in PR-Fragen hört. Das macht seinen Pressemann auch zum geistigen Bodyguard. Inzwischen sind die Anfangsschwierigkeiten des »umgetrimmten« Wiedeking beim Reden und in den etwas starren Bewegungen seit einigen Jahren behoben. Aus dem zurückhaltenden Maschinenbauer ist ein Medienstar mit Verkaufstalent geworden. Ein kritischer PR-Experte meint heute erstaunt: »Der Junge ist perfekt – und inzwischen kann er sogar frei sprechen. Wenn er was sagt, dann hat das auch Hand und Fuß.« Und in Händlerkreisen werden seine öffentlichen Auftritte als Teil der Verkaufsförderung gelobt: »Prima Botschafter fürs Unternehmen«, freut sich ein Porsche-Verkäufer aus dem Rheinland. So viel Zuspruch, obwohl der Porsche-Chef beileibe kein geborener Entertainer ist. Dafür zeigt er noch zu viele Kanten, wirkt meist angespannt. Wendelin Wiedeking ist nicht smart und seifig wie der Senior Ferry Porsche. Und Anton Hunger ist weit davon entfernt, ein Freiherr Fritz Huschke von Hanstein aus den Gründerjahren zu sein. Der »Gentleman-Rennfahrer«, einst Rennleiter und Vorreiter der Abteilung Public Relations bei Porsche wurde selbst zur PS-Legende. Heute indes wären die feinen Herren mit Dreieckstuch in der Brusttasche, passend zu Krawatte und Designeranzug, in diesem harten Job fehl am Platz. Gefragt sind zupackende Macher und Schaffer, die ohne Samthandschuhe die Firmenwelt bewegen. Dem medialen Zeitgeist entsprechend, muss Wiedeking sogar Persönliches preisgeben, über seine Familie oder seine Schulzeit reden. Noch vor wenigen Jahren hätte er kaum über sein ländliches Hobby, das Traktorfahren, gesprochen.
Die »Story« muss stimmen Tragende Säulen der Wiedeking-Porsche-PR-Inszenierung sind die Geschichten vom Unternehmen, das aus dem tiefsten Keller kommt und trotzdem keine Subventionen nimmt, andererseits aber freiwillig hohe Steuern zahlt, sowie die Story von der sozialen Akzeptanz. Zu Wiedekings 50. Geburtstag wird in der Pressemitteilung vom 27. August 2002 (Nr. 130/02) einmal mehr wiederholt: »Unter der Ägide des Maschinenbauingenieurs hat sich Porsche nach schweren Zeiten der Krise in den vergangenen Jahren zum profitabelsten Autobauer entwickelt …« Und dann werden »die Gründe für den Erfolg« genannt, darunter auch seine »Imagekampagne mit dem Ziel der
Stärkung der sozialen Akzeptanz des Unternehmens und seiner Produkte«. Ein Standardsatz Wiedekings gegenüber der Presse zum Thema »Staatsknete für Autohersteller« lautet: »Porsche-Fahrer brauchen sich nicht zu entschuldigen, dass sie dem Steuerzahler in die Tasche gegriffen haben, wenn sie den Zündschlüssel umdrehen.« Für den Anbieter von Luxusautos ist das ein griffiges Argument, das vor allem auf das überwiegend mittelständische PorschePublikum zielt, das für den Gang durch den Subventionsdschungel erst gar keinen Nerv hat. Meistens setzt der Porsche-Pilot noch eins drauf, wie in einem Gespräch mit Bild am Sonntag (15. 9. 2002): »Porsche ist heute auch bei Leuten akzeptiert, die sich unser Auto nicht leisten können oder wollen, was auch mit unserem sozialen Engagement zusammenhängt. Ich bin beispielsweise der Meinung, dass die Autoindustrie locker auf staatliche Subventionen verzichten kann … Wir wollen, dass diese 50 Millionen Euro sozialen Einrichtungen zugute kommen – oder dem Ausbau der Infrastruktur.« Diese landauf, landab wiederholte Meinung klingt in Zeiten leerer Kassen fantastisch. Wie aber würde Wiedeking als Boss von BMW, Ford oder VW agieren? Könnte er es sich als Verantwortlicher bei einem dieser Massenhersteller angesichts der geringen Margen erlauben, auf staatliche Gelder zu verzichten? Von den Gewinnspannen auf einen Porsche träumen die Konkurrenten noch nicht einmal. Porsche ist eben die Ausnahme. Wie viele Sportwagen die Zuffenhausener durch die Anti-Subventions-Kampagne mehr verkaufen, ist kaum zu beziffern. Solange der Markterfolg anhält, wird das enge Gespann Wiedeking/Hunger wieder und wieder in diese Kerbe hauen – und zugleich mit dem Finger auf die Wettbewerber zeigen. Ähnliches gilt für das Argument der »sozialen Akzeptanz«. Früher besaßen die Flitzer aus Zuffenhausen angeblich das Image, vorwiegend Autos für Zuhälter und Geldprotze zu sein. Die durchschnittlichen Käufer – erfolgreiche Mitvierziger – legen jedoch »Wert auf soziale Akzeptanz«, unterstellt der Automanager seiner exklusiven Kundschaft. Denn wer für ein Auto so viel wie für eine Eigentumswohnung bezahle, so Wiedeking, »will bewundert und nicht verachtet werden«. Unter seiner Regie sei das negative Image abgeschüttelt und »soziale Akzeptanz in zehn Jahren nachhaltig geschaffen« worden (Bild am Sonntag, 15. 9. 02). Allerdings sind auch die Porsche-Bauer noch nicht in der Lage, sich ihre Kunden wirklich auswählen zu können. Denn aus welchen Kreisen ihre Klientel etwa in Russland oder Lateinamerika stammt, das kann von Zuffenhausen aus nicht gesteuert werden. In solchen Ländern dürften sicher einige neureiche Porsche-Fahrer der Schieber- und Rotlicht-Szene angehören. Und in Kolumbien zum Beispiel, wo die Zahl der Neufahrzeuge der Marke mit dem Stuttgarter Rössle an zwei Händen abzuzählen ist, heißt es, dass fast alle
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Porsche von Angehörigen der Kokainmafia gefahren werden. Schein und Sein sind in der PR- und Marken-Welt oft nicht deckungsgleich. Wie sehr die Öffentlichkeitsarbeit bei Porsche zu einer tragenden Säule geworden ist, belegen Wiedeking und Hunger bei der jährlichen Bilanzlegung. In geradezu üppiger Weise kommentieren sie ihre emsige Kommunikationsarbeit in den Geschäftsberichten 2000/01 und 2001/02. Fast wortgleich wird jeweils erklärt, dass die Strategie, »Marke und Produkt glaubwürdig mit sozialer Akzeptanz zu positionieren«, voll aufgegangen sei. Im jüngsten Bericht wird ergänzt: »Dies zeigt auch die erneute Wahl zum Unternehmen mit dem besten Image.« Auf den nächsten Seiten werden die errungen Auszeichnungen aufgeführt. Überhaupt wird der Information über die diversen Aktivitäten in der Öffentlichkeit, mit den Medien, im Marketing und Sponsoring bis hin zum kulturellen Engagement im Bericht an die Aktionäre ein breiter Raum eingeräumt. Die Themen »Kommunikation« und »Kulturelles Engagement« nehmen 18 Seiten ein – ungewöhnlich viel für einen Geschäftsbericht, in dessen Mittelpunkt die Bilanz, der Jahresabschluss, und die wirtschaftlichen Leistungen des Managements stehen. Es werden die vielen Aktivitäten für den Berichtszeitraum aufgezählt – von den verschiedenen Auszeichnungen für die PR-Arbeit und Automodelle über die Einweihungsshow in Leipzig mit dem Bundeskanzler bis zu eigenen Sponsoraktivitäten und einem reichhaltigen Mäzenatentum. Hier kommt eine Menge zusammen: Spende zur Rekonstruktion der Ladegast-Orgel in der Leipziger Nikolaikirche, Geschenk der Franz-Kafka-Bibliothek an die gleichnamige Gesellschaft in Prag,1,5 Millionen Euro zur Realisierung eines verkehrstechnischen Kunstwerkes direkt am Stammsitz in Stuttgart-Zuffenhausen, »Porsche-Platz«, 500 000 Euro für ein Sprachprojekt am Goethe-Institut Inter Nationes und schließlich ein PReigenes Buch – »Porsche betritt literarisches Terrain« – Das Davidprinzip aus dem Frankfurter Eichborn Verlag. Die zwei Millionen Euro für Flutopfer in Ostdeutschland, gespendet im September 2002, gehen in dieser Flut nahezu unter. Auch weniger spektakuläre Begebenheiten am Rande sind Wiedeking einen PR-Gag wert. So etwa die Herden von Auerochsen und ExmoorWildpferden, die das Biotop auf dem riesigen Werksgelände in Leipzig »artgerecht beweiden«, damit die freien Grünflächen »nicht verbuschen«. Solche Dinge können von der brisanten Frage ablenken, warum Porsche eine Autofabrik ausgerechnet in ein Refugium der Natur mit wertvollen Pflanzen- und Tierarten setzen musste. Diese Fülle kommunikativer Aktivitäten dokumentiert anschaulich, wie wichtig sie in Wiedekings Unternehmensführung sind. Er braucht und gebraucht das Sprachrohr »Öffentlichkeitsarbeit« virtuos. Auch intern wird
die Belegschaft regelmäßig übers Schwarze Brett über die PR-Aktivitäten und -Erfolge informiert, so auch, wenn Porsche im Fernsehen vorkommt. Außerdem wird den Mitarbeitern ein eigenes,monatliches Fernsehprogramm geboten, »Carrera-TV«. Wo indes liegen die Grenzen der PR-Kommunikation? Wann könnte sie unglaubwürdig werden? Spätestens, wenn sie beginnt, ein Eigenleben im Unternehmen zu führen. Dafür lassen sich bereits Anzeichen finden. Denn oft klaffen Lücken zwischen dem, was die fleißigen Pressearbeiter fast täglich im Auftrag Wiedekings berichten müssen, und dem, was wirklich geschieht. Viele Positionen – eben die kritischen – kommen nicht mehr zum Ausdruck, geschweige denn zu Wort. In der Öffentlichkeit redet meist nur einer, der Boss. »In der Public Relation ist er schon gut«, gesteht ein Insider Wiedeking zu. Doch er moniert, dass selbst seine Kollegen aus dem Vorstand nur selten als Gesprächs- oder Interviewpartner in den Medien auftauchen. »Die Hierarchie bei Porsche war noch nie so straff auf eine Person ausgerichtet wie jetzt«, bedauern Porsche-Mitarbeiter. Manche sprechen gar vom »Sonnengott Wiedeking«. Sie stellen fest, dass »Mr. Porsche niemanden neben sich gelten lässt«, weil die Mannschaft sehr in den Hintergrund tritt. Und Journalisten beschweren sich, dass sie selten einen Manager für ausführliche Gespräche bekommen. »Unter Wiedeking herrschen sehr strenge Bräuche«, registrieren Presseleute verschnupft. Denn das Duo Wiedeking-Hunger »macht alles zusammen, und gemeinsam machen sie dicht«, bringt es ein Journalist auf den Punkt. Alles geht über Hungers Schreibtisch, muss also mit der Öffentlichkeitsarbeit abgestimmt werden. Sogar der Betriebsrat ist oft bereit, bei Informationen, die Firmeninterna betreffen, die Pressestelle zu kontaktieren. Der Vorsitzende Hück muss sich allerdings nicht in Fragen der Arbeitnehmervertretung mit PR-Chef Hunger absprechen, wenn er mit der Presse spricht. Er besitzt nach dem Gesetz die Möglichkeit als juristisch selbstständiges Organ in seinen Angelegenheiten autonom zu handeln und an die Öffentlichkeit zu gehen. Der Versuch, den Betriebsrat in eine Kooperation mit der PR einzuspannen, wäre für beide Seiten kein Zeichen von Stärke. Zumindest in diesem Fall müsste Wiedeking bereit sein, seine Macht zu teilen. Oder wie versteht er da seinen Anspruch auf soziale Akzeptanz? »Das, was bei uns am besten funktioniert, ist die Presseabteilung. Deren Arbeit und Außenwirkung ist glänzend«, lobt so aufrichtig wie kritisch zugleich ein lang gedienter Porscheaner.Was ihn störe,sei das Übergewicht an künstlich aufgesetzten Themen, die mit dem Firmenalltag wenig zu tun haben. Wiedekings Politik werde immer berechnender. Dazu trägt auch ein Pulk »eingebetteter« Journalisten bei, die regelmäßig der Porsche-PR zuar-
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beiten. Solche Grenzgänger zwischen Werbung und Presse sind in der Autobranche wie im Motorjournalismus üblich, sogar im öffentlich-rechtlichen Bereich. Auch das Mäzenatentum ist ein wohlkalkuliertes PR-Element. Die Spenden an die Flutopfer im Osten, das Blüten treibende Sponsorenwesen, die teuren Events und persönlichen Auftritte, alles auf öffentliche Wirkung getrimmt. »Das war früher nicht so. Es wurde weniger, aber dafür herzlicher gegeben«, sagen Mitarbeiter und halten dagegen: »Ist ein hoch bezahlter Manager, der Millionen aus der Firmenkasse spenden lässt, sozialer eingestellt als einer, der diesen Weg nicht geht?« Doch der riesige finanzielle wie personelle Aufwand (die Abteilung »GO« wird regelmäßig aufgestockt) für die Kommunikation muss sich offenbar lohnen. Daher vergisst Wiedeking nie, den Nutzen seiner PR-Strategie hörbar herauszustreichen. So lässt er den Aktionären im Geschäftsbericht ins Stammbuch schreiben: »An solch vielfältigen Beispielen kulturellen Engagements bei Porsche ist abzusehen, was wohlverstandenes modernes Mäzenatentum in einer Gesellschaft bewirken kann. Und wie sich der Blick auf ein Unternehmen und dessen Image verändert, wenn es um mehr geht als abstrakte Managementtheorien und die Maximierung des Gewinns.« Und wieder ist der Porsche-Primus beim Thema und in seinem Element.
Die PR-Parabel vom Kleinen Es mag überraschen: Trotz der genannten Bedenken und Kritikpunkte überwiegen die Vorteile bei Porsches PR-Politik. So sehr die Personifizierung die Mannschaft in den Schatten stellt, so journalistisch perfekt zugespitzt kommt die Porsche-Story rüber. Sollten die Stuttgarter eines Tages mal keine Autos mehr entwickeln und bauen können, dann werden sie prima als PR-Firma fortbestehen können.Die zwei Meinungsmacher an der Spitze werden immer vermarktungsfähige Ideen haben. Ermuntert durch den Erfolg haben sie entdeckt, dass Porsche etwas besitzt, was andere nicht haben. Wiedeking: »Was vielen Unternehmen offensichtlich fehlt, ist eine auf die eigene Situation und die eigenen Fähigkeiten genau zugeschnittene Überlebensstrategie.« Diese Erkenntnis nutzen der Manager und sein Pressemann für medienwirksame Attacken, um Profil zu gewinnen. Ihr ureigenes PR-Thema lautet sinngemäß: Wir gehören nicht zu den gierigen, vaterlandslosen Gesellen, sondern wir sind der nette, heimattreue Zwerg. Dieses Bekenntnis soll Porsche deutlich von den Riesen trennen. Dafür inszenieren Wiedeking und Hunger sogar die Firmengeschichte mithilfe einer Parabel neu: »Es ist die Geschichte von einem Kleinen, der am Boden lag, sich selber wieder aufstellte, den aufrechten
Gang neu erlernte und die Großen das Fürchten lehrte. Es wurde die Geschichte vom David, der es den Goliahts zeigt …«, beschreibt der Pressechef als Ghostwriter im Sinne seines Herrn die neue PR-Linie (Wendelin Wiedeking, Das Davidprinzip). »Dieser David wird die Goliaths besiegen, indem er sie überlebt«, lautet der Schlachtruf. Alles dreht sich um die Rolle des – starken – Kleinen gegen den – bösen – Großen. »David gegen Goliath«, behaupten sie, sei »die Kernaussage in unserem Leben.« »Der David [gemeint ist Porsche; der Autor] hat gesiegt«, als Ausnahme von der Regel gegen den Rest der Autowelt, trommelt das PR-Duo unentwegt. Dieser leidenschaftliche Refrain soll alle anstecken, so hoffen sie – das Unternehmen, die Kunden, die Medien. Vor allem ist er an die Aufsteiger, die Mittelständler und Freiberufler gerichtet, die von Porsche träumen. Ein Konzept, wie es Hunger und sein Team verfolgen, geht weit über das Maß des Üblichen hinaus. Und zum Glück stimmt die Chemie zwischen Wiedeking und Hunger. Solche Paarungen in der PR kommen in Deutschlands Unternehmen und Verbänden höchstens ein, zwei Dutzend Mal vor. Geschenkt bekommt der Medienmann seinen Erfolg gewiss nicht. Die modernen Leibeigenen unserer Zeit sind die Hungers und die anderen PRStimmen ihrer Herrn. Sie werden gepiesackt und haben zu gehorchen, Tag und Nacht. In dem Punkt kennt auch Wiedeking kein Pardon: »Hunger! Das machst du! Jetzt! Sofort! Das hast du zu verantworten …« Mit dem Erfolg wachsen die Anforderungen. Stress ist daher auch in der Pressestelle ein ständiger Gast. Fit bleiben, lautet auch hier die Überlebensstrategie. Doch der Boss weiß andererseits, ohne das »rede darüber« wäre seine Arbeit nicht halb so viel wert. Sein Presseecho ist so stark, dass sich der Topmanager schon selbst darüber wundert, wie sehr ihn viele Journalisten zu einem wahren ÜberWiedeking hochstilisieren: »Ich finde es immer wieder interessant, was uns die Medien so alles zutrauen. Das hat schon einen gewissen Unterhaltungswert«, äußert er erstaunt in Zeitungsinterviews. Und solange Porsche tatsächlich auf der Erfolgsspur fährt, genießt die Medienarbeit in weiten Bereichen den Vorteil der Glaubwürdigkeit. Denn für Öffentlichkeitsarbeit gilt der gleiche Grundsatz wie für Werbung: Sie kann noch so gut sein, wenn jedoch das Produkt schlecht ist, dann bewirkt die beste Propaganda auf Dauer nichts mehr.
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Teil 4: Wiedekings Karriereszenario
Das Ende der Boomzeit: Eine neue Chance für den Aufsteiger? Ob in absehbarer Zeit noch viele Feste und Siege bei Porsche zu feiern sein werden, ist im Frühjahr 2003 eher fraglich. Die dramatisch abkühlende Weltkonjunktur, die steigende Arbeitslosigkeit in Deutschland und die finanzielle Unsicherheit vieler Menschen verderben ganz allgemein den Konsumenten die Laune und den Firmen das Geschäft. Inzwischen hat sich die Lage auch bei Porsche seit der pompösen Werkseröffnung in Leipzig und den Geburtstags- und Jubilarfeiern für Wiedeking im Sommer 2002 von Monat zu Monat spürbar verändert. Die tollen Rekordzahlen vom vergangenen Jahr sind fast schon vergessen. Im Unternehmen wie in der gesamten Autobranche zieht eine selten depressive Stimmung herauf, die auch noch von den Terroranschlägen in den USA vom 11. September 2001 beeinflusst ist. Gerade in den USA, Porsches bei weitem wichtigstem Auslandsmarkt, greift diese negative Stimmung wie ein Lauffeuer um sich. Und exakt zu dieser Zeit, als eine konservative Bürgerbewegung in Amerika gegen den hohen Spritverbrauch von Off-Road-Wagen protestiert, führen die Schwaben ihren Geländewagen Cayenne in der Neuen Welt ein. Verlässt Wiedeking das Glück? Wiederholen sich die Ereignisse vom Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre (Schutz-/Bohn-Ära)? Wird die Sportwagenfabrik erneut vom Krieg, von Währungsturbulenzen und einer anhaltenden Weltwirtschaftskrise gebeutelt?
Bewährungsprobe für das »System Wiedeking« Jetzt, im Konjunkturabschwung, muss sich das »System Wiedeking« für das Unternehmen beweisen. Die Verlagerung von Teilen der Produktion nach Finnland und in die Slowakei sowie zu den Lieferanten, die befristete Einstellung von Arbeitern und die internationale Marken- und Imagepflege werden nun zeigen müssen, ob sie das richtige Mittel in der Flaute sind. Die Absatz-
und Produktionsrisiken bei Porsche sind jedenfalls besser verteilt als vor zehn Jahren. Die niedrige eigene Fertigungstiefe, kaum 20 Prozent, kann sich nun bei einer Absatzflaute günstig für das Stammhaus in Zuffenhausen auswirken. Denn ein erforderlicher Stellenabbau erfolgt zuerst in den fremden Fabriken – wie bei Valmet schon seit 2002. Wiedeking rechnet für das Geschäftsjahr 2002/03 weiter damit, vom Boxster und 911er zusammen knapp 50 000 Wagen verkaufen zu können. Im Jahr davor waren es 54 234 Neufahrzeuge. Und zum Glück ist da jetzt der Cayenne, von dem die Stuttgarter zusätzlich 15 000 Einheiten absetzen wollen. Das macht nach den Kalkulationen des Managers zusammen rund 65 000 Porsche aus, die er mit großer Wahrscheinlichkeit weltweit absetzen wird. Mit diesem Ergebnis fährt – Konjunkturkrise hin, schlechte Stimmung her – Porsche beim Verkauf wie bei Umsatz, Gewinn und der Jahresprämie für die Mitarbeiter wieder neue Rekordwerte in der Firmengeschichte ein. Doch was kommt dann nach dem Gipfelfest? Die beiden wichtigsten Umsatzträger, die Baureihen Boxster und 911, sind deutlich in die Jahre gekommen. Die Kunden erwarten dringend Innovationen. Doch die sind erst im Laufe des kommenden Jahres zu erwarten. Bis dahin muss der Porsche-Chef Ideen entwickeln, wie er die durch Konjunktur und Lebenszyklus bedingte Abschwungsphase heil überstehen kann, das heißt ohne Massenentlassungen und Verluste. Während Wiedeking mittelfristig jährlich einen Absatz von 100 000 Porsche im Auge hat (Stuttgarter Nachrichten, 20. 6. 2003), ist der Automobilexperte der Fachhochschule Gelsenkirchen, Professor Ferdinand Dudenhöffer, skeptisch. Er sieht im Gespräch mit dem Autor die Boxster-Produktion bis 2005 auf magere 12 000 Einheiten sinken. Selbst von Cayenne sollen dann nur noch 15 000 Autos gefertigt werden. Nur der neue 911 erzielt mit 35 000 Verkäufen wieder neue Höchstwerte. Deutliche Anzeichen von Schwäche lassen jedenfalls das Einsteigermodell Boxster und die Normalausführungen des 911er Carrera erkennen. Als erste Gegenmaßnahme zieht Wiedeking seine Trumpfkarte mit der flexiblen Arbeitszeitregelung, die im Vertrag zur Standortsicherung im Juli 2000 vereinbart wurde. Diese Beweglichkeit beim Bau kleiner Fahrzeugserien streicht der Manager gern heraus: »Wir haben gelernt, für niedrige Stückzahlen Fertigungseinrichtungen und Werkzeuge zu entwickeln und damit Preispunkte zu erreichen, die andere nur in Großserie erzielen. Ein Großserienhersteller, der unsere Produktion sieht, kann vieles nicht nachvollziehen. Und wir wollen nicht all unsere Geheimnisse preisgeben« (Die Zeit, 21. 11. 2002). Mehr Flexibilität in der Flaute bedeutet für die Mitarbeiter, dass sie seit März 2003 ihre hohen Zeitkonten aus den Boomjahren, Überstunden und Sonder-
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schichten, kräftig abbauen müssen. Und als nächste Bremsmaßnahme ordnet das Management kurzerhand an, dass die Arbeit an Feier- und so genannten Brückentagen weitgehend ruhen soll. Zudem muss der Sommerurlaub von drei auf vier Wochen verlängert werden. Allerdings: Vor dieser flexiblen Regelung hätte ein Auftragseinbruch zwangsläufig zu Kurzarbeit oder Entlassungen geführt. Heute indes bezahlt die Belegschaft zunächst mit ihren »Arbeitszeitkonten« für die Absatzkrise. Nun wird sichtbar, dass eine mehr als siebenjährige Hochzeit bei Porsche ausläuft. Ist das der Beginn einer langen Dürreperiode? Was geschieht, wenn die Arbeitszeitkonten geräumt und alle Spielräume aufgebraucht sind und Porsche in die Krise treibt? Heißt der Sanierer und Retter dann wieder Wendelin Wiedeking? Sicher ist: Mit den gleichen Methoden wie vor einem Jahrzehnt – Hilfe aus Japan, Stellenabbau mit sehr hohen Abfindungen, Ausquetschen der Lieferanten, Rationalisierungsreserven in der Produktion und so weiter – wird die Krise diesmal nicht zu überwinden sein. Hier ist nur noch wenig herauszuholen. Dank Wiedekings straffem Management sind überschüssige Kapazitäten an älteren Arbeitskräften und Leerlauf bei Maschinen praktisch kaum vorhanden. Und selbst für humane Beschäftigungspakte bleibt diesmal wenig Spielraum. Ein anhaltend scharfer Absatzrückgang wird bei Porsche früher oder später zu Entlassungswellen führen – der Fluch seines Rationalisierungserfolgs. Der Porsche-Lenker glaubt allerdings, mit der Betriebsvereinbarung »noch ein weiteres Jahr ohne größere Probleme durchfahren« zu können (Stuttgarter Nachrichten, 21. 6. 2003).
Ein Sanierer mit vielen Eigenschaften Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass der Porsche-Chef auch bei einer nächsten Krise wieder als Retter taugen würde. Seine technischen Fähigkeiten als Sanierer hat er bewiesen. Gemessen am Durchschnitt der Manager landet er meistens im grünen Bereich. Das gilt generell auch für den Menschen Wiedeking: Er ist der bessere Sohn, brav und fürsorglich für die ganze Familie. Auch der Schüler »Wendel«, ein Spätzünder zwar, aber zunehmend ein agiler, gewitzter Junge, schnell im Denken. Und wie selbstverständlich wird daraus der gute Student und Doktorand in Aachen, angepasst, strebsam, zu Diensten, die Freude von Professoren und Hochschule. Der Absolvent weiß genau, was technisch machbar ist bei der Entwicklung und Produktion eines Automobils. Wiedeking: »Bis heute macht mir da niemand ein X für ein U vor.« Schließlich wird aus dem Aufsteiger bei Porsche ein fleißiger, kollegialer und folgsamer Arbeitnehmer, denn wenn es sein muss, rationalisiert er die
Kollegen auch weg. Zudem ist der ordnungsliebende promovierte Ingenieur ein besserer Chef, zwar sehr anstrengend und fordernd, aber stets korrekt und konsequent. »Was er von anderen verlangt, das fordert er auch von sich selbst«, bezeugen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in seiner Umgebung. Und dann wird aus dem Westfalen in Württemberg auch noch ein glänzender Elitemanager, gemessen an den vielen Nieten in Nadelstreifen: kernig, hemdsärmelig, burschikos und mit dem richtige Bums drauf – und zugleich meist mit einem Schuss sozialer Verantwortung und Augenmaß versehen. Andererseits jedoch hat der Karrieremann, der ungern verliert, harte Ellenbogen, die er skrupellos gegen interne Konkurrenten einsetzt, wenn es sein muss. In vielfacher Hinsicht also entspricht der Karriere-King aus Beckum den Idealmaßen vom zeitgemäßen, leistungsbereiten Hoffnungsträger unserer gewinnorientierten Wettbewerbsgesellschaft. Wendelin Wiedeking hat viele Gesichter und ist, wie erwähnt, auch ein Mann der Widersprüche. Er beklagt öffentlich die mangelnde soziale Verantwortung bei Unternehmern und regiert doch das eigene Haus wie ein autoritärer Patriarch. Seine unbestrittenen Leistungen bauen ebenso auf den Schultern der Arbeiter und Angestellten auf, doch an den Früchten des Erfolgs haben sie nur bedingt teil. Den Lorbeer reklamiert der Porsche-King für sein Haupt – über sein dickes Erfolgshonorar will er erst gar nicht offen reden. Der durchsetzungsstarke Boss gebärdet sich als besserer Freund der Betriebsrats- wie der Gewerkschaftsspitze und wird doch von vielen bei Porsche als »Gewerkschaftshasser« angesehen. Er kann zwar gut mit Spitzengenossen, ist aber zutiefst konservativ eingestellt. Es macht dem heutigen Multimillionär nichts aus, schon als Student die Wohnungsnot anderer für sich als sprudelnde Geldquelle genutzt zu haben. Andererseits pflegt der Mensch Wiedeking einen vergleichsweise genügsamen, natürlichen Lebensstil. Er ist sozusagen auch der bessere Kapitalist geworden, der aus seinem Vermögen keine Protzburg werden lässt. Das Wesentliche an seinem Aufstieg und Können ist das simple Strickmuster, das den Erfolg ausmacht: Fleiß, Willenskraft, intelligente Anpassung und dazu eine klassische, konservative Führungsmethode des »teile und herrsche«, mit Unterordnung und Strafe vom Zuchtmeister. Das System Wiedeking funktioniert mit viel Druck und Zug hinter einer freundlichen Medienkulisse. Wer will es ihm verübeln in einer Welt, in welcher der Schein weit mehr zählt als das Sein. Und auf demokratische Werte wird nun mal keine Dividende bezahlt. Im Zeitalter grenzenloser Globalisierung, wo Politiker ganze Völker hemmungslos ins Abenteuer eines grenzenlosen Wirtschaftskrieges treiben, da schlägt sich der Firmenlenker als strammer Verteidiger heimischer teurer Arbeitsplätze. Eine durchaus umstrittene
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Position, die ihm im Unternehmerlager wenig Freunde einbringt, und die er dennoch wacker in den Medien vertritt: »Wir haben sehr befähigte Mitarbeiter, die wissen, wo sie hinlangen müssen … Unsere hohe Effizienz erlaubt es uns, aus Deutschland heraus für den Weltmarkt zu produzieren. Außerdem wissen wir: Der Kunde honoriert das ›Made in Germany‹« (Die Zeit, 21. 11. 2002).
Narrenfreiheit im Erfolgsfall In die endlos lange Galerie hoch bezahlter Nieten in Nadelstreifen passt Wiedeking also nicht hinein. Schon eher in die Riege jener Rambos auf Chefetagen, die für ihre (gut gemeinten?) Ziele auch rigoros Opfer verlangen, von Mitarbeitern, Lieferanten und, wenn es sein muss, auch von Behörden. Damit eckt der »kantige Typ« bei vielen Stellen an. Doch solange der Porsche-Lenker erfolgreich ist, genießt er bei Meinungsmachern und seinen leisen Kritikern Narrenfreiheit, kann er sagen, was er will. Die guten Resultate seiner Arbeit machen ihn beinahe unantastbar – vorerst. Bei Freund wie Feind gilt der Reformer mit kaufmännischem Gespür bisher als derjenige Manager, der Porsches Abhängigkeit als ursprüngliche Ingenieursfirma von egozentrischen Entwicklern beendete und den Betrieb an Kunden und Kosten orientierte. Doch irgendwann erreicht die Talfahrt auch Zuffenhausen. Was passiert, wenn Wiedeking über einen längeren Zeitraum hinweg Pech mit der Weltkonjunktur hat? Als Antwort auf diese Frage ist nur eins gewiss: Dieser Fall würde den Manager vor eine harte Prüfung stellen, zumal die stolze Mannschaft diesmal vorgewarnt ist und weiß, wozu der Sanierer in der Lage ist. Andererseits wäre es das erste Mal in der Porsche-Geschichte, dass der erste Angestellte über eine Krise hinweg im Amt bleiben dürfte. Vielleicht stellt Wiedeking auch noch diesen Rekord auf. Doch abgesehen von diesem Krisenszenario: Welche große Aufgabe könnte einen Dynamiker wie Wendelin Wiedeking bei Porsche überhaupt noch reizen? Nach seinem furiosen Jahrzehnt, in dem er den David aus Zuffenhausen weltweit zum Goliath der Sportwagenbranche entwickelt und Lotus, Ferrari, Maserati und Co. weit abgehängt hat, stellt sich die Frage, was er bei dem Familienunternehmen noch bewirken will und kann? Anschluss an die nächstgrößeren, unabhängigen Autobauer – BMW, Honda, Peugeot etwa – kann Porsche nie finden. Dafür ist nicht nur der Abstand viel zu groß, sondern das verträgt auch die individuelle sportliche Marke nicht. Sie lässt sich nicht beliebig Richtung Großserienhersteller ausdehnen. Irgendwo um die Grenze von 100 000 Porsche im Jahr ist allmählich Schluss mit dem Image
von Luxus und Glamour. Bei weit höheren Stückzahlen müsste die Sportwagenschmiede in einer völlig anderen Preisklasse antreten. Wiedeking blickt dank Cayenne bereits realistisch auf ein Verkaufsvolumen von zunächst etwa 80 000, dann 100 000 Neuwagen im Jahr. Doch relativ betrachtet werden die Sprünge immer geringer. Was er demnächst noch in die Wege leiten wird, ist eine weitere, die vierte Baureihe von Porsche. Diese soll, wie zu hören ist, auf der Basis des Cayenne entwickelt, frühestens im Jahr 2008 eingeführt werden und wie alle Baureihen eine Stückzahl von jährlich mindesten 20 000 Einheiten erreichen. Und was macht Wiedeking, der vor Arbeitswut vibrierende, tatendurstige Manager ohne Knick in der Karriere dann? »Die Porsche-Welt wird ihm allmählich zu klein«, will eine stattliche Zahl von Führungskräften wissen, die Wiedeking persönlich kennen. Auf seine Kollegen wirkt der Westfale zunehmend unterfordert. »Er sollte auf Distanz gehen und um die Welt segeln«, rät ihm ein Manager aus der Zulieferbranche. Oder: »Wiedeking sollte eine neue Aufgabe bekommen.« Für viele Beobachter steht Anfang 2003 fest: »Der Porsche-Chef sucht sich bald eine neue Herausforderung.« Sie geben dem Erfolgsmanager noch »zwei bis drei Jahre bei Porsche«. Es ist der Fluch jedes Erfolgs, dass er sich wie nach einem Naturgesetz nicht unendlich vermehren lässt. Wiedekings Rekordserie dürfte nach mehr als einem Jahrzehnt pausenlosen Wachstums jedenfalls bald vorbei sein. Deshalb wird in den Topetagen der Unternehmen heftig über die Zukunft des Porsche-Lenkers spekuliert: »Schafft er rechtzeitig den Absprung, bevor ihn die eigene Geschichte schafft? Doch wo ist eine Firma so sanierungsbedürftig, dass sie einen Wiedeking braucht?«, fragen manche hämisch. Tatsächlich stoßen die hemdsärmeligen Methoden des Westfalen in anderen Betrieben an Grenzen. Ein Firmenlenker: »Seine direkte Tour, ins Werk zu gehen, Schultern zu klopfen und mit den Leuten zu reden, war bei Porsche damals richtig. Aber in großen Unternehmen mit 50 000 Arbeitern und mehr geht sie an der Belegschaft vorbei. Denn man kann immer nur wenige Personen ansprechen.« Bei den Riesen sei ein anderer Führungsstil gefragt, um Dinge in Schwung zu bringen. Das »System Wiedeking« sei nur für kleinere Firmen geeignet.
Der Störenfried der Autozunft Objektiv betrachtet muss dem Porsche-Primus allerdings vor keiner Herausforderung bange sein. Seine Leistungen als Produktioner und Sanierer sind unbestritten. Selbst sein ruppig-autoritärer Führungsstil fällt vielfach kaum aus dem Rahmen. Was den Marktwert Wiedekings an der Imagebörse für
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Topmanager jedoch am meisten drückt, das ist seine unkonventionelle, in manchen Augen ungehörig vorlaute Art, wie er der eigenen Zunft und dem Unternehmerlager generell am Zeug flickt. Das kostet ihn Sympathiepunkte. Ein Spitzenniveau verbuchte Wiedekings Marktwert im Superjubiläumsjahr 2002 parallel zum Kurs der Porsche-Aktie. Diese Zeit hätte sich für den Automanager hervorragend für einen Wechsel zu einem Wettbewerber geeignet. Doch die riesige Chance ließ der Karrieremann verstreichen. Nun kann es ihm passieren, dass es stiller um ihn wird und die Bewunderung stark nachlässt.In der eigenen Branche kann die Sympathie sogar ins Gegenteil kippen und der bisher tolerierte Provokateur und öffentliche Stichwortgeber steht plötzlich als »Hofnarr«, »Störenfried« oder »Revoluzzer« da. So sehen ihn hinter vorgehaltener Hand schon einige Vertreter des Unternehmerlagers. Auf einen solchen Wertewandel muss sich Wiedeking bei abnehmenden Erfolgsmeldungen gefasst machen – gerade er, der als Medienstar so hoch gestiegen ist und sich öffentlich so weit aus dem Fenster lehnt. Andererseits könnte sich »Mr. Porsche« durchaus entspannt zurücklehnen und bequem abwarten, was auf ihn zukommt. Das Gehalt stimmt, und sein Vertrag als Vorstandschef bei Porsche läuft noch bis September 2007. Schließlich pflegt er ja stets zu betonen, dass er sich in Zuffenhausen sehr wohl fühlt und dort noch viel vorhat. Doch Entspannung und Bequemlichkeit sind eben nicht seine primären Eigenschaften. Wiedeking will gestalten, sich einbringen – und vielleicht weiter Karriere mit einer neuen Herausforderung machen. Die Presse handelt ihn längst als Kandidaten für alle möglichen Spitzenjobs bei den Goliaths: VW, BMW, Daimler, Deutsche Telekom und selbst als Wirtschaftsminister in Berlin. Jedes Mal wird freilich von allen Seiten heftig dementiert, so, als habe es nie konkrete Verhandlungen gegeben. Jedenfalls bleibt bisher ein offen ausgesprochener Ruf an ihn aus. Nur bei der Telekom ist der Porsche-Chef als Mitglied in den Aufsichtsrat aufgenommen worden. Was die PS-Branche Wiedeking zunehmend übel nimmt, sind seine politischen Feldzüge gegen Subventionen, für Made in Germany und seine laute Unterstützung für die rot-grüne Bundesregierung. Außerdem stören die Kollegen von der Konkurrenz seine mediengerechten Inszenierungen,seine offenen Sticheleien gegen einzelne Wettbewerber sowie seine indirekten Provokationen gegen Personen. Sie werfen dem ewigen Störenfried der Autozunft vor, eitel mit zweierlei Maß zu messen und sich fortwährend ins beste Licht zu setzen, so als wäre er zu Höherem bestimmt. Mit diesem »Liebe-GottSpiel« macht sich der Porsche-Manager gerade bei international renommierten Multis unbeliebt. Dort erscheint er vielen als missionarischer Eiferer – ein Etikett, das der Westfale gewiss nicht mag. Er selbst sieht sich eher in der sym-
pathischen Rolle eines Robin Hood der Wirtschaft. »Sicher, in dem einen oder anderen Punkt bin ich komplett quer zur Wirtschaft. Das Schönste wäre, wenn meine Kollegen aus der Industrie sagen würden: Okay, jetzt wollen wir mal keine Subventionen mehr, jetzt machen wir Wettbewerb«, beschreibt er treuherzig seine Position der Aachener Zeitung (11. 02. 2003). Indes, die angesprochenen Kollegen sind meist vom Gegenteil überzeugt und betrachten solche Sätze als politischen Verrat. Wiedekings Art, »anders zu sein, um anders als die anderen zu sein«, deuten seine Gegner als »krampfhafte Versuche, immer wieder im Rampenlicht zu stehen.« In der durch Fusionen übersichtlich gewordenen Autobranche stoßen manche Alleingänge des eigensinnigen Westfalen nur noch auf Kopfschütteln. So etwa sein Verhalten bei einer Abstimmung im Verband der Automobilindustrie, Frankfurt am Main (VDA), als es um die Festlegung und Umverteilung der Mitgliedsbeiträge geht: Rund 300 Anwesende stimmen mit »ja«, einer enthält sich: Wendelin Wiedeking. Er meldet sich aber erst anschließend zu Wort und betont, dass er seine Enthaltung mit einer Kritik an der Verbandspolitik wie an den Mitgliedsbeiträgen verbinden will. Viele Kollegen im Saal reagieren überrascht bis amüsiert auf seine individuelle Wortmeldung und fragen sich: »Will Wiedeking unter allen Umständen auffallen?« Ein ihm wohlgesonnener Kollege gibt ihm den Rat, »die Rolle des Revoluzzers fallen zu lassen und staatstragender im Sinne eines ›elder Statesman‹ zu werden«. Mit über 50 Jahren nehme ihm kaum noch jemand den »Hofnarren der Branche« ab. Er solle sich viel stärker in die Autobranche integrieren lassen. Ansonsten gerate Wiedeking in eine hoffnungslose Außenseiterposition. Kritiken am Kritiker und Einzelkämpfer Wiedeking werden zahlreicher. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass unter den Skeptikern sicher auch viele sind, die dem prominenten Manager die Karriere neiden.
Bei Mercedes und VW im Gespräch Für manche Konzernspitze hat sich Wiedeking auch durch seine schriftliche Anzeige bei der EU-Kommission, gegen BMW, selbst zum Außenseiter gestempelt. »Passt nicht zu unserer Kultur«, heißt es kühl und knapp (inoffiziell) im Hause BMW. Die Bayern nehmen es dem Konkurrenten übel, dass er sie in Brüssel wegen Subventionen für ihr Werk in Leipzig angeschwärzt hat. Auch DaimlerChrysler tut sich zumindest schwer mit dem kantigen Macher aus Zuffenhausen. Die Unternehmenskultur des Konzerns sei eine ganz andere als die heute bei Porsche. Ein künftiger Konzernlenker müsse auf jeden Fall in diesen Rahmen passen. Allerdings pflegt Wiedeking zu Daimler-
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Boss Jürgen Schrempp und noch mehr zum Autochef Jürgen Hubbert, der auch Westfale ist und aus Hagen stammt, enge Beziehungen, die bis zur herzlichen Duzfreundschaft reichen. Doch für die höchste Spitze des Weltkonzerns halten die großen Nachbarn einen David aus Zuffenhausen offenbar für weniger geeignet. Offiziell bestätigt werden solche Einschätzungen freilich nicht, denn nach außen wird zu Personalspekulationen hartnäckig geschwiegen. Deshalb kursiert unter Insidern auch das Gerücht, dass Wiedeking sehr wohl ein festes Angebot bekam, in die Topetage von DaimlerChrysler aufzusteigen. Allerdings nicht sofort als Schrempp-Nachfolger, sondern eher eine Stufe tiefer in der Pkw-Sparte seines Freundes Jürgen Hubbert, also für die Marken Mercedes, Smart und so weiter. Aber Wiedeking weiß auch genau, wie schwierig es ist, sich in dieser Wartestellung als Außenseiter gegen Insider zu behaupten. Denn auf einen Spitzenposten bei Mercedes & Co. spekuliert längst eine Hand voll hochkarätiger Manager im eigenen Haus. Und deren Vorteil im Gerangel um Machtpositionen besteht vor allem darin, dass sie meist eine sichere Hausmacht hinter sich haben. Denn so familiär und übersichtlich wie bei Porsche sind die Strukturen bei einem transkontinentalen Konzern wie DaimlerChrysler bei weitem nicht. Ähnliches gilt für den Goliath in Wolfsburg. Auch bei Volkswagen liegen gigantische Verhältnisse vor. Und außerdem ist der Olymp inzwischen mit Ex-BMW-Chef Bernd Pischetsrieder auf einige Jahre hinaus besetzt. Immerhin war es kein Geringerer als Wiedekings Großaktionär und Förderer bei Porsche, Ferdinand Piëch, der den Bayern anstatt den Westfalen auf den Chefsessel in Wolfsburg gehievt hat. Ferdl, der Unberechenbare, übergeht bei der Frage nach seinem Nachfolger den Manager in Stuttgart und nimmt stattdessen seinen zweiten Favoriten, den ehemaligen BMW-Chef Pischetsrieder – ein kräftiger Dämpfer für den Porsche-Primus. Piëch stört wohl ebenfalls die politische Kumpanei Wiedekings. Offen jedoch äußert er sein Missfallen ebenso wenig wie andere. Stattdessen lobt Piëch sogar seinen obersten Angestellten in Zuffenhausen ausdrücklich, wodurch die Abfuhr bei VW noch unverständlicher erscheint. Und so merkwürdig Piëchs Entscheidung ist, umso aberwitziger klingt seine Begründung dazu: Der glückhafte Karrieremanager bei Porsche ist ihm zu erfolgreich, während Pischetsrieder sein RoverDebakel erlebt habe. Piëch: »Ich würde nie einen nehmen, der noch nie einen richtigen Fehler gemacht hat. Wiedeking hat nie einen Knick gehabt. Irgendwann braucht der einen Knick, damit er was ganz Großes machen kann.« (Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 18. 8. 2002). Welchen »Knick« ihm der weiterhin mächtige Regisseur im Hintergrund der Autoszene wünscht, lässt er bei diesem Gespräch offen. Sieht er eine Porsche-Krise kommen?
Für den Porsche-Piloten jedenfalls bedeutet Piëchs demonstrativer Kurswechsel eine herbe Niederlage, denn allzu viele Topjobs sind in der Autoindustrie nicht zu vergeben. Dabei war der Westfale schon so nahe dran. Als der Porsche-Großaktionär dieses denkwürdige Urteil spricht und seinen Daumen senkt, eilt sein erster Angestellter in Zuffenhausen gerade von Sieg zu Sieg. Doch genau daraus dreht ihm Piëch bei der VW-Nachfolge angeblich einen Strick. Und selbst nach diesem Schlag kann es Piëch nicht lassen, dem Manager Nadelstiche zu versetzen. So bestellt er sich zwar einen Cayenne, aber ausdrücklich nur mit der Innenausstattung der VW-Zwillingsversion Touareg (Sitze, Himmel, Türverkleidung), also seiner Konstruktion. Mit dieser Wahl will er wohl sagen: Der Innenraum des Cayenne ist nicht gelungen; nur der Motor taugt etwas. Diese Demonstration könnte wiederum eine Retourkutsche für die offene Kritik Wiedekings am Cayenne-Kooperationspartner Volkswagen sein. Doch auch in der Nachfolgefrage von VW gibt es eine gegenteilige Version von Insidern. Sie besagt, dass Wiedeking sehr wohl, vor Pischetsrieder, ein eindeutiges Angebot von Piëch bekam, Chef von Volkswagen zu werden. Immerhin hat der Westfale nicht nur zu Piëch, sondern auch zum zweiten Königsmacher bei VW, Gerhard Schröder, beste Beziehungen. Denn der Bundeskanzler galt damals noch, als ehemaliger Ministerpräsident Niedersachsens, als eine graue Eminenz hinter VW. Doch nach mehreren Gesprächen und gründlicher Überlegung habe der Porsche-Manager diese Möglichkeit schließlich dankend abgelehnt. Auch im Falle Volkswagen kann sich Wiedeking wie bei Mercedes angeblich nicht mit den monströsen Strukturen abfinden. Noch weniger will er sich für die in Wolfsburg recht undurchsichtigen Mitbestimmungsverhältnisse, Land, Parteien, Gewerkschaft und so weiter, erwärmen. Denn mit Schulterklopfen und ein paar Bierchen und Schnäpsen bis nach Mitternacht mit wenigen Managern, Meistern und Betriebsräten wird bei dem Riesen nichts bewegt. Hier dominieren die Bürokratie und der grüne Verhandlungstisch – und das ist gewiss nicht Wiedekings Sache. Zudem kann er sich beim VW-Angebot nicht sicher sein, ob Porsche-Großaktionär Piëch nicht nur testen will, wie treu sein oberster Angestellter in Stuttgart noch zu seinem Familienunternehmen steht. Klar ist nur eines: Ob bei Porsche oder VW, der starke Mann im Hintergrund heißt stets Ferdinand Piëch. Das zeigt, wie eng die Autowelt für Wiedeking geworden ist.
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»Wirtschaftsminister« Wiedeking? Ein Einstieg bei BMW verbietet sich, bei Daimler/Mercedes ist der Verhandlungsspielraum ausgeschöpft, und bei VW ist der Thron nun vorerst ohnehin besetzt, da sind die Chancen auf eine Karriere nach Porsche rasch erschöpft. Denn als bloßer Statthalter bei Konzerntöchtern wie Audi (gehört zu VW) oder Opel (General Motors/GM) dürfte Wiedeking aus eigenem Interesse kaum infrage kommen. In Anlehnung an eine große deutsche Marke meinte er einmal sinngemäß: »Aus voller Überzeugung ›Popelautos‹ verkaufen? Da fällt mir die Antwort leicht, nein!« Daher bleibt als mögliche Alternative ein Spitzenjob bei einer eigenständigen Firma mit vielen Premiummarken unter dem Dach eines Weltkonzerns. Einen solchen Weg ging der ehemalige BMWManager Wolfgang Reitzle bei Ford. Für Wiedeking wäre ein solcher Königsweg ebenfalls vorstellbar. So könnte er beim US-Konzern Ford durchaus die Gruppe aus Jaguar, Lotus, Volvo, Landrover und Lincoln managen und sanieren; bei General Motors würde eine solche Konstellation der vereinten Topmarken so renommierter Namen wie Cadillac, Saab und möglicherweise Alfa und Ferrari, aus dem Fiat-Reich, entsprechen. Und eine ähnliche Gruppierung wäre bei Toyota/Lexus möglich. Viel mehr bietet die automobile Welt im Zeitalter anhaltender Fusionitis kaum. Es sei denn, Wiedeking würde in die Zulieferindustrie überwechseln oder in eine ganz ander Branche ausweichen. Die Zunft ist klein geworden, Spitzenposten rar gesät. Allerdings bringen Krisen erfahrungsgemäß das Personalkarussell in Unternehmen besonders schnell in Schwung. Will Wiedeking seine Karriere wirklich dort beenden, wo er sie begann, und wo der Manager mit kurzer Unterbrechung ein Managerleben lang blieb? Seine Haltung und seine Äußerungen lassen keine andere Schlussfolgerung zu. Er fühle sich bei Porsche noch immer bestens aufgehoben, lässt er auf Fragen nach seiner Zukunft verbreiten. Doch bei einem Mann, der vor Selbstbewusstsein kaum mehr laufen kann, wie Kritiker behaupten, oder der vor Tatendrang überschäumt, wie Bewunderer meinen, ist das kaum vorstellbar. Kaum jemand will glauben, dass Wiedekings Karriereszenario auf die simpelste Alternative hinauslaufen könnte, nämlich nach einer weiteren Vertragsverlängerung als Porsche-König mit Anfang 60 in Pension zu gehen. Andererseits kann es sich die kantige Porsche-Legende erlauben,alle Kritik an sich weiter wie Wassertropfen auf Öl abperlen zu lassen und auf das richtige Angebot zu warten. Denn wer zu früh den Finger hebt, wird bei der Kandidatensuche meist übergangen. Sollte ihn die Fahrzeugbranche wirklich verschmähen, dann ist ihm ein Ruf aus anderen Wirtschaftszweigen gewiss – bei den Beziehungen nach Berlin allemal.
Diese Sicherheit ermutigt den Porsche-Lenker augenscheinlich immer mehr dazu,sich neben seinem Hauptjob laut auch um Politik und Gesellschaft zu sorgen. Ungeschminkter denn je zieht der Westfale mit Schmähkritik vom Leder – betriebsintern wie öffentlich. Unternehmern hält er schonungslos vor, sie dürften nicht stolz darauf sein, den Staat genötigt zu haben, nichts an Steuern zahlen zu müssen. Wiedeking: »Gleichzeitig aber fahren dieselben Leute auf unseren Straßen und schicken ihre Kinder in die Schule – das ist dann wieder ganz normal. Da stimmt doch was nicht in unserem Land« (Aachener Zeitung, 11. 2. 2003). Eine solche Fundamentalkritik klingt zwar staatstragend, sie hat aber wenig mit Porsche und dem Autogeschäft zu tun. Nimmt der Firmenchef auf diese Art innerlich bereits Abschied von seinem Managerdasein? Plant er schon den Ausstieg und steuert in aller Stille mit Karacho Richtung hohe Politik? In den USA sind solche Sprünge üblich. Dort wechseln Topmanager als Berater und Minister laufend zwischen Unternehmen und Regierungsposten hin und her. Nahe Beobachter Wiedekings würde diese Entwicklung nicht überraschen. Sie halten ein solches Karriereziel des vielseitigen Talents durchaus für plausibel. Seine Fähigkeiten als Ingenieur und Sanierer hat er ja eindrucksvoll bewiesen. Warum also nicht Neuland betreten und eine ganze Volkswirtschaft retten wollen? Heute könnte ein gereifter Wendelin Wiedeking seine unternehmerischen Erfahrungen und Kenntnisse als Super-Wirtschaftsminister verwerten. Die Welt darf auf die Fortsetzung der Biografie des kantigen Karrieremanns gespannt sein. Falls der Auf- oder Aussteiger eines Tages bei Porsche – vielleicht doch vorzeitig – den Schreibtisch räumen sollte, dann hat er sich sicher auch darüber bereits Gedanken gemacht. Der akkurate Boss will dann »geordnet übergeben« – so wie er es bisher immer gemacht hat.
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Anhang
Zeittafel 28. 08. 1952:
geboren in Ahlen/Westfalen; aufgewachsen in Beckum/Westfalen April 1959 – März 1964: Volksschule Beckum April 1964 – Juni 1969: Städtische Realschule Beckum Juli 1969 – Mai 1972: Albertus-Magnus-Gymnasium Beckum 29. Mai 1972: Abitur am Albertus-Magnus-Gymnasium (»Zeugnis der Reife«) Juni 1972 – April 1975: Praktikantentätigkeit in Betrieben des allgemeinen Maschinenbaus Herbst 1972 – Studium des Maschinenbaus an der RheinischFrühjahr 1978: Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) in Aachen; Studienabschluss mit dem Grad »Diplomingenieur« November 1976 – neben dem Studium Hilfsassistent am Laboratorium März 1978: für Werkzeugmaschinen und Betriebslehre der RWTH Aachen (Leitung: Professor Dr.-Ing. Manfred Weck) April 1978 – wissenschaftlicher Mitarbeiter am Laboratorium für September 1983: Werkzeugmaschinen und Betriebslehre der RWTH Aachen; Promotion; Doktorvater: Professor Dr. Manfred Weck 1. Oktober 1983: erster Einstieg bei der Dr. Ing. h. c. F. Porsche AG, Stuttgart, als Referent des Vorstandes Produktion und Materialwirtschaft Dezember 1983: Promotion zum Dr.-Ing. an der Fakultät für Maschinenwesen der RWTH Aachen; Prüfungsabschluss mit dem Prädikat »mit Auszeichnung«
Juni 1984: Oktober 1988:
September 1990: 1. Oktober 1991:
Oktober 1992: August 1993: 1994: September 1995: 1996: 2002:
Verleihung der Borchers-Plakette durch den Rektor der RWTH Aachen Ausstieg bei Porsche und Managementtätigkeit als Bereichsleiter Technik beim Kfz-Teilehersteller Glyco-Metallwerke KG, Wiesbaden Aufstieg bei Glyco-Metallwerke zum Vorsitzenden der Geschäftsleitung Rückkehr zur Porsche AG als Mitglied im Vorstand; zuständig für das Ressort Produktion und Materialwirtschaft; daneben Vorsitzender des Aufsichtsrates der Glyco-Gruppe Sprecher des Vorstandes der Porsche AG Vorsitzender des Vorstandes der Porsche AG erstmals »Manager des Jahres« (Wirtschaftszeitschrift Top Business, München) neue Fertigungsstruktur im Stammwerk Zuffenhausen flexible Arbeitszeit eingeführt (»Flexi-Modell«) mit Zeitkonten usw., im Juli 2000 entscheidend erweitert großes Jubiläums- und Rekordjahr; 50. Geburtstag, zehn Jahre Porsche-Chef; Umsatz, Jahresüberschuss und Dividende auf Rekordniveau
Die Firma Porsche – einst und jetzt 25. April 1931: 8. Juni 1948:
November 1964:
1971:
Der Firmengründer Ferdinand Porsche eröffnet sein eigenes Konstruktionsbüro in Stuttgart. Dieses Datum gilt als Geburtsstunde für die Sportwagenfirma; bereits Ende 1946 sind mehr als 200 Personen im österreichischen Gmünd in Kärnten mit dem Bau des kleinen 356/1, des ersten Sportwagens unter dem Namen Porsche, beschäftigt. Der erste 911er wird ausgeliefert; entwickelt unter Ferdinand Piëch, ursprünglich geformt von Ferdinand Alexander Porsche. Das Forschungszentrum in Weissach nahe Stuttgart wird gegründet.
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1972:
Die Firma wird von einer Personengesellschaft (Kommanditgesellschaft/KG) in eine Aktiengesellschaft (AG) umgewandelt, die Familie scheidet zugleich komplett aus der Geschäftsführung aus und übergibt diese an ein familienfremdes Management (Professor Ernst Fuhrmann, Heinz Branitzki). 1984: Ein Teil des Aktienkapitals (ohne Stimmrechte) wird an die Börse gebracht. Oktober 1992: Wendelin Wiedeking wird Sprecher des Vorstandes (als »Gleicher unter Gleichen«). 1992/93: Porsche wird zum Sanierungsfall; Umsatz, Absatz und Produktion erreichen Tiefstwerte, es gibt einen hohen Verlust und Massenentlassungen. August 1993: Wendelin Wiedeking wird Vorsitzender des Vorstandes. 1992 – 1996: Dies ist der ungefähre Zeitraum der großen Sanierung und Umstrukturierung; um 1995 werden die Modelle 928 und 944/968 endgültig aus dem Programm genommen, es gibt nur noch zwei Modellreihen (Boxster und 911). 19. August 1996: Der Boxster (das Einsteigermodell) läuft in Zuffenhausen vom Band. 1997: Der 911er kommt erstmals mit wassergekühltem Motor; um den typisch brubbelnden Sound der Kolben des Vorgängers wieder herzustellen, entwickeln 30 Tontechniker in einem eigenen SoundDesign-Studio in Weissach ein Zusatzgerät. 3. September 1997: In Finnland (Valmet) läuft der erste Boxster vom Band, zunächst sind dort nur 5 000 Einheiten pro Jahr geplant, später wurden bis zu 23 294 (2000/01) Einheiten gefertigt. Geschäftsjahr 1996/97: Die Erfolgskurve bei Umsatz, Absatz, Gewinn und Dividende zeigt steil nach oben, das »Turbo-Programm« greift. Juni bis Dezember 1998: Das 50-jährige Jubiläum der Porsche-Sportwagen am 8. Juni 1998 wird rund um die Welt gefeiert. 2001/02: Dies ist das bisherige Rekordjahr für Porsche und das Jubiläumsjahr für Wiedeking – Umsatz,Verkauf, Mitarbeiterstand, Steuern, Gewinn, Rendite (Divi-
dende) für Aktionäre und Börsenkurs erreichen Höchstwerte; und weltweit gibt es nun fast 500 Porsche-Clubs mit rund 110 000 Mitgliedern als Marketinginstrument zur Pflege der Kunden. 20. August 2002: Die Produktion (Endmontage) des Geländewagens Cayenne wird in einem zweiten Porsche-Werk in Leipzig gestartet. 7. Dezember 2002: Die dritte Baureihe mit dem Geländewagen Cayenne hat ihren endgültigen Marktstart, zuerst in Deutschland (85 Porsche-Zentren), Österreich (13) und der Schweiz (26); am 15. März 2003 beginnt der Verkauf in Nordamerika. Frühjahr 2003: Es gibt stärkere Anzeichen einer Absatzflaute, zunächst (und schon seit Herbst 2001) beim Boxster, nun auch bei Carrera-Modellen – Konsequenzen: kräftige Drosselung der Produktion, Mitarbeiter müssen ihre Zeitkonten abbauen, Fertigung in Zuffenhausen ruht tageweise, Werksferien im Sommer werden um eine Woche verlängert. Herbst 2003: Für diesen Zeitraum ist die Markteinführung des Supersportwagens Carrera GT (618 PS, Preis etwa 400 000 Euro) geplant – mindestens 1 200 Renner sollen verkauft werden. Geschäftsjahr 2002/03: Die Vorschau auf dieses Geschäftsjahr fällt in den wichtigsten Bereichen optimistisch aus; beim Umsatz soll die Schwelle von fünf Milliarden Euro deutlich überschritten werden, beim Verkauf von Neufahrzeugen werden rund 65 000 Einheiten angepeilt; eine leichte Erhöhung der Zahl der (fest angestellten) Mitarbeiter wird angenommen.
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Wiedekings Erfolg in Zahlen: vom Krisen- zum Rekordjahr in zehn Jahren Geschäftsjahre Umsatz (in Mio. Euro): Jahresüberschuss (in Mio. Euro): Dividende je Aktie (in Euro): Investitionen (in Mio. Euro): Verkauf an Neufahrzeugen: Mitarbeiter:
1992/93 978,1 - 122,1 (Verlust) 0,00 90,6 14 362 7 133
2001/02 4 847,3 462,0 16,94/17,00 1 739,5 54 234 10 143
Quellen, Literatur Die Informationen, auf denen dieses Buch beruht, entstammen zahlreichen persönlichen Gesprächen mit Informanten sowie unter anderem folgenden Quellen: Aachener Nachrichten, Aachener Zeitung, Automobilwoche, Bietigheimer Zeitung, dpa, FAZ am Sonntag, Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), FAZ-Magazin, Die Glocke, Handelsblatt, keep in touch (RWTH Aachen), Manager-Magazin, Süddeutsche Zeitung, Stern, Stuttgarter Nachrichten, Stuttgarter Zeitung, Tagesspiegel (Berlin), Vwd, Die Welt, Westdeutscher Rundfunk (WDR/TV), Die Zeit
Literatur Bovet, David/Joseph Martha: Value Nets, Breaking the supply chain to unlock hidden profits, John Wiley & Sons, New York 2000. Daldrup, Bernhard et al.: Stadt Beckum – Stadtansichten, Neomedia Verlagsgesellschaft, Reken. Deckstein, Ines/Martin Frei (Zeichnungen): Das Wendelin-Prinzip (Porsche-Comic), im Eigenverlag der Porsche AG (Öffentlichkeitsarbeit), Stuttgart 2002. Hunger, Anton (Hrsg.): Wendelin Wiedeking. Das Davidprinzip, Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2002. Piëch, Ferdinand: Auto.Biographie, Hoffmann und Campe, Hamburg 2002. Porsche, Ferry/Günther Molter: Ferry Porsche – Mein Leben, Motorbuch Verlag, Stuttgart 2002. Schuch, Monika (Hrsg.): Denker und Macher, Deutsche Wirtschaftsgrößen im Porträt, Verlag Moderne Industrie, München 2002. Stiens, Rita: Ferdinand Piëch. Der Automacher, Gabler Verlag, Wiesbaden 1999.
Wiedeking, Wendelin: Geräuschanalyse und Geräuschminderung an Einzelhub-Exzenterschneidpressen (Dissertation), Fakultät für Maschinenwesen der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen 1983. Winter, Stefanie: Die Porsche-Methode, Wirtschaftsverlag Carl Ueberreuter, Wien/Frankfurt 2000.
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