Roman Odermatt
Die Feuersteinbesitzer 1994 Originaltitel der Gesammelten Werke: Die Feuersteinbesitzer (Band 4)
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Roman Odermatt
Die Feuersteinbesitzer 1994 Originaltitel der Gesammelten Werke: Die Feuersteinbesitzer (Band 4)
K
urz nach dem Tod des alten Josef Brandstetter wurden in
Stans einige verstaubte Dokumente gefunden. Es waren Seiten aus einem Tagebuch. Die Leute, die Brandstetters Hausrat fortschafften, schenkten dem Fund keine grosse Beachtung. So kam es, dass ich in den Besitz dieser Schriftstücke gelangte. Sie bilden die Grundlage für die vorliegende Erzählung. Es sind die Aufzeichnungen eines heimgekehrten Eidgenossen, den es in jungen Jahren in die Neue Welt verschlagen hatte. Josef Brandstetter stammte aus einer einfachen Stanser Familie, die in ärmlichen Verhältnissen lebte. Der Vater war Hufschmied. Bei einem Aufenthalt in Zürich hatte er Beziehungen mit den Protestanten angeknüpft. Nach Stans zurückgekehrt, versuchte er seine Landsleute ebenfalls für die evangelische Lehre zu gewinnen. Für die gottesfürchtigen Waldstätter aber waren seine Reden Gotteslästerung. Der Pfarrer und die Ratsherren zu Stans missbilligten Brandstetters Reden ebenfalls. Die Waldstätter hatten nämlich den festen Glauben, dass jeder Mensch, welcher der neuen Lehre verfallen war, in die Hölle kommen musste. Doch den Hufschmied schien das nicht zu beeindrucken. Er verlästerte Gott weiter. Die Stanser erklärten die Familie Brandstetter in Acht und Bann. Aber es half nichts. Und schliesslich kam es, wie es kommen musste. Die Waldstätter aus Nidwalden brachen den Stab endgültig über der Familie, für die es keine Rettung mehr gab. Folglich weihten die Gottgefälligen ihr Leben der Aufgabe, den Gotteslästerern die Hölle schon auf Erden zu bereiten.
Der Not gehorchend, verliess Vater Brandstetter Stans, zusammen mit seiner Frau und dem kleinen Josef, und zog nach Altdorf. Dort wurde gerade eine Kompanie für den Kurfürsten von Hannover aufgestellt. Es war die Zeit, als viele Eidgenossen in fremden Solddienst traten. Die Brandstetters marschierten mit den Söldnern nach Basel. Sie schifften sich auf einem Rheinkahn ein. Er brachte sie nach Düsseldorf hinunter. Der Weg führte sie durch die Westfälische Bucht und den Teutoburger Wald nach Hannover. Dort war ein englisches Garderegiment Georgs III., des hannoverschen Königs von England und Kurfürsten von Hannover, stationiert. Dieses Garderegiment machte sich gerade auf den Heimweg nach England. Die Familie Brandstetter schloss sich der Truppe an. In Portsmouth ging man an Land . . . Die aufgefundenen Notizen in dem Tagebuch waren so phantastisch, dass ich mich entschloss, Josefs Abenteuer in diesem Buch niederzuschreiben. Roman Odermatt
Der mittlere Mann ist ein Irokese mit langem Haar, Federkopfschmuck, Nasenring und dem Tomahawk in der Hand. Er kommt vom Osten der Grossen Seen, wo die Irokesen vorwiegend vom Ackerbau leben und mit fünf Stämmen den politisch straff organisierten Irokesenbund geschlossen haben. Links steht ein Osage-Krieger, dessen Stamm zu den in der Prärie jagenden Sioux gehört. Er trägt ein Büffelfell, Leggings mit Skalptrophäen und eine Halskette aus Bärenklauen. Die Skalplocke seines halbgeschorenen Kopfes ist mit Hirschhaaren verziert. Unscheinbar neben den Männern wirkt eine PawneeFrau aus dem Volk der Caddo, die westlich des Missouri Maisbau betreiben.
1. Kapitel
Waldstätter am Yadkin River „
H
e! Josef Brandstetter! Habe deine Indianerfreunde unten am
Yadkin gesehen!“ johlte der Hans Amrein von der anderen Strassenseite herüber. „Die Rothäute sehen aus, wie sie in deinem Buch beschrieben sind! Wenn du willst, begleite ich dich zum Fluss hinunter!“ Ich blieb stehen und sperrte Mund und Nase auf. Indianer hier in Salisbury! Mir hüpfte das Herz vor Freude. Endlich! Lange hatte ich auf diesen Augenblick gewartet. Von den Indianern, die wir im Gebiet von New York, New Jersey und Virginia gesehen hatten, war ich enttäuscht. Verdorben durch den Umgang mit den weissen Siedlern, hatten sie ein jämmerliches Bild geboten. Es waren Delawaren gewesen, einst die unumschränkten Herren in den östlichen Gebieten. Die meisten waren aber nach dem Ansturm der Weissen nach Westen gezogen. Die Roten, die im Osten zu sehen waren, hatten um Whisky und Tabak gebettelt oder versucht, uns zu bestehlen. Ich hoffte nun endlich, hier in N.th Carolina „richtige“ Indianer zu 1 sehen. So, wie wir es in dem Buch von Daniel Boone gelesen hatten. „Von welchem Stamm sind die Roten eigentlich, Hans?“ fragte ich bei dem Jungen auf der anderen Strassenseite nach. „Weiss nicht! Sehen aber prächtig aus!“ 2 „Warte! Muss noch zum Store hinüber! Bin gleich zurück!“ Ich nahm meine beiden Beine unter die Arme und stand bald im Kramladen von Mr. Biddle. Dort verlangte ich ein Säckchen Schiesspulver. Er füllte es mir ab. Es war für meinen Vater. Ich steckte es in meine Rocktasche. Dann kehrte ich schnurstracks zu dem jungen Amrein zurück. Es gab in dem kleinen Marktflecken Salisbury wohl kaum einen ungestümeren Tugendbold und schaffigeren Rowdy als Hans Amrein, vielleicht abgesehen von dem jungen Andrew Jackson.
1
John Filson veröffentlichte 1784 einen Bericht über Daniel Boones Abenteuer, der den bescheidenen Waldläufer zum ersten Helden des Westens in der Literatur machte. Da die Abenteuer in der Ich-Form abgefasst waren, erweckte das den Eindruck, Boone erzähle seine Geschichte mit eigenen Worten. 2 amerikanisches Wort für Kramladen
Hans war noch ein junger Kerl von siebzehn Jahren. Er war somit im gleichen Alter wie ich. Er überragte mich allerdings um einen ganzen Kopf. Überhaupt war er viel breiter und kräftiger gebaut als ich. Er war der einzige Sohn des Büchsenmachers. Die Amreins waren Landsleute von uns. Unsere beiden Familien stammten aus den eidgenössischen Waldstätten. Eines Morgens hatte der alte Amrein die Werkstätte in Sarnen verlassen. Der hohe Herr in der schwarzen Amtstracht und den weissen „Mosestäfelchen“ am steifen Kragen hatte es ihm nahegelegt. Der Grund: in seinem Jähzorn hatte Johann Amrein den Pfaffen von Sarnen durchgehauen. Eine Anfrage des Sextars des Vierwaldstätterkapitels an den Stand Obwalden hatte den Stein ins Rollen gebracht. Die Lage war aussichtslos gewesen. Der Büchsenmacher hatte gehen müssen. Sein Schicksal war von andern besiegelt worden. In Altdorf waren wir mit den Amreins zusammengetroffen. Auch mein Vater, der Hufschmied war, hatte die Schmiede in Stans verlassen müssen. Jenen Ort, wo sich schon sein Urgrossvater Schwielen an die Hände gearbeitet hatte. Die beiden Väter hatten das Schicksal herausgefordert. Sie hatten verloren. Und wir mit ihnen. Wir waren in die Neue Welt gegangen. In der Gegend zwischen Chatham und Elizabethtown hatten wir zwei Blockhütten gebaut. Das schon lange besiedelte New Jersey war reich an Wild und Fisch gewesen. Wir hatten begonnen, ein Stück Land zu kultivieren. Aber schon bald waren wir weiter an den James River in Virginia gezogen. Doch auch dort hatte es uns nicht lange gehalten. Wir waren hierher nach Salisbury übergesiedelt. Die Leute von Salisbury waren ein Menschenschlag eigener Prägung. Sie hatten ihre eigenen Begriffe von Anstand und Sitte; sie kamen mir unbeugsam, manchmal gewalttätig vor. Aber sie waren unverzagt und geradlinig. Ihr unbändiger Freiheitswille hatte ihnen vor drei Jahren, mit dem Sieg von General George Washington in Yorktown, die Unabhängigkeit von der englischen Krone gebracht. Die Menschen am Yadkin River waren nun freie Bürger geworden, die für ihre eigene Ordnung sorgten. Sie warben nun auch Milizen an und schlichteten Streitigkeiten über Eigentumsrechte und Grundbesitz. Es war ihre Sache, Heiratsurkunden auszustellen, Testamente und Erbschaften zu beurkunden oder Schulden einzutreiben. Wenn sie einen Pferdedieb am Montag ergriffen, verurteilten sie ihn
gewöhnlich am Mittwoch und hängten ihn noch am Freitag der gleichen Woche auf. Die Leute von Salisbury waren aus dem gleichen Holz geschnitzt wie mein Vater, was die Frömmigkeit anging. Er hatte deshalb zu den Quäkern umgesattelt. Die Vertreibung aus den Waldstätten bereitete ihm noch immer Kummer. Ich sah die Sache mit anderen Augen. Was hatten wir eigentlich verloren? Ein scheinheiliges und heuchlerisches Vaterland! Landsleute, die uns gezwiebelt und geschurigelt hatten. Wie die Wölfe waren die Philister über uns hergefallen. Und jetzt grämte sich Vater. Er haderte mit seinem Schicksal. Halt müsse er finden, wolle er mit dem Leben zurechtkommen. Aber niemand sollte ihn bemitleiden. Trost fand er dann in den Wäldern am Yadkin River, durch die er mit seiner alten Armbrust streifte. Sie war ein Erbstück seines Urgrossvaters und hatte schon im Bauernkrieg ihre Dienste geleistet. Auf der Jagd sei sie zuverlässiger als die ungenauen Musketen. Von den neuen Kentucke-Büchsen wollte er nichts wissen. Der eigenbrötlerische Armbrustschütze war in Salisbury schon bald bekannt wie ein bunter Hund. Vater flüchtete in seine Arbeit. Hufschmiede seien an der Grenze gesucht, meinte er. Es sei deshalb nicht daran zu rütteln, dass ich die Schmiede eines Tages übernehmen müsse. Allein ich wollte daran keinen rechten Gefallen finden. In dem Nest Wurzeln schlagen, dazu verspürte ich wenig Lust. Sollte ich hier versauern? Nein! Weiter nach Westen wollte ich. Raus aus der Schmiede, in der ich noch den Mief der Waldstätte zu riechen glaubte. Vater hatte zuviel Ballast mit dem Schiff aus der alten Heimat herübergenommen. Zudem hielt er sich jetzt an die Quäker. Auf mich wirkten diese Moralisten rückständig, überlebt und altväterisch wie das graue Tuch, in das sie sich kleideten. Zum Glück hatte ich in Hans Amrein einen Verbündeten gefunden. Auch sein Vater litt noch unter der Verbannung aus den Waldstätten. In Virginia hatte er obendrein noch seine Frau begraben müssen, am James River. Seine einzige Hoffnung sei noch, hier am Yadkin River auch zur letzten Ruhe gebettet zu werden. Weit weg von den Leuten, die ihm die Schmach angetan hatten. Um die Pfaffen machte der Büchsenmacher im Gegensatz zu meinem Vater einen grossen Bogen. Wen mag es da wundern, wenn Hans und ich jede Gelegenheit benutzten, über das Land und deren Bewohner jenseits des Gebirges mehr zu erfahren? Vor allem aber über die Indianer zeigten wir uns interessiert. Die Abenteuererzählungen von Daniel
Boone fanden eifrige Leser in uns. Er war wie ein Silberstreif am Horizont. Es kam aber auch vor, dass leibhaftige Jäger und Waldläufer in Salisbury auftauchten, um hier ihre Pelze und Felle an den Mann zu bringen. Ihre Geschichten fielen bei uns auf fruchtbaren Boden. Je widerspruchsvoller die Erzählungen waren, desto bedeutungsvoller erschienen sie uns. Die Pioniere kamen meist aus den Bergwäldern der Appalachen und des Allegheny-Gebirges oder aus dem Hochland jenseits der Berge, dem BluegrassGebiet Kentucke's. Sie waren die Propheten einer anderen Welt. Unsere Schwärmerei für die Indianer nahm mit jedem Tag zu. Allerdings hatten wir, wie gesagt, nur wenige gesehen. Aber das Unbekannte lockt bekanntermassen. Nur schwach schimmerten die Wertvorstellungen der indianischen Ureinwohner zwischen den Zeilen jenes Buches hindurch, das die Entdeckung, Besiedlung und gegenwärtige Lage Kentucke's beschrieb und von den Abenteuern des Colonel Daniel Boone erzählte. Trotzdem war in mir ein Gefühl geweckt für jene Menschen, die sich als ein Teil der Natur verstanden und nicht wie wir Weisse ausserhalb von ihr standen. Sie verstanden offenbar die Erde und die Wälder nicht als ihr Eigentum. Sie trachteten nicht danach, diese auf schändliche Weise auszubeuten. Ich bewunderte diese Indianer. Sie erschienen mir pfiffiger, erfahrener und bewundernswerter als die meisten der Weissen. Trotzdem wurden sie verächtlich als Rothäute, Bettler, Diebe und Wilde bezeichnet. In mir reifte langsam der Gedanke, nach Kentucke zu reisen. Als ich dieses Ansinnen meinem Vater ankündigte, wollte er allerdings nichts davon wissen. Er habe ein anderes Ziel für mich im Auge, brachte er zum Ausdruck. Zudem tat er sich unendlich schwer mit der Vorstellung, dass diese Geschöpfe 3 des Waldes mehr zu bieten hatten als Tomahawks und Kriegskeulen. Was kümmerten ihn heidnische Anschauungen, die er nicht verstand! Für ihn zählte der Katechismus, die Arbeit und seine Familie. Nach anderen Werten und Ordnungen fragte er nicht. Ich schlug diesbezüglich nicht in die Art meines Vaters. Er wollte einen Hufschmied aus mir machen. Die Sache war für ihn damit erledigt. Ich schlug mir den einmal gefassten Plan aber nicht aus dem Kopf.
3
Streitaxt der Indianer
H
ans und ich sahen ihre Lederzelte schon von weitem, welche
die Roten am Fluss unten aufgeschlagen hatten. Dort wollten sie mit den bleichgesichtigen Bewohnern von Salisbury ihre Tauschgeschäfte abwickeln. Es war ein Bild geschäftigen Treibens und Debattierens. Es war aber auch ein Bild der Idylle und der Beschaulichkeit hier am Yadkin River, der ruhig und gleichmässig vorbeifloss. Es waren Cherokee-Indianer. Sie waren in diesen Frühlingstagen des Jahres 1785 aus den Blue Ridge Mountains nach Salisbury gekommen. Wir erreichten ihr Lager. So standen sie vor uns: fremdartige Menschen, unheimlich fast. Sie musterten uns mit einer kindlichen Neugier. Im Hintergrund zwischen den ersten Zelten sahen wir Kinder und Frauen. Neben ihren hochgewachsenen, muskulösen Männern wirkten diese eher unscheinbar. Die roten Krieger hatten sich prächtig hergerichtet. Sie trugen weissgegerbte und bemalte Büffelroben, mit Otterfell und 4 Hermelinstreifen besetzte Lederhemden, Leggings , die mit Skalptrophäen oder bunten Mustern von gefärbten Stachelschweinborsten verziert waren, Halsketten aus Bärenklauen 5 und bestickte Mokassins . In ihre langen Haare hatten sie sich Adlerfedern und Hirschhaare gesteckt. Fremdartige Waffen sahen wir ebenfalls: Tomahawks, gefiederte Lanzen, Speere, Bogen und Schilde, Skalpmesser, Streitkolben, Schilfblasrohre und einige Gewehre. Dafür interessierte sich vor allem Hans. Er war nämlich ein Waffennarr. Um ihre Geschäfte abwickeln zu können, hatten die Cherokee allerhand Tauschwaren herangeschleppt. Sie boten sowohl die kostbaren Fischotterpelze und Biberfelle als auch die weniger gefragten Pelze der Fischmarder und Kitfüchse feil. Auch einige Bisonfelle und Fischkörbe aus Hickoryspänen befanden sich im Angebot. Wir konnten beobachten, wie ein weisser Händler ein Reitpferd, von denen es hier am Yadkin River noch nicht so viele gab, gegen ein Bärenfell, zwanzig Biberpelze, eine Halskette aus Bärenkrallen, 4
Strumpfartige Hosen aus Bisonleder oder Hirschleder, die wie Röhren die Beine ganz bedeckten und an ihren oberen Enden Gürtel- oder Riemenschlaufen besassen, so dass sie um die Hüfte mit einem Gürtel befestigt werden konnten. Leggings erhielten als oberen Abschluss noch einen Lendenschurz, dessen Lappen vorne und hinten herunterhingen. 5 Schuhe aus einem Stück Hirsch- oder Bisonkalbleder, häufig mit einer Rohhautledersohle verstärkt, mit ganz kurzen oder längeren Schäften, zum Teil auch an den Leggings vernäht, häufig mit Perlen, Borsten, Klauen, Zähnen verziert.
fünf Hermelinpelze, zehn Adlerfedern und drei Bisonfelle eintauschte. Der neue Besitzer des Pferdes glaubte ein gutes Geschäft gemacht zu haben. Da die Indianer im allgemeinen erfahrene Pferdekenner waren, zweifelten wir nicht daran. Der Preis einer Tauschware richtete sich im übrigen nach Angebot und Nachfrage. Wir wandten uns ab. Einige Schritte von uns entfernt sahen wir Andrew Jackson, einen Kumpan von Hans. Er kam zwischen den Zelten hervor. Der junge Mann war etwas älter als wir. Seine Eltern stammten aus dem schottischen Ulster. Er hatte sie schon früh verloren. Mit vierzehn Jahren hatte er in den Reihen der örtlichen Miliz gekämpft. Dabei war er von britischen Dragonern gefangengenommen und in ein britisches Gefängnis geworfen worden. Eine Narbe auf seiner Stirn, die ihm ein sadistischer Offizier zugefügt hatte, stammte noch aus dieser Zeit. Wenn auch die Wunde verheilt war, so nährte sie noch immer einen tödlichen Hass auf England und die Engländer. Ich betrachtete sein hübsches Gesicht mit den harten Augen. In ihnen spiegelte sich ein masslos übertriebenes Ehrgefühl. Seit er im Dezember nach Salisbury gekommen war, führte er gleichzeitig das sorglose Leben eines Bonvivants und das eines Haudegens. Ein halbes Jahrhundert später sollten ihn die Jäger und Farmer zu ihrem Präsidenten ins Weisse Haus wählen. Ich kann mich noch gut an ihn erinnern. Er war der ausgelassenste Schreihals, der eifrigste Besucher von Hahnenkämpfen und Pferderennen, der hemmungsloseste Kartenspieler, der grösste Strolch, der je in Salisbury sein Unwesen getrieben hatte. Er war der Anführer aller Radaubrüder der Gegend. Der Schotte schien aufgeräumt zu sein, als er sich uns näherte. Unter dem Arm trug er ein Fässchen Rum. „Heda! Jack! Hallo! Joe!“ rief er uns zu. „Grüss dich, Andy!“ erwiderte Hans. „Was führt denn ihr im Schilde? Wollt ihr Geschäfte mit den Rothäuten machen?“ „Nee. Wie sieht es aber mit dir aus?“ Jackson deutete mit einem Kopfnicken auf sein Fässchen und lächelte. „Wollt ihr mal sehen, wie ein richtiger Yankee sein Schäfchen ins trockene bringt?“ fragte er grinsend und verrenkte sich den Hals nach einem geeigneten Geschäftspartner. Diesen schien er schliesslich in einem Roten mit einer stark gebogenen Nase und lebhaften Augen gefunden zu haben. Dieser
trug einen auffallenden Kopfputz. Er bestand aus zwei Gabelbockhörnern. Von deren Spitzen hingen Büschel von rotgefärbten Hirschhaaren herab. Jackson stellte das Fässchen mit einer vielsagenden Geste dem Indianer vor die Nase. „Das ist bester Jamaika-Rum, mein roter Bruder“, sagte er. „Hast du schon einmal davon getrunken?“ Er zeigte auf das Fässchen. Seine kalten Augen leuchteten. Der Rote mit den lebhaften Augen betrachtete es aufmerksam, betastete es mit den Fingern. „Feuerwasser!“ rief er. „Ja, das ist Medizin. Wer davon trinkt, dem wird sie geheimnisvolle Kräfte verleihen. Sie stimmt die Geister versöhnlich und ist stärker als die Sonne.“ „Gut Medizin!“ schwärmte der Mann mit der Adlernase. „Willst du probieren?“ „Ja, Der mit den Tieren des Waldes spricht wollen Medizin machen.“ Der Schotte zog aus der Tasche seines Rockes einen ledernen Becher. Er füllte diesen mit Rum. Der Indianer nahm einen Schluck. „Gut Feuerwasser!“ sagte er und schnalzte mit der Zunge. „Willst du noch mehr haben?“ „Ja, Der mit den Tieren des Waldes spricht wollen mehr Medizin machen.“ „Du kannst das ganze Fässchen haben, roter Bruder. Gib mir einige deiner Felle.“ „Der mit den Tieren des Waldes spricht haben Pelze von Biber.“ „All right! Zeig sie mal her!“ „Bleichgesicht warten!“ Der Indianer trat in sein Zelt, holte ein gutes Dutzend Biberpelze heraus. „Der mit den Tieren des Waldes spricht wollen mehr Medizin machen“, forderte er Jackson auf, den Becher erneut zu füllen. Der geschäftstüchtige Schotte tat dies auch. Der Becher ging einige Male zwischen dem Roten und dem Weissen hin und her. Das Fässchen leerte sich langsam. Jackson ermunterte seinen Geschäftspartner, noch einige Pelze draufzulegen. Betroffen blickte der Rote auf. Er sammelte seine verwirrten Sinne. Gewöhnlich vertrugen die Indianer nicht viel Alkohol. Damit rechnete offenbar der junge Mann. „Wenn du die Macht deiner Geister spüren willst, dann musst du schon noch einige Pelze rausrücken.“
„Nein“, sagte der Cherokee und schüttelte energisch den Kopf. „Dann kannst du auch keine Medizin mehr machen!“ Sich die Haare aus der Stirn streichend, starrte er auf das junge Bleichgesicht. Seine Augen hatten von ihrer Lebhaftigkeit verloren. Sie schienen vom Alkohol zu glühen. „Der mit den Tieren des Waldes spricht wollen Medizin machen!“ rief er zornig. Er verschwand nochmals im Zelt, holte weitere Pelze. Der Bonvivant reichte dem Indianer einen neuen Becher, den dieser gierig ausschlürfte. Seine wilden Züge verwandelten sich in ein einfältiges Lachen. Der Rum hatte ihn willenlos gemacht. „Ihr müsst die Roten nur genügend unter Druck setzen“, klärte uns Jackson auf. „Vor allem dürft ihr nicht nachgeben. Dann könnt ihr sie auspressen wie eine Zitrone.“ Mir war die Art zuwider, wie der Schotte den Indianer um seine Pelze brachte. Hans Amrein hingegen verfolgte den Handel mit Leib und Seele. Schliesslich hatte Jackson für das Fässchen Rum drei Dutzend Biberpelze, vier Bisonfelle sowie einige Häute von Fischottern, Kitfüchsen und Wildkatzen eingehandelt. Mit einem zufriedenen Lächeln band der schottische Haudegen sein Beutegut zusammen. Dann machte er sich auf den Weg ins Städtchen. Der mit den Tieren des Waldes spricht torkelte in sein Zelt, den Rausch auszuschlafen . . . Wir schlenderten noch ein wenig durch das Indianerlager. Hans meinte nämlich, wir müssten es auch mal versuchen, mit den Cherokee-Indianern ins Geschäft zu kommen. Andy würde bestimmt nach Abzug seiner Auslagen einen erklecklichen Gewinn machen. Es müsste doch mit dem Teufel zugehen, wenn uns nicht auch ein Geschäft gelingen sollte. „Hast du etwas bei dir, das wir tauschen könnten, Josef?“ fragte er mich. „Was willst du denn eintauschen, Hans?“ wollte ich wissen. „Nun, was die Rothäute halt so anzubieten haben.“ „Aber was sollen wir denn damit anfangen?“ „Ein richtiger Jäger und Trapper, und das willst du ja werden, läuft mit einem Tomahawk, einem Skalpiermesser und solchem Indianerkram herum.“ Das leuchtete mir zwar ein. Aber die Sache gefiel mir trotzdem nicht. Hans hatte nämlich im Sinn, einen der Cherokees übers Ohr zu hauen. Hatten wir das Recht dazu, nur weil sie Indianer waren? Währenddem ich noch nachgrübelte, wie ich meinen Gefährten von seinem Vorhaben abbringen konnte, näherte er sich bereits
einem der Zelte, vor dem ein ganzes Sammelsurium an Waffen und Gerätschaften herumlag. „Was meinst du, Josef, wollen wir es mal versuchen?“ fragte er mich, als ich zu ihm trat, und stiess mir mit einem vielsagenden Blick seinen Ellbogen in die Seite. „Was willst du versuchen?“ „Na, feilschen!“ „Mir gefällt die Sache nicht!“ „Sei kein Holzkopf, Josef Brandstetter, und zeig mir mal, was du in deiner Rocktasche hast!“ Ausser dem Säckchen Schiesspulver, das für meinen Vater bestimmt war, hatte ich nichts dabei. „Das ist gut“, freute sich Hans. „Es nimmt mich wunder, was wir für das Pulver bekommen.“ „Aber es gehört nicht mir“, sagte ich. „Beruhige dich! Mit dem Gewinn besorge ich dir neues.“ Ich gab schliesslich nach. Hans steuerte mit dem Säckchen Schiesspulver auf ein Zelt los. Dort lag eine Wassertrommel. Sie schien ihm besonders zu gefallen. Das Fass dieses indianischen Schlaginstruments bestand aus Sassafrasholz. Das Trommelfell war mit der Haut des Waldmurmeltiers bespannt. Er fragte den Besitzer, einen alten Mann, nach dem Preis. „Was hast du Der den weissen Bären sah für die Trommel anzubieten, mein Sohn?“ fragte ihn der Alte mit seiner sonoren Stimme. „Ich habe hier ein Säckchen Schiesspulver, mein roter Bruder. Aber ich möchte dafür noch mehr als nur diese alte Trommel.“ Josef deutete auf ein Schilfblasrohr sowie einen Ballschläger aus Hickoryholz. „Ich gebe dir das Pulver für die Trommel, das Schilfblasrohr und den Ballschläger“, hörte ich meinen Gefährten auf eine geradezu unverschämte Art und Weise schachern. „Der den weissen Bären sah sagt nein! Das Schiesspulver ist nicht soviel wert!“ „Sei froh, dass du dein Zeug überhaupt verramschen kannst“, sagte Hans, warf dem Indianer das Ledersäckchen zu und nahm Trommel, Schilfblasrohr und Ballschläger an sich. „Das kannst du nicht machen!“ rief ich dem jungen Amrein zu und beobachtete dabei den alten Mann. Die Miene des Indianers verfinsterte sich. Er zeigte jedoch keine Gegenwirkung. Ich lief meinem närrischen Gefährten hinterher.
„Du bist ein hundsgemeiner Kerl, Hans!“ zog ich vom Leder. „Du hast einen alten Mann bestohlen! In meinen Augen bist du ein Dieb! Was willst du überhaupt mit einer Trommel anfangen?“ „Trommeln, was denn sonst!“ „Ohne Trommelstock?“ „Verflixt, den habe ich vergessen!“ Hans eilte nochmals zu dem Alten zurück. Ich konnte beobachten, wie er gestikulierend auf den Roten einsprach. Schliesslich gab er ihm seine Biberfellmütze. Er bekam dafür den Trommelstock. Als er wieder bei mir war, spielte er die beleidigte Leberwurst: „Jetzt hat die Rothaut aber mehr als genug für seine alte Trommel bekommen!“ „Willst du nun den Trommelstock mit deinem Blasrohr abschiessen?“ „Verdammt, die Pfeile!“ rief er erschrocken. Er rannte nochmals zurück. Das Gestikulieren wiederholte sich, und schliesslich zog Hans sein ledernes Jagdhemd aus und reichte es dem alten Indianer. Dafür nahm er ungefähr zwei Dutzend scharfe, mit Distelwolle gefiederte Stäbchen entgegen, die durch das Schilfrohr ausgeblasen werden konnten. „Die Rothaut ist stur wie ein Bock!“ schimpfte Amrein. „Das kommt davon!“ verspottete ich ihn. „Der Indianer ist eben doch nicht so dumm, wie du geglaubt hast!“ „Lass uns von hier verschwinden, Josef!“ „Habe nichts dagegen! Doch eines möchte ich schon noch wissen: Du hast jetzt einen Stock für deine Wassertrommel und gefiederte Pfeile für dein Schilfblasrohr. Was fängst du aber mit deinem Ballschläger an?“ Hans war wie vom Donner gerührt. Er machte zuerst grosse Augen, dann konnte ich in seinem Gesicht eine gewisse Hilflosigkeit lesen. Schlussendlich verschlug es ihm den Atem. Wir kehrten in das Städtchen zurück. Der Narr trottete wie ein geschlagener Hund neben mir her, ohne Stiefel und Strümpfe, seines Hemdes beraubt und mit unbedecktem Kopf, aber mit einem Ball aus Wildleder, ausgestopft mit Hirschhaaren . . .
Indianer in übergestülpten Wolfsmasken bewegen sich durch das Präriegras auf eine Büffelherde zu. Den Jägern gelingt es, ziemlich nahe an die Tiere heranzukommen, die in der Herde sich stark genug fühlen und vor Wölfen nicht flüchten. Dadurch sind einige todbringende Bogenschüsse möglich, die den Indianern lebenswichtiges Fleisch und Fell einbringen. Diese höchst gefährliche Jagdmethode ist bei den Prärie-Indianern nicht selten, zumal dort, wo das Pferd als Reittier noch nicht Eingang gefunden hat oder weil man es sich nicht leisten kann.
2. Kapitel
Büffeljäger
H
ans und ich sassen auf einem Baumstamm am Hügelhang
über dem Weg. Dieser führte vom Westen her in die Stadt. Ich liebte diesen Hügel. Hier hatte man einen wunderschönen Blick auf die Bergwälder der Appalachen. Sie erinnerten mich an die Heimat. Hinter ihnen lag Kentucke, das Ziel meiner Wünsche. Kentucke! Welch ein Name! Was verbarg sich nicht alles hinter diesem Namen! Hoffnung und Zukunft, Daniel Boone und Boonesborough, unübersehbare Gebiete, unberührte Wälder, klare Seen und rauschende Flüsse; grenzenlose Freiheit, soviel das Herz begehrte und – Indianer. Seit einer Stunde hatte der Regen aufgehört. Die Sonne schien schräg durch die Wolken. Unter uns sahen wir einen Zug von fünf Wagen. Er kam aus einem Kastanienwäldchen hervor und setzte seinen Weg in Richtung Salisbury fort. Die Kastenwagen waren bis an den Rand der Aufbauten beladen. Tiefe Spuren der Räder zeichneten sich in dem nassen Gras ab. Jäger und Waldläufer begleiteten die Wagen. In der kurzen Zeit hier an der Frontier hatte ich einen Blick für diese Menschen bekommen. Nicht zuletzt erkannte ich sie an ihrer Kleidung. Diese widerspiegelten ihre Lebensweise und die Fähigkeit, sich den Erfordernissen des Lebens in der Wildnis anzupassen. Sie waren nach Indianerart gekleidet. Die Gespanne bogen auf den genannten Weg ein, um Salisbury zu erreichen. Wir stiegen vom Hügel hinunter und machten uns ebenfalls auf in die Stadt. Auf keinen Fall wollten wir das Eintreffen der Waldläufer verpassen. Als das Klingeln des Pferdegeschirrs, das Prusten und Schnauben der Tiere und das rhythmische Stampfen der Hufe die Ankunft der Wagenkolonne ankündete, weckte das natürlich auch die Neugier der Bewohner des Marktfleckens. Sie kamen heran. Die Wagen hielten an. Diese waren beladen mit Häuten von Bisons, die aufeinandergeschichtet waren, Büffelfell auf Büffelfell, und riesige Haufen bildeten.
Welch starke Kreaturen mussten das gewesen sein, diese Bisons! 6 Ich hatte noch keine gesehen. Ein Backwoodsman hatte mir aber von ihnen erzählt. Niemand könne das grossartige Schauspiel vergessen, hatte er gesagt, wenn eine Herde Büffel mit ungeheurem Getöse über die Ebene braust, über der dann eine grosse dunkle Staubwolke aufsteigt. Ich bewunderte die Leistung dieser Jäger. Aber zugleich betrachtete ich die zottigen Felle mit einer leisen Besorgnis. Hunderte dieser herrlichen Tiere hatten wohl ihr Leben lassen müssen! Wo waren die gehäuteten Leiber dieser Tiere? Das Fleisch verfaulte wohl irgendwo in der Wildnis! Kein Indianer würde einen Büffel nur wegen seines Felles töten! Hier lagen fünf Wagen voller Büffelfelle! Welch eine Verschwendung! Ich betrachtete die Jäger. Es waren Männer, deren Haltung und Gebaren von Rastlosigkeit und Tollkühnheit zeugten. Einer von ihnen stieg auf einen Wagen und wandte sich an die Leute von Salisbury: „Wir kommen aus dem Hochland von Kentucke's BluegrassGebiet, Leute. Es gibt da Büffel in Hülle und Fülle, wie ihr seht. Unberührtes Waldland, welliges, grasbewachsenes Gelände soweit das Auge reicht. Hirsche, Elche, Bären, Wildkatzen, Pumas und Wölfe haben wir gesehen. Die Tiere warten nur darauf, von uns aus ihren Fellen und Pelzen geschält zu werden. Die Ware ist von hervorragender Qualität. Wir machen euch einen guten Preis. Holt eure Sparstrümpfe! Kommt nachher zur Brandstetter-Schmiede! Wir werden dort vorerst unterkriechen.“ Die Büffeljäger kamen uns wie gerufen! Sie wussten wohl Bescheid über das Land jenseits der Bergkette. Es waren Männer, die das Land gesehen hatten. Die Jäger gingen mit ihren Gespannen zu unserer Schmiede hinüber. In den Stallungen nebenan brachten sie die Tiere unter. Hans und ich fanden schon bald heraus, dass die Anführer des Zuges John Stanton und Frank Porter hiessen. Es waren zwei finstere Gesellen, um die ich einen weiten Bogen machte. Vor allem Porter schindete Eindruck bei mir: ein hochgewachsener, kräftiger, bärtiger und nussbrauner Kerl mit einer schwarzen Augenklappe. 6
In der nordamerikanischen Kolonisationszeit war „Backwoods“ die Bezeichnung für die Urwälder im Hinterland der ersten Ansiedler. Die Backwoodsmen waren entsprechend die Pioniere, die in diese Gebiete jenseits des AlleghenyGebirges eindrangen und dort siedelten.
Seine Sprache war so grob wie seine Jagdbluse, die seinen Oberkörper bedeckte und bis zu den Oberschenkeln reichte. Diese Wickeljacke war aus derbem Leinen genäht. Das Leinen wurde aus Flachs gewebt. Ein Pionier musste es in einer Waldlichtung gezogen haben. Die Backwoodsmen fertigten ihre Jagdblusen nur im Notfall aus Rehhaut an. Das Wildleder wurde bei Regen durch und durch nass und klamm. Ihre Träger empfanden dadurch die winterliche Kälte noch beissender. Porter gebrauchte seine Bluse nicht nur als Kleidungsstück, sondern auch als eine Art Reisetasche. Er hatte ein Stück Maisbrot und einen Bund Werg zum Putzen seiner Büchse hineingestopft. Er trug sie am blossen Körper. Sein Gürtel war am Rücken geschlossen. Dieser diente nicht nur dazu, die Bluse an den Leib zu drücken, sondern auch zum Befestigen eines Jagdmessers, eines Tomahawks, der Kugeltasche und des Pulverhorns. Porter schützte seine Beine mit einer Hose, welche unterhalb der Knie zusätzlich mit Ledergamaschen verstärkt war. An den Füssen trug er Mokassins. Sie verjüngten sich zu Schäften. Oberhalb der Knöchel waren sie mit Lederriemen zusammengebunden, um Steine oder Schnee abzuhalten. Bei kaltem Wetter blieben diese indianischen Schuhe angenehm warm, weil man sie mit Rehhaar oder getrockneten Blättern ausfütterte. Wie die Jagdblusen aus Rehhaut saugten sie sich aber bei Regen mit Wasser voll. Sein Jagdgefährte, John Stanton, war ähnlich gekleidet und bewaffnet, allerdings schien er mehr Wert auf sein Äusseres zu legen. Er hatte seine Jagdbluse mit bunten Stickereien und Fransen verziert. Der Kolben seiner Kentucke-Büchse war kunstvoll geschnitzt. Er trug einen roten Walrossschnurbart. Dieser war ordentlich gestutzt. Hans meinte, dass diese Büffeljäger, die im Bluegrass-Gebiet waren, bestimmt Daniel Boone gesehen haben mussten. Als Sohn des Hufschmieds konnte ich mich ohne Gefahr in die Nähe der Männer wagen. Währenddem hielt sich Hans etwas im Hintergrund. Schliesslich getraute ich mich sogar, Mr. Stanton anzusprechen. „Seid Ihr droben im Hochland einem gewissen Mr. Boone begegnet, Mister?“ fragte ich den Rotbart. „Daniel Boone?“ „Ja.“
„Und ob ich den gesehen habe! Er reist kreuz und quer durch das Land. Er kennt Kentucke wie kein zweiter. Als wir oben waren, hatte er gerade das Bluegrass-Gebiet vermessen.“ „Wir haben gelesen, dass er sich wie ein Indianer in der Wildnis bewegt“, hakte ich nach. „Das hat schon seine Richtigkeit. Er ist eine Rothaut geworden. Aber warum fragst du nach ihm?“ „Das ist so“, versuchte ich mich zu rechtfertigen, „wir wollen auch nach Kentucke.“ „Na, dann gute Reise!“ „Könnt Ihr uns sagen, welches der kürzeste Weg nach Kentucke ist, Mister?“ „Hol's der Teufel, du fragst mir ja die Seele aus dem Leib, mein Junge! Aber weil du der Sohn unseres Wirtes bist, will ich dir antworten: Man reitet am besten von Quaker Meadows zur Catawba-Wasserscheide hinauf. Von dort führt der Weg in die Blue Ridge Mountains, die man bei Gillespie's Gap überquert. Drei Tage später gelangt man an die Mündung des Grassy Creek, den man nun zu passieren hat. Dann reitet man den Roan und Yellow Mountains entgegen. Eine verdammt wilde Gegend, kann ich dir sagen. Ich habe dort einen Canyon gesehen, von dem ich nicht weiss, ob ihn der Teufel oder der Beelzebub ausgehoben hat.“ „Was ist ein Canyon?“ fragte ich. „Es kann dir passieren, mein Junge, dass du dich einem Canyon näherst, ohne dass du etwas von ihm siehst. Und dann stehst du plötzlich vor ihm. Die Wände fallen lotrecht in die Tiefe. Wenn du schwindelfrei bist, dann kannst du bis an den Rand der Felsterrasse kriechen, um in den grauenvollen Abgrund hinunterzublicken. Es ist der Schlund des Teufels. Weit unten zieht sich im Schatten des Canyons der Fluss wie ein Faden dahin. Er hat sich im Laufe der Zeit in die Felsen eingefressen. Das ist der Canyon, an dem man vorbeireitet, um auf den Pass zwischen den Roan und Yellow Mountains zu gelangen. Dort oben sieht man den ewigen Schnee. Es empfiehlt sich aber, den Pass schleunigst zu überqueren und zum Doe River hinunterzusteigen. Diesem hat man nun abwärts zu folgen. Dann reitet man westwärts bis zum Watauga River. Schliesslich gelangt man auf die Wilderness Road. Sie führt durch das Cumberland Gap. Dahinter liegt Kentucke und das BluegrassGebiet. Dort befindet sich schliesslich auch Boonesborough: ein Fort am Kentucke River. Boone hat es gegründet.“
Von den Stallungen näherte sich Frank Porter. Ich hatte eine gehörige Portion Respekt vor dem grobschlächtigen Kerl. Ich zog es deshalb vor, mich davonzustehlen. Hans folgte mir. Den ganzen Nachmittag musste ich in der Schmiede meines Vaters die Hufe der Zugpferde beschlagen. Sie hatten die Wagen der Jäger nach Salisbury gezogen. Ich arbeitete mir die Hände blutig. Es sei das die wohlverdiente Strafe für die schwere Enttäuschung, die ich Vater durch das veruntreute Schiesspulver bereitet habe. Alle meine Bekräftigungen, dass Hans das ausgeliehene Pulver bestimmt mit grossem Gewinn zurückerstatten werde, waren vergebens. Hans sei ein unverbesserlicher Vagabund, Zigeuner und Tunichtgut, schimpfte er. Ich sei auf dem besten Weg, es ihm gleichzutun. Er bete zu Gott, dass uns die närrischen Einfälle und törichten Unternehmungen nicht eines Tages ins Verderben führen würden. Wir seien jetzt in einem Alter, wo der Ernst des Lebens längst begonnen habe. Ob mir denn nicht auch ein bisschen der Sinn nach Höherem stünde, seufzte er schwer. Er meinte, ich sei ein Hans Guckindieluft. Dies nur, weil ich nie von meiner Hände Arbeit habe leben müssen. Dass er die Heimat verlassen habe, sei traurig genug. Er erwarte von mir, dass ich ihn in Zukunft hier in der Fremde mehr unterstütze. Vaters Worte gingen mir zu Herzen. Ich nahm mir vor, ein besserer Mensch zu werden. Meine Leistung konnte sich denn auch sehen lassen! Ich betrachtete die beschlagenen Pferde. Sie waren das Resultat meiner Hände Arbeit! Doch weder Stolz noch Genugtuung wollten sich bei mir einstellen, so wie es Vater in Aussicht gestellt hatte. Es mag sonderbar scheinen, aber sein derber Verweis war überhaupt nicht dazu angetan, in mir eine Wandlung zuwege zu bringen. Mein Wunsch, der Schmiede meines Vaters für immer den Rücken zu kehren, wuchs mit jedem Hufeisen, das ich an einen Pferdefuss schlug. Am Abend des besagten Tages besuchte mich Hans. Seine Anwesenheit war mir sehr willkommen. Salisbury lag bereits im Dunkeln. Wir schritten über den Hof der Schmiede. Durch die Ritzen der Stallungen schimmerte Licht. Keiner der Büffeljäger befand sich draussen. Bei den Wagen mit den Fellen blieben Hans und ich stehen. „Hier liegt ein Haufen Geld, das kann ich dir flüstern, Josef“, liess Hans seine Weisheit vom Stapel. „So ein Fell bringt gut und gern zehn Dollar. Da kenne ich mich aus.“
„Aber hunderte von Bisons haben hier ihr Leben lassen müssen“, sagte ich. „Sei nicht so gefühlsduselig, Josef! Es gibt noch genug Büffel in Kentucke“, fuhr mir der Sohn des Büchsenmachers in die Parade und kletterte danach auf einen der Wagen. In dem Augenblick, als ich ebenfalls auf einen Fellhaufen kraxelte, wurde eine der Stalltüren geöffnet. Das Stampfen und Schnauben der Pferde drang zu uns heraus. Im Schein einer Laterne erkannte ich John Stanton und Frank Porter. Sie traten auf den Hof. Der Mond stand auf der anderen Seite der Schmiede. Der Schatten des Hauses fiel auf die Wagen, auf denen wir sassen. Wir konnten also nicht gesehen werden. Die beiden Büffeljäger näherten sich uns. Wir wollten uns hier nicht erwischen lassen. Geistesgegenwärtig krochen wir unter die Häute. „Diese verdammten Rothäute da unten am Fluss verderben uns das ganze Pelzgeschäft“, hörte ich Frank Porter fluchen. Ich lugte unter den Büffelfellen hervor. Die beiden Jäger blieben dicht bei unserem Wagen stehen. Deutlich hörte ich die Stimme von John Stanton: „Mir gibt noch etwas anderes zu denken, Frank.“ „Was?“ „Ich habe heute Morgen Adam Biddle gesehen. Er führt hier in Salisbury einen Kramladen. Ich bin mir nicht sicher, ob er uns erkannt hat.“ „Du meinst die Geschichte mit Simon Girty in Bryan's Station?“ „Ja. Biddle befand sich damals auch unter den Miliztruppen, die sich in dem Fort verbarrikadiert hatten.“ Als der Name Simon Girty fiel, wäre mir beinahe das Herz stillgestanden. Das Konterfei dieses Schurken, auf den die Kolonisten eine Belohnung von 800 Dollar ausgesetzt hatten, war überall in der Stadt aufgehängt worden. Die abscheulichsten Geschichten über diesen weissen Anführer der Indianer und Renegaten waren im Umlauf. So soll Girty die Indianer, welche ihm bei seinen Überfällen von Detroit bis nach Kentucke hinunter folgten, ermutigt haben, ihre Gefangenen zu foltern. Raubzüge auf Kentucke-Gebiet und die Belagerung von Bryan's Station gehörten ebenso zu Girty's Schurkereien wie die Aufwieglung der Mingo, Shawnee und Wyandot, denen er Gewehre und Munition verteilte. Stanton und Porter, welche nur drei Schritte von unserem Versteck entfernt standen, hatten offenbar auch zu den Kriegsrotten dieses Simon Girty gehört.
„Die Sache könnte für uns verdammt brenzlig werden, wenn es ans Licht kommt, dass wir in Bryan's Station auf der Seite von Girty 7 8 und der Tories gegen die Whigs gekämpft haben“, hörte ich Porter meine Vermutung bestätigen. „Du hast recht, Frank. Wenn uns dieser Biddle in die Quere kommt, kann es uns Kopf und Kragen kosten. Nach dem Sieg in Yorktown verstehen diese Yankees keinen Spass. Am besten, wir liquidieren ihn.“ „Ja, und ich hab da auch schon eine Idee“, sagte der grobschlächtige Kerl, „dabei können wir zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.“ „Da bin ich aber neugierig.“ sagte der Mann mit dem Walrossschnurbart. „Ich habe da drinnen im Stall ein indianisches Blasrohr gesehen . . .“ Mir stockte der Puls. Sie hatten offenbar das Schilfblasrohr von Hans gefunden! Was hatten sie damit vor? Auch mein Gefährte, der neben mir unter den Büffelfellen steckte, schien sich nicht ganz wohl in seiner Haut zu fühlen. Er begann sich plötzlich zu räuspern. „Was war das?“ hörte ich Porter fragen. Der Angstschweiss brach mir aus. In diesem Moment kam glücklicherweise mein Vater aus der Schmiede. Er blickte sich in dem Hof um. Vermutlich hielt er Ausschau nach mir. „Gehen wir zurück in den Stall“, sagte Stanton. „Dort sind wir ungestörter.“ Die beiden Büffeljäger wechselten mit Vater noch einige Worte und gingen dann zu den Stallungen hinüber. Auch mein Vater kehrte ins Haus zurück. Nachdem wir sahen, dass die Luft rein war, schälten wir uns unter den Fellen hervor. „Was hat dieser Stanton wohl gemeint, als er sagte, es sei das beste, Mr. Biddle zu liquidieren?“ fragte Hans. „Was weiss ich. Vielleicht wollen sie ihn verprügeln“, gab ich zur Antwort. „Hast du eine Ahnung, was sie mit meinem Blasrohr im Sinn haben, das ich von dem Roten eingehandelt habe?“ „Stanton und Porter gehören zu der Bande von Simon Girty. Was das heisst, muss ich dir wohl nicht erklären.“ 7 8
Die im Unabhängigkeitskrieg „loyal“ zur britischen Krone stehenden Kolonisten.
Nationalrepublikanische Partei, die im Gegensatz zu den Tories (Loyalisten) die amerikanische Revolution, den Unabhängigkeitskrieg, unterstützten.
„Was meinst du damit?“ „Ich meine, dass dieser Girty früher oder später auch hier in der Stadt aufkreuzt. Diese Tories halten nämlich zusammen wie Pech und Schwefel, darauf kannst du Gift nehmen.“ „Dann müssen wir aber unsere Leute warnen.“ „Bist du verrückt! Girty würde uns sofort töten lassen. Es wäre für ihn ein leichtes, rauszukriegen, wer die Verräter gewesen waren.“ „Sapperment! Du hast recht! Wir müssen vorsichtig sein.“ „Und vor allem müssen wir den Mund halten, das ist das allerwichtigste.“ „Aber was tun wir jetzt?“ „Wir werden die Büffeljäger im Auge behalten müssen, aber so, dass sie nichts merken . . .“
Mato-Tope, was soviel wie «die vier Bären» heisst, ist einer der ausgezeichnetsten Mandan-Krieger. Er trägt einen grossen Federschmuck, eine bemalte Bisonrobe und an den Füssen bestickte Mokassins. Selbstsicher stemmt er die Lanze auf.
3. Kapitel
Der Trader
E
s war gegen Mitternacht. Zwei grossgewachsene, kräftige
Gestalten tauchten vor dem Store von Mr. Biddle auf. Sie huschten bis zur Ecke des Hauses und klopften an die Tür. Nach einigen Sekunden fiel ein Lichtstrahl durch die Ritzen der geschlossenen Läden. Jemand öffnete die Tür. Hans und ich steckten in der Bresche einer Gartenmauer. Mit angehaltenem Atem überschauten wir die Strasse vor dem Haus 9 des Trader's . Wir waren den beiden Büffeljägern von unseren Stallungen bis hierher gefolgt, von Haus zu Haus und von Baumstamm zu Baumstamm hastend. Obwohl wir vor Angst mehr tot als lebendig waren, hatte sich unsere Neugier als stärker erwiesen. Zudem konnten wir uns in gebührender Entfernung halten. Wir glaubten, ihr Ziel, den Kramladen von Mr. Biddle, zu kennen. In meinem Kopf spukte immer noch die Drohung von John Stanton herum: Er wollte den Händler „liquidieren“. Was mochte er damit gemeint haben? Wollte er Adam Biddle, den Indianerkämpfer und Rebellen, wirklich zusammenschlagen? Mir wurde angst und bange um den Alten. Sollten wir unsere Väter nicht doch benachrichtigen? Aber dann fuhren mir wieder diese Steckbriefe von Girty durch den Sinn. Dieser Mörder würde einen Verrat bestimmt rächen. Kaum hatten wir also unseren Beobachtungsposten an der Mauer eingenommen, sahen wir, dass der alte Biddle an der Tür erschien. Wir konnten nun beobachten, wie er beim Anblick der nächtlichen Besucher erschrocken zurückwich. Dann drängten sie den Trader, ihm auf dem Fuss folgend, ins Haus und schlossen hinter sich die Tür. Eine lastende Stille folgte. Ein Käutzchen schrie irgendwo. Wir warteten. Es schien uns eine Ewigkeit. Nichts! Ein Hund bellte in der Ferne. Totenstille. Kein Laut drang vom Store herüber. Da! Jemand hatte das Licht im Haus gelöscht. Das blasse Mondlicht beleuchtete die Strasse und das Dach des Hauses; die Tür selbst lag im Schatten. 9
englisches Wort für Händler
Da! Zwei Gestalten huschten aus der Tür, verschwanden hinter der Ecke des Hauses. Mehr konnte ich nicht erkennen. Wir verharrten noch eine ganze Weile in unserem Versteck, ehe wir uns zu rühren wagten. Was war im Haus geschehen? Hatten die Büffeljäger dem Trader ein Leid zugefügt? Ich machte mir die grössten Vorwürfe, dass ich nichts unternommen hatte, dem Alten zu helfen. „Hans, was meinst du, sollten wir nicht nachsehen, was mit Mr. Biddle passiert ist?“ flüsterte ich etwas unschlüssig meinem Gefährten zu. Trotz der Dunkelheit konnte ich beobachten, wie er mit sich rang. Die Sache war ihm wohl auch nicht ganz geheuer. Schliesslich überwand er sich. „Hinter dem Haus gibt es einen Schuppen“, sagte er. „Von dieser Seite her können wir es vielleicht wagen. Aber die Sache wird für uns bestimmt gefährlich, das musst du wissen, Josef!“ Ich wollte meinen Ruf nicht aufs Spiel setzen und stimmte seinem Vorschlag zu, uns dem Haus von der Rückseite zu nähern. Wir schlüpften also der Mauer entlang in den Schatten eines Baumes. Hier mussten wir uns mehr auf das Gehör als auf unsere Augen verlassen. Nur das Rauschen des Windes im Geäst war zu hören. Schliesslich langten wir beim Schuppen hinter dem Store an. Dort gab es eine Tür. Vorsichtig stiess ich diese auf. Als der Hund wieder bellte, zuckte ich zusammen. Beim Eintreten hörte ich ein gleichmässiges Schnarchen. Hans drängte sich an mir vorbei. Nach kurzer Zeit erhellte der Schein einer Kerze das Innere des Schuppens. Mein Komplize hatte die Kerze neben der Tür gefunden und sie mit seinem Feuerzeug angezündet. „Wer sein da?“ hörten wir eine Stimme aus einer Ecke. Hans leuchtete in die Richtung, aus der die Stimme kam. Dort erhob sich von einer Pritsche eine Gestalt, die so schwarz war wie die Nacht. „Das ist nur Lobo, Mr. Biddle's Neger“, meinte Hans fast beiläufig. Ich musste mich vom ersten Schreck erholen. Es war tatsächlich der Mohr. Wir kannten ihn. Wir hatten ihn etwas brüsk aus dem Schlaf gerissen. Er stand mit seiner kraftvollen Statur wie Herkules persönlich vor uns. Im Kerzenschein sahen wir nur den Umriss seiner Figur sowie das Weiss seiner Augen und Zähne. Vor Lobo mussten wir keine Angst haben. Trotz seiner riesigen, männlichen Gestalt hatte er ein kindliches Gemüt. Er sei geradezu
zartbesaitet, meinte Hans. Als er uns erkannte, schien auch ihm ein Stein vom Herzen zu fallen. „Ah, Massa Joe und Massa Jack“, sagte er. „Was machen hier bei Lobo in der Nacht?“ „Kannst du den Mund halten, Lobo?“ fragte Amrein den Neger. „Lobo halten Mund wie Grab!“ „Wir sind zwei Banditen auf der Spur! Die Sache ist verdammt gefährlich!“ „Wo sein Banditen?“ horchte der Mohr auf. „Lobo mit Faust erschlagen!“ Er schnitt dabei ein möglichst blödsinniges Gesicht. Es sollte wohl seine Entschlossenheit ausdrücken. Dazu ballte er seine riesigen Fäuste. „Sie waren im Haus von Mr. Biddle“, klärte Hans den Neger auf. „Banditen bei Massa Biddle! Lobo müssen sofort in Haus gehen!“ „Nein, warte, Lobo!“ warnte ich. „Wir müssen vorsichtig sein. Wenn sie zurückkehren, sind wir dran! Müssen uns zuerst vergewissern, ob sie wirklich weg sind.“ Der Mohr lenkte ein. Hans löschte die Kerze. In der Dunkelheit des Schuppens hielten wir mit unterdrückten Stimmen Kriegsrat. Jemand von uns musste nach draussen, um nachzusehen, ob die Luft rein war. Wir entschlossen uns, Lobo diesen Gang machen zu lassen. Mit seiner schwarzen Haut war er in der Nacht besser getarnt als wir. Der Neger stöberte einige Zeit draussen herum. Dann kehrte er zu uns in den Schuppen zurück. „Lobo keine Spur von Banditen sehen“, berichtete er. „Also, gehen wir ins Haus!“ bestimmte der junge Amrein. Wir schlichen zu der Tür, die den Schuppen mit dem Haus verband. Das Quietschen der Tür beim Öffnen erschreckte uns. Wir riskierten trotzdem einen Blick ins Innere. Es war stockdunkel. Hans zündete die Kerze an. Wir sahen den 10 Stockroom des Trader's. Mit klopfendem Herzen traten wir ein. Auf Zehenspitzen zwängten wir uns zwischen den Waren hindurch. Angespannt lauschten wir. In jedem unserer Gesichter spiegelte sich die nackte Angst. Es bestand kein Zweifel: Beim leisesten Geräusch würden wir augenblicklich – die Flucht ergreifen!
10
amerikanisches Wort für Warenlager
Da sich aber nichts regte, wurden wir mutiger und unterzogen den Ort einer sorgfältigen Prüfung. Wir wagten uns bis zum nächsten Raum vor. Ich stiess mit meinem Fuss an etwas Weiches. Der Kerzenschein fiel auf den leblosen Körper von Mr. Biddle! Fassungslos starrten wir auf den Alten. Unsere schlimmste Befürchtung hatte sich bewahrheitet. Der Trader war getötet worden! Unser Entsetzen erreichte ein unerträgliches Mass. Hals über Kopf stürzten wir aus dem Haus . . .
D
ie grausige Nachricht vom Tod des Trader's traf die Leute
des kleinen Marktfleckens Salisbury wie ein Blitz aus heiterem Himmel und verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Der eilends herbeigerufene Sheriff hatte mehrere mit Distelwolle gefiederte Pfeile im Körper des Ermordeten gefunden. Er zweifelte keinen Augenblick daran, dass Adam Biddle von den heidnischen Cherokee in der letzten Nacht ermordet worden war. Er liess unverzüglich die freiwillige Miliz auf dem Marktplatz zusammentrommeln. Es sei seine gottverdammte Pflicht, um der Gerechtigkeit willen, die Mörder an den Galgen zu bringen. Seine Rede wurde begeistert aufgenommen. Gegen Mittag marschierte der Sheriff mit seiner ausgewählten Truppe zum Fluss hinunter. Dahinter folgte eine aufgebrachte Menge, die mitzog, um dem Getöteten Gerechtigkeit zu verschaffen. Unter dieser Korona befanden sich sowohl ehrwürdige Bürger, gottergebene Quäker als auch Haudegen wie Andrew Jackson. In der Nacht zuvor hatten Hans, der Neger und ich unser Heil in der Flucht gesucht. Wir waren an einigen einsamen Gehöften vorbeigekommen. In einer Scheune am Waldrand hatten wir Lobo zurückgelassen. Er sollte, so hatten wir ihm eingeschärft, den Ort nicht verlassen, bis wir ihn wieder holen würden. Dann waren wir nach Hause retiriert. Die üble Geschichte hatte mir natürlich den Schlaf geraubt. Schwer lastete das Erlebnis der vergangenen Nacht auf meiner Seele. Das schreckliche Bild des Toten stand mir noch immer vor Augen. Der arme Mr. Biddle! Kaltblütig hatten ihn die Büffeljäger umgebracht! Ich durfte nicht daran denken, wenn sie davon Wind
bekamen, dass wir sie beobachtet hatten. Mir brach der Angstschweiss aus. Hoffentlich hielt Hans den Mund! Was war aber, wenn der Neger ausquasselte? Die ganze Nacht quälten mich grässliche Gedanken, die imstande waren, noch grauenerregendere auszumalen. Dann geschieht es! Ich stehe am Marterpfahl, festgebunden. Ich wehre mich mit dem Stock einer Wassertrommel und einem Ballschläger. Zwei Jäger bedrängen mich auf das heftigste von rechts und links. Sie führen ihre Blasrohre an den Mund. Dabei fletschen sie mit ihren Zähnen und rollen die Augen so wild, dass es mir kalt über den Rücken läuft. Meine Gegenwehr ist sinnlos. Gegen ihre Pfeile bin ich machtlos. Gefasst erdulde ich den Martertod. Ich beginne zu trommeln. Hinter den Zelten tauchen Krieger auf. Einer von ihnen hat eine stark gebogene Nase und lebhafte Augen. Er trägt einen Kopfputz, der aus zwei Gabelbockhörnern besteht, von deren Spitzen Büschel von Hirschhaaren herabhängen. Ein anderer trägt ein Säckchen Schiesspulver bei sich. Die Krieger wollen mich vom Pfahl losbinden, doch die Jäger hindern sie daran. In das Gerangel auf dem Platz mischt sich nun auch Hans. „Bindet mich endlich los!“ brülle ich. Es ist ein Stossen und Stampfen, Drücken und Strampeln, Quetschen und Klemmen. Der Lärm wird unerträglich. Endlich befreit mich Hans. Er muss dafür seine Stiefel opfern. Ich entkomme, beginne zu rennen. Die Jäger folgen mir. Ich bin in Schweiss gebadet. Die Kraft lässt nach. Noch immer schlage ich die Trommel. Auch die Krieger folgen mir, wollen mich retten. Aber der Alkohol setzt ihnen zu. Der Abstand zwischen ihnen und mir wird immer grösser. Die Jäger holen auf. Ich bin verzweifelt. Ich brülle auf und – erwache. Es war ein böser Traum. Die Mutter stand im Zimmer, weil ich geschrien hätte. Noch eine halbe Stunde später war ich benommen. Der Lärm kam von der Strasse, wo der Sheriff herumbrüllte. Ich zog mich an und mischte mich ebenfalls unter die Menge, die sich zum Abmarsch aufstellte. Hans befand sich auch auf dem Platz. „Sie haben den toten Händler gefunden“, klärte er mich auf. „Warum sind all die Leute hier?“ fragte ich den Landsmann. „Sie glauben, dass die Indianer den alten Biddle umgebracht haben!“ „Aber die Cherokee sind unschuldig“, widersprach ich energisch. „Erzähl' das mal dem Sheriff!“
Ich blickte mich um. Der Sheriff stand mit dem Konstabler und den beiden Büffeljägern an der Spitze der Freiwilligen. Stanton und Porter redeten heftig gestikulierend auf die Ordnungshüter ein. Die Marschtritte der Milizionäre waren verklungen, das Trara der Leute von Salisbury verhallt. Zwei Reiter tauchten in der Stadt auf. Es waren Fremde. Sie waren der lärmenden Menge begegnet. Man sah es ihnen an, dass sie sich nicht in fremde Angelegenheiten mischen wollten. Sie trugen kartographische Instrumente bei sich. Es seien Landvermesser, meinte mein Vater, der bei uns stand. Sie würden für die Siedler das Land im Westen kartographisch vermessen und parzellieren. Sie hätten den Verlauf der Grenzlinien des neuen Landes festzulegen. Bei den Indianern stünden diese Leute aber in üblem Geruch. Was hatten sie auch das Land zu vermessen? Es gehörte ihnen ja nicht! Keinem Indianer käme es in den Sinn, seine Mutter Erde zu parzellieren, in Stücke zu zerlegen! Sollten sie das zerstückeln, was sie liebten? Ich machte mir damals diese Gedanken noch nicht. Landvermesser setzte ich mit waghalsigen Pionieren gleich, die mit den Nadeln ihrer Kompasse eine neue Welt anvisierten. Sie spannten mich auf die Folter. Sie sollten neues Land gewinnen! Oft war der Einsatz ihr Leben. Trotzdem steckten sie den Jakobsstab in die Erde, brachten den Kompass auf dem Kugelscharnier ins Gleichgewicht, visierten ein weiter entferntes Wegzeichen an, fixierten den Standort und lasen die Stellung der Nadel auf der Scheibe ab. Dann fertigten sie Pläne und Karten an: damit war neues Land gewonnen. Die beiden Fremden fragten nach einer Unterkunft. Vater bot ihnen unsere Scheune als Logis an. Sie willigten ein.
Dicht am Missouri hin führt der Weg nach Mih-Tutta-Hangkusch, dem Hauptort der Mandan, denen insgesamt dreizehn Dörfer gehören. Am Ufer sind zwei Indianer mit ihren Bullbooten beschäftigt. Das Dorf, über dem Steilufer gelegen, mag ungefähr 60 Erdhütten umfassen, die von weitem mit ihrer halbkugeligen Form Wigwams ähneln, aber doch grösser und solider gebaut sind.
4. Kapitel
Cherokee
H
ans und ich folgten den Leuten von Salisbury zum Lager der
Cherokee. Es war uns dabei gewaltig mulmig. Die beiden Büffeljäger befanden sich nämlich auch an Ort und Stelle. Das Palaver zwischen den Weissen und Roten war bereits im Gang. Niemand schien so recht Bescheid zu wissen. Der Sheriff heischte mehrere Male Ruhe. Es herrschte dicke Luft. Die Leute von Salisbury waren empört, die Indianer beleidigt. Beschimpfungen machten die Runde. Das Blut begann zu kochen. Die Situation wurde brenzlig. Ich sah, dass Stanton und Porter noch Öl ins Feuer gossen. Diese gemeinen Schurken! Der Sheriff forderte den Häuptling auf, einen Schuldigen herbeizuschaffen. Er stellte ein Ultimatum. Der Häuptling wollte sich das nicht gefallen lassen. Die Wellen schlugen höher. Niemand griff vermittelnd ein. Hans und ich standen etwas abseits vom Geschehen. Wir hüteten uns, die Wellen glätten zu wollen. Geschrei zwischen den Zelten! Mehrere Männer schleppten einen Roten zu einem Kastanienbaum. Es war ein junger Bursche. Was wollten sie mit ihm? Einer der Männer schwenkte ein Seil. Ich ahnte Schreckliches. Wollten sie ihn lynchen? In die Menge der Indianer kam Bewegung. Sie strömte zum Kastanienbaum hinüber. Die Weissen nahmen ihre Gewehre in Anschlag. Das Unglück nimmt seinen Lauf. Ich sehe das Lager von Rothäuten wimmeln. Zu Pferd und zu Fuss stürmen sie auf uns zu. Trotzdem herrscht eine gespenstische Stille. Vom Fluss steigen Nebel auf. Durch die Schleier sehe ich Pfeile, Speere, Tomahawks, Keulen und Skalpmesser blitzen. Ein Schuss fällt. Ich fahre zusammen. Ich spüre einen Schlag an der Schulter, brülle auf – rufe etwas dem Sheriff zu. Ich kam zu mir, begriff noch nichts. „Was ist in dich gefahren, Josef!“ schrie mich Hans an, der mir den Stoss versetzt hatte. Ich blickte ihn verdutzt an. „Was ist passiert?“ fragte ich. „Halt den Mund, Josef! Oder willst du uns ans Messer liefern?“
Ich rieb mir die Augen. Der böse Alpdruck lastete immer noch auf mir. Ich blickte mich um. Aller Augen waren auf mich gerichtet. Der Sheriff, welcher den Schuss abgefeuert hatte, trat auf mich zu. „Was sagst du, mein Junge? Du kennst die Mörder?“ Ich erschrak. Was hatte ich ausgeplaudert? Ich stiess Hans in die Seite. „Hab' ich was gesagt?“ raunte ich ihm zu. „Holzkopf! Nun schau mal selbst zu, wie du dich herausreden kannst!“ Der Sheriff stand mittlerweile vor mir. Seine Haltung war herausfordernd. Er verstand offenbar keinen Spass. Hinter ihm postierten sich der Konstabler und die anderen Männer. Sie verstanden auch keinen Spass. Ich sah es ihren Gesichtern an. Die Lage war ziemlich bedrückend. Ich suchte nach einer Ausflucht, stammelte etwas von Missverständnis. Die Sache nahm eine kritische Wendung. Immer wenn es kritisch wurde, hatte ich eine Gedächtnislücke, ein richtiges Loch! Es war wie verhext, zum Verzweifeln. Sonst hatte ich immer die verrücktesten Ideen. Ich war bekannt für meine Geistesblitze. Aber jetzt? Nichts! Was war zu tun? Ich wusste keinen Ausweg. Es war zum Heulen! Der Sheriff packte mich am Ärmel meines Rockes. Ich solle mit der Sprache herausrücken, drohte er. Ich war verloren, gab mich geschlagen. Das dümmliche Gesicht des Sheriffs verwandelte sich in die Fratze von Simon Girty. Wildes Entsetzen packte mich. „Ich werde alles gestehen!“ rief ich. Wo waren die beiden Büffeljäger? Ich verrenkte mir den Hals nach ihnen. Sie waren in der lärmenden Menge nicht auszumachen. „Nun, was ist, mein Junge?“ drängte der Sheriff. „Die Büffeljäger!“ stammelte ich. „Was ist mit den Büffeljägern?“ „Sie haben Mr. Biddle umgebracht!“ Mir war wohler! Sollten sie jetzt mit mir machen, was sie wollten. Es mag sonderbar scheinen, aber während ich das Geheimnis ausplauderte, wurde es bedeutungslos für mich. Bedeutungslos wie der Tod, der hier an der Frontier zur Gewohnheit geworden war. Es gab nicht mehr viel, was hier in Salisbury Bedeutung für mich hatte. In meinem Zustand war ich ausserstande, die Tragweite meiner Aussage abzuschätzen. Auch die Angst war verflogen. Ich fügte mich in mein Schicksal und harrte unverdrossen der Dinge, die da kommen sollten.
Hans hatte inzwischen begonnen, dem Sheriff und den Leuten von Salisbury die Ereignisse der letzten Nacht zu erzählen. Diese hörten aufmerksam zu. Mein Landsmann gefiel sich in der Rolle des Hauptzeugen derart, dass er nichts ausliess, was uns noch hätte retten können. Ich bewunderte ihn. Er war ein Teufelskerl. Mit seiner largen Art, die zuweilen etwas derb komisch wirkte, verstand er es wie kein zweiter, seine Geschichten an den Mann zu bringen. Hans war ganz nach seinem Vater geartet. So war er wie dieser mit einem heftigen, ungestümen Naturell gesegnet und mit der angeborenen Redseligkeit ausgestattet. Beides zusammen hatte ihn geprägt, so wie die Landschaft im allgemeinen den Menschen prägt. Wie dem auch sei. Der Sheriff und die Leute von Salisbury waren tief beeindruckt von meinem Gefährten. Als dieser mit seiner Erzählung zu Ende war, zweifelten sie keinen Augenblick daran, dass nicht die Cherokee, sondern John Stanton und Frank Porter, die beiden Büffeljäger, dem alten Biddle das Lebenslicht ausgeblasen hatten. Wiederum machte sich Empörung breit, und wiederum begann das Blut zu kochen. Erst jetzt bemerkte der Sheriff aber, dass sich die wirklichen Mörder aus dem Staub gemacht hatten. Die Milizionäre mussten sich wieder zum Abmarsch aufstellen. Dann setzten sich der Sheriff und der Konstabler an die Spitze der Freiwilligen. Im Marschschritt verliessen sie das Indianerlager, gefolgt von den lärmenden Zivilisten aus Salisbury . . .
H
ans und ich wollten uns nicht in die Stadt hineinwagen.
Irgendwo zwischen den Häusern vermuteten wir die beiden Büffeljäger, welche bestimmt auf uns lauerten. Wir fürchteten um unser Leben, zauderten deshalb. Wir waren jetzt allein. Hans' Wortschwall war versiegt. Er machte sich wohl auch seine Gedanken. Wie konnten wir unsere Köpfe aus der Schlinge ziehen? Guter Rat war teuer! Es galt, einen Plan auszuhecken. Wir müssten die Sache am richtigen Ende anfassen, meinte ich. Für diese Arbeit war aber mein Gefährte nicht der Richtige. Er war ein Mensch des Augenblicks. Für Pläne habe er nichts übrig, wehrte er denn auch ab. Dafür sei ich befugter. Doch auch ich kam auf keinen gescheiten Gedanken.
Am besten war wohl, wenn wir uns eine Weile von der Stadt fernhielten. Aber hier bei den Roten konnten wir auch nicht bleiben. In diesem Moment kamen einige der Cherokee zu uns herüber. Unter ihnen befand sich auch jener Junge, den die Leute von Salisbury hatten aufknüpfen wollen. Sein Name sei Der sein Pferd vor den Wölfen rettete, sagte er uns in einem guten Englisch. Er verdanke uns sein Leben. Bestimmt forderte er uns auf, ihm in das 11 Tipi seines Vaters zu folgen. Wir willigten natürlich ein, da wir durchaus nicht im Sinn hatten, hier draussen Wurzeln zu schlagen. Zudem bot sich endlich die Gelegenheit, mit den Indianern ernsthaft in Verbindung zu treten, nachdem unsere erste Berührung mit ihnen in die Brüche gegangen war. Der sein Pferd vor den Wölfen rettete führte uns. Der Platz, wo das Tipi stand, kam mir bekannt vor. Josef und ich waren am Vortag schon hier. Nichts Böses ahnend, traten wir in das Zelt. Drinnen umhüllte uns ein Dämmerlicht. Ein kleines Feuer brannte. Im Hintergrund stand eine Gestalt. Es war der Vater von Der sein Pferd vor den Wölfen rettete. Nur langsam gewöhnte sich das Auge an das Halbdunkel. Hans stiess mich in die Seite. Ich bemerkte, dass er im Begriff war, das Tipi wieder zu verlassen. Erst jetzt roch ich den Braten. Der Mann im Hintergrund war der Grund für Hans' Unruhe. Dieser war nämlich kein Geringerer als jener Indianer, den mein Landsmann am Vortag hatte übers Ohr hauen wollen. Wie wir wissen, war das Vorhaben gescheitert. Die Situation war misslich. Dem alten Cherokee war unsere Verlegenheit nicht entgangen. Er forderte uns mit seiner sonoren Stimme zum Niedersetzen auf. Hans zögerte. Als er aber sah, dass ich der Einladung des Alten folgte, setzte er sich auch. Die beiden Roten, Vater und Sohn, liessen sich uns gegenüber am Feuer nieder. Mit feierlichem Ernst schlugen sie dabei ihre Beine übereinander. Wir machten es ihnen nach. Würde und Stolz spiegelten sich in dem Gesicht des Alten, Neugier in jenem des Jungen. Die beiden waren dabei, sich in mein Herz zu stehlen. Es war still wie in einer Kirche. Nur das leise Knistern des Feuers war zu hören. Wir wagten kaum aufzublicken. Der alte Indianer löste eine mit Pferdehaar verzierte Pfeife von der Schnur, die er um seinen Hals trug. Dann tat er ein wenig Kinnikinnick in den steinernen Pfeifenkopf. Dies war eine Mischung aus Tabak und aromatischen Kräutern. Mit einem brennenden 11
Indianerzelt
Stäbchen zündete er den Tabak an und sog an dem Mundstück des Pfeifenstiels. Beschwörend blies er den Rauch gegen den Himmel, gegen die Erde und in die vier Himmelsrichtungen. Dann erst begann er zu sprechen: „Ich bin Der den weissen Bären sah, der Medizinmann der Cherokee. Euer Häuptling sagte, wir hätten einen weissen Mann getötet. Er sprach aber nicht die Wahrheit. Ihr seid unsere Nachbarn wie die Yuchi oder die Tutelo. Warum sollten wir euch töten? Der weisse Häuptling hörte aber nicht auf uns. Der Zorn und die Trauer hatten ihn geblendet. Viele waren geblendet. Sie wollten Der sein Pferd vor den Wölfen rettete töten. Der sein Pferd vor den Wölfen rettete ist mein Sohn. Er soll dereinst den Namen des Klanhäuptlings erhalten. Sein Tod hätte Krieg bedeutet. Ihr, unsere weissen Brüder, habt euch mutig gezeigt. Ihr habt das Unheil abgewendet. Dafür danke ich euch!“ Der Alte tat einen Zug aus seiner heiligen Pfeife und sprach weiter: „Die Cherokee können vieles nicht verstehen, was der Weisse Mann sagt oder tut. Als er über das Grosse Wasser kam, bat er uns, ihm ein Stück Land zu geben. Wir sprachen zu ihm: ‚Ja, du bist unser Bruder. Wir haben eine gemeinsame Mutter. Hier hast du Land.’ Nach einiger Zeit wollte sich der Weisse Mann damit nicht mehr zufriedengeben. Und wieder bat er uns: ‚Zieht noch ein Stück weiter, wir brauchen mehr Land.’ Wir sagten: ‚Du bist unser Bruder. Du atmest die gleiche Luft wie wir. Also teilen wir auch das Land mit dir.’ Doch er wollte nicht teilen und vertrieb uns von dem Land. Anfangs hatten wir dem Weissen Mann Geschenke gemacht. Als wir aber sahen, dass er unsere Leute tötete, forderten wir unsere Geschenke zurück und sagten: ‚Du hast unsere Geschenke nicht in Ehren gehalten. Du hast dich nicht als Freund erwiesen.’ Wir erkennen, dass das Geschenk der Freundschaft oder eines Stück Landes für den Weissen Mann keinen Wert mehr besitzt. Er beginnt, die Wälder zu roden. Die Baumstämme lässt er achtlos liegen oder zündet sie an. Er verbrennt den Wald, damit er an seiner Stelle Getreide anbauen kann. Der Weisse Mann verlässt den heiligen Pfad, und wir fragen uns: warum?“ Hans und ich wussten natürlich auch keine Antwort auf diese Frage. Was hätten wir auch antworten sollen? Wir verstanden die Sinnesart unserer eigenen Leute selbst nicht. Wir verstanden auch uns nicht.
Währenddem wir noch gehörig nachgrübelten, gab Der den weissen Bären sah die Pfeife seinem Sohn. Dieser atmete den Rauch in der gleichen Weise aus wie sein Vater. „Ich verdanke euch mein Leben“, sagte der junge Cherokee. „Die Freundschaft soll uns von nun an verbinden. Ich höre, dass ihr nicht die gleiche Sprache wie die anderen Bleichgesichter sprecht. Euer Herz ist mutiger und eure Zunge aufrichtiger als der anderen. Ihr müsst einem stolzen Volk angehören. Wo lebt dieses Volk?“ „Wir sind Waldstätter“, antwortete ich. Die beiden Roten schienen nicht klug aus meiner Antwort zu werden. Wie sollten sie auch! Ich wusste auch nicht, wie ich ihnen die Sache beibringen sollte. Ich sah es als verlorene Liebesmüh’ an, ihnen die Talschaft am Vierwaldstätter See zu beschreiben. Konnten sich Indianer einen Ort und deren Menschen in der Alten Welt vorstellen? Wie konnte ich diesen einfachen Menschen erklären, in welchem Teil der Welt wir aufgebrochen waren, um schnöselig in ihrem aufzutreten? Der sein Pferd vor den Wölfen rettete wollte wohl wissen, wo wir unsere Wurzeln hatten. Hatten wir überhaupt noch unsere Wurzeln? Liegt des Menschen Ursprung in jenem Flecken, auf den er zufällig geboren wird? Oder ist die Abstammung nicht vielmehr dort zu suchen, wo die Sehnlichkeit sich niederlässt? Obwaldner! Nidwaldner! Urner! So verschiedenartig die Namen klingen, so unterschiedlich war damals auch das Wesen der Menschen. Noch verschiedenartiger waren seinerzeit die europäischen Völker. So verschieden wie – wie – na wie? Wie die roten Völker und Stämme Nordamerikas! Warum überhaupt steckte dieser Indianer seine Nase in anderer Leute Geschichte! Was kümmerten ihn Obwaldner und Nidwaldner? Geburt, Abstammung und Hautfarbe: Für mich bedeuteten diese Äquative viel. Was hätte ich dafür gegeben, wenn meine Haut rot gewesen wäre! Als Indianer das Licht der Welt erblicken: Ich konnte mir kein erhebenderes Gefühl vorstellen. „Unsere Freunde sollen auch eure Freunde sein, und eure Feinde werden unsere Feinde sein. Keine irokesische Hand soll euch ein Leid zufügen“, sagte der junge Cherokee in feierlichem Ernst. Diese Zuneigung hatte ich von einem Indianer nicht erwartet. Ich fand keine Worte. Fast war ich beschämt. Was hatte ich nicht alles über diese „Rothäute“ hören müssen! Es seien dumme, zurückgebliebene Wilde, zu keinen menschlichen Regungen fähig,
behaupteten geistlose Menschen, die offensichtlich noch nie einen Indianer zu Gesicht bekommen hatten. „Vor vielen Monden kamen unsere Mütter und Väter in dieses Land“, ergriff der alte Medizinmann wieder das Wort. „Andere Stämme lebten bereits hier: In den Bergen des Nordens die Yuchi, 12 im Land der aufgehenden Sonne die Tutelo, bei den grossen 13 Flüssen im Süden die Catawba und an den Ufern der Seen im 14 Land der untergehenden Sonne die Muskogee. Diese Stämme sprechen alle nicht die gleiche Sprache wie die Cherokee. Wir sprechen die Sprache der Irokesen. Denn unsere Mütter und Väter kamen auch aus dem Land der Fichten und Tannen und der Grossen Seen im Norden. Die roten Brüder hier im Süden liessen uns in Frieden. Wir stellten am Yadkin River unsere Wigwams auf und gingen auf die Jagd. Es gab genug Wild für alle. Dann kam der Weisse Mann in dieses Land. Er baute seine eigenen Wigwams, die er Häuser nennt. Ihre Formen sind hart, und überall ragen scharfe Kanten hervor. Diese groben Formen der Häuser bestimmen auch das Besitzdenken der Menschen, die darin wohnen. Oft hören wir den Weissen Mann sprechen: ‚Das ist mein Haus, das ist meine Frau, das ist mein Hund, das ist mein Land.’ Wir verstehen den Weissen Mann nicht. Für uns ist die Erde Mutter alles Lebendigen – nicht nur des Menschen, sondern der gesamten Schöpfung. Wir glauben, dass alle Wesen, Steine, Pflanzen, Tiere, Geister, dasselbe Recht auf Dasein und Leben haben wie der Mensch. Wir verstehen auch nicht, warum der Weisse Mann sagt, wir seien ‚schlecht’, weil wir Gott nicht so verehren, wie es seine Regeln vorschreiben. Er nennt uns ‚Heiden’, weil wir die ‚frohe Botschaft’ und die ‚Sünde’ nicht kennen. Also kommt der Weisse Mann in unser Wigwam und bringt uns die frohe Botschaft in der einen Hand, um uns von den Sünden zu erlösen, die er in der anderen hält.“ Ich war nun dran, das Ritual mit der Pfeife fortzusetzen. Allerdings war ich im Rauchen nicht so geübt wie meine Vorraucher. Trotzdem tat ich einen kräftigen Zug. Ungehindert strömte der Rauch durch Mund und Nase und Lunge und begann zu kribbeln und zu jucken, zu kratzen und zu brennen, zu beissen und zu stechen. Der heilige Gebetshauch meiner roten Brüder verwandelte sich in meinem Innern zu einem würgenden Rauch und erstickenden Qualm. Wollte 12 13 14
im Osten gemeint waren wohl der Wateree und der Savannah im Westen
ich mir mein Elend zuerst verbeissen, musste ich doch schnell einsehen, dass es keine Rettung mehr gab. Ich würde mein Gesicht unweigerlich verlieren. Der Rauch drängte nämlich unbeirrt von innen nach aussen. Dabei fing ich an zu prusten und zu husten und schnappte wie ein Fisch nach Luft. Hans, der Büchsenmachersohn, hämmerte mit seiner Hand auf meinem Rücken herum, als wollte er ein Stück Eisen in seine Form bringen. Nachdem der gröbste Husten und Niesreiz vorbei war, musste ich mich zuerst erholen. Wenn ich geglaubt hatte, die beiden Indianer würden mich belächeln oder gar ein langes Gesicht machen, dann hatte ich mich geirrt. Sie verzogen keine Miene, liessen mich nicht aus den Augen und warteten geduldig auf meine Rede . . .
Mato-Tope ist mit einem Durchziehschurz und einigen Kopffedern bekleidet. Am ganzen Körper trägt er rote und gelbe Bemalung, der Tomahawk vervollständigt den kriegerischen Anblick.
5. Kapitel
Familienrat
E
rst am Nachmittag wagten wir uns nach Hause.
Der den weissen Bären sah, der alte Medizinmann, hatte uns viel über das Leben der Cherokee erzählt. Auch sein Sohn hatte sich uns anvertraut. Ich war beeindruckt und aus dem Staunen nicht herausgekommen. Auch Hans sah jetzt die Roten mit anderen Augen. Über seine Verfehlung am Vortag hatte der Alte kein Wort verloren. Mein Gefährte war natürlich froh darüber. Der den weissen Bären sah hatte uns verraten, dass die Cherokee ihre Tipis abbrechen und wegziehen würden. Der Vorfall am Morgen hatte ihre Ehre gekränkt. Ich konnte sie gut verstehen. Trotzdem hatten wir Freunde in ihnen gewonnen. Es war eine herzliche Freundschaft, die sie uns entgegenbrachten. Sie setzten uns offenbar nicht mit den Leuten von Salisbury gleich. Ich sollte sie später immer wieder für ihr Gefühl, ihren Spürsinn, andere würden Instinkt sagen, bewundern. Warum standen sie mit uns auf so freundschaftlichem Fuss? Waren wir nicht auch geprägt durch unsere Herkunft wie alle anderen Weissen? Ich sollte mir diese Frage noch oft stellen. Die Indianer verstanden es meisterhaft, im Leben zu differenzieren. In ihrem Denken gab es kein Schwarz oder Weiss, kein Gut oder Böse. Ihre Lebensphilosophie war eine andere als die des Weissen Mannes. So wie die Natur verschiedene Pflanzen, verschiedene Baumarten und verschiedene Tiere hervorbringt, so gibt sie auch den Menschen von verschiedenen Völkern und Stämmen, verschiedenen Hautfarben und verschiedenen Sprachen Raum, um zu leben. Irokesen, Sioux oder Kiowa unterscheiden sich in ihrer Sprache, ihrer Geschichte, ihren Sitten oder ihrem Charakter wie Eidgenossen, Franzosen oder Engländer voneinander. Die roten Völker hatten sich den unterschiedlichen Umweltgegebenheiten angepasst. An der Meeresküste, in der Tundra, in den Flusstälern und zwischen den Gebirgen hatten sich eigenständige Kulturen und Lebensweisen ausgebildet. Unter dem Einfluss der landschaftlichen und klimatischen Verhältnisse hatten sich auch verschiedenartige Stämme entwickelt.
So gehören Cherokee, Huronen und Tuscarora ebenso zum irokesischen Volk wie Obwaldner und Nidwaldner zu den eidgenössischen Waldstättern. Die Verschiedenartigkeit der Indianerstämme war mir schon im Gebiet von New York, New Jersey und Virginia aufgefallen. Es machte mich stutzig, dass viele Weisse alle „Rothäute“ über einen Kamm scherten. Warum sahen sie diese Vielfalt nicht? Nicht alle „Bleichgesichter“ waren aber mit Blindheit geschlagen. „Wer nur einen Stamm gesehen hat“, brachte ein Waldläufer vor, „weiss von den Indianern so wenig, wie einer von der Farbe der Vogelfedern weiss, wenn er nur Krähen erblickt hat.“ Ganz anders waren diesbezüglich die Indianer. Sie kamen sehr schnell dahinter, mit wem sie es zu tun hatten. Sie unterschieden die Bleichgesichter nicht nur durch die Uniformen. Sie hatten eine feine Nase dafür, ob sie einen Weissen vor sich 15 16 hatten, der zu dem Volk der „Rotröcke „, der „Langmesser „ oder 17 der „Büchsenmacher „ gehörte. Warum also standen wir in der Gunst der Cherokee? Trauten sie uns Waldstättern mehr als den überheblichen Engländern oder den 18 ungattlichen Yankees ? Ich konnte es nie in Erfahrung bringen. Ich wusste nur, dass die Indianer auf uns nicht angewiesen waren, denn sie waren die eigentlichen Herren dieses Landes. Sie seien schon immer hier gewesen, hatten sie uns erzählt. Aber sie führten sich nicht wie Herren auf. Sie schienen mir unverdorben, redlich. Sie waren wie Kinder, die sich freuten, uns bei sich zu haben. Wie anders waren da die meisten meiner Rasse. Unverzagt und geradlinig wohl, doch auch bigott und kaltsinnig. Sie waren auf ihren Vorteil bedacht. Im Namen ihrer wilden Frömmigkeit liessen sie so manche Freundschaft in die Brüche gehen. Die Herzlichkeit, die ich bei den Cherokee gespürt hatte, sollte nur der Anfang von dem sein, was ich später an Freundschaft und Achtung bei den Indianern noch erleben durfte. Doch ich möchte der Geschichte nicht vorgreifen.
15 16 17 18
Britische Soldaten Amerikanische Soldaten Eidgenossen Amerikaner
Bevor wir uns also nach Hause wagten, hielten wir Ausschau nach den Büffeljägern. Sie waren verschwunden! Uns fiel ein Stein vom Herzen. Im Haus meiner Eltern fand gerade eine Versammlung statt. Der Sheriff war da und der Konstabler, Hans' Vater und die beiden Landvermesser. „Kommt mal herein, Josef und Hans“, forderte uns mein Vater auf, als er uns unter der Tür stehen sah. Ich glaubte in seiner Stimme eine Doppelbödigkeit herauszuhören. Ich kannte meinen Vater. Ich ahnte nichts Gutes. Auch Hans war offenbar mulmig zumute. Was machte sein Vater hier? Verstohlen warfen wir uns einen Blick zu. „Was ist, Vater?“ fragte ich und gab mir den Anstrich von Unbefangenheit. „Die Sache gefällt mir überhaupt nicht, das kann ich euch sagen!“ „Was, Vater?“ „Ihr wisst, wovon ich rede! Der Adam Biddle ist tot. Sein Blut klebt offenbar an den Händen jener Büffeljäger, die in unseren Stallungen übernachtet haben. Die Mordbuben sind verschwunden. Der Sheriff hat uns von dem Vorfall berichtet.“ „Wir wissen nicht, was die Jäger veranlasst hat, diesen Mord zu verüben“, ergriff nun der alte Amrein das Wort. „Wir tappen auch im dunkeln, von wo sie gekommen sind. Wenn uns auch nicht so schnell angst und bange wird, müssen wir dennoch die Augen aufmachen. Wer weiss, mit welchem Gesindel sie ihren Umgang haben.“ „Sie gehören zur Girty-Bande, Vater!“ platzte Hans heraus! „Wir haben sie gestern Abend belauscht!“ Mein Gefährte wagte die Flucht nach vorne. Das schlechte Gewissen plagte ihn wohl. Die Männer waren wie vom Schlag gerührt. Mit dieser Mitteilung hatten sie nicht gerechnet. „Simon Girty?“ fragte der Sheriff. „Ja, Sheriff“, bestätigte der Büchsenmachersohn. „Ihr habt seinen Steckbrief selber aufgehängt.“ „Ist es die Möglichkeit! Und ihr habt sie belauscht?“ „Ja, Josef und ich, gestern Abend auf dem Hof.“ „Also wisst ihr, warum die Büffeljäger den Adam Biddle umgebracht haben?“
„Ja, John Stanton und Frank Porter waren mit Girty bei den Tories. Diese hatten in Bryan's Station die Whigs angegriffen. Mr. Biddle war auch in Bryan's Station.“ Hans berichtete nun alle Einzelheiten von dem Gehörten. Niemand unterbrach ihn. Aller Augen hafteten an seinen Lippen. Als er fertig war, sagte mein Vater, in Gedanken versunken: „Ob Adam Biddle die Büffeljäger wohl erkannt hat?“ „So muss es gewesen sein!“ folgerte der Sheriff. „Um von dem Trader nicht erkannt zu werden, haben sie ihn umgebracht. Den Verdacht wollten sie auf die Cherokee lenken. Dabei hätten sie auch noch ihre Konkurrenten im Pelzgeschäft ausschalten können. Ein gerissener Plan! Wir wären fast darauf hereingefallen! Wenn da diese beiden Jungs nicht gewesen wären!“ „Die Büffeljäger stecken also mit diesem Simon Girty unter einer Decke!“ rief mein Vater entrüstet. „Gott strafe diese brutale, elende und verworfene Kreatur! Ich habe gehört, dass der Schurke mit den Indianern durchs Land zieht und die fürchterlichsten Gräueltaten unter den Siedlern anrichtet. Und jetzt haben wir seine Komplizen auch schon hier in Salisbury!“ „Wir müssen sofort unsere Miliz einberufen“, sagte der Sheriff, dem die Worte meines Vaters die Augen geöffnet hatten. „Wer weiss, ob Girty mit seinen Horden nicht bereits vor unserer Stadt auf der Lauer liegt!“ „Ihr könnt auf mich zählen, Sheriff“, sagte mein Vater. „Ich werde sogleich meine Armbrust holen. Die Schurken sollen wissen, woher der Wind weht.“ „Ich werde dich begleiten!“ ereiferte ich mich und stellte mich nachdrücklich neben meinen Vater. „Das hast du dir so gedacht, mein Junge“, sagte er. „Du bleibst schön zu Hause. Wir müssen nämlich befürchten, dass die Büffeljäger dir und Hans nach dem Leben trachten wollen. Ihr habt immerhin ihre Pläne vereitelt.“ „Um Himmels willen, Josef, mein Junge!“ hörte ich die verzweifelte Stimme meiner Mutter. „Nach deinem Leben trachten sie!“ So hatte ich meine Mutter noch nie gesehen. Angst las ich in ihren Augen. Sie, die ihre Kraft aus dem Glauben schöpfte. Seit je hatte sie sich in ihr Schicksal gefügt. „Er wird's schon richten“, hatte ich sie oft sagen hören. Sollte sie jetzt von ihrer Lebensregel abrücken? Für mich, ihren einzigen Sohn, ihr ein und alles? Meine Mutter! Eine Seele von einem Menschen! Noch nie hatte ein Hungerleider umsonst an ihre Tür geklopft. Sie konnte nicht nein
sagen, obwohl ihr Leben hart war. Auch der Unstern in den Waldstätten hatte sie nicht vergrämt. Sie war bescheiden geblieben und hatte immer auf Gott vertraut. Meine Mutter! Sie kannte alle Geschichten aus der Bibel und verstand auch deren Gleichnisse. Die Kunst des Bestickens von Baumwollstoffen hatte sie von ihrer Mutter, einer klugen Frau aus dem glarnerischen Näfels, gelernt. Ich kannte niemanden, der ihrer Sache so mächtig war wie sie. Meine Mutter! Sie ehrte ihren Mann, meinen Vater. Nie habe ich von ihr ein böses Wort über ihn gehört. Sie hatte auch zu ihm gehalten, als die Stanser über ihm den Stab gebrochen und uns aus der Heimat vertrieben hatten. Sie hatte uns zusammengehalten. Wie oft hatte ich Trost bei ihr gefunden! Ihre Art hatte mich geprägt. Mit Güte und Klugheit wusste sie mich zu lenken. Nun stand sie vor mir, und ich konnte die Angst in ihren Augen lesen. Keiner der Männer machte auch nur die leiseste Bewegung. Die Sprachlosigkeit war im Raum spürbar. Mein Blick wanderte zu Mr. Rowlandson hinüber, der auf der Bank neben dem Kamin sass. Er war einer der Landvermesser. Er hatte bisher kein Wort geredet. Jetzt aber erhob er sich und trat zu meiner Mutter. „Ich kann Eure Angst verstehen, Mrs. Brandstetter“, sagte er mit tiefer Stimme, „obwohl ich keine Kinder habe. Ich kann Euch vielleicht aus der Patsche helfen. Die Jungs müssen eine Zeitlang von der Bildfläche verschwinden, bis über der Sache Gras gewachsen ist. Das ist mal klar. Mr. Benton und ich reiten morgen weiter. Wir werden im Bluegrass-Gebiet Land vermessen. Wir brauchen dazu noch zwei tüchtige Messkettenträger. Euer Sohn und Hans Amrein scheinen mir die Richtigen zu sein. Die jungen Herren können dabei haufenweise lernen und sehen noch etwas von der Welt . . .“
Vor den Augen der Frauen und Kinder spielt sich ein wild losbrechender Bisontanz ab. Etliche Indianer haben sich Bisonmasken aufgesetzt, alle tragen ihre Waffen und Schilde und wirbeln, springen, stampfen und kriechen furchterregend durcheinander. Ihre Bewegungen ahmen zum Teil die der Bisons nach, zum Teil nehmen sie den kommenden Kampf vorweg, wobei ein rauher Gesang die Jagdbeschwörung untermalt und trotz allem Tumult einen gewissen Rhythmus erzeugt.
6. Kapitel
Aufbruch
I
n der Nacht hatte es nochmals geschneit, und der Boden war
gefroren. Ein leichter Schimmer über Salisbury kündete endlich den nahen Tagesanbruch an. Ich war bereits wach. Geschlafen hatte ich nur wenig. Zu viele Gedanken waren mir durch den Kopf gegangen. Es war beschlossene Sache, dass wir mit den beiden Landvermessern reiten sollten. Hier in Salisbury seien wir unseres Lebens nicht mehr sicher, hatte der Sheriff uns reinen Wein eingeschenkt. Lobo, der Neger des ermordeten Traders sollte auch mitkommen. Wir hatten ihn am Abend zu uns ins Haus geholt. Als wir um die Mittagszeit unsere Pferde für die Abreise vor der Schmiede sattelten, schien die Sonne wieder. Das Wasser der Schneeschmelze wusste nicht recht, wohin es fliessen sollte, da der Boden gefroren war. Wir standen deshalb bis zu den Knöcheln im Schneebrei, währenddem wir unsere Maisbrote, Werg zum Putzen der Büchsen, Zucker und Salz, Knoblauch und Zwiebeln gegen Husten oder Diphtherie, Ahlen, Nadeln und Messketten in den Satteltaschen verpackten, Pulver, Blei und Kugelzangen in den Jagdtaschen verstauten und Hacken, eiserne Pfannen, Decken, Jakobsstäbe und die Musketen mit Lederriemen an den Sätteln befestigten. Die Jagdmesser, Tomahawks, Kugeltaschen und Pulverhörner machten wir an den Gürteln fest, die auch noch unsere Kittel und Röcke zusammenhielten, die mit Fransen und Troddeln besetzt und von der gleichen Farbe wie der Wald waren. Begleitet von Vater und Mutter ging ich dann zum Bethaus hinüber. Es war ein einfacher, schmuckloser Bau. Vater hatte einen Gottesdienst arrangiert. Die Männer, die bereits vor dem Bethaus versammelt waren, trugen alle Hüte mit flachem Kopf und grosser, seitlich aufgerollter Krempe. Diese Quäkerhüte waren mir ein Gräuel. Ich hatte mir geschworen, nie einen aufzusetzen. Als ich mich unter die feierliche Gesellschaft stellte, wurde ich mit einiger Verwunderung betrachtet. In meinem Jagdanzug stand ich denn auch in grossem Kontrast zu den Graugewandeten. Ich strich mein langes Haar kühn hinter die Ohren und schritt ins Bethaus. Der Geistliche hielt die Ansprache. Doch schon nach seinen ersten düsteren Worten durchfuhr mich ein Schauer, als er von den
heidnischen Indianern sprach, die hinter den Bergen ein armseliges Dasein fristen würden. Ohne festen Glauben seien diese gottlosen Geschöpfe dem Teufel und der Hölle ausgeliefert. Auch hätten sie keinen Begriff von Sünde. Es sei die heilige Pflicht der Weissen, diese primitiven Religionen einzudämmen und die Herrschaft über die roten Völker zu gewinnen, damit sich der wahre Glaube durchsetzen könne. Kein Mensch dürfe die Gewalt über die Kräfte der Welt besitzen. Jene Heiden, die von der Gotteslästerung nicht abliessen, seien sitzend auf einen Pfahl zu binden und tief ins Wasser zu tauchen, bis diese Besserung geloben würden. Mir kamen die Worte des Medizinmannes wieder in den Sinn: „Der Weisse Mann bringt uns die frohe Botschaft in der einen Hand, um uns von den Sünden zu erlösen, die er in der anderen hält.“ Wieviel verständiger und weitherziger war mir doch der alte Cherokee-Indianer erschienen als dieser Quäker! Ich mochte kaum das Ende des Gottesdienstes abwarten. Als sich endlich die Tür des Bethauses auftat, drängte ich mich als erster durch die vielen Leute nach draussen. Zur Schmiede zurückgekehrt, galt es endlich Abschied zu nehmen. Schweren Herzens trennte ich mich von den Eltern. Als ich in das bleiche Antlitz meiner Mutter blickte, gab es mir einen Stich. Ich griff ein letztes Mal nach ihrer Hand, küsste sie und wandte mich ab. Ich konnte die Tränen nicht länger zurückhalten. In diesem Moment kam Vater aus der Schmiede. Er hatte seine Armbrust geschultert. „Hier, mein Sohn“, sagte er und nahm die alte Schusswaffe von der Schulter. „Mein Urgrossvater war schon im Bauernkrieg Armbruster. Halte die Waffe in Ehren, dann wird sie auch dir gute Dienste tun.“ Ich machte grosse Augen, denn ich wusste, was die Armbrust für Vater bedeutete. Verwirrung und Befangenheit beschlichen mich. Vater fand aber die Worte, welche keine Rührseligkeit aufkommen liessen: „Reitet endlich los! Oder wollt ihr am Waldrand dort drüben schon das erste Nachtlager aufschlagen!“ Ich hängte mir die Armbrust über die Schulter und verabschiedete mich mit feierlichem Ernst von Vater. Mr. Rowlandson und Mr. Benton, die beiden Landvermesser, hatten sich inzwischen auf ihre Pferde gesetzt und ritten an uns vorüber aus dem Hof, um die Führung zu übernehmen. Ich schwang mich ebenfalls auf meinen Braunen, der freudig seine Nüstern blähte. Er ahnte wohl, dass wir uns zu einer langen
Reise aufmachten. Ich sagte meinen Eltern nochmals Lebewohl, drückte dem Pferd die Hacken meiner Stiefel in die Weichen und schwenkte meinen Hut. Es war ein Abschied für lange Zeit! Mit gemischten Gefühlen ritt ich mit Hans und Lobo in den sonnigen Nachmittag hinein, unseren Führern im Trab folgend. Vor der Stadt blickte ich noch einmal auf „unseren“ Hügel hinauf, von wo man den herrlichen Blick auf die Bergwälder der Appalachen hatte. Mit offenen Augen hatten wir davon geträumt, eines Tages in diese Bergwälder hinauf zu reiten. Nun sollte der Traum Wirklichkeit werden! Schon in wenigen Tagen würden wir durch das unberührte Waldland ziehen. „Indianer kommen“, rissen mich die Worte des Mohren aus meinen Gedanken. Er zeigte mit seinem ausgestreckten Arm in die Richtung „unseres“ Hügels. Tatsächlich erblickte ich dort oben zwei indianische Reiter. Sie kamen die Tallehne heruntergeritten. Jetzt erkannte ich sie. Es waren der Medizinmann Der den weissen Bären sah und sein Sohn Der sein Pferd vor den Wölfen rettete. Wir zügelten unsere Pferde. Der sein Pferd vor den Wölfen rettete, der junge Cherokee, lenkte sein Tier an meine Seite. Ich blickte in sein Gesicht. Es war freundlich. Wir grüssten uns. Dann band er seinen Gürtel los und reichte ihn mir. 19 „Dieser Wampum wird euch Schutz gewähren“, sagte er. „Er ist heilig. Unsere Mütter und Väter haben ihn aus dem Land der Fichten und Tannen mitgebracht.“ Ich war gerührt. Es war ein mit weissen Muschelperlen und Feuersteinen gefertigter Gürtel. Ovale Formen, weisse Linien und Karos stellten Sinnbilder dar. Wie ich später erfuhr, war der Wampum eine „Urkunde“ des irokesischen Bärenclans. Die Irokesen hatten ihre Jagdgründe im Gebiet der Grossen Seen. Von dort waren auch die Cherokee gekommen, wie uns Der den weissen Bären sah erzählt hatte. Irokesisch ist auch heute noch die Muttersprache der Cherokee. Bei den Zeremonien der Irokesen spielte der Muschelschmuck eine besonders wichtige Rolle. Sie verwendeten ihn zur Pflege diplomatischer Beziehungen und Übermittlung von Nachrichten. Die weissen Perlen bedeuteten Frieden. Die ovalen Formen wiesen auf die Lagerfeuer des Stammes hin. Eine weisse Linie stellte einen Weg dar. Die Karos 19
Wampums symbolisierten Vereinbarungen und Verträge mit Weissen und anderen Stämmen. Sie hatten einen immensen Wert.
drückten die Bande der Freundschaft aus. Aber was bedeuteten die Feuersteine? Sie bargen wohl ein Geheimnis! Doch als ich den Gürtel von dem jungen Cherokee entgegennahm, ahnte ich natürlich nichts von seiner Bedeutung. Schutz werde er uns geben, hatte Der sein Pferd vor den Wölfen rettete gesagt. Aus der Sicht der Indianer wohnte den weissen Muschelperlen eine göttliche Kraft inne. Sie massen dem Wampum eine hohe Bedeutung bei.
A
m fünften Tage nach unserem Aufbruch aus Salisbury
befanden wir uns im Gebiet der Catawba-Wasserscheide. Es gab da einen Präriestreifen, der ganz von Wald eingeschlossen war. Ich liess meine Gedanken, die von dem herrlichen Frühlingstag noch beflügelt wurden, über die Prärie wandern. Die wunderbare Natur liess mich die Strapazen des langen Ritts vergessen. Selbst der Tannenwald in der alten Heimat war nicht von dieser Majestät wie der Wald hier. Die mächtigen Fichten und Helmlockstannen standen am Rand des Graslandes Spalier. Bestimmt standen sie schon eine Ewigkeit hier; sie schienen überhaupt für die Ewigkeit bestimmt zu sein. Ein blauer Himmel wölbte sich über dem Grün von Gras und Wald, und es duftete nach Erde und Pferdeschweiss. Niemand durfte die Ruhe stören. Auch wir nicht. Zudem waren wir dazu eh ausserstande, so winzig und unbedeutend wie wir uns in dieser riesigen Landschaft bewegten. Hinter dem Wald erstreckten sich die Ausläufer der Blue Ridge Mountains. Dorthin lenkten wir unsere Pferde. Die Gegend ist mir gut in Erinnerung geblieben. Deshalb wohl, weil mir Lobo dort sein Herz ausgeschüttet hatte. Wir zwei waren etwas zurückgeblieben. Die anderen konnten uns nicht hören. Also ergriff der Mohr die Gelegenheit und zog mich ins Vertrauen. Er würde von den Landvermessern schlecht behandelt, klagte er. Ich hatte das natürlich auch gesehen. Seitdem wir nämlich Salisbury verlassen hatten, war Lobo der „Nigger“ von Mr. Rowlandson. Es war Brauch, das jeder Neger jemandem gehören musste. Dagegen hatte er auch nichts auszusetzen. Aber Mr. Rowlandson behandelte ihn schlechter als einen Hund. Stockhiebe waren an der Tagesordnung. Des Nachts hatte er ihn sogar an
einen Baum gebunden. „Es ist mein Standpunkt, keinem Nigger die Gelegenheit zu geben, auszurücken“, hatte der Landvermesser uns sein Tun klargemacht. Auch Hans und mir gegenüber zeigten die beiden Landvermesser ein seltsames Verhalten. Gleich am ersten Tag hatten sie uns erläutert, dass wir als Messkettenträger keinerlei Ansprüche anzumelden hätten. Wir könnten froh sein, dass sie uns überhaupt aus dem Nest herausgeholt hätten. Darauf wussten wir nichts zu entgegnen. Aus Spass hatten sie dem Nigger eine rote phrygische Mütze auf seinen Kopf gestülpt. Das leuchtende Rot der Mütze und das tiefe Schwarz seiner Gesichtsfarbe bildeten einen königlichen Kontrast. Das gefiel den beiden so gut, dass sie dem Nigger verboten, die Mütze wieder abzunehmen. Wir nannten Lobo seither Rotkäppchen. Die Nigger würden vor allem in den Zucker- und Baumwollplantagen im Süden eingesetzt, hatte uns Mr. Rowlandson erklärt. Sie seien gute Arbeitskräfte, besser als die Indianer. Leider würden sie vor Faulheit stinken. Nur die unbedingte Härte könne diesem Übel abhelfen. Jeder Besitzer eines Niggers sei gut beraten, diesen an die Kandare zu nehmen. Ich hatte noch nicht viele Nigger gesehen. Ehrlich gesagt: Lobo war der einzige. Faul war er aber bestimmt nicht. Mit Sorgfalt bereitete er uns das Essen zu und überhaupt, er ging uns an die Hand, wo er nur konnte. Auch wenn Rotkäppchen ein Nigger war, gefiel er Hans und mir besser als die strengen Landvermesser. Währenddem wir also dem Waldrand entgegenritten, ermunterte ich Lobo, durchzuhalten, bis wir das Bluegrass-Gebiet erreicht hatten. Dort würde uns dann schon etwas einfallen. Der Boden stieg nun allmählich an; bewaldete Hügel und weite, ineinander verschlungene, mit Lorbeerbäumen und Rhododendren bewachsene Flächen, welche die hochaufragenden Gebirgszüge der Blue Ridge Mountains säumten, traten von rechts und links heran. Dazwischen öffnete sich ein enges Tal, in dem ein Bach floss. Diesem folgten wir. Je weiter wir kamen und je mehr wir an Höhe gewannen, desto faltiger und karstiger wurden die Berge, die sich in der klaren durchsichtigen Luft erhoben. Die vorausreitenden Landvermesser hielten an und stiegen ab. „Dort oben liegt Gillespie's Gap“, hörten wir Mr. Rowlandson sagen, der mit der ausgestreckten Hand auf einen Pass zwischen zwei Bergspitzen deutete.
„Führen Weg da hinauf?“ fragte Lobo den Landvermesser und rückte seine rote Mütze zurecht. „So ist es! Allerdings werden wir erst morgen früh zum Gap hinaufsteigen. Hier im Tal gibt es genug Wasser, Brennholz und Futter. Wir werden einen geeigneten Platz für das Nachtlager suchen.“ Wir stiegen wieder auf unsere Tiere und folgten den beiden Landvermessern, die den Bach durchquerten. Das Gras hier am Wasser war grün und saftig. Mr. Benton, der Landmarkierer, kam als erster am anderen Bachufer an. Er stiess einen halblauten Ruf aus, als ob er etwas entdeckt habe. „Was gibt's, George?“ fragte Mr. Rowlandson, der hinter ihm ritt. „Da ist wohl schon jemand vor uns geritten!“ Er deutete auf eine Fährte. Hans, Rotkäppchen und ich hatten inzwischen die Stelle auch erreicht. Wir sahen nun die Spur auch, die von Pferdehufen stammen musste. Das Gras hatte sich noch nicht wieder erhoben. Die Fährte war also noch frisch. Die beiden Landvermesser waren abgestiegen und untersuchten die Eindrücke. Hans und ich waren neugierig, zu erfahren, wer hier geritten war. Würden wir bald Indianern begegnen? „Es waren Weisse“, zerschlug Mr. Benton unsere Hoffnung. „Wie wollt Ihr das wissen?“ fragte ich mit einem skeptischen Blick. „Die Pferde trugen Hufeisen“, antwortete der Landmarkierer, der meine Bedenken nicht bemerkt hatte. „Die Indianer beschlagen ihre Tiere nicht. Also waren es Weisse!“ Da Gillespie's Gap oft von Backwoodsmen überquert werde, liess sich Mr. Rowlandson wegen der Fährte keine grauen Haare wachsen. Wir setzten den unterbrochenen Ritt am Bach hinauf fort. Das Tal wurde breiter. Weiter oben standen Büsche und Bäume. Dahinter zeigte sich eine Felsenenge, durch die der Bach lustig heraussprudelte und talabwärts plätscherte. Wir stiegen aus den Sätteln und passierten die Enge im Gänsemarsch. Dahinter bekamen wir eine kleine Wiese zu Gesicht. Da es dort auch Brennholz gab, wurde beschlossen, das Nachtlager aufzuschlagen. Die Pferde liessen wir grasen. Beim Aufstieg hatten wir einige Rehe am Waldrand gesehen. Da unser Proviant zur Neige ging, band nun Mr. Rowlandson Hans und mir auf die Seele, dieses Wild aufzuspüren. Es solle aber keinem von uns einfallen, ohne einen Rehbraten zurückzukehren, bestellte er uns.
Wir trauten uns durchaus zu, einem Reh den Fangschuss zu geben. Sowohl Hans als auch ich waren oft in den Wäldern der alten Heimat auf die Jagd gegangen. Zudem kam es uns gelegen, eine Zeitlang aus dem Blickfeld der beiden Landvermesser zu verschwinden. Wir hätten auch Rotkäppchen gerne mitgenommen. Aber er musste am Eingang zu der Wiese Wache halten.
An mehreren Stellen des hügeligen Graslandes sieht man von der flüchtenden grossen Herde abgesprengte Bisons, neben denen die Indianer auf ihren schnellen, ausdauernden, auf die Büffeljagd abgerichteten Pferden herjagen, um aus nächster Nähe Pfeile abzuschiessen oder den Speer dem Büffel ins Herz zu stossen. Verwundete und in die Enge getriebene Bullen sind zum Angriff übergegangen, ein zu Tode getroffener hat ein Pferd niedergerissen. Ein Jäger kann gerade noch von seinem stürzenden Pferd auf einen Büffelrücken steigen und von dort nach hinten abspringen.
7. Kapitel
Pumas
H
ans und ich befanden uns in felsigem Gelände. Ich hatte mit
meiner Armbrust eine Rehgeiss erlegt. Hans hatte es keine Mühe bereitet, die Geiss auf seine Schulter zu packen. Wir wollten gerade über eine flache Felskuppe zu den andern zurückkehren. Am Fuss einer Geröllhalde liess uns ein Geräusch aufhorchen. Wir blickten hinauf. Sand rieselte von oben herab. Ich zuckte zusammen. Doch der Blick nach oben entschädigte mich spornstreichs für den Schreck. Zwei junge Pumas, die beim Raufen wohl den Halt verloren hatten, schlitterten nämlich geradenwegs vor unsere Füsse. Dabei wehrten sie sich mit aller Kraft gegen die unabsichtliche Rutschpartie. Belustigt beobachteten wir die beiden Racker. Diese hatten ein dunkel geflecktes Fell und geringelte Schwänzchen. Verdrossen fauchten sie uns an und trollten sich. Dort wo wir uns befanden, lagen einige Felsbrocken, hinter denen wir uns verbargen. Nicht vor den beiden Jungtieren hatten wir uns zurückgezogen, sondern vor der Pumamutter, die nicht weit sein konnte. Aus den Waldstätten wussten wir um die Gefährlichkeit vor allem von Bärinnen, die ihre Jungen beschützten. Und tatsächlich! Wir hatten uns gerade in unserem Versteck niedergekauert, als Hans nach oben zeigte. Über der Geröllhalde tauchte der Puma auf. Es war ein herrliches Tier mit einem schlanken Körper und einem langen Schwanz. Sein dichtes, kurzes und weiches Fell war rötlichgelb. Es war die Mutter der beiden Racker. Sie hatte uns zum Glück nicht gesehen. Der Puma greift, selbst wenn er in die Enge getrieben wird, nie den Menschen an. Aber das wussten wir damals nicht. Pumas gab es in fast ganz Amerika: Von Kanada im Norden bis zum südamerikanischen Patagonien hinunter. Sie fühlen sich in Berg- und Sumpfland genauso wohl wie in Steppen und Waldgebieten. Und ein Revier im Tiefland ist ihnen ebenso recht wie eines in Höhen bis zu viertausend Metern. Das Pumaweibchen behielt unsere beiden Helden von ihrem erhöhten Standort aus im Auge. Deren ganzes Interesse wurde im Moment durch die Erkundung der neuen Umgebung beansprucht. Den Teil unterhalb der Geröllhalde hatten sie schliesslich noch nicht ausgekundschaftet. Immerhin gab es da einige Dinge, die sie oben nicht zu sehen bekamen. So machten sie hier eine Bullennatter aus,
die sich sogar bewegte. Das war hochinteressant! Aber was konnte man mit ihr anstellen? Sie waren unsicher. Offenbar hatte es ihnen Mama auch nicht gezeigt. Als die Schlange zu drohen begann, zogen sie es vor, ihre Aufmerksamkeit anderen Dingen zuzuwenden. Keck marschierten sie unter einen Rhododendron, wo sie schleunigst weiterrauften. Konnte es etwas schöneres geben? Und sie waren nicht zimperlich, denn es ging immerhin darum, in Übung zu bleiben. Es musste schliesslich der Ernstfall geprobt werden, und so konnte es schon mal etwas rauher werden. Die beiden kriegten nicht genug. Mutter Puma sass immer noch auf ihrem Hochsitz. Ich befürchtete schon, sie würde die Rehgeiss wittern. Zu unserem Glück wehte der leichte Wind talabwärts, also in die entgegengesetzte Richtung. Wir wollten uns gerade zurückziehen, als oberhalb der Geröllhalde ein Schuss fiel. Was war geschehen? Waren unsere Weggefährten auch auf die Jagd gegangen? Das Pumaweibchen hatte sich ganz auf den Boden geduckt, blickte sich um. Dann tat es einen gewaltigen Sprung, welcher es an den Fuss der Geröllhalde brachte. Die Jungtiere ahnten, dass Gefahr im Anzug war. Jetzt hiess es natürlich: Nichts wie hin zur Mutter! Diese packte das eine Junge mit ihren Zähnen im Genick und trug es zu einer Felsspalte hinüber. Der kleine Racker kroch zwischen die Felsen, er war in Sicherheit! Das Pumaweibchen kehrte zurück, um das zweite Junge nachzuholen. Es hatte das Jungtier am Fuss der Geröllhalde gerade erreicht, als oben ein hochgewachsener, kräftiger, bärtiger und nussbrauner Jäger mit einer schwarzen Augenklappe auftauchte. Dieser riss sein Gewehr hoch und feuerte einen Schuss auf Mutter Puma ab. Die Wildkatze, die bereits mit ihrem Jungen die Flucht zur Felsspalte hinüber angetreten hatte, überschlug sich. Eine zweite Gestalt mit einem roten Walrossschnurbart erschien über der Geröllhalde, die ebenfalls auf die verwundete Katze feuerte. Leblos brach das arme Tier zusammen. Hans und ich kauerten noch immer in unserem Versteck. Ein Schauder lief mir über den Rücken, als ich John Stanton und Frank Porter, die beiden Mörder von Salisbury, erkannte. Mit Grausen mussten wir nun mit ansehen, wie Porter das fauchende und hilflos herumtapsende Jungtier, welches von der Mutter fallengelassen worden war, einfing und mit seinem Gewehrkolben erschlug. Mir
drehte sich das Herz im Leib herum. Warum mussten diese Männer alles töten, was ihnen über den Weg lief? Stanton machte sich derweil oberhalb der Geröllhalde zu schaffen. Nach einiger Zeit gesellte er sich wieder zu seinem Komplizen. Er trug ein blutiges Fell über dem Arm. Wir erfuhren nun, dass es von dem Männchen der Pumafamilie stammte. Wir wussten jetzt auch, wem der erste Schuss gegolten hatte. Welch eine Tragödie! „Pumafelle bringen ganz schön etwas ein“, hörten wir den Büffeljäger mit dem Walrossschnurbart sagen. „Sie entschädigen uns dafür, dass wir die Bisonfelle in Salisbury zurücklassen mussten“, antwortete Frank Porter. „Ja, du hast recht. Die Sache wurmt mich immer noch. Aber darauf kann ich dir Brief und Siegel geben: Eines Tages werde ich es den Leuten am Yadkin River gehörig eintränken!“ „Da werde ich mich auch nicht abseits halten, John. Darauf kannst du Gift nehmen!“ „Holen wir die Pferde, damit wir die Pelze aufladen können“, sagte Stanton, sich erhebend. „Die Sonne ist bereits untergegangen.“ Erst als die Hufschläge ihrer Pferde verhallt waren, wagten wir uns aus dem Versteck hervor. Wir konnten endlich aufatmen. Doch der Geruch des Todes hing in der Luft. Drei enthäutete Kadaver lagen als stumme Zeugen auf den Felsen. Die finsteren Gesellen hatten die Pelze der prächtigen Pumas auf die Pferde gepackt. Die Frevler hatten aber eines der zwei Jungen nicht entdeckt. Es steckte immer noch in der Felsspalte. Wir zogen es hervor. Es zitterte am ganzen Körper. Konnten wir es hier zurücklassen? „Es wird zugrunde gehen“, meinte Hans. Mir blutete das Herz. Sollte nun auch noch dieses verwaiste Geschöpf auf erbärmliche Weise verenden? Dann war die herrliche Pumafamilie vollständig ausgerottet, und Barbarei und Bestialität würden triumphieren! In mir sträubte sich alles. Nein! Die Unbarmherzigkeit sollte diesen Sieg nicht auch noch davontragen! Ich wollte das Pumababy retten. Die Kreatur sollte erfahren, dass es nicht nur grausame Menschen gibt. Der Versuch musste gelingen! Hans und ich schätzten das Alter des drolligen Rackers auf zehn bis zwölf Wochen. Wenn ihm die Mutter schon blutiges Fleisch mitgebracht hatte, dann würde ich ihn durchbringen. Als Hans mit der toten Rehgeiss und ich mit einem wild fauchenden Pumababy zurückkehrten, staunten die Landvermesser und Rotkäppchen nicht schlecht. Noch mehr überrascht waren sie
über unsere Mitteilung, dass wir die beiden Büffeljäger gesehen hatten. „Jetzt wissen wir wenigstens, von wem die Fährte stammt, die wir am Bach unten entdeckt haben“, sagte Mr. Rowlandson. „Wohin sind sie geritten?“ fragte uns Mr. Benton. Hans zeigte in die Richtung, wo Gillespie's Gap lag. „Also wollen sie vermutlich auch ins Bluegrass-Gebiet hinüber“, mutmasste der Landmarkierer. Da es inzwischen dunkel geworden war, konnten wir nicht mehr daran denken, den Standort der Büffeljäger auszukundschaften. Wir wagten auch nicht, ein Feuer anzuzünden. Sein Schein hätte uns verraten können. Nachdem ich ein Stück Maisbrot gegessen hatte, bezog ich mit Mr. Rowlandson an der Felsenenge, dem einzigen Zugang zu unserer Wiese, Posten. Den kleinen Puma führte ich an einem Strick mit. Er sträubte sich aufs heftigste. Ich postierte mich so zwischen den engen Felsen, dass das Junge in ständigem Körperkontakt mit mir war. Es sollte sich an mich, an meinen Geruch, an meine Stimme, gewöhnen. Stunde um Stunde verrann. Der kleine Racker hatte seinen Widerstand inzwischen aufgegeben. Er hatte sich in meine Jacke verkrochen. Weit nach Mitternacht wurden wir von Mr. Benton und Hans abgelöst. Sie sollten bis zum Morgen hier am Eingang ihre Stellungen einnehmen. Ich legte mich zum Schlaf nieder. Der Puma steckte immer noch unter meiner Jacke. Er hatte sich festgekrallt. Schliesslich wurden wir beide von der Müdigkeit übermannt.
A
ls ein leichter Schimmer über den Blue Ridge Mountains den
nahen Tagesanbruch verkündete, brachen wir schon auf. Wir mussten uns nämlich vor den beiden Büffeljägern in acht nehmen. Die Situation war widersinnig. Salisbury hatten wir verlassen, um ihnen aus dem Weg zu gehen. Aber wir waren ihnen direkt in die Arme gelaufen. Es war unser Glück, dass wir ihre Anwesenheit
zuerst bemerkt und dass sie uns nicht gesehen hatten. Wir wollten Gillespie's Gap vor ihnen passieren. Dem kleinen Racker hatte ich in meiner Satteltasche eine Art Logensitz eingerichtet. Obwohl er anfänglich noch ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter machte, so hatte er doch etwas Vertrauen zu mir gewonnen. Mr. Rowlandson meinte, dass jung gefangene Pumas sehr zahm werden könnten. Sie würden wie Katzen schnurren, wenn sie zärtlichen Kontakt suchten, und wie diese mit beweglichen Gegenständen spielen. Die Angabe des Landvermessers sollte sich schon bald bewahrheiten. Ich war natürlich überglücklich, das Junge aus den Klauen des Todes gerissen zu haben. Nachdem wir also die Wiese durch die Felsenenge verlassen hatten, ging es ziemlich steil bergauf dem Gap entgegen. Noch am Nachmittag des gleichen Tages erreichten wir einen Kessel, wo es eine Lücke in den Felsen gab – Gillespie's Gap. Wir befanden uns jetzt inmitten der Blue Ridge Mountains. Über den Verlauf dieses Rittes von den Blauen Bergen ins Bluegrass-Gebiet werde ich nicht berichten. Ich kann aber vorwegsagen: Wir standen unter einem günstigen Stern. Die Büffeljäger bekamen wir nicht mehr zu Gesicht. Nachdem wir die Blue Ridge Mountains überquert und fünf Tage später die Mündung des Grassy Creek passiert hatten, dachte niemand mehr von uns an John Stanton und Frank Porter. Zwischen den Roan und Yellow Mountains stiessen wir auf eine Landschaft, wie wir sie in unseren wildesten Phantasien nicht auszumalen gewagt hätten. Die Szenerie war eindrucksvoll, gewaltig. Ja, die Vielfalt erschien uns geradezu dramatisch. Eines Morgens ging es steil bergan, unter uns gähnte die Tiefe. Um die Mittagszeit erreichten wir eine weite, öde Hochfläche, über die wir im Galopp flogen. Und gegen Abend des gleichen Tages blickten wir von oben in den Abgrund eines Canyons hinunter. Diesen fanden wir genauso wie ihn uns John Stanton in Salisbury beschrieben hatte. Wir drangen aber auch ins Innere einer dieser engen, tief eingeschnittenen Canyons ein. Der Büffeljäger hatte vom „Schlund des Teufels“ gesprochen. Als wir aber durch den Canyon ritten, an dessen beiden Seiten mächtige Felsen in die Höhe ragten, sah ich nichts teuflisches, nur ein grosses Naturwunder. Der Teufel hatte dieses bestimmt nicht bewirkt! Die Felsen glichen mittelalterlichen Burgruinen.
Wir konnten Mauertürme, Zinnenkränze, Wehrplatten, Ringmauern, Bastionen, Pechnasen, Brustwehren, Mauerstreben und Schiessscharten erkennen. Die Jahrhunderte hatten aber auch ägyptische Pyramiden in die Felsen gehauen. Entstanden waren Tempel und Torbauten, Obelisken und Säulen. Aus römischer Zeit schienen Aquädukte und Triumpfbogen, aus der altchristlichen Epoche eine Basilika mit Mittel- und Seitenschiff, Altarnische, Kampanile, Atrium und Säulengang zu stammen. Mit etwas Kunstverstand hätten wir romanische Rundbogenfriese, Blendarkaden und Rundfenster oder gotische Rosetten, Strebebogen und Lanzettfenster, aber auch Pilaster, Kranzgesimse und Segmentfenster aus der Renaissance, barocke Ochsenaugen, Volutengiebel und Kartuschen sowie Hohlkehlen, Rahmenwerke und Ornamente aus dem Rokoko erkannt. Auch Stockwerkpagoden aus dem Reich der Mitte, Glockentürme aus dem Land der aufgehenden Sonne, islamische Minarette und indische Tempelanlagen kamen vor. Und das alles erstrahlte in einer unbeschreiblichen Farbenpracht. Durch das schräg von oben einfallende Sonnenlicht fluoreszierten die Steinmassen in tausend und aber tausend Schattierungen. Wunderschönes Schichtgestein glitzerte kupferrot und purpur neben einer Felsenkluft, deren Tönung sowohl das Smaragdgrün als auch das Türkis in sich begriff. Darunter leuchtete die Schichtstufe kobaltblau und indigo. Eine Felsterrasse darüber wies bernsteingelbe Nuancen auf. Das Auge schweifte von Gesteinsschicht zu Gesteinsschicht, von einem schimmernden Flieder zu einem funkelnden Pfefferrot, von einer anthrazit kolorierten Verwerfung zu einer ocker gefärbten Überschiebung, von einem Staffelbruch zu einer Pultscholle, von einer wasserblau spiegelnden Hangrinne zu einem grasgrün spriessenden Bergsattel und von einer feuerrot brennenden Felsschulter zu einer sonnengelb gleissenden Schutthalde. Wer mochte all diese Pracht geschaffen haben? Welcher geniale Geist hatte dieses Werk ins Leben gerufen? Gott? Es musste ein freizügiger und offener Gott sein, der hier am Werk war! Bestimmt war es nicht jener Gott, der in der Kirche von Stans und im Bethaus von Salisbury verkündet wurde. Nur ein Gott ohne Voreingenommenheit, ein geduldiger und versöhnlicher Gott konnte diesen heiligen Dom gebaut haben. War es der Grosse Geist der
Indianer, von dem die Cherokee gesprochen hatten? Die Gedanken liessen mich nicht mehr los, bis wir den Canyon wieder verlassen hatten. Wir überquerten den Pass zwischen den Roan und Yellow Mountains, wo immer noch Schnee vom letzten Winter lag. Dann stiegen wir zum Doe River hinunter.
Dieser Kriegshäuptling sorgt für Zucht und Ordnung unter den Indianern. Er gehört zur «Gesellschaft der Hunde», die bei einigen Stämmen eine Art Polizeifunktion ausübt und dafür sorgt, dass kein Jäger eigenmächtig den Jagdplan verdirbt und womöglich die Büffelherde verscheucht. Wenn das dennoch vorkommt, so wird der Betreffende ausgepeitscht oder seine Habe verbrannt.
8. Kapitel
Im Camp der Trapper
A
uf Befehl von Mr. Rowlandson steuerte ich das Kanu auf das
Kliff zu, das in den Watauga River hinausragte. Ich hatte aufgehört zu rudern. Ruhig trieb das Boot an Land. In der Nähe des steilen Abfalls stemmten wir die Paddel ins Wasser. Das Rindenkanu kam zum Stillstand. Vom Bug aus stiegen Mr. Rowlandson und ich ins flache Wasser. 20 „Dort unten liegen die Sycamore Shoals . Wenn die Beschreibung der Leute vom Watauga-Fort stimmt, dann muss 21 hinter diesem Kliff das Camp der Trapper liegen“, sagte der Landvermesser und beobachtete aufmerksam den mit Gebüsch bestandenen Uferhang. Mr. Rowlandson und ich waren vom Fort den Watauga hinuntergepaddelt. Wir wollten uns hier mit Pelztierjägern treffen. Der Landvermesser beabsichtigte, unter ihnen einen „Spion“ anzuwerben. Dieser sollte während unserer Arbeit für Proviant sorgen und ein scharfes Auge auf Indianer haben. Mr. Benton, der Landmarkierer, Rotkäppchen und Hans Amrein folgten mit den Pferden auf dem Landweg. Wir hoben den Bug des Bootes auf die schilfige Uferkante und zogen es vorsichtig aus dem Wasser. Mein kleiner Freund, der Puma, folgte mir auf Schritt und Tritt. Ich hatte ihn wegen seinem forschen Temperament Peppy getauft. Wir stiegen zum Waldrand hinauf. Dort schoben wir uns durch das Dickicht. Nur wenige Schritte hinter dem Saum des Waldes öffnete sich uns der Ausblick auf eine Lichtung. Unter einer Baumgruppe duckten sich einige Blockhütten. Vor einem Fellschuppen lagen kostbare Pelze und Häute ausgebreitet. Weisse Jäger verschnürten diese gerade zu Packs. Am Rand der Blösse brannte ein Feuer. Davor sassen zwei waschechte Fallensteller. Als sie uns aus dem Unterholz treten sahen, galt ihr erster Griff den Kentucke-Büchsen. „Ich hoffe, ihr kommt hier in friedlicher Absicht hereingeschneit, Leute!“ rief einer der Trapper uns unerwarteten Besuchern zu. 20 21
Klippen des Watauga Pelztierjäger, die Tiere ausschliesslich mit Fallen fingen.
„Wir sind friedliebende Landvermesser und tun niemandem etwas zuleide“, antwortete Mr. Rowlandson. „So spaziert herein in die gute Stube! Den Schiessprügel könnt Ihr ruhig beiseite legen“, begrüsste uns der kleinere der zwei Jäger und deutete dabei auf die Waffe, die der Landvermesser in der Armbeuge trug. „Mein Name ist Abner Rowlandson“, sagte der Landvermesser und trat an die Feuerstelle. „Dieser Junge mit dem Puma ist mein Messkettenträger Josef Brandstetter. Wir kommen von Salisbury herüber. Die Leute vom Watauga-Fort sagten uns, dass wir hier einige wackere Jäger finden würden.“ „Dann habt ihr mehr Glück als Verstand gehabt, weil euch die Kentuckier für einmal nicht bekohlt haben, dies könnt ihr einem alten Schwadroneur glauben!“ Kleine, listige Augen blitzten in seinem bärtigen und pausbäckigen Gesicht auf, als er uns begrüsste. Vom Wirbel bis zur Zehe schien dem breitschultrigen und etwas zu kurz geratenen Mannes der Schalk im Nacken zu sitzen. „Ich werde hier im Indianergebiet Kentucke Tom gerufen, während der Jägersmann an meiner Seite auf den Namen Old General hört“, liess er uns in seiner unvergleichlichen Art wissen. Wie ich später erfuhr, stammte Kentucke Tom aus Irland. Sein redseliges Mundwerk und sein irisches Temperament fanden an den Lagerfeuern der Trapper natürlich Anklang. Old General unterschied sich sowohl vom Wuchs als auch von der Gemütsart her sehr von dem Iren. Er war ein grosser, kräftiger Mann mit grauen, wallenden Haaren. Er trug einen Rock aus feinem, dunkelbraunem Tuch, der mit silbernen Tressen besetzt war und fast bis zu den Knien reichte. Auf seinem Kopf thronte ein eleganter Dreispitz. Die vornehme Bekleidung hier in der Wildnis war höchst ungewöhnlich. Nur unscheinbare Merkmale in seinem Gesicht verrieten, dass indianisches Blut in ihm floss. Es sei von der Seite seiner Mutter her, die eine Chipewyan war, teilte er uns mit. Tatsächlich! Seine Haut war um einen Hauch dunkler. Seine Backenknochen zeigten sich ein wenig betonter. Die Lippen waren eine Spur üppiger. Die äusserlichen Vorzüge der französischen und indianischen Erbteile hatten sich in ihm vereint. Auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck von Verschlossenheit. Tatsächlich war es eine harte Nuss, seinen Lippen einige Worte zu entlocken.
Trotz dieser körperlichen und charakterlichen Gegensätze waren die beiden ein unzertrennliches Paar. Ich konnte nicht ahnen, dass sie mir später als gute Freunde ans Herz wachsen sollten. Inzwischen war ich mit Peppy herangekommen. Kentucke Tom machte uns mit seinem einsilbigen Gefährten bekannt. Dann nahmen wir an der Feuerstelle Platz. „Gehts ins schöne Kentucke hinüber?“ wandte sich der kleine Ire an Mr. Rowlandson. „Ja, ins Bluegrass-Gebiet“, bestätigte dieser. „Kennt Ihr den Weg über die Wilderness Road und durch das Gap?“ 22 „Ja, doch wir suchen noch einen oder zwei Scouts , die uns begleiten. Wir haben im Fort gehört, dass Shawnee-Indianer hier in den Bergen gesehen worden sind. Es wäre nicht das erste Mal, dass diese Wilden eine Reisegruppe angreifen.“ „Weit gefährlicher als die Shawnee ist ein weisser Abtrünniger, der hier sein Unwesen treibt. Wir haben ihn mit seiner Bande in Powell's Valley gesehen. Vor ihm müsst Ihr besonders auf der Hut sein.“ „Sprecht Ihr von Simon Girty, dem Anführer der Indianer?“ „Ja. Diese elende Kreatur sucht die Siedlungen an der Frontier mit grösster Mordlust heim!“ „In Salisbury haben seine Helfer einen Trader ermordet“, fiel ich mit der Tür ins Haus, „und wir mussten vor Stanton und Porter sogar fliehen!“ „Stanton?“ horchte Kentucke Tom auf. „Ja, kennt Ihr ihn?“ fragte Rowlandson. Ich glaubte, in seinen Mundwinkeln ein nervöses Zucken gesehen zu haben. War es ihm unangenehm, dass die Namen der beiden Büffeljäger gefallen waren? Was konnte dies für einen Grund haben? Sollte er mit ihnen in irgendeiner Verbindung stehen? Ich verwarf diesen Gedanken sogleich wieder. Später sollte ich aber unter schmerzlichen Umständen erfahren, dass mich meine Wahrnehmung nicht getäuscht hatte. „John Stanton und Frank Porter?“ hakte der kleine Ire nach. „Ja, zum Teufel! Sind Euch diese Männer bekannt?“ „Bekannt ist gut! Diese Schurken hatten uns in Miller's Tavern am Red River überrumpelt, vier unserer Trapper zusammengeschossen und unsere Biberpelze gefilzt! Dann waren die Mordbuben ausgerückt und uns durch das Gebiet der Shawnee entwischt!“ 22
Späher, Kundschafter, Pfadfinder
Eine tiefe Stille trat ein. Man konnte die Erregung förmlich spüren. „Damn!“ machte der Mestize, der sonst nicht so leicht aus der Reserve herauszulocken war, als erster seinem Herzen Luft. „In Salisbury habt Ihr die Schurken getroffen?“ Ich erzählte den beiden Trappern in kurzen Zügen von den Ereignissen am Yadkin River und später von unserer Begegnung mit den Bisonjägern in dem Tal vor Gillespie's Gap. „Ich will nicht Kentucke Tom heissen, wenn sie sich nicht mit Girty treffen, um eine neue Schurkerei auszuhecken“, mutmasste der kleine Ire, „und vielleicht folgen sie bereits der Fährte eurer Freunde, die auf dem Weg hierher sind.“ „Teufel! Wenn das stimmt, dann sind meine drei Begleiter in Gefahr!“ „Ihr seid da wohl in eine vertrackte Lage geraten; dies könnt Ihr einem alten Schwadroneur glauben!“ „Wenn nicht alle Zeichen trügen, habt ihr noch eine Rechnung bei den Halunken offen?“ „Worauf Ihr Euch verlassen könnt!“ „Also, um es glatt herauszusagen, Gentlemen: Schliesst euch uns an als erfahrene Trapper und Scouts, die in der Lage sind, uns den Weg ins Bluegrass-Gebiet und vielleicht noch weiter zu zeigen!“ „Ihr vergesst, Mister: Wir sind Fallensteller und keine Scouts!“ „Ich erwarte natürlich nicht, dass ihr sogleich zusagt. Doch überlegt meinen Vorschlag gut. Zum einen könnt ihr euch etwas verdienen und zum anderen besteht die Möglichkeit, dass ihr dabei diese Büffeljäger zu fassen kriegt.“ Am späteren Nachmittag kehrte der Anführer der Trapper von der Jagd zum Handelsposten zurück. Er hiess McGready. Er war Schotte. Hass las ich in seinem Gesicht. Hass und Härte, auf der rauchgrauen Stirn und in den schiefergrauen Augen. Es musste ein tiefer und harter Hass sein, der die tiefen Runzeln auf seine Stirn gefurcht hatte. Die Furchen und das Schiefergrau sprangen mich an wie ein wildes Tier, sprangen mir in die Augen, krallten sich fest. Bohrender, stechender, beissender, brennender Hass. Ich musste meine Augen zwingen, wegzublicken. Sie ruhten sich aus auf der glatten Stirn und in den seeblauen Augen von Kentucke Tom, die einen blanken Kontrast zu den Furchen des Hasses und der Härte bildeten. Die schalkhaften Augen mussten die Stirn wohl glattgestrichen haben. Doch mein Blick wanderte wieder hinüber zu den runzligen hassenden Falten im harten Gesicht. Welch ein Hass musste diese Furchen gerunzelt haben!
Ich konnte nun beobachten, wie der kleine Ire mit McGready sprach. Die Stirn furchte und faltete sich bedeutungsvoll, und das Schiefergrau der Augen wurde noch eine Spur härter. „Ihr habt also diesen Stanton mit seinem Spiessgesellen gesehen?“ fragten uns die hassenden und harten Augen. „Ja, bei Gillespie's Gap“, antwortete ich, furchtsam auf die rauchgrauen Stirnfalten und in die schiefergrauen Augen starrend. „Wir beobachteten sie, als sie die Pumas töteten. Peppy konnten wir zum Glück retten!“ „Mr. McGready interessiert sich sicher nicht für deinen Puma, Joe“, fuhr mir der Landvermesser in die Parade. Es passte Mr. Rowlandson wohl nicht in den Kram, dass ich dem Trapper Auskunft erteilte. Ich spürte das. „Ich lege Wert auf jede Einzelheit“, widersprach der schottische Anführer. „Also, mein Junge, bei Gillespie's Gap hast du John Stanton und Frank Porter gesehen?“ „Ja“, nickte ich, in Ehrfurcht erstarrend. „In welche Richtung sind die beiden geritten?“ „Das kann ich nicht sagen. Wir haben sie aus den Augen verloren.“ „Ich denke, dass sie übers Cumberland Gap wollen. Sie wissen vermutlich, dass sich Girty in der Gegend aufhält. Wir müssen auch zum Pass hinauf! Dort können wir die Tories an den Kanthaken kriegen. Männer, morgen früh begleiten wir diese Gentlemen den Watauga hinunter!“ Der Entschluss des Mannes mit den hassenden schiefergrauen Augen war so schnell gefallen, dass der Landvermesser sein Missbehagen nicht mehr verbergen konnte. „Wir werden erst zum Gap aufbrechen, wenn unsere Begleiter hier eingetroffen sind. Wir brechen nichts übers Knie. Ich möchte mit offenen Karten spielen: Es liegt mir vor allem daran, dass wir mit unseren Instrumenten unversehrt ins Bluegrass-Gebiet kommen. Wenn wir Euch dabei die Schurken ans Messer liefern können – umso besser!“ „Hört, Mr. Rowlandson: Wenn Ihr unseren Schutz nicht wollt, dann reitet allein“, packte der Schotte aus. „Wir sind auf Eure Gesellschaft nicht angewiesen! Morgen in der Frühe reiten wir los!“ Damit war die Sache für Mr. McGready erledigt. Er schritt zu seinen Männern hinüber. Mr. Rowlandson schäumte vor Wut. Obwohl er schwieg, sah ich es ihm an. Musste er nun auf die Begleitung der beiden Scouts Kentucke Tom und Old General verzichten?
Wo blieben unsere Gefährten? Waren sie auf dem Weg hierher mit den Büffeljägern zusammengetroffen? Dann wehe ihnen! John Stanton und Frank Porter würden keinen Pardon geben. Das Warten war kaum noch zu ertragen. Ich wurde von der besorgten Unruhe des Landvermessers angesteckt.
E
s war kurz vor Sonnenuntergang. Der Posten vor dem Camp
gab einen Warnschuss ab. Wir spähten nach der Ursache der Alarmierung. Da, drei Reiter und einige ledige Tiere tauchten zwischen den Bäumen auf! Jetzt erkannte ich sie. Es waren Mr. Benton, Hans Amrein und Rotkäppchen. Sie hatten unser Lager also doch noch erreicht! Ich eilte mit Peppy zu ihnen hinüber. Ich sah, dass den Pferden der Schaum vom Maul flog. Sie hätten einen scharfen Ritt hinter sich, teilte mir Hans mit. „Warum habt ihr die Tiere so angetrieben?“ wollte ich wissen. „Wir mussten euch schliesslich warnen“, erklärte er. „Warnen? Vor wem?“ „Vor den Büffeljägern.“ „Habt ihr sie gesehen?“ „Ja.“ „Wo?“ „Im Watauga-Fort.“ „Im Watauga-Fort?“ „Ja.“ „Erzähl!“ „Nachdem ihr den Watauga hinuntergepaddelt seid, tauchten sie auf.“ „Haben sie euch nicht erkannt?“ „Ich weiss nicht! Ich glaube schon.“ „Ich weiss nicht! Ich glaube schon! Da soll einer klug werden aus deinen Bemerkungen! Du musst doch wissen, ob sie euch erkannt haben oder nicht!“ „Das kann ich nicht sagen, weil Mr. Benton mit ihnen gesprochen hat.“ „Mr. Benton hat mit den Büffeljägern gesprochen?“ „Ja.“
„Zum Teufel, muss man dir immer die Würmer aus der Nase ziehen! Was hat er denn mit ihnen gesprochen?“ „Das weiss ich eben nicht, sonst wüsste ich ja, ob sie uns erkannt haben oder nicht. Auf jeden Fall haben Stanton und Porter danach das Fort verlassen.“ Das war ein starkes Stück! Was steckte dahinter? Wir konnten uns keinen Reim darauf machen. Mr. Benton, der Landmarkierer, erstattete am Lagerfeuer Bericht über die Begegnung mit den Büffeljägern. Dabei verschwieg er aber das Gespräch mit ihnen. Hans und ich getrauten uns natürlich nicht einzuhaken. Wir schwiegen. Der Respekt vor den beiden Landvermessern war zu gross. Was kümmerten uns auch ihre Beweggründe!
Fort Clark liegt im Gebiet der Minitari-Indianer. Diese Forts sind Aussenposten und Handelsstützpunkte der Weissen. Hier vor den Palisaden von Fort Clark begegnet eine weisse Forschergruppe den Minitari.
9. Kapitel
Das Bluegrass-Gebiet
W
ir hatten die Blockhütten der Trapper bei den Sycamore
Shoals am Watauga River verlassen. In der Nähe der Long Island Flats, einem Waldgebiet, waren wir auf eine Fährte gestossen. Wir hatten die Hufabdrücke von einem Dutzend beschlagenen Pferden gezählt. Sie waren bereits einen Tag alt. Mr. McGready war der Ansicht, dass sie von den von uns Gesuchten stammen müssten. Jetzt bewegten wir uns auf der Wilderness Road auf den Zugang zum Cumberland Gap zu. Daniel Boone hatte diesen Weg vor zehn Jahren in die Wildnis geschlagen. Das Gap war für die Indianer aber eine längst vertraute Passage gewesen. Cherokee und Shawnee hatten die Appalachen überquert, längst bevor der Weisse Mann ins Land gekommen war. Später sollten weisse Siedler in langen Wagentrecks durch das Cumberland Gap nach Kentucke strömen. Die Wilderness Road war an manchen Stellen gerade so breit, um die Planwagen durchzulassen. Die Fährte, welcher wir folgten, hatte gestern den Clinch River verlassen und sich in ein grosses Tal gezogen: Powell's Valley. Es war das gleiche Tal, in dem die Trapper vom Watauga Simon Girty und seine Bande gesehen hatten. Ich bemerkte, dass Kentucke Tom und Old General die Fährte und die Gegend weit aufmerksamer beobachteten als bisher. Ich deutete Hans und Lobo, die an meiner Seite ritten, an, dass etwas in der Luft liege. Von da an streckten die beiden ihre Nasen ebenfalls neugierig in die Luft. Nichts sollte uns entgehen. Mulmig war uns aber schon etwas. Hier irgendwo begann das Indianerland. Die letzten Vorposten der weissen Zivilisation, einige Siedlungen und Forts am Watauga, Holston und Clinch, lagen längst hinter uns. Aber wo lag die Grenze zu den geheimnisvollen Jagdgründen der roten Völker? Nichts deutete darauf hin! Der Wald war noch der gleiche. Mächtige Fichten und Tannen bedeckten die Höhen, Eichen und Kastanienbäume säumten den Weg durch Powell's Valley. Hier und dort hatten Indianer durch Abbrennen von Bäumen Schneisen geschaffen. An manchen Stellen war der Wald so dicht, dass selbst das Sonnenlicht nicht bis auf den Weg zu dringen vermochte. Hier herrschte dann Totenstille. Selbst die Singvögel hatten sich nicht hierher getraut. An anderen Orten hatte sich vereinzeltes Marsch-
oder Prärieland in dem riesigen Wald eingenistet. Sie liessen uns die Weite des Landes zumindest erahnen. Auf unserem Weg durch den Wald, die Prärie und die Berge sahen wir viele Tiere. So sichteten wir auf einer Waldlichtung einen Rothirsch, welcher, umgeben von einem Harem von Hirschkühen, den Hals vorstreckte und laut röhrte. Überall entdeckten wir Eichkätzchen, welche die Baumstämme auf und ab rannten und mehrere Meter von Ast zu Ast sprangen. Wir konnten aber auch eine Schwarzbärin beobachten, die zwischen den Zweigen von Büschen und Sträuchern nach Nahrung suchte. Ihre beiden Jungen kletterten auf einen Baumstamm und rutschten an ihm wie auf einer Rutschbahn wieder hinunter, sie schlugen Purzelbäume auf dem Boden und versuchten, ihre Mutter in ihr Spiel einzubeziehen. Vorsichtshalber machten wir uns aber aus dem Staub, denn es gibt nichts gefährlicheres als eine Bärin, die ihre Jungen verteidigt. Auf dem schwankenden Ast eines Baumes bekamen wir eines der herrlichsten Tiere des Waldes zu Gesicht – den Panther! Mit einem gewaltigen Satz sprang die Wildkatze vom Ast herunter und verschwand zwischen den Büschen. Peppy, mein kleiner Puma, blickte ihm mit grossen Augen nach. Gefährlich für uns wurden vor allem die Schlangen, die zusammengerollt im knietiefen Gebüsch auf Beute lauerten. Und schliesslich hörten wir das lange, durchdringende Heulen der Wölfe, das die Luft des Nadelwaldes erfüllte. Das Geheul galt wohl weniger uns als den anderen Rudeln, denen klargemacht wurde, dass sie sich fernzuhalten hatten. Wir ritten jetzt unter mächtigen Hemlockstannen eine Tallehne hinauf. Hier hatte die Luft einen frischeren Duft als unten im Tal. Das Terrain machte den Pferden Mühe. Die Spuren, denen wir folgten, wurden immer frischer. Unsere Spannung stieg aufs höchste. Wir erreichten die Höhe des Hügels. Kentucke Tom und Old General, die voranritten, hielten an. Sie untersuchten die Fährte, berieten sich. Dann wandten sie sich an McGready. „Hier haben sie haltgemacht“, erklärte der kleine Ire. „Eine Spur von der anderen Seite der Anhöhe führt ebenfalls hier herauf. Ich will nicht Kentucke Tom heissen, wenn an dieser Stelle nicht die beiden Oberschurken, Stanton und Girty, aufeinandergetroffen sind, dies könnt Ihr einem alten Schwadroneur glauben!“ „Wie alt ist die Fährte?“ fragte der Schotte. „Sie waren längere Zeit hier. Vor drei oder vier Stunden sind sie aufgebrochen. Die Spuren führen da drüben den Hügel hinab, zum Powell River hinüber.“
„Wir reiten weiter!“ bestimmte McGready, und seine harten Augen liessen keinen Widerspruch zu. Wir ritten also weiter, die Tallehne auf der anderen Seite hinunter. Unter uns breitete sich eine Ebene aus. Dahinter lag der Powell River. Die Sonne spiegelte sich darin. Dieselbe Sonne, die am Himmel stand, gleisste im Powell River. Dieselbe Sonne spiegelte sich auch im Watauga River, im Yadkin River, im fernen Vierwaldstätter See. Die Kastanienbäume waren auch dieselben wie am Watauga, am Yadkin, am Vierwaldstätter See. Es war alles so vertraut. Es roch auch vertraut. Die Ebene unter uns dehnte sich bis zum Fluss hinüber. Sie war mit saftigem Gras bewachsen. Ich schätzte ihre Breite eine halbe Wegstunde zu Pferde. Rechts von uns war die Sicht durch Bäume versperrt. Wir hatten den Talgrund noch nicht erreicht, als wir ein dumpfes Donnern hörten, die Erde schien zu zittern. Neugierig spähten wir in die Ebene hinunter. Bisons? Sollte ich meine ersten Büffel sehen? Nein! Es waren andere Tiere, die in unserem Blickfeld auftauchten! Eine ganze Herde herrlicher Tiere! Prächtige Mähnen und majestätisch im Winde wehende Schweife sahen wir. Mustangs! Die Wildpferde der amerikanischen Prärien! Die Herde umfasste vielleicht zweihundert Tiere. Ich kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Doch so schnell die Mustangs aufgetaucht waren, so schnell entschwanden sie wieder in der Ebene. Wir blickten ihnen nach, bis sie nur noch als dunkle Punkte in der grünen Fläche, im lachenden Licht zu erkennen waren. Noch trunken vom überwältigenden Sinneseindruck, den die wilden Pferde auf uns gemacht hatten, ritten wir weiter. Wir merkten bald, dass die Mustangs den gleichen Weg eingeschlagen hatten, wie die von uns Verfolgten. Wir fanden ihre Fährte an diesem Tage nicht mehr. Das Nachtlager schlugen wir am Ufer des Powell River auf. Wir fanden die Fährte von John Stanton und seiner Bande erst gegen Mittag des folgenden Tages wieder. Sie führte aus Powell's Valley hinaus und zum Cumberland Gap hinauf. Die Banditen hatten es sehr eilig gehabt. Sie waren die ganze Nacht geritten. Die Spuren waren also eine ganze Nacht alt. Der Vorsprung, der wie ein Nachtschatten zwischen uns lag, war wohl kaum gutzumachen. Wer konnte schon eine Nacht aufholen! Sollten sie doch entkommen! Ich verspürte nicht jenen Hass, den ich in den schiefergrauen Augen von McGready sah.
Wir überquerten das Gap, ohne auch nur eine Pferdelänge von ihrem Vorsprung wettzumachen. Dann, es war um die Mittagszeit im jungen Sommer dieses Jahres 1785, tauchte es in der Sonne vor uns auf, grandios und erhaben und ruhig: das Bluegrass-Gebiet! Das Herz pochte mit starken Schlägen. Es war wunderschön! Eine wahre Prachtfülle! Das Gebiet schien wie gemalt. Es trug sein Festgewand. Mir war fast feierlich zumute. Gerade jetzt, um die Zeit des Sommeranfangs, stand das Land in voller Blüte. Ich hatte nie mehr ein anderes Land unter der Sonne gesehen, das sich mit diesem vergleichen liesse. Selbst in meinen schönsten Träumen war mir das Bluegrass-Gebiet nicht so herrlich und wunderbar erschienen. Hier sah ich die hellgrünen Ahornbäume, hier schimmerte vertraut das Weiss und Silber der Birken, hier kräuselten sich die Pappeln, Espen und Weiden. Das Dunkelgrün der Tannen und Fichten bildete dazu den Kontrast. Ein Meer von Blüten: rot und gelb, weiss und blau, in tausend Schattierungen, fein und zart, aromatisch und wohlriechend. Beerenkräuter zuhauf: Preiselbeeren, Heidelbeeren. Blumen in Polstern: Lilien, Veilchen. Eine Lust war es, all das Prächtige, das Verborgene, das Blühende zu entdecken, wiederzusehen. Die Hufeindrücke, die vor uns im Gras stocherten und sich wie Narben westwärts zogen, teilten sich plötzlich. Die grössere der beiden Fährten schwenkte in nördlicher Richtung auf Warrior's Path, während die andere auf der Wilderness Road weiterführte. McGready entschied, dass Kentucke Tom, der Mestize, die beiden Landvermesser, Rotkäppchen, Hans und ich der letzteren folgen sollten. Ich sah es dem Schotten an, dass er froh war, uns loszuwerden. Wir sahen den Trappern noch eine Weile nach, dann hatte sie das Land verschluckt. Es ging weiter. Unsere Pferde begannen vor Freude zu schnauben und fielen von selbst in einen leichten Trab. Es war ein herrlicher Ritt. Die beiden Trapper kannten die Gegend wie ihre Westentasche. Wir erreichten den Buffalo Creek. Er führte viel Wasser. Der Nachmittag war warm. Die Sonne lag wie Gold auf dem Wasser. Die Spuren, von einem halben Dutzend Pferden in die Erde gedrückt, führten dem Bach entlang, nordwärts. An der Mündung des Buffalo Creek stiessen wir auf den Cumberland River. Die Fährte endete an einer Furt dieses grossen
Flusses. Der kleine Scout deutete auf das gegenüberliegende Ufer und sagte: „Es bleibt uns nichts anderes übrig als auf die andere Seite zu gehen. Dort drüben führt nämlich die Wilderness Road durch das Lincoln County zu den Old Settlements hinüber.“ „Was meint Ihr, Kentucke Tom, warum haben sich die Schurken getrennt?“ fragte Rowlandson den kleinen Scout. „Das würde ich auch gerne wissen, das könnt Ihr einem alten Schwadroneur glauben! Aber es steckt bestimmt eine Teufelei dahinter! Ich rieche einen fauligen Braten! Diese Gruppe, der wir folgen, soll vermutlich das Gebiet am Kentucke River ausspähen.“ Die beiden Pelztierjäger trieben ihre Pferde als erste in den Fluss. Wir folgten ihnen. Das Wasser reichte bis zu den Steigbügeln. Kentucke Tom und der Mestize untersuchten das andere Ufer, bevor wir unsere Tiere aus dem Fluss trieben. Sie fanden schliesslich, was sie gesucht hatten. „Hier sind sie aus dem Wasser gestiegen!“ rief uns der kleine Trapper zu. „Steigen wir ihnen nach!“ Ein blendend blauer Himmel breitete sich über uns aus. Davor zogen die Vögel ihre Kreise. Wir folgten der Spur. Sie führte in nordwestlicher Richtung vom Cumberland River weg. Nachdem wir den Fluss verlassen hatten, gesellte sich der kleine Ire zu uns. Hans, Lobo und ich hatten Freundschaft mit ihm geschlossen. Er war schon ein ulkiger Kerl. Jedem von uns verpasste er einen Trappernamen. Dies sei so üblich bei den 23 Fallenstellern. Hans taufte er Sturdy Jack und mir verabreichte er 24 den Namen Crossbow Joe. So wie die Wildnis ihre eigenen Gesetze habe, so müssten wir hier auch unsere eigenen Namen haben, erklärte uns der kleine Trapper. „Habe ich euch schon kundgetan, wie Old General und ich beim Yorktown-Feldzug mitgehalten hatten?“ fragte er uns. „Nein!“ war die einstimmige Antwort. „In diesem Fall muss ich es euch unbedingt unter eure grünen Nasen reiben. Als wir vorhin wie die Störche im Salat durch den Cumberland River gingen, dämmerte es mir, wie wir Anno dunnemals mit Washington durch den Hudson latschten.“ „Du hast Präsident Washington gesehen, Kentucke Tom?“ wunderte es Hans. 23 24
derb, kräftig, stark, stämmig, stramm, handfest Armbrust
„Na klar, Sturdy Jack! Washington war Anno Tobak General. Im Indianersommer 1781 waren wir mit den Franzosen von Rhode Island aus an den Hudson gestiefelt. In der Gegend von White Plains hatten wir uns den Haufen von Washington beigesellt. Die britischen Rotjacken hatten sich keine zwanzig Meilen im südlichen New York aufgepflanzt. In Philips Manor, vier Meilen von White Plains entfernt, hatten sich die Amerikaner auf ihre vier Buchstaben gesetzt. Von dort aus sollten Washingtons Stoppelhopser zusammen mit den französischen Sandhasen durch New Jersey, Pennsylvania, Delaware und Maryland nach Virginia tappeln. In King's Ferry befand sich eine von zwei Überfahrtsstellen, wo wir 25 über den Hudson setzten. Holländische Sloops brachten uns, unseren Hausrat, die Wagen mit den eisernen Rationen, die Zugrosse und die Kanonen über den Strom. Ein Rattenschwanz von Soldaten war zu sehen. Sie standen sich entweder bis zur Einschiffung die Beine in den Bauch oder sie trafen Vorbereitungen zum Weitermarsch auf der Hauptstrasse nach Süden. Old General und ich setzten mit der französischen Kavallerielegion des Duc de Lauzun über den Hudson. Die Sandhasen trugen scharlachrote Beinkleider, hellblaue Jacken und Pelzmützen. Die Satteldecken ihrer Pferde waren aus Tigerfell. Es war ein einzigartiger Anblick, das könnt ihr einem alten Schwadroneur glauben!“ „Und Washington? Hast du ihn auch gesehen?“ fragte Hans begeistert. „Ja. Die Franzosen hatten für ihn auf einem Hügel eine Plattform errichtet. Von dort aus beobachtete er die Fähren, die seine Stoppelhopser über das Wasser der Haverstraw Bay trugen.“ „Und die Briten? Hinderten sie euch nicht an der Flussüberquerung?“ wollte ich wissen. „Du wirst es kaum glauben, Crossbow Joe, aber keiner der rotröckigen Schakale tauchte an den Fährstellen auf. Nur das Geheul der Luchse war in den Wäldern zu hören.“ „Luchse sein kluge Tiere“, plapperte nun Lobo dazwischen und grinste wie ein Honigkuchenpferd. „Was weisst du schon von Luchsen, Rotkäppchen!“ rief Kentucke Tom. „Lobo wissen viel von Luchse!“ widersprach der Neger. „Lobo lieben Luchse.“ „Hast du schon einmal einen Luchs gesehen, Rotkäppchen?“ „Lobo haben Luchs in Wasser gesehen.“ 25
Fähren, einmastige Schoner
„Im Wasser?!“ „Lobo sehen Luchs, wie er kommen mit Stein und grosser Muschel an Wasseroberfläche. Luchs schwimmen auf Rücken. Luchs legen Stein auf Brust und schlagen die Muschel so lange darauf, bis Schale zerbrechen. Dann fressen Luchs in aller Ruhe Muschelfleisch.“ „Habe es mir doch gedacht. Rotkäppchen, du hast keinen Luchs, sondern einen Otter gesehen.“ Lobos Mitteilsamkeit belustigte uns. Das schien ihn aber nicht sonderlich zu beeindrucken. Er wollte gerade fortfahren, uns seine erstaunliche Tierkenntnis unter die Nase zu reiben, als wir vor uns eine Salzlecke sahen. Hans forderte uns zu einem Wettrennen auf. Lobo und ich fanden auch Geschmack daran. Auf ein Zeichen von ihm gaben wir unseren Pferden die Sporen und galoppierten der Lecke entgegen. Auch Peppy, mein junger Puma, schien Gefallen an dem Rennen zu finden. Er fauchte mich jedenfalls angeregt von seinem schwankenden Hochsitz an. Es war ein wildes Galopprennen. Wir flogen über die Ebene dahin und trieben ausgelassen unsere Tiere an. Rotkäppchen erreichte als erster die Salzlecke. Er bleckte die Zähne bis zu den Ohren. Wir stiegen von den Pferden und kletterten auf einen Hügel. Von hier oben hatten wir eine ausgezeichnete Sicht in die Ferne. Wald und Wiesen auf hügeligem Gelände soweit das Auge reichte. Weit hinten blitzte ein Bach in der Sonne. Aber kein Zeichen menschlichen Lebens konnten wir ausmachen. Wo waren die Indianer, die Herren dieses Landes? Würden wir bald ihre Dörfer sehen? Wir waren voller Neugier. Vor uns breitete sich die Zukunft aus. Doch wir waren noch nicht in der Lage, sie zu lesen. Ganz anders erfuhren die Indianer die Natur. Unter grosser Gefahr und absoluter Einsamkeit begaben sich die Jugendlichen auf eine Traumreise durch die Wildnis. Durch Träume und Visionen erlangte der junge Träumer magische Kräfte, die Fähigkeit, die Zukunft vorherzusehen und Krankheiten zu beherrschen. In ihren Träumen wurden sie mit der Natur eins. Nachts kann ich umherziehen, gegen die Winde kann ich ziehen, nachts kann ich umherziehen, wenn die Eule schreit, kann ich umherziehen.
Im Morgengrauen kann ich umherziehen, gegen die Winde kann ich ziehen, im Morgengrauen kann ich umherziehen, wenn die Krähe ruft, kann ich umherziehen. Wo der Wind bläst, der Wind brüllt, stehe ich fest. Gen Westen bläst der Wind, der Wind brüllt – ich stehe fest.
Wahktageli oder «Big Soldier» ist einer der angesehensten Männer der Dakota, eines kriegerischen Sioux-Stammes. Der etwa Sechzigjährige ist eine sympathische Erscheinung mit lebhaften Augen und stark gebogener Nase, gekleidet mit weissgegerbter Bisonrobe und mit Leggings, die bunte Muster von gefärbten Stachelschweinborsten zieren.
10. Kapitel
Reed's Mill
W
ir befanden uns immer noch in bergigem Gelände. Mehrere
Bäche, sogenannte Creeks, und Flüsse kreuzten unseren Weg. Kentucke Tom nannte Namen wie Richland Creek, Laurel River oder Rock Casile River. Der Boden hier oben war leicht. Der Wald hatte seinen Charakter verändert. Anstelle von Lorbeerbäumen und Rhododendren, welche die hochaufragenden Gebirgszüge der Appalachen gesäumt hatten, waren Fichten und Tannen getreten. Sie spendeten uns viel Schatten in diesen heissen Sommertagen. In der frischen und belebenden Luft kamen wir schnell vorwärts. Im Quellgebiet von Dick's River trafen wir auf die ersten weissen Ansiedlungen, die Cumberland Settlements. In Whitley's und Logan's Station machten wir halt. Wir erkundigten uns dort nach den Männern, welche hier vorbeigekommen sein mussten. Tatsächlich erfuhren wir, dass sechs Reiter durch die kleinen Ortschaften geritten waren. Nach den Beschreibungen mussten John Stanton und Frank Porter dazugehört haben. Ihr Vorsprung war auf sechs Stunden geschmolzen. Wir ritten weiter. Die Vegetation wurde dichter und der Boden schwerer und schlammiger. Wir erreichten den Rand eines Sumpfgebietes, das mit zahlreichen Weiden und Binsen und einem dichten Gewirr von Sumpfpflanzen besetzt war. Das Moor dampfte in der heissen Sonne wie ein Wasserkessel über dem Feuer. Schwärme von Stechfliegen verbreiteten sich über dem Gestrüpp. Quakend flatterte eine Wildente durchs Röhricht. Die Spur führte um das Moor herum. Sie war hier im sumpfigen Boden besonders gut zu erkennen, aber schwer danach zu beurteilen, wann die Pferdehufe sie in die Erde gedrückt hatten. Erst als sie über eine trockenere grasbewachsene Ebene ging, stiegen unsere beiden Scouts von den Tieren und untersuchten die Eindrücke. „Die Pelzräuber sind zehn Meilen vor uns. Sie waren nämlich vor gut fünf Stunden hier“, sagte Kentucke Tom. „Hast du eine Ahnung, wohin sie eigentlich wollen?“ fragte ich den kleinen, stämmigen Trapper. „Wenn nicht alle Zeichen trügen, sind sie nach Harrod's Town hinunter.“ „Ist es für uns nicht gefährlich, wenn wir ihnen dort begegnen?“
„Das befürchte ich nicht. Die Lumpen kennen uns ja nicht.“ „Doch, sie kennen Hans und mich“, widersprach ich energisch. „Wir haben in Salisbury einen Mord aufgeklärt und Stanton und Porter als Mörder entlarvt. Das werden sie bestimmt nicht so schnell vergessen.“ „Der Junge hat recht“, mischte sich nun Mr. Rowlandson ein. „Wenn sie tatsächlich nach Harrod's Town geritten sind, dann müssen wir vorsichtig sein.“ Es ging weiter. Wir mussten nun Hanging Fork, eine Flussgabelung von Dick's River, durchqueren. Die Fährte, der wir folgten, führte über eine Tallehne auf eine flache Anhöhe hinauf. Oben genossen wir eine herrliche Fernsicht über die grünen Wipfel der Wälder. Unter uns leuchtete das klargrüne Wasser eines kleinen Flusses herauf. „Das ist Clark's Creek“, hörte ich wieder einmal die Stimme von Old General. War es das wunderbare, zwischen den Tannen eingebettete Blaugrün, das den sonst so verschlossenen Mestizen zu der gefühlvollen Feststellung hinreissen liess? Als ob Kentucke Tom durch den Gefühlsausbruch seines Weggefährten etwas irregemacht sei, liess er die Äusserung auf dem Hügel stehen. Nach fünf Sekunden ergänzte er aber: „Flussaufwärts liegt Reed's Mill. Reiten wir zu der Mühle! Will Reed ist ein alter Freund von uns!“ Kentucke Tom und Old General waren auch unsere Freunde geworden. Ihre herzliche Art und ihre aufrichtige Natur hatten uns sogleich Vertrauen eingeflösst. Sie verabsäumten keine Gelegenheit, uns mit dem Leben der Trapper und Waldläufer vertraut zu machen. Sie waren unsere Lehrmeister, wenn es darum ging, eine Fährte richtig zu lesen, sich auf die indianische Weise an ein Wild heranzupirschen oder sich in der Manier der Jäger im Sattel zu halten. Old General lehrte uns, Tierstimmen nachzuahmen, und Kentucke Tom unterwies uns, in der Wildnis ein Feuer zu entfachen, ohne dass es in dem Indianerlager zehn Meilen entfernt gesehen wurde. Trotz unserer fehlenden Walderfahrung hielten uns die beiden Trapper für gleichwertige Weggefährten. „In Reed's Mill werdet ihr einen Landsmann von euch vorfinden“, gab der kleine Pelztierjäger Hans und mir Bescheid. „Johann Deschwanden ist Büchsenmacher. Die meiste Zeit pusselt er aber in der Mühle herum.“ Neugierig auf diesen Landsmann, der sich hier im fernen Kentucke niedergelassen hatte, ritten wir weiter. Endlich traten wir
aus dem Wald heraus und sahen einige Blockhütten, die auf einer Lichtung errichtet worden waren. In der Dämmerung erblickten wir den Fluss und an seinem Ufer die Mühle. Zu dieser ritten wir hinüber. In der Tür stand ein grosser stämmiger Mann, der uns aufmerksam beobachtete. Er trug einen Vollbart, der wie das Haupthaar leicht angegraut war, und eine lange Jagdbluse aus derbem Leinen, die ihm bis zu den Oberschenkeln reichte. „Kentucke Tom und Old General – sieh einer an! Es freut mich, euch alte Trapper und Waldläufer in Reed's Mill zu sehen!“ rief er mit frischer kräftiger Stimme. „Was führt euch hierher in die Cumberland Settlements?“ Der Bärtige, der wohl der Besitzer der Mühle war, trat mit diesen Worten vollends aus dem Haus und schüttelte uns die Hand. „Wir hatten Sehnsucht nach deiner alten Mühle, Will Reed!“ scherzte Kentucke Tom. „Dass du deine alten Freunde wiedererkennst? Nach so vielen Jahren! Wir haben uns oft gefragt, wie es dem alten Will in seiner Mühle an Clark's Creek so geht.“ Es gab wohl kaum ein eindrucksvolleres Bild als diesen Will Reed; ein Kerl wie ein Baum, dessen Muskelkraft voll und ganz dem Eindruck entsprach, den seine hochaufgeschossene Statur machte. Aus seinem Gesicht sprach jene wilde Entschlossenheit, welche die Backwoodsmen der damaligen Zeit kennzeichnete. „Diese beiden jungen Dachse sind im übrigen Landsleute von Johann Deschwanden“, sagte der kleine Ire und deutete auf Hans und mich. „Ist der Büchsenmacher überhaupt zugegen?“ „Er ist in seiner Schmiede. Übrigens, ihr habt bestimmt eine trockene Kehle. Ich habe da einen guten Schluck Whiskey im Haus. Wenn ihr eure Pferde versorgt habt, seid ihr meine Gäste!“ In Reed's Mill lebten mehrere Familien. Das Schicksal hatte sie in diesem Teil der Wildnis von Kentucke zusammenkommen lassen. Einst aus der Alten Welt eingewandert, führten sie nun ihr eigenes Leben. Es war ein einfaches Leben. Ein Leben, das der Notwendigkeit der Wälder angepasst war. So hatten sie sowohl ihre Blockhütten aus roh behauenen Holzpfosten und ohne Nägel erstellt als auch ihre Tische, ihre dreibeinigen Stühle und ihre Betten aus dem Rohen gearbeitet. Das Pökel- und Räucherfleisch bereiteten sie auf Schneidebrettern zu. Die Feldfrüchte assen sie mit Hornlöffeln aus hölzernen Schüsseln. Die Milch tranken sie aus einfachen Krügen. Zinkgefässe und Eisenlöffel konnte man mit der Laterne suchen. Gegen Hirsch- und Rehfelle erwarben sie im Tauschhandel Jagdmesser, Hacken,
eiserne Pfannen oder Kochtöpfe, Ahlen, Nadeln, Salz, Feuerwaffen, Pulver, Blei und Kugelzangen. Dieses einfache Leben sahen wir in Reed's Mill, seitdem wir hier angekommen waren. Heute sollte in der Siedlung eine Hochzeit stattfinden. Es war die Tochter von Will Reed und seiner Frau, die sich mit einem Mann aus Irwin's Station vermählen wollte. Gegen Mittag sollten der Bräutigam, seine Familie und seine Freunde in Reed's Mill eintreffen. Spassvögel hatten wilde Reben über den Weg gespannt, über den die Hochzeitsgesellschaft kommen musste, und sich im Busch versteckt, um die Reiter mit Gewehrfeuer zu überraschen. Während sich die meisten Bewohner am Rand der Siedlung versammelt hatten, waren Hans und ich zur Wassermühle hinübergegangen. Über eine Leiter kletterten wir auf ein Bockgerüst neben dem Mühlrad. Hier hatten wir einen herrlichen Ausblick auf Clark's Creek. Wir genossen die Ruhe hier draussen. Auch Peppy, mein kleiner Puma, beobachtete die Gegend mit grossem Interesse. Keine Menschenseele befand sich bei der Mühle. Unter uns plätscherte nur das Wasser vom hölzernen Gerinne in die Schaufelkammern des Mühlrades. Dieses knarrte. Das leise Knarren des Mühlrades und das vertraute Plätschern des Wassers hielten uns gefangen. Morgen in der Frühe wollten wir nach Harrod's Town reiten. Ich blickte zur Hütte hinüber, in welcher Deschwanden seine Waffenschmiede eingerichtet hatte. Über dem Kamin kräuselte sich leichter Rauch. Wir stiegen von unserem Gerüst herunter und schlenderten zur Schmiede hinüber. Als wir sahen, dass drinnen gearbeitet wurde, traten wir ein. Der pockennarbige Büchsenmacher zog gerade ein glühendes Eisenstück aus der Feuerschüssel der Esse. Er legte es auf den Amboss. Ein rothaariger Schmiedegeselle bearbeitete das Eisen mit einem Fausthammer und tauchte es dann ins Wasserbecken. „Potz Blitz! Wen haben wir denn da?“ rief Deschwanden, als er uns erblickte. „Landsleute aus den Waldstätten! Ihr Burschen seid doch mit Kentucke Tom und Old General gekommen, nicht wahr?“ „Ja, Herr Deschwanden“, antwortete ich. „Ich bin der Johann und ein Herr schon gar nicht, Burschen“, rief er lachend und streckte uns seine starke knochige Hand hin.
Der Waffenschmied war klein und gedrungen, aber kräftig gebaut. Aus seinem Gesicht, das woanders vielleicht als hässlich bezeichnet worden wäre, sprach Verschlagenheit. „Ich bin der Josef Brandstetter, und das ist mein Freund, der Hans Amrein“, sagte ich. „Wenn ich richtig gehört habe, Burschen, dann kommt ihr aus Sarnen und Stans“, sagte er nun in seinem Obwaldner Dialekt. „Ich stamme ebenfalls aus den Waldstätten. Vor vielen Jahren bin ich aus Sarnen in die Neue Welt gekommen. Ich stand als Waffenschmied bei den Franzosen in Sold. Die Waffen, die ihr hier seht, sind fast alle noch aus dieser Zeit.“ An den Wänden türmten sich wirklich Waffen aller Art empor; Musketen, Büchsen und Pistolen waren da, andere feinere Waffen waren Klinge an Klinge aufgereiht, besonders kostbare Degen und Messer. Hans konnte den Blick nicht abwenden von den vielen Gewehren. Er ging eifrig umher und bezeugte seine Bewunderung über so viele verschiedenartige Waffen, von denen er die meisten noch nie gesehen hatte. Eine leise Wehmut erfasste ihn. Er erinnerte sich an seinen Vater. „Mein Vater ist auch Büchsenmacher“, sagte er fast beiläufig und betrachtete einen langen Vorderlader mit Messingbeschlägen, einem aus Ahornholz geschnittenen Kolben und einem schön geformten Steinschloss. „Kennst du dieses Gewehr, Bursche?“ „Ja“, antwortete er, „es ist eine Pennsylvania-Rifle!“ „Hier in der Wildnis nennen wir sie Kentucke-Büchse! Dieses Gewehr ist treffsicherer als die Muskete der amerikanischen Armee, es trägt weiter als die Charleville-Muskete der Franzosen, und es ist tödlicher als die Brown Bess der Briten. Ein guter Schütze kann auf fünfzig Schritt Entfernung eine Münze durchschlagen und auf zweihundert Schritt einen Menschen töten!“ „Wie ist das möglich?“ „Diese Büchse trägt deshalb weiter, weil deren Kugel etwas kleiner ist als das herkömmliche Kaliber. Bei der Muskete geht ein grosser Teil des Pulvers beim Schuss verloren. Dies ist bei der Kentucke-Büchse nicht der Fall, weil die Kugel mittels eines eingefetteten Pflasters fest eingepasst wird. Zudem kann mit diesem Gewehr auf dreihundert Yards noch mit einem Treffer gerechnet werden, weil die Wandung des Laufes spiralförmig eingeschnittene Rillen hat. Das gibt der Kugel einen präzisen Drall. Da staunt ihr, Burschen?“
Wir hatten natürlich diese Büchsen schon gesehen. Kentucke Tom und Old General besassen ebenfalls Kentucke-Büchsen. Auch hatten wir oft genug erfahren, dass mit den ungenau schiessenden Musketen Treffer Glückssache waren. Wir begriffen deshalb sehr schnell, dass wir hier ein Wunderding von einer Waffe vor uns hatten. Tatsächlich prägte die Amerikanische Büchse die Lebensweise und die Ziele der Backwoodsmen in den Wäldern. Sie verhalf ihnen nämlich zu einer enormen Beweglichkeit. Wir wissen heute, dass die Jäger und Waldläufer mit ein paar Pfund Salz, etwas Maismehl, einer Kentucke-Büchse, einem Skalpiermesser und einer Ahle zum Flicken ihrer Mokassins monatelang in der Wildnis ausharren konnten. Mit dem Gewehr und den bitteren Lektionen der Indianer in der Kriegführung konnten sich die Weissen schliesslich in Kentucke und später weiter im Westen behaupten. „Ihr müsst wissen, Burschen, ich verdanke einer dieser KentuckeBüchsen mein Leben. Im letzten Jahr wurde ich nämlich am Bärensee von einer Horde Indianer angefallen. Ich hatte dem Stamm einen Bärenschädel abgeknöpft. Das hatten sie mir übelgenommen. Es war wohl ein kostbarer Schädel. Ich hatte mich natürlich gewehrt und mit meiner Kentucke-Büchse einige der Wilden in die ewigen Jagdgründe befördert. Schliesslich gelang es mir, mich nach Fort Detroit durchzuschlagen.“ „Du hast gegen die Indianer gekämpft?“ fragte ich interessiert. „Da staunt ihr Burschen, was? Es waren Irokesen, wahre Teufel, kann ich euch sagen. Sie waren vom Stamm der Mohawk. Ich konnte von Glück reden, dass ich das britische Fort erreicht hatte. Sie waren nämlich hinter dem Bärenschädel her wie der Teufel hinter der armen Seele!“ „So hast du den Schädel immer noch?“ fragte Hans. „Bist ein kluger Bursche“, lachte der Waldstätter und schnitt dabei eine hässliche Grimasse. „Weiss der Teufel, weshalb ich diesen Indianerkram aufbewahrt habe! Vielleicht als Erinnerung an das Abenteuer, das ich erlebt hatte.“ Johann Deschwanden setzte sich auf den Amboss und stopfte seine Tabakpfeife. Dann suchte er nachdenklich und etwas umständlich in seiner Rocktasche nach einem Zunder. Er bemerkte unsere fragenden Blicke nicht. Ein langes Schweigen folgte. Seine Gedanken waren woanders. Draussen fielen Schüsse. Wir wussten nun, dass die Hochzeitsgesellschaft aus Irwin's Station eingetroffen war.
Diese Dakota-Frau strahlt eine gelassene Schönheit aus, wozu der sparsame Schmuck und die dezente, aber kostbare Kleidung beiträgt. Neben ihr geht ein kleines Mädchen, das nicht ihr Kind ist, sondern von den weiter im Norden wohnenden Assiniboin stammt. Bei einem Kriegszug ist das wahrscheinlich elternlos gewordene Kind den Dakota in die Hände gefallen und hat das Glück gehabt, von dieser offensichtlich einflussreichen Frau beschützt und aufgenommen zu werden.
11. Kapitel
Der Bärenschädel der Mohawk „
N
achher findet ein Preisschiessen am Waldrand drüben statt,
Burschen“, sagte der Johann Deschwanden. „dort könnt ihr eine Darbietung der besten Schützen von Reed's Mill und Irwin's Station sehen. Sie werden mit den Kentucke-Büchsen gegeneinander antreten.“ „Kann ich auch mitmachen?“ fragte Hans. „Du willst gegen die Kentuckier antreten, Bursche?“ fragte der Waffenschmied verwundert. „Natürlich nur, wenn die anderen Schützen nichts dagegen haben.“ „Du bist ein Teufelskerl, Bursche! Aber eben ein Obwaldner! Treib dein Spiel nicht zu bunt! Die Kentuckier sind nämlich auch nicht auf den Kopf gefallen. Also, geht zu der Hochzeitsgesellschaft hinaus! Ich werde dann nachkommen.“ Hans und ich verliessen die Schmiede. Wir rannten zum Waldrand hinüber. Plötzlich schoss es mir durch den Kopf, dass ich Peppy in der Hütte von Deschwanden vergessen hatte. Ich kehrte zurück. Ich wollte gerade eintreten, als ich den Büchsenmacher vor einer Kiste knien sah. Er kehrte mir den Rücken. Ich kann heute nicht mehr sagen, weshalb ich mich nicht bemerkbar machte. Auf jeden Fall hatte er mich nicht gehört. Ich sah ihm über die Schulter. Der Deckel der Kiste war aufgeklappt. Einige obenauf liegende Kleidungsstücke hatte er bereits beiseite gepackt. Darunter kamen ein Paar Pistolen, ein Jagdmesser sowie verschiedene andere Gegenstände, wie sie von Backwoodsmen gebraucht wurden, zum Vorschein. Auch eine Ledertasche war zu sehen. Bedächtig öffnete er sie und zum Vorschein kam – ein Bärenschädel. Das musste der geheimnisvolle Schädel der Mohawk sein! Ich zog mich von der Tür zurück und entfernte mich einige Schritte von der Hütte. Dann rief ich meinem Puma. Mein Ruf sollte ihn warnen, wenn er den Bärenschädel vor mir verstecken wollte. Als ich eintrat und mich nach Peppy umsah, war die Kiste tatsächlich wieder verschlossen. Er hängte sich gerade Pulverhorn und Jagdtasche, welche Feuersteine und Kugeln enthielt, über die Schulter, befestigte eine Nadel zum Säubern des Zündlochs, ein Bürstchen zum Reinigen der Pulverpfanne und ein kleines Horn, das
zum Abmessen der einzelnen Pulverladungen diente, am Riemen der Tasche und ergriff seine Büchse. Nachdem ich meinen Puma in einem umgestürzten Bottich gefunden hatte, machten wir uns gemeinsam auf den Weg zu den andern. Die Feier war bereits in vollem Gange. Zwei junge Männer galoppierten an uns vorbei. Sie hätten wohl den Auftrag erhalten, die „Schwarze Betty“ zu holen, erklärte mir Johann Deschwanden. Im Haus der Braut erwartete den Gewinner eine Flasche Maisschnaps. Mit teuflischem Gebrüll jagten sie wieder zurück und überreichten die Flasche dem Bräutigam, der ein Schlückchen nahm und sie dann an die anderen weitergab. „Gebt mir auch von der Schwarzen Betty!“ hörte ich den Bruder des Bräutigams rufen. „Ich möchte ihre süssen Lippen küssen!“ Als man dem von Durst Geplagten die Flasche reichte, wünschte er Gesundheit und ein langes Leben für den Bräutigam – und seine Wenigkeit!“ Die Gesellschaft bewegte sich nun zum Brauthaus. Auch wir mischten uns unter die Gäste. Die Frauen der Brautfamilie hatten Unmengen von Wildbret, Bären- und Schweinefleisch auf grossen hölzernen Schüsseln aufgetragen. Der Vater des Bräutigams hatte Whiskey gleich in Fässern herbeischaffen lassen. Während des Essens wurden ausgelassene Reden zum besten gegeben. Diese leiteten die Feierlichkeit ein. Dann wurde getanzt und gezecht und gesungen.
A
m Nachmittag fand das Preisschiessen statt. Dem Sieger
winkte die herrliche Kentucke-Büchse. Diese hatte ich in der Schmiede vom Johann Deschwanden bewundert. Ich hatte meine Armbrust dabei, als wir auf dem Kampfplatz erschienen. Das Schiessen war bereits im Gange. Die Zuschauer umstanden die zum Wettkampf angetretenen Schützen. Unter diesen befanden sich auch Kentucke Tom, Old General, Johann Deschwanden und die zwei Brüder des Bräutigams, die mit ihren prahlerischen Reden alle Augen auf sich zogen. Obwohl sie sich die Kehlen schon mehrmals mit Whiskey angefeuchtet hatten, schossen sie verdammt gut. Auch Johann Deschwanden gehörte zu den besseren Schützen auf dem Platz.
Der Obwaldner schnitt gerade ein eingefettetes Pflaster zurecht, in welches er eine Kugel einwickelte. Dann ergriff er seine Kentucke-Büchse. Der Ladevorgang mit Pulver und Kugel war derselbe wie bei der Muskete. Deschwanden stützte danach die schwere Waffe auf einem Wasserfass auf, visierte das Ziel an, welches eine Scheibe an einer Tanne war, und drückte ab. Die Konstruktion des Steinschlosses zwang ihn, nach dem Anvisieren und Abdrücken die Büchse mehrere Sekundenbruchteile in der gleichen Position zu halten, denn das gezündete Pulver auf der Pfanne zündete mit Verzögerung die Pulverladung im Lauf. „Treffer eine Handbreit neben dem Auge!“ rief Will Reed, der die Scheibe untersuchte. „Willst du es auch einmal versuchen, Bursche?“ fragte Johann Deschwanden den Hans Amrein. Er war natürlich Feuer und Flamme. Kentucke Tom zwinkerte ihm zu. Er hatte ihm das Laden und die Handhabung der Langen Büchse auf dem Ritt durch das Bluegrass-Gebiet beigebracht. Er war ein gelehriger Schüler gewesen. Durchs Band weg hatte er seine angegebenen Ziele getroffen. Er brachte also die Büchse in Anschlag, zielte eine längere Zeit und schoss. „Drei Finger am Auge!“ rief der Mühlenbesitzer an der Scheibe. „Bravo, Sturdy Jack!“ jubelte der kleine Ire. „Das war natürlich Zufall“, sagte der Büchsenmacher, „exerzieren wir es nochmals durch!“ Nachdem Hans das Zündloch der Kentucke-Büchse gesäubert und die Pfanne von Pulverresten gereinigt hatte, passte er die Kugel mittels eines Lederflicken selber im Lauf ein. Dann ging er unter den aufmerksamen Augen und in der gleichen Entfernung vom Ziel nochmals in Position. Er zielte, der Schuss fiel, und Will Reed verkündete wieder das Ergebnis: „Zwei Finger am Auge!“ „Ausgezeichnet, Jack!“ hörte ich meine Freunde rufen. „Potz Blitz! Der Bursche schiesst wie ein alter Backwoodsman!“ rief Deschwanden. „Du hast heute die Stockbüchse sicher nicht das erste Mal in der Hand!“ Hans' erster Schuss hatte einige Zuschauer angelockt. Bei seinem zweiten Schuss ging ein Raunen durch deren Reihen. Die Bemühungen auf dem Schiessplatz seines Vaters, wo er sich die Geschicklichkeit im Schiessen mit der Muskete angeeignet
hatte, trugen jetzt offenbar auch Früchte mit der Amerikanischen Büchse. „Lasst mich den nächsten Schuss aus der Langen Büchse tun!“ rief einer der Zuschauer und bahnte sich mit grossen Schritten einen Weg durch die Menge. Ich erkannte ihn sogleich. Es war einer der beiden Brüder des Bräutigams. „Wir wollen mal sehen, wer das Blei näher an das Ochsenauge auf der Scheibe setzt, dieses Greenhorn oder ich“, rief der junge Mann aus Irwin's Station. „Sei nicht zu siegessicher, Billy Webb!“ lachte der pockennarbige Waffenschmied. „Es gilt, zwei Finger neben dem Auge zu schlagen!“ „Das schaffe ich im Schlaf!“ prahlte der mit Billy Webb Angeredete. „Also, tritt vor und zeig uns deine Schiesskunst!“ Mit einem überlegenen Lächeln liess der junge Schütze den Lauf seiner Büchse in die Hände fallen, zielte nur einen Augenblick und drückte ab. „Einen Finger am Auge!“ rief Will Reed, der immer noch an der Scheibe stand. Andere Schützen versuchten ihr Glück. Doch keiner kam näher als eine Handbreit an das Auge. „Lasst mich es mal versuchen!“ meldete ich mich. „Crossbow Joe, zeig uns, zu was ein echter Armbrustschütze imstande ist!“ rief Kentucke Tom. Ich trat vor, spannte die Sehne meiner Armbrust, legte den Pfeil auf die Führungsrille, zielte und schoss. „Das Auge ist am Rande gestreift!“ rief Will Reed. Bisher hatte noch kein Schütze das Auge getroffen. Der Whiskey hatte wohl dazu beigetragen. Hans, Billy Webb und ich hatten am besten geschossen. „Gentlemen, nachdem wir die Büchsen und die Armbrust eingeschossen haben, soll es jetzt Ernst werden“, sagte Will Reed, der zu uns getreten war. „Der nächste Schuss soll die Entscheidung bringen. Wer seine Kugel oder den Pfeil am nächsten da vorne am Auge plaziert, dem soll die Kentucke-Rifle gehören.“ „Das ist ein Wort, wie es nur ein echter Frontiersman gibt“, rief Billy Webb und rieb sich erfreut die Hände. Er fühlte sich offenbar schon wie der sichere Sieger. Die Schützen traten also nochmals an. Ein Schuss nach dem andern fiel.
„Scheibe verfehlt! Zwei Handbreit neben dem Auge! Scheibe verfehlt!“ hörten wir jeweils Will Reed, der die Scheibe bediente. Hans, Billy Webb und ich, die Besten des ersten Schiessens, kamen als letzte an die Reihe. Ich machte den Anfang. Mit grösster Sorgfalt legte ich den Pfeil vor die gespannte Sehne. Ich war nervös. Ich wollte vermutlich zuviel. Zweimal legte ich an. Dann liess ich den Pfeil losschnellen. Dieser bohrte sich eine Handbreit neben dem aufgemalten Ochsenauge in die Scheibe. Meine Enttäuschung war gross. Nun war die Reihe an Billy Webb, dem Bruder des Bräutigams. Er sah sich schon als sicherer Sieger vom Platz gehen. Zu schlecht hatten die anderen Schützen getroffen. Dementsprechend waren seine grosstuerischen Gesten. Er schoss. Als sich der Pulverrauch verzogen hatte, meldete sich Will Reed: „Zwei Finger neben dem Auge!“ „Die Kentucke-Büchse gehört mir!“ rief der junge Mann aus Irwin's Station etwas voreilig. „Sturdy Jack müssen auch noch schiessen!“ setzte sich Lobo für Hans Amrein ein. „Ja, der Junge hat noch einen Schuss frei!“ reklamierten auch die Zuschauer. „Soll mir recht sein“, rief Webb, „sein Schuss wird zeigen, wer der Meisterschütze ist.“ Hans stellte sich wieder auf. Spannung lag in der Luft. Die Büchse knallte, und ein Raunen ging durch die Zuschauer. „Treffer mitten ins Auge!“ Hans stiess einen Freudensschrei aus. Wir jubelten. Lobo schlug einen Purzelbaum. Mein Landsmann freute sich wie ein Schneekönig. Der Neger liess seine weissen Zähne blitzen, als Hans die Kentucke-Büchse in Empfang nehmen konnte. „Ein ausgezeichneter Schuss, mein Junge. Du hast sie dir verdient“, sagte Will Reed, der Besitzer der Mühle. „Ein richtiger Backwoodsman, und das bist du nun, gibt seiner Büchse auch einen Namen“, meinte Kentucke Tom, als er Sturdy Jack die Hand drückte. „Das kannst du einem alten Schwadroneur glauben!“ Viele Backwoodsmen hatten die Eigenheit, ihren Begleitern durch die Wildnis Namen zu geben. Zu diesen Begleitern gehörten ihre Pferde, ja sogar ihre Büchsen. Daniel Boone nannte seine Lieblingsbüchse Old Tick-Licker. Sturdy Jack wollte hinter dem berühmten Waldläufer nicht zurückstehen. In Erinnerung an die
Mühle an Clark's Creek nannte er deshalb seine beim Preisschiessen erworbene Kentucke-Büchse liebevoll Old Mill Rifle. Tatsächlich sollte die Lange Büchse ein verlässlicher Begleiter von ihm werden, so wie auch meine Armbrust ein Teil von mir geworden war. Nachdem das Wettschiessen vorbei war und die Schützen und Zuschauer den Platz verlassen hatten, versammelte sich die Hochzeitsgesellschaft in einer Hütte am Ende der Siedlung. Weil kein Schwarzrock zugegen war, gab Johann Deschwanden, der Waffenschmied aus den eidgenössischen Waldstätten, Annie Reed und Randolph Webb als Mann und Frau zusammen. Nach Beendigung der Trauung kamen die Leute von Reed's Mill und Irwin's Station wieder vor dem Haus der Reed's zusammen. An zwei Seiten der Hütte liefen Bänke und Tische entlang. Die Bänke füllten sich schnell. Die ganze Siedlung war zu dem Fest eingeladen. Es gab Whiskey, soviel einer trinken wollte, und es wurde wieder Wildbret, Bären- und Schweinefleisch aufgetischt. Hans, Lobo und ich mochten uns nicht unter die Hochzeitsgesellschaft mischen. Wir hielten uns wie am Morgen bei der Mühle auf. Während bei den Reed's grosses Geschrei und viel Hin und Her herrschte, hatten wir uns beim Mühlrad auf unsere vier Buchstaben gesetzt. Ich erzählte meinen Freunden von dem geheimnisvollen Bärenschädel, den ich in Deschwandens Schmiede gesehen hatte. Dabei mussten wir die Zeit vergessen haben. Als es dunkel wurde, verliessen wir die Mühle. Vor Reed's Hütte brannte ein grosses Feuer, um das sich die männlichen Hochzeitsgäste gelagert hatten und zechten. Wir wollten uns etwas gebratenes Wildbret organisieren. Im Schein des Feuers erblickten wir unseren Landsmann, der die Gebrüder Webb in das Geheimnis des „Muttelispiels“ einführte. Dieses bestand aus einem runden Holzgefäss, das im farbig bemalten Boden Vertiefungen hatte, die mit Wertzeichen versehen waren. Ich kannte das „Bauern-Roulette“ aus den Waldstätten, wo das „Kugelitrölen“ leidenschaftlich und mit hohen Einsätzen gespielt wurde. Durch geschickten Wurf der Kugel versuchte der Spieler, einen möglichst hohen Wert zu treffen. Mir war nicht wohl bei der Sache. Die Männer hatten dem Whiskey schon eifrig zugesprochen. Ich beobachtete sie. Während der eine seinen Kopf bereits mit beiden Händen stützen musste, starrte der andere düster vor sich hin.
Wir zogen uns zurück, um uns am Fluss unten eine Schlafstelle zu bereiten. Inzwischen war der Mond aufgegangen. Er stand gross und silbrig über den Tannenwipfeln und schüttete seinen Glanz ins Wasser von Clark's Creek. Der Schein des Lagerfeuers vor Reed's Hütte leuchte ebenfalls zu uns herüber. Die Männer waren mit Leib und Seele beim Spiel, so dass ihre Stimmen bis zu uns hallten. Aus den Wortfetzen glaubte ich einen Streit herauszuhören. Plötzlich erscholl ein Schrei, dem ein zweiter folgte. Dann krachte ein Schuss durch die Nacht. Wir waren auf die Beine gesprungen, blickten zu Reed's Hütte hinüber. Was war geschehen? Wir eilten zum Feuer hinüber. Einige Männer von Irwin's Station standen gestikulierend zusammen und zerrissen sich über jemanden das Maul. Ich schnappte einige Worte auf. Es hatte Streit mit Johann Deschwanden gegeben. Er hätte ein falsches Spiel getrieben. Das „Muttelispiel“! Der Büchsenmacher sei zu allem noch handgreiflich geworden. Darauf hatte Billy Webb seine Pistole gezogen und gefeuert. Johann Deschwanden sei zwischen den Tannen verschwunden. Nun wollten sie es ihm heimzahlen. In ihrem Suff stapften sie in der Dunkelheit umher und suchten den Büchsenmacher. Wir mussten unseren Landsmann warnen. „Er ist bestimmt zur Schmiede hinüber“, flüsterte ich Hans und Lobo zu. Meine beiden Gefährten erkannten den Ernst der Lage, denn sie folgten mir auf dem Fusse. Als wir Deschwandens Hütte erreichten, spähten wir nach allen Seiten aus. Doch er war nirgends auszumachen. War er in der Schmiede? Der Mond stand immer noch über den Baumwipfeln und erhellte die Siedlung. Schnell schlüpften wir in den Schatten seiner Hütte. Hier mussten wir uns mehr auf das Gehör als auf unsere Augen verlassen. Nur die vereinzelten Rufe der Betrunkenen drangen zu uns herüber. Wie lange würde es dauern, bis sie auch hierherkamen? Und tatsächlich! Ich hörte in der Ferne die Stimme von Billy Webb, die immer lauter wurde und immer näher kam. „Deschwanden! Du Lump! Komm her, oder wir stecken deine Hütte in Brand!“ hörte ich Webb fluchen. Der Bärenschädel der Mohawk! schoss es mir durch den Kopf.
„Ich muss in die Hütte!“ flüsterte ich meinen beiden Freunden zu. „Lobo, komm mit! Hans, pass du auf, dass wir nicht überrascht werden!“ Der Neger und ich traten in die Schmiede. Drinnen fanden wir eine Kerze, die wir anzündeten. Deschwanden war nicht hier! Dort stand die Kiste! Sie war aber verschlossen! Wo war der Schlüssel? Wir begannen nach ihm zu suchen. Nichts! Hans hatte seinen Beobachtungsposten verlassen und schlüpfte zu uns herein. „Von Reed's Hütte nähern sich die besoffenen Schweine mit brennenden Holzscheiten“, meldete er. „Habt ihr noch lange hier?“ „Wir können den Schlüssel nicht finden, Hans“, klärte ich ihn auf und wurde nervös. „Dann müssen wir die Kiste mitnehmen, Josef.“ „Es bleibt uns nichts anderes übrig.“ Zu dritt machten wir uns sofort ans Werk. Die Truhe war höllisch schwer. Als ich mit dem Arm an eine Rolle Kautabak stiess, die auf dem Tisch lag, kullerte der Schlüssel auf den Boden. Im Nu hatte ich die Kiste geöffnet und den Deckel aufgeklappt. Hastig durchwühlte ich den Inhalt, nahm die Ledertasche mit dem Bärenschädel an mich und schloss die Truhe wieder. Es war höchste Zeit, denn draussen waren bereits die Geräusche vieler Schritte zu hören. „Nichts wie weg hier!“ flüsterte ich den Gefährten zu. Ich löschte die Kerze, dann tasteten wir uns durch die Hintertür hinaus. Draussen war es rabenschwarze Nacht. „Hat da nicht eben noch ein Licht in der Hütte gebrannt?“ hörten wir eine Stimme fragen. „Kommen mit zur Mühle!“ flüsterte uns der Neger zu. Lobo hatte bereits die Richtung zum Flüsschen eingeschlagen. Wir folgten ihm.
W
ir fanden Kentucke Tom, Old General und die beiden
Landvermesser in der Mühle. Sie schliefen hier ihren Rausch aus. Sie hatten von dem Streit nichts gemerkt. Wir weckten sie. Sie mussten über alle Massen gefeiert haben, denn sie waren noch schwer betrunken.
Ich packte den Bärenschädel aus der Ledertasche. Er war kunstgerecht präpariert. Wie der Wampumgürtel der Cherokee war er mit weissen Muschelperlen und Feuersteinen ausgeschmückt. In den Augenhöhlen der Bärenmaske nahm ich einen goldenen Glanz wahr. Neugierig strich ich das Fell auseinander. Tatsächlich! Zwei fingerdicke Goldklumpen erstrahlten vor meinen Augen. Der eigentümliche Schädel hatte auch die Neugierde von Mr. Benton geweckt. Er starrte wie gebannt auf die Bärenmaske. Er sammelte seine verwirrten Sinne und strich sich die Haare aus der Stirn. Seine Augen glühten vom Feuer der Gier. „Nuggets!“ rief er. „Crossbow Joe! Woher hast du diesen Schädel?“ „Er gehört den Mohawk!“ sagte ich mit Nachdruck. „Ich werde ihn den Indianern am Bärensee zurückgeben!“ Draussen hörten wir Schreie. „Die Schmiede brennt!“ rief jemand. Als wir ins Freie traten, sahen wir ein Feuer zwischen den Bäumen. Es strahlte einen gleichmässigen roten Schein aus, der in Kontrast zu dem milchigen Mondlicht stand. Sturdy Jack, Lobo und ich rannten zu der Hütte hinüber. Die zwei Trapper und die beiden Landvermesser torkelten hinterher. Ein dünner Rauchschleier schwebte vor dem Mond und stülpte diesem eine hässliche Fratze über. Diese grinste uns an. Funkenfontänen sprühten durch die Dunkelheit. Stämme zerbarsten unter Stöhnen, und es prasselte zum Herzerweichen. Das Dach der Schmiede war schon eingestürzt. Menschengestalten hasteten wie Gespenster vor der sengenden Glut hin und her. Von der Schmiede gab es nichts zu retten oder zu löschen. Die Flammen loderten noch eine Weile zum Himmel, dann fiel alles in sich zusammen. Es wurde wieder still in der Siedlung. Die meisten Bewohner zogen sich zurück, um ihren Rausch auszuschlafen. Am anderen Morgen standen sie vor den jämmerlichen Resten der Schmiede. Sie wagten kaum zu atmen. Der Steinkamin ragte wie ein Leichenfinger aus der Glut. Was war in der Nacht geschehen? Wer hatte die Hütte angezündet? Die Leute von Irwin's Station waren in aller Herrgottsfrühe abgereist, Bitterkeit zurücklassend. Sie hatten die Braut mitgenommen. Sie habe Tränen der Verzweiflung geweint, erzählten die Leute. Von Johann Deschwanden fanden die Siedler in der Asche der Schmiede nicht viel mehr als einen goldenen Ring, den er zeitlebens an seinem Ohr getragen hatte. Es gab ihn also nicht mehr, den
Büchsenmacher aus den eidgenössischen Waldstätten, den es vor vielen Jahren in diese Wildnis verschlagen hatte. Mit finsteren Gedanken blickte ich auf die Schmiede, die keine Schmiede mehr war. Nur noch Schutt und Asche waren übriggeblieben. Und ich sah den stehengebliebenen Steinkamin, den toten Leichenfinger. Die beiden Landvermesser waren in der Nacht auf und davon. Und mit ihnen war auch die geheimnisvolle Bärenmaske der Mohawk verschwunden. Die zwei Schurken hatten sie mir im Schlaf abgenommen. Mein Misstrauen, das ich schon lange gegen sie gehegt hatte, war also nicht aus der Luft gegriffen. Sturdy Jack, Rotkäppchen und ich waren heilfroh, die Halunken losgeworden zu sein. Sie, die uns als Messkettenträger verdingt hatten!
Im Schutz eines Gehölzes liegt ein Minitari-Dorf. Aus den schneebedeckten Hütten steigt hier und dort der Rauch des in ihrem Innern unterhaltenen Feuers. Brennholz gibt es hier ja genug, und man ist nicht wie die in der offenen Prärie lebenden Stämme auf getrockneten Büffelmist als Heizmaterial angewiesen. Einige Bewohner stehen, in Grüppchen sich unterhaltend, vor den Hütten und geniessen die schwache Wintersonne. Andere beschäftigen sich mit einem Spiel, das darin besteht, einen dahinrollenden kleinen Reifen mit lanzenartigen Stöcken vom Boden aufzunehmen.
12. Kapitel
Der Bär
G
egen Mittag verliessen wir Reed's Mill. Wir durchquerten
Clark's Creek. Dahinter führte ein Pfad nach Norden. Wir passierten eine deutsche Siedlung, deren Namen ich vergessen habe. Von dort ritten wir in nordwestlicher Richtung nach Harrod's Town. Hier erkundigten wir uns nach den Büffeljägern. Niemand konnte uns aber etwas über sie sagen. Uns blieb nichts anderes übrig, als Harrod's Town wieder zu verlassen. Wir schlugen den Weg nach Dick's River ein. Kentucke Tom, der sonst so redselige und aufgelegte Trapper, blieb seit Reed's Mill wortkarg. In seiner Einsilbigkeit stand er sogar Old General nicht nach. Der Grund dafür war nicht schwer zu erraten. Er meinte, dass seine Ehre als umsichtiger Trapper und scharfsinniger Waldläufer auf dem Spiel stünde. So habe er beim Brand der Schmiede keine besonders gute Figur gemacht. Auch die Tatsache, dass die Spur der Büffeljäger verloren gegangen sei, werfe kein günstiges Licht auf ihn. Wie konnte ich den Freund auf andere Gedanken bringen? Auch ich war nicht in bester Stimmung. Wie sollte ich auch? Der Tod des Landsmannes in Reed's Mill ging mir noch immer nach. Ich hatte mir ein Traumbild von den Menschen im Bluegrass-Gebiet gemacht. Nun musste ich erkennen, dass sie sich nicht von den Leuten am Yadkin River oder den Menschen in den Waldstätten unterschieden. Und Indianer hatten wir auch noch keine gesehen! Zweifel an der Wahrheit von Daniel Boone's Buch stiegen in mir auf. Seit Tagen befanden wir uns in dem Gebiet, über das der berühmte Waldläufer geschrieben hatte. Nicht eine einzige Rothaut war uns bisher über den Weg gelaufen! Bei strömendem Regen durchquerten wir Dick's River in der Nähe von Boroman's Station, und bei Grant's Mill erreichten wir endlich den Kentucke River. Wir beabsichtigten, diesem Fluss aufwärts bis Boonesborough zu folgen. Boonesborough war eines der ersten Forts der Weissen in Kentucke. Daniel Boone hatte es 1775 erbaut. Es hatte einen rechteckigen Grundriss. Einige Dutzend Hütten und Schuppen, die durch einen Palisadenzaun miteinander verbunden waren, bildeten die Einfriedung. An den vier Ecken standen mächtige Blockhäuser, aus denen die Flanken des Forts unter Feuer genommen werden
konnten. Der Palisadenzaun konnte an zwei Seiten geöffnet werden. Innerhalb der Befestigung waren einige Ställe und Zäune für die Rinder, Pferde und Schweine der Siedler aufgestellt worden. Als wir Boonesborough erreichten, fragte uns Kentucke Tom: „Habe ich euch schon vom Yorktown-Feldzug erzählt? Old General und ich waren nämlich dabei.“ „Ja, ihr hattet mit General Washington den Hudson River überquert“, sagte Sturdy Jack. „Aber habe ich euch auch kundgetan, als wir in Philadelphia einmarschierten?“ „Nein.“ „In diesem Fall muss ich euch unbedingt davon berichten. Nachdem wir also mit den Sandhasen und Stoppelhopsern den Delaware River durchquert hatten, schneiten wir am nächsten Tag in Philadelphia herein. Philadelphia ist eine riesige Stadt, nicht so armselig wie dieses Boonesborough, das könnt ihr einem alten Schwadroneur ruhig glauben! Philadelphia hat einen grossen Hafen und gute Kaianlagen. Und die Strassen! Ich habe noch nie so gut gepflasterte Strassen gesehen. Auch eine Kongresshalle gibt es dort, von der man einen prächtigen Ausblick hat.“ „Hattet ihr die Stadt belagert, bevor ihr dort einmarschiert seid?“ fragte Hans. „Keine Spur! Die Leute von Philadelphia beklatschten uns aufgekratzt. Die Strandhasen paradierten sogar im exakten Marschtritt und mit farbenprächtigen Regimentsfahnen durch die Strassen. Die französischen Infanteristen trugen strahlend weisse Paradeuniformen mit rosafarbenen, grünen, violetten und blauen Revers und Aufschlägen und weisse Federbüsche. Die Artilleristen hatten graue Uniformen mit roten Samtaufschlägen. Die Hüte der Unteroffiziere waren mit Gold- und Silberkordeln verziert, und ihre Stöcke hatten goldene Knäufe. Eine Blaskapelle begleitete die Sandhasen. Die Leute von Philadelphia waren entzückt. Nie hätten sie sich vorstellen können, dass Sandhasen so prächtig aussehen konnten. Im Gegensatz dazu machten die Stoppelhopser grimmige Gesichter. Sie waren wieder einmal nicht bezahlt worden. Sie waren in schlechter Stimmung. Washington befürchtete sogar eine Meuterei. Er zweifelte, ob sie den Spaziergang fortsetzen würden. Trotzdem salutierten die Stoppelhopser artig, als sie an der Fahne und an Washington vorbeilatschten. Washington trat mit einigen Generälen auf dem Balkon des Kongresshauses von einem Fuss auf den anderen.“ Auch Lobo hängte an den Lippen des kleinen Iren.
„Von Philadelphia stiefelten wir weiter nach Chester in Pennsylvania“, fuhr Kentucke Tom mit seiner Erzählung fort. „Unser Ziel war die Chesapeake Bay. Direkt oberhalb des nördlichsten Zugangs liegt ein Ort mit dem Namen Head of the Elk –“ „Lobo haben Elch gesehen“, plapperte der Mohr dazwischen, nachdem ihm der Ire das Stichwort gegeben hatte. „Was weisst du schon von Elchen, Rotkäppchen!“ rief Kentucke Tom. „Lobo wissen viel von Elch! Lobo lieben Elch! Lobo sehen Elch auf Baum.“ „Ein Elch auf einem Baum!“ „Elch schlagen Löcher in Rinde von Baum, viele Löcher. Dann saugen Elch Saft aus Löcher.“ „Ach, du meine Güte! Rotkäppchen, du hast keinen Elch, sondern einen Specht, einen Saftlecker, gesehen!“ Inzwischen waren wir durch das Tor von Boonesborough geritten. McGready befand sich mit seinen Trappern vom Watauga River bereits im Fort. Die Regenschwaden, die in diesem Frühsommer 1785 über das Land gewandert waren, hatten auch ihre Spuren, denen sie gefolgt waren, verwischt. McGready schickte deshalb Auskundschafter in die weitverstreuten Siedlungen. Er hoffte auf diese Weise, wieder auf die Fährte der Pelzräuber von Miller's Tavern zu stossen. Boonesborough machte er zum Ausgangspunkt für die Kundschaftertrupps. Der Trapper mit den hassenden Augen schickte Kentucke Tom, Old General, Rotkäppchen, Sturdy Jack und mich nach Norden. Wir sollten die Settlements am S.th Fork, einem Nebenfluss des Licking River, abreiten. Nach einem kurzen Aufenthalt in dem Urwaldfort von Daniel Boone brachen wir also wieder auf. Den berühmten Pionier der Wildnis hatten wir nicht gesehen. Er streifte wohl irgendwo durch die Wälder. Ich hatte gehört, dass ihm das Leben im Wald allem anderen vorging. Der Wald hatte auch uns wieder. Er übte eine starke Anziehungskraft auf mich aus. Das Spiel von Licht und Schatten, das Rauschen des Windes in den Bäumen und die Rufe der wilden Tiere bezauberten mich ebenso wie Boone. Am zweiten Tag erreichten wir den S.th Fork. An seinem Ufer musste Riddle's Station liegen. Wir kannten nur den Namen dieser kleinen Ansiedlung. Hier war guter Rat teuer! Hatten die Siedler ihre Blockhütten flussauf- oder flussabwärts errichtet?
Kentucke Tom wollte mit Hans den oberen Teil des Flusses abklappern, während Old General mit Lobo dem entgegengesetzten Ufer entlangritt. Ich blieb mit meinem Puma an Ort und Stelle. Die beiden Reiterpaare wollten vor Sonnenuntergang wieder zurück sein. Ich führte derweil mein Pferd in ein Kastanienwäldchen, wo ich es anband. Dann setzte ich mich auf den Waldboden und blickte meinen Gefährten nach, die zwischen den Bäumen verschwanden. Das Gefühl, auf mich selbst gestellt zu sein, wenn auch nur für wenige Stunden, begeisterte und ängstigte mich zugleich. Ich spürte Peppy in meinem Rücken. Er widmete sich leidenschaftlich einem Insekt. Ich beobachtete das unbekümmerte Pumajunge und schüttelte meine Beklommenheit auch ab. Ich verharrte vielleicht zehn Minuten in meiner Stellung. Dann entschloss ich mich, an den Fluss hinunterzugehen. Dieser floss hinter einem Waldriegel vorüber. Vom Kastanienwäldchen aus konnte ich ihn nicht sehen. Ich nahm also die Armbrust an mich, rief dem Puma und lenkte die Schritte zum Wald hinüber. Das Pferd graste unbekümmert weiter. Ich bahnte mir einen Weg durch das verschlungene Gestrüpp. Hier unter den Bäumen schlummerte ein gedämpftes Licht. Schon nach wenigen Schritten erblickte ich die Sonne wieder. Sie badete im Wasser des S.th Fork. Der Fluss lag wie ein Bergkristall eingebettet zwischen den Tannen. Ich setzte mich auf einen Baumstrunk. Genüsslich sog ich die würzige Luft ein. Dann liess ich meine Gedanken flanieren. Sie wanderten zwischen Vergangenheit und Zukunft hin und her. Bilder tauchten aus dem Flusswasser auf und trieben mit den Wogen weiter. Wie hat es wohl hier vor hundert Jahren, vor tausend Jahren ausgesehen? Meine Gedanken fliegen zurück. Ich sehe Indianer an den Fluss kommen. Sie tränken hier ihre Pferde. Sie sind die unumschränkten Herren in diesen unübersehbaren Gebieten. Es sind ihre Jagdgründe. Doch ihre Vorstellungen von der Natur, die sie liebevoll Mutter Erde nennen, sind anders als die der Weissen. Die Erde ist die Mutter alles Lebendigen, nicht nur des Menschen, sondern der gesamten Schöpfung. Alle Wesen – Steine, Pflanzen, Tiere, Geister – haben dasselbe Recht auf Dasein und Leben wie der Mensch! Peppy war unruhig. Der Puma musste irgend etwas gehört haben. War ein wildes Tier in der Nähe? Ich wollte zu meinem Pferd zurückkehren.
Ich machte mich also mit meinem Racker auf den Rückweg. Nachdem wir uns eine Strecke am Ufer entlang durch das Dickicht gearbeitet hatten, hörte ich in der Nähe plötzlich einen grässlichen Schrei. Ich fuhr zusammen. Kalter Schweiss lief mir über den Rücken. Was war das? Es wurde wieder still. Ich ging weiter und kam an den sumpfigen Rand einer Lichtung. Ein markdurchdringendes Brummen drang an mein Ohr. Ganz in der Nähe. Ein Bär! Nochmals der Schrei! Der Schrei eines Menschen. Mit zitternden Händen prüfte ich meine Armbrust. In der Gefahr besinnt sich der Mensch auf Erprobtes. Dann schob ich mich behutsam durchs Dickicht. Ein strenger, salziger Wildgeruch drang mir in die Nase. Endlich gab das Gestrüpp den Ausblick auf die Lichtung frei. Ich bekam eine Gänsehaut, als ich einen ausgewachsenen Schwarzbären erblickte. Das Tier stand aufrecht vor mir. Mit den Vorderpranken hielt es wie in einem Schraubstock den leblosen Körper eines Menschen umschlungen. Die fürchterlichen Zähne des Bären waren tief in die Brust des Unglücklichen vergraben. Ich konnte beobachten, wie ein junger Indianer auf das Tier eindrang, mit seinem Jagdmesser ausholte und es dem Schwarzbären mit voller Wucht ins Fell stiess. Fauchend und zähnefletschend liess dieser von seinem Opfer ab und richtete seine Aufmerksamkeit nun auf den Angreifer. Mit einer Gewandtheit, die dem drei Zentner schweren Geschöpf niemand zugetraut hätte, stürzte sich der Bär auf den Roten und schleuderte ihn mit einem einzigen wütenden Tatzenschlag zu Boden. Ich hatte meine Armbrust in Anschlag genommen. Als das Tier gerade zum Sprung ansetzen wollte, schnellte der Pfeil von der Sehne. Mit einem wilden Fauchen bäumte sich der Schwarzbär auf, fletschte laut stöhnend die Zähne und – brach zusammen. Als ich sah, dass von dem Bären keine Gefahr mehr zu erwarten war, erhob ich mich und trat auf die Lichtung. Der Indianer, der den Bären mit dem Messer angegriffen hatte, stand nun vor mir. Unheimlich fast, doch auf seinem hübschen Gesicht lag ein gewinnender Ausdruck von Wärme und Offenheit. Er flösste mir sogleich Vertrauen ein. Der Rote musste in meinem Alter
sein. Er war prachtvoll gewachsen. Ich glaubte, in seiner Haltung etwas zu sehen, die von einer edlen Abkunft zeugte. Obwohl der Indianer soeben dem Tod entronnen war, strahlte er eine grosse Ruhe und Gefasstheit aus, die im Dämmerlicht des Waldes fast gespenstisch auf mich wirkte. Sein langes tiefschwarzes Haar war mit einem Federkopfschmuck verziert. Der nackte Oberkörper trug eine schwarze Bemalung, die wohl seine Stammeszugehörigkeit nachwies. Um die Hüften trug er eine perlenbestickte Schärpe und einen Wildlederschurz. Hohe Lederstrümpfe mit wollenen Kniebändern reichten ihm von den Wildleder-Mokassins, die mit Stachelschweinborsten geschmückt waren, bis zu den Oberschenkeln, welche unbedeckt waren. Das Pulverhorn, ein perlenbestickter Wollbeutel, die verzierte Messerscheide und eine prächtige Medaille am Hals vervollständigten seine Kleidung. Der Rote legte drei Finger auf seine Brust und sagte in leidlichem Englisch: „Talmach grüsst seinen weissen Bruder. Er verdankt ihm sein Leben. Er sage ihm seinen Namen.“ „Die Freunde nennen mich Crossbow Joe.“ „Crossbow, ist das der Name deiner Pfeilwaffe?“ „Ja, wir nennen sie Armbrust.“ Der Indianer blutete an der Schulter. Es war offensichtlich die Folge des Prankenhiebes. „Lass mich deine Wunde sehen“, sagte ich zu dem Roten. „Die Wunde ist nicht schlimm. Mein Bruder wir mir erlauben, zuerst den Bären zu untersuchen und dann nach meinem roten Bruder zu sehen.“ Der Indianer fühlte dem Schwarzbären auf den Zahn, ob er sein zähes Leben auch wirklich ausgehaucht hatte. Danach wandten wir uns dem Unglücklichen zu, der die grausige Umarmung des wilden Tieres erleiden musste. Talmach untersuchte ihn. Wir sahen, dass er noch lebte. Doch die Verletzungen waren so schwer, dass wir alle Hoffnung fahrenliessen. Der Sterbende schlug die Augen auf. Als er seinen Stammesgenossen erkannte, flüsterte er etwas, das ich nicht verstand. Talmach nahm aus seinem Wollbeutel einen Lederbehälter, der eine Flüssigkeit enthielt. Diese flösste er dem Verwundeten ein. Doch dieser stöhnte auf und fiel in eine neue Ohnmacht.
„Der mit dem grauen Haar wird sterben“, wandte sich der Rote an mich. „Seine Verletzungen sind zu gross.“ Der Indianer war im besten Mannesalter. Er trug einen weissen Rock aus Karibuleder mit aufgesticktem Blumenmuster, einen Lendenschurz, perlengesäumte Leggings und schwarze WildlederMokassins. Um seinen Hals trug er eine Kette aus Wolfszähnen. Die Skalplocke seines halbgeschorenen Kopfes war mit Hirschhaaren verziert. Der mit dem grauen Haar hatte seine Augen wieder aufgeschlagen. Ein leises Röcheln floss über seine Lippen. Wir merkten, dass es mit ihm zu Ende ging. Der junge Indianer legte den Kopf des Sterbenden in seinen Schoss und sprach ihm Trost zu: „Der mit dem grauen Haar wird heimkehren in die Ewigen Jagdgründe. Orenda hat es so gewollt. Der mit dem grauen Haar wird als grosser Krieger in das Land der Toten eingehen. Er ist geboren worden als Mensch, der von seinen Mitgeschöpfen Kraft bezogen hat. Wenn seine Seele und sein Schatten seinen Körper verlassen, nimmt Mutter Erde sie zurück, um die Pflanzen zu nähren, die ihrerseits wiederum die Tiere und Menschen ernähren. Seine Schuld ist beglichen, sein Geist befreit. Der Kreislauf des Lebens ist vollendet. Die Mohawk werden trauern um ihren grossen Sohn.“ Welch eine Weisheit und Barmherzigkeit lagen in seinen Worten! Ich sollte die Welt dieser Indianer, welche die Weissen abschätzig Wilde nannten, noch kennenlernen. Es war eine Welt, in der der Mensch ein Teil der Natur war und nicht ausserhalb von ihr stand. Wie oft hatte mir Talmach später durch sein Vorbild zu verstehen gegeben, dass wir nur ein Stück des Gewebes der natürlichen Welt seien und dass daher Erde und Wälder weder jemandes Eigentum sein noch ausgebeutet werden konnten! Der Sterbende fragte seinen Stammesgenossen: „Wo ist mein Freund, der Bär?“ „Er ist tot.“ „Mein Bruder möge dem Bären sagen, dass ich ihm verziehen habe.“ „Ich werde den Wunsch meines Bruders erfüllen. Er sage jetzt seinen letzten Willen.“ „Talmach wird das Fell des Bären Süsses Mondlicht im Herbst Frau geben, die meine Tochter ist. Das Geschenk soll sie an ihren Vater erinnern“, hauchte der Sterbende, richtete sich noch einmal auf und sank dann in sich zusammen.
Der Krieger war tot. Er hatte natürlich eine indianische Sprache gesprochen. Talmach hatte es mir ins Englische übersetzt. Inzwischen war auch Peppy herangekommen. Der kleine Racker hatte seine Scheu abgelegt und beschnupperte neugierig den toten Bären. Talmach war überrascht, als er den Puma erblickte. Ich setzte ihn ins Bild, dass das Junge zu mir gehörte. Der Indianer schenkte mir einen bewundernden Blick. Nun kniete er sich bei seinem toten Gefährten nieder und drückte ihm die Augen zu. Danach lehnte er ihn aufrecht mit dem Rücken gegen einen Baumstamm, wie es indianische Sitte war. Schliesslich wandte er sich wieder an mich: „Ich war mit meinem roten Bruder auf Kundschaft“, sagte der Junge. „Wir sind Irokesen-Krieger vom Stamm der Mohawk. Mit den Büffeln waren wir hierher in den Süden gezogen. Am grossen Fluss hatten uns aber die Shawnee überfallen und zehn unserer Krieger gefangengenommen. Wir waren den Feinden bis hierher gefolgt. Draussen auf der Ebene hatten wir ihre Fährte aufgespürt.“ Feindliche Indianer hier am S.th Fork! Der Schreck fuhr mir in die Glieder. Meine Gefährten waren in Gefahr! Ich erzählte dem Irokesen, dass ich zu einer Gruppe von Trappern gehörte, die nach weissen Banditen suchten. „Talmach wird seine Krieger holen. Sie warten oben am Fluss. Wenn die Sonne dort über den Wipfeln steht, werde ich an diese Stelle zurückkehren“, sagte der Mohawk und wies zu einer Tannengruppe, die westlich von uns am Wasser stand. Ohne ein Wort des Abschieds verschwand der freundliche Indianer zwischen den Bäumen. Ich kehrte zum Kastanienwäldchen zurück, wo ich mein Pferd angebunden hatte. Kentucke Tom und Sturdy Jack erwarteten mich bereits. In knappen Zügen erzählte ich ihnen das Vorgefallene und berichtete auch von den Shawnee, die hier irgendwo umherstreiften. „Old General ist zwar ein erfahrener Scout. Doch ohne mich ist er nur ein halber Mensch, das könnt ihr einem alten Schwadroneur glauben! Ich wäre nicht erstaunt, wenn er und der Mohr den Wilden in die Arme gelaufen sind“, sagte der kleine Ire und machte dabei eine besorgte Miene. „Wenn es zutrifft, was du sagst, Kentucke Tom, dann wird uns Talmach helfen, sie zu befreien“, sagte ich. „Du meinst also, man kann diesem Mohawk trauen?“ „Ja, unbedingt!“
Der Indianer hatte mein Vertrauen gewonnen. Die kurze Zeit, die wir zusammen waren, hatte dazu genügt. Wir hofften natürlich, dass Old General und Rotkäppchen sich bald einfinden würden. Bis zum Sonnenuntergang dauerte es noch gute zwei Stunden. Hans und ich machten es uns in der Nähe der Pferde bequem. Der kleine Trapper setzte sich hinter einen Baumstamm am Rande des Wäldchens, von wo er das Gelände besser überblicken konnte. Die Zeit verrann. Kentucke Tom kauerte noch immer unbeweglich an seinem Platz. Die Sonne senkte sich schon auf die Tannenwipfel. Noch war nichts zu hören oder zu sehen, was auf die Rückkehr unserer beiden Gefährten schliessen liess. Wir machten uns die grössten Sorgen um sie. Der Trapper trat zu uns. „Den beiden muss etwas zugestossen sein“, sagte er, „sie müssten schon längst zurückgekehrt sein. Wir werden an den Fluss hinuntergehen, wo die Mohawk auf uns warten.“ Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, nahm er sein Pferd am Zügel und führte es zu dem Waldriegel hinüber, wo ich den Bären erlegt hatte. Hans und ich beeilten uns, dem Trapper zu folgen.
Die getöteten Büffel sind gerade zerlegt, da kommen unter Führung der Frauen auch schon die Toboggans, die kufenlosen Hundeschlitten. Darauf wird Fleisch und Felle gepackt, wobei den Frauen immer noch einiges zu tragen übrig bleibt. Den Heimweg nimmt man nach Möglichkeit über gefrorene Gewässer, weil man auf dem Eis leichter vorwärts kommt.
13. Kapitel
Am Paint Creek
T
almach und einige Mohawk-Krieger erwarteten uns in dem
Wald am S.th Fork. Sie hatten dem Bären das Fell bereits abgezogen und ihren toten Stammesgenossen auf ein Pferd gebunden. Der junge Irokese, dem ich das Leben gerettet hatte, wartete mit einer bösen Nachricht auf. Seine Krieger hätten beobachtet, wie die Shawnee ein Bleichgesicht und einen Schwarzen gefangengenommen hatten. Wir wussten sofort: Das waren Old General und Rotkäppchen! „Auch Krieger der Mohawk sind in den Händen der Shawnee“, sagte der Irokese. „Talmach wird mit seinen weissen Brüdern der Fährte der roten Hunde folgen. Lasst uns aufbrechen, bevor die Nacht die Spur verwischt!“ Wir setzten uns auf die Pferde und ritten flussabwärts. Schon nach kurzer Zeit stiessen wir auf die Fährte. Wir untersuchten sie. Es hatte keinen Kampf gegeben. Old General war erfahren genug, um zu wissen, dass es aussichtslos war, sich gegen eine Übermacht von Indianern zur Wehr zu setzen. Wir waren natürlich betrübt, dass die Shawnee unsere Gefährten mitgenommen hatten. Bevor es dunkel wurde, sahen wir noch, dass sich die Spuren in nördlicher Richtung entfernten. Nun blieb uns nichts anderes übrig, als den Morgen abzuwarten. Wir lagerten. Die Sorge um die Freunde hielt mich wach. Ich machte mir Gedanken über ihr Schicksal. Im Sommer 1782 hatte General George Washington seiner Armee geraten, es solle „keiner sich einfallen lassen, in diesen Zeiten lebend den Indianern in die Hände zu fallen“. Die Nachricht von dem grauenhaften Schicksal Colonel William Crawfords war dieser dringenden Empfehlung zugrunde gelegen. Er war in Gefangenschaft der Delawaren geraten. Das war vor drei Jahren gewesen! Die Mohawk bezogen um unser Lager Posten. Sie liessen die Umgebung nicht aus den Augen. Doch nichts war zu hören oder zu sehen, was auf die Nähe des Feindes schliessen liess. Stunde um Stunde verrann. Als der Mond untergegangen war und ein leichter Schimmer über den Tannenwipfeln den nahen Tagesanbruch ankündete, rührten sich die Mohawk. Ich zählte
ungefähr zwei Dutzend Krieger, die unter dem Befehl von Talmach, des Häuptlingssohnes, standen. Ich rüttelte Sturdy Jack und Kentucke Tom wach, die neben mir schliefen. Wir assen etwas Pökelfleisch und Maisbrot und brachen dann auf. Die Shawnee hatten den S.th Fork überquert und waren die ganze Nacht über nordwärts geritten. Sie hatten also einen grossen Vorsprung. Gegen Mittag erreichten wir den Main Licking. Die Spur, der wir folgten, führte direkt zu einer Furt in dem Fluss. Die Shawnee kannten die Gegend gut! Der junge Anführer der Mohawk trieb sein Pferd ins Wasser, und wir folgten ihm. Am anderen Ufer angekommen, sahen wir, dass die Fährte nach Norden führte. Es war dies das Fine Cane Land, wie uns der kleine Ire ins Bild setzte. Bevor wir den Main Licking verliessen, machten wir in einer kleinen Lichtung des Uferwaldes halt. Hier schnürten die Mohawk den Leichnam ihres toten Stammesgenossen in einem Fell ein und hievten ihn auf einen Baum. Dort oben, zwischen Himmel und Erde, würde er sicher vor den Wölfen sein. Wir ritten weiter. Gegen Abend erreichten wir den N.th Fork. An seinem Ufer schlugen wir wieder unser Nachtlager auf. Am zweiten Tag auf unserem Verfolgungsritt näherten wir uns dem Ohio. Wir durchquerten den mächtigen Strom und setzten unseren Weg über ein hügeliges waldreiches Land fort, welches sich jenseits der weissen Siedlungen von Kentucke erstreckte. Wir hatten die weisse Zivilisation also endgültig verlassen! Vom River Ohio bis zu den Grossen Seen erstreckte sich ein einziger riesiger Wald – das Indian Territory! Indianerland, soweit das Auge reichte! Die Mohawk ritten im Gänsemarsch auf ihren herrlichen Mustangs voraus. Kentucke Tom, Sturdy Jack und ich folgten am Schluss des Zuges. Der Trapper sass auf einem braunen Klepper, mein Landsmann und ich ritten ähnliche Mähren. Doch die Indianer missachteten uns deswegen nicht im mindesten. Im Gegenteil! Sie waren uns gegenüber sehr aufmerksam. Vor allem Talmach kümmerte sich in rührender Weise um uns. Als wir uns dem Paint Creek, einem Nebenflüsschen des Sciotha River, näherten, machten wir halt. Der Häuptlingssohn gesellte sich zu uns.
„Talmach wird vorausreiten, um die Gegend am Paint Creek zu erkunden! Wird ihn sein Bruder Crossbow Joe begleiten?“ Ich zögerte. Kentucke Tom sah meinen fragenden Blick. „Geh nur, mein Junge!“ sagte er. „Old General und ich haben dir ja beigebracht, wie du dich in der Wildnis zu verhalten hast. Halte dich daran, und der Mohawk wird mit dir zufrieden sein, das kannst du einem alten Schwadroneur glauben!“ Ich war mächtig stolz über diesen Vertrauensbeweis. Ich zögerte nun keine Sekunde mehr mit meiner Antwort. Der Irokese und ich liessen die Pferde zurück. Dann folgten wir den Spuren, die in den Wald liefen. Ich bemerkte nicht mehr, wie mir die bewundernden Augen meiner Gefährten nachblickten. Nach einem längeren Fussmarsch erreichten wir ein Flüsschen. Das war der Paint Creek. Er war von einigen Hügeln und Abhängen gesäumt. Wir bestiegen eine der Anhöhen. Fichten bildeten hier ein gutes Versteck für den Ausguck. Wir hatten uns gerade auf dem Beobachtungsposten auf unsere vier Buchstaben gesetzt, als uns das Wiehern eines Pferdes aufhorchen liess. Dann sahen wir sie – acht Reiter! Das Herz wollte mir stillstehen. Es waren keine Indianer! Es waren Weisse! Zwei von ihnen erkannte ich sofort: John Stanton und Frank Porter, die beiden Büffeljäger! Und – – und – – ! Tatsächlich! Es bestand kein Zweifel: Abner Rowlandson und George Benton, die beiden Landvermesser! Auf unserer Seite angekommen, durchsuchten die Männer den Boden. Dann ritten sie weiter. Ein Steilhang versperrte uns die Sicht. Wir konnten nicht sehen, welchen Weg sie einschlugen. „Die Bleichgesichter haben die Spuren der Shawnee entdeckt“, setzte mich der Häuptlingssohn ins Bild. Wir stiegen vom Hügel hinunter und folgten den Reitern. Nach kurzer Zeit sahen wir sie wieder. Sie waren auf einer Talsohle von ihren Pferden gestiegen. Sie schienen sich zu beraten. Dann führten sie ihre Tiere eine Hangquelle hinauf, die sich zwischen einer Bergkuppe und einem Abhang hindurchzwängte. Nachdem die Männer mit ihren Pferden hinter einem Kamm verschwunden waren, bahnten wir uns ebenfalls einen Weg zu der Hangquelle hinüber. Wir stiegen auf den Kamm hinauf. Oben angekommen, sahen wir, dass links ein Wildpfad zum Eingang eines kleinen Tales hinunterführte. Diesen Weg hatten die Reiter eingeschlagen. Rechts von uns führte eine Serpentine auf ein Felsplateau hinauf. Dieser folgten wir. Als wir die Anhöhe erreicht hatten, arbeiteten wir
uns durch ein dorniges Gestrüpp bis zur Kuppe vor, von der wir bequem das Tal übersehen konnten. Unter uns brannten mehrere Feuer. Am anderen Ende des Tales sahen wir ein Indianerdorf. Es bestand aus kegelförmigen Tipis, die mit einander überlappenden Fellen und Baumrinden gedeckt waren. Wir konnten nun beobachten, dass sich die Bewohner des Dorfes um die weissen Ankömmlinge versammelt hatten. Wir gewahrten, dass die Weissen freundlich begrüsst wurden. Nach einem längeren Palaver zerstreute sich die Menge wieder. „Wir müssen hier warten, bis es dunkel wird“, bestimmte der Mohawk, „dann steigen wir von hier aus ins Tal hinunter!“ „Hier willst du hinunterklettern?“ fragte ich den Irokesen verwundert. „Ja. Den anderen Weg können wir nicht nehmen. Der Eingang zum Tal ist zu eng. Die Shawnee werden dort ihre Wachen aufgestellt haben. Aber da drüben auf der Tallehne führt ein Pfad auf die Terrasse hinunter. Von da werden wir auf die Felssohle und in das Dorf gelangen.“ Ich widersprach nicht. Wir warteten die Dämmerung ab. Als es endlich soweit war, begannen der Mohawk und ich den Abstieg. Verschlungenes Gestrüpp, das zwischen den felsigen Kanten und auf den schmalen Terrassen des Abhanges ein kärgliches Dasein fristete, bot uns etwas Halt und Schutz. Das Hinabsteigen erwies sich als überaus mühselig. Doch wir erreichten glücklich die Talsohle und schoben uns hinter ein Brombeergestrüpp. Inzwischen war es ganz dunkel geworden. Überall im Tal brannten Feuer. „Bleichgesichter!“ raunte mir Talmach zu. Ich wandte meine Aufmerksamkeit einer Stelle am Rand des Tales zu, die rechts von uns hinter einigen Schierlingstannen lag. Auch dort brannte ein mächtiges Feuer. Es strahlte ein gleichmässiges rotes Licht aus. Zuweilen glänzte das Wasser eines Baches zwischen den Bäumen. Der Irokese gab mir durch einen Wink zu verstehen, dass er zu dem Feuer hinüber kriechen wollte. Ich folgte ihm. Wie Schlangen bewegten wir uns auf Händen und Knien vorwärts. Bald lagen wir im tiefen Gras hinter einem Elmgebüsch. Erst jetzt wagte ich einen Blick zum Feuer hinüber. Einige Gestalten sassen davor. Es waren tatsächlich Weisse. Die Entfernung war aber zu weit, um ihre Gesichter zu unterscheiden oder um etwas von ihrem
Gespräch aufzuschnappen. Nur das Knacken der brennenden Äste und hie und da das Schnauben der Pferde war zu hören. In diesem Augenblick löste sich einer der Männer aus dem Dunkeln am Rand der Lichtung. Er brachte einen Armvoll Reisig ans Feuer. Dann stapfte er zu uns herüber. Die Situation wurde brenzlig! Wenn er nicht bald stehen blieb, musste er über mich stolpern. Hatte er uns am Ende gar entdeckt? Ich atmete auf. Fünf Schritte von mir entfernt machte er halt. Jemand am Feuer hatte das Reisig ins Feuer geworfen. Die Flammen loderten prasselnd auf. Der Feuerschein beleuchtete sein Gesicht. Das genügte, um den Mann zu erkennen. Es war John Stanton, der Büffeljäger und Mörder von Salisbury! Jetzt entdeckten wir, was ihn vom Feuer weggelockt hatte. Nur wenige Schritte von uns schälte sich nämlich ein Schläfer aus seiner Decke und setzte sich auf. Er hatte im Gras gelegen. „Ist dir zu Ohren gekommen, John, zu wem die beiden Gefangenen gehören, welche die Rothäute mitgebracht haben?“ Es war Frank Porter, der vor uns im Gras hockte. „Rowlandson und Benton sind drüben bei den Gefangenen“, antwortete Stanton und setzte sich auch nieder. „Sie möchten in Erfahrung bringen, was die Shawnee mit ihnen vorhaben.“ In diesem Augenblick tauchten auf der anderen Seite der Lichtung zwei Gestalten auf. „Wenn man vom Teufel spricht! Da kommen Rowlandson und Benton!“ sagte der Bisonjäger mit der Augenklappe und deutete zu den Tipis hinüber. Die beiden Landvermesser stakten wenige Schritte neben uns durch das Gras. Bei den Büffeljägern blieben sie stehen. „Die Rothäute haben einen Nigger und einen der Fallensteller vom Watauga River, die uns von Salisbury nach Kentucke begleiteten, gefangengenommen“, teilte Benton mit. „Unsere roten Verbündeten wollen den Weissen und den Schwarzen zusammen mit den Irokesen am Marterpfahl rösten“, sagte Rowlandson. „Das macht nichts!“ liess sich nun auch Frank Porter hören. „Nach diesen verdammten Whigs kräht kein Hahn!“ „Wir wissen ja, dass du nicht zimperlich bist, Frank“, lachte John Stanton, „aber ihr könnt euch keine Vorstellung von der Grausamkeit dieser Roten machen. Ich bin jedenfalls froh, dass ich nicht in der Haut der Gefangenen stecke.“ Mir fiel es wie Schuppen von den Augen. Sowohl Stanton und Porter als auch Rowlandson und Benton, die vermeintlichen
Landvermesser, gehörten zu den Tories, den Anstiftern von Gräueltaten gegen die Siedler, die Whigs! Sie standen auf der Seite der Briten, denen im Unabhängigkeitskrieg ein Morgarten bereitet worden war. Jetzt zogen die Tories mit so verworfenen Kreaturen wie Simon Girty durch das Land und entfachten das Feuer immer wieder von neuem, sobald es zu verlöschen drohte. Sie verbündeten sich dabei mit den Mingo, den Shawnee und den Wyandot. Sie predigten Tod und Zerstörung und verteilten Gewehre und Munition. Diese Gedanken schossen mir durch den Kopf, als Porter von den Whigs, den Kämpfern für die amerikanische Revolution, gesprochen hatte. Als ich hörte, dass Rotkäppchen und Old General am Marterpfahl sterben sollten, zuckte ich zusammen und griff unwillkürlich zu meinem Messer. Der Mohawk, der neben mir lag, durchschaute meine Absicht. Er hielt meinen Arm nieder und raunte mir zu: „Talmach wird deine Brüder befreien!“ „Wir haben uns bei den Gefangenen natürlich nicht als Tories zu erkennen gegeben“, sagte Rowlandson. „Wir haben ihnen etwas vorgetäuscht. Schliesslich mussten wir ihnen erklären, weshalb wir Reed's Mill in jener Nacht verlassen hatten. Wir haben erzählt, dass wir selber Gefangene der Shawnee seien. Wir könnten uns aber im Dorf frei bewegen. Es scheint, dass sie uns auf den Leim gegangen sind.“ „Und welchen Zweck hatte dein Täuschungsmanöver?“ fragte John Stanton. „Vielleicht können wir über sie in Erfahrung bringen, wo die Wigwams der Mohawk stehen. Das Dorf soll sich an einem See befinden, den die Rothäute den Bärensee nennen.“ „Spanne uns nicht auf die Folter!“ „Ich habe euch den Bärenschädel mit den Nuggets gezeigt. Es ist bekannt, dass es Indianerstämme gibt, welche Goldadern kennen und die Goldstaub in Flüssen waschen. Ich bin mir sicher, dass die Mohawk Gold besitzen!“ „Wenn das wahr wäre!“ Diese Vorstellung stachelte sie auf. Sie verstrickten sich in den wildesten Phantasien. Frank Porter und George Benton, die zum wiederholten Mal eine Flasche an ihren Mund geführt hatten, strichen sich nach jedem Schluck mit einem lauten Grunzen mit dem Handrücken über das Gesicht. Diese hässlichen Schurken! Wäre die Sache nicht so gefährlich gewesen, ich hätte ihnen mein Messer in den Leib gerannt! Wenn
sie geahnt hätten, dass wir nur wenige Schritte hinter ihnen im Gras lagen! „Ich bin überzeugt, dass es nicht lange dauern wird, bis dieser Kentucke Tom und die beiden Jungen hier am Paint Creek auftauchen werden. Der Trapper versteht es nämlich, einer Fährte zu folgen.“ Der Mann mit der Augenklappe strich sich die Haare aus der Stirn, als wollte er seine wirren Gedanken sammeln. Dann spülte er sich nochmals die Gurgel aus. Sein gesundes Auge glühte dabei wild vom Feuer des Alkohols. „Wir werden den Rothäuten das Gold abjagen“, lallte er. „Höre mit dem Saufen auf, Frank!“ hörten wir Stanton sagen. „Du wirst uns noch alles verderben!“ Talmach gab mir ein Zeichen, dass er sich zurückziehen wolle. Wir mussten äusserst vorsichtig zu Werke gehen. Das leiseste Knacken eines trockenen Zweiges hätte uns verraten können. Der Irokese und ich erreichten schliesslich das Brombeergestrüpp, ohne dass wir bemerkt wurden. Von da an gestaltete sich unser Rückzug etwas leichter. Endlich konnten wir uns aufrichten.
Draussen vor dem Mandan-Dorf ragen zwei Medizinstangen empor, woran das Fell einer weissen Bisonkuh als Hülle eines heiligen Bündels aufgehängt ist. Eine Frau steht vor dem Heiligtum, um die Gunst des Herrn des Lebens zu erlangen, mag er hier bei den Sioux-Stämmen Wakonda heissen, bei den Irokesen Orenda oder bei den Algonkin Manitu.
14. Kapitel
Am Marterpfahl der Shawnee
W
ir waren über die Terrasse auf das Felsplateau und zu
unseren Freunden zurückgekehrt. Kentucke Tom, Sturdy Jack und die Mohawk-Krieger lagen vor einem Wald und erwarteten uns. Hier draussen wehte ein leiser Nachtwind, der in den Tannen rauschte. Der Himmel war von Sternen übersät. Der Mond war noch nicht aufgegangen. Ich roch die Pferde. Sie waren hinter einer Hecke zusammengetrieben worden. Wir hielten Kriegsrat. Konnten wir es wagen, das Dorf anzugreifen? Mit dieser Frage mussten wir uns auseinandersetzen. In dem Dorf hielten sich über hundert Krieger auf. Wir zählten viermal weniger. Wir entschieden uns schliesslich, in Boonesborough Hilfe zu holen. Hundert englische Meilen lagen zwischen dem Paint Creek und Boonesborough, wo McGready mit seinen Trappern zu finden war. Mit einem guten Pferd war die Strecke in drei Tagen zu bewältigen. Frühestens in sechs Tagen konnten wir also mit Verstärkung rechnen. Ein Bote musste in das Urwaldfort am Kentucke River reiten. Kentucke Tom schien für den Ritt am geeignetsten zu sein. Er brach noch in der gleichen Nacht auf. Wir andern zogen uns an den Sciotha River zurück. Dort hielten wir uns in einer Höhle versteckt. Tag und Nacht beobachteten Kundschafter der Mohawk das Dorf am Paint Creek. Es war am fünften Tag. Einer der Späher kehrte an den Sciotha zurück, um Meldung zu machen. Talmach, Hans und ich sassen an einem Feuer ganz hinten in der Höhle. Ich zeigte dem Irokesen gerade meinen Wampum-Gürtel. Ihr erinnert euch: Bei der Abreise aus Salisbury hatten uns die Cherokee einen mit weissen Muschelperlen und Feuersteinen gefertigten Gürtel geschenkt. Der Häuptlingssohn betrachtete den Gürtel lange. Ein heiliger Ernst breitete sich auf seinen Gesichtszügen aus. „Mein Bruder Crossbow Joe muss ein Liebling von Orenda sein“, sagte der Indianer ehrfurchtsvoll. „Er hat ihn zum Hüter dieses Wampums gemacht. Der Gürtel mit den Feuersteinen ist für uns Mohawk heilig. Er ist wertvoller als das Gold, nach dem die
Bleichgesichter im Dorf am Paint Creek hungrig sind. Die funkelnden Steine erzählen aus vergangenen Zeiten, als Cherokee und Mohawk gemeinsam im Tal der Feuersteine lebten.“ „Ich habe nicht gewusst, dass dieser Wampum für euch Mohawk eine so grosse Bedeutung hat“, sagte ich respektvoll. „Ich möchte dir deshalb den Gürtel geben.“ „Orenda hat Crossbow Joe zum Hüter des Wampums auserwählt. Talmach wird seinen Bruder aber zum Bärensee führen. Dort kann er am Feuer der Beratung den Mohawk den Wampum übergeben.“ Mir hüpfte das Herz vor Freude. Der Irokese wollte mich zu seinem Stamm führen! Ich war auf diese geheimnisvollen Indianer sehr neugierig. In diesem Augenblick trat also der Späher in die Höhle. Er kam vom Paint Creek. In seinem Gesicht las ich nichts Gutes. „Die Shawnee werden heute Nacht die Gefangenen am Marterpfahl töten“, berichtete er. Der junge Anführer nickte nur. Sein Blick wanderte zum Feuer zurück. Die Nachricht traf mich tief. Meine Freunde sollten heute Nacht sterben! Das durfte nicht geschehen! Heiss und kalt lief es mir den Rücken herunter. Niemand sprach ein Wort. Wir wussten: Jetzt durfte kein Augenblick mehr versäumt werden! Talmach versammelte in der Höhle seine Krieger um sich. Hier setzte er uns seinen Angriffsplan auseinander: „Talmach geht mit seinem Bruder Crossbow Joe und fünf seiner Krieger auf das Felsplateau hinauf. Die anderen reiten in einem grossen Bogen um das Tal herum, um es von der Rückseite zu erreichen. Wenn ihr den Schrei der Eule dreimal hört, dann greifen wir an!“ Es war alles gesagt, was es zu sagen gab! Die Entschlossenheit, welche Indianer in der Gefahr an den Tag legten, machte grossen Eindruck auf mich. Schweigend verliessen die Roten die Höhle wieder. „Wird mein Bruder Sturdy Jack in dieser Höhle bleiben, um uns den Rücken zu decken?“ fragte der Irokese meinen Landsmann. Ich sah es Hans an: Er wäre lieber mitgekommen. Er wagte aber nicht, den Wunsch des Häuptlingssohnes abzuschlagen. Als wir vor die Höhle traten, sahen wir die Krieger in völlig verändertem Aufzug. Sie hatten ihre Fellroben, Lederwams und Leggings abgelegt und waren nur noch mit Durchziehschurzen und einigen Kopffedern bekleidet. Dafür trugen sie am ganzen Körper rote, gelbe und blaue Bemalung.
Talmach „wappnete“ sich auf die gleiche Weise wie seine Stammesgenossen. Dann schwangen sich die Roten auf ihre Pferde. Ich stieg ebenfalls in den Sattel. Die Packpferde, verschiedene Ausrüstungsgegenstände und meinen Puma Peppy liessen wir also unter der Obhut von Hans zurück und machten uns auf den Weg zum Dorf der Shawnee. Unser Weg war einiges kürzer als jener, der um das Tal herumführte. Aber es war nötig, dass der Haupttrupp der Mohawk diesen Umweg machte. Der Angriff von zwei Seiten und die damit verbundene Überraschung war die einzige Möglichkeit, unsere Freunde zu befreien. Die sechs Irokesen und ich erreichten das Felsplateau über dem Dorf vor dem Haupttrupp. Wir hörten dumpfe Trommelschläge und die rhythmischen Klänge von Rasseln. Die Vorbereitungen für die Marterungen waren also schon im Gang. Mächtige Feuer brannten im Tal unten. Dazwischen bewegten sich die Shawnees. Ein stattliches, mit Häuten überzogenes Tipi fiel uns besonders auf. Es war mit geometrischen Mustern und religiösen Symbolen geschmückt und stand abseits von den anderen Zelten. Vor diesem Tipi machten wir einen buntbemalten Pfahl aus. Er markierte den Platz als Ort der Beratung. Wenige Schritte davon entfernt sahen wir am Rand des Tales die Gefangenen. Old General und Rotkäppchen waren auch unter ihnen. Sie waren aufrecht an Bäume gefesselt. Davor hockten in einem Halbkreis die Wachen, starr wie aus Stein gemeisselt. Die Aufgabe der sechs Mohawk und von mir war es, die Verwirrung der Shawnee beim Angriff auszunutzen und die Gefangenen zu befreien. Doch wo blieben die andern? Mir schlug das Herz bis zum Hals. Die Trommeln und Rasseln klangen nun ab. Sie waren das Zeichen, dass das Hinrichtungsritual seinen Anfang nahm. Die Bewegung unter der Menge hörte auf. Stille ringsum. Die Blicke wanderten zum Beratungszelt hinüber. Dort standen einige Häuptlinge. Ein Greis, von dessen schneeweissem Haupt ein riesiger Federbusch wippte, trat vor. Er gab Befehle. Einige Krieger eilten zu den Bäumen hinüber, an denen die Gefangenen angebunden waren. Sie banden den Mestizen, Lobo und einen Mohawk los und schleppten sie in die Mitte des kleinen Tales, wo in einem Feuerkreis drei Pfähle standen. Auf dem Weg zu ihrer Hinrichtungsstätte wurden die Gefangenen an einer Gruppe von
Weissen vorübergezerrt. Es waren John Stanton, Frank Porter, Abner Rowlandson, George Benton und vier ihrer Tory-Kumpane. „So long, Mister!“ höhnte der finstere, nussbraune Mann mit der Augenklappe – es war Frank Porter. „Ich wünsche Euch und Eurem Nigger eine gute Reise in die Ewigen Jagdgründe!“ „Verräter!“ zischte der Mestize. „Gott wird euch dafür bestrafen!“ Ein teuflisches Gelächter der Tories hallte über den Platz. Die Shawnee rissen den Gefangenen die Kleider vom Leib und banden sie an die Marterpfähle. Mit Holzkohle schwärzten sie dem Halbblut und dem Roten die Gesichter. Wenn die Situation nicht so ernst gewesen wäre, hätte ich lauthals über den Mohr gelacht, der seine beiden geschwärzten Leidensgenossen aufmerksam betrachtete und dabei eine Leichenbittermiene machte. Aber alles deutete darauf hin, dass die Roten den Unglücklichen die Marterqualen und den Tod zugedacht hatten. Mir fuhren die schaurigen Geschichten durch den Sinn, die ich über Folterungen am Marterpfahl gehört hatte. Gebannt starrte ich auf den Schauplatz. Wo blieben nur die Mohawk! Sie mussten die Rettung bringen! Die drei Opfer konnten sich kaum rühren. Ihre Arme waren mit Stricken fest an die nackten Körper gefesselt, und die Beine eng aneinandergebunden. Jetzt begannen grell bemalte Krieger im Rhythmus ihrer Rasseln und Handtrommeln um die Marterpfähle zu tanzen. Die Marterungen nahmen ihren Anfang! Die Tänzer bewarfen die Unglücklichen mit glühenden Kohlen. Dann stiessen sie ihnen brennende Stäbe ins Fleisch. Mich schauderte. Was musste in den Köpfen meiner Gefährten vor sich gehen! Sie wussten natürlich, was ihnen bevorstand. Old General und der Mohawk waren sich auch bewusst, dass die Martern von ihrer Standfestigkeit und ihrem Mut abhingen. Wenn sie also zeigten, dass sie den Foltern standhielten und auch vor dem Tod nicht zurückschreckten, dann erwarben sie die Achtung ihrer Zuschauer. Einen Feigling zu martern war für die Indianer keine Ehre. Je standhafter sie also die Schmerzen ertrugen, die ihnen die Folter bereitete, desto höher stieg ihr Ansehen und desto unbarmherziger wurden sie von den Roten gequält. Wer also einen schnellen Tod wollte, der musste zu schreien anfangen. Ich zweifelte nicht daran, dass der Rote den langsamen Tod gewählt hatte. Wie würden sich aber meine Gefährten verhalten? Wann gingen dem Mestizen und dem Neger die Nerven durch?
Wo blieben nur die Mohawk! Ich begann schon ganz unruhig an meiner Armbrust herumzumachen. Das grausige Schauspiel ging weiter. Mehrere Krieger traten vor. Sie stellten sich vor den drei Gepeinigten auf. Es galt jetzt, ihre Messer so genau zu werfen, dass sie sich haarscharf neben den Köpfen der Gefangenen in die Pfähle bohrten. Eine der Klingen streifte dabei die Wange von Old General. „Teufel!“ schrie der Trapper. „Lasst ab von mir oder ihr werdet es noch bereuen!“ Obwohl ich die indianische Lebensweise später kennen und schätzen gelernt habe und heute die Kultur der Indianer in tiefster Seele bewundere, betrachte ich die Folterung des Feindes am Marterpfahl als einen Schandfleck in ihrer Entwicklung. Es gibt nur wenige Anhaltspunkte, welche die Frage beantworten, wie die Folter in die Kultur der amerikanischen Indianer gelangte. Einige Geschichtsforscher vermuten, dass sie auf das aztekische Ritual der Menschenopfer zurückzuführen ist. Sie halten es für möglich, dass sich das Ritual im Lauf der Zeit, unterwegs seiner religiösen Bedeutung entkleidet, nach Norden ausgebreitet haben könnte. Wer kann das heute wissen? Während sich die grauenhafte Szene an den Marterpfählen abspielte, hatte ich meinen heissen Kopf gegen die Erde gepresst und nur wenige Blicke auf den Schauplatz zu werfen gewagt. Kein Laut des Schmerzes war bisher über die Lippen der drei Todgeweihten gekommen. Allerdings hatten die Martern auch erst begonnen. Aufgeregt gab ich Talmach einen Wink und flüsterte ihm zu: „Ich kann den Anblick dieser Gräuel nicht mehr ertragen.“ Wild entschlossen brachte ich meine Armbrust in Anschlag. „Sieht mein Bruder den Zweig, der auf der anderen Seite des Baches bewegt wird?“ fragte mich der Irokese und wies mit seiner Hand über das Tal. Ich spähte hinüber. Tatsächlich! Zwischen den Bäumen bewegte sich etwas. Es war das Zeichen, dass der Haupttrupp der Mohawk angekommen war. Endlich! Dreimal ertönte der Schrei der Eule! Die Trommeln begannen wieder dumpf und leise zu schlagen. Langsam schwoll der Klang zu einem rhythmischen Donnern an, das durch den Wald hallte. Als die Rasseln einsetzten, umtanzten die Wilden mit geschwungenen Tomahawks die Pfähle. Von den Tipis her war das laute und klägliche Geheul eines Hundes zu hören. Dann gellte der Kriegsruf der Mohawk durch das kleine Tal.
Die Trommeln und Rasseln hörten auf. Aus dem Gehölz drang das Getrappel vieler Hufe. Es wurde immer stärker. Wie aus dem Boden gewachsen brachen die irokesischen Reiter durch das Dickicht. In ihrer Bemalung sahen sie Teufeln ähnlicher als Menschen. In wilder Jagd preschten die Reiter zwischen den Zelten durch, überquerten den Bach. Sie schwärmten auf dem freien Lagerplatz nach allen Seiten aus. Ein Pfeilhagel überschüttete das Tal. Mit einmal ging alles drunter und drüber. Auch wir begannen den Abstieg ins Tal. Einer nach dem andern stieg den schmalen Pfad über die Tallehne auf die Felssohle hinunter. Das war eine kitzlige Angelegenheit, denn wenn uns die Shawnee bemerkten, boten wir ihnen ein leichtes Ziel. Wir mussten höllisch aufpassen, dass kein abbröckelndes Gestein uns verriet. Ich hielt mich dicht hinter meinem indianischen Freund, der als erster die Anhöhe hinunterkletterte. Ich hatte mit ihm und zwei anderen das Versteck hinter dem Brombeergestrüpp erreicht, als die andern drei Mohawk, welche sich noch auf der Felssohle befanden, entdeckt wurden. Ich sah, dass einige der Shawnee herbeieilten und die Unglücklichen mit Pfeilen beschossen. Sie boten auf dem schmalen Pfad ein gutes Ziel. Mit einem lauten Schrei stürzte einer der Irokesen tödlich getroffen in die Tiefe. Talmach stiess den Kampfruf aus. Wild feuernd brachen wir aus unserer Deckung hervor. Ich eilte zu den Marterpfählen hinüber. Dabei bahnte ich mir mit meiner Armbrust, die ich als Knüppel benutzte, einen Weg durch die Reihen der Kämpfenden und brachte mich als erster an die Seite der Gefangenen. Um mich herum wimmelte es von Roten. Zu Pferd und zu Fuss brachen die Mohawk immer noch aus dem Wald in das Tal. Mit Pfeilen, Speeren, Tomahawks, Keulen und Skalpmessern wurde der Kampf ausgefochten. Alles geschah vor meinen Augen. Nach Indianerart wurden auch Verletzte nicht geschont. Geschrei erfüllte die Luft. Im Nu durchschnitt ich die Fesseln von Old General. Kaum war das geschehen, sah ich, dass sich ein Shawnee-Krieger mit geschwungener Streitaxt auf Rotkäppchen stürzte, der immer noch an den Marterpfahl gebunden war. Es gelang mir im letzten Augenblick, das Handgelenk des Roten zu fassen und ihm mit meinem Messer einen Stich in die Schulter zu versetzen. Er liess den Tomahawk fallen. Ich konnte ihm den tödlichen Stoss versetzen. Mit fünf, sechs Schnitten befreite ich den Neger von seinen Fesseln.
„Oh! Massa Joe! Das sein Rettung in letzter Minute!“ rief mir Lobo zu. Ich schaute mich um. Die Mohawk waren alle in Kämpfe verwickelt. „Schlagen wir uns zum Talausgang durch!“ rief ich den Freunden zu. Mit grossen Sprüngen rannten wir zwischen den Kämpfenden hindurch. Im Kampfgetümmel erblickte ich Talmach. Er hatte sich gerade etwas Bewegungsfreiheit verschafft. Ich sah, dass er zwei Finger in den Mund nahm und einen schrillen Pfiff ausstiess. Ein schwarzer Mustang sprengte heran. Es war ein herrenloses Mohawk-Pferd. Die Mähne wehte wild um seinen Hals. Sein Schweif flatterte wie eine Standarte im Wind. Wiehernd blieb das Tier vor dem Irokesen stehen. Der Häuptlingssohn schwang sich auf den Rücken des Rappen. Jetzt konnte er die ganze Waldblösse überblicken. Dabei bekam er die Tories zu Gesicht. Sie feuerten in einiger Entfernung von ihm wild um sich. Einige der Mohawk-Krieger wurden von den Weissen arg bedrängt. Talmach riss seinen Rappen herum und drückte ihm die Mokassins in die Weichen. Der Mustang brach seitlich aus und jagte in vollem Galopp durch die Reihen der Roten. Pfeilschnell preschte das Tier an die Tories heran. Einer der Weissen wurde in dem Handgemenge zu Fall gebracht. Dabei geriet er unter die Hufe des Rappen. Diese donnerten mit voller Wucht auf ihn nieder und schleuderten ihn zur Seite. Die Mohawk kämpften wie die Löwen. Ich stand mit Old General und Rotkäppchen mitten im Knäuel der Kämpfenden. Ein höllisches Geschrei umtoste uns. Wir drehten uns wie Kreisel um die eigene Achse. Die Übermacht der Shawnee begann uns zu erdrücken! Wir hatten nichts mehr aufzubieten, um den Ring zu sprengen, der sich immer enger um uns schloss. Unser Widerstand wurde schwächer. Doch plötzlich krachten vom Taleingang her Gewehrschüsse. Wir bekamen wieder Luft. Die Reihen der Shawnee gerieten in Bewegung. Reiter tauchten auf. Es waren Weisse! An ihrer Spitze erkannte ich – Kentucke Tom! In wildem Galopp sprengte er mit den Trappern vom Watauga heran!
Eine grössere Schar Mandan-Indianer ist auf freiem Feld versammelt und mit einem Spiel beschäftigt, bei dem sie sich im Gebrauch ihrer wichtigsten Waffe, dem Bogenschiessen, übt. Sieger ist der, der die meisten Pfeile abschiessen kann, bevor sein zuerst abgeschossener den Boden berührt. Jeder Pfeil muss allerdings innerhalb einer Markierung landen.
15. Kapitel
Ein Kampf auf Leben und Tod
K
ein Indianer kämpft auf verlorenem Posten weiter, wenn es
ihm möglich ist, sein Heil in der Flucht zu suchen. So handelten auch die Shawnee, als sie sahen, dass ihnen die Trapper mit den Kentucke-Büchsen überlegen sein würden. Mit den Roten nahmen auch die Tories Reissaus. Nachdem Kentucke Tom am Taleingang aufgetaucht war, vergingen keine fünf Minuten, und der Kampf war zu Ende. Das Bild, welches sich uns nun bot, braucht kaum beschrieben zu werden. Es hatte viele Tote gegeben, auch unter den Mohawk. Nicht wenige unter diesen waren skalpiert. Ein scheusslicher Anblick! Zum Glück zog bald nach der Ankunft unserer Retter die Nacht ihren Schleier über das Tal. McGready, dem schottischen Anführer der weissen Fallensteller, passte das aber gar nicht in den Kram. Er wollte die Verfolgung der Tories noch in der Dämmerung aufnehmen. Besonnene Stimmen warnten ihn aber davor. Die Gefahr, von einem Pfeil aus dem Hinterhalt getroffen zu werden, war zu gross. Die Trapper wussten natürlich Bescheid über die listige Art der Kriegführung der indianischen Waldbewohner. Schliesslich gab der Schotte nach, und wir schlugen in dem Tal am Paint Creek unser Nachtlager auf. Einer der königstreuen Weissen war in unsere Hände gefallen. McGready hatte den Mann sofort ins Kreuzverhör genommen. Von diesem hatte der Schotte schliesslich erfahren, dass sich eine grössere Schar von Tories in einem nordöstlich gelegenen Lager am Kanawha River sammeln werde. Der Mann mit den hassenden Augen witterte die Möglichkeit, seine Rachegelüste endlich zu befriedigen. Kentucke Tom nahm Hans und mich beiseite. „Dieser McGready scheint nicht mehr alle Sinne beisammen zu haben! Er führt uns noch alle ins Verderben!“ „Aber er hat uns doch hier vor dem sicheren Tod gerettet“, widersprach ich. „Hier lagen die Dinge anders! Mit unseren Kentucke-Büchsen waren wir den Shawnees überlegen. Aber jetzt will der Schotte ein Tory-Lager angreifen. Die Königstreuen sind ebenso gut bewaffnet wie wir. Der Hass muss ihn geblendet haben.“
Der Hinweis des gefangenen Tory veranlasste McGready tatsächlich, uns am nächsten Morgen in aller Herrgottsfrühe aus dem Schlaf zu reissen. „Jäger!“ sprach er zu seinen Männern. „Ich weiss jetzt, wo die verdammten Tories zu finden sind! Sie stehen am Kanawha River! Wir haben die einmalige Gelegenheit, sie für immer aus dem Land zu jagen! Die meisten von euch waren dabei, als sie uns in Miller's Tavern am Red River überfallen hatten. Dafür werden sie jetzt den Kopf herhalten müssen! Ich hoffe, die Mohawk werden uns begleiten! Wir haben ihnen am Paint Creek geholfen! Sie werden uns am Kanawha River helfen!“ Talmach blickte in die bohrenden, schiefergrauen Augen des Schotten. Dieser hatte seinen Stolz gekränkt. „Die Mohawk werden die Bleichgesichter begleiten!“ sagte der Indianer mit Nachdruck. Wir stiegen also auf unsere Pferde und brachen sofort auf. Einige Mohawk blieben bei den Verletzten und Toten zurück. Als wir das kleine Tal verlassen hatten, zeigten sich viele Spuren. Sie führten alle in die gleiche Richtung – nach Nordosten! Der gefangene Tory hatte nicht gelogen. Shawnee und Tories flohen zu dem Sammelplatz am Kanawha River! Unser Ritt ging nicht so schnell vonstatten, wie McGready es wünschte. Der Gewaltritt von Boonesborough an den Paint Creek hatte die Pferde der Trapper ziemlich angegriffen. Dazu kam noch, dass mehrere verletzte Mohawk den Ritt verzögerten. Der Schotte schäumte vor Wut. Gegen Mittag stiess Hans Amrein wieder zu uns. Einige der Irokesen hatten ihn von der Höhle am Sciotha River geholt. Nun hatte ich auch Peppy, meinen kleinen Puma, wieder. Er begrüsste mich wie immer stürmisch. In den Wochen, seit wir ihn bei Gillespie's Gap gerettet hatten, war er beachtlich gewachsen. Schon bald würde man den kleinen Racker von einem ausgewachsenen Puma nicht mehr auseinanderhalten können! Über den Ritt vom Paint Creek zum Kanawha River gibt es nichts zu berichten. Als wir endlich den Fluss erreichten, meldeten unsere Kundschafter, dass die Fährte der Verfolgten sie zu dem Lager der Tories geführt hätte, das auf einem Bergkamm liege. McGready befahl, weiterzureiten. Bisher hatte ich den blanken Hass in seinen Augen gesehen. Nun gesellte sich mit jedem Schritt, mit dem wir uns dem Tory-Lager näherten, die Besessenheit zu dem Hass.
Wir erreichten die westliche Flanke des Bergkammes. Wir mussten absitzen und die Pferde an den Bäumen festbinden. Kentucke Tom hatte versucht, den Schotten von seinem Vorhaben abzubringen, das Lager anzugreifen. Doch McGready hatte ihm eine Abfuhr erteilt. Danach legte der kleine Ire Hans, Lobo und mir ans Herz, bei den Tieren zurückzubleiben. Das Unternehmen sei viel zu gefährlich. Sturdy Jack wollte sich das Abenteuer aber nicht entgehen lassen. Er sei schon am Paint Creek nicht dabei gewesen. Kentucke Tom willigte schliesslich ein. Wir durften am Ende des Trupps mitmarschieren. Es ging also zu Fuss weiter. Unterhalb des Berges angekommen, bildeten die Fallensteller vom Watauga eine Art Kampflinie. Die Mohawk zeigten sich an den Seiten dieser Linie. Es war einer der ersten Herbsttage. Die Sonne hatte den flachen Felskamm vergoldet. Die bereits leicht gefärbten Laubbäume sowie die Fichten und Tannen am Abhang lagen noch im Schatten. Doch ich war viel zu sehr mit meiner unmittelbaren Umgebung beschäftigt, den Jägern und Mohawk, welche sich formierten. Die Schönheit der Natur nahm ich am Rand wahr. Sturdy Jack lud gerade seine Old Mill Rifle und eine Pistole. Dabei mass er die Pulverladung sorgfältig mit einem kleinen Horn ab. Als Sohn eines Büchsenmachers war ihm die Wichtigkeit dieser Prozedur bewusst. Ich war Rotkäppchen behilflich, als er mit einer Eisenstange eine strammsitzende Kugel in den Lauf seiner Muskete stiess. Mit einer gewissen Genugtuung beobachtete ich, dass die meisten der Trapper mit der viel zielsicheren Kentucke-Büchse ausgerüstet waren, in deren Umgang sie wahre Meister waren. Nun gesellte sich Kentucke Tom zu uns. „Habe ich euch schon erzählt, dass Old General und ich den Yorktown-Feldzug mitgemacht haben?“ fragte er uns. „Ja, in Philadelphia seid ihr gewesen“, sagte der Hans Amrein. „Aber habe ich euch auch erzählt, als wir vor Yorktown eintrafen?“ „Nein.“ „In diesem Fall muss ich euch unbedingt davon berichten. Wir latschten also von Williamsburg heran. Washington sah sich die Stadt genau an. Er verbrachte die erste Nacht im Freien unter einem Maulbeerbaum. Am nächsten Morgen ging die Belagerung von Yorktown los. Die französischen Sandhasen und ihre Batterien pflanzten sich an der linken Flanke auf. Von dort beherrschten sie das Terrain zwischen dem Fluss und der Stadt. Die amerikanische Infanterie und die Artillerie stellten sich auf die rechte Seite. Einige
französische Batterien gingen auf den Hügeln oberhalb von Yorktown in Stellung. Die Rotröcke hatten den äussersten Verteidigungsring aufgegeben und sich im rückwärtigen Teil der Stadt verbarrikadiert. Sie warteten auf Entsatztruppen. Unterdessen begannen wir, einen grossen Graben auszuheben, der den Schanzen der Briten gegenüberlag. Darin stellten wir unsere Batterien auf. Wir arbeiteten wie besessen. Während die Arbeitstrupps in der Nacht den Parallelgraben vorantrieben, setzten wir die Arbeit am Tag fort. Wir legten im Zickzack verlaufende Schützengräben an, die zu den Batterien führten, und bauten Baumverhaue, um sie zu schützen. Diese bestanden aus Palisaden, angespitzten Pfählen, die wir mit der Spitze nach oben in die Erde rammten, damit die Briten sie nicht übersteigen konnten. Auf diese Weise schoben wir uns immer näher an die britischen Stellungen heran. Dann begannen wir einen zweiten Parallelgraben auszuheben. Dieser lag nur noch etwa 300 Meter von der grössten britischen Redoute, dem Hornwork, der zentralen Befestigung der britischen Anlage, entfernt. Der neue Graben war den beiden wichtigsten britischen Befestigungen, den Redouten neun und zehn, so nahe, dass ein Sturmangriff auf sie möglich wurde. Wir mussten sie nehmen, wenn wir in den Schanzen des zweiten Grabens Kanonen in Stellung bringen wollten. Dieser Sturmangriff wurde für den 14. Oktober befohlen. Es musste ein Bajonettangriff sein. Unsere Spannung wuchs ins Unermessliche. Ich muss euch wohl nicht erklären, was es bedeutet, einen Nahkampf zu führen, Mann gegen Mann. Old General und ich befanden uns auch unter den Kompanien, die den Angriff vortragen sollten. Wir empfingen die Befehle. Washington wandte sich persönlich an uns. Er sagte, dass der Erfolg der Belagerung von der Eroberung der beiden Redouten abhinge, denn wenn die Rotröcke beide hielten, konnten sie sie weiter verstärken und dort neue Geschütze in Stellung bringen, was eine Vollendung des zweiten Parallelgrabens unmöglich machen, die Belagerung verlängern und damit die Gefahr eines britischen Entlastungsangriffs von See erhöhen würde. In grimmiger Entschlossenheit warfen wir uns unter dem Kommando Lafayettes in die Schlacht. Wir vom französischen Deux-Ponts-Regiment hatten es schwerer, Redoute Neun zu erstürmen, als die Stoppelhopser der Leichten Infanterie aus Rhode Island, die Redoute Zehn angriffen, da die Palisadenverhaue vor Neun von den Belagerungsgeschützen nicht so gründlich zerstört worden waren wie vor Zehn. Unsere Bajonettangriffe und Salven aus nächster Nähe forderten viele Opfer unter den Rotröcken. Aber auch wir
wurden bei dem Versuch, die Palisadenreste zu übersteigen, immer wieder zurückgeworfen. Um zehn Uhr abends befanden sich schliesslich beide Redouten in unserer Hand. Sobald die Redouten erobert waren, legten wir die Gewehre ab und griffen zu den Schaufeln, um wie die Maulwürfe den zweiten Parallelgraben weiterzutreiben.“ „Maulwurf sein dumme Tiere“, plapperte wieder einmal der Neger dazwischen. „Ich wette, du hast noch nie einen Maulwurf gesehen, Rotkäppchen!“ rief Kentucke Tom. „Lobo kennen Maulwurf! Lobo haben Maulwurf in Luft gesehen!“ „Du hast einen Maulwurf in der Luft gesehen! Wie soll er denn da hinauf gekommen sein?“ „Adler packen Maulwurf und tragen in Luft hinauf!“ „Das könnte tatsächlich ein Maulwurf gewesen sein“, gestand der kleine Ire ein. „Doch was kümmern uns die Maulwürfe der Adler! Lasst uns etwas besseres futtern!“ Versteckt hinter Baumstämmen und Felsbrocken verpflegten sich die Fallensteller. Ich brachte keinen Bissen herunter. Der bevorstehende Kampf hatte mir gehörig auf den Magen geschlagen. Überhaupt war ich nachdenklich geworden. Nach dem Gemetzel am Paint Creek war das nicht verwunderlich. Einige der Mohawk, die uns vom S.th Fork begleitet hatten, waren jetzt nicht mehr unter uns. Vielleicht war der Weg auf diesen Berg auch mein letzter! Ich gab deshalb Hans jenen Wampum-Gürtel, den wir von den Cherokee bekommen hatten. Er schien mir bei ihm besser aufgehoben zu sein als bei mir. Die Trapper, welche die düsteren Gedanken gar nicht aufkommen lassen wollten, lenkten mich etwas ab. So kam durch den Schalk von Kentucke Tom sogar eine gewisse Heiterkeit auf. Dann aber wurde es doch ernst. Die Anführer gaben nämlich das Zeichen und setzten die Scharfschützen den Berg hinauf in Marsch. Ich hielt mich mit Sturdy Jack und Rotkäppchen an der rechten Seite der Kampflinie, bei den Mohawk. An der Spitze sah ich den Häuptlingssohn. Die Dichte des Unterholzes und die Unebenheiten des Terrains brachten die anfängliche Marschordnung der Jäger bald durcheinander. Wenn mich das zuerst beunruhigt hatte, merkte ich schon bald, dass dies die Taktik der Trapper war. Während sich reguläre Truppen auf ein geordnetes Vorgehen konzentrierten, machten es die Waldläufer auf die indianische Tour. Jeder von ihnen agierte wie sein eigener Offizier. Sie wichen nur zurück, um
auf den steilen Hängen hinter Felsen und Bäumen in Deckung zu gehen. Dann fielen die ersten Schüsse an der Spitze. Da Hans, Lobo und ich als Späher an der Flanke fungierten, waren wir etwas zurückgeblieben. Ich hatte mich nach dem ersten Knall in eine Bodenmulde geworfen. Als ich aber sah, dass die andern ruhig weitermarschierten, kam ich mir etwas feige vor. Ich richtete mich sofort wieder auf und beeilte mich, um nicht zurückzufallen. Als ich die Tories auf der Höhe zum ersten Mal sah, war der Kampf bereits in vollem Gange. Mit Bajonetten und an den Büchsen befestigten Messern griffen die Königstreuen an, nachdem sie ihre Gewehre leergeschossen hatten. Mit dieser massiven Attacke hatten wir nicht gerechnet. Ein um das andere Mal wurden wir zurückgeschlagen. Auch machten uns die von oben abgefeuerten Salven zu schaffen. Während diesen Angriffen und dem anschliessenden Zurückweichen bewunderte ich den Mut und die Kaltblütigkeit der Trapper und der Mohawk, die Seite an Seite kämpften. Auch ich hatte mittlerweile einige Pfeile abgeschossen. Danach war ich hinter einem Felsen oder Baumstamm in Deckung gegangen, um die Armbrust neu zu spannen. „Hurra! Tory treffen!“ jauchzte neben mir der Mohr. Wir waren schon gefährlich nahe an den Kamm herangerückt. Ich hatte gerade einen Pfeil auf die Führungsrille meiner Armbrust gelegt, als ich zwischen den Tories einen Reiter sah. Er schwang in der Linken seinen Degen und blies auf einer silbernen Pfeife, um die Männer zu dirigieren. Er fiel mir vor allem aber dadurch auf, weil er ein Weisser war, der aber wie ein Indianer gekleidet und bis an die Zähne bewaffnet war. Ein jäher Schreck durchzuckte mich. Dieses teuflische Mördergesicht kannte ich doch! Ja, richtig! Der Sheriff von Salisbury hatte eine Belohnung von 800 Dollar auf dieses Mördergesicht ausgesetzt! Und jetzt grinste es mich leibhaftig an – das Mördergesicht von Simon Girty! Ich wurde von wildem Entsetzen gepackt. Der Kampf tobte weiter. Es war der reine Wahnsinn! Während einer wie der andere von uns weit über das höhergelegene Ziel auf dem Kamm hinausschoss, zeigten die Kentucke-Büchsen der Tories ihre tödliche Wirkung. Auch hatten wir alle Mühe, uns in die Deckungen zurückzuziehen, die wir erst kurz zuvor verlassen hatten. Der Berg war von Rauch und Feuer eingehüllt. Er schien zu beben. McGready befahl nun einen grossen Teil seiner Jäger auf
die Seite des Abhanges, wo auch ich mich befand. Hier sollten sie sich an den Kamm heranarbeiten. Sie gewannen tatsächlich etwas an Höhe. Doch nun begannen viele der unsrigen, teils erschöpft, teils von den feindlichen Kugeln getroffen, zu fallen. Schliesslich konnten wir das Unglück nicht mehr abwenden. Jetzt sah ich McGready bergauf und mitten in die Reihen der Tories stürmen. Simon Girty, der den Schotten erblickte, riss seine Büchse hoch. Der Schuss krachte, und mit einem lauten Aufschrei stürzte McGready tödlich getroffen den Abhang hinunter.
W
ir hatten uns vom Kanawha River zurückgezogen. Viele der
Trapper und Mohawk hatten auf dem Tory-Hügel den Tod gefunden. Zum Glück befanden sich meine Freunde nicht unter den Gefallenen. Auch McGready hatte seine hassenden, schiefergrauen Augen für immer geschlossen. Wir kehrten zum Paint Creek zurück. Dort fanden wir die Mohawk wieder, die wir wegen ihrer Verletzungen zurücklassen mussten. Hier am Creek trennten sich die Trapper von uns. Sie ritten zum Watauga River zurück. Kentucke Tom, Old General, Rotkäppchen, Sturdy Jack und ich blieben bei den Mohawk. Wir wollten sie in ihre Heimat begleiten. Drei Tage nach unserer Rückkehr in das kleine Tal am Paint Creek brachen wir auf.
Am oberen Missouri fährt eine weisse Forschergruppe mit einem grösseren Segelboot stromaufwärts, um weiter nach Nordwesten ins Gebiet der AlgonkinIndianer zu gelangen. Einer ihrer Stämme sind die Gros Ventres, auch Atsina genannt, nicht ganz geheure Eingeborene. Als das Schiff in Höhe ihres Zeltlagers ist, springen eine Menge Männer und Frauen in den Fluss oder setzen in Bullbooten über, und plötzlich ist das Schiff von allen Seiten bestiegen und übervölkert. Die Indianer dringen in die Kajüte ein und fordern Branntwein, Pulver und Kugeln, dafür bringen sie herbei, was sie an Fellen, Leder und Fleisch zum Tausch besitzen.
16. Kapitel Hans Amrein setzt die Erzählung fort:
Das Blockhaus am Ohio
N
achdem wir Paint Creek verlassen hatten, machten wir uns
auf den Weg zum River Ohio. Diesem folgten wir nordwärts. Ein Fluss nach dem anderen mündete in den Ohio. Oft waren wir dadurch gezwungen, kilometerweit stromaufwärts zu reiten, um Furten zu finden, die sich durchwaten liessen. Mehr als die Hälfte der Mohawk-Krieger hatten am Paint Creek und auf dem Tory-Hügel ihr Leben lassen müssen. Die Überlebenden, mit denen wir nun nach Norden ritten, stellten sich als gute Pfadfinder heraus. Wir bewunderten auch ihren Spürsinn. Sie verstanden es meisterhaft, die Stimmen des Waldes zu deuten. So achteten sie ganz selbstverständlich auf Vogelgezwitscher, auf den Ruf eines Wolfes oder auf den Schrei einer Eule. Gefahren konnten sie dadurch besser voraussehen. Mein Freund Josef Brandstetter war der grösste Bewunderer der Mohawk. Er wollte alles über sie wissen. Auf dem ganzen Ritt sah ich Talmach an seiner Seite. Der Häuptlingssohn lehrte meinen Landsmann die Sprache der Irokesen, er machte ihn mit den Geheimnissen des Waldes vertraut, und er zeigte ihm so manche Indianerschliche. Der Stanser war schon immer ein schaffiger Kerl gewesen, was man von mir nicht behaupten konnte. Aber hier steckte er uns alle in den Sack. Selbst Old General, der Mestize, der sich sonst die Würmer aus der Nase ziehen liess, fand lobende Worte für ihn. Überhaupt war Crossbow Joe sehr ankehrig. Durch sein Geschick versetzte er nicht nur uns in Erstaunen. Auch die Mohawk bewunderten ihn. Nicht zuletzt wegen Peppy, den er aufgezogen hatte. Der Puma folgte ihm nämlich auf Schritt und Tritt und gehorchte wie ein Jagdhund. Wer hätte gedacht, dass ein Puma so zahm werden kann! Als wir im Oktober das Dorf Pittsburgh am Oberlauf des Ohio erreichten, war aus Josef Brandstetter ein echter Indianer geworden. Auf dem Weg von dem Pelzlager Legionville nach Pittsburgh hatte es stark geregnet. Bei der Durchquerung des Flusses musste ich mir eine Erkältung zugezogen haben. Die mit Wasser vollgesaugten Mokassins hatten noch das ihre dazu beigetragen. Als wir in dem Dorf ankamen, wurde ich von heftigem Fieber geschüttelt.
In der Hütte einer Siedlerfamilie fand ich freundliche Aufnahme. Die guten Leute hatten eine Kuh. Sie versuchten, mich mit heisser Milch, etwas Knoblauch und Rum zu kurieren. Dann steckten sie mich in ein aus Brettern gefertigtes Bett. Gegen Mittag des nächsten Tages erwachte ich schweissgebadet. Ich fühlte mich tatsächlich etwas besser. Kentucke Tom kam mit Old General gerade vom Fort herüber. Der kleine Ire wollte nach mir sehen. Während er mich also untersuchte, konnte ich durch die geöffnete Tür den an das Blockhaus angrenzenden Hof überblicken. Mrs. Lyle, meine freundliche Gastgeberin, verarbeitete in einem in den Boden eingelassenen Gerbbottich Rehfelle zu Leder. In der Nähe machte sich der gute Lobo nützlich. Er zerstiess mit einem Stampfer Mais auf einem ausgehöhlten Walnussklotz. Ich musste schmunzeln, als ich den Neger mit der roten Mütze einträchtig neben der Backwoodswoman arbeiten sah. Als Lobo seine Arbeit beendet hatte, schaufelte er den zerstossenen Mais in eine eiserne Pfanne und brachte diese in die Hütte. Dabei strahlte er wie ein Honigkuchenpferd. Crossbow Joe und Talmach waren am Morgen auf die Jagd gegangen. Ich wäre gerne dabeigewesen! Noch ganz in den friedlichen Anblick versunken, der sich mir vor der Hütte bot, hörte ich plötzlich Pferdegetrappel, das sich schnell näherte. Mrs. Lyle blickte von ihrer Arbeit auf. Zwei stämmige Männer, die Jagdblusen aus derbem Leinen, ausgefranste Leggings, Ledergamaschen und Mokassins trugen, stiegen auf dem Hof von ihren Tieren. Old General, der sich ebenfalls in der Hütte befand, stiess die Tür bis auf einen Spalt zu. „Die Tories!“ flüsterte er uns zu. Ich hüpfte aus dem Bett und streifte mir die Kleider über. Tatsächlich! Ich erkannte John Stanton. Er hatte seine Kentucke-Büchse umgehängt. Er grüsste kurz und fragte mit dunkler Stimme: „Wie heisst dieser Ort, Lady?“ „Das ist Pittsburgh, Mister“, antwortete die Angesprochene. „Sagt uns, sind in letzter Zeit Trapper den Ohio heraufgekommen?“ „Ja“, sagte die Frau ahnungslos. „Dann müssen es die Freunde sein, die mit uns am Kanawha River waren.“ „Sie sagten, dass sie von Kentucke seien.“
„Männer, hört her! Unsere Freunde sind hier!“ hörten wir Stanton rufen. „Steigt ab! Die Pferde könnt ihr am Brunnen tränken! Frank, folge mir in die Hütte!“ Durch den Spalt in der Türe konnten wir beobachten, dass mehrere Tories ihre Tiere über den Hof führten. Die beiden Büffeljäger griffen zu ihren Waffen und marschierten schnurstracks auf unser Blockhaus zu. Mrs. Lyle war misstrauisch geworden. Sie stellte sich den Männern in den Weg. „Ich hoffe, ihr kommt in friedlicher Absicht“, sagte sie. In diesem Augenblick trat Old General mit der Büchse im Anschlag aus der Hütte. „Uns könnt Ihr wohl nicht gemeint haben, als Ihr von Freunden gesprochen habt, Mr. Stanton“, rief der Mestize. Der Mann mit dem Walrossschnurbart machte einen Schritt zurück, als er den Fallensteller erkannte. „Ah, ein Bekannter vom Paint Creek ist auch hier!“ spottete Stanton. Er riss seine Pistole aus dem Gürtel und feuerte ohne zu zögern auf den Trapper mit dem grauen, wallenden Haar ab. Dieser hatte sich aber zuvor blitzschnell im Innern des Blockhauses in Sicherheit gebracht. Die Kugel bohrte sich wirkungslos in den Türpfosten. Old General legte den Querbalken in die Krampen der Türe. Kentucke Tom und ich waren über eine Leiter ins Obergeschoss gestiegen, das über den Wänden des unteren hinaus vorragte. Es war mit überhängenden Schiessscharten versehen, durch die wir die Tories aufs Korn nehmen konnten. Als ich durch eine dieser Öffnungen blickte, bemerkte ich einen der finsteren Gesellen. Er hatte sich an die Holzwand der Hütte gedrückt und packte gerade den Lauf einer Muskete. Rotkäppchen hatte sie vom unteren Stockwerk durch eine Schiessscharte gesteckt. Mit einem kräftigen Ruck entwand der Tory das Gewehr den Händen des Negers. Meine gute Position von oben ausnutzend, legte ich meine Old Mill Rifle auf den heimtückischen Angreifer an und drückte ab. Der Mann drehte sich wie ein Kreisel und fiel dann der Länge nach zu Boden. Nun stürmten seine Spiessgesellen mit lautem Gebrüll auf die Hütte zu. Mehrere Schüsse knallten. Sie versuchten, die Tür mit einem Rammpfahl einzuschlagen, was ihnen auch gelang. Mehrere Kerle warfen sich sofort auf Old General und Rotkäppchen, welche ihre Gewehre abgefeuert hatten. Mehrere Tories umklammerten die beiden mit ihren Armen und hinderten sie auf diese Weise am Gebrauch ihrer Messer. Während dieses verbissenen Ringens
wurden die Männer aus dem Blockhaus ins Freie abgedrängt. Kentucke Tom und ich nahmen vom Obergeschoss aus den Eingang unter Beschuss. Wir wollten die Königstreuen am Eindringen hindern. Plötzlich erschütterte eine heftige Explosion unsere Hütte. Staub und Rauch wirbelten zu uns herauf. Flammen schlugen durch die obere Bodenluke. „Schnell weg hier!“ rief der kleine Ire. Hals über Kopf kletterten wir über die Leiter auf den Erdboden hinab und stürzten durch das Feuer ins Freie. Am Eingang strauchelte ich und fiel auf die Nase. Als ich mich erheben wollte, traf mich ein harter Gegenstand am Kopf. Es wurde Nacht vor meinen Augen . . .
A
ls ich erwachte, fühlte ich, dass ich heftig hin und her bewegt
wurde. Ich hörte die Huftritte vieler Pferde. Verwundert schlug ich die Augen auf. Ich merkte, dass ich auf einem Pferderücken lag, der unter mir das kräftige Schütteln verursachte. Ich nahm meine Kräfte zusammen und wollte mich aufrichten. Aber das gelang mir nicht. Man hatte mich auf ein Tier gebunden. Ich spürte meinen Kopf. Es schien mir, als hämmerte jemand auf ihm herum. Ich stiess einen Schrei aus. Die Bewegungen des Pferdes hörten auf. „Master Amrein ist aus seinen Träumen erwacht“, hörte ich jemanden sagen. Der Strick, mit dem ich auf den Pferderücken gebunden war, wurde nun gelöst. Ich konnte mich aufrichten. Das, was ich nun sah, war nicht gerade ermutigend. Kentucke Tom, Old General, Rotkäppchen und ich befanden uns nämlich in den Händen von gut einem Dutzend Tories. Unter diesen erkannte ich auch John Stanton, Frank Porter, Abner Rowlandson und George Benton, die vermeintlichen Landvermesser. Wir waren alle beritten und hatten jetzt inmitten der Wildnis haltgemacht. „Halleluja, Massa Jack leben!“ rief der gute Lobo, der auf seiner Mähre sass, an Händen und Füssen gefesselt. „Lasst mich den Jungen untersuchen, Mr. Stanton“, schaltete sich der kleine Ire ein, welcher ebenso wie der Neger gebunden war. „Meinetwegen! Macht ihn los, er soll sich um den Jungen kümmern!“ befahl der Büffeljäger seinen Leuten.
Kentucke Tom wurde losgebunden. Er löste meine Fussfesseln und half mir vom Pferd. Neben dem Pfad setzte ich mich ins Gras. „Wo sind wir hier?“ fragte ich den Gefährten. „Zwei Stunden nördlich von Pittsburgh“, antwortete der Trapper. „Was macht dein Kopf?“ „Er rauscht wie ein Wasserfall.“ „Das ist die Folge des Kolbenhiebs, der dich niedergeworfen hat.“ Kentucke Tom nahm mir nun den Verband ab, den er mir bei der Blockhütte der Lyle's angelegt haben musste. „Das wird wieder“, beruhigte er mich. „Was machen sie mit uns?“ fragte ich. „Wir sind ihre Geiseln, denn sie wissen, dass unsere Freunde nicht mehr weit sein können. Sie haben dir den Wampum-Gürtel abgenommen und glauben nun, dass sie mit seiner Hilfe an das Gold der Mohawk kommen. Der Mann mit dem roten Walrossschnurbart hatte schon einige Male unruhig zu uns herübergeschaut. Er wusste natürlich auch, dass er mit einer Verfolgung rechnen musste und dass er den Vorsprung nicht verspielen durfte. „Macht fertig!“ rief er. „Es geht weiter!“ Wir wurden wieder gefesselt und auf die Pferde gesetzt. Dann ging es weiter. Den Schlag auf den Kopf überlebte ich, obwohl er noch einige Tage brummte. Wie ich später von Josef Brandstetter erfuhr, waren er und der Irokese erst gegen Abend von der Jagd zurückgekehrt. Die Verfolgung konnten sie also erst am anderen Morgen aufnehmen. So ritten wir ungehindert am Ufer des Allegheny River entlang nach Norden. Aus einigen Bemerkungen der Tories schnappte ich auf, dass sie hinauf zum Fort Oswego wollten, einer britischen Garnison am Lake Ontario.
Mexkemahuastan oder «das Eisen, welches sich bewegt» sieht mit seinem über der Stirn in einen dicken Knoten zusammengebundenen Haar, der graublauen Kinnpartie und dem schmucklosen Aufzug düster und gefährlich aus, und tatsächlich ist der Atsina-Häuptling im weiten Umkreis berüchtigt.
17. Kapitel
Fort Oswego
E
s war bereits November, als wir die britische Waldfestung
Oswego erreichten. Dieses Fort an der Mündung des gleichnamigen Flusses war eine der entlegensten und zugleich einflussreichsten Grenzbefestigungen der britischen Besitzungen in den weiten nordamerikanischen Wäldern. Die Garnison beherrschte den Ontariosee an einer zentralen Position. Über die Erdwälle, Bastionen und Palisaden des Forts blickten verstohlen die Dächer der Kaserne, einiger Lagerhütten und Magazine. In der Abendsonne flatterte über der Bastion der Union Jack. An den Schildwachen vorbei gelangten wir an das Tor des Forts. Dort wurden wir angehalten. John Stanton sprach mit einem Offizier. Wir konnten passieren. Vor der Kaserne machten wir halt. Der wachhabende Korporal eilte in das Haus. Kurze Zeit darauf wurden wir von Stanton und Porter in die Kaserne geführt. Eine der Türen war mit Headquarters beschriftet. Eine Ordonnanz öffnete diese. Wir traten ein. Eine fast unerträgliche Hitzewelle schlug uns entgegen. Die Ursache dafür war ein Kamin, in dem ein grosses Feuer einige Kieferknorren verzehrte. In dem Zimmer, in das wir gelangten, stand nebst der Herdstatt noch ein schwerer Tisch, an dem ein schläfriger Offizier sass. Ich schaute mich um. Die Wände ringsum waren mit Landkarten, Musketen und Säbeln bedeckt. Der Offizier war ein ausserordentlich dicker Mann. Seine Uniform platzte aus allen Nähten. Auf dem Kopf trug er eine weisse Perücke. Sie sollte ihm wohl die nötige Autorität verleihen. Ich blickte in das feiste, aufgedunsene Gesicht. Dabei kamen mir die Geschichten von Andrew Jackson, des schottischen Jungen aus Salisbury, in den Sinn. Er war mit vierzehn Jahren von britischen Dragonern gefangengenommen und in ein britisches Gefängnis geworfen worden. Er hatte uns auch den dicken Offizier beschrieben, der ihm die Narbe auf seiner Stirn zugefügt hatte. Ich zweifelte keinen Augenblick, dass der gleiche Leuteschinder nun vor uns sass. Ich hätte mich am liebsten im Boden verkrochen. „Was wollt ihr hier?“ fragte er mit seiner schnarrenden Stimme John Stanton, der mit Frank Porter vor uns stand. „Wisst ihr nicht,
dass nach Sonnenuntergang keine Fremden das Fort betreten dürfen?“ „Wir müssen mit dem Kommandanten sprechen“, sagte der Mann mit dem Walrossschnurbart. „Er empfängt jetzt niemanden!“ „Holt den Kommandanten!“ liess der Büffeljäger nicht locker. „Die Sache ist äusserst wichtig!“ „Zum Teufel! Ich lasse mir von einem Zivilisten keinen Befehl erteilen!“ „Dann sagt wenigstens, wo wir heute Abend den Befehlshaber von Fort Oswego finden können!“ „Ich sagte doch, er ist nicht zu sprechen!“ „In diesem Fall werden wir ihn selbst suchen!“ „Ausgeschlossen!“ knurrte der Dicke. „Das ist gegen die Dienstvorschrift!“ „Warum?“ „Mann!“ brauste er auf. „Ich stelle hier die Fragen! Wo kommt ihr überhaupt her?“ „Aus Kentucke“, war die kurze Antwort. „Aus Kentucky?“ fragte er ungläubig. „Ja.“ „Die verdammten Whigs südlich des Indian Territory nennen das Land Kentucke. Gehört ihr auch zu diesen Rebellen?“ „Nein, wir sind unserem König Georg treu ergeben. Am Kanawha River haben wir gegen die Rebellen gekämpft. Vier Exemplare von ihnen haben wir sogar mitgenommen“, sagte Stanton und zeigte dabei auf uns. „Amerikanische Rebellen?“ wurde nun der Dicke hellhörig. Er stand auf und machte einen Schritt zur Seite, um uns besser in Augenschein nehmen zu können. Mit einem hämischen Lächeln schritt er hinter den Tisch zurück. „Ordonnanz!“ rief er. Der Soldat, welcher vorher die Tür geöffnet hatte, erschien wieder und salutierte. „Captain!“ „Holt den Kommandanten!“ befahl der Dicke. „Yes, Sir!“ Kurze Zeit darauf trat der Befehlshaber des Forts ins Zimmer. Ein ernst dreinblickender Mann, über dessen Augen sich buschige Brauen wölbten. Er hatte seine Abendmahlzeit unterbrechen müssen und erkundigte sich deshalb unwirsch nach dem Grund, weshalb er
gerufen wurde. Dienstbeflissen erstattete der Dicke Bericht. Der Kommandant schwieg eine Zeitlang. Dann sagte er zu John Stanton: „Ihr seid also von Kentucky hierher an die kanadische Grenze heraufgekommen?“ „Ja, Sir!“ „Und am Kanawha River habt ihr gegen die gottverhassten Rebellen gekämpft?“ „Ja, Sir!“ Der Mann mit den buschigen Brauen trat an den Kamin. Er warf ein Scheit ins Feuer. Die Flammen umzüngelten das Holz. „Einundachtzig war ich in Yorktown“, sagte er und wärmte sich gedankenverloren die Hände über dem Feuer. „Ihr habt gegen Washington gekämpft, Sir?“ fragte Stanton. „Ja, vor vier Jahren“, sagte der Kommandant. Er pflanzte sich breitbeinig vor uns auf. Er war aufgewühlt. „Ihr gehört also zu diesen gottverdammten Rebellen?“ fauchte er uns an. „Und vor denen ihr Briten in Yorktown in die Knie gegangen seid“, sagte Kentucke Tom. Ich zuckte zusammen. Das konnte uns Kopf und Kragen kosten! Ich erwartete von dem Offizier mit den buschigen Brauen die Retourkutsche. Doch nichts dergleichen geschah. Der Kommandant wandte sich ab, beugte sich ein wenig vor, stützte sich mit den Händen am Kamin auf und starrte ins Feuer. „Ich kenne den Vertrag von Paris“, sagte er, und ich glaubte, Resignation in seiner Stimme zu hören. „Der Krieg ist vorbei! Das Ende des Konflikts zwischen unseren Kolonien und England wurde in Paris besiegelt.“ Der Befehlshaber von Fort Oswego trat zur Tür. Bevor er das Zimmer verliess, wandte er sich noch einmal um. „Mr. Moorsom!“ knurrte er. „Ja, Sir?“ fragte die schnarrende Stimme des Dicken. „Ihr wisst, was zu tun ist!“ „Ja, Sir!“ Nachdem der Kommandant das Zimmer verlassen hatte, wandte sich Stanton an den mit Mr. Moorsom Angeredeten: „Was werdet Ihr mit diesen Whigs tun? Ich erwarte, dass Ihr sie nicht freigebt!“ „Ihr könnt unbesorgt sein. Ich werde die Rebellen fürs erste hier im Fort in Gewahrsam nehmen.“
Wie ein Blitz aus heiterem Himmel herrschte Einklang zwischen dem Büffeljäger und dem dicken Rotrock. Ich sah das Unheil kommen. Moorsom wandte sich an mich: „Gehörst du auch zu diesem Gesindel, mein Junge?“ Obwohl mir der Schrecken in den Knochen sass, versuchte ich ein möglichst gleichgültiges Gesicht zu zeigen und – schwieg. „Ihr seid Rebellen, nicht wahr?“ doppelte der Dicke nach. „Lasst den Jungen in Ruhe!“ hörte ich die warnende Stimme von Kentucke Tom. „Er ist kein Amerikaner!“ „Schweig!“ zischte Moorsom. „Mit euch Gesindel werden wir nicht viele Umstände machen! Der Dicke erteilte den Rotröcken einige Befehle. Wir wurden an den Händen mit Riemen gefesselt. Ohne viel Federlesen zu machen, schleppten sie uns in den Keller der Kaserne hinunter. Moorsom begleitete uns. Eine Treppe führte in die Tiefe. In einem unterirdischen Gewölbe machte die Eskorte halt. „Hier ist der Weg zu Ende, Gentlemen“, spottete der Dicke. „Macht euer Testament!“ Die Türe zu einem Kerker wurde geöffnet. „Ich wünsche einen guten Aufenthalt!“ Moorsom versetzte Kentucke Tom, auf den er es besonders abgesehen zu haben schien, mit dem Riegelbalken der Verliestür einen Stoss, so dass dieser kopfüber in die Tiefe stürzte. Zehn Fuss unterhalb des Einstiegs landete der noch an den Händen Gebundene auf dem steinigen Boden. Wir folgten ihm in die Tiefe. Ein höhnisches Gelächter ertönte oben an der Tür. Dann verschwand das Fackellicht hinter der in ihren Angeln kreischenden Tür. Der Sturz hatte uns glücklicherweise nichts anzuhaben vermocht. Wir befreiten uns gegenseitig von den Fesseln. Dann machten wir uns mit der düsteren Zelle vertraut. Der enge und hohe Kerkerraum war ungefähr fünfzehn Fuss lang und halb so breit. Dafür ragten die Mauern über zwanzig Fuss in die Höhe. Die Feuchtigkeit hatte sich an den nackten Wänden niedergeschlagen. Durch einen Spalt im Gewölbedach fiel ein Lichtschimmer herein. Die ganze Einrichtung bestand aus einem Häufchen Stroh und einem Krug Wasser. Es war ein schauderhaftes Gelass! Später brachte der Gefängniswärter das Essen. Es war ein Stück Brot und madiges Fleisch. Wir befanden uns in einer ziemlich ausweglosen Lage, die der Wärter noch zu erschweren verstand.
Durch den kleinen Riss am oberen Teil der Mauer zwängte sich am Nachmittag das neugierige Gesicht eines flachsköpfigen Knaben. „Das Verlies muss direkt an der Aussenmauer des Forts liegen“, mutmasste der kleine Ire. Rotkäppchen nahm aus seinem Lederwams ein Zwei-GuineenStück und warf es durch den Mauerriss. Nach einer Weile tauchte der Kopf des Jungen wieder auf. Der Mohr schleuderte noch einmal eine Münze in die Höhe. Nachher erschien der Knabe nach wenigen Minuten zum dritten Mal in der Wandöffnung. Lobo nahm nun seine rote Mütze vom Kopf. Dann wickelte er sie um einen Stein und warf Stein und Mütze dem Jungen zu. An diesem Tage bekamen wir den Knaben nicht mehr zu Gesicht. Auch der nächste verstrich, ohne das etwas geschah. In der folgenden Nacht vernahmen wir aber oben am Mauerspalt ein Geräusch. Voll Spannung horchten wir in die Dunkelheit. „Rotkäppchen! Bist du da drinnen?“ flüsterte eine Stimme. „Massa Joe! Sein du es?“ antwortete unser schwarzer Gefährte. „Gott sei Dank, du lebst! Sind Hans, Kentucke Tom und Old General auch bei dir?“ „Ja, wir sind alle hier, Josef“, flüsterte ich. „Wie hast du uns gefunden?“ „Ein Junge hat uns die Mütze von Lobo gebracht. Ich muss vorsichtig sein, denn die Wachposten könnten mich hier jeden Augenblick überraschen. Ich komme morgen Nacht mit Talmach wieder!“ Als es tagte, erschien Moorsom mit madigem Fleisch, das er uns wie wilden Tieren vor die Füsse warf. „Friss dein faules Fleisch doch selber, du Dickwanst!“ rief Kentucke Tom wutentbrannt. Mit einer verächtlichen Geste wandte sich der Dicke ab. „Es zwingt euch niemand, das Fleisch zu essen, ihr Schufte und Halunken!“ Nachdem Moorsom gegangen war, fiel von der Maueröffnung ein Bündel in unsere Zelle herunter. Wir öffneten es und fanden darin einige Esswaren von Crossbow Joe. Mit Genuss verzehrten wir sie. Voller Ungeduld warteten wir auf die Nacht, die hoffentlich das Ende aus unserer Ausweglosigkeit bringen sollte.
Ein Reitertrupp der Blackfoot-Indianer kommt über die Prärie herangaloppiert. Der Anführer reisst sein Pferd herum, winkt seinen Leuten, ihm in eine andere Richtung zu folgen, dann jagen die Blackfoot auf ein Krähen-Lager zu.
18. Kapitel Josef Brandstetter setzt den Bericht fort:
Huronen!
A
ls ich gegen Abend mit den Mohawk von der Jagd nach
Pittsburgh zurückkehrte, kam die Meldung, dass Sturdy Jack, Rotkäppchen, Kentucke Tom und Old General von den Tories gefangen genommen worden seien. Talmach und ich begaben uns sogleich zu der niedergebrannten Blockhütte hinüber, wo uns Mrs. Lyle das Geschehen schilderte. Für eine Verfolgung war es aber schon zu spät. So schwer es uns auch fiel, wir mussten den Morgen abwarten. Im Morgengrauen brachen wir auf. Es war für die Mohawk ein leichtes gewesen, die Spuren zu finden, welche die Pferde der Tories hinterlassen hatten. Sie führten dem Allegheny River entlang nach Norden. Es war Herbst geworden! Die Tage wurden kürzer. Am Abend mussten wir deshalb schon früh Halt machen, um die Fährte nicht zu verlieren. Die Tories mussten scharf geritten sein, denn die Hufe der Pferde hatten deutliche Eindrücke hinterlassen. Sie ahnten wohl, dass sie verfolgt wurden. Sie waren auch am Abend und bis weit in die Nacht hinein geritten. Wir konnten ihren Vorsprung deshalb nicht verringern. In den Nächten wurde es schon sehr kalt. Meist schlief ich, in meine Decke gehüllt, Rücken an Rücken mit meinem Puma. Er war jetzt zur vollen Grösse herangewachsen. Sein geflecktes Fell war längst verschwunden; aus dem kleinen Racker war ein prächtiger schwarzer Puma geworden. Ich hatte eine innige Beziehung zu dem Tier. Ich konnte mich auf ihn verlassen wie auf einen treuen Hund. Seine Sinne waren noch geschärfter als die der Mohawk. In seiner Nähe war ich sicher wie in Abrahams Schoss. Die Kühle der Nächte machte mir zu schaffen. Meist war ich schon vor der Morgendämmerung wach. Ich bewunderte die Indianer. Sie schienen gegen die Kälte gefeit zu sein. Als wir nach über zwei Wochen den Genesee River erreichten, war ich abgekämpft, müde. Es war gegen Abend, als wir von einem Hügel herunter und in einiger Entfernung die Wohnstätten eines Indianerdorfes erblickten. Sie lagen direkt am Fluss. Anders als die Dörfer der Algonquin nördlich des Ohio, deren kegelförmigen Tipis mit einander
überlappenden Fellen oder Baumrinden gedeckt waren und sich ganz leicht wieder abbrechen liessen, wohnten hier die Roten in eingeschossigen Langhäusern. Diese Wohnstätten waren mit einem hohen Palisadenzaun aus angespitzten Pfählen umgeben. Der Mohawk klärte mich auf: 26 „Wir befinden uns im Gebiet der Senecas , einem verbündeten Irokesenstamm. Wir haben nichts zu befürchten. Es beginnt schon zu dunkeln. Reiten wir zu ihnen hinunter!“ Wir stiegen wieder auf unsere Pferde und ritten den Hügel hinunter. Inzwischen sank die Nacht herab. Zwischen den Stämmen der Waldbäume schimmerte das rote, warme Licht ihrer Lagerfeuer. Wir erreichten den Fluss. Die Ansiedlung lag nun direkt vor uns. Hier und dort stieg der Rauch eines in ihrem Innern unterhaltenen Feuers in die klare Abendluft empor. Plötzlich tauchten aus dem Ufergehölz Krieger auf. Sie hatten uns wohl schon lange beobachtet. „Huronen!“ rief der Mohawk überrascht. Doch es war schon zu spät. Die Roten hatten bereits einen Halbkreis um uns geschlossen. Der Weg zurück war uns versperrt. Es blieb uns keine Wahl. Wir trieben unsere Pferde an. Im Galopp ging es durch eine Lücke im Palisadenzaun ins Dorf hinein. Vor einem buntbemalten Pfahl, der vor dem Eingang eines Langhauses stand, zügelten wir unsere Tiere. Der Pfahl markierte die Hütte und den Platz davor als Ort der Beratung. Hier waren wir nach einer heiligen Indianersitte vorerst vor einem Angriff geschützt, bis die Huronen über unser weiteres Schicksal beraten und entschieden hatten. Ich war aus dem Sattel gestiegen und trat in das Langhaus. Talmach begleitete mich. Niemand befand sich im Innern der Hütte. Ein Durchgang führte uns zu den getrennten Wohnungen des langen Baus und zu einer Kochstelle, welche von den Bewohnern gemeinsam unterhalten werden konnte. „Das ist das heilige Tonawanda-Haus“, sagte der Mohawk. „Die Seneca haben hier einander die Lehren von Handsome Lake erzählt. Handsome Lake ist ein grosser Medizinmann der Irokesen.“ „Und warum sind jetzt die Huronen hier?“ fragte ich. „Die Seneca sind weggezogen. Sie sind vermutlich nach Canada hinauf.“ Ich schaute mich in dem Langhaus um. Aufrechtstehende Pfosten, die in den Boden eingelassen waren und einen 26
"Das grosse Volk der Hügel"
rechteckigen Bereich einschlossen, bildeten das Grundgerüst. An den oberen Enden dieser Pfosten waren biegsame Stangen festgebunden; zurechtgebogen bildeten sie das Dachgebälk. Grosse Rindenstücke aus Ulmenholz von anderthalb Metern Breite und zwei Metern Länge waren auf den Dachsparren überlappend angebracht. Zur Befestigung dienten Streifen Hickorybastes. Das Langhaus bot reichlich Platz für einige Bettgestelle. Zudem waren die Wohnungen angefüllt mit allerlei Gerätschaften, Jagdund Kriegsutensilien, einem Stapel Brennholz sowie anderen Gegenständen. An einer Öffnung an der Holzwand beobachtete ich das Geschehen zwischen den Hütten des Dorfes. Vor dem Totem-Pfahl, der den Beratungsplatz kennzeichnete, zündeten die Huronen ein Feuer an. Seit Menschengedenken waren die Huronen die Feinde der Irokesen. Meist zogen sie gegen die Seneca, die dem Huronengebiet am nächsten waren. Da ihre Jagdgründe im Norden lagen, mussten sie mit ihren Kanus allerdings zuerst den Ontariosee überqueren. Diese Kriegszüge, bei denen die jungen, ehrgeizigen Huronen ihren Mut unter Beweis stellen konnten, fanden gewöhnlich im Sommer statt, wenn das dichte Laubwerk reichlich Deckung bot. Warum sie jetzt im Herbst so weit nach Süden gekommen waren, fanden wir nicht heraus. Vielleicht war dieses Dorf, das sie offensichtlich verlassen vorgefunden hatten, der Grund dafür gewesen, ihre Heimkehr hinauszuschieben. Erbeutete Pferde und Waffen deuteten jedenfalls darauf hin. Mir war angst und bange vor diesen Huronen. Der Mohawk versuchte mich aber zu beruhigen: „Die Huronen dürfen keine Zeit verlieren. Der Herbst geht zu Ende. Der Winter ist nahe. Sie wollen vor dem ersten Schnee mit den erbeuteten Pferden in ihre Jagdgründe zurückkehren.“ „Sie werden uns gefangennehmen“, äusserte ich meine Befürchtung. „Die Huronen werden das nicht wagen. Sie wissen, dass wir viele von ihnen töten werden, bevor sie uns überwältigen können. Sie haben aber alle ihre Krieger nötig. Sie müssen mit den erbeuteten Pferden und Waffen um den grossen See reiten, durch die Gebiete der Seneca, der Cayuga, der Onondaga und der Oneida. Diese Irokesenstämme sind alle Feinde der Huronen.“ Wie so oft konnte ich auch hier über den Scharfsinn des Mohawk staunen. Die Huronen forderten uns nämlich noch am Abend auf,
am Feuer der Beratung teilzuhaben. Sie suchten also eine schnelle und unblutige Lösung. „Wird Crossbow Joe seinen Bruder zum Feuer der Beratung begleiten?“ fragte mich der Irokese. Ich hatte einen wahren Freund in dem Mohawk gewonnen. Wir waren Brüder geworden. Es gab nichts, was wir nicht miteinander besprachen. Vieles machten wir voneinander zu eigen. Vieles brachten wir einander bei. Wir ergänzten einander aufs beste. Seine indianische Lebensart und meine weisse Lebensauffassung vermischten sich auf eine eindrucksvolle Art und Weise. Allerdings war das, was ich von ihm annahm, ungleich wertvoller als das, was ich ihm beibrachte. Mir hüpfte das Herz vor Freude über seine Einladung. Jedoch wurden schreckliche Erinnerungen an das Ritual mit der Pfeife bei den Cherokee in Salisbury wach. Ich wollte mir diesmal keine Blösse mehr geben! Die Vorbereitungen für die Beratung waren abgeschlossen. Talmach und ich schritten würdevoll zum Feuer hinüber. Die Huronenkrieger machten uns ehrerbietig Platz. Wir mussten in ihren Augen einen hohen Rang innehaben. Nicht jeder durfte schliesslich am Feuer der Beratung teilhaben! Wenn sie geahnt hätten, wie es in mir aussah! Eine Delegation der Huronen hatte sich bereits im Halbkreis um das Beratungsfeuer gruppiert und erwartete uns. Wir nahmen gegenüber der gegnerischen Abordnung Platz. Unsicherheit, Misstrauen, Starrköpfigkeit und Arglist spiegelten sich in den Gesichtern der Roten, die uns durch die Flammen anstarrten. Tiefe Stille herrschte ringsum. Einer der Huronen-Häuptlinge stopfte nun Kinnikinnick in den Steinkopf seiner mit blauen Glasperlen, Seidenbändern und Pferdehaar verzierten Zeremonialpfeife. Dann steckte er den Kräutertabak mit einem Kienspan in Brand und tat einen Zug. Umständlich blies er den Rauch gegen den Himmel, gegen die Erde und in die vier Himmelsrichtungen. Mit grosser Geste ergriff er das Wort. Er sprach irokesisch, was ich schon leidlich verstand: „Der Mohawk und das Bleichgesicht mögen hören, was Röhrender Hirsch zu sagen hat. Vor vielen Monden kamen weisse Pelzjäger und Kanufahrer in die Jagdgründe der Huronen. Sie nannten sich Franzosenmänner. Die weissen Jäger gaben den Huronen Gewehre, Stahlmesser, Eisenkessel und Rum gegen Felle und Pelze. Die Franzosenmänner brachten viele guten Dinge, die für die Huronen auf der Jagd und auf dem Kriegspfad gegen die
Seneca, die Oneida, die Onondaga oder die Cayuga nützlich sind. Sie erleichtern den Frauen im Wigwam die Arbeit. Der Grosse Geist schickte dem Stamm der Huronen diese weissen Männer, um ihnen Kriegsglück und eine gute Jagd zu schenken. Über den grossen See kamen aber auch andere Bleichgesichter, es waren Rotröcke. Sie sagten, dass sie die Feinde der Franzosenmänner sind. Nicht Waren zum Tauschen und nicht Geschenke schickten die Rotröcke. Sie versprachen den Huronen Belohnungen für jeden erbeuteten Skalp der Franzosenmänner. Die Huronen töten ihre Freunde aber nicht für eine Belohnung der Rotröcke. Für die Huronen ist die Kopfhaut eines getöteten Feindes eine heilige Sache. Röhrender Hirsch hat gesprochen, howgh!“ Nun liess sich Talmach vom Huronen die Pfeife geben. Er atmete den Rauch in der gleichen Weise aus und sagte: „Die Huronen haben ihr Land jenseits des grossen Sees verlassen. Sie sind in die Jagdgründe der Seneca gekommen. Die Seneca sind die Brüder der Mohawk. Die Huronen halten die Mohawk hier im Dorf der Seneca fest. Die Mohawk sind Bleichgesichtern auf der Spur, die unsere Freunde gefangen genommen haben. Sie wollen hinauf ins Land der Rotröcke. An den Lagerfeuern erzählen die Krieger vom Mut und der Klugheit des grossen Häuptlings Röhrender Hirsch. Talmach ist aufrecht ans Feuer der Beratung getreten, um den Huronen zu sagen, dass die Mohawk beim Sonnenaufgang weiterreiten werden. Ich habe gesprochen, howgh!“ Der Irokese reichte nun die Pfeife an mich weiter. Ich tat die gleichen Züge wie meine Vorredner und richtete schliesslich das Wort an die Huronen: „Die Huronen halten meine roten Brüder, die Mohawk, und mich hier fest. Wir haben den Huronen kein Leid angetan. Röhrender Hirsch sprach von den Rotröcken. Sie kriechen wie die Schlangen zu den Huronen und versprechen ihnen Belohnungen, wenn sie die Franzosen töten. Die Huronen nennen die Franzosen ihre Freunde. Im Süden leben andere Bleichgesichter, die auch Freunde der 27 Franzosen sind. Ihr nennt sie die Langen Messer . Sie werden nach Norden kommen und die Rotröcke aus dem Land jagen. Dann stehen die roten Brüder alleine da. Die Rotröcke werden euch nicht helfen. Es macht mich traurig, wenn ich sehe, dass auch die roten Stämme einander bekämpfen und die Mutter Erde mit dem Blut des 27
Amerikaner
roten Mannes tränken. Ich rate euch, begrabt das Kriegsbeil. Crossbow Joe hat gesprochen, howgh!“ Meine Worte schienen grossen Eindruck auf die Huronen gemacht zu haben. Ihre bewundernden Blicke und zustimmenden Gebärden waren beredter als tausend Worte. Sie zogen sich zur Beratung zurück. Schon kurze Zeit danach traten sie wieder ans Feuer. Röhrender Hirsch teilte den Beschluss der Seinen mit. Die Huronen wollten auf unsere Skalps verzichten. Allerdings verlangten sie als Gegenleistung für den freien Abzug unsere Pferde. „Die Mohawk werden den Huronen keine Pferde geben“, wies Talmach die Forderung zurück. Röhrender Hirsch war aber nicht gewillt, auf die Tiere zu verzichten. Ich hätte dem Huronen die Pferde wohl überlassen. Aber die Indianer waren da anders. Es ging schliesslich um ihre Ehre. Das Gesicht musste auf jeden Fall gewahrt bleiben. Mit stoischer Ruhe liess mein irokesischer Freund den Huronen wissen: „Talmach möchte von dem Riesen erzählen, der am Ufer eines grossen Sees einer Gruppe Huronen über den Weg gelaufen war. Einer der Huronen verwundete den Riesen, der seinen Gruss nicht höflich erwidert hatte, an der Stirn. Als Strafe säte der Riese die Saat der Zwietracht unter die Huronen. Wenn die Huronen aber jetzt die Waffen sprechen lassen, dann werden viele von ihnen in die Ewigen Jagdgründe eingehen. Niemand kann wissen, ob der Grosse Geist die Menschenopfer will oder nicht. Aber erst wenn im Frühling die Büffel und das Wild ausbleiben und Hunger und Seuchen in den Zelten der Mohawk und Huronen einziehen, dann werden sie den Zorn der Geister spüren. Crossbow Joe spricht wahr, wenn er uns warnt, das Blut der roten Stämme sinnlos zu vergiessen. Ich habe meine Brüder in die Wälder im Süden geführt. Am Paint Creek floss viel Blut der Mohawk und der Shawnee. Hier am Genesee River soll nur noch das Leben eines einzigen roten Mannes fliessen. Dann wollen wir das Kriegsbeil begraben. Ich fordere Röhrender Hirsch auf zum Zweikampf mit dem Tomahawk und der Lanze. Der Grosse Geist wird entscheiden, wer als Sieger den Platz verlässt. Ich habe gesprochen, howgh!“
A stand,
ls am anderen Morgen die Sonne über den Baumwipfeln bereitete
sich
der
Mohawk
im
Langhaus
auf
den
bevorstehenden Zweikampf vor. Er zog sein Hirschlederhemd und die Leggings aus und rieb seinen Körper mit Bärenfett ein. Nachdem er einen Vogelbalg in seinem Haarschopf befestigt hatte, nahm er Streitaxt und Lanze an sich und verliess die Hütte. Auf dem freien Platz vor dem Langhaus wartete bereits der schwarze Mustang. Der Irokese sprang auf seinen Rücken. Fast alle Krieger hatten sich versammelt. Als Röhrender Hirsch auf dem Platz erschien, ertönte das markdurchdringende wiiiiii – der Kriegsschrei der Huronen! Der stämmige Häuptling der Huronen schwang sich auf den Rücken eines hellbraunen Schecken. Mit grimmiger Miene heftete er den Blick auf seinen Gegner. Ich hatte vergebens versucht, den jungen Mohawk von dem lebensgefährlichen Vorhaben abzubringen. Ich hatte Angst, dass er getötet würde. Er besass noch nicht die Erfahrung wie der Hurone. Ich hatte den Mohawk ins Herz geschlossen. Er war aber fest entschlossen, den Frieden zu erkämpfen. „Nimm dich vor dem Huronen in acht, mein Bruder“, warnte ich ihn. „Er besitzt grössere Muskelkraft als du.“ „Es kommt auf die Kraft des Geistes und auf die Geduld an, Crossbow Joe“, versuchte er mich zu beruhigen. Von dem letzteren schien der Hurone nicht viel zu haben. Kaum sass er nämlich auf seinem Pferd, jagte er schon auf uns zu. Wenige Schritte vor dem Mohawk riss er seinen Schecken herum und warf ihm einen wilden und verächtlichen Blick zu. Unwillkürlich hatte der Irokese seinen Speer hochgerissen, ihn aber wieder sinken lassen, als er die Absicht des Huronen durchschaut hatte. „Ist der Mohawk bereit, zu sterben?“ richtete der Häuptling das Wort an den Jungen. „Röhrender Hirsch wird ihn auf den Pfad zu den Ewigen Jagdgründen schicken! Nach dem Kampf wird sein Skalp an meinem Stab hängen!“ Es gab kaum ein eindruckvolleres Bild als diesen kraftstrotzenden Naturburschen. Das Herz des Irokesen musste wohl ein paar Augenblicke mächtig geklopft haben, bis er dem Huronen eine Antwort geben konnte: „Ich fürchte den Tod nicht! Doch sage mir, was geschieht, wenn ich dich töte?“ „Wenn Röhrender Hirsch stirbt, dann sollen die Mohawk und das Bleichgesicht bekommen, was sie fordern. Die Huronen werden dann in ihre Jagdgründe zurückkehren.“ „Ihr habt es gehört, Huronen, was Röhrender Hirsch gesagt hat! Ihr werdet sein Wort nicht brechen!“
„Der Mohawk hat ein mutiges Herz!“ rief der Hurone seinem Gegner zu. „Der Kampf mag beginnen!“ Als dumpfe Trommelschläge durch das Dorf hallten, nahm das Schauspiel seinen Lauf. Röhrender Hirsch trieb sein Pferd an. Er galoppierte, die Streitaxt schwingend, im Kreis um den Irokesen herum. Dieser drehte sich mit seinem Rappen um die eigene Achse, wobei er sein Pferd nur durch Schenkeldruck führte. Dabei hielt er seinen Speer und die Axt hoch und richtete das Auge scharf auf den Gegner. Mit einem gellenden Schrei riss der Hurone seinen Schecken plötzlich herum und jagte mit erhobener Lanze auf den Mohawk zu. Mit voller Wucht schleuderte er seine gefährliche Waffe gegen den irokesischen Jungen, der sich geistesgegenwärtig duckte. Wirkungslos bohrte sich der Speer hinter ihm in den Boden. Im vollen Galopp beugte sich Röhrender Hirsch von seinem Pferd nieder, preschte an dem Mohawk vorbei, und nahm dabei seine Lanze wieder auf. Talmach erzählte mir später, dass ihm in diesem Augenblick schlagartig bewusst wurde, dass er es hier mit einem sehr gefährlichen Gegner zu tun hatte. Trug er sich anfänglich noch mit dem Gedanken, den Huronen zu schonen, musste er sich nun eingestehen, dass er zu seinem Selbstschutz dem Häuptling keinen Pardon geben durfte. Der Hurone war nun wieder im Besitze seiner Waffen. Er machte Miene, zu einem neuen Angriff überzugehen. Wie ein wilder Stier jagte er im gestreckten Galopp heran. Als die Kämpfenden zusammentrafen, versetzte Röhrender Hirsch dem Pferd meines indianischen Freundes einen mächtigen Stoss. Das Tier kam zu Fall und begrub seinen Reiter unter sich. Das Herz blieb mir stehen. Mein Puma begann zu fauchen. Mit dem markdurchdringenden wiiiiii, dem Kriegsschrei der Huronen, sprang Röhrender Hirsch vom Schecken und stürzte sich auf den Mohawk. Mit Aufbietung der letzten Kraft gelang es diesem, sich von seinem Pferd zu befreien. Der Hurone holte mit seiner Streitaxt zum tödlichen Streich aus. Durch eine blitzschnelle Bewegung zur Seite konnte der Irokese dem Hieb ausweichen. Die Streitaxt zersplitterte durch die Wucht des Aufpralls auf einem Stein. Zähneknirschend zog Röhrender Hirsch sein Messer und stürzte sich auf den Jungen. Ein verbissenes Ringen begann, wobei sie sich mit den Armen umklammerten, um sich gegenseitig am Gebrauch ihrer Messer zu hindern. Die Lage des Mohawk war nicht die beste. Der huronische Hüne war ihm an Kraft überlegen. Es gelang dem Häuptling, seine glatte geölte Hand mit dem Messer loszureissen. Sich aufrichtend,
holte er zum Stoss gegen die Brust des Irokesen aus. In diesem Augenblick raffte sich das gestürzte Pferd wieder auf. Es stand ängstlich schnaubend und wiehernd auf seine Hinterbeine. Dabei streifte ein Huf des Tieres die Hand des Huronen. Dieser verlor seinen Halt und flog zur Erde. Ehe er Zeit fand, sich aufzurichten, kniete Talmach auf ihm und setzte ihm die Klinge des Messers auf die Brust. „Du bist besiegt, Röhrender Hirsch!“ rief er. „Ich schenke dir aber das Leben!“ Mit Bestürzung hatten die Huronen den für ihren Häuptling unrühmlichen Ausgang des Kampfes verfolgt. Talmach richtete sich auf. Er trat zu seinem Tier, das er beruhigte. Dann schritt er zu uns herüber. Mit Jubel empfingen wir ihn.
Der alte Krieger Pachtuwa-Chte ist Arikara-Indianer. Sein Stamm gehört zu der im Süden ansässigen Völkerschaft der Caddo. Die Arikara waren in früherer Zeit weit nach Norden gezogen, so dass sie nun in der Nähe der Mandan wohnen.
19. Kapitel
German Tavern
D
ie Huronen hielten ihr Wort. Wir konnten ungehindert aus
dem Seneca-Dorf abrücken. Mit mürrischen Mienen beobachteten sie unseren Abzug. Talmach und ich ritten an der Spitze des Zuges. Späher der Mohawk berichteten uns später, dass die Huronen sich in die Waldgebiete nördlich des Ontariosees zurückgezogen hatten. Sie sollten uns nicht mehr ins Gehege kommen. Wir nahmen die Fährte der Tories wieder auf. Diese führte uns dem Genesee River entlang in die feierliche Dunkelheit des jungfräulichen Waldes hinein. Ein Meer von bunten Blättern entfaltete sich vor uns. Ich hatte ein erhebendes Gefühl. Zur Zeit unserer Geschichte war der ganze amerikanische Subkontinent nach Westen hin bis zum Mississippi, nach Osten hin bis zu den besiedelten Gebieten an der Atlantikküste und nach Norden hin bis zu den Tundren ein einziger riesiger Wald. Mächtige Fichten, Tannen und Hemlockstannen bedeckten die Höhen des nördlichen New England und die höchsten Gipfel bis nach Tennessee. Von New Jersey und Pennsylvania bis ins nördliche Virginia gediehen Eichen und Kastanienbäume. Kiefern und Eichen herrschten in den Wäldern des Südens vor. An manchen Stellen bildete das Unterholz ein solches Dickicht, dass ein Mensch schon aus kurzer Distanz nicht mehr auszumachen war. Nur wenige Singvögel lebten in diesen dunklen Tiefen des Waldes, so dass eine festliche Stille herrschte. Unumschränkte Herren dieser Gebiete waren die Waldindianer, aufgeteilt in die vielen Stämme. Nur ein paar Handvoll Weisse, Backwoodsmen, Waldläufer, Trapper, amerikanische Kolonisten und Soldaten, waren bisher in die Wildnis eingedrungen. An einigen Orten erzählten die Überreste verlassener Siedlungen, die morschen Palisaden eines Forts oder einige gebleichte Knochen von diesen ersten Wegbereitern. Doch die Invasion des amerikanischen Westens sollte nicht mehr lange auf sich warten. Die Geschichte weiss zu berichten, dass in den Dezennien vor dem Unabhängigkeitskrieg alljährlich die Auswanderer zu Tausenden den Atlantik überquerten. Bis zum Jahr 1770 hatten mehr als 400 000 Amerika erreicht. Als kein gutes Land mehr verfügbar war, schwappte diese Flut nach Pennsylvania über und drang in die Waldgebiete ein. Dann wandte sich der Menschenstrom nach New England im Norden und südlich den
Appalachen-Graben hinunter, bis er die Vorberge und die bewaldeten Täler der Carolinas erreichte; schliesslich bewegte er sich abermals nach Westen und Norden und begann die Eroberung der Wildnis jenseits der den Osten begrenzenden Gebirgskette. Als wir den Ontariosee erreichten, war aber noch nichts von der bevorstehenden Invasion zu sehen. Wir hatten vor zwei Tagen die Mündung des Genesee River verlassen. Die Hufe der Pferde zeichneten nun ihre Spur in den fruchtbaren Erdboden der Seelandschaft. Mächtige Fichten säumten unseren Weg. Vertraute Tannen drängten an den Ontario heran. Als wir durch einen Eichenwald ritten, gesellte sich Talmach zu mir. „In zwei Tagen erreichen wir Fort Oswego“, sagte der Mohawk. „Rotröcke leben dort. Die Tories reiten vermutlich zu ihnen.“ „Wird mein Bruder mich in das Fort begleiten?“ fragte ich ihn. „Das Fort liegt im Gebiet der Onondaga. Sie sind Irokesen wie wir. Viele von ihnen haben dort ihre Wigwams aufgestellt. Sie treiben mit den Rotröcken Handel. Es wird also nicht auffallen, wenn ich mit meinem Bruder ins Fort gehe.“ „Warum haben sich die Irokesen eigentlich mit den Briten verbündet?“ „Die Franzosenmänner und die Rotrökke waren die ersten, die in die Jagdgründe der Irokesen kamen. Die Soldaten von König Georg behaupteten sich gegen die Franzosenmänner. Die Seneca, die Cayuga, die Onondaga und die Oneida trieben Handel mit den Rotröcken in Dutchman's Point, in Point-au-Fer, in Oswegatchie, in Niagara und in Oswego. Mein Stamm lebte damals im Mohawk-Tal, in der Nähe von German Flats. Viele Irokesen zogen mit den Rotröcken auch in den Kampf gegen die Langen Messer. Als die amerikanischen Staaten im Süden den Krieg gegen die Rotröcke gewonnen hatten, mussten wir aus dem Land unserer Väter wegziehen. Die Mohawk gingen nach Canada, an den Grand River.“ Tatsächlich begann nach dem Unabhängigkeitskrieg eine unmenschliche Unterwerfung und Vertreibung der Waldstämme, die ihresgleichen in der Geschichte sucht. Die Mohawk, Onondaga, Cayuga und Seneca, die England im Krieg unterstützt hatten, wechselten in Massen nach Canada über.
W
ir erreichten Fort Oswego. Es lag auf der Westseite des
Oswego River. Unmittelbar unter dem Fort befanden sich einige Blockhäuser. Diese waren am Flussufer hin errichtet worden, um die Vorräte aufzunehmen und aufzubewahren, welche an Land gebracht oder eingeschifft wurden. Wir ritten auf diesen kleinen Umschlagplatz. Zwischen Pferden, aufgestapelten Kisten, Proviantsäcken, Fässern und Ballen machten sich Weisse und Rote zu schaffen. Unter diesen fiel mir ein Mann mit einer schwarzen Augenklappe auf. Ich erkannte ihn sofort. Es war Frank Porter, der Büffeljäger! Er stand neben einem der Schuppen und unterhielt sich mit einem Seemann. Ich machte meine indianischen Freunde auf den Tory aufmerksam. Er schien uns nicht gesehen zu haben. In diesem Augenblick bog er um die Ecke des Schuppens. Talmach und ich folgten dem Büffeljäger. Er schritt dem Ufer entlang und verschwand schliesslich in einer grossen Blockhütte. Auf dem Schild über dem Eingang las ich German Tavern. An der zum Uferweg offenen Vorderseite der Schenke liefen Bänke und Tische entlang, an denen sich einige Seeleute niedergelassen hatten. Die Gäste beachteten uns nicht. Wir suchten uns einen Platz in der Nähe des Hauseingangs. Frank Porter hatte uns offensichtlich nicht gesehen. Kein einziges Mal hatte er sich umgeschaut. Wo waren aber die andern? Befanden sie sich in der Schenke? Als der Wirt ins Haus getrottet war, standen wir auf und gingen ihm hinterher. Vom Flur aus führte eine Türe in die Gaststube. Diese stand offen. Wir konnten einen kleinen, niedrigen Raum gut übersehen. Niemand befand sich darin. Wir schritten weiter durch den Flur. Er führte in einen parkartigen Innenhof. Vorsichtig hielten wir Ausschau nach Porter und dem Wirt. Sie waren wie vom Erdboden verschluckt. Wir traten in den Hof. Dicht an der Hüttenwand stand ein Gebüsch. Wir schlüpften hinein. Es verbarg uns vollkommen. Kaum hatten wir unsere Plätze eingenommen, hörten wir Schritte. Der Wirt kam hinter einem Baum hervor und schritt, ohne uns zu bemerken, mit einem Krug am Gebüsch vorüber. Dann verschwand er im Hausflur. Wir arbeiteten uns aus dem Strauchwerk und gingen zu dem Baum hinüber. Dahinter lagen einige Bretter auf dem Boden. Darunter vernahmen wir gedämpfte Stimmen. Wir kauerten uns
nieder und schoben die Bretter etwas auseinander. Wir konnten durch einen Spalt hindurch blicken. Eine steile Treppe führte in ein Kellergewölbe hinunter. Mehrere Kienspäne, die an den Mauern entlang angebracht waren, beleuchteten den unterirdischen Raum. Im hinteren Teil des Gewölbes erblickten wir einige Weinfässer. Direkt unter uns sassen an einem Tisch – Frank Porter und John Stanton, die zwei Büffeljäger, sowie Abner Rowlandson und George Benton, die vermeintlichen Landvermesser! Wir hatten hier offenbar ihren geheimen Versammlungsort entdeckt. Deutlich hörten wir die Stimme von Stanton: „So sind wir uns also einig. Wir gehen heute Nacht an Bord des Kutters und segeln nach Canada hinüber. Hast du mit dem Skipper nochmals gesprochen, Frank?“ „Ja. Der Kutter ist seeklar. Der Käpt'n will sich die Tide und den Nachtwind zunutze machen.“ „Wir müssen vorsichtig sein“, meldete sich auch Rowlandson zu Wort. „Niemand darf etwas von unserem Vorhaben erfahren.“ „Können wir dem Skipper trauen?“ fragte Benton. „Der Mann ist Hannoveraner. Er ist unbedingt königstreu. Der englische König kommt schliesslich auch aus dem Hannoverschen. Doch es schadet nichts, wenn wir ihm auf die Finger schauen. George, gehe hinauf und bestelle etwas zum Futtern! Wein haben wir ja genug hier unten.“ Wir zogen uns von unserem Horchposten zurück. Durch den Hausflur eilten wir aus der Schenke. Dabei stiessen wir mit einem flachsköpfigen Knaben zusammen, dem vor Schreck die rote Mütze von Lobo aus der Hand fiel!
Zwei Assiniboin-Krieger stehen vor ihrem Lager Wache.
20. Kapitel
In der Höhle des Löwen
T
almach und ich hatten uns am gleichen Abend Zugang ins
Fort am Oswego verschafft. Unbemerkt schlichen wir in eine Blockhütte, wo Vorräte gelagert waren. Dieser Schuppen hatte eine gemeinsame Wand mit der Kaserne. Blockhütte und Kaserne unterbrachen den äusseren Wall des Forts, deren Holzstämme bildeten die Befestigung anstelle der Palisaden; die Schiessscharten an den beiden Häusern ersetzten die Brustwehr des Wehrgangs. Wir verweilten so lange in der Blockhütte, bis wir die Stunde für gekommen hielten. Dann zupften wir an unseren prächtigen Uniformen des Royal Regiment of Fusiliers und rückten die eleganten Kopfbedeckungen zurecht, welche uns OnondagaIndianer besorgt hatten. Auf den ersten Blick waren wir wohl nicht von den britischen Infanteristen zu unterscheiden. Der Mohawk in Uniform! Wir blickten einander an und – mussten lachen. Gespannt spähten wir noch eine Weile durch ein Loch des grossen Tores. Wir sahen weder etwas Aussergewöhnliches, noch hörten wir jemanden. Also öffneten wir die Pforte. Mächtige Bäume warfen ihre Schatten auf den Rundplatz vor der Hütte. Wir huschten zu einer steilen Treppe hinüber, die an der äusseren Wand des Schuppens auf eine grobe Holzgalerie führte. Wir stiegen diese Treppe hinauf. Es war höchste Zeit! Über den mondhellen Hof sahen wir nämlich zwei Schildwachen heranschreiten. Die Rotröcke schlurften nebeneinander um den runden Platz, ohne ein Wort miteinander zu sprechen, zwei- oder dreimal, bis sie plötzlich vor dem Tor anhielten. „Bei den Vorräten muss sich jemand zu schaffen gemacht haben. Vorher war das Tor geschlossen“, sagte einer der Soldaten. „Lass uns nachschauen!“ Die Schildwachen verschwanden hinter der knarrenden Pforte. Nach kurzer Zeit sahen wir die Rotröcke wieder ins Freie kommen. Sie setzten ihren Kontrollgang in Richtung der Kaserne fort. Uns fiel ein Stein vom Herzen. Die Gefahr war vorbei! Nun stiegen wir von der Galerie über eine Sprossenleiter und durch eine Bodenluke auf den Dachboden. Wir tasteten uns in gebückter Haltung bis zum Ende des Dachgeschosses vor. Eine Bretterwand versperrte uns dann aber den Weg. Wir rissen zwei Bretter aus der Wand. Und tatsächlich! Dahinter lag ein Raum der Kaserne. Wir schlüpften
durch die Öffnung und verschlossen diese hinter uns wieder. Nun befanden wir uns in einem engen Vorraum. Eine Nebentreppe führte an einigen Zimmertüren vorbei ins untere Stockwerk und in die Kellerräume. Eine Schrecksekunde hatten wir allerdings, als uns auf der Treppe ein Rotrock begegnete. Er liess sich aber von unseren Uniformen täuschen. Die Kaserne war auf einem felsigen Grund errichtet. In den Felsengrund hatten die Erbauer zahlreiche Kammern ausgebrochen und sie durch Gänge miteinander verbunden. Wir befanden uns nun in einem dieser düsteren Stollen. Die Luft in dem niedrigen Gang war dick und modrig. Wir brannten einen Kienspan an und schritten langsam weiter durch den Flur, der in den Felsen lief. Eine Holztür versperrte uns plötzlich den Weg. Wir entfernten einen schweren, eisernen Riegel und öffneten die Pforte. Wir traten nun in einen zweiten Gang, der zum ersten einen rechten Winkel bildete. In diesem Querstollen machten wir Halt. Wir hörten Stimmen. Wir löschten die Fackel. Mit tastenden Händen ging es durch den Gang weiter, der leicht aufwärts führte. Wir fühlten, dass an Stelle der Felswände Steinmauern traten. Bald sahen wir am Ende des Flurs ein kalkiges Licht. Es schimmerte durch ein tiefes, viereckiges Loch in der Mauer. Wir schlichen an diese Öffnung heran. Öllampen beleuchteten ein grösseres Gewölbe, in dem zwei Rotröcke sassen. In dem Augenblick, als wir durch das Loch spähten, stand einer von ihnen auf, ergriff seine Brown Bess und stieg eine Treppe hinauf, die ins Freie führen musste. Kurze Zeit danach erhob sich auch der andere Rotrock und entriegelte eine der Zellentüren. Mit einer Lampe leuchtete er ins Innere. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass in dem Kerker alles in Ordnung war, legte er den Riegel wieder vor. Die gleiche Kontrolle machte er auch in der zweiten und dritten Zelle. Der Wärter wollte gerade die letzte Tür abschliessen, als wir die Stimme von Kentucke Tom hörten: „Bring uns Wasser, mir klebt die Zunge am Gaumen, das kannst du einem alten Schwadroneur glauben!“ Der Rotrock ging brummend weg und holte einen Krug, ohne die Türe wieder zu schliessen. Ich nahm mein Messer aus der Scheide und wickelte es in ein Stück Stoff. Als der Wärter mir den Rücken zukehrte, warf ich die Waffe durch die offene Pforte in den Kerker. Das Messer war ins Stroh gefallen, ohne ein Geräusch zu verursachen, direkt vor die Füsse des kleinen Iren. Dieser wusste sofort Bescheid. Unauffällig hob er das Messer auf.
Ahnungslos trat der Soldat wieder an die Tür. Er liess den Wasserkrug mit einem Seil ins Innere der Zelle hinunter. „Wo ist Sturdy Jack? Warum habt ihr ihn abgeholt? Was habt ihr mit dem Jungen gemacht?“ lenkte Kentucke Tom den Wärter ab. Dieser richtete sich auf. Darauf hatte der Mohawk gewartet. Blitzschnell kam er aus dem Versteck hervor. Mit dem Pistolengriff versetzte er dem Rotrock einen Schlag auf den Kopf. Mit einem leisen Röcheln sackte dieser am Einstieg zusammen. Ich hatte unterdessen das Seil, an dem der Krug hing, an einer Türangel festgemacht. Kentucke Tom, Old General und Rotkäppchen kletterten herauf. „Wir müssen vorsichtig sein! Der andere Wärter ist über die Treppe nach draussen gegangen“, warnte ich. „Er kann jeden Augenblick zurückkehren! Wir müssen ihn unschädlich machen!“ „Wir werden den Rotrock in eine Falle locken“, sagte der Irokese. Wir verriegelten die Zellenpforte. Dann trugen wir den Bewusstlosen an den Tisch und setzten ihn auf einen Stuhl. Dabei gaben wir ihm eine solche Natürlichkeit in der Stellung, dass man glauben konnte, er sei vor Müdigkeit auf seinen verschränkten Armen eingeschlafen. Wir waren mit unserem makabren Tun gerade fertig geworden und hatten uns hinter dem Mauerloch verborgen, als der zweite Wärter die Treppe herunterkam. „Draussen ist alles ruhig“, sagte er zu seinem besinnungslosen Kameraden, nachdem er beim Eintreten offenbar der Täuschung zum Opfer gefallen war. Der Soldat stellte seine Brown Bess wieder an den alten Platz an der Mauer und setzte sich sorglos zu dem Bewusstlosen an den Tisch. In seiner schroffen Art versuchte er, den vermeintlichen Schläfer zu wecken: „William, wach auf, wir müssen noch die Gefangenen kontrollieren!“ In diesem Augenblick trat ich von unserem Versteck an den Tisch. Der Rotrock schien durch die Uniform irritiert zu sein. Auf jeden Fall löste mein plötzliches Erscheinen Verwunderung bei ihm aus. „Wo kommst denn du her?“ fragte er. „Von da hinten“, sagte ich und deutete mit dem Daumen über meine Schulter. „Ja, das sehe ich!“ Ich wies nun auf den scheinbar schlafenden Soldaten. „Was ist mit deinem Kameraden denn los?“
Die List gelang. Der Rotrock wandte sich ab, und im gleichen Augenblick schien er den Braten zu riechen. „Devil, wer bist du – –“ Er konnte nicht weitersprechen. Ich war auf ihn zugesprungen und schlug ihm ebenfalls mit voller Wucht den Pistolengriff über den Schädel. Lautlos brach er zusammen. In aller Eile fesselten und knebelten wir dann die beiden Bewusstlosen. Wir schleiften sie zum Kerkereinstieg und liessen sie am Seil in die Zelle hinunter. „Lasst uns die anderen Löcher auch untersuchen“, sagte Kentucke Tom. „Hinter diesen Türen müssen noch Leute eingesperrt sein. Ich habe ihre Stimmen gehört.“ Wir öffneten die anderen Zellen und befreiten tatsächlich zwanzig französische Seeleute. Sie stammten von einem Segler, den die Briten vor der Küste geentert hatten. Jetzt entdeckte ich die Old Mill Rifle von Hans Amrein. Sie lag zusammen mit den Büchsen der beiden Trapper und der Muskete von Lobo hinter dem Tisch. Wir nahmen die Waffen an uns und verliessen den unliebsamen Ort. Der Mohawk war an der Spitze des Zuges durch das Mauerloch gekrochen. Nacheinander verliessen wir den unterirdischen Gang. Als der Mestize die Treppe hinaufsteigen wollte, über die wir in die Kellerräume gelangt waren, hielt ihn Kentucke Tom zurück. „Geht ihr nur voraus! Ich werde mich mit Crossbow Joe hier noch etwas umsehen. Wir werden euch wieder einholen“, sagte er und klopfte dem Gefährten freundschaftlich auf die Schulter. Wir warteten ein Weile im Gang, bis wir die Gewissheit hatten, dass die Flucht noch nicht entdeckt worden war. Dann schlichen wir ebenfalls die Treppe hinauf ins Erdgeschoss. Im Hausflur und auch am Hauptportal waren keine Schildwachen zu sehen. Rechts und links lagen zwei Stuben. Sie waren zur Aufnahme der Wachmannschaften bestimmt. Ein drittes Zimmer war mit Captain beschriftet. „Ich möchte mal schauen, was hinter der Türe ist“, sagte der kleine Ire. Mit einem brennenden Kienspan in der Hand trat er in die Kammer. Ich folgte ihm. Ein lautes Schnarchen drang an unser Ohr. Dem Eingang gegenüber sah ich an die Wand gerückt eine primitive Liegestatt. Auf dieser Pritsche lag eine Gestalt. Als der helle Fackelschein das Gesicht beleuchtete, erkannten wir – Moorsom! Er erwachte. „Was fällt euch ein! Wie dürft ihr es wagen, auf diese Weise hier einzudringen!“ krächzte er.
Er wähnte wohl zwei Wärter vor sich, weil ihn das Feuer des Kienspans blendete. „Good evening, Sir! Wir möchten uns vor der Abreise für die Gastfreundschaft bedanken“, sagte Kentucke Tom, dem der Dicke besonders übel mitgespielt hatte. Obwohl die Fackel nur ein schwaches Licht in der Stube verbreitete, konnten wir erkennen, wie der Captain aschfahl wurde und sein Blick eingeschüchtert hin und her irrte. Seine Züge nahmen den Ausdruck des starren Entsetzens an. Stammelnd brachte er hervor: „Ihr – Ihr – was macht Ihr hier?“ Er wollte schreien. Aber die Kehle war ihm wie zugeschnürt. Die nackte Angst hatte ihn gepackt. Mein Gefährte stürzte zur Bettstatt hinüber und legte dem Dicken seine kräftigen Hände um den Hals. Der Überrumpelte strampelte wie ein Käfer mit den Armen und Beinen und schnappte mit weitgeöffnetem Mund nach Luft. Allmählich liessen die Kräfte des dicken Briten aber nach. Nach einem letzten Aufbäumen verlor er die Besinnung. Nun fesselten wir ihn. Einen Lederriemen benutzten wir dabei als Knebel. Dann knüpfte der Trapper eine Schlinge in das eine Ende jenes Seils, das er vom Kerker mitgenommen hatte, warf das andere Ende über einen Balken und zog damit den Leuteschinder an den Füssen bis an die Decke. Mit dem Kopf nach unten, baumelte er wie ein Wäschestück, das man zum Trocknen aufgehängt hatte, in der Mitte der Kammer. Wegen seiner ungewöhnlichen Lage kam der Brite wieder zur Besinnung und öffnete die Augen. „Wie fühlt Ihr Euch, Sir?“ verhöhnte Kentucke Tom den Dicken. „Ihr habt uns vor einigen Tagen einen guten Aufenthalt in Eurem Loch gewünscht. Den wünsche ich Euch nun auch hier an der Decke!“ Moorsom schnaufte wie ein wildes Tier und bäumte sich gegen seine Fesseln auf. Durch die Bewegungen begann er sich wie ein Kreisel zu drehen. „Good-by!“ sagte der kleine Ire. Wir wandten uns zum Gehen. Über die Treppe gelangten wir ins Obergeschoss der Kaserne und von da zu der Öffnung in der Bretterwand. Hier erwarteten uns die andern. Wir stiegen vom Dachboden auf die Galerie des Vorratsschuppens hinunter. Der Holzbalkon bildete die Fortsetzung des Wehrgangs am Palisadenzaun. Dort ging eine Schildwache auf und ab. Der Mohawk schlich zu der Palisade hinüber und machte den Rotrock
unschädlich. Nun war der Weg frei! Auf dem Wehrgang fanden wir eine Leiter, die uns heil auf den Erdboden ausserhalb der Befestigung brachte. Gegen Süden lag der Wald. Er war von den Palisaden des Forts durch einen Gürtel freien Feldes getrennt. Doch die Dunkelheit gab uns Schutz. Am Waldrand erwarteten uns bereits die MohawkKrieger. Sie führten uns zu dem Damm hinüber, der sich vor dem Oswego erhob. Ein schmaler Pfad führte den Damm hinauf. Mit einiger Mühe langten wir oben an. Der Abstieg auf der steileren östlichen Seite zum Fluss hinunter gestaltete sich in der Dunkelheit etwas schwieriger. Die Irokesen führten uns. Sie hatten sich den Weg über den Damm noch am Tage eingeprägt. Die Dickung schien beinahe undurchdringlich zu sein. Wir zerkratzten uns Gesichter und Hände. Zum Glück gab es beim Abstieg eine Hangquelle, der wir folgen konnten. Das Wasser reichte uns nur bis zu den Knöcheln. Langsam wateten wir weiter. Nach wenigen Schritten tat sich eine Lücke im Gestrüpp vor uns auf. Unter uns sahen wir die Sterne im Wasser des Oswego schimmern. Das Wasser stürzte hier über eine Abrissnische. Ein schmaler Felsvorsprung führte neben der Kaskade zu einem Wandzacken. Der Sturzbach hatte den Fels gefährlich glitschig gemacht. Wir setzten einen Fuss vor den anderen. Unter uns gähnte die Finsternis. Doch unsere Flucht war gut vorbereitet. Die Mohawk hatten an dem Wandzacken ein Seil befestigt. Daran konnten wir uns hinunterlassen. Als wir endlich am Ufer des Flusses standen, hörten wir in der Ferne Kanonenschüsse. Die Briten mussten unsere Flucht aus dem Fort entdeckt haben!
Zehn Meilen vom Assiniboin-Lager entfernt, oberhalb einer flachen Schlucht, steht ein merkwürdiges Gebilde, von weitem einem Urwelttier ähnlich und beim Näherkommen nicht weniger unheimlich: Auf übereinandergetürmten Felsblöcken erhebt sich ein gewaltiger Bisonschädel. Mit diesem Zaubermal wenden die Assiniboin bei der Bisonjagd eine raffinierte Taktik an. Sie umstellen eine Talenge mit aus Steinen gebildeten Scheuchen, vor denen die gejagte Bisonherde zurückscheut und in die Enge rennt, wo die Schützen verborgen liegen.
21. Kapitel
Auf dem Ontario
D
er Gedanke, dass die Tories den Hans Amrein vor unseren
Augen verschleppt hatten, bedrückte mich sehr. Ich machte mir die grössten Sorgen um ihn. Um meinen Kummer noch vollständig zu machen, kamen die Mohawk mit der Nachricht, dass am Abend einer der Kutter den Anker gelichtet hatte. Wir wussten sofort Bescheid: Hans befand sich mit den Tories an Bord! Meine Freunde fühlten mit mir. Wir befürchteten, Sturdy Jack nie wieder zu sehen. Der Augenblick nahm unsere ganze Kraft in Anspruch. Wir mussten weg von hier! Die französischen Seeleute, die wir aus dem Fort 28 befreit hatten, brachten uns auf eine Idee. Ihr Schiff, ein Lugger , lag am anderen Ufer des Oswego. Wenn es uns gelänge, dieses Schiff zu entern, könnten wir damit den Ontario überqueren! Wir kannten das Ziel der Tories: Sie wollten zum Grand River! Wir mussten ihnen zuvorkommen! Viel stand auf dem Spiel! Wie die Wölfe, die eine Beute gewittert hatten, starrten wir zu dem Lugger hinüber. An Deck brannte ein Licht. Sein Schein spiegelte sich im schwarzen Wasser. Mitternacht musste vorbei sein. Der Grosse Wagen stand am Himmel. Der Mond war durch eine Wolke verdeckt. „Wir werden Sturdy Jack aus den Händen dieser Schurken befreien“, sagte Kentucke Tom. „Dazu müssen wir dieses Schiff dort drüben entern! Es darf nichts schief gehen! Und dann den Oswego hinunter auf den Ontario hinaus! Und wehe den Tories! Ich werde sie stückweise den Haifischen zum Frass vorwerfen, das könnt ihr einem alten Schwadroneur glauben!“ „Welche Haifische?“ fragte Lobo. „Es geben in Süsswasser keine Haifische!“ „Was weisst du schon von Haifischen, Rotkäppchen! Wenn man die Schurken lange genug ins Wasser taucht, dann wird sich auch ein Haifisch finden lassen, der ein Stück abbeissen möchte!“ „Aber Haifische leben in grosses Meer. Ontariosee sein kein Meer“, liess der Neger nicht locker. „Auch wenn der Ontario nicht mit dem Atlantik zu vergleichen ist, so ist er dennoch nicht von schlechten Eltern! Es soll hier schon Stürme gegeben haben, die konnten es glatt mit den 28
Küstensegler
Atlantikstürmen aufnehmen, das kannst du einem alten Schwadroneur glauben.“ Rotkäppchen wollte etwas erwidern, doch Talmach bedeutete uns, in die drei Ruderboote zu steigen, welche am Ufer lagen. Die Irokesen hatten sie beigebracht. Wir nahmen auf den schwankenden Brettern unsere Sitze ein. Mein Puma sprang ebenfalls zu uns ins Boot. Talmach stiess vom Ufer ab. Wir winkten den Irokosen, die zurückgeblieben waren. Sie sollten mit den Pferden auf dem Landweg zum Grand River zurückkehren. Still glitten wir mit den Kanus über den Oswego. Auf dem Wasserspiegel zeichnete sich die Silhouette des französischen Küstenseglers ab. Durch eines der Kajütenfenster schimmerte Licht. Auf dem Verdeck hörten wir Stimmen. Niemand schien uns zu 29 hören, obwohl die Riemen in den Ruderklampen knirschten und das Wasser mit einem plätschernden Geräusch von den Riemenblättern ablief. Je näher wir dem Lugger kamen, desto mulmiger wurde mir. Auch Peppy, der neben mir auf dem Boden des Bootes kauerte, fühlte sich nicht wohl in seiner Haut. Er begann zu knurren. 30 Über die Schanzverkleidung der Temeraire hingen die Taue des 31 Seefallreeps herunter. Der Schein einer Bordlaterne fiel auf das schwach phosphoreszierende Wasser und unsere Boote. „Schnell das Fallreep hinauf!“ flüsterte einer der Franzosen uns zu. Im nächsten Augenblick kletterten die Männer die Leiter hinauf, die aus zwei durch hölzerne Stufen verbundenen Tauen bestand. Ich blieb mit Peppy bei den Booten, die ich am Fallreep vertäute. Angstvoll blickte ich den Gefährten nach. Ihre Gestalten zeichneten sich vor dem sternenhellen Himmel ab. Dann hörte ich den dumpfen Klang ihrer Schuhe und Stiefel auf dem Deck über mir. Was sich dann an Bord abspielte, konnte ich nur erahnen. Ich hörte einige Flüche, dass Klirren von Stahl und einen Schuss. Dann wurde es wieder still. Kentucke Tom beugte sich über das Schanzkleid. „Komm herauf, Crossbow Joe!“ rief er. „Das Schiff gehört uns!“ „Ich kann Peppy nicht allein hier im Boot lassen“, antwortete ich.
29 30 31
Am Ende abgeflachte, zum Rudern (Pullen) benutzte Stange, die der Laie „Ruder“ nennt. Die Waghalsige Treppe, die man an einem Schiff vor Anker aussenbords anbringt.
32
„Warte, ich lasse dir etwas Leinwand und ein Jolltau hinunter. 33 Damit können wir den Puma an Deck hieven .“ Obwohl die Katze der Sache keinen Gefallen abgewinnen konnte, brachten wir sie heil an Bord der Temeraire. Rasch wurde nun die 34 Prise von uns bemannt. Wir zwangen die von uns überwältigten Rotröcke zum Verlassen des Luggers. Sie legten mit unseren Booten ab. 35 Der Warpanker der Temeraire wurde nun gelichtet. Tropfend hing er über Wasser. Dann wurden die Luggersegel gehisst. Sie begannen sich im Nachtwind zu blähen. Langsam glitt der Segler auf den Oswego hinaus. Die Fahrt zur kanadischen Küste hinüber hatte begonnen.
B
ei
Tagesanbruch
war
die
Küste
an
der
Kimm
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verschwunden. Mit allen Segeln hielt die Temeraire nordwestlichen Kurs. Der Lugger erwies sich als ausgezeichneter Segler, und die Franzosen verstanden ihr Handwerk. Sie kamen aus Frontenac, einer Garnison am nordöstlichen Ausfluss des Sees. Es war am zweiten Tage auf dem Ontario, als der Wind umsprang. Er begann heftig aus Nordosten zu blasen. Die Temeraire bäumte sich unter der zusätzlich ausgesetzten Leinwand wie ein wildes Pferd auf. Hart am Wind schoss sie westwärts. Vor uns war gerade die südliche Küste aufgetaucht, als sich der Ausguck meldete: „Ahoi, Segel in Sicht!“ Ich eilte mit Lobo nach dem Bug. Tatsächlich! Vor uns waren die geblähten weissen Segel eines Kutters auszumachen. Ob es die Tories mit Hans Amrein waren? Der Wind wurde nun immer heftiger. Mächtige Böen fegten über unser Schiff hinweg. Sie bliesen uns Schaum ins Gesicht.
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Ein einfaches, durch einen festen Block führendes Tau zum Aufheissen einer Last Aufholen einer Last Aufgebrachtes Schiff Schleppanker Der sichtbare Horizont
Die Entfernung zu dem anderen Schiff verkleinerte sich zusehends. Auf dem Verdeck des Kutters waren ein paar Gestalten zu sehen. Vor allem ein Mann fiel mir auf: Ein hochgewachsener, kräftiger und bärtiger Mann mit einer Augenklappe. Er ging an der Reling auf und ab. Ich wusste sofort, wer dieser Einäugige war – Frank Porter! 37 Plötzlich krängte die Temeraire. Unserem französischen Kapitän 38 blieb keine Wahl. Er musste den Küstensegler anluven . Bevor wir wieder in den Wind kamen, wurde unser Deck von mächtigen Wellen überflutet. Wir versuchten nun, einen südwestlichen Kurs zu steuern. Doch die schwere See stemmte sich mit der ganzen Kraft dagegen. In regelmässigen Abständen verschlangen uns fürchterliche Abgründe und spuckten uns hinterher wieder aus. Der Sturm wurde nun so stark, dass wir alle Hände voll zu tun hatten, um von den Brechern nicht über Bord gespült zu werden. Dabei 39 bemerkten wir zu spät, dass in Luv der Kutter in Schussweite einen parallelen Kurs mit unserem Lugger hielt. Es krachte drüben, und eine Kanonenkugel riss ein Loch in unsere Bordwand. „Klarschiff zum Gefecht!“ brüllte unser französischer Bootsmann. 40 41 Wieselflink enterten die Toppsgasten auf und bargen in der 42 Takelage die Segel. Ich stand auf der Steuerbordseite am Schanzkleid. Neben mir luden die Franzosen einen Sechspfünder. 43 „Lafettentaljen abschlagen!“ brüllte der Bootsmann. Ich beobachtete, wie die Männer die Taue abnahmen, mit denen die Bordkanone festgemacht war. „Kanone richten!“ 44 Mit Handspaken richteten die Kanoniere das Rohr aus. „Mündungspropfen heraus!“ Sie nahmen den Verschluss aus der Mündung. „Patrone einführen!“ Die Franzosen rammten eine Pulverkartusche ins Rohr. 37 38 39 40 41
Krängen: Sich nach der Seite neigen Zum Wind hindrehen, so dass er mehr von vorn einfällt Die dem Wind zugewandte Seite Aufentern: Ersteigen eines Mastes
Topp: Ein Mast mit seiner ganzen Takelung, Gast: Matrose, Mann; nur in Zusammensetzungen gebräuchlich, wie Bootsgast, Toppsgast 42 Von achtern gesehen die rechte Seite des Schiffes 43 Lafette: Untergestell eines Geschützes, Talje: Flaschenzug aus Tauwerk und Blöcken 44 Balken, gebraucht als Richtspaken der Geschütze
„Kanone bestücken!“ Einer der Männer schob an der Mündung die Kugel ins Rohr. Ein anderer stand bereit, um sie festzurammen. 45 „Kanone ausrennen !“ Sie rollten das Geschütz vor. Die Mündung ragte jetzt durch eine Öffnung im Schanzkleid. „Zündladung klar!“ Der Geschützführer stach mit einem steifen Draht in das Zündloch am Verschlussstück durch die Flanellkartusche hindurch. Dann führte er die Zündmasse ein. „Klar bei Lunten!“ Der Kanonier legte den Luntenstock an den Verschluss. Vorsichtig blasend hielt er die Flamme am Leben. „Höhe richten!“ Die Franzosen nahmen nun den Kutter ins Visier. „Feuer!“ Sobald das Ziel klar ins Visier kam, feuerte der Geschützführer die Kanone mit der Abzugsschnur ab. Die Männer legten sich in die Taljen, um den gewaltigen Rückstoss abzufangen. „Rohr auswischen!“ Ein grosser Schwamm war an einem versteiften Tau festgemacht. 46 Die Männer tauchten ihn in eine Pütz Wasser und schoben ihn in die Mündung. Er sollte noch brennende Reste des Pulversacks löschen. Mit staunenden Augen hatte ich den Ladevorgang verfolgt. Nach dem Schuss klaffte ein grosses Loch im unteren Stagsegel des Kutters. In meiner Aufregung war ich über einen Bottich gestolpert, in dem Lunten aufbewahrt wurden. Dieser Sturz sollte mein Leben retten. Die nächste Kanonenkugel, die vom Kutter abgefeuert worden war, pfiff nämlich über mich hinweg. Unsere Kanone donnerte zum zweiten Mal los. Diesmal hatten die Männer tiefer gezielt. Das Geschoss riss ein Loch in das Schanzkleid des Kutters. Der Kanonenschuss sollte grausam gerächt werden. Ich sah, dass an Deck des britischen Schiffes einige Scharfschützen in Stellung gingen. Ich schien in diesem Augenblick der einzige zu sein, der die Gefahr erkannte. Die Briten
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Schiffsgeschütz in Schussstellung rollen Eimer
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legten auch eine Drehbasse auf unsere französische Geschützbedienung an. „Aufgepasst!“ schrie ich. Doch es war schon zu spät. Die Drehbasse donnerte los. Sie bestrich unser Deck mit der gefürchteten Traubenladung. Gleichzeitig feuerten die Scharfschützen mit den Musketen. Ein Geschosshagel überschüttete das Verdeck. Die Männer an der Kanone wurden niedergemäht und das Geschütz aus seiner Verankerung gerissen. Mit einem Krachen rollte es über Bord. Ich war zum Glück unverletzt geblieben. Der Sturm trieb ein falsches Spiel mit uns. Der Wind fiel von 48 Backbord querab ein. Die Temeraire legte sich nach Steuerbord über. Erbarmungslos nahmen uns die Briten und Tories aus einer für sie aussichtsreichen Position unter Feuer. Sie bestrichen unser Deck der Länge nach mit Kanonen- und Gewehrkugeln, 49 und Traubenladungen. Die Feinde Kartätschengeschossen verschwanden dabei in einer Rauchwolke und hinter einer Flammenwand von Mündungsfeuern. Unter dem Aufprall der Salven krängte der Lugger. Krachend stürzte einer der Pfahlmasten herab. 50 Wir wurden unter einem Gewirr von Segeln, Tauwerk, Stengen und Taljen begraben. Durch den Verlust des Mastes verlor die Temeraire an Fahrt. Der Kapitän gab nun den Befehl, Steuerbord Ruder zu legen, so dass der Lugger auf den Kutter zuhielt. Wir erhielten weitere Treffer. Eine 51 Kanonenkugel zerschmetterte einen Teil des Achterdecks . Der Küstensegler erzitterte ins seinen Verbänden. Ein ätzender Pulvernebel breitete sich aus. Nachdem sich dieser verzogen hatte, zeigte sich die zerstörerische Wirkung des Beschusses. Die Temeraire war so schwer getroffen worden, dass sie auseinanderzubrechen drohte. Mehrere französische Seeleute lagen auf dem blutverschmierten Deck. Der Mohawk und ich zogen Rotkäppchen unter der verhedderten Takelage hervor. Wir schleppten ihn unter Deck.
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Ein um einen senkrechten Zapfen schwenkbares Geschütz Von hinten gesehen die linke Seite des Schiffes Kartätsche: Mit Bleikugeln gefülltes Geschoss Verlängerungsspiere des Mastes Der hintere Teil des Oberdecks
„Macht Platz für einen Verwundeten!“ rief ich den raucherfüllten Niedergang hinunter und stiess einen Franzosen zur Seite, der mit einer Pulverkartusche nach oben wollte. Wir legten den kräftigen Neger auf eine Koje und rissen ihm die zerfetzten, rauchgeschwärzten Stoffresten vom Leib. Dann flösste ich ihm Rum ein, der ihn betäuben sollte. Geschickter als mancher Schiffsarzt entfernte der Irokese aus einer grässlichen Wunde jenen Holzsplitter, der wie ein scharfer Dolch in das Bein von Lobo gedrungen war. Oben tobte die Schlacht unterdessen weiter. Von den beiden Trappern erfuhren wir später, dass der britische Kutter in der Dünung an unseren Lugger herangetrieben war. Mörderische Kugelhagel fegten über die beiden Decks. Mit einem lauten Krachen prallten die Schiffsrumpfe zusammen. Mit Enterhaken zogen wir den Kutter heran und vertäuten ihn an unserer Bordwand. Kentucke Tom und Old General versammelten einige abkömmliche Seeleute um sich. Sie beabsichtigten, den Kutter zu entern, was ihnen auch gelang. Das Klirren der Entermesser, das Schreien und Fluchen der Männer und das Krachen der Pistolen drang bis zu uns herunter. Den Briten gelang es aber, die Entermannschaft zurückzudrängen. Sie kappten die Taue. Die Schiffe entfernten sich voneinander. Der Sturm wurde nun immer heftiger. Die See ging höher und höher. Mit einem furchtbaren Grollen, das wie ein unterirdisches Donnern den Ontario aus den Fugen zu reissen schien, rollte Woge um Woge heran. Wasserfässer, brennende Spieren und Maststücke, die aus ihrem Halt gerissen worden waren, kollerten auf dem Verdeck umher und verursachten weitere Schäden. Der Kutter hatte die Flucht ergriffen. Der Rumpf der Temeraire trieb allein und bewegungsunfähig auf dem Wasser. Das Schicksal hatte uns und unseren Küstensegler hart getroffen. Auf dem Deck lagen tote und sterbende Seeleute. Bruchstücke von Spieren und Masten, zerrissenes Segeltuch und Tauwerk und herabgefallene Blöcke lagen überall verstreut. In den Kajüten unter Deck hatten die Treffer der Kanonen einen Trümmerhaufen hinterlassen. Noch immer rollte ein aus ihrem Halt gerissenes Geschütz mit der Dünung hin und her. Es zermalmte wie ein Mühlstein, was in die Quere kam. Der Kapitän befahl als erstes, einen Notmast zu takeln, um den Lugger wieder fahrtüchtig zu machen. Dann liess er die losgerissene Kanone festzurren. Der Sturmwind hatte den Lärm des Gemetzels weggefegt, als die Temeraire mit notdürftig gehissten Segeln wieder durch die Wogen stampfte. Sechs Mann der französischen Besatzung waren getötet
worden. Die Überlebenden versorgten so gut es ging die Verwundeten und hatten alle Hände voll zu tun, losgerissene Gegenstände einzusammeln und wieder festzumachen. Das war keineswegs eine leichte Aufgabe, denn es war ein ständiger Kampf, das Gleichgewicht auf den Planken zu halten. Wir kämpften ums nackte Überleben. Das durchlöcherte Wrack stampfte und schlingerte ziellos durch den Orkan. Den britischen Kutter hatten wir nur noch ein einziges Mal gesichtet. So schnell aber, wie er an der sturmgepeitschten Kimm aufgetaucht war, verschwand er wieder. Zwei Tage und zwei Nächte machten uns die wütenden Naturgewalten das Leben auf dem Schiff zur Hölle. Erst als die dritte Nacht anbrach, liessen die Sturmböen etwas nach. Wir befanden uns in der Nähe der kanadischen Küste. Die Temeraire steuerte nordwestlichen Kurs. 52 Die Schiffsglocke hatte gerade sieben Glasen der ersten Wache 53 geschlagen. Ich befand mich auch auf Deck, als auf der Leeseite das Donnern und Rauschen einer Brandung zu hören war. Der wachhabende Bootsmann liess den Kapitän wecken, der verschlafen an Deck stapfte. „Land in Sicht, Sir!“ meldete der Bootsmann. „Danke!“ sagte der Kapitän und trat an das Schanzkleid. Der heulende Sturm hob eine zerfetzte Wolkenbank und machte die Sicht auf eine steile Felsenküste frei. Ich war wie gebannt. Die tosende Brandung schlug an die Felsen, und die schäumenden Wellen stürzten sich mit einem ohrenbetäubenden Zischen auf die heranrollende Dünung. Wir trieben direkt auf die Steilküste zu. Der 54 Kapitän liess einige Segel reffen , um den Lugger vom Land abzubringen. Doch das Manöver nützte wenig. Ungeheure Wassermassen stürzten jetzt über das Wrack. Die Sturmböen wehten die Notmasten weg. Sie wurden über Bord gespült. Die noch 55 einsatzfähigen Männer kamen den Niedergang herauf. Doch die hereinschlagenden Wellen drückten viele wieder hinunter. Ich klammerte mich an einen Maststumpf. Von hier sah ich die Brandung und die Klippen immer näher rücken. Die donnernden Wellen, die gegen die Felsen schlugen, kündeten das bevorstehende Unglück an. 52
Schläge mit der Schiffsglocke, die vom Beginn jeder Wache bis zu ihrem Ende alle halbe Stunde angeschlagen wird. Da die Wache vier Stunden dauert, bedeuten acht Glasen ihr Ende. 53 Die dem Wind abgewandte Seite 54 Verkürzen der Segel 55 Treppe
Plötzlich prallte der Rumpf des Küstenseglers mit einem lauten Krachen gegen die Felsspitze einer Klippe. Im gleichen Atemzug hob eine gewaltige Woge die Temeraire in die Höhe und warf sie wie eine Feder auf ein Felsplateau, wo sie umkippte. In dieser Lage ging jede Welle vollständig über uns weg. Dabei wurden viele Männer mitgerissen oder ertranken an Deck. Als der Lugger auf Grund lief, stürzte ich den Niedergang hinunter. Unten fand ich den Mohawk, der sich um den verletzten Neger kümmerte. Sie kämpften sich gerade zur Treppe hinüber. „Oh, Massa Joe!“ jammerte Rotkäppchen. „Lobo müssen sterben!“ „Wo ist Peppy?“ fragte ich ausser Atem. „Dort drinnen ist der Puma!“ rief der Irokese und deutete auf eine Kajüte. „Massa Joe müssen schnell machen, sonst sein Peppy verloren!“ drängte mich Lobo. „Geht schon voraus, ich werde euch gleich folgen!“ Ich reichte dem Irokesen meine Armbrust und eilte zu der Kajüte hinüber. Dort entfernte ich einen Querbalken, der eine Tür versperrte und riss diese auf. „Peppy komm!“ lockte ich die Katze. Sie hatte sich in die hinterste Ecke verkrochen und fauchte ängstlich. „Du musst keine Angst haben!“ versuchte ich das Tier zu beruhigen. Doch Peppy war nicht zu bewegen, mit mir aufs Deck zu kommen. Kurzerhand nahm ich den Puma auf die Schulter. Während den kurzen Augenblicken, in denen das Wasser von dem Lugger zurückfloss, kamen wir einer nach dem anderen den Niedergang herauf und kletterten über das Verdeck auf die Felsen am Fusse der Klippen. Doch plötzlich trieb der Bug des Schiffes im Sog der zurückströmenden Wassermassen ab. Vom Anprall einer sich überschlagenden Welle brach der Rumpf auseinander. Ich kam mit dem Puma als letzter aufs Deck. In diesem Moment begann sich das Achterschiff langsam vom Felsen zu lösen. Geistesgegenwärtig ergriff der Mohawk ein Tau. Er warf mir das eine Ende zu und schlang das andere Ende um einen Felsbrocken. Ich erwischte das Seil. Mit dem Puma auf der Schulter schwang ich mich zu den Klippen hinüber. Die Temeraire trieb vom Felsplateau ab.
„Mein Bruder, jetzt hast du mir das Leben gerettet“, sagte ich, als ich neben dem Irokesen auf den Felsen stand und auf das abtreibende Wrack blickte.
In einer kleinen Lichtung des Uferwaldes am Teton River befinden sich Baumgräber. Ein Leichnam war herausgefallen und von Wölfen gefressen worden, nun lungern einige Tiere herum und lauern auf weitere Beute.
22. Kapitel
Flussaufwärts
M
it der fortschreitenden Nacht beruhigte sich das Wetter
zusehends. Im ersten Dämmerlicht des heraufziehenden Tages begannen sich die Wogen des Ontariosees zu glätten. Bei Tagesanbruch wurde das ganze Ausmass des Schiffbruches sichtbar. Planken, Spieren, Stengen, Tauwerk, Segelfetzen und Fässer trieben auf dem Wasser. Mehrere tote Seeleute hatte es ans Ufer geschwemmt. Eine Leiche hing auf einer Klippe – es war der französische Kapitän des Küstenseglers! Von der Besatzung hatten nur wenige überlebt. Unter ihnen befand sich der Bootsmann. Auch Kentucke Tom, Old General und Rotkäppchen hatten sich ans Ufer gerettet. Die letzten Stunden der Nacht hatten wir auf dem Felsenkliff verbracht. Im ersten Dämmerlicht waren wir durch eine enge Kluft auf eine höhergelegene Terrasse geklettert. Wie Eidechsen lagen wir nun auf den Steinen und wärmten unsere nassen Körper in der Herbstsonne. Unter uns schäumte unablässig die Brandung an die steile Küste. Schwärme von Vögeln kreisten und kreischten über uns. Ich fühlte mich mehr tot als lebendig. Doch die Sonne gab mir allmählich die Lebenskraft zurück. Gegen Mittag rappelten wir uns auf. Wir kletterten landeinwärts den Abhang hinunter. Dort sammelten wir Brennholz. Bald brannten mehrere Feuer. Ich hatte nun Gelegenheit, den französischen Bootsmann etwas genauer zu betrachten, der bei uns sass. Er hiess Jean Godeau. Es gab kaum ein eindrucksvolleres Bild als diesen Seebären. Ich schätzte seine Länge auf sechs Fuss fünf Zoll. Er musste über eine grosse Körperkraft verfügen. Aus seinem bärtigen Gesicht sprach zugleich eine frische Derbheit und ein gewinnender Ausdruck von Freimut. Er war für mich der Inbegriff eines französischen Seemannes. Nach den Anstrengungen der letzten Nacht war ich kaum noch fähig, mich auf den Beinen zu halten. Ich fiel sogleich in einen tiefen Schlaf. Ich erwachte erst wieder, als ich die Stimme des Bootsmannes hörte. Mit schläfrigen Augen blickte ich auf die französischen Seeleute, die sich vor uns aufgestellt hatten. Die meisten wirkten ziemlich abgerissen und angeschlagen.
„Ihr wollt also zurück nach Frontenac, Leute“, sagte Godeau. „Ich kann euch gut verstehen. Auch ich möchte heimkehren. Aber zuerst begleiten wir diese Männer zum Grossen Fluss. Sie haben uns aus Fort Oswego befreit. Wir können sie nicht allein hier in der Wildnis zurücklassen. Auch haben wir den Briten noch die Rechnung für den Verlust unserer Temeraire zu präsentieren. Wenn sie den Sturm überlebt haben, dann werden wir sie am Grossen Fluss aufspüren.“ Niemand widersprach dem Bootsmann. Es war also beschlossene Sache. Wir machten uns auf zum Grand River. Kentucke Tom, Old General und der Mohawk waren die einzigen, die ihre Büchsen an Land gerettet hatten. Auch Hans' Old Mill Rifle und meine Armbrust waren dabei. Als wir die Anhöhe hinunterstiegen, zeigte sich der Spätherbst von seiner schönsten Seite. Vor dem blauen Himmel zogen die Vögel ihre Kreise. Sie versammelten sich für den Zug nach Süden, und nichts erinnerte mehr an die mörderische Sturmnacht.
T
almach hatte uns an den Grand River geführt. Es war ein
langer und beschwerlicher Fussmarsch gewesen. Bei den Cayuga hatten wir schliesslich Unterschlupf gefunden. Die Cayuga gehören wie die Onondaga, die Seneca und die Mohawk zum Volk der Irokesen. Auch sie hatten nach dem amerikanischen Unabhängigkeitskrieg hier am Grossen Fluss eine neue Heimat gefunden. Der Mohawk besorgte uns drei Rindenkanus. Mit ihnen wollten wir den Fluss hinauf paddeln. Von Hans und den Tories konnten wir nichts in Erfahrung bringen. Doch wir mussten damit rechnen, dass sie dieses Indianerdorf gemieden hatten. Wir wollten also keine Zeit verlieren. Wir rüsteten uns also mit Waffen und Proviant aus. Die gastfreundlichen Cayuga halfen, wo sie nur konnten. Wie bei den Brigaden der kanadischen Nordmänner führte der 56 Bourgeois die Expedition an. Bei uns war es Kentucke Tom, der das Kommando übernahm. Old General und Jean Godeau hatten
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Ursprünglich selbständige Händler der North West Com-pany, die die Pelzbrigaden der Voyageurs anführten und durch die Wildnis begleiteten.
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als Gouvernails der andern zwei Kanus das Sagen. Talmach hatte am Bug des vordersten Bootes des Bourgeois den richtigen Weg zu 58 59 weisen. Die restlichen Männer, die als Avants oder Milieux eingeteilt wurden, hatten die Paddel so gleichmässig wie möglich durch das Wasser zu ziehen, um die Kanus auf Kurs zu halten. Ich war mit Lobo im letzten Boot eingeteilt. Vor der Abfahrt hatten wir alle Hände voll zu tun. Alle undichten Stellen an der Rindenhaut der Kanus mussten abgedichtet werden. Mit Watap, den dünnen Fichtenwurzeln, nähten wir Risse in den Aussenwänden zu. Fett und Baumharz wurden zum Schmelzen gebracht. Dann klebten wir zugeschnittene Rindenstücke über die Nahtstellen. Dies geschah natürlich alles unter den kundigen Augen der Cayuga. Endlich lagen die Boote frisch kalfatert und mit Proviant, Pelzen und Waffen beladen am Ufer. Wir fanden uns am Einschiffungsplatz ein. Die drei Kanus waren bereits zu Wasser gelassen. Nach einem kurzen Abschied von den indianischen Dorfbewohnern nahmen wir unsere Plätze in den Booten ein, tauchten die Paddel ins kalte Wasser und fuhren auf den Grand River hinaus. Auf der Fahrt den Fluss hinauf konnte ich die indianischen Rindenkanus bewundern. Die Cayuga hatten sie aus zähem und keineswegs leicht bearbeitbarem Material, wie es in der Wildnis zu finden ist, gebaut. Ich konnte mich überzeugen, mit welch gewissenhafter Genauigkeit die Spanten zurechtgebogen und geschnitzt, die Rindenstücke eingepasst, die Säume zwischen den Rindenstücken vernäht und gepicht waren. Es waren die gleichen widerstandsfähigen Kanus, die für die Frachtfahrten des Pelzhandels im Norden eingesetzt wurden. Die Fahrzeuge bewährten sich, ob sie nun fast geräuschlos über den gemächlich dahinziehenden Fluss glitten oder sich in unberechenbarerem Wildwasser bewegten. Das für die Jahreszeit ungewöhnlich milde Wetter setzte sich bis in die Mitte des November durch. Vor vier Tagen hatten wir das Cayuga-Dorf verlassen. In den Morgenstunden des fünften Tages klarte es auf. Ein eiskalter Wind wehte den Fluss herunter. An den Bäumen und Sträuchern setzte sich bereits der Frost fest. 57 58 59
Heckruderer Bugsteurer Mittelmänner
In den Nächten hörten wir das lange, durchdringende Heulen der Wölfe. Es erfüllte die klare Luft des Nadelwaldes und ging mir durch Mark und Bein. Murrend schälten wir uns am Morgen aus den steifgefrorenen Decken und Pelzen. Besorgt blickten wir zum Himmel. Wann würde der erste Schnee fallen? Am Nachmittag blies ein eisiger Schneewind vom Norden den Grand River herunter. Der Mohawk liess das vorderste Kanu ans Ufer steuern. Wir folgten ihm. Die Indianer und die erfahrenen Waldläufer wissen, dass ein Wintereinbruch in der Wildnis gefährlich werden kann. Schon mancher Trapper und Pelztierjäger war im Frühling unter seinem umgestülpten Kanu, auf der blanken Erde liegend, tot aufgefunden worden. Die eisige Kälte hatte den Unglücklichen in ihre Klauen genommen. Der Schnee hatte ihn bei lebendigem Leib begraben. Der Sturm hatte vielleicht drei oder vier Tage getobt. Während dieser Zeit hatte er kein Feuer entfachen und kein warmes Essen zubereiten können. Schauernd vor Kälte, Nässe und Hunger und zitternd vor Ungeduld hatte er ausgeharrt, bis es schliesslich keine Hoffnung mehr gab, als endlich vom Tod erlöst zu werden. „Hier in der Nähe liegt ein kleines Dorf der neutralen Irokesen“, teilte uns der Mohawk mit. „Dort werden wir vielleicht Unterschlupf finden, bis der Schneesturm vorüber und das Land wieder passierbar geworden ist.“ Mein indianischer Freund sollte recht behalten. Wir fanden das Dorf in der Nähe vom Fluss. Die Irokesen hatten ihre Langhäuser mit einem hohen Palisadenzaun aus angespitzten Pfählen umgeben. Die Roten waren uns ausserordentlich freundlich gesinnt. Sie stellten uns sogar zwei ihrer Wohnstätten zur Verfügung. Gegen Abend drehte der Wind. Mit einem Heulen und Orgeln kündigte sich ein Schneesturm aus Nordosten an. Und dann tat sich der graue Himmel auf! Der Schnee fegte in einer solchen Fülle auf uns herunter, wie ich es noch nie erlebt hatte. Der Wind fuhr in den Rauchabzug unseres Wigwams und trieb Rauch und Funken in den Raum. Die weisse Pracht türmte sich bald an der dem Wind abgewandten Seite der Hütte bis zum Dach hinauf. An die Weiterreise mit den Kanus war nicht mehr zu denken. Der Grand River, auf dem wir die Jagdgründe der Mohawk erreichen wollten, wurde auch für die Schlitten erst wieder passierbar, wenn sich das Eis zuverlässig verfestigt hatte. Ungebändigt tobte der Sturm drei Tage. Der Schnee türmte sich höher und höher. Der Winter, der sich über Nacht des Landes
bemächtigt hatte, hielt es nun fest in seinem klammen, frostklirrenden Griff. Erst nachdem der stürmische Schneefall nachgelassen hatte, konnten wir darangehen, die Wege zwischen den Langhäusern von den Schneewehen freizuschaufeln. Nach den Sturmtagen, an denen wir zur Untätigkeit verurteilt gewesen waren, war das Schneeschippen für uns eine willkommene Abwechslung. 60 „Wir werden uns bei den Irokesen nach Topoggans umsehen“, setzte uns Kentucke Tom ins Bild. Über eine Woche nach der Ankunft bei den gastfreundlichen Irokosen packten wir unsere Siebensachen auf die Schlitten, welche wir gegen unsere drei Kanus eingehandelt hatten. Wir schirrten also die Hunde an und banden mit Lederriemen Schneeschuhe unter unsere Füsse. Breitbeinig, wie es die Rahmenschneeschuhe erzwangen, stapften wir vom Dorf zum vereisten Fluss. Talmach übernahm die Führung. Kentucke Tom, Old General und der französische Bootsmann sollten die Toboggans lenken. Sie wussten mit den Schlitten und den Hunden umzugehen. Für den Marsch wollten wir nur das Nötigste an Proviant und Hundefutter mitnehmen, um die Last der Schlitten so gering wie möglich zu halten. Wir hofften, die Wegzehrung für uns und die Tiere unterwegs in den indianischen Walddörfern ergänzen zu können. Auf der Flussaue brachten die Schlittenführer die ungebärdigen Hunde in die richtige Zugordnung. Dann watete ich mit dem Mohawk und meinem Puma vor dem Leithund auf das schneeverwehte Fluss-Eis hinaus, um den Schlitten den Weg vorzubahnen. Kentucke Tom liess die kurzstielige Peitsche mit der langen Lederschnur durch die eiskalte Luft sausen und rief den Hunden das anspornende „Here goes! Go it!“ zu. Hinter uns marschierte der kleine Ire mit Rotkäppchen, dann folgte der Mestize mit seinem Toboggan. Jean Godeau brachte seine Hunde als letzter auf den Weg. Diese Marschordnung hielten wir während der ganzen Reise ein. Mit wilder Freude trabten die Hunde über die weisse Fläche des Grand River. Der Vorwärtsdrang der Tiere war so gross, dass wir uns schnell warm gelaufen hatten. Obwohl der Schnee auf dem Eis nicht so hoch lag wie in der Uferregion, hemmte er die Schlitten erheblich. Die unermüdlich voranstrebenden Zugtiere begannen bald zu hecheln und zu 60
Hundeschlitten
jachtern. Kentucke Tom brachte die Hunde gegen Mittag zum Stehen. Sie liessen sich sofort und mit hechelnden Zungen lang ausgestreckt in den aufstiebenden Schnee fallen. „Wir müssen den Hunden etwas Ruhe gönnen“, sagte der kleine Schlittenführer, „sonst halten sie nicht durch.“ „Auch wir müssen unsere Kräfte einteilen“, liess ich durchblicken. „Du hast recht, Crossbow Joe“, stimmte mir der Trapper zu. „Bei dem Schnee können wir höchstens zwanzig Meilen am Tag bewältigen.“ „Zudem machen wir die Reise in der kältesten Jahreszeit, was diese noch erschwert“, fügte Jean Godeau hinzu. „Wenn wir dieses Marschtempo beibehalten, schaufeln wir uns das eigene Grab. Ich denke, wir dürfen die Strecke nicht unterschätzen. Sie wird uns und den Hunden einiges abverlangen. Ich schlage deshalb vor, dass wir 61 wie die frankokanadischen Voyageurs jede Stunde für die Dauer 62 einer Pipe rasten.“ Der Franzose fand keinen Widerspruch. Für die Weiterreise schlugen wir einen massvolleren Marschtakt an. Jede Stunde gönnten wir uns jetzt eine Pipe. Es war gegen Abend des zweiten Tages, als wir am Ufer des vereisten Flusses zwei Schneehügel entdeckten. Diese hatten die Formen von Kanus. Wir stapften zu den Erhebungen hinüber und begannen mit den Händen zu buddeln. Tatsächlich legten wir zwei Boote frei. Wer hatte sie hier zurückgelassen? Waren Indianer hier vom Schnee überrascht worden? Wohl kaum! Waren die Tories hier? Der Gedanke liess mich nicht mehr los. Wir schickten uns an, die nähere Umgebung genau abzusuchen. Nach kurzer Zeit tauchte der Mohawk zwischen den Tannen am Ufer wieder auf. Er gab uns ein Zeichen, ihm zu folgen. Von einem Hügel herunter erblickten wir in einiger Entfernung die Hütten eines Indianerdorfes. „Kennst du den Stamm?“ fragte ich. „Ja, mein Bruder, hier leben die Onondaga, ‚Das Volk auf den Hügeln’. Sie sind die ‚Hüter des Bundfeuers’. Jedes Jahr treffen sich hier die Irokesen zum ‚Namensaufruf der Häuptlinge’. Es ist viel Zeit vergangen, als ich das letzte Mal hier war. Ich werde deshalb das Dorf zuerst auskundschaften.“ „Ich werde dich begleiten, mein Bruder“, sagte ich. 61
Frankokanadier, die im 17., 18. und 19. Jahrhundert mit ihren Kanus Tausende von Kilometern auf den Wasserwegen der Wildnis Kanadas zurücklegten, um Pelze und andere Handelswaren zu transportieren. 62 kleine Tabakpfeife
Ich liess Peppy unter der Aufsicht von Lobo zurück und machte mich mit dem Mohawk durch den Uferwald auf den Weg. Inzwischen wurde es dunkel. Nach einem längeren Marsch erblickten wir durch die verschneiten Tannen einen hellen Feuerschein. Mit grösster Vorsicht näherten wir uns dem Dorf. Das Dorf am Genesee River, wo uns die Huronen empfangen hatten, war uns noch in bester Erinnerung. Wir wollten hier nicht den gleichen Fehler machen. Durch das dichte Ufergehölz gedeckt, erreichten wir ungesehen den Rand der Siedlung. Wir konnten das Dorf, welches von einigen Feuern erhellt war, gut übersehen. Viele Bewohner standen, sich erregt unterhaltend, vor der Häuptlingshütte. In die Gruppe der Roten kam jetzt Bewegung. Ein prunkvoll gekleideter Krieger in grossem Federschmuck trat aus seinem Wigwam. Sein Oberkörper steckte in einem mit Otterfell und Hermelinstreifen besetzten Lederhemd und seine Füsse in bestickten Mokassins. Skalptrophäen zierten seine Leggings und eine Halskette aus Bärenklauen seine Brust. Mit einer ärgerlichen Geste stemmte er die Lanze auf und sprach mit kräftiger Stimme zu seinen Kriegern. „Das ist Der den Bären bezwang, der Häuptling der Onondaga“, flüsterte mir der Mohawk zu. „Ich habe mit ihm die Friedenspfeife geraucht.“ Ohne meine Antwort abzuwarten, huschte Talmach zwischen den Bäumen hindurch. Im Dorf angekommen, bahnte er sich einen Weg durch die Reihen der Krieger. Rufe der Überraschung gingen durch die Menge, als so plötzlich der Mohawk auf den Plan trat. Nun erkannten sie ihn. Die Überraschung schlug in Freude um. Nach kurzer Zeit kehrte Talmach zu mir zurück: „Die Tories waren im Dorf. Sie haben die Onondaga ausgeraubt. Sie haben Hundeschlitten, Schneeschuhe, Proviant, Kleidung und Pelze gestohlen. Sie haben die Gastfreundschaft der Onondaga missbraucht.“ „War Hans auch dabei?“ fragte ich. „Ja, Sturdy Jack war auch im Dorf. Die Tories haben ihn aber wieder mitgenommen.“ „Was werden wir jetzt unternehmen?“ „Heute Nacht bleiben wir hier bei den Onondaga! Morgen früh werden wir die Verfolgung der Tories aufnehmen!“ Talmach, Kentucke Tom, Old General, Rotkäppchen und ich waren Gäste des Häuptlings. Er bewirtete uns mit Dörrfleisch, Fisch und getrocknetem Mais. Nach dem anstrengenden Marsch mit den
Schlitten waren wir hungrig. Ich fand das Mahl ganz wohlschmeckend. Nach dem Essen liess der Häuptling seine mit einem grossen Federfächer geschmückte Pfeife zirkulieren. Das gemeinsame Rauchen galt bei den Indianern als ein besonderer Gunstbeweis. Der den Bären bezwang ergriff dabei das Wort: „Der Grosse Geist schenkte seinen roten Söhnen diese Jagdgründe, in denen Büffelherden, Hirsche und Bären leben. Sie geben den Völkern der Wälder das Fleisch gegen den Hunger, die Häute für Kleidung und Decken und viele andere Dinge mehr, damit der rote Mann die schwere Zeit des grossen Schnees überstehen kann. Während den Tagen der Kälte lassen die Stämme das Kriegsbeil in der Erde ruhen, bis die Bären wieder aus ihren Höhlen kriechen. Aber die Bleichgesichter halten sich nicht an dieses heilige 63 Gesetz. Sie rauben dem roten Mann den Pemmikan , der sein Leben erhält. Sie stehlen die Pelze und Felle, welche die Wärme in die Tipis bringen. Sie nehmen die Schlittenhunde mit, welche die Jagdbeute ins Dorf tragen. So wie die heulenden Wölfe und die Kojoten, die im Schnee keine Nahrung finden und in die Dörfer kommen, so kamen auch die Bleichgesichter ins Dorf der Onondaga. In ihrer Gier nahmen sie alles mit. Doch die grosse Kälte wird über das Land kommen. Sie wird das Land, die Flüsse und Seen zu Stein machen. Viele der Bleichgesichter werden sterben!“
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Aus getrocknetem, zerstampftem, mit heissem Fett übergossenem Fleisch hergestelltes, sehr haltbares Nahrungsmittel der Indianer Nordamerikas.
In nächster Umgebung von Fort Mackenzie am Missouri haben Piegan-Indianer ihr Lager aufgeschlagen, um mit den Weissen ihre Tauschgeschäfte abzuwickeln.
23. Kapitel Hans Amrein setzt die Erzählung fort:
Der Weisse Tod
D
ie Tories hatten mich an jenem Abend aus dem Kerker von
Fort Oswego holen lassen. Sie waren felsenfest davon überzeugt, dass ich den Weg zum Bärensee kannte, der irgendwo am Oberlauf des Grand River liegen musste. Alle meine Beteuerungen, dass ich bisher weder in Kentucke noch im Indianerland und schon gar nicht in Kanada gewesen war, nützten nichts. Die Königstreuen glaubten mir nicht. Sie setzten mir die Pistole auf die Brust und drohten, dass sie mich kaltmachen würden, wenn ich sie nicht zu den Mohawk führen würde. Die Kerle waren besessen von dem Wahn, dass sie an dem geheimnisvollen Bärensee nur so über die Nuggets stolpern würden. Sie brachten mich also auf den Kutter. An Bord sperrten sie mich in eine Kajüte. Diese durfte ich erst wieder verlassen, als wir uns auf dem Ontario befanden. Auf der offenen See gab es kein Entrinnen mehr für mich. Als dann der Sturm aufkam und sich von Oswego her der Küstensegler näherte, wurde ich wieder unter Deck gebracht. Dann krachten die Kanonen. Das ganze Schiff erzitterte in seinen Verbänden. In dieser Stunde hätte ich für mein Leben keinen Schilling mehr gegeben. Während aus allen Rohren geschossen wurde, lag ich ganz still in meiner Koje. Ich hatte Todesangst. Zudem war ich seekrank. Später holte man mich wieder aufs Verdeck hinauf. Ich war mehr tot als lebendig. Wir erreichten die südwestliche Küste des Ontariosees und die sich öffnende Einmündung des gewaltigen Niagara. Der Sturm tobte immer noch. Der Kutter glitt den Niagara abwärts. In einer geschützten Bucht vor den donnernden Fällen gingen wir schliesslich vor Anker. John Stanton, Frank Porter, Abner Rowlandson und George Benton schleppten mich an Land. In Fort Erie fanden wir Unterschlupf, bis sich der Sturm gelegt hatte. Danach bestiegen wir ein grosses Kanu und paddelten der nördlichen Küste des Eriesees zur Mündung des Grand River hinüber. Hier bogen wir mit dem Boot in den Fluss ein. Stromaufwärts zeigte sich der Grand River nicht mehr so gemächlich. Es gab keine
ruhigen Strecken mehr, wie auf dem Unterlauf des Flusses, wo die Strömung zuweilen nicht zu spüren gewesen war. Wir mussten jetzt ständig und kräftig rudern, um das Kanu in Fahrt zu halten. Die Tories zeigten sich sehr ungeduldig. Sie wollten das Gebiet der Mohawk noch vor dem ersten Schnee erreichen. Seitdem wir den Kutter bei den Niagara-Fällen verlassen hatten, waren die vier Kerle unausstehlich. Ihr schäbiges Wesen wurde nun offenbar. Obwohl sie alle das gleiche Ziel verfolgten, nämlich das Gold der Mohawk, so zeigte dies jeder auf seine Art. John Stanton hatte den Teufel im Leib. Getrieben von seiner wilden Gier hätte er wohl seine Mutter für ein Nugget hergegeben. Er war die Selbstherrlichkeit in Person. Sein Stolz liess ihm bei jeder Gelegenheit seinen Kamm schwellen. Wie die meisten der selbstsüchtigen Menschen war er auch empfindlich. Man musste verdammt auf der Hut vor ihm sein. Frank Porter war aufbrausend und hitzköpfig. Schnell gingen ihm die Pferde durch. Ein unbedachtes Wort, eine unachtsame Geste konnten schon seinen Jähzorn hervorrufen, der aber auch schnell wieder verrauchte. Abner Rowlandson war mauserig und ein elender Tropf. Er war mit der ganzen Welt zerfallen. Es schien, als könnte ihn nur noch das gleissende Gold der Mohawk von seiner Schwermut befreien. George Benton war tranig und stumpfsinnig. Seine Trägheit, die er an den Tag legte, wurde nur noch übertroffen durch die Stumpfheit, mit der er uns begegnete. Mit ihm war wahrlich nicht viel anzufangen. Aber eines hatten die vier Kerle gemeinsam: Sie traten durch einen Ideenreichtum sondergleichen hervor. Sie glaubten daran, dass weder Tod noch Teufel sie aufhalten konnten, das Gold der Mohawk zu holen. Als hinge ihr Leben davon ab, hetzten sie einander und mich den Fluss hinauf. Je weiter wir stromauf gelangten, desto härter musste gerudert werden. Als uns eine Stromschnelle den Weg versperrte, musste das Boot auf dem Landweg um das Wildwasser herumgetragen werden. Ein steiniger Pfad führte einen zerklüfteten Steilhang hinauf, den die Indianer vermutlich schon seit Generationen benutzt hatten. Abner Rowlandson hatte mir einen Strick um den Leib gebunden und führte mich wie einen Tanzbären mit. Er befürchtete wohl, dass ich ihm im Dickicht entwischen konnte. Auf diese Weise bugsierten wir das Rindenkanu den Hang hinauf. Endlich erreichten wir eine Stelle oberhalb der Schnellen, wo wir das
Boot von den schmerzenden Schultern nehmen und in den Ufersand betten konnten. Wir waren alle in Schweiss gebadet. Nach einer kurzen Rast setzten wir das Kanu wieder aufs Wasser und stiessen vom Ufer ab. Es ging weiter. Von kräftigen Ruderschlägen getrieben glitt das Boot übers Wasser. Kein Lüftchen regte sich. Kein Laut war zu hören, bis auf das leise Plätschern der Paddel und das Rauschen der Bugwellen. Fluss um Fluss mündete in den Grand River. Doch unbeirrt folgten wir dem grossen Wasserlauf, bis wir schliesslich auf ein Indianerdorf trafen. „In dem Dorf leben Irokesen vom Stamm der Onondaga“, klärte uns Frank Porter auf. „Letztes Jahr war ich schon hier. Allerdings sind es nicht ganz geheure Wilde. Doch es bleibt uns wohl keine andere Wahl, als bei ihnen Unterschlupf zu suchen.“ Es begann nämlich bereits dunkel zu werden, als wir die Hütten dicht am Fluss erblickten. Das Wetter hatte umgeschlagen. Ein eisiger Wind peitschte das Wasser des Flusses. Eine schneidende Kälte war vom hohen Himmel eingefallen. In den frühen Morgenstunden fegte ein eisiger Blizzard über das Land und das Indianerdorf. Der orgelnde und johlende Sturmwind weckte mich auf. Schlaftrunken blickte ich auf die verschneite Waldlandschaft. Am Flussufer hatte sich Eis gebildet. Es würde bald ins fliessende Wasser hinauswachsen und den Grand River fesseln. Wir hatten also am Abend bei den Onondaga Aufnahme gefunden. Dies war allerdings weniger auf die Glaubwürdigkeit der Königstreuen als mehr auf die Gastfreundschaft des Stammes zurückzuführen. Die Gastfreundschaft war den Indianern nämlich heilig.
S
eit drei Tagen waren wir jetzt schon mit den gestohlenen
Schlitten und Hunden unterwegs, nachdem wir vor den Onondaga geflohen waren. Dreiviertel des Weges waren die Toboggans zumeist auf dem Eis des Grand River dahingeglitten. Am vierten Tag öffnete sich am Ufer eine kleine Waldlichtung. Dort erblickten wir zwei Blockhütten, welche sich mit ihren schindelgedeckten Giebeln unter den Fichten duckten. Über der Eingangstür einer der
Hütten war auf einer grossen Holztafel „Le Clerc & Partenaires, 64 marchand de fourrure „ zu lesen. Ein Indianer hiess uns willkommen. „Ich bin Einsamer Wolf vom Stamm der Mohawk“, stellte er sich uns vor. Als die Tories das Wort Mohawk hörten, horchten sie auf. „Was machst du hier allein in den Wäldern?“ fragte John Stanton den Roten. „Ich bin Pelztierjäger und vertrete hier Monsieur Le Clerc, der nach Montréal gegangen ist.“ „Du verbringst den Winter also allein auf diesem Posten?“ „Ja.“ „Fühlst du dich nicht einsam hier?“ „Nein. In Montréal würde ich mich einsam fühlen. Aber hier habe ich den Wald und die Tiere. Manchmal besuche ich auch meine Brüder, die Mohawk, die am Bärensee leben.“ Der Bärensee! Das Wort schlug bei den Königstreuen wie ein Blitz ein. „So stehen die Wigwams der Mohawk also am Bärensee?“ fragte John Stanton, der sich als erster der vier wieder gefasst hatte. „Ja.“ „Wir wollen auch zum Bärensee. Kannst du uns führen?“ „Was wollen die Bleichgesichter in dieser Jahreszeit bei den Mohawk?“ wunderte sich der rote Pelztierjäger. „Wir gehen auf die Jagd. Am Bärensee soll es viel Wild geben.“ „Ja, das ist wahr. Aber es sind die Jagdgründe der Mohawk!“
A
ls wir uns am Oberlauf des Grossen Flusses befanden, war
das neue Jahr 1786 schon einige Tage alt. Die Königstreuen hatten den Indianer einfach gezwungen, uns zu führen. Der Januar brachte die tiefe Kälte. Während einer Rast langte Einsamer Wolf in die Aussentasche seines Pelzrockes. Er liess ein silbriges Kügelchen in seiner hohlen Hand hin und her rollen. George Benton, der den vermeintlichen Zeitvertreib des Mohawk beobachtet hatte, fragte belustigt: 64
Pelzhändler
„Ist wohl etwas zu klein, deine Büchsenkugel, um damit ein Wild zu schiessen, Rothaut?“ „Das, was ich in der Hand halte, ist keine Bleikugel“, entgegnete der Indianer ruhig. „Aber ein Nugget ist es auch nicht.“ „Nein, es ist Quecksilber!“ „Quecksilber?“ „Ja.“ „Wozu trägst du Quecksilber bei dir?“ „Das Kügelchen kann mich vor Erfrierungen bewahren!“ „Weiss der Teufel, es ist kalt geworden! Aber vor der Kälte kann dich auch das Quecksilber nicht schützen!“ „Das nicht, aber es wird mich warnen!“ „Wie soll denn das vor sich gehen?“ „Solange das Quecksilber in meiner Hand hin und her kullert, besteht keine Gefahr. Sobald es aber fest wird und nicht mehr entschlüpfen möchte, ist es höchste Zeit, jede harte Anstrengung im Freien zu vermeiden. Dann müssen wir den Marsch unterbrechen und irgendwo Unterschlupf suchen.“ „Das ist doch reine Weiberphantasie!“ schlug der ‚Landmarkierer’ die Warnung in den Wind und wandte sich mit einem geringschätzigen Lachen ab. Die Warnung des Quecksilberkügelchens sollte aber nicht lange auf sich warten lassen. Schon am nächsten Morgen hatte es die Lust am Rollen verloren. Die Temperaturen waren demzufolge unter vierzig Grad Celsius abgesunken; die Kälte war tödlich hart geworden. Einsamer Wolf machte uns auf die gefährliche Situation aufmerksam. Doch Benton fuhr den Mohawk an: „Ich traue dir nicht, Rothaut! Jetzt, kurz vor dem Ziel, sollen wir umkehren! Du willst uns wohl nicht zu eurem Gold führen! Aber ich falle auf deine List nicht herein!“ „Die Bleichgesichter werden in ihr Verderben laufen! Einsamer Wolf sagt: umwickelt die Gesichter und Hände mit Tuch und Pelzen, bis sich diese Eiseskälte verflüchtigt hat! Hier bei den Grossen Seen wird die tiefe Temperatur nicht lange andauern!“ Jetzt standen wir mit unseren zwei Schlitten über einem zugefrorenen Katarakt, der zum Fluss hinunterführte. Wir hatten ihn stromabwärts verlassen, um nicht seiner Krümmung folgen zu müssen. Trotz der Warnung des Roten hatten sich die vier Kerle für diese Abkürzung entschieden. Aber mit diesem Katarakt hatten sie nicht gerechnet! Wollten wir jetzt nicht einen grossen Umweg machen, mussten wir da hinunter!
„Schirrt die Hunde ab, wir müssen den Abhang hinunter!“ bestimmte Stanton. Die Schlitten mussten einen groben, zerfurchten Steilhang hinuntergeschafft und über eine spiegelglatte Tallehne bugsiert werden. Dabei hatten wir alle Hände voll zu tun, dass die indianischen Toboggans nicht abrutschten. Es war kurz nach dem Morgengrauen; die tiefen Temperaturen sanken von Minute zu Minute unter dem Gefrierpunkt ab. Als wir die beladenen Schlitten den zerklüfteten und vereisten Hang hinunterschafften, nahm das Verhängnis seinen Lauf! Ein eisiger Wind wehte von Norden. Er trieb die Kälte in den Körper, bis dieser vor Ermattung zitterte. Die beiden „Landvermesser“ arbeiteten sich als erste über die Eiskrusten. Sie waren uns schon weit voraus. Der Eiswind wurde heftiger. Der Frost drang durch den Rock und die Haut bis ins Mark. Er brannte wie Feuer. Der Atem ging tief und schnell. Die scharfen Kanten zerschnitten meine gefrorenen Mokassins. Es war heller Wahnsinn, über diesen Katarakt hinunterzusteigen! Ich hielt inne und beobachtete die beiden „Landvermesser“ unter mir. Benton hatte sein Gesicht noch immer nicht geschützt. Ein verrückter Kerl! Sein Starrsinn sollte sich aber bitter rächen! Die tödliche Kälte sickerte nämlich in seine Lunge und gefror dort zu Eis. Mit schmerzverzerrtem Gesicht griff er sich an den Hals. Dann begann er zu husten und spuckte blutigen Schleim aus dem Schlund. Seine Kräfte liessen schnell nach. Eine tiefe Verzweiflung kam über ihn. Er stolperte, kam zu Fall und rutschte mit dem Schlitten den Hang hinunter. Unten blieb er regungslos liegen. Vergeblich hatte Rowlandson versucht, den Toboggan zurückzuhalten. Er folgte dem Unglücklichen. Stanton, Porter, der Mohawk und ich kehrten mit unserem Schlitten um. Wir suchten Schutz in einer windgeschützten Erdhöhle oberhalb des Steilhangs. Bald begannen die Temperaturen wieder zu klettern. Wir krochen aus der Höhle und kehrten zum gefrorenen Wasserkatarakt zurück. Vorsichtig stiegen wir hinunter. Plötzlich hielt ich meine Schritte an. Ich hatte Benton als erster gesehen. Er lag mit wächsernem Gesicht auf dem vereisten Schneehang. Er bot einen schauerlichen Anblick. Er musste unter unsäglichen Schmerzen erstickt sein! Dann war er in sich zusammengesunken. Die Eiseskälte hatte ihn auf der Stelle steifgefroren. Ein Blick in das blutleere Antlitz des Unglücklichen genügte, um zu wissen, dass kein Leben mehr in ihm war.
Am Fusse des Steilhanges lagen grosse Quadersteine verstreut. An einer Stelle waren sie zu einem bizarren Steingebilde aufgetürmt. Zwischen diesen Felsbrocken lungerten die Hunde herum. Sie hatten hier Schutz vor dem Eiswind gefunden. Durch den knietiefen Schnee stapften wir zum Steinturm hinüber. In einer Hohlkehle hockte Abner Rowlandson. Ich erschrak, als ich den „Landvermesser“ sah. Er lehnte aufrecht mit dem Rücken an dem Felsen. Ein leises Stöhnen verriet, dass er noch am Leben war. Sein sonst gebräuntes Gesicht war unter der Pelzmütze, deren Ohrklappen lustig flatterten, weiss wie Wachs und von hässlichen Eiterpusteln verunstaltet. Jede Bewegung schien ihm Schmerzen zu verursachen. Er hatte sein Kinn auf die Brust gestützt. Er musste sehr geschwächt sein. „Der ist nicht mehr zu retten“, sagte Frank Porter und wandte sich ab. Der Kerl schien ein Herz aus Stein zu haben. Ich blickte zu Stanton hinüber. Doch auch er machte keine Anstalten, seinem Weggefährten zu helfen. „Ihr könnt ihn doch hier nicht liegenlassen!“ rief ich entsetzt. „Hilf du ihm doch“, sagte der Büffeljäger und machte eine wegwerfende Handbewegung. „Was seid ihr für Menschen!“ brüllte ich in meiner Verzweiflung. „Lasst einen Verletzten einfach liegen!“ Ich hörte, wie die beiden Büffeljäger fluchten. Einsamer Wolf und ich bugsierten den Schlitten zu Rowlandson hinüber. Verblüfft schauten uns die Tories zu. Sie rührten keinen Finger. Sie hinderten uns aber auch nicht. Dann sah ich, wie sie die herumlungernden Hunde einfingen und sie an den zweiten Schlitten schirrten. Dann riefen sie den Mohawk zu sich. Was hatten sie vor? Wollten sie Rowlandson und mich hier in der Wildnis allein zurücklassen? Tatsächlich! John Stanton und Frank Porter stapften mit den Schneeschuhen breitbeinig vom vereisten Ufer auf das verschneite Fluss-Eis hinaus, um dem Schlitten den Weg zu ebnen. Einsamer Wolf musste die Hunde in die richtige Zugordnung bringen. Dann liess der Kerl mit dem roten Walrossschnurbart die langschnurige Peitsche über die Köpfe der Tiere sausen. „Wir holen Hilfe im nächsten Dorf!“ rief Stanton dem verletzten „Landvermesser“ und mir noch zu. Porter schenkte uns keinen Blick mehr. Er setzte sich vor dem Leithund in Marsch. Krachend schurrten die Kufen des Toboggans über das Eis . . .
Mit Flinten, Pfeilen, Speeren, Tomahawks, Keulen und Skalpmessern wird die Auseinandersetzung zwischen Assiniboin, Cree und Piegan ausgefochten. Nach Indianerart werden auch Verletzte, Alte, Frauen und Kinder nicht geschont, zerfetzte Zelte liegen herum, Geschrei erfüllt die Luft.
24. Kapitel Josef Brandstetter setzt den Bericht fort:
In der Schlucht der Feuersteine
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ie gastfreundlichen Onondaga begleiteten uns zum vereisten
Ufer des Grand River. Dort winkten sie uns zum Abschied nach. Die Spuren der Kufen und der Schneeschuhe von denen, die wir verfolgten, standen noch deutlich auf dem Fluss. Wir brauchten ihnen also nur zu folgen. Als dann die Fährte der Verfolgten bei der Flusskrümmung vom Eis herunter ans Ufer führte, entschlossen wir uns, ihr nicht mehr zu folgen. Wir stapften weiter durch den Schnee auf dem Fluss-Eis. Dieser Weg war zwar weiter, doch Talmach meinte, er sei für uns und die Hunde sicherer. Stromaufwärts breitete sich zu unserer rechten Hand eine kleine Ebene aus. Der voranschreitende Mohawk blieb plötzlich stehen und zeigte auf die Ebene hinaus. „Bisons!“ sagte er. Wir wandten unsere Blicke in die angedeutete Richtung. Tatsächlich! Vor einem Waldstück erblickten wir einige der herrlichen Tiere. Der Irokese erklärte uns, dass die riesigen Büffelherden im Winter zwar nach Süden zogen, dass aber vereinzelte Tiere auch in den Wäldern zurückblieben. Doch da! Was war das? Indianische Jäger trieben die Tiere auf ihren Schneeschuhen ins offene Gelände, wo der tiefe Schnee ihre Flucht hinderte. Dort mussten sie ihren Pfeilen und Lanzen zum Opfer fallen. Jeder Büffel würde zehnmal soviel Fleisch wie ein Hirsch erbringen. Gedörrt und zerstampft, mit Fett, Beeren und Wurzeln gemischt, würde dieser nahrhafte Pemmikan das harte Leben der Waldindianer im Winter etwas erleichtern. Erst nachdem die Büffel erlegt waren, lenkten wir unsere Toboggans auf die Ebene hinaus. Als die Roten uns erblickten, kamen sie heran. Es waren Mohawk! Sie waren natürlich überrascht, als sie den Häuptlingssohn erkannten. Doch für lange Erklärungen blieb keine Zeit, denn ein eisiger Wind wehte über die Ebene. Die Irokesen liessen die erlegten Bisons liegen und führten uns in das Waldstück hinein. Dort, im Schutze des Gehölzes, hatten sie einige Tipis aufgeschlagen, in die wir uns verkrochen, bis sich die Eiseskälte verflüchtigt hatte.
Am Nachmittag begann es zu schneien. Wir gaben die Hoffnung auf, die Fährte der Königstreuen auf dem Grand River wieder zu finden. „Bis zum Bärensee ist es nicht mehr weit“, sagte Talmach. „Wir werden heute Nacht aufbrechen! Es ist Vollmond. Ich kenne den Weg; er führt über diese Ebene. Morgen werden wir bei meinem Stamm sein!“ Am Abend brachen wir also wieder auf. Die indianischen Jäger wollten uns später mit den zerlegten Büffeln folgen. Es hatte aufgehört zu schneien. Der Mond und die Sterne dieser prachtvollen Winternacht schauten auf uns herunter. Der Polarstern, der Gürtel des Orion und viele andere glitzernde Punkte am Firmament wiesen uns die Richtung, die wir einzuhalten hatten. Gegen Mitternacht erhoben sich links und rechts von uns bewaldete Höhen. Diese traten aber bald wieder auseinander, und wir befanden uns am Eingang eines grossen Tales. Das Mondlicht überflutete eine grosse weisse Fläche – Der Bärensee! Mein Herz pochte stark. Ich glaubte seine Schläge zu hören. Wir befanden uns im Stammesgebiet der Mohawk! Meine liebsten Träume waren aus diesem Land gestiegen. In meinen liebsten Träumen hatte ich es mir nicht so schön vorgestellt. Der Mond, die Sterne, die verschneiten Wälder ringsum und der weisse See schienen wie von Geisterhand in dieses Tal gezaubert, das wir nun betraten. „Dort drüben liegt das Dorf“, weckte mich mein indianischer Gefährte aus den Träumen auf. Die Hunde drängten zum See hinunter. Sie ahnten wohl, dass die Reise bald zu Ende sein würde. Vielleicht war auch nur unsere eigenartige Unruhe auf die Tiere übergesprungen. Durch meinen Puma Peppy hatte ich oft genug erfahren, wie Mensch und Tier in der Wildnis durch eine unerklärliche Weise miteinander verknüpft sein können. Der See lag unter festem, dickem Eis, auf das wir die Hunde lenkten. Nach dem Kälteeinbruch hatten wir keine Bedenken, schnurstracks auf das andere Ufer zuzuhalten. Als es im Osten zu dämmern begann und sich die harten Konturen der Nacht glätteten, erblickten wir die Hütten der Mohawk am Ufer. Einige Gestalten standen dort und erwarteten uns. Talmach wechselte einige Worte mit ihnen. Unsere Ankunft verbreitete sich in dem Dorf wie ein Lauffeuer. Überall tauchten neugierige Krieger, Frauen und Kinder auf. Hier sah ich wieder die Langhäuser der Irokesen. Dazwischen entdeckte ich aber auch Erdhütten. Von weitem ähnelten sie mit
ihrer halbkugeligen Form Wigwams. Die Erdhütten waren jedoch grösser und solider gebaut. Über dem etwas ausgetieften Boden trug ein starkes Pfostengerüst Dachsparren, die zugleich Dach und Wand bildeten. Darüber waren Lagen von Zweigen, Gras, Rasenplatten und Erde gedeckt. Die Hütten schienen recht stabil zu sein, denn ich sah Leute auf den Dächern stehen. Das ganze Dorf war mit einem Zaun von Pfählen umgeben, der als eine Art Befestigungsanlage dienen musste. Ausserhalb des Dorfzaunes erblickte ich sonderbare Gerüste, von denen jedes aus vier hohen Pfählen bestand. Ich erfuhr, dass dort oben, zwischen Himmel und Erde, die Toten der Mohawk lagen. Sie waren fest in Felle eingeschnürt und auf Querstangen gelegt worden, einerseits um auszutrocknen, andererseits aber auch, um vor den wilden Tieren des Waldes sicher zu sein. Nach der vorgeschriebenen Zeit würden dann die übriggebliebenen Knochen von den Leichengerüsten heruntergeholt und in Felsspalten gelegt werden. Währenddem ich mit meinen Gefährten das Dorf und die Menschen bewunderte, trat Talmach zu uns. „John Stanton und Frank Porter waren gestern hier im Dorf“, teilte er uns mit. „Sie haben sich mit dem Bärenschädel und dem Wampum-Gürtel der Cherokee das Vertrauen meiner Brüder erschlichen.“ „Und Hans Amrein!? War er nicht hier?“ fragte ich. „Sturdy Jack war nicht hier, auch Rowlandson und Benton nicht!“ „Was ist wohl geschehen? Wo sind die beiden Büffeljäger jetzt?“ „Sie sind mit meinem Vater, dem Häuptling der Mohawk, und einigen Kriegern zum ‚Heiligen Ort der Bären’ geritten.“ „Wir müssen deinen Vater warnen, mein Bruder!“ „Ja. Die Büffeljäger glauben wohl, dass sie an dem ‚Heiligen Ort’ Gold finden werden. Doch unser Stamm bewahrt an dem geheimen Ort die Feuersteine der ‚Bären’ auf.“ „Aber dein Vater wird den Ort doch nicht verraten!“ „Der Träger eines Wampums hat das Vertrauen aller ‚Bären’. Mein Vater wird die Tories also zu dem ‚Heiligen Ort’ führen!“ „Warum können die Weissen die Roten nicht in Ruhe lassen!“ empörte sich Kentucke Tom. „Es genügt ihnen nicht, dass die rote Rasse immer weiter nach Westen verdrängt wird. Nein! Sie missbrauchen auch noch ihr Vertrauen und entweihen ihre heiligen Orte!“ Ich blickte den Mohawk an. Er erwiderte meinen Blick. „Ich hatte auch geglaubt, dass der rote und der weisse Mann auf unserer gemeinsamen Mutter Erde zusammenleben können“, sagte
er. „Aber ich habe mich geirrt! Nach den Rotröcken kommen jetzt die Langen Messer das Mohawk-Tal herauf. Es bleibt kein Platz mehr für mein Volk! Es muss weichen. Und bald wird der weisse Mann auch am Bärensee stehen! Er achtet das Land nicht. Er rodet die Waldflächen. Er lässt die Baumstämme achtlos auf dem Boden liegen oder zündet sie an. Uns ist die Mutter Erde aber heilig.“ Mir tat der Irokese leid. Er musste mit ansehen, wie sein Volk, die rote Rasse, aus den angestammten Jagdgründen verdrängt wurde. Er erlebte eine Zeit, die für seine Leute die grössten Umwälzungen in ihrer Geschichte brachte. Wie die Arme eines Kraken breiteten sich die Einwandererströme zuerst an den Küsten und in den Flusstälern aus, um dann auf das ganze Land überzugreifen. Die alten Werte mussten darunter zugrunde gehen. Ich versuchte den Mohawk zu trösten. „Mein Bruder Crossbow Joe ist der Freund des Roten Mannes“, sagte er zu mir, „aber er kann den Lauf der Dinge nicht ändern! Noch ist die Axt des Weissen Mannes hier in den Wäldern nicht zu hören.“ Die Mohawk hatten in der Zwischenzeit frische Hund vor die Toboggans geschirrt und Proviant für zwei Tage aufgeladen. „Wird mein Bruder Crossbow Joe mich zum ‚Heiligen Ort der Bären’ begleiten?“ fragte mich der Häuptlingssohn. „Darf ein Weisser den Ort betreten?“ „Du bist der Träger des Wampums und gehörst zum ‚Clan der Bären’. Du hast unser Vertrauen und darfst den ‚Heiligen Ort’ betreten.“ Ich gehörte also zu den „Bären“! Alles Gold der Welt hätte diesen Gunstbeweis nicht aufgewogen! Selbst der Adelstitel eines englischen Lords hätte mir diese Ehre nicht erwiesen. Wir brachen sofort wieder auf. Einige der Mohawk und mein Puma begleiteten uns. Meine Gefährten und die französischen Seeleute blieben im Dorf zurück. Durch einen Seitenausgang verliessen wir das Tal wieder. Nach drei Stunden kamen wir in einen engen Talkessel. „Das ist die Schlucht der Feuersteine“, erklärte Talmach. Ein Bach wand sich hier durch. Bizarre Eisgebilde hatten sich in dem Bachbett geformt. Unter dem Eis murmelte ein Rinnsal. Wir folgten dem Bach einen Hügel hinauf. Der Weg wurde steil und unwegsam. Die Hunde und Schlitten liessen wir zurück und marschierten auf unseren Schneeschuhen weiter. Weiter oben stiessen wir auf den Schlitten der Büffeljäger. Zwei Mohawk bewachten ihn. Sie berichteten uns, dass vor kurzer Zeit der
Häuptling mit drei Kriegern und den beiden Bleichgesichtern an den „Heiligen Ort“ gegangen sei. Wir schnallten die Schneeschuhe ab. Eine Tallehne führte auf eine Anhöhe hinauf. Fussstapfen waren im Schnee zu sehen. Ich nahm meine Armbrust vom Schlitten und hängte sie über den Rücken. Mein Puma hatte mich beobachtet. Er fühlte meine Spannung. Ich war zu allem entschlossen. Würden wir da oben auf die beiden Büffeljäger stossen? Gnade ihnen Gott, wenn sie dem Hans Amrein ein Leid zugefügt hatten! Es begann wieder leicht zu schneien, als ich als erster dem Bach entlang hinaufstieg. Talmach, drei Krieger und Peppy folgten mir. Es roch hier nach Tannenharz. Die Schneeflocken wehten schräg durch das Geäst der Tannen. Sie legten sich wie Federn auf meine Stirn, die Nase, die Wangen und kühlten diese. Mit festen Schritten und unverdrossen arbeitete ich mich den Hang empor. Ich begann zu schwitzen. Wir mussten den Bach überqueren. Dann stapften wir am Rande einer eisigen Rinne entlang. Die Steigung wurde immer schroffer und schwieriger. Plötzlich versperrten spitze Pyramiden und schlanke Säulen aus Eis den Weg. Das Wasser des Baches, das jäh über eine Felsklippe herabstürzte, hatte diese herrlichen Gebilde geschaffen. Das Wasser sprudelte, plätscherte, gurgelte und klatschte über das Eis. Am Fuss dieser Eiskaskaden erkannte ich den Eingang zu einer Höhle. „Das ist der ‚Heilige Ort der Bären’!“ sagte der Mohawk. Wir stiegen zum Eingang der Höhle hinauf. Talmach holte aus einer Nische zwei Kienspäne. Einen davon gab er mir. Wir steckten diese an und traten in die Höhle. Die Krieger, welche uns begleitet hatten, blieben draussen. Im Schein der Feuer konnte ich eine grosse Kalksteinhöhle erkennen. Neben dem Wasserfall bildete sie ein vortreffliches Versteck. Tropfwasser hatte Ablagerungen ausgeschieden. Kalksteinzapfen wuchsen von der Decke nach unten und vom Boden nach oben. Dabei vereinigten sie sich zu majestätischen Säulen und geschwungenen Bogengängen in den merkwürdigsten Formen. Herrliche Farben von Ocker bis Braun waren zu sehen. An manchen Stellen war das Wasser des Baches in die Höhle getreten. Wir kletterten in einen höhergelegenen und trockenen Gang. Die Natur hatte hier im Kalkstein ein Labyrinth von Gängen, Tunnels, Schächten und Hallen hervorgebracht. Wir befanden uns gerade in einem dieser Gänge, da hörten wir mehrere Schüsse fallen. Das Echo vervielfachte sich hier in der Höhle und hörte sich wie Donnergrollen an. Dann erscholl ein Schrei. Er ging mir durch Mark und Bein. Es war der Todesschrei eines Menschen.
„Vater ist in Gefahr!“ rief der Mohawk. Wir rannten vorwärts. Da! Wieder Schüsse! Gott! Was war geschehen? Vor uns öffnete sich eine Grotte! Am Eingang lag ein lebloser Körper. Es war ein Mohawk! Wir stürmten in die Grotte. In der Mitte lagen weitere vier Indianer. Talmach stiess einen Schrei aus. Dann beugte er sich über seinen Vater, um zu sehen, ob noch Leben in ihm war. Als ich in die Grotte getreten war, sah ich die Mörder durch einen der Gänge verschwinden. Ich folgte ihnen. Für kurze Zeit sah ich sie vor mir. Ich hielt im Laufen inne, riss meine Armbrust hoch und schoss. Der Pfeil klatschte über den Köpfen der Büffeljäger in den Kalkstein. Im dunklen Gang sah ich ein Mündungsfeuer aufblitzen. Die Kugel streifte meine Pelzmütze. Erst jetzt kam mir die Gefahr zum Bewusstsein, in der ich schwebte. Durch den Fackelschein bot ich den Tories ein leichtes Ziel! Ich warf den Kienspan weg und warf mich flach auf den Boden. Es war keine Sekunde zu früh, denn eine zweite Kugel pfiff über mir hinweg. Ich presste das Kinn fest gegen die Erde. Die Schritte der beiden Büffeljäger entfernten sich. Sollten sie uns wieder entwischen! Eine kalte Wut packte mich. Ich kehrte in die Grotte zurück. Talmach kniete bei seinem Vater, der im Sterben lag. Eine Kugel hatte ihm das Brustbein zerschmettert und war in die Lunge eingedrungen. Der Sohn hatte den Schwerverwundeten mit einer weichen Unterlage versehen. „Warum tötet der Weisse Mann alles, was wir lieben?“ fragte mich der Mohawk, als ich zu ihm trat. Aus seinen Augen sprach der Schmerz. Was sollte ich auch antworten? „Ist es das Gold, was den Weissen Mann zum Töten treibt, mein Bruder?“ fragte er. „Ich werde sie alle rächen!“ brachte ich mit erstickter Stimme hervor. Der Häuptling war wieder bei Bewusstsein. Er blickte uns an. „Talmach, du bist aus dem Land im Süden zurückgekehrt“, flüsterte er und nahm die Hand seines Sohnes. „Ja, Vater.“ „Die Zeit ist gekommen, mein Sohn, mein Leben der Erde zurückzugeben.“ „Ja, Vater.“ „Du bist nicht allein zurückgekehrt?“ „Das ist mein weisser Bruder Crossbow Joe, Vater. Er ist aus einem fernen Land zu uns gekommen. Er hat mir das Leben gerettet!“
„Ich danke dir, mein Freund“, sagte der Häuptling und nahm auch meine Hand. „Ihr seid Brüder geworden. Das ist gut. Vermittelt einander euer Wissen. Folgt zusammen dem heiligen Weg. Weisse und Rote dürfen einander nicht töten. Die verschiedenen Hautfarben dürfen euch nicht trennen, denn ihr seid miteinander auf unsere Mutter Erde geboren worden. Wir haben eine gemeinsame Mutter. Erweist einander Liebe und Respekt. Alle Menschen haben dasselbe Recht auf Leben. Nehmt niemals etwas von der Erde, ohne zuerst ein Gebet dafür gesprochen zu haben. Alles ist mit allem verbunden. Seid dessen immer bewusst – –“ Seine Stimme wurde immer schwächer. Er hatte schon viel Blut verloren. Er richtete sich auf. „Talmach, mein Sohn! Ich werde aus dieser Welt gehen. Ich habe keine Zeit mehr!“ Er atmete schwer. Schmerzerfüllt schloss er die Augen. Nach einer Weile sagte er: „Talmach!“ „Vater!“ „Höre meine Worte, mein Sohn! Du wirst dem Volk der Mohawk ein weiser und mutiger Häuptling sein. Halte den Clan der Bären zusammen! Verständige dich mit dem Weissen Mann! Eines Tages wird er auch an den Bärensee kommen, so wie er ins Mohawk-Tal gekommen ist.“ „Ich verspreche es dir, mein Vater!“ „Talmach und mein weisser Freund! An diesem ‚Heiligen Ort der Bären’ sollt ihr geloben, einander beizustehen! Ihr sollt fortan Brüder sein!“ Der verwundete Irokese stiess einen tiefen, röchelnden Seufzer aus. Unaufhörlich floss Blut aus seiner Brustwunde. Ein letztes Mal bäumte er sich auf. „Talmach, mein Sohn!“ „Vater!“ „Mein weisser Bruder! Du hast dich als wahrer Freund der Mohawk erwiesen!“ hauchte der Häuptling. „Talmach und du, mein Freund! Ihr – sollt – fortan – die – Hüter – – unserer – – Feuersteine – – sein – – –“ Leise kehrte der Häuptling der Mohawk zu seinem Schöpfer zurück . . .
Gegen Morgen fallen Schüsse. Die Insassen von Fort Mackenzie fahren aus dem Schlaf und sehen die Prärie um das Lager der Piegan herum von Rothäuten wimmeln. Zu Pferd und zu Fuss stürmen sie heftig schiessend auf das Fort zu. Sofort wird das Feuer erwidert, aber bald eingestellt, als man merkt, dass der Überfall von etwa 600 Assiniboin und Cree nicht dem Fort, sondern den Piegan gilt.
25. Kapitel
Sühne
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almach und ich waren zum Eingang der Höhle zurückgekehrt.
Dort hatten wir die Krieger über den Tod ihres Häuptlings unterrichtet. Ein eisiges Schweigen war die Antwort. Die Nachricht war so ungeheuerlich, dass nicht einmal der Schmerz Eingang in ihre Herzen fand. Sie schienen unfähig, einen Entschluss zu fassen. Dabei mussten die beiden Büffeljäger verfolgt werden! „Die Mörder eures Häuptlings sind noch in der Höhle“, sagte ich. „Ich werde sie mit meinem Puma heraustreiben!“ „Ich werde meinen Bruder begleiten“, sagte der junge Häuptling. Was musste in ihm vorgehen! Weisse Männer hatten seinen Vater und vier Krieger einfach über den Haufen geschossen. Warum? Nur weil sie statt des Goldes Feuersteine vorgefunden hatten? Was waren das für Menschen! Nichts war ihnen heilig! Sie konnten nicht begreifen, dass der Feuerstein für die Mohawk den grösseren Wert besass als Gold. Wie grossartig waren doch diese Indianer! Wenn ich geglaubt hatte, sie würden mich ihren Hass gegen alle Weissen spüren lassen, so hatte ich mich geirrt. Nur Schmerz und Trauer sollte ihre sonst so heiteren Gemüter erfassen. „Es gibt einen zweiten Ausgang am anderen Ende der Höhle“, sagte der Irokese. „Die weissen Mörder werden ihn gefunden haben. Wir erreichen den Ausgang am schnellsten, wenn wir zum ‚Heiligen Ort der Bären’ zurückkehren.“ Während die Krieger am Höhleneingang Posten bezogen, eilte ich mit meinem Bruder und Peppy durch die Gänge zu dem Ort des Todes zurück. Wir mussten vorsichtig sein, denn wir wussten nicht, ob die Büffeljäger die Höhle wirklich verlassen hatten. Hier im Dunkeln konnten sie uns gut auflauern. Doch keine Menschenseele befand sich mehr in der Höhle. Nur die toten Indianer lagen noch unverändert in der Grotte. Wir eilten weiter. Der Gang wurde sehr eng. Plötzlich schimmerte uns das Tageslicht entgegen, und wir krochen ins Freie. Draussen fanden wir Spuren im Schnee. John Stanton und Frank Porter waren also durch diesen Ausgang geflohen. Wir stiegen einen bewaldeten Abhang hinunter. Der Schnee behinderte unser Vorwärtskommen. Dafür waren die Spuren deutlich zu sehen. Es war fast windstill. Ausser unseren knirschenden Schritten war kein Geräusch zu vernehmen. Einige Male mussten wir über umgestürzte Bäume klettern. Schliesslich
erreichten wir einen Hügel. Wir machten halt. Unser Augenmerk richteten wir nun auf eine dünne Rauchsäule, die sich kräuselnd über die Wipfel erhob. „Da vorne sind sie“, sagte ich. Wir gingen weiter. Unsere Waffen hielten wir im Anschlag. Die Spuren führten zu dem flachen Uferstück eines Flusses. Dort brannte das Feuer. „Die Bleichgesichter sind sehr unvorsichtig“, flüsterte mir der Mohawk zu. Wir bahnten uns einen eigenen Weg durch das Unterholz. Bald kamen wir zu einer baumfreien Stelle. Am Rand waren grosse Felsblöcke aufeinandergetürmt. Wir hörten Stimmen. Auf allen vieren krochen wir zu den Felsen hinüber. Die Stimmen wurden lauter. Dann lag ich hinter einem der Felsblöcke. Vorsichtig hob ich den Kopf. Vielleicht fünf Schritte von mir entfernt sah ich die beiden Büffeljäger. Sie wärmten sich am Feuer. Ich konnte den Mann mit dem Walrossschnurbart deutlich hören. Er sagte zu dem Einäugigen: „Der Teufel soll mich holen, Frank, wenn ich in der Höhle nicht den Jungen mit dem Puma gesehen habe!“ „Du meinst diesen Brandstetter aus Salisbury?“ „Ja.“ „Du hast dich getäuscht, John! Wie soll der hier an den Bärensee gelangt sein?“ „Was weiss ich! Auf jeden Fall stecken wir hier ganz schön im Dreck. Es war ein Fehler, dass du die Rothäute erschossen hast. Dein Jähzorn hat uns wieder einmal alles verdorben!“ „Ich verlor die Beherrschung, als uns diese Wilden voller Stolz ihren Plunder zeigten“, sagte Porter. „Ich habe den langen Weg von Kentucke bis hierher an den Bärensee nicht wegen Feuersteingürteln, Muscheln und bemalten Stoffen gemacht!“ „Ich auch nicht! Aber jetzt können wir sehen, wie wir zu dem Gold kommen! Den Hundeschlitten sind wir auch los. Die Roten warten doch nur darauf, dass wir in ihrem Dorf auftauchen, um ihn zu holen. Es ist wohl am besten, wir verschwinden von hier. Ich will nicht die Bekanntschaft mit dem Marterpfahl dieser Rothäute machen!“ Plötzlich fuhr Frank Porter mit einem Ausruf zusammen. „Sieh dort! Ein Puma!“ Ich folgte seinem Blick und erkannte auf einem Felsblock – Peppy. Seine Augen funkelten, er war zum Sprung bereit. Mein treuer Puma! Noch nie hatte ich ihn in dieser Erregung gesehen. Was war in ihn gefahren? Ein Gedanke schoss mir durch
den Kopf. Aber wie war das möglich? Hatte Peppy die Mörder seiner Pumafamilie erkannt? Liebe Leser, ihr erinnert euch – Die Mutter hatte den kleinen Racker in einer Felsspalte in Sicherheit gebracht. Dort musste er mit ansehen, wie die Büffeljäger die Pumas töteten. Hatte dieses Ereignis sich im Gedächtnis des Tieres eingeprägt? War das überhaupt möglich? Nie werde ich diese Fragen beantworten können. Mit Erschrecken sah ich, wie der Puma mit einem gewaltigen Satz von dem Felsen herunter auf den Rücken des Einäugigen sprang. Der Pumatöter brüllte auf und überschlug sich zusammen mit meinem Peppy. Es gelang dem Mann aber, sich dem Angriff des Tieres zu entziehen. Er flüchtete auf das Eis des Flusses hinaus. Dieser Fluchtweg wurde ihm aber zum Verhängnis. In langen Sprüngen folgte ihm nämlich der Puma. Hier zwischen den Felsen war das Fluss-Eis nicht überall fest. Es gab Stellen, wo die Strömung das Wasser durch die Eisschicht drückte. Und genau auf eine dieser Stellen trieb mein Peppy den nussbraunen Jäger mit der Augenklappe zu. Und dann geschah es. Porter brach bis zur Brust ein. Er hielt sich verzweifelt an einer Eisplatte fest. Er kämpfte um sein Leben. Auch der Puma war auf gefährliches Eis gekommen. Er tat einen Satz über den Kopf des Eingesunkenen hinweg. Durch den Druck wurde die Eisplatte aber unter das Wasser gedrückt, wo sie zerbrach. Frank Porter warf beide Arme in die Höhe und war im nächsten Augenblick zwischen den Eisschollen verschwunden, die sich durch die Strömung sofort wieder über ihm schlossen. Das alles geschah natürlich viel schneller, als ich es beschreiben kann. Als der Puma auf dem Felsen aufgetaucht war, sprang auch John Stanton auf die Füsse. Sein erster Griff galt der Büchse, die er auf die Katze anlegte. In diesem Augenblick kam der Mohawk zwischen den Felsen hervor. Er schlug dem Rothaarigen das Gewehr aus der Hand. Ohne lange zu fackeln zog der Büffeljäger aber jetzt sein langes Messer aus dem Gürtel und holte zum tödlichen Stoss gegen Talmach aus. In letzter Sekunde konnte sich dieser zur Seite werfen. Doch der kalte Stahl bohrte sich in seine Schulter. Ich erfasste die Situation sofort. Mit drei, vier Sprüngen brachte ich mich zu dem Büffeljäger heran und schlug ihm das Messer aus der Faust. Wie vom Blitz getroffen machte dieser ein paar Schritte rückwärts, glitt aus und stürzte auf den gefrorenen Boden. Dabei kugelte der Bärenschädel vom Johann Deschwanden über das Eis. Mein plötzliches Auftauchen musste John Stanton einen Schrecken eingejagt haben. Ohne sich umzusehen, schnellte er vom Boden auf
und rannte Hals über Kopf zu den Felsen hinüber. Durfte ich den Mörder entwischen lassen? Mein Bruder war verletzt. Er konnte ihm nicht nach. Währenddem Stanton auf einen grossen Felsblock kletterte, spannte ich meine Armbrust. Nein, der Bisonjäger und Pumatöter durfte nicht entwischen! Der erste Pfeil musste treffen! Ich war ganz ruhig. Ich legte die Armbrust an und zielte. Der Pfeil schnellte von der Sehne. Ein Ruck ging durch den Körper des Büffeljägers, der oben auf dem Felsblock angekommen war. Er sank zusammen. Mit einer Hand umklammerte er noch einen Felsriss und hing freischwebend in der Luft. Mit angstverzerrtem Gesicht blickte der Todgeweihte zu uns herüber. Dann verliessen ihn die Kräfte. Mit einem Aufschrei stürzte er in die Tiefe und schlug am felsigen Boden auf. Die beiden Büffeljäger waren tot! Sie hatten hier im Indianerland ihre gerechte Strafe erhalten. Doch nicht die Roten hatten die Vergeltung geübt, obwohl sie das Recht gehabt hätten. Ich und mein Puma hatten sie vom Leben zum Tode gebracht! Ich untersuchte die Wunde von Talmach. Sie musste sehr schmerzhaft sein. Als ich seine Schulter verband, liess sich der Mohawk keine Gefühlsregung anmerken.
W
ir kehrten ins Dorf am Bärensee zurück. Die Kunde vom
Tod ihres Häuptlings und vier ihrer Krieger hatte die Mohawk bereits erreicht. Der ganze Stamm war versammelt, als wir mit den Schlitten die Toten ins Dorf brachten. „Josef!“ hörte ich meinen Namen rufen. Ich schaute mich um. Tatsächlich, ich hatte mich nicht getäuscht! Es war die Stimme von Hans Amrein! Mein Landsmann drängte sich durch die Menge. „Hans!“ rief ich. Wir fielen uns in die Arme. Mein Freund, den ich schon verloren geglaubt hatte, war wieder unter uns! Der Jagdtrupp der Mohawk, der mit den erlegten Bisons auf dem Heimweg gewesen war, hatte den Sarner und Rowlandson am Grand River aufgelesen. Auch Einsamer Wolf, der rote Pelztierjäger, befand sich im Dorf. Er hatte Stanton und Porter an den Bärensee geführt. Dort war er von den Büffeljägern niedergeschlagen und an einen Baum
gefesselt worden. Mohawk-Frauen hatten ihn aus seiner misslichen Lage befreit.
H
ier endet unsere Geschichte, obwohl sie eigentlich erst
anfängt. Meine Freunde und ich verbrachten den ganzen Winter und den darauffolgenden Frühling am Bärensee. Es war die glücklichste Zeit meines Lebens. Fast hätte ich meine Eltern in Salisbury vergessen. Auch Kentucke Tom, der kleine Ire, Old General, der Mestize, Rotkäppchen, der Neger, Sturdy Jack, mein Landsmann, Jean Godeau, der französische Bootsmann, und seine Leute fühlten sich wohl bei den Mohawk. Und Abner Rowlandson, der „Landvermesser“? Stundenlang hatte er am Ufer des Bärensees zugebracht und ins Wasser gestarrt. Seit dem Tod seines Komplizen auf dem vereisten Katarakt war er mit der Welt zerfallen. Er war nicht mehr froh geworden. Er hatte auch keinen Richter unter uns gefunden. Eines Nachts hatte er seinem Leben ein Ende gesetzt. Er war in seinem Tipi, das er allein bewohnt hatte, verbrannt. Hans Amrein! Wir hatten uns so viel zu erzählen, nachdem wir in Pittsburgh getrennt worden waren. Welche Abenteuer hatten wir seither zu bestehen gehabt! Ich bin heute überzeugt, dass wir alle unter dem Schutz jenes Wampums gestanden hatten, den uns der junge Cherokee geschenkt hatte. Noch heute höre ich seine Worte: „Dieser Wampum wird euch Schutz gewähren. Er ist heilig. Unsere Mütter und Väter haben ihn aus dem Land der Fichten und Tannen mitgebracht.“
Von den Hügeln am Ufer des Missouri herunter erblickt man das bunte Lagerleben der Rothäute, das Fort am Fluss, die unberührte Weite der Landschaft und darüber den leuchtenden Himmel.
26. Kapitel
Am Bärensee
E
s war Frühling geworden am Bärensee. Die Tage bei den
gastfreundlichen Irokesen vergingen mir wie im Fluge. Talmach, der neue Häuptling der Mohawk, hatte uns ein Langhaus überlassen. Wir fühlten uns hier bei diesen liebenswürdigen Menschen wohl. Niemand sprach von der Heimreise. Es war ein ausgesucht erfrischender Nachmittag, als ich mich mit Peppy auf einer abgelegenen Uferwiese am See aufhielt. Sie wurde von einem Dutzend Kastanienbäumen überschattet. Durch die grünen Blätter schimmerte der Spiegel des gleissenden Bärensees. Als ich in der Nähe unsere grasenden Pferde sah, machte ich mir unwillkürlich Gedanken über die bevorstehende Abreise. Sie war wohl nicht mehr allzulange hinauszuzögern. Da die Wiese auf der anderen Seite des Dorfes lag, war weit und breit keine Menschenseele zu sehen. Nachdenklich wanderte ich zu einem Kastanienbaum und setzte mich in seinen Schatten. In seinem Geäst hatte sich ein Vogel eingenistet. Ein Pferd wieherte. Es war der schwarze Mustang des jungen Häuptlings, meines Bruders. Seine Krieger, von denen wir uns in Oswego getrennt hatten, waren ins Dorf zurückgekehrt. Es war wirklich ein kleines Paradies, dieses Tal am Bärensee. Überdies hatten es mir seine freundlichen und lebenslustigen Bewohner angetan, die aus dem Mohawk-Tal hierhergezogen waren. Ich liess meinen Blick vom See und der Wiese zum Dorf hinüberschweifen. Ringsum standen wie Wälle die grünen Fichten und Tannen. Dahinter lebten die Bewohner des Waldes – die Bisons und Bären, die Panther und Pumas, die Wölfe und Hirsche! „Heute Abend werde ich mit Kentucke Tom und Old General über die Heimreise reden“, sagte ich zu meiner Wildkatze, welche die Ohren spitzte. Wie ging es wohl meinen Eltern im fernen Salisbury? Seit einigen Tagen plagte mich das Heimweh. Währenddem ich meinen Gedanken nachhängte, näherte sich vom Dorf her eine weibliche Gestalt. Ich erkannte das Mädchen sogleich – Es war Süsses Mondlicht im Herbst Frau, die Tochter von Der mit dem grauen Haar, den der Schwarzbär am S.th Fork getötet hatte. Mir war das hübsche und zierlich gewachsene Mädchen schon in der ersten Woche hier im Dorf aufgefallen. Mit Achtung
hatte ich ihre stoische Gefasstheit bemerkt, als wir ihr das Fell des Bären und die Nachricht vom Tod ihres Vaters überbracht hatten. Für Süsses Mondlicht hatte der Tod den Schrecken verloren. Ihre Mutter war schon früh gestorben. Sie hatte für den Vater und die beiden jüngeren Brüder die Rolle der Mutter übernehmen müssen. Gemessenen Schrittes kam sie nun auf die Wiese zugeschritten. Die Pferde kamen heran und beschnupperten sie. Vor dem Kastanienbaum, an dessen Stamm ich lehnte, blieb sie stehen. Die schöne Indianerin trug eine lange, bemalte Bisonrobe, die an den Hüften von einem geflochtenen Gürtel gerafft und zusammengehalten wurde. Tiefschwarzes Haar quoll unter einem weissen Stirnband hervor. Es umrahmte ihr hübsches bronzenes Gesicht. Auf diesem lag ein gewinnender Ausdruck. Über ihren ebenmässig gezeichneten Mund mit den vollen Lippen huschte ein freundliches Lächeln, als sie mich begrüsste. Wir hatten uns in den letzten Wochen täglich gesehen. Unsere Zuneigung zueinander war wie eine zarte Blüte gewachsen und schliesslich aufgegangen. Mein Herz schlug ein paar Sekunden lang wie rasend, bevor wir uns endlich wieder in die Arme schliessen konnten. „Josef, mein Liebster!“ hauchte sie mir ins Ohr. „Süsses Mondlicht!“ flüsterte ich. Schweigend schritten wir zum See hinüber. „Dein Herz ist schwer, Josef?“ fragte sie mich. „Ja. Ich werde dich bald verlassen.“ „Ich weiss“, sagte sie und blickte mich mit traurigen Augen an. „Vielleicht bin ich im nächsten Frühling schon wieder zurück. Willst du auf mich warten?“ „Ja, ich werde auf dich warten. Wenn du zurückkehrst, werde ich für immer bei dir bleiben.“ Unsere heissen Lippen fanden sich. Eine Woge des Verlangens umbrandete uns. Niemand störte uns. Die Sonne war hinter den Wipfeln des Waldes untergegangen. Die Hitze des Tages verflüchtigte sich . . .
A
m Abend versammelten wir uns im Langhaus. Talmach war
begleitet von einigen der angesehensten Krieger des Stammes. Wir
liessen uns in dem Raum mit der Kochstelle nieder. Nachdem die Pfeife bereits einige Male die Runde gemacht hatte, erhob der junge Häuptling seine Stimme: „Ihr, meine weissen Freunde, seid mit mir in unser Dorf hier am Bärensee gekommen. Davor hatten wir viele Gefahren zu überstehen. Mein Bruder Crossbow Joe rettete mir das Leben, das mir der Schwarzbär nehmen wollte. Nie werde ich meinem Bruder das vergessen. Er gehört zu uns. Auch der ‚Heilige Kopf des Bären’ ist zum Stamm der Mohawk zurückgekehrt und mit ihm auch die Freude in unsere Wigwams. Doch heute hat mir mein Bruder gesagt, dass die weissen Freunde uns bald verlassen werden. Obwohl ich es verstehe, ist mein Herz schwer.“ Der Irokese hob nun eine Kette in die Höhe. Sie bestand aus Feuersteinen, die auf Schnüren aufgereiht waren. Für die Mohawk war diese Kette etwa gleichbedeutend wie das Sternenbanner für die Amerikaner. „Dieser Wampum soll die Freundschaft zwischen den Mohawk und euch für immer besiegeln“, sprach der Häuptling weiter. „Die Mohawk sind die Besitzer der Feuersteine, die ihnen heilig sind. Crossbow Joe soll der Hüter des Wampums sein!“ Im ersten Moment war ich völlig sprachlos, als mir mein Bruder die Kette in die Hände legte. Meine Gefühle nach dieser hohen Ehre, welche mir die Mohawk bewiesen, lässt sich nicht beschreiben. Noch heute bewahre ich die Feuersteine auf. Für kein Gold würde ich sie eintauschen!
A
m Tag unserer Abreise war das ganze Dorf auf dem grossen
Platz vor dem Häuptlingshaus versammelt. Viele Geschenke wurden ausgetauscht. Am Abend zuvor waren wir übereingekommen, dass wir am südlichen Ufer des Ontariosees entlang und durch das Mohawk-Tal nach Albany reiten wollten. Von dort sollte uns eine Fähre den Hudson River hinunter nach New York bringen. Von dort wollten wir dann nach Salisbury reiten. Talmach wollte uns mit einigen Kriegern bis Albany begleiten. Nun kam er zwischen den Hütten hervor. Er führte seinen schwarzen Mustang am Halfter.
„Mein Bruder“, sagte er, „dieses Pferd wird dich in das Dorf am Yadkin River tragen. Ich habe das Tier aufgezogen. Es wird dir ein treuer Freund sein!“ Das Herz wollte es mir zerreissen. Wie oft hatte ich den edlen Mustang bewundert! Einige Male hatte er mich auf der Jagd durch die Wälder getragen. Er kannte mich. Was für ein herrliches Geschenk! „Ich danke dir, mein Bruder!“ sagte ich. „Ich möchte dich um etwas bitten.“ „Sprich, mein Bruder!“ „Mein Peppy hat uns von Gillespie's Gap bis hierher an den Bärensee begleitet. Hier hat er sich zum erstenmal in seinem Leben an ein Jagdrevier gewöhnt. Hier fühlt er sich heimisch. Willst du, mein Bruder, an meiner Stelle für den Puma sorgen? Er kennt dich und hat Vertrauen zu dir.“ „Ich werde mich um ihn kümmern, als hätte ich ihn selber aufgezogen“, sagte der Häuptling. Als wir uns auf die Pferde setzten, huschte Süsses Mondlicht mit Tränen in den Augen an meine Seite und überreichte mir schweigend das Fell jenes Bären, den ich am S.th Fork erlegt hatte. Schmerzliche Gefühle bewegten mich, als ich mich von dem Mohawk-Mädchen losreissen musste, um den Gefährten zu folgen. Ich schaute noch einige Male zurück. Jedesmal bot sich mir das gleiche Bild – Süsses Mondlicht stand wie erstarrt zwischen den Hütten und blickte mir mit ihren glänzenden Augen nach. Das Herz blutete mir, wie ich sie so dastehen sah. Plötzlich riss ich meinen Mustang herum und galoppierte ins Dorf zurück. Ich zog eine Stickerei aus der Rocktasche und schwenkte sie über meinem Kopf. Auf dem Dorfplatz angekommen, zügelte ich mein Tier und reichte die Stickerei dem Indianermädchen. „Sie ist von meiner Mutter“, sagte ich. „Verwahre sie für mich, Süsses Mondlicht, bis ich zurückkehre!“ Ihre Traurigkeit war mit einemmal verschwunden. Ein strahlendes Lächeln erhellte ihr Gesicht. Ich stiess einen Freudensschrei aus und jagte wieder zurück. Ich hörte das langgezogene Wiiiiiiii der Mohawk durch das ganze Tal hallen. Doch ich blickte kein einziges Mal mehr zurück.
Indianer verlassen das Handelslager beim Fort Union und treten die Heimreise an.
27. Kapitel
Abschied
N
och kein Abschied in meinem Leben war mir so schwer
gefallen wie der von den gastfreundlichen Irokesen am Bärensee und – von Süsses Mondlicht. Sie hatte mir ihre ganze Liebe und Freundschaft geschenkt. Ich war fest entschlossen, in das Tal zurückzukehren.
W
ir erreichten das Mohawk-Tal, die einstige Heimat meiner
indianischen Freunde. In Deerfield waren wir kurz abgestiegen. Hier hatten wir uns mit Pulver und Blei versorgt und waren dann weiter das Tal hinuntergeritten. Der Mohawk fliesst durch breite, fruchtbare Ebenen, die im Norden und Süden von steilen Höhenzügen gesäumt werden. Nördlich von Albany mündet der ruhige Fluss schliesslich in den grösseren Hudson River. Unser Ziel war die Stadt Albany, die in einer Niederung am Westufer des Hudson liegt. Als wir uns kurz vor Sonnenuntergang vom nördlichen Mohawk-Tal dem Ort näherten, erblickten wir die Turmspitzen und Dächer dieser altehrwürdigen Stadt, die sich im äussersten Norden der Kolonie New York befindet. Eine breite Hauptstrasse führt durch die Stadt, welche ihren holländischen Charakter bewahrt hat. Die Häuser sind nämlich alle mit dem Giebel zur Strasse hin gebaut und haben hölzerne Treppenaufgänge und Bänke neben den Haustüren. Typisch holländisch erschienen mir auch die kleinen Vorhöfe. Die Prachtallee, auf der wir in die Stadt ritten, führt auf einen Hügel, auf dem ein Fort die Stadt beherrscht. Wir machten an der Stelle, wo sich die zwei grössten Strassen der Stadt kreuzen, halt. Hier steht auch eine Kirche. Es ist ein quadratisches Bauwerk, mit einem hohen spitzen Dach, das auf seinem höchsten Punkt ein Glockentürmchen mit einem Wetterhahn hat. Die Kirchenfenster bestehen aus rautenförmigen und bemalten Butzenscheiben.
Seitdem ich vor mehr als einem Jahr Salisbury verlassen hatte, sah ich wieder eine grössere Stadt. Ich betrachtete die quadratischen, abgezirkelten Häuser mit ihren scharfen Kanten, die überall hervorragten. Mir wurde zum ersten Mal bewusst, dass diese groben Formen der Häuser auch das Denken der Menschen bestimmt, die darin wohnen. Ihre ganze Vorstellung entspricht den harten, schroffen Kanten ihrer Häuser und spiegelt ihr Besitzdenken wider. Ganz anders sind die Indianer. Ihre Wigwams sind rund. Sie sprechen vom heiligen Kreis, in dem sie sich eins mit der Schöpfung fühlen. Diese Gedanken gingen mir durch den Kopf, als wir durch die Stadt ritten. Wir trafen schliesslich einen holländischen Skipper an. Er wollte 65 uns flussabwärts am Cedar Hill an Bord seines Schoners nehmen. Wir waren froh, dass wir die Stadt so schnell wieder verlassen konnten. Wir ritten noch am gleichen Abend am Ufer des Hudson entlang zu dem verabredeten Einschiffungsplatz am Zedernhügel. Hier schlugen wir unser Lager auf. Es war die letzte Nacht, in der wir gemeinsam mit den Mohawk an einem Feuer sassen. Im Morgengrauen tauchte auf dem Fluss ein breit ausgelegter, einmastiger Schoner auf. Es war eine jener berühmten Sloops des Hudson, die seit einem Jahrhundert den Warenverkehr des Flusses von Norden nach Süden getragen hatten. Das von den Holländern gebaute Schiff war über zwanzig Meter lang. Es besass ein rundes Heck und breite Decks, ein grosses Hauptsegel und einen kleinen Klüver. Eine Gestalt, die im Dämmerlicht nicht zu erkennen war, lehnte auf der langen, schweren Ruderpinne und lenkte die Sloop ans Ufer. „Da kommt ja der Skipper mit der Fähre, Männer!“ hörte ich Kentucke Tom rufen. „Sobald sie angelegt hat, führt jeder sein Pferd einzeln aufs Deck!“ Wir führten unsere Tiere zum Anlegeplatz am Fluss hinunter. Der Schoner legte an. Der Mond war untergegangen, und ein leichter Schimmer über den Wäldern am Hudson kündete den nahen Morgen an. Wir gingen an Bord. Der Mohawk begleitete uns. „Ich komme zu meinem Bruder Crossbow Joe, um von ihm Abschied zu nehmen“, sagte der Freund. „Wir sind einen langen Weg zusammen gegangen! Nach Sonnenaufgang werden wir in unser Dorf am Bärensee zurückkehren. Ich weiss, dass die 65
Zedernhügel
Trennung von dir für lange Zeit sein wird. Du hast die Freundschaft der Mohawk gewonnen. Du und deine Freunde werden immer willkommen sein, wenn ihr einst ins Tal am Bärensee zurückkehren werdet.“ Ich reichte dem Roten die Hand. „Ich wäre gerne bei euch geblieben. Aber ich muss nach Salisbury, um nach meinen Eltern zu sehen. Talmach, du bist mein Freund! Ich werde bestimmt eines Tages wieder in dein Dorf zurückkommen.“ Wir konnten beobachten, wie die Sonne die Bergspitze des Cedar Hill vergoldete. Der Fluss und der Hügelhang ruhten noch im Schatten. Der eindrucksvolle Gegensatz zwischen der goldenen Hügelkuppe und dem dunkelschattigen Abhang wirkte auf mich wie ein Orakel. Als die Sonne auch auf dem Hudson glitzerte, nahmen wir Abschied von den Mohawk, die am Ufer ihre Pferde bestiegen. Vor der herrlichen Kulisse des Zedernhügels folgten sie dem Uferweg zurück nach Albany. Ich stand mit meinen Freunden auf der Sloop und sah den Indianern nach. Talmach schwang sich als letzter auf sein Pferd. Er blickte noch einmal zu unserer Fähre hinüber, die inzwischen in die Strömung gebracht worden war, legte seine Hände wie ein Sprachrohr an den Mund und rief: „Crossbow Joe, mein Bruder!“ Ich winkte noch ein letztes Mal zu den Mohawk hinüber, die mit der wachsenden Entfernung schnell kleiner wurden. Schliesslich waren sie nicht mehr zu erkennen. Schon bald versank auch der Zedernhügel, die höchste Erhebung an dieser Stelle des Flusses, hinter den Tannenwipfeln. Auf unserem Schoner wurde das Hauptsegel gehisst. Die Sloop erwies sich hier auf dem Hudson als zuverlässiges Schiff. Bei günstigem Wind und einer schnellen Strömung machte es über 11 Knoten. Der holländische Skipper van Ruysbroek stellte sich als ein meisterlicher Flusslotse heraus. Er kannte den Hudson wie seine Westentasche. In King's Ferry, wo sich der Fluss verengt, liess der Skipper die Ruderpinne herumfahren, die Sloop reagierte auf das Steuer, und dann lag sie fest vertäut an der Anlegebrücke. Einige Passagiere kamen an Bord. „Hier war eine von zwei Überfahrtsstellen, wo 1781 Rochambeaus Newporter Armee und Teile von Washingtons Kontinentalsoldaten über den Hudson setzten“, erklärte uns van Ruysbroek, der Skipper. „Ich war mit meiner Sloop auch dabei. Wir transportierten die Soldaten mit der Ausrüstung, den Proviantwagen, den Zugtieren
und den Kanonen von Verplanck's Point bis hierher oder Stony Point.“ „Auch ich habe den Yorktown-Feldzug mitgemacht!“ sagte Kentucke Tom, der dem Skipper zugehört hatte. „Ich muss euch nun den Schluss erzählen. Wir hatten also die zwei Redouten in Yorktown im Sturmangriff genommen. Dort stellten wir unsere Kanonen auf. Mit dem Feuer unterbrachen wir die Verbindung der Rotröcke mit Gloucester, ihrem einzig verbliebenen Ausbruchsweg. Obwohl sie noch einen Ausbruch versuchten, war ihre Lage aussichtslos. Als der Morgen des 17. Oktober graute, nahmen unsere Batterien von den eroberten Redouten das Bombardement der britischen Stellungen wieder auf und setzten die letzten kampffähigen britischen Batterien ausser Gefecht. Da jede Hoffnung auf Entkommen sich zerschlagen hatte, blieb dem Kriegsrat, den Cornwallis im Hornwork einberief, nur noch die Kapitulation. Um zehn Uhr morgens erklang kaum hörbar durch das Donnern der Kanonen der Schlag einer Trommel. Er kam von einem Jungen, der in seiner roten Jacke auf der Brustwehr des Hornwork stand. Die höhere Gestalt eines Offiziers, der statt einer weissen Fahne ein Taschentuch schwenkte, tauchte neben ihm auf. Er ging mit dem immer noch wild trommelnden Jungen neben sich auf die amerikanischen Linien zu. Angesichts dieser Erscheinung verstummten unsere Kanonen. Die Stille, die auf die zerstörte Stadt fiel, war beredter als jeder Lärm. Immer noch sein weisses Taschentuch in der Hand, wurde der britische Offizier zum amerikanischen Hauptquartier eskortiert, wo er die Botschaft von Cornwallis übergab. Am 19. Oktober begann die Kapitulationszeremonie. Auf einer Seite der Strasse nach Williamsburg waren zehn Regimenter der französischen Sandhasen in ihren weissen Uniformen angetreten. Die weissen Seidenfahnen trugen die königliche Lilie in Gold. Auf der anderen Seite standen die amerikanischen Stoppelhopser, in den ersten Gliedern die Kontinentalsoldaten und dahinter die weniger disziplinierte, schäbigere Miliz, einige mit aufgerissenen Stiefeln, aus denen die nackten Zehen heraussahen. Die Rotröcke latschten mit polierten schwarzen Stiefeln und geweissten Gamaschen in neuen Uniformen, die der Quartiermeister noch ausgegeben hatte, damit sie nicht unter das uns zustehende Beutegut fielen, mit eingerollten und in Hüllen steckenden Fahnen zwischen den beiden hindurch. Beim Kapitulationsaufmarsch blieben die Deutschen steif und korrekt im Tritt, aber die Rotröcke, die ihre Vorräte an Rum und Brandy geleert hatten, schienen sehr unter Alkohol und zeigten
Bitterkeit und Überheblichkeit und mehr als alles andere Verachtung für die Stoppelhopser. Die Rotröcke richteten ihren Blick fest auf die Sandhasen, sie weigerten sich, ihre früheren Mituntertanen anzusehen, bis Lafayette befahl, den Yankee Doodle zu spielen, was alle britischen Köpfe schlagartig zur amerikanischen Seite herumriss.“ Rotkäppchen konnte es wieder nicht lassen, den kleinen Iren zu unterbrechen. „Lobo kennen Yankee Doodle“, sagte er und grinste in sich hinein. „Da bin ich aber gespannt!“ rief Kentucke Tom. „Lobo wissen genau, Yankee Doodle sein kein Tier.“ „Ach! Und woher willst du das wissen, Rotkäppchen?“ „Yankee Doodle sein schöne Blume!“
W
ir legten wieder ab. Flussabwärts treten die Ufer mehr und
mehr zurück, bis sich der Strom zu einer seeartigen Form verbreitert, wo er mit grosser Ruhe und einer stillen Kraft zwischen den waldigen Hügeln liegt. Etwas weiter unten schickt der Croton River, ein Nebenfluss, sein helleres Wasser in das dunkler erscheinende des Hudson. So weit ich stromab sehen konnte, vermischten sich die verschieden getönten Fluten aber nicht. Die hellere zog in der dunkleren südwärts, als wollte der Croton sein Lebensrecht behaupten, obwohl ihn doch der Hudson bereits unwiderruflich und beherrschend in sich aufgenommen hatte!
W
ir waren mit der Sloop am Fort, das wie eine Speerspitze
der Stadt New York in den Hudson und den East River hinausragt, vorübergesegelt. Mit Bewunderung hatten wir die Batterien dieses ältesten Stützpunktes der Holländer beobachtet. Danach waren wir auf einem Schiffsplatz an der Water-Street, dem Peck Slip, eingelaufen. Van Ruysbroek, der holländische Skipper, legte mit seinem Schoner wieder ab.
„Ich kenne hier in New York einen alten Freund“, teilte uns Kentucke Tom mit. „Er ist Wirt in der Schenke ‚Zum Schratsegel’, die in der Gold-Street steht. Er weiss Bescheid über alle Schiffe, die an den Piers an der Water-Street an- oder ablegen. Wir werden ihn besuchen, bevor wir New York verlassen.“ Nachdem wir unsere Pferde auf die Schiffslände geführt hatten, führte uns der kleine Ire vom Peck Slip zum Oswego Do hinüber. Dort bogen wir in die Ferry-Street ein und gelangten schliesslich in die Gold-Street. Wir fanden die Schenke, die wir gesucht hatten. Das Schild über dem Eingang zeigte ein weisses Segel. In der geräumigen Gaststube hielten sich viele Besucher auf; es waren Auswanderer aus der Alten Welt. An drei Seiten des verräucherten Raumes liefen Tische und Bänke entlang, während an der vierten eine mit Gläsern und Flaschen bestandene Anrichte stand. Dahinter sass der Wirt, ein wohlbeleibter Mann mit einer rosigen Kartoffelnase. Als wir eintraten, stand er auf und wischte mit einem Lumpen über den fettigen Schanktisch. Kentucke Tom wechselte einige Wort mit dem Mann, worauf er uns in ein Hinterzimmer führte. „Ihr könnt einstweilen hierbleiben, bis die Zimmer frei werden. Die Auswanderer ziehen nämlich noch heute nach Norden, in die Täler am Schoharie und Mohawk“, sagte der Wirt mit der Kartoffelnase und kehrte in die Gaststube zurück. Als wir allein in dem Nebenzimmer sassen, zog Kentucke Tom ein kleines Tagebuch aus seiner Jagdtasche und drückte es mir in die Hand. Ich kannte das Buch. Da der kleine Ire nämlich seine liebe Mühe mit dem Formulieren bekundete, hatte ich es übernommen, für ihn Buch zu führen und unsere gemeinsamen Erlebnisse darin niederzuschreiben. „Crossbow Joe, nimm das Buch! Du hast in all den Monaten deine Notizen darin gemacht. Du sollst es auch weiterhin tun. Du hast das Zeug dazu. Mir liegt das Schreiben nicht. Vielleicht will irgend jemand unsere Abenteuer mal lesen, und du wirst gerade so berühmt wie der Waldläufer Daniel Boone. Und wenn ich eines Tages alt bin und nicht mehr durch die Wälder ziehen kann, dann kannst du mir aus dem Buch vorlesen. Dann wirst du noch ein gutes Werk tun, das kannst du einem alten Schwadroneur glauben!“ Zuerst konnte ich mir keinen Reim darauf machen, welchen Zweck er damit verfolgte. Erst später wurde mir klar, dass sich der Trapper selbst in das Buch der Geschichte eintragen wollte. Wer konnte ihm diese liebenswürdige Absicht verdenken? Zudem hatte er mir die Anregung gegeben, dieses Buch zu schreiben.
Wenn ich jetzt das Tagebuch, welches mir bis heute erhalten geblieben ist, zu Rate ziehe und zur Feder greife, um unsere gemeinsamen Abenteuer auf Papier zu bringen, sehe ich meine Freunde so deutlich vor mir, als hätte sich alles erst gestern zugetragen.
A
m anderen Morgen kam Rotkäppchen in mein Zimmer
gerannt. „Massa Joe!“ rief er ausser sich. „Massa Joe sein bestohlen worden!“ „Wer ist bestohlen worden, Lobo?“ „Massa Joe!“ „Ich?“ „Ja, Massa Joe!“ „Was ist denn gestohlen worden?“ „Diebe haben Mustang und Armbrust von Massa Joe gestohlen!“ „Mein Mustang und die Armbrust wurden gestohlen!“ „Ja, Massa Joe, kommen schnell!“ Ich rannte mit dem Neger zum Stall hinunter, wo ich mein Pferd während der Nacht untergestellt hatte. Auch die Armbrust hatte ich dort hingestellt. Meine Gefährten und der Wirt erwarteten mich bereits. „Das müssen die Auswanderer gewesen sein, die gestern die Stadt verlassen haben“, mutmasste der Mann mit der Kartoffelnase. Mein schwarzer Mustang! Das Geschenk meines Bruders Talmach! Das Herz wollte es mir zerreissen. Und die Armbrust, das Erbstück meines Ururgrossvaters, die schon im Bauernkrieg ihre Dienste geleistet hatte! Verschwunden! Von weissen Dieben gestohlen! Konnte ich ohne die Waffe vor meinen Vater treten? Nein! Ich musste den Auswanderern nach! Schnell war ein Entschluss gefasst: Unsere Wege sollten sich hier in New York trennen. Schweren Herzens nahm ich Abschied von Old General, Lobo und Hans Amrein. Sie wollten nach Salisbury zurückkehren. Kentucke Tom und ich brachen noch in der gleichen Stunde auf. Der Wirt von der Schenke hatte mir ein Pferd besorgt.
Wir ritten die Gold-Street hinunter. Die Gefährten standen vor der Schenke. Ich blickte ein letztes Mal zurück und sah Old General, den Mestizen, in seinem dunkelbraunen Rock mit den silbernen Tressen und seinem eleganten Dreispitz. Er hatte sich auf seine Büchse gestützt, einsilbig und verschlossen wie eh und je. Neben ihm stand der Mohr, die treue Seele. Das leuchtende Rot seiner Mütze, das tiefe Schwarz seiner Haut und das Weiss seiner Augen und Zähne bildeten einen königlichen Kontrast. Er lachte wie ein Honigkuchenpferd. Auch Sturdy Jack winkte uns zum Abschied. Mein Freund und Landsmann! Was hatten wir nicht alles miteinander erlebt! Kentucke Tom und ich hatten New York verlassen. Wir folgten den Spuren der Planwagen jener Auswanderer, die mich vermutlich bestohlen hatten. Der Weg führte uns durch die Wälder am Hudson entlang nordwärts. Dort trafen wir einen Mahican. Er erzählte uns, dass sein Stamm von den Weissen ausgelöscht worden sei. Er wollte uns aber durch die Wälder führen, die einst zu den Jagdgründen der Mahican gehört hatten. Durch den Diebstahl in New York war ich misstrauisch geworden. Nachts legte ich deshalb mein Tagebuch unter meinen Kopf. Der Indianer lachte und sagte zu mir: „Mach dir keine Sorgen, mein Bruder, es gibt hier im Umkreis von vielen Meilen keinen Weissen Mann weit und breit!“