Der Hollywood-Vampir Version: v1.0
Todestagsparty und Geburtstagsfeier zugleich! Hoch lebe der Tote, der Star aus alte...
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Der Hollywood-Vampir Version: v1.0
Todestagsparty und Geburtstagsfeier zugleich! Hoch lebe der Tote, der Star aus alten Zeiten, der selbst einen Bela Lugosi in den Schatten gestellt hatte. Armando Diaz! Welch ein Name, der beim Aussprechen wie ein edles Ge tränk den Mund füllte. Die Männer erblassten vor Neid und die Frauen bekamen glänzende Augen. Armando Diaz hatte Geschichte geschrieben. Aus den Annalen der Filmhistorie war er nicht mehr wegzudenken. Vor hundert Jahren geboren, vor fünfzig gestorben. Der Geburtstag war auf den gleichen Tag gefallen wie der To destag, und deshalb konnte seine verbliebene Gemeinde beides feiern …
Er war nicht vergessen, und an diesem Tag erst recht nicht. Die große Party fand im Freien statt. Viele waren erschienen, auch Nach ahmer, die seine Klasse nicht hatten. Diaz erlebte ein Revival, eine Auferstehung. Seine alten Filme waren überholt worden und liefen nun im neuen Gewand in den Kinos. Niemand hatte den Vampir so toll gespielt wie er. So hatte man ihm den Spitznamen Hollywood-Vampir gegeben, und der hatte sich bis heute bei Insidern gehalten. Heute wurde gefeiert. Heute war der Name in aller Munde, und der Garten war voll von Menschen. Dazu gehörte die alte Villa, die sich Diaz hatte bauen lassen. Passend für ihn. Nach außen hin ein düsteres Gebäude, das so gar nicht zu den anderen Bauten der Pro mis passen wollte. Und auch innen sah es nicht anders aus, aber dort hielt sich jetzt niemand auf. Alle wollten nichts von der Feier versäumen, die mit einer großen Überraschung enden sollte, das hatte jemand versprochen. Keiner der Gäste wusste, wer dieses Versprechen gegeben hatte, das pünktlich um Mitternacht eingelöst werden sollte. In Holly wood war man einiges gewöhnt, aber so etwas war neu, und so fie berte jeder Gast der Tageswende entgegen. Niemand ging. Keiner wollte etwas verpassen. Die Neugierde war einfach zu groß. In den späteren Abendstunden trafen noch mehr Gäste ein. Viele Gesichter waren von den Bildschirmen bekannt, und auch die anwe senden Fotografen bekamen immer mehr Nachschub. Für Essen und Trinken war gesorgt. Es gab Wein, Champagner und Wasser. Man aß Hummer, Lachs oder spanische Tapas. Man spazierte durch den großen Garten und schaute den Palmwedeln zu, die sich im leichten Wind bewegten. Perfekter konnte es einfach nicht sein. Die Spannung stieg, je weiter die Zeiger der Uhr vorrück ten. Eine der wenigen Gäste, die Armando Diaz noch zu Lebzeiten ge
kannt hatten, war Kate Rome. Damals blutjung und ein Starlet. Heu te eine Frau von über siebzig Jahren. Sie hatte zwei Filme mit ihm gedreht und war immer das Opfer des gierigen, aber auch eleganten Blutsaugers gewesen. Man kannte Kate Rome, und deshalb stand sie im Mittelpunkt. Zu Beginn der Party war sie kaum dazu gekommen, einen Schluck zu trinken oder etwas zu essen. Alle wollten ein Interview mit ihr, und sie musste immer die gleichen Sätze wiederholen. Längst hatte die Dunkelheit ein samtblaues Tuch über das Land gelegt. Am Himmel funkelten die Sterne wie Diamanten, und es war tatsächlich der Vollmond zu sehen, noch um eine Winzigkeit einge beult, aber er würde in der nächsten Nacht voll sein. Vampirwetter … Kate Rome hatte es bis zu einer kleinen Bar geschafft. Der Mann dahinter lächelte sie an, aber Kate überlegte noch, was sie trinken wollte. Die Flaschen mit Wein und Champagner verschwanden bei nahe mit ihren Hälsen im Eis. »Madam, womit kann ich Ihnen dienen?« »Ach, ich versuche es mit einem Glas Wein.« »Gern.« »Hier, den aus dem Nappa Valley.« »Da haben Sie eine gute Wahl getroffen, Madam.« »Danke.« Sie erhielt das Glas, lächelte dem dunkelhäutigen Keeper zu und zündete sich dann eine Zigarette an. Sie wusste, dass Rauchen ver pönt war, aber das machte ihr nichts aus. In ihrem Alter tat sie, was ihr gefiel. Dazu gehörte auch das Rauchen. Kate bewegte sich auf einen der runden Stehtische zu. Da er ab seits stand, konnte sie hier ihren Wein in Ruhe trinken und ein paar Mal durchatmen. Kate war aufgeregt. So gefragt wie heute war sie in den letzten Jahren nie mehr gewesen. Einige Rollen hatte man ihr noch angeboten. Immer wieder musste
sie Großmütter spielen, die nett und brav waren. Mit diesen kleinen Rollen hielt sich Kate finanziell über Wasser und freute sich auch, wenn die Werbung auf sie zukam und sie für ein Produkt verpflich tet wurde, das ältere Menschen kaufen sollten. An diesem Abend war alles anders gelaufen. Da hatte man sich um sie gekümmert, und sie wünschte sich, die Zeit anhalten zu kön nen. Das wäre ein Traum gewesen. Leider erfüllte er sich nicht. Man hatte sie wieder entdeckt. Von der Seite her kam jemand auf sie zu. Er trug einen cremefarbenen Smoking, wie ihn auch Diaz in seinen Filmen immer getragen hatte. Auch dieser junge Mann hatte lackschwarzes Haar, das er straff zurückgekämmt hatte. Es war so lang geschnitten, dass es im Nacken eine Welle schlug, die nach au ßen gebogen war. Zum Smoking trug er ein schwarzes Hemd. Am Kragen leuchtete eine weiße Fliege, und Kate musste daran denken, dass der echte Diaz so nie herumgelaufen war. Schwarze Hemden hatte er nie ge tragen. »Hi …« Kate lächelte dem jungen Mann zu. »Darf ich mich zu Ihnen stellen?« »Bitte, wenn es Ihnen Spaß macht.« »Was denken Sie? Neben einer so berühmten Frau zu stehen ist einfach das Höchste.« Kate winkte ab. »Bitte, junger Mann, nicht so dick auftragen. Ich bin nicht mehr berühmt und auch nicht mehr jung. Das ist vorbei. Aber nett, dass Sie sich noch an mich erinnern.« »Klar. Ich kenne alle Filme mit Armando.« »Und?« Kate ließ den Rauch durch die Nasenlöcher strömen. »Wie haben sie Ihnen gefallen?« »Sehr gut. Ich bin heute noch sein Fan. Sonst würde ich nicht in diesem Outfit herumlaufen.« »Ja, man sieht’s.«
Er trank von seinem Bier. Seine Hand zitterte leicht. Es lag an sei ner Nervosität. »Sie wollen etwas fragen, junger Mann?« »Stimmt. Woher wissen Sie das?« Kate winkte ab. »Ach, das sehe ich Ihnen doch an, mein Freund. Sie lauern auf den Höhepunkt.« »Ja, das tue ich.« Er bog sich vor, und Kate musste seinem Biera tem ausweichen. »Man hat von dem großen Höhepunkt gesprochen, Mrs. Rome. Wissen Sie darüber Bescheid?« Sie nickte. »So viel wie Sie, mein Freund. Nämlich nichts. Es soll für alle eine Überraschung sein, und das wird es wohl werden, den ke ich mir.« »Ich kann es kaum aushalten.« »Ach, seien Sie mal nicht so nervös. Die Sache wird schon hinhau en, glauben Sie mir.« »Ich hoffe es.« Der junge Gast nickte Kate Rome zu und wandte sich einer anderen Gruppe von Gästen zu. Kate war froh, dass sie wieder etwas Ruhe genießen konnten. Sie war nun mal nicht mehr die Jüngste, auch wenn man ihr das nicht ansah. Das Silberhaar passte perfekt zu dem himmelblauen Kostüm aus weichem Fließstoff. Die vielen Falten hatte Kate für diesen Abend zumindest wegsprit zen lassen, aber die welke Haut am Hals ließ sich einfach nicht über tünchen. Sie war da, und sie würde im Laufe der Jahre immer mehr welken. Früher hatte sich Kate die Lippen ziemlich stark geschminkt. Jetzt reichte ihr eine schimmernde Perlmuttfarbe. Man wurde eben nicht jünger, auch wenn viele Hollywood-Diven dies nicht wahrhaben wollten und verzweifelt dagegen ankämpften. Sie schaute auf die Uhr. Noch eine Viertelstunde bis zur Tageswende und bis zur großen Überraschung. Zeit genug, um sich noch einen Glimmstängel zu
gönnen. Auch ein weiteres Glas Wein konnte nicht schaden. Das nahm sie einem der Angestellten vom Tablett. Die Band im Hintergrund spielte noch immer. Es war die Musik der vierziger und fünfziger Jahre des letzten Jahrhunderts. Bekannte Melodien, die zu Evergreens geworden waren und auch von den heutigen Menschen immer noch gern gehört wurden. Kate Rome konnte der Musik endlich zuhören. Sie hatte Mühe, die Tränen der Sehnsucht zu unterdrücken, und schluckte hart, um sich zusammenzureißen. Noch fünf Minuten! Auch in Kate wuchs die Spannung. Sie wusste nicht, was sich der Produzent von DRE AMGATE hatte einfallen lassen. Es war die Fir ma, die die Party finanzierte. Es hielt sich das Gerücht, dass über das Leben des Vampirs eine TV-Serie gedreht werden sollte. Ob es stimmte, war fraglich, aber Kate wünschte es sich, denn man hatte sie wohl als Moderatorin ausgewählt, die vor jeder Folge so et was wie einen Prolog sprach. Mit einem letzten Tusch verstummte die Musik. Jeder Gast wusste, was das zu bedeuten hatte. Auch Kate Rome. Sie nahm einen letzten Zug aus ihrer Zigarette und näherte sich dem breiten Hauptweg, der von Laternen und Fackeln erleuchtet wurde. Der helle Kies glänzte in ihrem Licht wie Eis. Rechts und links standen die Gäste. Kate Rome stellte sich nicht zu ihnen. Sie ging dorthin, wo der Weg endete. Da gab es die Treppe, die zum düsteren Haus führte, und dort stand auch der Produzent Robert F. Taylor, ein Mann wie ein Klotz. Breit, massig, mit einem dicken Hals, der zu dem Schädel passte. Das Champagnerglas ver schwand fast zwischen seinen Fingern, und die breiten Lippen in seinem geröteten Gesicht waren zu einem schmalen Lächeln verzo gen. »Da bist du ja, Kate.« »Wie versprochen.«
Taylor, auch schon über sechzig Jahre und noch immer im Ge schäft, nickte, bevor er fragte: »Wie fühlst du dich, Kate?« »Fast wie früher.« Der Produzent lachte. »Ja, das waren noch andere Zeiten.« »Die leider nicht mehr zurückkehren.« »Weiß man’s?« »He, was meinst du damit?« »Mal sehen, was so abläuft.« Kate knuffte ihn in die Seite. »Du weißt mehr, Robert. Ich sehe es dir an.« »Klar weiß ich mehr.« »Und was ist mit dem Höhepunkt?« Taylor schaute auf die Uhr. »Es müsste eigentlich gleich so weit sein. Noch eine halbe Minute.« »Ich bin gespannt.« »Ich ebenfalls.« Eine ungewöhnliche Atmosphäre hatte sich über den Garten ge legt. Die Menschen sprachen nicht mehr. Sie warteten, sie lauerten. Jeder, ob Mann oder Frau, spürte die Spannung in sich. Man war in Hollywood vieles gewohnt, und hier sollte dem Spektakel noch die Krone aufgesetzt werden. »Jetzt!« sagte Taylor. Und er hatte recht. Das Hupsignal eines Wagens ertönte. Noch war das Fahrzeug nicht zu sehen, der Klang war vom Ende des Grundstücks erfolgt, das etwas im Dunkeln lag. Nicht mehr lange. Das Licht zweier Scheinwerfer war zu sehen, und dann rollte das Fahrzeug langsam den langen Weg entlang auf das Haus zu. Kate Rome und Robert F. Taylor schauten nur auf die Scheinwer fer. So erkannten sie nicht, um welch ein Fahrzeug es sich handelte. Die anderen Gäste sahen es besser. Erste leise Schreie waren zu hören. Der Wagen rollte auf dem leise knirschenden Kies seinem Ziel entgegen, und dann erreichte ein Ruf
die beiden Menschen vor der Treppe. »Das ist ein Leichenwagen!« Kate Rome zuckte zusammen. Sofort drehte sie den Kopf nach links. »Hast du das gewusst?« »Ich glaube schon.« Taylor grinste. »Was soll denn ein Leichenwagen hier?« »Naja, er passt doch irgendwie. Oder etwa nicht?« »Doch, das schon. Aber auf einer solchen Party …« »Sie wird ja ihm zu Ehren gegeben«, erklärte der Produzent. »Ihm zu Ehren, verstehst du?« »Klar. Ich bin nicht senil.« Kate sprach nicht mehr weiter. Dass ein Leichenwagen die große Überraschung darstellte, damit konnte sie sich nicht anfreunden. Sie hatte ihre Hände geballt und starrte dem Wagen entgegen, der nur noch ein paar Meter fahren musste, um das Haus zu erreichen. Wenig später hielt er an. Die Scheinwerfer erloschen. Zwei Männer in grauen Anzügen stie gen aus. Sie traten an die Rückseite. Dort befand sich die Ladeklap pe. »Und jetzt, Robert?« »Lass uns hingehen.« »Warum?« »Komm mit, wenn du was sehen willst.« Wohl war Kate nicht. Es blieb ihr jedoch nichts anderes übrig, wenn sie alles aus der Nähe miterleben wollte. Sie hakte sich bei dem Produzenten ein, um die paar Meter zu gehen, und sie merkte, dass ihr die Knie zitterten. War die Party vorhin noch laut und stimmungsvoll gewesen, so hatte sich das mit der Ankunft des Leichenwagens geändert. Nie mand wollte so recht mit dem Tod konfrontiert werden, auch wenn dies nur indirekt war. Da gab es schon eine gewisse Scheu. Die anderen Gäste machten ihnen Platz. Sie wären auch so zurück gewichen, um die beiden Männer nicht zu behindern, die das her
vorholten, was bisher hinter der Ladeklappe verborgen gewesen war. Sehr behutsam zogen sie einen gläsernen Sarg heraus! Leise Schreie der Angst waren zu hören. Das Licht an den Weg rändern fiel perfekt nach unten und drang auch durch den Glasde ckel in den Sarg hinein. Er war besetzt. Ein Mann lag dort, den jeder kannte und dem die Party überhaupt galt. Es war Armando Diaz …
* »Nein!« flüsterte Kate, die sehr nahe am gläsernen Sarg stand und hineinschaute. »Doch, Kate, das ist er.« »Aber er ist doch tot!« Taylor hob nur die Schultern und ließ Kate Rome mit ihren Gedan ken allein. Sie war völlig durcheinander. Der Anblick hatte sie ge schockt, denn Armando Diaz hatte sich nicht verändert. Er sah noch so aus wie in seinen Filmen. Auch da hatte er oft genug im Sarg ge legen, um etwas später zu erwachen, weil der Durst nach Blut ihn ins Freie und zu den Menschen trieb. Viele der Gäste trauten sich jetzt näher heran. Sie mussten einfach in den Sarg blicken, in dem der bleiche Mann mit seinem pech schwarzen Haar in völliger Starre lag. Er trug seinen cremefarbenen Smoking, dazu das weiße Hemd mit der weißen Fliege, aber es war noch mehr zu sehen. Auf den Kragen des Smokings waren zwei rote Blutflecken zu sehen. Der Leichenwagen fuhr an, um vor dem Haus zu drehen. Wenig später rollte das Fahrzeug am gläsernen Sarg vorbei, denn der Weg war breit genug. Die Gäste hatten ihren ersten Schreck überwunden. Sie trauten
sich jetzt noch näher an den Sarg heran und schauten durch den De ckel auf die auf dem Rücken liegende Gestalt. Kaum jemand sprach ein Wort, bis Kate Rome das Schweigen unterbrach. »Perfekt. Man hat ihn wirklich perfekt nachgebildet. Es ist einfach sagenhaft. Er würde gut in ein Wachsfigurenkabinett passen.« »Glaubst du wirklich?« flüsterte der Produzent. Kate verstand den Sinn der Frage nicht richtig. »Ja, wenn ich es dir sage. Genau so habe ich Armando in Erinnerung. So und nicht an ders. Das weiß ich am besten.« Aus dem Hintergrund erklang eine Männerstimme. »Die Überra schung ist perfekt gelungen, Leute. Eine bessere Erinnerung an un seren Freund Armando kann es nicht geben. Wir sollten auf ihn trin ken und den Sarg danach vor die Tür seines Hauses stellen. Einver standen?« Ein Jubelschrei sorgte für die Zustimmung des Vorschlags. Wenig später hatte jeder ein gefülltes Glas in der Hand. Die Gäste drängten sich so nahe wie möglich um den Sarg herum. Jeder wollte einen Blick auf die perfekte Nachbildung des Hollywood-Vampirs werfen. Danach tranken sie auf ihn. Aber die Gelassenheit und die Fröhlichkeit waren verschwunden. Alles klang ein wenig verhalten. Den Gästen schien es unangenehm zu sein, sich so nahe am Sarg zu bewegen. Erst wandten sich die Frauen ab, zwar mit einem Lächeln auf den Lippen, aber das war mehr als gequält. Manch männlicher Gast hob die Schultern und brachte sich eben falls in Sicherheit. Das fiel auch dem Produzenten auf. Er holte sich vier Männer von der Catering-Firma und wies sie an, den Sarg die Treppe hoch zu tragen und vor der Tür abzustellen. Kate Rome beobachtete die Szene. Sie hatte ihren Platz nicht ver lassen, und als Taylor zu ihr zurückkehrte, nickte sie ihm bei ihrem Kommentar zu.
»Die Stimmung ist futsch.« »Meinst du?« »Ich spüre das.« Als wollte man ihr das Gegenteil beweisen, fing die Combo wieder an zu spielen. Vier Männer verteilten sich auf einer höher gelegenen Plattform aus Holz, und über ihren Köpfen schaukelten die bunten Lichtgirlanden im leichten Wind. Taylor schlug eine Fliege vor seinem Gesicht weg und legte eine Hand auf Kates Schulter. »Amüsiere dich, Mädchen, die Nacht ist noch lang. Wir werden bestimmt noch viel Spaß haben.« »Mal sehen.« »Ich mische mich mal unter die anderen Gäste.« »Tu das …« Kate Rome blieb allein zurück. Plötzlich fühlte sie sich einsam trotz der vielen Menschen in der Nähe. Die große Überraschung war vorbei, die Spannung abgeflacht. Vielleicht war noch die eine oder andere Gänsehaut auf den Körpern der Menschen zurückgeblieben, aber das war auch alles. Mit dem noch immer halb gefüllten Glas in der Hand drehte sich Kate Rome nach links. Sie warf einen Blick über die Treppenstufen hinweg auf den gläsernen Sarg, der vom Außenlicht einer Leuchte getroffen wurde und dessen Glas einen bläulichen Schimmer an nahm. Sie schüttelte sich. Ein seltsames Gefühl hatte sie erfasst. Sie war nicht ängstlich. Sie hatte in Horrorfilmen mitgespielt, sie war immer das Opfer gewesen, man hatte sie gebissen, gefoltert und vergewal tigt. Und es hatte ihr Spaß gemacht, die Rollen zu spielen, denn es war ja nicht echt. Es war ja nur Film. Sie musste sich allerdings eingestehen, dass sie bei manchen Sze nen das Gefühl gehabt hatte, dass Armando Diaz den Vampir nicht nur spielte, sondern sich selbst als Vampir fühlte.
Später war er dann verschwunden. Einfach so. Verschwunden und gestorben. Das jedenfalls hatte man der Öffentlichkeit erklärt. Es war sogar eine Beerdigung inszeniert worden, doch das lag alles so lang zurück. Kate konnte sich nur noch daran erinnern, dass der Leichnam des Schauspielers nicht zur Besichtigung freigegeben worden war. Die Beerdigung war klammheimlich über die Bühne gegangen. Und jetzt? Es war die perfekte Nachbildung des Schauspielers. Besser hätte das Original auch nicht aussehen können, und genau dieser Gedan ke machte Kate stutzig. Was stimmte, was stimmte nicht? Sie wusste es nicht. Gewisse Dinge passten einfach nicht zusam men. Ihr kamen Gedanken in den Sinn, an denen sie selbst zweifelte. Alles war verdammt anders geworden, und die Party, die trotz al lem weiterlief, hatte sie vergessen. Es interessierte sich auch niemand mehr für den gläsernen Sarg, der einsam und verlassen vor der Eingangstür des Hauses stand. Das war nun doch ein wenig zu gruselig. Eine Ausnahme gab es. Die war Kate Rome. Sie wollte hingehen und Abschied auf ihre Weise von Armando nehmen. Dabei war es ihr egal, ob die Gestalt aus Wachs bestand oder nicht. Sie wollte nachschauen, sie wollte noch ein paar Worte reden, die er vielleicht irgendwo im Jenseits hö ren konnte. Zuerst trank sie ihr Glas leer. Dann ging sie auf die Treppe zu. Mit schweren Beinen, wie sie selbst feststellte, und sie spürte das Zittern überdeutlich. Zwischen der letzten Stufe und der Eingangstür gab es eine Patt form aus dunklen Steinen. Kate blieb dort stehen. Wenn sie noch einen langen Schritt weiterging, stand sie direkt neben dem Sarg und konnte einen Blick hineinwerfen.
Dass sie zitterte, darüber ärgerte sie sich selbst. Sie musste es ab stellen und wollte über sich selbst lachen, was sie nicht schaffte. Es brachte ihr auch nichts, wenn sie über ihre glorreiche Zeit nachdach te, als sie oft auf der Leinwand zu sehen gewesen war. Das lag lange zurück, aber der Sarg mit Inhalt war existent. Er gehörte zur Gegen wart, in der sie sich bewegte. Der letzte Schritt. Dann blieb sie stehen. Ihr Blick fiel nach unten durch den gläsernen Deckel auf die Ge stalt des Vampirs in der Verkleidung, in der er berühmt geworden war. Der helle Smoking war sein Markenzeichen gewesen. Sie beugte sich so vor, dass sie direkt in das Gesicht schauen konn te. Mein Gott, er hatte sich nicht verändert! Armando Diaz war gera de mal fünfzig Jahre alt gewesen, als er gestorben war. Ein wahrer Künstler muss ihn geschminkt haben, er war nämlich perfekt, denn an ihm stimmte einfach alles. Jede Falte im Gesicht, der Schwung der Lippen, die einen etwas arroganten Zug zeigten. Das Haar so schwarz wie das Gefieder eines Raben, auch die Hände mit den lan gen und kräftigen Fingern. Als wäre er noch lebendig und kein To ter … Kates Gedanken brachen ab. Etwas hatte sie erschreckt. Erneut schaute sie in den Sarg und dabei direkt in das Gesicht der Gestalt. Sie wollte einen Beweis dafür, dass sie sich nicht getäuscht hatte. Nein, es war kein Irrtum. Um den Mund herum hatte sich etwas verändert. Ein Zucken der Lippen, als wollte ihr die Gestalt aus dem Sarg hervor zulächeln. Das ging doch nicht! Das musste ein Irrtum sein, bedingt durch die Lichtbrechung des Glases. Eigentlich hatte Kate fliehen wollen. Aber das brachte sie nicht fertig. Da gab es eine Kraft, die sie auf der Stelle festnagelte. Sie konnte sich nicht davon befreien, sie sah sich
gezwungen, in das Gesicht zu schauen, dessen Aussehen die wäch serne Starre verloren hatte, falls sie überhaupt je vorhanden gewe sen war. Sie konzentrierte sich nur auf das Gesicht. Der starre Blick der Au gen schien sich aufzulösen, als sie etwas anderes feststellte. Die Bewegungen um den Mund herum nahmen zu, und sie bezo gen die Lippen mit ein. Sie öffneten sich. Es geschah sehr langsam, sodass die einsame Zuschauerin alles ge nau mitbekam. Was sie in den folgenden Sekunden sah, ging wirk lich an ihre Grenzen. Die Gestalt öffnete den Mund, und genau diese Bewegung kannte Kate. Es war wie damals im Film, da hatte er ebenfalls so gespielt. Immer war diese Bewegung in Großaufnahmen zu sehen gewesen und hatte bei vielen Zuschauern einen Schauer hinterlassen. Wie jetzt auch bei Kate … Sie wusste ja, wie es weiterging, wann der große Angstschock kam, und sie glaubte nicht, dass es hier anders sein würde. Sie hatte sich nicht geirrt. Auch jetzt hatte der Vampir seinen grau samen Spaß an der Szene, denn er zog seine Oberlippe zurück und präsentierte das, was ihn immer ausgemacht hatte. Zwei lange spitze Zähne, wie sie nur ein Blutsauger aufzuweisen hatte …
* Kate Rome starrte sie an. Sie konnte nicht zur Seite sehen, weil sie sich wie unter einem Zwang befand. Die Zähne kannte sie. Oft ge nug hatte sie die Spitzen an ihrem Hals gespürt. Aber die waren künstlich gewesen. Ein Fachmann hatte das perfekte Vampirgebiss modelliert, und das hatte man Armando bestimmt nicht mit ins Grab gegeben.
Trotzdem war es da. Echt – oder … Kate wunderte sich über sich selbst, weil ihr das Wort echt in den Sinn gekommen war. Das konnte es doch nicht sein, das war einfach unmöglich. Es gab keine echten Vampire. Wenn sie jedoch dieses Bild sah, dann kamen ihr Zweifel. Wie damals, so schaffte es der Vampir auch jetzt, sie anzulächeln. Er grinste ihr ins Gesicht, und wieder wurde sie durch diese Verän derung an die alten Zeiten erinnert. Wer lag da im Sarg? Kate konnte sich keine Antwort geben. Natürlich dachte sie an einen Menschen, aber wie sollte der es ohne Sauerstoff so lange aus halten? Luftlöcher hatte sie an keiner Stelle des Sargs entdeckt. Es war einfach grauenhaft, und in ihrem Kopf überschlugen sich die Gedanken, während sich die Gestalt einen Spaß machte und so gar den rechten Arm zum Gruß erhob. Kate hörte sich stöhnen, als sie es endlich schaffte, sich aufzurich ten. Zum Glück befand sich die Tür in der Nähe. Dort konnte sie sich abstützen. Das musste sein, denn ihre Knie waren verdammt weich geworden. Sie wollte nicht mehr auf den Sarg schauen und blickte darüber hinweg. Die anderen Gäste feierten noch. Wie sie die Clique kannte, würde das noch einige Stunden andauern. Ihr selbst stand nicht mehr der Sinn danach. Sie wollte weg. In ihr kleines Haus laufen und sich dort einschlie ßen. Nur nichts mehr von einem Vampir sehen und hören. Aus war die Party – aus und vorbei. Mit diesem Gedanken lief Kate die Treppe hinab. Auf dem Weg änderte sie ihren Entschluss, denn was sie mit eigenen Augen gese hen hatte, das durfte sie unmöglich für sich behalten. Es gab einen wichtigen Mann, der davon erfahren sollte. Robert F. Taylor, der Produzent. Er hatte die Feier inszeniert. Er trug die Verantwortung
für den gläsernen Sarg samt Inhalt. Das alles kam ihr in den Sinn, und sie hoffte, dass man ihr den Schock nicht zu stark ansah. Sie wurde angesprochen, gab flüchtige Antworten und suchte nach Taylor. Jemand gab ihr den Tipp, mal in einer der kleinen Lau ben nachzuschauen, in der sich auch Sitzbänke befanden. Um keinen schnellen Einblick zu gewähren, waren die Lauben mit Pflanzen umwachsen, die verschiedenfarbige Blüten hatten. Kate war nicht naiv und stand mit beiden Beinen mitten im Leben. Sie konnte sich sehr gut vorstellen, was sich in den Lauben abspielte, aber das störte sie nicht. Zuerst hörte sie ein helles Kichern. Sekunden später konnte sie se hen, was in der Laube passierte. Der Produzent lag in einem breiten Sessel. Er war nicht allein. Auf seinem Schoß räkelte sich eines der Starlets. Das Kleid hatte die Kleine bereits über die Schultern ge streift, ihre Silikonbrüste schaukelten vor Taylors Nase. »Robert!« Der scharfe Ruf ließ den Mann zusammenzucken. Jede andere Per son hätte er angebrüllt und rausgeworfen, bei Kate war das etwas anderes. Außerdem hatte ihn die Schärfe ihres Tonfalls aufmerksam werden lassen. Er schob die Kleine mit den dunklen Haaren zur Seite und hatte freies Blickfeld. »Was ist denn?« »Du musst kommen.« »Warum?« »Ich muss dich sprechen. Sofort. Lass deine Tussi hier hocken. Vielleicht kannst du dich später noch mit ihr beschäftigen, was ich aber nicht glaube.« »Was ist denn passiert, verdammt?« »Komm mit, ich zeige es dir.« Taylor wusste, wann er loslassen musste. Er bedachte das Starlet mit keinem Blick mehr. Die Kleine hatte begriffen und den Weg
nach draußen bereits freigegeben. »Wohin jetzt?« »Zur Treppe.« »Gut. Steht da noch der Sarg?« »Ja.« »Und was ist so dringend?« »Du wirst es sehen.« Taylor sagte nichts mehr. Er ging neben Kate her und schaute sie von der Seite her an. Sie machte nicht gerade einen gefestigten Ein druck. Ihr Atem ging schnell und keuchend. Sie sah aus, als hätte sie etwas Unmögliches gesehen. Manchmal zuckte es um ihren Mund, aber eine Erklärung kam nicht über ihre Lippen. Ihr schnelles Gehen fiel auf. Sie wurden auch von mehreren Leu ten angesprochen, ohne dass sie sich darum kümmerten. Als sie die Treppe erreichten, waren sie allein. Sie schritten die Stufen hoch und blieben auf halber Strecke auf der Treppe stehen. »Wolltest du mir das zeigen?« fragte der Produzent und deutete auf den Sarg und danach auf den in seiner Nähe liegenden Deckel, der vom Unterteil entfernt worden war. »Nein – nein – das nicht …« »Was dann?« »Ihn«, flüsterte Kate, »nur ihn …« »Und wo ist er?« Kate lief die restlichen Stufen hoch und blieb neben dem Sarg ste hen. »Er ist weg …«
* Robert F. Taylor wollte lachen. Es wies alles darauf hin. Aber er schaffte es nicht und schüttelte nur den Kopf.
»Ja, er ist weg!« Auch Taylor stieg die restlichen Stufen hoch. Sein Gesicht zeigte eine leichte Rötung, was auch von seinem Schäferstündchen in der Laube herrühren konnte. Er schaute erst Kate an, dann auf den Sarg. Darin lag niemand mehr. Nur die aus weißem Samt bestehende Unterlage war noch vorhan den. Ansonsten hatte die Gestalt nichts hinterlassen. »Was sagst du, Robert?« Taylor hob die Schultern wie jemand, der friert. »Verdammt, was soll ich sagen? Jemand muss den Sarg geöffnet und die Gestalt her ausgeholt haben.« »Eine Wachsgestalt – oder?« Der Produzent hob wieder nur die Schultern. Zu etwas anderem war er nicht fähig. »Sag was!« »Keine Ahnung.« Nach zwei schweren Atemzügen trat Kate dicht an Taylor heran. »Ich will dir etwas sagen, Robert. Das ist nie im Leben eine Wachs gestalt gewesen, verstehst du?« »Nein, nicht wirklich.« Die nächste Antwort flüsterte sie ihm ins Ohr. »Dieser Mann, der hier im Sarg gelegen hat, der lebte. Ja, er lebte auf seine Art und Weise, denn als ich ihn mir genauer anschaute, da öffnete er seinen Mund und präsentierte mir seine beiden Vampirzähne. Das ist wie früher gewesen, Robert, wie früher. Aber trotzdem anders, wenn du begreifst, was ich dir damit sagen will.« »Nein.« Der Produzent schüttelte den Kopf. »Dann kannst du es von mir hören. Dieser Typ im Sarg ist ein Vampir gewesen. Ja, ein Blutsauger. Ein echter, würde ich sagen. Du kannst mir glauben, dass ich echt von unecht unterscheiden kann. So viel habe ich gelernt, mein Lieber.«
Der Produzent starrte ins Leere und schüttelte den Kopf, als er sagte: »Echte Vampire gibt es nicht.« »Ach, meinst du?« »Ja.« »Ich denke da anders. Es muss ein echter gewesen sein. Denk mal daran, wie lange der Mann in diesem luftdicht verschlossenen Sarg gelegen hat. Der hätte längst erstickt sein müssen, aber das war der Typ nicht. Der hat mich sogar angegrinst.« »Und dir seine Zähne gezeigt, wie?« »Genau das. Er hat sogar einen Arm angehoben, um mir zuzuwin ken.« Robert F. Taylor war völlig durcheinander. Er wusste nicht mehr, was er denken oder sagen sollte. In seinem Kopf wirbelten die Ge danken, in seinem Magen hatte sich ein Klumpen gebildet. Er spürte auch, wie ihm die Knie zu zittern begannen, hielt sich al lerdings tapfer und drehte sich um die eigene Achse, um zu sehen, ob der Mann irgendwo herumtanzte. Er sah ihn nicht. Die Leute feierten weiter, und einige von ihnen waren schon dabei, sich zu verabschieden. »Ich warte noch immer auf eine Erklärung, Robert.« »Verdammt, die kann ich dir nicht geben.« »Aber du hast ihn gesehen. Und nicht nur das. Du persönlich hast für diese Überraschung gesorgt.« »Ja, schon, das habe ich, aber ich lasse doch keinen echten Vampir kommen, wobei ich nicht mal daran glaube, dass es sie gibt. Das sind doch Erfindungen!« »Meinst du?« »Du nicht?« Kate Rome legte den Kopf zurück und lachte. »Ich bin mir ab heu te nicht mehr so sicher.« Der Produzent stierte wieder ins Leere. Er konnte nicht fassen, was er hier erlebte. Schließlich begann er mit monotoner Stimme zu spre
chen. »Ich bin von einer Firma angerufen worden, die sich darauf spezialisiert hat, Wachsfiguren herzustellen. Die Feier hatte sich her umgesprochen, und man fragte mich, ob das nicht eine super Über raschung wäre, wenn plötzlich jemand erscheint, der so aussieht wie Armando Diaz. Ich fand die Idee toll und sagte zu. Alles Weitere kennst du ja. Außerdem habe ich mich um nichts mehr gekümmert. Alles andere hat die Firma übernommen.« »Okay. Das habe ich begriffen. Aber ich begreife nicht, wo er jetzt sein könnte.« »Ich auch nicht. Oder im Haus? Es hat ihm ja gehört, und niemand hat es bisher kaufen wollen. Im Haus eines Vampirs wollte keiner wohnen, auch wenn alles nur Film war.« »Damals ja. Aber es steckt mehr dahinter, das weiß ich jetzt. Die Karten sind neu gemischt worden.« »Und was heißt das?« »Ganz einfach. Dass wir ab jetzt davon ausgehen müssen, dass sich in Hollywood ein echter Vampir aufhält. So und nicht anders sehe ich das, Robert.« Taylor hatte Mühe damit, das als Wahrheit zu akzeptieren. Aber er zeigte Mut, schritt auf die Tür zu, fasste nach der Klinke und rüttelte an ihr, ohne dass er es schaffte, die Tür zu öffnen. »Geschlossen. Da ist er wohl nicht.« »Weißt du das genau?« »Nein, verdammt, nein! Ich weiß gar nichts mehr. Ich weiß auch nicht, wie ich gewisse Dinge zusammenfügen soll. Ich bin da einfach überfragt. Ich habe alles, nur keine Ahnung momentan. Ich wollte ein Fest gestalten, und das ist mir auch gelungen. Die Gäste haben sich amüsiert, sie hatten ihren Spaß und jetzt …« »Gibt es keinen Spaß mehr, Robert.« »Sondern?« »Ich will nicht unken, aber es könnte sein, dass wir bösen Zeiten entgegen gehen. Was im Film seine Triumphe gefeiert hat, kann sich
durchaus in der Realität wiederholen, und das hat dann nichts mehr mit Schauspielerei zu tun.« »Du gehst zu weit, Kate.« »Nein, das gehe ich nicht. Aber ich werde jetzt nach Hause gehen und mir meine eigenen Gedanken machen.« »Tu das, ich kann dich nicht aufhalten …«
* Kate Rome wohnte zwar in Beverly Hills, aber am Rand dieses Ge biets, in dem sich die Villen der Stars ballten und normale Menschen durch Wachtposten davon abgehalten wurden, einen Fuß in die Re gion zu setzen. Es gab Straßen, die durchfahren werden konnten, aber viel sahen die Touristen dabei nicht, die in den Bussen saßen und sich an den Fenstern die Nasen platt drückten, um vielleicht den einen oder anderen Blick auf einen der Stars erhaschen zu kön nen, was kaum möglich war, denn die Grundstücke zu den Straßen hin wurden durch hohe Mauern geschützt. Kate Rome musste einen der Wachtposten passieren. Ein Schlag baum erhob sich, sie konnte fahren und rollte wenig später von der breiten Straße ab in eine schmale hinein, die nicht mehr als eine Gas se war. Sie hatte bewusst nicht viel getrunken, aber sie fühlte sich trotz dem irgendwie beschwingt. Allerdings nicht fröhlich, denn ihre Bei ne waren schwer geworden, als sie aus dem vor der Garage gepark ten Wagen stieg. Das Haus war zwar kein Prunkbau, sondern mehr ein normaler Bungalow. Aber der Blick war einfach super. Kate sah von ihrem Wohnzimmer aus das berühmte HOLLYWOOD an einem der kar gen Berghänge leuchten, und dieser Blick allein machte ihr Grund stück sehr wertvoll. Sie lebte allein in ihrem Haus. Verheiratet war sie nie gewesen. Ei
nige Affären hatte sie während ihres Lebens gehabt, doch das war Schnee von gestern. Im Alter dachte man anders darüber. Auch in der Dunkelheit war das Haus gut zu sehen. Unter der Dachrinne gaben mehrere Lampen ihren Schein ab, so auch zum Eingang hin, wo blühende Sträucher die Wegplatten säumten. Trotz der müden Schritte war die Schauspielerin innerlich nervös und angespannt. Sie konnte das Erlebnis nicht so ohne weiteres wegstecken oder vergessen, denn tief in ihr hatte sich der Gedanke festgesetzt, dass es erst ein Anfang war. Kate stieß die Tür nach innen und betrat ihr Haus. Nach dem nächsten Schritt blieb sie stehen, denn plötzlich dachte sie darüber nach, wie dunkel es um sie herum war. Und gerade die Dunkelheit war die perfekte Zeit für die Blutsauger. Kate atmete heftig. Sie wollte in ihr Haus hineinrufen, aber das schaffte sie nicht. Alles war so still, und trotzdem kam es ihr vor, als würde sie Geräusche hören. Der Fußboden bestand aus Fliesen. Nichts dämpfte ihre Schritte, als sie zu einem Schalter ging und ihn kippte. Es wurde hell. Und das in fast allen Zimmern, denn sie hatte die Zentralschaltung betätigt. Jetzt konnte sie sich orientieren, und ihr erster Weg führte sie in den Wohnraum. Er war menschenleer. Sie atmete auf. Es hatte sich auch niemand an der Einrichtung zu schaffen gemacht. Alles stand noch auf demselben Platz. Die langen Gladiolen, die aus der Vase schauten, schienen sie anzulächeln. Der Blick nach draußen war wie immer. Aus der Küche, in der sie ebenfalls nichts entdeckte, holte sie sich ein Glas Wasser. Kate wollte ihren trockenen Mund ausspülen. Auf dem Rückweg warf sie einen Blick ins Schlafzimmer. Auch dort hat te sich niemand zu schaffen gemacht. Die Decke auf dem alten Him melbett zeigte keine einzige Falte.
Sie liebte dieses Bett. Sie hatte es einer Filmfirma abgekauft, die pleite gegangen war. Seit Jahren schon stand es hier und garantierte ihr einen guten und erholsamen Schlaf. Mit dem Glas Wasser in der Hand betrat sie wieder das große Wohnzimmer. Dahinter lag eine Terrasse. Das Gelände senkte sich anschließend bis zum nächsten Absatz, wo ihre Nachbarn wohnten. Sie alle hatten an einem Hang gebaut, der in Terrassen aufgeteilt worden war. Die breite Glastür ließ sich automatisch öffnen, und die Frau trat hinaus in die Dunkelheit und zugleich hinein in die noch warme Nachtluft Kaliforniens. Die Geruch der Pflanzen und Blüten hatte sich gehalten. Es tat ihr gut, tief Atem zu holen und ihre Lungen zu füllen. Nach all der Auf regung wollte sie endlich Ruhe finden, aber das war nicht der Fall. Kate musste permanent an den Blutsauger denken, der für sie wirk lich echt gewesen war und keine lebende Wachsfigur, die durch einen Motor angetrieben wurde. Sie leerte das Glas bis zur Hälfte und drehte sich wieder um. Auch wenn es mitten in der Nacht war, sie brauchte noch eine Dusche. Sie verriegelte die Tür, dann ging sie ins Bad, dessen Licht nicht zu hell war, denn das mochte sie nicht. Die Helligkeit war zu grausam, weil sie jedes Detail ihres nackten Körpers zeigte. In der Dusche hätten auch vier Leute Platz gehabt. Sie zog sich aus und legte ihre Kleidung auf einen Hocker. Er stand neben der zwei ten Tür. Durch die konnte Kate Rome in ihr Schlafzimmer gelangen. Das Wasser prasselte von vier Seiten gegen sie. Die Strahlen schwemmten nicht nur den Schweiß weg, sie massierten sie auch durch, aber sie schafften es nicht, sie von ihren ängstlichen Gedan ken zu befreien. Die blieben nach wie vor bestehen, und auch das in nere Zittern hörte nicht auf. Als sie aus der Dusche trat und nach dem großen flauschigen Handtuch griff, umfing sie wieder die Stille, und die drückte sehr
auf ihr Gemüt. So sehr sie das Alleinsein mochte, nur ab und zu durch einige kleine Highlights unterbrochen, so intensiv dachte sie jetzt darüber nach, wie allein sie doch war. An Hilfe war nicht zu denken. Wer immer es wollte, der konnte in ihr Haus eindringen und in ihre Nähe gelangen. Und erst recht ein Vampir. Es blieb nicht aus, dass sie sich während des Abtrocknens hin und wieder im großen Spiegel sah. Es war ein für sie trauriges Bild, wenn sie ihren Körper betrachte te. Die Jahre hatten ihre Spuren hinterlassen. Orangenhaut, das Alarmwort für viele Frauen, schien sie gepachtet zu haben. Es war schlimm. Noch fünf Jahre, dann stand die Acht davor. Das war wirklich kein Datum, auf das sie sich freuen konnte. Wenn sie ihre Brüste anschaute, dann sah sie am liebsten weg. Sie hielten keinen Vergleich zu den früheren Jahren mehr aus. Wie immer saß ein Kloß in ihrer Kehle, wenn sie darüber nach dachte. Was hätte sie darum gegeben, noch mal fünfzig Jahre jünger zu sein! Alles, und sie hätte dann von vorn anfangen können, sich in die Glitzerwelt Hollywoods hineinstürzen, um noch mal an diesem wilden Partyleben teilzuhaben. Aus dem Schlafzimmer holte sie das Nachthemd. Es bestand aus dünnem Stoff, der nicht durchsichtig war. So etwas hatte sie früher getragen. Kate streifte es über. Die Haut in ihrem Gesicht fiel wieder zusam men, das spürte sie. Das gespritzte Collagen half nur über eine be stimmte Zeitspanne. Und wer sie dann sah und ihr ein Kompliment machte, der wusste, woran es lag, weil er sich vielleicht selbst sprit zen ließ. Ein Windzug fuhr gegen sie. Zuerst achtete sie nicht darauf, doch dann schaute Kate genauer hin und stellte fest, dass ihr Schlafzim merfenster nicht geschlossen war. Zwar stand es nicht weit offen,
nur eine Handbreit, aber sie wusste genau, dass sie das Fenster nicht geöffnet hatte. Wer dann? Natürlich fiel ihr eine bestimmte Person ein. Kate traute sich aller dings nicht, zum Fenster zu gehen und es ganz zu öffnen. Außer dem wurde sie abgelenkt. Auf ihrem Kopfkissen lag ein Zettel. Sie konnte Buchstaben darauf erkennen, eine Botschaft. Kate Rome zitterte noch stärker, als sie auf den Zettel zuging und ihn an sich nahm. Das Rot der Buchstaben jagte ihr Schauer über den Rücken. Als wären sie mit Blut geschrieben worden. Noch konnte sie die Bot schaft nicht entziffern, weil die Schrift vor ihren Augen tanzte. Die Brille brauchte sie nur beim Autofahren. Hier musste sie sich nur konzentrieren, und sie las die Botschaft mit einer Flüsterstimme vor. »Ich bin wieder da, und ich habe die alten Zeiten nicht vergessen. Warte auf mich …« Diese Botschaft zu lesen war für Kate Rome ein Schock. Sie musste sich hinsetzen, und es kam nur das Bett infrage, das in ihrer Nähe stand. Sie fiel mit dem Hinterteil auf den Rand, wartete ab, bis sie starr saß, und erlebte einen heftigen Adrenalinstoß. Er war es. Das stand für sie fest. Sie kannte Armandos Hand schrift. Er hatte ihr mal nach einer wilden Liebesnacht eine kleine Widmung geschrieben, und die Handschrift konnte sie einfach nicht vergessen. Jetzt war er wieder da. Als Vampir und nicht als Schauspieler! Das erschreckte sie zutiefst. Etwas bohrte sich in ihre Brust, was sie nicht begriff. Er war doch nur ein Schauspieler gewesen, der ge storben war. Und jetzt?
War er ein echter Vampir, der zu ihr kam und die alten Filmsze nen zur Wirklichkeit werden lassen wollte? Das konnte so sein, aber es musste nicht unbedingt passieren, ob wohl … Sie dachte darüber nach, dass sie ihn ja im gläsernen Sarg gesehen und er da so echt ausgesehen hatte. Was stimmte und was nicht? Die Botschaft legte sie aufs Bett und ging wie eine Schlafwandlerin auf das Fenster zu. Sie brauchte den Blick nach draußen, auch weil sie sich vorstellen konnte, dass der Vampir in der Nähe lauerte und das Fenster unter Kontrolle hielt. Zu sehen war nichts und auch nichts von ihm zu hören. Nur der Himmel zeigte sich in einem dunklen Blau und mit Sternen übersät, wobei der Mond wie ein blassgelbes Auge in der Nähe stand und al les beobachtete. Es war der fast volle Mond, den Vampire so moch ten. Auch in den Filmen hatte immer der Vollmond eine Rolle gespielt. Nur war das vorbei. Jetzt gab es die Filme für sie nicht mehr, son dern nur die Realität. Sie trat vom Fenster weg, ließ es aber offen. Dann setzte sie sich aufs Bett und ließ sich wenig später zurück aufs Kopfkissen fallen. So blieb sie liegen. Alles war wie damals in den Filmen. Nur war sie da um fünfzig Jahre jünger gewesen. Da hätte sie mit so vielen tollen Männern schlafen können. Sie hatte es nicht getan. Sie war sehr wählerisch ge wesen, was manchen Typen geärgert hatte. Und jetzt lag sie wieder in der fast gleichen Position. Im Film hatte sie laut Drehbuch auf den Blutsauger warten müssen, und nun war tete sie erneut auf ihn. Wenn sie nach rechts schielte, sah sie das breite Fenster. Dahinter lauerte die Nacht, und die war ein Freund der Vampire. Armando Diaz würde sich wohl fühlen.
Er sieht noch immer so aus wie früher – und ich nicht!, dachte sie. Ich bin alt geworden. Ich muss mich bereits auf den Tod vorberei ten, mehr bleibt mir nicht übrig. Minuten vergingen. Normalerweise wäre Kate schon längst einge schlafen. Das gelang ihr in dieser Nacht nicht. Sie war nicht erregt, es gab bei ihr kein wallendes Blut wie früher, sie war einfach nur ge spannt darauf, was folgen würde. Kam er wirklich? Wieder schaute sie zum Fenster und durch die blanke Scheibe. Da hinter sah sie eine Bewegung, die nicht durch einen Schatten verur sacht wurde. Es war ein heller großer Fleck, der dort für einen Mo ment von einer Seite zur anderen zuckte. Armando? Die Frage schwebte noch unbeantwortet im Raum, als das Fenster bis zum Anschlag aufgezogen wurde und sie überdeutlich den Kör per eines Mannes sah. Ja, es war Armando Diaz, der Hollywood-Vampir!
* Manchmal bleibt die Zeit im Leben eines Menschen stehen. Oder es kommt ihm auch nur so vor. Kate Rome erlebte das in diesen Augenblicken. Sie lag noch immer bewegungslos auf dem Bett, aber etwas hatte sich an ihren Gefühlen geändert. Sie wusste nicht mehr, ob sie sich in der Gegenwart be fand oder in der Vergangenheit. Beide Zeitebenen vermischten sich miteinander, denn die Szene, die sie hier durchlitt, die kannte sie aus dem Film »Blutspur«. Da hatte sie ebenfalls im Bett gelegen. Da hatte sich der Vampir am Fenster eines viktorianischen Hauses gezeigt. Bekleidet mit ei nem cremefarbenen Smoking. Mit einem weißen Hemd darunter und der ebenfalls weißen Fliege, Armandos Markenzeichen. Und
nun wiederholte es sich. Kate dachte nichts mehr. Ihr Denken war einfach ausgeschaltet. Sie konnte nur schauen, doch in ihrem Innern rumorte es. Da war plötzlich die Angst vorhanden, die hoch bis in ihre Kehle stieg und ihr den Atem raubte. Wie lange alles dauerte, konnte sie nicht sagen. Der Vampir hatte ein Bein angehoben und den rechten Fuß auf die Fensterbank ge stellt. Es sah aus, als wollte er jeden Augenblick zum Sprung auf das Bett ansetzen, doch das tat er nicht. Stattdessen stieg er mit katzengleichen Bewegungen ins Zimmer. Ja, so war es auch in dem Film gewesen, an den sich Kate immer deutlicher erinnerte. Jetzt stand er im Zimmer. Die nächsten kleinen Schritte brachten ihn bis an das Bett heran, und zwar an die Seite, an der die Frau wie auf einem Gabentisch lag. Sie hielt den Kopf noch immer leicht schräg und schaute in das Ge sicht, das sich jetzt zu einem Lächeln verzogen hatte, vor dem sie keine Angst zu haben brauchte. »Du …«, flüsterte sie, »du bist gekommen …« »Ja, ich.« »Und?« »Nichts und«, sagte er leise. »Ich konnte dich einfach nicht verges sen. Ich konnte es nicht …« Sie nahm all ihren Mut zusammen und flüsterte: »Aber du bist doch tot, Armando!« »Sehe ich wirklich so tot aus, Liebste?« Kate zuckte zusammen. Wie hatte er sie genannt? Liebste! Als wä ren keine Jahrzehnte vergangen. Sie fasste es nicht. Es war einfach unmöglich. Aus ihrem Mund drang ein Stöhnen, das allerdings nicht auf irgendeine Angst hinwies. »Nein, du siehst nicht tot aus.« »Eben. Ich lebe, Kate, ich lebe!«
Dieser Satz hinterließ in ihrer Brust einen Stich. Etwas schien ihr Herz getroffen zu haben, und sie hatte dabei das Gefühl, innerlich und auch äußerlich zu vereisen. Diaz lächelte, und er lächelte bewusst, denn so sah Kate seine Vampirzähne, die leicht gekrümmt aus dem Oberkiefer ragten und tatsächlich aussahen wie kleine Messer. »Ja, du bist es …«, flüsterte sie. »Ich weiß.« »Und du bist nicht tot.« »Nein, ich habe den Tod überwunden. Ich habe einen großen und mächtigen Helfer zur Seite gehabt.« Er hatte die beiden Sätze kaum ausgesprochen, als sich seine Augen veränderten und sich aus den Schächten der Pupillen etwas nach vorn drängte, das ein rotgelbes Leuchten abstrahlte. Es sah aus wie eine gebändigte und auf einen winzigen Raum begrenzte Flamme, die etwas ausstrahlte, was Kate noch nie zuvor gesehen hatte. Ein derartiges Feuer war nicht nor mal. Seltsamerweise verspürte sie keine Angst. Sogar das Gegenteil trat ein. Die Freude über den Besuch des geliebten Armando überwog alle anderen Gefühle. »Was willst du wirklich?« flüsterte sie. »Möchtest du es wirklich wissen?« »Ja, bitte.« »Ich bin gekommen, um dir das ewige Leben zu schenken, meine Liebe …«
* Ja, es war wieder wie damals, und er roch auch so. Kate hatte diesen wilden Geruch nie vergessen. Dabei konnte sie ihn nicht mal einord nen, sie mochte ihn einfach und war beinahe süchtig nach ihm, und auch jetzt schöpfte sie ihn voll aus, als sie zur Seite glitt, um ihm
Platz zu machen. Armando Diaz wollte nicht zu ihr ins Bett. Er reagierte filmgemäß wie damals, und so sank er langsam neben dem Bett auf die Knie. Kate zitterte. Dieser schöne Mann, dieses attraktive männliche We sen wollte etwas von ihr, dieser alt gewordenen Frau mit der schlaf fen Orangenhaut. Zum Teufel, sie würde alles mit sich machen lassen, nur um von ihm etwas Liebe zu bekommen. Sie würde sich hingeben, sie würde auf ihn hören, sie würde sich nicht wehren. Er strich mit seinen langen Händen zuerst über die Decke und be rührte sie dann dicht unter dem Hals, wo der Stoff ihres Nacht hemds endete. Kate zuckte bei dieser Berührung zusammen. Die nächste Reakti on bestand aus einer Verkrampfung, sie schaffte es kaum, Luft zu holen, und hielt den Atem an. »Es ist wie damals …« Der schöne Armando nickte nur. Der Ausdruck seiner Augen hat te sich wieder normalisiert, und Kate konzentrierte sich auf die Be rührung seiner Finger. Sie spürte keine Wärme auf der Haut, aber auch keine Kälte. Bei ihm war alles neutral. Er war nicht gealtert. Und er hatte nichts vergessen. Seine Finger zupften am oberen Saum des Nachthemds und zerr ten den Stoff nach unten. Er rutschte auch über die Schulter hinweg. Für einen Augenblick kam Kate Rome der Gedanke, dass er gekom men war, um mit ihr zu schlafen, wobei sie sich innerlich selbst aus lachte. Nicht in ihrem Alter. Armando konzentrierte sich auf den Hals der Frau, dessen Haut längst nicht mehr so glatt war wie früher. Sie hatte dem Alter Tribut zollen müssen, da lag Falte neben Falte, und wenn er sie beißen wollte, hätte er die Haut erst glatt ziehen müssen. Sie nahm keinen Atem wahr. Auch das war wie damals, aber trotzdem anders. Früher hatte Ar
mando den Atem anhalten müssen, denn ein Vampir brauchte keine Luft zu holen. Jetzt aber … Kates Gedanken rissen, denn ihr unheimlicher Besucher hatte nun genau das erreicht, was er wollte. Er hatte ihren Hals an der linken Seite vom Stoff des Nachthemds befreit und musste nur noch die Haut straffen, was er auch tat. Fertig zum Biss! Es war für die ehemalige Schauspielerin nicht zu erklären, aber es war fantastisch. Sie jubelte innerlich, und sie dachte nicht im Traum an die Gefahr. Sie war voller Freude, und dass sich ihre Augen mit Tränen füllten, war eine Folge davon. Endlich schaffte sie es, Armando eine Frage zu stellen. »Warum bist du gekommen?« »Weil ich dich will. Endlich! Ja, ich will dich, und zwar dich und keine andere.« Sie weinte. Ihr Gesicht zuckte, und sie öffnete die Augen weit. Sein Gesicht schwebte über ihr. Es war wie ein Traum, aber er war real. Was sie hier erlebte, das bildete sich Kate nicht ein. Auch nicht das Kratzen der langen Fingernägel über die linke Halsseite. Es war wunderbar. »Jetzt gehören wir zusammen, meine Liebe. Ich bin gekommen, um dir das ewige Leben zu geben. Nimmst du es an?« »Ja, das tue ich!« »Wunderbar, meine Leibe, das ist einfach wunderbar. So habe ich es mir gewünscht. Schließ die Augen, bitte.« »Gern.« Es war nicht nur so dahingesagt. Wenn sie die Augen ge schlossen hielt, steigerte sich ihr Sehnen noch. Dann würde sie ein tauchen in ihr neues Leben, weg aus ihrem jetzigen, das in ihrem Al ter alles andere als erträglich war. Sie würde davonschwimmen und die Sorgen des normalen Daseins vergessen. Und das alles nur, weil Armando Diaz nicht tot war. Er war zurückgekehrt. Es war alles so wunderbar, und sie hätte sich das niemals erträumt.
Wie liebkosend streiften die Zahnspitzen an ihrem Hals entlang, bis sie plötzlich stoppten. Der leichte Druck aber blieb bestehen und wurde schlagartig stärker. Kate schrie auf. Sie hatte nicht damit gerechnet und fühlte sich im Moment überfordert. Plötzlich verkrampfte sie vom Kopf bis zu den Fußspitzen. Ihr Mund stand offen. Sie hatte den Eindruck, das Blut sprudeln zu hören, das aus ihrer Halsader schoss und vom weit ge öffneten Mund des Vampirs aufgesogen wurde. Armando Diaz war in seinem Element. Endlich, endlich konnte er saugen und sich satt trinken. Das lange Warten war vorbei, und das Blut der ehemaligen Geliebten schmeckte ihm noch immer. Es war so köstlich, so süß, und es sättigte ihn. Er trank. Er war so gierig. Seine Lippen zogen sich zusammen, denn er wollte die Frau bis auf den letzten Tropfen leer saugen. Kate lag einfach nur still da und genoss. Den ersten Schmerz beim Eindringen der Zähne in ihre Haut hatte sie längst vergessen. Schnell war sie in einen anderen Zustand hin ein geglitten. Sie fühlte sich plötzlich so behaglich und zugleich ir gendwie umsorgt. Nichts sollte sie mehr stören. Es war so wunder bar, sich einfach hinzugeben. Ihr Kopf war zur Seite gedreht. Die Augen hielt sie nicht mehr ge schlossen, und sie lächelte selig. Es war die Freude über den neuen Weg, den ihr Armando gezeigt hatte. Irgendwann verloren sich ihre Gedanken. Da spielten ihre Gefühle nicht mehr mit. Etwas Fremdes nahm sie auf, das wie eine große Wolke auf sie zuschwebte. Kate merkte nicht, dass Armando Diaz seine Lippen von ihrem Hals löste und sich aufrichtete. Ein paar Blutstropfen hingen noch an seinen Lippen, die er mit der Zunge ableckte. Ein paar weitere Blutflecken hatten sich auf seinem Jackett verteilt. Er schaute auf sie nieder. Er sprach sie an, ohne dass Kate etwas
hörte. »Ein Anfang«, flüsterte Diaz, »es war ein Anfang, und manchmal werden die bösen Märchen und Geschichten wahr …«
* »Das ist ein Witz, Abe – oder?« Mein alter Freund Abe Douglas, der New Yorker FBI-Mann, aus dem fernen Los Angeles anrufend, lachte in mein Ohr. »Leider nicht, Geisterjäger. Sonst hätte ich dich nicht angerufen.« »Hat auch einige Zeit gedauert.« »Kannst du laut sagen. Aber der Job – du kennst das ja. Aber jetzt gibt es einen Grund.« Mein Luftholen war sicherlich auch für ihn hörbar. »Es gibt ihn also, diesen Hollywood-Vampir? Da habe ich mich nicht verhört? Ist das so richtig ausgedrückt?« »Ja.« Ich stellte ihm eine Frage, obwohl ich die Antwort schon im Vor aus wusste. »Und was habe ich mit der Sache zu tun?« »Das FBI, in diesem Fall ich, bittet Scotland Yard offiziell um Amtshilfe.« »Wie schön.« »Das meine ich auch.« »Ich soll also nach L.A. kommen? Ist das richtig?« »Und das so schnell wie möglich, bevor hier die Luft anfängt zu brennen. Man darf den Blutsauger auf keinen Fall unterschätzen, denn er hat bereits Zeichen gesetzt.« »Und wie sehen die aus?« »Er saugte Blut.« »Und weiter?« »Du kannst dir vorstellen, was geschehen wird. Er wird seine ver
dammte Pest verbreiten.« »Ja, das befürchte ich auch.« »Eben, Alter, und deshalb solltest du so schnell wie möglich kom men. Du kannst auch deine Waffen mitbringen, ich habe alles gere gelt. In L.A. hole ich dich ab und …« »Du bist nicht mehr in New York?« »Nein.« »Warum nicht?« »Ich bin jemand, den man rumschickt, wenn es gewisse Probleme gibt. Aber das kennst du ja. Du hast deine Fälle ja auch nicht nur in London gelöst.« »Richtig. Muss ich allein kommen oder soll ich Verstärkung mit bringen?« »Zwei Helfer würden meine Vorgesetzten nicht akzeptieren. Sie sind jetzt schon skeptisch, was deine Hilfe angeht.« »Ach ja, ihr Amerikaner. Immer noch die Größten, die Besten, die Herren der Welt und …« »Moment mal, John. Nicht alle. Ich gebe zu, dass es diese Typen gibt und leider zu viele von ihnen, aber ich gehöre nicht dazu, und das weißt du auch.« »Klar, war nur ein Scherz.« »Du kannst die nächste Maschine nehmen. Ich habe bereits alles in die Wege geleitet. Dein Ticket liegt bereit. Eine Mail werde ich dir schicken, damit du alle Informationen hast, die dir noch fehlen. Ich werde am Flughafen sein.« »Okay. Ist es mit meinem Chef abgesprochen?« »Gewisse Herren telefonieren soeben miteinander.« »Noch besser. Ach ja, wie ist denn bei euch das Wetter, Abe?« Der G-man lachte. »Na ja, wie soll es schon sein? Eigentlich wie immer. Sonne, warm und blauer Himmel.« »Also trocken.« »Ja.«
»Ich hörte von Waldbränden.« Douglas lachte. »Die ersten haben wir hinter uns. Aber keine Sor ge, die Stadt der Engel steht noch.« »Gut, dann halte die Augen offen, Abe.« »Mache ich. Und guten Flug.« Ich legte auf und schaute Suko an, der mit gegenübersaß. Er hatte zugehört. Jetzt nickte er mir zu. »Du fliegst nach L.A.« »Ja, zu einem Hollywood-Vampir. Ist mal was Neues. Einem sol chen Typen bin ich auch noch nicht begegnet.« »Wäre das nicht etwas für Justine Cavallo?« »Im Prinzip schon, aber ich fliege allein. Selbst dich können sich die Amerikaner nicht leisten.« Suko verzog nur kurz die Lippen. »Wie heißt es doch so schön? Die spinnen, die Amis.« »Das waren die Römer«, korrigierte ich. »Egal.« Ich stand auf. Der folgende Weg führte mich ins Vorzimmer, wo Glenda bereits auf mich wartete, zusammen mit der E-Mail, die so eben durchgekommen war. »Dann fliegst du an die Westküste?« fragte sie. »Ja. Nach Kalifornien.« »Toll.« »Und der Vampir?« »Das ist weniger toll.« »Finde ich auch.« Während die Mail ausgedruckt wurde, fragte Glenda nicht ohne Hintergedanken: »Stimmt es eigentlich, dass die West-Coast-Girls und kleinen Starlets besonders wild sind?« »Woher soll ich das denn wissen?« »War nur eine Frage.« Ich lächelte unsere Assistentin an. »Aber wenn ich zurück bin,
kann ich es dir sagen.« »Darauf freue ich mich ganz besonders …«
* Es gibt Menschen, die das Fliegen mögen. Ich nahm es hin, weil ich beruflich oft unterwegs war und das Flugzeug das beste Transport mittel war, um so schnell wie möglich von einem Ort zum anderen zu gelangen. Nur wenn man sehr lange Strecken in der Luft ist, kann das Flie gen schon zu einer Qual werden. Und die Strecke von London nach Los Angeles ist verdammt lang, auch wenn wir einen kurzen Zwi schenstopp in Chicago einlegten. Es gab Passagiere, die in der Ers ten Klasse saßen und es besser hatten. Zu denen gehörte ich nicht. Irgendwann fühlte ich mich auch in diesem Großraumflugzeug ein gequetscht, und nicht nur ich war froh, als wir endlich auf dem Los Angeles International Airport landeten. L.A. war für mich keine Stadt, sondern ein Moloch, der sich weit ausbreitete und sich sogar irgendwie zu schämen schien, denn über der Stadt lag eine dichte Dunstglocke, die mich an den Londoner Nebel von früher erinnerte. Es kam mir vor, als sollten all die Vorur teile bestätigt werden, die man über diese Stadt hörte. Die Maschine senkte sich und schwebte in die Dunstglocke hinein. Das Meer hatte ich im Westen nur für einen kurzen Moment sehen können. Es war wie eine Illusion gewesen, die der Smog schließlich verschluckt hatte, der auf dem Flughafen nicht so dicht war. Das Ge biet wurde von der Sonne verwöhnt. Nach dem heißen Sommer, den wir in Europa erlebt hatten, war ich alles andere als erfreut, wie der in die verdammte Hitze zu gelangen. Die Einreiseformulare waren bereits ausgefüllt und von den Flug begleitern eingesammelt worden. Ich hatte darauf verzichten kön nen, was mir von meinen Nachbarn fast böse Blicke eingebracht hat
te. Dass sich in der Maschine auch ein Bewacher befand, ein so ge nannter Sky Marshal, stand fest. Nur hatte ich ihn nicht identifizie ren können und er gab sich mir auch nicht zu erkennen. Gepäck hatte ich erst gar nicht mit an Bord genommen, und meine Beretta befand sich in der Obhut des Chefpiloten. Ich war gebeten worden, als Letzter die Maschine zu verlassen, was ich auch tat. Man gab mir die Beretta zurück, ich konnte aussteigen und wurde von zwei Uniformierten in Empfang genommen. Männer, die wie die berühmten Kleiderschränke wirkten und mich noch überragten. Sie waren sehr höflich. In einem Jeep fuhren wir zu einem bestimmten Gebäude auf dem riesigen Areal, über dem das Sonnenlicht flirrte. Bis zu einer bestimmten Tür wurde ich begleitet. Anzuklopfen brauchte ich nicht. Unsere Ankunft war bereits bemerkt worden, und als sich die Tür öffnete, stand Abe Douglas vor mir. »Hahaha …«, rief er nur und breitete die Arme aus. »Das darf nicht wahr sein, du alter Eisenfresser. Schrecken aller Geister und Dämonen, lass dich umarmen!« Das taten mir. Die Wachtposten, die sich nicht zurückgezogen hat ten, mussten uns für kleine Kinder halten. Es war wirklich eine große Freude für mich, Abe Douglas wieder zu sehen. Der G-man mit den blonden Haaren war auch nicht jünger geworden. Man sah den ersten grauen Schimmer in seiner dichten Haarpracht und auch den leichten Faltenkranz um die Augen her um. »Wie war der Flug?« Abe zog mich in den Raum, wo bereits Kaf feebecher und Wasser bereitstanden. »Du wirst lachen, Abe, ich habe tief und fest geschlafen, und das über die meiste Zeit hinweg.« »War wohl am besten. Hast du Hunger?« »Nein, gegessen habe ich. Das Putenfleisch schmeckte sogar. Vor allen Dingen die Soße.«
»Man bessert sich. Aber einen Kaffee wirst du nehmen?« »Da sage ich nicht nein.« Abe ging zu einem Automaten an der Wand. »Aber vergleiche ihn nicht mit dem deiner Freundin Glenda, John.« »Auf keinen Fall. Das wäre ja eine Sünde. Tu dein Bestes. Ich wer de die Suppe dann trinken.« »Suppe!« Abe Douglas schüttelte den Kopf. Er war jedoch so fair, sich auch selbst einen Becher zu nehmen. Wir setzten uns an einen Tisch nahe des Fensters, durch dessen Scheibe wir nicht schauen konnten, weil ein Gitterrollo davor hing. Ich nahm die ersten Schlucke und wusste, dass Abe mich dabei be obachtete. Deshalb sagte ich nichts, nickte nur und presste die Lip pen zusammen. Einige Sekunden hielten wir das so aus, bis wir beide anfingen los zulachen. Da brauchte keiner einen Kommentar abzugeben, wir wussten auch so Bescheid. Der Spaß war schnell vorbei, denn ich war nicht gekommen, um Urlaub zu machen. Ich kam zum Thema und sagte: »Der Hollywood-Vampir.« Der G-man schaute mich aus seinen blauen Augen an und nickte. »Du sagst es, Geisterjäger.« »Gibt es was Neues?« Abe hob die Schultern. »Hollywood.« »Ich verstehe nicht.« »Er bleibt in seinem Kreis, denn er stammt aus der Szene.« »Genauer.« Ich bekam einen Bericht. Es ging um einen Mann namens Arman do Diaz. Ein Schauspieler aus dem letzten Jahrhundert, der sich als Gruseldarsteller einen Namen gemacht hatte und von den Frauen sehr verehrt worden war. Er hatte auch nichts anbrennen lassen, und in jedem seiner Filme hatte er den Blutsauger gespielt. Abe Douglas zeigte mir ein Bild, und ich musste zugeben, dass Ar
mando Diaz mit seinem Aussehen wirklich der perfekte Vampir war. Er hatte etwas Abstoßendes und zugleich Anziehendes an sich. Sein Gesicht wirkte verlebt und geprägt von einer gewissen Sinn lichkeit. Der Blick seiner Augen konnte Frauen sicherlich dahin schmelzen lassen. Ich gab Abe Douglas das Foto zurück. »Nicht schlecht, alter Junge, der hatte was.« »Hat was, John. Es gibt ihn wieder, obwohl er vor fünfzig Jahren gestorben ist, als er ebenfalls fünfzig war.« »Jetzt ist er also wieder da.« »Ja.« »Woran ist er damals gestorben?« »Ich weiß es nicht. Die Umstände seines angeblichen Tods sind nie richtig aufgeklärt worden. Man hat ihn in seinem Haus gefunden und dann weggeschafft. Ob es eine Beerdigung gegeben hat, lässt sich nicht mehr feststellen, jedenfalls war die Leiche verschwunden, die schon beim Bestatter lag. Man hat darüber den weiten Mantel des Schweigens ausgebreitet. Mehr kann ich nicht sagen.« »Und jetzt ist er wieder da.« »Auf den Tag genau fünfzig Jahre später. Er war nicht vergessen. Man hat ihm zu Ehren eine Party gefeiert, und da ist etwas passiert, was keiner begreifen kann …« »Wird es spannend?« »Das kannst du laut sagen.« In den nächsten Minuten erfuhr ich, was auf dieser Fete vorgefal len war. Man hatte ihn in einem gläsernen Sarg herangeschafft und war eigentlich davon ausgegangen, dass es sich bei ihm um eine Wachsfigur handelte, was aber wohl nicht zutraf, denn Wachsfigu ren können nicht plötzlich wieder verschwinden. Das war mit ihm geschehen. »Und welche Spur habt ihr?« fragte ich.
»Es gibt da eine Frau, die heute fünfundsiebzig Jahre alt ist. Da mals war sie fünfzig Jahre jünger und in einigen Filmen die Partne rin von Armando Diaz. Die beiden hatten eine Affäre, und jetzt, wo der Todestag mit einer großen Party gefeiert wurde, ist diese Frau – Kate Rome – so etwas wie der Ehrengast gewesen. Sie muss völlig aus dem Häuschen gewesen sein, als sie ihren geliebten Armando erlebte. An sie hätten wir uns auch halten können, aber das haben wir nicht getan, weil wir es nicht konnten, denn Kate Rome ver schwand noch in derselben Nacht. Davon können wir ausgehen. Du weißt, was das bedeuten könnte, John?« »Ich denke schon. Armando Diaz hat seine alte Beziehung wieder aufgenommen.« Abe nickte mir zu. »Genau. Nur diesmal als eine andere Person. Als echter Vampir, der Blut braucht.« »Das er sich bei Kate Rome geholt hat.« »Könnte man so sagen.« Ich trank von der braunen Brühe, bevor sie kalt wurde. »Hat die ser Diaz noch andere Spuren hinterlassen? Wenn er als Vampir durch die Gegend läuft, wird er Blut trinken müssen.« »Das hat er auch.« »Aha …« »Es gibt zwei Opfer, aber die Bissstellen sehen bei ihnen unter schiedlich aus. Deshalb gehen wir davon aus, dass er seiner Freun din Kate den jungen Mann überlassen hat. Das weibliche Opfer hat er sich selbst vorgenommen und ihr eine neue Existenz gegeben.« Nach diesen Worten grinste mich der G-man an. »Neue Existenz?« »Kann man das nicht sagen?« »Sehr gut ausgedrückt. Und was ist mit den beiden?« »Sie sind bei uns.« Bevor ich noch staunen konnte, sprach Abe Douglas weiter. »Sie gehören zum Team von Dreamgate, einer Film firma, die alle Stürme überstanden hat. Sie produzierte auch damals
die Streifen mit Armando Diaz.« »Interessant.« »Der heutige Chef heißt Robert F. Taylor. Er weiß noch nichts da von, was mit seinen Leuten passiert ist.« Ich schüttelte den Kopf. »Jetzt würde mich interessieren, wie ihr an die beiden Vampire herangekommen seid.« »Es war ein Zufall. Sie wurden an einem sonnigen Morgen am Strand gefunden. Frag mich nicht, wie sie dort hingekommen sind. Aber man fand sie da. Kollegen schleppten sie ab, und dann gab es einen Arzt, der sie untersuchte. Dieser Mann dachte nach. Er fand heraus, wer die beiden waren, er sah auch die Bissstellen und hat genau das Richtige unternommen, indem er die Polizei alarmierte. Bis dahin war es kein weiter Weg bis zu uns. Ich wurde alarmiert, und Stunden, nachdem die beiden gefunden wurden, saßen sie be reits in einer ausbruchsicheren Zelle.« »Sehr gut. Sitzen sie da jetzt noch?« »Ja.« »Dann muss ich fragen, was in der Nacht mit ihnen passierte.« Abe Douglas winkte ab. »Es war der reine Wahnsinn. Tagsüber waren sie ruhig. Sobald jedoch die Dunkelheit anbrach, erwachten sie. Das haben sie gespürt, denn einen Blick nach draußen konnten sie nicht werfen. Sie waren hungrig, sie wollten Blut, und der Teufel hat wohl seine Hand mit im Spiel gehabt, denn ihnen wuchsen Zäh ne. Sie verwandelten sich in zwei echte Vampire, und genau das sind sie noch immer, John. Ich kann sie dir auf den Präsentierteller legen.« »Ihr habt also nichts getan?« »So ist es. Die Kollegen nicht, die als Wachtposten eingeteilt wa ren, und ich auch nicht.« Er legte seine ausgestreckten Hände auf den Tisch. »Wir haben das alles unter einem dicken Deckel gehalten. Vor allen Dingen sollte die Presse keinen Wind davon bekommen, und das ging bisher ganz gut.«
»Wurde denn über die Party berichtet?« »Ja, aber nur am Rande. Du weißt ja selbst, wie schnelllebig unsere Zeit ist. Besonders hier. Was heute hochgejubelt wird, das ist mor gen schon vergessen.« »Okay«, sagte ich und fragte dann: »Wie sieht denn deine Strategie überhaupt aus?« Er deutete auf mich und danach auf sich. »Wir werden uns als Duo auf den Weg machen.« »Zu den beiden Blutsaugern.« »Ja.« »Das hatte ich mir gedacht. Da fällt mir etwas anderes ein. Habt ihr auch nach Freund Armando Diaz gesucht?« »Das haben wir.« »Und?« Der G-man hob die Schultern. »Nichts, John, gar nichts.« »Habt ihr auch das Haus durchsucht, in dem er früher gewohnt hat?« »Ja. Es steht leer.« »Wie lange schon?« »Die letzten Jahrzehnte. Es traute sich niemand, in das Haus ein zuziehen, so komisch es sich anhört. Es ist auch nicht versucht wor den, es zu verkaufen. Die Gedenkparty fand im Garten des Hauses statt. Hineingegangen ist niemand. Das hat sich keiner getraut.« »Du auch nicht?« Douglas grinste und hob die Schultern. »Ich war drin und habe keine Spuren gefunden. Es ist alles noch so wie früher, nur eben ver gammelter und verstaubter. Da hat niemand etwas getan. Du fin dest das Haus so in seinem Innern wie vor fünfzig Jahren. Und wenn du mich jetzt fragst, ob ich Spuren entdeckt habe, dann muss ich leider passen. Das habe ich nicht. Der Staub hat alles verdeckt.« »Dann weiß ich Bescheid. Aber wir müssen zusätzlich davon aus gehen, dass es nicht bei den beiden Opfern bleibt. Der Hollywood-
Vampir und seine neue alte Freundin sind unterwegs, und ich den ke, dass sie hier in Los Angeles eine Hölle entfachen können, wenn wir sie nicht schnell genug finden. Wie heißt dieser Produzent noch?« »Robert F. Taylor.« »Sollten wir ihn einweihen?« »Weiß nicht …« »Warnen zumindest.« »Aber wie? Die Firma Dreamgate steckt mitten in einer Produkti on. Da kann sie nicht raus. Das habe ich gehört, und es war mir auch ganz recht. Wenn es zu viele Mitwisser gibt, ist es nicht gut.« »Richtig.« Abe Douglas strahlte über sein ganzes Gesicht. »Jedenfalls bin ich froh, dich an meiner Seite zu haben. Da sehe ich die Lage schon we sentlich optimistischer.« »Wollen wir hoffen.« »Trinkst du deinen Kaffee noch aus?« Ich schaute auf die Brühe, die den Becher noch zur Hälfte füllte. »Bestimmt nicht.« »Dann können wir also fahren?« »Wenn es nach mir geht, immer …«
* Zwar fuhren wir nicht in die Wüste, aber das Gelände südwestlich der Stadt hatte einen wüstenähnlichen Charakter. Es gab nur wenig Vegetation zu sehen, dafür viel karstiges Land, das sehr ausgetrock net aussah. Eine braungraue Bergkette begleitete uns, über deren Spitzen das Licht der Sonne gleißte. Grün wurde es nur, wenn wir durch kleine Ortschaften fuhren, die allesamt im Vergleich zu L.A. wie verschlafene Nester wirkten, was sie irgendwie auch waren, auch wenn sie nicht mehr aussahen wie Westernstädte. Jetzt konnte man sie als Trabantensiedlungen be
zeichnen, wo ein Haus dem anderen glich, jedes Grundstück eine bestimmte Größe auswies und mich an die TV-Serie Desperate Hou sewives erinnerte. Wir saßen in einem BMW der Dreierklasse. Abe fuhr. Trotzdem bemerkte er meinen skeptischen Blick. »Probleme, John?« »Ganz und gar nicht. Ich denke nur an die Menschen, die hier wohnen. Das muss kein Vergnügen sein.« »Schlafstädte. Die Leute arbeiten in L.A. Sie nehmen auch lange Fahrzeiten in Kauf. In den guten oder besseren Wohngegenden der Stadt ist es einfach zu teuer.« »Verstehe. Deshalb habt ihre euren Spezialknast auch in die Wüste gesetzt.« »Das nicht gerade. Wer dort einsitzt, der soll sich nicht eben wie in einem Hotel fühlen. Die meisten haben eine verdammt große Schuld auf sich geladen.« »Das Guantanamo von Kalifornien?« »So schlimm ist es nicht.« Bretteben war das Land. Sonnig und auch staubig. Die Reifen un seres BMWs wirbelten ihn auf, sodass wir eine braungraue Wolke hinter uns her zogen. Wir erlebten hier nicht das Los Angeles, das man aus zahlreichen Filmen und Serien kannte. Die letzte Ortschaft lag schon einige Kilometer zurück, als Abe Douglas nach rechts deutete. »Schau dorthin. Der viereckige Klotz. Das ist unser Ziel.« »Starke Lage.« »Ja. Da ist vorne nichts, hinten nichts, und auch nichts an den Sei ten. Nur Steppe oder Wüste, kommt ganz darauf an, wie du es se hen willst, mein Lieber.« »Ich lasse mich überraschen.« Zunächst wurden wir von der Natur überrascht, denn plötzlich fielen graue Schatten von den Bergen ins
Tal und breiteten sich dort aus. Auch Abe Douglas hatte die Veränderung bemerkt. »Die Dämmerung kommt«, kommentierte er. »Bald ist ihre Zeit da.« »Dann werden sie erwachen.« »Genau, John, und deshalb sind wir auch zur richtigen Zeit bei ih nen. Uns stehen alle Möglichkeiten offen.« »Perfekt.« Ich war nun froh, dass ich im Flieger die meiste Zeit über geschlafen hatte. Erste Hinweisschilder tauchten auf und informierten uns darüber, dass wir uns dem Sicherheitstrakt näherten. Unbefugten war das Be treten untersagt. Sie durften nicht mal in die Nähe des mächtigen quadratischen Baus. Eine Asphaltstraße führte auf das Gebäude zu. Die Technik der Überwachungsanlage blitzte nicht mehr in der Sonne auf. Hohe An tennen wuchsen aus dem Dach. Ich sah auch eine Satellitenschüssel und einen Sendemast für Handy-Signale. Und ich sah die dicken und hohen Mauern des Baus. Stacheldraht gab es nicht. Hier wurde elektronisch überwacht. Nach außen und auch nach innen. Je näher wir herankamen, umso mehr Einzelheiten nahmen wir wahr. Der Zugang glich einem vorgebauten viereckigen Rüssel, der durch ein Stahltor versperrt war. Wir hielten an. Es begann die Prozedur des Überprüfens, die wir über uns erge hen lassen mussten. Immer wieder wurden wir gemustert und in den entsprechenden Papieren nachgeschaut, bis Abe es leid war und die Wachtposten mit scharfer Stimme anfuhr. »Wenn Sie nicht lesen können, sagen Sie es gleich.« Einer hatte schon telefoniert. Da sich das erste Tor hinter uns ge schlossen hatte und wir vor uns ein zweites sahen, kamen wir uns vor wie in einer Schleuse. Umgeben von hohen Mauern, mussten
wir zum Himmel schauen, um ein Stück Natur zu sehen. Endlich durften wir passieren, nachdem uns gesagt worden war, bis zu einer bestimmten Haltelinie vorzufahren. Sie befand sich in einem Innenhof. Dort standen noch andere Wagen, aber ich sah auch, dass der In nenhof abermals durch eine hohe Mauer geteilt war. Dahinter konn ten sich die Gefangenen bewegen, wenn sie mal Freigang hatten. Hin und wieder klang eine Männerstimme zu uns herüber. Wir ver ließen den BMW und gingen auf eine Tür zu, die sich automatisch öffnete. Nach Waffen hatte man uns nicht durchsucht, aber die Wächter in einem Aufenthalts- und Überwachungsraum, der mit Monitoren bestückt war, trugen sie. Ein Mann nicht. Es war Zivilist, hatte pechschwarzes Haar, eine gebräunte Haut und einen Bart auf der Oberlippe. Er trug ein wei ßes Hemd mit kurzen Ärmeln. Vor seiner Brust hing eine braune Krawatte. Der Mann stellte sich als Alvin Gomez vor. Er war der stellvertre tende Chef. Sein Vorgesetzter, mit dem Abe telefoniert hatte, hatte plötzlich eine Dienstreise antreten müssen. »Aber ich bin informiert«, sagte Gomez und lächelte. »Sie können Ihrer Aufgabe nachkommen.« »Sie wissen, wohin wir wollen?« »Natürlich.« »Kommen Sie mit, Mr. Gomez?« Der Mann nickte Abe Douglas zu. »Dann sollten wir keine Zeit mehr verlieren.« Wir verließen den Raum und wurden in die Tiefe des Knasts ge führt. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass es hier eine unterirdische Welt gab, aber wir mussten über eine Betontreppe in die Tiefe ge hen. Überhaupt war hier unten alles aus Beton gebaut. Ich sah, dass an den strategisch wichtigen Stellen Kameras installiert waren. Vor ei
ner altmodisch anmutenden Stahltür stoppten wir. Gomez musste sich bemerkbar machen. Er drückte auf einen Kon takt. Hinter der Tür wurde das dadurch ausgelöste Signal gehört. Eine Luke wurde geöffnet und dahinter erschien das Gesicht eines Farbi gen, der sehr schnell nickte und uns den Zugang freigab. Vier Wachtposten schoben hier Dienst. Sie konnten von ihrem Raum aus in den Zellengang schauen, der durch eine altmodische Gittertür abgesichert war. Sie ließ sich elektronisch öffnen, aber auch durch ein völlig normales Schloss. Bei uns summte es, und so konnten wir die Tür aufdrücken. Go mez ging vor. Er gehörte zu den lebhaften Menschen und fuchtelte mit beiden Händen, als er redete. »Wir müssen bis zum Ende des Gangs. Die beiden sind in der letz ten Zelle untergebracht.« »Und? Wie haben sie sich verhalten?« wollte ich wissen. »Ruhig am Tag.« »Aber nicht in der Nacht – oder?« »Da haben sie manchmal gestöhnt, aber auch getobt. Wir haben uns an die Direktiven gehalten und nichts getan.« Mir fiel auf, dass hinter den Gittertüren der Zellen, an denen wir vorbeikamen, niemand hockte, was uns wunderte. Als ich eine ent sprechende Frage stellte, erhielt ich auch die Antwort. Die anderen Gefangenen waren in einen entsprechenden Trakt geschafft worden, weil sie nicht mit der jungen Frau und dem jungen Mann in Berüh rung kommen sollten. Ich fand es gut, und ich war gespannt auf die beiden Blutsauger. Ich hatte mir noch keinen Plan zurecht gelegt. Sollten sie tatsächlich Vampire sein, dann gab es nur die eine Möglichkeit. Ich musste sie aus der Welt schaffen, in der sie nichts zu suchen hatten. »Da ist es!« erklärte Gomez mit belegter Stimme. Er selbst fühlte sich alles andere als wohl in seiner Haut.
Das merkte auch Abe Douglas. »Sie müssen nicht bei uns bleiben, wenn Sie nicht wollen.« Gomez überlegte. Dabei fragte er: »Sind die beiden wirklich das, was man von ihnen sagt?« Abe lächelte ihn an. »Das wird sich noch herausstellen, und es kann sein, dass wir handeln müssen. Sie verstehen?« Der Mann nickte. Danach ließ er uns allein. Sein Rückzug glich schon einer kleinen Flucht. Wir warteten, bis er nicht mehr zu sehen war. Die Zelle war dunkel, aber man konnte von außen das Licht ein schalten, das nicht nur die dicken Eisengitterstäbe glänzen ließ. Es breitete sich auch in dem Raum mit den beiden Holzpritschen aus, die sich seitlich gegenüber standen. Sie waren belegt. Auf der linken lag die junge Frau. Sie hatte schwarze Haare, die wie die Stacheln eines Igels in die Höhe standen. Da sie auf der rich tigen Seite lag, sah ich auch ihr bleiches, etwas puppenhaftes rundes Gesicht. Ihr Gegenüber lag auf dem Rücken. Wie auch die Frau war er mit einer Jeans und einem T-Shirt bekleidet. Haare wuchsen bei ihm kei ne auf dem Kopf. Wir sahen ihn vom Profil her und stellten fest, dass seine Nase ziemlich lang in die Höhe stach. Lagen beide noch in ihrem Schlaf? Abe Douglas hatte den gleichen Gedanken wie ich. »John, ich kann mir nicht vorstellen, dass sie noch schlafen oder sich ausruhen. Draußen dämmert es. Die spielen uns was vor.« »Abwarten.« »Wie lange?« Die Antwort erhielt er von der Frau, denn sie fing an zu zwinkern. Aber sie stand nicht auf. »Kennst du die Namen der beiden, Abe?« »Sie heißt Alexa. Er Val.«
»Gut.« »Willst du sie ansprechen?« »Warum nicht?« Er lachte leise. »Das ist dein Bier.« Ich wartete noch einige Sekunden, weil ich sehen wollte, ob sich Alexa wirklich regte. Ja, sie tat mir den Gefallen. Plötzlich öffnete sie die Augen. Da sie in unsere Richtung schaute, musste sie uns einfach sehen. Es war für mich irgendwie eine beklemmende Lage. Das schwache Licht im Gang, mehr eine Notbeleuchtung, und das hellere in der Zelle. Fast wie bei einem Filmset. Sie starrte uns an. Mehr geschah nicht. Auch wir taten nichts und ließen die Sekunden verstreichen, bis sich Alexa mit einer trägen Be wegung aufrichtete. Das erinnerte mich an eine Tigerin, die erst noch ihren Schlaf aus dem Körper schütteln musste. Alexa schaute mich an. Ich gab den Blick zurück. Sie saß jetzt auf ihrer Pritsche. Plötzlich fing sie an zu lächeln, und im nächsten Au genblick sprach sie auch. »Blut, ich rieche Blut …« Aus dem Stand sprang sie los und prallte gegen das Gitter, das uns schützte. Sie wurde zurückgeworfen, fing sich aber schnell wie der, stand da und schüttelte den Kopf. Dabei öffnete sie ihren Mund. Und jetzt sahen wir ihr Markenzeichen und wussten genau, mit wem wir es zutun hatten …
* Der Kommentar des G-man klang irgendwie erleichtert, als er sagte: »Jetzt haben wir den Beweis.« »Du sagst es.«
»Und?« »Es wäre gut, wenn wir sie dazu bekämen, dass sie uns sagt, was sie weiß.« »Die will nur Blut.« »Das auch, Abe.« Ich sprach Alexa an. »Kannst du uns verstehen? Begreifst du, was wir sagen?« Sie zog die Augenbrauen zusammen, sodass ihr Gesicht einen fins teren Ausdruck annahm. Den Mund hielt sie nach wie vor offen. Die Oberlippe zitterte sogar. Ihre Gier nach unserem Blut musste uner sättlich sein. Zugleich bewegte sich auch Val. Er richtete sich ruckartig auf und drehte sich noch im Sitzen um. Wir schauten auf den kahlen Kopf und ein verzerrtes Gesicht. Er hatte den Mund halb geöffnet, aber auch seine Eckzähne waren zu sehen. Sie sprachen uns nicht an. Beide interessierten sich momentan nur für sich selbst. Sie schauten sich gegenseitig an, sie gaben leicht keu chende Geräusche von sich, die tief aus ihren Kehlen drangen. Ihre Augen blieben starr. Jetzt stand auch Val mit einem Ruck auf und stellte sich neben Alexa an die Gitterstäbe. Sie sprachen kein Wort und bewegten nur ihre Unterkiefer. Ihre Lippen zitterten vor Gier. Hätte es das Gitter nicht gegeben, sie hät ten uns angesprungen, so aber hielten sie sich zurück – noch … Mein Entschluss stand fest. Ich wusste, dass ich sie erlösen musste. Wenn sie freikamen, konnten sie mehr Unheil anrichten als eine Rot te von Berufskillern. Sie sprachen noch immer nicht. Nur ihre Augen bewegten sich. Wie das geschah, ließ auf etwas Bestimmtes schließen. Wahrschein lich suchten sie nach einem Weg, um an uns heranzukommen. Wir mussten jeden Augenblick mit einem plötzlichen Angriff rechnen. Die Lücken zwischen den Stäben waren breit genug, um hindurch fassen zu können, und deshalb hielten wir einen entsprechenden
Abstand. »Willst du sie noch mal ansprechen, John?« »Genau das hatte ich vor.« »Okay.« Ich redete laut, damit sie auch jedes Wort verstanden. »Könnt ihr mich hören? Könnt ihr mich verstehen?« Sie schwiegen. »Bitte, wir sind gekommen, um mit euch zu sprechen. Ihr sollt uns helfen …« Ja, sie verstanden mich, denn sie schraken bei meinem letzten Satz leicht zusammen. »Nun?« Der junge Mann übernahm das Wort. Seine Stimme hörte sich kratzig an, sie war aber zu verstehen, als er sagte: »Was wollt ihr von uns?« »Hilfe.« Da lachte Alexa. »Ja, wir wollen eure Hilfe, denn ihr sollt diejenigen sein, die uns auf die Spur des großen Armando Diaz bringen. Wir wollen ihn se hen, wir wollen mit ihm reden und …« »Er wird nichts mit euch zu tun haben wollen.« »Er wird nicht einmal unser Blut haben wollen?« fragte ich. »Das wollen wir.« Ich ging darauf nicht ein und sagte: »Aber ihr kennt ihn. Er ist zu euch gekommen, und ich denke, dass er seine Geliebte mitgebracht hat. Bestimmt war Kate Rome an seiner Seite. Etwas anderes kann ich mir nicht vorstellen …« »Ja, sie haben uns besucht. Der große Armando hat mich in seine Arme geschlossen«, erklärte Alexa. »Er hat mir ein neues Dasein ge geben. Ab jetzt brauche ich den Tod nicht mehr zu fürchten. Wir sind der Anfang, aber viele werden folgen. Man hat uns eingesperrt, aber wir werden länger existieren als dieses Gefängnis. Trotzdem
wollen wir die Freiheit. Wir werden euch zu Armando Diaz führen. Aber dazu müssen wir raus, denn wir wissen, wo er sich aufhält.« Ich lachte sie aus. »Ich soll euch freilassen?« »Ja.« »Und dann?« »Gehen wir zu ihm. Er wird sich freuen, uns zu sehen – und euch bestimmt auch.« »Ihr seid hungrig, wie?« »Sind wir«, antwortete diesmal Val. »Und ihr wollt unser Blut!« »Das ist etwas anderes. Wir können auch dankbar sein, wenn ihr uns hier rausholt.« Ich schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte ich, »auf den Deal lasse ich mich nicht ein. Sobald ihr freikommt, haben wir euch am Hals hän gen, und dazu wird es nicht kommen, das verspreche ich euch. Aber wir wollen Antworten, und die werden wir …« Ein Schrei unterbrach mich. Alexa hatte ihn ausgestoßen. Sie war plötzlich wie irre geworden und konnte es nicht mehr auf ihrem Platz aushalten. Sie warf sich gegen das Gitter, dort, wo ich stand. Ich hatte zwar einen gewissen Abstand eingehalten, aber das störte sie nicht. Beide Hände fuhren durch die Lücken zwischen den Git terstäben. Sie streckte die Arme so weit vor, dass sie mich mit ihren Krallenhänden erreichte. Ich spürte die Schläge gegen die Brust. Ihre Finger griffen nach meinem Hemd. Sie wollte mich gegen das Gitter zerren. Ich wuchte te mich zurück. Zu spät. Hart prallte ich gegen die Stäbe, denn ich hatte die Kraft der Unto ten unterschätzt. Im letzten Moment drehte ich den Kopf nach rechts. So wurde ich nicht voll im Gesicht getroffen, sondern nur am Hals. Das reichte aber auch, um mich wütend zu machen. Ich hörte Abes wilden Ruf. Das Fauchen der Blutsaugerin aller
dings klang näher. Mein Kopf lag dicht am Gitter. Ihre Chance, doch die Lücke war zu schmal. Sie kam mit ihrem Schädel nicht durch. Ihr Maul hatte sie weit aufgerissen. Aber ihre Hände begannen zu wandern. Sie suchten Stellen an meinem Körper, die nicht von der Kleidung bedeckt waren. Plötzlich waren ihre Finger überall. Die Spitzen der Nägel wollten meine Haut aufreißen. Die Wunden würden bluten, dann konnte sie ihre Finger ablecken. Meine Hände konnte ich noch bewegen. Auch wenn ich an das Gitter gepresst wurde und die Blutsaugerin dicht vor mir toben hör te, an meine Beretta kam ich heran. Ich holte sie hervor und dachte an das Magazin mit den geweihten Silberkugeln. Alexa war gar nicht zu verfehlen. Egal, wo sie getroffen wurde, sie würde vergehen. Abe, der eingreifen wollte, hielt sich zurück, aber ich gab ihm die Pistole. »Tu du es.« »In den Kopf?« »Ja!« Ich nickte. Er hielt die Waffe nicht durch die Lücke zwischen den Stäben, son dern ging von mir weg und sorgte so für eine bessere Schusspositi on. Zielen und feuern. Den Einschlag erlebte auch ich indirekt, denn ich bekam mit, wie die Gestalt des Mädchens zusammenzuckte. Sie gab nicht mal einen Jaullaut ab, aber ihr Griff lockerte sich und war im nächsten Augen blick völlig verschwunden. Ich warf mich zurück, prallte gegen die Gangwand und sah Alexa durch die Zelle taumeln, vorbei an ihrem Artgenossen. Sie brach neben ihrer Pritsche zusammen, und ich wusste, dass sie erlöst war und kein menschliches Blut mehr brauchte.
Plötzlich erschienen zwei der Wärter. Sie hatten ihre Waffen gezo gen. Gomez befand sich in ihrem Schlepptau. »Was ist hier los?« schrie der stellvertretende Direktor. Er bebte vor Wut. Sein Gesicht war trotz der Bräunung rot angelaufen. Ich trat zurück und überließ dem G-man das Feld. Abe deutete mit der Beretta in die Zelle. »Sehen Sie selbst, aber seien Sie vorsichtig.« Gomez zögerte noch. Wenig später schaute er durch das Gitter und sah die Frau am Boden liegen. »Ist sie tot?« »Ja, sie wurde erlöst. Sie wird nicht mehr aufstehen und auf Blut suche gehen.« Gomez nickte nur. Er strich über sein Gesicht. So etwas hatte er noch nie erlebt. Dann fragte er: »Was ist mit dem Mann?« »Überlassen Sie ihn uns.« Gomez überlegte kurz. »Gut, ich habe meine Anordnungen be kommen. Ich werde sie befolgen.« »Ist auch besser so.« Die drei Männer zogen sich zurück. Ich nickte dem G-man aner kennend zu. »Du hast am großen Rad gedreht, wie?« »Am ganz großen sogar. Und jetzt?« »Werden wir mal sehen.« Ich trat bewusst dicht an das Gitter heran, aber ich tat noch etwas anderes. Ich holte mein Kreuz hervor, das sich augenblicklich er wärmte, als es freilag. Val war bis an die Rückwand zurückgewichen. Seiner Freundin konnte er nicht mehr helfen, sie ihm auch nicht, und deshalb gab es für ihn nur noch uns beide. Noch hatte er mein Kreuz nicht gesehen, weil ich es mit der Hand abdeckte. Sekunden später stierte er darauf und gab einen röcheln den Schrei von sich. Er schüttelte den Kopf, hob die Arme an und hielt sie vor sein Gesicht. Dann duckte er sich, taumelte bis in eine Ecke und ließ sich dort in die Knie sinken, wobei er uns den Rücken
zudrehte. »Du solltest lieber sprechen«, sagte ich zu ihm. »Und zwar über Armando Diaz. Das wäre für dich am besten.« Der Blutsauger gab keine Antwort. Er heulte nur auf. »Wo finde ich ihn?« Es dauerte noch ein paar Sekunden, aber dann drangen die Worte stockend aus seinem Mund, begleitet von einem Keuchen. »Das Kreuz – das Kreuz – nimm es weg, verflucht! Nimm das verdammte Kreuz weg!« »Wo ist Diaz?« »Nicht hier.« »Wo dann?« »Ich weiß es nicht!« jaulte er los, ohne seine Haltung zu verändern. Aber der Körper zuckte jetzt immer heftiger. Ich ließ nicht locker und fragte: »Wo könnte er denn sein?« Der Vampir kicherte vor seiner Antwort. »Er lauert, er wartet. Er hat ein gutes Versteck. Von dort aus holt er sich seine Nahrung. Er ist immer satt, das weiß ich …« »Worauf wartet er?« »Auf seine Familie …« »Wie bitte?« »Ja, er will Blut. Er will eine große Familie gründen, und er wird sie bekommen.« »Wo holt er sie denn her?« fragte ich leise. »Hat er da schon be stimmte Menschen im Auge?« Val hatte mein Kreuz vergessen. Er verwandelte sich plötzlich in einen Entertainer, hob beide Arme an und schlug Kreise damit. »Er kennt Hollywood. Er weiß sehr genau, wo sich seine Opfer aufhal ten. Die große Crew, die große Mannschaft, das alles gehört ihm al lein. Er kann aus dem Vollen greifen.« »Verstehe«, sagte ich und fügte noch etwas hinzu: »Vielleicht Dre amgate? Will er aus der Firma seine Familie bilden?«
Val krümmte sich und kicherte. »Das ist alles möglich. Es kann sein, wirklich.« Ich hatte genug gehört, und als ich ihn wieder anschaute, weil er seine Arme nach unten genommen hatte, nickte ich meinem Freund Abe Douglas zu. »Ich denke, das ist es gewesen. Er wird nicht näher an uns heran kommen, das Kreuz hält ihn davon ab.« »Soll ich schießen?« »Ja.« Abe streckte die Hand mit der Waffe durch die Lücke zwischen den Stäben. Der Blutsauger hatte ihn dabei beobachtet. Trotz seines Zustands steckte noch so viel an menschlicher Erinnerung in ihm, dass er genau wusste, was ihm bevorstand. Er wollte es verhindern und rannte los. Dabei hatte er den Mund weit aufgerissen, und aus seiner Kehle drang ein irrer Schrei. Er lief hinein in den Abschussknall des Schusses. Abe Douglas hat te nicht vorbeigeschossen. Die geweihte Silberkugel stoppte den Lauf des Blutsaugers. Er zuckte nicht mal zusammen. Er wurde von den Beinen gerissen und zu Boden geschleudert. Der war glatt genug, um ihn darauf weiterrutschen zu lassen, und erst dicht vor dem Gitter kam er zur Ruhe. Ob er den Kopf bewusst anhob oder ob es ein letzter Reflex war, konnte ich nicht sagen. Für einen winzigen Augenblick schauten Abe und ich noch mal in sein Gesicht, dann sank der Kopf wieder dem Zellenboden entgegen. Aber der Ausdruck in den Zügen war schon ein anderer gewesen. Ich glaubte, Erlösung darin zu erken nen, und so war er letztendlich wieder zu einem normalen Men schen geworden. Abe nickte. »Es war das Beste, was ihnen passieren konnte«, kom mentierte er und hielt mir die Beretta hin.
»Behalte sie erst mal.« »Danke.« Er lächelte. »Geweihte Silberkugeln, wie?« »Noch immer.« Abe kratzte über seine linke Stirnseite. »So weit bin ich noch nicht gekommen, wenn ich ehrlich sein soll. Aber ich arbeite auch nicht als Geisterjäger.« Er hob die Schultern. »Du kannst mich jetzt Special Agent nennen. Ich muss dahin, wo es brennt, und das hat mit Dä monen nun mal nichts zu tun.« Wieder stürmten Männer in den Gang. Diesmal waren die beiden Wärter allein gekommen. Ohne dass sie eine Erklärung verlangt hät ten, gab Abe Douglas ihnen eine, die sie auch akzeptierten. Wir hatten beide keine Lust mehr, uns länger in diesem Knast auf zuhalten. Vor unserer Abreise sprachen wir noch mit Alvin Gomez. Ihm sahen wir an, dass er froh war, das Problem losgeworden zu sein. Die Zellen konnte er jetzt wieder besetzen. Ich folgte Abe zu seinem Wagen. Bevor wir einstiegen, stellte ich noch eine Frage. »Da wir das eine Kapitel abgeschlossen haben, müssen wir jetzt ein neues aufschlagen. Was stellst du dir vor? Du bist ja hier der Boss.« »Wir müssen Diaz finden.« »Richtig. Und wo fangen wir an?« »Am liebsten bei ihm. Da dies nicht möglich ist, könnten mir mal ein paar Takte mit einem gewissen Robert F. Taylor reden, dem Chef von Dreamgate.« »Genau das wollte ich auch vorschlagen. Zwei Seelen, ein Gedan ke, mein Lieber.« »Du solltest zu uns zum FBI kommen. Wir sind ein gutes Team.« »Kann sein. Aber das Klima gefällt mir nicht. Es ist mir einfach zu heiß hier.« »Tja, man kann eben nicht alles haben. Nicht mal vier Jahreszeiten, wo das doch so natürlich ist.«
Ich nickte nur. Danach stiegen wir ein und verließen die ungastli che Stätte. Es war noch nicht richtig dunkel geworden. Weit im Westen, über dem Meer, hatte der Himmel eine glutrote Farbe angenommen, als wäre dort ein Zugang zur Hölle geöffnet worden, wo der Teufel Hände reibend wartete …
* Der Special Agent Abe Douglas kannte sich aus oder hatte sich kun dig gemacht, denn er wusste genau, wohin wir fahren mussten, um ein paar Worte mit Robert F. Taylor zu reden. Seine Firma residierte dort, wo sich auch viele andere dieser Pro duktionsgesellschaften befanden. An einer Straße, die von Palmen und Korkeichen gesäumt wurde. Da kaum Wind herrschte, beweg ten sich die Blätter nur müde. Dem Haus hatte man einen rosafarbenen Anstrich verpasst. Es gab vier Stockwerke und einen Parkplatz, auf den wir fuhren und uns den Platz aussuchen konnten. Ich wollte schon aussteigen, als Abe Douglas die Hand hob, in der er ein Handy hielt. »Du willst noch telefonieren?« »Ja.« Er tippte bereits die Nummer ein. »Mit meiner Dienststelle. Sie erwarten dort einen Bericht. Gerade bei einem Job wie diesem.« Er hob die Schultern. »Sorry.« »Tu, was du nicht lassen kannst.« Ich blieb nicht länger im Fahr zeug sitzen, stieg aus und stellte mich neben den Wagen, um die warme Abendluft einzuatmen. Auch wenn wir uns hier nicht am Sunset Boulevard aufhielten, der Verkehr riss nie ab. Scheinwerfer und andere Beleuchtungen gaben der Gegend eine künstliche Helligkeit. Die Gewächse, die hier stan den, wirkten für die Augen eines Mitteleuropäers fremd, und auch
hier war die Dunstglocke zu spüren, denn die mich umgebende Luft roch irgendwie anders. Nach einer Weile verließ auch der G-man den Wagen. Er nickte und lächelte mir zu. »Hast du es hinter dir?« »Ja.« »Und?« »Man lässt mich gewähren.« »Das klingt gut«, sagte ich. »Aber es hätte auch anders sein kön nen – oder nicht?« »Klar. Ich bin schon öfter zurückgepfiffen worden, aber jetzt nicht.« Er schlug mir auf die Schulter. »Komm.« »Moment, ich möchte noch was klären.« »Ich höre.« »Es ist schon recht spät. Glaubst du, dass sich noch jemand in der Firma aufhält?« »Wir können es versuchen.« Wie in den meisten Firmengebäuden gab es hier ebenfalls einen Portier. Der Mann trug die Uniform eine Wachmannes und schaute uns fast strafend an, als wir auf sein Desk zugingen. »Sie wünschen?« Abe zückte seinen Ausweis. Der Wachmann schaute ihn an und nahm so etwas wie Haltung an. »Was kann ich für Sie tun, Sir?« »Es geht uns um die Firma Dreamgate. Wissen Sie zufällig, ob dort noch jemand arbeitet?« Der Mann dachte nach. »Ja, ich denke. Ich sitze hier schon seit eini gen Stunden.« »Was ist mit Mr. Taylor?« »Der ist leider gegangen.« »Schade.« »Aber Carol Mancini müsste noch in ihrem Büro sein. Sie arbeitet meistens sehr lange, weil sie am Abend mehr Ruhe hat. Das sagte sie
mir mal, als ich sie fragte.« »Dann würde ich Sie bitten, sie anzurufen.« »Gern, Sir.« Mir gefiel es nicht, dass wir Taylor nicht direkt erreichten. Aber vielleicht konnte uns seine Sekretärin weiterhelfen. Der Uniformierte telefonierte. Er verzog das Gesicht, weil er keine Verbindung bekam. Danach hob er die Schultern und sprach davon, dass er nicht verstand, dass niemand abhob. »Gibt es einen Hinterausgang?« fragte ich. »Schon. Aber den habe ich bereits abgeschlossen. Er ist am Abend und in der Nacht immer versperrt.« Sein Gesicht zeigte einen zer knirschten Ausdruck. Er hätte uns gern geholfen, das war ihm anzu sehen, aber der Ausdruck verschwand blitzartig aus seinem Gesicht, als er den Kopf leicht nach links drehte. So konnte er zu den beiden Fahrstühlen schauen, bei denen sich eine Tür geöffnet hatte. »He, da ist sie ja.« Wir drehten uns um. Eine kleine dunkelhaarige Frau verließ den Lift. Sie trug einen schwarzen Hosenanzug. Ihr rotes Top unter der Jacke fiel auf, weil es von der gleichen Farbe war wie die Handta sche. »He, Carol, kommen Sie bitte.« Die junge Frau stoppte ihre schnellen Schritte. Wenig später wuss te sie, wer wir waren, und wir sahen auch, dass sich ihre Augen vor Schreck weit öffneten. »Keine Angst«, sagte Abe Douglas, »es geht nicht um Sie. Wir wollten zu Ihrem Chef.« »Und?« »Wir hätten ihn gern gesprochen.« »Oh.« Carol Mancini blies ihre Wangen auf. »Da haben Sie Pech gehabt. Robert ist nicht mehr im Haus.« »Hat er Feierabend?« »Ja – oder nein.« Sie lachte. »Einer wie er ist immer im Job. Er ist
heute recht früh gegangen, obwohl wir länger bleiben wollten. Da musste noch eine Abrechnung gemacht werden. Naja, ich bin geblie ben. Robert musste weg, nachdem er den Anruf erhalten hat.« »Wer rief ihn denn an?« Carol schüttelte den Kopf. »Das weiß ich nicht. Das Gespräch er reichte ihn auf seiner privaten Leitung. Danach war er wie verwan delt. Erst blass, dann lief er rot an.« Sie lachte. »Ja, so war es, und dann hatte er es plötzlich sehr eilig.« »Und er hat Ihnen nicht gesagt, wohin er so plötzlich gegangen ist?« fragte ich. »Genau, Mr. Sinclair.« »Hat er sonst noch etwas gesagt?« »Ja, das hat er. Robert wollte sich bei mir melden. Das ist alles ge wesen.« Wir wussten, dass uns die junge Frau nicht belogen hatte. Das hat ten wir ihr angesehen. Carol Mancini stand jetzt unsicher vor uns. Sie schien nicht zu wissen, wie sie sich verhalten sollte, bis Abe Dou glas es merkte und ihr noch eine Frage stellte. »Können Sie sich denn vorstellen, wohin Ihr Chef so plötzlich ge gangen ist?« »Ich glaube nicht.« »Hat es etwas mit seinem Beruf zu tun gehabt?« »Das weiß ich nicht. Es ist alles sehr seltsam gewesen.« Sie lächelte schief. »Ich weiß es nicht, aber er ist doch recht bleich nach dem An ruf gewesen.« Abe Douglas bedankte sich, und Carol Mancini war froh, dass sie gehen konnte. Trotzdem musste sie noch eine Frage loswerden. »Glauben Sie, dass etwas passiert ist?« »Das werden wir sehen.« Carol ließ nicht locker. »Da ist so viel Seltsames geschehen seit die ser Feier. Zwei junge Leute aus der Filmcrew sind verschwunden, und die alte Kate Rome ist auch nicht wieder aufgetaucht.« Carol
schüttelte den Kopf. »Bisher kann sich auch niemand das Ver schwinden dieser Gestalt im Sarg erklären. Das ist einfach unbe greifbar. Mein Chef ist in den letzten Tagen ziemlich nachdenklich gewesen. Ich habe keine Informationen bekommen und habe auch nicht gefragt.« »Das können wir verstehen. Zunächst mal danke.« »Gern geschehen.« Carol Mancini verschwand endgültig, und wir standen ziemlich belämmert da. Das war kein gutes Gespräch gewe sen, aber wir hatten zumindest erfahren, dass der Produzent sehr plötzlich das Haus verlassen hatte. »Wenn ich noch etwas für Sie tun kann«, meldete sich der Unifor mierte, »dann lassen Sie es mich wissen.« »Nein«, erwiderte Abe Douglas, »im Moment nicht. Wir kommen schon allein zurecht.« »Gut.« Der Besuch hier war ein Reinfall gewesen. Aber wir wussten jetzt Bescheid, dass Robert F. Taylor in diesem Fall eine wichtige Rolle spielte. Es wäre wirklich wichtig gewesen, wenn wir den Namen des geheimnisvollen Anrufers erfahren hätten. »Er ist nervös gewesen, John, als er so plötzlich seinen Arbeitsplatz verließ. Und das hing mit dem Anruf zusammen.« »Kein Widerspruch.« »Aber wer kann ihn angerufen haben?« »Sollen wir raten?« »Das müssen wir.« »Armando Diaz«, sagte ich. Abe Douglas blieb die Luft weg. Dann nickte er. »Es ist zu befürchten, und er wird ihn zu sich gelockt haben, um sein Blut zu trinken. Das hört sich alles logisch an. Jetzt müssen wir Diaz nur finden, und die Sache ist geritzt.« »Und wo?« Douglas hob die Schultern. »Da gibt es viele Orte. Wo hält sich ein
Vampir am liebsten auf, John?« »Wenn er die Chance hat, in seinem Sarg.« »Perfekt. Glaubst du daran?« »Nein.« Ich schüttelte den Kopf und überlegte. »Einer wie er will in Bewegung bleiben. Die braucht er. Schließlich hat er sich lang ge nug zurückhalten müssen. Aber er muss sich auch irgendwo aufhal ten. Wenn nicht in einem Sarg, dann an einem Ort, an dem er sich auskennt.« Mein Freund Abe Douglas schnippte mit den Fingern. »Klar, da gibt es etwas. Und zwar sein Haus. Das stand ja über Jahrzehnte leer, und zerfallen ist es nicht.« »Weißt du, wo wir hinmüssen?« »Aber sicher.« »Dann los!«
* Endlich – sie war wieder da, und Taylor konnte durchatmen. Es ging um Kate Rome, die ihn im Büro angerufen hatte. Er hatte sie so viel fragen wollen, aber sie wollte nicht am Telefon mit ihm reden und hatte ihn gebeten, ganz ruhig zu bleiben. Danach hatte er sich auch gerichtet und erfahren, dass Kate sich mit ihm treffen wollte, weil es gewisse Dinge gab, die sie ihm nur persönlich und ohne Zeugen mitteilen wollte. Robert F. Taylor hatte natürlich zugestimmt und wusste wenig später, wohin er zu fahren hatte. »Und zu keinem ein Wort, Robert.« »Da kannst du dich auf mich verlassen.« Daran hatte sich der Produzent auch gehalten. Selbst seiner Sekre tärin Card Mancini hatte er nichts gesagt, aber er war sehr eilig aus dem Büro gegangen. Sein Ziel war das Haus von Armando Diaz.
Taylor hätte sich auch ein anderes vorstellen können, eines, das ihm besser gefiel, aber er war nicht in der Lage, Bedingungen zu stellen. Das musste er schon Kate Rome überlassen. Und so hatte er sich auf den Weg gemacht. Er war in die Hügel ge fahren, wo das alte Haus des Schauspielers stand. Noch vor zwei Tagen hatten sie in dem großen Garten die Party gefeiert. Jetzt war er leer. Die Dunkelheit lag über ihm wie eine Decke. Keine Stimmen mehr. Kein Klingen der Gläser, keine Musik. Taylor fuhr mit seinem Wagen auf das Grundstück. Er rollte über den Kiesweg auf das Haus zu und war froh, dass jemand das Tor schon geöffnet hatte. Es war ein stiller und dunkler Weg. Das Scheinwerferlicht mar kierte seinen Weg. Es sorgte dafür, dass die üppig wuchernde Natur einen bleichen Anstrich erhielt. So wirkten manche Büsche wie ge spenstische Wesen, die ihre dünnen Arme ausstreckten, um nach ei ner Beute zu greifen. Die Catering-Firma hatte alles weggeschafft. Nichts erinnerte mehr an die große Party vor zwei Tagen. Es lag eine gespenstische Stille über dem Grundstück, die der Mann besonders stark spürte, als er seinen Wagen vor dem Eingang des Hauses geparkt hatte und aus stieg. Die Natur war in einen nächtlichen Schlaf gefallen. Das hätte ihn eigentlich beruhigen müssen. Doch das war nicht der Fall. Er spürte das Kribbeln in Höhe seiner Schulterblätter, denn eine derartige Sze nerie war auch dafür geschaffen, das Böse zu verdecken. Oder ir gendetwas Unheimliches, das sich nur bei Dunkelheit hervortraute. Er dachte darüber nach, dass er zahlreiche Vampirfilme produziert hatte. Filme, wohlgemerkt. Keine Realität. An diesem späten Abend dachte er anders darüber. Plötzlich konnte er sich vorstellen, dass er mit seinen Streifen auch ein gewis ses Abbild der Wirklichkeit geschaffen hatte. Jedoch einer Wirklich keit, die mehr im Verborgenen versteckt lag und nun hervorgeholt
worden war. Kate Rome hatte versprochen, ihn zu empfangen. Momentan sah er sie nicht. Wenn er nach vorn schaute, dann traf sein Blick nur das Haus, das in der Dunkelheit noch düsterer wirkte als bei Tageslicht. Es war nicht groß. Es hatte ein schräges Dach und helle Mauern, die in der Dunkelheit kaum auffielen. Der Eingang schon mehr, denn dort endete der mit Kies bestreute Weg. Er bildete die einzig helle Spur auf dem Gelände. Zwei, drei Minuten wartete Robert F. Taylor ab. Bisher hatte sich niemand gezeigt. Es war auch keines der Fenster hell geworden. Dem Produzenten kam schon der Gedanke, dass er hereingelegt worden war, obwohl er daran nicht so recht glauben wollte. Was hätte Kate Rome davon haben sollen? Er wollte sie nicht rufen. Wenn sie in der Nähe war, dann musste sie sich im Haus aufhalten, und dort wollte er nachforschen. Seine Knie zitterten, als er auf die Tür zuging. Er spürte die Spannung in seinem Nacken und merkte auch, dass sich ein Schweißfilm auf sei ne Haut gelegt hatte. Vor der Tür blieb er stehen. Er suchte nach einer Klingel oder et was Ähnlichem, als er das knarrende Geräusch vor sich hörte. Die Tür wurde von innen geöffnet. Endlich, und dem Produzenten fiel ein Stein vom Herzen. Ein knappes Lächeln huschte über seine Lippen, obwohl im Haus alles dunkel blieb. Dafür sah er das Gesicht, das in einer bestimmten Höhe den Tür spalt ausfüllte. »Hallo, Kate …« »Hallo, Robert. Schön, dass du gekommen bist. Ich hatte dich fast nicht mehr erwartet.« »Na ja, der Verkehr.«
»Macht nichts. Komm rein.« Die Tür wurde weiter aufgezogen, und das Knarren blieb beste hen. Taylor kam sich vor wie jemand, der das unbekannte Terrain einer finsteren Höhle betrat. Er spürte die Kälte im Nacken. Taylor kannte sich im Haus nicht aus. Erst recht nicht im Dunkeln. Er wollte schon nach einem Lichtschalter fragen, als ihm Kate den Gefallen tat und das Licht einschaltete. Eine strahlende Helligkeit gab es nicht. In der geräumigen Halle hinter der Eingangstür gab es nur zwei Lampen, die an den Wänden hingen, und eine, die auf dem Boden stand. Die Helligkeit war schwach. Man hatte sie noch durch Tücher reduziert, die über den Lampenschirmen hingen. Es standen einige Möbelstücke herum. Aber auch sie waren nicht zu identifizieren, weil sie mit hellen Tüchern oder Laken bedeckt waren. Dieses Haus war nicht mehr bewohnt und auch lange nicht mehr gereinigt worden, das sah jeder Eintretende sofort. Robert F. Taylor drehte sich einige Male um die eigene Achse und gab danach seinen Kommentar ab. »Es ist schon ein ungewöhnlicher Ort, an dem wir uns hier treffen«, kommentierte er. Kate hob die Schultern. »Ja, das ist nun mal so in einem Haus, in dem niemand mehr wohnt. Alles verdreckt, alles verhangen, aber ich finde es nicht schlecht.« »Hast du mich deshalb hier treffen wollen?« »Nein, nein, Robert. Ich wollte nur, dass wir beide nicht gestört werden. Alles andere interessiert nicht.« Sie lachte leise. »Außerdem sieht es nicht überall so aus wie hier in der Halle.« »Das beruhigt mich.« Er fragte Kate jetzt direkt: »Und was hast du mir erzählen wollen?« »Nicht hier, komm mit.« Kate war schon auf dem Weg zu einer Tür. Der Produzent schaute ihr nach und wunderte sich über ihren ungewöhnlich steifen Gang. War sie in der letzten Zeit immer so ge
gangen? Er wusste es nicht. Da er keine andere Erklärung fand, schob er es einfach auf ihr Alter. In seinen Filmen spielte sie ja nicht mehr mit. So hatte man sich lange nicht mehr gesehen. Besser ging es ihm nicht. Der innere Druck war geblieben. Das Haus gefiel ihm nicht. Er dachte an den Geruch, der sich hier ausge breitet hatte. Okay, es roch muffig, das war ganz natürlich, aber da war auch noch etwas anderes vorhanden. Ein Geruch, den er nicht so richtig einordnen konnte. Der hatte nichts mit Staub oder alten Spinnweben zu tun. Er war da, und er roch sehr alt. Vielleicht sogar leicht faulig, als wäre hier etwas vermodert. Der nächste Raum war nicht leer. Und die Möbel darin waren auch nicht abgedeckt. Er sah die alten Sessel, die große Couch, den Holztisch, eine lange Schrankwand. Das Design aus dem letzten Jahrhundert. Und Licht gab es ebenfalls. Aber auch hier gab es nur einen gedämpften Schein ab. »Kannst du es nicht heller machen, Kate?« »Könnte ich. Aber ich lasse es lieber.« »Warum?« »Ich finde es gemütlicher.« »Aha.« Zwischen ihnen stand der Tisch, und Kate lächelte den Produzen ten darüber hinweg an. »Du kannst dich auch auf die. Couch setzen«, sagte sie. »Ja, setz dich dort hin.« »Wie du meinst.« »Kann ich dir etwas zu trinken anbieten?« Taylor dachte an seine trockene Kehle und bat um einen Schluck Wasser. »Keinen vernünftigen Drink?« »Nein, ich muss ja noch fahren.« »Ah ja«, kommentierte Kate, wandte sich ab und lachte. Im Hinter grund des Zimmers gab es eine fahrbare Bar, auf der einige Flaschen standen. Unter anderem auch Mineralwasser. Der Staub auf den Fla
schen war selbst bei dieser schlechten Beleuchtung nicht zu überse hen, aber Taylor wollte nicht kneifen und griff nach der Flasche. Auf ein Glas verzichtete er. Beim Aufdrehen des Schraubverschlusses hörte er es zischen, trank, setzte die Flasche kurz ab, trank dann noch mal und merkte, dass sich die Sitzfläche der Couch bewegte. Kate Rome hatte links neben ihm Platz genommen. Der Produzent sagte nichts. Er lächelte nur leicht kantig und dachte daran, dass ihm eine junge Schauspielerin lieber gewesen wäre, obwohl er auch nicht mehr der Jüngste war. Doch im Showbusiness interessierte nur, wie mächtig die Person war, und nicht deren Alter. Das Licht reichte aus, um Kates Gesicht erkennen zu können. Es war sehr faltig geworden und zeigte auch eine ungewöhnliche Star re, die er bisher bei Kate nicht wahrgenommen hatte. »Dann bin ich mal gespannt darauf, warum ich dich hier habe tref fen sollen und was du mir zu sagen hast.« »Das ist doch ein wichtiger Ort.« »Wieso?« »Hier hat Armando gewohnt.« »Schon.« »Ich war einige Male seine Partnerin und kenne dieses Haus von früher her. Du glaubst gar nicht, welche wilden Feste wir hier gefei ert haben. Regelrechte Orgien, zu zweit, zu dritt, zu mehreren. Es war der reine Wahnsinn.« »Klar, das kenne ich. Die Szene ist schon immer ein wildes Pflaster gewesen.« »Genau.« »Aber ist das der Grund, weshalb ich herkommen sollte? Das ist doch alles bekannt.« »Welche Gedanken hast du dir denn gemacht?« »Ich weiß nicht so recht. Vielleicht habe ich auch an Armando Diaz gedacht.« »Nicht schlecht.«
Taylor verengte seine Augen. »Ich denke soeben daran, was auf der Party passiert ist. Die Überraschung war ja Klasse. Ich habe selbst dafür gesorgt. Leider ist es dann anders gelaufen, als ich es mir vorgestellt habe. Die Wachsfigur war plötzlich weg.« Kate übernahm das Wort. »Wachsfigur, hast du gesagt?« »Ja.« »Meinst du das wirklich?« »Natürlich …« »Kann er nicht auch echt gewesen sein?« Robert F. Taylor wollte lachen, doch es blieb ihm im Hals stecken, und er fragte flüsternd: »Wie kommst du denn darauf?« »Wie ich es sagte.« »Nein, Kate, nein. Der ist nicht echt gewesen. Welch ein Unsinn. Armando Diaz ist tot und …« »Glaubst du das?« »Klar, verdammt!« Kate Rome rückte noch ein wenig näher. »Dann schau mich doch mal genau an, Robert.« »Ähm – was soll das?« »Schau mich einfach nur an.« »Okay, wie du willst.« Er dachte daran, dass er es früher lieber ge tan hatte, aber das behielt er für sich. Sekunden später bekam er mit, dass Kate nur ihre untere Gesichts hälfte bewegte. Sie öffnete den Mund, und Taylor kamen bestimmte Szenen aus den alten Horrorstreifen in den Sinn. Da hatten sich Vampire ähnlich verhalten, wenn sie zubeißen wollten. Hier auch? Ja, so war es. Sie konnte es perfekt. Kate schob die Oberlippe zu rück und präsentierte zwei spitze Zähne, deren Vorhandensein nur einen Schluss zuließen. Sie war ein Vampir!
* Der Produzent sackte nicht in sich zusammen. Er schrie auch nicht. Er konnte auch nicht lachen. Er saß einfach nur auf seinem Platz und schüttelte den Kopf. Da Kate Rome nach einer gewissen Zeit noch immer keine Erklä rung abgegeben hatte, stellte er eine Frage. »Was soll der Quatsch?« »Das ist kein Quatsch.« »Hör auf.« Er winkte ab. »Deine Zeiten im Film sind vorbei. Wenn du von mir eine Rolle als alternde Blutsaugerin haben willst, hast du dich geschnitten. Die gibt es nicht, und fertig.« Nach dieser Antwort hätte Kate Rome eigentlich enttäuscht sein müssen, doch das war sie nicht. Sie lächelte sogar und sagte mit lei ser Stimme: »Rate mal, warum ich nichts getrunken habe.« »Keine Ahnung. Aber du wirst es mir sagen.« »Genau, das werde ich auch. Ich habe extra nichts getrunken, weil ich etwas Besseres weiß.« Taylor nahm es locker, obwohl es ihm schwerfiel. »Also doch ein anständiger Drink.« »Stimmt, und etwas ganz Besonders.« Sie beugte sich ihm leicht entgegen, ohne den Mund zu schließen. »Ich werde mich nämlich an deinem Blut satt trinken, Robert …«
* Plötzlich war der Spaß vorbei. Taylor sagte nichts, aber er spürte sehr genau, dass einiges nicht so lief, wie er es sich vorgestellt hatte. Das roch nach Gefahr, nach Ärger. Daran, dass sich Kate Rome ein Kunststoffgebiss in den Mund gesteckt hatte, glaubte er plötzlich nicht mehr. Dann waren die Zähne echt?
»Ich weiß, worüber du nachdenkst, mein Lieber. Was immer dir jetzt durch den Kopf geht, es stimmt. Es stimmt tatsächlich. Ich spie le dir hier nicht die Blutsaugerin vor, Robert. Ich bin tatsächlich eine. Ja, ich existiere nur noch durch das Blut anderer Menschen.« Der Produzent schloss die Augen. Was man ihm hier gesagt hatte, das musste er erst einmal verkraften. Er hatte den Eindruck, nicht mehr auf der Couch zu sitzen, sondern irgendwohin zu schweben, wo sich alle Probleme und Sorgen einfach auflösten. Kate Rome ließ ihn in Ruhe. Sie wartete so lange, bis er die Augen wieder geöffnet hatte. Da saß sie immer noch! Sie lächelte. Taylor sah ihre Zähne. Aber nur die beiden langen spitzen Hauer. Für die anderen hatte er keinen Blick. Er spürte, wie es hinter seiner Stirn tuckerte. Auch sein Herz schlug schneller und pumpte das Blut durch seine Adern. Blut! Sie wollte es. Kate wollte sich daran laben. In den Filmen früher hatte sie schon üben können, aber das war nicht die Wirklichkeit gewesen. Die erlebte er hier. Taylor konnte es noch immer nicht glauben, aber er tat, als hätte er sich damit abgefunden. Nach einigen zittrigen Handbewegungen fragte er: »Wieso? Wieso ist das möglich, wenn alles echt ist, wie du behauptet hast?« »Es ist ganz simpel. Man hat mich gebissen und mir damit ein neues Dasein geschenkt.« »Wer tat das?« Nach dieser Frage schloss Kate den Mund und flüstert: »Muss ich dir das noch sagen, Robert? Er ist wieder da! Er war nie weg, ver stehst du?« »Armando Diaz?« »Ja, er.«
»Nein, das ist – das ist …« »Hast du damals seine Leiche besichtigt? Bist du bei seiner Beerdi gung gewesen?« »Nein, ich war noch sehr jung. Ich hatte andere Ideen und Sorgen. Er hat zur Szene gehört, er hatte eine Vergangenheit – na ja, heute gibt es eben die vielen Revivals …« »Schön gesagt. Das würde auch meinem Freund Armando sehr ge fallen. Er ist einfach einmalig. So etwas wie ihn gibt es nicht zwei mal auf dieser Welt. Und er begehrt mich noch immer. Aber auf eine andere Weise als früher. Mein Blut hat er diesmal wirklich getrun ken und nicht wie damals, als alles nur gespielt wurde. Ich bin ein fach begeistert gewesen …« »Jetzt bist du also auch eine Vampirin, Kate?« »Ja, eine echte. Du glaubst gar nicht, wie ich mich auf dieses ande re Dasein gefreut habe. Ich brauche nichts mehr zu fürchten. Ich bin so stark, so wahnsinnig stark, und ich werde noch stärker sein, wenn ich erst mal dein Blut getrunken habe. Bis zum letzten Tropfen werde ich dich leer saugen, das verspreche ich dir.« Robert F. Taylor hatte nicht nur jedes Wort gehört, er hatte sie so gar in sich aufgesaugt. Sein Gesicht war dabei zu einer Maske ge worden. Er hatte zudem sein Denken abgeschaltet, denn es brachte ihm nicht viel ein, wenn er sich über die neue Lage den Kopf zer brach. Sie war einfach zu fern von der Wirklichkeit und trotzdem so verdammt real, denn hier saß jemand vor ihm, den er nur anzufas sen brauchte. Es war eine Vampirin und kein vom Maskenbildner verwandeltes Kunstgeschöpf. Er machte sich Vorwürfe, weil er dem perfiden Plan auf den Leim gegangen war. Nur wollte sich Taylor nicht in sein Schicksal fügen. Er musste etwas unternehmen, und das so schnell wie möglich. Der schwergewichtige Mann stand so schnell auf, dass ihm leicht schwindlig wurde. Unsicher wich er zwei Schritte zurück. Kates Frage stoppte ihn. »Was hast du vor?«
»Ich – ich werde dieses verdammte Haus verlassen. Hast du ge hört? Ich bleibe nicht länger. Ich verschwinde von hier. Du wirst mein Blut nicht trinken.« »Bist du sicher?« »Ja, verflucht.« »Du irrst dich!« Kates Sicherheit irritierte Taylor. Trotzdem dachte er nicht daran, aufzugeben. Er hatte den Plan einmal gefasst und würde ihn auch in die Tat umsetzen. Es war ja nicht zu dunkel im Raum. Den Weg zur Tür fand er immer, auch wenn er Kate dabei den Rücken zudrehen musste. Das war ihm jetzt egal. Er lief schnell auf die Tür zu. Das harte Lachen der Alten beleitete ihn. Er störte sich nicht daran. Etwas anderes stoppte ihn. Es war der perfekte Augenblick, als jemand die Tür von der ande ren Seite her auf rammte. Taylor befand sich in der Vorwärtsbewe gung und konnte nicht mehr stoppen. Die Tür prallte mit voller Wucht gegen seine Stirn. Plötzlich sah er die berühmten Sterne vor seinen Augen. Er bekam nicht mit, dass er zurücktaumelte, dann stießen seine Beine gegen einen Gegenstand, über den er hinwegkippte, ein Stück nach vorn rutschte und auf dem Boden landete. Jetzt haben sie dich, dachte er …
* Die Schmerzen zuckten wie Strahlen durch den Kopf des Filmpro duzenten. Er konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Er war völlig am Boden, und das im wahrsten Sinne des Wortes. Obwohl er lag, drehte sich alles in seinem Kopf, und das Pochen hinter der Stirn wollte nicht aufhören. Weggetreten war er nicht, und das blieb auch so, denn er bekam
von dem, was um ihn herum geschah, schon etwas mit. Da waren die Stimmen. Taylor selbst wurde nicht angesprochen. Seine Gegner wussten ge nau, dass er ihnen nicht gefährlich werden konnte, und deshalb konnten sie sich Zeit lassen. Die Schmerzen blieben zwar bestehen, aber sie hatten nicht seine Ohren beeinträchtigt, und so verstand er, was gesagt wurde. »Das war sehr gut von dir, meine Liebe.« »Wir wissen doch, was wir wollen.« »Ja, als Team.« »Genau.« Taylor hatte alles gehört. Kates Stimme kannte er natürlich, die des Mannes nicht. Trotzdem wusste er, um wen es sich nur handeln konnte: Armando Diaz, der Vampir, der echte Blutsauger, der ihn nicht mehr zu spielen brauchte. Taylor war allein. Zwei Feinde standen gegen ihn. Um sich zu wehren, besaß er nicht die Kraft, und seine Gedanken wurden abge lenkt, als er Kates Stimme sagen hörte: »Ich habe Hunger und Durst.« »Ja, ich weiß.« »Soll ich …« »Wir, Kate, wir. Er ist unsere Beute, und wir werden ihn in die Mitte nehmen. Wir schnappen ihn uns von zwei Seiten und schlagen unsere Zähne in seinen Hals. Du wirst einen wahnsinnigen Spaß ha ben, denn sein Blut reicht für uns beide.« Taylor hatte alles gehört. Er lag still. Es war der reine Wahnsinn, was er hier zu hören bekommen hatte. Das wollte ihm nicht in den Kopf. Das war nicht zu fassen. Kein Film, sondern die verdammte Wirklichkeit. In seiner unmittelbaren Nähe hörte er die Echos der Tritte. Es war nicht Kate Rome, die sich nach vorn und über ihn beugte. Das war die Gestalt, die mal in einem gläsernen Sarg gelegen hatte, die Tay
lor auf die Party geholt hatte, ohne zu wissen, was er sich damit an tat. Einfach grauenhaft. Der Vampir bückte sich und packte ihn. Locker riss er ihn hoch, drehte Taylor herum und schleuderte ihn auf die Couch zurück. Taylor schrie, denn der Aufprall hatte wieder die Schmerzen durch seinen Kopf schießen lassen. So stark, dass ihm die Tränen in die Augen traten. Nur langsam ebbten die Schmerzen ab. Ein gewisser Druck blieb bestehen. Damit konnte er leben. Aber sein Leben würde nicht mehr lange dauern. Diaz. Vor ihm stand Armando Diaz! Das Licht war hell genug, um ihn genau sehen zu können, und der Produzent musste zugeben, dass er aussah wie früher in seinen Fil men. Der cremefarbene Smoking, das weiße Hemd, die weiße Fliege, das verlebt aussehende Gesicht mit den dichten schwarzen Haaren, ja, das war Armando Diaz, den Taylor nie persönlich erlebt hatte, aber von zahlreichen Fotos kannte. Damals war er noch kein Vampir gewesen, sonst hätte er nicht fotografiert werden können. Alles Schreckliche musste nach seinem angeblichen Tod passiert sein. Diaz lächelte ihn an. Er tat es auf seine eigene Art. Wie es eben für einen Vampir typisch war. Er präsentierte seine beiden Zähne, die schon bald in den Hals des Mannes eindringen würden. Noch hielt er sich zurück und streichelte die Haut des Produzenten, als wollte er testen, ob sie sich auch für den Biss eignete. Robert F. Taylor war nicht in der Lage, etwas zu unternehmen. Er konnte nur zuschauen. Er bewegte sich nicht, und er war nicht mal bei der Berührung der Finger zusammengezuckt, weil sie einfach nichts ausstrahlten. Es gab da weder Wärme noch Kälte. Kate Rome saß ebenfalls wieder auf der Couch. Sie hatte ihren Platz wie in einer Filmkulisse eingenommen, obwohl diese Zeiten
längst vorbei waren. Die Lippen hatten sich zu einem leichten Lächeln verzogen. Es war ein Ausdruck von Vorfreude. Die Finger der Vampirin umschlossen Taylors linken Arm am Ellbogen. Es glich einer Warnung, nur ja sit zen zu bleiben. Armando Diaz begann zu sprechen. »Es ist wunderbar, was wir hier erleben. Wir sind wieder zusammen. Wir bilden wieder eine Crew. Und du, Robert F. Taylor, wirst dafür sorgen, dass es uns bald sehr gut gehen wird.« Der Produzent schwitzte. Er wollte es nicht, doch er konnte es nicht verhindern. Die Angst war ihm anzusehen. Wenn er atmete, hörte es sich an wie das Hecheln eines Hundes. Die Folgen des Schlags gegen seinen Kopf machten ihm zu schaffen. Er hätte sich so gern aus dem Staub gemacht, doch er wusste, dass die andere Seite dies nicht zulassen würde. Kate fasste ihn noch fester an, während sich Armando an seine rechte Seite setzte. Die Frau zog sich durch den Griff näher an ihn heran, und Taylor hörte ihr leises Knurren, das eine gewisse Zufrie denheit ausdrückte. Wie lange würde man ihm noch erlauben, als normaler Mensch auf dem Sofa zu sitzen? »Ich will Blut, ich will Blut …« Kate hielt es nicht mehr aus. Sie musste sich endlich sättigen, und sie nahm keine Rücksicht mehr. Plötzlich hing sie an Taylors Hals. Ihren Mund hatte sie so weit wie möglich geöffnet. Sie stieß ihre spitzen Eckzähne in die Haut. Taylor zuckte zusammen. Er riss seinen Mund ebenfalls auf. Dann setzte er sich für einen Moment steif hin, bevor sich Armando Diaz bewegte und ebenfalls zubiss. Schnell und routiniert! Der Schmerz an der rechten Halsseite war viel geringer. Aber was spielte das noch für eine Rolle? Das Bild, das die drei Personen bo
ten, war völlig überzogen. Selbst in den damals gedrehten Vampir filmen hatte es eine derartige Szene nicht gegeben. Zwei Vampire labten sich an einem Menschen. Besonders Kate Rome steckte voller Gier. Sie genoss es. Sie blieb am Hals des Mannes kleben. Ihre Zähne hatte sie so tief wie möglich in die Haut hineingeschlagen. Sie zog ihre Lippen um die Wunde herum zusammen, und so saugte und schluckte sie, um sich nicht einen Tropfen entgehen zu lassen. Sie rutschte ab, weil sie zu wild war, aber sofort saugte sie nach, um weiterhin an das Blut zu gelangen, denn von ihm konnte sie nicht genug bekommen, und sie begleitete ihre Tat mit einem satten und zufriedenen Stöhnen. Diaz trank auch. Nicht so wild wie seine Braut. Er zeigte mehr Routine. Bei ihm ging alles sehr langsam und auch genussvoll. Seine Wangen beweg ten sich kaum, als er das Blut schlürfte, aber es war so wunderbar, den warmen Strom im Rachen genießen zu können. Robert F. Taylor sagte und tat nichts. Er hockte steif auf seinem Platz. Er ließ alles über sich ergehen. Er schaute in das diffuse Däm merlicht des großen Zimmers und erlebte in seinem Innern die Ver änderung. Er spürte, dass mit jedem Tropfen Blut etwas von seiner Kraft und auch seinem Wahrnehmungsvermögen den Körper ver ließ. Er war nicht mehr er selbst. Sein Blickfeld engte sich ein. Das Zimmer war für ihn kleiner geworden, während die beiden Vampire noch immer sein Blut saugten. Sie tranken und schlürften, als wären sie am Verdursten. Taylor fand nicht mehr die Kraft, sich dagegen zu stemmen. Eine andere Dunkelheit schwebte auf ihn zu. Er hatte nicht gesehen, woher sie kam. Sie war plötzlich da. Sie füllte fast das gesamte Zimmer aus und ballte sich immer mehr zu sammen und schien ihn erdrücken zu wollen. Es war die neue Fins ternis, die ihm sein Bewusstsein vorgaukelte. Nichts mehr war für
ihn noch zu greifen. Es sackte zusammen. Aber Kate hatte noch nicht genug. Die alte Frau rutschte zwar durch die Bewegung etwas ab, griff aber sofort wieder nach, um sich auch an den allerletzten Tropfen laben zu können. Armando Diaz trank nicht mehr. Seine Lippen hatten sich vom Hals des Mannes gelöst. Ein verschmierter Blutfleck war dort zu rückgeblieben. Es war für ihn einfach wunderbar, wieder die große Kraft in sich zu spüren, und er wusste, dass es Kate Rome ebenso er gehen würde. Sie gehörten zusammen. Kate war von nun an seine Braut. So wie vor langen Jahren, als sie noch so jung gewesen war. Seine Braut. Aber seine echte. Er lachte. Seine Augen glänzten, denn er hatte an die Zukunft ge dacht. Von nun an würde er seine Herrschaft über Hollywood antre ten und zum Schrecken der Filmmetropole werden. Er kicherte und stand mit einer geschmeidigen Bewegung auf, weil er demonstrieren wollte, welch eine Kraft in ihm steckte. Sie war einfach unglaublich. Genau diese Kraft erfüllte auch Kate Rome. In ihrem Körper kreiste das neue Blut, und sie fühlte sich unge wöhnlich gut. Diaz blieb vor ihr stehen und lächelte ihr ins Gesicht. Kate lächelte zurück. Zu sprechen brauchten sie nicht, weil sie beide wussten, dass ih nen von nun an die Welt gehören würde …
* Die Frauengestalt erschien plötzlich im Licht der Scheinwerfer und winkte mit beiden Armen. Zum Glück war Abe Douglas nicht so schnell gefahren. Er konnte rechtzeitig stoppen und sagte kurz zuvor mit flüsternder Stimme:
»Das ist doch Carol Mancini!« »Genau.« »Da könnte was auf uns zukommen.« »Du sagst es.« Wir hatten das Gelände der Filmfirma bereits hinter uns gelassen. Der Widerschein der Lichter reichte nicht bis an unseren Wagen her an, auf den Card Mancini zutrat. Ich hatte das Fenster nach unten fahren lassen. »Das ist aber eine Überraschung.« Die Frau mit den schwarzen Kurzhaaren nickte. »Ja, kann sein. Ich – ähm – ich meine …« »Wollen Sie uns etwas sagen?« »Ja.« »Dann steigen Sie ein.« Es war zu erkennen, wie erleichtert sie sich fühlte. Darauf hatte Carol gewartet. Nach dem Zuschlagen der Tür hörten wir ihr Aufatmen. Sie saß hinter mir, und der G-man fuhr an. »Haben Sie ein bestimmtes Ziel, zu dem Sie gern hin wollen?« er kundigte ich mich. »Nicht weit entfernt gibt es einen Parkplatz. Da können wir re den.« »Okay.« Der Parkplatz lag an einer Ecke. Ein Stück von der Sonne ver brannter Rasen bedeckte ein Grundstück, auf dem irgendwann mal gebaut werden würde. Ich drehte mich ebenso nach hinten wie Abe Douglas, der die erste Frage stellte. »Jetzt sind wir aber gespannt darauf, was Sie uns sagen wollen, Carol.« »Ich – ich – weiß es nicht so richtig.« »Ach ja?« Sie nickte und schaute auf ihre rote Handtasche auf den Knien.
»Ich weiß auch nicht, ob ich vielleicht die Pferde scheu mache, aber ich habe ein so ungutes Gefühl.« »Wegen Ihres Chefs?« »Ja.« »Und warum?« »Genau weiß ich nicht Bescheid«, murmelte sie, »aber ich glaube nicht, dass er nur rein beruflich unterwegs ist. Er hat sich da etwas in den Kopf gesetzt, das ihn nicht mehr loslässt.« »Armando Diaz?« fragte ich. »Ja, er!« Ich nickte ihr zu. »Das haben wir uns schon gedacht.« »Seit dieser Party ist er verändert. Ihm geht nicht aus dem Kopf, dass die Gestalt aus dem Sarg so plötzlich verschwunden ist. Das konnte er nicht begreifen. Er hat auch später nicht mehr daran ge glaubt, dass es sich bei ihm um eine Wachsfigur handelte. Er glaubte an etwas anderes …« »Woran?« »Das hat er mir nicht gesagt, Mr. Douglas. Nicht direkt.« »Wie dann?« »Er hat es umschrieben. Ich kann auch nicht genau sagen, was er damit meinte, aber er sagte kurz vor seinem Verschwinden zu mir, dass wir umdenken müssen.« »Hat er noch etwas hinzugefügt?« hakte ich nach. »Nein, hat er nicht. Ich glaube aber, dass er es noch wollte. Im letz ten Augenblick riss er sich zusammen. So ist das nun mal, wenn man nicht richtig von einer Sache überzeugt ist. Vielleicht wollte er mich auch nicht ängstigen. Wer weiß …« »Aber Sie wissen, wohin Ihr Chef wollte? Oder können es sich denken?« fragte ich. »Das sowieso.« »Und?« Sie räusperte sich. »Er hat den Gedanken nicht von Armando Diaz
lassen können.« »Und er weiß, wo er wohnt.« Carol Mancini hob die Schultern. »Klar, das weiß er. Vor seinem Haus wurde ja die große Party gefeiert. Aber niemand hat sich in all den Jahren getraut, hineinzugehen. Der alte Kasten ist wie ein Denk mal, bei dem nichts verändert werden darf. Er stand seltsamerweise auch niemals zum Verkauf, und das macht mich schon nachdenk lich. Es könnte durchaus sein, dass die Menschen Angst vor dem Haus gehabt haben. Als läge ein Flucht darauf. So einen Film haben wir mal gedreht.« »Und jetzt glauben Sie, dass er sich das Haus als Ziel ausgesucht hat – oder?« »Ja, so ist es.« Abe und ich nickten uns zu. »Wir waren auf dem Weg zu Armando Diaz«, erklärte der G-man. »Durch Ihre Aussagen sind wir noch stärker überzeugt, dass wir dort mehr erfahren werden.« »Danke.« Nach diesem Wort stellte sie eine Frage, die für uns nicht so überraschend war. »Kann ich mit Ihnen fahren? Ich mache mir Sorgen um Robert. Wir haben immer gut zusammengearbeitet. Ich mache mir wirklich Sorgen um ihn.« Die Entscheidung traf nicht ich, sondern Abe Douglas. Er war in diesem Fall der Boss. »Sie wissen, dass es gefährlich werden kann, Carol?« »Ja, das weiß ich. Aber ich möchte trotzdem mit. Ich will Klarheit haben.« Abe überlegte kurz. »Wenn Sie mit uns fahren, werden Sie drau ßen vor dem Haus warten. Versprochen?« Carol holte zuerst tief Atem. Dann stimmte sie zu. »Ja, verspro chen. Ich will nur so nahe wie möglich bei ihm sein. Als Schwarzse herin bezeichne ich mich nicht, aber ich habe das Gefühl, dass es mit der Firma Dreamgate allmählich zu Ende geht. Und genau das will
ich nicht. Ich fühle mich dort wohl. Ich möchte meinen Job behal ten.« »Das verstehen wir«, sagte ich und lächelte ihr zu. »Oder bist du anderer Meinung, Abe?« »Nein, wir können fahren.« »Danke«, flüsterte Carol, »danke …« Wenig später fing sie an zu weinen, als wüsste sie schon jetzt, dass alles aus war und nichts mehr so sein würde wie zuvor …
* Er kroch über den Boden wie ein Tier. Er merkte nicht, dass der Fußboden aus Steinfliesen bestand, er hatte überhaupt kein Gefühl mehr für bestimmte Dinge, die ihn als Mensch ausgezeichnet hatten. Er war einfach nur noch ein Wesen. Aber etwas gab es schon, das in ihm hoch stieg. Die Gier! Die Gier nach dem Blut eines Menschen. Es sollte seinen Hunger vertreiben, der ihn überkommen hatte. Robert F. Taylor war völlig orientierungslos. Er hatte sich bisher noch nicht auf die Füße gestellt. Er war nur über den Boden im Erd geschoss gekrochen und war dann in eine Küche gelangt, deren Bo den ebenfalls mit dunklen Fliesen bedeckt war, ohne dass er deren Kühle spürte. Als er die Tür erreichte, da wurde ihm klar, dass es so nicht wei tergehen konnte. Es brachte ihm nichts ein, wenn er nur auf dem Bo den herumkroch und es nicht schaffte, auf die Beine zu kommen. So würde er niemals Blut finden. Die Tür befand sich in der Nähe. Am Pfosten konnte er sich in die Höhe ziehen. Dabei stellte er fest, dass er gar nicht so schwach war, wie er geglaubt hatte. Es steckte schon ein gewisses Kraftpotenzial in ihm. Zitternd blieb er stehen. Er fühlte nichts. Keine Kälte, keine Wär
me, und doch schlugen seine Zähne einige Male aufeinander. Es war ein plötzlicher Reflex, der allerdings schnell vorbeiging. Er stand in der Tür. Er blieb auch stehen und sah dabei aus wie ein Mensch, der nach innen lauscht. Er versuchte, irgendwelche Gedan ken zu fassen, aber die Gier nach Blut war größer. Man hatte ihn bis auf den letzten Tropfen ausgesaugt und ihn mit den Bissen ebenfalls zum Blutsauger gemacht. Sehr fern erinnerte er sich an das, was mit ihm geschehen war. Da tauchten zwei Figuren auf, ein Mann und eine Frau, aber sie ver schwanden wieder sehr schnell. Von ihnen würde er kein Blut bekommen. Das war ihm plötzlich klar. Er musste es woanders versuchen. In der Küche stehend drehte er sich langsam um. Dabei fiel er nicht zu Boden. Von Sekunde zu Sekunde nahm seine Stärke zu, und das war für ihn wichtig. Nach einer weiteren Drehung war es ihm möglich, einen Blick durch das Fenster zu werfen. Dort gab es den Garten, der in nächtlicher Stille lag. Die Dunkel heit hatte ihr Netz um ihn herum gewoben. Bäume und Büsche wur den von ihr aufgesaugt, aber das machte dem Produzenten nichts. Allein die Dunkelheit war wichtig. Sie gab ihm die nötige Kraft. Da fühlte er sich wohl. Sie lockte ihn. Im Haus würde er keine Beute finden. Er musste raus. Warmes Blut, herrlich warmes Blut. Das war es, was er brauchte. Er freute sich darauf, es bald schlürfen zu können. Die Stunden der Nacht ausnutzen und trinken, lange trinken. Er verließ die Küche und schlurfte durch einen Flur. Er suchte die Tür, die nach draußen führte. Schon bald hatte er das Glück, in ihre Nähe zu gelangen. Er schleifte weiterhin mit seinen Schuhen über den Steinboden und ließ den Vorraum hinter sich. Vor der Tür blieb er stehen.
Noch immer schwankte er leicht, aber daran störte er sich nicht. Schwer fiel seine Hand auf die Klinke und zog die Tür auf. Ein Mensch hätte die warme Nachtluft gespürt. Bei Taylor war das nicht mehr der Fall. Niemand hielt ihn auf, als er die dunkle Welt vor dem Haus betrat. Es war alles wie für ihn geschaffen. Nur eines fehlte. Ein Mensch, in dessen Adern seine Nahrung zirkulierte. Aber er würde ihn finden. Er war da wie ein Tier, das die Beute er schnupperte. Er nahm den Weg, der in den Garten führte. So brauchte er sich nicht in die Büsche zu schlagen und wie ein Dieb durch das Gelände zu schleichen. Nichts störte die Dunkelheit. Der Himmel lag hoch über ihm. Ein Meer von Sternen glotzte herab, und der volle Mond stand ebenfalls dort und schickte sein bleiches Licht in die Tiefe. Er ging mit schwankenden Bewegungen, ohne allerdings zu fallen. Aus seinem Mund drangen ungewöhnliche Laute. Es war kein At men, sondern ein hartes Keuchen, vermischt mit einem Röcheln. Auf der Hälfte der Strecke hielt Taylor an und drehte sich im Kreis. Er schüttelte dabei den Kopf. Er war wütend darüber, dass er noch keine Beute gefunden hatte. Allmählich wurde es Zeit, dass er sich labte. Ihm waren bereits die Zähne gewachsen, und immer wie der schaute er in die verschiedenen Richtungen, ohne dass er eine Beute entdeckte. Bis er das Licht sah. Nicht in der Nähe. Weiter vor ihm und am Ende des Grundstücks, wo der Weg endete. Plötzlich war alles anders. Er stand auf der Stelle, aber er wirkte wie auf dem Sprung. Er wollte sehen, was mit dem Licht geschah, das sich nicht bewegte. Es befand sich dicht über der Erde und be wegte sich nicht auf ihn zu. Aber dann verschwand es.
Von einem Moment zum anderen war es in sich zusammengefal len. Jetzt gab es nur noch die Dunkelheit. Und es meldete sich bei dem Blutsauger der Instinkt, der ihn wie ein plötzlicher Stich erfasste. Er spürte, dass etwas auf ihn zukam, aber er war vorsichtig, auch wenn es sich dabei um Menschen han delte. Er musste aufpassen, nahm den Weg nicht mehr, sondern schlug sich in die Büsche. Zwischen den Gewächsen gab es für ihn genügend Platz, um störungsfrei laufen zu können. Das Gesicht um den Mund herum zeigte einen verzerrten Ausdruck. Es ging ihm ab jetzt einzig und allein um das Blut, das in den Adern der Menschen kochte. Er wollte es. Er brauchte es. Sein Gang war viel schneller als eben noch, als er das Haus verlas sen hatte. Fast geschmeidig bewegte er sich nun voran, und seine sensiblen Nerven nahmen einen bestimmten Geruch auf. Blut! Ja, es war vorhanden. Es war so herrlich. Die Nähe des menschli chen Lebenssafts war spürbar, und Robert F. Taylor dachte daran, dass er sich bald laben konnte. Innerhalb eines Augenblicks duckte er sich zusammen, weil er plötzlich Stimmen gehört hatte. Zwei Männer sprachen miteinander. Er blieb weiterhin in seiner Haltung und lauschte. Ein paar Wortfetzen drangen an seine Ohren. Einige Male hörte er das Wort Haus. Ein Grinsen erschien auf seinen Lippen. Sie wollten also zum Haus. Eindringen und nachschauen. Sie würden sich wundern, auf wen sie dort trafen. Ihm kam ein anderer Gedanke. Wenn die Männer ins Haus gin gen, dann waren sie für ihn als Beute verloren. Also wäre es besser, wenn er sie vorher zu fassen bekam. Es war für den Vampir recht einfach, sich an ihren Stimmen zu ori
entieren. Er sah sogar das Licht einer Taschenlampe aufblitzen, aber die beiden taten ihm nicht den Gefallen, den normalen Weg zu neh men. Sie blieben ihm verborgen, denn sie ließen ihre Lampen ausge schaltet. Die Männer fanden sich auch in der Dunkelheit zurecht, was Taylor nicht gefiel. So blieb ihm nichts anderes übrig, als ihnen zu folgen und hinter ihnen zu bleiben. Schlagartig allerdings erlebte der Blutsauger eine Veränderung. Plötzlich hörte er hinter sich eine Frauenstimme. Nicht sehr laut, aber laut genug, um sie zu verstehen. Da war also noch jemand! Frisches Blut! Und sein Lächeln wurde diabolisch …
* Beide Männer hatten Carol darauf hingewiesen, an dieser Stelle zu bleiben. Sie hatte auch zugestimmt, aber ihr war nicht gesagt wor den, dass sie im Wagen sitzen bleiben sollte. Trotz ihrer geringen Größe kam ihr die hintere Bank recht eng vor. Um sich besser bewe gen zu können, musste sie aus dem Wagen raus. Das tat sie auch. John Sinclair und Abe Douglas hatten sich bereits auf den Weg ge macht und waren nicht zu sehen. In diesem Fall empfand sie es als gut, und auch die Stille machte ihr nichts aus. Im Prinzip hatte Carol ein schlechtes Gewissen. Sie war mit ihrem Freund Justin verabredet, aber sie hatte nicht gedacht, dass sich die Dinge so entwickeln würden. Sicherlich wartete Justin auf sie. Sie wollte ihn auch nicht verlieren oder mit ihm streiten. Er würde zu Recht sauer sein, wenn er keinen Bescheid erhielt. Carol kramte ihr Handy hervor. Ein kitschiges Ding mit rosafarbe nem Gehäuse. Es dauerte Sekunden, bis sich Justin meldete, und sie entnahm dem Klang seiner Stimme, dass er nicht eben fröhlich war.
»Verdammt, du rufst ja an.« »Na ja. Ich weiß, dass ich mich verspäte und …« »Verspäte ist gut. Eine Stunde und etwas mehr bist du schon drü ber. Was soll das denn?« »Es ging nicht anders.« »Wieso?« »Ich musste noch weg.« Justin lachte nur. »Mit dem alten Sack?« »Ja, mit Robert F. Taylor. Er zahlt mir schließlich ein recht gutes Gehalt und …« »Bumst er dich auch durch?« Carol verzog das Gesicht. Das Blut stieg ihr in den Kopf. Sie wuss te, dass es derartige Abhängigkeiten gab, aber nicht bei ihr. Es war eine Unverschämtheit von Justin, ihr so etwas anzudichten. »Ich glaube, du bist einen Schritt zu weit gegangen, Justin. Ich musste diese Überstunden machen, es geht um verdammt viel und …« »Ja, ja, schon gut. Ich mache jetzt auch Überstunden. Du kannst ja irgendwann mal wieder anrufen, wenn es dir in den Kopf kommt. Viel Spaß noch, Prinzessin.« Schluss. Er hatte aufgelegt. »Verdammter Idiot«, flüsterte Carol. »Der kann doch nicht mehr normal sein. Eine Unverschämtheit und …« Sie winkte ab. »Was soll’s? Soll er machen, was er will.« Noch stand sie neben dem Wagen und überlegte, ob sie wieder einsteigen sollte. Die Entscheidung wurde ihr abgenommen, und in ihrem Kopf schrillte so etwas wie eine Alarmglocke. Ein Geräusch dicht hinter ihr! Sie fuhr herum – und starrte in das Gesicht ihres Chefs, das sich auf eine grausame Weise verändert hatte, denn aus dem Oberkiefer wuchsen zwei spitze Zähne …
* »Warum schlagen wir uns in die Büsche und nehmen nicht den Weg?« fragte Abe. »Er ist mir zu übersichtlich.« »Vom Haus her, meinst du?« Wir waren stehen geblieben, um uns zu unterhalten. Nicht mal die Hälfte der Strecke hatten wir zurück gelegt. Das Kreuz hatte ich mittlerweile in die Jackentasche gesteckt. Vor kurzem hatte ich für einen Moment den Eindruck gehabt, dass es sich erwärmt hätte, aber danach war nichts mehr passiert, und so vergaß ich es. Der G-man runzelte die Stirn. »Du hast recht. Er ist zu gut einzuse hen. Aber ich denke, dass es auch eine Chance sein kann für uns.« »Dann mach mich schlau.« »Ganz einfach. Einer von uns bleibt immer in Deckung. Der ande re geht offen auf das Haus zu.« »Und wer soll das sein?« Abe deutete auf seine Brust. »Ich.« Für lange Überlegungen hatten wir keine Zeit. Also stimmte ich zu, in der Hoffnung, dass wir das Richtige taten. Eine Garantie konnte uns keiner geben. »Du deckst mir den Rücken, John.« »Geh schon.« Abe Douglas schob sich zwischen zwei Büschen hindurch. Er duckte sich dabei und richtete sich erst wieder auf, als er den Weg erreicht hatte. Er winkte mir noch mal zu, wollte gehen, doch in die sem Augenblick wurde alles anders. Wir hörten den Frauenschrei. Das konnte nur Carol Mancini gewesen sein! Der FBI-Agent reagierte sofort. »Geh du auf das Haus zu!« rief er mir zu, machte kehrt und rannte den Weg zurück, den wir schon hinter uns gelassen hatten …
* Carol lag auf dem Boden. Ein gewaltiger Stoß hatte sie von den Bei nen geholt. Während des Falls hatte sie noch den Schrei ausstoßen können, aber der hatte den Unhold nicht vertrieben. Er hatte sich kurzerhand auf sie fallen lassen. Und dabei hatte Ca rol ihn erkannt. Ihr war sofort klar, dass ihr Chef ihr keine Chance lassen würde. Aus seinem Oberkiefer wuchsen die beiden Zähne, die er in ihren Hals bohren würde, um ihr Blut zu trinken. Carols Schrei endete, als der schwere Mann auf sie fiel. Seine linke Pranke legte sich auf Carols Mund, um weitere Schreie im Keim zu ersticken. Er drückte sie mit seinem Gewicht zu Boden und war so gefallen, dass Carol keine Bewegungsfreiheit mehr hatte, sich zu wehren. Sie bäumte sich zwar auf, aber sie schaffte es nicht, den schweren Mann von sich zu stoßen. Ihr wurde die Luft knapp. Wenn Taylor so weitermachte, würde er sie ersticken. Doch das hatte er nicht vor. Überraschenderweise löste er seine Pranke von ihren Lippen, ballte sie blitzschnell zur Faust und schlug damit zu. Die Knöchel prallten gegen ihre Stirn. Auf einmal sah sie Sterne, und sie rechnete damit, bewusstlos zu werden. Doch der Zustand trat nicht ein. Carol blieb nur matt und bewegungslos liegen, ohne sich rühren zu können. Sie hörte etwas. Kein normales Atmen, kein Keuchen. Es war ein Geräusch, das zwischen diesen beiden Lauten lag. So etwas wie ein tiefes Röcheln oder Gurgeln, das irgendwo zwischen Kehle und Magen seinen Ur sprung haben musste. Sie lag still. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Ihr Blick verschlei erte sich, und dann merkte sie, dass ihr zum Vampir gewordener
Chef in ihre Haare fasste. Trotz der Kürze zerrte er daran und drückte dabei ihren Kopf so zur Seite, dass ihre linke Halsseite freilag und sich die Haut dort straff spannte. Perfekt für den Biss. Er brauchte so etwas nicht zu lernen, das war ihm gegeben. Für eine gewisse Zeit glotzte er auf sein Opfer nieder. Er wollte es sich genau anschauen. Seine Augen hatten sogar die Stumpfheit verloren und einen bestimmten Glanz angenommen. »Ich werde dich leer trinken«, sprach er mit einer tiefen und grabe sähnlichen Stimme. Carol sah wieder besser, und sie starrte in das Gesicht, dessen un tere Hälfte so grässlich aussah. »Bitte …«, flüsterte sie, »bitte – ich …« »Nein, nein. Dein Blut, dein Blut …« Etwas bewegte sich neben und hinter ihm. Ein hoher und auch großer Schatten. Etwas löste sich von der Schattengestalt und raste mit unheimli cher Wucht nach unten. Ein harter Waffenlauf erwischte Taylors Kopf. Das Geräusch hörte sich schlimm an, und tatsächlich kippte der Vampir langsam zur Seite und gab die Sicht auf sein Opfer frei. So sah Carol Mancini den G-man Abe Douglas, der ihr im letzten Moment zu Hilfe gekommen war …
* Ich trug meine Beretta nicht mehr bei mir. Ich hatte sie Abe Douglas gegeben. Der Gedanke kam mir, als ich mich auf dem Weg befand, der direkt zum Haus des Armando Diaz führte. Durch seinen hellen Kiesbelag lag er deutlich vor mir. Ich hielt mich deshalb nicht in der Mitte auf, sondern schritt an der rechten
Seite entlang, wo mich die Schatten der Bäume und Büsche etwas deckten. Die Trittgeräusche meines Freundes waren verklungen. Wieder hatte die Stille der Nacht von allem Besitz ergriffen. Auch ich be mühte mich, so leise wie möglich zu gehen, was auf dem Kies nicht ganz einfach war. Es knirschte immer wieder unter den Sohlen. Das Haus war düster. Eine kleine Festung. Es strahlte nicht den Glanz oder Glamour aus, wie man es von den Heimen der großen Stars kennt. Da der Garten nur unvollständig gepflegt worden war, hatten sich die Pflanzen ausbreiten können und waren bis dicht an das Haus herangewuchert. Ich beschleunigte meine Schritte nicht. Dabei ließ ich das Haus nicht aus den Augen. Ich schaute auch nach rechts und links in den Garten hinein und stellte fest, dass dort alles ruhig war, was mich ir gendwie störte, weil ich auch damit rechnete, dass sich Armando ein Versteck außerhalb des Hauses ausgesucht haben könnte. Ich sah nichts, ich hörte nichts. Nur meine eigenen Geräusche be gleiteten mich, und so kam ich dem Haus immer näher, bis ich vor der alten Steintreppe stehen blieb. Vor mir lagen die Tür und eine Fassade, die von Fenstern unter brochen wurde. Allerdings war keines von ihnen erleuchtet. Ein Wunder war es nicht, denn jeder Vampir liebte die Dunkelheit der Nacht. Kurze Zeit später stand ich vor der Tür. Sie sah geschlossen aus, was sie aber nicht war. Bei genauem Hinsehen stellte ich fest, dass sie nur angelehnt war. Sie würde sich also mühelos aufziehen las sen. Damit wartete ich noch. Es war für mich wichtig, ob ich etwas hörte. Vampire bleiben in der Dunkelheit nur ungern bewegungslos liegen. Dieses Verhalten reduzierten sie auf den Tag. Da ich im Garten noch keinen Angriff
erlebt hatte, ging ich davon aus, dass sich jemand im Haus befand. Allerdings durfte ich auch Carols Schrei nicht vergessen. Vielleicht war es dem Hollywood-Vampir gelungen, sich im Garten zu verber gen und dort auf seine Opfer zu lauern. Mein Bauchgefühl allerdings sagte mir, dass auch dieses alte Haus sehr wichtig war, und so zog ich die Tür langsam auf, dabei hof fend, dass sie nicht zu laute Geräusche abgab. Ich schaffte es. Außer einem wirklich leisen Knarren war nichts zu hören. Ich erweiterte den Spalt so, dass ich hindurchschlüpfen konn te, und trat in das fremde Haus ein. War der Vampir zu riechen? Nein, und auch als ich nach meinem Kreuz fasste, wurde ich ent täuscht. Es erwärmte sich nicht. Die Luft schien rein zu sein. Aber beim zweiten Nachfassen merkte ich, dass das Kreuz doch reagierte. Ich spürte die zuckenden Wärmestöße an meinen Fingern. Besser hätte es für mich nicht laufen können. Irgendwie freute ich mich auf die Durchsuchung des alten Hauses und schob mich in das Innere hinein. Überrascht sah ich einen sehr schwachen Lichtschein, der unter ei ner Tür hervordrang. Das war die Spur! Es gab noch mehr zu sehen. Jetzt, da sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, fiel mir die Treppe auf, die ich nehmen musste, um nach oben zu gelangen. All das wurde in den folgenden Sekunden unwichtig, als draußen ein lauter Knall die Stille zerriss. Ein Schuss! Und er war aus einer Beretta abgegeben worden …
* Robert F. Taylor, der neue Vampir, war vom Schlag gegen den Kopf
zu Boden gegangen. Aber er war kein Mensch mehr, der bewusstlos geworden wäre, und so war er trotz des heftigen Treffers nicht aus dem Spiel. Sofort stemmte er sich wieder hoch. Abe Douglas ließ das zu, weil er sich um Carol Mancini kümmern musste. Er befürchtete, dass es dem Blutsauger gelungen sein könn te, ihr das Blut auszusaugen, und deshalb wollte er Bescheid wissen. Es war nichts. Keine Bissstelle. Ihr Hals sah an beiden Seiten normal aus, das war auch in der Dunkelheit zu erkennen, und er war froh darüber. »Bleiben Sie liegen, Carol, ich mache das schon.« Ob sie eine Antwort gab, war ihm unklar, denn er schwang in die Höhe und drehte sich sofort zu dem Blutsauger um. Die Aktionen hatten nur wenig Zeit gekostet, und Taylor hatte sich nicht so schnell auf die neue Lage einstellen können. Nach wie vor gierte er nach Blut, und plötzlich sah er zwei potentielle Opfer vor sich. Er streckte seine Arme vor, um nach Abe Douglas zu grei fen, was ihm jedoch nicht gelang, denn der G-man wich zurück. Taylor gab nicht acht. Er wollte alles zu schnell haben und stolper te über die am Boden liegende Carol Mancini. Durch die Berührung fiel er nach vorn und direkt auf Abe Douglas zu. Der hatte darauf nur gewartet. Er hielt die Beretta bereits in der Faust und brauchte nicht mal großartig zu zielen, um den Schädel des Blutsaugers zu treffen. Das geweihte Silbergeschoss traf ihn in Mundhöhe. Robert F. Taylor fiel um, als hätte man ihm beide Beine zugleich weggeschlagen. Abe Douglas hatte ihn getötet und zugleich von sei nem dämonischen Zustand erlöst. Abe ließ die Waffe sinken. Sein Herz hatte bei der Aktion sehr schnell geschlagen, und nur allmählich beruhigte es sich wieder, als er tief durchatmete. Er schaute dann nach rechts und sah, dass sich Carol Mancini bewegte. Sie wollte nicht länger auf dem Boden lie
gen, rollte sich zur Seite und schaffte es, ohne fremde Hilfe auf die Beine zu gelangen. Sie lehnte sich mit dem Rücken gegen die Beifah rerseite des BMW und schaute den G-man aus schockweiten Augen an. Das Erlebte steckte ihr noch immer tief in den Knochen, und sie würde es so leicht nicht abschütteln können. »Okay«, flüsterte Douglas. »Es ist okay. Der Vampir kann Ihnen nichts mehr tun …« »Ja, ich – ich weiß. Es war wohl mein Fehler, dass ich den Wagen verlassen habe.« Abe hob die Schultern. »Und was wird jetzt aus mir?« flüsterte sie. »Das kann ich Ihnen sagen. Ich möchte Sie nicht allein hier drau ßen lassen. Es könnte sein, dass es noch weitere Blutsauger gibt, die von Armando Diaz gebissen worden sind.« »Ja sicher.« Sie hob die Schultern. »Aber wo ist Ihr Kollege? John Sinclair wird …« »Wir haben uns getrennt. Er kümmert sich um das Haus.« »Und was machen wir?« Abe Douglas lächelte sie beruhigend an. »Wir werden auch dort hin gehen. Aber keine Sorge, ich bleibe bei Ihnen …«
* Sie lagen im Bett wie ein Liebespaar, aber sie waren kein Liebespaar. Das lag sehr lange zurück, und doch schienen sie irgendetwas nach holen zu wollen. »Jetzt sind wir wieder zusammen«, sagte Kate Rome mit leiser Stimme. »Das werden wir auch bleiben, Liebes.« »Ich bin so froh.« Diaz lachte girrend. »Und gemeinsam können wir es schaffen und heben die ganze Welt aus den Angeln, denn wir sind diejenigen, die
das ewige Leben haben. Wem sollte es gelingen, uns zu töten? Wer wagt sich an einen Vampir heran – wer?« Kate war da etwas verhaltener. »Es gibt bestimmt welche«, flüster te sie, »irgendwelche Menschen, die gern Jagd auf die Wesen der Nacht machen. So war es auch immer in unseren Filmen.« Armando schüttelte im Liegen den Kopf. »Wir sind hier nicht mehr in einem Film. Das ist die Wirklichkeit. Um uns herum gibt es keine Statisten, sondern Menschen, die dafür da sind, dass wir ihr Blut trinken. Wir sind wirkliche Vampire. Wir brauchen das Blut, um existieren zu können. Und das werden wir uns holen.« Er fasste nach ihrer Hand. »Uns gehören die Nächte, während wir die Tage hier im Haus verbringen und warten, bis die Nacht anbricht. Es ist ein gutes Versteck, denn hier traut ich nie mand her.« »Ich wünsche es mir, Armando.« »Das kannst du auch.« Sie lagen wieder still. Das Schlafzimmer befand sich in der oberen Etage. Sie hätten auch eines der anderen Zimmer nehmen können. In den meisten standen Betten oder Chaiselongues, denn es gab Zei ten, da wurden hier Orgien gefeiert. »Wann gehen wir auf die Jagd, Armando?« »He, hast du nicht erst vor kurzem Blut getrunken?« »Ja, aber ich muss es üben. Ich will mehr, verstehst du? Ich will Blut schlürfen. Ich will es schmecken. Ich will es in mich einsaugen und mich daran laben. Ich bin so alt geworden, und jetzt ist meine Gier nach dem Leben erst richtig erwacht.« »Ich verstehe. Und weiter?« Kate Rome blieb nicht mehr liegen. Mit einer schnellen Bewegung stemmte sie sich hoch. Beide Vampire trugen noch ihre normale Kleidung und wirkten in dem halbrunden Bett irgendwie deplat ziert. »Ich werde unruhig, Armando.«
»Ja? Warum wirst du das?« »Ich rieche Blut.« Sie lachte schnell und hart. »Ich rieche sogar fri sches Blut.« Sie fing an zu schmatzen, als sie die Lippen zusammen zog. »Ja, das weiß ich genau.« Diaz streckte sich mit trägen Bewegungen. »Und wo soll es sein?« »Nicht weit.« »Meinst du unseren Freund Taylor?« »Nein, den nicht, aber ich weiß, dass auch er trinken will. Ja, des halb ist er bestimmt unruhig.« »Dann schau nach.« Sie drehte den Kopf nach links. »Und du hast nichts dagegen?« »Warum sollte ich?« »Ja. Gut, das ist gut.« Sie schwang die Beine aus dem Bett. »Ich bin gleich wieder da.« Diaz wollte sie nicht zurückhalten. »Weißt du denn, woher der Ge ruch kommt? Ist er nahe?« »Ja, das denke ich.« »Hier im Haus?« »Das kann sein.« »Gut, dann geh!« Kate tat es noch nicht. Sie blieb noch auf der Bettkante hocken. Ihre Sitzhaltung sah aus, als wäre ihr plötzlich etwas eingefallen. Schließlich stand sie doch auf und drehte sich so, dass sie ihren Ge liebten anblicken konnte. »Wie bist du es geworden?« fragte sie. »Wie bist du zu einem Vampir geworden?« Diaz lachte. »Willst du das wirklich wissen?« »Ja.« »Es war die Hölle«, erklärte er, »nein, der Teufel. Schon als ich beim Film der Star war, habe ich ein großes Interesse am Teufel ge zeigt. Hier in Hollywood gibt es viele Götzen. Hollywood selbst ist ein Götze. Und hier hat jeder die Möglichkeit, sich seinen eigenen
auszusuchen. Ich habe schon immer den Teufel geliebt. Er hat mir alles gegeben und mich zu dem gemacht, was ich bin. Er hat mich begleitet, das weiß ich sehr genau. Von klein auf ist er immer in mei ner Nähe gewesen, und als ich dann Karriere machte und mir so vie les in den Schoß fiel und ich dem Teufel dafür dankbar war, da hat er sich gefreut und mich gefragt, welch einen großen Wunsch ich habe. Ich habe es ihm gesagt. Ich machte ihm klar, dass ich mein Filmleben in der Wirklichkeit weiterführen will. Ich wollte zu einem echten Blutsauger werden. Ja, zu einem echten.« Er warf den Kopf zurück und lachte. »Und das bin ich geworden, Kate. Der Teufel hat mich zu einem Vampir gemacht. In mir steckt das Feuer der Hölle. Es hat mich gestärkt. Ich bin nicht wirklich gestorben, ich bin nur im wahrsten Sinne des Wortes zur Hölle gefahren und habe gelernt, dass es wichtig ist, keine Zeit zu verlieren, wenn man sein Ziel errei chen will. Die Zeit zuvor ist vergangen, ohne dass ich es gemerkt habe. Aber jetzt bin ich wieder zurück, und ich weiß, dass bald ganz Hollywood über mich sprechen wird, wenn ich auf die Suche nach Blut gehe. Das kann ich dir schwören …« Kate sagte nichts. Sie starrte ihn an. Im Zimmer war es finster. Es gab kein Licht. Die Möbelstücke waren nur als schemenhafte Umris se zu erkennen, aber trotzdem hob sich etwas hervor. Das waren die bleichen Gesichter der Blutsauger. »Dann bist du ja noch mächtiger, als ich dachte«, sagte sie voller Ehrfurcht. Jetzt richtete sich auch Armando Diaz auf. »Ja, du hast es erfasst. Das bin ich. Viel mächtiger. Sogar sehr mächtig, denn hinter mir steht die Macht der Hölle!« Er riss beide Arme in die Höhe. »Wer will mich besiegen?« rief er voller Intensität. »Wer, zum Henker? Ein Mensch?« Er gab sich selbst die Antwort. »Nein, kein Mensch. Mein Körper gehört der Hölle. In ihm lodert ihr Feuer. Ich bin ein Ge schöpf des Satans!« Jeden normalen Menschen hätten die ins Dunkle gerufenen Worte zutiefst erschreckt. Nicht so Kate Rome, denn sie war kein Mensch
mehr. Sie konnte nur Hochachtung für ihn empfinden, und sie freu te sich darüber, in seiner Nähe sein zu dürfen. Sie nickte ihm zu. Ein Lächeln entstand dabei auf ihren Lippen. »Ja, das ist gut, was ich da gehört habe. Es ist sogar wunderbar, ein fach herrlich. Ich freue mich, dass ich bei dir sein darf.« »Geh jetzt und sieh zu, dass du satt wirst.« »Ja, ja …« Kate war froh. Sie liebte ihr neues Dasein immer mehr. Sie wusste, dass sie nicht allein stand. Sie hatte einen Begleiter, der sie nicht im Stich lassen würde, und genau das machte das neue Dasein so span nend. Sie huschte aus dem Zimmer. Der alte Holzboden gab einige Ge räusche ihrer Tritte wider. Schnell hatte sie die Treppe erreicht, und sie witterte den Geruch des Blutes immer stärker. Sie spürte ihn auf der Zunge und sie wusste, dass ihr Opfer nicht weit entfernt sein konnte. Langsam ging sie die Stufen hinab. Wenig später überblickte sie die Lage. Sie schaute auch bis zur Tür und zuckte plötzlich zusam men, weil sie dort etwas gesehen hatte. Eine Gestalt stand vor der Tür. Sie bewegte sich nicht, aber Kate wusste, dass es ein Mensch war. Voller Blut, und er würde ihr Opfer werden. Ein Laut erklang. Nicht im Haus, weiter weg. Er hörte sich an wie ein Knall. Wäre sie ein Mensch gewesen, so hätte sie den Atem angehalten. So aber stand sie weiterhin auf der Treppe und schaute auf den Ein dringling, der auf sie einen unsicheren Eindruck machte und sich of fenbar nicht entscheiden konnte, was er tun sollte. Vielleicht lief er weg. Nein, nur das nicht! Kate wollte ihn, sie wollte sein Blut, und deshalb lief sie die restli chen Stufen hinab …
* Mit dem Schuss hatte ich nicht gerechnet und war deshalb zusam mengezuckt wie unter einem Peitschenschlag. Plötzlich sah ich mei nen ganzen Plan gefährdet. Auf der anderen Seite musste ich mei nem Freund Abe Douglas auch etwas zutrauen. Ich hatte ihm meine Waffe überlassen, die mit geweihten Silberkugeln geladen war. Si cherlich hatte er geschossen, um einen Feind zu vernichten. Wohin? Weiter vor oder zurück? Die Entscheidung wurde mir abgenommen, denn auf der Treppe bewegte sich eine schattenhafte Gestalt. Sie lief mit schnellen Schrit ten nach unten, und da wusste ich, was ich zu tun hatte. Lichtschein fiel nur schwach aus einem anderen Zimmer in den Flur, aber die Person musste ihn durchqueren, und für einen winzigen Moment sah ich sie besser. Ich erkannte jetzt, dass es eine alte Frau war, die sich jedoch mit der Kraft und Frische der Jugend bewegte. Das war nur möglich, weil sie Kraft getankt hatte. Das Blut eines Menschen musste dafür gesorgt haben, und mir kam augenblicklich Robert F. Taylor in den Sinn. Der Gedanke an ihn war schnell verweht, denn die Frau ließ mit einem Sprung die letzten Stufen hinter sich. Von nun an rannte sie mit großen Schritten auf mich zu. Sie kam schnell näher. Ich sah ihr Gesicht, das aus grauem Blei zu bestehen schien, in das man mit ei nem harten Gegenstand Falten und Furchen hineingeritzt hatte. Und ich sah ihr Maul! Es war weit aufgerissen. Zwei lange Zähne ragten aus dem Ober kiefer hervor. Sie waren spitz genug, um wie Nadeln in meine Haut eindringen zu können. Sie war in ihrer Blutgier nicht zu stoppen. Sie fegte auf mich zu, um mich zu Boden zu werfen. Dabei verließ sie sich auf meine Star re, die allerdings genau im richtigen Moment verschwand, denn ich
drehte mich mit einer schnellen Bewegung zur Seite und schob zu gleich ein Bein vor. Die Angreiferin übersah meinen Fuß und stol perte. Sie klatschte auf den Steinboden und rutschte von dort noch auf die Tür zu. Hätte ich meine Beretta gehabt, wäre alles kein Problem gewesen. Aber die hatte mein Freund Abe Douglas, und so musste ich mich auf mein Kreuz verlassen. Die Wiedergängerin drehte sich vom Bauch auf den Rücken. Ihre Arme schossen in die Höhe, sie wollte mit den Händen nach mir greifen, die zu Krallen wurden, und genau das war ihr Untergang. Ich ließ die Hände in meine Nähe kommen, und dann drückte ich ihr das Kreuz zwischen die Finger. Ihr Schrei war fürchterlich. Sie brüllte wie am Spieß und schaffte es nicht, ihre Hände von meinem Kreuz zu lösen. Sie schlenkerte mit den Armen, warf sich von einer Seite zur anderen. Sie schrie nicht mehr, sondern jaulte auf, und ihr Gesicht verwandelte sich in eine Fratze, die so verzerrt war, dass sie beinahe zerriss. Ich nahm das Kreuz wieder an mich. Vor mir lag eine Person, die nicht zu Asche zerfiel, dafür hatte sie sich noch nicht lange genug in diesem Zustand befunden. Aber sie starb, sie wurde erlöst, und plötzlich lösten sich diese schrecklichen Gesichtszüge auf und nahmen einen friedlichen Ausdruck an. Sie schlief. Aber sie schlief in einem Zustand, aus dem sie nie mehr erwachen würde. Der Tod hatte sie erlöst, und ihre Seele hatte den nötigen Frieden gefunden. Ich wusste, was ich tun musste. Nicht mein Freund Abe Douglas war in diesem Moment wichtig, es gab dieses Haus, in dem die Überraschungen lauerten. Ich glaubte nicht daran, dass sich die Frau allein hier aufgehalten hatte. Es besaß einen anderen Eigner, der das Gebäude als ein perfektes Versteck benutzen konnte.
Ich drehte mich langsam um. Sie war die Treppe her abgekom men, und genau den Weg wollte auch ich nehmen. Ich ging einige Schritte vor und blieb stehen, denn auf der Mitte der Treppe stand der Hollywood-Vampir …
* Für einen Moment setzte bei mir der Herzschlag aus. Endlich stand ich ihm gegenüber, und dabei erlebte ich etwas, das mir Probleme bereitete. Eigentlich hätte er in der Dunkelheit nur ein Schatten sein dürfen. Genau das traf nicht zu. Er stand dort wie jemand, der einen großen Auftritt vor sich hatte. Hätte er dunkle Kleidung getragen, er hätte mich unweigerlich an Dracula erinnert, so wie Christopher Lee ihn gespielt hatte. Aber das war er nicht, denn er trug seinen hellen Smoking, dazu das weiße Hemd, die Fliege und die Lackschuhe. Ich schaute in sein Gesicht. Dort zeigte er seine wahre Identität, denn die beiden langen Eckzähne lauerten darauf, Wunden reißen zu können. Das war nicht alles, denn mir fiel noch mehr auf. Die Haut war so hell. Allerdings nicht bleich. Sie zeigte eine andere Farbmischung, die sich dicht unter ihr abzeichnete und zugleich eine gewisse Unruhe aufwies, als würden unter der dünnen Haut kleine Flammen zucken, in einer Mischung aus Gelb und Rot, die auch die Augen erfasst hatten. Meine Erfahrungen mit Vampiren waren nicht eben gering. Aber so einen wie diesen hatte ich noch nie zuvor gesehen. In Hollywood schien wirklich alles anders zu sein. Er starrte mich an. Ich schaute zurück. Bösartig war sein Blick. Weit aufgerissen das Maul, und ich zeigte ihm das Kreuz nicht offen, denn ich dachte an meine Neugierde, die befriedigt werden musste.
»Wer bist du?« Ich war gespannt, ob ich auf diese einfache Frage eine Antwort er halten würde. Der Blutsauger überlegte, und dabei dachte er nur an seinen wirkungsvollen Auftritt, denn er breitete die Arme aus, als wollte er mich umschlingen. »Ich bin wieder da. Ich war in der Hölle. Ich war beim Teufel. Er hat mich geprägt. Er hat mich zu dem gemacht, was ich heute bin. Ich habe ihm schon immer sehr nahe gestanden, und das hat er ge wusst. Er hat mich nicht im Stich gelassen. Für die Menschen bin ich gestorben, aber nicht für den Satan. Er hat mich wieder zurückge schickt in diese Welt, damit ich auch in seinem Sinne die Zeichen setzen kann.« »Ein Blutsauger, den der Teufel schickte?« fragte ich. »Das ist mir neu, Armando.« »Aber die Wahrheit. Der eine verkauft seine Seele an den Teufel, der andere sein Spiegelbild. Er ist überall und zieht die Fäden, und er hat die Macht, Wünsche zu erfüllen, so wie das in meinem Fall geschehen ist.« »Ich sehe allmählich klarer.« »Wie schön für dich, mein Freund.« Er ging zwei Stufen tiefer, und plötzlich bröckelte seine Sicherheit ab. Sein Blick war an mir vorbei geglitten und hatte ein neues Ziel gefunden. Er sah seine Helferin bewegungslos auf dem Boden liegen, und so fort erreichte mich seine Frage. »Was ist mit Kate?« »Ich habe sie erlöst.« »Was?« »Du hast richtig gehört. Sie ist wieder zu einem Menschen gewor den. Du kannst ihr Vampirsein vergessen, denn sie wird keinen Tropfen Blut eines Menschen mehr trinken.« Er hatte alles gehört, und plötzlich jaulte er auf. Es war ein Laut der Wut, der jähen Enttäuschung. So etwas konnte er nicht hinneh
men, denn er fühlte sich als der King. Für einen winzigen Moment knickte er in den Knien ein. Es war so etwas wie ein Anlauf, den er nehmen musste, um sich im richtigen Moment abzustoßen. Von der Treppe her flog er auf mich zu. Sein Sprung war gewaltig genug, um mich zu erreichen. Er glich einem fliegenden Kammbock, der mich von den Beinen gerissen hätte. Auch diesmal glitt ich zur Seite, nur hatte ich mich verrechnet. Ich kam nicht weit genug weg, denn wie ein Balletttänzer hatte er mit ten im Sprung seine Beine gespreizt. Sein linker Fuß streifte mich am Kinn. Der Tritt war ziemlich heftig, aber ich steckte ihn weg. Ich taumel te zurück, denn ich wollte zwischen uns eine genügend große Di stanz bringen. Armando Diaz landete geschickt auf dem Boden. Auf dem rechten Fuß stehend fuhr er herum. Er würde nur einen kräftigen Sprung brauchen, um mich zu erreichen, aber die Lust auf einen Kampf mit ihm hielt sich bei mir in Grenzen. Ich kannte die Stärke der Vampire verdammt gut, und deshalb erwartete ich ihn mit dem Gegenstand, den der Teufel, sein großer Mentor, am meisten hasste. Er kam und sah das Kreuz! Plötzlich wurde seine nach vorn gerichtete Bewegung sehr unge lenk. Er zuckte nach links, war so mit sich selbst beschäftigt, dass ich die Gelegenheit nutzen konnte. Mit den Füßen zuerst sprang ich ihn an! Die Schuhe rammten gegen seinen Bauch. Er torkelte zurück und prallte gegen die halb offene Tür, die er ins Schloss drückte. Der Laut hörte sich an, als wäre eine Falle geschlossen worden. Mit einer wilden und schwingend anzusehenden Bewegung kam er wieder in die Höhe. Er sah so aus, als wollte er zur Decke fliegen und sich von dort nach unten auf mich stürzen.
Da war ich – und da war mein Kreuz! Der Talisman spürte die andere und auch mächtige Kraft, die von Armando Diaz ausging. In meiner Hand strahlte es auf. Es verwan delte sich in eine Aura aus Licht, die auch den höllischen Vampir traf. Das Kreuz gewann. Es spielte sich der Kampf zwischen Gut und Böse ab. Die Hellig keit, die den Menschen Kraft gab, war für ihn zerstörerisch. Sie huschte über sein Gesicht hinweg, sie brannte sich ein, und das Höl lenfeuer, das unter seiner Haut gloste, richtete sich gegen ihn selbst. Plötzlich waren die Flammen da! Sie rissen die Haut auf. Sie schossen an verschiedenen Stellen her vor, ließen die Augen und den Mund nicht aus. Ich schaute zu, wie die beiden Eckzähne dahinschmolzen und dem Blutsauger sein Er scheinungsbild nahmen. Schrecklich war es anzusehen. Er wehrte sich gegen seine Vernich tung und schlug den Kopf von einer Seite zur anderen. Aber das Feuer war stärker. Es verbrannte ihn. Licht und Flammen entstellten sein Gesicht, und keine einzige dünne Rauchsäule stieg dabei in die Höhe. Ich hörte es nicht mal knistern und blieb weiterhin Zeuge, wie der Hollywood-Vampir immer mehr verging. Er zuckte noch einige Male, das war alles. Er schaffte es nicht, auf die Beine zu gelangen, und an seinem Kopf sanken die Flammen jetzt wieder zusammen. Was blieb? Ich sah keine Haut mehr. Dafür die grauen Knochen eines Skelett schädels, der auf dem Körper saß. Der helle Anzug, das weiße Hemd, die Fliege, das alles war noch bei ihm vorhanden. Und dazu kam der blanke Schädel! Es war ein Bild, das nur abstoßen konnte, und ich sorgte dafür, dass es zerstört wurde.
Unter meinem heftigen Tritt brach der Schädel zusammen und wurde zu einem Knochenhaufen. Ich hatte gewonnen und dem Teufel wiedermal ein Schnippchen geschlagen …
* »Gratuliere, John, das war mehr als super!« Ich drehte mich zur Tür um und sah dort meinen Freund Abe Douglas stehen. Er war nicht allein gekommen, aber Carol Mancini hielt sich etwas im Hintergrund auf. Ich hob die Schultern. »Ehrlich gesagt, Abe, er war ein besonderer Vampir. Er hat auf den Teufel gesetzt. Aber …« »… nun ist Hollywood mal wieder um eine Legende reicher, den ke ich.« »Genau, Abe. Wenn du es so siehst, kann ich nicht widersprechen. Er hatte noch viel vor, was wir zum Glück verhindern konnten …« ENDE
Der Teufel von Venedig von Jason Dark Ein Kollege bat Suko und mich um Hilfe. Er war in Venedig gewe sen und hatte dort eine junge Frau kennen gelernt. Die aber war plötzlich verschwunden. Und sie war nicht die Einzige. Es gab noch drei weitere Frauen, die nicht mehr aufzufinden waren. Suko und ich machten uns auf die Suche und stießen bald auf die Gestalt im Hintergrund: Es war
Der Teufel von Venedig