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Roy Palmer 1.
Der polierte Spitzhelm und der Brustpanzer des spanischen Soldaten schimmerten nur noch f...
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Seewölfe 218 1
Roy Palmer 1.
Der polierte Spitzhelm und der Brustpanzer des spanischen Soldaten schimmerten nur noch für eine Weile im silbrigen Mondlicht, dann aber wurde auch dieser matte Glanz wie alle anderen optischen Wahrnehmungen ausgelöscht, denn der Wind, der zunehmend kräftig von der See in den Dschungel von Sumatra hinüberblies, schob Wolken vor die weiße Sichel und hüllte das Lager und die Festung von Airdikit mit tiefster Finsternis ein. Der Soldat hatte seine Inspektionsrunde im Inneren der Palisaden beendet und wandte sich zum Gehen. Morgan Young hörte, wie sich das Knirschen seiner Schritte auf dem sandigen Untergrund entfernte und der Mann sich zwischen den Sträflingen hindurch zum Tor bewegte. Knarrend öffnete sich das Tor in seinen eisernen Angeln, wenig später schloß es der Wachtposten von außen und schob den eisernen Riegel vor. Die Gefangenen waren wieder allein mit ihrem Schweigen und ihrer Verzweiflung, mit den dumpfen, bohrenden Fragen und den Ängsten, die die Dunkelheit und die unheimlichen Laute des Urwaldes immer wieder hervorriefen. Viele der gut vier Dutzend Spanier, Portugiesen, Engländer, Holländer und Franzosen, die hier festgekettet waren, fielen bald in einen Erschöpfungsschlaf, aber viele blieben auch wach, weil ihnen die Ausweglosigkeit ihres Schicksals zusetzte und an ihren Nerven zehrte. Niemand glaubte ernsthaft, daß ein Ausbruch aus den Palisaden und eine anschließende Flucht durch den Dschungel jemals gelingen konnten - niemand außer dem Engländer Morgan Young und Romero, dem jungen Spanier. Das Vorhaben allein mußte wie die reinste Ausgeburt des Wahnsinns erscheinen, aber die Chance war eben doch plötzlich da, und Morgan Young klammerte sich genau wie Romero mit jener Verbissenheit daran, die nur die Verzweiflung hervorzubringen vermochte.
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Sie wußten, daß nach Ablauf von einer Stunde - oder von zwei Glasen, wie man auf See sagen würde - die Wachablösung erschien und erneut einen Kontrollgang durch das Innere der Palisaden unternahm. Das ging die ganze Nacht über so, und ebenso, wie die Sträflinge hier in der Umzäunung scharf im Auge behalten wurden, überprüft man auch jene Gefangenen, die bereits im Kerker des Festungsneubaus eingesperrt worden waren. Somit war Airdikit zu einem ausbruchsicheren Sträflingslager geworden. Keinem war es bislang geglückt zu entweichen. Don Felix Maria Samaniego verwendete sein ganzes Können und seine Sorgfalt als Lagerkommandant darauf, daß es dabei auch blieb. Dennoch: In dieser Nacht sollte es geschehen, in der nächsten Stunde bis zur Wachablösung sogar. Das Heulen des Windes nahm zu, und auch das Konzert der Urwaldfauna schien anzuschwellen eine willkommene Geräuschkulisse, die andere Laute überdecken würde. Morgan Young wandte den Kopf. Romero, der junge Spanier, saß rechts von ihm, an einen in den Boden gerammten Pfahl gefesselt wie auch er, Young, und alle anderen Gefangenen. Young konnte seine Gestalt in dieser Finsternis kaum noch sehen, aber er wußte, daß auch Romero zu ihm blickte. „Jetzt“, flüsterte er ihm zu. „Fangen wir an.“ „Ja“, raunte Romero. „Versuchen wir es. Eine bessere Gelegenheit kriegen wir nicht.“ Er sprach ein relativ gutes, jedoch stark akzenthaltiges Englisch. Das hatte er in den fast anderthalb Jahren, die er hier schon festsaß, von den englischen Mitgefangenen gelernt. Romero war Decksmann auf einer spanischen Galeone gewesen, die zweimal im Jahr von Cadiz nach Manila und zurück segelte. Kurz vor den Philippinen hatte er sich auf seiner letzten Fahrt gegen einen ruppigen Bootsmann aufgelehnt, der einen Kameraden zu Unrecht gemaßregelt und dann vom Profos hatte auspeitschen lassen.
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Romero wäre dem Bootsmann an den Hals gesprungen, wenn ihn seine Freunde nicht zurückgehalten hätten. Ein rasch zusammengerufenes Bordgericht hatte den Aufsässigen wegen Insubordination und versuchter Meuterei zur Höchststrafe verurteilt: Zwangsarbeit in einem spanischen Gefängnislager. Von Manila aus hätte man ihn direkt nach Airdikit im südlichen Sumatra verfrachtet. „Du kannst noch froh sein, daß dein Kapitän dich nicht gleich an der Rahnock aufgehängt hat“, hatte Morgan Young gesagt, als er diese Geschichte von Romero vernommen hatte. „Dann wäre dir nämlich der Anblick dieses wunderschönen Fleckchens Erde hier entgangen, mein Freund.“ Romero hatte darüber gelacht, und auch Young hatte gegrinst. Der Aufseher hatte ihnen die Peitsche über den Rücken gezogen, aber das hatte sie beide wenig beeindruckt. Oder, anders ausgedrückt: Auf diese höchst schmerzhafte Weise war ihre neue Freundschaft zumindest handfest besiegelt worden. Morgan Young nahm es dem jungen Mann, der höchstens zweiundzwanzig, dreiundzwanzig Jahre alt sein konnte, wahrhaftig ab, daß er kein richtiger Verbrecher war. In eine solche Situation an Deck, die dann zu drakonischen Strafen führte, konnte jeder anständige Seemann hineinschlittern, wenn er es mit einem unfairen Bootsmann oder Zuchtmeister zu tun hatte. Young seinerseits war auch kein Mörder, Meuterer oder Plünderer, sondern er war wegen eines Schiffsbruchs in die Hände der Spanier geraten. So war es seiner Ansicht nach nur legitim, wenn alle, die in Wirklichkeit gar nichts auf dem Kerbholz hatten, den Ausbruch aus dem .Arbeitslager versuchten. Nicht alle waren dazu bereit, bei diesem Höllenunternehmen ihr Leben zu riskieren und so hoch zu setzen, wie es nötig war. Morgan Young hatte also eine Auslese getroffen und wußte, auf wen er zählen konnte. Da waren seine Kameraden von der „Balcutha“ - mit ihm die einzigen
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Überlebenden des Schiffsunglücks -, also Trench, Josh Bonart, Sullivan und Christians. Kerle, die Kopf und Kragen aufs Spiel setzten, um nur hier herauszukommen. Weiter Jonny, auch ein Engländer, über dessen Herkunft aber nichts Näheres bekannt war, dessen „glorreiche Zehn“, eine Crew, wie sie wilder und bunter nicht zusammengewürfelt hätte sein können, sowie letztlich ein paar Holländer und Franzosen, die lieber im Kampf starben, als auch nur einen Tag länger unter der erbarmungslosen Hitze und Feuchtigkeit der Äquatorzone im moskitoverseuchten Dschungel zu schuften. Romero fiel sozusagen die Schlüsselposition bei dem geplanten Ausbruch zu - und Young war derjenige, der voll und ganz seinen Fähigkeiten vertraute, während alle anderen ihre gelinden Zweifel daran hatten. Aber hatte Romero nicht schon bewiesen, daß er über eine überdurchschnittliche Fingerfertigkeit verfügte. Wer außer ihm hätte wohl an diesem Nachmittag oben auf der Baustelle des Kastells unter der scharfen Aufsicht der Posten einen Schlegel und ein Scharfeisen entwenden können? Wäre denn jemand anderes in der Lage gewesen, diese beiden Werkzeuge so geschickt unter der Hose zu verbergen, daß auch nachträglich niemand den Diebstahl aufzudecken vermochte? Nein. Nicht einmal Young, der sich auch schon einiges zutraute, oder Jonny, der ein tolldreister Draufgänger und Abenteurer zu sein schien, hätten etwas Vergleichbares vollbracht. Romero beherrschte richtige Taschenspielertricks, er war ein Meister im Jonglieren mit Gegenständen und konnte sie blitzschnell verschwinden lassen. Den kleinen Hammer und das Scharfeisen hatte er vermittels dünner, jedoch sehr haltbarer Fäden, die er schon Tage zuvor vorbereitet hatte, an seinem Gürtel festgebunden und dann an der Innenseite seiner Hose herabbaumeln lassen. Jetzt holte er die Geräte zum Vorschein und begann sein schwieriges, langwieriges Werk.
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Allen Gefangenen waren die Hände auf dem Rücken zusammengekettet, wenn sie nicht zur Arbeitsschicht auf die Festung mußten, und diese Handfesseln waren wiederum durch eine Kette mit dem Pfahl verbunden, der für jeden Sträfling in den Boden innerhalb der Palisaden gerammt worden war. Die Beine wurden durch Schäkel zusammengehalten, an denen als Gewichte schwere eiserne Kugeln befestigt waren. Wir können froh sein, daß sie uns nicht auch noch Halseisen verpaßt und uns damit an diese verdammten Pflöcke gehängt haben, dachte Young, als er sich jetzt auf die linke Körperseite legte und so nah wie möglich an Romero heranrückte. Sie hatten verschiedene Pläne gewälzt und auch in Erwägung gezogen, die Flucht tagsüber zu versuchen. Doch dieses Vorhaben hatten sie gleich wieder verworfen. Wenn sie während der Arbeit an der zu errichtenden Festung auch die Hände frei hatten, die Zahl der schwerbewaffneten Wächter war doch zu groß, um einem derartigen Unternehmen auch nur die geringsten Erfolgschancen einzuräumen. Blieb nur die Nacht, und zwar mußte es diese zunehmend stürmische Nacht sein, in der sie den Ausbruch durchführen. Ihre Wächter hatten ihnen bereits in Aussicht gestellt, daß auch die Gefangenen hier in den nächsten Tagen zu den Sträflingen in den Festungskerker gepfercht würden, dessen letzte Räume kurz vor der Vollendung standen. Wenige Wachtposten genügten, um den einzigen Ausgang des Kellergewölbes ständig ausreichend zu bewachen, und jeder Mann, der das Kunststück fertig brachte, sich von seinen Ketten zu befreien und die Eisengitter zu öffnen, die ihn vor der Freiheit trennten, wurde spätestens dort erschossen. Dort oben, im Kerker des Kastells, ist unser aller Schicksal endgültig besiegelt, sagte sich Morgan Young im stillen. Er drehte sich so, daß seine Beine sich denen von Romero näherten. Der junge Spanier hatte sich ebenfalls auf die Körperflanke sinken lassen. Sie lagen in stark
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verkrümmter Haltung Rücken an Rücken da, wobei die Verbindungsketten, die ihre eisernen Handfesseln an den Pfählen festhielten, sich strafften und an ihren Gelenken zu zerren begannen. Romero konnte weder seine eigenen Handschellen noch seine Beinschäkel lösen. Aber er konnte dank seiner großen Fingerfertigkeit die Spitze des Scharfeisens in die Zwischenräume von Morgan Youngs Fußeisen zwängen und mit dem Schlegel auf das obere, stumpfe Ende des Werkzeugs hauen. Die Schlaggeräusche wurden vom Jaulen und Heulen des Windes und dem Kreischen der Nachtvögel geschluckt, doch immer wieder hielt Romero inne, um zu lauschen. Hatten die Posten, die außerhalb der Palisade auf und ab patrouillierten, wirklich noch nichts gehört? Der junge Spanier arbeitete in der beständigen Furcht, entdeckt zu werden. Morgan Young hielt immer wieder den Atem an, ballte die Hände zu Fäusten und schickte stumme Stoßgebete zum Himmel: Herr, laß es uns schaffen, gib, daß wir Erfolg haben und diesen gräßlichen Ort verlassen können. „Morgan“, wisperte plötzlich eine Stimme. „Morgan Young!“ Young fuhr unwillkürlich zusammen, aber dann begriff er, daß es Jonnys Stimme war. „Was ist?“ fragte er ebenso leise zurück. „Gefahr im Verzug?“ „Nein.“ „Verdammt“, zischte Young. „Du hast mir vielleicht einen Schreck eingejagt!“ „Ich wollte euch beiden nur sagen, daß ihr es schafft, wenn ihr eisern weitermacht.“ „Danke“, murmelte Romero. „Und wenn ihr erst frei seid, dann wär's mir eine höllische Ehre, wenn ihr mich als nächsten von diesem elenden Pflock befreien würdet.“ „Jonny, mein Ehrenwort darauf“, raunte Morgan Young ihm zu. Romero arbeitete mit verbissenem Eifer weiter, wußte aber, daß er den Schlegel und das Scharfeisen nicht mehr lange in seinen verkrümmten, schmerzenden Fingern halten konnte.
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Der Wind briste auf, nahm immer mehr zu, wurde stürmisch und schien sich darüber zu erzürnen, daß die Segel der großen Galeone ihm Widerstand boten. Heftig blies er in das stark gelohte Zeug und pfiff und heulte in den Luvwanten und Pardunen. Die „Isabella VIII.“ segelte durch die Nacht, mit nordwestlichem Kurs und halbem Wind, der aus Südsüdwest wehte. Mit Backbordhalsen und hart über Steuerbordbug krängend bahnte sie sich ihren Weg durch die aufgewühlten Fluten und lief die südliche Öffnung der Mentawai-Straße zwischen der Südwestküste von Sumatra und den Mentawai-Inseln an. Im Südwesten, dort, wo sich schon am späten Nachmittag drohend die schwärzlichen Gewitterwolken zusammengeballt hatten, zuckten jetzt hin und wieder Blitze auf, die wie Irrwische vom Himmel in die See glitten und dort in den unergründlichen Tiefen verschwanden. Ben Brighton, der Erste Offizier und Bootsmann der „Isabella“, stand neben seinem Kapitän Philip Hasard Killigrew auf dem Achterdeck, hielt sich mit einer Hand an der Nagelbank fest und schickte immer wieder besorgte Blicke nach Süden. „Da braut sich ganz schön was zusammen!“ rief er dem Seewolf zu. „Und wir alle können heilfroh sein, daß du heute nachmittag die Kursänderung angeordnet hast, schätze ich!“ „Ja, ich bin sicher, daß wir noch einen biestigen Sturm auf die Jacke kriegen“, sagte Hasard so laut, daß es durch das Pfeifen des Windes und das Rauschen des Wassers hindurch zu verstehen war. „Wenn es allzu hart wird und wir ihn nicht abwettern können, verholen wir in eine Bucht, entweder auf einer der Inseln oder auf Sumatra.“ Tatsächlich war die Galeone in der Mentawai-Straße ziemlich geschützt, und es war eigentlich kein großer Umweg, den sie beschrieb, wenn sie ganz
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hindurchsegelte und später, bei der Insel Simeulue, wieder auf den westlichen Kurs zurückging, den der Seewolf ursprünglich festgelegt hatte, nachdem sie die Sundastraße verlassen hatten. Er wollte hinüber in den Indischen Ozean und ihn quer durchfahren, als Ziel galt irgendwann die Ostküste Afrikas. Ob diese Überquerung aber nun nördlich oder südlich des Äquators stattfand, hatte im Grunde keine große Bedeutung. Welchen Sinn hatte es, wenn er sich in den Kern der Schlechtwetterzone hinauswagte und dabei das Risiko einging, daß die „Isabella“ schwer angeschlagen wurde? Sie war zwar ein gutes, robustes Schiff, das schon manchen Sturm hinter sich hatte, aber unsinkbar war sie auch nicht. Außerdem hatte Hasard nicht das Recht, die Crew leichtfertig einer derartigen Gefahr auszusetzen. Man sollte den Teufel nicht zu sehr am Schwanz ziehen, das hatten auch die jüngsten Erfahrungen auf der Insel Seribu gezeigt. Old Donegal Daniel O'Flynn, der an der Schmuckbalustrade des Achterdecks stand und auf die Kuhl blickte, war der gleichen Meinung. Immer wieder nickte er bedeutungsvoll vor sich hin und murmelte etwas von der „Vorsehung“, den „Mächten der Finsternis“ und dem „heimtückischen Bösen“, das man in dieser Situation ja nicht herausfordern sollte. Die Situation wurde laut seinen neuesten Darlegungen durch die Konstellation der Himmelsgestirne maßgeblich beeinflußt, aber ob er nun wirklich genau über die Sterne Bescheid wußte, war keinem an Bord der „Isabella“, so richtig klar. Der Alte drehte sich um, stapfte über das tanzende Deck zum Ruderhaus hinüber und trat zu Blacky, der bei Beginn der ersten Nachtwache um acht Uhr Pete Bailie als Rudergänger abgelöst hatte. „Es ist gut, aber auch wieder schlecht, daß wir in diese gottverdammte Meerenge hineinlaufen“, sagte Old O'Flynn. „Wir könnten mit Spaniern und Portugiesen zusammentreffen, Blacky, mit einem
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starken Verband. Macht euch alle auf was gefaßt, heute nacht noch.“ Blacky prüfte unausgesetzt Kurs und die Segel. „Woher willst du das wissen?“ fragte er. „Ganz einfach. Sirius steht in einem ungünstigen Winkel zur Venus, und das bedeutet für uns dicken Verdruß.“ „Pech für Sirius“, sagte Blacky lakonisch, ohne den Alten auch nur aus den Augenwinkeln heraus anzusehen. „Diese Venus soll ja ein scharfer Brocken sein, hab ich gehört, und da... „Nein!“ unterbrach Old Donegal ihn scharf. „Sie ist kein Brocken, sondern ein Stern!“ „Ah so.“ „Und es gibt eine Wissenschaft, du Lorbas, die nennt sich Astrologie. Man sieht sich die Sterne an und weiß, welches Schicksal einem beschert wird.“ „So?“ meinte Blacky. „Aber wie sollst du die Sterne sehen, wenn der Himmel wolkenverhangen ist? Kannst du mir das mal erklären?“ Old O'Flynn verzog das Gesicht zu einer Grimasse der Verachtung. „Dummbeutel“, sagte er — und verließ schleunigst das Ruderhaus. Eine Antwort auf Blacky berechtigte Frage wußte er nämlich selbst nicht. Der Seewolf war mittlerweile an die vordere Schmuckbalustrade des Achterdecks getreten, beugte sich leicht vor und legte die Hände als Schalltrichter an den Mund. „Ed!“ schrie er. „Sir?“ tönte es von der Kuhl zurück, etwa aus der Richtung der Gräting und der Beiboote. Die Gestalt des Profos' war dort mehr zu ahnen, als richtig zu erkennen, aber er war da, allgewaltig und lautstark wie immer. „Laß die Zurrings der Beiboote und die Haltetaue der Kanonen noch mal überprüfen!“ rief Hasard ihm zu. „Und dann sollen die Männer vorsichtshalber schon mal die Luken und Schotten verschalken und die Manntaue spannen, verstanden?“
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„Aye, Sir, verstanden!“ meldete Carberry. Er schwenkte herum und ließ die übliche Wortkanonade auf die Männer los: „Ihr Himmelhunde, habt ihr's nicht gehört? Flitzt los und zeigt die Hacken, willig, oder braucht ihr eine Sondereinladung? An die Stücke, an die Boote, und her mit den Spanntauen, zur Hölle, ich hab das schon schneller gesehen, ihr blinden Kanalratten! Ich will die Taue so stramm wie eure gottverdammten Affenärsche sehen, oder es gibt Zunder, daß es raucht! Mister Davies, pennst du? Mister Stenmark, muß ich dir Feuer unterm Achtersteven machen? Oh, ihr Triefaugen und Rübenschweine, wer hat euch bloß gezeugt?“ Matt Davies rannte zum Kutscher hinüber, um mit diesem zusammen das Kombüsenschott zu verschalken. „Teufel auch“, sagte er wütend. „Manchmal denke ich, es wäre doch besser gewesen, wenn sie unseren Profos auf Seribu in den Teich gekippt hätten, wie sie's vorgehabt hatten!“ „Wie?“ Der Kutscher hob erstaunt den Blick. „Hättest du ihm das wirklich gewünscht — daß er mit Steinen beschwert jämmerlich ersoffen wäre?“ „Na“, meinte Matt mit einem schiefen Grinsen. „Das nun auch wieder nicht. Aber sie hätten ihn ja wenigstens mal kurz einstippen und dann wieder hochziehen können. Vielleicht hätte ihm das Salzwasser ein wenig seine große Klappe gestopft.“ „Das glaubst du wirklich?“ „Man wird doch wohl noch an was glauben dürfen“, sagte Matt Davies. „Stell dir mal vor, du dürftest ihm ein paar Gallonen Wasser aus dem Wanst pumpen. Wäre das nicht ...“ Weiter gelangte er nicht, denn hinter seinem Rücken brüllte Carberry von neuem los: „Mister Davies, du Höhlenmolch, glaubst du, ich sitze auf meinen Ohren? Du sollst nicht dumm 'rumquatschen, du sollst arbeiten, daß die Schwarte kracht!“ „Jetzt wird einem schon das Maul verboten“, brummte Matt Davies.
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„Leg dich bloß nicht mit ihm an, Matt“, sagte der Kutscher, der die. riesige, ungeschlachte Gestalt des Profos' aus dem Dunkeln anrücken sah, warnend. „Tue ich ja auch nicht.“ „Matt Davies!“ dröhnte Carberrys mächtige Stimme. „Hast du nicht gehört, was ich gesagt habe? Rede ich zu leise?“ „Herrgott, nein“, stöhnte Matt. „Was, wie?“ „Ich sagte: Aye, Sir!“ rief Matt, und dann kramte er rasch die Persenning und die Schalklatten her, mit denen der Kutscher und er das Kombüsenschott abzudichten hatten. Carberry blieb stehen. Durch Beinarbeit glich er die schwankenden Schiffsbewegungen aus. Er stemmte die Fäuste in die Körperseiten, schaute den Männern eine Weile zu und sagte dann: „Gut. So gefällt's mir schon besser, ihr Stinte.“ Er gab noch einen grunzenden Laut der Zufriedenheit von sich, danach wandte er sich ab und marschierte von dannen, um auch den Rest der Crew zu kontrollieren. Bill, der Moses, hatte sich zu diesem Zeitpunkt vorsichtshalber schon mit einem Tau am Großmast festgebunden, um nicht von seinem luftigen Posten, dem Großmars, zu fallen: Er hielt prüfend Ausschau nach Südwesten, wo es wetterleuchtete und heftig blitzte und von wo aus jetzt unterschwellig grollender Gewitterdonner zu vernehmen war. Wie alle anderen wartete auch Bill darauf, daß der Seegang und der Wind zunahmen und es bald wie aus Eimern zu schütten begann. Doch in diesem Punkt wurden sie angenehm enttäuscht. Noch brach der Sturm nicht mit seiner vollen Macht los, ja, er schien zu zögern, irgendwie auf einem Wartepol angelangt zu sein, um Luft zu holen und dann so heftig wie nie loszubrüllen. Die erste Nachtwache, die bis Mitternacht dauerte, verlief voll innerer Anspannung und Ungewißheit über das, was noch folgen mochte. Energisch stemmte sich die „Isabella“ mit ihrem Vorschiff gegen die aufgerührte See, teilte die Wogen mit
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ihrem Bug und lief näher und näher auf die Straße von Mentawai zu. Würde es wirklich noch Verdruß geben, wie Old O'Flynn wieder mal prophezeit hatte — oder hatte der Alte dieses Mal die nahe Zukunft doch zu schwarz gemalt und sich getäuscht? 2. Die Zeit verstrich quälend langsam, und Morgan Young spürte, wie ihm der Schweiß aus allen Poren des Körpers trat und Hoffnungslosigkeit von ihm Besitz ergriff. „Mein Gott, Romero“, flüsterte er. „Jesus, beeil dich, schlag kräftiger zu. Und wenn ich auch ein paar Kratzer dabei abkriege — es macht mir nichts aus.“ „Sei still“, zischte der junge Spanier ihm zu. „Ich bin fast soweit. Santa Madre, sage jetzt nichts.“ „Morgan“, flüsterte in diesem Moment Trench, einer von Youngs englischen Kameraden. „Die Zeit bis zur nächsten Wachablösung ist gleich um.“ „Nein!“ „Dann erscheint der Posten und überprüft unsere Ketten, dann ...“ „Halt den Mund!“ unterbrach Young ihn scharf. So laut, daß seine Stimme das Heulen und Tuscheln des Windes fast übertönte. „Madre de Dios“, flüsterte Romero. „Müßt ihr euch denn ausgerechnet jetzt herumzanken? Seid ihr des Teufels?“ „Ja“, murmelte Young. „Wir sind alle des Teufels. Wir sind Narren, die das kriegen werden, was alle Narren verdient haben: einen Gnadenschuß ins Genick oder sonst wohin.“ Romero hatte den einen Beinschäkel um Morgan Youngs Fußknöchel mit dem Scharfeisen aufgestemmt, so weit, daß der Engländer seinen Fuß jetzt herausziehen konnte. Jetzt arbeitete er an dem Schäkel des anderen, linken Beines, setzte das Auftreibwerkzeug an und schlug immer wieder mit dem kleinen Hammer zu, knapp, gezielt, mit verbissener Miene und aufeinander gepreßten Zähnen. Seine
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Hände und Arme schmerzten inzwischen heftig, er konnte es kaum noch aushalten. Dann, als Young kaum noch mit einem Erfolg seiner Anstrengungen rechnete, wisperte der Spanier: „Es geht, Morgan. Versuch es. Es kommt jetzt auf dich ganz allein an.” Morgan Young zog sofort die Beine an und zerrte sie aus den Beinschäkeln, die von Romero gerade weit genug aufgetrieben worden waren, daß er seine nackten Füße herausnehmen konnte. Von den Fußketten und dem schweren Eisengewicht befreit, vermochte Young nunmehr seinen ganzen Körper zum Pfahl hin zurückzuschieben und das Hinterteil durch die Öffnung seiner Arme zu pressen. Es war eine beinah akrobatische Verrenkung, die starke Schmerzen hervorrief, aber Young unterdrückte einen gequälten Laut, bezwang sich selbst, indem er sich innerlich wild als einen Schwächling und Dreckskerl beschimpfte, und arbeitete mit dem wütenden Eifer eines Besessenen weiter. Dabei kippte er um, weil die Pfahlkette ihn hemmte. und ihm im Weg war. Es gelang ihm aber tatsächlich, die Arme bis unter seine Oberschenkel zu schieben. Jetzt zog er seine Waden an und drückte sie mit den Füßen zusammen so fest unter seine Schenkel, daß er die kurze Kette, die seine Hände zusammenhielt, ganz unter den angewinkelten Beinen hindurchbefördern konnte. Ein Ruck noch — er glaubte, seine eigenen Knochen im Leib knacken zu hören — und er hatte die Arme mitsamt seinen Händen vorn. Romero lag immer noch auf der Körperflanke, hatte ihn aber über die Schulter hinweg beobachtet. Er schob ihm jetzt den Schlegel und das Scharfeisen zu. Morgan Young setzte sich auf und angelte sich die beiden Hilfsmittel mit den Füßen. Er zog sie so dicht zu sich heran, daß er sie greifen konnte, dann trieb er in aller Eile ein Glied der Kette auf, die ihn an den Pfahl gefesselt hielt. Es war, wie er es sich ausgemalt hatte: Mit den Händen vor dem Körper konnte er problemlos arbeiten, obwohl die
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Handschellen und die kurze Kette ihn noch ein wenig behinderten. Die Kette am Pfahl sprang unter seinen energischen Hieben auf, er war frei. „Morgan“, raunte Romero. „Laß jetzt die Handschellen. Du kannst sie später öffnen. Hilf mir.“ „Ja“, sagte der Engländer leise. Auf etwas unsicheren Beinen hastete er zu dem Kameraden hinüber, kniete sich neben ihn hin und erlöste ihn zuerst von dem Kugelgewicht und der Kette an den Beinen. Dann öffnete er auch die Pfahlkette. Dies alles ging viel schneller vonstatten als das, was der junge Spanier zuvor vollbracht hatte, denn Young befand sich ja in einer viel günstigeren Arbeitsposition. „Ich habe einen Glockenschlag gehört!“ zischte plötzlich einer der Männer. Es war Sullivan, auch einer von Youngs Freunden von der „Balcutha.“ „Das ist die Wachablösung!“ flüsterte Jonny. „Morgan!“ „Ja, ich höre dich, Jonny.“ „Scheiß auf dein Ehrenwort — du kannst mich hinterher befreien!“ „Hinterher?“ stammelte Young verdattert. „Ihr müßt erst diesen elenden Hundesohn von einem Don überwältigen!“ zischte Jonny ihm im Dunkeln zu. „Beeilt euch! Zum Tor! Er tritt gleich ein, und dann fallt ihr über ihn her!“ „Wir könnten uns auch hinhocken und so tun, als wären wir noch gefesselt“, flüsterte Romero. „Wenn er zu uns tritt, springen wir auf und ...“ „Er schießt, bevor ihr auf den Beinen seid!“ schnitt Jonny ihm das Wort ab. „Glaub es mir, ihr müßt ihn am Tor packen! Schlagt ihn mit euren Handketten nieder! Das könnt ihr schaffen!“ Morgan Young hatte seine Fassung wiedererlangt. Er richtete sich auf und lief geduckt los. Romero folgte ihm. Sie gelangten beim Tor an und hatten kaum zu beiden Seiten des einzigen großen, grob zusammen gezimmerten Flügels Aufstellung genommen, da wurde von außen der Riegel zurückgeschoben. Sie hielten den Atem an.
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Das Tor schwang spaltbreit auf, eine Gestalt trat ins Innere der Palisade. Nur schemenhaft war sie in der Finsternis zu erkennen, aber doch gerade gut genug, um ein Angriffsziel zu bieten. Der Soldat zog das Tor hinter sich zu — dann stutzte er. Er hatte Morgan Young entdeckt, der sich von rechts her auf ihn zubewegte. Romero handelte jedoch geistesgegenwärtig. Er sprang den Spanier von hinten an und schlang ihm blitzschnell die Kette um den Hals, die auch seine Hände immer noch zusammengebunden hielt. Der Spanier taumelte, drohte in den Knien einzuknicken und zusammenzubrechen und gab einen röchelnden Laut des Entsetzens von sich. Er hielt aber seine Muskete noch fest in beiden Händen und trachtete in diesem Augenblick, den Abzug zu betätigen. Morgan Young griff ebenfalls an uns stellte fest, dass der Hahn der Muskete bereist gespannt war. Sofort packte er zu und versuchte, dem Gegner die Waffe zu entreißen, während Romero die Kette fest um die Gurgel des Mannes zusammenzog. Der Wachposten konnte nicht mehr schreien, nur ein ersticktes Gurgeln drang noch über seine Lippen. Doch trotz Youngs verzweifelter Bemühungen, ihm die Muskete zu entwinden, konnte er seinen Zeigefinger doch noch um den Abzug krümmen. Dröhnend löste sich der Schuß, überlaut in der dramatischen Szene des Ringes um Leben und Tod. Pulverqualm hüllte die Gestalten der drei Männer ein. Romero begann zu husten. Young riß die Muskete noch an sich, jetzt, da es zu spät war. Der Soldat sank zu Boden. Romero ließ von der schlaffen, jetzt reglosen Gestalt ab, bückte sich und brachte die Pistole in seinen Besitz, die der Soldat im Gurt trug. Young warf die Muskete fort, bemächtigte sich des Säbels und des Messers des Spaniers und wollte zu den Kameraden zurückeilen, die darauf warteten, befreit zu werden. Doch vor den Palisaden ertönten
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das Rufen von Stimmen und das Herantrappeln eiliger Schritte. „Wir können die anderen nicht mitnehmen!“ stieß Romero in höchster Erregung aus. „Wir können sie nicht befreien, wir ...“ „Morgan! Romeo!“ rief Jonny ihnen zu. „Haut ab! Haltet euch nicht auf und rettet wenigstens eure Haut! 'Von draußen könnt ihr später immer noch was für uns tun! Los, verschwindet!“ Young und der junge Spanier zögerten nicht länger, sie drückten das Tor wieder auf und liefen ins Freie. Dicht vor ihnen war das Geschrei der spanischen Posten, aus der Finsternis wurden Gestalten sichtbar. Young riß den Säbel hoch, um sie abzuwehren, aber Romero hatte bereits die Pistole in Anschlag auf die anstürmenden Männer gebracht und drückte auf den vordersten von ihnen ab. Der Soldat brach mit einem Wehlaut zusammen. Die anderen stutzten, legten selbst mit ihren Musketen und Pistolen an und zielten auf die beiden Sträflinge, deren Körperkonturen sie vor der Palisade erkennen konnten. Morgan Young rannte nach links davon, Romero folgte ihm. Drei Musketenschüsse krachten, und Young war es so, als schlüge eine Kugel dicht hinter seinen Hacken in den Erdboden. Doch er wurde nicht verletzt, und auch Romgiro blieb unversehrt. Zu hastig gezielt waren die Schüsse der Soldaten, die alle fehlgingen, zu schlecht waren die Sichtverhältnisse. Es krachte noch zwei- und dreimal, und die Kugeln bohrten sich mit plockenden Lauten in die Pfähle der Palisadenwand, an der die beiden Flüchtlinge wie von tausend Teufeln gehetzt vorbeirannten. „Zum Hafen!“ rief Romero seinem Begleiter auf englisch zu. „Unmöglich!“ schrie Morgan Young über seine rechte Schulter zurück. „Sie sperren uns den Weg dorthin ab. Sie knallen uns ab, ehe wir eins der Boote erreichen!“ Er lief weiter, so schnell er konnte, quer über die Lichtung hinweg, die die
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Kettensträflinge hier in Airdikit dem Dschungel abgerungen hatten. Er hastete zwischen den Hütten hindurch, die das Gros der Offiziere und Soldaten beherbergten, blieb nicht stehen, warf nur noch einmal einen Blick zurück und registrierte, daß der junge Spanier ihm weiterhin folgte. Tatsächlich wäre es heller Wahnsinn gewesen, den Durchbruch bis zum Hafen zu versuchen. Das erste, was die Spanier auf den alarmierenden Musketenschuß hin getan hatten, war, den Zugang zum Hafen abzuriegeln, denn sie konnten sich ja ausmalen, daß im Fall eines Ausbruchs die Sträflinge eine der Pinassen oder Schaluppen zu kapern versuchten, die an den hölzernen Anlegern vertäut lagen. So blieb Young und Romero nur noch eine Möglichkeit, nämlich in den Busch zu fliehen. Morgan Young griff ebenfalls an und stellte fest, daß der Hahn der Muskete bereits gespannt war. Sofort packte er zu und versuchte, dem Gegner die Waffe zu entreißen, während Romero die Kette fest um die Gurgel des Mannes zusammenzog. Der Wachtposten konnte nicht mehr schreien, nur ein ersticktes Gurgeln drang noch über seine Lippen. Doch trotz Youngs verzweifelter Bemühungen, ihm die Muskete zu entwinden, konnte er seinen Zeigefinger doch noch um den Abzug krümmen. Dröhnend löste sich der Schuß, überlaut in der dramatischen Szene des Ringes um Leben und Tod. Pulverqualm hüllte die Gestalten der drei Männer ein. Romero begann zu husten. Young riß die Muskete noch an sich, jetzt, da es zu spät war. Der Soldat sank zu Boden. Romero ließ von der schlaffen, jetzt reglosen Gestalt ab, bückte sich und brachte die Pistole in seinen Besitz, die der Soldat im Gurt trug. Young warf die Muskete fort, bemächtigte sich des Säbels und des Messers des Spaniers und wollte zu den Kameraden zurückeilen, die darauf warteten, befreit zu werden. Doch vor den Palisaden ertönten
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das Rufen von Stimmen und das Herantrappeln eiliger Schritte. „Wir können die anderen nicht mitnehmen!“ stieß Romero in höchster Erregung aus. „Wir können sie nicht befreien, wir ...“ „Morgan! Romeo!“ rief Jonny ihnen zu. „Haut ab! Haltet euch nicht auf und rettet wenigstens eure Haut! Von draußen könnt ihr später immer noch was für uns tun! Los, verschwindet!“ Young und der junge Spanier zögerten nicht länger, sie drückten das Tor wieder auf und liefen ins Freie. Dicht vor ihnen war das Geschrei der spanischen Posten, aus der Finsternis wurden Gestalten sichtbar. Young riß den Säbel hoch, um sie abzuwehren, aber Romero hatte bereits die Pistole in Anschlag auf die anstürmenden Männer gebracht und drückte auf den vordersten von ihnen ab. Der Soldat brach mit einem Wehlaut zusammen. Die anderen stutzten, legten selbst mit ihren Musketen und Pistolen an und zielten auf die beiden Sträflinge, deren Körperkonturen sie vor der Palisade erkennen konnten. Morgan Young rannte nach links davon, Romero folgte ihm. Drei Musketenschüsse krachten, und Young war es so, als schlüge eine Kugel dicht hinter seinen Hacken in den Erdboden. Doch er wurde nicht verletzt, und auch Romgiro blieb unversehrt. Zu hastig gezielt waren die Schüsse der Soldaten, die alle fehlgingen, zu schlecht waren die Sichtverhältnisse. Es krachte noch zwei- und dreimal, und die Kugeln bohrten sich mit plockenden Lauten in die Pfähle der Palisadenwand, an der die beiden Flüchtlinge wie von tausend Teufeln gehetzt vorbei rannten. „Zum Hafen!“ rief Romero seinem Begleiter auf englisch zu. „Unmöglich!“ schrie Morgan Young über seine rechte Schulter zurück. „Sie sperren uns den Weg dorthin ab. Sie knallen uns ab, ehe wir eins der Boote erreichen!“ Er lief weiter, so schnell er konnte, quer über die Lichtung hinweg, die die
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Kettensträflinge hier in Airdikit dem Dschungel abgerungen hatten. Er hastete zwischen den Hütten hindurch, die das Gros der Offiziere und Soldaten beherbergten, blieb nicht stehen, warf nur noch einmal einen Blick zurück und registrierte, daß der junge Spanier ihm weiterhin folgte. Tatsächlich wäre es heller Wahnsinn gewesen, den Durchbruch bis zum Hafen zu versuchen. Das erste, was die Spanier auf den alarmierenden Musketenschuß hin getan hatten, war, den Zugang zum Hafen abzuriegeln, denn sie konnten sich ja ausmalen, daß im Fall eines Ausbruchs die Sträflinge eine der Pinassen oder Schaluppen zu kapern versuchten, die an den hölzernen Anlegern vertäut lagen. So blieb Young und Romero nur noch eine Möglichkeit, nämlich in den Busch zu fliehen. Young fürchtete bei allem Schneid, den er zu beweisen vermochte, den Dschungel. Das hatte er auch seinen Freunden von der „Balcutha“, Romero, Jonny und den anderen Verschwörern gegenüber offen zugegeben. Denn Morgan Young wußte, welche Gefahren im Urwald von Sumatra lauerten, und jeder andere Mann, der ehrlich seine Meinung aussprach, mußte bestätigen, daß es nahezu Selbstmord bedeutete, hier in der Nacht unterzutauchen. Hier, im Feuchtigkeit ausströmenden Dickicht, lauerten der Tiger und andere Raubkatzen, hier konnte ein Schlangenbiß dem menschlichen Leben ein jähes, schmerzhaftes Ende bereiten. Hier gab es Krokodile und andere grauenvolle Kreaturen. Und die Mangrovensümpfe zwischen der Strafkolonie und dem Meer, die sich bis in unendliche Weiten auszudehnen schienen, waren die Brutstätte für eine Anzahl abscheulicher Krankheiten, gegen die der Mensch machtlos war, wenn er einmal von ihnen befallen wurde. Aber Young und Romero hatten keine andere Wahl. Wenn sie den Soldaten entkommen wollten, die jetzt ihre
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Verfolgung aufgenommen hatten, konnte dies nur im Dschungel geschehen. Ohne zu zögern, sprang Young deshalb in das Dickicht jenseits der Hütten, durchtrennte mit raschen Säbelhieben ein paar Lianen und widerspenstiges Dornengerank und drang tief in das Gestrüpp vor. Romero schloß sich ihm ohne Widerworte an. Auch er hatte begriffen, daß im Urwald die einzige Chance lag, sich den Feinden zu entziehen. Wenn das halbwegs mißglückte Unternehmen doch noch gelingen sollte, dann konnte es nur auf diese Weise geschehen. Young drehte sich kurz zu seinem Begleiter um und gab ihm das Messer des Soldaten. Er selbst fuhr fort, sich mit dem Säbel einen Weg durch das dichte, verfilzte Gesträuch zu bahnen, und Romero unterstützte ihn dabei, so gut es mit dem Messer ging. Sie sprachen nicht miteinander, sondern hackten und schnitten mit ihren Beutewaffen nur schwitzend auf Zweige, Blätter und Luftwurzeln ein. Über ihnen rumorte der stürmische Wind in den Wipfeln der gigantischen Bäume, hinter ihnen war das wütende Geschrei der Verfolger. Natürlich hatten die spanischen Soldaten gesehen, wie die beiden im Dickicht verschwunden waren. Sie waren ihnen nah genug auf den Fersen, verließen ebenfalls die Lichtung und benutzten den Pfad, den Morgan Young mit dem Säbel geschaffen hatte. Es war mehr eine Bresche als ein Pfad, aber sie erlaubte doch ein erheblich schnelleres Vorankommen. Daß er den Gegnern ungewollt geholfen hatte, ging Morgan Young erst auf, als er ihre Stimmen ganz dicht hinter seinem Rücken ver- nahm. Er verstand inzwischen genug Spanisch, um zu begreifen, was sie riefen. „Bleibt stehen, oder wir schießen euch nieder!“ „Ergebt euch!“ „Ihr seid verloren!“ Young achtete nicht darauf. Nichts konnte ihn dazu veranlassen, sich den Feinden freiwillig zu stellen. Nur der Tod konnte
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seiner Flucht ein Ende bereiten. Wenn der eisige Hauch des Todes ihnen beiden schon im Nacken saß, so zog er das schnelle Sterben doch einer Rückkehr ins Gefangenenlager vor. Dort würde man ohnehin Gericht über sie halten, dort wartete am Ende der Henker auf sie, denn sie waren ja nicht nur aus dem Palisadenlager ausgebrochen, sondern hatten auch einen Soldaten getötet. Daß Romero ihn mit der Kette erwürgt hatte, stand für Young außer Zweifel. Wieder krachten Schüsse. Sirrten die Kugeln links und rechts an Young und dem jungen Spanier vorbei — oder täuschten sie sich? War es vielmehr der Wind, der ihnen mit seinem Pfeifen und Heulen etwas vorgaukelte? Young hörte auf, mit dem Säbel wie mit einer Machete auf das Dickicht einzuhauen. Er ließ die Waffe sinken, duckte sich tiefer und schlüpfte in ein dorniges, hartes Gebüsch, das auf morastigem Boden wuchs. Romero war immer noch dicht hinter ihm. Das Gebüsch ritzte mit seinen Dornen Youngs Haut, und er drohte, darin stecken zu bleiben. Verbissen arbeitete er sich jedoch weiter voran und ließ sich sogar auf alle viere nieder, um besser voranzukommen. Er schob den Säbel vor sich her und robbte durch den schwarzen Schlamm, der ihn von oben bis unten beschmutzte. Plötzlich krachte wieder ein Schuß, und er hörte Romero hinter sich aufschreien. Er stieß einen Fluch aus und wandte den Kopf. Hinter sich konnte er den jungen Mann gerade noch zusammenbrechen sehen, dann schien Romeros Gestalt eins zu werden mit dem Dickicht und dem Morast. Romero bewegte sich nicht mehr. Morgan Young wollte zu ihm zurückkriechen, aber wieder blitzte es in der Dunkelheit auf, und eine Kugel schwirrte heran. Der Engländer ließ sich in den Schlamm fallen. Das Geschoß flog über seinen Rücken weg. Im Mündungsfeuer der Muskete hatte er Romero genau erkennen können. Der
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Zufall hatte gewollt, daß er auch gleich das Loch gesehen hatte, das in dem Schädel des Jungen klaffte. Romero war tot. Und jetzt nahten die Verfolger — ein Trupp, der gut vierzehn, fünfzehn Mann zählen mochte. Sie drangen in das Dornengestrüpp ein, um auch Youngs Flucht ein Ende zu setzen. Wieder blaffte ein Schuß. 3. Auf der „Isabella“ waren sämtliche Luken und Niedergänge verschalkt und auch die Manntaue ordnungsgemäß gespannt. Ed Carberry schloß seinen Kontrollgang über die heftig schwankenden Decks mit einem Brummeln ab, das wohl so etwas wie Anerkennung ausdrücken sollte. Immerhin hatten die Männer schnell und gut gearbeitet, das mußte man ihnen lassen. Jeder Handgriff hatte da gesessen, und so sehr der Profos auch herumwetterte, er mußte doch wieder einmal gestehen, daß es eine hervorragende, prächtig aufeinander eingespielte Crew war, die die „Isabella“ voranbrachte und manövrierte. Schweren Schrittes erklomm Carberry jetzt das Achterdeck und erstattete seinem Kapitän Meldung, wie die Borddisziplin es verlangte. „Gut, Ed“, sagte der Seewolf. „Wir sind also für den Ernstfall gerüstet. Im Augenblick sieht es zwar noch nicht so aus, als würden wir den Sturm voll zu spüren kriegen, aber du weißt ja, wie das in den Tropen ist. Das Wetter kann unversehens, von einem Moment auf den anderen, über uns hereinbrechen.“ „Ja, Sir.“ Carberry dachte an den Taifun, den sie vor Jahren südlich von Formosa erlebt hatten, und konnte sich eines leichten Schauders auf seinem Rücken nicht erwehren. Ärgerlich schüttelte er das „dämliche Kribbeln“ aber wieder ab und fragte: „Kann ich die Freiwache jetzt zum verspäteten Backen und Banken im Logis anrücken lassen?“ „Ja.“ „Danke, Sir.“
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„Du solltest selbst auch einen Happen zu dir nehmen, Ed“, sagte Hasard. „Ben wird dich solange ablösen. Du kannst dir ruhig Zeit lassen, denn ich möchte, daß du nachher bei der Mittelwache voll bei Kräften bist.“ „Da kannst du ganz beruhigt sein, Sir“, versicherte ihm der Profos, der es selbst beantragt hatte, die Mittelwache mit übernehmen zu können, die im Anschluß an die erste Nachtwache von Mitternacht bis vier Uhr morgens dauerte. Eine doppelte Wache abzureißen, das war für Carberry auch dann keine Strafe, wenn sie den Sturm wirklich noch abwettern mußten — im Gegenteil. Lieber war er gleich von Anfang an dabei, als daß er sich mitten im schönsten Schlaf aus der Koje scheuchen ließ. Verantwortungsgefühl und Disziplingeist gingen ihm eben über alles, wie sich das für ein Profos gehörte, auch wenn die Arbeiten an Deck und die Segelmanöver ohne sein Gebrüll ebenso sauber und ordentlich ausgeführt wurden. Hasard las in den Zügen seines Profos' und lächelte. „Ed“, sagte er. „Der Kutscher soll` eine Extraration Rum austeilen und sie von mir aus mit heißem Wasser verdünnen — damit euch das Essen leichter 'runterrutscht.“ Carberry grinste, daß einen das kalte Grausen packen konnte, zeigte klar und rief: „Aye, Sir, schönen Dank, ich werde das sofort weitermelden!“ Damit stieg er wieder auf die Kuhl zurück und hangelte in den Manntauen zum Vordeck. Ständig um sein Gleichgewicht bemüht, erreichte er das Schott, riß es auf und verschwand im Niedergang. Er rammte das Schott hinter sich zu und paßte auf, daß die Verschalkung sich nicht löste. Dann suchte er das Logis auf und blieb im Eingang stehen. Es war stockfinster in dem Mannschaftsraum. So sehr Carberry auch die Augen zusammenkniff und Ausschau hielt — er konnte niemanden erkennen. „Nun?“ fragte er deshalb barsch. „Seid ihr alle da, ihr Helden?“
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„Aye, Sir“, antwortete ihm Smoky, der Deckälteste. „Batuti, Gary Andrews, Bob Grey, Sam Roskill, Stenmark, Luke Morgan, die Zwillinge und der Kutscher — die Freiwache ist vollzählig versammelt.“ „Sollen wir wieder 'raus und mit anpacken, Mister Carberry?“ fragte Philip junior, einer von Hasards beiden Söhnen. „Luke halten“, sagte der Profos. „Dich hat keiner gefragt, und du hast nur zu reden, wenn du was gefragt wirst, du Hering.“ „Jawohl, Sir.“ „Kutscher!“ rief Carberry. „Was drückst du dich in deiner Koje herum? Sollen diese Himmelhunde Kohldampf schieben, während die Deckswache pünktlich ihren Fraß gekriegt hat?“ „Melde, daß ich nicht in meiner Koje liege, sondern auf entsprechende Anweisungen warte, Sir“, entgegnete der Kutscher — und die anderen konnten sich ihr Lachen kaum verkneifen. „Dann schieb ab in die Kombüse und roll mit deinen Essenskübeln an, Mensch!“ „Zu Befehl, aber es wird kalt serviert, weil ich bei diesem Seegang die Feuer unter den Kesseln nicht anheizen kann.“ „Versteht sich“, sagte Carberry und schob dabei grimmig sein Rammkinn vor. Er hielt sich am Türrahmen fest, um nicht aus der Balance zu geraten. „Aber ich habe eine zusätzliche Order von Hasard erhalten, und die lautet: Besanschot an, damit wir deinen saukalten Brei auch 'runterwürgen können!“ „Besanschot an“, wiederholte der Kutscher. „Eine Extraration Rum für die Freiwache?' „Mit heißem Wasser verdünnt!“ rief der Profos. „Aye, Sir!“ „Und daß mir auch die Deckswache ihre Ration Schnaps kriegt!“ „Aye, Sir, sofort!“ „Das ist keine Belohnung, bildet euch bloß nichts darauf ein, ihr Satansbraten!“ brüllte der Narbenmann. „Mit irgendwas muß man deinen Labskaus ja wegspülen, Kutscher, sonst kleistert er uns die Kehlen zu!“
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„Jawohl — bin schon unterwegs“, sagte der Kutscher, und damit löste er sich von seinem Halt, stolperte quer durchs Logis und stieß prompt mit dem Profos zusammen. Carberry fluchte, daß es durch die Vordecksgänge bis in die Frachträume hinunterschallte, torkelte rückwärts, ruderte mit den Armen und prallte mit dem Rücken gegen die Gangwand, die dem Eingang des Logis' gegenüberlag. Hier verlor er endgültig das Gleichgewicht und rutschte zu Boden. Mit einem dumpfen Laut setzte er sich auf die Planken. Der Kutscher stieg über seine Beine und entzog sich Carberrys zornigen Hieben und Tritten, ehe es zu spät war. „Kutscher, du verlauster Heringsbändiger!“ brüllte der Profos ihm nach. „Warte, wenn ich dich zu fassen kriege! Ich zieh dir die Haut in Streifen ab!“ Er wollte noch einen ganzen Schwall seiner schönsten Verwünschungen anhängen, unterbrach sich aber, weil ihm jetzt etwas mitten ins Gesicht flatterte. Das raschelte und schnatterte, wirbelte und kratzte, und er mußte sich mit den Händen schützen, bis es sich schließlich friedlich auf seiner Schulter niederließ. Etwas zwackte den Profos liebevoll ins rechte Ohrläppchen, und eine heisere Stimme sagte: „Backbrassen, wir laufen auf Grund. Backbrassen, backbrassen, ihr Stinkstiefel.“ Das war Sir John, der karmesinrote Aracanga, wie er leibte und lebte. Carberry wollte sich den Papagei von der Schulter nehmen, aber der Vogel entzog sich seinem Zugriff und flog ins Logis zurück, wo er vorher bei Philip junior und Hasard junior, den Zwillingen, gesessen hatte. „Sir John“, sagte Carberry nur mühsam beherrscht. „Eines Tages rupfe ich dich, du Nebelkrähe, und dann landest du beim Kutscher im Kochtopf, zusammen mit diesem krummbeinigen Kombüsenhengst, dem ich anständig den Hintern versengen werde.“
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Er erhob sich, stapfte ins Logis zurück und ließ eine Warnung an die Männer und die beiden Jungen los, die sich den Mund zuhalten mußten, um nicht laut loszuprusten. „Wer jetzt lacht, der wandert ab in die Vorpiek“, sagte er. Diese Drohung war durchaus ernst zu nehmen, und daher zwangen sich die Männer zu eisernem Schweigen. Philip und Hasard grinsten zwar, aber das konnte der Profos in der Finsternis nicht sehen. Nur das Rauschen des Seewassers an den Bordwänden, das Heulen des Windes und das Knarren der Planken und Verbände war zu vernehmen. Der Profos ließ sich an einem der schmalen Tische nieder. Für ihn war der Fall vorläufig erledigt. Aber wenn der Hund von einem Kutscher mir noch mal gegen den Vorsteven rauscht, dann kriegt er seinen ganzen Kübel mit dem kalten Labskaus über den Kopf gestülpt, dachte der Narbenmann ergrimmt. * Morgan Young hatte gedankenschnell gehandelt. Als der Musketenschuß gefallen war und es erneut im Dickicht aufgeblitzt hatte, hatte er sich zur rechten Seite gerollt. Der Morast schmatzte unter seiner raschen Bewegung, und ein paar Spritzer von dem schwarzen Schlamm kriegte der Engländer direkt ins Gesicht. Er geriet erneut mit dem Dornengerank in Konflikt und zog sich weitere Schrammen an Armen und Beinen und auf dem Oberkörper zu, aber er rettete sich das Leben, denn die Kugel ging haarscharf links an ihm vorbei. In seinem ersten Entsetzen über Romeros Tod und in seinem grenzenlosen Haß gegen die Soldaten hatte er aufspringen und mit dem Säbel in der Faust auf sie zustürzen wollen, um so viele wie möglich niederzusensen und dann selbst zu sterben. Sie hatten Romero in den Kopf geschossen, ehe dieser es geschafft hatte, richtig in dem dornigen Gestrüpp unterzukriechen. Sie hatten Justiz an ihm geübt, aber es war die Justiz des
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Wahnwitzes, denn der junge Mann war in Youngs Augen ein gutherziger, aufrechter Bursche gewesen. Daß er den spanischen Wachtposten mit der Kette erwürgt hatte, stand für den Engländer auf einem anderen Blatt. Aber so glühend der Haß und der Wunsch nach Rache auch waren, in Morgan überwog in diesem Augenblick doch der Selbsterhaltungstrieb. Er warf sich herum, kroch in der Richtung weiter, die er vorher schon eingeschlagen hatte, und entfernte sich von seinen Gegnern. Sie schossen wieder auf ihn, aber da sie seine Gestalt nicht einmal mehr als schattenhaftes Etwas erkennen konnten, feuerten sie aufs Geratewohl in den Dschungel. Young hörte die Kugeln hinter sich in den Morast schlagen und links und rechts neben sich durch das Dickicht sirren, um mehrere Fuß Distanz von ihm entfernt. Dennoch hatte er mächtiges Glück, daß er nicht von einem Zufallstreffer erwischt wurde. Er kämpfte sich durch den Morast und durch brackige Tümpel, schob den Säbel mehr wie einen Fremdkörper oder einen nutzlosen Ballast vor sich her und setzte ihn nicht mehr als Buschmesser ein, weil er Angst davor hatte, von seinen Verfolgern gehört zu werden, und er ihnen den Weg durch die grüne Hölle nicht ebnen wollte. Er war über und über beschmutzt und durchnäßt und begann, sich vor sich selbst zu ekeln. Er dachte an die Tiere des Urwaldes, die ihn vielleicht schon jetzt aus ihren Schlupfwinkeln heraus beobachteten, um ihn zu verfolgen und später über ihn herzufallen, und allein die Vorstellung bereitete ihm Furcht. Aber er hörte, wie sich die Stimmen der Spanier hinter ihm im Gesträuch verloren. Es wurde jetzt nicht mehr geschossen. Sie hatten ihn endgültig aus den Augen verloren, waren ratlos und schienen stehen geblieben zu sein. Seine Taktik, sich nur noch kriechend durch das Dickicht voranzubewegen, hatte sich als richtig erwiesen. Er hatte ihnen ein Schnippchen geschlagen und war schlauer
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gewesen als sie! Diese Erkenntnis verlieh ihm einen gewissen inneren Auftrieb. Er grinste gequält. Es ging also doch. Man konnte ihnen entwischen, wenn man nur wollte. Sie kannten sich im Dschungel, den sie gewöhnlich mieden, nicht besser aus als er. Es gab keine Pfade, der Busch war ein einziger Irrgarten, in dem man sich tage-, wochen-, monatelang vor ihnen verstecken konnte. Man mochte ihn als die Hölle schlechthin, andererseits aber auch als Verbündeten ansehen, wenn man sich auf der Flucht befand. Young fing an, sich an dieser Vorstellung festzuklammern und sich mehr und mehr selbst davon zu überzeugen, daß erst der Urwald die Entscheidung herbeigeführt. hatte: die Rettung vor dem schwerbewaffneten Feind. Um Romero tat es ihm leid, aber er sagte sich auch, daß er um den jungen Mann nicht trauern durfte. Sein Tod hatte schließlich einen Sinn gehabt. Er, Morgan Young, würde sich durchschlagen und irgendwann Helfer finden, mit denen zusammen er auch Trench, Josh Bonart, Sullivan, Christians und all die anderen aus der Strafkolonie herausholen konnte. Die Soldaten würden Romeros Leichnam jetzt aufheben und ins Lager zurückschleppen, wo sie ihn hinwarfen und voll Genugtuung ihrem Kommandanten zeigten. Aber für Don Felix Maria Samaniego und die Lageroffiziere mußte es ein harter Schlag sein, daß zwei Sträflinge die Flucht gewagt hatten - und daß einer von ihnen, ausgerechnet einer der „verdammten englischen Bastarde“, nun spurlos verschwunden war. Das störte sein Image und kratzte an seinem Selbstbewußtsein. Airdikit war kein ausbruchssicheres Lager mehr. Die Dinge waren ins Wanken geraten. Die Spanier würden die Wachen verschärfen, aber vielleicht gab es bald neue Fluchtversuche. Young schob sich schwer atmend weiter voran. Die Ketten an seinen Armen behinderten ihn, und auch der Säbel wurde ihm zur Last, aber er schwor sich, die Waffe nicht zurückzulassen. Aus zwei Gründen nicht: erstens konnten die Spanier
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sie im Busch finden, und dann hatten sie wieder eine Spur, die sie weiterverfolgen konnten. Zweitens brauchte er den Säbel, um sich notfalls gegen Raubtiere und giftige Schlangen zur Wehr zu setzen. Er bedauerte, den Schlegel und das Scharfeisen in der Palisade zurückgelassen zu haben. Damit hätte er jetzt seine Handschellen öffnen können. Aber er hatte eben den Fehler begangen, das Werkzeug einfach fallen zu lassen, als sich der Wachtposten dem Tor des Palisadenlagers genähert hatte. Er hoffte, daß einer seiner Mitgefangenen es fertig gebracht hatte, die Geräte in seinen Besitz zu bringen. Aber er glaubte nicht recht daran. Wenn einer von ihnen es geschafft hatte, würden die Soldaten sie doch alle durchsuchen und auf die Hilfsmittel stoßen, die die Flucht ermöglicht hatten. Morgan Young konnte sich vom Boden erheben und in aufrechter Haltung seinen Weg fortsetzen. Er teilte das Dickicht, das jetzt mehr aus Mangroven und anderen Gewächsen mit schweren ledrigen Blättern als aus Dornensträuchern bestand, mit seinen zerkratzten Händen und wankte keuchend voran. Er hatte die Orientierung verloren, stellte aber fest, aus welcher Richtung der Wind wehte und taumelte ihm bald, nachdem er einen großen Bogen geschlagen hatte, entgegen. Der Wind war auflandig, soviel wußte er ja, er mußte also aus südlicher Richtung wehen. Auf dem Weg, den Young sich jetzt mühsam durch den Busch bahnte, mußte er also unweigerlich zur Küste gelangen. Dort wollte er versuchen, ein einfaches Foß zu bauen, mit dem er zu einer der Inseln übersetzen konnte. Von der Existenz der Inseln wußte er, weil man sie ihm auf der „Balcutha“, auf der er als Decksmann gefahren war, beschrieben hatte. Erst auf einem dieser einsamen Eilande würde er vollends vor den Spaniern sicher sein, soviel vermochte er sich auszumalen. Er gab sich keinen Illusionen hin. Sie
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würden weiterhin nach ihm forschen, wahrscheinlich die ganze Nacht über. Blieb er auf Sumatra, wurde eine gnadenlose Jagd daraus. 4. Heftig zuckten die Flammen der Fackeln, die von den Spaniern entzündet worden waren, auf dem großen freien Platz inmitten der Hütten des Lagers. Ihr Licht warf gespenstische Muster auf die Gesichter der Männer und gab das Mienenspiel von Don Felix Maria Samaniego, der zwischen seine Offiziere und Soldaten getreten war, besonders deutlich wieder. Es arbeitete in Don Felix' scharfgeschnittenen, asketischen Zügen. Selten hatte der hagere Mann, der in größter Hast seine Hütte verlassen hatte und nur mit einer dunklen Hose und einem weißen Hemd bekleidet war, derart zum Ausdruck gebracht, was in seinem Innern vorging. Er fühlte sich zwischen Wut und Ohnmacht hin und her gerissen. Einen Augenblick lang war er versucht, seine Untergebenen wild anzufahren und zu maßregeln, dann aber erlangte er seine Fassung wieder und bezwang sich. Es hatte keinen Sinn, jetzt zornig herumzubrüllen und sich in einen Tobsuchtsanfall hineinzusteigern. Nur durch kühle Überlegung konnte er sich einen Überblick über die Situation verschaffen und die richtige Entscheidung treffen. So hielt er auch einen seiner Offiziere zurück, der jetzt vortrat und mit dem Stiefel nach dem toten Sträfling ausholte. Die Soldaten, die die Flüchtlinge bis in den Busch hinein verfolgt hatten, waren soeben mit dem Leichnam Romeros zurückgekehrt und hatten ihn auf die Mitte der Lichtung geworfen. Don Felix hatte sich den Bericht der Unteroffiziere schweigend angehört. Längst hatte er angeordnet, daß das Tor des Palisadenlagers wieder verriegelt und doppelt abgesichert wurde, daß ein Trupp
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von Wachtposten im Inneren der Umzäunung Fackeln anzündete und die Sträflinge einen nach dem anderen durchsuchte. Irgendwelche Gerätschaften mußten den Gefangenen dazu gedient haben, sich von ihren Ketten zu befreien – und diese Werkzeuge mußten gefunden werden, um jeden Preis. „Lassen Sie das“, sagte Don Felix jetzt zu seinem Offizier. „Es ist unter unserer Würde, unsere Wut über den Vorfall an einem Toten auszulassen.“ Der Mann fuhr zu ihm herum. „Aber Senor Comandante! Dieser Hund hat einen unserer Soldaten auf brutalste Weise erwürgt!“ „Schweigen Sie!“ sagte der Kommandant scharf. „Er hat mit seinem Leben dafür bezahlt, das genügt mir. Und erwürgen ist immer brutal, das sollte Ihnen Ihr logischer Verstand sagen.“ „Si, Senor.“ Don Felix wies auf den Toten. „Wie war sein Name?“ „Romgiro, Senor“, antwortete ein Unteroffizier wie aus der Pistole geschossen. „Der Nachname war nicht bekannt. Ein räudiger Bastardhund, Senor. Eine Schande, daß er sich überhaupt als echter Spanier bezeichnen durfte.“ „Ersparen Sie sich Ihren Kommentar“, sagte Don Felix. „Wenn die Posten nicht unaufmerksam gewesen wären, hätten sie bemerkt, daß er etwas vorbereitete und die Möglichkeit hatte, sich seiner Ketten zu entledigen. Sie werden meine Kritik noch zu hören bekommen, Senores, und Sie werden eine Reihe von Vorwürfen über sich ergehen lassen müssen.“ „Si, Senor“, murmelten die Männer. „Romero“, wiederholte Don Felix. „Der aufsässige Bursche mit den Taschenspielertricks. Ich hatte befohlen, ihn besonders scharf zu bewachen. Und was ist geschehen? Er hat sich selbst und einen seiner Kumpane befreit und ist geflohen.“ Mit strenger, zurechtweisender Miene sah er sich im Kreis seiner Männer um. „Dabei war keine Magie im Spiel, Senores. Er konnte das nur schaffen, weil
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wir geschlafen haben. Aber zurück zu/ dem anderen Entflohenen – wie wär doch sein Name?“ „Morgan Young.“ „Richtig, Young. Ein ausgefuchster Kerl, der offenbar auch unterschätzt wurde.“ „Im Dschungel wird er nicht weit gelangen“, meinte ein jüngerer Offizier. Don Felix wischte die Bemerkung mit einer herrischen Gebärde fort. „Darauf können wir uns nicht verlassen. Er ist uns entwischt, aber wir stellen jetzt sofort zwei starke Trupps zusammen, die die Suche im Urwald wieder aufnehmen. Ja, Sie haben richtig gehört, Senores. Wir fahnden die ganze Nacht über nach ihm, wenn es sein muß.“ „Senor Comandante“, wagte der Offizier einzuwenden, der vorher nach dem toten Romero hatte treten wollen. „Das dürfte auch für uns lebensgefährlich sein. Sie wissen selbst am besten, welche unangenehmen Überraschungen im Busch auf uns lauern.“ „Zwei zwanzigköpfige Trupps!“ rief Don Felix. „Sie übernehmen es, die Männer auszuwählen. Sie werden bis an die Zähne bewaffnet und mit großen Fackeln ausgerüstet. Die Raubtiere scheuen, das Feuer!“ „Zu Befehl, Senor Comandante!“ „Ein dritter Trupp läuft mit zwei Pinassen und einer Schaluppe aus, um dem Engländer den Fluchtweg über die See abzuschneiden!“ fuhr Don Felix mit erhobener Stimme fort. „Acht Mann pro Boot! Wer den Kerl sieht, schießt sofort auf ihn. Ich bin nicht daran interessiert, ihn lebend ins Lager zurückzuholen! Wer ihn erwischt, erhält von mir eine Belohnung!“ „Bei diesem Seegang werden die Boote kentern“, gab der jüngere Offizier zu bedenken. „Ein Sturm droht auszubrechen, Senor!“ Jetzt ballte Don Felix zornig seine Hände zu Fäusten und begann doch zu schreien. „Mit wem habe ich es hier eigentlich zu tun? Mit Feiglingen? Jedes weitere Widerwort wird mit einer Disziplinarstrafe geahndet, merken Sie sich das! Und jetzt befolgen Sie augenblicklich meine
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Befehle, sonst lernen Sie mich von einer Seite kennen, die Ihnen bislang fremd war!“ Er wollte noch etwas hinzufügen, wurde jedoch durch das Auftauchen eines Soldaten unterbrochen, der von den Palisaden herüberlief und einen Schlegel und ein Scharfeisen vorwies. „Das haben wir eben bei einem der Sträflinge gefunden, Senor Comandante!“ meldete der aufgeregt. „Bei wem?“ wollte Don Felix wissen. „Bei einem Kerl, der Jonny heißt. Er hat sich heftig gegen die Durchsuchung gewehrt. Wir mußten ihn niederschlagen, um die Werkzeuge überhaupt an uns zu bringen.“ „Maldichos ingleses“, sagte der Lagerkommandant, nahm die Gerätschaften aus der Hand des Soldaten entgegen und betrachtete sie nachdenklich. „Diese verdammten Engländer, sie scheinen den Teufel im Leib zu haben. Dieser Jonny wäre also der nächste gewesen, der den Ausbruch aus dem Lager versucht hätte.“ „Anscheinend ja“, meinte ein Teniente, ein Leutnant. Samaniego fixierte ihn mit einem stechenden Blick. „Anscheinend? Das hier ist ja wohl mehr als anscheinend.“ Er hielt dem Mann den Schlegel und das Scharfeisen hin. „Und das zieht noch etwas nach sich, darauf können Sie alle sich verlassen — nämlich eine genaue Untersuchung der Hintergründe für diese Ungeheuerlichkeit!“ Er gab den Offizieren, von denen einige ziemlich betreten zu Boden sahen, einen Wink, und sie begannen, ihre präzisen Befehle zum Sammeln und Ausrücken zu erteilen. Rufe tönten durch die Nacht, Soldaten hasteten über den Lagerplatz, holten Musketen, Tromblons und Pistolen und bemannten die Boote, die an den hölzernen Anlegern schlingerten. Die Szene wurde von dem huschenden Licht der Fackeln begleitet. Don Felix schickte seine Suchtrupps mit der Order los, sich zunächst in südlicher
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Richtung zu bewegen. Er war sicher, daß Morgan Young versuchen würde, die Küste zu erreichen. * Der Wind blies mit unverminderter Kraft in den Dschungel von Sumatra, aber er brachte keine Abkühlung. Die Wolken, die über das grüne Dach der Fieberhölle zogen, öffneten sich nicht zu rauschenden Regenschauern, und die schwüle Luft entlud sich nicht. Nur ab und zu zuckten Blitze, und in längeren Zeitabständen war das Grollen fernen Donners zu vernehmen. Das Inferno der Natur, das sich eigentlich jeden Augenblick hätte entfesseln müssen, fand nicht statt. Zäh und unendlich drückend war die Atmosphäre der brütenden Feuchtigkeit, durch die Morgan Young vorantaumelte. Er war der völligen Erschöpfung jetzt sehr nah, und seine Nerven wollten nicht mehr mitspielen. Im Nachhinein setzte ihm der Tod Romeros erheblich zu, er konnte das Ereignis doch nicht so schnell verarbeiten, wie er anfangs gedacht hatte. Die Arbeit unter der mörderischen Hitze, die er Tag für Tag mit den anderen Sträflingen zusammen hatte verrichten müssen, hatte ihre Spuren bei ihm hinterlassen und seine Energien stark herabgesetzt. All die Entbehrungen und Härten der letzten Zeit forderten jetzt ihren Tribut. Young stand kurz vor dem Zusammenbruch. Er verharrte und lehnte sich mit dem Rücken gegen den Stamm eines grollen, knorrigen Baumes. Er spreizte die Beine ein wenig und stemmte sie fest gegen den Untergrund, denn er wollte nicht zu Boden sinken. Nicht einschlafen, hämmerte er sich immer wieder ein, nur nicht einschlafen, sonst ist alles aus. Er schloß aber doch die Augen und verfiel für kurze Zeit in einen Zustand des Dahindämmerns. Seine Atemzüge wurden langsamer und regelmäßiger. Plötzlich riß er die Augen wieder auf. Ganz deutlich hatte er in seiner Nähe eine
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Bewegung wahrgenommen. Er griff mit der rechten Hand nach dem Säbel, den er in den Hosengurt geschoben hatte. Leise klirrte die Kette, die seine Handschellen verband. Er zog den Säbel heraus, nahm eine geduckte, drohende Haltung ein und blickte sich nach allen Seiten um. Hatte er sich getäuscht? Hatten ihm seine gereizten Nerven nur etwas vorgegaukelt? Der Wind wisperte und zischelte in den Büschen und bewegte die Blätter, überall schien Bewegung zu sein. Hier und dort knackte oder raschelte es, überall war das eigentümliche Klagen und Kreischen, Maunzen und Schnattern der Nachtvögel und der anderen Urwaldbewohner zu vernehmen, die zu dieser Stunde wach waren. Young glaubte aber doch, eine Regung bemerkt zu haben, die mit all dem nichts zu tun hatte, sondern losgelöst war von der übrigen Kulisse des Busches. Jäh entdeckte er, was es war, und erstarrte vor Schreck. Wenige Zoll vor seinen nackten Füßen wälzte es sich schwer und träge über den weichen Boden und drohte nach seinen Beinen zu greifen. Young blickte wie gebannt auf das Bild dieses riesigen, häßlichen Leibes, das sich ihm trotz der Dunkelheit in aller Deutlichkeit darbot. Er hatte von den gewaltigen Schlangen vernommen, die imstande sein sollten, sogar Schweine, Schafe und Ziegen zu erwürgen und zu vertilgen. In der Phantasie der Seeleute gerieten sie zu Ungeheuern, die angeblich jenen Monstren glichen, die in der Tiefsee lauern sollten. Wenn dies auch eine Übertreibung war, so hatte Young doch nie bezweifelt, daß es die übergroßen Bestien wirklich gab, die Boa oder Python genannt wurden. Einer solchen Riesenschlange war er jetzt begegnet, und sie wollte ihn auf leise, schleppende Art in ihre tödliche Umklammerung nehmen. Er verlieh sich einen inneren Ruck, löste sich aus seiner gelähmten Haltung und entzog sich dem Zugriff des lautlosen Feindes durch einen Sprung.
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Das kalte Entsetzen noch im Nakken, hastete er weiter. Was wäre gewesen, wenn sich die Schlange von dem Baum auf ihn herabgeringelt und seinen Hals gepackt hätte, während er eingenickt war? Dann hätte ihm auch der Säbel nichts mehr genutzt, und so träge diese Bestien auch .waren, so schnell vermochten sie eine Beute durch das Zusammenziehen ihrer Ringmuskeln ins Jenseits zu befördern. Young fühlte, wie das Grauen ihn packte und nicht mehr losließ. Er schlug mit dem Säbel um sich, mehr, um sich abzureagieren, als um sich einen Weg zu schaffen, aber auch das nutzte nichts. Er hatte geglaubt, die See schnell zu erreichen, aber in diesem Punkt hatte er sich getäuscht. Nirgends schien es einen Auslaß aus dem Dschungel zu geben, die „Selvas“, wie der Spanier die Urwälder nannte schienen unendlich zu sein. Die Küste lag in ewiger Ferne, so erschien es Young in diesem Moment jedenfalls. Hatte er die Orientierung verloren? Lief er im Kreis? Er grübelte darüber herum und gelangte zu keinem Schluß. Dies steigerte seine Furcht vor dem Ungewissen und die Verzweiflung noch. Immer wieder sah er sich nach links und nach rechts um und blickte über seine Schulter zurück. Folgte die Riesenschlange ihm? Schlichen ihm Raubkatzen durch das Dickicht nach, um sich den Zweibeiner zu holen, sobald er vor Erschöpfung zusammenbrach? Glotzten ihn dort nicht weißliche Augen aus der Finsternis an? War das der Orang Utan, der Waldmensch, wie die Malaien und die Ureinwohner Sumatras ihn nannten, oder der Gorilla, ein riesiger und bärenstarker Affe, der einen Mann mühelos zerquetschen konnte? Morgan Young stolperte über eine Wurzel und fiel der Länge nach hin - wieder in den Morast. Fast wäre er auf die Klinge des Säbels gestürzt und hätte sich dabei selbst verletzt. Er stöhnte in einem Anflug panischer Angst auf. Dann aber siegte die Wut über seine Schwäche, er richtete sich schnell wieder auf und lief weiter.
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Einmal glaubte er, hinter sich einen Feuerschein zu sehen, aber das rötliche Licht war bald wieder verschwunden. Ein Eingeborenendorf? Young hielt es für sehr unwahrscheinlich. Als die Spanier vor zwei Jahren damit begonnen hatten, die Strafkolonie Airdikit einzurichten, hatten die Athjehs oder Bataks - oder wie immer die Eingeborenen dieses Landstrichs sich nennen mochten - ihre Siedlungen in der näheren Umgebung bestimmt aufgegeben, um sich tiefer in den Dschungel zurückzuziehen. Anderenfalls hätten sie riskiert, daß die Spanier sie als Sklaven eingefangen und zur Zwangsarbeit angetrieben hätten. Nein, Young gab sich auch dieses Mal keinen Illusionen hin. Selbstverständlich waren das die spanischen Soldaten, die die Suche nach ihm unter Zuhilfenahme von Fackeln fortsetzten. Zwar verrieten sie dadurch ihren jeweiligen Aufenthaltsort, aber sie schützten sich gleichzeitig mit dem Feuer vor den Plagegeistern und Räubern des Urwaldes, was sie in diesem Fall gewiß als vorrangig ansahen. Nur er, Morgan Young, war den Tieren des Dschungels nahezu hilflos ausgeliefert. Er zuckte zusammen, als er ganz in seiner Nähe ein Grollen vernahm, das ihm durch Mark und Bein ging. Nie und nimmer war das ein Gewitterdonner gewesen schlimmer, viel schlimmer war die neue Gefahr, die mit diesem furchtbaren Laut zusammenhing. Der Tiger ist da, dachte Young, und er fühlte, wie ihm die Angst die Kehle zuschnürte. Romero hatte schon mal einen Tiger gesehen und ihm davon erzählt, wie groß diese gestreiften Raubkatzen waren und wie sehr die Eingeborenen sie fürchteten. Es gab alte, verbitterte Einzelgänger unter den Tigern, die auf Menschenjagd gingen, und sie konnten mit einem einzigen Hieb ihrer Tatze ihr Opfer zerfetzen. Young erklomm einen Baum, ehe das unheimliche Grollen zum zweitenmal ertönte. Er kletterte so hoch wie irgend möglich in die Krone hinauf, die vom Sturmwind hin und her bewegt wurde, und
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suchte sich eine Astgabel, in die er sich kauern konnte. Hier hockte er schließlich, hielt nach Schlangen Ausschau und schickte auch immer wieder Blicke in die Tiefe, um nach dem Tiger zu spähen, der ihn verfolgte. In dieser Lage konnte er sich selbst riechen. Ja, er stank erbärmlich nach Schweiß, fauligem Schlamm und Angst, und er fühlte sich so sehr erniedrigt wie nie zuvor in seinem Leben. Vielleicht war der Tiger schon unter ihm? Er konnte es nicht sehen. Er konnte nur ahnen, was unten, auf dem Boden des Urwaldes, geschah, und die Phantasie ließ vor seinem geistigen Auge die schrecklichsten Szenen ablaufen. Er beschloß, den Rest der Nacht auf dem Baum zu verbringen. Beim Anbruch des neuen Tages würde ihm die Orientierung leichter fallen, vielleicht konnte er dann von seinem luftigen Versteck aus sogar das Meer erkennen. Und wenn du auch verrecken mußt, dachte er, die See willst du vorher wenigstens noch einmal anschauen. 5. Im Morgengrauen des neuen Tages waren auf der „Isabella“ immer noch die Manntaue gespannt und die Luken und Niedergänge verschalkt, denn der Seegang hatte nicht abgenommen, und der Sturmwind pfiff nach wie vor bedrohlich genug aus Südsüdwest heran. Pete Ballie, der zur Morgenwache wieder das Ruderrad übernommen hatte, warf vom Ruderhaus aus argwöhnische Blicke zum Himmel hinauf. Schwarz und schmutziggrau ballten sich dort die Wolken. Sie schoben sich in- und übereinander und schienen sich heftig aneinander zu reiben. Diese Reibung rief nach Old O'Flynns Behauptung den Gewitterdonner hervor, aber nicht alle Männer an Bord waren auch wirklich davon überzeugt, daß es so war. Old Donegal Daniel O'Flynn war zwar ein alter Geisterseher und Gespensterbeschwörer, der nach seinen
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eigenen Darstellungen richtige „Gesichter“ hatte, aber ein Gelehrter war er nicht. Pete richtete seinen Blick nach Backbord und sah durch das linke Fenster des Ruderhauses, daß der Himmel im Süden eine Färbung angenommen hatte, die eine Mischung aus Giftgelb, Dunkelrot und Violett zu sein schien. Egal, wie der Donner entsteht, dachte er, da braut sich auf jeden Fall immer noch höllisch was zusammen, und wir tun gut daran, wenn wir sehr vorsichtig sind. Er wandte sein Gesicht wieder nach vorn und sah jetzt den Seewolf, der mit einer zusammengerollten Karte unter dem Arm über das Achterdeck balancierte. Mit einer Hand hielt er sich am Manntau fest, erklomm das Quarterdeck und trat zu Pete in das Ruderhaus. „Ich habe gerade mit Ben Brighton, Shane, Old O'Flynn und Carberry noch einmal die Lage durchgesprochen“, sagte er. Er rollte die Karte auseinander und zeigte sie seinem Rudergänger. Pete nickte. „Da ist also fast die ganze Südwestküste von Sumatra mitsamt der Straße von Mentawai und den zugehörigen Inseln drauf.“ „Richtig, Pete, und wir befinden uns in unserer jetzigen Position ungefähr hier, wie ich errechnet habe“, sagte Hasard. Er deutete mit der Kuppe seines Zeigefingers auf die südliche Einfahrt der Meeresstraße. „An der winzigen Insel Mega sind wir schon vorbei, jetzt liegen wir etwa auf der Mitte zwischen der Insel Süd-Pagai und einem Küstenstrich rund hundert Meilen nördlich von Bengkulu.“ „Bengkulu?“ „Nach dem Randbemerkungen, mit denen diese Karte versehen ist, ist das ein größeres Dorf der Eingeborenen. Es wird auch Bangkahulu genannt.“ Pete warf noch einen Blick auf die Karte und sagte: „Ich verstehe schon, das ist eine der Roteiros, der Seekarten der Spanier, die wir ihnen seinerzeit abgenommen haben.“ „Ja.“ „Wie gut, daß wir sie haben“, meinte Pete grinsend. „Da wir die Mentawai-Straße
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noch nie durchsegelt haben, dürfte sie uns vor einigen Überraschungen bewahren.“ „Du sprichst doch wohl hoffentlich nicht von den Überraschungen, die Old O'Flynn andauernd heraufbeschwört?“ „Nein, natürlich nicht“, gab Pete lachend zurück. „Sir, ich meine Riffs und andere Untiefen, tückische Strömungen und sandige Landzungen, die uns im Weg sein könnten. Die Roteiros der Spanier sind in diesen Punkten doch sehr präzise, nicht wahr?“ „Allerdings. Soweit ich festgestellt habe, stellt nur die Insel Pini, die weiter nördlich mitten in der Straße liegt und zu den sogenannten Batu-Inseln zählt, ein großes, aber weithin sichtbares Hindernis für uns dar.“ „Keine Probleme also?“ „Vorerst nicht.“ „Und Bengkulu?“ „Das hat keine Bedeutung für uns. Ich schätze, auch die Spanier benutzen es lediglich als Orientierungsmarke.“ Pete korrigierte die Ruderstellung, dann sah er seinem Kapitän ins Gesicht. „Vielleicht liegen vor und bei Bengkulu aber Seeräuber, die uns noch die Hölle heiß machen könnten.“ „Etwa so wie damals vor Malakka?“ fragte der Seewolf lächelnd. „Nun, es könnte doch zumindest wahrscheinlich sein, daß sich hier Piratenbanden herumtreiben und die Gewässer verunsichern.“ „Möglich ist alles“, sagte Hasard. „Aber wir können unser Schicksal nicht beeinflussen. Lassen wir die -Dinge auf uns zukommen. Wenn wir uns mit Freibeutern, Spaniern oder Portugiesen herumschlagen müssen, dann tun wir das auch. Was ich jetzt für vordringlich halte, ist die Notwendigkeit, uns vor dem Sturm zu schützen.“ Er wies- nach Süden. „Nach einer Besserung sieht es mir nicht aus - bei der Gewitterfront, die sich da heranschiebt.“ „Ich habe auch schon darüber nachgedacht.“ „Und was würdest du an meiner Stelle tun?“
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„Abfallen und Kurs auf die Küste von Sumatra nehmen, Sir.“ Hasard hob die Augenbrauen. „Nicht auf die nächste Insel?“ „Nein. Das wäre Süd Pagai. Um sie anzulaufen, müßten wir von unserer jetzigen Position aus kreuzen“, antwortete Pete Ballie. „Das wäre ein großer Zeitverlust, außerdem würden wir dem Wetter entgegensegeln.“ „Sehr gut, Pete“, sagte der Seewolf. „Genau das habe ich mir auch gesagt. Wir gehen auf Nordkurs und laufen mit Backstagswind auf die Südwestküste Sumatras zu, die nur noch zwanzig, fünfundzwanzig Meilen entfernt liegen kann. Dort suchen wir uns dann eine Ankerbucht, falls der Sturm uns einholt und losbricht.“ „Aye, Sir.“ Hasard heftete die Karte an der Innenseite der Ruderhaus-Rückwand fest, beugte sich dann etwas hinaus und rief Ben Brighton, der inzwischen auch auf dem Achterdeck eingetroffen war, zu: „Ben, abfallen und Kurs Norden!“ „Aye, Sir, Kurs Norden!“ bestätigte Ben. Er drehte sich zur Kuhl um, hielt sich mit beiden Händen an der Querbalustrade fest und gab den Befehl an Carberry und die Crew weiter. Der Profos scheuchte die Männer. an die Schoten und Brassen. „Fünf Strich Steuerbord“, sagte Hasard zu Pete. „Aye, Sir, Ruder fünf Strich Steuerbord!“ Fete ließ das Rad unter seinen schwieligen Händen drehen. Die „Isabella“ fiel ab und richtete ihren Bugspriet genau nach Norden. Ihre Segel stellten sich fast in Querschiffsrichtung, und sie hielt mit zunehmender Fahrt auf Sumatra zu. Gary Andrews, der an diesem frühen Morgen Bill im Großmars abgelöst hatte, konnte durch seinen Messingkieker bald den grauschwarzen, ausgedehnten Strich erkennen, der sich über der heller werdenden Kimm erhob. Die große Insel lag vor ihnen. *
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Morgan Young schreckte aus bizarren, grauenvollen Alpträumen hoch und verlor das Gleichgewicht. Entsetzt klammerte er sich an der Astgabel fest, auf der er in verkrümmter, unbequemer Körperhaltung eingeschlafen war. Er kippte nach links hinunter, konnte sich aber halten. Für einen Augenblick pendelte sein Leib über dem Dickicht, das gut fünfzehn Fuß unter ihm lag, dann fand er die Kraft, sich wieder hochzuziehen. Er atmete tief durch und blickte sich verstört um. Mit seinen schmutzstarrenden Fingern rieb er sich den Schlaf aus den Augen. Dann richtete er sich langsam auf der Gabel auf, lehnte sich mit dem Rücken gegen den oberen Ausläufer des dicken Stammes und spähte in das milchige Licht des jungen Morgens. Er sah in die Richtung, aus der der Wind blies – und plötzlich glitt ein Ausdruck tiefster Zufriedenheit über seine Züge. Was da unter den ersten Strahlen der Sonne glitzerte und schäumte, war das Meer. Keine Meile konnte das ihm so vertraute Element entfernt liegen, und dabei hatte er in der Nacht so verzweifelt danach gesucht! Er stieß ein heiseres Lachen aus. Erst jetzt fiel ihm ein, daß es ratsam war, seinen Körper auf Schlangenbisse zu untersuchen, aber so sehr er auch forschte, er vermochte keine Wunde zu entdecken. Er warf einen Blick zum Erdboden und hielt nach dem Tiger oder anderen Tieren Ausschau, konnte dort unten aber kein einziges Lebewesen entdecken. Es schien ihm eine glückliche Fügung des Himmels zu sein, daß er von all dem, was ihm seine Träume vorgetäuscht hatten, verschont geblieben war. Er lebte, war unversehrt, und jetzt, im zunehmenden Licht des Tages, wuchs seine Hoffnung auf endgültige Rettung. In einem Zustand euphorischen Triumphgefühls begann er den Abstieg. Den Säbel hatte er sich wieder in den Gurt gesteckt. Seine zusammengeketteten Hände behinderten ihn zwar in der Bewegung, aber er brachte es dennoch
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fertig, am Baumstamm hinunterzurutschen, ohne abzustürzen. So langte er auf dem Dschungelboden an und lief auf das Meer zu. Widerspenstiges Gestrüpp, das ihm den Weg verbaute, trennte er mit entschlossenen Säbelhieben durch. Nichts konnte ihn jetzt noch aufhalten. Nach etwa dreißig Schritten konnte er das Rauschen der Brandung vernehmen, und jetzt sog er mit der Atemluft auch den salzigen Duft des Wassers ein. Er lachte wieder, stolperte voran und empfand die Freiheit als etwas Großartiges, unendlich Wertvolles, das mehr bedeutete als jeder materielle Reichtum. Er befand sich in einem derartig heftigen Glückstaumel, daß er die Gefahr fast zu spät bemerkte. Schräg rechts vor ihm raschelte es im Dickicht, gleich darauf schob sich die Gestalt eines Mannes hervor. Young lief direkt auf ihn zu und prallte fast mit ihm zusammen. Erst wenige Schritte vor dem so unversehens aufgetauchten Mann sah er dessen spitzen Helm, den Brustpanzer und die Kürbishosen, und die Erkenntnis, einem spanischen Soldaten in die Arme gelaufen zu sein, traf ihn wie ein Schock. Der Soldat war jedoch genauso verblüfft wie Young. Auch er hatte mit einer Begegnung wie dieser nicht gerechnet — nicht nach einer schlaflosen N acht, in der die bewaffneten Trupps pausenlos nach dem verschwundenen Kettensträfling gesucht und nicht den geringsten Erfolg zu verzeichnen gehabt hatten. Die Offiziere, die die zwanzigköpfigen Gruppen anführten, hatten schon nach Mitternacht aufgeben wollen, weil sie inzwischen davon überzeugt waren, daß sich der Engländer auf dem Seeweg abgesetzt hatte — irgendwie, schwimmend vielleicht oder mit einem hastig zusammen gezimmerten Floß. Doch Don Felix Maria Samaniego hatte darauf bestanden, daß weiter gefahndet wurde. Er war unerbittlich in der Härte seiner Befehle und dem Verlangen, Young wieder in das Lager zurückzuführen.
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Kurz vor dem Morgengrauen hatten sich die Gruppenführer für eine neue Taktik entschieden. Sie hatten die Soldaten ausschwärmen lassen. Zoll um Zoll wurde der Busch abgekämmt, und wer doch noch auf den Flüchtling stieß, der sollte einen Musketenschuß in die Luft abgeben. Der Soldat blickte Morgan Young so entgeistert an, als wäre dieser ein von den Toten Auferstandener. Es war seiner großen Müdigkeit und Verdrossenheit zuzuschreiben, daß er ziemlich spät auf die Entdeckung des Mannes reagierte. Young indessen zückte seinen Beutesäbel und stürzte sich wutentbrannt auf den Mann. Der Soldat hob seine Muskete. Er wollte auf Young abdrücken, aber dieser hatte ihn schon erreicht, riß den Säbel in einer gewaltigen, schwungvollen Bewegung hoch und traf mit der Klinge den Schaft der Schußwaffe. Die Muskete, ruckte hoch. Der Soldat drückte noch ab, aber der Schuß blaffte in den Morgenhimmel. Morgan Young trat mit dem Fuß zu, erwischte die Hüfte des Spaniers und brachte ihn aus dem Gleichgewicht. Er hatte den Säbel mit beiden Fäusten gepackt, hieb noch einmal zu und traf wieder die Muskete. Klirrend strich die Schneide der Klinge über den Eisenlauf und wetzte sich schartig daran. Aber der Streich genügte, um dem Soldaten die Muskete aus den Händen zu, reißen. Er hatte vorgehabt, sie Morgan Young auf den Kopf zu schmettern, doch dieses Vorhaben war nun vereitelt. Der Spanier stolperte rückwärts und stürzte ins Dickicht. Er stieß einen hellen Laut des Entsetzens aus, griff mit der rechten Hand an die Hüfte und zerrte die Steinschloßpistole aus dem Gurt. Young ließ den Säbel auf ihn niedersausen. Er traf den rechten Arm des Gegners, hob seine Waffe wieder an, schlug noch einmal zu und zielte diesmal auf den ungeschützten Hals. Auch dieser Streich ging nicht fehl.
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Ein erstickter Schrei war der letzte Laut, den der Soldat von sich gab, dann sank er zur Seite und rührte sich nicht mehr. Young wandte sich ab und lief weiter, durch das Unterholz des Dschungels zur See. Er hatte das Bild des sterbenden Soldaten auch noch vor sich, als der Blättervorhang des Urwaldes aufriß und den Blick auf die Brandung freigab. Er fluchte, als er sah, wie hoch die Wellen schlugen, aber er wußte auch, daß er keine andere Wahl mehr hatte. Er mußte auf das Meer hinaus, denn binnen weniger Minuten würden die Kameraden des toten Soldaten im Busch zusammengelaufen sein. Der Schuß hatte sie alarmiert, sie mußten die Leiche finden. Sie würden die gnadenlose Jagd erneut aufnehmen, und diesmal endete sie unweigerlich tödlich für Young, wenn er nicht sofort das Land verließ. Er sah sich nach einem Hilfsmittel für seine Flucht um. Ein Floß konnte er sich nicht mehr bauen. Damit durfte er sich nicht aufhalten, die Spanier würden ihm dafür keine Zeit lassen. Er entdeckte ganz in seiner Nähe einen ungefähr einen Yard langen, dicken Baumstumpf, der hart am Rand des bewachsenen Ufers lag und von der gischtenden Brandung überspült wurde. Dorthin wandte er sich und bückte sich, um den Stumpf ins Wasser zu schieben. Er hob seinen Blick etwas, spähte wieder über die Brandung und die tanzenden Wogen auf die See — und dann glaubte er, seinen Augen nicht trauen zu dürfen. Genau von Süden her segelte ein Schiff heran und war jetzt schon mit bloßem Auge so deutlich zu erkennen, daß Morgan Young es einwandfrei als eine Galeone identifizierte. In ihrem Großtopp schlug die Flagge hin und her, die Young auch auf eine größere Distanz noch wieder erkannt hätte: der „White Ensign“ — die weiße Flagge mit dem roten Georgskreuz darauf. „Engländer“, stammelte Young wie von Sinnen. „Herr im Himmel, ich danke dir, daß du mir dieses Schiff geschickt hast.“
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Dann begann er wild zu winken. * Gary Andrews richtete sich hoch auf und stieß einen verblüfften Laut aus. Er wäre jetzt glatt über die Segeltuchumrandung des Großmarses gekippt, wenn er sich nicht am Großmast festgebunden hätte. Er spähte durch seinen Kieker, um sich zu vergewissern, daß er sich beim ersten Hinsehen nicht getäuscht hatte. Dann brüllte er zum Deck hinunter: „Weißer Mann Backbord voraus! Er winkt uns zu!“ Hasard war immer noch auf dem Quarterdeck und hatte Garys Ruf deutlich vernommen. Er legte den Kopf in den Nacken und schrie durch das Rauschen der Fluten und das Singen des Windes: „Kannst du aus seinen Signalen ersehen, was er von uns will?“ „Nein, Sir! Er steht am Ufer und gebärdet sich wie ein Verrückter!“ „Wie sieht er aus?“ „Ausgesprochen dreckig und zerlumpt, Sir!“ „Hol's der Henker!“ rief jetzt Ben Brighton, der den Dialog vorn Achterdeck aus verfolgt hatte. „Wieder ein Schiffbrüchiger?“ „Das läßt sich nicht feststellen!“ brüllte Gary zurück. „Das gibt ein Unglück!“ schrie der alte O'Flynn, der soeben auf dem Achterdeck erschien. „Hasard, nimm dich in acht! Denk an Seribu!“ Er hatte wirklich allen Grund, seine Bedenken anzumelden, denn auf Seribu in der nördlichen Sundastraße waren die Seewölfe durch Kapitän Einauge - einen Portugiesen namens Laurindo de Carvalho - in eine teuflische Falle gelockt worden, weil dieser sich als vermeintlicher Schiffbrüchiger neben das Wrack einer Jolle gelegt hatte. „Wie Weit sind wir von der Küste entfernt?“ wollte Hasard von Ben Brighton wissen. „Keine fünf Meilen mehr, Sir!“ Hasard hatte angeordnet, mit der „Isabella“ dicht unter Land zu gehen, dann wieder
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anzuluven und auf vier, fünf Meilen Abstand zum Ufer am Dschungel entlang zu segeln. Jetzt war etwas Unerwartetes eingetreten, und er mußte eine Entscheidung treffen. „Gary!“ schrie er. „Kannst du an der Kleidung des Mannes erkennen, welcher Nationalität er ist?“ „Unmöglich, Sir!“ Der Seewolf eilte auf die Kuhl hinunter, hangelte in den Manntauen weiter nach vorn und enterte die Back. Von hier aus peilte er durch sein Spektiv selbst die Gestalt des fremden Mannes an, der da so sichtbar aufgeregt vor dem Mangrovendickicht auf und ab sprang und unverständliche Zeichen gab. Nur eins wurde deutlich: Er machte auf sich aufmerksam, weil er sich offensichtlich in Not befand. Hasard fuhr zu Ben, Old O'Flynn, Ferris Tucker, Shane und dem Profos herum, die ihm gefolgt waren, um seine Befehle entgegenzunehmen. „Wir halten mit unverändertem Kurs auf die Küste zu!“ rief er ihnen zu. „Wir müssen wenigstens herauskriegen, ob er sich wirklich in Gefahr befindet. Sollte das der Fall sein, ist es unsere Pflicht, ihm zu helfen.“ Old O'Flynn schnitt eine Grimasse und schrie mit ziemlich schriller Stimme: „Hölle und Teufel, war dir Seribu keine Lehre? Muß sich das unbedingt wiederholen, damit du klug wirst?“ „Nichts wiederholt sich, Donegal!“ gab Hasard scharf zurück. „Du wirst schon sehen, was du davon hast!“ „Donegal!“ rief der Seewolf. „Wer ist hier der Kapitän - du oder ich?“ „Du, Sir.“ „Dann rede mir nicht in meine Anordnungen hinein!“ sagte Hasard schroff. Old O'Flynn biß sich auf die Unterlippe. Trotz des Altersunterschiedes zwischen ihm und dem Seewolf und trotz der Tatsache, daß er sein Schwiegervater war er hatte sich nach dem zu richten, was Hasard befahl. Trotz seiner Nörgelei. und Schwarzmalerei durfte er die allgemeine
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Disziplin und den Gehorsam nicht vergessen. Da ihm diese ungeschriebenen Bordgesetze in den langen Jahren auf See in Fleisch und Blut übergegangen waren, sah er in diesem Moment doch ein, daß er einen Schritt zu weit gegangen war. Er beschloß, lieber seinen Mund zu halten. „Sir!“ schrie Gary Andrews. „Der Mann trägt Ketten an seinen Händen!“ „Auch das könnte natürlich ein Trick sein“, meinte der Seewolf. „Aber darauf kann ich nicht spekulieren. Ich muß näher an ihn heran und versuchen, mich mit ihm zu verständigen.“ Wieder schaute er zu seinem Ausguck hoch. „Gary! Versuche, ihm zu signalisieren! Frag ihn, was er von uns will!“ „Aye, Sir!“ Hasard hob wieder das Spektiv vors Auge und fing die Gestalt des Fremden im Rund der Optik ein, was bei dem starken Seegang keine leichte Angelegenheit war. Gary Andrews hatte die Signalfahnen zur Hand genommen und signalisierte damit zu dem Mann am Ufer hinüber, doch jetzt geschah wieder etwas Unvorhergesehenes. Weiter links, schätzungsweise zwanzig, dreißig Yards von dem Mann mit den Ketten entfernt, pufften plötzlich weißliche Qualmwolken in den Morgenhimmel hoch. Trotz des starken Windes, der alle Geräusche ins Landesinnere trug, war das Krachen von Handfeuerwaffen zu vernehmen. Hasard nahm das Spektiv ein Stück nach links und konnte die Gestalten von vier spanischen Soldaten erkennen, die soeben aus dem Mangrovendickicht hervorgetreten waren und nun nacheinander ihre Musketen auf den zerlumpten Mann abfeuerten. „Mein Gott!“ stieß Hasard aus. „Die veranstalten ja ein reines Zielschießen auf den armen Teufel.“ Er ließ das Spektiv sinken und wandte sich zu seinen Männern um. „So schnell wie möglich dicht ans Ufer 'ran, dann beidrehen und das große Beiboot abfieren! Wir müssen dem Mann mit den Ketten aus der Klemme helfen wer immer er auch ist.“
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„Wenn wir das man noch schaffen“, sagte Ben Brighton, der die Szene auch durch sein Fernrohr beobachtete. „Die Dons haben ihn ja gleich.“ 6. Morgan Young duckte sich und packte den Baumstumpf. Die Musketenkugeln sirrten über seinen Kopf und über seinen Rücken so dicht, daß er schon glaubte, getroffen zu werden. Immer mehr Spanier traten jetzt aus dem Dschungel hervor und hoben ihre Waffen gegen ihn. Young schleppte den Baumstumpf durch die Brandung, verlor dabei den Säbel, konnte ihn nicht mehr aufheben, sondern nur noch ins tiefere Wasser waten, den Stamm sinken lassen und sich daran festklammern. Er stieß sich mit den nackten Füßen vom Grund ab und brachte sich weiter voran. Als er keinen Halt mehr unter sich spürte, hob er die Beine an und begann, damit auf und abzuschlagen. Hinter ihm liefen die Soldaten an dem Platz zusammen, auf dem er kurz vorher gestanden und der Besatzung des englischen Seglers zugewinkt hatte. Wieder feuerten sie, und die Kugeln schlugen bedrohlich nah rechts und links neben dem Engländer ins Wasser. Verzweifelt arbeitete er mit den Beinen, streckte seine Gestalt und stieß den Stumpf vor sich her. Die Brandung wurde zu seinem erbitterten Feind, sie bäumte sich gegen ihn auf und wollte ihn zurück ans Ufer werfen. Young zog den Kopf ein und tauchte unter, um den schäumenden Fluten so wenig Widerstand wie möglich zu bieten. Er hörte nicht auf, mit den Beinen zu schlagen. Es kostete ihn seine ganze Energie, soviel Vortriebskraft zu erlangen, daß er durch die Brandungswellen hindurch ins tiefere Wasser geriet. Etwas grub sich brennend in sein linkes Bein und ließ ihn aufschreien. Er war getroffen! Er schluckte vor Schreck und Schmerz Wasser, ließ fast seinen Halt los und drohte, die Gewalt über sich selbst zu
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verlieren. Voll Panik kämpfte er gegen das Ertrinken an, brachte sich wieder hoch und klammerte sich keuchend und wasserspuckend an dem Stumpf fest. Das linke Bein schmerzte höllisch. Young konnte es aber noch bewegen, und daraus schloß er, daß die Knochen nicht getroffen waren. Vielmehr schien es sich um eine Fleischwunde zu handeln, die von der Musketenkugel gerissen worden war. Vielleicht war das Geschoß nicht einmal stecken geblieben, sondern gleich wieder zur anderen Seite hin ausgetreten. Morgan Young schloß vor Pein und Angst die Augen und biß die Zähne fest aufeinander. Ihm wurde schwindelig, er drohte das Bewußtsein zu verlieren. Mit aller Macht kämpfte er dagegen an. Er öffnete die Augen wieder, blickte sich um und sah, daß sie Entfernung zwischen ihm und seinen Gegnern gewachsen war. Er sah aber auch, daß das Wasser hinter ihm sich dunkel färbte von dem vielen Blut, daß er verlor. Die Schmerzen brannten und stachen in seinem Bein und pflanzten sich durch die linke Hüfte bis in den ganzen Unterleib fort. Sein Herz pumpte heftig bis in den Hals hinauf. Die Spanier hatten ihre Musketen nachgeladen, rammten jetzt eiserne Gabelstützen in den weichen Boden des Ufers und legten die Schäfte ihrer Waffen darauf. Auf diese Weise konnten sie besser zielen. Sie drückten ab, und in kurzen Abständen krachten die Musketen. Young schwamm mit seinem morschen Baumstamm auf dem Kamm einer Woge, tauchte jetzt aber in ein Wellental und entzog sich den Blicken der Spanier. Sämtliche Kugeln gingen daneben. Die Reaktion der Soldaten und ihrer Truppenführer darauf war ein wütendes Geschrei. Young lachte auf. Trotz seiner Schmerzen und seiner Verzweiflung spürte er jetzt wieder den Schimmer einer Hoffnung, denn er hatte ihnen doch wieder ein Schnippchen geschlagen und trieb immer näher an das fremde Schiff heran.
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Das Schiff war seine Rettung - und jetzt, als er wieder von einer Welle hochgehoben wurde, konnte er deutlich verfolgen, wie die schmucke Dreimast-Galeone keine Kabellänge von ihm entfernt beidrehte. Die Segel wurden aufgegeit, und mit erstaunlicher Geschwindigkeit wurde jetzt in Lee - also an der ihm zugewandten Schiffsseite - ein Beiboot abgefiert und zu Wasser gelassen. Young konnte die Männer sehen, die in aller Eile an der genauso flink ausgebrachten Jakobsleiter abenterten und auf die Duchten des Bootes kletterten. Morgan Young war fasziniert und zutiefst gerührt, er lachte wieder und spürte dabei, wie ihm heiße Tränen über die Wangen rannen. Er schämte sich dieser Tränen nicht. Plötzlich glaubte er, hinter seinem Rücken eine Bewegung wahrzunehmen. Rasch wandte er sich um - und sein Lachen zerfiel von einem Augenblick auf den anderen. Sein Gesicht verwandelte sich in eine Maske des Entsetzens. Lange Baumstämme schienen auf den Wogen zu schwimmen, doch bei näherem Hinsehen entwickelten sie ein beängstigendes Eigenleben. Es war die Täuschung aller Menschen, die diesen Kreaturen zum erstenmal begegneten, sie für borkige, angefaulte Holztrümmer zu halten, die träge dahinglitten, denn die Ähnlichkeit war verblüffend. Young hatte mit allem gerechnet, nur nicht hiermit! Das die Krokodile in den Mangrovensümpfen dicht am Meer genauso wie tief im Binnenland lauerten, war ihm bekannt, aber daß sie sich auch bei diesem Seegang ins Salzwasser hinauswagten, hätte er nie für möglich gehalten. Ihre Gier nach Beute schien grenzenlos zu sein. Sie mußten ihn aus ihren kleinen, gnadenlosen kalten Augen beobachtet haben, als er ins Wasser gestürmt war und sich aus der Reichweite der gegnerischen Kugeln gebracht hatte. Sie hatten sich aus den Mangroven in die Brandung
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geschoben, ohne daß er es sofort bemerkt hatte. Sechs Krokodile zählte Young, aber aller Wahrscheinlichkeit nach waren es noch mehr. Sie waren ihm schon dicht auf den Fersen, nur ein Wellental trennte sie noch von ihrem Opfer. Wieder schrie Morgan Young aufgellend und lang gezogen. * Bei diesem Seegang ein Boot zu Wasser zubringen und zu bemannen, war kein leichtes Stück Arbeit. Wild tanzte die Jolle unter Dan O'Flynn, der gerade als letzter abenterte. Wie Hasard, Ferris Tucker, Big Old Shane, Stenmark und Batuti, die vor ihm an der Jakobsleiter hinuntergehangelt waren, riskierte auch Dan, zwischen der Bordwand der „Isabella“ und dem Dollbord des Bootes zerquetscht zu werden, falls er nicht den richtigen Moment für seinen Sprung abpaßte. Er verharrte auf der viertuntersten Sprosse, wartete, bis die Jolle von einer Woge hochgehoben wurde, und stieß sich dann ab. Mit einem Satz landete er zwischen Stenmark und Batuti, und sie packten seine Arme, damit er nicht zur anderen Seite hin aus der Jolle kippte. Hasard saß auf der Heckducht und hielt bereits die Ruderpinne. Ferris und Shane hatten sich auf den mittleren Duchten niedergelassen und griffen zu den Riemen. „Ruder an!“ rief der Seewolf. Dan, Batuti und der Schwede nahmen ebenfalls Platz und beeilten sich, die Riemen in die Dollen zu legen. Der Seewolf stemmte einen Bootshaken gegen die Bordwand der „Isabella“. Die Jolle löste sich von ihrem Schiff, schwamm frei, und die fünf Männer pullten kräftig an, während Hasard die Ruderpinne herumdrückte. Heftig stampfte und schlingerte die Jolle in der aufgewühlten See. Für eine Weile konnten die sechs Männer den im Wasser treibenden Mann nicht mehr sehen, denn
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ihr Boot sackte tief in eine Wellengrube ab. In diesem Moment ertönte der lang gezogene Schrei, der gegen den Wind bis zur „Isabella“ schallte und gleichzeitig bis zum Ufer wehte, wo die Spanier die Hälse reckten und die Köpfe hoben, um zu verfolgen, was jetzt geschah. „Sir!“ brüllte Gary Andrews vom Großmars aus. „Aufpassen! Salzwasserkrokodile! Steuerbord voraus, von euch aus gesehen!“ Die Jolle schob sich auf die schaumgekrönte Spitze einer Welle, und von hier aus konnte der Seewolf sowohl den Mann mit seinem Baumstumpf als auch das halbe Dutzend herangleitender Krokodile erkennen. Das konnte wohl kein Trick mehr sein, um die Männer der „Isabella“ in eine Falle zu locken, wie es auf Seribu geschehen war. Niemals hätte ein Mann soviel riskiert, um nur ein billiges Schauspiel aufzuziehen. Hasard richtete sich von der Heckducht auf, hielt die Ruderpinne dabei aber noch fest. Mit weit abgespreizten Beinen stand er da und rief Ferris Tucker zu: „Ferris, mach eine Höllenflasche fertig! Mit Musketen und Tromblons können wir gegen die Biester nicht allzu viel ausrichten!“ „Aye, Sir!“ Ferris holte den Riemen ein, hob ihn über die Köpfe der Kameraden und legte ihn längs auf die Duchten. Er bückte sich, nahm eine der pulvergefüllten „Flaschenbomben“ vom Bootsboden auf und kramte Feuerstein und Feuerstahl aus seinen Taschen hervor. Genug Waffen hatte der Seewolf vorsorglich von Bord der „Isabella“ mitnehmen lassen, aber er hatte nicht auch noch ein Kupferbecken mit glimmender Holzkohle abfieren lassen können, denn das wäre garantiert umgekippt und hätte den Männern die Haut versengt. So mußte Ferris also mühsam mit Feuerstein und Feuerstahl die Lunte der Flasche anzünden und gleichzeitig die schwankenden Bootsbewegungen durch geschickte Beinarbeit ausgleichen. Es kam
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schon fast einem Akrobatenstück gleich, was er hier tat, und kostbare Zeit ging verloren. Big Old Shane, Dan O'Flynn, der Schwede und der schwarze Herkules aus Gambia pullten, so schnell sie konnten, und die Jolle war dem verzweifelten Mann, der obendrein auch noch verwundet zu sein schien, jetzt sehr nah. Nah aber waren auch die Krokodile. Hasard stand immer noch aufrecht da, und er konnte jetzt, als die Jolle auf einem neuen Wellenkamm tanzte, das Blut im Wasser hinter den Beinen des fremden Mannes sehen. Wenn die Krokodile Blut spürten, wurden sie so wild und mordlustig wie die Haie, soviel war Hasard bekannt. Auch er und seine Crew hatten ihre Erfahrungen mit den gefährlichen Echsen gemacht, deshalb wußte er, daß man sie auf keinen Fall unterschätzen durfte. Mit einem einzigen Biß seiner gewaltigen Kiefer konnte so ein Biest einem ausgewachsenen Mann die Beine vom Rumpf trennen. Und genau dieses Schicksal erwartete den Mann im Wasser, wenn nicht sofort etwas geschah. Hasard stellte die Ruderpinne fest, nahm eine Muskete zur Hand und feuerte sie auf das Krokodil ab, das dem Fremden inzwischen am nächsten geraten war. Bei dem Tanz, den das Boot in der See aufführte, und der Bewegung des lebenden Zieles war es beinah ein Wunder, daß er überhaupt traf. Der Schuß krachte, und im nächsten Augenblick zuckte die große Echse heftig im Wasser zusammen. Ihr Maul klaffte auf und schnappte wieder zu, dann fiel sie ein Stück zurück. Dennoch hätte auch eine Folge von sechs Musketenschüssen nicht viel ausrichten können, wie der Seewolf vorausgesehen hatte, denn die anderen Bestien drängten — unbeeindruckt von dem, was ihrem Artgenossen geschehen war — nach, und auf den Wellen tauchten jetzt immer mehr Tiere auf. „Ferris!“ schrie der Seewolf. „Es geht los, Sir!“ brüllte sein rothaariger Schiffszimmermann zurück. Die Lunte war
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jetzt trotz aller widrigen Umstände gezündet, sie glomm rötlichgelb und zischte, und die Glut arbeitete sich durch die Schnur auf den Korken der Flasche zu. Ferris hob die geballte Ladung Pulver, Eisen, Blei und Glas hoch über seinen Kopf, zählte noch bis fünf und schleuderte sie dann über den Mann im Wasser hinweg mitten zwischen das Rudel Krokodile. Hasard hatte die Muskete mit einem Tromblon vertauscht und feuerte zum zweitenmal, aber dieses Mal ging der größte Teil der Ladung aus gehacktem Blei und Eisen fehl, und die Panzerechsen wichen immer noch nicht zurück. Die Flaschenbombe landete mit einem schwachen Klatscher im Wasser und versank. Es sah tatsächlich so aus, als habe Ferris Tucker den Moment der Explosion falsch kalkuliert, aber der rothaarige Riese wußte es besser, er grinste grimmig und zuversichtlich. Wenn die Lunte nämlich erst einmal bis durch den Flaschenkorken abgebrannt war, dann glomm sie auch unter Wasser weiter, denn die Nässe konnte ihr nichts anhaben. Plötzlich ging die „Höllenflasche“ dicht unter der Wasseroberfläche hoch. Die Detonation glich dem Ausbruch eines Seebebens: Wie von einer unsichtbaren Macht bewegt, wölbten sich die Fluten plötzlich hoch und warfen die Krokodile ein Stück in die Luft hoch. Der Unterwasserdruck beförderte Morgan Young direkt auf die Jolle zu. Er hatte den Kopf eingezogen und wieder unter Wasser genommen, als die Flaschenladung explodiert war, jetzt aber blickte er wieder auf und sah die Hände, die sich ihm aus dem Boot hilfreich entgegenstreckten. Er griff zu, glitt fast doch noch wieder ab, aber Shane und Batuti beugten sich tiefer über das Dollbord, faßten nach und packten ihn fest an den Oberarmen. Sie hievten ihn über. die Dollen hinweg, ließen ihn zwischen zwei Duchten sinken und warfen erst dann wieder einen Blick auf die Krokodile. Zwei oder drei Tiere hatte es zerrissen, die anderen ergriffen jetzt entsetzt die Flucht.
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„Donnerwetter“, sagte Big Old Shane. „Was so eine Höllenflasche doch alles fertig bringt, Ferris!“ Der Schiffszimmermann grinste ihn an. „Nun tu doch nicht so scheinheilig, das wußtest du doch auch vorher schon.“ „Ja, aber man muß den Augenblick der Zündung schon richtig berechnen und die Flaschen auch zu werfen wissen!“ rief Dan O'Flynn. Ferris ließ sich wieder auf seiner Ducht nieder und griff nach dem Riemen. „Nun hör sich das einer an“, sagte er. „Die Kerle wollen mir tatsächlich Honig um den Bart schmieren. Weiß der Henker, warum.“ „Ferris!“ rief der Seewolf. „Das war wirklich ein guter Wurf. Alle Achtung!“ „Danke, Sir“, sagte der rothaarige Riese, und diesmal spürte er sein Herz vor Stolz wirklich kräftiger schlagen. Hasard drückte die Ruderpinne wieder herum, und die Jolle wendete in der stürmischen See. Bei der Rückfahrt zur „Isabella“ stellte er zu seiner Zufriedenheit fest, daß Ben Brighton den White Ensign inzwischen aus dem Großtopp hatte niederholen lassen. Hasard hatte ihm das befohlen, bevor er das Schiff zur Rettung des Kettensträflings verlassen hatte. Vielleicht hatten die Spanier die Flagge noch nicht gesehen, vielleicht war es gut, wenn sie nicht erfuhren, welcher Nationalität die „Isabella“ war. * Morgan Young war ohnmächtig geworden, aber jetzt schlug er sehr schnell wieder die Augen auf und gab ein unterdrücktes Stöhnen von sich. Ein starkes Brennen in seinem linken Bein hatte ihn ins Bewußtsein zurückgerufen. Entsetzt wollte er hochfahren, doch Hände drückten ihn auf sein Lager zurück. „Nun mal immer mit der Ruhe“, sagte. eine rauhe Stimme. „Mit zappeligen Patienten haben wir auf diesem Schiff nicht viel im Sinn.“ Young hob den Blick und sah über den Kopf und die Schultern eines Mannes
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hinweg, der sich offensichtlich um seine Blessur bemühte, genau in das derbe, narbige Gesicht eines riesigen Kerls, der ein Kinn wie ein Rammklotz und Schultern so breit wie ein Schiffsschapp hatte. „Die Krokodile, mein Gott, die Krokodile“, stammelte Morgan Young. „Hol's der Teufel“, sagte der Narbenmann unwirsch. „Ich bin kein Krokodil, du Witzbold, ich bin der Profos auf diesem Kahn. Mein Name ist Edwin Carberry, verdammt noch mal, und solange ich hier meines Amtes walte, herrschen Ordnung und Disziplin, verstanden?“ „Verstanden, Sir“, erwiderte Young beeindruckt von so viel Autoritätsgebaren. Der andere Mann hob jetzt seinen Kopf und lächelte Young freundlich zu. „Keine Angst, Freund, so wüst sind die Sitten an Bord der ,Isabella` nun auch wieder nicht – und bellende Hunde beißen bekanntlich nicht.“ „Wie war das eben, Kutscher?“ fragte Carberry drohend. „Mister Carberry, Sir, ich erkläre unserem Patienten mir, daß er hier unter Freunden ist und daß es um seine Beinwunde nicht so schlimm bestellt ist, wie man anfangs vielleicht denken konnte.“ „Aha.“ „Ich habe das linke Bein abgebunden und die Fleischwunde desinfiziert, also ausgebrannt und mit Tinktur gesäubert. Nach der Kugel habe ich aber vergeblich gesucht, die steckte nämlich nicht in der Wade.“ „Na, ein Glück“, brummte der Profos. Der Kutscher reichte Young die Hand. „Willkommen an Bord der ,Isabella`. Ich bin der Feldscher, du kannst dich darauf verlassen, daß du hier anständig gesund gepflegt wirst.“ Young ergriff die ihm dargebotene Hand und schüttelte sie. Er stellte fest, daß er keine Handschellen und keine Kette mehr trug, und hob verwundert die Augenbrauen. Der Kutscher lachte. „Ferris hat dir die Kette gleich abgenommen, als wir dich an Bord gehievt hatten. Ich schätze, du fühlst dich jetzt ein wenig erleichtert.“
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„Mächtig erleichtert, Sir.“ „Nenn mich Kutscher, so rufen mich hier alle.“ „In Ordnung, Kutscher. Habe ich viel Blut verloren?“ „Nur ein paar Gallonen, aber du kommst schon wieder auf die Beine, Mann“, sagte Carberry in seiner üblichen schroffen Art. „So, und jetzt hört mit eurem albernen Geschwafel auf. Zur Sache: Wie ist dein Name?“ „Morgan Young.“ „Engländer?“ „Mein Gott, das hört man doch – sowohl an seiner Aussprache als auch an seinem Namen“, stöhnte der Kutscher. „Kutscher, halte die Futterluke, du bist nicht gefragt worden“, fuhr der Profos ihn an. „Nun, Young?“ „Ich bin wirklich Engländer. Gebürtig aus Southampton.“ „Ekliges Nest“, meinte Carberry. „Aber besser als gar nichts. Fein, daß wir dich aufgefischt haben, was, wie? Ich hab schon gedacht, du wärst ein Don oder vielleicht ein Ire oder ein Schotte, der sich als Engländer ausgibt...“ „Selig sind die geistig Armen“, murmelte der Kutscher, vorsichtshalber aber auf lateinisch, wie Doktor Freemont es ihm seinerzeit mal beigebracht hatte. Er schickte einen Blick zur Balkendecke der Achterdeckskammer hoch, mit dem er die außerirdischen Mächte um Vergebung für die polternde, ungeschickte Art des Profos bat, mit Neulingen umzugehen. Viele mutige Männer hatten sich schon zutiefst erschrocken, als sie dem Narbenmann zum erstenmal begegnet waren. „ ...und du sollst mich nicht immer unterbrechen, Kutscher!“ führte Carberry seine Rede zu Ende. „Sonst setze ich dich doch noch mit deinem Hintern in die heiße Suppe, die du uns vorzusetzen wagst.“ „Ja, Sir“, sagte der Kutscher. Man sollte es schließlich nicht zu weit treiben. Carberry trat dicht vor Morgan Young hin und drückte ihm ebenfalls die Hand. „Wir Engländer müssen zusammenhalten, was, Morgan?“
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„Sicher, Sir. Wie kann ich mich für meine Rettung bedanken?“ „Warte, ich sage jetzt unserem Kapitän Bescheid“, brummte Carberry. Er schritt durch den wankenden Schiffsraum zur Tür, öffnete sie und rief in den Gang hinaus: „Sir, du kannst ihn dir anschauen. Er ist nicht abgekratzt, sondern aufgewacht und scheint auch schon wieder recht munter zu sein!“ „Hasard?“ fragte Morgan Young verdutzt und blickte den Kutscher an. Der erwiderte: „Ja. Philip Hasard Killigrew. So heißt unser Kapitän.“ Youngs Augen weiteten sich. „Das gibt's doch nicht. Philip Hasard Killigrew – der Seewolf. Ich werd verrückt!“ 7. Wütend hatten die beiden Landtrupps der Spanier vorn Ufer aus verfolgt, wie die Männer der fremden Galeone den Kettensträfling Young geborgen hatten. Jetzt wandten sie sich ab und verschwanden wieder im Busch, um ins Gefangenenlager von Airdikit zurückzukehren und Don Felix Maria Samaniego Bericht zu erstatten. Zwei andere Soldaten hatten bereits den Leichnam ihres von Morgan Young getöteten Kameraden zurück in die Strafkolonie geschafft, dorthin, wo der junge Spanier Romero inzwischen wie ein Hund verscharrt worden war. Die beiden zwanzigköpfigen Suchtrupps hatten einen totalen Mißerfolg zu verzeichnen. Ihre Führer wußten nicht mehr weiter, sie waren ratlos und brauchten neue Befehle von ihrem Kommandanten, wie jetzt zu verfahren war. Für den Rückmarsch ins Lager brauchen sie mindestens eine Stunde Zeit. Die jeweils acht Mann Besatzung der beiden Pinassen und der Schaluppe hingegen, die auch im Morgengrauen noch rund um die Einfahrt zur geschützten Ankerbucht von Airdikit nach dem verschwundenen Engländer gefahndet hatten, hatten derweil die Explosion der
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Flaschenbombe vernommen und auch wie aus weiter Ferne Geräuschfetzen gehört, die wie das Krachen von Musketen klangen. Der Teniente, der den kleinen Verband leitete, beschloß, selbst mit seiner einmastigen Pinasse nach Südosten zu segeln und nach der Ursache für die Schießerei zu forschen. Die zweite Pinasse und die Schaluppe indes sollten weiterhin vor der Einfahrt zur Bucht patrouillieren und den in nordwestlicher Richtung verlaufenden Küstenstreifen kontrollieren, der während der Nacht noch nicht abgesucht worden war. Der Teniente hieß Leandro Moratin. Teufel auch, dachte er, während seine Männer die Pinasse wendeten und mit neuem Kurs an den Wind brachten, sollten die Landtrupps diesen verfluchten englischen Bastard wirklich doch noch gestellt haben? Wenig später sichtete Moratins Ausguck Mastspitzen an der südöstlichen Kimm und kurz darauf die vollständigen Masten einer Galeone, die mit aufgegeiten Segeln da lag. Was er von der Entdeckung dieses. Schiffes nun halten sollte, wußte der Teniente Moratin nicht. Er nahm sich aber fest vor, den Dingen auf den Grund zu gehen. Deshalb steuerte er seine Pinasse mit unverändertem, Kurs auf die DreimastGaleone zu, die ihrerseits beigedreht im Wind liegen blieb. * Hasards breitschultrige Gestalt erschien im Rahmen der Tür zur Achterdeckskammer. Carberry rückte ein Stück zur Seite und hielt sich am Schapp fest, damit er nicht ins Wanken geriet und durch den Raum stolperte. Hasard lehnte sich gegen den Türrahmen und blickte zu Morgan Young und zum Kutscher. Young setzte sich auf, obwohl der Kutscher es ihm untersagt hatte, und salutierte, wie ein Kadett der Royal Navy es nicht besser fertig gebracht hätte.
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„Sir Philip“, sagte er ergriffen. „Es ist mir eine ungeheure Ehre, Ihnen begegnet zu sein, und ich werde es Ihnen und Ihrer Crew nie vergessen, daß Sie mir das Leben gerettet haben.“ Der Profos stieß einen schnaubenden Laut aus. „Das war eine gute Rede, Morgan. Hasard, dies ist Morgan Young, und er stammt aus Southampton, wofür er selbstverständlich nichts kann.“ „Sind wir uns früher schon mal begegnet, Morgan Young?“ fragte der Seewolf. „Nein, Sir, aber ich weiß trotzdem, daß man Ihnen den Beinamen ,Seewolf` verliehen und Sie zum Ritter geschlagen hat“, erklärte Young stolz. Er war ein großer Mann biederen Aussehens, mit dunkelblonden Haaren, wasserblauen Augen und einem dichten Vollbart, der ihm in der Gefangenschaft gewachsen war. Hasard musterte dieses Gesicht prüfend, aber er konnte sich nicht entsinnen, jemals zuvor mit diesem Mann zutun gehabt zu haben. Er trat auf Youngs Koje zu, in die der Mann auf seine Anweisung hingelegt worden war, blieb am Fußende stehen und hielt sich mit einer Hand am Pfosten der Umrandung fest. „Wer hat dir das erzählt, Morgan?“ wollte er wissen. „Ein Landsmann, Sir Philip.“ „Du kannst ruhig Hasard zu mir sagen. Meine Männer pflegen mich so zu nennen.“ „Danke, Sir Hasard. Ich ...“ „Den ,Sir` kannst du auch weglassen, denn unser Kapitän legt keinen gesteigerten Wert darauf, mit seinem adligen Titel angeredet zu werden“, unterbrach ihn der Profos. „Aber nun mal fix raus mit der Sprache, Morgan, laß dir gefälligst die Würmer nicht einzeln aus der Nase ziehen: Wer zur Hölle ist dieser Engländer, der dir über den Seewolf erzählt hat?“ „Ein Mitgefangener aus dem Arbeitslager der Spanier, aus dem ich letzte Nacht ausgebrochen bin. Er heißt Jonny. Aber davon abgesehen - ich habe auch in England schon von den Taten des Seewolfs und seiner Mannschaft vernommen, bevor ich auf der ,Balcutha` anheuerte und ...“
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Diesmal war es der Seewolf, der ihm das Wort durch eine Geste abschnitt. „Augenblick, Morgan. Hast du wirklich Jonny gesagt?“ „Ja, Sir.“ „Jonny?“ wiederholte nun auch der Kutscher verblüfft. „Ja, sollte das etwa unser Freund sein, den wir auf Neuseeland kennen gelernt haben?“ „Beschreibe mir bitte diesen Mann“, forderte Hasard den befreiten Sträfling auf. „Gern“, sagte Morgan Young. Er mußte unwillkürlich lachen. „Also, dieser Jonny ist alles andere als eine Schönheit, aber ein uriger Kerl, das kann ich euch versichern. Er ist nicht sehr groß geraten und viel zu dick für mein Dafürhalten, außerdem hat er so krumme Beine, daß man ein ausgewachsenes Schwein zwischen ihnen hindurchscheuchen könnte. Seine Nase sieht aus wie eine Kartoffel, seine Augen sind klein und rot, und im Mund hat er statt Zähne lauter häßliche Stummel. Wenn man ihn so sieht, hält man ihn für ein wandelndes menschliches Wrack. Aber ich glaube, er ist in Wirklichkeit ein Teufelskerl. Bei unserem Ausbruch sollte er dabei sein, aber wir haben es nicht mehr geschafft, ihn zu befreien, weil uns ein Posten überraschte, der alle anderen Spanier durch einen Musketenschuß alarmierte.“ „Das ist er“, sagte der Kutscher. „Hat er vielleicht auch einen Bart?“ erkundigte sich der Profos. „Nein“, entgegnete Young. „Den hat er sich inzwischen abrasiert“, meinte der Seewolf mit einem Seitenblick auf Carberry. Carberry begann sich am Kinn zu kratzen und dachte: Hölle und Teufel, das hätte dir aber auch selbst einfallen müssen! Hasard wandte sich wieder an Morgan Young. „Also, nach deiner Beschreibung müßte das Sumatra-Jonny sein, der sich auf der Insel auskennt wie kein zweiter Weißer.“ „Richtig, Sumatra-Jonny, so nannten ihn seine Leute gelegentlich. Und ich wäre froh gewesen, wenn er mit uns geflohen
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wäre, mit Romero und mir, aber das wurde leider vereitelt.“ „Morgan“, sagte Hasard. „Am besten beginnst du mit deiner Geschichte ganz von vorn. Wie bist du hierher, nach Ostindien, geraten und weshalb haben die Spanier dich gefangen genommen und in Ketten gelegt?“ „Ich war Decksmann auf der ,Balcutha‘„, erklärte Morgan Young. „Dieser Dreihundert-Tonner lief vor gut zehn Monaten aus Bristol aus und hatte ungefähr sechzig Abenteurer und Glückritter an Bord, die alle in dieser Gegend hier Fuß fassen wollten. Die einen glaubten, in Ostindien Gold zu finden, die anderen wollten ein Leben in Freiheit führen, wieder andere wollten irgendwo, auf einer der Gewürzinseln oder auf einem anderen einsamen Eiland, eine englische Kolonie errichten. Wir waren Engländer, Iren und Schotten, und es war keiner unter uns, der vorher schon mal weiter als bis nach Nordafrika gesegelt war.“ „Ein Haufen Narren also“, sagte Carberry respektlos. „Was habt ihr euch bloß eingebildet? Daß hier das Paradies auf euch wartet?“ „Der Kapitän der ,Balcutha` stellte uns ähnliche Fragen und gab uns auch zu spüren, daß er uns für Dummköpfe hielt. Aber letztlich konnte es ihm ja egal sein, welche Art von Fracht er beförderte. Wir arbeiteten hart, und obendrein mußten wir für die Überfahrt auch noch bezahlen.“ „Gar nicht auf den Kopf gefallen, dieser Kapitän“, meinte der Kutscher. „Eine Ladung, die ihm kein Risiko brachte. Wenn einer über Bord ging, hatte er selber schuld. Hauptsache, die Decksarbeit wurde verrichtet.“ „So war es“, bestätigte der Mann aus Southampton. „Aber Pech hatte er trotzdem. Wir segelten südlich an Sumatra vorbei, weil es in der Malakkastraße von Piraten wimmeln sollte. Also gerieten wir in die Straße von Mentawai, aber hier kriegten wir einen Sturm auf die Mütze, der es in sich hatte. Ich will mich kurz fassen: Unser Schiff sank mit mehreren Lecks im Rumpf, und fast die ganze
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Besatzung ertrank, einschließlich des Kapitäns. und seiner Offiziere. Nur wir fünf konnten uns an Land retten: Trench, Josh Bonart, Sullivan, Christians und ich. Aber es war unser Pech, daß wir ausgerechnet an der Hafenbucht von Airdikit landeten. Kaum hatten wir das Wasser ausgespuckt, das wir geschluckt hatten, und richtig Luft geholt, da waren wir von spanischen Soldaten umstellt. Sie brachten uns in das Lager, und dort wurden wir erst mal in Ketten gelegt. Am Tag darauf wußten wir, welches Schicksal uns zugedacht war: Wir mußten auf dem Bauplatz schuften, auf dem die neue Festung errichtet wird.“ „Wann sank euer Schiff?“ fragte Hasard. „Vor etwa zwei Monaten.“ „Und ein paar Schiffbrüchige waren den Dons gerade recht, denn sie brauchen Arbeitssklaven für ihren Festungsbau“, sagte Carberry. „Wieso sind sie überhaupt auf die hirnverbrannte Idee verfallen, mitten im Dschungel ein Kastell zu errichten? Hast du das erfahren, Morgan?“ „Ja. Die Festung wird den Hafen bewachen, in dem eines Tages die Kriegsgaleonen und Kriegskaravellen liegen sollen, die die gesamte Straße von Mentawai. kontrollieren. Spanien will es nicht zulassen, daß hier andere Länder Kolonien errichten.“ „Aha“, sagte der Profos. „Die Sträflinge sind Engländer, Holländer und Franzosen, aber auch spanische und portugiesische Meuterer, die hier ihre Strafe abbüßen“, fuhr Young fort. „Es sind insgesamt etwa siebzig Mann, aber vor zwei Monaten waren es noch mehr. Nicht, daß einige etwa fliehen konnten, nein, Airdikit galt bisher als ausbruchssicher. Aber ich habe einige Männer unter der mörderischen Hitze und der erbärmlichen Schufterei sterben sehen, und das war kein schöner Anblick, das kann ich euch schwören.“ „Ganz bestimmt nicht“, sagte der Seewolf. „Wir waren selbst schon Gefangene der Spanier und haben Ähnliches erlebt, können dir also nachfühlen, was du durchgestanden hast. Die Bedingungen
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sind unmenschlich, und sehr lange hält keiner durch.“ „Romero hat es anderthalb Jahre über sich ergehen lassen, der arme Teufel“, sagte Young mit erbitterter Miene. „Jetzt ist er tot.“ Er berichtete, was sich in der vergangenen Nacht zugetragen hatte und ließ keine Einzelheit aus. Ben Brighton, Big Old Shane, Ferris Tucker und Old O'Flynn gesellten sich während seiner Schilderung zu ihm und den drei anderen Männern in die Achterdeckskammer, aber Hasard gab ihnen ein Zeichen, und keiner von ihnen sprach ein Wort, ehe Morgan Young nicht geendet hatte. Als der Mann aus Southampton damit schloß, wie er sich im Morgengrauen vor den Spaniern ins Wasser gerettet hatte und auf die „Isabella“ zu geschwommen war, war es Hasard, der das nun eintretende Schweigen als erster wieder brach. „Ihr habt eine gehörige Portion Mut aufgebracht, Morgan“, sagte er. „Ich kann dir dafür nur meine Hochachtung aussprechen. Leid tut es mir für den jungen Spanier, der die schier unglaubliche Leistung vollbracht hat, deine Beinketten aufzutreiben. Aber es ist, wie du es schon ausgedrückt hast: Sein Tod hat doch einen Sinn gehabt.“ Young schaute auf. „Wie meinst du das, Sir?“ „Ganz einfach: Wir werden euer Werk zu Ende führen und auch die anderen Gefangenen befreien - die, die es wirklich wert sind. Deine Kameraden, SumatraJonny und dessen ,glorreiche Zehn', wie du sie nennst, und alle anderen, die zu Unrecht in dem Lager und im Kerker der Festung festsitzen.“ „Sir - ist das dein Ernst?“ „Darauf kannst du dich verlassen. Oder glaubst du, daß ein Killigrew ein Versprechen gibt und es dann nicht hält?“ „Natürlich nicht“, erwiderte Young. „Mein Gott, wenn die armen Teufel es doch bloß schon wüßten, daß es auch für sie bald die Erlösung gibt.“ „Halt“, sagte Old O'Flynn. „Was immer wir auch unternehmen, wir können nicht
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dafür garantieren, daß es auch wirklich gelingt. Die Dons werden sich mit allen Waffen verteidigen, die ihnen zur Verfügung stehen, und notfalls auch mit Händen und Füßen.“ „Und mit den Zähnen“, meinte der Profos grinsend. „Ja, grinse du nur“, sagte der Alte giftig. „Ich hab's ja von Anfang an prophezeit wir stoßen hier noch mit den Dons zusammen!“ „Aber anders, als du es in den Sternen gelesen hast, Donegal“, brummte Ferris Tucker. „Eins möchte ich zu gern wissen“, sagte der Profos. „Wie in aller Welt ist SumatraJonny hierher geraten, da er doch eigentlich nach unserem Abenteuer auf der Insel Tabu mit der ,San Rosario` nach Neuseeland zurücksegeln sollte, um dort die beiden Maori-Mädchen abzuliefern?“ „Das ist mir auch ein Rätsel“, meinte der Seewolf. „Aber es lohnt sich nicht, jetzt darüber herumzugrübeln. Morgan, hat Jonny dir verraten, was ihn nach Sumatra geführt hat?“ „Haben die Spanier ihn denn samt der ,San Rosario' hochgenommen?“ wollte Shane wissen. „Mir ist folgendes bekannt“, erklärte Young. „Jonny kam mit der Galeone aus südlicher Richtung, und er berichtete mir auch, daß ihr das Schiff den Spaniern abgejagt und dann ihm überlassen hättet. Wo dies alles aber geschehen war, darüber wollte er sich so genau nicht auslassen. Es ist wohl sein Geheimnis, und das soll es von mir aus auch bleiben. Ich bin nicht scharf auf das sagenhafte Südland, ich habe schon jetzt die Nase voll von Ostindien und der ganzen Dschungelhölle. Aber zurück zu Jonny: Vor ungefähr zwei Wochen wollte er mit seiner ,San Rosario` eine spanische Galeone aufbringen, hatte dabei aber ausgesprochenes Pech. Beim Entermanöver wurden er und die meisten Männer seiner Crew von den Dons überwältigt. Nur ein Teil der Meute konnte fliehen, indem er einfach ins Wasser sprang. Wenn die Haie und die Krokodile diese Leute nicht gefressen haben, so
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müßten sie nach Jonnys Vorstellungen inzwischen wieder zu dem Schlupfwinkel zurückgekehrt sein, den Jonny hier irgendwo eingerichtet hat. Die spanische Galeone schleppte die ,San Rosario` ab bis nach Airdikit, dort liegt sie jetzt im Hafenbecken, während der spanische Dreimaster wieder ausgelaufen ist - mit Kurs nach Manila.“ „So“, sagte der Seewolf. „Der gute Jonny hat sich jetzt also der Seeräuberei verschrieben.“ Seiner Miene war abzulesen, daß er darüber nicht sehr begeistert war. In erster Linie deshalb nicht, weil ihm Jonny ja seinerzeit versprochen hatte, die Mädchen nach Neuseeland zurückzubringen. Plötzlich polterten Schritte durch den Achterdecks-Mittelgang heran. Hasard, Ben und die anderen wandten die Kopfe und sahen im Halbdunkel des Ganges die Gestalt von Dan O'Flynn auftauchen. „Sir“, sagte Dan. „Gary hat soeben eine Pinasse gemeldet, die von Nordwesten her hoch am Wind auf uns zusegelt.“ „Das sind die Spanier!“ rief Morgan Young erregt aus. „Sie haben ihre Suche nach mir auch aufs Wasser ausgedehnt! Ich bin sicher, daß sich noch mehr Pinassen oder Schaluppen in der Nähe befinden. Don Felix Maria Samaniego, der Lagerkommandant, ist ein schlauer Mann, der keine Möglichkeit ausläßt, wenn es darum geht, jemanden zu jagen.“ „Warum hat er dann nicht die ,San Rosario' auslaufen lassen?“ fragte Ferris Tucker. „Sie hat im Gefecht ziemlich schwere Schäden davongetragen, die noch nicht alle wieder ausgebessert sind“, antwortete Young. „Ich schätze, daß er befürchtet, sie könne bei dieser schweren See leckgeschlagen werden und sinken.“ „Sehr gut“, sagte der Seewolf. „Dies alles kommt meinen Plänen sehr entgegen.“ Er drehte sich zu seinen Männern um. „Los, wir hissen sofort die spanische Flagge und signalisieren den Männern in der Pinasse, daß sie längsseits der ,Isabella` gehen sollen. Und daß mir ja alle Blondschöpfe den Kopf einziehen und unter Deck
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verschwinden! Ich will die Pinasse haben. Noch Fragen?“ „Nein, Sir“, versetzte Ben Brighton grinsend. „Was jetzt folgt, haben wir ja wohl oft genug exerziert.“ * Der Teniente Leandro Moratin stand auf der Plicht ganz vorn im Bug seiner Pinasse und spähte durch sein Spektiv zu der fremden Galeone hinüber. Gischt sprühte ihm ins Gesicht, und das Salzwasser spritzte auch gegen die Optik des Fernrohrs, so daß der Spanier in seinem Ausblick auf das rätselhafte Schiff erheblich behindert wurde. Was sollte er tun? Er wußte nicht, wie er sich verhalten sollte, aber im Hinblick darauf, was er von Don Felix alles zu hören kriegen würde, falls er die Situation nicht gründlich genug auskundschaftete, ließ er weiterhin auf die Galeone zusteuern. Plötzlich wurde er aller bösen Zweifel über die Herkunft und Nationalität des Schiffes enthoben. Während die Pinasse schwer in der stürmischen See rollte und der Wind sie weit nach Backbord krängen ließ, stieg drüben auf der Galeone mit einemmal eine ihm wohlbekannte Flagge im Großtopp hoch. Munter flatterte sie im Wind. Moratin sah durch sein Spektiv gerade noch so viel, daß er den gekrönten schwarzen Adler und das Band des Ordens vom Goldenen Vlies auf rot-weißgoldenem Untergrund klar erkennen konnte. Die Flagge der spanischen Galeonen! Aus dieser Entdeckung schöpfte er Zuversicht. Plötzlich wurde es an Bord der Galeone auch lebendig. Da liefen Männer auf und ab, da schien man nun auch seine Pinasse gesichtet zu haben, und aus dem Großmars wurde eifrig zu ihm herübersignalisiert. „Senor Teniente!“ rief Moratins Ausguck. „Wir sollen bei der Galeone längsseits gehen und aufentern!“ „Das habe ich selbst schon aus den Signalen herausgelesen“, gab Leandor
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Moratin zurück, ein bißchen unfreundlicher vielleicht, als es notwendig gewesen wäre. Er fühlte sich in gewisser Weise erleichtert, aber irgendwie hatte er doch noch seine Zweifel an der Richtigkeit der Dinge. Denn im Lager war ihm keineswegs gemeldet worden, daß an diesem Morgen eine spanische Galeone vor Airdikit aufkreuzen würde. Wieso war er davon nicht in Kenntnis gesetzt worden? „Was will die Galeone hier?“ fragte nun auch einer der sieben Männer hinter seinem Rücken. „Was hat sie hier zu suchen?“ Moratin drehte sich zu ihnen um. Er überlegte nur kurz, dann antwortete er: „Das ist doch ganz einfach. Sie hat Schutz vor dem drohenden Sturm gesucht.“ Ja, so mußte es sein. So erklärte sich auch, warum der Kommandant nichts von dem Eintreffen dieses Dreimasters gewußt hatte. Unplanmäßig war sie hier aufgetaucht, die Galeone, und jetzt kam dem Leutnant noch ein anderer, schwerwiegenderer Gedanke: Konnte es nicht sein; daß die Besatzung den entflohenen Sträfling Morgan Young gefangen genommen hatte, nachdem dieser sich in die See geworfen hatte, um schwimmend den beiden zwanzigköpfigen Suchtrupps an Land zu entwischen? Moratin stellte sich das so vor: Die Befehlshaber der Landtrupps hatten Young entdeckt, aber Young hatte sich ihnen auf dem Wasserweg entzogen. Da sie keine Boote hatten, mit denen sie ihm folgen konnten, und aus Angst vor den Salzwasserkrokodilen und den Haien nicht hinter ihm her schwimmen wollten, hatten sie einfach der Galeone signalisiert, sie solle eingreifen. Der spanische Kapitän hatte daraufhin sofort gehandelt und einen Kanonenschuß zur Warnung über den Sträfling hinweggejagt – das explosionsartige Geräusch, das der Teniente und die anderen Männer der beiden Pinassen und der Schaluppe vernommen hatten. Danach hatte der Kapitän wahrscheinlich auch das Musketenfeuer auf den Kerl
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eröffnen lassen, weil dieser sich nicht ergeben wollte, und so hatte man Young schließlich aus der See aufgefischt – entweder tot oder lebendig. Er, Moratin, brauchte diesen Hund von einem Engländer jetzt nur noch abzuholen. Im Triumph würde er ihn ins Lager schaffen und dabei etwas von dem Lob ernten, das Don Felix für die Ergreifung des Kerles aussprechen würde. Leandro Moratin gab das Zeichen, auf die Galeone zuzumanövrieren und in Lee längsseits zu gehen. Kurze Zeit später, als die Pinasse an der Bordwand des großen Dreimasters längsseits schor, blickte der Teniente nach oben und sah den Kopf eines Mannes, der sich über das Schanzkleid schob. Der Mann rief in perfektem Kastilisch: „Der Capitan Don Pedro de la Barca erwartet den Führer der Pinasse und eine Abordnung von Soldaten in seiner Kammer. Bitte entern Sie auf, Senores!“ Moratin hatte von einem Kapitän de la Barca noch nichts gehört, aber darüber wunderte er sich in diesem Augenblick nicht. Tatsächlich gab es einen de la Barca, und er war auch ein Schiffskapitän gewesen, aber jener Mann hieß Victor, nicht Pedro, mit Vornamen und saß am heutigen Tag wahrscheinlich immer noch auf der Insel Tabu fest, wo die Seewölfe ihn seinerzeit zurückgelassen hatten. Doch all dies konnte Moratin nicht wissen. Er dachte nur an den entflohenen Kettensträfling, legte deshalb den Kopf in den Nacken und die Hände als Schalltrichter an die Mundwinkel und schrie zu dem Mann der Galeone hinauf: „Haben Sie den Hund von einem Engländer?“ „Selbstverständlich!“ rief der Mann - Ben Brighton - zurück, und das entsprach ja auch der Wahrheit. „Lebt er noch?“ wollte Moratin nun wissen. „Ja. Er ist nur am linken Bein verwundet.“ „Ausgezeichnet!“ rief der Teniente. „Er wird sich noch wünschen, so schnell wie möglich zu sterben, das schwöre ich Ihnen!
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Er und sein Kumpan haben einen unserer Kameraden bestialisch umgebracht!“ „Und einen zweiten Soldaten heute morgen im Dschungel!“ schrie Ben Brighton.. „Ah! Das ist ja ungeheuerlich!“ „Entern Sie nur auf, Senor!“ „Mein Name ist Moratin - Teniente Leandro Moratin!“ „Gut, Teniente. Wir warten auf Sie!“ Moratin drehte sich zu seinen Soldaten um. „Ihr habt es gehört. Fünf Mann mit mir, die beiden anderen bleiben als Bootswachen hier unten zurück.“ Rasch hatte er die Männer ausgewählt, die ihn begleiten sollten, und nur wenig später enterten sie nacheinander an der bereit hängenden Jakobsleiter auf. Sie mußten sich bei dem starken Seegang mit aller Kraft an den hölzernen Sprossen festklammern, sonst wären sie abgerutscht und in die Tiefe gestürzt. Immer wieder knallte die Jakobsleiter gegen die Bordwand des im Wasser bockenden und gierenden Schiffes, und einmal schlug Moratin mit seiner ganzen Bauchpartie gegen die Wand. Er und seine fünf Begleiter waren froh, als sie endlich auf der Kuhl der Galeone angelangt waren. Im nächsten Moment schlug ihre Stimmung jedoch ins Gegenteil um, denn neun, zehn und noch mehr Gestalten wuchsen neben und hinter ihnen hoch und ließen Handspaken und Belegnägel auf ihre Köpfe, Schultern und Hälse niedersausen. Die Spanier wollten sich ihrer Haut wehren, aber es ging alles viel zu schnell. Im Nu waren sie überwältigt, sanken auf die Planken und regten sich nicht mehr. Keiner hatte schreien können, um die beiden anderen unten in der Pinasse zu warnen, und ihr Stöhnen war im Heulen des Sturmwindes untergegangen. Hasard beugte sich über den Teniente, nahm diesem den Helm ab und stülpte ihn sich über. Er richtete sich wieder auf, beugte sich über das Schanzkleid und winkte den beiden Soldaten in der Pinasse zu. „Festmachen und raufkommen!“ schrie er ihnen zu, wobei er sich redlich Mühe gab,
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die Stimme des wackeren Leandro Moratin nachzuahmen. Die beiden Soldaten fielen darauf herein und enterten ebenfalls auf, nachdem sie die Pinasse an der Bordwand vertäut hatten. In dem Gischt, der die Pinasse einhüllte, hatten sie wirklich nicht erkennen können, daß es nicht Moratin, sondern der vermeintliche Don Pedro de la Barca gewesen war, der sie gerufen hatte — und in diesem Sturmjaulen und Pfeifen klangen für sie fast alle Stimmen gleich, vor allen Dingen dann, wenn sie so gutes Spanisch sprachen, daß sie weiß Gott keinen Verdacht schöpfen konnten. Die Erkenntnis kam auch für diese beiden erst auf der Kuhl der „Isabella“, als wieder die Spaken und Koffeynägel geschwungen wurden und auf sie einprasselten. Auch sie brachen zusammen und streckten sich neben ihren Landsleuten aus. „Großartig“, sagte Carberry und rieb sich die Hände. „So einen Riesenspaß hab ich schon lange nicht mehr gehabt, Sir.“ „Dann freu dich, Ed“, sagte der Seewolf. „Dies war erst der Anfang. Das eigentliche Husarenstück folgt erst jetzt — und wehe dir und den anderen, wenn ihr euch auch nur einen Schnitzer erlaubt!“ * Schweigend hatte Don Felix Maria Samaniego dem Bericht der Gruppenführer gelauscht. Die beiden Landtrupps waren im Lager eingetroffen, und jetzt trugen die Offiziere ihre Hiobsbotschaft vor: Morgan Young war entwischt, und ein Schiff, in dessen Großtopp man für kurze Zeit die englische Flagge gesehen zu haben glaubte, hatte ihn in einem kühnen Manöver an Bord genommen. „Beschreiben Sie mir diese Galeone ganz genau, Senores“, sagte der Kommandant. Das taten die Offiziere, und sie gaben sich die größte Mühe, die Größe, Breite und Länge, die mutmaßliche Armierung, die Decksaufbauten und die Länge der Masten so präzise wiederzugeben, als könnten sie dadurch noch etwas retten.
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„Gut“, sagte Don Felix am Ende zu ihrem Erstaunen. „Ich glaube zu wissen, um welches Schiff es sich da handelt. Ich bin in Malakka, auf Kalimantan und auf den Philippinen gewesen, bevor ich die Aufgabe übernahm, diese Festung zu errichten, das ist Ihnen allen bekannt. Ich habe oft genug Erstaunliches und Erschreckendes über eine Galeone dieser Bauart und deren Besatzung vernommen, denn überall, wo sie aufgekreuzt war, hat sie in unseren Kolonien Angst und Panik verbreitet. Meiner festen Überzeugung nach ist es die 'Isabella VIII`. — das Schiff des Seewolfes. ‚El Lobo del Mar' hat Morgan Young zu sich an Bord geholt, und Young wird ihm erzählen, daß hier im Lager noch andere englische Gefangene sitzen.“ „Was bedeutet das, Senor Comandante?“ fragte einer der Offiziere. „Daß der Seewolf nicht davor zurückschrecken wird, Airdikit einen Besuch abzustatten, um seine Landsleute zu befreien. Für ihn ist das eine Ehrensache, er sieht es als seine Pflicht an, sie herauszuhauen.“ „Das werden wir nie zulassen!“ rief ein anderer Offizier erbost aus. „Wir werden sein Teufelsschiff in der Hafenbucht zusammenschießen.“ „Wie?“ „Mit den Geschützen, die bereits auf der Festung stehen, und mit den fahrbaren Kanonen, die wir am Ufer auftauen.“ „Ja“, sagte Don Felix. „Aber ich bezweifle, daß er mit seiner ,Isabella' in eine solche Falle geht. Senores, dieser Mann ist gewitzt und mit allen Wassern gewaschen. Er ist bekannt für seinen Ideenreichtum und die Vielfalt seiner Strategien. Ich schätzte, er wird sich eine List einfallen lassen, um hier einzubrechen und das Palisadenlager zu öffnen.“ „Was sollen wir tun, Don Felix?“ fragten die Männer. „Als erstes verdreifachen wir die Wachen. Dann rollen wir die fahrbaren Geschütze, die Minions und Falkons, ans Ufer, wie Sie bereits vorgeschlagen haben.“ „Und weiter?“
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„Weiter sehen wir, sobald der Feind hier auftaucht. Er wird nicht lange auf sich warten lassen, verlassen Sie sich darauf“, erklärte Don Felix mit steinharter Miene. Don Felix Mario Samaniego war ein gescheiter und weit blickender Mann, der sich in seiner Position zu behaupten wußte. Er war weder ein grausamer Mensch oder gar Folterknecht noch ein Patriot, der alle Feinde Spaniens bis aufs Blut haßte. Er tat nur seine Pflicht als Offizier, und die lautete für ihn, das Lager zu schützen und möglicherweise den Seewolf und dessen Männer gefangen zu nehmen. Dann würden auch sie in Ketten gelegt werden und - zur Freude des spanischen Königs und seiner höchsten Offiziere - am Festungsbau von Airdikit Mitarbeiten. Don Felix verließ seine Kommandohütte und trat in den Sturmwind hinaus, um auf seinen Gegner zu warten. 8. Die Pinasse lief in die Hafenbucht von Airdikit ein, und sie war jetzt wieder mit, acht Männern besetzt: Hasard hatte die Rolle des Leutnants Leandro Moratin übernommen, sich also dessen komplette Montur angelegt, Big Old Shane, Ed Carberry, Blacky, Dan O'Flynn, Luke Morgan, Ferris Tucker und Smoky trugen die Uniform der spanischen Soldaten, die sie an Bord der „Isabella“ überwältigt hatten. Die acht Spanier lagen indessen gut verschnürt im Kabelgatt der „Isabella“ und dachten über ihre Unbedarftheit und den mangelnden Scharfsinn nach, die zu ihrer Überrumpelung geführt hatten. Ben Brighton, der jetzt das Kommando über die „Isabella“ innehatte, hatte von Hasard den strikten Befehl erhalten, die acht Geiseln nur im äußersten Notfall als Faustpfand gegenüber den spanischen Befehlshabern von Airdikit einzusetzen. Erpressung war für den Seewolf nach wie vor eine unfaire Angelegenheit. Deshalb hatte er sich auch für diese andere, verwegenere Art der Gefangenenbefreiung entschieden.
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Frech und gottesfürchtig segelte er mitten in die Bucht hinein, die ovale Form hatte und mindestens zehn großen Galeonen Ankerplatz bieten würde, wenn die Festungsanlage einmal fertig war. Die Zufahrt zur Bucht war gut und gern eine halbe Kabellänge, also mehr als neunzig Yards, breit und rund zwei Meilen lang. Als Hasard sie passiert hatte, hatte er damit gerechnet, mit anderen Pinassen oder Schaluppen zusammenzutreffen, doch in diesem Punkt war er angenehm enttäuscht worden. Die Fahrt in die Höhle des Löwen verlief so glatt und problemlos, wie man es sich kaum vorzustellen vermochte. Der stürmische Wind drückte die Pinasse in die Bucht, und sie lief auf die „San Rosario“ zu. Da lag sie also, die den Seewölfen nur allzu bekannte Galeone, die jetzt reichlich ramponiert aussah. Hasard betrachtete sie eingehend, während sie auf die hölzernen Anleger zusteuerten, und gelangte zu dem Schluß, daß er wohl doch einen Fehler begangen hatte, als er das Schiff von der Insel Tabu zum neu entdeckten südlichen Kontinent hinübergeführt und dann Jonnys Kommando überantwortet hatte. Die „San Rosario“ lag unweit der Piers im natürlichen Hafenbecken und schwoite stark an ihrer Bugankertrosse. Im Gefecht hatte es ihr den Besanmast zertrümmert, außerdem wies ihr Schanzkleid einige unansehnliche Löcher auf, und das laufende und stehende Gut befand sich in heilloser Unordnung. Don Felix Maria Samaniego wagte sich bei diesem Wetter mit einem so arg lädierten Schiff nicht auf die See hinaus, aber Hasard hätte sich das durchaus zugetraut. Denn die „San Rosario“ schwamm ja, und mit einer erfahrenen kleinen Mannschaft konnte man sie durchaus aus dem Hafen von Airdikit entführen. Auch ihr Ruder schien noch in Ordnung zu sein. Ob die auf gegeiten Segel Löcher hatten, konnte der Seewolf natürlich nicht sehen, aber selbst wenn sie welche aufwiesen: Die Hauptsache war, daß sie überhaupt noch über ein paar Fetzen Tuch verfügte, die ihr Fahrt verliehen.
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Ja, Hasard wollte auch die „San Rosario“. Er war zwar ziemlich wütend auf SumatraJonny, aber nichtsdestotrotz wollte er Jonny und seine „glorreiche Zehn“ doch heraushauen und versuchen, dieser Teufelscrew ihr Schiff zurückzugeben. Die Pinasse lief auf den vordersten hölzernen Anleger zu. Hasard ließ das dreieckige Großsegel und die Fock wegnehmen, gab Shane, der ganz achtern auf der Ducht hockte, ein Zeichen, die Ruderpinne herumzudrücken, und nahm selbst einen Bootshaken zur Hand, mit dem er den Anprall abfing. So schor die Pinasse an der kleinen Pier entlang. Zwei Soldaten liefen heran, ihre Stiefel trappelten auf den Anlegerplanken. Hasard warf ihnen die Leinen zu. Sie fingen sie auf und belegten sie um zwei kleine Poller. Hasard kletterte als erster aus der Pinasse auf den Anleger. Carberry folgte ihm auf dem Fuße, dann Blacky, Dan und die vier anderen. Dies war Hasards einfacher Plan: Er wollte zielstrebig bis zur Hütte des Lagerkommandanten marschieren. Wo diese stand, hatte Morgan Young selbstverständlich genau beschrieben. Überhaupt hatte der Mann aus Southampton eine minuziöse Skizze von der gesamten Festungsanlage, dem Lager und der Palisade in Airdikit angefertigt. Der Seewolf hatte sich den Lageplan gut ins Gedächtnis geprägt und wußte, in welche Richtung er sich zu wenden hatte. Er wollte Don Felix gefangen nehmen, mit ihm zur Palisade gehen, sich dort einschließen und die Gefangenen von ihren Ketten befreien. Aber jetzt geschah etwas Unerwartetes. Hasard wollte sich an den beiden Soldaten, die die Pinasse vertäuten, vorbeischieben. Gischt sprühte hoch und nebelte den Anleger ein, er glaubte nicht daran, daß sie die Maskerade bemerken würden. Und doch fuhr jetzt einer der beiden zu ihm herum und blickte ihm mitten ins Gesicht. „Hölle!“ schrie der Mann. „Das ist nicht der Teniente Moratin! He, das ist ein
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anderer — der gehört nicht zu uns! Verrat!“ Auch der zweite Soldat richtete sich jetzt auf. Hasard fällte den ersten mit einem einzigen Fausthieb, ehe dieser die Muskete hochnehmen konnte. Carberry wollte sich den zweiten greifen, doch der hatte die Geistesgegenwart, sich herumzuwerfen und davonzulaufen, statt es mit den acht Eindringlingen aufzunehmen. „Alarm!“ brüllte er, und dann feuerte er seine Muskete in die Luft ab. „Sturm!“ rief der Seewolf. „Zur Hütte des Kommandanten!“ Er hetzte los und brachte sich neben den Profos, der fluchend die Verfolgung des Soldaten aufgenommen hatte. Sie hätten auf die Beine des Mannes feuern können, aber das widerstrebte ihnen. Außerdem war es inzwischen auch unwichtig geworden, diesen einen Wachtposten zu stoppen und auszuschalten — vom Lager her ertönte Geschrei, und eine Horde von Uniformierten lief auf die Seewölfe zu. Hasard blickte kurz über die Schulter zurück. Shane, Blacky, Dan, Luke, Ferris und Smoky waren dicht hinter ihnen. Es wäre das beste gewesen, wenn Ferris jetzt eine seiner Höllenflaschen hätte werfen können. Aber zu überraschend war diese unerwartete Entwicklung der Dinge erfolgt, und der rothaarige Riese hatte jetzt keine Möglichkeit, seine Flaschenbomben zu zünden. Hasard ahnte, daß Don Felix — der nach Morgan Youngs Aussage kein Dummkopf war — gewisse Entwicklungen vorausgesehen hatte. Ja, vielleicht wußte er sogar schon, mit wem er es hier zu tun hatte und hatte des- - halb seine Männer entsprechend instruiert. Mit langen Sätzen erreichte Hasard den flüchtenden Soldaten und warf ihn zu Boden. Er wälzte sich über ihn und gab ihm dabei einen Jagdhieb, der das Bewußtsein des Mannes sofort auslöschte. Die anrückenden Spanier begannen jetzt mit Musketen und Tromblons zu schießen.
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„Hinlegen!“ schrie der Seewolf seinen Männern zu. Sie ließen sich auf den Boden fallen, brachten selbst ihre mitgebrachten Musketen und Büchsen in Anschlag und erwiderten das Feuer der Spanier. Von einem Augenblick auf den anderen war die Hölle los! Hasard schoß seine Blunderbüchse leer und griff sich dann noch die Pistole des ohnmächtigen Spaniers, um sie ebenfalls auf die Übermacht der Spanier abzufeuern. Seine eigene Doppelläufige ließ er aber noch unbenutzt im Gurt stecken. Er konnte sich ausrechnen, daß er sie noch dringend benötigen würde. Wenn er sie erst einmal leergeschossen hatte, war keine Zeit mehr zum Nachladen. Er rollte sich weiter nach rechts ab und geriet neben Ferris Tucker, der gerade seine Muskete auf einen heranstürmenden Spanier abgedrückt hatte. Der Spanier brach zusammen und blieb dicht vor ihnen liegen. „Her mit den Flaschenbomben, Ferris!“ rief Hasard ihm zu. Tucker schob ihm zwei Flaschen zu. Hasard stopfte sie sich unter die Lederweste, robbte ein Stück voran, richtete sich dann halb auf und hetzte geduckt voran. Er befand sich jetzt etwas außerhalb der eigentlichen Kampflinie und hielt auf die kleinen, fahrbaren Geschütze zu, die er unmittelbar vor den Hütten entdeckt hatte. Einige Soldaten trafen unter den gebrüllten Befehlen ihrer Offiziere und Unteroffiziere gerade Anstalten, diese Geschütze auf die Angreifer abzufeuern. Hasard schlug einen Haken nach rechts, als jemand ihn mit einer Muskete niederzuschießen versuchte, hastete auf die Anhöhe zu, .die zum Festungsbau hinaufführte, schlug wieder einen Haken, zückte seine Reiterpistole und drückte auf einen von zwei Soldaten ab, die jetzt von dem einen Geschütz - einem Falkon abliefen und auf ihn zuliefen. Er traf, der Soldat fiel und überschlug sich zweimal auf dem Boden. Hasard feuerte auch die zweite Ladung der
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Doppelläufigen ab und sah den zweiten Widersacher hinsinken. Dann war er mit zwei Sprüngen an dem Falkon, zog eine Flaschenbombe aus der Weste hervor und beugte sich über das kleine Kupferbecken, in dem Holzkohle zum Entzünden der Geschützlunten glühte. Rasch setzte er die Zündschnur der Handbombe in Brand. Funken sprühten, es knisterte, und der Sturmwind blies die Glut nicht wieder aus, sondern fachte sie nur noch mehr an. Hasard mußte zumindest fünf, sechs Sekunden warten, bis die Lunte weit genug abgebrannt war. Er wollte, daß die Flasche sofort hochging, wenn er sie seinen Gegnern zwischen die Beine warf. Aber nun rückten wieder Soldaten auf ihn zu und hoben ihre Musketen, um ihn zu töten. Hasard duckte sich hinter das Geschütz, entging auf diese Weise einer heransirrenden Kugel, hatte aber keine Handfeuerwaffe mehr, mit der er sich zur Wehr setzen konnte. Mit der linken Hand hielt er die Flaschenbombe fest, mit rechts zückte er seinen Degen. Einen mit Geschrei heranspringenden Spanier konnte er stoppen, bevor dieser seine Pistole auf seinen Kopf abfeuerte, aber im nächsten Moment wurde es außerordentlich brenzlig für ihn. Mehrere Soldaten waren hinter dem nächsten Geschütz, einem Minion, in Deckung gegangen und legten über dessen Rohr mit ihren Musketen auf ihn an. Ein ganzes Peloton! Hasard ließ sich fallen, aber er hatte keine Deckung. Plötzlich krachte es, aber es waren nicht die Spanier, die abgedrückt hatten. Der Schuß kam von der anderen Seite, war hinter Hasards Rücken gefallen und pfiff jetzt als geballte Ladung über ihn weg. Hasard wandte den Kopf und sah Dan O'Flynn. Der junge Mann hatte mit dem Blunderbuss auf die Spanier geschossen, und auf die kurze Distanz war die Wirkung der Ladung verheerend. Das gehackte Eisen und Blei, durch die trichterförmige Mündung des Tromblons weit gestreut,
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hatte genügt, um die Gruppe Spanier von dem Minion wegzufegen. Hasard schleuderte jetzt die Flaschenbombe. Sie fiel mitten zwischen die Geschützführer des guten Dutzends leichter Kanonen, explodierte sofort und verursachte einen Feuerblitz, der Minions, Falkons, Falkonetts und Männer auseinandersprengte. Schreie gellten in den Morgen, fetter schwarzer Rauch wälzte sich in Schwaden auf die Hütten zu. Hasard schwenkte das Falkon herum, Dan war neben ihm und griff sich den Luntenstock. Sie zielten auf die Soldaten, die auf Shane, Carberry, Blacky, Luke, Ferris und Smoky losrückten, zündeten das Geschütz und warfen sich zur Seite. Das Falkon spie Feuer, Eisen und Rauch aus und rollte zurück. Hasard hatte gut genug gezielt, wie er feststellte: Die Kugel war in die vorderste Linie der Feinde geschlagen und hatte sie regelrecht vom Boden weggerafft. Ehe sich die anderen Soldaten zu einem neuen Sturm sammeln konnten, sprangen Hasards sechs Männer vom Boden auf und unternahmen einen wilden Ausfall. Hasard rappelte sich wieder auf, lief an den jetzt unbemannten Geschützen vorbei und stieg über die Leiber der Toten weg. Dan folgte ihm. Hasard warf einen Blick zur Festung hinauf, die sich an der östlichen Seite der Bucht auf der gerodeten Kuppe eines flachen Hügels majestätisch erhob. Die Westmauer war bereits fertig gestellt, und dort oben, zwischen den Zinnen, ragten Kanonenrohre hervor. Sie waren dafür vorgesehen, im Falle eines Angriffes durch Segelschiffe die Hafenbucht mit Feuer zu belegen. Für den Kampf an Land waren sie relativ ungeeignet, dann man konnte ihre Rohre sicherlich nicht so weit neigen, daß die Kugeln im Ostufer einschlugen. Die Festung konnte man also vorerst unbeachtet lassen. Hasards Ziel war immer noch die Hütte des Lagerkommandanten. Mit Dan stürmte er hinter der Linie der jetzt mit Säbeln und Piken kämpfenden Soldaten vorbei, und wie durch ein Wunder wurden sie nicht mehr
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aufgehalten. Im Wirbel der Ereignisse konnten sie das entstehende Durcheinander ausnutzen. Ungehindert langten sie hei der größten Hütte an – und erst hier vertraten ihnen Offiziere den Weg. „Attacke!“ rief der Seewolf und ging mit erhobenem Degen auf den vordersten in der Reihe der Gegner los, und Dan hatte jetzt ebenfalls seinen Degen gezückt. Gemeinsam fochten sie gegen die insgesamt sechs Männer an, die sich ihnen säbelschwingend entgegenstellten. Die Spanier glaubten, leichtes Spiel mit diesen beiden „englischen Bastarden“ zu haben, Überlegenheit und Siegesgefühl standen in ihren Mienen zu lesen. Sämtliche Warnungen Don Felix' schlugen sie in den Wind, sie glaubten nicht daran, daß dieser schwarzhaarige Riese, der „El Lobo del Mar“ zu sein schien, und der blonde junge Mann, der auf den ersten Blick nicht sehr widerstandsfähig wirkte, in diesem Kampf siegen würden. Aber dann erlebten sie zwei mit geradezu unheimlicher Schnelligkeit fechtende Männer, zwei Derwische, die mit einemmal mitten zwischen ihnen waren und Schnitte und Stiche austeilten. Zwei Offiziere brachen getroffen zusammen. Einen dritten verletzte Hasard tödlich, indem er ihm die Degenklinge in den Hals trieb. Dan überwältigte einen vierten Mann, und so hatten sie nur noch zwei Mann gegen sich. Aber jetzt erschien Don Felix Maria Samaniego auf der Szene, groß, hager, mit harter Entschlossenheit in seinen asketischen Zügen. Er ließ seinen Degen zweimal durch die Luft pfeifen, dann trat er vor Hasard hin und rief: „Jetzt zu uns, Lobo del Mar!“ Hasard riß sich den Helm des Teniente Leandro Moratin vom Kopf und schleuderte ihn zur Seite. Der Sturmwind fuhr in seine schwarzen Haare und zerzauste sie. Wild sah er jetzt aus, und in seinen eisblauen Augen tanzten jene tausend Teufel, die seinen Männern nur allzu bekannt waren.
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Der Seewolf nahm das Duell mit Don Felix auf. Dan O'Flynn durchbrach mit seinem Degen die Verteidigung des einen Offiziers, senste den Mann zu Boden und hatte es jetzt nur noch mit einem Gegner zu tun. Es stand zwei gegen zwei, und beide Parteien kämpften mit vollem, erbittertem Einsatz. 9. Big Old Shane und dem Profos war der Durchbruch gelungen. Sie stürmten auf die Palisaden zu, vorbei an den toten Spaniern, vorbei an Hasard und Dan O'Flynn, die mit Don Felix und dem einen Offizier im Zweikampf lagen, und hinter ihnen fochten und kämpften Ferris Tucker, Blacky, Luke Morgan und Smoky weiter gegen die Soldaten. Carberry hatte noch eine geladene Pistole im Gurt stecken, und die riß er jetzt heraus. Vor dem Tor der Palisade stand ein einsamer Posten, der die Gefangenen offenbar in bedingungsloser Pflichterfüllung bis zum letzten bewachen wollte. Der Soldat hob die Muskete und zielte auf Shane, der neben dem Profos herlief, aber Carberry blieb jetzt stehen, hob die Pistole und drückte auf den Gegner ab. Beide Schüsse brachen gleichzeitig. Shane ließ sich jedoch fallen. Die Kugel strich über ihn weg. Der Posten hingegen fing Carberrys Kugel mit seiner ungeschützten Halspartie auf. Mit einem röchelnden Laut brach er zusammen. Carberry und Shane eilten zu ihm hinüber, stiegen über seinen reglos werdenden Körper und öffneten die Verriegelung der Palisaden. Sie zogen das schwere Tor auf und drangen in die Umzäunung ein, hinter der nach Youngs Schilderungen mehr als vierzig Männer an Pfählen festgekettet sein mußten, wenn sie nicht schon früh zur Arbeit ausgerückt waren. Nein, sie waren an diesem Morgen nicht zur Festung hinaufgetrieben worden. Don Felix hatte alles auf einen möglichen
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Angriff der Seewölfe konzentriert, und eine Arbeitsschicht auf dem Kastellneubau, die die übliche Bewachung erfordert hätte, wäre ihm dabei nur eine Behinderung gewesen. Da hockten sie also nun - fast vier Dutzend bärtiger, zerlumpter Kerle in Ketten, die beim Anblick der Eindringlinge ein wildes Geschrei anstimmten. Ihre Freude kannte keine Grenzen, einige zerrten wie besessen an ihren Ketten, andere weinten vor Erleichterung, wieder andere schickten Worte des Dankes zum Himmel. Am lautesten brüllte natürlich SumatraJonny. „He, Profos!“ schrie er. „Hallo, Big Old Shane, ist denn das die Möglichkeit? Welcher verteufelte Zufall hat euch hierher geführt? Ich werd verrückt, so was gibt's doch gar nicht!“ Carberry trat vor ihn hin und löste den Hammer und das Stemmeisen, die er von der „Isabella“ mitgenommen hatte, von seinem Gurt. „Verrückt bist du schon immer gewesen, du Satansbraten. Und ich will dir auch noch was verraten. Wir haben Young aufgefischt und von ihm erfahren, wer hier alles festsitzt. Aber der Seewolf würde dich am liebsten weiterschmoren lassen, in deinem eigenen Saft, du Stinkstiefel, denn du hast dich nicht an die Vereinbarungen gehalten, kapiert?“ „Was? Ich? Mister Carberry, jetzt bist du aber auf dem falschen Schiff!“ „Ihr beiden!“ schrie Shane, der schon begonnen hatte, Morgan Youngs Kameraden Josh Bonart von den Ketten zu befreien. „Könnt ihr das nicht später bequatschen? Herrgott, wir haben hier keine Zeit zu verlieren!“ „Schon gut“, brummte der Profos und fing nun auch an, an Jonnys Ketten herumzubosseln. „Aber du kannst dich noch auf was gefaßt machen, Jonny von der traurigen Gestalt, 'ne richtige Standpauke kriegst du vom Seewolf zu hören.“ „Aber warum denn, warum?“ „Weil du die Mädchen nicht zurück nach Neuseeland gebracht hast, wie es besprochen war! Wenn du es getan hättest,
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wärst du jetzt nicht hier, sondern würdest noch irgendwo zwischen Neuseeland und dem Südland herumschippern, du Hering.“ „Aber die Mädchen sind wohlauf!“ „So?“ „Sie sind in meinem Schlupfwinkel.“ „Und was tun sie da, wenn ich fragen darf?“ rief Carberry, während er die Beinschäkel wegräumte und jetzt daranging, die Handschellen aufzubrechen. „Du Lustmolch, du verdammter, ich kann mir schon vorstellen, wie die Lage aussieht.“ „Nein, nein, nicht so, wie du denkst!“ „Du denkst wohl, du und deine Kerle, ihr könnt die Maori-Mädchen nach Belieben über die Planken und durch den Dschungel schieben, was, wie?“ „Mister Carberry, Profos, Sir, bei meiner Ehre - keiner von uns hat sie angerührt!“ beteuerte Sumatra-Jonny verzweifelt. „So glaub mir doch!“ „Dir glaub ich kein Wort mehr“, sagte Carberry barsch. Die Handschellen und die Kette, die Jonny an dem Pflock festgehalten hatte, fielen zu Boden. „Aber Schluß jetzt mit der Debatte. Hilf mir, auch die anderen zu befreien.“ „Liebend gern - aber was wird aus meiner glorreichen Zehn?“ „Deiner was?“ „Einige meiner Leute stecken mit anderen Gefangenen zusammen im Kerker der Festung“, sagte Jonny. „Es ist meine verdammte Pflicht, sie da herauszuholen.“ „Die Festung?“ rief Carberry. „Da müssen wir sowieso noch 'rauf. So, wie die Dinge liegen, haben wir hier doch einen verdammt schweren Stand, und wir wissen noch nicht, wie der Kampf für uns endet. Wenn wir also die ersten vier, fünf Leute befreit haben, Jonny, du Oberhalunke, laufen wir zum Kastell hinauf und feuern eine der Kanonen ab.“ „Damit richten wir wenig aus“, sagte Jonny, der sich jetzt schon Trench und Sullivan zuwandte, um ihre Ketten zu lösen. „Die Kanonen der Burg sind alle auf das Hafenbecken ausgerichtet.“ „Blödsinn!“ fuhr der Profos ihn an. „Wir müssen Ben Brighton ein Zeichen geben,
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damit er mit der ,Isabella` einläuft und uns unterstützt. So haben wir es mit ihm vereinbart, wenn dich einer fragt. Nur im äußersten Notfall soll er eingreifen, aber ich schätze, wir haben seine Hilfe gleich bitter nötig.“ Und so war es auch. Von der Palisade aus konnten Shane und er nicht weiterverfolgen, was draußen, auf dem Platz zwischen den Lagerhütten, geschah. Aber daß es immer noch eine große Übermacht von Soldaten war, die gegen die Männer der „Isabella“ kämpfte, wußten sie sehr genau. 10. Ferris Tucker, Smoky, Luke Morgan und Blacky waren von spanischen Soldaten eingekeilt. Sie wollten wie Shane und Carberry den Durchbruch zur Palisade oder zum Kastell wagen, aber immer mehr Uniformierte drängten jetzt von den Hütten aus nach und bildeten eine menschliche Barriere, die nicht mehr zu überwinden war. Ferris Tucker hieb zwar wild mit seiner Zimmermannsaxt um sich und fällte hier und dort einen Gegner. Smoky schwang seinen Schiffshauer und ließ keinen Spanier auf weniger als einen Yard Distanz an sich heran. Luke Morgan kämpfte mit einem kurzen Entermesser, Blacky mit einem Säbel, und um die vier herum hatte sich ein Kreis gebildet. Man hätte diesen Kreis auch als Kessel bezeichnen können. Die nachrückenden Spanier brachten frisch geladene Musketen mit, und dies wurde den Seewölfen jetzt zum Verhängnis. Die Waffen wurden bis zu den Soldaten an der Innenseite des großen Ringes durchgereicht, und so kam, was sich nicht mehr abwenden ließ. Plötzlich flog eine der Musketen hoch. Blacky sah noch, wie die Mündung sich auf ihn richtete und wollte sich ducken, um der Kugel durch eine schnelle Körperwendung zu entgehen. Aber da krachte der Schuß auch schon.
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Blacky sah es grellrot und gelb vor seinem Gesicht aufblitzen, und dann sprang es ihn heiß an, so heiß, daß er glaubte, bei lebendigem Leibe zu verbrennen. Er hörte seinen eigenen Schrei, fühlte den weichen Uferboden plötzlich unter sich, spürte noch, wie er sich auf die Seite wälzte und mit seinen Fingern den Säbel losließ und irgendwohin griff, an seine Brust, an seinen Bauch oder an seine Hüfte. Dann löschte tiefe Finsternis jede Wahrnehmung und jedes Bewußtsein aus. „Blacky!“ schrie Tucker. „Mein Gott! Verdammt, Männer, haut diese elenden Dons zusammen. Blacky hat's schwer erwischt!“ Wieder krachte ein Schuß, und dieses Mal knickte Ferris mit grenzenlos verdutzter Miene in den Knien ein und sackte zu Boden. Die schwere Axt entglitt seinen Fäusten. Er hockte mit starrem Blick da, und aus seiner Brust quoll plötzlich Blut hervor. „Rückzug!“ rief Smoky. „Rückzug zur Pinasse, Leute!“ „Zu spät“, sagte Luke Morgan, und er, der sonst so hitzig und ungestüm auftrat, ließ noch vor dem Decksältesten der „Isabella“ die Waffen zu Boden fallen. Mehr als zwanzig Musketen und Tromblons richteten sich jetzt auf sie, und wenn sie nicht sterben wollten, dann blieb ihnen nur noch die Kapitulation. Die Flagge streichen - allein das war schimpflich und erniedrigend für sie, aber das Allerschlimmste war, daß es Blacky und Ferris getroffen hatte. Ferris kniete nach wie vor in grotesker Körperhaltung auf dem Boden. Er war bei vollem Bewußtsein. Blacky indes lag reglos da und schien nicht mehr zu atmen. „Mein Gott“, sagte Smoky immer wieder. „O mein Gott, wie konnte das bloß passieren?“ * Don Felix Maria Samaniego hatte sich als ausgezeichneter. Degenkämpfer entpuppt. Er führte glänzende Paraden, unternahm Ausfälle, die den Seewolf ins Schwitzen
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brachten, und hielt sich so gut, daß Hasard keine Möglichkeit hatte, seine Deckung zu durchbrechen. Das Duell ging hin und her und konnte noch so lange so dauern. Dan O'Flynn hatte seinen Gegner unterdessen überwältigt, schwer verletzt lag der Offizier am Boden. Er krümmte sich ein wenig und stöhnte ununterbrochen vor sich hin. Dan war auf Hasards Befehl hin zu den Palisaden gelaufen, um Carberry und Shane bei der Befreiung der Gefangenen zu unterstützen. Plötzlich hob Don Felix die linke Hand. „Lobo del Mar!“ rief er. „Killigrew, halten Sie ein und blicken Sie sich um!“ Hasard grinste ihn an. „Ich hätte es nicht für möglich gehalten, daß Sie sich eines so billigen Tricks bedienen, Samaniego. Das haben Sie doch gar nicht nötig.“ „Allerdings nicht“, sagte der Spanier kalt. „Es ist ja auch kein Trick. Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort darauf, daß ich nicht zustechen werde, wenn Sie sich umdrehen.“ „Don Felix, Ihr Ehrenwort interessiert mich nicht!“ „Es muß sie interessieren. Die Partie ist verloren - für Sie, Killigrew!“ Der
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Kommandant deutete über seine Schulter weg auf die Soldaten, die jetzt einmarschierten - und auch Hasard konnte jetzt das Knirschen der Schritte hinter seinem Rücken vernehmen. Er drehte sich um. In breiter Reihe standen die spanischen Soldaten hinter ihm - in ihren Händen hielten sie den völlig reglosen, blutenden Blacky, den an der Brust verwundeten Ferris Tucker, Smoky und Luke Morgan. „Hasard“, sagte Smoky. „Vergib uns, aber wir haben gegen diese verdammten Hurensöhne nicht bestehen können.“ „Killigrew“; ertönte Don Felix Maria Samaniegos schneidende Stimme hinter dem Seewolf. „Ergeben auch Sie sich! Sie haben keine andere Wahl!“ Hasard fuhr zu ihm herum. Aber Samaniego hatte den Degen gehoben und richtete die Spitze der Klinge auf den Hals seines Gegners. „Weg mit dem Degen!“ befahl er. Der Seewolf ließ seine Waffe auf den weichen, dunklen Uferboden der Bucht von Airdikit fallen. Jetzt ist alles aus, dachte er.
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