BILLY JENKINS ABENTEUER Heft 164
Der Mann im Hintergrund Nach Aufzeichnungen des Westmannes Billy Jenkins erzählt von ...
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BILLY JENKINS ABENTEUER Heft 164
Der Mann im Hintergrund Nach Aufzeichnungen des Westmannes Billy Jenkins erzählt von John A. Hutter
UTA-VERLAG . SINZIG (RHEIN)
WISSENSWERTES Der größte Teil des mexikanischen Volkes ist arm. Millionen Menschen leben unter Verhältnissen, die wir uns gar nicht vorstellen können. Für sie ist jeder deutsche Arbeiter ein Krösus, und sie wissen nicht, was für ein Gefühl das ist, satt zu sein. Die grenzenlose Armut der Menschen im Landesinnern ist wohl auch der Grund für die Bildung eines Banditentums, das für Mexiko eine wahre Landplage darstellt. Noch heute gibt es Banditen in den unzugänglichen Bergen, und es wird wohl noch lange dauern, bis der letzte Bandolero verschwunden ist. Von jeher schwammen Mexikaner über den Rio Grande und verdingten sich auf den amerikanischen Farmen und in den Petroleumgebieten als billige Arbeitskräfte. Für wahre Hungerlöhne arbeiteten sie schwer und – waren glücklich dabei; denn sie erlebten das Wunder, sich richtig sattessen zu können. Außerdem bekamen sie noch Geld, das sie gewissenhaft sparten und mit in die Heimat zurücknahmen. Ihre Schilderungen des „Märchenlandes“ USA bewegten immer mehr Mexikaner, über den Strom zu schwimmen und ihr Glück im „Paradies“ zu versuchen. Man nannte diese Leute „Wetbacks“ („Nasse Rücken“), weil sie illegal in die Staaten kamen und ihre Rücken im Rio Grande naß machten. Die amerikanische Grenzpolizei wurde von jeher von diesen Grenzgängern in Atem gehalten. Die Grenze ist aber immerhin 1833 Meilen lang und kann von den 600 Grenzern nicht überall kontrolliert werden. Auf mexikanischer Seite haben die Grenzgänger kaum Schwierigkeiten. Nur auf der Rückreise wird es gefährlich; denn da lauern Bandoleros den Heimkehrern auf, um sie zu erschießen und ihnen das sauer verdiente Geld wieder abzunehmen. Die anhaltende Dürre der letzten Jahre trieb die Mexikaner in zunehmendem Maße über den Rio Grande. In einem Monat sind etwa 90 000 Grenzgänger von der Polizei erwischt und nach Mexiko zurückgeschickt worden. Hunderttausende wurden nicht gestellt. Die Polizei schätzt die Zahl der in den letzten Jahren illegal eingewanderten Mexikaner auf 2.5 Millionen Menschen; das sind ungefähr 10 Prozent des ganzen mexikanischen Volkes.
Während oben im Norden das Land von Schneestürmen und eisigen Winden gepeitscht wird, scheint in Mexiko die Sonne. In Colorado drängen sich die Rinder in den Wäldern, um vor Kälte und Schnee Schutz zu finden, hier im Süden lechzen sie nach einem Tropfen Wasser: Futtersorgen im Norden, im Süden Wassersorgen. Diese Gedanken ziehen Billy Jenkins durch den Kopf, als er auf die trostlose Wüstenlandschaft blickt, die vor ihm ausgebreitet liegt: hier und da ein Strauch, ein schilfartiger Grasbüschel, dann wieder einige Organpipe-Kakteen, und sonst nichts als Sand und nochmals Sand. Am Himmel kreisen vereinzelte Geier und spähen schon seit Stunden nach einer Beute aus. Die Luft flimmert vor Hitze, und die Lippen des großen blonden Mannes sind geschwollen vor Durst. Das Pferd steht mit hängendem Kopf im spärlichen Schatten eines Chollabusches. Es hat seit dem Morgen noch keinen Tropfen Wasser erhalten. Billy kauert sich neben das Pferd und zieht einen Brief aus seiner Brusttasche. Er breitet ihn aus und studiert die primitive Zeichnung, die darangeheftet ist. „Wir müssen noch einige Meilen reiten, ‚Fellow’!“ sagt er zu dem Braunen, als könnte der das verstehen. Doch das junge Tier drückt nur seine Nüstern an die Schulter des Mannes und leckt dann an dem verschwitzten Hemd. „Well, ‚Fellow’, das ist der erste Auftrag, bei dem ich dich mitgenommen habe. Nun wirst du immer mein Kamerad sein! Seit sie mir ‚Star’ abschossen und der andere Braune, dein Vorgänger, auf dem Bahnhof in Cortez ein Bein brach, hat sich viel ereignet. Oben auf der Herz-Ranch kämpfen unsere Boys mit der Futternot und der Kälte. Und wir beiden müssen Geld verdienen, damit wir auch das Heu bezahlen können, das Charly für die Rinder gekauft hat.“ Er tätschelt dem Pferd den Hals und läßt es sich gefallen, daß „Fellow“ ihm über das Gesicht leckt. 5
„Schmeckt wohl salzig, wie?“ spricht er weiter zu dem Tier. „Nun, wir müssen gleich weiter … nach dem dämlichen Ingenieur suchen, der wie ein Idiot allein auf eine Expedition in die Berge gezogen ist!“ Billy steigt wieder in den Sattel, und im Schritt reitet er weiter. – – Nach zwei Stunden liegt eine kleine Ortschaft vor dem Reiter. Weit im Hintergrund erheben sich die Berge der Sierra Madre. Doch bis dahin ist es noch ein paar Tage zu reiten. Die Vegetation hat sich verändert. Der Boden wird sichtlich fruchtbarer; das mag wohl auch der Grund dafür sein, daß hier eine Siedlung liegt. Rinder und Ziegen weiden gemeinsam auf den Wiesen und Weiden in der näheren Umgebung der Ortschaft. Billy Jenkins weiß von seiner Karte her, daß dieser Ort Badiraguato heißt. Als er ihn jetzt genau sieht, ist er erstaunt. Wie sich eine Schar Hühner um ihren Hahn drängen, so gruppieren sich die primitiven Lehmhäuser um eine riesige Kirche. Der kolossale Steinbau scheint aus einer Großstadt hierhergesetzt worden zu sein. Gegen ihn wirken die Lehmhütten der Mexikaner wie Spielzeughäuser. Billy schwenkt auf einen ausgefahrenen Karrenweg ein und reitet hinter einem Indio her, der langsam und bedächtig seine beiden Ochsen nach der Stadt treibt. Jetzt sieht Billy auch den Fluß, der vorhin noch seinen Blicken verborgen war. Hier tummeln sich Kinder aller Schattierungen: Indios, Mestizen und Neger. Frauen waschen unter lautem Gesang ihre Wäsche; überhaupt scheint sich das ganze Dorfleben am Wasser abzuspielen. Hier stehen auch riesige Bäume, unter denen die Einwohner Schatten finden. Als Billy weiter oben eine Gruppe Indios sieht, die in der prallen Sonne in einem Maisfeld hacken, wischt er sieh vor Mitgefühl die Stirn ab. Dann aber drängt „Fellow“ vor Durst zum Fluß. Der Reiter läßt ihn gewähren und steigt ab, als sie 6
das Wasser erreichen. Schnell nimmt er dem Tier das Gebißstück aus dem Maul, damit es besser saufen kann. Er selbst wagt das brackige Wasser nicht zu trinken, vor allem, als er sieht, daß eine Indiofrau ihr Kleines über dem Ufer abhält. Als der Amerikaner wieder aufsitzt und zum Ort reitet, wird er von den Mexikanern mißtrauisch gemustert. Einmal hört er das Wort „Gringo“ bis zu sich herüber. Vor der kleinen Tienta macht Billy halt und sitzt ab. Ein Geruch von Moder und Pulque dringt bis auf die Straße heraus. Billy führt „Fellow“ in den Schatten und sattelt ihn ab. Dann reibt er das staubige und verschwitzte Fell des Tieres mit Stroh und wirft „Fellow“ Maisstauden vor. Inzwischen haben sich vor der Kneipe eine Menge Kinder und Halbwüchsige angesammelt, die neugierig und interessiert den Nordamerikaner beobachten. Schließlich sehen sie nicht jeden Tag einen Fremden, und hier ist man für jede Abwechslung dankbar. Als sie aber die beiden Colts an den Hüften des Amerikaners baumeln sehen, weichen sie respektvoll zurück. Billy lächelt den Kindern zu und geht ins Haus. Im Raum ist es düster, weil die Fenster zugehängt sind. Aber dadurch ist es angenehm kühl. Zwar stinkt es nach Alkohol und dem kalten Rauch der Maisblattzigaretten, aber Billy stört sich nicht daran. Freundlich nickt er einigen Mexikanern zu, die ebenfalls im Schankraum sitzen. Der Wirt ist ein Mestize, schmal, klein und von Hitze und Arbeit ausgemergelt. Müde kommt er heran. „Bring mir Tee, Tequilla und dann ein gutes Essen!“ sagt Billy in ausgezeichnetem Mexikanisch, was den Wirt verblüfft. „Mach mir aber nicht zuviel Pfeffer an das Essen, claro?“ Der Wirt muß erst einmal schlucken. ‚Donnerwetter, der Gringo spricht unsere Sprache so gut wie einer von uns!’ denkt er erstaunt. Laut sag er: „Sofort, Señor! Es wird alles so sein, wie Sie es bestellt haben!“ 7
Die übrigen Mexikaner im Raum sprechen plötzlich leise. Daß ein Gringo so gut ihre Sprache spricht, können sie gar nicht fassen. Plötzlich hört man draußen Hufschlag. Kurz darauf betritt ein großer, schwarzhaariger Mann den Raum. Billy kann dessen Gesichtszüge nicht genau erkennen, dazu ist es zu düster. Der Gast grüßt freundlich. Wie Billy feststellt, hat er eine angenehm klingende Stimme. Seinem Äußeren nach muß es ein Kreole sein, zumindest aber ein sehr wohlhabender Hazendado. Jetzt hat der Kreole Billy gesehen. „Hoho, ein Americano in unserer schönen Stadt? Ich hörte es schon auf der Straße, Señor!“ begrüßt er Billy. Dann erschrickt er plötzlich. „Ach, Sie werden mich gar nicht verstehen! Hmmm …“ Er will gerade auf Englisch seine Rede wiederholen, als ihn Billy unterbricht: „Ich verstehe sehr gut, Señor! Setzen Sie sich zu mir?“ fragt er freundlich. Der Mexikaner bedankt sich und nimmt neben Billy Platz. „Enrico Valdez ist mein Name!“ stellt er sich vor. „Billy Jenkins!“ erwidert Billy seinerseits die Vorstellung. „Was tun Sie in unserem schönen Land, Señor?“ erkundigt sich Enrico höflich. Billy ist die landesübliche Neugierde gewöhnt. „Ich sehe es mir einmal an! Wenn’s mir gefällt, bleibe ich hier!“ sagt er. „Oh“, sagt Enrico, „ich habe eine schöne Hazienda! Sie müssen mich besuchen! Bestimmt wird es Ihnen gefallen!“ Er lacht leise und blickt zu den anderen Gästen hinüber. „Er ist der erste Americano, der einmal unsere Sprache gut spricht und dann nicht gleich nach dem höchsten Berg, der größten Kirche und dem ältesten Brunnen fragt.“ Die übrigen Gäste lachen. Ein untersetzter Mestize erwidert. „Neulich kam einer, der wollte gleich mit dem Alcalden sprechen! Es wollte ihm nicht in den Kopf, daß der Bürgermeister eine Woche zu seiner alten Mutter gefahren war.“ 8
„Wie sah dieser Amerikaner denn aus?“ erkundigt sich Billy so nebenher. „Vielleicht kenne ich ihn?“ „Seguro“, meint der Mestize, „du bist auch ein Americano, du mußt ihn kennen! Er war so groß wie du oder Don Enrico! Aber sein Haar war nicht hell wie deins. Er hatte zwei Pferde, einen Falben und einen Schecken. Er trug aber nicht zwei Pistolen wie du, sondern hatte eine Waffe, wie ich sie noch nie gesehen habe. Muß etwas ganz Modernes sein. Auf dem Packpferd hatte er Spaten und alles mögliche Zeug, wie man es zum Goldsuchen braucht. Aber er wird kein Gold finden, der Fremde! Es gibt kein Gold mehr in unseren Bergen. Deine Landsleute haben es ausgegraben, und dann hat unsere Regierung es schließlich durch eigene Minen ausgebeutet. Die Sierra Madre ist arm geworden!“ „Hatte der Americano eine Narbe an der Backe?“ fragt Billy. „Si, si! Er hatte eine Narbe! Das ist richtig!“ erwidert der Mestize bereitwillig. „Du kennst ihn also?“ „Ja, ich kenne ihn! Ich traf ihn vor Wochen. Er sagte, daß er nach Gold suche! Aber ich kenne den Mann nicht näher. Er interessiert mich nicht weiter!“ fügt Billy schnell hinzu. Don Enrico mischt sich wieder in die Unterhaltung: „Er ist auch nicht richtig im Kopf, wenn er nach Gold sucht! Hier gibt es kein Gold, wie Ihnen Agosto sehr richtig sagte!“ „Jeder Mann hat einen Vogel! Laßt den Amigo ruhig nach Gold suchen! Wenn er keins findet, wird er wieder heim in die Staaten fahren!“ erwidert Billy betont gleichgültig. Der Wirt bringt das Essen, und Billy läßt es sich schmecken. Nachdem der Durst gelöscht ist, hat sich der Hunger eingestellt. Den Wirt bittet Billy, seinem Pferd ebenfalls noch etwas Futter vorzuwerfen. Don Enrico betrachtet schweigend den blonden Amerikaner und stört ihn nicht beim Essen. Nach einer Stunde erheben sich die beiden Männer und beschließen, zusammen zu Don Enricos Hazienda zu reiten. Billy soll Don Enricos Gast sein. 9
*
* *
Der dicke Beamte im Polizeikommando Culiacan wischt sich den Schweiß von der Stirn und ächzt. „Diese verdammten Gringos! Der Teufel soll mir diese Amerikaner holen!“ stöhnt er. „Nichts als Arbeit und Ärger hat man mit diesen Leuten!“ Ein junger Leutnant, einer jener Landgendarmen, die durch ihr rücksichtsloses Durchgreifen den mexikanischen Banditen schwer zu schaffen machen, erwidert: „Ich denke, die Estados Unidos wollen einen Spezialisten in unser Land schicken?’“ Der Dicke blickt den jungen, hageren Leutnant vorwurfsvoll an. „Und du glaubst es? Seit vier Wochen suchen wir nach dem irrsinnigen Gringo, der sich in den Bergen verlaufen hat! Seit vier Wochen ruft der Konsul aus Chihuahua täglich an und fragt nach dem Neuesten! So ein Telefongespräch kostet dreißig Pesos, Amigo! Jeden Tag verplempert der amerikanische Staat dreißig Pesos, und alles nur wegen eines Mannes! Verstehe ich einfach nicht! Wenn bei uns ein Mann verschwindet, nun, por dios, dann sind wir eben einer weniger! Jeden Tag werden neue Menschen geboren! Also, warum um einen Ingenieur weinen, der nun doch nicht mehr auftaucht? Ich wollte nichts sagen, wenn es der Präsident der Estados Unidos wäre. Aber so ’n kleiner Ingenieur …!“ Der hagere Gendarm schiebt sich den schwarzen Hut ins Genick und zieht emsig an der Zigarre, die er dem Dicken abgeschnorrt hat. „Die Americanos kämpfen um jedes Menschenleben!“ erwidert er nun. „Sie lassen sich es etwas kosten, wenn einer ihrer Staatsbürger in Not ist! Nun, mein Freund, sie haben auch Geld genug dazu!“ „Bueno, das haben sie! Dann sollen sie sich ihren Mann selbst suchen, der wie ein Schaf in den Bergen verschwunden ist’“ schimpft der Dicke und wischt sich wieder über die nasse 10
Stirn. „Ich werde ihnen schreiben, daß wir die Suche wegen Mangel an Spuren aufgeben!“ beschließt er. „Tu es nicht, Amigo!“ rät ihm der Leutnant. „Sie werden es wieder in allen Zeitungen der Welt herumschmieren und eine politische Aktion daraus machen! Du weißt, wie es im letzten Jahr war, als der Eisenbahnwagen beraubt wurde. Da saßen auch Gringos drin. In den Gringozeitungen stand dann gleich, daß es nur ein Überfall auf die Amerikaner war. In Wahrheit hatte es Miguel Zafiro mit seiner Bande nur auf die Gewehre der Begleitsoldaten abgesehen. Natürlich hat er die Uhren der Gringos mitgenommen. Bueno, und was war die Folge von der Zeitungsschlacht? Keine Touristen kamen mehr nach Mexiko! Ich weiß noch, wie Don Espartero geschrien hat, als er die Bahnbeamten zusammenstauchte, weil sie den Gringoreportern die Interviews verweigert hatten! Wenn du nun einen solchen Brief schreibst, wird es genau so kommen! Don Espartero ist noch immer Kommissar für Finanzen, Amigo! Wenn er keine Touristendevisen mehr hat, wird er dich in tausend Fetzen reißen!“ „Was sollen wir denn machen?“ fragt der Dicke ratlos. „Wir werden mit dem amerikanischen Polizeiagenten zusammenarbeiten! Wenn der dann sieht, daß wir ihm hellen, wird der schöne Berichte in sein Land schicken. Und dann werden die Gringos auch gutgelaunt sein, wenn wir kein Resultat erzielen! Außerdem habe ich eine Idee! Wir werden überall auf Kosten der Gringos Plakate aushängen und ebenfalls auf Kosten der Gringoregierung eine Belohnung auf das Einbringen des vermißten Ingenieurs aussetzen!“ „Die meisten können doch gar nicht lesen, Amigo!“ winkt der Dicke traurig ab. „Sie werden sich das Bild ansehen, und damit ist es aus. Den Text lesen sie nicht! Und wenn sie den Gringo wirklich finden, dann erinnern sie sich an das Plakat, das sie für einen Steckbrief hielten. Man wird uns den armen Ingenieur als Leiche bringen!“ 11
„Bien, dann erkundige dich nach der Adresse des Americanos, der hier als Polizeiagent arbeiten soll! Ich will mich mit ihm in Verbindung setzen!“ „Du bist auch so ’n ehrgeiziger junger Hammel!“ stellt der Dicke etwas resigniert fest. „Hast du noch nicht genug Gehalt als Leutnant? Willst du unbedingt Capitan werden?“ „General!“ lacht der Gendarm und geht. *
* *
Vier Tage später. Billy Jenkins hat sich einen Tag bei Don Enrico aufgehalten und in dem Kreolen einen liebenswürdigen Gastgeber kennengelernt. Von dem Mayordomo der riesigen Besitzung hat er später etwas genauere Einzelheiten über den vermißten Ingenieur erfahren und vor allem, wohin der gesuchte Amerikaner von hier aus hingeritten ist. So wertvoll für Billy diese Fingerzeige waren: bald stellt sich heraus, daß der gesuchte Ingenieur seinen geplanten Weg nicht eingehalten hat. Wieder steht Billy vor einem Rätsel. Das kleine Dorf, das er nun erreichte, ist von dem Ingenieur nie betreten worden, obgleich er es vorgehabt haben sollte, hier zu rasten. Niemand kennt den amerikanischen Techniker, niemand weiß etwas von seinem Aufenthaltsort. „Er ist in die Berge, nehme ich an!“ sagt der glatzköpfige Alcalde zu Billy. „Sonst müßte doch jemand in der Umgegend etwas von ihm gesehen haben!“ Billy nickt resigniert. Der Alcalde dreht seine Schnurrbartspitzen zusammen und blickt Billy nachdenklich an. „Wenn Sie bis morgen warten, Señor, werden Sie mit dem Leutnant Felipe Molinero zusammentreffen. Der Leutnant ist ein erstklassiger Banditenjäger. Er hat schon die heftigsten Kämpfe mit Bandoleros ausgefochten. 12
Die Kerle fürchten ihn wie Gift. Er wird morgen hier ankommen, und wie ich hörte, sucht auch er im Auftrage der Guardia Rural nach Ihrem Landsmann.“ Billy blickt den Bürgermeister erstaunt an. Das ist endlich einmal eine erfreuliche Nachricht. Also tun die mexikanischen Behörden doch etwas. Doch er verspricht sich nicht allzu viel davon; denn er kennt das Phlegma der Mexikaner in diesen Dingen, vor allem, da es sich bei dem Gesuchten um einen Nordamerikaner handelt, die hier ohnehin nicht, sehr beliebt sind. „Gut, ich werde auf den Leutnant warten!“ sagt Billy und beschließ!, die Nacht hier zuzubringen. *
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Am nächsten Tage lernt Billy Jenkins den draufgängerischen Leutnant Felipe Molinero kennen. Felipe, der noch vorhat, einst als General der Rurales in die Landeshauptstadt einzuziehen, macht auf Billy sofort einen guten Eindruck. Aber das beruht auf Gegenseitigkeit. Felipe findet Gefallen an dem blonden Amerikaner. Während der Unterhaltung erzählt Billy von Don Enrico, jenem Gutsbesitzer, der ihn so freundlich aufnahm, Doch da hebt Felipo plötzlich den Kopf. „Was sagst du, Amigo? Er war freundlich zu dir?“ fragt er erstaunt. Billy nickt und blickt Felipo verwundert an. Der Leutnant pfeift durch die Zähne „Da stimmt was nicht! Lieber Kollege aus Amerika: das ist ein dicker Fisch!“ Billy macht noch immer ein verständnisloses Gesicht, denn er kann sich nicht zusammenreimen, worauf Felipo hinaus will. „Es ist so, Amigo“, erklärt nun Felipo. „Don Enrico haßt jeden Gringo, Verzeihung, wollte sagen Americano, wie die Pest! 13
Wenn er zu dir freundlich war, so wird das einen Grund haben! Was meinst du, Billyo, wenn wir ihn noch einmal gemeinsam besuchen?“ Billy Jenkins überlegt. Dieser drahtige Leutnant scheint mächtig auf dem Posten zu sein. Schließlich wird er auch Land und Leute am besten kennen, besser, als es ein Ausländer jemals kann. „Wieso ist er ein Todfeind der Nordamerikaner?“ will Billy wissen. „Ay, ich weiß nicht warum, aber er ist es, und das weiß der gesamte Bezirk! Schließlich ist er in der nationalen Partei! Seit sechs Jahren will er Gouverneur werden, aber bis heute hat er’s nie geschafft. Die Leute mögen ihn nicht sehr und wählen die Sozialisten. Du weißt, daß die Indios arme Kerle sind und das glauben, was ihnen die Redner predigen!“ „Würdest du ihn wählen?“ fragt Billy so nebenher. Ohne zu zögern, antwortet Felipo: „Nein! Er ist mir zu sehr auf seinen Vorteil bedacht! Und wenn ich das schon vorher weiß, wähle ich so einen nicht!“ „Wieso ist er auf seinen Vorteil bedacht?“ horcht Billy auf. Er hat einen Anhaltspunkt entdeckt und beginnt ein altbewährtes Schema anzuwenden. Felipo zögert etwas, bevor er sagt: „Er hat sehr viel Land. Aber es ist nicht genau festzustellen, ob er es ehrlich erworben hat. Fest steht, eins: Don Enrico hat irgendeine Geldquelle im Hintergrund, die ihn finanziert, ihn und seine Wahlkämpfe.“ „Wer, glaubst du, daß es ist?“ fragt Billy interessiert. „Vielleicht mexikanische Ölmagnaten? Vielleicht auch die Gruppe der oberen Zehntausend, wer weiß, Compadre?“ Felipo zuckt resigniert die Schultern. „Und welches Interesse könnte er haben, daß der Ingenieur verschwindet?“ überlegt Billy. „Vielleicht war dein Landsmann etwas zu tüchtig und hat schon irgendeinen Anhaltspunkt, wo er Metalle finden kann?“ 14
Billy schüttelt den Kopf. „Es ist anders! Nach außen täuscht der Ingenieur allen den Goldsucher vor. In Wirklichkeit soll er im Auftrage seiner Gesellschaft feststellen, wie groß die Ausbeute der staatlichen Minen in der Sierra Madre ist. Felipo, ich sage es zu dir, weil ich dir vertraue! Du kennst den Konkurrenzkampf der großen Wirtschaftsgruppen. Wir sind zu klein und schwach, um da mitzumischen. Es ist ein unerhört heißes Eisen, zumal auch hier noch der heißblütige Patriotismus deiner Landsleute dazukommt!“ „Wir suchen nach dem Ingenieur!“ sagt Felipo entschlossen. „Was er tut und zu tun hatte, ist mir völlig gleich. Mein Auftrag vom Polizeipräfekten lautet: einen amerikanischen Ingenieur suchen, der verschollen ist! Also, Amigo, was geht es mich an, was er dort tut? Es ist mir völlig egal!“ Billy sieht, daß er mit diesem jungen Offizier einen unerhörten Glückstreffer gemacht hat. Lachend schütteln sich die beiden äußerlich so verschiedenen Männer die Hand. Felipo wendet sich um und geht mit langen Schritten aus dem Raum. Draußen ruft er nach seinen Leuten. „Heh, Männer!“ sagt er in kurzen knappen Worten zu den zwölf verwegenen Gendarmen, die ihn wie einen Helden anstarren. „Immer zwei Mann reiten zusammen und verteilen sich in sechs Ortschaften am Rande der Sierra. Ich zeige es euch auf der Karte! Ihr müßt untereinander in Verbindung bleiben! Der amerikanische Capitan und ich reiten in die Berge und werden nach dem Gringo suchen, der verschwunden ist! Ihr wißt, Männer, daß Miguel Zafiro mit seiner Bande die Berge unsicher macht! Ihr wißt auch, daß in El Oro Oberst Valldoid mit tausend Soldaten bereitsteht, um zuzuschlagen, wenn Miguel Zafiro in seine Falle läuft! Haltet mit ihm Verbindung, damit wir Hilfe haben, falls uns die Bergbanditen in die Quere kommen. Wenn sie nicht angreifen, kümmert ihr euch nicht um sie! Unser Ziel ist es, den verschwundenen Gringo wieder herbeizuschaffen!“ 15
Die Rurales, furchtlose und harte Gendarmen, murmeln Beifall. Diese Truppe, die zu einer der besten Gendarmerieeinheiten der Welt gehört und rein militärisch aufgezogen ist, genießt in Mexiko keinen besonders guten Ruf. Die Rücksichtslosigkeit, mit der die Rurales gegen Bandoleros vorgehen, hat ihnen den Haß der unteren Volksschichten eingebracht. Dennoch haben diese Männer schier Unmögliches möglich gemacht. Allein auf sich gestellt, halten mitunter zwei dieser „Kosaken Mexikos“ Landstriche unter Kontrolle, die in anderen bedeutend zivilisierteren Ländern von einem ganzen Bataillon Polizei besetzt sind. Nirgends ist die Banditenpest so mächtig wie in Mexiko, und dennoch haben die Rurales diese Landplage auf ein verhältnismäßig übersichtliches Maß herabgedrückt. Nach den Methoden darf man nicht fragen. Diese Gedanken gehen Billy durch den Kopf, als er hinter Felipo steht und auf die verwegene Schar der Rurales blickt. Die schwarzen Anzüge, die goldverzierten Hüte mit den Nummern der Einheit und die krummen Reitersäbel geben diesen Männern schon nach außen einen furchterregenden Anblick. An den Gesichtern aber erkennt man, daß sie gnadenlos und unbarmherzig mit jedem Banditen kurzen Prozeß machen, wenn sie ihn in ihre Gewalt gebracht haben. Billy weiß, daß ganze Banden vor zwei, drei Rurales die Flucht ergreifen. Felipo zeigt seinen Leuten auf der Karte die Punkte, wo sie sich bereithalten sollen. Dann gibt er den Befehl zum Aufbruch. Wenige Augenblicke später brausen die zwölf Reiter wie die wilde Jagd aus dem Ort. Eine dichte Staubwolke senkt sich langsam auf die lehmige Straße. „Und wir werden uns erst einmal diesem Don Enrico widmen!“ schlägt Billy vor. Felipo ist einverstanden. Etwas später reiten sie los. 16
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Der Haziendero Don Enrico empfängt die beiden Reiter mit aller Freundschaft, wie es in diesem Lande nun einmal üblich ist. Nachdem sich die beiden Gäste gewaschen und erfrischt haben, sitzen sie mit Don Enrico bei einem kleinen Imbiß und unterhalten sich wie Freunde. Weder Billy noch Felipo lassen sich etwas davon merken, daß sie den Grundbesitzer im Verdacht haben, an dem Verschwinden des amerikanischen Ingenieurs irgendwie beteiligt zu sein. Don Enrico scheint nichts von diesen Dingen zu ahnen. „Wohin werden Sie später reiten?“ erkundigt er sich höflich. „Wir haben einen amerikanischen Banditen im Auge, den müssen wir suchen!“ erklärt Felipo. „Dieser Señor hier“, er zeigt auf Billy, „ist ein amerikanischer Polizeibeamter! Er sucht nach einem Landsmann, der angab, Ingenieur zu sein, es aber gar nicht ist. In Wirklichkeit hat dieser gesuchte Gringo ein Verbrechen in den Staaten verübt und wird gesucht!“ Während Felipo diese bereits abgesprochenen Worte sagt, beobachtet Billy das Gesicht Don Enricos. Doch der Gutsbesitzer zeigt mit keiner Miene, daß er etwas weiß. Billy kommt zu dem Schluß, daß der Mann entweder ein großartiger Schauspieler oder aber ein grundlos Verdächtigter ist. „Aha“, erwidert Don Enrico lächelnd, „da suchten Sie also schon dieser Tage nach dem Ingenieur? Deshalb waren Sie auch an seinem Aussehen so interessiert? Warum haben Sie’s mir nicht gleich gesagt? Vielleicht hätte ich Ihnen hellen können!“ „Das können Sie jetzt noch, Don Enrico!“ erwidert Billy ernst. Der Viehzüchter lächelt etwas hintergründig. „Si, si, Señor! Das werde ich auch!“ erwidert er. Dann erhebt er sich und ruft nach einem Bediensteten. „Bring noch von dem guten Wein, du weißt schon, dem dunklen!“ 17
Der Peon verschwindet wieder, und die Unterhaltung geht weiter. „Eine schöne Hazienda!“ meint Billy anerkennend. „Sehr solide!“ Er mustert die stabilen Mauern des Innenhofes, in dem sie sitzen. Die Fenster des Hauses sind nach spanischem Baustil vergittert und verziert. Es gibt nur eine Tür zum Innenhof; sie führt ins Herrenhaus. Wie bei einer Burg schließen sich die Gebäude lückenlos um den Hof herum und werfen einen kühlen Schatten. Don Enrico erhebt sich lächelnd. „Ich muß doch sehen, wo dieser Kerl mit dem Wein bleibt! Bitte entschuldigen Sie mich!“ sagt er und verbeugt sich leicht vor Billy und dem Leutnant der Rurales. Dann geht er mit langen Schritten zur Tür und verschwindet im Haus. Billy hat plötzlich das Gefühl großer Gefahr. Auch Felipo wird unruhig und mustert die Fenster des Innenhofes mißtrauisch. Auf einmal sieht Billy überall an den Fenstern Gestalten auftauchen. Schnell springt er auf. Felipo hat es ebenfalls gesehen und weiß Bescheid. Mit wenigen Sprüngen hasten sie zur Tür, doch die ist verschlossen. Billy wirft sich dagegen, aber wie er selbst festgestellt hatte, ist dieses Haus sehr solide. Die Tür gibt nicht einen Zoll nach. Jetzt schieben sich überall zwischen den Gittern Gewehre hervor. Dahinter sieht man die weißgekleideten Gestalten, die Billy und Felipo schon bei ihrer Ankunft vor dem Hause gesehen hatten. Ganz oben sind keine Fenstergitter am Haus. Und da beugt sich plötzlich Don Enrico heraus und lacht schallend. „Hahaha! Ihr seid in der Falle, Freunde! Legt eure Waffen ab und hebt die Hände! Sonst schießen wir euch hier zusammen! Schnüffler kann ich nicht gebrauchen! Und Sie, Leutnant, müssen es büßen, mit einem Gringo zusammenzuarbeiten!“ Weder Billy noch Felipo empfinden Furcht vor den Drohun18
gen Don Enricos. Aber es überkommt sie eine maßlose Wut auf diesen hinterhältigen Haziendero. „Callate la boca! Porca de mierde! Halt dein Maul, Dreckskerl!“ schimpft Felipo. „Dafür wirst du bald ein armer Mann sein und einen Platz am Ast eines Baumes finden!“ Don Enrico zeigt sich wenig beeindruckt. „Du irrst, Amigo mio!“ ruft er vom Fenster herunter. „Schon morgen bist du wieder frei! Dann wirst du von deiner Dienststelle einen Auftrag nach dem Süden bekommen und tausend Meilen von hier weg sein! Mir geschieht gar nichts, Freundchen! Deinem Freund mit dem Strohkopf, diesem Gringo de mierda aber, werde ich schön in Verwahrung nehmen und für das bestrafen, was die dreckigen Gringos der mexikanischen Nation angetan haben!“ Felipo zuckt die Schultern. „Er ist wahnsinnig!“ sagt er gleichgültig zu Billy. Billy Jenkins sieht, daß sie keine Chance haben. Überall starren die Mündungen der Gewehre von den Fenstern auf sie herunter. „Legt die Waffen nieder, sonst schießen wir!“ fordert sie Don Enrico auf. Es bleibt den beiden Männern tatsächlich keine andere Wahl, als ihre Waffen abzulegen und die Hände zu heben. Sofort öffnet sich die Tür, und eine Menge Männer schieben sich mit vorgehaltenen Gewehren in den Hof. Felipo und Billy haben den gleichen Gedanken. Als die Bewaffneten dicht vor ihnen sind, springen sie vor und reißen dem ersten das Gewehr aus der Hand, ziehen den erschreckten Mexikaner an sich heran und schleudern ihn gemeinsam gegen die übrigen Männer. Dann laufen sie zur Tür. Oben traut sich niemand von den Fenstern aus zu schießen, weil die Männer im Hofe getroffen werden könnten. Die Freunde aber sind schon in der Türöffnung. Doch sie haben kein Glück. 19
Dicht hinter der Tür lauert eine Gestalt und schleudert ihnen eine beißende Flüssigkeit ins Gesicht. Nur einen Moment stoppen die Freunde in ihrem Lauf ab und versuchen etwas zu sehen. Das Zeug beißt in den Augen, und sie können kaum etwas erkennen. Und dieses Zögern wird ihnen zum Verhängnis. Billy spürt einen harten Schlag auf dem Kopf, dann sinkt er bewußtlos zusammen. Felipo werden die Beine weggezogen. Jemand schlägt ihm auf die Schulter. Als er stürzt, schlägt er mit dem Kopf an die Hauswand und verliert ebenfalls die Besinnung. *
* *
Im Festsaal der Stadt Culiacan in der mexikanischen Provinz Sinaloa haben sich die oberen Schichten der Bevölkerung zu einem Ball versammelt. Polizeipräfekt Juan Sylva de Balezza unterhält sich sehr angeregt mit dem nordamerikanischen Konsul. Beide stehen an dem Kaltbuffet und schauen dem Treiben und Tanzen zu. „… ein sehr tüchtiger Mann, den Sie uns da geschickt haben!“ meint der etwas arrogante Präfekt gerade, „Dieser Señor Jenkins ist uns kein Unbekannter. Aber wie ich schon sagte, haben wir noch gar nichts von ihm gehört!“ Im Gegensatz zu dem hageren Präfekten ist der Konsul ein kleiner, dicklicher, aber sehr lebhafter Mann. Sein Kopf ist gerötet, und laufend wischt er sich seine spiegelnde Glatze ab. Die Luft ist schwül und drückend im Saale. Trotzdem ist der Konsul nicht ohne Grund zu dieser Veranstaltung gekommen. „Don Juan Sylva“, sagt er ernst, „ich halte es für meine Pflicht als staatlicher Beamter der USA, nach dem Verbleib meines Landsmannes zu forschen. Sie haben seit Wochen keine Nachricht von Captain Jenkins erhalten. Nun, ich auch nicht! Was ist 20
mit den Rurales, die Sie mit Captain Jenkins einsetzen wollten?“ „Davon habe ich auch noch keine Meldungen, Exzellenz!“ behauptet der Präfekt achselzuckend. „Aber was reden wir hier auf diesem herrlichen Fest von so unerfreulichen Dingen. Kommen Sie, Exzellenz! Wir wollen uns den hübschen Damen widmen!“ fügt der Präfekt hinzu und faßt den Konsul unter. „Einen kleinen Augenblick noch!“ sagt der dicke Konsul zögernd. „Hier geht es um Menschen, die sich auf mich verlassen! Señor Präfekt, ich muß Sie noch etwas fragen!“ Der Polizeichef der Provinz blickt den kleinen, dicken und temperamentvollen Amerikaner etwas wehleidig an. ‚Oh, diese Gringos!’ denkt er. ‚Sie haben nur immer diese blödsinnigen Pflichten im Kopf, genau wie dieser junge Leutnant der Rurales, der noch General werden will!’ „Ich möchte mich selbst um die Sache kümmern! Wo hat Captain Jenkins Ihre Rurales getroffen, und wo begannen die Leute ihre Suche nach dem Ingenieur?“ Der Präfekt ringt die Hände. „Lieber, guter Mann! Wie soll ich Ihnen das hier auf diesem so schönen Fest sagen! Wollen wir nicht morgen darüber reden?“ Er lauscht zur Musik hinüber, die gerade einen Flamingo spielt. „Fragen Sie meinen Sekretär, wenn Sie es noch heute wissen wollen, Exzellenz! Ich bedaure, daß ich mich nun meinen Damen widmen muß!“ Mit diesen Worten verschwindet er, sich noch einige Male verbeugend, in dem Getümmel der Tanzenden. Der Konsul zuckt die Schultern. „Faules Gesindel!“ murmelt er und geht zum Ausgang. Etwas später trifft er den Sekretär und erhält Auskunft darüber, wo Billy und die Rurales sich trafen. Sonst kann er nichts erfahren. „Und der Leutnant ist noch immer mit Captain Jenkins zusammen?“ fragt der Konsul den Sekretär. „Aber woher? Der Leutnant ist doch jetzt in Campeche, un21
ten im Süden auf der Halbinsel Yucatan! Er ist dort in einem Strafgefangenenlager!“ Jetzt wird der Konsul stutzig. „Wieso?“ Der Sekretär weiß nicht, daß sein Vorgesetzter ihn wahrscheinlich sofort entlassen hätte, wenn er wüßte, was der Konsul gerade erfährt. „Man hat Felipo strafversetzt. Felipo ist mein Freund. Er ist sehr ehrgeizig aber zu tüchtig. Er hat seine Nase etwas zu weit in irgend welche heiklen Dinge gesteckt. Nun hat man ihn plötzlich zurückberufen und versetzt!“ „Wer unterstützt Captain Jenkins jetzt?“ fragt der Konsul aufgebracht. Der Sekretär zuckt die Schultern. Der Konsul weiß genug. „Sagen Sie keinem etwas, es wäre für Sie zum Schaden!“ befiehlt er dem Mexikaner. „Ihr Reden kann tödlich sein!“ Hastig zieht der Konsul seinen Mantel an, denn die Nächte draußen sind kühl. Dann winkt er seinen Chauffeur heran, springt in den Fond des Wagens und gibt das Zeichen zur Abfahrt. „Zur Bahnstation! Ich muß telegrafieren!“ sagt er zu dem Fahrer. Der Texaner grinst, schiebt seinen Kaugummi in die andere Backe und fährt los. Pärchen, die engumschlungen in der Nähe des Hauses standen, springen entsetzt zur Seite, als der Wagen wie eine Rakete an ihnen vorübersaust. Minuten später telegrafiert der Konsul nach Phoenix, Arizona: „Colonel brown, phoenix state department stop absendet sofort mehrere beamte nach copalquin Sierra madre stop jenkins ohne hilfe auf suche nach bob flyder stop mexikaner unterstützen nicht stop consul kelly.“ *
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Das Telegramm erreicht Colonel Brown gegen drei Uhr nachts. Der Oberst liest es und handelt, ohne eine Minute zu verlieren. Im Schlafanzug, nur einen Mantel übergeworfen, studiert er die Karte im Arbeitszimmer. Er braucht eine Viertelstunde, dann ist sein Plan fertig. Er geht zum Telefon und gibt einige Depeschen auf. Eine Stunde später liegt er wieder in seinem Bett und versucht zu schlafen. Die Fahndung aber beginnt zu laufen. *
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Auf der Herz-Ranch kommt gegen Mittag des nächsten Tages im heulenden Sturm ein Reiter an. Seine Kleidung und das Fell des Pferdes sind voller Schnee und Eis. Es ist der Postreiter aus Cortez. Der athletische Dick Hanson liest die Depesche, die Colonel Brown an ihn schickte. Während sich der Postreiter am Kaminfeuer wärmt und sein Pferd in dem warmen Stall zu fressen bekommt, liest Dick Hanson seinen Freunden das Telegramm vor. Mit unbewegten Gesichtern lauschen Jim Chester und Scott O’Brien. Aber auch die übrigen Männer im Raume schweigen andächtig, während Dick in seiner ruhigen Art vorliest. „Sergeanten Hanson, Chester und O’Brien sofort nach Copalquin in Marsch setzen! Captain Jenkins in Not!“ Dick schnauft schwer. Dann aber sieht er mit wildem Blick auf seine Freunde. „Ich habe es gleich gesagt, daß es ein Wahnsinn ist, allein in diese Banditenhölle zu gehen! Aber laßt nur, Jungens, wir werden unsern Billy aus dem Dreck holen!“ Jim und Scott blicken grimmig und nicken nur. Zwei Stunden später verlassen Dick, Jim und Scott mit sechs Pferden die schneeverwehte Ranch. 23
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Man hat Billy Jenkins in den Keller der Hazienda gesperrt. Im Nebenkeller war Felipo untergebracht. Aber nicht lange. Schon am zweiten Tage der Gefangenschaft hörte Billy, daß man Felipo den Gang entlangführte. Den ganzen Tag hatten sich die beiden Gefangenen durch Klopfzeichen verständigt. Nun war es zu Ende. Billy hat sich vergeblich nach einer Fluchtmöglichkeit umgesehen. Im Raum ist kein Fenster; es ist stockfinster. Nur durch die Türritzen kommt ein dünner Lichtstreifen und auch nur dann, wenn vorn im Kellergang die Tür geöffnet wird. Zu essen und zu trinken bekommt Billy reichlich. Man gibt es ihm durch eine Klappe in der Tür genau wie in einem Gefängnis. Nie betritt ein Wächter allein den Gang im Keller. Immer sind sie zu dritt und schwerbewaffnet. – – – Eine Woche vergeht, und noch immer hat Billy keine Chance, zu entkommen, gehabt. Anfangs hoffte er auf ein Verhör, das ihn wieder mit Don Enrico zusammenbringen würde. Vielleicht wäre es eine Möglichkeit gewesen, zu fliehen. Aber man kümmert sich nicht um den Gefangenen, wenn man ihn auch verpflegt; doch das ist alles. Nicht einmal Wasser zum Waschen hat Billy. Seine Augen, die sich von der ätzenden Flüssigkeit etwas entzündet hatten, sind wieder völlig in Ordnung. Auch die mächtige Beule auf dem Kopf ist nicht mehr zu spüren. Billy grübelt und überlegt, aber er kann sich die Zusammenhänge dieses teuflischen Spiels noch nicht richtig zusammenreimen. Er hält Don Enrico für einen verrückten Patrioten, der sich nur an einem Nordamerikaner für das rächen will, was Billys Landsleute den Mexikanern angeblich angetan haben. Daß die meisten der Mexikaner auf die Yankees schlecht zu spre24
chen sind, weiß Billy ohnehin. Die waren Hintergründe soll Billy aber bald erfahren. Am nächsten Morgen kommen etwa zehn Männer, über und über behangen mit Patronengurten und mit schweren Pistolen der Armee im Gürtel, in den. Keller und zwingen Billy, sich fesseln zu lassen. Billy versucht, eine Chance zu entdecken, aber es ist wirklich nichts zu machen. Innerlich rasend, aber äußerlich ruhig, läßt Billy sich die Hände fesseln. Dann wird er abgeführt. Als sie die Treppe hinauf auf den sonnenüberfluteten Hof kommen, schließt Billy, von der Helligkeit geblendet, die Augen. Im Hofe steht ein zweirädriger Ochsenkarren, über den eine Plane gespannt ist. Vier Ochsen stehen wiederkauend vor dem hochrädrigen Fahrzeug. Überall auf dem Hofe stehen Mexikaner mit Gewehren und lassen Billy nicht aus den Augen. Vor dem Ochsenkarren muß Billy stehenbleiben und sich die Füße fesseln lassen. Dann packen ihn vier kräftige Indios und heben ihn auf den Wagen. Vergeblich hat Billy nach dem Haziendero Don Enrico ausgeschaut. Doch jetzt sieht er ihn aus dem Wohnhaus kommen. Im schwarzen, goldbetreßten Charroanzug, die Reitpeitsche lässig gegen die Stiefel schlagend, kommt der Viehzüchter über den Hof. Sein Gesicht ist zu einem verächtlichen Grinsen verzerrt. „Schöne Grüße von Ihrem Freund, dem Leutnant!“ sagt er höhnisch. „Der gute Felipo hat sich die Halbinsel Yucatan als neue Arbeitsstätte ausgesucht! Mitten im Urwald ist er in einem Gefängnis für Schwerverbrecher und schiebt seinen Dienst! Wird ihm gut stehen. Und Sie, mein Herzensfreund, Sie werden nun einmal kennenlernen, was es heißt, sich als Gringo in eine mexikanische Angelegenheit zu mischen!“ „Sooo?“ fragt Billy gedehnt. „Ich denke, Sie machen da ’nen mächtigen Fehler! Wird euch Greasern ’ne Menge Ärger einbringen!“ 25
„Keine Angst, Jenkins!“ erwidert Don Enrico spöttisch. „Wir werden Ihnen kein Haar krümmen! Sie werden auch gut zu essen haben. Aber wir lassen Sie arbeiten, bis Sie nicht mehr können! Und Sie werden viele alte Freunde wiedertreffen! Auch Ihren geliebten Ingenieur, der Sie in diese Sache hineingezogen hat. Viel Spaß! Gringo de mierda!“ fügt er noch verächtlich hinzu. Billy hat plötzlich Lust, in dieser Lage zu bleiben. Wer weiß, ob er so schnell den vermißten Ingenieur wiedergefunden hätte wie jetzt. Über sein Schicksal macht er sich keine unnötigen Gedanken. Im Augenblick ist er gespannt, unter welchen Umständen er den Ingenieur Flyder finden wird. Dann rumpelt der Wagen los. Die Plane ist zugezogen. Neben Billy hocken vier schwerbewaffnete Indios und blicken schweigend durch die Schlitze der Plane ins Freie. Gemächlich und ohne jegliche Hast wackelt das Fahrzeug durch die Landschaft. Ab und zu hört Billy das Fluchen der Ochsentreiber oder das Lachen der Männer, die neben dem Wagen reiten. Unter der Plane herrscht mit der Zeit eine fürchterliche Hitze, doch nur Billy scheint sie zu empfinden, denn die vier Indios zeigen keinerlei Ermüdung. Billy kennt die mexikanischen Indios. Sie sind anders als die übrigen Mexikaner, die sich ja hauptsächlich aus einer Mischung von Spaniern und Indianern zusammensetzen. Im Gegensatz zu ihnen ist der Indio zwar von Natur rauh und grausam, hat aber entschieden mehr Gemüt und Seele. Schon nach einer Stunde unterhalten sich die Indios in ihrem Dialekt, den Billy aber nicht versteht. Dann zieht einer der Männer Frijoles aus seiner Tasche und bietet sie auch Billy an. Billys Hände sind gefesselt. Er kann zwar sagen, daß er die Pastete annehmen will, aber er kann sie nicht essen. Die Indios wechseln einige Worte in ihrer Sprache, dann öff26
net einer von ihnen die Fesseln an Billys Händen. „Du darfst uns aber keinen Ärger machen, Amigo! Sonst werden uns Don Enricos Vaqueros ein Köpfchen kürzer machen!“ sagt er zu Billy. „So, nun iß, Companero!“ Billy ißt und lehnt auch den bitteren Matetee nicht ab, den ihm die Männer anbieten. Zwar ist der ausgehöhlte Kürbis, in dem sich der Tee befindet, über und über dreckig, auch das Saugröhrchen starrt vor Schmutz. Doch Billy achtet nicht darauf. „Was wird mit mir geschehen?“ fragt er die Indios. „Man wird dich jetzt in den Bergen arbeiten lassen, Amigo mio!“ erwidert einer der Indios bereitwillig. „Dort sind noch viele von deinen Brüdern. Ein paar sind schon seit dem letzten Sommer dort, andere wieder kamen später. Einmal strandete ein Schiff, und die Matrosen kamen in zwei Booten an Land. Don Enrico ließ sie gefangennehmen und in die Berge bringen. Die Matrosen sind alle groß und so blond wie du, Compadre!“ Billy beherrscht sich, als er fragt: „Warum tut Don Enrico solche Sachen? Das ist doch ein Verbrechen!“ Der Indio zieht die Schultern hoch! „Quien sabe? Wer weiß? Er sagt, daß er die Gringos nicht leiden kann. Aber die vom Schiff sind gar keine Gringos. Wie sie uns erzählten, kommen sie von einem Land, das weit drüben hinter dem Wasser liegt. Es soll viele Berge und viel Schnee da geben. Und ein halbes Jahr scheine die Sonne und das andere halbe Jahr wäre Nacht! Aber das glauben wir natürlich nicht. Sie werden sich einen Spaß gemacht haben!“ Billy lacht nicht. Er weiß, daß sich die Matrosen keinen Scherz mit den Indios erlaubten, sondern die Wahrheit sagten. „Es sind Norweger oder Schweden!“ erklärt Billy den erstaunten Indios, die ihn wie Kinder anblicken. „Dort ist wirklich ein halbes Jahr Tag und ein halbes Jahr Nacht. Am Christfest liegt dort hoher Schnee, und es wird gar nicht hell.“ 27
Die Indios lachen plötzlich. „Jetzt lügst du aber auch, Amigo!“ ruft der eine lachend. „Zum Christusfest ist es doch nicht kalt! Da ist hier die Sonne heiß!“ „Ja, hier ist es so, aber im Norden nicht!“ belehrt sie Billy. Er sieht aber an ihren Gesichtern, daß sie ihm nicht glauben wollen. Sie debattieren noch eine ganze Zeit in ihrem Dialekt, schütteln aber die Köpfe. Was der blonde Gringo da erzählt, geht nicht in ihre Hirne hinein. Wie kann denn zum Christfest Kälte herrschen, wo doch gerade da die heißen Tage sind? Nein, der Blonde hat sich einen kleinen Scherz gemacht, aber sie wollen es ihm nicht nachtragen. Billy ist hartnäckig. „Wer bewacht denn die Gefangenen?“ „Soldaten!“ erwidern die Indios gleichzeitig. „Was? Soldaten?“ fragt Billy erstaunt. „Si, si! Soldaten! Sie sind von Don Enricos Regiment!“ „Ja, zum Teufel, dann ist der Staat ja selbst ein Verbrecher!“ ruft Billy überrascht. „Wie kommt denn Don Enrico an die Soldaten?“ „Don Enrico ist Oberst in der Armee. Er hat ein Regiment, das er führt, verpflegt und ausrüstet. Es ist so in Mexiko, daß die reichen Leute die Armee erhalten müssen. Wer viel Land hat, muß ein Regiment unterhalten. Aber es sind keine Staatstruppen. Es sind nur Provinztruppen.“ Billy kennt den Unterschied: Provinztruppen unterstehen dem Gouverneur, Staatstruppen dem Präsidenten der Republik. – Gegen Abend wird eine Wasserstelle als Rastplatz gewählt. Billy wird ausgeladen. Niemand ist irgendwie gemein zu ihm, sondern alle, auch die verwegenen Vaqueros, die als Begleitwache mitreiten, unterhalten sich sehr freundschaftlich mit ihm. Zum Essen löst man ihm alle Fesseln, bewacht ihn aber scharf. Keiner der Männer macht den Eindruck eines üblen Banditen. Zwar sind sie mehr oder weniger verwegen und zerlumpt gekleidet, aber sie lachen, singen und unterhalten sich völlig normal 28
und zeigen auch keinerlei Haß und Verachtung dem Gefangenen gegenüber. Trotzdem lassen sie Billy nicht aus den Augen. Billy Jenkins unterhält sich mit einem Vaquero, der im Verhältnis zu den anderen Bewachern gut gekleidet ist und einen sehr anständigen Eindruck macht. Als Billy ihm die Frage vorlegt, warum er eigentlich ihr Gefangener ist und so scharf bewacht wird, obgleich alle zu ihm freundlich sind, erwidert der Vaquero lachend: „Oh, Amigo mio, das ist typisch für euch Gringos. Ihr versteht uns Mexikaner überhaupt nicht. Ich war einmal bei euch in den Estados Unidos. Haha, da ist ein Sheriff gewesen. Heute war er noch gut Freund mit einem Cowboy und hat mit ihm getrunken. Am anderen Tag schoß der Cowboy einen anderen Mann tot, und der Sheriff mußte den Mörder holen. Was machte er? Er war roh und böse zu dem Manne, mit dem er einst getrunken hatte. Wir sind anders. Warum sollen wir mit dir böse sein? Du mußt von uns in das Berglager gebracht werden … und damit gut. Das können wir genauso, wenn wir dich freundlich behandeln. Ins Berglager kommst du so und so! Schließlich sind wir fünfzehn Mann, und du bist allein. Claro?“ „Seid ihr Banditen oder was sonst?“ fragt Billy und weiß, daß er eine kitzlige Frage gestellt hat. Doch der Vaquero scheint eiserne Nerven zu haben. Er ist keinesfalls beleidigt. Lachend erwidert er: „Aber woher, Amigo? Das ist wieder typisch für euch. Wir sind keine Bandoleros! Wir sind Anhänger Don Enricos, der den Posten des Gouverneurs übernehmen will. Und daß er diesen Posten übernehmen wird, dafür sorgen wir! Aber eure Regierung hat kein Interesse an Don Enrico, weil er proklamiert hat, daß er euch die Ölverträge kündigen will. Und deshalb wird Don Enrico von euren Agenten bekämpft. Daher fangen wir alle verdächtigen Gringos ab und stecken sie in die Berge. Sie müssen arbeiten, aber sonst fehlt ihnen nichts!“ 29
„Das ist doch ein ausgemachter Unsinn!“ erwidert Billy. „Niemand in den USA kümmert sich um euern Gouverneur und den, der es einmal werden will!“ „Denke, was dir gefällt, Amigo! Wir tun das gleiche!“ antwortet der Mexikaner mit vielsagendem Lächeln. *
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Wenn die Polizeileitung in Culiacan glaubt, daß der Leutnant der Rurales Felipo Molinero in Campeche Dienst tut, dann ist das ein verhängnisvoller Irrtum. Felipo kommt nie in Campeche an. Dafür reitet er jetzt auf den Spuren des Ochsengespanns und beschließt, in einem Dorf zu rasten, das die Karrenkolonne am Tage vorher passiert hat. Felipo trägt nicht mehr die schmucke Uniform der Rurales. Jetzt gleicht er einem halbwilden Vaquero. Doch sein Pferd ist noch dasselbe, und ein zweites Tier geht an seiner Seite: Billys „Fellow“, den er aus Don Enricos Koppel bei Nacht gestohlen hat. Nun, Felipo macht sich deshalb keine Vorwürfe, denn dieses herrliche Tier gehört ja auch nicht Don Enrico, sondern Billy Jenkins, und dem will er es einmal wiedergeben. Felipo ist Gendarm mit Leib und Seele. Ruhig hatte er die Strafversetzung entgegengenommen, nachdem ihn Don Enrico gefesselt in die Stadt hatte bringen lassen. Man warf dem Leutnant vor, auf Don Enricos Hazienda ein Mädchen verführt zu haben. Als er gegen diese infame Lüge protestieren wollte, ließ man ihn gar nicht zu Worte kommen, sondern schickte ihn nach Campeche. Doch Felipo dachte gar nicht daran, dem Befehl Folge zu leisten. Er merkte, daß Don Enrico auch auf der Polizeipräfektur seine Leute sitzen hatte, die für ihn arbeiteten, weil sie bestochen waren. Wie es schien, galt das auch für den Präfekten selbst. Aus diesem Grunde sagte sich Felipo von den 30
Rurales los und will nun auf eigene Faust das begonnene Werk beenden. Daß er dem blonden Freund helfen muß, ist ihm eine Ehrensache. In der Nähe der kleinen Ortschaft geht die Bahn vorüber, eine für mexikanische Verhältnisse seltene Erscheinung. Neben dem Bahnkörper laufen Drähte. Das bringt Felipo auf eine Idee. Felipo war Offizier und ist kein Dummkopf. Er weiß, wozu diese Drähte dienen. Er sucht nach einem Bahnwärterhaus, wo ein Telegraf stehn könnte. Aber weit und breit ist so etwas nicht zu entdecken, obgleich die Ortschaft in allernächster Nähe ist. Also reitet er, nachdem er seine Pferde in der Ortschaft getränkt und gefüttert hat, kurzerhand den Drähten nach. Etwa eine Meile hinter der Ortschaft findet er ein Bahnhaus. Hier müßte auch ein Telegraf stehen. Felipo steigt vor dem Hause ab und ruft nach dem Bahnwärter. Der Mann kommt hinter dem Hause hervor. Es ist ein Mestize. In der Hand hält er eine Hacke. „Que tal?“ fragt er. „Was gibt’s?“ „Ich muß telegrafieren, Alterchen!“ sagt Felipo. „Es ist etwas passiert mit einem Onkel von mir, Amigo!“ Der Bahnwärter schiebt seinen zerschlissenen Strohhut ins Genick und glotzt Felipo neugierig an. „Ist er krank, Brüderchen?“ fragt er interessiert. „Willst du einen Medico rufen?“ „No, noch viel schlimmer! Man hat ihn verschleppt!“ erwidert Felipo, der genau weiß, daß er diese Unterhaltung ertragen muß, wenn er sein Ziel erreichen will. „Bueno, dann werde ich telegrafieren! Ven aca! Komm hierher!“ Zusammen gehen sie ins Haus. Es stinkt nach faulem Obst und abgestandenem Agavensaft. In einem Raume spielen vier kleine Kinder. Wäsche hängt auf einer Leine quer durchs Zimmer, und allerlei Gerümpel bedeckt den Fußboden. Inmitten dieser Unordnung steht der Morseapparat. Obenauf 31
liegt eine verstümmelte Puppe, und an einem der Bedienungsknöpfe ist ein Strumpf aufgehängt. Der alte Bahnwärter stört sich nicht im geringsten an diesen Dingen. Er wirft die Puppe zur Seite, schmeißt den Strumpf auf den Boden und versucht, einen Stuhl so auf den Boden vor das Gerät zu setzen, daß die vier Beine nicht auf irgendeinem herumliegenden Gegenstand stehen. Dann aber beginnt er zu morsen. „Ich muß erst die Verbindung holen!“ meint er erklärend. Felipo nickt. „Die Depesche geht an die folgende Adresse: Brown, Phoenix State Departement S. P., hast du das?“ Der Alte nickt. Dann entdeckt Felipo aber, daß der Alte den amerikanischen Namen verkehrt gemorst hat. Er läßt die Anschrift richtig wiederholen. Nun geht es weiter im Text: „Jenkins verschleppt. Suche in Bellamadre beginnen. Felipo Molinero!“ Er wartet etwas. „Hast du das, Alterchen?“ fragt er. Der Alte nickt wieder. Doch diesmal hat er es richtig telegrafiert. „Kostet acht Pesos, Amigo! Die Depesche ging in die Estados Unidos; das ist immer sehr teuer!“ Der ehemalige Leutnant hat das nötige Geld. Der Alte ist maßlos erstaunt, als Felipo ihm die Summe, ohne zu handeln und ohne Widerspruch, auf den Tisch legt. So etwas ist der alte Bahnwärter nicht gewöhnt. Felipo bittet den Mann um Nachtquartier, das er anstandslos erhält. Um die große Neugierde seines Gastgebers zu befriedigen, erzählt er ihm ein Märchen von einem Onkel, den die bösen Gringos entführt hätten. Und das zieht. Der Alte glaubt es. Für Felipo ist das wichtig, weil ihm der Bahnwärter Schwierigkeiten machen könnte, zumal er den Morseapparat hat. Am nächsten Tage reitet Felipo nach Bellamadre zurück, das er am Abend vorher passierte. Er will hier auf die Ankunft des Amerikaners warten, der sicherlich bald hier eintreffen wird. Denn Felipo kennt die Methoden der Yankees auf Grund seiner Tätigkeit als Rural. Billy Jenkins hatte ihm zum großen Glück 32
auch diese Adresse gegeben, und nun soll das für ihn die Rettung sein. Billy hatte auch einmal gesagt „Wenn etwas schief geht, telegrafiere an diese Adresse. Sofort werden ein paar Jungens hierherkommen und uns helfen!“ Auf diese „Jungens“ wartet Felipe Weil er Zeit hat, putzt er die beiden Pferde und freut sich, Billys „Fellow“ pflegen zu können. *
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Billy Jenkins hat gar nicht die Absicht, zu fliehen. Er will jetzt sogar in jenes Lager kommen, das seiner Meinung nach die Lösung sämtlicher Rätsel bedeutet, die er sich bisher nicht erklären konnte. Außerdem erachtet er es für seine Pflicht, seine Landsleute, die nach den Erzählungen der Indios dort gefangen sind, auf irgendeinem Wege zu befreien. Eine ganz leise Hoffnung hegt er, daß Felipo, der junge Leutnant der Rurales, auf irgendeinem Wege Hilfe für ihn beschafft. Billy ist sich darüber klar, daß Felipo nicht allzuviel wagen kann, wenn er seinen Posten bei den Rurales nicht verlieren will. Daß der ehrgeizige Leutnant seine Karriere aus Idealismus opferte, ahnt Billy nicht. Nachdem die Ochsenkarre drei Tage gefahren ist, erreicht sie das Gebirge. Gegen Abend wird in einem Bergtal angehalten. Billy hört viele Stimmen, die unmöglich nur von den begleitenden Reitern stammen können. Die Indios, die mit ihm zusammen im Wagen hocken, erklären ihm, daß das Ziel erreicht sei. Die hintere Klappe wird geöffnet, und ein Vaquero befiehlt den Indios, die Beinfesseln des Gefangenen zu lösen. Billy erhebt sich und springt vom Wagen. Sofort stehen drei bewaffnete Mexikaner hinter ihm und weisen ihn an, zur Talmitte zu gehen. Jetzt erblickt Billy überall im Tale Soldaten. Er sieht die grü33
nen Bänder an den Hüten, ohne die man diese Männer eher für Banditen halten würde. Im Gegensatz zu den Bundestruppen haben die Provinzeinheiten keine Uniformen, sondern tragen die üblichen weißen Baumwollanzüge. Über der Brust gekreuzte Patronengurte und die Militärgewehre geben diesen Gestalten noch lange kein militärisches Aussehen. Die meisten von ihnen haben eine Machete, ein Haumesser, vorn im Gurt stecken. Alle tragen sie um den Strohhut grüne Bänder, und das läßt sie nach außen als Soldaten kenntlich werden. Schuhe haben nicht alle; die meisten tragen Sandalen. Es sind Indianer, Mestizen und sogar Halbneger unter diesen Gestalten. Viele von ihnen haben ihre Familie da, und die Frauen müssen für sie kochen, eine aus der mexikanischen Kriegsführung gar nicht wegzudenkende Erscheinung. Nur bei den regulären Bundestruppen, die kaserniert sind und graubraune Uniformen tragen, gibt es so etwas nicht. Aber die Masse der mexikanischen Armee setzt sich aus diesen Halbsoldaten zusammen. Tatsache ist sogar, daß bei Revolutionen und dergleichen die Bundestruppen nie jene entscheidende Rolle gespielt haben wie die halbwilden Krieger. Billy, der die Geschichte Mexikos kennt, weiß, daß diese Truppen praktisch nicht zu zerschlagen sind. Wie ein Häuflein Sand werden sie zwar zersprengt, sammeln sich aber immer wieder. Der Feind weiß nie, ob es harmlose Bauern sind oder Soldaten. Im Hintergrund des Tales erkennt Billy Baracken aus Lehmziegeln. Von den Gefangenen kann er vorerst nichts sehen. Zunächst wird Billy zu den Baracken geführt. Auf dem Wege dahin prägt er sich die Umgebung genau ein. In der zweiten Baracke weisen primitive Schilder auf ein „Hauptquartier“ hin. Billy muß trotz der ernsten Lage lächeln. Die Mexikaner an seiner Seite blicken ihn verwundert an, sagen aber nichts. Sie führen Billy in die Baracke hinein. Türen gibt es nicht, die Räume sind alle offen. 34
In einem „Fliegenparadies“ sitzt hinter einem primitiven Holztisch ein Offizier. Billy nimmt jedenfalls an, daß es einer ist, denn er trägt zu seinem Charroanzug einen Reitersäbel. Am Hut hat er einen Stern angeheftet. Ansonsten gleicht dieser Kerl eher einem Räuberhauptmann. Ein struppiger Schnauzbart und dichte schwarze Augenbrauen unterstreichen diesen Eindruck noch. Auf dem Tisch liegt eine Armeepistole, deren Lauf leicht angerostet ist. Das ist alles, was sich auf dem „Schreibtisch“ des „Offiziers“ befindet. Die Posten versuchen eine der Ehrenbezeugung ähnliche Bewegung zu machen, aber nach Billys Meinung wirkt es wie eine Groteske. „Sie heißen?“ fragt der Offizier plötzlich in tadellosem Amerikanisch. Billy ist so erstaunt, daß er den Inhalt der Frage gar nicht erfaßt hat. ‚Wo hat dieser Kerl ein so gutes Amerikanisch gelernt?’ überlegt er. „Wie heißen Sie?“ fragt der Offizier wieder. „Das wissen Sie doch genau!“ erwidert Billy ruhig. Das Gesicht des bärtigen Kerls verzieht sich wütend. „Ich habe Sie gefragt! Antworten Sie, sonst lasse ich Sie auspeitschen!“ Billy zweifelt nicht an der Wahrhaftigkeit dieser Drohung. Aber das erschreckt ihn nicht. „Gut, Sie sollen es hören! Ich bin Captain Jenkins der amerikanischen Special Police mit einem Sonderauftrag der mexikanischen Regierung! Was Sie hier tun, wird Ihnen mehr als nur die Stellung kosten!“ Auf den schnauzbärtigen Offizier macht das keinen Eindruck. „Hier bestimmt Don Enrico und nicht die Regierung! Nächstes Jahr sind wir die Regierung, verstanden? Und dann werden wir mit euch Gringos hier in Mexiko aufräumen! Ihr verdammten Blutsauger holt unser Gold, unser Öl und andere Sachen aus dem Lande!“ Er schlägt mit der Faust auf den Tisch. 35
„Das hört auf! Und wenn ich jeden Gringo einzeln einfangen müßte! Bleibt doch in euern verfluchten Estados Unidos! Dort werden unsere Landsleute wie Dreck behandelt! Wenn sie es wagen, eine amerikanische Frau anzusprechen, werden sie gelyncht! Ja, sagen Sie nichts! Ich war in diesem Höllenlande, ich weiß Bescheid!“ „Sie glauben doch nicht etwa, mit Ihrer Methode Erfolg zu haben?“ fragt Billy überlegen. „Das wird eine politische Aktion ergeben, wenn es aufgedeckt wird!“ „Wenn es aufgedeckt wird!“ höhnt der Mexikaner. „Aber das wird nicht der Fall sein! Dafür sorge ich!“ Er wendet sich an die Posten: „Führt diesen Höllensohn ins Lager! Wenn er nur den geringsten Fluchtversuch macht, erschießt ihn!“ „Adelante!“ sagt der eine Posten zu Billy und deutet auf die Türöffnung. Ohne den Offizier noch eines Blickes zu würdigen, verläßt Billy den Raum. Er ist gespannt, wie dieses Lager aussieht und wer sich darin befindet. Die Posten sind nicht so großzügig wie die Indios im Karren. Als Billy sie etwas fragt, antworten sie nicht. Es geht am Talende an einem Bach entlang in einen Canyon hinein. Die Schlucht ist schmal und tief in die Felsen eingeschnitten. Oben, etwa hundert Fuß hoch, auf dem Rande der Felswand, hocken Posten hinter einem veralteten Maschinengewehr. Sie können von dort aus den nur etwa zwanzig Schritt breiten Canyon gut unter Kontrolle halten. Immer am Bach entlang kommen sie schließlich in eine Verbreiterung des Canyons. Hier befindet sich eine kleine Grasfläche neben dem Wasser. Jetzt sieht Billy auch das Lager. Es besteht aus Höhlen, die in den Felsen eingesprengt wurden. Genau gegenüber stehen Posten mit Gewehren. Gefangene sieht Billy nicht. Auch wundert er sich über die wenigen Wachen. „So, hier bleibst du, Amigo!“ erklärt der eine Posten. „Wenn 36
du die Grasfläche verläßt, mußt du sterben! In einer der Höhlen kannst du schlafen. Vaya con dios, Compadre!“ Die Posten lösen Billys Handfesseln, drehen sich um, winken noch ihren Kumpanen zu, die auf der anderen Bachseite Wache stehen und gehen den Weg zurück. Billy steht ganz allein auf dieser Bachseite. Im Augenblick ist er etwas erstaunt. Er hatte eine Art Festung erwartet mit Stacheldraht und Scheinwerfern, aber nichts dergleichen ist zu sehen. Doch dann merkt er, daß diese Dinge hier gar nicht nötig sind. Ringsherum sind Felsen, die man nicht besteigen kann. Oben auf dem Rande liegen einige Posten und blicken herunter. Billy sieht nur die Gewehrläufe und weiß Bescheid. Wo er ins Tal gekommen ist, kann er nicht entfliehen, denn dort ist das Maschinengewehr. Nach der anderen Seite zu fliehen, erscheint ebenso sinnlos, denn dort wird der Canyon ebenfalls schmal und ist von einem einzigen Mann gegen viele Gegner zu halten. Bestimmt wird dort auch ein Maschinengewehr stehen. Was Billy dabei ärgert, ist, daß er in dem MG vorhin ein veraltetes US-Modell entdeckte. ‚Mit unseren eigenen Waffen werden wir hier bewacht!’ denkt er wütend. Billy geht zu den Höhlen und will sie untersuchen. Diese Höhlen sind nicht tief, und man sieht sofort, daß sie von Menschenhand angelegt wurden. Überall liegen Decken und Kleinigkeiten, die darauf hindeuten, daß Menschen hier hausen. Billy ist müde und abgespannt. Kurzentschlossen legt er sich hin und versucht zu schlafen, um neue Kräfte zu sammeln. Es dauert nicht lange, da schreckt er aus seinem tiefen Schlaf wieder auf. Einen Augenblick muß er sich besinnen, wo er überhaupt ist, dann erinnert er sich. Draußen vor der Höhle ist es schon ziemlich dämmrig. Eine Anzahl Männer gehen am Höhleneingang vorbei, dann kommen einige zu Billy herein. „Ho, da liegt ja einer!“ ruft eine Männerstimme auf Amerikanisch. 37
„Ein Neuer, was?“ ruft ein anderer. „Hallo!“ erwidert Billy. „Wollte mal wissen, wie es bei euch aussieht!“ Trotz des Halbdunkels erkennt Billy die zerlumpte Kleidung seiner Landsleute, und als er die Männer mit Händedruck begrüßt, spürt er die Schwielen an ihren Händen. „Ein Captain der Special Police bist du? Wieder ’n neuer Beruf in unserer Sammlung!“ sagt ein hochgewachsener Mann mit schottischem Akzent. „Hier ist alles vertreten: Seeleute, Goldsucher, Kaufleute und sogar ’n Ingenieur! Die meisten sind Abenteurer, die in den Bergen nach Gold suchten und dort von den Greasern geschnappt wurden.“ „Wegen des Ingenieurs bin ich überhaupt in die Lage gekommen. Ihn hat man in den Staaten vermißt, und ich sollte ihn suchen!“ erklärt Billy. „Flyder liegt nebenan. Seit gestern geht’s ihm wieder besser“, berichtet der Lange weiter. „Er hatte ’n Malariaanfall!“ Billy erzählt seine Erlebnisse und findet selbst gleich den richtigen Kontakt mit diesen Männern, die zum Teil schon seit Monaten hier gefangen sind. Wie ihm später berichtet wird, müssen die Gefangenen schwer arbeiten. In einer stillgelegten Erzmine schaufeln und hacken sie Tag für Tag. Manchmal wird noch etwas Quarz und Gold gefunden, aber nur sehr wenig. Da die Arbeitskräfte nichts kosten, ist es trotzdem für Don Enrico ein Gewinn. Und das scheint auch seine Geldquelle zu sein. „Habt ihr noch nie versucht, zu fliehen?“ fragt Billy. „Doch, das wurde schon öfters ausprobiert, aber im Maschinengewehrfeuer blieben wir hängen“, erklärt einer der Männer. „Damals mußten drei Kameraden sterben. Wir anderen bekamen zwei Tage kein Essen und mußten sogar noch nachts schuften. Es ist unmöglich, zu entkommen!“ „Hm“, macht Billy und überlegt. Er wird morgen sehen, ob es wirklich hoffnungslos ist. 38
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Dick Hanson, Scott O’Brien und Jim Chester reiten bei Morgengrauen in Bellamadre ein. Dick, der schwergewichtige Mann aus Kentucky, reitet seinen Weißfuchs „Diamant“. Jim, drahtig und pfiffig wie immer, sitzt auf seinem neuen Pferd „Hell Cat“. Höllenkatze ist eine Fuchsstute, ein verhältnismäßig kleines, aber sehr zähes Pferd. Jim, der sonst nicht für Stuten zu begeistern ist, reitet sie erst seit kurzer Zeit und ist sehr zufrieden. „Hell Cat“ ist so wild wie ihr Name, jeden Tag muß er sie neu einbrechen. Aber solche Ausdauer wie bei „Hell Cat“ hat er noch selten bei einem Reitpferd gefunden. Außerdem ist die Stute genügsam. Scott reitet ein Jungtier, einen vierjährigen Scheckenwallach, den er „Dream“ getauft hat. „Traum“ ist unter dem bulligen Scott wie ein Pony. Auf die Idee, unvernünftige Jungpferdstreiche auszuführen, läßt Scott das Tier gar nicht erst kommen; dazu sind seine Erfahrungen mit Pferden zu groß. Scott hat sich schon lange nicht rasiert. Ihm wächst ein roter Seemannsbart. „Es ist ein mächtig dreckiges Nest, sage ich euch!“ ruft Dick mit Baßstimme. Dabei deutet er auf die Kinder, die im Dunghaufen vor einem Hause spielen und die Maisschalen, die überall auf der Straße herumliegen. „Du hast recht, Dick“, erklärt Scott mit der ihm eigenen Würde. „Doch wenn wir besonderes Glück haben, reiten wir noch in eine herrliche Falle!“ „Wenn du danach gehst, wie uns diese Mischlinge hier anglotzen, kann’s stimmen!“ pflichtet Jim bei. „Ich will euch nicht erst sagen, daß ich was trinken könnte“, sagt Dick wieder, „aber wir werden noch nicht mal was kriegen!“ 39
„Woher hatte Colonel Brown eigentlich die zweite Meldung, die er uns an die Grenze schickte?“ fragt Scott. „Von einem gewissen Felipo Molinero. Brown schrieb, wir müßten gut aufpassen, weil einmal der Felipo Molinero ein Leutnant in der Gendarmerie sein will, andermal aber ist dieser Leutnant zur Zeit in Campeche, wie der Colonel feststellen ließ. Vielleicht ist was faul!“ Plötzlich werden Scotts und Jims Blicke starr. Sie sehen wie gebannt zu einer Gruppe von Pferden hinüber, die neben dem Dorfweiher grasen. „Was is’ los?“ fragt Dick und blickt ebenfalls in diese Richtung. Verblüfft pfeift er durch die Zähne. „Billys Pferd!“ sagt er tonlos. „Well, so wird es auch sein. Aufpassen, Jungens!“ warnt Jim. Scott ist nicht so schnell in Fahrt zu bringen. „Haben wir sofort“, meint er und reitet auf einen Indio zu, der träge in der Tür seines Hauses hockt. „Wem gehören die Gäule dort?“ fragt Scott und zeigt auf die Pferde, unter denen sich Billys „Fellow“ befindet. „Sie haben mehrere Besitzer!“ erklärt der Indio gelassen und grinst über Scotts schlechtes Spanisch. „Die Caballeros wohnen im Hotel!“ Jim kommt heran. „Wo ist ein Hotel?“ fragt er in tadellosem Spanisch. Der Indio weist auf ein etwas größeres, aber ziemlich verkommenes Haus. „Das soll ein Hotel sein?“ fragt Scott erstaunt. „Das größte, schönste und einzige im Umkreis von hundert Meilen!“ behauptet der Indio stolz. „Ich hätte Angst, mein Pferdefutter da ’reinzupacken, geschweige mich selber!“ meint Scott. „Los, hin zu diesem ‚Waldorf-Astoria’ für Läusemillionäre!“ ruft Dick und ist schon fast bei dem schmutzigen Haus angelangt. 40
In diesem Augenblick kommt zufällig Felipo aus der Tür. Er sieht die drei Amerikaner und kann sich den Rest denken. „Policia Especial?“ fragt er Dick. „Ich bin Felipo Molinero!“ Dick gefällt dieser schlanke Bursche. „Hola!“ ruft er erstaunt. „Da haben wir unsern Amigo schon gefunden! Hast du das Pferd von unserm Captain?“ fragt er sofort. „Si, ich habe es dem wieder genommen, der es eurem Captain gestohlen hatte!“ Dann sieht er die Kinder, die neu-gierig näherkommen, und gibt den Freunden einen Wink, abzusitzen und sich später mit ihm weiter zu unterhalten. Nach einem Imbiß für die Reiter und einer angemessenen Futterpause für die Pferde brechen die vier Männer auf. Als sie die Ortschaft hinter sich haben, erklärt ihnen Felipo, was bisher geschah. „Hast du schon etwas darüber erfahren, wohin sie Billy gebracht haben?“ erkundigt sich Jim. „In die Berge. Doch die Sierra Madre ist groß, Freunde!“ erklärt Felipo. „Das einzige, was ich weiß, daß in den Bergen auch ein Bataillon Provinzmiliz liegt. Ob das damit zusammenhängt, weiß ich nicht!“ „Sollten wir nicht doch erst diesen Don Enrico greifen und ihm die Federn stutzen?“ fragt Scott. Dick ist dagegen. „Erst muß unser Billy aus dem verdammten Berglager heraus!“ sagt er rauh. „Well, dann reiten wir weiter. Ob wir es finden, ist eine andere Frage!“ meint Jim. „Die Karrenspuren sind längst verwischt, und sonstige Anhaltspunkte haben wir nicht!“ „Doch, Amigos!“ widerspricht Felipo. „Ich kenne diese Gegend. Hier gibt es wenig Wasser. Mit einem Ochsengespann zu fahren, heißt auch, an jedem Tage ein Wasserloch finden. Ich habe mit der Karte einen Weg herausgefunden, wo man jeden Abend an Wasser kommt. Es wird der richtige Weg sein!“ „Und wenn die Kerle Wasserschläuche mitführen?“ gibt 41
Dick zu bedenken. „Dann brauchen sie dein Wasserloch gar nicht.“ „Wir werden sehen …“, meint Felipo und blickt zu den Bergen hin. Der Leutnant scheint richtig getippt zu haben. Immer wenn sie an Stellen kommen, wo der Wind den Sand nicht verwehen kann, finden sie die alten Spuren des Ochsengespanns wieder Auch an den Wasserlöchern trifft das zu. Immer näher kommen sie an das Berglager Don Enricos heran. *
* *
Am frühen Morgen werden die Gefangenen geweckt. Die Posten pfeifen durch die Finger, andere brüllen. Schlaftrunken wanken die Gefangenen ins Freie. Jeder hat eine leere Konservendose zum Kaffeefassen. Billy beobachtet die müden und zerschlagenen Gestalten seiner Mitgefangenen und ahnt, daß diese Männer nach ihrer schweren Arbeit einfach zu erschöpft sind, um noch die Kraft zur Flucht zu haben. Und daran erkennt er die Methode Don Enricos. Billy ist entschlossen, sich nicht bis zur restlosen Erschöpfung in diesem Lager aufzuhalten, sondern noch vorher und möglichst bald einen Weg zur Außenwelt zu finden. Ein Posten schenkt aus einem dreckigen Kübel eine kaffeeähnliche Flüssigkeit in die Dosen. Dann bekommt jeder Maisbrot und einen Streifen Speck. Einige Posten suchen in den Höhlen nach zurückgebliebenen Gefangenen. Billy will sich mit einem Manne unterhalten, der neben ihm steht. Doch der winkt müde ab. „Heute abend können wir reden! Nicht jetzt; sie peitschen dich aus, wenn sie etwas merken!“ sagt er. 42
Billy versteht. Schon kommt einer der Posten heran. „Callate la boca, Gringo!“ ruft er. „Halt’s Maul, Gringo!“ Billy sieht die langen Gestalten der Seeleute, die durch ihr Mißgeschick in diese Situation geraten sind. Einer von ihnen ist ein älterer Mann, der vier Streifen an seiner zerschlissenen Jacke trägt. Wahrscheinlich ist er der Kapitän, des gestrandeten Dampfers. Billy überlegt, daß wahrscheinlich so manches Seenotschiff nach der vermißten Besatzung des Schiffes gesucht hat, um sie schließlich als vom Meere verschlungen aufzugeben. Welche Dramatik wird sich in der Heimat dieser Männer bei ihren Familien inzwischen abgespielt haben? Nachdem die Gefangenen ihre wenigen Bissen heruntergewürgt haben, müssen sie in einer Reihe antreten und hintereinander hergehen. Zu beiden Seiten laufen die Posten mit entsicherten Gewehren. Auf einen Gefangenen kommen zwei Mexikaner. Es geht den Bach entlang zur anderen Seite aus dem Canyon hinaus in eine Seitenschlucht. Da sieht Billy schon die Geröllhalde und die Schienen einer primitiven Lorenbahn. Eine einfache Steinbaracke steht etwas seitlich in der Schlucht; sie scheint direkt am Felsen zu kleben. Nach hinten verengt sich diese Felslücke und endet in einem Stollen, der wahrscheinlich ins Innere der Mine führt. Vor der Baracke erhalten die Männer Schaufeln, Hacken und Hämmer. Das Werkzeug scheint noch aus dem vorigen Jahrhundert zu stammen; denn es ist schwer und unhandlich. Die Meißel sind stumpf und kaum noch zu gebrauchen. Auch die meisten Schaufeln sind fast nicht mehr als solche zu erkennen. Abgespannt und beinahe stumpfsinnig trotten die Gefangenen hintereinander in den Stollen. Die Posten bleiben draußen. Billy kann sich den Grund gut erklären. Im Stollen wären sie den Gefangenen gegenüber machtlos. Billy geht neben dem Ingenieur, dessentwegen er in diese 43
verzwickte Lage geriet. Er erzählt ihm von seiner Suche und dem Pech, in Don Enricos Fänge zu geraten. „Ich bin zu müde zum Denken, Captain Jenkins“, erklärt der hohlwangige Ingenieur. „Die Malaria hat mich beim Wickel, und ich weiß nicht, ob ich jemals wieder lebend aus dieser Hölle herauskomme. Es tut mir leid, Captain, daß Sie für mich dieses Pech hatten. Aber nun ist es auch nicht mehr zu ändern!“ Billy will gerade etwas antworten, da stößt er sich dunklen Stollen an den Kopf. „Damned!“ schimpft er wütend. „Wir sollten hier sitzenbleiben!“ Flyder bleibt stehen und hustet etwas gequält. Dann sagt er: „No, das können wir nicht! In zwei Stunden müssen wir alle aus dem Stollen heraus, da wird immer gesprengt. Wenn einer drinbleibt, müssen auch die anderen wieder hinein und bekommen drei Tage kein Essen und Getränk. Das haben wir alles versucht!“ „Aber wir lassen uns doch von diesen Greasern nicht unterkriegen!“ mahnt Billy entschlossen. „Man gewöhnt sich daran!“ erklärt Flyder gleichgültig. „Wenn wir jetzt nicht ein gutes Quantum Arbeit verrichten, bekommen wir nachher die Peitsche! Wir müssen uns beeilen!“ Einige der Gefangenen haben qualmende Petroleumlampen erhalten, die derartig rauchen und stinken, daß die Augen tränen. Der Lichtschein ist dazu noch so schwach, daß man kaum etwas richtig erkennen kann. Einen der Gefangenen haben die Mexikaner zum Vorarbeiter gemacht. Es ist ein alter Goldsucher, der sich in der Minenarbeit auskennt. Ruhig und sachlich erklärt er Billy, was zu tun ist. „Du mußt diese Ecke wegschlagen!“ sagt er. „Ob du’s machst oder nicht, ist mir gleich. Ich befehle es dir nicht, und ich werde auch niemandem hier eine Arbeit zuteilen. Doch bedenke, Freund, daß man dich auspeitscht, wenn du’s nicht tust!“ 44
Billy versteht. Und so ist es auch mit den anderen Gefangenen. Sie arbeiten wie wahnsinnig, um nicht ausgepeitscht zu werden und um außerdem nicht an einer Strafe schuld zu sein, die von den Mexikanern an ihrem Vorarbeiter ausgeführt wird. Immer wieder muß Billy feststellen, daß unerhört viel Methode in diesem schmutzigen Spiel liegt. Da er noch ausgeruht und frisch ist, braucht er nicht sehr lange, um die Ecke Fels wegzuschlagen. Für einen der bereits erschöpften Mitgefangenen wäre das eine Unmöglichkeit gewesen, es in dieser kurzen Zeit zu schaffen. Nun hat Billy etwas Zeit zum Nachdenken. Flyder kommt heran. „Du bist ja schon fertig!“ meint er und merkt gar nicht, daß er Billy plötzlich duzt. Jetzt ist der Captain eben ein Mitgefangener und Kamerad. Die Vergangenheit ist verwischt. „Wie ist es mit der Flucht, Flyder?“ fragt Billy etwas ironisch. „Wenn wir fliehen, werden die beiden Geiseln erschossen!“ erklärt Flyder ernst. „Welche Geiseln?“ will Billy wissen. „Jeden Tag müssen zwei Mann zurückbleiben! Hast du es nicht bemerkt beim Abmarsch?“ meint Flyder. „No, ich sah nichts davon“! erwidert Billy. „Die beiden, die zurückbleiben, werden streng bewacht. Wenn hier irgendwas nicht richtig klappt, werden sie ausgepeitscht. Wenn aber jemand flieht, wird einer der Geiseln erschossen. Das ist der Grund, warum wir so friedlich sind. Glaube nicht, daß hier lauter trübe Nummern gefangengehalten werden. Ich bin vielleicht noch der schwächste von allen. Die Norweger sind harte Kerle, aber auch sie müssen sich fügen. Nielsen, der Kapitän, grübelt jede freie Sekunde über eine Fluchtmöglichkeit nach, und das ist kein Dummer. Auch die übrigen Boys sind okay. Es sind meistens Abenteurer, die hier nach Gold in den Bergen suchten und in Enricos Fänge gerieten. Sie 45
fürchten weder Tod noch Teufel, aber auch sie wollen nicht den Tod eines Kameraden verschulden.“ „Wie viele seid ihr?“ fragt Billy. „Ich habe heute morgen geschätzt. Dreißig Mann, kann das stimmen?“ „Neunundzwanzig ist richtig!“ verbessert Flyder. Vorn am Stolleneingang schellt eine Glocke. „Komm, wir müssen ’raus! Sie bereiten die Sprengung vor!“ sagt Flyder. „Draußen werden wir auf Gold untersucht. Es ist nicht übel, wenn wir auf eine Formation stoßen. Da gibt es zwei Stunden eher Feierabend. Weil wir das wissen, sind wir mächtig scharf auf die Goldformationen. Neulich hatten wir drei Tage hintereinander welche. Da konnten wir endlich etwas länger schlafen!“ Billy schüttelt betrübt den Kopf. Um zwei Stunden eher Feierabend zu haben, suchen diese Männer wie besessen nach Gold, das mitunter Tausende von Dollars Wert hat. Sie haben nichts als die zwei Stunden davon. Wie hart das Leben mitunter einen Menschen anpacken kann! *
* *
Im Grenzort Nogales, an der Grenze USA–Mexiko, findet beim ersten Sheriff der Stadt eine geheimnisvolle Besprechung weniger Männer statt. In einem Raum mit schalldichten Türen und Fenstern sitzen fünf Männer. Der eine ist Konsul Kelly, der kleine, dicke Beamte aus Culiacan. Der nächste ist Colonel Brown, der wie immer eine dicke Zigarre raucht und mit hochrotem Kopf so im Stuhle sitzt, als wäre das Möbel ein Pferd. Neben Brown hat der Leiter des Untersuchungsausschusses für Schiffsunfälle Platz genommen. Gegenüber sitzt der erste Detektiv einer Schiffsversicherung. Und am Tischende hat der 46
„Oberste Polizeikommissar der Republik Mexiko“ Platz gefunden. „Meine Herren“, beginnt Colonel Brown die Besprechung. „Ich habe Sie hier zusammengerufen, weil, wie Sie schon wissen, etwas ganz unerhört Teuflisches passiert ist. Die Schiffsversicherung ‚Herold’ hat durch ihren Chefdetektiv herausgefunden, daß beim Stranden des norwegischen Dampfers ‚Thor’ nicht – wie erst angenommen wurde – die Besatzung in den Klippen umkam, sondern das Festland bei Isla Altamura in zwei Booten erreichte. Die Spuren und Reste der Boote wurden gefunden. Durch Verhöre in der Nähe wohnender Indios wurde festgestellt, daß berittene Banditen oder Rebellen die Schiffsbesatzung gefangennahmen und verschleppten. Wohin, ist von der Versicherung noch nicht festgestellt worden. Aber das wird sich vielleicht aus dem Gesamtbild ergeben. Unser Konsul in Culiacan hat ermittelt, daß ein ungemein tüchtiger Beamter der mexikanischen Polizei, der Leutnant Molinero von den dritten Rurales, nach der Halbinsel Yucatan strafversetzt wurde, weil er zu tüchtig war. Er hat nämlich mit unserm Captain Jenkins zusammengearbeitet, und diese beiden fähigen Männer müssen auf irgend etwas gestoßen sein, das der Provinzregierung sehr peinlich war. Seit dieser Zeit ist Captain Jenkins vermißt. Ich frage Sie, Herr Kommissar der mexikanischen obersten Polizeibehörde, was das alles bedeutet?“ Der Oberste Polizeikommissar ist ein Kreole, ein echter Nachkomme der spanischen Eroberer. Stolz und selbstbewußt hat dieser Mann bisher zugehört, doch jetzt wird sein Gesicht zornig. „Ich werde nachprüfen lassen, ob Ihre Angaben stimmen, Señor!“ sagt er temperamentvoll. Colonel Brown winkt müde ab. „Das kennen wir, Exzellenz! Wir kennen’s aus tausend anderen Fällen. Wir sind aber nicht mehr gewillt, uns das gefallen zu lassen! Ich frage Sie deshalb kurz und bündig: wollen Sie etwas unternehmen oder nicht? 47
Wenn nicht sofort etwas geschieht, werde ich eine derartige Pressekampagne einrühren, daß der Name Mexiko in der ganzen Welt im richtigen Glanz erstrahlt, darauf können Sie sich verlassen!“ „Mein Herr …!“ will der Kommissar unterbrechen. Aber Brown schneidet ihm das Wort ab: „Solange ihr Mexikaner in eurem Lande euch selber bestehlt und umbringt, ist uns das gleich! Wenn es aber einem der unsern an den Kragen geht, werden wir wild! Ich habe meinen besten Captain nach Mexiko geschickt, um nach einem Manne suchen zu lassen, der seit Wochen vermißt wird! Jetzt ist auch dieser Captain in irgendeine Falle gelaufen, wie es sie zu Tausenden in Ihrem unzivilisierten Lande gibt! Und dabei wird mir langsam klar, daß auch die anderen in den letzten Monaten ungeklärt gebliebenen Vermißtenschicksale eine Auflösung finden werden! Unser Konsul Kelly hat einen Hazendado im starken Verdacht, bei diesen Dingen die Hand im Spiele zu haben. Es ist ein Mann, der uns Amerikanern schon lange ein Dorn im Auge ist, nämlich jener Don Enrico Valdez, der sich um den Posten des Gouverneurs bewirbt. Dieser Mann hat schon mehrere Attentate auf unsere Öltanks im Hafen von Altata angestiftet. Er hat auch gedroht – falls er Gouverneur werden sollte – die Ölverträge zu kündigen! Nun, meine Herren, wir werden es nicht soweit kommen lassen! Es wird eine politische Aktion vor der ganzen Welt geben, wenn jetzt von seiten der mexikanischen Bundesregierung nichts geschieht! Ich warte bis übermorgen. Wenn ich dann keinen authentischen Bericht in den Händen habe, daß reguläre Truppen gegen die Banditen in den Sierra Madrebergen vorgehen, dann platzt die Bombe!“ Jetzt mischt sich der Leiter des Schiffunfall-Untersuchungsausschusses ein. „Wenn es bekannt wird, daß gestrandete Seeleute auf mexikanischem Boden in ihrer Not auch noch überfallen wurden und man sie verschleppte, dann wird das einen 48
Skandal geben, von dem die ganze Welt spricht! Daß dies für Mexiko kein Vorteil ist, liegt wohl auf der Hand!“ Der mexikanische Kommissar ist recht still geworden. Niemand kennt Mexiko besser als er. Wenn er auch das Ansehen seines Landes diesen Herren hier gegenüber verteidigen muß, so weiß er in seinem Innern genau, daß sie recht haben. Die Blamage, die er hier einstecken mußte, will er nicht auf sich sitzen lassen. Er wird diesen Präfekten aus Culiacan aus seinem warmen Neste heben. Als ihm der Chefdetektiv der Versicherung und auch Konsul Kelly die Untersuchungsunterlagen zur Durchsicht zuschieben, studiert er sie genau, um sich schon jetzt Anhaltspunkte für eine Anklage gegen den Präfekten herauszusuchen. Zornig auf die Mißstände im. eigenen Lande, die ihn hier unter diesen verachteten Gringos so bloßstellten, verläßt er später die Besprechung. Noch auf dem Bahnhof fordert er in El Oro den Oberst Valldoid auf, sich mit seinen Truppen auf die Stadt Culiacan in Marsch zu setzen. Gleichzeitig fordert er die Zurückberufung Leutnant Molineros aus Campeche. Um sich bei der Weltpresse einzuschmeicheln, befördert er den Leutnant zum Capitän. Dann setzt sich der wütende Kommissar in den Zug und fährt wieder nach Mexiko-City zurück. *
* *
Felipo Molinero weiß noch nichts von seinem Glück, als er an der Seite der drei Nordamerikaner den schmalen Weg in die Berge reitet. Seit drei Tagen sind sie keinem Menschen begegnet. Auch die Spuren des Ochsengespannes sind auf dem felsigen Boden nicht mehr auszumachen. Und was vor allem Jim verwundert, ist die Tatsache, daß auch kein Ochsendung zu sehen ist. „Ich schätze, Jungens, wir sind nicht mehr auf dem richtigen 49
Wege!“ sagt Jim nachdenklich. „Meines Erachtens sind die mit ihrem Steinzeitfahrzeug schon an der ersten Abzweigung abgebogen. Was meint ihr?“ Felipo scheint ebenfalls Bedenken zu haben. Dick krault sich die Stirn, und Scott nickt andächtig. „Es sieht schlecht aus!“ meint Scott. „Wir müßten den Weg von einem Tag zurückreiten, aber es wird kein anderes Los geben.“ Die Berge sind ziemlich zerklüftet und mit wenig Vegetation bestanden. Es ist ein wildes Land hier. Der Weg ist schlecht und schmal; in zahlreichen Windungen führt er bergauf und bergab; von Zeit zu Zeit kreuzt er ein wildes Gewässer, wo auch etwas Gras und Buschwerk zu finden ist. Diese Plätze dienten den Freunden bisher als Rastgelegenheit. „Wir müssen noch das Stück bergab reiten, damit wir wenigstens Futter für die Pferde haben. Die Wasserschläuche sind auch leer!“ sagt Felipo. „Gut, dann reiten wir noch die halbe Meile!“ schlägt Jim vor. Als sie bergabreiten, sehen sie schon unten einen Wildbach zischend zwischen den Felsen sprudeln. Durch die Feuchtigkeit haben sich auch einige Sträucher in dieser trostlosen Steinwüste behaupten können. Auch einige Grasbüschel und dünengrasähnliche Stauden sprießen neben dein Wasser hervor. Dick, der als erster reitet, zügelt plötzlich sein Pferd. „Heh, da kommt einer!“ ruft er Jim zu, der hinter ihm ist. Auch die anderen Männer halten an und blicken in die Richtung, in die Dick mit der Hand weist. Da kommt auf einem Maultier ein verwegen aussehender Mexikaner angeritten. Sein zerzauster Strohhut und der bunte Poncho geben ihm ein wildes Aussehen. Anscheinend hat er die Freunde noch nicht gesehen, denn er hat den Kopf gesenkt und verhält am Bach. Dann steigt er ab und beugt sich zum Wasser, um zu trinken. Das Maultier säuft neben ihm. Im Sattelschuh des Tieres steckt ein Militär50
gewehr, und das ist es, was die vier Beobachter stutzig macht. Ein Bergbauer hat hier kein Militärgewehr. Im übrigen macht dieser Kerl ohnehin den Eindruck eines Banditen. Die Freunde reiten weiter und lassen kein Auge von dem Mexikaner. Plötzlich sieht der Maultierreiter die vier Männer. Er springt auf, wirft sich in den Sattel und will davongaloppieren. „Alto!“ brüllt Felipo und hebt sein Gewehr. Doch der verwegen aussehende Fremde hält nicht an. Da kracht Felipos Schuß wie ein Donnerschlag. Das Maultier muß furchtbar erschrocken sein, denn es bockt wie wild, obgleich es nicht getroffen wurde. Felipo hat weit über den Kopf des Mexikaners geschossen, um ihn zu warnen. Der Beschossene verliert das Gleichgewicht und rutscht aus dem Sattel. „Laßt das Maultier nicht entkommen!“ ruft Jim, der instinktiv darin eine Gefahr sieht. Der Mexikaner liegt am Boden und will gerade aufstehen, als Jims und Dicks Schüsse gleichzeitig nach dem davongaloppierenden Maultier krachen. Sie tun das nicht gern, aber hier könnte sie das ledige Reittier verraten. Das Tier bricht getroffen zusammen. Scott prescht auf seinem „Dream“ an den anderen Freunden vorbei und reitet zu dem Mexikaner hin. Der will davonlaufen, aber schon beugt sich Scott aus dem Sattel und packt mit seinen mächtigen Armen zu. Die Beine des Mexikaners treten in der Luft, dann liegt er quer im Sattel seines Bezwingers. Plötzlich brüllt Dick von hinten: „Scott! Zurück! Schnell!“ Scott blickt hastig zurück und erkennt eine Menge Reiter, die auf den Bach zujagen. Hastig reißt er sein Pferd zur Seite und galoppiert seinen Freunden nach, die wild schießend seinen Rückzug decken. 51
Es sind über zwanzig Reiter, die angefegt kommen. Scott kann sich nicht die Zeit nehmen, sie genau zu betrachten. Einmal zappelt dieser Mexikaner vor ihm wie ein Verrückter, und dann muß Scott aus dem gefährlichen Schußbereich herauskommen. Jim, Dick und Felipo haben einen Felssturz als Verteidigungslinie ausgewählt. Riesige Steinbrocken liegen hier herum, hinter denen sogar ganze Pferde Deckung finden. In rasender Schnelligkeit sind die Freunde abgesessen und haben sich hinter die Steine verteilt. Die Pferde lassen sie allein hinter den größten Felsbrocken zurück. Scott zieht den gefangenen Mexikaner zu sich in die Deckung und fesselt ihm rasch die Hände. Gegen Scotts unheimliche Körperkräfte hat der kleine Mexikaner wenig Chancen. Die Angreifer sind ebenfalls von ihren Pferden gerutscht und liegen flach am Boden. Ganze Feuersalven geben sie auf ihre Gegner ab. Doch die Geschosse prallen wirkungslos am Stein ab. Jim, der die beste Stellung hat, schießt mit unheimlicher Präzision auf diejenigen Gegner, die sich nicht gut abgedeckt haben. Bald erreicht er damit, daß sich ein Teil der Angreifer zurückzieht. Scott überläßt den Kampf vorerst noch seinen Freunden und befaßt sich mit dem Gefangenen. Seiner Meinung nach ist die Gelegenheit, den Burschen auszuhorchen, jetzt günstiger als später. „Zu was für ’nen Verein gehörst du denn, Amigo?“ fragt er ihn in holprigem Spanisch. Der Mexikaner ächzt unter Scotts erbarmungslosem Griff. „Laß mich los, por dios!“ keucht er. „Dann singe doch, Vögelchen!“ fordert ihn Scott ruhig auf. „Ich gehöre zu Zafiros Rebellen! Miguel wird dir den Kopf herumdrehen, weil du mich hier festhältst!“ erwidert der Gefangene. 52
Scott ist verblüfft. Zwar hat Felipo schon von Miguel Zafiro erzählt, aber daß er hier einen Kerl aus dieser berüchtigten Bande in den Händen hat, erstaunt ihn dennoch. „Sind das deine Brüderchen?“ fragt Scott weiter und kümmert sich nicht um das Schießen, das wieder an Heftigkeit zugenommen hat. „Seguro, sicher! Und sie werden euch noch heute abend in ihrer Gewalt haben! Dann gnade euch Gott!“ knurrt der Mexikaner. „Hinter uns kommen Soldaten, die werden deinen geliebten Miguel Zafiro an einem guten Hanfseil aufhängen, Kleiner!“ behauptet Scott aufs Geradewohl. Das Gesicht des Banditen verfärbt sich. „Miguel wird sich von ihnen nicht gefangennehmen lassen; er genießt den Schutz der Regierung!“ platzt er heraus. Scott hat Mühe, seine Verblüffung nicht zu zeigen. Ungerührt tuend, sagt er: „Don Enrico sitzt bereits seit zwei Tagen im Gefängnis, Brüderchen!“ Der Mexikaner lacht plötzlich. „Lüge!“ sagt er. „Scott! Aufpassen!“ brüllt Dick von der Seite her. Scott lugt über seine Deckung und sieht einige Mexikaner, die auf die Stellung zustürmen. „Einen kleinen Augenblick, Señores!“ brummt Scott und hebt sein Gewehr. Dann krachen die Schüsse aus der Winchester. Hinten geben die übrigen Mexikaner ihren stürmenden Kumpanen Feuerschutz. Aber Scott läßt das kalt; er schießt mit einer Seelenruhe, obgleich ihn die feindlichen Geschosse nur so umschwirren. Der gefangene Mexikaner glaubt, eine Chance zu haben und will sich zur Seite rollen. Scott merkt es und schlägt ihm mit der flachen Hand unters Kinn. „Willst du folgen, Brüderchen?“ knurrt er und wendet sich schon wieder den Angreifern zu. 53
Unter dem gutgezielten Feuer der Verteidiger bricht der Angriff der Mexikaner zusammen. Nur einer der Stürmenden kommt mit heiler Haut wieder zurück in die Deckung seiner Komplicen. Die übrigen liegen verwundet vor der Stellung der Verteidiger. Aber die Banditen geben noch lange nicht auf. Anscheinend wollen sie jetzt die Nacht abwarten. Es sind noch über zehn Mann. „Freunde, ich halte sie im Zaum, steigt auf die Gäule und verschwindet!“ ruft Dick. „Ich komme dann nach.“ Doch davon will keiner der vier Männer etwas wissen. Als sie aber merken, daß die Banditen plötzlich Verstärkung erhalten, sehen sie in Dicks Vorschlag die einzige Lösung. Jim bietet sich an, als letzter Mann zu bleiben. Bald beginnt ein Streit darüber, wer diesen gefährlichen Posten besetzen wird. Jeder will selbst für die anderen in die Bresche springen. Hier zeigt sich die wahre Kameradschaft. Schließlich ist es Dick, der zurückbleiben soll. Er hat das beste Pferd. Scott zwingt seinen Gefangenen, mit ihm zusammen zurückzukriechen. Jim ist schon bei seinem Pferd und sitzt auf. Dick jagt Schuß auf Schuß gegen den Feind, um ihn in der Deckung zu halten. Zur Sicherheit hat Jim sein Gewehr dem Freunde zurückgelassen. Felipo feuert noch einige Salven ab, bevor er zu seinem Pferde hinkriecht. Die Tiere stehen in Deckung der Felsbrocken und können vom Gegner nicht eingesehen werden. Kaum sind alle drei aufgesessen, preschen sie wie die wilde Jagd aus der Deckung hervor den Berg hinauf. Die Banditen schießen wild, aber es gelingt ihnen nicht, richtig auf die Flüchtenden zu zielen, weil Dick sie durch seine genauen Schüsse daran hindert. Oben auf der Bergkuppe wenden Felipo und Jim ihre Pferde, um sie hinter eine vorspringende Felswand zu bringen. 54
Scott hat den gefangenen Mexikaner vor sich im Sattel sitzen und ist dadurch etwas behindert, aber es gelingt ihm doch, die schützende Felswand zu erreichen. Jim und Felipo sind wieder abgesessen und schießen auf die Banditen, die den tapfer kämpfenden Dick mit Schüssen eindecken. Unter dem Feuerschutz seiner Freunde kriecht Dick zurück zu seinem Pferd. Kaum ist er im Sattel, da prescht der kräftige Weißfuchs schon den Berg hinauf. Die Schüsse der enttäuschten Banditen verfolgen ihn, richten jedoch keinen Schaden an. Oben schwingen sich Jim und Felipo wieder auf ihre Pferde und folgen Scott, der schon ein ganzes Stück vorausgeritten ist. Dick prescht den Freunden nach. Nach einem halbstündigen Ritt stoßen die Reiter auf eine Mulde, in deren Mitte ein Wasserloch ist. Ringsum wächst Gras. Scott zügelt seinen Schecken und ruft den Freunden zu: „Stop! Schätze, daß wir hier ’ne Weile bleiben, Jungs! Unsere Tiere sind ausgepumpt und …“ „… und wir auch!“ stimmt. Dick zu. „Ich habe ’nen gewaltigen Brand!“ „Okay“, sagt Jim. „Das Wasserloch ist leicht zu verteidigen, falls uns die Bandoleros gefolgt sein sollten!“ Felipo, der zu den Bergen zurückblickt, meint: „Glaube nicht, daß sie noch antanzen. Sie haben vor unseren Gewehren Respekt bekommen. Trotzdem muß immer einer aufpassen!“ Die Freunde entsatteln ihre Tiere und geben ihnen zu saufen. Während die Pferde dann grasen, füllen die Männer ihre leeren Wasserflaschen. Der gefangene Bandit, dessen Hände immer noch gefesselt sind, steht neben Scott und starrt mit gierigen Augen auf die Feldflasche, die der rothaarige Riese eben gefüllt hat. „Gib mir zu trinken, Amigo!“ bettelt er. „Erst, wenn du mir erzählst, was Don Enrico mit deinem Bandenchef zu tun hat!“ sagt Scott gelassen. 55
Der Bandit macht ein finsteres Gesicht und schweigt verbissen. „Damit wirst du kein Glück bei diesem Burschen haben, Amigo!“ mischt sich Felipo ein. Er wendet sich dem Gefangenen zu und sagt zu ihm: „Höre, Brüderchen, was ich dir sage! Ich bin Teniente (Leutnant) Molinero von den dritten Rurales! Wenn du nicht sprichst, Companero, dann weißt du doch, was ich mit dir mache?“ Keine Drohung Scotts hat die Wirkung wie Felipos Worte. Die Furcht vor einem Rural scheint diesem Banditen mehr in den Gliedern zu stecken als die Angst vor dem Tode. Zitternd sagt er: „Ich rede, Teniente! Ich will alles sagen, aber tu nicht, was du tun willst!“ Scott hat von der Rücksichtslosigkeit der Rurales Banditen gegenüber gehört und kann sich denken, was der Bandit fürchtet. Der Leitspruch der Rurales war von jeher der, daß „Grausamkeit mit Grausamkeit bekämpft wird“. Zu welchen Szenen es dabei manchmal kommt, kann sich kein Nichtmexikaner vorstellen. „Dann sprich, Brüderchen!“ herrscht Felipo den Gefangenen an. „Adelante!“ „Don Enrico ist doch in Wirklichkeit Miguel Zafiro!“ erklärt der Bandit zögernd und zitternd vor Angst. Felipo läßt sich nichts anmerken. „Weiter!“ zischt er. „Was weiter?“ fragt der Bandit ängstlich. „Wie kommt er zu den Soldaten? Wo ist das Lager? Warum sperrt er die Weißen ein? Wer hilft ihm sonst von seiten der Regierung?“ fragt Felipo rasch. „Die Soldaten hat er nur, weil er ihnen alles Mögliche versprochen hat, wenn er an die Macht kommt und Gouverneur wird. Das Lager befindet sich achtzehn Leguas * ) von hier. Die Soldaten bewachen es. Die Hazienda hat Don Enrico von seinem Freunde erworben. Er hat sie richtig gekauft!“ *
Legua = Meile (4,5 km)
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„Wer ist der Freund?“ fragt Felipo. „Der Polizeipräfekt von Culiacan.“ „Das wollte ich nur hören!“ sagt Felipo, bitter lachend. „Und was für eine Rolle spielt ihr Bandoleros in diesem Spiel?“ „Wir müssen die Weißen einfangen, die im Goldbergwerk arbeiten!“ „Weiße Sklaven, wie?“ fragt Jim, der gespannt gelauscht hat. „Miguel haßt euch Gringos!“ erklärt der Bandit. „Das wird ihn das Leben kosten!“ sagt Felipo. „Er soll uns zum Lager führen!“ meint Dick. „Augenblick, Freunde, das müssen wir zuerst besprechen!“ sagt Jim. „Scott wird aufpassen, und wir beraten in aller Ruhe.“ *
* *
Billy Jenkins hat sich mit Flyder und dem Kapitän des gestrandeten Schiffes in einer Höhle zusammengesetzt und entwickelt den Männern einen Plan, den er sich während der harten Arbeit im Stollen ausgedacht hat. „Morgen nacht brechen wir aus!“ erklärt Billy. „Aber es sind doch jede Nacht zwei von unsern Leuten als Geiseln in der Baracke vorn!“ gibt der norwegische Kapitän zu bedenken. „Die hole ich heraus!“ sagt Billy zuversichtlich. „Laßt das mal meine Sorge sein. Wenn es am vorderen Schluchtausgang knallt, werdet ihr ausbrechen. Daß sie nicht auf euch schießen können, dafür will ich sorgen! Zum Zeichen, daß alles klar geht, werde ich eine Explosion verursachen! Wenn es dann trotzdem nicht klappt, haben wir eben mächtiges Pech gehabt, aber versuchen müssen wir’s!“ Der Kapitän ist etwas skeptisch. Er kennt den Ruf der Special Police nicht und zweifelt an dem Gelingen des Planes. „Ich 57
habe Sorge, daß wir großes Pech haben und nur unsere Lage noch mehr verschlimmern!“’ meint er. Billy legt ihm die Hand auf die Schulter. „Wenn ihr noch lange hier bleibt, seid ihr so schachmatt, daß sogar der Gedanke an eine Flucht illusorisch wird. Ich rechne nicht mit Hilfe von außen. Wer weiß, was Don Enrico inzwischen ausgekocht hat?“ Nun ist bei dem Norweger das Eis gebrochen. „Gut, dann wollen wir den Versuch machen. Meine Männer brennen darauf, aber ich fühle mich für sie verantwortlich, auch ohne Schiff!“ „Dann legt euch hin und schlaft, damit ihr morgen ausgeruht seid!“ rät Billy. „Im Stollen teile ich euch alle ein und werde jedem sagen, was er beim Ausbruch zu tun hat.“ „Soll ich dich nicht unterstützen?“ fragt Flyder. „Unsinn, ihr seid alle schon zu sehr geschwächt! Ich bin noch okay, no!“ widerspricht Billy. „Wenn ihr nichts hört, habe ich Pech gehabt!“ *
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Eines Tages reiten zwei Regimenter Kavallerie der Bundestruppen in Culiacan ein, besetzen das Haus der Polizeipräfektur und verhaften den Präfekten. Das geschieht so überraschend, daß der Präfekt völlig verblüfft ist, als ihn die Soldaten aus dem Bett holen. Am selben Tag besetzen Truppen des Obersten Valldoid die Hazienda des Don Enrico. Detektive der mexikanischen Regierung in Mexiko-City begleiten diese Soldaten. Die Detektive suchen das Haus nach Beweismaterial ab. Im Hof finden grausame Verhöre statt, die aus den Knechten und Arbeitern der Hazienda die Mitschuldigen herausfinden sollen. Drei Vaqueros, denen die Teilhaberschaft an dem ge58
planten Putsch gegen den jetzigen Gouverneur nachgewiesen wurde, werden an Ort und Stelle ohne großartige Gerichtsverhandlung erschossen. Nach mexikanischer Auffassung ist es die einzige Möglichkeit, schnell und durchgreifend mit den Banditen aufzuräumen. Für die Militärs sind Rebellen und Fanatiker einer Partei nichts anderes als Aufrührer und Banditen, und so werden die Ertappten auch bestraft. Zwei große amerikanische Zeitungen haben ihre Reporter entsandt, um über die Untersuchungen zu berichten, die nun auf einmal von der mexikanischen Regierung eingeleitet werden. Auf Geheiß des obersten Polizeikommissars der Republik haben die Presseberichter überall Zutritt und können sich die Ergebnisse der Untersuchungen an Ort und Stelle ansehen. – – Am gleichen Tage wird der Polizeipräfekt von Culiacan auf der Piazza der Stadt in aller Öffentlichkeit binnen fünf Minuten zum Tode verurteilt und erschossen. Parteianhänger Don Enricos, die einen Putsch versuchen, werden von den Rurales niedergeritten und zusammengeschlagen. Es sind blutige Tage für die Stadt. Die „Schwarzen Kosaken“ Mexikos zeigen sich wieder von ihrer rauhesten Seite. Aber sie bringen Ruhe und Ordnung in die hitzige Bevölkerung. – – – Zwei Tage später befindet sich Oberst Valldoid schon mit seinen Truppen am Fuße der Sierra Madre. Weit auseinandergezogen und in vorbildlicher Disziplin rücken die gut ausgebildeten Bundestruppen vor. Ihre graubraunen Uniformen sind aus einiger Entfernung kaum mehr vom gleichfarbigen Boden zu unterscheiden. Weit hinter den Truppen reiten einige Abteilungen Rurales. Wo sie auftauchen, flüchtet die Bevölkerung in panischem Schrecken. Schneller als durch den Telegrafen hat sich die Kunde von den blutigen Razzien in Culiacan herumgesprochen. Wer nur den geringsten Verdacht erweckt, ein Anhänger Don Enricos zu sein, wird ohne jede Verhandlung er59
schossen. Daß mit Blut und Tränen auf die Dauer kein Frieden zu erhalten ist, leuchtet keinem der Offiziere ein, die die Aktion leiten. Ihrer Ansicht nach (wie sie den Reportern erklären, die solche Methoden furchtbar finden) ist es die einzige Möglichkeit, das heißblütige Temperament der Aufrührer zu zügeln. – ––––– Als Colonel Brown diese Berichte bekommt, lächelt er grimmig. „Na also! Es dauert lange, bis diese Kerle da unten in Schwung kommen, aber nun hat es gebumst!“ – Ein anderer Mann reibt sich erfreut die Hände: der Gouverneur der Provinz, dessen Stellung durch Don Enricos Machenschaften ernstlich gefährdet war. Gespannt verfolgt er die Nachrichten der Großaktion. Aber bis zur Stunde konnte man den Hauptschuldigen, nämlich Don Enrico, nicht fassen. Wie es heißt, ist er in die Berge geflohen. Daß er mit Miguel Zafiro identisch ist, weiß man bereits von den Verhören her. *
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Nach Jims Plan ist Felipo sofort am nächsten Morgen abgeritten, um Hilfe zu holen. Billys Pferd hat er mitgenommen; er soll es in einer Ortschaft unterbringen. Plötzlich – Felipo ist gerade auf einer Höhe, von der aus er das Land vor sich übersehen kann – erkennt er die vielen Reiter und Fahrzeuge, die auf das Gebirge zustreben. „Caramba, soldados!“ murmelt Felipo. Dann sieht er auch die schwarzen Punkte dahinter. „Rurales!“ sagt er leise und pfeift durch die Zähne. Ein Ruck geht durch seinen Körper. „Adelante, caballo, pronto!“ zischt er seinem Pferde zu. „Vorwärts, Gaul, schnell!“ 60
Felipo reitet den Truppen entgegen. Als er bei den ersten Reitern, sämtlich Offiziere, anlangt, wird er mißtrauisch gemustert. Beinahe wäre er verhaftet worden, wenn nicht ein Offizier der Rurales, der in Begleitung des Obersten Valldoid reitet, ihn nicht als alten Kameraden erkannt hätte. Die Offiziere scheren aus dem Verband aus und gruppieren sich um Felipo, der ihnen von den Ereignissen der letzten Zeit berichtet. Ein klobiger Major der Rurales schüttelt Felipo die Hand. „Capitän Molinero, ich gratuliere Ihnen zu diesem Erfolg! Der Oberste Kommissar wußte, was er tat, als er Sie beförderte!“ ruft er laut. Felipo glaubt zu träumen. Dann klären ihn seine Kollegen auf. Der Oberst Valldoid aber gibt dem Hornisten das Zeichen, zum Galopp zu blasen. Felipo reitet mit einigen Offizieren an der Spitze der Truppen. Immer weiter entfernen sie sich von Troß und den Fußtruppen. Die Rurales sind jetzt an der vordersten Front und reiten geschlossen hinter dem beliebten Felipo her. – – – *
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Scott wartet mit seinem Gefangenen auf die Hilfe, die Felipo holen soll. Jim und Dick sind zu einem Erkundungsritt ausgezogen. Sie wollen prüfen, ob die Angaben des Gefangenen stimmen. Als die Freunde durch einen Canyon reiten, hören sie plötzlich Schüsse. „Ho – dort muß das Lager sein. Sicher hat ein Posten geschossen!“ sagt Dick. „Wir müssen die Pferde zurücklassen und zu Fuß gehen!“ schlägt Jim vor. „Fußlatscherei ist nicht mein Fall, aber anders geht’s nun mal 61
nicht!“ knurrt Dick. Sie binden die Pferde in einer Felsspalte an und klettern über Felsen und Bergrücken bis zu der Stelle, wo sie das Lager vermuten. Jetzt befinden sie sich auf einem Plateau. Wieder hören sie Schüsse. Es ist ziemlich nahe. Plötzlich bleibt Jim stehen. „Da liegen ja welche!“ zischt er. Dick sieht es auch. Zwei weißgekleidete Gestalten liegen hinter einem unförmigen Gegenstand und wenden Dick und Jim den Rücken zu. „Was glotzen die denn so über den Felsrand?“ fragt Dick leise. „Sei still, wir müssen uns verstecken und erst einmal beobachten!“ warnt Jim. Hinter einer Erhöhung legen sich die Freunde flach auf den Boden und achten auf die beiden Mexikaner. Plötzlich sehen sie, was es mit dem Gegenstand für eine Bewandtnis hat, der vor den beiden Weißgekleideten steht. „Ein Maschinengewehr!“ sagt Dick leise. „Ein amerikanisches sogar!“ bestätigt Jim. „Aber sie schießen nicht. Die Schüsse vorhin stammten aus Gewehren!“ „Los, das MG. müssen wir denen abnehmen!“ zischt Dick. In diesem Augenblick sehen sie, daß die Mexikaner sich vorbeugen und das MG. nach unten richten. Schon beginnt es zu rattern. Dick und Jim sehen sich kurz an, dann springen sie auf und hasten auf das Maschinengewehr und die beiden Mexikaner zu. *
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An dem auf die nächtliche Besprechung folgenden Abend verläßt Billy bei Dunkelheit seine Höhle. Er weiß, daß heute nacht keiner der Gefangenen schlafen wird. Behutsam geht Billy an dem Felsen entlang zum vorderen 62
Engpaß. Er will jedes Geräusch vermeiden und läßt sich Zeit. Drüben, auf der anderen Seite des Baches, sieht er die glühenden Punkte der Zigaretten, die die Posten rauchen. Kurz vor der engsten Stelle des Ausgangs bleibt Billy stehen und drückt sich gegen die Felswand. In der Hand hält er ein Stück Drahtseil, das er heute mit aus dem Stollen geschmuggelt hat. Es wird seine einzige Waffe sein. Schon in der letzten Nacht hat Billy den Postenwechsel beobachtet. Es muß gleich soweit sein. Der Captain ist ganz der alte. Die Passivität der letzten Zeit hatte sehr an seinen Nerven gezehrt. Endlich ist der Augenblick zum Losschlagen gekommen. Er hat die Karten des Gegners gesehen, nun heißt es handeln. Jetzt hört Billy Tritte vom Engpaß her. Metall klirrt und ein Mann räuspert sich. Obgleich es ziemlich dunkel ist, kann Billy die Umrisse der weißen Baumwollanzüge erkennen. Es sind drei Mann. „Agusto, Cesare, Pablo! Kommt, es ist Zeit!“ ruft einer der drei Männer, die jetzt dicht vor Billy stehen, ihn aber nicht bemerken, weil er dunkle Kleidung trägt und sich lautlos an den Fels preßt. Billy hört die Posten herankommen. Sie schwatzen eine Weile mit ihrer Ablösung, dann gehen sie weiter. Die neuen Posten beziehen ihre Stellungen. Billy schleicht vorsichtig hinter den abgehenden Posten her. Doch die schwatzen laut und ahnen nicht, daß sie verfolgt werden. „Wer ist’s?“ ruft oben vom Felsen jemand herunter. „Agusto, Pablo und Cesare!“ erwidert einer der drei. „Esta bueno!“ kommt die zufriedene Antwort von oben. Billy hofft, daß es mit dieser Kontrolle erledigt ist, aber es kommt anders. Zwar hat er, hinter den drei Posten herschleichend, das gefährliche Maschinengewehr passiert, aber schon 63
kommt eine neue Klippe. Am Ende des Engpasses stehen zwei Posten. Sie unterhalten sich mit der abgelösten Wache. Und das ist Billys Glück, sonst wäre er ihnen in die Arme gelaufen. So aber hört er das Sprechen. Einer der Posten zündet eine Zigarette an. Um ein Haar wäre Billy dabei entdeckt worden. Aber einer der Mexikaner hat gerade einen Witz erzählt, worüber die anderen lachen. „Macht nicht solchen Lärm, ihr da unten!“ brüllt der MGSchütze vom Felsen oben herunter. „Hol dich der Teufel, Joaquin!“ antwortet unten ein Mexikaner. Billy benutzt das laute Sprechen der Männer, um näher heranzuhuschen. Als die drei abgelösten Posten sich verabschieden und abermals laut auflachen, schleicht Billy hastig vorbei und drückt sich schnell in eine Felsnische. Arglos gehen die drei Mexikaner an ihm vorüber. Laut sprechend verschwinden sie in der Richtung der Baracke. Damit entschwinden sie im Dunkeln. Billy hört eine Tür schlagen, und dann geht hinter einem der Fenster Licht an. Die beiden Posten, die dicht hinter Billy stehen, unterhalten sich im Flüsterton und merken nicht, daß Billy weiterschleicht. Jetzt ist er schon dicht an die Baracke herangekommen. Und hier sollen auch die beiden Geiseln sein, die sicherheitshalber von den Mexikanern eingesperrt werden, um eine Flucht der anderen Gefangenen zu verhüten. Wenn Billy seinen Plan ausführen will, muß er zuerst diese Geiseln befreien. Der Captain bleibt einen Augenblick stehen. Er ist in Freiheit. So mancher wäre jetzt der Versuchung erlegen, zu fliehen. Aber so etwas wäre Billy nicht im Traume eingefallen. Nun geht es erst richtig los. Die Entscheidung naht. Billy geht leise um den Lehmbau herum und lauscht. In einem der Räume scheint noch jemand wach zu sein, denn man 64
hört das Murmeln von Stimmen. Plötzlich sieht Billy etwas Helles auf sich zukommen. Er duckt sich und wartet ab. Dann erkennt er, was es ist: ein Posten. Billy springt vor und schlägt seine Faust in das Gesicht des Mannes. Hastig schlägt er mit der Linken nach. Mit einem Ächzen stürzt der Posten zu Boden. Für Billy bleibt keine Zeit zu langen Überlegungen. Er nimmt das Gewehr des Mexikaners und dessen Dolch, dann wartet er. Es dauert nicht lange, da will sich der Mexikaner aufrichten. Billy drückt ihm aber den Gewehrlauf gegen die Brust und zischt: „Wenn du Lärm machst, mußt du sterben! Wo sind die Geiseln?“ Der Mexikaner hat sich von seiner Überraschung noch nicht erholt. Etwas verwirrt flüstert er: „Hier, im zweiten Raum!“ Im gleichen Augenblick bereut er, es verraten zu haben, doch dazu ist es zu spät. Billy weiß Bescheid. „Geh voran! Ich schieße, wenn du schreist!“ zischt Billy. Der Mexikaner erhebt sich und geht etwas schwankend vor Billy her ins Haus. Die Mündung des Gewehres wird ihm in den Rücken gepreßt und verhindert, daß er auf dumme Gedanken kommt. An der zweiten Türöffnung bleibt der Mexikaner stehen. „Aca!“ sagt er leise. „Hier!“ Eine Petroleumlampe erhellt mit schwachem Schein die Stube, in der vier Männer schlafen. Billy geht hinter dem Mexikaner her ins Innere. Er hört das Schnarchen der Posten und der Geiseln. „Sie schlafen alle! Auch die Wachen!“ erklärt der Mexikaner überflüssigerweise. „Stell dich an die Wand und streck die Hände an die Mauer!“ befiehlt Billy. Dann nimmt er in aller Ruhe den Posten die Gewehre weg. 65
Als einer der Posten erwacht, richtet Billy seine Waffe auf den erstaunten Mann. Dann zwingt er ihn, seinen Kameraden zu wecken und die Fesseln der Gefangenen zu lösen. Die befreiten Geiseln wollen Billy umarmen, doch der ist kurz und bündig: „Nehmt diese Gewehre und fesselt die drei Greaser! Schnell, wir haben keine Zeit! Knebelt sie!“ Es geht schnell. Trotzdem wird Billy unruhig. Die Mexikaner lassen sich alles gefallen, weil sie sich sagen, daß sie so am ehesten mit dem Leben davonkommen. Als alles erledigt ist, winkt Billy den beiden befreiten Kameraden zu, ihm zu folgen. Bevor er aus dem Haus tritt, lauscht er erst, aber es regt sich nichts. „So, Freunde, nun lauft, was ihr laufen könnt!“ rät Billy den beiden Befreiten. „Je weiter, desto besser! Die anderen können nicht ausbrechen, wenn sie euch wieder einfangen! Die Gewehre behaltet unbedingt, denn ihr werdet sie brauchen! Nun Tempo!“ Billy duldet keinen Widerspruch, und schon verschwinden die beiden Kameraden im Dunkeln. Der Captain aber geht nun zu einem Holzschuppen hinüber, in dem – wie Billy bei seiner Ankunft sah – Sprengstoff eingelagert ist. Gerade hat Billy die Bohlentür aufgemacht und sich ins Dunkel des Inneren begeben, als draußen lautes Geschrei zu hören ist. Anscheinend hat sich einer der Gefesselten befreit und ruft nun seine Komplicen zu Hilfe. ,Sie werden ihn nicht gut gefesselt haben’, denkt Billy und zieht die Tür zu. Draußen wird es jetzt lebendig. Immer mehr Männer laufen umher und suchen nach den Flüchtlingen. Billy ist vorläufig in der Holzbude sicher. Mit eiserner Ruhe tastet er sich im Dunkeln zu dem Dynamit hin. Er fühlt über den Stoß des Sprengstoffes und zieht drei Stangen hervor. Nun 66
fehlt ihm noch Zündschnur. Er sucht und sucht, kann sie aber im Dunkeln nicht finden. Plötzlich entdeckt er zu seiner Freude, daß er sie gar nicht nötig hat, denn die Stangen sind bereits mit einer Zündschnur versehen. Draußen ist ein wildes Gelaufe im Gange. Überall rufen und brüllen Mexikaner herum, doch sie sind weit ab von der Hütte und scheinen am Talzugang zu suchen. Billy öffnet ganz vorsichtig die Tür und blickt hinaus: Etwas entfernt hört er zwei Männer etwas rufen, aber in nächster Nähe ist niemand. Er schiebt sich langsam aus der Tür heraus und schleicht vorsichtig um das Haus herum. Dann geht er hinter der Lehmbaracke weiter und kommt unangefochten bis zum Engpaß. Doch dort hört er schon an den Stimmen, daß sich hier eine größere Menge Mexikaner versammelt haben. Billy drückt sich hinter einen Strauch und sucht nach seinem Feuerzeug. Er zündet hastig eine der Zündschnuren an und wirft die Stange zwischen sich und die Mexikaner. Der Lichtschein der Feuerzeugflamme muß gesehen worden sein. „Wer raucht da, zum Teufel! Seid ihr wahnsinnig?“ brüllt jemand aus dem Dunkel. Billy kennt diese Stimme. Es ist Don Enrico, der rief. Doch jetzt bleibt dem Captain keine andere Wahl, als sich flach auf den Boden zu drücken. Gerade läuft jemand an ihm vorüber, als es fürchterlich kracht. Die Dynamitstange ist explodiert. Die moralische Wirkung erweist sich bedeutend stärker als die tatsächliche, weil es auf freier Fläche passierte. Als die Stichflamme aufzuckt, sieht Billy einige Gestalten entsetzt zurückspringen. Sofort nach der Detonation springt Billy auf und nutzt den Staub und Rauch der Explosion aus, um an den panikartig flüchtenden Mexikanern vorbeizukommen. In einer Felseinbuchtung drückt er sich gegen den Stein und läßt die kreischenden Mexikaner an sich vorüber. Nun entzün67
det er die zweite Stange und wirft sie mitten auf den Weg. Sofort rennt er weiter, um nicht selbst bei der Explosion zerrissen zu werden. Plötzlich prallt er mit jemandem zusammen, aber das hält ihn nicht auf. Er schlägt kurz nach oben und ist bereits an dem anderen vorbei. Nun kracht es wieder. Billy läuft noch und wird vom Luftdruck nach vorn geschoben. Er stolpert, fängt sich aber und versteckt sich wieder in einer Felsnische. Wie bei der ersten Explosion ist kaum jemand verletzt worden. Aber die Furcht der Mexikaner ist geweckt. Schreiend laufen sie weiter in das Lager hinein. Und dort treffen sie auf die Gefangenen, die schon bei der ersten Explosion aus den Höhlen kamen und auf die Wachen losstürmten. Die Norweger schlagen sich am tapfersten. Sie reißen den vor den Explosionen blind fliehenden Mexikanern die Waffen aus den Händen, und dann kommt es zu einem Gefecht. Billy, der sich im Rücken der Mexikaner befindet, wirft die dritte Dynamitstange, und als sie explodiert, ist es mit dem Mut der Mexikaner zu Ende. Sie glauben sich von zwei Seiten eingeschlossen und lassen sich gefangennehmen. Billy allein weiß, daß es nur ein kleiner Teil der Leute ist, die hier überrumpelt wurden. Die Masse von Don Enricos „Soldaten“ befindet sich außerhalb des Lagers. Oben auf den Felsen sind noch die beiden Maschinengewehre. Wenn es den Gefangenen nicht gelingt, noch bei Nacht aus dem Lager zu kommen, werden sie am nächsten Morgen genauso in der Falle sitzen wie zuvor. Billys Plan, das MG. am vorderen Ausgang auszuheben, erweist sich schon nach kurzer Zeit als undurchführbar. Zwar haben die MG-Schützen bisher nicht in den Kampf eingegriffen, um ihre eigenen Leute nicht zu treffen, doch nun ist das anders. Billy hört Don Enricos Stimme Befehle brüllen. Als Billy genau hinhört, versteht er die Worte: „Keine Rücksicht auf die Cabrones, die sich fangen ließen. Wer die Engstelle passiert, 68
wird abgeschossen!“ ,Sie werden keine Rücksicht auf ihre eigenen Leute nehmen!’ denkt Billy. Die Männer, die bisher Gefangene waren, kommen heran und umringen Billy. „Wir haben sie gut in Verwahrung!“ meint der Kapitän und zeigt auf die Mexikaner, die von einigen Männern bewacht werden. „Um Himmels willen, bleibt nicht auf einem Klumpen stehn!“ ruft Billy. Kaum hat er es ausgesprochen, da rattert schon das Maschinengewehr. Zum Glück erweisen sich die Mexikaner als sehr schlechte Schützen, denn sie treffen noch nicht einmal in diese große Ansammlung. Sofort spritzen die Gefangenen auseinander und legen sich flach auf den Boden. Nur die Mexikaner müssen stehenbleiben. Aber darauf nehmen die MG-Schützen auf dem Felsen keine Rücksicht. Sie schießen auf ihre einstigen Kumpane wie auf einen Feind. Einige der Getroffenen brüllen und rufen auf mexikanisch ihren Landsleuten auf dem Felsen zu, nicht auf Kameraden zu schießen. Doch immer noch rattert das Maschinengewehr. Jetzt beginnt plötzlich auch das MG. vom anderen Schluchtenausgang zu Bellen. Für Billy und seine Männer bleibt keine andere Wahl, als sich in die Höhlen zu flüchten, die nicht von den MG-Schützen eingesehen werden können. „In die Höhlen!“ ruft er den Männern zu. „Laßt die Gefangenen, wo sie sind!“ Unter Mitnahme sämtlicher erbeuteter Waffen ziehen sich Billys Männer in die Höhlen zurück. Blindlings schießen die beiden MG. in den Canyon hinein. Die überrumpelten Mexikaner fliehen kreischend zum Schluchtausgang und werden dort von ihren eigenen Kamera69
den mit dem Maschinengewehr zusammengeschossen, bis endlich die Waffen schweigen und die Ärmsten aus dieser Hölle herauskönnen. Plötzlich ist es ganz still. Anscheinend wagen es die Mexikaner nicht, in den Canyon zu kommen, weil sie wissen, daß Billys Männer bewaffnet sind. Und so vergehen Stunden, ohne daß sich noch etwas ereignet. Billy sieht, daß sie keinen Ausbruch wagen können. Und auf lange Sicht sind die Mexikaner im Vorteil. Sie haben Wasser und auch zu essen. Und sie haben genügend Munition. Das scheinen sie auch selbst zu denken; denn es bleibt alles ruhig. Wahrscheinlich wollen sie keine weiteren Verluste erleiden. Es ist schon morgens, als Billy auf einen vorwitzigen Mexikaner schießt, der neugierig um eine Felsenecke späht. Sofort verschwindet der Mann. Wieder vergeht lange Zeit, bis die Gegner etwas unternehmen. Billy ermahnt seine Männer, zu schlafen. Nur einige sollen wachen. Der Captain blickt gerade wieder über die Brüstung der Felshöhle, als er beobachtet, daß die Mexikaner mit dem Maschinengewehr des hinteren Canyonzuganges anrücken. Als Billy auf die Gruppe zu feuern beginnt, legen sich die Mexikaner flach auf den Boden, und schon rattert das MG. Der Captain und seine Männer müssen die Köpfe einziehen, um nicht getroffen zu werden. Trotzdem schießt Billy ab und zu, und auch die anderen Männer wagen von Zeit zu Zeit einen Schuß. Es ist nur noch eine Gruppe von zwei Mexikanern an dem MG. Die anderen sind verwundet oder tot. Doch nun kommen im Schutz der Feuergarben einige Mexikaner heran, die Dynamitstangen tragen. An den winzigen Rauchfähnchen erkennt Billy, daß sie schon angezündet sind. Ohne auf das Maschinengewehr zu achten, beugt er sich vor und gibt drei Schüsse ab. 70
Die Mexikaner scheinen nicht mit soviel Zielsicherheit gerechnet zu haben. Sie werfen die Stangen weg und flüchten. Sekunden später explodieren die Ladungen. Billy nutzt die durch Staub und Dreckfontainen der Explosion hervorgerufene schlechte Sicht aus und Springt aus der Höhle. Den anderen winkt er zu, zurückzubleiben. Als sich der Staub legt, befindet sich Billy bereits zwanzig Schritt seitlich hinter einer Hecke. Er liegt flach am Boden. Hastig lädt er nach und schießt. Die Mexikaner haben von dieser Seite aus keinen Angriff erwartet, und so werden sie das Opfer von Billys Schüssen. Das Maschinengewehr ist ausgeschaltet. Doch jetzt hämmert das zweite MG. vom Felsen her. Billy ist in einer argen Notlage. Er hat keine Deckung nach oben und liegt wie auf dem Präsentierteller. Doch das Feuer verstummt plötzlich. Stattdessen ruft eine Billy wohlbekannte Stimme von oben: „Alles okay, Billy! Zieh dich zurück! Wir passen auf!“ Es ist Dick, der da ruft. Über Billy kommt ein kolossales Glücksgefühl. Seine alten Sattelkameraden haben ihn in letzter Sekunde vor einem bitteren Schicksal bewahrt. Kaum ist Billy wieder in der Höhle, als oben das MG. rattert. Doch nun ist es für Billy und seine Männer ein anderes Geräusch als zuvor; denn das MG. wird von Dick und Jim bedient. In den Canyoneingang stürmen eine Menge Mexikaner. Doch sie geraten in die Maschinengewehrgarben und drängen zurück. Billy gibt seinen Männern ein Zeichen. Sie springen aus den Höhlen und stürmen den Mexikanern nach. Oben vom Felsen rattert das MG. in kurzen Feuerstößen. In heilloser Flucht hasten die Mexikaner davon. Doch sie kommen nicht weit. Ein breiter Riegel braungrauer Gestalten schiebt sich ihnen entgegen. Kavalleristen preschen aus den 71
Zugangswegen hervor, und eine Reihe schwarzgekleideter Rurales rast auf kleinen wendigen Pferden in die verwirrten Rebellen hinein. Die krummen Säbel der Gendarmen schwingen auf und ab. Das ist das Ende für Don Enricos Truppe, die ihn zum Gouverneur machen sollte. Die Mexikaner ergeben sich und werfen die Waffen weg. Im Handumdrehen sind sie von den Soldaten und Rurales umzingelt. Es ist das Glück der Rebellen, daß sie als Angehörige der Provinztruppen betrachtet werden, sonst hätte es ein grausiges Blutbad gegeben. So aber werden alle, die das grüne Band am Hute tragen, nur gefangengenommen. Wer es nicht trägt, wird als Bandit angesehen und sofort erschossen. Billy kann zu dieser Art Gerechtigkeit nur den Kopf schütteln. Aber er weiß, daß nur ein Mexikaner so etwas versteht. Vergeblich schaut Billy nach Don Enrico aus, doch der ist nicht unter den Gefangenen. Dick und Jim kommen von dem Felsen herunter und schütteln Billy die Hand. Scott und der wieder Uniform tragende Felipo begrüßen ihren. Freund ebenfalls. Auch die befreiten Männer der Schiffsbesatzung und die übrigen Amerikaner danken Billy für seine Tat. Doch Billy Jenkins ist nicht zufrieden. „Es fehlt noch ein Mann, und das ist der wichtigste Punkt an dieser Sache.“ „Was ist mit dem MG!?“ fragt Billy so nebenher. Dick lacht. „Es steht noch oben, warum fragst du?“ Billy weiß selbst nicht, warum es ihm gerade einfiel. Im Unterbewußtsein blickt er zum Felsen hinauf. Doch plötzlich erschrickt er. Er sieht eine Gestalt am Rande des Felsens zu dem Maschinengewehr gehen. Und dieser Mann ist Don Enrico. „Halt! Bleiben Sie stehen!“ ruft Billy nach oben. Don Enrico ist bereits hinter dem MG. „Ihr sollt alle sterben! Ihr sollt mit mir in die Hölle fahren!“ ruft Don Enrico mit heiserer Stimme nach unten. 72
Billy braucht sich nicht erst mit einem Blick zu überzeugen, daß es ein fürchterliches Blutbad geben wird, wenn Don Enrico in die Menge der Soldaten und Gefangenen schießt. Jim hat seinen Colt herausgerissen und feuert. Dick und Scott wollen ebenfalls schießen, doch Billy reißt Scott den Colt aus der Hand, und schon kracht der Schuß. Jims Schuß hat Enrico in die Schulter getroffen, aber er zielt doch mit dem Lauf des MGs auf die Menge und drückt ab. Das Durcheinander der ziemlich eng zusammenstehenden Soldaten ist grenzenlos. Doch plötzlich schweigt die furchtbare Waffe. Langsam sinkt der Oberkörper des Verbrechers nach vorn und ist der Sicht der Menge entzogen. Scott, Dick und Jim klettern sofort von hinten auf den Felsen Von der anderen Seite hasten Soldaten den Berg hinauf. Doch oben ist alles ruhig. Wenig später steht Dick keuchend oben an der Stelle, wo das MG sich befindet. „Er ist tot!“ ruft er herunter, *
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Drei Tage später sitzen Billy Jenkins, Jim Chester, Dick Hanson und Scott O’Brien in dem Expreß nach USA. Sie haben es sich in dem Abteil Erster Klasse gemütlich gemacht. Dick kratzt seine Nägel sauber, Scott stopft sich seine Riesenpfeife, und Jim blickt zum Fenster hinaus. Billy aber liest eine druckfeuchte Zeitung, die er in Hermosillo erstanden hat. „Hört mal zu, ihr Knaben!“ sagt er mit sonorer Stimme. „Hier steht etwas Interessantes! Es ist eine nordamerikanische Zeitung, die in Mexiko in Lizenz gedruckt wird. Also da steht: ‚Captain Jenkins befreit neunundzwanzig Weiße aus der Sklaverei der Banditen! Unter der großartigen Leitung unseres 73
Obersten Kommissars für innere Sicherheit gelang es dem USamerikanischen Bandenspezialisten, ein aus Nordländern bestehendes Sklavenlager aufzureiben und die Gefangenen zu befreien!’“ Billy macht eine Pause und nimmt ein anderes Blatt, das neben ihm liegt. „Hier haben wir eine mexikanische Zeitung! Da steht: ‚Grausame Banditen von dem berüchtigten Miguel Zafiro alias Don Enrico Valdez durch Oberst Valldoid und den genialen Capitan der Rurales Molinero aufgerieben und vernichtet! An der Razzia, die unser Oberster Polizeikommissar selbst leitete, nahmen auch amerikanische Detektive teil!’“ Billy nimmt wieder eine andere Zeitung auf. „Das ist hier eine rein amerikanische Zeitung aus El Paso. Sie ist von gestern! Paßt auf! ‚Greueltaten der mexikanischen Polizei. Hunderte von Rebellen durch grausame Rurales abgeschlachtet. Nur dem Eingreifen unseres bekannten Captain Jenkins von der Special Police war es zu verdanken, daß nicht auch die befreiten Weißen mit erschlagen wurden, als sich die Rurales in ihrem Blutrausch befanden!’“ Dick lacht laut. „Da sieht man mal, was die Zeitungsschreiber zusammenlügen!“ „Keine der Anzeigen entspricht den Tatsachen!“ meint Scott. „Alles Unsinn!“ „Übrigens, da fällt mir ein“, sagt Billy nach einer Weile. „Wißt ihr, daß der famose Felipo zum Major befördert wurde?“ „Er hat’s verdient, der Junge!“ meint Jim. Scott sagt: „Als ich mich verabschiedete, sagte er zu mir: ‚Na, wenn’s so weiter geht mit der Beförderung, bin ich bald General!’ Und er wird’s noch, sage ich euch!“ „Aber du bleibst Sergeant, bis du schwarz wirst!“ meint Dick spöttisch. „Du aber auch, Dicker!“ hetzt Jim. Billy unterbricht die Streitenden: „Einen Mann, der sich während der ganzen Aktion im Hintergrund hielt, uns aber sehr 74
von Nutzen war, dürfen wir nicht vergessen: Colonel Brown! Er hat das gesamte Manöver gegen die Banditen eingeleitet. Daß ich noch lebe, verdanke ich indirekt ihm, und daß Don Enricos Streitmacht geschlagen wurde, verdanken wir seiner trefflichen Organisation!“ „Well, dann will ich meine Schnapsflasche spendieren, damit wir auf den Mann im Hintergrund einen trinken können!“ erklärt Scott lachend. Ende
1955 Uta-Verlag, Sinzig/Rhein Alle Rechte vorbehalten Bu-Ka-Druck, Lengerich (Westf.) Gesamtauslieferungsstelle: Verlagsauslieferung Billy Jenkins, (23) Syke, Postfach 23 Das Heft darf in Lesezirkeln und Leihbüchereien nicht geführt werden.
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Der amerikanische Westen von heute
Eine Ranchers-Tochter mit Ihrem prächtigen Weißfalben, einem reinrassigen Palomino.