Kölner Schriften zum Medizinrecht Band 8
Reihenherausgeber Christian Katzenmeier
Weitere Bände siehe www.springer.com/series/8204
Christian Zimmermann
Der Gemeinsame Bundesausschuss Normsetzung durch Richtlinien sowie Integration neuer Untersuchungsund Behandlungsmethoden in den Leistungskatalog der GKV
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Christian Zimmermann Nordstraße 12a 40764 Langenfeld Deutschland
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ISSN 1866-9662 e-ISSN 1866-9670 ISBN 978-3-642-22751-6 e-ISBN 978-3-642-22752-3 DOI 10.1007/978-3-642-22752-3 Springer Heidelberg Dordrecht London New York Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012 Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Einbandentwurf: WMXDesign GmbH, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem Papier Springer ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media (www.springer.com)
Meinen Eltern
Vorwort Die vorliegende Schrift wurde von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln im Wintersemester 2010/2011 als Dissertation angenommen. Vor der Veröffentlichung wurde sie auf den Stand von Juni 2011 gebracht. Die Arbeit entstand zum weit überwiegenden Teil während meiner Zeit als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Medizinrecht der Universität zu Köln von April 2009 bis Dezember 2010. Mein ganz besonderer Dank gebührt meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Christian Katzenmeier, der mich nicht nur von Beginn an bei der Wahl und Ausarbeitung meines Themas unterstützt hat, sondern mir auch die Möglichkeit gegeben hat, als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Medizinrecht wichtige persönliche und berufliche Erfahrungen zu sammeln. Diese sind maßgeblich in die Entstehung des vorliegenden Werkes eingeflossen und haben entscheidend zu dessen erfolgreicher Fertigstellung in der vorliegenden Fassung beigetragen. Herrn Prof. Dr. Ulrich Preis danke ich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Die Hans-Neuffer-Stiftung hat durch die Gewährung eines großzügigen Druckkostenzuschusses die Publikation des Werkes in der vorliegenden Form ermöglicht. Bedanken möchte ich mich bei meinen ehemaligen Kolleginnen und Kollegen vom Institut für Medizinrecht, die mir stets für Diskussionen zur Verfügung standen und mir dabei wertvolle Anregungen liefern konnten. Ganz besonders möchte ich mich bei meinen Eltern Sabine und Thomas Zimmermann bedanken, die mich in jeder Phase meines bisherigen Lebensweges gefördert und unterstützt haben. Mein Bruder Jan Zimmermann hat durch seine humorvoll-kritische Art dazu beigetragen, meinen Blick immer wieder aufs Neue zu schärfen und meine Arbeitsfreude aufrecht zu erhalten. Meine Großeltern waren mir mit ihrem Interesse und ihrer Freude an meinem Projekt stets eine besondere Motivation. Dank gebührt letztlich auch meinen übrigen Verwandten, Freunden und Bekannten, die die Entstehung meiner Arbeit anerkennend begleitet haben. Langenfeld, im Juni 2011
Christian Zimmermann
Inhaltsverzeichnis Einleitung............................................................................................................... 1 1. Teil: Der Gemeinsame Bundesausschuss ....................................................... 7 1. Kapitel: Historische Entwicklung .................................................................. 9 A. Konfliktlage zwischen Ärzten und Krankenkassen .................................... 9 I. Die Zeit vor 1883 ................................................................................. 9 II. Inkrafttreten des KVG ....................................................................... 10 III. Kodifikation der RVO ....................................................................... 12 B. Vorgängergremien des Gemeinsamen Bundesausschusses ...................... 12 I. Zentralausschuss ................................................................................ 12 II. Reichsausschuss für Ärzte und Krankenkassen ................................. 14 III. Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen................................ 15 C. Gemeinsamer Bundesausschuss ............................................................... 17 D. Änderungen infolge des GKV-WSG 2007 ............................................... 18 E. Fazit .......................................................................................................... 18 2. Kapitel: Aufbau des Gemeinsamen Bundesausschusses ............................ 21 A. Die Trägerorganisationen gem. § 91 I SGB V.......................................... 21 I. Spitzenverband Bund der Krankenkassen, § 217a SGB V ................ 21 1. Organisation ................................................................................ 21 2. Mitgliedschaft ............................................................................. 21 3. Organe......................................................................................... 22 4. Aufgaben ..................................................................................... 23 II. Kassenärztliche Bundesvereinigungen, § 77 IV SGB V .................... 23 1. Organisation ................................................................................ 23 2. Mitgliedschaft ............................................................................. 24 3. Organe......................................................................................... 24 4. Aufgaben ..................................................................................... 24 III. Deutsche Krankenhausgesellschaft, § 108a SGB V .......................... 25 1. Organisation ................................................................................ 25 2. Mitglieder.................................................................................... 26 3. Organe......................................................................................... 26 4. Aufgaben ..................................................................................... 27 B. Das Beschlussgremium und seine Untergliederungen .............................. 27 I. Besetzung des Beschlussgremiums.................................................... 27 1. Vertreter des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen .......... 28 2. Vertreter der Leistungserbringer ................................................. 28 3. Unparteiische Mitglieder............................................................. 29 4. Die Sonderstellung der Patientenvertreter................................... 29 a. Allgemeines.......................................................................... 29 b. Gegenwärtige Ausgestaltung der Patientenbeteiligung ........ 30
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c. Zu beteiligende Organisationen............................................ 30 d. Gegenstand und Qualität des Mitwirkungsrechts ................. 31 e. Perspektiven der Patienten- bzw. Versichertenbeteiligung .. 31 II. Besetzung der Unterausschüsse ......................................................... 32 III. Rechtsform des G-BA........................................................................ 32 IV. Aufsicht des Bundesgesundheitsministeriums über den G-BA ......... 32 3. Kapitel: Aufgaben des Gemeinsamen Bundesausschusses ........................ 35 A. Beschluss von Richtlinien zur Sicherung der ärztlichen Versorgung ....... 35 B. Gründung und Trägerschaft des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) .................................. 35 C. Sonstige Aufgaben.................................................................................... 36 4. Kapitel: Fazit ................................................................................................. 37 2. Teil: Normsetzung durch Richtlinien ........................................................... 39 5. Kapitel: Funktion der Richtlinien im System des SGB V .......................... 41 A. Allgemeines .............................................................................................. 41 B. Verortung der Richtlinienkompetenz im Leistungserbringerrecht ........... 42 I. Rechtsbeziehungen zwischen den Krankenkassen und den Vertragsärzten .................................................................................... 42 II. Rechtsbeziehungen zwischen den Krankenkassen und den zugelassenen Krankenhäusern ........................................................... 44 C. Auswirkungen der Richtlinien auf das Leistungsrecht ............................. 45 I. Das Urteil vom 16.12.1993 ................................................................ 46 II. Das Urteil vom 20.03.1996 – „Methadon-Urteil“.............................. 47 III. Die Urteile vom 16.09.1997 – „September-Urteile“ .......................... 48 D. Fazit .......................................................................................................... 49 6. Kapitel: Rechtsnormqualität der Richtlinien ............................................. 51 A. Allgemeines .............................................................................................. 51 B. Verbindlichkeit der Richtlinien gegenüber den Krankenkassen ............... 52 C. Verbindlichkeit der Richtlinien gegenüber den Vertragsärzten................ 53 D. Verbindlichkeit der Richtlinien gegenüber den zugelassenen Krankenhäusern ........................................................................................ 53 E. Verbindlichkeit der Richtlinien gegenüber den Versicherten ................... 54 F. Fazit .......................................................................................................... 56 7. Kapitel: Grundrechtsrelevanz der Richtlinien ........................................... 57 A. Allgemeines .............................................................................................. 57 B. Grundrechte der Krankenkassen ............................................................... 57 C. Grundrechte der Vertragsärzte.................................................................. 58 D. Grundrechte der zugelassenen Krankenhäuser ......................................... 59 E. Grundrechte der Versicherten ................................................................... 60 F. Fazit .......................................................................................................... 62
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8. Kapitel: Richtlinien als Form der Normsetzung .......................................... 63 A. Allgemeines .............................................................................................. 63 B. Rechtsform des G-BA .............................................................................. 64 I. Allgemeines ....................................................................................... 64 II. Qualifikation des G-BA als juristische Person des öffentlichen Rechts ...................................................................... 64 III. Zuordnung des G-BA zu den möglichen Organisationsformen juristischer Personen des öffentlichen Rechts .................................... 65 1. Der G-BA als Körperschaft des öffentlichen Rechts .................. 65 2. Der G-BA als Stiftung des öffentlichen Rechts .......................... 67 3. Der G-BA als Anstalt des öffentlichen Rechts............................ 68 a. Enger Anstaltsbegriff ........................................................... 68 b. Weiter Anstaltsbegriff .......................................................... 69 aa. Träger des G-BA ........................................................... 70 bb. Tätigkeit des G-BA als öffentliche Angelegenheit ........ 70 cc. Staatliche Aufgabenwahrnehmung „durch“ den G-BA ...................................................................... 70 dd. Fehlen von Mitgliedern im körperschaftlichen Sinn ..... 72 ee. Stellungnahme ............................................................... 72 c. Sehr weiter Anstaltsbegriff................................................... 72 d. Zwischenergebnis ................................................................. 73 4. Der G-BA als Rechtsform sui generis ......................................... 73 5. Ergebnis ...................................................................................... 74 C. Einordnung der Richtlinien in den Kanon der klassischen Rechtsquellen ........................................................................................... 74 I. Rechtsverordnung .............................................................................. 74 1. Begriff ......................................................................................... 74 2. Kompatibilität mit den Wesensmerkmalen der Richtlinie .......... 75 II. Satzung .............................................................................................. 76 1. Begriff ......................................................................................... 76 2. Kompatibilität mit den Wesensmerkmalen der Richtlinie .......... 77 a. Der G-BA als juristische Person des öffentlichen Rechts .... 77 b. Eigenverantwortliche Erledigung einer öffentlichen Angelegenheit ...................................................................... 77 c. Erledigung der Angelegenheit durch die davon Betroffenen ........................................................................... 79 aa. Die Problematik der Rechtsform des G-BA .................. 80 bb. Das Kriterium der Interessenhomogenität ..................... 81 cc. Wahrung des sog. Korrespondenzgebotes ..................... 84 dd. Die Problematik der Bindung Externer ......................... 84 3. Ergebnis ...................................................................................... 86 III. Verwaltungsvorschrift ....................................................................... 87 1. Begriff ......................................................................................... 87 2. Kompatibilität mit den Wesensmerkmalen der Richtlinie .......... 87
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IV. Richtlinien als Rechtsnormen sui generis .......................................... 88 1. Begriff ......................................................................................... 88 2. Die Problematik des Typenzwangs der Rechtsetzungsformen ... 89 a. Einführung in die Problematik ............................................. 89 b. Argumente für einen Typenzwang ....................................... 90 c. Argumente gegen einen Typenzwang .................................. 90 d. Ergebnis ............................................................................... 91 3. Richtlinien als Normenverträge .................................................. 92 a. Begriff des Normenvertrages ............................................... 92 b. Richtlinien als originäre Normenverträge ............................ 93 c. Richtlinien als derivative Normenverträge ........................... 94 4. Richtlinien als unbenannter Typus einer Rechtsnorm sui generis ................................................................................... 95 5. Ergebnis ...................................................................................... 95 V. Fazit ................................................................................................... 96 9. Kapitel: Institutionelle Legitimation des G-BA............................................ 97 A. Allgemeines .............................................................................................. 97 B. Institutionelle Legitimation des G-BA nach Art. 87 II GG ...................... 98 I. Enge Interpretation des Begriffs des „sozialen Versicherungsträgers“ ........................................................ 98 II. Weite Interpretation des Begriffs des „sozialen Versicherungsträgers“ ........................................................ 98 III. Ergebnis ........................................................................................... 100 C. Institutionelle Legitimation des G-BA nach Art. 87 III 1 GG ................ 100 I. Gesetzgebungskompetenz des Bundes ............................................ 101 1. Gesetzgebungskompetenz über die Ausgestaltung des Vertragsarztrechts ............................................................... 101 2. Gesetzgebungskompetenz über die Ausgestaltung des Krankenhausrechts.............................................................. 102 a. Gesetzgebungskompetenz aus Art. 74 I Nr. 19a GG .......... 102 b. Gesetzgebungskompetenz aus Art. 74 I Nr. 12 GG ........... 103 3. Ergebnis .................................................................................... 103 II. Verfassungsmäßigkeit der Rechtsform des G-BA ........................... 104 D. Fazit ................................................................................................. 105 10. Kapitel: Demokratische Legitimation des G-BA...................................... 107 A. Allgemeines ............................................................................................ 107 I. Das Grundmodell demokratischer Legitimation .............................. 108 II. Der Sonderfall: Demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung.............................................................................. 108 B. Erforderlichkeit demokratischer Legitimation der Normsetzung des G-BA ................................................................................................ 109 I. Grundsatz ......................................................................................... 109
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II. Ausnahmen ...................................................................................... 110 1. Partielle Entbehrlichkeit demokratischer Legitimation des G-BA mangels Grundrechtsrelevanz der Richtliniengebung ..................................................................... 110 a. Darstellung des Modells ..................................................... 110 b. Anwendung auf den G-BA ................................................. 111 2. Generelle Entbehrlichkeit demokratischer Legitimation aufgrund formeller Autonomie des G-BA ................................ 112 a. Darstellung des Modells ..................................................... 112 b. Anwendung auf den G-BA ................................................. 113 III. Ergebnis ........................................................................................... 114 C. Personell-organisatorische Legitimation des G-BA ............................... 114 I. Allgemeines ..................................................................................... 114 II. Das demokratische Legitimationssubjekt des G-BA ....................... 116 1. Das Bundesvolk als Legitimationssubjekt ................................ 116 2. Das Verbandsvolk als Legitimationssubjekt ............................. 117 a. Das Verbandsvolk als legitimationsfähiges Teilvolk ......... 119 aa. Anerkennung des Verbandsvolks als legitimationsfähiges Teilvolk ...................................... 119 bb. Ablehnung des Verbandsvolks als legitimationsfähiges Teilvolk ...................................... 120 b. Zwischenergebnis ............................................................... 120 3. Ergebnis .................................................................................... 121 III. Kompensation der mangelnden personell-organisatorischen Legitimation des G-BA durch das Bundesvolk ............................... 122 1. Kompensation durch autonome Legitimation ........................... 122 a. Darstellung des Modells ..................................................... 122 b. Anwendung auf den G-BA ................................................. 124 aa. Autonome Legitimation gegenüber den Krankenkassen und Versicherten .......................... 125 bb. Autonome Legitimation gegenüber den Vertragsärzten ....................................................... 126 cc. Autonome Legitimation gegenüber den zugelassenen Krankenhäusern .............................. 127 dd. Autonome Legitimation gegenüber den sonstigen Leistungserbringern ..................................................... 127 ee. Sonderfall: Legitimation der unparteiischen Mitglieder .................................................................... 128 c. Zwischenergebnis ............................................................... 128 2. Kompensation durch kollektiv-personelle Legitimation ........... 129 a. Darstellung des Modells ..................................................... 129 b. Anwendung auf den G-BA ................................................. 130 aa. Schaffung des G-BA als juristische Person ................. 130 bb. Genuin personelle Prägung des Gründungsaktes......... 131 cc. Das Niveau der kollektiv-personellen Legitimation des G-BA ..................................................................... 132
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dd. Die Rechtsetzung des G-BA gegenüber Externen ....... 133 c. Zwischenergebnis ............................................................... 133 IV. Dispension vom Erfordernis der personell-organisatorischen Legitimation des G-BA durch das Bundesvolk ............................... 134 1. Dispension durch Art. 87 II GG ................................................ 135 a. Darstellung des Modells ..................................................... 135 b. Anwendung auf den G-BA ................................................. 136 2. Dispension durch Art. 87 III 1 GG............................................ 137 a. Darstellung des Modells ..................................................... 137 b. Anwendung auf den G-BA ................................................. 138 V. Ergebnis ........................................................................................... 139 1. Kategorisierung der Legitimationsmodelle nach dem Grad der vermittelten personell-organisatorischen Legitimation ....... 139 a. Grundlegung ....................................................................... 139 b. Kategorisierung nach dem Grad der personellorganisatorischen Legitimation .......................................... 140 c. Folgen für den Grad sachlich-inhaltlicher Legitimation .... 141 2. Kategorisierung der Auffassungen nach ihren personellen Grenzen ..................................................................................... 141 D. Sachlich-inhaltliche Legitimation des G-BA .......................................... 142 I. Allgemeines ..................................................................................... 142 II. Vorliegen eines ausreichend bestimmten Parlamentsgesetzes ......... 143 1. Die Problematik der Ermittlung des erforderlichen Bestimmtheitsgrades ................................................................. 143 2. Untersuchung der Bestimmtheit der Richtlinienermächtigungen des G-BA ................................ 144 III. Demokratische Verantwortlichkeit gegenüber dem Gesamtvolk..... 146 1. Allgemeines .............................................................................. 146 2. Instrumente zur Sicherung der demokratischen Verantwortlichkeit des G-BA ................................................... 146 a. Präventive Steuerungsinstrumente ..................................... 147 b. Repressive Steuerungsinstrumente ..................................... 147 IV. Der Grad der sachlich-inhaltlichen Legitimation des G-BA............ 148 E. Gesamtabwägung: Erreichen eines effektiven Niveaus.......................... 150 I. Allgemeines ..................................................................................... 150 II. Festlegung des erforderlichen Niveaus demokratischer Legitimation ........................................................... 150 III. Abwägung: Effektivität der demokratischen Legitimation nach dem jeweiligen Legitimationsmodell ...................................... 152 1. Autonome Legitimation ............................................................ 152 2. Kollektiv-personelle Legitimation ............................................ 153 3. Dispension durch Art. 87 III 1 GG............................................ 154 IV. Fazit ................................................................................................. 154
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11. Kapitel: Gesamtergebnis ............................................................................ 159 3. Teil: Integration neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in den Leistungsanspruch des Versicherten ................................................... 161 12. Kapitel: Einführung in die Problematik ................................................... 163 13. Kapitel: Der Anspruch des GKV-Versicherten auf Krankenbehandlung .................................................................................. 165 A. Leistungsanspruch im Krankheitsfall ..................................................... 165 B. Ausgangspunkt: Rahmenrecht auf Krankenbehandlung ......................... 165 C. Voraussetzungen des Rahmenrechts auf Krankenbehandlung ............... 167 I. Versicherteneigenschaft, §§ 5 – 10 SGB V ..................................... 167 II. Versicherungsfall: Krankheit im sozialversicherungsrechtlichen Sinn .................................................................................................. 168 1. Regelwidriger körperlicher oder geistiger Zustand ................... 169 2. Behandlungsfähigkeit des regelwidrigen Zustandes ................. 170 3. Behandlungsbedürftigkeit des regelwidrigen Zustandes ........... 171 4. Kausalität zwischen dem regelwidrigen Körper- oder Gesundheitszustand und der Behandlungsbedürftigkeit ........... 172 III. Notwendigkeit der Krankenbehandlung .......................................... 172 IV. Erforderlichkeit weiterer Voraussetzungen nach § 27 I 2 SGB V i.V.m. §§ 28 ff. SGB V .......................................... 173 1. Recht auf ambulante Versorgung, § 27 I 2 SGB V i.V.m. § 28 SGB V ............................................................................... 173 2. Recht auf stationäre Versorgung, § 27 I 2 SGB V i.V.m. § 39 SGB V ............................................................................... 174 3. Subsidiarität der stationären gegenüber der ambulanten Versorgung, § 39 I 2 SGB V ..................................................... 175 D. Rechtsinhalt ............................................................................................ 176 I. Krankenbehandlung ......................................................................... 176 II. Konkretisierung des Rahmenrechts auf Krankenbehandlung .......... 176 1. Vorsteuerung durch den allgemeinen Teil des SGB V ............. 177 a. Allgemeine Leistungsmodalitäten, § 2 I 3 SGB V ............. 178 aa. Allgemein anerkannter Stand der medizinischen Erkenntnisse ................................................................ 178 bb. Qualität und Wirksamkeit der Leistung ....................... 180 b. Wirtschaftlichkeit der Leistung im weiteren Sinne, § 2 I 1 SGB V i.V.m. § 12 SGB V ..................................... 182 aa. Zweckmäßigkeit oder Eignung der Leistung ............... 183 bb. Ausreichende Leistung ................................................ 183 cc. Notwendigkeit oder Erforderlichkeit der Leistung ...... 184 dd. Wirtschaftlichkeit im engeren Sinne ........................... 185
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2. Vorsteuerung durch das Leistungsrecht des SGB V, §§ 27 ff. SGB V ........................................................................ 197 a. Ambulanter Sektor, § 28 I 1 SGB V .................................. 198 b. Stationärer Sektor, § 39 I 3 SGB V .................................... 199 3. Vorsteuerung durch das Leistungserbringerrecht, §§ 70 ff. SGB V ........................................................................ 199 a. Allgemeines........................................................................ 199 b. Beauftragung des G-BA zum Beschluss von Richtlinien, § 92 I SGB V ...................................................................... 199 c. Verbot der Erbringung neuer Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden im ambulanten Sektor, § 135 SGB V ...................................................................... 200 d. Erlaubnis der Erbringung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden im stationären Sektor, § 137c SGB V .................................................................... 201 III. Grenzen des Rechtskonkretisierungskonzeptes des BSG ................ 202 1. Systemmangel bzw. Systemversagen........................................ 202 a. Mangel des gesetzlichen Leistungssystems........................ 203 b. Bestehen einer Versorgungslücke ...................................... 203 2. Singularerkrankungen ............................................................... 204 a. Inkompatibilität der Singularerkrankung mit der Systematik des SGB V ........................................... 204 b. Vorliegen eines Seltenheitsfalls ......................................... 205 c. Wirksamkeitsnachweis ....................................................... 205 3. Lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankungen ............................................................................ 205 a. Vorliegen einer lebensbedrohlichen Krankheit .................. 206 b. Bestehen einer Versorgungslücke ...................................... 206 c. Wirksamkeitsnachweis ....................................................... 206 E. Ergebnis .................................................................................................. 207 14. Kapitel: Das Verfahren zur Integration neuer Untersuchungsund Behandlungsmethoden in den Leistungsanspruch des GKV-Versicherten ............................................................................................ 209 A. Integration neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in die ambulante Versorgung .................................................................. 209 I. Empfehlung in Richtlinien des G-BA, § 135 I SGB V .................... 210 1. Normzweck ............................................................................... 210 2. Der Methodenbegriff des § 135 I SGB V ................................. 211 a. Untersuchungs- oder Behandlungsmethode ....................... 211 b. Bestimmung des Methodenbegriffs.................................... 211 aa. Die „Methode“ als Zusammenfassung ärztlicher Einzelleistungen .......................................................... 212 bb. Die Art der ärztlichen Einzelleistung .......................... 212 cc. Eigenständige wissenschaftliche Fundierung .............. 214 dd. Komplexität des technischen Ablaufs ......................... 215
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3. Neuheit der Methode................................................................. 216 a. Grundsatz ........................................................................... 216 b. Ausnahmen ......................................................................... 216 aa. Änderung der Indikation oder der Art der Erbringung der Methode........................................ 217 bb. Bewährung der Methode in der vertragsärztlichen Versorgung .................................................................. 217 cc. Partielle Integration einiger Methodenbestandteile in den EBM ................................................................. 218 4. Anforderungen an die Zulassung einer Untersuchungs- oder Behandlungsmethode ................................................................ 219 a. Vorliegen eines Bewertungsantrags ................................... 220 b. Positive Empfehlung in Richtlinien des G-BA................... 220 aa. Die Kriterien zur Methodenbewertung, § 135 I 1 Nr. 1 SGB V ................................................. 220 bb. Kriterien zur Sicherung der sachgerechten Durchführung einer Methode, § 135 I 1 Nr. 2 SGB V ................................................. 223 cc. Anforderungen an die ärztlichen Aufzeichnungen, § 135 I 1 Nr. 3 SGB V ................................................. 224 5. Rechtsfolge: Zulassung der Methode zur vertragsärztlichen Versorgung .................................................. 224 a. Grundsatz ........................................................................... 224 b. Ausnahmen ......................................................................... 225 aa. Fehlende Regelungen zur Prozessqualität, § 135 I 1 Nr. 1 SGB V ................................................. 225 bb. Fehlende Regelungen zur Strukturqualität, § 135 I 1 Nr. 2 SGB V ................................................. 225 cc. Fehlende Regelungen zur ärztlichen Dokumentation, § 135 I 1 Nr. 3 SGB V ...................... 226 II. Aufnahme der Untersuchungs- oder Behandlungsmethode in den Einheitlichen Bewertungsmaßstab, § 87 SGB V .................. 226 1. Der Einheitliche Bewertungsmaßstab, § 87 II SGB V .............. 226 2. Der Bewertungsausschuss ......................................................... 227 a. Einfacher Bewertungsausschuss, § 87 III SGB V .............. 228 b. Erweiterter Bewertungsausschuss, § 87 IV SGB V ........... 229 3. Aufnahmekriterien .................................................................... 229 a. Vorliegen einer ärztlichen Einzelleistung .......................... 229 b. GKV-Konformität der ärztlichen Einzelleistung ................ 230 c. Bestehen eines ausreichenden Vergütungsrahmens ........... 231 4. Aufnahmeverfahren .................................................................. 232 a. Definition der ärztlichen Einzelleistung ............................. 232 b. Bewertung der Leistung mit Leistungspunkten .................. 233 aa. Allgemeine Anforderungen gem. § 72 II SGB V ........ 233 bb. Spezielle Anforderungen gem. §§ 85 III, 87 II SGB V ................................................. 234
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5. Rechtsfolge ............................................................................... 234 III. Verfahren bei fehlender Aufnahme der Untersuchungs- und Behandlungsmethode in den EBM .................................................. 235 IV. Rechtsfolgen nach Abschluss des Verfahrens im G-BA und im Bewertungsausschuss ................................................................. 235 B. Integration neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in die stationäre Versorgung ................................................................... 236 I. Kompatibilität der neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode mit dem Versorgungsauftrag des Krankenhauses........................................................................... 236 1. Der Begriff des Krankenhauses gem. § 2 KHG i.V.m. § 107 I SGB V........................................................................... 237 2. Bestimmung des Versorgungsauftrages .................................... 238 a. Plankrankenhaus, § 108 Nr. 2 SGB V ................................ 239 b. Hochschulklinik, § 108 Nr. 1 SGB V ................................. 240 c. Vertragskrankenhaus, § 108 Nr. 3 SGB V ......................... 240 3. Zuordnung der neuen Untersuchungsund Behandlungsmethode zum Versorgungsauftrag des jeweiligen Krankenhauses .................................................. 241 II. Vergütungsanspruch des Krankenhauses gegen die Krankenkasse . 242 1. Allgemeines .............................................................................. 242 2. Vergütung von Krankenhausleistungen durch Fallpauschalen ................................................................ 242 3. Vergütung der neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode mit bestehenden DRGs .......................... 243 4. Vergütung der neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode aufgrund einer individuellen Vergütungsabrede ..................................................................... 243 III. Kein Ausschluss der Untersuchungs- oder Behandlungsmethode durch Richtlinien des G-BA i.S.d. § 137c I SGB V ......................... 245 1. Normzweck ............................................................................... 245 2. Der Methodenbegriff des § 137c SGB V .................................. 246 3. Verzichtbarkeit des Kriteriums der Neuheit einer Methode...... 246 4. Anforderungen an den Ausschluss einer Untersuchungsoder Behandlungsmethode aus der stationären Versorgung ..... 247 a. Vorliegen eines Bewertungsantrags ................................... 247 b. Negative Bewertung in Richtlinien .................................... 248 aa. Art der Entscheidung ................................................... 248 bb. Bewertungskriterien .................................................... 248 5. Rechtsfolgen ............................................................................. 249 a. Grundsatz: Ausschluss der Methode vom Versorgungsumfang im stationären Sektor ........................ 249 b. Ausnahme: Klinische Forschung........................................ 250 C. Verhältnis von § 135 SGB V und § 137c SGB V ................................... 251 D. Fazit ........................................................................................................ 253
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15. Kapitel: Das Verfahren der Methodenbewertung im G-BA .................. 257 A. Allgemeines ............................................................................................ 257 B. Rechtscharakter der Verfahrensordnung des G-BA ............................... 258 C. Aufbau der Verfahrensordnung des G-BA ............................................. 259 D. Einleitung des Bewertungsverfahrens .................................................... 259 I. Annahme des Bewertungsantrags durch den G-BA......................... 260 1. Antragsberechtigung des Antragstellers.................................... 260 2. Form und Inhalt des Antrags ..................................................... 261 3. Bestimmung der Neuheit der Methode im ambulanten Sektor .................................................................... 261 II. Festlegung der Reihenfolge der Methodenbewertung ..................... 262 III. Ankündigung der Bewertung durch den G-BA ............................... 263 E. Feststellung der GKV-Konformität der Methode ................................... 263 I. Bewertungsmaßstab: Evidenzbasierte Medizin ............................... 263 1. Allgemeines .............................................................................. 264 2. Die „klassische“ Form der ebM ................................................ 265 3. Die Sonderform der „evidenzbasierten Gesundheitsversorgung“ ........................................................... 266 4. Übereinstimmung mit den Anforderungen des SGB V............. 268 II. Die Kriterien zur Methodenbewertung ............................................ 269 1. Nutzen der Methode .................................................................. 270 a. Interpretation des Begriffs in der VerfO G-BA .................. 270 b. Übereinstimmung mit den Anforderungen des SGB V ...... 271 2. Notwendigkeit der Methode...................................................... 272 a. Interpretation des Begriffs in der VerfO G-BA .................. 272 b. Übereinstimmung mit den Anforderungen des SGB V ...... 273 3. Wirtschaftlichkeit der Methode................................................. 274 a. Interpretation des Begriffs in der VerfO G-BA .................. 274 b. Übereinstimmung mit den Anforderungen des SGB V ...... 274 4. Ergebnis .................................................................................... 276 III. Bewertungsperspektive: Sektorenübergreifender Ansatz ................ 277 IV. Bewertungsunterlagen ..................................................................... 278 1. Antragsbegründung des Antragstellers ..................................... 278 2. Eigene Recherchen des G-BA................................................... 278 3. Empfehlungen durch das IQWiG .............................................. 279 a. Errichtung und Besetzung des Instituts .............................. 279 b. Aufgaben des Instituts ........................................................ 280 c. Aufgabenerfüllung durch das Institut ................................. 281 d. Bindungswirkung der Empfehlungen des Instituts ............. 282 4. Stellungnahmen Dritter ............................................................. 282 V. Klassifizierung und Bewertung der Unterlagen ............................... 283 1. Evidenzklassifizierung .............................................................. 284 a. Allgemeines........................................................................ 284 b. Vorgehensweise des G-BA ................................................ 285 c. Diagnostische Methoden .................................................... 286 d. Therapeutische Methoden .................................................. 288
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Inhaltsverzeichnis
2. Qualitätsbewertung ................................................................... 289 a. Interne Validität der Studien .............................................. 289 aa. Interventionsstudien .................................................... 291 bb. Studien zur diagnostischen Genauigkeit ...................... 291 cc. Screening-Untersuchungen .......................................... 292 b. Externe Validität der Studien ............................................. 292 aa. Die Problematik der Effektmodifikation ..................... 292 bb. Umgang mit Effektmodifikationen .............................. 293 VI. Abschließende Gesamtabwägung .................................................... 294 F. Abschluss des Bewertungsverfahrens..................................................... 295 G. Fazit ........................................................................................................ 296 16. Kapitel: Gesamtergebnis ............................................................................ 299 Zusammenfassung in Thesen ........................................................................... 301 Teil 2: Normsetzung durch Richtlinien ......................................................... 301 Teil 3: Integration neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in den Leistungsanspruch des Versicherten .................................................. 302 Literaturverzeichnis ......................................................................................... 307
Hinsichtlich aller in diesem Werk verwendeten Abkürzungen wird – sofern diese nicht im Text erläutert werden – auf Hildebert Kirchner/Cornelie Butz, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache (5. Auflage, Berlin 2003) verwiesen.
Einleitung Selten hat eine Institution die Gemüter innerhalb der Rechtswissenschaft so erhitzt wie der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA). Aufgrund der Vielzahl seiner Aufgaben im System der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) hat sich dessen Bezeichnung als „kleiner Gesetzgeber“ eingebürgert.1 Ruth SchimmelpfengSchütte formuliert drastischer, dass der G-BA der „eigentliche Gesetzgeber“ innerhalb der GKV sei, der seine Macht weitgehend unkontrolliert ausübe.2 Der (parlamentarische) Gesetzgeber habe den Gemeinsamen Bundesausschuss zu einem „gewaltigen Machtzentrum“ in Deutschland gemacht.3 Seit dem Gesundheitsmodernisierungsgesetz vom 14.11.2003 sei das Gremium fast zu einem „kleinen Gesundheitsministerium“ geworden.4 Andere rücken den G-BA aufgrund seiner angeblich wenig transparenten Entscheidungsstrukturen in die Nähe eines absolutistischen Herrschers: „Kurfürst, König, Kaiser gar?“5 Legt man die Ausführungen dieser Autoren zugrunde, gewinnt man den Eindruck, dass es sich beim G-BA um ein juristisches Mysterium handelt. In diesem Sinne finden sich im Schrifttum Formulierungen wie „Der G-BA – Der große Unbekannte“6 oder „Der G-BA – Das unbekannte Wesen“.7 Die wohl prägnanteste Aussage stammt jedoch von Rüdiger Zuck:8 „Herr Hess9 macht viel Öffentlichkeitsarbeit für den Gemeinsamen Bundesausschuss. Dazu gehört auch eine Zeichnung, die den G-BA als solides Haus darstellt. Es ruht auf einem festen Fundament der Verbände der Krankenkassen, auf ihm setzen in kahlen Säulen die Leistungserbringer auf. Gekrönt wird das durch das mit „G-BA“ gekennzeichnete Dach […] Das richtige Bild [des Gremiums] gliche wohl eher Edward Hoppers „Haus am Bahndamm“ von 1925, ein unheimliches, düsteres und scheinbar menschenleeres Gebäude, hinter dem sich dunkle Geheimnisse zu verbergen scheinen, möglicherweise schon verfilmt von Hitchcock…“
Siehe hierzu Roters, NZS 2007, 176 oder bereits Schneider-Danwitz/Glaeske, MedR 1999, 164, sowie Butzer/Kaltenborn, MedR 2001, 333 m.w.N. 2 Schimmelpfeng-Schütte, ZRP 2004, 253 (254). 3 Schimmelpfeng-Schütte, in: Schnapp/Wigge (Hrsg.), Handbuch des Vertragsarztrechts, § 7 Rdn. 19. 4 Schimmelpfeng-Schütte, MedR 2006, 519 (520). 5 So etwa Butzer/Kaltenborn, MedR 2001, 333 unter Bezugnahme auf Oldiges, G+G 11/1998, 28, der diese Formulierung allerdings auf die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Rechtsetzung des damaligen Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen bezog. 6 Kingreen, NJW 2006, 877. 7 So jüngst Schmidt-De Caluwe, in: Kern/Lilie (Hrsg.), FS Fischer, S. 379. 8 Zuck, MedR 2006, 515. 9 Der derzeitige unparteiische Vorsitzende des G-BA (Anmerkung des Verfassers). 1
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Einleitung
In der Öffentlichkeit führt der G-BA ein gewisses Schattendasein. Die Existenz eines derartigen Machtzentrums war lange Zeit nahezu unbekannt.10 Thorsten Kingreen veranschaulicht dies an folgendem Beispiel:11 „Frage in einer bekannten Quizshow: Was ist der Gemeinsame Bundesausschuss? Ist es… A: ein Organ des Deutschen Fußballbundes B: das Bundestreffen deutscher Studentenverbindungen C: eine Einrichtung des Gesundheitswesens oder D: die Gründungsversammlung der Schweiz. Der bis dahin souveräne Kandidat verzweifelt, im befragten Publikum gibt es keine belastbare Mehrheit für eine der Varianten. Der Kandidat steigt aus – keine Schande, denn es handelte sich um die 1000000-Euro Frage. Später erfährt er: Antwort C ist richtig. Sein Trost: Es dürfte deutschlandweit kaum ein Gremium geben, bei dem die Diskrepanz zwischen politischer Macht und öffentlichem Bekanntheitsgrad größer ist. Der Gemeinsame Bundesausschuss ist der große Unbekannte im Gesundheitswesen: Er darf viel, aber kaum jemand kennt ihn.“
Angesichts der Tatsache dass der G-BA derzeit über wesentliche Belange von ca. 70 Mio. Bürgern12 entscheidet, die gesetzlich krankenversichert sind, ist dieser Befund äußerst erstaunlich, vielleicht sogar erschreckend. Schließlich geht es nicht um irgendeine nebensächliche Angelegenheit, sondern um den Inhalt des Anspruchs der Versicherten auf Krankenbehandlung, der zu einem wesentlichen Teil von diesem Gremium definiert wird. Da der G-BA den Inhalt des Anspruchs auf Krankenbehandlung festlegt, erlangt er einen erheblichen Einfluss auf die Verteilung der Mittel der GKV. Bei diesen handelt es sich um einen bedeutenden Wirtschaftsfaktor. Im Jahr 2008 beliefen sich die gesamten Gesundheitsausgaben in der Bundesrepublik Deutschland auf ca. 263 Mrd. € für 82 Mio. Bürger. Dies entsprach einem Anteil von 10,5 % am damaligen Bruttoinlandsprodukt.13 Auf die Gesetzliche Krankenversicherung, mit ihren etwa 70 Mio. Versicherten, entfielen davon Leistungsausgaben i.H.v. fast 151 Mrd. €. Im Jahr 2009 stiegen diese Ausgaben um ca. 9 Mrd. € auf fast 160 Mrd. €.14 Dies erweist sich – im Vergleich zu den Steigerungsraten der Vorjahre – als bedeutend. Vor diesem Hintergrund ist es zutreffend, wenn Ruth Schimmelpfeng-Schütte formuliert, dass die Bedeutung des G-BA als wichtigstes Selbstverwaltungsgremium der GKV „gar nicht unterschätzt werden [kann].“15 Angesichts der großen Wichtigkeit des G-BA für das öffentliche Gesundheitswesen besteht die Zielsetzung der vorliegenden Arbeit darin, von juristischer Seite Vgl. Schimmelpfeng-Schütte, ZRP 2004, 253 (254). Kingreen, NJW 2006, 877. 12 Quelle: Bundesgesundheitsministerium, Kennzahlen der GKV, abrufbar unter http:// www.bundesgesundheitsministerium.de (abgerufen am: 26.10.2010). 13 Quelle: Bundesgesundheitsministerium, Daten des Gesundheitswesens, Tab. 9.3; abrufbar unter http://www.bundesgesundheitsministerium.de (abgerufen am: 26.10.2010). 14 Quelle: Bundesgesundheitsministerium, Daten des Gesundheitswesens, Kennzahlen der GKV, abrufbar unter http://www.bundesgesundheitsministerium.de (abgerufen am: 26.10.2010). 15 Schimmelpfeng-Schütte, MedR 2006, 519 (520). 10 11
Einleitung
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Licht in das Dunkel um den Bundesausschuss zu bringen. Die Institution G-BA, die Form seiner Rechtsetzung durch den Beschluss von Richtlinien und der Ablauf des Beschlussverfahrens sollen deshalb intensiv beleuchtet werden. Auf diese Weise sollen die „dunklen Geheimnisse“ um die Insitution und deren Arbeitsweise gelüftet werden. Dies erfolgt in drei Teilen: Der erste Teil der Arbeit beinhaltet einführend allgemeine Informationen über den G-BA. Zu diesen zählt nicht nur eine kurze Darstellung der historischen Entwicklung der gesetzlichen Krankenversicherung mit besonderem Fokus auf dem Bundesausschuss und seinen Vorgängergremien, sondern auch ein Überblick über die heutige Zusammensetzung des Gremiums. Dazu gehört eine kurze Vorstellung der „Trägerorganisationen“, aus deren Vertretern sich das Beschlussgremium des G-BA zusammensetzt. Dies dient der Veranschaulichung des komplexen Interessengeflechts, dessen Auflösung vor dem Beschluss einer Richtlinie erforderlich ist. Daran schließt sich eine kurze Darstellung der wichtigsten Aufgaben des G-BA an. Im Mittelpunkt des zweiten Teils der Arbeit steht eine Analyse der „Richtlinien“ i.S.d. § 92 I 1 SGB V. Dabei handelt es sich um das zentrale Handlungsinstrument des G-BA, durch welches er nach der gesetzlichen Konzeption eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten sichern soll. Die Legitimität der Rechtsetzung durch Richtlinien wird bis zum heutigen Tage aufgrund einer Vielzahl eng miteinander verknüpfter Gesichtspunkte äußerst konträr beurteilt. Hier gilt es sprichwörtlich „den Finger in die Wunde zu legen“ und dabei die aus rechtlicher Sicht kritischen Aspekte herauszuarbeiten sowie Lösungsansätze aufzuzeigen. Eines der Kernprobleme der Rechtsetzung des G-BA besteht darin, dass der Rechtscharakter der Richtlinien nicht nur in der Literatur, sondern gerade auch in der Rechtsprechung des BSG umstritten ist. So interpretierte der 6. Senat sie im sog. „Methadon-Urteil“ als Satzungen,16 wogegen der 1. Senat sie in den sog. „Septemberurteilen“ als „untergesetzliche Rechtsnormen“17 qualifizierte, denen die Funktion von den die Normsetzungsverträge ergänzenden Beschlüssen zukomme.18 Die besondere Relevanz dieser Frage ergibt sich daraus, dass die Richtlinien ihrer vom Gesetzgeber intendierten Steuerungsfunktion aus verfassungsrechtlichen Gründen nur dann gerecht werden können, wenn sie als Form der Normsetzung zulässig sind. Bei der Untersuchung dieser Frage soll auch der Versuch unternommen werden, die bisher divergierende Rechtsprechung der beiden Senate des BSG zusammenzuführen. Eng verbunden mit der Problematik der Rechtsnatur der Richtlinien ist die Diskussion um die Rechtsform des G-BA. Obwohl inzwischen Konsens über dessen Einordnung als juristische Person des öffentlichen Rechts besteht, ist bislang nicht abschließend geklärt, ob es sich um eine Körperschaft, Stiftung, Anstalt oder um eine sonstige öffentlich-rechtliche Organisationsform handelt. Dieser Missstand wurde bereits vor einiger Zeit von dem ehemaligen Vorsitzenden des Bundesaus16 17 18
BSGE 78, 70 (80 ff.). BSGE 81, 54 (64). BSGE 81, 73 (82).
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Einleitung
schusses für Ärzte und Krankenkassen, Karl Jung, auf prägnante Weise zum Ausdruck gebracht: „Der Gemeinsame Bundesausschuss ist eine rechtsfähige Institution des öffentlichen Rechts, ohne dass sich der Gesetzgeber in § 91 SGB V zur Rechtsform des Ausschusses […] konkret festgelegt hätte. Das ist bedauerlich. Denn jeder Kegelclub und jeder Kanninchenzucht-Verein weiß, ob er in einer BGB-Gesellschaft oder in einer sonstigen Rechtsform des bürgerlichen Rechts betrieben wird; nur der Gemeinsame Bundesausschuss muss auch weiterhin über seine Rechtsform rätseln und dazu ggfs. Rechtsgutachten erstellen lassen, weil der Gesetzgeber auf einen klarstellenden Begriff wie „Anstalt“ oder „Körperschaft“ verzichtet hat.“19
Das besondere Bedürfnis nach der Klärung der Rechtsform des G-BA ergibt sich daraus, dass von der Beantwortung dieser Frage nicht nur die Einordnung der Richtlinien in die Rechtsquellensystematik, sondern auch die institutionelle Legitimation des Gremiums zur Rechtsetzung als solcher abhängt. Ein besonderes Augenmerk ist bei der Untersuchung der Legitimität der Rechtsetzung durch Richtlinien letztlich auf die demokratische Legitimation des G-BA zur Normsetzung gegenüber Krankenkassen, Vertragsärzten, zugelassenen Krankenhäusern, Versicherten und sonstigen Leistungserbringern zu richten. Gerade bei der Verfassungsmäßigkeit der Bindungswirkung der Richtlinien gegenüber den Versicherten handelt es sich um ein Problem, das bis zum heutigen Tage heftig umstritten ist. Die Brisanz dieser Fragestellung zeigt sich nicht zuletzt daran, dass sich aus dem aktuellen Referentenentwurf des Bundesgesundheitsministeriums zum Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (Versorgungsstrukturgesetz)20 ergibt, dass weitere Änderungen an der Struktur des G-BA beabsichtigt sind. Dies betrifft vor allem das Verfahren zur Ernennung der unparteiischen Mitglieder des Beschlussgremiums und dasjenige bei Beschlüssen, die einen der beiden Leistungssektoren wesentlich betreffen.21 Zwar existieren schon mehrere Arbeiten, die sich mit der Frage der demokratischen Legitimation des G-BA intensiv auseinandersetzen,22 doch besteht aufgrund der Komplexität dieser Sachfrage nach wie vor Forschungsbedarf. Trotz der Vielzahl der in Literatur und Rechtsprechung auffindbaren Begründungs- und Analyseansätze fällt nämlich auf, dass es an einer Darstellung mangelt, die die einzelnen Modelle zur demokratischen Legitimation funktionaler Selbstverwaltungsträger nicht nur systematisch darstellt und gewichtet, sondern auch mit den im Fall des G-BA bestehenden Besonderheiten in Verbindung bringt. Jung, gpk 2/2004, 9 (11). Abrufbar unter http://www.bmg.bund.de (abgerufen am: 23.06.2011). 21 Vgl. dazu den Referentenentwurf des Bundesgesundheitsministeriums zum Versorgungsstrukturgesetz, S. 20, 98 ff., abrufbar unter http://www.bmg.bund.de (abgerufen am: 23.06.2011). 22 Vgl. aus jüngerer Zeit Seeringer, Der Gemeinsame Bundesausschuss nach dem SGB V, Diss. 2005 oder Vießmann, Die demokratische Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses zu Entscheidungen nach § 135 I 1 SGB V, Diss. 2009. 19 20
Einleitung
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Die besondere Schwiegrigkeit einer derartigen Darstellung liegt darin, dass die einzelnen Modelle auf unterschiedlichen dogmatischen Ansätzen beruhen, die es nicht nur herauszuarbeiten, sondern auch zu bewerten gilt. Je nachdem, welches Modell man der demokratischen Legitimation des G-BA zugrundelegt, kommt es zu erstaunlichen Abweichungen hinsichtlich des vermittelten Legitimationsniveaus und dem von der Legitimation erfassten Kreis der Betroffenen. Der dritte Teil der Arbeit ist dem Verfahren zur Integration neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in den Leistungsanspruch der Versicherten gewidmet. Dieser Themenbereich soll als konkretes Anwendungsbeispiel des Richtlinienerlasses dienen. Den Ausschlag für dessen Wahl gaben die ständigen Debatten um die Gewährleistung einer sachgerechten Versorgung der Versicherten trotz begrenzter finanzieller Mittel im öffentlichen Gesundheitswesen. In erster Linie führt der medizinische und pharmakologische Fortschritt dazu, dass das Angebot an Leistungen sich immer weiter entwickelt und wächst.23 Allerdings ist es ein offenes Geheimnis, dass dieser Fortschritt die Kosten treibt.24 Eine aktuelle Studie des Fritz-Beske-Instituts ergab, dass die Leistungsausgaben der GKV bis zum Jahr 2060 von gegenwärtig etwa 160 Mrd. € auf bis zu 468 Mrd. € steigen könnten.25 Unterstellt man eine jährliche Kostensteigerung i.H.v. 2 % allein aufgrund des medizinischen Fortschritts, schlüge dieser im Jahr 2060 in den Gesamtausgaben der GKV mit einer Summe von geschätzten 300 Mrd. € zu Buche.26 Auch bedeutet nicht jede Innovation zwingend eine therapeutische Verbesserung im Sinne des Versicherten.27 Die entscheidende Frage besteht infolgedessen darin, welchen Anforderungen eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode genügen muss, damit der Versicherte sie von seiner Krankenkasse beanspruchen kann. Deren Beantwortung erfolgt in drei Schritten: Zunächst werden die rechtlichen Rahmenbedingungen des Anspruchs des Versicherten gegen die Krankenkasse auf Krankenbehandlung aus § 27 I 1 SGB V dargestellt. Das BSG interpretiert diese Schlüsselnorm in gefestigter Rechtsprechung nämlich nicht als vollwertigen Anspruch i.S.d. § 194 I BGB, sondern als ausfüllungsbedürftiges Rahmenrecht, das durch die Richtlinien des G-BA zu einem solchen verdichtet wird. Auf diese Weise schließt sich der Kreis zu den bereits im vorherigen Teil angestellten Untersuchungen über die Richtlinien als Instrument der Normsetzung. Die Dogmatik der Anforderungen an die GKV-Konformität einer Leistung ist äußerst differenziert und wird – obwohl sich im Ergebnis wenige sachliche Unterschiede ergeben – nicht einheitlich interpretiert. Besonders deutlich zeigt sich dies bei der Interpretation des Begriffs des „allgemein anerkannten Standes medizinivon Maydell, ArztR 2005, 88 (89). Vgl. dazu den gleichnamigen Artikel von Meißner, DÄBl. 2010, 450 oder bereits von Maydell, ArztR 2005, 88 f. 25 Abrufbar unter http://www.igsf.de (abgerufen am: 27.10.2010); dazu Meißner, DÄBl. 2010, 450. 26 Vgl. hierzu die Grafik bei Meißner, DÄBl. 2010, 450. 27 Vgl. etwa Rieser, DÄBl. 2010, B-1807. 23 24
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Einleitung
scher Erkenntnisse“ i.S.d. § 2 I 3 SGB V und den Anforderungen an die Feststellung der Wirtschaftlichkeit einer Methode im engeren Sinne i.S.d. § 12 I SGB V. Es ist aus diesem Grund erforderlich, eine inhaltliche und argumentative Grundlage zu schaffen, auf deren Basis die intendierte Untersuchung der Konformität der Verfahrensordnung des G-BA mit dem SGB V stattfinden kann. Aufbauend auf dieser inhaltlichen Grundlegung erfolgt eine ausführliche Darstellung des Verfahrens zur Integration neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in den Umfang des Anspruchs des Versicherten auf Krankenbehandlung. Die einzelnen Mechanismen ergeben sich aus den Vorschriften des Leistungserbringerrechts des SGB V. Aufgrund der unterschiedlichen Anforderungen der §§ 135, 137c SGB V für den ambulanten und den stationären Sektor, erweist sich eine sektorenspezifische Darstellung der dazu erforderlichen Schritte als zwingend erforderlich. Den Schluss der Untersuchung bildet eine ausführliche Darstellung des Ablaufs des Bewertungsverfahrens im G-BA. Dies erfordert nicht nur eine Auswertung der hierzu verfügbaren juristischen Fachliteratur, sondern auch eine Heranziehung medizinischer und gesundheitsökonomischer Quellen. Diese „inhaltliche Anleihe“ an andere Fachgebiete ergibt sich aus der Tatsache, dass der medizinische Standard bzw. die GKV-Konformität einer Leistung keineswegs allein mit rechtlichen Mitteln beurteilt werden kann. Das Recht gibt hier lediglich eine Richtschnur vor, die mit Hilfe des Fachwissens anderer Professionen ausgefüllt werden muss. Der Medizin kommt dabei vor allem bei der Feststellung des Standards Bedeutung zu. Die Gesundheitsökonomie dient in diesem Zusammenhang der wirtschaftlichen Begutachtung dieses Standards.
1. Teil: Der Gemeinsame Bundesausschuss
Begriff Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) ist das oberste Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung der Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, Krankenhäuser und Krankenkassen in Deutschland. Er bestimmt in Form von Richtlinien den Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) für mehr als 70 Millionen Versicherte und legt damit fest, welche Leistungen der medizinischen Versorgung von der GKV erstattet werden. Darüber hinaus beschließt der G-BA Maßnahmen der Qualitätssicherung für den ambulanten und stationären Bereich des Gesundheitswesens.1 Bei den Richtlinien (§ 92 I 1 SGB V) handelt es sich um das zentrale Steuerungsinstrument, das dem Gremium zur Verfügung steht. Sie ermöglichen ihm, konkretisierend auf die leistungsrechtlichen Pflichten einzuwirken, die das Gesetz den Krankenkassen gegenüber den Versicherten auferlegt.2
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http://www.g-ba.de/ (abgerufen am: 27.02.2009); ähnlich Schmidt-De Caluwe, in: Becker/Kingreen (Hrsg.), SGB V, § 91 Rdn. 1; Hess, in: Wenzel (Hrsg.), Handbuch des Fachanwalts für Medizinrecht, Kap. 2 Rdn. 172. 2 Vgl. Hase, MedR 2005, 391 (394); ausführlich zum Steuerungsinstrument der Richtlinie unten 2. Teil.
1. Kapitel: Historische Entwicklung Die gemeinsame Selbstverwaltung von Ärzten und Krankenkassen auf dem Gebiet der gesetzlichen Krankenversicherung blickt auf eine lange Entwicklungsgeschichte zurück. Der G-BA und dessen Vorgängergremien sind in dieser fest verankert. Obwohl es sich bei der „gemeinsamen Selbstverwaltung“ um ein konstitutives Gestaltungsprinzip der Sozialversicherung handelt,3 stellt der Terminus bis zum heutigen Tage keinen Gesetzesbegriff dar.4 Hinter ihm verbirgt sich das Zusammenwirken der Verbände von Krankenkassen, Vertragsärzten und zugelassenen Krankenhäusern, die zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung (§ 72 I 1 SGB V) der Versicherten durch Verträge und gemeinsam gebildete Ausschüsse die Leistungserbringung regeln.5 Die Entwicklung dieses äußerst komplexen Systems gegenseitiger rechtlicher Beziehungen zwischen Krankenkassen, Leistungserbringern und Versicherten resultierte maßgeblich aus den Konflikten wegen der unterschiedlichen Interessenlagen von Ärzten und Krankenkassen, die sich als Folge der Einführung des Sachleistungsprinzips ergaben.
A. Konfliktlage zwischen Ärzten und Krankenkassen I. Die Zeit vor 1883 Obwohl die erste Phase der Entwicklung der gemeinsamen Selbstverwaltung erst mit dem Beschluss des „Gesetzes betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter“ im Jahr 1883 beginnt, lässt sich das dadurch heraufbeschworene Konfliktpotential nur im Kontrast zu der vorherigen Rechtslage erklären. In der Zeit vor 1883 existierten noch keine Formen gemeinsamer Selbstverwaltung. Die bestehenden Hilfs- und Pflichtkassen arbeiteten nach dem „Kostenerstattungsprinzip“, d.h. die Versicherten hatten die Kosten der ärztlichen Behandlung zunächst selbst zu tragen und erhielten diese später von der Krankenkasse zurückerstattet.6 In direkter (privat-)rechtlicher Beziehung standen daher nur Arzt und Patient.7 Beide Parteien begegneten sich als freie Vertragspartner, die das Honorar für ärztliche Leistungen untereinander aushandelten. Maßgebend dafür war die Ver-
3 Vgl. Genzel, MedR 1997, 479 (482); informativ zum Gedanken der Selbstverwaltung Ratzel/Knüpper, in: Ratzel/Luxenburger (Hrsg.), Handbuch Medizinrecht, § 5 Rdn. 23 ff. 4 Axer, in: von Wulffen/Krasney (Hrsg.), FS 50 Jahre BSG, S. 339. 5 Vgl. Axer, in: von Wulffen/Krasney (Hrsg.), FS 50 Jahre BSG, S. 339 (340 f.) m.w.N. 6 Schneider, Kassenarztrecht, Rdn. 17. 7 Zuck, in: Quaas/Zuck (Hrsg.), Medizinrecht, § 4 Rdn. 1.
C. Zimmermann, Der Gemeinsame Bundesausschuss, Kölner Schriften zum Medizinrecht, DOI 10.1007/978-3-642-22752-3_1, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
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1. Kap.: Historische Entwicklung
mögenslage des Patienten.8 Infolgedessen mussten die Ärzte ihre wirtschaftlichen Interessen regelmäßig nur gegenüber den Patienten vertreten, wodurch es nicht zu nennenswerten Interessenkonflikten mit den Krankenkassen kam. Die Notwendigkeit der Gründung gewerkschaftsähnlicher ärztlicher Interessenvereinigungen bestand nicht.9
II. Inkrafttreten des KVG Die Lage änderte sich mit dem Beschluss des „Gesetzes betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter“ (= KVG) vom 15.06.1883,10 das am 01.12.1884 in Kraft trat.11 Durch dieses Gesetz wurden die Rechtsbeziehungen zwischen Patienten bzw. Versicherten, Ärzten und Krankenkassen grundlegend umgestaltet.12 Als maßgeblich erwies sich vor allem die Ablösung des Kostenerstattungsdurch das „Sachleistungsprinzip“. Dadurch wurden die Krankenkassen verpflichtet, den Versicherten „freie ärztliche Behandlung“ als Naturalleistung zu gewähren.13 Bis zum heutigen Tage dient dieses Prinzip dem Zweck der Befreiung des einzelnen Versicherten von der Last, die Behandlungskosten vorstrecken zu müssen.14 Zum Zeitpunkt der Entstehung des KVG diente das Sachleistungsprinzip außerdem der „wohlfahrtstaatlichen Gesundheitsförderung“.15 Es ging auch darum, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass es sich bei der Krankheit um einen Zustand handelte, der nicht nur behandelt, sondern auch geheilt werden konnte.16 Die Inanspruchnahme ärztlicher Behandlung war in der damaligen Zeit, auch aufgrund der geringeren therapeutischen Möglichkeiten, eher selten.17 Deswegen handelte es sich bei der Einführung des Sachleistungsprinzips um einen bedeutenden sozialen Fortschritt. Um ihrer aus dem Sachleistungsprinzip erwachsenden Verpflichtung zur Gewährung von Krankenbehandlung nachzukommen, schlossen die Krankenkassen
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Schneider, Kassenarztrecht, Rdn. 16; Zuck, in: Quaas/Zuck (Hrsg.), Medizinrecht, § 4 Rdn. 1; Axer, in: von Wulffen/Krasney (Hrsg.), FS 50 Jahre BSG, S. 339 (342). 9 Schneider, Kassenarztrecht, Rdn. 17. 10 RGBl. S. 417. 11 Zuck, in: Quaas/Zuck (Hrsg.), Medizinrecht, § 4 Rdn. 4 ff. 12 Die Änderungen erweisen sich bis heute als strukturbildend; vgl. Schlegel, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), jurisPK-SGB V, § 1 Rdn. 19. 13 Schiller, in: Schnapp/Wigge (Hrsg.), Handbuch des Vertragsarztrechts, § 5 Rdn. 1; Axer, in: von Wulffen/Krasney (Hrsg.), FS 50 Jahre BSG, S. 339 (342). 14 Vgl. Muckel, Sozialrecht, § 8 Rdn. 65; ausführlich zur historischen Entwicklung des Sachleistungsprinzips Fischer, SGb 2008, 461 ff.; zur Rechtslage in der heutigen Zeit vgl. unten 5. Kapitel. 15 Fischer, SGb 2008, 461 (462). 16 Fischer, SGb 2008, 461 (462) m.w.N. 17 Ausführlich Hänlein/Tennstedt, in: v. Maydell/Ruland/Becker (Hrsg.), SRH, § 2 Rdn. 5.
A. Konfliktlage zwischen Ärzten und Krankenkassen
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privatrechtliche Verträge mit einzelnen Ärzten ab.18 Vertragspartner wurden i.d.R. aber nur solche Ärzte, die sich den Bedingungen der Krankenkassen beugten.19 Das Sachleistungsprinzip bot den Krankenkassen daher wirtschaftliche Vorteile.20 Die Ärzte mussten ihren Honoraranspruch nunmehr unmittelbar gegenüber den Krankenkassen geltend machen, wodurch die individuelle Abrede mit dem Patienten entfiel.21 Zwar erzielten sie ihr Haupteinkommen nach wie vor über die Behandlung von Privatpatienten, doch wurde mit der Kodifikation des KVG der Grundstein für die späteren Konflikte zwischen Ärzteschaft und Krankenkassen gelegt.22 Die Verschärfung der Konflikte zwischen Ärzten und Krankenkassen ergab sich in der Folgezeit daraus, dass die Zahl der Pflichtversicherten erheblich anstieg23 und der Gesetzgeber den Krankenkassen durch die Neufassung des KVG im Jahre 1892 die Möglichkeit einräumte, die ärztliche Behandlung auf bestimmte Ärzte zu beschränken.24 Dadurch wurde die gesamte Regelung des Arztsystems in das Belieben der Krankenkassen gestellt.25 Die Krankenkassen bildeten zudem eigene Verbände.26 Im Jahr 1894 entstand der „Zentralverband der Ortskrankenkassen im deutschen Reich“ und im Jahr 1897 der Verband „Deutscher Betriebskrankenkassen“.27 Angesichts dieser Machtposition gerieten die Ärzte in eine immer stärkere wirtschaftliche und berufliche Abhängigkeit. Den Inhalt der mit den Krankenkassen abzuschließenden Verträge konnten sie kaum beeinflussen.28 Die Reaktion der Ärzte auf die starke Stellung der Krankenkassen bestand in einer „gewerkschaftsähnlichen Solidarisierung“.29 Am 13.09.1900 erfolgte die Gründung des sog. „Verbandes für die Ärzte in Deutschland zur Wahrung ihrer wirtschaftlichen Interessen“, der später nach seinem Gründer in „HartmannBund“ umbenannt wurde.30 Dieser dehnte sich binnen weniger Jahre auf das ge18
Dazu Schiller, in: Schnapp/Wigge (Hrsg.), Handbuch des Vertragsarztrechts, § 5 Rdn. 1; Fuchs, in: Fuchs/Preis (Hrsg.), Sozialversicherungsrecht, § 3 I 2, S. 17; Schneider, Kassenarztrecht, Rdn. 25. 19 Krauskopf, in: Laufs/Kern (Hrsg.), Handbuch des Arztrechts, § 22 Rdn. 2. 20 Dazu Fischer, SGb 2008, 461 (462). 21 Schneider, Kassenarztrecht, Rdn. 22. 22 Schneider, Kassenarztrecht, Rdn. 23, 25. 23 Schneider, Kassenarztrecht, Rdn. 27. 24 Zuck, in: Quaas/Zuck (Hrsg.), Medizinrecht, § 4 Rdn. 6; Krauskopf, in: Laufs/Kern (Hrsg.), Handbuch des Arztrechts, § 22 Rdn. 2; weiterführend Schneider, Kassenarztrecht, Rdn. 27 f.; Axer, in: von Wulffen/Krasney (Hrsg.), FS 50 Jahre BSG, S. 339 (343); Becker/Kingreen, in: dies. (Hrsg.), SGB V, § 1 Rdn. 20. 25 Schneider, Kassenarztrecht, Rdn. 27. 26 Axer, in: von Wulffen/Krasney (Hrsg.), FS 50 Jahre BSG, S. 339 (343). 27 Zuck, in: Quaas/Zuck (Hrsg.), Medizinrecht, § 4 Rdn. 8. 28 Axer, in: von Wulffen/Krasney (Hrsg.), FS 50 Jahre BSG, S. 339 (343). 29 Hänlein, Rechtsquellen im Sozialversicherungsrecht, S. 307. 30 Zuck, in: Quaas/Zuck (Hrsg.), Medizinrecht, § 4 Rdn. 9; Axer, in: von Wulffen/Krasney (Hrsg.), FS 50 Jahre BSG, S. 339 (344); weiterführend Schneider, Kassenarztrecht, Rdn. 31.
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1. Kap.: Historische Entwicklung
samte Reichsgebiet und den überwiegenden Teil der Ärzteschaft aus.31 Ziel dieser Vereinigung war es, die wirtschaftliche Lage der Ärzte im ganzen Reich zu verbessern.32 Das Verhältnis von Ärzten und Krankenkassen war in der Folgezeit von heftigen Auseinandersetzungen geprägt, die an Schärfe ständig zunahmen.33
III. Kodifikation der RVO Die Spannungen zwischen Ärzteschaft und Krankenkassen verschärften sich mit der Kodifikation der Krankenversicherung als Bestandteil der Reichsversicherungsordnung (= RVO34) im Jahre 1911, welche am 01.01.1914 in Kraft treten sollte.35 Obwohl der Versichertenkreis auf mehr als die Hälfte des Volkes ausgedehnt werden sollte, wurde keine Regelung bezüglich der rechtlichen Beziehungen zwischen Ärzten und Krankenkassen getroffen.36 Daraufhin beschlossen die Ärzte auf einem außerordentlichen deutschen Ärztetag am 26.10.1913 einen allgemeinen Streik ab dem Tag des Inkrafttretens der RVO.37
B. Vorgängergremien des Gemeinsamen Bundesausschusses I. Zentralausschuss Um einen Zusammenbruch der ärztlichen Versorgung wegen des flächendeckend zu erwartenden Ärztestreiks zu verhindern, vermittelte die Reichsregierung zwischen Ärzten und Krankenkassen. Letztlich konnte man sich am 23.12.1913 auf einen freiwillig geschlossenen Vertrag – das sog. „Berliner Abkommen“38 – eini-
31
Vgl. Schneider, Kassenarztrecht, Rdn. 31. Zuck, in: Quaas/Zuck (Hrsg.), Medizinrecht, § 4 Rdn. 9; Wenner, Das Vertragsarztrecht nach der Gesundheitsreform, § 2 Rdn. 2; zu den Forderungen des Hartmann-Bundes im Einzelnen siehe auch Hess/Venter, Das Gesetz über Kassenarztrecht, S. 21 ff.; Peters, Die Geschichte der sozialen Versicherung, S. 60. 33 Axer, in: von Wulffen/Krasney (Hrsg.), FS 50 Jahre BSG, S. 339 (343). 34 RGBl. S. 509; weiterführend Fuchs, in: Fuchs/Preis (Hrsg.), Sozialversicherungsrecht, § 3 VI., S. 22 ff. 35 Peters, Die Geschichte der sozialen Versicherung, S. 75 ff. (77); Hänlein, Rechtsquellen im Sozialversicherungsrecht, S. 307 f.; Muckel, Sozialrecht, § 1 Rdn. 7. 36 Schneider, Kassenarztrecht, Rdn. 35. 37 Schneider, Kassenarztrecht, Rdn. 37; siehe auch Hess/Venter, Das Gesetz über Kassenarztrecht, S. 22. 38 Abgdruckt in PrHMBl. 1914 Nr. 5 S. 85 ff. 32
B. Vorgängergremien des Gemeinsamen Bundesausschusses
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gen.39 Dabei handelte es sich um ein Verfahrensabkommen zur Regelung des streitigen Rechtsverhältnisses zwischen Ärzten und Krankenkassen.40 Eine wesentliche Neuerung bestand in der Schaffung verschiedener, von Vertretern der Ärzte und Krankenkassen paritätisch besetzter (Selbst-)Verwaltungsgremien. Dadurch wurden die Weichen für gemeinsame Entscheidungen von Ärzten und Krankenkassen gestellt41 und der Grundstein der gemeinsamen Selbstverwaltung gelegt.42 Zur Beilegung von Streitigkeiten aus der Anwendung des Berliner Abkommens wurde der sog. „Zentralausschuss“ gebildet. Dieser hatte über grundsätzliche Streitfragen bei der Durchführung des Abkommens zu entscheiden.43 Ihm saß der Staatssekretär des Inneren vor. Hinzu kamen zwei Beisitzer, welche jeweils vom preußischen Minister für Handel und Gewerbe sowie dem preußischen Minister des Innern ernannt wurden.44 Außerdem existierte der sog. „Vertragsausschuss“, dem die Vorbereitung der zwischen Ärzten und Krankenkassen zu schließenden Dienstverträge oblag.45 Das Berliner Abkommen sah zwar nach wie vor den Abschluss von Einzelverträgen zwischen den Beteiligten vor,46 zum Vertragsinhalt konnten jedoch nur solche Bestimmungen werden, die vom Vertragsausschuss als angemessen festgesetzt worden waren.47 Kam eine Einigung im Vertragsausschuss nicht zustande oder kam es zu Streitigkeiten über bereits geschlossene Verträge, entschied das sog. „Schiedsamt“, dessen Spruch sich sowohl Ärzte, als auch Krankenkassen unterwerfen mussten.48 Das Gremium setzte sich aus dem Vorsitzenden des damaligen Oberversicherungsamtes, zwei von diesem ernannten Unparteiischen und jeweils drei Beisitzern von Ärzten und Krankenkassen zusammen.49
39
Vgl. Schneider, Kassenarztrecht, Rdn. 37; Krauskopf, in: Laufs/Kern (Hrsg.), Handbuch des Arztrechts, § 22 Rdn. 4. 40 ausführlich Schneider, Kassenarztrecht, Rdn. 38 ff.; Hänlein/Tennstedt, in: v. Maydell/Ruland/Becker (Hrsg.), SRH, § 2 Rdn. 14; Becker/Kingreen, in: dies. (Hrsg.), SGB V, § 1 Rdn 20. 41 Vgl. Axer, in: von Wulffen/Krasney (Hrsg.), FS 50 Jahre BSG, S. 339 (346). 42 Vgl. Axer, in: von Wulffen/Krasney (Hrsg.), FS 50 Jahre BSG, S. 339 (344): „Geburtsstunde der gemeinsamen Selbstverwaltung“. 43 Vgl. Peters, Die Geschichte der sozialen Versicherung, S. 87. 44 Hess/Venter, Das Gesetz über Kassenarztrecht, S. 24. 45 Zum Ganzen Schneider, Kassenarztrecht, Rdn. 39 f.; Krauskopf, in: Laufs/Kern (Hrsg.), Handbuch des Arztrechts, § 22 Rdn. 4; Hess, in: Wenzel (Hrsg.), Handbuch des Fachanwalts Medizinrecht, Kap. 2 Rdn. 6; informativ auch Hess/Venter, Das Gesetz über Kassenarztrecht, S. 23. 46 Schneider, Kassenarztrecht, Rdn. 39; Hess/Venter, Das Gesetz über Kassenarztrecht, S. 23. 47 Peters, Die Geschichte der sozialen Versicherung, S. 87; weiterführend auch Hänlein/Tennstedt, in: v. Maydell/Ruland/Becker (Hrsg.), SRH, § 2 Rdn. 14. 48 Schneider, Kassenarztrecht, Rdn. 40; Hess/Venter, Das Gesetz über Kassenarztrecht, S. 23. 49 Hess/Venter, Das Gesetz über Kassenarztrecht, S. 23.
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1. Kap.: Historische Entwicklung
II. Reichsausschuss für Ärzte und Krankenkassen In der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg verhärteten sich die Fronten zwischen Ärzten und Krankenkassen erneut.50 Nachdem klar wurde, dass beide Parteien kein Interesse an einer Fortführung des zum 31.12.1923 auslaufenden Berliner Abkommens zeigten, griff die Reichsregierung ein und verlieh der ursprünglich (privat-) vertraglichen Regelung durch die „Verordnung über Ärzte und Krankenkassen“51 vom 30.10.1923 Gesetzeskraft.52 Somit wurden die Rechtsbeziehungen zwischen Ärzteschaft und Krankenkassen erstmals gesetzlich geregelt.53 § 1 dieser Verordnung sah die Gründung des „Reichsausschusses für Ärzte und Krankenkassen“ vor, der an die Stelle des Zentralausschusses trat.54 Die Vorschriften über dieses Gremium wurden bereits 1924 in die Neufassung der RVO (§§ 368a – f RVO) aufgenommen.55 Der als Selbstverwaltungsorgan konzipierte Ausschuss bestand aus insgesamt 13 Mitgliedern.56 Jeweils fünf Mitglieder waren Vertreter der Ärzteverbände bzw. Krankenkassen. Darüber hinaus gehörten dem Gremium drei unparteiische, vom Reichsarbeitsminister nach Anhörung der Spitzenverbände zu ernennende, Mitglieder an.57 Der Reichsausschuss handelte als engerer und weiterer Ausschuss. Der engere Ausschuss setzte sich aus Vertretern von Ärzten und Krankenkassen zusammen, zum weiteren Ausschuss gehörten außerdem die unparteiischen Mitglieder. Die Art der Besetzung richtete sich nach der Geschäftsordnung des Reichsausschusses, die vorsah, dass Fragen von grundsätzlicher Bedeutung allein dem weiteren Ausschuss vorbehalten waren.58
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Zuck, in: Quaas/Zuck (Hrsg.), Medizinrecht, § 4 Rdn. 13; Schneider, Kassenarztrecht, Rdn. 43; Hänlein/Tennstedt, in: v. Maydell/Ruland/Becker (Hrsg.), SRH, § 2 Rdn. 20 ff. (26). 51 RGBl. I S. 1051. 52 Zuck, in: Quaas/Zuck (Hrsg.), Medizinrecht, § 4 Rdn. 13; Schneider, Kassenarztrecht, Rdn. 44; 53 Dazu Schneider, Kassenarztrecht, Rdn. 44; Krauskopf, in: Laufs/Kern (Hrsg.), Handbuch des Arztrechts, § 22 Rdn. 5 f.; Axer, in: von Wulffen/Krasney (Hrsg.), FS 50 Jahre BSG, S. 339 (346). 54 Schimmelpfeng-Schütte, in: Schnapp/Wigge (Hrsg.), Handbuch des Vertragsarztrechts, § 7 Rdn. 2; Krauskopf, in: Laufs/Kern (Hrsg.), Handbuch des Arztrechts, § 22 Rdn. 5; Schneider, Kassenarztrecht, Rdn. 44; Axer, in: von Wulffen/Krasney (Hrsg.), FS 50 Jahre BSG, S. 339 (346). 55 Schimmelpfeng-Schütte, in: Schnapp/Wigge (Hrsg.), Handbuch des Vertragsarztrechts, § 7 Rdn. 4. 56 Schimmelpfeng-Schütte, in: Schnapp/Wigge (Hrsg.), Handbuch des Vertragsarztrechts, § 7 Rdn. 2 f.; Peters, Die Geschichte der sozialen Versicherung, S. 88. 57 Schneider, Kassenarztrecht, Rdn. 44; Schimmelpfeng-Schütte, in: Schnapp/Wigge (Hrsg.), Handbuch des Vertragsarztrechts, § 7 Rdn. 2; Axer, in: von Wulffen/Krasney (Hrsg.), Festschrift 50 Jahre BSG, S. 339 (346). 58 Schimmelpfeng-Schütte, in: Schnapp/Wigge (Hrsg.), Handbuch des Vertragsarztrechts, § 7 Rdn. 2.
B. Vorgängergremien des Gemeinsamen Bundesausschusses
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Die Hauptaufgabe des Reichsausschusses bestand gem. § 368a I RVO in der Regelung der Beziehungen zwischen Ärzten und Krankenkassen.59 Dazu zählten Fragen der Zulassung von Ärzten, der allgemeine Inhalt der Arztverträge, die ärztliche Vergütung sowie Sicherungen gegen übermäßige Inanspruchnahme der Krankenhilfe.60 Der maßgebliche Unterschied zum vorher bestehenden Zentralausschuss bestand darin, dass der neue Reichsausschuss nicht nur über das bestehende Recht wachen sollte, sondern dass ihm mittels des neuen Instruments der Richtlinien gerade auch die Rechtsfortbildung oblag.61 Entsprechend der Neufassung des § 368i RVO vom 14.01.1932 stellten die Richtlinien Bestimmungen mit Gesetzeskraft dar.62 Eine nachhaltige Stärkung der gemeinsamen Selbstverwaltung63 erfolgte jedoch vor allem durch die endgültige Aufgabe des Einzelvertragssystems zwischen Ärzten und Krankenkassen zugunsten von Kollektivverträgen mit der 4. Notverordnung vom 08.12.1931.64 Die Rechtsbeziehungen zwischen Ärzten und Krankenkassen wurden von diesem Zeitpunkt an durch Mantel- und Gesamtverträge geregelt, wodurch die Grundlagen eines öffentlich-rechtlichen Kassenarztsystems gelegt worden waren.65
III. Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen Nach Kriegsende brach der seit 1933 zentralisierte Aufbau des Kassenarztrechts zusammen.66 Der Wiederaufbau des Gesundheitssystems erfolgte nach dem 2. Weltkrieg zunächst regional in den vier Besatzungszonen.67 Dies führte zu einer nicht unerheblichen Rechtszersplitterung, die nur durch die Fortgeltung der RVO 59
Axer, in: von Wulffen/Krasney (Hrsg.), Festschrift 50 Jahre BSG, S. 339 (346). Schimmelpfeng-Schütte, in: Schnapp/Wigge (Hrsg.), Handbuch des Vertragsarztrechts, § 7 Rdn. 3; Hess/Venter, Das Gesetz über Kassenarztrecht, S. 28. 61 Schneider, Kassenarztrecht, Rdn. 44; informativ Hänlein/Tennstedt, in: v. Maydell/Ruland/Becker (Hrsg.), SRH, § 2 Rdn. 26. 62 Schimmelpfeng-Schütte, in: Schnapp/Wigge (Hrsg.), Handbuch des Vertragsarztrechts, § 7 Rdn. 5; Krauskopf, in: Laufs/Kern (Hrsg.), Handbuch des Arztrechts, § 22 Rdn. 5; Schneider, Kassenarztrecht, Rdn. 68; informativ Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Teil 2, S. 433 ff. 63 Axer, in: von Wulffen/Krasney (Hrsg.), FS 50 Jahre BSG, S. 339 (349); Peters, Die Geschichte der sozialen Versicherung, S. 88. 64 RGBl. I, S. 699; dazu Hess, in: Wenzel (Hrsg.), Handbuch des Vertragsarztrechts, Kap. 2 Rdn. 7; Hänlein/Tennstedt, in: v. Maydell/Ruland/Becker (Hrsg.), SRH, § 2 Rdn. 26; Wenner, Das Vertragsarztrecht nach der Gesundheitsreform, § 2 Rdn. 3; ausführlich Hess/Venter, Das Gesetz über Kassenarztrecht, S. 32 ff.; Schneider, Kassenarztrecht, Rdn. 80 ff.; Hänlein, Rechtsquellen im Sozialversicherungsrecht, S. 307 f. 65 Vgl. Krauskopf, in: Laufs/Kern (Hrsg.), Handbuch des Arztrechts, § 22 Rdn. 6 f.; Axer, in: von Wulffen/Krasney (Hrsg.), FS 50 Jahre BSG, S. 339 (348). 66 Schneider, Kassenarztrecht, Rdn. 93. 67 Hess, in: Wenzel (Hrsg.), Handbuch des Vertragsarztrechts, Kap. 2 Rdn. 9; ausführlich Rehkopf, in: Schulin (Hrsg.), HS-KV, § 2 Rdn. 79 ff. 60
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1. Kap.: Historische Entwicklung
als gemeinsame Grundlage gemindert wurde.68 Allerdings gab es speziell in der britisch besetzten Zone Bestrebungen, an die Einrichtung des Reichsausschusses anzuknüpfen.69 Eine erste bundeseinheitliche Regelung wurde durch das „Gesetz über Kassenarztrecht“ (= GKAR70) vom 17.08.1955 geschaffen.71 Das GKAR beinhaltete in den §§ 368o, 368p RVO die Rechtsgrundlagen für den „Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen“ sowie den „Bundesausschuss der Zahnärzte und Krankenkassen“.72 Entsprechend § 368o RVO waren die beiden Bundesausschüsse zum damaligen Zeitpunkt mit jeweils 15 Mitgliedern besetzt. Zu den drei Unparteiischen, von denen einer den Vorsitz führte, kamen jeweils sechs Vertreter der (Zahn-)Ärzte bzw. Krankenkassen. Gem. § 368p RVO hatten die Bundesausschüsse die zur Sicherung der kassenärztlichen Versorgung erforderlichen Richtlinien für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Kranken zu beschließen.73 Entgegen der Rechtslage während des Bestehens des Reichsausschusses maß der Gesetzgeber diesen jedoch keine normative Verbindlichkeit mehr zu.74 Durch das am 20.12.1988 vom Bundestag verabschiedete Gesetz zur Strukturreform im Gesundheitswesen75 wurden die Vorschriften der RVO als Fünftes Buch in die §§ 91 ff. des neuen SGB V eingefügt. Mit dem GKV-Reformgesetz 200076 vom 22.12.1999 erfolgte die Schaffung des „Krankenhausausschusses“ (§ 137c II SGB V a.F.) und des „Koordinierungsausschusses“ (§ 137e SGB V a.F.). Der Krankenhausausschuss setzte sich paritätisch aus Vertretern der deutschen Krankenhausgesellschaft, der Spitzenverbände der Krankenkassen und der Bundesärztekammer zusammen. Hinzu kamen drei Unparteiische, die auch den Vorsitzenden stellten. Diesem Gremium oblag die Überprüfung von Nutzen, Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit der Krankenhausleistungen.77 Damit entsprach seine 68
Zuck, in: Quaas/Zuck (Hrsg.), Medizinrecht, § 4 Rdn. 19. Schimmelpfeng-Schütte, in: Schnapp/Wigge (Hrsg.), Handbuch des Vertragsarztrechts, § 7 Rdn. 8. 70 BGBl. I S. 513. 71 Zuck, in: Quaas/Zuck (Hrsg.), Medizinrecht, § 4 Rdn. 23; Krauskopf, in: Laufs/Kern (Hrsg.), Handbuch des Arztrechts, § 22 Rdn. 9; informativ Axer, in: von Wulffen/Krasney (Hrsg.), FS 50 Jahre BSG, S. 339 (349 ff.); Wenner, Das Vertragsarztrecht nach der Gesundheitsreform, § 2 Rdn. 4 f. 72 Schimmelpfeng-Schütte, in: Schnapp/Wigge (Hrsg.), Handbuch des Vertragsarztrechts, § 7 Rdn. 9 ff. 73 Dazu ausführlich Schimmelpfeng-Schütte, in: Schnapp/Wigge (Hrsg.), Handbuch des Vertragsarztrechts, § 7 Rdn. 11 f.; Hess, in: Wenzel (Hrsg.), Handbuch des Vertragsarztrechts, Kap. 2 Rdn. 10 ff. 74 Hierzu ausführlich BSGE 38, 35 (37 f.); Hänlein, Rechtsquellen im Sozialversicherungsrecht, S. 464 ff. 75 BGBl. I S. 2477. 76 BGBl. I S. 2626. 77 Zum Ganzen Hess, in: Rieger/Dahm/Steinhilper (Hrsg.), HK-AKM, 2045 Rdn. 8; Schimmelpfeng-Schütte, in: Schnapp/Wigge (Hrsg.), Handbuch des Vertragsarztrechts, 1. Auflage, § 6 Rdn. 27 ff. 69
C. Gemeinsamer Bundesausschuss
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Aufgabenstellung derjenigen, die der Bundesausschuss für Ärzte und Krankenkassen von je her im ambulanten Bereich wahrnahm. Die Tatsache, dass die Gründung des Gremiums vergleichsweise spät erfolgte, begründet sich aus der vom Vertragsarztrecht abweichenden Entwicklungsgeschichte des Krankenhausrechts. Ursprünglich enthielt das SGB V eine geringere Dichte an Regelungen über das Krankenhauswesen, welche durch das KHG und die BPflV ergänzt wurden.78 Dem Koordinierungsausschuss gehörten die Vorsitzenden der verschiedenen Bundesausschüsse an.79 Er hatte die Funktion, die Tätigkeit der für die vertragsärztliche Versorgung zuständigen Bundesausschüsse und des neu gebildeten Ausschusses Krankenhaus zu koordinieren. Damit sollten die sektoralen Lenkungsinstrumente dieser Gremien ihrerseits durch ein sektorenübergreifendes Gremium gelenkt werden.80
C. Gemeinsamer Bundesausschuss Mit dem GKV-Modernisierungsgesetz vom 14.11.200381 schuf der Gesetzgeber den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA).82 Die bisher bestehenden Bundesausschüsse wurden durch ihn ersetzt.83 Dadurch werden zentrale Entscheidungen im Gesundheitswesen inzwischen durch ein zentrales Selbstverwaltungsorgan getroffen. Von der Errichtung des G-BA erwartete der Gesetzgeber nicht nur eine Stärkung des sektorenübergreifenden Bezugs bei Versorgungsentscheidungen auf Bundesebene und eine Straffung der Entscheidungsabläufe, sondern auch einen effektiveren Einsatz von Personal und sächlichen Mitteln der den bisherigen Ausschüssen zuarbeitenden Geschäftsführung.84 Nach der ursprünglichen Konzeption des § 91 I 1 a. F. SGB V setzte sich das Gremium aus der Kassenärztlichen und Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung, der Deutschen Krankenhausgesellschaft, den Bundesverbänden der Krankenkassen, der Bundesknappschaft und den Verbänden der Ersatzkassen zusammen.85 78
Vgl. Francke, in: Wannagat (Begr.), SGB V, § 137c Rdn. 5; Hess/Venter, Handbuch der Krankenversicherung, Teil II, S. 422. 79 Ausführlich Schimmelpfeng-Schütte, in: Schnapp/Wigge (Hrsg.), Handbuch des Vertragsarztrechts, 1. Auflage, § 6 Rdn. 27 ff. 80 Francke, in: Wannagat (Begr.), SGB V, § 137e Rdn. 11. 81 BGBl. I S. 2190. 82 Dazu Schimmelpfeng-Schütte in: Schnapp/Wigge (Hrsg.), Handbuch des Vertragsarztrechts, § 7 Rdn. 19. 83 BT-Drs. 15/1525, S. 106; Schimmelpfeng-Schütte, in: Schnapp/Wigge (Hrsg.), Handbuch des Vertragsarztrechts, § 7 Rdn. 19; Orlowski/Wasem, Gesundheitsreform 2004, S. 133. 84 BT-Drs. 15/1525, S. 106; Orlowski/Wasem, Gesundheitsreform 2004, S. 133. 85 Vgl. hierzu Seeringer, Der Gemeinsame Bundesausschuss nach dem SGB V, S. 31 ff. Außerdem verfügten die zur Wahrnehmung der Interessen der Patientinnen und Patienten und der Selbsthilfe chronisch kranker und behinderter Menschen auf Bundesebene maßgeb-
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1. Kap.: Historische Entwicklung
Der G-BA entschied in sechs verschiedenen Besetzungen, welche aber rechtlich als „ein“ Ausschuss anzusehen waren.86 Dadurch lebten die Vorgängergremien in gewisser Weise unter dem Dach des neu geschaffenen Ausschusses fort.87
D. Änderungen infolge des GKV-WSG 2007 Durch das „Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung“ (= GKV-WSG88) vom 26.03.2007 wurde der G-BA in organisatorischer Hinsicht weiterentwickelt.89 Entgegen der früheren Rechtslage setzt sich das Gremium gem. § 91 I 1 SGB V n. F. nunmehr aus den Kassenärztlichen Bundesvereinigungen (§ 77 IV SGB V n. F.), der Deutschen Krankenhausgesellschaft (§ 108a SGB V n. F.) und dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen (§ 217a SGB V n. F.) zusammen. Zudem wurde durch § 91 II 1 SGB V n. F. die bisherige Differenzierung in verschiedene Beschlussgremien zugunsten eines einzelnen Beschlussgremiums in fester Besetzung aufgegeben.90 § 91 II 4 SGB V n. F. sieht darüber hinaus vor, dass die unparteiischen Mitglieder des Beschlussgremiums ihre Tätigkeit im Regelfall hauptamtlich ausüben. Sie sollen die Arbeit des Beschlussgremiums maßgeblich steuern und die Kontinuität der Beratung und Beschlussfassung gewährleisten. Dies dient der Professionalisierung und Stärkung der Stringenz der Aufgabenwahrnehmung durch den G-BA.91 Darüber hinaus übernehmen die Unparteiischen nach § 91 II 7 SGB V den Vorsitz über die Unterausschüsse des G-BA. Dies dient nach Auffassung des Gesetzgebers deren engerer Verzahnung mit dem Beschlussgremium und fördert den Informationstransfer zwischen den Gremien.92
E. Fazit Das Berliner Abkommen stellt die Geburtsstunde der gemeinsamen Selbstverwaltung auf dem Gebiet der gesetzlichen Krankenversicherung dar. Zwar handelte es sich dabei noch um eine privatvertragliche Regelung zwischen den Parteien, doch
lichen Organisationen schon nach der damaligen Fassung des § 140f II 1 SGB V über ein Mitspracherecht. 86 Hess, in: Rieger/Dahm/Steinhilper (Hrsg.), HK-AKM, 2045 Rdn. 11. 87 Orlowski/Wasem, Gesundheitsreform 2007, S. 151 ff. (152). 88 BGBl. I S. 378. 89 Richter, DStR 2007, 810 (815); Sodan, NJW 2007, 1313 (1316); ausführlich Hess, in: Rieger/Dahm/Steinhilper (Hrsg.), HK-AKM, 2045 Rdn. 13; Roters, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 91 Rdn. 9 ff. 90 Sodan, NJW 2007, 1313 (1316); Orlowski/Wasem, Gesundheitsreform 2007, S. 152. 91 BT-Drs. 16/4247, S. 58 f. 92 BT-Drs. 16/4247, S. 59.
E. Fazit
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konnte es trotzdem einen angemessenen Interessenausgleich zwischen Ärzten und Krankenkassen gewährleisten. In der Folgezeit stärkte der damalige Reichsgesetzgeber die durch das Abkommen neu entstandenen Strukturen, weil er erkannt hatte, dass es so einerseits möglich war die ärztliche Versorgung für die Bevölkerung sicherzustellen, andererseits aber auch Spannungen zwischen den einzelnen Interessengruppen zu vermeiden oder zu entschärfen.93 Beginnend bei den damaligen Bundesausschüssen bis hin zum derzeit bestehenden Gemeinsamen Bundesausschuss hat auch der Bundesgesetzgeber die Selbstverwaltung gezielt weiterentwickelt und gestärkt.94 Deren Zielsetzung besteht hauptsächlich darin, die Eigenverantwortung der Beteiligten zu stärken, deren Sachkompetenz zu nutzen, Interessenkonflikte auszutragen und effektiv zu lösen und letztlich auch den Staat in der Verwaltung zu entlasten.95 Die Funktion der gemeinsamen Selbstverwaltung liegt von je her im Ausgleich der gegenläufigen Interessen von Krankenkassen und Leistungserbringern, mit dem Ziel, eine effektive und stabile gesetzliche Krankenversicherung zu gewährleisten.96 In jüngerer Zeit wird das Erfordernis einer stärkeren Beteiligung der Versicherten in den Selbstverwaltungsstrukturen der gesetzlichen Krankenkenversicherung diskutiert.97 Teilweise wird sogar gefordert, spezielle Versichertenvertreter als „dritte Kraft“ neben den Vertretern von Krankenkassen und Leistungserbringern in den G-BA zu integrieren.98
93
Vgl. Schneider, Kassenarztrecht, Rdn. 43 ff. Axer, in: von Wulffen/Krasney (Hrsg.), FS 50 Jahre BSG, S. 339 (349 f.) m.w.N. 95 Genzel, MedR 1997, 479 (482). 96 Vgl. Axer, in: von Wulffen/Krasney (Hrsg.), FS 50 Jahre BSG, S. 339 (341 f.). 97 Vgl. dazu unten 2. Kapitel, B. I. 4. oder 10. Kapitel, C. III. 1. b. aa. 98 So jedenfalls Schimmelpfeng-Schütte, MedR 2006, 21 (25); dies., RPG 2005, 83 (87); vgl. auch unten 2. Kapitel, B. I. 4. e. 94
2. Kapitel: Aufbau des Gemeinsamen Bundesausschusses A. Die Trägerorganisationen gem. § 91 I SGB V Der Gemeinsame Bundesausschuss setzt sich gem. § 91 I 1 SGB V aus den Kassenärztlichen Bundesvereinigungen, dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen und der Deutschen Krankenhausgesellschaft zusammen. Diese verbändeübergreifende Kooperation von Vertretern der Krankenkassen und Leistungserbringer soll deren gegenläufige Interessen zum Ausgleich bringen und dadurch die Gewährleistung einer dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Versorgung der Versicherten i.S.d. § 70 I SGB V ermöglichen. Die Hintergründe des damit verbundenen Geflechts gegenläufiger Interessen erklären sich aus den Personen- bzw. Interessengruppen, die von den jeweiligen Trägerorganisationen repräsentiert werden sowie den Aufgaben, die der Gesetzgeber diesen im System des SGB V zugewiesen hat.
I. Spitzenverband Bund der Krankenkassen, § 217a SGB V 1. Organisation Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen ist gem. § 217a II SGB V als Körperschaft des öffentlichen Rechts organisiert. Die im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens der Bundesregierung angedachte Vereinslösung wurde verworfen.99 2. Mitgliedschaft Ursprünglich existierten Bundesverbände der Orts-, Betriebs- und Innungskrankenkassen, die von den Landesverbänden der jeweiligen Kassenart gebildet wurden.100 Diese sind schon vor ihrer eigentlichen Auflösung zum 31.12.2008 am 01.07.2008 durch den „Spitzenverband Bund der Krankenkassen“ ersetzt worden.101 Diesem einheitlichen Spitzenverband gehören nach § 217a I SGB V nunmehr alle Krankenkassen an. Nach der Gesetzesbegründung sollen dadurch die zeitlichen und organisatorischen Abläufe in den Verbänden der gemeinsamen Selbstverwaltung deutlich gestrafft und Handlungsblockaden vermieden werden.102 Zwar wird dort nicht ausgeführt, ob es tatsächlich zu derartigen Problemen gekommen ist, doch bedeutet die Dazu Koch, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), jurisPK-SGB V, § 217a Rdn. 2, 14. Wenner, Vertragsarztrecht nach der Gesundheitsreform, § 8 Rdn. 8. 101 Wenner, Vertragsarztrecht nach der Gesundheitsreform, § 8 Rdn. 8; Ebsen, in: v. Maydell/Ruland/Becker (Hrsg.), SRH, § 15 Rdn. 172; Schlösser/Räde, RPG 2009, 47 (49). 102 BT-Drs. 16/3100, S. 161. 99
100
C. Zimmermann, Der Gemeinsame Bundesausschuss, Kölner Schriften zum Medizinrecht, DOI 10.1007/978-3-642-22752-3_2, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
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2. Kap.: Aufbau des Gemeinsamen Bundesausschusses
Schaffung des Spitzenverbandes jedenfalls ein Plus an zentraler und einheitlicher Entscheidung.103 3. Organe Der GKV-Spitzenverband verfügt über einen Verwaltungsrat (§ 217b I SGB V), einen hauptamtlichen Vorstand (§ 217b II SGB V) und eine Mitgliederversammlung (§ 217b III SGB V).104 Beim Verwaltungsrat handelt es sich um das Selbstverwaltungsorgan des Spitzenverbandes. Dieser besteht aus 52 Mitgliedern in der von § 217c I 1 SGB V vorgeschriebenen Zusammensetzung. Jedes Mitglied des Verwaltungsrates muss nach § 217b I 2 SGB V dem Verwaltungsrat oder der Vertreterversammlung einer Mitgliedskrankenkasse angehören.105 Die Mitglieder des Verwaltungsrates werden von der Mitgliederversammlung gewählt (§ 217b III 2 SGB V). Jede Mitgliedskrankenkasse entsendet in diese jeweils einen Vertreter der Versicherten und der Arbeitgeber aus ihrem Verwaltungsrat oder ihrer jeweiligen Vertreterversammlung (§ 217b III 3 SGB V). Der Verwaltungsrat entscheidet in allen Angelegenheiten, die nicht vom Vorstand zu besorgen sind,106 wobei es sich nach der gesetzlichen Aufgabenverteilung um solche handelt, die von grundsätzlicher Bedeutung für den Spitzenverband sind.107 Über die Verweisung in § 33 III SGB IV, dessen entsprechende Heranziehung von § 217b I 3 SGB V angeordnet wird, finden §§ 33 I, II SGB IV Anwendung. Danach beschließt der Verwaltungsrat des GKV-Spitzenverbandes dessen Satzung und sonstiges autonomes Recht (§ 33 I 1 SGB IV). Zudem vertritt er den Spitzenverband gegenüber dem Vorstand und dessen Mitgliedern (§ 33 II 1 SGB IV).108 Der Vorstand des Spitzenverbandes besteht aus höchstens drei Personen (§ 217b II 2 SGB V). Die Wahl dieser Personen erfolgt durch die Mitglieder des Verwaltungsrates (§ 217b II 3 SGB V).109 Der Vorstand verwaltet den Spitzenverband Bund der Krankenkassen und vertritt diesen gerichtlich und außergerichtlich (§ 217b II 4 SGB V).110
103
So jedenfalls Axer, GesR 2007, 193 (199). Ausführlich von Boetticher, SGb 2009, 15. 105 Engelhard, in: Hauck/Noftz (Hrsg.), SGB V, § 217b Rdn. 9 ff.; Peters, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 217b Rdn. 4; von Boetticher, SGb 2009, 15 f. mit Einzelheiten zum Wahlverfahren. 106 BT-Drs. 16/3100, S. 161. 107 Engelhard, in: Hauck/Noftz (Hrsg.), SGB V, § 217b Rdn. 4. 108 Ausführlich zu weiteren Aufgaben Engelhard, in: Hauck/Noftz (Hrsg.), SGB V, § 217b Rdn. 4 ff. 109 Hierzu Peters, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 217b Rdn. 5; von Boetticher, SGb 2009, 15 (16 f.). 110 Ausführlich Engelhard, in: Hauck/Noftz (Hrsg.), SGB V, § 217b Rdn. 18, 23 ff. 104
A. Die Trägerorganisationen gem. § 91 I SGB V
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4. Aufgaben Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen hat laut § 217f I SGB V diejenigen Aufgaben zu erfüllen, die ihm durch das SGB V übertragen worden sind. Deren überwiegenden Teil hat der Spitzenverband Bund als Partner der übrigen Spitzenverbände im Rahmen der gemeinsamen Selbstverwaltung wahrzunehmen. Seine wohl wichtigste Aufgabe besteht in der Bildung des G-BA im Verbund mit den Kassenärztlichen Bundesvereinigungen und der DKG, der die zur Sicherung der ärztlichen Versorgung erforderlichen Richtlinien über die Gewähr für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten beschließt (§ 92 I 1 SGB V). Darüber hinaus schließt der GKV-Spitzenverband zur Gewährleistung einer einheitlichen ärztlichen Versorgung Bundesmantelverträge ab (§ 82 I 1 SGB V). Einen Bestandteil dieser Bundesmantelverträge bildet der Einheitliche Bewertungsmaßstab (§ 87 SGB V), den der GKV-Spitzenverband mit den Kassenärztlichen Bundesvereinigungen durch Bewertungsausschüsse vereinbart (§ 87 I 1 SGB V). Daneben setzt er Festbeträge (§ 35 III SGB V) für Arzneimittel fest. Im Übrigen übernimmt der GKV-Spitzenverband Lobbyfunktionen für die ihm angehörenden Krankenkassen (§ 217f II SGB V).111
II. Kassenärztliche Bundesvereinigungen, § 77 IV SGB V Unter dem Dach der „Kassenärztlichen Bundesvereinigungen“ hat der Gesetzgeber nicht nur die Kassenärztliche- (§ 77 IV Alt. 1 SGB V), sondern auch die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (§ 77 IV Alt. 2 SGB V) zusammengefasst. Im G-BA erweisen sich diese Verbände vor allem als Repräsentanten der Vertragsärzte. Dabei handelt es sich um solche Ärzte, die gem. § 95 SGB V zur Leistungserbringung in der gesetzlichen Krankenversicherung zugelassen sind. 1. Organisation Sowohl die Kassenärztliche-, als auch die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung sind nach § 77 V SGB V Körperschaften des öffentlichen Rechts.112 Aufgrund dieses Status’ kommt ihnen kein allgemeinpolitisches Mandat zu. Über gewerkschaftsähnliche Rechte, wie Kampfmaßnahmen zur Durchsetzung vermeintlicher Rechte, verfügen sie nicht. Allerdings dürfen die Spitzenverbände sich zu sozialpolitischen Fragen im Rahmen der ihnen übertragenen Aufgaben äußern.113 Die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen sind Behörden i.S.d. § 1 I SGB X, so dass für sie grundsätzlich die in diesem Gesetz aufgestellten Verfahrenregeln bei der Durchführung ihrer öffentlich-rechtlichen Aufgaben gelten.114 111
Wenner, Vertragsarztrecht nach der Gesundheitsreform, § 8 Rdn. 8; Schlösser/Räde, RPG 2009, 47 (49). 112 Hierzu Wenner, Das Vertragsarztrecht nach der Gesundheitsreform, § 8 Rdn. 21. 113 Ausführlich Vahldiek, in: Hauck/Noftz (Hrsg.), SGB V, § 77 Rdn. 6. 114 Vahldiek, in: Hauck/Noftz (Hrsg.), SGB V, § 77 Rdn. 6.
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2. Kap.: Aufbau des Gemeinsamen Bundesausschusses
2. Mitgliedschaft Die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen setzen sich nach § 77 IV 1 SGB V aus den Kassenärztlichen- bzw. Kassenzahnärztlichen Vereinigungen zusammen, die die Vertragsärzte und –zahnärzte jeweils für den Bereich eines Bundeslandes bilden (§ 77 I 1 SGB V). Bei diesen handelt es sich wiederum um Körperschaften des öffentlichen Rechts mit Pflichtmitgliedschaft (§ 77 III SGB V). Dementsprechend muss die Mitgliedschaft in der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung nicht gesondert beantragt werden, sondern erfolgt gem. § 95 III 1, 2 SGB V automatisch mit der Zulassung eines Arztes zur vertragsärztlichen Versorgung.115 Entsprechendes gilt gem. § 72 I 2 SGB V für die Mitgliedschaft der Psychotherapeuten in den Kassenärztlichen Vereinigungen.116 Da sich die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen aus den Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen zusammensetzen, die ihrerseits Körperschaften darstellen, werden sie als „Körperschaften von Körperschaften“ charakterisiert.117 3. Organe Organe der KBV sind die Vertreterversammlung und der Vorstand (§ 79 I SGB V).118 Bei der Vertreterversammlung handelt es sich um das Selbstverwaltungsorgan der Kassenärztlichen Bundesvereinigungen (§ 79 I SGB V). Sie hat gem. § 79 III Nr. 1 SGB V insbesondere Satzungen und sonstiges autonomes Recht zu beschließen. Der Vorstand verwaltet und vertritt die Körperschaft dagegen gerichtlich und außergerichtlich (§ 79 V SGB V). Die Mitglieder des Vorstandes werden von den Mitgliedern der Vertreterversammlung gewählt (§ 80 II Nr. 2 SGB V). Die Vertreterversammlung setzt sich ihrerseits aus den Vorsitzenden und jeweils einem Stellvertreter der Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen auf Landesebene zusammen (§ 80 Ia 1 SGB V). Hinzu kommen noch bis zu 26 weitere von den Mitgliedern der Kassenärztlichen Vereinigungen aus ihren eigenen Reihen zu wählende Mitglieder (§ 80 Ia 2 SGB V).119 4. Aufgaben Die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen haben diejenigen Aufgaben zu erfüllen, die der Gesetzgeber ihnen im SGB V übertragen hat (§ 75 I 1 SGB V). § 75 II SGB V ordnet in allgemeiner Form an, dass sie die Rechte der Vertragsärzte gegenüber den Krankenkassen wahrzunehmen haben. Diese „Rechtswahrnehmung“ erstreckt sich auf die allgemeinen Systembefugnisse der Vertragsärzte115
Schiller, in Schnapp/Wigge (Hrsg.), Handbuch des Vertragsarztrechts, § 5 Rdn. 55 ff. (57). 116 Schiller, in Schnapp/Wigge (Hrsg.), Handbuch des Vertragsarztrechts, § 5 Rdn. 59; weiterführend Wenner, Das Vertragsarztrecht nach der Gesundheitsreform, § 8 Rdn. 16. 117 Schiller, in: Schnapp/Wigge (Hrsg.), Handbuch des Vertragsarztrechts, § 5 Rdn. 88. 118 Informativ Wenner, Das Vertragsarztrecht nach der Gesundheitsreform, § 8 Rdn. 23 f. 119 Ausführlich Vahldiek, in: Hauck/Noftz (Hrsg.), SGB V, § 80 Rdn. 17; Scholz, in: Becker/Kingreen (Hrsg.), SGB V, § 80 Rdn. 4.
A. Die Trägerorganisationen gem. § 91 I SGB V
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schaft, wie etwa die Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung und die Wahrnehmung des Anspruchs auf angemessene Vergütung.120 Beim überwiegenden Teil der an die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen übertragenen Aufgaben handelt es sich allerdings ebenfalls um solche, die im Rahmen der gemeinsamen Selbstverwaltung als Partner der übrigen Spitzenverbände wahrzunehmen sind.121 Hierbei geht es in erster Linie um die Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung in dem von § 75 I i.V.m. § 73 II SGB V bezeichneten Umfang (Sicherstellungsauftrag i.e.S.).122 Die wohl wichtigste Aufgabe in diesem Kontext besteht in der Bildung des G-BA im Verbund mit dem GKV-Spitzenverband und der DKG gem. § 91 I 1 SGB V, der die zur Sicherung der ärztlichen Versorgung erforderlichen Richtlinien über die Gewähr für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten beschließt (§ 92 I 1 SGB V). Darüber hinaus schließen die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen mit dem GKV-Spitzenverband Bundesmantelverträge ab (§ 82 I 1 SGB V), die der Durchführung einer in Grundsätzen einheitlichen ärztlichen Versorgung dienen sollen.123 Einen Bestandteil dieser Bundesmantelverträge bildet der Einheitliche Bewertungsmaßstab (§ 87 SGB V), den die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen durch Bewertungsausschüsse mit dem GKV-Spitzenverband zu vereinbaren haben (§ 87 I 1 SGB V).
III. Deutsche Krankenhausgesellschaft, § 108a SGB V 1. Organisation Bei der DKG handelt es sich um einen Zusammenschluss der Landeskrankenhausgesellschaften (§ 108a S. 2 SGB V). Die DKG verfügt – im Gegensatz zu den Spitzenverbänden von Vertragsärzten und Krankenkassen – nicht über den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts. Der Zusammenschluss beruht auf einer ausschließlich freiwilligen Mitgliedschaft der Landeskrankenhausgesellschaften und Spitzenverbände.124 Es handelt sich um einen eingetragenen Verein gem. §§ 21 ff. BGB (§ 1 DKG-Satzung125). Die Vorschrift des § 108a SGB V wurde durch das 2. GKV-NOG 1997126 eingefügt und sollte entsprechend der damaligen Gesetzesbegründung an die beste-
120
Klückmann, in: Hauck/Noftz (Hrsg.), SGB V, § 75 Rdn. 6. Eine Zusammenstellung dieser Aufgaben findet sich bei Schiller, in: Schnapp/Wigge (Hrsg.), Handbuch des Vertragsarztrechts, § 5 Rdn. 94 ff. und Vahldiek, in: Hauck/Noftz (Hrsg.), SGB V, § 77 Rdn. 13. 122 Vgl. Schiller, in: Schnapp/Wigge (Hrsg.), Handbuch des Vertragsarztrechts, § 5 Rdn. 99. 123 Klückmann, in: Hauck/Noftz (Hrsg.), SGB V, § 82 Rdn. 13. 124 Wagener, in: Rieger/Dahm/Steinhilper (Hrsg.), HK-AKM, 1390 Rdn. 10; Becker, in: Becker/Kingreen (Hrsg.), SGB V, § 108a Rdn. 2. 125 Stand der Satzung: 29.11.2005; abrufbar unter http://www.dkgev.de (abgerufen am: 01.07.2010). 126 BGBl. I S. 1520. 121
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2. Kap.: Aufbau des Gemeinsamen Bundesausschusses
henden privatrechtlichen Verbandsstrukturen anknüpfen.127 Ursprünglich wurde eine Überführung der Krankenhausgesellschaften in den Status einer juristischen Person des öffentlichen Rechts beabsichtigt.128 Dies scheiterte jedoch am Widerstand der DKG.129 Sie erklärte sich zwar bereit, weitere Aufgaben in der Selbstverwaltung zu übernehmen, lehnte die Körperschaftslösung jedoch ab.130 Die Bindungswirkung der Entscheidungen der DKG für alle Krankenhäuser ist daher nur über den Status einer Beleihung rechtssicher umzusetzen.131 Für die Verbände der Ersatzkassen hat das BVerfG inzwischen entschieden, dass es möglich ist, juristischen Personen des Privatrechts einzelne hoheitliche Kompetenzen im Wege der Beleihung zu übertragen.132 Diese Rechtsprechung ist auf das Handeln der DKG übertragbar.133 2. Mitglieder Die Deutsche Krankenhausgesellschaft ist der Zusammenschluss von Spitzen- und Landesverbänden der Krankenhausträger (§ 108a SGB V).134 Mitglieder der DKG sind derzeit 28 Mitgliedverbände, bestehend aus 12 Spitzenverbänden und 16 Landesverbänden von Krankenhausgesellschaften.135 3. Organe Der Vorstand (§ 26 BGB) und die Mitgliederversammlung (§ 34 BGB) sind die Organe der DKG. Nach § 6 I DKG-Satzung entsendet jedes Mitglied des Vereins in diese ein stimmberechtigtes Mitglied pro 10.000 angefangene Krankenhausbetten, der ihm angeschlossenen Krankenhäuser. Nach § 27 I BGB erfolgt die Bestellung des Vorstandes durch die Mitgliederversammlung. Entsprechend der gesetzlichen Regelung in § 26 II 1 BGB vertritt der Vorstand die DKG gerichtlich und außergerichtlich. Näheres regelt § 7 DKGSatzung. 127
BT-Drs. 13/6087, S. 28 f.; Becker, in: Becker/Kingreen (Hrsg.), SGB V, § 108a Rdn. 1
ff. 128
Vgl. BT-Drs. 13/3607, S. 12, 33. Hierzu Klückmann, in: Hauck/Noftz (Hrsg.), SGB V, § 108 a Rdn. 3 m.w.N.; Wahl, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), jurisPK-SGB V, § 108a Rdn. 9 ff. 130 Wagener, in: Rieger/Dahm/Steinhilper (Hrsg.), HK-AKM, 1390 Rdn. 10. 131 Ausführlich Wagener, in: Rieger/Dahm/Steinhilper (Hrsg.), HK-AKM, 1390 Rdn. 11 m.w.N. 132 Wagener, in: Rieger/Dahm/Steinhilper (Hrsg.), HK-AKM, 1390 Rdn. 11; BVerfG NZS 2003, 144 (147 ff.); vgl. zu einer anderen, infolge des inzwischen ergangen Urteils des BVerfG, wohl überholten Ansicht in Bezug auf die Landeskrankenhausgesellschaften Quaas, NZS 1995, S. 482 (485). 133 Wagener, in: Rieger/Dahm/Steinhilper (Hrsg.), HK-AKM, 1390 Rdn. 11; Klückmann, in: Hauck/Noftz (Hrsg.), SGB V, § 108a Rdn. 16 ff. 134 Ausführlich Wagener, in: Rieger/Dahm/Steinhilper (Hrsg.), HK-AKM, 1390 Rdn. 1 ff.; Wahl, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), jurisPK-SGB V, § 108a Rdn. 12 ff. 135 Zitat und genaue Auflistung unter: http://www.dkgev.de (abgerufen am: 12.02.2009); vgl. auch Wahl, in: jurispk-SGB V, § 108a Rdn. 20 ff. 129
B. Das Beschlussgremium und seine Untergliederungen
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4. Aufgaben Ähnlich wie die übrigen Spitzenverbände hat die DKG diejenigen Aufgaben zu erfüllen, mit denen der Gesetzgeber sie durch das SGB V beliehen hat.136 Besondere Bedeutung kommt dabei deren Beteiligung als Trägerorganisation im G-BA zu (§ 91 I 1 SGB V). Im Zusammenwirken mit dem GKV-Spitzenverband und den Kassenärztlichen Vereinigungen beschließt die DKG die nach § 92 I 1 SGB V erforderlichen Richtlinien über die Versorgung der Versicherten. Damit ist sie ein wichtiger Akteur bei der Konkretisierung der Leistungsansprüche der gesetzlich Krankenversicherten geworden.137 Darüber hinaus gibt sie nach § 112 V SGB V und § 115 V SGB V gemeinsam mit dem GKV-Spitzenverband Rahmenempfehlungen über den Inhalt der zweiseitigen Verträge i.S.d. § 112 I SGB V und der dreiseitigen Verträge i.S.d. § 115 I SGB V ab. Durch erstere soll sichergestellt werden, dass Art und Umfang der Krankenhausbehandlung den Anforderungen dieses Gesetzbuchs entsprechen. Letztere dienen dagegen der Gewährleistung einer nahtlosen ambulanten und stationären Behandlung der Versicherten (§ 115 I SGB V). Genauso wie bei den Spitzenverbänden von Vertragsärzten und Krankenkassen, handelt es sich auch bei der DKG allgemein um eine Interessenvertretung der in ihr zusammengeschlossenen Krankenhausträger. Nach § 2 I DKG-Satzung138 bündelt sie deren Interessen auf Bundesebene. Im Zusammenwirken mit staatlichen und sonstigen Institutionen des Gesundheitswesens sorgt die DKG für die Erhaltung und Verbesserung der Leistungsfähigkeit der Krankenhäuser im Sinne eines trägerpluralen, zukunftsorientierten Krankenhauswesens und übernimmt eine gesundheitspolitische Mitverantwortung (§ 2 I 2 DKG-Satzung).139
B. Das Beschlussgremium und seine Untergliederungen I. Besetzung des Beschlussgremiums Entsprechend der am 01.07.2008 in Kraft getretenen Neufassung des § 91 II SGB V gibt es im G-BA nur noch ein einziges Beschlussgremium, das unabhängig von dem jeweiligen Leistungssektor entscheidet, zu dem die Entscheidung ergeht.140 Es besteht nach § 91 II 1 SGB V aus insgesamt 13 Mitgliedern. Diese Gruppe setzt sich aus einem unparteiischen Vorsitzenden, zwei weiteren unparteiischen Mitgliedern, einem von der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung benannten Mitglied, jeweils zwei von der Kassenärztlichen Bundesvereini136
Wagener, in: Rieger/Dahm/Steinhilper (Hrsg.), HK-AKM, 1390 Rdn. 12; Becker, in Becker/Kingreen (Hrsg.), § 108a Rdn. 7; eine Übersicht über diese Aufgaben findet sich bei Wahl, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), jurisPK-SGB V, § 108a Rdn. 27. 137 Becker, in: Becker/Kingreen (Hrsg.), SGB V, § 108a Rdn. 7. 138 Abrufbar unter http://www.dkgev.de (abgerufen am: 06.02.2008). 139 Siehe auch Becker, in: Becker/Kingreen (Hrsg.), SGB V, § 108a Rdn. 6 ff. 140 Hess, in: Rieger/Dahm/Steinhilper (Hrsg.), HK-AKM, 2045 Rdn. 13.
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2. Kap.: Aufbau des Gemeinsamen Bundesausschusses
gung und der DKG benannten Mitgliedern sowie fünf vom GKV-Spitzenverband benannten Mitgliedern zusammen. Das Verfahren und die Voraussetzungen der Benennung der Entscheidungsträger ergeben sich nicht unmittelbar aus § 91 SGB V, sondern folgen dem Inhalt der Satzungen der Trägerorganisationen.141 Nach der derzeitigen Rechtslage sind die jeweiligen Selbstverwaltungsorgane des GKV-Spitzenverbandes, der KBV und der KZBV hierfür zuständig. Bei der DKG handelt es sich zwar nicht um einen Selbstverwaltungsträger. Zuständig zur Benennung der Mitglieder des G-BA ist allerdings deren Mitgliederversammlung, welche einem Selbstverwaltungsorgan zumindest vergleichbar ist. 1. Vertreter des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen ernennt fünf Vertreter, die Mitglieder im Beschlussgremium des G-BA werden (§ 91 II 1 a. E. SGB V). Dies erfolgt nach § 31 I Nr. 17 der Satzung des GKV-Spitzenverbandes142 durch dessen Verwaltungsrat. 2. Vertreter der Leistungserbringer Hinter dem Oberbegriff der „Leistungserbringer“ verbergen sich die Kassenärztlichen Bundesvereinigung und die Deutsche Krankenhausgesellschaft. Die Leistungserbringer stellen insgesamt fünf Mitglieder des Beschlussgremiums. Damit erreichen sie exakt das gleiche Stimmvolumen wie die Vertreter des GKVSpitzenverbandes. Im Einzelnen entfallen jedoch ein Mitglied auf die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung und jeweils zwei Mitglieder auf die Kassenärztliche Bundesvereinigung und die Deutsche Krankenhausgesellschaft, § 91 II 1 SGB V. Die Benennung der Mitglieder, die im G-BA die KBV vertreten, erfolgt nach § 5 II Nr. 7 KBV-Satzung143 durch deren Vertreterversammlung. Gleiches gilt nach § 7 Nr. 15n KZBV-Satzung144 für die von der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung zu benennenden Mitglieder. Die Benennung der von der DKG zu entsendenden Mitglieder erfolgt nach § 6 II Nr. 8 DKG-Satzung durch deren Mitgliederversammlung.145
141
Vgl. Schmidt-De Caluwe, in: Becker/Kingreen (Hrsg.), SGB V, § 91 Rdn. 12. Stand der Satzung: 18.06.2007; abrufbar unter http://www.gkv-spitzenverband.de gerufen am: 01.07.2010). 143 Stand der Satzung: 15.01.2008; abrufbar unter http://www.kbv.de (abgerufen 01.07.2010). 144 Stand der Satzung: 24.09.2010; abrufbar unter http://www.kzbv.de (abgerufen 01.07.2010). 145 Stand der Satzung: 29.11.2005; abrufbar unter http://www.dkgev.de (abgerufen 01.07.2010). 142
(abam: am: am:
B. Das Beschlussgremium und seine Untergliederungen
29
3. Unparteiische Mitglieder Die Berufung der unparteiischen Mitglieder soll nach § 91 II 2 SGB V im Einvernehmen der Trägerorganisationen des G-BA erfolgen. Im Streitfall entscheidet das Bundesgesundheitsministerium „im Benehmen“ mit selbigen Organisationen über die Benennung (§ 91 II 3 SGB V).146 Einer der Unparteiischen übernimmt nach Einigung der Trägerorganisationen den Vorsitz des Ausschusses, § 91 II 2 Alt. 1 SGB V. Der Zweck der Integration der unparteiischen Mitglieder in das Beschlussgremium des G-BA ergibt sich aus den dort herrschenden Machtverhältnissen. Da die Vertreter von Krankenkassen und Leistungserbringern sich mit gleichem Stimmgewicht gegenüberstehen, könnte es bei streitigen Beschlüssen zur Handlungsunfähigkeit des Gremiums kommen. Um diese Pattsituation aufzulösen, muss eine Seite mindestens zwei der Unparteiischen argumentativ überzeugen.147 Die Beteiligung der Unparteiischen dient somit der Vermeidung von „Pattsituationen“ und soll gewährleisten, dass das Gremium „selbst bei starker Interessenpolarisierung“ handlungsfähig bleibt.148 4. Die Sonderstellung der Patientenvertreter a. Allgemeines In den vergangenen Jahren hat das Thema „Patientenrechte“ erheblich an Konjunktur gewonnen.149 Die Partizipation von Bürgern, Versicherten und Patienten stellt nach einem vom Sachverständigenrat für die konzertierte Aktion im Gesundheitswesen veröffentlichten Gutachten einen wesentlichen Bestandteil der Weiterentwicklung des Gesundheitswesens dar. Sowohl aus der möglichen Betroffenheit großer Bevölkerungsteile, als auch aus der Tatsache, dass das Gesundheitswesen im Wesentlichen von Bürgern und Versicherten finanziert wird, ließe sich eine Partizipation auf der Ebene der Systemgestaltung ableiten.150 Dahinter verbirgt sich letztendlich die Frage nach den Anforderungen an die Legitimität der Rechtsetzung des G-BA gegenüber den Versicherten (Art. 20 II GG).151 Die Beteiligung von Patientenvertretern im G-BA und anderen Regulierungsinstitutionen auf Bundes- und Länderebene wurden durch das GMG vom
146
Schmidt-De Caluwe, in: Becker/Kingreen (Hrsg.), SGB V, § 91 Rdn. 12; Hess, in: Rieger/Dahm/Steinhilper (Hrsg.), HK-AKM, 2045 Rdn. 13. 147 Vgl. dazu Hase, MedR 2005, 391 (394); Butzer/Kaltenborn, MedR 2001, S. 333 (339). 148 Vgl. Hase, MedR 2005, 391 (395). 149 Becker-Schwarze, GesR 2004, 215 (215); zur Entwicklung von „Patientenrechten“ in jüngerer Zeit siehe BT-Drs. 15/530, Rdn. 211 (221 ff.). 150 Vgl. BT-Drs. 15/530, Rdn. 242. 151 Dazu unten 10. Kapitel.
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2. Kap.: Aufbau des Gemeinsamen Bundesausschusses
14.11.2003152 erstmals in das SGB V aufgenommen.153 Dadurch sollte die Patientensouveränität gestärkt werden.154 b. Gegenwärtige Ausgestaltung der Patientenbeteiligung Neben den Vertretern der Trägerorganisationen i.S.d. § 91 I 1 SGB V und den Unparteiischen i.S.d. § 91 II 1 SGB V gehören dem Beschlussgremium des G-BA sog. „Patientenvertreter“ an (§ 140f SGB V). § 140f II 1 SGB V räumt diesen ein „Mitberatungsrecht“ bei Beschlüssen des Gremiums ein. Über ein eigenes Stimmrecht verfügen sie jedoch nicht, woraus sich deren Sonderstellung gegenüber den übrigen Mitgliedern begründet. Nach § 140f II 3 SGB V soll die Zahl der Patientenvertreter höchstens derjenigen der vom GKV-Spitzenverband in den G-BA entsendeten Mitglieder entsprechen. c. Zu beteiligende Organisationen Nach § 140f II1 SGB V erhalten die für die Wahrnehmung der Interessen der Patientinnen und Patienten und der Selbsthilfe chronisch kranker Menschen auf Bundesebene maßgeblichen Organisationen ein Mitberatungsrecht. Der Gesetzgeber hat das Bundesgesundheitsministerium durch § 140g SGB V ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates Näheres zu den Voraussetzungen der Anerkennung der für die Wahrnehmung der Interessen der Patienten und der Selbsthilfe chronisch kranker und behinderter Menschen maßgeblichen Organisationen auf Bundesebene, insbesondere zu den Erfordernissen an die Organisationsform und die Offenlegung der Finanzierung, sowie zum Verfahren der Patientenbeteiligung zu regeln. Von dieser Ermächtigung hat das Bundesgesundheitsministerium am 19.12.2003 in Form der Patientenbeteiligungverordnung (= PatBeteiligungsV155) Gebrauch gemacht.156 Diese regelt in § 1 die näheren Anforderungen an die infrage kommenden Organisationen auf Bundesebene.157 Derzeit sind gem. § 2 I PatBeteiligungsV der Deutsche Behindertenrat, die Bundesarbeitsgemeinschaft der PatientInnenstellen, die Deutsche Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfegruppe e.V. und der Verbraucherzentralen Bundesverband e.V. als Organisationen i.S.d. § 140f II SGB V anerkannt.
152
GMG = GKV-Modernisierungsgesetz (BGBl. 2003 Band I, S. 2190 oder BT-Drs. 15/1525), verabschiedet am 14.11.2003. 153 Dazu Ebsen, MedR 2006, 528 (529); Becker-Schwarze, GesR 2004, 215 (215); Hohnholz, in: Hauck/Noftz (Hrsg.), SGB V, § 140f Rdn. 2. 154 BT-Drs. 15/1525, S. 132; Kaempfe, in: Becker/Kingreen (Hrsg.), SGB V, § 140f Rdn. 1. 155 BGBl. I S. 2753. 156 Diese befindet sich derzeit auf dem Stand vom 31.10.2006, BGBl. I S. 2407. 157 Becker-Schwarze, GesR 2004, 215 (219).
B. Das Beschlussgremium und seine Untergliederungen
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d. Gegenstand und Qualität des Mitwirkungsrechts Die Interessenvertretungen sind nach dem Wortlaut des § 140f I SGB V in Fragen der Gesundheitsversorgung zu beteiligen. Im Umkehrschluss ergibt sich daraus, dass ihnen bei rein organisations- oder personalrechtlichen Entscheidungen des GBA kein Beteiligungsrecht zusteht.158 Allerdings lässt sich aus dem Wortlaut des § 140f SGB V keine Begrenzung der Beteiligung auf den Aufgabenbereich der jeweiligen Interessengruppe herleiten.159 Das Mitberatungsrecht im G-BA i.S.d. § 140f II 1 SGB V ist ein subjektives und damit einklagbares Recht der aus § 140f SGB V berechtigten Organisationen.160 Schon vom natürlichen Wortsinn her betrachtet stellt es mehr als ein bloßes Anhörungsrecht, aber weniger als ein Mitentscheidungsrecht i.S.e. Stimmrechts dar.161 Das Mitberatungsrecht beinhaltet in der Phase der Beratungen der Gremien das Recht zur Anwesenheit, sowie ein Rederecht in den Sitzungen.162 e. Perspektiven der Patienten- bzw. Versichertenbeteiligung Das gegenwärtige Konzept der Patientenbeteiligung wird in der Literatur kritisch bewertet.163 Pitschas konstatiert, dass die schon bekannten verfassungsrechtlichen Fragen nach der Normsetzung des G-BA durch die Patientenbeteiligung an seinen Entscheidungen über die medizinische Versorgung gravierend verschärft worden seien.164 Ebsen wirft die Frage auf, wo in den Selbstverwaltungsstrukturen der GKV der Patient zu finden sei.165 Er kritisiert, dass die Eigenschaft, Patient zu sein, kein Merkmal sei, welches eine bestimmte Gruppe von Menschen gegenüber anderen so dauerhaft abgrenzen lasse, dass diese Gruppe zur Hervorbringung von Repräsentanten geeignet sei, wie dies sonst in der gruppenrepräsentativen Selbstverwaltung üblich sei.166 Daraus erklärt sich Schimmelpfeng-Schüttes Forderung nach der Beteiligung der Versicherten als „dritte Kraft“ im Beschlussgremium des G-BA.167 Dies entspräche den demokratischen und rechtsstaatlichen Prinzipien der Verfassung.168
158
Kaempfe, in: Becker/Kingreen (Hrsg.), SGB V, § 140f Rdn. 5. Kaempfe, in: Becker/Kingreen (Hrsg.), SGB V, § 140f Rdn. 5. 160 Kaempfe, in: Becker/Kingreen (Hrsg.), SGB V, § 140f Rdn. 6. 161 Ebsen, MedR 2006, 528 (529 f.); Kaempfe, in: Becker/Kingreen (Hrsg.), § 140f Rdn. 6. 162 Kaempfe, in: Becker/Kingreen (Hrsg.), § 140f Rdn. 6. 163 Vgl. etwa Pitschas, MedR 2006, 451 ff.; Ebsen, MedR 2006, 528 ff.; Neumann, NZS 2010, 593 (598 ff.); dazu auch unten 10. Kapitel, C. III. 1. b. aa. 164 Vgl. Pitschas, MedR 2006, 451. 165 Vgl. Ebsen, MedR 2006, 528; ähnlich bereits Schimmelpfeng-Schütte, MedR 2006, 21 f. 166 Vgl. Ebsen, MedR 2006, 528. 167 Vgl. Schimmelpfeng-Schütte, MedR 2006, 21 (25); dies., RPG 2005, 83 (87). 168 Vgl. Schimmelpfeng-Schütte, aaO. 159
32
2. Kap.: Aufbau des Gemeinsamen Bundesausschusses
II. Besetzung der Unterausschüsse Neben dem Beschlussgremium verfügt der G-BA über weitere Untergliederungen. Dazu zählen nicht nur die einzelnen Unterausschüsse, sondern auch Arbeitsausschüsse und Arbeitsgruppen (vgl. Kap. 1 § 4 VerfO G-BA). Diese Untergliederungen des G-BA ermöglichen es, erhöhte Sachkompetenz in das Entscheidungsverfahren einzubringen und streitige Fragen aus dem Plenum in die Unterausschüsse zu verlagern, wo aufgrund des größeren Know-Hows gezielter an einer Lösung gearbeitet werden kann. Die wichtigste Funktion kommt in diesem Kontext den Unterausschüssen zu. Deren Kernaufgabe besteht in der Vorbereitung der Beschlüsse des Plenums (Kap. 1 § 4 II VerfO G-BA). Daraus erklärt sich, dass sie entsprechend der einzelnen Richtlinienkompetenzen des G-BA eingerichtet wurden.169 Jeder dieser Unterausschüsse verfügt personell über einen unparteiischen Vorsitzenden (§ 91 II 7 SGB V) und jeweils sechs Vertreter von Krankenkassen und Leistungserbringern (§ 18 GeschO G-BA). Ebenfalls zur Vorbereitung ihrer Beschlüsse können die Unterausschüsse ihrerseits Arbeitsgruppen bzw. Arbeitsausschüsse mit einer bestimmten Aufgabenstellung, insbesondere Beratungen zu spezifischen Richtlinien, beauftragen (Kap. 1 § 4 III VerfO G-BA i.V.m. § 21 GeschO G-BA).
III. Rechtsform des G-BA Nach § 91 I 2 SGB V ist der G-BA rechtsfähig. Er wird vom (unparteiischen) Vorsitzenden gerichtlich und außergerichtlich vertreten, § 91 I 3 SGB V. Seine genauere organisationsrechtliche Einordnung ist – ebenso wie seine Qualifikation als Selbstverwaltungsträger – äußerst umstritten und bis zum heutigen Tage nicht endgültig geklärt.170
IV. Aufsicht des Bundesgesundheitsministeriums über den G-BA Wie jede juristische Person des öffentlichen Rechts untersteht der G-BA staatlicher Aufsicht.171 Zu diesem Zwecke stellt § 94 SGB V dem Bundesgesundheitsministerium verschiedene Aufsichtsmittel zur Verfügung. Dazu zählen etwa ein Beanstandungsrecht (§ 94 I 2 SGB V) und ein Recht zur Ersatzvornahme des Richtlinienerlasses, wenn die Beschlüsse vom G-BA nicht innerhalb der vom Ministerium gesetzten Frist zustande kommen oder dessen Beanstandungen nicht 169
Derzeit verfügt der G-BA über den UA Arzneimittel, den UA Qualitätssicherung, den UA Sektorenübergreifende Versorgung, den UA Methodenbewertung, den UA Veranlasste Leistungen, den UA Bedarfsplanung, den UA Psychotherapie und den UA zahnärztliche Behandlung (vgl. http://www.g-ba.de [abgerufen am: 04.07.2010]). 170 Dazu ausführlich unten 8. Kapitel, B. III. 171 Dazu ausführlich unten 8. Kapitel, C. II. 2. b. und 10. Kapitel, D. III.
B. Das Beschlussgremium und seine Untergliederungen
33
fristgerecht behoben werden (§ 94 I 4 SGB V). Darüber hinaus bedürfen sowohl die Verfahrens- als auch die Geschäftsordnung des G-BA ministerieller Genehmigung (§ 91 IV 2 SGB V).
3. Kapitel: Aufgaben des Gemeinsamen Bundesausschusses A. Beschluss von Richtlinien zur Sicherung der ärztlichen Versorgung Die zentrale Aufgabe des G-BA besteht im Erlass von Richtlinien zur Sicherung der ärztlichen Versorgung (§ 92 SGB V).172 Die Richtlinien haben die Funktion das Rahmenrecht des Versicherten auf Krankenbehandlung aus § 27 I 1 SGB V auf abstrakt-genereller Ebene zu konkretisieren und bilden deswegen das zentrale Handlungsinstrument des G-BA. Durch sie definiert das Gremium den Handlungskorridor, in dessen Grenzen der einzelne Vertragsarzt den Inhalt der Krankenbehandlung für den einzelnen gesetzlich Krankenversicherten konkretindividuell mit Wirkung für die Krankenkasse festlegen darf. Die Auswirkungen der Richtlinien auf das Verhältnis zwischen Krankenkassen, Leistungserbringern und Versicherten sind außerordentlich komplex.173
B. Gründung und Trägerschaft des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) Als weitere zentrale Aufgabe obliegt dem G-BA nach § 139a I SGB V die Gründung und Trägerschaft des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG).174 Diesem Auftrag kommt das Gremium nach, indem es – im Einklang mit § 139a I 2 SGB V – eine rechtsfähige bürgerlich-rechtliche „Stiftung für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen“ errichtete und dieser die Trägerschaft über das Institut übertrug.175 Bei dem IQWiG handelt es sich um ein personell und fachlich vom G-BA unabhängiges Institut, dessen Hauptaufgabe in der unabhängigen wissenschaftlichen Bewertung des medizinischen Nutzens, der Qualität und der Wirtschaftlichkeit der in der GKV erbrachten oder zu erbringenden Leistungen besteht.176 Die vom Institut erstellten Berichte sind dem G-BA nach § 139b IV 1 SGB V als „Empfehlung“ zuzuleiten und von 172 Dazu ausführlich Hess, in: Rieger/Dahm/Steinhilper (Hrsg.), HK-AKM, 2045 Rdn. 23 ff.; ders., in: Wenzel (Hrsg.), Handbuch des Fachanwalts für Medizinrecht, Kap. 2 Rdn. 179 ff.; Schmidt-De Caluwe, in: Becker/Kingreen (Hrsg.), SGB V, § 92 Rdn. 2 ff.; Schimmelpfeng-Schütte, in: Schnapp/Wigge (Hrsg.), Handbuch des Vertragsarztrechts, § 7 Rdn. 30 ff.; Kingreen, NZS 2007, 113 (114); Hess, MedR 2005, S. 365 ff.; SchimmelpfengSchütte, ZRP 2004, 253 (254 f.). 173 Dazu ausführlich unten 6. Kapitel, IV. 174 Dazu ausführlich unten 15. Kapitel, E. III. 3. 175 Hess, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 139a Rdn. 4. 176 Vgl. Engelmann, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), jurisPK-SGB V, § 139a Rdn. 12.
C. Zimmermann, Der Gemeinsame Bundesausschuss, Kölner Schriften zum Medizinrecht, DOI 10.1007/978-3-642-22752-3_3, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
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3. Kap.: Aufgaben des Gemeinsamen Bundesausschusses
diesem nach § 139b IV 2 SGB V im Rahmen seiner Aufgabenstellung zu berücksichtigen.
C. Sonstige Aufgaben Neben dem Beschluss von Richtlinien zur Sicherung der ärztlichen Versorgung und der Trägerschaft über das IQWiG ordnet das SGB V dem G-BA weitere Aufgaben zu.177 Dazu zählen etwa die Beauftragung des IQWiG mit der Bewertung des Nutzens oder des Kosten-Nutzen-Verhältnisses von Arzneimitteln (§ 35b I 1 SGB V i.V.m. § 139b I, II SGB V), die Förderung der Qualitätssicherung der Medizin (§ 137b SGB V), Abgabe von Empfehlungen an das Bundesgesundheitsministerium über chronische Krankheiten, für die strukturierte Behandlungsprogramme entwickelt werden sollen (§ 137f I SGB V) und die Abgabe von Empfehlungen über die Ausgestaltung von Behandlungsprogrammen bei chronischen Krankheiten (§ 137f II SGB V). Seit dem Inkrafttreten des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes (AMNOG) vom 22.12.2010 zum 01.01.2011 (BGBl. I, S. 2324) bewertet der G-BA außerdem den Nutzen von erstattungsfähigen Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen (§ 35a I 1 SGB V).178
177
Eine Übersicht findet sich bei Schimmelpfeng-Schütte, in: Schnapp/Wigge (Hrsg.), Handbuch des Vertragsarztrechts, § 7 Rdn. 31. 178 Vgl. hierzu ausführlich Hess, GesR 2011, 82 ff.; Windeler, GesR 2011, 92 ff.; Heinemann/Lang, MedR 2011, 150 ff.
4. Kapitel: Fazit Beim G-BA handelt es sich um das wichtigste Gremium der gemeinsamen Selbstverwaltung von Vertragsärzten, zugelassenen Krankenhäusern und Krankenkassen. Unter seinem Dach vereinigen sich die Vertreter des Spitzenverbandes der Krankenkassen mit den Vertretern der Spitzenverbände der wichtigsten Leistungserbringer. Ihnen obliegt es, aus dem aufeinanderprallenden Interessengeflecht Richtlinienbeschlüsse zu generieren und auf diese Weise die ärztliche Versorgung der Versicherten sicherzustellen (§ 70 I SGB V). Es bleibt abzuwarten, ob die inzwischen über 90 Jahre andauernde Entwicklung der gemeinsamen Selbstverwaltung auf dem Gebiet der gesetzlichen Krankenversicherung durch die Errichtung des G-BA ihren institutionellen Endpunkt erreicht hat.179 Nach wie vor wird ernsthaft darüber diskutiert, ob die (vollwertige) Beteiligung der Versicherten oder weiterer Gruppen von Leistungserbringern im G-BA nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen als geboten anzusehen ist.180 Dies hängt hauptsächlich von den Anforderungen ab, die an die demokratische Legitimation des G-BA zur Rechtsetzung gegenüber den Versicherten zu stellen sind. Auf der 83. Gesundheitsministerkonferenz (GMK) am 01.07.2010 haben die 16 GMK-Mitglieder einen einstimmigen Beschluss zur „Stärkung der Gestaltungsmöglichkeiten der Länder in der medizinischen Versorgung“ gefasst.181 Danach fordern die Länder bei den in ihrer Zuständigkeit liegenden Entscheidungen des G-BA ein Mitberatungsrecht, welches auch das Recht zur Anwesenheit bei der Beschlussfassung umfasst. Dies betrifft hauptsächlich Beratungen des G-BA zu Fragen der Bedarfsplanung i.S.d. § 92 I 2 Nr. 9 SGB V.182 In der Konsequenz entspricht dieses Mitberatungsrecht damit dem in § 140f SGB V geregelten Beteiligungsrecht der Patientenvertreter. Änderungen an der derzeitigen Struktur des GBA sind dazu nicht erforderlich. Da es lediglich um eine Beteiligung der Länder an der Diskussion und der Anwesenheit ihrer Vertreter bei der Beschlussfassung,
Zur Zukunft der Selbstverwaltung siehe etwa Schlösser/Räde, RPG 2009, 47 ff.; allgemein zu den Entwicklungsperspektiven des Sozialrechts Kingreen, NJW 2010, 3408 (3415). 180 Vgl. hierzu ausführlich unten 10. Kapitel, C. III. 1. und 10. Kapitel, E. III. 1. 181 Abrufbar unter http://www.gmkonline.de (abgerufen am: 30.11.2010); siehe hierzu das Interview mit Dr. Hermann Schulte-Sasse, VdEK Ersatzkasse Magazin 2010, 10./11.2010, 34 (37). 182 Einzelheiten finden sich in dem unter http://www.gmkonline.de abrufbaren Beschluss der 83. GMK vom 01.07.2010 (abgerufen am: 30.11.2010). 179
C. Zimmermann, Der Gemeinsame Bundesausschuss, Kölner Schriften zum Medizinrecht, DOI 10.1007/978-3-642-22752-3_4, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
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4. Kap.: Fazit
nicht jedoch um ein eigenes Stimmrecht geht, bleibt die Sachentscheidung weiterhin eine Angelegenheit der gemeinsamen Selbstverwaltung.183 Zu klären ist hauptsächlich, wie viele Vertreter der Länder zur Mitberatung zugelassen werden sollen und in welchem Verfahren diese zu bestimmen sind.184
183
Dazu Schulte-Sasse, VdEK Ersatzkasse Magazin 10./11.2010, 34 (37). Aus dem Referentenentwurf des Bundesgesundheitsministeriums zum Versorgungsstrukturgesetz geht hervor, dass beabsichtigt ist, § 92 SGB V um einen Absatz 7e zu erweitern. Die Länder sollen danach ein Mitberatungsrecht bei den Sitzungen der Gremien des G-BA erhalten, in denen über die Bedarfsplanung beraten wird (vgl. dazu ausführlich den Referentenentwurf des BMG zum Versorgungsstrukturgesetz, S. 22, 103; abrufbar unter http://www.bmg.bund.de [abgerufen am: 23.06.2011]). 184
2. Teil: Normsetzung durch Richtlinien
Das Handlungsinstrumentarium der Richtlinie Die Richtlinien sind das zentrale Handlungsinstrument des G-BA. Sie sind nach herrschender Auffassung nicht nur für die Konkretisierung der Vorschriften des Leistungserbringerrechts, sondern gerade auch für die Verdichtung des Rahmenrechts des Versicherten aus § 27 I 1 SGB V auf Krankenbehandlung zu einem vollwertigen Anspruch von entscheidender Bedeutung.1 Daher erstaunt es, dass der Begriff der „Richtlinie“ im juristischen Sprachgebrauch mit großen Unklarheiten behaftet ist.2 Auf europäischer Ebene bezeichnet er den an einen Mitgliedstaat der EG gerichteten Rechtsakt eines Organs der Europäischen Gemeinschaften. Dieser ist hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, überlässt dem betroffenen Mitgliedstaat jedoch die Wahl der Form und der Mittel zu dessen Verwirklichung (Art. 288 AEUV = Art. 249 EGV a.F.).3 Im Grundgesetz taucht der Begriff in Art. 65 S. 1 auf, welcher vorsieht, dass der Bundeskanzler „die Richtlinien“ der Politik bestimmt und dafür die Verantwortung trägt. Dabei handelt es sich um politische Führungsentscheidungen, die es ihm ermöglichen sollen, seinen politischen Führungsanspruch zu behaupten und durchzusetzen. Sie lassen sich allerdings nicht in das Formschema von Einzelakt und Norm einfügen.4 Deshalb entzieht sich der Begriff der Richtlinie einer abschließenden Definition.5 Dies resultiert maßgeblich daraus, dass die Richtlinien sich als Handlungsform nicht ohne Weiteres den klassischen Rechtsquellen – Parlamentsgesetz, Rechtsverordnung, Satzung, Verwaltungsvorschrift – zuordnen lassen. Einigkeit besteht inzwischen darüber, dass die Auslegung des Begriffs anhand der Charakteristika der jeweiligen Art der Richtlinie erfolgen muss.6 Um die Richtlinien des G-BA näher beschreiben und in das Verwaltungsrecht der Bundesrepublik Deutschland einordnen zu können, ist folglich eine genaue Untersuchung ihrer Wesensmerkmale erforderlich.
Vgl. dazu unten 13. Kapitel. Vgl. Stober, in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth (Hrsg.), Verwaltungsrecht, Band I, § 24 Rdn. 15. 3 Genaueres bei Hobe, Europarecht, § 10 Rdn. 28 ff. 4 Oldiges, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 65 Rdn. 14 ff. (15). 5 Dazu exemplarisch Andreas, Die Bundesausschüsse der Ärzte und Krankenkassen, S. 72 – 74; Tempel-Kromminga, Die Problematik der Richtlinien der Bundesausschüsse der Ärzte und Krankenkassen nach dem neuen Recht des SGB V, S. 42 f. 6 In diesem Sinne auch Tempel-Kromminga, Die Problematik der Richtlinien der Bundesausschüsse der Ärzte und Krankenkassen, S. 43 m.w.N. 1 2
5. Kapitel: Funktion der Richtlinien im System des SGB V A. Allgemeines Die zentrale Leistungsmaxime des SGB V ist das durch § 2 II 1 angeordnete Sachbzw. Naturalleistungsprinzip.7 Dieses verpflichtet die Krankenkassen dazu, den Versicherten Leistungen zur Verfügung zu stellen (§ 2 I 1 SGB V) und bezweckt, den Versicherten von der Last zu befreien, die Behandlungskosten vorstrecken zu müssen.8 Die Krankenkasse schuldet dem Versicherten daher im Grundsatz „nur“ die Krankenbehandlung und keinen Geldersatz.9 Die für die private Krankenversicherung charakteristische Kostenerstattung bildet im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung eine Ausnahme (vgl. §§ 13, 14, 64 SGB V).10 Allgemeine Festsetzungen dazu, welche Art von Leistungen die Versicherten von ihrer Krankenkasse beanspruchen können, ergeben sich aus dem Leistungsrecht (§§ 11 – 68 SGB V). Die mit dem Leistungsanspruch der Versicherten aus § 27 I 1 SGB V korrespondierende Leistungsverpflichtung erfüllen die Krankenkassen allerdings nicht durch eigenes Personal, sondern durch einen Rückgriff auf externe Dritte (§ 2 II 2 SGB V).11 Als solche kommen die zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Ärzte und Zahnärzte (§ 95 SGB V), die zugelassenen Krankenhäuser (§ 108 SGB V), die Erbringer von Heilmitteln (§ 124 SGB V), Apotheker (§ 129 SGB V) und sonstige Hilfsmittellieferanten (§ 126 SGB V) in Betracht.12 Entsprechend ihrer systembedingten Funktion werden diese als „Leistungserbringer“ bezeichnet. Zur Gewährleistung der medizinischen Versorgung schließen die Krankenkassen mit den einzelnen Leistungserbringern oder deren Verbänden entsprechend den Vorgaben des SGB V Verträge ab (§ 2 II 2 SGB V i.V.m. §§ 69 ff. SGB V). Die Richtlinien des G-BA dienen gemäß § 92 I 1 SGB V der Gewährung einer ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen Versorgung der Versicherten und wirken dadurch konkretisierend auf das Rechtsverhältnis zwischen den Kran7 8 9
41.
Peters, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 2 Rdn. 5. Muckel, Sozialrecht, § 8 Rdn. 65 Eichenhofer, Sozialrecht, § 16 Rdn. 368; Igl/Welti, Sozialversicherungsrecht, § 17 Rdn.
Peters, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 2 Rdn. 5; neuerdings wird allerdings ein Umstieg vom Sachleistungs- auf das Kostenerstattungsprinzip in der GKV diskutiert (vgl. etwa Rieser, DÄBl. 2010, A 1884). Ein konkretes Modell zur Umsetzung dieses Vorhabens existiert jedoch derzeit noch nicht (vgl. dazu das Interview mit dem ehemaligen Bundesgesundheitsminister, Dr. Philipp Rösler, in: DÄBl. 2010, A 1726 [1728]). 11 Ausführlich Fuchs, in: Fuchs/Preis (Hrsg.), Sozialversicherungsrecht, § 21 I., S. 354 f. 12 Ebsen, in: Gitter/Schulin/Zacher (Hrsg.), FS Krasney, S. 81 f.; Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, S. 57 ff. 10
C. Zimmermann, Der Gemeinsame Bundesausschuss, Kölner Schriften zum Medizinrecht, DOI 10.1007/978-3-642-22752-3_5, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
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5. Kap.: Funktion der Richtlinien im System des SGB V
kenkassen und den Leistungserbringern ein. Nach derzeit herrschender Auffassung sind sie Bestandteil eines generellen Regelungskonzeptes untergesetzlicher Normgebung, das der Gesetzgeber an die an der (vertrags-)ärztlichen Versorgung beteiligten Körperschaften übertragen hat.13
B. Verortung der Richtlinienkompetenz im Leistungserbringerrecht Das Leistungserbringerrecht (§§ 69 ff. SGB V) regelt das Rechtsverhältnis zwischen den Krankenkassen und den Leistungserbringern.14 Damit betrifft es zwei Grundsatzfragen:15 Zum einen die Regelung der Zulassung von Ärzten und Krankenhäusern, die diese zur Versorgung von GKV-Versicherten berechtigt und verpflichtet (§§ 95, 107 ff. SGB V) und zum anderen die Ausgestaltung der Leistungsgewährung bzw. des Leistungsinhalts. § 70 I SGB V verpflichtet Krankenkassen und Leistungserbringer zur Gewährleistung einer bedarfsgerechten und gleichmäßigen, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechenden Versorgung der Versicherten. Auf diese Weise werden alle Leistungserbringer allgemein mit der Sicherstellung der medizinischen Versorgung beauftragt.16 Das erfolgt durch spezielle – für das Sozialrecht typische – Rechtsbeziehungen zwischen den Krankenkassen und den jeweiligen Leistungserbringern. Auf den Inhalt der im Rahmen dieser Rechtsbeziehungen geschlossenen rechtlichen Vereinbarungen eröffnet § 92 I 1 SGB V dem G-BA eine Form der konkretisierenden Einflussnahme.
I. Rechtsbeziehungen zwischen den Krankenkassen und den Vertragsärzten Für den Bereich der vertragsärztlichen Versorgung begründet § 72 I SGB V als lex specialis zu § 70 I SGB V eine umfassende gesetzliche Verpflichtung von Ärzten und Krankenkassen zum Zusammenwirken zur Sicherung der vertragsärztlichen Versorgung.17 Dies soll nach § 72 II SGB V im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften und den Richtlinien des G-BA durch schriftliche Verträge der Kassenärztlichen Vereinigungen mit den Verbänden der Krankenkassen erfolgen. Dazu schließen die Krankenkassenverbände kollektivvertragliche Vereinbarungen mit den Ärzteverbänden ab. Es handelt sich dabei um Verträge mit abstraktgenerellen Regelungen, die nicht aufgrund der individuellen Zustimmung der Ad-
13
BSGE 78, 70 (78). Hess, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 69 Rdn. 2 ff.; Ebsen, in: Gitter/Schulin/Zacher (Hrsg.), FS Krasney, S. 81 (82 f.). 15 Dazu Fuchs, in: Fuchs/Preis (Hrsg.), Sozialversicherungsrecht, § 21 I., S. 354 ff. 16 Ausführlich Hess, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 70 Rdn. 3 ff. 17 Klückmann, in: Hauck/Noftz (Hrsg.), SGB V, § 72 Rdn. 6. 14
B. Verortung der Richtlinienkompetenz im Leistungserbringerrecht
43
ressaten, sondern aufgrund einer gesetzlichen Anordnung gelten.18 Das Geflecht dieser Vereinbarungen ist außerordentlich komplex19. Im Wesentlichen ist zwischen vertraglichen Vereinbarungen auf Bundes- und solchen auf Landesebene zu unterscheiden. Auf Bundesebene wird die ärztliche Versorgung durch den Abschluss sog. „Bundesmantelverträge“ (§ 82 I 1 SGB V) geregelt. Als Vertragspartner stehen sich der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen gegenüber. Dadurch wird eine bundeseinheitliche vertragsärztliche Versorgung erreicht.20 Die ärztliche Versorgung darf im Bundesmantelvertrag jedoch nur soweit konkretisiert werden, wie es zur bundesweiten Versorgung der Versicherten notwendig und zweckmäßig ist.21 So muss es etwa den Vertragspartnern auf Landesebene noch möglich sein, auf regionale Besonderheiten einzugehen.22 Wesentlicher Inhalt der Bundesmantelverträge ist neben den Richtlinien des G-BA (§ 92 VIII SGB V) der sog. „Einheitliche Bewertungsmaßstab“ (= EBM) für ärztliche Leistungen (§ 87 SGB V).23 Auf Landesebene wird die ärztliche Versorgung für den Bezirk der jeweiligen kassenärztlichen Vereinigung dagegen durch sog. „Gesamtverträge“ (§ 83 SGB V) geregelt. Diese werden von den jeweils zuständigen Kassenärztlichen Vereinigungen mit den Landesverbänden der Kranken- bzw. Ersatzkassen abgeschlossen (§ 83 I 1 SGB V). Den allgemeinen Inhalt der Gesamtverträge bilden die Bundesmantelverträge (§ 82 I 2 SGB V). Da die Richtlinien in diese Regelwerke einbezogen sind, strahlen sie ebenfalls auf die Gesamtverträge aus. Zudem beanspruchen sie aufgrund von § 91 VI SGB V auch gegenüber dem einzelnen Vertragsarzt Geltung. Das Rechtsverhältnis zwischen Vertragsärzten und Krankenkassen wird aus diesem Grund ganz erheblich von der dem G-BA, in Form der Richtlinienkompetenz nach § 92 I 1 SGB V, übertragenen Rechtsetzungsmacht geprägt. Dies hat der Gesetzgeber zusätzlich dadurch abgesichert, dass die Richtlinien des G-BA nach § 72 II SGB V in der Normenhierarchie zwar unter dem formellen Gesetzesrecht (SGB V), aber über den kollektivvertraglichen Vereinbarungen auf Verbandsebene (Bundesmantel- und Gesamtverträge) stehen.
18
Joussen, SGb 2004, 334 (337). Eingehend Ebsen, in: Gitter/Schulin/Zacher (Hrsg.), FS Krasney, S. 81 (86 ff.). 20 Vgl. Scholz, in: Becker/Kingreen (Hrsg.), SGB V, § 82 Rdn. 2. 21 Scholz, in: Becker/Kingreen (Hrsg.), SGB V, § 82 Rdn. 7. 22 Vgl. Hess, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 82 Rdn. 5. 23 Fuchs, in: Fuchs/Preis (Hrsg.), Sozialversicherungsrecht, § 21 II. 3. c), S. 363; eine Zusammenstellung der sonstigen Vertragsbestandteile findet sich bei Scholz, in: Becker/Kingreen (Hrsg.), SGB V, § 82 Rdn. 6 oder Hess, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 82 Rdn. 5. 19
44
5. Kap.: Funktion der Richtlinien im System des SGB V
II. Rechtsbeziehungen zwischen den Krankenkassen und den zugelassenen Krankenhäusern Im Vergleich zum Vertragsarztrecht weist der Teil des Leistungserbringerrechts, der sich mit der Krankenhausversorgung befasst (§§ 107 ff. SGB V), eine deutlich geringere Regelungsdichte auf.24 Dies begründet sich aus der vom ambulanten Sektor abweichenden Rechtstradition im stationären Sektor.25 Ebenso wie die Vertragsärzte sind die Krankenhäuser bzw. deren Träger zum Zusammenwirken mit den Krankenkassen zur Sicherung der vertragsärztlichen Versorgung verpflichtet. Dies ergibt sich einerseits aus § 70 I SGB V, andererseits aber auch aus der Spezialnorm des § 112 I SGB V. Dazu werden zwischen den zugelassenen Krankenhäusern und Krankenkassen auf Verbandsebene vertragliche Regelungen zur Sicherung der Versorgung der Versicherten getroffen. Auf Landesebene bestehen die sog. „Landeskrankenhausgesellschaften“ (= LKG). Entsprechend der Legaldefinition in § 108a S. 1 SGB V handelt es sich dabei um einen Zusammenschluss von Trägern zugelassener Krankenhäuser. Diese sind auf Bundesebene in der sog. „Deutschen Krankenhausgesellschaft“ organisiert (= DKG; § 108a S. 2 SGB V26). Anders als im Vertragsarztrecht handelt es sich bei diesen Zusammenschlüssen jedoch nicht um öffentlich-rechtliche (Zwangs-)Körperschaften.27 Die Krankenhausverbände sind als eingetragene Vereine des Privatrechts organisiert (§§ 21 ff. BGB),28 aber dennoch durch gesetzliche Ermächtigung in die Erfüllung der öffentlichen Aufgabe „Krankenversicherung“ einbezogen und wirken daher beim Abschluss von Verträgen als Beliehene mit.29 Dem entsprechend war die Übertragung von Vereinbarungskompetenzen an Verbände der Krankenhausträger lange nicht so ausgeprägt.30 Dies zeigt sich noch heute daran, dass es – trotz des Bestehens eines Krankenhausverbandes auf Bundesebene – an einem den Bundesmantelverträgen im vertragsärztlichen Bereich entsprechenden Instrument fehlt.31 § 112 V SGB V sieht lediglich die Abgabe sog. „Rahmenempfehlungen“ durch die DKG und den GKV-Spitzenverband zum Inhalt der zweiseitigen Verträge nach § 112 I SGB V vor. Nach der Intention des Gesetzgebers sollen diese bun-
24
Vgl. Hänlein, in: Kruse/Hänlein (Hrsg.), SGB V, Vor §§ 107 – 114 Rdn. 1. Dazu Thomae, Krankenhausplanungsrecht, S. 3 ff.; Kingreen, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching (Hrsg.), BeckOK SGB V, § 112 Rdn. 1. 26 Einzelheiten zur Entstehungsgeschichte und umstrittenem Zweck der Norm bei Becker, in: Becker/Kingreen (Hrsg.), SGB V, § 108a Rdn. 1 f. 27 Vgl. dazu Hänlein, in: Kruse/Hänlein (Hrsg.), SGB V, Vor §§ 107 – 114 Rdn. 4. 28 Fuchs, in: Fuchs/Preis (Hrsg.), Sozialversicherungsrecht, § 21 III. 2., S. 366; Hess, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 108a Rdn. 3; Quaas, NZS 1995, 482 (483); Hess, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, EL 44 August 2004, § 91 Rdn. 31; Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, S. 75. 29 Axer, Normsetzung der Exekutiven in der Sozialversicherung, S. 75. 30 Hänlein, in: Kruse/Hänlein (Hrsg.), SGB V, Vor §§ 107 – 114 Rdn. 5. 31 Dies wird z.T. als unglücklich empfunden, vgl. dazu Hess, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, EL 44 August 2004, § 91 Rdn. 31. 25
C. Auswirkungen der Richtlinien auf das Leistungsrecht
45
deseinheitliche Vorgaben zur stationären Versorgung ermöglichen.32 Bei § 112 V SGB V handelt es sich jedoch lediglich um eine „Soll-Vorschrift“, deren Nichteinhaltung den Abschluss der zweiseitigen Verträge nicht hindert.33 Die eigentliche Sicherung der Krankenhausversorgung und die Konkretisierung des Behandlungsanspruchs der Versicherten erfolgt statt dessen über den Abschluss der zweiseitigen Verträge i.S.d. § 112 I SGB V zwischen den Landesverbänden der Kranken- bzw. Ersatzkassen und den Landeskrankenhausgesellschaften auf Landesebene.34 Ihr zwingender Mindestinhalt ergibt sich aus § 112 II 1 SGB V. Abweichend von der Konzeption im Vertragsarztrecht inkorporiert das Gesetz die Richtlinien, die der G-BA für den stationären Sektor auf der Grundlage des § 137c SGB V beschließt, nicht unmittelbar in diese zweiseitigen Verträge. Auch stellen sie ihrem Regelungszweck nach keine „Rahmenempfehlungen“ i.S.d. § 112 V SGB V dar. In der Konsequenz ordnet einzig § 91 VI SGB V deren unmittelbare Verbindlichkeit gegenüber der DKG und deren Mitgliedern an. Damit ist auch das einzelne Krankenhaus von deren Regelungswirkung erfasst, welche unmittelbar auf dessen Versorgungsauftrag ausstrahlt.35
C. Auswirkungen der Richtlinien auf das Leistungsrecht Das Leistungsrecht (§§ 11 – 68 SGB V) gestaltet den Leistungsanspruch der Versicherten oder – aus Sicht der Krankenkassen – die zu gewährenden Leistungen näher aus36 und regelt damit das Verhältnis zwischen dem jeweiligen gesetzlich Krankenversicherten und seiner Krankenkasse.37 Im Zentrum dieses Normkomplexes steht § 27 I 1 SGB V als Grundnorm des Leistungsrechts.38 Das Verhältnis von Leistungs- und Leistungserbringerrecht – und damit auch der Einfluss der Richtlinien des heute bestehenden G-BA auf den Anspruch des Versicherten auf Krankenbehandlung – war lange Zeit umstritten.39 Dabei ging es insbesondere um die Frage, welcher dieser im SGB V enthaltenen Regelungskomplexe sich als prägend für den Inhalt des Leistungsanspruchs des Versicherten erweisen sollte. 32
Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, S. 108. Hess, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 112 Rdn. 15; weiterführend Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, S. 107. 34 BSGE 90, 1 (4); Becker, in: Becker/Kingreen (Hrsg.), SGB V, § 112 Rdn. 1; Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, S. 77. 35 Dazu ausführlich unten 14. Kapitel, B. I. 36 Becker/Kingreen, in: dies. (Hrsg.), SGB V, § 11 Rdn. 1. 37 Ebsen, in: Gitter/Schulin/Zacher (Hrsg.), FS Krasney, S. 81 (82 f.). 38 Lang, in: Becker/Kingreen (Hrsg.), SGB V, § 27 Rdn. 2. 39 Eine Zusammenstellung verschiedener denkbarer Möglichkeiten zum Verhältnis von Leistungs- und Leistungserbringerrecht findet sich bei Ebsen, in: Gitter/Schulin/Zacher (Hrsg.), FS Krasney, S. 81 (93 ff.); zusammenfassend zum früheren Meinungsstand BSGE 81, 54; kritisch Rixen, Sozialrecht als öffentliches Wirtschaftsrecht, S. 176 ff. 33
46
5. Kap.: Funktion der Richtlinien im System des SGB V
Teilweise wurde die Auffassung vertreten, dass der Versicherte einen unmittelbar aus dem Gesetz [d.h. § 27 I 1 SGB V] erwachsenden und durch das autonome Recht der gemeinsamen Selbstverwaltung nicht zu beeinflussenden Behandlungsanspruch auf bestimmte jeweils angemessene Leistungen habe.40 Diese teilweise als „Trennungsansatz“41 oder als „These vom Vorrang des Leistungsrechts“42 bezeichnete Auffassung führt zu Friktionen zwischen Leistungs- und Leistungserbringerrecht, weil die Möglichkeit besteht, dass das Leistungsrecht dem Versicherten die Beanspruchung einer bestimmten Leistung erlaubt, das Leistungserbringerrecht dem Vertragsarzt die Erbringung und Abrechnung dieser Leistung jedoch verbietet. In diesem Fall hat der Versicherte die Leistung bei der Krankenkasse zu beantragen, welche dann in einem Verwaltungsverfahren nach §§ 8 ff. SGB X darüber zu entscheiden hat.43 Als herrschend hat sich inzwischen jedoch das sog. „Rechtskonkretisierungskonzept“44 des BSG herausgebildet.45 Dessen Entwicklung vollzog sich in drei Stufen:
I. Das Urteil vom 16.12.1993 Den Ausgangspunkt des Rechtskonkretisierungskonzepts markiert eine Entscheidung vom 16.12.1993.46 In dem vom BSG zu entscheidenden Fall ging es um die Frage, ob die Krankenkasse dem bei ihr versicherten Kläger eine Krankenbehandlung im Wege der Kostenerstattung nach § 13 II SGB V a.F. (= § 13 III SGB V n.F.) zu leisten hatte.47 Die Entscheidung des Rechtsstreits hing maßgeblich davon ab, ob dem Kläger ein Natural- oder Dienstverschaffungsanspruch auf die beanspruchte Leistung zustand.48 Das BSG stellte in diesem Zusammenhang fest, dass es sich bei § 27 SGB V um ein subjektiv-öffentliches Rahmenrecht handele, aus dem erst unter Einschluss weiterer im SGB V bestimmter Voraussetzungen ein konkreter Anspruch hergeleitet werden könne.49 Es handele sich lediglich um einen Anspruch „dem Grunde
40
Ausführlich Ebsen, in: Gitter/Schulin/Zacher (Hrsg.), FS Krasney, S. 81 (94) m.w.N. So etwa Ebsen, in: Gitter/Schulin/Zacher (Hrsg.), FS Krasney, S. 81 (94). 42 Vgl. BSGE 81, 54 (60). 43 Hierzu Ebsen, in: Gitter/Schulin/Zacher (Hrsg.), FS Krasney, S. 81 (94 f.). 44 Begriff in BSGE 73, 271 (281); dazu ausführlich unten 13. Kapitel. 45 Schwerdtfeger, NZS 1998, S. 49 ff.; Lang, in: Becker/Kingreen (Hrsg.), SGB V, § 27 Rdn. 46 ff.; Höfler, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 27 Rdn. 6 f.; Muckel, Sozialrecht, § 8 Rdn. 66, 108; Ebsen, in: Gitter/Schulin/Zacher (Hrsg.), FS Krasney, S. 81 (85); kritisch Mrozynski, in: Wannagat (Begr.), SGB V, § 27 Rdn. 5, 46 ff.; Hase, MedR 2005, 391 (393); ausführlich unten 13. Kapitel. 46 BSGE 73, 271. 47 Vgl. BSGE 73, 271 f. 48 Vgl. BSGE 73, 271 (276). 49 Dazu ausführlich Schwerdtfeger, NZS 1998, S. 49 ff.; Lang, in: Becker/Kingreen (Hrsg.), SGB V, § 27 Rdn. 46 ff.; Höfler, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 27 Rdn. 6 f.; Muckel, Sozialrecht, § 8 Rdn. 66; kritisch Mrozynski, in: Wannagat 41
C. Auswirkungen der Richtlinien auf das Leistungsrecht
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nach“, der gerade noch kein hinreichend konkretisierter Anspruch i.S.d. § 194 BGB sei. Die Konkretisierung des subjektiv-öffentlichen Rechts auf Krankenbehandlung sei der „kassenärztlichen Versorgung“ übertragen (§§ 72, 73, 75, 92 SGB V). Dazu sei vor allem der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (heute: G-BA) berufen.50 Die Interpretation des § 27 I 1 SGB V als „subjektiv-öffentliches Rahmenrecht“, aus dem ein konkreter Leistungsanspruch des Versicherten erst dann entstehen könne, wenn ein Vertragsarzt, in Bindung an die für ihn geltenden Vorschriften des Leistungserbringerrechts, eine Therapieentscheidung trifft, erwies sich in der Folgezeit als entscheidend für die Interpretation des Verhältnisses von Leistungs- und Leistungserbringerrecht.51
II. Das Urteil vom 20.03.1996 – „Methadon-Urteil“ Diese – damals bahnbrechende Entwicklung – führte das BSG im viel diskutierten „Methadon-Urteil“52 fort. Es ging dort um die Klage eines Vertragsarztes, der sich gegen die Ablehnung der Erteilung der Zustimmung der beklagten KÄV zur begonnen Methadon-Substitution bei einer Patientin wandte.53 Der Kläger durfte die Methadon-Substitution als Vertragsarzt innerhalb des Systems der GKV nur durchführen, wenn die für ihn zuständige KÄV dem zuvor zustimmte. Die Rechtsgrundlage für dieses präventive Verbot mit Erlaubnisvorbehalt fand sich in den Methadon-Richtlinien, die der (damalige) Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen als Anlage zu den NUB-Richtlinien erlassen hatte.54 Die Entscheidung des Rechtssreits hing davon ab, inwieweit den Richtlinien des Bundesausschusses normative Verbindlichkeit gegenüber den Beteiligten zukam.55 Das BSG gab in dieser Entscheidung nicht nur die Auffassung, dass die Richtlinien keine Auswirkungen auf das Leistungsrecht hätten, ausdrücklich auf56, sondern wies die Konkretisierung des Leistungsanspruchs der Versicherten der Richtliniengebung der damals bestehenden Bundesausschüsse zu.57 Zur Begründung dieser Ansicht differenzierte das Gericht zwischen der Generalklausel des § 92 I 1 SGB V und den speziellen Ermächtigungen zum Richtlinienerlass, die im Leistungsrecht des SGB V enthalten sind:58
(Begr.), SGB V, § 27 Rdn. 5; Hase, MedR 2005, 391 (393); dazu ausführlich unten 13. Kapitel. 50 BSGE 73, 271 (280); dazu ausführlich Schwerdtfeger, NZS 1998, S. 49 ff.; kritisch Rixen, Sozialrecht als öffentliches Wirtschaftsrecht, S. 177 ff. 51 Hierzu Ebsen, in: Gitter/Schulin/Zacher (Hrsg.), FS Krasney, S. 81 (95 f.). 52 BSGE 78, 70. 53 Vgl. BSGE 78, 70. 54 Vgl. BSGE 78, 70 (73). 55 Vgl. BSGE 78, 70 (74 ff.). 56 BSGE 78, 70 (75). 57 BSGE 78, 70 (85). 58 Z.B. §§ 22 V, 25 IV 2, 3, 26 II i.V.m. § 25 IV 2, 27a IV, 29 IV, 33 IV SGB V; dazu Hess, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, EL 44 August 2004, § 92 Rdn. 9.
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5. Kap.: Funktion der Richtlinien im System des SGB V
Die Spezialermächtigungen stünden systematisch im Leistungsrecht des SGB V und bestimmten ausdrücklich, dass der Anspruch der Versicherten auf Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung durch die Richtlinien der (damals noch bestehenden) Bundesausschüsse geregelt werde. Der Gesetzgeber habe die Ausgestaltung des Leistungsrechts in diesen Fällen der Richtliniengebung übertragen59 und die strikte Trennung von Leistungs- und Leistungserbringerrecht dadurch relativiert.60 Diese Argumentation konnte sich das BSG in Bezug auf die Generalklausel zum Richtlinienerlass jedoch nicht nutzbar machen. Aufgrund seiner systematischen Stellung ist § 92 I 1 SGB V dem Leistungserbringerrecht zuzuordnen. Zur erforderlichen Überwindung der Kluft zwischen Leistungs- und Leistungserbringerrecht bedurfte es daher eine über das Argument der systematischen Stellung der Norm hinausgehenden Begründung. Das BSG verwies infolgedessen darauf, dass § 92 I 1 SGB V in unmittelbarem sachlogischem Zusammenhang mit § 12 I SGB V stehe.61 Letzterer beinhaltet das sog „Wirtschaftlichkeitsgebot“62, dessen Anforderungen alle Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung gerecht werden müssen.63 Auf das Wirtschaftlichkeitsgebot nehme § 92 I 1 SGB V seinem Wortlaut nach Bezug. Aufgrund dieses inhaltlichen Gleichklangs beider Normen schloss das BSG darauf, dass die Funktion der Richtlinien darin bestehe, die Verpflichtung der Vertragsärzte zu einer wirtschaftlichen Behandlungs- und Verordnungsweise mit den Ansprüchen der Versicherten zu koordinieren. Diesen komme dadurch die Funktion zu, die Leistungspflicht der Krankenkassen gegenüber den Versicherten zu präzisieren.64 An dieser Aussage wird deutlich, dass es dem Gericht auch darum ging, Leistungs- und Leistungserbringerrecht zu harmonisieren und Friktionen zwischen beiden Teilbereichen des SGB V zu vermeiden.
III. Die Urteile vom 16.09.1997 – „September-Urteile“ In den sog. „Septemberurteilen“65 bestätigte das BSG diese Rechtsprechung und ergänzte seine bisherige Argumentation. In zwei ähnlich gelagerten Fällen ging es einerseits um einen an der „Duchenne’schen Muskeldystrophie“ leidenden Versicherten, der von seiner Krankenkasse die Erstattung der Kosten für die Behand-
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BSGE 78, 70 (76); Hess, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, EL 44 August 2004, § 92 Rdn. 9; Neumann, NZS 2001, 515. 60 Neumann, NZS 2001, 515. 61 BSGE 78, 70 (76 f.) m.w.N.; Höfler, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 12 Rdn. 4; Frieß, Eine Untersuchung zur Steuerung der Versorgung mit Arznei-, Heil, und Hilfsmitteln in der gesetzlichen Krankenversicherung nach der Gesundheitsreform, S.80. 62 Dazu ausführlich unten im 13. Kapitel, D. II. 2. b. 63 Vgl. Scholz, in: Becker/Kingreen (Hrsg.), SGB V, § 12 Rdn. 6 ff.; ausführlich zum Wirtschaftlichkeitsgebot unten im 13. Kapitel, D. II. 2. b. 64 BSGE 78, 70 (76 f.). 65 BSGE 81, 54; BSGE 81, 73.
D. Fazit
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lung mit der sog. „Bioresonanztherapie“ begehrte.66 Andererseits ging es um einen Versicherten, der an Multipler Sklerose erkrankt war und die Erstattung der Kosten für die Behandlung mit der sog. „immuno-augmentativen Therapie“ verlangte.67 Beide Kläger stützten ihr Begehren auf die nach § 13 III SGB V gegebene Möglichkeit der Kostenerstattung. Wie in BSGE 73, 271 kam es in beiden Urteilen entscheidend darauf an, ob den Klägern ein Naturalleistungs- oder Dienstverschaffungsanspruch auf die begehrte Sach- oder Dienstleistung zustand. Das BSG nutzte diese Fälle, um seine Rechtsprechung zum Rechtskonkretisierungskonzept weiter zu verfeinern. Abgesehen vom inhaltlichen Gleichklang von § 92 I 1 SGB V und § 12 I SGB V68 verlange das Gesetz in § 2 I 3 und § 70 I 1 SGB V übereinstimmend einen Versorgungsstandard, der dem allgemein anerkannten Stand medizinischer Erkenntnisse entspreche. Gerade der von diesen Normen geforderte Qualitätsstandard könne im Verhältnis zwischen Krankenkasse und Versichertem nicht anders definiert werden als zwischen Vertragsarzt und Krankenkasse.69 Dies könne nur bedeuten, dass durch die Vorschriften des Leistungserbringerrechts die im Leistungsrecht nur umrisshaft beschriebene Leistungsverpflichtung der Krankenkassen präzisiert und eingegrenzt werden solle.70 Auf diese Weise wurde der These vom Vorrang des Leistungsrechts eine eindeutige Absage erteilt.71
D. Fazit Die Auffassung, dass es sich bei § 27 I 1 SGB V um ein durch die Mechanismen des Leistungserbringerrechts konkretisierungsbedürftiges Rahmenrecht handelt, hat sich inzwischen in Rechtsprechung und Literatur als herrschend herausgebildet.72 Die Richtlinien des G-BA wirken deswegen nicht nur auf die Rechtsbeziehungen zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern, sondern auch auf diejenigen zwischen den Versicherten und der Krankenkasse umfassend ein. Sie dienen im Leistungserbringerrecht der Sicherung einer dem Standard des SGB V entsprechenden ärztlichen Versorgung im ambulanten und stationären Sektor und verdichten das Rahmenrecht des Versicherten aus § 27 I SGB V zu einem vollwertigen Rechtsanspruch. Aus dieser Wirkung lassen sich Rückschlüsse auf deren Rechtsnormqualität ziehen. 66
Vgl. BSGE 81, 54 (55 f.). Vgl. BSGE 81, 73 f. 68 BSGE 78, 70 (76). 69 BSGE 81, 54 (59 f.). 70 BSGE 81, 54 (59); inzwischen ständige Rechtsprechung, vgl. dazu BSGE 81, 54 (61). 71 So ausrücklich BSGE 81, 54 (60). 72 Dazu ausführlich Schwerdtfeger, NZS 1998, S. 49 ff.; Lang, in: Becker/Kingreen (Hrsg.), SGB V, § 27 Rdn. 46 ff.; Höfler, in: Leitherer (Hrsg.) Kasseler Kommentar, SGB V, § 27 Rdn. 6; Muckel, Sozialrecht, § 8 Rdn. 66, 108; Ebsen, in: Gitter/Schulin/Zacher (Hrsg.), FS Krasney, S. 81 (85); kritisch Mrozynski, in: Wannagat (Begr.), SGB V, § 27 Rdn. 5; Hase, MedR 2005, 391 (393); ausführlich unten 13. Kapitel. 67
6. Kapitel: Rechtsnormqualität der Richtlinien A. Allgemeines Aufgrund der wichtigen Funktion, die die Richtlinien des G-BA im System der gesetzlichen Krankenversicherung wahrnehmen, stellt sich die Frage, wie diese rechtlich zu qualifizieren sind – insbesondere, ob es sich um Rechtsnormen handelt. Rechtsnormen sind generell-abstrakte Regelungen, die Rechte und Pflichten für den Bürger oder sonstige selbstständige Rechtspersonen begründen, ändern oder aufheben.73 Ob den Richtlinien des G-BA und seiner Vorgängergremien in diesem Sinne Rechtsnormqualität zukommt oder ob es sich lediglich um bloße Empfehlungen74 handelt, war lange Gegenstand juristischer Kontroversen.75 Unter der Geltung der RVO verneinte das BSG die normative Verbindlichkeit der Richtlinien ausdrücklich.76 Es handele sich bei ihnen lediglich um eine Form der Selbstbindung der Verwaltung.77 Die Verbindlichkeit der Richtlinien folge nicht unmittelbar aus dem Gesetz, sondern lediglich aus entsprechenden Bestimmungen in den Satzungen der Verbände der Krankenkassen und beteiligten Leistungserbringern.78 Das BSG verwies darauf, dass im Zuge der Neugestaltung des Kassenarztrechts durch das GKAR [im Jahre 1955] die ursprüngliche Konzeption der gemeinsamen Selbstverwaltung von Ärzten und Krankenkassen als rechtsetzende Einrichtung ausdrücklich aufgegeben wurde.79 Aufgrund der in Kraft getretenen Fassung des § 368p III RVO sei klargestellt worden, dass die Richtlinien des Bundesausschusses „nicht schon aus sich heraus autonomes Recht der gemeinsamen Selbstverwaltung von Ärzten und Krankenkassen sein sollten, sondern zu ihrer Verbindlichkeit eines rechtsetzenden Aktes bedürften“.80 Diesen rechtsetzenden Akt erblickte das Gericht in einer Festlegung der Parteien in den Bundesmantelverträgen, nach der die Richtlinien zu beachten „sind“.81 Zu einer Rechtsprechungsänderung kam es erst im bis heute richtungsweisenden „Methadon-Urteil“.82 Hier ging das BSG erstmals von der normativen Verbindlichkeit der Richtlinien aus.83 Dadurch, dass das Gesetz die Richtlinien sowohl [unmittelbar] in die Bundesmantel- (§ 92 VIII SGB V), als auch [mittelbar] in die Gesamtverträge inkorporiere (§ 82 I 2 SGB V) komme ihnen die gleiche 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83
Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 4 Rdn. 4. So u.a. noch BSGE 38, 35 (38). Wigge, MedR 1999, 524; Hauck, NZS 2010, 600 f. BSGE 35, 10 (13). BSGE 35, 10 (14). BSGE 38, 35 (37). BSGE 38, 35 (37 f.). BSGE 38, 35 (38). BSGE 52, 70 (73); später auch BSGE 63, 163 (165). BSGE 78, 70 (75). Inzwischen ständige Rechtsprechung, vgl. etwa BSGE 85, 36 (44 f.).
C. Zimmermann, Der Gemeinsame Bundesausschuss, Kölner Schriften zum Medizinrecht, DOI 10.1007/978-3-642-22752-3_6, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
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6. Kap.: Rechtsnormqualität der Richtlinien
rechtliche Wirkung wie den normativen Teilen dieser Kollektivverträge zu.84 Für den in dem damaligen Urteil relevanten Bereich des Kassenarztrechts ergab sich die Verbindlichkeit der Richtlinien gegenüber Krankenkassen und Vertragsärzten auf unterschiedlichem Wege kraft gesetzlicher Verweisung. Seit dem GMG 200385 ordnet § 91 VI SGB V die normative Verbindlichkeit der Beschlüsse des G-BA für die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen, den GKV-Spitzenverband, die DKG, deren Mitglieder und Mitgliedskassen sowie für die sonstigen Leistungserbringer und Versicherten ausdrücklich an.86 Dies hat jedoch nichts daran geändert, dass die ursprünglichen Wege, auf die die Verbindlichkeit der Richtlinien gegenüber dem genannten Betroffenenkreis gestützt wurden, im SGB V fortbestehen.
B. Verbindlichkeit der Richtlinien gegenüber den Krankenkassen Abgesehen von der unmittelbaren gesetzlichen Anordnung in § 91 VI SGB V folgt die Verbindlichkeit der Richtlinien gegenüber den Krankenkassen aus ihrer Zwangsmitgliedschaft in dem jeweiligen Landesverband (§ 207 I 1 SGB V). Dies ergibt sich daraus, dass die zuständigen Landesverbände mit den jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigungen Gesamtverträge gem. § 83 S. 1 SGB V abschließen, die gegenüber den jeweiligen Mitgliedern dieser Körperschaften Geltung beanspruchen. Die Richtlinien des G-BA sind kraft gesetzlicher Anordnung in § 92 VIII SGB V Bestandteil der Bundesmantelverträge, welche wiederum kraft gesetzlicher Verweisung in § 82 I 2 SGB V einen Bestandteil der Gesamtverträge bilden. Daneben müssen die Satzungen der Landesverbände einerseits nach § 210 II Alt. 1 SGB V bestimmen, dass die vom Spitzenverband Bund der Krankenkassen abzuschließenden Verträge für die Mitgliedskassen verbindlich sind. Dies bezieht sich auf die Bundesmantelverträge (§ 87 SGB V) zu deren Bestandteil die Richtlinien kraft gesetzlicher Anordnung in § 92 VIII SGB V werden. Andererseits verlangt § 210 II Alt. 2 SGB V, dass Bestimmungen in die Satzung der Landesverbände aufzunehmen sind, die die Verbindlichkeit der Richtlinien nach § 92 SGB V gegenüber den Mitgliedskassen anordnen.
84 Dazu im Einzelnen BSG SozR 3-2500, § 87 Nr. 4, S. 14 ff.; diese Verträge entfalten Rechtswirkungen gegenüber allen durch ihre abstrakt-generellen Regelungen Betroffenen und damit auch gegenüber solchen Personen, die nicht selbst Vertragspartner waren, vgl. Joussen, SGb 2004, 334 (338). 85 BGBl. I S. 2190 (2211). 86 Dazu Auktor, in: Kruse/Hänlein (Hrsg.), SGB V, § 92 Rdn. 6 ff.
D. Verbindlichkeit der Richtlinien gegenüber den zugelassenen Krankenhäusern
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C. Verbindlichkeit der Richtlinien gegenüber den Vertragsärzten Neben der allgemeinen Verbindlichkeitsanordnung in § 91 VI SGB V ergibt sich die Verbindlichkeit der Richtlinien gegenüber den Vertragsärzten – ähnlich wie bei den Krankenkassen – in mehrfacher Hinsicht aus deren Zwangsmitgliedschaft in der jeweiligen kassenärztlichen Vereinigung (§ 95 III SGB V).87 Über § 95 III 3 SGB V wirken zunächst die von der KÄV abgeschlossenen Verträge für und gegen den einzelnen Vertragsarzt. Damit sind in erster Linie die sog. Gesamtverträge i.S.d. § 83 SGB V gemeint, deren Bestandteil die Bundesmantelverträge bilden (§ 82 I 2 SGB V), in welche das Gesetz die Richtlinien des G-BA inkorporiert (§ 92 VIII SGB V) hat.88 Darüber hinaus verpflichtet § 81 III Nr. 1 SGB V die Kassenärztlichen Vereinigungen ebenfalls, Bestimmungen in ihre Satzungen aufzunehmen, wonach auch die von den Kassenärztlichen Bundesvereinigungen abzuschließenden Verträge gegenüber den angehörigen Vertragsärzten verbindlich sind. Dabei handelt es sich um die Bundesmantelverträge (§ 87 SGB V), welche zwischen dem Spitzenverband der Krankenkassen und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung abgeschlossen (§ 82 I 1 SGB V) werden. Die Richtlinien sind aufgrund der gesetzlichen Regelung in § 92 VIII SGB V Bestandteil der Bundesmantelverträge und erlangen dadurch Geltung gegenüber dem einzelnen Vertragsarzt. Letztlich ordnet § 81 III Nr. 2 SGB V ausdrücklich an, dass darüber hinaus Bestimmungen in die Satzungen aufzunehmen sind, wonach die Richtlinien des G-BA i.S.d. § 92 SGB V gegenüber den jeweiligen Vertragsärzten verbindlich sind.
D. Verbindlichkeit der Richtlinien gegenüber den zugelassenen Krankenhäusern Die Verbindlichkeit der Richtlinien gegenüber den zugelassenen Krankenhäusern lässt sich bislang eindeutig nur aus § 91 VI SGB V herleiten. Zwar sind auch die zugelassenen Krankenhäuser in ein Kollektivvertragssystem eingebunden. Im Vergleich zu den Rechtsbeziehungen zwischen Vertragsärzten und Krankenkassen ist dieses jedoch unvollkommen,89 weil es an dem zentralen Steuerungsinstrument des Bundesmantelvertrages90 auf Bundesebene fehlt. Die DKG und der GKV87
Dazu auch Hänlein, Rechtsquellen im Sozialversicherungsrecht, S. 453 (465 f.); Seeringer, Der Gemeinsame Bundesausschuss nach dem SGB V, S. 81 (84); Schnapp, SGb 1999, 62 (64). 88 Hess, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 95 Rdn. 79; Jochum, Verwaltungsverfahrensrecht und Verwaltungsprozessrecht, S. 246. 89 Dazu oben 6. Kapitel, C. 90 Zu dieser Problematik Hess, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, EL 44 August 2004, § 91 Rdn. 31.
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6. Kap.: Rechtsnormqualität der Richtlinien
Spitzenverband geben als Bundesverbände lediglich unverbindliche Rahmenempfehlungen gem. § 112 V SGB V ab.91 Mangels „echten“ Bundesmantelvertrages läuft die Verweisung des § 92 VIII SGB V im Krankenhaussektor ins Leere. Aus dem gleichen Grund fehlt es auch an einer Parallelvorschrift zu § 82 I 2 SGB V, die die Richtlinien als etwaigen Inhalt eines Bundesmantelvertrages im stationären Sektor in die zwischen den Landeskrankenhausgesellschaften und Landesverbänden der Krankenkassen abzuschließenden zweiseitigen Verträge i.S.d. § 112 SGB V integrieren könnte.
E. Verbindlichkeit der Richtlinien gegenüber den Versicherten Das BSG betrachtete die Richtlinien der Vorgängergremien des G-BA ursprünglich als rein verwaltungsinterne Durchführungsbestimmungen ohne Außenwirkung. Sie seien nicht in der Lage, das gesetzliche Leistungsrecht der RVO zu ändern.92 Eine Beschränkung des Leistungsanspruchs der Versicherten durch Richtlinien wurde daher ausdrücklich abgelehnt93 und eine Außenwirkung der Richtlinien gegenüber Dritten nicht in Betracht gezogen.94 Diese Rechtsprechung änderte sich mit der Ablösung der RVO durch das SGB V zum 01.01.1989.95 Die Bundesausschüsse wurden durch diese Reform vergrößert und der Katalog der Richtliniengegenstände erweitert. Die wohl wichtigsten Neuerungen bestanden darin, dass die Richtlinien aufgrund von § 92 VIII SGB V gesetzlicher Bestandteil der Bundesmantelverträge wurden und die Abrechnung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden von einer Empfehlung in den jeweiligen Richtlinien abhing. Diese Entwicklung setzte der Gesetzgeber durch das 2. GKV-NOG96 vom 23.06.1997 fort, indem er nicht nur die Abrechnung, sondern auch die Erbringung (neuer) Untersuchungs- und Behandlungsmethoden von einer Empfehlung in Richtlinien abhängig machte.97 Infolgedessen wies das BSG im „Methadon-Urteil“ den Richtlinien des G-BA Normqualität zu und tarierte das Verhältnis von Leistungs- und Leistungserbringerrecht neu aus.98
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Hess, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 112 Rdn. 15; Hänlein, in: Kruse/Hänlein (Hrsg.), SGB V, § 112 Rdn. 7. 92 BSGE 35, 10 (14). 93 BSGE 63, 102 (105). 94 BSGE 38, 35, BSG SozR 2200, § 368p Nr. 2, S. 7. 95 BGBl. I 1988, S. 2477; dazu ausführlich mit Rechtsprechungsnachweisen Hänlein, Rechtsquellen im Sozialversicherungsrecht, S. 464; Koch, SGb 2001, 109 (110). 96 BGBl. I 1996, S. 1520. 97 Ausführlich bei Hänlein, Rechtsquellen im Sozialversicherungsrecht, S. 456 f. 98 BSGE 78, 70 (75 ff.); ausführlich dazu Seeringer, Der Gemeinsame Bundesausschuss nach dem SGB V, S. 84 ff.; Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, S. 118 ff.
E. Verbindlichkeit der Richtlinien gegenüber den Versicherten
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Die Erkenntnis, dass die Richtlinien des damaligen Bundesausschusses für Ärzte und Krankenkassen in der Lage seien, Regelungen über die Leistungsansprüche der Versicherten gegenüber den Krankenkassen zu treffen, führte dazu, dass ihnen Verbindlichkeit auch gegenüber den Versicherten zugemessen wurde.99 Das BSG argumentierte, dass sich aus der in § 92 I 1 SGB V enthaltenen Generalklausel und den jeweiligen Spezialermächtigungen zum Richtlinienerlass im Leistungsrecht die Funktion der Richtlinien ergebe, „die Verpflichtung der Vertragsärzte zu einer wirtschaftlichen Behandlungs- und Verordnungsweise mit den Ansprüchen der Versicherten zu koordinieren.“100 Dies entspricht inzwischen der ständigen Rechtsprechung des BSG.101 Der Gesetzgeber machte sich diese zu eigen und ordnete durch das GMG 2003102 die Verbindlichkeit der Richtlinien für die Versicherten ausdrücklich in § 91 VI SGB V an.103 Das kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass die normative Bindungswirkung der Richtlinien gegenüber den Versicherten aufgrund ihrer verfassungsrechtlichen Brisanz bis zum heutigen Tage heftig umstritten ist.104 Aufgrund des Nikolaus-Beschlusses des BVerfG105 ist in jüngerer Zeit sogar die Auffassung vertreten worden, dass dieser belege, dass die in § 91 VI SGB V normierte Bindungswirkung der Richtlinien des G-BA gegenüber den Versicherten mit der Verfassung nicht in Einklang stehe.106 Diese These findet im Wortlaut des Urteils jedoch keine Stütze. Das BVerfG hat wörtlich ausgeführt, dass es „keinen Anlass habe zu prüfen, ob die Rechtssprechung des BSG zur demokratischen Legitimation der Bundesausschüsse (heute: G-BA) und der rechtlichen Qualität der von ihnen erlassenen Richtlinien als außenwirksame Rechtssätze mit dem Grundgesetz in Einklang stehe.“107 Daraus ist zu entnehmen, dass es diese Frage in dem Beschluss gar nicht entscheiden wollte, sondern vielmehr ausdrücklich offengelassen hat.108 Das BVerfG hat durch den Nikolaus-Beschluss lediglich das verfassungskonforme Verständnis der Grenzen des leistungsrechtlichen Anspruchs der Versicherten im Falle einer besonders schwerwiegenden Erkrankung und ihrer Behandlungsmöglichkeiten gegenüber der jeweiligen Krankenkasse bestimmt.109
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BSGE 78, 70 (76 f.). BSGE 78, 70 (76 f.); vgl. zur Entwicklung der Rspr. und Argumentation des Gerichts auch BSGE 38, 35 (38); BSGE 52, 70 (73); BSGE 63, 163 (165). 101 BSGE 85, 36 (44 f.). 102 BGBl. I S. 2190 (2211). 103 Hierzu Schmidt-De Caluwe, in: Becker/Kingreen (Hrsg.), SGB V, § 91 Rdn. 33. 104 Vgl. LSG Niedersachsen, Urt. v. 20.08.2003, Az. L 4 KR 24/02 m.w.N. 105 Vgl. BVerfGE 115, 25. 106 Schimmelpfeng-Schütte, NZS 2006, 567 (570). 107 Vgl. BVerfGE 115, 25 (47). 108 So in jüngerer Zeit von Wolff, NZS 2009, 184 (185); differenzierend Schmidt-De Caluwe, in: Kern/Lilie (Hrsg.), FS Fischer, S. 379 (380). 109 Adelt, in: Kruse/Hänlein (Hrsg.), SGB V, § 25 Rdn 17. 100
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6. Kap.: Rechtsnormqualität der Richtlinien
F. Fazit Die Rechtsnormqualität der Richtlinien entspricht inzwischen nicht nur der gefestigten Rechtsprechung des BSG110, sondern ist auch in der Literatur weitgehend unbestritten.111 Der von ihrer Wirkung betroffene Personenkreis ergibt sich aus § 91 VI SGB V. Davon zu unterscheiden ist allerdings die Verfassungsmäßigkeit der Normsetzungskompetenz des G-BA gegenüber den einzelnen Betroffenen.
110
Zusammenfassend BSGE 86, 223 (224 f.) m.w.N.; BSGE 94, 50 (73 ff.), BSGE 96, 261 (276). 111 Vgl. etwa Hauck, NZS 2010, 600 (607 f.); anders allerdings Schimmelpfeng-Schütte, MedR 2006, 21 (25); dies., RPG 2005, 83 (87).
7. Kapitel: Grundrechtsrelevanz der Richtlinien A. Allgemeines Die Richtlinien des G-BA wirken als Rechtsnormen in verbindlicher Weise auf die Rechtsverhältnisse zwischen Krankenkassen, Leistungserbringern und Versicherten ein, um eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Gesundheitsversorgung zu gewährleisten (§ 92 I 1 SGB V). Dabei geht es nicht nur um die Frage, welche Leistungen die Leistungserbringer zu Lasten der Krankenkassen erbringen dürfen, sondern im Besonderen auch darum, welche Leistungen die Versicherten als Sach- bzw. Naturalleistungen beanspruchen können. Deswegen ergibt sich das Problem, inwieweit sich diese konkretisierende Einflussnahme des G-BA auf das Leistungs- und Leistungserbringerrecht des SGB V gegenüber den von seiner Rechtsetzung Betroffenen als grundrechtsrelevant erweist.
B. Grundrechte der Krankenkassen Bei den Krankenkassen handelt es sich um juristische Personen des öffentlichen Rechts in Form von Körperschaften (§ 4 I SGB V), für die Grundrechte entsprechend Art. 19 III GG nur insoweit gelten, als sie auf diese „ihrem Wesen nach anwendbar sind“.112 Da juristische Personen des öffentlichen Rechts in aller Regel zur Sphäre der organisierten staatlichen Gewalt zählen und damit der Gruppe der Grundrechtsverpflichteten angehören, stehen sie dem Staat nicht in der Weise gegenüber, wie dies bei grundrechtsberechtigten natürlichen oder juristischen Personen des Privatrechts der Fall ist.113 Dies gilt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts insbesondere dann, wenn die Tätigkeit der jeweiligen juristischen Person in der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben besteht. Diese erfolge in aller Regel nicht in Wahrnehmung unabgeleiteter, ursprünglicher Freiheiten, sondern aufgrund von Kompetenzen, die vom positiven Recht zugeordnet und inhaltlich bemessen und begrenzt sind.114 Die Hauptaufgabe der Krankenkassen als Sozialversicherungsträger besteht im Vollzug einer detaillierten Sozialgesetzgebung.115 Dabei handelt es sich um eine öffentliche Aufgabe, die sie als dem Staat eingegliederte juristische Personen in mittelbarer Staatsverwaltung wahrnehmen.116 Damit fehlt es an einer grundrechts-
Hierzu Sachs, Grundrechte, Kap. A 6 Rdn. 42 (70 ff.). Sachs, Grundrechte, Kap. A 6 Rdn. 70; ausführlich auch Scholz, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, Art. 12 Rdn. 108 ff. 114 BVerfG NJW 1985, 1385. 115 BVerfGE 39, 302 (312). 116 BVerfGE 39, 302 (312). 112 113
C. Zimmermann, Der Gemeinsame Bundesausschuss, Kölner Schriften zum Medizinrecht, DOI 10.1007/978-3-642-22752-3_7, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
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7. Kap.: Grundrechtsrelevanz der Richtlinien
typischen Gefährdungslage.117 Krankenkassen können sich nicht auf Grundrechte berufen.118 Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Krankenkassen über das Recht zur Selbstverwaltung verfügen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts führt der Umstand, dass eine juristische Person des öffentlichen Rechts Aufgaben im Interesse der Allgemeinheit wahrnimmt, nicht dazu, dass sie zum grundrechtsgeschützten „Sachwalter“ des Einzelnen bei der Wahrnehmung seiner Grundrechte wird.119
C. Grundrechte der Vertragsärzte Soweit die Vertragsärzte oder andere Leistungserbringer von sozialversicherungsrechtlichen Regelungen betroffen sind, steht das Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art. 12 I GG im Vordergrund.120 Die Berufsfreiheit beinhaltet insbesondere die ärztliche Therapiefreiheit.121 Allerdings gewährleistet der Schutzbereich des Art. 12 I GG nach der Rechtsprechung des BVerfG nicht, dass das Leistungsspektrum der gesetzlichen Krankenversicherung alle medizinisch zulässigen und erfolgreichen Leistungen umfasst.122 Demzufolge hat die Solidargemeinschaft der gesetzlich Krankenversicherten nicht alles, was nach Ausschöpfung der wissenschaftlich anerkannten Heilmethoden im Rahmen ärztlicher Therapiefreiheit denkbar und machbar ist, zu finanzieren.123
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Hierzu Sachs, Grundrechte, Kap. A 6 Rdn. 70 ff. Vgl. Heberlein, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching (Hrsg.), BeckOK SGB V, § 4 Rdn. 1. 119 BVerfG NJW 1985, 1385 (1386). 120 Hase, MedR 2005, 391 (393); ausführlich Schnapp, in: Schnapp/Wigge (Hrsg.), Handbuch des Vertragsarztrechts, § 4 Rdn. 49 ff.; ders., MedR 1996, 419 (421 f.); Hänlein, Rechtsquellen im Sozialversicherungsrecht, S. 478 ff.; Rixen, Sozialrecht als öffentliches Wirtschaftsrecht, S. 223 ff.; Laufs, in: Laufs/Kern (Hrsg.), Handbuch des Arztrechts, § 3 Rdn. 6, 13 ff., 21; Schnapp, in: Schnapp/Wigge (Hrsg.), Handbuch des Vertragsarztrechts, § 4 Rdn. 49 ff.; zum Grundrechtsschutz des Zulassungsstatus des Vertragsarztes Neumann, in: von Wulffen/Krasney (Hrsg.), FS 50 Jahre BSG, S. 245 ff. 121 Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp (Hrsg.), Arztrecht, Kap. 2 Rdn. 4; Zuck, in: Quaas /Zuck (Hrsg.), Medizinrecht, § 2 Rdn. 52; Zuck, NJW 1991, 2933; ausführlich zur Therapiefreiheit Arnade, Kostendruck und Standard, S. 163 ff. m.w.N.; Dahm, in: Rieger/Dahm/Steinhilper (Hrsg.), HK-AKM, 5090 Rdn. 4 ff.; Laufs, in: Laufs/Kern (Hrsg.), Handbuch des Arztrechts, § 3 Rdn. 13, 22; Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp (Hrsg.), Arztrecht, Kap. X Rdn. 60 ff. (79 ff.); Sodan, in: Wenzel (Hrsg.), Handbuch des Fachanwalts für Medizinrecht, Kap. 1 Rdn. 26 ff.; Zuck, NJW 1991, 2933. 122 BVerfG NZS 2005, 91 (92); Preis, MedR 2010, 139 (144 f.). 123 Katzenmeier, in: Katzenmeier/Laufs/Lipp, Arztrecht, Kap. X Rdn. 78. 118
D. Grundrechte der zugelassenen Krankenhäuser
59
Gerade im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung erfährt die Ausübung der ärztlichen Tätigkeit verschiedene Eingrenzungen,124 unter denen sich die Richtlinien des G-BA nach § 92 I 1 SGB V als das wichtigste Steuerungsinstrument erweisen. Da sie sich auf die Ausgestaltung des Leistungsumfangs innerhalb der GKV auswirken,125 handelt es sich bei ihnen typischerweise um Berufsausübungsregelungen.126 Dies führt allerdings dazu, dass die Anforderungen an die Rechtfertigung von durch Richtlinien verwirklichten Grundrechtseingriffen vergleichsweise gering sind.127 Ausreichend sind entsprechend der Stufenlehre des BVerfG bereits vernünftige Erwägungen des Allgemeinwohls.128 Aus diesem Grund erweist sich die über Art. 12 I GG geschützte Berufs- bzw. Therapiefreiheit als „stumpfes Schwert“.129 Höhere Anforderungen an durch Richtlinien verwirklichte Grundrechtseingriffe wären nur dann zu stellen, wenn diese in den Kernbereich der ärztlichen Berufsausübung eingriffen. Da das Bundesverfassungsgericht jedoch davon ausgeht, dass der Schutzbereich des Art. 12 I GG nicht gewährleiste, dass das Leistungsspektrum der gesetzlichen Krankenversicherung alle medizinisch zulässigen und erfolgreichen Leistungsangebote umfasse,130 ist dies beim Ausschluss einer einzelnen ärztlichen Leistung oder Behandlungsmethode aus dem Leistungsspektrum der GKV regelmäßig nicht anzunehmen.131 Denkbar wäre dies höchstens durch eine Kumulation einer Vielzahl von Richtlinien, die in der Summe dazu führen, dass das Leistungsspektrum der GKV auf ein medizinisch nicht mehr vertretbares Maß absinkt.132 Dies wäre dann anzunehmen, wenn den Beiträgen der Versicherten keine ausreichende solidarische Versorgung mehr entgegenstünde.
D. Grundrechte der zugelassenen Krankenhäuser Neben den Vertragsärzten können sich die im Krankenhaus tätigen Leistungserbringer (Krankenhausärzte, Pflegekräfte etc.) auf das Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art. 12 I GG berufen.133 Dies gilt – wegen Art. 19 III GG – grundsätzlich
124
Vgl. Laufs, in: Laufs/Kern (Hrsg.), Handbuch des Arztrechts, § 3 Rdn. 22; Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, Kap. X Rdn. 79 ff. 125 Vgl. allgemein Butzer/Kaltenborn, MedR 2001, 333 (335 f.); differenzierend Schnapp, MedR 1996, 418 (421 f.). 126 Hänlein, Rechtsquellen im Sozialversicherungsrecht, S. 478 m.w.N.; hierzu allgemein Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 12 Rdn. 84. 127 Preis, MedR 2010, 139 (144 f.). 128 Vgl. Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 12 Rdn. 107 ff. (108). 129 Vgl. Preis, MedR 2010, 139 (144 f.), Schnapp, in: Schnapp/Wigge (Hrsg.), Handbuch des Vertragsarztrechts, § 4 Rdn. 97. 130 BVerfG NZS 2005, 91 (92); Preis, MedR 2010, 139 (144 f.). 131 Vgl. Preis, MedR 2010, 139 (145 f.); ähnlich BVerfG NZS 2011, 297 (299). 132 Vgl. Preis, MedR 2010, 139 (145 f.) m.w.N. 133 Kaltenborn, in: Huster/Kaltenborn (Hrsg.), Krankenhausrecht, § 2 Rdn. 7.
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7. Kap.: Grundrechtsrelevanz der Richtlinien
auch für die Krankenhäuser selbst, sofern sie sich in privater Trägerschaft befinden.134 Befinden sich die Krankenhäuser dagegen in kommunaler Trägerschaft, scheidet eine Berufung auf Art. 12 I GG im Regelfall aus.135 Ähnlich wie bei den Krankenkassen beruht die Tätigkeit des kommunalen Krankenhausträgers in diesem Fall nicht auf der Ausübung von Freiheitsrechten,136 sondern auf dem die Kommunen treffenden Sicherstellungsauftrag zur Versorgung der Bevölkerung mit Krankenhausleistungen, der sich einerseits aus dem Recht zur kommunalen Selbstverwaltung aus Art. 28 II GG, andererseits aber auch aus den Krankenhausgesetzen der Länder ergibt.137 Sofern der Schutzbereich des Art. 12 I GG eröffnet ist, wirken sich die Richtlinien des G-BA auch im stationären Sektor als Berufsausübungsregeln aus. Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung derartiger Eingriffe ergeben sich daher im Vergleich zum ambulanten Sektor keine Abweichungen.138
E. Grundrechte der Versicherten Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die Bestimmung des Leistungsumfangs der GKV durch die Richtlinien des G-BA hauptsächlich an der allgemeinen Handlungsfreiheit der Versicherten aus Art. 2 I GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip und dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 II 1 GG zu messen.139 Dies entspricht der Rechtsprechung des 6. Senates des BSG140 und der in der Literatur wohl vorherrschenden Auffassung.141 Ansprü134
Kaltenborn, in: Huster/Kaltenborn (Hrsg.), Krankenhausrecht, § 2 Rdn. 7 m.w.N. Kaltenborn, in: Huster/Kaltenborn (Hrsg.), Krankenhausrecht, § 2 Rdn. 7. 136 Vgl. BVerfG NJW 1985, 1385. 137 Ausführlich Friedrich, in: Huster/Kaltenborn (Hrsg.), Krankenhausrecht, § 16 Rdn. 8 ff. 138 Ausführlich Kaltenborn, in: Huster/Kaltenborn (Hrsg.), Krankenhausrecht, § 2 Rdn. 7 ff. 139 Vgl. BVerfGE 115, 25 (41 ff.) m.w.N. in Bezug auf die Leistungspflicht der GKV für neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden; Papier, in: von Maydell/Ruland/Becker (Hrsg.), SRH, § 3 Rdn. 120 ff.; Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein (Begr.), GG, Art. 2 Rdn. 52; Butzer/Kaltenborn, MedR 2001, 333 (336); Kaltenborn, in: Huster/Kaltenborn (Hrsg.), Krankenhausrecht, § 2 Rdn. 5 ff. m.w.N.; eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem grundrechtlichen Schutz sozialrechtlicher Positionen mit einzelnen Fallgruppen findet sich bei Vießmann, VSSR 2010, 105 ff.; informativ auch Deutscher Ethikrat (Hrsg.), Nutzen und Kosten im Gesundheitswesen, S. 76 ff. 140 BSGE 78, 70 (84); eine andere Auffassung vertritt jedoch der 1. Senat des BSG, welcher davon ausgeht, dass aus Art. 2 II 1 GG lediglich die objektiv-rechtliche Pflicht des Staates folge, das Leben und die körperliche Unversehrtheit zu schützen und im Rahmen des Selbstbestimmungsrechts zu gewährleisten, dass dem Erkrankten eine Letztentscheidung über die in seinem Fall anzuwendende Therapie belassen wird (BSGE 81, 54 [72 f.]; BSGE 81, 73 [85]); hierzu krit. Hänlein, Rechtsquellen im Sozialversicherungsrecht, S. 482 f. 135
E. Grundrechte der Versicherten
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che der Versicherten gegen die Krankenkassen auf die Bereitstellung bestimmter Gesundheitsleistungen lassen sich hieraus jedoch regelmäßig nicht ableiten.142 Art. 2 I GG schützt den Versicherten lediglich vor einer Unverhältnismäßigkeit von Beitrag und Leistung. Gesetzliche oder auf Gesetz beruhende Leistungsausschlüsse sind deswegen darauf zu prüfen, ob sie im Rahmen des Art. 2 I GG gerechtfertigt sind.143 Dadurch, dass der Gesetzgeber die Versicherten einer Zwangsmitgliedschaft und Beitragspflicht in einem öffentlich-rechtlichen Verband der Sozialversicherung unterwirft, engt er deren allgemeine Handlungsfreiheit in wirtschaftlicher Hinsicht nicht unerheblich ein.144 Ein solcher Eingriff bedarf der Rechtfertigung durch eine entsprechende Ausgestaltung der ausreichenden solidarischen Versorgung, die den Versicherten für deren Beitrag im Rahmen des Sicherungszwecks zu erbringen ist.145 Wann eine den Versicherungsbeiträgen entsprechende Ausgestaltung der solidarischen Versorgung vorliegt oder anhand welcher Kriterien dies festgestellt werden kann, ist bislang noch weitgehend ungeklärt.146 Eine besondere Rechtfertigung erfordert in jedem Fall die Situation, in der den Versicherten Leistungen für die Behandlung einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung vorenthalten werden.147 Aus Art. 2 II 1 GG ergibt sich die objektiv-rechtliche Pflicht des Staates, sich schützend vor die dort genannten Rechtsgüter zu stellen.148 Wird diese Schutzpflicht verletzt, liegt darin zugleich eine Verletzung des Grundrechts aus Art. 2 II 1 GG, gegen die sich die Versicherten mit Hilfe der Verfassungsbeschwerde zur Wehr setzen können.149 Bei deren Verwirklichung räumt das BVerfG dem Gesetzgeber jedoch einen weiten Gestaltungsspielraum ein.150 Der mit dieser Schutz141
Hänlein, Rechtsquellen im Sozialversicherungsrecht, S. 482 f.; ders., SGb 2003, 301 (304 f.); Francke, GesR 2003, 97 (99); Dettling, GesR 2006, 97 (100 ff.); darüber hinaus wird erwogen, krankenversicherungsrechtliche Rechtsansprüche angesichts ihrer Beitragsfinanzierung dem Schutz des Art. 14 I GG zu unterstellen (vgl. dazu Hänlein, SGb 2003, 301 [304]; ausführlich Arnade, Kostendruck und Standard, S. 98 ff. m.w.N.; Wallrabenstein, Versicherung im Sozialstaat, S. 220 ff.; Rolfs, Das Versicherungsprinzip im Sozialversicherungsrecht, S. 135 ff.; Papier, in: von Maydell/Ruland/Becker [Hrsg.], SRH, § 3 Rdn. 41 ff.; Dettling, GesR 2006, 97 [103 ff.]; Vießmann, VSSR 2010, 105 [112 ff.]). 142 Vgl. BVerfGE 115, 25 (44 f.); hierzu auch Preis, MedR 2010, 139 (145). 143 BVerfGE 115, 25 (42 f.). 144 Vgl. BVerfGE 115, 25 (42); BVerfGE 97, 271 (286). 145 BVerfGE 115, 25 (42); allgemein BVerfGE 97, 271 (286); Rolfs, Das Versicherungsprinzip im Sozialversicherungsrecht, S. 264 ff.; kritisch Wallrabenstein, Versicherung im Sozialstaat, S. 216 ff., die davon ausgeht, dass das BVerfG unter dem Gesichtspunkt des Beitrags-Leistungsverhältnisses lediglich erörtere, ob die Beschwerdeführer die geltend gemachten Leistungen erwarten dürften. 146 Vgl. allgemein Rolfs, Das Versicherungsprinzip im Sozialversicherungsrecht, S. 264 ff. (265). 147 BVerfGE 115, 25 (44 ff.). 148 BVerfGE 115, 25 (44 f.); Zuck, in: Quaas/Zuck (Hrsg.), Medizinrecht, § 2 Rdn. 25; Schuler-Harms, in: Schmehl/Wallrabenstein (Hrsg.), Steuerungsinstrumente im Recht des Gesundheitswesens, Band II, S. 23 (32). 149 BVerfGE 77, 170 (214). 150 BVerfGE 77, 170 (214 f.); BVerfGE 79, 174 (202); BVerfGE 85, 191 (212).
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7. Kap.: Grundrechtsrelevanz der Richtlinien
pflicht verbundene Anspruch sei regelmäßig nur darauf gerichtet, dass die öffentliche Gewalt Vorkehrungen zum Schutze des Grundrechts treffe, die nicht gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich seien. Nur unter besonderen Umständen verenge sich die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers darauf, dass ihr allein durch eine bestimmte Maßnahme Genüge getan werden könne.151
F. Fazit Die Rechtsetzung des G-BA durch Richtlinien ist von Grundrechtsrelevanz gegenüber den von ihr betroffenen Leistungserbringern und Versicherten, nicht jedoch gegenüber den Krankenkassen, die als juristische Personen des öffentlichen Rechts eine Sonderstellung einnehmen. Allerdings gewähren die Grundrechte auch den Leistungserbringern und Versicherten nur einen vergleichsweise geringen Schutz. Dies ergibt sich für die Leistungserbringer daraus, dass Art. 12 I GG zwar die Berufsfreiheit schützt, die Richtlinien des G-BA sich im Regelfall aber als Berufsausübungsregeln darstellen, an deren verfassungsrechtliche Rechtfertigung nach der Stufentheorie des BVerfG152 nur geringe Anforderungen bestehen. Insbesondere die in den Schutzbereich von Art. 12 I GG einbezogene ärztliche Therapiefreiheit erweist sich aus diesem Grund als „stumpfes Schwert“.153 Die Verfassung räumt den Leistungserbringern grundsätzlich weder einen Anspruch darauf ein, dass konkrete medizinische Leistungen zu Lasten der Krankenkassen erbracht werden dürfen, noch schützt sie vor der Herausnahme einzelner Leistungen aus dem Leistungskatalog. Parallel dazu ist der verfassungsrechtliche Schutz der Versicherten ausgestaltet. Da das BVerfG davon ausgeht, dass Art. 2 I GG diese hauptsächlich vor einer Unverhältnismäßigkeit von Beitrag und Leistung schützt und dem Staat bei der Verwirklichung der Schutzpflicht aus Art. 2 II 1 GG einen weiten Gestaltungsspielraum einräumt, können auch die Versicherten im Regelfall unter Berufung auf die Verfassung weder konkrete Leistungen beanspruchen, noch sind sie vor der Herausnahme einzelner Leistungen aus dem Leistungskatalog der GKV geschützt. Etwas anderes kann allerdings dann gelten, wenn es um Leistungen zur Bekämpfung einer lebensbedrohlichen, regelmäßig tödlich verlaufenden Krankheit geht.154
151
BVerfGE 77, 170 (214 f.); Zuck, in: Quaas/Zuck (Hrsg.), Medizinrecht, § 2 Rdn. 25 m.w.N. 152 Dazu Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 12 Rdn. 107 ff.; Tettinger/Mann, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 12 Rdn. 100 ff. 153 Vgl. Preis, MedR 2010, 139 (144 f.), Schnapp, in: Schnapp/Wigge (Hrsg.), Handbuch des Vertragsarztrechts, § 4 Rdn. 97. 154 Vgl. dazu ausführlich unten 13. Kapitel, D. III. 3.
8. Kapitel: Richtlinien als Form der Normsetzung A. Allgemeines Die Qualifikation der Richtlinien des G-BA als Rechtsnormen, die Wirkung gegenüber Krankenkassen, Leistungserbringern und auch den Versicherten entfalten, entspricht inzwischen der ständigen Rechtsprechung des BSG und ist auch in der Literatur weitgehend anerkannt.155 Nicht endgültig geklärt ist dagegen die Frage, wie die Richtlinien als Handlungsform zu qualifizieren sind. Insbesondere stellt sich die Frage, ob sie sich dem Kanon der im Verwaltungsrecht anerkannten Rechtsquellen zuordnen lassen. Diese Frage erlangt aufgrund der Grundrechtsrelevanz der Richtlinien besondere Bedeutung. Die Richtlinien vermögen die durch ihren Beschluss verwirklichten Grundrechtseingriffe nämlich nur dann zu rechtfertigen, wenn die in Art. 2 GG und Art. 12 GG enthaltenen Gesetzesvorbehalte durch sie konkretisiert werden dürfen.156 Dies setzt voraus, dass die Richtlinien eine verfassungsrechtlich zulässige Form der Normsetzung darstellen. Die Beantwortung dieser Frage hängt maßgeblich davon ab, ob sie sich dem Kanon der anerkannten Rechtsquellen – bestehend aus Gesetz, Rechtsverordnung, Satzung und Verwaltungsvorschrift – zuordnen lassen. Sollte dies nicht möglich sein, richtet sich die Frage der formellen Verfassungsmäßigkeit der Richtlinien danach, ob die Verfassung auch weitere – nicht in diesem Kanon enthaltene – Normsetzungsformen anerkennt (sog. „numerus clausus der Rechtsquellen“). Die Zuordnung einer Rechtsnorm zu den anerkannten Formen der Normsetzung richtet sich in erster Linie nach dem jeweiligen Normgeber.157 Aus diesem Grund ist zunächst die Untersuchung der Rechtsform des G-BA und dessen Eingliederung in die Verwaltungsorganisation der Bundesrepublik Deutschland erforderlich, um zu klären, ob dieser als Normgeber in Betracht kommt.
BSGE 96, 261 (276) m.w.N.: „In der Rechtsprechung des BSG ist der normativ wirkende Charakter der Richtlinien ebenso geklärt wie die Verfassungsmäßigkeit dieser besonderen Form der Rechtsetzung...“ 156 Butzer/Kaltenborn, MedR 2001, 333 (336); allgemein Sachs, Grundrechte, Kap. A 9 Rdn. 10. 157 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 4 Rdn. 10. 155
C. Zimmermann, Der Gemeinsame Bundesausschuss, Kölner Schriften zum Medizinrecht, DOI 10.1007/978-3-642-22752-3_8, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
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8. Kap.: Richtlinien als Form der Normsetzung
B. Rechtsform des G-BA I. Allgemeines Die Rechtsform des G-BA ist bis heute Gegenstand vielfältiger Diskussionen.158 Bislang ist nicht endgültig geklärt, ob der G-BA eine juristische Person des öffentlichen Rechts in Form einer Körperschaft, Stiftung, Anstalt oder sogar Rechtsform sui generis darstellt. Davon hängt nicht nur die rechtliche Qualifikation der Richtlinien, sondern auch die Frage der institutionellen Legitimation des Gremiums ab.
II. Qualifikation des G-BA als juristische Person des öffentlichen Rechts Eine juristische Person des öffentlichen Rechts ist allgemein definiert als Organisationseinheit, deren Rechtsfähigkeit im öffentlichen Recht wurzelt.159 Ursprünglich bestand Unklarheit darüber, ob es sich beim G-BA um eine juristische Person handelt, die als solche dem öffentlichen Recht zuzuordnen ist.160 Infolge des GKV-GMG 2003 hat sich diese Problematik jedoch erledigt, weil der Gesetzgeber dem G-BA durch § 91 I 2 SGB V ausdrücklich Rechtsfähigkeit eingeräumt und ihn somit als Verwaltungsträger161 anerkannt hat. Dadurch kann das Gremium eigenständig Rechte und Pflichten begründen, insbesondere personelle und sachliche Mittel akquirieren.162 Auch weitere Faktoren zeigen, dass der Gesetzgeber den G-BA bewusst als eigenständige Organisation konzipiert und dessen Verselbstständigung schrittweise gestärkt hat. So setzt das Gesetz in § 91 IV Nr. 2 SGB V inzwischen nicht nur eine eigene Geschäftsstelle des Gremiums voraus, sondern sorgt auch dafür, dass es über eine eigenständige Finanzierungsgrundlage und einen von den Trägerorganisationen unabhängigen Haushalt (§ 91 III SGB V) verfügt.163 Darüber hinaus üben die unparteiischen Mitglieder ihre Tätigkeit in der Regel hauptamtlich aus und stehen in einem Dienstverhältnis zum Bundesausschuss (§ 91 II 4 SGB V). Dadurch, dass die gerichtliche und außergerichtliche Vertretung des Ausschusses 158 Dazu u.a. Butzer/Kaltenborn, MedR 2001, 333 (335); eine zusammenfassende Übersicht mit weiterführenden Literaturhinweisen findet sich bei Seeringer, Der Gemeinsame Bundesausschuss nach dem SGB V, S. 58 ff. (59). 159 Vgl. Jestaedt, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 14 Rdn. 25 f.; Burgi, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 8 Rdn. 7, 11. 160 Dazu Seeringer, Der Gemeinsame Bundesausschuss nach dem SGB V, S. 56 f. 161 Zum Begriff des Verwaltungsträgers Krebs, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band III, 1. Auflage 1988, § 69 Rdn. 30. 162 Hess, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, EL 48 September 2005, § 91 Rdn. 3. 163 Ausführlich Hess, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, EL 44 September 2004, § 91 Rdn. 12.
B. Rechtsform des G-BA
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durch den Vorsitzenden erfolgt (§ 91 I 3 SGB V), wird dieser neben dem Beschlussgremium zu einem weiteren Organ des G-BA.164 Die Rechtsfähigkeit des G-BA beruht auf § 91 I 2 SGB V und wurzelt damit im öffentlichen Recht.165 Außerdem nimmt das Gremium durch den Richtlinienerlass (§ 92 I 1 SGB V) Aufgaben mit hoheitlichen Mitteln wahr und ist dadurch in das System des öffentlichen Gesundheitswesens des SGB V eingegliedert.166 Seine Tätigkeit bezieht sich zudem auf das Vertragsarztrecht, welches nach § 51 II 1 SGG eine Angelegenheit der Sozialversicherung darstellt.167
III. Zuordnung des G-BA zu den möglichen Organisationsformen juristischer Personen des öffentlichen Rechts Die Unsicherheit über die Rechtsform des G-BA resultiert maßgeblich aus der lückenhaften Formulierung des § 91 I 2 SGB V. Diese Vorschrift räumt dem Bundesausschuss zwar Rechtsfähigkeit ein, nimmt aber keine nähere Zuordnung zu den einzelnen Organisationsformen juristischer Personen des öffentlichen Rechts vor. Demgegenüber wurde den Kassenärztlichen Bundesvereinigungen und dem GKV-Spitzenverband in § 77 V SGB V und § 217a II SGB V jeweils die Rechtsform einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zugewiesen.168 Dem Mangel an einer derartigen organisationsrechtlichen Einordnung des G-BA soll im Folgenden entgegengewirkt und die Frage nach seiner Rechtsform beantwortet werden. Grundsätzlich kommt dessen Qualifikation als Körperschaft, Stiftung oder Anstalt des öffentlichen Rechts sowie als Rechtsform sui generis in Betracht. 1. Der G-BA als Körperschaft des öffentlichen Rechts Körperschaften sind durch staatlichen Hoheitsakt geschaffene, rechtsfähige, mitgliedschaftlich verfasste Organisationen des öffentlichen Rechts, die öffentliche Aufgaben mit i.d.R. hoheitlichen Mitteln unter staatlicher Aufsicht wahrnehmen.169 Bei einer Körperschaft handelt es sich typischerweise um die Zusammenfassung einer willens- und handlungsfähigen Personenmehrheit, die durch die Mitglieder „von unten“ gesteuert wird.170 Die mitgliedschaftliche Prägung stellt das tragende und bestimmende Element dar, welches dazu führt, dass die Rechtsform der Körperschaft aufgrund ihrer demokratischen Verfassung als Prototyp ei164
Schmidt-De Caluwe, in: Becker/Kingreen (Hrsg.), SGB V, § 91 Rdn. 8. Allgemein Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 21 Rdn. 4. 166 Ähnlich Seeringer, Der Gemeinsame Bundesausschuss nach dem SGB V, S. 57. 167 Schneider, Handbuch des Kassenarztrechts, Rdn. 618. 168 Dazu auch Hess, in: Rieger/Dahm/Steinhilper (Hrsg.), HK-AKM, 2045 Rdn. 18. 169 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 23 Rdn. 37; Kluth, in: Wolff/Bachof/ Stober/Kluth (Hrsg.), Verwaltungsrecht, Band II, § 85 Rdn. 8; Krebs, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band III, 1. Auflage 1988, § 69 Rdn. 33. 170 Kluth, in: Wolff/BachofStober/Kluth (Hrsg.), Verwaltungsrecht, Band II, § 85 Rdn. 7. 165
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8. Kap.: Richtlinien als Form der Normsetzung
nes Selbstverwaltungsträgers gilt.171 Die Mitgliedschaft in einer Körperschaft kann sich aus unterschiedlichen Gesichtspunkten ergeben.172 Da der G-BA nach inzwischen anerkannter Auffassung keine Personalkörperschaft ist,173 kommt einzig dessen Qualifikation als Verbandskörperschaft in Betracht. Dabei handelt es sich um solche Körperschaften, die sich ausschließlich oder ganz überwiegend aus juristischen Personen des öffentlichen Rechts zusammensetzen.174 Ausschlaggebend für die Mitgliedschaft im G-BA ist § 91 I 1 SGB V. Die Norm sieht vor, dass dieser von den Kassenärztlichen Bundesvereinigungen, der Deutschen Krankenhausgesellschaft und dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen gebildet wird. Der GKV-Spitzenverband (§ 217a II SGB V) und die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen (§ 77 V SGB V) sind Körperschaften und dem entsprechend juristische Personen des öffentlichen Rechts. Abweichend davon weist die DKG die Rechtsform eines Vereins des Privatrechts i.S.d. §§ 21 ff. BGB auf. Dies steht der Qualifikation des G-BA als Verbandskörperschaft nicht entgegen.175 Es ist inzwischen anerkannt, dass auch eingetragene Vereine des Privatrechts als Beliehene in die (Selbst-)Verwaltung eingebunden werden können. Dabei ist lediglich zu beachten, dass ein privatrechtsfähiger Verein über ein geringeres Maß an personell-demokratischer Legitimation verfügt als eine vergleichbare öffentlich-rechtliche Organisationsform.176 Entscheidend ist jedoch, dass es dem G-BA an dem Merkmal der mitgliedschaftlichen Prägung fehlt. Eine Steuerung „von unten“ durch die Mtiglieder ist nicht in ausreichendem Maße gegeben.177 Dem Beschlussgremium des G-BA gehören nach § 91 II 1 SGB V neben den Vertretern der Spitzenverbände drei weitere unparteiische Mitglieder an, von denen eines den Vorsitz übernimmt. Da die Unparteiischen schon begriffsnotwendig keiner der den G-BA tragenden juristischen Personen direkt zuzurechnen sind, wird die mitgliedschaftliche Prägung des Gremiums in einer für die Körperschaft untypischen Weise abge171
Vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 23 Rdn. 40; Laubinger, in: Geis/Lorenz (Hrsg.), FS Maurer, S. 641 (645); Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth (Hrsg.), Verwaltungsrecht, Band II, § 85 Rdn. 7. 172 Dazu Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth (Hrsg.), Verwaltungsrecht, Band II, § 85 Rdn. 30 ff.; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 23 Rdn. 30. 173 Zu dieser Frage ausführlich Hällßig, Normsetzung durch Richtlinien im Vertragsarztrecht, S. 76 f.; Seeringer, Der Gemeinsame Bundesausschuss nach dem SGB V, S. 57 ff. (59); allgemein Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth (Hrsg.), Verwaltungsrecht, Band II, § 85 Rdn. 32. 174 Kluth, in: Wolf/Bachof/Stober/Kluth (Hrsg.), Verwaltungsrecht, Band II, § 85 Rdn. 34; ausführlich zur Einordnung des G-BA als Verbandskörperschaft Seeringer, Der Gemeinsame Bundesausschuss nach dem SGB V, S. 60 f.; weitere Ausführungen noch zum Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen Hällßig, Normsetzung durch Richtlinien im Vertragsarztrecht, S. 75 ff. 175 Dazu Kluth, in: Wolf/Bachof/Stober/Kluth (Hrsg.), Verwaltungsrecht, Band II, § 85 Rdn. 53. 176 Vgl. dazu ausführlich unten 10. Kapitel, C. III. 1. b. cc. 177 Vgl. allgemein BSGE 78, 70 (80 f.); dazu Butzer/Kaltenborn, MedR 2001, 333 (334 f.); Schwerdtfeger, NZS 1998, 49 (52 f.).
B. Rechtsform des G-BA
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schwächt.178 Es besteht lediglich eine schwache Rückbindung der Unparteiischen an die jeweiligen Spitzenverbände dadurch, dass diese im Regelfall zu deren Benennung berufen sind (§ 91 II 2 SGB V). Die Abschwächung der mitgliedschaftlichen Prägung des G-BA zeigt sich gerade auch daran, dass die Beteiligung der Unparteiischen dazu dient, in streitigen Fällen „Pattsituationen“ zu vermeiden und die Handlungsfähigkeit des G-BA auch bei „starker Interessenpolarisation“ zu erhalten.179 Teilweise wird sogar formuliert, dass die Beteiligung der Unparteiischen generell dazu geeignet sei, die mehrheitliche Beschlussfassung in derartigen Situation zu ermöglichen oder zu verhindern.180 2. Der G-BA als Stiftung des öffentlichen Rechts Bei einer Stiftung handelt es sich um eine rechtsfähige Organisation zur Verwaltung eines von einem Stifter zweckgebunden übergebenen Bestandes an Vermögenswerten in Form von Kapital oder Sachgütern. Im Vordergrund stehen Vermögensmassen, deren Erträge bestimmten Personen zugute kommen sollen.181 Dem G-BA werden jedoch keine zweckgebundenen Vermögenswerte von einem Stifter übergeben. Als derartige Vermögenswerte kämen höchstens die finanziellen Mittel der gesetzlichen Krankenkassen in Betracht. Diese werden allerdings von den Krankenkassen als Gesamtsozialversicherungsbeiträge eingezogen (§ 28h SGB IV) und verwaltet (§§ 80 ff. SGB IV), um den Versicherten die Krankenbehandlung i.S.d. § 27 ff. SGB V als Dienst- bzw. Sachleistung (§ 2 I SGB V) zur Verfügung stellen zu können. Der G-BA erlangt durch seine Richtlinienkompetenz (§ 92 I 1 SGB V) zwar Einfluss auf die Verwendung der Mittel, indem er das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 I SGB V konkretisiert, in die tatsächliche Abrechnung zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern zugunsten der Versicherten ist er jedoch nicht involviert.182 Deswegen handelt es sich bei dem Gremium nicht um eine Stiftung des öffentlichen Rechts.
178 Ausführlich Seeringer, Der Gemeinsame Bundesausschuss nach dem SGB V, S. 60 f.; Boerner, in: Schmehl/Wallrabenstein (Hrsg.), Steuerungsinstrumente im Recht des Gesundheitswesens, Band II, S. 1 (5) m.w.N.; weitere Ausführungen noch zum Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen Hällßig, Normsetzung durch Richtlinien im Vertragsarztrecht, S. 75 ff. 179 Hase, MedR 2005, 391 (395). 180 ausführlich in Bezug auf die Abstimmungen im Beschlussgremium des G-BA Seeringer, Der Gemeinsame Bundesausschuss nach dem SGB V, S. 61. 181 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 23 Rdn. 5; Krebs, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band III, 1. Auflage 1988, § 69 Rdn. 32. 182 Hierzu auch Seeringer, Der Gemeinsame Bundesausschuss nach dem SGB V, S. 62 f.
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8. Kap.: Richtlinien als Form der Normsetzung
3. Der G-BA als Anstalt des öffentlichen Rechts Die Anstalt des öffentlichen Rechts wird organisationsrechtlich traditionell zwischen der Stiftung und der Körperschaft des öffentlichen Rechts angesiedelt.183 Dies darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Begriff „Anstalt“ doppeldeutig und bis zum heutigen Tag nicht abschließend geklärt ist.184 Einigkeit besteht darüber, dass es sich bei der Anstalt um eine von der „Mutterkörperschaft“185 verselbstständigte Organisation handelt,186 wobei die Verselbstständigung unterschiedlich weit gehen kann.187 Außerdem ist anerkannt, dass die Anstalt bestimmte Verwaltungsaufgaben wahrzunehmen hat.188 Ein weitgehender Konsens besteht auch darüber, dass sie sich durch das Fehlen von Mitgliedern von der Körperschaft unterscheidet.189 Wie diese Kriterien jedoch im Einzelnen zu konkretisieren sind, beispielsweise ob es sich bei der Anstalt hauptsächlich um eine Einrichtung der Leistungsverwaltung handelt, oder ob die Benutzbarkeit der Anstalt als weiteres Wesensmerkmal Anwendung finden sollte, ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht geklärt. Infolgedessen lassen sich in der Literatur ein enger, ein weiter und auch ein sehr weiter Anstaltsbegriff ausmachen, von denen bis zum heutigen Tage keiner uneingeschränkte Anerkennung genießt. a. Enger Anstaltsbegriff Einige Stimmen in der Literatur interpretieren die Voraussetzungen der Anstalt des öffentlichen Rechts eng in Anlehnung an Mayers klassische Definition.190 Demnach ist die Anstalt eine organisatorische Zusammenfassung von Verwaltungsbediensteten und Sachmitteln als verselbstständigte Verwaltungseinheit, die entsprechend ihrer Zwecksetzung bestimmte Verwaltungsaufgaben – insbesondere durch Leistungsverwaltung – wahrzunehmen und i.d.R. Benutzer hat, die die dargebotenen Leistungen empfangen.191
183
Müller, in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth (Hrsg.), Verwaltungsrecht, Band II, § 86 Rdn. 4. Berg, NJW 1985, 2294 (2297); Löwer, DVBl. 1985, 928 (937). 185 Begriff bei Rüfner, DÖV 1985, 605 (609). 186 Lange, VVDStRL 44, 169 (188 f.); Breuer, VVDStRL 44, 211 (224 ff.); Laubinger, in: Geis/Lorenz (Hrsg.), FS Maurer, 641 (649 ff.); Müller, in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth (Hrsg.), Verwaltungsrecht, Band II, § 86 Rdn. 8. 187 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 23 Rdn. 47; Krebs, NVwZ 1985, 609 (615); Seeringer, Der Gemeinsame Bundesausschuss nach dem SGB V, S. 62 ff. (64). 188 Laubinger, in: Geis/Lorenz (Hrsg.), FS Maurer, 641 (649); Krebs, NVwZ 1985, 609 (613); Müller, in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth (Hrsg.), Verwaltungsrecht, Band II, § 86 Rdn. 8. 189 Laubinger, in: Geis/Lorenz (Hrsg.), FS Maurer, 641 (652); Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, S. 240; Krebs, NVwZ 1985, 609 (613); Seeringer, Der Gemeinsame Bundesausschuss nach dem SGB V, S. 64. 190 Insbesondere Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 23 Rdn. 47; krit. Papier, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 39 Rdn. 28. 191 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 23 Rdn. 47. 184
B. Rechtsform des G-BA
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Bei dieser Begriffsdefinition steht weniger die Sicherung der internen Willensbildung, als die nähere Ausgestaltung eines Leistungs- und Nutzungsverhältnisses im Vordergrund. Der Bürger ist nicht Teilhaber, sondern Konsument.192 Dadurch wird der Anstaltsbegriff auf besondere Einrichtungen der Verwaltung beschränkt und überwiegend für nutzbare Einrichtungen gebraucht.193 Zwar handelt es sich beim G-BA um eine juristische Person des öffentlichen Rechts und dementsprechend auch um eine verselbstständigte Verwaltungseinheit, doch lässt sich seine normsetzende Tätigkeit nicht als Leistungsverwaltung im Sinne des engen Anstaltsbegriffs interpretieren.194 Dies ergibt sich schon daraus, dass das Gremium selbst weder Leistungen zur Verfügung stellt, noch – wie die Krankenkassen – über finanzielle Mittel zu deren Bereitstellung verfügt. Vielmehr handelt es sich beim Richtlinienerlass um eine Tätigkeit, die sich auf das bloße Setzen von Recht beschränkt.195 Dies reicht für dessen Qualifikation als Anstalt nach dem engen Anstaltsbegriff nicht aus. b. Weiter Anstaltsbegriff Die Vertreter des weiten Anstaltsbegriffs interpretieren die Anstalt als eine von einer Hoheitsperson gemeinschaftlich getragene, i.d.R. mit Hoheitsmacht ausgestattete, rechtlich subjektivierte und institutionalisierte, d.h. mit eigenen Personalund Sachmitteln versehene, Organisation, durch die der Träger (Anstaltsherr) eigene oder ihm auferlegte fremde, sachlich zusammenhängende öffentliche Angelegenheiten wahrnimmt und auf die er dauernd maßgebenden Einfluss ausübt.196 Im Gegensatz zum engen Antstaltsbegriff ist es weder erforderlich, dass die Anstalt im Bereich der Leistungsverwaltung tätig wird, noch dass sie über Benutzer verfügt, die diese Leistungen empfangen. Im Gegensatz zur Körperschaft stellt die Anstalt demnach eine „fremdgesteuerte“ Verwaltungseinheit dar, deren Amtswalter durch den Anstaltsträger bestellt werden. Bei der Körperschaft hingegen werden die Organwalter durch deren Mitglieder berufen.197 Als Kriterium zur Abgrenzung von Körperschaft und Anstalt ergibt sich demnach ein Negatives: Das Fehlen von Mitgliedern.198
192
Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, S. 240. Rüfner, DÖV 1985, 605 (607); Breuer, VVDStRL 44, 211 (218 f.). 194 Siehe zum Begriff der Leistungsanstalt Breuer, VVDStRL 44, 211 (232 f.). 195 Dazu ausführlich mit abweichender Begründung Seeringer, Der Gemeinsame Bundesausschuss nach dem SGB V, S. 70 ff. 196 Insbesondere Müller, in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth (Hrsg.), Verwaltungsrecht, Band II, § 86 Rdn. 8; Laubinger, in: Geis/Lorenz (Hrsg.), FS Maurer, S. 641 (647 ff.); Krebs, NVwZ 1985, 609 (613). 197 Laubinger, in: Geis/Lorenz (Hrsg.), FS Maurer, S. 641 (662). 198 Laubinger, in: Geis/Lorenz (Hrsg.), FS Maurer, S. 641 (652 f.). 193
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8. Kap.: Richtlinien als Form der Normsetzung
aa. Träger des G-BA Aufgrund des Wortlauts des § 91 I 1 SGB V werden der GKV-Spitzenverband, die DKG und die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen als „Trägerorganisationen des G-BA“ bezeichnet.199 Aus historischen Gründen liegt eine derartige Wortwahl nahe, weil der G-BA als gemeinsames Gremium von Ärzten und Krankenkassen ursprünglich im privatrechtlichen Bereich wurzelte200 und diese Organisationen die tatsächlichen „Entscheidungsträger“ im G-BA sind. Vom natürlichen Sprachgebrauch zu unterscheiden ist jedoch der Anstaltsträger im organisationsrechtlichen Sinne. Darunter ist derjenige Verwaltungsträger zu verstehen, der die Anstalt durch Gesetz errichtet hat.201 Dies ist im vorliegenden Fall der Bund als originärer Verwaltungsträger.202 bb. Tätigkeit des G-BA als öffentliche Angelegenheit Der Schutz des Einzelnen in Fällen von Krankheit ist in der sozialstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes eine Grundaufgabe des Staates (Art. 2 II 1 GG).203 Ihr ist der Gesetzgeber nachgekommen, indem er durch Einführung der gesetzlichen Krankenversicherung als öffentlich-rechtliche Pflichtversicherung für den Krankenschutz eines Großteils der Bevölkerung Sorge getragen und die Art und Weise der Durchführung dieses Schutzes geregelt hat.204 In dieses Pflichtversicherungssystem wurde der G-BA durch die §§ 91 ff. SGB V eingegliedert.205 Das Gremium nimmt durch die konkretisierende Rechtsetzung in Form des Richtlinienerlasses eine öffentliche Angelegenheit wahr.206 cc. Staatliche Aufgabenwahrnehmung „durch“ den G-BA Entscheidend für die Qualifikation des Gremiums als Anstalt nach dem weiten Anstaltsbegriff ist die Frage, ob der Staat diese öffentliche Angelegenheit begrifflich „durch“ den G-BA wahrnimmt. Dies setzt voraus, dass der Staat dauerhaften Einfluss auf das Gremium ausübt. Dieser Einfluss kann beispielsweise durch Weisungsbefugnisse, Genehmigungsvorbehalte, Mitwirkung bei der Besetzung der Anstaltsorgane oder dem Recht zur Entsendung von Vertretern in diese Organe vermittelt werden.207 Der 6. Senat des BSG begründet die Anstaltsqualität des G-BA implizit durch eine Parallele zum Stabilisierungsfonds für Wein, welcher ebenfalls anstaltlich or199
Dazu oben 2. Kapitel. Vgl. dazu oben 1. Kapitel, A. III. 201 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 23 Rdn. 51. 202 Zu diesem Begriff Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 21 Rdn. 7. 203 BVerfGE 115, 25 (43); siehe bereits BVerfGE 56, 54 (73); dazu Sodan, NZS 2003, 393 (394) m.w.N.; Di Fabio, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, Art. 2 II Rdn. 94. 204 BVerfGE 115, 25 (43) m.w.N. 205 Ähnlich Seeringer, Der Gemeinsame Bundesausschuss nach dem SGB V, S. 57. 206 BSG 78, 70 (80 f.). 207 Vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 23 Rdn. 51; allgemein Lange, VVDStRL 44, 169 (199 ff.); Rüfner, DÖV 1985, 605 (609). 200
B. Rechtsform des G-BA
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ganisiert sei (§ 37 I WeinG).208 Bei diesem handelt es sich – wie auch bei der Filmförderungsanstalt i.S.d. § 1 FFG – um eine sog. „intermediäre Anstalt“, bei der sich Repräsentanten gesellschaftlicher Gruppen und Vertreter des Staates in Kooperation bei der Bewältigung einer Staatsaufgabe zusammenfinden (vgl. insbesondere § 6 I 1 Nr. 1, 2 FFG).209 Die anstaltliche Ausgestaltung und personelle Zusammensetzung des Weinfonds hat das BVerfG ausdrücklich für verfassungsgemäß erklärt.210 Im Ergebnis erweist sich diese Parallele aufgrund der von anderen intermediären Anstalten abweichenden Organisationsform des G-BA und der Art seiner Einbindung in die Staatsaufsicht allerdings nicht als tragfähig. Im Gegensatz zum Stabilisierungsfonds für Wein (§ 40 II 1 WeinG) und der Filmförderungsanstalt (§ 6 III 1 FFG), werden die Mitglieder des G-BA im Regelfall nicht durch staatliche Stellen berufen. Dessen Beschlussgremium setzt sich zum überwiegenden Teil aus den Mitgliedern zusammen, die von den Kassenärztlichen Bundesvereinigungen, der DKG und dem GKV-Spitzenverband bestimmt werden (§ 91 II 1 SGB V). Einfluss hat der Staat, vermittelt durch das Bundesministerium für Gesundheit, höchstens auf die Besetzung der Posten der drei unparteiischen Mitglieder, wenn sich die Spitzenverbände nicht über deren Person einigen können (§ 91 II 2, 3 SGB V). Unabhängig davon, ob die Unparteiischen von den Verbänden i.S.d. § 91 I 1 SGB V oder dem Staat benannt werden, unterstehen sie genauso wie die übrigen Mitglieder des G-BA keinen staatlichen Weisungen. Für eine ausreichende Einflussnahme des Staates spricht zwar, dass den Unparteiischen im Abstimmungsvorgang die Funktion des „Züngleins an der Waage“ zukommen kann und sich daraus, dass sie ihre Tätigkeit – im Gegensatz zu den übrigen Vertretern – hauptamtlich ausüben (§ 91 II 4 SGB V), eine gewisse Nähe zum Staat ergibt. Dafür lässt sich auch § 91 II 2 SGB V anführen, der anordnet, dass die Schlüsselposition des Vorsitzenden des G-BA, der den Ausschuss gerichtlich und außergerichtlich vertritt (§ 91 I 2 SGB V), aus der Mitte der Unparteiischen zu bestimmen ist. Gegen eine ausreichende Einflussnahme des Staates spricht jedoch, dass die Einbeziehung der Unparteiischen in das Beschlussgremium nichts daran ändert, dass die Einflussmöglichkeiten des Staates auf das Gremium – gerade im Vergleich zu anderen Anstalten – schwächer ausgestaltet sind. Zwar stellt das SGB V dem Bundesgesundheitsministerium als Aufsichtsbehörde verschiedene Steuerungsinstrumente zur Verfügung.211 Dazu zählen etwa die Genehmigung von Verfahrens- und Geschäftsordnung nach § 91 IV 2 SGB V, das ministerielle Beanstandungsrecht in Bezug auf die Richtlinien entsprechend § 94 I 2 SGB V oder die Möglichkeit der Ersatzvornahme eines Richtlinienbeschlusses nach § 94 I 5 SGB V.
208
BSGE 78, 70 (80 f.). Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, § 105 Rdn. 15. 210 BVerfGE 37, 1 (24 ff.). 211 Ausführlich unten 10. Kapitel, D. III. 209
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8. Kap.: Richtlinien als Form der Normsetzung
Diese Steuerungsinstrumente ermöglichen dem Staat zwar eine inhaltliche Einflussnahme und Kontrolle über die Beschlüsse des G-BA und verleihen dem Gremium einzelne Wesenszüge einer Anstalt, doch lässt sich daraus kein derart maßgebender Einfluss des Staates im Sinne einer Fremdbestimmung herleiten. Im Gegensatz zu anderen Anstalten ist der G-BA beispielsweise nicht verpflichtet dem Bundesgesundheitsministerium jederzeit Auskunft über seine Tätigkeit zu geben (für den Weinfonds: § 42 II WeinG) oder ihm jederzeit Gehör zu gewähren (für den Weinfonds: § 42 III WeinG). Ebenso räumt das SGB V dem Staat kein Recht zur Entsendung von Vertretern in das Beschlussgremium ein. Auch auf das Abstimmungsverhalten der Unparteiischen hat der Staat keinen Einfluss. dd. Fehlen von Mitgliedern im körperschaftlichen Sinn Auch vom Fehlen von Mitgliedern im körperschaftlichen Sinn als negatives Abgrenzungskriterium zur Körperschaft kann nicht ausgegangen werden, weil die Vertreter der Spitzenverbände im Beschlussgremium nicht vom Staat, sondern von den Organisationen selbst benannt werden (§ 91 II 1 SGB V). Zwar führt die Norm des § 91 II 9 SGB V, die die Weisungsfreiheit der Entscheidungsträger gegenüber den sie entsendenden Spitzenverbänden anordnet, zu einer Lockerung der Rückbindung an die sie entsendenden Verbände, doch nehmen die Vertreter im Beschlussgremium eine zumindest mitgliedschaftsähnliche Stellung ein. ee. Stellungnahme Da der Staat weder einen anstaltstypisch starken Einfluss auf den G-BA ausübt, noch das Fehlen jeglicher mitgliedschaftlicher Strukturen konstatiert werden kann, scheidet die Qualifikation des G-BA als Anstalt auch nach dem weiten Anstaltsbegriff aus.212 c. Sehr weiter Anstaltsbegriff Nach dem sehr weiten Anstaltsbegriff sind Anstalten alle organisierten Subjekte öffentlicher Einrichtungen, die keine Körperschaften oder Stiftungen sind.213 Diese Definition mit dem Charakter einer bloßen Negativabgrenzung resultiert letztlich aus „der in der Verwaltungswirklichkeit herrschenden, kaum übersehbaren Organisationsvielfalt“.214 Da es sich beim G-BA nach den bisherigen Untersuchungen jedenfalls nicht um eine Stiftung handelt und er sich auch nicht eindeutig der Organisationsform einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zuordnen lässt, ist seine Qualifikation als Anstalt nach dem extrem weiten Anstaltsbegriff prinzipiell möglich.
212
Anders BSGE 78, 70 (80 ff.). Papier, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 39 Rdn. 28; dazu Seeringer, Der Gemeinsame Bundesausschuss nach dem SGB V, S. 63. 214 Krebs, NVwZ 1985, 609 (614). 213
B. Rechtsform des G-BA
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d. Zwischenergebnis Lediglich nach dem sehr weiten Anstaltsbegriff lässt sich der G-BA der Organisationsform „Anstalt“ zuordnen. Für eine derart weite Interpretation spricht die Tatsache, dass die Grenzen zwischen den einzelnen Organisationsformen juristischer Personen des öffentlichen Rechts zunehmend verwischen.215 Unsicherheiten sind in neuerer Zeit vor allem dadurch entstanden, dass als solche bezeichnete Anstalten eine Organstruktur erhalten haben, die Gruppen- und Interessenvertretern aus der gesellschaftlichen Sphäre Mitwirkungsmöglichkeiten eröffnen.216 Dies hat den 6. Senat des BSG dazu bewogen, den G-BA als Anstalt zu qualifizieren.217 Die Anwendung des sehr weiten Anstaltsbegriffs führt jedoch lediglich zu einer scheinbaren Konturierung der Organisationsform. Dies folgt einerseits daraus, dass nicht nur die Abgrenzung zwischen Anstalt und Körperschaft, sondern auch die Abgrenzung zwischen Stiftung und Anstalt Probleme aufwirft.218 Infolgedessen wird das Definitionsproblem lediglich verlagert, nicht aber gelöst. Andererseits mutiert der Anstaltsbegriff durch die vorgeschlagene Negativabgrenzung zu einem Auffangtatbestand, der alle übrigen Organisationsformen juristischer Personen des öffentlichen Rechts in sich aufnimmt. Dies erweist sich aus verfassungsrechtlicher Sicht als bedenklich, weil eine derart extensive Interpretation des Anstaltsbegriffs dazu führt, dass sich prinzipiell jegliche Organisationsform – vorbehaltlich einer entsprechenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes und in Abhängigkeit von der Problematik des Bestehens eines Typenzwangs öffentlich-rechtlicher Organisationsformen219 – über Art. 87 III 1 GG institutionell rechtfertigen ließe. Daher ist der sehr weite Anstaltsbegriff abzulehnen. Die Qualifikation des G-BA als Anstalt des öffentlichen Rechts scheidet aus. 4. Der G-BA als Rechtsform sui generis Geht man aus den genannten Gründen davon aus, dass der G-BA weder dem Typus einer Körperschaft, noch demjenigen einer Anstalt des öffentlichen Rechts entspricht, eröffnet sich nur noch die Möglichkeit, das Gremium als Rechtsform sui generis zu qualifizieren.220 Dies folgt daraus, dass der G-BA durch seine einer Verbandskörperschaft ähnelnde Struktur und die Beteiligung von Vertretern der Spitzenorganisationen (§ 91 I 1 SGB V) in seinem Beschlussgremium körperschaftliche, durch den Einfluss der Unparteiischen und der Genehmigungsrechte des Bundesministeriums für Gesundheit, aber auch anstaltliche Züge trägt. 215
Vgl. Krebs, NVwZ 1985, 609 (614); allein zu den unterschiedlichen Erscheinungsformen der Anstalt Lange, VVDStRL 44, 188 (191 ff.). 216 Breuer, VVDStRL 44, 211 (221) m.w.N. 217 Vgl. BSGE 78, 70 (80 f.). 218 Vgl. Krebs, NVwZ 1985, 609 (614). 219 Vgl. dazu ausführlich unten 9. Kapitel, C. II. 220 Dazu Hess, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, EL 44. August 2004, § 91 Rdn. 7; krit. Schmidt-De Caluwe, in: Becker/Kingreen (Hrsg.), SGB V, § 91 Rdn. 10, der den G-BA statt dessen als „rechtsfähiges besonderes Beschlussorgan der GKV“ bezeichnet.
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8. Kap.: Richtlinien als Form der Normsetzung
5. Ergebnis Da eine Qualifikation des G-BA als Anstalt auf der Grundlage des sehr weiten Anstaltsbegriffs abzulehnen ist, bleibt nur noch dessen Qualifikation als Rechtsform sui generis, die anstaltliche und körperschaftliche Züge in sich vereint. Dieses Ergebnis wirkt sich nicht nur auf die Verleihung von Autonomie an das Gremium, sondern auch auf dessen institutionelle Legitimation aus.
C. Einordnung der Richtlinien in den Kanon der klassischen Rechtsquellen Beim G-BA handelt es sich um eine juristische Person des öffentlichen Rechts, die als eigenständiger Verwaltungsträger der mittelbaren Staatsverwaltung zuzurechnen ist. Daraus folgt, dass es sich bei den Richtlinien um exekutive Normen handelt. Exekutive Normen sind die von Regierung und Verwaltung im institutionellen Sinn gesetzten abstrakt-generellen Regelungen.221 Der Begriff der Verwaltung erfasst sämtliche Verwaltungsträger der unmittelbaren und mittelbaren Staatsverwaltung. Dazu gehören auch juristische Personen des öffentlichen Rechts.222 Infolgedessen ist eine Qualifikation der Richtlinien als Rechtsverordnung, Satzung, Verwaltungsvorschrift oder möglicherweise auch als Rechtsnorm sui generis zu erwägen.
I. Rechtsverordnung 1. Begriff Die Grundform exekutivischer Normsetzung ist die im Grundgesetz verankerte Rechtsverordnung.223 Dabei handelt es sich um Rechtsnormen, die von Exekutivorganen erlassen werden. Sie unterscheiden sich lediglich durch den Normgeber – an die Stelle des parlamentarischen Gesetzgebers tritt die Exekutive – von den formellen Gesetzen und sind dementsprechend für die Normadressaten in gleicher Weise verbindlich.224 Das Grundgesetz räumt der Exekutiven jedoch keine originäre Kompetenz zur Verordnungsgebung ein. Vielmehr bedarf sie gem. Art. 80 I 1 GG einer gesetzlichen Ermächtigung durch den parlamentarischen Ge-
221
Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, S. 51, 122; siehe zum Begriff der exekutiven Normsetzung außerdem Möstl, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 19 Rdn. 1 ff. 222 Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, S. 32. 223 Möstl, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 19 Rdn. 8. 224 Ausführlich Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 4 Rdn. 16 ff.; Möstl, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 19 Rdn. 8; Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, § 103 Rdn. 1.
C. Einordnung der Richtlinien in den Kanon der klassischen Rechtsquellen
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setzgeber.225 Es handelt sich daher um eine Form der abgeleiteten Rechtsetzung, die entsprechend Art. 80 I 1 GG die Existenz einer parlamentarischen Delegationsnorm zwingend voraussetzt.226 Allerdings darf der Gesetzgeber die Verordnungskompetenz grundsätzlich nur auf die Bundesregierung, einen Bundesminister oder die Landesregierungen übertragen (Art. 80 I 1 GG). Dies wird als „numerus clausus der Erstdelegatare“ bezeichnet.227 Gleichwohl erlaubt Art. 80 I 4 GG die Erweiterung des Kreises möglicher Verordnungsgeber in dem zum Erlass der Rechtsverordnung ermächtigenden Gesetz im Wege der Subdelegation.228 Dabei handelt es sich um eine Art „Öffnungsklausel“, die es dem Erstdelegatar ermöglicht, seine Rechtsetzungsmacht auf einen sog. Subdelegatar zu übertragen.229 Als mögliche Subdelegatare kommen den obersten Bundes- und Landesbehörden nachgeordnete Behörden, insbesondere aber auch juristische Personen des öffentlichen Rechts in Betracht.230 Da das Grundgesetz keine Aussagen über den Kreis möglicher Subdelegatare trifft, scheidet ein numerus clausus auf dieser Ebene aus.231 2. Kompatibilität mit den Wesensmerkmalen der Richtlinie Durch § 92 I 1 SGB V wird der G-BA dazu ermächtigt, die zur Sicherung der ärztlichen Versorgung erforderlichen Richtlinien über die Gewährung einer ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen Versorgung der Versicherten zu beschließen. Die Norm erlaubt dem Gremium zwar die Rechtsetzung durch Richtlinien, doch lässt sich aus ihrem Wortlaut nicht der Schluss ziehen, dass es sich dabei um eine parlamentarische Delegationsnorm i.S.d. Art. 80 I 1 GG handelt. Dagegen spricht vor allem die Tatsache, dass der G-BA vom parlamentarischen Gesetzgeber wegen Art. 80 I 1 GG nicht auf direktem Wege zur Verordnungsgebung ermächtigt werden kann, weil er nicht dem dort genannten Kreis zulässiger Erstdelegatare angehört. Bei den Richtlinien des G-BA handelt es sich aus diesem Grund nicht um Rechtsverordnungen.232 Prinzipiell wäre allerdings eine Ermächtigung des G-BA zur Verordnungsgebung im Wege der Subdelegation (Art. 80 I 4 GG) möglich. Der Gesetzgeber 225
Lücke/Mann, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 80 Rdn. 4 ff.; Stober, in: Wolff/Bachof/Stober/ Kluth (Hrsg.), Verwaltungsrecht, Band I, § 25 Rdn. 43. 226 Hill, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band II, § 34 Rdn. 19; Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, § 103 Rdn. 1. 227 Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, § 103 Rdn. 29. 228 Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, § 103 Rdn. 29, 37; Maunz, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, Art. 80 Rdn. 43 ff.; Seeringer, Der Gemeinsame Bundesausschuss nach dem SGB V, S. 104. 229 Ausführlich Maunz, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, Art. 80 Rdn. 38 ff. 230 Vgl. Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, § 103 Rdn. 36; Lücke/Mann, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 80 Rdn. 32. 231 Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, § 103 Rdn. 36. 232 So auch Seeringer, Der Gemeinsame Bundesausschuss nach dem SGB V, S. 104.
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8. Kap.: Richtlinien als Form der Normsetzung
könnte den Bundesminister für Gesundheit gesetzlich dazu ermächtigen, eine Rechtsverordnung i.S.d. Art. 80 I 4 GG zu erlassen, durch welche der G-BA als juristische Person des öffentlichen Rechts zum Erlass von Richtlinien über die Gesundheitsversorgung in Form von Rechtsverordnungen ermächtigt wird. Diesen oder einen vergleichbaren Weg hat der Gesetzgeber jedoch nicht gewählt.
II. Satzung 1. Begriff Satzungen sind Rechtsvorschriften, die von dem Staat eingeordneten juristischen Personen des öffentlichen Rechts im Rahmen der ihnen gesetzlich verliehenen Autonomie mit Wirksamkeit für die ihr angehörigen und unterworfenen Personen erlassen werden.233 Der Unterschied zum formellen Gesetz besteht darin, dass die Satzung nicht vom Staat selbst, sondern von rechtlich selbstständigen, wenn auch dem Staat eingegliederten Organisationen stammt.234 Im Gegensatz zur Rechtsverordnung handelt es sich um sog. „autonomes Recht“, das nicht von einem durch staatliche Organe vorgeformten Willen getragen wird.235 Die Satzungsautonomie ist ein wesentliches Element der Selbstverwaltung.236 In Form der kommunalen Selbstverwaltung hat in Art. 28 II GG allerdings lediglich eine ihrer Erscheinungsformen eine (verfassungs-)rechtliche Regelung erfahren. Dagegen fehlt es für den äußerst relevanten Bereich der sog. „funktionalen Selbstverwaltung“ an einem vergleichbaren normativen Unterbau.237 Der Begriff „funktionale Selbstverwaltung“ erklärt sich aus dem Wesen dieser Selbstverwaltungsvariante. Im Gegensatz zur kommunalen Selbstverwaltung ist
233
BVerfGE 33, 125 (156 f.); BVerfGE 10, 20 (49 f.); Stober, in: Wolff/Bachof/Stober/ Kluth (Hrsg.), Verwaltungsrecht, Band I, § 25 Rdn. 57; Hill, in: Hoffmann-Riem/SchmidtAßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band II, § 34 Rdn. 26; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 4 Rdn. 20; Möstl, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 20 Rdn. 11; Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, § 105 Rdn. 1. 234 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 4 Rdn. 20. 235 Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, § 105 Rdn. 23. 236 Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, § 105 Rdn. 2 m.w.N.; die Bestimmung des Selbstverwaltungsbegriffs ist problematisch, vgl. dazu u.a.: Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 18 ff.; Burgi, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 8 Rdn. 19 ff.; Stober, in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth (Hrsg.), Verwaltungsrecht, Band I, § 25 Rdn. 60; Schnapp, in: von Mutius (Hrsg.), FG Unruh, S. 881 (885); ausführlich Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 64. 237 Dies mag dazu beigetragen haben, dass deren Erscheinungsformen äußerst mannigfaltig und schwer unter ein Begriffsdach zu bringen sind, so Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, § 105 Rdn. 4.
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sie nicht gebiets-, sondern aufgaben- und damit funktionsbezogen.238 Aufgrund der Funktionsbezogenheit der Aufgabenwahrnehmung des G-BA kommt dessen Qualifikation als funktionaler Selbstverwaltungsträger in Betracht. 2. Kompatibilität mit den Wesensmerkmalen der Richtlinie Da die Satzungsautonomie ein wesentliches Element der Selbstverwaltung ist, hängt die Frage, ob die Wesensmerkmale der Richtlinie mit denjenigen einer Satzung kompatibel sind, zunächst davon ab, ob es sich beim G-BA um einen tauglichen Selbstverwaltungsträger handelt. Anknüpfend an den Satzungsbegriff handelt es sich dabei um eine juristische Person des öffentlichen Rechts, die mit der eigenverantwortlichen Erledigung einer öffentlichen Angelegenheit durch die davon Betroffenen betraut ist.239 a. Der G-BA als juristische Person des öffentlichen Rechts Aufgrund der Regelung des § 91 I 2 SGB V ist inzwischen anerkannt, dass es sich beim G-BA um eine juristische Person des öffentlichen Rechts und dementsprechend um einen zur eigenverantwortlichen Aufgabenwahrnehmung tauglichen Verwaltungsträger handelt. b. Eigenverantwortliche Erledigung einer öffentlichen Angelegenheit Die eigenverantwortliche Erledigung einer öffentlichen Angelegenheit durch einen Träger funktionaler Selbstverwaltung setzt voraus, dass dieser über einen Herrschaftsbereich verfügt, über den er in eigener Verantwortung Regelungen erlassen kann. Der Herrschaftsbereich funktionaler Selbstverwaltungsträger ergibt sich aus der Aufgabe, die der Gesetzgeber dem Verwaltungsträger eingeräumt hat.240 Durch die Generalklausel des § 92 I 1 SGB V wurde dem G-BA – ergänzt durch weitere Spezialermächtigungen im Leistungs- und Leistungserbringerrecht – die Funktion übertragen, die ärztliche Versorgung der Versicherten durch Richtlinien zu sichern. Dazu setzt das Gremium verbindliches Recht gegenüber allen an der Gesundheitsversorgung Beteiligten (§ 91 VI SGB V). Durch diese konkretisierende Rechtsetzung nimmt das Gremium eine öffentliche Angelegenheit wahr.241 Zweifel bestanden längere Zeit an der Eigenverantwortlichkeit dieser Aufgabendurchführung.242 Diese setzt nach herrschender Auffassung voraus, dass der Verwaltungsträger seine Rechtsetzungshoheit in Bezug auf den ihm zugewiesenen 238
Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, § 105 Rdn. 5; ausführlich Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth (Hrsg.), Verwaltungsrecht, Band II, § 99 Rdn. 2; Jestaedt, JuS 2004, 649. 239 Vgl. Hendler, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band IV, 1. Auflage 1990, § 106 Rdn. 20; Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 24 f.; Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, § 105 Rdn. 1. 240 Dazu Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 14, 541. 241 BSG 78, 70 (80 f.); vgl. oben 8. Kapitel, B. III. 3. b. bb. 242 Siehe zum Meinungsstand ausführlich BSG MedR 2010, 347 (350 ff.) m.w.N.
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Aufgabenbereich im Grundsatz fachweisungsfrei wahrnehmen kann.243 Ausgangspunkt der Unsicherheit war in diesem Zusammenhang die unklare Regelung der Aufsichtsbefugnisse des Bundesministeriums für Gesundheit in § 94 I SGB V. So sieht die Norm zwar eine Aufsicht des Bundesgesundheitsministeriums über den G-BA vor, regelt jedoch nicht, ob es sich dabei um eine Rechts- oder Fachaufsicht handelt. In der Literatur wurde der Aufsichtsmaßstab allerdings überwiegend als Rechtsaufsicht interpretiert.244 Zur Begründung verwies man darauf, dass es der absolut h.M. entspreche, dass der G-BA als Selbstverwaltungsgremium lediglich der Rechtsaufsicht unterfalle, sofern der Gesetzgeber nicht explizit eine andere Regelung treffe.245 Freilich birgt diese Argumentation die Gefahr eines Zirkelschlusses, wenn es – wie in diesem Kontext – gerade um die Feststellung geht, ob der G-BA überhaupt als Selbstverwaltungsgremium einzustufen ist. Infolge einer aktuellen Entscheidung des BSG246 hat sich die Diskussion jedoch entschärft. Das Gericht hat ausdrücklich entschieden, dass dem Bundesgesundheitsministerium gegenüber dem G-BA in Bezug auf den Erlass einzelner Richtlinien nur eine Rechtsaufsicht zusteht.247 Die Entstehungsgeschichte des § 94 I SGB V zeige, dass dem Ministerium gegenüber Richtlinienbeschlüssen des G-BA nur eine Rechtsaufsicht zukommen solle.248 Die Erweiterung der Norm durch zusätzliche Aufsichtsmittel, durch das am 01.04.2007 in Kraft getretene GKV-WSG, habe daran nichts geändert.249 Dem G-BA sei als oberstem Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung die Aufgabe übertragen, unter Einbeziehung der von seinen Entscheidungen Betroffenen alle versorgungsrelevanten Richtlinienentscheidungen zur Konkretisierung der leistungsrechtlichen Rahmenrechte in §§ 27 ff. SGB V zu treffen. Dieses Verfahren zur Normkonkretisierung würde ausgehöhlt und seiner Legitimation beraubt, wenn das BMG die Richtlinien des G-BA im Rahmen der Staatsaufsicht allein auf der Grundlage abweichender Zweckmäßigkeitserwägungen ändern könnte.250 Damit unterliegt der G-BA grundsätzlich nur einer Rechtsaufsicht des Bundesgesundheitsministeriums und kann den ihm gesetzlich zugewiesenen Aufgabenbereich eigenverantwortlich erledigen.
243
Nach wohl h.A. setzt dies eine zumindest partielle Beschränkung der staatlichen Aufsicht auf bloße Rechtsaufsicht voraus (Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 24 f.); allgemein Becker, in: v. Maydell/Ruland/Becker (Hrsg.), SRH, § 13 Rdn. 42 ff. 244 Schmidt-De Caluwe, in: Becker/Kingreen (Hrsg.), SGB V, § 92 Rdn. 11; Boerner, in: Schmehl/Wallrabenstein (Hrsg.), Steuerungsinstrumente im Recht des Gesundheitswesens, Band II, S. 1 (4); Ebsen, VSSR 1990, 57 (68) m.w.N. 245 Butzer/Kaltenborn, MedR 2001, 333 (341 f.) m.w.N. 246 BSG MedR 2010, 347; hierzu Maaß, NZS 2011, 207 f. m.w.N. 247 BSG MedR 2010, 347. 248 Vgl. ausführlich BSG MedR 2010, 347 (348 f.). 249 BSG MedR 2010, 347 (351). 250 BSG MedR 2010, 347 (352 f.).
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c. Erledigung der Angelegenheit durch die davon Betroffenen Die Verleihung von Satzungsautonomie hat nach dem inzwischen herrschenden materiellen Selbstverwaltungsbegriff des BVerfG251 ihren Sinn darin, gesellschaftliche Kräfte zu aktivieren, den entsprechenden gesellschaftlichen Gruppen die Regelung solcher Angelegenheiten, die sie selbst betreffen und die sie in überschaubaren Bereichen am sachkundigsten beurteilen können, eigenverantwortlich zu überlassen und auf diese Weise den Abstand zwischen Normgeber und Normadressat zu verringern.252 Die Gedanken von Satzungsautonomie und Selbstverwaltung sind aus diesem Grund eng mit dem Demokratieprinzip verknüpft, welches im Kleinen innerhalb des jeweiligen Verwaltungsträgers verwirklicht sein muss.253 Aus dieser Wechselwirkung mit dem Demokratieprinzip ergeben sich bestimmte Anforderungen an die Ausgestaltung des potentiellen Selbstverwaltungsträgers. So muss die Rechtsform des Selbstverwaltungsträgers den Betroffenen eine angemessene Entscheidungsteilhabe ermöglichen und das jeweilige Beschlussorgan von Interessenhomogenität geprägt sein. Aus der Wechselwirkung mit dem Demokratieprinzip ergibt sich außerdem, dass sich die Rechtsetzungsgewalt des Selbstverwaltungsträgers im Grundsatz nur auf den funktionalen Selbstverwaltungsträger selbst oder die Personen, die ihn legitimieren erstrecken darf.254 Die Bindung Externer ist höchstens in Ausnahmefällen zulässig.
251
BVerfGE 33, 125; in der Literatur findet sich teilweise auch ein sog. „formeller Selbstverwaltungsbegriff“. Dieser knüpft an die klassische Definition der Selbstverwaltung von Hans-Julius Wolff an (Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 20 f.), wonach Selbstverwaltung die selbstständige, fachweisungsfreie Wahrnehmung öffentlicher Angelegenheiten durch unterstaatliche Träger öffentlicher Verwaltung in eigenem Namen bedeutet (vgl. dazu Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht, Band II, 4. Auflage 1976, § 84 IV b; Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth [Hrsg.], Verwaltungsrecht, Band II, § 80 Rdn. 272; Oebbecke, VerwArchiv 81, 349 [351]; Schnapp, in: von Mutius [Hrsg.], FG Unruh, S. 881 (885); Schmidt-Aßmann, in: Selmer/von Münch [Hrsg.], GS Martens, S. 249 [250]). Abweichend davon interpretieren die Vertreter des materiellen Selbstverwaltungsbegriffs Selbstverwaltung als die eigenverantwortliche Verwaltung bestimmter öffentlicher Angelegenheiten von den dadurch besonders berührten Personen (= Betroffenen) durch öffentlich-rechtliche Organisationseinheiten, die gegenüber dem staatsunmittelbaren Behördensystem verselbstständigt, aber gleichwohl dem Staat eingegliedert sind (vgl. Hendler, in: Isensee/Kirchhof [Hrsg.], Handbuch des Staatsrechts, Band IV, 1. Auflage 1990, § 106 Rdn. 20). Der entscheidende Unterschied zwischen beiden Selbstverwaltungsbegriffen liegt dem entsprechend in der Berücksichtigung des Merkmals der Betroffenenpartizipation. 252 BVerfGE 33, 125 (156 f.). 253 Vgl. Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, § 105 Rdn. 25 ff. 254 Ehlers, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 2 Rdn. 56; Ossenbühl, NZS 1997, 497 (501 ff.).
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aa. Die Problematik der Rechtsform des G-BA Als klassischer Träger funktionaler Selbstverwaltung galt früher allein die Körperschaft des öffentlichen Rechts.255 Körperschaften verfügen über ein kollegial verfasstes Leitungsorgan in Form der Mitgliederversammlung.256 Dieser obliegen im Regelfall diejenigen Entscheidungen, die entweder von besonderem Gewicht oder von Grundrechtsrelevanz sind.257 Dadurch wird den Mitgliedern eine angemessene demokratische Entscheidungsteilhabe ermöglicht.258 Die Bedenken gegenüber der Einordnung der Anstalt als Selbstverwaltungsträger resultieren aus deren heterogener Erscheinungsform. Im Einzelfall ergeben sich deutliche Unterschiede hinsichtlich Anzahl, Art und Zusammensetzung der Anstaltsorgane.259 Es ist sogar möglich, dass gar kein der Mitgliederversammlung bei der Körperschaft entsprechendes Organ existiert.260 Aufgrund der engen Wechselwirkung zwischen Demokratieprinzip und Selbstverwaltung erweist sich dies als äußerst problematisch. Allerdings ist inzwischen anerkannt, dass die Erscheinungsform einer juristischen Person als Anstalt oder Rechtsform sui generis deren Qualifikation als Selbstverwaltungsträger nicht zwingend entgegensteht.261 Als entscheidend wird derzeit erkannt, ob die jeweilige juristische Person des öffentlichen Rechts aufgrund ihrer Binnenverfassung dem demokratischen Prinzip in zumindest körperschaftsähnlicher Weise Ausdruck verleiht. Infolgedessen ist darauf abzustellen, ob neben einer relativen Selbstständigkeit in instiutionell-organisatorischer Hinsicht insbesondere hinreichend verfestigte Willensbildungsstrukturen bestehen.262 Derartige Strukturen sind beim G-BA gegeben. Seine Erscheinung als Rechtsform sui generis steht dessen Qualifikation als Selbstverwaltungskörperschaft nicht entgegen. Das Gremium verfügt in Form des Beschlussgremiums i.S.d. § 91 II SGB V über ein der Mitgliederversammlung in einer Verbandskörperschaft vergleichbares Kollektivorgan, das eine gemeinsame Willensbildung der Trägerorganisationen ermöglicht. Unschädlich ist in diesem Zusammenhang die Beteiligung der Unparteiischen im Beschlussgremium, weil sie sich in demokratische Willensbildungsstrukturen einfügt. Zwar widerspricht eine derartige Beteiligung unparteiischer Mitglieder dem klassischen Typus der Körperschaft des öffentlichen Rechts, doch schwächt sie das Niveau der Betroffenenpartizipation lediglich 255
Dazu Schmidt-Aßmann, in: Selmer/von Münch (Hrsg.), GS Martens, S. 249 (261 ff.); Breuer, VVDStRL, 44, 211 (222), Berg, NJW 1985, 2294 (2295) m.w.N. 256 Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth (Hrsg.), Verwaltungsrecht, Band II, § 85 Rdn. 69 ff. 257 Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth (Hrsg.), Verwaltungsrecht, Band II, § 85 Rdn. 79. 258 Schmidt-Aßmann, in: Selmer/von Münch (Hrsg.), GS Martens, S. 249 (261 ff.). 259 Dazu auch Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, § 105 Rdn. 13. 260 Dazu Kluth, in: Wolf/Bachof/Stober/Kluth (Hrsg.), Verwaltungsrecht, Band II, § 86 Rdn. 54 ff. (56). 261 Zu dieser Problematik Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, § 105 Rdn. 27. 262 Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 69 (70 f.) m.w.N.; ähnlich Ossenbühl, NZS 1997, 497 (502).
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ab,263 ohne deren Grundpfeiler zu erschüttern. Auch die Repräsentantenstellung der übrigen Entscheidungsträger vermag daran nichts zu ändern.264 bb. Das Kriterium der Interessenhomogenität Der Begriff der „Selbstverwaltung“ ist eng mit dem Merkmal der „Interessenhomogenität“ verbunden.265 Dem liegt das Verständnis der Selbstverwaltung als Form der Erledigung einer Angelegenheit jeweils besonders Betroffener zugrunde.266 Die besonders Betroffenen zeichnen sich dadurch aus, dass sie typischerweise gleichgerichtete Interessen verfolgen, ihre Interessen also „homogen“ sind. Die [Interessen-]Homogenität der Gemeinschaft wird im Bereich der funktionalen Selbstverwaltung durch die Aufgabe des Selbstverwaltungsträgers bestimmt.267 Entsprechend § 92 I 1 SGB V besteht die Aufgabe des G-BA im Beschluss der zur Sicherung der ärztlichen Versorgung erforderlichen Richtlinien. Dazu wirken die Vertreter der Kassenärztlichen Bundesvereinigungen, des GKV-Spitzenverbandes und der DKG mit den Unparteiischen in dessen Beschlussgremium zusammen. Aufgrund dieser „verbändeübergreifenden Kooperation mehrerer Organisationseinheiten“268 haben sich Zweifel an der Interessenhomogenität der „gemeinsamen Selbstverwaltung“ auf dem Gebiet der gesetzlichen Krankenversicherung ergeben. Deren Charakteristikum besteht darin, dass aufgrund ihrer mehrpoligen Struktur zunächst ein Interessenausgleich herbeigeführt werden muss, bevor ein gemeinsames Handeln möglich ist.269 Bereits zur Zeit des Bestehens des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen wurde das Vorliegen von Selbstverwaltung deswegen abgelehnt. Die Mitwirkung der Krankenkassenverbände an Regelungen der Berufsausübung der Kassenärzte und die Mitwirkung der Kassenarztvereinigungen an Regelungen, die die Krankenbehandlung als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung beträfen,
263
Dazu Boerner, in: Schmehl/Wallrabenstein (Hrsg.), Steuerungsinstrumente im Recht des Gesundheitswesens, Band II, S. 1 (5) m.w.N.; Hendler, in: Isensee/Kirchof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band IV, 1. Auflage 1990, § 106 Rdn. 33. 264 Hendler, in: Isensee/Kirchof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band IV, 1. Auflage 1990, § 106 Rdn. 30 ff. 265 Ebsen, VSSR 1990, 57 (64 f.), allgemein Boerner, in: Schmehl/Wallrabenstein (Hrsg.), Steuerungsinstrumente im Recht des Gesundheitswesens, Band II, S. 1 (7) m.w.N.; Ossenbühl, NZS 1997, 497 (503); Neumann, NZS 2010, 593 (594); Hänlein, Rechtsquellen im Sozialversicherungsrecht, S. 51; Papenfuß, Die personellen Grenzen der Autonomie öffentlich-rechtlicher Körperschaften, S. 150 ff. 266 Ebsen, VSSR 1990, 57 (64 f.). 267 Papenfuß, Die personellen Grenzen der Autonomie öffentlich-rechtlicher Körperschaften, S. 150 (151). 268 Boerner, in: Schmehl/Wallrabenstein (Hrsg.), Steuerungsinstrumente im Recht des Gesundheitswesens, Band II, S. 1 (6 ff.). 269 Boerner, in: Schmehl/Wallrabenstein (Hrsg.), Steuerungsinstrumente im Recht des Gesundheitswesens, Band II, S. 1 (7).
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sei begrifflich keine Selbst- sondern Fremdverwaltung.270 Diese resultiere daraus, dass die jeweils eine Seite der Rechtssetzungsmacht der jeweils anderen im Beschlussgremium unterworfen sei. Dieser Sachverhalt werde unter dem Begriff „gemeinsame Selbstverwaltung“ lediglich verschleiert.271 Inzwischen gewinnt jedoch die Auffassung an Gewicht, dass die mehrpolige Selbstverwaltung mit Verbandsstrukturen, wie sie gerade in der sozialen Selbstverwaltung anzutreffen ist, nicht per se als unzulässig angesehen werden könne.272 Der 6. Senat des BSG wies in der Methadon-Entscheidung ausdrücklich darauf hin, dass zwischen den Beteiligten [innerhalb der gemeinsamen Selbstverwaltung] kein prinzipieller Interessengegensatz bestehe.273 Dies rechtfertige es, „die zur Ausbalancierung notwendigen Entscheidungen über den Leistungsumfang diesen gesellschaftlichen Gruppen durch ihre Vertreter im Bundesausschuss für Ärzte und Krankenkassen (heute: G-BA) im Wege der autonomen Selbstverwaltung zu überlassen“.274 Es handele sich bei der gemeinsamen Selbstverwaltung um eine speziell sozialrechtliche Ausgestaltung funktionaler Selbstverwaltung als Bestandteil eines historisch gewachsenen Regelungskonzeptes.275 Ergänzend wird darauf verwiesen, dass Leistungserbringer und Krankenkassen sich zwar einerseits als Vertreter unterschiedlicher Anliegen gegenüberstünden, sie andererseits aber durch die gemeinsame Abhängigkeit von der gesetzlichen Krankenversicherung und dem gemeinsamen Interesse an deren Fortbestand miteinander verbunden seien. Daraus ergebe sich eine gemeinsame Betroffenheit von Leistungserbringern und Krankenkassen und die Möglichkeit, diese als homogenen Betroffenkreis aufzufassen.276 Für dieses Ergebnis spricht insbesondere, dass auch das Argument der „gegenseitigen Fremdverwaltung“ innerhalb des Gremiums inzwischen deutlich an Schärfe verloren hat. Der Gesetzgeber sorgte in den letzten Jahren für eine engere Verzahnung zwischen ambulantem und stationärem Sektor. Dies zeigt sich etwa am Beispiel der sektorenübergreifenden Qualitätssicherung nach §§ 135a, 137 SGB V. Auf der Grundlage von § 137 I SGB V bestimmt der G-BA für die ver270
Ebsen, VSSR 1990, 57 (65); ähnlich BSGE 81, 54 (64); aus jüngerer Zeit Sickor, Normenhierarchie im Arztecht, S. 220 f. m.w.N.; Hänlein, Rechtsquellen im Sozialversicherungsrecht, S. 494 f., der die Mitwirkung der Ärztebank im Bundesausschuss „als nicht zu rechtfertigende Fremdbestimmung“ charakterisiert. 271 Ebsen, VSSR 1990, 57 (64). 272 Vgl. Trute, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 6 Rdn. 88; weitergehend Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 235 f., der eine anteilige Verantwortungswahrnehmung bei unterschiedlichen Interessenlagen ausdrücklich für möglich hält. Dies gelte insbesondere bei der Entscheidungsteilhabe verschieden strukturierter Gruppen mit teilweise gegenläufigen Interessen. 273 Ausführlich BSGE 78, 70 (82). 274 BSGE 78, 70 (82). 275 BSGE 78, 70 (78). 276 Boerner, in: Schmehl/Wallrabenstein (Hrsg.), Steuerungsinstrumente im Recht des Gesundheitswesens, Band II, S. 1 (6); ähnlich Seeringer, Der Gemeinsame Bundesausschuss nach dem SGB V, S. 131 f. in Bezug auf die Qualifikation der Richtlinien als Normenverträge.
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tragsärztliche Versorgung grundsätzlich einheitlich für alle Patienten durch Richtlinien nach § 92 I 2 Nr. 13 SGB V verpflichtende Maßnahmen der Qualitätssicherung. Laut der Gesetzesbegründung besteht das Ziel dieser Regelung darin, die Anforderungen an die Qualitätssicherung möglichst einheitlich und stringent zu gestalten.277 Auch die Regelungen zur integrierten Versorgung (§§ 140a – f SGB V) zeigen, dass die Versorgungssektoren keineswegs in einem unüberwindbaren Gegensatz zueinander stehen. Durch die integrierte Versorgung wird eine sektorenübergreifende Versorgung der Versicherten ermöglicht (§ 140a I 1 SGB V).278 Dadurch sollte die bisherige starre Aufgabenteilung zwischen der ambulanten und der stationären Versorgung nach dem Willen des Gesetzgebers gezielt durchbrochen werden, um die Voraussetzungen für eine stärker an den Versorgungsbedürfnissen der Patienten orientierten Behandlung zu verbessern.279 Der Bezug der integrierten Versorgung zur gesetzlichen Aufgabenstellung des G-BA ergibt sich daraus, dass § 140b III 4 SGB V anordnet, dass nur solche Leistungen Gegenstand des Versorgungsauftrags der Vertragspartner der Krankenkassen sein dürfen, über deren Eignung der G-BA nach § 91 SGB V im Rahmen der Beschlüsse nach § 92 I 2 Nr. 5 und im Rahmen der Beschlüsse nach § 137c I keine ablehnende Entscheidung getroffen hat.280 In der Rechtsprechung des BSG ist außerdem anerkannt, dass die Bewertung der Wirksamkeit einer Untersuchungs- und Behandlungsmethode durch den G-BA ebenfalls sektorenübergreifend nach denselben Maßstäben zu erfolgen hat.281 Jedenfalls in Bezug auf das Zusammenwirken der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der DKG im Beschlussgremium des G-BA führen diese Entwicklungen dazu, dass bestehende Interessengegensätze aufgrund des sektorenübergreifenden Bezugs der Entscheidungen nivelliert werden. Es bestehen infolgedessen keine durchgreifenden Bedenken mehr dagegen, auch in Bezug auf die gemeinsame Selbstverwaltung innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung vom Vorliegen einer hinreichenden Interessenhomogenität auszugehen.282 277
Vgl. ausführlich BT-Drs. 16/3100, S. 146 f.; weiterführend zum Konzept der sektorenübergreifenden Qualitätssicherung Lang, VSSR 2008, 111 ff.; Axer, VSSR 2010, 183 ff. 278 Vgl. Murawski, in: Kruse/Hänlein (Hrsg.), SGB V, § 140a Rdn. 2; siehe auch Hess, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, Vorb. zu § 140a Rdn. 1. 279 Murawski, in: Kruse/Hänlein (Hrsg.), SGB V, Vor §§ 140a – 140d Rdn. 2 unter Berufung auf BT-Drs. 14/1245, S. 96; siehe auch Schramm/Witte, in: Sodan (Hrsg.), Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 10 Rdn. 72; Fuchs, in: Fuchs/Preis (Hrsg.), Sozialversicherungsrecht, § 20 IV. 5., S. 333 f.; vgl. auch Schroeder, NZS 2011, 47 ff. im Hinblick auf die ambulante Behandlung im Krankenhaus gem. § 116b II SGB V. 280 Hierzu Murawski, in: Kruse/Hänlein (Hrsg.), SGB V, § 140b Rdn. 6; a.A. Hess, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, Vorb. zu § 140a Rdn. 17; Knittel, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, SGB V, § 140b Rdn. 8. 281 Vgl. ausführlich BSG MedR 2010, 347 (354 ff.). 282 Vgl. im Ergebnis wohl auch Trute, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 6 Rdn. 82; ähnlich Muckel, NZS 2002, 118 (121), der davon ausgeht, dass die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung teilweise mit der kommunalen Selbstverwaltung und der funktionalen Selbstverwaltung im Übrigen vergleichbar ist.
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cc. Wahrung des sog. Korrespondenzgebotes Die Satzungsautonomie findet ihre Grenze im sog. „Korrespondenzgebot“. Dieses besagt, dass sich die Rechtsetzungsmacht eines mit Satzungsautonomie ausgestatteten Verwaltungsträgers grundsätzlich auf die ihm unterworfenen oder angehörenden Personen beschränken muss.283 Mit anderen Worten darf sich die Rechtsetzungsmacht des Selbstverwaltungsträgers im Grundsatz nur auf den funktionalen Selbstverwaltungsträger selbst oder die Personen, die ihn legitimieren, erstrecken.284 Nur insoweit kann begrifflich von „Selbstverwaltung“ die Rede sein. Der G-BA wird durch die Generalklausel des § 92 I 1 SGB V sowie durch die verschiedenen Spezialermächtigungen285 zur Rechtsetzung durch Richtlinien ermächtigt. § 91 VI SGB V erstreckt deren rechtliche Verbindlichkeit auf die Trägerorganisationen des § 91 I 1 SGB V, deren Mitglieder und Mitgliedskassen, die Versicherten und sonstigen Leistungserbringer. Ein Legitimationszusammenhang lässt sich in Bezug auf Ärzte, Krankenkassen, Krankenhäuser bzw. Krankenhausträger und – über deren Einbindung in die Selbstverwaltungsstrukturen der jeweiligen Krankenkassen (§§ 44 ff. SGB IV) – auch gegenüber den Versicherten feststellen.286 Vorbehaltlich der verfassungsrechtlichen Probleme, die die Rechtsetzung des G-BA insbesondere gegenüber den Versicherten aufwirft, ist das Korrespondenzgebot in Bezug auf diese Personengruppen dem Grundsatz nach als gewahrt anzusehen. dd. Die Problematik der Bindung Externer Die Problematik der Bindung Externer korreliert mit dem Inhalt des Korrespondenzgebotes, denn Externer ist jeder, der außerhalb des demokratischen Legitimationszusammenhanges steht.287 Dies betrifft Personen, die nicht im satzungsgebenden Organ der Selbstverwaltung repräsentiert sind und dementsprechend auch nicht an der Selbstverwaltung partizipieren.288 Eine derartige Geltungserstreckung von Satzungen auf „Externe“ ist äußerst umstritten und höchstens unter engen Voraussetzungen zulässig. Deren Anerkennung richtet sich in erster Linie danach, ob im Rahmen des demokratischen Legi283 Begriff bei Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, § 105 Rdn. 26; vgl. auch BVerfGE 33, 125 (156); ähnlich Hill, in: HoffmannRiem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 34 Rdn. 26, 30; Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, S. 99 ff.; Taupitz, Die Standesordnungen der freien Berufe, S. 677. 284 Ehlers, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 2 Rdn. 56; Ossenbühl, NZS 1997, 497 (501 ff.). 285 Z.B. §§ 22 V, 25 IV 2, 3, 26 II i.V.m. § 25 IV 2, 27a IV, 29 IV, 33 IV SGB V. 286 BSGE 78, 70 (81). 287 Papenfuß, Die personellen Grenzen der Autonomie öffentlich-rechtlicher Körperschaften, S. 26 f.; Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, § 105 Rdn. 35. 288 Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, § 105 Rdn. 35; ähnlich Papenfuß, Die personellen Grenzen der Autonomie öffentlich-rechtlicher Körperschaften, S. 27.
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timationszusammenhangs eine Totalsubstitution der personell-demokratischen Legitimation durch eine entsprechend hohe sachlich-inhaltliche Legitimation möglich ist. Sofern die Möglichkeit einer „externen Rechtsgeltung“ in diesem Sinne Anerkennung findet,289 werden der Befugnis des Gesetzgebers zu einer derartigen Geltungserstreckung allerdings enge Grenzen gesetzt.290 Unerlässlich ist zunächst eine hinreichend bestimmte gesetzliche Ermächtigungsrundlage,291 denn die fehlende personelle Legitimation gegenüber den Externen muss durch eine erhöhte sachlich-inhaltliche Legitimation ausgeglichen werden.292 Zudem muss die betroffene Sachaufgabe in einem engen Zusammenhang mit der Sachaufgabe der jeweiligen autonomen juristischen Person des öffentlichen Rechts stehen, nach ihrem Gewicht und / oder dem erfassten Personenkreis lediglich von nachgeordneter Bedeutung sein und die Geltungserstreckung gerade erfordern.293 § 91 VI SGB V erstreckt die Verbindlichkeit der Richtlinien auf nichtärztliche Leistungserbringer, wie die Erbringer von Heilmitteln (§ 124 SGB V), Apotheker (§ 129 SGB V) und sonstige Hilfsmittellieferanten (§ 126 SGB V). Diese sind aufgrund dieser ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung zwar der Rechtsetzungsmacht des G-BA unterworfen, in seinem Beschlussgremium jedoch nicht repräsentiert und stehen deswegen außerhalb des demokratischen Legitimationszusammenhangs.294 Dennoch bestimmen die Richtlinien für diese Gruppen von Leistungserbringen maßgeblich mit, ob im Zusammenhang mit der Krankenbehandlung stehende Leistungen nur im Privatrechtsverkehr angeboten und erbracht werden können, oder ob sie auch zu Lasten der Krankenkassen abgerechnet werden dürfen. Da der weit überwiegende Teil der Bevölkerung in den Versicherungsschutz der GKV einbezogen ist, sind die Richtlinien des G-BA potentiell dazu geeignet, die sonstigen Leistungserbringer zwar nicht rechtlich, aber praktisch an der Leistungserbringung gegenüber zahlreichen Versicherten zu hindern, die die Leistung sonst in Anspruch nehmen würden.295 289 Siehe etwa Meyn, DVBl. 1977, 593 (600); Taupitz, Die Standesordnungen der freien Berufe, S. 677; Hill, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 34 Rdn. 30; Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, § 105 Rdn. 35. 290 Ausführlich Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, § 105 Rdn. 35. 291 Taupitz, Die Standesordnungen der freien Berufe, S. 678; Hill, in: HoffmannRiem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 34 Rdn. 30. 292 Papenfuß, Die personellen Grenzen der Autonomie öffentlich-rechtlicher Körperschaften, S. 179 f. 293 Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, § 105 Rdn. 35; Taupitz, Die Standesordnungen der freien Berufe, S. 679, Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, S. 201. 294 Dazu Ebsen, in: Gitter/Schulin/Zacher (Hrsg.), FS Krasney, S. 81 f.; Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, S. 57 ff. 295 Vgl. BSGE 86, 223 (228 f.) m.w.N. Das BSG hatte sich in dem Urteil mit der Klage einer Diätassistentin gegen den damaligen Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen zu
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Aus diesem Grund handelt es sich – selbst unter der Prämisse, dass § 92 I 1 SGB V eine hinreichend bestimmte Ermächtigungsgrundlage zum Richtlinienerlass darstellt und die Rechtsetzung des G-BA gegenüber den sonstigen Leistungserbringern in engem Sachzusammenhang mit der Sicherstellung der ärztlichen Versorgung der Versicherten steht – beim Richtlinienerlass nicht um eine Aufgabe, die nach ihrem Gewicht und im Hinblick auf den betroffenen Personenkreis von nachgeordneter Bedeutung ist. In der Konsequenz ist die Geltungserstreckung der Richtlinien auf Externe nicht mit dem Satzungsbegriff vereinbar. Lehnt man dagegen die Möglichkeit einer Totalsubstitution der personellorganisatorischen durch die sachlich-inhaltliche Legitimation ab, muss dies automatisch zur Ablehnung einer „externen Rechtsgeltung“ der Satzung führen, weil es dem Träger funktionaler Selbstverwaltung insoweit gänzlich an der erforderlichen personell-demokratischen Legitimation gegenüber den Außenseitern mangelt.296 3. Ergebnis Zwar steht weder die Rechtsform des G-BA, noch die verbändeübergreifende Kooperation innerhalb des Beschlussgremiums dessen Einordnung als Selbstverwaltungsträger und der damit verbundenen Qualifikation der Richtlinien als Satzungen entgegen, doch erstreckt § 91 VI SGB V deren Geltung in unzulässiger Weise auf Externe. Aufgrund der Verletzung des Korrespondenzgebotes ist die Satzungslösung – entgegen der Auffassung des 6. Senates des BSG297 – abzulehnen.
befassen, der sich weigerte in einem förmlichen Verfahren über die Aufnahme der Diättherapie in die Heilmittel- oder Hilfsmittelrichtlinie zu entscheiden. Mit der obigen Begründung ging das BSG unter ausdrücklicher Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung davon aus, dass ein mittelbarer Eingriff in Art. 12 I GG dann möglich ist, wenn die Richtlinien des Bundesausschusses in engem Zusammenhang mit der Ausübung des Berufs stehen und objektiv eine berufsregelnde Tendenz haben; siehe dazu Wigge, NZS 2001, 578 ff., ders., NZS 2001, 623 ff.; Schuler-Harms, in: Schmehl/Wallrabenstein (Hrsg.), Steuerungsinstrumente im Recht des Gesundheitswesens, Band II, S. 23 (32 ff.). Infolge des Festbetragsurteils des BVerfG (BVerfGE 106, 275) wird diese Rechtsprechung des BSG in Bezug auf den Schutzbereich des Art. 12 I GG jedoch teilweise in Zweifel gezogen. Das BVerfG ging dort davon aus, dass die Festsetzung von Festbeträgen den Schutzbereich des Art. 12 I GG nicht mittelbar beträfen, sondern die Auswirkungen auf die Berufsausübung der Arzneimittelhersteller sich als bloßer Reflex erwiese; siehe hierzu Fuerst, GesR 2010, 183 (185 ff.); ähnlich in Bezug auf die Rechtsetzung des G-BA durch Richtlinien Neumann, NZS 2010, 593 (594). 296 Dazu Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 504. 297 BSGE 78, 70 (80 ff.).
C. Einordnung der Richtlinien in den Kanon der klassischen Rechtsquellen
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III. Verwaltungsvorschrift 1. Begriff Verwaltungsvorschriften ergehen innerhalb der Verwaltungsorganisation von übergeordneten Verwaltungsinstanzen oder Vorgesetzten an nachgeordnete Behörden, Verwaltungsstellen oder Bedienstete und dienen dazu, Organisation und Handeln der Verwaltung näher zu bestimmen.298 Die Einordnung der Verwaltungsvorschriften in die Rechtsquellenlehre ist umstritten.299 Dies resultiert nicht zuletzt daraus, dass sie als verwaltungsinterne Regelungen grundsätzlich keine Rechte und Pflichten gegenüber dem Bürger begründen.300 Dennoch ist inzwischen weitgehend anerkannt, dass es sich um Rechtsnormen im rechtstheoretischen Sinn handelt.301 Generalisierende Aussagen über deren Bindungswirkung – insbesondere gegenüber dem Bürger – sind aufgrund der heteronomen Struktur der Verwaltungsvorschriften jedoch nicht ohne Weiteres möglich.302 Konsens besteht darüber, dass sie durch die Herausbildung einer Verwaltungspraxis über den Gleichheitssatz (Art. 3 GG) mittelbare Außenwirkung erlangen können.303 2. Kompatibilität mit den Wesensmerkmalen der Richtlinie Die Interpretation der Richtlinien als Verwaltungsvorschriften entsprach der früheren Rechtsprechung des BSG, ist jedoch heute veraltet und dogmatisch nicht mehr haltbar. In einer Entscheidung aus dem Jahr 1972 erklärte dessen 3. Senat ausdrücklich, dass den Richtlinien des damaligen Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen keine normative Verbindlichkeit zukomme. Sie seien nur insoweit von Bedeutung, als sich die Verwaltung dadurch selbst binde.304 Es handele sich um Verwaltungsbinnenrecht, welches zwar dem Interessenbereich der am Leistungserbringungsrecht beteiligten Rechtssubjekte zuzuordnen sei, die Grenzen des im Range des Parlamentsgesetzes garantierten subjektiv-öffentlichen Rechts der Versicherten jedoch nicht einzuschränken vermöge.305 In der Methadon298
Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, § 104 Rdn. 4. 299 Ausführlich Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, § 104 Rdn. 15 ff. 300 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 24 Rdn. 17; differenzierend Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, § 104 Rdn. 15 ff. 301 Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, § 104 Rdn. 36 ff. 302 Vgl. ausführlich Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, § 104 Rdn. 18 ff., 36 ff.; 41 ff. 303 Ausführlich Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 24 Rdn. 21 ff.; Ehlers, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 2 Rdn. 67, 68 ff.; Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, § 104 Rdn. 53 ff. 304 BSGE 35, 10 (14 f.); BSGE 52, 70 (74); BSGE 63, 102 (105); BSGE 63, 163 (165); dazu Hänlein, Rechtsquellen im Sozialversicherungsrecht, S. 464 ff. 305 BSGE 73, 271 (287 f.).
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8. Kap.: Richtlinien als Form der Normsetzung
Entscheidung306 hat das BSG diese Rechtsprechung jedoch ausdrücklich aufgegeben. Die Richtlinien verfügen nach der derzeitigen Gesetzeslage über eine Form der normativen Wirkung, die über die bloße – über Art. 3 GG vermittelte – Selbstbindung der Verwaltung hinausgeht. Nach § 91 VI SGB V entfalten sie unmittelbare Rechtswirkungen nicht nur gegenüber Krankenkassen und Leistungserbringern, sondern gerade auch gegenüber den Versicherten. Gegen ihre Qualifikation als Verwaltungsbinnenrecht spricht außerdem die Wirkung, die sie, infolge der Entwicklung des Rechtskonkretisierungskonzepts durch das BSG307 für den Anspruch der Versicherten auf Krankenbehandlung, gewonnen haben. Die Richtlinien dienen gerade dazu, dem Krankenbehandlungsanspruch der Versicherten im Verhältnis zu den Leistungserbringern und Krankenkassen Konturen zu verleihen. Ihre Bedeutung geht damit weit über eine Bindung der Verwaltung an selbst gesetzte Maßstäbe hinaus.308 Außerdem kann der Umfang des Behandlungsanspruchs grundsätzlich nur durch eine neue Richtlinie geändert werden, über welche der G-BA in einem förmlichen Verfahren beschließen muss (§ 92 I 1 SGB V). Damit ist der Wesenszug der Selbstbindung der Verwaltung, die prinzipiell administrativen Zwecken folgt, die teilweise kurzfristig erfüllt oder verändert werden müssen,309 nur schwer vereinbar.
IV. Richtlinien als Rechtsnormen sui generis 1. Begriff Bei Rechtsnormen sui generis handelt es sich um Typen von Rechtsnormen, die sich dem klassischen Kanon von Gesetz, Rechtsverordnung und Satzung nicht zuordnen lassen. Wichtige Beispiele derartiger Rechtsnormen im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung sind etwa die Bundesmantel- (§ 87 SGB V) und die Gesamtverträge (§ 83 ff. SGB V), die aufgrund gesetzlicher Anordnung eine generelle Breitenwirkung erlangen.310 Teilweise wird erwogen, auch die Richtlinien des G-BA als Normenverträge zu qualifizieren. Allerdings kommt auch deren Einordnung als bisher unbenannter Typus einer Rechtsnorm sui generis in Betracht.
306 BSGE 78, 70; a.A. LSG Niedersachsen, NZS 2001, 32 (35); dazu Castendiek, NZS 2001, 71 ff. 307 Vgl. dazu ausführlich unten 13. Kapitel, D. II. 308 Vgl. dazu allgemein Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, § 104 Rdn. 53. 309 Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, § 104 Rdn. 53. 310 Joussen, SGb 2004, 334 (337 f.).
C. Einordnung der Richtlinien in den Kanon der klassischen Rechtsquellen
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Primär stellt sich jedoch die Frage, ob eine derartige atypische Rechtsetzung verfassungsrechtlich zulässig ist.311 Dieses Problem wird unter dem Stichwort „numerus clausus“ oder „Typenzwang der Rechtsetzungsformen“ diskutiert. Die Anerkennung eines derartigen Typenzwangs der Rechtsetzungsformen würde den Gesetzgeber auf die anerkannten Rechtsetzungsformen beschränken. Dies führte nicht nur dazu, dass durch Richtlinien hervorgerufene Grundrechtseingriffe nicht zu rechtfertigen wären,312 sondern auch dazu, dass dem gesamten System der kollektivvertraglichen Regelungen im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung die Grundlage entzogen wäre.313 Ließe sich dagegen kein Typenzwang aus dem Grundgesetz ableiten, wäre der Einwand, dass es sich bei den Richtlinien um eine unzulässige Normsetzungsform handele, ohne Relevanz.314 Es bestünde keine Notwendigkeit, „unortodoxe Rechtsetzungsformen“ in eine der Kategorien anerkannter Rechtsquellen zu pressen.315 Sofern sie den übrigen verfassungsrechtlichen Anforderungen genügten, könnten Richtlinien schlicht als Rechtsnormen sui generis mit den gesetzlich angeordneten Folgen angesehen werden. 2. Die Problematik des Typenzwangs der Rechtsetzungsformen a. Einführung in die Problematik Die Frage des Bestehens eines Typenzwangs der Rechtsetzungsformen im Grundgesetz ist bis heute nicht abschließend geklärt.316 Dies hängt maßgeblich damit zusammen, dass das BVerfG dazu bislang keine eindeutige Position bezogen hat. Zwar wird eine gewisse Tendenz zur Ablehnung eines Typenzwangs deutlich, doch lassen sich keine Aussagen zu der Frage eines numerus clausus der Rechtsetzungsformen finden, die darauf mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit schließen lassen.317 Zur Begründung eines Typenzwangs werden in der Rechtsprechung des BVerfG regelmäßig zwei frühe Entscheidungen318 herangezogen. Das Gericht hatte dort festgestellt, dass „das Grundgesetz Rechtsetzung nur in Form des Gesetzes oder der Rechtverordnung kenne und andere Formen der Rechtsetzung nicht zulasse.“319 Da sich diese Aussage jedoch lediglich auf sog. „Ermächtigungen zum Erlass von Zustimmungsverordnungen“ bezog und damit keine allgemeine Geltung beansprucht, vermag sie die Anerkennung eines numerus clausus im Grund-
311
Dazu ausführlich Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, S. 156
ff. 312
Butzer/Kaltenborn, MedR 2001, 333 (336). BSGE 91, 73 (82) m.w.N. 314 Di Fabio, NZS 1998, 449 (452); Francke, SGb 1999, 5 ff.; Ossenbühl, NZS 1997, 497 (499). 315 Schnapp, MedR 1996, 418 (419). 316 Vgl. Ossenbühl, NZS 1997, 497 (499). 317 Dazu Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, S. 156 (162). 318 BVerfGE 8, 274 (323); in Bezug darauf auch BVerfGE 24, 184 (199). 319 BVerfGE 8, 274 (323); in Bezug darauf auch BVerfGE 24, 184 (199). 313
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8. Kap.: Richtlinien als Form der Normsetzung
gesetz nicht zu rechtfertigen.320 In einem späteren Beschluss ließ das BVerfG die Frage des Typenzwangs dagegen ausdrücklich offen.321 Gerade auch in Bezug auf die Richtlinien des G-BA enthielt sich das Gericht ausdrücklich einer Stellungnahme.322 An anderer Stelle wurde der Typenzwang in Bezug auf die Normativbestimmungen der Tarifverträge mit Hinweis auf Art. 9 III GG verneint.323 Allerdings ist auch diese Aussage auf den besonderen Bereich des Tarifvertragsrechts beschränkt und kaum verallgemeinerungsfähig.324 b. Argumente für einen Typenzwang Auch infolge der unklaren Haltung des BVerfG finden sich in der Literatur Stimmen, die für einen Typenzwang plädieren. Begründet wird dies mit der Erwägung, dass das Grundgesetz lediglich das Verfassungsrecht selbst, die allgemeinen Regeln des Völkerrechts, das förmliche Gesetz, die Rechtsverordnung, die (kommunale) Satzung und das Gewohnheitsrecht kenne.325 Diesen Rechtsquellenkanon müsse man für abschließend und der Disposition des einfachen Gesetzgebers entzogen halten. Aufgrund der Bedeutung der Rechtsetzung für Staat und Gesellschaft sei es aber möglich, die Kompetenz zur Kreation neuer Rechtsetzungsformen dem Verfassungsänderungsgeber unter den Anforderungen des Art. 79 II GG zu übertragen.326 Damit schließt diese Ansicht die Schaffung neuer Rechtsetzungsformen zwar nicht aus, entzieht sie aber dem Zugriff des einfachen Gesetzgebers. Folglich hätte die Rechtsetzungsform der Richtlinie nur durch eine Verfassungsänderung eingeführt werden dürfen, was ersichtlich nicht der Fall war. c. Argumente gegen einen Typenzwang Andere Stimmen in der Literatur327 und gerade auch in der Rechtsprechung des BSG328 lehnen einen Typenzwang der Rechtsetzungsformen dagegen ausdrücklich ab: Das Grundgesetz stelle die Rechtsquellen nicht in den Mittelpunkt seines Regelungsinteresses. Es regele die Normsetzung der Exekutive nicht in einem eige320
Axer, Normsetzungs der Exekutive in der Sozialversicherung, S. 156 (158); zu dieser Frage auch Seeringer, Der Gemeinsame Bundesausschuss nach dem SGB V, S. 116 f. 321 BVerfGE 44, 322 (346 f.): „Es bedarf keiner abschließenden Entscheidung, ob das Grundgesetz prinzipiell von einem numerus clausus der zulässigen Rechtsformen ausgeht.“ 322 BVerfGE 115, 25 (47). 323 BVerfGE 44, 322 (347); dazu Seeringer, Der Gemeinsame Bundesausschuss nach dem SGB V, S. 117. 324 Vgl. auch Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, S. 156 (160 f.). 325 Wimmer, MedR 1996, 425; Schnapp, MedR 1996, 418 (419), Ossenbühl, NZS 1997, 497 (499). 326 Ossenbühl, NZS 1997, 497 (500); dazu Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, S. 156 (157). 327 Butzer/Kaltenborn, MedR 2001, 333 (336). 328 Ohne nähere Begründung in BSGE 81, 54 (64); eingehend jedoch in BSGE 81, 73 (81 ff.).
C. Einordnung der Richtlinien in den Kanon der klassischen Rechtsquellen
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nen Abschnitt und enthalte auch keine dem Art. 249 EGV (= Art. 288 AEUV n.F.) auf europäischer Ebene vergleichbare abschließende Aufstellung zulässiger Handlungsformen. Des Weiteren werde im Grundgesetz insbesondere die Satzung – trotz ihrer unstreitigen impliziten Anerkennung in Art. 28 II 1 GG329 – gar nicht erwähnt.330 Der 6. Senat des BSG verneint einen numerus clausus der Rechtsetzungsformen weil der Gesetzgeber an ein generelles Regelungskonzept der Rechtsetzung durch untergesetzliche Normen der an der kassenärztlichen Versorgung beteiligten Körperschaften unter der Geltung des Grundgesetzes angeknüpft habe.331 Dieser Argumentation hat sich der 1. Senat der BSG in den sog. „Septemberurteilen“ angeschlossen.332 d. Ergebnis Zwar erweist sich die Argumentation der beiden Senate des BSG gegen die Annahme eines Typenzwangs nicht als zwingend, weil sich die Konzeption des G-BA und die Breitenwirkung der Richtlinien gegenüber den Versicherten und sonstigen Leistungserbringern erheblich von der Rechtslage zur Zeit der Geltung der RVO unterscheidet. Jedoch spricht die Tatsache, dass es im Grundgesetz an einer Regelung fehlt, die einen Typenzwang explizit anordnet, gegen dessen Anerkennung. Ebenso fehlt es an einer dem Art. 288 AEUV (= Art. 249 EGV) vergleichbaren abschließenden Aufzählung der möglichen Rechtsetzungsformen,333 aus der sich im Umkehrschluss eine Beschränkung der Rechtsetzungsformen ergeben könnte. Diese Argumentation findet sich auch in der Rechtsprechung des BVerfG wieder. Dieses hat entschieden, dass das Grundgesetz der vollziehenden Gewalt weder einen abschließenden Katalog bestimmter Handlungsformen zur Verfügung stelle, noch die ausdrücklich erwähnten Handlungsformen inhaltlich im Einzelnen definiere.334 Die Annahme eines Typenzwangs erscheint im Übrigen schon deswegen nicht als erforderlich, weil auch solche Normen, die nicht dem klassischen Rechtsquellenkanon des Grundgesetzes entsprechen, den allgemeinen verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen müssen.335 So formuliert Schnapp, dass die verfassungsgebende Gewalt den Gesetzgeber aufgrund der Existenz von Art. 20 II GG „in den 329
Dazu auch Ossenbühl, NZS 1997, 497 (499); BVerfGE 78, 214 (227). Vgl. Butzer/Kaltenborn, MedR 2001, 333 (336). 331 BSGE 78, 70 (78); hierzu Ossenbühl, NZS 1997, 497 (500 f.). 332 BSGE 81, 54 (64); BSGE 81, 73 (82). 333 Butzer/Kaltenborn, MedR 2001, 333 (336). 334 BVerfGE 100, 249 (258); dazu Seeringer, Der Gemeinsame Bundesausschuss nach dem SGB V, S. 116 f. 335 Vgl. Seeringer, Der Gemeinsame Bundesausschuss nach dem SGB V, S. 121 f. m.w.N.; ähnlich Schnapp, MedR 1996, 418 (419); Hänlein, Rechtsquellen im Sozialversicherungsrecht, S. 63, verneint in diesem Zusammenhang einen numerus clausus der Rechtsetzungsformen, geht dagegen aber von einem solchen hinsichtlich der möglichen Legitimationsmuster aus. 330
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8. Kap.: Richtlinien als Form der Normsetzung
Sattel gesetzt hat und dieser innerhalb der Schranken der Verfassung reiten darf, wohin er will“.336 Das Bestehen eines Typenzwangs der Rechtsetzungsformen im Grundgesetz ist infolgedessen abzulehnen.337 Der Gesetzgeber verfügt über ein Normfindungsrecht und darf eine beliebige Rechtsetzungsform wählen, solange diese den allgemeinen verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt. Damit schließt die Qualifikation der Richtlinien als Rechtsnormen sui generis es dem Grunde nach nicht aus, dass es sich bei ihnen um verfassungsrechtlich zulässige Normsetzungsformen handelt, die Grundrechtseingriffe zu rechtfertigen vermögen. 3. Richtlinien als Normenverträge In der Literatur werden die Richtlinien teilweise als sog. „Normenverträge“ interpretiert. Hierzu finden sich zwei Modelle, die jeweils auf unterschiedlichen dogmatischen Grundlagen beruhen. Anknüpfend an die Begründungen, die beiden Modellen zugrunde liegen, lassen sich die Richtlinien einerseits als originäre und andererseits als derivative Normenverträge bezeichnen. a. Begriff des Normenvertrages Bei den Normenverträgen338 handelt es sich um Rechtsetzungsformen sui generis. Sie lassen sich nicht in die Nomenklatur der anerkannten Rechtsetzungsformen einordnen.339 Es handelt sich um abstrakt-generelle Regelungen340 mit unmittelbarer und personell unbeschränkter Wirkung, die kraft gesetzlicher Ermächtigung durch Vereinbarung mindestens zweier gleichrangiger Partner als Vertreter typischerweise gegenläufiger Interessen zustande kommen.341 Normenverträge stellen damit eine Form der Rechtsetzung durch vertragliche Vereinbarung dar.342 Ein Charakteristikum der Normenverträge besteht darin, dass in ihnen nicht nur die Regelungsinhalte vertraglich vereinbart werden, sondern dass der in einem korrekten Verfahren zustande gekommene Vertrag unmittelbar geltendes Recht für die am Vertragsschluss nicht beteiligten Adressaten der getroffenen Regelungen darstellt.343 Ihre Verbindlichkeit beruht nicht auf der individuellen Zustim336
Vgl. Schnapp, MedR 1996, 418 (419). Vgl. dazu auch Hänlein, Rechtsquellen des Sozialversicherungsrechts, S. 57 ff. m.w.N.; Neumann, NZS 2010, 593 m.w.N. 338 Zur Abgrenzung von Normenvertrag und Normsetzungsvertrag vgl. Seeringer, Der Gemeinsame Bundesausschuss nach dem SGB V, S. 122; Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, S. 60 ff. 339 Wimmer, MedR 1996, 425. 340 Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, S. 61; Seeringer, Der Gemeinsame Bundesausschuss nach dem SGB V, S. 122 f. 341 Fahlbusch, Das gesetzgeberische Phänomen der Normsetzung durch oder mit Vertrag, S. 177 ff. m.w.N., der allerdings von der Begrifflichkeit „Normsetzungsverträge“ ausgeht; ähnlich Joussen, SGb 2004, 334 (337). 342 Vgl. Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, S. 61. 343 Vgl. Fahlbusch, Das gesetzgeberische Phänomen der Normsetzung durch oder mit Vertrag, S. 177. 337
C. Einordnung der Richtlinien in den Kanon der klassischen Rechtsquellen
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mung der Adressaten, sondern auf der gesetzlichen Anordnung einer generellen Breitenwirkung.344 b. Richtlinien als originäre Normenverträge Seeringer interpretiert die Richtlinien des G-BA als originäre Normenverträge. Anknüpfend an die Wesensmerkmale des Normenvertrages345 verberge die Regelung des § 91 VI SGB V einen staatlichen Geltungsbefehl, der die Verbindlichkeit der Richtlinien gegenüber dem dort genannten Adressatenkreis begründe.346 Die gesetzliche Bezeichnung der Richtlinien als „Beschluss“ stehe deren Einordnung als Normenverträge nicht entgegen, da die Richtlinien neben ihrer gesetzlichen Breitenwirkung ein weiteres zentrales Charakteristikum eines Normenvertrages aufwiesen.347 Dieses bestünde in der Notwendigkeit eines Interessenausgleichs aufgrund der heteronomen Standpunkte der Beteiligten.348 Das mit dem Mehrheitsprinzip in § 91 VII 1 SGB V verbundene Element der Fremdbestimmung im Verhältnis zu den überstimmten Mitgliedern im Beschlussgremium sei unerheblich, wenn die Interessen der Beteiligten „prinzipiell gleichgerichtet“ seien. Diese „prinzipielle Gleichrichtung“ ergebe sich aus dem gemeinsamen Grundinteresse der Beteiligten an der Wahrung der Selbstverwaltung und der Steuerung der Qualitätssicherung in der GKV.349 Gegen diese Auffassung spricht zunächst, dass der Gesetzgeber die Vereinbarung von Normenverträgen nicht nur im Falle der Bundesmantel- (§ 87 SGB V), der Gesamtverträge (§ 83 SGB V), sondern auch im Falle der die Krankenhäuser betreffenden zwei- (§ 112 SGB V) bzw. dreiseitigen Verträge (§ 115 SGB V) ausdrücklich angeordnet hat. Es erschließt sich daher nicht, warum er gerade im Fall der Richtlinien auf eine vom Wortlaut her vergleichbar eindeutige Regelung verzichtet haben sollte. Zudem kennzeichnet sich diese Regelungstechnik dadurch, dass die an der Gesundheitsversorgung beteiligten Körperschaften (GKVSpitzenverband / Kassen(zahn-)ärztliche Bundesvereinigung) bzw. sonstigen Vereinigungen (DKG) als solche zum Abschluss dieser Verträge ermächtigt und verpflichtet werden. Der G-BA setzt sich zwar aus diesen Organisationen zusammen, ist ihnen gegenüber aber eine rechtlich verselbstständigte Stelle,350 so dass er nicht etwa wie der Bewertungsausschuss als verlängerter Arm der Kollektivvertragspartner fungiert.351 Auch im Übrigen lässt sich die Interpretation der Richtlinien als originäre Normenverträge nicht aus § 91 VI SGB V herleiten. Aus den Gesetzesmaterialien 344
Joussen, SGb 2004, 334 (337 f.). Fahlbusch, Das gesetzgeberische Phänomen der Normsetzung durch oder mit Vertrag, S. 177 ff. m.w.N., der allerdings von der Begrifflichkeit „Normsetzungsverträge“ ausgeht; ähnlich Joussen, SGb 2004, 334 (337). 346 Seeringer, Der gemeinsame Bundesausschuss nach dem SGB V, S. 127 (131 f.). 347 Seeringer, Der Gemeinsame Bundesausschuss nach dem SGB V, S. 129 f. 348 Seeringer, Der Gemeinsame Bundesausschuss nach dem SGB V, S. 130. 349 Seeringer, Der Gemeinsame Bundesausschuss nach dem SGB V, S. 131 f. 350 Sodan, NZS 1998, 305 (306). 351 Vgl. dazu unten 14. Kapitel, A. II. 2. 345
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8. Kap.: Richtlinien als Form der Normsetzung
ergibt sich lediglich, dass der Gesetzgeber die Verbindlichkeit der „Beschlüsse“ des G-BA anordnen wollte.352 Keine Hinweise finden sich dafür, dass die Richtlinien nunmehr als originäre Normenverträge verstanden werden sollten. Dies hätte eine erhebliche Änderung des bisherigen Verständnisses der Richtlinien bedeutet und einer expliziten Begründung bedurft. Die ausdrückliche Verwendung des Wortes „Beschluss“ in der Gesetzesbegründung deutet vielmehr darauf hin, dass auch der Gesetzgeber davon ausging, dass es sich bei den Richtlinien um Beschlussrecht handelt.353 Unter einem „Beschluss“ versteht man einen mehrseitigen Akt, der mehrere Willenserklärungen bündelt, wobei die Willensübereinstimmung nicht begriffswesentlich ist. Typisch für einen Beschluss ist das Majoritätsprinzip.354 Dieses wird von § 91 VII 1 SGB V für die Beschlüsse des G-BA ausdrücklich angeordnet. Die Möglichkeit einer derartigen die Minderheit bindenden Mehrheitsentscheidung verlässt das Vertragskonzept.355 Der Abschluss eines Vertrages setzt nämlich eine Einigung voraus, die nur zustande kommen kann, wenn die Partner von den eigenen Vorstellungen Abstriche machen.356 Die Richtlinien lassen sich daher nicht als originäres Vereinbarungsrecht in Form eines Vertrages einordnen. c. Richtlinien als derivative Normenverträge Ein anderer Weg der Interpretation der Richtlinien wird durch § 92 VIII SGB V über deren Integration in die Bundesmantelverträge eröffnet, wodurch sie fester Bestandteil der Normenverträge auf Bundesebene werden.357 Hess kommt daher zu dem Schluss, dass sie dadurch die Rechtsnatur der Bundesmantelverträge teilen.358 Dem steht nach an anderer Stelle vertretener Auffassung nicht entgegen, dass die Richtlinien in einem anderen Verfahren beschlossen werden.359 Die Interpretation der Richtlinien als Normenverträge über deren Integration in die Bundesmantelverträge gem. § 92 VIII SGB V ist systematisch nicht zu beanstanden. Es darf jedoch nicht verkannt werden, dass sich die rechtliche Einordnung der Richtlinien nach dieser Auffassung nicht orginär aus sich selbst heraus, sondern lediglich aus der Eingliederungsnorm des § 91 VIII SGB V ergibt.360 Da dieser Ansatz keinen Aufschluss darüber gibt, worum es sich bei den Richtlinien ihrem Ursprung nach handelt, ist seine Aussagekraft allerdings begrenzt. 352
BT-Drs. 15/1525, S. 107. BT-Drs. 15/1525, S. 107. 354 Vgl. Hänlein, Rechtsquellen im Sozialversicherungsrecht, S. 10 m.w.N. 355 von Wolff, NZS 2009, 184 (185). 356 Hänlein, Rechtsquellen im Sozialversicherungsrecht, S. 11, 251 f. 357 Eine andere Auffassung vertritt Sodan, NZS 1998, 305 (306), der sich für eine Unterscheidung von Richtlinien und Normenverträgen ausspricht. 358 Hess, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, 44. EL August 2004, § 92 Rdn. 21; ähnlich Schnapp, MedR 1996, 418 (423). 359 Vgl. in Bezug auf den EBM Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, S. 64, Fußnote 275. 360 Thiel, in: Schmehl/Wallrabenstein (Hrsg.), Steuerungsinstrumente im Recht des Gesundheitswesens, Band II, S. 71 (82 f.). 353
C. Einordnung der Richtlinien in den Kanon der klassischen Rechtsquellen
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4. Richtlinien als unbenannter Typus einer Rechtsnorm sui generis Nach der Rechtsprechung des 1. Senates des BSG handelt es sich bei den Richtlinien um „untergesetzliche Rechtsnormen“.361 Ihnen komme die Funktion von den die Normsetzungsverträge ergänzenden Beschlüssen zu.362 Der Senat weist zutreffend darauf hin, dass nicht allein die Rechtsetzung durch die Bundesausschüsse,363 sondern das gesamte System kollektivvertraglicher Vereinbarungen in den wesentlichen Punkten von den herkömmlichen Rechtsetzungsformen abweiche und ein Regelungsinstrumentarium eigener Art bilde.364 Im Gegensatz zur Rechtsprechung des 6. Senates365 und den bisherigen Untersuchungsergebnissen geht der 1. Senat jedoch davon aus, dass es sich bei den Richtlinien nicht um eine Erscheinungsform autonomer Rechtsetzung handelt.366 Bei dem Abschluss von Vereinbarungen über die vertragsärztliche Versorgung seien die Verbände von Ärzten und Krankenkassen dazu gezwungen, einen Interessenausgleich mit der jeweils anderen Seite zu finden und könnten gerade nicht autonom über die eigenen Belange entscheiden.367 Dadurch lehnt der Senat das Vorliegen der selbstverwaltungstypischen Interessenhomogenität ab. Die bisherigen Untersuchungen haben jedoch ergeben, dass die mehrpolige Selbstverwaltung mit Verbandsstrukturen nicht per se als unzulässig angesehen werden kann.368 Die erforderliche Interessenhomogenität innerhalb des G-BA ergibt sich insbesondere aus der gemeinsamen Abhängigkeit aller Beteiligten vom Fortbestand der gesetzlichen Krankenversicherung.369 Die Regelungen über die sektorenübergreifende Qualitätssicherung (§§ 135, 137a SGB V) und die integrierte Versorgung (§§ 140a – f SGB V) zeigen, dass die bisher vorherrschende sektorale Trennung keineswegs unüberwindbar ist und zu völlig entgegengesetzten Interessen führen muss. Infolgedessen ist dem 1. Senat des BSG zuzustimmen, soweit er die Richtlinien des G-BA als Rechtsnormen sui generis qualifiziert. Bei diesen handelt es sich allerdings – entgegen dessen Auffassung – um eine Form autonomer Rechtsetzung, die sich durch ihre Breitenwirkung jedoch von der herkömmlichen Satzung unterscheidet. 5. Ergebnis Inzwischen besteht Konsens darüber, dass der G-BA durch die Richtlinien verbindliches Recht gegenüber dem in § 91 VI SGB V genannten Adressatenkreis setzt. Bei den Richtlinien handelt es sich um eine sozialrechtstypische Form auto361
BSGE 81, 54 (64). BSGE 81, 73 (82). 363 Zum Zeitpunkt der Entscheidung existierten noch mehrere Bundesausschüsse. 364 BSGE 81, 73 (82). 365 BSGE 78, 70 (82). 366 BSGE 81, 73 (82). 367 BSGE 81, 73 (82). 368 Vgl. Trute, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 6 Rdn. 88; ausführlich oben 8. Kapitel, C. II. 2. c. bb. 369 Vgl. Boerner, in: Schmehl/Wallrabenstein (Hrsg.), Steuerungsinstrumente im Recht des Gesundheitswesens, Band II, S. 1 (6). 362
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8. Kap.: Richtlinien als Form der Normsetzung
nomer Rechtsetzung sui generis. Im Gegensatz zu den herkömmlichen Satzungen weisen sie eine gesetzesähnliche Breitenwirkung auf. Der autonome Charakter der Richtlinien ergibt sich daraus, dass es sich bei der gemeinsamen Selbstverwaltung – entgegen der Auffassung des 1. Senates des BSG – um eine besondere Form der funktionalen Selbstverwaltung handelt. Als Rechtsform sui generis, die körperschaftliche und anstaltliche Merkmale in sich vereint, stellt der G-BA einen tauglichen Selbstverwaltungsträger dar. Die erforderliche Interessenhomogenität ergibt sich daraus, dass sowohl Krankenkassen, als auch die im G-BA repräsentierten Leistungserbringer und Versicherten durch das Interesse am Erhalt der Funktionsfähigkeit des öffentlichen Gesundheitswesens zu einer Schicksalsgemeinschaft vereint werden.
V. Fazit Allein die Existenz und Wirkung der Richtlinien führt nicht zur Verfassungsmäßigkeit der Rechtsetzung des G-BA. Als Ausdruck des Rechtsstaatsprinzips darf staatliche Rechtsetzung nur durch die besonders hierfür berufenen Organe des Staates erfolgen. Die Rechtsetzung kann entweder im Wege der förmlichen Gesetzgebung, nämlich durch die gesetzgebenden Körperschaften, oder durch andere Organe vorgenommen werden, die von der Verfassung oder von förmlichen Gesetzen in zulässiger Weise hierfür berufen worden sind.370 Dies setzt voraus, dass die Verfassung die Normsetzung durch den G-BA als juristische Person sui generis anerkennt – das Gremium also als institutionell legitimiert anzusehen ist. Da der Gesetzgeber mangels Typenzwangs im Grundgesetz über ein Normfindungsrecht verfügt, kommt darüber hinaus der Frage, ob auch die Richtlinien den übrigen verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprechen, besondere Bedeutung zu. Dies gilt im Besonderen für die demokratische Legitimation des G-BA zur Normsetzung gegenüber dem von § 91 VI SGB V genannten Adressatenkreis.
370
Maunz, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, Art. 80 Rdn. 1.
9. Kapitel: Institutionelle Legitimation des G-BA A. Allgemeines Die Rechtsetzung des G-BA durch Richtlinien ist nur dann rechtmäßig, wenn die Verfassung die Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben durch ein derartiges Gremium der mittelbaren Staatsverwaltung akzeptiert.371 Dazu ist die institutionelle Legitimation des G-BA erforderlich. Die institutionelle Legitimation bildet die Basis für die Zuweisung konkreter personeller und sachlicher Qualifikationsmerkmale an verselbstständigte Organisationseinheiten.372 Sie ist eng mit der Frage der demokratischen Legitimation (Art. 20 II 2 GG) zur Normsetzung verknüpft, denn wenn eine Verwaltungseinheit sich nicht institutionell legitimieren lässt, scheidet eine rechtfertigende Herleitung der Staatsgewalt vom Willen des Volkes bereits wegen Missachtung der grundgesetzlichen Kompetenzordnung aus.373 Zur Wahrung der institutionellen Legitimation bedarf es einer kompetenziellen Ermächtigung zur Errichtung einer Verwaltungseinheit im Grundgesetz.374 Art. 83 GG weist die Verwaltungskompetenz grundsätzlich den Ländern zu. Allerdings räumt Art. 87 GG sie dem Bund für bestimmte Sachbereiche ein375 und trifft organisationsrechtliche Aussagen über die Bundesverwaltung.376 So erfasst Art. 87 I GG die bundesunmittelbare Verwaltung durch dem Bund zugeordnete Behörden oder sonstige rechtlich nicht verselbstständigte Stellen,377 wogegen Art. 87 II und Art. 87 III GG die bundesunmittelbare Verwaltung durch rechtlich verselbstständigte Stellen betreffen.378 Da es sich beim G-BA um eine juristische Person des öffentlichen Rechts und damit um eine rechtlich verselbstständigte Stelle handelt, ist dessen institutionelle Legitimation auf der Grundlage von Art. 87 II, III GG in Betracht zu ziehen.
Vgl. Sodan, NZS 2000, 581 (582). Vgl. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 357; Sodan, NZS 2000, 581 (582). 373 Vgl. Sodan, NZS 2000, 581 (582). 374 Sodan, NZS 2000, 581 (582). 375 Vgl. Kirchhof, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, Art. 83 Rdn. 6 f.; Hermes, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 87 Rdn. 15 ff. 376 Vgl. Lerche, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, Art. 87 Rdn. 13 ff. (15). 377 Sachs, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 87 Rdn. 13 m.w.N.; differenzierend Lerche, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, Art. 87 Rdn. 37. 378 Vgl. Lerche, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, Art. 87 Rdn. 148, 166. 371 372
C. Zimmermann, Der Gemeinsame Bundesausschuss, Kölner Schriften zum Medizinrecht, DOI 10.1007/978-3-642-22752-3_9, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
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9. Kap.: Institutionelle Legitimation des G-BA
B. Institutionelle Legitimation des G-BA nach Art. 87 II GG Art. 87 II GG schließt sich systematisch an Art. 86 Alt. 2 GG an379 und gilt als lex specialis vorrangig gegenüber Art. 87 III 1 GG.380 Die Norm begründet eine Bundesverwaltungskompetenz für den Fall, dass sich die Zuständigkeit eines Sozialversicherungsträgers über das Gebiet eines Landes hinaus erstreckt.381 Ob sich die institutionelle Legitimation des G-BA aus Art. 87 II GG ergibt, hängt von der Interpretation des Begriffs des „sozialen Versicherungsträgers“ ab.
I. Enge Interpretation des Begriffs des „sozialen Versicherungsträgers“ Nach herrschender Meinung sind soziale Versicherungsträger solche Verwaltungseinheiten, die gegenüber den Versicherten zur Leistungserbringung verpflichtet sind.382 In ähnlicher Weise versteht das Bundesverfassungsgericht soziale Versicherungsträger in ständiger Rechtsprechung383 als solche selbstständigen Anstalten oder Körperschaften des öffentlichen Rechts, die ihre Mittel durch Beiträge der „Beteiligten“ aufbringen.384 Da der G-BA nicht an der Aufbringung der Mittel der gesetzlichen Krankenversicherung beteiligt ist und ihn auch keine Leistungsverpflichtung gegenüber den Versicherten trifft,385 scheidet dessen Qualifikation als Sozialversicherungsträger i.S.d. Art. 87 II GG aus.386
II. Weite Interpretation des Begriffs des „sozialen Versicherungsträgers“ Eine andere Auffassung vertritt Axer, der davon ausgeht, dass der Begriff „sozialer Versicherungsträger“ nicht nur die Verwaltungseinheiten erfasse, die den Versicherten gegenüber zur Leistung verpflichtet seien, sondern das gesamte sozial-
379
Lerche, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, Art. 87 Rdn. 148. Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, S. 276 m.w.N. 381 Hermes, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 87 Rdn. 58; Sachs, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 87 Rdn. 51, 382 Vgl. Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, S. 277 m.w.N.; Lerche, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, Art. 87 Rdn. 156; Jestaedt, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), GG, Art. 87 Rdn. 87 m.w.N. 383 So ausdrücklich BVerfGE 87, 1 (34) m.w.N. 384 BVerfGE 63, 1 (35); BVerfGE 87, 1 (34); BVerfGE 88, 203 (313); dazu Jestaedt, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), GG, Art. 87 Rdn. 87. 385 Vgl. dazu bereits oben 8. Kapitel, B. III. 2. 386 So auch Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, S. 277, zum Vorgängergremium des G-BA. 380
B. Institutionelle Legitimation des G-BA nach Art. 87 II GG
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versicherungsrechtliche System.387 Soziale Versicherungsträger seien aus diesem Grund alle mit der Wahrnehmung von Aufgaben in der Sozialversicherung betrauten Organisationen.388 Dafür spreche die Tatsache, dass schon in der Weimarer Zeit Dachverbände und andere verselbständigte Verwaltungseinheiten im Kassenarztrecht in die Durchführung der Sozialversicherung eingebunden gewesen seien.389 Dies bedeute nicht, dass die Organisationsstrukturen deckungsgleich sein müssten, erfordere jedoch, dass die Normsetzung des jeweiligen sozialen Versicherungsträgers eine Entsprechung in der Rechtsetzung durch die verselbstständigten Verwaltungseinheiten in der Weimarer Zeit fände.390 Teilweise wird infolgedessen die Auffassung vertreten, dass sich der G-BA über Art. 87 II GG institutionell legitimieren ließe.391 Dies begründe sich daraus, dass das Gremium innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung als Teil der Sozialversicherung wesentlich mit der Leistungskonkretisierung durch Richtlinien befasst sei und demzufolge einen integralen Systembestandteil darstelle. Das darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass bereits während der Existenz des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen, dessen institutionelle Legitimation über Art. 87 II GG entschieden abgelehnt wurde. Der Bundesausschuss entspreche nicht den Strukturen der Krankenversicherung, die bereits in den Anfangstagen angelegt und bis 1949 voll ausgeprägt waren. Bereits vor 1949 seien Richtlinien des Reichsausschusses bekannt gewesen, doch sei diesen nach der RVO keine normative Wirkung zuerkannt worden.392 Gerade die verbindliche Geltung der Richtlinien gegenüber den Versicherten stelle ein Novum dar, dessen Ursprung sich nicht auf die Weimarer Zeit, sondern höchstens auf die Kodifikation des SGB V zurückführen lasse.393 An dieser Argumentation hat die Schaffung des G-BA nichts geändert. Vielmehr ist ausdrücklich zu berücksichtigen, dass dessen Kompetenzen, gerade in Bezug auf neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (§§ 135, 137c SGB V) und den Arzneimittelbereich (§§ 31 ff. SGB V), eine Ausweitung erfahren haben, die sich mit der Tradition der Rechtsetzung in der Sozialversicherung nur schwer begründen lässt. In der Weimarer Zeit bestand aufgrund der deutlich geringeren medizinisch-technischen Möglichkeiten noch kein Bedarf nach einem derartig austarierten System der Ausgestaltung der Leistungsgewährung. 387
Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, S. 277; ähnlich Musil, in: Schmehl/Wallrabenstein (Hrsg.), Steuerungsinstrumente im Recht des Gesundheitswesens, Band II, S. 49 (61 ff.). 388 Vgl. Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, S. 279. 389 Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, S. 277. 390 Vgl. Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, S. 299 ff. (303). 391 So ausdrücklich Axer, in: von Wulffen/Krasney (Hrsg.), FS 50 Jahre BSG, S. 339 (355 ff.); Muckel, NZS 2002, 118 (124 f.); Musil, in: Schmehl/Wallrabenstein (Hrsg.), Steuerungsinstrumente im Recht des Gesundheitswesens, Band II, S. 49 (67). 392 Ausführlich Sickor, Normenhierarchie im Arztrecht, S. 225 ff. (227); a.A. Muckel, NZS 2002, 118 (124 f.) noch in Bezug auf den Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen und Axer, in: von Wulffen/Krasney (Hrsg.), FS 50 Jahre BSG, S. 339 (355 ff.), der den GBA für von Art. 87 II GG erfasst hält. 393 Vgl. allgemein Sickor, Normenhierarchie im Arztrecht, S. 228.
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9. Kap.: Institutionelle Legitimation des G-BA
Zudem findet sich für die Integration der DKG in den G-BA keine historische Entsprechung in der Weimarer Zeit, weil sich die Entwicklungsgeschichte der rechtlichen Ausgestaltung des Krankenhauswesens von derjenigen im Vertragsarztrecht unterscheidet.394 Dies zeigt sich daran, dass der Ausschuss Krankenhaus als dem Bundesausschuss für Ärzte und Krankenkassen entsprechendes Gremium im stationären Sektor durch § 137c II SGB V a.F. sogar erst mit dem GKV-GRG 2000 in das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung eingeführt wurde. Eine Vorläuferregelung hierzu bestand nicht.395
III. Ergebnis Der G-BA lässt sich nicht über Art. 87 II GG legitimieren. Die enge Definition des Begriffs des sozialen Versicherungsträgers erfasst das Gremium schon rein sachlich nicht. Genauso liegt es, wenn man bei der Interpretation der Norm das weite Begriffsverständnis zugrundelegt. Dieses erfasst den G-BA zwar dem Grunde nach, muss jedoch ausscheiden, weil die rechtlichen Entwicklungen, die zur Schaffung des Gremiums geführt haben, vom Verfassungsgeber 1949 weder vorausgesehen, noch gebilligt werden konnten.396 Die institutionelle Legitimation des G-BA kann sich infolgedessen lediglich aus Art. 87 III 1 GG ergeben.397
C. Institutionelle Legitimation des G-BA nach Art. 87 III 1 GG Da die institutionelle Legitimation des G-BA über Art. 87 II GG ausscheidet, ist stattdessen eine solche aus Art. 87 III 1 GG in Betracht zu ziehen.398 Die Norm sieht vor, dass der Bund für Angelegenheiten, für die ihm eine Gesetzgebungskompetenz zusteht, durch Bundesgesetz neue bundesunmittelbare Körperschaften oder Anstalten errichten kann. Folglich hängt die institutionelle Legitimation des G-BA von zwei Voraussetzungen ab: Der Bund muss über die Gesetzgebungskompetenz in Bezug auf die fragliche Materie verfügen und die Verwaltungseinheit in einer nach Art. 87 III 1 GG zulässigen Rechtsform errichtet haben.399
394
Ausführlich Thomae, Krankenhausplanungsrecht, S. 3 ff. Francke, in: Wannagat (Begr.), SGB V, § 137c Rdn. 2 m.w.N.; Hänlein, Rechtsquellen im Sozialversicherungsrecht, S. 459 ff. 396 Sickor, Normenhierarchie im Arztrecht, S. 225 ff. (227). 397 Vgl. Jestaedt, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), GG, Art. 87 Rdn. 87. 398 Sodan, NZS 2000, 581 (582); Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, S. 277 m.w.N. 399 Allgemein Sodan, NZS 2000, 581 (582); Sachs, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 87 Rdn. 63 ff. 395
C. Institutionelle Legitimation des G-BA nach Art. 87 III 1 GG
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I. Gesetzgebungskompetenz des Bundes Im Bereich des Gesundheitsrechts sind die jeweiligen Gesetzgebungskompetenzen zwischen Bund und Ländern aufgeteilt.400 So fallen die Regelungen über das allgemeine ärztliche Berufsrecht401 und das Krankenhausrecht402 wegen Art. 70 I GG grundsätzlich in den Kompetenzbereich der Länder. Es bedarf daher einer ausdrücklichen Kompetenzzuweisung an den Bund, die ihn zur Schaffung des G-BA berechtigt. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der G-BA die nach § 92 I 1 SGB V erforderlichen Richtlinien nicht nur mit Wirkung für das Vertragsarzt-, sondern auch für das Krankenhauswesen erlässt. 1. Gesetzgebungskompetenz über die Ausgestaltung des Vertragsarztrechts Für den Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen wurde die Gesetzgebungskompetenz des Bundes überwiegend aus Art. 74 I Nr. 12 GG hergeleitet.403 Danach erstreckt sich die konkurrierende Gesetzgebung des Bundes auf „die Sozialversicherung“.404 Der Begriff hat sich aus der Sozialversicherungsgesetzgebung entwickelt, wie sie seit 1883 aufgebaut worden ist und bezieht sich damit zunächst auf die klassischen Versicherungszweige, zu denen die gesetzliche Krankenversicherung zählt.405 Anknüpfend an die Rechtsprechung des BVerfG wird „Sozialversicherung“ heute als weitgefasster verfassungsrechtlicher Gattungsbegriff verstanden, der alles umfasst, was sich der Sache nach als Sozialversicherung darstellt.406 Dazu zählt nach herrschender Auffassung auch das Vertragsarztrecht, da die Vertragsärzte in das öffentlich-rechtliche Versorgungssystem nach dem SGB V einbezogen sind.407 Dieses habe das GG als Teil der in der früheren RVO geregelten Versicherung gegen Krankheit als Bundeskompetenz übernommen.408 Da § 92 I 1 SGB V vorsieht, dass der G-BA die zur Sicherung der ärztlichen Versorgung erforderlichen Richtlinien über die Gewährung einer ausreichenden, 400 Quaas, in: Quaas/Zuck (Hrsg.), Medizinrecht, § 24 Rdn. 20; Wigge, in: Schnapp/Wigge (Hrsg.), Vertragsarztrecht, § 2 Rdn. 31; informativ Papier, in: von Wulffen/Krasney (Hrsg.), FS 50 Jahre BSG, S. 23 (28 ff.); Schenkel, VSSR 2010, 79 (83 ff.). 401 Sodan, NZS 2000, 580 (583). 402 Prütting, KHGG NRW, § 12 Rdn. 1; Quaas, in: Quaas/Zuck (Hrsg.), Medizinrecht, § 24 Rdn. 20. 403 Ausführlich Sodan, NZS 2000, 581 (582). 404 Ausführlich Butzer, Fremdlasten in der Sozialversicherung, S. 151 ff. 405 Maunz, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, Art. 74 Rdn. 170. 406 BVerfGE 11, 105 (111 ff.); BVerfGE 63, 1 (35) m.w.N.; BVerfGE 88, 203 (313); BSGE 80, 256 (258); Maunz, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, Art. 74 Rdn. 170; Schnapp, in: Schnapp/Wigge (Hrsg.), Vertragsarztrecht, § 4 Rdn. 2; Papier, in: von Wulffen/Krasney (Hrsg.), FS 50 Jahre BSG, S. 23 (28 ff.); Schenkel, VSSR 2010, 79 ff. 407 Vgl. noch zur RVO BVerwG 65, 362 (365); BVerwG 99, 10 (12); Pestalozza, GesR 2006, 389 (394 f.). 408 BSGE 80, 256 (258).
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9. Kap.: Institutionelle Legitimation des G-BA
zweckmäßigen und wirtschaftlichen Versorgung der Versicherten beschließt, ist er in das Vertragsarztwesen eingebunden.409 Art. 74 I Nr. 12 GG eröffnet dem Gesetzgeber folglich die Kompetenz, ein derartiges Gremium als Bestandteil des Vertragsarztwesens innerhalb der Sozialversicherung zu schaffen.410 2. Gesetzgebungskompetenz über die Ausgestaltung des Krankenhausrechts Das Erscheinungsbild der gemeinsamen Selbstverwaltung hat sich mit der Schaffung des G-BA geändert. Das Gremium vermag nunmehr auch gegenüber den Krankenhäusern verbindliches Recht in Form von Richtlinien zu setzen. Aus diesem Grund bedarf der Bundesgesetzgeber ebenfalls einer Gesetzgebungskompetenz, die ihm die Einwirkung auf die Leistungserbringung im stationären Sektor ermöglicht. Dies ist nicht unproblematisch, weil die Gesetzgebung auf dem Gebiet des Krankenhauswesens historisch gesehen Sache der Länder war.411 Dem Grunde nach können sich entsprechende Kompetenzen über die Ausgestaltung des Krankenhausrechts jedoch aus Art. 74 I Nr. 19a GG oder Art. 74 I Nr. 12 GG ergeben. a. Gesetzgebungskompetenz aus Art. 74 I Nr. 19a GG Der Bund erhielt durch den 1969 eingefügten Art. 74 Nr. 19a GG die Befugnis, auf dem Gebiet der Krankenhausfinanzierung und der Krankenhauspflegesätze gesetzgeberisch tätig zu werden.412 Dabei handelt sich jedoch nicht um eine generelle Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das Krankenhauswesen.413 Die grundsätzlich bestehenden Länderkompetenzen sind durch Art. 74 Nr. 19a GG nicht angetastet worden.414 Die Norm ermöglicht nur die wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser und die Regelung der Krankenhauspflegesätze,415 nicht jedoch die Ausgestaltung des Inhalts der Krankenbehandlung, wie es auf der Grundlage von § 92 I 1 SGB V durch den G-BA erfolgt. Daher wird argumentiert, dass das Krankenhauswesen – mit Ausnahme des in Art. 74 I Nr. 19a GG geregelten Bereichs – der ausschließlichen Kompetenz der Länder unterfalle.416 Dies bedeutete, dass es dem Bund an einer Gesetzgebungskompetenz zur Ausgestaltung des Leistungsinhalts im stationären Sektor mangelte.
409
Sodan, NZS 2000, 581 (582); allgemein BSGE 82, 55 (58 f.). Vgl. zur Gegenauffassung Sodan, NZS 2000, 581 (582) m.w.N.; ablehnend Schnapp, in: Schnapp/Wigge (Hrsg.), Vertragsarztrecht, § 4 Rdn. 3; vgl. zum Verhältnis von Bundesund Länderkompetenzen im Vertragsarztrecht auch BSGE 80, 256 (258 f.). 411 Quaas, in: Quaas/Zuck (Hrsg.), Medizinrecht, § 24 Rdn. 21; Maunz, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, Art. 74 Rdn. 220. 412 Quaas, in: Quaas/Zuck (Hrsg.), Medizinrecht, § 24 Rdn. 21. 413 Rehborn, in: Ratzel/Luxenburger (Hrsg.), Handbuch Medizinrecht, § 29 Rdn. 6. 414 Vgl. Maunz, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, Art. 74 Rdn. 220. 415 Vgl. Quaas, in: Quaas/Zuck (Hrsg.), Medizinrecht, § 24 Rdn. 22. 416 Prütting, KHGG NRW, § 12 Rdn. 1. 410
C. Institutionelle Legitimation des G-BA nach Art. 87 III 1 GG
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b. Gesetzgebungskompetenz aus Art. 74 I Nr. 12 GG In der Literatur wird erwogen, die Kompetenz des Bundes zur Ausgestaltung des Leistungsinhalts – unter dem Gesichtspunkt der Qualitätssicherung – wie im ambulanten Sektor ebenfalls auf Art. 74 Nr. 12 GG zu stützen.417 Ob die Norm dem Bund die erforderliche Gesetzgebungskompetenz verleiht, hängt davon ab, ob sich die vom G-BA zu bewältigende Sachaufgabe dem Gebiet der Sozialversicherung zuordnen lässt.418 Zur Sozialversicherung als verfassungsrechtlichem Gattungsbegriff zählt alles, was sich in der Sache als Sozialversicherung darstellt.419 Unabhängig vom jeweiligen Versorgungssektor handelt es sich bei der Ausgestaltung der Leistungserbringung um eine Sachaufgabe, die dem Gattungsbegriff der Sozialversicherung zuzuordnen ist. Die Leistungskonkretisierung erfolgt entsprechend § 2 SGB V nach einheitlichen Maßstäben, die sowohl im ambulanten, als auch im stationären Sektor Anwendung finden. Zudem bezieht § 69 SGB V den stationären Sektor ausdrücklich in den Regelungskomplex des Leistungserbringerrechts ein. Da § 92 I 1 SGB V vorsieht, dass der G-BA die zur Sicherung der ärztlichen Versorgung erforderlichen Richtlinien beschließt, ist er nicht nur in das Vertragsarzt-, sondern auch in das Krankenhausrecht eingebunden. Im Übrigen entstünde ein Wertungswiderspruch, sähe man zwar das Vertragsarzt- nicht aber das Krankenhausrecht als Angelegenheit der Sozialversicherung an. 3. Ergebnis Art. 74 I Nr. 12 GG verleiht dem Bund nicht nur die Gesetzgebungskompetenz über die Ausgestaltung des Vertragsarztrechts, sondern auch über die Ausgestaltung des Krankenhausrechts. Zur „Sozialversicherung“ i.S.d. der Norm zählt nicht nur die Regelung der Leistungserbringung im ambulanten, sondern auch im stationären Sektor. Gerade im Hinblick auf das Krankenhausrecht ergibt sich dies aus der Erwägung, dass § 69 SGB V diesen Regelungskomplex ausdrücklich in das Leistungserbringerrecht integriert. Da inzwischen auch anerkannt ist, dass im ambulanten und stationären Sektor ein einheitlicher Versorgungsstandard gilt, wäre es zudem widersprüchlich, dem Bund zwar über Art. 74 I Nr. 12 GG die Regelung der Ausgestaltung der Leistungserbringung in der vertragsärztlichen Versorgung zu erlauben, ihm diese im parallel gelagerten Fall der stationären Versorgung aber zu verwehren.
417
Schönig, Öffentlich-rechtliche Instrumente der Qualitätssicherung im stationären Sektor, S. 41 f.; Kaltenborn, in: Huster/Kaltenborn (Hrsg.), Krankenhausrecht, § 2 Rdn. 2 m.w.N.; Höfling, GesR 2007, 289 (293). 418 Vgl. BVerfGE 62, 355 (366). 419 Siehe dazu oben 9. Kapitel, C. I. 1.
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9. Kap.: Institutionelle Legitimation des G-BA
II. Verfassungsmäßigkeit der Rechtsform des G-BA Da dem Bund wegen Art. 74 I Nr. 12 GG die Gesetzgebungskompetenz über den fraglichen Bereich des Gesundheitsrechts zusteht, erlaubt Art. 87 III 1 GG ihm die Errichtung neuer bundesunmittelbarer Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts durch ein Bundesgesetz. Beim G-BA handelt es sich jedoch weder um eine Körperschaft, noch um eine Anstalt des öffentlichen Rechts, sondern um eine Rechtsform sui generis.420 Infolgedessen stellt sich die Frage, ob sich aus dem Wortlaut des Art. 87 III 1 GG ein Typenzwang bzw. numerus clausus der Organisationsformen ergibt. Dies wird unterschiedlich beurteilt:421 Teilweise wird die Auffassung vertreten, dass der Kreis der rechtlich selbstständigen Organisationen, durch die der Staat seine Verwaltungsaufgaben wahrnehmen dürfe, auf Körperschaften, Anstalten und Stiftungen beschränkt sei.422 Dies führt zwangsläufig dazu, dass die institutionelle Legitimation des G-BA aufgrund seiner Qualifikation als Rechtsform sui generis ausscheiden muss. Demgegenüber lehnt die weit überwiegende Auffassung die Beschränkung des Gesetzgebers auf die in Art. 87 III 1 GG genannten Organisationsformen ab.423 Weder im Grundgesetz, noch in den einzelnen Landesverfassungen sei ein einheitlicher Sprachgebrauch hinsichtlich des Erscheinungsbildes der einzelnen juristischen Personen des öffentlichen Rechts feststellbar.424 Die traditionelle Typisierung in Körperschaft, Anstalt und Stiftung diene vorrangig wissenschaftlichen Zwecken.425 Öffentlich-rechtliche Organisationsformen stünden – im Gegensatz zu solchen des Privatrechts – grundsätzlich nur staatlichen Stellen zur Verfügung und seien i.d.R. für die spezifischen Anforderungen zur Ausübung von Staatsgewalt und der Verfolgung von Gemeinwohlbelangen eingerichtet. Ihre Errichtung sei nur durch oder aufgrund eines Gesetzes zulässig. Zudem seien die öffentlichen Organisationsformen auf ihre jeweilige Verbandskompetenz beschränkt, unterlägen der Gesetzesbindung und seien ihrem Träger umfassend rechtlich, politisch und haushaltsmäßig verantwortlich.426
420
Vgl. dazu oben 8. Kapitel, B. III. 4. Vgl. Groß, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 13 Rdn. 46. 422 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 23 Rdn. 1. 423 Vgl. Groß, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 13 Rdn. 46; Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth (Hrsg.), Verwaltungsrecht, Band II, § 82 Rdn. 125; Jestaedt, in: Hoffmann-Riem/SchmidtAßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 14 Rdn. 29; Lerche, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, Art. 87 Rdn. 191 f. m.w.N. 424 Groß, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 13 Rdn. 46; Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth (Hrsg.), Verwaltungsrecht, Band II, § 82 Rdn. 125. 425 Groß, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 13 Rdn. 46. 426 Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth (Hrsg.), Verwaltungsrecht, Band II, § 80 Rdn. 44. 421
D. Fazit
105
Letzterer Auffassung ist zuzustimmen. Die Annahme eines Typenzwangs öffentlich-rechtlicher Organisationsformen erscheint schon allein aus praktischen Erwägungen als schwer möglich, weil – mangels entsprechender (verfassungs-) rechtlicher Vorgaben – eine trennscharfe Abgrenzung von Körperschaft, Stiftung und Anstalt nicht immer gewährleistet ist.427 Von einigem Gewicht ist auch das Argument, dass im Gegensatz zum Privatrecht im Bereich des Staats- und Verwaltungsrechts ein solcher Typenzwang schon mangels vergleichbarer Gefährdungslage nicht zwingend erforderlich sei. Die Schaffung öffentlich-rechtlicher Organisationsformen ist gerade nicht den Privaten nach freiem Belieben, sondern nur dem Staat im Rahmen der verfassungsrechtlichen Anforderungen möglich. Damit steht die organisationsrechtliche Einordnung des G-BA als Rechtsform sui generis dessen institutioneller Legitimation nicht entgegen.
D. Fazit Da der Bund über die Gesetzgebungskompetenz über die Sozialversicherung i.S.d. Art. 74 I Nr. 12 GG verfügt, welche ihm die Ausgestaltung des Vertragsarzt- und Krankenhauswesens ermöglicht und Art. 87 III 1 GG keinen Typenzwang zulässiger Organisationsformen des öffentlichen Rechts statuiert, ist der G-BA als institutionell legitimiert anzusehen. Das Grundgesetz akzeptiert die Wahrnehmung staatlicher Aufgaben durch ein derartiges Gremium der funktionalen Selbstverwaltung als Bestandteil der mittelbaren Staatsverwaltung.
427
Vgl. hierzu bereits oben 8. Kapitel, B. III.
10. Kapitel: Demokratische Legitimation des G-BA A. Allgemeines Die Notwendigkeit der demokratischen Legitimation staatlicher Gewalt ergibt sich aus Art. 20 II GG. Dort heißt es: „In der Demokratie geht alle Staatsgewalt vom Volk aus und wird vom Volk durch Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.“428 Die Norm formuliert dadurch den tragenden Grundgedanken des demokratischen Prinzips.429 Alle Akte staatlicher Gewalt müssen sich auf den Willen des Volkes zurückführen lassen und ihm gegenüber verantwortet werden.430 Es handelt sich um das zentrale Verfassungsprinzip überhaupt.431 Der Begriff der demokratischen Legitimation bezieht sich auf den Zurechnungszusammenhang zwischen der Ausübung staatlicher Gewalt und dem Willen des Volkes. Demokratische Legitimation bezweckt einen effektiven Einfluss des Volkes auf die Ausübung der Staatsgewalt zu bewirken und sicherzustellen.432 Legitimationsobjekt ist aus diesem Grund die Staatsgewalt. Deren Ausübung umfasst alle rechtserheblichen Funktionen und Tätigkeiten der Staatsorgane und Amtswalter ohne Rücksicht auf deren Rechts- bzw. Handlungsform.433 Subjekt demokratischer Legitimation ist das Volk.434 Es ist gerade nicht nur Ausgangspunkt, sondern auch kontinuierliches Zurechnungssubjekt der Steuerungs- und Kontrollvorgänge der Ausübung von Staatsgewalt (Art. 20 II 1 GG).435 Der Zurechnungszusammenhang zwischen Volk und staatlicher Herrschaft wird vor allem durch die Wahl des Parlaments, durch die von ihm beschlossenen Gesetze als Maßstab der vollziehenden Gewalt, durch den parlamentarischen Einfluss auf die Politik der Regierung sowie durch die grundsätzliche Weisungsgebundenheit der Verwaltung gegenüber der Regierung hergestellt.436 Vgl. dazu BVerfGE 44, 125 (138); BVerfGE 47, 253 (257); BVerfGE 83, 60 (71 f.); BVerfGE 93, 37 (66 f.). 429 Vgl. Schnapp, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Art. 20 Rdn. 18. 430 BVerfGE 93, 37 (66). 431 Herzog, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, Lfg. 48 November 2006, Art. 20 II Rdn. 1; ähnlich Dreier, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 20 (Demokratie) Rdn. 86. 432 Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band II, § 24 Rdn. 14; Dreier, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 20 (Demokratie) Rdn. 88; Trute, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 6 Rdn. 6. 433 Dreier, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 20 (Demokratie) Rdn. 91. 434 BVerfGE 83, 60 (74 f.). 435 Trute, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 6 Rdn. 5; Schnapp, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Art. 20 Rdn. 20; siehe auch BVerfGE 83, 37. 436 BVerfGE 93, 37 (66). 428
C. Zimmermann, Der Gemeinsame Bundesausschuss, Kölner Schriften zum Medizinrecht, DOI 10.1007/978-3-642-22752-3_10, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
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10. Kap.: Demokratische Legitimation des G-BA
Die für die Untersuchung dieses Zurechnungszusammenhangs maßgebliche Frage besteht darin, wie beurteilt werden kann, wann ein hinreichender Gehalt demokratischer Legitimation erreicht wird, der dem Zweck des Art. 20 II GG gerecht wird.437
I. Das Grundmodell demokratischer Legitimation Aufbauend auf grundlegenden Untersuchungen in der Literatur438 hat sich in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein Modell zur Beurteilung des Gehalts demokratischer Legitimation entwickelt, welches auf zwei Legitimationssträngen basiert.439 Im Regelfall wird zwischen der personell-organisatorischen und der sachlich-inhaltlichen Legitimation unterschieden, welche in ihrer Gesamtschau ein effektives Niveau demokratischer Legitimation erreichen müssen.440 Obwohl sich dieses Legitimationsmodell als absolut herrschend herausgebildet hat,441 verursacht es in einigen Fällen nicht unerhebliche Probleme. Diese resultieren daraus, dass das Bundesverfassungsgericht das dargestellte Modell ursprünglich für die unmittelbare Bundes- und Landesverwaltung und später auch für die kommunale Selbstverwaltung entwickelt hat.442
II. Der Sonderfall: Demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung Inwieweit das Grundmodell demokratischer Legitimation auf die funktionale Selbstverwaltung anwendbar ist, entzieht sich bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt einer endgültigen Klärung. Ein Kernproblem besteht in der Festlegung des Bezugspunktes personell-demokratischer Legitimation funktionaler Selbstverwaltungsträger. Daneben haben sich alternative Legitimationsmodelle entwickelt, die den herkömmlichen Strang personell-organisatorischer Legitimation durch andere Legitimationsformen substituieren möchten. Bei der Abwägung, ob insgesamt ein effektives Niveau demokratischer Legitimation erreicht wurde, resultiert hieraus
437
Vgl. BVerfGE 93, 37 (66). Grundlegend Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 212 ff.; Herzog, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, Lfg. 48 November 2006, Art. 20 II Rdn. 46 ff.; Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band II, § 24 Rdn. 9 ff.; dazu Ehlers, in: Faber/Frank (Hrsg.), FS Stein, S. 125 (126 f.). 439 BVerfGE 83, 60 (72); BVerfGE 93, 37 (66 ff.); BVerfGE 107, 59 (87) jeweils m.w.N. 440 BVerfGE 93, 37 (66 f.); Burgi, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 6 Rdn. 28; Ehlers, in: Faber/Frank (Hrsg.), FS Stein, S. 125 (126 f.). 441 Dazu Ehlers, in: Faber/Frank (Hrsg.), FS Stein, S. 125 (126) m.w.N. aus Rechtsprechung und Literatur. 442 So ausdrücklich BVerfGE 107, 59 (88); Jestaedt, JuS 2004, 649 (650); Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth (Hrsg.), Verwaltungsrecht, Band II, § 80 Rdn. 142; Oebecke, VerwArch 81 (1990), 349 (356 f.); Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, S. 49. 438
B. Erforderlichkeit demokratischer Legitimation der Normsetzung des G-BA
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jedoch die Frage, welche Wertigkeit derartigen alternativen Legitimationssträngen zukommt bzw. welchen Grad demokratischer Legitimation sie vermitteln. Grundsätzlich ist jedoch anerkannt, dass das Prinzip der funktionalen Selbstverwaltung mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Das Bundesverfassungsgericht hat – ohne nähere dogmatische Begründung443 – bereits in der Facharzt-Entscheidung hervorgehoben, dass Selbstverwaltung und Autonomie im demokratischen Prinzip wurzelten.444 In jüngerer Zeit führte es aus, dass die funktionale Selbstverwaltung das demokratische Prinzip sogar verstärke, weil sie auf die Beteiligung besonders Betroffener bei der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben gerichtet sei und das demokratische Prinzip des Art. 20 II GG die Schaffung besonderer Organisationsformen der Selbstverwaltung erlaube.445 Zudem habe der Verfassungsgeber durch die in Art. 87 II, III GG und Art. 130 GG getroffenen Regelungen die bei Inkrafttreten des Grundgesetzes vorhandenen, historisch gewachsenen Organisationsformen der funktionalen Selbstverwaltung zur Kenntnis genommen und durch deren Erwähnung ihre grundsätzliche Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz anerkannt.446
B. Erforderlichkeit demokratischer Legitimation der Normsetzung des G-BA Die Frage der Erforderlichkeit demokratischer Legitimation der Normsetzung des G-BA durch Richtlinien wird unterschiedlich beurteilt.
I. Grundsatz Gegenstand demokratischer Legitimation sind nach gefestigter Rechtsprechung des BVerfG alle Arten der Ausübung von Staatsgewalt.447 Darunter fällt alles amtliche Handeln mit Entscheidungscharakter.448 Zur Staatsgewalt i.S.d. Art. 20 II GG zählen nicht nur die Organe von Bund, Ländern und Gemeinden, sondern auch alle sonstigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts.449 443
Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 346 f. BVerfGE 33, 125 (159); ebenso BVerfGE 107, 59 (91 f.); dazu Schmidt-Aßmann, Allgemeines Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, S. 95 ff. 445 BVerfGE 107, 59 (91 f.). 446 So ausdrücklich BVerfG 107, 59 (92) m.w.N.; Trute, in: Hoffmann-Riem/SchmidtAßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 6 Rdn. 83; Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, S. 369. 447 BVerfGE 47, 253 (273); BVerfGE 83, 60 (73); BVerfGE 93, 37 (69); BVerfGE 107, 59 (87); Dreier, in: Dreier (Hrsg.), Art. 20 Rdn. 90 m.w.N.; zur Entwicklung der Rechtsprechung des BVerfG Trute, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 6 Rdn. 6 m.w.N.; Oebecke, VerwArch 81 (1990), 349 (355). 448 BVerfGE 47, 253 (272 f.), BVerfGE 77, 1 (40), BVerfGE 83, 60 (73); BVerfGE 93, 37 (68); BVerfGE 107, 59 (86 f.). 449 Dreier, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 20 (Demokratie) Rdn. 90. 444
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10. Kap.: Demokratische Legitimation des G-BA
Beim G-BA handelt es sich um eine juristische Person des öffentlichen Rechts in der Gestalt einer Rechtsform sui generis. Die Generalklausel des § 92 I 1 SGB V erlaubt es dem Gremium, durch den Beschluss von Richtlinien, verbindliches Recht gegenüber Krankenkassen, Leistungserbringern und Versicherten zu setzen (§ 91 VI SGB V). Beim Setzen von Recht handelt es sich um die klassische Form der Ausübung von Staatsgewalt. Aus diesem Grund ist der Richtlinienerlass durch den G-BA grundsätzlich legitimationsbedürftig.450
II. Ausnahmen Entgegen diesem Grundsatz werden in Bezug auf den G-BA zwei Auffassungen vertreten, die das Gremium in unterschiedlichem Ausmaß vom Erfordernis demokratischer Legitimation befreien möchten. 1. Partielle Entbehrlichkeit demokratischer Legitimation des G-BA mangels Grundrechtsrelevanz der Richtliniengebung a. Darstellung des Modells Schnapp vertritt die inzwischen teilweise veraltete Auffassung, dass die Rechtsetzung des G-BA zwar gegenüber Krankenkassen und Leistungserbringern, jedoch grundsätzlich nicht gegenüber den Versicherten einer demokratischen Legitimation bedürfe.451 Damit erklärt er die demokratische Legitimation des G-BA partiell für entbehrlich. Die Auffassung beruht auf der Prämisse, dass eine Legitimation des G-BA durch die Versicherten nur dann erforderlich sei, wenn diese von den Richtlinien in rechtlich erheblicher Weise betroffen würden.452 Ursprünglich argumentierte Schnapp, dass die Versicherten – im Gegensatz zu den Vertragsärzten und Krankenkassen – nicht Adressaten der Richtlinien seien.453 Diese Anschauung ist jedoch inzwischen überholt, weil der Gesetzgeber tätig geworden ist und die Verbindlichkeit der Richtlinien gegenüber den Versicherten durch § 91 VI SGB V ausdrücklich geregelt hat. Im Übrigen ging er davon aus, dass sich die Betroffenheit der Versicherten auch nicht aus den Grundrechten ergibt.454 Im Schrifttum werde eine solche zwar aus Art. 2 I GG oder gar aus Art. 2 II 1 GG hergeleitet, weil den Versicherten durch die Richtlinien die Möglichkeit genommen werde, die ärztlichen Behandlungsmethoden und nichtärztlichen Leistungen in freier Wahl selbst zu bestimmen oder in den Anspruch der Versicherten auf ärztliche Behandlung eingriffen wer-
450
Vgl. hierzu Butzer/Kaltenborn, MedR 2001, 333 (336); allgemein Erichsen, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 2 Rdn. 7; Ebsen, VSSR 1990, 57 (58); Oebbecke, VerwArch 81 (1990), 249 (356 f.). 451 Schnapp, in: von Wulffen/Krasney (Hrsg.), FS 50 Jahre BSG, S. 497 (515). 452 Schnapp, in: von Wulffen/Krasney (Hrsg.), FS 50 Jahre BSG, S. 497 (507). 453 Schnapp, in: von Wulffen/Krasney (Hrsg.), FS 50 Jahre BSG, S. 497 (511). 454 Schnapp, in: von Wulffen/Krasney (Hrsg.), FS 50 Jahre BSG, S. 497 (512 ff.).
B. Erforderlichkeit demokratischer Legitimation der Normsetzung des G-BA
111
de.455 Dazu bedürfe es allerdings der Uminterpretation des Abwehrrechts des Art. 2 I GG bzw. Art. 2 II 1 GG von einem Abwehr- in ein Teilhaberecht. Ein grundrechtlicher Anspruch auf staatliche Bereitstellung von Sozialleistungen nach dem optimalen Standard subjektiver Wünsche und Interessen existiere jedoch nicht. Mithin gebe es im Sozialrecht keinen Anspruch auf Bereitstellung bestimmter Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung, solange diese den Anforderungen des § 12 I SGB V genügten.456 Eine Betroffenheit der Versicherten scheide deswegen jedenfalls solange aus, wie die Richtliniengebung sich im Rahmen höherrangigen Rechts hielte.457 b. Anwendung auf den G-BA Entgegen dieser Auffassung entspricht es inzwischen der gefestigten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass sich aus Art. 2 I GG zwar kein Anspruch auf bestimmte Leistungen ableiten lässt, gesetzliche oder auf Gesetz beruhende Leistungsausschlüsse und Leistungsbegrenzungen [z.B. durch Richtlinien des G-BA] aber darauf zu prüfen sind, ob sie zur Unverhältnismäßigkeit von Beitrag und Leistung und damit zu einer Grundrechtsverletzung des Versicherten führen.458 Ebenso ist anerkannt, dass mangelnder Schutz des Versicherten – insbesondere im Falle von lebensbedrohlichen oder tödlich verlaufenden Erkrankungen – vom Schutzbereich des Art. 2 GG erfasst wird und eine verfassungskonforme Auslegung des Leistungsrechts des SGB V erfordern kann.459 Die Tatsache, dass sich hieraus kein Anspruch auf konkrete medizinische Leistungen, sondern höchstens ein solcher auf „die nackte Existenz“460 im Sinne einer Mindestversorgung461 ableiten lässt, hindert nach einer in der Literatur vertretenen Auffassung auch nicht daran, klagbare Rechte der Versicherten zumindest potentiell anzunehmen.462
455
Schnapp, in: von Wulffen/Krasney (Hrsg.), FS 50 Jahre BSG, S. 497 (512) m.w.N. Schnapp, in: von Wulffen/Krasney (Hrsg.), FS 50 Jahre BSG, S. 497 (513). 457 Schnapp, in: von Wulffen/Krasney (Hrsg.), FS 50 Jahre BSG, S. 497 (515). 458 BVerfGE 115, 25 (42 f.); BVerfGE 97, 271 (286); BVerfGE 106, 275 (304 f.); Butzer/Kaltenborn, MedR 2001, 333 (336). 459 BVerfGE 115, 25 (44 ff.); Preis, MedR 2010, 139 (145). 460 Murswiek, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 2 Rdn. 224. 461 Musil, in: Schmehl/Wallrabenstein (Hrsg.), Kooperationsstrukturen im Gesundheitswesen, Band II, S. 49 (65). 462 Musil, in: Schmehl/Wallrabenstein (Hrsg.), Kooperationsstrukturen im Gesundheitswesen, Band II, S. 49 (65). 456
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10. Kap.: Demokratische Legitimation des G-BA
2. Generelle Entbehrlichkeit demokratischer Legitimation aufgrund formeller Autonomie des G-BA a. Darstellung des Modells Ebsen vertritt ein speziell auf die Verleihung von Selbstverwaltungseinheiten mit Satzungsautonomie bezogenes Legitimationsmodell.463 Er unterscheidet dabei zwischen formeller und materieller Selbstverwaltung, an deren jeweiliges Vorliegen er unterschiedliche Anforderungen an die Legitimität des Setzens von Recht stellt. Die Kernthese dieses Legitimationsmodells besteht darin, dass die Form der Legitimation der Ausübung von Hoheitsgewalt abhängig von der inneren Struktur, insbesondere von den Mechanismen der Willensbildung des Verwaltungsträgers, sei.464 Zum Kernkriterium erhebt er dabei die Frage, ob dessen Willensbildungsmechanismen gemäß dem Modell demokratischer Betroffenenselbstverwaltung strukturiert seien.465 Handele es sich in diesem Sinne um materielle Selbstverwaltung, bei der das Prinzip der Betroffenenpartizipation gewahrt sei, stelle dies keine Abweichung vom Demokratie- und Gewaltenteilungskonzept des Grundgesetzes dar.466 Maßstab für die Legitimität materieller Selbstverwaltung sei daher nicht Art. 80 I 2 GG, sondern Art. 20 II GG und damit die Frage, ob die Entscheidungsinstanzen durch die Entscheidungsadressaten hinreichend demokratisch legitimiert seien.467 Im Gegensatz dazu liege formelle Selbstverwaltung dann vor, wenn ein Verwaltungsträger von der unmittelbaren Staatsverwaltung dermaßen verselbstständigt sei, dass dieser lediglich eine Rechtsaufsicht zustehe468 und das Merkmal der Betroffenenpartizipation nicht gewahrt sei.469 Diese Selbstverwaltungskonzeption stelle – ebenso wie die Verordnungsgebung – eine Abweichung vom Demokratieund Gewaltenteilungsprinzip dar.470 Es sei lediglich die Entlastungsfunktion des staatlichen Gesetzgebers gewahrt. Die ihrem Träger eingeräumte Rechtsetzungkompetenz könne daher nur als „formelle Autonomie“ bezeichnet werden.471 Die Legitimität dieser Rechtsetzungsermächtigung richte sich danach, ob sie den Anforderungen genüge, die gem. Art. 80 I 2 GG für Verordnungsermächtigungen des Bundesgesetzgebers gelten.472 Sollte der G-BA folglich als Träger formeller Auto463 Nachzulesen bei Ebsen, VSSR 1990, 57 (58); Ebsen, in: in Leßmann/Großfeld/Vollmer (Hrsg.), FS Lukes, S. 321; Ebsen, in: Schulin (Hrsg.), Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Band 1, § 7 Rdn. 20. 464 Vgl. Ebsen, in: Ebsen, in Leßmann/Großfeld/Vollmer (Hrsg.), FS Lukes, S. 321 (324 f.). 465 Vgl. Ebsen, VSSR 1990, 57 (60); Ebsen, in Leßmann/Großfeld/Vollmer (Hrsg.), FS Lukes, S. 321 (329 ff.). 466 Ebsen, VSSR 1990, 57 (61 f.), 467 Ebsen, in: Schulin (Hrsg.), Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Band 1, § 7 Rdn. 20. 468 Ebsen, in: Leßmann/Großfeld/Vollmer (Hrsg.), FS Lukes, S. 321 (327 f.). 469 Vgl. Ebsen, VSSR 1990, 57 (61). 470 Ebsen, VSSR 1990, 57 (61 f.). 471 Ebsen, VSSR 1990, 57 (62) anknüpfend an BVerfGE 33, 125. 472 Ebsen, VSSR 1990, 57 (63).
B. Erforderlichkeit demokratischer Legitimation der Normsetzung des G-BA
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nomie einzuordnen sein, richtete sich die Legitimität seiner Rechtsetzung nicht nach den Anforderungen des Art. 20 II GG, sondern nach denjenigen des Art. 80 I 2 GG. b. Anwendung auf den G-BA Hinsichtlich des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen ging Ebsen davon aus, dass es sich bei dessen Richtliniengebung lediglich um Rechtsetzung aufgrund formeller Autonomie handele, deren Legitimität sich nicht aus Art. 20 II GG, sondern aus Art. 80 I 2 GG ergebe. Wegen der Weisungsfreiheit der Ausschussmitglieder und des Vorhandenseins der neutralen Mitglieder könne das Gremium nicht als Repräsentativorgan der „Betroffenen“ verstanden werden.473 Der 6. Senat des BSG griff diese Argumentation in der Methadon-Entscheidung auf und sah die Anforderungen des Art. 80 I 2 GG hinsichtlich der Rechtsetzungsermächtigungen des G-BA als gewahrt an. Aus § 92 I 1 SGB V i.V.m. §§ 2 I, IV, 12 I, 27 I, 28 I, 70 I, 72 II ließe sich ein ausreichend dichtes Normprogramm entnehmen, welches die gesetzgeberischen Vorgaben für den Umfang der Behandlung und die Einbeziehung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in die gesetzliche Krankenversicherung so präzise, wie auf abstrakter Ebene möglich, beschreibe.474 Unter Zugrundelegung dieser Auffassung wäre der G-BA als Träger formeller Autonomie von den Erfordernissen des Art. 20 II GG suspendiert und seine Rechtsetzung über Art. 80 I 2 GG legitimiert. Diesem Ergebnis steht jedoch zunächst entgegen, dass das Merkmal der Betroffenenpartizipation im Falle des G-BA – jedenfalls dem Grunde nach – gewahrt ist. Somit unterläge dessen demokratische Legitimation auch nach Ebsens Modell den Anforderungen des Art. 20 II GG. Selbst unter Zugrundelegung von Ebsens Klassifizierung als formaler Selbstverwaltungsträger, wäre der G-BA nicht von den Anforderungen des Art. 20 II GG befreit. Diesem Ergebnis steht entgegen, dass Art. 80 GG nur für den Erlass von Rechtsverordnungen und gerade nicht für die Satzungsbefugnisse juristischer Personen des öffentlichen Rechts gilt.475 In der Literatur stößt Ebsens Modell deswegen auf Ablehnung. Die Anerkennung rein formeller Autonomie bewirke, dass autonome Satzungen als „verkappte Rechtsverordnungen“ anzusehen seien.476 Zudem führe Ebsens Interpretation von Art. 80 I, IV GG dazu, dass der Staat unter Berufung auf formelle Autonomie faktisch jeder Körperschaft des öffentlichen Rechts „Staatsgewalt“ gegenüber jedem beliebigen Bürger einräumen könne, wenn er nur Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend deutlich bestimme.477 Ebenso breche Ebsens Auffassung mit den über473
Ebsen, VSSR 1990, 57 (68). BSGE 78, 70 (83 f.). 475 BVerfGE 33, 125 (157 ff.); Lücke/Mann, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 80 Rdn. 2; Maunz, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, Art. 80 Rdn. 47; Brohm, VVdStRL 30, 246 (269); Meyn, DVBl. 1977, 593 (596 f.). 476 Vgl. Butzer/Kaltenborn, MedR 2001, 333 (337). 477 Butzer/Kaltenborn, MedR 2001, 333 (337) m.w.N. 474
114
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kommenen Vorstellungen über die Voraussetzungen und die Zulässigkeit autonomer Rechtsetzung478 und sei in der Konsequenz mit dem Demokratieprinzip unvereinbar.479
III. Ergebnis Der Richtlinienbeschluss durch den G-BA bedarf als Ausübung von Staatsgewalt demokratischer Legitimation i.S.d. Art. 20 II GG.480 Ein genereller Verzicht auf das Erfordernis demokratischer Legitimation scheidet schon allein deswegen aus, weil Art. 80 GG nach gefestigter Auffassung in Rechtsprechung und Literatur nur für den Erlass von Rechtsverordnungen, nicht jedoch für die Rechtsetzung durch Richtlinien als sozialrechtstypische Normsetzung sui generis gilt. Selbst ein partieller Verzicht auf demokratische Legitimation gegenüber den Versicherten erweist sich – entgegen Schnapps Auffassung – als nicht möglich, weil an der rechtlichen Betroffenheit der Versicherten von der Rechtsetzung des G-BA nach der derzeitigen Rechtslage keine Zweifel mehr bestehen.
C. Personell-organisatorische Legitimation des G-BA I. Allgemeines Die personell-organisatorische Legitimation ist der erste zentrale Strang demokratischer Legitimation. Sie wird durch eine ununterbrochene, auf das Volk zurückführende Legitimationskette für die mit der Wahrnehmung staatlicher Angelegenheiten betrauten Amtswalter vermittelt.481 Die Notwendigkeit einer derartigen „persönlichen“ Legitimation entspringt aus dem Prinzip der Volkssouveränität.482 Es verlangt, dass jeder Amtsträger durch einen Ernennungsakt eines demokratisch legitimierten Organs oder einer sonstigen demokratisch legitimierten Stelle sein Amt bekommt.483
478
Vgl. Butzer/Kaltenborn, MedR 2001, 333 (337); siehe auch Hänlein, Rechtsquellen im Sozialversicherungsrecht, S. 60 ff. 479 Hänlein, Rechtsquellen im Sozialversicherungsrecht, S. 62 ff. 480 Im Ergebnis ebenso Butzer/Kaltenborn, MedR 2001, 333 (337); Seeringer, Der Gemeinsame Bundesausschuss nach dem SGB V, S. 150 f. 481 BVerfGE 47, 253 (275); BVerfGE 52, 95 (130); BVerfGE 77, 1 (40); BVerfGE 83, 60 (72 f.); BVerfGE 93, 37 (66); BVerfGE 107, 59 (87); Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band II, § 24 Rdn. 16; Herzog, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, Lfg. 48 November 2006, Art. 20 II Rdn. 50 ff. 482 Herzog, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, Lfg. 48 November 2006, Art. 20 II Rdn. 49 f. 483 Trute, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 6 Rdn. 45.
C. Personell-organisatorische Legitimation des G-BA
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Schon aus praktischen Gründen ist jedoch nicht entscheidend, dass jeder einzelne Amtswalter sein Amt unmittelbar aus der Hand des Staatsvolkes erhält.484 Auch eine mittelbare Rückführbarkeit der Amtsinhaberschaft auf den Willen des Staatsvolkes ist ausreichend. Dabei gilt jedoch das „Prinzip der individuellen Berufung“.485 Das bedeutet, dass jeder Amtswalter individuell in sein Amt berufen worden sein muss. Der berufende Amtswalter muss seinerseits ebenfalls von einem individuell berufenen weiteren Amtswalter individuell in sein Amt berufen worden sein. 486 Ergibt sich hieraus eine lückenlose Kette individueller Bestellungsakte, welche vom jeweiligen Amtswalter auf das Staatsvolk zurückreicht, so ist dessen personell-organisatorische Legitimation gewährleistet.487 Das Modell der Legitimation aufgrund einer ununterbrochenen Legitimationskette steht in engem Zusammenhang mit dem Ministerialprinzip, weil der Minister über die Personal- und Organisationsgewalt letztlich die Verantwortung auch für die Personalauswahl trägt.488 In der Legitimationskette innerhalb der unmittelbaren Bundesverwaltung nimmt er ein Glied nahe des Ursprungs demokratischer Legitimation ein, weil er vom Bundeskanzler in sein Amt berufen wird (Art. 64 I GG), der seine Legitimation vom Bundestag ableitet (Art. 63 I GG), welcher sich wiederum unmittelbar durch das Staatsvolk legitimiert (Art. 38 ff. GG). Die hierarchisch strukturierte, staatsunmittelbare Ministerialverwaltung wird damit zum Idealbild demokratischer Legitimation489 oder – wie andere formulieren – zum „Prototyp demokratischer Verwaltung“490 erhoben. Wird die Ministerialverwaltung allerdings zum Regeltypus gemacht, bestimmt sie auch das Legitimationsniveau. Abweichungen von dem herkömmlichen Modell demokratischer Legitimation werden damit nicht nur begründungs-, sondern auch rechtfertigungsbedürftig.491 484
Herzog, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, Lfg. 48 November 2006, Art. 20 II Rdn. 53; Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth (Hrsg.), Verwaltungsrecht, Band II, § 80 Rdn. 151. 485 Vgl. Herzog, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, Lfg. 48 November 2006, Art. 20 II Rdn. 53. 486 Vgl. Herzog, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, Lfg. 48 November 2006, Art. 20 II Rdn. 53. 487 Vgl. Herzog, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, Lfg. 48 November 2006, Art. 20 II Rdn. 53; ebenso BVerfGE 107, 59 (87 f.). 488 Trute, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 6 Rdn. 45; Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, S. 296 ff. 489 Schnapp, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Art. 20 Rdn. 20; Schmidt-Aßmann, Allgemeines Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, S. 87 (89); Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 362; zur Kritik an dem Demokratiemodell des BVerfG Muckel, NZS 2002, 118 (120); Ehlers, in: Faber/Frank (Hrsg.), FS Stein, S. 125 (127 f.); Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, S. 296 ff.; Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, S. 49, 337 ff. 490 Axer, in: von Wulffen/Krasney (Hrsg.), FS 50 Jahre BSG, S. 339 (356); Musil, in: Schmehl/Wallrabenstein (Hrsg.), Steuerungsinstrumente im Recht des Gesundheitswesens, Band II, S. 49 (59). 491 Trute, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 6 Rdn. 14.
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10. Kap.: Demokratische Legitimation des G-BA
Relevanz hat dies vor allem für den Bereich der funktionalen Selbstverwaltung durch rechtlich verselbstständigte Verwaltungsträger, wie dem G-BA, die nicht der unmittelbaren, sondern der mittelbaren Staatsverwaltung zuzurechnen sind.492
II. Das demokratische Legitimationssubjekt des G-BA Das Kernproblem funktionaler Selbstverwaltungsträger – und damit auch des GBA – besteht in der Festlegung des Subjekts demokratischer Legitimation, welches den Amtswaltern und Entscheidungsträgern personell-organisatorische Legitimation zu vermitteln vermag. Als solches kommt im Regelfall das Bundesvolk, unter Umständen aber auch das Verbandsvolk des jeweiligen Selbstverwaltungsträgers in Betracht. Daneben werden weitere Modelle zur demokratischen Legitimation funktionaler Selbstverwaltungsträger vertreten, deren Anwendbarkeit auf den G-BA zu untersuchen ist. Bislang stößt keines dieser Modelle auf uneingeschränkte Akeptanz in Rechtsprechung und Literatur. Daran hat auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Emschergenossenschafts- und Lippeverbandsgesetz493 nichts Grundlegendes geändert.494 Deren Kernaussage bestand in der Feststellung, dass Art. 20 II GG offen für andere, insbesondere vom Erfordernis lückenloser demokratischer Legitimation aller Entscheidungsbefugten abweichende Formen der Organisation und Ausübung von Staatsgewalt ist.495 Dadurch wurde das herkömmliche, an der Ministerialverwaltung ausgerichtete, Modell demokratischer Legitimation für davon abweichende Legitimationsmodi zwar geöffnet,496 eine eindeutige Festlegung auf einen bestimmten Legitimationsmodus beinhaltet die Entscheidung jedoch nicht. 1. Das Bundesvolk als Legitimationssubjekt Da es sich bei dem G-BA um das höchste Gremium der gemeinsamen Selbstverwaltung von Ärzten, Krankenkassen und Krankenhäusern handelt, das durch den Bund errichtet wurde, kommt in erster Linie das Bundesvolk als Subjekt demokratischer Legitimation in Betracht. Jedoch wird die Rückführbarkeit der Normsetzungsbefugnisse des Gremiums auf den Willen des Bundesvolkes dadurch unterbrochen, dass die Vertreter der Trägerorganisationen i.S.d. § 91 I 1 SGB V nicht etwa vom Bundesminister für Gesundheit – der seine personell-organisatorische
492
Zu dieser Frage Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, S. 49 ff. 493 BVerfGE 107, 59. 494 Vgl. Jestaedt, JuS 2004, 649 (652 f.). 495 BVerfGE 107, 50 (91 f.). 496 So im Ergebnis wohl auch Schmidt-Aßmann, Allgemeines Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, S. 94 ff.
C. Personell-organisatorische Legitimation des G-BA
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Legitimation mittelbar vom Bundesvolk herleitet – sondern von den jeweiligen Spitzenorganisationen ernannt werden.497 Bei den Kassenärztlichen Bundesvereinigungen, dem GKV-Spitzenverband und der Deutschen Krankenhausgesellschaft handelt es sich um juristische Personen, denen das Bundesvolk schon deswegen keine personell-organisatorische Legitimation spendet, weil sie nicht der unmittelbaren Staatsverwaltung eingegliedert sind. Lediglich die unparteiischen Mitglieder des G-BA werden nach § 91 II 3 SGB V durch das Bundesministerium für Gesundheit „im Benehmen“ mit den Trägerorganisationen nach § 91 I 1 SGB V bestimmt, wenn zwischen diesen keine Einigung über die Person der Unparteiischen erzielt werden konnte. Unabhängig davon, wie sich die Formulierung „im Benehmen mit den Trägerorganisationen“ auf den Vorgang der Bestimmung der Unparteiischen und vor allem auf die Legitimationskette auswirkt, reicht dies nicht aus, um dem Bundesausschuss eine hinreichende personell-demokratische Legitimation zu spenden. Die Repräsentanten der übrigen Spitzenorganisationen, welche nach dieser Auffassung nicht über eine personell-demokratische Legitimation durch das Bundesvolk verfügen, wirken nicht nur an den Beschlüssen im G-BA mit, sondern befinden sich gegenüber den Unparteiischen in einer deutlichen Überzahl. Dadurch können sie entscheidenden Einfluss auf die zur Beschlussfassung erforderlichen Abstimmungen nehmen. 2. Das Verbandsvolk als Legitimationssubjekt Da das Bundesvolk nicht in der Lage ist, den Mitgliedern des G-BA personellorganisatorische Legitimation zu vermitteln, liegt eine entscheidende Frage darin, ob an dessen Stelle das Verbandsvolk des G-BA als originäres Subjekt demokratischer Legitimation treten kann.498 Sollte dieses Verbandsvolk als legitimationsfähiges Teilvolk anzusehen sein, bedeutete dies für die Mitglieder des Beschlussgremiums des G-BA nicht nur, dass sie ihre personell-organisatorische Legitimation direkt von den sie jeweils entsendenden Verbänden beziehen können, sondern gerade auch dass die Legitimation, die ihnen dieses Teilvolk vermittelt, als mit derjenigen durch das Bundesvolk als gleichwertig angesehen werden müsste.499 Außerordentliche Bedeutung erlangt deswegen die Frage, aus welcher Personengruppe sich das Verbandsvolk positiv zusammensetzt oder wie es sich negativ
497
Sodan, NZS 2000, 581 (584); ähnlich Muckel, NZS 2002, 118 (124); Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, S. 298 f.; Neumann, NZS 2010, 593 (594); allgemein Burgi, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 9 Rdn. 23 ff.; Hänlein, Rechtsquellen im Sozialversicherungsrecht, S. 47; Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, S. 327 ff. (332); Sickor, Normenhierarchie im Arztrecht, S. 222. 498 Ausführlich Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 369 ff.; Herzog, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, Lfg. 48 November 2006, Art. 20 II Rdn. 56 ff.; Hänlein, Rechtsquellen im Sozialversicherungsrecht, S. 47 ff.; Oebecke, VerwArch 81 (1990), 349 (357 ff.); SchmidtAßmann, in: Selmer/von Münch (Hrsg.), GS Martens, S. 249 (263). 499 Vgl. Butzer/Kaltenborn, MedR 2001, 333 (338 f.).
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10. Kap.: Demokratische Legitimation des G-BA
vom Gesamtvolk des Bundes oder der Länder abgrenzen lässt.500 Beides ergibt sich aus dem Begriff der Selbstverwaltung, der eine eigenverantwortliche Verwaltung bestimmter öffentlicher Angelegenheiten von den dadurch besonders berührten Personen (= Betroffenen) durch öffentlich-rechtliche Organisationseinheiten, die gegenüber dem staatsunmittelbaren Behördensystem verselbstständigt, aber gleichwohl dem Staat eingegliedert sind, bezeichnet.501 Daran anknüpfend setzt sich das Verbandsvolk aus den von der jeweiligen Verwaltungsaufgabe besonders Betroffenen, die im jeweiligen Beschlussorgan repräsentiert sind, mithin aus denjenigen, die sich selbst verwalten,502 zusammen. Dabei handelt es sich um diejenige Personengruppe, der durch Anknüpfung an bestimmte persönliche Merkmale demokratische Teilhaberechte zugewiesen werden503 und damit im Ergebnis um die durch Mitglieder oder Interessenrepräsentanten gebildeten Allgemeinheiten.504 Der G-BA nimmt durch den Beschluss der zur Sicherung der ärztlichen Versorgung erforderlichen Richtlinien über die Gewährung einer ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen Versorgung der Versicherten (§ 92 I 1 SGB V) eine öffentliche Angelegenheit wahr.505 Davon besonders betroffen sind in erster Linie die Krankenkassen, Vertragsärzte und Krankenhäuser und in besonderem Maße aber auch die Versicherten. Zwar weist das SGB V in § 91 I 1 dieser Personengruppe nicht durch unmittelbare Anknüpfung an persönliche Merkmale demokratische Teilhaberechte zu, doch erfolgt dies auf mittelbarem Wege über die Anordnung der Bildung des G-BA durch Vertreter des GKV-Spitzenverbandes, der Kassenärztlichen Bundesvereinigungen und der Deutschen Krankenhausgesellschaft. Diese juristischen Personen repräsentieren die einzelnen Krankenkassen, Vertragsärzte, Krankenhäuser und nach nicht unumstrittener Auffassung auch die Versicherten.506 Im Ergebnis setzt sich das Verbandsvolk des G-BA damit aus den Angehörigen der in § 91 I 1 SGB V genannten Spitzenverbände zusammen.507
500
Allgemein Brohm, VVDStRL 30, 246 (269 f.). Hendler, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band IV, 1. Auflage 1990, § 106 Rdn. 20; ausführlich oben 8. Kapitel, C. II. 502 Vgl. Butzer/Kaltenborn, MedR 2001, 333 (338). 503 Vgl. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 369 ff. (377, 379) 504 Vgl. Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band II, § 24 Rdn. 31. 505 Vgl. dazu bereits oben 8. Kapitel, B. III. 3. b. bb. 506 Dazu ausführlich unten 10. Kapitel, C. III. 1. b. 507 Krit. Kingreen, NZS 2007, 113 (116 ff.); differenzierend Butzer/Kaltenborn, MedR 2001, 333 (338 f.). 501
C. Personell-organisatorische Legitimation des G-BA
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a. Das Verbandsvolk als legitimationsfähiges Teilvolk Die Frage, ob es sich bei dem Verbandsvolk funktionaler Selbstverwaltungsträger um ein taugliches Subjekt demokratischer Legitimation handelt, wurde lange Zeit kontrovers beurteilt.508 aa. Anerkennung des Verbandsvolks als legitimationsfähiges Teilvolk Nicht unbedeutende Teile der Literatur erkennen das Verbandsvolk funktionaler Selbstverwaltungsträger als gleichwertiges – neben das Staatsvolk tretendes – Legitimationssubjekt an.509 So geht Herzog ausdrücklich davon aus, dass es sich bei dem Staatsvolk, auf das sich die einzelne staatliche Personalentscheidung zurückführen lassen müsse, in der dezentralisierten Demokratie nicht immer um das gesamte Bundesvolk zu handeln braucht. Ein einfacher Beleg dafür sei das gegenwärtig geltende Bundestagswahlrecht, das keine Bundesliste kenne und bei dem infolgedessen die über die Landeslisten gewählten Bundestagsabgeordneten ihre Legitimation genau genommen nicht auf das Bundesvolk, sondern auf das jeweilige Landesvolk zurückführten.510 Aus der Existenz der kommunalen und berufsständischen [= funktionalen] Selbstverwaltung folgert er, dass es auch kleinere Quellen der demokratischen Legitimation von Amtswaltern geben müsse.511 Andere leiten die Legitimationsfähigkeit von Teilvölkern daraus her, dass das Grundgesetz in Art. 87 II, III GG ausdrücklich das Verwalten durch Selbstverwaltungsträger anerkenne. Daher gebiete es die Einheit der Verfassung, dies nicht als Durchbrechung des auf umfassende Geltung angelegten und durch Art. 79 III GG abgesicherten Demokratieprinzips, sondern als dessen Ausformung anzusehen.512 Die Anerkennung der nicht-kommunalen Selbstverwaltung als Selbstverwaltungstypus impliziere die Zulassung des Verbandsvolks.513
508 Siehe etwa Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 369 ff.; Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, S. 322 ff.; allgemein zur Auslegung des Volksbegriffs Ehlers, in: Faber/Frank (Hrsg.), FS Stein, S. 125 (129). 509 Insbesondere Herzog, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, Lfg. 48 November 2006, Art. 20 II Rdn. 56 ff.; Frotscher, in: von Mutius (Hrsg.), FG Unruh, S. 127 (144 f.); Butzer/Kaltenborn, MedR 2001, 333 (338) m.w.N.; eine andere Auffassung vertritt Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, S. 318, der in Herzogs Modell den anklingenden Grundgedanken einer Legitimationskompensation erkennt. 510 Herzog, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, Lfg. 48 November 2006, Art. 20 II Rdn. 57; ähnlich Brohm, in: von Mutius (Hrsg.), FS Unruh, S. 127 (144 f.); Krebs, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band III, 1. Auflage 1988, § 69 Rdn. 80; zu dieser Auffassung auch Hänlein, Rechtsquellen im Sozialversicherungsrecht, S. 48. 511 Herzog, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, Lfg. 48 November 2006, Art. 20 II Rdn. 58. 512 Ehlers, in: Faber/Frank (Hrsg.), FS Stein, S. 125 (133); ähnlich Oebecke, VerwArchiv 81 (1990), 349 (357 f.). 513 Oebecke, VerwArchiv 81 (1990), 349 (358).
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bb. Ablehnung des Verbandsvolks als legitimationsfähiges Teilvolk Das Bundesverfassungsgericht vertritt in inzwischen gefestigter Rechtsprechung die Auffassung, dass lediglich das Staatsvolk durch Organe der Gesetzgebung, vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung Staatsgewalt ausübe. Art. 20 II 1 GG habe nicht zum Inhalt, dass sich die Entscheidungen der Staatsgewalt von den jeweils Betroffenen her zu legitimieren hätten. Die Staatsgewalt müsse das Volk als eine zur Einheit verbundene Gruppe von Menschen zu ihrem Subjekt haben.514 Gleiches gelte aufgrund von Art. 28 II 1 GG auch für die Staatsgewalt des Volkes in Ländern, Kreisen und Gemeinden. Die Vorschrift gewährleiste für alle Gebietskörperschaften auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland die Einheitlichkeit der Legitimationsgrundlage.515 Diese Auffassung ist in der Literatur auf Zustimmung gestoßen.516 Jede Abspaltung oder Aussonderung von Entscheidungsbefugnissen aus dem einheitlichen, vom Staatsvolk getragenen Legitimationsstrom gefährde die demokratische Gleichheit und damit die Basis demokratischer Herrschaftslegitimation.517 Durch das sozial und staatsrechtlich neutrale Bestimmungsmoment der Gebietszugehörigkeit werde zum Ausdruck gebracht, dass diese sich durch das Fehlen spezifischer Interessenbindungen auszeichne.518 b. Zwischenergebnis Das Grundgesetz trifft nach seinem Wortlaut in Art. 20 II, 28 I eine abschließende Regelung der Subjekte demokratischer Legitimation.519 Verbandsvölker funktionaler Selbstverwaltungsträger finden dort keine Beachtung. Da die Mitgliedschaft im Verbandsvolk funktionaler Selbstverwaltungsträger nicht an die Gebietszugehörigkeit anknüpft, ist es mit den im Grundgesetz anerkannten Legitimationssubjekten nicht vergleichbar. Gerade im Falle des G-BA resultieren aus der Repräsentantenstellung der Mitglieder des Beschlussgremiums starke Interessenbindungen, die zu einem spezifischen Bezug der Entscheidungsbefugten zu der jeweiligen Sachfrage führen.520 Um die Handlungsfähigkeit des 514
BVerfGE 83, 37 (50 f.); eine Übersicht der frühen Rechtsprechung des BVerfG zu diesem Thema findet sich bei Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, S. 319 ff. 515 BVerfGE 83, 37 (53). 516 Statt vieler Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 372; ders., in: Wolff/Bachof/ Stober/Kluth (Hrsg.), Verwaltungsrecht, Band II, § 80 Rdn. 43; Voßkuhle/Kaiser, JuS 2009, 803. 517 Vgl. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 370. 518 Vgl. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 371 m.w.N.; ähnlich Meyn, DVBl. 1977, 593 (600). 519 Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 372; a.A. Groß, DVBl. 2002, 1182 (1193), der davon ausgeht, dass das Grundgesetz außerhalb des Anwendungsbereichs von Art. 28 I 2 GG keine egalitäre Ausgestaltung der körperschaftlichen Mitwirkungsrechte verlange. 520 Vgl. hierzu Kingreen, NZS 2007, 113 (116); Musil, in: Schmehl/Wallrabenstein (Hrsg.), Kooperationsstrukturen im Gesundheitswesen, Band II, S. 49 (60) oder bereits Meyn, DVBl. 1977, 593 (600).
C. Personell-organisatorische Legitimation des G-BA
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Gremiums in streitigen Situationen zu erhalten, hat der Gesetzgeber die unparteiischen Mitglieder in das Beschlussgremium integriert. Auch die verfassungsrechtlichen Regelungen der Art. 87 II, III GG erlauben keinen eindeutigen Schluss auf die Anerkennung eines Verbandsvolks. Hier stellt sich das Folgeproblem, ob aus deren Existenz wirklich auf dessen Anerkennung geschlossen werden kann, oder ob sie lediglich eine Verlängerung der Legitimationskette im Bereich der mittelbaren Staatsverwaltung akzeptieren bzw. den gänzlichen Verzicht auf personell-organisatorische Legitimation legitimieren. Letztlich vermag die Wahl der Bundestagsabgeordneten über Landeslisten (§§ 1, 6, 27 BWahlG) die Akzeptanz eines Verbandsvolks nicht zu begründen. Dies ergibt sich aus den folgenden Erwägungen: Sofern das Grundgesetz explizit nur die Existenz bestimmter Legitimationssubjekte akzeptiert, zu denen Verbandsvölker nicht gehören, kann die Erweiterung des Kreises möglicher Legitimationssubjekte nicht durch einfaches Gesetzesrecht in Form des BWahlG erfolgen. Zudem ist die Existenz der Landeslisten eine Konsequenz der Aufteilung des Wahlgebiets der BRD in Wahlkreise (§ 2 BWahlG), wodurch ebenfalls dem sozial und staatsrechtlich neutralen Bestimmungsmoment der Gebietszugehörigkeit Ausdruck verliehen wird. Für funktionale Selbstverwaltungsträger gilt folglich, dass sämtliche Staatsgewalt auf das (Bundes-)Volk zurückführbar sein muss.521 Das Verbandsvolk des GBA stellt aus diesem Grund kein legitimationsfähiges Teilvolk dar. 3. Ergebnis Der G-BA vermag seine personell-organisatorische Legitimation weder durch das Bundes-, noch durch sein Verbandsvolk zu beziehen. Insbesondere die Ablehnung des Verbandsvolks als legitimationsfähiges Teilvolk hat weitreichende juristischdogmatische Konsequenzen. Da sich die personell-organisatorische Legitimation des G-BA und anderer Träger funktionaler Selbstverwaltung nicht auf das Bundesvolk zurückführen oder auf das Verbandsvolk stützen lässt, sind sie – auf den ersten Blick – nicht nur legitimatorisch defizitär, sondern weichen auch vom eingangs dargestellten Regelmodell demokratischer Legitimation ab.522 Daher kann und muss der G-BA – ebenso wie andere Selbstverwaltungsträger – seine demokratische Legitimation über die Parlamente und Exekutiven des Bundes beziehen oder sich auf Verfassungstitel berufen können, die Einschränkungen vom herkömmlichen Modell demokratischer Legitimation rechtfertigen.523 Zur Begründung der demokratischen Legitimation funktionaler Selbstverwaltungsträger haben sich verschiedene spezielle Modelle entwickelt. Deren Gemein521
Musil, in: Schmehl/Wallrabenstein (Hrsg.), Steuerungsinstrumente im Recht des Gesundheitswesens, Band II, S. 51 (60). 522 Vgl. Musil, in: Schmehl/Wallrabenstein (Hrsg.), Steuerungsintrumente im Recht des Gesundheitswesens, Band II, S. 51 (60); Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 372. 523 Vgl. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 372; ähnlich Musil, in: Schmehl/Wallrabenstein (Hrsg.), Steuerungsintrumente im Recht des Gesundheitswesens, Band II, S. 51 (60); Groß, DVBl. 2002, 1182 (1191).
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samkeit besteht in der Prämisse, dass das Verbandsvolk kein taugliches Subjekt originärer demokratischer Legitimation darstellt. Darüber hinaus lassen sich die Modelle danach unterscheiden, ob sie auf eine Kompensation der mangelnden personell-organisatorischen Legitimation funktionaler Selbstverwaltungsträger durch Bundes- und Landesvolk gerichtet sind und den Wegfall dieses Legitimationsstrangs durch einen anderen ausgleichen wollen, oder ob sie aufgrund verfassungsrechtlicher Titel einen generellen Verzicht auf das Erfordernis personellorganisatorischer Legitimation als gerechtfertigt ansehen.
III. Kompensation der mangelnden personellorganisatorischen Legitimation des G-BA durch das Bundesvolk Unter den Auffassungen, die die Anerkennung des Verbandsvolkes als originäres Subjekt demokratischer Legitimation ablehnen, haben sich zwei Legitimationsmodelle entwickelt, die diesen Mangel an personell-organisatorischer Legitimation entweder durch die sog. „autonome Legitimation“ oder durch die sog. „kollektiv-personelle Legitimation“ funktionaler Selbstverwaltungsträger zu kompensieren suchen. Der wesentliche Unterschied beider Auffassungen besteht einerseits in dem Grad der Kompensation, der durch die kompensatorischen Elemente erzielt wird und den daraus resultierenden Anforderungen an die sachlich-inhaltliche Legitimation sowie den jeweiligen personellen Grenzen der Rechtsetzungsmacht funktionaler Selbstverwaltungsträger. 1. Kompensation durch autonome Legitimation a. Darstellung des Modells Zur Kompensation der fehlenden personell-organisatorischen Legitimation der Mitglieder des G-BA durch das Bundesvolk vertritt Emde das Modell der sog. „autonomen Legitimation“ funktionaler Selbstverwaltungsträger.524 Seine Auffassung basiert auf der Prämisse, dass durch die Zurückdrängung der Ministerialverwaltung aus den Personalangelegenheiten der Selbstverwaltungsträger die sonst im Hinblick auf den einzelnen Berufungsakt über Parlament und Regierung vermittelte Legitimation durch das Volk wegfalle.525 Da Selbstverwaltung Entscheidungsfindung durch die Entscheidungsadressaten bzw. durch von diesen gewählte und ihnen verantwortliche Organe bedeute, schrumpfe die vom Staatsvolk vermittelte Legitimation in dem Maße weiter, wie dadurch der staatliche Entscheidungsanteil reduziert werde.526 An die Stelle des Staatsvolks trete allerdings die Willensbildung durch die Entscheidungsadressaten. Ebenso wie die parlamentsvermittelte Legitimation der Exekutive seien die Steuerungsbefugnisse der Selbstverwaltungsmitglieder zu524
Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, S. 389. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, S. 50, 386 ff. 526 Vgl. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, S. 387. 525
C. Personell-organisatorische Legitimation des G-BA
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gleich Elemente demokratischer Legitimation. Die Organe der Selbstverwaltungseinrichtungen würden von deren Mitgliedern gewählt und kontrolliert. Da die Mitglieder die alleinigen Adressaten der Selbstverwaltungsentscheidungen seien, verwirkliche die Selbstverwaltung das hinter dem demokratischen Prinzip stehende Postulat der Selbstbestimmung keinesfalls in geringerem Maße, als das Ministerialsystem dies vermöge.527 Die mit der Schleifung ministerieller Leitungsbefugnisse verbundene Zurückdrängung des Staatsvolks als Legitimationsquelle gehe mit der Verstärkung desjenigen Volksteils einher, der vom Wirken des Selbstverwaltungsträgers in besonderer Weise betroffen sei. Der Begriff der Selbstverwaltung bezeichne mithin eine Organisationsform, die nach Anspruch sowie herkömmlichem Erscheinungsbild die Prinzipien demokratischer Willensbildung in sich aufgenommen habe.528 Aus diesem Grund eröffne der Begriff der Selbstverwaltung die Möglichkeit, die Reduktion der staatsvermittelten Legitimation durch autonome Legitimationselemente zu kompensieren.529 Daraus folge aber auch, dass die autonom legitimierten Entscheidungsträger ausschließlich oder ganz überwiegend nur Belange der sich-selbst Verwaltenden regeln dürften,530 weil sonst die kompensatorische Wirkung autonomer Legitimation entfiele. Das Modell „autonomer Legitimation“ weist große Ähnlichkeiten mit der personell-organisatorischen Legitimation des G-BA durch das Verbandsvolk auf. Emde betont jedoch ausdrücklich, dass es nicht zu einer Auflösung der Einheit der Staatsgewalt oder der Auflösung der einheitsstiftenden Funktion des Staatsvolks 527 Vgl. ausführlich Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, S. 386 (387 ff.). 528 Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, S. 387 f. 529 Vgl. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, S. 388; nicht zuletzt infolge der Entscheidung des BVerfG zum Emschergenossenschafts- und Lippeverbandsgesetz (BVerfGE 107, 59) wird diskutiert, ob der Ausfall an personelldemokratischer Legitimation funktionaler Selbstverwaltungsträger nicht nur durch die autonome Legitimation, sondern auch durch Sachkunde bzw. Sachnähe der Entscheidungsträger erfolgen könne (vgl. dazu etwa Neumann, NZS 2010, 593 [598 ff.]). Neumann unterscheidet zwischen „mitgliedschaftlicher“, d.h. autonomer, und „anstaltlicher Legitimation“. Mitgliedschaftliche bzw. körperschaftliche Legitimation erfordere eine innerverbandliche demokratische Willensbildung „von unten nach oben“, wogegen die anstaltliche Legitimation gesetzliche Vorkehrungen dafür verlange, dass der im Parlamentsgesetz zum Ausdruck gebrachte Volkswille effektiv durchgesetzt werde. Er weist allerdings darauf hin, dass sich beide Formen demokratischer Legitimation nicht immer sauber voneinander trennen ließen, weil bereits die Unterscheidung von Körperschaft und Anstalt „an den Rändern unscharf“ werde. Diese sachliche Schwierigkeit dürfe nicht als Freibrief verstanden werden, die Organisations- und Legitimationsformen mehr oder weniger nach Belieben zu vermischen (ausführlich Neumann, NZS 2010, 593 [600]). Da der G-BA als juristische Person sui generis sowohl körperschaftliche, als auch anstaltliche Elemente in sich vereint (vgl. dazu oben 8. Kapitel, B. III. 5.), ist dessen eindeutige Zuordnung zu einer dieser Legitimationsformen nicht ohne Weiteres möglich (dazu unter Bezugnahme auf die gegenwärtige Ausgestaltung der Patientenbeteiligung Neumann, NZS 2010, 593 [600]). Die Problematik der Bestimmung seiner Rechtsform setzt sich an dieser Stelle fort. 530 Butzer/Kaltenborn, MedR 2001, 333 (338) m.w.N.
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10. Kap.: Demokratische Legitimation des G-BA
führe.531 Dadurch fungiert das Verbandsvolk nicht als originäres Legitimationssubjekt, sondern entfaltet lediglich kompensatorischen Charakter. Infolgedessen bleibt der von der autonomen Legitimation vermittelte Grad an personell-organisatorischer Legitimation hinter dem vom Verbandsvolk ausgehenden zurück und muss durch ein erhöhtes Maß sachlich-inhaltlicher ausgeglichen werden.532 Dies bedeutet, dass autonome Legitimation den Ausfall personell-organisatorischer Legitimation durch das Staatsvolk zwar bis zu einem gewissen Grad kompensieren, jedoch nie zu einem völligen Ausgleich führen kann. b. Anwendung auf den G-BA Die autonome Legitimation des G-BA erfordert, dass eine ununterbrochene Legitimationskette vom Verbandsvolk des G-BA bis zu den mit der Ausübung der Staatsgewalt betrauten Amtswaltern besteht.533 Die Staatsgewalt wird durch die Mitglieder des Beschlussgremiums des G-BA (§ 91 II 1 SGB V) über den in § 91 VI SGB V genannten Personenkreis ausgeübt. Dem entsprechend ist erforderlich, dass die Mitglieder des GKV-Spitzenverbandes, der Kassenärztlichen Bundesvereinigungen, der Deutschen Krankenhausgesellschaft und die unparteiischen Mitglieder ihr Amt auf einen Willensakt des Verbandsvolks zurückführen können. Das Verbandsvolk setzt sich aus denjenigen zusammen, die von den Mitgliedern des Beschlussgremiums repräsentiert werden.534 Aufgrund der Mitgliedschaftsverhältnisse der den G-BA bildenden Spitzenorganisationen sind dies die Krankenkassen, die gerade auch die Versicherten repräsentieren, die Vertragsärzte sowie die zugelassenen Krankenhäuser.535 Da § 91 VI SGB V jedoch anordnet, dass die Beschlüsse des G-BA auch für die sonstigen Leistungserbringer verbindlich sind, verlangt das Korrespondenzgebot prinzipiell, dass er auch diesen gegenüber autonom legitimiert ist. Eine gewisse Sonderstellung nehmen im Beschlussgremium des G-BA schließlich die unparteiischen Mitglieder ein, deren Bestellungsmodus sich von den übrigen Mitgliedern unterscheidet.
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Vgl. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, S. 318, 389. 532 Vgl. Butzer/Kaltenborn, MedR 2001, 333 (338). 533 Allgemein BVerfGE 47, 253 (257); BVerfGE 52, 95 (130); BVerfGE 77, 2 (40); BVerfGE 83, 60 (72 f.); BVerfGE 93, 37 (66); BVerfGE 107, 59 (87); siehe dazu insbesondere Trute, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 6 Rdn. 9; Burgi, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 6 Rdn. 28. 534 Zum Begriff des Verbandsvolks oben 8. Kapitel, C. II. 2. c. cc. 535 Krit. zur Zusammenfassung der im G-BA vertretenen Interessengruppen zu einem Verbandsvolk Kingreen, NZS 2007, 113 (116 ff.); differenzierend Butzer/Kaltenborn, MedR 2001, 333 (338 f.).
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aa. Autonome Legitimation gegenüber den Krankenkassen und Versicherten Die autonome Legitimation der Vertreter des GKV-Spitzenverbandes gegenüber den Krankenkassen und Versicherten ergibt sich daraus, dass die Versicherten und deren Arbeitgeber im Rahmen der Sozialversicherungswahlen (§§ 45 ff. SGB IV)536 ihre Vertreter in die Vertreterversammlung oder den Verwaltungsrat der jeweiligen Krankenkasse wählen (§ 46 I i.V.m. §§ 31 I, IIIa, 35a SGB IV).537 Im GKV-Spitzenverband wird eine Mitgliederversammlung gebildet, in welche jede Mitgliedskrankenkasse jeweils einen Versicherten und Arbeitgebervertreter entsendet (§ 217b III 3 SGB V). Diese Mitgliederversammlung wählt den Verwaltungsrat des GKV-Spitzenverbandes (§ 217b III 2 SGB V). Dieser hat nach 536
Teilweise wird kritisiert, dass die Versicherten – neben den Vertretern der Arbeitgeber – lediglich die Hälfte der Vertreter innerhalb der Selbstverwaltungsorgane der jeweiligen Krankenkasse stellen (§ 44 I Nr. 1 SGB IV). Dadurch sei der Einfluss der Versicherten auf die Willensbildung des G-BA bereits auf unterster Ebene verringert (Castendiek, NZS 2001, 71 [73]). Dies kann – nach der in der Literatur vorherrschenden Auffassung – auch nicht durch die Beteiligung der Patientenvertreter nach § 140f SGB V im Beschlussgremium des G-BA kompensiert werden. Da diese nur über ein Mitberatungs-, nicht jedoch über ein eigenes Stimmrecht verfügten (§ 140f II 1 SGB V), sei diese bestenfalls beratender oder anregender Natur und gehe insoweit über ein Anhörungsrecht hinaus (Ebsen, MedR 2006, 528 [529 f.]). Die Beteiligung der Patientenvertreter im Beschlussgremium des G-BA wird generell äußerst kritisch bewertet (vgl. etwa Pitschas, MedR 2006, 451 [454 f.]); Ebsen, MedR 2006, 528 [531]). 537 Die Sozialversicherungswahlen sind nach der Rechtsprechung des BSG im Grundsatz dazu in der Lage, den Mangel der personell demokratischen Legitimation des G-BA durch das Bundesvolk zu kompensieren (BSGE 94, 50 [77]; Muckel, NZS 2002, 118 [124 f.]. Unterschiedlich beurteilt wird aber, wie sich die sog. „Friedenswahlen“ (§ 46 II SGB IV) als spezielle Form der Sozialversicherungswahl auf die Legitimationsvermittlung durch das Verbandsvolk auswirken. Sozialversicherungswahlen erfolgen auf der Basis von Vorschlagslisten (§ 48 SGB IV). § 46 II SGB IV sieht in diesem Kontext vor, dass die dort vorgeschlagenen Versichertenvertreter als gewählt gelten, wenn entweder aus der Gruppe der Versicherten nur eine Vorschlagsliste zugelassen wird (§ 46 II Alt. 1 SGB IV) oder auf mehreren Vorschlagslisten insgesamt nicht mehr Bewerber benannt werden, als Mitglieder des jeweiligen Selbstverwaltungsorgans zu wählen sind (§ 46 II Alt. 2 SGB IV). Damit bieten Friedenswahlen die Möglichkeit auf die Wahlhandlung zu verzichten, wenn nicht mehr Bewerber benannt, als Organmitglieder zu wählen sind (Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, S. 164). Teilweise wird dieses Verfahren generell für mit dem Demokratieprinzip unvereinbar gehalten (Castendiek, NZS 2001, 71 [73]; Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, S. 164 f., 422; Oebecke, VerwArchiv 81, 349 [362]). Andere verweisen darauf, dass Friedenswahlen nur eine äußerst geringe autonome Legitimation vermittelten (Taupitz, MedR 2003, 7 [11]; Frotscher, in: von Mutius [Hrsg.], FG Unruh, S. 127 [144]). Teilweise wird der aus den Friedenswahlen folgende Mangel an demokratischer Legitimation jedoch auch für belanglos gehalten, weil die beklagten Defizite bei der Patientenmitsprache historisch überkommen seien (ausführlich Musil, in: Schmehl/Wallrabenstein [Hrsg.], Kooperationsstrukturen im Gesundheitswesen, Band II, S. 49 [66]). Bei allen Einwänden, die gegen das Verfahren der Friedenswahl bestehen, ist jedenfalls zu berücksichtigen, dass es sich nach dem Gesetzeswortlaut um einen Ausnahmefall handelt.
126
10. Kap.: Demokratische Legitimation des G-BA
§ 31 I Nr. 17 GKV-SpiV-Satzung538 über die Entsendung von Vertretern in andere Institutionen zu entscheiden. Eine derartige „andere Institution“ stellt auch der GBA dar. Deswegen fällt die Bestellung der Vertreter des GKV-Spitzenverbandes im G-BA unter die fragliche Norm der Satzung des GKV-Spitzenverbandes. Aufgrund dieses Bestellungsmodus sind die Versicherten – trotz aller geäußerten Kritik539 – jedenfalls formell über die Vertreter des GKV-Spitzenverbandes im Beschlussgremium des G-BA repräsentiert. Ob diese mittelbare Repräsentanz dazu ausreicht, die Rechtsetzung gegenüber den Versicherten zu legitimieren, hängt entscheidend vom Grad der sachlich-inhaltlichen Legitimation ab, die das SGB V dem G-BA zu vermitteln vermag.540 bb. Autonome Legitimation gegenüber den Vertragsärzten Die nach § 95 I SGB V zur vertraglichen Versorgung zugelassenen Ärzte werden kraft Gesetzes Mitglied der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung (§ 95 III 1 SGB V). Diese verfügen als Körperschaften des öffentlichen Rechts über eine Vertreterversammlung als Selbstverwaltungsorgan (§ 79 I SGB V). Die Mitglieder der Vertreterversammlung werden von den der jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigung angehörenden Vertragsärzten gewählt (§ 80 I 1 SGB V). Die Mitglieder der Vertreterversammlungen der Kassenärztlichen Vereinigungen in der Bundesrepublik Deutschland wählen aus ihren Reihen wiederum die Mitglieder der Vertreterversammlungen der Kassenärztlichen Bundesvereinigungen (§ 80 Ia SGB V). Das Verfahren der Bestellung der Vertreter der Kassenärztlichen Bundesvereinigungen im G-BA ergibt sich nicht direkt aus dem SGB V. Allerdings heißt es in § 5 II Nr. 7 KÄBV-Satzung,541 dass die Mitglieder ihrer Vertreterversammlung die vom Vorstand der KÄBV im Benehmen mit dem Ausschuss für Vorstandsangelegenheiten benannten Mitglieder des G-BA (§ 5 II Nr.7 i.V.m. § 7 I Nr. 2 KÄBV-Satzung) zu bestätigen haben. Daraus ergibt sich eine ununterbrochene Legitimationskette vom einzelnen Vertragsarzt zu den Vertretern der KÄBV im G-BA.542
538
Stand: 26. Juni 2008. Statt vieler LSG Niedersachsen NZS 2001, 32 (35); dazu Castendiek, NZS 2001, 71. 540 Davon hängt letztlich auch die Relevanz der Forderung nach der Einführung sog. bundesweiter „Versichertenwahlen“ ab, die es den Versicherten ermöglichten, ihre Delegierten unmittelbar in den G-BA zu wählen (Schimmelpfeng-Schütte, MedR 2006, 21 [25]; daran anknüpfend Ebsen, MedR 2006, 528 [531 f.]). Dadurch erstarkten die Versichertenvertreter zur dritten Bank innerhalb des G-BA neben den Kassenärztlichen Bundesvereinigungen, der DKG und dem GKV-Spitzenverband. Dieses Modell böte den Vorteil, dass die personell-organisatorische bzw. autonome Legitimation des G-BA gegenüber den Versicherten deutlich besser abgesichert wäre. Die Versichertenvertreter befänden sich in einer unmittelbaren politischen Verantwortlichkeit gegenüber ihrem Wahlvolk und könnten dessen Interessen ausreichende Geltung verschaffen (vgl. zur derzeitigen Interessenheterogenität innerhalb der einzelnen Krankenkassen Taupitz, MedR 2003, 7 [9]). 541 Stand: 15. Januar 2008. 542 So auch Sodan, NZS 2000, 581 (584). 539
C. Personell-organisatorische Legitimation des G-BA
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cc. Autonome Legitimation gegenüber den zugelassenen Krankenhäusern Die Vertreter der DKG repräsentieren einen privatrechtsfähigen Verein, der an der Rechtsetzung des G-BA durch Richtlinien mitwirkt.543 Inwieweit ein eingetragener Verein des Privatrechts als rechtssicherer Partner der Selbstverwaltung angesehen werden kann, ist in der Vergangenheit konträr diskutiert worden.544 Das BVerfG hat allerdings in Bezug auf die privatrechtlich organisierten Ersatzkassenverbände ausdrücklich festgestellt, dass diese zulässigerweise als Beliehene an der Rechtsetzung in der GKV mitwirken.545 Auch das BSG hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Verfassungsrecht der Beleihung privatrechtlich organisierter Verbände mit Rechtsetzungsbefugnissen nicht entgegenstehe.546 Als Beliehene werden Privatpersonen bezeichnet, die mit der selbstständigen, hoheitlichen Wahrnehmung bestimmter Verwaltungsaufgaben im eigenen Namen durch oder aufgrund eines formellen Gesetzes betraut sind.547 § 91 I SGB V sieht als formelles Gesetz die Beteiligung der DKG im G-BA vor. Aus der Generalklausel des § 92 SGB V ergibt sich außerdem, dass die Verwaltungsaufgabe, an der der Verband Teil hat, im Beschluss der Richtlinien besteht.548 Damit ist die DKG als Beliehene im obigen Sinne anzusehen. Die autonome Legitimation der Vertreter der DKG gegenüber den zugelassenen Krankenhäusern ergibt sich daraus, dass es sich bei dem Verband um einen Zusammenschluss der Landeskrankenhausgesellschaften handelt (§ 108a S. 2 SGB V), die sich wiederum aus den Trägern zugelassener Krankenhäuser in den Ländern zusammensetzt (§ 108a S. 1 SGB V).549 Da es sich bei der DKG allerdings um einen privatrechtlichen Verein und gerade nicht um eine Körperschaft des öffentlichen Rechts handelt, ist der Grad ihrer personell-organisatorischen Legitimation gegenüber demjenigen des GKV-Spitzenverbandes und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung verringert.550 dd. Autonome Legitimation gegenüber den sonstigen Leistungserbringern Aus der Sparte der Leistungserbringer sind lediglich Vertragsärzte, Zahnärzte (§ 95 SGB V) und Krankenhäuser (§ 108 SGB V) im Beschlussgremium des GBA repräsentiert. Andere Leistungserbringer, wie etwa die Erbringer von Heilmitteln (§ 124 SGB V), Apotheker (§ 129 SGB V) und sonstige Hilfsmittellieferanten 543
Dazu ausführlich Seeringer, Der Gemeinsame Bundesausschuss nach dem SGB V, S. 211 ff. 544 Wagener, in: Rieger/Dahm/Steinhilper (Hrsg.), HK-AKM, 1390 Rdn. 11. 545 BVerfG NZS 2003, 144 (147 f.). 546 Vgl. BSGE 94, 50 (78 f.). 547 Stelkens, NVwZ 2004, 304 (305) m.w.N. 548 Zur Frage der Beteiligung der DKG im G-BA Wagener, in: Rieger/Dahm/Steinhilper (Hrsg.), HK-AKM, 1390 Rdn. 11 und Seeringer, Der Gemeinsame Bundesausschuss nach dem SGB V, S. 211 ff. (217), die eine Beteiligung der DKG im G-BA im Ergebnis für möglich halten. 549 Näheres oben 2. Kapitel, A. III. 550 Seeringer, Der Gemeinsame Bundesausschuss nach dem SGB V, S. 213.
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10. Kap.: Demokratische Legitimation des G-BA
(§ 126 SGB V), gehören seinem Beschlussgremium nicht an und verfügen infolgedessen nicht über die Möglichkeit im Wege der Abstimmung aktiven Einfluss auf den Richtlinienbeschluss auszuüben. Gegenüber diesen Interessengruppen verfügt der G-BA nicht über die grundsätzlich erforderliche autonome Legitimation. ee. Sonderfall: Legitimation der unparteiischen Mitglieder Letztlich stellt sich die Frage der personell-organisatorischen bzw. autonomen Legitimation der unparteiischen Mitglieder. Für deren Berufung bestehen zwei Modi: Im Normalfall sollen sich die Trägerorganisationen des G-BA nach § 91 II 2 SGB V über deren Person einigen. Kommt eine derartige Einigung nicht zustande, erfolgt die Berufung nach § 91 II 3 SGB V durch das Bundesgesundheitsministerium „im Benehmen“ mit den Trägerorganisationen des G-BA. Dies erfordert eine Anhörung der jeweiligen Spitzenorganisationen, deren Inhalt bei der Auswahl der Unparteiischen berücksichtigt werden muss.551 Sofern die Berufung der unparteiischen Mitglieder durch das Einvernehmen der Trägerorganisationen erfolgt, erstreckt sich die personelle Legitimationskette von den einzelnen Vertragsärzten, Arbeitgebern und Versicherten über die Verbände, denen sie angehören, zu den jeweiligen Spitzenverbänden bis zu den Unparteiischen. Ähnlich verhält es sich mit den Mitgliedern der DKG. Legitimationssubjekt ist in diesem Fall das gesamte Verbandsvolk des G-BA. Erfolgt die Berufung dagegen über das Bundesgesundheitsministerium, führt die personelle Legitimationskette über den Bundesminister für Gesundheit, die Bundesregierung und den Bundestag zurück auf das Bundesvolk. Hinsichtlich beider Alternativen liegt damit eine ausreichende personellorganisatorische Legitimation der Unparteiischen vor. Da sie ihre Legitimation im einen Fall auf alle Angehörigen des Verbandsvolkes, im anderen auf das Bundesvolk zurückführen, stellen sie ein einheitstiftendes Element im Gefüge des Beschlussgremiums des G-BA dar. c. Zwischenergebnis Aufgrund der bemerkenswerten Länge der Legitimationsketten, die vom Verbandsvolk des G-BA zu den Mitgliedern des Beschlussgremiums führen, wird teilweise konstatiert, dass allenfalls noch von einer „homöopathischen Verdünnung“ personell-demokratischer Legitimation gesprochen werden könne.552 Dabei handelt es sich primär nicht um eine Kritik, die spezifisch den G-BA beträfe. Vielmehr stellt sie das Demokratiemodell des BVerfG an sich in Frage.553 Dennoch führt die Länge der Legitimationsketten dazu, dass sich der effektive Einfluss des Verbandsvolks auf die Rechtsetzung des Gremiums lockert.554 Dies darf 551
Schmidt-De Caluwe, in: Becker/Kingreen (Hrsg.), SGB V, § 91 Rdn. 12. Dazu Butzer/Kaltenborn, MedR 2001, 333 (339); Hänlein, Rechtsquellen im Sozialversicherungsrecht, S. 494 f. 553 Dazu Dreier, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 20 (Demokratie) Rdn. 118 m.w.N. 554 Vgl. Dreier, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 20 (Demokratie) Rdn. 115. 552
C. Personell-organisatorische Legitimation des G-BA
129
allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Mitglieder des Beschlussgremiums dem Grundsatz nach über autonome Legitimation gegenüber den Krankenkassen und Versicherten, Vertragsärzten und zugelassenen Krankenhäusern verfügen.555 Ob der jeweilige Grad autonomer Legitimation ausreicht, um ein effektives Niveau demokratischer Legitimation zu erreichen, hängt entscheidend vom Grad der sachlich-inhaltlichen Legitimation des Gremiums ab. 2. Kompensation durch kollektiv-personelle Legitimation a. Darstellung des Modells Kluth vertritt ein Modell der Kompensation der mangelnden personell-organisatorischen demokratischen Legitimation funktionaler Selbstverwaltungsträger auf der Basis einer kollektiv-personellen Legitimation durch das Bundesvolk.556 Dabei handele es sich nicht um eine originäre, sondern um eine parlamentarisch vermittelte Legitimation.557 Kluths Auffassung basiert ebenfalls auf der Prämisse, dass sowohl Bundes- als auch Verbandsvolk als taugliche Subjekte personell-organisatorischer Legitimation funktionaler Selbstverwaltungsträger ausschieden.558 Zur Überwindung der daraus resultierenden Legitimationslücke559 schlägt er vor, den Gründungsakt des jeweiligen Selbstverwaltungsträgers heranzuziehen. Dieser beschränke sich nicht auf die Schaffung einer juristischen Person des öffentlichen Rechts aufgrund eines Parlamentsgesetzes,560 sondern weise einer Personengruppe durch Anknüpfung an bestimmte individuelle Merkmale demokratische Teilhaberechte zu.561 Aus diesem 555
§ 91 VIII HS 2 SGB V statuiert die Weisungsfreiheit der Mitglieder des Beschlussgremiums. Hieraus folgern einige Stimmen in der Literatur eine Unterbrechung der Legitimationskette (Sodan, NZS 2000, 581 [585]; Wimmer, MedR 1996, 425 [426]). Dagegen spricht allerdings, dass die Weisungsfreiheit der Abgeordneten im Bundestag (Art. 38 I 2 GG) ein Charakteristikum der repräsentativen parlamentarischen Demokratie ist (vgl. Butzer/Kaltenborn, MedR 2001, 333 [340]). Da Selbstverwaltung die Verwirklichung des Demokratiegedankens in kleineren Einheiten bedeutet, erschließt sich nicht, warum die Regelung des § 91 VIII HS 2 SGB V zum Ausschluss der autonomen Legitimation führen sollte. Engelmann begründet die Weisungsfreiheit der Mitglieder des Beschlussgremiums allgemein mit der Ausgestaltung des G-BA als ein – der Normsetzung durch die Vertragspartner vorgeschaltetes – schiedsamtähnliches Konfliktlösungsorgan. Ihm seien gewisse Materien zur Regelung zugewiesen, von denen der Gesetzgeber angenommen habe, dass sie bei der üblichen Form der Normsetzung durch die Partner der gemeinsamen Selbstverwaltung zu Auseinandersetzungen führen könnten (Engelmann, NZS 2000, 76 [80]). 556 Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 369 ff.; ders., in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth (Hrsg.), Verwaltungsrecht, Band II, § 81 Rdn. 155; Groß, DVBl. 2002, 1182 (1183). 557 Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 381. 558 Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 369 ff. (372, 376 f., 380). 559 Ausführlich Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 369 ff. (377). 560 Vgl. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 357. 561 Vgl. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 369 ff. (377, 379); ein ähnlicher Begründungsansatz findet sich inzwischen auch in der Rechtsprechung des 6. Senates des BSG, vgl. BSGE 94, 50 (74); dazu Schmidt-De Caluwe, in: Kern/Lilie (Hrsg.), FS Fischer, S. 379 (398).
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10. Kap.: Demokratische Legitimation des G-BA
Grund sei der Gründungsakt bei der funktionalen Selbstverwaltung – abweichend von den sonstigen Fällen der Organisation der öffentlichen Verwaltung – genuin personell geprägt. Es sei infolgedessen möglich, die Gründung eines funktionalen Selbstverwaltungsträgers als Akt kollektiver personeller Legitimation zu interpretieren,562 durch den dessen Mitglieder bzw. Amtswalter als Kollegialorgan bestellt würden. Daraus ergeben sich Konsequenzen in Bezug auf das Kompensationsniveau und den Umfang der Rechtsetzungsbefugnisse funktionaler Selbstverwaltungsträger. Kluth geht davon aus, dass diese aufgrund ihrer Errichtung durch ein Parlamentsgesetz über eine direkt parlamentarisch vermittelte Legitimation verfügten und sich insoweit von der mittelbaren demokratischen Legitimation bei der Ministerialverwaltung unterschieden. Da sich das Niveau der personell-demokratischen Legitimation eines Staatsgewalt ausübenden Organs nach der Anzahl der vermittelnden Legitimationsakte bemesse, die es mit dem Volk als primärem und ursprünglichen Legitimationssubjekt verbänden,563 folgert er, dass die funktionale Selbstverwaltung nach ihrem legitimatorischen Status der Regierung gleichgeordnet sei, die gleichermaßen direkt vom Parlament legitimiert sei.564 Die Tatsache, dass die personell-organisatorische Legitimation auf das Bundesvolk als solches zurückzuführen soll, führe außerdem dazu, dass die Legitimationsvermittlung auch bei Regelungen gegenüber Externen wirksam bleibe.565 Allerdings vermindere sich das Legitimationsniveau, weil es in diesem Fall an der „qualifizierten kollektiven Legitimation fehle“, die der funktionale Selbstverwaltungsträger aus der Erledigung der eigenen Angelegenheiten der jeweiligen Mitgliedergruppe beziehe.566 b. Anwendung auf den G-BA Legt man Kluths Ansicht zugrunde, beziehen die Mitglieder des Beschlussgremiums des G-BA ihre kollektiv-personelle Legitimation aus dem Gründungsakt des Gremiums. Dieser setzt sich aus zwei Komponenten zusammen: Der Schaffung des Gremiums als juristische Person des öffentlichen Rechts durch ein Parlamentsgesetz und der Zuweisung von demokratischen Teilhaberechten an eine nach individuellen Merkmalen bestimmbare Personengruppe. aa. Schaffung des G-BA als juristische Person Der G-BA ist als höchstes Gremium der Gemeinsamen Selbstverwaltung von Ärzten, Krankenkassen und Krankenhäusern durch das GMG vom 14.11.2003 als ju-
562 563 564 565 566
Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 369 ff. (377). Vgl. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 494. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 381. Vgl. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 494 ff. (495). Vgl. ausführlich Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 494 f., 504 f.
C. Personell-organisatorische Legitimation des G-BA
131
ristische Person des öffentlichen Rechts geschaffen567 und in organisatorischer Hinsicht durch das GKV-WSG vom 26.03.2007568 vom Gesetzgeber fortentwickelt worden.569 bb. Genuin personelle Prägung des Gründungsaktes Das Vorliegen einer genuin personellen Prägung des Gründungsakts des G-BA erscheint auf den ersten Blick zweifelhaft. Ursächlich dafür ist dessen verbandskörperschaftsähnliche Struktur.570 Der Gesetzgeber hat in § 91 I 1 SGB V nicht unmittelbar an in der Person liegende Umstände zur Verleihung demokratischer Teilhaberechte angeknüpft, sondern allgemein die Bildung des G-BA durch den GKV-Spitzenverband, die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen und die Deutsche Krankenhausgesellschaft vorgeschrieben. Hieraus ergibt sich jedoch nicht die Unanwendbarkeit des Legitimationsmodells auf Verbandskörperschaften oder diesen ähnelnden juristischen Personen des öffentlichen Rechts. Entscheidend kann bei konsequenter Fortentwicklung des vorliegenden Legitimationsmodells nicht sein, ob sich die genuin personelle Prägung unmittelbar aus dem Gründungsakt ergibt. Maßgeblich ist vielmehr, ob sie sich bei wertender Betrachtung zumindest mittelbar bestimmen lässt. Dies ist jedenfalls dann möglich, wenn sich eine Verbandskörperschaft aus mehreren Personalkörperschaften zusammensetzt. Weist der Gesetzgeber nämlich Verbandskörperschaften demokratische Teilhaberechte zu, verleiht er diese implizit den Mitgliedern der Personalkörperschaften, aus denen sich die Verbandskörperschaft zusammensetzt. Die genuin personelle Prägung ergibt sich deswegen aus den individuellen persönlichen Merkmalen, anhand derer der Gesetzgeber den Mitgliedern bereits innerhalb dieser Personalkörperschaften demokratische Teilhaberechte zugewiesen hat. Die erforderliche „genuin personelle Prägung“ des Gründungsaktes des G-BA ergibt sich folglich daraus, dass der Gesetzgeber den Kassenärztlichen Bundesvereinigungen, dem GKV-Spitzenverband und der Deutschen Krankenhausgesellschaft demokratische Teilhaberechte im Beschlussgremium des G-BA eingeräumt hat (§ 91 II 1 SGB V). Dadurch werden die Spitzenverbände als „Gruppenrepräsentanten“571 zur Ausübung von Einfluss auf den Beschluss der zur Sicherung der zur ärztlichen Versorgung der Versicherten erforderlichen Richtlinien berufen.572 Insoweit hat der Gesetzgeber auf die bereits bestehenden Strukturen der Selbstverwaltung innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung Bezug genommen 567
GMG = GKV-Modernisierungsgesetz (BGBl. I, S. 2190), verabschiedet am 14.11.2003; dazu Schimmelpfeng-Schütte, in: Schnapp/Wigge (Hrsg.), Handbuch des Vertragsarztrechts, S. 208 (214). 568 BGBl. I, S. 378. 569 Richter, DStR 2007, 810 (815); Sodan, NJW 2007, 1313 (1316); ausführlich bei Hess, in: Rieger/Dahm/Steinhilper (Hrsg.), HK-AKM, 2045 Rdn. 13. 570 Dazu oben 8. Kapitel, B. III. 1. 571 Begriff bei Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 234. 572 Vgl. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 234.
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10. Kap.: Demokratische Legitimation des G-BA
und implizit denjenigen Personen, die diese Spitzenverbände nach persönlichen Merkmalen bilden, demokratische Teilhabe ermöglicht. Dies sind im Fall der Kassenärztlichen Bundesvereinigungen (§ 77 IV SGB V) die einzelnen Vertrags(zahn)ärzte (§ 77 I SGB V), im Fall des GKV-Spitzenverbandes (§ 217a SGB V) die einzelnen Krankenkassen (§ 217a II SGB V), über deren Selbstverwaltungsorgane auch die Versicherten repräsentiert sind (§ 44 I Nr. 1 SGB IV) und über das Institut der Beleihung im Fall der Deutschen Krankenhausgesellschaft die Träger der zugelassenen Krankenhäuser (§ 108a SGB V). Da der Gründungsakt des G-BA somit die erforderliche „genuin personelle Prägung“ aufweist, verfügen die Spitzenorganisationen i.S.d. § 91 I 1 SGB V als Gruppenrepräsentanten über die kollektiv-personelle Legitimation durch das Bundesvolk. cc. Das Niveau der kollektiv-personellen Legitimation des G-BA Die Rechtsetzung durch Richtlinien erfolgt nicht unmittelbar durch die Spitzenorganisationen, die den G-BA nach § 91 I 1 SGB V bilden, sondern durch dessen Beschlussgremium als Repräsentativorgan. Dessen Mitglieder werden durch die jeweiligen Spitzenorganisationen benannt (§ 91 II 1 SGB V). Dadurch tritt ein weiterer Vermittlungsakt in die Legitimationskette, die vom Bundesvolk als originärem Legitimationssubjekt zu den Mitgliedern des Beschlussgremiums, als Inhaber staatlicher Gewalt, führt. Da sich das Niveau der personell-demokratischen Legitimation nach der Anzahl der sie vermittelnden Legitimationsakte bemisst,573 verfügen die Entscheidungsträger im G-BA dennoch über ein sehr hohes Maß an demokratischer Legitimation.574 Legitimationssteigernd wirkt sich bei funktionalen Selbstverwaltungsträgern zudem die Erledigung von Angelegenheiten der jeweiligen Mitgliedergruppe aus.575 Kluth bezeichnet dies als „qualifizierte kollektive Legitimation“.576 Das erhöhte Legitimationsniveau rechtfertige sich daraus, dass grundsätzlich davon auszugehen sei, dass die Organe der funktionalen Selbstverwaltung zur Regelung von Grundrechtskollisionen unter Mitgliedern bzw. Mitgliedergruppen durch die Zuweisung von Partizipationsrechten, die im körperschaftsinternen Willensbildungsund Entscheidungsverfahren zusammenwirkten und so zur Herbeiführung des Ausgleichs besonders befähigt seien.577 Die Unparteiischen im Beschlussgremium des G-BA nehmen auch unter Zugrundelegung von Kluths Modell eine Sonderstellung ein. Je nach der Art des zugrundeliegenden Bestellungsmodus leiten sie ihre personell-organisatorische Legitimation entweder von den Spitzenorganisationen (§ 91 II 2 SGB V) oder vom Bundesminister für Gesundheit ab (§ 91 II 3 SGB V). 573 574 575 576 577
Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 494. Siehe hierzu allgemein Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 495 f. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 494. Begriff bei Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 494 f. Vgl. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 504.
C. Personell-organisatorische Legitimation des G-BA
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Im letzten Fall liegt keine kollektiv-personelle, sondern eine dreistufige Vermittlung der personell-demokratischen Legitimation durch das Bundesvolk vor, die aufgrund der Kürze der Legitimationskette immer noch ein vergleichsweise hohes Niveau personell-organisatorischer Legitimation aufweist. dd. Die Rechtsetzung des G-BA gegenüber Externen Als Externe sind unter Zugrundelegung dieses Legitimationsmodells diejenigen zu qualifizieren, als deren Gruppenrepräsentanten die Spitzenverbände i.S.d. § 91 I 1 SGB V nicht anzusehen sind. Dies betrifft vor allem diejenigen Leistungserbringer, die nicht der Gruppe der Vertragsärzte angehören, was hauptsächlich auf die Erbringer von Heilmitteln (§ 124 SGB V), Apotheker (§ 129 SGB V) und sonstige Hilfsmittellieferanten (§ 126 SGB V) zutrifft. Im Gegensatz zu den bisher referierten Auffassungen kommt es bei einer Rechtsetzung des G-BA in Bezug auf diese Personengruppe jedoch nicht zu einem Legitimationsausfall. Das Gremium verfügt über eine kollektiv-personelle Legitimation durch das Parlament und damit vom Bundesvolk, die auch bei Regelungen gegenüber Externen wirksam bleibt.578 Kluth weist allerdings darauf hin, dass es bei Regelungen, die sich auch auf Nicht-Mitglieder auswirkten, an der qualifizierten kollektiven Legitimation und damit am selbstverwaltungstypisch gesteigerten Legitimationsniveau fehle,579 was durch eine entsprechende sachlich-inhaltliche Legitimation auszugleichen sei.580 c. Zwischenergebnis Nach dem Modell der kollektiv-personellen Legitimation verfügt der G-BA bei der Rechtsetzung gegenüber solchen Personen, als deren Repräsentanten sich die Spitzenorganisationen i.S.d. § 91 I 1 SGB V darstellen, über eine qualifizierte kollektive Legitimation, welche zu verringerten Anforderungen an die sachlichinhaltliche Legitimation des Gremiums führt. Sofern sich dessen Rechtsetzung auf diejenigen Leistungserbringer auswirkt, die keine Repräsentanz über die Spitzenorganisationen erfahren, fehlt es an dieser qualifizierten kollektiven Legitimation, an deren Stelle die herkömmliche kollektiv-personelle Legitimation tritt. In diesem Fall sind die Anforderungen an die sachlich-inhaltliche Legitimation des G-BA bei der Rechtsetzung erhöht.
578 579 580
So ausdrücklich Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 494 ff. (495, 504). Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 494 ff. (495, 504). Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 504 f.
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10. Kap.: Demokratische Legitimation des G-BA
IV. Dispension vom Erfordernis der personellorganisatorischen Legitimation des G-BA durch das Bundesvolk Diejenigen Auffassungen, die von einer demokratischen Legitimation funktionaler Selbstverwaltungsträger allein über die sachlich-inhaltliche Komponente ausgehen, beruhen auf der Annahme, dass eine Totalsubstitution der personell-organisatorischen durch die sachlich-inhaltliche Legitimation möglich ist.581 Ob und bis zu welchem Grad sich die beiden Legitimationsstränge wechselseitig kompensieren können, ist allerdings umstritten.582 Kluth weist darauf hin, dass das Zusammenwirken von personeller [= personell-organisatorischer] und materieller [=sachlich-inhaltlicher] Legitimation im Bereich der Exekutive den Schluss nahelege, dass im Interesse einer effektiven demokratischen Legitimation auch beide Legitimationsformen vorliegen müssten, was die Möglichkeit einer Totalsubstitution ausschlösse.583 Allerdings lasse sich dem Grundgesetz kein generelles Erfordernis einer Doppellegitimation entnehmen.584 Zwar werde im Bereich der Ministerialverwaltung eine Doppellegitimation verwirklicht, die Einräumung einer begrenzten organisatorischen Wahlfreiheit mache aber deutlich, dass davon grundsätzlich abgewichen werden dürfe.585 In ähnlicher Weise geht das Bundesverfassungsgericht im Einklang mit dem überwiegenden Teil der Literatur davon aus, dass es lediglich darum gehe, (insgesamt) ein bestimmtes Legitimationsniveau sicherzustellen.586 Es formuliert in ständiger Rechtsprechung: „Aus verfassungsrechtlicher Sicht entscheidend ist nicht die Form der demokratischen Legitimation staatlichen Handelns, sondern deren Effektivität…“587 Gerade die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Lippeverbands- und Emschergenossenschaftsgesetz588 wird teilweise dahingehend verstanden, dass das Gericht für den Bereich der funktionalen Selbstverwaltung ein flexibleres Legitimationsmodell akzeptiert habe.589 Aus diesem Grund bestehen keine grundsätzlichen Bedenken gegen die Annahme einer Totalsubstitution der personell-organisatorischen Legitimation durch die sachlich-inhaltliche Legitimation im Bereich der funktionalen Selbstverwaltung.590 Welches der beiden dazu vertretenen Modelle heranzuziehen ist, hängt
581
Hierzu Dreier, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 20 (Demokratie) Rdn. 117 f.; Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 360 ff.; Sachs, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 20 Rdn. 44a. 582 Dreier, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 20 (Demokratie) Rdn. 117 m.w.N. 583 Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 360. 584 Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 360 ff. (366). 585 Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 366 f. 586 Dreier, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 20 (Demokratie) Rdn. 117 m.w.N. 587 BVerfGE 83, 60 (73); BVerfGE 93, 37 (67); BVerfGE 109, 59 (87). 588 BVerfGE 107, 59 (91). 589 Dreier, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 20 (Demokratie) Rdn. 117, 133. 590 A.A. Butzer/Kaltenborn, MedR 2001, 333 (338); Oebecke, VerwArchiv 81 (1990), 349 (357).
C. Personell-organisatorische Legitimation des G-BA
135
wiederum davon ab, ob sich die institutionelle Legitimation des G-BA aus Art. 87 II GG oder Art. 87 III 1 GG ableiten lässt.591 1. Dispension durch Art. 87 II GG a. Darstellung des Modells Axer vertritt ein speziell auf die soziale Selbstverwaltung bezogenes Legitimationsmodell. Dieses basiert auf der Annahme, dass das Verbandsvolk funktionaler Selbstverwaltungsträger kein taugliches Subjekt demokratischer Legitimation darstellt.592 Aus diesem Grund verfügten soziale Versicherungsträger über keine der Bundesregierung, den Bundesministern oder den Landesregierungen entsprechende personelle Legitimation.593 Dieses Defizit an personell-organisatorischer Legitimation sei jedoch unbeachtlich, wenn die Verfassung selbst ein Abweichen von den demokratisch-legitimatorischen Anforderungen an die exekutive Normsetzung akzeptierte, wie sie es in Art. 80 I GG für die Rechtsverordnung zum Ausdruck bringe. Ließe sich aus dem Grundgesetz entnehmen, dass dieses Normsetzung durch soziale Versicherungsträger für zulässig erachte, schiede ein Verstoß gegen das Prinzip demokratischer Legitimation aus.594 Einen solchen Schluss zieht Axer aus Art. 87 II GG.595 Zwar befasse sich die Norm nach ihrem Wortlaut nicht mit exekutiver Normsetzung, doch sei der hinter der Vorschrift stehende Wille des Verfassunggebers entscheidend. Die Beratungen im parlamentarischen Rat zu den sozialen Versicherungsträgern seien auf der Grundlage des bereits in der Weimarer Zeit bestehenden Systems der Sozialversicherung erfolgt. Kassenärztliche Vereinigungen und Bundesvereinigungen hätten schon in der Weimarer Zeit Normenverträge mit den Verbänden der Krankenkassen abgeschlossen.596 Daran habe der Verfassunggeber im Jahre 1949 angeknüpft.597
591
Dazu oben 6. Kapitel. Ausführlich Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, S. 289 ff.; ders., in: von Wulffen/Krasney (Hrsg.), FS 50 Jahre BSG, S. 339 (355 ff.); ähnlich Musil, in: Schmehl/Wallrabenstein (Hrsg.), Steuerungsinstrumente im Recht des Gesundheitswesens, Band II, S. 49 (64 ff.); dazu Sickor, Normenhierarchie im Arztrecht, S. 225 ff.; Muckel, NZS 2002, 118 (124 f.). 593 Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, S. 298. 594 Vgl. Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, S. 299, 302. 595 Vgl. ausführlich Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, S. 299 ff.; dazu Muckel, NZS 2002, 118 (124). 596 Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, S. 299 ff. (300). 597 Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, S. 299 ff. (301). Aufgrund dessen sei die Normsetzung allerdings nur durch solche Verwaltungseinheiten in der Sozialversicherung zulässig, die dem Bild der sozialversicherungsrechtlichen Normsetzung in der Weimarer Republik entspräche. Dies bedeute zwar nicht, dass die Organisationsstrukturen deckungsgleich sein müssten, erfordere jedoch, dass die Normsetzung des jeweiligen sozialen Versicherungsträgers eine Entsprechung in der Rechtsetzung durch die verselbstständigten Verwaltungseinheiten in der Weimarer Zeit fände (S. 302). 592
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10. Kap.: Demokratische Legitimation des G-BA
Die Verfassung lasse in Anknüpfung an die historische Entwicklung in der Sozialversicherung ein anderes demokratisches Legitimationsniveau zu und dispensiere von den Anforderungen der personell-organisatorischen, nicht jedoch von denjenigen der sachlich-inhaltlichen Legitimation.598 Normsetzung durch soziale Versicherungsträger könne daher nur aufgrund einer gesetzlichen Ermächtigung erfolgen, die nach Inhalt, Zweck und Ausmaß begrenzt sei.599 Sie müsse wie in der Weimarer Zeit der Rechtsaufsicht durch die unmittelbare Staatsverwaltung unterliegen600 und sei auf die Regelung von Rechtsverhältnissen in der Sozialversicherung beschränkt. Adressaten der aufgrund gesetzlicher Ermächtigung erlassenen Normen könnten daher allein die Versicherten, die Arbeitgeber als Beitragsleistende und die Leistungserbringer sowie deren Verbände sein.601 b. Anwendung auf den G-BA Axers Modell hat in Literatur602 und Rechtsprechung603 in erheblichem Maß Beachtung gefunden. Allerdings setzt dessen Anwendbarkeit auf den G-BA voraus, dass sich das Gremium als sozialer Versicherungsträger darstellt, für den das Grundgesetz exekutive Normsetzung durch Art. 87 II GG als zulässig erachtet. Da das Gremium jedoch weder an der Aufbringung der Mittel von den Versicherten beteiligt, noch diesen gegenüber zur Leistung verpflichtet ist und sich seine Tätigkeit auf das Setzen von Recht beschränkt, scheidet dies nach der herrschenden Auffassung in der Literatur und der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aus.604 Selbst wenn der G-BA die Anforderungen des Art. 87 II GG erfüllte, wäre die Legitimation seiner Rechtsetzung auf der Grundlage dieses Modells insbesondere gegenüber den Versicherten nicht möglich. Dies folgt daraus, dass es bereits zweifelhaft ist, ob überhaupt eine Tradition verbindlicher Rechtsetzung durch den GBA oder seiner Vorgängergremien existiert.605 Die Rechtsnatur der Richtlinien war nämlich bereits während des Bestehens der Weimarer Republik umstritten.606 Dieser Streit erledigte sich erst mit der Neufassung des § 368i RVO, durch welche die Richtlinienkompetenz des Reichsausschusses in eine Ermächtigung zum Erlass
598
Vgl. Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, S. 299 ff. (302). Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, S. 299 ff. (303). 600 Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, S. 299 ff. (304). 601 Vgl. Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, S. 299 ff. (304). 602 Siehe etwa Muckel, NZS 2002, 118 (124 f.); Musil, in: Schmehl/Wallrabenstein (Hrsg.), Steuerungsinstrumente im Recht des Gesundheitswesens, Band II, S. 51 (57 ff.); krit. Sickor, Normenhierarchie im Arztrecht, S. 225 ff. 603 BSGE 78, 70 (78 ff.). 604 Dazu ausführlich oben 9. Kapitel, B. 605 Siehe dazu Sickor, Normenhierarchie im Arztrecht, S. 225 ff. (228) m.w.N.; ähnlich Hänlein, Rechtsquellen im Sozialversicherungsrecht, S. 185 f.: „spekulative Auslegung des Art. 87 II GG“. 606 Vgl. Schimmelpfeng-Schütte, in: Schnapp/Wigge (Hrsg.), Handbuch des Vertragsarztrechts, § 7 Rdn. 3; Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Teil 2, S. 435. 599
C. Personell-organisatorische Legitimation des G-BA
137
rechtsverbindlicher Bestimmungen mit Gesetzeskraft umgewandelt wurde.607 In der Zeit nach 1949 wurde den Richtlinien hingegen keine normative Wirkung zuerkannt. Dies änderte sich erst mit der Kodifikation des SGB V.608 Die historische Entwicklung der Richtlinien erweist sich damit als äußerst wechselhaft und könnte – in Anknüpfung an eine „Tradition der Rechtsetzung durch verselbstständigte Verwaltungseinheiten in der Sozialversicherung“609 – über Art. 87 II GG lediglich eine Rechtsetzung des G-BA gegenüber den Leistungserbringern rechtfertigen. Für eine verbindliche Normsetzung eines seiner Vorgängergremien gegenüber den Versicherten gibt es in der Weimarer Zeit keine historische Entsprechung. Der Reichsausschuss war lediglich ein Organ zur Regelung des Verhältnisses von Ärzten und Krankenkassen.610 2. Dispension durch Art. 87 III 1 GG a. Darstellung des Modells Böckenfördes Legitimationsmodell basiert ebenfalls auf der Grundannahme, dass demokratische Legitimation stets auf das Staatsvolk als Gesamtheit bezogen ist.611 Die funktionale Selbstverwaltung umfasse die nicht gebietsbezogenen, sondern auf bestimmte funktionsbezogene Aufgaben ausgerichteten Träger der Selbstverwaltung. Ihre Entscheidungsorgane würden durch die von den Verwaltungsaufgaben Betroffenen, die in der Regel körperschaftlich zusammengeschlossen seien und dann als Mitglieder erschienen, rekrutiert. Die dadurch vermittelte personelle Legitimation sei jedoch weder eine an sich demokratische, noch eine vom Staatsvolk ausgehende Legitimation.612 Gruppen und Organisationen von Bürgern könnten sich daher nicht auf sie berufen, auch wenn sie zahlenmäßig stark seien. Sie stünden nicht in irgendeiner Weise für die Gesamtheit der Staatsbürger, selbst wenn sie zahlenmäßig über ein gewisses „demokratisches“ Potential verfügten.613 Die eigenständigen Legitimationsformen, die die Einrichtungen der Selbstverwaltung kennzeichneten, bezögen sich nicht auf das Staatsvolk als Ganzes, sondern hätten ihren personalen Bezugspunkt in anderen, durch Mitglieder oder Interessen-Repräsentanten gebildeten Allgemeinheiten.614
607
Schimmelpfeng-Schütte, in: Schnapp/Wigge (Hrsg.), Handbuch des Vertragsarztrechts, § 7 Rdn. 5. 608 Dazu Sickor, Normenhierarchie im Arztrecht, S. 227; oder oben 6. Kapitel. 609 Vgl. Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, S. 299 ff. 610 Ausführlich Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Teil II, S. 412 ff.; Schmidt-De Caluwe, in: Kern/Lilie (Hrsg.), FS Fischer, S. 379 (386). 611 Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band II, § 24 Rdn. 26, 29. 612 Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band II, § 24 Rdn. 33. 613 Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band II, § 24 Rdn. 29. 614 Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band II, § 24 Rdn. 31.
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10. Kap.: Demokratische Legitimation des G-BA
Aus diesem Grund werde die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung allein über die sachlich-inhaltliche Legitimation durch das staatliche Gesetz und die in ihm enthaltenen steuernden Regelungen sowie die demokratisch-verantwortlich ausgeübte staatliche Aufsicht vermittelt. Unter dem Blickpunkt des demokratischen Prinzips dürfe die funktionale Selbstverwaltung nicht beliebig ausgestaltet und erweitert werden. Einerseits bedürfe sie einer verfassungsrechtlichen Anerkennung, wie im Fall des Art. 87 II GG [oder Art. 87 III 1 GG]615, andererseits müsse das aus der mangelnden personelldemokratischen Legitimation resultierende Defizit an demokratischer Legitimation gering gehalten werden.616 Aufgaben, Organisation und Funktion funktionaler Selbstverwaltungsträger müssten in weitem Umfang gesetzlich geregelt sein und sich tendenziell mit eigenen Angelegenheiten der in solchen Einrichtungen organisatorisch Zusammengefassten beschränken. Sie dürften nicht mit Angelegenheiten betraut werden, die die Allgemeinheit beträfen und müssten von der staatlichen Rechtsaufsicht wirksam kontrolliert werden.617 Auf diese Weise verleiht Böckenförde dem Selbstverwaltungsgedanken und damit auch dem Korrespondenzgebot618 Ausdruck, obwohl er das Verbandsvolk nicht als taugliches Legitimationssubjekt anerkennt. b. Anwendung auf den G-BA Nach Böckenfördes Modell ist die personell-organisatorische Legitimation des GBA verzichtbar, sofern die Verfassung ihn als funktionalen Selbstverwaltungsträger anerkennt. Dies ergibt sich aus Art. 87 III 1 GG, der die Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben durch den G-BA akzeptiert.619 Aufgrund der Existenz dieser Norm ist es möglich, dass die demokratische Legitimation des G-BA allein über die sachlich-inhaltliche Komponente vermittelt wird. Um das daraus resultierende Defizit an personell-demokratischer Legitimation gering zu halten, bedarf es einer stark ausgeprägten sachlich-inhaltlichen Komponente und der tendenziellen Beschränkung der Rechtsetzungsmacht des G-BA auf eigene Angelegenheiten der unter seinem Dach organisatorisch Zusammengefassten. Dies sind die Mitglieder des Verbandsvolkes, die von den Spitzenorganisationen repräsentiert werden.620 Durch den Ausfall personell-demokratischer Legitimation der Entscheidungsträger im G-BA besteht von vornherein ein Legitimationsdefizit gegenüber dem Verbandsvolk. Daraus resultieren erhöhte Anforderungen an die sachlichinhaltliche Komponente. 615
So ausdrücklich Musil, in: Schmehl/Wallrabenstein (Hrsg.), Steuerungsinstrumente im Recht des Gesundheitswesens, Band II, S. 49 (60). 616 Vgl. Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band II, § 24 Rdn. 34. 617 Ausführlich Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band II, § 24 Rdn. 34. 618 Dazu oben 8. Kapitel, C. II. 2. c. cc. 619 Dazu oben 9. Kapitel, D. 620 Dazu ausführlich oben 10. Kapitel, C. III. 1. b.
C. Personell-organisatorische Legitimation des G-BA
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Sofern sich die Rechtsetzung des G-BA auf die übrigen Leistungserbringer bezieht, die diesem Verbandsvolk nicht angehören und damit als Externe zu bezeichnen sind, vergrößert sich das angesprochene Legitimationsdefizit bei konsequenter Anwendung von Böckenfördes Modell noch weiter. Um dies zu kompensieren, bedarf es eines Grades sachlich-inhaltlicher Legitimation, der denjenigen in Bezug auf das Verbandsvolk noch übersteigt.
V. Ergebnis Die dargestellten Auffassungen lassen sich in Abhängigkeit ihrer Auswirkungen auf die Anforderungen an die demokratische Legitimation der Rechtsetzung des G-BA unterscheiden. Einerseits kann nach dem Grad der von ihnen vermittelten personell-organisatorischen Legitimation und den daraus resultierenden Anforderungen an die sachlich-inhaltliche Legitimation differenziert werden. Andererseits bietet sich eine Unterscheidung nach den personellen Grenzen an, die das jeweilige Legitimationsmodell der Rechtsetzung des G-BA zieht. 1. Kategorisierung der Legitimationsmodelle nach dem Grad der vermittelten personell-organisatorischen Legitimation a. Grundlegung Es wurde bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass das Bundesverfassungsgericht im Einklang mit dem überwiegenden Teil der Literatur die Auffassung vertritt, dass es bei der Frage der demokratischen Legitimation lediglich darum gehe (insgesamt) ein bestimmtes Legitimationsniveau sicherzustellen.621 Es formuliert in ständiger Rechtsprechung: „Aus verfassungsrechtlicher Sicht entscheidend ist nicht die Form der demokratischen Legitimation staatlichen Handelns, sondern deren Effektivität…“622 Dabei kommt es darauf an, welches Maß an demokratischer Legitimation sich aus der Zusammenschau des jeweiligen Grades personellorganisatorischer und sachlich-inhaltlicher Legitimation ergibt.623 Daraus folgt der nachstehende Zusammenhang: Je höher der Grad der personell-organisatorischen Legitimation ausgeprägt ist, desto geringer kann derjenige der sachlich-inhaltlichen Legitimation ausgestaltet sein. Umgekehrt führt ein hoher Grad sachlich-inhaltlicher Legitimation zu einem verringerten Bedürfnis nach personell-organisatorischer Legitimation.624 Nach einer zum Teil vertretenen Auffassung kann die personell-organisa-torische sogar total durch die sachlich-inhaltliche Legitimation kompensiert werden. Allerdings ist dieser Schluss nicht umkehrbar. Eine Totalsubstitution der sachlich-inhalt621
Dreier, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 20 (Demokratie) Rdn. 117 m.w.N.; ausführlich zum demokratischen Legitimationsniveau Di Fabio, in: Brenner/Huber/Möstl (Hrsg.), FS Badura, S. 77 (83 ff.). 622 BVerfGE 83, 60 (73); BVerfGE 93, 37 (67); BVerfGE 107, 59 (87). 623 Dazu Schnapp, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Art. 20 Rdn. 21 m.w.N. 624 Ähnlich Papenfuß, Die personellen Grenzen der Autonomie öffentlich-rechtlicher Körperschaften, S. 155.
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10. Kap.: Demokratische Legitimation des G-BA
lichen Legitimation durch ein hohes Maß an personell-organisatorischer Legitimation verbietet sich schon deswegen, weil das Wirken der jeweiligen Amtswalter ohne jegliche legislative Grundlage völlig in deren Belieben gestellt wäre.625 Aus diesem Zusammenhang zwischen personell-demokratischer und sachlichinhaltlicher Legitimation lässt sich eine Skala entwickeln, auf der die dargestellten Modelle anhand des Grades personell-organisatorischer Legitimation, den sie dem G-BA zu vermitteln vermögen, eingeteilt werden können. Auf dieser Grundlage kann der Grad der sachlich-inhaltlichen Legitimation bestimmt werden, der zur Annahme einer effektiven demokratischen Legitimation des G-BA noch erforderlich ist. Die Erstellung einer Skala meint hier jedoch keine streng mathematische Einteilung in einem Koordinatensystem. Dies wäre aufgrund der Relativität des Begriffs „des effektiven Niveaus demokratischer Legitimation“ auch gar nicht möglich. Vielmehr geht es darum, eine Relation zwischen den unterschiedlichen Modellen zu entwickeln, um die Anforderungen an die sachlich-inhaltliche Komponente auf diesem Wege so konkret wie möglich darstellen zu können. b. Kategorisierung nach dem Grad der personell-organisatorischen Legitimation Auf der Grundlage der bisherigen Untersuchungen ergibt sich folgender Befund: - Den geringsten Grad personell-organisatorischer Legitimation vermittelt Böckenfördes Legitimationsmodell. Es beruht auf der Ablehnung der personell-organisatorischen Legitimation funktionaler Selbstverwaltungsträger. Deswegen fehlt es hier im Grundsatz gänzlich an der personell-demokratischen Legitimation des G-BA. Allerdings unterscheidet selbst Böckenförde zwischen der Rechtsetzung gegenüber Mitgliedern des Verbandsvolks des G-BA und derjenigen gegenüber Externen. Gegenüber Letzteren ist das Legitimationsdefizit nach Böckenfördes Auffassung noch größer. Wollte man dies mathematisch beziffern, müsste man formulieren, dass die personell-organisatorische Legitimation des G-BA gegenüber Mitgliedern des Verbandsvolks asymptotisch gegen Null tendiert, wogegen sie gegenüber Externen am Nullpunkt verbleibt. - Ein höher anzusiedelnder Grad personell-organisatorischer Legitimation ergibt sich für die Mitglieder des Beschlussgremiums des G-BA aus Emdes Modell der autonomen Legitimation. Entscheidend wirkt sich hier die prinzipielle Anerkennung des Verbandsvolks als Subjekt autonomer Legitimation aus, auch wenn Emde dieser lediglich kompensatorischen Charakter beimisst. - Das höchste Maß an personeller Legitimation verleiht – aufgrund der extrem kurzen Legitimationsketten – jedoch Kluths Modell der kollektiv-personellen Legitimation des G-BA. Jedoch ist auch hier eine Abstufung zwischen Internen und Externen vorzunehmen. 625
Vgl. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, S. 329 (330); Papenfuß, Die personellen Grenzen der Autonomie öffentlich-rechtlicher Körperschaften, S. 154.
C. Personell-organisatorische Legitimation des G-BA
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c. Folgen für den Grad sachlich-inhaltlicher Legitimation Aus dieser Hierarchie personeller Legitimation lassen sich Rückschlüsse auf den jeweils erforderlichen Grad sachlich-inhaltlicher Legitimation ziehen: - Da das Modell der kollektiv-personellen Legitimation dem G-BA den höchsten Grad an personeller Legitimation vermittelt, stellt es die geringsten Anforderungen an die sachlich-inhaltliche Legitimation des Gremiums, die erforderlich ist, um insgesamt ein effektives Niveau demokratischer Legitimation zu erreichen. - Erkennt man das Verbandsvolk als Subjekt autonomer Legitimation an, so erfordert dies ein im Verhältnis zur kollektiv-personellen Legitimation erhöhtes Maß an sachlich-inhaltlicher Legitimation. Dies folgt einerseits aus dem kompensatorischen Charakter der autonomen Legitimation, andererseits aber auch aus der Länge der aus der Anwendung dieses Modells resultierenden Legitimationsketten. - Die höchsten Anforderungen an die sachlich-inhaltliche Legitimation resultieren jedoch aus Böckenfördes Modell, welches zur generellen Ablehnung der personell-organisatorischen Legitimation des G-BA führt. Unter der Prämisse, dass nach dieser Ansicht bereits gegenüber denjenigen, die in dessen Beschlussgremium repräsentiert sind, eine hohe sachlichinhaltliche Legitimation erforderlich ist, müsste der zur Rechtsetzung gegenüber Externen erforderliche Grad sachlich-inhaltlicher Legitimation derart hoch sein, dass er schon zu einer fast vollständigen Determination des Verwaltungshandelns führte. 2. Kategorisierung der Auffassungen nach ihren personellen Grenzen Nimmt man eine Kategorisierung der dargestellten Auffassungen anhand ihrer personellen Grenzen vor, so ergibt sich folgender Befund: - Die Anerkennung des Verbandsvolks als Quelle autonomer demokratischer Legitimation führt dazu, dass sich die Rechtsetzung des G-BA prinzipiell nur gegenüber denjenigen rechtfertigen lässt, die in seinem Beschlussgremium repräsentiert sind. Dies folgt aus der Prämisse, dass nach Emdes Auffassung zwar Einschränkungen, nicht aber die völlige Beseitigung der personellorganisatorischen Legitimation möglich sind.626 Deswegen lässt sich die Rechtsetzung des G-BA gegenüber solchen Leistungserbringern, die nicht im Beschlussgremium repräsentiert sind, nicht demokratisch legitimieren. Erforderlich wäre vielmehr deren Beteiligung im Beschlussgremium des G-BA.627 626
Dazu ausführlich Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, S. 331 f.; relativierend Oebecke, VerwArchiv 81 (1990), 349 (358), der die Tätigkeit eines Verbandes gegenüber Dritten in engen Grenzen für möglich hält. Ähnlich Papenfuß, Die personellen Grenzen der Autonomie öffentlich-rechtlicher Körperschaften, S. 179, der eine mittelbare Geltungserstreckung auf Außenseiter für möglich hält, wenn diese notwendigerweise und unvermeidbar mit der Erfüllung der legitimen Autonomiefunktionen verbunden ist. 627 Musil, in: Schmehl/Wallrabenstein (Hrsg.), Kooperationsstrukturen im Gesundheitswesen, Band II, S 49 (68).
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10. Kap.: Demokratische Legitimation des G-BA
Nach Böckenfördes Modell ist die Rechtsetzung gegenüber Externen im Ausnahmefall zulässig, was aber zu deutlich erhöhten Anforderungen an die sachlich-inhaltliche Legitimation führt. Prinzipiell ist die Rechtsetzung des G-BA gegenüber Externen nach diesem Konzept jedoch möglich. Keine größeren Probleme bereitet die Rechtsetzung gegenüber Externen bei der Anwendung des Modells der kollektiv-personellen Legitimation, denn in diesem Fall wird das Volk insgesamt als Legitimationssubjekt angesehen, was dazu führt, dass es keine Externen im engeren Sinne gibt, die gänzlich außerhalb des Legitimationszusammenhangs stehen.
D. Sachlich-inhaltliche Legitimation des G-BA I. Allgemeines Die sachlich-inhaltliche Legitimation ist der zweite zentrale Legitimationsstrang des Demokratiekonzeptes des BVerfG.628 Sie ist dazu bestimmt, die Ausübung der Staatsgewalt ihrem Inhalt nach vom Volk herzuleiten und auf diese Weise deren Ausübung durch das Volk sicherzustellen.629 Dies erfolgt durch ein differenziertes System eigenständiger Sicherungselemente,630 zu denen in erster Linie die Lenkung durch das parlamentarische Gesetz und die Kontrolle in Form demokratischer Verantwortlichkeit gegenüber dem Gesamtvolk zählen.631 Erforderlich ist, dass die Aufgaben und Handlungsbefugnisse des funktionalen Selbstverwaltungsträgers gesetzlich ausreichend vorherbestimmt sind und ihre Wahrnehmung der Aufsicht personell-demokratisch legitimierter Amtswalter unterliegt.632 Dem entsprechend lässt sich die sachlich-inhaltliche Legitimation wiederum in zwei untergeordnete Legitimationsstränge gliedern, zwischen denen ein korrelativer Zusammenhang besteht.633 628
Vgl. BVerfGE 107, 59 (94). Butzer/Kaltenborn, MedR 2001, 333 (340); Burgi, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 6 Rdn. 28; Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band II, § 24 Rdn. 21; Trute, in: Hoffmann-Riem/SchmidtAßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 6 Rdn. 10; Herzog, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, Lfg. 48 November 2006, Art. 20 II Rdn. 48. 630 Dazu ausführlich Schmidt-Aßmann, Allgemeines Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, S. 90 ff.; Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band II, § 24 Rdn. 21; Trute, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 6 Rdn. 12 f.; Papenfuß, Die personellen Grenzen der Autonomie öffentlich-rechtlicher Körperschaften, S. 154 ff. 631 Vgl. Papenfuß, Die personellen Grenzen der Autonomie öffentlich-rechtlicher Körperschaften, S. 155. 632 Vgl. BVerfGE 107, 59 (94). 633 Butzer/Kaltenborn, MedR 2001, 333 (340); ausführlich Papenfuß, Die personellen Grenzen der Autonomie öffentlich-rechtlicher Körperschaften, S. 154 ff. 629
D. Sachlich-inhaltliche Legitimation des G-BA
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II. Vorliegen eines ausreichend bestimmten Parlamentsgesetzes Die sachlich-inhaltliche Legitimation der Träger funktionaler Selbstverwaltung beruht in erster Linie auf den jeweiligen Aufgabenzuweisungen in den Gründungsgesetzen.634 Als erste Komponente sachlich-inhaltlicher Legitimation ist daher ein Parlamentsgesetz erforderlich, welches die Aufgaben und Befugnisse des G-BA in ausreichendem Maße vorherbestimmt.635 Der G-BA verfügt zwar nicht über ein Gründungsgesetz im hier verstandenen Sinne, doch entspringt seine Rechtsetzung durch Richtlinien den einzelnen General- bzw. Spezialermächtigungen, die der Gesetzgeber ihm durch das SGB V eingeräumt hat. Gerade die aktuelle Entwicklung im Arzneimittelsektor (§§ 31, 34 ff. SGB V) zeigt, dass sich diese nicht nur in einem stetigen Konkretisierungs-, sondern auch in einem Differenzierungsprozess befinden. 1. Die Problematik der Ermittlung des erforderlichen Bestimmtheitsgrades Die Beantwortung der Frage, wann ein Gesetz die Aufgaben und Befugnisse eines Selbstverwaltungsträgers in ausreichendem Maße vorherbestimmt, ist von einer relativen Unschärfe geprägt. Probleme bei der Konkretisierung des erforderlichen Maßes sachlich-inhaltlicher Legitimation ergeben sich vor allem daraus, dass im Bereich der funktionalen Selbstverwaltung zwei – an sich gegenläufige – Prinzipien aufeinanderprallen. Einerseits erfordert das Selbstbestimmungsrecht des Volkes dessen maßgeblichen Einfluss auf das Handeln der Organe funktionaler Selbstverwaltungsträger.636 Andererseits streitet der Autonomiegedanke, der sich hinter der funktionalen Selbstverwaltung verbirgt, für einen gewissen Spielraum bei der Betätigung funktionaler Selbstverwaltungsträger. So hat das Bundesverfassungsgericht im Facharzt-Beschluss formuliert, dass „die Prinzipien der Selbstverwaltung und der Autonomie, die ebenfalls im demokratischen Prinzip wurzeln, […], nicht ernst genug genommen werden, wenn der Selbstgesetzgebung autonomer Körperschaften zu starke Fessel angelegt würden…“637 Dieser Antagonismus zwischen Selbstbestimmungsrecht des Volkes und Autonomieprinzip führt zu einem scheinbar unlösbaren Konflikt, der fast faustische Züge annimmt („Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust, die eine will sich von der andern trennen…“638).
634
Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 381 m.w.N. Allgemein BVerfGE 107, 59 (94). 636 Vgl. BVerfGE 107, 59 (94). 637 BVerfGE 33, 125 (159). 638 Goethe, in: Schöne/Wiethölter (Hrsg.), Goethes Werke, Dritter Band, Faust I, S. 45, Vers 1112. 635
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10. Kap.: Demokratische Legitimation des G-BA
Da es jedenfalls darauf ankommt, dass insgesamt – in der Zusammenschau mit dem personell-organisatorischen Legitimationsstrang – ein effektives Niveau demokratischer Legitimation erreicht wird,639 kann ein abschließendes Urteil darüber, ob der im Einzelfall erforderliche Grad an Bestimmtheit erreicht wurde, erst nach einer Untersuchung der im Einzelfall vorliegenden gesetzlichen Ermächtigungsgrundlagen des Selbstverwaltungsträgers erfolgen, auf deren Basis er die ihm zugewiesenen Aufgaben durchführt. 2. Untersuchung der Bestimmtheit der Richtlinienermächtigungen des G-BA Maßgeblich für die Untersuchung der Wahrung des Bestimmtheitsgebotes ist vor allem die Generalklausel des § 92 I 1 SGB V, die den G-BA allgemein zum Beschluss der zur ärztlichen Versorgung der Versicherten erforderlichen Richtlinien ermächtigt. Das BSG stellte im Methadon-Urteil640 fest, dass das SGB V die dem G-BA erteilten Normsetzungsermächtigungen mit hinreichender Bestimmtheit festlegt: „Aus den Vorschriften des § 92 I 1 i.V.m. § 2 I, IV, 12 I, 27 I, 28 I, 70 I, 72 II SGB V lässt sich ein ausreichend dichtes Normprogramm entnehmen, welches die gesetzgeberischen Vorgaben für den Umfang ärztlicher Behandlung und die Einbeziehung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in die gesetzliche KV so präzise, wie auf abstrakter Ebene möglich beschreibt […]. Mit diesen Vorgaben ist die Art der vom Bundesausschuss zu treffenden Entscheidung und das mit ihr vom Sekundärnormgeber zu verfolgende Ziel genau festgelegt. Eine präzisere Umschreibung für diesen letzten Schritt der Normkonkretisierung ist angesichts der Vielgestaltigkeit der zugrundeliegenden medizinischen Sachverhalte kaum denkbar.“641
Bereits in einem früheren Urteil wies das BSG darauf hin, dass der Sachgrund für die Zurückhaltung des parlamentarischen Gesetzgebers in der medizinischwissenschaftlichen Komplexität der Regelungsmaterie liege. Die Ergebnisse des in ständigem Fluss befindlichen Prozesses der medizinischen Diagnostik und Therapie entzögen sich schon wegen ihrer Dynamik weitgehend der parlamentsgesetzlichen Fixierung. Vielmehr würde das SGB V bei einer zu sehr ins Einzelne gehenden Ausgestaltung von Ansprüchen wegen der mit einer parlamentsgesetzlichen Festlegung verbundenen Statik sogar Gefahr laufen, sein erklärtes Hauptziel, den Versicherten eine dem jeweils allgemein anerkannten Stand medizinischer Erkenntnisse entsprechenden Krankenbehandlung zuteil werden zu lassen, zu gefährden.642
639
BVerfGE 83, 60 (73); BVerfGE 93, 37 (67); BVerfGE 109, 59 (87); dazu Schnapp, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Art. 20 Rdn. 21 m.w.N.; Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 487 ff. 640 BSGE 78, 70. 641 BSGE 78, 70 (83); dazu Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, S. 391 ff. (393). 642 BSGE 73, 271 (280).
D. Sachlich-inhaltliche Legitimation des G-BA
145
Gegen diese Argumentation wird teilweise eingewandt, dass der Gesetzgeber in § 92 I 1 SGB V lediglich diejenigen unbestimmten Rechtsbegriffe wiederhole, die bereits im Rahmen des § 12 SGB V643 auftauchten, woraus ein Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot resultiere.644 Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass das rechtsstaatliche Gebot hinreichender Bestimmtheit der Gesetze den Gesetzgeber nicht dazu zwingt, die Gesetzestatbestände stets mit genau erfassbaren Maßstäben zu umschreiben. Der Gesetzgeber sei lediglich gehalten, seine Regelungen so bestimmt zu fassen, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte und mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist. Dabei ist auch die Intensität der Einwirkung auf die von der Regelung Betroffenen zu berücksichtigen.645 In Fortführung dieser Rechtsprechung entschied das BVerfG im sog. „Festbetragsurteil“646, dass der Gesetzgeber mit der Formulierung der §§ 35, 36 SGB V, welche Spezialermächtigungen zum Richtlinienerlass darstellen, im Hinblick auf die Eigenarten des zu ordnenden Sachbereichs dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot genügt habe.647 Der Gesetzgeber habe das Versorgungsziel der gesetzlichen Krankenversicherung immer mit unbestimmten Rechtsbegriffen definiert, weil ihre Ausfüllung von den wirtschaftlichen Gegebenheiten, von Fortschritten in der Medizin und in anderen Wissenschaften, aber auch von internationalen Wirtschaftsbeziehungen abhängig sei. Die Auslegung der in §§ 2 IV, 4 IV, 12 I SGB V verwendeten Rechtsbegriffe sei ständig im Fluss.648 Aufgrund dieser Erwägungen und der Tatsache, dass das Bundesverfassungsgericht insbesondere § 12 I SGB V für ausreichend bestimmt gehalten hat, besteht kein Grund, der Generalklausel des § 92 I 1 SGB V dieses Urteil zu verwehren. 649 Es ist außerdem zu berücksichtigen, dass die Norm durch eine große Anzahl speziellerer Vorschriften im Leistungs- und Leistungserbringerrecht konkretisiert wird. Aus dem Leistungsrecht seien hier exemplarisch die §§ 20d I 3; 22 V; 25 IV 2, V; 27a IV; 28 II 9, III; 29 IV 1; 31 I 2; 33 I, II 3, III 2, IV; 34 I 2; 35 I 1; 35c II 6; 37 VI; 37a II; 37b III; 56 I; 60 I 3 SGB V genannt. Im Leistungserbringerrecht finden sich spezielle Regelungen etwa in §§ 73 VIII; 116b IV; 129 Ia; 135 I; 136 II 2; 137 I, II; 137c I, 138 SGB V. Dem entsprechend wird das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot von den Rechtsetzungsermächtigungen des G-BA gewahrt. Zweifel können sich höchstens in Einzelfällen ergeben.650
643
Dazu ausführlich unten 13. Kapitel, D. II. 1. b. Butzer/Kaltenborn, MedR 2001, 333 (341) m.w.N.; Taupitz, MedR 2003, 7 (11) m.w.N. 645 BVerfGE 59, 104 (114) m.w.N. oder bereits BVerfGE 8, 274 (325 f.). 646 BVerfGE 106, 275 (308 f.). 647 BVerfGE 106, 275 (308). 648 BVerfGE 106, 275 (308). 649 In diesem Sinne ausdrücklich Ebsen, in: Gitter/Schulin/Zacher (Hrsg.), FS Krasney, S. 81 (91). 650 Zur Auslegung von § 135 I 1 SGB V vgl. Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, S. 395; zur Zulässigkeit von Mindestmengen am Beispiel der Versorgung von Frühgeborenen, vgl. von Wolff, NZS 2009, 184. 644
146
10. Kap.: Demokratische Legitimation des G-BA
III. Demokratische Verantwortlichkeit gegenüber dem Gesamtvolk Als zweite Komponente der sachlich-inhaltlichen Legitimation ist das Vorliegen von Kontrollmechanismen erforderlich, die die demokratische Verantwortlichkeit des funktionalen (Selbst-)Verwaltungsträgers gegenüber dem Gesamtvolk sichern. 1. Allgemeines Die demokratische Verantwortlichkeit kann über verschiedene Instrumente sichergestellt werden, zu denen etwa Weisung, Aufsicht, Kontrolle und Abberufung zählen.651 Neben dem zentralen ministeriellen Weisungsrecht652 erlangen vor allem die Rechts- oder Fachaufsicht und die diese begleitenden Instrumente der Selbsteintritts- oder Letztentscheidungsrechte Relevanz.653 Rechts- und Fachaufsicht unterscheiden sich nach dem jeweiligen Kontrollmaßstab. Die Fachaufsicht erstreckt sich nicht nur auf die Recht-,654 sondern auch auf die Zweckmäßigkeit des Verwaltungshandelns.655 Darüber hinaus lassen sich die Aufsichtsinstrumente danach unterscheiden, ob sie präventiv oder repressiv wirken. Präventive Instrumente zur Sicherung der demokratischen Verantwortlichkeit finden bereits im Vorfeld der jeweiligen Maßnahme Anwendung, wodurch ihnen eine Lenkungsfunktion zukommt.656 Dazu zählen das Informationsrecht, das Recht zur Teilnahme an Sitzungen, sowie Anzeige- und Genehmigungspflichten. Repressive Aufsichtmittel sind dagegen solche, die nach der jeweiligen Maßnahme Anwendung finden, wodurch ihnen eine Kontrollfunktion zukommt.657 Beispiele dafür sind etwa die Beanstandung oder die Anordnung.658 2. Instrumente zur Sicherung der demokratischen Verantwortlichkeit des G-BA Das SGB V stellt dem Bundesgesundheitsministerium in § 91 IV 2 SGB V und § 94 I SGB V verschiedene Instrumente zur Sicherung der demokratischen Verantwortlichkeit des G-BA zur Verfügung. Diese unterscheiden sich dadurch, dass sie einerseits präventiv wirken und damit Lenkungsfunktion besitzen (§ 91 IV 2 651
Vgl. Trute, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, Band I, § 6 Rdn. 10; Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band II, § 24 Rdn. 21; Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth (Hrsg.), Verwaltungsrecht, Band II, § 85 Rdn. 82 ff. 652 Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band II, § 24 Rdn. 21. 653 Vgl. Trute, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, Band I, § 6 Rdn. 13. 654 Hierzu Groß, DVBl. 2002, 793 (796). 655 Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth (Hrsg.), Verwaltungsrecht, Band II, § 85 Rdn. 82. 656 Vgl. Groß, DVBl. 2002, 793 (797). 657 Vgl. Groß, DVBl. 2002, 793 (797). 658 Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth (Hrsg.), Verwaltungsrecht, Band II, § 85 Rdn. 82.
D. Sachlich-inhaltliche Legitimation des G-BA
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SGB V) und andererseits repressiv wirken und damit der Kontrolle einer Einzelmaßnahme dienen (§ 94 I SGB V). a. Präventive Steuerungsinstrumente § 91 IV 2 SGB V ordnet an, dass sowohl die Verfahrens-, als auch die Geschäftsordnung des G-BA der Genehmigung des Bundesgesundheitsministeriums bedürfen. Der Zweck der Genehmigung als Steuerungsinstrument besteht darin, die Vereinbarkeit der jeweiligen Maßnahme mit höherrangigem Recht sicherzustellen.659 Dabei verfügt die Genehmigung über eine höhere Eingriffsintensität als eine Beanstandung, weil ihr auch rechtmäßige Maßnahmen unterliegen.660 Speziell im Hinblick auf den G-BA ergibt sich die besondere Bedeutung dieses Steuerungsinstruments daraus, dass die Genehmigung es dem Bundesgesundheitsministerium erlaubt, die Verwaltungsaufgaben des G-BA präventiv zu steuern. Dadurch, dass die Verfahrensordnung nach § 94 IV Nr. 1 SGB V die Grundlage zur Feststellung des allgemein anerkannten Standes medizinischer Erkenntnisse bildet und im Zusammenhang mit der Geschäftsordnung nach § 94 IV Nr. 1 SGB V entscheidend für den Richtlinienbeschluss ist, gestaltet sich eine generelle Einflussnahme des Ministeriums auf die Tätigkeit des G-BA als möglich. Die Ausgestaltung des Verfahrens zum Richtlinienbeschluss unterliegt somit einer erhöhten staatlichen Kontrolle durch das Bundesgesundheitsministerium, wodurch dieses die Möglichkeit erlangt, gewisse fachliche Elemente einzubringen, obwohl es grundsätzlich nur zur Rechtsaufsicht gegenüber dem G-BA berechtigt ist.661 b. Repressive Steuerungsinstrumente § 94 I 1 SGB V verpflichtet den G-BA dazu, dem Bundesgesundheitsministerium alle beschlossenen Richtlinien vorzulegen. Daran knüpft das Gesetz drei zentrale Instrumente zur Sicherung seiner demokratischen Verantwortlichkeit gegenüber dem Gesamtvolk, die sich in ihrer Intensität unterscheiden. Deren Gemeinsamkeit besteht darin, dass es sich um repressive Aufsichtsmittel handelt, die die Richtlinien als Einzelmaßnahmen der Kontrolle des Bundesgesundheitsministers als demokratisch legitimiertem Amtswalter unterwerfen. Zunächst eröffnet § 94 I 2 SGB V dem Bundesgesundheitsministerium die Möglichkeit die vorgelegten Richtlinien innerhalb von zwei Monaten zu bean659
Vgl. Peters, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 195 Rdn. 2 in Bezug auf die Satzungen der Krankenkassen. 660 Groß, DVBl. 2002, 793 (799). 661 Siehe dazu das Interview mit dem derzeitigen Vorsitzenden des G-BA, Dr. Rainer Hess, in: BKK 2008, 293 (295); deutlich weitergehend Pitschas, GesR 2008, 64 (74), der sogar zu dem Schluss kommt, dass nicht zuletzt durch das Erfordernis der Zustimmung des Bundesgesundheitsministeriums bzgl. Verfahrens- und Geschäftsordnung und der Professionalisierung des Gremiums aus der Selbst-Verwaltung eine großteils fremdgesteuerte Auftrags-Verwaltung werde.
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10. Kap.: Demokratische Legitimation des G-BA
standen. Ob dieses Aufsichtsrecht als Rechts- oder Fachaufsicht zu verstehen ist, war lange Gegenstand juristischer Debatten.662 In einer neueren Entscheidung hat das BSG den Streit jedoch zu Gunsten einer Rechtsaufsicht entschieden.663 Dies entspricht dem anerkannten Aufsichtsmaßstab bei Selbstverwaltungskörperschaften. Infolgedessen kann das Bundesgesundheitsministerium einen Richtlinienbeschluss nur dann beanstanden, wenn die Rechtsansicht des G-BA nicht vertretbar ist, wobei dessen Einschätzungsprärogative bei wissenschaftlich nicht eindeutig zu beantwortenden Fragen zu beachten ist.664 Davon abgesehen ermöglicht § 94 I 4 SGB V dem Bundesgesundheitsministerium die Möglichkeit, die Nichtbeanstandung einer Richtlinie an Auflagen – z.B. die Beseitigung rechtlicher Hindernisse, die der uneingeschränkten Nichtbeanstandung entgegenstehen – zu knüpfen. Dieses Aufsichtsmittel erweist sich im Verhältnis zur Beanstandung nach § 94 I 2 SGB V als weniger einschneidend.665 Letztlich räumt § 94 I 5 SGB V dem Bundesgesundheitsministerium als äußerstes Mittel die Möglichkeit einer Ersatzvornahme ein, wenn die für die Sicherstellung der ärztlichen Versorgung erforderlichen Beschlüsse des G-BA nicht oder nicht innerhalb einer vom Bundesministerium für Gesundheit gesetzten Frist zustande kommen oder dessen Beanstandungen nicht innerhalb der von ihm gesetzten Frist behoben werden.666 Dabei handelt es sich um das stärkste repressiv wirkende Aufsichtsmittel, das das Gesetz dem Ministerium zur Verfügung stellt.
IV. Der Grad der sachlich-inhaltlichen Legitimation des G-BA Die Ermächtigungen des G-BA zum Richtlinienerlass wahren – für sich betrachtet – das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass die gesetzliche Vorprogrammierung der Aufgabenwahrnehmung des G-BA eher gering ist. Dies ergibt sich aus der Vielzahl der im SGB V verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe, welche zwar im Sinne des medizinischen Fortschritts erforderlich sind, dem G-BA jedoch einen Interpretationsspielraum belassen. Da jedoch Lenkung und Kontrolle als Bestandteile sachlich-inhaltlicher Legitimation in der Weise korrelieren, dass ein Mehr an Lenkung ein Weniger an Kontrolle erfordert und umgekehrt,667 besteht die Möglichkeit, dieses relative Minus an inhaltlicher Lenkung durch ein relatives Plus an Kontrolle zu kompensieren. 662
Dazu Butzer/Kaltenborn, MedR 2001, 333 (341 f.); Hess, MedR 2005, 385 ff.; siehe auch das Interview mit dem derzeitigen Vorsitzenden des G-BA, Dr. Rainer Hess, in: BKK 2008, 293 ff. 663 BSG MedR 2010, 347; dazu ausführlich oben 8. Kapitel, C. II. 2. b. 664 Roters, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 94 Rdn. 4. 665 BT-Drs. 16/3100, S. 135. 666 Hierzu ausführlich Roters, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 94 Rdn. 9 ff.; Joussen, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching (Hrsg.), BeckOK SGB V, § 94 Rdn. 1 ff. 667 Vgl. Papenfuß, Die personellen Grenzen der Autonomie öffentlich-rechtlicher Körperschaften, S. 155 m.w.N.
D. Sachlich-inhaltliche Legitimation des G-BA
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Prinzipiell stellt § 94 I SGB V dem Bundesgesundheitsministerium die in Bezug auf funktionale Selbstverwaltungsträger typischen repressiven Aufsichtsinstrumente zur Verfügung.668 Darüber hinaus macht § 91 IV 2 SGB V die Wirksamkeit der Verfahrens- und Geschäftsordnung des G-BA von dessen Genehmigung abhängig. Die Relevanz dieses Steuerungsinstruments ergibt sich daraus, dass es dem Ministerium eine generelle Einflussnahme auf den Entscheidungsablauf und die Methodenbewertung im G-BA einräumt. Die Genehmigung ist kein Steuerungsinstrument, das nur auf den G-BA Anwendung findet. Vielmehr unterliegen auch die Satzungen der Krankenkassen nach § 195 I SGB V der Genehmigung der Aufsichtbehörde,669 welche bei sozialen Versicherungsträgern, deren Zuständigkeit sich über das Gebiet eines Landes heraus erstreckt, das Bundesversicherungsamt ist.670 Abweichend davon hat der Gesetzgeber die Sicherung der demokratischen Verantwortlichkeit des G-BA dem Bundesgesundheitsminister übertragen. Bei diesem handelt es sich um ein demokratisch höher legitimiertes Staatsorgan als das Bundesversicherungsamt. Dies führt in der Summe dazu, dass der tendenziell geringe Grad an inhaltlicher Lenkung durch einen hohen Grad an persönlicher Kontrolle kompensiert werden kann.671 Ob jedoch insgesamt ein effektives Niveau demokratischer Legitimation erreicht wird, lässt sich – im Rahmen einer Gesamtabwägung – nur in Abhängigkeit von dem Grad der personell-organisatorischen Legitimation des G-BA beantworten. Dieser richtet sich nach dem Legitimationsmodell, welches der Untersuchung zugrunde gelegt wird.
668
Weitergehend Kingreen, NZS 2007, 113 (120), der darauf hinweist, dass es möglich sei, die Veränderung der aufsichtsrechtlichen Regelungen in § 94 I 2, 3 SGB V durch das GKV-WSG 2007 als „langsames Einsickern“ fachaufsichtlicher Elemente zu interpretieren. Eine andere Ansicht vertritt jedoch das BSG, welches davon ausgeht, dass eine Erweiterung des Aufsichtsmaßstabs i.S.e. Einräumung fachaufsichtlicher Befugnisse durch das GKVWSG nicht erfolgen sollte. Dies werde anhand der Gesetzesbegründung zu der gleichzeitig vorgenommenen Ergänzung der im wesentlichen inhaltsgleichen aufsichtlichen Befugnisse des Ministeriums gegenüber Beschlüssen der Bewertungsausschüsse gemäß § 87 VI 1 SGB V deutlich (ausführlich BSG MedR 2010, 347 [351]). 669 Hierzu Peters, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 195 Rdn. 3 ff. 670 Hierzu Baier, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, SGB IV, § 90 Rdn. 5. 671 Weitergehend Pitschas, GesR 2008, 64 (74), der sogar zu dem Schluss kommt, dass nicht zuletzt durch das Erfordernis der Zustimmung des Bundesgesundheitsministeriums bzgl. Verfahrens- und Geschäftsordnung und der Professionalisierung des Gremiums aus der Selbst-Verwaltung eine großteils fremdgesteuerte Auftrags-Verwaltung werde; a.A., allerdings noch zur alten Rechtslage Butzer/Kaltenborn, MedR 2001, 333 (341).
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10. Kap.: Demokratische Legitimation des G-BA
E. Gesamtabwägung: Erreichen eines effektiven Niveaus demokratischer Legitimation I. Allgemeines Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht die Form der demokratischen Legitimation staatlichen Handelns, sondern deren Effektivität entscheidend. Notwendig sei ein bestimmtes Legitimationsniveau.672 Dabei handelt es sich um einen entwicklungsoffenen Rechtsbegriff, der zu einem gewissen Mangel an Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit führt.673
II. Festlegung des erforderlichen Niveaus demokratischer Legitimation Konsens besteht darüber, dass das zur effektiven demokratischen Legitimation des Staatshandelns erforderliche Legitimationsniveau im Wege einer Gesamtbetrachtung der beiden zentralen Legitimationsstränge in Abhängigkeit von der verfassungsindizierten Bedeutung der jeweils geregelten Materie674 und den grundgesetzlichen Vorschriften über die Organisation der Staatsgewalt675 bestimmt werden muss. Die verfassungsindizierte Bedeutung der geregelten Materie richtet sich vor allem danach, ob und mit welcher Intensität in Grundrechte der Regelungsadressaten eingegriffen wird oder andere Rechtswerte von Verfassungsrang betroffen sind bzw. konkretisiert werden.676 Da die Richtlinien des G-BA potentiell in Grundrechte der Leistungserbringer – insbesondere der Vertragsärzte sowie zugelassener Krankenhäuser in privater Trägerschaft – und Versicherten eingreifen,677 stellt sich an dieser Stelle die Frage nach der Intensität dieses Eingriffs. Diese bemisst sich prinzipiell nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als dessen spezifische Ausprägung sich etwa die zu Art. 12 GG entwickelte „Stufentheorie“ erweist.678 Nach letzterer stellen die Richtlinien des G-BA gegenüber den Leistungserbringern grundsätzlich Berufsausübungsregelungen dar.679 Diesen misst das BVerfG eine geringe Eingriffsintensität zu, weswegen sie durch vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls zu recht-
672
BVerfGE 83, 60 (73); BVerfGE 93, 37 (67); BVerfGE 109, 59 (87). Vgl. Di Fabio, in: Brenner/Huber/Möstl (Hrsg.), FS Badura, S. 77 (83). 674 Vgl. Burgi, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7 Rdn. 28; Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 487. 675 Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, S. 296. 676 Vgl. ausführlich Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 496 ff. 677 Vgl. ausführlich oben 7. Kapitel, C. und D. 678 Vgl. BVerfGE 33, 125 (160); Merten, in: ders./Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Band III, § 68 Rdn. 77 ff. m.w.N. 679 Hänlein, Rechtsquellen im Sozialversicherungsrecht, S. 478 m.w.N. 673
E. Gesamtabwägung: Erreichen eines effektiven Niveaus
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fertigen sind.680 Aus diesem Grund sind die Anforderungen an das Niveau der erforderlichen demokratischen Legitimation des G-BA bei der Rechtsetzung gegenüber den Leistungserbringern im Regelfall nicht zu hoch anzusetzen. Schwieriger gestaltet sich die Feststellung der Eingriffsintensität der Richtlinien des G-BA gegenüber den Versicherten. Diese werden von der rechtsetzenden Tätigkeit des Gremiums in ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 I GG und ihrem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 II 1 GG betroffen.681 Da das BVerfG davon ausgeht, dass Art. 2 I GG den Versicherten gegenüber den Krankenkassen keinen Anspruch auf die Bereitstellung bestimmter Gesundheitsleistungen eröffnet, sondern sie lediglich vor einer Unverhältnismäßigkeit von Beitrag und Leistung schützt682 und dem Staat bei der Verwirklichung seiner Schutzpflicht aus Art. 2 II 1 GG einen weiten Gestaltungsspielraum einräumt,683 kann jedenfalls einer einzelnen Richtlinie nicht per se eine hohe Eingriffsintensität zugemessen werden. Die Beantwortung der Frage, wann eine solche anzunehmen ist, gestaltet sich als äußerst komplex und entzieht sich an dieser Stelle einer abschließenden Betrachtung. Eine hohe Eingriffsintensität kann allerdings dann vorliegen, wenn einem Versicherten Leistungen für die Behandlung einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung vorenthalten werden.684 Als zweites Kriterium zur Festlegung des erforderlichen Niveaus demokratischer Legitimation werden die grundgesetzlichen Vorschriften über die Organisation der Staatsgewalt herangezogen.685 In Bezug auf den G-BA ist daher zu berücksichtigen, dass das Grundgesetz in Art. 87 II, III GG die Schaffung verselbstständigter Verwaltungseinheiten erlaubt. Damit wird auch eine gewisse Lockerung der Legitimationskette toleriert.686 Dies spricht dafür, dass die personell-organisatorische Legitimation oder vergleichbare Legitimationsstränge in anderen Legitimationsmodellen zwar im Rahmen des Abwägungsprozesses beachtet werden, ihnen jedoch keine überproportional hohe Bedeutung zugemessen werden sollte.
680
Ausführlich Merten, in: ders./Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Band III, § 68 Rdn. 78 f. m.w.N.; Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 12 Rdn. 107 ff. (108). 681 Ausführlich oben 7. Kapitel, E. 682 BVerfGE 115, 25 (42 f.). 683 BVerfGE 115, 25 (44 ff.); BVerfGE 77, 170 (214 f.); BVerfGE 79, 174 (202); BVerfGE 85, 191 (212). 684 BVerfGE 115, 25 (44 ff.); zu diskutieren wäre daher, ob die Versorgungsentscheidungen in diesen Fällen nicht von einer demokratisch höher legitimierten staatlichen Instanz getroffen werden müssten. Als solche käme etwa der Bundesgesundheitsminister in Betracht; vgl. hierzu auch Schmidt-De Caluwe, in: Kern/Lilie (Hrsg.), FS Fischer, S. 379 (404 ff.), der sich ebenfalls mit dieser Problematik auseinandersetzt, dabei aber die Interpretation des § 27 I 1 SGB V als Rahmenrecht in Zweifel zieht. 685 Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, S. 296. 686 Vgl. allgemein Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 357 f.; ähnlich Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, S. 289.
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10. Kap.: Demokratische Legitimation des G-BA
III. Abwägung: Effektivität der demokratischen Legitimation nach dem jeweiligen Legitimationsmodell Da die Effektivität demokratischer Legitimation vor allem vom Grad der Legitimation abhängt, die die im Einzelfall Anwendung findenden Legitimationsstränge dem G-BA zu vermitteln vermögen, richtet sich das Abwägungsergebnis entscheidend nach dem Legitimationsmodell, das der funktionalen Selbstverwaltung zugrunde gelegt wird. 1. Autonome Legitimation Bei der Bewertung der Effektivität der demokratischen Legitimation, die sich aus der autonomen Legitimation der Mitglieder des Beschlussgremiums in der Zusammenschau mit der sachlich-inhaltlichen Komponente ergibt, ist zunächst zu berücksichtigen, dass deren Legitimationsniveau aufgrund ihres kompensatorischen Charakters bereits formal geschwächt ist. Prinzipiell führt auch die Länge der Legitimationsketten, die von den Entscheidungsträgern im Beschlussgremium G-BA zu den Mitgliedern des Verbandsvolks führt, zu einer Schwächung der Effektivität der demokratischen Legitimation. Dies resultiert insbesondere aus der mehrfach vermittelten Rückbindung an den Willen der Versicherten und der Einbeziehung der DKG als juristische Person des Privatrechts in den G-BA. Jedoch sollte dies schon allein deswegen nicht überbewertet werden, weil diese Lockerung der Legitimationskette auf einem parlamentarischen Organisationsakt beruht, den das Grundgesetz aufgrund der institutionellen Legitimation des G-BA über Art. 87 III 1 GG i.V.m. Art. 74 I Nr. 12 GG akzeptiert.687 Es wäre widersprüchlich, wenn die Verfassung einerseits die Schaffung derartiger verselbstständigter Verwaltungseinheiten erlaubte, diesen jedoch aufgrund der notwendigerweise verlängerten Legitimationsketten die Möglichkeit des Erreichens eines effektiven Grades demokratischer Legitimation verwehrte. Gleichwohl muss der Länge der Legitimationsketten bei der Bewertung des Legitimationsniveaus Rechnung getragen werden. Das Erreichen eines effektiven Niveaus demokratischer Legitimation hängt deswegen entscheidend von dem Grad der sachlich-inhaltlichen Legitimation ab, über den der G-BA verfügt. Bei der Feststellung des Grades der sachlich-inhaltlichen Legitimation des Gremiums taucht zunächst das Problem auf, dass die Regelungen des SGB V relativ viel Interpretationsspielraum belassen und somit für sich betrachtet eine vergleichsweise geringe Steuerungskraft besitzen. Allerdings halten sowohl das BSG688 als auch das BVerfG689 sie – für sich betrachtet – für mit dem Bestimmtheitsgrundsatz vereinbar. Dies beruht maßgeblich auf der Erwägung, dass eine größere Normkonkretisierung aufgrund der Vielgestaltigkeit der zugrundelie687
Vgl. allgemein Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 357 f.; ähnlich Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, S. 289. 688 BSGE 78, 70 (83); dazu Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, S. 391 ff. (393). 689 BVerfGE 106, 275 (308).
E. Gesamtabwägung: Erreichen eines effektiven Niveaus
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genden medizinischen Sachverhalte kaum denkbar ist.690 Dabei handelt es sich um eine bereichsspezifische Besonderheit des SGB V, die im Rahmen der vorliegenden Gesamtabwägung berücksichtigt werden muss. Entscheidende Bedeutung kommt der Bewertung der Intensität der Instrumente zur Sicherung der demokratischen Verantwortlichkeit des G-BA zu. Hier ist zunächst in Rechnung zu stellen, dass das Gremium generell der Aufsicht des Bundesgesundheitsministeriums und damit des Bundesgesundheitsministers untersteht, bei dem es sich um einen demokratisch hochwertig legitimierten Amtsträger handelt. Zwar übt er wegen § 94 I 2 SGB V lediglich eine Rechtsaufsicht über den G-BA aus, doch kann dies allein nicht zu einer Unterschreitung des erforderlichen Niveaus demokratischer Legitimation führen. Die Rechtsaufsicht korrespondiert gerade mit der Eröffnung eigenverantwortlicher, unabhängiger Entscheidungsbefugnisse und stellt damit ein Korrelat der Selbstverwaltung dar.691 Autonomie bedeutet zwangsläufig eine gewisse Verringerung staatlicher Einwirkung.692 Außerdem ist zu berücksichtigen, dass sowohl die Geschäfts-, als auch die Verfahrensordnung des G-BA nach § 91 IV 2 SGB V ministerieller Genehmigung bedürfen. Das Bundesgesundheitsministerium erlangt auf diese Weise die Möglichkeit, auf den generellen Ablauf des Richtlinienbeschlusses und insbesondere auf das Verfahren zur Feststellung des allgemein anerkannten Standes medizinischer Erkenntnisse Einfluss zu nehmen. Dabei können sogar Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte in den Prozess einfließen. Aufgrund des präventiven Charakters dieses Steuerungsinstruments erlangt das Ministerium erheblichen Einfluss auf die Arbeitsweise des G-BA. Da der Richtlinienerlass – abgesehen von den Fällen, in denen es um lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankungen geht – nicht per se zu intensiven Grundrechtseingriffen führt, erreicht der G-BA ein effektives Niveau demokratischer Legitimation gegenüber den Krankenkassen, Vertragsärzten, zugelassenen Krankenhäusern und auch den Versicherten. Die Schwächen auf der Seite der autonomen Legitimation der Mitglieder des Beschlussgremiums können durch den vergleichsweise hohen Aufsichtsmaßstab ausgeglichen werden. Defizitär verbleibt nach diesem Modell jedoch die Rechtsetzung gegenüber denjenigen Leistungserbringern, die im Beschlussgremium des G-BA nicht repräsentiert sind. Diese verfügen über kein Stimmrecht im G-BA und sind damit nicht in den personellen Legitimationszusammenhang einbezogen. Dies vermag durch die sachlich-inhaltliche Komponente nicht aufgewogen zu werden. 2. Kollektiv-personelle Legitimation Die kollektiv-personelle Legitimation der Mitglieder des G-BA führt zu einem deutlich höheren Legitimationsgrad, als ihn die autonome Legitimation zu vermitteln vermag. 690
BSGE 78, 70 (83). Groß, DVBl. 2002, 793 (796). 692 Vgl. Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, S. 283 ff. (285), der sich mit der Frage der Verselbstständigung von Verwaltungseinheiten auseinandersetzt. 691
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10. Kap.: Demokratische Legitimation des G-BA
Da sich hinsichtlich des Grades der sachlich-inhaltlichen Legitimation keine Besonderheiten gegenüber den bisherigen Untersuchungen ergeben, ist der G-BA auch nach diesem Modell als zur Rechtsetzung gegenüber den Krankenkassen, Vertragsärzten, zugelassenen Krankenhäusern und Versicherten als ausreichend demokratisch legitimiert anzusehen. Es gilt jedoch die Besonderheit, dass dieser Legitimationszusammenhang auch gegenüber Externen, also denjenigen Leistungserbringern fortbesteht, die in dessen Beschlussgremium nicht repräsentiert sind. Hier bedarf es zwar eines Ausgleichs des Ausfalls der qualifiziert personellen Legitimation gegenüber den Externen durch einen erhöhten Grad sachlich-inhaltlicher Legitimation, doch bestehen hiergegen auf der Grundlage der bisherigen Untersuchungen keine Bedenken.693 Wenn der Grad sachlich-inhaltlicher Legitimation dazu ausreicht, die Schwäche der autonomen Legitimation des G-BA zu kompensieren, ist er erst Recht dazu in der Lage, das an dieser Stelle relevante Defizit an qualifizierter personeller Legitimation auszugleichen. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass das Modell kollektiv-personeller Legitimation gerade nicht zu einem völligen Ausfall personeller Legitimation gegenüber den sonstigen Leistungserbringern führt. Damit ist der G-BA nicht nur gegenüber den Krankenkassen, Vertragsärzten, zugelassenen Krankenhäusern und Versicherten, sondern auch gegenüber den sonstigen Leistungserbringern, die nicht in seinem Beschlussgremium repräsentiert sind, als demokratisch zur Rechtsetzung legitimiert anzusehen. 3. Dispension durch Art. 87 III 1 GG Legt man der Gesamtabwägung Böckenfördes Legitimationsmodell zugrunde, bei dem die personell-demokratische Legitimation des G-BA gegenüber den Mitgliedern asymptotisch gegen Null tendiert und gegenüber Externen am Nullpunkt verbleibt, führt dies unweigerlich zu dem Ergebnis, dass dieses erhebliche Defizit nicht durch den vorliegenden sachlich-inhaltlichen Legitimationsstrang kompensiert werden kann. Erforderlich wäre dazu eine derart umfassende gesetzliche Vorprogrammierung des Handelns des G-BA, die diesen nicht nur unter die Fachaufsicht des Bundesgesundheitsministeriums stellte, sondern ihm auch keine Entscheidungsspielräume beließe. Dies entspricht ersichtlich nicht dem historisch gewachsenen Konzept der gemeinsamen Selbstverwaltung im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung.
IV. Fazit Die demokratische Legitimation des G-BA zur Rechtsetzung gegenüber dem in § 91 VI SGB V genannten Adressatenkreis richtet sich nach dem zugrundeliegenden Legitimationsmodell. Daher erweist es sich als entscheidend, welchem der
693
Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 494 ff. (495, 504).
E. Gesamtabwägung: Erreichen eines effektiven Niveaus
155
Modelle der demokratischen Legitimation funktionaler Selbstverwaltungsträger der Vorzug einzuräumen ist. Abzulehnen ist zunächst die Bestimmung der Effektivität demokratischer Legitimation funktionaler Selbstverwaltungsträger auf der Grundlage von Böckenfördes Modell. Der völlige Verzicht auf den Strang personell-organisatorischer Legitimation bewirkt das Bedürfnis eines umfassenden Ausgleichs des daraus resultierenden Legitimationsdefizits auf sachlich-inhaltlicher Ebene. Gerade im Fall des G-BA erfordert dies faktisch eine „Totalprogrammierung des Verwaltungshandelns“,694 was dem Autonomiegedanken widerspräche.695 Dies würde nicht nur gegen das Wesen der Selbstverwaltung verstoßen, deren Zweck gerade in der Entlastung des parlamentarischen Gesetzgebers besteht,696 sondern wäre auch praktisch nicht möglich und verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen.697 Es ist nämlich zu berücksichtigen, dass der Sinn der Selbstverwaltung gerade in der sachlichen Nähe der „Sich-selbst-Verwaltenden“ zur Regelungsmaterie besteht, welche beim Bundesgesundheitsministerium in Bezug auf einzelne medizinische Versorgungsentscheidungen, die das Resultat einer komplexen Bewertung des verfügbaren wissenschaftlichen Materials darstellen, nicht ohne Weiteres als gegeben angesehen werden kann. Gegen Emdes Modell der autonomen Legitimation spricht dessen dogmatischer Ausgangspunkt. Es führt zwar nicht zur direkten Anerkennung des Verbandsvolks als originärem Subjekt demokratischer Legitimation, nimmt aber dennoch mittelbar auf dieses Bezug. Der einzige Unterschied liegt in dem verminderten Grad der personell-organisatorischen Legitimation, die die autonome Legitimation einem funktionalen Selbstverwaltungsträger nach Emdes Konzept zu vermitteln vermag. Da Verbandsvölker funktionaler Selbstverwaltungsträger im Grundgesetz keine Anerkennung als legitimationsfähiges Teilvolk finden, kann auch diese Auffassung die Rechtsetzung des G-BA gegenüber dem in § 91 VI SGB V genannten Adressatenkreis nicht rechtfertigen. Anders verhält es sich jedoch mit dem Modell der kollektiv-personellen Legitimation. Dieses vermag nicht nur die Rechtsetzung des G-BA gegenüber Krankenkassen, Vertragsärzten, zugelassenen Krankenhäusern und Versicherten, sondern auch gegenüber den sonstigen Leistungserbringern, die nicht im G-BA repräsentiert sind, zu rechtfertigen. Dabei trägt es dem Autonomiegedanken ausreichend Rechnung und basiert auch nicht auf der Anerkennung eines Verbandsvolks als legitimationsfähiges Teilvolk. Vielmehr qualifiziert es das Bundesvolk als Le694
Vgl. Oebecke, VerwArchiv 81 (1990), 349 (357). Vgl. BVerfGE 33, 125 (159). 696 BVerfGE 33, 125 (156 f.): „Die Verleihung von Satzungsautonomie hat ihren guten Sinn darin, die gesellschaftlichen Kräfte zu aktivieren, den entsprechenden gesellschaftlichen Gruppen die Regelung solcher Angelegenheiten, die sie selbst betreffen und die sie in überschaubaren Bereichen am sachkundigsten beurteilen können, eigenverantwortlich zu überlassen und dadurch den Abstand zwischen Normgeber und Normadressat zu verringern. Zugleich wird der Gesetzgeber davon entlastet, sachliche und örtliche Verschiedenheiten berücksichtigen zu müssen, die für ihn oft schwer erkennbar sind und auf deren Veränderungen er nicht rasch genug reagieren könnte.“ 697 Oebecke, VerwArchiv 81, 349 (357). 695
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10. Kap.: Demokratische Legitimation des G-BA
gitimationssubjekt, was dem herkömmlichen Modell demokratischer Legitimation entspricht. Ein Problem ergibt sich allerdings daraus, dass die kollektiv-personelle Legitimation der Mitglieder des Beschlussgremiums auf den ersten Blick im Widerspruch zur herrschenden Auffassung in Rechtsprechung und Literatur steht, die die individuelle Bestellung der Amtswalter als Quell personell-organisatorischer Legitimation ansieht.698 Allerdings ist auch die kollektiv-personelle Legitimation der mit der Ausübung von Staatsgewalt betrauten Amtswalter in der Verfassung angelegt. Kluth argumentiert, dass die Analyse des verfassungsrechtlichen Befundes der näheren Ausgestaltung der personellen Legitimation zu der Erkenntnis führe, dass – neben zahlreichen individuell ausgestalteten Bestellungsakten – im Fall der Wahl der Abgeordneten des Deutschen Bundestages durch die Listenwahl eine partielle Kollektivierung des Bestellungsaktes festzustellen sei.699 Der Bürger wähle in diesem Fall nicht einen konkreten Kandidaten, sondern die von der Partei eingereichte Liste. Dies habe zur Folge, dass er nur bedingt darüber informiert sei, wen er wähle, weil er die Kandidaten nicht nur zum Großteil persönlich nicht kenne, sondern die Zahl der erfolgreichen Bewerber auch vom Wahlergebnis abhänge.700 Die Vermittlung personell-organisatorischer Legitimation durch die streng individualisierte Bestellung könne deshalb nicht als allgemeines Verfassungsgebot eingestuft werden.701 Die für diesen Legitimationsstrang erforderliche besondere Eignung und Befähigung sei bei dem kollektiven Bestellungsakt bereits durch die Zugehörigkeit zu der nach individuellen Merkmalen gekennzeichneten Gruppe aufgrund der in der Regel beruflich qualifizierten Befassung mit den zu erledigenden Aufgaben und dem besonderen Interesse an deren Erledigung indiziert.702 Für die grundsätzliche Verfassungsverträglichkeit der kollektiv-personellen Legitimation spricht vor allem die Entscheidung des BVerfG zum Emschergenossenschafts- und Lippeverbandsgesetz,703 in der dieses ausdrücklich darauf hinwies, dass das Demokratiegebot außerhalb der unmittelbaren Staatsverwaltung und der in ihrem sachlich-gegenständlichen Aufgabenbereich nicht beschränkten gemeindlichen Selbstverwaltung offen für andere, insbesondere vom Erfordernis lückenloser personeller demokratischer Legitimation aller Entscheidungsbefugten, abweichende Formen der Ausübung von Staatsgewalt sei.704 Das demokratische Prinzip des Art. 20 II GG erlaube, durch Gesetz für abgegrenzte Bereiche der Erledigung öffentlicher Aufgaben besondere Organisationsformen der Selbstverwaltung zu
698
Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 369 ff. (377); siehe oben 10. Kapitel, C. III. 2.
a. 699 Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 377 ff. (379); vgl. zur Gegenansicht Frotscher, in: von Mutius (Hrsg.), FG Unruh, S. 127 (143 ff.). 700 Vgl. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 377 ff. (378). 701 Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 369 ff. (379). 702 Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 377 ff. (379); ders., in: Wolff/Bachof/Stober/ Kluth (Hrsg.), Verwaltungsrecht, Band II, § 80 Rdn. 155. 703 BVerfGE 107, 59. 704 BVerfGE 107, 59 (91).
E. Gesamtabwägung: Erreichen eines effektiven Niveaus
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schaffen.705 Hieraus folgert der 6. Senat des BSG in einer neueren Entscheidung, dass die demokratische Legitimation der an der funktionalen Selbstverwaltung beteiligten „Körperschaften“ sich daraus ableite, dass sie durch Gesetz errichtet worden seien und ihnen durch Gesetz ausdrücklich die Rechtsetzung nach außen zugewiesen worden sei.706 Auf diese Weise nimmt der Senat implizit auf das Modell der kollektivpersonellen Legitimation Bezug.707 Daraus ergibt sich die bemerkenswerte Konsequenz, dass die Zusammenführung der bislang divergierenden Rechtsprechung des 1. und 6. Senates des BSG zum Rechtscharakter der Richtlinien und der demokratischen Legitimation des G-BA gegenüber dem in § 91 VI SGB V genannten Betroffenenkreis ermöglicht wird. Auf der Basis der bisherigen Untersuchungen würde dies zunächst erfordern, dass der 1. Senat den autonomen Charakter der Rechtsetzung der Richtlinien entgegen seiner bisherigen Rechtsprechung anerkennt und der 6. Senat von seiner Satzungslösung Abstand nimmt. Statt dessen müsste er – entsprechend der Rechtsprechung des 1. Senates – die Qualifikation der Richtlinien als Rechtsnormen sui generis bestätigen. Beide Senate müssten letztlich das Modell der kollektiv-personellen Legitimation der demokratischen Legitimation des G-BA zur Rechtsetzung zugrunde legen. Dieses entspricht im Ergebnis der bisherigen Rechtsprechung beider Senate, weil es die Rechtsetzung des G-BA gegenüber allen in § 91 VI SGB V genannten Betroffenengruppen zu legitimieren vermag.
705
BVerfGE 107, 59 (92). BSGE 94, 50 (74); dazu Schmidt-De Caluwe, in: Kern/Lilie (Hrsg.), FS Fischer, S. 379 (398). 707 Vgl. dazu bereits oben 10. Kapitel, C. III. 2. a. unter Fußnote 561. 706
11. Kapitel: Gesamtergebnis Bei den Richtlinien i.S.d. § 92 I 1 SGB V handelt es sich um Rechtsnormen sui generis, die vom G-BA als juristische Person des öffentlichen Rechts sui generis mit einer gesetzesähnlichen Breitenwirkung erlassen werden. Die demokratische Legitimation des G-BA zur Rechtsetzung des in § 91 VI SGB V genannten Adressatenkreises, insbesondere gegenüber den Versicherten und sonstigen Leistungserbringern, lässt sich aus dem Modell der kollektiv-personellen Legitimation herleiten, welches dem Gremium in der Zusammenschau mit der sachlich-inhaltlichen Legitimation ein effektives Niveau an demokratischer Legitimation zu vermitteln vermag. Dies darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Anerkennung der Normsetzung des G-BA durch Richtlinien auf dem Gebiet des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung auf den folgenden Prämissen beruht, deren Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz bislang nicht eindeutig geklärt ist: - Aus dem Grundgesetz lässt sich kein Typenzwang bzw. numerus clausus öffentlich-rechtlicher Organisationsformen herleiten. - Es besteht kein numerus clausus der Rechtsetzungsformen. - Die gemeinsame Selbstverwaltung ist ein Spezialfall der funktionalen Selbstverwaltung und weist die erforderliche Interessenhomogenität auf. - Der Bund verfügt über die Gesetzgebungskompetenz zur Ausgestaltung der Leistungsgewährung aus Art. 74 I Nr. 12 GG nicht nur für den ambulanten, sondern auch für den stationären Sektor. - Das Modell der kollektiv-personellen Legitimation funktionaler Selbstverwaltungsträger ist mit dem Grundgesetz vereinbar. - Die Akzeptanz der kollektiv-personellen Legitimation setzt voraus, dass das Grundgesetz im Bereich der funktionalen Selbstverwaltung Ausnahmen vom Gebot der individuellen Bestellung der Amtswalter anerkennt. Sollte sich die Unverträglichkeit einer dieser Prämissen mit der Verfassung – etwa durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts – zeigen, stürzte das Gebilde der Normsetzung durch Richtlinien durch den G-BA auf dem Gebiet des SGB V wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Umgekehrt würde dessen Grundlage gestärkt, sollte das Gericht eine oder mehrere dieser Prämissen bestätigen.
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3. Teil: Integration neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in den Leistungsanspruch des Versicherten
12. Kapitel: Einführung in die Problematik Aufgrund der ständig steigenden Lebenserwartung und der durch den medizinischen Fortschritt bedingten Vermehrung der ärztlichen Leistungen wächst nicht nur das Krankheitsvolumen, sondern auch das Behandlungsvolumen weitet sich infolge der Inanspruchnahme dieser Dienste aus.1 Ursächlich für diese Entwicklung ist vor allem der medizinisch-technische Fortschritt. Das anzuwendende medizinische Wissen verdoppelt sich etwa alle fünf Jahre.2 Bislang unheilbar erscheinende Krankheiten werden erfolgreicher ärztlicher Behandlung zugänglich gemacht.3 Der Krankheitsbegriff weitet sich aus.4 Die Kehrseite dieser medizinisch-technischen Entwicklung besteht vor allem in einem immensen Kostenanstieg, der das System der gesetzlichen Krankenversicherung nachhaltig belastet. Laufs formuliert prägnant: „Die Explosion des Machbaren überfordert die Krankenkassen.“5 Infolgedessen kommt es immer häufiger zu einem Konflikt zwischen dem Individualinteresse des einzelnen Versicherten am Erhalt einer bestimmten ärztlichen Leistung und den Interessen der Solidargemeinschaft, in die er im System der GKV eingebunden ist.6 Die Debatten über die Finanzierbarkeit des öffentlichen Gesundheitswesens dauern inzwischen seit Jahrzehnten an. Dies ist nicht spurlos an der Bevölkerung vorbeigegangen. Nach einer Studie des Allensbach-Instituts aus dem Jahr 2009 machen sich 41 % der Bürger Sorgen darüber, im Krankheitsfall eine notwendige Behandlung aus Kostengründen nicht verschrieben zu bekommen.7 Dabei handelt es sich um ein in den Medien häufig diskutiertes und kritisiertes Problem. Stellvertretend dafür steht etwa folgender Fall:8 Jährlich erleiden 15.000 Menschen in der BRD einen Hörsturz. Die meisten von ihnen gesunden. So dachte sich die Rentnerin Frau X. nichts Schlimmes, als der HNO-Arzt bei ihr diese plötzlich aufgetretene Störung feststellte. Als es aber an die Therapie dieses vermeintlichen Allerweltsproblems ging, staunte die Patientin. Sie sollte die Infusionen, die der Arzt
Vgl. Laufs, in: Laufs/Kern (Hrsg.), Handbuch des Arztrechts, § 2 Rdn. 5 f. Dietzel, DÄBl. 2002, A-1417. 3 Katzenmeier, Arzthaftung, S. 11. 4 Laufs, in: Laufs/Kern (Hrsg.), Handbuch des Arztrechts, § 2 Rdn. 5 f.; ausführlich unten 13. Kapitel, C. II. 2. 5 Laufs, in: Laufs/Kern (Hrsg.), Handbuch des Arztrechts, § 2 Rdn. 9; vgl. hierzu auch die aktuelle Stellungnahme des Deutschen Ethikrates zu Nutzen und Kosten im Gesundheitswesen, in: Deutscher Ethikrat (Hrsg.), Nutzen und Kosten im Gesundheitswesen, S. 7 ff. 6 Ausführlich Laufs, in: Laufs/Kern (Hrsg.), Handbuch des Arztrechts, § 2 Rdn. 7 ff.; aus dem aktuellen Schrifttum Felix, MedR 2011, 67. 7 MLP-Gesundheitsreport 2009, S. 16; abrufbar unter http://www.mlp.de (abgerufen am: 27.10.2010). 8 Beispiel nach Halpert/Henkel/Kallinger/Mayer/Schweighöfer/Weber-Lamberdiere, Focus, Nr. 51 vom 14.12.2009, S. 22. 1 2
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12. Kap.: Einführung in die Problematik
für angezeigt hielt, privat bezahlen. Auch andere, unter Umständen wirksame Behandlungen, würde die Kasse nicht übernehmen. Im Fall der Frau X. ergaben sich infolgedessen Kosten von 50 € für die erforderliche Arznei und fünfmal je 10 € für das Anlegen der Infusion durch den Arzt. Die Patientin beklagte sich, dass ihr Hörsturz zwar gelindert, jedoch nicht vollständig ausgeheilt sei. Für weitere Infusionen fehle ihr jedoch schlichtweg das Geld. Deswegen habe sie sich entschieden, mit den verbleibenden Einschränkungen zu leben. Die „Regierung“ verbiete ihr die Therapie, habe ihr ein freundlicher Herr von der Krankenkasse erklärt.
Obwohl die Darstellung der Situation der Patientin an dieser Stelle von subjektiven Einschätzungen geprägt ist, verdeutlicht sie die Relevanz der dahinter stehenden juristischen Fragestellung. Diese zeigt sich auch an der aktuellen Diskussion um den Beschluss des G-BA zur Positronenemissionstherapie (PET).9 Dort wurde festgelegt, dass die fragliche Therapie künftig sowohl im ambulanten, als auch im stationären Sektor nur noch bestimmten Patienten zur Verfügung stehen soll.10 Aus Sicht der DKG bedeutet dies eine „nachhaltige Verschlechterung“ der Versorgung der betroffenen Patienten. Zufrieden zeigte sich hingegen der GKVSpitzenverband, dessen Vorstandsvorsitzende erklärte, dass Untersuchungs- und Behandlungsmethoden nur dann in die Versorgung gehörten, wenn ihr Nutzen und ihre Unbedenklichkeit in Studien nachgewiesen sei.11 Angesichts des stetig steigenden Angebots medizinischer Leistungen und den immer knapper werdenden finanziellen Mitteln, drängt sich die Frage auf, wann und unter welchen Voraussetzungen die Versicherten die Untersuchung oder Behandlung mit einer neuen medizinischen Methode durch einen Vertragsarzt von ihrer Krankenkasse beanspruchen können. Die Beantwortung dieser Frage erfolgt in drei Schritten. Zunächst werden die allgemeinen Voraussetzungen des Leistungsanspruchs des Versicherten im Krankheitsfall dargestellt. Darauf aufbauend erfolgt eine Erörterung der gesetzlich vorgesehenen Verfahren zur Integration neuer Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden in den Versorgungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung. In einem letzten Schritt soll das Augenmerk auf den konkreten Ablauf des Verfahrens gerichtet werden, das der G-BA zur Methodenbewertung durchführt.
9
Beschluss vom 21.10.2010, abrufbar unter http://www.g-ba.de (abgerufen am: 11.11.2010), informativ zu dieser Thematik DÄBl. 2010, A-2078. 10 Dazu Rieser, DÄBl. 2010, B-1807. 11 Rieser, DÄBl. 2010, B-1807 unter Berufung auf Aussagen des Hauptgeschäftsführers der DKG, Georg Baum, und der Vorstandsvorsitzenden des GKV-Spitzenverbandes, Dr. Doris Pfeiffer.
13. Kapitel: Der Anspruch des GKV-Versicherten auf Krankenbehandlung A. Leistungsanspruch im Krankheitsfall Der Leistungsanspruch des GKV-Versicherten auf Krankenbehandlung aus den §§ 27 ff. SGB V beruht auf dem Sach- bzw. Naturalleistungsprinzip (§ 2 II 1 SGB V). Dieses bezweckt die Freistellung der Versicherten von der Last der Behandlungskosten und verpflichtet die Krankenkassen dazu, ihnen medizinische Leistungen zur Verfügung zu stellen.12 Diese schulden den Versicherten im Grundsatz „nur“ die Krankenbehandlung und keinen Geldersatz.13 Die Bereitstellung der im Krankheitsfall benötigten medizinischen Versorgung ist aus diesem Grund die zentrale Aufgabe der gesetzlichen Krankenkassen.14 Welche konkreten Leistungen der Krankenbehandlungsanspruch des Versicherten umfasst, lässt sich jedoch nicht direkt aus dem SGB V ableiten. Daher bedarf es bestimmter Mechanismen, die eine Konkretisierung der dort enthaltenen Vorgaben ermöglichen. Deswegen hat das BSG das sog. „Rechtskonkretisierungskonzept“ entwickelt, wonach die nähere Ausgestaltung des Leistungsumfangs durch das Zusammenwirken der Krankenkassen mit den zur ärztlichen Versorgung zugelassenen Leistungserbringern mittels kollektivvertraglicher Regelungen auf Verbandsebene erfolgt. Als wichtigstes Regelungsinstrumentarium erweisen sich in diesem Zusammenhang die bereits im vorherigen Kapitel dargestellten Richtlinien des G-BA, welche nicht nur den Inhalt der Leistungspflicht der Krankenkassen, sondern auch den Inhalt des Leistungsanspruchs der Versicherten abschließend konkretisieren.
B. Ausgangspunkt: Rahmenrecht auf Krankenbehandlung § 27 I 1 SGB V ist die Grundnorm des Leistungsrechts des SGB V.15 Sie räumt dem Versicherten ihrem Wortlaut nach einen „Anspruch“ auf Krankenbehandlung ein. Dennoch geht das BSG in inzwischen gefestigter Rechtsprechung16 davon aus, dass es sich bei § 27 I 1 SGB V nicht um einen vollwertigen Anspruch i.S.d. 12 Vgl. Muckel, Sozialrecht, § 8 Rdn. 65; instruktiv auch BSGE 55, 188 (193); Steege, in: Hauck/Noftz (Hrsg.), SGB V, § 27 Rdn. 91 ff. 13 Eichenhofer, Sozialrecht, § 16 Rdn. 368; Igl/Welti, Sozialversicherungsrecht, § 17 Rdn. 41. 14 Steege, in: von Wulffen/Krasney (Hrsg.), FS 50 Jahre BSG, S. 517. 15 Lang, in: Becker/Kingreen (Hrsg.), SGB V, § 27 Rdn. 2; Höfler, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 27 Rdn. 5 ff.; Mrozynski, in: Wannagat (Begr.), SGB V, § 27 Rdn. 1.
C. Zimmermann, Der Gemeinsame Bundesausschuss, Kölner Schriften zum Medizinrecht, DOI 10.1007/978-3-642-22752-3_13, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
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13. Kap.: Der Anspruch des GKV-Versicherten auf Krankenbehandlung
§ 194 I BGB, sondern lediglich um ein subjektiv öffentliches Rahmenrecht handelt.17 Die Vorschrift regele – wie schon aus ihrem Wortlaut zu ersehen sei – nur Teilelemente einer gesetzlichen Anspruchsgrundlage. Eine solche sei erst dann vorhanden, wenn dem [Gesetzes-]Text (durch Auslegung) entnommen werden könne, unter welchen Voraussetzungen ein Berechtigter das Recht habe, von dem Verpflichteten ein konkretes Tun, d.h. eine konkrete Handlung zu verlangen (§ 194 I BGB).18 Dies begründe sich aus der medizinisch-wissenschaftlichen Komplexität der Reglungsmaterie. Vor allem die Ergebnisse des sich in ständigem Fluss befindlichen Prozesses der medizinischen Erkenntnis in Diagnostik und Therapie entzögen sich schon wegen ihrer Dynamik weitgehend der parlamentsgesetzlichen Fixierung in einer konkreten Anspruchsgrundlage. Das SGB V würde bei einer zu sehr ins einzelne gehenden Ausgestaltung von Ansprüchen wegen der mit einer parlamentsgesetzlichen Festlegung verbundenen Statik sogar Gefahr laufen, sein Hauptziel zu verfehlen, das darin bestünde, kranken Versicherten die nach dem jeweils anerkannten Stand medizinischen Fortschritts notwendige Krankenbehandlung zuteil werden zu lassen.19 Bei der Bezeichnung „Rahmenrecht“ handelt es sich nicht um eine begriffliche Neuschöpfung des BSG.20 Im Zivilrecht werden darunter Rechtspositionen verstanden, die dem Rechtskreis einer bestimmten Person zugeordnet werden, aber nicht so fest und klar umrissen sind wie die absoluten Rechte, sondern eine gewisse „Unschärfe“ aufweisen.21 Der Begriff des Rahmenrechts dient dort allerdings der Unterscheidung von den absolut geschützten Rechten22 und hilft aus diesem Grund bei der dogmatischen Einordnung der gleichnamigen Konstruktion des BSG im Sozialrecht, als Teil des öffentlichen Rechts, nicht weiter.23 Das BSG legt jedoch dar, dass es sich bei § 27 I 1 SGB V nicht um eine gesetzliche Anspruchsgrundlage handele, weil der Norm nicht entnommen werden könne, unter welchen Voraussetzungen der Berechtigte das – gerichtlich durchsetzba-
16
So ausdrücklich BSGE 81, 54 (61) m.w.N. Siehe etwa BSGE 73, 271 (278 ff.); BSGE 81, 54 (60 ff.) m.w.N.; dazu Schwerdtfeger, NZS 1998, 49; Neumann, SGb 1998, 609 ff.; Francke, SGb 1999, 5 ff.; Steege, in: von Wulffen/Krasney (Hrsg.), FS 50 Jahre BSG, S. 517 (518 f.); Höfler, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 27 Rdn. 6: Mrozynski, in: Wannagat (Begr.), SGB V, § 27 Rdn. 4; Knispel, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching (Hrsg.), BeckOK SGB V, § 27 Rdn. 14 m.w.N. 18 BSGE 73, 271 (278); zum Begriff des Anspruchs Niedenführ, in: Soergel (Begr.), BGB, § 194 Rdn. 1 ff., der darauf hinweist, dass für den Begriff des Anspruchs die Bestimmtheit des Berechtigten, des Verpflichteten und des Inhalts wesentlich sei; ähnlich Peters, in: Staudinger (Hrsg.), BGB, § 194 Rdn. 1 ff. 19 BSGE 73, 271 (280). 20 Vgl. Neumann, SGb 1998, 609 (611). 21 Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht, Rdn. 1571. 22 Vgl. Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht, Rdn. 1571; weiterführend Medicus, Allgemeiner Teil des BGB, §§ 10, 11. 23 Vgl. dazu auch Neumann, SGb 1998, 609 (611). 17
C. Voraussetzungen des Rahmenrechts auf Krankenbehandlung
167
re24 – Recht habe, von dem Verpflichteten ein konkretes Tun zu verlangen (§ 194 I BGB).25 Die Bedeutung des Begriffs „Rahmenrecht“ im Kontext des SGB V ergibt sich folglich aus dessen Gegenüberstellung mit dem Begriff „Anspruch“. Im Gegensatz zu diesem ist das „Rahmenrecht“ für sich betrachtet nicht einklagbar.26 In der Literatur wird daher erwogen, es mit dem herkömmlichen subjektiv-öffentlichen Recht gleichzustellen.27 Es liege auf der Hand, dass die Normen des SGB V zumindest auch dem Schutz der individuellen Interessen des Bürgers dienten.28
C. Voraussetzungen des Rahmenrechts auf Krankenbehandlung Aus der Qualifikation des § 27 I 1 SGB V als Rahmenrecht unter Verneinung seiner Anspruchsqualität ergibt sich die begriffliche Besonderheit, dass die Norm dem Grunde nach nicht über Anspruchsvoraussetzungen, sondern lediglich über bloße (Rechts-)Voraussetzungen verfügt, die in ihrer Summe zur Entstehung des Rahmenrechts beim Rechtsinhaber führen. Die Versicherten haben nach dem Wortlaut des § 27 I 1 SGB V einen „Anspruch“ auf Krankenbehandlung, wenn diese notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Erforderlich ist zunächst, dass derjenige, der Krankenbehandlung begehrt, zum Versichertenkreis der GKV gehört. Zudem muss der Versicherungsfall „Krankheit“ vorliegen und die Krankenbehandlung zur Erreichung eines gesetzlichen Behandlungsziels notwendig sein. Je nach Art der begehrten Krankenbehandlung hängt das Entstehen des Rahmenrechts außerdem von den speziellen Voraussetzungen der §§ 28 ff. SGB V ab.
I. Versicherteneigenschaft, §§ 5 – 10 SGB V Die Versicherteneigenschaft bildet den Rechtsgrund zum Bezug von Versicherungsleistungen nach dem SGB V.29 Diese personelle Beschränkung des Rahmenrechts auf Krankenbehandlung ergibt sich nicht nur aus § 27 I 1 SGB V, sondern auch aus § 2 I 1 SGB V, der vorsieht, dass die Krankenkassen nur den Versicherten die im 3. Kapitel des SGB V genannten Leistungen zur Verfügung stellen. Die Versicherteneigenschaft bemisst sich nach den §§ 5 – 10 SGB V. Als Hauptgrund der Mitgliedschaft in der GKV statuiert § 5 I SGB V eine Versiche24
Hervorhebung durch den Verfasser. Vgl. BSGE 73, 271 (278). 26 Vgl. Neumannn, SGb 1998, 609 (612). 27 So Neumann, SGb 1998, 609 (612). 28 Neumann, SGb 1998, 609 (612). 29 BSGE 45, 11 (13); dazu Höfler, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 27 Rdn. 8. 25
168
13. Kap.: Der Anspruch des GKV-Versicherten auf Krankenbehandlung
rungspflicht für bestimmte Personengruppen.30 Diese erfasst hauptsächlich Arbeitnehmer (§ 5 I Nr. 1 SGB V) und tritt kraft Gesetzes ein, soweit keine Ausnahmetatbestände eingreifen.31 Zudem erstreckt sich der Versicherungsschutz der gesetzlichen Krankenversicherung unter den Voraussetzungen des § 10 SGB V auf den Ehegatten oder Lebenspartner und Kinder des Mitglieds.32
II. Versicherungsfall: Krankheit im sozialversicherungsrechtlichen Sinn Der Versicherungsfall ist der Auslöser für den Leistungsanspruch des Versicherten.33 Er bezeichnet einen Komplex von Umständen, in denen sich das Versicherungsrisiko verwirklicht und vor dem der Versicherte geschützt sein soll.34 Der Versicherungsfall der gesetzlichen Krankenversicherung besteht naturgemäß in der Krankheit im sozialversicherungsrechtlichen Sinn (§ 27 I 1 SGB V).35 Ihr kommt die Funktion zu, die GKV von anderen Sozialversicherungszweigen abzugrenzen und das versicherte Risiko zu konkretisieren.36 Umso erstaunlicher ist es, dass es an deren Legaldefinition im SGB V gänzlich fehlt.37 Vielmehr hat der Gesetzgeber bei der Kodifikation des Gesetzes ausdrücklich auf eine Definition der Krankheit im sozialversicherungsrechtlichen Sinn verzichtet.38 Damit sollte dem stetigen Wandel des Begriffs mit dem medizinischen Fortschritt und den gesellschaftlichen Anschauungen Rechnung getragen werden.39 Weitergelten sollte jedoch derjenige Krankheitsbegriff, der sich in Rechtsprechung und Praxis zum damaligen Zeitpunkt herausgebildet hatte:40
30 31 32
Ausführlich Fuchs, in: Fuchs/Preis (Hrsg.), Sozialversicherungsrecht, § 18 II., S. 248 ff. Peters, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 5 Rdn. 206. Ausführlich Fuchs, in: Fuchs/Preis (Hrsg.), Sozialversicherungsrecht, § 18 III., S. 258
ff. 33
BSGE 59, 198 (200). Mrozynski, in: Wannagat (Begr.), SGB V, § 27 Rdn. 2; Adelt/Kraftberger, in: Kruse/Hänlein (Hrsg.), SGB V, § 27 Rdn. 3; Höfler, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 27 Rdn. 7. 35 Dazu Mrozynski, in: Wannagat (Begr.), SGB V, § 27 Rdn. 3. 36 Adelt/Kraftberger, in: Kruse/Hänlein (Hrsg.), SGB V, § 27 Rdn. 4 m.w.N. 37 Eichenhofer, SGb 1994, 500 (501). 38 BT-Drs. 11/2237, S. 170 39 So die ausdrückliche Begründung des Gesetzgebers in BT-Drs. 11/2237, S. 170; dazu Adelt/Kraftberger, in: Kruse/Hänlein (Hrsg.), SGB V, § 27 Rdn. 9 ff. 40 Vgl. BT-Drs. 11/2237, S. 170; Höfler, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 27 Rdn. 9 ff.; Adelt/Kraftberger, in: Kruse/Hänlein (Hrsg.), SGB V, § 27 Rdn. 9; Ebsen, in: v. Maydell/Ruland/Becker (Hrsg.), SRH, § 27 Rdn. 4; allgemein zum Krankheitsbegriff Laufs, in: Laufs/Kern (Hrsg.), Handbuch des Arztrechts, § 1 Rdn. 17 ff. 34
C. Voraussetzungen des Rahmenrechts auf Krankenbehandlung
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Krankheit im sozialversicherungsrechtlichen Sinn ist ein regelwidriger körperlicher oder geistiger Zustand, dessen Eintritt entweder die Notwendigkeit von Heilbehandlung des Versicherten oder lediglich seine Arbeitsunfähigkeit oder beides zugleich zur Folge hat.41 Durch das Kriterium des regelwidrigen körperlichen oder geistigen Zustandes wird das Bedürfnis des einzelnen Versicherten nach Gesundheit in die gesetzliche Krankenversicherung eingebracht.42 Daran knüpft das Kriterium der Behandlungsbedürftigkeit an, welches den Krankheitsbegriff an den Möglichkeiten und Zielen der Gesellschaft ausrichtet.43 Auf diese Weise werden die persönlichen Belange des einzelnen Versicherten mit denjenigen der Versichertengemeinschaft in Ausgleich gebracht. Dies ist charakteristisch für die Solidargemeinschaft, als welche sich die gesetzliche Krankenversicherung darstellt. Im Mittelpunkt steht hier die Schaffung eines Personenkreises von Versicherten, zwischen denen ein finanzieller Ausgleich stattfindet.44 Da sich die Definition des Krankheitsbegriffs aus zwei Kriterien zusammensetzt, spricht man im Sozialrecht zusammenfassend von einem „zweigliedrigen Krankheitsbegriff“.45 Es ist jedoch anerkannt, dass diese beiden Komponenten um das Kriterium der „Behandlungsfähigkeit“ erweitert werden müssen.46 Kein Konsens besteht allerdings darüber, ob es sich dabei um eine eigenständige dritte Komponente des Krankheitsbegriffs oder lediglich um einen Bestandteil des Kriteriums der Behandlungsbedürftigkeit handelt. In der Praxis werden die beiden Begriffe nicht immer unterschieden und oft nebeneinander verwendet.47 1. Regelwidriger körperlicher oder geistiger Zustand Als erste Komponente erfordert der sozialrechtliche Krankheitsbegriff die Regelwidrigkeit des Zustandes des Versicherten. Maßstab der Regelwidrigkeit ist das Leitbild des gesunden Menschen, der zur Ausübung normaler körperlicher und 41 Vgl. BT-Drs. 11/2237, S. 170; BSGE 26, 240 (242); BSGE 35, 10 (12); BSGE 39, 167 (168); BSGE 62, 83; BSGE 72, 96 (98); BSGE 85, 36 (38); BSGE 90, 289 (290); BSGE 100, 119 (120); Lang, in: Becker/Kingreen (Hrsg.), SGB V, § 27 Rdn. 10; informativ zur Entwicklung des Krankheitsbegriffs Eichenhofer, SGb 1994, 500 m.w.N.; zur neueren Rechtsprechung Kingreen, NJW 2010, 3408 (3410). 42 Höfler, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 27 Rdn. 9a. 43 Höfler, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 27 Rdn. 9a. 44 Becker/Kingreen, in: dies. (Hrsg.), SGB V, § 1 Rdn. 4. 45 Höfler, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 27 Rdn. 9a; Mrozynski, in: Wannagat (Begr.), SGB V, § 27 Rdn. 11; krit. Follmann, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), jurisPK-SGB V, § 27 Rdn. 42. 46 Höfler, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 27 Rdn. 19 ff.; Knispel, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching (Hrsg.), BeckOK SGB V, § 27 Rdn. 21; Lang, in: Becker/Kingreen (Hrsg.), SGB V, § 27 Rdn. 26; Follmann, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), jurisPK-SGB V, § 27 Rdn. 42; Fuchs, in: Fuchs/Preis (Hrsg.), Sozialversicherungsrecht, § 19 II. 2., S. 282 f.; Muckel, Sozialrecht, § 8 Rdn. 94; Eichenhofer, Sozialrecht, § 16 Rdn. 365. 47 Höfler, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 27 Rdn. 25 m.w.N.
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13. Kap.: Der Anspruch des GKV-Versicherten auf Krankenbehandlung
psychischer Funktionen in der Lage ist.48 Weicht der körperliche oder geistige Zustand eines Menschen von diesem Leitbild ab, ist dieser als regelwidrig zu betrachten.49 Allerdings wird das Leitbild des gesunden Menschen nicht durch eine morphologische oder psychische Idealnorm geprägt.50 Nach der Rechtsprechung des BSG kommt es deswegen bei der Bestimmung der Regelwidrigkeit eines Zustandes maßgeblich darauf an, ob dieser zu einer Funktionsuntauglichkeit der körperlichen oder geistigen Funktionen des Betroffenen führt.51 Somit ist nicht jede Abweichung vom Leitbild des gesunden Menschen von sozialversicherungsrechtlicher Relevanz.52 Das Kriterium erlangt dadurch den Charakter einer Erheblichkeitsschwelle, die dazu dient, bedeutungslose Abweichungen vom Leitbild des gesunden Menschen aus dem sozialversicherungsrechtlichen Krankheitsbegriff auszuschließen.53 2. Behandlungsfähigkeit des regelwidrigen Zustandes Liegt ein regelwidriger Körper- oder Gesundheitszustand vor, erfordert die Erfüllung des sozialrechtlichen Krankheitsbegriffs, dass dieser behandlungsfähig ist. Dieses Kriterium ist dem Merkmal der Behandlungsbedürftigkeit logisch vorgeschaltet. Behandlungsbedürftig kann grundsätzlich nur ein solcher Zustand sein, der auch behandlungsfähig ist.54 Dies erfordert nach der Rechtsprechung des BSG, dass der regelwidrige Zustand des Versicherten einer Krankenbehandlung mit Mitteln des § 27 I SGB V zugänglich ist.55 48 BSGE 35, 10 (12); BSGE 59, 119 (121); Höfler, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 27 Rdn. 12 ff.; Adelt/Kraftberger, in: Kruse/Hänlein (Hrsg.), SGB V, § 27 Rdn. 13; Muckel, Sozialversicherungsrecht, § 8 Rdn. 90. 49 Vgl. statt vieler BSGE 26, 240 (242); BSGE 35, 10 (12); BSGE 59, 119 (120); BSGE 90, 289 (290); siehe auch Lang, in: Becker/Kingreen (Hrsg.), SGB V, § 27 Rdn. 11; Einzelfälle bei Höfler, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 27 Rdn. 12 ff.; Fuchs, in: Fuchs/Preis (Hrsg.), Sozialrecht, § 19 II. 2., S. 282; vgl. zur neueren Rechtsprechung Kingreen, NJW 2010, 3408 (3410). 50 Vgl. Follmann, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), jurisPK-SGB V, § 27 Rdn. 37 m.w.N.; Knispel, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching (Hrsg.), BeckOK SGB V, § 27 Rdn. 7. 51 Vgl. BSGE 35, 10 (12). 52 BSGE 93, 252 (253) m.w.N.; daran anschließend BSGE 100, 119 (120 ff.): „Krankheitswert im Rechtssinne kommt nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit zu. Erforderlich ist vielmehr, dass der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt wird oder dass er an einer Abweichung vom Regelfall leidet, die entstellend wirkt.“ 53 Vgl. Höfler, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 27 Rdn. 12a, 19 ff., der diese Erheblichkeitsschwelle allerdings beim Merkmal der Behandlungsbedürftigkeit verortet; ähnlich Adelt/Kraftberger, in: Kruse/Hänlein (Hrsg.), SGB V, § 27 Rdn. 13 ff. (15). 54 Vgl. hierzu auch Muckel, Sozialrecht, § 8 Rdn. 94; Steege, in: Hauck/Noftz (Hrsg.), SGB V, § 27 Rdn. 50. 55 BSG NJW 1975, 2267 (2268); BSG GesR 2006, 370 (371); Knispel, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching (Hrsg.), BeckOK SGB V, § 27 Rdn. 21; Höfler, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 27 Rdn. 21 ff.; Lang, in: Becker/Kingreen (Hrsg.), SGB V, § 27 Rdn. 26 m.w.N.
C. Voraussetzungen des Rahmenrechts auf Krankenbehandlung
171
Der Versicherungsfall des SGB V setzt somit nicht nur eine bestimmte körperliche oder geistige Konstitution des Versicherten voraus, sondern bezieht auch das Leistungsspektrum und die Behandlungsziele des Krankenversicherungsrechts in die Begriffsdefinition mit ein.56 Das innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung verfügbare Leistungsspektrum ist aus diesem Grund schon auf Tatbestandsebene zu berücksichtigen. Dies führt zu der bemerkenswerten Konsequenz, dass der Integration neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in den Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung nicht nur auf der Rechtsfolgenseite des Anspruchs auf Krankenbehandlung, sondern bereits auf Tatbestandsebene entscheidende Bedeutung zukommt. Wird das Leistungsspektrum durch die Integration neuer Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden in den Behandlungsanspruch des Versicherten erweitert, kann dies gleichzeitig eine Ausweitung der Behandlungsfähigkeit regelwidriger körperlicher oder geistiger Zustände und damit eine Erweiterung des sozialrechtlichen Krankheitsbegriffs bedeuten.57 Darin zeigt sich dessen Offenheit gegenüber neuen Entwicklungen.58 Umgekehrt kann der Fall eintreten, dass ein regelwidriger körperlicher oder geistiger Zustand bei einem Versicherten diagnostiziert wird, für den keine adäquate Behandlungsmethode verfügbar ist. In diesem Fall kommt es zu dem paradoxen Ergebnis, dass der Versicherte zwar im medizinischen, nicht jedoch im sozialversicherungsrechtlichen Sinn „krank“ ist. Daran zeigt sich, dass es sich beim sozialrechtlichen Krankheitsbegriff um einen „rechtlichen Zweckbegriff“ handelt, der von seiner Funktion geprägt wird, die in der Bestimmung des Versicherungsrisikos und der Auslösung der Leistungspflicht besteht.59 Dies darf jedoch nicht zu dem Fehlschluss verleiten, dass Behandlungen bei infauster Prognose oder Sterbenden nicht vom Leistungsumfang der GKV umfasst sind.60 In diesem Bereich ist – nicht zuletzt infolge des Nikolaus-Beschlusses des BVerfG61 – äußerste Sensibilität geboten. 3. Behandlungsbedürftigkeit des regelwidrigen Zustandes Neben der Regelwidrigkeit eines körperlichen oder geistigen Zustandes und dessen Behandlungsfähigkeit erfordert der sozialrechtliche Krankheitsbegriff, dass dieser Zustand ärztlicher Behandlung bedarf. Das ist gegeben, wenn der regelwidrige Körper- oder Geisteszustand die körperlichen oder geistigen Funktionen in so 56
Fuchs, in: Fuchs/Preis (Hrsg.), Sozialversicherungsrecht, § 19 II. 2., S. 282. Vgl. Höfler, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 27 Rdn. 27; vgl. auch Follmann, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), jurisPK-SGB V, § 27 Rdn. 31: „Die Anpassung an die fortschreitende medizinische Entwicklung erfolgt in der Regel im Rahmen der einzelnen Begriffsmerkmale. Die Ausweitung der therapeutischen Möglichkeiten schlägt sich insbesondere im Merkmal der Behandlungsbedürftigkeit nieder.“ 58 Höfler, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 27 Rdn. 27. 59 Höfler, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 27 Rdn. 9. 60 Lang, in: Becker/Kingreen (Hrsg.), SGB V, § 27 Rdn. 26 m.w.N.; Muckel, Sozialrecht, § 8 Rdn. 94; weiterführend Steege, in: Hauck/Noftz (Hrsg.), SGB V, § 27 Rdn. 51. 61 BVerfGE 115, 25. 57
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13. Kap.: Der Anspruch des GKV-Versicherten auf Krankenbehandlung
erheblichem Maße beeinträchtigt, dass die Erreichung der Behandlungsziele des § 27 I 1 SGB V nur durch ärztliche Behandlung möglich ist.62 Im Umkehrschluss ist die Behandlungsbedürftigkeit regelmäßig dann abzulehnen, wenn begründete Aussicht besteht, dass der regelwidrige Körper- oder Geisteszustand sich auch ohne ärztliche Hilfe normalisiert.63 Die Feststellung der Behandlungsbedürftigkeit erfolgt auf der Grundlage einer ärztlichen Prognose, die alle Umstände des Einzelfalls einbezieht.64 4. Kausalität zwischen dem regelwidrigen Körper- oder Gesundheitszustand und der Behandlungsbedürftigkeit Als ungeschriebenes Merkmal verlangt der sozialrechtliche Krankheitsbegriff einen Kausalzusammenhang zwischen dem regelwidrigen Körper- oder Geisteszustand und der Behandlungsbedürftigkeit. Nach der im Sozialrecht vorherrschenden Relevanztheorie ist ein regelwidriger Körper- oder Geisteszustand dann ursächlich oder mitursächlich für die Behandlungsbedürftigkeit, wenn er im Verhältnis zu anderen Einzelbedingungen wegen seiner besonderen Beziehungen zum Erfolg dessen Eintritt wesentlich mitbewirkt hat.65
III. Notwendigkeit der Krankenbehandlung Nach dem Wortlaut des § 27 I 1 SGB V muss die Krankenbehandlung notwendig sein, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder die Krankheitsbeschwerden zu lindern.66 Dazu muss gerade die beanspruchte Leistung nach Art und Ausmaß zur Erreichung eines der Behandlungsziele des § 27 I 1 SGB V zwangsläufig unentbehrlich und unvermeidlich sein.67 Dies entspricht weitgehend dem Kriterium der „Behandlungsbedürftigkeit“, welches bereits im Rahmen des sozialrechtlichen Krankheitsbegriffs Beachtung findet. Uneinigkeit besteht infolgedessen darüber, ob dem Merkmal der Notwendigkeit überhaupt ein eigener dogmatischer Gehalt zukommt.68 Teilweise wird argumentiert, dass die Frage der Notwendigkeit einer Krankenbehandlung von derjenigen der Behandlungsbedürftigkeit abzugrenzen sei.69 Nach dieser Auffassung ist die 62
Höfler, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 27 Rdn. 21; vgl. ausführlich zu dieser Erheblichkeitsschwelle BSGE 100, 119 (120 ff.). 63 BSGE 35, 10 (12). 64 Vgl. Adelt/Kraftberger, in: Kruse/Hänlein (Hrsg.), SGB V, § 27 Rdn. 17 m.w.N. 65 BSGE 33, 202 (204); Adelt/Kraftberger, in: Kruse/Hänlein (Hrsg.), SGB V, § 27 Rdn. 21 ff. 66 Adelt/Kraftberger, in: Kruse/Hänlein (Hrsg.), SGB V, § 27 Rdn. 50 ff., 57. 67 Engelhard, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), jurisPK-SGB V, § 12 Rdn. 88 m.w.N. 68 Dazu Fastabend, NZS 2002, 299 (300) m.w.N.; Follmann, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), jurisPK-SGB V, § 27 Rdn. 44; zur Gegenauffassung Engelhard, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), jurisPK-SGB V, § 12 Rdn. 83 ff. 69 Ausführlich Engelhard, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), jurisPK-SGB V, § 12 Rdn. 83 ff.
C. Voraussetzungen des Rahmenrechts auf Krankenbehandlung
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Behandlungsbedürftigkeit der Bestimmung der Notwendigkeit einer Krankenbehandlung als Definitionsmerkmal des sozialrechtlichen Krankheitsbegriffs vorgelagert. Bestehe keine Behandlungsbedürftigkeit, sei eine Behandlungsmaßnahme zwar begrifflich nicht notwendig, es fehle in diesem Fall aber bereits am Vorliegen einer Krankheit im sozialversicherungsrechtlichen Sinn, was den Anspruch aus § 27 I 1 SGB V bereits auf Tatbestandsebene ausschlösse und die Frage ihrer Wirtschaftlichkeit – und damit auch ihrer Notwendigkeit – entbehrlich mache.70 Das BSG gebraucht die Begriffe der Behandlungsbedürftigkeit, Notwendigkeit und Erforderlichkeit in seiner Rechtsprechung dagegen weitgehend synonym,71 was dazu führt, dass dem Kriterium der Notwendigkeit außerhalb des vorherrschenden zweigliedrigen Krankheitsbegriffs keine eigenständige Bedeutung zukommt.
IV. Erforderlichkeit weiterer Voraussetzungen nach § 27 I 2 SGB V i.V.m. §§ 28 ff. SGB V Ob weitere Voraussetzungen zur Entstehung des Rahmenrechts auf Krankenbehandlung erforderlich sind, richtet sich nach der Art der Krankenbehandlung, die der Versicherte im Einzelfall begehrt.72 Begibt sich der Versicherte in die Behandlung eines Vertragsarztes, so folgen die weiteren Voraussetzungen zur Entstehung des Rahmenrechts aus § 28 SGB V. Begehrt er dagegen eine Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus, resultieren die weiteren Voraussetzungen aus § 39 SGB V. 1. Recht auf ambulante Versorgung, § 27 I 2 SGB V i.V.m. § 28 SGB V Für den „Anspruch“ auf Krankenbehandlung im ambulanten Bereich ist § 28 SGB V einschlägig. Die Norm definiert jedoch lediglich den Inhalt der ambulanten ärztlichen Versorgung73 ohne weitere Voraussetzungen an die Entstehung des Rahmenrechts auf Krankenbehandlung zu knüpfen. § 15 II SGB V sieht jedoch vor, dass die ärztliche Behandlung grundsätzlich nur durch Ärzte gegen Vorlage einer Versichertenkarte erfolgen darf.74 Ärzte i.S.d. Norm sind nur solche Personen, die nach den Regeln des ärztlichen Berufsrechts approbiert bzw. bestellt sind.75
70
Vgl. Engelhard, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), jurisPK-SGB V, § 12 Rdn. 83. Dazu Fastabend, NZS 2002, 299 (300) m.w.N.; Follmann, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), jurisPK-SGB V, § 27 Rdn. 44. 72 Vgl. allgemein Wagner, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, SGB V, § 27 Rdn. 31. 73 Vgl. Höfler, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 28 Rdn. 2; Wagner, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, SGB V, § 28 Rdn. 2. 74 Dazu Fuchs, in: Fuchs/Preis (Hrsg.), Sozialversicherungsrecht, § 20 III. 2., S. 299 ff. 75 Wagner, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, SGB V, § 28 Rdn. 5; Höfler, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 15 Rdn. 4. 71
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13. Kap.: Der Anspruch des GKV-Versicherten auf Krankenbehandlung
Unter den zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen oder ermächtigten Ärzten können die Versicherten nach § 76 I SGB V frei wählen.76 2. Recht auf stationäre Versorgung, § 27 I 2 SGB V i.V.m. § 39 SGB V Für den „Anspruch“ des Versicherten auf vollstationäre Krankenhausbehandlung77 ist § 39 I 2 SGB V einschlägig.78 Er umfasst nach § 39 I 3 SGB V alle Leistungen im Rahmen des Versorgungsauftrags des Krankenhauses, die im Einzelfall nach Art und Schwere der Krankheit für die medizinische Versorgung des Versicherten im Krankenhaus notwendig sind, insbesondere die ärztliche Behandlung, Krankenpflege, Versorgung mit Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln, Unterkunft und Verpflegung. Die Krankenhausbehandlung stellt aus diesem Grund – im Gegensatz zur ambulanten Behandlung – eine komplexe Sachleistung dar.79 Dadurch, dass § 39 I 3 SGB V dem Versicherten das Rahmenrecht auf Krankenbehandlung im Krankenhaus nur eröffnet, wenn die Krankenhausbehandlung nach Art und Schwere der Krankheit für die Versorgung notwendig ist, findet eine Modifikation des allgemeinen sozialrechtlichen Krankheitsbegriffs statt. Es wird eine Erheblichkeitsschwelle statuiert, die erst überschritten werden muss, damit dem Versicherten Formen der stationären Behandlung zuteil werden können. Den Versicherten steht unter den zugelassenen Krankenhäusern grundsätzlich ein Wahlrecht zu.80 Dieses unterliegt jedoch gewissen Einschränkungen.81 So regelt § 73 IV 3 SGB V, dass in der vertragsärztlichen Verordnung der Krankenhausbehandlung in geeigneten Fällen die beiden nächsterreichbaren Krankenhäuser anzugeben sind.82 Daran anschließend erlaubt es § 39 II SGB V, dass den Versicherten die Mehrkosten ganz oder teilweise auferlegt werden können, wenn sie ohne zwingenden Grund ein anderes als in der ärztlichen Einweisung (§ 73 IV SGB V) genanntes Krankenhaus wählen.83 Auf diese Weise lässt § 39 II SGB V die Wahl eines beliebigen Krankenhauses zwar zu, erlegt den Versicherten aber unter bestimmten Umständen die Kosten auf, die durch die Inanspruchnahme eines weiter entfernten Krankenhauses entstehen können.84 § 39 III 1 SGB V ordnet die Erstellung eines Verzeichnisses über Leistungen und Entgelte der Krankenhäuser in der Region an. Nach § 39 III 3 SGB V haben die Krankenkassen darauf hinzuwirken, dass Vertragsärzte und Versicherte das 76
Einzelheiten bei Hess, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 76 Rdn. 3. Zu den übrigen Formen der Krankenhausbehandlung Fuchs, in: Fuchs/Preis (Hrsg.), Sozialversicherungsrecht, § 20 III. 6. b., S. 315 f. 78 Brandts, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 39 Rdn. 33. 79 Wahl, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), jurisPK-SGB V, § 39 Rdn. 18. 80 Vgl. hierzu Noftz, in: Hauck/Noftz (Hrsg.), SGB V, § 39 Rdn. 114. 81 Dazu Wahl, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), jurisPK-SGB V, § 39 Rdn. 26; Noftz, in: Hauck/Noftz (Hrsg.), SGB V, § 39 Rdn. 114 ff.; Wagner, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, SGB V, § 39 Rdn. 34 ff. 82 Dazu Wagner, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, SGB V, § 39 Rdn. 34. 83 Weiterführend Noftz, in: Hauck/Noftz (Hrsg.), SGB V, § 39 Rdn. 114 ff. 84 Vgl. Wahl, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), jurisPK-SGB V, § 39 Rdn. 26. 77
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Verzeichnis bei der Inanspruchnahme der Krankenhausleistungen beachten. Diese „noch weichere Steuerung des Inanspruchnahmeverhaltens“85 soll bewirken, dass verstärkt preisgünstigere Krankenhäuser in Anspruch genommen werden.86 3. Subsidiarität der stationären gegenüber der ambulanten Versorgung, § 39 I 2 SGB V Stationäre und ambulante Versorgung stehen sich nicht als gleichrangige Alternativen gegenüber, zwischen denen der Versicherte nach Belieben wählen könnte. § 39 I 2 SGB V sieht nämlich vor, dass nur dann ein Anspruch auf Krankenhausbehandlung besteht, wenn die Aufnahme nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch ambulante Behandlung erreicht werden kann.87 Davon ist auszugehen, wenn der Krankheitszustand des Versicherten den Einsatz der besonderen Mittel des Krankenhauses gerade bedarf.88 Dies richtet sich allein nach den medizinischen Erfordernissen.89 Zu den besonderen Mitteln des Krankenhauses zählen etwa eine apparative Mindestausstattung, geschultes Pflegepersonal und ein jederzeit präsenter oder rufbereiter Arzt.90 Abwägungsrelevant können – je nach Schwere der Erkrankung – Umfang und Intensität der erforderlichen ärztlichen Tätigkeit, Besonderheiten der für die Diagnostik oder Therapie gebotenen apparativen Mittel, Art und Ausmaß der erforderlichen Medikation sowie Art und Ausmaß der erforderlichen Pflege des Versicherten sein.91 Der Nachrang der vollstationären Behandlung gegenüber den übrigen Behandlungsformen trägt deren Bedeutung als medizinisch intensivster und aufwendigster Form Rechnung.92 Das Prinzip „ambulant vor stationär“93 findet auch in § 73 IV 1 SGB V Ausdruck. Dort heißt es: „Krankenhausbehandlung darf nur verordnet werden, wenn eine ambulante Versorgung der Versicherten zur Erzielung des Heil- oder Linderungserfolgs nicht ausreicht.“94 Das bedeutet jedoch nicht, dass die Krankenhausbehandlung erst dann in Anspruch genommen werden darf, wenn die Behandlung 85
Wahl, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), jurisPK-SGB V, § 39 Rdn. 26. BT-Drs. 11/2237, S. 177 f.; dazu Wahl, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), jurisPK-SGB V, § 39 Rdn. 26. 87 Ausführlich Adelt, in: Kruse/Hänlein (Hrsg.), SGB V, § 39 Rdn. 13 ff.; Hauck, MedR 2010, 226 f. 88 Brandts, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 39 Rdn. 48 m.w.N. 89 Ausführlich BSGE 99, 111. 90 Dazu Wahl, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), SGB V, § 39 Rdn. 62 ff. m.w.N.; ausführlich auch Noftz, in: Hauck/Noftz (Hrsg.), SGB V, § 39 Rdn. 72 ff. 91 Ausführlich Noftz, in: Hauck/Noftz (Hrsg.), SGB V, § 39 Rdn. 72 ff. m.w.N. 92 Noftz, in: Hauck/Noftz (Hrsg.), SGB V, § 39 Rdn. 13, 33 ff.; Wahl, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), jurisPK-SGB V, § 39 Rdn. 48. 93 Knispel, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching (Hrsg.), BeckOK SGB V, § 39 Rdn. 21. 94 Siehe dazu im Einzelnen Hess, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 73 Rdn. 34. 86
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13. Kap.: Der Anspruch des GKV-Versicherten auf Krankenbehandlung
im ambulanten Bereich vergeblich ausgeschöpft wurde. Beurteilungsmaßstab ist vielmehr der medizinische Bedarf des Versicherten im Einzelfall.95
D. Rechtsinhalt I. Krankenbehandlung Liegen alle Voraussetzungen des § 27 I 1 SGB V vor, steht dem Versicherten nach der Rechtsprechung des BSG96 dem Grunde nach ein subjektiv-öffentliches Recht auf Krankenbehandlung zu. Der Begriff der Krankenbehandlung erfasst generell solche Maßnahmen, die Behandlungs- oder Therapiecharakter haben und damit darauf ausgerichtet sind, eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern.97 Konkrete Leistungsinhalte, etwa auf die Behandlung mit einer bestimmten neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode, lassen sich aus § 27 I 1 SGB V nicht herleiten.98 Dies macht den Charakter der Norm als bloßes Rahmenrecht aus.
II. Konkretisierung des Rahmenrechts auf Krankenbehandlung Zur Beantwortung der Frage, was im Einzelfall unter dem Gesetzesbegriff der „Krankenbehandlung“ zu verstehen ist bzw. was der Versicherte von seiner Krankenkasse beanspruchen kann, bedarf es eines Verfahrens durch welches das Rahmenrecht des Versicherten aus § 27 I 1 SGB V zu einem vollwertigen Anspruch i.S.d. § 194 I BGB verdichtet werden kann.99 Das BSG hat dazu in mehreren Entscheidungen das sog. „Rechtskonkretisierungskonzept“ entwickelt.100 Dieses stellt die Kehrseite der Interpretation des § 27 I SGB V als bloßes Rahmenrecht dar.101 Nach dem Rechtskonkretisierungskonzept vollzieht sich die Verdichtung des Rahmenrechts auf Krankenbehandlung auf zwei Ebenen: Zunächst ist hauptsächlich der G-BA gesetzlich dazu bestellt, durch Richtlinien zur Sicherung der ver95 Knispel, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching (Hrsg.), BeckOK SGB V, § 39 Rdn. 21; Brandts, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 39 Rdn. 48 m.w.N. 96 Vgl. BSGE 73, 271 (278 ff.). 97 Höfler, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 27 Rdn. 55 ff. 98 Instruktiv BSGE 73, 271 (278 f.); siehe dazu allgemein Höfler, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 27 Rdn. 58 ff.; Adelt/Kraftberger, in: Kruse/Hänlein (Hrsg.), SGB V, § 27 Rdn. 59a ff.; Lang, in: Becker/Kingreen (Hrsg.), SGB V, § 27 Rdn. 46 ff. 99 Vgl. BSGE 81, 54 (61); siehe ebenfalls BSGE 73, 271 (280 f.); BSGE 78, 70 (78). 100 Insbesondere BSGE 73, 271; BSGE 78, 70; BSGE 81, 54; vgl. bereits oben 5. Kap. C. 101 Informativ hierzu Neumann, SGb 1998, 609 (610 f.).
D. Rechtsinhalt
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tragsärztlichen Versorgung im Rahmen des Möglichen abstrakt-generelle Maßstäbe aufzustellen, nach denen das im Einzelfall medizinisch Notwendige, sowie dessen Wirtschaftlichkeit, Zweckmäßigkeit und Erforderlichkeit zu beurteilen ist.102 Dadurch soll ein Korridor möglicher Inhalte der Krankenbehandlung geschaffen werden, innerhalb dessen dem Vertragsarzt die Kompetenz zugewiesen ist, den Anspruch des Versicherten auf ambulante Krankenbehandlung gegenüber der Krankenkasse konkret-individuell festzulegen.103 Dessen Funktion übernimmt im stationären Sektor der Krankenhausarzt, der den Anspruch des Versicherten auf stationäre Krankenbehandlung für das zugelassene Krankenhaus als Leistungserbringer gegenüber der Krankenkasse konkretisiert.104 Maßgebliche Bedeutung kommt nach diesem Modell der Rechtskonkretisierung auf abstrakt-genereller Ebene zu. Der G-BA benötigt als zentrales Entscheidungsgremium zur Normkonkretisierung ein hinreichend konkretes Normenprogramm, durch das seine Rechtsetzung durch Richtlinien gesteuert wird. Maßgeblich für die rechtsetzende Tätigkeit des G-BA ist naturgemäß das SGB V. Dieses stellt als Parlamentsgesetz einen generellen Rahmen auf, an dem sich das gesamte System der gesetzlichen Krankenversicherung auszurichten hat. Es definiert generell-abstrakt einen Entscheidungskorridor, durch den das Zusammenwirken der Krankenkassen und Leistungserbringer zur Gewährleistung einer bedarfsgerechten und gleichmäßigen, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Versorgung der Versicherten105 vorgesteuert wird. Anknüpfend an die Systematik des SGB V ist dabei zwischen der Vorsteuerung durch den allgemeinen Teil (insbesondere § 2 I 3 SGB V, § 2 I 1 SGB V i.V.m. § 12 SGB V), der Vorsteuerung durch das Leistungsrecht (§§ 27 ff. SGB V) und der Vorsteuerung durch das Leistungserbringerrecht (insbesondere §§ 135, 137c SGB V) zu unterscheiden. 1. Vorsteuerung durch den allgemeinen Teil des SGB V § 2 I SGB V nennt als allgemeine Grundnorm diejenigen qualitativen Standards, denen alle Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung genügen müssen. Erforderlich ist danach, dass sie in Qualität und Wirksamkeit dem anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen und den medizinischen Fortschritt berücksichtigen (§ 2 I 3 SGB V). Zudem unterliegen sie einem generellen Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 2 I 1 SGB V i.V.m. § 12 SGB V). Die Notwendigkeit einer derartigen einheitlichen Leistungsausgestaltung ergibt sich aus dem bundeseinheitlich und losgelöst von der Kassenzugehörigkeit geregelten Leistungsanspruch aller Sozialversicherten auf den Erhalt der im Leistungsrechtsrecht des SGB V definierten Leistungen.106 102 103 104 105 106
BSGE 73, 271 (280). Vgl. BSGE 73, 271 (280 f.). Vgl. ausführlich BSGE 78, 154 (155 f.). Vgl. § 70 I SGB V. Hess, in: Rebscher (Hrsg.), FS Neubauer, S. 443 (444).
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13. Kap.: Der Anspruch des GKV-Versicherten auf Krankenbehandlung
a. Allgemeine Leistungsmodalitäten, § 2 I 3 SGB V § 2 I 3 SGB V sieht vor, dass Qualität und Wirksamkeit der von den Krankenkassen erbrachten Leistungen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen und den medizinischen Fortschritt berücksichtigen müssen. Die Vorschrift wurde durch das Gesundheitsreformgesetz (GRG) vom 20.12.1988 eingeführt.107 Sie enthält die Grundsätze über den Inhalt der Leistungen108 und definiert dadurch konstitutiv das Leistungsspektrum der GKV.109 Die Norm bildet die Basis zur Bestimmung des medizinischen Standards, dem alle Leistungen innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung genügen müssen.110 aa. Allgemein anerkannter Stand der medizinischen Erkenntnisse Nach § 2 I 3 SGB V kann der Versicherte nur Leistungen von seiner Krankenkasse beanspruchen, die dem allgemein anerkannten Stand medizinischer Erkenntnisse entsprechen.111 Beim „allgemein anerkannten Stand medizinischer Erkenntnisse“ handelt sich um einen medizinischen und damit primär um einen außerrechtlichen Begriff.112 Prinzipiell ist nur die Medizin selbst zu einem fachlichen Urteil hierüber in der Lage.113 Die Rechtswissenschaft kann nur eine Richtschnur vorgeben, an welcher sich beispielsweise der G-BA als höchstes Selbstverwaltungsgremium innerhalb der GKV auszurichten hat. Zunächst ist der Hauptzweck der Feststellung des medizinischen Standards zu berücksichtigen. Dieser besteht darin, neue Verfahren, die nicht ausreichend erprobt sind, vom Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung auszuschließen.114 Anerkannt ist, dass als „Standard“ jedenfalls nur das gelten kann, was in der medizinischen Wissenschaft Akzeptanz gefunden hat.115 Durch Auslegung der Formulierung des „allgemein anerkannten Standes medizinischer Erkenntnisse“ lassen sich weitere Rückschlüsse über die Anforderungen an die Feststellung der GKV-Konformität einer Leistung ziehen. Der Begriffsbestandteil des „Standes der medizinischen Erkenntnisse“ bezieht sich auf die Gesamtmenge der Erkenntnisse über Wirksamkeit, Qualität und Nutzen der konkreten Leistung oder Methode zu einem bestimmten Zeitpunkt.116 107
BGBl. I S. 2477. Vgl. BT-Drs. 11/2237, S. 157. 109 Plagemann, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), jurisPK-SGB V, § 2 Rdn. 1. 110 Vgl. Francke, in: Wannagat (Begr.), SGB V, Vor §§ 135 – 139 Rdn. 14; Hauck, SGb 2010, 193 (194 f.); Schlottmann/Weddehage, NZS 2008, 411 (412); Kingreen, MedR 2007, 457 m.w.N. 111 Dies entspricht auch der ständigen Rspr. des BSG, vgl. dazu BSGE 95, 132 (141). 112 Engelmann, MedR 2006, 245 (246) m.w.N. 113 Dazu Noftz, in: Hauck/Noftz (Hrsg.), SGB V, § 2 Rdn. 60. 114 Vgl. BSGE 76, 194 (199); Peters, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 2 Rdn. 3. 115 Wollenschläger, in: Wannagat (Hrsg.), SGB V, § 2 Rdn. 12. 116 Vgl. Noftz, in: Hauck/Noftz (Hrsg.), SGB V, § 2 Rdn. 62. 108
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Durch diese zeitliche Komponente trägt der Gesetzgeber implizit dem Umstand Rechnung, dass der medizinische Standard aufgrund des rasanten Fortschritts in Wissenschaft und Forschung einem stetigen Wandel unterworfen ist. Explizit verschafft er der Dynamik dieses Prozesses dadurch Beachtung, dass er die Normadressaten mittels § 2 I 3 SGB V zur Berücksichtigung des medizinischen Fortschritts verpflichtet.117 Der Begriffsbestandteil der „allgemeinen Anerkennung“ bezieht sich dagegen auf den Anerkennungsgrad der Erkenntnisse über Wirksamkeit, Qualität und Nutzen der jeweiligen Leistung oder Methode.118 Das Maß der Anerkennung ist in Anbetracht des in der medizinischen Wissenschaft bestehenden dynamischen Meinungsbildes zu interpretieren.119 Dessen Nachweis setzt nach der Rechtsprechung des BSG voraus, dass die Wirksamkeit der neuen Leistung durch eine für die sichere Beurteilung ausreichende Anzahl von Behandlungsfällen aufgrund wissenschaftlich einwandfrei belegter Studien nachgewiesen werden kann.120 Dabei spielen nicht nur quantitative, sondern auch qualitative Umstände eine Rolle. Quantitativ ist das erforderliche Maß der Anerkennung mit „absoluter Übereinstimmung“ oder „erdrückender Mehrheit“ zu eng und durch bloße „Vertretbarkeit“ zu weit umschrieben.121 Rechtsprechung und Literatur gehen allerdings übereinstimmend davon aus, dass von einer allgemeinen Anerkennung des Standes medizinischer Erkenntnisse dann auszugehen ist, wenn die „überwiegende“, „große“ oder „deutliche Mehrheit der einschlägigen Fachleute (Ärzte, Wissenschaftler)“ die Leistung oder Methode befürwortet und von einzelnen, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen, über die Zweckmäßigkeit der Therapie Konsens besteht.122 Qualitativ ist in diesem Prozess der Grad der Fachkompetenz der Meinungsvertreter von Bedeutung.123 Der Begriff des „allgemein anerkannten Standes medizinischer Erkenntnisse“ ist nach alldem nicht als eine Festlegung auf eine bestimmte medizinische Methodik oder ein bestimmtes wissenschaftliches Konzept zu interpretieren. Vielmehr ist er allgemein als „herrschende Meinung“ innerhalb des in der medizinischen Forschung und Praxis bestehenden Meinungsspektrums zu verstehen.124 Dies zeigt sich insbesondere daran, dass der Gesetzgeber in § 2 I 2 SGB V ausdrücklich vor117
Informativ Noftz, in: Hauck/Noftz (Hrsg.), SGB V, § 2 Rdn. 63. Vgl. Noftz, in: Hauck/Noftz (Hrsg.), SGB V, § 2 Rdn. 62. 119 Noftz, in: Hauck/Noftz (Hrsg.), SGB V, § 2 Rdn. 62. 120 BSGE 81, 54 (66); BSGE 86, 54 (62) m.w.N.; zuletzt BSGE 93, 1 (2 f.); Engelmann, MedR 2006, 245 (253); vgl. auch Krauskopf, in: ders., Soziale Krankenversicherung, SGB V, § 2 Rdn. 7; Plagemann, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), jurisPK-SGB V, § 2 Rdn. 51; Noftz, in: Hauck/Noftz (Hrsg.), SGB V, § 2 Rdn. 62. 121 Noftz, in: Hauck/Noftz (Hrsg.), SGB V, § 2 Rdn. 62 m.w.N. 122 Vgl. etwa BSG SGb 2006, 689 (691) m.w.N.; Noftz, in: Hauck/Noftz (Hrsg.), SGB V, § 2 Rdn. 62 m.w.N. 123 Dazu Noftz, in: Hauck/Noftz (Hrsg.), SGB V, § 2 Rdn. 62. 124 Vgl. dazu ausführlich Noftz, in: Hauck/Noftz (Hrsg.), SGB V, § 2 Rdn. 62; Deutscher Ethikrat (Hrsg.), Nutzen und Kosten im Gesundheitswesen, S. 30: „Der medizinische Standard kombiniert demnach Aspekte der wissenschaftlichen Erkenntnis, der anwendungsorientierten Erfahrung und der Akzeptanz in der Praxis.“ 118
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gegeben hat, dass Behandlungsmethoden sowie Arznei- und Heilmittel der besonderen Therapierichtungen nicht vom Versorgungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen sind.125 Es ist jedoch nicht zu leugnen, dass der allgemein anerkannte Stand medizinischer Erkenntnisse in erster Linie dem Wissenschaftsbegriff der etablierten (Schul-) Medizin126 entspricht, die dem naturwissenschaftlichen Leitbild an Objektivierbarkeit, Messbarkeit und Reproduzierbarkeit gerecht wird.127 bb. Qualität und Wirksamkeit der Leistung Qualität und Wirksamkeit einer Leistung sind essentiell für deren Vereinbarkeit mit dem Versorgungsstandard des SGB V. Nicht nur die Gesundheit der Versicherten, sondern auch der effektive Einsatz der begrenzten finanziellen Ressourcen verlangen, dass ein entsprechender Standard gewahrt wird. (1) Wirksamkeit der Leistung Eine Leistung ist wirksam, wenn sie generell geeignet ist bei bestimmten Indikationen klinisch relevante Wirkungen zu erzielen.128 Maßstab hierfür ist der allgemein anerkannte Stand medizinischer Erkenntnisse.129 Die Wirksamkeit setzt daher den Erfolg der Leistung bzw. Methode in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen voraus. Dabei muss sich der Erfolg aus wissenschaftlich einwandfrei geführten Statistiken über die Zahl der behandelten Fälle und die Wirksamkeit der neuen Methode ablesen lassen.130 Der Erfolg einer Leistung oder Methode in einem Einzelfall ist für den Wirksamkeitsnachweis prinzipiell nicht ausreichend.131 Ausnahmsweise kann eine einschränkende Auslegung des § 2 I 3 SGB V geboten sein, wenn eine sog. „Singularerkrankung“ den potentiellen Anspruchsgegenstand bildet.132 Derartige Erkrankungen treten typischerweise in Einzelfällen auf. Dies führt naturgemäß dazu, dass es kein ausreichendes Datenmaterial gibt, um deren Wirksamkeit zu belegen. Deswegen erweisen sich Singularerkrankungen als mit dem herkömmlichen Standardbegriff des SGB V inkompatibel und insoweit als „systemfremd“. 125
Vgl. Krauskopf, in: ders., Soziale Krankenversicherung, SGB V, § 2 Rdn. 6. Unter „Schulmedizin“ ist die Zusammenfassung der in langer Tradition (natur-)wissenschaftlich entwickelten, in der ärztlichen Ausbildung an den Universitäten gelehrten und (entsprechend) in der Praxis angewandten Methoden zur Diagnostik und Therapie von Krankheiten zu verstehen (ausführlich Noftz, in: Hauck/Noftz [Hrsg.], SGB V, § 2 Rdn. 45 m.w.N.). 127 Vgl. ausführlich Rolfs, Das Versicherungsprinzip im Sozialversicherungsrecht, S. 401 ff.; siehe auch Peters, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 2 Rdn. 4. 128 Scholz, in: Becker/Kingreen (Hrsg.), SGB V, § 2 Rdn. 3; Noftz, in: Hauck/Noftz (Hrsg.), SGB V, § 2 Rdn. 57 m.w.N. 129 Krauskopf, in: ders., Soziale Krankenversicherung, SGB V, § 2 Rdn. 7. 130 Vgl. BSGE 76, 194 (199). 131 BSGE 76, 194 (198). 132 Siehe hierzu Wollenschläger, in: Wannagat (Begr.), SGB V, § 2 Rdn. 13. 126
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Reduzierte Anforderungen an den Nachweis der Wirksamkeit einer Leistung gelten schließlich auch in Fällen von lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankungen. Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist insoweit maßgebend, ob es für die von dem Arzt nach gewissenhafter fachlicher Einschätzung vorgenommene oder beabsichtigte Behandlung ernsthafte Hinweise auf einen nicht ganz entfernt liegenden Heilungserfolg oder auch nur auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf im konkreten Einzelfall gibt.133 (2) Qualität der Leistung Die Qualität der Leistung erfordert ein bestimmtes Niveau bei der Leistungserbringung.134 Das primäre Ziel dieses Kriteriums besteht in der Gewährleistung einer dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechenden Behandlung135 und der maximalen Erhöhung des Nutzens bei gleichzeitiger Vermeidung oder Minimierung von Risiken.136 Deswegen bezieht es sich nicht nur auf ein einzelnes Arzneimittel oder einen singulären therapeutischen Akt, sondern auf den gesamten Behandlungsablauf, der regelmäßig mehrere Leistungserbringer in ein Behandlungskonzept einbindet.137 Der Qualitätsbegriff des § 2 I 3 SGB V wird maßgeblich durch die §§ 135 – 139c SGB V konkretisiert.138 (3) Korrelativer Zusammenhang zwischen Qualität und Wirksamkeit der Leistung Schon aus der Formulierung des § 2 I 3 SGB V ergibt sich, dass Qualität und Wirksamkeit einer Leistung eng miteinander verknüpft sind. Einerseits baut die Sicherung der Qualität auf dem Nachweis der Wirksamkeit einer Leistung auf, andererseits lässt sich die Wirksamkeit häufig nur bei der Gewährleistung eines bestimmten qualitativen Niveaus erzielen. Darüber hinaus können Maßnahmen der Qualitätssicherung nicht unerhebliche Auswirkungen auf das Wirtschaftlichkeitsgebot haben, denn die an die Erbringung einer Leistung geknüpften äußeren Rahmenbedingungen vermögen den finanziellen Aufwand ihrer Erbringung zu erhöhen oder zu verringern.139 Je umfangreicher die technischen und personellen Anforderungen ausfallen, die zur Sicherung der Qualität und Wirksamkeit der Leistung erforderlich sind, desto eher läuft die jeweilige Leistung Gefahr, als unwirtschaftlich angesehen zu werden.
133 134 135 136 137 138 139
BVerfGE 115, 25 (50) m.w.N. Scholz, in: Becker/Kingreen (Hrsg.), SGB V, § 2 Rdn. 3. Vgl. Francke, in: Wannagat (Begr.), SGB V, Vor §§ 135 – 139 Rdn. 8. Plagemann, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), jurisPK-SGB V, § 2 Rdn. 53 ff. (54). Plagemann, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), jurisPK-SGB V, § 2 Rdn. 46. Vgl. Francke, in: Wannagat (Begr.), SGB V, Vor §§ 135 – 139 Rdn. 8. Ausführlich Francke, in: Wannagat (Begr.), SGB V, Vor §§ 135 – 139 Rdn. 8.
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13. Kap.: Der Anspruch des GKV-Versicherten auf Krankenbehandlung
b. Wirtschaftlichkeit der Leistung im weiteren Sinne, § 2 I 1 SGB V i.V.m. § 12 SGB V § 2 I 1 SGB V verpflichtet die Krankenkassen, den Versicherten die Leistungen unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebotes gem. § 12 I SGB V zur Verfügung zu stellen.140 Dieses erweist sich sowohl als anspruchsbegründend, als auch als anspruchsbegrenzend, indem es zum einen im Individualinteresse des einzelnen Versicherten einen gewissen Mindeststandard („ausreichend“) gewährleistet, zum anderen aber auch die daraus resultierenden Einzelansprüche im Sinne der Solidargemeinschaft aller Versicherten nach oben begrenzt („notwendig“, „zweckmäßig“, „wirtschaftlich“).141 Es soll sichergestellt werden, dass die aufgebrachten Mittel ausschließlich zu dem Zweck einer effektiven Krankenbehandlung verwendet werden.142 Der Feststellung der Wirtschaftlichkeit einer Leistung liegt ein äußerst komplexer Wirtschaftlichkeitsbegriff zugrunde.143 Laut § 12 I 1 HS 1 SGB V müssen die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein. Daraus ergibt sich eine Anforderungstrias, der sämtliche Leistungen, die durch die Krankenkassen erbracht werden dürfen, genügen müssen.144 Diese Trias wird durch § 12 I 1 HS 2 SGB V um „das Maß des Notwendigen“ zu einer Quadriga erweitert. Die einzelnen Kriterien des Wirtschaftlichkeitsgebotes stellen keine völlig abgeschlossenen Prüfbereiche dar, sondern stehen in einem untrennbaren inneren Zusammenhang.145 Maßgeblich zur Beurteilung der Wirtschaftlichkeit einer Leistung ist daher deren Gesamtbetrachtung146 bzw. das sich aus diesen ergebende Gesamtbild.147
140 Zum Verhältnis von § 2 I 3 und § 12 SGB V siehe Joussen, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching (Hrsg.), BeckOK SGB V, § 12 Rdn. 1; zur verfassungsrechtlichen Dimension des Wirtschaftlichkeitsgebotes Engelhard, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), jurisPK-SGB V, § 12 Rdn. 24 ff.; zur Entwicklung des Verfahrens zur Feststellung des Wirtschaftlichkeitsgebotes Höfler, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 12 Rdn. 8 ff. 141 Vgl. Engelhard, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), jurisPK-SGB V, § 12 Rdn. 18 m.w.N. 142 Vgl. Plagemann, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), jurisPK-SGB V, § 2 Rdn. 27; Noftz, in: Hauck/Noftz (Hrsg.), SGB V, § 12 Rdn. 11. 143 Noftz, in: Hauck/Noftz (Hrsg.), SGB V, § 12 Rdn. 9. 144 Vgl. Joussen, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching (Hrsg.), BeckOK SGB V, § 12 Rdn. 1. 145 Vgl. Höfler, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 12 Rdn. 21; Engelhard, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), jurisPK-SGB V, § 12 Rdn. 43. 146 BSG SozR 2200, § 182 Nr. 76, S. 147; Höfler, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 12 Rdn. 21. 147 Engelhard, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), jurisPK-SGB V, § 12 Rdn. 45.
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aa. Zweckmäßigkeit oder Eignung der Leistung Die Zweckmäßigkeit einer Leistung ist gegeben, wenn sie objektiv geeignet und hinreichend wirksam ist, eines der Behandlungsziele des § 27 I 1 SGB V im Krankheitsfall zu erreichen.148 Die Leistung muss dazu dienen, einen Heilerfolg herbeizuführen.149 Die Erfolgsaussichten einer Leistung sind dabei im Wege einer prognostischen Einschätzung festzustellen.150 Diese Prognose betrifft die Frage nach der Wahrscheinlichkeit des Eintritts des Behandlungserfolgs151 und ist am Maßstab des allgemein anerkannten Standes medizinischer Erkenntnisse i.S.d. § 2 I 3 SGB V zu führen.152 Daher ist eine Leistung immer dann als zweckmäßig anzusehen, wenn sie dem Versorgungsstandard des SGB V entspricht.153 Die Zweckmäßigkeit einer Maßnahme kann, wenn sie unter keinem denkbaren Gesichtspunkt zu einem Heilerfolg führen kann, generell zu verneinen sein. Möglich ist aber auch, dass die Maßnahme nur im konkreten Einzelfall ungeeignet ist.154 bb. Ausreichende Leistung Das Kriterium der „ausreichenden Leistung“ verfügt über eine Doppelfunktion im Rahmen des § 12 SGB V. Einerseits garantiert es einen qualitativen Mindeststandard bei der Leistungserbringung155 und entspricht damit einer Untergrenze des Leistungsanspruchs.156 Zur Wahrung dieses Mindeststandards muss die in Frage stehende Leistung nach Umfang und Qualität hinreichende Chancen auf einen 148
BSGE 64, 255 (256 f.) m.w.N; Höfler, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 12 Rdn. 23; Engelhard, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), jurisPK-SGB V, § 12 Rdn. 52; zum Verhältnis zum Merkmal der „ausreichenden Leistung“ vgl. Biehl/Ortwein, SGb 1991, 529 (531). 149 Biehl/Ortwein, SGb 1991, 529 (531); weiterführend Noftz, in: Hauck/Noftz (Hrsg.), SGB V, § 12 Rdn. 20, der entscheidend auf die „Finalität“ oder „Planmäßigkeit“ der Leistung abstellt. 150 Noftz, in: Hauck/Noftz (Hrsg.), SGB V, § 12 Rdn. 20; weiterführend Joussen, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching (Hrsg.), BeckOK SGB V, § 12 Rdn. 7. 151 Vgl. ausführlich Biel/Ortwein, SGb 1991, 529 (532), die darauf hinweisen, dass ein zu hoher Wahrscheinlichkeitsgrad ein Leistungsvakuum für schicksalhafte Erkrankungen zur Folge hätte, wenn man nicht zumindest die Linderung oder (zeitweise) Verschlimmerungsverhütung in Betracht zöge. Auf der anderen Seite sei bei großer Unwahrscheinlichkeit die bloße nur entfernte Möglichkeit des Eintritts des Behandlungserfolgs eine sehr geringgradige Anforderung an die Geeignetheit und entspräche mehr dem Prinzip Hoffnung als einer guten Heilungschance. 152 Joussen, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching (Hrsg.), BeckOK SGB V, § 12 Rdn. 6; Noftz, in: Hauck/Noftz (Hrsg.), SGB V, § 12 Rdn. 20. 153 Vgl. Francke/Hart, MedR 2008, 2 (3); Höfler, in: Leitherer (Hrsg), Kasseler Kommentar, SGB V, § 12 Rdn. 23. 154 Engelhard, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), jurisPK-SGB V, § 12 Rdn. 53. 155 Engelhard, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), jurisPK-SGB V, § 12 Rdn. 47; Ulmer, in: Wannagat (Begr.), SGB V, § 12 Rdn. 14; Biehl/Ortwein, SGb 1991, 529 (531). 156 Ulmer, in: Wannagat (Begr.), SGB V, § 12 Rdn. 14.
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Heilerfolg bieten.157 Sie darf – gemessen an ihrer Zweckbestimmung – weder mangelhaft, noch ungenügend sein.158 Andererseits bezieht sich das Kriterium auch auf die Quantität der Leistungserbringung. Besonders im Falle von Hilfsmitteln begrenzt es die zu leistende Menge.159 Umstritten ist hingegen die Frage, ob das Merkmal lediglich einen Mindeststandard bei der Leistungserbringung, oder auch als Begrenzung „nach oben“ zu interpretieren ist.160 So wird argumentiert, dass das Merkmal den Behandlungsanspruch des Versicherten nivelliere, denn der Grad des Genügenden bzw. Hinreichenden dürfe weder über- noch unterschritten werden.161 Hierdurch solle einerseits ein Mindeststandard medizinischer Leistungen gesichert, andererseits aber auch ein Anspruch darauf, stets mit den modernsten Operations- und Behandlungsmethoden versorgt zu werden, ausgeschlossen werden.162 Gegen diese Auffassung spricht jedoch, dass die dadurch intendierte Begrenzung des Leistungsanspruchs „nach oben“ nicht erforderlich ist. Diese Funktion wird bereits von den Kriterien der Notwendigkeit, Zweckmäßigkeit oder ggf. der Wirtschaftlichkeit i.e.S. gewährleistet.163 cc. Notwendigkeit oder Erforderlichkeit der Leistung Das Merkmal der Notwendigkeit oder Erforderlichkeit einer Leistung taucht nicht nur i.R.v. § 12 I 1 SGB V, sondern auch i.R.v. § 27 I 1 SGB V auf und ist damit fest im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung verankert. Es entspricht einem Übermaßverbot und soll eine Überforderung des Systems vermeiden.164 Im Gegensatz zum Kriterium der „ausreichenden Leistung“ begrenzt es die Leistungspflicht der Krankenkassen „nach oben“.165 Die Notwendigkeit oder Erforderlichkeit166 einer Leistung bestimmt sich nach der Indikation (§ 106 IIa Nr. 1 SGB V) bzw. ihrem Zweck, der gem. § 27 I 1 SGB V in der Erkennung, Heilung oder Verhütung einer Krankheit sowie der Linde157
Vgl. BSGE 55, 188 (194). Wagner, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, SGB V, § 12 Rdn. 5. 159 Engelhard, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), jurisPK-SGB V, § 12 Rdn. 51. 160 Für einen Mindeststandard Höfler, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 12 Rdn. 22; Engelhard, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), jurisPK-SGB V, § 12 Rdn. 50; für eine Begrenzung „nach oben“ Joussen, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching (Hrsg.), BeckOK SGB V, § 12 Rdn. 4; Wagner, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, SGB V, § 12 Rdn. 5. 161 Joussen, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching (Hrsg.), BeckOK SGB V, § 12 Rdn. 4 m.w.N. 162 Kruse, in: Kruse/Hänlein (Hrsg.), SGB V, § 12 Rdn. 6 m.w.N.; ähnlich Wagner, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, SGB V, § 12 Rdn. 5. 163 Engelhard, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), jurisPK-SGB V, § 12 Rdn. 50 m.w.N. 164 Vgl. Ulmer, in: Wannagat (Begr.), SGB V, § 12 Rdn. 13; Engelhard, in: Schlegel/ Voelzke (Hrsg.), jurisPK-SGB V, § 12 Rdn. 79; Noftz, in: Hauck/Noftz (Hrsg.), SGB V, § 12 Rdn. 21. 165 Vgl. Engelhard, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), jurisPK-SGB V, § 12 Rdn. 50. 166 Dazu Engelhard, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), jurisPK-SGB V, § 12 Rdn. 79. 158
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rung der Krankheitsbeschwerden liegen kann.167 Sie ist immer dann gegeben, wenn gerade das in Frage stehende Maß der Leistung zur Erreichung des Zwecks zwangsläufig, unentbehrlich oder unvermeidlich ist und nicht nur zu einer unwesentlichen Verbesserung des Krankheitsbildes führt.168 Geeignete und wirksame Leistungen stehen dem Versicherten nicht zu, wenn bei der konkreten Bedarfssituation auch eine qualitativ oder quantitativ geringere Leistung ausreichend und zweckmäßig ist.169 Besondere Bedeutung hat das Merkmal bei der Gewährung von Hilfsmitteln und der Krankenhausbehandlung erlangt.170 dd. Wirtschaftlichkeit im engeren Sinne (1) Allgemeines Als Einzelkriterium ist die Wirtschaftlichkeit in erster Linie für die Relation zwischen Kosten und Heilerfolg einer Leistung bedeutsam.171 Der Begriff beinhaltet die besondere Beziehung zwischen Leistungsaufwand (Kosten) und diagnostischem sowie therapeutischem Nutzen (Wirkung) von Leistungsinhalt und Leistungsumfang.172 Mit dem geringst möglichen Aufwand soll die erforderliche – ausreichende und zweckmäßige – Leistung erbracht werden.173 (2) Anwendbarkeit Da das Kriterium der Wirtschaftlichkeit im engeren Sinne dazu dient, mit dem geringst möglichen Aufwand eine erforderliche, ausreichende und zweckmäßige Leistung zu erbringen, findet es erst dann Anwendung, wenn mehrere vergleichbare Leistungsalternativen verfügbar sind.174 Es hat nach bisher vorherrschender Auffassung nicht die Funktion, Leistungsansprüche weiter einzuschränken.175 Al167
Höfler, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 12 Rdn. 39. BSG SozR 2200, § 182b Nr. 26, S. 68; BSG SozR 2200, § 182b Nr. 25, S. 66; BSG SozR 3-2500, § 33 Nr. 4, S. 9; dazu Höfler, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 12 Rdn. 39; Kruse, in: Kruse/Hänlein (Hrsg.), SGB V, § 12 Rdn. 8; Ulmer, in: Wannagat (Begr.), SGB V, § 12 Rdn. 13. 169 Vgl. Wagner, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, SGB V, § 12 Rdn. 9. 170 Dazu Höfler, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 12 Rdn. 39 m.w.N. 171 Höfler, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 12 Rdn. 40. 172 Noftz, in: Hauck/Noftz (Hrsg.), SGB V, § 12 Rdn. 23; ähnlich Wagner, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, SGB V, § 12 Rdn. 8; Joussen, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/ Udsching (Hrsg.), BeckOK SGB V, § 12 Rdn. 8; Ulmer, in: Wannagat (Hrsg.), SGB V, § 12 Rdn. 15. 173 Wagner, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, SGB V, § 12 Rdn. 8; ähnlich Engelhard, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), jurisPK-SGB V, § 12 Rdn. 104; hierzu auch Hauck, SGb 2010, 193 (196 f.). 174 Vgl. Noftz, in: Hauck/Noftz (Hrsg.), SGB V, § 12 Rdn. 23; Wagner, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, SGB V, § 12 Rdn. 8; Joussen, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/ Udsching (Hrsg.), BeckOK SGB V, § 12 Rdn. 8. 175 Wollenschläger, in: Wannagat (Begr.), SGB V, § 2 Rdn. 10; Francke, GesR 2003, 97; Becker, MedR 2010, 218; zur zukünftigen Entwicklung Deutscher Ethikrat (Hrsg.), Nutzen und Kosten im Gesundheitswesen, S. 97. 168
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lein die Kosten einer Behandlung können die Feststellung der Unwirtschaftlichkeit nicht rechtfertigen.176 Das Wirtschaftlichkeitsgebot ermöglicht lediglich eine als „Rationalisierung“ bezeichnete Optimierung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses, nicht aber eine Rationierung im Sinne einer ausschließlich oder primär auf ökonomische Gründe gestützten Ausgrenzung unbestritten wirksamer und nützlicher Leistungen.177 Da der Gesetzgeber durch das GKV-Modernisierungsgesetz (GMG) vom 14.11.2003178 einen neuen dritten Halbsatz in § 92 I 1 SGB V einfügte, geriet dieser Grundsatz jedoch ins Wanken.179 Dort hieß es: „…er [der G-BA] kann dabei [beim Richtlinienbeschluss] die Erbringung und Verordnung von Leistungen einschließlich Arzneimitteln oder Maßnahmen einschränken oder ausschließen, wenn nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse der diagnostische oder therapeutische Nutzen, die medizinische Notwendigkeit oder die Wirtschaftlichkeit nicht nachgewiesen sind, sowie wenn insbesondere ein Arzneimittel unzweckmäßig oder eine andere, wirtschaftlichere Behandlungsmöglichkeit mit vergleichbarem diagnostischen oder therapeutischen Nutzen verfügbar ist.“ Aufgrund der Formulierung „…wenn nach dem allgemein anerkannten Stand medizinischer Erkenntnisse der […] Nutzen, die medizinische Notwendigkeit oder die Wirtschaftlichkeit nicht nachgewiesen sind…“ wurde erwogen, ob darin eine Ermächtigung des G-BA zu Einschränkungen oder Ausschlüssen allein aufgrund von Kosten-Nutzen-Erwägungen gesehen werden kann.180 An dieser Fragestellung hat sich auch infolge der erneuten Änderung des § 92 I 1 HS 3 SGB V durch das AMNOG vom 22.12.2010 nichts geändert, denn diese bezieht sich allein auf den Arzneimittelsektor.181 Huster hält dies – jedenfalls in Bezug auf den Arzneimittelsektor – prinzipiell für möglich.182 Als verfassungsrechtlich bedenklich stuft er jedoch die derzeitige Rechtsgrundlage einer solchen Verfahrensweise ein. Insbesondere mit Blick auf den G-BA stelle sich die Frage, ob dessen Legitimation zu derartigen Entscheidungen angesichts des Umstandes ausreiche, dass die Kosten-Nutzen-Bewertungen auf offene Rationierungsentscheidungen hinausliefen.183 Im Übrigen sei es 176
Kruse, in: Kruse/Hänlein (Hrsg.), SGB V, § 12 Rdn. 9; dieser Grundsatz ist jüngst im Arzneimittelsektor ins Wanken geraten, vgl. dazu BSGE 96, 261 (268 ff.); Becker, MedR 2010, 218 (223); Hauck, SGb 2010, 193 (196 f.), Huster, GesR 2008, 449 (451); allgemein Gassner, PharmR 2007, 441 ff. 177 Engelhard, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), jurisPK-SGB V, § 12 Rdn. 113; ausführlich zu dieser Thematik auch Vießmann, VSSR 2010, 105 (138 ff.); zum Verhältnis von „Rationierung“ und „Rationalisierung“ vgl. Francke, GesR 2003, 97 (98); Arnade, Kostendruck und Standard, S. 37 ff.; Deutscher Ethikrat (Hrsg.), Nutzen und Kosten im Gesundheitswesen, S. 18 ff. 178 BGBl. I S. 2190. 179 Vgl. hierzu Huster, GesR 2008, 449 (450). 180 So insbesondere Huster, GesR 2008, 449 (450); ähnlich Becker, MedR 2010, 218 (223), Hauck, SGb 2010, 193 (194 ff.). 181 Vgl. dazu Hess, GesR 2011, 65 (68). 182 Vgl. Huster, GesR 2008, 449 (450). 183 Huster, GesR 2008, 449 (451) m.w.N.
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bedenklich, dass der Gesetzgeber selbst weder in §§ 31 IIa, 92 I 1 SGB V, noch in § 35b I SGB V darüber entschieden habe, wann das Kosten-Nutzen-Verhältnis so schlecht werde, dass Versorgungsbeschränkungen oder Ausschlüsse erfolgen sollten.184 Hauck weist dagegen darauf hin, dass ein so grundlegender „Paradigmenwechsel“, der es dem G-BA erlaubte, medizinisch nützliche und notwendige Maßnahmen unter Berufung allein auf deren fehlende Wirtschaftlichkeit aus dem GKVLeistungskatalog auszuschließen, spezifischer gesetzlicher Normierung bedurft hätte.185 Dem ist zuzustimmen. Hätte der Gesetzgeber durch die Änderung des § 92 I 1 SGB V den Leistungsausschluss allein aufgrund von Kosten-Nutzen-Erwägungen erlauben wollen, wäre hierzu jedenfalls ein expliziter Hinweis erforderlich gewesen. Ein solcher lässt sich der damaligen Gesetzesbegründung nicht entnehmen.186 Zudem erschließt sich nicht, warum der Gesetzgeber lediglich § 92 I 1 SGB V als Generalklausel zum Richtlinienerlass, nicht aber § 12 I SGB V als Grundnorm des Wirtschaftlichkeitsgebotes geändert haben sollte.187 Letzteres wäre systematisch vorzugswürdig gewesen. Zwingende Voraussetzung der Feststellung der Wirtschaftlichkeit im engeren Sinne bleibt daher – trotz der Änderung des § 92 I 1 SGB V – die Verfügbarkeit von mindestens einer anderen Leistung zur Erreichung des bezweckten Behandlungsziels.188 Bestehen keine anderen gleich geeigneten Maßnahmen, ist die Wirtschaftlichkeit einer Leistung ohne Weiteres als gewahrt anzusehen.189 Lediglich bei der Auswahl zwischen mehreren in gleicher Weise geeigneten Maßnahmen ist diejenige mit der besten Kosten-Nutzen-Relation auszuwählen.190 Nichts anderes ergibt sich aus den §§ 135 I 1, 137c I SGB V, die zwar beide die Wirtschaftlichkeit einer Methode als Bewertungskriterium enthalten, dabei jedoch lediglich auf die Wirtschaftlichkeit i.e.S. als Bestandteil des § 12 I SGB V Bezug nehmen, ohne an der Funktion des Merkmals etwas zu ändern.191 (3) Feststellung der Kosten-Nutzen-Relation Die Feststellung der Relation zwischen den Kosten und dem Nutzen einer Maßnahme kann nicht allein mit rechtlichen Mitteln erfolgen.
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Huster, GesR 2008, 449 (451 ff.). Vgl. Hauck, SGb 2010, 193 (197). 186 Vgl. BT-Drs. 15/1525, S. 106 f.; ebenso Huster, GesR 2008, 449 (450) unter FN 9. 187 Vgl. Becker, MedR 2010, 218 (223), allerdings in Bezug auf die Übernahme von Kosten-Nutzen-Bewertungen des IQWiG durch den G-BA. 188 Vgl. Kruse, in: Kruse/Hänlein (Hrsg.), SGB V, § 12 Rdn. 9; von Langsdorff, in: Sodan (Hrsg.), Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 9 Rdn. 11. 189 Engelhard, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), jurisPK-SGB V, § 12 Rdn. 108. 190 Engelhard, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), jurisPK-SGB V, § 12 Rdn. 110; so im Ergebnis wohl auch Vießmann, VSSR 2010, 105 (140 f.). 191 So im Ergebnis wohl auch Roters, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 92 Rdn. 4 f. 185
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Erforderlich ist vielmehr ein sachgerechtes gesundheitsökonomisches Evaluations- bzw. Analyseverfahren.192 Die Anwendung eines derartigen Verfahrens setzt allerdings voraus, dass feststeht, welche Kosten und welcher Nutzen einer Maßnahme in die Bewertung einfließen sollen und vor allem, wie die Relation zwischen beiden Komponenten zu bestimmen ist. Entscheidend für die Beantwortung dieser Frage sind die Vorgaben des SGB V.193 (aa) Der Kostenbegriff (Į) Ökonomischer Kostenbegriff In der Gesundheitsökonomie wird zwischen direkten, indirekten und intangiblen bzw. psychosozialen Kosten unterschieden.194 Zu den direkten Kosten gehören alle Personal- und Sachkosten, die mit der Planung, Durchführung und Kontrolle einer gesundheitsrelevanten Technologie verbunden sind. Dazu zählen auch die Kosten der Behandlung sog. „maßnahmeinduzierter Gesundheitsminderungen“ (z.B. Risiken chirurgischer Eingriffe oder Nebenwirkungen bei der Verwendung medizinisch-technischer Geräte). Daneben sind die Kosten, die den Patienten durch den Konsum komplementärer Güter entstehen, zu berücksichtigen (z.B. Diätprogramme, Fahrtkosten).195 Indirekte Kosten umfassen dagegen die Produktionsverluste als Folge von Mortalität und Morbidität (z.B. Arbeitsausfall, Erwerbsunfähigkeit, vorzeitiger Tod). Dazu zählen auch die sog. „Zeitkosten“, die dadurch entstehen, dass die Patienten während der medizinischen Maßnahme nicht dem Produktionsprozess zur Verfügung stehen oder auf Freizeit verzichten müssen.196 Intangible oder psychosoziale Kosten sind die mit einer medizinischen Maßnahme einhergehenden psychischen Belastungen, Schmerzen oder Unbequemlichkeiten. Derartige Positionen sind im Regelfall nicht in einem Geldwert erfassbar (=„intangibel“) und werden meist nicht in die Evaluation mit einbezogen.197
192 Sog. „Problematik der Quantifizierung von Qualitätsfragen“, vgl. Noftz, in: Hauck/ Noftz (Hrsg.), SGB V, § 12 Rdn. 23; allgemein zur ökonomischen Problematik der KostenNutzen-Bewertung Schöffski, RPG 2003, 59 ff. (60); ausführlich auch Deutscher Ethikrat (Hrsg.), Nutzen und Kosten im Gesundheitswesen, S. 8, 32 ff., 41 ff., 56 ff. 193 Siehe hierzu auch Becker, MedR 2010, 218 (225); Huster, MedR 2010, 234 in Bezug auf die Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln. 194 Ausführlich Hajen/Paetow/Schumacher, Gesundheitsökonomie, 3. Aufl., Kap. 9.2, S. 225 ff.; Greiner, in: Schöffski/Graf v. d. Schulenburg (Hrsg.), Gesundheitsökonomische Evaluationen, Kap. 4.3; Schöffski, RPG 2003, 59 (62 f.); Deutscher Ethikrat (Hrsg.), Nutzen und Kosten im Gesundheitswesen, S. 39 f. 195 Hajen/Paetow/Schumacher, Gesundheitsökonomie, 3. Aufl., Kap. 9.2, S. 225 f.; weitere Beispiele bei Schöffski, RPG 2003, 59 (63). 196 Hajen/Paetow/Schumacher, Gesundheitsökonomie, 3. Aufl., Kap. 9.2., S. 226; weitere Beispiele bei Schöffski, RPG 2003, 59 (63). 197 Hajen/Paetow/Schumacher, Gesundheitsökonomie, 3. Aufl., Kap. 9.2., S. 226; differenzierend Schöffski, RPG 2003, 59 (63).
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(ȕ) Gesetzliche Vorgaben Der Wortlaut des § 12 I SGB V gibt keinen Aufschluss über die Reichweite des Kostenbegriffs. Allerdings dient das SGB V in erster Linie dem Schutz des Versicherten vor dem Versicherungsfall Krankheit.198 Daraus ergibt sich, dass sich die Leistungspflicht der Krankenkassen nur auf Maßnahmen medizinischer Natur, die gezielt der Krankheitsbekämpfung dienen, erstreckt.199 In einem gesundheitsökonomischen Evaluationsverfahren sind deswegen nur solche Kosten zu veranschlagen, die durch die Krankheit veranlasst werden.200 Aufschluss darüber, welche Kosten als durch die Krankheit veranlasst gelten, gibt § 13 SGB V. In § 13 I SGB V heißt es: „Die Krankenkasse darf anstelle der Dienst- oder Sachleistung (§ 2 II) Kosten201 nur erstatten, soweit es dieses Buch [= SGB V] […] vorsieht“. Ergänzend heißt es in § 13 II 9 SGB V: „Anspruch auf Erstattung [der Kosten] besteht höchstens in Höhe der Vergütung, die die Krankenkasse bei Erbringung als Sachleistung zu tragen hätte.“202 Dadurch stellt die Norm den Bezug zum Vergütungsrecht her, das Art und Umfang der Vergütung der Leistungserbringer regelt. Hieraus ist der Schluss zu ziehen, dass „Kosten“ i.S.d. SGB V vornehmlich diejenigen Kosten sind, die der Krankenkasse nach den Vorgaben des Vergütungsrechts zur Vergütung des handelnden Leistungserbringers entstehen203 oder bei neuen Leistungen voraussichtlich entstehen werden.204 Dabei handelt es sich – nach gesundheitsökonomischer Diktion – um eine Teilmenge der sog. direkten Kosten.205
198 BSGE 37, 138 (141); dazu Mrozynski, in: Wannagat (Begr.), SGB V, § 27 SGB V Rdn. 7. 199 BSGE 42, 16 (18 f.); BSGE 53, 273 (275); BSGE 81, 240 (243). 200 Vgl. BSGE 81, 240 (243). 201 Hervorhebung durch den Verfasser. 202 Hierzu Brandts, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 13 Rdn. 39. 203 Ebenso Koch/Sawicki, MedR 2010, 240 (243); ähnlich Deutscher Ethikrat (Hrsg.), Nutzen und Kosten im Gesundheitswesen, S. 40 f.; dies ist allerdings nicht unumstritten, vgl. dazu Huster, GesR 2008, 449 (456 f.); weiterführend Roters, NZS 2010, 612 (617); kritisch Schöffski, RPG 2003, 59 (63), der zu Bedenken gibt, dass „die amtlichen Gebührenordnungen“ keine direkten Kosten enthielten, sondern durch Verhandlungen und politische Faktoren hervorgegangene Größen darstellten. 204 Hierzu Roters, NZS 2010, 612 (617). 205 Vgl. Becker, MedR 2010, 218; ähnlich in Bezug auf Kosten-Nutzen-Bewertungen bei Arzneimitteln Huster, GesR 2008, 449 (456 f.); ein weiterer Kostenbegriff liegt anscheinend der Methodik des IQWiG zugrunde; vgl. hierzu Koch/Sawicki, MedR 2010, 240 (243); eingehend zur Problematik der Bestimmung des Kostenbegriffs aus ökonomischer Sicht Schöffski, RPG 2003, 59 (62 f.).
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(bb) Der Nutzenbegriff (Į) Bestimmung des Nutzenbegriffs Der Nutzenbegriff verfügt schon aufgrund des natürlichen Sprachgebrauchs über eine größere Bedeutungsunschärfe als der Kostenbegriff.206 Daher verwundert es nicht, dass weder in Philosophie, Rechtswissenschaft, Medizin oder Ökonomie eine unumstrittene Definition aufzufinden ist.207 Dies mag auch mit der Vielzahl unterschiedlicher Kontexte zusammenhängen, in denen der Begriff Anwendung findet. Die Regelungen des SGB V stellen in diesem Zusammenhang lediglich einen möglichen Anwendungsfall dar. Die einzige Möglichkeit sich dem Begriffskern zu nähern, besteht darin, den „Nutzen“ zunächst abstrakt – also losgelöst vom jeweiligen Einzelfall – zu definieren und dann auf den jeweils relevanten Kontext zu übertragen. Die wohl abstrakteste Möglichkeit, den Nutzenbegriff mit Leben zu füllen, besteht darin, ihn allgemein als „Merkmal von Sachverhalten aufgrund einer Beurteilung hinsichtlich der (Be-)Förderung bestimmter Zwecke“ zu interpretieren.208 Legt man diese Definition zugrunde, so hängt die Konkretisierung des Nutzenbegriffs des SGB V von drei Parametern ab: -
Es bedarf erstens der Festlegung, welcher Sachverhalt auf seinen Nutzen untersucht werden soll Es erfordert zweitens der Konkretisierung, welcher Zweck durch den Sachverhalt gefördert werden soll Es bedarf drittens der Definition, welche Merkmale mit welcher Gewichtung in die Beurteilung des Nutzens des zu untersuchenden Sachverhalts einfließen sollen.
Daran schließt sich die Frage an, wie der „Nutzen“ eines Sachverhalts im Rahmen einer gesundheitsökonomischen Evaluation mathematisch beziffert werden kann. 206
Vgl. Trapp, in: Sandkühler (Hrsg.), Enzyklopädie Philosophie, Band 1, S. 968. Dies hat sich auch nach der Einführung des AMNOG (BT-Drs. 17/2413) nicht geändert; vgl. Heinemann/Lang, MedR 2011, 150; Maassen, GesR 2011, 82 (88 ff.); eine auf die Nutzenbewertung von Arzneimitteln bezogene Definition findet sich allerdings inzwischen in § 2 III AM-NutzenV. Eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Begrifflichkeit des Nutzens aus juristischer Sicht findet sich bei Francke/Hart, MedR 2008, 1 (11 ff.), Hauck, SGb 2010, 193 (195) und Roters, NZS 2010, 612 ff.; zum Nutzenbegriff des IQWiG Huster, GesR 2010, 122 (123 ff.); aus medizinischer Sicht Köbberling, ZEFQ 103 (2009), 249 (251) oder Raspe, ZEFQ 2009, 253 (255); aus philosophischer Sicht Trapp, in: Sandkühler (Hrsg.), Enzyklopädie der Philosophie, Band 1, S. 968 oder Bentham, in: Höffe (Hrsg.), Einführung in die utilitaristische Ethik, S. 55 (56 ff.); aus ökonomischer Sicht Breyer/Zweifel/Kifmann, Gesundheitsökonomik, Kap. 2.2., S. 21 ff.; allgemein Mühlbacher/Bethge/Ekert/Tockhorn/Nübling, RPG 2009, 53 (55). 208 Kirchner/Michaelis, Wörterbuch der philosophischen Begriffe, S. 464; konkreter formuliert der Philosoph Jeremy Bentham (1748 – 1832): „Unter Nützlichkeit ist jene Eigenschaft an einem Objekt zu verstehen, durch die es dazu neigt, Gewinn, Vorteil, Freude oder Glück hervorzubringen…“ (Bentham, in: Höffe (Hrsg.), Einführung in die utilitaristische Ethik, S. 55 [56]); hierzu auch Lüngen/Schrappe, in: Lauterbach/Lüngen/Schrappe (Hrsg.), Gesundheitsökonomie, Management und Evidence-based Medicine, Kap. 5.3.2., S. 45 ff. 207
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Dabei handelt es sich um eine äußerst komplexe Fragestellung, die unter dem Begriff der „Quantifizierung von Qualitäten“ diskutiert wird.209 (ȕ) Gesetzliche Vorgaben Definiert man den „Nutzen“ abstrakt als ein Merkmal von Sachverhalten aufgrund einer Beurteilung hinsichtlich der Förderung bestimmter Zwecke,210 so ergeben sich in Bezug auf das SGB V die folgenden Ergebnisse:211 -
-
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Der Sachverhalt, der auf seinen Nutzen hin untersucht werden soll, besteht in der jeweiligen medizinischen Leistung. Diese kann im hier relevanten Zusammenhang sowohl therapeutischer, als auch diagnostischer Natur sein. Die Behandlungsziele des § 27 I 1 SGB V bestimmen den Zweck, der gefördert werden soll.212 Die medizinische Leistung muss folglich dazu dienen, eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Da der „Nutzen“ die zentrale medizinische Dimension beschreibt, die eine medizinische Leistung bei einem Patienten hervorruft,213 bedarf es letztlich einzelner Kriterien, anhand derer beurteilt werden kann, auf welche Art und Weise eine Leistung den Behandlungszielen des § 27 I 1 SGB V dient. Diesbezüglich enthält der allgemeine Teil des SGB V keine Vorgaben. Das BSG stellte in älteren Entscheidungen – mit dem Hinweis auf Sinn und Zweck des § 12 I SGB V – bei der Nutzenbewertung auf Kriterien wie Art, Dauer und Nachhaltigkeit des Heilerfolges ab.214 In der Literatur wird verallgemeinernd formuliert, dass der Nutzen einer medizinischen Leistung auf der Grundlage ihrer Auswirkungen auf Mortalität, Morbidität und Lebensqualität festgestellt werden solle.215 Derartige Auswirkungen können sowohl positiver, als auch negativer Natur sein.
Vgl. Noftz, in: Hauck/Noftz (Hrsg.), SGB V, § 12 Rdn. 23. Kirchner/Michaelis, Wörterbuch der philosophischen Begriffe, S. 464; konkreter formuliert der Philosoph Jeremy Bentham (1748 – 1832): „Unter Nützlichkeit ist jene Eigenschaft an einem Objekt zu verstehen, durch die es dazu neigt, Gewinn, Vorteil, Freude oder Glück hervorzubringen…“ (Bentham, in: Höffe (Hrsg.), Einführung in die utilitaristische Ethik, S. 55 [56]). 211 Eine ausführliche Auseinandersetzung mit dieser Begrifflichkeit findet sich bei Francke/Hart, MedR 2008, 1 (11 ff.); aus der Sicht eines Mediziners Köbberling, ZEFQ 103 (2009), 249 (251). 212 Ebenso BSGE 97, 190 (198 f.); Francke/Hart, MedR 2008, 2 (9); Roters, NZS 2010, 612 (613 f.). 213 Vgl. Francke, in: Kern/Wadle/Schroeder/Katzenmeier (Hrsg.), FS Laufs, S. 793 (800). 214 Vgl. BSGE 52, 70 (74 f.); BSGE 52, 134 (139); BSGE 64, 255 (258 f.); Höfler, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 12 Rdn. 40; Noftz, in: Hauck/Noftz (Hrsg.), SGB V, § 12 Rdn. 23. 215 Francke/Hart, MedR 2008, 2 (13); Kellner, GesR 2008, 189 (191); ausführlich Roters, NZS 2010, 612 (614), der darauf hinweist, dass die Therapieziele i.R.d. Nutzenbewertung gewichtet werden müssen. 210
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§ 35b I 4 SGB V sieht neuerdings für die Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln vor, dass beim „Patienten-Nutzen“ insbesondere die Verbesserung des Gesundheitszustandes, eine Verkürzung der Krankheitsdauer, eine Verlängerung der Lebensdauer, eine Verringerung der Nebenwirkungen sowie eine Verbesserung der Lebensqualität […] angemessen berücksichtigt werden sollen. Dadurch hat der Gesetzgeber die Kriterien, die schon vorher in Literatur und Rechtsprechung anerkannt waren nicht nur aufgegriffen, sondern teilweise auch konkretisiert. Der „Nutzen“ i.S.d. § 12 I SGB V ist folglich als das Ergebnis einer Gesamtabwägung aller positiven und negativen Auswirkungen einer medizinischen Leistung auf den Gesundheitszustand des Versicherten bzw. Patienten, insbesondere bezogen auf Kriterien wie Mortalität, Morbidität und Lebensqualität, zu definieren.216 (cc) Ökonomische Verfahren zur Feststellung der Relation von Kosten und Nutzen Die Feststellung einer Relation zwischen Kosten und Nutzen einer Leistung erfordert die Anwendung eines gesundheitsökonomischen Evaluationsverfahrens.217 Dazu wurden verschiedene Vorgehensweisen entwickelt, die sich dadurch unterscheiden, dass sie die Kosten- und Nutzenkomponenten in unterschiedlicher Weise berücksichtigen.218 Als derzeit wichtigste Verfahren haben sich die KostenEffektivitäts-Analyse, die Kosten-Nutzwert-Analyse und die Kosten-NutzenAnalyse (i.e.S.) etabliert.219 Sie differieren darin, in welchen Einheiten die positi-
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In ähnlicher Weise formuliert Hart, MedR 2008, 1 (14): „Nutzen ist […] das positive Ergebnis oder die positive Bilanz der vergleichenden Abwägung zwischen Wirksamkeitswahrscheinlichkeit und Risiken einer Untersuchungs- und Behandlungsmethode oder eines Arzneimittels unter Alltagsbedingungen im Hinblick auf das diagnostische oder therapeutische Ziel oder Teilziel der Behandlung von Patienten bzw. Patientengruppen. Nutzen ist eine bewertende Aussage über vorhandenes Wissen.“; in § 2 III AM-NutzenV heißt es in Bezug auf die Nutzenbewertung von Arzneimitteln: „Der Nutzen eines Arzneimittels im Sinne dieser Verordnung ist der therapeutische Effekt insbesondere hinsichtlich der Verbesserung des Gesundheitszustandes, der Verkürzung der Krankheitsdauer, der Verlängerung des Überlebens, der Verringerung von Nebenwirkungen oder einer Verbesserung der Lebensqualität.“; eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem Nutzenbegriff findet sich auch bei Hauck, SGb 2010, 193 (195) und Roters, NZS 2010, 612 ff.; vgl. zur identischen Kriterienauswahl des IQWiG Koch/Sawicki, MedR 2010, 240 (242); Huster, GesR 2010, 122 (124); krit. Köbberling, ZEFQ 103 (2009), 249 (251). 217 Vgl. Hajen/Paetow/Schumacher, Gesundheitsökonomik, 3. Aufl., Kap. 9. 1, S. 223. 218 Schöffski, RPG 2003, 59 (60); weiterführend Deutscher Ethikrat (Hrsg.), Nutzen und Kosten im Gesundheitswesen, S. 32 ff. 219 Vgl. etwa Kellner, GesR 2008, 189 (190); zu weiteren gesundheitsökonomischen Evaluationsverfahren Greiner, in Schöffski/Graf v. d. Schulenburg (Hrsg.), Gesundheitsökonomische Evaluationen, Kap. 4, S. 49 ff.
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ven bzw. negativen Wirkungen einer medizinischen Maßnahme gemessen werden.220 (Į) Kosten-Effektivitäts-Analyse Bei der Kosten-Effektivitäts-Analyse werden die positiven Wirkungen einer Leistung auf die Gesundheit eines Patienten in einer eindimensionalen Skala gemessen.221 Man spricht von einer „eindimensionalen Skala“, weil jeweils nur ein Parameter in der Analyse Berücksichtigung findet. Dieser ist typischerweise klinischer Natur, wie etwa die Senkung des Blutdrucks, die Anzahl gewonnener symptomfreier Tage, die Verringerung des Cholesterinspiegels etc.222 Das Ergebnis der Kosten-Effektivitäts-Analyse ergibt sich aus einem Quotienten aus den zusätzlichen Kosten und dem zusätzlichen Nutzen, gemessen in natürlichen Einheiten (z.B. Kosten zur Senkung des Blutdrucks pro mm Hg oder Kosten pro Gewinnung eines symptomfreien Tages).223 Aufgrund der eindimensionalen Skala ist die Kosten-Effektivitäts-Analyse nur sinnvoll, wenn die zu vergleichenden alternativen Therapieformen lediglich eine einzige, qualitativ identische spezifische Wirkung und keine Nebenwirkung haben (z.B. verschiedene Medikamente zur Senkung des Blutdrucks).224 Von beiden Maßnahmen ist dann diejenige vorzuziehen, die im Vergleich den geringeren Quotienten aufweist. Auch ist die Kosten-Effektivitäts-Analyse grundsätzlich nur dann praktikabel, wenn es um die Klärung der Frage geht, wie mit der Hilfe eines bereits fest vorgegebenen Budgets die größte Effektivität oder der größte Nutzen erreicht werden kann.225 Sie liefert keine Antwort auf die Frage, ob eine Maßnahme überhaupt durchgeführt werden soll. Zudem setzt ihre Anwendung voraus, dass es ethisch ohne Bedeutung ist, bei welcher Person oder Personengruppe ein bestimmter Effekt eintritt.226 (ȕ) Kosten-Nutzwert-Analyse Im Unterschied zur Kosten-Effektivitäts-Analyse ermöglicht es die KostenNutzwert-Analyse, der Mehrdimensionalität des Nutzenbegriffs Rechnung zu tragen. Mit ihr versucht man, alle Wirkungen einer Maßnahme durch ein geeignetes
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Breyer/Zweifel/Kifmann, Gesundheitsökonomik, Kap. 2.2, S. 21; hierzu auch Schöffski, in: Schöffski/Graf v. d. Schulenburg (Hrsg.), Gesundheitsökonomische Evaluationen, Kap. 5.1., S. 65. 221 Kellner, GesR 2008, 189 (190). 222 Kellner, GesR 2008, 189 (190); Breyer/Zweifel/Kifmann, Gesundheitsökonomik, Kap. 2.2, S. 21. 223 Kellner, GesR 2008, 189 (190); ausführlich Hajen/Paetow/Schumacher, Gesundheitsökonomie, 3. Aufl., Kap. 9.3, S. 229 ff. 224 Breyer/Zweifel/Kifmann, Gesundheitsökonomik, Kap. 2.2, S. 21. 225 Breyer/Zweifel/Kifmann, Gesundheitsökonomik, Kap. 2.2, S. 22. 226 Ausführlich Breyer/Zweifel/Kifmann, Gesundheitsökonomik, Kap. 2.2, S. 22; Kellner, GesR 2008, 189 (190).
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Gewichtungsschema bei der Bewertung zu berücksichtigen.227 Da in die Bewertung potentiell mehrere Parameter einfließen (z.B. Lebensverlängerung und Änderung des Gesundheitszustandes), handelt es sich um ein mehrdimensionales Bewertungsverfahren. Das Ergebnis der Kosten-Nutzwert-Analyse richtet sich maßgeblich danach, welches Gewichtungsschema der Nutzenbestimmung zugrunde gelegt wird. Hierzu haben sich verschiedene Konzepte entwickelt, die sich nach der Art und Weise unterscheiden, wie sie die mehrdimensionalen Wirkungen einer Maßnahme (=Nutzen) in einem Index zusammenfassen.228 Am populärsten ist die Nutzenmessung auf der Grundlage der QUALYsMethode.229 Bei der Bestimmung der QUALYs werden zunächst die Nutzengewichte für die verschiedenen Gesundheitszustände aus einer Befragung gewonnen.230 Auf der Grundlage dieser Untersuchungsergebnisse werden alle denkbaren Gesundheitszustände auf einer Skala bewertet, auf der der Tod den Nullpunkt und der Zustand vollkommener Gesundheit den Wert 1 einnimmt. Die jeweiligen skalaren Werte der jeweils relevanten Gesundheitszustände sind danach zu einem Index zu summieren. Diese Summe kann danach als Zuwachs an QUALYs interpretiert werden. Verlängert eine Behandlung die Restlebensdauer um fünf Jahre und beträgt die Lebensqualität pro Jahr auf der ermittelten Skala 0,5, so ergibt sich daraus eine Summe von 2,5 QUALYs.231 Auf diese Weise können alle gesundheitlichen Auswirkungen einer Maßnahme verglichen werden.232 Die Kosten-Nutzwert-Analyse ist – ebenso wie die Kosten-EffektivitätsAnalyse – nur für den Vergleich sich gegenseitig ausschließender medizinischer Maßnahmen geeignet. Sie kann allerdings dazu dienen, sog. „Hitlisten“ medizinischer Maßnahmen aufzustellen, die einem politischen Entscheidungsträger – wie etwa dem G-BA – vor Augen führen können, mit welchem unterschiedlichen finanziellen Aufwand ein vergleichbarer Zuwachs an Lebensqualität in verschiedenen Bereichen der Medizin erkauft wird.233 (Ȗ) Kosten-Nutzen-Analyse i.e.S. Die Kosten-Nutzen-Analyse im engeren Sinne ist die Erfassung, Bewertung und Gegenüberstellung aller relevanten Kosten- und Nutzenkomponenten in Geldein227 Breyer/Zweifel/Kifmann, Gesundheitsökonomik, Kap. 2.2., S. 21; Kellner, GesR 2009, 189 (190); Schöffski, RPG 2003, 59 (61). 228 Breyer/Zweifel/Kifmann, Gesundheitsökonomik, Kap 2.3.1, S. 25; ausführlich auch Mühlbacher/Bethge/Ekert/Tockhorn/Nübling, RPG 2008, 53 (55 ff.). 229 Quality-Adjusted Life Years; dazu ausführlich Lüngen/Schrappe, in: Lauterbach/Lüngen/Schrappe (Hrsg.), Gesundheitsökonomie, Management und Evidence-based Medicine, Kap. 5.3.3, S. 48 ff.; mit praktischen Beispielen Schöffski, RPG 2003, 59 (63 ff.); krit. Huster, GesR 2010, 122 (125); ausführlich Deutscher Ethikrat (Hrsg.), Nutzen und Kosten im Gesundheitswesen, S. 61 ff. 230 Breyer/Zweifel/Kifmann, Gesundheitsökonomik, Kap. 2.3.2.1, S. 26. 231 Beispiel bei Kellner, GesR 2008, 189 (190). 232 Breyer/Zweifel/Kifmann, Gesundheitsökonomik, Kap 2.2, S. 22. 233 Kellner, GesR 2008, 189 (191).
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heiten.234 Dazu wird jeder Verbesserung bzw. Verlängerung der Lebensdauer ein Geldwert zugeordnet.235 Dies erfolgt entweder durch den sog. „Humankapitalansatz“ oder den „Ansatz der Zahlungsbereitschaft“. Nach dem Humankapitalansatz wird der Wert einer Behandlung nach Erhaltung des Humankapitals berechnet. Dies entspricht der Summe der zukünftigen Beiträge des Menschen zum Sozialprodukt.236 Dieses Verfahren gilt zwar als leicht operationalisierbar, doch weist es schwerwiegende ethische Mängel auf.237 Der Ansatz der Zahlungsbereitschaft beruht dagegen auf einem subjektiven Nutzenkonzept. Als Maß für den geldwerten Nutzen einer Maßnahme wird die Summe der Zahlungsbereitschaften der betroffenen Personen verwendet.238 Die Zahlungsbereitschaft lässt sich direkt im Wege der Umfrage oder indirekt über Verhaltensbeobachtungen ermitteln.239 Die Kosten-Nutzen-Analyse befürwortet eine Maßnahme, wenn die Summe der Zahlungsbereitschaften höher ist als die Kosten der Maßnahme.240 Das Verfahren ist dazu geeignet, jede einzelne in Frage stehende Maßnahme für sich genommen zu bewerten.241 Mit ihm lassen sich verschiedene Maßnahmen nicht nur vergleichen, sondern es beantwortet auch die Frage, welche Mittel insgesamt zur Erhöhung der Lebensdauer und -qualität ausgegeben werden sollten.242 (dd) Gesetzliche Vorgaben für die Auswahl des Analyseverfahrens Eine präzise Definition des Kosten- und Nutzenbegriffs bildet die Grundlage für die Durchführung einer ökonomischen Evaluation. Darauf aufbauend bedarf es einer ökonomischen Evaluationsmethode, die den Anforderungen des SGB V Rechnung trägt. Da das SGB V keine explizite Festlegung auf ein konkretes ökonomisches Verfahren beinhaltet, bleibt zunächst nur die Möglichkeit, die Verfahrenswahl auf den gesetzlich intendierten Nutzenbegriff zu stützen. Wird der „Nutzen“ i.S.d. § 12 I SGB V als das Ergebnis einer Gesamtabwägung aller positiven und negativen Auswirkungen einer medizinischen Leistung auf den Gesundheitszustand des Patienten bzw. Versicherten, insbesondere bezogen auf Kriterien wie Mortalität, Morbidität und Lebensqualität, interpretiert, so folgt daraus, dass die Bestimmung des Nutzens nach der Intention des Gesetzgebers möglichst umfassend anhand ei-
234
Kellner, GesR 2008, 189 (191). Breyer/Zweifel/Kifmann, Gesundheitsökonomik, Kap 2.4, S. 38. 236 Kellner, GesR 2008, 189 (191); ausführlich Breyer/Zweifel/Kifmann, Gesundheitsökonomik, Kap 2.4.2., S. 43. 237 Ausführlich Breyer/Zweifel/Kifmann, Gesundheitsökonomik, Kap 2.4.2, S. 44; Kellner, GesR 2008, 189 (191); Schöffski, RPG 2003, 59 (61). 238 Kellner, GesR 2008, 189 (191); ausführlich Breyer/Zweifel/Kifmann, Gesundheitsökonomik, Kap 2.4.3. f., S. 44 ff. 239 Kellner, GesR 2008, 189 (191). 240 Breyer/Zweifel/Kifmann, Gesundheitsökonomik, Kap 2.4.4, S. 46. 241 Breyer/Zweifel/Kifmann, Gesundheitsökonomik, Kap 2.2, S. 24. 242 Kellner, GesR 2008, 189 (191) m.w.N. 235
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13. Kap.: Der Anspruch des GKV-Versicherten auf Krankenbehandlung
nes Kriterienkataloges erfolgen soll. Dem entsprechend verfügt das SGB V über einen mehrdimensionalen Nutzenbegriff. Auf der Grundlage dieser Erkenntnis lässt sich der Kreis potentiell anwendbarer Evaluationsmethoden eingrenzen. Erforderlich ist nämlich, dass das jeweilige Verfahren dieser Mehrdimensionalität Rechnung trägt. Dies trifft lediglich auf die Kosten-Nutzwert- und die Kosten Nutzen-Analyse i.e.S. zu. Da die Kosten-Effektivitäts-Analyse nur die Berücksichtigung eines klinischen Parameters erlaubt, muss sie grundsätzlich aus dem Kanon gesetzeskonformer Analyseverfahren ausscheiden. Obwohl das SGB V keine explizite Festlegung auf ein ökonomisches Evaluationsverfahren enthält, lässt sich ihm implizit ein weiteres Entscheidungskriterium entnehmen. Dieses folgt aus § 139a IV 1 SGB V, der allerdings vordergründig die Nutzenbewertung durch das IQWiG regelt. Die Norm sieht vor, dass das Institut die Bewertung des medizinischen Nutzens auf der Grundlage der international anerkannten Standards der Gesundheitsökonomie zu gewährleisten hat.243 Die Relevanz dieser Vorschrift für die Auswahl des Analyseverfahrens ergibt sich allerdings erst aus deren Zusammenschau mit § 139a III SGB V. Letzterer benennt die Aufgaben des IQWiG, dessen Arbeit nach der Gesetzesbegründung zum Ziel hat, die grundsätzlichen Leistungsanforderungen des SGB V zu sichern.244 Wenn die Arbeit des Instituts nach der Intention des Gesetzgebers die grundsätzlichen Leistungsanforderungen des SGB V sichern und das Institut dabei nach § 139a IV 1 SGB V die Nutzenbewertung anhand der international anerkannten Standards der Gesundheitsökonomie vornehmen soll, kann dies nur bedeuten, dass der Gesetzgeber die Wahrung dieses Standards auch für die Tätigkeit des G-BA beabsichtigte. Es wäre widersprüchlich, wenn er andere Maßstäbe an die Arbeit des IQWiG anlegte, als diejenigen, die allgemein im SGB V gelten sollen. Dies führt im Ergebnis dazu, dass die Wahl der gesundheitsökonomischen Evaluationsmethode davon abhängt, was unter den „international anerkannten Standards der Gesundheitsökonomie“ zu verstehen ist. Dabei handelt es sich um einen dynamischen Begriff, dessen Bedeutung – abhängig vom Stand der wissenschaftlichen Diskussion – jeweils nur für einen bestimmten Zeitpunkt bestimmt werden kann. Derzeit ist unter deutschen Gesundheitsökonomen relativ unumstritten, dass die Kosten-Nutzwert-Analyse diesem Standard genügt.245 Dafür spricht auch, dass
243
Hierzu Gassner, PharmR 2007, 441 (447 f.); Koch/Sawicki, MedR 2010, 240 (242); Orlowski, MedR 2010, 245 (247); Huster, GesR 2010, 122 (125); Deutscher Ethikrat (Hrsg.), Nutzen und Kosten im Gesundheitswesen, S. 46 ff. (47). 244 BT-Drs. 15/1525, S. 127; dazu Hess, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 139a Rdn. 8; Schneider, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, SGB V, § 139a Rdn. 9 f. 245 Gassner, PharmR 2007, 441 (448) m.w.N.; a.A. wohl Kellner, der – allerdings ohne Verweis auf den international anerkannten Standard der Gesundheitsökonomie – die Kosten-Nutzen-Analyse i.e.S. vorzuziehen scheint (Kellner, GesR 2008, 189 [192]).
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sich die im Rahmen dieser Methode entwickelte Form der Messung des Patientennutzens in QUALYs weitgehend durchgesetzt hat.246 (4) Ergebnis Bei der Feststellung der Wirtschaftlichkeit i.e.S. handelt es sich um ein äußerst komplexes Verfahren, das derzeit noch mit einer erheblichen Anzahl von Unwägbarkeiten behaftet ist. Als problematisch erweist sich dies vor allem deswegen, weil gerade die Kosten-Nutzen-Analyse auf einer Vielzahl von Werturteilen basiert, die in das Verfahren einfließen.247 Insbesondere mangelt es an einer Norm, die ein konkretes Evaluationsverfahren oder wenigstens einige Rahmenbedingungen für die Anwendung derartiger Verfahren bei der Prüfung der Wirtschaftlichkeit i.e.S. ausdrücklich anordnet. Nach den derzeitigen – auf mittelbarem Wege – aufwändig zu destillierenden Vorgaben des Gesetzgebers, kommt zur Durchführung einer Kosten-NutzenAnalyse nur ein solches Verfahren in Betracht, das in der Lage ist, den mehrdimensionalen sozialrechtlichen Nutzenbegriff mathematisch abzubilden. Nach dem gegenwärtigen Meinungsstand wird die Kosten-Effektivitäts-Analyse diesen Vorgaben gerecht. 2. Vorsteuerung durch das Leistungsrecht des SGB V, §§ 27 ff. SGB V An die Vorsteuerung des Vorgangs der Rechtskonkretisierung durch den allgemeinen Teil des SGB V schließt sich die Vorsteuerung durch die Vorschriften des Leistungsrechts (§§ 27 ff. SGB V) an. Den §§ 27 ff. SGB V kommt aus diesem Grund nicht nur die Funktion zu, die Voraussetzungen der Entstehung des Rahmenrechts des Versicherten in Bezug auf bestimmte Arten der Krankenbehandlung zu ergänzen. Vielmehr kanalisieren sie auf der Rechtsfolgenseite das Spektrum generell verfügbarer medizinischer Leistungen in bestimmte Leistungskorridore. Dazu präzisieren die Normen den allgemeinen Inhalt des Rahmenrechts auf Krankenbehandlung aus § 27 I 2 SGB V.248 Der Begriff der Krankenbehandlung umfasst danach die (zahn-)ärztliche Behandlung, die Versorgung mit Zahnersatz, die Versorgung mit Arznei-, Verbands-, Heil- und Hilfsmitteln, die häusliche Krankenpflege und Haushaltshilfe, die Krankenhausbehandlung und Leistungen zur medizinischen Rehabilitation sowie ergänzender Leistungen. Dadurch, dass § 27 I 2 SGB V den Inhalt der Krankenbehandlung nur gattungsmäßig beschreibt,249 dient die Norm lediglich einer noch 246
Gassner, PharmR 2007, 441 (448) m.w.N.; Deter, MedR 2010, 249 (250); a.A. Huster, MedR 2010, 234 (239), der QUALYS als methodisch zu unsicher, normativ zu heikel und gesetzlich nicht vorgegeben ansieht; ders., GesR 2010, 122 (125); kritisch auch Deutscher Ethikrat (Hrsg.), Nutzen und Kosten im Gesundheitswesen, S. 37 ff. 247 Vgl. Koch/Sawicki, MedR 2010, 240 (242). 248 Dazu Steege, in: von Wulffen/Krasney (Hrsg.), FS 50 Jahre BSG, S. 517; ähnlich Francke, SGb 1999, 5 (6). 249 Schwerdtfeger, NZS 1998, 49.
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13. Kap.: Der Anspruch des GKV-Versicherten auf Krankenbehandlung
recht allgemeinen inhaltlichen Festlegung des Leistungsanspruchs.250 Die dort genannten Leistungsgattungen werden deswegen durch die §§ 28 – 43a SGB V als leges speciales inhaltlich näher ausgestaltet.251 Aufgrund ihres enumerativen Charakters ist die Aufzählung des möglichen Inhalts der Krankenbehandlung in § 27 I 2 SGB V als abschließend anzusehen.252 Andere als die dort aufgeführten Leistungen dürfen weder erbracht noch beansprucht werden253 und können aufgrund des für die GKV geltenden Gesetzesvorbehalts (§ 31 SGB I) nur durch ein entsprechendes Gesetz eingeführt werden. a. Ambulanter Sektor, § 28 I 1 SGB V Die im ambulanten Sektor erbrachten Leistungen müssen nach den Regeln der ärztlichen Kunst ausreichend und zweckmäßig sein (§ 28 I 1 SGB V). Der Begriff der „Regeln der ärztlichen Kunst“ korrespondiert dabei mit demjenigen des „allgemein anerkannten Standes medizinischer Erkenntnisse“ i.S.d. § 2 I 3 SGB V.254 Die Behandlung umfasst – gemessen an diesem qualitativen Standard – diejenige Tätigkeit des Arztes, die zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Krankheiten erforderlich ist (§ 28 I 1 SGB V). Was unter der Verhütung und Früherkennung von Krankheiten zu verstehen ist, ergibt sich aus §§ 20 – 26 SGB V. Der Begriff der „Behandlung von Krankheiten“ ist dagegen deckungsgleich mit demjenigen der Krankenbehandlung in § 27 I 1 SGB V.255 Zur ärztlichen Tätigkeit zählt nach § 28 I 2 SGB V auch die Hilfeleistung anderer Personen, die von dem Arzt angeordnet und von ihm zu verantworten ist. Dabei handelt es sich um solche Tätigkeiten, die der ärztlichen Berufsausübung zuzurechnen sind, den Zielen der Krankenbehandlung dienen und die der Arzt aufgrund seines Fachwissens verantworten kann.256 Abschließend lässt sich folgern, dass ärztliche Behandlung i.S.d. § 28 SGB V nur dann vorliegt, wenn die ärztliche Tätigkeit die im Gesetz genannten Aufgaben zum Inhalt hat, mithin der Behandlung von Krankheiten insbesondere den Behandlungszielen des § 27 I 1 SGB V dient.257
250
Mrozynski, in: Wannagat (Begr.), SGB V, § 27 Rdn. 1; Lang, in: Becker/Kingreen (Hrsg.), SGB V, § 27 Rdn. 5 f. 251 Dazu instruktiv Adelt/Kraftberger, in: Kruse/Hänlein (Hrsg.), SGB V, § 27 Rdn. 59a. 252 Dies entspricht dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers, vgl. BT-Drs. 11/2237, S. 170; dazu Höfler, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 27 Rdn. 58. 253 Vgl. BSGE 81, 245 (248); Lang, in: Becker/Kingreen (Hrsg.), § 27 Rdn. 6. 254 Vgl. Höfler, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 28 Rdn. 8 m.w.N.; Knispel, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching (Hrsg.), BeckOK SGB V, § 28 Rdn. 5. 255 Vgl. Follmann, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), jurisPK-SGB V, § 28 Rdn. 35. 256 Vgl. Wagner, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, SGB V, § 28 Rdn. 7 ff.; Höfler, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 28 Rdn. 5; Knispel, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching (Hrsg.), BeckOK SGB V, § 28 Rdn. 11 ff. 257 Knispel, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching (Hrsg.), BeckOK SGB V, § 28 Rdn. 2.
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b. Stationärer Sektor, § 39 I 3 SGB V Leistungen, die im stationären Sektor erbracht werden, müssen den allgemein in § 2 I 3 SGB V festgesetzten Leistungsanforderungen, die für die gesamte Krankenversicherung gelten, gerecht werden.258 Daneben findet über § 2 I 1 SGB V auch das in § 12 I SGB V kodifizierte Wirtschaftlichkeitsgebot auf die Krankenhausversorgung Anwendung.259 § 39 I 3 SGB V sieht darüber hinaus vor, dass die Krankenhausbehandlung im Rahmen des Versorgungsauftrags des Krankenhauses alle Leistungen, die im Einzelfall nach Art und Schwere der Krankheit für die medizinische Versorgung der Versicherten im Krankenhaus notwendig sind, umfasst. Der Versorgungsauftrag eines Krankenhauses wird typischerweise bei dessen Zulassung zur Versorgung von Kassenpatienten bestimmt und richtet sich nach dem konkreten Versorgungsbedarf im Einzugsbereich.260 3. Vorsteuerung durch das Leistungserbringerrecht, §§ 70 ff. SGB V a. Allgemeines Die wohl wichtigsten Regelungen zur Konkretisierung des Rahmenrechts des Versicherten auf Krankenbehandlung finden sich im Leistungserbringerrecht. § 70 I 1 SGB V verpflichtet die Krankenkassen und Leistungserbringer zur Gewährleistung einer dem allgemein anerkannten Stand medizinischer Erkenntnisse entsprechenden medizinischen Versorgung der Versicherten. Laut § 70 I 2 SGB V muss diese ausreichend und zweckmäßig sein, darf das Maß des Notwendigen nicht überschreiten und muss in der fachlich gebotenen Qualität sowie wirtschaftlich erbracht werden. Dies entspricht den von § 2 I 1 SGB V und § 2 I i.V.m. § 12 I SGB V vorgegebenen Anforderungen an die GKV-Konformität einer Leistung. b. Beauftragung des G-BA zum Beschluss von Richtlinien, § 92 I SGB V Das BSG geht in inzwischen ständiger Rechtsprechung davon aus, dass der Gesetzgeber die Konkretisierung des Rahmenrechts auf Krankenbehandlung der vertragsärztlichen Versorgung übertragen hat.261 Entgegen dem insoweit missverständlichen Wortlaut meint vertragsärztliche Versorgung hier jedoch nicht allein den ambulanten Sektor, sondern erfasst auch die Leistungserbringer des stationären Sektors, die nach der derzeitigen Rechtslage im einheitlichen Beschlussgremium des G-BA zur Bank der Leistungserbringer miteinander verklammert sind. Zwar wurde das Rechtskonkretisierungskonzept zunächst für die Ausgestaltung 258 Vgl. BSG MedR 2009, 353 (359 f.); Wahl, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), jurisPK-SGB V, § 39 Rdn. 89; Brandts, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 39 Rdn. 88; Wagner, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, SGB V, § 39 Rdn. 32. 259 Ausführlich Noftz, in: Hauck/Noftz (Hrsg.), SGB V, § 39 Rdn. 110 ff. 260 Ausführlich unten 14. Kapitel, B. I. 261 Vgl. BSGE 81, 54 (61) m.w.N.
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13. Kap.: Der Anspruch des GKV-Versicherten auf Krankenbehandlung
der Leistungserbringung im ambulanten Sektor entwickelt,262 später jedoch ausdrücklich auf den stationären Sektor erweitert.263 Das Konzept der Ausgestaltung der Leistungserbringung durch die Leistungserbringer fußt maßgeblich auf der Erkenntnis, dass das Leistungserbringerrecht die zur Anspruchskonkretisierung nötigen Mechanismen zur Verfügung stellt. Besondere Bedeutung kommt dabei dem G-BA zu, der nach § 92 I 1 SGB V die zur Sicherung der ärztlichen Versorgung der Versicherten erforderlichen Richtlinien beschließt. § 92 I 3 SGB V fasst die Bereiche, über die er zum Richtlinienerlass berechtigt ist, in nicht abschließender Weise („insbesondere“) zusammen. Dazu zählen etwa die ärztliche Behandlung (Nr. 1), die zahnärztliche Behandlung (Nr. 2) sowie die Verordnung von Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln (Nr. 6). Durch die Zuordnung dieser Sachbereiche zur Richtlinienkompetenz des G-BA greift der Gesetzgeber im Wesentlichen die Systematik der §§ 28 ff. SGB V auf. Besondere Bedeutung kommt der Einführung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (§ 92 I 3 Nr. 5 SGB V) zu, denn obwohl die Anspruchskonkretisierung sowohl im ambulanten, als auch im stationären Sektor nach einem einheitlichen Versorgungsstandard anhand gleicher inhaltlicher Kriterien erfolgt, ergeben sich nicht nur erhebliche Unterschiede in der Ausgestaltung des Verfahrens, welches zur Integration derartiger Methoden in den Leistungsumfang der GKV erforderlich ist, sondern auch in der Wirkung der Richtlinien. Dies resultiert primär aus der konträren Konzeption der §§ 135, 137c SGB V. Sekundär aber auch aus Unterschieden im Vergütungsrecht beider Sektoren.264 Namentlich verbietet § 135 SGB V im ambulanten Sektor die Erbringung neuer Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden bis zum Vorliegen einer anerkennenden Richtlinie des G-BA, wogegen § 137c SGB V die Erbringung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden im stationären Sektor bis zu einer gegenteiligen Richtlinie des G-BA erlaubt.265 c. Verbot der Erbringung neuer Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden im ambulanten Sektor, § 135 SGB V Bestandteil des Leistungsanspruchs des Versicherten sind im ambulanten Sektor nur solche Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, die als vom Vertragsarzt abrechenbare Einzelleistungen im sog. einheitlichen Bewertungsmaßstab (§ 87 I 1 SGB V) auftauchen. Dabei handelt es sich um solche Formen der Krankenbehandlung, die auf der Grundlage von § 135 I 1 SGB V positiv in Richtlinien des G-BA bewertet und vom Bewertungsausschuss als Einzelleistungen in den EBM transformiert worden sind (§ 87 SGB V). Der G-BA stellt in diesem Verfahren den vom Bewertungsausschuss in den EBM umzusetzenden Leistungskatalog auf, innerhalb dessen Grenzen dem jeweiligen Vertragsarzt die Kompetenz zugewiesen 262
Vgl. BSGE 73, 271. Vgl. BSGE 78, 154. 264 Weiterführend Hess, in: Rebscher (Hrsg.), FS Neubauer, S. 441 (446). 265 Infolgedessen gilt für neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden ein unterschiedliches Regime, vgl. Hauck, MedR 2010, 226 (229). 263
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ist, das Recht des Versicherten im Einzelfall gegenüber der Krankenkasse in medizinischer Hinsicht verbindlich festzulegen.266 Faktisch besteht im Anwendungsbereich des § 135 SGB V ein generelles Prüfverfahren durch welches die Leistungsanforderungen in Bezug auf den jeweiligen nach § 27 I 2 SGB V möglichen Leistungsinhalt generell-abstrakt determiniert werden.267 Das allgemeine Verwaltungsverfahren zur Leistungsbewilligung durch die Krankenkassen nach §§ 8 ff. SGB X ist damit ausgeschlossen.268 Dadurch erlangt der G-BA als Organ der gemeinsamen Selbstverwaltung eine ganz erhebliche Definitionsmacht über den Leistungsanspruch des Versicherten.269 Außerhalb dieses Regelungskonzeptes bestehen für die Versicherten grundsätzlich keine Leistungsansprüche.270 d. Erlaubnis der Erbringung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden im stationären Sektor, § 137c SGB V Im stationären Sektor dürfen neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, die den Anforderungen des § 2 I 3 SGB V gerecht werden, ohne vorherige Prüfung durch den G-BA erbracht werden.271 An die Stelle des im ambulanten Sektor bestehenden formalisierten Prüfverfahrens vor dem G-BA tritt die Prüfung der jeweiligen Methode durch das in Anspruch genommene Krankenhaus.272 Nach der Rechtsprechung des BSG kommt aus diesem Grund der Frage, ob das Krankenhaus nach seiner Konzeption den Anforderungen des § 2 I 3 SGB V genügt, besondere Bedeutung zu.273 Der bisherige Verzicht auf eine der Leistungserbringung vorgelagerte Leistungsüberprüfung durch den G-BA rechtfertigt sich nach derzeit herrschender Auffassung dadurch, dass die Gefahr der Anwendung zweifelhafter, unwirksamer oder unwirtschaftlicher Maßnahmen aufgrund der internen Kontrollmechanismen und abweichenden Vergütungsstruktur in Krankenhäusern deutlich geringer ist, als bei der Versorgung durch einen einzelnen Vertragsarzt.274 Das Prüfverfahren vor dem G-BA nach § 137c SGB V wirkt sich in der Konsequenz – aufgrund seiner Konzeption als Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt – lediglich ex post auf den Anspruch des Versicherten auf Krankenbehandlung aus. Die266
BSGE 73, 271 (280 f.); BSGE 81, 54 (61); dadurch kommt es zur Herrschaft des Leistungserbringer- über das Leistungsrecht, vgl. Schmidt-De Caluwe, SGb 2006, 619; zur Anspruchskonkretisierung durch den Vertragsarzt: Francke, in: Wannagat (Begr.), SGB V, Vor § 135 Rdn. 5; Großbölting/Schnieder, MedR 1999, 405 (406). 267 Höfler, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 12 Rdn. 15 ff.; Hauck, MedR 2010, 226 (229). 268 Siehe dazu BSGE 73, 271 (281). 269 Großbölting/Schnieder, MedR 1999, 405 (406). 270 BSGE 81, 54 (61); zu den Ausnahmen vgl. unten 13. Kapitel, D. III. 271 Vgl. BSG MedR 2009, 353 (359 f.). 272 Vgl. BSG MedR 2009, 353 (359). 273 BSG aaO.; siehe dazu auch unten 14. Kapitel, B. I. 1. 274 BSGE 90, 289 (294); Hauck, NZS 2007, 461 (466); Wahl, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), jurisPK-SGB V, § 39 Rdn. 90; ausführlich zu dieser Fallgruppe Hauck, in: Sodan (Hrsg.), Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 8 Rdn. 32 ff.
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13. Kap.: Der Anspruch des GKV-Versicherten auf Krankenbehandlung
ser ergibt sich in erster Linie aus dem Versorgungsauftrag des jeweiligen Krankenhauses (vgl. §§ 39 I 3; 109 IV SGB V).
III. Grenzen des Rechtskonkretisierungskonzeptes des BSG In Rechtsprechung und Literatur sind verschiedene Sonderfälle anerkannt, in denen das Rechtskonkretisierungskonzept des BSG und die damit einhergehende Verbindlichkeitsanordnung der Richtlinien des G-BA nach § 91 VI SGB V an ihre Grenzen stoßen und daher einer Korrektur bedürfen.275 Liegt einer dieser Sonderfälle vor, ist der Versicherte trotz fehlender oder entgegenstehender Richtlinien des G-BA berechtigt, Leistungen von den Krankenkassen in Anspruch zu nehmen. Anhand der bisherigen Rechtsprechung lassen sich im Wesentlichen drei Fallgruppen unterscheiden, bei deren Vorliegen eine Abweichung vom Rechtskonkretisierungskonzept des BSG gerechtfertigt ist und die Anordnung der generellen Richtlinienverbindlichkeit nach § 91 VI SGB V durchbrochen werden kann. Dazu zählen der Systemmangel bzw. das Systemversagen, Fälle von Singularerkrankungen und Fälle von lebensbedrohlichen, regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankungen. 1. Systemmangel bzw. Systemversagen Die Fallgruppe des Systemmangels oder Systemversagens wurde vom BSG in mehreren Grundsatzurteilen entwickelt und ausdifferenziert.276 Aufgrund der Formulierung des § 135 I 1 SGB V als präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt kann das Rechtskonkretisierungskonzept des BSG speziell im ambulanten Bereich zu nicht unerheblichen Problemen bei der Leistungsgewährung führen.277 Im stationären Sektor ist die Relevanz der Problematik aufgrund der innovationsfreundlicheren Regelung in § 137c I SGB V hingegen deutlich geringer. Beim Systemmangel oder Systemversagen geht es typischerweise darum, dass ein Versicherter eine Untersuchungs- oder Behandlungsmethode beansprucht, die kein Bestandteil der ambulanten Versorgung ist, weil es an deren Anerkennung durch den G-BA mangelt.278 In einem solchen Fall scheidet ein Kostenerstattungsanspruch des Versicherten gegen die Krankenkasse gem. § 13 III SGB V grund275
Hierzu ausführlich Ulmer, in: Wannagat (Begr.), SGB V, § 12 Rdn. 32 ff.; dem hat der G-BA auch in seiner Verfahrensordnung Rechnung getragen, indem er in 2. Kap. § 12 II, III und 2. Kap. § 13 I 1 klargestellt hat, dass der Ausschluss einer Methode vom Versorgungsumgang der GKV die Anwendung der Grundsätze des Nikolausbeschlusses nicht hindert; vgl. dazu BAnz, Nr. 56, S. 1342 vom 08.04.2011, die Pressemitteilung des G-BA vom 20.01.2011 sowie die tragenden Gründe zur Änderung der Verfahrensordnung (abrufbar unter http://www.g-ba.de [abgerufen am: 13.06.2011]). 276 Die wohl wichtigsten Urteile in diesem Kontext sind BSGE 76, 194; BSGE 81, 54; BSGE 86, 54; BSGE 88, 51; dazu Ulmer, in: Wannagat (Begr.), SGB V, § 12 Rdn. 32 ff. 277 Dazu von Wulffen, GesR 2006, 385. 278 So etwa in BSGE 81, 54; BSGE 86, 54.
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sätzlich aus, weil dieser nicht weiter reicht, als ein entsprechender Sachleistungsanspruch.279 Dahinter verbirgt sich der Gedanke, dass Sachleistungs- und Kostenerstattungsanspruch inhaltlich grundsätzlich parallel laufen. Allerdings kommt ein Kostenerstattungsanspruch gem. § 13 III SGB V ausnahmsweise dann in Betracht, wenn die fehlende Anerkennung der Methode (allein) auf einem Mangel des gesetzlichen Leistungssystems beruht und dadurch eine Lücke in der vertragsärztlichen Versorgung besteht.280 a. Mangel des gesetzlichen Leistungssystems Ein Mangel des gesetzlichen Leistungssystems liegt vor, wenn das Anerkennungsverfahren für die neue Untersuchungs- oder Behandlungsmethode nach § 135 I 1 SGB V trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen willkürlich oder aus sachfremden Erwägungen vom G-BA nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wird.281 b. Bestehen einer Versorgungslücke Allein die Untätigkeit des Gremiums reicht für das Vorliegen eines Systemmangels allerdings nicht aus. Darüber hinaus ist das Bestehen einer Versorgungslücke erforderlich. Vom Vorliegen einer solchen kann nach der Systematik des SGB V nur dann ausgegangen werden, wenn das neue Verfahren dem von § 2 SGB V geforderten Versorgungsstandard entspricht.282 Dies ist im Falle des Systemmangels ausnahmsweise nicht vom G-BA, sondern von den Gerichten festzustellen.283 Dazu muss grundsätzlich die Wirksamkeit der neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode durch eine für die sichere Beurteilung ausreichende Anzahl von Behandlungsfällen aufgrund wissenschaftlich einwandfrei belegter Studien nachgewiesen werden.284 Tauchen beim Nachweis der Wirksamkeit jedoch erhebliche Schwierigkeiten auf – etwa weil der Verlauf der zu behandelnden Krankheit wissenschaftlich nicht erklärt werden kann – reichte nach der früheren Rechtsprechung des BSG zur Auslösung einer Leistungspflicht der Krankenkassen ausnahmsweise der Nachweis aus, dass sich die Methode in der medizinischen Praxis durchgesetzt hat. Davon konnte nur ausgegangen werden, wenn sie in der Fachdiskussion eine breite Resonanz gefunden hatte und von einer erheblichen Anzahl von Ärzten angewandt wurde.285
279 280 281 282 283 284 285
BSGE 79, 125 (126 f.); BSGE 96, 170 (172) m.w.N.; BSG NZS 2011, 20 m.w.N. BSGE 81, 54 (65). BSGE 81, 54 (65 f.); BSGE 86, 54 (60 f.); BSGE 88, 51 (61 f.). BSGE 76, 194 (198); BSGE 81, 54 (65 f.); BSGE 86, 54 (61). BSGE 81, 54 (68); BSGE 86, 54 (56). BSGE 81, 54 (66); BSGE 86, 54 (62) m.w.N. BSGE 81, 54 (70 f.).
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13. Kap.: Der Anspruch des GKV-Versicherten auf Krankenbehandlung
Dieses Kriterium hat das BVerfG in seinem Nikolaus-Beschluss vom 06.12.2005 für verfassungswidrig erklärt.286 Die Rechtsprechung des BSG führe dazu, dass die Leistungspflicht der Krankenkassen auch in Fällen von lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Krankheiten ausgeschlossen würde. Dies sei weder mit Art. 2 I GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip, noch mit der staatlichen Schutzpflicht für das Leben vereinbar.287 Ein Leistungsanspruch des Versicherten könne sich bei Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder vorhersehbar tödlichen Erkrankung entgegen der Rechtsprechung des BSG aus der verfassungskonformen Auslegung des Leistungsrechts des SGB V ergeben.288 2. Singularerkrankungen Eine weitere Ausnahme vom Grundsatz der Verbindlichkeit der Richtlinien gegenüber den Versicherten und übrigen Adressaten i.S.d. § 91 VI SGB V besteht im Falle sog. „Singularerkrankungen“. Im Gegensatz zum Fall des Systemmangels, der auf einem nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführten Anerkennungsverfahren vor dem G-BA beruht, kollidiert der Ausnahmefall der Singularerkrankung mit der Systematik des SGB V als solcher. a. Inkompatibilität der Singularerkrankung mit der Systematik des SGB V Bei einer Singularerkrankung handelt es sich um eine Erkrankung, die sich aufgrund ihrer Seltenheit einer systematischen wissenschaftlichen Untersuchung entzieht und für die deshalb keine wissenschaftlich auf ihre Wirkung überprüfte Behandlungsmethode zur Verfügung stehen kann.289 Naturgemäß liegen in derartigen Seltenheitsfällen keine wissenschaftlichen Studien zum Nachweis der Wirksamkeit der Methode auf der Grundlage einer ausreichenden Anzahl von Behandlungsfällen vor.290 Da jedoch der sozialrechtliche Leistungsstandard des § 2 I 3 SGB V nach gefestigter Rechtsprechung des BSG grundsätzlich nicht am Erfolg einer Maßnahme im Einzelfall zu messen ist,291 sondern an deren Erfolg in einer für dessen sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen,292 sind Singularerkrankungen mit dem Standardbegriff des SGB V grundsätzlich nicht kompatibel. Zudem kann die Vorgehensweise in einem singulären Krankheitsfall nicht als Behandlungsmethode i.S.d. § 135 I 1 SGB V aufgefasst werden,293 wodurch die Prüfungskompetenz des G-BA prinzipiell nicht eröffnet ist. 286 BVerfGE 115, 25 (47 ff.), vgl. dazu Hauck, in: Sodan (Hrsg.), Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 8 Rdn. 41 ff. 287 BVerfGE aaO. 288 Vgl. dazu i.E. unten 13. Kapitel, C. III. 3. 289 Vgl. BSGE 93, 236 (239). 290 Vgl. BSGE 76, 194 (199). 291 So bereits BSGE 76, 194 (198 f.). 292 BSGE 76, 194 (199). 293 BSGE 93, 236 (244 f.).
D. Rechtsinhalt
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b. Vorliegen eines Seltenheitsfalls Das BSG geht allerdings davon aus, dass im Falle einer Singularerkrankung die fehlende positive Richtlinienempfehlung dem Kostenerstattungsanspruch des Versicherten aus § 13 III SGB V dann nicht entgegensteht, wenn die im Zeitpunkt der Behandlung verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse die Annahme rechtfertigen, dass der voraussichtliche Nutzen der Maßnahme die möglichen Risiken überwiegen wird.294 Der Versicherte hat jedoch nachzuweisen, dass es sich bei seiner Erkrankung um einen Seltenheitsfall handelt, über den keine ausreichenden wissenschaftlichen Studien verfügbar sind, weil es sich um eine Ausnahme vom Erlaubnisvorbehalt des § 135 I 1 SGB V handelt. Dies ist – auch im Sinne eines Negativbefundes – zu dokumentieren.295 c. Wirksamkeitsnachweis Da die Leistungen der Krankenkassen auch in einer solchen Situation einem qualitativen Mindeststandard genügen müssen, fordert das BSG außerdem den Nachweis wissenschaftlicher Erkenntnisse, die die Annahme rechtfertigen, dass der voraussichtliche Nutzen der Maßnahme die möglichen Risiken überwiegen wird.296 3. Lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankungen Nach dem Nikolaus-Beschluss des BVerfG vom 06.12.2005297 kann sich ein Leistungsanspruch des Versicherten, gerichtet auf den Erhalt neuer Untersuchungsoder Behandlungsmethoden, ausnahmsweise aus der verfassungskonformen Auslegung des Leistungsrechts des SGB V gemäß § 27 I 1 SGB V oder § 13 III SGB V ergeben.298 Obwohl das BVerfG diese Rechtsprechung an einem Fall des Systemmangels entwickelt hat, ist ihr Anwendungsbereich keineswegs darauf beschränkt.299 Der
294
BSGE 93, 236 (247 f.). BSGE 93, 236 (245 f.). 296 BSGE 93, 236 (247 f.). 297 Vgl. BVerfGE 115, 25; zur Relevanz des Beschlusses vgl. etwa SchimmelpfengSchütte, NZS 2006, 567 (570); Kingreen, NJW 2010, 3408 (3410); eine fortlaufend aktualisierte Übersicht zu Entscheidungen, die sich mit Leistungsausweitungen infolge des Nikolaus-Beschlusses befassen, findet sich unter http://www.ruhr-uni-bochum.de/ifs/Nikolaus.html (abgerufen am 17.12.2010). 298 BVerfGE 115, 25 (44 ff.); in diesem Sinne auch BSGE 96, 170 (172): „Die einschlägigen Regelungen des Leistungsrechts der GKV zur Arzneimittelversorgung bedürfen jedoch […] aufgrund des Beschlusses des BVerfG vom 06.12.2005 einer weitergehenden verfassungskonformen Auslegung…“ 299 Dazu auch Joussen, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching (Hrsg.), BeckOK SGB V, § 135 Rdn. 16. 295
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13. Kap.: Der Anspruch des GKV-Versicherten auf Krankenbehandlung
Systemmangel ist vielmehr ein spezieller Anwendungsfall der grundrechtsorientierten Auslegung der Leistungsansprüche der Versicherten.300 Eine verfassungskonforme Auslegung des Leistungsrechts des SGB V ist generell dann geboten, wenn der Versicherte an einer lebensbedrohlichen, vorhersehbar tödlich verlaufenden Krankheit leidet, für die eine dem allgemein anerkannten medizinischen Standard entsprechende Behandlungsmethode nicht existiert, aber eine andere Behandlungsmethode zur Verfügung steht, die die nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf verspricht.301 a. Vorliegen einer lebensbedrohlichen Krankheit Ein Leistungsanspruch des Versicherten aus grundrechtskonformer Auslegung des Leistungsrechts des SGB V setzt zunächst das Vorliegen einer lebensbedrohlichen, regelmäßig tödlich verlaufenden Krankheit voraus. Da viele Krankheiten sich bei ungehindertem Verlauf als tödlich erweisen, können im Einzelfall Abgrenzungsprobleme entstehen.302 Es ist jedoch anzunehmen, dass die Rechtsprechung des BVerfG auf besonders schwere, fast hoffnungslose Krankheiten (Extremsituationen) beschränkt ist.303 b. Bestehen einer Versorgungslücke Eine Versorgungslücke liegt vor, wenn es an einer allgemein anerkannten, dem medizinischen Standard entsprechenden Behandlungsmethode mangelt.304 Davon ist auszugehen, wenn – bezogen auf das konkrete Behandlungsziel – überhaupt keine Behandlungsmethoden verfügbar sind oder es zwar eine Standardtherapie gibt, diese aber bei dem konkreten Versicherten wegen des Bestehens gravierender gesundheitlicher Risiken nicht angewandt werden kann oder weil die im Einzelfall abstrakt möglichen Behandlungsmethoden keinen Erfolg versprechen.305 c. Wirksamkeitsnachweis Auch im Falle einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung ist der Leistungsanspruch des Versicherten nicht unbegrenzt, denn das BVerfG verlangt das Vorliegen von Indizien für die Wirksamkeit der Untersuchungs- oder Behandlungsmethode.306 Auch hier muss die verlangte Methode ei-
300 Genauer bei BVerfGE 115, 25; BSG NJW 2007, 1380 (1382); Hauck, NJW 2007, 1320 (1321). 301 BVerfGE 115, 25 (49); inzwischen auch BSGE 96, 170 (173 ff.); BSGE 97, 190 (195 ff.). 302 Padé, NZS 2007, 352 (354). 303 Ausführlich Padé, NZS 2007, 352 (354) m.w.N.; eine Zusammenstellung bisheriger Entscheidungen des BSG zu dieser Frage findet sich bei Hauck, NJW 2007, 1320 (1322). 304 BVerfGE 115, 25 (48). 305 Hauck, NJW 2007, 1320 (1322); Padé, NJW 2007, 352 (356) m.w.N. 306 BSG NJW 2007, 1380 (1382); dazu auch Hauck, NJW 2007, 1320 (1322).
E. Ergebnis
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nem bestimmten Standard entsprechen.307 Hinweise auf die Wirksamkeit können sich dabei aus dem Gesundheitszustand des Versicherten im Vergleich zu dem Zustand anderer, in gleicher Weise erkrankter, aber nicht mit der in Frage stehenden Methode behandelten Personen ergeben.308 Diese Einzelfallbetrachtung tauchte unter dem Gesichtspunkt der Singularerkrankungen bereits in der früheren Rechtsprechung des BSG auf.309 Daran hat das BVerfG für Fälle lebensbedrohlicher oder regelmäßig tödlich verlaufender Erkrankungen angeknüpft.
E. Ergebnis § 27 I 1 SGB V verleiht dem Versicherten ein Rahmenrecht auf Krankenbehandlung, dessen Inhalt durch die Richtlinien des G-BA auf abstrakt-genereller Ebene festgelegt wird. Die einzelnen Vorschriften des SGB V fungieren nach dem Rechtskonkretisierungskonzept des BSG als Entscheidungskorridor für den Richtlinienbeschluss des G-BA. Die Richtlinien des G-BA stellen ihrerseits einen Handlungskorridor auf, innerhalb dessen der einzelne Vertrags- oder Krankenhausarzt dazu berufen ist, das Rahmenrecht des Versicherten auf Krankenbehandlung mit Wirkung für die jeweilige Krankenkasse konkret-individuell zu einem vollwertigen Anspruch i.S.d. § 194 I BGB zu verdichten. Entscheidend für die Integration einer neuen Methode in den Leistungsumfang der GKV ist sektorenunabhängig deren GKV-Konformität. Diese liegt dann vor, wenn deren Qualität, Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit dem allgemein anerkannten Stand medizinischer Erkenntnisse entsprechen. Trotz dieses einheitlichen Versorgungsstandards ergeben sich sektorenspezifische Unterschiede beim Verfahren zur Feststellung der GKV-Konformität einer Methode. § 135 I 1 SGB V verbietet die Erbringung einer neuen Untersuchungsoder Behandlungsmethode im ambulanten Sektor solange, bis der G-BA eine anerkennende Richtlinie beschlossen hat. § 137c I SGB V erlaubt dagegen die Erbringung einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode im stationären Sektor solange, bis der G-BA eine ablehnende Richtlinie erlassen hat. Die besondere Schwierigkeit und sozialpolitische Brisanz der Richtlinienbeschlüsse des G-BA liegt darin, dass sie stets einen Ausgleich zwischen den Einzelinteressen des individuellen Versicherten und den Interessen der Versichertengemeinschaft erreichen müssen. Dem Gremium obliegt es, sich an der Stelle des Gesetzgebers um einen erträglichen Ausgleich der widerstreitenden Interessen und um erträgliche Lebensbedingungen für alle zu bemühen.310 Dieser Widerstreit von individuellen und kollektiven Versicherteninteressen ist nicht nur ein typisches 307
Vgl. Padé, NJW 2007, 352 (356). BVerfGE 115, 25 (50). 309 Vgl. oben 13. Kapitel, D. III. 2.; BVerfGE 115, 25 (50 f.). 310 Vgl. dazu Papier, in: von Wulffen/Krasney (Hrsg.), FS 50 Jahre BSG, S. 23 (26) m.w.N. 308
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13. Kap.: Der Anspruch des GKV-Versicherten auf Krankenbehandlung
Charakteristikum, sondern auch eine notwendige Folge der innerhalb der GKV bestehenden Solidargemeinschaft unter den gesetzlich Krankenversicherten. Es verwundert daher nicht, dass sich dieser Antagonismus bereits im sozialrechtlichen Krankheitsbegriff zeigt. Dessen Voraussetzungen bilden die Basis für das Entstehen des Leistungsanspruchs des Versicherten auf Krankenbehandlung gegenüber der Krankenkasse. Da eine Ausweitung des vorhandenen Leistungsspektrums ebenfalls zu einer Erweiterung der behandlungsfähigen Leiden führen kann, erlangt die Definitionsmacht des G-BA aufgrund des Merkmals der Behandlungsfähigkeit des regelwidrigen Körper- oder Geisteszustandes des Versicherten bereits bei der Anspruchsentstehung Relevanz. Obwohl das Rechtskonkretisierungskonzept vor dem Hintergrund von Art. 3 GG die Gleichbehandlung aller Versicherten nicht zuletzt durch einen sachgerechten Ausgleich von Individual- und Kollektivinteressen intendiert, gibt es Lebenssituationen, in denen es nicht zu einer angemessenen Auflösung des Interessenwiderstreits führt. Dies ist bislang in Fällen des Systemversagens, von Singular- und lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankungen anerkannt. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass sie auf Sachlagen beruhen, in denen die Interessen des Einzelnen sich als besonders schutzwürdig erweisen.
14. Kapitel: Das Verfahren zur Integration neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in den Leistungsanspruch des GKV-Versicherten Die Verfahren zur Integration neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in den Leistungsanspruch des GKV-Versicherten richten sich danach, ob die Leistung ambulant oder stationär erbracht werden soll. Dies resultiert nicht nur aus der unterschiedlichen Ausgestaltung der Vorschriften über die Qualitätssicherung, die in beiden Sektoren im Hinblick auf die Erbringung neuer Methoden bestehen, sondern auch aus der unterschiedlichen Art der Leistungsvergütung. § 135 I 1 SGB V verbietet dem Vertragsarzt im ambulanten Sektor präventiv die Erbringung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu Lasten der Krankenkasse bis zum Vorliegen einer Richtlinienempfehlung des G-BA, wogegen § 137c I SGB V die Erbringung derartiger Methoden im Krankenhaus bis zum Vorliegen eines Verbots in Richtlinien des G-BA erlaubt. Die Unterschiede in der Leistungsvergütung zeigen sich hauptsächlich darin, dass die Vergütung des Vertragsarztes nach der neuen Euro-Gebührenordnung (§ 87a SGB V) erfolgt, die auf der Basis der im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (§ 87 I 1 SGB V) aufgestellten Punktwerte erstellt wird. Die Vergütung von Krankenhausleistungen erfolgt dagegen nach einem Fallpauschalensystem (§ 17b I 1 KHG).
A. Integration neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in die ambulante Versorgung Die Integration neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in den Leistungsanspruch des Versicherten erfolgt in der ambulanten Versorgung durch ein zweistufiges Verfahren. Daran ist nicht nur der G-BA (§ 91 SGB V) beteiligt, sondern auch der Bewertungsausschuss (§ 87 III SGB V). Bei diesem handelt es sich um ein weiteres Selbstverwaltungsgremium von Ärzten und Krankenkassen. Die erste Stufe zur Erweiterung des Leistungsanspruchs des Versicherten erfordert die Empfehlung der neuen Methode in einer Richtlinie des G-BA nach § 92 I 2 Nr. 5 i.V.m. § 135 I 1 SGB V. Diese Richtlinienempfehlung reicht zur Begründung eines Leistungsanspruchs jedoch nicht aus,311 weil der Versicherte seinen Anspruch auf Krankenbehandlung grundsätzlich nur im Rahmen der Vorschriften des Leistungserbringerrechts verwirklichen kann.312 Dazu zählt auch das ärztliche Vergütungsrecht. Die Vertragsärzte dürfen gemäß § 87 II 1 SGB V nur solche Methoden zu Lasten der KrankenHierzu Francke, in: Wannagat (Begr.), SGB V, § 135 Rdn. 26; Hess, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 135 Rdn. 14; Hauck, NZS 2007, 461 (464). 312 BSGE 78, 70 (85); BSGE 81, 54 (59 f.); BSGE 81, 73 (77). 311
C. Zimmermann, Der Gemeinsame Bundesausschuss, Kölner Schriften zum Medizinrecht, DOI 10.1007/978-3-642-22752-3_14, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
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14. Kap.: Integration neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden
kassen abrechnen, die als ärztliche Leistungen im sog. „Einheitlichen Bewertungsmaßstab“ (= EBM) enthalten sind.313 Folglich können die Versicherten keine Leistungen beanspruchen, die die Vertragsärzte nicht zu Lasten der Krankenkassen abrechnen dürfen.314 Als zweite Stufe der Integration einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode in den Leistungskatalog der GKV ist deswegen deren Aufnahme in den EBM durch den Bewertungsausschuss erforderlich.315 Erst nachdem der Bewertungsausschuss tätig geworden ist, kann ein innovatives Verfahren von den Ärzten zu Lasten der Krankenkassen abgerechnet und von den Versicherten beansprucht werden.
I. Empfehlung in Richtlinien des G-BA, § 135 I SGB V 1. Normzweck § 135 I 1 SGB V hat die Funktion, den Zugang neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zur ambulanten Versorgung zu kontrollieren.316 Die Norm dient auf diese Weise einerseits der Sicherung der Qualität317 der ambulanten Versorgung,318 erweist sich darüber hinaus aber auch als Zulassungsschranke in Bezug auf neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden. Sie schützt nicht nur den einzelnen Versicherten vor gesundheitlichen Risiken durch die Anwendung von unerprobten oder riskanten Untersuchungs- bzw. Behandlungsmethoden, sondern auch die gesamte Versichertengemeinschaft vor den finanziellen Folgen unwirtschaftlicher ärztlicher Leistungen.319 Aus diesem Grund trägt § 135 I 1 SGB V den Charakter eines Verbots mit Erlaubnisvorbehalt, in dessen Konsequenz eine positive Richtlinienempfehlung konstitutiv für die Erbringung einer Methode in der vertragsärztlichen Versorgung ist. Innovative Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden dürfen im ambulanten Sektor erst erbracht werden, wenn der G-BA sie als zweckmäßig anerkannt und eine entsprechende Richtlinie beschlossen hat.320 Hat der G-BA keine positive Richtlinienempfehlung abgegeben, darf der Versicherte die Methode aufgrund des Gleichlaufs von Leistungs- und Leistungserbringerrechts nicht beanspruchen, der Arzt sie nicht auf Kosten der Krankenkassen abrechnen und die Krankenkasse sie nicht als Sachleistung zur Verfügung stellen. 313
BSGE 73, 239 (244 f.); Burgardt/Clausen/Wigge, in: Anhalt/Dieners (Hrsg.), Handbuch des Medizinprodukterechts, § 23 Rdn. 177. 314 Vgl. BSGE 81, 54 (59). 315 BSGE 88, 126 (128); BSGE 84, 247 (248); BSGE 79, 239 (241 ff.); Hauck, NZS 2007, 461 (464). 316 Francke, in: Wannagat (Begr.), SGB V, § 135 Rdn. 5. 317 Zum Begriff der Qualitätssicherung vgl. Hess, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, Vor §§ 135 – 139 Rdn. 1 ff. 318 Vgl. BSGE 81, 54 (58); BSGE 84, 247 (249). 319 Vgl. BSGE 81, 54 (58 f.); Schneider, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, SGB V, § 135 Rdn. 3. 320 BSGE 81, 54 (58).
A. Integration in die ambulante Versorgung
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2. Der Methodenbegriff des § 135 I SGB V Aufgrund der immensen Bedeutung des § 135 I 1 SGB V für die Leistungserbringung im ambulanten Sektor bedarf es zunächst einer Bestimmung des Anwendungsbereichs der Norm. Dieser ergibt sich aus dem Begriff der „neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode“. a. Untersuchungs- oder Behandlungsmethode Untersuchungs- und Behandlungsmethoden unterscheiden sich durch den Zweck ihrer Anwendung. Bei einer Untersuchungsmethode steht die der Therapie vorgelagerte Diagnostik im Mittelpunkt.321 Bei der Diagnostik handelt es sich um eine Sammelbezeichnung für Strategien und Verfahren, die zur ärztlichen Untersuchung bei einer Gesundheitsstörung angewandt werden.322 Bei einer Behandlungsmethode steht dagegen die Therapie des Versicherten im Vordergrund.323 Sie dient im Idealfall der Wiederherstellung der Gesundheit oder zumindest der Linderung der Krankheitssymptome oder Verhinderung der Verschlimmerung der Krankheit.324 b. Bestimmung des Methodenbegriffs Entscheidend für die Bestimmung des Anwendungsbereichs des § 135 I SGB V ist nicht, ob das ärztliche Handeln der Untersuchung oder Behandlung des Versicherten dient, sondern was unter einer „Methode“ i.S.d. Norm zu verstehen ist. Einigkeit besteht inzwischen darüber, dass eine Untersuchungs- oder Behandlungsmethode i.S.d. § 135 I 1 SGB V im Regelfall aus mehreren ärztlichen Dienstoder Sachleistungen besteht.325 Das ärztliche Handeln muss sich dabei entweder durch eine eigenständige wissenschaftliche Fundierung (vgl. § 135 I 1 Nr. 1 SGB V) oder durch die Komplexität des technischen Ablaufs bei der Anwendung (vgl. § 135 I 1 Nr. 2 SGB V) auszeichnen.326 Ärztliche Maßnahmen im Fall von Singularerkrankungen schließen das Vorliegen einer Untersuchungs- oder Behandlungsmethode unabhängig von ihrer wis-
321
Hierzu BSGE 84, 247 (250); Schmidt-De Caluwe, in: Becker/Kingreen (Hrsg.), SGB V, § 135 Rdn. 3. 322 Pschyrembel – Sozialmedizin, S. 129. 323 Hierzu BSGE 84, 247 (250); Schmidt-De Caluwe, in: Becker/Kingreen (Hrsg.), SGB V, § 135 Rdn. 3. 324 Ausführlich Adelt/Kraftberger, in: Kruse/Hänlein (Hrsg.), SGB V, § 27 Rdn. 50 ff. 325 BSGE 84, 247 (250). 326 Vgl. BSGE 93, 236 (244) m.w.N.; ähnlich bereits BSGE 88, 51 (60 f.); dazu Francke, in: Wannagat (Begr.), SGB V, § 135 Rdn. 8; Murawski, in: Kruse/Hänlein (Hrsg.), SGB V, § 135 Rdn. 3; Schmidt-De Caluwe, in: Becker/Kingreen (Hrsg.), SGB V, § 135 Rdn. 3; Joussen, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching (Hrsg.), BeckOK SGB V, § 135 Rdn. 1; von Wulffen, GesR 2006, 385.
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14. Kap.: Integration neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden
senschaftlichen Fundierung oder der Komplexität des technischen Ablaufs bei der Anwendung aus.327 aa. Die „Methode“ als Zusammenfassung ärztlicher Einzelleistungen Unter Berufung auf den Wortsinn des § 135 I 1 SGB V interpretiert das BSG die „Methode“ i.S.d. § 135 I 1 SGB V als den gegenüber der ärztlichen Einzelleistung umfassenderen Begriff.328 Dafür spreche der Zweck der Norm, denn § 135 I 1 SGB V sei auf die Sicherung von Qualität und Wirksamkeit komplexerer Methoden zugeschnitten und könne sich daher nicht auf eine einzelne ärztliche Leistung beziehen.329 Systematisch ergibt sich dies auch aus einem Vergleich des Wortlauts des § 135 I 1 SGB V mit demjenigen des § 135 I 2 SGB V. Im Gegensatz zu § 135 I 1 SGB V, in dem der Gesetzgeber ausdrücklich auf das Vorliegen einer Untersuchungs- oder Behandlungsmethode330 abgestellt hat, findet in § 135 I 2 SGB V der speziellere Begriff der „vertragsärztlichen Leistung“331 Anwendung. Dieser begriffliche Unterschied resultiert daraus, dass § 135 I 2 SGB V solche ärztlichen Maßnahmen erfassen soll, die bereits in die Regelwerke der vertragsärztlichen Versorgung – namentlich in den Einheitlichen Bewertungsmaßstab – aufgenommen worden sind.332 Um dies zu verdeutlichen, verwendete der Gesetzgeber den im vertragsärztlichen Vergütungsrecht gebräuchlichen Begriff der „vertragsärztlichen Leistung“ (vgl. §§ 87 II 1, 88 I 1 SGB V). Dieser bezieht sich dort auf eine einzelne ärztliche Maßnahme oder Verrichtung.333 Eine Untersuchungs- oder Behandlungsmethode setzt sich infolgedessen aus mehreren ärztlichen Einzelleistungen zusammen. Lediglich im Ausnahmefall ist es möglich, dass der Begriff der „Methode“ und derjenige der „ärztlichen Einzelleistung“ deckungsgleich sind. Dies ist immer dann gegeben, wenn sich eine Untersuchungs- oder Behandlungsmethode als einzelne ärztliche Leistung im EBM umsetzen lässt.334 bb. Die Art der ärztlichen Einzelleistung In Literatur und Rechtsprechung wird die Frage kontrovers diskutiert, ob der Begriff der Untersuchungs- oder Behandlungsmethode nur ärztliche Dienstleistungen im engeren Sinne oder auch die zur Therapie benötigten Sachleistungen um327 Hierzu ausführlich BSGE 93, 236 (244 f.); Koch, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), jurisPKSGB V, § 135 Rdn. 18. 328 BSGE 86, 54 (58 f.); BSGE 84, 247 (250); BSGE 82, 233 (238); BSGE 93, 236 (244); zur Kritik an dieser Differenzierung Schneider, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, SGB V, § 135 Rdn. 7. 329 BSGE 93, 236 (244). 330 Hervorhebung durch den Verfasser. 331 Hervorhebung durch den Verfasser. 332 Francke, in: Wannagat (Begr.), SGB V, § 135 Rdn. 8. 333 BSGE 84, 247 (250); Beispiele bei Francke/Hart, MedR 2008, 2. 334 Dazu ausführlich BSGE 84, 247 (249).
A. Integration in die ambulante Versorgung
213
fasst.335 Dieses Problem stellt sich hauptsächlich bei Arzneitherapien, bei denen sowohl ärztliche Dienst- als auch Sachleistungen in Form der Verabreichung von Arzneimitteln zur Anwendung kommen. Nicht unerhebliche Teile der Literatur lehnen die Anwendung des § 135 I 1 SGB V auf Arzneitherapien ab.336 Die Norm sei weder begrifflich noch systematisch auf die Versorgung mit Arzneimitteln anwendbar. Sie betreffe nur ärztliche Dienst- und keine Sachleistungen.337 Dafür spreche die Tatsache, dass der Gesetzgeber in §§ 138, 139 SGB V eigene Regelungen zur Qualitätssicherung für Heilund Hilfsmittel vorgesehen habe. Derartiger Sonderregelungen bedürfe es nicht, wenn § 135 I 1 SGB V auch die ärztlich verordneten Leistungen erfasse.338 Das BSG geht demgegenüber davon aus, dass der Begriff der „Methode“ schon vom Wortsinn her mehr meine als der Begriff der ärztlichen Einzelleistung im Vergütungsrecht.339 Zur sachgerechten Methodenbewertung sei gerade das ärztliche Vorgehen als Ganzes unter Berücksichtigung aller erforderlichen Einzelschritte zu würdigen.340 Die Ausklammerung der zur Therapie benötigten Sachleistungen (Arzneimittel) führe zu einer künstlichen Aufspaltung eines einheitlichen Behandlungsvorgangs.341 Daher sieht das Gericht Arzneitherapien in inzwischen ständiger Rechtsprechung als vom Anwendungsbereich des § 135 I 1 SGB V erfasst an.342 Dies gilt insbesondere für zulassungsfreie Arzneimittel. Dabei handelt es sich um solche, die als Rezeptur in jeweils unterschiedlicher Zusammensetzung und Dosierung speziell für den einzelnen Patienten zubereitet werden („Rezepturarzneimittel“).343 Würden diese nicht vom Erlaubnisvorbehalt des § 135 I 1 SGB V erfasst, bliebe die Qualitätskontrolle in der vertragsärztlichen Versorgung lückenhaft, weil deren Verordnungsfähigkeit weder von der arzneimittelrechtlichen Zulassung, noch von den Regelungsmechanismen der §§ 31, 34 ff. SGB V abhängig sei.344 Anders liegt es jedoch bei sog. „Fertigarzneimitteln“, die gem. § 2 I, II 2 AMG zulassungspflichtig sind. Im Gegensatz zu den Rezepturarzneimitteln handelt es sich dabei um solche Stoffe, die im Voraus hergestellt und in einer zur Abgabe an 335
BSGE 86, 54 (58 ff.). Vgl. hierzu ausführlich Becker, Die Steuerung der Arzneimittelversorgung im Recht der GKV, S. 32 ff. m.w.N. 337 Vgl. Schwerdtfeger, SGb 2000, 154. 338 Vgl. Becker, Die Steuerung der Arzneimittelversorgung im Recht der GKV, S. 32 (33 f.). 339 BSGE 82, 233 (238). 340 BSGE 84, 247 (249 f.). 341 BSGE 86, 54 (58). 342 Vgl. BSGE 82, 233; BSGE 86, 54; BSGE 89, 184; BSGE 93, 236; dazu Murawski, in: Kruse/Hänlein (Hrsg.), SGB V, § 135 Rdn. 3; Vießmann, Die demokratische Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses zu Entscheidungen nach § 135 I 1 SGB V, S. 31; Becker, Die Steuerung der Arzneimittelversorgung im Recht der GKV, S. 32 ff.; Hauck, GesR 2011, 69 (70). 343 BSG NZS 1999, 245 (247). 344 BSGE 89, 184 (190 f.); weiterführend BSGE 93, 236 (240). 336
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14. Kap.: Integration neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden
den Verbraucher bestimmten Packung in den Verkehr gebracht werden oder andere zur Abgabe an den Verbraucher bestimmte Arzneimittel, bei deren Zubereitung in sonstiger Weise ein industrielles Verfahren zur Anwendung kommt oder die, ausgenommen in Apotheken, gewerblich hergestellt werden (§ 4 I AMG).345 Verfügt ein derartiges Arzneimittel über die arzneimittelrechtliche Zulassung und erschöpft sich dessen Anwendung im Bereich der Indikation, für die die Zulassung erteilt wurde, so bedarf es nach der Auffassung des BSG grundsätzlich keiner weiteren Empfehlung in Richtlinien des G-BA.346 Die Wirksamkeitsprüfung, die der G-BA für neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden vornimmt, wird für derartige Arzneimittel durch die Prüfung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte nach §§ 21 ff. AMG ersetzt.347 In Bezug auf die von der arzneimittelrechtlichen Zulassung erfassten Merkmale ist daher von der Verordnungsfähigkeit zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung auszugehen.348 cc. Eigenständige wissenschaftliche Fundierung Eine Methode i.S.d. § 135 I 1 SGB V liegt immer dann vor, wenn die Vorgehensweise des Arztes auf einem eigenen theoretisch-wissenschaftlichen Konzept beruht, welches sie von anderen Therapieverfahren unterscheidet und das ihre systematische Anwendung in der Behandlung bestimmter Krankheiten rechtfertigen soll.349 Das Vorliegen eines wissenschaftlichen Konzeptes wird durch ein eigenes Wirkprinzip der Maßnahme und deren Anwendung bei einer großen Anzahl von Patienten indiziert.350 Singularerkrankungen – d.h. solche, die typischerweise nur bei sehr wenigen Menschen auftreten – müssen aus dem Methodenbegriff des § 135 I SGB V ausscheiden. In diesen Fällen können naturgemäß keine Statistiken über die Anzahl der behandelten Fälle und der erzielten Wirksamkeit bestehen, die dem G-BA die Beurteilung der Methode anhand des wissenschaftlich allgemein anerkannten Standes in der jeweiligen Therapierichtung ermöglichen würden.351
345
Zu diesem Thema ausführlich Deutsch, in: Deutsch/Spickhoff (Hrsg.), Medizinrecht, Rdn. 806 (866 ff.); Rehmann, Arzneimittelgesetz, § 21 Rdn. 1. 346 BSGE 86, 54 (59 f.); ausführlich zu dieser Rechtsprechung Becker, Die Steuerung der Arzneimittelversorgung im Recht der GKV, S. 32 (33 f.). Ist das jeweilige Fertigarzneimittel jedoch integraler Bestandteil einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode, bedarf es ausnahmsweise zusätzlich der Empfehlung in Richtlinien des G-BA und der Integration der Methode in den Einheitlichen Bewertungsmaßstab, vgl. dazu BSGE 93, 236 (241); Hauck, GesR 2011, 69 (70); ausführlich Koch, in: jurisPK-SGB V, § 92 Rdn. 20 f. m.w.N. 347 Vgl. Koch, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), jurisPK-SGB V, § 135 Rdn. 20. 348 Vgl. Koch, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), jurisPK-SGB V, § 135 Rdn. 20. 349 Vgl. BSGE 82, 233 (237); BSGE 84, 247 (250); BSGE 88, 51 (60); BSGE 93, 236 (244). 350 BSGE 82, 233 (237); BSGE 86, 54 (57). 351 BSGE 93, 236 (244).
A. Integration in die ambulante Versorgung
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Beispiel: Das Vorliegen einer Behandlungsmethode nach den obigen Kriterien hat das BSG für die aktiv-spezifische Immuntherapie (sog. ASI-Verfahren) zur unterstützenden und vorbeugenden Behandlung von Nierenkrebserkrankungen bejaht. Das Verfahren soll nach der Entfernung eines Tumors die Immunabwehr des Patienten stimulieren und so einem Fortschreiten der Erkrankung entgegenwirken. Dazu wird aus dem bei der Operation gewonnenen Tumorgewebe durch Inaktivierung der Krebszellen, Reinigung des Materials und Beigabe immunaktiver Zusätze ein Impfstoff (sog. „autologe Tumorvakazine“) hergestellt, der dem Erkrankten in regelmäßigen Zeitabständen über einen längeren Zeitraum injiziert wird.352 Die Therapie beruht auf der Annahme, dass der aus eigenem Tumorgewebe des Patienten hergestellte Impfstoff ein spezifisches tumorassoziiertes Antigen enthält, das dem körpereigenen Immunsystem die Erkennung und Bekämpfung von Krebszellen ermöglicht. Dadurch unterscheidet sich das Verfahren von anderen Formen der Krebsbehandlung.353
dd. Komplexität des technischen Ablaufs Das Vorliegen einer Methode kann sich nach dem Schutzzweck des § 135 I 1 SGB V nicht nur aus der eigenständigen wissenschaftlichen Fundierung, sondern auch aus der Komplexität des technischen Ablaufs der ärztlichen Maßnahmen und den damit in einer Vielzahl von Fällen heraufbeschworenen Gefahren ergeben.354 Damit soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass es ärztliche Maßnahmen gibt, die zwar nicht auf einem eigenständigen wissenschaftlichen Konzept beruhen, aber dennoch zu unerforschten gesundheitlichen Risiken für den einzelnen Versicherten oder der ineffektiven Verwendung finanzieller Mittel der Krankenkassen zu Lasten der Allgemeinheit führen. Der Wortlaut des § 135 I 1 Nr. 2 SGB V lässt darauf schließen, dass der Gesetzgeber gerade auch diese Sachlage im Blick hatte. Es träten Lücken bei der Qualitätssicherung ein, wenn derartige Verfahren ohne vorherige Kontrolle durch den G-BA erbracht werden dürften, bloß weil sie nicht auf einer eigenständigen wissenschaftlichen Fundierung beruhen. Beispiel: Das BSG hat diese Argumentation in einem Fall entwickelt, bei dem es um die Erstattungsfähigkeit der intrazytoplasmatischen Spermainjektion (sog. ICSI-Verfahren, einer Methode der künstlichen Befruchtung)355 ging. Die Entscheidung des Rechtsstreits hing davon ab, ob der Erlaubnisvorbehalt des § 135 I 1 SGB V für das Verfahren eingriff und es infolgedessen an einer positiven Richtlinienempfehlung des G-BA mangelte. Das Problem bestand darin, dass das streitige Therapieverfahren kein eigenes wissenschaftliches Konzept aufwies, welches sich dazu eignete, es von anderen Verfahren der künstlichen Befruchtung zu unterscheiden. Beim ICSI-Verfahren geht es – wie bei allen anderen Verfahren der künstlichen Befruchtung – lediglich darum, die von einer Fertilitätsstörung herrührenden Hindernisse für den Befruchtungsvorgang zu überwinden.356 352 353 354 355 356
Vgl. BSGE 86, 54 f. Vgl. BSGE 86, 54 (57). Vgl. BSGE 93, 236 (244); ähnlich bereits BSGE 88, 51 (60 f.). BSGE 88, 51. BSGE 88, 51 (60).
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14. Kap.: Integration neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden
Trotzdem ordnete das BSG das Verfahren als eigenständige Behandlungsmethode ein. Das für das ICSI-Verfahren charakteristische mechanische Eindringen in die Eizelle eröffne weitere Möglichkeiten der Überwindung von Fertilisationsstörungen und schaffe zugleich neue gesundheitliche Risiken. Diese Situation sei vom Schutzzweck des § 135 I 1 SGB V umfasst.357
3. Neuheit der Methode a. Grundsatz Das Merkmal der „Neuheit“ der Methode begründet die besondere Bedeutung des § 135 I 1 SGB V für die Integration des medizinischen Fortschritts in Form innovativer Behandlungsmethoden in das Leistungsspektrum der GKV. Liegt eine neue Methode vor, so darf diese erst dann vom Versicherten beansprucht werden, wenn eine positive Richtlinienempfehlung des G-BA vorliegt. Die Interpretation des Neuheitsbegriffs kann sowohl formell, als auch materiell erfolgen. Bestimmte man den Begriff jedoch materiell, wäre auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem das betreffende Verfahren entwickelt oder erstmals eingesetzt wurde.358 Dadurch könnte der Umfang der vertragsärztlichen Versorgung allein durch Zeitablauf und ohne Prüfungsverfahren vor dem G-BA ausgedehnt werden.359 Dies entspräche nicht dem Zweck des § 135 I 1 SGB V, der einen generellen Schutz der Versicherten vor unwirksamen oder unwirtschaftlichen Behandlungsmethoden intendiert.360 Aus diesem Grund vertritt das BSG im Einklang mit der h.A. in der Literatur einen formellen Neuheitsbegriff. Nach diesem ist eine Methode dann als „neu“ i.S.d. § 135 I 1 SGB V anzusehen, wenn sie zum Zeitpunkt der ärztlichen Behandlung nicht als abrechnungsfähige Leistung im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (§ 87 I 1 SGB V) aufgeführt ist.361 Dieser beinhaltet – in Form eines Leistungskataloges – die in der GKV abrechnungsfähigen Leistungen und bestimmt ihr wertmäßiges, in Punkten ausgedrücktes Verhältnis zueinander (§ 87 II 1 SGB V). b. Ausnahmen Obwohl der EBM prinzipiell einen verlässlichen Maßstab zur Feststellung des Umfangs der vertragsärztlichen Versorgung bildet, wird auch die formale Anknüpfung an dessen Inhalt dem Schutzzweck des § 135 I 1 SGB V nicht in allen Fällen gerecht. Bislang sind drei Fallgruppen anerkannt, in denen ein Abweichen vom dargestellten Grundsatz geboten ist. Dies kann in Betracht kommen bei einer Änderung 357
BSGE 88, 51 (60 f.). BSGE 81, 54 (57); BSGE 81, 73 (75); von Wulffen, GesR 2006, 385; informativ Joussen, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching (Hrsg.), BeckOK SGB V, § 135 Rdn. 2. 359 Vgl. hierzu BSGE 81, 54 (57). 360 BSGE 81, 54 (57). 361 BSGE 81, 54 (58); BSGE 81, 73 (75); BSGE 94, 221 (232 f.); BSG NZS 2011, 20 (22) m.w.N.; dazu auch Schmidt-De Caluwe, in: Becker/Kingreen (Hrsg.), SGB V, § 135 Rdn. 7; Schneider, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, SGB V, § 135 Rdn. 5; Hess, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 135 Rdn. 4. 358
A. Integration in die ambulante Versorgung
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der Indikation oder der Art der Erbringung der Methode, der Bewährung der Methode in der vertragsärztlichen Versorgung oder einer lediglich partiellen Integration einzelner Methodenbestandteile in den EBM. aa. Änderung der Indikation oder der Art der Erbringung der Methode Obwohl die formale Feststellung der Neuheit einer Methode im Grundsatz zu einer trennscharfen Konturierung des Neuheitsbegriffs führt, kann sie im Einzelfall den Schutzzweck des § 135 I 1 SGB V gefährden. Davon geht das BSG immer dann aus, wenn entweder die Indikation oder die Art der Erbringung einer Untersuchungs- oder Behandlungsmethode eine wesentliche Änderung erfahren hat.362 Liegt ein derartiger Fall vor, ist das in Frage stehende Verfahren trotz seiner prinzipiellen Eingliederung in den EBM als „neu“ einzustufen. Beispiel: Der Kläger stritt mit seiner Krankenkasse über die Erstattungsfähigkeit der Kosten für die Behandlung eines Prostatakarzinoms durch eine sog. „interstitielle Brachytherapie mit Permanent-Seeds“.363 Dabei handelt es sich um ein Verfahren, in welchem das Prostatakarzinom mit radioaktivem Material im Köper des Versicherten behandelt wird. Obwohl die „interstitielle Brachytherapie“ bereits seit 1996 unter Nr. 7046 im EBM-Ä enthalten war, wurde diese vom BSG als neue Behandlungsmethode eingeordnet. Es stützte sich dabei auf eine Stellungnahme des Bewertungsausschusses, in der darauf hingewiesen wurde, dass sich Nr. 7046 EBM-Ä lediglich auf eine „kurzzeitige“ Anwendung radioaktiven Materials im Körper beziehe. Beim Kläger sollte hingegen lebenslang radioaktives Material im Körper verbleiben. Zudem wies der Bewertungsausschuss darauf hin, dass es seit 1996 zu einer „teilweise rasanten Entwicklung“ hinsichtlich der Behandlung von Prostatakarzinomen gekommen sei. Bei einigen Therapiemethoden überstiegen schon allein die Kosten für die Radionuklide die nach dem EBM-Ä vorgesehene Vergütung exorbitant.364
bb. Bewährung der Methode in der vertragsärztlichen Versorgung Eine Methode kann – obwohl sie nicht im EBM enthalten ist – im Einzelfall nicht als „neu“ zu bewerten sein. Dies kommt immer dann in Betracht, wenn der Schutzzweck des § 135 I 1 SGB V nicht gefährdet und infolgedessen eine teleologische Reduktion der Norm möglich ist. An eine solche knüpft das BSG jedoch hohe Anforderungen: Ist eine Methode nicht im EBM enthalten, scheidet ihre Qualifikation als „neu“ nur dann aus, wenn außer Zweifel steht, dass sie sich in der vertragsärztlichen Versorgung bewährt hat.365 In der Rechtsprechung des BSG finden sich hierzu bislang zwei Beispiele: Einerseits kann sich die Bewährung in der vertragsärztlichen Versorgung aus der engen Verwandtschaft der zu beurteilenden mit einer bereits anerkannten Me-
362 363 364 365
BSGE 81, 54 (58); BSG GesR 2006, 421 (422 f.). BSG GesR 2006, 421. Ausführlich BSG GesR 2006, 421 (423). BSGE 81, 54 (58); BSGE 81, 73 (76).
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14. Kap.: Integration neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden
thode ergeben.366 Dabei ist grundsätzlich vom therapeutischen Gesamtkonzept des behandelnden Arztes und nicht von der einzelnen medizinischen Maßnahme auszugehen.367 Beispiel: Abgelehnt wurde die Verwandtschaft des sog. ICSI-Verfahrens mit der konventionellen Invitro-Fertilisation, weil sich die Gemeinsamkeit beider Verfahren in der extrakorporalen Befruchung erschöpfe.368
Andererseits kann sich die Bewährung einer Methode in der vertragsärztlichen Versorgung daraus ergeben, dass die Methode seit geraumer Zeit von einem nicht unerheblichen Teil der Vertragsärzte angewandt wird.369 Wird eine Methode erst seit kürzerer Zeit oder nur von wenigen Leistungserbringern durchgeführt, spricht dies gegen deren Anerkennung in der Praxis.370 Besondere Anforderungen stellt das BSG dabei an das Zeitmoment. Beispiel: Im Fall der immuno-augmentativen Therapie aus dem Jahr 1997 hielten die Richter eine Anwendung der Methode seit 1987 – also immerhin über einen Zeitraum von 10 Jahren – neben dem Faktor, dass sie nur in einem Behandlungszentrum in Deutschland praktiziert wurde, nicht für ausreichend.371
Gegen eine teleologische Reduktion aufgrund der Bewährung einer Methode in der vertragsärztlichen Versorgung des § 135 I 1 SGB V spricht allerdings das Argument der Rechtssicherheit. Die Fälle, in denen das BSG eine teleologische Reduktion des § 135 I 1 SGB V zulässt, können zu erheblichen Abgrenzungsschwierigkeiten führen. Gerade die Sachlage, in der das BSG die Bewährung einer Methode in der vertragsärztlichen Versorgung aufgrund ihres langen Anwendungszeitraums annimmt, entspricht im Ergebnis dem materiellen Neuheitsbegriff. cc. Partielle Integration einiger Methodenbestandteile in den EBM Da sich eine Untersuchungs- oder Behandlungsmethode typischerweise aus mehreren ärztlichen Einzelleistungen zusammensetzt, kann der Fall eintreten, dass nur einige dieser ärztlichen Einzelleistungen als selbstständige Bestandteile in einer Leistungsziffer des EBM aufgeführt sind. Bei dieser „partiellen Integration“ der Methodenbestandteile in den EBM führt die formale Anknüpfung an dessen Inhalt nicht zu einem eindeutigen Ergebnis. Nach dem Schutzzweck des § 135 I 1 SGB V bewirkt die Tatsache, dass einige ärztliche Einzelleistungen in ihrer Kombination oder im Zusammenwirken mit anderen Maßnahmen anerkannte Diagnose- oder Therapieverfahren darstellen, nicht 366 367 368 369 370 371
BSGE 81, 54 (58). Vgl. BSGE 81, 54 (56). BSGE 88, 51 (59 f.). Arg. ex. BSGE 81, 73 (76). BSGE 81, 73 (76). BSGE 81, 73 (76).
A. Integration in die ambulante Versorgung
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deren Anerkennung für jede Indikation.372 Sind einige ärztliche Leistungen einer Behandlungs- oder Untersuchungsmethode im EBM als abrechnungsfähige Leistungen enthalten, andere aber nicht, so entscheidet sich deren Erstattungsfähigkeit danach, ob die nicht im EBM enthaltenen Leistungen für den Erfolg der Methode von wesentlicher Bedeutung sind oder nicht.373 Parallel dazu ist auch die Frage der Neuheit der entsprechenden Methode zu entscheiden. Sind die nicht im EBM enthaltenen Leistungen lediglich von untergeordneter oder mangelnder Bedeutung für den Therapieerfolg oder gar verzichtbar, so scheidet deren Qualifikation als „neu“ aus. Von mangelnder Bedeutung der ärztlichen Leistung für den Therapieerfolg ist nach der Rechtsprechung des BSG immer dann auszugehen, wenn sie für diesen verzichtbar ist.374 Bei der Beurteilung dieser Frage sei jedoch Zurückhaltung geboten, weil der Verfechter einer bestimmten Behandlungsmethode diese im Regelfall nicht ohne Grund in einer bestimmten Art und Weise einsetze. Eine sachgerechte Bewertung sei daher nur möglich, wenn alle eingesetzten Maßnahmen in ihrem Zusammenwirken als Gesamtkonzept gesehen und gewürdigt würden.375 Beispiel: Mit einer derartigen Fragestellung hatte sich das BSG in einem Fall zu befassen, in dem ein Arzt Manualtherapien, Krankengymnastik, Massagen sowie weitere medizinische Maßnahmen zur Verbesserung der Bewegungsmöglichkeiten cerebralparetischer Kinder einsetzte.376 Den Kern dieser Behandlungszyklen bildete das Aufspüren und Lösen der Blockaden von Wirbelgelenken der betreffenden Kinder. Obwohl die einzelnen Behandlungstechniken bezogen auf bestimmte Anwendungsgebiete anerkannte Therapieverfahren darstellten, lehnte das BSG die Erstattungsfähigkeit der Behandlungsmethode im Ergebnis ab. Neben einer Vielzahl weiterer Maßnahmen fand die Elektroakupunktur Anwendung, die von der vertragsärztlichen Versorgung ausdrücklich ausgeschlossen war. Aus diesem Grund hielten die Richter eine positive Bewertung des Verfahrens in Richtlinien des G-BA entsprechend § 135 I 1 SGB V nicht für entbehrlich.
4. Anforderungen an die Zulassung einer Untersuchungsoder Behandlungsmethode Liegt eine neue Untersuchungs- oder Behandlungsmethode vor, muss diese den Anforderungen genügen, die § 135 I 1 SGB V an ihre Erbringung in der ambulanten Versorgung knüpft. Dies setzt voraus, dass ein entsprechender Bewertungsantrag vorliegt und die Methode dem Versorgungsstandard der GKV entspricht.
372 373 374 375 376
BSG SGb 2001, 519 (520). BSG SGb 2001, 519 (520). Vgl. BSG SGb 2001, 519 (520). BSG SGb 2001, 519 (520). Ausführlich BSG SGb 2001, 519.
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14. Kap.: Integration neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden
a. Vorliegen eines Bewertungsantrags Der G-BA führt das Verfahren zur Anerkennung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden nach § 135 I 1 SGB V nicht von Amts wegen durch. Vielmehr handelt es sich um ein Antragsverfahren.377 Antragsberechtigt sind nur diejenigen natürlichen oder juristischen Personen, denen das Gesetz eine Antragsbefugnis ausdrücklich einräumt. Dies ist gegenüber den unparteiischen Mitgliedern des G-BA i.S.d. § 91 II 1 SGB V, der Kassenärztlichen und Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung, den Kassenärztlichen Vereinigungen und letztlich dem GKV-Spitzenverband erfolgt. Einzelnen Vertragsärzten, Krankenkassen und gerade auch den Versicherten steht kein eigenes Antragsrecht zu. Dadurch soll gewährleistet werden, dass der G-BA erst mit der Bewertung neuer Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden konfrontiert wird, wenn diese in der Praxis eine hinreichende Relevanz erlangt haben. Gleichzeitig soll der G-BA vor einer Überforderung durch Antragshäufung geschützt werden.378 b. Positive Empfehlung in Richtlinien des G-BA Der Grundstein für die Integration einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode in den Anspruch des Versicherten auf Krankenbehandlung ist deren positive Empfehlung in einer Richtlinie des G-BA. § 135 I 1 SGB V gibt nicht nur einzelne Bewertungskriterien, sondern auch spezielle Anforderungen an den Richtlinieninhalt vor. Letztere sollen den Beschluss des G-BA konkretisieren und eine sachgerechte Anwendung der Methode in der vertragsärztlichen Praxis sichern. aa. Die Kriterien zur Methodenbewertung, § 135 I 1 Nr. 1 SGB V Nach dem Wortlaut des § 135 I 1 Nr. 1 SGB V darf der G-BA eine positive Richtlinienempfehlung über eine neue Untersuchungs- oder Behandlungsmethode nur abgeben, wenn ihr diagnostischer oder therapeutischer Nutzen, ihre medizinische Notwendigkeit und ihre Wirtschaftlichkeit – auch im Vergleich zu anderen Methoden – dem allgemein anerkannten Stand medizinischer Erkenntnisse in der jeweiligen Therapierichtung entspricht. Die Norm betrifft die sog. „Prozessqualität“ einer Methode. Dabei handelt es sich um eine Art der Qualitätssicherung, bei der 377
Dazu Francke, in: Wannagat (Begr.), SGB V, § 135 Rdn. 35; Schmidt-De Caluwe, in: Becker/Kingreen (Hrsg.), SGB V, § 135 Rdn. 16; Flint, in: Hauck/Noftz (Hrsg.), SGB V, § 135 Rdn. 52; Joussen, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching (Hrsg.), BeckOK SGB V, § 135 Rdn. 5. 378 Francke, in: Wannagat (Begr.), SGB V, § 135 Rdn. 35; nach der Rechtsprechung des BSG kann einem einzelnen Leistungserbringer jedoch dann ein Anspruch auf Einleitung eines Bewertungsverfahrens in Bezug auf eine bestimmte Methode aus Art. 12 I GG i.V.m. § 135 I 1 SGB V zustehen, wenn die Studienlage eine positive Abschätzung ihres Nutzens als wahrscheinlich erscheinen lässt und ihre positive Bewertung auch nicht aus anderen Gründen als ausgeschlossen erscheint, vgl. dazu ausführlich BSG GesR 2009, 630 (634 f.) oder bereits BSGE 87, 105 und BSGE 97, 133.
A. Integration in die ambulante Versorgung
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die Eignung bzw. Wirksamkeit von Diagnose und Behandlung für die jeweilige Indikation im Mittelpunkt steht.379 (1) Übereinstimmung mit den Anforderungen des § 2 I SGB V Der in § 135 I 1 Nr. 1 SGB V genannte Kriterienkatalog weicht seinem Wortlaut nach von den Anforderungen ab, die der allgemeine Teil des SGB V durch § 2 I 3 und § 2 I 1 i.V.m. § 12 I SGB V zur Feststellung des Versorgungsstandards innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung vorgibt. Sowohl § 135 I 1 SGB V als auch § 2 I 3 SGB V erklären allerdings den allgemein anerkannten Stand medizinischer Erkenntnisse zum Maßstab der Methoden- bzw. Leistungsbewertung. An diesem sind nach dem Wortlaut des § 2 I 3 SGB V die Qualität und die Wirksamkeit einer Leistung zu messen. § 135 I 1 Nr. 1 SGB V verlangt im Unterschied zu § 2 I 3 SGB V, dass der diagnostische oder therapeutische Nutzen, die medizinische Notwendigkeit und die Wirtschaftlichkeit der Methode diesem entsprechen. Auf das Kriterium der Wirksamkeit nimmt die Norm dagegen keinen Bezug. Dieses ist allerdings verzichtbar, sofern davon ausgegangen wird, dass sich die Begriffe des Nutzens und der Wirksamkeit im Anwendungsbereich des SGB V nicht unterscheiden.380 Mit den Kriterien der medizinischen Notwendigkeit und der Wirtschaftlichkeit nimmt § 135 I 1 Nr. 1 SGB V ausdrücklich auf das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 I SGB V Bezug. „Wirtschaftlichkeit“ i.S.d. § 135 I 1 Nr. 1 SGB V meint jedoch nicht das Wirtschaftlichkeitsgebot in seinem weiteren Sinne, sondern bezieht sich auf die Kosten-Nutzen-Relation der zu bewertenden Untersuchungs- und Behandlungsmethode im Verhältnis zu anderen – bereits anerkannten – Methoden. Die begrifflichen Unterschiede resultieren somit hauptsächlich daraus, dass sich die unbestimmten Rechtsbegriffe aus § 2 I 3 SGB V und § 2 I 1 SGB V i.V.m. § 12 I SGB V einer abschließenden bzw. trennscharfen Definition entziehen.381 Im Ergebnis ist deswegen unstreitig, dass sich zwischen den Vorgaben des allgemeinen Teils zur Bestimmung des Versorgungsstandards und denjenigen des § 135 I 1 Nr. 1 SGB V keine Divergenz ergibt, sondern die Norm die Kriterien des § 2 I SGB V spiegelt.382 (2) Verzichtbarkeit eines Zusatznutzens Obwohl inzwischen übereinstimmend davon ausgegangen wird, dass sich die Anforderungen, die § 2 I SGB V und § 135 I 1 SGB V an die GKV-Konformität einer Leistung stellen, inhaltlich grundsätzlich decken, wurde in der Literatur die 379
Francke, in: Wannagat (Begr.), SGB V, Vor §§ 135 – 139 Rdn. 5. Ausführlich zur Diskussion über die Differenzierung zwischen Wirksamkeit und Nutzen Francke, in: Wannagat (Begr.), SGB V, § 135 Rdn. 13 ff. 381 Vgl. Roters, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 92 Rdn. 4 ff. 382 Schmidt-De Caluwe, in: Becker/Kingreen (Hrsg.), SGB V, § 135 Rdn. 12; Francke, in: Wannagat (Begr.), SGB V, § 135 Rdn. 13 ff. in Bezug auf § 92 I 1 SGB V, der ebenfalls auf die Kriterien des Nutzens, der Wirtschaftlichkeit und der Notwendigkeit abstellt, vgl. Roters, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 92 Rdn. 4 ff. 380
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Frage aufgeworfen, ob aus der Formulierung „im Vergleich zu anderen Methoden“ das Erfordernis eines sog. „Zusatznutzens“ der neuen Methode herzuleiten sei.383 Die Feststellung des Zusatznutzens einer therapeutischen oder diagnostischen Methode setzt stets die Verfügbarkeit einer vergleichbaren Methode im Leistungskatalog der GKV voraus. Im Vergleich zu dieser Standardtherapie muss es sich bei dieser um eine echte Innovation mit therapeutischem Mehrwert handeln, die erheblich bessere therapeutische Ergebnisse liefert bzw. zu einer maßgeblichen therapeutischen Verbesserung führt.384 Auf diese Weise wird eine neue Hürde zur Integration neuer Untersuchungsund Behandlungsmethoden in den Leistungsumfang der ambulanten Versorgung eingeführt.385 Es genügt nicht, dass die untersuchten Methoden etwa einen anderen Wirkmechanismus aufweisen als die Konkurrenzmethoden, die bereits zugelassen sind. Sie müssen zusätzlich einen Gewinn für die Behandlung bringen, entweder in Form eines additiven oder eines substitutiven Nutzens.386 Dabei besteht die Gefahr der Vernachlässigung der Tatsache, dass nicht jeder Wirkmechanismus bei jedem Patienten in gleicher Weise erfolgreich ist und aus diesem Grund eine gewisse Bandbreite verschiedener Methoden zur Behandlung eines bestimmten Leidens erforderlich sein kann. Die Forderung nach einem höheren Nutzen neuer Produkte findet ihre Rechtfertigung darin, dass neue Methoden in der Praxis regelmäßig höhere Kosten mit sich bringen.387 Derartige praktische Erwägungen reichen jedoch zur Anerkennung der Erforderlichkeit eines Zusatznutzens zur Integration einer neuen Methode in den Leistungsumfang allein nicht aus. Maßgeblich sind die gesetzlichen Vorgaben. Allein die Formulierung „im Vergleich zu anderen Methoden“ erlaubt keinen sicheren Schluss darauf, dass der Gesetzgeber dadurch wirklich das Erfordernis des „Zusatznutzens“ einer neuen Methode als Voraussetzung für deren Erbringung im ambulanten Sektor statuieren wollte.388 Gerade der Vergleich des Nutzens einer Methode mit demjenigen bereits zu Lasten der Krankenkassen erbrachter Methoden ist eine Vorgehensweise, die ebenfalls in § 12 I SGB V bei der Feststellung der Wirtschaftlichkeit einer Leistung im engeren Sinne Anwendung findet. Der in § 135 I 1 Nr. 1 SGB V eingefügte begriffliche Zusatz ist daher keineswegs neu, sondern entspricht den Vorgaben, die sich über § 2 I 3 i.V.m. § 12 I SGB V bereits aus dem allgemeinen Teil des Gesetzes ergeben. Zwar wurde die Formulierung 383
Siehe dazu Francke, in: Kern/Wadle/Schroeder/Katzenmeier (Hrsg.), FS Laufs, S. 793 (802 f.); Schlottmann/Weddehage, NZS 2008, 411 (415). 384 Vgl. dazu Kraftberger/Adelt, in: Kruse/Hänlein (Hrsg.), SGB V, § 35b Rdn. 15 m.w.N. oder Roters, NZS 2010, 612 (614); zum Begriff der therapeutischen Verbesserung Wagner, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, SGB V, § 35 Rdn. 13; zum Begriff des Zusatznutzens bei der frühen Nutzenbewertung nach § 35a SGB V Hess, GesR 2011, 65 (66 f.); Windeler, GesR 2011, vgl. hierzu insbesondere die Begriffsdefinition des BMG in § 2 IV AM-NutzenV. 385 Vgl. Francke, in: Kern/Wadle/Schroeder/Katzenmeier (Hrsg.), FS Laufs, S. 793 (803). 386 Vgl. Francke, in: Kern/Wadle/Schroeder/Katzenmeier (Hrsg.), FS Laufs, S. 793 (803). 387 Francke, in: Kern/Wadle/Schroeder/Katzenmeier (Hrsg.), FS Laufs, S. 793 (803). 388 Ähnlich Schlottmann/Weddehage, NZS 2008, 411 (415).
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„im Vergleich zu anderen Methoden“ erst mit dem 2. GKV-NOG vom 23.06.1997389 in den Wortlaut des § 135 I 1 Nr. 1 SGB V übernommen, doch ergeben sich aus der damaligen Gesetzesbegründung390 keine Hinweise darauf, dass der Gesetzgeber dadurch das Erfordernis eines Zusatznutzens einführen wollte. Dagegen spricht insbesondere, dass der Gesetzgeber an anderer Stelle ausdrücklich den Begriff des Zusatznutzens gebraucht. So heißt es etwa in § 35b I 3 SGB V: „Die Bewertung [des Kosten-Nutzen-Verhältnisses von Arzneimitteln] erfolgt durch Vergleich mit anderen Arzneimitteln und Behandlungsformen unter Berücksichtigung des therapeutischen Zusatznutzens391 für den Patienten im Verhältnis zu den Kosten.“ Es erschließt sich nicht, warum der Begriff des Zusatznutzens an dieser Stelle explizit gebraucht wurde, im Rahmen des § 135 I Nr. 1 SGB V aber fehlt. Aus diesem Grund ist der Zusatznutzen einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode gegenüber den bereits zu Lasten der GKV erbrachten gleichartigen Methoden nicht erforderlich. Es kommt einzig darauf an, dass die neue Methode, die in der Nutzen-Risiko-Bilanz keinen Unterschied zu den vorhandenen Methoden aufweist, aus medizinischen Gründen mindestens das Niveau der vorhandenen Methoden erreicht.392 bb. Kriterien zur Sicherung der sachgerechten Durchführung einer Methode, § 135 I 1 Nr. 2 SGB V § 135 I 1 Nr. 2 SGB V schreibt vor, dass der G-BA Empfehlungen über die notwendige Qualifikation der Ärzte, die apparativen Anforderungen sowie Anforderungen an Maßnahmen der Qualitätssicherung abzugeben hat, um eine sachgerechte Anwendung der Methode zu sichern.393 Daraus folgt, dass der Bundesausschuss auch darüber entscheiden kann, welche Gruppe von Vertragsärzten eine neue Methode erbringen und abrechnen darf.394 In der Summe dient dies der Gewährleistung der Strukturqualität der neuen Methode.395 Der Gesetzgeber trägt auf diesem Wege dem Umstand Rechnung, dass neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in vielen Fällen unter Bedingungen entwickelt, eingesetzt oder getestet werden, die nicht zwingend dem Versorgungsstandard des Vertragsarztes vor Ort entsprechen. Im Extremfall können Abweichungen zwischen dem Versorgungsstandard in der klinischen Forschung und demjenigen im Alltag des Vertragsarztes zur Unwirksamkeit oder gar Schädlichkeit einer Methode führen. Dies kann weitreichende finanzielle und gesundheitli389
BGBl. I S. 1520. BT-Drs. 13/6087, S. 9, 29. 391 Hervorhebung durch den Verfasser. 392 Francke, in: Kern/Wadle/Schroeder/Katzenmeier (Hrsg.), FS Laufs, S. 793 (802); ders., in: Wannagat (Begr.), SGB V, § 135 Rdn. 14. 393 Hierzu allgemein Hess, in: Rebscher (Hrsg.), FS Neubauer, S. 441 (455); Joussen, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching (Hrsg.), BeckOK SGB V, § 135 Rdn. 11. 394 BSG NZS 2003, 51 (52); dazu Joussen, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching (Hrsg.), BeckOK SGB V, § 135 Rdn. 11. 395 Vgl. Francke, in: Wannagat (Begr.), SGB V, Vor §§ 135 – 139 Rdn. 5 f. 390
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che Auswirkungen haben. Aus diesem Grund obliegt es dem G-BA diesen Effekten durch entsprechende Richtlinienempfehlungen Rechnung zu tragen. Welche Anforderungen an den Richtlinieninhalt zu stellen sind, hängt vom Einzelfall ab. Generell ist nach folgendem Grundsatz zu verfahren: Je eher die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit einer Methode von den Versorgungsbedingungen abhängt, desto detaillierter sollten auch die Sicherungsmechanismen sein, denen der G-BA durch eine entsprechende Konkretisierung des Richtlinieninhalts auf der Grundlage von § 135 I 1 Nr. 2 SGB V Ausdruck verleiht. cc. Anforderungen an die ärztlichen Aufzeichnungen, § 135 I 1 Nr. 3 SGB V Letztlich verpflichtet § 135 I 1 Nr. 3 SGB V den G-BA dazu, Empfehlungen über die erforderlichen ärztlichen Aufzeichnungen bei der Anwendung einer Methode abzugeben. Durch derartige inhaltliche Anforderungen an die ärztliche Dokumentation sollen nicht nur therapeutische Erfolge bei den Versicherten festgehalten, sondern auch Datenmaterial für zukünftige Evaluationen gesichert werden. Der Zweck der ärztlichen Dokumentation liegt in der Therapiesicherung und der damit verbundenen Sicherheit des Versicherten vor Komplikationen oder Doppeluntersuchungen bei einem Arztwechsel.396 Unter Berücksichtigung des Schutzzwecks des § 135 I 1 SGB V ist darauf hinzuweisen, dass der Therapieerfolg gerade im Falle eines Arztwechsels in nicht unerheblichem Maße von einer sachgemäßen Dokumentation abhängt, anhand derer nicht nur der Therapieverlauf, sondern auch die Auswirkungen bestimmter Maßnahmen auf den Gesundheitszustand des Versicherten nachvollzogen werden können. Zudem ermöglicht eine angemessene Dokumentation die Vermeidung von Doppeluntersuchungen, was sich positiv auf den Umfang der von den Krankenkassen zu tragenden Kosten auswirkt. Darüber hinaus kann die Festsetzung von Anforderungen an die ärztlichen Aufzeichnungen durch den G-BA auch dazu dienen, zukünftige Evaluationen – etwa auf der Grundlage von § 135 I 2 SGB V – zu erleichtern oder überhaupt erst zu ermöglichen.397 5. Rechtsfolge: Zulassung der Methode zur vertragsärztlichen Versorgung a. Grundsatz Sind die Voraussetzungen des § 135 I 1 Nr. 1 SGB V erfüllt, so beschließt der G-BA eine Richtlinie, durch die die jeweilige neue Untersuchungs- oder Behandlungsmethode zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen wird. Die Entscheidung des G-BA bindet nicht nur Ärzte und Krankenkassen, sondern auch die Versicherten und sonstigen Leistungserbringer, § 91 VI SGB V. Ei396
Ausführlich Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp (Hrsg.), Arztrecht, Kap. IX Rdn. 47 ff.; vgl. in Bezug auf den G-BA Schneider, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, SGB V, § 135 Rdn. 13. 397 Schneider, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, SGB V, § 135 Rdn. 13.
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nen Ermessensspielraum bei der Umsetzung der Richtlinien räumt § 135 I 1 SGB V den an der Ausgestaltung der vertragsärztlichen Versorgung Beteiligten seinem Wortlaut nach nicht ein.398 b. Ausnahmen Liegt eine positive Richtlinienempfehlung des G-BA vor, müssen die Krankenkassen den Versicherten die Leistung zur Verfügung stellen. Etwas anderes kann im Ausnahmefall dann gelten, wenn die Anforderungen an den Richtlinieninhalt, die § 135 I 1 Nr. 1 – 3 SGB V aufstellt, durch den G-BA nicht eingehalten wurden. Da der Gesetzgeber im SGB V keine speziellen Fehlerfolgen geregelt hat, sind diese im Wege der Auslegung zu ermitteln. Aus dem bloßen Wortlaut der Norm („Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden dürfen… nur erbracht werden, wenn… und…“)399 lässt sich schließen, dass eine Richtlinie nur dann die rechtliche Folge des § 135 I 1 SGB V auslöst, wenn der G-BA im Einzelfall alle inhaltliche Anforderungen gewahrt hat.400 Dies überschritte jedoch den Schutzzweck der Norm. Diesem kann flexibel durch ein abgestuftes Konzept der Fehlerfolgen Rechnung getragen werden. Die Wirksamkeit einer Richtlinie sollte sich deswegen danach bemessen, ob der jeweilige Richtlinieninhalt als zwingend oder lediglich fakultativ zu interpretieren ist. aa. Fehlende Regelungen zur Prozessqualität, § 135 I 1 Nr. 1 SGB V Als zwingend sind in jedem Fall die inhaltlichen Anforderungen nach § 135 I 1 Nr. 1 SGB V anzusehen, denn eine Richtlinie ohne Feststellungen über die Wahrung des Versorgungsstandards würde nicht nur den Schutzzweck der Norm völlig unterlaufen, sondern ist schon rein logisch nicht denkbar. bb. Fehlende Regelungen zur Strukturqualität, § 135 I 1 Nr. 2 SGB V Genauso ist zu verfahren, wenn eine neue Untersuchungs- oder Behandlungsmethode zwar in Richtlinien anerkannt wurde, der G-BA aber keine Anforderungen an die Qualifikation der Ärzte und die sonstige Ausstattung i.S.d. § 135 I 1 Nr. 2 SGB V festgelegt hat. Es besteht ein enger sachlicher Zusammenhang zwischen den Anforderungen der §§ 135 I 1 Nr. 1 und 2 SGB V, weil sich eine Methode regelmäßig nur unter bestimmten festgelegten Bedingungen gewinnbringend einsetzen lässt.401 Der Gesetzgeber wollte gerade sicherstellen, dass neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden nur bei der Wahrung der erforderlichen Rahmenbedingungen durchgeführt werden.402 Allerdings richtet sich der Umfang der inhaltlichen Anforderungen, zu denen der G-BA nach § 135 I 1 Nr. 2 SGB V verpflichtet ist, nach 398
Francke, in: Wannagat (Begr.), SGB V, § 135 Rdn. 21. Hervorhebungen durch den Verfasser. 400 Vgl. dazu Francke, in: Wannagat (Begr.), SGB V, § 135 Rdn. 24. 401 Vgl. oben 14. Kapitel, A. I. 4. b. bb. 402 Vgl. ausführlich Francke, in: Wannagat (Begr.), SGB V, § 135 Rdn. 24; Hess, in: Rebscher (Hrsg.), FS Neubauer, S. 441 (455). 399
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14. Kap.: Integration neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden
den Gefahren, die in gesundheitlicher und finanzieller Hinsicht aus der fehlerhaften Anwendung einer neuen Methode resultieren. cc. Fehlende Regelungen zur ärztlichen Dokumentation, § 135 I 1 Nr. 3 SGB V Anders verhält es sich beim Fehlen der Anforderungen i.S.d. § 135 I 1 Nr. 3 SGB V. Zwar deutet der Wortlaut der Norm aufgrund der Konjunktion „und“ darauf hin, dass alle Voraussetzungen des § 135 I 1 Nr. 1, 2, 3 SGB V kumulativ vorliegen müssen. Dem stehen jedoch Formulierung und Zweck des § 135 I 1 Nr. 3 SGB V entgegen. Dort nimmt der Gesetzgeber auf „…die erforderlichen Aufzeichnungen über die ärztliche Behandlung“403 Bezug. Damit hängt es vom Einzelfall ab, welche Aufzeichnungen als „erforderlich“ zu bewerten sind. Ihr Fehlen führt grundsätzlich nicht zur Unwirksamkeit einer Richtlinie und steht dem Anspruch des Versicherten auf Behandlung mit der jeweils begehrten neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode nicht entgegen.404
II. Aufnahme der Untersuchungs- oder Behandlungsmethode in den Einheitlichen Bewertungsmaßstab, § 87 SGB V Mit dem Vorliegen einer positiven Richtlinienempfehlung des G-BA ist die Integration einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode in den Krankenbehandlungsanspruch des Versicherten nicht abgeschlossen. Der Versicherte kann eine neue Methode erst dann beanspruchen, wenn diese auch in den Einheitlichen Bewertungsmaßstab (§ 87 I 1 SGB V) aufgenommen worden ist.405 Dazu ist ein entsprechender Beschluss des Bewertungsausschusses erforderlich (§ 87 IV SGB V). Dieser ermöglicht konstitutiv die Abrechenbarkeit der Methode gegenüber den Krankenkassen und schließt deren Integration in den Leistungsumfang der GKV endgültig ab. 1. Der Einheitliche Bewertungsmaßstab, § 87 II SGB V Der EBM wird nach § 87 I 1 SGB V von den Kassenärztlichen Bundesvereinigungen mit dem GKV-Spitzenverband als Bestandteil der Bundesmantelverträge vereinbart.406 Er teilt deren Rechtsqualität und entfaltet normative Wirkung vornehmlich gegenüber Ärzten und Krankenkassen.407 403
Hervorhebungen durch den Verfasser. Vgl. ausführlich Francke, in: Wannagat (Begr.), SGB V, § 135 Rdn. 25. 405 Vgl. oben 14. Kapitel, A. 406 Hierzu Wimmer, NZS 2001, 287. 407 Sproll, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, SGB V, § 87 Rdn. 16 m.w.N.; Wille, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching (Hrsg.), BeckOK SGB V, § 87 Rdn. 4; kritisch zur demokratischen Legitimation des Bewertungsausschusses zur Normsetzung – auch gegenüber den Versicherten – Wimmer, NZS 2001, 287 (291 f.); vgl. zu dieser Frage ausführlich BSGE 94, 50 (73 ff.) m.w.N. 404
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Der EBM beinhaltet in Form eines Leistungskataloges die in der GKV abrechnungsfähigen Leistungen und bestimmt ihr wertmäßiges, in Punkten ausgedrücktes Verhältnis zueinander (§ 87 II 1 SGB V). Er stellt somit ein in Relation gesetztes Verhältnis über Inhalt und Abrechnungsfähigkeit der ärztlichen Leistungen dar.408 Die jeweils einschlägige Leistungspunktzahl bezeichnet jedoch nicht den absoluten, sondern nur relativen Wert einer Leistung im Verhältnis zu den übrigen im Katalog enthaltenen Leistungen.409 Aus diesem Grund stellt er der EBM für sich betrachtet keine Gebührenordnung dar.410 Er bildet jedoch die Basis zur Berechnung der neuen Euro-Gebührenordnung, die zum 01.01.2009 infolge der Umgestaltung des vertragsärztlichen Vergütungssystems eingeführt wurde.411 Das Gesetz sieht nunmehr vor, dass die Landesverbände der Kranken- bzw. Ersatzkassen gemeinsam mit den Kassenärztlichen Vereinigungen Punktwerte zur Vergütung der Leistungen des Folgejahres vereinbaren (§ 87a II 1 SGB V). Auf der Grundlage dieses Punktwertes und der im EBM für die einzelnen Leistungen aufgeführten relativen Punktzahlen wird eine regionale Euro-Gebührenordnung mit Euro-Preisen erstellt (§ 87a II 6 SGB V). Darauf aufbauend vereinbaren die genannten Vertragsparteien – ebenfalls für das Folgejahr – eine morbiditätsbedingte Gesamtvergütung für die gesamte vertragsärztliche Versorgung der Versicherten mit Wohnort im Bezirk der jeweiligen KÄV (§ 87a III 1 SGB V). Diese wird von den Kranken- bzw. Ersatzkassen befreiend an die KÄVen geleistet (§ 87a III 1 SGB V). Letzteren obliegt die Vergütung der angehörenden Vertragsärzte anhand der von diesen erbrachten Leistungen mit den in der Euro-Gebührenordnung aufgeführten Preisen (§§ 87a III 3, 87 b I SGB V). 2. Der Bewertungsausschuss Ähnlich wie beim G-BA handelt es sich auch beim Bewertungsausschuss um ein Gremium der gemeinsamen Selbstverwaltung von Ärzten und Krankenkassen,412 welches deren Zusammenwirken bei der Sicherung der vertragsärztlichen Versorgung der Versicherten erleichtern soll. Beide Gremien weisen jedoch in ihrer gesetzlichen Konzeption deutliche Unterschiede auf.413 Da § 87 I 1 SGB V vorsieht, dass die Vertragspartner der Bundesmantelverträge den Einheitlichen Bewertungsmaßstab durch einen Bewertungsausschuss vereinbaren, verfügt das Gremi408
Vgl. hierzu Hess, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 87 Rdn. 11; Schneider, MedR 1997, 1 (3); Wimmer, NZS 2001, 287; Lüngen, in: Lauterbach/Lüngen/ Schrappe (Hrsg.), Gesundheitsökonomie, Management und Evidenzbasierte Medizin, Kap. 9.2.1., S. 136 ff. 409 Freudenberg, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), jurisPK-SGB V, § 87 Rdn. 57. 410 Schneider, MedR 1997, 1 (3). 411 Hierzu Hess, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 87a Rdn. 2; Wille, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching (Hrsg.), BeckOK SGB V, Einf. v. § 87; Lüngen, in: Lauterbach/Lüngen/Schrappe (Hrsg.), Gesundheitsökonomie, Management und Evidenzbasierte Medizin, Kap. 9.2.1., S. 138. 412 BSGE 73, 131 (132 f.); zur Entwicklungsgeschichte des Bewertungsausschusses Wahl, Kooperationsstrukturen im Vertragsarztrecht, S. 310; zur gemeinsamen Selbstverwaltung Krauskopf, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, SGB V, § 72 Rdn. 2 m.w.N. 413 Allgemein Hess, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 87 Rdn. 54.
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14. Kap.: Integration neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden
um nicht über eine eigene Rechtspersönlichkeit. Abweichend vom G-BA handelt es sich lediglich um einen „verlängerten Arm“ der Vertragspartner der Bundesmantelverträge.414 Die Beschlüsse des Bewertungsausschusses sind im Gegensatz zu den Richtlinien auch keine Rechtsnormen, sondern haben die Rechtsqualität einer vertraglichen Vereinbarung.415 Unterschiede ergeben sich auch hinsichtlich der gesetzlichen Aufgabenstellungen beider Gremien. Der G-BA fungiert in erster Linie als Wächter von Qualität, Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit der ärztlichen Leistungen, wogegen dem Bewertungsausschuss bei der Bemessung der ärztlichen Vergütung eine zentrale Stellung zukommt.416 Eine seiner wichtigsten Aufgaben besteht darin, die jeweilige neue Untersuchungs- oder Behandlungsmethode in den Einheitlichen Bewertungsmaßstab als Grundlage zur Abrechnung ärztlicher Leistungen zu transformieren.417 Infolge der Reform des ärztlichen Vergütungsrechts hat der Gesetzgeber dem Bewertungsausschuss außerdem verschiedene Aufgaben im Zusammenhang mit der Schaffung der Euro-Gebührenordnung (§ 87a SGB V) übertragen.418 Darüber hinaus tagt der Bewertungsausschuss – abweichend von der derzeitigen Konzeption des G-BA – in unterschiedlichen Besetzungen (§ 87 III, IV SGB V). Dennoch handelt es sich nach Ansicht des BSG um ein einheitliches Gremium, welches seine Entscheidungen lediglich in verschiedener Zusammensetzung nach unterschiedlichen Regeln fällt.419 a. Einfacher Bewertungsausschuss, § 87 III SGB V Der einfache Bewertungsausschuss fasst seine Beschlüsse einstimmig (§ 87 IV 1 SGB V). Er besteht aus jeweils drei Vertretern des GKV-Spitzenverbandes und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (§ 87 III 1 SGB V). Unparteiische Mitglieder sind in dieser Zusammensetzung des Gremiums nicht beteiligt. Das SGB V enthält auch keine dem § 91 II 9 SGB V vergleichbare Regelung, die die Weisungsfreiheit der Mitglieder anordnete. Daraus wird gefolgert, dass diese an Weisungen der sie entsendenden Verbände gebunden sind und jederzeit abberufen werden können.420 Dies steht im Einklang mit dem Wortlaut des
414
Hess, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 87 Rdn. 54; Sproll, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, SGB V, § 87 Rdn. 39. 415 Hess, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 87 Rdn. 7. 416 Sproll, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, SGB V, § 87 Rdn. 38. 417 Schroeder-Printzen, in: Stellpflug/Meier/Tadayon (Hrsg.), Handbuch Medizinrecht, D 2000 Rdn. 2 ff. 418 Die wohl wichtigste Aufgabe ist neben der Bestimmung des Verfahrens zur Berechnung der Regelleistungsvolumina nach § 87b IV SGB V die Festlegung des Orientierungswertes i.S.d. § 87 IIe SGB V, welcher die Grundlage zur Vereinbarung der Punktwerte der regionalen Euro-Gebührenordnungen bildet (§ 87a II 1 SGB V), vgl. dazu Hess, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 87 Rdn. 43 ff. 419 BSGE 78, 191 (192). 420 BSGE 73, 131 (133); BSGE 78, 191 (194); Scholz, in: Becker/Kingreen (Hrsg.), SGB V, § 87 Rdn. 18; Wahl, Kooperationsstrukturen im Vertragsarztrecht, S. 311.
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§ 87 I SGB V, nach dem die Vertragspartner durch Bewertungsausschüsse den einheitlichen Bewertungsmaßstab vereinbaren.421 Den Vorsitz über das Gremium führen abwechselnd ein Vertreter der Ärzte und ein Vertreter der Krankenkassen (§ 87 III 2 SGB V). b. Erweiterter Bewertungsausschuss, § 87 IV SGB V Der erweiterte Bewertungsausschuss fasst seine Beschlüsse nicht einstimmig, sondern mit der Mehrheit seiner Mitglieder (§ 87 V 1 SGB V). Dazu wird er um drei unparteiische Mitglieder, von denen eines den Vorsitz führt, erweitert (§ 87 IV 1 SGB V). Dies erfolgt auf Verlangen von mindestens zwei Mitgliedern des einfachen Bewertungsausschusses (§ 87 V 1 SGB V). Auf diese Weise soll gewährleistet werden, dass eine Entscheidung des Gremiums auch dann herbeigeführt werden kann, wenn ein einstimmiger Beschluss bei einem besonders streitigen Beschlussgegenstand nicht möglich erscheint.422 Das Gesetz schreibt nicht vor, wie lange im einfachen Bewertungsausschuss verhandelt werden muss. Das BSG hat es jedoch als zulässig angesehen, den erweiterten Bewertungsausschuss bereits in einem frühen Verfahrensstadium einzuberufen, um Verzögerungen bei der Entscheidungsfindung zu vermeiden.423 3. Aufnahmekriterien Der formell erforderliche Beschluss des Bewertungsausschusses kann nur ergehen, wenn eine ärztliche Einzelleistung vorliegt, die den Anforderungen des SGB V entspricht. Zusätzlich muss ein ausreichender Vergütungsrahmen bestehen. a. Vorliegen einer ärztlichen Einzelleistung Aus dem Wortlaut des § 87 II 1 SGB V ergibt sich, dass nur ärztliche Einzelleistungen in den Einheitlichen Bewertungsmaßstab aufgenommen werden können. Dabei handelt es sich um einzelne ärztliche Maßnahmen oder Verrichtungen.424 Um dieser Voraussetzung gerecht zu werden, müssen die jeweiligen Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden ggfs. in Arbeitsschritte, d.h. einzelne ärztliche Leistungen aufgeteilt werden. Im Ausnahmefall ist es aber auch möglich, dass sich eine Methode in einer einzelnen ärztlichen Maßnahme erschöpft.425
421
Vgl. BSGE 78, 191 (194). BSGE 78, 191 (193); Wahl, Kooperationsstrukturen im Vertragsarztrecht, S. 312 f. 423 Ausführlich BSGE 78, 191 (193); Wahl, Kooperationsstrukturen im Vertragsarztrecht, S. 313. 424 BSGE 84, 247 (250). 425 Dazu ausführlich BSGE 84, 247 (249). 422
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14. Kap.: Integration neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden
b. GKV-Konformität der ärztlichen Einzelleistung Als bewertungsfähig ist nach der Systematik des SGB V nur eine solche Leistung anzusehen, die den Kriterien der §§ 70, 71 SGB V entspricht. Dies setzt voraus, dass die Leistung den Versorgungsstandard der GKV wahrt. Beides ist grundsätzlich vom Bewertungsausschuss vor der Vergabe einer Leistungspunktzahl festzustellen.426 Dadurch kommt es allerdings zu einem Kompetenzkonflikt mit der gesetzlichen Aufgabenstellung des G-BA, dem § 135 I 1 SGB V eine zwar nicht vom Wortlaut, aber dafür inhaltlich identische Prüfungskompetenz einräumt.427 Die Lösung dieses Kompetenzkonfliktes ergibt sich aus § 72 II 1 SGB V. Die Norm ordnet an, dass die vertragsärztliche Versorgung im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften und den Richtlinien des G-BA zu regeln ist. In der Normenhierarchie stehen die Richtlinien daher unterhalb des SGB V, aber oberhalb der Kollektivverträge, deren Rechtsqualität der EBM als Bestandteil der Bundesmantelverträge teilt (§ 87 I SGB V).428 Dadurch hat der Gesetzgeber den Richtlinien des G-BA den Vorrang gegenüber den kollektivvertraglichen Regelungen eingeräumt.429 Soweit eine ärztliche Einzelleistung Bestandteil einer neuen Untersuchungsund Behandlungsmethode i.S.d. § 135 I 1 SGB V ist, obliegt es daher vorrangig der Entscheidung des G-BA, diese im Verbund mit den übrigen zu der jeweiligen Methode zählenden Einzelleistungen auf ihre GKV-Konformität zu überprüfen. Stellt er in einer positiven Richtlinienempfehlung fest, dass die Methode den Anforderungen des SGB V entspricht, so ist der Bewertungsausschuss an diese Beurteilung gebunden.430 Er kann die Aufnahme der jeweiligen ärztlichen Einzelleistungen in den EBM deswegen nicht mit dem Argument verweigern, dass die Methode nicht dem Versorgungsstandard des SGB V entspreche.431 Umgekehrt darf eine Methode, die nach § 135 I 1 SGB V erlaubnispflichtig ist und über die der
426
Ebenso Ziermann, Inhaltbestimmung und Abgrenzung der Normsetzungskompetenzen des Gemeinsamen Bundesausschusses und der Bewertungsausschüsse im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 167. 427 Hess, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 135 Rdn. 14; Wimmer, NZS 2001, 287. 428 Vgl. Hess, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 72 Rdn. 2; Schneider, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, SGB V, § 135 Rdn. 16; Hauck, NZS 2010, 600 (602). 429 Ebenso Knopp, Die Honorierung vertragsärztlicher Leistungen, S. 74; a.A. Ziermann, Inhaltbestimmung und Abgrenzung der Normsetzungskompetenzen des Gemeinsamen Bundesausschusses und der Bewertungsausschüsse im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 202: „Die Rechtsprechung hatte bisher keinen Anlass, eine detaillierte Abgrenzung der Normsetzungskompetenzen vorzunehmen… Auch das Gesetz selbst klärt nicht die Frage…“. 430 Wille, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching (Hrsg.), BeckOK SGB V, § 87 Rdn. 2; Francke, in: Wannagat (Begr.), SGB V, § 135 Rdn. 27; Freudenberg, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), jurisPK-SGB V, § 87 Rdn. 54. 431 Vgl. Freudenberg, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), jurisPK-SGB V, § 87 Rdn. 54.
A. Integration in die ambulante Versorgung
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G-BA noch nicht positiv entschieden hat, vom Bewertungsausschuss nicht in den EBM aufgenommen werden.432 Eine originäre Prüfungskompetenz des Bewertungsausschusses besteht nur noch dann, wenn es um die Integration einer ärztlichen Einzelleistung in den EBM geht, die nicht vom Anwendungsbereich des § 135 I 1 SGB V erfasst ist.433 c. Bestehen eines ausreichenden Vergütungsrahmens Der Bewertungsausschuss entscheidet über die Finanzierbarkeit der jeweiligen ärztlichen Leistung im bestehenden Vergütungssystem.434 Dies setzt voraus, dass ein ausreichender Vergütungsrahmen besteht. Ein Entscheidungsspielraum des Bewertungsausschusses besteht jedoch lediglich in zeitlicher Hinsicht.435 Er ist grundsätzlich nicht berechtigt, die Umsetzung einer nach § 135 I 1 SGB V vom GBA positiv bewerteten neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode aus rein finanziellen Gesichtspunkten zu verweigern.436 Erforderlichenfalls muss der Bewertungsausschuss den EBM bereinigen oder Umschichtungen vornehmen, um die Finanzierung der neuen ärztlichen Leistungen im System der GKV zu ermöglichen.437 Alternativ besteht die Möglichkeit steuernd auf das Leistungsverhalten der Ärzte Einfluss zu nehmen und auf diese Weise die Verwendung der verfügbaren finanziellen Mittel zu optimieren.438 Dazu kann der Bewertungsausschuss mengen- bzw. fallzahlbegrenzende Maßnahmen ergreifen, oder ergänzende Bewertungsformen wie Gebührenpauschalen (§ 87 IIb, c SGB V) verwenden, um die Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung zu fördern oder Verteilungseffekte herbeizuführen.439 § 87 IIb 1 SGB V sieht vor, dass die im EBM aufgeführten Leistungen der hausärztlichen Versorgung als Versichertenpauschalen abzubilden sind. Mit den Pauschalen sollen nach § 87 IIb 2 SGB V die gesamten im Abrechnungszeitraum erbrachten hausärztlichen Leistungen vergütet werden.440
432
Francke, in: Wannagat (Begr.), SGB V, § 135 Rdn. 28. Vgl. BSGE 84, 247 (250). 434 Francke, in: Wannagat (Begr.), SGB V, § 135 Rdn. 27; Engelhard, in: Hauck/Noftz (Hrsg.), SGB V, § 87 Rdn. 114. 435 BSGE 79, 239 (246). 436 Francke, in: Wannagat (Begr.), SGB V, § 135 Rdn. 27; Engelhard, in: Hauck/Noftz (Hrsg.), SGB V, § 87 Rdn. 114. 437 Engelhard, in: Hauck/Noftz (Hrsg.), SGB V, § 87 Rdn. 114. 438 Vgl. BSGE 79, 239 (242); BSGE 88, 126 (128 f.). 439 BSGE 88, 126 (129). Den Verteilungseffekten kommt seit der Reform des ärztlichen Vergütungsrechts durch das GKV-WSG 2007 große Bedeutung zu (dazu Rompf, GesR 2008, S. 57 [61 ff.]). 440 Weiterführend Rompf, GesR 2008, S. 57 (61 ff.). 433
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4. Aufnahmeverfahren Erweist sich die jeweilige ärztliche Einzelleistung nach den obigen Grundsätzen als aufnahmefähig, beginnt das eigentliche Aufnahmeverfahren. Dieses erfordert nicht nur eine präzise Definition der ärztlichen Einzelleistung, sondern auch deren Bewertung mit Leistungspunkten als Kernelement ihrer Integration in den EBM. a. Definition der ärztlichen Einzelleistung Vor der Aufnahme einer ärztlichen Einzelleistung in den EBM hat der Bewertungsausschuss diese präzise zu beschreiben.441 An die Bestimmtheit der Beschreibung sind hohe Anforderungen zu stellen.442 Dies folgt daraus, dass der EBM nach der Intention des Gesetzgebers den Inhalt der abrechnungsfähigen Leistungen abschließend festlegen soll.443 Er bildet die Grundlage der ärztlichen Honorarabrechnung und der Konturierung des Krankenbehandlungsanspruchs des Versicherten. Um diesen Funktionen gerecht zu werden, muss er nicht nur ein bloßes Leistungsverzeichnis, sondern gerade auch eine präzise Beschreibung der aufgeführten Leistungen beinhalten.444 Eine analoge Anwendung der im EBM enthaltenen Leistungspositionen scheidet grundsätzlich aus, denn die einzelnen Leistungspositionen dienen der Sicherung eines gleichmäßigen Abrechnungsverhaltens der Ärzte.445 Aufgrund der Anwendung des formalen Neuheitsbegriffs i.R.v. § 135 I 1 SGB V hat die Definition der ärztlichen Einzelleistung auch für die Tätigkeit des G-BA durch die formale Bestimmung des Begriffs der „neuen“ Untersuchungsund Behandlungsmethode i.R.d. § 135 I 1 SGB V entscheidende Bedeutung. Eine trennscharfe und damit rechtssichere Abgrenzung des Anwendungsbereichs des § 135 I 1 SGB V ist nur durch präzise Leistungsdefinitionen im EBM möglich. Aus dem Zusammenwirken des Bewertungsausschusses mit dem G-BA zur Integration neuer Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden in den Leistungskatalog der GKV ergibt sich allerdings eine Einschränkung der Definitionsmacht des Bewertungsausschusses. Die exponierte Stellung des G-BA und der Einfluss seiner Richtlinien auf die Bundesmantelverträge führt notwendigerweise zu einer Indizwirkung des jeweiligen Richtlinieninhalts für die Leistungsbeschreibung des Bewertungsausschusses im EBM. Deswegen hat sich das Gremium bei der Vornahme einer Leistungsdefinition an den Gegebenheiten zu orientieren, die Grundlage der Entscheidung des G-BA geworden sind. 441 Vgl. Wille, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching (Hrsg.), BeckOK SGB V, § 87 Rdn. 2. 442 Sproll, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, SGB V, § 87 Rdn. 18 m.w.N. 443 Vgl. Hess, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 87 Rdn. 9. 444 Vgl. Wille, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching (Hrsg.), BeckOK SGB V, § 87 Rdn. 2. 445 Vgl. Sproll, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, SGB V, § 87 Rdn. 18 m.w.N.; Hess, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 87 Rdn. 10; Wille, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching (Hrsg.), BeckOK SGB V, § 87 Rdn. 2; Freudenberg, in: Hauck/Noftz (Hrsg.), SGB V, § 87 Rdn. 28, 53.
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b. Bewertung der Leistung mit Leistungspunkten Entspricht eine Leistung dem Versorgungsstandard des SGB V, obliegt es dem Bewertungsausschuss, ihr eine Leistungspunktzahl zuzuweisen. Dies folgt aus der den Kassenärztlichen Bundesvereinigungen und dem GKV-Spitzenverband erteilten gesetzlichen Ermächtigung, durch den Bewertungsausschuss den EBM zu vereinbaren, welcher das wertmäßige Verhältnis einer konkreten ärztlichen Einzelleistung zu den übrigen abrechnungsfähigen ärztlichen Einzelleistungen ausdrückt (§§ 87 I 1, II 1 SGB V). Die Vergabe einer Leistungspunktzahl ist notwendige Bedingung für die Erstellung der neuen Euro-Gebührenordnung und die Berechnung des ärztlichen Honoraranspruchs. § 72 II SGB V stellt einen allgemeinen Maßstab auf, an dem sich der Bewertungsausschuss bei der Vergabe einer Leistungspunktzahl zu orientieren hat. Speziellere Anforderungen finden sich darüber hinaus in §§ 85 III, 87 II SGB V. aa. Allgemeine Anforderungen gem. § 72 II SGB V § 72 II SGB V statuiert den allgemeinen Grundsatz der Angemessenheit der ärztlichen Vergütung. Dabei handelt es sich um einen höchst abstrakten, ausfüllungsbedürftigen Begriff.446 Die Norm bezweckt die Funktionsfähigkeit der vertragsärztlichen Versorgung als Ganzes, gewährt dem einzelnen Vertragsarzt jedoch kein subjektiv-öffentliches Recht auf eine bestimmte Vergütung einer einzelnen ärztlichen Leistung.447 In Bezug auf eine einzelne im EBM aufgeführte Leistung ist die Norm daher nur von untergeordneter Bedeutung.448 Ein subjektives Recht eines einzelnen Vertragsarztes auf ein höheres Honorar ergibt sich aus § 72 II SGB V erst dann, wenn durch eine zu niedrige Vergütung ärztlicher Leistungen das vertragsärztliche Versorgungssystem als Ganzes oder zumindest in Teilbereichen, etwa in einer Arztgruppe, und als Folge davon auch die berufliche Existenz der an dem Versorgungssystem teilnehmenden Vertragsärzte, gefährdet wird.449 Dies kommt einerseits in Betracht, wenn in einem fachlichen und / oder örtlichen Teilbereich kein ausreichender finanzieller Anreiz mehr besteht, vertragsärztlich tätig zu werden und dadurch in diesem Bereich die Funktionsfähigkeit der vertragsärztlichen Versorgung gefährdet ist.450 Andererseits kann sich eine Gefährdung des Versorgungssystems daraus ergeben, wenn unter Berücksichtigung der im jeweiligen Fachgebiet nach dem EBM abrechnungsfähigen Leistungen eine Vertragsarztpraxis wirtschaftlich nicht mehr sinnvoll betrie-
446
BSGE 94, 50 (93 f.). BSGE 94, 50; dazu Hess, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 72 Rdn. 21a; Hesral, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), jurisPK-SGB V, § 72 Rdn. 51; Klückmann, in: Hauck/Noftz (Hrsg.), SGB V, § 72 Rdn. 10. 448 BSGE 94, 50 (93). 449 BSGE 94, 50 (93). 450 BSGE 93, 258 (265) m.w.N.; ausführlich Engelhard, in: Hauck/Noftz (Hrsg.), SGB V, § 87 Rdn. 77 ff. 447
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14. Kap.: Integration neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden
ben werden kann.451 Dies kommt bei einer zu niedrigen Bewertung lediglich einzelner Leistungen oder Leistungskomplexe grundsätzlich nicht in Betracht.452 bb. Spezielle Anforderungen gem. §§ 85 III, 87 II SGB V Speziellere Kriterien zur Bewertung der jeweiligen ärztlichen Leistung ergeben sich aus §§ 85 III, 87 II SGB V.453 Die Leistungspunktzahl ist nach § 87 II 3 HS 1 SGB V im Einzelfall anhand von sachgerechten Stichproben bei vertragsärztlichen Leistungserbringern auf betriebswirtschaftlicher Basis zu ermitteln. Als „sachgerecht“ sind in diesem Zusammenhang solche Stichproben anzusehen, die repräsentativ sind.454 Dazu müssen sie auf einer ausreichend große Anzahl von Praxen basieren, die für die jeweilige Arztgruppe typisch strukturiert sind.455 Der Begriff der „betriebswirtschaftlichen Basis“ bezieht sich dagegen auf den Lohn, den der Arzt aus der Gesamtheit seiner Leistungserbringung erzielen kann und die anfallenden Betriebskosten.456 Zu den Betriebskosten zählen nach § 87 II 2 HS 2 SGB V insbesondere die Kosten des Betriebes medizinischer Geräte bei der Leistungserbringung, nach § 85 III SGB V aber auch sonstige Praxiskosten. Um dem Wert der persönlichen Dienstleistung des Arztes Rechnung zu tragen, sieht § 87 II 1 HS 2 SGB V die Berücksichtigung des zur Leistungserbringung erforderlichen Zeitaufwandes vor.457 Bei der Leistungsbewertung ist außerdem den Besonderheiten der jeweiligen Arztgruppe Rechnung zu tragen (vgl. auch § 87 II a – d SGB V). 5. Rechtsfolge Mit der Aufnahme einer ärztlichen Einzelleistung in den EBM kann diese vom Vertragsarzt abgerechnet und vom Patienten beansprucht werden. Geht es um die Erbringung einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode, setzt dies voraus, dass alle zur Anwendung der Methode erforderlichen Einzelleistungen Bestandteil des EBM sind.
451
BSG SozR 3-5533 Nr. 763 Nr. 1 Rdn. 17 (juris). Vgl. dazu Preis, MedR 2010, 139 (143). 453 Hierzu BSGE 70, 240 (245); ausführlich Freudenberg, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), jurisPK-SGB V, § 87 Rdn. 57 ff. 454 Freudenberg, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), jurisPK-SGB V, § 87 Rdn. 67. 455 Engelhard, in: Hauck/Noftz (Hrsg.), SGB V, § 87 Rdn. 175 ff. m.w.N. 456 Engelhard, in: Hauck/Noftz (Hrsg.), SGB V, § 87 Rdn. 176. 457 Ausführlich Engelhard, in: Hauck/Noftz (Hrsg.), SGB V, § 87 Rdn. 65, 72. 452
A. Integration in die ambulante Versorgung
235
III. Verfahren bei fehlender Aufnahme der Untersuchungsund Behandlungsmethode in den EBM Hat der G-BA eine positive Richtlinienempfehlung über eine neue Untersuchungsund Behandlungsmethode erlassen, besteht grundsätzlich eine Pflicht des Bewertungsausschusses zur Integration der zur Erbringung dieser Methode erforderlichen Einzelleistungen in den EBM.458 Kommt der Bewertungsausschuss dieser Pflicht nicht oder nicht rechtzeitig nach, liegt ein Fall des Systemmangels vor.459 Dem Versicherten kann deswegen bei dieser Sachlage ebenfalls ein Anspruch auf Kostenerstattung aus § 13 III 1 Alt. 1 SGB V zustehen.460 Gegenstand dieses Anspruchs können wiederum nur solche Leistungen sein, die den Anforderungen des SGB V entsprechen.461 Davon ist jedoch regelmäßig auszugehen, wenn der G-BA über die neue Untersuchungsund Behandlungsmethode positiv entschieden hat.
IV. Rechtsfolgen nach Abschluss des Verfahrens im G-BA und im Bewertungsausschuss Hat der G-BA eine positive Richtlinienempfehlung über eine neue Untersuchungsoder Behandlungsmethode abgeben und der Bewertungsausschuss alle Komponenten dieser Methode in den EBM aufgenommen, so ist deren Integration in die ambulante Versorgung abgeschlossen. Dies wirkt sich in doppelter Hinsicht auf den Anspruch des Versicherten auf Krankenbehandlung aus. Einerseits wird auf Rechtsfolgenseite das zur Verfügung stehende Leistungsspektrum erweitert, so dass der Versicherte die neue Untersuchungs- oder Behandlungsmethode von seiner Krankenkasse beanspruchen kann. Andererseits wird auf Tatbestandsebene die Reichweite des sozialrechtlichen Krankheitsbegriffs ausgedehnt, weil mit der Integration neuer Methoden die Behandlungsfähigkeit bestimmter Erkrankungen erweitert wird. Die Richtlinien des G-BA determinieren in diesem zweistufigen Verfahren das Handeln des Bewertungsausschusses weitgehend. Dies ergibt sich primär aus § 72 II 1 SGB V, der den Richtlinien nach § 92 I 1 SGB V den Vorrang gegenüber allen anderen Mechanismen sozialrechtstypischer Rechtsetzung im Leistungserbringerrecht einräumt. Insbesondere ist der Bewertungsausschuss im Anwendungsbereich des § 135 I 1 SGB V an das Urteil des G-BA über die GKVKonformität einer Methode gebunden. Ein Entscheidungsspielraum über deren In-
458
So im Ergebnis wohl BSGE 79, 239 (246). Siehe bereits oben 13. Kapitel, D. III. 1. 460 Hauck, NZS 2007, 461 (464); Noftz, in: Hauck/Noftz (Hrsg.), SGB V, § 13 Rdn. 42 ff.; allgemein Brandts, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 13 Rdn. 45; Burgardt/Clausen/Wigge, in: Dieners/Anhalt (Hrsg.), Handbuch des Medizinprodukterechts, § 23 Rdn. 177. 461 Joussen, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching (Hrsg.), BeckOK SGB V, § 13 Rdn. 15. 459
236
14. Kap.: Integration neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden
tegration in den EBM verbleibt ihm lediglich in zeitlicher Hinsicht und bei der Vergabe einer Leistungspunktzahl.
B. Integration neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in die stationäre Versorgung Zur Integration einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode in den Leistungsumfang der stationären Versorgung ist kein der Erbringung vorgelagertes Zulassungsverfahren erforderlich.462 Im Gegensatz zu § 135 I 1 SGB V, der die Erbringung neuer Methoden zu Lasten der Krankenkassen bis zu einer positiven Richtlinienempfehlung des G-BA verbietet, trifft § 137c I SGB V eine genau gegenteilige Regelung. Die Norm erlaubt die Erbringung neuer Methoden in der stationären Versorgung bis zum Vorliegen einer anders lautenden Richtlinie des GBA. Die Integration einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode setzt statt dessen voraus, dass sie sich dem Versorgungsauftrag eines zur Behandlung von gesetzlich Krankenversicherten zugelassenen Krankenhauses zuordnen lässt, eine Vergütungsvereinbarung zwischen dem betreffenden Krankenhaus und der Krankenkasse getroffen wurde und die jeweilige Methode nicht durch eine Richtlinie des G-BA i.S.d. § 137c I SGB V ausgeschlossen wurde.
I. Kompatibilität der neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode mit dem Versorgungsauftrag des Krankenhauses Aus §§ 39 I 3, 109 IV 2 SGB V ergibt sich, dass der Versicherte nur solche Leistungen in einem zugelassenen Krankenhaus beanspruchen kann, die von dessen Versorgungsauftrag umfasst sind und das Krankenhaus umgekehrt nur solche Leistungen erbringen darf, die ihm aufgrund seines Versorgungsauftrags zuzurechnen sind. Parallel dazu räumt § 109 IV 3 SGB V dem Krankenhaus nur für solche Maßnahmen einen Vergütungsanspruch gegenüber den Krankenkassen ein, die vom jeweiligen Versorgungsauftrag gedeckt sind. Durch den Begriff des Versorgungsauftrags des Krankenhauses wird eine inhaltliche Kongruenz zwischen Leistungs- und Leistungserbringerrecht im stationären Sektor gewährleistet. Der Versorgungsauftrag steht damit im Zentrum der Ausgestaltung des Leistungsanspruchs des Versicherten auf stationäre Behandlung. Beansprucht ein Versicherter die Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus, besteht die maßgebliche Frage darin, ob der Versorgungsauftrag des zugelassenen Krankenhauses die vom Versicherten begehrte Maßnahme umfasst.
462
Vgl. Hess, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 137c Rdn. 3.
B. Integration in die stationäre Versorgung
237
Der Umfang des Versorgungsauftrags eines Krankenhauses wird grundsätzlich bei dessen Zulassung zur Leistungserbringung in der GKV definiert. Deswegen kommt es entscheidend darauf an, welche Anforderungen ein Krankenhaus erfüllen muss, um zur Leistungserbringung innerhalb der GKV zugelassen zu werden und welche Zulassungsmodi bestehen. 1. Der Begriff des Krankenhauses gem. § 2 KHG i.V.m. § 107 I SGB V Unter einem Krankenhaus ist nach der Legaldefinition des § 2 Nr.1 KHG eine Einrichtung zu verstehen, in der durch ärztliche oder pflegerische Hilfeleistung Krankheiten, Leiden oder Körperschäden festgestellt, geheilt oder gelindert werden sollen oder Geburtshilfe geleistet wird und in denen die zu versorgenden Personen untergebracht und verpflegt werden können. Konkretisierend463 schreibt § 107 I Nr. 2 SGB V vor, dass Krankenhäuser fachlich-medizinisch unter ständiger ärztlicher Leistung stehen müssen, über ausreichende, ihrem Versorgungsauftrag entsprechende diagnostische und therapeutische Möglichkeiten verfügen müssen und nach wissenschaftlich anerkannten Methoden arbeiten sollen. Deshalb kommt es bereits bei der Zulassung entscheidend darauf an, ob das jeweilige Krankenhaus die Gewähr für eine leistungsfähige Krankenhausbehandlung nach dem allgemein anerkannten Stand medizinischer Erkenntnisse bietet.464 Die Ausrichtung einer Klinik kann im Einzelfall so stark von GKV-fremden Methoden geprägt sein, dass der Zulassungsstatus berührt ist.465 Ein Krankenhaus, das nach seiner Konzeption den Schwerpunkt auf solche Außenseitermethoden legt, die nicht in die Leistungspflicht der GKV fallen, hat regelmäßig keinen Anspruch auf eine Zulassung zur Versorgung von GKV-Versicherten.466 Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass Kliniken, die zur Leistungserbringung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung zugelassen sind, deren Versorgungsstandard in genereller Form wahren. Voraussetzung für eine Anerkennung als Krankenhaus ist außerdem eine personelle und apparative Mindestausstattung, die dem jeweiligen Versorgungsauftrag entsprechen muss und nach den Umständen des Einzelfalls festzustellen ist.467 Welche Bedeutung der Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung im Krankenhaus zuzumessen ist, wird seit der Einführung der Vergütung durch Fallpauschalen (sog. DRG) kontrovers diskutiert.468 Das BVerfG vertritt die Auffassung, dass
463
Vgl. hierzu BT-Drs. 11/2237, S. 196 f. Vgl. BSG MedR 2009, 353 (359). 465 Vgl. Hauck, MedR 2010, 226 (228) m.w.N. 466 BSG MedR 2009, 353 (359); Knittel, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, SGB V, § 107 Rdn. 4; ausführlich zur Krankenhausplanung Szabados, Krankenhäuser als Leistungserbringer in der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 95 ff.; Stollmann/Hermanns, DVBl. 2007, 475 ff.; krit. zur Rspr. des BSG Felix, MedR 2011, 67 (68 ff.) m.w.N. 467 Knittel, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, SGB V, § 107 Rdn. 4; Kingreen, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching (Hrsg.), BeckOK SGB V, § 107 Rdn. 3 f. 468 Vgl. etwa Szabados, Krankenhäuser als Leistungserbringer in der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 98 f.; Stollmann/Hermanns, DVBl. 2007, 475 (479). 464
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14. Kap.: Integration neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden
auch nach der Einführung der Vergütung durch Fallpauschalen eine Abwägung stattfinden müsse, welche Einrichtung leistungsfähiger und wirtschaftlicher sei.469 2. Bestimmung des Versorgungsauftrages Der Versorgungsauftrag richtet sich stets nach dem konkreten Versorgungsbedarf im Einzugsbereich des betreffenden Krankenhauses; er wird nicht generell, sondern einzelfallbezogen festgelegt.470 Dies erfolgt typischerweise im Rahmen der Zulassung zur Leistungserbringung in der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Zulassung zur Leistungserbringung erfolgt durch den Abschluss eines Versorgungsvertrages (§ 109 SGB V).471 Obwohl das Gesetz in § 109 I 1 SGB V suggeriert, dass es sich dabei rechtlich um den Grundfall zur Zulassung zur Versorgung von gesetzlich Krankenversicherten handelt, stellt der tatsächliche Abschluss eines Versorgungsvertrages in der Planungsrealität einen Sonderfall dar. Dies ergibt sich aus § 109 I 2 SGB V, der vorsieht, dass bei den Hochschulkliniken die Aufnahme der Hochschule in das Hochschulverzeichnis nach § 4 Hochschulbauförderungsgesetz, bei den Plankrankenhäusern die Aufnahme in den Krankenhausplan nach § 8 I 2 KHG als Abschluss des Versorgungsvertrages gilt. Der Abschluss des Versorgungsvertrages stellt in diesen Fällen lediglich eine Fiktion dar.472 Da das Gesetz in § 109 SGB V verschiedene Zulassungsmodi unterscheidet, richten sich die Rechtsquellen zur Bestimmung des Versorgungsauftrags danach, ob das jeweilige Krankenhaus wegen der Aufnahme in den Krankenhausplan eines Landes (§ 108 Nr. 2 SGB V), der landesrechtlichen Anerkennung als Hochschulklinik (§ 108 Nr. 1 SGB V) oder wegen des Abschlusses eines Versorgungsvertrages mit den Landesverbänden der Krankenkassen (§ 108 Nr. 3 SGB V) zur Leistungserbringung innerhalb der GKV berechtigt ist.473 Ca. 90 % der Krankenhäuser leiten ihre Berechtigung zur Leistungserbringung innerhalb der GKV aus der Aufnahme in einen Krankenhausplan ab.474 In diesen Fällen hat die Bestimmung des Versorgungsauftrags die größte praktische Relevanz. Der Anteil der zur GKV-Versorgung zugelassenen Hochschulkliniken beträgt dagegen lediglich ca. 8 %,475 derjenige der Vertragskrankenhäuser an der gesamtdeutschen Krankenhausversorgung sogar nur ca. 2 %.476 469
BVerfG GesR 2004, 296 (298 f.). BSG SozR 4-2500, § 109 Nr. 7, S. 33. 471 Vgl. Knittel, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, SGB V, § 108 Rdn. 2. 472 Vgl. Hess, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 109 Rdn. 2. 473 Weiterführend Knispel, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching (Hrsg.), BeckOK SGB V, § 39 Rdn. 6a; Brandts, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 39 Rdn. 75. 474 Quaas, in: Prütting (Hrsg.), Fachanwaltskommentar Medizinrecht, § 108 SGB V Rdn. 9. 475 Quaas, in: Prütting (Hrsg.), Fachanwaltskommentar Medizinrecht, § 108 SGB V Rdn. 9. 476 Quaas, in: Prütting (Hrsg.), Fachanwaltskommentar Medizinrecht, § 108 SGB V Rdn. 9. 470
B. Integration in die stationäre Versorgung
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a. Plankrankenhaus, § 108 Nr. 2 SGB V Bei Plankrankenhäusern (§ 108 Nr. 2 SGB V) handelt es sich um Krankenhäuser i.S.d. § 2 KHG i.V.m. § 107 I SGB V, deren Zulassung zur Leistungserbringung zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen auf der Aufnahme in den Krankenhausplan eines Landes beruht (§ 6 I KHG i.V.m. § 1 I KHG).477 Mit der Aufnahme in den Krankenhausplan eines Landes fingiert § 109 I 2 Alt. 2 SGB V den Abschluss eines Versorgungsvertrages, der das Krankenhaus zur Leistungserbringung innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung berechtigt.478 Die Aufnahme erfolgt durch einen Feststellungsbescheid der zuständigen Landesplanungsbehörde (§ 8 I 3 KHG),479 der neben den ergänzenden Vereinbarungen nach § 109 I 4 SGB V die maßgebliche Rechtsquelle zur Festlegung des Versorgungsauftrages bildet (§ 8 I 4 Nr. 1 KHEntgG).480 § 8 I 3 KHG statuiert als dessen zwingenden Inhalt allein das Ergebnis der Entscheidung über die Auf- oder Nichtaufnahme eines Krankenhauses in den Krankenhausplan. Die Bestimmung des weiteren Inhalts obliegt damit den jeweiligen Landesgesetzgebern.481 Typischerweise weisen die Feststellungsbescheide nach den einzelnen Landeskrankenhausgesetzen neben dem Namen und dem Standort des Krankenhauses im Wesentlichen den Krankenhausträger, das Versorgungsgebiet, die Gesamtzahl der im Ist und Soll anerkannten Betten und Plätze sowie die Zahl und Art der Abteilungen aus (vgl. z.B. § 16 I KHGG NRW).482 Letztere sind für die Bestimmung des Versorgungsauftrags von besonderer Relevanz.483 Die Abteilungen werden dem jeweiligen Krankenhaus auf der Grundlage der medizinischen Gebiete, die sich aus den ärztlichen Weiterbildungsordnungen ableiten lassen, von der zuständigen Landesbehörde entsprechend den Vorgaben des Krankenhausplans zugewiesen.484 Anders als in der ambulanten Versorgung werden im Feststellungsbescheid folglich keine konkreten Behandlungsmethoden, sondern verschiedene medizinische Fachrichtungen bzw. Disziplinen vorgegeben. 477
Hess, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 108 Rdn. 3. Dazu Stollmann, NZS 2004, 350 (352); Hess, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 109 Rdn. 6. 479 Quaas, in: Prütting (Hrsg.), Fachanwaltskommentar Medizinrecht, § 108 SGB V Rdn. 9; Thomae, in: Luxenburger u.a. (Hrsg.), FS 10 Jahre Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht im DAV, S. 645. 480 Vgl. auch BSG SozR 4-2500, § 109 Nr. 7, S. 33. 481 Thomae, in: Luxenburger u.a. (Hrsg.), FS 10 Jahre Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht im DAV, S. 645 (646 ff.); Prütting, in: Katzenmeier/Bergdolt (Hrsg.), Das Bild des Arztes im 21. Jahrhundert, S. 147 ff. 482 Vgl. Thomae, in: Luxenburger u.a. (Hrsg.), FS 10 Jahre Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht im DAV, S. 645 (646). 483 Dazu Thomae, in: Luxenburger u.a. (Hrsg.), FS 10 Jahre Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht im DAV, S. 645 (646 f.). 484 Dazu ausführlich Thomae, in: Luxenburger u.a. (Hrsg.), FS 10 Jahre Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht im DAV, S. 645 (652 f.); Prütting, in: Katzenmeier/Bergdolt (Hrsg.), Das Bild des Arztes im 21. Jahrhundert, S. 147 ff.; dies., Kommentar zum Krankenhausgestaltungsgesetz NRW, § 16 Rdn. 5. 478
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14. Kap.: Integration neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden
Anhand dieser dem einzelnen Krankenhaus zugewiesenen Disziplinenstruktur lässt sich der leistungsbezogene Inhalt des Versorgungsauftrages ableiten und damit auch der Umfang des Behandlungsanspruchs des Versicherten bestimmen.485 b. Hochschulklinik, § 108 Nr. 1 SGB V Bei Hochschulkliniken (§ 108 Nr. 1 SGB V) handelt es sich um Krankenhäuser i.S.d. § 2 KHG i.V.m. § 107 I SGB V, die nach landesrechtlichen Vorschriften als Hochschulklinik anerkannt sind.486. Mit der Anerkennung als Hochschulklinik nach Landesrecht wird auch der Abschluss eines Versorgungsvertrages i.S.d. § 109 I 2 Alt. 1 SGB V fingiert, der das Krankenhaus zur Leistungserbringung in der GKV berechtigt. Der Umfang des Versorgungsauftrags bestimmt sich in diesem Fall gem. § 8 I 4 Nr. 2 KHEntgG aus der landesrechtlichen Anerkennung, aus dem Krankenhausplan nach § 6 I KHG sowie ergänzenden Vereinbarungen nach § 109 I 4 SGB V.487 Zwar sind nach Landesrecht anerkannte Hochschulkliniken gem. § 5 I Nr. 1 KHG nicht nach dem KHG förderungsfähig, doch steht dies ihrer Aufnahme in den Krankenhausplan nicht entgegen.488 Da sie mit der landesrechtlichen Anerkennung nach § 108 SGB V bereits dem Grunde nach zur Leistungserbringung zu Lasten der Krankenkassen zugelassen sind, hat ihre Aufnahme in den Krankenhausplan hauptsächlich deklaratorischen Charakter. Konstitutiv wirkt jedoch der Versorgungsauftrag, der ihnen mit dem Feststellungsbescheid zur landesrechtlichen Zulassung zugewiesen wird.489 Dieser bestimmt sich – wie bei den Plankrankenhäusern – nach den ihnen durch den Feststellungsbescheid zugewiesenen medizinischen Fachabteilungen bzw. Disziplinen. c. Vertragskrankenhaus, § 108 Nr. 3 SGB V Bei Vertragskrankenhäusern (§ 108 Nr. 3 SGB V) handelt es sich um Krankenhäuser i.S.d. § 2 KHG i.V.m. § 107 I SGB V, die nicht in den Krankenhausplan eines Landes aufgenommen worden sind, sondern ihre Zulassung zur Versorgung innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung aus einem Versorgungsvertrag i.S.d. § 109 SGB V mit den Landesverbänden der Krankenkassen herleiten.490 Da es bereits Ziel der Krankenhausplanung nach dem KHG ist, eine bedarfsgerechte und leistungsfähige Krankenhausversorgung der Bevölkerung zu gewährleisten (§ 1 I KHG), muss vor Abschluss eines Versorgungsvertrages von den Landeskrankenkassenverbänden geprüft werden, ob zur sachgerechten Versor485 Ausführlich zur Definition des Versorgungsauftrags Prütting, in: Katzenmeier/Bergdolt (Hrsg.), Das Bild des Arztes im 21. Jahrhundert, S. 147 ff. 486 Ursprünglich richtete sich deren Anerkennung nach dem Hochschulbauförderungsgesetz. Dieses ist allerdings durch den im Zuge der Föderalismusreform neu eingeführten Art. 125c GG am 01.01.2007 außer Kraft getreten, vgl. Knittel, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, SGB V, § 108 Rdn. 3. 487 Vgl. BSG SozR 4-2500, § 109 Nr. 7, S. 33. 488 Vgl. z.B. für Nordrhein-Westfalen Prütting, KHEntgG NRW, § 12 Rdn. 67. 489 Prütting aaO. 490 Dazu Hess, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 108 Rdn. 4.
B. Integration in die stationäre Versorgung
241
gung der Bevölkerung der Bedarf zur Zulassung eines weiteren Krankenhauses besteht.491 Der Versorgungsauftrag eines Vertragskrankenhauses ergibt sich gem. § 8 I 4 Nr. 3 KHEntgG allein aus dem zugrundeliegenden Versorgungsvertrag.492 Diesem fällt damit die anspruchs- bzw. angebotskonkretisierende Funktion zu, die sich sonst aus dem Feststellungsbescheid bei Aufnahme in den Krankenhausplan ergibt. 3. Zuordnung der neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode zum Versorgungsauftrag des jeweiligen Krankenhauses Eine neue Untersuchungs- oder Behandlungsmethode kann nur dann vom Versicherten beansprucht werden, wenn diese im Rahmen des Versorgungsauftrages des Krankenhauses liegt (§ 39 I 3 SGB V). Da im Rahmen der Zulassung zur Versorgung der GKV-Versicherten keine Festlegung bestimmter Methoden erfolgt, zu deren Erbringung das jeweilige Krankenhaus berechtigt wäre, sondern lediglich die Zuweisung bestimmter medizinischer Fachabteilungen, gestaltet sich die Feststellung des Leistungsanspruchs des Versicherten im stationären Sektor schwieriger als in der ambulanten Versorgung. Begehrt ein Versicherter in einem Krankenhaus die Untersuchung oder Behandlung mit einer bestimmten Methode, so ist zu untersuchen, ob sich diese den im jeweiligen Krankenhaus verfügbaren medizinischen Fachabteilungen zuordnen lässt. Davon ist auszugehen, wenn die Methode typischerweise in der fraglichen Abteilung erbracht wird oder erbracht werden kann. Da die Bestimmung der medizinischen Abteilungen im Feststellungsbescheid im Regelfall auf den ärztlichen Weiterbildungsordnungen basiert, ist es möglich diese in Zweifelsfällen zur Auslegung heranzuziehen. Einen ähnlichen Zweck können die Verzeichnisse der Leistungen und Entgelte der zugelassenen Krankenhäuser in einer Region erfüllen. Diese werden nach § 39 I 3 SGB V von den Landesverbänden der Krankenkassen, den Ersatzkassen und der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See gemeinsam unter Mitwirkung der Landeskrankenhausgesellschaften und der Kassenärztlichen Vereinigungen erstellt. Sie dienen hauptsächlich dazu, den Krankenkassen und Vertragsärzten einen raschen Überblick über die im Einzelfall in Betracht kommenden Krankenhäuser zu geben.493
491 Hierzu ausführlich Hess, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 108 Rdn. 4; Kingreen, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching (Hrsg.), BeckOK SGB V, § 108 Rdn. 3. 492 Vgl. auch BSG SozR 4-2500, § 109 Nr. 7, S. 33. 493 Dazu Wagner, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, SGB V, § 39 Rdn. 38; Brandts, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 39 Rdn. 144 ff.; Wahl, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), jurisPK-SGB V, § 39 Rdn. 116 ff.; Noftz, in: Hauck/Noftz (Hrsg.), SGB V, § 39 Rdn. 130 ff.
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14. Kap.: Integration neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden
II. Vergütungsanspruch des Krankenhauses gegen die Krankenkasse 1. Allgemeines Der Anspruch des Versicherten auf die Behandlung mit einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode in einem zugelassenen Krankenhaus setzt neben der Kompatibilität der Methode mit dem Versorgungsauftrag des Krankenhauses voraus, dass dieses einen Anspruch auf eine sachgerechte Vergütung gegen die jeweilige Krankenkasse geltend machen kann. Dies ergibt sich zunächst aus der vielschichtigen normativen Verankerung des Begriffs des Versorgungsauftrags in den Vorschriften über die stationäre Versorgung und Vergütung im SGB V. § 39 I 3 SGB V begrenzt den Behandlungsanspruch des Versicherten auf den Versorgungsauftrag des Krankenhauses. Parallel dazu verpflichtet § 109 IV 2 SGB V das Krankenhaus zur Behandlung des Versicherten lediglich im Rahmen seines Versorgungsauftrags. Nur für solche Maßnahmen räumt § 109 IV 3 SGB V dem Krankenhaus einen Vergütungsanspruch gegenüber den Krankenkassen nach Maßgabe des KHG, KHEntgG und der BPflV ein. Darüber hinaus hat der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung zum Fallpauschalengesetz ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Aufnahme einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode in den Fallpauschalenkatalog dazu führe, dass alle Krankenhäuser mit entsprechendem Versorgungsauftrag diese erbringen und abrechnen könnten.494 Dies deckt sich mit der Rechtslage im ambulanten Sektor, für den anerkannt ist, dass der Versicherte prinzipiell nur solche Leistungen beanspruchen kann, für die dem behandelnden Vertragsarzt ein Vergütungsanspruch zusteht.495 2. Vergütung von Krankenhausleistungen durch Fallpauschalen Nach der gesetzlichen Anordnung in § 17b I 1 KHG soll die Vergütung der allgemeinen Krankenhausleistungen durch ein durchgängiges, leistungsorientiertes und pauschalierendes Vergütungssystem erfolgen.496 Dieses hat der Gesetzgeber durch das Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) im Jahr 2002 geschaffen. § 9 I KHEntgG i.V.m. § 11 KHEntgG verpflichtet den GKV- und den PKVSpitzenverband gemeinsam mit der DKG auf Bundesebene einen Fallpauschalenkatalog (sog. DRGs) nach § 17b I 10 KHG und einen Katalog ergänzender Zusatzentgelte nach § 17b I 12 KHG mit Wirkung für das einzelne Krankenhaus und die einzelne Krankenkasse zu vereinbaren. Diese Fallpauschalen bilden die Grundlage der Vergütung der allgemeinen vollstationären und teilstationären Krankenhausleistungen in einem Behandlungsfall (§ 17b I 3 KHG). Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass in den Fallpauschalen nicht jede erdenkliche Einzelleistung aufgeführt oder bewertet wird. Statt494
BT-Drs. 14/6893, S. 43. Vgl. 14. Kapitel, A. und 14. Kapitel, A. II. 496 Ausführlich zu den Rechtsgrundlagen der Krankenhausfinanzierung Quaas, in: Quaas/Zuck (Hrsg.), Medizinrecht, § 25 Rdn. 191 ff. 495
B. Integration in die stationäre Versorgung
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dessen werden anhand von Kosten und Leistungen vergleichbare Fälle diagnosebezogen zu einer Gruppe zusammengefasst.497 Aus diesem Grund bezeichnet man die Fallpauschalen auch als „DRGs“, d.h. „diagnosis related groups“. Bei jedem Krankenhausaufenthalt eines Versicherten ist grundsätzlich eine Fallpauschale zur Abrechnung heranzuziehen (§§ 7 I 2, 8 II KHEntgG). Erforderlich ist jedoch, dass der Fallpauschalenkatalog nach § 9 I 1 Nr. 1 KHEntgG Fallpauschalen beinhaltet, die im Einzelfall eine sachgerechte Vergütung der erbrachten Krankenhausleistungen ermöglichen. 3. Vergütung der neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode mit bestehenden DRGs Der Vergütungsanspruch des Krankenhauses gegen die Krankenkasse ergibt sich im Regelfall aus dem allgemeinen Fallpauschalenkatalog, den GKV- und PKVSpitzenverband gemeinsam mit der DKG auf Bundesebene vereinbaren (§ 9 I KHEntgG i.V.m. § 11 KHEntgG). Lässt sich die begehrte neue Methode mit den bestehenden Fallpauschalen oder Zusatzentgelten bereits sachgerecht vergüten (§ 7 I Nr. 1, 2 KHEntgG), stehen dem Behandlungsanspruch des Versicherten keine pflegesatzrechtlichen Hürden entgegen. Eine Einschränkung kann sich dann allenfalls aus einer negativen Richtlinienbewertung des G-BA nach § 137c I SGB V ergeben. 4. Vergütung der neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode aufgrund einer individuellen Vergütungsabrede Obwohl es bei wichtigen therapeutischen oder diagnostischen Innovationen gelingt, das Verfahren zu beschleunigen, dauert es in Deutschland derzeit etwa zwei Jahre, bis alle Daten vorliegen, die die Eingliederung einer neuen Methode in den Fallpauschalenkatalog erlauben.498 Erweist sich die Vergütung der neuen Methode anhand der bestehenden Fallpauschalen nicht als sachgerecht, erlaubt § 6 II KHEntgG deren vorläufige Vergütung außerhalb des bestehenden Fallpauschalenkatalogs aufgrund einer individuellen Vergütungsvereinbarung einzelner Krankenhausträger mit einzelnen Sozialleistungsträgern. Diese sollen unter Beachtung des Versorgungsauftrages des jeweiligen Krankenhauses zeitlich befristete Entgelte oder Zusatzentgelte für die Abgeltung der Anwendung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden krankenhausindividuell vereinbaren (§ 6 II 1 KHEntgG i.V.m. § 11 KHEntgG i.V.m. § 18 KHG).499 Das durch § 6 II 1 KHEntgG statuierte Erfordernis der zeitlichen Befristung der Vergütungsvereinbarung schafft den Ausgleich zur erforderlichen Sicherung der 497
Quaas, in: Quaas/Zuck (Hrsg.), Medizinrecht, § 25 Rdn. 277; ausführlich Lüngen, in: Lauterbach/Lüngen/Schrappe (Hrsg.), Gesundheitsökonomie, Management und Evidenzbasierte Medizin, Kap. 9.3, S. 143 ff. 498 Ausführlich Tuschen/Trefz, Krankenhausentgeltgesetz, S. 279. 499 Ausführlich Tuschen/Trefz, Krankenhausentgeltgesetz, S. 276 ff.; zur Frage, ob aus § 6 II KHEntgG sogar ein Anspruch auf den Abschluss einer Vergütungsvereinbarung folgt, Felix, MedR 2011, 67 (71).
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14. Kap.: Integration neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden
Qualität der stationären Versorgung (vgl. insbesondere § 137c SGB V). Innerhalb dieses befristeten Zeitraums besteht die Möglichkeit, Daten über Qualität und Effektivität der neuen Methode zu erheben und über ihre Aufnahme in den Fallpauschalenkatalog zu entscheiden.500 Zudem wird die Begrenzung der Erbringung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden auf bestimmte „Schwerpunktkrankenhäuser“ ermöglicht.501 Die Beurteilung der Frage der Sachgerechtigkeit der Vergütung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden obliegt jedoch nicht den Partnern dieser Individualvereinbarung. § 6 II 3 KHEntgG verpflichtet das jeweilige Krankenhaus, bis spätestens zum 31. Oktober des laufenden Kalenderjahres, Informationen von den Vertragspartnern auf Bundesebene über die Möglichkeit der sachgerechten Vergütung einer Methode einzuholen. Mit der Abwicklung der entsprechenden Anfragen der Krankenhäuser haben der GKV- und der PKV-Spitzenverband zusammen mit der DKG das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus in der Rechtsform einer gemeinnützigen GmbH (sog. InEK GmbH) stellvertretend beauftragt.502 Nach Abschluss des institutsinternen Prüfungsverfahrens übermittelt die InEK GmbH ein Prüfungsergebnis an das anfragende Krankenhaus.503 Ergibt sich daraus, dass die sachgerechte Vergütung bereits mit den gegenwärtig verfügbaren Fallpauschalen möglich ist, so besteht keine Notwendigkeit zur Ergänzung des Fallpauschalenkatalogs. Die Methode kann dann ohne Weiteres erbracht werden. Aus diesem Grund führt das Fallpauschalensystem zu einem Anreiz für eine effizientere Versorgung durch Innovation.504 Stellt die InEK GmbH jedoch fest, dass die in Frage stehende Methode im bestehenden DRG-System nicht sachgerecht vergütet werden kann, sieht § 6 II 1 KHEntgG vor, dass das anfragende Krankenhaus eine zeitlich befristete Vergütungsvereinbarung mit einer Krankenkassen treffen „soll“. Dabei haben die Parteien etwaige Informationen der InEK GmbH über die Sachgerechtigkeit der Vergütung zu beachten (§ 6 II 4 KHEntgG). Kommt es zum Abschluss einer Vergütungsvereinbarung, kann die neue Methode ab diesem Zeitpunkt vom Kranken500
Hierzu auch Tuschen/Trefz, Krankenhausentgeltgesetz, S. 280. BT-Drs. 14/6893, S. 43. 502 Weiterführend Lüngen, in: Lauterbach/Lüngen/Schrappe (Hrsg.), Gesundheitsökonomie, Management und Evidenzbasierte Medizin, Kap. 9.3., S. 143 ff. (145). Zur Sicherung der Transparenz und Einheitlichkeit der Vorgehensweise der InEK GmbH haben die Vertragsparteien auf Bundesebene Verfahrenseckpunkte zum Umgang mit den Anfragen konsentiert (vgl. ausführlich http://www.g-drg.de [abgerufen am: 15.12.2010]). Anfragen an die InEK GmbH können danach nur auf elektronischem Wege gestellt werden. Eine erfolgreiche Anfrage muss inhaltlich insbesondere auf die Beschreibung der neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode eingehen, Informationen zu Patienten, die mit der neuen Methode behandelt werden sollen, enthalten, über die durch die neue Methode verursachten Kosten Aufschluss geben, sowie eine Begründung enthalten, warum die neue Methode im bestehenden System nicht sachgerecht abgebildet ist. 503 Einzelheiten ergeben sich aus der unter http://www.g-drg.de abrufbaren Zusammenstellung der Verfahrenseckpunkte (abgerufen am: 16.01.2010); weiterführend Tuschen/Trefz, Krankenhausentgeltgesetz, S. 280 ff.; vgl. zu dem Verfahren auch Egger/Rheinberger/von Pritzbuer, DÄBl. 2010, A-1444 ff. 504 Tuschen/Trefz, Krankenhausentgeltgesetz, S. 280. 501
B. Integration in die stationäre Versorgung
245
haus zu Lasten der Krankenkasse abgerechnet und vom Versicherten beansprucht werden. Die Vertragsparteien haben den Inhalt dieser Vergütungsvereinbarung an die Vertragspartner auf Bundesebene zu melden (§ 6 II 7 KHEntgG). Dies eröffnet die Möglichkeit, bei der Entscheidung über die Aufnahme einer neuen Methode in den regulären Fallpauschalenkatalog, auf vorhandenen Sachverstand zurückzugreifen.
III. Kein Ausschluss der Untersuchungs- oder Behandlungsmethode durch Richtlinien des G-BA i.S.d. § 137c I SGB V Untersuchungs- und Behandlungsmethoden dürfen im stationären Sektor erbracht werden, bis der G-BA sie durch eine entsprechende Richtlinie von der stationären Versorgung ausgeschlossen hat. Dies ergibt sich nicht nur aus § 137c I SGB V, sondern auch aus aus § 6 II 1 KHEntgG, der eine Vergütungsvereinbarung über eine Methode, die nach § 137c I SGB V nicht zu Lasten der Krankenkassen im Rahmen der stationären Versorgung erbracht werden darf, verbietet. 1. Normzweck § 137c SGB V bezweckt nach weit überwiegender Auffassung ebenso wie § 135 SGB V die Sicherung der Qualität der medizinischen Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung.505 Allein die Tatsache, dass neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden im stationären Sektor nicht vor ihrer Einführung in einem zentralisierten Prüfverfahren vor dem G-BA auf ihre Eignung, Erforderlichkeit und Wirtschaftlichkeit geprüft werden, führt jedoch nicht dazu, dass die Geltung des Qualitätsgebotes des § 2 I 3 SGB V außer Kraft gesetzt wird.506 Deswegen kann § 137c I SGB V nicht als generelle Erlaubnis der Erbringung aller beliebigen Methoden für das Krankenhaus mit Verbotsvorbehalt ausgelegt werden.507 Diese – vom ambulanten Sektor abweichende Konzeption der Qualitätssicherung – begründet sich daraus, dass medizinischer Fortschritt seinen Ursprung sehr häufig in den forschenden Kliniken hat. Von dort aus wird er – sofern sich die jeweilige Methode bewährt hat – in die ambulante Versorgung übertragen.508 Dadurch nehmen die Krankenhäuser eine enorm wichtige Position nicht nur bei der Integration neuer Methoden in den Leistungskatalog der GKV, sondern gerade auch als Motor des medizinischen Fortschritts insgesamt ein. Der Gesetzgeber hatte deswegen bei der Ausgestaltung des § 137c SGB V dafür Sorge zu tragen, dass die Fortentwicklung der medizinischen Versorgung nicht durch eine unangemes505
BT-Drs. 14/1245, S. 90; Hess, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 137c Rdn. 2; Becker, in: Becker/Kingreen (Hrsg.), SGB V, § 137c Rdn. 1. 506 Vgl. BSG MedR 2009, 353 (359). 507 BSG MedR 2009, 353 (359); die in BSGE 90, 289 vertretene Auffassung hat das BSG ausdrücklich aufgegeben. 508 Francke, in: Wannagat (Begr.), SGB V, § 137c Rdn. 4.
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14. Kap.: Integration neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden
sene Verfahrens- oder Prüfungsregelung verhindert wird.509 Vielmehr soll die derzeitige Konzeption des § 137c I SGB V das Tor für Innovationen im stationären Sektor offenhalten.510 2. Der Methodenbegriff des § 137c SGB V § 137c I SGB V und § 135 I 1 SGB V verfügen über einen einheitlichen Methodenbegriff. Dies ergibt sich daraus, dass beide Normen der Qualitätssicherung dienen und zwischen ihnen inhaltlich Wertungsgleichheit besteht.511 Dem entsprechend besteht eine Untersuchungs- oder Behandlungsmethode i.S.d. § 137c SGB V im Regelfall ebenfalls aus mehreren ärztlichen Dienst- oder Sachleistungen.512 Darüber hinaus muss das ärztliche Handeln sich entweder durch eine eigenständige wissenschaftliche Fundierung oder durch die Komplexität des technischen Ablaufs bei der Anwendung auszeichnen.513 Ärztliche Maßnahmen im Fall von Singularerkrankungen schließen das Vorliegen einer Untersuchungs- oder Behandlungsmethode auch i.R.d. § 137c SGBV unabhängig von dessen wissenschaftlicher Fundierung oder Komplexität des technischen Ablaufs bei der Anwendung aus. 3. Verzichtbarkeit des Kriteriums der Neuheit einer Methode § 137c I SGB V beschränkt die Prüfungskompetenz des G-BA im stationären Sektor nicht auf „neue“ Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden. Nach dem Wortlaut der Norm überprüft das Gremium solche ärztliche Maßnahmen, die zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung angewandt werden oder angewandt werden sollen.514 Der begriffliche Unterschied zu § 135 I 1 SGB V hat verschiedene Ursachen: Einerseits ist die Beschränkung der Prüfungskompetenz des G-BA auf „neue“ Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden aus systematischen Gründen nicht erforderlich, weil sich § 137c I SGB V, abweichend von § 135 I 1 SGB V nicht als Zulassungsschranke für den medizinischen Fortschritt erweist. Aus diesem Grund muss dem G-BA von vornherein die Möglichkeit offen stehen, jegliche in der stationären Versorgung erbrachte Methoden auf ihre GKV-Konformität hin zu überprüfen. Andererseits existiert im stationären Sektor kein dem EBM (§ 87 I 1 SGB V) vergleichbarer Leistungskatalog, der eine formale Bestimmung des Neuheitsbegriffs im stationären Sektor erlauben würde.515 Die Vergütung von im Kranken509
Vgl. Francke, in: Wannagat (Begr.), SGB V, § 137c Rdn. 4, 10. Hess, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 137c Rdn. 4. 511 Vgl. Francke, in: Wannagat (Begr.), SGB V, § 137c Rdn. 7. 512 BSGE 84, 247 (250). 513 Vgl. BSGE 93, 236 (244) m.w.N.; ähnlich bereits BSGE 88, 51 (60 f.); dazu Francke, in: Wannagat (Begr.), SGB V, § 135 Rdn. 8; Murawski, in: Kruse/Hänlein (Hrsg.), SGB V, § 135 Rdn. 3; Schmidt-De Caluwe, in: Becker/Kingreen (Hrsg.), SGB V, § 135 Rdn. 3; von Wulffen, GesR 2006, 385. 514 Hierzu Knittel, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, SGB V, § 137c Rdn. 3. 515 Vgl. Hauck, NZS 2007, 461 (467). 510
B. Integration in die stationäre Versorgung
247
haus erbrachten ärztlichen Leistungen richtet sich gem. § 17b I 1 KHG i.V.m. §§ 3 ff. KHEntgG nach sog. „Fallpauschalen“ (= DRG). In den DRG werden anhand von Kosten und Leistungen vergleichbare Fälle diagnosebezogen zu einer Gruppe zusammengefasst (= Diagnosis Related Groups).516 Deswegen haben sie einen weiteren, diagnosebezogenen Inhalt als die Leistungsbeschreibungen des EBM.517 Es wird gerade nicht jede einzelne Leistung aufgeführt und bewertet.518 Zwar taucht in § 6 II 1 KHEntgG der Begriff der „neuen“ Untersuchungs- und Behandlungsmethode auf, doch ist dessen Bedeutung nicht mit der Bedeutung des Begriffs i.R.d. § 135 I 1 SGB V identisch.519 Im Kontext des KHEntgG entscheidet sich die Neuheit einer Methode daran, ob diese bereits sachgerecht mit den bestehenden DRGs vergütet werden kann. 4. Anforderungen an den Ausschluss einer Untersuchungsoder Behandlungsmethode aus der stationären Versorgung a. Vorliegen eines Bewertungsantrags Auch im stationären Sektor kann der G-BA nicht von Amts wegen tätig werden. Aus diesem Grund ist bei § 137c I SGB V ebenso wie beim Verfahren nach § 135 I 1 SGB V die Stellung eines Bewertungsantrags erforderlich. Der Kreis der Antragsberechtigten bemisst sich nach den gesetzlichen Vorgaben. § 137c I SGB V eröffnet dem GKV-Spitzenverband, der DKG oder einem sonstigen Bundesverband von Krankenhausträgern ein Antragsrecht beim G-BA. Darüber hinaus eröffnet § 6 II 8 HS 1 KHEntgG i.V.m. § 9 I 1 KHEntgG dem GKV-Spitzenverband gemeinsam mit dem PKV-Spitzenverband ein Antragsrecht beim G-BA.520 Daraus ergibt sich eine inhaltliche Abweichung zum Wortlaut des § 137c I SGB V, welcher dem GKV-Spitzenverband ein alleiniges Antragsrecht einräumt. § 6 II 8 HS 2 KHEntgG stellt jedoch klar, dass § 137c I SGB V von der Regelung unberührt bleibt, dem GKV-Spitzenverband also trotz der abweichenden Regelungen des KHEntgG ein alleiniges Antragsrecht zusteht. Die Tatsache, dass der PKV-Spitzenverband nicht über ein alleiniges, sondern lediglich über ein gemeinsames Antragsrecht beim G-BA mit dem GKV-Spitzenverband verfügt, erklärt sich vor allem daraus, dass beide Spitzenverbände der Deutschen Krankenhausgesellschaft nach § 9 I 1 KHEntgG auf der einen Seite als Vertragspartner bei den entsprechend § 9 KHEntgG zu treffenden Vereinbarungen auf Bundesebene gegenüberstehen.521 Die Landesschiedsstellen i.S.d. § 18a II 1 KHG verfügen dagegen nicht über ein eigenes Antragsrecht, sondern nach § 6 II 9 KHEntgG i.V.m. § 18a I KHG lediglich über die Möglichkeit, eine Stellungnahme des G-BA nach § 137c SGB V einzuholen.522 516 517 518 519 520 521 522
Quaas, in: Quaas/Zuck (Hrsg.), Medizinrecht, § 25 Rdn. 277. Hauck, NZS 2007, 461 (466). Quaas, in: Quaas/Zuck (Hrsg.), Medizinrecht, § 25 Rdn. 277. Vgl. Hauck, NZS 2007, 461 (467). Hierzu auch Hauck, NZS 2007, 461 (466). Ausführlich Tuschen/Trefz, Krankenhausentgeltgesetz, S. 297 ff. Hierzu Tuschen/Trefz, Krankenhausentgeltgesetz, S. 281.
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14. Kap.: Integration neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden
Die Landesschiedsstellen setzen sich aus einem neutralen Vorsitzenden und aus Vertretern der Landesverbände der Krankenkassen und Krankenhäuser in gleicher Zahl zusammen (§ 18a II 1 KHG). Zu den Vertretern der gesetzlichen Krankenkassen zählt dabei auch ein Vertreter des jeweiligen Landesverbandes der privaten Krankenversicherer (§ 18a II 2 KHG). b. Negative Bewertung in Richtlinien Der Ausschluss einer Untersuchungs- oder Behandlungsmethode aus der stationären Versorgung setzt nach § 137c I SGB V deren negative Bewertung in einer Richtlinie des G-BA voraus. aa. Art der Entscheidung Nach § 137c I SGB V erlässt der G-BA eine entsprechende Richtlinie, wenn die Überprüfung einer Methode ergibt, dass diese nicht für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten unter Beachtung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse erforderlich ist. Der Wortlaut der Norm („Ergibt die Überprüfung, dass die Methode nicht den Kriterien des Satzes 1 entspricht, erlässt523 der G-BA eine entsprechende Richtlinie.“) weist darauf hin, dass es sich bei dem Beschluss des Gremiums wie bei § 135 I 1 SGB V um eine gebundene Entscheidung handelt. Entspricht die zu überprüfende Methode nicht dem Versorgungsstandard des SGB V muss der G-BA diese vom Versorgungsumfang ausschließen. Ein Ermessensspielraum verbleibt ihm nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut nicht. Daraus, dass es sich beim Ausschluss einer Methode aus dem Versorgungsumfang im stationären Sektor um eine gebundene Entscheidung handelt, erklärt sich, dass die Norm im Gegensatz zu § 135 I 1 SGB V keine weiteren Anforderungen an den Richtlinieninhalt stellt. Der G-BA hat die jeweilige Methode in der Form zu bewerten, wie sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt Anwendung findet oder Anwendung finden soll. Allerdings darf diese vom ambulanten Sektor abweichende Struktur des § 137c I SGB V nicht zu dem Schluss verleiten, dass der Erlass von Richtlinien über die Qualitätssicherung im stationären Sektor nicht möglich wäre. §§ 135, 137 SGB V ermöglichen dem G-BA den Erlass von Richtlinien, die insbesondere verpflichtende Maßnahmen zur Sicherung der Qualität beinhalten (vgl. § 137 I 1 Nr. 1 SGB V).524 bb. Bewertungskriterien § 137c I SGB V gibt vor, dass die jeweilige Untersuchungs- oder Behandlungsmethode daraufhin zu überprüfen ist, ob sie für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten unter Berücksichtigung des allge523
Hervorhebung durch den Verfasser. Siehe zur sektorenübergreifenden Qualitätssicherung auf dieser Grundlage insbesondere BT-Drs. 16/3100, S. 146 f.; Lang, VSSR 2008, 111; Axer, VSSR 2010, 183. 524
B. Integration in die stationäre Versorgung
249
mein anerkannten Standes medizinischer Erkenntnisse erforderlich ist. Ihrem Wortlaut nach unterscheiden sich die Kriterien zur Feststellung der GKV-Konformität nicht nur von denjenigen, die § 135 I 1 SGB V vorgibt, sondern auch von denjenigen, die aus § 2 I SGB V folgen. Trotz der von § 135 I 1 SGB V abweichenden Normstruktur und des andersartigen Wortlauts besteht allerdings inzwischen Einigkeit darüber, dass inhaltlich kein Unterschied zwischen beiden Normen besteht.525 Die Gemeinsamkeit der Normen ergibt sich daraus, dass der allgemein anerkannte Stand medizinischer Erkenntnisse den Maßstab zur Bewertung der jeweiligen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode bildet.526 Auf dessen Grundlage ist nach § 137c I SGB V zu beurteilen, ob sich die Methode für die Versorgung der Versicherten als ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich erweist. Diese Kriterien nehmen auf das allgemeine Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 I SGB V Bezug. Das Merkmal der Zweckmäßigkeit entspricht dabei grundsätzlich demjenigen der Wirksamkeit aus § 2 I 3 SGB V. Das Merkmal der ausreichenden Leistung soll zwar prinzipiell einen gewissen Mindeststandard sichern, zu dessen Wahrung die jeweilige Methode nach Umfang und Qualität hinreichende Chancen auf einen Heilerfolg bieten muss.527 Teilweise wurde allerdings auch die Auffassung vertreten, dass das Merkmal den Leistungsanspruch des Versicherten auch „nach oben“ begrenze, wodurch es sich im Ergebnis mit den Kriterien der Notwendigkeit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit i.e.S. überschneidet.528 Deswegen ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber bei der Verwendung des Begriffs „ausreichend“ jedenfalls auch auf denjenigen der „Notwendigkeit“ Bezug nehmen wollte. 5. Rechtsfolgen Die Richtlinienentscheidung des G-BA nach § 137c I 1 SGB V wirkt sich unmittelbar auf den Umfang der Versorgungsaufträge aller zugelassenen Krankenhäuser aus. a. Grundsatz: Ausschluss der Methode vom Versorgungsumfang im stationären Sektor Hat der G-BA negativ über eine Untersuchungs- oder Behandlungsmethode entschieden, darf diese nach § 137c II 2 SGB V ab dem Tag des Inkrafttretens der Richtlinie nicht mehr zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen erbracht werden. Parallel dazu verbietet § 6 II 1 KHEntgG den Abschluss von Vergütungsvereinbarungen über die Methode.529
525
So jedenfalls BSG MedR 2010, 347 (356). Dazu Joussen, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching (Hrsg.), BeckOK SGB V, § 137c. 527 Vgl. Engelhard, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), jurisPK-SGB V, § 12 Rdn. 47. 528 Vgl. dazu oben 13. Kapitel, D. II. 1. b. bb. 529 Ausführlich Tuschen/Trefz, Krankenhausentgeltgesetz, S. 278 ff. 526
250
14. Kap.: Integration neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden
Eine derartige Richtlinie des G-BA beansprucht wegen § 91 VI SGB V normative Wirkung gegenüber allen zugelassenen Krankenhäusern und wirkt sich unmittelbar auf deren Versorgungsauftrag aus. Dieser umfasst global alle Methoden, die den medizinischen Fachabteilungen zugeordnet werden können, welche dem Krankenhaus bei seiner Zulassung zugewiesen worden sind. Der Einfluss der Richtlinien auf den Versorgungsauftrag lässt sich daher nur so interpretieren, dass die Untersuchungs- oder Behandlungsmethode, über die der G-BA eine negative Entscheidung i.S.d. § 137c I SGB V getroffen hat, partiell aus diesem subtrahiert wird. Aufgrund des inhaltlichen Gleichlaufs von Leistungs- und Leistungserbringerrecht führt dies auch dazu, dass der Versicherte diese Leistung nicht mehr gem. §§ 27, 39 SGB V von seiner Krankenkasse beanspruchen kann. Aufgrund der allgemeinen Geltung der Richtlinien ist in diesem Fall sogar unerheblich, welches Krankenhaus in Anspruch genommen wird. Dies ist bemerkenswert, weil der Versorgungsauftrag des Krankenhauses im Regelfall individuell durch die Länder festgesetzt wird. Diese Planungskompetenz wird hier von der aus einem Bundesgesetz folgenden Richtlinienkompetenz des G-BA überlagert.530 b. Ausnahme: Klinische Forschung Nach § 137c II 2 HS 2 SGB V bleibt die Durchführung klinischer Studien von dem Ausschluss einer Untersuchungs- oder Behandlungsmethode von der Erbringung im stationären Sektor unberührt. Derartige Studien weichen typischerweise vom üblichen Behandlungsmuster ab und stellen in der Regel einen systematischen Heilbehandlungsversuch dar, bei denen die Untersuchungs- und Behandlungsmethoden mit wissenschaftlicher Begleitung geprüft werden.531 Derartige Methoden, die ihm Rahmen klinischer oder multizentrischer Studien unter Verantwortung von Hochschulkrankenhäusern angewandt werden, sind trotz einer negativen Richtlinie des G-BA von den Krankenkassen zu vergüten.532 Die Vergütung richtet sich in diesem Fall nach § 8 I 2 KHEntgG. Diese Ausnahmeregelung soll dem Zweck des § 137c SGB V entsprechend gewährleisten, dass der kontrollierte medizinische Fortschritt in den Krankenhäusern nicht behindert wird. Gleichzeitig bietet sie die Möglichkeit, dass Heilversuchsbehandlungen kontrolliert und dokumentiert stattfinden und eine transparente Versorgungsforschung ermöglicht wird.533
530
Zur Gesetzgebungskompetenz des Bundes vgl. oben 9. Kapitel, C. Vgl. BSGE 93, 137 (141 f.). 532 BT-Drs. 14/1245, S. 90; Wagner, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, SGB V, § 39 Rdn. 32. 533 Vgl. BSG MedR 2010, 347 (355 f.) unter Bezugnahme auf Francke, in: Kern/Wadle/ Schroeder/Katzenmeier (Hrsg.), FS Laufs, S. 793 (805) unter FN 42. 531
C. Verhältnis von § 135 SGB V und § 137c SGB V
251
Eine Ausnahme von der grundsätzlichen Zulässigkeit klinischer Forschung besteht allerdings dann, wenn diese der Prüfung eines noch nicht zugelassenen Arzneimittels dient.534 Das BSG begründet dies damit, dass schon die im Arzneimittelrecht normierten Regelungen über die Pflicht zur Kostentragung bei Arzneimittelstudien (§ 47 I Nr. 2g AMG) erkennen ließen, dass derartige Studien nicht von der GKV zu finanzieren seien.535 Zudem bildeten Arzneimittelstudien nach § 63 IV 2 SGB V keinen Gegenstand eines Modellvorhabens und seien daher nicht von der GKV zu finanzieren.536 Letztlich erfolge klinische Forschung im Arzneimittelbereich primär durch die pharmazeutische Industrie oder auf deren Veranlassung. Die Unternehmen konzentrierten sich dabei auf Gebiete, die ihnen erfolgversprechend oder ökonomisch interessant erschienen. Ein finanzielles Engagement der Krankenkassen sei im Regelfall deshalb nicht geboten, weil die pharmazeutischen Unternehmen diese über die Gestaltung der Arzneimittelpreise amortisieren könnten.537
C. Verhältnis von § 135 SGB V und § 137c SGB V Trotz der prinzipiellen Einigkeit darüber, dass sich die Methodenbewertung im ambulanten und im stationären Sektor nach den gleichen inhaltlichen Kriterien richtet, bestand Streit darüber, ob die Bewertungsverfahren nach §§ 135 I 1, 137c I SGB V unterschiedlichen Bewertungsmaßstäben unterlägen.538 So wurde argumentiert, dass der einschränkende Wortlaut des § 135 I 1 SGB V („Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden dürfen […] nur erbracht werden, wenn der G-BA […] Empfehlungen abgegeben hat über die Anerkennung539 des diagnostischen oder therapeutischen Nutzens…“) impliziere, dass Studienergebnisse vorhanden sein müssten, die den Nutzen einer Methode belegten.540 Durch die Verwendung des Begriffs der „Erforderlichkeit“541 sei der Bewertungsmaßstab des § 137c I SGB V dagegen weiter gefasst. Es könne in einem derartigen Bewertungsverfahren daher nicht allein um das Auffinden von Studien zum allgemein anerkannten Nutzen einer Methode gehen, sondern es sei durch eine umfassende Abwägung zu klären, ob eine Methode (auch bei eingeschränktem Nutzennachweis) für die Versorgung der Versicherten erforderlich sei.542 Daraus ergebe sich, 534
Vgl. BSGE 93, 137; Wagner, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, SGB V, § 39 Rdn. 32. 535 BSGE 93, 137 (144 f.). 536 BSGE 93, 137 (145). 537 BSGE 93, 137 (145). 538 Nachzulesen bei Roters, NZS 2007, 176 (182 ff.); Hauck, NZS 2007, 461 (467); Schlottmann/Weddehage, NZS 2008, 411 (414); Hess, in: Rebscher (Hrsg.), FS Neubauer, S. 441 (452 f.). 539 Hervorhebung durch den Verfasser. 540 So etwa Schlottmann/Weddehage, NZS 2008, 411 (414). 541 Hervorhebung durch den Verfasser. 542 Schlottmann/Weddehage, aaO.
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14. Kap.: Integration neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden
dass der G-BA eine Methode nicht allein aufgrund eines fehlenden Nutzennachweises ausschließen dürfe. Dies würde die Anwendung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden im Krankenhausbereich bereits im Keim ersticken und den gesetzlich vorgesehenen Unterschied zwischen stationärem und ambulantem Bereich systematisch aushebeln.543 Dagegen wurde eingewandt, dass ein derartiges Verständnis des § 137c I SGB V zu einer gesetzlichen Wirksamkeitsvermutung des Nutzens einer Methode führe.544 Dadurch werde dem G-BA die materielle Beweislast dafür auferlegt, dass die Methode nicht für die Versorgung erforderlich sei.545 Dies würde Entscheidungen nach § 137c SGB V auf wenige Ausnahmefälle beschränken und damit dem Sinn und Zweck der Vorschrift zuwider laufen.546 Die systematische Auslegung der Norm zeige, dass eine Methode dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse i.S.d. § 2 I 3 SGB V nicht entspreche, wenn keine hinreichenden Wirksamkeitshinweise vorlägen.547 Zudem bestünde kein Anreiz mehr, die Wirksamkeit einer Methode zu erforschen; im Gegenteil werde sich jeder wirtschaftliche Interessen verfolgende Studienbetreiber genau überlegen, ob er das Risiko eines ungünstigen Ergebnisses und damit die Gefahr eines ohne Studie nicht möglichen Ausschlusses eingehen wolle.548 Der G-BA trage nach zutreffender Auslegung des § 137c I SGB V die Aufgabe, nach gleichen Prüfmaßstäben im stationären wie im ambulanten Bereich sicherzustellen, dass nicht notwendige oder im Vergleich zu ihrem Nutzen teurere Methoden nicht von der GKV zu leisten seien.549 Dieser Auffassung hat sich das BSG angeschlossen.550 Die parallel zur Methodenbewertung im ambulanten vertragsärztlichen Bereich ausgestaltete Vorgehensweise [des G-BA] bei der Bewertung von Methoden im Krankenhaus stehe nicht im Widerspruch zu den gesetzlichen Vorgaben in § 137c I SGB V.551 Der vom Leistungsrecht des SGB V – insbesondere in § 2 I 3 und 4 SGB V sowie in § 12 I SGB V – gesetzlich vorgegebene Versorgungsstandard gelte für alle Leistungsbereiche grundsätzlich einheitlich.552 Eine über die Differenzierung in zeitlicher Hinsicht hinausgehende Bedeutung komme der unterschiedlichen Regelungstechnik in § 135 I bzw. § 137c I SGB V nicht zu. Insbesondere biete diese dann, wenn nach Durchführung eines Bewertungsverfahrens durch den G-BA unter Heranziehung aller verfügbaren Erkenntnisse feststehe, dass die therapeutische Wirtksamkeit bzw. der medizinische Nutzen eines neuen Behandlungskonzepts nicht belegt sei, keine Rechtfertigung dafür, dass die Methode trotz der leistungs543
So Schlottmann/Weddehage, NZS 2008, 411 (414 f.). Roters, NZS 2007, 176 (182 f.). 545 Roters, NZS 2007, 176 (182). 546 Roters, NZS 2007, 176 (183) unter Berufung auf SG Köln, Urt. v. 19.10.2005, Az. S 19 KR 76/05. 547 Roters, NZS 2007, 176 (184). 548 Roters, NZS 2007, 176 (182). 549 Vgl. Roters, NZS 2007, 176 (182). 550 Vgl. ausführlich BSG MedR 2010, 347 (354 ff.). 551 BSG MedR 2010, 347 (354). 552 BSG MedR 2010, 347 (355) m.w.N. 544
D. Fazit
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rechtlichen Vorgaben in § 2 I und IV sowie in § 12 I SGB V weiterhin allgemein in allen Krankenhäusern, aber nicht im ambulanten Bereich angewandt werden könne.553 Die gesetzliche Regelung lasse vielmehr erkennen, dass in einer solchen Situation der Weiterentwicklung der Medizin dadurch Rechnung zu tragen sei, dass die Durchführung kontrollierter klinischer Studien ermöglicht werde (§ 137c II 2 S. 2 HS 2 SGB V). Dürften aus der Versorgung nur solche Methoden ausgeschlossen werden, die „erkennbar kein Potenzial zur Überwindung der bestehenden Defizite“ haben, hätte die Regelung zur Durchführung klinischer Studien auch nach einem vom G-BA verfügten Ausschluss einer Methode zur Anwendung im Krankenhaus keinen sinnvollen Anwendungsbereich.554 Infolge dieser klarstellenden Entscheidung des BSG hat sich der Streit um den Maßstab der Methodenbewertung bei § 137c I SGB V erledigt. Sowohl im ambulanten, als auch im stationären Sektor richtet sich diese danach, ob der therapeutische oder diagnostische Nutzen, die medizinische Notwendigkeit und die Wirtschaftlichkeit einer Methode entsprechend dem allgemein anerkannten Stand medizinischer Erkenntnisse als belegt anzusehen sind. Ist dieser Nachweis bei einer Methode nicht möglich, ist diese vom Versorgungsumfang der GKV auszuschließen. Eine Wirksamkeitsvermutung zu Gunsten von Methoden, die im stationären Sektor erbracht werden, ist nicht anzuerkennen.
D. Fazit Die Integration neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden erfolgt sowohl im ambulanten, als auch im stationären Sektor nach einheitlichen Kriterien: Der allgemeine Teil des SGB V schreibt vor, dass sich die GKV-Konformität einer Methode danach entscheidet, ob ihre Wirksamkeit und Qualität dem allgemein anerkannten Stand medizinischer Erkenntnisse entspricht (§ 2 I 3 SGB V) und die Leistung als wirtschaftlich im weiteren Sinne anzusehen ist (§ 2 I 1 SGB V i.V.m. § 12 I SGB V). Zwar findet sich dieses differenzierte System dem Wortlaut nach in den §§ 92, 135, 137c SGB V nicht wieder, doch ergibt sich daraus nach gefestigter Auffassung in Rechtsprechung und Literatur kein sachlicher Unterschied. Obwohl keine absolute Wortlautidentität besteht, werden die Anforderungen des allgemeinen Teils des SGB V an den Versorgungsstandard, dem eine Leistung zur Anerkennung in der gesetzlichen Krankenversicherung genügen muss, durch die Vorschriften des Leistungserbringerrechts gespiegelt.555 Trotz des einheitlichen Regelungsinstruments der Richtlinie nach § 92 I 1 SGB V unterscheiden sich die konkreten Verfahren zur Integration des medizinischen Fortschritts in den Leistungsanspruch des Versicherten im ambulanten und im stationären Sektor aufgrund der abweichenden Konzeption der Vorschriften der Qualitätssicherung (§§ 135 I 1, 137c I SGB V) erheblich. 553 554 555
BSG MedR 2010, 347 (355). BSG MedR 2010, 347 (355). Hierzu Hauck, SGb 2010, 193 (195).
254
14. Kap.: Integration neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden
Durch die Ausgestaltung des § 135 I 1 SGB V als Verbot der Erbringung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden bis zu deren Empfehlung in Richtlinien des G-BA erlangt das Gremium eine erhebliche Definitionsmacht über Inhalt und Umfang des Leistungsanspruchs des Versicherten im ambulanten Sektor. Dies ergibt sich nicht zuletzt aus der exponierten Stellung der Richtlinien in der sozialrechtlichen Normenhierarchie und dem Einfluss, den der G-BA dadurch auch auf die Tätigkeit des Bewertungsausschusses als gemeinsames Gremium von Krankenkassen und Vertragsärzten erlangt. Im stationären Sektor ist die Definitionsmacht des G-BA über den Inhalt des Leistungsanspruchs des Versicherten aufgrund der Ausgestaltung des § 137c I SGB V als Erlaubnis der Erbringung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden mit dem Vorbehalt eines Verbots durch Richtlinien des G-BA gemindert. Allerdings dürfen neuartige Methoden auch in diesem Bereich nicht nach dem Belieben des vom Versicherten in Anspruch genommenen Krankenhauses zu Lasten der Krankenkassen erbracht werden. Erforderlich ist nicht nur, dass sich die jeweilige Methode nach § 2 I SGB V als GKV-konform erweist, sondern auch, dass deren Vergütung auf der Grundlage bereits bestehender Fallpauschalen oder einer individuellen Vergütungsabrede zwischen dem Krankenhaus und einer Krankenkasse möglich ist. Dadurch verbleibt die primäre Prüfungskompetenz zur Feststellung der GKV-Konformität einer Methode zunächst bei den einzelnen Krankenhäusern und Krankenkassen. Erst nach der Einleitung des formellen Prüfverfahrens nach § 137c I SGB V durch einen entsprechenden Antrag eines Berechtigten kann der G-BA Einfluss auf die Ausgestaltung des Leistungsinhalts im stationären Sektor nehmen. Der Vorteil dieses Verfahrens ist, dass eine sehr schnelle Anpassung des stationären Vergütungs- und damit auch des gesamten Versorgungssystems im Krankenhausbereich an den medizinischen Fortschritt stattfindet.556 Als nachteilig wird dagegen die Tatsache gewertet, dass diese Weiterentwicklung bis zum Beschluss einer gegenteiligen Richtlinie i.S.d. § 137c I SGB V ausschließlich anhand ökonomischer Kriterien erfolge.557 Nicht zu leugnen ist jedenfalls, dass die Sicherung der Qualität der stationären Versorgung entscheidend von der Effektivität der krankenhausinternen Kontrollmechanismen abhängt. Entscheidende Bedeutung kommt deswegen dem Verfahren der Zulassung eines Krankenhauses zur Leistungserbringung zu Lasten der GKV zu. Da inzwischen nicht nur in der Literatur, sondern auch in der Rechtsprechung des BSG anerkannt ist, dass die Bewertung der GKV-Konformität einer (neuen) Untersuchungs- und Behandlungsmethode nach den gleichen inhaltlichen Kriterien zu erfolgen hat, erscheint es lediglich als eine Frage der Zeit, bis die von § 135 I 1 SGB V abweichende Konzeption des § 137c I SGB V im stationären Sektor aufgegeben und der Rechtslage im ambulanten Sektor angeglichen wird. Dabei darf allerdings nicht übersehen werden, dass der medizinische Fortschritt seinen Ursprung häufig in den Krankenhäusern findet. Bei einer eventuellen Neu556
Vgl. Egger/Rheinberger/von Pritzbuer, DÄBl. 2010, A-1444 (A-1445). Dazu ausführlich Egger/Rheinberger/von Pritzbuer, DÄBl. 2010, A-1444 (A-1445 ff.) mit einem Vorschlag zur gesetzlichen Neuordnung des derzeitigen Systems. 557
D. Fazit
255
konzeption der Ausgestaltung der Leistungserbringung im stationären Sektor müsste diesem Umstand angemessen Rechnung getragen werden, um auch in Zukunft eine qualitativ hochwertige und moderne Versorgung der GKV-Versicherten zu gewährleisten. Möglich wäre dies über das bereits derzeit anerkannte Instrument der klinischen Studie. In der Literatur findet sich der Vorschlag, stationäre Leistungen künftig nur noch in geeigneten Zentren einzuführen und zu evaluieren.558 Bestrebungen des Gesetzgebers zur Neuregelung der Leistungserbringung in der stationären Versorgung sind bislang allerdings nicht ersichtlich. Allerdings existiert ein Referentenentwurf des Bundesgesundheitsministeriums zum Versorgungsstrukturgesetz, der eine Änderung des § 137c I SGB V vorsieht.559 Der GBA soll eine Methode danach nur noch dann aus dem Umfang der stationären Versorgung ausschließen können, wenn sie nach Überprüfung kein Potential als erforderliche Behandlungsmethode in der stationären Versorgung bietet.560
558 Siehe hierzu ausführlich Egger/Rheinberger/Schmedders/von Pritzbuer, DÄBl. 2010, A-1444 (A-1446), die dort einen Vorschlag zur Neuregelung des Umgangs mit medizinischen Innovationen im stationären Sektor unterbreiten. 559 Vgl. dazu den Referentenentwurf des BMG, S. 34, 128 ff., abrufbar unter http://www. bmg.bund.de (abgerufen am: 23.06.2011). 560 Vgl. dazu den Referentenentwurf des BMG, S. 129, abrufbar unter http://www. bmg.bund.de (abgerufen am: 23.06.2011).
15. Kapitel: Das Verfahren der Methodenbewertung im G-BA A. Allgemeines Aus dem SGB V lassen sich keine konkreten Inhalte des Leistungsanspruchs der Versicherten auf Krankenbehandlung ableiten. Auch hat der Gesetzgeber die für die Feststellung der GKV-Konformität einer Methode zentralen Kriterien des Nutzens, der Notwendigkeit und der Wirtschaftlichkeit, die nach § 2 I SGB V dem allgemein anerkannten Stand medizinischer Erkenntnisse entsprechen müssen, wegen der Vielgestalt der zu beurteilenden Sachverhalte, nicht abschließend definiert. Nach dem Rechtskonkretisierungskonzept des BSG ist es deswegen die zentrale Aufgabe des G-BA, die genannten unbestimmten Rechtsbegriffe zu konkretisieren, um auf dieser Grundlage seinem gesetzlichen Auftrag zum Beschluss der für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten erforderlichen Richtlinien nachzukommen (§ 92 I 1 SGB V). Der G-BA beurteilt jedoch nicht unmittelbar selbst, ob die medizinischen Leistungen dem Versorgungsstandard des § 2 I 3 SGB V entsprechen. Seine Aufgabe besteht vielmehr darin, sich einen Überblick über die veröffentliche Literatur und die Meinung der einschlägigen Fachkreise zu verschaffen und auf dieser Basis festzustellen, ob ein durch wissenschaftliche Studien hinreichend untermauerter Konsens über die Qualität und Wirksamkeit der in Rede stehenden Behandlungsweise besteht.561 „Methodenbewertung“ meint daher die Bewertung des Meinungsbildes des zu einer Methode verfügbaren wissenschaftlichen Materials. Stellt der G-BA fest, dass ein hinreichend untermauerter Konsens über die Qualität und Wirksamkeit der jeweiligen Methode besteht, lässt er sie zur Erbringung in der ambulanten Versorgung zu (§ 135 I 1 SGB V) oder verbietet ihre Erbringung in der stationären Versorgung nicht (§ 137c I SGB V). Stellt er hingegen fest, dass keine ausreichend fundierten wissenschaftlichen Erkenntnisse über deren Qualität und Wirksamkeit bestehen, wird die Methode nicht zur ambulanten Versorgung zugelassen und von der stationären Versorgung ausgeschlossen. Dabei obliegt es dem G-BA, die im SGB V enthaltenen Maßstäbe an die GKVKonformität einer Untersuchungs- oder Behandlungsmethode zu konkretisieren und ein Verfahren zu entwickeln, in dem die Übereinstimmung der jeweiligen Leistungen mit dem Versorgungsstandard rechtssicher festgestellt werden kann. Aus diesem Grund hat der Gesetzgeber das Gremium zum Beschluss einer Verfahrensordnung562 verpflichtet (§ 91 IV 1 Nr. 1 SGB V). Diese soll für mehr BSG NZS 2004, 99 (101) m.w.N.; dazu Roters, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 92 Rdn. 8. 562 VerfO G-BA, derzeit in der Fassung vom 18.12.2008, veröffentlicht im Bundesanzeiger 2009, S. 2050 (Beilage), in Kraft getreten am 01.04.2009, geändert am 20.01.2011, veröf561
C. Zimmermann, Der Gemeinsame Bundesausschuss, Kölner Schriften zum Medizinrecht, DOI 10.1007/978-3-642-22752-3_15, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
258
15. Kap.: Das Verfahren der Methodenbewertung im G-BA
Transparenz bei dessen Entscheidungsfindung sorgen und das Bewertungsverfahren operationalisieren.563 Diese Zwecksetzung spiegelt sich in Kap. 1 § 1 I VerfO G-BA564 wieder. Die Verfahrensordnung bietet nicht nur den Vorteil, dass die Bewertungsschritte des G-BA im Einzelnen nachvollzogen werden können, sondern eröffnet auch die Möglichkeit, gezielt und konkret begründet Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen.565
B. Rechtscharakter der Verfahrensordnung des G-BA Bei der Verfahrensordnung des G-BA handelt es sich um eine normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift,566 die als „normative Zwischenschicht“ die weit gefasste Generalklausel des § 92 I 1 SGB V und die übrigen unbestimmten Rechtsbegriffe im Anwendungsbereich des SGB V anwendbar machen soll. Im Bereich der Methodenbewertung gilt dies vor allem für die Begriffe des Nutzens, der Notwendigkeit, der Wirtschaftlichkeit und den Maßstab des allgemein anerkannten Standes medizinischer Erkenntnisse. Als Verwaltungsvorschrift handelt es sich bei der Verfahrensordnung prinzipiell um Verwaltungsinnenrecht ohne Wirkung nach außen.567 Da der G-BA sich durch den Erlass der Verfahrensordnung beim Richtlinienbeschluss jedoch selbst bindet,568 können deren Bestimmungen kraft Selbstbindung der Verwaltung (Art. 3 I GG569) Außenwirkung erlangen. Dies führt nicht nur dazu, dass die Verfahrensordnung als untergesetzliche Rechtsquelle aufgrund des Stufenbaus der Rechtsordnung mit höherrangigem Recht vereinbar sein muss,570 sondern auch dazu, dass der aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Vorrang des Gesetzes eingreift. Dieser wirkt hier ebenfalls als Kollisionsregel und erhebt das Verfassungsrecht
fentlicht im Bundesanzeiger 2011, S. 1342, in Kraft getreten am 09.04.2011; abrufbar unter http://www.g-ba.de (abgerufen am: 10.06.2011). 563 Vgl. BT-Drs. 15/1525, S. 107. 564 Einzelheiten zum Aufbau der VerfO G-BA finden sich in den tragenden Gründen zum Beschluss des G-BA über die Neufassung einer Verfahrensordnung vom 18. Dezember 2008, abrufbar unter http://www.g-ba.de (abgerufen am: 14.12.2010). 565 Vgl. Beier, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), jurisPK-SGB V, § 91 Rdn. 52. 566 Zum Begriff der normkonkretisierenden Verwaltungsvorschrift ausführlich Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, § 104 Rdn. 4, 30. 567 Vgl. Stober, in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth (Hrsg.), Verwaltungsrecht, Band I, § 24 Rdn. 20. 568 Vgl. Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 20 (Rechtsstaat) Rdn. 93. 569 Vgl. dazu Heun, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 3 Rdn. 57; Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, § 104 Rdn. 54 ff.; Dürig/Scholz, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, Art. 3 I Rdn. 431 ff. 570 Hierzu allgemein Braun, Einführung in die Rechtswissenschaft, S. 127 ff.; speziell Stober, in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth (Hrsg.), Verwaltungsrecht, Band I, § 26 Rdn. 1 ff.; Ehlers, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 2 Rdn. 114.
D. Einleitung des Bewertungsverfahrens
259
neben dem SGB V zum Kontrollmaßstab ihrer Rechtmäßigkeit.571 Entspricht eine Bestimmung der Verfahrensordnung nicht den Anforderungen des SGB V oder gar denjenigen des Grundgesetzes, ist sie als nichtig anzusehen.572
C. Aufbau der Verfahrensordnung des G-BA Die Verfahrensordnung des G-BA gliedert sich in vier Kapitel. Das erste Kapitel enthält entsprechend der in der Rechtswissenschaft üblichen Klammertechnik allgemeine Bestimmungen zum Ablauf aller Verfahren im Kompetenzbereich des Gremiums, wozu insbesondere der Ablauf des Stellungnahmeverfahrens, die Zusammenarbeit mit dem IQWiG und weiteren fachlich unabhängigen wissenschaftlichen Instituten sowie die Offenlegungspflichten einzelner Verfahrensbeteiligter zählen. Das zweite Kapitel setzt sich speziell mit der Bewertung medizinischer Methoden auseinander. Im Kontext dieser Arbeit ist es deswegen von entscheidender Bedeutung. Sein Aufbau entspricht dem chronologischen Ablauf des Verfahrens im G-BA. Den allgemeinen Bestimmungen zum Bewertungsverfahren (1. Abschnitt) folgen die Regelungen zur Einleitung des Bewertungsverfahrens (2. Abschnitt) und solche zum Bewertungsverfahren selbst (3. Abschnitt). Den Abschluss bilden die Bestimmungen zur Entscheidungsfindung als Ergebnis der Methodenbewertung im Beschlussgremium des Ausschusses (4. Abschnitt).
D. Einleitung des Bewertungsverfahrens Anknüpfend an die gesetzlichen Vorgaben in den §§ 135, 137c SGB V handelt es sich bei der Bewertung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden sektorenunabhängig um ein Antragsverfahren.573 Darauf nimmt Kap. 1 § 5 I 1 VerfO G-BA in allgemeiner Form Bezug. Spezielle Regelungen zur Einleitung des Verfahrens enthält Kap. 2 § 4 VerfO G-BA.
571
Vgl. Grzeszick, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, Art. 20 III Rdn. 73. Dazu Ehlers, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 2 Rdn. 115, 119. 573 Aufgrund dieses Antragsverfahrens, teilweise langen Beratungsverfahren und der Themenwahl, ist der G-BA in der Vergangenheit kritisiert worden („unsystematische Themenbearbeitung auf Zuruf“, vgl. Perleth/Hess, DÄBl. 2010, B-1824). Aus diesem Grund hat das Gremium ein Konzept zur Versorgungsorientierung entwickelt, dass eine umfassende Versorgung wichtiger Krankheitsbilder auf der Basis systematischer, koordinierter, effektiver und effizienter Vorgehensweisen ermöglichen soll. Dazu wird die Beratungspraxis des G-BA stärker am Versorgungsbedarf ausgerichtet. Dabei handelt es sich um eine Ergänzung des bisherigen Antragsverfahrens, dass selbst weiterhin unverändert gilt (ausführlich Perleth/Hess, DÄBl. 2010, B-1824 f.). 572
260
15. Kap.: Das Verfahren der Methodenbewertung im G-BA
I. Annahme des Bewertungsantrags durch den G-BA Nach Kap. 2 § 4 V VerfO G-BA „hat“ das Plenum des G-BA den Bewertungsantrag anzunehmen, wenn der Antragsteller für die beantragte Prüfung antragsberechtigt ist und sein Antrag den von der Verfahrensordnung aufgestellten formellen und inhaltlichen Anforderungen genügt. Erweisen sich die dem Antrag zugrundeliegenden Unterlagen als unvollständig oder unpräzise, verpflichtet Kap. 2 § 4 V 2 VerfO G-BA den für diese Entscheidung zuständigen Unterausschuss, den Antragsteller binnen einer angemessenen Frist zu deren Ergänzung oder Präzisierung aufzufordern. Bei der „Angemessenheit“ der Frist handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der in der Verfahrensordnung nicht näher konkretisiert wird. Nach Sinn und Zweck der Regelung kann es nur auf eine Abwägung im Einzelfall ankommen, wann eine Frist als „angemessen“ zu bewerten ist. Als mögliche Abwägungskriterien kommen die Art der dem Antrag zugrundeliegenden Methode, das Ausmaß des inhaltlichen Mangels sowie der zeitliche und der finanzielle Aufwand, der voraussichtlich zur Informationsbeschaffung erforderlich sein wird, in Betracht. Der Beschluss über die Annahme erfolgt im Regelfall durch das Plenum des G-BA (Kap. 1 § 5 I 1 VerfO G-BA). Im Ausnahmefall kann allerdings auch ein Unterausschuss das Bewertungsverfahren ohne einen Beschluss des Plenums einleiten. Dies kommt in Betracht, wenn infolge von Fristbindungen eine besondere Eilbedürftigkeit besteht. (vgl. Kap. 1 § 5 I 3 VerfO G-BA). Fristbindungen können sich im Einzelfall aus der Ausübung des Aufsichtsrechts durch das Bundesgesundheitsministerium ergeben (§ 94 I SGB V). § 94 I 5 Alt. 1 SGB V ermächtigt das BMG dazu, dem G-BA eine Frist zur Umsetzung einer bestimmten Versorgungsentscheidung zu setzen, wenn dieser noch nicht gehandelt hat und das Ministerium einen Beschluss in der Sache als für die ärztliche Versorgung erforderlich erachtet. 1. Antragsberechtigung des Antragstellers Antragsberechtigt sind nach der Systematik der §§ 135, 137c SGB V nur solche Personen, denen das Gesetz ein solches Recht ausdrücklich einräumt. Kap. 2 § 4 II VerfO G-BA beschränkt den Kreis der Antragsteller im Verfahren nach § 135 I SGB V auf die unparteiischen Mitglieder nach § 92 II 1 SGB V, die Kassen(zahn)ärztlichen Bundesvereinigungen, die Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen, den GKV-Spitzenverband und die nach der Patientenbeteiligungsverordnung anerkannten Organisationen. Im Verfahren nach § 137c I SGB V eröffnet die Norm der DKG, sonstigen Bundesverbänden der Krankenhausträger und dem GKV-Spitzenverband ein Antragsrecht. Da § 6 II 8 HS 1 KHEntgG i.V.m. § 9 I 1 KHEntgG jedoch auch dem PKVSpitzenverband gemeinsam mit dem GKV-Spitzenverband ein Antragsrecht beim G-BA einräumt,574 findet durch den Wortlaut der Verfahrensordnung eine unzu574
Hierzu auch Hauck, NZS 2007, 461 (466); siehe auch oben 15. Kapitel, D. I. 1.
D. Einleitung des Bewertungsverfahrens
261
lässige Einschränkung des Kreises der möglichen Antragssteller statt. Kap. 2 § 4 II VerfO G-BA widerspricht deswegen höherrangigem Gesetzesrecht und ist in seiner derzeitigen Fassung nichtig. 2. Form und Inhalt des Antrags Nach Kap. 2 § 4 III 1 VerfO G-BA ist der Bewertungsantrag vom Antragsteller schriftlich einzureichen. Der Antrag muss die zu prüfende Methode in ihrer Art, die zu prüfenden Indikationen und die indikationsbezogenen Zielsetzungen beschreiben, die Rechtsgrundlagen der beantragten Entscheidung angeben und letztlich eine substantiierte Begründung enthalten (Kap. 2 § 4 III 2 VerfO G-BA). Über einen eigenständigen Methodenbegriff verfügt die VerfO G-BA nicht. Es ist deswegen davon auszugehen, dass der G-BA denjenigen Methodenbegriff zugrundelegt, der sich in Rechtsprechung und Literatur zu §§ 135, 137c SGB V etabliert hat.575 Die Anforderungen an die Substantiierung der Begründung werden in Kap. 2 § 4 IV VerfO G-BA näher konkretisiert. Dazu sind nach Kap. 2 § 4 IV 1 VerfO GBA insbesondere Angaben zum Nutzen, zur medizinischen Notwendigkeit und zur Wirtschaftlichkeit der zu beratenden Methode zu machen und mit Unterlagen nach Kap. 2 § 10 VerfO G-BA zu belegen. Darüber hinaus sind nach Kap. 2 § 4 IV 3 VerfO G-BA Angaben zur Relevanz und Dringlichkeit der Bewertung erforderlich, auf die der G-BA eine Priorisierung unter den eingehenden Bewertungsanträgen stützen kann (Kap. 1 § 5 VerfO G-BA). 3. Bestimmung der Neuheit der Methode im ambulanten Sektor Entsprechend der Systematik der §§ 135, 137c SGB V erfordert Kap. 2 § 2 I VerfO G-BA lediglich für den ambulanten Sektor die Feststellung der Neuheit einer Untersuchungs- oder Behandlungsmethode zur Einleitung eines Bewertungsverfahrens. Anknüpfend an den in Literatur und Rechtsprechung herrschenden formellen Neuheitsbegriff sieht Kap. 2 § 2 Ia VerfO G-BA vor, dass nur solche Leistungen als neu gelten können, die nicht als abrechnungsfähige Leistungen im EBM enthalten sind. Nach Kap. 2 § 2 Ib VerfO G-BA sind darüber hinaus auch solche Methoden als neu anzusehen, die zwar als Leistungen im EBM enthalten sind, deren Indikation oder Art der Erbringung aber wesentliche Änderungen oder Erweiterungen erfahren hat. Ein derartiges Verständnis des Neuheitsbegriffs ist zur Wahrung des Schutzzwecks des § 135 I 1 SGB V erforderlich und in der Rechtsprechung des BSG anerkannt.576 Darüber hinaus tauchen in der Rechtsprechung des BSG zwei Sonderfälle auf, in denen sich die formale Anknüpfung an den Inhalt des EBM nicht als sachgerecht erweisen kann. Dies wird etwa dann in Betracht gezogen, wenn sich eine
575 576
Siehe dazu oben 14. Kapitel, A. I. 2. BSGE 81, 54 (58).
262
15. Kap.: Das Verfahren der Methodenbewertung im G-BA
Methode in der vertragsärztlichen Versorgung bewährt hat.577 Der Verzicht auf die Erwähnung dieses Sonderfalls in der Verfahrensordnung erklärt sich hauptsächlich daraus, dass das Kriterium der Bewährung in der vertragsärztlichen Versorgung im Einzelfall zu nicht unerheblichen Abgrenzungsschwierigkeiten führen kann und auch in der Rechtsprechung des BSG lediglich einen Spezialfall darstellt. Daneben ist ein zweiter Sonderfall für die Situation anerkannt, in der lediglich einige Bestandteile einer Methode partiell in den EBM integriert wurden.578 Zwar erfährt auch dieser Fall keine explizite Erörterung in der Verfahrensordnung, doch hält sie ein Verfahren bereit, das in einem derartigen Zweifelsfall Abhilfe verspricht. Kap. 2 § 2 II VerfO G-BA regelt, dass der G-BA eine Stellungnahme des Bewertungsausschusses einzuholen hat, wenn Zweifel über die Neuheit einer Methode bestehen. Der Bewertungsausschuss legt den EBM inhaltlich fest und nimmt die erforderlichen Leistungsbeschreibungen vor. Deswegen verfügt er über eine entsprechend hohe Sachkompetenz in diesem Bereich und kann auch darüber Auskunft geben, ob die nicht im EBM enthaltenen Leistungen für den Erfolg der Methode von wesentlicher Bedeutung sind oder nicht.579 Daran entscheidet sich, ob sie dem Erlaubnisvorbehalt des § 135 I 1 SGB V unterfällt.580
II. Festlegung der Reihenfolge der Methodenbewertung Aus den zur Beratung angenommenen Anträgen hat der G-BA eine Prioritätenliste zu erstellen, aus der sich ergibt, in welcher Reihenfolge über die jeweilige Methode entschieden wird (Kap. 2 § 5 VerfO G-BA). Der Listenplatz einer Methode entscheidet im Verfahren nach § 135 I 1 SGB V maßgeblich über die Länge der Zeitspanne, die zu ihrer Integration in die vertragsärztliche Versorgung erforderlich ist. Je niedriger die Zahl des Listenplatzes ist, auf den eine Methode eingestuft wird, desto eher kann der G-BA über eine Methode entscheiden und die Versicherten diese beanspruchen. Von umgekehrter Bedeutung ist der Listenplatz einer Methode im Verfahren nach § 137c I SGB V. Da die Erbringung neuer Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden im stationären Sektor bis zu einem gegenteiligen Richtlinienbeschluss grundsätzlich möglich ist, kann eine unwirksame, unwirtschaftliche oder gar schädliche Methode solange zu Lasten der Krankenkassen erbracht werden, bis der G-BA tätig geworden ist. Auch hier kann es im Einzelfall darauf ankommen, dass eine schnelle Entscheidung getroffen wird, damit negative gesundheitliche oder finanzielle Folgen eines Verfahrens vermieden werden.
577
Dazu oben 14. Kapitel, A. I. 3. b. bb. Vgl. dazu oben 14. Kapitel, A. I. 3. b. cc. 579 Vgl. BSG GesR 2001, 519 (520); ausführlich zur Rolle des Bewertungsausschusses oben 14. Kapitel, A. II. 2. 580 Vgl. oben 14. Kapitel, A. I. 3. 578
E. Feststellung der GKV-Konformität der Methode
263
III. Ankündigung der Bewertung durch den G-BA Der G-BA veröffentlicht in den Medien, welche Methoden oder Leistungen zur Bewertung anstehen (Kap. 2 § 6 I 1 VerfO G-BA). Das Publikationsmedium richtet sich dabei nach der Thematik, die den Bewertungsgegenstand bildet. Maßgeblich ist jedoch immer die im Bundesanzeiger veröffentlichte Fassung (Kap. 2 § 6 I 2 VerfO G-BA). Durch die öffentliche Kundgabe soll Sachverständigen und sonstigen Interessengruppen ohne gesetzliches Beteiligungsrecht die Möglichkeit zur Stellungnahme während des Bewertungsverfahrens gegeben werden (Kap. 2 § 6 II 1 VerfO G-BA). Die Organisationen, denen nach § 91 V SGB V ein gesetzliches Recht zur Stellungnahme eingeräumt wurde, werden über die Veröffentlichung und ihr Recht zur Stellungnahme individuell unterrichtet (Kap. 2 § 6 II 2 VerfO G-BA).
E. Feststellung der GKV-Konformität der Methode Das Verfahren zur Feststellung der GKV-Konformität einer Untersuchungs- oder Behandlungsmethode beginnt, wenn der Bewertungsantrag durch den G-BA angenommen wurde und keine vorrangig zu bewertenden Methoden mehr auf der gem. Kap. 2 § 5 VerfO G-BA zu führenden Prioritätenliste vorhanden sind. Es dient der Feststellung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse zu Nutzen, Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit der zu bewertenden Methode (Kap. 2 § 9 I VerfO G-BA) auf Basis der jeweils verfügbaren wissenschaftlichen Untersuchungen.581 Bevor jedoch im Plenum über die GKV-Konformität einer Methode beraten und förmlich entschieden wird, ist zunächst der Unterausschuss „Methodenbewertung“ zur Vorbereitung des Verfahrens zuständig. Dieser hat gem. Kap. 2 § 7 II VerfO G-BA i.V.m. Kap. 2 § 8 VerfO G-BA eine „themenbezogene Arbeitsgruppe“ mit der Bewertung des für die jeweilige Methode verfügbaren Materials zu beauftragen. Diese Arbeitsgruppe hat aufgrund eigener Recherchen dem Unterausschuss sodann einen abschließenden Beschlussvorschlag zur Bewertung der Methode zu unterbreiten (Kap. 2 § 8 I a.E. VerfO G-BA). Auf dieser Basis berät der Unterausschuss über die Anerkennung einer Methode und legt das Ergebnis seiner Bewertung sowie einen Beschlussentwurf dem Plenum zur Entscheidung vor (Kap. 2 § 7 III VerfO G-BA).
I. Bewertungsmaßstab: Evidenzbasierte Medizin Die Integration des medizinischen Fortschritts in den Leistungskatalog der GKV hängt entscheidend davon ab, wann ihr Nutzen, ihre Notwendigkeit und ihre Wirtschaftlichkeit als dem allgemein anerkannten Stand medizinischer Erkenntnisse 581 BSG NZS 2004, 99 (101) m.w.N.; dazu Roters, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 92 Rdn. 8.
264
15. Kap.: Das Verfahren der Methodenbewertung im G-BA
i.S.d. § 2 I 3 SGB V entsprechend angesehen werden können. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, wie der G-BA ermitteln kann, wann die wissenschaftlichen Erkenntnisse über eine Methode als allgemein anerkannt gelten können.582 Dazu bedarf es eines Verfahrens, das es erlaubt, den medizinischen Wissensstand zu einem bestimmten Zeitpunkt über eine bestimmte Methode festzustellen und nach Quantität und Qualität der zur Verfügung stehenden Erkenntnisse zu gewichten. Der G-BA hat sich dafür entschieden, den „allgemein anerkannten Stand medizinischer Erkenntnisse“ auf der Grundlage der „evidenzbasierten Medizin“ (=ebM) zu ermitteln (Kap. 1 § 5 II VerfO G-BA). Dieses Verfahren basiert auf der Grundannahme der Replizierbarkeit von Erfolgen medizinischer Methoden bei verschiedenen Patienten. Im Regelfall beruhen die mithilfe der ebM ermittelten Ergebnisse auf Studien, die grundsätzlich als verlässlicher einzustufen sind, als Einzelmeinungen oder die bloße Plausibilität der vermuteten Wirkungsweise.583 1. Allgemeines Bei der ebM handelt es sich um ein Messinstrument zum Nachweis des allgemein anerkannten Standes medizinischer Erkenntnisse – oder anders ausgedrückt – um eine Methode zur Validierung medizinschen Wissens.584 Dies erfolgt durch eine Verwissenschaftlichung der Medizin mittels einer Qualitätsrangfestlegung medizinischer Evidenzen.585 Dadurch gleicht die ebM einem „einheitlichen Bewertungsmaßstab“ für den Grad der Evidenz medizinischer Wirksamkeit und Qualität.586 Sie dient der Herausbildung einer medizinischen Norm, verstanden als Standard der guten Behandlung.587 Was mit „medizinischer Evidenz“ genau gemeint ist, lässt sich nur schwer in die deutsche Sprache übersetzen. Dies resultiert daraus, dass bereits die korrekte Übersetzung des aus dem englischen Sprachraum stammenden Begriffs der „evidence-based medicine“ Probleme bereitet.588 Dem englischen Begriffsverständnis kommt die Interpretation der ebM als „nachweisorientierte Medizin“ am nächsten.589
582
Zum Begriff des allgemein anerkannten Standes medizinischer Erkenntnisse i.S.d. § 2 I 3 SGB V oben 13. Kapitel, D. II. 1. a. aa. 583 Vgl. Roters, NZS 2007, 176 (177); weiterführend Hart, MedR 2000, 1 (3 f.); Roters, NZS 2010, 612 (614). 584 Vgl. Neumann/Nicklas-Faust, RsDE 60 (2006), S. 23 (25). 585 Vgl. Hart, MedR 2000, 1 ff. m.w.N. 586 Raspe, in: Sackett et al. (Hrsg.), Evidenzbasierte Medizin, S. V (VI) – Geleitwort; weiterführend Maassen, GesR 2011, 82 (89 f.); zu den Möglichkeiten und Grenzen evidenzbasierter Medizin Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen (Hrsg.), Bedarfsgerechtigkeit und Wirtschaftlichkeit, Band 2, S. 65 ff. 587 Hart, MedR 2001, 1 (2 f.). 588 Ausführlich Raspe, in: Sackett et al. (Hrsg.), S. V (Geleitwort); Bilger, in: Comberg/Klimm (Hrsg.), Allgemeinmedizin, Kap. 1.9.1, S. 74; Schrappe/Lauterbach, in: Lauterbach/Lüngen/Schrappe (Hrsg.), Gesundheitsökonomie, Management und Evidenzbasierte Medizin, Kap. 19.1, S. 427 f.; Bauer, in: Rebscher (Hrsg.), FS Neubauer, S. 505 (511). 589 Bilger, in: Comberg/Klimm (Hrsg.), Allgemeinmedizin, Kap. 1.9.1, S. 74.
E. Feststellung der GKV-Konformität der Methode
265
In seiner „klassischen Form“ handelt es sich bei dem Konzept um klinische Medizin, d.h. es ist auf die medizinische Praxis mit direktem Kontakt zwischen behandelndem Arzt und individuellem Patienten ausgerichtet.590 Daneben findet die ebM inzwischen verstärkt Anwendung auf Fragen der Versorgung der gesamten Bevölkerung auf Systemebene. Dies wird international unter dem Stichwort „evidenzbasierte Gesundheitsversorgung“591 bzw. „Evidence-based Health Care“592 diskutiert. 2. Die „klassische“ Form der ebM Der philosophische Ursprung der ebM reicht bis ins 19. Jahrhundert zurück.593 Entscheidende Impulse erfuhr das Verfahren jedoch erst Ende der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts durch eine Arbeitsgruppe an der McMaster Universität in Hamilton (Kanada) unter der Leitung von David L. Sackett.594 Seit Mitte der 90er Jahre wird die ebM auch in Deutschland verstärkt rezipiert.595 Ein wesentlicher Grund für die Entwicklung des Konzepts bestand in dem Bedürfnis nach besserer Absicherung klinischer Entscheidungen durch eine korrekte Berücksichtigung und Auswertung der enormen Menge an wissenschaftlicher Fachliteratur und Studienergebnissen.596 Sackett definiert die ebM als „den bewussten, expliziten und angemessenen Einsatz der gegenwärtig besten Evidenz bei Entscheidungen über die medizinische Versorgung einzelner Patienten. EbM zu praktizieren bedeutet, die individuelle klinische Erfahrung mit den besten zur Verfügung stehenden externen Nachweisen aus der medizinischen Forschung zu integrieren.“597 Die „klassische Form“ der ebM baut dem entsprechend auf drei Säulen auf,598 die in ihrer Summe zu einer Entscheidung des behandelnden Arztes führen:599
590
Raspe, in: Kunz et al. (Hrsg.), Evidenzbasierte Medizin, Kap. 2.2, S. 15. Vgl. Busse/Gibis, in: Kunz et al. (Hrsg.), Evidenzbasierte Medizin, Kap. 6, S. 61. 592 Schrappe/Lüngen, in: Lauterbach/Lüngen/Schrappe (Hrsg.), Gesundheitsökonomie, Management und Evidence-based Medicine, Kap. 4.2., S. 27. 593 Sackett, in: Perleth/Antes (Hrsg.), Evidenzbasierte Medizin, S. 9 f.; Sackett, MMW 1997, 644; ausführlich Raspe, in: Kunz et al. (Hrsg.), Lehrbuch Evidenzbasierte Medizin, Kap. 2.5; Schrappe/Lauterbach, in: Lauterbach/Lüngen/Schrappe (Hrsg.), Gesundheitsökonomie, Management und Evidenzbasierte Medizin, Kap. 19.1., S. 427. 594 Schlottmann/Weddehage, NZS 2008, 411 (412); Bauer, in: Rebscher (Hrsg.), FS Neubauer, S. 505 (507). 595 Neumann/Nicklas-Faust, RsDE 60 (2006), S. 23 (25); Bauer, in: Rebscher (Hrsg.), FS Neubauer, S. 505 (507). 596 Schrappe/Lauterbach, in: Lauterbach/Lüngen/Schrappe (Hrsg.), Gesundheitsökonomie, Managment und Evidenzbasierte Medizin, Kap. 19.1., S. 427. 597 Sackett, in: Sackett et al. (Hrsg.), Evidenzbasierte Medizin, S. 2; Sackett, MMW 1997, 644; Siegrist, Medizinische Soziologie, Kap. 3.6.1., S. 141. 598 Busse/Gibis, in: Kunz et al. (Hrsg.), Lehrbuch Evidenzbasierte Medizin, Kap. 6, S. 61; Raspe, in: Kunz et al. (Hrsg.), Lehrbuch Evidenzbasierte Medizin, Kap. 2.2, S. 15 f.; Bauer, in: Rebscher (Hrsg.), FS Neubauer, S. 505 (511 ff.); Bhandari/Joensson, Clinical Research for Surgeons, Kap. 2, S. 8. 591
266
15. Kap.: Das Verfahren der Methodenbewertung im G-BA
Die erste Säule bildet die individuelle klinische Erfahrung des Arztes. Diese bezieht sich auf den Sachverstand und das Urteilsvermögen, das der Arzt durch seine klinischen Erfahrungen und durch die Praxis erwirbt. Der Grad der individuellen klinischen Erfahrung äußert sich in der Effizienz und Effektivität der Diagnose und Behandlung einzelner Patienten unter bestmöglicher Berücksichtigung von Patientenpräferenzen. Die zweite Säule bildet die externe klinische Evidenz. Diese bezieht sich auf die Sammlung, Sichtung und Bewertung klinisch relevanter Forschungsarbeiten zur Wirksamkeit und Unbedenklichkeit von diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen.600 Für die Bewertung der klinisch relevanten Forschungsarbeiten hat sich eine Klassifikations- und Qualitätsrangskala entwickelt.601 Die dritte Säule bilden die individuellen Patientenpräferenzen. Hinter diesem Begriff verbergen sich die Rechte und Wünsche des einzelnen Patienten bei der Krankenbehandlung.602 Deren Berücksichtigung erweist sich als besonders wichtig, weil es in vielen Fällen vorkommt, dass das von den Patienten empfundene subjektive Heilergebnis nicht mit den objektiv gewonnenen Daten korreliert.603 Alle drei Säulen fließen in die Behandlungsentscheidung des behandelnden Arztes ein. Diese gewinnt der Mediziner dadurch, dass er die Ergebnisse der Sichtung von Studien und relevanten Forschungsarbeiten unter Beachtung seiner individuellen klinischen Erfahrung mit den Patientenpräferenzen abwägt.604 Besonderer Bedeutung kommt dabei der Frage zu, ob die jeweiligen Studienergebnisse auf den individuellen Patienten übertragbar sind.605 3. Die Sonderform der „evidenzbasierten Gesundheitsversorgung“ Die ebM findet nicht allein im Verhältnis zwischen Arzt und Patient, sondern in Form „evidenzbasierter Gesundheitsversorgung“ auch zur Steuerung von Versorgungsentscheidungen auf Systemebene Anwendung.606
599
Vgl. Sackett, in: Sackett et al. (Hrsg.), Evidenzbasierte Medizin, S. 3 (5); Sackett, MMW 1997, 644; Bilger, in: Comberg/Klimm (Hrsg.), Allgemeinmedizin, Kap. 1.9.1, S. 74 f. 600 Ausführlich zum Ganzen Sackett, in: Sackett et al. (Hrsg.), Evidenzbasierte Medizin, S. 2; Engelmann, MedR 2006, 245 (251). 601 Hart, MedR 2000, 1 ff. 602 Sackett, in: Sackett et al. (Hrsg.), Evidenzbasierte Medizin, S. 2. 603 Dazu ausführlich Bauer, in: Rebscher (Hrsg.), FS Neubauer, S. 505 (514 ff.). 604 Vgl. Sackett, in: Sackett et al. (Hrsg.), Evidenzbasierte Medizin, S. 2. 605 Hierzu ausführlich Lühmann/Raspe, in: Perleth/Antes (Hrsg.), Evidenzbasierte Medizin, S. 39 (49 ff.). 606 Zusammenfassend zur historischen Entwicklung der evidenzbasierten Gesundheitsversorgung Schrappe/Lüngen, in: Lauterbach/Lüngen/Schrappe (Hrsg.), Gesundheitsökonomie, Management und Evidence-based Medicine, Kap. 4.1., S. 26 f.; Schwalm/Perleth/ Matthias, ZEFQ 2009, 1 (2); kritisch Sackett, in: Sackett et al. (Hrsg.), Evidenzbasierte Medizin, S. 3 f.; Sackett, in: Perleth/Antes (Hrsg.), Evidenzbasierte Medizin, S. 9 (11); Sackett, MMW 1997, 644 (645).
E. Feststellung der GKV-Konformität der Methode
267
Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung bezeichnet den bewussten Gebrauch der gegenwärtig besten Evidenz bei der Entscheidung über die Versorgung von Patientengruppen bzw. der gesamten Bevölkerung.607 Der gemeinsame Ursprung mit der klinischen ebM zeigt sich daran, dass die Entscheidungsfindung auch auf Systemebene entscheidend auf der Qualitätsrangfestlegung medizinischer Evidenzen durch die Auswertung der zum jeweiligen Problemkreis verfügbaren Studien aufbaut („externe Evidenz“). Darüber hinaus bedarf es allerdings einiger Modifikationen.608 Dies ergibt sich daraus, dass der einzelne Patient auf Systemebene nicht dem behandelnden Arzt direkt gegenübersteht, sondern ein politischer Entscheidungsträger – wie etwa der G-BA – zentral Entscheidungen über die Versorgung eines Kollektivs von Patienten trifft.609 Dabei ist eine Vielzahl von individuellen Schicksalen zu einem Gesamtkontext zu verknüpfen.610 Entscheidungsrelevant ist für den politischen Entscheidungsträger demzufolge nicht, ob die ermittelten medizinischen Evidenzen auf den einzelnen Patienten, sondern auf ein Patientenkollektiv bzw. bestimmte Patientengruppen übertragbar sind. Deswegen können individuelle Patientenpräferenzen auf Systemebene nicht in der Form, wie bei der klinischen ebM, berücksichtigt werden. Um dies zu kompensieren, hat der politische Entscheidungsträger die (kollektiven) Bedürfnisse und Werte der Bevölkerung zu berücksichtigen.611 Besondere Bedeutung kommt der Frage zu, wie evidenzbasierte Versorgungsentscheidungen auf Systemebene sinnvoll operationalisiert werden können. Es müssen beispielsweise Mechanismen verfügbar sein, die die Übertragung von Studienergebnissen auf den relevanten Versorgungskontext ermöglichen. Daneben taucht das Problem auf, wie die Präferenzen eines Patientenkollektivs gemessen und in den Entscheidungsprozess integriert werden können.612
607
Vgl. Schrappe/Lüngen, in: Lauterbach/Lüngen/Schrappe (Hrsg.), Gesundheitsökonomie, Management und Evidence-based Medicine, Kap. 4.2., S. 27, Kap 5.4., S. 52 ff. 608 Zu dieser Frage Busse/Gibis, in: Kunz et al. (Hrsg.), Lehrbuch Evidenzbasierte Medizin, Kap. 6, S. 61 ff.; Lüngen/Schrappe, in: Lauterbach/Lüngen/Schrappe (Hrsg.), Gesundheitsökonomie, Management und Evidence-based Medicine, Kap. 5.4., S. 52 f. 609 Ausführlich Busse/Gibis, in: Kunz et al. (Hrsg.), Lehrbuch Evidenzbasierte Medizin, Kap. 6, S. 61. 610 Vgl. Lüngen/Schrappe, in: Lauterbach/Lüngen/Schrappe (Hrsg.), Gesundheitsökonomie, Management und Evidence-based Medicine, Kap. 5.4., S. 52. 611 Vgl. Lüngen/Schrappe, in: Lauterbach/Lüngen/Schrappe (Hrsg.), Gesundheitsökonomie, Management und Evidence-based Medicine, Kap. 4.2., S. 27. 612 Siehe dazu auch Hart, MedR 2000, 1 (5); Lüngen/Schrappe, in: Lauterbach/ Lüngen/Schrappe (Hrsg.), Gesundheitsökonomie, Management und Evidence-based Medicine, Kap. 5.4., S. 52 ff.; ausführlich zu dieser Problematik ebenfalls Deutscher Ethikrat (Hrsg.), Nutzen und Kosten im Gesundheitswesen, S. 33 ff.; 37 ff.; 41 ff., jeweils m.w.N.
268
15. Kap.: Das Verfahren der Methodenbewertung im G-BA
4. Übereinstimmung mit den Anforderungen des SGB V Die ebM hat bereits an verschiedenen Stellen in das SGB V Eingang gefunden. Beispielhaft sei auf die §§ 35 Ib 4, 73 b II Nr. 2, 137 f I 2 Nr. 3, II 2 Nr. 1, 139a III Nr. 3 SGB V verwiesen. Obwohl es sich dabei lediglich um Teilbereiche des Gesetzes handelt, zeigt dies, dass der Gesetzgeber die ebM als Messinstrument zum Nachweis des „allgemein anerkannten Standes medizinischer Erkenntnisse“ i.S.d. § 2 I 3 SGB V in seinen gesetzgeberischen Willen aufgenommen und akzeptiert hat.613 Dies ergibt sich insbesondere aus der durch das GKV-WSG 2007 erfolgten Änderung des § 139a IV 1 SGB V.614 Danach hat das IQWiG zu gewährleisten, dass es seine Aufgaben auf der Basis international üblicher und akzeptierter Standards der evidenzbasierten Medizin erfüllt.615 Dieser Zusatz ist von wegweisender Bedeutung: Beauftragt der G-BA das Institut gem. § 139b I 1 SGB V zur Recherche, Darstellung und Bewertung des aktuellen medizinischen Wissenstandes zu diagnostischen und therapeutischen Verfahren (§ 139a III Nr. 1 SGB V), so ist es bei der Abgabe einer Empfehlung an den G-BA durch § 139a IV 1 SGB V an die Grundsätze der ebM gebunden. Da der G-BA die Empfehlungen des IQWiG wiederum bei seinen Beschlüssen zu berücksichtigen hat (§ 139b IV 2 SGB V), wird die ebM mittelbar zur Entscheidungsgrundlage für dessen Richtlinienbeschlüsse. Auf diese Weise hat sich die ebM „durch die Hintertür“ zur Basis der Richtlinienbeschlüsse entwickelt. Auch in der Urteilspraxis des BSG ist die Kompatibilität der ebM mit den Anforderungen des SGB V schon seit längerer Zeit anerkannt.616 Nach dessen ständiger Rechtsprechung entspricht eine Methode dann den Anforderungen des allgemein anerkannten Standes medizinischer Erkenntnisse, wenn deren Wirksamkeit durch eine für die sichere Beurteilung ausreichende Anzahl von Behandlungsfällen aufgrund wissenschaftlich einwandfrei belegter Studien nachgewiesen werden kann.617 Genau darauf ist das Instrumentarium der ebM ausgerichtet.618 Das Verfahren erlaubt nicht nur Aussagen über die Quantität, sondern auch über die Qualität der zu einer bestimmten Untersuchungs- oder Behandlungsmethode verfügbaren Erkenntnisse. Es verwundert daher nicht, dass das BSG die ebM bereits während der Geltung der BUB-Richtlinie, die als Vorgänger der heutigen Verfahrensordnung
613 Vgl. Hart, MedR 2000, 1 (3); Roters, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 92 Rdn. 8; allgemein Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen (Hrsg.), Bedarfsgerechtigkeit und Wirtschaftlichkeit, Band 2, S. 65 Rdn. 101. 614 Siehe BT-Drs. 16/3100, S. 151. 615 Engelmann, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), jurisPK-SGB V, § 139a Rdn. 30. 616 Ausführlich Engelmann, MedR 2006, 245 (253). 617 BSGE 81, 54 (66); BSGE 86, 54 (62) Rdn. 22 m.w.N.; zuletzt BSGE 93, 1 (2); Engelmann, MedR 2006, 245 (253). 618 Ausführlich Sackett, in: Sackett et al. (Hrsg.), Evidenzbasierte Medizin, S. 2; Engelmann, MedR 2006, 245 (251).
E. Feststellung der GKV-Konformität der Methode
269
ebenfalls auf die Grundsätze der ebM rekurrierte,619 als gesetzeskonforme Konkretisierung des § 135 I 1 SGB V anerkannte.620 Dies hat das BSG jüngst noch einmal verdeutlicht: „Generell ist der Anspruch auf Krankenbehandlung nach § 27 I SGB V gemäß den allgemeinen Bestimmungen der § 2 I 3, 12 I SGB V auf solche Leistungen beschränkt, die die Gewähr für Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit bieten und zwar jeweils nach Maßgabe des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse. Dazu muss es grundsätzlich zuverlässige wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen in dem Sinne geben, dass der Erfolg der Behandlungsmethode in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Anzahl von Behandlungsfällen belegt ist. Diese Feststellung obliegt im Bereich ärztlicher Behandlungen grundsätzlich dem GBA im Verfahren nach § 135 I 1 SGB V. […] Voraussetzung dafür ist der Beleg von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Behandlungsmethoden anhand sog. randomisierter, doppelblind durchgeführter und placebokontrollierter Studien (vgl. Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung iVm §§ 7 ff des 2. Kapitels der Verfahrensordnung des GBA idF vom 18.12.2008 (BAnz 2009, 2050), zuletzt geändert am 19.3.2009 (BAnz 2009, 2050); früher: BUB-Richtlinie §§ 7 ff).“621
II. Die Kriterien zur Methodenbewertung Der G-BA bewertet das zu einer Untersuchungs- oder Behandlungsmethode verfügbare wissenschaftliche Material (Kap. 2 § 9 II 1 VerfO G-BA) anhand seines Nutzens, seiner Notwendigkeit und seiner Wirtschaftlichkeit (Kap. 2 § 10 II VerfO G-BA). Dies widerspricht zwar dem Wortlaut nach der differenzierten Systematik, die das SGB V in seinem allgemeinen Teil durch die §§ 2 I 3, 2 I 1 i.V.m. § 12 I SGB V für die Feststellung der GKV-Konformität einer Maßnahme vorgibt, doch ergibt sich daraus nach den bisherigen Untersuchungen kein sachlicher Unterschied.622 Kap. 2 § 10 II VerfO G-BA enthält zu den drei maßgeblichen Bewertungskriterien – Nutzen, Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit – keine expliziten Definitionen. Die Regelung stellt lediglich verschiedene Anforderungen an den Inhalt der Bewertungsunterlagen auf. Dadurch wird allerdings ein Rückschluss auf das dahinter stehende Begriffsverständnis des G-BA ermöglicht.
619
Informativ BT-Drs. 15/1525, S. 106 f.; Bertelsmann/Roters/Bronner, ZaeFQ 101 (2007), 455 (456); Lindemann, in: Wannagat (Begr.), SGB V, § 91 Rdn. 30. 620 BSGE 87, 105 (109 f.); BSG GesR 2006, 421 (423); hierzu Roters, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 92 Rdn. 8; Bertelsmann/Roters/Bronner, ZaeFQ 2007, 455 (457). 621 BSG GesR 2009, 630 (633). 622 Ausführlich hierzu Roters, NZS 2007, 176 ff.; Bertelsmann/Roters/Bronner, ZaeFQ 2007, 455 ff.; Francke/Hart, MedR 2008, 2 ff.
270
15. Kap.: Das Verfahren der Methodenbewertung im G-BA
1. Nutzen der Methode a. Interpretation des Begriffs in der VerfO G-BA Kap. 2 § 10 II Nr. 1 VerfO G-BA: Die Überprüfung der Nutzens einer Methode erfolgt insbesondere auf der Basis von Unterlagen a) zum Nachweis der Wirksamkeit bei den beanspruchten Indikationen, b) zum Nachweis der therapeutischen Konsequenz einer diagnostischen Methode, c) zur Abwägung des Nutzens gegen die Risiken, d) zur Bewertung der erwünschten und unerwünschten Folgen (outcomes), e) zum Nutzen im Vergleich zu anderen Methoden gleicher Zielsetzung.
Die Bestimmung des Nutzens einer Methode richtet sich nach Kap. 2 § 10 II Nr. 1 VerfO G-BA. Nach dessen Wortlaut bedarf es zunächst des Nachweises ihrer Wirksamkeit bei den beanspruchten Indikationen (lit. a) und des Nachweises der therapeutischen Konsequenz einer diagnostischen Methode (lit. b). Es ist folglich danach zu differenzieren, ob im Einzelfall eine diagnostische oder eine therapeutische Methode den Untersuchungsgegenstand bildet. Die Wirksamkeit einer therapeutischen Methode setzt voraus, dass diese generell geeignet ist bei bestimmten Indikationen klinisch relevante Wirkungen zu erzielen.623 Anders liegt es hingegen bei einer diagnostischen Methode. Ihre Zwecksetzung unterscheidet sich von derjenigen eines Therapieverfahrens. Bei der Diagnostik handelt es sich um eine Sammelbezeichnung für Strategien und Verfahren, die zur ärztlichen Untersuchung bei einer Gesundheitsstörung angewandt werden.624 Aus diesem Grund geht es bei der Anerkennung diagnostischer Methoden nicht um einen Wirksamkeitszusammenhang im engeren Sinne, sondern um die Frage, ob die Anwendung der neuen Methode zu einer Veränderung therapeutischer Entscheidungen führt.625 Eine diagnostische Leistung ist nämlich nur dann sinnvoll, wenn sie Ergebnisse liefert, auf deren Grundlage therapeutisch eingeschritten werden kann. Deswegen wird der geforderte Wirksamkeitsnachweis in der Verfahrensordnung mit der Formulierung der „therapeutischen Konsequenz“ umschrieben. Aufbauend auf dem Nachweis der Wirksamkeit diagnostischer oder therapeutischer Methoden erfordert Kap. 2 § 10 II Nr. 1 lit. c VerfO G-BA die Beibringung von Unterlagen, die eine Abwägung des Nutzens einer Methode gegen ihre Risiken ermöglichen. Aus dieser Formulierung lässt sich schließen, dass der Begriff „Nutzen“ hier die Vorteile bzw. positiven Auswirkungen einer Methode meint. Im Gegensatz dazu beziehen sich die „Risiken“ auf mögliche Nebenwirkungen oder schlicht Schäden, die aus der Anwendung einer bestimmten Maßnahme resultieren. Kap. 2 § 10 II Nr. 1 lit. d VerfO G-BA sieht eine Bewertung der erwünschten und unerwünschten Folgen einer Methode vor, was durch den Begriff „outcomes“ 623
Scholz, in: Becker/Kingreen (Hrsg.), SGB V, § 2 Rdn. 3; Noftz, in: Hauck/Noftz (Hrsg.), SGB V, § 2 Rdn. 57 m.w.N. 624 Pschyrembel – Sozialmedizin, S. 129. 625 Ähnlich IQWiG, Allgemeine Methoden, Version 3.0 vom 27.05.2008, Kap. 3.1.1.
E. Feststellung der GKV-Konformität der Methode
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konkretisiert wird. Unter „outcomes“ sind zunächst – ganz allgemein – mögliche Auswirkungen von therapeutischen Interventionen626 im Zusammenhang mit dem Gesundheitszustand, die sich als Folge des Umgangs mit einem Gesundheitsproblem ergeben, zu verstehen.627 Derartige Auswirkungen therapeutischer Interventionen verfügen über eine subjektive und eine objektive Komponente, welche als Ergebnis der Outcome-Bewertung in Relation zueinander zu setzen sind.628 Diese Unterscheidung beruht auf der Erkenntnis, dass das von den Patienten subjektiv empfundene Heilergebnis häufig nicht mit den objektiv gewonnenen Resultaten korreliert.629 In der Praxis zeigt ein Vergleich der Meinungen von Ärzten und Patienten, dass Ärzte eher die physische Gesundheit als am wichtigsten für die Lebensqualität erachten, während Patienten mehr Wert auf geistige Gesundheit, emotionale Ausgeglichenheit und Vitalität legen.630 Letztlich sind nach Kap. 2 § 10 II Nr. 1 lit. d VerfO G-BA Unterlagen zum Beleg des Nutzens im Vergleich zu anderen Methoden gleicher Zielsetzung erforderlich. Dies setzt aus systematischen Gründen nicht nur voraus, dass derartige Methoden überhaupt existieren, sondern auch, dass diese bereits Bestandteil des Leistungskataloges der GKV sind. Liegen Methoden gleicher Zielsetzung in diesem Sinne vor, so müssen die vorgelegten Unterlagen einen Vergleich des Nutzens – im weiteren Sinne – zwischen dem bereits vorhandenen und dem neuen Verfahren erlauben. Aus dem Wortlaut geht allerdings nicht hervor, ob der G-BA lediglich verlangt, dass der Nutzen der neuen Methode das Niveau des Nutzens der bereits in der GKV erbrachten Methode erreicht oder ob es hier gar auf einen Zusatznutzen der neuen Methode ankommen soll.631 b. Übereinstimmung mit den Anforderungen des SGB V Aus Kap. 2 § 10 II Nr. 1 VerfO G-BA ergibt sich, dass der G-BA den Nutzen als Saldo der Vorteile und Risiken einer wirksamen Methode im Vergleich zu bereits erbrachten Methoden gleicher Zielsetzung interpretiert. Die Feststellung der Wirksamkeit fällt nach der Verfahrensordnung mit der Bestimmung des Nutzens zusammen. Zwar widerspricht dies auf den ersten Blick der Systematik des SGB V, welche in § 2 I 1 i.V.m. § 12 SGB V und § 2 I 3 SGB V zwischen Wirksamkeit und Nutzen einer Leistung trennt, doch ergibt sich daraus in der Sache kein Unterschied. Auch nach der Verfahrensordnung des G-BA schließt sich die Bewertung des Nutzens – jedenfalls im Ergebnis – an den Nach626
Eine „therapeutische Intervention“ ist jede Maßnahme, die zur Heilung, Linderung oder Prävention von Krankheiten eingesetzt wird (Pschyrembel – Sozialmedizin, S. 257). 627 Pschyrembel – Sozialmedizin, S. 365. 628 Vgl. Bauer, in: Rebscher (Hrsg.), FS Neubauer, S. 505 (514 ff.). 629 Bauer, in: Rebscher (Hrsg.), FS Neubauer, S. 505 (514 ff.); ebenfalls zur subjektiven Bestimmung patientenrelevanter Endpunkte Fletcher/Fletcher, Klinische Epidemiologie, Kap. 1.3.3, S. 24; vgl. Büscher/Gerber, in: Lauterbach/Lüngen/Schrappe (Hrsg.), Gesundheitsökonomie, Management und Evidence-based Medicine, Kap 6.1.1., S. 63. 630 Vgl. hierzu Joussen, DÄBl. 2009, A-927 (A-928). 631 Hierzu Francke, in: Kern/Wadle/Schroeder/Katzenmeier (Hrsg.), FS Laufs, S. 793 (802 f.).
272
15. Kap.: Das Verfahren der Methodenbewertung im G-BA
weis der Wirksamkeit einer Maßnahme an. Der Wirksamkeitsnachweis ist dabei entsprechend den Anforderungen des § 2 I 3 SGB V in Bezug auf eine bestimmte Indikation zu führen. Da der Nutzenbewertung eine Nutzen-Risiko-Analyse zugrunde liegt bzw. diese auf Basis der erwünschten und unerwünschten Folgen vorzunehmen ist, wird die Verfahrensordnung dem mehrdimensionalen Nutzenbegriff des SGB V632 gerecht. Erstaunlich ist allerdings, dass Kap. 2 § 10 II Nr. 1 VerfO G-BA keine einzelnen Kriterien zur Bestimmung des Nutzens, wie etwa die Auswirkungen einer Maßnahme auf Morbidität, Mortalität und Lebensqualität, enthält. Dass derartige Parameter im Bewertungsverfahren zu berücksichtigen sind, ergibt sich jedoch aus Kap. 2 § 11 VII VerfO G-BA, der sich systematisch bereits auf die Klassifizierung der Bewertungsunterlagen bezieht. Im Interesse der Transparenz wäre es vorzugswürdig, bereits i.R.v. Kap. 2 § 10 II Nr. 1 VerfO G-BA Kriterien wie Mortalität, Morbidität und Lebensqualität als relevante Indikatoren für den Nutzen einer Maßnahme anzuführen. Die Bewertung des Nutzens im Vergleich zu anderen Methoden gleicher Zielsetzung lässt sich auf den Wortlaut des § 135 I 1 Nr. 1 SGB V zurückführen. Es sollte allerdings in Kap. 2 § 10 II Nr. 1e VerfO G-BA klargestellt werden, dass ein Zusatznutzen des neuen Verfahrens nach der derzeitigen Gesetzeslage nicht erforderlich ist.633 Eine andere Interpretation des medizinischen Nutzens wäre wegen eines Verstoßes gegen §§ 2 I, 12 I, 135 I 1 SGB V als höherrangiges Gesetzesrecht nichtig. Es ist ausreichend, wenn das Niveau des Nutzens der neuen Methode demjenigen vergleichbarer etablierter Verfahren entspricht. 2. Notwendigkeit der Methode a. Interpretation des Begriffs in der VerfO G-BA Kap. 2 § 10 II Nr. 2 VerfO G-BA: Die Überprüfung der medizinischen Notwendigkeit einer Methode erfolgt insbesondere auf der Basis von Unterlagen a) zur Relevanz der medizinischen Problematik, b) zum Spontanverlauf der Erkrankung und c) zu diagnostischen und therapeutischen Alternativen.
Die Überprüfung der Notwendigkeit einer Untersuchungs- oder Behandlungsmethode richtet sich nach Kap. 2 § 10 II Nr. 2 VerfO G-BA. Der G-BA zieht hierzu Unterlagen zur Relevanz der medizinischen Problematik (lit. a), zum Spontanverlauf der Erkrankung (lit. b) und zu therapeutischen und diagnostischen Alternativen heran (lit c). Der Nachweis der Relevanz der medizinischen Problematik (lit. a.) kann anhand von Studien zur Anzahl der erkrankten Einwohner erfolgen. Weiter sind Differenzierungen nach Geschlecht, Alter, sozialer Herkunft etc. denkbar. Der Begriff des „Spontanverlaufs einer Erkrankung“ (lit. b) bezieht sich auf den natürlichen Verlauf, den die Erkrankung ohne ärztliche Intervention nehmen 632 633
Vgl. dazu oben 13. Kapitel, D. II. 1. b. dd. (3). Vgl. dazu oben 14. Kapitel, A. I. 4. b. aa. (2).
E. Feststellung der GKV-Konformität der Methode
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würde.634 Somit zielt das Kriterium auf den Vergleich der Entwicklung des Krankheitsverlaufs mit und ohne medizinische Intervention. Das Erfordernis der Beibringung von Unterlagen zu diagnostischen und therapeutischen Alternativen (lit. c) zielt hauptsächlich auf die Feststellung des Vorliegens einer Versorgungslücke ab, die es zu schließen gilt. b. Übereinstimmung mit den Anforderungen des SGB V Kap. 2 § 10 II Nr. 2 VerfO G-BA stimmt mit den gesetzlichen Vorgaben überein.635 Aus Kap. 2 § 10 II Nr. 2 VerfO G-BA ist zu folgern, dass der G-BA die medizinische Notwendigkeit einer Untersuchungs- und Behandlungsmethode dann als erfüllt ansieht, wenn es sich um eine im Versorgungskontext relevante Problematik handelt, die ein medizinisches Eingreifen erfordert und keine gleichwertigen Alternativen bestehen. Verlangt der G-BA Unterlagen zur Relevanz der medizinischen Problematik, zum Spontanverlauf der Erkrankung und zu therapeutischen oder diagnostischen Alternativen, dient dies dem Zweck, sich einen Überblick darüber zu verschaffen, ob die in Frage stehende Methode eine unentbehrliche Ergänzung des bestehenden Versorgungsangebots darstellt. Ist die medizinische Problematik im Versorgungskontext nicht relevant oder ist die Erkrankung aufgrund eines unbedenklichen Spontanverlaufs nicht behandlungsbedürftig, ist die Methode nicht notwendig. Diese Gesichtspunkte decken sich im Ergebnis mit der Definition des Notwendigkeitsbegriffs, die i.R.v. § 12 I SGB V anerkannt ist. Die Notwendigkeit einer Leistung ist folglich dann gegeben, wenn gerade das in Frage stehende Maß der Leistung zur Erreichung des Zwecks zwangsläufig, unentbehrlich oder unvermeidlich ist und nicht nur zu einer unwesentlichen Verbesserung des Krankheitsbildes führt.636 Noch während der Geltung der BUB-Richtlinie ist kritisiert worden, dass sich die Kriterien in lit. a und lit. b nicht aus dem Tatbestandsmerkmal der medizinischen Notwendigkeit als Bestandteil des Wirtschaftlichkeitsgebotes herleiten ließen.637 Sofern sich dahinter eine Kritik der Interpretation des Merkmals aus dem zugrundeliegenden Versorgungskontext verbirgt, ist dem entgegenzuhalten, dass diese Perspektive aus der gesetzlichen Aufgabenstellung des G-BA folgt. Ihm obliegt es gerade, Versorgungsentscheidungen über ein Kollektiv von Versicherten zu treffen.
634
Vgl. Siewert, Chirurgie, S. 18. A.A. noch Francke, in: Wannagat (Begr.), SGB V, § 135 Rdn. 19 zu den BUBRichtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen. 636 BSG SozR 2200, § 182b Nr. 26, S. 68; BSG SozR 2200, § 182b Nr. 25, S. 66; BSG SozR 3-2500, § 33 Nr. 4, S. 9; dazu Höfler, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 12 Rdn. 39; Kruse, in: Kruse/Hänlein (Hrsg.), SGB V, § 12 Rdn. 8; Ulmer, in: Wannagat (Begr.), SGB V, § 12 Rdn. 13. 637 Francke, in: Wannagat (Begr.), SGB V, § 135 Rdn. 19. 635
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15. Kap.: Das Verfahren der Methodenbewertung im G-BA
3. Wirtschaftlichkeit der Methode a. Interpretation des Begriffs in der VerfO G-BA Kap. 2 § 10 II Nr. 3 VerfO G-BA: Die Überprüfung der Wirtschaftlichkeit einer Methode erfolgt insbesondere auf der Basis von Unterlagen zur a) Kostenschätzung zur Anwendung beim einzelnen Patienten oder Versicherten, b) Kosten-Nutzen-Abwägung in Bezug auf den einzelnen Patienten oder Versicherten, c) Kosten-Nutzen-Abwägung in Bezug auf die Gesamtheit der Versicherten, auch Folgekosten-Abschätzung, und d) Kosten-Nutzen-Abwägung im Vergleich zu anderen Methoden.
Die Überprüfung der Wirtschaftlichkeit einer Untersuchungs- und Behandlungsmethode richtet sich nach Kap. 2 § 10 II Nr. 3 VerfO G-BA. Sie erfolgt – im Umkehrschluss aus dem erforderlichen Inhalt der Unterlagen – in mehreren Schritten. Zunächst ist eine Schätzung der Kosten vorzunehmen, die beim einzelnen Patienten durch die Maßnahme entstehen (lit. a). Dadurch soll die ungefähre Größenordnung der Vergütung ermittelt werden, die infolge der Anwendung der Methode von den Krankenkassen zu leisten ist. Diese Schätzung soll die Grundlage für die Bestimmung der Relation zu dem Nutzen der Maßnahme in Bezug auf den einzelnen Patienten bzw. Versicherten (lit. b) und auf die Gesamtheit der Versicherten (lit. c) bilden. Den Abschluss des Verfahrens bildet eine Kosten-NutzenAbwägung im Vergleich zu anderen Methoden. Dies setzt natürlich voraus, dass andere vergleichbare Methoden vorhanden sind. b. Übereinstimmung mit den Anforderungen des SGB V Kap. 2 § 10 II Nr. 3 VerfO G-BA dient der Feststellung der Wirtschaftlichkeit einer Methode im engeren Sinne als Segment des § 12 I SGB V. Nach derzeit herrschender Auffassung hat das Kriterium jedoch nicht die Funktion, Leistungsansprüche des Versicherten aus reinen Kostenerwägungen einzuschränken. Vielmehr kommt es nur dann zur Anwendung, wenn mehrere Methoden gleicher Zielrichtung vorliegen. Das spiegelt sich im Wortlaut von Kap. 2 § 10 II Nr. 3 VerfO G-BA nicht wider. Kap. 2 § 10 II Nr. 3 lit. d VerfO G-BA sieht zwar generell eine KostenNutzen-Abwägung im Vergleich zu anderen Methoden vor, beschränkt den Anwendungsbereich der Norm jedoch nicht auf die genannte Sachlage. Vielmehr soll die Kosten-Nutzen-Abwägung im Umkehrschluss aus der Existenz der besagten Norm in jedem Fall Anwendung finden. Dies läuft im Ergebnis auf eine offene Rationierungsentscheidung hinaus.638 In Bezug auf neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden bietet das SGB V hierfür jedoch keinen Anhalt.639 Aus diesem Grund verstößt Kap. 2 § 10 II Nr. 3 VerfO G-BA gegen §§ 12 I, 92 I 1, 135 I 1, 137c I SGB V als höherrangiges Gesetzesrecht. Die Norm ist dahingehend zu ändern, dass die Wirtschaft638 639
Vgl. Becker, MedR 2010, 218 in Bezug auf die Arzneimittelversorgung. Vgl. oben 13. Kapitel, D. II. 1. b. dd. (2) oder 14. Kapitel, A. I. 4. b. aa.
E. Feststellung der GKV-Konformität der Methode
275
lichkeit im engeren Sinne nur dann als Bewertungskriterium herangezogen werden darf, wenn gleichwertige Diagnose- oder Therapieverfahren bestehen. Die Feststellung der Wirtschaftlichkeit einer Methode auf der Basis einer doppelten Kosten-Nutzen-Abwägung in Bezug auf den einzelnen Patienten oder Versicherten und die Gesamtheit der Versicherten, wie sie lit. b und lit. c vorsehen, ergibt sich nicht unmittelbar aus dem Wortlaut des § 12 I 1 SGB V.640 Dort geht es lediglich darum, ob die Anwendung einer Methode bei einem einzelnen Versicherten eine angemessene Kosten-Nutzen-Relation im Vergleich zu alternativen Maßnahmen aufweist. Die Perspektive der Gesamtheit der Versicherten erweist sich allerdings im Hinblick auf den Zweck der §§ 135 I 1, 137c SGB V als sachgerecht. Beide Normen sollen nicht nur den Einzelnen, sondern auch die gesamte Versichertengemeinschaft vor den finanziellen Folgen unwirtschaftlicher Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden schützen. Diese doppelte Schutzrichtung folgt aus der Einbindung des einzelnen Versicherten in die Solidargemeinschaft aller Versicherten. Problematisch ist wiederum die vom G-BA angestrebte Berücksichtigung sog. „Folgekosten“. Der Kostenbegriff des SGB V erfasst nur solche Kosten, die unmittelbar durch die Anwendung einer medizinischen Methode entstehen.641 Zwar mag die Einbeziehung der Folgekosten aus ökonomischen Gesichtspunkten ein wichtiges Entscheidungskriterium darstellen, eine Stütze findet sich im Gesetz dafür allerdings nicht,642 so dass dieser Bestandteil des Kap. 2 § 10 II Nr. 3 lit. c VerfO G-BA ebenfalls gegen §§ 12 I, 92 I, 135 I 1, 137 c I SGB V als höherrangiges Gesetzesrecht verstößt. Darüber hinaus mangelt es bislang an einer Festlegung auf ein gesundheitsökonomisches Evaluationsverfahren, auf dessen Grundlage die Kosten-NutzenAnalyse stattfinden soll. Aus der Feststellung, dass auch der G-BA von einem mehrdimensionalen Nutzenbegriff ausgeht, lässt sich der Schluss ziehen, dass solche ökonomische Evaluationsverfahren bevorzugt werden, die in der Lage sind, diesem Rechnung zu tragen. Als solche kommen grundsätzlich die KostenNutzen-Analyse i.e.S. oder die Kosten-Effektivitäts-Analyse in Betracht. Nach dem derzeitigen Meinungsstand erweist sich jedoch die Kosten-EffektivitätsAnalyse als vorzugswürdig.643 Es wäre durchaus begrüßenswert, wenn der G-BA sich auf eines dieser ökonomischen Evaluationsverfahren festlegte. Dies führte nicht nur dazu, dass mögliche Antragsteller die Anforderungen bereits bei der Antragsstellung besser berücksichtigen könnten, sondern würde auch den Vergleich von Bewertungsunterlagen erleichtern und den Verfahrensablauf beschleunigen. Zwar birgt die Festlegung auf ein gesundheitsökonomisches Evaluationsverfahren die Gefahr, dass der GBA eine bestimmte Methode „festschreibt“ und nicht mehr flexibel genug auf 640 Dazu bereits Francke, in: Wannagat (Begr.), SGB V, § 135 Rdn. 19 zu den BUBRichtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen. 641 Vgl. dazu oben 13. Kapitel, D. II. 1. b. dd. (3) (aa). 642 Ebenso Francke, in: Wannagat (Begr.), SGB V, § 135 Rdn. 19 noch zu den BUBRichtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen. 643 Vgl. dazu oben 13. Kapitel, D. II. 1. b. dd. (3) (dd).
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15. Kap.: Das Verfahren der Methodenbewertung im G-BA
neue wissenschaftliche Erkenntnisse reagieren kann. Dem kann allerdings mit einer Öffnungsklausel in der Verfahrensordnung entsprochen werden. Diese müsste dergestalt formuliert werden, dass Kosten-Nutzen-Analysen „insbesondere“ auf der Grundlage der Kosten-Nutzwert-Analyse stattfinden sollen. 4. Ergebnis Die Verfahrensordnung des G-BA definiert die zur Methodenbewertung maßgeblichen Kriterien – Nutzen, Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit – nicht abschließend. Vielmehr wurden die Anforderungen an den Inhalt der Bewertungsunterlagen in Kap. 2 § 10 II VerfO G-BA bewusst offen gehalten. Aus diesem Grund stellt selbst die Verfahrensordnung des G-BA kein absolut gefestigtes Fundament zur Methodenbewertung dar. Damit trägt das Gremium der Dynamik des medizinischen Fortschritts und der Mannigfaltigkeit der zu beurteilenden Sachverhalte Rechnung. Dem G-BA ist es möglich, flexibel auf neue Entwicklungen zu reagieren. Gleichwohl müssen diejenigen Konkretisierungen der Bewertungskriterien, die der G-BA in der Verfahrensordnung vorgenommen hat, mit den Vorgaben des SGB V vereinbar sein. Im Umkehrschluss ergibt sich aus dem erforderlichen Inhalt der Bewertungsunterlagen, dass dies lediglich auf das Kriterium der medizinischen Notwendigkeit zutrifft.644 Anders liegt es bei der Prüfung des Nutzens und der Wirtschaftlichkeit einer Untersuchungs- oder Behandlungsmethode. In Bezug auf die Feststellung des Nutzens sollte in Kap. 2 § 10 II Nr. 1e VerfO G-BA klargestellt werden, dass das Vorliegen eines Zusatznutzens für die GKV-Konformität einer Methode nicht erforderlich ist. Bei der Prüfung der Wirtschaftlichkeit ist zu beachten, dass diese nach § 12 I SGB V nur dann entscheidungsrelevant sein soll, wenn diagnostische oder therapeutische Alternativen bestehen, mit denen die zu untersuchende Maßnahme verglichen werden kann. Für sich betrachtet kommt ihr keine anspruchsbegrenzende Wirkung zu. Kap. 2 § 10 II Nr. 3 VerfO G-BA ist jedoch dahingehend zu verstehen, dass der G-BA die Wirtschaftlichkeit einer Methode unabhängig vom Bestehen diagnostischer oder therapeutischer Alternativen zum Beurteilungskriterium erheben will. Dies verstößt gegen die Vorgaben des SGB V und bedarf der Korrektur. Mögliche „Folgekosten“ dürfen nach dem derzeitigen Inhalt des SGB V ebenfalls nicht berücksichtigt werden.
644
Vgl. hierzu noch zu den BUB-Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen Francke, in: Wannagat (Begr.), SGB V, § 135 Rdn. 17 ff.
E. Feststellung der GKV-Konformität der Methode
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III. Bewertungsperspektive: Sektorenübergreifender Ansatz Kap. 2 § 7 I VerfO G-BA: Das Bewertungsverfahren untergliedert sich in a) die sektorenübergreifende und damit einheitliche Bewertung des Nutzens und der medizinischen Notwendigkeit sowie b) die sektorspezifische Bewertung der Wirtschaftlichkeit und Notwendigkeit im Versorgungskontext.
Kap. 2 § 7 I VerfO G-BA regelt die Perspektive, aus der die Methodenbewertung erfolgen soll. Die Notwendigkeit einer derartigen Perspektivwahl ergibt sich aus der Trennung der Versorgungssektoren durch §§ 135, 137c SGB V. Da § 135 SGB V für den ambulanten Sektor ein Verbot der Erbringung neuer Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden bis zu einer positiven Richtlinienempfehlung des G-BA, § 137c SGB V für den stationären Sektor dagegen eine Erlaubnis der Erbringung neuer Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden mit Verbotsvorbehalt statuiert, war das systematische Verhältnis beider Normen umstritten.645 Dies galt in der Konsequenz auch für das Bewertungsverfahren im GBA. Inzwischen hat sich jedoch die Auffassung durchgesetzt, dass beide Normen als strukturgleich anzusehen sind und damit grundsätzlich einem einheitlichen Bewertungsverfahren unterliegen.646 Dies gilt hauptsächlich für die Bewertung des Nutzens einer Untersuchungsoder Behandlungsmethode,647 weil dessen Nachweis unabhängig von dem Einsatzort einer Maßnahme Geltung beansprucht.648 Ebenso verhält es sich bei der medizinischen Notwendigkeit einer Methode. Auch diese ist prinzipiell unabhängig von ihrer Erbringung im ambulanten oder stationären Sektor zu beurteilen.649 Anders liegt es hingegen bei der Beurteilung der Notwendigkeit einer Methode im Versorgungskontext und dem Nachweis ihrer Wirtschaftlichkeit. Abweichungen hinsichtlich der Beurteilung der Notwendigkeit einer Methode können sich – in Abhängigkeit von ihrem Einsatzort – etwa daraus ergeben, dass Krankenhäuser typischerweise die Versorgung von Versicherten mit einem größeren Schweregrad übernehmen.650 Deswegen kann es möglich sein, dass sich die Anwendung einer Methode im stationären Sektor als notwendig, im ambulanten Sektor jedoch als verzichtbar erweist, weil nur die Krankenhäuser aufgrund ihrer personellen und apparativen Möglichkeiten eine sachgerechte Behandlung der Versicherten mit einem bestimmten Verfahren gewährleisten können. Beim Nachweis der Wirtschaftlichkeit einer Untersuchungs- oder Behandlungsmethode, wirkt sich die in beiden Versorgungssektoren abweichende Vergü645
Vgl. dazu oben 14. Kapitel, C. Siehe oben 14. Kapitel, C. 647 Vgl. BSG MedR 2010, 347 (355). 648 Roters, NZS 2007, 176 (181). 649 Vgl. Roters, NZS 2007, 176 (181); a.A. Schlottmann/Weddehage, NZS 2008, 411 (415). 650 Vgl. Robbers, in: Rebscher (Hrsg.), FS Neubauer, S. 459 (463). 646
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15. Kap.: Das Verfahren der Methodenbewertung im G-BA
tungssituation aus. Was aufgrund günstiger Arzneimittelpreise für das Krankenhaus wirtschaftlich sein kann, ist möglicherweise im vertragsärztlichen Bereich unwirtschaftlich. Was die Krankenhausapotheke günstig beziehen kann, ist evtl. nach Abzug der gesetzlichen Rabatte bei der Offizialapotheke wesentlich teurer.651 Denkbar ist auch, dass Krankenhäuser bestimmte Methoden aufgrund höherer Fallzahlen kostengünstiger anbieten können. Kosten für medizinische Ausstattung lassen sich auf die Schultern einer größeren Patientenzahl verteilen und amortisieren sich schneller.
IV. Bewertungsunterlagen Um die Bewertung einer Untersuchungs- oder Behandlungsmethode vornehmen zu können, benötigt der G-BA Unterlagen, auf deren Grundlage er die medizinischen Erkenntnisse zu Nutzen, Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit im jeweiligen Fall feststellen kann (Kap. 2 § 9 I VerfO G-BA). Dazu stehen dem Gremium die mit dem Bewertungsantrag eingereichten Unterlagen, seine eigenen Recherchen und Stellungnahmen Dritter zur Verfügung (Kap. 2 § 9 II 1 VerfO G-BA). 1. Antragsbegründung des Antragstellers Bereits mit dem Bewertungsantrag sind gem. Kap. 2 § 4 III 2, IV VerfO G-BA umfangreiche Unterlagen über die zu beurteilende Methode einzureichen. Diese müssen den inhaltlichen Vorgaben des Kap. 2 § 10 II VerfO G-BA entsprechen und bilden daher eine mögliche Grundlage zur Entscheidungsfindung im Methodenbewertungsverfahren. 2. Eigene Recherchen des G-BA Zusätzlich zu den mit dem Bewertungsantrag eingereichten Unterlagen kann der G-BA eigene Recherchen durchführen und sich Teile der erforderlichen Daten selbst beschaffen. Dazu führt der zuständige Unterausschuss eine systematische Literaturrecherche durch.652 Zu diesem Zweck stehen ihm medizinische und andere fachbezogene Datenbanken zur Verfügung. Eine der wohl wichtigsten Informationsquellen stellen die Wissenssammlungen der „Cochrane Collaboration“ dar. Dabei handelt es sich um eine Initiative von Wissenschaftlern und Ärzten, die aktuelle und regelmäßig aktualisierte Übersichten („Reviews“) über die medizinischen Verfahren aller Fachbereiche erstellt.653 Daneben existieren diverse weitere Datenbanken (Medline, Embase, Psychlit), die zur Recherche herangezogen werden können.654 Die recher651
Ausführlich Hauck, MedR 2010, 226 (230). Ausführlich Bertelsmann/Roters/Bronner, ZaeFQ 101 (2007), 455 (458). 653 Weiterführende Informationen bei Perleth, in: Perleth/Antes (Hrsg.), Evidenzbasierte Medizin, S. 13 (14); Antes, in: Perleth/Antes (Hrsg.), Evidenzbasierte Medizin, S. 19 (22); Siegrist, Medizinische Soziologie, S. 141 oder unter http://www.cochrane.de (abgerufen am: 04.03.2010). 654 Ausführlich Antes, in: Perleth/Antes (Hrsg.), Evidenzbasierte Medizin, S. 19 (23). 652
E. Feststellung der GKV-Konformität der Methode
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chierten Quellen werden in mehreren Schritten daraufhin untersucht, ob sie der zu untersuchenden Fragestellung entsprechen. Das Ziel der Recherche besteht darin, rechtssicher die zur Bewertung relevante Literatur zur Verfügung zu stellen.655 3. Empfehlungen durch das IQWiG Darüber hinaus kann der G-BA das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (= IQWiG) gem. § 139b I 1 i.V.m. § 139a III SGB V mit der Bearbeitung von Fragen von grundsätzlicher Bedeutung für die Qualität und Wirtschaftlichkeit der im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung erbrachten Leistungen beauftragen.656 Einzelheiten zu diesem Verfahren finden sich in der Verfahrensordnung des G-BA in Kap. 2 § 8 II i.V.m. Kap. 1 §§ 15 ff. VerfO.657 Das IQWiG soll eine institutionalisierte Wissensbasis für die Arbeit des G-BA darstellen.658 Dabei handelt es sich um den zurückhaltenden Versuch, mehr Rationalität in das Leistungsgeschehen in der gesetzlichen Krankenversicherung zu transferieren.659 Das IQWiG führt in die von widerstreitenden Interessen geprägte Arbeit des Gremiums einen objektivierenden Fachlichkeitsinput ein, der konsensfördernd wirken soll.660 Außerdem besteht durch dessen Existenz die Möglichkeit, gezielt Untersuchungslücken zu schließen oder den Richtlinienbeschluss auf höherwertige Studien zu stützen, als vom Antragsteller eingereicht bzw. durch eigene Recherchen gefunden wurden. a. Errichtung und Besetzung des Instituts Der Gesetzgeber verpflichtet den G-BA durch § 139a I 1 SGB V zur Gründung und Trägerschaft eines fachlich unabhängigen, rechtsfähigen, wissenschaftlichen Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen. § 139a I 2 SGB V erlaubt jedoch, die Trägerschaft über das Institut an eine Stiftung des Privatrechts zu übergeben.661 Davon hat der Bundesausschuss Gebrauch gemacht, eine rechtsfähige bürgerlich-rechtliche „Stiftung für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswe-
655
Bertelsmann/Roters/Bronner, ZaeFQ 101 (2007), 455 (458). Zum „Generalauftrag“, den der G-BA dem IQWiG in seiner Sitzung vom 21.12.2004 erteilt hat vgl. Hohnholz, in: Hauck/Noftz (Hrsg.), SGB V, § 139b Rdn 7 f.; Wallrabenstein, in: Becker/Kingreen (Hrsg.), SGB V, § 139b Rdn. 3 f. 657 Vgl. noch zur alten Fassung der VerfO G-BA Hohnholz, in: Hauck/Noftz (Hrsg.), SGB V, § 139b Rdn. 4 ff.; ausführlich zur Beauftragung des Instituts auch Genzel, ArztR 2006, 228 (230). 658 Wallrabenstein, in: Becker/Kingreen (Hrsg.), SGB V, § 139a Rdn. 8; Rixen, MedR 2008, 24 (26); eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem IQWiG und seiner Funktion findet sich bei Dierks/Nitz/Grau/Mehlitz, IQWiG und Industrie, Kap. A., S. 1 ff. 659 Ausführlich Engelmann, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), jurisPK-SGB V, § 139a Rdn. 2; Sawicki, MedR 2005, 389 ff. 660 Rixen, MedR 2008, 24 (27). 661 Hierzu Engelmann, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), jurisPK-SGB V, § 139a Rdn. 18; Rixen, MedR 2008, 24 (26). 656
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15. Kap.: Das Verfahren der Methodenbewertung im G-BA
sen“ errichtet und dieser die Trägerschaft über das Institut übertragen.662 Diese Konstruktion dient der Gewährleistung der gesetzlich vorgesehenen fachlichen Unabhängigkeit des Instituts.663 Das IQWiG ist eine Einrichtung der Stiftung unter verantwortlicher wissenschaftlich unabhängiger Leitung.664 Die Bestellung der Institutsleitung hat im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Gesundheit zu erfolgen (§ 139a II 1 SGB V). b. Aufgaben des Instituts Die Hauptaufgabe des IQWiG besteht in der unabhängigen wissenschaftlichen Bewertung des medizinischen Nutzens, der Qualität und der Wirtschaftlichkeit der Leistungen.665 Hierüber erstellt das Institut Berichte, die als Grundlage des Richtlinienbeschlusses dienen.666 Allerdings handelt es sich beim IQWiG nach geltendem Recht nicht um eine allgemeine Gesundheitsauskunftsbehörde.667 § 139a III SGB V sieht vor, dass das Institut zu Fragen von grundsätzlicher Bedeutung für die Qualität und Wirtschaftlichkeit der im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung erbrachten Leistungen tätig wird. Diese Einschränkung dient dem Ziel, durch das Institut die grundsätzlichen Anforderungen des SGB V bei der Leistungserbringung zu sichern und die begrenzten Forschungskapazitäten nicht mit Bagatellaufträgen zu belasten.668 Von grundsätzlicher Bedeutung für die gesetzliche Krankenversicherung sind vor allem diejenigen Aufgaben- und Sachgebiete, die der Gesetzgeber in dem in § 139a III SGB V enthaltenen Beispielkatalog in nicht abschließender Weise aufgeführt hat. Dazu zählt gem. § 139a III Nr. 1 SGB V die Recherche, Darstellung und Bewertung des aktuellen medizinischen Wissensstandes zu diagnostischen und therapeutischen Verfahren. Über den Wortlaut des § 139a III Nr. 1 SGB V erstreckt Kap. 1 § 15 II 2 VerfO G-BA den Aufgabenbereich des IQWiG auch auf Fragen mit sektorenübergreifender Versorgungsrelevanz. Insbesondere der Streit um das Verhältnis von §§ 135 I 1, 137c I SGB V zeigt, dass es sich dabei häufig um solche handelt, die die GKV-Konformität neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden betreffen. Für die Methodenbewertung sieht Kap. 2 § 8 II 1 VerfO G-BA ausdrücklich 662 Hess, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 139a Rdn. 4; Schneider, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, SGB V, § 139a Rdn. 4; informativ zum Aufbau des Instituts Sawicki, MedR 2005, 389 ff. 663 Schneider, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, SGB V, § 139a Rdn. 3; Rixen, MedR 2008, 24 (26). 664 Vgl. § 4 der Stiftungssatzung; abrufbar unter http://www.iqwig.de (abgerufen am: 16.06.2010). 665 Engelmann, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), jurisPK-SGB V, § 139a Rdn. 12; weiterführend Genzel, ArztR 2006, 228 (229); zu Legitimationsproblemen des IQWiG bei der Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln Huster/Penner, VSSR 2008, 221 ff. 666 Schneider, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, SGB V, § 139a Rdn. 17. 667 Rixen, MedR 2008, 26 (27). 668 BT-Drs. 15/1525, S. 127; dazu Hess, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 139a Rdn. 8; Schneider, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, SGB V, § 139a Rdn. 9 f.
E. Feststellung der GKV-Konformität der Methode
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vor, dass Aufträge für ein Gutachten zur Überprüfung des Nutzens und der medizinischen Notwendigkeit entweder an das IQWiG oder an eine andere fachlich unabhängige wissenschaftliche Institution vergeben werden können. c. Aufgabenerfüllung durch das Institut Nach § 139a IV 1 SGB V hat das IQWiG zu gewährleisten, dass es seine Aufgaben auf Basis international üblicher und akzeptierter Standards der evidenzbasierten Medizin erfüllt.669 Durch diese Bestimmung hat der Gesetzgeber eine Wertentscheidung getroffen, die weit in alle Bereiche des SGB V ausstrahlt. Insbesondere findet eine Harmonisierung mit der Arbeitsweise des G-BA statt, der – in Übereinstimmung mit der h.M. in Rechtsprechung und Literatur – seine Aufgaben bereits seit geraumer Zeit auf der Grundlage der ebM durchführt.670 Allerdings ergibt sich bereits aus der Eingliederung der Tätigkeit des IQWiG in den Vorgang der Normsetzung innerhalb der funktionalen Selbstverwaltung, dass das Institut bei der Erfüllung seiner Aufgaben an Recht und Gesetz gebunden ist und sich an den allgemeinen Rechtsgrundsätzen des SGB V zu orientieren hat.671 Dessen Vorgehensweise bei der Erstellung von Gutachten im Auftrag des G-BA erschließt sich aus seinem Methodenpapier.672 Die Publikation und permanente Diskussion der Methoden soll zu ihrer dynamischen Verbesserung beitragen.673 Nachdem dem IQWiG ein Auftrag durch den G-BA oder das Bundesgesundheitsministerium erteilt worden ist, wird innerhalb des Instituts eine Projektgruppe gebildet, die in Abstimmung mit dem jeweiligen Auftraggeber die wissenschaftliche Fragestellung und die Zielkriterien des Produkts formuliert.674 Dies eröffnet dem G-BA die Möglichkeit, die Vorgehensweise des IQWiG weitgehend an seinen Informationsbedarf im Einzelfall anzupassen. Anschließend erfolgt die Erstellung des Berichtsplans. Dieser beinhaltet die genaue klinische Fragestellung einschließlich der Zielkriterien (z.B. patientenrelevante Endpunkte), die Ein- und Ausschlusskriterien der für die Nutzenbewertung zu verwendenden Informationen sowie die Darlegung der projektspezifischen Methodik der Beschaffung und Bewertung dieser Informationen.675
669
Vgl. hierzu bereits Sawicki, MedR 2005, 389 f.; Hess, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 139b Rdn. 11. 670 Das IQWiG verweist in seinem Methodenpapier 3.0 ausdrücklich darauf, dass es eine Evidenzklassifizierung verwendet, die weitgehend mit derjenigen des G-BA übereinstimmt (S. 91); eine Auseinandersetzung mit der Methodik der Kosten-Nutzen-Bewertung durch das IQWiG findet sich bei Huster, MedR 2010, 234 ff.; Koch/Sawicki, MedR 2010, 240 ff. 671 Genzel, ArztR 2006, 228 (231). 672 Abrufbar unter www.iqwig.de (abgerufen am: 26.06.2010); vgl. hierzu Schneider, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, SGB V, § 139b Rdn. 13 ff. 673 Sawicki, MedR 2005, 389; ders./Koch, MedR 2010, 240 (241); Genzel, ArztR 2006, 228 (231). 674 IQWiG, Allgemeine Methoden, Version 3.0, S. 17. 675 IQWiG, Allgemeine Methoden, Version 3.0, S. 17.
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15. Kap.: Das Verfahren der Methodenbewertung im G-BA
In mehreren Einzelschritten676 erstellt das IQWiG einen Abschlussbericht, der die Bewertung der wissenschaftlichen Erkenntnisse unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Anhörung enthält.677 Dieser ergibt sich aus dem Ergebnis eines wissenschaftlich begründeten Ein- und Ausschlusses verfügbarer Studien und Unterlagen sowie einer Bewertung aller eingeschlossenen Studien nach den jeweiligen Kriterien des Methodenpapiers.678 d. Bindungswirkung der Empfehlungen des Instituts Der nach den Maßgaben des Methodenpapiers des Instituts erstellte Abschlussbericht ist dem G-BA als „Empfehlung“ zuzuleiten.679 Diese hat er im Rahmen seiner gesetzlichen Aufgabenstellung zu berücksichtigen (§ 139b IV SGB V). Eine Bindung des G-BA an die Untersuchungen des IQWiG folgt hieraus jedoch nicht.680 Die Arbeitsergebnisse des IQWiG haben danach in erster Linie Vorschlagscharakter.681 Der G-BA hat die Arbeitsergebnisse des IQWiG lediglich rein tatsächlich in seine Entscheidungsfindung einzubeziehen. Eine Begründungspflicht kommt höchstens dann in Betracht, wenn den Bewertungen des Instituts nicht gefolgt wird.682 Aufgrund der Entlastungsfunktion der Tätigkeit des IQWiG für den G-BA erweist sich eine Plausibilitätsprüfung mit dem Inhalt als ausreichend, ob die Angaben der Empfehlung mit dem Auftrag übereinstimmen, die Bearbeitung entsprechend der Verfahrensordnung des G-BA erfolgte und die inhaltlichen Ausführungen schlüssig sind.683 Eine vollumfängliche Überprüfung ist höchstens bei substantiierten Zweifeln an der Richtigkeit geboten.684 4. Stellungnahmen Dritter Der G-BA kann zur Methodenbewertung Stellungnahmen externer Dritter heranziehen (vgl. Kap. 2 § 9 II 1 VerfO G-BA). Die Vornahme eines Stellungnahmeverfahrens wird an verschiedenen Stellen des SGB V ausdrücklich angeordnet. Hinzuweisen ist etwa auf §§ 91 V 1; 92 Ia 6; 92 Ib; 92 II 5; 92 IIIa 1; 92 V 1;
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Ausführlich IQWiG, Allgemeine Methoden, Version 3.0, S. 17 ff. IQWiG, Allgemeine Methoden, Version 3.0, S. 10. 678 Hess, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 139b Rdn. 11. 679 Hess, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 139b Rdn. 11; Wallrabenstein, in: Becker/Kingreen (Hrsg.), SGB V, § 139b Rdn. 17. 680 Huster, GesR 2010, 122 (126); ebenso Hess, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 139b Rdn. 15; Engelmann, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), jurisPK-SGB V, § 139b Rdn. 12; Rixen, MedR 2008, 24 (27) m.w.N. 681 Rixen, MedR 2008, 24 (27); a.A. Schimmelpfeng-Schütte, GesR 2004, 1 (5); dies., MedR 2006, 519 (520). 682 Huster, GesR 2010, 122 (126); ausführlich Hess, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 139b Rdn. 15. 683 Hess, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, SGB V, § 139b Rdn. 14. 684 Rixen, MedR 2008, 24 (28). 677
E. Feststellung der GKV-Konformität der Methode
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92 VII 2; 92 VIIa; 92 VIIb; 92 VIIc SGB V.685 Darauf nimmt Kap. 1 § 8 I VerfO G-BA Bezug. Besteht ein gesetzlich angeordnetes Stellungnahmerecht, so wird das Stellungnahmeverfahren in der Regel durch einen einvernehmlichen Beschluss des zuständigen Unterausschusses eingeleitet, wenn dieser seine Beratungen für weitestgehend abgeschlossen hält (Kap. 1 § 10 I 1 VerfO G-BA). Da das SGB V anordnet, dass den externen Dritten „ein Recht zur Stellungnahme zu geben ist“ (vgl. z.B. §§ 91 V 1, 92 Ia 6 SGB V), steht dem G-BA lediglich ein Entscheidungsspielraum hinsichtlich des Zeitpunktes der Durchführung des Verfahrens zu. Die Frage, ob die Stellungnahmen überhaupt berücksichtigt werden, ist vom Gesetzgeber eindeutig entschieden worden. Hat der zuständige Unterausschuss den Beschluss zur Einleitung des Stellungnahmeverfahrens gefasst, wird den stellungnahmeberechtigten Organisationen und Sachverständigen ein Beschlussentwurf zugeleitet (Kap. 1 § 10 II 1 VerfO G-BA). Im Falle der Methodenbewertung sind die Stellungnahmen dann anhand eines vom jeweiligen Unterausschuss entwickelten Fragebogens abzugeben und mit Unterlagen nach Kap. 2 § 10 VerfO G-BA zu begründen (Kap. 2 § 6 III 1 VerfO GBA). Nach ihrem Eingang werden sie vom zuständigen Unterausschuss ausgewertet und gehen in der von Kap. 1 § 13 VerfO G-BA bestimmten Form in die Beschlussvorlage ein, die für das Plenum erstellt werden muss.
V. Klassifizierung und Bewertung der Unterlagen Der Nachweis, dass eine Untersuchungs- oder Behandlungsmethode dem allgemein anerkannten Stand medizinischer Erkenntnisse entspricht, erfolgt durch eine Qualitätsrangfestlegung medizinischer Evidenzen.686 Die zum jeweiligen Beratungsgegenstand verfügbaren Unterlagen müssen nach ihrer methodischen Qualität und Zuverlässigkeit klassifiziert werden.687 Dies findet in einem zweistufigen Verfahren statt (Kap. 2 § 11 I VerfO G-BA): Zunächst werden die jeweiligen Unterlagen abstrakt einer bestimmten Evidenzstufe zugeordnet (Kap. 2 § 11 II – IV VerfO G-BA). Dies erfolgt unter Ansehung des sich aus den Unterlagen ergebenden Studientyps, auf welchen zum Nachweis der GKV-Konformität einer Methode zurückgegriffen wurde. Da die Evidenzklassifizierung nach rein formellen Kriterien abläuft,688 lässt sich allein aus dem Vorliegen eines bestimmten Studientyps kein hinreichend sicherer Schluss auf die GKV-Konformität einer Untersuchungs- und Behandlungsmethode ziehen. Der Evidenzklassifizierung kommt aus diesem Grund ledig-
685
Weitere gesetzlich angeordnete Stellungnahmerechte finden sich in §§ 35 II 1; 36 I 3; 39a I 6; 40 VII 2; 56 III; 63 IIIc 4; 79b S. 5 SGB V. 686 Begriff bei Hart, MedR 2000, 1 ff. m.w.N. 687 Siegrist, Medizinische Soziologie, S. 141. 688 Vgl. Roters, NZS 2007, 176 (177).
284
15. Kap.: Das Verfahren der Methodenbewertung im G-BA
lich Indizwirkung zu.689 Ihre tatsächliche Bedeutung ist deswegen deutlich geringer, als ihr in vielen Fällen zugemessen wird.690 Aufgrund der Komplexität der Durchführung und Auswertung der Studienergebnisse und der damit verbundenen Unsicherheit ist zusätzlich zur Evidenzklassifizierung eine Bewertung der Qualität der Studienergebnisse im Einzelfall erforderlich (Kap. 2 § 11 V – VII VerfO G-BA).691 Dies erfolgt nach materiellen Kriterien unter Ansehung des konkreten Studienablaufs. Bei dieser Qualitätsbewertung handelt es sich um ein äußerst komplexes sowie differenziertes Verfahren, welches sich wiederum in zwei Stufen gliedern lässt: Erstens ist die Qualität der Studien im engeren Sinne zu bewerten (Kap. 2 § 11 VI VerfO G-BA). Dabei geht es um die Frage, ob die Studienergebnisse, die sich in Bezug auf eine bestimmte Studienpopulation ergeben haben, korrekt sind. Dies wird auch als „interne Validität“ der Studien bezeichnet.692 Zweitens muss eine Einschätzung der Übertragbarkeit der Studienergebnisse auf die Versorgungsrealität erfolgen. Dabei geht es um die Frage, inwieweit diese verallgemeinerungsfähig sind.693 Dadurch ersetzt die „externe Validität“ die individuelle klinische Erfahrung des behandelnden Arztes bei der klinischen ebM.694 1. Evidenzklassifizierung a. Allgemeines Die Evidenzklassifizierung bildet die erste Stufe der Auswertung der zur Verfügung stehenden Unterlagen. Sie dient der Einordnung der formalen Aussagekraft wissenschaftlicher Materialien,695 die danach zu bemessen ist, mit welcher Wahrscheinlichkeit auf die Richtigkeit eines bestimmten Studienergebnisses geschlossen werden kann. Dies hängt maßgeblich von dem im Einzelfall verwendeten Studientyp ab. Die einzelnen Studientypen unterscheiden sich hauptsächlich nach Auswahl und Zusammensetzung der Studienpopulation. Bislang hat sich jedoch weder im nationalen, noch im internationalen Bereich eine gänzlich unumstrittene Evidenzklassifizierung durchgesetzt.696 Die Gemeinsamkeit aller Systeme besteht darin, dass sie jeweils einem bestimmten Studientypus einen bestimmten Evidenzgrad zuordnen, wodurch sich im
689
Vgl. Roters, NZS 2007, 176 (177). Dazu Schwalm/Perleth/Matthias, ZEFQ 104 (2010), 323 (327 f.). 691 Vgl. ausführlich IQWiG, Allgemeine Methoden, Version 3.0 vom 27.05.2008, Abschnitte 3.2.1 und 6.2.2, abrufbar unter http://www.iqwig.de/ (abgerufen am: 06.03.2010). 692 Fletcher/Fletcher, Klinische Epidemiologie, 1.3.9; vgl. auch unten 15. Kapitel, E. V. 2. a. 693 Fletcher/Fletcher, Klinische Epidemiologie, 1.3.9; vgl. auch unten 15. Kapitel, E. V. 2. b. 694 Vgl. dazu oben 15. Kapitel, E. I. 2. 695 Roters, NZS 2007, 176 (177). 696 Eine Übersicht unterschiedlicher Ansätze der Evidenzklassifizierung findet sich bei Bhandari/Joensson, Clinical Research for Surgeons, Kap. 6, S. 38 f. 690
E. Feststellung der GKV-Konformität der Methode
285
Ergebnis eine Hierarchie medizinischer Evidenzen ableiten lässt.697 Innerhalb dieser Kategorien entscheidet sich die Evidenzklassifizierung danach, welchem Studientyp die größte Evidenz, d.h. die größte Zuverlässigkeit beim Nachweis eines bestimmten Ergebnisses und die geringste Gefahr von Verzerrungen bzw. systematischen Fehlern zugeordnet wird.698 Darüber hinaus hängt die Bildung einer Hierarchie medizinischer Evidenzen bzw. der Zuordnung eines bestimmten Studientyps zu einer bestimmten Evidenzklasse davon ab, für welche medizinische Situation die Evidenzeinschätzung stattfinden soll.699 Bildet eine diagnostische Methode den Untersuchungsgegenstand, so besteht das Ziel einer auf deren Untersuchung gerichteten Studie im Nachweis einer Korrelation zwischen den durch die jeweilige Methode gewonnen Daten und einer Diagnose.700 Dabei geht es um die Genauigkeit, mit der bei Verwendung eines bestimmten Tests auf das Vorliegen einer Krankheit geschlossen werden kann.701 Das Ziel einer Studie, die die Wirksamkeit einer Therapie untersucht, besteht dagegen im Nachweis der speziellen Therapiewirkung und der Feststellung, dass die Therapiewirkung kausal auf der jeweiligen Maßnahme beruht.702 b. Vorgehensweise des G-BA Der G-BA verwendet bei der Evidenzklassifizierung unterschiedliche Skalen für diagnostische (Kap. 2 § 11 II VerfO G-BA) und therapeutische Methoden (Kap. 2 § 11 III VerfO G-BA). Diese lehnen sich an die Klassifizierung an, die zunächst im Oxford Centre for Evidence-based Medicine entwickelt wurde.703 Sie weisen die Gemeinsamkeit auf, dass das Maß an Evidenz von der niedrigsten Stufe bis zur höchsten Stufe zunimmt und umgekehrt die Gefahr von systematischen Fehlern oder Verzerrungen von der niedrigsten bis zur höchsten Stufe abnimmt.704
697
Vgl. IQWiG, Allgemeine Methoden, Version 3.0 vom 27.05.2008, Abschnitt 6.2.2, abrufbar unter http://www.iqwig.de/ (abgerufen am: 06.03.2010). 698 Vgl. Bhandari/Joensson, Clinical Research for Surgeons, Kap. 6, S. 39; IQWiG, Allgemeine Methoden, Version 3.0 vom 27.05.2008, Abschnitt 6.2.2, abrufbar unter http://www.iqwig.de/ (abgerufen am: 06.03.2010). 699 Vgl. Bhandari/Joensson, Clinical Research for Surgeons, Kap. 6, S. 37. 700 Kymes, in: Babu (Hrsg.), Clinical Research Methodology and Evidence-based Medicine, S. 111 (113 f.): “In the evaluation of diagnostic tests, the research question being asked is different than that in therapeutics. When investigating questions relating to therapy, the investigator is seeking to establish causality, while in diagnosis the concern is with correlation. Correlation is established by comparing the dichotomous decision of the observer to the known reference standard…” 701 Fletcher/Fletcher, Klinische Epidemiologie, Kap. 3.2.1. 702 Vgl. Lühmann/Raspe, in: Perleth/Antes (Hrsg.), Evidenzbasierte Medizin, S. 38 (41); Kymes, in: Babu (Hrsg.) Clinical Research Methodology and Evidence-based Medicine, S. 111 (113 f.). 703 Dazu Schwalm/Perleth/Matthias, ZEFQ 104 (2010), 323 (325) m.w.N. 704 Vgl. Bhandari/Joensson, Clinical Research for Surgeons, Kap. 5, S. 31.
286
15. Kap.: Das Verfahren der Methodenbewertung im G-BA
Evidenzklassifizierung für diagnostische Methoden gem. Kap. 2 § 11 II VerfO G-BA Systematische Übersichtsarbeiten von Studien der Evidenzstufe I b Ia Randomisierte kontrollierte Studien Ib Andere Interventionsstudien Ic Systematische Übersichtsarbeiten von Studien zur diagnostischen TestII a genauigkeit der Evidenzstufe II b Querschnitts- und Kohortenstudien, aus denen sich alle diagnostischen II b Kenngrößen zur Testgenauigkeit (Sensitivität und Spezifität, Wahrscheinlichkeitsverhältnisse, positiver und negativer prädikativer Wert) berechnen lassen Andere Studien, aus denen sich die diagnostischen Kenngrößen zur III Testgenauigkeit (Sensitivität und Spezifität, Wahrscheinlichkeitsverhältnisse) berechnen lassen Assoziationsbeobachtungen, pathopsychologische Überlegungen, deIV skriptive Darstellungen, Einzelfallberichte, u.ä.; nicht mit Studien belegte Meinungen anerkannter Expertinnen und Experten, Berichte von Expertenkomitees und Konsensuskonferenzen Evidenzklassifizierung für therapeutische Methoden gem. Kap. 2 § 11 III VerfO G-BA Systematische Übersichtsarbeiten von Studien der Evidenzstufe I b Ia Randomisierte klinische Studien Ib Systematische Übersichtsarbeiten von Studien der Evidenzstufe II b II a Prospektive vergleichende Kohortenstudien II b Retrospektive vergleichende Studien III Fallserien und andere nicht vergleichende Studien IV Assoziationsbeobachtungen, pathopsychologische Überlegungen, deIV skriptive Darstellungen, Einzelfallberichte, u.ä.; nicht mit Studien belegte Meinungen anerkannter Expertinnen und Experten, Berichte von Expertenkomitees und Konsensuskonferenzen
c. Diagnostische Methoden Bei Studien zu diagnostischen Methoden geht es um die Feststellung der Genauigkeit, mit der ein bestimmtes Verfahren in der Lage ist, das Vorliegen einer Krankheit korrekt anzuzeigen.705 Die Gemeinsamkeit darauf gerichteter Studien besteht darin, dass die jeweiligen Testergebnisse mit einem Referenzstandard, der das Diagnoseergebnis richtig anzeigt, verglichen werden müssen.706 Die höchste Evidenzstufe misst der G-BA in diesem Kontext randomisierten klinischen Studien bzw. systematischen Übersichtsarbeiten zu diesen Studien 705
Vgl. Fletcher/Fletcher, Klinische Epidemiologie, Kap. 3.2. Vgl. Fletcher/Fletcher, Klinische Epidemiologie, Kap. 3.2.1.; Kymes, in: Babu (Hrsg.), Clinical Research Methodology and Evidence-based Medicine, S. 111 (114); Bhandari/ Joensson, Clinical Research for Surgeons, Kap. 14, S. 87.
706
E. Feststellung der GKV-Konformität der Methode
287
zu.707 Bei randomisierten klinischen Studien handelt es sich um eine spezielle Form der Kohortenstudie.708 Die Auswahl der Probanden bzw. die Rekrutierung der Studienpopulation erfolgt zufällig.709 Dies minimiert die Gefahr, dass das Studienergebnis durch äußere Faktoren verzerrt wird.710 Die Erhebung der Daten erfolgt bei den Probanden mittels der zu untersuchenden diagnostischen Methode, auf deren Basis dann eine Diagnose erstellt wird. Dieses Ergebnis wird in einem weiteren Schritt mit einem sog. „Referenzstandard“ verglichen, um die Genauigkeit der getesteten diagnostischen Methode festzustellen.711 Dabei handelt es sich um die – mit bereits anerkannten diagnostischen Methoden ermittelten – zutreffenden Diagnosen in Bezug auf die Probanden.712 Unter systematischen Übersichtsarbeiten sind zusammenfassende Forschungsarbeiten zu verstehen, bei denen vorhandene Studien zu einer bestimmten Frage recherchiert, auf ihre Relevanz geprüft und kritisch bewertet werden. Aus den verfügbaren Studien werden die Ergebnisse extrahiert und mit statistischen Methoden zusammengefasst.713 Systematische Übersichten bieten den Vorteil, dass sie auf einer breiteren Wissens- bzw. Datenlage basieren und häufig Studienergebnisse kombinieren, um eine präzisere Schätzung der Effektgröße zu ermöglichen.714 Kohorten- und Querschnittsstudien unterscheiden sich aufgrund der den Probandenkreis bildenden Bevölkerungsgruppe von den randomisierten Studien. Eine Kohorte repräsentiert jeweils einen durch bestimmte Merkmale charakterisierten Probandenkreis.715 Querschnittsstudien basieren dagegen auf der Untersuchung einer bestimmten Anzahl von Probanden zu einem bestimmten Zeitpunkt.716 Die Auswahl der Testpersonen ist in beiden Fällen also nicht zufällig.
707
Dies ist nicht unumstritten. Vgl. Bhandari/Joensson, Clinical Research for Surgeons, Kap. 5, S. 34; Kymes, in: Babu (Hrsg.), Clinical Research Methodology and Evidencebased Medicine, S. 111 (113) m.w.N.: “While the RCT is considered to be the quintessential option for the evaluation of diagnostic tests, it is not considered to be optimal for evaluation of diagnostic tests...“. 708 Fletcher/Fletcher, Klinische Epidemiologie, Kap. 8.2.1. 709 Vgl. Kymes, in: Babu (Hrsg.), Clinical Research Methodology and Evidence-based Medicine, S. 111 (113 f). 710 Vgl. Siegrist, Medizinische Soziologie, S. 129. 711 Kymes, in: Babu (Hrsg.), Clinical Research Methodology and Evidence-based Medicine, S. 111 (114); Bhandari/Joensson, Clinical Research for Surgeons, Kap. 14, S. 87. 712 Bhandari/Joensson, Clinical Research for Surgeons, Kap. 14, S. 87: “The accuracy of a diagnostic test is established by comparing it with the truth – in other words, was the test positive among those patients that actually had the target condition?” 713 IQWiG, Glossar zu den allgemeinen Methoden 3.0, Version 1.0 vom 27.05.2008, S. 21; ausführlich Bhandari/Joensson, Clinical Research for Surgeons, Kap. 12, S. 68 ff.; Fletcher/Fletcher, Klinische Epidemiologie, Kap. 12.3. 714 Vgl. Fletcher/Fletcher, Klinische Epidemiologie, Kap. 12.3. 715 Bhandari/Joensson, Clinical Research for Surgeons, Kap. 5, S. 34. 716 IQWiG, Glossar zu den allgemeinen Methoden 3.0, Version 1.0 vom 27.05.2008, S. 17.
288
15. Kap.: Das Verfahren der Methodenbewertung im G-BA
d. Therapeutische Methoden Der Wert einer therapeutischen Methode kann – ähnlich wie bei der Diagnostik – nur durch den Vergleich der Therapieergebnisse mit einer Vergleichsgruppe ermittelt werden.717 Um einen Therapieeffekt richtig einschätzen zu können, kann der Vergleich der Therapieergebnisse mit unterschiedlichen Vergleichsgruppen erforderlich sein. Dies dient der Ausschaltung von solchen Effektbestandteilen, die beispielsweise auf dem natürlichen Verlauf der Erkrankung und der Verabreichung eines Placebos beruhen.718 In der Evidenzklassifizierung der therapeutischen Methoden nehmen systematische Übersichtsarbeiten zu randomisierten klinischen Studien die höchste Stufe wissenschaftlicher Evidenz ein. Um sicherzustellen, dass die therapeutische Wirkung gerade auf der spezifischen Maßnahme beruht, werden die Studienteilnehmer bei einer randomisierten Studie der Versuchs- und der Vergleichsgruppe zufällig (=„randomisiert“) zugeteilt.719 Dies minimiert die Gefahr, dass die Wirksamkeit auf Einflussgrößen wie Alter, Geschlecht oder Schweregrad einer Erkrankung zurückzuführen ist.720 Nach inzwischen weitgehend anerkannter Auffassung versprechen derartige Studien – jedenfalls bei therapeutischen Methoden – die größte Wahrscheinlichkeit auf Validität der Ergebnisse und bilden damit den „Goldstandard“ der Hierarchie evidenzbasierter Methodenbewertung.721 Bei systematischen Übersichtsarbeiten handelt es sich generell um zusammenfassende Forschungsarbeiten bei denen vorhandene Studien zu einer bestimmten Frage recherchiert, auf ihre Relevanz geprüft und kritisch bewertet werden. Aus den verfügbaren Studien werden die Ergebnisse extrahiert und mit statistischen Methoden zusammengefasst.722 In Evidenzstufe II finden sich Kohortenstudien und systematische Übersichtsarbeiten über diese. Im Gegensatz zur randomisierten kontrollierten Studie ist bei den Kohortenstudien von Anfang an bekannt, welche Gruppe von Probanden einer medizinischen Intervention ausgesetzt wurde.723 Die Probanden repräsentieren ei717
Vgl. Fletcher/Fletcher, Klinische Epidemiologie, Kap. 8.3.3; Siegrist, Medizinische Soziologie, S. 129; Lühmann/Raspe, in: Perleth/Antes (Hrsg.), Evidenzbasierte Medizin, S. 38 (41); Bhandari/Joensson, Clinical Research for Surgeons, Kap. 6, S. 34; Kap. 10, S. 55 ff. 718 Ausführlich Fletcher/Fletcher, Klinische Epidemiologie, Kap. 8.3.3. 719 Vgl. Siegrist, Medizinische Soziologie, S. 129. 720 Lühmann/Raspe, in: Perleth/Antes (Hrsg.), Evidenzbasierte Medizin, S. 38 (41). 721 Sackett, in: Perleth/Antes (Hrsg.), Evidenzbasierte Medizin, S. 9 (11); IQWiG, Allgemeine Methoden, Version 3.0 vom 27.05.2008, Abschnitt 6.2.2, abrufbar unter http://www.iqwig.de/ (abgerufen am: 06.03.2010); Babu, in: Babu (Hrsg.), Clinical Research Methodology and Evidence-based Medicine, S. 61 (67); zum Meinungsstand Bhandari/Joensson, Clinical Research for Surgeons, Kap. 7, 11; Fletcher/Fletcher, Klinische Epidemiologie, Kap. 8.2.1; Arbeitsergebnisse der Cochrane Collaboration, abrufbar unter http://www.cochrane.de/de/gradesys.htm (abgerufen am: 06.03.2010). 722 IQWiG, Glossar zu den allgemeinen Methoden 3.0, Version 1.0 vom 27.05.2008, S. 21; ausführlich Bhandari/Joensson, Clinical Research for Surgeons, Kap. 12, S. 68 ff. 723 Bhandari/Joensson, Clinical Research for Surgeons, Kap. 6, S. 34; Fletcher/Fletcher, Klinische Epidemiologie, Kap. 5.4.2.
E. Feststellung der GKV-Konformität der Methode
289
ne Bevölkerungsgruppe, die durch ein bestimmtes Merkmal gekennzeichnet ist (=Kohorte724). Als „prospektiv“ bezeichnet man diesen Studientypus, wenn die betreffende Bevölkerungsgruppe über einen bestimmten Zeitraum beobachtet wird, um die Folgen einer medizinischen Intervention festzustellen. Hinter dem Begriff „retrospektive vergleichende Studien“ oder Fall-KontrollStudien725 (Evidenzklasse III) verbergen sich dagegen solche Studien, die von einer Gruppe behandelter Personen ausgehen und diese mit einer Gruppe nicht behandelter Personen vergleichen. Beide Gruppen werden befragt und auf ihre Krankengeschichte hin analysiert.726 Die Genauigkeit dieser Methode hängt davon ab, wie exakt sich beide Gruppen entsprechen. Die besondere Schwierigkeit bzw. Verzerrungsanfälligkeit resultiert folglich daraus, dass der Forscher regelmäßig keinen Einfluss auf den Prozess der Datengewinnung und die Zusammensetzung der zu untersuchenden Patientengruppen hat.727 Unter Fallserien (Evidenzstufe IV) sind publizierte Berichte über Patienten mit einer Besonderheit zu verstehen.728 Sie beinhalten häufig eine Fülle von Informationen, bauen in vielen Fällen aber nicht auf klinischen Studien, sondern auf Einzelfallbetrachtungen auf, die schwer zu generalisieren sind.729 Dies erklärt, warum sie auf einer niedrigen Evidenzstufe stehen. 2. Qualitätsbewertung Die Qualitätsbewertung bildet die zweite Stufe der Auswertung der zur Verfügung stehenden Unterlagen (Kap. 2 § 11 V – VIII VerfO G-BA). Ausschlaggebend für die Bewertung der Studienqualität im weiteren Sinne sind nach Kap. 2 § 11 V VerfO G-BA einerseits die Studienqualität (im engeren Sinne) und andererseits die Übertragbarkeit der Studienergebnisse auf die Versorgungsrealität. Die Studienqualität im engeren Sinne wird als „interne Validität“, die Frage der Übertragbarkeit der Studienergebnisse auf die Versorgungsrealität dagegen als „externe Validität“ bezeichnet. a. Interne Validität der Studien Die interne Validität einer Studie richtet sich danach, bis zu welchem Grad die Resultate einer Studie, die sich aus der Untersuchung einer bestimmten Studienpopulation ergeben haben, korrekt sind.730 Als „intern“ bezeichnet man diese Form der Studienvalidität deswegen, weil sich die Aussage lediglich auf diejenigen Pa724
Bhandari/Joensson, Clinical Research for Surgeons, Kap. 6, S. 34. Fletcher/Fletcher, Klinische Epidemiologie, Kap. 6.1. 726 Vgl. Babu, in: Babu (Hrsg.), Clinical Research Methodology and Evidence-based Medicine, S. 61 (67); IQWiG, Glossar zu den allgemeinen Methoden 3.0, Version 1.0 vom 27.05.2008, S. 8; Bhandari/Joensson, Clinical Research for Surgeons, Kap. 6, S. 34 f.; Kap. 9, S. 49 ff. 727 Vgl. Babu, in: Babu (Hrsg.) Clinical Research Methodology and Evidence-based Medicine, S. 61 (67). 728 IQWiG, Glossar zu den allgemeinen Methoden 3.0, Version 1.0 vom 27.05.2008, S. 8. 729 Vgl. Bhandari/Joensson, Clinical Research for Surgeons, Kap. 5, S. 35. 730 Fletcher/Fletcher, Klinische Epidemiologie, Kap. 1.3.9. 725
290
15. Kap.: Das Verfahren der Methodenbewertung im G-BA
tienten bezieht, die an der Studie teilgenommen haben.731 Aus diesem Grund handelt es sich bei dem Merkmal um ein Studiencharakteristikum. 732 Regelungen zur Feststellung der internen Validität der Studien beinhaltet die Verfahrensordnung des G-BA in Kap. 2 § 11 VI 2 HS 1. Danach ist die Studienqualität im engeren Sinne auf der Grundlage der Planungs-, Durchführungs- und Auswertungsqualität sowie der Konsistenz der Ergebnisse zu bewerten. Weitere Maßgaben, anhand derer dies erfolgen soll, enthält Kap. 2 § 11 VI 3 VerfO G-BA. Entscheidend ist danach, ob es sich im konkreten Einzelfall um eine Interventionsstudie, eine Studie zur diagnostischen Genauigkeit oder eine Screening-Untersuchung handelt. Die innerhalb der drei Kategorien aufgeführten Bewertungskriterien dienen dazu, einen möglichst präzisen Rückschluss auf das Verzerrungspotential bei den jeweiligen Studientypen zu ermöglichen und damit die Konsistenz der Ergebnisse einzuschätzen. Kriterien zur Bewertung der Studienqualität gem. Kap. 2 § 11 VI 3 VerfO G-BA: Interventionsstudien
Studien zur diagnostischen Genauigkeit
ScreeningUntersuchungen
(Kap. 2 § 11 VI 3a VerfO)
(Kap. 2 § 11 VI 3b VerfO)
(Kap. 2 § 11 VI 3c VerfO)
- prospektive oder retro- konsekutive Patien- Feststellung der spektive Patientenrekrutenrekrutierung Testeigenschaften in tierung einer Screening- unabhängiger RefeUmgebung - Randomisierung renzstandard (Goldstandard) - verblindete Gruppenzu- Erfassung der gesamten Screening-Kette ordnung - verblindete Testbewertung - etc. - verblindete Endpunkterhebung - vollständiger Patienten-Work-up - Vollständigkeit der Nachbeobachtung mit ange- etc. messenem Nachbeobachtungszeitraum - etc. Î Kriterienkataloge nach dem Wortlaut („…Kriterien wie…“) jeweils nicht abschließend
731 732
Fletcher/Fletcher, Klinische Epidemiologie, Kap. 1.3.9. Windeler, ZEFQ 102 (2008), 253 (256).
E. Feststellung der GKV-Konformität der Methode
291
aa. Interventionsstudien Interventionen bezeichnen Maßnahmen, die eine Erkrankung verändern können oder sollen.733 Der Begriff der Interventionsstudie bezieht sich auf Studien zu therapeutischen Methoden.734 Einige der nach der VerfO heranzuziehenden Bewertungskriterien korrelieren mit den Charakteristika des der Evidenzklassifizierung zugrundeliegenden Studientypus. So richtet sich die Wertigkeit der Evidenz maßgeblich danach, ob die Studienpopulation prospektive oder retrospektive rekrutiert wurde bzw. eine Randomisierung stattgefunden hat. Von besonderer Bedeutung für die Studienqualität ist insbesondere die Verblindung in Bezug auf die Gruppenzuordnung bzw. Endpunkterhebung. Da anerkannt ist, dass schon allein das Wissen um die Verabreichung eines wirksamen Medikaments zur (subjektiven) Überinterpretation von Behandlungsergebnissen führen kann,735 dient sie der Ausschaltung von Fehlern, die auf diesem Wissen beruhen.736 Die Verblindung kann gegenüber verschiedenen an der Studiendurchführung beteiligten Personengruppen wie etwa dem Pflegepersonal, Ärzten, Wissenschaftlern oder den Probanden selbst erfolgen.737 Die Berücksichtigung der Nachbeobachtung und des Nachbeobachtungszeitraums kann für die Studienqualität in doppelter Hinsicht von Bedeutung sein.738 Ein angemessener Nachbeobachtungszeitraum erweist sich schon allein deswegen als erforderlich, damit sich die klinisch wichtigen Outcomes überhaupt ereignen.739 Zudem kann die statistische Nachweisbarkeit eines Unterschieds zwischen Untersuchungs- und Kontrollgruppe gefährdet werden, wenn im Laufe der Studie viele Studienteilnehmer „verloren gehen“. So sind etwa systematische Verzerrungen der Studienergebnisse gerade dann zu befürchten, wenn ein Zusammenhang zwischen Behandlung und Ausscheiden aus der Studie besteht.740 bb. Studien zur diagnostischen Genauigkeit Auch für Studien zur diagnostischen Genauigkeit sieht die Verfahrensordnung des G-BA Qualitätskriterien vor, auf deren Basis die Einschätzung der internen Validität stattfinden soll. So setzt die sachgerechte Bewertung einer diagnostischen Methode insbesondere das Vorliegen eines unabhängigen Referenzstandards vo-
733
IQWiG, Glossar zu den allgemeinen Methoden 3.0, Version 1.0 vom 27.05.2008, S. 11. Vgl. Pschyrembel – Sozialmedizin, S. 257. 735 Ausführlich Lühmann/Raspe, in: Perleth/Antes (Hrsg.), Evidenzbasierte Medizin, S. 38 (44); Fletcher/Fletcher, Klinische Epidemiologie, Kap. 8.3.6. 736 Vgl. IQWiG, Glossar zu den allgemeinen Methoden 3.0, Version 1.0 vom 27.05.2008, S. 22. 737 Vgl. IQWiG, Glossar zu den allgemeinen Methoden 3.0, Version 1.0 vom 27.05.2008, S. 22. 738 Ausführlich Lühmann/Raspe, in: Perleth/Antes (Hrsg.), Evidenzbasierte Medizin, S. 38 (42). 739 Vgl. Fletcher/Fletcher, Klinische Epidemiologie, Kap. 7.3.3. 740 Vgl. Lühmann/Raspe, in: Perleth/Antes (Hrsg.), Evidenzbasierte Medizin, S. 38 (42). 734
292
15. Kap.: Das Verfahren der Methodenbewertung im G-BA
raus, der zur Überprüfung der Diagnoseergebnisse herangezogen werden kann. Dies erfordert, dass er in Unkenntnis der Studienergebnisse ermittelt worden ist.741 Das Kriterium des unabhängigen Referenzstandards korreliert mit demjenigen der verblindeten Testbewertung. Letzteres setzt voraus, dass die Testergebnisse in Unkenntnis des Referenzstandards ausgewertet worden sind.742 cc. Screening-Untersuchungen Bei Screening-Untersuchungen handelt es sich um die Untersuchung symptomfreier Personen zur Früherkennung von Krankheiten. Für diese gelten sowohl nach dem SGB V743, als auch nach der VerfO G-BA744 besondere Anforderungen. b. Externe Validität der Studien aa. Die Problematik der Effektmodifikation Bei der externen Validität einer Studie geht es um die Frage, ob die Effekte einer diagnostischen oder therapeutischen Methode, die auf der Grundlage einer Studienpopulation errechnet wurden, verallgemeinerungsfähig745 bzw. auf eine bestimmte Zielpopulation übertragbar sind.746 Im Gegensatz zur internen Validität handelt es sich hierbei nicht um ein Studien-, sondern um ein Situationscharakteristikum.747 Im Mittelpunkt der Untersuchung steht allerdings nicht die Frage, ob die Angehörigen der Zielpopulation748 „anders“ sind als diejenigen der Studienpopulation, sondern ob die Therapie- oder Diagnoseeffekte sich ändern.749 Dieser Vorgang wird als „Effektmodifikation“ bezeichnet. Derartige „Effektmodifikatoren“ können im Extremfall dazu führen, dass eine Studie zwar eine hohe interne Validität aufweist, in der Praxis aber irreführend oder sogar wertlos ist.750 Deswegen erlaubt § 135 I 1 SGB V dem G-BA bereits nach der gegenwärtigen Gesetzeslage, durch entsprechende inhaltliche Festsetzungen in Richtlinien möglichen Effektmodifikationen entgegenzuwirken.751
741
Vgl. Bhandari/Joensson, Clinical Research for Surgeons, Kap. 14, S. 86. Vgl. Bhandari/Joensson, Clinical Research for Surgeons, Kap. 14, S. 86. 743 §§ 25, 26 SGB V 744 Vgl. etwa Kap. 2 § 10 I VerfO G-BA 745 Fletcher/Fletcher, Klinische Epidemiologie, Kap. 1.3. 746 Windeler, ZEFQ 102 (2008), 253 (254); zum Begriff der „Population“ vgl. Fletcher/ Fletcher, Klinische Epidemiologie, Kap. 1.3.5. 747 Windeler, ZEFQ 102 (2008), 253 (256). 748 „Zielpopulation“ meint denjenigen Personenkreis, auf den die Methode später Anwendung finden soll. Im Fall des G-BA handelt es sich folglich um die GKV-Versicherten. 749 Vgl. Windeler, ZEFQ 102 (2008), 253 (254); zum Zusammenhang zwischen der Auswahl der Studienpopulation und externer Validität vgl. Fletcher/Fletcher, Klinische Epidemiologie, Kap. 1.3. 750 Fletcher/Fletcher, Klinische Epidemiologie, Kap. 1.3. 751 Dazu oben 15. Kapitel, E. V. 2. b. 742
E. Feststellung der GKV-Konformität der Methode
293
Effektmodifikationen können sich nach dem derzeitigen Meinungsstand aus arztseitigen, patientenseitigen oder systembedingten Faktoren ergeben.752 Die Gemeinsamkeit dieser „Effektmodifikatoren“ besteht darin, dass es sich typischerweise um Ursachen außerhalb der Studienbedingungen handelt.753 Als arztseitiger Faktor wirkt sich eine unterschiedliche Qualität bei der Leistungserbringung aus. Diese wird insbesondere von der personellen und apparativen Ausstattung am Behandlungsort sowie dem medizinischen Know-How des behandelnden Arztes bestimmt.754 Auf Patientenseite können sich dagegen Faktoren wie etwa Alter, Geschlecht oder Komorbidität auswirken.755 Auf Systemseite sind etwaige, von den Studienbedingungen abweichende, Organisations-, Versorgungsstrukturen oder gar Vergütungsstrukturen zu berücksichtigen. Dies hängt im Einzelnen maßgeblich von der Ausgestaltung des Gesundheitssystems ab, in das die Zielpopulation eingebunden ist. Besondere Relevanz kann dabei den räumlichen Zugangs- und Behandlungsmöglichkeiten zukommen.756 bb. Umgang mit Effektmodifikationen Die Verfahrensordnung des G-BA enthält keine genaueren Vorgaben zum Umgang mit Effektmodifikationen. Kap. 2 § 11 VI 2 VerfO G-BA sieht lediglich vor, dass neben der Qualitätsfeststellung die Übertragbarkeit der Studienergebnisse auf den Versorgungskontext zu bewerten ist. Nach dem derzeitigen Meinungsstand sollte eine derartige Methode in der Lage sein, nicht nur die arzt- und patientenseitigen, sondern auch die systembedingten Effektmodifikatoren angemessen zu berücksichtigen und den aus ihnen resultierenden Grad der Übertragbarkeit eines Studienergebnisses auf die Zielpopulation in einer der Evidenzklassifizierung vergleichbaren Skala abzubilden.757 Dabei besteht allerdings die Schwierigkeit, dass wesentliche Aspekte der externen Validität bislang unbekannt sind.758 Dies gilt insbesondere für die Art und die Auswirkungen möglicher Effektmodifikatoren. Zwar werden in der Literatur verschiedene Verfahren zur Bewertung der externen Evidenz von Studien vorgeschlagen,759 doch hat sich bislang keines durchge752 Ausführlich Perleth, ZEFQ 103 (2009), 412 (413); Gibis/Busse, in: Kunz et al. (Hrsg.), Evidenzbasierte Medizin, Kap. 6, S. 63 ff. 753 Perleth, ZEFQ 103 (2009), 412 (413). 754 Siehe hierzu Gibis/Busse, in: Kunz et al. (Hrsg.), Evidenzbasierte Medizin, Kap. 6, S. 63 ff.; Perleth, ZEFQ 103 (2009), 412 (413 f.). 755 Siehe hierzu Gibis/Busse, in: Kunz et al. (Hrsg.), Evidenzbasierte Medizin, Kap. 6, S. 63, 66. 756 Gibis/Busse, in: Kunz et al. (Hrsg.), Evidenzbasierte Medizin, Kap. 6.2, S. 66 f.; Perleth, ZEFQ 103 (2009), 412 (413). 757 Windeler, ZEFQ 102 (2008), 253 (258). 758 Windeler, ZEFQ 102 (2008), 253 (258). 759 Vgl. etwa Windeler, ZEFQ 102 (2008), 253 (256); Gibis/Busse, in: Kunz et al. (Hrsg.), Evidenzbasierte Medizin, Kap. 6.1, S. 61 ff.
294
15. Kap.: Das Verfahren der Methodenbewertung im G-BA
setzt. Die größte Relevanz kommt innerhalb der jüngeren wissenschaftlichen Diskussion dem sog. „GRADE-System“ zu.760 Dieses beruht auf einer Unterscheidung zwischen der Qualität der Evidenz und dem Grad einer Empfehlung für Handlungen im Gesundheitswesen.761 Dazu definiert GRADE die Qualität der Evidenz einer Studie als einen von mehreren Gradmessern762 für das Vertrauen in das Zutreffen eines ermittelten Effekts, der eine Handlungsempfehlung für bestimmte Populationen und Interventionen im Gesundheitswesen unterstützt.763 GRADE bietet den Vorteil, dass es in der Lage ist, den Grad der externen Evidenz einer Studie hierarchisch abzubilden. Das Verfahren wird bereits von einer Vielzahl führender internationaler Organisationen angewandt und befindet sich dadurch in einem stetigen Evaluationsprozess.764 Damit stellt GRADE eine Alternative für die Vorgehensweise des G-BA dar. Die für GRADE erforderliche Unterscheidung zwischen interner und externer Evidenz einer Studie ist in Kap. 2 § 11 V – VII VerfO G-BA bereits angelegt. Dabei kann auf den in Kap. 2 § 11 VI VerfO G-BA vorhandenen Kriterienkatalog zur internen Evidenz einer Studie zurückgegriffen werden. Darüber hinaus müsste die Norm um einen Katalog möglicher Effektmodifikatoren ergänzt werden. Hier bietet es sich an, zwischen solchen von der Seite des Arztes, des Patienten und des Leistungssystems zu unterscheiden.
VI. Abschließende Gesamtabwägung Den Abschluss des Bewertungsverfahrens bildet nach Kap. 2 § 13 VerfO G-BA die sog. „abschließende Gesamtabwägung im Versorgungskontext“. Dazu hat ein umfassender Abwägungsprozess unter Einbeziehung aller verfügbaren Unterlagen zu erfolgen. Dies setzt voraus, dass alle bei deren Auswertung ermittelten Faktoren miteinander in Beziehung gesetzt und gewichtet werden.765 Das Ergebnis des Prozesses hängt maßgeblich davon ab, welcher Stellenwert den bewertungsrelevanten Faktoren jeweils zugemessen wird. Dabei geht es nicht um rein medizinische oder juristische Fragen. Vielmehr sind auch ökonomische, soziale und gesellschaftliche Aspekte zu berücksichtigen.766 Detaillierte Regelungen, wie diese Abwägung stattfinden soll, enthält die Verfahrensordnung nicht. Dies ist deswegen nicht zu beanstanden, weil der Prozess auf-
760
Ausführlich Schünemann, ZEFQ 103 (2009), 391 m.w.N. Schünemann, ZEFQ 103 (2009), 391 mit Anwendungsbeispielen. 762 Zu den übrigen Kriterien vgl. Schünemann, ZEFQ 103 (2009), 391 (396). 763 Schünemann, ZEFQ 103 (2009), 391 (399). 764 Schünemann, ZEFQ 103 (2009), 391 (392) m.w.N. 765 Bertelsmann/Roters/Bronner, ZaeFQ 101 (2007), 455 (459); Schlottmann/Weddehage, NZS 2008, 411 (417 f.). 766 Vgl. Schlottmann/Weddehage, NZS 2008, 411 (418); Bertelsmann/Roters/Bronner, ZaeFQ 101 (2007), 455 (460). 761
F. Abschluss des Bewertungsverfahrens
295
grund seiner enormen Komplexität und Individualität einer Regulierung nicht oder höchstens ansatzweise zugänglich ist.767
F. Abschluss des Bewertungsverfahrens Das Plenum des G-BA entscheidet gem. Kap. 2 § 14 I VerfO G-BA i.V.m. Kap. 1 § 6 VerfO G-BA i.V.m. §§ 9 ff. GeschO G-BA über den Abschluss des Bewertungsverfahrens. Wie diese Entscheidung ausfällt, richtet sich zunächst danach, ob ausreichende Evidenz vorliegt, die dem G-BA eine Entscheidungsfindung ermöglicht (arg. ex. Kap. 2 § 14 I, IV VerfO G-BA). Dabei ist jedoch nicht erforderlich, dass Studien der jeweils höchsten Evidenzklasse vorliegen. Entscheidend ist die Verfügbarkeit einer ausreichenden wissenschaftlichen Basis, die eine sachgerechte Beurteilung der Methode ermöglicht. Wann dieses Kriterium erfüllt ist, richtet sich nach der konkreten Methode, die im Einzelfall den Bewertungsgegenstand bildet. Kann der G-BA auf dieser Grundlage feststellen, dass eine Methode den Kriterien des § 135 I 1 SGB V entspricht, lässt er sie durch eine entsprechende Richtlinie zur vertragsärztlichen Versorgung zu (Kap. 2 § 12 I VerfO G-BA). In diesem Fall soll er nach Kap. 2 § 14 II VerfO G-BA Empfehlungen über die notwendige Qualifikation der Ärztinnen und Ärzte, apparative Anforderungen, Anforderungen an Maßnahmen der Qualitätssicherung und die erforderlichen Aufzeichnungen über die ärztliche Behandlung abgeben. Dies entspricht dem Wortlaut des § 135 I 1 SGB V.768 Stellt der G-BA fest, dass eine Methode den Kriterien des § 137c SGB V nicht entspricht, so schließt er diese umgekehrt von der stationären Versorgung aus (Kap. 2 § 12 III VerfO G-BA). Besteht dagegen nach Einschätzung des G-BA zum Entscheidungszeitpunkt noch keine ausreichende wissenschaftliche Basis, um eine Methode zu beurteilen, so kann er im Bereich der ambulanten Versorgung beschließen, dass eine Beschlussfassung für den Zeitraum einer vom Bundesausschuss bestimmten Frist ausgesetzt wird, bis die erforderlichen Unterlagen beschafft sind (Kap. 2 § 14 IV Var. 1 VerfO G-BA). Im Bereich der stationären Versorgung kann dagegen beschlossen werden, dass der Nachweis des Nutzens mittels klinischer Studien geführt werden kann (Kap. 2 § 14 IV Var. 2 VerfO G-BA). Dies entspricht der gesetzlichen Regelung in § 137c II SGB V.
767
Ebenso Bertelsmann/Roters/Bronner, ZaeFQ 101 (2007), 455 (460) und Schlottmann/Weddehage, NZS 2008, 411 (418), die allerdings Vorschläge für „flexible Entscheidungskorridore“ des G-BA liefern. 768 Vgl. oben 14. Kapitel, A. I. 4. b. bb.
296
15. Kap.: Das Verfahren der Methodenbewertung im G-BA
G. Fazit Der G-BA setzt nicht selbst den medizinischen Standard fest, sondern überprüft im Bewertungsverfahren, ob sich ein solcher aus der Quantität und der Qualität der wissenschaftlichen Erkenntnisse zu einer bestimmten Untersuchungs- oder Behandlungsmethode ergibt. Dies erfolgt unter Zugrundelegung der Grundsätze der ebM, welche eine mehrstufige Auswertung des im Einzelfall verfügbaren wissenschaftlichen Materials erfordern. Im Zentrum dieses Vorgangs steht dessen Evidenzklassifizierung und Qualitätsbewertung. Dieser ermöglicht es, die nach § 2 I 3 SGB V erforderlichen Aussagen über Quantität und Qualität des verfügbaren Materials in einem formalisierten Verfahren zu treffen.769 Unwägbarkeiten ergeben sich jedoch daraus, dass die Methodik zur Bewertung der externen Validität der Studienergebnisse als Bestandteil der Qualitätsbewertung bei weitem nicht so ausgereift ist, wie diejenige zur Evidenzklassifizierung. Die Auswirkungen einer Behandlungsmethode auf eine bestimmte Zielpopulation können deswegen nur mit einer verringerten Präzision vorausgesagt werden. Dabei handelt es sich um eine Schwachstelle, die speziell aus der Anwendung der Grundsätze der ebM auf Versorgungsentscheidungen auf Systemebene resultiert. Da es sich bei der externen Validität einer Studie um ein entscheidendes Kriterium evidenzbasierter Gesundheitsversorgung auf Systemebene handelt, welches die Frage der Übertragbarkeit von Studienergebnissen auf den einzelnen Patienten bei der klinischen ebM ersetzt, erweist sich dies als äußerst bedenklich.770 Entgegenzuwirken ist der weit verbreiteten Auffassung, dass der G-BA seine Beschlüsse allein auf der Grundlage von Studien zur absolut höchsten Evidenzklasse treffe. Dass dies unzutreffend ist, ergibt sich schon aus der Existenz unterschiedlicher Evidenzklassen, auf die die Verfahrensordnung des Gremiums ausdrücklichen Bezug nimmt. Es ist anerkannt, dass es medizinische Fragestellungen gibt, die sich aus bestimmten Gründen nicht oder nur erschwert in einer kontrollierten Studie untersuchen lassen.771 Liegt ein solcher Fall vor, regelt Kap. 2 § 13 II 5 VerfO G-BA, dass die Anerkennung des Nutzens und die Anerkennung der medizinischen Notwendigkeit zwar auf der Grundlage niedrigerer Evidenzstufen erfolgen kann, dies zum Schutz der Patienten aber einer umso stärkeren Begründung bedarf, je weiter von Evidenzstufe I abgewichen wird. Dies dient der Kompensation niedriger Evidenz im Einzelfall.772 Die Analyse der zur Methodenbewertung maßgeblichen Normen der Verfahrensordnung des G-BA ergab folgenden Befund: Kap. 2 § 4 II VerfO G-BA ist nichtig, weil die Norm den Kreis möglicher Antragsteller im Verfahren nach § 137c I SGB V in nicht gesetzeskonformer Weise 769
Vgl. dazu oben 13. Kapitel, D. II. 1. a. aa. A.A. Roters, NZS 2010, 612 (614), der darauf hinweist, dass die (methodischen) Unsicherheiten nicht den Einsatz der evidenzbasierten Medizin als wissenschaftliche Methodik in Zweifel ziehen könnten, weil ohne sie die Unsicherheiten noch größer würden. 771 Ausführlich Schwalm/Perleth/Matthias, ZEFQ 104 (2010), 323 (325). 772 Instruktiv zum Umgang des G-BA mit schwacher oder fehlender Evidenz Schwalm/ Perleth/Matthias, ZEFQ 104 (2010), 323 ff. 770
G. Fazit
297
verengt.773 Nichtig ist auch Kap. 2 § 10 II Nr. 3 VerfO G-BA, weil die Bestimmung davon ausgeht, dass eine Kosten-Nutzen-Bewertung der jeweiligen Untersuchungs- und Behandlungsmethode nicht nur dann stattfindet, wenn mehrere gleichartige Verfahren vorhanden sind, sondern diese generell anordnet.774 Unklar ist Kap. 2 § 10 II Nr. 1e VerfO G-BA.775 Es wird nicht deutlich, ob die Norm den Nachweis eines Zusatznutzens neuer Methoden verlangt. Sollte dies der Fall sein, läge auch hierin ein Verstoß gegen höherrangiges Gesetzesrecht, was ebenfalls zur Nichtigkeit der Bestimmung führte.
773 774 775
Vgl. dazu oben 15. Kapitel, D. I. 1. Vgl. dazu oben 15. Kapitel, E. II. 3. b. Vgl. dazu oben 15. Kapitel, E. II. 1. b.
16. Kapitel: Gesamtergebnis Bei der Integration neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in den Leistungsanspruch des Versicherten handelt es sich um ein äußerst komplexes Verfahren. Die Hauptlast der Entscheidung liegt nach dem Rechtskonkretisierungskonzept des BSG auf dem G-BA. Diesem obliegt die Aufgabe, auf der Grundlage der gesetzlichen Vorschriften des SGB V ein Verfahren zu entwickeln, das die rechtssichere und zuverlässige Integration des medizinischen Fortschritts in den Leistungsumfang der GKV zeitnah ermöglicht. Die Tätigkeit des G-BA wird dadurch erschwert, dass das SGB V zur Feststellung der GKV-Konformität einer Leistung in den §§ 2 I, 12 I, 27 ff., 70 ff., 92 I 1, 135 I 1, 137c I eine Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe verwendet, die sich zwar nicht wörtlich, aber inhaltlich überschneiden. Deswegen wäre zu erwarten gewesen, dass der G-BA als zentrales Entscheidungsorgan der GKV diese in seiner Verfahrensordnung abschließend definiert. Hervorzuheben ist, dass sich auch dort keine endgültige Definition der Begriffe des Nutzens, der Notwendigkeit und der Wirtschaftlichkeit einer Methode findet. Jedoch geht es entschieden zu weit, hieraus die Schlussfolgerung zu ziehen, dass der G-BA seine Beschlüsse willkürlich oder in der Manier eines absolutistischen Herrschers fasse. Allerdings bewegt sich das Germium – im Bereich eines als politisch hochsensibel einzustufenden Terrains – auf einem schmalen Grat zwischen Entscheidungstransparenz und –intransparenz. Die Zurückhaltung des Gremiums bei der Definition der maßgeblichen Bewertungskriterien erklärt sich daraus, dass die Gefahr vermieden werden sollte, nicht flexibel genug auf neue medizinische Sachverhalte und Evaluationsmethoden reagieren zu können. Gerade die Probleme bei der Feststellung der externen Validität der Studienergebnisse und der Durchführung sowie Festlegung eines sachgerechten ökonomischen Analyseverfahrens zeigen, dass die Methodik zur Erzeugung evidenzbasierter Versorgungsentscheidungen auf Systemebene bis zum heutigen Tage keineswegs bis in jedes Detail ausgereift ist und ebenfalls einem stetigen Evaluationsprozess unterliegt. Das Verfahren zur Bewertung der externen Validität von Studienergebnissen steckt zwar nicht mehr in den Kinderschuhen, befindet sich aber zumindest noch am Anfang seiner Entwicklung. Dies führt natürlich dazu, dass die Richtlinienbeschlüsse, die auf der derzeitigen Grundlage ergehen, bereits im Vorfeld aus verschiedenen Blickwinkeln genau überprüft und abgewogen werden müssen. Deswegen kommt der abschließenden Gesamtabwägung, die in der Verfahrensordnung des G-BA vorgesehen ist, entscheidende Bedeutung zu. Mit Recht wird darauf hingewiesen, dass bei diesem Prozess nicht nur medizinische und rechtliche, sondern gerade auch ökonomische, soziale und gesellschaftliche Aspekte zu berücksichtigen seien.776 Vgl. Schlottmann/Weddehage, NZS 2008, 411 (418); Bertelsmann/Roters/Bronner, ZaeFQ 101 (2007), 450 (460). 776
C. Zimmermann, Der Gemeinsame Bundesausschuss, Kölner Schriften zum Medizinrecht, DOI 10.1007/978-3-642-22752-3_16, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
Zusammenfassung in Thesen Teil 2: Normsetzung durch Richtlinien 1.
2.
3.
Bei den Richtlinien i.S.d. § 92 I 1 SGB V handelt es sich um untergesetzliche Rechtsnormen sui generis mit einer gesetzesähnlichen Breitenwirkung, die vom G-BA als juristischer Person des öffentlichen Rechts erlassen werden (vgl. 8. Kapitel, C. IV. 4.). a) Der G-BA ist eine juristische Person sui generis. Das Gremium vereint in seiner Struktur sowohl körperschaftliche, als auch anstaltliche Elemente (vgl. 8. Kapitel, B. III. 5.). b) Der G-BA ist ein funktionaler Selbstverwaltungsträger. Durch den Beschluss von Richtlinien zur Sicherung einer dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechenden Versorgung nehmen Vertragsärzte, Krankenkassen und zugelassene Krankenhäuser eine öffentliche Angelegenheit wahr. Die körperschaftsähnliche Struktur des Gremiums ermöglicht ihnen eine angemessene demokratische Entscheidungsteilhabe. Die für einen Selbstverwaltungsträger erforderliche Interessenhomogenität ergibt sich aus dem übergeordneten Interesse aller Beteiligten am Fortbestand der GKV (vgl. 8. Kapitel, C. II. 2. c. bb.). c) Die Richtlinien des G-BA erweisen sich als zulässige Form der Normsetzung. Das Grundgesetz beschränkt den Gesetzgeber nicht auf bestimmte Rechtsetzungsformen (vgl. 8. Kapitel, C. IV. 2. d.). Die institutionelle Legitimation des G-BA folgt aus Art. 87 III 1 GG. Die Rechtsetzung durch ein derartiges Gremium der mittelbaren Staatsverwaltung ist deswegen mit dem Grundgesetz vereinbar (vgl. 9. Kapitel, D.). a) Die erforderliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Ausgestaltung der Leistungserbringung ergibt sich nicht nur im ambulanten, sondern auch im stationären Sektor aus Art. 74 I Nr. 12 GG (vgl. 9. Kapitel, C. I. 3.). b) Die organisationsrechtliche Einordnung des G-BA als juristische Person sui generis steht dessen institutioneller Legitimation nicht entgegen. Das Grundgesetz gebietet dem Staat nicht, Verwaltungsaufgaben durch bestimmte öffentlich-rechtliche Organisationsformen wie Körperschaften, Stiftungen oder Anstalten durchführen zu lassen (vgl. 9. Kapitel, C. II.). Die demokratische Legitimation des G-BA zur Rechtsetzung durch Richtlinien gegenüber dem gesamten in § 91 VI SGB V genannten Personenkreis vermag nur das Modell der kollektiv-personellen Legitimation zu begründen (vgl. 10. Kapitel, E. III. 2. und IV). a) Nach dem Modell der kollektiv-personellen Legitimation verfügen die Mtiglieder des G-BA über eine direkte parlamentarisch vermittelte demokratische Legitimation. Die erforderliche „genuin personelle Prägung“ des Gründungsaktes des G-BA ergibt sich daraus, dass der parlamentarische Gesetzgeber dem GKV-Spitzenverband, den Kassenärztlichen Bun-
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4.
Zusammenfassung in Thesen
desvereinigungen und der DKG als Gruppenrepräsentanten von Krankenkassen, Vertragsärzten, zugelassenen Krankenhäusern und Versicherten demokratische Teilhaberechte im Beschlussgremium des G-BA zugewiesen hat. Da der Bundesausschuss seine kollektiv-personelle Legitimation vom parlamentarischen Gesetzgeber und damit vom Bundesvolk ableitet, bleibt diese prinzipiell auch gegenüber den sog. „Externen“ wirksam. Es fehlt in diesem Fall lediglich am selbstverwaltungstypisch gesteigerten Legitimationsniveau. Dies kann allerdings durch ein entsprechendes Maß an sachlich-inhaltlicher Legitimation ausgeglichen werden (vgl. 10. Kapitel, C. III. 2.). b) Die sachlich-inhaltliche Legitimation des G-BA führt in der Gesamtschau mit der kollektiv-personellen Legitimation des Gremiums zu einem effektiven Niveau demokratischer Legitimation nicht nur gegenüber den von den Mitgliedern des Beschlussgremiums repräsentierten Personengruppen, sondern auch gegenüber den übrigen von der Regelungswirkung der Richtlinien Betroffenen. (a) Die Richtlinienermächtigung des § 92 I 1 SGB V genügt – für sich betrachtet – dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot. Allerdings ist die von ihr ausgehende Vorprogrammierung der Aufgabenwahrnehmung des G-BA vergleichsweise gering (vgl. 10. Kapitel, D. IV.). (b) Dieses „relative Minus“ an staatlicher Lenkung wird durch ein „relatives Plus“ an staatlicher Kontrolle aufgewogen. Sowohl die Verfahrens- als auch die Geschäftsordnung des G-BA bedürfen nach § 91 IV 2 SGB V der Genehmigung durch das Bundesgesundheitsministerium. Dies eröffnet dem Staat einen erhöhten Einfluss auf den formalen und inhaltlichen Ablauf des Verfahrens zum Richtlinienbeschluss (vgl. 10. Kapitel, D. IV.). Die Interpretation der Richtlinien als untergesetzliche Rechtsnormen sui generis mit gesetzesähnlicher Breitenwirkung, deren Bindungswirkung gegenüber dem in § 91 VI SGB V genannten Personenkreis sich über das Modell der kollektiv-personellen Legitimation rechtfertigen lässt, ermöglicht eine Zusammenführung der bisher divergierenden Rechtsprechung des 1. und 6. Senates des BSG (vgl. 10. Kapitel, E. IV).
Teil 3: Integration neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in den Leistungsanspruch des Versicherten 1.
§ 27 I 1 SGB V räumt den GKV-Versicherten ein Rahmenrecht auf Krankenbehandlung ein, welches durch die Mechanismen des Leistungserbringerrechts zu einem vollwertigen Anspruch i.S.d. § 194 I BGB verdichtet wird (vgl. 13. Kapitel, B. und D. II.).
Zusammenfassung in Thesen
a)
303
Entscheidend für die Integration einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode in den Leistungsanspruch des Versicherten ist deren GKV-Konformität (vgl. 13. Kapitel, E. bzw. D. II.). b) Eine neue Untersuchungs- oder Behandlungsmethode ist dann GKVkonform, wenn deren Wirksamkeit, Qualität und Wirtschaftlichkeit dem allgemein anerkannten Stand medizinischer Erkenntnisse entsprechen. (a) Der „allgemein anerkannte Stand medizinischer Erkenntnisse“ ist das Maß, an dem sich die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu Wirksamkeit, Qualität und Wirtschaftlichkeit einer neuen Untersuchungsoder Behandlungsmethode messen lassen müssen. Es handelt sich primär um einen außerrechtlichen Begriff, dessen Inhalt nur mit Hilfe der Medizin und der Gesundheitsökonomie zu bestimmen ist. Aus juristischer Sicht ist entscheidend, dass er sich auf den Grad der quantitativen und qualitativen Anerkennung der wissenschaftlichen Erkenntnisse über eine bestimmte Methode zu einem bestimmten Zeitpunkt bezieht. Er kann als „herrschende Meinung“ innerhalb der medizinischen Fortschung und Praxis in Bezug auf Wirksamkeit, Qualität und Wirtschaftlichkeit einer bestimmten Methode umschrieben werden (vgl. 13. Kapitel, D. II. 1. a. aa.). (b) Qualität und Wirksamkeit einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode stehen in einem korrelativen Zusammenhang zueinander. Deren Eignung bei bestimmten Indikationen klinisch relevante Wirkungen zu erzielen, hängt häufig von der Wahrung eines bestimmten qualitativen Niveaus bei der Leistungserbringung ab (vgl. 13. Kapitel, D. II. 1. a. bb.). (c) Bei der Feststellung der Wirtschaftlichkeit einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode handelt es sich um einen äußerst komplexen Vorgang. Besondere Probleme wirft derzeit die Bestimmung der Wirtschaftlichkeit im engeren Sinne auf. Dieses Kriterium zielt auf die Feststellung und Bewertung einer Relation zwischen deren Kosten und deren Nutzen. Nach der derzeitigen Gesetzeslage handelt es sich dabei nur um ein Instrument der Rationalisierung, nicht jedoch der Rationierung (vgl. 13. Kapitel, D. II. 1. b. dd. (1) und (2)). (1) Der Begriff der „Kosten“ bezieht sich auf diejenigen finanziellen Mittel, die der Krankenkasse nach den Vorgaben des Vergütungsrechts zur Vergütung des handelnden Leistungserbringers entstehen oder voraussichtlich entstehen werden (vgl. 13. Kapitel, D. II. 1. b. dd. (3) (aa)). (2) Der Begriff des „Nutzens“ bezeichnet in seinem weiteren Sinn das Ergebnis einer Gesamtabwägung aller positiven und negativen Auswirkungen einer medizinischen Leistung auf den Gesundheitszustand des Versicherten, insbesondere bezogen auf Kriterien wie Mortalität, Morbidität und Lebensqualität (vgl. 13. Kapitel, D. II. 1. b. dd. (3) (bb)).
304
2.
Zusammenfassung in Thesen
(3) Die Relation zwischen Kosten und Nutzen einer Methode ist durch ein gesundheitsökonomisches Analyseverfahren zu bestimmen. Dieses muss dem mehrdimensionalen Nutzenbegriff des SGB V gerecht werden. Obwohl die einzelnen Schritte des Ablaufs eines derartigen Verfahrens derzeit noch mit erheblichen Unwägbarkeiten behaftet sind, weist die sog. „KostenEffektivitäts-Analyse“ die größte Schnittmenge mit den Vorgaben des Gesetzgebers auf (vgl. 13. Kapitel, D. II. 1. b. dd. (3) (dd)). c) Durch die Aufnahme einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode in den Leistungskatalog der GKV wird nicht nur das Spektrum möglicher Behandlungsformen, sondern auch die Reichweite des sozialrechtlichen Krankheitsbegriffs erweitert (vgl. 13. Kapitel, C. II. 2.). Die Integration neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in den Leistungsanspruch des GKV-Versicherten erfolgt im ambulanten und im stationären Sektor in unterschiedlichen Verfahren. Dies folgt daraus, dass § 135 I 1 SGB V die Erbringung neuer Methoden im ambulanten Sektor bis zu einer anerkennenden Richtlinie des G-BA verbietet, § 137c I SGB V die Erbringung neuer Methoden jedoch bis zu einer gegenteiligen Richtlinie des G-BA erlaubt (vgl. 14. Kapitel). a) Bei der Integration einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode in die ambulante Versorgung handelt es sich um ein zweistufiges Verfahren. Nach der konstitutiven Richtlinienempfehlung des G-BA ist ein daran anschließender Beschluss des Bewertungsausschusses über deren Aufnahme in den Einheitlichen Bewertungsmaßstab erforderlich. Erst dann kann die neue Methode vom Vertragsarzt angewendet und vom Versicherten beansprucht werden (vgl. 14. Kapitel, A.). (a) Die Kriterien zur Feststellung der GKV-Konformität einer Methode im Verfahren nach § 135 I 1 SGB V entsprechen den Vorgaben des allgemeinen Teils des SGB V. Nach der derzeitigen Gesetzeslage ist das Vorliegen eines sog. „Zusatznutzens“ einer neuen Methode nicht erforderlich. Es reicht aus, wenn die Nutzen-Risiko-Bilanz der neuen Methode mindestens dem Niveau der bereits anerkannten Methoden entspricht (vgl. 14. Kapitel, A. I. 4. b.). (b) Dem Bewertungsausschuss obliegt hauptsächlich die Integration neuer Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden in das vertragsärztliche Vergütungsrecht. Sein Entscheidungsspielraum wird allerdings maßgeblich durch den Inhalt der Richtlinien des G-BA determiniert. Dies ergibt sich primär aus § 72 II 1 SGB V, der den Richtlinien des G-BA Vorrang gegenüber allen anderen Mechanismen sozialrechtstypischer Rechtsetzung einräumt. Im Anwendungsbereich des § 135 I 1 SGB V ist der Bewertungsausschuss daher an das Urteil des G-BA über die GKV-Konformität einer Methode gebunden. Auch hat er sich bei der Leistungsdefinition am durch den G-BA beschlossenen Richtlinieninhalt zu orientieren. Ein gewisser Entscheidungsspielraum besteht lediglich in zeitlicher Hinsicht, wenn kein
Zusammenfassung in Thesen
3.
305
ausreichender Vergütungsrahmen für die Anwendung einer neuen Methode entsteht sowie bei der Vergabe einer Leistungspunktzahl (vgl. 14. Kapitel, A. II. 3., 4., 5.). b) Zur Integration einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode in die stationäre Versorgung ist kein Zulassungsverfahren vor dem G-BA notwendig. Statt dessen ist erforderlich, dass sich die jeweilige Methode dem Versorgungsauftrag des in Anspruch genommenen Krankenhauses zuordnen lässt, deren Vergütung entweder durch bestehende Fallpauschalen oder eine individuelle Vergütungsvereinbarung zwischen einer Krankenkasse und einem Krankenhaus möglich ist und die Methode nicht durch eine Richtlinie des G-BA i.S.d. § 137c I SGB V von der Versorgung ausgeschlossen wurde (vgl. 14. Kapitel, B.). (a) Der Versorgungsauftrag des jeweiligen Krankenhauses ist der Schlüsselbegriff bei der Bestimmung des Inhalts des Leistungsanspruchs des Versicherten. Er richtet sich nach dem konkreten Versorgungsbedarf im Einzugsbereich einer Klinik und wird einzelfallbezogen festgelegt. Typischerweise werden dem Krankenhaus bei der Zulassung zur Leistungserbringung in der GKV bestimmte Fachabteilungen oder medizinische Disziplinen vorgegeben, anhand derer sich der Versorgungsauftrag bestimmen lässt. Begehrt ein Versicherter in einem Krankenhaus die Anwendung einer bestimmten Methode, so ist entscheidend, ob sich diese einer der im Krankenhaus verfügbaren medizinischen Fachabteilungen zuordnen lässt. Davon ist auszugehen, wenn die Methode typischerweise in einer der fraglichen Abteilungen erbracht werden kann (vgl.14. Kapitel, B. I. 3.). (b) Die Kriterien zur Feststellung der GKV-Konformität einer Methode im Verfahren nach § 137c I SGB V entsprechen den Vorgaben des allgemeinen Teils des SGB V. Der Ausschluss einer Methode aus der stationären Versorgung wirkt sich unmittelbar auf den Versorgungsauftrag aller zugelassenen Krankenhäuser aus. Der Einfluss einer Richtlinie auf den Versorgungsauftrag lässt sich nur so interpretieren, dass die jeweilige Methode partiell aus dessen Umfang subtrahiert wird. Dies ist bemerkenswert, weil der Versorgungsauftrag des Krankenhauses grundsätzlich von den Ländern festgesetzt wird. Die aus einem Bundesgesetz stammende Richtlinienkompetenz des G-BA überlagert deren Planungskompetenz (vgl.14. Kapitel, B. III. 4. b. bb.; 5. a.). Maßgeblich für das Verfahren der Methodenbewertung im G-BA ist dessen Verfahrensordnung. Der Bundesausschuss beurteilt nicht unmittelbar selbst, ob die medizinischen Leistungen dem Leistungsstandard des § 2 SGB V entsprechen. Er bewertet das Meinungsbild des zu einer bestimmten Methode verfügbaren wissenschaftlichen Materials (vgl. 15. Kapitel, A.). a) Bei der Verfahrensordnung des G-BA handelt es sich um eine normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift, die als normative Zwischenschicht die weit gefasste Generalklausel des § 92 I 1 SGB V und die übrigen un-
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Zusammenfassung in Thesen
bestimmten Rechtsbegriffe des SGB V anwendbar machen soll (vgl. 15. Kapitel, B.). b) Zur Bewertung des verfügbaren wissenschaftlichen Materials zur GKVKonformität einer Methode bedient sich der G-BA des Verfahrens der sog. „evidenzbasierten Gesundheitsversorgung“, welches eine Sonderform der herkömmlichen evidenzbasierten Medizin darstellt. In einem schematisierten Verfahren wird das zu einer Methode verfügbare wissenschaftliche Material nach bestimmten Kriterien bewertet, um eine Aussage über die Verlässlichkeit der vorliegenden Daten und deren Übertragbarkeit auf den Versorgungskontext treffen zu können (vgl. 15. Kapitel, E. I. 3.). c) Die Verfahrensordnung schreibt die Bewertung der GKV-Konformität einer Methode anhand ihres Nutzens, ihrer Notwendigkeit und ihrer Wirtschaftlichkeit vor. Dies entspricht zwar nicht wörtlich, aber inhaltlich den Vorgaben des SGB V (vgl. 15. Kapitel, E. II.). d) Die Verfahrensordnung enthält keine abschließende Definition der relevanten Bewertungskriterien. Sie stellt – in jeweils nicht abschließender Form – Kriterienkataloge auf, anhand derer ein Rückschluss auf das Begriffsverständnis des G-BA gezogen werden kann. Bei der Prüfung des Nutzens einer Methode sollte klargestellt werden, dass das Vorliegen eines Zusatznutzens nach der derzeitigen Rechtslage nicht erforderlich ist. Zudem ist die Wirtschaftlichkeit (im engeren Sinne) einer Methode nur dann entscheidungsrelevant, wenn diagnostische oder therapeutische Alternativen verfügbar sind (vgl. 15. Kapitel, E. II.). e) Der G-BA trifft seine Beschlüsse nicht allein auf der Grundlage von Studien zur absolut höchsten Evidenzklasse. Vielmehr verfährt er nach dem Grundsatz, dass die Anerkennung einer Methode auch auf der Grundlage von niedrigen Evidenzstufen erfolgen kann, wenn das Fehlen höherwertiger Studien aus der spezifischen Eigenart einer medizinischen Fragestellung resultiert. Der Ausfall hochwertiger Evidenz muss allerdings durch eine besondere Versorgungsnotwendigkeit kompensiert werden (vgl. 15. Kapitel, G.)
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