ALEXANDER POPE • DER LOCKENRAUB
DER LOCKENRAUB
EIN KO M I S C H E S H E L D E N G E D I C H T VON A L E X A N D E R ...
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ALEXANDER POPE • DER LOCKENRAUB
DER LOCKENRAUB
EIN KO M I S C H E S H E L D E N G E D I C H T VON A L E X A N D E R P O PE • M I T N E U N ZEIC H N U N G E N VO N A . B E A R D S L EY
ERSCHIENEN IM INSEL-VERLAG-LEIPZIG MCMVIII
Nolueram, Belinda, tuos violare capillos; Sed juvat, hoc precibus me tribuisse tuis. MART. A tonso est hoc nomen adepta capillo. OVID.
Mrs. Arabella Fermor
Gnädige Frau, Es wäre eitel zu leugnen, daß ich eine Vorliebe für dieses Gedicht habe, da ich es Ihnen dediziere. Doch können Sie es mir bezeugen, daß es ursprünglich nur für die Belustigung einiger weniger jungen Damen bestimmt war, die so viel Geschmack und Laune besitzen, nicht nur über die kleinen, für gewöhnlich unbeachteten Torheiten ihres Geschlechtes zu lachen, sondern auch über ihre eigenen. Da man aber das Gedicht unter der Hand als Geheimnis mitteilte, so fand es bald seinen Weg in die Welt. Ein Buchhändler erhielt eine unvollständige Kopie angeboten; und Sie waren gutmütig genug meinethalben der Veröffentlichung einer korrekteren Ausgabe zuzustimmen; hierzu wurde ich gezwungen, bevor ich meinen Plan erst halb ausgeführt hatte; denn die Maschinerie, die es vervollständigen sollte, fehlte ganz und gar. Eine Maschinerie, gnädige Frau, ist ein Ausdruck, den die Kritiker erfunden haben, um die Aufgabe zu bezeichnen, die den Göttern, Engeln oder Dämonen in einem Gedichte zufällt; denn die alten Dichter gleichen in einer Hinsicht den Damen unsrer Zeit: Ein Begebnis mag an sich noch so unbedeutend sein, sie machen immer eine Haupt- und Staatsaktion daraus. Diese Maschinen entschloß ich mich nun auf einer sehr neuen und wunderlichen Grundlage zu errichten, nämlich der rosenkreuzerischen Geisterlehre.
Ich weiß, es ist nicht sehr höflich, wenn man gelehrte Worte vor einer Dame gebraucht: Aber dem Dichter ist nichts wichtiger als die Gewißheit, seine Werke verstanden zu sehen — vor allen Dingen von dem schönen Geschlecht; und so müssen Sie mir schon erlauben, daß ich Ihnen zwei oder drei schwierigere Termini erkläre. Die Rosenkreuzer sind ein Volk, mit dem Sie bekannt werden müssen. Die beste Nachricht von ihnen habe ich in einem französischen Buch »Le Comte de Gabalis« gefunden, dessen Titel und Format so sehr auf eine Novelle schließen lassen, daß manche Schöne es aus Versehen dafür gelesen hat. Nach der Behauptung ieser Herrschaften sind die vier Elemente von Geistern bewohnt, die als Sylphen, Gnomen, Nymphen und Salamander voneinander unterschieden werden. Die Gnomen oder Dämonen der Erde gefallen sich in allerlei Bosheit: Aber die Sylphen, deren Wohnung die Luft ist, sind die besten Geschöpfe von der Welt. Denn man sagt, jeder Sterbliche könne mit diesen liebenswürdigen Geistern die allerintimsten Vertraulichkeiten unterhalten, wenn er eine Bedingung innehält, die allen wahren Adepten sehr leicht fällt, nämlich die der unverletzten Keuschheit. — Was die folgenden Gesänge anbetrifft so gehören alle ihre Teile ebensosehr ins Fabelreich, wie die Vision zu Beginn des Gedichtes oder die Apotheose am Schluß (außer dem Verlust Ihres Haares, dem überall die schuldige Ehrfurcht gezollt wird). Die menschlichen Personen sind ebenso erdichtet wie die luftigen; und Belinda, wie sie jetzt erscheint, gleicht Ihnen vielleicht an Schönheit, sonst an nichts. — Wenn dies Gedicht ebenso schön und anmutig wäre, wie Ihr Äußeres oder Ihr Herz, so dürfte ich dennoch nicht hoffen, daß es auf seinem Gang in die Welt nur halb so unbescholten bleibe, als Sie. Doch möge sein Geschick sein, was es will, meines ist glücklich genug, da es mir diese Gelegenheit verschafft, Ihnen zu versichern, daß ich, gnädige Frau, mit der aufrichtigsten Hochachtung Ihr gehorsamster und ergebenster Diener bin, A. POPE.
DER LOCKENRAUB
W
ie Kränkung oft aus Liebesquellen spring’ Und bittrer Haß aus einem kleinen Ding, Wird — und der Sang sei Caryl zugedacht — Euch durch Belinda hier vors Aug’ gebracht Schlecht ist der Stoff; doch groß, mein Ruhm, wirst du, Nickt Er mir freundlich, und bläst Sie mir zu. Wie war es möglich, Muse, sag mir’s schnell: Ein Lord verging sich gegen eine Belle? Und — noch ein Rätsel, spottend jedes Worts: Die Belle verschmäht den Antrag eines Lords? 1
Der Menschenzwerge Mut, ist er so kühn, Und kann so wild ein zarter Busen glühn? Durch weißen Mull traf scheu ein Sonnenstrahl Das Auge, das sein leuchtender Rival. S’war um die Zeit — recht weit nach Mitternacht, Wo selbst der Schlummerloseste erwacht; Der faule Schoßhund reckt sich auf dem Flur, Und silbern repetiert die Taschenuhr. Belinda schlummert fort in weicher Ruh, Ihr Wächter-Sylphe weht ihr Träume zu. Er hat ihr auch den Morgentraum geschickt, Der jetzt sich leis ihr übers Lager bückt: Ein Jüngling, schöner als dein schönster Flirt, Der selbst im Traum, Belinda, dich verwirrt, Er hielt ans Ohr dir seinen Rosenmund Und gab dir — scheinbar oder wirklich? — kund: O Schönste du, die um sich her beruft Die tausend leichten Wächter in der Luft, Wenn je ein Traumbild deinen Geist genährt, Von dem, was Amm’ und Priester dich gelehrt, Von zarter Elfen mondbeglänztem Reihn, Von blauer Blume und verwunschnem Hain, Von Engeln, die bei Jungfraun einst zu Gast Mit Himmelsblust und goldener Kronen Glast, Hör mich und glaub! Erkenne, wer du seist, Und hefte nicht an niedren Staub den Geist. S’gibt Dinge, die — dem stolzen Sinn versteckt — Nur Jungfraun werden, Kindern nur entdeckt. 2
Was tut’s, wenn zweifelnd uns der Witz verlacht? Schönheit und Unschuld glauben unsrer Macht. So wiss’ unzählige Geister um dich her, Leichte Miliz in niedrer Lüfte Meer, Sie nehmen ungesehn bei Tag und Nacht Zu Haus, im Freien, lautlos dich in acht. Denk, welch ein Hofstaat dir in Lüften ward, Wenn hier vielleicht ein Page deiner harrt. Wir waren einst vor langer Zeit zu schaun So hold wie du im Körper schöner Fraun. Dann führte sanft der Übergang der Gruft Uns von der Erde in das Reich der Luft. Denk nicht, mit ihrem letzten Seufzer schon Sei alle Eitelkeit der Frau entflohn. Sie freut sich noch an voriger Torheit Bild Und blickt in Karten, die sie nicht mehr spielt. Vergoldete Karossen, L’hombre, Sport, Die hier ihr Herz entzückt, entzücken’s dort, Wenn sich der Schönheit stolzer Geist, entseelt, Aufs neue mit dem Element vermählt. Es steigt der bösen Sieben trotziger Mut Als Salamander auf in Flammenglut. Die schmachtend Süßen schlürfen ewigen Tee Mit Nymphen-Scharen im Bereich der See. Zum Gnomen schrumpft die strenge Prüde ein, Da kann sie weiter Unheilstift’rin sein. Kokette wandelt sich zum Sylphen gleich Und spielt und flattert in der Lüfte Reich. Noch eins: Kommt spröde Keuschheit nie zu Fall, 3
Ist’s, weil ein Sylphe heimlich ihr Gemahl. Nimmt doch ein Geist, den keine Fessel hält, Geschlecht und Form an, wie es ihm gefällt. Was wahrt beim Maskenfest, bei Hof, beim Tanz Der hingeschmolzenen Jungfrau ihren Kranz Vorm listigen Freunde, vorm verwegenen Geck, Vorm offenen Blick, vorm Flüstern im Versteck, Wenn euch Musik erweicht, der Tanz erhitzt, Und hold Gelegenheit im Dunkeln sitzt? S’ist nur ihr Sylph’ die Geister wissen’s wohl, Was doch der Welt als Tugend gelten soll. Nun gibt es Nymphen, allzu selbstbewußt, Vorausbestimmt für schnöder Gnomen Lust. Die füllen sie mit Stolz und eitler Sucht, Und lehren sie Verachtung, Liebesflucht, Und zaubern ihnen in ihr leeres Hirn Von Titeln, Rang ein ganzes Schweifgestirn, Gekrönter Häupter den erlauchten Chor; Und »Euer Gnaden« wispert’s in ihr Ohr. So kommt’s, daß, früh im Herzensgrund befleckt, Sich junge Eitelkeit aufs Äugeln legt. Künstlich Erröten lernt ein halbes Kind, Scharfsichtig für die Lust, für Liebe blind. Oft nennt die Welt euch wankelmütig, Kind, Führt euch der Sylphe durch ein Labyrinth. Ihr wißt, wo ihr im Flatter-Zirkel bleibt, Und alten Tand durch neuen Tand vertreibt. Welch zarte Nymphe käme nicht zu Fall 4
Bei Damons Fest, wär nicht Damötens Ball? Wenn Florio spricht, welch Mädchen hielte stand, Drückt’ ihr nicht Lykas liebevoll die Hand? So stellen sie vergnügt von Haus zu Haus Den Spielzeugladen ihres Herzens aus, Wo Bandelier an Bandelier sich reibt, Der Beau den Beau, der Groom den Groom vertreibt. Leichtsinn, so nennt’s die Welt; doch ist sie blind Und weiß nicht, daß es nur die Sylphen sind. Der Geister, die zu deinem Schutz sich mühn Und das kristallene Feld der Luft durchziehn, Bin einer ich — mein Nam’ ist Ariel. Im Spiegel deiner Sterne klar und hell Da sah ich, ach, ein schrecklich Schicksal dröhn, Noch eh die Sonne heut hinabgeflohn. Gern täte dir dein Sylphe mehr noch kund, Doch Was? Wie? Wo? verschwieg des Himmels Mund. Drum, fromme Maid, hör meine Warnung an: Scheu alles heut, am meisten scheu den Mann! Er sprach’s, als Shock, dem’s allgemach zu hell, Dich aus den Träumen scheuchte mit Gebell. Da — spricht man wahr — Belinda, blicktest du Zuerst, erwachend, auf ein Billetdoux. Von Wunden, Reizen, Flammen, las man kaum; Und aus dem Hirn entschwand der Morgentraum. 7
Entschleiert nun die Toilette steht, Geordnet glänzt das silberne Gerät. In Weiß verhüllt seht ihr die Schöne nahn, Um der Kosmetik Weihen zu empfahn. Der Spiegel zeigt ein himmlisches Gesicht, Sie neigt sich zu ihm, und betrachtet’s dicht. Die niedre Priest’rin, seitlich vom Altar Nimmt ihres Diensts mit Furcht und Zittern wahr. Unzählige Schätze öffnen sich zugleich, Die Spenden, dargebracht von jedem Reich. Die weiß sie für die Göttin auszuspähn, Und schmückt sie mit den glitzernden Trophä’n. Hier schimmert Hindostans Juwelenschein; Und ganz Arabien haucht aus jenem Schrein. Schildkröte hier und Elefant erscheint Als Kamm, das Bunte mit dem Weiß vereint. Dort Nadeln, reihweis und, vereint in Ruh, Puffs, Puder, Pflaster, Bibeln, Billetdoux. Nun tritt die Schönheit furchtbar auf den Plan, Legt, immer wachsend, alle Waffen an, Erweckt ihr Lächeln neu im Strahl des Lichts, Ruft alle Wunder ihres Angesichts, Daß Grad um Grad ein frischeres Rot erblüht, Und immer heller ihre Wimper sprüht. Die Sylphen, eifrig, nehmen ihrer wahr, Der glättet ihr die Stirne, der das Haar, Den Ärmel der, den Rock, der sich verschob, Und Betty erntet unverdientes Lob. 8
ZWEITER GESANG
G
LORREICHER fährt nicht durch das Purpurzelt Die Sonne morgens in der obern Welt, Als die Rivalin ihrer Strahlenspur Die Silberbrust des Themse-Stroms befuhr. Ein schöngeschmückter Schwarm umgab sie dicht: Sie sah man an, die ändern sah man nicht. Sie trug ein Kreuz auf ihrer weißen Brust, Dort küßt’ es wohl ein Jude selbst mit Lust. Die klaren Augen künden heitern Sinn, Unstet wie sie, und immer her und hin. Oft wird ein Lächeln, niemals mehr verschenkt, Versagt wird jedem, keiner wird gekränkt. Ihr Auge blendet wie der Sonne Strahl; Und scheint wie jene allen auf einmal. Ja, wenn sie wirklich einen Fehler hätt’, Sie macht ihn durch bescheidene Anmut wett. Und eine Schöne, fehlt sie dann und wann, Man sieht sie kaum — und denkt nicht mehr daran. Die Nymphe, zu der Menschheit Untergang, Trug hinterwärts zwei Locken schön und lang. Mit gleichen Ringeln, strebsam im Verein, Verhüllten sie des Nackens Elfenbein. Irrgärten waren’s, drin sich Liebe fängt, Und schwache Kette, die den Stärksten zwängt. Man fängt der Fische und der Vögel Schar Mit Angeln wohl und Sprenkeln, die aus Haar; In schönen Locken fängt sich mancher Mann, 9
Daß ihn ein Haar der Liebsten gängeln kann. Der Lord verehrte diese Locken heiß, Er sah, er wünschte und begehrt den Preis. Gewalt und List — gleich gilt ihm der Entschluß: Er weiß nur eins: Daß er sie rauben muß. Kein Mittel scheint dem Liebenden zu schlecht: Hab’ nur Erfolg, so bist du auch im Recht. Drum eh noch Phoebus Fackel aufgeloht, Fleht er den Himmel an und jeden Gott, Amor am meisten — baute er doch gar Ihm aus zwölf Folianten den Altar, (Romane waren’s) und zu oberst fand Aus früh’rer Zeit sich manch ein Liebespfand. Strumpfbänder waren, seidene, glaub ich, drei Und Handschuh auch, ein halbes Paar, dabei. Mit Billetdoux entzündet er’s alsdann Und bläst’s mit drei verliebten Seufzern an, Fällt auf die Knie und fleht mit heißem Blick: »Gewährt mir bald, bewahrt mir lang mein Glück!« Der Himmel hört zur Hälfte dies Gebet, Die andre Hälfte hat ein Wind verweht. Doch sicher nun in Morgensonnenglut Streicht unser buntes Fahrzeug durch die Flut. Musik umfängt mit Zauberei den Sinn Und schmilzt melodisch auf dem Wasser hin. Die Welle scherzt, der Wind schläft irgendwo, Belinda lächelt — und die Welt ist froh. Nur nicht der Sylphe; denn, vorausgewußt, 10
Bedrückte schon das Unheil seine Brust. Er ruft sogleich die Bürger seiner Welt, Und sie versammeln sich ums Gondelzelt. Ein luftig Flüstern streicht am Linnen hin, Nur Windhauch scheint’s dem unbelehrten Sinn. Insektenflügel ruhn in leisem Flug Auf kühlem Wind, auf goldnem Wolkenzug, Durchsichtige Formen, aufgelöst in Licht, Zerflatternd vor dem menschlichen Gesicht. Das Luft-Gewand zerfließt in Winden lau, Ein flimmerndes Geweb aus Duft und Tau, In reichste Färbung des Gewölks getaucht, Das Licht mit tausend Strahlen überhaucht, Wo jeder Strahl verschiedene Farbe trägt, Farbe, die wechselt, wenn ein Flug sich regt. In Kreises Mitten, auf dem goldnen Mast Saß Ariel, der königliche Gast, Öffnet’ den Purpurfittich, hob alsdann Das azurblaue Scepter und begann: Sylphen, Sylphiden, die ihr kamt von fern, Feen, Elfen, Genien, hört auf euren Herrn: Die Sphären kennt ihr, drin seit alter Zeit Ihr Luftbewohner dienst- und wohnhaft seid. Es wärmet sich im Äther hoch und klar, Im weißen Dunst des Tags die eine Schar; Im Unbegrenzten sichern sie den Kreis Und rollen die Planeten durch ihr Gleis. Noch andre, gröbere fangen bei dem Schein Des blassen Monds verirrte Sterne ein. Von Nebelwust befreien sie die Luft 13
Und hängen zierlich in der Iris Duft, Bewölken schwer des Winters dunkles Zelt Und träufeln mild den Regen übers Feld. Noch andre überschaun der Menschen Schar Und nehmen ihrer Weg’ und Taten wahr. Die stolzesten sind Wächter der Nation Und stehn in Waffen, fromm um Englands Thron. Bescheidener ist, doch lustig unser Ruf, Der uns zur Pflege aller Schönen schuf. Wir sorgen, daß dem Puder nichts passiert Und das Parfüm nicht seinen Schmack verliert; Wir zaubern Farben aus des Frühlings Flor Und aus der Iris, eh sie sich verlor In Perlenschauern, kräuseln zart ihr Haar, Ihr Lächeln, ihr Erröten plagt uns gar. Ja selbst Erfindung schenken wir im Traum: Fürs neue Kleid ’nen nie gesehnen Saum! Heut wacht, ihr Geister, schärfet euren Blick, Der Schönsten drohet heut ein schwarz Geschick, Ein grauses Unheil, sei’s Gewalt, sei’s List, Doch blieb verborgen, was und wo es ist. Sei’s, daß die Maid Dianens Satzung bricht, Sei’s eine China-Vas’, — ich weiß es nicht. Ob sie die Ehre, ob ihr Kleid befleckt, Nicht betet oder tanzt, ward nicht entdeckt; Ob sie ihr Herz, ob ihr Kollier verliert, Ob Gott beschloß, daß Shock etwas passiert? Drum, Geister, eilt! Seid wachsam, gebet acht! Des losen Fächers Zephiretta wacht. Die Drops bekümmern dich, Brillante nur, 14
Und Momentilla, passe auf die Uhr. Crispina, warte du der Lieblingslock’; Und Ariel selbst wird Wächter sein für Shock. An fünfzig Sylphen höchster Distinktion Vertrauen wir das Schwerste, den Jupon. Oft war der siebenfache Zaun zu schwach, Fischbein und Reifen halfen nichts, — er brach. Formt einen Kreis rings um den weiten Rand Als Wache um des Saumes Silberband. Weh Geister euch, wenn ihr der Pflicht vergeßt, Und einer gar die Schöne ganz verläßt! Ihr werdet sehn, wie er den Frevel büßt, In gläsernen Behältern aufgespießt, Getaucht in bittrer Schönheitswässer Laug, Allzeit gezwängt in ein Schnürnadelaug. Mit Gummi, mit Pomaden sind verklebt Die Flügel ihm, die er vergeblich hebt. Alaun und Essig ziehn mit Vehemenz Zusammen seine schrumpfende Essenz. Ixions Qualen gleiche sein Gefühl, Im Wirbelsturm am Rad der Kaffeemühl. Er soll im Dampf der Schokolade glühn Und drohend unter ihm die Brandung sprühn. Er sprach’s. Die Geister stiegen schnell und leis Vom Tauwerk ab — umstellten sie im Kreis, Versteckten sich in ihrer Locken Pracht: Selbst auf dem Ohrring hält ein Sylphe Wacht, Klopfenden Herzens, mit erschrocknem Blick Und zitternd vor dem drohenden Geschick. 17
DRITTER GESANG
N
AH jenen Wiesen, immer hold beblümt, Wo sich die Themse ihrer Türme rühmt, Steht ein Gebäude, aller Welt bekannt, Das sich nach Hamptons Nachbarschaft genannt. Dort ahnt der Staatsmann oft den Fall voraus Von fremden Menschen und von Fraun zu Haus. Dort, große Anna, Herrscherin der See, Nimmst du zuweilen Rat, zuweilen Tee. Heroen und Nymphen siehst du hier vereint, Solang des Hofes Sonne ihnen scheint Man gibt einander nützlichen Bericht, Wer den und den besuchte und wer nicht. Der spricht zum Ruhm von Englands Königin, Und der beschreibt die Farben eines »screen«*. Der dritte schwätzt von Nachbars Wohl und Weh — Bei jedem Wort stirbt eine Renommee. Und kam das Plaudern je zum Stillestand, Sind Schnupftabak und Fächer gleich zur Hand. Indessen neiget zu des Himmels Rand Die Sonne sich und zielt mit schrägerm Brand. Der Richter, hungrig, unterzeichnet schnell: Er fährt zum Essen, drum fährt Stax zur Hölll Der Kaufmann eilt nach Haus mit frohem Mut, Des Anzugs mühevolle Arbeit ruht. Belinda nun, von Ruhmbegier geschwellt, Trifft mit zwei Rittern sich auf grünem Feld. * Ein Schirm gegen Licht oder Kaminfeuer.
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Sie weiß im voraus schon, wer unterliegt, Und siegt beim L’hombre, wie sie immer siegt. Schon rüsten sich die Scharen von den Drein, In jeder Hand die Zahl der heiligen Neun. Sie ordnet ihre Karten kaum, und schnell Setzt einen Geist auf jede Ariel. Er selber sitzt auf einem Matador, Nach Rang und Ordnung folgt der andre Chor. Die Sylphen waren Fraun — wie euch bekannt — Und sind noch jetzt erpicht auf Rang und Stand. Sieh her, vier Könige, würdig, ernst, bejahrt, Mit ungeheurem Kinn- und Backenbart, Vier Königinnen in holdseliger Pracht, Mit Blumen, Zeichen ihrer sanfteren Macht, Vier Buben im gegürteten Gewand, Kapp’ auf dem Haupt, Hellbarden in der Hand, Und Truppen, farbig bunt und reich gesellt, Ziehn aus zu kämpfen auf dem samtenen Feld. Die Karten überfliegt Belindas Blick: Pique soll heute Trumpf sein. Also Trumpf ward Pique. Nun rückt ins Schlachtfeld mancher Matador, Schwarz von Gesicht, ein königlicher Mohr. Spadillio* erst, der unbesiegte Held, Nimmt alles mit sich, was an Trümpfen fällt. Manillio** dann, von gleichem Stolz entflammt, * Pique-As. — ** Zweithöchster Trumpf.
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Verläßt an Beute reich das Feld von Samt. Ihm folgte Basto* und empfand es hart, Als ihm nur noch ein Trumpf zur Beute ward. Mit breitem Säbel, ein bejahrter Held, Rückt nun höchstselbst Pique-König in das Feld, Setzt vor ein Bein von Heldenmut erfüllt, Das andre bleibt vom Purpurkleid umhüllt. Sein Bube, der sich gegen ihn empört, Erliegt dem Königszorn, wie sich’s gehört. Großmächt’ger Pam** selbst, Held der Helden du, Glorreicher Sieger in dem Kampf des Lu*** Du fällst — o launig wechselndes Geschick! — Wie ein Gemeiner vor dem Sieger Pique. Gar manche Beute zählt Belinda schon; Jetzt aber neigt das Glück sich dem Baron. Die kriegerische Königin des Pique, Die Amazone bringt es ihm zurück. — Treff-König fällt ihr gleich zum Opfer hin, Trotz frechem Antlitz und trotz stolzem Sinn. Was hilft ihm nun der Glieder plumpe Kraft, Und was die Schleppe, faltenreich gerafft, Der Krone Schmuck, die schwer das Haupt ihm ziert, Und was der Apfel, den allein er führt? Doch der Baron kommt nun mit den Carreaux, — Ihr König zeigt das halbe Antlitz bloß; Doch seine Königin, mit ihm vereint, Bewältigt leicht den schon geschwächten Feind. Treff, Carreau, Cœur, geschlagen, Mann für Mann, * Treff-As. — ** Treff-Bube. — *** Auch Loo, (Abkürzung von Laterloo oder Langterloo) = ein Kartenspiel.
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Bedecken haufenweis den grünen Plan. So ist’s, wenn Asiens bunte Kompagnien Zugleich mit schwarzen Afrikanern fliehn, Verschiedener Farbe und verschiedenen Kleids, Doch gleicher Wirrsal alle, gleichen Leids. In Hauf auf Haufen stürzt der wüste Schwall, Ein einzig Schicksal brachte sie zu Fall. Der Carreau-Bube mit verschlagenem Sinn Gewinnt (o Schande!) die Cœur-Königin. Nun flieht die Röte von Belindas Wang’. Und Blässe deckt ihr Antlitz trüb und bang. Sie sieht sich schon — und zittert, es zu schaun — Ganz ruiniert und in Kodillens Klaun! Und nun (wie oft in Staaten, die bedrängt), An einem Zug ihr ganzes Schicksal hängt: Man wirft Cœur-As. Versteckt in ihrer Hand Beweint Cœur-König seiner Gattin Schandl Nun springt er vor voll Rachbegier und Haß Und fällt wie Donner aufs verlor’ne As. Sieg! ruft die Nymphe, Sieg! Ihr Jubel schallt, Und füllt mit Echos Zimmer, Fluß und Wald. O, arme Sterbliche, dem Schicksal blind, Bald groß, bald klein, und wechselnd wie der Wind! Wie bald erfolgt auf diesen Sieg der Schlag; Und Fluch für immer fällt auf diesen Tag. Sieh her!
Ein Teebrett wird alsbald serviert,
* Ausdruck beim L’hombre, hier Verlust bedeutend.
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Die Kaffeemühle kracht, die Tasse klirrt; In Silberlampen brennt auf dem Altar Von Japanlack die geistige Flamme klar. Aus Silberschnauzen nimmt der Trank den Lauf, Und Chinas irdene Ware nimmt ihn auf. Geruch, Geschmack tun beide sich genug; Und manche Tasse leert man Zug auf Zug. Dicht um die Schöne schwirrt das Volk der Luft Und fächelt lind des Trankes heißen Duft, Schwebt über ihrem Schoße dienstbereit, Bewußt und zitternd um das teure Kleid. Kaffee (der Zaubertrank der Politik — er macht euch sehend mit geschlossenem Blick) Steigt dem Baron ins Hirn und macht ihm klar, Wie er gewinne das ersehnte Haar. Halt, Jüngling, halt! Eh es zu spät, zurück! Und fürchte Scyllas trauriges Geschick. Sie ward ein Vogel, die ein Mädchen war, Und büßt für des verletzten Nisus Haar. Doch wenn der Mensch zum Bösen sich gewandt, Wie schnell ist ihm ein Instrument zur Hand! Zog nicht Clarissa just mit Lächeln ein Zweischneidig Werkzeug aus dem Lederschrein? So wappnet eine Dame ihren Knecht, Reicht ihm den Speer und schmückt ihn zum Gefecht. Er nimmt es dankbar an. Die Schere blitzt, Die schon auf seinen Fingerspitzen sitzt. Er öffnet sie. Belinda schlürfte grad Die braune Flut, als er von hinten naht. 22
Gleich auf die Locke stürzt die Geisterschar, Und bläst nach vorn mit Flügelschlag das Haar. Dreimal hat’s ihr am Ohr gezwickt, dreimal Sieht sie sich um; und dreimal naht der Stahl. Grad in dem Augenblick forscht Ariel, ach, Dem tiefsten Abgründ ihres Herzens nach. Er saß im Blumenstrauß vor ihrer Brust Und sah, wes sie sich selber kaum bewußt: Ein Erdensohn, trotz aller ihrer Kunst, Schlich ihr ins Herze als Objekt der Gunst. Bestürzt, verwirrt, erkannt’ er sein Geschick, Und zog mit Seufzern, machtlos sich zurück. Die Schere öffnet ihre Klingen weit, Bis sie die Locke fassen, alle beid’. Selbst da, eh sich die Schicksalsschere schloß, Stellt sich ein armer Sylph dem Angriff bloß. Das Fatum drängte, schnitt ihn kurz entzwei; (Doch luftiger Stoff vereint sich gleich aufs neu). Die Schneiden treffen sich. Dem schönsten Haupt Ist nun für ewige Zeit der Schmuck geraubt. Belindas Auge brennt in Zornesglut, Die Lüfte geben Echo ihrer Wut. Kein lauter Schrei’n um Himmels Mitleid wirbt, Wenn euch ein Gatte oder Schoßhund stirbt, Nicht wenn ein Chinatopf vom Borde fliegt, Und nun zerschellt in bunten Stücken liegt. Nun hüllt mit Lorbeer mir die Schläfen ein, 25
(Ruft der Baron) der hohe Preis ist mein! Solang der Fisch im Wasser sich ernährt, Die schöne Britin gern mit sechsen fährt, Solang man Atalantis lesen wird, Und Kissenpracht der Damen Bette ziert, Solang man feierlich Besuche macht, Wo jedes Zimmer strahlt in Kerzenpracht, Solang zum Rendezvous die Schönen gehn, Bleibt Ehre, Ruhm und Name mir bestehn! — Was Zeit verschonte, unterliegt dem Stahl, Wie schwache Menschen kommt der Stein zu Fall. Was Götter bauten, hat der Stahl zerstört, Die Mauern Trojas fest, und stark bewehrt. Stahl stürzt, was du gegründet, Menschenstolz, Und Marmorbögen fallen hin wie Holz. Was Wunder, Nymphe, wenn zu deiner Qual, Dein Haar zur Beute ward dem frechen Stahl?
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VIERTER GESANG
D
OCH Sorge drückt und Angst der Nymphe Sinn, Geheime Unrast treibt sie her und hin. Kein junger Fürst, den in der Schlacht man fing, Nicht stolze Jungfraun, deren Reiz verging, Verliebte nicht, die ganz umsonst geglüht, Nicht alte Damen, die man übersieht, Tyrannen nicht, wenn sie der Teufel holt, Nicht Cynthia, die mit ihrer Zofe grollt, Ist so voll Wut, so aller Tröstung bar, Als du, o Jungfrau, trauernd um dein Haar. Denn damals, als der Sylphen Schar entschwand, Und Ariel weinend sich betrogen fand, Schwang Umbriel, ein traurig finstrer Wicht, Ein Geist, verhaßt dem frohen Sonnenlicht, Sich in der Erde dunkle Tiefen hin Und klopfte an im Haus der Göttin Spleen. Auf schwarzen Flügeln schwebt der Gnome fort, In Dunst verhüllt, und ist gar bald am Ort. Kein sanfter Wind erquickt dies tote Land, Der rauhe Ost ist hier allein bekannt. In einer Grotte, vor der Luft geschützt, In die kein Strahl verhaßten Tages blitzt, Liegt seufzend sie auf grüblerischem Bett; Migräne wacht an ihrer Lagerstatt’. Zwei Jungfern stehn am Throne: Gleich an Rang, 27
Doch nicht an Aussehn, Miene, Haltung, Gang. Mißwollen dort, ein altes Mädchen stand, Verknöchert, streng im grauen Bußgewand. Gar manch Traktat, Gesangbuch und Gebet Birgt ihre Hand, ihr Busen manch Pamphlet. Mit kränkelnd süßer Mien’ Affektation Heuchelt noch Rosen, die ihr längst entflohn. Sie lispelt zart, sie hängt den Kopf zur Seit’ Und seufzt in hoheitsvoller Mattigkeit. In einem vorteilhaften Negligé Sinkt sie mit Anstand auf ein Kanapee. Solch Kranksein wirkt sehr hübsch von Zeit zu Zeit, Zumal in einem neuen Morgenkleid. Ein ewiger Vapeur schwebt in der Luft; Und Mißgestalten weben in dem Duft, Schrecklich wie frommer Eremiten Traum, Wie Mädchen-Phantasien, ein rosa Schaum. Bald wälzen Teufel, Schlangen sich zuhauf, Gespenster stöhnen, Gräber springen auf. Bald sieht man hold Elysiums grünes Tal, Engel mit Flügeln, Schlösser aus Kristall. Unzählige Dinge nimmst du staunend wahr, Durch Göttin Spleen verwandelt, wunderbar. Ein Teetopf streckt dort einen Arm zum Gruß Und beugt den andern (Henkel sind’s und Guß). Dreibeinig läuft ein Pöttchen kreuz und quer, Pasteten seufzen laut, weil sie zu schwer. 28
Dort steht ein schwangerer Greis. Und Jungfern schaut Als Flaschen man: nach Korken schrein sie laut. Mit einer Zauberwurzel in der Hand Passiert der Gnome durch dies Fieberland. Dann spricht er: Heil verworrene Königin, Heil dir, des Weibervolks Beherrscherin, Die du der Jungen und der Alten Geist In Hysterien und Krämpfen unterweist! Nach ihrer Art schaffst jeder du ihr Glück, Die schluckt Mixturen, Jene schreibt ein Stück. Die Stolze zweifelt, wen sie heut besucht, Die Fromme seufzt, weil alle Welt verrucht. Nur eine gibt es, Spleen, die dich verlacht, Und Tausende entfremdet deiner Macht. Doch, o, hat je dein Gnome ausgesät Die Pickelnsaat auf holder Wangen Beet, Hat je er alter Damen Komplexion Beim Spiel erhitzt zu blauem Purpurton, Jemals ein Haupt gekrönt mit luftigem Horn Und ohne Grund erreget Streit und Zorn, Hat je er einer Prüden, die toupiert, Die Pracht des keuschen Lockenbaus verwirrt, Dem teuren Schoßhund Krankheit zugeweht, Die nicht durch Tränen und Arznei vergeht, Hör mich, und rühr Belinden an mit Spleen: Durch sie hat dann die halbe Mitwelt ihn. Die Göttin zeigt ein mißvergnügtes Air, Verweigerung scheint’s, doch deutet es Gewähr. 31
Sie nimmt ’nen Beutel, schnürt ihn zu geschwind, Gleich dem, darein Odysseus band den Wind. Drin sammelt sie der Weiberlungen Kraft, Seufzer und Schluchzen, Glut und Leidenschaft. Dann füllt sie einen Krug mit Angst und Wut, Schmelzendem Kummer, sanfter Tränenflut: Der Gnome trägt die Gaben freudig fort, Entschwebt und ist alsbald am rechten Ort Er fand die Nymphe weinend voller Harm, Gelösten Haares, in Thalestris Arm. Den vollen Beutel schüttet schnell er aus; Und alle Furien streben vor mit Braus. Ganz übermenschlich brennt Belindas Wut; Thalestris fächelt eifernd noch die Glut. O Arme, ruft sie, welch ein Mißgeschick! O Arme! (Hamptons Echo ruft’s zurück.) Hat also sich dein vielfach Mühn gelohnt, Daß Nadel, Kamm, Essenz du nicht geschont? Du bandest deine Locken in Papier, Du branntest sie. Was half es, Ärmste, dir, Daß du die Stirn in Bänder eingefaßt Und tapfer trugst des Bleis zwiefache Last? Ihr Götter! Weist er seine Beute keck Zum Neid der Stutzer, zu der Damen Schreck? Verhüt es Ehre, sie, vor deren Schild Vergnügen, Ruhe, Tugend, nichts uns gilt. Mich dünkt, ich sehe deine Tränen schon, Und höre rings der Flüsterstimmen Hohn. Die Erste einst, sinkst du von Stuf ’ zu Stuf ’; 32
In jedes Munde liegt dein guter Ruf. Nichts fällt mir, Ärmste, dir zur Rettung ein, Bald heißt es Schande, deine Freundin sein. Nein, eh den Preis, den unschätzbaren Preis Er hinter Glas erstaunten Augen weis, Eh er an jenen frechen Händen sitzt, In Gold gefaßt, von Demantstein umblitzt, Eh wachse Gras in Hydepark-Cirkus’ Sand Und ziehen unsere Wits aufs platte Land, Eh kehr ins Chaos heim entsetzten Falles Mensch, Affe, Schoßhund, Papagei und alles! Sie spricht’s. Und wütend eilt sie zu Sir Plume: Rückfordern soll er jenes Hauptes Ruhm, (Sir Plume, auf seine Tabaksdose stolz Und den Spazierstock aus ostindischem Holz). Mit rundem Blick und ernsthaftem Gesicht Klappt Augen er und Dose auf und spricht, Spricht? Nein, er ruft; Mylord, wie? Was? Zum Teufel? Verdammt, die Lock! Verflucht! Da ist kein Zweifel! Zum Henker, s’ist kein Spaß! Nein, bitte, Pest! Gebt her das Haar! — Ein Niesen ist der Rest. Wie schade, daß ein Mann, der gar so wohl Zu reden weiß, vergeblich reden soll, (Sprach der Baron) doch schwör’ ich, dieses Haar Nimmt nie den Platz mehr, der ihm eigen war, Schmückt niemals mehr das liebenswürdige Haupt, Dem meine Schere eben es geraubt. Nun ist, solang ich lebe, seine Statt 33
Auf dieser Hand, die es gewonnen hat. Er sprach’s und hielt des Frevels schönen Lohn, Die Locke hoch empor mit stolzem Hohn. O, Umbriel, böser Gnom, ist’s nicht genug? War’s nötig? — Er zerbricht den Tränenkrug. Die Nymphe nun ganz hingeschmolzen scheint, Ein Auge schmachtet und das andre weint. Auf ihren Busen lehnt sie das Gesicht, Indes sie seufzt, und seufzend also spricht: Für immer werde dieser Tag geschmäht, Da meine liebste Locke von mir geht! Wie hätt ich können zehnmal glücklich sein, Vermeidend Hampton-Court und Pracht und Schein! Doch bin ich nicht die erste, die sich irrt, Und der die Luft des Hofs zum Schaden wird. Ach blieb ich doch in Frieden, unbekannt Und unbe wundert, draußen auf dem Land, Wo keine goldnen Kutschen man begrüßt, Wo niemand L’hombre spielt und Tee genießt. Dort lebte ich zufrieden im Gemüt, Dem Veilchen gleich, das im Verborgnen blüht. Ja, bleib’ zu Haus und spreche dein Gebet, Und hab’ mit jungen Lords kein Tete-a-tete! Wo war denn heute morgen nur mein Sinn? Dreimal fiel mir die Puderquaste hin, Die Vase krachte laut, ich war erstaunt. Pott saß ganz stumm; und Shock war schlecht gelaunt. Auch kam ein Sylphe, schwebte um mein Haupt 34
Und warnte mich. O, hätt’ ich ihm geglaubt! — Sieh dieser Haare tristen Überrest! Zerstört ist das selbst, was du übrig läßt. Wo ist sie nun, die einst in schwarzem Ring Auf diesen weißen Nacken niederhing? Die andre Locke, traurig anzusehn, Blickt nach der Schere schon, bereit zu gehn. Sie weiß, ihr wird — was soll sie denn allein? — Ein schwesterlicher Tod beschieden sein. Abscheulicher! Was nahmst du dir kein Haar, Das etwas weniger zu sehen war?
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FÜNFTER GESANG
S
IE spricht. Das ganze Auditorium weint. Nur nicht der Lord. Ihn hat ein Gott versteint. Vergebens, daß Thalestris ihn beschwört, Ihn, der nicht einmal auf Belinden hört. Nicht blieb Äneas, als er Abschied nahm, Halb so verstockt vor Didos Liebesgram! — Doch mit dem Fächer winkt Clarissa jetzt Und spricht zu allen würdig und gesetzt: Sagt, was verleiht der Schönheit solche Macht, Daß sie aus Narr’n und Weisen Schwärmer macht? Daß ihrethalb man Land und See beraubt, Und ihr wie einem Engel Gottes glaubt? Was macht die Beaux um unsre Sänfte stehn Und durch Lorgnons nach unsren Logen spähn? All dieser Ruhm ist eitel und gemein, Fehlt die Vernunft in unserm Glorienschein, Wenn nicht ein jeder unsrer Freunde spricht: An Seele ist sie schön wie an Gesicht. Ja, wären Kleider, Masken, Tanz und Fest ’Ne Panacee für Alter und Gebrest, Wer lebte nicht mit Recht in Saus und Braus Und lachte die besorgte Hausfrau aus? Zu Balle ging’ die Frömmste jede Nacht; Und etwas Rouge würd keiner mehr verdacht. Nun aber, da die Schönheit doch entweicht, Und da das Schwarz der schönsten Locke bleicht, Der Teint — gemalt und nicht gemalt — verdirbt, 36
Und mancher Star als alte Jungfer stirbt, Ist’s nur die gute Laune, die uns frommt, Wenn uns mal etwas in die Quere kommt. Ja, glaubt es mir, Humor siegt da noch leicht, Wo Schreien, Krämpfe, Ohnmacht nichts erreicht. Umsonst, daß Schönheit augenrollend kriegt: Der Reiz besticht, doch nur die Klugheit siegt. Die Dame sprach. Doch folgte kein Applaus. Belinda trotzt. Thalestris lacht sie aus. Auf, auf zur Rache! Die Virago schreit’s; Und sieh, das Feld entwickelt sich bereits. Man trennt sich in Partei’n, beginnt die Schlacht. Der Fächer klappt, das zähe Fischbein kracht, Heroen und Heroinen toben laut, Daß vor dem Lärmen selbst dem Himmel graut. Sie führen Waffen äußerst sonderbar, Sind unverwundlich, wie der Götter Schar. So schildert uns Homer die Götterschlacht. Wenn — Menschen gleich von Leidenschaft entfacht — Mit Pallas Mars, mit Leto Hermes ringt Und den Olymp in Schreck und Aufruhr bringt. Laut donnert Jupiter. Der Äther bebt, Indes Neptun sich aus den Wogen hebt. Die Erde wankt; und ihre Rinde bricht; Und blasse Geister steigen auf ans Licht. Auf einem Sims sitzt Umbriel, der Wicht. Vor Bosheit strahlt sein teuflisches Gesicht. 37
Die Geisterschar gibt rings auf alles acht, Und fördert wirksam überall die Schlacht. Dort bricht Thalestris durch die Reih’n voll Mut, Verderben strahlt aus ihrer Augen Glut. Am Boden liegen schon ein Beau und Wit. Der stirbt im Gleichnis, jener stirbt im Lied. Grausame Nympheì du zerbrichst mein Herz! Rief Dapperwit und sank in Liebesschmerz. Sir Fopling blickt noch einmal schmachtend hoch: Die Augen sind’s, die töten, sang er noch. So liegt ein Schwan, wo sich Maeander schlingt, Auf Blumenaun, und stirbt, indem er singt. Drauf zog Sir Plume Clarissen in den Staub, Doch ward er Chloens strengem Blick zum Raub. Sie lächelte, da sie ihn hingestreckt: Dies Lächeln hat ihn wieder aufgeweckt. Doch nun wägt Zeus auf seinem Richtersitz Die Weiberlocken gegen Manneswitz. Lang schwankt das Zünglein prüfend hin und her. Des Witzes Schale stieg: Denn Haar wiegt schwer. Wohlan, Belinda stürzt auf den Baron Mit Mienen, welche Tod und Rache drohn. Nicht fürchtet sich der Held, sie zu bestehn, Er wünscht vielmehr, den Feind recht nah zu sehn. Doch sie besiegt den Lord, (man glaubt es kaum) Mit einem Finger und mit einem Daum. 38
Tief in den Sitz von Atem, Ruch und Schmack Wirft sie ihm eine Prise Schnupftabak. Die Gnomen wachen, daß die Prise frommt, Und jedes Stäubchen voll zur Wirkung kommt. Er starrt, er stutzt. Er wankt, sein Auge fließt; Und das Gewölb gibt Echo, da er niest. Jetzt, rief Belinda, nimm dein Schicksal wahr! Und zog sich eine Nadel aus dem Haar, Ein Kleinod, das als schwerer Siegelring Einst an der Kette ihres Urahns hing. Dann schmolz ihn seine Wittfrau um; und lang’ Trug sie am Kleid ihn vorn als Gürtelspang’. Als Kinderklapper dient’s der Ahnin dann, Mit einem Pfeifchen und mit Schellen dran. Belindas Mutter trug’s als Nadel schon; Und diese Nadel droht jetzt dem Baron. Der rief: Frohlocke nicht ob meiner Qual, Es kommt der Tag, da kommst auch du zu Fall. Auch fürcht ich nicht mein tödliches Geschick! Dies fürcht ich nur: Du bleibst allein zurück. — Drum laß mich — willst du Rache — dir zu Füßen In Liebesflammen, doch lebendig büßen. Die Locke her! Ruft sie — und überall Ertönt’s: Die Locke her! im Widerhall. Nicht rief Othello mit so lautem Fluch Nach Desdemonas Spitzentaschentuch. — Doch seht, oft stritten blinde Kämpfer schon 41
Um einen Preis, der beiden längst entflohn. So ist’s auch hier. Die Locke viel beschrien Bleibt unauffindbar jeglichem Bemühn. Wie man sich unter Tisch und Schränke bückt, Sie ist und bleibt — wie durch Magie — entrückt. Man glaubte erst, sie wäre auf dem Mond, Wo alle Eitelkeit der Erde wohnt. Dort steht der Helden Witz in Vasen groß (Mit Riechflakons begnügen sich die Beaux) Gebrochene Treu, Gebete, wenn man krank, Und Herzchen, die ein rosa Band umschlang, Hofmannes Wort, blind’ Spiegelglas zerkracht, Was Erben weinen, was die Hure lacht, Das lagert hier, gedörrter Schmetterling, Traumbücher, Mückenfett und sonst manch Ding. Doch schnellen Auges nahm die Muse wahr, Wie gradenwegs gen Himmel flog das Haar. (So schwand Roms Gründer einst zu klaren Höhn, Von Proculus allein dabei gesehn) Durchs Blau schoß plötzlich hell in goldnem Schein, Ein Stern, mit langem Haarschweif hinterdrein. Nicht Berenicens Haar erstrahlt so mild, So voller Glanz am himmlischen Gefild. Die Sylphen alle sehn’s mit Staunen an Und folgen freudig der verklärten Bahn. Bald sieht die schöne Welt ihn auf Pall Mall Und grüßt mit Serenaden seinen Strahl, 42
Bis ihn als Venus der Verliebte ehrt, Und bei dem Blinzeln seines Lichtes schwört. Der Hexenmeister Partridge* nimmt ihn wahr, Durchs Fernrohr schauend, wenn die Luft ganz klar, Und wird hieraus — wie könnt es anders sein? — Den Fall von Rom und Frankreich prophezein. Drum, schöne Nymphe, weine nicht und glaub, Zum Ruhme ward dir dieser Lockenraub. Gar manche Locke glänzet schwarz und schön. Doch hat man eine so erhöht gesehn? Glaub, wenn dein Blick viel tausend Wunden schlug, Und — spät erst — dir das Schicksal sagt: Genug, Wenn diese beiden Sonnen untergehn, Und diese Locken mit dem Staub verwehn, Nimmt noch die Muse ihres Amtes wahr: Und unter Sternen strahlt Belindas Haar.
* Ein lächerlicher Sterngucker, der in seinem Almanach jedes Jahr den Ruin des Papstes und des Königs von Frankreich (während des Spanischen Erbfolgekrieges) prophezeite.
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NACHWORT DES ÜBERSETZERS
DIE englischen Ausgaben des Lockenraub enthalten eine Anzahl Varianten, die den deutschen Leser kaum interessieren dürften. Doch sind die Ereignisse, die zur Entstehung des kleinen Gedichtes führten, amüsant genug, um hier erwähnt und beachtet zu werden. Im Jahre 1712 erdreistete sich Lord Petre der schönen Mrs. Arabella Fermor eine Locke ihres Haares abzuschneiden; und diese an sich recht harmlose Untat bewirkte die gänzliche Entfremdung, ja Verfeindung zweier großer, bis dahin durchaus befreundeter Familien. Mr. Caryl, ein früherer Hofmann Jakobs des Zweiten und Verfasser einiger litterarischer Nichtigkeiten, fühlte sich zum Vermittler in dieser traurigen Angelegenheit berufen und wandte sich deshalb an Pope, dessen Gestirn damals mit ziemlichem Glanz im Aufgange stand, und der wohl auch dem Kreise, um den es sich hier handelte, nicht ganz fremd war. Er sollte das Unglück in einem Gedicht verherrlichen und als ein neuer Orpheus mit seiner Leier harte Herzen rühren und Haß und Feindschaft in ihr Gegenteil verkehren. Man denke sich diese Begebenheit in unsrer Zeit und Herrn von Below oder Prittwitz, der zu gleichem Zwecke den Beistand Hofmannsthals oder Liliencrons anriefe! Nun, England ist ein andres Land als Deutschland und 1712 eine andre Jahreszahl als 1908. Jedenfalls bemächtigte sich der vierundzwanzigjährige Dichter des ehrenvollen Auftrages, der ihm allerhand litterarische und gesellschaftliche Prospekte eröffnen mochte, mit großem Eifer und schrieb in vierzehn Tagen die erste Fassung seines Rape of the Lock, der ihn mit eins auf den Gipfel seiner Laufbahn brachte. Der allgemeinen Aussage nach scheint Mr. Caryl in seiner Anrufung der Muse Erfolg gehabt und die streitenden Parteien versöhnt zu haben, wenn auch der eigensinnige und mißtrauische Johnson behauptet, er habe von einer in Frankreich lebenden alten Jungfer und Verwandten der schönen Arabella das Gegenteil vernommen. Zugunsten der gewöhnlichen Überlieferung spricht jedenfalls der Umstand, daß Mrs.
Fermor das Gedicht unter ihren Bekannten herumzeigte. Bei dem Interesse, das Dichter und Gegenstand boten, fehlte es nicht an Abschriften, und Pope mußte befürchten, einem jener freibeuternden Verleger in die Hände zu fallen, deren höchst unzweideutige Tätigkeit bis in das vorige Jahrhundert hinein kein gesetzliches Hindernis fand. Er entschloß sich daher, sein Gedicht selbst zu veröffentlichen, zunächst in der ursprünglichen Gestalt (1712 bei Bernhard Lintot), und bald darauf in einer vollständigen Umarbeitung, welche durch die Einführung der Elementargeister und ihres Anhanges, die er zum größten Teil den Geheimnissen der Rosenkreuzer, einer wilden Abart des Freimaurertums, entnahm, die Zahl der Gesänge von zwei auf fünf und den Umfang des Büchleins auf eine präsentablere Bogenzahl brachte, zugleich aber auf die glücklichste Weise das Werk zu einer vollständigen Parodie des großen heroischen Epos erweiterte, das ja ohne die Maschinerie, den aus Homer und Vergil entlehnten Apparat von Göttern, Dämonen und allegorischen Persönlichkeiten nicht denkbar schien, wie denn auch ein dem Lockenraub fast gleichzeitiges hochberühmtes Heldengedicht, die Henriade Voltaires trotz aller unleugbaren Kraft und Größe eben durch die gehäuften Allegorien den merkwürdigen Charakter porzellanener Monumentalität erhält. Pope erklärte den Lockenraub für sein Meisterwerk; und Mit- und Nachwelt haben ihm darin recht gegeben, letztere sogar in dem Maße, daß sie darüber alles übrige — mit Ausnahme vielleicht des Homer — vergessen hat, den Versuch über Kritik, den Essay on Men, die Pastorals, die Dunciad, die Nachahmungen des Horaz und vieles andere. Unter den Zeitgenossen war der Erfolg unsers Gedichtes ein so ungeheurer, daß — vielleicht ein Unikum — keine kritische Stimme sich in den Chor der Bewunderer mischte. Nur Dennis, der schmutzige Diminutiv-Fréron Popes, produzierte einige Jahre nach dem Erscheinen ,,Bemerkungen über den Lockenraub“, ein Erzeugnis kümmerlicher
Rache, das mißwollend, aber schadlos und schon vergessen war, ehe es ans Licht kam. Der deutsche Übersetzer muß mit Beschämung gestehen, daß es ihm nicht gelungen ist, die wesentliche Schönheit und den geistigsinnlichen Reiz des Originals in seine Sprache hinüber zu retten. Das elastische Gehäuse des englischen gereimten »heroic verse« nimmt bei Pope eine so sonore Fülle bedeutungsvoller Monosyllaben auf, daß der Deutsche, der mit einer wesentlich laxeren, weitschweifigeren und syntaktisch lahmeren Sprache annähernd das gleiche in derselben Anzahl von Silben sagen sollte und noch dazu, um nur die notdürftigste Ähnlichkeit mit dem Original zu wahren, an den durchgehenden Gebrauch männlicher Reime gebunden war, mit Notwendigkeit da stockend, unmelodiös, hölzern und unverständlich werden mußte, wo die Rede des Briten leichten Fluges, wie spielend, gaukelt, oder voll und tönend, ein goldener Strom an die Ufer der Reime brandet. Der deutsche Leser mag sich vielleicht an der originellen überall mit gleicher, lebendiger Kraft durchgeführten Konzeption des Dichters erfreuen. Der vielfach destillierte Geist und Witz, die Straffheit und Präzision des Verses bei allem Glanz und aller blühenden Leichtigkeit gehen ihm verloren. Wir wollen diese Anmerkung mit einer lustigen Geschichte schließen, nämlich der, daß zwar alle an dem wirklichen Lockenraub beteiligten und von unserm Dichter besungenen Personen (selbst Thalestris hatte ihr Urbild in einer Mrs. Morley) mit dem Gedicht zufrieden waren, nur nicht Sir George Brown, der sich in der Figur des stammelnden Sir Plume wiederfand. Er beklagte sich darüber, daß Pope ihn nichts als Unsinn habe schwätzen lassen — ob mit Recht oder Unrecht, wer mag das heute noch entscheiden?
DIE DEUTSCHE ÜBERSETZUNG DIESES BUCHES BESORGTE RUDOLF ALEXANDER SCHRÖDER. DER DRUCK ERFOLGTE IN DER OFFIZIN W. DRUGULIN ZU LEIPZIG IN EINER AUFLAGE VON ACHTHUNDERT EXEMPLAREN. NR. 1-100 WURDEN AUF JAPAN, NR. 101-800 AUF HOLLÄNDISCH BÜTTEN ABGEZOGEN. DIES IST EXEMPLAR NR.