Atlan Im Auftrag der Kosmokraten Nr. 718
Der Gesandte von Trysh Ein Mutant in geheimer Mission
von Arndt Ellmer
Auf...
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Atlan Im Auftrag der Kosmokraten Nr. 718
Der Gesandte von Trysh Ein Mutant in geheimer Mission
von Arndt Ellmer
Auf Terra schreibt man die Jahreswende 3818/19, als der Arkonide sich nach einer plötzlichen Ortsversetzung in einer unbekannten Umgebung wiederfindet, wo unseren Helden alsbald ebenso gefährliche Abenteuer erwarten wie in Alkordoom. Atlans neue Umgebung, das ist die Galaxis Manam-Turu. Und das Fahrzeug, das dem Arkoniden die Möglichkeit bietet, die Spur des Erleuchteten, seines alten Gegners, wieder aufzunehmen, ist ein hochwertiges Raumschiff, das Atlan auf den Namen STERNSCHNUPPE tauft. Das Schiff sorgt für manche Überraschung – ebenso wie Chipol, der junge Daila, der zum treuen Gefährten des Arkoniden wird. In den rund fünf Monaten, die inzwischen verstrichen sind, haben die beiden schon manche Gefahr bestanden – immer auf der Spur jener Kräfte, die schon an anderen Orten des Universums für Leid und Unfrieden verantwortlich waren. Die Hauptsorge Atlans gilt gegenwärtig den Daila des Planeten Aklard, der bereits von Invasoren kontrolliert wird. Und während der Arkonide Unterstützung bei den im Weltraum verstreuten DailaMutanten für deren alte Heimatwelt sucht, schlüpft einer dieser Mutanten durch das Überwachungsnetz der Invasoren und landet auf Aklard. Er ist DER GESANDTE VON TRYSH…
Die Hauptpersonen des Romans: Elyl – Ein Mutant kehrt zurück. Aksuum – Ein Oberster Rat von Aklard. Phyrpor und Tullan – Oberster Priester von Rhyikeinym. Bannish – Ein Tempeldiener.
1. Die Tage des Kleinen Feuers waren angebrochen. Überall auf den Spitzen der Steine und Schrunde rings um das Tal der heilenden Quellen waren die Irrlichter aufgestellt worden und flackerten unruhig im Wind, der durch das Aufeinandertreffen warmer und kalter Luftmassen erzeugt wurde. Bannish hatte sich neben einer Tenserblüte niedergelassen. Der Boden unter ihm verstrahlte angenehme Wärme, und der Diener der Tempelanlage, dachte an die unwirtlichen Zonen des Kontinents, in denen die Daila arbeiteten. Uschriin war gerade kein Paradies, und die Oasen bildeten eine rühmliche Ausnahme. Bannish ließ seine Augen über das Tal schweifen. Es erstreckte sich weit nach allen Seiten hin, und hohe Berge umschlossen es schützend. Die Glaskuppeln blinkten in Suumas rötlich-gelbem Licht und bildeten mit den darunter liegenden Pflanzen ein farbenprächtiges Bild. Von irgendwoher drang das Rutschen von Geröll an die Ohren des Tempeldieners. Bannish blickte überrascht auf und drehte den Oberkörper in die Richtung, aus der es der Wind zu ihm getragen hatte. Ein zweites Mal klang es auf, und diesmal erhob er sich und schritt von dem kleinen Platz über der Mulde weg zu dem Pfad hinüber, den er gekommen war. Der marmorierte Boden unter seinen Füßen leuchtete sandsteinrot, weiß und grün, mit Schattierungen von grauen und braunen Mischfarben durchsetzt. Ablagerungen waren es, die es um alle Quellen herum gab. Er erreichte den Pfad und beugte sich über das Geländer. Zehn Mannslängen unter ihm gluckerte das grünliche Wasser der Druvenquelle, und der Geruch, der in seine Nase drang, ließ ihn für wenige Augenblicke alles vergessen, was ihm auf der Seele lag. Er blieb stehen, bis er erneut das Rumpeln hörte. Es kam vom Hang des Minterhügels, der zwischen mehreren Quellen in den Himmel Aklards hineinragte und fast so hoch war wie die Berge, die das Tal umgaben. Bannish begann zu rennen. Er eilte den Pfad hinab bis an den Fuß des Hügels. Mit in den Nacken gelegtem Kopf musterte er den Teil des Hanges, den er überblicken konnte. Er sah die Gestalt, die sich mühsam über das Geröll nach oben arbeitete. Sie trug einen cremefarbenen Umhang und kletterte auf allen vieren empor. Der Minterhügel war nicht besonders steil, in manchen Passagen sogar als ausgesprochen flach zu bezeichnen, aber er war über und über mit Geröll bedeckt, das nach Regen oder Schnee wie Leim am Untergrund klebte, nach längerer Trockenzeit jedoch zu einer gefährlichen Lawine wurde. Jetzt herrschte Frühjahr, und es war seit langem warm. Wer den Minterhügel erklimmen wollte, war ein Selbstmörder. Der Tempeldiener legte die Hände an den Mund. »Heehoo!« rief er hinauf. »Kehr um, ehe es zu spät ist! Hier steht Bannish. Höre auf meine Warnung!« Der Cremefarbene reagierte nicht. Er hatte keine Gelegenheit, auf den Ruf von unten zu achten. Er strampelte über das Geröll, und wieder löste sich eine kleine Lawine aus bis zu kopfgroßen Steinen von dem Hang und donnerte in das Tal hinab. Sie raste direkt auf Bannish zu, und er hatte Mühe, ihr auszuweichen und einen Platz auf einem Felsblock zu finden, der am Fuß des Hügels lag, und aus dem ein begnadeter Künstler eine mahnend nach oben gestreckte Hand gehauen hatte. Bannish hielt sich an den Fingern fest und zog seine Beine an, um von dem ankommenden und auseinanderspritzenden Gestein nicht verletzt zu werden. »Es kann nicht gutgehen«, redete der Tempeldiener sich ein, als die Lawine abebbte und er sich von dem Felsblock löste. »Warum hat er diese Hand nicht beachtet?« Seine Worte bewahrheiteten sich schon im nächsten Augenblick. Aus der Höhe kam ein Schrei. Der Kletterer hatte eine besonders steile Passage erreicht und konnte sich nicht mehr halten. Er verharrte sekundenlang wie schwerelos an der Stelle, dann kam der Untergrund ins Rutschen und zog ihn mit sich hinab in die Tiefe. Bannish war steif vor Schreck. Fassungslos beobachtete er, wie die Gestalt den Hang herabgeritten
kam, immer oben auf dem Geröll. Seine Befürchtungen paarten sich mit Faszination, und er setzte sich vorsichtig in Bewegung. Wenn der Cremefarbene obenauf blieb, dann hatte er die Chance, das Unglück zu überleben. Und es war die heilige Pflicht des Tempeldieners, gerade dafür zu sorgen. Bannish hatte erkannt, wer da wie auf einer Horde wildgewordener Krulus herabkam. Er wußte zwar den Namen nicht, wohl aber die Zugehörigkeit des Mannes. Die ersten Steine spritzten nach allen Richtungen davon. Ein paar sausten zu dem Pfad hinüber und eine Strecke weit hinauf. Sie fielen über die Steilkante und plumpsten mit lautem Platschen in die Druvenquelle hinein. Die Hauptlawine kam. Noch immer ritt der Cremefarbene auf ihr, und in Bannish machte sich langsam, aber sicher die Ahnung breit, daß das kein Zufall sein konnte. Dann jedoch erfolgte der Aufprall. Der Tempeldiener machte zwei weite Sätze zur Seite und breitete die Arme aus. Er achtete jetzt nicht mehr auf das Geröll, das zersprang und seine Geschosse nach allen Seiten sandte. Er fixierte den Körper des Mannes und machte dessen Bewegungen mit. Der Cremefarbene wurde nach vorn geschleudert und machte einen Satz durch die Luft, bei dem er sich einmal überschlug. Er fiel Bannish genau in die Arme und prallte mit dem Rücken gegen den Brustkorb des Tempeldieners. Ineinander verschlungen stürzten sie zu Boden, und Steinmehl und Splitter deckten sie zu. Der Tempeldiener verlor für ein paar Sekunden das Bewußtsein, weil der Aufprall die Luft aus seinen Lungen getrieben hatte. Er sah Sterne tanzen und dachte an das Große Feuer, das es früher einmal gegeben hatte. Er bildete sich ein, in dieses Große Feuer einzugehen und eins zu werden mit der Schöpfung. Da aber drang wieder Luft in seine Lungen, und er sog sie gierig ein und atmete mehrmals durch, bevor er sich aufrichtete. Der Cremefarbene lag reglos auf ihm, und Bannish schob ihn vorsichtig zur Seite. Er spähte um sich, aber es war alles friedlich. Nirgendwo im Tal rührte sich etwas. Ein Lawinenabgang am Minterhügel war nichts Besonderes im Tal der heilenden Quellen. Er erhob sich und wischte den Dreck von seiner Kleidung. Er beugte sich über den Verunglückten. Er war ohnmächtig, und das mochte das Beste sein, was ihm derzeit widerfahren konnte. Der Tempeldiener untersuchte ihn nach Anzeichen innerer. Verletzungen, konnte jedoch keine entdecken. Auch äußerlich war der Mann in Ordnung, und Bannish packte ihn unter den Armen und begann ihn hinüber zu dem Pfad zu zerren, der hinab auf den eigentlichen Talgrund führte, wo das Grün und Blau der Pflanzen leuchtete, die es hier oben in der Nähe der Quellen nur in Ausnahmefällen gab. Der Geruch der Quellen war zwar angenehm und stimulierend, aber er förderte das Pflanzenwachstum nicht gerade, und auch das vulkanische Gestein bot nur wenigen Gewächsen einen Nährboden wie etwa dem Tenser, der äußerst genügsam war und für diese Verhältnisse ausgesprochen große und leuchtende Blüten hervorbrachte. Der Tempeldiener zerrte den Ohnmächtigen den Pfad hinab, bis er sich auf gleicher Höhe mit dem Wasserspiegel der Quelle befand. Er legte ihn an den Rand und schöpfte Wasser, das er ihm über das Gesicht goß und ihm unter die Nase rieb. Er blickte sich um. Noch immer war niemand in der Nähe, der ihm helfen konnte. Oder bewegte sich da drüben nicht ein Schatten? Jenseits der Quelle hatte er etwas gesehen. Er konnte nicht genau sagen, was es war, aber es hatte sich bewegt. »Hierher!« rief er und eilte ein paar Schritte zur Seite, um jenen Bereich hinter den Ablagerungen besser einsehen zu können. Er sah nichts und niemanden und sagte sich, daß er sich getäuscht hatte. Nach einem weiteren Blick auf den Cremefarbenen eilte er davon, um den obersten Priestern Bescheid zu geben und weitere Tempeldiener zu alarmieren, damit sie den Cremefarbenen möglichst unauffällig in die Tempelanlage schafften. *** »Mana sei Dank, daß es so ausgegangen ist«, stellte Phyrpor fest. Er ließ sich auf dem aus schwarzem Vulkangestein gehauenen Sessel nieder und musterte die sechs Anwesenden. Zusammen mit ihm bildeten sie die Gruppe der Obersten Priester in Rhyikeinym. »Ein schwerer Unfall hätte
eine andere Lawine ins Rollen bringen können, an der uns nun überhaupt nichts gelegen ist!« »Du meinst die Anwesenheit der Ligriden auf Aklard«, stellte Tullan fest. »Sie orientieren sich einzig und allein an den Prinzipien der Logik, und diese sagen ihnen, daß es hier auf dem kalten Kontinent Uschriin nichts zu suchen oder zu holen gibt. Wieder einmal erweist es sich als Vorteil, daß sich unsere Oase aus allen politischen Geschäften heraushält. Dies geschieht schon, seit dieser Tempel hier steht, und das ist bereits ein paar Jahrtausende.« »Mit der Logik der Ligriden scheint es nicht besonders weit her zu sein«, hielt Phyrpor entgegen. »Die Naldrynnen waren etwas zu gesprächig, und ich habe es von den Mitgliedern unseres Obersten Rates erzählen gehört, die sich darüber amüsierten. Dieser Ghorza, oder wie er heißen mag, besitzt keine glückliche Hand. Die Widerstandsgruppen auf den beiden Kontinenten Akjunth und Akbarry werden immer stärker. Und da war ja auch noch die Sache mit dem Käse!« Es dauerte immer etwas, bis die wichtigsten Meldungen nach Uschriin gelangten. Der Kontinent war klein und lag im Norden, ein kaltes, unfreundliches Land, das reich an Erzen und Mineralien war. Die Küsten waren äußerst fischreich und stellten die Hauptnahrungsquelle für das dünn besiedelte Land dar. Nach Uschriin kamen meist nur die, mit denen körperlich oder geistig etwas nicht in Ordnung war, aber auch jene, die schnell reich werden wollten oder etwas auf dem Kerbholz hatten. Ein normaler Daila hütete sich, diesen Kontinent aufzusuchen; und selbst die Nachrichtenverbindungen gestalteten sich äußerst locker. Nur das eine Mal war es anders gewesen. Die Meldung von der Käsegeschichte war wie ein Lauffeuer um den ganzen Planeten geeilt. Ein Bote des Obersten Rates, Arichon mit Namen, hatte sie persönlich übermittelt. Fremde waren angekommen, und die Ligriden hatten sie gesucht. Sie hatten Unterschlupf bei den Widerständlern gefunden, und es war den Daila gelungen, die beiden in einem Raumschiff zu verstecken und heimlich von Aklard wegzubringen. Atlan und Chipol hatten sie geheißen. Chipol war ein Jugendlicher, ein Nachkomme von Verbannten. Das ganze Spektakel war nur deshalb geglückt, weil man die beiden Gesuchten unter einer Ladung duftenden Käses versteckt hatte und sie so von Chinchidurry nach Ghyltirainen gebracht hatte. Die Erwähnung des Namens Chipol erinnerte Phyrpor daran, daß sie ja wegen des Verunglückten zusammengekommen waren. Sie hatten sich um ihn gekümmert, und er hatte ihnen den Grund seines Benehmens genannt. Daraufhin hatten sie ihn sofort wieder in die innersten Bereiche der Tempelanlage geschafft, wo er sich von seinem Absturz erholen konnte. Er hatte Glück gehabt, daß ihm wirklich nichts passiert war. Nicht einmal eine Schramme hatte er davongetragen. »Wir müssen uns darum kümmern«, fuhr der Oberste Priester fort. »Es kommt nicht alle Monde vor, daß uns ein solcher Besuch erreicht. Wir müssen Vorbereitungen treffen. Niemand von unseren Patienten und dem übrigen Personal darf erfahren, was vor sich geht. Wir müssen auch den Absturz des Heilers verheimlichen.« »Und wir benötigen jemanden, der Rhyikeinym, das Tal der heilenden Quellen, verläßt und dem Besuch entgegengeht. Zwar sind die Kontrollen auf Uschriin durchlässig, aber ein dummer Zufall könnte alles verderben. Ihn müssen wir verhindern«, fügte Tullan hinzu. »Wer soll gehen?« wollten die anderen Obersten Priester wissen. »Einer von uns?« Phyrpor machte eine entschiedene Geste der Verneinung. Das kam nicht in Frage. Als Priester der Oase und Diener des Tempels waren sie zu bekannt, um sich unerkannt auf dem kleinen Kontinent und in den Siedlungen der Bergarbeiter bewegen zu können. Sie mußten jemanden schicken, der unauffälliger war. »Wir brauchen einen mutigen Mann mit viel Umsicht. Keinen, der die besten Jahre hinter sich hat, und keinen, der noch zu unerfahren für eine solche Aufgabe ist!«
»Diesen Mann gibt es«, bestätigte Tullan. »Gerade im Zusammenhang mit dem Heiler ist er uns aufgefallen. Ihn sollten wir damit betrauen!« Sie ließen Bannish kommen und setzten ihm ihre Situation auseinander. Der Tempeldiener gehörte zu der Gruppe der Personals, die eingeweiht war und auch Zutritt zu den innersten Tempelbereichen hatte. Er kam gerade von dem Heiler, bei dem er sich nach dessen Befinden erkundigt hatte. Er machte ein zufriedenes Gesicht. »Wenn ihr mich hinausschicken wollt, dann tut es«, erwiderte er. »Ich bin gern bereit, jeden Auftrag zu erfüllen. Sagt mir, worum es geht!« »Es wird einer kommen«, hob Phyrpor an. »Ihn sollst du treffen und zu uns bringen. Es ist ein wichtiger Mann, und die Aussagen des Heilers sind genau und zuverlässig. Aber denke daran, was immer auch geschieht, du darfst deine Auftraggeber nicht verraten!« »Ich werde mich beherrschen!« bekräftigte Bannish. »Woran erkenne ich die Person?« »Es ist ein männlicher Daila. Du erkennst ihn allein an seinem Namen. Er heißt Elyl. Es darf ihm nichts geschehen, und vor allem darf er nicht den Ligriden in die Hände fallen!« Bannish machte sich auf den Weg. Er legte seine Kleider ab, die ihn als Tempeldiener auswiesen. Er zog eine gelbbraune Kombination an, wie sie überall in den Siedlungen um die Minen und Zechen getragen wurde. Er steckte Zahlungsmittel und ein paar Kleinigkeiten zu sich, dann verließ er Rhyikeinym und machte sich auf den Weg, um nach Elyl zu suchen. Es gab nicht viele Möglichkeiten, wo der Erwartete eintreffen konnte. Uschriin verfügte lediglich über ein halbes Dutzend kleiner, primitiver Raumhäfen für den Warenumschlag. Für Passagierflüge von Kontinent zu Kontinent oder gar für den Raumflug waren sie wenig geeignet, obwohl oft Lastenschiffe anderer Planetensysteme landeten. Zuerst erschien es Bannish als eine leichte Aufgabe, dann aber erkannte er, daß es äußerst schwierig war, alle sechs Plätze gleichzeitig im Auge zu behalten. Nicht einmal mit einem Gleiter ließ sich das machen, und Bannish befürchtete, daß er den Erwarteten verpassen könnte.
2. Der Boden senkte sich an einer Seite ein wenig ab und geriet in leichte Schräglage. Das Schaben und Kratzen, das er übertrug, wies darauf hin, daß der Container das Innere der DRIHUTLA bereits verlassen hatte und sich auf den Gleitbändern des Raumhafens befand. Elyl hatte sich gegen die Wand gelehnt. Im Schein der kleinen Batterielampe musterte er den Inhalt des Containers. Er befand sich obenauf und mußte den Kopf ein wenig einziehen, um nicht gegen den Deckel zu stoßen. Der Container neigte sich noch ein wenig mehr zur Seite, und der Daila bekam einen Schreck. Wenn die Ladung auch nur eine Körperbreite verrutschte, dann blockierte sie die Klappe, durch die er den Container verlassen wollte. Und verlassen mußte, denn er kam mit einem Auftrag nach Aklard, der unbedingt auszuführen war. Elyl lauschte. Er gehörte zu den Verbannten von der Heimatwelt, beziehungsweise zu deren Nachfahren. Er war ein Mutant, aber seine Fähigkeiten waren nur sehr schwach ausgeprägt. Nur spezielle Tests konnten ihn entlarven. Ihnen mußte er sich auf alle Fälle entziehen. »Rhyikeinym!« flüsterte er fast unhörbar. Er fieberte dem Augenblick entgegen, da er sein Ziel erreicht haben würde. Er wußte, daß das Schiff vom Kontaktplaneten Unscher ihn auf dem Kontinent Uschriin absetzte, jenem weit nördlich gelegenen, kälten Land, in dem es Bergwerke gab und mit Sicherheit viele Überraschungen. Der Untergrund unter dem Daila begann zu rutschen, aber gleichzeitig geriet er wieder in eine waagrechte Lage. Etwas rumpelte, das Schlagen von Metall gegen Metall drang durch die Wände. Der Container kam zum Stillstand. Es wurde ruhig, und nach einer Weile empfingen die geschärften Ohren des Mutanten die Geräusche sich nähernder Schritte. »Container vierundsiebzig«, hörte er. Das war der, in dem er steckte. »Was geschieht mit ihm?« fragte eine zweite Stimme. Beide sprachen sie die Sprache der Daila, wie sie auch auf Trysh gepflegt wurde. Elyl geriet in Erregung, als er die vertrauten Laute vernahm. Für ihn bildeten sie den ersten inneren Kontakt zur Heimatwelt, die die Heimat aller Daila war, die es in Manam-Turu gab. »Er ist abzusondern. Morgen früh wird sein Inhalt einer exakten Prüfung unterzogen. Dazu muß er geöffnet werden!« »So ein Unfug«, meinte die zweite Stimme. »Der Inhalt stimmt mit Sicherheit mit den Frachtpapieren überein!« »Wir werden sehen. Stichproben sind wichtig, und du weißt, daß uns die Verrückten auf Akjunth immer wieder auf die Finger sehen.« Der zweite Daila lachte. Elyl konnte sich denken, daß er mit den Verrückten die Ligriden meinte, die seit jüngster Zeit auf Aklard weilten und das Volk der Heimatwelt zu unterdrücken versuchten. Wut stieg in dem Mutanten auf, aber auch Entsetzen. Er strengte seine schwachen psionischen Sinne an, aber er erkannte nichts. Hätte er keine Schritte und keine Stimmen gehört, wäre er nicht darauf gekommen, daß sich außerhalb des Containers Lebewesen aufhielten, die demselben Volk entstammten wie er. Daila ohne Fähigkeiten! Elyl begann zu frösteln, und der Container setzte sich erneut in Bewegung und kam erst nach über einer halben Stunde wieder zur Ruhe. Die schabenden Geräusche des Transporters entfernten sich, und der Daila verharrte bis weit nach Mitternacht aklardischer Zeitrechnung, ehe er sich daran machte, die entstandene Galgenfrist zu nutzen.
Der Kapitän der DRIHUTLA hatte ihn eingehend instruiert, und so wußte der Gesandte vom Planeten Trysh, daß sein Container abgesondert wurde, damit er die Möglichkeit hatte, unerkannt hinauszuklettern und das Gelände des Raumhafens zu verlassen. Der Daila legte sich auf den Bauch und schob sich hinüber zur Klappe. Sie diente dazu, Stichproben zu machen oder einen Blick auf die Ladung zu werfen. Die Klappe von Container vierundsiebzig besaß einen Mechanismus, der es ermöglichte, sie auch von innen zu öffnen. Elyl tat es vorsichtig und spähte hinaus. Er befand sich etwa fünf Manneslängen über dem Boden, und seine Hände tasteten nach dem Seil. Er band es fest und ließ es hinaus. Es glitt hinab zum Hallenboden. Vorsichtig blickte er sich im Halbdunkel der Nachtbeleuchtung um. Nichts rührte sich, niemand sah ihn. Mit einem harten Schwung am Seil löste der Daila den Trickknoten an der Klappe. Das Seil fiel herab zu ihm, und gleichzeitig schlug die Klappe mit einem dumpfen Geräusch zu. Kein Daila und erst recht kein Ligride konnte jetzt feststellen, daß jemand den Container verlassen hatte. Elyl wickelte das Seil zusammen und legte es sich über die Schulter. Nachdem er sich vergewissert hatte, daß seine Umhängetasche mit der Ausrüstung in Ordnung war, pirschte er sich auf Zehenspitzen davon. Die Halle war groß. Überall standen Container und andere Behälter, und er benötigte eine Zeit, um einen Ausgang zu finden. Er hielt sich dem Haupttor fern und verließ das Gebäude durch eine kleine Tür, die auf eine Straße mündete. Sie war offen, aber sie knarrte, und Elyl zog daraus * den Schluß, daß sie normalerweise verschlossen war und nicht benutzt wurde. Er schloß die Tür hinter sich und wußte, daß er Neuland betrat. Hier waren ihm keine Wege mehr geebnet, keine Türen vorbereitet, um seine Landung zu erleichtern. Hier gab es nur noch Aklard, und mit diesem Namen verband sich die ganze Sehnsucht eines jeden Verbannten. Noch immer kam es Elyl wie ein Wunder vor, daß sie ausgerechnet ihn für diese Mission ausgesucht hatten. Es hatte auch andere Daila auf Trysh gegeben, die über schwach ausgeprägte Psifähigkeiten verfügten. Auch sie hatten sich gemeldet. Das Gerücht von einer geheimen Mission nach Aklard hatte alle Daila munter gemacht. Warum war er auf die Reise geschickt worden? Elyl fand keine Antwort auf die Frage. Fast tastend und mit leuchtenden Augen setzte er einen Fuß vor den anderen. Aklard war die Heimat aller. Aklard war so etwas wie ein Paradies, wenngleich Uschriin nicht mit den beiden anderen Kontinenten Akjunth und Akbarry zu vergleichen war. Es machte nichts. Der Daila verließ den Gebäudeschatten und durchwanderte einen Lichtkegel; der von einer trüben Wandlampe geworfen wurde. Er wechselte auf die andere Seite der Straße hinüber und bog um eine Ecke. Er befand sich in unmittelbarer Nähe jenes Bereichs, an dem der Raumhafen endete und in freies Gelände überging. Im Dunkel der Nacht war nicht viel davon zu erkennen, aber der Mann von Trysh mußte dennoch vorsichtig sein. Es gab Wachen auf den Raumhäfen, und sie waren mit Sicherheit nicht von seinem Kommen unterrichtet. Seine Mission war streng geheim, und er hatte ein Ziel, das er unbedingt erreichen mußte. Geriet er in die Hände der Ligriden, dann war es aus. Irgendwo flammte ein Licht auf. Aus einem Gebäude trat eine Gestalt und näherte sich ihm. »He, was machst du da?« wurde er angerufen. »Nichts«, erwiderte Elyl. »Mir ist nicht gut. Ich gehe nach Hause!« Der Daila kam heran und betrachtete ihn. Elyl trug einen graubraunen Anzug. Langsam löste er seine Hände von dem Seil über seiner Brust. »Sieh an, ein Kontrolleur«, meinte der Daila. »Du siehst auch ganz krank aus. Das ist kein Wunder bei diesem Klima hier. Gute Besserung!« Er entfernte sich, und Elyl spürte Schweißperlen auf seiner Stirn. Und wieder bedrückte ihn die psychische Leere, die der andere für ihn bildete. Jeder Daila ohne psionische Fähigkeiten war für ihn wie ein toter Gegenstand. Es fehlte ihm das Wichtigste, was einen Daila ausmachte. Elyl war auf diese Gegebenheiten vorbereitet worden. Er wußte auch, warum die Daila auf den
vielen fremden Planeten von Aklard verstoßen worden waren. Trotz allem fühlte sich jeder der Verbannten mit der Heimatwelt verbunden, und jetzt schien es, als sei Aklard auf die Hilfe der Mutanten angewiesen. Der Bote von Trysh ließ das letzte der Gebäude hinter sich. Das Dunkel der Nacht verschluckte ihn, und er leuchtete mit seiner Lampe umher und entdeckte eine Straße, die in die Nacht hineinführte zu jenen Lichtern, die in der Ferne brannten. Das mußte Grunym sein, die Siedlung. Elyl beschleunigte seinen Schritt. Es ging bereits dem Morgen zu, und er wollte den Bereich des Hafens verlassen haben, ehe Suuma aufging, die rötlichgelbe Sonne. Bereits bei der Annäherung an das Heimatsystem war ihm der Stern wie eine Verheißung vorgekommen. In der Zentrale der DRIHUTLA hatte er die Augen nicht von ihrem Anblick abwenden können, so hatte er ihn fasziniert. Und jetzt war es Nacht, und in ihm nagten zwiespältige Gefühle. Er kam sich einsam und verlassen vor, wie ein Begabter unter lauter Unbegabten. Auch darauf hatten sie ihn vorbereitet, aber der Schock war nicht zu verleugnen, und für eine Weile trug Elyl sich mit dem Gedanken, schleunigst in die schützende Nähe der DRIHUTLA zurückzukehren und zusammen mit ihr der unwirtlichen Gegend zu entfliehen. Irgendwo im Osten bildete sich ein Lichtstreifen. Er zog sich über einen Gebirgskamm und breitete sich rasch aus. Er wurde breiter und breiter und nahm die Form einer kleinen Sichel an. Er stieg rasch über den Horizont empor und wanderte am Firmament aufwärts. Der Daila blieb stehen und beobachtete das Schauspiel. Er brauchte nicht in seiner Erinnerung zu suchen. Alles auf und um Aklard war ihm so vertraut, als sei er auf diesem Planeten aufgewachsen. »Sei mir gegrüßt, Falinder, leuchtender Mond der nördlichen Hemisphäre!« flüsterte er. Im nächsten Augenblick fuhr er herum und suchte aus geblendeten Augen nach dem Ursprung des Geräuschs, das er plötzlich hörte. Etwas war hinter ihm in der Luft, es konnte nur ein Gleiter sein. Der Daila spurtete los. Er rannte im Zickzack von der Straße weg in die kahle Landschaft hinein. Kein Busch war in der Nähe, und Falinders grelles Licht ließ das Seil an seinem Oberkörper verräterisch glitzern. Elyl entdeckte eine Bodenwelle. Er verschwand in einer winzigen Senke und preßte sich eng gegen das kalte Gestein. Erst jetzt wurde ihm das rauhe Klima so richtig bewußt. Vom wolkenlosen Himmel pfiff ein kalter Wind über die Felsenlandschaft und hatte längst jede Feuchtigkeit verscheucht. Alles hier war nackt und trostlos. Der Gleiter kreiste. Hatte der Pilot etwas bemerkt? Der Daila wagte kaum zu atmen. Erleichtert verfolgte er, wie das Fluggerät nach einer Weile abdrehte und weiterflog. In großer Entfernung wiederholte es sein Manöver, und es blieb über der Landschaft, bis Elyl Grunym fast erreicht hatte. Dann erst verschwand es in der Ferne, und der Gesandte von Trysh pries sein Schicksal. Womöglich war es ein Gleiter der Ligriden gewesen. Deutete das auf Verrat hin, oder hatte der Daila Alarm ausgelöst, dem er im Hafengelände begegnet war? Die Lichter der Siedlung wurden immer heller und überdeckten bald den Schein des Mondes. Zwei Trabanten besaß Aklard, und einer leuchtete schöner als der andere. Es mußte ein überwältigendes Schauspiel sein, wenn beide gleichzeitig über den Himmel zogen und sich im rechten Winkel kreuzten. Elyl zögerte kurz, dann betrat er die Stadt. Falinder hatte den westlichen Horizont erreicht und verschwand. Dafür begann der Horizont im Osten in rötlicher Glut zu leuchten, die sich wie das Große Feuer über den halben Himmel ausbreitete. Bald würde die Sonne aufgehen und den neuen Tag bescheinen. Der Daila gähnte. Er war müde, denn er hatte seit seinem Aufbruch von Trysh nicht mehr geschlafen. Er suchte sich ein Versteck, fand jedoch keines. Es half alles nichts, er mußte den Kontakt mit den Bewohnern Grunyms suchen.
*** Es war ein öffentliches Gebäude, das Elyl fast magisch anzog. Es stellte das Zentrum Grunyms dar, und eine Leuchtschrift über dem breiten Eingang wies darauf hin, daß hier die Stadtverwaltung untergebracht war. Der Daila starrte durch das verglaste Portal hinein und entdeckte die Wegweiser. Entschlossen trat er ein und nahm den Weg zum Informationsbüro. Er war der erste Kunde an diesem Morgen, und ein paar Daila blickten ihm mürrisch entgegen. Elyl erkundigte sich nach dem Weg zur Oase Rhyikeinym, und damit beging er einen Fehler. Er erschrak, als er es bemerkte und sich die möglichen Konsequenzen ausmalte. »Ich bin Aremchar«, sagte der Daila, der ihm am nächsten saß. Er hatte das schwarzgraue Haar hinten zu einem Knoten zusammengefaßt. Eine kostbare Spange hielt ihn zusammen und glitzerte im künstlichen Licht. »Es steht dir nicht zu, am frühen Morgen hier hereinzukommen, nur um uns zu foppen. Geh hin, wo der Pfeffer wächst!« Sie hielten ihn für einen Angestellten des Raumhafens, und Elyl überlegte angestrengt, wie er sich verhalten sollte. Er suchte wieder einmal mit seinen psionischen Sinnen, ohne auf eine Resonanz zu treffen. Er bewegte die Hände hin und her als Zeichen der Resignation. »Ich komme von weither«, versuchte er dem Mann begreiflich zu machen. »Ich weiß den genauen Weg nicht, der nach Rhyikeinym führt!« »Den weiß hier keiner so recht«, erwiderte Aremchar schroff. »Du wendest dich am besten, an Feugal, den Fuhrunternehmer. Er wird dir einen Gleiter vermieten oder dir eine Gruppenreise zu einer der Oasen anbieten!« Aremchar senkte den Kopf und vertiefte sich wieder in einen Stapel fast leerer Blätter. Auch die übrigen Daila wandten sich ab, und nach kurzem Zögern verließ der Gesandte von Trysh das Büro und eilte hinaus auf die Straße. Draußen holte er erst einmal tief Luft, aber die Luft schmeckte ihm nicht. Sie war kalt und rauh. Er hustete hart. Elyl trat in die Rinne am Straßenrand, die von mehreren Daila benutzt wurde, und folgte einem von ihnen. Er ging rasch, bis er den Artgenossen eingeholt hatte. Vorsichtig tippte er ihn an und verwickelte ihn unter tausend Entschuldigungen in ein Gespräch. »Feugal?« dehnte der Daila. »Was habe ich mit ihm zu tun? Laß mich in Ruhe! Ich habe meine Arbeit!« »Ich suche sein Büro oder was er sonst als Aufenthalt benutzt«, machte Elyl ihm begreiflich. »Grunym ist nicht groß. Jeder muß den Fuhrunternehmer kennen!« Der Daila nannte einen Straßennamen und deutete in eine Richtung. »Dort, die Gasse entlang. Aber verschwinde jetzt. Ich habe mit Feugal nichts zu schaffen.« Hastig machte Elyl, daß er weiterkam. Er hielt sich an die Angaben und drang immer tiefer in die Stadt ein. Er klatschte unentwegt die Handflächen aneinander, und manchmal stahl sich ein Seufzer über seine Lippen. So schlimm hatte er es sich nicht vorgestellt, Uschriin war ein Fremdkörper in seinem Weltbild, und er besaß nicht die Kraft und nicht das Wissen, diesen Eindruck zu beseitigen. Er bekam Angst vor allem, was um ihn herum war. Wenn er einem Daila begegnete, wich er ihm aus und machte, daß er davonkam. So änderte er oftmals die Richtung und stellte nach einiger Zeit fest, daß er sich verlaufen hatte. Er las die Hinweisschilder und Straßennamen. Erst spät am Nachmittag fand er, was er suchte. Ein von einer hohen Mauer umgebenes Gelände trug die Buchstaben und Bilder des Fuhrunternehmers. Eine kleine Tür in der Mauer führte zur Anmeldung. Um das Gelände herum war alles still. Kein Daila ließ sich blicken, und Elyl trat mit der gebotenen Vorsicht ein. Ein Verdacht war in ihm aufgestiegen. Immerhin war es möglich, daß die Ligriden inzwischen auch auf Uschriin feste Stützpunkte besaßen. Die abweisende Haltung der Daila in Grunym deutete darauf hin.
Eine Daila empfing ihn. Sie war ausgesprochen hübsch für seinen Geschmack, und seine innere Verkrampfung löste sich ein wenig. »Ich möchte nach Rhyikeinym«, sagte er. »Wann geht der nächste Gleiter ab?« »Hast du Papiere bei dir?« Elyl schüttelte den Kopf. Er hatte alle Hinweise auf seine Herkunft in seiner Heimat zurückgelassen. Nur der Kapitän der DRIHUTLA war in der Lage, ihn zu identifizieren. Er hoffte, daß er bald seinen Auftrag erfüllen konnte und dann von den Daila auf Aklard mit den nötigen Legitimationen ausgestattet wurde. »Der nächste Gleiter geht in einer Stunde«, lächelte die Daila freundlich. »Tritt durch jene Tür mit dem Pfeil darauf. Du wirst auf dein Gewicht geprüft!« Er tat, wie ihm geheißen. Er kam in einen Saal, der mit medizinischen Geräten ausgestattet war. Zwei Männer in blauen Mänteln nahmen ihn in Empfang und stellten ihn auf ein rotes Quadrat. Sein Gewicht, seine Größe und sein Kreislauf wurden untersucht. »Notwendige Maßnahmen«, erklärte der eine. »Der Aufenthalt auf Uschriin ist alles andere als leicht. Und nicht jeder wird in die Oasen hineingelassen!« Ich schon! dachte Elyl intensiv und war diesmal erleichtert, daß keiner seine Gedanken empfangen konnte. Er wurde in ein weiteres Zimmer geschoben, in dem er ein Papier unterschrieb, das die Beförderungsbedingungen enthielt und das Entgelt. Irgendwie klang alles verschwommen, was der Daila murmelte, und Elyl wäre in jeder anderen Situation stutzig geworden. So aber war er blind in seinem Vertrauen auf Aklard und seine Bewohner. Er war nur zu geneigt, die Verhältnisse auf dem Kontinent Uschriin als Folgen des rauhen Klimas zu akzeptieren. Er erhielt einen schmalen Koffer mit Kleidung und Toilettenartikeln, sozusagen eine Beigabe für den Flug mit einem Gleiter. Es handelte sich wohl um Dinge, die in Oasen wie Rhyikeinym verlangt wurden. Die nächste Station Elvis war ein Hof, in dem annähernd hundert andere Daila warteten. Sie musterten ihn stumm, und er war froh, außer einem Gruß nichts sagen zu müssen. Er sonderte sich ein wenig ab. Er ließ seine Augen wandern und stellte fest, daß es hier nicht nur Daila gab, sondern auch drei Angehörige eines anderen Volkes, dessen Namen er nicht kannte. Ligriden waren es nicht. Sie warteten bis gegen Abend. Dann erschienen mehrere Männer in Uniformen und holten sie ab. Sie führten sie zu einem großen Transportgleiter, und die Daila stiegen ein. Jeder trug den Koffer, und der Gesandte von Trysh fragte sich staunend, wie es kam, daß sich so viele auf den Weg nach Rhyikeinym machten. Und es war keine einzige Frau darunter. Rumpelnd schloß sich die Tür des Gleiters, und das Fahrzeug hob sich in die Luft und raste davon. Es schlug den Weg nach Westen ein, aber nach einer Weile schwenkte es nach Norden ab. Elyl gelang es, einen Blick aus einem der kleinen Fenster zu werfen. Er sah die trostlose Landschaft unter sich, in der fast nichts wuchs. Grau und braun leuchteten die Felsmassive zu ihm herauf. Früher einmal mochten hier ewige Gletscher geruht haben. Sie hatten im Lauf ihrer Wanderungen auch den letzten Rest Erdreich mit sich in den Ozean gerissen, und jetzt gab es nur noch die Oasen, in denen ein wenig Vegetation blühte. Elyl wandte den Kopf ab, weil das Fenster von außen mit Reif beschlug und ihm die Sicht nahm. Suuma ging unter, und er erkannte, daß er bereits zuviel Zeit verloren hatte. Ursprünglich war vorgesehen gewesen, daß er Rhyikeinym am ersten Tag erreichen würde. Nun würde es Nacht, und in der Dunkelheit konnte er wenig erreichen in einer Umgebung, die er nicht kannte. Die Dämmerung brach herein, und der Daila hatte den Eindruck, als befände sich der Gleiter immer über derselben Stelle des Kontinents. Als er endlich zur Landung ansetzte, war es bereits finster. Ein hartes Rucken ging durch den Innenraum, als er zum Stillstand kam und jemand die Tür öffnete.
Sie stiegen aus. In der Finsternis war nichts zu erkennen außer den Silhouetten von ein paar Gebäuden, die von Lampen markiert waren. Ein helles Viereck wies auf einen Eingang hin, und die Daila setzten sich schweigend in Marsch und strebten darauf zu. Beklemmung machte sich in Elyl breit. Das Schweigen der Männer und die eisige Ruhe der Umgebung, nur ab und zu durchbrochen vom Jaulen des Windes, machten ihn nervös. Er blinzelte. Stand dort drüben nicht ein Raumschiff? Ragte es nicht wie ein Pfeil in den Himmel? Der Wind wurde stärker. Am Himmel standen keine Sterne. Wolken verhüllten ihn, und plötzlich zuckte ein Blitz über das Firmament. Für den Bruchteil einer Sekunde enthüllte er Elyl die Wahrheit. Der Daila blieb stehen und duckte sich. Er hatte einen Turm gesehen mit einem Rad daran. Und einen Korb, der über einem Schachteingang hing und im Wind schaukelte, weil er leer war. Das war alles andere, aber nicht Rhyikeinym, die Oase. Elyl setzte sein Gepäck ab. Er begriff jetzt, wozu es diente. Es war seine Ausrüstung für den Aufenthalt unter Tage. Deshalb also hatten die Daila in Grunym sich von dem Namen Feugal wenig erbaut gezeigt. Feugal war kein gewöhnlicher Fuhrunternehmer. Er suchte Arbeitskräfte zusammen, die er zu einem der Bergwerke brachte, um sie für sich arbeiten zu lassen. Deshalb hatte ihn die Frau nach seinen Papieren gefragt. Jemand, der keine Papiere besaß, war ein Gesetzloser. Man konnte ihn wie eine Ware einplanen und verwenden, ohne daß er Widerstand leisten würde. Für ihn galt es, schnell unterzutauchen, und das ging am besten in den Bergwerken Uschriins. Der Gesandte von Trysh schalt sich einen Narren, daß er nicht gleich dahintergekommen war. Er hatte nicht damit gerechnet. Noch immer sträubte sich alles in ihm, daß es unter Angehörigen seines Volkes so etwas geben konnte. Daila benutzten andere Daila als Roboter! Elyl arbeitete sich zum Rand der Gruppe hinüber. Er sonderte sich ab, als sie den Schatten zwischen zwei Lichtbahnen durchquerten. Er machte sich klein und verharrte im Schatten, bis die Daila und die Uniformierten weit genug weg waren. Er spurtete los zu dem Gleiter, der noch immer an seinem Platz stand. Alle Türen waren offen. Im Licht eines weiteren Blitzes sah er, daß sich niemand in dem Fahrzeug befand. Er hechtete sich durch den Eingang und suchte die Pilotenkanzel auf. Während Donnergrollen über das Land zog, startete er die Aggregate und hob das Fahrzeug vom Boden ab. Gleichzeitig wurde er entdeckt. Lichtkegel erfaßten den Gleiter, ein Strahl beleuchtete draußen den einsam stehenden Koffer. Eine Alarmsirene heulte auf. Elyl schwenkte ab. Er lenkte den Gleiter schräg an einem Turm vorbei mit dem Ziel, ihn zwischen sich und den Schachteingang zu bringen. Sein Erfolg war nur mäßig. Er sah es aufblitzen! Das Heck des Gleiters wurde herumgerissen. Es prallte gegen den Turm. Es knirschte und krachte, elektrische Entladungen zuckten auf. Aus der Steuerkonsole kamen kleine Rauchwölkchen. Der Gleiter verlor seine Stabilität und krachte zum Boden zurück. Die Kanzel platzte auf, und Elyl wurde hinausgeschleudert. Um ihn herum prasselten Metallteile zu Boden. Benommen blieb er liegen und benötigte einige Zeit, um sich zu orientieren. Er hatte sich nicht verletzt. Er wälzte sich herum und sprang auf die Füße. Mit eingezogenem Kopf rannte er davon, während sich vom Schachteingang her die ersten Bodenfahrzeuge näherten. »So leicht bekommt ihr mich nicht!« hustete er, während er sich vergewisserte, daß er seine Umhängetasche mit der Ausrüstung noch besaß. Er eilte in die Ebene hinaus, von der er nach einiger Zeit jedoch feststellte, daß sie ein Hochplateau war. Er gelangte an einen Steilabfall. Er wäre in die Tiefe gestürzt, wenn er nicht im Licht eines starken Blitzes die Kante entdeckt hätte. Vorsichtig ließ er sich nieder und wickelte das Seil ab. Es reichte nicht, und die Nacht war zu finster, um die eigentliche Tiefe erkennen zu lassen. Und hinter ihm näherten sich die Lichter der Suchmannschaft.
Elyl eilte am Abgrund entlang. Er hielt auf einen Felsen zu, der mitten aus dem Plateau ragte. Dort suchte er nach einem Versteck und fand es auch. Es war eine kleine Höhlung, und sie war nur von oben einsehbar. Er suchte ein paar lose Steine zusammen, ließ sich in die Höhlung gleiten und deckte sich mit den Steinen zu. Es war kalt, und der Fels hatte Feuchtigkeit, die von seiner Kleidung aufgesogen wurde. Elyl begann zu frieren und zu zittern, aber er beachtete es kaum. Er hatte größere Schwierigkeiten als nur die Feuchtigkeit. In seinem Innern rebellierte es. Sein Bewußtsein wehrte sich in einem letzten Kampf gegen die Eindrücke, die es empfangen hatte. War das alles nur auf Uschriin möglich? Oder betraf es ganz Aklard? Nein, redete er sich ein. Es ist das rauhe Klima, das die Daila anders gemacht hat. Aklard selbst ist die Wiege unseres Volkes, das Paradies aller Daila. Was du erlebst, ist lediglich ein kleiner Bereich, in dem die Welt nicht in Ordnung ist. Uschriin ist nicht der Maßstab. Dennoch hatte ihn das Verhalten der Daila erschreckt. Mit so etwas hatte er nicht gerechnet. Nie im Leben wäre er daraufgekommen, daß so etwas möglich war. Intelligente Lebewesen wurden als Handelsobjekte mißbraucht. Bibbernd verharrte er bis zum Morgengrauen. Die Suchmannschaft war verschwunden. Sie mußte annehmen, daß er in den Abgrund gestürzt war. Langsam arbeitete er sich aus der Höhlung heraus an die Sonne. Er schlich zur Felskante und blickte hinab. Es war mehr ein schräger Hang, und nach einigem Suchen nach der geeigneten Stelle machte er sich an den Abstieg. Mit Hilfe des Seils und des Trickknotens erreichte er den Boden der eigentlichen Ebene nach einer guten Stunde. Er ließ sich auf dem Fels nieder, und Suuma trocknete seine Kleider. Elyl schlief ein, und als er geweckt wurde, schrak er auf und sah sich mehreren zerlumpt aussehenden Daila gegenüber. »Wohl ausgerückt, da oben«, sagte einer mit heiserer Stimme. Sein Gesicht war blaß, die Augen glühten rotblau. Der Mann war krank. »Stimmt«, nickte Elyl. »Ich will nach Rhyikeinym, nicht in ein Bergwerk.« »Da bist du bei uns richtig«, meinte ein anderer. »Wir sind auf dem Weg zur Oase. Die Leute dort sind sehr reich!« Der Gesandte von Trysh traute dem Frieden nicht so recht. Da er jedoch seine Identität nicht lüften durfte, um alle Zufälle auszuschließen und zu gewährleisten, daß die Ligriden nichts von seiner Anwesenheit erfuhren, mimte er Erleichterung. Wer auch immer die zerlumpten Daila waren, sie würden wenigstens dafür sorgen, daß er aus der Nähe des Bergwerks verschwinden konnte. *** Der Gesandte von Trysh hatte das Gefühl, innerlich immer mehr auszutrocknen. So sehr er sich auch bemühte, es gelang ihm nicht, auch nur einen winzigen Hauch eines fremden Gedankens zu empfangen oder sonst etwas, was ihm vertraut gewesen wäre. In einer Beziehung waren die Bewohner Aklards schon immer perfekt gewesen. Sie hatten jeden ihrer Artgenossen, der auch nur im geringsten nach psionischen Fähigkeiten »roch«, auf dem schnellsten Weg von ihrer Welt entfernt. Die Daila waren ein zivilisiertes Volk und lebten in Frieden mit ihrem Planeten. Kriege hatte es seit langer Zeit nicht mehr gegeben. Alles, was irgendwie ins Extreme lief, wurde schief angesehen. Selbst in Architektur und Kunst machte sich dieses Mittelmaß aller Dinge bemerkbar. Spektakuläre Werke aller Art wurden mit Distanz und Verdacht zur Kenntnis genommen oder erst gar nicht zugelassen. Insofern war die Position des Volkes gegenüber den betont aggressiv auftretenden Ligriden von vornherein klar. Die Toleranz der Daila von Aklard aber endete endgültig bei den mutierten Mitgliedern ihres Volkes. Noch waren die Wissenschaftler nicht hinter das Geheimnis gekommen, das zu den Mutationen führte. Immer wieder traten sie auf, und sie bildeten eine Störung des gesellschaftlichen Gleichgewichts. Deshalb wurden sie höflich, aber mit Nachdruck, verbannt. Ganze Familien und Sippen hatte die Verstoßung betroffen, und Elyl war kein Fall bekannt, in dem die Mutanten nicht auf irgendeiner Welt Fuß gefaßt hätten. Gerade die psionischen Fähigkeiten waren es, die es ihnen ermöglichten, rasch zu Einfluß und Ansehen zu
kommen. Auch auf Trysh war es so. Trysh war eine reiche, zivilisierte Welt, auf der die verbannten Daila mächtig waren. Ihr Wort besaß Gewicht. Der Planet hatte einen Gesandten nach Aklard geschickt, und der Gedanke daran mahnte Elyl, daß ihm keine Zeit mehr blieb. »Beeilt euch!« verlangte er von den Zerlumpten. Er mußte brüllen, um sich in dem Krach zu verständigen, den der qualmende und knatternde Wagen machte, mit dem sie über den vom Nebel abgewaschenen, vegetationslosen Felsboden fuhren. Nirgends sproß eine Pflanze empor, nirgends waren ein paar Erdkrümel auszumachen. Der Fels lag nackt da wie überall auf Uschriin, wo es nicht gerade Oasen gab. Der Boden war kalt, das Gestein stellenweise mehlig. »Was willst du, Fremder?« knurrte einer der Zerlumpten. Seine Begleiter nannten ihn Jullem. Er zauberte unter seinem zerrissenen Umhang eine klobige Handfeuerwaffe hervor und hielt sie dem Daila unter die Nase. »Du hast nämlich nichts zu wollen, sonst blasen wir dir das Hirn aus dem Schädel!« Elyl riß die Augen auf, daß die bläulichen Augäpfel deutlich zu sehen waren. Sein wattedichtes Haar knisterte leicht und richtete sich auf. Ein Schauer rieselte seinen Rücken hinab, und er schluckte mehrmals krampfhaft. Er war nicht in der Lage, eine Antwort zu geben. Nur seine Hände bewegten sich abwehrend auf und ab, und Jullem steckte die Waffe wieder ein. Der Gesandte von Trysh machte sich auf der Ladefläche klein und schloß entsetzt die Augen. Nein! schrien seine Gedanken. Es kann nicht sein. Das ist nicht Aklard. Ein Daila der Heimatwelt würde sich nie so roh und herzlos verhalten. Nie und nimmer kann es Aklard sein. Ich muß weg von hier, so schnell es geht! Er schätzte seine Chancen ab, die Zerlumpten zu überwältigen und vom Wagen zu stoßen, um mit dem Vehikel fliehen zu können. Die Waffe, die Jullem bei sich trug, ließ es nicht zu, daß er seine Pläne verwirklichte. Seufzend ergab er sich in sein Schicksal. Das Glück hatte ihn in dem Augenblick verlassen, als er den Raumhafen verlassen hatte, der zweifellos zum Kontinent Uschriin gehörte, der sich auf dem Planeten Aklard befand. Mana hilf! flehte Elyl. Er konzentrierte sich und vergaß die Umwelt für eine Weile. Er suchte Zuflucht in der stärkenden Kraft des Großen Feuers, das den Grundpfeiler der Religion aller Daila bildete. Manam-Turu hieß in der Sprache der Daila soviel wie »Rauchstreifen vom verlöschenden Feuer«. Es war ein bildlicher Begriff, denn einzeln bedeuteten die Begriffe Mana und Turu etwas anderes. Nur im Zusammenhang mit der Mythologie war »Rauchstreifen vom verlöschenden Feuer« erklärbar. Einst hatte es statt der vielen Sterne am Himmel der Galaxis ein einziges großes Feuer gegeben, an dem alle Götter, Geister und Dämonen sich wärmen konnten. Dann aber hatte es Streit gegeben, weil die unterschiedlichen Gruppen ein eigenes oder das eine Feuer ganz für sich beanspruchten. Entgegen aller Weisheit schlichen sie sich heimlich an den Wächtern vorbei und stahlen Teile des Feuers. Sie legten viele kleine Feuer und entzogen dem Großen Feuer immer mehr von seiner Kraft, bis es endgültig erlosch und nur sein Rauch als ewiges Mahnmal am Himmel erhalten blieb. Rauch der Götter nannten die Daila jene nebligen Zonen, die in sternenklaren Nächten zu beobachten waren. Und mancher Gelehrte vertrat die Ansicht, daß irgendwann am Ende der jetzigen Zeit sich alle die kleinen Feuer wieder zu einem einzigen großen vereinigen würden, aus dem dann ein neuer Götterhimmel hervorgehen würde. Und das bedeutete Mana. Mana war die Vereinigung, die Gesamtheit, die Vollkommenheit. Und Turu war die Wärme, das Große Feuer, die Urform aller Existenz, die Energie. Und da war er, Elyl. Ein winzig kleiner Funke, ein Daila mit geringen Psi-kräften. Er hätte die Kontrollen auf Akjunth und Akbarry nie überlisten können. Die Ligriden hätten ihn gefaßt. Nur auf Uschriin war es möglich gewesen. Hier waren die Kontrollen locker, und nachdem er das Hafengelände verlassen hatte, konnte er sich einigermaßen sicher fühlen. Dennoch bildete er sich ein, daß ein Fluch auf ihm lag. Er erinnerte sich an den Gleiter, vor dem er
sich in der ersten Nacht versteckt hatte. In der zweiten Nacht war er nur knapp einem Bergwerk entgangen, aus dem herauszukommen ihm bestimmt schwergefallen wäre. Und jetzt befand er sich in Begleitung von Kerlen, die alles andere als einen vertrauenerweckenden Eindruck machten. Wieder neigte sich Suuma dem Horizont zu. Ihre Wärme hatte die Feuchtigkeit des Bodens nur halbherzig vertrieben, und von weither drang ein Dröhnen und Stampfen an die Ohren des Gesandten. Er kannte dieses Geräusch nicht, aber nach einiger Zeit entdeckte er, daß sich das Gelände abwärts neigte. Der Wagen rollte schneller und hielt abrupt an einer rissigen Felskante. Der Boden vibrierte in regelmäßigen Abständen. Jullem deutete hinab. »Dort unten werden wir rasten«, sagte er. »Wir werden Fisch essen, den uns dieser Elyl fangen wird!« Sie hatten die Küste erreicht. Es war das Tosen und Toben des Meeres, das er gehört hatte. Brecher mit riesigen Schaumkronen donnerten gegen den Kontinent, und Elyl ließ sich einen schmalen Pfad hinabschubsen. Die Zerlumpten jagten ihn hinaus auf ein Riff und gaben ihm eine Angel in die Hand. Traurig ließ der Gesandte sich nieder. Er suchte nach einem Fluchtweg, aber die Zerlumpten behielten ihn im Auge. Ein Sprung in die um das Riff tobenden Fluten erschien nicht ratsam, und so fing Elyl Fische bis weit nach Sonnenuntergang, und es gelang ihm tatsächlich, die gierigen Lumpen zufriedenzustellen. Er selbst aß ebenfalls das rohe, aber schmackhafte Fleisch. Dann legte er sich in einem Winkel an der Steilwand nieder und wartete darauf, daß die Zerlumpten einschliefen. Er wollte nur weg. Es war ihm egal, wohin. Oben stand der Wagen, und er hatte sich die primitive Technik eingeprägt, mit der er gesteuert wurde. »Gegen Morgengrauen werden wir das Camp der Familien überfallen«, hörte er Jullem sagen. Es waren also Räuber, die anderen Daila ihr Hab und Gut wegnehmen wollten. Elyl kannte den Begriff, obwohl er es sich nicht vorstellen konnte, daß es auf Aklard Räuber gab. Wieder fror er, und die Kälte kam nur zu einem kleinen Teil aus dem Felsboden. Es war die psychische Kälte. Sie machte ihm immer mehr zu schaffen, und nach einiger Zeit hielt er es nicht mehr an seinem Platz aus. Er hörte das Schnarchen einiger Männer und tastete mit seinen Sinnen nach der Wache. Sie lehnte am unteren Ende des Pfades an der Wand und schlief ebenfalls. Elyl schlich an ihr vorbei und suchte das Weite. Geräuschlos stieg er den Pfad hinauf, und in ihm war alles taub und leer. Nur einen einzigen Gedanken behielt er, und der war auf seine Flucht konzentriert. Weg von hier, weg von Uschriin, weg von Aklard. Er fand den Wagen und brachte ihn zum Laufen. Eine Lampe leuchtete auf, und in ihrem Schein fuhr er die ganze Nacht hindurch nordwärts, bis der Wagen stotternd stehenblieb und die Lampe erlosch. Nichts brachte ihn wieder zum Anspringen und der Gesandte von Trysh stieg ab und machte sich zu Fuß auf den Weg. Im einsetzenden Morgengrauen erkannte er in der Ferne mehrere dunkle Erhebungen, Hügel oder Berge. Er beachtete es gar nicht. Sein Gehirn verarbeitete die eintreffenden Sinnesreize nicht, denn Elyl war nicht mehr in der Lage, bewußt etwas wahrzunehmen. Der Daila fieberte. Trugbilder entstanden vor seinem geistigen Auge und gaukelten ihm vor, daß er sich in einer blühenden Welt befand. Ringsherum blühten Blumen, und immer wieder begegnete er glücklich lächelnden Daila, die ihn begrüßten und ihn nach seinen Wünschen fragten. All das, was er auf Trysh von Aklard als stilisierter Urheimat der Daila mitbekommen hatte, drängte jetzt an die Oberfläche, und Elyl glaubte, daß er sich endlich im Paradies befand. Bis er stürzte und der Länge nach hinschlug. Er prallte mit dem Kopf gegen den Steinboden und verlor für einige Sekunden das Bewußtsein. Als er wieder zu sich kam, spürte er das schmerzhafte Drücken des Inhalts seiner Umhängetasche. Verwirrt richtete er sich auf. Er wußte zunächst nicht, wo er war, und erschrak. Nur langsam setzte seine Erinnerung ein. Er wischte das Blut von seiner Stirn und eilte weiter, immer der Küste
entlang. Die Berge vor ihm wuchsen höher in den Himmel, und in einer Senke stieß er auf ein Lager mit Daila. Er umging es, denn er dachte an die Zerlumpten. Man hatte ihn auf Trysh vorgewarnt, und der Kapitän der DRIHUTLA hatte ihn nochmals instruiert. Inzwischen war er aus eigener Erfahrung zu der Einsicht gelangt, daß es auf Uschriin nur zwei Sorten von Daila gab, solche, die mit allen Mitteln der Ausbeutung zu Geld kommen wollten, und solche, die eine Menge Dreck am Stecken hatten und auch hier ihr Treiben fortsetzten. Er warf immer wieder einen Blick zurück, aber von Verfolgern war nichts zu sehen. Zu Fuß hatten sie keine Chance, den Vorsprung einzuholen, den er mit dem Wagen herausgefahren hatte. Er wurde entdeckt, und die Konfrontation mit den Daila, die hier in Zelten lebten und auf etwas zu warten schienen, war zuviel für den Gesandten von Trysh. Die ganze Nacht hindurch hatte er immer gegen die Leere in seinem Innern gekämpft. Jetzt füllte sie ihn völlig aus. Er verlor das Bewußtsein und sank zu Boden. Sein letzter Gedanke war, daß seine Mission gescheitert war. *** Je länger sich der Tempeldiener unterwegs befand, desto mehr wünschte er sich, daß er das Tal der heißen Quellen nie verlassen hätte. Er flog Tag und Nacht hin und her, ohne eine Spur des Ankömmlings zu entdecken. Er stellte Nachforschungen in den Siedlungen an. Er tat es diskret, aber er hatte vielleicht deswegen keinen Erfolg. Niemand wollte einen Fremden gesehen haben, und Bannish fragte sich verzweifelt, wie er den Leuten klarmachen sollte, daß es kein Fremder wie die Ligriden, sondern ein Daila von einem fremden Planeten war. Ein Nachkomme von Ausgestoßenen. Niemand durfte es erfahren, und nach drei Tagen und Nächten entfernte sich der Tempeldiener von der Küste und flog mit dem Gleiter dorthin zurück, wo er hergekommen war. Er steuerte das Depot des Kombinats an und gab den gemieteten Gleiter zurück. Nachdem er sich vergewissert hatte, daß alles in Ordnung war und niemand ihm folgte, schlug er den Weg hinaus in die Steinwüste ein. Einen halben Tag war er zu Fuß unterwegs, bis er Rhyikeinym erreichte. Er kam von Westen, also aus dem Schutz des Landesinneren. Niemand konnte Verdacht schöpfen oder ihn mit jenem Mann in Zusammenhang bringen, der die sechs Raumhäfen überwacht hatte. Er schlug einen der Pfade ein; die zwischen den aufragenden Vulkankegeln hinein in das Tal der heilenden Quellen führten. Von weitem bereits sah er den flackernden Schein der Irrlichter. Sie waren in der Zeit seiner Abwesenheit zur Hälfte abgebrannt, und er beeilte sich, denn ein Teil der Vorbereitungen für den Abschlußtag des Kleinen Feuers lag in seinen Händen. Nach kurzer Zeit hatte er die Bergflanken hinter sich gelassen und befand sich am Talrand. Rhyikeinym war in den Augen vieler Daila die schönste Oase von ganz Uschriin. Das Tal war weitgestreckt, und die zahlreichen Quellen halfen für alle Krankheiten, die es auf Aklard gab. Das heiße Wasser belebte die Kranken und mobilisierte ihre körpereigenen Abwehrkräfte. Wo das nicht half, sprangen die Heiler ein. Weit im Hintergrund des grünen Tals befand sich der Garten. Dort schaukelten die Äste zahlreicher Bäume im warmen Wind, und dort befand sich auch die Tempelanlage. Der Garten war ein Teil davon. Nur einem Teil der Bediensteten des Tals und den Schwerkranken war es erlaubt, jenen Bereich zu betreten, der durch die immerroten Beerenbüsche deutlich gekennzeichnet war. Bannish schritt einen Pfad am Rand des Tals entlang auf die Tempelanlage zu. Nach einer Weile jedoch entdeckte er den Wimpel an einem Baum, der ihm sagte, daß sich die Obersten Priester nicht in der Anlage aufhielten, sondern in einer der Glaskuppeln, unter denen Blumen und Fruchtsträucher wuchsen, auch im Winter, wenn Rhyikeinym im Schnee versank und die heißen Quellen wie Rauch im verlöschenden Feuer dampften. Der Tempeldiener bog ab. Er steuerte die Kuppel mit den Beerensträuchern an, zwischen denen das Lungenheilkraut gedieh. Er betrat die Kuppel und hielt nach den Priestern Ausschau. Sie saßen auf einer kleinen Lichtung zwischen den Sträuchern und beschäftigten sich mit einer Kranken. Bannish
sah, daß die Daila an starken Nervenzuckungen am ganzen Körper litt. Einer der Priester flößte ihr Saft aus einer Phiole ein, ein anderer rieb ihren nackten Körper mit den Beeren eines Strauches ab. Der Tempeldiener bemerkte, daß seine Anwesenheit erkannt worden war. Er blieb stehen und wartete. Er sah jetzt auch den cremefarbenen Umhang, der ihm zeigte, daß ein Heiler anwesend war. Ein besonders schlimmer Krankheitsfall also, wenn sich einer der Heiler einschaltete. Nach einer Weile war die Prozedur beendet, und Phyrpor erhob sich und schritt auf den Tempeldiener zu. »Bringe ihn gleich in die Tempelanlage«, sagte er, aber Bannish riß die Hände empor und zeigte ihm die leeren Handflächen. »Er ist nicht da«, erklärte er flüsternd. »Es ist mir nicht gelungen, ihn ausfindig zu machen. Es ist niemand auf Uschriin angekommen. Es muß sich um einen Irrtum handeln!« »Nein«, sagte der Oberste Priester. »Er ist da. Die Heiler haben sein Kommen erkannt. Sie versichern, daß er sich auf dem Weg hierher befindet. Ich verstehe es nicht, Bannish. Dieser Daila ist wichtig für unser Volk. Ich kann dir nicht erklären, warum das so ist. Es fällt in die Angelegenheiten der Priester. Zudem ist uns ein weiterer Besuch angekündigt worden. Wir bekommen einen Patienten aus höchsten Kreisen. Er wird bald eintreffen. Es darf nicht geschehen, daß beide gleichzeitig hier eintreffen.« »Ein Industriemagnat?« »Ein Oberster Rat! Eine der wichtigsten Persönlichkeiten unserer Zeit!« Ein Politiker. Bannish fuhr sich durch das dichte Haar. Seine schmalen Augen verengten sich noch mehr, während er nachdachte. »Elyl ist in der Nähe«, sagte er dann. »Aber warum habe ich ihn nicht gesehen? Besitzt er die Gabe, sich unsichtbar zu machen?« Phyrpor verneinte es. Hätte der Ankömmling sich unsichtbar machen können, wäre alles kein Problem gewesen. Dann hätte man niemanden auszusenden brauchen, um ihn abzuholen und vor den Ligriden in Sicherheit zu bringen. »Du wirst dich in der Nähe des Tals umsehen«, schärfte der Oberste Priester dem Tempeldiener ein. »Sollte Elyl bereits in die Hände der Ligriden gefallen sein, ist es aber zu spät. Dann müssen wir Sicherheitsvorkehrungen für die Heiler treffen!« Bannish machte sich wortlos auf den Weg. Er glaubte nicht, daß Ligriden dahintersteckten. Sie wären den Daila in den Siedlungen und Raumhäfen aufgefallen. Ein Artgenosse konnte da schon eher übersehen werden,’ wenn er sich unauffällig benahm. Der Tempeldiener wußte aber auch, daß nicht alle Daila auf Uschriin die Wahrheit genau nahmen. Es gab zwielichtige Elemente unter ihnen, die für Geld alles tun würden. Er grüßte einen Kranken, um dessen Heilbäder er sich schon gekümmert hatte. Diesmal nahm er einen anderen Pfad und verließ Rhyikeinym zwischen zwei anderen Bergen, um nach dem Gesuchten Ausschau zu halten. Elyl war ungeheuer wichtig für Aklard, das hatte Bannish längst begriffen. *** Das erste, was Elyl empfand, war eine vertraute Aura. Er richtete sich ruckartig auf. Gleichzeitig entglitt ihm die Empfindung des Wohlbehagens wieder, und er starrte die Frau an, die neben seinem Lager saß und ihn beobachtete. »Wo bin ich?« ächzte er.
»Im Zeltlager der Fluryns«, klang eine weiche Stimme auf. »Du warst ohnmächtig, und wir haben dich hergeschafft!« Der Gesandte von Trysh bedankte sich, ohne recht zu wissen, was eigentlich mit ihm los war. Er wälzte sich auf dem Lager hin und her, dann stand er entschlossen auf und trat hinaus vor das Zelt. Überall saßen oder standen Daila, und Elyl erkannte mehrere Betten und Tragen, auf denen Kranke lagen. Damit gab es für ihn keinen Zweifel mehr. Er befand sich in der Nähe einer Oase. Die Berge ganz in der Nähe mußten die Wegweiser sein. Über einem von ihnen kräuselte sich dünner Rauch. Vorsichtig erkundigte er sich nach dem Namen der Oase. Die Antwort war freundlich und ein wenig verwundert. Der Daila begriff, daß er sich hier bei gewöhnlichen Leuten befand, die nicht von Uschriin stammten, sondern von einem der beiden anderen Kontinente. Es wurde ihm ein wenig wärmer, und die Erleichterung ließ ihn für kurze Zeit die innere Leere Vergessen, das Abgeschnittensein von Trysh und den ihm vertrauten Wesen. Er setzte sich zu den Daila, als sie ihm zum Essen einluden, und er erlebte ein kleines Wunder mit, als ein bislang Blinder plötzlich zu sehen begann und seine Umwelt zu beschreiben versuchte, die ihm seit Jahren verwehrt gewesen war. »Dank sei den Priestern in der Oase«, vernahm er. »Allein die Nähe Rhyikeinyms läßt die Kranken gesund werden!« »Ihr wart gar nicht im Tal selbst?« erkundigte er sich verblüfft. »Ich verstehe das nicht!« Sie erzählten ihm, daß sie seit Wochen in den Zelten lebten. Das Tal selbst war voll belegt, es konnten keine weiteren Patienten aufgenommen werden. Die Kranken mußten hier draußen außerhalb des Vulkangürtels warten. Und sie wurden gesund dabei, als verstrahle die Oase eine Aura der Heilung. Elyl wurde schweigsam. Einen kurzen Augenblick lang dachte er, daß es nur eine Erklärung für diesen Vorgang geben konnte. Dann jedoch mußte er sich korrigieren. Es war völlig ausgeschlossen. Was hier vor sich ging, mußte auf die Heilkünste der Priester zurückzuführen sein. Wunder in diesem Sinn waren unmöglich. Elyl dankte für die Gastfreundschaft und erhob sich. Jetzt, wo er das Ziel sichtbar vor Augen hatte, hielt ihn nichts mehr. Er beobachtete, wie ein Teil der Daila ihre Zelte abbrach und sich auf den Rückweg zum Hafen machte, von wo aus sie nach Akjunth zurückkehren wollten. In ihrer Familie gab es keine Kranken mehr. Der Gesandte von Trysh machte sich auf den Weg. Die Gastfreundschaft der Daila hatte ihn wieder aufgemuntert, und wiederholt mußte er an die ersten Eindrücke nach seinem Erwachen aus der Bewußtlosigkeit denken. Was war es gewesen, was ihm so vertraut erschienen war? Woher war es gekommen? Hilflos ließ er die Arme baumeln. Es mußte sich um eine Erinnerung an Trysh gehandelt haben, anders war es nicht zu erklären. Der Boden unter seinen Schuhen wurde wärmer. Das machte ihm Hoffnung. Gleichzeitig jedoch kehrte die psychische Leere in ihn zurück. Er wußte zu wenig, und was er wußte, ergab keinen Sinn. Er sah Rhyikeinym dicht vor sich und fragte sich, warum er den beschwerlichen Weg überhaupt unternommen hatte. Er hatte Pech gehabt, das stand fest. Unter normalen Umständen hätte er sich einen Gleiter gemietet und wäre am Mittag des ersten Tages an seinem Ziel gewesen. Jetzt war es Nachmittag des dritten Tages, und die Berge lagen noch immer unüberwindlich vor ihm. Er hatte keine Ahnung, wie er sie überwinden konnte. Die Felsen zerklüfteten sich langsam. Ein Teil des Bodens stieg an und ging in die Bergflanken über. Einmal glaubte Elyl, einen Schatten zu sehen. Der Schatten sah aus wie eine humanoide
Gestalt mit einem Helm auf dem Kopf. Als er jedoch die betreffende Stelle erreichte, da war nichts zu erkennen. Es gab kein lebendes Wesen hier. Auch Spuren fand der Daila keine. Erneut nahm die Leere in ihm zu. Er dachte an seinen ersten Zusammenbruch und beschleunigte seine Schritte. Er durfte nicht nochmals ohnmächtig werden. Er mußte durchhalten, sonst war alles verloren. Wenn er sich in einer Bergwand verirrte, konnte es seinen Tod bedeuten. Und eine weitere Nacht in dem naßkalten Gestein – er glaubte nicht, daß er sie überstehen würde. Der Gesandte von Trysh begann zu keuchen. Das Atmen fiel ihm schwer. Er jagte die Luft in harten Stößen durch die Lungen, aber es schaffte ihm keine Erleichterung. Er stolperte weiter, und schräg über ihm warf Suuma einen Schatten auf eine Felswand. Er war überlebensgroß, aber humanoid. Eine Stimme, so leise wie der Wind, flüsterte etwas. »Ich bin ein Diener des Gward«, hauchte sie, und die Worte verwehten zwischen den Klüften. »Vertraue dich mir an!« Elyl hörte es gar nicht. In seinen Ohren rauschte das Blut, und seine Sinne wurden immer stumpfer. Nochmals erklang das Gewisper, dann drehte sich der Wind und ließ es gänzlich verschwinden. Der überlebensgroße Schatten erlosch, und der nackte Felsboden lag wie immer da. Der Daila hielt die Augen unnatürlich weit geöffnet. Er suchte nach Hinweisen, nach einem Pfad. Er schwenkte nach rechts ab und stolperte an der Bergflanke entlang auf einen Einschnitt zu. Er nahm undeutlich einen dunklen Streifen wahr, der sich zwischen zwei Berghängen hinzog. Es mußte der Eingang sein. Er täuschte sich. Nach einer Stunde endete der geröllbedeckte Pfad an einer steilen Felswand. Hier gab es kein Durchkommen, und Elyl setzte sich entmutigt auf einen Stein. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und schloß die Augen, um sie ein wenig zu schonen und das Brennen zu lindern. »Ich verliere noch meine Fähigkeiten, wenn es so weitergeht«, ächzte er. »Alles was ich in mir trage, wird sich verflüchtigen!« Es war für ihn gleichbedeutend mit dem Tod, und er fragte sich, ob all die begabungslosen Daila auf Aklard nicht längst tot waren, Schattenwesen aus einem anderen Reich. Er lachte schrill auf bei diesem Vergleich, der so gar nichts mit der Religion der Daila zu tun hatte und dem Kulturkreis von Trysh entnommen war. Schwankend erhob er sich und stapfte den Weg zurück. Wieder bewegte er sich an einer Bergflanke entlang, und als er den nächsten Einschnitt erreichte, brannte Suuma ihm nicht mehr ins Genick, weil sie unter den Horizont gesunken war. Hoch am Himmel stand das noch weißliche und verschwommene Bällchen des Mondes Ittras, und es begleitete ihn eine Weile und überholte ihn dann, um nach kurzer Zeit hinter den Gipfeln zu verschwinden. Es wurde dunkel, und Elyl hielt erschöpft inne und maß mit den Augen den Weg. Diesmal schien er Glück zu haben. Der Pfad, der sich vor ihm erstreckte, war ausgetreten. Viele Daila mußten hier im Lauf der Zeit gegangen sein. Das Geröll war beiseite geräumt, und ab und zu wuchsen ein paar spärliche Grashalme. »Heehoo!« hörte er einen Ruf. »Bleib stehen. Du befindest dich unmittelbar an der Dolinenkante!« Er wandte den Kopf und versuchte, den Rufer ausfindig zu machen. Nach einer Weile sah er einen Daila, der von einem kleinen Plateau zu ihm herabstieg. Er trug eine ähnliche Kombination wie Elyl, und der Gesandte von Trysh verzog ärgerlich das Gesicht. Er hielt den Artgenossen für einen Minenarbeiter oder einen Angehörigen eines Raumhafens. »Ich bin Bannish!« sagte der andere, als er ihn erreicht hatte. »Du bist ein wenig vom Pfad abgekommen. Hier liegt ein Dolinengebiet, und der Pfad ist die einzige Brücke. An vielen Stellen neben ihm besteht Einbruchgefahr, weil die Gesteinsdecke nur wenige Zentimeter dick ist!« »Nenne mich Elyl«, erklärte der Daila von Trysh. Er bemerkte das Aufleuchten in den Augen des anderen. »Was hast du?«
»Wir haben dich erwartet«, sagte Bannish froh. »Ich war unterwegs, um dich an einem der Raumhäfen in Empfang zu nehmen. Wir müssen uns verpaßt haben!« »Du bist ein Priester?« »Ein Tempeldiener. Ich hatte den Auftrag, dich zu finden!« Elyls Gedanken drehten sich im Kreis. Während Bannish ihn mit sich zog, fragte er sich, woher sie von seiner Ankunft wissen konnten. Er konnte es sich nicht erklären. Es gab niemanden auf Aklard, der es hätte erkennen können. Er sondierte mit seinen psionischen Sinnen. Auch das Bewußtsein des Tempeldieners war leer für ihn. Es untermauerte seine Verwunderung nur noch mehr, und Bannish sagte: »Wir sind in einer halben Stunde am Ziel. Der Pfad zwischen den Vulkanen ist weich und wird dir wenig Mühe machen!« »Schlafen ist das einzige, was ich mir wünsche«, erwiderte Elyl. Er vertraute sich dem Tempeldiener bedingungslos an. Er war zu müde, um Argwohn zu hegen. Er ließ sich zwischen die Felswände hineinführen und legte sich ein paar Worte zurecht, die er den Obersten Priestern von Rhyikeinym sagen wollte. *** »Ein Zeichen. Sieh nur, ein Zeichen!« Bannish war an der Brüstung stehengeblieben und faßte Elyl an der Hand. Zu zweit starrten sie empor zu den Gipfeln. Einer der Vulkane war aktiv geworden. Aus seinem Gipfel schossen glühende Lohen empor und tauchten die Nacht über Rhyikeinym in gelbes und rotes Licht. Die riesige Fackel hing über dem Tal und ließ selbst Einzelheiten aus dem Schatten der Finsternis heraustreten. Der Gesandte von Trysh stieß einen Ruf der Überraschung aus. Er sah ein Tal, das im Vergleich mit der Umgebung, die er bisher kennengelernt hatte, wie das Paradies wirkte. Der Anblick fesselte den Daila, und er stand mit offenem Mund da und schaute nur noch. Die Glut über dem Tal loderte auf und ab, die Farben spiegelten sich in den Glaskuppeln wider und malten Regenbögen auf den glänzenden Blättern des Grases und der Büsche. Weit im Hintergrund leuchteten die weißen Mauern einer Tempelanlage, umgeben von hohen Bäumen. Überall an den Hängen ringsum flackerten kleine Lichter, und an mehreren Stellen stieg Dampf oder Rauch auf. »Es ist ein Glückszeichen«, fuhr Bannish fort. »Die Tage des Kleinen Feuers sind glücklich, und deine Ankunft verheißt nur Gutes. Komm, laß uns hinuntersteigen zu den Obersten Priestern. Sie warten bereits ungeduldig auf deine Ankunft!« Elyl schüttelte die Hand ab. »Nein«, sagte er. »Laß mich. Ich bleibe hier an dieser Stelle! Ich werde mit den Priestern sprechen, sobald es Tag geworden ist!« Er trat ein wenig zur Seite, und nach einer Weile entfernte Bannish sich stumm. Er stieg den schmalen Pfad hinab ins Tal, und der Gesandte blickte ihm nach, bis er im Schatten eines Gebäudes verschwand. Elyl setzte sich auf den Boden und lehnte sich an den Hang. Er legte den Kopf in den Nacken. Abwechselnd sah er empor zu dem Vulkan und hinab auf das Tal. Wie mochte es erst im Tageslicht aussehen! Er geriet ins Schwärmen, aber es war nichts Oberflächliches, was er empfand. In seinem Innern war eine Saite erklungen, und ihre Schwingungen erfüllten ihn und machten ihn zufrieden. Die Erschöpfung und die Qual der vergangenen Tage waren mit einemmal weggewischt, und sein Körper und sein Geist begannen im Gefühl höchsten Glücks zu schwelgen. Das war das Paradies, das war das wirkliche Aklard, wie er es sich immer vorgestellt hatte. So redeten die Daila auf Trysh ohne Ausnahme von ihrer Heimatwelt, und ihre rhetorischen Fähigkeiten reichten nur ungenügend
an die Wahrheit heran. Die tatsächlichen Gegebenheiten übertrafen alle Schilderungen bei weitem. »Ich bin da!« rief Elyl glücklich aus. »Ich bin angekommen. Hört ihr mich? Der Gesandte von Trysh entbietet euch den Gruß der Verbannten!« Es hörte ihn niemand, er hatte die Worte nur geflüstert. Der Vulkan schickte immer größere Lohen in die Höhe, und es wurde trotz der Nacht immer wärmer im Tal der heilenden Quellen. Und dabei bebte der Boden kein bißchen. Es gab keine Anzeichen für einen gewalttätigen Ausbruch des Berges. Er leuchtete nur und warf die glühende Lava ein wenig empor. Er begrüßte den Ankömmling. Elyl sprang auf. Er schüttelte sich, dann eilte er mit langen Sätzen den Pfad hinab. Es war fast Tag geworden in Rhyikeinym, und er kam unten an und warf sich in das weiche Gras. Mit den Lippen faßte er nach den weichen Halmen und kaute auf ihnen herum, strich mit den Handflächen über den Boden und stimmte einen Singsang an, in dem er die Heimatwelt verherrlichte. Seine Mühen und Anstrengungen hatten sich gelohnt. Der nackte Felsboden Uschriins rückte immer weiter aus seiner Erinnerung ab, und er bildete sich ein, alles nur geträumt zu haben. Wieder sprang er auf. Er eilte das Tal entlang. Er suchte die Quellen auf. Daila hatten sich eingefunden und badeten im rotgelben licht. In den Quellen pulsierte das Leben, und dann tauchten plötzlich mehrere Männer bei Elyl auf und umringten ihn. Es waren die Priester. Sie begrüßten ihn, und er folgte ihnen ein Stück in das Tal hinein. »Wichtige Dinge werden sich ereignen«, sagte einer der Obersten Priester mit dem Namen Phyrpor. »Sie scheinen mit deiner Ankunft in direktem oder indirektem Zusammenhang zu stehen. Was bringst du uns, Gesandter von Trysh?« »Es ist herrlich hier«, stammelte Elyl ergriffen. »Erlaubt, daß ich auch ein Bad nehme!« Ohne die Antwort abzuwarten, entkleidete er sich und stieg in das heiße Wasser der Gnavenquelle hinein. Das Wasser roch nach Blumen, und er sog den betörenden Duft tief in sich hinein. Die Priester sahen schweigend zu. Erst, als er keine Anstalten machte, wieder aus der Quelle herauszusteigen, wurde Phyrpor ungeduldig. »Deine Ankunft wurde uns gemeldet«, begann er erneut. »Aber wir wissen den Grund nicht, warum du gekommen bist.« »Hat es nicht Zeit bis morgen früh?« rief Elyl aus. »Verzeiht mir, wenn ich unhöflich bin. Aber das Glück hat mich übermannt. Ich möchte nichts anderes tun als meine Gefühle genießen!« »Es sei dir gewährt«, erwiderte Phyrpor und winkte seinen Begleitern. Sie entfernten sich tuschelnd, und der Gesandte versank in dem wogenden Meer seiner Gedanken und Stimmungen. Er verlor jegliches Zeitgefühl, und als er aus dem heilenden Wasser stieg und sein Körper in der warmen Nachtluft getrocknet war, stieg er in seine Kombination und setzte seinen Weg durch das Tal fort. Er schritt zwischen Zelten und Holzhütten hindurch. Er musterte die Steingebäude, in denen die Kranken behandelt wurden. Überall schien Zufriedenheit eingekehrt zu sein, und Elyl freute sich mit seinen Artgenossen über diesen Zustand. »Es ist wahrhaftig das Paradies«, murmelte er. Er eilte weiter durch die Wiesen und an den Quellen vorbei, die sich überall am Talrand zeigten. Buntes Gestein umgab sie und faßte sie ein, ein Wunder der Natur, wie der Verbannte von Trysh es noch nie irgendwo erlebt hatte. Aklard war etwas Besonderes, etwas Einzigartiges, das begriff er nun endgültig, und er dachte sich nichts dabei, daß er den Anblick Rhyikeinyms auf die ganze Welt und alle ihre Kontinente übertrug und das Tal der heilenden Quellen seine engen Begrenzungen verlor. Die Vulkane rückten in weite Ferne, und das Tal wurde zu einer endlosen Ebene bis weit hinter die Krümmung des Horizonts.
Noch immer leuchteten die Lohen des Vulkans. Ein Zischen hinter seinem Rücken ließ Elyl herumfahren. Auf der gegenüberliegenden Talseite begann ein weiterer Berg Feuer zu speien. Er schloß sich seinem Gegenüber an, und jetzt wurde es taghell. Der Gesandte von Trysh schloß geblendet die Augen. Er blinzelte und wagte es kaum, die Eindrücke in sich aufzunehmen, die ihn jetzt erreichten. Rhyikeinym-Aklard war schöner als das Paradies. »Dies ist das Innere des Großen Feuers«, rief er aus. »Dies ist Mana und Turu zugleich. Dies ist die absolute Vollkommenheit!« Er näherte sich der Tempelanlage und malte mit den Händen Gesten der, Ehrfurcht in die Luft. Er bereute es, daß er nicht sofort auf die Obersten Priester und ihre Fragen eingegangen war. Er wollte dies jetzt tun und sie um Verzeihung bitten. Er erreichte die Anlage und setzte den Fuß auf die unterste Stufe der Treppe, die hinauf zum Haupteingang führte. Elyl blieb wie angewurzelt stehen. Sein Körper begann zu zittern, und aus seinen Augen schoß in wildem Ungestüm das Wasser. Er hatte Mühe, sein Gleichgewicht zu wahren. Dumpf stöhnte er auf. »Aber das ist unmöglich!« schrie er auf. »Wo bin ich eigentlich? Dies ist doch Rhyikeinym, es ist Aklard, die Heimatwelt!« Bebend sank er auf die Stufe und war nicht in der Lage, das zu beherrschen, was er in sich wahrnahm. Seine psionischen Fähigkeiten zeigten ihm etwas, aber er verstand es nicht. »Bei Mana und allen Göttern des Großen Feuers«, murmelte er. »Es kann nicht sein. Dies ist der Planet Aklard!« Er sprang auf und rannte die Stufen empor. »Helft mir!« brüllte er, so laut er konnte. »Ich bin doch nicht verrückt geworden! Warum ist da keiner? Phyrpor! Phyrpor! Hilf mir endlich. Es kann nicht sein, was ich spüre!«
3. Seit die Ligriden über Aklard gekommen waren und alle wichtigen Positionen besetzt hatten, ging Aksuum gebückt. Er tat es nicht aus Unterwürfigkeit, weil er sich dem Joch der Fremden beugte. Ganz im Gegenteil. Er unterhielt lose Kontakte zu den Rebellen in den Bergen, und mehr als einmal war es ihm gelungen, rechtzeitig Warnungen und Tips zu übermitteln, die die Aufständischen davor bewahrt hatten, in eine Falle zu laufen. Nein, Aksuum war von der Körpergröße her nicht zu übersehen. Er überragte die meisten Daila um fast einen Kopf, und wenn er sich in einer der Straßen einer Stadt sehen ließ, dann ruhte augenblicklich die Aufmerksamkeit der Passanten auf ihm. Deshalb ging er gebückt, denn er konnte sich nichts Schlimmeres wünschen, als jetzt die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu erregen. Was die Daila erkannten, wußten auch bald die Ligriden, die ihre Spitzel überall stecken hatten. Aksuum trat an eines der Fenster seines Hauses und sah hinaus. Der Platz der sieben Schweife war leer. Auch die Daila in der Nachbarschaft hielten es für ratsam, sich nur dann sehen zu lassen, wenn es unbedingt notwenig war. Irgendwo knarrte der Fußboden. Es klopfte an der Tür, und Aksuum fuhr herum. Gareyg kam, sein persönlicher Sekretär. Aksuum eilte ihm entgegen. Hastig warf er einen Blick hinaus auf den Korridor, dann schloß er die Tür. »Was ist?« flüsterte er. »Neue Nachrichten von Urlysh?« Urlysh war wie er eines der Ratsmitglieder. Der Rat hatte seine Bedeutung und demokratische Funktion verloren, denn die Ligriden saßen jetzt an den Hebeln der Macht. Sie versuchten, den Apparat der Daila unter Kontrolle zu bringen. »Urlysh läßt dir seine Grüße übermitteln«, flüsterte Gareyg ebenso leise zurück. »Er beobachtet alles, was in seiner Umgebung vor sich geht. Die Ligriden geben Befehle, und diese werden auch weitergereicht. Aber bis sie an ihren Zielen angekommen sind, ist etwas anderes aus ihnen geworden. Die Ligriden werden immer wütender. Es kann nicht mehr lange dauern, und sie werden ein Exempel statuieren!« Aksuum wiegte den Kopf. Er nestelte an den Ärmeln seines roten Umhangs, der ihn als Leidenden und Kranken auswies. Er trug ihn mit Absicht, und er hatte vor, Bajukkan und den ganzen Kontinent Akjunth bald zu verlassen. »Urlysh soll vorsichtig sein«, murmelte er. »Er darf seine Existenz nicht aufs Spiel setzen. Richte ihm das aus, wenn die Luft wieder rein ist. Bis dahin werde ich meinen Zielort erreicht haben!« »Jawohl, Oberster Rat«, bestätigte Gareyg. »Hast du weitere Wünsche oder Aufträge?« Aksuum überlegte. Er wußte im Augenblick nichts, was er Urlysh noch hätte übermitteln können. Urlysh war ein mutiger Mann. Er wußte, daß die Daila derzeit nichts mehr zu verlieren hatten. Er war ein hohes Risiko eingegangen und hatte Atlan und den Verbannten Chipol unterstützt. Was die beiden Freunde Aklards vorhatten, war eine winzige Chance. Es stand jedoch in den Sternen, ob sie Erfolg nach sich zog. Auch Urlysh konnte es nicht versprechen. Chipol. Aksuum dachte daran, daß man dem jungen Daila die vollen Rechte seiner Heimatwelt zuerkennen sollte, denn er war kein Mutant. Chipol jedoch war wieder aufgebrochen zu den vielen kleinen Feuern, die Manam-Turu beleuchteten. Ob er jemals zurückkehren würde? . Von Urlysh hatte Aksuum die Information erhalten, daß die Verbannten dem Volk auf der Heimatwelt noch immer wohlgesinnt waren, und Chipol war der geeignete Mann, die Brücke zu ihnen zu schlagen. Und dennoch, dachte Aksuum, was Urlysh geplant und gefordert hat, ist nicht genug. Er darf sich nicht darauf verlassen. Gareyg deutete sein Schweigen falsch und wollte sich entfernen. Der Oberste Rat hielt ihn zurück.
»Übermittle meine Zuversicht. Sage ihm, daß ich das Meine dazu tun werde, damit wir Erfolg haben. Er soll mir vertrauen. Ich weiß einen zweiten Weg, wie wir ans Ziel kommen. Bis dahin darf es auf Aklard nicht zu Auseinandersetzungen kommen!« »Du bist krank und mußt dich schonen«, warnte Gareyg. »Du wirst viel Zeit brauchen. Überlaß Urlysh alles Weitere!« »Nun gut«, seufzte Aksuum. »Es wird mit keine andere Wahl bleiben. Wie weit sind die Vorbereitungen für meine Reise gediehen?« Gareyg deutete in die Richtung zum Hinterhof. »Der Gleiter steht bereit, Oberster Rat. Nur die Genehmigung dieses Ghorza ist noch nicht eingetroffen. Dein Gepäck ist eingeladen. Auch eine Mahlzeit für den Flug liegt bereit!« Aksuum entließ den Sekretär. Er suchte seine Privatgemächer auf und gab seiner Familie die letzten Anweisungen. Danach setzte er sich an den Bildfunk und ließ eine Verbindung mit den Ligriden herstellen. Er verlangte nach Ghorza, und kurz darauf tauchte der Kopf eines Fremden auf dem Bildschirm auf. Aksuum erkannte ihn nicht an seinem Gesicht. Er konnte die Ligriden nur schwer auseinanderhalten. Ghorza jedoch trug einen auffällig verzierten Helm, und der Oberste Rat wußte, daß er es mit dem Statthalter der Okkupatoren persönlich zu tun hatte. »Hier spricht ein Kranker«, begann er. »Ich habe eine Eingabe für einen Flug nach Uschriin gemacht. Wie lange muß ich auf die Antwort warten?« »Mir ist das egal«, erklärte Ghorza. »Warum belästigst du mich damit? Seid ihr Daila jetzt völlig übergeschnappt? Meine Untergebenen haben es nicht gewagt, mich mit so etwas zu belästigen. Fliege, wohin du willst, solange du den Planeten nicht verläßt. Wir wissen dich zu finden!« Aksuum machte eine knappe Geste der Bestätigung, von der er nicht wußte, ob der Fremde sie überhaupt verstand. Er schaltete sein Gerät ab und war froh, als der behelmte Kopf des Ligriden plötzlich schrumpfte und in einem Schauer elektronischer Phänomene verging. Der Bildschirm knisterte leicht, und der Oberste Rat meinte ironisch: »Auch du bist froh!« Er strich mit einer Hand über das Gerät und machte sich dann auf in den Hinterhof. Sollten sie ihn ruhig suchen und finden. Die ganze Stadt wußte, daß es ihm gesundheitlich nicht gut ging. Seine Abreise würde das Zeichen sein, daß er dringend Heilung brauchte. Und wo konnte er sie anders finden als auf Uschriin, in einer der Oasen. »Wenn ihr wüßtet«, hauchte Aksuum, während er die Treppe hinab und in den Hof schritt. Gareyg eilte beflissen herbei. Er trug die Mahlzeit und stellte sie auf den Tisch, den er im Innern des Gleiters ausgeklappte hatte. »Einen guten Flug«, wünschte der Sekretär. »Soll ich einen Boten senden, oder meldest du dich in deinem Haus, wenn deine Rückkunft bevorsteht?« »Ahnt er etwas?« fragte Aksuum sich. »Ich melde mich«, erklärte er und stieg ein. Er gab dem Piloten einen kurzen Gruß und wartete, bis der Einstieg sich geschlossen hatte. Der Gleiter hob sich in die Luft. An den Fenstern des Hauses tauchten die Gesichter seiner Familie auf. Er lächelte ihnen zu, dann war das Gebäude unter dem Fahrzeug verschwunden, und Aksuum setzte sich in dem Sessel zurecht und musterte die Mahlzeit, die vor ihm stand. Ein angenehmer, aber intensiver Geruch breitete sich aus. Als Nachtisch hatte Gareyg ihm ein Stück Merlitong mit auf den Weg gegeben. Aksuum schnupperte eine Weile, und sein Appetit wurde immer größer. »Köstlich!« meinte er. Der Pilot knurrte Unverständliches. »Nach Uschriin geht es, das ist mir klar«, sagte er. »Aber wohin auf Uschriin!« »Gleich!« erwiderte der Oberste Rat. Er hatte mit der Mahlzeit begonnen und ließ sich eine halbe
Stunde dafür Zeit. Ganz zum Schluß aß er den köstlichen Käse. Er mußte daran denken, wie Atlan und sein Begleiter nach Ghyltirainen geschmuggelt worden waren. Ganz Aklard lachte heimlich oder offen über die Sache mit dem Merlitong. Aksuum griff nach der Serviette und wischte sich den Mund ab. Er legte sie auf das Tablett mit dem Geschirr zurück und schob es von sich. »Rhyikeinym«, meinte er. »Wir fliegen die schönste Oase an, die es gibt. Du setzt mich dort ab und kehrst danach zu meinem Haus zurück. Sobald ich dich brauche, rufe ich dich!« »Mögest du bald genesen!« meinte der Pilot. »Du bist ein guter Hausherr!« »Ich fühle mich geschmeichelt«, meinte Aksuum. »Aber die Guten müssen immer zu früh gehen. Für jeden Daila ist der Zeitpunkt zu früh, an dem er in das Große Feuer eingeht oder in den Rauch, der von damals noch übrig ist!« Der Gleiter verließ den Kontinent und flog auf das Meer hinaus. Er hielt fast exakt die Richtung zum geographischen Nordpol ein, und der Oberste Rat fieberte dem Zeitpunkt entgegen, an dem das nackte Felsgestein des kleinen Kontinents auftauchen würde. Rhyikeinym hatte er sich zum Ziel erwählt, weil er vor Jahren schon einmal dort gewesen war, um sich wegen eines rheumatischen Leidens behandeln zu lassen. Geheilt war er zurückgekehrt, und er hatte ein Geheimnis mitgebracht, über das er bisher nie zu jemandem gesprochen hatte. Er hatte es tief in seinem Innern bewahrt. Auch jetzt war es zu früh, darüber zu sprechen. Eigentlich war es lachhaft. Andererseits paßte kein Zeitpunkt besser als gerade dieser, wo die Ligriden sich Aklards bemächtigt hatten. Aksuum verzog das Gesicht zu einem Grinsen. Er sah jetzt gar nicht krank aus, und er mußte daran denken, wie die Daila in Bajukkan auf seinen Abflug reagierten. »Aksuum ist schwer krank. Die Ligriden sind daran schuld!« würden sie sagen. Er konnte sich nichts Besseres wünschen als eine solche Schutzpropaganda. Zu keinem Daila hatte er etwas gesagt, außer zu seiner Familie und seinem Personal, und dennoch hatte es sich innerhalb weniger Stunden herumgesprochen. Er hatte es gewußt, und es war der Grund für ihn gewesen, die Wahrheit zu verschweigen. Diesmal lachte Aksuum laut, und der Pilot wandte verwundert den Kopf. »Eine seltene Art von Galgenhumor!« stellte er fest. »Hast du Angst vor der Behandlung durch die Priester?« »Nein!« Aksuum verschluckte sich fast. Sein Körper schüttelte sich. Die Wahrheit war, daß er log. Er war gar nicht krank. Ihm fehlte überhaupt nichts. *** Die Ankunft über Rhyikeinym gestaltete sich für den Obersten Rat zu einem Schauspiel sondergleichen. Zwei der Vulkankegel rund um das Tal leuchteten weithin in den Himmel. Die Lava in ihren Kratern glühte und wogte, und der Daila bedauerte, daß sie nicht bei Nacht angekommen waren. In der Dunkelheit hätten sie ein einmaliges Schauspiel erlebt, das durch nichts zu übertreffen war, was Aklard sonst zu bieten hatte. Der Gleiter ging außerhalb des Tales an einem der Einschnitte zwischen den Felshängen nieder. Seine Ankunft wurde bereits erwartet, und Aksuum warf dem Piloten einen letzten Gruß zu und stieg aus. Würdevoll, wie es sich für einen einflußreichen Daila gehörte, schritt er auf die Priester zu, die ihn empfingen. Daila untereinander ließen sich nicht anmerken, daß sich durch die Invasion die Verhältnisse geändert hatten. Ein Mann wie Aksuum genoß nach wie vor Ansehen, obwohl er wie alle übrigen Mitglieder des Obersten Rates keine politische Macht mehr besaß.
»Willkommen, Patient Aksuum«, sagten die Priester. Sie trugen einfache Gewänder. Von den Obersten Priestern war keiner darunter, und Aksuum nahm es ihnen nicht übel. Er kannte das Zeremoniell von früher her. Die Priester hatten Wichtigeres zu tun, als Patienten zu empfangen. Sie mußten sich um die Heilprozesse kümmern, und ihre Obersten hatten in der Tempelanlage einen Schatz zu bewachen. Normalerweise schickten sie Tempeldiener aus, um die Neuzugänge hereinzuführen und ihnen ihre Quartiere anzuweisen. »Ich danke euch«, erklärte der Oberste Rat. »Ich danke euch für den Empfang und für die Behandlung, die ihr mir angedeihen lassen werdet. Mein Leiden ist schlimm!« »Du bist damals als geheilt entlassen worden«, meinte einer der Priester. »Wie kommt es? Ist es ein Rückfall?« »Nein, es ist kein Rheuma. Es ist eine in unregelmäßigen Abständen auftauchende Schüttellähmung!« Er hatte sich diese Ausrede einfallen lassen. Er brauchte Zeit in Rhyikeinym, die er nur dann hatte, wenn er nicht unter einem chronischen oder rhythmischen Leiden litt. Die Priester führten ihn zwischen den Bergen hindurch bis in das Tal. Es war noch genau so, wie Aksuum es in Erinnerung hatte. Ein paar wenige Hütten und Gebäude waren dazugekommen. Sie lagen flach und breit zwischen der blühenden Vegetation, wie sie üppiger nicht sein konnte. Mit Ausnahme der etwas höher an den Talrändern gelegenen Quellen gab es keinen Fleck in Rhyikeinym, an dem nicht etwas wuchs. Die Natur in ihrer bunt schillernden Farbenpracht zog sich bis hinauf an die Hänge der Vulkane, und die Wärme des Untergrunds schuf in dieser kalten Nordzone ein fest tropisches Klima. Warmluft wehte dem Obersten Rat entgegen und umschmeichelte seinen Körper. Er erkannte die Druvenquelle, deren Wasser jede Art von Rheumaleiden milderte. Hinter ihr hob sich der Minterhügel empor, in dessen südlicher Flanke eine dunkle Furche eingegraben war. Das Geröll am Fuß des Hügels wies darauf hin, daß dort eine Geröllawine abgegangen war. Aksuum atmete die würzige Luft tief ein und blieb für ein paar Augenblicke stehen, und er erinnerte sich. *** Die Heilung machte gute Fortschritte. Die Behandlung durch die Priester brachte immer mehr Linderung, und die Bäder in der Quelle taten ein übriges. Dennoch hatte Aksuum das Gefühl, daß sein Leiden nicht völlig verschwinden würde. Immer wieder spürte er die Blicke der Priester auf sich ruhen, und als einer der Obersten Priester erschien, da ahnte er, daß etwas nicht in Ordnung war. »Wir wechseln das Team für kurze Zeit«, erklärte Hadunth. »Du wirst uns hinein in die Tempelanlage, begleiten!« Aksuum war stumm vor Schreck. War er so schwer krank, daß sie ihn in die inneren Bereiche des Tempels führten? Wie in Trance begleitete er sie. Sie stiegen die Stufen hinauf und durchschritten das Portal. Im ersten Innenhof machten sie halt, und Aksuum sah einen Kreis einfacher Priester, die ihn erwarteten. Sie forderten ihn auf, sich in ihre Mitte zu setzen und zu schweigen. Er tat es, aber innerlich hatte er die Hoffnung längst aufgegeben. Er musterte die Gesichter. Die Priester hielten die Augen geschlossen, als müßten sie nachdenken. Nur ab und zu öffneten sie sie kurz. Dann sah es aus, als lösten sich Blitze aus den blauen Augäpfeln. Seltsam. Aksuum wußte, daß es einfache Priester waren. Die meisten von ihnen hatte er während seines Aufenthalts hier und da gesehen. Sie sahen ihn an, und er blickte zurück und lächelte. Nur bei zweien von ihnen gelang ihm das nicht. Ihre Augen waren durchdringender als alles, was er bisher erlebt hatte. Es war, als blickten sie bis auf den Grund seiner Seele hinab, und ihm wurde unwohl zumute. Er bewegte sich unruhig, und nach einer Weile standen die Priester auf.
»Wir werden dich heilen«, erklärten sie. »Ab sofort wirst du nach jeder vierten Stunde hierherkommen und der Therapie folgen.« Er tat es, und er stellte fest, daß die beiden Daila mit den durchdringenden Augen nicht mehr dabei waren. Zwei Wochen lang dauerte die Therapie, dann durfte er die Tempelanlage nicht mehr betreten. Eine Weile der Beobachtung folgte, aber Aksuum hatte das untrügliche Gefühl, daß er längst geheilt war. Sein Befinden besserte sich von Tag zu Tag, und als Hadunth endlich kam und ihm erklärte, daß er geheilt war, da hatte der Oberste Rat längst seine Sachen gepackt. »Morgen früh werde ich euch verlassen«, sagte er. »Habt Dank. Ihr habt etwas für mich getan, was nicht mit Geld aufzuwiegen ist. Ihr habt einen stolzen Preis verlangt, und ich habe ihn gern bezahlt, denn ich weiß, daß ihr mit dem Geld der Reichen auch jene Daila behandelt, die es sich eigentlich nicht leisten könnten. Ich hätte noch mehr bezahlt, und ich werde es mir überlegen, ob ich euch nicht zusätzlich unterstützen soll!« »Es ist nicht nötig«, erklärte Hadunth. »Du weißt, daß wir keine Spenden annehmen. Schon gar nicht von einem Politiker. Es würde aussehen, als seien wir bestechlich. Rhyikeinym hält sich traditionell jeder Politik fern. Eine Spende würde ihrem Ruf schaden!« »Ich sehe es ein. Vergessen wir es«, sagte Aksuum eifrig. »Wer weiß, vielleicht ist die Neutralität des Tales eines Tages nützlich!« Hadunth ging, und Aksuum zog sich in seine Behausung zurück. Innere Unruhe erfüllte ihn. Er ahnte, daß etwas bei seiner Behandlung nicht mit rechten Dingen zugegangen war. Die Priester des Tales der heilenden Quellen verfügten über ein Geheimnis, und Aksuum brannte vor Neugier, es zu erfahren. Er wartete bis kurz vor Mitternacht, dann machte er sich im Schatten der im Wind rauschenden Büsche auf den Weg. Er näherte sich der Tempelanlage von der Seite und fand einen kleinen Eingang. Er lag zwischen zwei eng beieinanderstehenden Säulen. Ein Tempeldiener saß in der Nähe, aber er schlief und rührte sich auch nicht, als Aksuum ihn mit einem kleinen Phosphorflaschchen anleuchtete, dessen Inhalt er aus der Phorenquelle geschöpft hatte. Auf leisen Sohlen schlich sich der Oberste Rat an dem Diener vorbei und drang vorsichtig in die Tempelanlage ein. Der Bezirk des Tempels war nur wenigen Patienten und Dienern zugänglich. Die Obersten Priester und deren Familien wohnten hier. Und Aksuum hatte den Verdacht, daß er auch noch auf etwas anderes stoßen würde. Mehrmals endete sein Weg an Mauern. Je tiefer er in die weiträumige Anlage eindrang, desto weniger wurden die Wege, die er gehen konnte. Daß er dennoch unbemerkt bis in den inneren Bereich vorstoßen konnte, lag daran, daß keiner der Bewohner damit rechnete, daß ein Patient das Tabu verletzen würde. Der Oberste Rat kam sich schäbig vor bei seinem Tun. Er spionierte nicht, weil er den Priestern Verrat am Volk der Daila zutraute. Auf einen solchen Gedanken kam er gar nicht. Er wollte sich nur vergewissern, ob bei seiner Heilung alles mit rechten Dingen zugegangen war. Längst hatte er den innersten Tempelbezirk erreicht. Er hörte das Schnarchen eines Daila, und noch immer schlich er auf Zehenspitzen die Gänge entlang und durch kunstvoll mit Säulen verzierte Hallen hindurch. Er wich den Bereichen aus, in denen Lichter angebracht waren. Er war ein Schatten im Schatten. Und plötzlich entdeckte er sie. Sie trugen die üblichen Gewänder und waren mit einer ihrer meditativen Übungen beschäftigt. Aksuum beobachtete eine Weile den schweigenden Kreis, und er versuchte zu erkennen, was vor sich ging. Und plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Er wußte jetzt, welches Geheimnis Rhyikeinym barg, und er machte sich hastig auf den Rückweg und verließ die Tempelanlage. Er suchte seine Unterkunft auf und konnte die ganze Nacht nicht schlafen. Am Morgen brach er wie gerädert auf und suchte den Weg aus dem Tal allein, nachdem er sich für die Heilung bedankt hatte. Ehe er den Gleiter erreicht hatte, der ihn abholte, hatte er den Entschluß gefaßt, daß er das Wissen um das Geheimnis des Tals der heilenden Quellen für sich
behalten würde. Er durfte den Mythos Rhyikeinyms nicht zerstören, aus dem so viele Daila Hoffnung und Kraft schöpften. *** »Komm mit uns, Aksuum!« Der Oberste Rat erwachte wie aus einem tiefen Traum. Obwohl nur wenige Augenblicke vergangen waren, in denen er sich erinnert hatte, kam es ihm wie eine Ewigkeit vor. Er folgte den Priestern in das Tal hinein, und sie riefen einen Tempeldiener herbei und vertrauten ihn ihm an. Der Tempeldiener führte ihn an das untere Ende des Tales, wo eine aus frischen Zweigen gefertigte Hütte stand. »Nimm damit vorlieb«, sagte der Tempeldiener. »Wir sind leider überfüllt, so daß wir dir keine andere Unterkunft anbieten können. Du findest im Innern der Hütte Decken und ein Bett, auch einen Tisch und Schreibzeug. Es wird dir an nichts mangeln, und gegen Abend wird man dir das Essen bringen. Du warst schon einmal hier, deshalb erübrigen sich weitere Erläuterungen. Ein Priester wird kommen und sich deine Leidensgeschichte anhören!« »Es ist gut, ich danke dir«, sagte Aksuum rasch. Er verschwand in der Hütte und lauschte den sich entfernenden Schritten des Tempeldieners nach. Er setzte sich an den Tisch und zog ein Blatt Papier zu sich heran. Er nahm den Stift und schrieb. Meine Krankengeschichte, überschrieb er das, was er zu erzählen hatte, und während er schrieb, wählte er seine Worte so, daß jedes erste Wort eines neuen Absatzes ein Schlüsselwort war, das er zusätzlich durch Unterstreichung hervorhob. Als er fertig war, lautete der Schlüsselsatz »Ich kenne das Geheimnis der Tempelanlage«. Aksuum legte sich auf das Bett und überlegte. Es war mehr Zufall gewesen, daß es ihm damals gelungen war, dieses Geheimnis zu ergründen. Zunächst hatte er keinen gezielten Verdacht gehabt. Jetzt war er nach Rhyikeinym gekommen, weil in ihm die Hoffnung keimte, daß das Geheimnis der Tempelanlage dazu beitragen konnte, Aklard vom Joch der Ligriden zu befreien. Er wartete den Abend ab, dann verließ er die Hütte und machte einen Spaziergang durch das Tal. Noch immer lohten die beiden Vulkane hüben und drüben, und der Abendhimmel war feuerrot. Es wurde nicht dunkel, nur die Schatten wurden ein wenig trüber und verloren ihre scharfen Konturen. Die kleinen Irrlichter zu Ehren der Tage des Kleinen Feuers waren kaum zu erkennen. Aksuum erklomm einen der Pfade, die am Talrand entlangführten. Er schritt hinüber zur Lartenquelle, von dort weiter zur Druvenquelle. Er beobachtete Tempeldiener und Priester bei ihrer Arbeit und setzte sich zu einer Gruppe von Daila, die sich unter dem Sintergestein einer Quelle zu einer gemütlichen Runde eingefunden hatten. Es waren Arbeiter aus den Minen Uschriins, die hier ihre Berufskrankheiten auskurierten. Die Arbeit im Innern des feuchten Felsgesteins war der Gesundheit nicht gerade förderlich, und die Daila hielten sich immer wieder mehrere Wochen in Rhyikeinym auf, um danach wieder an ihre Arbeit zurückzukehren. Aus allen Gegenden Aklards, von allen drei Kontinenten, kamen die Kranken in die Oasen. Nicht nur das Tal der heilenden Quellen war voll besetzt, so daß ein Teil der Kranken draußen jenseits der Berge kampieren mußte. Die Quellen über der Vulkanhitze waren begehrt, halfen sie doch so ziemlich gegen alle Leiden, die es auf Aklard gab. Nur gegen eines nicht. »Die Macht der Priester endet bei den Ligriden«, erklärte der Oberste Rat auf eine entsprechende Frage hin. »Es gibt niemanden, der den Invasoren widerstehen kann. Ihre technische Überlegenheit ist zu groß. Zwar ist ein Schiff unterwegs, das sich auf die Suche nach den Verbannten gemacht hat. Es ist die GHYLTIROON. Ob sie allerdings jemals Erfolg haben wird, ist fraglich.« »Du glaubst nicht daran?« erkundigte sich einer der Arbeiter.
»Ich glaube nicht daran«, gab der Oberste Rat zu. »Ich bin der Ansicht, daß es nicht bei einem einzigen Unternehmen bleiben darf. Andere Schiffe müssen folgen.« »Plant der Rat etwas in dieser Richtung?« »Nein«, sagte Aksuum, erleichtert darüber, daß es ihm gelungen war, die eigentliche Wahrheit zu verbergen. »Er plant nichts. Noch sind die Verhältnisse auf Aklard zu undurchsichtig. Niemand weiß, wo die Ligriden überall ihre Späher und Spitzel haben. Kein gesprochenes Wort ist mehr sicher, und dieser Ghorza betreibt auch gerade keine Politik, die sich durch Klarheit und Entschlossenheit auszeichnet!« Er trank einen Schluck Wasser, der ihm angeboten wurde, dann erhob er sich und ging weiter. Auf der gegenüberliegenden Talseite gab es Unruhe. Dort waren Tempeldiener mit dem Essen unterwegs. Aksuum blieb stehen und überlegte. Eigentlich hatte er vorgehabt, sich in der Nähe der Tempelanlage etwas umzusehen. Er beschloß, dies später zu tun und kehrte zu seiner Unterkunft zurück. Seine Mahlzeit stand bereits auf dem Tisch, und am Schreibtisch wartete ein Priester auf ihn. »Ich bin Kanur«, empfing er ihn. »Ist das der Bericht über deine Krankheit?« Er deutete auf die beschriebenen Bögen. »Ja«, bestätigte Aksuum. »Gib ihn den Obersten Priestern, sie werden ihn mit Interesse lesen!« Der Priester ging, und Aksuum machte sich über die Mahlzeit her. Er bedauerte, daß es nur zwei Gänge waren, die abends gereicht wurden, aber das war in Rhyikeinym schon immer so gewesen. Nicht einmal Merlitong wurde auf dem Speisezettel geführt, und der Oberste Rat überlegte ernsthaft, ob er nicht eine Nachricht nach Bajukkan schicken sollte, damit man ihm eine Gleiterladung der Köstlichkeit vorbeischickte. »Ich warte noch ein wenig«, flüsterte er im Selbstgespräch. »Wenn die Priester sofort reagieren, dann habe ich sowieso keine Zeit, den Käse zu verzehren.« Erneut verließ er die Hütte und stieg hinauf zur Druvenquelle. Er streifte das rote Krankengewand ab und entledigte sich seiner Unterwäsche. Langsam stieg er in das warme Quellwasser hinein und setzte sich so, daß nur noch der Kopf herausschaute. Er schloß die Augen und dachte an seine Pläne. Zeit spielte eigentlich keine Rolle. Und doch durfte er nicht zögern, seinen Plan in die Tat umzusetzen. Er würde die Obersten Priester bitten, ihm seine Fragen zu beantworten und ihm nach Möglichkeit einen Verbindungsmann auf die lange Reise mitzugeben. Er wollte hinaus zu den kleinen Feuern. Aksuum wollte Aklard ebenfalls verlassen, aber dazu benötigte er die Hilfe der Priesterschaft. Dreißig Meter unter ihm, am Fuß des Quellenbereichs, wo der bunte Ablagerungsfels aus dem Grün des Grases emporragte, stimmten mehrere Daila einen eigentümlichen Singsang an. Aksuum öffnete die Augen und schielte über den Rand des Beckens. Er sah Patienten, die kleine Kerzen entfacht und sich um eines der Irrlichter geschart hatten. Sie sangen eine Dankeshymne, und der Oberste Rat summte leise mit, so daß sie ihn nicht hören konnten. Sie dankten für etwas, und es konnte nur eine Heilung sein. Nach einer Weile vernahmen sie sein Plätschern im Wasser, weil er mehrmals untertauchte und prustend wieder emporkam. Sie stiegen zu ihm herauf und nahmen ebenfalls ein Bad. Ein Abschiedsbad, wie sie sagten. »Wir sind geheilt«, teilten sie ihm mit. »Wie durch ein Wunder geheilt. Die ganze Familie!« Aksuum verbeugte sich freundlich, als er hörte, daß es eine Familie war, die ihm Gesellschaft leistete. Familien waren das höchste Gut, was ein Daila besaß. Familien und Sippen bildeten den Zusammenhalt, auf dem die Kultur des ganzen Planeten beruhte. »Die Priester sind voller Weisheit«, antwortete er. »Sie machen das Unmögliche möglich. Sie sind in der Lage, Wunder zu vollbringen!«
Er bemühte sich, seiner Stimme einen möglichst überzeugenden Klang zu geben. Die Familie namens Utmyn stimmte ihm einhellig zu. Alle ihre Mitglieder glaubten daran, und Aksuum wäre der letzte gewesen, der ihnen diesen Glauben geraubt hätte. Er allein wußte es besser. Er kannte die Hintergründe, und er verdankte es seiner Bildung und seiner Intelligenz, daß er dahintergekommen war. »Glückliche Heimkehr«, wünschte er ihnen, als die Tempeldiener durch das Tal schritten und mit einem Gong verkündeten, daß es Mitternacht geworden war. Er stieg aus der Quelle und griff nach seinen Kleidern. Er wartete, bis sein Körper abgetrocknet war, dann warf er sich den roten Umhang über und kehrte zu seiner Unterkunft zurück. Er legte sich auf das Bett, diesmal, um einzuschlafen. Wann würden die Priester kommen und ihn holen? Er schlief unruhig, und als er erwachte, da war es draußen bereits taghell. Er spähte hinaus, aber von Priestern und Dienern war weit und breit nichts zu sehen. Aksuum ging hinaus und befragte einen Patienten, der unweit seiner Hütte in einem Zelt hauste. »Das Frühstück läßt auf sich warten«, sagte der Daila zornig. »Ich kenne auch nicht den genauen Grund, aber ich weiß, daß die Priester etwas suchen. Einer der Patienten scheint verschwunden zu sein. Nun ja, wenn er seine Rechnung bezahlt hat, kann es ihnen egal sein!« »Nein«, sagte Aksuum barsch, »das sicher nicht. Die Gesundheit ihrer Patienten ist den Priestern wichtiger als das Entgelt. Und solange das so ist, sind die Dinge noch in Ordnung!«
4. Elyls verzweifelte Rufe lockten die Priester herbei. Sie kamen gerannt, ein Teil von ihnen machte einen verschlafenen Eindruck. Sie packten den Daila und zerrten ihn in die Tempelanlage hinein bis in einen Raum ohne Fenster, in dem lediglich eine kleine Kerze brannte. Sie betteten den Gesandten von Trysh auf das einzige vorhandene Lager, und einer der Priester entfernte sich und kehrte mit einer Schüssel eines heißen Gebräus zurück. Er rieb dem zitternden Mann Wangen und Schläfen damit ein, und nach kurzer Zeit beruhigte Elyl sich und fiel in einen tiefen Schlaf. Er träumte vom Paradies und sah Ligriden, die mit schwarzen Gleitern kamen und dieses Paradies zerstörten. Elyl hatte Visionen, und die schlimmste davon war, daß er seine Mission nicht ausführen konnte. Schweißgebadet wachte er auf. Er ruckte mit dem Körper herum und stützte sich auf den Händen ab. In der Nähe der Tür saß ein Tempeldiener. Es war Bannish. Der Diener hielt die Augen geschlossen, aber Elyl erkannte an seinem unregelmäßigen Atem, daß er wach war. »Bannish!« hauchte er. Der Tempeldiener schlug die Augen auf. »Wie geht es dir?« fragte er. »Du mußt viel mitgemacht haben. Alle Anzeichen deuten daraufhin, daß du dich in einer seelischen Notlage befindest. Die Priester werden dir helfen, sobald der neue Tag beginnt!« »Ich weiß nicht, ob es einen Sinn hat«, meinte der Gesandte von Trysh. »Nein, eigentlich glaube ich es nicht. Ich habe mein Ziel erreicht, und es ist lediglich die Verwirrung über mein Glück, die mir zu schaffen macht!« »Du hast wirklich Glück gehabt, Elyl. Wie leicht hättest du den Ligriden in die Hände fallen können!« »Das ist es nicht!« Elyl berichtete über seine Ankunft auf Aklard und das, was er seither erlebt hatte. Sein Weg nach Rhyikeinym war zu einem regelrechten Spießrutenlauf geworden, und noch immer schmerzte ihn die Leere, die er empfand. Im Vergleich mit Trysh fehlte einfach ein Stück pulsierenden Lebens. Die nicht vorhandene psionische Ausstrahlung der Daila ließ Aklard wie tot erscheinen. Hätte er nicht von den ebenfalls begabungslosen Urbewohnern des Planeten Trysh diese Leere gekannt, hätte er sie auf Aklard kaum ausgehalten. »Aber jetzt ist alles gut«, sagte er. »Ich bin daheim. Aklard ist meine Heimatwelt, auch wenn ich auf Trysh geboren wurde!« Bannish geriet ins Staunen. Der Tempeldiener wußte, daß es Verbannte gab, die den Kontakt und die Erinnerung an ihre Heimatwelt hochhielten. Auch bei Elyl war dies der Fall. Es schien überhaupt keinen dailanischen Mutanten zu geben, der diese innere Bindung nicht besaß. »Es ist nicht alles so auf Aklard, wie es früher gewesen ist. Unterhalte dich einmal mit den Obersten Priestern darüber«, warf Bannish ein. Elyl reagierte nicht darauf. Er zeigte kein Interesse. Für ihn war Rhyikeinym genau das, was er sich von seiner Heimatwelt erwartet hatte. Er verdrängte die schrecklichen Erlebnisse, die er auf dem Weg durch Uschriin gehabt hatte. Er wollte nicht an das trostlose und kahle Felsland denken und an die verbrecherischen Artgenossen, die dort ihr Unwesen trieben. Bewußt übersah er, daß Rhyikeinym zusammen mit den anderen Oasen eine Ausnahme bildete. Das Tal der heilenden Quellen war, gemessen an der Größe der anderen Kontinente und auch Uschriins, sehr klein, ein winziges Eiland nur und zu wenig für eine Hoffnung. Der Gesandte von Trysh erhob sich. Er ging zu Bannish hinüber und ließ sich vor dem Tempeldiener nieder. »Berichte mir«, bat er. »Erzähle mir alles, was es über diese wundervolle Welt zu erzählen gibt!« Bannish erzählte von dem Tal und seinen Aufgaben. Er schilderte die Arbeit der Priester und weihte Elyl in all das ein, was mit Rhyikeinym zusammenhing. Elyl unterbrach ihn immer wieder mit
einem »Wundervoll!«, aber der Tempeldiener gewann den Eindruck, als hörte der Mann von Trysh gar nicht zu. Nur über die Heiler und ihren Aufenthalt in den inneren Bereichen der Anlage schwieg Bannish, weil er der Ansicht war, daß dies den Daila von dem fernen Planeten nur verwirrt hätte. »Phyrpor wird dir alles Weitere erklären. Auch das, woher wir von deiner Ankunft wußten.« »Wieso?« fragte der Gesandte von Trysh. »Was kann es nützen. Ich will es gar nicht wissen!« Der Tempeldiener stutzte und schwieg. Nach einer Weile erhob er sich. »Kehre jetzt auf dein Lager zurück«, sagte er. »Ich werde zu den Obersten Priestern gehen und mit ihnen sprechen!« Er entfernte sich, und Elyl ließ sich auf seinem Lager nieder und dachte nach. Er hatte sein Ziel erreicht, mehr wollte er gar nicht. Er war ein Auserwählter, der nach Aklard geschickt worden war. Hier erfüllten sich alle seine Sehnsüchte und Wünsche, und er glaubte plötzlich, daß er wieder jene Aura spürte, die er beim Erwachen aus der Bewußtlosigkeit im Lager der Fluryns schon einmal festgestellt hatte. »Nein, ich täusche mich nicht«, flüsterte er. »Etwas ist hier, und ich werde es suchen. Egal, ob es etwas Gutes oder Böses ist, ich werde es finden!« Lärm kam auf. Schritte erklangen, gedämpfte Stimmen drangen an sein Ohr. Er blickte zur Tür. Die Obersten Priester kamen, allen voran Phyrpor. Hinter ihnen folgte Bannish, der sie verständigt hatte. »Elyl«, rief Phyrpor aus. »Du mußt dich zusammennehmen. Wir haben Fragen an dich. Du bist der Gesandte von Trysh. In welcher Mission kommst du?« Elyl hob verwundert den Kopf. »Mir geht es gut«, erklärte er. »Es ging mir nie besser. Ich bin auf Aklard zu Hause. Ich werde hierbleiben in Rhyikeinym, bei euch. Ich freue mich. Ich bin ins Paradies gekommen!« Phyrpor beugte sich über ihn und legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Welcher Auftrag führt dich nach Aklard?« »Keiner. Warum auch? Ich bin glücklich. Ich habe keinen Auftrag. Ich weiß nicht, was du meinst. Ich bin Elyl, und ich lebe auf Aklard. Mehr habe ich nicht zu bieten!« Phyrpor zuckte zurück. Er warf den übrigen Priestern einen hilflosen Blick zu. Seine Augen glitten weiter zu Bannish, und der Tempeldiener streckte ihm die Handflächen entgegen. Er war genau so ratlos wie die Obersten Priester. Phyrpor und seine Amtskollegen verließen den Raum, und Bannish blieb als einziger zurück. Er beobachtete Elyl, aber der Daila von Trysh schien seine Anwesenheit nicht wahrzunehmen. Er legte sich und schloß die Augen, und kurz darauf war er eingeschlafen. *** Mana war nach dem Verständnis der Daila die ordnende Kraft, die den Kosmos beherrschte. Mana war das Symbol für den Urzustand, aber auch der Wille nach der Vereinigung und der Zusammengehörigkeit der vielen kleinen Feuer, in die das einstige Große Feuer zerfallen war. Mana bezeichnete die Gesamtheit und damit die Vollkommenheit. Daß die Daila in Rhyikeinym jetzt die Tage des Kleinen Feuers feierten, war ein Ausdruck der regional unterschiedlichen Religionen, die sich in Bräuchen und Details unterschieden, insgesamt jedoch alle den einen Mythos verherrlichten, der auch in dem dailanischen Wort für ihre Galaxis zum Ausdruck kam. Manam-Turu hieß sie, und das »m« im Wortauslaut von Manam war dem Begriff Mana hinzugefügt worden und bildete den einzigen Hinweis auf Mnuru. Und Mnuru bedeutete in der Sprache der Daila Rauch. So war aus den Begriffen Mana für Vollkommenheit und Gesamtheit sowie Turu für Großes Feuer und Urform der Existenz die Wortschöpfung Manam-Turu
geworden, der Rauchstreifen vom verlöschenden Feuer. Das Kleine Feuer, das die Daila im Tal der heilenden Quellen feierten, war nichts anderes als das Muttergestirn des Systems, das dem einzigen bewohnbaren Planeten Licht und Wärme spendete. Das Kleine Feuer ’ war Suuma, die rötlich-gelbe Sonne. Aklard selbst war der zweite Planet dieser Sonne. Insgesamt umfaßte das System vier Planeten. Die drei Welten Illard, Ris und Rim, die die Namen altdailanischer Gottheiten trugen, wurden nur selten von Raumschiffen angeflogen, Stationen gab es auf ihnen keine. Illard war nicht viel mehr als ein Klumpen verbrannter Schlacke, der Sonne viel zu nahe stehend, um Leben beherbergen zu können. Ris leuchtete verführerisch blau und entpuppte sich bei näherem Hinsehen als tückische Welt, die sich in einen Eispanzer hüllte und ihre Geheimnisse eifersüchtig hütete. Rim hingegen war eine staubige Wüste ohne jedes Anzeichen einer Atmosphäre. Der blaue Ris und der rötliche Rim hatten lange Zeit die Phantasie der Daila angeregt, Illard hatte seit jeher als Unglücksstern gegolten. Im Vergleich mit diesem drei Planeten war Aklard mit seiner Sauerstoffatmosphäre und den erträglichen Temperaturen ein wahres Paradies. Die Schwerkraft ermöglichte die Entstehung einer Hochkultur hominider Prägung, und die drei Kontinente lagen auf die beiden Hemisphären verteilt. Akbarry lag auf der Südhalbkugel, Akjunth auf der nördlichen wie das kleine Felsland Uschriin. Darüber hinaus gab es auf dem Planeten zahlreiche Inseln. Der Planet besaß zwei Monde, von denen Falinder von Ost nach West über den Himmel eilte, während Ittras von Süden nach Norden lief. Eines der herrlichsten Schauspiele bildeten jene Zeiten, wenn die beiden Trabanten phasengleich und ortsgleich dahineilten und sich am Himmel scheinbar kreuzten. Von der Oberfläche aus machte es den Eindruck, als würden sie zusammenstoßen und auseinanderplatzen. Ittras jedoch war wesentlich weiter von der Oberfläche entfernt als Falinder. Letzterer schluckte den ersteren für kurze Zeit, und dann trennten sich die beiden leuchtenden Scheiben wieder. Zu Zeiten, in denen beide Trabanten über dem Horizont standen, war es nachts so hell wie am Tag unter dem Licht Suumas. Für Bannish spielte das alles keine Rolle. Als er aus der Tempelanlage hinaustrat, um die Diener und ein paar Kranke für die Vorbereitungen zu den Feierlichkeiten zusammenzurufen, da war vom Kleinen Feuer nichts zu sehen. Der Himmel loderte im Licht der beiden Vulkane, und der Tempeldiener stellte fest, daß die meisten Kranken und auch die Angehörigen der in der Tempelanlage wohnenden Priester und Diener die Nacht im Freien verbracht hatten. Es war einfach zu schön, was sich hoch über den Köpfen abspielte, um es sich entgehen zu lassen. Die Daila wußten, daß sie ein solches Schauspiel vermutlich nur einmal in ihrem Leben zu Gesicht bekommen würden. Bannish schritt einen der Wege entlang, die talabwärts führten. Der Boden war fast eben, zumindest senkte er sich für den Fußgänger nicht spürbar. Er suchte die Behausungen seiner Helfer auf und führte sie zu einem der Pfade hinüber, die hinauf zu den Berghängen führten. Dort hatten andere Daila Holz abgeladen, das mit Hilfe von Gleitern von Akjunth herbeigeschafft worden war. Dort gab es Wälder genug. Die Pflanzen und Sträucher in Rhyikeinym und die Bäume der Tempelanlage waren zu kostbar, als daß man sie für ein Feuerwerk geplündert hätte. Der Tempeldiener, der längst wieder sein Gewand getragen hatte, hatte sich für die Vorbereitungen erneut umgezogen. Er trug jetzt eine kurze Hose und ein ärmelloses Hemd, sowie eine Mütze, die ihn gegen die Hitze abschirmte. »Ihr wißt die Plätze, wo das Holz aufgeschichtet wird«, eröffnete er den Helfern. »Tragt es dorthin, daß es zu gleichen Teilen verteilt ist. Sieben Feuer werden es sein, und sie werden dafür sorgen, daß die Temperaturen im Tal der heilenden Quellen noch ein wenig ansteigen werden. Wenn ihr mit der Arbeit fertig seid, dann wartet hier auf mich. Ich hoffe, daß ich bis zum Abend zurück bin!« Er warf einen Blick über das Tal. Ganz unten stand die Hütte, in der Aksuum untergebracht war. Der Oberste Rat war fast gleichzeitig mit Elyl angekommen, und es hatte einige Mühe gekostet, das Eintreffen des Gesandten vor dem Obersten Rat zu verbergen.
Bannish fragte sich, wie lange die Geheimniskrämerei gutgehen konnte. Elyl machte nicht gerade den Eindruck, als sei er ein problemloser Daila. Phyrpor hatte Anweisung erteilt, ihn nicht mehr aus den Augen zu lassen. Ständig war ein Diener in seiner unmittelbaren Nähe. Bannish verließ seine Helfer und machte sich an den Aufstieg. Er führte eine Fackel mit sich und eine lange Brandschnur, die er in den Krater hinablassen konnte. Er hatte sich begeistert für diesen Auftrag gemeldet. Es kam nur alle paar hundert Jahre vor, daß ausgerechnet in den Tagen des Kleinen Feuers einer der Vulkane tätig war. Es gab keinen eigentlichen Pfad, der hinauf auf den Berg führte. Bannish mußte ihn sich suchen, und während er mit weiten Schritten aufwärtsstieg, hielt er die Augen immer nach oben gerichtet, wo der Hang des Berges wie eine Mauer aufragte. Der Himmel hinter den feurigen Lohen wurde langsam hell, ein Zeichen, daß Suuma bald aufgehen würde. Im Tal selbst würde sie erst gegen Mittag aufgehen, doch in diesen Tagen wurde ihr Ball von dem Licht aus den beiden glühenden Vulkanen verschleiert. Es konnte ein gutes oder ein schlechtes Zeichen sein. Je höher der Tempeldiener kletterte, desto schwieriger wurde sein Weg. Längst waren die letzten Ausläufer der Vegetation unter ihm zurückgeblieben. Der Berghang war mit Steinen und Staub bedeckt, losen Ascheteilchen, die der Vulkan immer wieder von sich gab. Sie trieben aus dem Krater empor und setzten sich als Ablagerungen an den Hängen fest. Der Staub war grau und braun, und bald hatte Bannish schmutzige Schuhe. Auch seine Unterschenkel verfärbten sich, und er verspürte Juckreiz in der Nase von dem Staub, den er bei seinem Aufstieg aufwirbelte und einatmete. Die Luft um ihn wurde wärmer. Er begann zu schwitzen, und eine knappe halbe Stunde später lief ihm der Schweiß in ganzen Bächen über den Körper. Sein Mund und Rachen waren ausgetrocknet, und das Atmen fiel ihm schwer. Von der Strecke, die er zurückzulegen hatte, hatte er höchstens ein Drittel geschafft. Er blieb stehen und warf einen Blick nach unten. Die Gebäude und Hütten waren zu kleinen Gebilden zusammengeschrumpft. Die Zelte waren kaum mehr zu erkennen. Nur die Tempelanlage leuchtete weiß und marmorn zu ihm herauf. Die Bäume um sie herum bewegten ihre Wipfel. Von seinem Standort aus konnte Bannish einen Blick über das gesamte Tal werfen. Harmonisch und friedlich ruhte es da, und der Tempeldiener zählte die Quellen und musterte das Staubecken des einzigen Trinkwasserlaufs am oberen Talende. Dort entsprang ein Bach und wurde sofort von einer künstlich geschaffenen Quelle eingefangen. Aus dem Becken wurde das Trinkwasser entnommen, das im Tal benötigt wurde. Alle paar Jahre kamen Handwerker vom Kontinent Akjunth und besserten schadhafte Stellen an dem Becken aus. Das Trinkwasserreservoir existierte schon ewig. Es war mit Sicherheit fast so alt wie Rhyikeinym selbst oder zumindest wie der Tempel. Und von dem Tempel, der identisch war mit dem innersten Bereich der heutigen Tempelanlage, hieß es, daß er schon seit Jahrtausenden existierte. Es gab uralte Schriften, die das belegten. Als Uschriin für den Bergbau entdeckt worden war und die ersten Minen entstanden, da hatte es den Tempel und seine Bewohner bereits gegeben. Irgendwann vor langer Zeit, in einer der letzten Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Volksgruppen der Daila, mußte das Tal zur Zuflucht für Versprengte geworden sein. Anhänger des Mana-Glaubens hatten hier ihre Ruhe gefunden. Bannish hatte von jener und anderen solchen Zeiten erzählen gehört, als es nicht immer ratsam gewesen war, sich zu diesem Glauben zu bekennen. Aufgrund dieser Überlieferungen glaubten die in Rhyikeinym wohnenden Daila, daß der Tempel ein Relikt aus einer Zeit war, in der es drunter und drüber gegangen war und das Tal der heilenden Quellen als einziger Ort des Friedens galt. Keiner von ihnen und auch keiner von den Kranken wäre deshalb auf die Idee gekommen, diesen Frieden in irgendeiner Weise zu stören oder zu zerstören. Bannish betrachtete das Tal als eine der Kernzellen des Friedens, der sich über ganz Aklard erstreckt hatte, bevor die Ligriden aufgetaucht waren.
Er stieg weiter hinauf, und seine Gedanken beschäftigten sich mit Elyl, dem potentiellen Unruheherd in Rhyikeinym. Er war verwirrt, und der Tempeldiener vermutete, daß ihnen mit dem Gesandten noch weit schlimmere Erkenntnisse ins Haus standen. Die Priester werden es vielleicht bald herausfinden. Und wenn sie keinen Erfolg haben, dann werden sie die Heiler zu ihm rufen. Er schwitzte stärker und bekam Durst, der ihn quälte. Dennoch ruhte er nicht. Wenn er jetzt aussetzte, würde er den Weg bis zum Kraterrand nie mehr schaffen. Gegen Mittag schaffte er es endlich. Er schätzte, daß die Luft um ihn herum etwa vierzig Grad Wärme hatte. Das war selbst für einen Mann wie Bannish zuviel. Er schob die bleischweren Beine vorwärts und spähte über den Rand des Kraters. Ewiges Feuer loderte zu ihm herauf, und er warf hastig die Brandschnur aus. Keine dreißig Meter tief mußte sie fallen, um sich selbst zu entzünden. Das Feuer lief an ihr aufwärts, und er machte die Fackel bereit und wickelte das Ende der Brandschnur um sie herum. Liegend wartete er, den Kopf in den heißen Staub gepreßt, um nicht auch noch die Wärme Suumas erdulden zu müssen, die längst hoch am Himmel stand. Er hörte das Zischen, mit dem sich die Glut näherte und sich um die Fackel wickelte. Das Harz entzündete sich, und Bannish riß hastig die Schnur ab und warf sie in den Kraterschlund hinab. Eine riesige Fontäne weiß und gelb glühender Lava raste herauf und sprühte auseinander. Überall an den Kraterwänden schlugen flüssige Tropfen ein und brachten die Schlacke und den Staub zum Dampfen. Kleine Rauchwölkchen stiegen auf. Der Tempeldiener trat den Rückzug an. Vor seinen Augen flimmerte es. Er hatte Mühe, seine Sinne beisammen zu halten. Und gerade beim Abstieg war es wichtig, daß er sich konzentrierte und beeilte. Die Fackel brannte, und es war seine Aufgabe, dafür zu sorgen, daß sie nicht erlosch, während er unterwegs war. Der Hang war noch wärmer geworden, er spürte die Hitze durch seine Schuhe. Längst waren seine Beine bis oben hin schmutzig, und der Staub biß ihn überall auf der Haut. Der Schweiß zog helle Spuren durch das graue Gesicht, und die Haare hingen verklebt und wirr um seinen Kopf. Bannish atmete rasselnd. Er ging schneller, als es seine Sicherheit zuließ. Oftmals geriet er ins Straucheln, aber immer rettete ihn sein Instinkt. Nur langsam wurde es kühler, und als er endlich das Tal unter sich sah, da stellte er fest, daß er vom Weg abgekommen war. Er befand sich auf der anderen Seite der Bergflanke, näher zur Tempelanlage hin. Das machte nichts. Er wußte, daß sie ihn von unten beobachteten und ihm Helfer entgegenschickten. Er taumelte weiter. Innerlich war er von Stolz erfüllt. Er hatte das Kraterfeuer geholt, und in der Religion von Rhyikeinym war es gleichbedeutend mit dem Kleinen Feuer, mit der Sonne Suuma. Alle Planeten waren einst aus Suuma hervorgegangen, und alle hatten ein Stück von ihrem Feuer mit auf den Weg bekommen. Was daraus geworden war, das hatten die Kinder der Sonne selbst zu verantworten, jedes für sich. Am späten Nachmittag sah er die Gruppe der Tempeldiener. Sie kam ihm entgegen, und sie brachte ihm das ersehnte Wasser. Er ließ sich in die Arme der Daila fallen, nachdem er die Fackel weitergereicht hatte. Ein Läufer brachte sie im Eiltempo hinab ins Tal. Bannish trank zwei Liter Wasser und wusch sich notdürftig, dann folgte er seinen Begleitern hinab. Schon aus der Höhe erkannte er, daß etwas im Gange war. Er sah übermäßig viele Priester, die hin und herliefen. Das Tal glich einem aufgescheuchten Fleusennest. »Was ist los?« ächzte er matt. »Was hat die Aufregung zu bedeuten?« »Elyl ist verschwunden. Alles sucht ihn«, erhielt er zur Antwort. »Er muß bereits vor Tagesanbruch ausgerückt sein!« *** Elyl verspürte den Wunsch, hinauszugehen und das wunderbare Schauspiel der Vulkane zu
betrachten, das ihn bereits bei seiner Ankunft fasziniert hatte. Für den Bruchteil eines Augenblicks erinnerte er sich daran, daß er einmal angekommen war und einen Ausgangsort gehabt haben mußte. Dann aber verlor sich die Erinnerung daran in unendlicher Schwärze. Er war jetzt nur der Daila, der im Paradies lebte. Es gab keine fremden Planeten und keine Aufträge, keine Gesandten und keine Feinde. Er wußte nicht mehr, was Ligriden waren, und erinnerte sich nicht mehr an die schweren Tage, in denen er auf dem Kontinent Uschriin unterwegs gewesen war. Er erhob sich und schritt auf den Ausgang zu. Ein Tempeldiener saß da und beobachtete ihn. Es war nicht Bannish, und Elyl runzelte die Stirn. »Nenne mir deinen Namen und laß mich vorbei«, sagte er. Der Daila erhob sich und versperrte ihm den Weg. »Du darfst nicht hinaus«, erklärte er entschieden. »Phyrpor hat es angeordnet. Du wirst warten müssen, bis der Oberste Priester selbst erscheint!« Etwas begann in Elyl zu wühlen. Es waren keine negativen Gefühle, die ihn überkamen. Es war lediglich die Sehnsucht, die er nicht kontrollieren konnte. Er wünschte es sich ganz stark, daß er diesen Raum jetzt verlassen konnte, um hinaus ins Freie zu gehen. Dieser Wunsch erfüllte ihn vollkommen und nahm seinen mutierten Geist und seinen Körper voll in Anspruch. Er bekam es nicht einmal richtig mit, daß sich der Tempeldiener plötzlich schreiend am Boden wälzte. Elyl stieg über ihn hinweg und verschwand in den verzweigten Gängen der Anlage. Mit schlafwandlerischer Sicherheit fand er den Weg zu einem der Ausgänge, und kurz darauf bewegte er sich im Schutz der Bäume talaufwärts, ohne Ziel und ohne Plan. Er wollte nur draußen sein und sein Paradies in vollen Zügen genießen. Noch klang das Geschrei des Dieners aus der Anlage an seine Ohren. Er dachte sich nichts dabei. Er richtete seine Aufmerksamkeit auf die Vögel, die sich in den Bäumen aufhielten und ihr morgendliches Lied trällerten. Sie flatterten auf, sobald er sich näherte. Ein paar äugten vorsichtig aus ihren Nestern hervor, die in Astgabeln oder auch an den glatten Stämmen klebten. Elyl erkannte Virachuzza, die pfeilschnell davonglitten und im Dunkel des Laubs verschwanden. Der Daila wählte seinen Weg, wie es ihm gerade einfiel. Er änderte oftmals die Richtung, und nach Sonnenaufgang hatte er das Ende des Waldgebietes erreicht und befand sich an einem grünen, saftigen Hang, der sich aufwärts zog bis hin zu einem großen Wasserbecken. Elyl legte sich am Rand des Beckens nieder und trank mehrere Hände voll von dem kühlen Naß. Es erfrischte ihn, und er umrundete das Becken einmal und legte sich dann erneut an einer Stelle nieder, wo er das ganze Tal überblicken konnte, von unten jedoch nicht gesehen wurde. Mehrere Stunden verfolgte er so das Treiben, und ein paarmal bekam er mit, daß die Priester nach ihm suchten. Es störte ihn nicht. Er war den Priestern keine Rechenschaft schuldig. Schließlich war er kein Kranker, sondern ein gesunder Mann, der zu Rhyikeinym gehörte wie die Priester mit ihren Familien auch. Elyl empfand nicht den Widerspruch seiner Gedanken. Einerseits hielt er sich für einen Bewohner des Tales, das er mit ganz Aklard gleichsetzte. Andererseits fragte er sich nicht, warum er keine Familie besaß und wie er hierher gekommen war. Es waren die Folgen der Teilamnesie, die sich auf ihn auswirkten. Das Treiben im Tal der heilenden Quellen gefiel ihm. Alles spielte sich nach den Regeln der Gesundung ab, und manche Dinge entsprachen dem religiösen Verständnis der Daila. Dinge, die nur in Rhyikeinym Geltung besaßen, wurden den Neuankömmlingen rechtzeitig mitgeteilt, damit sie keine Fehler machten. In dem Treiben und Tun, dem Heilen und Genesen waren die Stätten der Ruhe, die Plätze des Aufenthalts und die Phasen der Meditation deutlich herauszusehen. Das ganze Tal atmete und lebte den Rhythmus von Rhyikeinym. Nur ein einziger Daila fiel störend auf. Er gliederte sich nicht in diesen Rhythmus ein, aber er benutzte ihn, um seinen Weg durch das Tal fortsetzen zu können. Immer näher kam er an die Tempelanlage heran, und dann war er plötzlich verschwunden.
Ein Spion? Elyl überlegte, warum er einen solchen Gedanken hegte. Er kam nicht auf die Antwort. Es konnte kein Spion sein, denn alle Daila waren Brüder. Es gab weder Feindschaft noch Mißgunst und Haß. »Er kommt herauf zum Staubecken«, flüsterte der Daila. »Er wird von hier oben beobachten wollen!« Er empfand diese Feststellung als Selbstverständlichkeit. Warum sollten nicht auch andere Artgenossen die Wärme am Wasser benutzen, um die Eindrücke in sich aufzunehmen, die das Tal bot. Als der Daila den Rand des Beckens erreicht und Elyl sah, zuckte er zusammen und blieb zögernd stehen. Der Mutant winkte ihm. »Komm her, mein Freund!« rief er. »Wir wollen uns das Leben im Paradies gemeinsam ansehen!« Der Daila näherte sich. Er trug das rote Gewand eines Kranken. Er ließ sich neben ihm nieder und musterte ihn aufmerksam. Irgend etwas schien ihn an Elyl zu stören. »Wer bist du?« erkundigte sich der Mutant. »Ich will dir meinen Namen nicht nennen«, erwiderte der Daila. »Aber ich bin ein Patient. Das unterscheidet mich von dir.« »Du hast recht. Ich bin nur ein Daila, der im Paradies wohnt. Alles andere hat keine Bedeutung. Oder siehst du etwas, was mir verborgen ist? Warum willst du in den Tempel gehen? Hier oben ist es viel schöner!« Der Daila ohne Namen zog die Augen zu Schlitzen zusammen. Er starrte Elyl an, der die Musterung ruhig über sich ergehen ließ. »Du hast mich beobachtet«, stellte er fest. »Nun, ich bin ein kranker Daila, und ich suche den Rat der Priester. Deshalb will ich in die Tempelanlage gehen. Doch ist es jetzt der falsche Zeitpunkt. Wohnst du im Tempel?« Elyl bestätigte es und fuhr fort: »Du willst mich fragen, ob ich dir beim Betreten der Anlage behilflich sein kann, nicht wahr?« Der Daila verfärbte sich. Er sprang auf, aber der Mutant zog ihn zum Boden zurück. »Woher ich deine Gedanken weiß? Es war nicht schwer, es herauszufinden. Bei Aklard, meiner Heimat. Ich kann dir nur sagen, daß deine Gefühle verwirrt sind. Du solltest mir vertrauen!« »Du bist kein Heiler!« stieß der Daila im roten Gewand hervor. »Was aber bist du dann? Ein Mutant? Woher kommst du? Von welchem Kontinent, aus welcher Stadt?« Elyl machte mit den Armen eine ausladende Bewegung, die das ganze Tal umfaßte. »Von hier«, rief er aus. »Von Aklard. Dies alles ist Aklard. Siehst du nicht die blühende Ebene bis jenseits des Horizonts?« »Du redest irr, mein Freund. Du solltest mich besser hinab zu den Priestern begleiten. Du scheinst der Patient zu sein, den sie verzweifelt suchen.« »Glaube mir, ich bin kein Patient. Ich bin gesund, man sieht es mir doch an. Ich brauche keine Hilfe. Nein, ich sitze hier oben, um mir anzusehen, wie Aklard lebt, dieses Aklard zwischen hohen Paradiesvulkanen und unter dem Licht ewiger Glut des Großen Feuers!« Der andere wollte ihn jetzt mit Gewalt vom Rand des Staubeckens wegzerren, aber Elyl widersetzte sich und entsprang. An der Kante des Beckens entlang rannte er hinüber zu jenem Hang, dessen Gras in dunklem Blau leuchtete und bis weit hinauf an den Berg wuchs. Er verschwand zwischen den Sträuchern und eilte in das Tal hinab. Immer wieder sah er zwischen den Ästen und Zweigen das rote Gewand des Daila leuchten, der langsam hinunterstieg zum Tempel.
Elyl hielt an und wartete. Vor ihm wuchsen ein paar Stämme von Bäumen auf und zeigten ihm, daß hier der Garten begann, der zum Tempel gehörte. Er sah einen Schatten, den die Helligkeit des Himmels gegen den Boden warf. Der Schatten besaß humanoide Umrisse und einen großen, runden Kopf, als trüge das Wesen einen Helm. Elyl bog zur Seite aus. Er verschwand hinter einem Strauch und umrundete ein paar Bäume. Er näherte sich dem Schatten aus einer anderen Richtung und stellte fest, daß da tatsächlich ein Wesen stand, das ziemlich groß war. Es überragte den Daila um mehrere Köpfe. Vorsichtig stieß er es von hinten an. Das Wesen fuhr herum und riß ihn dabei fast um. »Hab keine Angst«, sagte der Mutant rasch. »Ich tue dir nichts. Ich bin einer der Bewohner des Paradieses. Vertraue dich mir an. Suchst du einen Führer?« Der Fremde bewegte sich. So groß seine Gestalt war, so glatt waren seine Bewegungen. Er machte zwei Schritte zur Seite und verschmolz mit dem Kernschatten des Baumes. »Diener des Gward!« hörte Elyl die gehauchten Worte. Sie kamen stakkatoartig aus dem fremden Mund. Dann war das Wesen mit dem Helm verschwunden. Der Mutant lauschte noch nach Geräuschen, aber er hörte nichts mehr und setzte seinen Weg fort. Zwei seltsame Begegnungen hatte er an diesem Morgen erlebt, aber er dachte sich nichts dabei. Nicht alle Bewohner des Paradieses waren gleich, und solange sie nichts taten, was das Paradies zerstören konnte, kümmerte es Elyl nicht. Während er zwischen duftenden Bäumen und Büschen dahinschritt und sich einen Platz suchte, an dem er den Rest des Tages verbringen konnte, vergaß er die beiden Begegnungen wieder. Sie waren für ihn nicht wichtig. Das einzige, was für ihn Bedeutung hatte, war sein Traum von Aklard. Und diesen ließ er sich nicht nehmen. *** Aksuum betrat die Tempelanlage. Er schlug sofort einen der Wege an der Peripherie entlang ein. Die Tempeldiener ließen ihn gewähren, aber der Oberste Rat wußte, daß jeder seiner Schritte überwacht wurde. Er versuchte, jene Gänge ausfindig zu machen, durch die er damals in die innersten Bereiche vorgestoßen war. Er fand sie nicht und widmete sich der Beobachtung und Einprägung der anderen Gänge und Hallen. Und irgendwann war auch hier sein Weg zu Ende. Mehrere Diener vertraten ihm den Weg. »Du kannst nicht weitergehen«, sagten sie. »Du störst die Priester bei ihrer Arbeit. Kehre zurück in das Tal!« »Ich muß die Priester sprechen, am besten Phyrpor oder einen anderen der Obersten«, erwiderte Aksuum. »Es ist wichtig. Das Schicksal Aklards steht auf dem Spiel. Die Ligriden sind eine Gefahr, und die Obersten Priester müssen den Weg erfahren, über den wir uns von den Okkupatoren befreien können!« »Das geht uns nichts an«, erhielt er zur Antwort. »Rhyikeinym hält sich aus der Politik heraus. Du wirst bei den Priestern keine Unterstützung für deine Pläne finden.« »Ich muß!« rief der Oberste Rat aus. »Wozu bin ich Politiker. Ich trage Verantwortung für mein Volk!« Er stieß die Diener zur Seite und eilte weiter. Wenn er die Priester nicht fand, dann mußte er es den Bewohnern des inneren Bereichs selbst sagen und sie um Unterstützung bitten. Hindernisse auf diesem Weg gab es sicherlich genug, aber Aksuum wußte, daß keiner der Diener oder Priester ihn mit Gewalt hindern würde. Nicht, solange er das Gewand eines Kranken trug. Er kam rasch vorwärts. Die Verfolger waren verschwunden, und Aksuum argwöhnte, daß sie versuchten, ihm den Weg abzuschneiden. Er dachte wieder an den Daila, den er am Wasserbecken getroffen hatte. Mit dem Mann war etwas
nicht in Ordnung. Er war nicht Herr über seine Sinne gewesen. Ein Geheimnis umgab ihn, und Aksuum hätte nur zu gern gewußt, was es war. Vor ihm tauchte eine Schar Tempeldiener auf. Zwei Priester befanden sich in ihrer Begleitung. »Halt ein, Aksuum!« riefen sie. »Du entweihst den Tempel. Du darfst es nicht tun. Befolge die Regeln, die dir als Krankem auferlegt sind!« »Ja«, knurrte der Oberste Rat. »Ich werde es tun. Aber ich bin in meinem Amt auch für andere Dinge verantwortlich als nur für meine Krankheit. Warum seht ihr das nicht ein? Ein Politiker kann seine Verantwortung nicht einfach ablegen wie ein Hemd!« »Wir wissen es, Aksuum. Aber was willst du in den inneren Bereichen der Tempelanlage?« Unruhe entstand im Hintergrund. Rasche Schritte näherten sich. Es war der Oberste Priester Tullan, und er hielt mehrere Blätter in der Hand, die er dem Obersten Rat anklagend entgegenstreckte. »Was weißt du?« rief Tullan. »Alles«, sagte Aksuum rasch. »Ich kenne das Geheimnis der Tempelanlage, und ich muß mit Phyrpor darüber sprechen!« »Du hast das Geheimnis mit dir herumgetragen, ohne dich jemandem anzuvertrauen?« »Das ist richtig. Niemand hat je davon erfahren!« »Komm!« Der Oberste Rat folgte Tullan in einen kleinen Raum in der Nähe. Die einfachen Priester und die Tempeldiener blieben zurück. Die beiden Daila setzten sich. »Sprich!« forderte Tullan ihn auf. »Du weißt, was Urlysh getan hat. Atlan und Chipol und fünf andere Daila haben unsere Welt verlassen, um Kontakt zu den Verbannten zu suchen. Wo aber sind sie zu finden, Tullan? Leider hat sich unser Volk nie darum gekümmert, auf welchen Planeten anderer kleiner Feuer sich die Mutanten aus unserem Volk ansiedelten. Eine Suche aufs Geratewohl wäre sinnlos, aber eine ebensolche ist es, die der Fremde namens Atlan unternimmt. Aklard selbst hat keine Mutanten geduldet, die den Weg weisen könnten. Deshalb bin ich gekommen. Ich trage das rote Gewand zu Unrecht. Ich bin nicht krank. Ich leide nicht unter einer Schüttellähmung. Ich bin nur gekommen, um mein Wissen um das Geheimnis des Tempels zum Wohl meines Volkes anzuwenden. Ich brauche ein Raumschiff, Tullan. Die Besatzung der GHYLTIROON weist keine Politiker auf. Sie kann keine weitreichenden Entscheidungen für unser Volk treffen, und ein Fremder sowie ein halbes Kind wie dieser Chipol sind nicht die richtigen Botschafter der Heimatwelt für die Verbannten. Jemand wie ich muß sich auf den Weg machen. Und dazu brauche ich den Kontakt zu Mutanten. Ich hoffe noch immer, daß ich in Rhyikeinym Unterstützung für meinen Plan finde.« Der Oberste Priester hatte den Worten aufmerksam zugehört. Jetzt bewegte er seinen Körper, daß sein Gewand raschelte. »Die Heiler haben sich ganz in den Dienst an der Gesundheit des Heimatvolkes gestellt«, erwiderte er. »Sie wissen, daß es Möglichkeiten gibt, einen solchen Plan durchzuführen. Aber die Zeit ist nicht reif dafür. Deshalb spricht Phyrpor auch nicht selbst mit dir, sondern schickt mich. Er selbst hält sich in den inneren Bezirken auf, um sich eine Meinung zu bilden. Solange Elyl nicht gefunden ist, wird er keine Entscheidung fällen!« »Wer ist Elyl?« Hastig fügte Aksuum seiner Frage eine Personenbeschreibung des Daila an, den er am Staubecken getroffen hatte. Sie stimmte. »Elyl ist ein Sicherheitsrisiko für Rhyikeinym«, erfuhr er. »Wir hielten ihn für einen Gesandten
vom Planeten Trysh. Aber er besitzt nicht die Erinnerung an seine Mission. Wir müssen zunächst sein Schicksal klären, bevor wir etwas unternehmen!« »Trysh?« echote Aksuum. »Ich habe den Namen nie gehört. Ist es eine der Welten, auf denen Verbannte…« Er verstand plötzlich. Er sprang auf und machte Anstalten, aus dem Raum hinauszustürmen. »Dann ist Elyl ja auch ein…« »Ja«, fiel Tullan ihm ins Wort. »Aber denke daran, daß niemand es erfahren darf. Und du selbst wirst den Tempel nicht verlassen, bis Phyrpor entschieden hat. Ich banne dich hiermit an die Anlage, Aksuum. Um der Sicherheit Rhyikeinyms willen und der Elyls, der ein Mutant ist!« Der Oberste Rat starrte Tullan aus geweiteten Augen an. Er verstand nichts und begriff doch die Tragweite all dessen, was er erfahren hatte. Elyl war ein Gesandter vom Planeten Trysh. Er erinnerte sich nicht an seinen Auftrag, vielleicht, weil ihm jemand die Erinnerung geraubt hatte. »Dann hattet ihr in all den vielen Jahrhunderten immer wieder Kontakt zu den Verbannten!« stellte er fest. »Und niemand außer euch wußte auf Aklard davon. Jetzt kommt sogar ein Gesandter. Ich beginne langsam wieder zu hoffen. Aklard ist nicht verloren, wenn die Obersten Priester richtig entscheiden!« »Du hast es erkannt, Aksuum. Deshalb füge dich in meine Anordnungen. Wir werden die Entscheidung so schnell wie möglich herbeiführen.« »Ich bin auf eurer Seite«, erklärte der Oberste Rat. »Aber richte Phyrpor aus, daß er sich beeilen soll. Ich fürchte, daß uns nicht mehr viel Zeit bleibt. Wenn die Ligriden wissen, wo Elyl sich aufhält, werden sie das Tal der heilenden Quellen bald mit ihren Truppen überschwemmen!« »Wir sind uns bewußt, daß wir in Gefahr sind. Aber noch schützt uns unser Ruf, und es fehlt der Beweis, daß Elyl jemals mit Ligriden Kontakt hatte. Wir können zwar seinen Weg durch Uschriin nicht zurückverfolgen, aber…« Er ließ den Satz offen und erhob sich ebenfalls. »Alles hängt an Elyl. Ihn müssen wir finden.« Tullan verließ den Raum, und Aksuum wartete, bis sich einer der Diener näherte und ihn bat, ihm zu folgen. Er führte ihn in einen anderen Teil der Tempelanlage und wies ihm einen bequemen Wohnraum zu. Der Oberste Rat ließ sich in einem Sessel nieder und dachte, daß dieser wenigstens bequemer war als der Stuhl in der Zweighütte unten im Tal.
5. Der Abend vor dem letzten Tag brach an. Sie versammelten sich in einem Raum der Tempelanlage, der allein ihnen zugänglich war, und Phyrpor stellte fest: »Wir sind vollzählig, aber es nützt uns nichts. Die wichtigste Person fehlt!« Sie hatten den ganzen Tag gesucht, aber Elyl nicht gefunden. Er hielt sich nicht mehr in der Nähe des Staubeckens auf, und auch die übrigen Verstecke, die sich anboten, waren leer. »Es gibt nur eine sinnvolle Erklärung«, antwortete Tullan. »Elyl hat das Tal verlassen!« Die Obersten Priester stimmten ihm größtenteils zu, nur Phyrpor zweifelte. »Ich habe Boten hinausgeschickt. Sie sind kurz vor der Dämmerung zurückgekehrt. Elyl befindet sich nicht außerhalb Rhyikeinyms. Es sei denn, er hätte draußen einen Gleiter versteckt, mit dem er sich entfernt hat. Aber wo hätte er ein Versteck finden können? Es gibt rings um die Berge weder Höhlen noch Felsenrisse. Und die Dolinen weisen keinen neuen Einbruch auf. Nein, glaubt mir, Elyl muß sich noch hier im Tal aufhalten!« Die Obersten Priester von Rhyikeinym waren zutiefst verunsichert. Sie wußten, daß ein Gesandter vom Planeten Trysh zu ihnen ausgeschickt worden war. Elyl hieß er. Er war sogar angekommen, aber er hatte sich nicht wie ein Gesandter verhalten. Er hatte alles getan, um gerade diesen Eindruck zu verwischen. Er schien sich nicht an seinen Auftrag zu erinnern oder an etwas, was damit zusammenhing. Und das war der springende Punkt, an dem die Weisheit der Priester zu Ende war. Es war bekannt, daß schon mehrfach dailanische Raumfahrer mit ähnlichen Gedächtnislücken nach Aklard zurückgekehrt waren, nachdem sie die Bekanntschaft mit Ligriden gemacht hatten. Ohne Ausnahmen waren die betroffenen Daila später unangenehm aufgefallen und in geschlossene Anstalten eingewiesen worden, wo sie auf ihren Geisteszustand untersucht wurden. »Wenn er nicht zu finden ist, haben ihn böse Geister durch die Luft entführt. Oder er ist in eine der Quellen gefallen und ertrunken«, meinte Tullan. Hadunth lachte unterdrückt auf. »Keiner der Kranken wird zusammen mit einer Wasserleiche baden wollen. Die Quellen werden pausenlos benutzt«, stellte er fest. Auch das war wahr. »Dennoch«, meinte Tullan. »Wir sind wahrscheinlich gut bedient, daß Elyl nicht mehr hier ist. Er wäre ein Sicherheitsrisiko für uns wie Aksuum. Es liegt auf der Hand, daß die Ligriden ihn beeinflußt haben!« Die Tür des Raumes öffnete sich, ein Daila in einem cremefarbigen Umhang trat ein. Die Priester erhoben sich ehrfürchtig. »Donym, was bringst du uns für eine Botschaft?« rief Phyrpor aus. Der Heiler lächelte beruhigend. »Eine gute, Phyrpor«, erklärte er mit sanfter Stimme. »Elyl befindet sich hier. Er hält sich in der Tempelanlage auf. Wir wissen es ganz bestimmt. Er muß in einem der Räume zu finden sein!« In die Obersten Priester kam Leben. Sie drängten zum Ausgang, um die Tempeldiener zusammenzurufen und ihnen einen Auftrag zu erteilen. »Daran haben wir nicht gedacht«, bekannte Phyrpor. »Wir haben den Boten überall gesucht, nur nicht in der Anlage. Es wäre auch völlig widersinnig gewesen, daß er zunächst verschwindet und danach wieder heimlich zurückkehrt. Es sei denn…« Er brach ab und blickte Tullan finster an. »Es sei denn, er hat etwas zu verbergen und ist verschwunden, um sich heimlich mit jemandem zu treffen!« »Aksuum?« fragte Hadunth. »Es paßt nicht zusammen!«
»Ihr begeht einen Denkfehler«, klang erneut die Stimme des Heilers auf. »Ihr denkt, er hätte etwas zu verbergen, wißt aber auch, daß er verwirrt ist, weil ihm etwas fehlt. Seine Flucht war vielleicht keine Flucht, sondern nur der unmotivierte Drang, im Freien sein zu wollen!« Phyrpor senkte zustimmend den Kopf. Wenn Donym so sprach, dann war es ihm und seinen Helfern nicht möglich gewesen, Elyls Gedanken so zu beobachten, daß daraus einwandfreie Schlüsse gezogen werden konnten. Auch das konnte ein Hinweis darauf sein, daß sich die Ligriden des Gesandten angenommen hatten. Der Oberste Priester holte tief Luft. »Wir danken dir«, meinte er. »Kehre nun zurück in den inneren Bereich der Anlage. Sobald wir Elyl gefunden haben, werden wir ihn untersuchen. Wir werden ihn zu euch bringen, wenn wir keinen Erfolg haben!« Der Heiler entfernte sich, und Phyrpor machte sich als letzter auf den Weg, um sich an der Suche nach dem Verschwundenen zu beteiligen. Sie fanden Elyl schließlich in einem Abstellraum. Der Mutant schlief, und er wachte erst auf, als sie ihn ziemlich unsanft anfaßten. Er richtete sich in Abwehrhaltung auf und starrte die Priester aus schlaftrunkenen Augen an. »Was wollt ihr?« knurrte er. »Warum stört ihr mich in meinem Traum?« »Folge uns, Elyl. Die Obersten Priester wollen dich sehen!« erklärte ein Tempeldiener. Sie nahmen Elyl in die Mitte und führten ihn in einen Behandlungsraum. Kurz darauf waren die Obersten Priester zur Stelle. »Wir haben dich gesucht«, meinte Phyrpor. Er bemühte sich, seinen Unwillen nicht zu zeigen. »Warum?« lächelte Elyl verschlafen. »Ich habe den Tag genutzt, um mir das Paradies anzusehen. Aklard ist eine herrliche Welt!« Phyrpor überlegte. Es war, wie der Heiler vermutete. Mit’ dem Verstand des Daila von Trysh war etwas nicht in Ordnung. »Du bist hier nicht auf einem der großen Kontinente Aklards. Dies hier ist Rhyikeinym, ein kleines Tal auf einem vegetationslosen Felsbrocken namens Uschriin!« sagte er eindringlich. Elyl blickte ihn verständnislos an. »Dies ist Aklard, mein Traum«, rief er laut aus. »Ich weiß nicht, was ihr wollt! Hat die Hitze der Vulkane eure Gehirne ausgetrocknet?« Er versteht es nicht! erkannte Phyrpor niedergeschlagen. Er spricht nicht auf Erinnerungen an. Sie sind aus seinem Bewußtsein gelöscht! Er flüsterte mit seinen Amtskollegen, und sie riefen einen Priester zu sich, der Arzt war. Dieser untersuchte den widerstrebenden Daila und befand, daß dieser körperlich absolut gesund war. Es lag nur an der Erinnerung. »Also bleibt uns keine andere Wahl«, meinte Tullan. »Nur die Heiler können noch helfen! Sie, die normalerweise von allen nicht begabten Daila gemieden werden, müssen ihre Zurückhaltung aufgeben und sich eines Artgenossen annehmen, der nicht als Kranker in das Tal gekommen ist.« »Nichtsdestotrotz ist er krank«, sagte Phyrpor. »Wir brauchen die Gewißheit, ob seine Verwirrung eine natürliche oder eine künstliche Ursache hat!« *** Elyl hatte die ganze Zeit nur an seinen Traum gedacht. Die leise geführten Gespräche der Obersten Priester vernahm er nur als unverständliches Gemurmel. In ihm war allein der Wunsch, in Ruhe gelassen zu werden. Er wollte sich in eine Ecke legen und seinen Traum weiterträumen, aus dem man ihn so vehement gerissen hatte. Was gab es Angenehmeres auf Aklard, als bei Tag die Natur zu betrachten und in der Nacht von ihr zu träumen.
Die Lippen des Gesandten von Trysh bewegten sich lautlos. Einem Lippenleser hätten sie den Wunsch vermittelt, allein gelassen und nicht gestört zu werden. Ein Lippenleser war jedoch nicht anwesend, und die Traube der Priester um ihn herum ließ es nicht zu, daß er sich einfach entfernte, wie er es gern getan hätte. »Mitkommen, immer nur mitkommen«, murmelte er. »Warum läßt man mich nicht in Ruhe!« Sie schoben ihn vorwärts, und er folgte ihnen widerwillig. Im Schein der Beleuchtung empfand er die Schatten der Wände und Gestalten als Bedrohung, und er achtete kaum auf den Weg. Dennoch wurde ihm plötzlich klar, daß etwas in seiner Umgebung sich veränderte. Die Gänge und Hallen machten auf ihn einen anderen Eindruck als bisher, sie wirkten irgendwie vertrauter. Er glaubte eine Aura zu spüren, die ihm völlig neu war. Er riß für ein paar Sekunden die Augen auf, weil ein Teil seiner Erinnerung an die Oberfläche drängte. Das Zeltlager, sein Erwachen. »Was sind Fluryns?« fragte er unvermittelt. Die Tempeldiener starrten ihn ungläubig an. »Fluryn ist der Name einer aklardischen Familie«, erhielt er zur Antwort. »Wo hast du den Namen gehört?« »Nirgends. Ich weiß nicht. Ich kenne den Namen nicht. Ihr habt ihn mir doch gerade genannt!« Sie kamen durch eine schmale Tür, an der mehrere Diener Wache hielten. Elyl erkannte einen von ihnen, obwohl sein Gesicht deutlich die Zeichen von Strapazen trug. »Hilf mir, Bannish«, flehte Elyl. »Sie wollen etwas mit mir tun!« »Ich kann dir nicht helfen«, erwiderte der Tempeldiener. »Du mußt dir selbst helfen!« Das war kein Trost, und die Diener schoben ihn mit Nachdruck über die Schwelle. Er verlor Bannish aus den Augen. Sie wollten etwas mit ihm tun. Er spürte es ganz deutlich. Die vertraute Aura nahm an Stärke zu, und Elyl aktivierte alle seine psionischen Sinne, ohne sich bewußt zu werden, daß sie zu seiner fehlenden Erinnerung gehörten und ihm eigentlich gar nicht gegenwärtig sein durften. Sie wurden von seinem Unterbewußtsein gesteuert, er hatte sie nicht unter Kontrolle. Die Aura war gefährlich für ihn. Sie kostete ihn Kraft, und er fühlte Schwäche in sich aufsteigen und knickte in den Knien ein. Die Diener packten ihn unter den Schultern und trugen ihn weiter. Ein kleiner Saal tat sich vor ihnen auf. Elyl sah cremefarbene Gewänder und Daila, die ihn erwarteten. Sie saßen im Kreis, und ein einziger Platz war frei. Dorthin führte Phyrpor den Gesandten und wies ihn an, sich niederzusetzen und zu schweigen. »Ich will schlafen«, sagte Elyl, und einer der Daila aus dem Kreis antwortete: »Du wirst schlafen. So wahr ich ein Heiler bin. Und wenn du erwachst, wirst du all dein Ungemach vergessen haben. Woran erinnerst du dich, Elyl?« Etwas tastete in seinem Kopf, und der Mutant bekam leichte Kopfschmerzen. Er schloß die Augen und wehrte sich gegen das Fremde, das von ihm Besitz ergreifen wollte. Das Tasten versiegte, und der Daila riß seine Augen wieder auf. »Nichts«, hörte er die Stimme des wortführenden Heilers zu Phyrpor sagen, der hinter ihm stand. »Er hat keine Erinnerung an die Zeit vor seinem Eintreffen in Rhyikeinym. Seine Gedanken beginnen zu dem Zeitpunkt, als er das Tal zum ersten Mal bei Tageslicht betrachtete!« »Das gibt zu denken«, murmelte Phyrpor. »Eingetroffen ist er nach Einbruch der Nacht!« »Ich will nicht denken«, sagte Elyl, ohne verstanden zu haben, worüber die beiden Daila sich unterhalten hatten. Er wollte nur träumen, und alles, was ihn daran hinderte, empfand er als Bedrohung. Die Heiler bemerkten es, und das Tasten in seinem Kopf setzte erneut ein, aber um vieles vorsichtiger als beim ersten Mal.
Elyls Gedanken rebellierten. Sie taten etwas, wogegen er sich nicht wehren konnte. Er, der erfüllt war von Gedanken des Friedens und der Zufriedenheit, vom Paradies auf Aklard, wurde zutiefst aufgewühlt. Es war nicht richtig, was die Heiler mit ihm machten. Sie wollten offensichtlich eine Krankheit in ihm suchen, aber er war nicht krank, und er hatte zudem Angst, daß er durch sie einen Teil des Paradieses und seines Traumes verlieren könnte. »Nicht!« seufzte er. »Ihr tut mir weh!« »Es muß sein!« flüsterte Phyrpor neben seinem Ohr. Diesmal verstand er die Worte und fragte sich, warum es sein mußte. Es war grausam und verursachte innerliche Schmerzen. Es konnte nicht zu den Gegebenheiten des Paradieses gehören. »Trysh!« flüsterte eine Stimme in ihm. »Kennst du Trysh? Du bist dort geboren, Verbannter. Elyl von Trysh, das bist du!« Nein! schrie er lautlos. Das bin nicht ich. Ich bin Elyl von Aklard! Schmerz raste durch sein Gehirn. Es war, als würde jemand mit einem scharfen Messer in seinen Kopf stechen. Elyl stöhnte laut auf. Er wollte etwas rufen, aber die Stimme versagte ihm. Seine Augenlider waren schwer wie Blei und gehorchten ihm nicht mehr. Sie sanken nach unten und blieben dort. Er war blind und konnte nur noch mit Hilfe seiner psionischen Sinne wahrnehmen. »Seine Erlebnisse im Tal der heilenden Quellen«, berichtete der Heiler weiter. »Seine Träume. Die Begegnung mit Bannish. Er hatte sie bereits vergessen. Und da ist ein Schatten. Ein Fremder mit einem Helm, wesentlich größer als ein Daila. Er steht unter den Bäumen im Garden der Tempelanlage!« »Ein Ligride!« schrie Phyrpor auf. »Ein Spion. Ghorza muß ihn eingeschleust haben!« Elyls Bewußtsein geriet in Aufruhr. Er lehnte sich gegen die geistige Bevormundung auf. Seine geringen Psikräfte aktivierten sich und setzten zur Gegenwehr an, aber da legte sich eine Kraft über ihn und schmiedete ihn in eine Fessel ein, in der er sich nicht mehr bewegen konnte. Er war hilflos wie ein kleines Kind. In seinem Kopf waren unsichtbare Kräfte am Werk, und sie durchwühlten das ganze Gehirn und pflückten sein Bewußtsein Impuls für Impuls auseinander. Die Schmerzen, die er dabei psychisch empfand, waren kaum zum Aushalten. Elyl begann lauter zu stöhnen. Die heftige Bewegung an seiner Schulter nahm er nicht wahr. Er öffnete den Mund und schrie. Gurgelnd kamen die Laute aus seinem Hals. Und plötzlich öffnete der Mutant die bleischweren Augenlider, und zwei geweitete Augen blickten nach oben zur Decke. »Elyl!« schrie er. »Elyl, du darfst nicht weggehen. Verlaß mich jetzt nicht! Elyl, hilf mir!« »Aufhören!« Der Heiler sprang auf. Er zerstörte den Bannkreis, den seine Artgenossen bildeten. Das Wühlen in Elyl erlosch und machte tiefer Schwärze Platz. »Er verliert den Verstand!« sagte der Heiler. »Hoffentlich sind wir nicht zu weit gegangen!« Phyrpor fing den nach hinten kippenden Körper des Bewußtlosen auf. »Es bedeutet, ihr findet keinen Zugang zu seiner Erinnerung. Die Blockade ist zu groß!« »Ein weiterer Vorstoß wäre unzumutbar«, bestätigte der Heiler. »Es würde ihn das Leben kosten. Die Sperre in ihm ist zu stark!« »Die Ligriden!« stieß Phyrpor hervor. »Wir werden den Spion sofort suchen!« »Es gibt Zweifel«, meinte der Heiler. »Die Sperre erscheint uns zu stark für eine künstliche. Wir glauben eher an eine natürliche Blockade, die durch etwas hervorgerufen wurde, was mit Rhyikeinym zu tun hat!«
Phyrpor war ratlos. Er konnte es sich nicht vorstellen. Was sollten sie jetzt mit dem verhinderten Gesandten anfangen? Ließen sie ihn in Rhyikeinym, so bestand die Gefahr, daß er irgendwann etwas Schreckliches anstellte. Schickte man ihn in seinem Zustand nach Trysh zurück, so würde das Aklard schaden. Und entfernte man ihn aus der Oase und setzte ihn irgendwo auf Akjunth oder Akbarry ab, so würde man ihn früher oder später als einen Mutanten erkennen, der nicht auf der Heimatwelt geboren war. Man würde Nachforschungen anstellen, und das hätte schlimme Folgen für das Tal der heilenden Quellen und seine Bewohner. »Bringt mir den Ligriden«, sagte Phyrpor eindringlich. »So schnell wie möglich!« *** Der Diener des Gward hatte längst den Pfad hinter sich gelassen, der aus dem Tal hinausführte. Der Helm auf seinem Kopf drückte ihn überall, und er war mißmutig darüber, daß Ghorza ihm eine solche Kopfbedeckung verordnet hatte. Es war allerdings einleuchtend, daß ein Diener des Gward nicht mit einem Kapuzenumhang nach Rhyikeinym gehen konnte. Es wäre zu schnell aufgefallen. So hoffte Thebzer, daß er bald wieder in Bajukkan sein würde, um seine gewohnte Tracht zu tragen. Der Ligride ließ sich auf einem Felsblock nieder. Die Hände mit den geschuppten Handrücken griffen in eine Tasche seiner Kombination und zogen ein Funkgerät heraus. Er aktivierte es und blickte wartend auf den winzigen Monitor, der sich kurz darauf erhellte. Der Kopf des Befehlshabers tauchte auf. Deutlich waren die Verzierungen am Helm zu erkennen. Wie meistens befand sich Ghorza irgendwo unterwegs. »Thebzer spricht«, sagte der Ligride. »Ich habe meine Mission erfüllt.« »Fasse dich kurz. Was hast du zu melden?« grollte die Stimme aus dem kleinen Lautsprecher. »Es gibt keine Besonderheiten im Tal der heilenden Quellen. Fast keine. Es sind nur die Bewohner des Tals anwesend sowie Kranke, die ihre körperlichen, geistigen und psychischen Gebrechen behandeln lassen. Auch Aksuum ist da, und er leidet unter einem Gebrechen, das als Schüttellähmung bezeichnet wird. Allerdings beginnt seine Behandlung erst. Dann ist da noch ein gewisser Elyl. Die Kranken munkeln, daß er als Gesandter von Trysh bezeichnet wird. Aber er ist geistig verwirrt. Ich hatte Kontakt mit ihm, ohne daß er meine Fremdartigkeit erkannte.« »Ein Gesandter?« donnerte Ghorza. »Wo liegt dieses Trysh? Wir müssen es herausfinden. Gut, jetzt besteht ein Grund einzugreifen. Wir haben nämlich herausgefunden, daß manche Raumschiffskommandanten in Uschriin gutzahlende Passagiere aufnehmen oder absetzen, Daila, die von fremden Planeten kommen und dorthin zurückkehren. Dieser Elyl muß in diese Kategorie gehören!« »Ich habe keine Ahnung, was es bedeutet«, bekannte Thebzer. »Wir werden es herausfinden. Unter diesem Aspekt erscheint mir die Anwesenheit Aksuums in Rhyikeinym nicht mehr zufällig. Etwas wird da ausgebrütet. Halte dich bereit, wir kommen!« »Es ist gut«, meinte Thebzer und schaltete ab. Er wußte, daß sich Ghorza keinen Fehler mehr erlauben durfte, wenn er seinen Posten behalten wollte. Er hatte schon zu viele gemacht. Sein verfrühtes Eingreifen auf Aklard war der größte davon.
6. Bannish verschlief das Entzünden der sieben großen Feuer. Es fand noch vor dem Beginn der Morgendämmerung statt. Das Leuchtfeuer der beiden Vulkane war schwächer geworden, es würde in den nächsten Stunden wohl völlig aufhören. Dann kehrte die normale Helligkeit des Tages wieder über Rhyikeinym ein. Der Tempeldiener war vom Vortag noch erschöpft. Die Ereignisse der Nacht hatten auch daran mitgewirkt, daß er erst spät zum Einschlafen kam. Als er emporschrak, vernahm er bereits den vielstimmigen Gesang der Tempelbewohner, und von den bunten Gesteinsinseln der Quellen tönten die Lieder der Patienten herab. Sie waren weniger melodiös, aber was machte das schon. Wichtig war, welchen Sinn sie hatten und mit welcher inneren Einstellung sie gesungen wurden. Bannish wusch sich und kleidete sich an. Die Haare an seiner Stirn und an den Augenbrauen waren noch gekräuselt vom Vortag. Die Hitze am Kraterrand hatte sie ein wenig schmoren lassen. Der Tempeldiener suchte den Frühstücksraum auf. Außer ihm war kein Bewohner der Anlage anwesend, er war offensichtlich der letzte. Hastig trank er den warmen Sud und stopfte sich ein Brot mit gedünstetem Fisch hinein. Die Ausbeute des fischreichen Ozeans, der Uschriin umspülte, bildete die Hauptnahrungsquelle für das Tal der heilenden Quellen und alle anderen Oasen. Der Tempeldiener machte sich auf und verließ die Anlage. Draußen war es seltsam ruhig geworden. Alles schwieg plötzlich, nur das Knistern des vor dem Tempel gelegenen Feuers war zu hören. Bannish beschleunigte seine Schritte. Er bekam es plötzlich mit der Angst zu tun. Alles war so sorgfältig und liebevoll vorbereitet, die Zeichen des Schicksals und der Natur standen günstig für die Abschlußfeier der Tage des Kleinen Feuers. Er dachte an die Tänze und Spiele, an denen selbst die Kranken teilnahmen, sofern es ihre Verfassung zuließ. Die Tage des Kleinen Feuers waren die höchsten Feiertage Rhyikeinyms. Der Tempeldiener blieb stehen. Wo sind die Heiler? fragte er sich. Sind sie draußen? Ist etwas mit ihnen geschehen? Oder mit Elyl? Ist Elyl tot? Hat er die Behandlung durch die Heiler nicht überlebt? Er stürmte vorwärts und aus dem Haupttor, dann die Stufen hinab. Ruckartig blieb er stehen und starrte in den morgendlichen Himmel hinauf. Gleiter. Ein gutes Dutzend schwarzer Gleiter hing über dem Tal und senkte sich langsam abwärts. Die Daila standen herum und beobachteten den Vorgang. Von irgendwoher kam ein Alarmruf. Bannish machte ein paar Schritte zurück, dann besann er sich und gab den Alarmruf weiter. Er legte die Hände an den Mund und ließ ihn in alle vier Himmelsrichtungen erschallen. »Ayefa!« brüllte er. Es war der seit Jahrhunderten oder Jahrtausenden gebräuchliche Ruf und hieß: Wappnet euch! Der Ruf kehrte in dutzendfacher Ausführung zu ihm zurück. Am Rand des Tales kam Bewegung in die roten Gewänder der Kranken. Eine Gestalt tauchte plötzlich neben Bannish auf. Es war Aksuum. »Die Ligriden!« rief der Oberste Rat erstaunt aus. »Was wollen sie hier? Ghorza tat nicht, als würden ihn die Vorgänge im Tal interessieren.« »Der ligridische Spion wird ihn gerufen haben«, stieß Bannish hervor und berichtete hastig, was sie in der Nacht herausgefunden hatten. »Es gibt nur zwei Personen, deretwegen die Ligriden kommen könnten. Du und Elyl. Was ist wahrscheinlicher?« »Elyl«, knirschte Aksuum. »Wenn der angebliche Gesandte der Ligriden auffiel, dann wird Ghorza einen Zusammenhang zwischen ihm und mir vermuten.« »Rasch, hinein, bevor sie dich lokalisiert haben!« zischte Bannish. Er packte den Obersten Rat und zog ihn unauffällig in die Tempelanlage zurück. »Phyrpor ist unten im Tal. Er wird wissen, wie er
sich zu verhalten hat. Es muß ihm aufgefallen sein, daß ich mich noch im Tempel aufhielt. Vielleicht hat er auch meine Stimme erkannt, als ich den Warnruf weitergab.« Sie verschwanden im Innern der Anlage. Bannish führte ihn zu jener Kammer, in der sie den Bewußtlosen Mutanten zur Ruhe gebettet hatten. Zwei weibliche Daila kümmerten sich um ihn. Elyl war immer noch nicht erwacht. »Hilf mir!« flüsterte Bannish. Zu zweit trugen sie ihn aus dem Zimmer hinaus bis in die inneren Bereiche der Tempelanlage. Zum ersten Mal betrat Aksuum jetzt jene Bereiche offen, die er vor etlichen Jahren schon einmal heimlich aufgesucht hatte. Von allen Richtungen eilten die Heiler herbei. Sie musterten Aksuum, und der Oberste Rat legte seine Gedanken vor ihnen offen. Es hatte jetzt keinen Sinn, irgendwelche Geheimniskrämerei zu betreiben. Er wußte, daß es die Heiler gab, und die Heiler wußten, daß er dieses Wissen seit langer Zeit besaß. Und sie erkannten seine Absichten. Zumindest ein Teil von ihnen war der Telepathie mächtig. »Die Ligriden wissen nichts von den Heilem«, sagte Bannish erklärend. »Sie werden nicht nach ihnen suchen. Sie werden sich erst mit ihnen beschäftigen, wenn sie erkennen, daß sie Elyl und dich versteckt halten.« »Es ist klar, daß wir unseren Artgenossen helfen, Aksuum und Elyl«, meinte einer der Heiler. Er führte sie in ihre Privaträume bis in eine Halle, in der die Säulen in einer ganz bestimmten Reihenfolge aufgestellt waren. Aksuum dachte, daß es mit der Vergangenheit des Tales und des Tempels zu tun hatte. In der Mitte der Halle befand sich ein Wasserbecken, in dem gut zwanzig Daila Platz hatten. Einer der Heiler trat an den Beckenrand und machte sich an den Armaturen zu schaffen. Das Wasser floß ab, und das Becken lag trocken vor ihnen. »Du wirst schweigen, Bannish«, sagten die Heiler. Ihre Zahl war inzwischen auf über zwei Dutzend angewachsen. Die meisten hatten sich in den Gewändern einfacher Priester unter die Kranken an den Feuern gemischt. Auch Frauen und Kinder waren darunter. Die Heiler bildeten eine richtige Sippe unter, den Bewohnern der Anlage. »Nichts wird je über meine Lippen kommen«, bestätigte der Tempeldiener. »Ich gehöre zu den Eingeweihten und habe bereits vor langer Zeit mein Versprechen gegeben!« »Dann ist es gut. Wir werden jetzt solange warten, bis Phyrpor eintrifft. Er soll die Entscheidung fällen!« In diesem Augenblick trat etwas völlig Unerwartetes ein. Elyl erwachte. Der Daila riß die Augen auf und sah die Heiler stehen. Er zuckte zusammen und stellte sich mehrere Augenblicke lang tot. Dann sprang er auf und schnellte sich auf den Ausgang zu. Da er über Mutantenfähigkeiten verfügte, war es für ihn kein großes Problem, den Weg ins Freie zu finden. »Haltet ihn!« schrien die Heiler. Bannish rannte bereits los. Er warf sein Gewand weg und rannte in der Unterwäsche hinter dem Gesandten her. Der Umhang hätte ihn bei der Verfolgung nur behindert. Es durfte nicht sein. Elyl durfte in seinem Wahn nicht den Ligriden in die Hände fallen. *** »Ayefa!« Immer wieder gellte der Ruf durch das Tal. Ohnmächtig vor Zorn mußte Phyrpor mit ansehen, wie die Gleiter sich auf den Talboden senkten. Der Oberste Priester hatte seine Amtskollegen um sich geschart und erwartete die Ligriden. Er wußte, daß es jetzt um ein paar Minuten ging, die alles entschieden. Es gab keinen Zweifel, warum die Invasoren nach Rhyikeinym kamen. Es hatte auch keinen Sinn, irgend etwas abzuleugnen. Der
Spion hatte mit Sicherheit alles ausgekundschaftet. Seine Meldung mußte zu der überraschenden Aktion geführt haben. »Sie zerstören unser Fest«, brummte Tullan unwillig. »Man müßte die Möglichkeit haben, sie dafür zu bestrafen!« »Sieh sie dir nur an«, forderte Hadunth ihn auf. »Sie steigen bereits aus. Siehst du die Helme? Es sind Kriegshelme. Es ist ein kriegerisches Volk, und wir sollten froh sein, daß wir diesen Zustand seit langer Zeit überwunden haben.« »Elyl und Aksuum tun mir leid«, hauchte Tullan. Die ersten Ligriden marschierten bereits auf sie zu. »Sie werden nicht gerade zimperlich mit den beiden Daila verfahren!« »Laßt mich machen«, forderte Phyrpor sie auf. »Wir brauchen Zeit, das ist alles. Rhyikeinym hält noch ein paar Überraschungen bereit, die nur den Heilern und mir bekannt sind!« Die Obersten Priester musterten ihn überrascht. Sie begriffen, daß sein Wissen ihn über sie hinaushob, daß seine Stellung im Notfall verantwortlicher war als ihre. Sie schluckten und nahmen es dann als gegeben hin, weil sie froh waren, daß es einen gab, der die anstehenden Entscheidungen verantworten mußte. Sie waren besorgt und erleichtert zugleich. Die Ligriden führten sich fürchterlich auf. Sie schienen nicht wahrzunehmen, daß das Tal eine heilige Stätte der Kranken und der Götter war. Sie trampelten wahllos über Beete, die niemand betreten durfte. Sie spuckten in die Quellen und machten sie damit unbenutzbar, bis sie gereinigt waren. Sie störten den Rhythmus des Mana, der in allem zu erkennen war, was es in dem Tal gab, in den Pflanzen, den Tieren und Vögeln und in den Daila. Einige der Patienten und Bewohner der Anlage faßten Mut und stellten sich den Invasoren in den Weg, um die Priester zu schützen. Ein paar Hartnäckige und Langsame wurden kurzerhand gepackt und in die Gleiter gezerrt. Langsam wich die Mauer aus Männern und Frauen zurück, und schließlich hatten die Ligriden die Obersten Priester erreicht. Sie trugen Waffen, deren Mündungen auf die Bäuche der Daila zeigten. »Wir wollen Aksuum und diesen Elyl«, verlangte der Anführer, der einen rot und grün leuchtenden Helm trug. »Alles andere ist uns egal. Wir geben euch ein paar Minuten Zeit.« »Das ist nicht nötig«, erklärte Phyrpor mit mühsam beherrschter Stimme. Die Trauer über das zerstörte Fest nahm ihn im Augenblick schlimmer mit als die Bedrohung, die für seine beiden Schützlinge bestand. »Wir werden euch führen. Aksuum und Elyl halten sich in der Tempelanlage auf. Folgt uns!« Er wandte sich um und gab den Kollegen ein Zeichen mit der Hand. Langsam und würdevoll setzten sie sich in Bewegung und wählten absichtlich einen Weg am Talrand entlang, auf dem sie länger brauchten. Der Trupp der Ligriden folgte ihnen ungeduldig. *** Elyls Gedanken waren allein von Flucht beherrscht. Er hatte die Heiler gesehen und fürchtete sich vor weiteren Quälereien. Er stürmte aus der Tempelanlage hinaus und rannte am Rand des Gartens entlang. Der Schatten der Bäume schützte ihn noch vor Entdeckung, aber bald würde er das freie Gelände erreichen. Dann mußten sie ihn sehen. Es war die fast tödliche Stille, die ihn schließlich unter den letzten Bäumen innehalten ließ. Er blickte das Tal hinab und sah die Gleiter stehen. Er erkannte die Fremden, die kreuz und quer durch die Wiesen tappten und jede Blume zertraten, die ihnen im Weg stand. Sie nahmen auf nichts Rücksicht, und ihre düsteren Bewegungen strahlten unverkennbar eine Drohung aus. Es war Elyl, als habe jemand ihn mit einem Brett vor den Kopf geschlagen. Er zuckte zusammen und ’ sank zu Boden. »Tod und Verderben!« grollte er. »Aklard wird zerstört. Warum wird das Paradies vernichtet?« Er wollte sich aufraffen und sich den Verbrechern in den Weg stellen. Er wollte sich auf sie werfen
und sie von ihrem Vorhaben abhalten, aber da zerriß die unsichtbare Sperre, die er in sich selbst aufgebaut hatte. Das Trauma verflog, und kraftvoll kehrte seine Erinnerung zurück. Für kurze Zeit verlor der Daila sein Sehvermögen, dann aber hatte er sich wieder in der Gewalt. Er sprang auf und warf sich in die Deckung der Bäume zurück. »Ich bin der Gesandte!« stieß er erschüttert hervor. »Und dies ist nicht Aklard, sondern Rhyikeinym, ein kleines, paradiesisches Tal, in dem die Welt bisher in Ordnung war. Jetzt dringen auch hier die Ligriden ein!« Er erinnerte sich an Aksuum und den Fremden mit dem Helm. Das mußte ein Ligride gewesen sein. Sie kamen, und es konnte nur bedeuten, daß sie von seinem Aufenthalt wußten. Er hetzte den Weg zurück, den er gekommen war. Durch eine Seitenpforte schlüpfte er in die Tempelanlage zurück und rannte einem Priester in die Hände. Sofort spürte er die vertrauenerweckende Aura, die von ihm ausging. »Du bist ein Mutant!« erkannte er. »Einer der Heiler. Ich weiß jetzt Bescheid!« »Was willst du?« forschte der Heiler unsicher. Elyl öffnete ihm seine Gedanken, und der Mutant nahm in sich auf, was sich ereignet hatte. Er faßte nach dem Gesandten und riß ihn mit sich fort bis dorthin, von wo Elyl geflüchtet war. Das Wasser war aus dem Becken verschwunden, und der Boden fehlte. Eine Treppe lag darunter. Gleichzeitig mit Elyl traf auch Bannish ein. Wieder hatte er den Gesandten von Trysh verfehlt. Es schien sein Schicksal zu sein. Während er sich sein Gewand überzog, sagte er: »Wir können nicht warten. Die Ligriden kommen mit den Obersten Priestern. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als zu handeln!« »Wir müssen fliehen, ich sehe es ein«, sagte Elyl. »Aksuum und ich. Wir sind eine Gefahr für das Tal. Aber zuvor muß ich meine Botschaft loswerden!« »Sprich!« »Aklard ist die Sehnsucht aller Mutanten auf den fremden Welten. Aklard ist das Paradies und die Heimat für alle Daila. Trysh ist ein mächtiger Planet, und die Daila dort sind einflußreich. Ich wurde nach Aklard geschickt, um Kontakt zu mutantenfreundlichen Politikern zu suchen. Aksuum ist einer davon. Ich sollte sondieren, welche Stimmung auf Aklard gegenüber den Verbannten herrscht. Aklard ist in einer Notlage, und das Eindringen der Ligriden hat gezeigt, daß Gefahr für den Heimatplaneten besteht. Ich biete euch die Hilfe von Trysh an!« Aksuum hatte großen Augen bekommen. Er schnappte nach Luft. »Bei Mana!« rief er aus. »Wer hätte das gedacht. Die meisten Daila halten nichts von Mutanten, zumindest auf unserem Planeten. Der Frieden würde durch Mutanten sehr gestört. Und doch sieht es danach aus, als könnten nur sie mit ihren überlegenen Kräften noch helfen!« »Nicht alle Daila Aklards haben Vorurteile gegenüber den Mutanten, Aksuum«, mischte Bannish sich ein. »Seit Jahrhunderten suchen immer wieder Mutanten Zuflucht in Rhyikeinym. Ganze Familien gibt es hier. Sie tarnen sich als einfache Priester und wirken in aussichtslosen Fällen als Heiler. Donym war es, der mit seinen überragenden Fähigkeiten die Annäherung Elyls spürte und in seiner Trance versuchte, den Minterhügel zu erklimmen, um dem Mutanten aus der Ferne näher zu sein. Wir wußten von der Ankunft eines Gesandten. Ich selbst wurde ausgeschickt zu den Raumhäfen, um ihn zu empfangen. Wir verpaßten uns, und was dann kam, war mehr als ein Alptraum.« »Ich war geblendet von den Zuständen in Rhyikeinym«, bestätigte Elyl. »Meine vorherigen Schockerlebnisse auf Uschriin bewirkten, daß ich meine Erinnerung verlor. Mein Unterbewußtsein wollte erzwingen, daß mir der paradiesische Garten Rhyikeinym auf alle Zeiten erhalten bliebe.
Nun aber ist es Zeit für mich, ihn zu verlassen. Ich muß nach Trysh zurückkehren und eine Antwort überbringen. Wer gibt sie mir?« Alle Augen ruhten plötzlich auf Aksuum. Er war als mutantenfreundlich bekannt und galt als Intimus von Urlysh. Er war der einzige greifbare Vertreter der von den Ligriden aufgelösten aklardischen Regierung. »Die Antwort bin ich«, sagte er laut. »Du hast bereits erkannt, Elyl, daß wir gemeinsam aus Rhyikeinym flüchten müssen. Wir werden auch Aklard gemeinsam verlassen. Es hat schon eine Expedition gegeben. Atlan und Chipol haben Aklard verlassen, um Hilfe zu holen. Aber sie wissen nicht, wo sie die Welten der Mutanten suchen sollen. Die Raumfahrer der GHYLTIROON sind keine Politiker und können keine Entscheidungen treffen. Was ich brauche, ist ein Raumschiff!« Ein Priester stürzte in die Halle. »Sie sind bereits in der Anlage. Es ist Zeit!« rief er. Die Heiler schoben die beiden Daila in das Becken und die Treppe hinab. »Nehmt die Lichter, die dort hängen«, raunte Bannish. Und die Heiler fügten gemeinsam hinzu: »Der Geheimgang endet an der Außenseite eines der Vulkane. Nehmt einen der beiden Gleiter und flieht zu einem Raumhafen. Aksuum dürfte es nicht schwerfallen, ein Schiff zu beschaffen. Achtet darauf, daß das Gleiterversteck nicht entdeckt wird. Stellt das Fahrzeug irgendwo ab. Wir werden es zurückholen lassen!« Der Boden begann sich zu schließen. Dann drang das Rauschen von Wasser an die Ohren der beiden Flüchtlinge, und kurz darauf hörten sie Stimmen, die dumpf an ihre Ohren drangen. Aksuum griff nach einem Licht. »Nichts wie weg!« flüsterte er. »Solange die Ligriden im Tal sind, werden sie unsere Flucht nicht beobachten.« Sie rannten los. *** Sie fanden das Versteck, und Aksuum machte einen der Gleiter startklar. Er trug unverfängliche Kennzeichen, die Bajukkan als seinen Standort auswiesen. In ihrem Fall war es verräterisch, weil Aksuum aus Bajukkan kam. Vorsichtig ließen sie das Felsentor aufgleiten und stellten die Automatik so ein, daß es sich nach einer Minute wieder schloß. Sie flogen hinaus und warteten, bis sich das Versteck geschlossen hatte. Ein paar Felsbrocken polterten zu Tal, das Steintor wirkte täuschend echt. Niemand konnte auf den Gedanken kommen, daß sich dahinter eine Halle mit Fahrzeugen befand. Sie flogen los. Aksuum steuerte direkt nach Osten über das Meer hinaus und schwenkte erst dann nach Süden ab, als der Sichtkontakt zur Küste beendet war. Er wählte einen der Raumhäfen aus und lenkte das Fahrzeug in die entsprechende Richtung. Obwohl sie ständig mit Verfolgung rechnen mußten, war Aksuum froh. Er hatte die Hoffnung längst aufgegeben gehabt, etwas zu erreichen. Die Vorgänge im Tal der heilenden Quellen hatten sich einfach zu negativ entwickelt. Elyl war zum schicksalhaften Prüfstein für die Zukunft Aklards geworden, und erst im letzten Augenblick hatte sich das Blatt gewendet. »Wie lange sind wir nach Trysh unterwegs?« erkundigte sich der Oberste Rat. »Wir sollten nicht nach Trysh fliegen«, meinte der Gesandte. »Ich erkläre es dir später. Dort vorn muß der Raumhafen sein!« Sie näherten sich einem der sechs Häfen und mußten feststellen, daß sich kein Raumschiff dort befand. Also setzten sie den Flug fort. Erst beim dritten Hafen hatten sie Glück, und seit ihrer Flucht waren über zwei Stunden vergangen. Jeden Augenblick mußten sie mit dem Auftauchen von
Ligriden rechnen. Die Invasoren waren nicht dumm und würden alle Fluchtmöglichkeiten in Betracht ziehen. »Phyrpor wird es schaffen«, sagte Elyl. »Er wird sie aufhalten und sie dann beruhigen. Vielleicht helfen die Mutanten mit ein paar hypnotischen Befehlen nach, die allerdings nicht auffallen dürfen. Sonst ist das Geheimnis Rhyikeinyms verraten.« »Das Schiff dort mitten zwischen den Lastkähnen hat eine seltsame Form. Wie ein Kochtopf«, stellte Aksuum fest. Der Gleiter hatte die Peripherie des Hafens fast erreicht. »Ein Schiff von Trysh!« jubelte Elyl. »Gib mir den Funk!« Zehn Minuten später wurden sie eingeschleust. Sie verließen den Gleiter, und Aksuum programmierte eine Kurzetappe und schickte ihn zum Rand des Hafens hinüber, wo er automatisch auf einem Parkdach niederging und sich desaktivierte. Dann folgte der Oberste Rat dem Mutanten in die Befehlszentrale des Schiffes. Er sah mehrere Daila und auch ein paar Urbewohner von Trysh. Die Daila waren sämtlich Mutanten, und sie wußten über Elyls Mission Bescheid. Die Ladevorgänge am Schiff wurden sofort unterbrochen, und eine Viertelstunde dailanischer Zeitrechnung später jagte die GUNDBAD AKLYS in den Himmel des zweiten Planeten der Sonne Suuma hinein, die alsbald als rötlichgelbes Auge auf dem Bildschirm glitzerte. »Die Ligriden werden bald wissen, wo wir abgeblieben sind«, meinte Aksuum, aber der dailanische Kommandant versicherte: »Noch ist kein Alarm gegeben worden. Und die Ligriden wissen nicht, wo Trysh liegt Elyl, du bist Gesandter und mußt den Kurs des Schiffes bestimmen. Wohin sollen wir fliegen?« Der Mutant runzelte die Stirn. »Aksuum, ich bat dich vorhin, zu warten. Jetzt ist es soweit. Sobald das Schiff den Bereich um Suuma verlassen hat, werde ich einen Funkspruch absetzen, der zu einem Treffpunkt ruft. Dann werde ich auch den Kurs bestimmen!« Aksuum verstand kein Wort und wartete fieberhaft, bis Suuma endlich aus dem Erfassungsbereich des Hauptbildschirmes wanderte und auf dem kleinen Monitor erschien, der sich hinter ihm befand. Elyl trat an die Hyperfunkanlage und beugte sich über das Mikrofon. »Hier spricht Elyl vom Planeten Trysh«, begann er. »Ich rufe alle Freunde der Sonne, sich möglichst bald im Mittelpunkt des Lichts ein – zufinden!« Freudestrählend wandte er sich um und blickte Aksuum an. »Höre meine Worte, Aksuum!« sagte er. Elyl begann zu erzählen. ENDE
Was vom »Gesandten von Trysh« eingeleitet wurde, wird nun konsequent weitergeführt. Ein Funkspruch fordert die »Freunde der Sonne« auf, sich im »Mittelpunkt des Lichts« einzufinden. Für alle Eingeweihten ist somit klar, wohin sie sich begeben sollen… Mehr darüber berichtet Arndt Ellmer im Atlan-Band der nächsten Woche. Der Roman erscheint unter dem Titel: ZIELSTERN GYD. p
ATLANS EXTRASINN Die Oase Rhyikeinym Der Planet Aklard ist der zweite des Suuma-Systems, in dessen Zentrum die rötlichgelbe Sonne Suuma steht. Es existieren insgesamt vier Planeten, aber nur Aklard, die bedeutende Welt der Daila, ist bewohnt. Die drei anderen Welten heißen Illard, Ris und Rim. Ihre Namen stammen von altdailanischen Gottheiten. Diese Welten werden nur selten angeflogen, und es ranken sich um sie seltsame Geschichten früherer Glaubensrichtungen oder gar unsinnigen Aberglaubens. So gilt Illard seit jeher als Unglücksstern, ohne daß dafür ein realistischer Grund bestünde. Aklard selbst ist eine sehr erdähnliche Welt mit drei erwähnenswerten Kontinenten: Akjunth, Akbarry und Uschriin. Der unbedeutendste Kontinent ist eigentlich Uschriin im Norden, der kleinste der drei, kalt und unfreundlich, aber reich an Erzen und Mineralien und nur dünn besiedelt. Es gibt hier nicht einmal Städte im eigentlichen Sinn. Dafür weist Uschriin aber eine Besonderheit auf, die vulkanisch bedingten Oasen. In den Augen vieler Daila ist Rhyikeinym die Perle unter diesen Ausnahmeorten. Der Name bedeutet »Tal der heilenden Quellen«. Die Oase ist typisch für die wenigen, meist auf einen kleinen Raum begrenzten Gebiete, die den kalten und rauhen Kontinent auflockern. Hier ist es warm, denn schwache vulkanische Aktivitäten wärmen den Boden von innen heraus. Selbst im Winter, wenn ganz Uschriin unter einer dicken Schneedecke versinkt, gedeihen hier unter Kuppeln, die gegen die harten Eiswinde schützen, Blumen, Sträucher und sogar an einer Stelle Bäume mit fast tropischem Charakter. Rhyikeinym ist ein weites Tal, das von hohen Bergen umschlossen wird, deren Kuppen auch in der warmen Jahreszeit Schnee und Eis tragen. Umsäumt wird das Tal von farbenprächtigen mineralischen Ablagerungen aus den vielen Quellen und Geysiren. Wie fast alle Oasen, so ist auch Rhyikeinym ein Ort, der in erster Linie von kranken Daila aufgesucht wird, die sich hier von dem rauhen Leben und Arbeiten in den Bergwerken gesunden lassen wollen. Das Zentrum der Oase bildet der Ort, an dem richtige Bäume wachsen. Er wird »Garten von Rhyikeinym« genannt und beherbergt eine uralte Tempelanlage. Die Bauten sind so alt, daß niemand etwas über den Zeitpunkt der Entstehung mit Sicherheit sagen kann. Als Uschriin in der neueren Zeit als ertragreiches Bergbaugebiet erschlossen wurde, existierte die Tempelanlage schon lange. Und sie war auch bewohnt. Im Haupttempel werden uralte Schriften aufbewahrt, deren Herkunftsort die Oase Rhyikeinym ist und die damit belegen, daß seit Urgedenken hier Daila gelebt haben. Irgendwann in der fernen Vergangenheit, als der Mana-Glaube in Verruf geraten war, haben Anhänger dieser Gruppe hier Ruhe und Zuflucht gefunden. Sie bauten die Tempelanlage, und die Einsamkeit schenkte ihnen Schutz vor der Verfolgung. Heute sehen die Daila dies anders. Für sie ist der Tempel von Rhyikeinym ein Überbleibsel aus einer besseren Zeit. Kein Daila würde im Traum daran denken, den Frieden dieses Ortes zu stören oder gar die früheren Auseinandersetzungen zwischen Anhängern verschiedener Glaubensrichtungen wieder aufleben zu lassen. Allein die Tatsache, daß die nähere und weitere Umgebung des Tales kahl und kalt, unwirtlich und unfreundlich, eben nicht bewohnbar, ist, sorgt
dafür, daß nicht ein wahrer Sturm von Daila auf den Tempel erfolgt. Die weißen Berge ringsum und die öden Ebenen, die mehr als die Hälfte der Zeit auch von Schnee bedeckt sind, verkörpern sinnbildlich die harten Gesetze, unter denen die Bewohner des »Tales der heilenden Quellen« leben und flößen einen unnachgiebigen Respekt aus. Die Besucher kommen nicht nur aus den Bergwerken Uschriins, sondern auch von den Kontinenten Akjunth und Akbarry, die sehr dicht besiedelt sind. Sie suchen zu einem Teil Heilung von körperlichen Gebrechen, zum anderen aber auch von seelischen Schäden. Es spricht für die ständigen Bewohner von Rhyikeinym, daß sie zwar erkannt haben, die Vorteile zu nutzen, die die Besucher bringen, daß sie aber mit Verstand, Güte und Bescheidenheit zu Werke gehen. Das Streben nach finanzieller Macht spielt keine Rolle. Und politisches Interesse, das Gewinnen von Einfluß auf den Teil der Welt, der nicht Rhyikeinym ist; war nie der Schlüssel zum Handeln. Ein einziger Punkt ist ausschlaggebend. Er ist geheimnisvoll und mit rationalen Fakten nicht zu beweisen. Und nur die Tempelbewohner kennen und erkennen ihn: Ins Tal kommen nur solche Daila, die hier auch tatsächlich geheilt werden können. Die Heilung selbst und die Erhaltung dieses unerklärlichen Flairs zählen für die Tempelbewohner. Darüber hinaus haben sie sich niemals in die politischen Belange von Aklard eingemischt. Sie ignorieren Wahlen und gesellschaftliche Veränderungen, bleiben in ihrer Geisteshaltung aber weltoffen. Letzteres wiederum mag der entscheidende Grund dafür sein, daß ihr neutraler politischer Standpunkt stets akzeptiert wurde, ja gar zu einer schon traditionellen Immunität geführt hat. Kein Besucher oder Außenstehender würde es aus sich heraus wagen, die Tempelbewohner zu verärgern, auszunutzen oder mit Forderungen zu behelligen. Die Tempelbewohner selbst äußern auch kein Verlangen. Sie leben in ihrer Bescheidenheit von dem, was der karge Kontinent und das Tal und das Meer bieten. Ein Ort des Friedens. Für immer?