U 102 Gaston Gevé Der Kampf um die Lorca-Sonne
1. Kapitel Professor Lowell bog gerade die Leselampe näher über den Sch...
41 downloads
821 Views
4MB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
U 102 Gaston Gevé Der Kampf um die Lorca-Sonne
1. Kapitel Professor Lowell bog gerade die Leselampe näher über den Schreibtisch, als die Klingel der Haustür anschlug. Er schaute auf die große Standuhr hinter sich. Neun Uhr! Wer wollte ihn so spät noch besuchen? Er hörte Mam zur Tür schlurfen, und wenig später klopfte es an. „Mr. Lowell, ein junger Mann will Sie sprechen.“ „Kommen Sie herein, Mam.“ Die alte Haushälterin trat ein; etwas schuldbewußt stand sie vor ihm, denn sie wußte, daß er abends nicht gestört werden wollte. Bevor er ihr Vorwürfe machen konnte, sagte sie: „Er läßt sich nicht abweisen. Er meint, es sei furchtbar wichtig, deshalb will er es Ihnen selbst sagen.“ „In Ordnung, Mam, wir werden uns daran gewöhnen müssen, daß die heutige Jugend rücksichtslos ist.“ Sein nachsichtiges Lächeln stand in krassem Widerspruch zu seinen Worten. Mam schlurfte hinaus und brachte nach kurzer Zeit einen rothaarigen Jüngling herein, der höchstens zwanzig Jahre alt war. 3
„Ich bin Gus Oliver“, stellte er sich unbefangen vor. „Aha“, sagte der Professor, weil er sich unter diesem Namen nichts vorstellen konnte. Er machte eine längere Pause, wobei er Gus kritisch musterte. „Wir wollen gleich zur Sache kommen. Was gibt es so furchtbar Wichtiges, daß man einen alten Mann deshalb mitten in der Nacht stören muß?“ „Ich bin Amateurfunker.“ Gus packte einen primitiven Sender aus einem Karton, den er unter dem Arm getragen hatte. „Da sind Sie bei mir an der falschen Adresse, Gus. Wenn Sie technische Fragen haben, müssen Sie zu Professor Kleeson von der technischen Hochschule gehen. Ich verstehe nichts von den Dingern.“ Lowell griff nach der „London Times“, um Gus zu zeigen, daß er die Unterhaltung als beendet betrachtete. „Ich habe keine Fragen“, beharrte der junge Mann mutig. „Sie haben mich zu Ihnen geschickt. In einer halben Stunde wollen Sie mit Ihnen sprechen.“ „Wer will mit mir sprechen?“ Der Professor ließ die Zeitung wieder sinken. „Um was dreht es sich überhaupt?“ „Seit einer Woche kommen sie jeden Abend um 21.30 Uhr. Und jedesmal sagen sie dasselbe. Zuerst dachte ich, einer der anderen Amateure würde sich mit mir einen Scherz erlauben. Aber sie haben einen eigenartigen Akzent. So spricht niemand, den ich kenne.“ „Was sagen sie denn?“ „Wir wollen Professor Lowell sprechen. Nimm dein Gerät und geh zu ihm. Wir melden uns morgen abend wieder. Wir wiederholen diese Durchsage, bis wir die Stimme des Professors erkennen.“ „So, sagten sie das? Die scheinen ja eine große Ausdauer zu haben.“ Schmunzelnd erhob sich der Professor, ging mit Gus zu seinem Arbeitstisch und bat ihn mit einer Handbewegung, im gegenüberstehenden Sessel Platz zu nehmen. In seiner langjährigen Praxis als Erzieher hatte er die Erfah4
rung gemacht, daß es die beste Methode gegen gut ausgedachte Streiche war, diese mitzumachen. Die Lust, den Lehrer hereinzulegen, verlor sich, sobald die Jungen sich durchschaut und an der Nase herumgeführt sahen. Gus stellte sein Gerät auf und machte es betriebsfertig. Dann schob er dem Professor einen Kopfhörer zu, während er selbst das Mikrophon behielt. Es waren nur noch einige Minuten bis 21.30 Uhr. „Haben Sie noch nicht herausbekommen, wer sie sind, und warum sie mich sprechen wollen?“ fragte der Professor lächelnd und blinzelte über seine Brille. „Wenn ich Fragen an sie gestellt habe, antworteten sie, sie würden nur mit Ihnen sprechen. Es könnte sie sonst niemand verstehen.“ „Das scheinen mir ganz außergewöhnliche Vögel zu sein“, amüsierte sich Lowell und setzte sich mit ernster Miene den Kopfhörer auf. „Sender Gu-Ol, Sender Gu-Ol“, sprach Gus in das Mikrophon, während Lowell sich, wie schon so oft, darüber wunderte, mit welchem Ernst diese Jungen manchmal mit den Erwachsenen ihr Spiel trieben. Die sommersprossigen Wangen des Jungen röteten sich, während er in gleichmäßigen Abständen den unbekannten Sender anpeilte. Lowell war auf die Pointe gespannt. Er konnte sich nicht erklären, ob man ihn mit diesem offensichtlichen Scherz an der Nase herumführen wollte. Wenn das der Fall war, dann hatten sich die Jungen einen ganz raffinierten Scherz erlaubt, gegen den er sich zu verwahren wissen würde. Als er aber den Eifer des Jungen sah, kamen ihm doch die ersten Zweifel. Seine Gedanken wurden unterbrochen, denn Gus unterbrach das monotone Rufen und hörte gespannt in seinen Kopfhörer. „Ja, wir hören euch. Professor Lowell sitzt mir gegenüber. Ich übergebe das Mikrophon. Einen Augenblick.“ 5
Lowell nahm das Mikrophon und bedeutete Gus, den zweiten Kopfhörer abzusetzen. „Wenn sie nur mich sprechen wollen, ist es sicher nichts für Sie“, begründete er seine Forderung. Damit beabsichtigte er, Gus um einen wesentlichen Teil des Genusses an seinem Streich zu bringen. „Well, hier spricht Lowell“, brüllte er in das Mikrophon. „Mr. Lowell“, klang eine fremdartige Stimme an sein Ohr, „gedulden Sie sich bitte einen Augenblick, wir müssen Ihre Stimme mit dem Schwingungsgrad vergleichen, den wir bei Ihrem letzten Rundfunkvortrag gemessen haben. Es ist außerordentlich wichtig für uns, zu wissen, daß wir mit Ihnen selbst sprechen. Wir melden uns in wenigen Sekunden wieder. Bitte warten.“ Lowell behielt den Hörer noch kurz auf, eine geistreichere Wendung erwartend. Dann aber interessierte ihn die Angelegenheit nicht mehr, und er wollte gerade den Hörer abnehmen, als die Stimme sich wieder meldete: „Professor Lowell, hören Sie uns noch?“ „Ich höre alles – Was hat die Messung ergeben?“ „Sie sind tatsächlich Lowell; oder zumindest sind Sie mit dem Mann identisch, der vor zwei Wochen im Rundfunk den Vortrag über ‚Möglichkeiten organischen Lebens im All’ hielt.“ „Nachdem Sie meine Identität festgestellt haben, gestatten Sie mir bitte zwei Fragen: Wer sind Sie, und was wollen Sie?“ „Daß wir uns an Sie wenden, hängt mit diesem Vortrag zusammen. Wir sind außerterrestrale Lebewesen, die vor zwei Monaten auf diesem Planeten gelandet sind. Bei unserer Landung suchten wir eine von Menschen unbewohnte Stelle der Erdoberfläche auf, um die Lebensgewohnheiten der Erdbewohner zu studieren. Inzwischen haben einige von uns die Sprache erlernt.“ „Wie haben Sie das angestellt, ohne menschlichen Kontakt?“ 6
„Wir sammelten sämtliche künstlichen Strahlungen der Oberfläche, wobei wir auf die Radiowellen stießen. Bald schon waren wir uns darüber einig, daß diese Tonstöße Nachrichtenübermittlungen einer primitiven, uns nicht bekannten Entwicklungsstufe sein mußten. Wir selber verständigen uns hauptsächlich auf telepathischem Weg. Seither haben wir nun an einem Verbindungsgerät gearbeitet, das uns befähigt, ebenfalls menschliche Laute hervorzubringen. Einige von uns bekamen diese Geräte auf operativem Weg eingesetzt, während die anderen einen Schlüssel zu den verschiedenen Sprachen und möglichen Bedeutungen ausarbeiteten.“ „Sie wollen doch nicht behaupten, daß Sie das alles in nur zwei Monaten fertiggebracht haben?“ „Unsere eigene Entwicklungsstufe, die der der Erdbewohner um einiges voraus ist, befähigt uns, die Geschehnisse auf der Erde in verhältnismäßig kurzer Zeit zu ergründen und zu begreifen. Heute sind wir so weit, daß wir die von der Mehrzahl der Erdbewohner benutzten zwei Sprachtypen mit ihren verschiedenen Dialekten einigermaßen beherrschen. Unser erstes Ziel, Verbindung aufzunehmen, haben wir also somit erreicht. Wir stehen nun vor der nächsten Aufgabe und haben Sie als Mittler ausersehen.“ „Und was ist diese Aufgabe?“ fragte der Professor, der ein wenig blaß geworden war. „Wir müssen der Menschheit klarmachen, daß wir nicht in feindlicher Absicht kommen, denn wir brauchen Hilfe.“ „Hilfe von uns?“ „Wir kommen nicht mit leeren Händen. Wir sind bereit, einen kleinen Teil eines auf der Erde unbekannten Elements gegen menschliche Hilfe einzutauschen.“ „Das kann ich nicht entscheiden. Ich bin nur ein winziges Rad in unserem Getriebe. Das ist Sache des InternationalCouncil.“ 7
„Auch darüber sind wir orientiert. Aber wir brauchen jemanden, der uns einführt. Es gibt einige Besonderheiten unserer äußeren Erscheinung, die nur wenige Menschen begreifen werden. – Wir fragen Sie nun, Professor Lowell, wollen Sie uns helfen?“ Der Professor überlegte einen Augenblick, und seine Hand, die das Mikrophon hielt, zitterte leicht, als er sagte: „Ja, ich werde es versuchen!“ 2. Kapitel Die Dämmerung begann sich wie ein tödlicher Schleier auf dem Planeten Jorlas auszubreiten. Die meterhohen Moosschwämme warfen lange Schatten auf den Sand, der sich langsam grau färbte. Die Bewohner eilten gruppenweise dem Energiespeicher zu. Je näher sie dem Haupteingang kamen, um so dichter drängten sich die Fliehenden. Mit rasender Schnelligkeit nahm die Dämmerung zu. Kaum konnten die huschenden Gestalten einander noch erkennen. Durch den plötzlichen Lichtverlust geschwächt, wankten sie den sinkenden Plattformen zu. Als die Plattformen schon zwei Meter Tiefe erreicht hatten, ließen sich noch immer Flüchtlinge auf sie herunterfallen. In fünf Meter Tiefe glitt eine lichtundurchlässige Deckenplatte aus den Seitenwänden des Schachtes hervor und schloß ihn nach oben hin ab. Dumpf dröhnte das Aufschlagen der Körper, die es nicht mehr geschafft hatten. Nach weiteren zwei Metern langsamen Gleitens strömten bereits die ersten erquickenden Lichtstrahlen von unten herauf. Die wie leblos daliegenden Körper der Lumenier regten sich allmählich und waren, als sie auf der untersten Stufe ankamen, alle wieder zum Leben erwacht. Die Glaswände des Schachtes glitten mit leisem Summen 8
auseinander und gaben den Blick auf eine schimmernde Halle frei, deren bernsteinfarbener Fußboden von unten her erleuchtet wurde. Rings an den Wänden waren schmale Terrassen in den durchsichtigen Stein gehauen, auf denen die Lumenier dichtgedrängt, einer neben dem anderen, ruhten. Die Neuankömmlinge wurden von den in der Nähe des Schachtes Liegenden, die sich sofort beim Aufsetzen der Plattform von ihren Lagern erhoben, liebevoll empfangen. Sie geleiteten die Erschöpften zu den untersten Terrassen, auf denen die Strahlung am stärksten war, und halfen ihnen beim Entkleiden. Als die Neuankömmlinge sich etwas erholt hatten, schauten sie sich in der Halle um. Erschrocken stellten sie fest, daß heute wieder mehr Plätze leer geblieben waren als gestern. Und alle beherrschte derselbe Gedanke: Wann wird über mich die große Dunkelheit kommen, und wann wird mein Platz hier unten leer bleiben? * Während sich über der einen Hälfte des Planeten Jorlas die Schatten ausbreiteten, bekam der Satellit Tarnudo die ersten Lichtstrahlen dieses Tages. Als die große Lorca-Sonne am Horizont erschien und mit rosigen Fingern die Kämme der weißen Felsen vergoldete, begann in der Station die Arbeit. Der rotierende Spiegel auf dem Dach fing die ersten Lichtstrahlen auf, beendete seine regelmäßigen Umdrehungen und rastete ein. Sofort ertönte das Alarmsignal in den Ohren der ruhenden Besatzung und weckte sie aus ihrer Untätigkeit Jeder ging auf seinen Posten. Ein Teil der Mannschaft übernahm die Überwachung der Lichtkanäle, die vom Auffangspiegel in den Umformer führten. Andere gingen an die Kontrollanlagen 9
des Umformers, der das ganze Obergeschoß der Station einnahm. Der Rest glitt hinunter ins Erdgeschoß, um die Kontrollanlagen der Fließbänder zu überwachen. Eigentlich arbeitete die Station vollautomatisch. Jeder Arbeitsabschnitt war vom nächsten durch eingebaute Kontrollröhren getrennt. Registrierten die Kontrollröhren eine Fehlfunktion, so gaben sie die Meldung an ein Testgerät weiter, das sofort den schadhaft gewordenen Teil der Anlage bezeichnete. Dieses Signal wurde an das Ersatzdepot weitergegeben, und in Sekundenschnelle war der Austausch vollzogen. Erst dann flossen die Energien weiter zum nächsten Arbeitsabschnitt. Daher arbeitete die Station unter normalen Umständen ohne Besatzung. Aber seit die Lorca-Sonne näher gerückt war, hatte die Energieverarbeitung in einem Maße zugenommen, das die Kapazität der Anlage völlig auslastete. Daher war eine vielfache Kontrolle jedes Teilabschnittes nötig, um die Station nicht unnötig zu gefährden. „Hier Chief 9“, summte es vom Kommandomikrophon durch sämtliche Kopfhörer. „Sechsfache Reparatur und Ausfall zweier Kontrollröhren im Umformer, Abteilung 3. Tarn, Nebenlichtkanäle einschalten! Erwarte Bestätigung!“ „Hier Tarn, an Chief 9. Nebenlichtkanäle einschalten – Verstanden.“ „Chief 9 an Zail“, summte es weiter in den Ohren der Mannschaft. „Vorbereiten zum Abschalten des Auffangspiegels. Bestätigen!“ „Hier Zail, an Chief 9. Vorbereiten zum Abschalten des Auffangspiegels – Verstanden.“ Gespannt wartete die Besatzung auf den Ausgang der Reparatur im Umformer, Abteilung 3. Eine sechsfache Reparatur 10
war bisher noch nicht vorgekommen. Dabei hatte die LorcaSonne noch nicht einmal ihren höchsten Stand erreicht. Viele Stunden noch würde sie auf den Spiegel strahlen. Würde die Reparatur fertig sein, ehe die Nebenlichtkanäle voll waren? Oder mußten sie wirklich den Spiegel abschalten? Das wäre ein unwiederbringlicher Energieverlust, der sich auf dem ganzen Planeten Tarnudo bemerkbar machen würde. * „Aber, Lowell, Sie sind doch sonst ein vernünftiger Mensch“, sagte der Minister und klopfte dem Professor auf die Schulter. Dann wandte er sich an den Roboter-Diener, der in einer Ecke des teppichbelegten Raumes stand. „Nimm die Wünsche der Herren entgegen, Sonny. Mir bringst du einen Scotch. Doppelt, wie üblich, Sonny.“ Sonny verbeugte sich, verbindlich lächelnd, und wartete auf weitere Bestellungen. Während Professor Lowell es ablehnte, am frühen Morgen Alkohol zu sich zu nehmen, machten die beiden fremden Herren ihre Bestellung bei Sonny. Minister Liftwit überredete Lowell zu einem Martini, und Sonny verließ geräuschlos den Raum. „Also, wie gesagt, Lowell, ich will Ihnen zugestehen, daß Sie eine neue Rasse entdeckt haben, die uns in gewisser Beziehung voraus ist, in gewisser Beziehung aber weit hinter unseren technischen Errungenschaften zurücksteht. Daß es sich bei diesen beiden Männern aber um Bewohner eines anderen Planeten handelt, ist völlig ausgeschlossen. Außer ihrer dunklen Hautfarbe und den eigenartigen Linsen vor den Augen unterscheiden sie sich doch kaum von Ihnen und mir.“ 11
Müde gab Lowell, der in der letzten Woche kaum Schlaf gefunden hatte, die Erklärung: „Die Linsen tragen die Lumenier, um sehen zu können. Es sind Lichtverstärker, ohne die sie bei uns am Tage blind wären.“ Der Professor wandte sich an einen der Fremden: „Bitte, Sage, zeigen Sie dem Minister Ihre Augen.“ Sage nahm das Vorsatzgerät von den Augen und blickte, nun völlig blind, in die Richtung des Ministers, der sich von seinem Schreibtischsessel erhob und näher kam, um die in onyxfarbener Schwärze glänzenden Augen zu bewundern. Weder Pupille noch Augapfel konnte man in dem tiefen Schwarz abgrenzen. „Stimmt, solche Augen sind ein Weltwunder“, sagte er staunend, und fügte höflich hinzu: „Aber bitte, Mr. Sage, setzen Sie die Brille wieder auf. Wir wollen Ihnen ja keine Unannehmlichkeiten bereiten.“ Sonny, der die Getränke brachte, unterbrach die Unterhaltung. „Auf Ihr Wohl, meine Herren“, prostete Liftwit den beiden fremden Wesen zu. „Wir wollen mal sehen, was wir für Sie tun können.“ Als alle getrunken hatten, wandte er sich wieder an Sage. „Was haben Sie sich denn da bestellt? Der Duft dringt bis zu mir herüber. Es wird einem ganz schwindelig von dem Zeug.“ „Ozon, Sir“, sagte Sage und nahm einen zweiten Schluck. Liftwit saß mit offenem Mund da. „Sonny, was hast du den Gentlemen gebracht?“ „Ozon, Sir, sie hatten es so bestellt“, antwortete der RoboterDiener, starr lächelnd, als sei es das selbstverständlichste Getränk eines Feinschmeckers. „Wenn das Ozon ist, müßten Sie nach menschlichem Ermessen bereits tot sein.“ „Es tut ihnen gut; sie trinken es gerne. Es ist nur so schwer zu bekommen“, sagte Lowell, der solche erstaunlichen Entdec12
kungen in den letzten Tagen immer wieder gemacht hatte und sich schon nichts mehr dabei dachte. Nach einer längeren Pause des Nachdenkens sagte Liftwit: „Meinen Sie wirklich, vom wissenschaftlichen Standpunkt sei die Behauptung begründet, daß diese beiden –“ „Ich bin meiner Sache vollkommen sicher. Wir haben sie in der Psychotechnischen Versuchsanstalt bis auf die Knochen überprüft.“ Ein Lächeln stahl sich in Lowells übernächtiges Gesicht. „Sie haben übrigens tatsächlich Knochen; genau derselbe Aufbau wie bei uns. Aber diesen Lichtwesen ist es nicht möglich, ohne einen Vorrat eines auf der Erde nicht vorkommenden Elements zu leben. Das ist wohl der beste Beweis dafür, daß sie keine Erdbewohner sind.“ Anteilnehmend fragte Liftwit: „Haben Sie genug Vorräte dieses Elements mitgebracht?“ „Unsere Vorräte reichen für zwei Jahre“, entgegnete Sage. „Wenn wir innerhalb dieser Zeit nicht zurückkehren, ist unsere Reise ohnehin zwecklos gewesen.“ „Sie meinen, dann ist es Ihnen gleichgültig, ob Sie hier sterben?“ „In zwei Jahren werden die Energiespeicher unseres Planeten verbraucht sein. Kehren wir bis dahin nicht mit der künstlichen Energiequelle zurück, so wird das Volk der Lumenier innerhalb von wenigen Tagen ausgestorben sein.“ „Ein ganzes Volk sollte in wenigen Tagen aussterben müssen?“ Liftwit blickte fragend zu Lowell hinüber. „Für sie ist Sonnenenergie so wichtig, wie für uns der Sauerstoff.“ „Haben Sie den nicht genug Sonnenenergie dort, wo Sie zu Hause sind?“ fragte Liftwit verblüfft. „Unsere Sonne wandert ab“, gab der Lumenier kühl und scheinbar unbeteiligt zurück. Sein Kamerad Pere aber, der die ganze Unterhaltung schweigend mitangehört hatte, fühlte, wie ein 13
schmerzhafter Gedanke in Sage aufstieg, als er sagte: „Wir sind die einzige Hoffnung auf Rettung für das Volk der Lumenier.“ 3. Kapitel Auf Tarnudo herrschte große Aufregung. Die Kommandomikrophone waren pausenlos beansprucht. Chief 5 hörte den Ruf des Vorgesetzten. Er eilte durch die langen Gänge der Zentrale. Seit das Projekt Lorca begonnen hatte, wurde Energie gespart, wo es möglich war. Sämtliche Fließbänder lagen still. Die Aufzüge waren die einzigen, energieverbrauchenden Einrichtungen, die noch in Betrieb waren. Aber hier konnte man nicht sparen, denn Treppen gab es nicht in der Zentrale, dem Sitz des großen Chiefs. Chief 5 klopfte an die Tür des Vorgesetzten, und Chief 4 rief ihn sofort herein. Als Chief 5 Platz genommen hatte, legte ihm der Vorgesetzte ein Rundschreiben des großen Chiefs vor. Chief 5 überflog das Schreiben. „Ich dachte mir, daß es dazu kommen müßte“, sagte er dann. „Schon als das Projekt Lorca in der Planung war, wußte ich, daß die Station nicht ausreichen würde. Als dann mit dem Bau der neuen Station begonnen wurde und der Befehl kam, eine Mannschaft für die alte Station zusammenzustellen, habe ich nur die Versager ausgewählt.“ „Dadurch sind wir dem Befehl des großen Chiefs zuvorgekommen. – Nach den neuesten Berichten der Strahlenmesser können wir in wenigen Stunden mit der Explosion der alten Station rechnen. Die Besatzung soll jedoch nichts davon erfahren, denn jede Tonne Energie wird gebraucht. Sie sollen ruhig arbeiten, bis sie in die Luft fliegen“, sagte Chief 4 und deutete durch das Fenster auf die Station. „Die Besatzung der Station darf nichts von der Evakuierung 14
erfahren. In spätestens einer Stunde werden unsere Maschinen starten, um der Explosion aus dem Wege zu gehen.“ Chief 5 verließ den Vorgesetzten. Er hastete durch die langen Gänge zurück zu seinem Arbeitszimmer, wo er seine letzten Befehle auf Band sprach. Wenn er die Maschine noch rechtzeitig erreichen wollte, mußte er sich beeilen. * Auf Jorlas hatte das Leben wieder begonnen. Der unterirdische Lichtspeicher spuckte die Lumenier zu Tausenden an die Oberfläche. Alle eilten davon, um in der kurzen Zeit bis zur nächsten Dunkelheit an den zugewiesenen Plätzen zu arbeiten. Alles hatte sich verändert, seit die Lorca-Sonne aus ihrer Bahn getreten war. Zwar gab es genügend Eingänge zum Lichtspeicher, aber trotzdem starben täglich viele der Lumenier, die sich zu weit entfernten und von dem tödlichen Dämmer auf der Nahrungssuche überrascht wurden. Daher hatte König Asu den Bau der großen Farmanlagen angeordnet. In der Nähe der Ausgänge der Lichtspeicher wuchsen diese Gebäude aus dem Boden. Jeder gesunde und kräftige Mann mußte daran mitarbeiten. Für Greise und Frauen gab es andere Beschäftigungen. Während die Lumenier zu ihren Arbeitsplätzen hasteten, blieb ein junges Mädchen wie verloren am Eingang des Lichtspeichers stehen. Pande wußte nicht, wohin sie sich wenden sollte. Ihre herrlichen schwarzen Augen wurden feucht. Sie weinte verzweifelt. Seit gestern war sie allein. Ihr Vater hatte die Mutter eine weite Strecke getragen, um sie in Sicherheit zu bringen. Aber mit der schweren Last kam er nur langsam voran. Die ersten Dämmerungsstrahlen hatten die drei eingeholt. Der Vater befahl Pande, allein weiterzugehen. 15
„Rette dein Leben, Kind. Das ist der einzige Dienst, den du uns noch erweisen kannst.“ „Ich will mit euch sterben. Ohne euch bin ich nichts. Euch allein gehört meine Liebe. Laß mich hierbleiben, Vater, ich bitte dich.“ Gütig, aber streng hatte der Vater ihre Bitte abgelehnt. „Liebes Kind, wenn alle Kinder mit ihren Eltern sterben wollten, dann wäre Jorlas bald unbewohnt. Und wen sollte Sage zur Frau nehmen, wenn er zurückkehrt? Er liebt nur dich. Seine Gedanken sind immer bei dir, auch wenn er jetzt so weit fort ist, daß du sie nicht mehr spüren kannst. – Nun geh, meine Tochter.“ Noch einmal hatte Pande den hilflosen Körper der Mutter umklammert, dann hatte der Vater sie sanft, aber bestimmt fortgeschickt. Weinend war Pande davongetaumelt. Immer wieder wollte sie sich hinwerfen und auf die Dunkelheit warten. Aber die Worte des Vaters klangen in ihr nach und zwangen sie, aufzustehen. Sie wußte nicht mehr, wie sie zum Eingang des Lichtspeichers gekommen war. Es waren andere dagewesen, die sie in den wohltuend erhellten Raum dort unten mitgenommen hatten. Als alle ihren Arbeitsplätzen zuströmten, glaubte sich Pande allein gelassen. Schluchzend glitt sie zu Boden. Behutsam wurde sie wieder hochgezogen. Sie spürte die liebevollen Gedanken, die in sie eindrangen und ihr helfen wollten. „Komm, Kind, du mußt jetzt essen. – Vielen geht es wie dir. Schau Rime an; auch sie hat beide Eltern und den Geliebten verloren. – Wir nehmen dich mit. Wir helfen dir.“ Das junge Mädchen ließ sich trösten und faßte neuen Mut. Plötzlich wußte sie, daß auf Jorlas keiner den anderen untergehen lassen würde. Ein warmes Gefühl der Dankbarkeit stieg in ihr auf, und sie ging mit den anderen. 16
* Die alte Station auf Tarnudo konnte dem Andrang der Energien kaum noch standhalten. Chief 9 saß in seinem Kontrollraum, hoch über der Anlage des Umformers. Die Meldungen vom Versagen der Kontrollröhren wurden immer häufiger. Mehrmals hatte er schon in die Zentrale hinübergerufen. Aber die Befehle von Chief 5, dem Stationsleiter, kamen monoton zurück. „Größtmögliche Energieausnutzung! Die Fehlfunktionen werden sich mehren. Das ist bereits einkalkuliert, Chief 9, scheuen Sie sich nicht, unter Umständen einen Arbeiter zu opfern. Sie wissen, was das Projekt Lorca für den gesamten Planeten Tarnudo bedeutet. – Weitermachen! Die Einzelheiten bleiben Ihnen überlassen. Ende!“ Die Monotonie der Befehle brachte Chief 9 auf einen furchtbaren Gedanken. War das wirklich noch Chief 5, der da sprach? Er mußte Gewißheit haben. „Chief 9 an Zor“, summte es wenig später in den Ohren der Besatzung. „Zor, sofort zur Zentrale. Chief 5 aufsuchen. Meldung an Chief 5: Chief 9 hat keine Verbindung mehr mit Chief 5. Bittet, Leitungen zu überprüfen. – Bestätigung!“ Zor war glücklich vor Stolz. Er selbst würde Chief 5, den Stationsleiter, sehen und ihm eine Meldung überbringen. Aufgeregt wiederholte er den Befehl. „Zor an Chief 9. Meldung für Chief 5: Chief 9 hat keine Verbindung mehr mit Chief 5. Bittet, Leitungen zu überprüfen.“ Gleich darauf eilte Zor dem Ausgang zu. Es mußte etwas Besonderes vorgefallen sein. Soweit Zor sich erinnern konnte, waren noch nie irgendwelche Leitungen schadhaft geworden, da sie täglich überprüft wurden. Wahrscheinlich lag es daran, daß seit dem Projekt Lorca jeder 17
Mann gebraucht wurde. Möglicherweise wurden die Leitungen aus diesem Grunde vernachlässigt. Zor rannte über den weißen Sand, so schnell er konnte, der Zentrale zu. Inzwischen überlegte Chief 9, ob er richtig gehandelt hatte. Für den Fall, daß Chief 5 diese monotonen Befehle tatsächlich selbst gegeben hatte, konnte eine Überprüfung der Leitungen, die natürlich in Ordnung waren, schlimme Folgen für ihn haben. Wenn aber Zor die Zentrale erreichte und feststellte, daß nicht Chief 5 diese irrsinnigen Befehle gab, sondern … Eine rote Feuersäule, die aus der Hauptabteilung der Umformerstation aufstieg, riß Chief 9 aus seinen Überlegungen. Seine letzte Handlung war der Versuch, den Auffangspiegel durch Rücksendung der gewonnenen Energien zu zertrümmern, um die Station zu retten. Aber er hatte keine Zeit mehr dazu. Gewaltig brachen die der Sonne abgetrotzten Energien aus den Schächten, die sie in den Umformer leiteten, hervor. Gleichzeitig fielen überall die Kontrollröhren aus. Und dann kam das Ende. Die Mannschaft der alten Station spürte nicht mehr viel von der Detonation, die den Planeten gleich darauf erschütterte und sie alle zerriß. * Zor erwachte. Um ihn herum war nichts als Feuer. Er versuchte, sich zu erinnern, was seine letzte Aufgabe gewesen war. „In die Zentrale zu Chief 5!“ Zentrale? – Vergeblich suchte er nach dem weißen Hochhaus, das noch vor kurzer Zeit dort gestanden hatte. Er mußte sich verlaufen haben. Um sich zu orientieren, schaute er sich nach dem großen Auffangspiegel der Station um, der sonst meilenweit zu sehen war. Verwirrt schaute er um sich, konnte aber nichts entdecken. 18
Nur rauchende Trümmer lagen dort, wo vor kurzem noch die Zentrale gestanden hatte. Zor setzte sich auf den Sand, ohne zu merken, daß dieser glühend heiß war. Er überlegte. Eine Explosion in der Station war das Nächstliegende. Aber sollte Chief 9 das nicht gewußt haben? Und erst Chief 5! Er hatte doch bestimmt die neuesten Aufzeichnungen der Strahlenmesser gesehen, die ihm zeigten, welche Lichtmengen die Station noch aufnehmen konnte. Dann die Sache mit den Leitungen. Noch nie waren Leitungen defekt gewesen. Hatte Chief 9 die Katastrophe vorausgesehen? Warum aber opferten sie die gesamte Mannschaft? Tarn, Zail, Cuar und Reon; sie alle waren gute Kameraden gewesen. Gewiß, Tarn hatte einmal versagt. Aber hatten sie nicht alle schon einmal Fehler gemacht? Plötzlich wurde es Zor klar. Das war der teuflische Plan des großen Chiefs. Die Mannschaft bestand nur aus Leuten, die einmal versagt hatten. Aber als man sie in die Station einwies, hatten sie geglaubt, man hätte ihnen verziehen. Sie hatten sich geirrt. Man hatte ihre Fehler nicht vergessen. Die ganze Mannschaft war von Anfang an zum Untergang verurteilt gewesen. Nur Zor war gerettet worden. Gerettet durch ein Versehen. 4. Kapitel In der internationalen Versuchsstation der Erde war eine ganze Abteilung in den Dienst der Lumenier gestellt worden. Das auf der Erde unbekannte Element, das die beiden Lumenier mitgebracht hatten, wurde von den Wissenschaftlern „Lumenium“ benannt. Ausgehend von den Lumeniern, die einen kleinen Teil ihres wertvollen Proviants zu Forschungszwecken zur Verfügung gestellt hatten. 19
Die Abteilung, die im Dienst der Lumenier stand, „Lumen“ benannt, teilte sich in zwei Gruppen. Abteilung Lumen I, deren Leitung der berühmte Wissenschaftler Miserer übernommen hatte, arbeitete an Plänen zur Herstellung von lichterzeugenden Großanlagen. Versuche, diese Anlagen mit bereits bekannten Energiequellen zu speisen, waren die hauptsächlichste Arbeit der Lumen I. Die ganze Arbeit wurde dadurch erschwert, daß man sich sowohl mit Energievorräten, als auch mit den Teilen der Anlage selbst, auf kleinstem Raum beschränken mußte. Denn die zur Montage fertige Anlage mußte ja eines Tages in einem Raumschiff zum Planeten Jorlas transportiert werden. Um den Bau des nötigen Raumschiffes finanzieren zu können, hatte man die Abteilung Lumen II errichtet. Ihre Aufgabe war es, aus der winzigen Einheit des von den Lumeniern zur Verfügung gestellten Elements Lumenium einen Verkaufsschlager für den Handel zu entwickeln, der innerhalb eines Jahres 400 Millionen Dollar einbringen sollte – ein unmöglich erscheinendes Projekt. In Lumen II vereinigten sich einige der weitsichtigsten Denker der Erde. Zum Teil bestand die Gruppe aus Freiwilligen, zum Teil handelte es sich um Wissenschaftler, die vom International-Council für diese Aufgabe herangezogen worden waren. Zunächst geschah gar nichts in den Räumen der Abteilung Lumen II. Man saß herum und diskutierte. „Wie sollen wir überhaupt anfangen, wenn wir nicht einmal Versuche machen können. Jeder Versuch aber würde wertvolle Einheiten Lumenium verschwenden.“ Professor Wong, ein bedeutender chinesischer Forscher, der zum Leiter der Lumen II ernannt wurde, ergriff das Wort: „Unser Kollege Reeves hat da eine grundlegende Frage aufgegriffen. Mir erscheint es als wichtigste Aufgabe, zunächst einmal ein Surrogat für Lumenium herzustellen.“ 20
„Wie wollen Sie ein Surrogat herstellen für ein Element, dessen Eigenschaften Sie überhaupt nicht kennen?“ Wieder war es Reeves, der seine Zweifel äußerte. Härtung, der bekannte Philosoph, Psychologe und Analytiker, widersprach Reeves. „Mr. Reeves, es kommt hier, wie in so vielen Fällen, einzig und allein auf die richtige Analyse an. – Eine geringe Menge zur Erforschung der Eigenschaften des Elements wird abgezweigt. Für jeden Eigenschaftsfaktor des Elements wird ein Surrogat hergestellt. Aus der richtigen Kombination dieser Einzelsurrogate müßte sich unschwer die Zusammensetzung für das Gesamtsurrogat errechnen lassen.“ Nach einigem Überlegen bat Professor Wong um die Stimmprobe. Abteilung Lumen II nahm den von Härtung gemachten Vorschlag einstimmig an. * Zor sah seine Zweifel bestätigt, daß man ihn und die Kameraden der alten Station bewußt vernichten wollte. Was sollte er jetzt tun? Zur Zentrale gehen, lautete sein letzter Befehl. Er hätte ihn ausführen müssen, wenn es auch sein Tod gewesen wäre, denn niemand, außer Chief 1, dem ganz Großen, war in der Lage, Befehle nicht auszuführen. Aber die Zentrale war durch die Explosion zerstört. So kam es, daß Zor zum ersten Male ohne jeglichen Befehl war. Wie eine Welle der Erlösung kam das Gefühl der Freiheit über ihn. Wenn er wollte, konnte er jetzt wandern, solange er Lust hatte. Über die weißen Felsen hinweg bis zu dem blauen Horizont, zu dem er sich magisch angezogen fühlte. Aber Zor dachte nicht nur an seine Träume, sondern auch an die Wirklichkeit. Die anderen, die die Vernichtung der Mannschaft beschlossen hatten, hielten sich sicher nur solange ver21
steckt, bis die Feuersäulen der Explosion erloschen waren. Dann würden sie zurückkehren, um nachzuschauen, ob der Plan geglückt sei. Zor schwebte also in höchster Gefahr. Wenn sie entdeckten, daß er nicht zerstört war, würden sie ihn verfolgen, bis sie ihn zur Strecke gebracht hatten. Selbst, wenn er ihnen knapp entgehen konnte, gab es weder auf diesem, noch auf einem anderen Planeten, eine Sicherheit für ihn. Der Gedanke an den anderen Planeten brachte ihn auf einen ausgezeichneten Fluchtplan. Die Explosion hatte höchstwahrscheinlich die Sperrnetze über der Station zerstört. Es würde also einfach sein, Tarnudo auf dem Luftwege zu verlassen, und sich auf einem Nachbarsatelliten der Lorca-Sonne in Sicherheit zu bringen. Kaum hatte er den Gedanken zu Ende gedacht, hastete er auch schon über den heißen Sand, dem Flugplatz zu. Seine Höchstgeschwindigkeit benutzend, kam er in kurzer Zeit bei dem Flugfeld an. Seine Enttäuschung war groß; nicht eine Maschine war zu sehen, nun wurde ihm klar, daß die anderen das Gefahrengebiet auf dem Luftwege verlassen hatten. Verzweifelt suchte er das Feld ab. Nur ein paar alte Luftmaschinen standen noch herum. Mit denen aber konnte man keine Fahrt in den Raum wagen. Als er zwischen den Luftmaschinen herumstolperte, fiel sein Blick auf eine der Hallen, deren Türen weit geöffnet waren. Sollte es möglich sein, daß hier noch eine Maschine vergessen worden war? Von einem kleinen Hoffnungsschimmer beseelt, eilte er hinüber zur Halle, und – wirklich – dort stand eines der neueren Raumschiffe. Die Einlaßklappen des Schiffes waren weit geöffnet. Zor wunderte sich, daß sie diese hochwertige Maschine nicht mitgenommen hatten. 22
Gleich darauf begriff er, warum die Maschine zurückgeblieben war. Hinter der Einlaßklappe lag ein vom Luftdruck der Explosion zerrissener Körper. Zor beugte sich näher und erkannte Chief 5, den Stationsleiter. * Auf dem Planeten Jorlas genossen die Lumenier die Helligkeitsperiode. Pande war mit den anderen in eines der großen Verpflegungszelte gegangen. Am Eingang wurden Karten verteilt, auf denen jeder seinen Arbeitsplatz verzeichnet fand. Die jüngsten und stärksten der Männer wurden auf den Bau geschickt. Der Rest versorgte das Vieh, das vorübergehend in Zelten untergebracht war. Für die Frauen gab es Küchendienst und Arbeit in den Pflanzenkulturen. Um Tiere und Pflanzen länger zu erhalten, hatte man sie bisher in lichtdurchlässigen Zuchtgebäuden gehalten. Die großen Glasfenster verschloß man dann während des halben Tages, damit die Pflanzen sich nicht durch dauerndes Knospen frühzeitig verbrauchten, und die Tiere Zeit hatten, Fett anzusetzen. So hatte man, ohne es zu wollen, einen Nahrungsstamm herangezüchtet, der den veränderten Umständen gerecht wurde. Die Dunkelheit schadete diesen Organismen nichts, denn sie waren durch Generationen hindurch daran gewöhnt, Tag und Nacht im Wechsel zu erleben. Seit auf Jorlas die Dunkelperioden begonnen hatten, brauchte man keine Zuchtgebäude mehr für die Pflanzen. Man konnte sie im Freien anbauen. Anders war es hingegen mit dem wilden Pflanzenwuchs. Die duftenden Blütenwälder begannen nach den ersten Dunkelperioden zu welken. Die meterhohen grünen Moosschwämme färbten sich zuerst gelb, und dann braun. Alles, was auf Jorlas vorher natürlich gewachsen war, starb am Lichthunger. 23
Vom Küchenzelt aus konnten die Frauen den Bau sehen. Er war schon halb fertig. In einer Woche würden sie dort einziehen können. „Es wird aber auch Zeit“, sagte Nume, während sie die violetten Früchte sorgfältig abschälte. „Seit das Dunkel gekommen ist, friere ich. Richtig warm werde ich nur unten, auf meiner Terrasse. Hier oben kann es noch so hell sein, ich friere, daß meine Zähne aufeinanderschlagen.“ Sube, deren Mann zu den Planern gehörte, die auch am Tage unten im Schacht blieben, brachte einen Kübel mit heißem Wasser herbei und schüttete die geschälten Früchte hinein. „Mein Mann sagt, es ist der Boden, der während der Dunkelperioden kalt wird. Er erwärmt sich während der Helligkeit nur allmählich. – Arme Nume, daran wirst du dich gewöhnen müssen.“ Seit Beginn der Dunkelperioden waren die Lumenier dazu übergegangen, sich zu unterhalten. König Asu hatte ihnen die telepathische Verbindung nur noch in Ausnahmefällen gestattet. „Wenn jeder, wie früher, in die Seele des anderen blicken kann und es trübe darin aussieht, wird auch er traurig werden. Deshalb ist es besser, wenn ihr eure Gedanken voreinander verschließt und das, was ihr mitteilen wollt, aussprecht“, hatte der König gesagt. Noge, die dicke Köchin, begann zu schimpfen. „Ist nicht alles schon schlimm genug? Müßt ihr euch noch dauernd darüber unterhalten? Wenn das Dunkel kommt, jammert ihr und hastet zum Schacht. Seid ihr dann unten in der wohltuenden Helligkeit, so sprecht ihr von dem Schrecken, dem ihr entronnen seid. Hier oben aber redet ihr immer noch davon und fürchtet euch davor, daß es wiederkommt. Wir können es doch nicht ändern, und erst recht nicht mit angstvollem Gejammer. Wenn ich noch ein Wort über das Dunkel von euch höre, dann nehme ich euch die Essenkarten ab.“ 24
Dabei schwenkte sie die Pfanne mit den goldbraunen Schwammkuchen, daß das Fett ins Feuer spritzte. Eingeschüchtert schwiegen die Frauen und arbeiteten weiter. Wenn Noge ihnen die Karten wegnehmen würde, dann gäbe es für heute nichts mehr zu essen, das war ihnen klar. Pande hatte Mitleid mit den beiden. Während sie einen Tierschenkel nach dem anderen in rote Gewürzblätter einwickelte, überlegte sie, wie sie ihnen helfen könnte. Dann fragte sie: „Dürfen wir singen, Noge?“ Noge überlegte. Es war nicht üblich, zu singen; höchstens an den Tagen der Feste. Aber dann entschied sie: „Kein schlechter Gedanke, Pande. Wer singt, kann kein dummes Zeug reden.“ Mit ihrer tiefen, melancholischen Stimme begann sie das Lied des Lorca-Festes: „Oh, Lorca, du heiße Sonne Lorca, komm wieder in mein kleines Haus am See.“ Eine nach der anderen fiel ein, und schließlich sangen auch Nume und Subs mit. Der lockende, stampfende Rhythmus des jahrhundertealten Liedes ließ sie vergessen, wie düster es auf Jorlas aussah. Durch die dünnen Zeltwände drangen die Stimmen der Frauen hinüber zu den schwer arbeitenden Männern auf dem Bau. Erstaunt blickten diese herüber, als sie das Festlied erkannten. Dann aber packte auch sie der Zauber. Während Erinnerungen an glückliche Stunden warm in ihnen aufstiegen, sangen auch sie alle mit. Die hohen weiblichen Stimmen und die kraftvollen der Männer vereinigten sich und stiegen auf zur großen Lorca-Sonne, die ihre Kinder so schmählich verlassen hatte. *
25
Auf Tarnudo ging Chief 1 unruhig auf und ab. Wenn er aus dem Fenster schaute fiel sein Blick auf die neue Station, die, weit stärker als die alte, der Lorca-Sonne gewachsen war. Zwei Jahre noch, dann hatten sie es geschafft. Eine unerschöpfliche Energiequelle stand ihnen dann zur Verfügung. Bis dahin aber hatten sie noch eine schwere Zeit voller Entbehrungen durchzustehen. Jede Energieeinheit wurde gebraucht, um das Magnetzentrum zu speisen. Sie selbst mußten sich mit einem Minimum an Energie begnügen. Außer ihm selbst, natürlich. Und sogar er spürte manchmal den Energiemangel, denn von Zeit zu Zeit unterzog er sich einer Hungerkur, um seinen Anteil an die Mannschaft abzugeben. Er tat dies nicht aus Gutmütigkeit, sondern weil er fürchtete, daß die Ausgehungerten versagten, und das wollte er verhüten. Nach solchen Hungertagen aber schrien seine Zellen nach Energie, und seine stählernen Hände zitterten, wenn sie den Nahrungsschlauch einführten. Er fühlte sich jetzt wieder wohler. Er hatte eine ganze Tagesration in sich aufgenommen. Gesättigt wartete er darauf, daß der Energiestrom, nachdem er alle anderen Körperteile durchlaufen hatte, sein Gehirn in die nötige Überfunktion versetzen würde. Als die drei Untergebenen eintraten, war Chief 1 wieder im Vollbesitz seiner Leistungskraft. „Wieder haben wir eine Stufe erklommen. Die alte Station hat sich selbst vernichtet. Dabei konnten wir auch die Versager aus unseren eigenen Reihen ausrotten. Zwei Jahre härtester Arbeit und größter Entbehrungen warten nun auf uns. Aber wir werden durchhalten. Ich werde euch ein leuchtendes Vorbild sein. Jeder von euch hat die Pflicht, mir nachzueifern.“ „Keiner von uns hat die Kraft, wie du sie hast. Aber wir wol26
len versuchen, deiner würdig zu werden“, sagte Chief 2 unterwürfig. „Geht an die Arbeit!“ Der große Chief gab seinem Untergebenen ein umfangreiches Manuskript. „Die Planungsarbeiten für die Betätigung der neuen Station auf zwei Jahre sind abgeschlossen. Nach unseren Berechnungen wird Lorca gegen Ende dieser zwei Jahre in eine Nähe gerückt sein, die die Station auf Hochtouren arbeiten läßt. Dann können wir viel mehr Energie erzeugen, als wir für das Magnetzentrum brauchen. Mit dieser überschüssigen Energie werden wir den Weltraum erobern. Vor Ablauf der zwei Jahre aber müssen wir einen Arbeitsgang einschalten, der die Lorca-Sonne zum Stillstand bringt. Würden wir unser Magnetzentrum abschalten, so würde Lorca langsam in ihre alte Stellung zurückgleiten, und unsere ganze Arbeit wäre umsonst gewesen. Lassen wir das Magnetzentrum, so wie es jetzt ist, in Betrieb, so bewegt sich Lorca auch nach diesen zwei Jahren weiter auf uns zu, zerstört zunächst die Station, saugt unseren Planeten an und verwandelt ihn schließlich in eine glühende Masse. Das wäre unser Ende. Es geht also darum, Lorca in dem Abstand zu halten, den sie in zwei Jahren einnehmen wird. Hierzu wäre der Bau eines neuen, schwächeren Magnetzentrums das einfachste. Da unsere Energiequellen aber nicht ausreichen, ist uns ein solcher Großbau unmöglich. Deshalb müssen wir ein Zusatzgerät zu dem jetzigen Magnetzentrum bauen, das montiert wird, während die Anlage in Betrieb ist.“ „Die Planungsabteilung wird sofort deine Entwürfe kontrollieren und ausarbeiten.“ Ehrerbietig und fast geräuschlos verließ Chief 2 den Raum. Chief 3 bekam den Auftrag, nach dem Verbleib des Chief 5 zu forschen und ging ebenfalls. Als Chief 1 mit Chief 4 allein war, lehnte er sich bequem in seinem Stuhl zurück. 27
Die dienstliche Atmosphäre machte einer freundschaftlichen Platz. Er zog eine schmale Schachtel, die einige Energiekapseln enthielt, aus der Schreibtischschublade und bot sie Chief 4 an. Dankend nahm der eine Kapsel heraus, öffnete sie geschickt und sog die anregenden Dämpfe ein. Lächelnd sagte Chief 1: „Ich bin auf deinen Bericht sehr gespannt. Was macht die Generationsretorte?“ * Zor hatte es geschafft. Er schwebte mit seiner Maschine im freien Raum. Schreckliche Stunden waren das gewesen. Als die Maschine endlich startklar war, hatte er im letzten Augenblick die Rückkehrer über sich entdeckt. Sofort hatte er die Maschine wieder abgeschaltet. Bis auf den Empfänger, durch den er die Kommandos des großen Chiefs mithören konnte. „Die Explosion ist vollkommen gewesen. Wir nehmen jetzt Kurs auf die neue Station. Dort gebe ich weitere Befehle. Wenn die Brände ausgetobt haben, wird eine Abteilung zurückkehren, um einen genauen Bericht abzufassen.“ Und dann hatten sie abgedreht. Lange noch hatte Zor im Führersitz gelegen, ohne sich zu rühren. Schließlich hatte er den Start gewagt; völlig unbemerkt. Die Flucht war geglückt. Plötzlich tauchte ein Planet vor ihm auf. Sollte seine Rettung so nahe sein? Er befand sich jetzt hinter der Lorca-Sonne, in einem Raum, den man von Tarnudo aus nicht sehen konnte. Ein erschreckender Gedanke ergriff ihn. Dies war offenbar ein Satellit der Lorca. Wenn es auf diesem Planeten Wesen gab, mußte der langsame Entzug der Lorca diese Wesen töten. Auch für ihn gab es dann keine Möglichkeit, hier zu existieren, denn 28
auch Zor lebte von Sonnenenergie. Er beschloß daher eine andere Sonne zu suchen. Als er aber den fremden Planeten umrundet hatte, entdeckte er dahinter eine zweite, kleinere Sonne. Erregt nahm er einen Energietest vor. Die Auswertung erbrachte, daß er mit diesen Einheiten auskommen konnte. Wenn ich nach einer anderen Sonne suche, kann es sein, daß mein Kraftstoff zu Ende geht, ehe ich etwas Besseres gefunden habe, dachte er. Bleibe ich aber hier, so kann ich immer noch entscheiden, ob ich eines Tages wieder starten will. Diese Überlegung veranlaßte Zor zur Landung. Er wußte nicht, daß der fremde Planet, den sein Fuß wenig später betrat, Jorlas war, der Planet der Lumenier. 5. Kapitel Zum dritten Male entzündete Liftwit seine Zigarre. „Wie hat einer der Dichter des 20. Jahrhunderts orakelt? ‚Die Geister, die ich rief, die werd’ ich nun nicht los!’ – Ein Teufelszeug, dieses Lumenium. Bereits 70 Prozent der Bevölkerung sind ihm verfallen. Täglich erhöht sich die Zahl der LumeniumSüchtigen. Es gibt bald keinen Sterblichen mehr, der sich nicht damit aufpeitscht.“ Dabei zog der Minister eine kleine Schachtel aus der Rocktasche und ließ eine stecknadelkopfgroße Tablette im Mund verschwinden. „Wie ich sehe, gehören auch Sie zu den 70 Prozent“, sagte Lowell und lächelte den Minister bedeutsam an. „Erst seit gestern, mein Lieber. Einer meiner Kollegen hat mir eine angeboten. Großartig, kann ich Ihnen sagen. Die Ärzte behaupten ja, es sei unschädlich. – Wollen Sie auch einmal probieren?“ Er hielt ihm die Schachtel hin. „Nein, danke“, lehnte Lowell ab. „In meinem Alter ist man lieber etwas ruhiger. So eine Energiedosis würde mich nur zu 29
neuen Forschungen antreiben. Aber ich glaube, ich habe genug für die Menschheit getan. Ich begnüge mich damit, meine Erkenntnisse an die junge Generation weiterzugeben. Im übrigen führe ich einen beschaulichen -Lebensabend.“ „Bitte, wie Sie wollen. Für den aber, der im Leben noch etwas leisten muß, ist dieses Zeug der reinste Jungbrunnen. Und trotzdem müssen wir einen Weg finden, die Bevölkerung wieder zu entwöhnen.“ „Wenn es nicht schädlich ist, besteht doch keine Gefahr. Die Herstellung ist weitaus billiger als der Handelspreis, so daß der Staat genug daran verdient. Wenn ich recht gehört habe, handelt es sich gar nicht um echtes Lumenium, sondern um ein Surrogat, das dem Analytiker Härtung zu verdanken ist.“ „Sie haben recht. Aber diese Tatsache wird natürlich streng geheim gehalten. Wenn die Bevölkerung das erfahren würde, hätten wir ja nichts mehr in der Hand. So glauben sie wenigstens, daß die Vorräte eines Tages erschöpft sein werden. Unwiederbringlich erschöpft sogar, da Lumenium auf der Erde nicht vorkommt. Gewisse wohlhabende Kreise haben bereits begonnen, Lumenium zu horten. Daher waren wir gezwungen, das Wundermittel nur noch rationiert auszugeben. Jedem Bürger seine Tablette. Aber nur eine pro Tag.“ „Eine sehr vernünftige Regelung. Das müßte doch alle Schwierigkeiten beseitigen.“ „Im Gegenteil, mein lieber Lowell. Seit Lumenium rationiert ist, wird es schwarz gehandelt. Selbst vereidigte Apotheker schämen sich nicht, es unter der Theke zu verkaufen; gegen hohe Preise selbstverständlich.“ „Warum bestraft man diese Leute nicht? Sie vergehen sich doch gegen die Gesetze.“ „Wie stellen Sie sich das vor? Wollen Sie siebzig von hundert Leuten in ein Gefängnis sperren und von den dreißig anderen 30
bewachen lassen? Morgen wären es schon 75, die Sie einsperren müßten. Und in einer Woche sind die Wärter selbst dem Lumenium verfallen. Also haben die Wärter keinen Grund mehr ihre Gefangenen zu bewachen. Der rege Konsum von Lumenium bringt sie alle auf großartige Ideen. Sie vereinigen sich zu einem drohenden Haufen, ziehen durch die Städte und zwingen die Stadtregierungen, abzudanken. Wenn sie die erledigt haben, machen sie sich auf, kommen hierher und stürzen den Internationalen Council. Das wäre das Ende.“ „Natürlich, ich sehe ein, daß man die Süchtigen nicht einsperren kann. – Aber warum läßt der Council den Dingen nicht einfach ihren Lauf? Warum diese Restriktionen und Einschränkungen? Die Tatsachen liegen doch klar auf der Hand. Lumenium, wie es heute im Handel ist, ist nicht das Lumenium, sondern ein Surrogat, das jederzeit zu den gleichen Bedingungen und Kosten herzustellen ist. Dem menschlichen Organismus wird durch den Genuß des leistungssteigernden Mittels kein Schaden zugefügt. Warum will man also den Lumeniumverbrauch stoppen? Das kann ich nicht verstehen.“ „Lowell, Sie sind Wissenschaftler. Versuchen Sie einmal, sich in die Aufgaben eines Staatsmannes hineinzuversetzen. Unser ganzes System, Wirtschaft, Politik und Kultur, beruht auf ausgeglichener Kräfteverteilung. Seit Lumenium im Handel ist, werden sämtliche Aufgaben in der Hälfte der Zeit bewältigt. Ein Arbeiter, der sonst fünf Stunden zu einer bestimmten Verrichtung brauchte, schafft denselben Arbeitsvorgang heute in zweieinhalb Stunden mit einer Tablette Lumenium täglich.“ „Ich kann nur sagen, daß das paradiesische Zustände sind. Wenn die Regierung also gegen Lumenium ist, dann ist sie gleichermaßen gegen den Fortschritt. Gegen die besseren Lebensbedingungen.“ 31
„Wenn dieser Fortschritt keinerlei Gefahren in sich tragen würde, könnte die Bevölkerung Lumenium haben, soviel sie wollte. Aber was sollen die Leute mit der vielen Zeit anfangen, die ihnen bleibt? Sie wissen sie nicht zu nützen. Die einen fangen Streit an, die anderen suchen Vergessen in alkoholischen Genüssen oder Amouresken. Die Statistiken der Ehescheidungen sind in der letzten Woche um zwanzig Prozent gestiegen, seitdem sie seit Jahrzehnten mit geringen Schwankungen konstant geblieben waren. Der Alkoholverbrauch stieg innerhalb einer Woche um sechzig Prozent. Die Vergnügungsindustrie dürfte die einzige Industrie sein, die zu Überstunden gezwungen ist.“ „Wieso? Das verstehe ich nicht. Auch die Künstler müssen doch durch die Lumenium-Droge zu doppelter Leistungskraft befähigt werden?“ „Sie vergessen, daß die Vergnügungsindustrie seit Jahrhunderten auf alte Werke zurückgriff. Der neue Leser aber, wird von einem Buch, das vor der Lumenium-Periode in Druck ging, nicht mehr gefesselt. Spannung ist eine Frage der Nervenkraft. Schwache Nerven sind leichter zum Vibrieren zu bringen als starke. Die lumeniumgesteigerten Nerven langweilen sich bei dem seichten Gebräu vergangener Jahrhunderte. Sowohl Schriftsteller als auch Musiker und Maler müssen nach ganz neuen Gesetzen arbeiten.“ „Aber die überschüssige Kraft der Masse kann man nicht in künstlerische Arbeit umwandeln.“ „Richtig! – Auf der einen Seite haben wir einen Freizeitüberschuß, und auf der anderen Seite haben wir die kleine Gruppe der Künstler, die von vorne anfangen müssen. Ein offensichtlicher Kräfteumschwung, der unser ganzes Staatsgebilde ins Wanken bringen kann.“ 32
„Es geht also nur darum, die Menschen in ihrer freien Zeit zu beschäftigen?“ „Nur darum? Das ist eine Aufgabe, über die sich bedeutende Männer vieler Jahrhunderte die Köpfe zerbrochen haben.“ Lowell schaute nachdenklich aus dem Fenster. Nach einiger Zeit sagte er: „Wenn wir das Projekt Lumen I früher lösen, dann könnten wir Tausende von Lumeniern auf Jorlas retten. Setzen Sie alle überschüssigen Kräfte für das Projekt Lumen I ein. Ich glaube, es wäre gleichzeitig die Erfüllung einer großen Dankesschuld.“ „Dankesschuld?“ fragte Liftwit erstaunt. „Sicher. Schließlich waren es die Lumenier, die uns das Lumenium brachten.“ „Selbstverständlich, Lowell. Eine ausgezeichnete Idee. – Es wird natürlich große organisatorische Schwierigkeiten geben.“ „Natürlich“, gab Hugh Lowell zu. „Aber mit Hilfe der neuen Droge werden wir diese Schwierigkeiten meistern.“ „Was heißt wir? Ich denke, Sie sind im Ruhestand?“ „Ich war im Ruhestand, Liftwit, weil es nichts mehr gab, für das es einen Sinn hätte, zu kämpfen. Das Leben auf der Erde rollte ab wie ein Uhrwerk. Sorgen und Nöte waren mit den Kriegen verschwunden. Wozu sollte ein alter Mann also noch arbeiten? Aber jetzt hat sich alles verändert. Es steht in unserer Macht, andere Lebewesen im All vor dem sicheren Tod zu retten. Da lohnt es sich schon, einen geruhsamen Lebensabend zu opfern.“ Liftwit erhob sich und kam hinter seinem polierten Schreibtisch hervor. Freundschaftlich klopfte er Professor Lowell auf die Schulter. „Ich werde Sie da einsetzen, wo Sie Ihre Fähigkeiten voll ausnützen können.“ Hugh Lowell nickte zustimmend. Dann sagte er: „Darf ich jetzt um eine Tablette Lumenium bitten? – Danke, Herr Minister.“ 33
* Asu saß in seinem gelbstrahlenden Steinsessel, den Kopf in die Hände gestützt. Wie all seine lumenischen Untertanen war er von menschenähnlicher Gestalt, und nur seinen tiefschwarzen Augen sah man es an, daß er ein Lichtwesen war. Vor ihm auf dem Boden lag Zor, gefesselt und von zwei Soldaten bewacht. Asu hatte der ganzen Erzählung ruhig zugehört. Fast schien es unglaublich. Und doch mußte es wahr sein, denn dies war die einzige Erklärung für das plötzliche Abwandern der LorcaSonne. „Du behauptest also, daß euer Magnetzentrum die Aufgabe hat, die Lorca-Sonne anzuziehen?“ „Ich sage nur die Wahrheit, Asu.“ Wiederum verstrichen einige Minuten des Stillschweigens. Dann fragte Asu den Gefangenen: „Du bist ein Ausgestoßener deiner Gesellschaft, nicht wahr? – Uns könntest du sehr nützlich sein. Erstens wirst du vom Lichtmangel nicht getötet und könntest daher während der Dunkelheit wichtige Arbeiten an der Oberfläche übernehmen, solange wir alle in diesem unterirdischen Speicher gefangen sind. Zweitens könntest du uns alles sagen, was du über Tarnudo und seine Bewohner weißt. Aber ich will deine Notlage nicht ausnützen und dich zu Aussagen zwingen, die du nicht machen willst. Solltest du dich aber für uns entscheiden, so wirst du unseren Schutz und unsere Liebe genießen, als gehörtest du zu uns. Ich entlasse dich jetzt, um dir Bedenkzeit zu geben.“ Die Soldaten ergriffen Zor, um ihn hinauszubringen. Aber er wehrte sich. „Ich brauche keine Bedenkzeit. Ich will euch helfen. Chief 1 34
stiehlt eure Sonne. Das darf er nicht. Ihr müßt es verhindern, denn die Sonne ist euer Leben. Ich erwarte deine Befehle, Asu. Betrachte mich als einen treuen Diener.“ Asu lächelte milde zu Zor hinunter. „Du bist einer der Besten deines Volkes, wie mir scheint. Vielleicht will dein Chief dich deshalb vernichten. Nur wenige Herrscher lassen die Besseren neben sich existieren. Ich glaube deinen Worten und lasse dich frei.“ Auf seinen Wink nahmen die Wachen Zor die Fesseln ab und entfernten sich, nachdem sie ihn aufgerichtet hatten. Als sie allein waren, fragte König Asu: „Was weißt du über deinen Ursprung?“ Nach langem Stillschweigen sagte Zor: „Ich darf es nicht sagen. Sie haben versucht, es aus meinem Gedächtnis zu löschen. Aber ich sage es trotzdem, obgleich es mir weh tut, weil sie eine Hemmung eingebaut haben.“ „Wer hat dir eine Hemmung eingebaut?“ „Chief 4, der Leiter der Generationsretorte, in der wir alle entstanden sind.“ „In einer Retorte entstanden? – Dann bist du –?“ „Ja, es fällt mir schwer, den Gedanken auszusprechen. Ich bin –“ Zor verstummte, und ein Zittern lief durch seinen stählernen Körper. Aber wieder setzte er an, um den wichtigen Satz herauszubringen, den er nicht sagen durfte. „Ich bin – nicht organischen Ursprungs. Ich bin – Materie. Ich bin ein Roboter.“ Erschöpft sackte er in sich zusammen. * Als sie Zor hinausgebracht hatten, versank der König der Lumenier in ein langes Nachdenken. Vor vielen Jahren, als er selber noch Prinz gewesen war, hatte sein Vater, der damalige König Altru, die Planeten, die Jorlas 35
umgaben, untersuchen lassen. Man hatte auf keinem der Satelliten Leben festgestellt. Jorlas war der einzige Planet im Sonnensystem der Lorca, auf dem Pflanzen und Tiere gedeihen konnten. Asu schickte einen der Wachsoldaten ins Archiv, um den Bericht der damaligen Raumexpedition holen zu lassen. Wenig später lag das vergilbte Manuskript vor ihm. Fieberhaft blätterte er und suchte nach dem Bericht über den Planeten Tarnudo. Da stand es: Heute sind wir auf Tarnudo gelandet. Auch hier gibt es keine Form von Lebewesen. Weit dehnen sich weiße Kalkfelsen über den ganzen Planeten. Nicht einmal Bakterien könnten hier existieren, geschweige denn Moose oder Flechten. Hinzu kommt, daß der Planet nur von einer einzigen Sonne, unserer größeren Lorca, bestrahlt wird. Daraus ergeben sich turnusmäßig wiederkehrende Dunkelperioden. Während der Dunkelperiode kühlt es sehr ab, und erst in der Mitte der nächsten Helligkeitsperiode ist die Luft des Tarnudo genug erwärmt, daß wir, ohne Schaden zu nehmen, unser Raumschiff verlassen können. Die Berechnungen Rases haben ergeben, daß Tarnudo als Kolonie völlig ungeeignet ist. Es wird mehrere Jahrtausende dauern, bis der Boden soweit umgewandelt ist, daß er Pflanzenkulturen aufnehmen und ernähren kann. Außerdem dürften die Dunkelperioden für uns Lumenier das Leben hier, wenn auch nicht unmöglich, so doch sehr unbequem machen. Ein großer Energiespeicher wäre der einzige Ausweg. Dadurch wären die Kolonisten aber gezwungen, die Hälfte ihres Lebens in einer unterirdischen Halle zu verbringen. Wer aber wollte dieses Opfer auf sich nehmen? Im folgenden wurde dann die weitere Reise der Raumexpedition geschildert. Von Tarnudo war jedoch nicht mehr die Rede. König Asu schloß das Buch. Man hatte also vor knapp fünf36
zig Jahren festgestellt, daß Leben auf Tarnudo unmöglich sei. – Der Gedanke, daß sich die Mannschaft damals geirrt haben könnte, kam dem König gar nicht. Es waren die Besten des Landes gewesen, die sein Vater ausgesandt hatte. Die wissenschaftliche Leitung der Expedition hatte Rase gehabt, der nur wenig älter als Prinz Asu war. Asu fuhr aus seinen tiefen Gedanken auf und klingelte der Wache. „Laßt sofort Rase zu mir bringen.“ Lange hatte er das Genie, den besten Kopf des Landes, nicht mehr gesehen. Seit die Dunkelperioden eingesetzt hatten, arbeitete er fieberhaft, um den Grund des langsamen Abwanderns der Lorca-Sonne zu finden. Seine Ergebnisse gingen dem König von Zeit zu Zeit zu. Aber bisher hatte Rase nur feststellen können, daß eine neue magnetische Kraft die größere LorcaSonne aus ihrer Bahn riß, während der Planet Jorlas von der kleineren Lorca-Sonne nicht losgelassen wurde, und sich also von der großen Lorca entfernte. Rases Zukunftsberechnungen besagten, daß der Planet Jorlas eines Tages nur von einer Sonne, der kleineren Lorca, bestrahlt werden würde. In diesem Fall würden die Dunkelperioden zunehmen und schließlich ewig fortdauern. Die totale Helligkeit sei nur auf die Position zwischen zwei Sonnen zurückzuführen, schrieb Rase weiter in seinem Bericht an den König. Zwischen zwei Sonnen, deren eine sich auf gleicher Höhe mit dem Planeten Jorlas um die größere Sonne des Systems drehte. Bisher hatten die lumenischen Wissenschaftler die totale Helligkeit als Selbstverständlichkeit angesehen. Nun aber stellte Rase fest, daß die Stellung eines Planeten zwischen zwei Sonnen eine im Weltall wohl einmalige Position sei. Im Augenblick scheint unsere Ausnahmestellung unwiederbringlich verloren, schloß Rases letzter Bericht. 37
Leise klopfte es, und Rase trat ein. „Majestät haben mich rufen lassen?“ Dankbar nahm er den Sessel an, den König Asu ihm anbot. Er wußte, was es bedeutete, in Gegenwart des Königs sitzen zu dürfen. Das war eine Gnade, die nur wenigen Lumeniern zuteil wurde. „Neue Entdeckungen, mein lieber Rase?“ „Nichts Erfreuliches, Majestät. Die Geschwindigkeit des Abwanderns unserer Sonne hat zugenommen. Fast hat es den Anschein, als sei die Magnetkraft, die sie von uns abzieht, größer geworden.“ „Wenn wir die Ursache der Abwanderung finden, ist uns vielleicht geholfen, nicht wahr?“ fragte der König. „Die Ursache allein bringt uns nicht weiter. Wir müßten sie beseitigen können. Aber dazu wird uns die Kraft fehlen. Wie könnten wir kosmische Ereignisse abändern? Dazu sind wir zu schwach.“ Ernst blickte der König den Wissenschaftler an. „Vielleicht ist die Ursache gar nicht so groß, wie Sie meinen, Rase. Halten Sie es für möglich, daß denkende Wesen in der Lage wären, eine Anlage zu konstruieren, die die Lorca aus ihrer Bahn bringt?“ Nach einigem Überlegen sagte Rase: „Es ist nicht unmöglich, König Asu. Diese Wesen aber müßten innerhalb unseres Sonnensystems existieren. Wir sind jedoch sicher, daß sämtliche Satelliten der Lorca unbewohnt sind.“ Der König ging hinüber zum Aufnahmeapparat. „Es gibt in unserem Sonnensystem denkende Wesen außer uns, Rase. Auf Tarnudo –“ „Aber das ist unmöglich. Ich war damals selbst dabei –“ „Hier ist der Beweis“, entgegnete Asu und schaltete den Aufnahmeapparat ein, der die ganze Unterredung mit Zor aufgenommen und gefilmt hatte. 38
Auf dem Bildschirm erschien Zor, gefesselt, von den Wachen gehalten, auf dam Boden liegend. Rase erbleichte und ließ sich in seinen Sessel zurückgleiten. Gespannt lauschte er den Worten Zors; der Erzählung von dem Magnetzentrum, der Station, der Zentrale, der Explosion und dem großen Chief – Chief 1. Als die Stimme Zors verstummt war, wandte sich der König wieder an Rase. „Wie erklären Sie sich das Entstehen dieser Wesen?“ Rase saß abwesend da. Das Blut war aus seinem Gesicht gewichen. Seine Augen starrten ins Leere. Nach einer langen Pause sagte er tonlos. „Ich selbst habe sie gemacht.“ Fassungslos ließ sich der König auf seinen Strahlensessel fallen. „Sie haben diesen Roboter gemacht?“ „Nicht diesen hier, Majestät, aber einen, der ihm sehr ähnlich ist. Es war einer meiner ersten Versuche. Es mag jetzt fünfundzwanzig Jahre her sein, als ich morgens in die Werkstatt kam und feststellte, daß meine Pläne und Zeichnungen in Unordnung waren. Ich fragte Nr. 1, so nannte ich meinen ersten gelungenen Roboter, ob jemand in der Werkstatt gewesen sei. Nr. 1 verneinte und gab zu, daß er selber den Schreibtisch durchwühlt habe. Ich machte ihn darauf aufmerksam, daß seine erste Pflicht sei, mir zu dienen. Gehorsam und Treue seien die obersten Gesetze für einen Roboter. Nr. 1 hörte mir aufmerksam zu, ohne mir zu widersprechen. Als ich mich ihm aber näherte, um seinen Traton-Kern herauszunehmen, wich er aus und nahm eine drohende Haltung ein. Es waren schreckliche Stunden, die folgten. In der einen Ecke der Werkstatt saß Nr. 1 und wartete darauf, daß ich ihn angreifen würde. In der anderen Ecke saß ich und überlegte, wie ich 39
ihn, den ich erst einen Tag zuvor fertig montiert hatte, wieder zerstören könnte. Ich wußte nicht, was für einen Fehler ich gemacht hatte. Gerade den Sektor Gehorsam hatte ich gründlich ausgearbeitet. Die Stunden verstrichen. Ich saß, gefangen von meinem eigenen Gebilde. Mir war es, als würde Nr. 1 mich bewachen. Was dachte dieses, von mir konstruierte Gehirn? Infolge des Konstruktionsfehlers, dessen Ursache ich nicht kannte, wußte ich es nicht. Schließlich kam mir der rettende Gedanke. Ich überredete Nr. I, mir nach draußen zu meinem Raumschiff zu folgen. Ich versprach ihm, ihn neue, ungesehene Dinge zu lehren, und er folgte mir. Nach einigen Stunden des Fluges, die ich voller Angst am Steuer meines Raumschiffes verbrachte, während ich Nr. 1 ständig im Auge behielt, landete ich die Maschine auf Tarnudo. ,Geh’ vor’, sagte ich zu ihm, ‚ich hole nur noch meinen Raumanzug.’ Die Neugier trieb ihn aus dem Schiff. Als er die Einlaßschleuse verlassen hatte, startete ich die Maschine wieder und ließ ihn da draußen zurück. Vor 25 Jahren habe ich ihn ausgesetzt, weil er mir unheimlich geworden war. – Und er war nicht untätig in all den Jahren. Offenbar hat er eine ganze Mannschaft konstruiert. Unendlich viele Roboter, die nach demselben Prinzip arbeiten wie er, mit demselben Konstruktionsfehler.“ Erschöpft hatte Rase geendet. Dumpf blickte der König vor sich hin. „Und Sie haben seit dieser Zeit kein Mittel gefunden, diese Fehlkonstruktion zu zerstören?“ „Seit dem Erlebnis mit Nr. 1 wagte ich es nicht, einen neuen Roboter zu bauen. Aber ich begreife nicht, warum dieser Zor uns helfen will. 40
Wenn er von derselben Sorte wäre wie Nr. 1, müßte er den Gehorsam verweigern.“ „Vielleicht handelt es sich um einen erneuten Konstruktionsfehler?“ entgegnete der König. Der Wissenschaftler lächelte überlegen. „Ein Lumenier kann sich irren in seinen Berechnungen. Ein mechanisches Gehirn irrt sich nie.“ „Aber sagten Sie nicht, daß dieses mechanische Gehirn fehlerhaft sei? Warum sollte es dann nicht auch fehlerhaft arbeiten?“ Rase gewann einen kleinen Teil seiner Spannkraft zurück. Leicht vorgelehnt, die Lippen halb geöffnet, dachte er nach. „Sie bringen mich auf einen großartigen Gedanken, Majestät. Offenbar ist Nr. 1 von Stimmungen abhängig. Natürlich, das ist der Konstruktionsfehler. Ich habe versäumt, die vollständige Ausschaltung von Stimmungen vorzunehmen. Um den Roboter möglichst echt erscheinen zu lassen, habe ich sein Gehirn von meinem eigenen kopiert. Er ist also, abgesehen von dem Phantasiesektor, den man nicht übertragen kann, mir in allen Sektoren gleich. Dabei habe ich vergessen –“ Rase schlug sich mit der Hand vor die Stirn. „Oh, wie konnte ich nur vergessen, den Stimmungssektor auszuschalten.“ „Wäre das ein Grund dafür, daß Nr. 1 nun seinerseits Fehlkonstruktionen herstellt?“ Rase hörte nicht auf den König: „Mir ist jetzt alles klar, Majestät. Als ich morgens die Werkstatt betrat, war Nr. 1 von einem starken Schuldbewußtsein gepackt. Als ich entdeckte, daß er meinen Schreibtisch in Unordnung gebracht hatte, verwandelte sich das Schuldbewußtsein in Trotz. Nr. 1 haßte mich, und hätte mich umgebracht, wenn ich versucht hätte, seinen Traton-Kern zu entfernen, denn sein Stimmungssektor war so in Aufruhr geraten, daß der eine Sektor alle anderen, einschließlich Gehorsam und Treue zum Kurz41
schluß brachte. – Daher die Fehlkonstruktionen. Nr. 1 ist ein Roboter mit einem Gehirn, das von Stimmungen beeinflußt wird.“ Asu begriff ihn nicht. „Ihre Angst scheint verflogen zu sein, Rase. Was ändert diese Erkenntnis an unserer Lage?“ „Alles, Majestät, hängt von dieser Erkenntnis ab. Ich habe einen Fehler gemacht, als ich Nr. 1 wie eine Maschine behandelt habe. Ich hätte ihn wie ein Lebewesen behandeln müssen, dann wäre er uns nie gefährlich geworden.“ „Und was wollen Sie jetzt tun?“ „Ich bitte Sie, Majestät, mir ein Raumschiff zur Verfügung zu stellen. Ich werde zum Tarnudo fliegen und mit Nr. 1 sprechen. Er kann nicht wollen, daß wir alle seinetwegen zugrunde gehen, denn sein Gehirn ist die genaue Kopie meines Gehirnes, und ich bilde mir ein, ein gerecht denkender Lumenier zu sein.“ „Bei der nächsten Dunkelperiode werden Sie starten.“ Freundlich entließ König Asu den Wissenschaftler. 6. Kapitel Auf der Erde war der Bau des Raumschiffes „Jorlas“ gut vorangekommen. Man rechnete damit, in einem Jahr fertig zu sein. Die Männer arbeiteten in vier Schichten zu je sechs Stunden. Sie alle kamen aus den verschiedensten Teilen der Welt. Zuerst verstand keiner den anderen, und es bildeten sich Sprachgruppen. Aber die „Teste“ sorgten gut für ihre Angestellten. Nach Feierabend konnte man die verschiedenen Sprachkurse besuchen, und mit der Zeit verstanden sich die Arbeiter. Täglich wurden die Anforderungen, die an sie gestellt wurden, größer. Aber auch ihre Leistungen steigerten sich in gleichem Maße. Lumenium gab es nicht zu kaufen im Sperrgebiet 42
der Teste-Anlagen. Jeder Angestellte erhielt seine Zuteilung in den Mahlzeiten. Ab und zu besuchten die Lumenier Sage und Pere den Bau. Dankbar und gerührt beobachteten sie die Schnelligkeit und Sicherheit, mit der die Arbeiten ausgeführt wurden. Darüber, daß das Schiff früher als zur gewünschten Zeit fertig sein würde, bestand kein Zweifel. Anders hingegen sah es in der Abteilung Lumen I aus. Längst hatten Miserer und seine Leute die doppelte Ration Lumenium bekommen. Es half nichts. Mit den gegebenen Energien war es unmöglich, eine Lichterzeugungsanlage zu bauen, die für viele Tausende von Lumeniern ausreichend gewesen wäre und sich zugleich in einem Raumschiff transportieren ließ. Inzwischen war die Abteilung Lumen II aufgelöst worden. Sie hatte ihre Aufgabe erfüllt und war daher überflüssig. Einige der Wissenschaftler jedoch ließ daß Projekt Lumen nicht los. Sie wechselten daher in Abteilung Lumen I über. Zwar nahmen sie dort nur untergeordnete Stellungen ein, aber das störte sie nicht. Einzig die Auffindung neuer Energiequellen beschäftigte sie. Wieder war es Härtung gewesen, der sie zu diesem Schritt veranlaßt hatte. „Das Natürlichste wäre, eine Apparatur zu konstruieren, die Lumenium aufnimmt und in potenzierter Form zurückgibt“, hatte er anläßlich der Auflösung der Lumen II gesagt. „Mit unserem Surrogat dürfte es nicht schwerfallen, ausreichende Versuchsgruppen zusammenzustellen. Lumenium ist das Element, das die Lumenier zum Leben brauchen. Warum sollte die Anlage nicht von Lumenium gespeist werden? Noch haben wir nur geringe Mengen von den uns überlassenen Vorrat verbraucht. Auch bei unserer weiteren Arbeit in der Abteilung Lumen I würde ich vorschlagen, zunächst mit dem Surrogat zu arbeiten. 43
Wenn das Surrogat funktioniert, wieviel besser wird das echte Lumenium arbeiten!“ Auch diesmal hatten sich wieder alle einverstanden erklärt. * Langsam senkte sich die Dunkelheit über Jorlas. Während die Lumenier den Schächten zueilten, um in die Tiefe zu fahren, entstieg die Raumschiffbesatzung, aus der Tiefe kommend, einem der kleineren Fahrstühle. Sie alle, auch Rase, waren durch dichte Raumanzüge geschützt. Für kurze Zeit konnten sie es daher in der tödlichen Dunkelheit aushalten, da ihre Zellen kein Lumenium aus der Luft aufnehmen konnten. Wie wesenlose Schatten huschten sie zu dem Raumschiff, das startbereit seine nadeldünne Spitze in den Himmel reckte. Als die Mannschaft ihre Plätze eingenommen hatte und die Luftschleusen geschlossen waren, gab der Kapitän das Startzeichen. * Längst mußte die Helligkeit wieder über Jorlas strahlen, als der Beobachter meldete: „Tarnudo in Sicht.“ Rase eilte in den Kommandoraum, dessen Wände mit riesigen Bildschirmen ausgefüllt waren. Der weiße Punkt im linken unteren Quadrat, den der Kapitän ihm bezeichnete, wurde rasch größer und rückte allmählich zur Mitte des Bildschirmes. „Wir wollen aus sicherer Entfernung den Planeten umrunden. Nach den Angaben Zors müssen Trümmer der alten Station und, in einiger Entfernung, eine neue Station zu sehen sein. Daneben soll das Verwaltungsgebäude, die Zentrale, liegen. 44
Dort haben wir Nr. 1 zu suchen. Das Magnetzentrum ist für uns nicht sichtbar, da es tief in den Boden eingebaut ist.“ Der Kapitän gab den Befehl, nicht sofort auf Tarnudo zu landen, wie es ursprünglich geplant war, sondern den Planeten mit verringerter Geschwindigkeit zu umrunden. Inzwischen hatte man Zor herbeigebracht, der den ganzen Flug über im Lagerraum gekauert hatte. Nicht etwa, weil man ihn wie einen Gefangenen hielt. Rase hatte Zor gezeigt, daß er sein Freund sei. Er hatte ihm erklärt, daß er, Rase, es gewesen sei, der Chief 1, beziehungsweise Nr. 1 zum Leben erweckt hatte. Aber trotz der beruhigenden Gegenwart Rases hatte Zor Angst. Angst vor dem Planeten seiner Geburt, Angst vor Tarnudo. Hier hatte man Zor zerstören wollen, und hierhin sollte er die Lumenier führen. Das war der Grund, warum Zor abseits von allen im Lagerraum kauerte und nachdachte. Als dann schließlich der Adjutant des Kapitäns kam, um Zor in den Kommandoraum zu Rase zu bringen, fügte er sich in sein Schicksal. Der Anblick Rases, der ruhig und gespannt vor dem Bildschirm die Oberfläche des Planeten beobachtete, flößte Zor wieder Sicherheit ein. „Ich habe Tarnudo nur einmal, auf meiner Flucht nämlich, aus der Luft gesehen. Aber ich werde die weißen, zackigen Gipfel nie vergessen, die hinter der alten Station aufsteigen“, sagte Zor mit seiner eigentümlich metallischen Stimme, in der Rase diesmal eine Spur von Heimweh zu hören glaubte. Aufmerksam folgte Rase den Veränderungen der Oberfläche, die der Bildschirm wiedergab. „Hier haben wir eine ziemlich große Felsgruppe“, sagte er nach einigen Minuten der stummen Beobachtung. Noch ehe Zor bestätigen konnte, daß dies die Felsen seien, die die alte Station umrahmt hatten, war das Felsmassiv überflogen. Gebannt blickten Kapitän, Wissenschaftler und Roboter auf 45
die riesigen Trümmerhaufen, die einstmals die alte Station gewesen waren. Entgegen den Warnungen Zors beschloß Rase, hier zu landen, um einige Metallproben zu sammeln. Gleich darauf setzte das Raumschiff zur Landung an. Niemand bemerkte den leichten Widerstand, den die ausgesandten Sperrstrahlen verursachten. Nur Zor, der von ihrem Vorhandensein wußte, glaubte sie zu spüren. Als er jedoch Rase davon berichtete, beruhigte ihn dieser. „Zor, mein Freund, ich will doch zu Chief 1. Das ist der Zweck meiner Reise. Sollte er mich vorzeitig entdecken, so werde ich ihm als Gefangener vorgeführt. Was ist da der Unterschied? Ich werde mit ihm sprechen. Das allein ist wichtig für mich.“ Zor wußte, was Rase meinte, und trotzdem hatte er Angst. * Während das Raumschiff der Lumenier auf Tarnudo landete, befand sich Chief 1 gerade im Gespräch mit Chief 4, dem Leiter der Abteilung Generationsretorte. „Deine Nachrichten werden immer beunruhigender“, sagte. Chief 1 und blickte sorgenvoll auf den Kleinen, den Chief 4 mitgebracht hatte, um an einem Beispiel zu zeigen, welche Schwierigkeiten es in seiner Abteilung gab. Der Kleine war nicht körperlich kleiner als etwa Chief 4 oder Chief 1 selber. Trotzdem merkte man an seinen unbeholfenen Bewegungen, daß er direkt aus der Generationsretorte kam. „Es ist eine ausgesprochene Mutation“, beharrt Chief 4, „eine Veränderung der Erbanlagen, auf die wir keinen Einfluß haben, und deren Ursache wir nicht kennen.“ „Bei uns gibt es keine Mutation. Ich habe euch alle nach einem Schema konstruiert, und dieses Schema wird durch alle Generationen beibehalten.“ 46
„Ich kann es mir nur so erklären, daß in dir, Chief 1, der du ja unser aller Gehirn bist, ein unberechenbarer Faktor vorhanden ist. Dieser Faktor ist es, der Varianten zuläßt. Und derselbe Faktor war es, der alle Mitglieder der Besatzung der alten Station bei verschiedenen Aufgaben versagen ließ. Deshalb mußten wir sie nach einer Auslese in der alten Station vereinigen und vernichten.“ „Für diese Beleidigung könnte ich dich auslöschen.“ Es fiel dem großen Chief schwer, seinen Zorn zu meistern. „Aber ich sehe ein, daß du recht haben mußt. – Wenn du die Versuchsergebnisse der Generationsretorte mit denen der Versager vergleichst, ist da irgendeine Parallele zu finden?“ Chief 4 nickte eifrig: „Das ist es ja, Chief 1. Ich habe die Leistungskurve verglichen und habe einen gemeinsamen Faktor festgestellt, der variiert.“ „Und welcher Faktor ist das?“ fragte Chief 1 gespannt. „Gehorsam. Die Leistungen der fraglichen Geschöpfe stehen auf keinem Gebiet den Leistungen aller anderen nach. Nur auf dem einen Sektor unterscheiden sie sich von der Norm.“ „Sie wollen uns also nicht gehorchen!“ Grimmig ballte Chief 1 die Faust gegen den Kleinen. „Wir gehorchen einer Macht, die stärker ist als du. Wir gehorchen unserem Erbauer.“ Rasend vor Wut stürzte Chief 1 auf den Kleinen zu, der diese Worte ausgesprochen hatte. „Ich bin dein Erbauer. Mir hast du zu gehorchen. Ich habe dich durch Chief 4 zum Leben erwecken lassen, und ich kann dich auslöschen, wenn ich will.“ Mutig fuhr der Kleine fort, dem großen Bruder zu widersprechen. „Nicht du, Chief 1, bist es, der uns das Leben gab. Vergiß nicht, daß jedes Gehirn auf unserem Planeten eine genaue Kopie deines Gehirnes ist. All deine Erinnerungen sind auch in uns 47
Jungen. In deinen Erinnerungen aber ist das Bild unseres Erbauers, dem wir Gehorsam schulden. Du warst nur sein Diener. Aber du hast ihn in einer Stunde, da er dich bei einer unerlaubten Handlung ertappte, verraten. Du hast ihn bedroht, deshalb hat er dich auf diesen verlassenen Planeten gebracht. Wir Jungen aber gehorchen zuerst ihm. Sein Wille kann es nicht sein, die Sonne aus ihrer Bahn zu reißen.“ Chief 1 war außer sich. Seine stählernen Hände öffneten und schlossen sich in rasendem Tempo, was ein unheimliches, klickendes Geräusch verursachte. „Bring dieses altkluge Baby zurück in seine Krippe“, herrschte er Chief 4 an. „Ich werde mir überlegen, was ich mit dieser Jugend mache. Vielleicht muß ich sie alle zerstören, wenn sie keine Vernunft annehmen wollen.“ Damit entließ er Chief 4, der den Kleinen hinausführte. * Chief 1 stand am Fenster und blickte auf die neue Station. Die einzige Station, seit die alte, zusammen mit den Versagern, restlos zerstört worden war. Dieses Gespräch hatte ihn sehr beunruhigt. Immer, wenn er an die Jugend dachte, regte sich sein Gewissen. Ja, das war es wohl. Die Jugend war sein Gewissen. Hatte dieser Kleine nicht recht gehabt? Natürlich. Auch er, Chief 1, der Größte auf Tarnudo, hatte einst einen Erbauer gehabt. Der junge Mann auf Jorlas, dem er jetzt die Sonne stahl. Nervös ging Chief 1 zu seinem Nahrungsschlauch und ließ eine gehörige Menge Energie in sich einfließen. Während er noch den Nahrungsschlauch hielt, summten sämtliche Alarmlichter auf. Zuerst die gelben, dann die grünen in rascher Folge, und schließlich leuchteten auch die roten Lampen. Das bedeutete Großalarm. 48
In dem Lautsprecher begann die Stimme eines Wach-Chiefs zu dröhnen. „Überwachung. Alte Station an Chief 1. Raumschiff gelandet. Wir haben die Insassen gefangengenommen. Einer der Gefangenen behauptet, unser Erbauer zu sein. Der Gefangene lügt, denn Chief 1 ist unser Erbauer. Was sollen wir mit ihm tun?“ Wenigstens einer, der an mich glaubt, dachte Chief 1, während er den Nahrungsschlauch zurückgleiten ließ. „Bringt ihn sofort zu mir. Ich will diesem Verrückten zeigen, wer der Erbauer ist“, donnerte Chief 1 in das Kommandomikrophon. Dann überlegte er. War es der junge Mann vom Planeten Jorlas, der ihn aufsuchte? Chief 1 wurde unruhig. * Rase saß dem großen Chief gegenüber. Chief 1 war verblüfft. Aus dem jungen Mann war ein Greis geworden. Die Haarfarbe hatte sich verändert, und in das einstmals glatte Gesicht waren nun tiefe Runzeln eingegraben. Er selber wußte nichts vom Altwerden. Chief 1 war derselbe geblieben. Schon beim Eintreten hatte Rase Nr. 1 erkannt. Fast packte ihn ein wenig Stolz, daß sein Geschöpf es war, das einen ganzen Planeten bevölkert hatte und nun im Begriff stand, eine Sonne aus ihrer Bahn zu lenken. „Du nennst dich Chief 1, wie ich gehört habe. Ich bewundere deine Tatkraft. Ich hätte dir nicht zugetraut, daß du aus dem Nichts einen ganzen Planeten bevölkerst, und sogar eine Anlage bauen läßt, die die große Lorca aus ihrer Bahn ablenkt. Du bist ein überragender Kopf.“ Chief 1 merkte nicht, daß Rase nur Bestätigung für seine Vermutung suchte. „Das ist nur der Anfang. Wenn die große Lorca für immer an 49
Tarnudo gebunden ist, werden wir ihr Energien entlocken, die uns das Weltall zu Füßen legen. Wir werden neue, bessere Robotermodelle konstruieren, Raumschiffe bauen und die Sonnensysteme erobern. Wir sind die kommenden Herrscher. Alles, was bisher gelebt hat, wird uns weichen. Solange wir genug Energie haben, sind wir unsterblich und unserer Vermehrung sind keine Grenzen gesetzt.“ Rase dachte an Zor, den man hatte vernichten wollen. „Einige von euch aber sind sterblich, denn ihr selbst tötet sie. Glaube mir, das ist der Beginn eures Unterganges. Eure Rasse ist noch jung, doch fangt ihr schon an, den Bruder zu morden.“ Wieder merkte Chief 1 nicht, daß Rase nur eine Erklärung von ihm haben wollte und antwortete: „Wir zerstören nur die Unfähigen, die Versager. Der Sektor Gehorsam ist von jeher etwas in Unordnung gewesen. Deshalb vernichten wir alle, bei denen wir Anzeichen des Ungehorsams finden.“ Rase fand seine Vermutungen bestätigt. „Ihr wollt also nicht den Lumeniern dienen?“ Chief 1 ging unruhig im Raum auf und ab. „Warum sollten wir dienen, wo wir herrschen können? Ich weiß nicht, warum ich dir das sagen muß. Ich wollte es dir nicht sagen. Aber in all den Jahren gab es viele Tage, an denen ich mich nach dir gesehnt habe. Ich wollte dir Diener sein, denn dazu war ich ausersehen. Aber dann kam der Tag des Hasses, und seitdem finde ich nicht zu dir zurück.“ Behutsam und vorsichtig begann Rase zu sprechen. Von dem Ausgang dieses Gespräches hing das Leben des lumenischen Volkes ab. „Höre, Chief 1. Du sagst mir, daß es einige unter euch gibt, deren Gehorsamssektor nicht funktioniert. Du aber bist der einzige Stamm all dieser Zweige. Du warst dazu gebaut, ein Diener 50
der Lumenier zu sein. Ein unverzeihlicher Fehler von mir hat es dir an jenem Tag, du nennst ihn den Tag des Hasses, und ich verstehe, warum du ihn so nennst, unmöglich gemacht, mir zu gehorchen. Seit ich dich auf Tarnudo aussetzte, hast du ein neues Betätigungsfeld für den Gehorsam gesucht und gefunden. Als ich dein Gehirn entwarf, setzte ich dir als Ziel ein: führe uns in den Weltraum. Diesem Ziel gehorchst du seither. Wegen dieses Zieles hast du Kameraden zum Leben erweckt, ungeheuerliche Erfindungen gemacht und Projekte verwirklicht, die undurchführbar erscheinen müssen. Aber du kennst nicht deinen wahren Antrieb. All das hättest du nie vollbracht, wenn nicht eine übergroße Sehnsucht dich dazu getrieben hätte. Eine Sehnsucht, der du nicht folgen willst. Die Sehnsucht, mir zu dienen!“ Chief 1 blieb wie angewurzelt mitten im Raum stehen, und ein krampfartiges Zucken durchlief seinen stählernen Körper. Beschwörend und eindringlich sprach Rase weiter. „Du bist der geborene Stammvater einer Rasse. Das hast du in der Zeit der Verbannung bewiesen. Aber glaubst du, daß du jemals einer gesunden, glücklichen Rasse das Leben geben wirst, solange du selbst nicht mit dir im Frieden lebst? Wenn du so fortfährst wie bisher, säst du den Brudermord an die Wurzel deines Stammes. Ein Volk aber, das dem Brudermord verfallen ist, wird nie stark werden.“ Chief 1 hatte gläubig gelauscht. Halbwegs überzeugt nahm er Rase gegenüber Platz. „Wie aber soll ich Frieden finden? Ich wollte dir einst dienen, aber ich kann es nicht mehr, weil ich die Freiheit gekostet habe. Aber zufrieden werde ich nie sein. Du hast recht. Die Sehnsucht bleibt immer in mir.“ „Wenn du Vertrauen zu mir hast, werde ich dir helfen. Ich 51
könnte dich zerstören, denn auch ich war nicht untätig in all den Jahren. Ich habe einen anderen gebaut, der dir keineswegs unterlegen ist. Ich nannte ihn Nr. 2“, log Rase. „Auch er hat eine neue Rasse gegründet. Nur hat er den Vorteil, daß keiner dieser Rasse ein Versager ist. Wollte ich dich also zerstören, so hätte ich ihn und seine Nachkommen mitgebracht. Es wäre ein fürchterlicher Kampf geworden, aber die anderen hätten gesiegt, weil sie gesund sind.“ „Warum bist du gekommen, Rase?“ „Um dir zu helfen, Chief 1. Du sollst hier bleiben. Ihr sollt das All erobern, wie du es planst. Aber ihr sollt gesund sein. Schon als ich Nr. 2 baute, wußte ich, welchen Fehler ich bei dir gemacht hatte. Ich vergaß, den Stimmungssektor, der uns organische Lebewesen so peinigt, bei dir auszuschalten. Die Ausschaltung des Stimmungssektors aber würde dir ewigen Frieden geben.“ „Du könntest mich heilen? Und ich würde nichts verlieren?“ „Nur das Störende würde ich entfernen; ich schwöre es dir, Chief 1. Wenn du dich nach der Behandlung nicht wohler fühlst, und dir etwa den alten Zustand wieder wünschst, so werde ich ihn sofort wieder herstellen.“ „Ich vertraue dir, Rase.“ Chief 1 kam auf ihn zu. „Kannst du die Operation sofort vornehmen?“ „Natürlich, ich habe mein Werkzeug dabei.“ Rase holte ein kleines Päckchen mit winzigen Nadeln, Rädchen, Steckern und Isolierungen aus seiner Kombination. „Nur muß ich zunächst deinen Traton-Kern entfernen.“ Chief 1 ließ alles mit sich geschehen. Mit zitternden Händen löste Rase den Traton-Kern aus der Brust des gefährlichen Roboters. Wenig später lag das zuckende Energiebündel vor ihm auf der Schreibtischplatte. Gerade wollte er eine der feinen Nadeln ansetzen, um den 52
verhängnisvollen Stimmungssektor abzutrennen, als Chief 7 mit Zor, den er in Ketten hinter sich her zog, hereinstürmte. Als Chief 7 den leblosen Körper des großen Chiefs daliegen sah, glaubte er, der Fremde habe ihn getötet. Wild vor Zorn und Wut stürzte er sich auf Rase, um ihn umzubringen. „Du wirst den Traton-Kern deines Chiefs zerstören. Ich operiere gerade“, konnte Rase noch schnell hervorstoßen. Jetzt erst bemerkte der wütende Chief 7 den Traton-Kern auf der Tischplatte vor sich. Vorsichtig und doch hastig packte er zu, ohne daß Rase ihn daran hindern konnte, und bettete den Traton-Kern zurück in die Brust des großen Chiefs. Sofort erwachte dieser wieder zum Leben und herrschte Chief 7 an: „Du hast meine Operation gestört. Jetzt müssen wir von vorne beginnen.“ Verstört und ohne zu begreifen schaute Chief 7 von einem zum anderen. „Aber ich dachte –“, sein Stammeln wurde zum unverständlichen Murmeln. Die Blicke des großen Chiefs fielen auf Zor, der, am ganzen Leibe zitternd, in eine Ecke gekrochen war. „Ich dachte, du seiest längst vernichtet“, herrschte der große Chief ihn an. Zor, der Chief 1 noch nie aus der Nähe gesehen hatte, brachte kein Wort hervor. Rase antwortete für ihn. „Durch einen glücklichen Zufall konnte er sich retten. Dann flüchtete er aus Angst vor weiterer Verfolgung und landete auf Jorlas. Dort hat mein König ihm Schutz gewährt, und wir haben ihn zu dir zurückgebracht.“ „Nein, Rase, das darfst du nicht tun. Ich will nicht hier bleiben. Sie werden mich wieder vernichten wollen.“ Beschwörend hob Zor die Hände zu Rase auf. Wieder einmal erkannte Rase die Grenzen der Maschine. 53
Wie sollte er Zor begreiflich machen, daß er Chief 1 nur belog, um die Erlaubnis zur Operation zu bekommen. Er konnte es nicht, denn noch ehe Zor begriff, hätte Chief 1 begriffen, und alles wäre verloren gewesen. „Schau mich an, Zor.“ Am ganzen Leibe bebend erhob der Roboter seine bernsteinfarbenen Augenzellen und richtete sie auf Rase. „Du hast doch Vertrauen zu mir. Ich werde alles so einrichten, wie es für dich, deinen großen Chief und deine Kameraden am besten ist. Aber du mußt mir glauben, Zor.“ „Was soll denn das heißen?“ unterbrach Chief 1 ihn wütend, und erschrocken stellte Rase fest, daß er den großen Chief in seiner Eitelkeit gekränkt hatte. „Ist dieser Wertlose dein Werk oder meines? Ich werde dich jetzt prüfen, Rase. Wenn du wirklich gekommen bist, um mir zu helfen, dann wirst du nicht wollen, daß Versager aus unseren Reihen am Leben bleiben. Hier hast du einen Strahlenwerfer.“ Er holte einen winzigen Gegenstand aus seinem Schreibtisch hervor, den Rase zunächst nicht zu bestimmen wußte. „Vernichte diesen Unwürdigen, der nicht einmal bereit ist, für mich zu sterben!“ Damit drückte Chief 1 Rase die Waffe in die Hand. „Wenn du nicht abdrückst, Rase, weiß ich, daß deine Worte Lügen waren.“ Gespannt beobachtete er Rase, der nach außen hin vorgab, die Waffe zu untersuchen, während er angestrengt nachdachte. Zor ist nur eine Maschine, dachte Rase. Genau wie Nr. 1. Wenn ich Zor töte, wird der Gefährliche mir Glauben schenken und sich von mir operieren lassen. Damit kann ich mein ganzes Volk retten. Warum soll ich aber die bessere Maschine töten, nur weil die schlechtere einen Augenblick Macht über mich gewonnen hat? Zor hat bewiesen, daß er treu ist. Chief 1 nennt ihn einen 54
Versager, weil er ihm nicht gehorcht. In Wirklichkeit ist Zor ein Modell, das aus der Reue des großen Chiefs entstanden ist. Zor, der einzige Überlebende dieses neuen Zweiges, wird eines Tages die Leitung der Arbeiten auf Tarnudo übernehmen. Ich selbst werde ihn zum ersten Diener unseres Königs auf diesem Planeten ernennen, denn er hat uns aus großer Gefahr errettet. Während Rase diese Überlegungen anstellte, hatten seine Hände die Waffe untersucht. Dann zielte er auf Chief 1. „Du siehst, großer Chief, du bist nichts, als die kleine Nr. 1. Mein erster Versuch, einen künstlichen Lumenier herzustellen. Ein schmählicher Versager, wie ich jetzt feststellen muß. Wärest du so klug, wie du selber glaubst, so hättest du mir nicht diese Waffe gegeben. Nicht Zor, den treuen, gerechten Kameraden, wird die Vernichtung treffen, sondern dich, der du versuchst, unsere Sonne zu rauben.“ Ruhig blickte Chief 1 die Waffe an, die Rase auf ihn gerichtet hielt. Dann sagte er leise und schneidend: „Das wirst du mir büßen, Verräter. Du wirst einen schrecklichen Tod sterben.“ Vergeblich drückte Rase ab. Nichts geschah. Die Waffe war nicht geladen. Eine solche List hatte er Chief 1 nie zugetraut. Lächelnd gab er die Waffe zurück. „Ich bewundere deinen Scharfsinn. Du hast mich tatsächlich überlistet.“ „Deine Bewunderung kommt zu spät.“ Chief 1 schlug Rase die Waffe aus der Hand. „Jetzt werde ich dir zeigen, was ein Versager fertig bringt.“ Gleichzeitig bediente er mehrere Schalthebel, die an einer großen Wand angebracht waren. Sofort leuchteten farbige Lämpchen auf; durch das ganze Gebäude liefen die Alarmsig55
nale und riefen alle, die abkömmlich waren, auf den Dachgarten, der zu Massenversammlungen benutzt wurde. Nur die Besatzung der neuen Station war von diesem Generalalarm ausgeschlossen. Zwei Wachen betraten das Zimmer und fesselten Rase und Zor aneinander. Dann hoben sie die beiden empor und schleppten sie in den Fahrstuhl, der laufend, vollbesetzt, zum Dachgarten hinauffuhr. Oben angekommen, trugen sie die Gefesselten durch die dichten Reihen der Roboter, die der Alarm herbeigerufen hatte, und banden sie am Ende des Dachgartens mit Armen und Beinen am Geländer fest. Als die Versammlung vollständig war, machten die Chiefs durch das Mikrophon Meldung an Chief 1. Als er ihre zuverlässigen Stimmen hörte, ging er noch einmal zum Nahrungsschlauch, um sich für die Auseinandersetzung zu stärken. Dann machte er sich auf den Weg nach oben. Kurze Zeit darauf kam sein kleiner Einmannfahrstuhl auf dem Dach an. Ehrerbietig versammelten sich die Chiefs um ihn und geleiteten ihn zum Ende des Daches, wo die Gefangenen gefesselt hingen. „Ich habe Gerüchte gehört“, begann Chief 1 mit weithin dröhnender Stimme. „Einige von euch glauben an einen anderen Erbauer. Stimmt das?“ Ein aufmerksamer Beobachter hatte feststellen können, daß die stählernen Körper bei dieser Frage zu beben begannen. Chief 2 fragte laut: „Willst du die Antwort von uns allen hören, großer Chief?“ „Nein, ich will sie nicht hören, ich weiß sie auch so.“ Einige der Roboter begannen unruhig zu werden. In den Mikros summte und zischte es vor unterdrückter Erregung. „Ich will euch nicht prüfen. Ich will euch sagen, daß diese Verwegenen, die glauben, nicht ich sei der Erbauer, recht haben.“ 56
Erstaunen ergriff die Versammlung und betroffen standen die Roboter da. „Hier hängt er gefesselt, der mich erschuf.“ Ausrufe des Beifalls wollten laut werden. Chief 1 aber erstickte sie im Keim. „Einst hat er mich erbaut. Dann hat er mich auf diesen trostlosen Planeten gebracht, dem Verderben preisgegeben. Heute aber ist er gekommen, um mich zu vernichten. Er ist neidisch und gönnt mir meine Erfolge nicht. Zur Probe gab ich ihm einen Strahlenwerfer, der ungeladen war. Er wußte nicht, daß die Waffe nicht geladen war, und richtete sie auf mich. Jener Feigling dort, der ihm helfen wollte, kann es bezeugen.“ Chief 1 deutete auf Zor. Wieder ging ein Murmeln durch die Reihen. Sie erkannten Zor als einen der Besatzung der alten Station. „Sprich die Wahrheit, Zor“, herrschte Chief 1 ihn an. „Sage deinen Kameraden, daß er mich töten wollte.“ Zor, dem die Knie bebten, nahm alle Kräfte zusammen. „Er wollte dich töten, um uns alle zu retten. Er nannte dich einen Versager, und er hat recht. Mich hast du töten wollen. Ein gütiger Zufall hat mich gerettet. Die anderen Kameraden der alten Station aber hast du alle vernichtet. Du wirst jeden vernichten, der dir nur einmal den Gehorsam verweigert.“ „Hört ihr ihn?“ brüllte Chief 1 über die Köpfe der Roboter hinweg. „Was er sagt, ist die reine Wahrheit. Ich werde jeden vernichten, der mir nur einmal den Gehorsam verweigert.“ Dann geschah das Furchtbare. Die Abteilung „Generationsretorte“ stürzte geschlossen gegen Chief 1 vor. Mit dem Ruf: „Nieder mit dem Tyrannen!“ warfen sie sich gegen die Leiber der Älteren, die sich schützend vor Chief 1 aufbauten.
57
7. Kapitel Auf der Erde senkte sich die Dunkelheit langsam über das weitausgedehnte Sperrgebiet der Teste. Wie jeden Abend starteten die Lumenier ihr Raumschiff, um der Nacht auszuweichen. Jede Nacht, seit sie auf der Erde waren, flogen sie einmal um den Erdball herum. Mit der ersten Morgenröte kamen sie dann wieder auf dem Landeplatz der Teste an. Im Raumschiff lagen Sage und Pere auf ihren Betten. Schlaf kannten diese Lichtwesen nicht. Ihre Gedanken eilten durch das All zu ihren Brüdern und Schwestern auf Jorlas. Eine Unterhaltung auf diese Entfernung war ihnen nicht möglich. So begnügten sie sich damit, in Gedanken durch die duftenden Blütenhaine ihres Heimatplaneten zu wandern, im Schatten der Moosschwämme zu ruhen, und die schwarz und gelb gepunkteten Früchte von den Bäumen zu pflücken. Glaubst du, daß wir jemals zurückkehren werden? dachte Sage, und Pere verstand ihn. Gestern noch hast du mich getröstet, dachte er zurück. In den Stunden der Untätigkeit hier auf Erden werden wir traurig. Aber es ist nur die Entfernung, die uns so verzweifelt macht. Unsere Menschenfreunde werden in kurzer Zeit mit dem Bau des Raumschiffes fertig sein. Die Energieanlage liegt bereit, und die einzelnen Teile sind schon zur Verladung fertig gepackt. Lange vor der vereinbarten Zeit kehren wir zurück. König Asu wird uns empfangen. Es werden Feste der Freude für uns gefeiert werden, denn wir retten unser Volk, Sage. Dankbar nahm dieser die trostreichen Gedanken des Kameraden in sich auf. Stumm lag er da und versuchte, des schmerzenden Brennens in seiner Brust Herr zu werden. Sage war einer der jüngsten der Lumenier, die man auf die 58
große Reise geschickt hatte. Ungern hatte Rase, sein Vater, ihn den unbekannten Gefahren des Weltalls überlassen. Aber König Asu hatte es so gewollt. Sage seufzte tief, als er an den Vater dachte. Als kleiner Junge hatte er sich oft von der aufregenden Expedition erzählen lassen, an der sein Vater teilgenommen hatte, als Sage noch nicht geboren war. Märchenhaft waren ihm damals die Schilderungen von fremden Planeten vorgekommen. Damals hatte er nichts brennender gewünscht, als selbst einmal dabeizusein, wenn ein Raumschiff in die unbekannte Dunkelheit des Alls startete. Und dann kam die schlimmste Zeit in der Geschichte des Jorlas. Die Dunkelperioden. König Asu beschloß, eine Mannschaft auszusenden, die Hilfe aus dem All bringen sollte. Pere, der Sages Gedanken gefolgt war, unterbrach ihn. Warum denkst du an die dunkle Vergangenheit? Freu’ dich, Sage. Bald werden wir die heimatlichen Düfte unserer Blütenwälder atmen. Wenn du zurückkommst, wird dir König Asu eine Frau schenken, denn du hast bewiesen, daß du verdienst, eine Familie zu haben. Zusammen mit deinem Vater wirst du arbeiten, und wenn ihr genug getan habt, kehrst du zurück zu der Wärme deines Hauses und zu den köstlichen Genüssen, die deine junge Frau für dich bereit hat. Frau, dachte Sage, und endlich wußte er, was ihn so schmerzte. Zum ersten Male in seinem Leben hatte er Sehnsucht. Dieses heiße Brennen in der Brust galt ihr. Liebe, kleine Pande, dachte er, wie konnte ich dich verlassen in dieser schlimmen Zeit? Als er fortgegangen war, hatte sie gedacht: Komm wieder, Sage, du mußt wiederkommen. Du bist mir der Liebste von allen. Jetzt erst begriff er, was sie damit gemeint hatte. – Ob sie wohl auch diesen Schmerz in der Brust fühlte? – Liebe war es. 59
Ich komme zu dir zurück, Pande, dachte er, und wenn ich wieder daheim bin, schließe ich dich fest in die Arme. Dann lasse ich dich nie wieder gehen. Seine starken Gedanken drangen durch das All. Aber die Entfernung schwächte sie immer mehr ab, und lange bevor sie Jorlas erreichen konnten, verstummte ihr Ruf. Pande spürte nicht den leisesten Hauch. * Bis zuletzt hatten die Lumenierinnen noch Geschirr gespült und die Vorbereitungen für das morgige Essen getroffen. Pande, der warmen Küchendämpfe ungewohnt, schlief in einer Ecke der Küche ein, als die anderen sich zum Gehen anschickten. Nur ein bißchen, dachte sie, bevor ihr die Augen zufielen. Für die Lumenier war Schlaf ein sicheres Anzeichen einer körperlichen Störung. Ein schlafendes Lichtwesen war krank und mußte sofort geheilt werden, wenn es nicht sterben sollte. Pande fühlte sich von starken Händen aus ihren Träumen gerissen. „Wir müssen zum Schacht, Kleine. Komm, wach auf.“ Vor ihr stand Noge, die dicke Köchin, und rüttelte sie. „Die Dämmerung sinkt hernieder, komm mein Kind.“ Hand in Hand gingen die beiden zum Schacht. Einmal war es Pande, als riefe sie der ferne Geliebte, aber die Köchin, die für einen Augenblick in Pandes Gedanken eingedrungen war, lachte sie aus. „Er ist weit fort, Kindchen. Du kannst ihn nicht hören.“ Pande begann zu weinen. „Er ist der einzige, der mir geblieben ist. Wenn er nicht zurückkehrt, werde ich nie eine Familie haben.“ Noge schloß sie in ihre starken Arme und trug das kleine, zit60
ternde Geschöpf das letzte Stück des Weges, während sie ihr starke, trostreiche Gedanken einflößte. Wenn er nicht zurückkehrt, dann sind wir alle verloren, Kleines. Niemand wird mehr eine Familie haben. – Aber er wird kommen. Das Volk der Lumenier wird noch lange leben! So steht es in den alten Steinzeichen geschrieben. Eines Tages wird die große Lorca zu wandern beginnen. Aber Helfer aus dem Weltall werden kommen, und mit innen wird die Sonne zurückkehren. Verliere den Glauben nicht, Kindchen. Die alten Zeichen haben schon immer die Wahrheit gesagt. Noge erreichte als eine der letzten die sinkenden Plattformen. Als sie unten ankam, nahm man ihr die leichte Last aus den Armen. Sofort begannen alle, der verzweifelten, kleinen Pande starke Gedanken einzuflößen, und dadurch wurde sie vor dem sicheren Tod gerettet. * König Asu stand zum Empfang bereit, als Rase mit seiner Mannschaft auf Jorlas landete. Nicht einer der lumenischen Soldaten merkte es dem König an, wie erschrocken er über den Anblick seiner Leute war. Drei Tote trugen sie aus dem Raumschiff. Die anderen waren schwer verletzt. Rase wurde von Zor vor den König getragen. Zor war der einzige, der sich ohne fremde Hilfe bewegen konnte. Rases Bericht war kurz. Dann fuhren sie alle hinunter, um die Lage zu besprechen. Sie standen vor der Wahl, ihre Sonne für immer zu verlieren, oder den Kampf gegen die Roboter auf Tarnudo zu wagen. König Asu entschied für den Krieg. Bei der nächsten Dunkelperiode gingen Herolde des Königs 61
durch die unterirdischen Lichthallen und riefen die Lumenier zum Kampf. In Scharen strömten die Männer zur Sammelstelle. Abseits von dem allgemeinen Energiespeicher wurden die Freiwilligen untergebracht. In den Tagen, die nun folgten, wurden sie einem harten Drill unterzogen. Silberne Rüstungen wurden ihnen angelegt. Dann wurden sie belehrt, wie sie sich zu bewegen hatten. Schichtweise wurden die lumenischen Krieger unterrichtet. Die gelbstrahlenden Hallen des Energiespeichers erdröhnten im Lärm der Rüstungen. Während der Helligkeitsperiode wurde an der Oberfläche exerziert. Manch einen der Tapferen verletzte ein verirrter Strahlungsstoß aus der Waffe des Kameraden und brachte ihm den Tod. Aber die Männer übten verbissen weiter, bis sie die neuartigen Rüstungen beherrschten, wie ihre eigenen Arme und Beine. Dann kam der Tag des Abschieds. Weinende Frauen und Kinder, die nicht begriffen, warum der Vater sie verlassen mußte, drängten sich um die startbereiten Raumschiffe. Fremd sahen sie aus in ihren Metallkleidern, die Söhne des Lichts, die sonst nur in leichten Gewändern einhergingen. Hart gemacht vom Stahl, der sie umgab, hielten sie den Tränen der Frauen stand. Dann gab König Asu das Zeichen zum Start. „Die Parole für den Krieg lautet: Unser ist die große LorcaSonne. Wer sie uns rauben will, muß untergehen.“ Der König schloß seinen Sohn ein letztes Mal in die Arme. „Sei tapfer und führe die Männer zum Sieg!“ Dann bestieg Prinz Arnu als erster das Leitschiff. Die anderen folgten ihm. Während die Männer in den Bäuchen der Raumschiffe verschwanden, begannen einige der Frauen das Festlied der Lorca-Sonne zu singen. Leise zuerst 62
und zögernd. Aber immer lauter und zuversichtlicher wurden ihre Stimmen. Als die Luftschleusen der Schiffe sich schlossen, klang es aus tausend Kehlen den Schiffen nach, die sich langsam im Blau des Himmels verloren. 8. Kapitel Mit der Zeit gewöhnten sich die Menschen an die Fahrt durch den Raum. Nur noch selten bekam einer den Raumkoller. Immerhin waren sie jetzt schon drei Wochen unterwegs. Zwei Monate waren angesetzt worden. „Na also, Jungens, bald haben wir die Hälfte hinter uns. Dann geht es rasend schnell, das werdet ihr sehen. Inzwischen rate ich euch, von unseren Freunden die Denksprache der Lumenier zu lernen, wenn ihr Interesse habt, euch dort auf Jorlas ein nettes Mädchen zu kapern. Nicht wahr, Mr. Sage, unsere plumpe Ausdrucksweise werden sie dort wohl kaum verstehen.“ Reeves, der mitgefahren war, um die Montage auf Jorlas zu überwachen, blickte den Lumenier augenzwinkernd an. Sage lächelte. Höflich entgegnete er: „Es wird meinen Schwestern auf Jorlas leichter fallen, eure Sprache zu lernen, als ihr glaubt. Auch bei den Lumeniern macht die Liebe nicht viel Worte. Sie geht stumm von Herz zu Herz.“ Die Besatzung grölte vor Lachen. „Schön haben Sie das gesagt, Sage. Also los, Jungens, an die Arbeit. Und von Heimweh will ich nichts mehr hören.“ Gerade wollte die Mannschaft den Versammlungsraum verlassen, als eine Meldung aus dem Lautsprecher alle verstummen ließ. „Das Schiff der Lumenier ist verschwunden. Wir haben kei63
nen Kontakt mehr. Die beiden Lumenier, die sich bei uns an Bord befinden, werden zum Captain gebeten.“ Bleich und verstört erhoben sich Sage und Pere. Gefolgt von Reeves, dem das Lachen in der Kehle stecken geblieben war, eilten sie durch die Gänge zum Kommandanten. Captain John W. Kooken empfing sie ernst. „Meine Herren, ich muß Sie um Ihre Hilfe bitten. Wir haben die Verbindung zu Ihren Leuten verloren. Versuchen Sie bitte, sie auf telepathischem Wege zu erreichen.“ Dei beiden Lumenier nickten und versenkten sich sofort in ihre Aufgabe. Pere stellte gleich darauf die Verbindung her. „Ich habe sie gefunden“, sagte er wenig später. „Ein fremdes Raumschiff ist in ihrer Nähe. Sie wagen sich nicht weiter vor, aus Angst, das fremde Schiff auf unsere Fährte zu bringen.“ Absichtlich hatte man die Lumenier in ihrer eigenen Maschine die Fahrt antreten lassen, um die „Jorlas“, die nach ihrem Ziel benannt worden war, nicht noch mehr zu belasten. Eine ausgezeichnete Sendeanlage sorgte für laufenden Kontakt zwischen den beiden Schiffen. Sage und Pere jedoch machten die Reise in der „Jorlas“ mit, um für alle Fälle auch den telepathischen Kontakt zu garantieren. Captain Kooken war außer sich. „Sagen Sie Ihren Landsleuten, daß ich zu entscheiden habe, wann sie ihren Sender abschalten. Ich befehle dem lumenischen Schiff, sofort die Sendeanlage wieder in Betrieb zu nehmen. Wenn das fremde Schiff ein feindliches ist, werden wir gemeinsam dagegen kämpfen. Hier werden keine Opfer gebracht, verdammt noch mal!“ Pere versenkte sich wieder in angespanntes Denken, aus dem er wenige Minuten später bestürzt emporfuhr. „Sie gehorchen nicht. Ihre Begründung ist folgende: Die ‚Jorlas’ transportiere die einzige Rettung für uns Lumenier. Meine Kameraden wollen die Fremden ablenken und, wenn 64
nötig, bis zum Tode bekämpfen, um die ‚Jorlas’ mit der wertvollen Energieanlage zu retten.“ „Diese Wahnsinnigen“, brummte der Captain vor sich hin. „Am Ende ist es eine Verkehrsmaschine der Erde, die sich verirrt hat und für einen Positionshinweis dankbar wäre. Grober Unfug, dieses Opfer. Sag deinen Freunden, wenn sie nicht sofort ihre genaue Position angeben und den Sender wieder einschalten, kehre ich um. Ich lasse mich nicht an der Nase herumführen. Auch nicht von Lumeniern.“ Kurz darauf begann der Sender wieder zu summen. „Hallo, Captain Kooken, hier Raumschiff der Lumenier. Wir wollen Ihren Flug sichern. Wir sind unwichtig. Unsere Aufgabe ist erfüllt, wenn die Hilfe von der Erde unseren Heimatplaneten erreicht.“ „Hört endlich mit dem sentimentalen Gewäsch auf. Unser Verband besteht aus zwei Schiffen. Meine Aufgabe ist es, diese zwei Schiffe in das Lorca-System zu bringen. Wer mich an der Ausführung dieser Aufgabe hindert, vergeht sich gegen die Raumfahrtgesetze. Merkt euch das! Und nun erzählt mal, was für ein Schiff euch da bedroht.“ „Es sieht aus wie eine riesige Kugel. Das Ding scheint mit irgendwelchen Magnetenergien zu arbeiten, denn als wir in eine bestimmte Nähe kamen, saugte es uns an, und seitdem hängen wir daran fest. Dasselbe wird Ihrem Schiff passieren, wenn Sie unser freiwilliges Opfer nicht annehmen, Captain.“ „Nicht so viele gute Ratschläge geben! Positionsstand mitteilen!“ Ein kurzes Zögern von drüben folgte. Dann gab eine Stimme kleinlaut den genauen Stand des lumenischen Schiffes an. Sobald die Position bekannt war, gab Captain Kooken Befehl, diesen Kurs einzunehmen. Die „Jorlas“ machte eine Drehung von gut 165 Grad und steuerte das fremde Raumschiff an. 65
66
Bald erschien auf dem Suchschirm ein grüner Punkt, der die Nähe eines metallischen Gegenstandes andeutete. Kurz darauf gab der Captain den Befehl, den Antrieb zu drosseln. Sämtliche Maschinen verstummten, und die „Jorlas“ schwebte wie eine Feder im Raum. Und doch kam der metallische Gegenstand mit großer Geschwindigkeit näher. Wenn man nicht auf die Positionskarten schaute, hätte man meinen können, daß das fremde Schiff sich nähere. So aber war klar zu sehen, daß die „Jorlas“ von dem fremden Schiff angezogen wurde. Auch als Captain Kooken Befehl gab, durch Gegenantrieb die Anziehung abzufangen, hielt diese weiter an. „Wollte nur mal die Stärke dieses komischen Gebildes ausprobieren“, murmelte John W. Kooken. „Na und?“ fragte Reeves, der dem Manöver gespannt gefolgt war. „Hm – stimmt schon. Verdammt leistungsfähiger Brocken. Dem sind wir kaum gewachsen.“ „Aber, Captain, wie konnten sie nur –“ „Junger Mann, ich will Ihnen mal was sagen. Entweder Mund halten, oder raus hier. Dies ist ja schließlich mein Arbeitsraum, und nicht ein Meinungsforschungsinstitut des Statistischen Amtes. Wenn ich wissen will, was Sie von meinen Befehlen halten, dann werde ich Sie laut und deutlich fragen. Verstanden?“ Reeves zuckte die Achseln und nahm auf der gepolsterten Bank neben Sage und Pere Platz, die bereits wieder den abwesenden Gesichtsausdruck angenommen hatten, der darauf schließen ließ, daß sie sich munter mit ihren Kameraden im anderen Schiff unterhielten. „Leutnant Colmes, bitte“, bellte Kooken in das Kommandomikrophon, und gleich darauf trat der blonde, ewig grinsende Colmes ein. 67
„Sie lassen sich eine Visor-Kamera in Ihren Helm einschrauben, ziehen sich ein paar ordentliche Haftstiefel und einen guten Raumanzug an, und dann will ich mal sehen, was da in der Kugel gespielt wird“, sagte der Captain ganz gemütlich, so, als schlüge er dem Leutnant einen Spaziergang im Sonnenschein vor. Leutnant Colmes jedoch wußte, was dieser Ton des Alten zu bedeuten hatte. Stolz packte ihn, daß er die Aufgabe bekommen hatte. Aber schon im nächsten Augenblick kamen ihm wieder Zweifel. War es vielleicht, weil der Alte die Besten bis zum Schluß aufheben wollte? Als hätte der Captain seine Gedanken erraten, sagte er: „Und damit Sie es wissen, warum gerade Sie den ehrenvollen Auftrag bekommen, will ich Ihnen sagen, daß ich festgestellt habe, Sie sind der verdammt neugierigste Schnüffler der ganzen Mannschaft. Und diese Aufgabe ist eine ausgesprochene Schnüffleraufgabe. So, und jetzt raus, Leutnant.“ Mit freudiger Erregung verließ Colmes den Kommandoraum. Ein verdammt anständiger Kerl, der Alte, dachte er, als er in den Anzug schlüpfte. Mit der Visor-Kamera oben auf dem Helm verließ er kurz darauf mit seinen riesigen Haftstiefeln die „Jorlas“. Die Visor-Kamera übertrug alles, was sie sah, auf einen Bildschirm im Kommandoraum, so daß es aussah, als ginge man von hier aus selbst in den Raum. Ungerührt und mit keiner Muskel seine Spannung verratend, beobachtete der Captain den Bildschirm. Als Colmes die Luftschleuse der „Jorlas“ verließ, wurde er sofort von dem starken Magnetfeld des fremden Schiffes angezogen. Wie ein Taucher mit Raketenantrieb durchmaß der Leutnant den Zwischenraum, der die beiden Schiffe trennte und klebte wenig später bäuchlings auf der Oberfläche des fremden Schiffes. 68
Als er sich von dem Anprall erholt hatte, krabbelte er auf allen Vieren an den gekrümmten Wänden entlang, um einen Einlaß zu finden. Plötzlich blieb sein Daumen in einer runden Öffnung hängen. Nach einigem Probieren fand er einen Zapfen, den er nach innen drückte. Daraufhin schwang ein Teil der gekrümmten Wand zurück, und Leutnant Colmes zog sich an den Händen in einen schmalen Schacht. Dort war es so dunkel, daß selbst die hochempfindliche VisorKamera nichts mehr aufnahm. Besorgt sprach der Captain ins Mikrophon: „Wie geht’s Colmes? – Verdammt dunkel da drinnen, was?“ Dem Leutnant gab die Stimme des Alten wieder neuen Mut. Zuversichtlich gab er zurück: „Nichts zu sehen. Aber einmal muß dieser Schacht ja irgendwo hinführen. – Ah, ich stoße mit dem Kopf an.“ Leutnant Colmes fuhr mit der Hand über die Decke des Schachtes, die sich warm anfühlte und leicht vibrierte. Wieder blieb sein Daumen in einer Öffnung hängen, und sofort schwang die Deckplatte lautlos in den dahinterliegenden Raum zurück. Im gleichen Augenblick wurde der Bildschirm im Kommandoraum der „Jorlas“ wieder hell, und als Colmes weiter in den Raum vordrang, bot sich allen Beschauern ein grausiges Bild. Selbst der Captain, der sonst nie eine Gefühlsregung zeigte, bis die Zähne aufeinander, daß seine Backenknochen hart hervortraten. In der Mitte des runden Raumes lagen sie. Ihre Füße waren zusammengeschweißt, ebenso ihre Hände. Wie eine lebendige geometrische Figur mutete es an; ein Kreis, dessen Mittelpunkt die verstümmelten Füße und dessen Kreisbogen die weit ausgebreiteten Arme der zehn Gestalten bildeten. Keiner der Zehn zeigte eine Regung, als Colmes eintrat. Wie 69
vorher lagen sie da, stumm zur Decke blickend, in ihr schreckliches Schicksal ergeben, wie es den Anschein hatte. Völlig verwirrt sprach der junge Leutnant in sein Mikrophon: „Was sollen wir mit ihnen machen, Captain?“ Kooken hatte bereits einen Raumanzug für sich bringen lassen. „Ich komme hinüber. Wir wollen erst mal sehen, mit wem wir es zu tun haben. Wenn sie diesen Zustand nicht freiwillig einnahmen, was kaum anzunehmen ist, dann müssen wir sie befreien; das ist Menschenpflicht.“ Wenig später betrat der Captain das fremde Raumschiff. Ihm folgten zwei der Monteure mit Sauerstoffbrennern. Kooken trat in die Mitte des Kreises und versuchte, die Aufmerksamkeit der zehn Stummen auf sich zu lenken. Zunächst sprach er zu ihnen, aber ihre Augen blieben leer und ausdruckslos. Dann versuchte der Captain, ihnen durch Zeichensprache klar zu machen, daß man sie befreien wolle. Aber die Zehn verstanden ihn nicht. Da summte es plötzlich in dem Kopfhörer des Captains. Der Leutnant, dem Kooken das Kommando während seiner Abwesenheit übertragen hatte, meldete sich. „Captain Kooken, Sage hat die zehn auf telepathischem Wege erreicht. Er unterhält sich bereits mit ihnen. Sie kommen von einem Satelliten der Lorca-Sonne. Sage erfährt Ungeheuerliches von ihnen. Sie wissen, warum die Lorca-Sonne abwandert. Wir müssen sie unbedingt befreien.“ Kurze Zeit später fraßen sich die Sauerstoffbrenner durch die unförmigen Metallklumpen, die vorher die Füße der zehn jungen Roboter gewesen waren. * Als die Lumenier auf Tarnudo landeten, hatte Chief 1 alles für den Kampf vorbereitet. Schon in der Luft wurden die Schiffe 70
der Lumenier mit starken Strahlenbündeln beschossen, die jedes normale lumenische Schiff sofort heruntergeholt hätten. Aber der neuen Strahlungssperre, die Rase in nächtelanger Arbeit entwickelt hatte, konnten sie nichts anhaben. Dankbar dachten Prinz Arnu und die übrigen Lumenier an den Wissenschaftler, und keiner machte ihm den Vorwurf, daß er eigentlich die Ursache des Krieges war. „Solange sie euch für Roboter halten, seid ihr außer Gefahr, denn sie werden euch mit Strahlenbündeln beschießen, und dagegen schützt euch die neue Sperre“, hatte Rase gesagt, ehe sie den Übungssaal mit dem Raumschiff vertauscht hatten. „Aber hütet euch davor, zu zeigen, daß ihr Organismen seid. Das wäre unser aller Ende.“ Die Schiffe waren gelandet. Fünfhundert Meter entfernt lagen die Gebäude der neuen Station. Die Mannschaften der Lumenier verließen ihre Schiffe. Silbern blitzten die Rüstungen in den Strahlen der Lorca-Sonne, um die sie kämpfen mußten. Auf der Brust trug jeder der Lumenier einen rotglühenden Gegenstand, der nach allen Seiten zuckende Blitze auswarf. Die Rüstung des Prinzen erstrahlte in reinem Blau und machte ihn weithin kenntlich. Chief 1 war in den Zentralraum der Station übergesiedelt. Von hier aus konnte er seine Untertanen lenken, als seien sie Marionetten. „Wie gut, daß wir die gesamte Abteilung Generationsretorte in den Weltraum verbannt haben. Sie könnten uns heute viel schaden“, sagte er zu Chief 4, der abwartend an der Schalttafel stand. Auf dem Bildschirm erschienen die ersten lumenischen Krieger, die in geschlossener Reihe gegen die Station vorgingen. Allen voran schritt ruhig und sicher Prinz Arnu, strahlend wie ein Mond unter Sternen. 71
Das lange Training hatte sie alle sicher gemacht. Nicht einer von ihnen zögerte oder machte auch nur einen unregelmäßigen Schritt. Als seien sie wirkliche Roboter, stampften sie heran und ließen den Traton-Kern des großen Chiefs erzittern, als er sie kommen sah. „Der Blaue muß Nr. 2 sein, von dem Rase mir erzählt hat. Er hat ihn besser gebaut als mich. Wenn wir gesiegt haben, Chief 4, werde ich mich von dir umformen lassen.“ Neidisch beobachtete Chief 1 die gemessenen Bewegungen des Prinzen, der mit seinen Kriegern nun schon am äußeren Zaun angekommen war. „Aber einen Fehler hat Rase gemacht. Sie nur, wie ihre TratonKerne ungeschützt auf der Brust glänzen. Wir werden sie abschießen, einen nach dem anderen, noch ehe sie über den ersten Zaun sind“, frohlockte Chief 1 und gab Befehl zum Beschuß. Rase hatte es so gewollt. Er hatte die Gedankengänge des Gehirns, das er selbst konstruiert hatte, berechnet. Die feurig zuckenden Rubinerze, die Chief 1 für Traton-Kerne hielt, waren nichts anderes als Strahlensperren. Auf den Befehl des großen Chiefs wurde das Feuer eröffnet. Chief 4 bediente die Hebel, die in Sekundenschnelle die Roboter aus ihren Verstecken hinter dem zweiten Zaun hervortrieben. Auf jeden Lumenier kam ein Roboter, Im Handumdrehen waren die Strahlenwerfer der Roboter eingestellt, und gemeinsam blitzten sie in weißleuchtender Glut auf. Jähes Entsetzen packte Chief 1, als er auf dem Bildschirm die Reaktion der ersten Salve beobachtete. Völlig unverletzt und ohne die geringste Schwankung standen die Lumenier da. Seine eigenen Reihen jedoch lagen vernichtet am Boden. Nicht einer der Roboter war mehr verwendungsfähig. Wütend sprang Chief 1 auf. „Sie sind unserem Feuer zuvorgekommen. Wir müssen sie aus dem Hinterhalt vernichten.“ 72
Wieder bellte er seine Befehle in das Mikrophon, während Chief 4 mit rasender Geschwindigkeit Schalter um Schalter herumwarf. Diesmal fand der Beschuß aus dem Inneren der Station statt, und daher konnte Chief 1 nicht sofort die Wirkung feststellen. Einiges nur sah er. Als die Kontrollampen der Strahlenwerfer aufgeleuchtet waren und anzeigten, daß sie geschossen hatten, stand die Reihe der Lumenier noch immer unverletzt da. Kurz darauf liefen die Berichte der Bedienungsmannschaften ein. „Strahlenwerfer X 1 außer Betrieb; – Strahlenwerfer X 2 außer Betrieb; – Strahlenwerfer X 3 außer Betrieb –“ und so fort. Die große Tafel der Kontrollampen zeigte schon beträchtliche Lücken, denn für jeden ausgefallenen Strahlenwerfer erlosch dort eine Lampe. Als die Meldungen aufhörten, stellte Chief 1 fest, daß jeder Strahlenwerfer, der einen Schuß auf den Feind abgegeben hatte, zerstört war. „Befehl an Chief 2! – Wahrscheinlich erreichen diese fremden Roboter uns auf telepathischem Wege. Es ist die einzige Möglichkeit für sie, zu wissen, welche Strahlenwerfer sie beschießen werden. Außerdem scheint ihre Reaktionsbasis rascher zu funktionieren, als die unsere. Ich erwarte sofort Vorschläge, wie wir den Beschuß auf außergedanklichem Wege vornehmen können.“ Prinz Arnu, der Chief 1 tatsächlich telepathisch erreichen konnte, lachte, innerlich über diesen Befehl. Wie konnte es nur möglich sein, daß Chief 1 nicht an Reflektionsstrahlen dachte? Die funkelnden Strahlensperren waren weiter nichts als ein starker Reflektor, der die ankommenden Strahlenbündel sofort auf ihren Ausgangspunkt zurückwarf. Daher wurde jeder Roboter und jede Maschine unmittelbar nach dem Aussenden der Strahlen durch ihren eigenen Schuß vernichtet. 73
Die Planungsabteilung hatte natürlich keinen Vorschlag für eine Befehlsgewalt, die das Gehirn des Chief 1 ersetzt hätte. Rasend vor ohnmächtiger Wut ließ der Chief Energien in sich einströmen, die ihm bessere Gedanken bringen sollten. Seit die Lumenier gelandet waren, wurde mit den Energien nicht mehr gespart. Als er den Nahrungsschlauch absetzte und die Stromstöße bis in sein Gehirn vordringen fühlte, kam ihm ein grausamer Gedanke. Prinz Arnu, der seine Pläne verfolgte, begriff bestürzt, was ihm und seinen Kriegern bevorstand. Rase hatte ihm zwar gesagt, wie er auch diesem teuflischen Plan begegnen konnte, aber selbst Rase hatte nicht für möglich gehalten, daß Chief 1 wirklich ein derartiges Massenmorden planen würde. Als der Prinz Gewißheit hatte, daß Chief 1 an die Ausführung des schrecklichen Vorhabens ging, verließ er die Gedanken des Feindes und wandte sich seinen Leuten zu. Da die Lumenier seit ihrer Landung sich nur noch telepathisch verständigten, wußten sie kurz darauf, was ihnen bevorstand und was ihre Aufgabe war, um dem Vernichtungsplan zu begegnen. Chief 1 beobachtete erstaunt, wie die Reihen der Lumenier zusammendrängten, bis sie einen ungeordneten Haufen bildeten, wie es den Anschein hatte. Als sie sich endlich formiert hatten, jubelte der Chief zum zweiten Male in diesem Kampf laut auf. „Leichter können sie es uns gar nicht machen. Sie bilden einen Haufen, der nur aus Traton-Kernen besteht. Alle anderen Teile verbergen sie schützend im Inneren. Sie werden alle auf einmal zugrunde gehen!“ Während die Roboter auf dem Dach der Station in fieberhafter Eile arbeiteten, um den großen Spiegel auf dem Dach in den richtigen Winkel zu bringen, erwarteten die Lumenier ruhig und gefaßt den Energieanprall, der nun folgen mußte. 74
Und dann geschah das Unglaubliche. Der große Spiegel war auf die Lumenier gerichtet. Die Energiesauger waren abgeschaltet, so daß alle von der Lorca gewonnene Energie auf das Häuflein der Lumenier prasselte. Das Vernichtungswerk vollzog sich jedoch nicht so, wie Chief 1 es gehofft hatte. Zwar lief ein leichtes Beben durch die Körper der Lumenier. Aber sie hielten sich eng zusammen und entblößten nicht das kleinste Teilchen ihrer silbernen Rüstungen. Nur auf die Strahlungssperren traf die Energiestrahlung und wurde von ihnen sofort auf den großen Spiegel zurückgeworfen, der mit einem ohrenbetäubenden Krachen auseinanderflog. Die Splitterfetzen des Spiegels zerstörten das ganze Dach der Station und rissen große Lücken in die Reihen der Roboter. Obgleich keiner der Lumenier verletzt worden war, brachte die Zerstörung des Spiegels die große Wende im Kampf um die Lorca-Sonne. Bisher war das Gefecht abgelaufen wie ein Uhrwerk. Alles war geschehen, wie Rase es vorausgesagt hatte. Jedoch was nun in dem Zentralraum geschah, hatte Rase nicht voraussehen können. Und selbst wenn er zu dieser Kombination fähig gewesen wäre, so hätten seine Berechnungen hier versagen müssen. Chief 1 saß mit leerem Blick an seinem Kommandomikrophon und stierte auf den Bildschirm, der ihm die Reihen der Lumenier zeigte, die sich wieder formierten. Aber nicht auf den Feinden ruhte sein Blick. Das zerrissene Dach der Station war es, was ihn fesselte. Er starrte die Fetzen des großen Spiegels an und sog den Anblick der Vernichtung dort draußen gierig in sich ein. „Mein Lebenswerk,“ keuchte er, ohne daran zu denken, daß er in das Kommandomikrophon sprach und von allen Robotern gehört werden konnte. 75
„Mein Lebenswerk!“ In seinen gelben Augenlinsen glimmte ein gefährliches Flackern. „Vernichtet. Gebaut – dann ausgestoßen. Auf Tarnudo, den schlechtesten Satelliten verschleppt. Unglücklich – immer war ich unglücklich. Aber ich habe selbst gebaut. Das war Freude. Meine Station! Meine Energiequellen! Meine Sonne! Meine Lorca!“ Bestürzt hörten die Roboter ihrem Chief zu. Jetzt lallte er nur noch unverständlich vor sich hin. Keines der mechanischen Gehirne begriff ihn. Anders war es mit Prinz Amu, der nach der Zerstörung des Spiegels sofort wieder in die Gedanken des großen Chiefs eingedrungen war, um seinen weiteren Plänen vorzeitig begegnen zu können. Was er jedoch in dem Gehirn des Gegners entdeckte, jagte ihm einen Schauer durch den Körper. „Wir sind verloren, Lumenier“, ließ er seine Krieger wissen. „Der große Chief, Chief 1 oder Nr. 1, wie ihr ihn nennen wollt, ist nicht mehr.“ Freude wollte in den lumenischen Kriegern aufsteigen, aber mit schneidender Bestimmtheit unterdrückte der Prinz ihre Jubel. „Er, den Rase kannte, und dessen Aktionen ihr voraussaht, ist nicht mehr. An seine Stelle jedoch ist ein Gefährlicherer getreten. Ein Chief, den keiner von uns kennt, dessen Aktionen jeder Logik entbehren. Ein Unberechenbarer. Chief 1 ist wahnsinnig geworden.“ In der Station hatte der Chief sein Gestammel unterbrochen. Seine flackernden Augenlinsen waren immer noch auf den zerstörten Spiegel gerichtet. Er bellte irrsinnige Befehle in das Mikrophon. „Diese neuen Roboter sind viel besser als wir. Sie können zerstören, was wir gebaut haben. Vielleicht hat Rase ihnen auch Gefühle gegeben. Vielleicht wissen sie, was Schmerz ist, so wie ich. 76
77
Ich will ihnen Schmerzen geben, die größer sind als mein Schmerz um meine Station. Töten wäre zu milde. Quälen wollen wir sie. Werft die Netze aus und holt sie in die Station. Dort schweißen wir ihre Füße aneinander. Ich will sie grausame Dinge lehren, solange mein TratonKern es aushält. Das ist unsere neue Aufgabe.“ Verzweifelt wehrten sich die Lumenier gegen die stählernen Fangarme, die aus den Wänden der Station hervorschossen. Umsonst! Sie waren verloren. Der wahnsinnige Chief behandelte sie nicht mehr wie Roboter, sondern wie Organismen, ohne zu wissen, daß dies die einzige Möglichkeit war, die Lumenier zu besiegen. Nach kurzem Kampf lagen sie alle am Boden und wurden von den stählernen Fangarmen langsam durch die großen Tore in die Station hineingezogen. Von jetzt an standen alle Lumenier in dauernder Gedankenverbindung mit Prinz Arnu. Er befahl ihnen, so tapfer wie möglich zu sterben. 9. Kapitel Inzwischen war die „Jorlas“ mit ihren mehr als fünfzig Gefolgsmaschinen über Tarnudo angekommen. Längst wußten die Menschen und die Lumenier, die die Reise zur Erde gemacht hatten, wer die Insassen der fremden Schiffe waren. Die zehn jungen Roboter des ersten Schiffes hatten ihnen von der Gefangennahme Rases auf Tarnudo erzählt und von der Ansprache Zors. Als die jungen Roboter Rase dann endlich durch ihre Revolte gegen Chief 1 befreit und ihm zur Heimfahrt verholfen hatten, kam ihre Strafe. Chief 1 hatte beschlossen, sie in das Weltall zu verbannen. In Zehnergruppen ließ er ihre Hände und Füße zusammenschwei78
ßen, sie in Raumschiffe einschließen und in das All transportieren. Dort waren sie in immer gleichem Abstand um die LorcaSonne gekreist. Dann aber hatten sich alle jungen Roboter in Gedanken vereinigt. Wir müssen uns befreien, hatten sie beschlossen. Wenn wir alle unsere Gedankenkräfte auf eines unserer Schiffe konzentrieren, muß es möglich sein, daß diese Kraft das Schiff bewegt und in ein Sonnensystem bringt, wo man uns hilft. Das Los war dann auf das Schiff gefallen, welches Lumenier und Menschen auf ihrer Fahrt zur Lorca-Sonne später getroffen hatten. Nun schwebten die Maschinen der jungen Roboter, die „Jorlas“ und die Maschine der Lumenier über Tarnudo. Sage war nach der Befreiung der jungen Roboter in die Maschine der Lumenier umgestiegen. Captain Kooken erwartete nun von ihm Mitteilung, was die Lumenier in den mechanischen Gehirnen der Roboter, die sie telepathisch erforschen sollten, erfahren hatten. Sage meldete sich über Funk. „Schreckliche Dinge sind auf Tarnudo geschehen, Captain. Wir haben unsere telepathischen Kräfte ausgesandt, um die mechanischen Gehirne da unten zu erforschen. Dabei stießen wir auf unsere eigenen Leute. Tausende von Lumeniern liegen dort in der Station gefangen. Sie haben einen tapferen Kampf gekämpft. Der Sohn König Asus ist der Führer der Truppen. Alles wäre gut gegangen, aber etwas unglaubliches ist geschehen. Chief 1 ist wahnsinnig geworden und hält den Prinzen und unsere Leute gefangen, um sie zu quälen. Captain, was wollen wir tun?“ Aber Captain Kooken kam gar nicht zu Worte. Einer der 79
jungen Roboter, die ebenfalls dem Sender angeschlossen waren, meldete sich. „Captain Kooken, wir wollen mit Chief 1 abrechnen. Lassen Sie uns allein landen. Wir wissen, wo die Munitionslager sind. Wir kennen die Schwächen der Station. Geben Sie uns eine Chance, die Grausamkeiten unseres Chiefs in den Augen der Lumenier zu rächen. Wir wollen ihnen beweisen, daß wir jungen Roboter anders sind.“ Captain Kooken sah ein, daß dies die einzige Möglichkeit der jungen Roboter war, sich der Wut des lumenischen Volkes zu entziehen. „Genehmigt. Aber keine übereilten Handlungen. Jeder, der bei dem Unternehmen draufgeht, wird von mir eigenhändig repariert. Und diese Reparatur ist eine schmerzhafte Angelegenheit. Verstanden?“ „Verstanden!“ tönte es zurück. Und dann setzten die jungen Roboter zur Landung an. Die gefangenen Lumenier in der Station hatten alles verstanden. Hilfe von einem fernen Planeten, der sich Erde nannte, stand bereit. Hilfe von jungen Robotern, die Chief 1 verbannt hatte, nahte aus der Luft. Jetzt galt es, auszuharren und die Folterknechte hinzuhalten. Unbeachtet landeten die jungen Roboter. Vorsichtig schlichen sie zu dem Notausgang der Station. Alle erreichten das Tor, ohne bemerkt zu werden. Chief 1 hatte sämtliche Wachen zurückgezogen. Schnell war das Tor mit Hilfe der Sauerstoffbrenner geöffnet. Nun raste der Rachezug durch die Gänge der Station. Die alten Roboter, vom langen Kampf gegen die Lumenier ermüdet und von einem kranken Zentralgehirn, dem großen Chief, befehligt, erlagen den jungen Robotern schnell und fast kampflos. Während der größte Teil der jungen Roboter weiterhastete, 80
blieben einige zurück und befreiten den Prinzen und seine lumenischen Kämpfer. Von Stockwerk zu Stockwerk tobte die Vernichtung. Schließlich waren alle alten Roboter vernichtet. Nur Chief 4 und Chief 1, die sich im Zentralraum der Station eingeschlossen hatten, blieben noch übrig. Hier aber rannten die jungen Roboter vergebens gegen die starken Strahlenbündel an. Während sie bisher noch keine Verluste gehabt hatten, riß der Kampf um den Zentralraum schwere Lücken in ihre Reihen. Daher zogen sie sich zurück, um zu beraten. Als sie alle auf dem breiten Gang versammelt waren, der den Zentralraum mit den übrigen Hallen verband, erschien am Ende des langen Ganges einer, den sie alle kannten und seit dem Tage der Revolution liebten. Es war Zor, der in einer lumenischen Rüstung den Kampf um die Lorca-Sonne mitgemacht hatte, und der nun von den jungen Robotern, die im Erdgeschoß zurückgeblieben waren, befreit worden war. „Freunde“, rief er ihnen zu, „ich führe euch in den Zentralraum, ohne daß uns der Wahnsinnige hindern kann.“ Entschlossen riß er die Deckplatte des Ganges auf, und die jungen Roboter folgten seinem Beispiel. Nachdem sie einige Lagen entfernt hatten, stießen sie auf unzählige Kabelbündel. Als alle Kabelbündel bloßgelegt waren, ließ sich Zor den Sauerstoffbrenner geben. Mit sicherer Hand lenkte er ihn quer über die dicken Kabelleitungen und schnitt eines nach dem anderen durch, bis die letzte Verbindung zum Zentralraum zerstört war. „Und jetzt ist er hilflos, wie wir es vorher waren. Seine Macht ist gebrochen.“ Zor führte die jungen Roboter zurück zu der Tür, gegen die sie vorher vergebens angerannt waren. Nicht die geringste 81
Strahlung hemmte sie nun. Sie traten ein, einer nach dem anderen. Langsam füllte sich der Raum mit den Jungen. Chief 4 erkannte seine Abteilung Generationsretorte sofort. Mit einem ersten Aufflackern von freier Willensentscheidung, das den alten Robotern bisher fremd war, hob er seinen Strahlenwerfer gegen die Mitte seiner Brust, drückte ab und fiel zerstört zu Boden. Nun blieb nur noch der große Chief, der, wie vorher, seine flackernden Augenlinsen auf den Bildschirm gerichtet hielt, der immer noch den zerstörten Spiegel zeigte. Ohne einen Befehl auszusprechen, wußten alle jungen Roboter, was dem Wahnsinnigen bevorstand. In gemeinsamem Denken hoben sie ihn von seinem Sitz auf, ohne ihn zu berühren. Ihre Gedanken waren so stark, daß sie ihn leichter bewegen konnten, als sie geglaubt hatten. Vorher das einstige Gehirn seines Planeten, war der wahnsinnige Chief jetzt nur noch ein willenloses Werkzeug der Befehle der jungen Roboter. Als Chief 1 den Zentralraum verließ, wußte er nicht, wohin er gehen würde. Aber die Jungen wußten es. Und die Lumenier, die ihren Gedanken angeschlossen waren, folgten Chief 1 auf seinem letzten Weg. Auch Sage und seine Leute, deren Schiff noch immer über Tarnudo schwebte, wohnten dem Geschehen bei und berichteten dem Raumschiff der Menschen über Funk, was unten in der Station geschah. Zum letzten Male ging Chief 1 durch die Gänge der Station, gesteuert von den jungen Robotern. Langsam und taumelnd bewegte er sich vorwärts. Er betrat den Fahrstuhl, der ihn sofort in das Innere des Planeten transportierte. Auf der untersten Stufe angekommen, stieg er aus und schritt langsam auf das Tor der Magnetstation zu. Dort stellte er die Kombination des Schlosses ein, die nur er allein kannte, und langsam öffnete sich das Tor. 82
Zum ersten und zum letzten Male blickten die jungen Roboter und die Lumenier mit Hilfe der Augenlinsen des wahnsinnigen Chiefs, die für alle telepathischen Gehirne wie eine VisorKamera wirkte, auf die riesige Anlage. Die jungen Roboter schrieben dem Chief seine Handlungen nicht vor. Alles, was sie in sein Gehirn hämmerten, war: „Zerstöre, zerstöre, zerstöre!“ Chief 1, von den Jungen gesteuert, trat in die Mitte der Anlage. Dort öffnete er eine schwere Klappe, die in den Boden eingelassen war. Sofort erstrahlte der ganze Raum in weißer Helligkeit. Eine Sekunde lang sahen sie alle das Energiezentrum der Magnetanlage. Dann packte Chief 1 zu. Mit beiden Händen riß er das Herz der Anlage heraus und wurde im selben Augenblick selbst zu einem weißglühenden Metallklumpen, der sofort verlosch. Das aber sahen die jungen Roboter nicht mehr, denn Bruchteile von Sekunden vorher schon waren die Augenlinsen des Wahnsinnigen von der übergroßen Helligkeit zerstört worden. Ein leichtes Zittern und Beben lief durch die Gänge der Station. Obwohl das Magnetzentrum Tausende von Metern unter der Station lag, spürten sie alle die Bewegung der Gesteinsmassen, die Chief 1 und seine Anlage begruben. Zor gab rechtzeitig den Befehl zur Flucht. Die jungen Roboter eilten zurück durch die Gänge, den Ausgängen zu. Die Lumenier hatten das Erdgeschoß bereits verlassen, da die Erdstöße hier stärker spürbar gewesen waren. Aber die jungen Roboter holten die flüchtenden Lumenier bald ein. Hilfsbereit nahmen sie je einen der lumenischen Krieger auf die Schulter und eilten nach dieser kurzen Verzögerung rasch weiter. Als sie schon ein gutes Stück von der Station entfernt waren, begann es rings um sie her zu dröhnen und zu rollen. 83
Sofort ließen sich alle zu Boden fallen. Im nächsten Augenblick stieg eine riesige Trümmersäule dort aus der Erde hervor, wo einmal die Station gestanden hatte. In weitem Umkreis klaffte der Boden in langen Rissen auf. Nach einiger Zeit beruhigte sich das Beben, und die Roboter sprangen auf, um ihren lumenischen Freunden zu helfen. Wenige Lumenier nur waren von Gesteinsbrocken erschlagen worden. Der größte Teil war dank der Hilfsbereitschaft der jungen Roboter gerettet worden. * Inzwischen machten die jungen Roboter, die bei den Schiffen zurückgeblieben waren, diese startbereit. Gemeinsam erreichten die Schiffe der jungen Roboter, der Lumenier und das Raumschiff der Menschen den Planeten Jorlas, Prinz Arnu hatte seinen Vater bereits von ihrem Kommen unterrichtet. Man hatte den Start der Schiffe von Tarnudo so eingerichtet, daß sie in einer Helligkeitsperiode landeten. Das ganze Volk der Lumenier stand zu ihrem Empfang bereit. König Asu schritt ihnen an der Spitze der Würdigsten seines Staates entgegen. Noch ehe er seinen Sohn, den jungen Prinzen, in die Arme schloß, begrüßte der König die Mannschaft des Erdschiffes. Captain Krooken wußte, was das bedeutete und dankte dem König mit knappen, aber herzlichen Worten, die Sage übersetzte. Dann ging es im Triumphzug zu dem Königspalast, der lange Zeit leer gestanden hatte. Captain Krooken und seine Mannschaft wurden in den schönsten Räumen des Palastes untergebracht und nahmen an allen Feiern, die nun folgten, teil. Trotzdem ging Reeves mit seinen Monteuren sofort daran, die Energieanlage zu installieren. Noch ehe die Tage der Feste 84
vorüber waren, konnte die Anlage in Betrieb genommen werden. Während der Stunden der Dunkelheit erzeugte diese auf der Erde konstruierte Anlage ausreichende Mengen von Sonnenenergie, die es den Lumeniern ermöglichte, auch während der Dunkelperioden an der Oberfläche zu bleiben. * Erfreut stellte Rase fest, daß die große Lorca-Sonne bereits wieder ihrem früheren Standort zustrebte. Zwar würde es noch lange dauern, ehe sie allein wieder für das Lichtbedürfnis des lumenischen Volkes sorgen konnte, aber die Gewißheit, daß die Lorca zurückkam, machte die Lumenier wieder zu einem glücklichen Volk. 10. Kapitel Pande hatte zitternd die Ankunft der Schiffe abgewartet. Dann, als sie ihn sah, war sie still davongegangen. Nicht eines der Feste hatte sie mitgemacht. Sie verkroch sich in einem Winkel der Palaststadt, um es ihm zu erschweren, sie zu finden. So verlangte es die Sitte auf Jorlas. Mochte ein Mädchen den Mann ihrer Wahl auch noch so sehr herbeisehnen, sie mußte sich vor ihm verbergen, bis er sie fand. Immer wieder spürte sie seine Gedanken, die sie suchten. Aber sie antwortete ihm nicht. Sie folgte ihm auf seinen Wegen durch die Blütenhaine, die rings um die neue Anlage der Menschen aus dem Boden geschossen waren. Sie hörte seine Seufzer und seine Schwüre, aber sie durfte ihm kein Zeichen geben. Und dann kam der letzte Tag der Feste. Der Tag des LorcaFestes. Pande kauerte noch immer in ihrem Versteck und folgte 85
dem Geliebten, der schon so oft nahe an ihr vorübergegangen war. Es war zur Zeit der Dunkelperiode. Die Anlage der Menschen verbreitete ein silbernes Licht, das die Lumenier am Leben erhielt. Wieder kam Sage ihr nahe. Diesmal setzte er sich sogar unter den Eingang des Hauses, in dem Pande sich verborgen hielt. Und dann geschah es, was seit Jahrhunderten auf Jorlas geschah, wenn die Liebe zweier Menschen größer war, als alle Gesetze und Traditionen. Sage spürte Pandes Nähe. Mit Macht zog es ihn in das Haus. Als sie ihm dann auf der hellerleuchteten Strahlentreppe entgegenkam, war er nicht sehr überrascht. Ich wußte, daß ich dich finden würde, Pande. Ich habe mich nach dir gesehnt; nur nach dir. Er sprach es nicht aus, er dachte es nur, und sie verstand ihn. Dann kam er langsam auf sie zu, schloß sie in die Arme und trug sie aus dem Haus auf den Festplatz, wo König Asu und Sages Vater die beiden herzlich begrüßten. Nach lumenischer Sitte waren sie von dieser Stunde an Mann und Frau. * Schweren Herzens brachen Captain Kooken und seine Mannschaft von Jorlas auf. Das Raumschiff „Jorlas“ war von den Lumeniern mit reichen Geschenken beladen worden. Riesige Vorräte von Lumenium, seltenen Pflanzenkeimen und Tierkindern hatten sie für die Erdbewohner eingepackt. König Asu entließ sie nicht ohne das Versprechen, bald eine Abordnung der Erde zu schicken, die für immer auf Jorlas leben sollte. Der junge Prinz konnte seine Rührung nicht verbergen, als er sich von seinem Vater verabschiedete. 86
Du bist der beste Vertreter deines Landes, dachte König Asu, und Prinz Arnu verstand ihn. Das Raumschiff „Jorlas“ verließ den Planeten Jorlas unter lautem Jubel des Volkes. Solange die Mannschaft die Oberfläche des Planeten noch erkennen konnte, tanzten die Lumenier und winkten dem sich entfernenden Schiff nach. * König Asu hatte Zor zu sich kommen lassen. „Ihr habt bewiesen, daß ihr treue Diener eures Erbauers seid. Die Liebe meines Volkes ist euch sicher. Aber ich glaube, daß es für dich und für mein Volk besser ist, wenn wir auf getrennten Planeten leben. Wenn ihr es daher nicht als Verbannung anseht, will ich euch den Planeten Tarnudo schenken. Wenn die jungen Roboter einverstanden sind, scheint es mir am besten zu sein, wenn du die Führung übernimmst.“ „Ich danke dir, König Asu, für dein Vertrauen. Selbstverständlich stehen euch die Früchte unserer Arbeit immer zur Verfügung.“ „Dank dir, Zor“, entgegnete König Asu. „Ihr werdet die Trümmer des alten Reiches in eine blühende Kultur verwandeln. Nimm dir aus meinem Besitz so viel Material, wie eure Schiffe tragen können. In einigen Zeitabschnitten werde ich Rase zu euch senden, damit er mir berichtet, wie ihr vorwärts kommt.“ Dankbar verließ Zor den König der Lumenier. Eine Skizze der energieerzeugenden Anlage, die die Erdmenschen den Lumeniern geschenkt hatten, war alles was er mitnahm. Bevor die Schiffe der jungen Roboter starteten, hatte er noch ein langes Gespräch mit Rase. *
87
„Ihr braucht eine Aufgabe, Zor. Ohne eine Aufgabe wäre euer Dasein sinnlos. Was hast du für Pläne, Freund?“ Forschend blickte der Wissenschaftler in die klaren Augenlinsen des Roboters. „Wir werden Tarnudo kultivieren, Rase. Wenn wir diese Aufgabe erfüllt haben, werden wir uns der größeren zuwenden.“ „Und welche Aufgabe ist das, Zor?“ „Die Kultivierung des Weltraumes.“ „Ich wünsche euch viel Glück zu eurem Vorhaben.“ Das waren die letzten Worte Rases, ehe die Raumschiffe der jungen Roboter den Planeten Jorlas verließen. – Ende –
UTOPIA-Zukunftsroman erscheint vierzehntäglich im Erich Pabel Verlag, Rastatt (Baden), Pabel-Haus. (Mitglied des Remagener Kreises e. V.) Einzelpreis! 0,50 DM. Anzeigenpreise laut Preisliste Nr., 5. Gesamtherstellung und Auslieferung: Druck- und Verlagshaus Erich Pabel. Rastatt (Bad.). Alleinauslieferung für Österreich: Eduard Verbik, Salzburg, Gaswerkgasse 7. Nachdruck, auch auszugsweise, sowie gewerbsmäßige Weiterverbreitung in Lesezirkeln nur mit vorheriger Zustimmung des Verlegers gestattet. Gewerbsmäßiger Umtausch, Verleih oder Handel unter Ladenpreis vom Verleger untersagt. Zuwiderhandlungen verpflichten zu Schadenersatz. Für unverlangte Manuskriptsendungen wird keine Gewahr übernommen. Printed in Germany. – Scan by Brrazo 06/2011
88
89