Seewölfe 39 1
Roy Palmer 1.
Philip Hasard Killigrew schlug die Augen auf, reckte sich und gähnte herzhaft. Damit kehrt...
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Seewölfe 39 1
Roy Palmer 1.
Philip Hasard Killigrew schlug die Augen auf, reckte sich und gähnte herzhaft. Damit kehrte er aus den wenigen Stunden tiefen Schlafes und der Abgeschiedenheit, die er sich gegönnt hatte, in die Wirklichkeit zurück. In seine Welt — das waren die rollenden und stampfenden Bewegungen der „Isabella III.“, das Klatschen der Wellen gegen die Bordwand, das Knarrender Rahen und Blöcke, das Trampeln nackter Füße über Deck und die rauhen Kommandos, die die Männer seiner Crew zurückriefen. Und da war der Gedanke an Francis Drake und dessen Galeone „Golden Hind“. Seit Tagen klüste die Seewolf-Mannschaft mit allen Segeln nordwärts, ohne auch nur eine Mastspitze der gesuchten Galeone gesichtet zu haben. Der Seewolf glitt von der Koje. Er wusch sich und kleidete sich vollständig an. Er verließ die Kapitänskammer, trat auf die Kuhl und blinzelte gegen die Sonne an. Die „Isabella III.“ stand unter vollem Zeug, an Deck herrschte immer noch derart sengende Hitze, daß man sich auf den Holzplanken fast die Fußsohlen verbrannte. Hasard drehte sich um und entdeckte schräg über sich Ben Brighton, seinen Bootsmann und ersten Offizier. Ben lehnte sich mit verschränkten Armen auf die Brüstung der Quarterdeckgalerie und sagte: „Ausgeruht, Sir? Wir befinden uns ein paar Meilen querab von Guayaquil, Ecuador.“ „Bald haben wir den Äquator erreicht.“ „Man spürt das körperlich.“ „Ben, der Kutscher soll die Trinkwasserrationen erhöhen, sonst liegt den Männern die Zunge bald wie ein ausgetrockneter Schwabberlappen im Mund.“ „Aye, aye.“ Hasard stieg aufs Achterdeck und steckte die Nase in den handigen Südwind. Es war der 26. Februar 1579. Ein wolkenloser Nachmittag näherte sich seinem Ende. Die vergangenen Tage hatten nicht unerheblich an den Kräften der Männer gezehrt. Sie
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hatten großes Glück mit dem Wetter gehabt — keine Rede konnte von einer Flaute sein, wie sie sie vor einem Jahr in den äquatorialen Windstillen vor der Ostküste des Kontinents erlebt hatten, die sie vor der Durchquerung der Magellanstraße hatten passieren müssen. Ununterbrochen klüsen, das brachte sie ein gutes Stück vorwärts und wegen der ungewöhnlichen Schnelligkeit der Zweimastgaleone wahrscheinlich näher an Drake heran. Das hieß aber auch hart arbeiten und sich kaum Verschnaufpausen gönnen, denn der Wind purrte die Männer ständig an die Brassen und Schoten und verlangte ihnen ihr volles seemännisches Geschick ab. Da der Seewolf jetzt mit einer vollständigen Crew von sechsundzwanzig Mann fuhr, hatte er zwei Wachen einteilen können, die sich auf Deck ablösten. Zu der ersten, die um diese Stunde wieder die Aufgaben der zweiten Wache zu übernehmen hatte, zählte auch er. Ben Brighton hatte bislang seinen Platz an Deck eingenommen. Jetzt meldete er sich ab und erklärte: „Keine besonderen Vorkommnisse, Hasard.“ „Gut, dann bis später, Ben.“ Brighton marschierte über die Kuhl davon und nahm seine Leute mit. Sie drückten das Querschott im Vordeck auf und verschwanden über den Niedergang im dunklen, einigermaßen kühlen Bereich des Vorschiffes, in einer der Kammern lag ein übel zugerichteter Mann, auf dessen Unterstützung an Deck sie vorläufig nicht bauen konnten. In Trujillo hatten sie ihn aus den mörderischen Fängen des Miguel Pedro de Vaca befreit — Edwin Carberry, den Profos von der „Golden Hind“. Das unerschütterliche Rauhbein. Den bulligen Kerl mit dem Rammkinn und dem zernarbten Gesicht, der während seiner ersten und einzigen handgreiflichen Auseinandersetzung mit dem Seewolf zwei Zähne verloren und diesen dann zu achten begonnen hatte. Carberry lag jetzt in einer Koje und kurierte unter Flüchen und Verwünschungen seine Wunden aus. Man
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hatte sie ihm unter der Folter beigebracht. Obwohl er ein harter Brocken und derb im Nehmen war — an dieser Art von Schmerzen hatte selbst ein Bursche wie er schwer zu kauen. Carberry war in einer etwas stürmischen Nacht von Bord der „Golden Hind“ geraten. Wie das hatte passieren können, wußte er bis heute selbst nicht. Aber eins hatte er Hasard versichern können: daß er nämlich nicht von selbst außerbords gegangen, sondern von irgendjemandem hinterhältig übers Schanzkleid gestoßen worden war. Er hatte sich achtern am nachgeschleppten Beiboot festgehalten, aber der Unbekannte hatte die Vorleine gekappt. Carberry war allein im Stillen Ozean zurückgeblieben. Die ganze Sache war für ihn ein doppelter Schicksalsschlag gewesen. Erstens hatte er sich als Schiffbrüchiger in einer ausweglos erscheinenden Lage befunden und allenfalls auf ein Schiff der Spanier hoffen können, das ihn aufnahm — also keineswegs rosige Aussichten! Zweitens hatte es ihn tief getroffen, daß einer der Männer von Bord der „Golden Hind“, vielleicht einer seiner Leute, ihm etwas Derartiges angetan hatte. Dabei hätte er für jeden von ihnen seine Hand ins Feuer gelegt, selbst für den ewig nörgelnden Mac Pellew, den Miesgram vom Dienst! Der Profos hatte eine Insel erreicht und war zusammengebrochen. Indianische Fischer vom Stamm der Chimus hatten ihn gefunden und nach Huanchao, einem der beiden Häfen von Trujillo, gebracht. Damit hatte der arme Carberry ein schlechtes Los gezogen, denn er wurde von spanischen Soldaten festgenommen, verhört und später gefoltert. Miguel Pedro de Vaca, dem die Provinz Libertad unterstand und der diese Art der peinlichen Vernehmung angeordnet hatte, hatte vermutet, daß der bullige Mann zu „El Draque“, also Drake, gehörte. Carberry hatte eisern geschwiegen, doch de Vaca hatte seine Wut an ihm ausgelassen. Denn Drake hatte sich bei den Spaniern im Neuen Land einen Namen gemacht — durch seine berüchtigten Raids und
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Landunternehmen wie beispielsweise auf der Mocha-Insel oder im Hafen von Callao, wo er in der Nacht des 15. Februar die Ankertrossen mehrerer spanischer Kauffahrer hatte kappen lassen. Carberry war dabei einer der Hauptakteure gewesen, aber das hatte er de Vaca wohlweislich verschwiegen. Er hatte die Zähne zusammengebissen und so viel von sich gegeben wie ein drei Tage totes Krokodil. Und wenn der Seewolf nicht gewesen wäre, hätte er dabei sein Leben gelassen. Hasard hatte durch die Chimus vom Schicksal Carberrys erfahren. Zu nächtlicher Stunde war er mit seiner verwegenen Crew in Trujillo eingedrungen und hatte den Profos befreit. Dabei hatten sie auch noch Goldbarren und Edelsteine mitgehen lassen. Ed Carberry hatte dem Seewolf wenigstens den ungefähren Kurs von Drakes Schiff mitteilen können. Hasard und seine Männer hatten also gehofft, irgendwann in diesen Tagen die Konturen der vertrauten Galeone an der Kimm zu sichten — vergebens. Ihre Vorfreude war bereits wieder gedämpft worden. Keine Spur vom alten Francis Drake — und das trotz des ausgezeichneten Windes! Hasard gingen diese Dinge noch einmal durch den Kopf, während er am Backbordschanzkleid auf dem Achterdeck verweilte und den Blick über die türkisfarbene See schweifen ließ. Plötzlich vernahm er ein Geräusch und registrierte Unruhe im Bereich des Fockmastes. Er wandte sich um und schaute hoch. Im Vormars hockte Jean Ribault, einer der ehemaligen Karibik-Piraten, der wegen seiner scharfen Augen durchaus Dan O’Flynn Konkurrenz machen konnte — das heißt, er hing halb über der Segeltuchverkleidung und gestikulierte aufgebracht. Dann, ganz überraschend, ergab sich eine Serie von kleinen Vorfällen: Batuti erschien auf dem Achterdeck und gab durch eine verzweifelte Gebärde zu verstehen, daß etwas nicht in Ordnung war. Der Kutscher tauchte mit einem Mal ebenfalls auf,
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schimpfte und fuchtelte mit einem Tonkrug herum. Hasard stemmte die Fäuste in die Seiten. Seine eisblauen Augen funkelten. „Heraus mit der Sprache. Was ist passiert?“ Ribault konnte das unmöglich genau verstanden haben, aber es hatte den Anschein, denn zur Antwort wetterte er los: „Auf dieses Rotznase ist kein Verlaß. Alle anderen Ablösungen haben ihren Posten bezogen, bloß ich hänge hier noch ‘rum wie ein Stockfisch.“ „Arwenack“, sagte der riesige GambiaNeger mit leidendem Gesichtsausdruck. Er hob die Arme und ließ sie wieder fallen. „Arwenack weg. Verschwunden. Batuti sucht ihn, kann ihn nirgendwo finden. Kleines O’Flynn auch weg. Wie von Schiff verschluckt. Ist richtig verhext...“ Hasard hob die Hand. „Moment. Fangt nicht wieder an, Geister und Dämonen heraufzubeschwören, ich habe immer noch Mac Pellews Geschwafel in den Ohren. Und wagt es nicht. mir zu erzählen, daß Dan und der Affe über Bord gegangen seien.“ „Ach was!“ Der Kutscher hob wieder demonstrativ den Tonkrug. „Die Dinge sprechen doch für sich. Ich habe jedenfalls meine Version parat, falls man mich endlich sprechen läßt.“ „Kann ich ‘runterkommen?“ rief Ribault. Hasard wurde es langsam zu bunt. „Nein, zum Teufel“, brüllte er zurück. „Du bleibst da oben und schmorst, bis wir Dan aufgestöbert haben. Tut mir leid, aber auf den Fockmastausguck können wir keine Sekunde verzichten.“ Der dunkelhaarige Franzose murmelte etwas Unverständliches. Der Seewolf nickte dem Kutscher aufmunternd zu, und dieser setzte von neuem an: „Also, ich gehe mal kurz aus der Kombüse in den Proviantraum hinunter. Als ich zurückkehrte, sehe ich gerade noch was Dunkles aus dem Kombüsenschott hervorhuschen. Ich renne hinterher – der Bursche trägt was fort. Ich kann ihn nicht schnappen, weil er unheimlich flink ist.“ Der Kutscher schnaufte erbost. „Ich schwöre, es war der Schimpansenjunge.
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Wer soll’s sonst gewesen sein? Na, ich wettere eine ganze Weile unter Deck herum und drohe, einen Riesenkrawall zu schlagen, wenn ich nicht wiederkriege, was geklaut worden ist. Da finde ich plötzlich diesen Tonkrug.“ Er zeigte ihn mit anklagender Miene herum. „Leer.“ „Was war denn drin?“ erkundigte sich der Seewolf. „Chicha.“ „Ganz bestimmt?“ „Es war sozusagen die eiserne Reserve. Ich hatte den Krug mit einem dicken Korken versehen und im obersten Bord des hintersten Schapps verstaut. Das war ein gezieltes Attentat! Arwenack, diese Kanaille, wußte ganz genau, wo das Zeug versteckt ist.“ Batuti zog drohend die Augenbrauen zusammen. „Arwenack brav. Kein Dieb.“ Smoky und Karl von Hutten waren hinzugetreten. Smoky, der ebenso wie Batuti und alle anderen an Bord einen Narren an dem kecken Schimpansenjungen gefressen hatte, räusperte sich vernehmlich. „Jemand hat ihn dazu angestiftet, sage ich.“ „Aha“, erwiderte Karl von Hutten und strich mit einer Hand durch seine blonden Haare. Plötzlich grinste er. „Für so einen Streich kommt als Hauptschuldiger nur Dan in Frage. Wahrscheinlich hat er das Zeug umgefüllt und dann den Tonkrug ausgelegt, um den Kutscher abzulenken.“ „Wenn ich den erwische“, zürnte der Kutscher. „Auf eure Posten“, kommandierte Hasard. „Kutscher, du zeigst mir, wo du den Krug gefunden hast.“ Er kletterte auf die Kuhl hinunter, ließ den Kutscher an sich vorüber und folgte ihm dann dichtauf. Sie steuerten auf die Back zu, gingen unter Deck und verhielten sich so leise wie möglich, um Ben Brighton und die anderen nicht zu stören. Ihr Weg führte sie bis unter die Kombüse, in die Nähe des Fockmastes. Seine Umrisse zeichneten sich verschwommen und schemenhaft in der Dunkelheit vor ihnen ab. „Hier war’s“, sagte der Kutscher mit verhaltener Stimme. Bedeutungsvoll wies
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er mit dem Finger auf eine Stelle am Boden. Hasard rieb sich das Kinn und dachte scharf nach. Plötzlich ging ihm das vielzitierte Talglicht auf, und er winkte seinen Koch und Feldscher dicht zu sich heran. Wie zwei Verschwörer schlichen sie nebeneinander in den untersten Bugraum hinunter und verharrten vor dem Schott, das den Eingang zur berüchtigten Vorpiek darstellte. Berüchtigt war das finstere, stinkige Loch deshalb, weil so mancher aufsässige Bursche in der Vorpiek von Schiffen weichgekloppt worden war. Lange hielt es dort keiner aus, ohne nicht durchzudrehen. Hasard hatte Karl von Hutten aus diesem Raum befreit, als sie die „Isabella III.“, die damals noch als „Valparaiso“ gefahren war, gekapert hatten. Ansonsten hatte er persönlich das gefängnisähnliche Gelaß durch keinen seiner Männer einweihen lassen. Er hatte etwas gegen unsinnige Schleifermethoden. Die Crew gehorchte ihm auch so und war notfalls bereit, sich für ihn in Stücke hauen zu lassen. Nur jetzt – jetzt befiel den Seewolf ein leiser Zweifel, ob er sich manchmal nicht doch zu nachsichtig verhalten hatte. Ihm schwante Übles, und er war schon jetzt sicher, in dieser Ahnung bestätigt zu werden. War er gezwungen, ein Exempel zu statuieren ? Der Kutscher kratzte sich den Kopf, blickte unverwandt ‘auf das Schott und sagte: „Denk ich, was du denkst?“ „Wahrscheinlich. Ich sage dir, nirgendwo anders als hier könnten sich diese Halunken todsicher fühlen. Wer wagt sich schon freiwillig in die Vorpiek? Los, halt mal dein Ohr ans Schott.“ „Aye, aye, Sir.“ Der Kutscher lauschte mit beinahe andächtiger Miene in die Vorpiek. Dann richtete er sich wieder auf und schaute seinen Kapitän aus tellergroßen Augen an. „Ich höre was schnarchen.“ „Aufmachen.“ Der Kutscher beeilte sich, der Aufforderung nachzukommen. Hasards Stirn war bereits düster umwölkt, alle
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Zeichen standen auf Sturm. In einer solchen Situation war mit ihm nicht gut Kirschen essen. Das Schott schwang auf. Sie bückten sich und lugten in das finstere Loch. Unter der Gittergräting schwappte fauliges Bilgewasser, und genau dar über hatten sich Donegal Daniel O’Flynn und der Schimpansenjunge Arwenack placiert. In vollendeter Eintracht ruhten sie nebeneinander, die Beine von sich gestreckt, die Oberkörper halb gegen die Bordwand gelehnt. Dan hatte kameradschaftlich seinen linken Arm auf Arwenacks haarige Schulter gelegt, Arwenacks Rechte ruhte auf dem Knie des Bürschchens. Dan hielt den Mund halb geöffnet und gab pfeifende und dünne, röchelnde Laute von sich, während Arwenack bei jedem Einatmen mit aufdringlichem Zischen die Luft an den gelben Zähnen vorübersog und jeweils so heftig wieder ausatmete, daß seine breiten Lippen zu flattern begannen. Das ergab laute, prustende Geräusche. Unweit von Dan lag eine leere Pütz auf der Gräting – sozusagen das Corpus delicti. Ein weiterer Beweis: Süßlicher Alkoholgeruch erfüllte die Vorpiek. Chicha war ein hochprozentiger, scharfer Maisschnaps der Araukaner, denen Drakes Männer und die Seewolf-Crew auf der Mocha-Insel aus der Bedrängnis geholfen hatte. Hasard wußte nicht, ob er lachen oder fluchen sollte. Er bückte sich, hob die Segeltuchpütz auf und stülpte sie Dan O’Flynn über den Schädel. Das Bürschchen zuckte zusammen, grunzte, rappelte sich auf und sagte „Verdammt“ und „Auweia“ und „Himmel-Arsch“ und noch einiges mehr. Arwenack erwachte durch die plötzliche Bewegung neben sich. Er keckerte protestierend, kroch auf allen vieren davon und stieß mit seinem borstigen Kopf gegen die Bordwand, daß es bumste. Verdattert ließ er sich wieder zu Boden sinken, grinste blöde und raufte sich verzweifelt die Haare. „Stinkbesoffen“, kommentierte der Kutscher. „Es ist eine Schande.“ Trotzdem
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konnte er sich das Lachen kaum verkneifen. Dan kam vollends auf die Beine und versuchte, sich von der Pütz zu befreien. Die Tatsache, daß er sicher auf den Beinen zu stehen vermochte, bewies mal wieder, aus welchem Holz er geschnitzt war - daß er das Familiensiegel der rauhbeinigen O’Flynns auf dem Hintern trug, das Markenzeichen seines Alten, der ihn oft genug mit seinem Holzbein verdroschen hatte. Es war geradezu unerhört, wie sturmfest das Bürschchen trotz des Schnapses auf das Holzquerschott zumarschierte. Er kriegte die Pütz vom Kopf, aber jetzt trat ihm Hasard mit voller Wucht in den Achtersteven: Dan brüllte, aber das nutzte ihm nichts. Wie katapultiert schoß er aus der Vorpiek bis zum Niedergang und nahm noch die Hälfte der Stufen, solche Wucht hatte hinter Hasards Tritt gesessen. Arwenack torkelte ebenfalls zur Schottöffnung, kippte um, raffte sich wieder auf - und erlitt das gleiche Schicksal. Eine Sekunde später stolperten er und Dan auf Deck. Klugerweise wollte sich das Bürschchen gleich in den Vormars retten, wurde aber vom Kutscher zurückgehalten. Arwenack produzierte einen Überschlag, fletschte die Zähne, gab ein paar stotternde Laute, von sich und wankte dann zum Schanzkleid. Er hatte solche Schlagseite, daß er außenbords zu kippen drohte. Die Männer schlugen sich auf die Schenkel und grölten vor Vergnügen. Batuti eilte herbei, hielt den Schimpansenjungen fest und ließ ihn auf seine Schulter klettern. Das ging auch nicht ohne Zwischenfälle ab. Zweimal rutschte Arwenack ab und strampelte verzweifelt mit den Beinen. Endlich gelang ihm das Manöver mit Batutis Hilfe. Als er auf dessen Schulter saß, verdrehte er die Augen und gab einen blökenden Laut von sich - er hatte einen Schluckauf. Smoky, Blacky, der Kutscher und die anderen wollten sich kugeln vor Lachen. „Du kannst es dir aussuchen“, sagte der Seewolf zu Dan O’Flynn. „Wegen deines
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undisziplinierten Verhaltens könnte ich dich an der Rahnock zum Zappeln aufhängen oder auf der nächsten Gräting auspeitschen lassen. Oder du marschierst zurück in die Vorpiek und bleibst da für die nächsten fünf Tage eingesperrt.“ Dan blickte schuldbewußt zu Boden. Batuti stellte sich schützend vor ihn und meinte: „Alles meine Schuld. Batuti läßt sich auspeitschen.“ „Nichts da“, gab Hasard barsch zurück. Der Kutscher sagte: „Was den Schnaps betrifft, so bin ich bereit, die ganze Sache zu vergessen und ...“ „Es geht ums Prinzip“, unterbrach ihn der Seewolf. Er blickte zu Jean Ribault auf und winkte ihm zu. Ribault enterte ab. Er schwitzte, das Wasser lief ihm nur so den nackten Oberkörper herab. Er war nicht schlecht geladen gewesen, aber als er die beiden Häufchen Elend sah, schrumpfte sein Ärger auf ein Minimum zusammen. „Ich überlasse die Entscheidung dir“, sagte Hasard. „Schließlich bist du der Leidtragende. Also, was machen wir mit diesen beiden stockbesoffenen Nachttopfseglern?“ Ribault druckste herum. Alle Blicke ruhten auf ihm. Am liebsten hätte er Dan und Arwenack ziehen lassen, aber er las aus der Miene Hasards, daß es ohne eine Bestrafung nicht ging. „Eine doppelte Wache im Vormars“, schlug er endlich vor: „Ich meine, es ist nicht ganz so ohne, zwölf Stunden ohne Unterbrechung da oben zu hocken und…“ „Einverstanden”, sagte Hasard. Noch nie war Dan O’Flynn so schnell in den Vormars aufgeentert, noch nie hatte er sich so flink aus dem Staub gemacht, ohne auch nur eine einzige seiner vorlauten Bemerkungen fallenzulassen. Arwenack sah seinen Komplicen über die Luvwanten verschwinden, und um es ihm nachzutun, hüpfte er von Batutis Schulter. Um ein Haar hätte er die Webleinen verfehlt! Im letzten Moment konnte er sich festklammern, krängte aber doch über und fiel kläglich auf die Deckplatten zurück.
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Batuti hob ihn besorgt auf. Hasard musterte den hicksenden, knüppelvollen Schimpansen. Seine Mundwinkel zuckten. Mit mühsam erzwungenem Ernst sagte er: „Daß mir so was nicht wieder passiert! Der nächste, der sich ohne meine ausdrückliche Genehmigung einen ansäuft, kriegt wirklich die Neunschwänzige zu spüren!“ * Das Sonnenlicht wurde blaß. Allmählich ließ die Äquatorhitze nach, und es war abzusehen, wann sich die Dämmerung und schließlich die Dunkelheit der Nacht der Kimm entgegensenkte. Der Südwestwind hielt an. Philip Hasard Killigrew stand an der Achtergalerie, lehnte mit dem Rücken gegen das Schanzkleid und warf ab und zu einen prüfenden Blick auf die Takelage seiner „Isabella III.“. Es war gleichsam phänomenal, mit welcher Geschwindigkeit der wendige Zweimaster die Fluten des Stillen Ozeans durchpflügte. Immerhin hatten sie nicht nur den Rest der Pulverfässer an Bord, die sie von den Dons „übernommen“ hatten, sondern sie schipperten mit einem Schatz von unermeßlichem Wert gen Norden. Da waren die Silberbarren, die sie den Spaniern vor einem ihrer Bergwerke in der Nähe von Punta Lengua de Vaca abgenommen hatten, dann der Schatz des Vizekönigs in Lima und nicht zuletzt die in Trujillo erbeuteten Goldbarren und Edelsteine. Am schwersten wogen die beiden Truhen, in denen der Schatz des Vizes lagerte. Der Seewolf und seine Männer hatten sich dieses unschätzbare Vermögen von den als verhext geltenden Chincha-Inseln geholt, jenem gottverlassenen Fleckchen Erde, auf denen Seevögel das Regime führten und die Felsen über und über mit dem stinkenden, giftigen Guano bekleckert waren. Hasard nahm an, daß der Tag ohne besondere Ereignisse seinem Ende entgegengehen würde, aber da hatte er sich gründlich getäuscht. Es war Dan O’Flynns krächzende Stimme, die unvermittelt ertönte.
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„Segel ho! Backbord voraus!“ Hasard nahm den Kieker zur Hand, trat an das Backbordschanz- kleid und suchte die Kimm ab. Bald sichtete auch er, was da im Norden aufgetaucht war und südwärts segelte: eine dreimastige Galeone. „Smoky!“ „Sir?“ „Das Schiff klar zum Gefecht machen. Der Kutscher soll die Kombüsenfeuer löschen, und zwar dalli!“ „Aye, aye, Sir!“ Hasard tat es leid, Ben Brighton und die anderen um ihren wohlverdienten Schlaf, bringen zu müssen, aber jetzt konnte er nicht auf sie verzichten. Keine Minute verstrich, und die komplette Mannschaft außer Carberry natürlich - befand sich auf Deck. Die „Isabella III.“ nahm Kurs auf die fremde Galeone. Rasch hatte der Seewolf herausgefunden, welche Art von Schiff er vor sich hatte einen spanischen Handelsfahrer. Fast unbewaffnet. Und was das Entscheidende war: das Schiff hatte kaum Tiefgang. Ben Brighton war neben Hasard getreten und sagte: „Verdammt, das ist kein Happen für uns. Der kreuzt völlig leer durch die Gegend, wenn du mich fragst.“ „Glaube ich auch. Aber wir stoppen den Don trotzdem, Ben. Laß alles verschwinden, was uns auch nur im entferntesten als Engländer ausweisen könnte. Stenmark und alle anderen Blondschöpfe sollen gefälligst die Rüben einziehen, bis der Dreimaster wieder außer Sichtweite ist. Das gilt auch für Karl von Nutten. Irgendein verdammter Philip könnte ihn zufällig kennen.“ „Was hast du vor?“ „Eine kleine Kriegslist. Wir wollen doch herauskriegen, wo Drake steckt, oder?“. Ben grinste und hatte verstanden. Er flankte über die Balustrade des Achterkastells, lief über die Kuhl und gab seine Anweisungen. Bis die „Isabella III.“ nicht auf Rufweite an den Don heran war, herrschte von nun an emsige Tätigkeit. Die Brooktaue der acht Neunpfünder wurden gelöst, ebenso die der Drehbassen auf der Back und auf dem Achterkastell. Auf Deck
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wurde Sand ausgestreut. Pulverhörner wurden gefüllt, Eimer zum Befeuchten. der Wischer mit Meerwasser gefüllt. Doch die Stückpforten wurden noch nicht geöffnet, um den Spanier nicht zu warnen. Stenmark, Piet Straaten, Jan Ranse, Larsen, Nyberg und alle anderen, die auffällig wirken konnten, hatten sich unters Backbordschanzkleid geduckt oder unter Deck verzogen. Zwar gab es auch blonde Dons. Aber Hasard hielt es für taktisch richtiger, wenn die Spanier drüben auf der Dreimastgaleone zu allererst nur Schwarzhaarige wie ihn und Ben Brighton ausmachten, zumal sie die spanische Sprache beherrschten und auf jede dämliche Frage zu antworten wußten, die ihnen zugerufen wurde. Hasard ließ die „Isabella III.“ bis auf eine Kabellänge an die spanische Galeone heranführen und gab dann Befehl backzubrassen. Er zeigte sich den Dons, formte die Hände zu einem Trichter vor dem Mund und rief auf spanisch: „Ich verlange, den Kapitän zu sprechen!“ Ein hagerer Mann in schmucker Kleidung trat drüben auf dem Achterkastell ans Backbordschanzkleid. „Capitan Lope Ariza Garzante“, gab er vernehmlich zurück. „Mit Galeone ,Azuero` leer von Panama nach Lima unterwegs. Wer seid ihr?“ Also doch, dachte Hasard, es ist tatsächlich nichts zu erbeuten. Laut erwiderte er: „Capitan Alirio de Santes mit der ,Isabella IM’. Wir sind Aufklärer eines Kriegsschiffverbandes, der den verdammten ‚El Draque` hetzt.“ Ben Brighton stand wieder neben Hasard, aber in diesem Augenblick blickte er zur Seite, denn er hatte große Mühe, ein Grinsen zu unterdrücken. Den Seewolf ritten wieder mal tausend Teufel! Er besaß nicht nur die Dreistigkeit, den Dons eine so faustdicke Lüge aufzutischen, er versah sich auch noch mit einem Nachnamen, der in der englischen Übersetzung nichts anderes als „Von den Heiligen“ bedeutete. Der Seewolf und ein Heiliger! Eine geradezu aberwitzige Behauptung. Wenn das Drakes Schiffskaplan Fletcher
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vernommen hätte, hätte er wieder einmal verzweifelt die Hände gerungen. „El Draque!“ wetterte der Kapitän Lope Ariza Garzante von Bord seiner ehrwürdigen Handelsgaleone. „Dieser Lump! Dieser Feind Nummer eins. Zur Hölle soll er fahren!“ Er fügte noch eine Reihe von Verwünschungen hinzu. Hasard begegnete dem mit stoischer Ruhe. Er verzog keine Miene. „Habt ihr den Kerl etwa gesichtet?“ erkundigte er sich schließlich. Garzante geriet noch mehr in Aufregung, sein Blut schien zu wallen, und offenbar war er im Begriff, im. nächsten Moment aus der Haut zu fahren. „Madre de Dios und ob! Dieser verfluchte Bastard hat mich angehalten, und wenn sich an Bord meiner ,Azuero’ auch nur ein Pfund Gold oder Silber befunden hätte, dann wäre er mit seinen Himmelhunden übergeentert, hätte uns beraubt und dann mit seinen Kanonen auf den Grund der See befördert.“ „Was dir ganz recht geschehen wäre, du miese Kakerlake“, murmelte Ben Brighton. Die Spanier konnten das unmöglich mitbekommen haben, aber Hasard warf ihm trotzdem einen zurechtweisenden Seitenblick zu. Zu Garzante gewandt, rief Kapitän Alirio de Santes alias Philip Hasard Killigrew: „Wann war das?“ „Heute. Um die Mittagszeit.“ Innerlich frohlockte der Seewolf. Jetzt hatte er endlich wieder einen Hinweis! Jetzt wußte er, daß sie tatsächlich beträchtlich aufgeholt hatten und bald mit Francis Drake zusammentreffen mußten! Er wollte wieder eine Frage stellen, doch der Kapitän der „Azuero“ fuhr drüben bereits aus eigenen Stücken fort. „Er ließ uns weiter,’ dieser englische Bastard, aber er verfolgt eins der größten spanischen Schatzschiffe, die ,Nuestra Senora de la Concepcion’.“ Auf englisch bedeutete das wörtlich „Unsere Dame der Empfängnis“, womit praktisch also die Heilige Mutter Gottes gemeint war. Garzante sprach weiter. „Besser bekannt ist es unter dem Namen ,Cacafuego’, eben weil es so mächtig armiert ist. Der
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königliche Segler hat die Aufgabe, den jährlichen Ertrag der Silber- und Goldminen von den Küsten Chiles, Perus und Ecuadors zur Landenge von Panama zu schaffen. Von dort aus werden Schätze mit Mauleseltrecks über den Isthmus gebracht.“ Hasards Blick fraß sich fast in dem Gesicht des Capitans fest, er lauschte mit größter Konzentration. Als Lope Ariza Garzante sich unterbrach und nach oben schaute, fluchte der Seewolf im stillen. Ausgerechnet jetzt! Garzante blickte ziemlich scheel zum Vormars der „Isabella III.“ hoch. Hasard folgte seinem Blick, ballte die Hände und beschloß, dem Bürschchen O’Flynn und dem Affen Arwenack demnächst die Hälse umzudrehen. Arwenack hatte den Aufstieg geschafft und balancierte mit albernen Gebärden auf dem Rand des Vormars. Plötzlich erschien über der Segeltuchverkleidung eine Hand, packte ihn und riß ihn nach hinten weg. Arwenacks Protestgezeter verstummte im Ansatz. Zweifellos hatte Dan ihm eine Hand aufs Maul gepreßt. Etwas verwirrt schaute Garzante wieder zu dem Seewolf hinüber und beendete seinen Vortrag. „El Draque ist eine Gefahr für die ,Cacafuego’, selbst, wenn man deren Überlegenheit bedenkt. Diesem Teufel ist kein Kraut gewachsen. Bestimmt ist der Capitan Don Juan de Anton hocherfreut, wenn Capitan de Santes von der ,Isabella III.’ für ihn Sicherung fährt ...“ Ben Brighton sah, wie es in den Augen seines Kapitäns blitzte, und hörte, wie er zurückrief: „Aber natürlich! Ich bedanke mich, Capitan. Wir übernehmen es, die ,Cacafuego’ zu schützen und ‚El Draque` ein für allemal eine Lehre zu erteilen. Ist er denn schon nahe dran?“ „Allerdings - es wird höchste Zeit für Sie!“ „Dann wollen wir uns hier nicht länger aufhalten. Adios, Senor Capitan!“ „Adios“, entgegnete der stolze Ariza Garzante. Und er winkte den Männern der Zweimastgaleone hocherfreut nach, wie sie sich von der „Azuero“ entfernten’ und mit vollem Zug weiter nach Norden klüsten.
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Die Seewolf-Mannschaft wagte erst zu lachen, als die spanische Galeone nur noch ein dunkler Fleck vor der südlichen Kimm war. „Cacafuego“, prustete Ben Brighton, „na, diesem Feuerknacker werden wir mal tüchtig einheizen, nicht wahr? Mit Drake zusammen muß das ein richtiger Spaß werden.“ Hasard dämpfte seinen Übermut. „Schrei nicht zu früh. Erstmal müssen wir ihn einholen. Das heißt, wie die Teufel zu segeln. Wir können bloß schuften wie die Verrückten und dabei die Daumen drücken, daß wir es schaffen.“ 2. Hasard wich von nun an nicht mehr vom Achterdeck. Die Nachrichten, die ihm Kapitän Garzante törichterweise übermittelt hatte, waren wirklich hervorragend. Wahrscheinlich würde sich der Spanier sämtliche Finger abbeißen und die Haare büschelweise ausrupfen, wenn er jemals erfuhr, wer der vermeintliche Capitan de Santes in Wirklichkeit war. Jetzt aber hieß es, das Beste aus der Sache herauszuholen. Der Seewolf brannte darauf, dem überragend bestückten „Feuerspucker“ eins auf den Pelz zu setzen – aber vor den Erfolg hatte der liebe Gott bekanntlich den Schweiß gesetzt. Er hielt die Männer ununterbrochen in Trab. Eigentlich war das unausgesetzte Schuften an Bord für sie nichts Neues, seit ein paar Tagen hatten sie nichts anderes getan. Aber der wachweise Dienst auf Deck konnte jetzt nicht mehr gehalten werden. Alle mußten sich schwer ins Zeug legen, um der Zweimastgaleone die größtmögliche Geschwindigkeit zu verschaffen, und der Arbeitsrhythmus wurde fast verdoppelt. Ben Brighton nahm die Kommandos von Hasard entgegen, brüllte sie über Deck und ließ sie weitergeben. Nackte Fußsohlen patschten über die abkühlenden Planken, es war ein ständiges Hin und Her. Immer wieder wurde gefiert oder gebraßt und dichtgeholt und der Kurs verbessert, um den Wind voll
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zu nehmen. Die „Isabella III.“ rauschte unter voller Takelage nordwärts. Hasard beobachtete aus schmalen Augen und mit angespannter Miene, wie seine Männer ihr Äußerstes gaben, um die Höchstfahrt zu erreichen. Die „Isabella III.“ jagte unter wiegenden, fast tanzenden Bewegungen durch die blauen Wasser des Stillen Ozeans. Die Dämmerung zog herauf und breitete sich über der See aus. Der Wind strich von achtern über das Deck. Er kühlte ab, konnte den Gemütern der Männer aber nichts von ihrer Hitze nehmen. Alle, die da unter dem Seewolf am Wirken waren, waren jetzt erregt und fieberten beinahe vor Eifer und Ungeduld, den Gegner bald zu erreichen und endlich loszuschlagen. Gischtwolken sprühten vom Bug der Galeone auf. Eine davon war so hoch, daß Hasard eine gespenstische Sekunde lang den rötlichen Lichtreflex der untergehenden Sonne darin sah. Alle Segel bis zum Platzen gewölbt, preschte die „Isabella III.“ voran, um sich auf Englands Feind zu werfen und ihn mit Flammen, Rauch und Eisen zu zerschmettern. Hasard stand direkt neben Pete Ballie, seinem Rudergänger. Bisweilen gab er ihm einen Hinweis und ließ leichte Kursänderungen vornehmen. Dann griff Pete in den Kolderstock, luvte an oder fiel wieder etwas ab. Aber immer standen die Segel voll. Es war eine regelrechte Wettfahrt, eine langsame Eskalation größter Anstrengungen und Vorbereitungen, die auf den dramatischen Höhepunkt ausgerichtet war. Es galt, zugleich mit der „Golden Hind“ von Drake an der „Cacafuego“ zu sein. War die wirklich so gewaltig armiert, wie Capitan Lope Ariza Garzante es beschrieben hatte, konnte ein Gefecht die schlimmsten Folgen für die „Golden Hind“ haben. Über eins war sich der Seewolf hundertprozentig sicher. Eine solch fette Beute ließ sich Francis Drake nicht entgehen. Er war verwegen genug, auch einem stärkeren Gegner an die Gurgel zu springen. Und fast war es so, als sei von
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der für sie unsichtbaren „Golden Hind“ eine Art Funke auf die Männer an Deck der „Isabella III.“ übergesprungen. Das Jagdfieber und der Kampfeifer hatten sie gepackt und ließen sie nicht mehr los. Philip Hasard Killigrew kannte seine Leute, Ben Brighton und Ferris Tucker, Smoky, Blacky, Batuti, Matt Davies, Ballie, Andrews, Al Conroy, Stenmark und wie sie alle hießen - er las es ihren Gesichtern ab, daß sich schlagartig in ihnen etwas gewandelt hatte. Auch Karl von Hutten sowie O’Driscoll, Bowie, Roscill, Buchanan, Ribault und die übrigen ehemaligen Karibik-Piraten waren von der neuen Strömung erfaßt und mitgerissen worden. Hatten sie zuvor ihren Dienst zwar nicht mürrisch und widerwillig, aber doch eher routinemäßig versehen, so trieb sie jetzt der Drang nach dem Abenteuer an. Einmal enterte Hasard selbst in den Großmars auf, nahm das Spektiv zur Hand und forschte den abendlichen Horizont ab. Der Mantel der Dunkelheit senkte sich nun vollends der Kimm entgegen und verband sich mit ihr, so daß sie nur noch schemenhaft zu erkennen war. Hasards vorläufig letzter Blick voraus brachte keine Neuigkeiten - bei Anbruch der Nacht ließen sich weder die Mastspitzen der „Golden Hind“ noch die der „Cacafuego“ im Norden ausmachen. Bevor er den luftigen Posten verließ, kontrollierte Hasard mit fachmännischem Blick die Takelage. Er schaute über sein Beuteschiff und fand, daß es unglaublich schön aussah, mit seinen aufgeblähten, stolzen Segeln, mit seinen wehenden Standern, mit der weißen Gischt, die am Vordersteven hochwehte. Die „Isabella III.“ führte nur Fock- und Großmast, war aber dennoch, wie Hasard schon seinerzeit bei der Enterung konstatiert hatte, ein ausgesprochener Schnellsegler. Alle Segel waren rahgetakelt, mit Ausnahme des Großsegels, das trapezförmig geschnitten war und an einer Gaffel gefahren wurde. Sie war als Galeone konzipiert, aber schlanker als üblich, daher schnell und wendig. Es hatte
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sich als unschätzbarer Vorteil herausgestellt, daß die Crew sie hoch am Wind laufen lassen konnte, ohne irgendwelche Risiken einzugehen. Ein hervorragendes Schiff - ein Glücksschiff, das ihnen bisher nur Erfolge gebracht hatte! Hasard grinste, hielt das Gesicht in den Wind und stellte fest, daß er nach wie vor ausreichend handig war. Zufrieden enterte er wieder nach unten ab. Er unternahm einen Rundgang über Deck, kletterte auf die Back und nahm zur Kenntnis, daß die Drehbassen wieder mit Brooktauen festgezurrt und mit Mündungspfropfen versehen worden waren, überprüfte den Stand der Blinde unter dem stolz aufragenden Bugspriet, nickte’ und kehrte auf die Kuhl zurück. Längst waren auch die acht DemiCulverinen wieder festgelascht worden. Sie waren nicht zum Einsatz gekommen, doch wenn alles so lief, wie Hasard es sich vorstellte, würden ihre Rohre bald heiß werden - alles hing davon ab, zu welchem Zeitpunkt sie die sagenhafte „Cacafuego“ erreichten. Der Seewolf beendete seine Runde und hatte nichts zu beanstanden. Er gab es Ben Brighton durch eine entsprechende Gebärde zu verstehen, und der grinste erfreut. Hier war ein ausgezeichnetes Schiff mit einer ebenso ausgezeichneten und disziplinierten Mannschaft unterwegs, einem draufgängerischen Rudel von Himmelhunden, die für ihren Seewolf bereit waren, das Letzte aus sich herauszuholen. Die Nacht breitete sich über dem Meer und dem einsam dahinjagenden Schiff aus. Sie verging sehr schnell. Ein neuer Tag, der 27. Februar 1579, brach an. Mit dem Sonnenaufgang und der unweigerlich aufsteigenden Bahn des rötlich glühenden Balles begann auch wieder die Hitze. Gegen Mittag war die Sonne ein mörderisch stechendes, weißliches Etwas im Zenit. Erbarmungslos sandte sie ihre Strahlen auf die nackten Oberkörper der Männer nieder, tönte ihre Gesichter noch dunkler, als sie bereits waren, ließ ihre Haut ledrig werden.
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Hasard unterrichtete sich über den Stand der Proviantmengen, beriet sich mit dem Kutscher und gab ihm Anweisung, die Mahlzeiten so reichlich wie möglich zu gestalten. Die Trinkwasserrationen hatte er heraufsetzen lassen, obwohl das riskant sein konnte. Noch hatten sie genügend Naß in den Fässern, aber wenn er zu großzügig damit umging und sie nicht rechtzeitig genug wieder Land anlaufen und frische Vorräte fassen konnten, schauten sie alle in die Röhre. Der Seewolf nahm diese Gefahr auf sich. Er wollte nicht, daß seine Männer vor Erschöpfung umkippten. Wer so verbissen am Werk war, mußte auch entsprechend versorgt werden. Irgendwann am Nachmittag flog das Querschott im Vordeck auf, und eine mächtige Gestalt humpelte an Deck. Arwenack erblickte sie als erster, turnte über die Fockrah vom Vormars fort, sprang von dort in die Leewanten und sauste wie ein Blitz abwärts. Er hüpfte auf die Balustrade, die den Querabschluß der Back zur Kuhl hin bildete, setzte sich hin, beäugte. den Mann neugierig und ein wenig argwöhnisch zugleich und klatschte in die Affenhände. Der Seewolf lief vom Achterdeck auf die Kuhl, baute sich vor dem Mann auf und blickte in dessen narbiges Gesicht. „Carberry! Was in aller Welt ist in dich gefahren, hier oben aufzukreuzen?“ Der Profos grinste. Es sah ein bißchen gequält, gleichzeitig aber auch spitzbübisch aus. „Das Ganze hier kommt mir nicht gerade wie gemütliches Schmalzsegeln vor. Hier wird mit allen Finessen auf Geschwindigkeit getrimmt, oder? Na los, Hasard, nun rück schon mit der Wahrheit heraus, du verdammter Teufel!“ „Wir versuchen, dich so schnell wie möglich wieder an Drake loszuwerden, Ed.“ „Sonst nichts?“ „Bestimmt nicht.“ Carberrys Augen zogen sich drohend zusammen, seine Stimme nahm einen grollenden Klang an. „Das nehme ich dir
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nicht ab. Ich habe irgendjemand auf spanisch faseln hören, aber da war ich noch nicht wieder soweit fit, um mitzukriegen, was los ist. Aber jetzt weiß ich es –hier läuft was! Und dabei will ich nicht fehlen. Oder hast du gedacht, ich bleibe da unten in meiner verlausten Koje liegen und schiebe einen ruhigen Lenz, was, wie?“ „Du mußt dich schonen“, erwiderte Hasard fast sanft. „Ich? Ich bin doch kein altes Waschweib. Ich ...“ „Wenn du dich jetzt nicht zusammenreißt und noch ein paar Tage ausruhst, statt dich gleich wieder zu verausgaben, klappst du irgendwann zusammen, Profos“, sagte Hasard scharf. „Will das nicht in deinen Querkopf?“ „Nein“, sagte Carberry. „Du bist ein unverbesserlicher Dickschädel“, gab der Seewolf in der gleichen Lautstärke zurück. „Ich laß mir keine Vorschriften machen!“ brüllte Carberry. „Verfluchter Narr!“ „Himmel, Arsch und Zwirn!“ Carberry zog den Kopf ein, hob die Arme und schob sich die Ärmel hoch. Matt Davies, Blacky und Smoky verließen ihre Posten, traten neben ihren Kapitän und nahmen drohende Haltungen ein. Matt Davies sagte: „Soll ich ihm mit meinem Haken den Hintern aufreißen? Was der hier betreibt, grenzt ja schon an Meuterei.“ „Danke, ich erledige das schon selbst“, sagte Hasard. Er tat einen Schritt auf den Profos zu. Carberry schaute in das harte Gesicht, das unauslöschlich von Wind, Wetter und Abenteuern gezeichnet worden war, das jetzt eine Narbe trug, die von der oberen rechten Stirnhälfte schräg über die linke Augenbraue und die linke Wange verlief. Er erinnerte sich an die Prügel, die er seinerzeit bezogen hatte, und entsann sich der Tatsache, daß er den Seewolf im stillen bewunderte und dieser ihm schließlich das Leben gerettet hatte. Er gab eine Art Seufzer von sich, ließ die Arme sinken und brummelte:
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„Zum Teufel, daß ihr auch keinen Spaß vertragen könnt.“ Hasard entgegnete: „Der Kutscher wird deine Wunden überprüfen und frisch verarzten. Dann sehen wir weiter.“ Später stellte sich heraus, daß es dem Profos wirklich schon erheblich besser ging und er leichten Deckdienst versehen konnte. Hasard willigte ein und war im Grunde heilfroh, einen Mann mehr zu haben, dazu noch einen von Carberrys Kaliber. Er schilderte ihm in allen Einzelheiten, was sich zugetragen hatte. Ed Carberry nickte nur knapp, und sein einziger Kommentar bestand aus folgenden Worten: „Wegen dieses blöden Feuerkackers mache ich mir überhaupt keine Sorgen. Das wird schon glattgehen. Ich warte bloß darauf, mit Drake sprechen zu können und ‘rauszukriegen, welcher Hurensohn mich von Bord der ,Golden Hind` gestoßen hat.“ Gegen Abend ließ der Wind an der Küste von Ecuador nach. Hasard bemerkte es rechtzeitig und ging mit seinem Schiff weiter auf See hinaus. Die Männer johlten begeistert, als sie draußen steifeten Wind erwischten und von neuem der „Isabella III.“ abverlangen konnten, was in ihr steckte. Es bestand kein Zweifel darüber, daß sie die Distanz zwischen sich und der „Golden Hind“ sozusagen mit Riesenschritten schrumpfen ließen. * Am Morgen des 28. Februar 1579 trat der Kaplan Francis Fletcher, ein feister, pausbackiger Mann mit salbungsvollem Gebaren, auf das Achterdeck und atmete tief die noch einigermaßen kühle Luft ein. Er strich sich mit den kurzen Fingern über den Spitzbauch, legte den Kopf etwas zurück und lächelte süßlich. In diesem Moment sah er wirklich wie ein Posaunenengel aus. Der Wind zerzauste sein spärliches Blondhaar, und er hatte etwas Mühe, die rollenden Bewegungen des Schiffskörpers mit den Beinen auszugleichen. Trotz der Tatsache, daß er nun seit über einem Jahr mit Drakes
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Mannschaft auf großer Fahrt war, hatte er sich immer noch nicht an die kleinen Tücken des balkenlosen Elementes gewöhnen können. Er bemerkte eine Bewegung hinter sich und zuckte kaum spürbar zusammen. John Doughty war erschienen. Er trat neben ihm an die Schmuckbalustrade, stützte sich auf, blickte auf das Wasser und hatte dabei den üblichen eingebildeten Gesichtsausdruck aufgesetzt - doch dem war heute noch etwas, anderes beigemengt. Wut. Fletcher sah es deutlich, hatte aber keine Ahnung, was die Ursache für Doughtys aufgebrachten Gemütszustand sein mochte. „Was tun Sie hier, Kaplan“, fragte Doughty mürrisch. „Ich danke dem Herrn für den neuen, erquickenden Tag, den er uns geschenkt hat“, entgegnete Fletcher voll Würde. „Erquickend ist gut - bei der Hitze, die hier in Kürze herrschen wird.“ „Trotzdem müssen wir dankbar sein, denn jeder Tag, an dem Gott im Himmel uns Frieden, Gesundheit, Eintracht und Essen und Trinken beschert, sollte für uns ein Freudenfest sein.“ Doughty drehte sich halb um und musterte prüfend das Gesicht des Geistlichen. „Frieden, nicht wahr? Dafür setzen Sie sich ein, Kaplan, Das ist eins der höchsten christlichen Gebote, und alles, was dagegen spricht, muß als verwerflich gelten.“ „So ist es, mein Sohn.“ Fletcher verschwieg natürlich, daß er keineswegs immer mit sich selbst so einig ging, daß er auch andere, weniger pazifistische Gedanken kannte - wie seinerzeit vor der Küste der Mocha-Insel, als er die „nackten Wilden“ als Menschenfresser und Teufel in Grund und Boden verdammte und Drakes Männer dazu aufhetzen wollte, die Araukaner zu vernichten. „Es soll mein Herz mit Jubel und Frohlocken erfüllen, wenn wir heil und ungeschoren wieder ins Vaterland zurückkehren und ...“ „Davon sind wir weit entfernt“, schnitt John Doughty ihm das Wort ab. „Sagen Sie mal, merken Sie denn nicht, was hier vorgeht? Haben Sie nicht gesehen, wie
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eifrig dieses Gesindel unten auf Deck an den Segeltauen herumzieht?“ Er war trotz allem Erlebten eine ausgesprochene Landratte geblieben und hatte von seemännischen Ausdrücken keine blasse Ahnung. Seine Stärke als Höfling und eingefleischter Intrigant lag auf ganz anderem Gebiet, wie es auch bei seinem Bruder Thomas Doughty der Fall gewesen war. Drake hatte Thomas wegen Hochverrates hinrichten lassen, aber das konnte John in seinen Aktionen nicht beirren. Mannschaftsmitglieder waren in seinen Augen „Gesindel“ und „Lumpenpack“, selbstbewußte und mutige Männer wie beispielsweise Philip Hasard Killigrew aufmüpfige Meuterer und Verbrecher, die man ständig an der Kandare halten mußte. Doughty nahm den Kaplan jetzt beim Arm, führte ihn auf das Quarterdeck und wies auf das rege Treiben unten in der Kuhl. Es herrschte regelrechter Aufruhr an Bord der „Golden Hind“. Immer wenn es galt, das Schiff günstiger an den Wind zu bringen, hingen die Männer wie die Affen an den Schoten, fierten, braßten oder holten dicht und trimmten mit allen erdenklichen Tricks auf Tempo. Fletcher zog die Augenbrauen hoch. Erst jetzt nahm er richtig zur Kenntnis, mit welcher Geschwindigkeit die „Golden Hind“ die Wellen durchpflügte. Um den Bug schäumte die Gischt wie Schneeflocken. Prall standen die Segel, und das Gesicht -des untersetzten, bärtigen Mannes, der mit verschränkten Armen auf der Back stand, drückte grimmige Zufriedenheit aus. „Was hat das zu bedeuten?“ fragte der Kaplan verwirrt. Doughty lächelte verächtlich. „Fragen Sie den Kapitän doch selbst.“ Drake, der untersetzte, kräftig gebaute Mann, verließ soeben die Back und stieg über die Kuhl auf das Achterdeck. Als er an der Balustrade angelangt war, wurde er sofort von dem Kaplan aufgehalten. Von Doughtys Redereien aufgestachelt, bat der Gottesmann um eine Erklärung.
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Francis Drake lachte. „Ist das nicht längst klar? Mister Doughty, ich dachte, Sie seien über alles im Bilde. Sie hätten Mister Fletcher doch informieren können.“ „Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn er es aus Ihrem Munde vernehmen würde“, sagte John Doughty steif. „Meinetwegen. Nachdem wir von dem Capitan der ,Azuero`, jenes spanischen Kauffahrers, von der Fahrt der ,Cacafuego` erfahren haben, liegt es doch auf der Hand, daß wir uns diesen fetten Brocken schnappen. Wir folgen der königlichen Galeone. Wenn meine Navigationsgeräte nicht total verrückt spielen und ich mich nicht verrechnet habe, müßten wir ihr innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden soweit auf die Pelle gerückt sein, daß wir ihr ein paar gepfefferte Breitseiten verpassen können.“ „Oh“, sagte Francis Fletcher. „Was Kapitän Drake wohlweislich verschwiegen hat“, meinte Doughty nun, „ist die Tatsache, daß die spanische Galeone überragend armiert ist und unser Unterfangen zu einem wahren Himmelfahrtsunternehmen geraten wird. Womit in Frage gestellt wäre, ob auch nur einer von uns den übernächsten Sonnenaufgang noch erlebt.“ Der Kaplan wurde bleich. „Aber - dagegen muß ich mich energisch verwehren. Du sollst nicht töten, besagt das fünfte Gebot, und es wird bis ins dritte und vierte Glied mit Gottes Zorn bestraft werden, wer gegen dieses Wort verstößt.“ Drake verzog das Gesicht. „Aber Mister Fletcher! Sie hätten kein Schiffsgeistlicher unter Ihrer Majestät, der Königin von England, werden dürfen, wenn Sie so zart besaitet sind. Außerdem darf ich Sie daran erinnern, daß Sie bei anderer Gelegenheit völlig anders geurteilt haben „Ich meine, Sie dürfen das Leben Ihrer Männer nicht leichtfertig in die Waagschale werfen“, sagte Fletcher hastig. „Ich weiß, was ich meiner Crew zumuten kann und was nicht.’ „Es ist Selbstmord“, sagte Doughty schrill. „Ich protestiere gegen einen derartigen Wahnsinn! Die Spanier werden uns
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zusammenschießen, bevor wir überhaupt zum Zug kommen. Dazu ist mein Leben mir zu wertvoll.“ „Aha“, sagte Drake. Er bedachte den fein herausgeputzten, arroganten Mann mit einem scharfen Blick, dem jener kaum standzuhalten vermochte. „Hätten alle Männer an Bord dieses Schiffes die gleiche Haltung wie Sie, Mister Doughty, hätten wir allerdings längst einpacken können. Im übrigen, falls Sie es vergessen haben sollten: Die ‚Golden Hind` untersteht meinem Kommando, und was ich hier sage, hat Befehlsgewalt. Jede Zuwiderhandlung und Unbotmäßigkeit betrachte ich als Anstiftung zur Meuterei. Vergessen Sie das nicht.“ Er wandte sich ab, stapfte auf die Kuhl hinunter und verschwand im Achterkastell. Doughty redete aufgebracht und gestikulierend auf den Kaplan ein und machte seinem Unmut Luft. Er hütete sich aber, irgendetwas von seinen Zweifeln an die Mannschaft weiterzugeben. Er wußte, welcher Folgen das haben konnte. Drake war ein umgänglicher Mann, aber wenn man ihn über das Maß hinaus reizte, wurde er rabiat. Die „Golden Hind“ rauschte mit steiler Bugwelle nordwärts. Es gab nichts, das sie noch aufhalten konnte. 3. Am Vormittag des 1. März 1579 hatte die „Isabella III.“ den Äquator überschritten. An Bord herrschte immer größere Spannung, die Dinge schienen unweigerlich ihrem Höhepunkt entgegenzutreiben. Dan O’Flynn kauerte wieder im Vormars, und es waren erneut seine untrüglichen Augen, die in der Ferne Mastspitzen entdeckten. „Segel an der Kimm! Steuerbord voraus!“ Der Ruf machte Hasard mobil. Er ging nach vorn und sprang in die Großwanten auf der Leeseite. Er kletterte ein paar Webleinen hinauf und balancierte den Kieker geschickt gegen die Bewegungen der Galeone. Durch die Optik erkannte er die Segel des Schiffes, konstatierte aber
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vorläufig nur, daß es sich um einen Dreimaster handelte. Wer war es? Die „Cacafuego“ – der unnahbare, höllisch gefährliche spanische Feuerspucker? Oder die ,;Golden Hind“? Hasard kehrte auf das Achterdeck zurück, gab knappe Anordnungen an Ben Brighton weiter und ließ Fühlung mit dem unidentifizierten Schiff halten. Allmählich gelang es ihnen, dichter aufzuschließen, aber sie blieben dabei zur offenen See hin gestaffelt. Der Seewolf blickte zu dem Bürschchen im Vormars auf. Dan O’Flynn, stupsnasig, sommersprossig, blauäugig, ein energiegeladener, gewitzter Lauselümmel von knapp sechzehn Jahren, hatte seinen Chincha-Rausch längst überwunden und war trotz härtesten Dienstes noch im Vollbesitz seiner Fähigkeiten. Unausgesetzt spähte er voraus und deckte dabei die Augen mit der zum Sonnenschutz geformten Hand ab. Arwenack hangelte zur Abwechslung über die Blinde hinaus auf den steil aufragenden Bugspriet der „Isabella III.“ und ließ sich bis auf die Verstagung hinabgleiten. Vergnügt planschte er mit den Füßen in der schäumenden Bugsee, zeigte die Zähne und keckerte begeistert. „Der hat’s gut“, sagte Stenmark auf der Kuhl zu Matt Davies. „Ich schwitze wie ein Stier und würde mich am liebsten auch in die See hängen.“ „Richtig schlimm wird’s erst, wenn dir das Schweißwasser wie ein Bach durch den Hintern läuft“, gab Matt trocken zurück. „Also beschwer dich gefälligst nicht.“ „Tu ich doch gar nicht.“ „Hasard“, brüllte Dan aus dem Vormars, „das muß die ,Cacafuego’ sein!“ Karl von Hutten beschrieb eine verblüffte Geste. „Möchte wissen, woran er das jetzt wieder erkannt hat. Ist doch ein ganz verteufelt gewiefter Bursche.“ Hasard stand lächelnd über ihm und lehnte sich über die Schmuckbalustrade, die den Querabschluß des Achterkastells bildete. „Er kennt die ,Golden Hind’ doch ganz genau. Und wenn auch meine Augen mich nicht täuschen, ist der Kasten dort
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Steuerbord voraus wesentlich plumper und behäbiger als Drakes Schiff.“ Etwas später stand der Seewolf mit Ben Brighton an den Leewanten und lugte aufmerksam zu dem Spanier hinüber. Der „Feuerspucker“ wälzte sich wie ein behäbiger Elefant durch die Fluten. „Ein schwerfällig manövrierender Kahn“, sagte Hasard. Ben Brighton kräuselte die Lippen. „Ein ausgesprochenes Dickschiff wie die ,Santa Cruz’, die damals im Verband von Drake unter dem Kommando von Kapitän John Thomas bei dem Irland-Unternehmen dabei war.“ „Ja. Die ‚Santa Cruz’ hatte sechzig Kanonen. Was meinst du, wie viele schleppt der Spanier da vorn mit sich herum?“ „Mindestens genauso viele.“ „Mindestens“, sagte Hasard. Sie holten immer mehr auf, und Hasard sah sich schließlich gezwungen, Segel wegnehmen zu lassen. Die schnelle „Isabella III.“ fiel wieder ein wenig zurück. Fortan hielt die Crew Fühlung auf Mastspitzensehweite. Das Wild war gestellt und konnte ihnen nicht mehr entgehen. Die „Isabella“ wurde gefechtsklar gemacht. Der Kutscher hatte schleunigst seine Kombüsenfeuer zu löschen, und die Decks wurden wie üblich mit Sand bestreut. Carberry agierte als Stückmeister und stand unten im Pulvermagazin, um die Vorbereitungen zu überwachen. Lederbeutel mit Kugeln wurden nach oben geschleppt. Die Männer begaben sich auf die Gefechtsstationen, lösten die Laschungen der Kanonen, entfernten die Mündungspropfen aus den Rohren der Neunpfünder und Drehbassen, ließen die Stückpforten aber noch geschlossen. Die Pulverhörner waren gefüllt, und auch das übrige Zubehör — Kartuschen, Kuhfüße, Handspaken, Schwämme und Keile — war tipptopp in Schuß und lag griffbereit. Doch noch war der entscheidende Moment nicht gekommen. Noch hieß es abwarten, beobachten, auf Distanz bleiben. Solange Francis Drake sich nicht mit seiner
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Dreimastgaleone blicken ließ, wollte Hasard den Don nicht angreifen. Das große Schuften war vorüber, die Mannschaft konnte jetzt einen ruhigeren Törn fahren. Flüchten konnte die „Nuestra Senora de la Concepcion“ nicht mehr. Hasard zog durchaus in Betracht, daß man an Bord der königlichen Galeone Lunte roch und daraus Konsequenzen zog. Entweder scheute der Kapitän Don Juan de Anton weder Tod noch Teufel, ließ ebenfalls gefechtsklar machen und verließ sich auf die Stärke der Armierung, ohne über die Ausrüstung des Feindes im Bilde zu sein. Mit ein wenig Scharfblick erkannte er vielleicht aber auch, daß er eine Zweimastgaleone im Rücken hatte, die zwar ungemein wendig und schnell, an Kanonen jedoch unterlegen war. Eine andere Möglichkeit war, daß de Anton die Hosen flatterten — wegen seiner Silber- und Goldladung, die er um jeden Preis an den Bestimmungsort zu bringen hatte. Immerhin konnte es sein, daß er in dem Fall von seinem bisherigen Kurs abfiel und sich zur Küste hin in Sicherheit zu bringen versuchte. Aber auch das würde ihm nichts einbringen. Hasard hielt mit seinem Schiff gerade so weit Abstand, daß er immer noch rechtzeitig dem Gegner den Weg abschneiden konnte. Die größte Mittagshitze kam und verwandelte die Männer an Deck der „Isabella“ in ziemlich stumpfsinnig vor sich hin brütende Gestalten. Gegen die aufwendige Hetzjagd der Vortage war dies ein regelrechter Schlabbertörn, und dabei wurden sie sich der auf sie niederknallenden Sonnenstrahlen erst recht bewußt. Es war so heiß, daß man nicht einmal Lust zum Reden verspürte. Wäre nicht der Wind gewesen, wären sie wie auf einem Eisengrill allmählich geröstet worden. Der Nachmittag brachte Abkühlung, der Wind fächelte ihnen den Schweiß von den Gesichtern. Jean Ribault und Gary Andrews, der unter Hasard als Fockmastgast fuhr, hatten sich erboten, Dan im Vormars abzulösen. Aber das Bürschchen hatte es glatt abgelehnt.
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Erstens wohl, weil er noch ein schlechtes Gewissen gegenüber Hasard hegte — wegen der Chicha-Geschichte. Zweitens, weil er den Ehrgeiz aufbrachte, jede Änderung der Situation als erster wahrzunehmen und zu melden. Plötzlich schallte seine Stimme auf Deck herab und ließ die Männer hochfahren. Dans Organ schraubte sich bis in die empfindlichsten, nerv- tötenden Höhen hinauf und kippte dann über, ein Zeichen größter Erregung. . „Mastspitzen Steuerbord achteraus!“ Hasard eilte sofort an die Achtergalerie und spähte in die angegebene Richtung. Es verging nicht viel Zeit, und Dan gab kund, daß jetzt auch die Segel des Schiffes achtern zu erkennen seien. Und dann schrie er: „Hölle und Teufel, es ist der Alte - Kapitän Drake mit der ,Golden Ben Brighton, Ed Carberry, Ferris Tucker, Smoky und einige andere gesellten sich zu ihrem Seewolf, lachten, stießen sich derb an und warfen vor Begeisterung ein paar Mützen hoch. Hasard grinste breit und hielt die Fäuste in die Seiten gestemmt. „Jetzt nichts wie drauf auf den verfluchten Don!“ rief der Profos. „Soll ich die Stückpforten aufreißen lassen und die Kanonen ausfahren?“ „Langsam, langsam, noch sind wir nicht so weit“, erwiderte Hasard. „Beobachtet die ‚Golden Hind` mal ganz genau. Fällt euch da nichts auf’?“ „Na klar“, gab Ferris Tucker zurück. „Die holt langsam, aber ‘sicher immer mehr auf.“ „Der Alte kommt näher“, schrie Dan O’Flynn respektlos aus dem Vormars — überflüssigerweise. „Na, dann lassen wir ihn doch erstmal ordentlich zu der ,Cacafuego` aufschließen“, sagte Hasard ruhig. „Oder wollt ihr ihm etwa die Schau stehlen?“ Carberry kratzte sich am Hinter kopf. „Was hast du vor, Seewolf? He, du hast doch schon einen ganz genauen Plan im Kopf, was, wie? Nun hör doch mit der Geheimniskrämerei auf und rück damit heraus ...“
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„Ich erkläre euch schon rechtzeitig, wie wir vorgehen. Meine Entscheidung hängt aber noch weitgehend davon ab, wie Drake sich verhält. Deshalb kann ich mich noch nicht festlegen. Klar?“ „Aye, aye, Sir“, antworteten sie. „Also los, zurück auf eure Posten.“ Dan O’Flynn gab von jetzt an ständige Lagemeldungen nach unten. Der Seewolf verfolgte abwechselnd. das Handeln der königlichen spanischen Galeone und der „Golden Hind“. Drakes Schiff schob sich immer näher an den Don heran. Hasard nahm an, daß er auch die „Isabella III.“ gesichtet hatte, aber er kümmerte sich nicht um sie. Hasard grinste verwegen. Sollte der Alte nur machen! Er würde sich schon wundern, wenn die Zweimastgaleone ganz überraschend aufschloß und sich ebenfalls mit der dicken „Cacafuego“ befaßte. Das gab ein Wiedersehen! Hasard war überzeugt, daß Drake himmelhoch erfreut sein würde — aber auch ein bißchen perplex, denn er hatte. ja noch keine Ahnung, was die „Isabella“ für ein Schiff war und wer sich auf ihrem Deck befand. Es war also ganz logisch, daß er sich jetzt einen Dreck um sie scherte. Vielleicht zog er sogar in Erwägung, sie nach der „Cacafuego“ ebenfalls zu beschießen, weil er sie für ein Begleitschiff hielt. Hasard dachte an den gutgläubigen Capitan Lope Ariza Garzante von der „Azuero“ und schwor dem Mann insgeheim, für einen hundertprozentig geeigneten „Geleitschutz“ der spanischen Galeone zu sorgen — eine wahre Ironie des Schicksals. Hasard vermochte die Geschwindigkeit des Gegners ziemlich genau zu schätzen. Er taxierte auch die der „Golden Hind” ein und berechnete, daß Francis Drake gegen Abend dicht an der „Cacafuego“ sein mußte. Für ihn stellte es kein Problem dar, genau zum selben Zeitpunkt ebenfalls am entscheidenden Platz aufzukreuzen. Daß. die „Isabella III.“ den beiden anderen Schiffen an Schnelligkeit haushoch überlegen war, hatte sich in der Zwischenzeit ja zur Genüge herausgestellt.
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Carberry zeigte sich wieder auf dem Achterdeck. „Mir kribbelt’s in den Fingern“, sagte er. „Ich kann es kaum erwarten, den Philips Feuer unter den Hintern zu machen.“ „Übernimmst du dich nicht, Ed?’ „Quatsch, ich fühle mich wieder genügend in Form, um es diesen Rübenschweinen und Affenärschen von Dons zu zeigen. Möchte bloß wissen, was zur Zeit so im Kopf des Capitans dort drüben herumspukt.“ „In bezug auf was?“ „In bezug auf uns natürlich“, erwiderte der Profos mit einer Miene, als sei das als sonnenklar vorauszusetzen gewesen. „Wofür hält der uns? Für einen Landsmann? Und die ,Golden Hind’? Mann, o Mann, wäre das ein Spaß, wenn wir so treuherzig an ihn heranschippern könnten wie an die ,Azuero’ und dann rrnummsss ..“ Hasard bremste Carberrys Enthusiasmus ein wenig. „Über uns mag er sich im unklaren sein, aber wir handeln natürlich anders als im Fall der ,Azueror’. Und was Drake betrifft: Vielleicht existiert ein Signalement von der ,Golden Hind’. Haß genug haben die Dons ja auf den gefürchteten ,El Draque’, und es dürfte sich wohl auch bis hier herumgesprochen haben, daß er mit einer Dreimastgaleone den Stillen Ozean und die Westküste Südamerikas verunsichert.“ „Stimmt. Ob der Alte uns wohl erkannt hat?“ „Darüber habe ich auch nachgedacht“, entgegnete Hasard. „Ich für meinen Teil glaube, daß er eine gewaltige Überraschung erlebt,, wenn er erst einen genaueren Blick an Deck der ‚Isabella` werfen kann.“ Carberry grinste wie ein Teufel. „Das haut ihn glatt von den Socken, was, wie?“ Urplötzlich wurde er wieder ernst, richtig bösartig. „Aber dann ist da noch die Sache mit mir. Sag mal, hast du überhaupt keinen Verdacht, wer das elende Schwein gewesen sein könnte, das mich übers Schanzkleid gestoßen hat?“
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„Nein.“ Das war glatt geschwindelt, aber Hasard wollte den Profos jetzt nicht unnötig in Wut versetzen. Einen Verdacht hegte der Seewolf schon. Und zwar verband sich die Vorstellung davon, wie die Dinge an Bord der „Golden Hind“ sich wohl in der besagten Nacht abgespielt hatten, mit der Erinnerung an ein glattes, arrogantes Gesicht, das ganz verteufelte Ähnlichkeit mit einem gewissen John Doughty hatte. „Hör zu, Profos“, sagte Hasard zu dem großen Mann. „Nehmen wir mal an, die ganze Operation gegen die ,Cacafuego’ läuft erfolgreich ab.“ „Hast du da Zweifel?“ Carberry tat richtig empört. „Laß mich doch ausreden. Wenn die Schlacht beendet ist, gehen wir bei der ‚Golden Hind’ längsseits. Dann zeigst du dich gefälligst nicht an Oberdeck, verstanden?“ „Ist das ein Befehl?“ „Ja.“ „Aye, aye, Sir. Ich hab’s kapiert -du willst den gemeinen Täter schockieren. Dazu lasse ich mir noch was Besonderes einfallen.“ „Meinetwegen.“ Sie trennten sich. Hasard stieg jetzt auf die Kuhl hinunter und inspizierte noch einmal die je vier Demi-Culverinen auf der Steuerbord- und Backbordseite. Eigentlich wäre das auch diesmal nicht nötig gewesen, aber es gab Funktionen, auf die ein verantwortungsbewußter Kapitän nun einmal nicht verzichtete. Die beiden Drehbassen auf dem Achterdeck waren ebenfalls hundertprozentig auf Vordermann, genauso die beiden auf der Kuhl ganz achtern. Zuletzt befaßte sich der Seewolf mit den Drehbassen auf der Back. Auch hier gab es nichts zu beanstanden. Drehbassen konnten in einem Gefecht von allergrößtem Nutzen sein. Das hatte sich schon bei der „Isabella von Kastilien“ bewiesen, die Hasard während des kombinierten Seeund Landeunternehmens an der Küste von Irland befehligt hatte. Im Grunde war es
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schon fast Tradition, daß jede „Isabella“. diese Art von Geschützen mit sich führte. Hasard musterte die Takelage mit einem kritischen Blick, als er eine Bewegung neben sich bemerkte. Er wandte den Kopf und schaute nach unten. Arwenack war auf der Back erschienen, Arwenack, der jetzt die Zähne bleckte und ein paar ulkige Bewegungen vollführte. Er klatschte in die Hände und schlug sich dann mit der einen vor die Stirn, daß es patschte. Er rollte mit den Augen, dann vollführte er einen perfekten Rückwärtssalto - aus dem Stand heraus. Sicher landete er wieder auf seinen Füßen. „In Ordnung“, sagte Hasard lachend. „Nun komm schon, du Schlingel. Die Sache ist doch längst Vergessen.“ Der Schimpansenjunge kletterte an dem Seewolf hoch und setzte sich rittlings auf seine Schultern. Nach dem Intermezzo mit dem Chicha war er zunächst beleidigt gewesen - wegen des Trittes in den Hintern, den Hasard ihm verpaßt hatte. Später hatte er sich eher reumütig benommen, und jetzt war er sozusagen zu einem Friedensangebot erschienen. Er verfügte über eine ziemlich freche, aber auch sensible Natur. Dauerhaft gram konnte er niemandem sein, zumal ihn die komplette Mannschaft als Maskottchen geradezu verwöhnte. Hasard ging also mit Arwenack wieder nach unten und betrat dann die Kombüse. Der Kutscher blickte von seiner Tätigkeit auf. Er war dabei, ein paar Töpfe blankzuscheuern. „Heute abend Kaltverpflegung“, sagte er. „Solange das Schiff gefechtsklar bleibt, darf ich die Kombüsenfeuer doch nicht wieder anheizen, oder?“ „Stimmt genau.“ „Dann sollen sich die Jungs aber nachher auch nicht über das Essen beschweren.“ „Das hängt davon ab, ob die Kohlsuppe, die du ihnen vorsetzt, frei von Fremdkörpern ist“, erwiderte der Seewolf mit feinem Lächeln. Vielleicht lag es an dem in der Kombüse herrschenden Halbdunkel - der Kutscher nahm es
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jedenfalls nicht zur Kenntnis und ging voll auf die Bemerkung ein. „Was meinst du damit?“ „Schießpulver statt Salz und Pfeffer, Kakerlaken statt Fleischbrocken ...“ Der Kutscher plusterte sich richtig auf. „Da hört sich doch alles auf! Auch, wenn du mein Kapitän bist, Hasard, zu solchen Anschuldigungen hast du kein Recht! Ich bin doch kein so verlauster Kombüsenhengst wie Mac Pellew Arwenack fletschte die Zähne, gab ein paar aufgebrachte Laute von sich und rutschte von den Schultern des Seewolfes. Da Hasard ihm vergeben hatte, fühlte er sich jetzt schon wieder ganz in seinem Fett. Er huschte an der Feuerstelle vorüber, enterte unglaublich geschickt an einem der Vorratsschapps auf und fummelte mit seinen wurstigen Fingern an einem der Schlösser herum. Worauf der Kutscher, der wegen des eben Gehörten ohnehin schon auf achtzig war, vollends auf die Palme ging. „Jetzt ist aber Schluß“, brüllte er. Nahm die Pfefferbüchse zur Hand und ließ den Topf fallen, den er gerade gehalten hatte. Scheppernd ging das Ding zu Boden. Der Kutscher schoß auf den Affen zu. Arwenack riskierte, eine ordentliche Ladung in den Hintern zu kriegen und sich somit sein edelstes Körperteil zum zweiten Mal binnen kurzer Zeit zu lädieren. Quiekend ließ er sich vom Schapp zu Boden fallen, hetzte an dem lachenden Hasard vorüber und hielt. auf das Schott zu. Der Kutscher ließ nicht locker. Er raste auf das Kombüsenschott zu, holte mit der Pfefferbüschse aus und entließ eine volle Ladung ins Freie. Sie war auf Arwenack gezielt gewesen, verfehlte jedoch das Ziel. Und das aus einem sehr plausiblen Grund: Vor dem Schott war plötzlich eine gewaltige Gestalt emporgewachsen, der Schatten eines Kolosses von Mann. Arwenack ergriff die Chance beim Schopf, klammerte sich an den Schultern des Retters fest — an Batuti, dem GambiaNeger. In diesem Augenblick wirkten die beiden wirklich wie Vater und Sohn.
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„Verdammt und zug ...“ grollte Batuti noch. Weiter kam er nicht, denn die Pfefferladung stob ihm voll ins Gesicht. Er zog den Kopf ein. aber das nutzte nichts mehr. Er krümmte sich, fuhr sich mit den Händen durchs Gesicht, hustete, nieste und spuckte, während Arwenack ein Protestgeheul anstimmte. Hasard konnte sich vor Lachen kaum noch halten. Der Kutscher wich zurück. Flink stellte er die Pfefferbüchse ab, setzte eine weniger wütende Miene auf und schritt erneut zu dem Neger. Batuti stolperte in die Kombüse. Er konnte kaum die Augen offenhalten. Unter seinen Lidern quollen Krokodilstränen hervor. „Komm schon, das haben gleich“, sagte der Kutscher. „Setz dich hin, ich wasche dir die Augen aus. Für einen Feldscher ist das eine Kleinigkeit.“ Batuti wollte zu fluchen beginnen, seufzte dann aber nur, setzte sich hin und ließ die Prozedur geduldig über sich ergehen. Nur gelegentlich unterbrach er die Bemühungen des Kutschers durch ein kräftiges Niesen. Arwenack wechselte vorsorglich den Mann und krabbelte wieder dem Seewolf auf die Schultern. Smoky trat ein. Er sah die dicken Tränen, die Batuti aus den Augen über die Wangen rollten, grinste und sagte: „Heimweh, was?“ Das Gelächter der Männer war so ausgelassen, als ahnten sie etwas von der Dramatik dessen, was auf sie zukam. Aber ihnen war klar, daß es in Kürze für einige Zeit nichts mehr zu lachen geben würde. 4. Der Seewolf änderte seine bisherige Taktik. Er ließ die „Isabella“ endlich näher heranschließen. Sie dachten schon, jetzt käme der große Moment des Gefechts, aber Hasard hatte etwas anderes vor. Er ging mit der „Isabella III.“ fast vor den Wind, der inzwischen von Westen wehte. Dann hielt er mit nahezu schnurgeradem Ostkurs auf die „Cacafuego“ zu, den Spanier, der da so breit, behäbig und
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selbstgefällig durch die See stampfte, daß es schon fast eine Dreistigkeit war. Die Mannschaft auf Hasards Zweimastgaleone hatte die Sonne nunmehr im Rücken. Der Seewolf war fest davon überzeugt, daß er damit den entscheidenden Trumpf in Händen hielt. Er wußte, daß die „Isabella III.“ jetzt von Bord der spanischen Galeone aus entweder überhaupt nicht oder allenfalls nur sehr schwer zu sichten war. Ja, Carberry hatte recht - Hasard hatte sich ein Konzept zurechtgelegt. Und das sah im einzelnen so aus: Er hatte beschlossen, Francis Drake den Vortritt zu lassen, was den Angriff gegen die königliche Galeone betraf. Schließlich war Drake es gewesen, der die Sache mit der „Cacafuego“ als erster ausbaldowert hatte. Aber da existierte noch ein anderer Grund. Die Spanier würden ihre volle Aufmerksamkeit der an sie heranrauschenden „Golden Hind“ zuwenden. Dieser Umstand und die Tatsache, daß Hasard die Sonne im Rücken hatte, verhalfen ihm zu einer neuen Kriegslist. Sie war noch viel verwegener als das Täuschungsmanöver, mit dem sie sich der „Azuero“ genähert hatten. Wie üblich bei jeder Begegnung auf See würden die Dons ihre Augen mit gemischten Gefühlen auf das Schiff richten, das auf ihr eigenes zufuhr. Eine Art von Suggestion, der sich nur eisern gedrillte Ausgucks entziehen konnten! Hasard baute auf, aber es blieb natürlich eine Spekulation, ein höllisch gefährliches Spiel mit vielen Unbekannten. Die Spanier an Bord der „Cacafuego“ brauchten nur einen als Ausguck derart sicheren und abgebrühten Burschen wie Dan O’Flynn zu ihrer Verfügung zu haben, und das Unternehmen war bereits in Frage gestellt. Hasard, ein unverbesserlicher Optimist und Draufgänger, rechnete dennoch damit, daß sie nicht auf die „Isabella“ achten würden. Die Sonne begann zu sinken. Die flirrende Hitze ließ nach und wich der angenehmen, erquickenden Kühle des Spätnachmittags. Die Farbe des Himmels nuancierte von reinem Azurblau in metallisch wirkendes
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Graublau, das nur im Westen, wo der glühende Ball der Sonne untergehen wollte, in ein gedämpftes Rot überging. Die See war eine türkisblaue, dunkler werdende Fläche, die nichts von der Tragödie ahnen ließ, die sich hier anbahnte. Vor Anbruch der Nacht sollte ein vernichtender Schlag geführt werden, doch wie lief er aus - als Tragödie für die Spanier oder für die beiden Engländer, die unabhängig voneinander handelten? Hasards Schiff hatte sich der „Cacafuego“ nun erheblich genähert. Der Seewolf schätzte, daß die Distanz weniger als eine halbe Seemeile betrug. Etwa achthundert Yards. An Bord herrschte Schweigen, das nur durch das Knarren der Blöcke und Rahen unterbrochen wurde. Die Männer hatten Anweisung, den Mund zu halten, was im einzelnen Fall vor allem für Dan O’Flynn galt. Das Bürschchen durfte dem Seewolf allenfalls durch Gesten irgendwelche Neuigkeiten übermitteln. Jedes Geräusch, das die Dons auf die „Isabella“ aufmerksam machen konnte, mußte unterbrochen werden. Hasard spähte aus schmalen Augen zum Gegner hinüber. Die „Isabella“ stand auf der Backbordseite der „Cacafuego“, und man konnte nun die imposanten Stückpforten an der breiten, hohen Bordwand betrachten. Es waren, wie der Seewolf und Ben Brighton vermutet hatten mehr als bei der „Santa Cruz“ - mehr als dreißig, also mußte die königliche Galeone mit schätzungsweise siebzig bis achtzig Geschützen bestückt sein. Hasard schaute zu seinen Männern auf die Kuhl hinunter. Einige hatten angesichts der Stärke des Feindes besorgte Mienen aufgesetzt, doch die Mehrzahl zeigte entschlossenen Kampfesmut und die Kaltblütigkeit, die man benötigte, um diesem harten Brocken beizukommen. Drake war jetzt bereits bis auf Rufweite an die „Cacafuego“ heran. Es geschah, wie Hasard vermutet hatte: Alle Spanier versammelten sich am Steuerbordschanzkleid und starrten zu dem dreisten Dreimaster hinüber, der von achtern heranlief.
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Die sinkende Sonne schien achtlos glitzernde Goldmünzen auf die Wasserfläche zu werfen, ein romantisches Bild, das nichts Böses vermuten ließ. Ein Ausdruck des Friedens und der Beschaulichkeit. Ein Motiv für ein prunkvolles Ölgemälde: Aus den ehernen, gold- und silberbetupften Fluten ragte der gewaltige Rumpf des stolzen spanischen Schiffes auf, ein Gigant, der mit prall gefüllten Segeln und kühner Bugwelle dahin strich. Hasard grinste. Was jetzt folgte, mußte für die Dons so sein, als führe ein blutrünstiger Barbar seine Messerklinge kreuz und quer durch dieses Gemälde... Über eins war er jetzt sicher. Von der „Golden Hind“ aus waren sie bestimmt gesichtet worden, die Männer hatten einen anderen Blickwinkel und schauten praktisch an dem Feuerball der Sonne vorbei, um die Konturen der „Isabella III.“ zu erkennen. Ein rätselhaftes Schiff mußte diese Zweimastgaleone für die Crew für Francis Drake sein, aber den Vorrang hatte nun einmal die „Cacafuego“ — der fettere Happen. Hatten sie den geschluckt, konnten sie in aller Ruhe den Dingen auf den Grund gehen und feststellen, was das für ein merkwürdiges Schiff mit dem gaffelgetakelten Großsegel war. Jedenfalls schätzte Hasard so ungefähr Drakes Überlegungen ein. Ben Brighton trat neben seinen Kapitän. „Wir befinden uns jetzt querab bei Kap San Francisco.“ „Und wir werden dafür sorgen, daß unsere Freunde dort drüben keinen Zipfel von Panama zu sehen kriegen“, erwiderte Hasard voll Ingrimm. „Auf den Gefechtsstationen ist alles klar?“ „Alles klar.“ „Laß nach Luv drehen, Ben, bis wir auf Parallelkurs mit dem ,Feuerspucker’ segeln.“ „Aye, aye, Sir.“ Ben eilte davon, um den Befehl ausführen zu lassen. Kurz darauf krängte die „Isabella III.“ leicht nach Steuerbord über, fuhr eine Halse und paßte sich dem strikten
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Nordkurs der spanischen Galeone an. Die Entfernung zwischen den beiden Schiffen betrug keine Kabellänge mehr. Höchstens noch fünfzig Yards. Hasard beobachtete vom Steuerbordschanzkleid auf der Back aus, wie sich die Dons verhielten. Nach wie vor sah es so aus, als konzentrierten sie sich einzig auf den aufdringlichen Dreimaster, der ihnen Steuerbord achteraus auf den Pelz rückte. Hasard drehte sich und streifte die Kuhl mit einem raschen Blick. Da standen seine Männer an den Geschützen bereit, sie fühlten sich nun ganz in ihrem Element. Die Wartezeit war abgelaufen, es galt, dem Gegner in die Seite zu fallen. Hier hatten sie eine gleichsam fürstliche Prise vor sich, die es mit allen Mitteln zu packen galt: den Jahresertrag sämtlicher Silber- und Goldminen von den Küsten Chiles, Perus und Ecuadors, der alles in allem vielleicht noch mehr wert war als der Schatz des Vizekönigs in Lima, der bereits unter den Ladeluken der „Isabella“ verstaut lag. Ed Carberry schritt über Deck und teilte die letzten Anweisungen aus. Er gab sich Mühe, seine Stimme so gedämpft wie irgend möglich zu halten - was ihm, dem unverbesserlichen Brüller und Zusammenstaucher, gewiß sehr schwerfiel. Hasards Männer akzeptierten seine Position genauso, wie sie sich ihm unterstellt hatten, als sie noch an Bord der „Golden Hind“ gefahren waren. Sie wußten, daß in der rauhen Schale des bulligen Mannes ein guter Kern steckte. „Gebt die Taljen los!“ und „Heraus mit den Mündungspropfen!“ und „Richtet die Geschütze!“ raunte Carberry. Endlich konnten die Stückpforten ganz aufgeklappt, die vier Neunpfünder an der Steuerbordseite voll ausgefahren und auch die Geschütze an der Backbordseite in Position gebracht werden. Die Mündungen der drei Drehbassen auf der Steuerbordseite wandten sich ebenfalls drohend dem „Feuerspucker“ zu. Das Gefühl eines Zitterns, ganz tief in ihm drin, durchlief den Seewolf, als er daran dachte, was für einen Schock eine jetzt abgefeuerte
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Breitseite wohl bei den Dons auslösen würde. Carberry und die anderen schauten zu ihm auf. Sie warteten auf den Feuerbefehl und konnten sich kaum noch im Zaum halten. Aber wieder bremste sich Hasard. Er erinnerte sich daran, daß er Drake den Vortritt lassen und sich im übrigen an seine List halten wollte. Er flankte über die Balustrade weg, landete auf der Kuhl, schritt auf seine Männer zu und sagte: „Wir feuern nicht.“ „Das halte ich nicht aus“, gab Stenmark zurück. „Was hält uns denn noch zurück?“ wollte Karl von Hutten wissen. Hasard verzog das Gesicht. „Die Aussicht, daß wir wie ein Spuk von der Wasserfläche verschwinden, wenn wir uns zu erkennen geben. Denn dann läßt der Don die Hosen ‘runter, um uns eine volle Breitseite zu verpassen.“ „Hölle und Verdammnis“, stieß Blacky verhalten hervor. „Was sollen wir dann tun?“ Hasard suchte fünf seiner härtesten Kämpfer aus. „Stenmark, Batuti, Smoky, Matt und Ferris - legt alle überflüssigen Klamotten ab und nehmt nur die Messer mit. Wir jumpen außenbords und schwimmen zu der ,Cacafuego` hinüber.“ Ferris Tucker, der rothaarige Schiffszimmermann, riß die Augen auf. „Auf die Tour willst du den Philips also beikommen? So, wie wir es den Kerlen auf der spanischen Kriegsgaleone gegeben haben - damals in Irland auf dem gottverdammten Blackwater?“ Die Männer blickten sich an und grinsten. Das war nach ihrem Geschmack. Seinerzeit in Irland hatten sie sich nach der verlorenen Schlacht in der Dungarvanbai auf ihre Art bei den verbündeten Dons und Iren bedankt, indem sie sich bis in die Mündung des Blackwater-Flusses geschlichen hatten, die „Santa Cruz“ und die „Isabella von Kastilien“ in eine winzige Bucht verholt hatten und dann zu der spanischen Kriegsgaleone hinübergeschwommen waren. Für die Spanier war das eine böse Überraschung und Niederlage gewesen -
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ihr Schiff war, nachdem der Seewolf sie allesamt ins Wasser hatte springen lassen, wie ein Pulverfaß explodiert. Wenn Philip Hasard Killigrew die scharfen Wolfszähne zeigte und sich auch noch einer ordentlichen Ladung Pulverfässer bediente, um dem Gegner Blessuren beizubringen, dann war es höchste Zeit, sich aus dem Staub zu machen, solange es noch eine Rettungsmöglichkeit gab. Auch bei der Kaperung der jetzigen „Isabella III.“ war Pulver mit im Spiel gewesen. Von den Dons, die die Araukanermädchen entführt hatten und an Bord der damals noch „Valparaiso“ getauften Zweimastgaleone hatten verschleppen wollen, war zum größten Teil nicht viel übriggeblieben, als der Landesteg in die Luft geflogen war. Die wenigen Überlebenden waren in kopfloser Flucht davongerannt. Pulver konnte Hasard dieses Mal kaum zum Einsatz bringen, es sei denn, an Bord des „Feuerspuckers“ ergab sich eine entsprechend günstige Konstellation der Dinge. Vorerst konnten sich die sechs zu allem entschlossenen Männer nur auf ihre Messer und ihre Gewandtheit verlassen. Hasard gab das Zeichen, und sie kletterten auf das Steuerbordschanzkleid. Ein kurzer Blick zu dem dicken Dreimaster hinüber: Die „Isabella III.“ hatte genügend Vorlauf, und die „Cacafuego“ hatte einige Segel aufgegeit und demzufolge nur noch wenig Fahrt. Vielleicht erwarteten sie immer noch, daß die heranpflügende „Golden Hind“ ihnen lediglich einen wohlwollenden Gruß, statt einer konzentrierten Bleiladung entgegenzuschmettern hatte. Bei dem Capitan Don Juan de Anton schien die Münze ziemlich spät ‘zu fallen! Wenn er jetzt oder innerhalb der nächsten Sekunden die fremde Galeone als Engländer erkannte, würde es viel zu spät für ihn zum Auskneifen sein. Dann blieb ihm nur noch der Kampf. Bewies er dann genügend Erfahrung und Gerissenheit, konnte Francis Drake mitsamt seiner verwegenen Mannschaft sein Testament aufsetzen. Denn da nutzte
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aller Mut nichts — mit einer einzigen Steuerbordbreitseite konnten die Philips die „Golden Hind“ zu den Haifischen schicken. Hasard berechnete, wie viel Vorsprung die „Isabella III.“ vor der „Cacafuego“ benötigte, damit sie bei ihrem einzigartigen Vorhaben die Feindgaleone nicht verfehlten. Er befand, daß das Verhältnis richtig stand und gab seinen Männern das Zeichen zum Sprung. Sie hechteten den kristallklaren Fluten entgegen. Sie streckten die Arme nach unten aus und tauchten kopfüber ein. Über ihnen lugten die Zurückbleibenden über das Schanzkleid. In ihren Blicken lagen ein kleines bißchen Enttäuschung und Wehmut darüber, daß das Los nicht auf sie gefallen war, daß sie nicht dabeisein konnten, sondern nur Statisten blieben. Aber zum Hauptteil drückten ihre Mienen aus, was in ihren Empfindungen dominierte: die guten Wünsche, das Toitoi und Wird-schonschiefgehen, das sie den sechsen mit auf den Weg gaben.. * Hasard brachte sich mit ein paar kräftigen Zügen unter Wasser voran, schoß dann wieder empor und streckte den Kopf über den Wasserspiegel hinaus. Er hatte sich das Messer in den Hosenbund gesteckt und schwamm jetzt ruhig und berechnend. Neben ihm tauchten nacheinander Stenmark, der blonde Schwede, Batuti, Smoky mit seinem braunhaarigen kantigen Schädel, Matt Davies sowie Ferris Tucker auf. Matt Davies hatte seine ganz eigene Art, sich im nassen Element fortzubewegen. Eigentlich hätte er mit seinem Eisenhaken gehandicapt sein müssen, aber erstaunlicherweise hielt er die gleiche Geschwindigkeit wie die Gefährten. Er arbeitete eben mit der Linken etwas schneller und unterstützte sich dabei mit flinken, nach unten geführten Bewegungen der Hakenprothese. Jeder hatte nun mal seinen individuellen Stil. Batuti tauchte fast den ganzen Kopf ein. Es war den anderen ein Rätsel, wie er
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überhaupt Luft holte. Die Hände hatte er dabei an den Körper gelegt, spaddelte nur mit den Beinen und rammte folglich wie ein Klotz durch das Wasser. Stenmark schwamm auf dem Rücken. Smoky und Ferris Tucker tunkten abwechselnd die linken und rechten Arme ein und bedienten sich damit eines crawlartigen Stils. Hasard schwamm wie ein Hund, allerdings auch mit alternierendem Armschlag. Seine Beine schlug er dabei gestreckt auf und ab. Auf diese Art schwamm er bereits seit seinem fünften Lebensjahr. Von Bord der „Isabella III.“ sah das aus, als schlängle sich ein planschender Aal durchs Wasser, ein Aal mit zwei Armen, die wirbelnd abwechselnd weit nach vorn griffen und den langen Körper durch die Fluten zogen. Relativ schnell brachten sie sich der „Cacafuego“ näher. Es schien, als wüchse der wuchtige Schiffsleib vor ihnen aus der See hervor, seine Stückpfosten waren gierige Mäuler, die sie verschlingen wollten: Hasard wartete die ganze Zeit über darauf, daß einige der Besatzungsmitglieder am Backbordschanzkleid auftauchten und sie entdeckten, aber das blieb aus. Innerlich frohlockte er bereits. Aber er zwang sich, dieses Triumphgefühl zu unterdrücken. Noch war nichts gewonnen. Noch stand ihnen die härteste Bewährungsprobe bevor! Der Seewolf wartete, bis sie auf wenige Yards an das Schiff heran waren. Erst dann bedeutete er seinen fünf Männern durch eine Gebärde, auf Tauchstation zu gehen. Sie zogen die Köpfe unter Wasser. Hasard krümmte sich zusammen und drehte sich, dann paddelte er wieder mit den Beinen. Sie ragten vielleicht noch ein Stück aus dem Element heraus, aber schnell erhielt er den notwendigen Drall, den er brauchte, um gegen den Auftrieb der Fluten ankämpfen zu können. Hasard hielt die ‘Augen offen und sicherte nach allen Seiten. Er verspürte wenig Lust, von einem mordlustigen Hai angegriffen zu werden. Ein solcher Zwischenfall brachte ihnen nicht nur ganz persönlichen, knüppeldicken Verdruß, er stellte auch den
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Erfolg des ganzen Planes in Frage. Doch es zeigte sich keiner der großen Mörderfische. Hasard hatte Stenmark und Batuti links neben sich, Smoky, Matt und Ferris befanden sich rechter Hand. Sie folgten ihrem Kapitän. Ihre Haare hatten sich aufgestellt und bewegten sich wallend unter dem Druck des Wassers. Ihre Körper waren glänzende, gebräunte Muskelpakete, deren Konturen milchig im immer dunkler werdenden Meer zerliefen. Batuti mutete wie ein bösartiges schwarzes Walroß an. Sie stießen immer tiefer und sahen die düstere Bordwand der „Cacafuego“ vor sich. Sie untertauchten den ausladenden Rumpf. Hasard und Smoky hatten ihre Messer jetzt quer in den Mund genommen, die anderen vier trugen sie nach wie vor in den Gürteln. Der Seewolf fühlte, wie sein. Vorrat an Atemluft nachließ, wie seine Lunge sich aufzublähen schien, wie sich stechende Schmerzen ausbreiteten. Es wurde Zeit, frischen Sauerstoff zu schöpfen. Er lavierte an der Bordwand vorüber, hielt mit den kräftigen Zügen inne und überließ sich dem Auftrieb. Rasch stieß sein Kopf aus den Fluten, und er atmete tief durch. Dabei mußte er aufpassen, nicht allzu sehr zu japsen. Seine Gefährten schossen neben ihm hoch. Er gab ihnen zu verstehen, um Himmels willen Ruhe zu bewahren. Sie befanden sich achtern an der feindlichen Galeone, und zwar auf der Backbordseite des Ruders. Hasard blickte sich um. Er konnte die „Isabella III.“ sehen, aber nicht die „Golden Hind“ - sie befand sich für die sechs im toten Blickfeld. Hasard schaute zur Achtergalerie des Spaniers hoch und suchte wieder nach neugierigen, maßlos verdutzten Dons, die ihnen in die Quere kommen konnten. Nichts. Kein Mensch ließ sich da oben blicken. Es konnte keinen günstigeren Augenblick geben! Hasard sprach nicht, er verständigte sich mit seinen fünf Begleitern ausschließlich durch Zeichen. Sie begannen, am Ruder
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aufzuentern. Der Seewolf hangelte als erster nach oben, erreichte die Hennegatöffnung und richtete sich halb auf. Er streckte die Hand nach unten aus und half Ferris Tucker zu sich herauf: Die übrigen vier hingen wie die Affen unter ihnen am Ruder. Arwenack hätte neidisch auf sie werden können. Hasard zog das Messer zwischen den Zähnen hervor, stellte sich auf die Zehenspitzen und rammte es mit ziemlicher Wucht in das harte Pinienholz der Bordwand. Gute spanische Pinie - hart und knochentrocken und jahrelang abgelagert, das kostete Kraft und gab einen dumpfen Laut, der sich durch den ganzen Rumpf fortzusetzen schien. Hasard verharrte. Wenn das die Spanier gehört hatten! Fast bereute er es, die Klinge in den Achtersteven gerammt zu haben. Aber andererseits wußte er sonst nicht, wie sie ihren Weg fortsetzen wollten. Es geschah nichts, das sie aufhalten konnte. Hasard atmete auf, blickte Ferris an und sah ihn breit grinsen. Hasard zog sich an seinem Messer hoch. Es stellte eine ausgezeichnete Steighilfe dar, man mußte nur aufpassen, daß man sich nicht schnitt. Sie hatten keine Enterhaken mitgenommen, weil die sie nur behindert hätten. Hasard hatte Wert auf schnelles Schwimmen gelegt - andernfalls hätten sie die dahindümpelnde königliche Galeone wahrscheinlich verfehlt und dumm aus der Wäsche geguckt. Es war etwas unbeschreiblich Erniedrigendes, dem hölzernen Hintern einer davongleitenden Galeone nachzublicken, ohne etwas tun zu können. Da nahm Hasard es lieber in Kauf, auf ein paar wichtige Hilfsmittel zu verzichten. Ferris war unter ihm, er reichte ihm sein Messer nach. Hasard brachte es nach der gleichen Methode wie zuvor an. Wieder zog er sich ein Stück höher, und die anderen drängten nach. Es kam darauf an, bis an einen Wulst zu gelangen, der als eine Art Scheuerleiste den Rumpf an seiner breitesten Stelle umgab. Matt Davies mußte sein Messer auch noch hergeben, dann hatte Hasard es geschafft.
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Er stand aufrecht auf dem Wulst und hievte die Freunde nacheinander zu sich herauf. Der letzte - Stenmark - zog wieder die Waffen aus der Bordwand und teilte sie aus, als sie sich nebeneinander versammelt hatten. Sie brauchten sich jetzt nur noch gehörig nach oben zu strecken“ und konnten mit den Händen das’ Schanzkleid erreichen. Sie zogen sich hoch, um endgültig aufzuentern und die Situation an Bord der königlichen Galeone auszukundschaften und dann die Dons das Fürchten zu lehren. Genau dies war der Moment, in dem sie eine wohlvertraute Stimme vernahmen die von Francis Drake. 5. Der Kapitän der „Nuestra Senora de la Concepcion“, Don Juan de Anton, war ein mittelgroßer, stämmiger Mann mit rötlicher Gesichtsfarbe, wie man sie allmählich erhielt, wenn man von Kindesbeinen an spanischen Rotwein genossen und in reichlichen Mengen zu diversen Portionen guten Essens zu sich genommen hatte. De Anton stand auf dem Deck des Achterkastells und hielt die Hände zu Fäusten geballt, denn er hatte bemerkt, daß etwas oberfaul war. Die „Golden Hind“ schob sich von Steuerbord achtern immer näher heran, und es gab jetzt keinen Zweifel mehr darüber, welche Absichten die Männer auf ihren Decks hegten. Da waren Stückpforten aufgeklappt worden, und matt glänzende Kanonenrohre lugten drohend daraus hervor. Da stand eine wildentschlossene Mannschaft mit gezückten Entermessern, mit Säbeln und Degen und Musketen bereit, und in den Musketenläufen befand sich ganz gewiß kein aus Zuckerrohr gewonnener Süßstoff oder Hafergrütze oder sonst irgendwelches harmloses Zeug. Nein — die waren mit Pulver, Verdämmungspfropfen und Kugeln oder gehacktem Blei versehen worden, und die Hähne der Stein- und Radschlösser waren sicherlich bereits gespannt. Auf dem Mitteldeck hatten sich ein paar wüste
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Gestalten hinter montierten Gabelstützen postiert, auf den Stützen lagerten ihre Handfeuerwaffen. De Anton fand gerade noch Zeit, seinem Bootsmann und ersten Offizier einen barschen Befehl zu erteilen. Der stürzte an die Schmuckbalustrade, die den Abschluß des Achterkastells bildete, und traf Anstalten, die Mannschaft zusammenzubrüllen und augenblicklich wieder sämtliche Segel setzen und die Gefechtsstationen klar zum Kampf rüsten zu lassen. In diesem Moment ertönte von Deck der „Golden Hind“ eine donnernde Stimme. „Streichen Sie die Flagge, Capitan, wenn Sie nicht in den großen Keller wollen!“ De Anton erbleichte. Das war astreines Spanisch gewesen, jedoch mit unüberhörbarem Akzent gesprochen. Da war, jedenfalls der Modulierung der Stimme nach zu urteilen, ein unverkennbarer englischer Beiklang — und Don Juan de Anton fiel es wie Schuppen von den Augen. Er erblickte jetzt die etwas untersetzte und nicht besonders große, kräftige Gestalt des Mannes auf dem Achterdeck der „Golden Hind“, jenen kühn herüberschauenden Menschen mit dem runden Kopf, dem braunen Haar, dem Vollbart. Er erinnerte sich an die Beschreibungen, die er von anderen Kapitänen oder Offizieren, von Höflingen und anderen Repräsentanten des Vizekönigs-Palastes in Lima sowie von vielen anderen Seiten erhalten hatte. Sie alle verbanden sich mit Schilderungen über die Tolldreistigkeit und Verwegenheit dieses Engländers, über den Schaden, den er Spanien und seiner Armada bereits zugefügt hatte. „El Draque!“ De Anton flüsterte den Namen, und es lag fast ein wenig Ehrfurcht in der Art, wie er ihn aussprach. Dann aber fand er seine Fassung wieder, raffte sich auf, schnappte ein paarmal nach Luft und lief rot an, als müsse ihn jeden Moment der Schlag treffen. Seine Finger umspannten so hart das Schanzkleid, daß das Weiße an den Knöcheln hervortrat.
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Der Bootsmann und erste Offizier der „Cacafuego“ schrie der Mannschaft seine Kommandos zu, und dann brüllte de Anton wutentbrannt zur „Golden Hind“ hinüber: „Ihr verdammten Engländer! Ihr elenden Piraten und Todfeinde seiner Majestät, des Königs! Kommt nur an Bord, wenn ihr etwas von mir wollt!“ „Dann sprich dein letztes Gebet, Philipp“, gab Francis Drake zurück. Er schwang seinen Degen, und seine Mannschaft begann aufgebracht zu grölen. „Schiff klar zum Gefecht!“ rief Capitan de Anton. Aber da war noch ein Durcheinander auf der Kuhl, da hatte die plötzliche Entscheidung die Leute wie ein Blitz getroffen, da mußten erst noch Brooktaue gelöst und Stückpforten geöffnet werden, bevor die Steuerbordkanonen unter Rumpeln und Gebrüll ausgefahren werden konnten. Und auch dann würden noch wertvolle Sekunden verstreichen, in denen erst die Kombüsenfeuer gelöscht, die Decks bestreut, die Munition aus der Pulverkammer herangeschafft werden mußten, bevor die Geschütze endlich gezündet werden konnten. Kurzum: Noch waren die Kanonen so gut wie unbemannt. „Verfluchte Bastarde!“ schrie der Capitan. „Kommt doch rüber, wenn ihr euch traut! Wir werden Hackfleisch aus euch machen!“ Er hängte noch eine ganze Serie von Flüchen an, einen in rasendem Stakkato vor- gebrachten Schwall von schlimmsten Verwünschungen. Drake kam dabei ihm günstigsten Fall nur als Sohn einer gewissen Lady davon, die sich ihre Brötchen mit dem horizontalen Gewerbe verdiente. Er wurde sehr, sehr unfein, der Don, er vergaß seine erlesene Erziehung und all das, was man ihm in der Heimat unablässig über vornehmes Verhalten eingepaukt hatte. Er wurde richtig vulgär. Der Bootsmann und erste Offizier hatten längst das Achterkastell verlassen, um selbst unten auf der Kuhl die Geschützmannschaften anzutreiben. Außer dem Capitan befand sich also nur noch der Rudergänger auf dem Achterdeck, und der hielt de Anton den Rücken zugewandt, ein
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schwitzender, leise fluchender Mann, der damit rechnete, jeden Augenblick englisches Blei zwischen die Rippen zu kriegen. De Anton stand als einsamer Schreier am Steuerbordschanzkleid. Er zog seinen Degen, fuchtelte damit provozierend in der Luft herum und prophezeite, jeden aufzuspießen, der ihm zu nahe rücke. Er verdammte die Bastarde von Engländern bis in die größten Tiefen und heißesten Schlünde der Hölle — und kriegte dabei nicht richtig mit, wie einige von ihnen drüben auf der „Golden Hind“ plötzlich ein bißchen die Hälse reckten. De Anton hätte dieses Zeichen sehen müssen. Gegen ihren Willen hatten Tim Brewer und Mac Pellew und ein paar andere die Augen aufgerissen, denn an Bord des „Feuerspuckers“ bahnte sich eine geradezu unglaubliche Wandlung an. Drake hätte seine Männer für diese Unbedachtsamkeit am liebsten in Grund und Boden verdonnert. Sie konnten alles zerstören. Aber er war dazu verdammt, den Mund zu halten und konnte nichts mehr am Lauf der Dinge ändern. De Anton beschwor in seinen Haßtiraden gegen die Angreifer gerade den Leibhaftigen höchstpersönlich herauf, da vernahm er hinter sich ein schwaches Geräusch. Es klang, als ob ein Mensch einen nassen Fuß auf die Decksplanken setzte. Platsch! De Anton fragte sich, wer in aller Welt da mit feuchten Sohlen auf ihn zumarschiere. Er gelangte viel zu spät zu einem erschreckenden Schluß. Er fühlte einen kalten Schauer auf seinem Rücken und fuhr herum. De Anton war viel zu betroffen, um geistesgegenwärtig reagieren zu können. Sechs über und über triefende, wilde Gestalten hatten sich da auf dem Achterdeck versammelt, und die Wasserspur, die sie hinterlassen hatten, zeigte deutlich, woher sie gekommen war von der Achtergalerie. Sie hatten Messer und umringten ihn. De Anton erschienen die Angreifer gleichsam wie Ausgeburten der Verdammnis, die er eben noch über Drake
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und seine Kerle herbeizitiert hatte. Da war ein blauäugiger Riese mit einer verwegenen Narbe über dem Gesicht. Geduckt schlich er auf ihn, den Capitan, zu! De Anton hob seinen Degen und musterte die anderen aus weit auf - gerissenen Augen. Sein huschender Blick erfaßte Batutis kolossale schwarze Gestalt, Ferris Tuckers Rotschopf, Matt Davies’ Hakenhand, die finsteren Mienen von Smoky und Stenmark. Er fluchte, stach mit seinem Degen zu und wollte ihn dem Seewolf in die Brust bohren. Hasard glitt zur Seite. Die Degenklinge stieß haarscharf über seinen nackten Rücken weg. Hasard unterlief den als tödlich geplanten Ausfall des Capitans, warf sich dem Mann entgegen und packte ihn mit beiden Armen an den Hüften. Das Messer quer zwischen den blanken weißen Zahnreihen, wuchtete er den Gegner gegen das Schanzkleid. Der Capitan prallte genau mit jener Rückenpartie auf, in der sich bei normalbeschaffenen Menschen die Nieren befinden. Eine Woge des Schmerzes durchlief seinen Körper. Er meinte, ein Pferd habe ihn getreten. Für schätzungsweise eine Sekunde war er benommen - und diese Zeitspanne genügte dem Seewolf vollauf. Er ließ von dem Mann ab, fuhr hoch und räumte den Degen mit einer einzigen Bewegung zur Seite fort. Seine Faust traf den Unterarm des Spaniers. Der Degen löste sich aus den Fingern des Aufschreienden und segelte in hohem Bogen durch die Luft. Mit der Spitze zuunterst senkte er sich wieder dem Achterdeck entgegen und blieb schließlich wippend stecken. Smoky grinste wie ein Teufel und zog ihn heraus. De Anton probierte es mit einem verzweifelten Trick. Er zog sein rechtes Bein hoch und wollte es Hasard in jenen Bereich zwischen den Beinen rammen, in dem jeder Mann die empfindlichsten Schmerzen verspürt. Hasard konterte rechtzeitig. Er zog sich schlangengewandt
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zurück und fuhr dem Don dann mit den Händen an die Kehle. Am liebsten hätte er ihn erwürgt oder ihm eins gegen die Schläfe gegeben. Aber er brauchte ihn noch. Er drehte ihn um und schlang ihm den linken Arm wie eine Klammer um den Hals. Mit der Rechten griff er nach seinem Messer. Die scharfe Spitze der Klinge näherte sich bedrohlich der Gurgel des rotgesichtigen, schwitzenden Don Juan de Anton. Von der Kuhl der „Cacafuego“ her richteten sich die Mündungen von Musketen auf das Achterdeck. Der Rudergänger duckte sich. Stenmark, Batuti, Smoky, Matt Davies und Ferris Tucker nahmen abwehrende Haltungen ein. Drüben auf der „Golden Hind“ war alles bereit, den Dons auf der Kuhl dicke Löcher in den Pelz zu brennen. Ein Wort Drakes genügte, und die Geschütze donnerten los. De Anton hörte den Riesen mit der Narbe sprechen. Die Stimme erreichte laut sein rechtes Ohr, und sie formulierte ein so einwandfreies Spanisch, daß er beinahe erstaunt war. Was war das für ein wilder Kerl? Woher kam er? Gehört er zu Drakes Mannschaft? Wie hatte er ungesehen dessen Schiff verlassen können? Fragen über Fragen, Rätsel über Rätsel, auf die der Capitan keine Antwort wußte. Bloß eines war sicher: daß er ein hirnverbrannter Narr gewesen war. „Sag deinen Knaben dort unten, sie sollen nicht schießen“, befahl Hasard dem schlotternden Mann. „Beeil dich damit, oder ich geb für dein Leben keinen faulen Pfifferling mehr. Ich benutze dich als Schutzschild und schneide dir die Kehle durch.“ „Nicht schießen!“ schrie de Anton. Sein Bootsmann und erster Offizier und die vielen anderen Männer, die sich am Aufgang zum Achterdeck verschanzt hielten, kriegten ratlose Mienen. Einige ließen die Waffen sinken. Andere wollten noch nicht aufgeben. „Lauter“, sagte Hasard. „Die haben immer noch nicht richtig kapiert. Schrei aus vollem Hals, oder ich pieke dich.“
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Und der Capitan brüllte, was seine Stimmbänder hergaben. Er befahl seiner Mannschaft bei Androhung der Todesstrafe, bloß nichts gegen die sechs nassen Kerle zu unternehmen. „So gefällst du mir schon besser, Philipp“, sagte der Seewolf. „Dein jämmerliches Dasein scheint dir über alles zu gehen. So, und jetzt streichst du die Flagge, verstanden?“ De Anton spürte, wie es schlabberweich in den Knien wurde, wie sich in seinem Kopf alles drehte. Diese Schmach! Diese Niederlage! Was würde mit ihm geschehen, wenn die Obrigkeiten erfuhren, daß ihm der Jahresertrag sämtlicher Goldund Silberminen aus den Bergwerken der Westküste abgeknöpft worden war, daß El Draque und seine Satansbraten die unbezwingbare „Cacafuego“ gekapert hatten? Hasard dauerte es zu lange. Er drückte die Messerspitze noch ein wenig härter an den Hals des Spaniers. Plötzlich war da ein winziger Schnitzer, und ein dicker roter Blutstropfen quoll daraus hervor. De Anton sah ihn, als er auf seine Brust niederplumpste. Er begann zu stöhnen. „Zum letzten Mal - streich die Flagge!“ brüllte der Seewolf ihn an, daß seine Trommelfelle zu dröhnen begannen. De Anton nickte hastig und haspelte jetzt ein Stakkato von Kommandos herunter. Das wirkte. Alle Männer an Bord der spanischen Galeone standen plötzlich steif wie die Ölgötzen - mit gesenkten Waffen und tellergroßen, voll Ohnmacht dreinblickenden Augen. Hasard stieß den Capitan an und wies auf den riesigen Fetzen Tuch im Großtopp, der mit den Farben und dem Wappen der spanischen Krone geziert war. „Weg mit dem Lappen!“ ordnete er an. Dabei kitzelte er wieder ein bißchen den Adamsapfel des Kapitäns. De Anton gurgelte seinen Befehl, und etwas später sank das schwere, doppelt gefütterte seidene Tuch am Mast nach unten. Der Spanier hatte endgültig kapituliert.
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Ein Begeisterungsgebrüll brandete über das Deck der „Golden Hind“. Und von drüben, von Bord der „Isabella III.“, ertönte der gellende, ekstatische Kampfruf von Philip Hasard Killigrews Mannschaft: „Arwe-nack! Ar-we-nack!“ Die „Golden Hind“ ging längsseits der „Cacafuego“. Kapitän Francis Drake stand auf dem Achterdeck, zwei Pistolen im Gürtel, den Degen in der Faust. Auf seinem Gesicht hatte ein Ausdruck grenzenloser Verblüffung Gestalt angenommen -er war sprachlos vor Staunen, denn endlich hatte er in den sechs verwegenen Burschen um den Capitan den Seewolf und seine härtesten Kämpfer erkannt. Die Spanier zeigten sich total überrumpelt. Einige ließen ihre Waffen ganz fallen, hasteten über die Kuhl, ließen alles im Stich und warfen sich über das Backbordschanzkleid außenbords. Jemand von ihnen entdeckte jetzt auch die „Isabella III.“, deren Umrisse allmählich aus dem glutroten Lichtkreis der untergehenden Sonne hervorglitten. Die Spanier, die außenbords gesprungen waren, klatschten ins Wasser und schwammen in panischer Hast davon. Capitan Don Juan de Anton stand -mit baumelnden Armen und gesenktem Haupt. „Das ist die schmählichste Niederlage meines Lebens“, gestand er. Hasard grinste breit. „Und dieser Waschzuber ist der fetteste Brocken, der jemals in unsere Hände fiel. Tut mir aufrichtig leid für dich, Amigo.“ * Auf der „Isabella III.“ schien ein Aufstand der nackten Wilden ausgebrochen zu sein. Die Männer johlten und pfiffen, grölten immer wieder „Arwenack“ und rempelten sich gegenseitig an, um ihre Begeisterung kundzutun. Arwenack jagte zwischen ihren Beinen hindurch, führte mal auf der Kuhl einen regelrechten Veitstanz auf, raste dann wie ein Derwisch die Webeleinen der Leewanten hoch und kletterte bis unter die Poppnanten am Großmast empor. Er
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stattete dem lachenden Dan einen Besuch im Vormars ab, sauste dann wieder auf Deck hinab und produzierte ein paar gekonnte Rückwärtssaltos. Blacky feuerte eine Muskete in die Luft ab. Der Verdämmungspropfen wirbelte in torkelnden Bewegungen wieder nach unten zurück, und kurz darauf kehrte auch das gehackte Blei wie ein kleines Hagelschauer an Deck zurück. Al Conroy beteiligte sich nicht an dem allgemeinen Durcheinander. Er hockte hinter einem der Neunpfünder an der Steuerbordseite der Galeone. Er galt als Stückmeister und Geschützführer par excellence und war ein regelrechter Waffennarr, dieser stämmige Mann mit dem schwarzen Haar und der ruhigen, besonnenen Wesensart. Gelassen justierte er das Geschützrohr. Er hatte Pulver in das Bodenstück der Kanone gefüllt, daß sein Gewicht etwa der Hälfte der Schwere der Kugel entsprach. Er hatte die Kelle bereits aus den Händen gelegt, mit einem Ansetzer ein Knäuel Kabelgarn auf das Pulver gepreßt und die Kugel, die wiederum mit Kabelgarn in ihrer Lage gehalten wurde, aufgesetzt. Das Zündloch war mit Pulver gefüllt. Jetzt spannte Al den Hahn. „He!“ Patrick O’Driscolls Stimme übertönte das allgemeine Lärmen der Männer. Er schritt auf Conroy zu und verfolgte ziemlich verdutzt, was der Kamerad mit der DemiCulverine aufstellte. Patrick, einer der ehemaligen KaribikPiraten, sagte: „He, was tust du denn da? So, wie ich die Dinge sehe, hat der Capitan dort drüben bereits aufgesteckt. Sie holen die Flagge ‘runter.“ „Von mir aus“, erwiderte Al schulterzuckend. Dann lächelte er ein bißchen. „Ich kann’s einfach nicht lassen, weißt du. Nach all den Anstrengungen will ich wenigstens einen anständigen Kanonendonner hören.“ „Aber der Seewolf ...“ „Dem passiert nichts, darauf kannst du Gift nehmen.“
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Blacky trat jetzt auch heran und meinte: „Gut möglich, Al, aber er wird so etwas nicht gutheißen.“ Al Conroy gab nur ein „Ach was“ zurück, dann senkte er die Kartusche auf die Lunte. Brüllend brach der Schuß. Eine rote Feuerzunge leckte aus der Rohrmündung, und die Demi-Culverine zuckte in ihren Halterungen zurück. Die Ladung war üppig bemessen, die Geschützlafette hieb gegen die Brooktaue, als wolle sie sie zerfetzen. Beißender gelber Pulverrauch floß in dichten Schwaden ineinander. Al Conroy wartete den Rückstoß ab, dann kroch er vor, beugte sich über den Süll der Stückpforte hinaus und verfolgte den Weg der hinüberheulenden Kugel. Sie erwischte den Vordersteven der „Cacafuego“ wie von Al berechnet. Der Bugspriet knickte wie ein lächerlich dünnes Hölzchen nach unten weg und verschwand auf Nimmerwiedersehen in den Fluten des Stillen Ozeans. Die einstmals so stolze „Nuestra Senora de la Concepcion“ bot nun ein eher jämmerliches Bild. Al Conroy grinste, die anderen umringten ihn und hieben ihm lachend auf die Schultern. Der Jubel der Männer kannte keine Grenzen mehr. 6. Die „Golden Hind“ befand sich nun vollends längsseits des Spaniers. Bordwand rieb sich an Bordwand. Beide Schiffe wurden miteinander vertäut. Dann lavierte auch die „Isabella III.“ unter den präzisen Kommandos von Ben Brighton heran und legte sich an der Backbordseite der „Cacafuego“ längsseits. Die Segel aller drei Schiffe wurden aufgegeit. Hasard hatte immer noch den Capitan de Anton in der Zange und zwang ihn, für den „Feuerspucker“ die entsprechenden Befehle zu erteilen. Die an Bord verbliebene Restmannschaft war immer noch groß genug, um ein solches Manöver reibungslos auszuführen. Stenmark, Batuti, Smoky, Matt Davies und Ferris Tucker sammelten die Waffen der
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spanischen Mannschaft ein. Dann trieben sie die Leute unters Vordeck und sperrten sie dort ein. Auf Deck blieben als einziger Don der Capitan zurück. Hasard ließ ihm mit einem Tampen die Hände fesseln, sonst behielt er ihn scharf im Auge, damit er nicht wie die feigsten seiner Männer einfach außenbords jumpte. Die Davonschwimmenden ließ der Seewolf in Frieden. Er dachte gar nicht daran, sie einsammeln zu lassen. Sollten sie sehen, wie sie zurechtkamen! Irgendjemand würde sie schon entdecken und als Schiffbrüchige aufnehmen - oder sie vollbrachten die Kraftleistung, bis zur Küste zu schwimmen. Kapitän Francis Drake stieg von Bord der „Golden Hind“ auf die „Cacafuego“ hinüber. Er hielt immer noch den Degen in der Faust und lächelte jetzt. Hinter ihm folgte die komplette Entermannschaft und ergoß sich förmlich über das Deck des Spaniers. Es gab nichts mehr zu tun. Hasard und seine fünf Gefährten hatten die Hauptarbeit erledigt. Drake schob seinen Degen in die Scheide zurück. Er stapfte den Niedergang zum Achterkastell hoch und erwies dem Capitan de Anton seine Reverenz, indem er eine chevalereske Verbeugung andeutete. „Sie sollten nicht eine so bitterböse Miene ziehen, Senor. Man muß auch verlieren können. So verlangen es die Gebote im ritterlichen Kampf.“ „Ritterlich ist gut“, gab de Anton wütend zurück. „Sie haben uns auf hinterhältigste Art in die Zange genommen und unsere Gutgläubigkeit ausgenutzt. Sie haben überhaupt nicht das Recht ...“ Drake unterbrach ihn, seine Stimme wurde scharf. „Kommen Sie mir nicht auf die Tour, Capitan. Sonst könnte ich erörtern, auf welche heimtückische Art Sie und Ihre Landsleute das Neue Land unterworfen haben und was für ein Gemetzel unter den Ureinwohnern, den Indianern, angerichtet worden ist. Und letztlich sollten Sie noch heilfroh sein, wenn ich Sie jetzt nicht mitsamt Ihrem verdammten Schiff zusammenschießen lasse.“
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De Anton war wieder weiß wie eine gekalkte Wand geworden. Er zog es vor, zu schweigen. Es hatte sich herumgesprochen, wie zornig dieser nicht besonders große Mann werden konnte. Und es war auch bekanntgeworden, daß er die Spanier noch mehr haßte als zuvor, seit er auf direkteste Art von den Schlägen erfahren hatte, die sie gegen Patagonier, Araukaner und Chimus und all die anderen Indianerstämme geführt hatten. Auf der Mocha-Insel hatte Drake Mitgeholfen, eine solche „Strafaktion“ der Dons gegen die dort ansässigen Araukaner im Ansatz zu ersticken. Dort hatte aber maßgeblich ein Mann von sich reden gemacht, den die Spanier „El Lobo de Mar“ nannten, den Seewolf. Den Geschichten nach, die über ihn erzählt wurden, war er noch dreimal schlimmer als „El Draque“. Und Don Juan de Anton dämmerte es in diesem Augenblick, wer ihm da soeben das Messer gegen die Gurgel gesetzt hatte. Drake wandte sich an den Seewolf, „Sie sind der größte Teufelsbraten, der mir jemals über den Weg gelaufen ist, Hasard, das hat sich heute wieder einmal bewiesen. Meinen Respekt für Ihr beispielhaftes Enterungsunternehmen. Und meinen Dank an Sie und Ihre Männer. Aber jetzt mal heraus mit der Sprache: Was ist vorgefallen und wie ist es Ihnen allen ergangen, nachdem wir uns gezwungenermaßen voneinander getrennt hatten?“ Hasard war ernst. „Ich will mich kurz fassen, Sir, und vorausschicken, daß wir weder von der verschwundenen ,Elizabeth` noch von der ,Marygold` auch nur eine Mastspitze gesichtet haben. Wir können die beiden Schiffe abschreiben.“ „Bedauerlich“, entgegnete Drake. „Sehr bedauerlich.“ Er sagte nur diese wenigen Worte, aber seine Miene drückte aus, wie erschüttert er doch über diesen Schicksalsschlag war. Mit den Mannschaften der „Elizabeth“ und der „Marygold“, die mit ihren Schiffen den Tücken der Stürme nicht hatten trotzen können, verlor er nun endgültig zwei
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Crews aufrichtiger, wertvoller Männer, die sich wie die Leute von der „Golden Hind“ und Hasards Schiff tapfer und kompromißlos für ihn geschlagen hatten. Ganz abgesehen davon, daß sich der ursprüngliche Verband seit dem Verlassen des Hafens von Plymouth am 15. November 1577, also vor über einem Jahr, um mehr als die Hälfte reduziert hatte. Anfangs waren es fünf Schiffe gewesen, die sich auf große Fahrt begeben hatten. Die Stimme des Seewolfes riß Drake aus seinen Überlegungen „Ich habe mir erlaubt, ein neues Schiff unter mein Kommando zu stellen“, sagte Hasard, und er grinste jetzt. „Die Segelpinasse wurde uns einfach zu eng. Wir entdeckten den schlanken Zweimaster, den Sie da vor sich sehen, in einer Bucht südlich der Mündung des Coquimbo und der Punta Lengua de Vaca, und wir befanden einstimmig. daß er genau das richtige Schiff für uns ist. Wir haben ihn ‚Isabella III.’ getauft. Wollen Sie wissen, was im Bauch der braven Isabella lagert?“ „Ich brenne darauf“, erwiderte Drake. Er zog die Augenbrauen immer weiter in die Höhe, als Hasard nun auspackte, und Don Juan de Anton kriegte die Maulsperre und begann vor Entsetzen fürchterlich zu schlucken und zu husten. Der Seewolf zählte mit sichtlichem Vergnügen auf: „Da wäre zunächst mal eine ansehnliche Ladung von Gold- und Silberbarren, die wir unsren Freunden, den Philipps, abgenommen haben. Und weiter zwei große Schatztruhen, deren Wert kein Mensch richtig taxieren kann, er muß unvorstellbar hoch sein. Früher hat der Schatz mal dem in Lima ansässigen Vizekönig von Peru und Chile gehört, aber er wird ihn nie wiedersehen. Er müßte uns schon alle fassen und köpfen, um das Zeug wiederzukriegen, und das gelingt ihm nicht, so wahr ich Killigrew heiße! Ach ja, und dann wären da noch die Pulverfässer, die wir gleich bei der Kaperung mit dem Schiff erbeutet haben. Ein bißchen davon haben wir verbraucht, um den Dons ein Feuerchen unter den Hintern zu machen, aber der Rest stapelt sich immer noch fast
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bis unter die Ladeluken. Ehrlich gesagt, das Pulver war mir zu schade, um es ins Meer zu werfen. In der Beziehung bin ich geizig, Sir. Ich dachte mir, wir alle könnten es noch gut gebrauchen.“ „Erstaunlich“, bemerkte Drake. Er mußte erst seine maßlose Überraschung überwinden, bevor er die richtigen Worte befand. „Wirklich erstaunlich“, äußerte er auch Ben Brighton, Al Conroy, Blacky und all den anderen der Hasard-Crew gegenüber, die nun von Bord der „Isabella III.“ herüberflankten. „Einfach unglaublich“, fügte er dann noch murmelnd hinzu. Er wanderte eine Weile mit auf dem Rücken gekreuzten Armen auf und ab, betrachtete die schnittige Zweimastgaleone des Seewolfs und bedachte die Crew immer wieder mit anerkennenden Blicken. Schließlich blieb er wieder dicht vor Hasard stehen. Er mußte zu dem großen Mann aufschauen. Hasard war ein Kerl, der mit seinen breiten Schultern eine Tür mühelos verdecken konnte. Sein schwarzes Haar wurde von den Böen zerzaust, die aus westlicher Richtung über Deck strichen, und in seinen Augen spiegelte sich etwas von dem rötlich-matten Glanz der untergehenden Sonne. „Ich wäre Ihnen verbunden, wenn Sie mir ausführlich über Ihre Abenteuer berichten würden, Hasard“, sagte Drake. Früher hatte er den Seewolf nur mit „Mr. Killigrew“ angesprochen. Aber als sie vor der MochaInsel gelegen hatten und Hasard die Weisheit von sich gegeben hatte, daß das Schiff in Ordnung sei, solange die Männer auf Deck noch lachten — da hatte der „Alte“ ihn zum erstenmal mit Hasard angeredet. Sie waren einander menschlich näher gerückt, diese beiden so unterschiedlichen Männer, aber es hatte auch Querelen gegeben, bei denen Hasard seine Hartnäckigkeit bewiesen und oftmals fast zu hoch gesetzt hatte. Besonders wegen Doughty. „Doughty“ und „Intrigenspielerei“, das waren zwei Worte, die sich unmittelbar miteinander verbanden — und der feiste Kaplan Francis Fletcher
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hing mit drin im Netz aus Hinterhältigkeit und Verschlagenheit. Hasards Blick wanderte über Deck. Von Drakes Männern sah er fast alle, er grinste dem Stückmeister Burnaby und Tim Brewer und dem ewig miesgrämigen Mac Pellew grüßend zu. Sein Blick schweifte zur „Golden Hind“ hinüber, und dort sah er den portugiesischen Lotsen Nuno da Silva, dann, nicht weit von diesem entfernt auf dem Achterkastell, die beiden fragwürdigen Figuren Doughty und Fletcher. Hasard packte den spanischen Kapitän am Kragen. „Ich schlage vor, wir schaffen diesen Amigo zunächst mal zu den anderen unter Deck. Smoky und Batuti!“. „Sir?“ „Sperrt ihn in eine Kammer und denkt daran, daß er Gast auf seinem eigenen Schiff ist, also anständig behandelt werden muß.“ Die Ironie in Hasards Worten war unüberhörbar. De Anton spürte sie wie feine Nadelstiche. Mit bedrückter, düsterer Miene ließ er sich abführen. Smoky und Batuti nahmen ihn in die Mitte und wanderten mit ihm über die Kuhl in Richtung auf das Vorkastell davon. Die Sonne neigte sich weiter dem westlichen Horizont zu, der bis in die Unendlichkeit zu reichen schien. Dann tauchte der Feuerball in die bleigraue See und wurde von ihr verschlungen jedenfalls wirkte es so. Drake sagte: „Ich würde empfehlen, wir suchen zunächst mal die Kapitänskammer auf, Hasard. Mein Gespür sagt mir, daß wir dort ganz bestimmt die - hm. - flüssigen Bestände des Don Juan de Anton entdecken werden. Ich bin der Meinung, die Männer haben einen ordentlichen Tropfen verdient.“ „Aye, aye, Sir“, sagten die Männer beider Crews im Chor. Während zwischen den Mannschaften der „Golden Hind“ und der „Isabella III.“ lautstark Wiedersehen gefeiert wurde, begaben sich Drake und der Seewolf ins Achterkastell. In der Kapitänskammer durchstöberten sie eigenhändig die Vorratsschapps und entdeckten, wonach
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die ausgelaugten Kehlen der Männer jetzt verlangten: echten spanischen Malaga, Madeira, süffigen Riojo-Wein aus der iberischen Provinz Kastilien, Chicha und andere Spezialitäten. „Der hat sich nicht schlecht eingedeckt“, stellte Hasard anerkennend fest. „Ihre und meine Männer werden’s ihm danken, Sir.“ Drake lächelte. „Gehen Sie jetzt bitte nicht zu großzügig mit dem Zeug um, sonst finden wir später keinen mehr, der sich als Ankerwache einteilen läßt.“ Sie riefen Stenmark, Batuti, den Kutscher und Mac Pellew und ließen den Großteil der Flaschen nach oben auf Deck schaffen. Eine „eiserne Reserve“ beorderten sie durch Ben Brighton und Burnaby in die Kapitänskammern ihrer beiden Galeonen gerecht in zwei Hälften aufgeteilt. Drake und der Seewolf blieben in der Kapitänskammer der „Cacafuego“ zurück und vernahmen, wie oben das Verteilen der Weine und Schnäpse mit großem Hallo und Hurra begrüßt wurde. Francis Drake lächelte wieder und hatte verschmitzte Falten neben den Augenwinkeln. Er umrundete Capitan de Antons wuchtigen Kastanienholztisch, ließ sich auf einem Stuhl nieder und senkte die Handflächen auf die Knie. „So, und jetzt bin ich ganz Ohr, Hasard.“ Der Seewolf schilderte ihm in allen Einzelheiten, was sich zugetragen hatte, nachdem sie die vor der Mündung des Coquimbo-Flusses ankern- de „Golden Hind“ am 20. Dezember 1578 verlassen und mit der Segelpinasse die Küste in südlicher Richtung abgesucht hatten. Über zwei Monate waren seitdem vergangen, dabei hatte der Seewolf mit seinen Männern nur zwei Tage unterwegs sein und dann zur Galeone zurückkehren wollen. Drake unterbrach den großen Mann mit den eisblauen Augen nicht ein einziges Mal. Erst, als dieser geendet hatte, kommentierte er in der üblichen lakonischen Art: „Phänomenal. Einfach einzigartig.“ „Sie haben jetzt allen Grund, großmütig aufzutreten, Sir“, erwiderte Hasard. „Sie
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haben den größten Fang gemacht, den je ein Freibeuter ... ehm, ich meine, ein Seefahrer unter der Flagge Ihrer Majestät, der Königin von England, ergattert hat.“ „Den Sie mir verschafft haben, wollen Sie sagen.“ „Es dürfte doch wohl unser gemeinsamer Verdienst sein, Sir.“ „Bescheidenheit ist eine Zier.“ „Solange sie aufrichtig gemeint ist… „Da ist noch eine Sache”, sagte nun Francis Drake. „Carberry ist uns in einer stürmischen Nacht über Bord gegangen, und wir haben ihn seitdem trotz ausgiebiger Suche nicht wiederentdeckt. Haben Sie in der Richtung nichts gehört?“ „Nein, Sir“, schwindelte Hasard eisern. „Nichts. Das tut mir leid für den armen Ed Carberry.“ Er hielt an seinem Plan fest, mit dem er den heimtückischen Täter entlarven wollte. Der Zweck heiligt die Mittel, dachte er bei sich. Drake erhob sich. „Ich bedaure außerordentlich, daß wir den Profos auf so seltsame, geradezu aberwitzige Art verloren haben. Ich frage mich heute noch, wie er bei seiner Umsicht und Erfahrung so einfach über Bord gehen konnte! Das wird wohl ewig ein Rätsel bleiben. Gott sei seiner Seele gnädig.“ Sie schwiegen eine Weile, die Stille lastete auf ihnen. Drake ergriff als erster wieder das Wort. „Wir sollten jetzt in Augenschein nehmen, was die ,Cacafuego’ für uns bereithält, Hasard. Ich finde, es ist Ihr Privileg, als erster in den Frachtraum hinunterzusteigen, nachdem sie de Anton in einem so tollkühnen Handstreich überwältigt und gefangengenommen haben.“ „Sir ...“ „Keine falsche Bescheidenheit!“ Drake lehnte Hasards Einwand durch eine fächernde Handbewegung ab. „Es ist Ihnen doch klar, wie viele Menschenleben durch Ihren Mut bewahrt worden sind, oder? Die Mehrzahl von uns hätte bei einem Gefecht gegen diese hervorragend armierte Galeone draufgehen können. Also bitte, gehen Sie voraus.“
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Hasard zuckte mit den Schultern. Er schritt vor Drake bis zum Niedergang, der sie wieder nach oben auf die Kuhl führte. Die Männer begrüßten sie johlend und lachend und ließen sie hochleben. Batuti und Stenmark hoben ihren Seewolf auf die Schultern und trugen ihn im Triumphmarsch herum. Für Hasards Geschmack waren dies bereits viel zu viele Lorbeeren, und er ließ sich schleunigst wieder auf die Planken zurückgleiten. Seine Augen suchten nach dem Kaplan Francis Fletcher und John Doughty, aber die zogen es wohlweislich vor, drüben auf der „Golden Hind“ zu bleiben. Doughty hatte ja sowieso oft genug kundgetan, wie sehr er das „Lumpenpack“ und „Gesindel“ verachtete. Das waren Titel, mit denen er die Mannschaften bedachte, und einmal war Hasard ihm deswegen an die Kehle gefahren. Das war damals vor der MochaInsel gewesen. Big Niels und Diego, Drakes schwarzer Diener, waren im Kampf gegen die Araukaner gefallen und bestattet worden. Der Kaplan Fletcher hatte endlich einmal die passenden Worte gefunden. Später waren Matt Davies und Pete Ballie verschwunden, und Doughty hatte sie in seiner Borniertheit als widerliche, rohe Patrone bezeichnet, die eine Suche nicht wert seien. Hasard hätte John Doughty fast den Hals umgedreht, wenn Drake nicht dazwischengefahren wäre. Der Vorfall hatte die Kluft zwischen den beiden Widersachern vertieft. John Doughty haßte Hasard und wollte ihm den Tod seines Bruder Thomas heimzahlen. Der Seewolf wartete auf eine Gelegenheit, dem Kerl seine verräterischen Aktionen an Bord der „Golden Hind“ nachzuweisen. Drake stand dazwischen, und wenn er im entscheidenden Augenblick eine Fehlentscheidung traf, würde sich auch zwischen ihm und Hasard eine Barriere aufrichten. Hasard wälzte diese Gedanken, als er in die Frachträume der behäbigen spanischen Galeone hinunterkletterte. Er und Drake hatten Talglichter entzündet, denn mittlerweile war der Abend angebrochen
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und hier unten herrschte bereits tintenschwarze Finsternis. Das flackernde Licht zeichnete zuckende Muster auf die Holzwände. Hasard schritt zielstrebig aus und fand schnell das Holzquerschott, das ihnen den Weg in die Schatzkammer öffnete. So sehr, daß man sich auf ihnen verlaufen konnte, unterschieden sich die spanischen Galeonen in ihrer Konstruktionsweise nicht voneinander. In der Anordnung der Räume glich eine der anderen, nur die Größenverhältnisse waren eben unterschiedlich. Der Schein ihrer Lichter fiel auf die im Frachtraum zusammengepferchte Pracht, und Hasard stieß unwillkürlich einen Pfiff aus. Seine kühnsten Erwartungen wurden noch übertroffen! Hier stapelten sich die Reichtümer buchstäblich bis unter die Ladeluken. Hasard und Drake begutachteten ehrfürchtig Silber- und Goldbarren, strichen mit den Händen über Schatzkistendeckel mit schweren eisernen Beschlägen, besahen sich die vielen Truhen, die die unermeßlich wertvolle Ladung vervollkommneten. „Mit dem, was wir an Bord der ,Isabella’ haben, läßt sich das hier nicht aufwiegen“, bemerkte der Seewolf. „Meine Beute kommt mir richtig mickrig dagegen vor.“ „Untertreiben Sie nicht so“, erwiderte Drake lachend. „Erstmal muß all das Gold und Silber gewogen und auf seinen Wert geschätzt werden. Was wohl in den Kisten und Truhen lagert -was meinen Sie?“ Hasard fuhr sich mit der Hand übers Kinn. „Mit ihrer Erlaubnis, Sir, werde ich das eben mal schnell feststellen lassen.“ „Einverstanden.“ Hasard kletterte auf den Schatzberg, stemmte sich mit seinen mächtigen Schultern unter eine der Ladeluken und wuchtete sie hoch. Die Männer auf dem Oberdeck quittierten dies mit lautstarkem Beifall. Hasard grinste, winkte ihnen zu und teilte Befehle aus. Taue wurden herangeschafft. Hasard hangelte wieder an den gestapelten Reichtümern nach unten, verknotete die Tauenden fachmännisch an den Griffen
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einer Truhe und gab dann das Zeichen: „Ho - ihr könnt anhieven!“ Smoky, Batuti, Stenmark, Burnaby, Tim Brewer und ein paar andere zerrten mit aller Kraft an den Tauen und beförderten die Truhe nach oben. Sie bugsierten sie durch die Lukenöffnung, schoben sie dann vorsichtig auf Deck und bestaunten sie von allen Seiten. Hasard und Kapitän Drake traten zu ihnen. „Aufbrechen“, ordnete Hasard an. Jetzt entfesselte sich eine eifrige Tätigkeit. Eisenhaken und Messer und andere Hilfsmittel wurden herangeschleppt, die Szene mit Fackeln beleuchtet. Ferris Tucker versuchte sich an den Schlössern er kriegte sie nicht auf. Batuti, Stenmark, Blacky, Matt Davies und einige der ehemaligen Karibik-Piratenprobierten es ebenfalls. Mit dem gleichen Mißerfolg. Al Conroy transportierte von Bord der „Isabella ein Pulverfäßchen herüber. Arwenack hüpfte aufgeregt um die Männer herum, begleitete Als Vorbereitungen mit Ge- kecker und hielt sich die Ohren zu, als Al die Lunte auslegte. „Wie auf der Isla del Medio“, sagte Dan O’Flynn. „Die beiden Schatzkisten waren auch mit Pulver aufgesprengt worden. Ist denn nicht mal eine unter den Dingern, die ein paar weniger dicke Schlösser hat?“ Hasard grinste breit, ging davon und kehrte nach kurzer Zeit aus dem Achterkastell zurück. Mit bedeutungsvoller Geste hielt er ein großes Schlüsselbund empor. Al Conroy hatte mit Feuerstein und Feuerstahl bereits die Lunte entfacht, aber jetzt trampelte er die Glut wieder aus. „Hättest du auch gleich sagen können, daß der Capitan die passenden Schlüssel in seiner Kammer versteckt hat“, brummelte er. „Es ist mir eben erst eingefallen“, gab Hasard zurück. Er probierte ein paar Schlüssel durch, dann hatte er den richtigen gefunden und ließ die Riegel aufschnappen. Mac Pellew, der Meckerbeutel, stand hinter ihm und gab so allerhand von sich, von dem der Seewolf nur „Hätten uns viel Arbeit sparen können“ und „Warum nicht gleich einfach, wenn’s auch umständlich geht“ verstand.
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Der Deckel der Truhe schwang unter Hasards Griff hoch. Damit verstummten schlagartig alle verdrießlichen Kommentare. Was sich da im Fackellicht präsentierte, war einfach zu überwältigend, um noch Nörgeleien zuzulassen. Edelsteine und Perlen präsentierten sich den neugierigen Blicken der Männer. Zum Teil waren sie roh und ungeschliffen, zum Teil schon in kostbare Fassungen eingepaßt oder an Ketten aufgereiht. Was aber das allerwichtigste war: Die Truhe war bis zum Rand damit angefüllt. „Schockschwerenot!“ stieß Dan O’Flynn aus. „Wenn die anderen Kisten, die ich da unten im Frachtraum sehe, auch so voll sind ...“ „Ist doch anzunehmen“, sagte Stenmark. „Morgen früh sehen wir weiter“, sagte der Seewolf. „Wir führen eine richtige Bestandsaufnahme durch.“ Drake räusperte sich. „Ich denke, es wird ein paar Tage in Anspruch nehmen, bis wir das alles an Deck geschafft und auf die ,Golden Hind` hinüber gemannt haben. Wir haben Barrengold, Silber in Barren und jede Menge Schmuck. In anderen Kisten, so vermute ich, werden auch Silbermünzen lagern.“ Hasard blickte in die Runde. „Eigentlich müssen wir dem Capitan Lope Ariza Garzante von der ,Azuero` dankbar sein. Die Verfolgung der ,Cacafuego` hat sich in doppelter Hinsicht gelohnt. Erstens einmal haben wir Kapitän Drake mit seiner ,Golden Hind` wieder aufgestöbert. Zum anderen das hier — Himmel, die Queen wird vielleicht die Augen aufreißen, wenn wir ihr diesen Schatz auftischen.“ Thomas Moone lachte und rief: „Der Feuerkacker ist eben ein richtiger Silberkacker.“ Jemand hüstelte, und ihre Köpfe ruckten herum. Francis Fletcher, feist und bigott bis in die Haarwurzeln, war unmerklich nähergetreten, hatte dem Ende der TruhenZeremonie beigewohnt und natürlich auch Moones Kommentar gehört. „Du sollst nicht fluchen und keine verwerflichen Ausdrücke gebrauchen“, mahnte er. „Besinne dich, mein Sohn, und
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lasse dich nicht vom Reichtum verblenden. Vor dem Herrn sind alle Schäflein gleich.“ „Amen“, murmelte Mac Pellew, und Dan O’Flynn konnte sich nicht verkneifen zu raunen: „Ist doch ein ganz natürlicher Vorgang: Wer nicht kackt, ist nicht gesund.“ Hasard und die anderen dem Bürschchen am nächsten Stehenden wollten schon losprusten, konstatierten aber Drakes zurechtweisenden Blick und bremsten sich. Der Kaplan trat gemessenen Schrittes auf die Truhe zu und beugte sich mit umständlichem, gezierten Gebaren über sie. Aus großen Augen betrachtete er das glitzernde Vermögen — sie drohten ihm aus den Höhlen zu fallen. Er griff mit gespreizten Fingern in den Berg aus Schmuck und Edelsteinen, hob etwas davon hoch und ließ es genießerisch in die Truhe zurückprasseln. Die Männer standen mit andächtigen, teilweise regelrecht verzückten Mienen. Hasard verfolgte das Handeln des Schiffsgeistlichen voll Mißtrauen. Fletcher richtete sich wieder auf, breitete die Arme aus und rief: „Der Herr ist allgegenwärtig und wird die verfluchen, die sich vom Laster und Zaster verführen lassen. Moses Volk umtanzte das Goldene Kalb und fronte seiner satanischen Ausstrahlung, während Moses auf dem Berg Sinai die göttlichen Gesetzestafeln entgegennahm - und die Strafe des Himmels ereilte die Sünder. Die Hebräer trieben fluchwürdigen Handel im Tempel Gottes, aber Jesus Christus züchtigte sie eigenhändig und vertrieb sie. Habt acht, Brüder, und bedenkt die Worte der Heiligen Schrift, aus der Epistel des Paulus an die Epheser, im sechsten Kapitel, in dem da steht: Ziehet an den Harnisch Gottes, daß ihr bestehen könnt gegen die listigen Anläufe des Teufels. Wer darbt, dem wird geholfen werden. Doch wer nur gierig rafft und an seinen eigenen Wohlstand denkt, ohne dem Nächsten zu helfen, dem wird Schreckliches widerfahren.“ „Aha“, sagte Stenmark respektlos. „Jetzt meldet er seine Ansprüche an.“
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Der Kaplan zog die Augenbrauen hoch, wandte sich um und suchte mit seinem Blick nach dem Sprecher. „Wie bitte?“ fragte er, denn er hatte nicht richtig verstanden. Kapitän Francis Drake hatte die Bemerkung wohl aufgeschnappt, ging aber nicht weiter darauf ein. Vielmehr wies er seinen Kaplan zurecht: „Sie haben ein eigenartiges Geschick, Ihre Strafpredigten immer im falschen Moment zu halten, Mister Fletcher. Konnten Sie sich keinen anderen Augenblick aussuchen? Lassen Sie den Männern doch ihre Freude, lassen Sie zu, daß sie sich wie die Kinder benehmen. Wenn ich nicht der Kapitän der ,Golden Hind` wäre, würde ich mich daran beteiligen.“ Fletcher verzog das Gesicht und ließ seinen kleinen Mund empört auf- und zuschnappen. Wie ein Fisch auf dem Trockenen. Drake fuhr fort: „Und was die Verteilung der erbeuteten Reichtümer betrifft, so wissen Sie doch, daß alles, was wir aufgebracht haben, Ihrer Majestät, der Königin von England, zusteht. Meine Männer vergreifen sich nicht daran, dafür lege ich meine Hand ins Feuer. Im Hinblick auf die hohe Geistlichkeit können Sie derweil auch ganz beruhigt sein, denn Elizabeth I. wird unter Berücksichtigung des Konkordates die kirchlichen Würdenträger bestimmt nicht leer ausgehen lassen.“ „So war das nicht gemeint“, beeilte sich der Kaplan zu sagen. „Nicht?“ Drake tat verwundert. „Wie dann?“ „Ich wollte sagen - das - das Jagen nach schnödem Mammon verdirbt die Gemüter und-und ...“ „Ach so, dann verzeihen Sie, Mr. Fletcher.“ Drake verkniff sich ein Lächeln. Er drehte sich wieder seinen Männern zu. „Ich mochte, daß Ankerlaternen gesetzt und Bordwachen eingeteilt werden - auf allen drei Schiffen. Die Ablösung erfolgt alle acht Glasen.“ „Aye, aye, Sir“, ertönte es einstimmig zurück.
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Am frühen Morgen des 2. März 1579 begannen die Männer bei ruhigem Wetter und glatter See mit der Arbeit. Hasard fertigte für Francis Drake eine Liste an, auf dem sämtliche Beuteteile aus den Frachträumen der „Nuestra Senora de la Concepcion“ verzeichnet standen. Am Vormittag schafften sie dann die ersten Stücke aus dem Bauch des wuchtigen Schiffsleibes nach oben auf Deck. Da wurden Taljen über den offenen Ladeluken postiert, Taue hinabgelassen, dirigiert und festgemacht. Drake und der Kaplan waren längst auf die „Golden Hind“ zurückgekehrt, und so waren es Hasard, Ben Brighton und Burnaby, die die Manöver maßgeblich leiteten. Während eine Gruppe Männer unten im Frachtraum für die sachgerechte Vertäuung der ersten Lasten sorgte, gruppierten sich oben die übrigen um die Luke und hievten die kostbare Fracht zu sich herauf. Sie waren dabei, den vierten Stoß Silberbarren zu löschen, als es geschah. Eins der Taue brach. Die Männer oben kippten wegen der plötzlichen Bewegung nach hinten oder seitlich über und fluchten, was das Zeug hielt. Hasard sprang an den Lukenrand und packte in die Taue, aber es war schon zu spät: Der Stoß löste sich auf, glitt aus der Laschung und kehrte dorthin zurück, wo er gelegen hatte. Schreiend sprangen die Männer unten zurück. Die Silberbarren knallten auf die Planken im Frachtraum, und plötzlich brüllte jemand auf. Hasard spürte, wie ihn eine Woge des Entsetzens durchfuhr. Er sah Blacky auf dem Bauch liegen. Er versuchte, weitere Einzelheiten im Halbdunkel des Frachtraumes zu erkennen, doch das gelang ihm nicht. Kurzentschlossen hechtete er in die herabbaumelnden Taue und turnte nach unten. Der Kutscher war nun ebenfalls heran und beugte sich über Blacky. Blacky stöhnte. Ihm war ein Silberbarren gegen die Hüfte geknallt. Der Kutscher untersuchte ihn
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ruhig und gründlich. Hasard war in diesem Moment wieder einmal froh, den Kutscher in seiner Mannschaft zu haben. Er war wie Hasard von der Preßgang der „Marygold“ rekrutiert worden, eine eingefleischte Landratte, der die Seebeine erst allmählich wuchsen, die aber immer noch nicht das Schwimmen gelernt hatte. Er war Kutscher bei Sir Freemont, dem Arzt in Plymouth, gewesen, und hatte ihm allerhand bei der Wundbehandlung abgeschaut. Als Feldscher war er einfach unersetzbar. „Das ist nichts Schlimmes“, sagte der Kutscher. „Der Barren hat dich nur an einer so blöden Stelle erwischt, daß du eine schmerzhafte Verstauchung abbekommen hast. Sonst ist außer einer Abschürfung nichts festzustellen.“ „Hölle und Teufel!“ rief Blacky. „Und das tut so weh?“ „Ja. Steh mal auf.“ Blacky tat es, fluchte noch wüster, konnte aber schon wieder humpeln. Der Kutscher bot ihm an, die Prellung mit Schnaps zu behandeln, aber Blacky lehnte ab und meinte: „Zum Einreiben? Dazu ist mir das Zeug zu schade. Eine glatte Verschwendung. Du kannst die Ration aber für mich zurückbehalten, ich sauf sie nachher aus.“ Die Männer lachten, und damit war der Fall vergessen. Fortan wurden kleinere Stöße von Barren vorbereitet und hochgefiert, damit es nicht mehr zu Zwischenfällen kam und sich wirklich noch jemand den Schädel kaputtschlug oder sich ein paar Knochen brach. So schön die Barren anzusehen waren, sie hatten eben auch ihre Tücken. Später kommandierte Hasard einen Teil der Männer ab. Sie mußten eine Kette bilden und die Barren einzeln zur „Golden Hind“ hinüber mannen, wo andere Mitglieder der Crew bereitstanden, um das schwere Metall in die Frachträume hinabzubugsieren. Drake enterte am frühen Nachmittag zur „Cacafuego“ über und erkundigte sich beim Seewolf nach dem Stand der Dinge. Hasard präsentierte ihm grinsend die Liste.
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Und Drake las: „26 Tonnen Silber in Barren, 13 Kisten mit Silbermünzen, 80 Pfund Barrengold, 200 Kisten mit Edelsteinen, Juwelen und Perlen sowie wertvolles Tafelgeschirr.“ Er ließ das Blatt Büttenpapier sinken. „Und wie weit sind Sie mit den Löscharbeiten, Hasard?“ „Wir können froh sein, wenn wir bis heute abend sämtliche Silberbarren auf die ,Golden Hind` hinübergeschafft haben, Sir.“ „Hrn. Das nimmt mehr Zeit in Anspruch; als ich gedacht habe.“ „Schneller läßt es sich nicht abwickeln“, entgegnete Hasard. „Wir müssen vorsichtig mit der Beute umgehen. Blacky hätte es beinahe das Kreuz zerschmettert, als eins der Taue brach.“ „Fassen Sie meine Worte nicht als Kritik auf. Die Zeit, die Sie brauchen, nehmen Sie sich eben. Schließlich sitzt uns niemand auf den Fersen, und wir haben auch kein genaues Ziel, das wir innerhalb einer bestimmten Frist erreichen müssen.“ „Danke, Sir.“ Drake begab sich unter das Vordeck, wo Tim Brewer, Thomas Moone und ein paar Männer aus der Seewolf-Mannschaft vor den Kammern Wache standen, in die die spanische Besatzung gesteckt worden war. Francis Drake ging in den Raum, den sich Capitan Don Juan de Anton mit vier anderen teilen mußte. Das waren sein Bootsmann und erster Offizier und andere Vertreter der Deckoffiziere. „Ich protestiere“, waren die Antons erste Worte. „Ich verwahre mich ganz entschieden gegen diese Art von Behandlung! Sie haben nicht das Recht, so mit uns umzugehen, wir hätten es auch nicht getan, falls wir die Sieger gewesen wären.“ Drake hatte gelassen zugehört, jetzt antwortete er: „Wirklich nicht? Nun, ich will das nicht weiter erörtern. Was paßt Ihnen denn nicht, Capitan? Stimmt etwas mit der Verpflegung nicht? Leiden Sie Hunger oder Durst? Falls Sie das als eine Art von Folter betrachten, werde ich den Männern in den Kombüsen entsprechende Anweisungen geben. Ich sagte wohl schon:
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Sie sind Gäste auf Ihrem eigenen Schiff und sollen dementsprechend behandelt werden.“ „Warum liefern Sie uns nicht an unsere Landsleute aus?“ rief de Anton mit hochrotem Kopf. „Sie müssen lernen, mehr Geduld zu haben, Capitan.“ „Was haben Sie mit uns vor?“ „Jetzt spricht die Angst aus Ihren Worten.“ „Er will uns alle umbringen“, sagte der Bootsmann. „Erst läßt er uns schmachten und dann weidet er sich daran, wie seine Männer uns dahinmetzeln. Ganz in Ruhe will er das genießen, dieser Teufel!“ Drake trat vor ihn hin. „Senor! Ich sollte Sie wegen Ihrer Bemerkung zum Duell fordern, aber ich steige nicht auf Ihr Niveau herab. Tut mir leid, aber Sie haben den Bogen überspannt. Moone und Brewer!“ „Sir?“ „Sie begleiten unseren Freund bis in den untersten Bugraum. Sperren Sie ihn in die Vorpiek!“ Der Bootsmann der „Cacafuego“ rauchte fast vor ohnmächtiger Wut, aber er hütete sich, noch etwas zu sagen. Ohne großen Widerstand ließ er sich abführen. Drake musterte noch einmal den Capitan und dessen restliche drei Gefährten. Er sagte: „Wenn Sie noch die Energie aufbringen, so gewaltig auf die Palme zu steigen, Senores, dann kann es Ihnen nicht allzu schlecht gehen. Zügeln Sie Ihr heißes Temperament. Was das Dahinmetzeln betrifft: Sie hätten sich wohl zu einer solchen Handlungsweise entschlossen, wenn meine Mannschaft und ich uns Ihnen hätten ergeben müssen. Mir aber liegt ein derartiger Zug nicht.“ Er machte auf dem Absatz kehrt und verließ die Kammer. In den nächsten drei Tagen, in denen die Mannschaften damit beschäftigt waren, den gewaltigen Schatz im Bauch der „Golden Hind“ zu verstauen, kehrte er nicht ein einziges. Mal zu de Anton oder einem seiner Leute zurück. Das Benehmen der Besiegten hatte ihn konsterniert.
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Mit der Beute aus den Frachträumen des „Feuerspuckers“ war Francis Drake mit einem Schlag einer der reichsten Männer Englands geworden. Der Königin und allen anderen Geldgebern seines einzigartigen Unternehmens hatte er zu einer Dividende verholfen, wie diese sie sich wohl nie erträumt hatten. Die Monate des Kampfes gegen die gefürchtete Flaute und den verhaßten Sturm, aber auch jegliche Gedanken an Meuterei waren an Bord der „Golden Hind“ und der „Isabella III.“ vergessen. Das Ziel der großen Fahrt war bereits erreicht. Am vierten Tag nach der Kaperung der „Cacafuego- - es war der 5. März 1579 ließ Drake den Capitan zu sich aufs Achterkastell der Prisengaleone rufen. De Antons Gesicht war jetzt fahl, er glaubte zu ahnen, was ihm bevorstand. Drake ließ ihn absichtlich eine Weile im ungewissen und etwas zappeln. Don Juan de Anton wurde von widerstreitenden Vorstellungen und Empfindungen gepeinigt. Am liebsten wäre er vor Drake auf die Knie gefallen und hätte um sein Leben gefleht. Er dachte daran, wie es war, geköpft oder kielgeholt zu werden. Er hatte es selbst an widerspenstigen Kerlen exerzieren lassen aber jetzt, da er sich selbst kurz vor der Hinrichtung glaubte, jetzt hatte er jeglichen Geschmack daran verloren. Er war drauf und dran, um sein Dasein zu betteln, da sägte Drake: „Also schön. Wir haben uns erlaubt, Ihr Schiff bis auf den letzten Krümel Gold zu leeren, Capitan. Sie können absegeln. Ich rate Ihnen bloß, sich schleunigst in Richtung auf die Küste oder sonst wohin zu verzupfen und ja nicht mehr blicken zu lassen. Das nächste Mal geht es nicht so glimpflich für Sie ab.“ De Anton glaubte, seinen Ohren nicht trauen zu dürfen. „Ist das – wirklich wahr?“ „Ich sehe keinen Anlaß, dumme Witze mit Ihnen zu reißen“, gab Drake kühl zurück. Endlich gewann der Spanier seine Fassung wieder. Er richtete sich zu seiner vollen Größe auf, erinnerte sich an die höfische Erziehung, die man ihm beigebogen hatte, und deutete eine Verbeugung an. „Muchas
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gracias, Capitan Drake. Wir segeln davon, und zwar ,a toda velocidad`, mit der größtmöglichen Geschwindigkeit, und zwischen uns wird es kein Wiedersehen geben, das verspreche sich. Ich habe für Ihr ritterliches Verhalten zu danken.“ „Schon gut“, entgegnete Drake; dem dieser Bursche allmählich auf die Nerven fiel. Die spanische Mannschaft wurde aus dem Vorschiff entlassen. Natürlich hatten Hasard und seine Freunde sämtliche Waffen und Munition entweder im Meer versenkt oder so zerstört, daß die Dons im nächsten Hafen Tage brauchten, um sie wieder auf Vordermann zu bringen. Auch dies war keine Kleinigkeit gewesen, weil die „Cacafuego“ beispielsweise achtzig Kanonen auf ihren Decks trug - Hasard hatte sie endlich gezählt. Achtzig Geschütze, deren Größe zwischen zwölf und 32 Pfund lag, systematisch außer Funktion zu setzen, nahm mehr Zeit in Anspruch, als sie der Reihe nach gefechtsklar zu machen. Die Crews unter Drakes und Hasards Kommando enterten von dem „Feuerspeier“ ab und begaben sich zurück auf ihre Schiffe. Die Vertäuungen wurden gelöst - die „Cacafuego“ war frei. Hastig wurden dort die Segel gesetzt, barsche Befehle tönten über Deck. Der Wind fuhr in die Segel, blähte sie auf und trieb das behäbige Schiff in Richtung auf die Küste davon. * Die „Isabella III.“ befand sich noch nicht längsseits der „Golden Hind“. Philip Hasard Killigrew suchte das Achterdeck auf, trat an das Steuerbordschanzkleid und hielt die Hände“ wie einen Trichter vor den Mund. „Kapitän Drake!“ rief er. „Ich bitte um Erlaubnis, mein Schiff neben dem Ihren vertäuen zu dürfen!“ Drake lachte und gab zurück: „Genehmigt! Passen Sie auf, daß wir uns nicht gegenseitig die Bordwände demolieren!“ Das war natürlich im Scherz gemeint, denn beide Schafe waren seit dem Leerplündern
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der „Cacafuego“ mit Fendern aus Tauwerk versehen worden. So wurde die „Isabella III.“ nun gegen die Backbordseite der „Golden Hind“ laviert und festgemacht. Francis Fletcher erschien auf dem Achterkastell der Drakeschen Dreimastgaleone. Er placierte sich neben dem Kapitän. Im Hintergrund konnte der Seewolf auch John Doughty und Nuno da Silva, den portugiesischen Lotsen, erkennen. Kaplan Fletcher hob die Hände und bat sich Ruhe aus. Tatsächlich legte sich auch augenblicklich Stille über die beiden Schiffe, die nur von dem Knarren der Blöcke und Rahen und dem schmatzenden Geräusch der Wellen an den Bordwänden unterbrochen wurde. „Männer der ,Golden Hind` und der’ ‚Isabella’!“ rief Fletcher. „Lasset uns beten, daß uns Gott der Allmächtige in seiner unendlichen Güte den rechten Weg ins gelobte Land gewiesen hat.“ „Puh“, sagte Dan O’Flynn neben dem Seewolf. Dann aber faltete er die Hände, und alle anderen taten es ihm nach. Die versammelten Mannschaften lauschten mit andächtig gesenkten Köpfen den Worten des Geistlichen und stimmten schließlich murmelnd ein, als er das Vaterunser sprach. Sogar Arwenack, der Schimpansen-junge, kauerte friedlich und still im Vormars. Er hatte begriffen, daß es den Menschen dort unten ihm diesmal ernst war mit ihren frommen Sprüchen. Und tatsächlich empfanden sie tief in ihren Herzen etwas von dem unverfälschten Sinn der Religion, die einen wichtigen Bestandteil der europäischen Kultur darstellte. Sie glaubten an die überirdische Gerechtigkeit und vertrauten ihr, aber was sie nicht leiden konnten, waren falsche Heiligtuerei, bigottes Gefasel und völlig überflüssige Maßregelungen, mit denen Fletcher nun mal nicht hinter dem Berg halten konnte. „Quark“ nannte Mac Pellew jene Moralpredigten. Und im Anschluß an die Andacht konnte der Kaplan es wieder mal nicht lassen. Er fing an, „Quark“ zu reden.
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Drohend schüttelte Fletcher die Faust gegen die Kuhl der „Golden Hind“, wo sich die Drake-Mannschaft versammelt hatte, und wandte sich dann auch der „Isabella III.“ zu. „Aber wehe denen, die diese glückliche Wende in unserer gemeinsamen Irrfahrt nicht zu schätzen wissen, wehe denen, die nicht auf Gottes Pfaden wandeln. Wehe denen, die sich wie Sünder und Verbrecher benehmen und sich dem Trunke ergeben. Verflucht sollen Wein und Schnaps sein, die euren Geist umnebeln und auf den falschen Pfad lenken — den Pfad der Verdammnis. Zum Teufel mit allen Flaschen, die hier an Deck kreisen! Wer dem Laster frönt, verdient nicht Gottes Güte und Gnade ...“ Arwenack hatte sich in Bewegung gesetzt, turnte über die Großmarsrah, hangelte an den Webleinen auf der Leeseite der „Isabella“ hinunter und setzte dann elegant zur „Golden Hind“ über. Er hielt irgendetwas in den Fingern, doch Hasard vermochte nicht genau zu erkennen, was es war. „Dan“, raunte er dem Bürschchen neben sich zu. „Ja?“ „Hat Arwenack wieder was aus der Kombüse geklaut?“ „Hasard, ich schwör’s dir - nein.“ „Wenn der Kutscher sich noch mal bei mir über euch beschwert, ziehe ich euch beiden die Haut in Streifen vom Hintern, verstanden?“ Dan leckte sich hastig die Lippen. „So glaube mir doch. Ich hab keine Ahnung, ob er wieder was angestellt hat, ich habe ihn jedenfalls nicht geschickt ...“ „Aha!“ Der Seewolf hatte ziemlich laut gesprochen, und prompt ruckte drüben der Kopf des Kaplans herum. Er bat sich energisch Ruhe aus, dann fuhr er in seiner vehementen, erbitterten Strafpredigt gegen das Saufen und die Hurerei und alle sogenannten Laster dieser Welt fort. Er hatte sich so richtig in Eifer geredet, und wie es schien, zog niemand in Betracht, ihn zu bremsen. Ein paar Männer blickten zu Boden, andere nach oben in den blauen,
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wolkenlosen Himmel. Einige grinsten verstohlen, und da Fletcher es bemerkte, wurde seine Stimme so donnernd laut, als müsse sich jeden Augenblick das Firmament verdunkeln und öffnen und die Vernichtung über die Sünder herniederschicken. Fletcher konnte gar nicht genug Strafen für all das herbeizitieren, was die wilden Männer der Crews ausgerechnet so gern taten. Da blieb letztlich auch das Fluchen nicht unerwähnt, jenes unerschöpfliche Spezialvokabular, von dem Fetzen dem Schiffsgeistlichen immer wieder zu Ohren kamen und ihn bis tief in das Innerste seiner Seele beschämten, wie er versicherte. Affenarsch und Rübenschwein, Teufelsbraten und Hurensohn, Sauigel, Pißnelke, Hosentrompeter, verlauster Galgenvogel, Segler auf dem Nachttopf, vergammelte Puffmatratze, verwanzte Vogelscheuche und die vielen, vielen noch schlimmeren Titel, mit denen die Männer nur allzu gern die Spanier und manchmal auch ihre eigenen Kameraden an Deck bedachten das waren Ausdrücke, gegen die Fletcher krankhaft allergisch zu sein schien. Arwenack setzte seine Kletterreise fort. Nahezu unbemerkt erreichte er den Besanmast der „Golden Hind“, klomm an der Takelung empor und suchte sich schließlich einen luftigen Platz dicht unterhalb der Toppnanten aus. Er fummelte mit dem dunklen Etwas herum, das er mit sich trug. Hasard schickte ihm einen verstohlenen Blick zu und fragte sich erneut, um was es sich hei dem Gegenstand wohl handelte. „Wohl dem“, stieß der Kaplan gerade hervor, „wohl dem, der ein redliches und moralbewußtes Dasein führt und weiß, daß er Gott lästert, wenn er säuft, flucht und sich der Fleischeslust hingibt, die nicht dem geheiligten Zwecke der natürlichen Fortpflanzung dient ...“ Drake schien etwas bemerkt zu haben. Er legte den Kopf in den Nakken und fixierte jenen dunklen Fleck hoch oben am Besanmast, der sich als Arwenack entpuppte.
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„Vorsicht“, konnte er gerade noch sagen. Aber da war es schon zu spät. Das Objekt, das der Schimpansen-junge von Bord der „Isabella III.“ auf Drakes Galeone herübertransportiert hatte, sauste plötzlich nach unten: Arwenack hatte es losgelassen -nicht ohne vorher mit äußerster Konzentration gezielt zu haben. Drake wollte den Kaplan zur Seite schieben, doch der war gerade so richtig schön in Fahrt und verbat sich das durch eine gereizte Geste. Und dann kriegte er das Ding auf den Kopf, genau auf die Schädelplatte, die durch das lichte Blondhaar nur unzureichend geschützt wurde. Bong, ertönte es, ein hohler Klang, der wahrhaftig bis zu den Männern auf der „Isabella“ herübertönte. Das Wurfgeschoß schepperte zu Boden. Drake hob es auf und äußerte lakonisch: „Kokosnußschale.“ „Habt ihr gehört, wie das gebumst hat?“ rief jemand. „Holz auf Holz, so hat’s geklungen“ sagte Dan und kicherte. Francis Fletcher krümmte sich indes, faßte mit beiden Händen nach seinem Kopf und gab einen Wehlaut von sich. Er massierte die getroffene Stelle mit den Fingern, brachte sich auf die Seite und schnitt eine wütende Grimasse. Und dann, ganz plötzlich und vielleicht auch ungewollt, entfuhr es ihm: „Verdammt und zugenäht!“ „Du sollst nicht fluchen!“ grölten die Männer auf der Kuhl der „Golden Hind“. Sie wollten in brüllendes Gelächter ausbrechen, aber Drake konnte das gerade noch mit einer herrischen Handbewegung stoppen. Dan stieß unterdessen den Seewolf an, deutete zu Arwenack empor und sagte: „Verdammt, er hat noch ‘ne Kokosschale!“ „In Deckung, Mister Fletcher!“ rief Hasard. Doch so flink war Fletcher in seinen Reaktionen nun mal nicht. Das nächste Geschoß hieb auf ihn nieder, und wieder traf es mit geradezu unheimlicher Präzision das Ziel. Fletcher jammerte, hastete in
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Richtung Niedergang davon, stolperte auf die Kuhl hinunter und verschwand im Achterkastell. Die Männer standen wie die Statuen. Einer, es war Tim Brewer, wollte losprusten, aber er kriegte von Mac Pellew einen Tritt in den Hintern, so daß er gleich wieder Verstummte. Arwenack klatschte oben im Besan in die Hände und keckerte triumphierend. Es gab keinen, der nicht mit größter Mühe sein Lachen unterbinden Mußte. Francis Drake schaute zu Arwenack hoch, machte schmale Augen und sagte: „Wir sprechen uns noch, Freundchen. Allmählich entwickelst du dich zu einem richtigen Rüpel.“ Als ob er’s verstanden hätte, verließ Arwenack schleunigst seine Gefechtsstation, törnte zur „Isabella III.“ zurück und fand sich bei Batuti, Blacky und Smoky ein, die nebeneinander standen und ihm am Meisten Schutz zu versprechen schienen. Philip Hasard Killigrew brach das etwas peinliche Schweigen, indem er zu Drake hinüberrief: „Sir! Ich bitte Sie, Ihnen jetzt meine neue Mannschaft vorstellen zu dürfen - die ehemaligen Karibik-Piraten, die zu uns übergelaufen sind. Sie sind bereit, für Sie und für mich zu kämpfen, Kapitän Drake, aber sie würden sich auch für jedes Mitglied der beiden Mannschaften, für die Offiziere und die hohen Herren dort drüben auf dem Achterdeck in Stücke hauen lassen.“ Bei den letzten Worten fixierte er John Doughty. Der hatte sich mit der üblichen blasierten Miene in der Nähe des Steuerbordschanzkleides postiert, hielt aber Distanz, tim seine Abneigung gegenüber dem „Pöbel“ deutlich zur Schau zu stellen. „Ich komme“, erwiderte Drake. Er enterte über. Die Männer, die an Bord der „Golden Hind“ zurückblieben, drängten sich allesamt in der Kuhl, auf der Back und auf dem Achterdeck zum Backbordschanzkleid. Sie zeigten neugierige Gesichter und waren alle gespannt darauf, die Namen der Männer zu
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erfahren und die neuen Mitstreiter kennenzulernen. Die einzige Ausnahme bildeten eben Doughty, der gelangweilt und mit arroganter Miene auf seinem bisherigen Platz verweilte. Mannschaften waren für ihn der Abschaum der Gosse. Er hielt es für völlig überflüssig, solche Kerle näher kennenzulernen. Kapitän Francis Drake trat neben Hasard. „Von mir aus kann es losgehen“, sagte er mit einer ermunternden Gebärde. Hasard winkte Karl von Hutten, dem ersten der vierzehn neu zu der Seewolf-Crew rekrutierten Männer zu. Karl stieg auf das Achterkastell, schritt auf die beiden Kapitäne zu und drückte Drake artig die Hand. „Sprechen Sie bitte selbst, Mr. von Hutten“, forderte Drake den blondhaarigen Mann mit den dunklen Augen und dem etwas exotisch anmutenden, dennoch überwiegend europäischen Aussehen auf. „überhaupt, es würde mich freuen, wenn alle so verfahren, und hoffe, daß in der Beziehung keiner Manschetten hat.“ Karl zögerte ein wenig, bevor er anhob. „Tja, die Sache mit meiner Befreiung haben Sie ja sicherlich bereits durch den Seewolf erfahren, Sir. Was soll ich Ihnen groß erzählen? Ich hin der Sohn Philipps von Hutten und einer indianischen Häuptlingstochter. Mein Vater war der letzte Generalkapitän der deutschen Kolonie des Handelshauses der Welser in Venezuela. Meine Eltern wurden von den Spaniern umgebracht. Da können Sie sich denken, wie gut ich auf die Dons zu sprechen bin - obwohl ich paradoxerweise von spanischen - Mönchen erzogen worden bin. Bisher habe ich mit den Indianern gegen die Spanier gekämpft, dabei bin ich dem Gegner in die Hände gefallen und in die Vorpiek dieses Schiffes gesperrt worden - und da wäre ich verreckt, wenn der Seewolf mich nicht herausgehauen hätte.“ „Sie sprechen indianische Dialekte?“ erkundigte sich Drake. „Ja. Fast alle.“ „Das trifft sich sehr gut. Man weiß nie, wann es uns von Nutzen sein kann.“ Drake
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entsann sich seiner ersten Begegnung mit dem Araukaner-Häuptling von der MochaInsel. Er hatte dem Mann seinen Zierdegen geschenkt, aber kein Wort von dessen Kauderwelsch verstanden. Und umgekehrt war es genauso gewesen. Viele Mißverständnisse mit den Eingeborenen dieses Landes konnten ausgeräumt werden, wenn man jemanden zur Seite hatte, der ihren Wortschatz beherrschte. Drake bedankte sich bei Karl von Hutten. Jetzt erschien auf Hasards Wink hin Patrick O’Driscoll, der Ire. Er war ein vierschrötiger Mann mit roher Visage. Eigentlich gab es nichts an ihm, das ihn schön oder sympathisch machte. Drake sagte zu ihm: „Wie hart die Iren kämpfen können, haben Mr. Killigrew und ich zur Genüge erfahren. Es freut mich, daß ein Vertreter dieses Volkes nun auf unserer Seite ist, Mr. O’Driscoll.“ „Mich auch“, erwiderte Patrick, und damit war der Fall für ihn geregelt. Es erschienen Jeff Bowie, der aus Liverpool gebürtige Ex-Karibik-Pirat, ein stämmiger Mensch mit graulen Augen. Er wollte nichts über sich selbst berichten, und deshalb sprach Hasard an seiner Stelle. „Jeff ist ein tapferer und gerechter Mann und ein guter Seemann. Ihm macht so leicht keiner was vor.“ Bowie wurde wirklich rot und schob wieder ab. Ganz anders trat Sam Roskill, sein Landsmann, auf. Er war von schlankem Wuchs, dunkelhaarig und dunkeläugig. Eigentlich wirkte er eher wie ein Südeuropäer als wie ein Engländer. Sein Auftreten war forsch, zuweilen richtig frech er repräsentierte den klassischen Draufgänger-Typ. „Freut mich, den berühmten Kapitän Drake kennenzulernen”, sagte er lächelnd. Fest drückte er Drake die Hand. „Ich schätze, wir werden schon miteinander auskommen. An mir soll’s jedenfalls nicht liegen.“ Kurz darauf präsentierte sich Bob Grey, ebenfalls ein Engländer. Wieder bekam Drake einen Mann ganz individueller Charakterart zu Gesicht. Er war sich allmählich im klaren darüber, daß hier
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keiner dem anderen auch nur annähernd glich. Und doch hielten diese Männer zusammen wie Pech und Schwefel. Das war ein kleines Wunder. Vielleicht lag der Grund für die große Kameradschaft und Eintracht, mit der sie zusammengeschmiedet waren, aber auch gerade in ihrer Verschiedenartigkeit. Sie ergänzten sich gegenseitig. Grey zuckte mit den Schultern. „Was soll ich groß sagen, Sir? Ich wurde früh Waise, und so traf mich das gleiche Los wie Karl — ich wurde von Geistlichen erzogen. Später riß ich aus und fuhr zur See. Mit dem Messer, glaube ich, kann ich ganz gut umgehen:“ „Und ob“, erwiderte Hasard. Grey, der drahtige blonde Mann, grinste dankbar. Nach dem obligaten Handschlag mit Francis Drake verschwand er wieder und räumte Buck Buchanan seinen Platz. „Ich trau mir zu, es mit jedem aufzunehmen“, erklärte der kleiderschrankgroße Bursche. Ein leichtes Grienen kerbte sich in seine Mundwinkel. „Ich lege auch einen Kerl wie Batuti flach, wenn’s sein muß. Also, von mir aus kann ich mal zeigen, Wie ich das mache, wenn Sie wollen, Sir.“ Treuherzig blickte er Drake in die Augen, aber dieser winkte ab. „Danke, danke, Mr. Buchanan, ich glaube Ihnen auch so.“ Im Anschluß an Buchanan stellte sich Luke Morgan vor. Er war aus der englischen Armee desertiert, ein kleiner,, gewitzter, pfiffiger Mann mit dunkelblondem Haarschopf und einer Messernarbe über der Stirn. Drake begrüßte auch ihn jovial und verlor über den Grund für Morgans Desertation keine unnötigen Worte. Es interessierte ihn nicht, warum der Mann abgehauen war. Bestimmt nicht aus Feigheit, sonst hätte er als Alternative nicht das Leben eines Freibeuters gewählt. Francis Drake war kein eingefleischter Militarist und Prinzipienreiter. Er war ein Korsar der Königin, und für einen solchen galten nun mal andere Maximen. Als nächste ließ Hasard heraufkommen: Will Thorne, den früheren Segelmacher,
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einen grauhaarigen, besonnenen Mann, der von Schiffen ebensoviel verstand wie sein Landsmann Jeff Bowie. Gordon Watts, den dunkelhaarigen Engländer mit dem Geiergesicht, dürr, zäh, etwas Spinner. Jean Ribault, den Franzosen. Ribault konnte es nicht lassen, er mußte sich elegant vor Drake verbeugen. „Meine Ehrerbietung, Sir“, sagte er. „Ich lehne es ab, etwas über mich zum besten zu gehen, denn neben einer Persönlichkeit wie der Ihren kann unsereins nur verblassen. Ich gebe vielleicht einen brauchbaren Ausguck ab. Meine Spezialität ist der Kampf mit dem Degen, doch wenn ich gegen Sie antreten sollte, würde ich gewiß unterliegen.“ Er drückte die ihm von Drake dargebotene Hand, verneigte sich noch einmal und zog sich mit katzenhaft gewandten Bewegungen wieder zurück, ein dunkelhaariger, schlanker, verwegener Mann. Nils Larsen, der Däne, war da nun wieder aus völlig anderem Holz geschnitzt — ein kräftiger Bursche mit breiten Schultern, fröhlich, blond, blauäugig — ein guter Seemann, der jedem gerade in die Augen blickte und ohne Umschweife vorbrachte, was er zu sagen hatte. „Bin stolz, Sie kennenzulernen, Sir“, sagte er. Das war alles. Sein Landsmann Sven Nyberg tauchte sofort nach ihm auf. Die beiden waren eben auch hier unzertrennlich. Zuletzt ließ Hasard die beiden Holländer aufs Achterkastell treten. Jan Ranse war früher als Steuermann gefahren, und sein wüster blonder Vollbart war von manchem tosenden Sturm zerzaust worden. Piet Straaten galt als guter Rudergänger. Er war blond wie Ranse und hatte grüne Augen. „Die Spanier, Sir“, sagte er; „die hasse ich genauso wie der Seewolf, wie Karl von Hutten – und wie Sie.“ „Ja“, entgegnete Francis Drake. „In diesem Punkt dürften sich zwischen keinem von uns jemals Querelen ergeben. Ich danke Ihnen.“ Zu Hasard gewandt sagte er: „Das war der vierzehnte und damit der letzte. Die anderen zwölf Rauhbeine kenne ich ja
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zur Genüge.“ Er lächelte, doch der Seewolf erwiderte dieses Lächeln nicht. „Einen Moment noch“, sagte er. Jetzt hob er die Stimme und schaute dabei kurz zu John Doughty hinüber, der mit unverwandt überheblicher Miene auf dem Achterdeck der „Golden Hind“ stand. „Was ich bisher verschwiegen habe, Sir – es gibt da noch einen fünfzehnten Mann. Ich brenne geradezu darauf, auch ihn an Deck treten zu lassen.“ Drakes Antlitz spiegelte Verwunderung wider. „Warum denn nicht? Warum diese Geheimnistuerei, Hasard? Sie hätten den Mann doch gleich erscheinen lassen können.“ „Ich habe meine Gründe, so und nicht anders zu verfahren.“ Der Seewolf erteilte Ben Brighton durch einen knappen Wink den Befehl, den. Mann heraufkommen zu lassen. Ben schritt zum Holzquerschott, das den Niedergang zum Vordeck abschloß, Er klopfte mit der Faust dagegen. Zweimal. Drake wurde immer verdutzter. Welchen Grund hatte der Seewolf, einen so dramatischen Auftritt zu inszenieren? Das Schott flog auf, und auf die Kuhl trat ein bulliger Mann. Er trug eine schwarze Maske. Ein Raunen lief durch die Reihen der Männer. Der Vermummte bewegte sich schweren Schrittes -über die Kuhl, überquerte sie ganz und begab sich vom Quarterdeck auf das Achterdeck der „Isabella III.“. Es sah unheimlich aus, wie er auf sie zustapfte – breit, schwer, mit hängenden Armen und leicht gesenktem Haupt. „Hasard“, sagte Drake hastig. „Wollen Sie jetzt endlich erklären, was diese Clownerie zu bedeuten hat?“ „Ja.“ Hasard fing wieder die Gestalt Doughtys mit seinem Blick ein. Der feine Herr war jetzt ans Backbordschanzkleid der „Golden Hind“ getreten. Seine Arroganz war furchtsamer Neugierde gewichen. „Ich befehle dir, die Maske abzunehmen“, sagte Hasard zu dem Vermummten. Der Bullige führte die Hand über seinen Kopf, packte einen Zipfel der schwarzen
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Tuchmaske und zerrte daran. Mit einem Ruck glitt sie von seinem Gesicht. Drake zuckte unwillkürlich zusammen, als er den Mann erkannte. „Carberry !“ Drüben, auf dem Achterdeck der „Golden Hind“, ertönte ein spitzer Schrei. John Doughty hatte ihn ausgestoßen. 8. Ed Carberry gab einen dumpfen, ärgerlichen Laut von sich, dann sagte er: „Ja, ich bin’s, Sir, und der Teufel soll mich holen, wenn der da drüben nicht mehr über meinen Unfall weiß als ich selbst.“ Die Köpfe aller Männer ruckten zu John Doughty herum. Der stand mit wackelnden Knien am Schanzkleid der Dreimastgaleone und schrie immer noch. Er wurde schneeweiß im Gesicht, hob abwehrend die Hände und stieß unverständliches Zeug hervor. Plötzlich brach er zusammen, und wenn Kapitän Thomas Moone und Burnaby nicht hinter ihm gestanden hätten, wäre er rücklings auf die harten Planken des Achterdecks geschlagen. Er war bewußtlos. „Das schlägt doch dem Faß den Boden aus!“ rief Dan O’Flynn. „Fragt denn keiner, wieso Doughty sich so verrückt benimmt?“ Tumult entstand. Die Männer schrien durcheinander, wußten dabei aber nicht recht, wie sie sich verhalten sollten, und waren sich lediglich in ihrer Abneigung gegen Doughty einig. Aber der Profos Edwin Carberry, wild wie noch nie, schleuderte die schwarze Maske zu Boden und schickte sich an, auf die „Golden Hind“ hinüberzuspringen und sich Doughty zu greifen. „Dieses Schwein!“ brüllte er. „Den kaufe ich mir. Er muß es ausspucken, ob er will oder nicht. Ich beutle ihn solange durch, bis er gesteht, dieser hinterhältige Hurensohn!“ Er wollte sich an Drake und dem Seewolf vorbeischieben, aber Hasard vollführte eine rasche Bewegung und stellte sich vor ihn. „Stop, Ed. So haben wir nicht
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gewettet. Halte dich im Zaum, du hast das Recht auf deiner Seite.“ „Hau ab, Seewolf“, herrschte der Profos ihn an. „Nicht einen Zoll.“ „Ich will den Kerl abmurksen ...“ „Das wirst du hübsch bleiben lassen, Ed.“ „Hölle und Teufel, Himmel, Arsch und Zwirn, ich springe dir auch an die Kehle, wenn du jetzt nicht gleich vernünftig wirst!“ dröhnte Carberrys Stimme: Es war wirklich ein schauriger Anblick, wie er dastand und die Fäuste schüttelte, ein Koloß von einem Mann, ein Stockmeister, mit allen Wassern gewaschen und so stark, daß er es mit mehreren Gegnern gleichzeitig aufnehmen konnte. Hasards Hände lagen plötzlich an Carberrys Hemdausschnitt und krallten sich dort fest. Er zog sein Gegenüber so weit zu sich heran, daß sich ihre Gesichter fast berührten. „Du Narr! Willst du jetzt alles kaputtmachen? Komm gefälligst ‘runter von der Palme und kühle dich ab, oder soll ich dir das einbläuen?“ „Du willst mich mit Gewalt zurückhalten?“ „Ja.“ „Du bist des Teufels.“ „Das weißt du doch schon lange, oder? Oder hast du unseren Clinch an Bord der ,Marygold’ schon vergessen? Was, wie?“ Nein, das hatte Ed Carberry nicht. Er war in einer Gemütsverfassung, in der er vielleicht sogar Drake gegenüber nicht mehr gehorcht hätte. Aber der Seewolf — der flößte ihm Respekt ein. In dessen eisblauen, kalt blitzenden Augen war etwas, das Carberry plötzlich zurückhielt. Er kapitulierte, zog sich ein Stück zurück und blieb schwer atmend und mit haßerfülltem Gesichtsausdruck stehen. „Ich verlange eine Erklärung“, sagte Drake. Hasard fuhr herum, blickte ihn an und antwortete mit ungewollter Aggressivität. „Liegt die nicht auf der Hand, Sir? Doughtys Reaktion auf das Auftauchen Carberrys ist ein Schuldbeweis, sie zeigt, was für ein schlechtes Gewissen er hat.“
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„Warum haben Sie mir verschwiegen, daß Sie den Profos gefunden haben?“ fragte Drake. „War das nötig?“ „Ja, aus taktischen Gründen. Doughty ist ein durchtriebener Hund, und wenn er es zuerst aus Ihrem Munde erfahren hätte, daß Ed Carberry lebt, dann hätte er sich vorbereiten und aalglatt aus der Schlinge ziehen können, ohne den Schock der direkten Gegenüberstellung zu erleben. Hören Sie jetzt, was dem bedauernswerten Carberry widerfahren ist.“ Hasard berichtete in allen Einzelheiten, was sich zugetragen hatte, nachdem der Profos in jener stürmischen Nacht über Bord gegangen war. Wie die Chimus den entscheidenden Hinweis geliefert hatten. Wie Hasard mit seinen Männern in Trujillo eingedrungen war und den Profos herausgehauen hatte. Wie sie Carberry mehr tot als lebendig vorgefunden hatten. Dann ließ er den Leidtragenden selbst wieder zu Wort kommen. „Jemand hat mich außenbords gestoßen, darüber hab ich keinen Zweifel“, beteuerte Carberry vor seinem Kapitän. „Ich konnte mich noch am Beiboot festhalten, das unser Schiff nachschleppte. Aber dann kappte dieses Schwein die Vorleine, und ich blieb allein mit dem Boot zurück.“ Er riß sich das Hemd herunter. Drakes Gesicht erhielt einen bitteren Zug und wirkte plötzlich wie aus Stein gehauen. Der Profos knöpfte auch noch seinen Hosenbund auf und zeigte nun allen, welche Blessuren ihm unter der mörderischen Folter beigebracht worden waren. Carberry hob die Faust und drohte zum Achterkastell der „Golden Hind“ hinüber, wo Doughty nach wie vor besinnungslos auf den Planken lag. „Bastard! Hurensohn! Du hast mich umbringen wollen, weil ich deinen Bruder, diesen Vaterlandsverräter, auf Kapitän Drakes Befehl hin hingerichtet habe. Ihr hättet lieber richtig überlegen sollen, ihr Dreckskerle von Doughtys, bevor ihr euch mit ehrlichen Seeleuten einlaßt. Meine Schuld war’s jedenfalls nicht,. daß
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Thomas, der falsche Hund, ins Gras beißen mußte.“ Hasard wollte den Profos wieder zur Ordnung rufen, doch dieser brüllte weiter: „Ersaufen sollte ich, was, wie? Und doch bin ich noch mal davongekommen. Aber du hattest dir ausgerechnet, daß mich dann die Dons schnappen und zu Tode martern würden, Doughty. Fein hattest du dir das ausgedacht! Aber jetzt stellst du dich zum offenen Kampf mit mir! Ich schlag dich zu Brei!“ Die Männer auf beiden Schiffen ergriffen einmütig Partei für den Profos und den Seewolf. Die Mannschaftsmitglieder der „Golden Hind“ rückten zum Achterkastell vor und schüttelten die Fäuste. Erboste Rufe wurden laut. „Mörder!“ „Doughty, du Schweinehund!“ „Werft ihn in die See!“ „Haut ihm eins in die Fresse!“ Die feinen Herren, die auf der „Golden Hind“ mitreisten, zogen sich ein Stück in Richtung auf die Achtergalerie zurück. Auch Nuno da Silva hielt sich in der Reserve. Der hagere Portugiese mochte sowohl Drake als auch Hasard und fühlte sich in der Gesellschaft von beiden sehr, sehr wohl — da wollte er sich jetzt nicht kompromittieren lassen. Denn es sah so aus, als sei Drake ganz und gar nicht mit dieser Wende der Dinge einverstanden. Francis Drake trat an Bord der „Isabella III.“ an die Balustrade des Quarterdecks, hob beide Hände und rief: „Stop! Aufhören! Ruhe, zum Teufel noch mal!“ Die Männer verstummten. Totenstille brach herein. Etwas Drohendes, Bedrückendes lag in der Luft, und nichts war mehr von der anfänglichen Euphorie über den Sieg zu spüren. Sie war Spannung und Gereiztheit gewichen. * John Doughty kam zu sich. Er erhob sich und blickte sich gehetzt um. Sein Gesicht war immer noch von schneeweißer Farbe. Schweißperlen bedeckten seine Stirn und die Wangen. Er fühlte einen Klumpen im
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Hals und hatte den Eindruck, eine eiskalte Faust presse seinen Magen zusammen. Blitzschnell drehte er sich um, wollte davonstürzen und sich unter Deck flüchten, aber Burnaby und Kapitän Thomas Moone packten zu und hielten ihn fest. Mac Pellew, Brewer und ein paar andere aus Drakes Crew erklommen jetzt auch das Achterkastell und packten den Mann gleichfalls mit eisenharten Fäusten. „Hätte nicht übel Lust, dich in Stücke zu schneiden und den Haien als Gulasch vorzuwerfen“, sagte Mac Pellew zu Doughty. Und das war beileibe nicht scherzhaft gemeint. Auf der „Isabella III.“ ergriff Hasard derweil das Wort, bevor Drake ihm zuvorkommen konnte. „Sir! Ich verlange, daß Doughty als heimtückischer Mörder an Ort und Stelle zum Tode verurteilt und -an der Rah aufgeknüpft wird. Ich fordere, daß ein Bordgericht zusammengerufen wird und sofort seine Entscheidung fällt.“ Drake wandte sich langsam um und maß den Seewolf mit einem kaum zu beschreibenden Blick. Es lagen Zorn und Überraschung und auch ein kleines bißchen Überheblichkeit darin. „Mister Killigrew! Sie bezeichnen Mister Doughty in aller Öffentlichkeit als Mörder. Haben Sie Beweise für diese ungeheuerliche Behauptung?“ „Sehen Sie sich den Kerl an!“ Hasard wies zum Achterdeck der „Golden Hind“ hinüber, wo sich Doughty unter den Griffen der Männer wand — ein aussichtsloses Unterfangen. Er beschimpfte sie, doch sie ließen ihn nicht los. „Brauchen Sie mehr?“ fuhr Hasard fort. „Hat er nicht genügend sein schlechtes Gewissen zur Schau gestellt?“ „Damit ist noch nichts bewiesen“, erwiderte Drake leise, gefährlich leise. „Außerdem, zu einem Mord gehören zwei. Ein Täter und ein Opfer. Wer ist denn die Leiche, wenn ich fragen darf, Mister Killigrew?“ Hasard stand ruhig und kniff die Augenlider ein wenig zusammen. „Ich
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verstehe, Sir. Carberry lebt, wenn er auch Entsetzliches durchgemacht hat. Das genügt Ihnen. Doughty wird dadurch gleichsam entlastet, nicht wahr? Es hat keine Bedeutung mehr, daß der Profos auf grausigste Weise umgebracht worden wäre, wenn wir nicht ...“ „Sie brauchen Ihre Heldentat nicht noch mal zu schildern“, fuhr Drake ihn an. Die Männer auf der Kuhl begannen zu murren, verstummten aber auf einen Wink ihres Seewolfes hin wieder. „Doughty ist ein Mörder, so oder so“, sagte Hasard noch einmal. „Ich verbitte mir diese Unterstellung“, entgegnete Drake hitzig. „Wir werden diesen Fall untersuchen und dürfen, wenn sich Ihre Darstellungen als richtig herausstellen, Mister John Doughty allenfalls als versuchten Mörder hinstellen. Und dann, Mister Seewolf, überlassen Sie es bitte mir, den Mann dafür zur Rechenschaft zu ziehen, denn das fällt einzig und allein in meinen Kompetenzbereich, klar? Ich befehle Ihnen, hier keine Entscheidungen vorwegzunehmen und zu versuchen, mich zu bevormunden.“ „Das tue ich nicht.“ Hasards Gesicht war hart und kantig wie gemeißelter Marmor. In seinen Augen glomm ein bedrohliches Feuer. „Ich verlange nur, daß Doughty zum Tod verurteilt wird.“ „Nein!“ „Warum schwanken Sie, Sir? Weil Doughty ein Mann des königlichen Hofes ist und sich mehr herausnehmen kann als jeder andere Mann an Bord dieser beiden Schiffe? Weil er zum Beispiel versuchen durfte, eine Spanierin zu vergewaltigen, ohne eine Züchtigung zu riskieren - wenn es nach Ihnen gegangen wäre?“ Hasard spielte auf die Ereignisse in Valparaiso an, wo Dan O’Flynn die Hilferufe der Spanierin vernommen hatte und dann gegen Doughty vorgegangen war. Doughty hatte das Bürschchen arg in Bedrängnis gebracht, aber dann war Batuti aufgetaucht und hatte reinen Tisch gemacht. Und Hasard hatte gegen Drakes Willen
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durchgesetzt, daß John Doughty für diese Schweinerei ausgepeitscht worden war. „Ich verbiete Ihnen, noch weiter in diesem Ton zu reden“, herrschte Francis Drake sein Gegenüber an. Er fühlte seine Autorität untergraben und sah seine Felle davonschwimmen. Das durfte er nicht zulassen! Aber der Seewolf sprach unbeirrt weiter. „Richard Minivy war ihr Mann, Sir. Ich habe Ihnen erzählt, daß er die Araukanermädchen belästigt hatte. Er wurde dafür von meiner Crew zusammengeschlagen. Und später schämte er sich seines Verhaltens derart, daß er sich gegen die anrückenden Dons warf und praktisch den Freitod suchte. Das war ein Mann, Captain Drake - trotz allem.“ Mit mühsamer Beherrschung antwortete Drake: „Ich warne Sie zum letzten Mal, Mister Killigrew. Thomas Doughty ist bereits geköpft worden. Ein weiteres Todesurteil will ich nicht aussprechen, zumal wir einen Beuteerfolg zu verzeichnen haben, wie ihn sich keiner von uns in seinen kühnsten Träumen ausgemalt hat.“ „Das sind zwei Dinge, die man getrennt voneinander betrachten muß.“ „Doughty wird nicht hingerichtet!“ „Dann wird Edwin Carberry weiter an Bord der ‚Isabella III.’ fahren“, sagte Hasard. „Dann wird er fortan bei mir bleiben, weil er vor weiteren heimtückischen Anschlägen auf sein Leben nicht sicher ist und weil er uns allen mehr bedeutet als ein verschlagener Meuchelmörder wie Doughty.“ Das war eine kategorische Erklärung. Drake konnte sie nicht einfach einstecken. Er tat einen weiteren Schritt auf den großen Mann zu, stemmte die Fäuste in die Seiten und funkelte ihn zornig von unten herauf an. Seine Stimme klang fauchend. „Jetzt wird’s mir aber zu bunt! Sie sehen die Dinge nur von Ihrer Seite, Mann! Erinnern Sie sich mal an den Fall Ferris Tucker, Smoky, Kutscher und Al Conroy. Hatten die sich nicht unerlaubt von Bord entfernt, nachdem ich vor der Mündung des Coquimbo ankerauf gegangen war?
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Das war Meuterei! Haben Sie die vier dafür zur Rechenschaft gezogen?“ Hasard blieb ruhig. „Nein. Die Männer haben sich nicht unerlaubt verdrückt, sie haben auf mich gewartet. Das ist durchaus legitim.“ Drake schäumte fast vor Wut. „Spiegelfechtereien! Ich lasse mich von Ihnen nicht auf den Arm nehmen.“ „Das liegt mir auch nicht im Sinn, Sir.“ „Dann kapitulieren Sie!“ „Nein. Ich will Doughtys Kopf!“ „Niemals! Stellen Sie Ihre persönlichen Rachegelüste zurück.“ „Jetzt irren Sie sich“, sagte Hasard. „Das ist, nicht nur ein Wunsch, den Carberry und ich ausdrücken.“ Er drehte sich um, schaute kurz seine Mannschaft und die Crew drüben auf der „Golden Hind“ an und rief dann: „Wollt ihr, daß Doughty geschont wird? Seid ihr der Ansicht, daß er Gnade verdient hat?“ Die Männer schüttelten drohend die Fäuste, pfiffen, fluchten und brüllten schließlich einstimmig zurück: „Nein!“ „Da haben Sie’s“, sagte Hasard zu Drake. „Sie wiegeln die Leute auf“, gab dieser zurück. „Damit kommen Sie bei mir nicht durch, Killigrew. Ich überlege mir ernsthaft, ob ich Sie jetzt nicht für diesen Tumult zur Verantwortung ziehe. Das ist mehr als schimpflich, Mann. So eine Disziplinlosigkeit dulde ich nicht.“ Es war eine echte Kraftprobe. Drake zog alle Register, aber der große Mann da, der an Kühnheit nicht zu überbieten war und es auch mit dem Teufel höchstpersönlich aufgenommen hätte, wankte keinen Deut. Im Gegenteil. Während Francis Drake immer mehr in Fahrt geriet, wurde er zusehends gelassener und fühlte sich überlegen. „Sir“, sagte Hasard. „Letzlich ist es Ihr Bier, wenn Sie mit einem Frauenschänder und Mörder an Bord einverstanden sind. Aber meine Männer und ich — und zu uns gehört nun auch Ed Carberry —, wir können neben einem solchen Lumpen nicht leben. Das ist eine Frage des Prinzips.“ Das Prinzip! Hatte Drake nicht immer so unnachgiebig darauf bestanden, war er
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nicht streng und doch stets kompromißlos gerecht mit seinen Männern verfahren? Das Spiel mit Karten und Würfeln an Bord seiner Schiffe war verboten, ebenso Gemeinheiten gegenüber Frauen und spanischen Gefangenen und Indianern, Negern und Angehörigen anderer Rassen, denn er war auf seine Art ein Vorprediger einer fortschrittlichen, menschlichen Wesensart. Und jetzt schützte er Doughty! Für Hasard und die Mannschaften war dies mit einem Faustschlag ins Gesicht gleichzusetzen. „Wie soll ich das verstehen?“ fragte Drake lauernd und mit erzwungener Ruhe. „Daß ich weiter bereit bin, unter Ihnen zu fahren — falls Doughty von der Bildfläche verschwindet.“ „Nein!“ donnerte Drake. „Killigrew, Sie haben bedingungslos zu gehorchen und keine Forderungen zu stellen.“ „Da täuschen Sie sich gewaltig.“ Hasard blieb eisern. Es kam zum offenen Bruch. Drake stapfte zum Steuerbordschanzkleid der „Isabella III.“, dorthin, wo die Zweimastgaleone durch Festmacher mit der „Golden Hind“ verbunden war. Hochrot im Gesicht, wandte er sich wieder um und rief: „Killigrew, Sie und Ihre Mannschaft verlassen sofort die ,Isabella’ und begeben sich auf die ,Golden Hind’. Ich lasse Ihr Schiff durch eine Prisenmannschaft unter Führung von Kapitän Moone besetzen.“ Das Schweigen, das nun eintrat, war lähmend. Weder Hasard noch Carberry noch einer der Männer unten in der Kuhl rührten sich vom Fleck. Auf der „Golden Hind“ herrschte Ratlosigkeit, weil die Crew dort sich jetzt praktisch zwischen zwei Feuern befand. Einerseits hielt sie zu ihrem Kapitän — andererseits hätte sie auch für Philip Hasard Killigrew einen Marsch über glühende Kohlen oder mitten durchs Höllenfeuer riskiert. Ben Brighton, wie immer ruhig und besonnen, stieg auf das Achterdeck der „Isabella“ und trat vor Drake hin. „Sir! Bei allem Respekt, den wir für Sie empfinden: Kein Mann dieser Besatzung wird Kapitän
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Killigrew jemals verlassen, es sei denn, der Tod trennt uns von ihm.“ Drake konnte sich in diesem Moment eines kalten Schauers nicht erwehren. Er lief ihm über den Rücken und sträubte seine Nackenhaare. Und ganz tief in seinem Inneren verspürte er bei allem Zorn ungeheuren Respekt. Plötzlich war eine leichte Bewegung auf der Kuhl zu registrieren. Hasards Männer hatten ihre Waffen in den Fäusten, Musketen, Säbel, Entermesser, Pieken, Dolche. Batuti hantierte mit Pfeil und Bogen, seine Miene war von finsterer Entschlossenheit gezeichnet. Arwenack thronte im Großmars und hob demonstrativ ein paar Steine hoch, die er sich beschafft hatte. Al Conroy, Andrews, Smoky, Blacky und ein halbes Dutzend der ehemaligen Karibik-Piraten machten sich mit einem Mal an den Demi-Culverinen und den Drehbassen zu schaffen. Ferris Tucker schwang mit grimmigem Gesicht seine schwere Zimmermannsaxt, bereit, jedem den Schädel zu spalten, der ihm zu nahe trat. Eisenharte Entschlossenheit prallte Francis Drake entgegen. Er geriet ins Taumeln, stieß rücklings gegen das Schanzkleid. In diesem Augenblick war er völlig aus dem Konzept geraten. Tatsächlich — man mußte diese Männer erst einen nach dem anderen totschlagen, bevor sie den Seewolf verließen. Aber bevor man sie niedermachte — falls man das überhaupt schaffte —, würden sie unter den Männern von der „Golden Hind“ ein Massaker sondergleichen veranstalten. Und allen voran würde dieser verwegene, wahnsinnige, wilde Seewolf stürmen, der ihn, Drake, um eine Haupteslänge überragte. Drake hatte ihn kämpfen sehen und wußte, daß er zum ersten Mal in seinem Leben einem derart starken Mann begegnet war, stark in jeder Beziehung, stark nicht nur im tosenden Gefecht, stark auch in seinem Geist. Hier, das begriff Drake nun vollends, hatte er einen gefunden, dem er nun nicht mehr gewachsen war.
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Francis Drake verließ die „Isabella III.“, zähneknirschend und mit geballten Händen. Die Niederlage war schmählich. Noch nie hatte er klein beigeben müssen, dazu noch vor einem Landsmann und nicht vor den gottverdammten Dons, die ihm eines Tages die Hölle so heiß machen würden, daß er vielleicht nicht mehr entwischen würde. Was jetzt geschah, war mehr als schimpflich für den großen, kühnen Francis Drake. „Drei Hurras für den Seewolf!“ brüllte Dan O’Flynn mit überkippender Stimme. Die Männer brüllten los, warfen Münzen hoch. Das war fast mehr, als Drake verkraften konnte. Denn das bedeutete: „Scher dich zum Teufel, ,El Draque`, Bezwinger der Weltmeere, Schreckgespenst der Spanier — Verlierer gegenüber Philip Hasard Killigrew! Wir brauchen dich nicht mehr, wir haben unseren Seewolf Die Männer der „Isabella“ sprachen es nicht aus, aber es stand in ihren Mienen geschrieben. Drake wandte sich noch einmal um. „Hier trennen sich nun also unsere Wege, Killigrew.“ Hasard stand unverändert, und in seinem Gesicht zeigte sich keine sentimentale Wandlung. Vielleicht will der Alte auf die Tränendrüsen drücken, dachte er, aber ich lasse mich nicht doch noch im letzten Augenblick breitschlagen. „Grüßen Sie den Mörder, Sir“, erwiderte er. „Eines Tages hole ich ihn mir vor die Klinge, und dann erhält er das, was Sie zu feige sind, hier zu vollbringen.“ Es war eine Ohrfeige, und Drake zuckte kaum merklich darunter zusammen. Er war nicht mehr rot im Gesicht, er war jetzt weiß vor Wut. Auch dies steckte er noch ein, nahm es mit an Bord der „Golden Hind“, wo er sich nun aufs Achterdeck begab, ohne seine Männer anzublicken. Niemand wagte es, eine Bemerkung fallenzulassen. „Kappt die Festmacher“, ordnete Hasard an. „Setzt die Segel.“ „Aye, aye, Sir!“ brandete es ihm aus der Kuhl entgegen. Die Männer setzten sich in Bewegung und trafen ihre Vorbereitungen im Eiltempo. Ed Carberry und Ben
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Brighton leiteten die Arbeiten. Sie ließen die Kanonen noch gefechtsklar, denn nach dieser Entwicklung konnte man nicht wissen, wie Drake sich weiter verhielt. Brachte er das fertig? Ließ er wirklich den Befehl ertönen, der „Isabella III.“ eine volle Breitseite zu verpassen? Nein, die Befürchtungen der Seewolf Mannschaft bewahrheiteten sich nicht.. Unbehelligt klüste die „Isabella III.“ nordwärts davon, und die „Golden Hind“ blieb wie eine lahme Ente hinter ihr zurück. Carberry trat neben Hasard und sagte: „Nur deinetwegen habe ich mich zurückgehalten, Seewolf. Aber ich weiß nicht, ob es richtig ist. Hätte ich John Doughty totgeschlagen, könnte er kein Gift mehr verspritzen. Ehrlich gesagt, ich habe Angst um die Männer der ,Golden Hind’. Mann, Hasard, ich hin mit ihnen durch dick und dünn gegangen, und ich werde verrückt, wenn ihnen wegen dieses Schweins etwas zustößt.“ „Hoffentlich ändert Drake nach seine Meinung“, erwiderte Hasard. „Ja, ich drücke die Daumen deswegen. Eigentlich schade, daß wir den Alten jetzt nicht mehr wiedersehen.“ „Noch ist es Zeit für dich Ed ...“ Der Profos trat einen Schritt zurück, dann brüllte er: „Was? Du glaubst, ich kippe um wie eine fünf Tage alte Seemannsleiche und kehre reumütig zum Alten zurück? Da
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hast du dich getäuscht. Ich will auf Grund laufen, wenn ich zu der Sorte gehöre, die nicht zu ihrem Wort steht. Hasard, ich ...“ „Schon gut“, gab der Seewolf grinsend zurück. „Wir wollen uns doch nicht schlagen, was, wie?“ „Nein.“ Carberry kehrte zu der Crew zurück. Die stimmte ein schräges Lied an, das unter der heißen Sonne über die glatte See hinausgetragen wurde und bis zur „Golden Hind“ hinüberdrang. Die „Golden Hind“ blieb im Kielwasser der „Isabella III.“ zurück. Kapitän Thomas Moone trat ernst auf Drake zu. Doughty hatte sich zu Kaplan Fletcher unter Deck verzogen, und die Mannschaft stand verdrossen auf der Kuhl und dem Vorschiff herum. Drake blickte mit verbissener Miene der schlanken Zweimastgaleone nach. Moone sagte: „Du hast deinen besten Mann verloren, Francis, und die schlechteste Entscheidung getroffen, seit ich dich kenne.“ Drake antwortete nicht. Er war sich im klaren darüber, daß er zum Zeitpunkt seines größten Erfolges gleichzeitig eine knallharte Niederlage einzustecken hatte. Offen mochte er das aber nicht zugeben. Er wandte sich ab, verließ wortlos das Achterdeck und zog sich in seine Kammer zurück.
ENDE