15 Gleb Golubew Der Feuergürtel Wissenschaftlich-phantastische Erzählung
VERLAG KULTUR UND FORTSCHRITT BERLIN 1966
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15 Gleb Golubew Der Feuergürtel Wissenschaftlich-phantastische Erzählung
VERLAG KULTUR UND FORTSCHRITT BERLIN 1966
Russischer Originaltitel: OriicHHHH IIOHC Deutsch von Anneliese Globig U m s c h l a g : K a r l Fischer
Verlag K u l t u r u n d Fortschritt, 108 Berlin, G l i n k a s t r a ß e 13-15 Lizenz-Nr.: 3-285/184,66 Satz u n d D r u c k : HI 9 5 Grafischer G r o ß b e t r i e b Völkerfreundschaft, D r e s d e n
Verschollen „Die Verbindung mit dem Bathyscaph riß ab am 18. August 12.42 Uhr Moskauer Zeit beim zweiten Stoß, der Stärke zehn erreichte. Alle Versuche, das Tiefseeboot durch Echolot und hydroakustisches System aufzufinden^ blieben erfolglos, da das Beben in der Meeressenke zu gewaltigen Bodenverschiebungen führte und die Geräte nicht mehr einwandfrei arbeiteten. In den folgenden drei Tagen und Nächten wurde das Bathyscaph von der ,Bogatyr' sowie von Expeditionshubschraubern und Küstenflugzeugen gesucht. Eine dichte Wolkendecke behinderte jedoch die Sicht. Überdies war infolge heftiger magnetischer Stürme die Funkverbindung von der ,Bogatyr' zur Küste und zu den Flugzeugen häufig unterbrochen, was die Koordinierung der Sucharbeiten erschwerte. Das Bathyscaph hatte einen Sauerstoffvorrat für maximal zwanzig Stunden an Bord. Wenn es innerhalb dieser Frist auftauchte, dann vermutlich in beschädigtem Zustand^ wovon die fehlende Funkverbindung zeugt. Während der drei Tage ereigneten sich in diesem Gebiet erneut schwere Naturkatastrophen, denen das zum Schwimmen über Wasser ungeeignete und dazu noch beschädigte Bathyscaph sicherlich keinen Widerstand entgegensetzen konnte: 1. Am 20. August 05.48 Uhr Moskauer Zeit rollten mit Intervallen von 12 bis 15 Minuten drei Wellenberge eines Tsunami heran, die nach Beobachtungen der jEügatyr* neun Meter Höhe erreichten. Offenbar waren sie durch ein Seebeben im Bereich der Aleutenkette entstanden. 2. 18 Minuten nach der letzten Tsunami-Welle, um 06.33 Uhr Moskauer Zeit, registrierte der Schiffsseismograph ein neues Beben auf dem Meeresgrund, dessen Zen3
trum in 70 bis 80 Kilometer Tiefe bei einem Punkt mit den Koordinaten 45°18' nördlicher Breite und 154°33' östlicher Länge lag. Das Beben erreichte Stärke neun. 3. Nach Meldung der Luftaufklärung brach am selben Tag im genannten Bereich ein Unterwasservulkan aus, dessen Flamme sogar durch die 600 bis 800 Meter starke Wolkenschicht wahrgenommen wurde. Dieser Abschnitt soll später noch genauer untersucht werden. Angesichts dieser Tatsachen halte ich . . . " Es war schwer, den Satz zu beenden. Der Expeditionsleiter legte den Füllhalter beiseite und schüttelte ärgerlich die geschwollene Hand. Dann starrte er, den Rücken gekrümmt, einige Zeit blicklos in die Ecke der Kabine. Ringsum herrschte Stille. Nur bisweilen knackte es in den Heizrohren. Aufseufzend nahm er den Füller wieder in die Hand und schrieb entschlossen: „ . . . h a l t e ich die weitere Suche nach dem Bathyscaph für zwecklos und bitte um die Erlaubnis, das vorgesehene Forschungsprogramm fortzusetzen." Er spritzte die überschüssige Tinte von der Feder, unterschrieb hastig und warf den Halter auf den Tisch — er rollte zu Boden, doch der alte Mann hob ihn nicht auf. Schwerfällig ging er zu seiner Koje, schleuderte den bunten Vorhang beiseite und legte sich, ohne den Rock mit den goldenen Tressen auszuziehen, nieder. So lag er lange, den Blick zur Decke gerichtet, über die die Lichtflecke des Bullauges huschten. Da klopfte es ungestüm an die Tür. „Ja, herein!" Der Expeditionsleiter hob den grauen, zerzausten Kopf. Es war der Kapitän. In der einen Hand hielt er die Mütze, in der anderen einen blauen Zettel. „Eine Meldung, Grigori Semjonowitsch. Die Uferstationen haben durch den Tonkanal in einer Tiefe von vierhundert Metern schwache Signale empfangen. Die Rufzeichen des Bathyscaphs und ein paar Satzfetzen: ,... ge? zwungen aufzusteigen, . . . arbeitet nicht, . . . nicht zu bestimmen, . . . bas"\ las der Kapitän stockend vor. „Der Empfang war sehr schlecht." 4
Der Alte setzte sich im Bett auf. „Habt ihr sie angepeilt?" „Ja. Sie befinden sich etwa siebzig Meilen nordöstlich von uns. Hier sind die genauen Koordinaten." Die Männer gingen zum Tisch. Während der Expeditionsleiter den Funkspruch studierte, breitete der Kapitän die Karte aus, dann beugten sich beide darüber. „Sie geben Signale, also leben sie", sagte Grigori Semjonowitsch zum Kapitän und vertiefte sich wieder in den Funkspruch. „Aber welcher Teufel hat sie dorthin getragen? Und was ist überhaupt mit ihnen geschehen? ,bas' — das bedeutet offensichtlich Basanow. So ein Kauderwelsch! Doch wie konnten sie sich bloß drei Tage unter Wasser halten, wenn sie nur für zwanzig Stunden Luft hatten?"
Koordinaten unbekannt (Schiffstagebuch mit Kommentaren von S. Wetrow) 1 „18. August. 09.15 Uhr. Das Kommando zum Tauchen wird gegeben. Die Besatzung des Bathyscaphs hat entsprechend dem Bordreglement ihre Plätze eingenommen. Die Geräte und Mechanismen sind überprüft. Alles in Ordnung." Ein herrlicher Morgen empfing mich, als ich nach dem Frühstück an Deck trat. Der leichte Seegang wiegte das Schiff. Der Himmel war rein und klar, das Meer erstrahlte im Sonnenlicht. Von den Bullaugen und der blankgeputzten Reling gespiegelt, tanzten lustige Sonnenflecke auf den Wellen. Mit schwerem Tritt liefen die Matrosen über Deck. Die Takel knarrten, auf der Back rasselte die Winde. Die Station begann. Station - so nennen wir Ozeanographen jeden Halt auf See zwecks wissenschaftlicher Beobachtungen. Eine Station 5
kann kurz sein, aber auch sehr lang. Mitunter stehen wir vierundzwanzig Stunden an einer Stelle und wiederholen die Beobachtungen in regelmäßigen Abständen, um zu ergründen, wie sich der Ozean im Verlauf eines Tages und einer Nacht verhält. Heute aber war die Station ungewöhnlich. Unter uns lag der Kurilengraben, ein riesiger Spalt im Meeresboden mit einer Tiefe von über zehn Kilometern. Und dahinunter sollten wir tauchen. Hinter dem Mast hing an Taljen unser Bathyscaph. Wir nannten es zärtlich „unser Boot". Tatsächlich erinnerte es an ein kleines Unterseeboot. Genauso ein stabiler Stahlrumpf, schmal und nach den Enden zu sich verjüngend. Darauf ein Turm, eine Antenne - alles wie beim richtigen U-Boot. Nur die Stahlkabine, die als Halbkugel unten aus dem Rumpf herausragte, gab ihm ein ungewöhnliches Aussehen. Dafür konnte es aber in Tiefen tauchen, die für gewöhnliche U-Boote nicht erreichbar sind. Neben unserem Boot eilte mit einem Schraubenschlüssel Basanow hin und her. Statt des gewohnten cremefarbenen Anzugs trug er heute eine blaue Arbeitskombination, die mit ihren durchgehenden Reißverschlüssen nicht weniger elegant aussah. Eine neue Krawatte hatte er auch schon wieder. Unter dem Bathyscaph kroch jetzt auch das dritte Mitglied unserer unzertrennlichen Mannschaft hervor, Mischa Agejew. „Ans Werk, Jungs. In einer halben Stunde geht's los", sagte Basanow, der wie vor jeder Tauchfahrt fröhlich und ausgelassen war. „Die Glanznummer: Balanceakt mit einem siedenden Samowar auf der Stirn, von Trommelwirbeln begleitet." Die Pflichten waren genau unter uns aufgeteilt, und wir machten uns ohne viel Worte an die Arbeit. Michail kletterte auf den stählernen Rumpf des Bootes, um ihn mit Benzin zu füllen. Benzin ist leichter als Wasser und zwingt das Bathyscaph, wie ein Luftballon in die Höhe zu steigen. Außerdem erlaubte es die gegenüber dem Wasser größere Elastizität, die Wände des Rumpfes nur vier 6
Millimeter stark zu halten, während die Wandung der halbkugelförmigen Kabine neun Zentimeter stark war. Ich stieg in die Kabine hinunter, um die Elektroausrüstung zu überprüfen. Es war sehr eng hier, doch das bemerkten wir schon gar nicht mehr. Drei Bullaugen, durch ein festes Gitternetz geschützt. Vor jedem Bullauge ein Klapptisch und ein winziger, ebenfalls zusammenklappbarer Sessel. Überhaupt waren wir bei jeder Tauchfahrt aufs neue begeistert, wie prächtig Basanow und seine Freunde, die Konstrukteure, sich alles bis ins Detail ausgedacht hatten. Frühere Hydrostaten hingen mit einer Leine am Mutterschiff. Unser Boot aber war völlig selbständig. Es hatte eine eigene Elektrostation aus leistungsstarken Akkubatterien. Mit Hilfe der beiden an den Rumpfseiten sitzenden Schiffsschrauben konnte es in beliebiger Tiefe manövrieren. Zwar war die Geschwindigkeit gering, aber eine schnelle Fahrt war auch gar nicht notwendig, denn dann sah man nichts. Fünf starke Scheinwerfer waren so an der Außenwand der Kabine angebracht, daß man aus jedem Bullauge eine gute Sicht hatte. Ich überprüfte, wie unsere „Hände" arbeiteten. Durch Druck auf die farbigen Knöpfe am Schaltpult veranlaßten wir die aus der Tauchkugel ragenden Greifer, Proben dea Meeresbodens und des Wassers aufzunehmen, die Temperaturen zu messen sowie die Geschwindigkeit und die Richtung der Strömung zu registrieren. Alles war in Ordnung. Ich stieg durch die Luke nach oben, um mir auf Deck noch ein wenig die Beine zu vertreten. Unter Wasser würden wir lange Zeit ruhig sitzen müssen. Mischa hatte seine Arbeit ebenfalls erledigt und holte bereits die Verpflegung aus der Kombüse. Ich half ihrn^ die Thermosbehälter mit Tee und Kakao sowie Schokolade, Piroggen und Obst in der Kabine zu verstauen. Basanow war indessen mit der verantwortungsvollsten Aufgabe beschäftigt, die er keinem anvertraute: Er überprüfte die Verschlüsse der Ballastbehälter. Um die Tauchtiefe zu ändern, wurden die in den Rumpf 7
eingebauten Tanks entweder mit Wasser geflutet oder mit Preßluft leergeblasen. Außerdem gab es für den Notfall noch einen besonderen Ballast - Eisenschrot in drei großen Behältern mit elektromagnetischen Verschlüssen. Man brauchte nur den Strom einzuschalten, und schon öffneten sich die Ventile, das Schrot rieselte ins Meer, und unser Boot stieg auf. „Na Jungs, das wär's", sagte Basanow und wischte sich die ölverschmierten Hände ab. „Uns bleiben noch zehn Minuten. Gerade genug für eine Zigarette." Wir ließen uns auf Deck nieder und setzten unsere Gesichter mit Wohlbehagen dem leichten Seewind aus. Mit hastigen Worten, zwischendurch an seiner Zigarette ziehend, erläuterte uns Basanow die Aufgabe. „Heute werden wir durch ein Kabel mit der ,Bog'atyr' verbunden sein. Lobow hat befohlen, einen Fernsehapparat anzuschließen. Er will unbedingt selbst in diesen Spalt hineinsehen." Nach einer Weile warf Basanow den Zigarettenstummel über Bord und erhob sich. „Es ist Zeit. Da kommt auch schon der Alte." Lobow ließ es sich nie nehmen, uns persönlich zum „Start" zu geleiten. Auch jetzt kam er an, fragte, ob alles in Ordnung sei, und drückte jedem schmerzhaft die Hand. Dann strich er zärtlich über die kalte Stahlwand unseres Bootes und stieß einen Seufzer aus. „Zum Teufel, jung müßte man sein!" „Man würde Sie auch dann nicht nehmen, Grigori Semjonowitsch", erwiderte Basanow lachend. „Und warum nicht?" „Ihre Maße entsprechen nicht den Anforderungen. Sie fänden bestenfalls im Rumpf Platz, und auch das nur liegend."Die Sirene heulte auf. Wir kletterten die schmale Strickleiter hinauf zur Einstiegsluke - voran Mischa, dann ich und zum Schluß Basanow. Bevor ich in die Luke stieg, ließ ich den Blick noch einmal über das Meer und das Deck schweifen. Hinter mir drängte schon ungeduldig Basanow, Zum letzten Mal 8
atmete ich tief die frische Meeresluft ein, dann zwängte ich mich durch die enge Luke. Mischa hatte sich bereits an seinem Platz niedergelassen. Der Kindersessel war für seine Bärenfigur unbequem, doch er saß ja meist über das Mikroskop gebeugt. Daher hatte er wohl auch so einen krummen Rücken. Ich glaube, die Mediziner nennen das Berufsmerkmal: Der Juwelier hat stets einen abgeschliffenen rechten Daumennagel, der Zeichner eine harte Stelle am rechten kleinen Finger. Wer weiß, wo bei mir der Beruf zum Ausdruck kam. Aber zum Philosophieren war jetzt keine Zeit. Ich schaltete die Funkanlage ein. Basanow verriegelte die Einstiegsluke, dann gesellte er sich zu uns. „Fertig zum Tauchen", sagte er leise ins Mikrofon. „Gut", ertönte eine Baßstimme durch den Lautsprecher. „Die Tiefe beträgt nach dem Echolot 5639 Meter. Die Winde langsam in Bewegung setzen!" Durch die Stahlwände war zu hören, wie die Winde rasselte und die Taljen knarrten. Schaukelnd schwenkte uns der Kran über Bord. Jetzt blickte uns die ganze Schiffsmannschaft nach. Die Kabine war von blitzenden Sonnenstrahlen erhellt, die mit einemmal verloschen. Vor den Bullaugen wurde es finster, grünlicher Dämmer umgab uns. Wir lagen im Wasser. „Losmachen!" befahl Basanow. „Zu Befehl, losmachen", erklang die Antwort im Lautsprecher. Über uns hörten wir Schritte. Ein Matrose löste die Trosse. Und da schaukelten wir auch schon frei auf den Wellen neben der „Bogatyr". Basanow setzte die Motoren in Gang, um das Tauchboot vom Schiff wegzusteuern. Dann flutete er die Tauchtanks. Sie füllten sich rasch mit Meerwasser. Wir begannen zu sinken. Ach du Schreck, da hatte ich doch ganz meine Obliegenheiten vergessen! Ich mußte ja die erste Eintragung ins Schiffstagebuch machen! 9
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„09.25 Uhr. Wir tauchen. Alles in Ordnung." Schon viele Male war ich in die Meerestiefe getaucht, doch ehrlich gesagt, jedesmal, wenn das freundlich durch die Bullaugen funkelnde Tageslicht von grünlichem Dämmerschein abgelöst wurde, erbebte mir ein wenig das Herz. Alles verlief glatt, und wir drückten uns an die Bullaugen. Was wir sahen, ist einem Menschen, der niemals unter Wasser war, schwer zu beschreiben. In dieser erstaunlichen Welt herrschen völlig andere optische Gesetze. Wir sind auf der Erde gewohnt, daß das Licht von oben, vom Himmel kommt. Hier aber strömt es von überallher — von oben, von der Seite und sogar von unten, aus der Tiefe. Es ist ein schwankendes, diffuses Licht, das ständig anders schillert. Interessant, daß es an trüben Tagen, wenn eine leichte Wolkenschicht die Sonne verdeckt, in den obersten Regionen des Wassers heller ist. Wir haben das mehrmals beobachten können. In einer Tiefe von etwa fünfzehn Metern läßt die Helligkeit nach. Bei zwanzig Metern ist es gewöhnlich fast dunkel, dann wird es plötzlich wieder hell, und das Licht nimmt nun weich und allmählich ab. Zuerst verliert es die warmen roten und orangefarbenen Strahlen, die schon an der Wasseroberfläche absorbiert werden. Ein roter Gegenstand im Meere würde dann grau erscheinen. Aber vor dem Bullauge, an dem ich saß, war nichts zu sehen. Der Zeiger des Tiefenmessers hatte bereits die Hundert überschritten. Ich neigte mich zu Mischa hinüber, doch bei ihm gab es auch nichts Interessantes. Von Zeit zu Zeit entnahm er durch einen Knopfdruck Wasserproben, die er später im Labor untersuchen wollte. Er hatte riesenhafte Tatzen mit dicken, groben Fingern, aber man staunte, wie geschickt und behutsam er mit den zerbrechlichen Reagenzgläschen hantierte oder mit der Pinzette ein winziges, schnurrbärtiges Krebschen ergriff. Auch ein Berufstraining. Er war geschickt, doch ein bißchen schwerfällig. Oder war 10
er nur von der Arbeit hingerissen? Schon konnte man kaum mehr die Schaltknöpfe erkennen, aber auf den Gedanken, das Licht anzumachen, kam er nicht. Ich tat es für ihn. Die Lampe trug ein Schirmchen, das nur einen ganz schmalen Lichtstreifen hindurchließ. Die Tiefe betrug 188 Meter. Jetzt verschwanden auch die grünen Töne. Alles ringsum war von leuchtender blauer Farbe Übergossen. Vor den Fenstern huschten blitzschnell ein paar funkelnde Garnelen vorbei. Mehr war noch nicht zu sehen. Dieses ganze Kroppzeug ging mich eigentlich gar nichts an. Ich beobachtete es nur aus Neugier und damit Mischa nichts Interessantes verpaßte. Ansonsten war es seine Aufgabe, diese bunte Gesellschaft zu kennen und zu registrieren. Meine Spezialität waren Hydrochemie und Meeresgeologie. Für mich begann die Hauptarbeit erst auf dem Grund; vorher mußte ich nur in verschiedenen Tiefen ein paar Wasserproben entnehmen. Darum hatte ich Zeit, den Stimmen des Meeres zu lauschen. Ich setzte mir die Kopfhörer des Hydrophons auf. Etwas klopfte laut und beständig im Wasser, dann röchelte es heiser und schrie wie ein Kranich. Und dann hörte ich in der Ferne ein Grunzen wie von einem Schwein. Ein wenig hatte ich bereits gelernt, die Stimmen der Meeresbewohner zu unterscheiden. Das Klopfen kam von kleinen Meereskrebsen, die, wie wir einmal beobachtet hatten, einen Wasserstrahl ausstoßen, um den Gegner zu verscheuchen. Und was da grunzte, war vermutlich eine Seezunge, die einem flachen Mühlstein glich, vielleicht aber auch die sogenannte Pferdemakrele. Im offenen Ozean, von der Küste entfernt, hört man im Wasser weniger Geräusche. Hier aber waren, obwohl es eine der tiefsten Stellen ist, die Kurileninseln in der Nähe, und deren Unterwasserfelsen sind von den lautesten Meerestieren bewohnt. Lange lauschte ich diesem Konzert. Das Licht verblaßte immer mehr. In 260 Meter Tiefe mußten wir die Scheinwerfer einschalten, die sich mit ihren Lichtkegeln in die Dunkelheit bohrten. Die Sichtweite betrug bis zu zehn 11
Metern, dahinter herrschte undurchdringliche Finsternis. In fünfhundert Meter Tiefe aber wurde das Meer so schwarz, daß die dunkelste Nacht auf Erden im Vergleich dazu wie eine Dämmerung anmutete. „Wo bleibt denn das Plankton?" murmelte Mischa plötzlich besorgt an meinem Ohr. „Ist bei dir auch keins? Wir sind doch schon bald sechshundert Meter tief! Komisch." Mischa klebte buchstäblich am Fensterglas und spähte nach seinem ersehnten Plankton aus. Basanow dagegen war die Ruhe selbst. Er hatte es sich in seinem Sessel bequem gemacht, hatte die langen Beine ausgestreckt und summte sich etwas Sinfonisches in den Bart. Ein plötzlicher Lichtschimmer riß mich ans Fenster. Noch außerhalb der Reichweite unserer Scheinwerfer leuchtete eine blendendweiße Flamme auf. Sie ging wie ein Wölkchen auseinander und erlosch. Dasselbe wiederholte sich in größerer Nähe. Wer blinzelte uns da aus dem Meeresdunkel zu? Auf einmal starrte mir ein solches Ungeheuer in die Augen, daß ich unwillkürlich zurückprallte. Ein massiver, gierig aufgerissener Rachen, mit kleinen scharfen Zähnen bestückt. Dabei war der ganze Fisch, wie ich erst jetzt bemerkte, nur etwa fünfzehn Zentimeter lang. Trotzdem kam er mit seinem mißförmigen Rachen so nahe ans Fensterglas, als wollte er unser ganzes Bathyscaph verschlingen. Ich machte einige Aufnahmen und rief Mischa, damit er ihn sich ebenfalls anschaue. „Chauliodus sloanei", brummte er an meinem Ohr. „Komisch, wie ist er in diese Tiefe geraten?" Die erste Zeit war ich immer böse geworden, wenn Mischa seine Rede mit lateinischen Ausdrücken spickte. Aber allmählich begriff ich, daß er damit keineswegs „seine Bildung zeigen" wollte. Für ihn waren das gewöhnliche, genau zutreffende Namen, und er konnte sich einfach nicht vorstellen, daß jemand sie nicht verstan'd. „Mach noch eine Aufnahme", bat er. Aber in diesem Augenblick verschwand der häßliche Fisch, als sei er durch Mischas Stimme erschreckt worden. 12
Kurz darauf schwammen drei dicke Garnelen durch den Lichtkegel, die aufgeregt mit ihren langen Fühlern wedelten und sich wie im Tanz mit dem ganzen Körper wanden. Wenig später tauchte noch eine Garnele auf. Aber sie floh nicht, sondern drehte sich jäh zu ihrem Verfolger um. Einem langen durchscheinenden Band ähnlich, das in zartem Blau erstrahlte, jagte ihr ein großer Tiefseefisch hinterher. Da stieß die Garnele plötzlich ein Wölkchen schimmernden Schleimes aus. Es flammte so grell auf, daß Mischa und ich die Augen zukniffen. Als ich wieder hinausblickte, waren weder Fisch noch Garnele zu sehen, nur die Leuchtwolke zerteilte sich langsam im Wasser. In großen Tiefen, in denen ewige Finsternis herrscht, verbreiten sogar die Tintenfische statt der tintenfarbenen Flüssigkeit solch ein leuchtendes Wölkchen um sich, in dessen Schutz sie den Feinden leicht entkommen können. So blieben wir, während wir immer tiefer tauchten, gespannt am Fenster sitzen, damit wir nichts Interessantes verpaßten. „Plankton!" rief Mischa plötzlich erfreut. „Halt! Noch ein bißchen tiefer, Konstantin. Ja, gut. Lösch den Scheinwerfer, Sergej!" Basanow betätigte an seinem Steuerpult einen Knopf nach dem anderen und brachte unser Boot zum Stehen. Unbeweglich hingen wir in 630 Meter Tiefe. Es war, als ob vor dem Fenster der Sternenhimmel in einer klaren Mondnacht erstrahlte. Ein dichtes Feld greller Fünkchen bildete die Milchstraße. Das Wasser wimmelte von Myriaden kleinster Krebse, Garnelen, Bakterien. „Wie eine Suppe", sagte, genüßlich schmatzend, Basanow hinter mir. „Ich hab heute von einer Soljanka geträumt. Ach, wie sehne ich mich nach dem Festland, nach Leningrad, nach einer echten Soljanka im ,Astoria'." Mischa und ich lachten, ohne den Blick vom Fenster zu lösen. „Na, diese Suppe ist nichts für Sie, Konstantin", scherzte Mischa. „Die schmeckt bestenfalls einem Wal. So, Proben 13
hab ich entnommen, nun müssen wir nach oben berichten. Schalt doch mal die Sprechanlage ein, Sergej." Ich meldete durchs Mikrofon: „Sind auf einem Scheingrund. Tiefe sechshunderteinunddreißig. Proben wurden entnommen." Im Lautsprecher antwortete die Stimme des Alten: „Ich sehe es. Versucht, euch ein Stückchen nach Nord-Nord-Ost zu bewegen. Aber nur wenig und langsam." Basanow wechselte einen Blick mit mir und setzte, auf den Kreiselkompaß blickend, die Motoren in Gang. Ein Ruder haben wir nicht; wir bewegen uns vorwärts, indem wir bald die eine, bald die andere Schraube rotieren lassen. Ich wußte, daß jetzt oben, in der verdunkelten Deckkabine, keiner den Blick vom Schirm des Echolots riß. Dort zeichnete sich, durch Ultraschall ertastet, zwischen Grund und Meeresoberfläche ein dünner dunkler Streifen ab unser Tauchboot. Und soeben war der Streifen allmählich an den Rand des Bildschirmes gekrochen. „Stop!" kommandierte die Stimme im Lautsprecher. „Wie ist das Wasser außenbords?" „Klar, Grigori Semjonowitsch", erwiderte Mischa. „Kein Plankton?" „Ganz wenig." . Pause, dann ein neues Kommando: „Nehmen Sie eine Probe und gehen Sie etwa vierzig Meter tiefer, aber bleiben Sie in diesem Bereich." „Zu Befehl." Basanow betätigte die Tauchtanks, während ich den Zeiger des Tiefenmessers verfolgte. „Auf Grund!" schrie Mischa. „Was für Grund?" brummte es im Lautsprecher. „Zum Grund habt ihr's noch so weit wie zum Himmel." „Entschuldigen Sie, Grigori Semjonowitsch, ein Scheingrund", korrigierte Mischa verlegen. „Halt! Ja, so halten Sie doch, zum Teufel!" tobte der Alte. „Nehmen Sie schnell eine Probe." Als Scheingrund wird eine Wasserschicht bezeichnet, die mit Plankton - Mikroorganismen, kleinsten Krebsen und Garnelen - gesättigt ist. Er tritt in sämtlichen Meeren und Ozeanen auf, allerdings in unterschiedlicher Tiefe. Durch 14
das Echolot ausgesandte Ultraschallwellen werden oft von ihm reflektiert wie vom richtigen Meeresgrund. Dadurch wurde diese Erscheinung überhaupt erst entdeckt. Es war ein Gefühl, als seien wir mitten in ein Feuerwerk geraten. Vor dem Glas der Bullaugen flammten und blitzten unzählige Fünkchen auf - grüne, blaue, blendendweiße. Ihr Widerschein glitt wundersam über unsere Gesichter und tauchte die ganze Kabine in zauberhaftes, unirdisches Licht. Nur bei genauem Hinsehen erkannte man, daß jeder Funke ein winziges Lebewesen war. Doch plötzlich war der ganze Spuk vorbei. Wir schalteten erneut die Scheinwerfer ein, sahen aber nichts Nennenswertes mehr. Nur ab und zu blitzte wie eine Messerklinge ein Fischlein auf. Der Expeditionsleiter befahl uns schließlich, tiefer zu gehen. , „Zu Befehl, Admiral", antwortete Basanow erfreut und setzte sich an sein Pult. Vier Untätigkeit hatte ihn offenbar schon gelangweilt. 3
„18. August, Tiefe 618 Meter. Wir tauchen über dem Rand des Kurilen-Kamtschatka-Grabens. Halten ständige Verbindung zum Schiff. Expeditionsleiter Lobow befehligt von Bord aus. Alles in Ordnung." Ich blickte auf den Echographen. In dem viereckigen schwarzen Kasten kroch unter der Glasscheibe langsam ein bläuliches Papierband vorbei. Eine feine Stahlfeder zeichnete darauf pausenlos eine braune Zickzacklinie. Das war das Profil des tief unter uns liegenden Meeresbodens. ..Es scheint, wir kommen hinein", hörten wir im Lautsprecher Lobow leise sagen, vermutlich zum Kapitän. Die Panoramalinie auf dem Band wies plötzlich steil nach unten. Stellenweise wurde sie von scharf vorspringenden Unterwasserfelsen durchbrochen. Das hieß, wir be^ fanden uns am Rand der Senke. 15
1417 Meter. Der entscheidende Augenblick nahte. Gleich würde der Graben beginnen. Basanow schaltete die Motoren der Vertikalbewegung ein, und unsere Tauchgeschwindigkeit verringerte sich. . Wir mußten jetzt darauf bedacht sein, nicht zu heftig auf den Felsboden aufzuprallen. Zwar hatten wir einen Stoßdämpfer unter der Kugel, der jegliche Gefahr ausschloß, doch der aufgewühlte Schlamm würde das Wasser trüben und uns zu einer längeren Pause zwingen. Basanow ließ keinen Blick vom vibrierenden Zeiger des Echolots, während Mischa und ich angespannt aus den Fenstern schauten. Das Wasser ballte sich gleichsam im Scheinwerferlicht. Unter uns glitt jetzt langsam der mit grünlichem Diatomeenschlamm bedeckte Meeresgrund dahin. Und da zeichnete sich auch schon dunkel die Senke ab. Als wir über dem Abgrund hingen, schlug das Herz unwillkürlich schneller. Jetzt waren wir in meinen Forschungsbereich gelangt. Die steilen Felshänge verloren sich tief unten in der Dunkelheit. Sie wirkten düster und ungewöhnlich, wie auf einem anderen Planeten. Basanow drückte entschlossen den Knopf, und wir tauchten in die Schlucht. Unsere heutige Unterwasserexpedition gehörte zu dem großen Forschungsprogramm, das dieser Tage gemäß dem internationalen Plan „Projekt der Oberen Mantille" auf der ganzen Erde durchgeführt wurde. Mit allen Mitteln versuchten die Geologen, in diese geheimnisvolle „Mantille" einzudringen. Sie bohrten superliefe Löcher, lösten künstliche Erdbeben aus, tauchten auf den Grund der Ozeane wie wir. Wer konnte sagen, ob sich nicht gerade die heute entnommenen Proben als besonders interessant und wertvoll erwiesen! Wir hielten uns etwa zwei Meter von der Felswand. Sie war von Spalten und tiefen Rissen zerfurcht. Welche schrecklichen geologischen Kataklysmen mochten die Erdrinde so verbeult, so eingedrückt und zerklüftet haben, bevor die kilometerdicke Wasserschicht sie überschwemmte? Doch zu derartigen Überlegungen war jetzt keine Zeit, 16
Nfeine Aufgabe bestand darin, für die spätere Analyse im Labor die interessantesten Proben zu entnehmen. „Halt!" Ich mußte etwas von dieser auf dem Felsvorsprung liegenden Konkretion ergreifen. Milliarden Tonnen solcher unregelmäßig geformten Kügelchen ruhen auf dem Grund des Ozeans. Sie bestehen aus Mangan, Nickel, Kupfer, Eisen, Kobalt. Einst werden wir auch sie für uns erschließen, werden submarine Bergwerke errichten. Die Kügelchen mit einer der stählernen Zangen zu fassen war gar nicht so einfach, immer wieder entglitten sie ihr. Ob ich auch ein wenig Schlamm zur Analyse mitnahm? Es schien gewöhnlicher Kalkschlamm zu sein, aber die Farbe konnte trügen. Nun gut, tauchen wir weiter. Nach einigen Metern ließ ich abermals halten. Einlagerungen von seltsamer Farbe in einer der Ritzen erregten meine Aufmerksamkeit. War das vielleicht Eklogit? Ich mußte den diamantenen Bohrer in Gang setzen, um ein Stück aus dem Felsen herauszuschneiden. Die Motoren brummten angespannt. Zu gern hätte ich die Gesteinsprobe aus der Nähe betrachtet, mit den Händen befühlt. Aber daran - war vorerst nicht zu denken. Die mechanische, „Hand" steckte sie in einen der Außenbehälter. Ich schrak zusammen, als Mischa mir plötzlich ein feuchtes Tuch auf die Stirn drückte. „Was ist los?" „Nichts. Ich trockne dir nur den Schweiß ab. Du bist ja schon ganz naß!" Ach, deshalb brannten mir so die Augen! „Tauchen wir weiter!" Und abermals bohrte, schabte und kratzte ich von den am Fenster vorbeiziehenden Felsen kärgliche Proben ab. Eine nach der anderen wanderten sie in die Behälter, und ein Automat zeigte an, wann und in welcher Tiefe sie entnommen wurden. 2000 Meter, 2200. Bis zum Grund der Senke war es nach dem Echolot noch weit. Immer tiefer drangen wir in den Schoß unseres Planeten ein. Eine großartige Sache! Hin und wieder gerieten Fische in mein Blickfeld, aber jetzt kümmerte ich mich nicht weiter um sie. Trotzdem stachen sie mir mit ihren leuchtenden Farben in die Augen. 17
Da schwamm eine Meduse vorbei — in solcher Tiefe! in ihrem Innern wimmelte es von grünen Fünkchen, und man konnte nicht nur alle Details ihres Körperbaus, sondern auch die von ihr verspeisten Krebschen erkennen. Dann tauchte ein so ungewöhnlicher Fisch auf, daß ich Basanow anzuhalten bat und Mischa rief. Der Fisch war klein, doch aus seinem gezahnten Unterkiefer hing gleich einem Bart ein langer Faden heraus, vielleicht siebenmal länger als der ganze Fisch. „Was ist denn das für ein Wundertier?'' fragte ich Mischa. „Lamprotoxus flagellibarba", „erklärte'' er. „Und wie heißt das in der Sprache gewöhnlicher Sterblicher?" Ich war ein wenig gekränkt, daß dieser Fisch offenbar längst einen Namen hatte und Mischa ihn überhaupt nicht bestaunte. „Der Name ist sehr treffend', sagte er gereizt. „Übersetzt heißt das Wimpelbartfisch." „Schön, und wozu hat er den Bart?" „Genau weiß man das bisher nicht. Aber wahrscheinlich hat er irgendeine biologische Funktion." „Besten Dank für die erschöpfenden Erläuterungen. Nun verschwinde, ich will ihn trotzdem fotografieren. Ach, weg ist er!" Ich wandte mich an Basanow: „Was.zeigt der Tiefenmesser?" „Sechstausendvierzehn", kam die Antwort. „Bitte etwas mehr nach rechts, Kommandant. Ich möchte mir zur Erinnerung diesen schwarzen Stein da mitnehmen. Das scheint Basalt zu sein." Ich streckte bereits die stählerne „Hand" aus, aber aus dem Vorhaben wurde nichts. Natürlich waren alle Behälter schon gefüllt. Ich überprüfte noch einmal — tatsächlich, nicht einer war leer. Mich packte der Zorn. „Warum nimmst du den Stein nicht?" fragte Basanow. „Wo soll ich ihn denn hintun? Mir an den Hut stecken, was? Alle Behälter sind voll. Wir können umkehren. Ich hab Ihnen doch gesagt, Kommandant, daß wir geräumigere Behälter brauchen." Basanow brummte versöhnend. Ich fühlte auch schon 18
selbst, daß ich ihn grundlos attackiert hatte. In keinem noch so großen Behälter konnte m a n den ganzen Meeresboden unterbringen. „Wollen wir aufsteigen?" Basanows Stimme klang schuldbewußt. „Wir müssen hören, was der Alte meint." „Wartet noch wenigstens fünf Minuten!" flehte Mischa. „Ich beobachte gerade Pogonophoren." Vor den Bullaugen ragten von den gerippten schwarzen Felsen einzeln dünne, undurchsichtige Röhrchen auf. Sie erschienen tot wie Stein, aber aus jedem quollen oben gleich einem prächtigen Federbusch helle Fäden heraus, die sich sanft bewegten wie Riedgras im Wind. In solcher Tiefe gab es jedoch weder Wind hoch Strömung, und wenn man Mischa glauben konnte, waren das gar keine Pflanzen, sondern Lebewesen — Pogonophoren. Mischa versicherte uns, daß sich die Pogonophoren aus dem Meeressalz selbst diese Schutzröhrchen bauten und in lebenslänglicher Gefangenschaft darinsteckten. So an einen Ort gebannt, waren ihre Fangarme ständig in Bewegung und suchten Beute. Die Pogonophoren haben ein Gehirn und ein Muskelherz, das hochrotes Blut durch ein kompliziertes Gefäßsystem pumpt, aber ihnen fehlen völlig Mund und Darm. Den Verdauungsapparat ersetzen die winzigen Härchen an den Fangarmen. Interessante Tiere mit einer erstaunlichen Lebensfähigkeit. Aber was konnte man über sie schon Neues erfahren, wenn man sie nur von weitem durchs Fenster betrachtete! Als hätte Mischa meinen Gedanken erraten, seufzte er und sagte voll Neid: „Solche ,Hände s wie du müßte ich haben, um Proben mitzunehmen!" „Laß nur, bei Gelegenheit denkt sich der Kommandant auch für dich ein paar Greifer aus", tröstete ich ihn. „Jetzt aber wollen wir aufsteigen." Basanow fragte bei Lobow an, was wir tun sollten. „Unverzüglich raufkommen", kam die brummige Antwort. Die graue Felswand sank nach unten weg. Davon müßte man auch eine Probe mitnehmen. Ver19
fluchte Behälter, warum waren sie nicht aus Gummi? Lieber nicht hinausschauen, da lief einem nur das Wasser im Munde zusammen. „Ach, ich bin müde, mein Hals ist schon ganz steif", stöhnte ich und langte nach der Thermosflasche. „Willst du auch Kakao, Mischa?" Er schüttelte den Kopf, ohne den Blick vom Fenster zu lösen. Ich schraubte die Kappe ab, füllte sie mit dem noch dampfenden Getränk, kam aber nicht zum Trinken. Ohne seine Apparate im Stich zu lassen, langte mirBasanow über die Schulter, ergriff den Becher und sagte höflich: „Vielen Dank, mein Herr. Wenn es Ihnen nicht zu viel Mühe macht, geben Sie mir auch Piroggen dazu." Der genossene Kakao und die angenehme Ermüdung nach erfolgreicher Arbeit versetzten mich wieder in philosophische Stimmung. Wie grundverschieden sind wir doch, dachte ich, aber gut aufeinander eingearbeitet. Bei der ersten Bekanntschaft hatte mir Basanow überhaupt nicht gefallen mit seinen ewigen Scherzen und dem viel zu eng sitzenden geckenhaften Anzug. Aber es stellte sich heraus, daß er ein großartiger Kollege war, klug und verständnisvoll, und seine Sache glänzend verstand. Ich glaube, die ganze komplizierte Technik des Bathyscaphs fürchtete, ihn wie einen unerbittlichen Dompteur. Oder liebte und achtete sie ihn und war ihm deshalb gehorsam? Mischa war das genaue Gegenteil von Basanow: langsam, behäbig, etwas schwer von Begriff, dazu schüchtern, schweigsam und immer ein wenig verschlafen. Aber wie wunderbar sich bei ihm die widersprechendsten Eigenschaften vertrugen! In allem, was die Wissenschaft anlangte, in seinen Beobachtungen, in seinem Umgang mit den Käferchen, war er pedantisch und bis aufs I-Tüpfelchen genau. Nur die Uniform saß an ihm wie ein Sack, und die Mütze wollte nicht auf den breitstirnigen Struwwelkopf passen. Da sah sogar Basanow in seinem cremefarbenen Anzug neben ihm wie ein alter Seebär aus. Was mochten die beiden wohl über mich denken? „Ein Hai!" schrie Mischa plötzlich. „Du spinnst! Wo?" 20
Ich eilte zu ihm und blickte ebenfalls durch sein Bullauge. Von hinten legte sich auch noch Basanow auf uns. Tatsächlich, ein Hai. Er war nicht groß, vielleicht zwei Meter lang, und so weit von unserer Kugel entfernt, daß die Scheinwerfer ihn gerade noch erreichten. Trotzdem ge-" lang es mir, ihn zu fotografieren. Seine Augen waren weiß und phosphoreszierten wie Leuchtkäfer. „Worauf wartet ihr noch?" brummte der Alte durch den Lautsprecher. „Wir haben einen Hai gesichtet, Grigori Somjonowitsch", meldete. Mischa. „Von der Gattung der Carcharini Ogilbi, aber eine neue Unterart.'' „Wo ist er? Zeigt ihn mir." Aha, der Hai war nicht im Bereich des Fernsehbildes. Basanow drehte vorsichtig unser Boot, bis der Alte sagte: „Ich sehe ihn. Wirklich sehr interessant. Ein weißäugiger Hai, so werden wir ihn auch nennen." In diesem Augenblick wandte sich der Hai blitzschnell um und verschwand in der Dunkelheit. „Wo ist er hin?" rief ihm Lobow nach, doch seine Stimme brach urplötzlich ab. Ich hörte ein Krachen über mir. Die Kabine zuckte, erdröhnte wie eine Glocke und sank in die Tiefe. Mir stockte , der Atem, als säße ich in einem Flugzeug, das in ein Luftloch sackte. 4
„18. August. 12.42 Uhr. Die Verbindung zum Schiff ist unterbrochen. Wir versuchen die Ursache festzustellen und die Ausmaße der Havarie zu ergründen." Wir sanken. In der Kabine schien alles beim alten zu sein. Die Lämpchen unter den schwarzen Kappen brannten, das orangefarbene Auge des Tiefenmessers blinzelte. Da fiel mein Blick auf Basanow. Er kniete vor Mischa, der reglos auf dem Kabinenboden lag, und hielt ihm den Kopf. 21
Ich eilte zu Hilfe. „Heb ihm den Kopf an", sagte Basanow. „Was ist passiert?" „Ich weiß nicht. Wir werden es gleich herausbekommen. Zuerst müssen wir Mischa helfen. Von einer Wunde ist nichts zu sehen." Der Kommandant nahm eine Flasche Spiritus aus der Apotheke und benetzte Mischa die Lippen. Der stöhnte leise auf. Wir betteten ihn auf die Luftmatratze. „Warte hier, bis er zu sich kommt", ordnete Basanow an. ; ,Ich kümmere mich um die Maschinen." Über seine Schulter blickte ich auf den Tiefenmesser. Der Zeiger stand bei 4 042. Basanow setzte das Ortungsgerät in Gang. „Verdammt", entfuhr es ihm. „Wir liegen auf Grund!" Beide schauten wir wie auf Kommando aus den Fenstern. Sie waren völlig dunkel. „Schalten Sie die Scheinwerfer ein, Konstantin!" „Sie sind eingeschaltet", erwiderte der Kommandant, knipste aber trotzdem ein paarmal. Nicht der leiseste Lichtschimmer blinkte vor dem Fenster. „Sie können doch nicht alle auf einmal kaputt sein?" knurrte Basanow mißgestimmt. „Einer müßte wenigstens brennen." Mischa stöhnte wieder und öffnete die Augen. „Wo sind wir?" . „Alles in Ordnung. Bleib ruhig liegen." „Ich will nicht. Gleich stehe ich auf." Kaum hatte er das gesagt, als er wieder die Augen schloß. „Die Telefonleitung ist unterbrochen, und mit Funk können wir jetzt auch nichts ausrichten. Versuchen wir es durch das akustische System", sagte Basanow nachdenklich und schloß das Mikrofon ans Pult an. Langsam leuchtete das grüne Lämpchen des Indikators auf. Der Kommandant nahm das Mikrofon in beide Hände, blickte sich nach mir um. „Hallo, hallo, ,Bogatyr'! Hier spricht Basanow." 22
Der Lautsprecher schwieg. Basanow wiederholte den Ruf mehrere Male und veränderte die Abstimmung. „Das versteh ich nicht", murmelte er schließlich. „Was hat sie nur?" Er hat so eine spaßige Angewohnheit: In Augenblicken des Nachdenkens spricht er von Maschinen wie von Lebewesen. „Das versteh ich nicht", wiederholte er. „Alles arbeitet normal — und doch bekomme ich keine Verbindung." Er grübelte eine Weile und schaltete den Apparat wieder aus. „Es lohnt nicht, die Energie dafür aufzubrauchen. Versuchen wir lieber herauszukriegen, was mit uns passiert ist. Ist die Handlampe in Ordnung? Leuchten wir doch mal durchs Bullauge." Basanow knipste die starke Handlampe an und hielt sie dicht ans Fenster. Wir blickten hinaus, sahen aber absolut nichts. In dem dunklen Glas spiegelte sich, die Augen blendend, nur die Lampe. Schließlich begriffen wir, weshalb unsere Scheinwerfer nicht mehr strahlten: Die Bullaugen waren außen mit einer zähen grünlichgrauen Schlammschicht überzogen. „Wir müssen versuchen aufzusteigen." Basanow löschte die Lampe und griff entschlossen nach dem Hebel der für eine Havarie vorgesehenen Ballastbehälter. „Halte du Mischa fest, falls es einen Ruck gibt." Ich ließ mich auf dem Boden nieder und packte Mischa an den Schultern. Basanow bediente den Hebel. Aber es rührte sich nichts. Nur Basanows Finger zitterten, als er sie langsam, wie ungewollt, von dem Hebel nahm. „Ein Erdsturz!" sagte ich. Der Kommandant nickte schweigend. Wir begriffen die Gefahr auch ohne Worte. Eine mächtige Schlammlawine hatte sich auf uns herabgewälzt. Unter ihrer Last war das Seil gerissen, das uns mit dem Schiff verband, und das Bathyscaph war in die Tiefe gesunken. Es hätte wie eine Nuß auf dem Felsboden zerschellen können, aber offenbar waren wir auf ein elastisches Kissen aus demselben Schlamm gefallen, und das hatte uns gerettet. \ Auf wie lange? Dem sofortigen Untergang waren wir 23
entgangen, aber nun stand uns ein langsamer, qualvoller Tod bevor. Aufsteigen konnten wir nicht, der zähe Schlamm hatte die Öffnungen der Ballastbehälter verstopft, so daß der Eisenschrot nicht ausfließen konnte. „Mit unserm Schifflein schwammen wir", murmelte Basanow sinnend und wischte sich mit dem Taschentuch das Gesicht ab. „Den elektrodynamischen Lautsprecher hat der verfluchte Schlamm anscheinend auch verklebt; deshalb hören sie uns nicht." Ich stellte mir die Aufregung auf der „Bogatyr'.vor. Errieten sie angesichts des plötzlich erloschenen Fernsehapparats, was passiert war? Oder würde unser Untergang für immer eines der Rätsel des Ozeans bleiben? Die düsteren Gedanken mußten sich deutlich auf meinem Gesicht spiegeln, denn Basanow klopfte mir ermunternd auf die Schulter. „Eine kleine Unannehmlichkeit, weiter nichts. Wollen wir sie als solche nehmen und unsere Lage analysieren. Wir werden noch zusammen im ,Astoria' Soljanka essen, daran zweifle ich nicht." „Sie haben schon recht, Kommandant", entgegnete ich. „Bloß jetzt hab ich mal am eigenen Leibe gespürt, welch guten Brauch die Marine hat." „Nämlich?" „Überall, wo ein U-Boot-Fahrer hinkommt, stehen die anderen Seeleute auf und bekunden damit ihre Achtung vor seinem Mut und seinem schweren Los." „Ein sehr guter Brauch", brummte Basanow nachdenklich. Er erhob sich, überlegte einen Augenblick, dann hantierte er wieder langsam und mit Bedacht am Schaltknopf der Tauchtanks. In erregenden Momenten war er stets besonders straff, konzentriert, einer zusammengedrückten Sprungfeder gleich. Was überlegte er? Durchdringend starrte er auf das Pult, als wolle er das Bathyscaph fragen: Na, was hast du jetzt im Sinn? Ich verfolgte gebannt, wie er langsam den Knopf bis zum Anschlag drückte. Die Preßluft stieß das Wasser aus den 24
Tanks, doch die Kabine rührte sich nicht. Wieviel Tonnen Schlamm mochten unser Boot umklammert halten? „Sitzen wir fest?" fragte Mischa auf einmal leise, aus seinem Dämmer erwachend. „So ähnlich." Basanows Antwort klang schuldbewußt, und er beugte sich zu Mischa. „Wie fühlst du dich?" „Es geht schon. Nur der Kopf tut weh. Aber was ist eigentlich passiert?" Wir erläuterten ihm unsere Lage. „Komisch", murmelte Mischa mechanisch. „Was? Dir erscheint das komisch?" sagte ich entrüstet. „Ich stelle mir vor, wie der Alte jetzt die Besatzung scheucht", fiel Basanow lachend ein. „Das Fernsehauge sieht nichts mehr, aber sie kennen-den Ort der Havarie. Da werden sie uns bald ausfindig machen, haken uns fest und heben uns geradewegs in die Mannschaftsmesse zum Mittagessen." Offen gesagt, ich teilte diesen Optimismus nicht. Wir hatten noch für etwa fünfzehn Stunden Sauerstoff. Möglich, daß sie uns in dieser Zeit fanden, aber wie sollten sie uns unter dem tonnenschweren Schlammberg hervorziehen? Wie stark mochte die Schicht über uns sein? Ich wußte besser als die anderen, daß der Bodensatz hier stellenweise kilometerdick war. Das würden die Taue nicht aushalten, selbst wenn es auf irgendeine Weise gelänge, sie festzuhaken. „Wo ist die Karte?" fragte Basanow plötzlich. „Ich hab eine Idee." Ich nahm die Karte und breitete sie auf dem Boden aus. • „An dieser Stelle sind wir getaucht." Basanow beugte sich über die Karte, und Mischa, der aufgestanden war, blickte unter seinem Arm hindurch. „Die Tiefe der Senke beträgt hier etwa achttausend Meter. Und wir stecken irgendwo in der Mitte, stimmt's? Das heißt, wir sitzen auf einem Felsvorsprung." Er erhob sich und warf einen raschen Blick auf das Steuerpult. „Wie hat doch ein Weiser gesagt: Besser ein kleines Licht anzünden, als die Dunkelheit verfluchen. Es ist riskant, aber probieren wir.es." 25
„Was denn?" fragte Mischa heiser. „Uns von dem Felsen zu lösen. Was haltet ihr davon? Wenn wir beide Motoren laufen lassen und der Vorsprung nicht groß ist, gleiten wir hinab." „Und fallen noch tiefer, auf den Grund?" fragte ich. „Kann sein. Aber dafür lösen wir uns aus dieser Umklammerung. Beim Fallen spült uns das Wasser sauber, und die Elektromagneten können wieder arbeiten. Wenn wir dann den Ballast ablassen, müssen wir aufsteigen." Wir überdachten diese Idee. Mischa schwieg und blickte uns erwartungsvoll an. Er verstand nichts von Technik und fürchtete sie wohl insgeheim ein wenig. Beschließen mußten hier Basanow und ich. Natürlich, das Risiko war groß. Wer konnte sagen, wie dicht die Havariezisternen mit Schlamm verklebt waren? Würde das Wasser die Pfropfen wegwaschen? Oder würden wir ganz in den Abgrund sausen und dann für die „Bogatyr" überhaupt nicht mehr erreichbar sein? „Überlegt es euch, Jungs", sagte Basanow. „Aber meines Erachtens lohnt das Risiko. Auf jeden Fall werden wir uns aus dieser Falle herausarbeiten." „Und in eine andere geraten?" „Man wird uns dann leichter durch das Echolot oder die Fernseheinrichtung finden", fuhr Basanow fort. „Und wenn wir ganz im Schlamm versinken, wie sollen sie uns dann finden?" „Die Zeit geht hin. Ich gebe euch fünf Minuten zum Überlegen." Basanow sah auf die Uhr. „Konstantin hat recht", sagte Mischa und schaute mich an. „Einen anderen Weg haben wir wohl nicht." Ich nickte schweigend. Und der Kommandant, der offenbar nur darauf gewartet hatte, nahm sogleich in seinem Sessel.am Steuerpult Platz. Mit angehaltenem Atem sahen wir zu, wie er zuversichtlich erst den einen und dann den anderen Elektromotor in Gang setzte. Ich duckte mich, den Stoß erwartend, unwillkürlich zusammen. Aber wieder rührte sich nichts. Die Kabine vibrierte kaum merklich, ohne sich vom Fleck zu bewegen. Basanow 20
schaltete aus und wieder ein — den linken Motor, den rechten, den linken, den rechten. Die Motoren heulten dumpf. Die Stahlwände unserer Kabine tönten und bebten. Den linken. Den rechten. Ich sah auf die Uhr. Waren wirklich erst vierzig Minuten vergangen? Sie erschienen so lang wie ein ganzes Leben. Den linken. Den rechten. Von der Vibration und dem wehmütigen Motorengeheul dröhnte der. Kopf. Mischa schloß die Augen und verzog schmerzhaft das Gesicht. Das Boot aber rührte sich nicht von der Stelle. Entschlossen schaltete Basanow die Motoren aus und erhob sich. Seine Nasenlöcher blähten sich, er atmete schwer, als hätte er mit eigenen Händen versucht, unser Boot anzuschieben, und wäre davon ermüdet. Er wischte sich über das feuchte, gerötete Gesicht und ließ sich neben mir auf dem Boden nieder. Als er das Tuch in die Tasche steckte, fiel eine Fotografie heraus — ein lächelndes blondes Mädchen in schwarzer Uniform. „Meine Tochter", sagte Basanow und strich das Bild sorgsam glatt. „Ein zukünftiger Geologe, wie du.'' Ich sah das Bild an und begriff nicht, wovon er sprach: Alles ist aus, hämmerte es in meinem Kopf. Sie werden uns nicht finden. Wir stecken zu tief im Schlamm. Die Menschen dort oben lachen und scherzen wie dieses sorglose Mädchen. Sie sehen die Sonne, das Meer, den Himmel. Und wir? In diesem Moment schwankte unsere Kabine heftig, legte. sich auf die Seite und glitt knirschend in die Tiefe. Wir drei rollten, uns aneinander festklammernd, über den stählernen Boden. „14.03. Durch einen heftigen Stoß infolge eines Bebens auf dem Meeresgrund wurde unser Bathyscaph von dem Felsvorsprung geworfen." „Wir sinken!" schrie Mischa. „Nein, wir steigen auf", erwiderte Basanow, der sich vergebens bemühte, wieder auf die Beine zu kommen. Beide hatten recht. Nachdem wir ein Stück gesunken 27
waren, schwankte das Boot plötzlich heftig und stieg rasch in die Höhe. „Ja, stimmt!" Basanow klopfte mir übermütig auf die Schulter. „Die Verschlüsse arbeiten wieder, Jungs. Wir steigen auf!" Ich taumelte zum Fenster. Die Scheiben waren noch immer mit Schlamm bedeckt. Der Pfeil des Tiefenmessers sprang von Ziffer zu Ziffer: 3000, 2500 . . . Mischa und ich zwinkerten einander zu. Aber weshalb machte Basanow so ein besorgtes Gesicht? „Ist was nicht in Ordnung, Kommandant?" fragte ich. „Alles in Ordnung", entgegnete er lachend. „Bald werden wir oben sein. Aber wer erklärt mir nun, was eigentlich passiert ist?" „Ich glaube, wir sind in einer Seebebenzone", erläuterte ich. „So etwas kommt hier öfters vor. Wir befinden uns innerhalb des berüchtigten ,Feuergürtels', der sich um den gesamten Pazifik zieht. In diesem Bereich gibt es Erdbeben und tätige Vulkane weit häufiger, als die Menschheit sie für ihre wissenschaftlichen Untersuchungen braucht. Das Epizentrum dieses Bebens muß in unmittelbarer Nähe gewesen sein. Den ersten Stoß haben wir nicht gespürt, aber er hat uns mit der Schlammlawine überschüttet. Der zweite hat uns gerettet, indem er uns von dem Felsvorsprung stieß. Wir müssen sofort Wasserproben entnehmen, falls unsere ,Hände' nicht außer Gefecht gesetzt sind." Basanow machte sich an seiner Technik zu schaffen, während Mischa und ich die Geräte außenbords überprüften. Das eine Außenthermometer war offenbar zerschlagen, oder die Leitung war gerissen, denn der Zeiger in der Kabine lag kraftlos auf dem Zifferblatt; das andere aber war heil. Wahrscheinlich hatten auch mehrere der Behälter für die Wasserproben die Erschütterung nicht überlebt. Die übrigen füllte ich jetzt mit Wasser. „Na, und wie steht's bei dir?" fragte ich Mischa, der in seiner Ecke hantierte. „Einige mit Proben gefüllte Kolben sind kaputt", er28
widerte er düster. „Leuchte mir doch mal. Hier ist etwas völlig Unbegreifliches." „Was denn?" „In drei Proben hat sich das Plankton auf den Grund gesetzt." „Na und?" „Es muß doch schwimmen. Warte, nimm die Lampe nicht weg. Ich gieße frisches Wasser zu." Er zauberte so langsam und behutsam mit seinen Gläschen herum, daß ich die Geduld verlor. „Mach dir die Lampe irgendwo fest, ich hab selber zu tun." „Danke, es genügt schon. Alles in Ordnung, sie steigen hoch." „Deine Sorgen möcht ich haben?' Aber Mischa hörte mich nicht mehr. Bedächtig steckte er das Reagenzglas in den Thermostat und murmelte nach seiner Gewohnheit: „Komisch." Dann trug er sorgfältig etwas in sein Hauptbuch ein. Mein Blick blieb am Tiefenmesser hängen. Weshalb bewegte sich der Zeiger so langsam? In den letzten fünfzehn Minuten hatte er nur einen Teilstrich überwunden, und jetzt blieb er, unschlüssig zitternd, bei 316 stehen. Ich schaute zu Basanow. Auf seinem Gesicht spannte sich die gebräunte Haut über den Backenknochen. Was war nun schon wieder los? Er hatte sich mit dem ganzen Körper über das Pult gebeugt, und seine Hände drückten die Knöpfe mit solcher Kraft, daß die Knöchel weiß wurden. Warum? Die Tauchtanks waren doch schon mit Preßluft gefüllt! „Das Bullauge wird sauber", rief Mischa jubelnd von seinem Platz aus. Basanow und ich eilten zu ihm. Tatsächlich, das Wasser spülte den Schlamm von der Scheibe. Zwar war sie noch nicht völlig sauber, aber zwischen den Schmutzflecken schimmerte bereits das Scheinwerferlicht. Ach, wenn man doch hinaussteigen und diesen verfluchten Schlamm abwaschen könnte! Ich blickte durch mein Bullauge. Auch hier waren Lichtschimmer zu sehen. Nur das dritte Fenster blieb nach wie 29
vor dunkel. Wortlos verfolgten wir, wie langsam, wie schrecklich langsam auf dem Fensterglas die grauen Schlammflecke verschwanden. Und da erblickte ich den ersten Fisch. Er starrte mich mit seinen Glotzaugen an und bewegte rasch die Kiemen. Der liebste Mensch hätte mich durch sein Erscheinen jetzt nicht so erfreut wie dieser dumme Fisch! Es war, als schaute das Leben selbst zu uns herein. „Warum stehen wir?'' fragte Mischa hinter mir. In der Tat, wir bewegten uns gar nicht mehr. Das spürte man auch ohne Tiefenmesser; denn Fisch und Plankton hielten sich mit uns auf gleicher Höhe. „Der Lift ist beschädigt, Jungs", erklärte Basanow. ..Die ganze Zeit hat nur eine Havariezisterne gearbeitet. Und auf dem Deck liegt noch die Schlammütze. Sie hält uns fest. Allem Anschein nach sind auch die Schrauben für die Vertikalbewegung verbogen, wenn nicht gar gebrochen." „Komisch", sagte Mischa leise. 5 „19. August. 02.00 Uhr. Koordinaten unbekannt. Schon elf Stunden treiben wir in unbestimmter Richtung. Tiefe 310 bis 315 Meter. Alle Versuche aufzusteigen blieben erfolglos. Der Sauerstoff reicht maximal für drei Stunden." Das Atmen wurde immer schwerer. Mir war, als hätten sich meine Lungen unglaublich geweitet, als würde es ihnen zu eng in der Brust. Begierig sogen sie die dünne Luft ein. Die Luftreinigungsanlage schaffte es nicht mehr, die ausgeatmete Kohlensäure zu tilgen.Oder war das alles nur Einbildung, Ausdruck seelischer Depression? Von uns dreien hatte ich als einziger keine Beschäftigung; da kamen einem unwillkürlich dumme Gedanken. Mischa setzte, als wäre nichts geschehen, die Zauberei mit seinen Kolben und Reagenzgläsern fort. Alle Viertel30
stunden entnahm er eine Probe des Außenwassers und betrachtete im Lampenlicht das darin enthaltene mikroskopische Gewimmel. Die übrige Zeit klebte er am Bullauge und machte zwischendurch Notizen in sein dickes Beobachtungsjournal. Ich guckte ihm über die Schulter. Wird denn je einer diese Aufzeichnungen lesen? Die Handschrift ist auch schon unsicher geworden, die Buchstaben stehen krakelig, als mangelte es ihnen ebenfalls an Luft. Womit sollte ich mich befassen? Basanow war jetzt auch nicht nach philosophischen Erörterungen zumute. Wo war seine geckenhafte Eleganz geblieben? Nackt bis zur Taille, ölverschmiert, war er dabei, das ganze Bathyscaph auseinanderzunehmen, zu säubern und wieder zusammenzubauen. Gerade hatte er die Montage des rechten Motors beendet und säuberte sich bedachtsam die Hände mit einem Büschel Werg. Als er den Knopf drückte, summte der Motor leise. Basanow lauschte mit geneigtem Kopf, dann schaltete er aus und ließ den linken Motor laufen. Die Kabine schaukelte heftig. „Vorsicht!" schrie Mischa, wälzte sich auf den Rücken und preßte mit beiden Händen einen Kolben mit seiner blödsinnigen Tiefseesuppe an die Brust. Basanow knurrte schuldbewußt und baute den zweiten Motor auseinander, wobei er die Einzelteile akkurat auf ein Stück ölbeschmiertes Zelttuch breitete. Plötzlich bemerkte ich, wie er, ohne die Arbeit zu unterbrechen und zur Ablenkung ein Liedchen pfeifend, mit gewandtem Griff an dem Ventil drehte, das die Sauerstoffzufuhr regulierte. Also hatte ich mir nicht nur eingebildet, daß das Atmen schwerer würde. Basanow hatte den Luftstrom ständig verringert und uns so zum Keuchen gezwungen. Verstohlen blickte er zu mir herüber. Er erkannte sofort, daß ich alles gesehen hatte. Aber er pfiff weiter und hantierte an seinem Motor. „Warum tun Sie das, Kommandant?" fragte ich erbost. 31
• „Was? Den Motor reinigen?" Er tat, als verstünde er nicht. ..Nein! Weshalb drosseln Sie die Luft?" „Wir müssen sparen." „Sparen - wozu? Um die Agonie eine Stunde zu verlängern?" Mischa hob, durch meine plötzlich versagende Stimme von seinen Gläschen abgelenkt, den zerzausten Kopf und sah uns verständnislos an. Beim Anblick seines ruhigen, konzentrierten Gesichtes schämte ich mich, doch ich konnte schon nicht mehr an mich halten und schrie fast: „Darf man sich denn nicht mal vor dem Tod sattatmen! Lassen Sie uns wenigstens menschlich sterben!" Basanow packte mich mit seiner schmutzigen Hand an der Schulter und schüttelte mich kräftig. Mit einem Ruck riß ich mich los. Auf dem Hemd blieben fettige Ölspuren zurück. „Das krieg ich nie mehr raus", sagte ich, ohne ihn anzublicken, mit erloschener Stimme. "• „Das ist schon ein anderes Gespräch!" erwiderte Basanow befriedigt. „Keine Angst, du kriegst es sauber. Die chemische Reinigung vollbringt heutzutage Wunder. Und jetzt an die Arbeit." Er drückte mir einen alten Lappen in die Hand, und ich begann ergeben, die im Lampenlicht blinkenden Motorteile zu putzen. Eine sinnlose Arbeit, das begriff ich sehr wohl. Aber meine Hände waren in Bewegung, die Augen prüften kritisch, ob das Kupferröhrchen auch ordentlich blankgeputzt war, und die Nerven beruhigten sich allmählich. Zeitweise blitzte der nüchterne Gedanke durch, daß dies doch nur Selbstbetrug sei, eine Art psychologische Narkose. Aber ich arbeitete mit noch größerer Verbissenheit, und der heimtückische Gedanke verschwand. Jetzt hatten wir jeder unsere Beschäftigung. Ich war schon wieder so weit beruhigt, daß ich, ohne die Arbeit zu unterbrechen, aus dem Bullauge sehen konnte, das schwarz und unheilverkündend hinter meiner Schulter drohte. Draußen herrschte völlige Finsternis. Es brannte nur ein 32
Scheinwerfer nach der Seite, wo der unermüdliche Mischa seine Beobachtungen anstellte. Mit einem Blick auf Basanow schaltete ich auch an meinem Fenster den Scheinwerfer ein. Ich wollte zwei Dinge gleichzeitig tun - dem Mechaniker helfen und wie Mischa heroisch die Natur beobachten. Vielleicht lenkte das mehr ab. Der Kommandant öffnete schon den Mund, um mir einen gehörigen Verweis zu erteilen, da wir mit der Elektroenergie haushalten mußten wie mit der Luft. Aber offensichtlich schaute ich ihn so vielsagend an' daß er, ohne etwas zu sagen, einen leisen Seufzer ausstieß. Mechanisch rieb ich die Motorteile blank und sah dabei aus dem Fenster. Wie die Milchstraße funkelte der endlos durchs Wasser ziehende Strom winziger Käferchen, an denen Mischa einen Narren gefressen hatte. Sie brauchten keine Luft, keine Motoren zur Fortbewegung, und der starke Druck machte ihnen nichts aus. P'rei durchschwammen sie die Tiefen des Ozeans. Aber was war das? Glitt da nicht ein Schatten vorüber? Ich ließ das Teil fallen, das ich gerade putzte, und stürzte zum Fenster. Es schwitzte, war mit Tröpfchen kalten Wassers bedeckt. Fieberhaft wischte ich es mit meinen ölbeschmierten Händen ab, so daß überall Regenbogenflecken erglänzten. Etwas Dunkles, Langes, Großes war ein wenig unterhalb unserer Kugel undeutlich zu erkennen. Es bewegte sich langsam bis dicht an den Lichtkegel des Scheinwerfers. „Ein Bathyscaph!" schrie ich. ,.Sie haben uns gefunden, Freunde! Haben ein Bathyscaph nach uns geschickt. Oder nein, das ist eher ein U-Boot." ..Was für ein U-Boot?" ranzte mich Basanow an. „Bist du übergeschnappt?" Er stieß mich beiseite und drückte sein Gesicht an das Fensterglas. Warum schwieg er so lange? „Nun, was ist?" „Das ist kein U-Boot", erwiderte Basanow dumpf, ohne sich zu rühren. „Das ist einfach . . . ein Lebewesen." „Ein Pottwal!" rief Mischa von seinem Fenster aus. . 33
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„03.12 Uhr. Koordinaten unbekannt. In 9 bis 11 Meter Entfernung steuerbords einen Pottwal gesichtet." Ich hatte vorher nie einen Pottwal gesehen, höchstens auf Bildern. Jetzt drückte ich mich, alles vergessend, an das kalte, feuchte Fensterglas, um den Meeresgiganten zu bestaunen. Was hatte er doch für einen mißförmigen Kopf! Fast die Hälfte des Körpers nahm der ein. Und wo waren die Augen? Der Wal war blauschwarz wie die ewige Finsternis der Meerestiefen und glänzte im Licht unserer Scheinwerfer. Doch wir schalteten sie aus, um das Tier nicht zu erschrekken, und ließen nur das Standlicht an. Bei dieser schwachen Beleuchtung war es schwierig, ihn zu beobachten. Aber wie erw r artet, hielt der Wal unsere Lampen für das Leuchten eines Tiefseefisches und näherte sich uns bis auf etwa drei Meter. Mischa machte Aufnahmen. ..Nimm doch die Filmkamera'', sagte ich. „Ich hab Angst, ihn zu erschrecken. Er hat ein sehr feines Gehör'', entgegnete Mischa, ohne sich vom Fenster zu lösen. Wir sprachen flüsternd, als könnten sogar unsere Stimmen das Tier erschrecken. „Aber er ist gar nicht so groß, vielleicht zehn Meter." „Es ist ein junger." Einmal schwamm der Wal so nahe vorbei, daß ich seine Augen sah. Sie waren ganz klein und saßen an den Seiten des Kopfes, etwa drei Meter von.dem stumpfen Ende des Mauls entfernt. Was mochte er schon sehen bei dieser seltsamen Lage der Augen? Sicherlich nur, was seitlich von ihm war, nicht aber, was sich vor ihm abspielte. In großen Tiefen brauchte er die Augen vermutlich gar nicht. Da war es ohnehin finster, und die Beute erfühlte er — wie die Delphine auch — durch Ultraschallwellen, die er periodisch ins Wasser sandte. Wenn er aber nun, kurzsichtig, wie er war, mit seinem 34
Riesenmaul unser Boot ergriff? Dann würde es uns schlecht ergehen! Der Wal schwamm wieder so nahe heran, als wollte er uns tatsächlich rammen. Jetzt sah ich sogar, wie er durch die Nasenlöcher ausatmete. Warum nur? Ich wollte Mischa danach fragen, mochte ihn aber nicht stören. Er sah aus, als wollte er aus dem Fenster kriechen. Das konnte man verstehen, denn vermutlich war es noch keinem Biologen gelungen, einen lebenden Pottwal so nahe zu sehen. ,.Er verschwindet!" rief Mischa plötzlich. Ich blickte hinaus. Der Wal war weg. Mischa machte ein betrübtes Gesicht, als hätte er seinen besten Freund verloren. „Vielleicht kehrt er zurück", sagte ich, um ihn zu trösten, obwohl es sicherlich besser gewesen wäre, wenn er nicht zurückkehrte und sein Spiel mit uns triebe. „In solcher Tiefe kann er leben", sagte Basanow ein .wenig neidisch. „Sie tauchen noch tiefer." Jetzt war Mischa in seinem Element. „Man hat tote Pottwale gefunden, die sich zwei Kilometer unter dem Meeresspiegel im Telegrafenkabel verfangen hatten. Die Forscher interessiert besonders, auf welche Weise die Pottwale in der Lage sind, in solche Tiefen zu tauchen und rasch wieder aufzutauchen, ohne die Caissonkrankheit zu bekommen. Verschiedene meinen, der Stickstoff der Luft, der bei schnellem Auftauchen normalerweise diese Luftdruckkrankheit hervorruft, werde bei ihnen im Blut durch besondere Bakterien gebunden. Wahrscheinlich ist die Sache aber einfacher: Der Stickstoff schadet dem Pottwal nicht, weil sich während des Tauchens dieselbe Luftmenge mit einer konstanten Zusammensetzung in ihm befindet." Mischa hielt plötzlich inne und drückte sich ans Fenster. Der Wal war zurückgekehrt. Langsam und geschmeidig umkreiste er uns. Bisweilen erstarrte er einen Moment, als überlege er, wie er uns mit seinem stumpfen Maul.am besten stoßen könne. Das erschien mir alles andere als angenehm. 35
Und plötzlich öffnete der Wal seinen riesigen Rachen. Ich staunte - er war innen schneeweiß! Wollte er uns verschlingen, oder gähnte er nur? Nein, er kreiste wieder und tauchte dann erneut an die Oberfläche, um Luft zu holen - Luft, die auch wir so dringend brauchten. „Mischa, hast du seinen Rachen gesehen? Ganz weiß!'' „Ja. Man sagt, die Pottwale tauchen extra mit geöffnetem Maul, um durch die weiße Farbe die Kalmare anzulocken. Wir schwiegen in der Erwartung, daß der Wal ein drittes M!al käme. Und wirklich - wieder tummelte er sich vor unserem Boot und blickte zeitweise direkt durch die Bullaugen. „Weshalb kehrt er zurück?'' fragte ich Mischa. „Sicherlich hält er uns für einen leuchtenden Tiefseekalmar. Auf sie machen die Pottwale gewöhnlich Jagd. Siehst du, ihn interessiert besonders das abgerissene Seilende. Das erinnert ihn bei seinem schlechten Sehvermögen wohl an den Fangarm eines Kalmars. Er will ihn packen und kann sich nicht entschließen." „Wenn er's doch täte, dann wären wir gerettet!" Mischa fixierte mich verständnislos. „Wenn er uns an diesem Seil ergriffe und uns gehöiig rüttelte, könnte der verfluchte Schlamm abgespült werden, verstehst du, und wir würden an die Oberfläche tauchen!" Mischa dachte nach. Es schien, als wolle er etwas sagen, könne sich aber nicht entschließen. „Na, was hast du?" ermunterte ihn Basanow. „Und wenn wir versuchten, abwechselnd die Motoren einzuschalten?" sagte ich zu Basanow. „Dann vibriert das Seil, und auf einen sich bewegenden Köder beißt er vielleicht schneller an." Der Kommandant blickte Mischa an. „Was meinst du, Mascha? Werden wir ihn mit diesem Manöver nicht erschrecken?" „Das ist schon möglich. Ich sagte ja, die Pottwale sind Geräuschen gegenüber sehr empfindlich, obwohl die Wissenschaft zu diesem Punkt genügend einander widersprechende Angaben bereithält." 36
„Das ist mir schon eine Wissenschaft. Lauter Widerspüche und nichts Exaktes", griff ich ihn an. Mischa war sichtlich gekränkt. „Eines steht fest", erklärte er. „Die Pottwale reagieren auf Ultraschall. Wenn ein Mensch oder ein anderes Tier einen Pottwal verwundet, schickt er Ultraschallsignale ins Wasser, dann kommen ihm unverzüglich andere Wale zu Hilfe. Sie helfen sogar dem verletzten Artgenossen, an die Wasseroberfläche zu schwimmen, damit er nicht erstickt." „Na und?" „Deshalb schlage ich vor, ihn durch ein solches Signal zu täuschen. Als wären wir ein Pottwal, der um Hilfe bittet." „Welche Frequenz?" fragte Basanow kurz. „So um zweihunderttausend Schwingungen pro Sekunde. Eine andere Frequenz könnte ihn abschrecken. Das wird sogar von den Walfängern auf den Azoren ausgenutzt, die die Pottwale so an eine bestimmte Stelle treiben. Ich werde noch einmal nachsehen." Er stöberte auf seinem Arbeitstisch und nahm ein dickes Buch zur Hand. Basanow vertiefte sich ebenfalls in ein Nachschlagewerk. „Ja. Ich glaube, es geht, wenn wir auf Megahertz umrechnen", murmelte er und drückte mir das Buch in die Hand. Ich beugte mich erneut zum Fenster. „Beeilt euch", sagte ich. „Gleich steigt er wieder auf. Sein Luftvorrat ist zu Ende." Niemand antwortete mir. Ich drehte mich um. Basanow stand, die Hand auf den Schalter gelegt, mit nachdenklich abwesendem Blick. Mischa beobachtete ihn verwundert. „Weshalb schalten Sie nicht ein?" Basanow sah mich, dann Mischa an. „Dieser Versuch, Jungs", sagte er leise, „wird fast unsere gesamte Energie aufbrauchen." Das hatten wir ganz vergessen. Wenn die Akkumulatoren leer waren, blieb gar keine Hoffnung mehr. Wir würden die Motoren nicht anlassen, die Funkanlage nicht speiseh können. 37
Ich suchte Basanows Blick, aber er schaute zu Mischa, wartete auf Garantien. Doch wer sollte sie ihm geben? „Gut, Jungs, wer nicht wagt, der nicht gewinnt." Basanow seufzte und knipste sacht den Schalter an. Ich stürzte' zum Fenster. Der Pottwal war nicht da. „Er ist weg, aufgetaucht", schrie ich. „Mischa, siehst du ihn bei dir? Vielleicht ist er zu dir geschwommen?" „Bei mir ist nichts zu sehen." Basanow griff schon nach dem Schalter, doch Mischa hielt ihn zurück. „Warten Sie, Konstantin. Ein, zwei Minuten. "Vielleicht hört er es und kommt wieder." Wir preßten uns an die Fenster - ich an das eine, Mischa und der Kommandant an das andere. Das Warten wurde endlos. Wenn jetzt die Motoren aussetzten, was dann? „Schluß. Der Spaß ist mißlungen", sagte Basanow resignierend und wollte ausschalten. „Er kommt!" Mischas Schrei ließ ihn innehalten. Ich drängte mich ebenfalls an ihr Fenster, und zu dritt versuchten wir hinauszuschauen. Ja, der Wal kehrte zurück! Er tauchte fast senkrecht, leicht seinen riesigen Körper wiegend, und näherte sich uns zielstrebig und ohne Angst. Ich konnte es gar nicht so schnell verfolgen - schnappte er nun- nach dem vibrierenden Seil, oder stieß er unser Schiff einfach mit dem Kopf an? Es rüttelte uns derart, daß wir alle zu Boden fielen. Das Bathyscaph erzitterte, schaukelte. Es wurde von einer Seite auf die andere geschleudert wie eine Konservendose in einem Orkan. Keiner konnte sagen, ob wir stiegen oder nicht, Basanow, der sich an allem festklammerte, was ihm unter die Finger geriet, zog sich zum Tiefenmesser und verkündete: „Wir steigen auf! Nicht mal mehr hundert Meter!" „Hurra!" Das muß ich wohl geschrien haben.
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„03.43 Uhr. Wir sind aufgetaucht. Windstärke 3 bis 4, dichter Nebel. Der Himmel ist von einer dicken Wolkenschicht verhangen. Eine Ortsbestimmung gelang bisher nicht. Die Koordinaten sind nach wie vor unbekannt." Ich habe nie zuvor gewußt, daß Luft so wohlriechend und wohlschmeckend ist! Kaum waren wir aufgetaucht, kaum hatten Basanow und ich die Einstiegsluke geöffnet, als ich auch schon hinaufkletterte, mich mit dem Oberkörper hinauslehnte und atmete, atmete und mich nicht sattatmen konnte. Erst nach ein paar Minuten belebte sich mein zweiter Sinn — das Sehvermögen, und ich nahm nun meine Umgebung wahr. Allerdings gab es kaum etwas zu sehen. Ringsum herrschte dichter, zäher Nebel. Die Wellen rollten unsichtbar heran und warfen sich auf unser Boot, wobei sie mich mit Spritzern überschütteten. Das Boot schwankte so heftig, daß ich mich fest an den Geländergriff klammern mußte. Jemand zog mich von unten am Bein. „Was ist los, bist du eingeschlafen?" fragte Mischa. „Wo ist der Wal?" Der Wal? Ach ja, wie konnte ich nur unseren Retter vergessen! Aber wie sollte ich ihn in diesem Nebel sehen? „Such selbst", sagte ich und stieg die schmale Leiter hinab, um Mischa Platz zu machen. Er wollte doch auch atmen. Die kühle Seeluft drang in alle Winkel unseres Bootes, erfrischte, durchblies die Kabine. Und trotzdem war es hier nicht so wie oben. Basanow befaßte sich bereits mit dem Sender, drehte, schraubte, schmierte etwas. „Was denn, Kommandant, wollen Sie nicht ein bißchen Luft schnappen? So gute haben Sie noch nie geatmet, Ehrenwort." „Ich komm schon zurecht", antwortete er zwinkernd. „Eh ich sterbe, atme ich mich bestimmt noch satt. Wir müssen Verbindung zur ,Bogatyr' aufnehmen, aber irgend etwas 39
klappt da nicht. Offenbar 1ist die Antenne abgerissen. Hast du nicht darauf geachtet?' Ich schüttelte kleinlaut den Kopf. „Na gut, ich werde selbst nachsehen. Und wie ist das "Wetter?" „Keinerlei Sicht. Nebel." „So ein Jammer! Dann wird es uns wieder nicht gelingen^ unseren Standpunkt zu bestimmen. Wo mögen wir nur sein?" Er faltete die Karte auseinander und beugte sich darüber, wobei er die ergrauenden Haare an der Schläfe glattstrich. „Die Tiefe beträgt hier über dreitausend Meter, da können wir keinen Anker werfen. Wir werden die ganze Nacht wachen müssen, ob es uns nicht zu einem Ufer trägt." „Aber Kommandant", entgegnete ich, ihm über die Schul' ter blickend. „Wir können doch in vierundzwanzig Stunden nicht fünfhundert Seemeilen abgetrieben sein. Vom Festland trennt uns ein ganzer Ozean." „Möglich. Doch solange wir unsere Lage nicht bestimmt haben, müssen wir auf alles achten." Als Mischa herunterkam, stieg Basanow selbst nach oben, kehrte aber gleich wieder zurück. „Nichts zu sehen", sagte er. „Eine schöne Bescherung! Undurchdringliche Finsternis. Die Überprüfung der Schäden müssen wir auf morgen verschieben." Wir verschalkten die Luke und beschlossen, uns auszuruhen. Der Wachhabende sollte alle fünfzehn Minuten mit dem Echolot die Tiefe messen und alle halbe Stunde den oberen Scheinwerfer einschalten, falls ein Flugzeug oder ein Schiff in der Nähe erschiene. Die Hoffnung darauf war allerdings verschwindend gering. Mischa hatte die erste Wache. Nach zwei Stunden sollte ich ihn ablösen. Ich schlief sofort ein, als versänke ich in einen bodenlosen Abgrund. Aber nach kurzer Zeit erwachte ich von den erregten Stimmen meiner beiden Kameraden. Basanow und Mischa starrten gebannt hinaus in die Dunkelheit. Was war passiert? 40
Etwas stieß laut tönend an die Stahlwand unseresSchiffes. „Hören Sie?" wandte sich Mischa an Basanow. „Das klingt wie eine Eisscholle." „Aber wo sollen hier in dieser Jahreszeit Eisschollen herkommen?" widersprach der Kommandant. „Es kann uns doch nicht so weit nach Norden getrieben haben, bis zum Beringmeer. Zu dumm, daß man nichts sieht. Wir müssen hinaufsteigen. Außerdem sagst du selbst, das Wasser sei fünf Grad wärmer geworden." Basanow kletterte die schmale Leiter nach oben. Durch die geöffnete Luke drang feuchte Kühle, die mich gänzlich ermunterte. Ein neuer dumpfer Schlag erfüllte unsere Kabine mit Knirschen und Gedröhn. „Offenbar sind wir tatsächlich in den Bereich von Eisschollen geraten", bemerkte ich. „Wenn sie nur unsere Wände nicht durchschlagen." „Aber wo soll das Eis herkommen, wenn das Wasser sogar wärmer geworden ist?" murmelte Mischa verwirrt. Ja, das war in der Tat unbegreiflich. Basanow kam herab, die Luke offenlassend. „Etwas schwimmt neben uns, sieht aber nicht nach Eis aus", sagte er. „Eis ist weiß, doch das Zeug ist irgendwie grau und hebt sich kaum vom Wasser ab. Warten wir, bis es heller wird. Der Nebel scheint sich aufzulösen. Den Scheinwerfer können wir nicht einschalten, die Akkus sind fast auf Null." Neugierig kletterte ich selbst nach oben, obwohl ich ohne Scheinwerferlicht natürlich nichts erkennen konnte. Aber so atmete ich wenigstens frische Luft ein. Der Wind hatte nachgelassen, das Meer beruhigte sich allmählich. Im Osten dämmerte hinter dem Wolkendunst bereits der Morgen. Doch auf dem Wasser lag noch Nebel. Ich fror und ließ mir von Mischa die Felljacke hochreichen. So konnte ich die kühle Seeluft besser genießen. Wie lange ich so stand, kann ich nicht sagen — die glücklichen Stunden zählt man nicht. Auf jeden Fall wurde es trotz der Bewölkung langsam hell, und der Nebel zerteilte sichj
Jetzt konnte ich die um uns schwimmenden Gebilde 41
schon besser erkennen. Ich schaute durch den Feldstecher und stieß vor Erstaunen einen Pfiff aus. Lava! Natürlich, das waren Stücke vulkanischer Lava, grau und porös, und ganz und gar keine Eisschollen. Aber wie kamen sie hierher, mitten auf den Ozean, Tausende Meilen vom Ufer entfernt? Offenbar war irgendwo in der Nähe ein submariner Vulkan ausgebrochen und hatte die Lava an die Oberfläche geschleudert. Jetzt begriff ich, weshalb die Wassertemperatur gestiegen war. Eigentlich war daran nichts Verwunderliches. Innerhalb des „Feuergürtels" hat man schon Zehntausende submariner Vulkane entdeckt. Hier hielt die Schaffung der Welt noch an. Irgendwo auf dem Meeresgrund barst die Erdrinde, verschoben sich die Gesteinsschichten, und nun war als Folge des Bebens, das uns beinahe unter sich begraben hätte, einer dieser Vulkane erwacht. Ich wollte schon hinabsteigen und von meiner Entdekkung berichten, als mein Blick von einem seltsamen dunklen Streifen am Horizont angezogen wurde. Ich richtete das Fernglas darauf . .. schluckte krampfhaft, um die Kehle zu säubern, und rief ungestüm: „Land! Land! Laaand!" Unten umklammerte jemand mein Bein. In der Luke erblickte ich das erregte Gesicht Basanows. „Was grölst du da?" fragte er. „Ein Flugzeug?" „Land, Konstantin!" „Wo soll hier Land herkommen? Na, laß mich selber sehen." 8
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„05.15 Uhr. Koordinaten unbekannt. Anderthalb Seemeilen in nordnordöstlicher Richtung eine unbekannte Insel gesichtet. Wir steuern auf sie zu." Rings um die Insel, die so unerwartet vor uns aufgetaucht war, bildeten riesige Gruppen schwimmender Lava42
stücke ein nahezu geschlossenes Feld. Wir mußten uns langsam und vorsichtig bewegen, um die Stahlverkleidung des Bathyscaphs nicht zu beschädigen. Ich stand am Bug und stieß mit einer Stange die großen Lavabrocken beiseite. Mischa maß unten pausenlos mit dem Echolot die Tiefe. Sie betrug die ganze Zeit etwa dreitausend Meter und nahm erst anderthalb Kabellängen vor der Insel jäh ab. Also war die Insel auf jeden Fall vulkanischen Ursprungs. Gigantische unterirdische Kräfte hatten sie aus dem Meeresgrund gehoben. Uns war das seltene Glück zugefallen, Augenzeuge dieser denkwürdigen Erscheinung zu werden, und es wäre einem Verbrechen gegen die Wissenschaft gleichgekommen, hätten wir die „neugeborene" Insel nicht erforscht. Als bis zum Ufer nur noch anderthalb Meter blieben, sprang ich vom Schiff hinüber und tanzte wie ein ausgelassener Junge auf den Steinen. „Land! Land!" schrie ich. „Ganz frisches Land, Konstantin, noch heißes!" Wie herrlich war es, festen Boden unter den Füßen zu spüren! „Paß auf, daß du nicht ins Wasser fällst, die Lava kann brüchig sein." „Nein, es federt nur ein bißchen. Richtiges Land, Konstantin." Er warf mir das Seil zu, das ich zwischen zwei pflockartig aufragenden Steinen befestigte, und schob den schwankenden Laufsteg ans Ufer. Seltsam und ungewöhnlich mutete dieses Land aus erstarrter Lava an. Es war noch warm und gab tatsächlich unter den Füßen nach wie Asphalt bei starker Hitze. Kauernd betrachtete ich das Gestein, das kein lebendes Wesen unserer Erde je betreten hatte. Typische Basaltlava, eben erst aus verborgenen Tiefen ausgespien. Wir mußten schnell Proben entnehmen, ehe es erhärtete. Das würden einmalige Beispiele sein! „Ist Ihnen bewußt, was für ein Glück wir haben, Kommandant? Die Amerikaner bohren schon seit Monaten mühevoll ein supertiefes Loch, um an die Basaltschicht 43
auf dem Meeresgrund zu gelangen. Und hier lüftet die Erde liebenswürdigerweise von allein ihre Mantille - bitte, studiert meine verborgenen Geheimnisse." Vor Erregung hüpfte ich umher, als hätte die heiße Erde der neugeborenen Insel mir die Fußsohlen verbrannt. Begeisterung und Energie erfüllten mich und drängten nach außen. Basanow schüttelte nur lachend den Kopf. ,.Wo ist denn Mischa? Was wühlt er noch da unten? He, du Robinson, komm schnell! Die unbekannte Insel kann nicht warten!" schrie ich aus voller Kehle. In der Lukenöffnung zeigte sich schließlich sein zerzauster Kopf. „Nun schaut euch das bloß an! Ungerührt, als wäre er nicht Zeuge einer der größten geografischen Entdeckungen unserer Zeit! Was hast du da unten gemacht, mein Bester? Geschlafen?" „Warum schreist du so? Soll ich deshalb meine Beobachtungen unterbrechen? Ich habe schließlich ein Programm." ..Programm! Ein kläglicher Roboter bist du, aber niemals ein Denker. Die Welt stürzt zusammen, Inseln entstehen aus dem Ozean, und er rührt die ganze Zeit in seiner ungenießbaren ,Suppe'. Schmeiß das Zeug weg und bring mir lieber meinen geologischen Hammer, vier Gläser, eine Pinzette, Beutel und die Drahtrolle. Aber ein bißchen dalli!" Mischa verschwand in der Kabine. Ich konnte es nicht erwarten, bis er zurückkam, und kratzte mit dem Taschenmesser ein Stück Lava ab. Als Mischa die Instrumente brachte, nahm Basanow sie ihm aus der Hand und hall mir. Wir gingen die ganze Insel ab. Sie war nicht groß, vielleicht hundert Meter lang und vierzig breit. Die Lava erschien an allen Stellen gleich; trotzdem nahm ich mehrere Proben mit. Wer konnte wissen, was die chemische Analyse alles zutage förderte! So arbeitete ich einige Stunden und riß mich nur für Augenblicke los, um gierig einen Schluck Wasser zu trinken und mir den Schweiß von der Stirn zu wischen, besser gesagt, mir den Schmutz übers Gesicht zu verteilen. Von Zeit zu Zeit führte ich zur Entspannung pathetische. 44.
Reden: „Seid vorsichtig, Leute! Vielleicht steht ihr jetzt nicht nur auf einmaligem Land, sondern auch auf einem Stück Mondoberfläche!" „Was nicht noch?" fragte Basanow verblüfft. „Ja, ja! Wir sind die ersten Menschen auf dem Mond. Und ganz ohne Raumschiff sind wir hierher gelangt. Was schauen Sie mich so an, Kommandant? Ich bin nicht verrückt. Es gibt tatsächlich eine Hypothese, wonach der Pazifik einst dadurch entstand, daß sich an dieser Stelle durch kosmische Urkraft aus der noch flüssigen Erde ein mächtiger Basaltbrocken löste, der zum Mond geworden ist. So daß wir - wenn wir dem glauben - allen Ernstes sagen können, wir befinden uns auf einem Gestein, das dem der Mondoberfläche adäquat ist." „So ein Unsinn!" Mischa winkte ab. „Wühlen wir lieber weiter." „Na, mir gefällt diese Hypothese", sagte ich entschieden und griff erneut zu meinem Hammer. ..Ich erkläre mich zu ihrem Anhänger." Schluß! Endlich den Rücken geradebiegen. Die Beutel, Kästen und Rucksäcke waren mit Proben vollgepfropft. Am liebsten hätte ich die ganze Insel mitgenommen. Unsere nächste Sorge mußte dem Bathyscaph gelten. Da stand nicht wenig Arbeit bevor. Die Deckkabine war an mehreren Stellen eingebeult - offenbar hatte die Schlammlawine auch Felsbrocken enthalten. Ein Bullauge war von Rissen- durchzogen, ließ aber kein Wasser herein. Die schwersten Schäden wies der Tragkörper auf. Die Schrauben der Vertikalbewegung waren, wie befürchtet, verbogen, ein Blatt fehlte ganz. Die Strecktaue und die Antenne waren wie Seidenfäden abgerissen. Die Stahlstützen waren ebenfalls verbogen und die elektrodynamischen Lautsprecher des akustischen Systems zerschlagen. „Ja, dich hat's ordentlich erwischt", sagte Basanow finster, als er noch einmal alles von der Deckkabine aus betrachtete. „Aber meist sieht's schlimmer aus, als es wirklich ist. Das erste, was wir tun müssen, ist, mit der ,Bogatyr' Verbindung aufzunehmen. Sie machen sich dort mehr Sorgen als wir." 45
Basanow kletterte in die Luke und ging daran, den Funkapparat in seine Einzelteile zu zerlegen. Ich wollte ihm dabei helfen, doch er schob mich resolut beiseite. „Laß das. Ich hab gesehen, wie du den Motor gereinigt hast." „Aber was soll ich denn tun, Kommandant?" flehte ich. „Schlafen." „Gut. Nur tue ich das lieber an der Luft. Und auf der harten Erde." Ich nahm den Schlafsack und begab mich zur Luke. „Du hast wohl Angst, sie könnten, dir deine Insel klauen?" spottete Basanow. „Mischa, geh du mit ihm, hast deine Reagenzgläser genug strapaziert; sie reißen dir nicht aus. Leg dich auch an die frische Luft." „Ich werde schlafen, Konstantin, aber hier. Meine Beobachtungen kann ich nicht unterbrechen. Ich hab da so eine Idee." „Idee hin, Idee her - jetzt wird geschlafen." Mischa seufzte und legte sich gehorsam auf die Matratze an der Wand, stellte sich aber, wie ich bemerkte, den Wecker dicht ans Ohr. Ein verrückter Bursche! Wozu solche Heldentaten? Und ich? Basanow erzählte später, was er, aus der Luke blickend, gesehen hatte: Ich breitete den Schlafsack auf dem grauen Steinboden „meiner" Insel aus, kroch hinein, murmelte selig: „Schöne laue Erde" und schnarchte auch schon fürchterlich. 9 „20. August. 05.30 Uhr. Koordinaten nach wie vor unbekannt. Die Funkanlage konnte noch nicht repariert werden. Geschlossene Wolkendecke. Sterne sind nicht zu sehen. Noch immer ist keine Orientierung möglich." Es war unverantwortlich, aber ich schlief den ganzen Tag. Undeutlich spürte ich einige Male, wie mich jemand 46
zupfte; doch dann ließen sie mich in Ruhe, also kamen sie einstweilen ohne mich aus. Ich öffnete erst die Augen, als ein weiterer Weckversuch von einem äußerst appetitlichen Duft begleitet war. Mit einem Auge blinzelnd, sah ich unweit meiner Schlafstelle den summenden Feldprimus mit einem großen Tiegel darauf, in dem Basanow rührte. Neben mir kauerte Mischa und rüttelte mich, als sei ich kein moderner Kolumbus, sondern eine Puppe. „Du brauchst keine Wiederbelebungsversuche zu machen, ich bin nicht ertrunken." Ärgerlich stieß ich ihn beiseite. „Dein Glück, daß du aufgewacht bist", brummte er. „Ich wollte dir gerade die Ohren langziehen." Und bewundernd fügte er hinzu: „Wie lange du schlafen kannst! Den ganzen Tag, wie ein Murmeltier. Das will gelernt sein!" Erst jetzt wurde mir bewußt, daß es schon Abend war. Und ich hatte mich doch, so glaubte ich, früh am Morgen schlafen gelegt. Vielleicht nicht einmal heute morgen? „Steh auf, du Faulenzer!" ließ sich nun auch der Kommandant vernehmen. „Hast schon das Mittagessen verschlafen, nun iß wenigstens ordentlich zu Abend." „Das Mittagessen hab ich verschlafen? Warum habt ihr mich denn nicht geweckt?" rief ich empört, sprang auf und machte ein paar Freiübungen. ..Wir ihn nicht geweckt!" prustete Mischa. „Du bist ja nicht mal aufgewacht, als wir die Raketen "steigen ließen." „Ihr habt Raketen abgeschossen?" „Ja, ein Flugzeug kam vorbei." „Du spinnst." Ich schaute Basanow an. Der nickte schweigend und füllte mir die Schüssel mit köstlicher Erbsensuppe. „Es flog sehr hoch, über den Wolken", erläuterte er, während er sich im Schneidersitz neben dem summenden Primus niederließ. „Und die Funkanlage?" fragte ich. . „Streikt noch immer." Basanow hatte den ganzen Tag daran herumgebastelt. Wir aßen schweigend. Dann spülte Mischa eilig seine Schüssel ab und kletterte, ohne auf den Tee zu warten, wieder in das Bathyscaph. 47
Der Kommandant und ich genossen in aller Ruhe den Tee und wuschen dann das Geschirr ab. Als der Primus gelöscht war, wurde es gleich dunkel und ungemütlich. Ein kalter Wind blies über meine Insel. Am wolkenverhangcnen Himmel leuchtete kein einziger Stern. In der Dunkelheit dröhnte das Meer besonders laut und unheilvoll. Beim Schein der Laterne breitete Basanow seinen Schlafsack aus und schlüpfte, vor Wohlbehagen ächzend, hinein. Ich hätte es ihm am liebsten gleichgetan. ..Willst du dich nicht auch hinlegen?" fragte er, als erriete er meinen Gedanken. „Oder hast du dich heute für dein ganzes Leben ausgeschlafen?" „Schlafen Sie nur, ich werde wachen." „Das ist nicht unbedingt nötig. Das Meer ist ziemlich ruhig. Und wir sind auf dem Trockenen. Mischa wacht ohnehin jede halbe Stunde auf; er schläft mit dem Wecker am Ohr, damit er seine Beobachtungen nicht verpaßt. Du kannst also mit ruhigem Gewissen- weiterschlafen." „Ich hab ja ausgeschlafen. Na, ich werde mich so noch ein bißchen hinlegen." . Aber kaum war ich in den Schlafsack gekrochen und hatte meinen Kopf bequem auf das Luftkissen gebettet, als sich auch schon die Augen schlössen und ich wieder in den süßen Abgrund stürzte. Ich schlief fest und traumlos wie am Tage. Doch eine Unruhe ließ mich plötzlich wach werden, obwohl Mischa mich noch gar nicht berührt, sondern als ersten Basanow angestoßen hatte. „Konstantin, wachen Sie auf. Gefahr!" Basanow setzte sich hastig auf, riß den Schlafsack herunter und fragte sachlich, als hätte er gar nicht geschlafen: „Was ist passiert?" Ich.kroch ebenfalls hastig aus meinem Sack, schaltete die Lampe ein und sah auf die Uhr. „Ich glaube, es gibt bald ein neues Erdbeben", sagte Mischa. : „Woher weißt du das?" fragte ich. Er murmelte etwas Unverständliches. „Natürlich kann ich mich auch irren. Aber mir scheint, wir müssen Vor48
Sichtsmaßnahmen ergreifen. Auf jeden Fall würde das nichts schaden." „Woher kannst du wissen, daß ein Erdbeben kommt?" „Versteht ihr, ich hab da bei einigen Mikroorganismen sehr interessante Beobachtungen gemacht." Mischa wandte sich mehr an Basanow als an mich. „Erinnert ihr euch an ihr seltsames Verhalten, als wir in die Senke tauchten? Sie gingen aus unerklärlichen Gründen in große Tiefen, obwohl sie sich gewöhnlich in den oberen Wasserschichten aufhalten. Und kurz bevor das Seebeben einsetzte und wir von der Lawine verschüttet wurden, beobachtete ich, wie die Bakterien (er nannte einen unaussprechlichen lateinischen Namen) in allen Meerwasserproben wie auf Kommando auf den Boden der Reagenzgläser sanken." „Komisch", äffte ich ihn nach. „Und was hat das mit dem Seebeben zu tun?" Ich verspottete ihn ohne Grund. Aber das kam daher, daß ich mich ein wenig schämte. Erst jetzt begriff ich, weshalb er sich die ganze Zeit so verbissen mit seinen Gläschen befaßt hatte. „Wie willst du beweisen, daß diese beiden Erscheinungen zusammenhängen - das Verhalten deiner Mikroben und das Beben?" fragte ich ihn. „Irgendeinen Zusammenhang gibt es bestimmt", beharrte er. „Natürlich muß ich weiter beobachten. Aber jetzt sind sie wieder auf den Boden gesunken. Es gibt eine Möglichkeit, das zu prüfen." In dieser vormorgendlichen Stunde war das Meer völlig ruhig geworden. Die Wellen beleckten zärtlich und träge die neugeborene Insel. Sogar der Wind hatte sich gelegt. „Schau dir doch die Stille an", sagte ich. „Ein zufälliges Zusammentreffen ist das, und du glaubst schon, du könntest die Menschheit mit einer untrüglichen Methode der Erdbebenprognose beglücken." „Warte mal", unterbrach mich Basanow stirnrunzelnd. Dann fragte er Mischa: „Was für einen Zusammenhang siehst du denn nun zwischen dem Verhalten der Mikroben und dem Erdbeben?" „Ich weiß es nicht. Aber sie spüren das Beben deutlich 49
einige Stunden vorher. Vielleicht ändert sich, für unsere Geräte nicht wahrnehmbar, die Schwerkraft oder das Magnetfeld in einem bestimmten Bereich. Denn jedem Erdbeben gehen verborgene Spannungen in der Erdrinde voraus, stimmt's?" „Ja. Aber wir haben bisher keine Geräte, die das registrieren." „Und du meinst, die Natur könnte nicht einige Lebewesen mit solchen Fähigkeiten ausgestattet haben? Die Grashüpfer zum Beispiel nehmen Bodenschwankungen wahr, deren Amplitude nicht größer ist als der Durchmesser eines Wasserstoffatoms." Ich gähnte, reckte mich und kroch in meinen Schlafsack zurück. „Macht, was ihr wollt, ich schlafe weiter." Mischa sah Basanow an, zuckte die Achseln und ging wortlos zum Bathyscaph, das sich verschwommen vom grauenden Himmel abhob. „Warum redest du immer so unbesonnen?" schalt mich der Kommandant. Ich schwieg. Basanow brummte nachdenklich, dann kroch auch er wieder in den Schlafsack. Nach einiger Zeit sagte er vorwurfsvoll: „Bestimmt ist er nun beleidigt." Ich schwieg weiter, tat, als ob ich schliefe, und gab sogar einen recht überzeugenden Schnarchton von mir. Basanow wälzte sich ein paarmal hin und her, dann stand er auf und folgte Mischa ins Boot. Ich schlief tatsächlich wieder ein. Aber schon kurz darauf erhielt ich einen unsanften Stoß. ' „Steh auf", befahl der Kommandant. „Wir müssen hier weg." „Wohin?" „Aufs Meer." Es war inzwischen fast hell geworden. „Ich fürchte, ein Tsunami naht", sagte Basanow. „Schnell an Bord!" Ich sprang hastig auf. „Woher wissen Sie das?" „Schau aufs Meer." Das Meer war völlig ruhig. Verständnislos blickte ich Basanow an. 50
„Siehst du nicht, wie weit das Wasser zurückgegangen ist?" fragte er, während er seinen Schlafsack zusammenrollte. „Und die Brandung hat sich gelegt." Wirklich, die Brandung war verstummt. Ich bemerkte auch, daß der breite Uferstreifen, der vorhin noch unter Wasser gestanden hatte, herausragte. Das Wasser trat zusehends zurück, als stiege die Insel immer höher oder als würde der Ozean immer seichter. Und all das bei unheilverkündender Stille. „Vielleicht ist das die Ebbe?" murmelte ich unüberzeugt. „Was für eine Ebbe!" tobte Basanow. „Pack deine Sachen ein bißchen schneller zusammen, und dann marsch ins Boot! Uns bleiben nur noch wenige Augenblicke." Seine Erregung steckte mich ah. Rasch ergriffen wir die Sachen und rannten zum Bathyscaph. Ich stolperte über Lavastücke. Das Bathyscaph saß schon fast auf Grund, so schnell sank der Wasserspiegel. Mit akrobatischer Geschicklichkeit tauchte Basanow in die Luke, ich machte rasch die Leine los und'zog das Fallreep an Bord. Meine Hände zitterten. In dem Moment surrte unten dumpf der Motor, und bläulicher Dampf stieg aus dem Abzugsrohr. Mit widerlichem Knirschen über ein Lavastück schrammend, stieß unser Boot vom Ufer ab. Einen Augenblick später — und es wäre auf den Felsen steckengeblieben, die sich wie gefletschte Zähne aus dem Wässer hoben. Durch das Sprachrohr gab ich Basanow die Richtung an, um so schnell wie möglich aus den Lavabrocken herauszukommen. „Paß auf, ob nicht eine Welle heranrollt", erwiderte er unbegreiflicherweise. Ich blickte mich um und erstarrte. Von Osten, aus der Weite des Ozeans, eilte eine riesenhafte Welle auf uns zu. Wie eine Wand erhob sie sich vor meinen Augen bis zum wolkenverhangenen Himmel. Es schien, als stießen Meer und Himmel zusammen. Davor aber war der Ozean völlig ruhig, und kein Lüftchen regte sich. Das war besonders schrecklich. Wenn ich mich nicht rechtzeitig umgesehen h ä t t e . . . Ich 51
tauchte blitzschnell in die Luke und schraubte mit fliegenden Händen den Stahldeckel fest. Plötzlich füllte sich der Einstiegsschacht mit Klirren und Getöse. Eine unbändige Kraft riß mich von der Leiter und schleuderte mich nach unten. Im Fallen stieß ich mir den Kopf. Er dröhnte, als sei er aus Metall. Vor meinen Augen flimmerten Regenbogenringe, und weiter erinnere ich mich an nichts. 10 „09.45 Uhr. Koordinaten unbekannt. Verstärkter Seegang. Wir sind gezwungen, aufs offene Meer zu steuern." Ich erwachte von einem stechenden Schmerz im Kopf. Über mich beugte sich Basanow mit einem Jodfläschchen. „Lieg ruhig, die Wunde ist geringfügig. Gleich brennt es noch mal." Es schmerzte so, daß ich mit den Zähnen knirschte und einen Fluch ausstieß. „Ah, du erholst dich ja schnell", bemerkte Basanow bissig. „Na, wie geht's?" fiel nun auch Mischa ein. „Normal. Nur der Schädel brummt fürchterlich." Da brach die zweite Welle über uns herein. Das Bathyscaph wurde wie ein Span hin und her geschleudert. Mischa umarmte mich täppisch, und Basanow stürzte ans Steuerpult. Als die Welle vorbei war, verband mir Mischa den Kopf. Ich war schon wieder so weit aufgelebt, daß ich den Freund erneut zu necken begann: „Na, was haben deine schwimmenden Käferchen vorausgesagt? Daß irgendwo irgendwann ein Erdbeben kommt? Wunderbare Genauigkeit! Das hättest du auch von mir erfahren können. Solange es auf der Erde zwei- bis dreihundert Erdbeben jährlich gibt, bewahrheitet sich meine Prognose immer. Oder willst du jetzt behaupten, deine Mikroben hätten das Nahen des Tsunami gespürt?" Ich konnte wieder kein Ende finden. 52
„Wir werden ja sehen", brummte Mischa. „Du schweig still, du darfst dich nicht aufregen." Und schon brach die dritte Welle über uns herein. Sie war wohl die stärkste. Alles dröhnte, polterte, krachte. Sogar die Wände ächzten kläglich unter den Stößen. Wir kugelten über den nassen Boden, bedacht, uns nicht die Arme zu brechen noch die Köpfe einzuschlagen. Nirgendwo konnte man sich festhalten. Aber wir blieben heil. Auch unser Boot hielt stand. Ich verliebte mich immer mehr in das Schiff. Es war wirklich großartig. Keine der drei Wellen hatte ihm etwas anhaben können! Basanow kletterte in die Deckkabine, um durch die oberen Bullaugen hinauszublicken. Als er zurückkam, sagte er: „Tsunami sind vermutlich keine mehr in Aussicht. Zur Sicherheit werden wir einige Zeit warten, dann kehren wir auf die Insel zurück. Wir müssen die Funkanlage endlich in Ordnung bringen, und das macht sich an Land am besten. Auch die Akkus müssen wir voll aufladen." Wir frühstückten in aller Ruhe, und nach einer Stunde entschloß ich mich, nach oben zu steigen. „Wohin? Willst du wieder herunterfallen?" fragte Basanow. „Ich muß mich doch um meine Insel kümmern, wenn ich sie nun einmal entdeckt habe. Keine Angst, ich falle nicht wieder; jetzt hab ich ja Erfahrung. Und außerdem muß einer nachsehen, was da oben geschieht! Mischa kann Ihnen inzwischen helfen." Ich öffnete den Lukendeckel, lauschte - alles war ruhig. Da schob ich mich bis zum Gürtel hinaus und hielt mit dem Feldstecher nach der Insel Ausschau. Ich war neugierig, wie der Tsunami mit ihr umgegangen war. Obwohl felsig, hob sie sich doch nur wenig aus dem Wasser heraus. Sicherlich waren die Wellen über sie hinweggepeitscht wie über unser Bathyscaph. Kaum hatte ich das gedacht, als das Boot plötzlich stark erzitterte, wie wenn es an ein von Wasser bedecktes Felsenriff stieße. Das Meer ringsum schien zu kochen. Nach allen Richtungen verbreiteten sich die Wellen und prallten mit voller Wucht aufeinander. 53
Auf der Insel brach, von schrecklichem Krachen begleitet, eine feuerrote Flamme empor. Das Eiland verwandelte sich in einen Vulkan, aus dessen Krater ein dunkler, fast schwarzer Dampf- und Aschekegel aufstieg. Er wuchs unheimlich schnell und nahm die bizarren Umrisse eines riesenhaften Tannenbaums mit weit ausgebreiteten Zweigen an. Die Tanne verwandelte sich in einen gigantischen grauen Pilz. Eine neue Flammensäule stieg aus dem Krater und drang durch die niedrig hängende Wolkenschicht. Sie war wohl ein paar hundert Meter hoch. Oh, das war schon nicht mehr zum Spaßen! Daß wir nur nicht von Beobachtern zu Opfern der Katastrophe wurden! Ich stürzte nach unten. „Was ist passiert?" rief Basanow. „Ich weiß nicht. Ein Vulkanausbruch, ein Erdbeben - da kenne sich einer noch aus! Vielleicht ist es der Weltuntergang. Wir müssen weg von dieser verfluchten Insel." „Da seht ihr's! Die Prognose hat sich bewahrheitet. Ich hatte recht!" triumphierte Mischa. „Erst das Beben, dann der Vulkanausbruch." Ich stieg, mich gegen die Wandung stützend, wieder nach oben in die Deckkabine. Aber wo war die Insel? Wo war meine Insel geblieben? Sie war nicht mehr da. Wo sie aus dem Wasser geragt hatte, brannte die Flamme nieder, und alles war von dichtem Rauch umhüllt. Doch was blitzte da vor uns? Wieder ein Vulkan? Das fehlte gerade noch! Da waren wir ja wirklich in einen Feuerring ausbrechender submariner Vulkane geraten! Das Bathyscaph schwankte und schaukelte immer stärker. Beide Motoren liefen mit voller Kraft, trotzdem kamen wir nur sehr langsam aus der Gefahrenzone heraus. „Was ist los?" fragte Basanow durch das Sprachrohr. „Schlechte Sicht. Ständig werden die Bullaugen überflutet. Eine tollwütige Welle breitet sich nach allen Richtungen aus." „Haben wir uns weit von der Insel entfernt?" „Nein, höchstens eine Seemeile. Aber wahrscheinlich gibt es sie gar nicht mehr. Der Vulkanausbruch klingt ab. 54
Dafür glüht rechts am Horizont ein verdächtiger Feuerschein auf. Vielleicht entsteht dort ein Inselchen für Sie, Kommandant!" Mühsam kletterte ich die Leiter hinunter. „Die Wassertemperatur hat sich um fünf Grad erhöht", meldete Mischa. „Wir müssen tauchen." Was sagte Basanow da? Wieder tauchen? Freiwillig, aus eigenem Antrieb in diese verräterische Finsternis, in der wir beinahe umgekommen wären? Ich starrte ihn entgeistert an. Aus meinem Blick sprach die stumme Frage: Und wenn wir wieder nicht heraufkommen? Das Risiko war groß. Unser Bathyscaph war stark mitgenommen. Möglicherweise hatten wir noch nicht einmal alle Schäden entdeckt und würden sie erst unter Wasser bemerken — wenn es zu spät war. Auch Sauerstoff war nur wenig vorhanden. Als wir an der Insel lagen, hatten wir zwar zwei Ballons voll Luft gepumpt, doch das würde nicht lange reichen. Und wenn wir an der Oberfläche bleiben? Die Sturmwellen würden uns durch un,d durch rütteln und schließlich zermalmen. Was war also besser? „Wenn wir tauchen, gelingt uns vielleicht eine Verbindung mit dem Festland", sagte Basanow nachdenklich. „Durch die Tonkanäle?" „Ja. Die Lautsprecher hab ich gereinigt, das akustische System arbeitet normal." „Aber werden die Küstenstationen ein so schwaches Signal auffangen?" Basanow zuckte die Achseln. Die Tonkanäle galten als eine der interessantesten Entdeckungen der letzten Zeit. In allen Ozeanen gibt es an der Grenze von Wasserschichten mit verschiedener Dichte und Temperatur eine Art natürlicher „Sprachrohre", durch die sich Laute über riesige Entfernungen verbreiten. Diese interessante Erscheinung wird bereits erfolgreich für das „Abhören" des Ozeans verwandt. Die Empfangsgeräte, die im Küstenstreifen aufgestellt worden sind, in der Tiefe, in der die Achse des Tonkanals verläuft, können 55
einige Stunden vorher das Wellengeräusch eines sich nähernden Tsunami auffangen oder nach der Detonation einer Signalbombe ermitteln, wo ein Flugzeug abgestürzt ist. Vielleicht fingen die Abhörstationen auch unsere Signale auf? Unser akustisches System war zwar nur für eine Verständigung mit dem über uns schwimmenden Schiff gedacht, unter Umständen aber könnten die Meldungen durch die Tonkanäle bis zur Küste dringen. Basanow trat ans Pult, legte die zerkratzten Hände auf den Lenkknopf. War er feige? Basanow? „Was ist, Kommandant?" Er hob schweigend die Schultern, als werfe er etwas Schweres von ihnen ab, und drückte bedachtsam das Steuer. 11 „17.45 Uhr. Sind wieder aufgetaucht. Koordinaten noch nicht bekannt. Der Himmel nach wie vor wolkenverhangen. Leichter Seegang, Windstärke 2 bis 3." Es war ein schwerer Tag. Dreimal tauchten wir. In gleichmäßigen Abständen berichtete Basanow durch das hydroakustische System über unsere Lage. Aber ob jemand an der Hunderte Meilen entfernten Küste diesen schwachen Hilferuf auffing? Außerdem mußten wir von mindestens zwei Stationen gehört werden, damit unser Standpunkt angepeilt werden konnte. Ich hatte wenig Hoffnung. Unser Luftvorrat ging zu Ende, und wir tauchten wieder auf, um die Ballons nachzufüllen. Das Meer toste immer stärker. Erbarmungslos spielten die Wellen mit dem Bathyscaph. Basanow und Mischa hielten sich noch, aber ich wurde fürchterlich seekrank und spürte dauernd Brechreiz. Alle Gefahren vergessend, wartete ich jedesmal voll Ungeduld, daß wir, wenn auch nur für kurze Zeit, wieder in die ruhige und stille Welt des Wassers hinabtauchten. 56
Mischa nahm unverdrossen Planktonproben und untersuchte sie beim Schein der Lampe. „Na, was sagen deine Käferchen jetzt voraus?" Ich konnte' es nicht lassen, ihn wieder zu hänseln. „Vorläufig verhalten sie sich normal. Wenn meine Hypothese stimmt, ist in der nächsten Zeit in unseren Breiten kein neues Erdbeben zu erwarten.'' „Du sagst das so überzeugt, als wäre deine sogenannte Hypothese längst zu einer allgemein anerkannten Theorie geworden." „Warum nicht?" verteidigte ihn Basanow. „Viele Tiere spüren erwiesenermaßen ein nahendes Erdbeben eher als der Mensch." „Es gibt derartige Beobachtungen", bestätigte Mischa, „nur sind sie noch unzureichend überprüft. Das ist auch verständlich, denn während einer solchen Katastrophe lassen sich kaum Untersuchungen durchführen; man kann nur rückwirkend Einzelheiten zusammentragen. Aber es heißt, einige Stunden vor dem tragischen Erdbeben, das 1963 die jugoslawische Stadt Skopje zerstörte, hätten sich viele Zoobewohner sehr unruhig verhalten. Um Mitternacht, fünf Stunden, bevor das Beben einsetzte, heulte laut eine Hyäne. Dann warfen sich die Tiger und der Löwe in ihren Käfigen hin und her. Plötzlich wurden die Wärter durch ein alarmierendes Trompeten des Elefanten aufgeschreckt. Aber keiner konnte das damals mit dem nahenden Erdbeben in Verbindung bringen. Offenbar spüren Tiere sogar Vulkaneruptionen voraus. Bei einem Ausbruch auf der Insel Martinique verschwand die Stadt St.-Pierre in einer halben Stunde von der Erdoberfläche. In ihren Ruinen grub man später die Leichen von über dreißigtausend Menschen aus und nur eine einzige tote Katze; alle anderen Tiere hatten die zum Untergang verurteilte Stadt rechtzeitig verlassen. Und die Mikroorganismen des Meeres", schloß Mischa begeistert, „müssen gegenüber den Veränderungen des Magnetfeldes, der Gravitation und des Druckes noch weit empfindlicher sein." „Das glaube ich nicht", widersprach ich. „Die Wissenschaft braucht unstrittige Beweise. Was für ein wunder57
bares Organ sollen sie denn haben, deine Käferchen, die nur aus einer einzigen Zelle bestehen, daß sie die verborgenen Spannungen in der Erdrinde wahrnehmen können?" „Wahrscheinlich hängt das von der chemischen Zusammensetzung des Wassers ab. Sie verändert sich, und die Tierchen spüren das, reagieren entsprechend. Auch Veränderungen der Gravitation und des Magnetfeldes müssen durch eine Veränderung der chemischen Vorgänge auf den lebenden Organismus einwirken. Natürlich sind das bisher nur Vermutungen." Mischa seufzte auf. „Es steht viel Arbeit bevor. Da muß präzisiert werden, wie lange im voraus und in welcher Entfernung vom Erdbebenzentrum die Mikroorganismen in die unteren Wasserschichten sinken. Das zu erforschen wird nicht einfach sein. Dazu sind Erdbeben nötig, und ich kann sie doch für meine Beobachtungen nicht aus dem Boden stampfen." „Kommandant, lassen Sie uns wieder tauchen", flehte ich. „Es schaukelt so fürchterlich." „Ja, er hat recht, Konstantin", pflichtete mir Mischa bei. „Mir ist auch schon ganz mulmig. Tauchen wir wenigstens für kurze Zeit." Ich hätte schwören können, daß er nur eine neue Probe seiner Käferchen entnehmen wollte. „Gut", sagte Basanow, „tauchen wir." Und wieder zögerte er unbegreiflicherweise, machte sich lange am Pult zu schaffen. Wirklich, er hatte Angst, unter Wasser zu gehen, unser eiserner Kommandant. Aber warum? Es schien doch alles in Ordnung zu sein? Welche Wohltat, dem Schaukeln zu entrinnen! Wir tauchten nicht tief, nur fünfundvierzig Meter. Auch hier war es still. Mischa beschäftigte sich erneut mit seinen Reagenzgläsern. Ich legte mich schlafen. Wieviel Müdigkeit so in mir steckte! Vielleicht waren das die ersten Anzeichen einer Schlafkrankheit? Ich erwachte, als wir bereits wieder aufgetaucht waren. Das Schaukeln hatte merklich nachgelassen. Also legte sich der Sturm, unsere Gefangenschaft war bald vorüber. Aber wann würde man uns finden? Allein erreichten wir doch nie das Ufer! Und wer wußte, ob nicht bald ein neuer, noch 58
Stärkerer Sturm ausbrach? Schließlich ging es auf den Herbst zu. „Was ist jetzt - Morgen oder Abend?" fragte ich und schickte mich an, die nächste Eintragung ins Schiffstagebuch vorzunehmen. „Abend." Basanow lachte. „Du kannst dich wieder schlafen legen." „Noch nicht, erst muß ich Abendbrot essen. Aber tauchen müssen wir wohl nicht mehr?" „Ich hoffe nicht", erwiderte Basanow. „Mir scheint, darüber freuen Sie sich am meisten, Kommandant. Mir kam es vor, als wurden Sie jedesmal unruhig, wenn wir in die Tiefe sanken. Weshalb? War wieder etwas nicht in Ordnung?" „Nein, die Maschine ist in Ordnung." „Das heißt, Ihnen gingen einfach die Nerven durch?" Er fixierte mich lange mit kummervollem Blick, dann sagte er: „Was bist du doch jung. Ein richtiger Grünschnabel." „Was wollen Sie damit sagen." Er schwieg, während er Zwieback, Schokolade und die Löffel auf das Stück Zelttuch legte, das uns den Tisch ersetzte. Dann öffnete er eine Konservendose und sagte leise, ohne den Kopf zu heben: „Es scheint nur so, mein Junge, als ob wir die Welt auf die gleiche Weise betrachteten. Wann bist du geboren?" „Neunzehnhundertachtunddreißig." „Und ich neunzehnhundertdreiundzwanzig. Fünfzehn Jahre eher als du." „Na und?" „Eben. Während du noch ein kleiner Knirps warst, war ich bereits im Krieg. 1942 bei Rshew verschüttete eine detonierende Granate meinen Unterstand. Ich kam mit dem Leben davon, aber man grub mich erst nach drei Stunden aus. Damit fing es an." „Klustrophobie?" fragte Mischa leise. Basanow nickte. „Ja, richtig, so nennt man das auf lateinisch. Die Krankheit des geschlossenen Raumes." „Und warum wurden Sie dann U-Boot-Fahrer?" 59
„Um mich selbst zu überwinden. Ihr habt nie etwas davon gemerkt, stimmt's? Aber die Erinnerung an jene drei Stunden ist doch noch in mir lebendig. Der Teufel weiß wo — in den Muskeln, den Knochen, im Blut, in den Nerven?" Er verstummte, und wir schwiegen ebenfalls. Ich stellte mir vor, was er hatte durchmachen müssen, als er sich zwang, in dieser engen Blechbüchse zu tauchen. Und das nach all dem, was wir erlebt hatten. Sicherlich nahm es ihm jedesmal den Atem, und er fühlte die Stahldecke auf seinen Schultern lasten. Die Wände schoben sich zusammen, drohten ihn zu erdrücken. „Sie sind ein tapferer Mann, Kommandant", sagte ich. Er lachte unfroh. ..Tapferkeit, Jungs, das ist einfach die Kenntnis dessen, was man fürchten muß und was nicht. Na, wollen wir essen." Nach dem Abendbrot beschloß ich hinaufzusteigen, um meine Nase ein wenig in die frische Luft zu halten. Das Meer war finster, aber verteufelt schön. Von Osten rollten leichte Wellen heran, die unser Boot sanft wiegten. Der Wind hatte sich fast gelegt. Wahrscheinlich würde er die Wolkendecke am Morgen wieder nicht zerteilen. Wenn es uns nicht gelang, endlich die Funkanlage in Ordnung zu bringen und mit der „Bogatyr" zu sprechen, mußten wir einen weiteren Tag auf dem Ozean verbringen. Über die Tonkanäle hatte uns gewiß keiner gehört. Mischa zupfte mich am Bein. „Laß mich auch mal Luft schnappen." Ungern trat ich ihm meinen Platz ab. Ich wollte schon unter ihm die Luke schließen, damit die Kabine nicht auskühlte, als er sich mit einemmal niederbeugte und in den Schacht hineinschrie: „Ein Flugzeug!" „Wo?" Ich stürzte eilig zu ihm hinauf. Zu zweit in der Deckkabine Platz zu finden war nicht leicht. Wir stajiden Arm in Arm, eng aneinandergepreßt. Ja, aus den Wolken drang dumpfer Motorenlärm heran. Ein Flugzeug! Also hatten sie uns gehört, suchten uns! Die Maschine war infolge der Wolkendecke nicht zu sehen, und dem abklingenden Geräusch nach zu urteilen, entfernte sie sich schon wieder. 60
„Konstantin, die Leuchtpistole!" rief ich hinunter. Basanow reichte sie mir herauf. Ich faßte sie mit beiden Händen und drückte ab, wobei ich auf das verklingende Motorengeräusch zielte. Das Aufflammen der Rakete war nicht zu sehen; die Wolkenschicht verdeckte alles. Da schoß ich erneut. Dann ein drittes, ein viertes Mal. Basanow rief etwas von unten, während ich schon wieder den Abzugsbügel drückte. Aber statt des donnernden Schusses vernahm ich nur ein trockenes metallisches Klicken. „Geben Sie noch Raketen, Kommandant!'' „Mehr sind nicht da. Ich hab dir doch zugerufen, du sollst damit haushalten", klang es dumpf von unten. „Komisch", murmelte Mischa. Ich setzte die Mütze ab und wandte lauschend den Kopf nach. allen Seiten. Es war völlig still. Das Flugzeug war weggeflogen, ohne die Signale bemerkt zu haben. Raketen hatten wir nicht mehr, und die Sendeanlage funktionierte nicht. Mit einem Seufzer wollte ich, unser Mißgeschick verfluchend, die Treppe hinabsteigen. Da packte mich Mischa an der Schulter. „Es kommt zurück! Hört ihr?" Ja, das war schwaches Motorengebrumm. Jetzt kam es näher. Aber was nützte das? Man würde uns durch die Wolkenschicht doch nicht sehen. Da stieß das Flugzeug plötzlich aus den Wolken hervor, aber keineswegs dort, wohin wir, durch das Geräusch desorientiert, geblickt hatten. Im Tiefflug, fast das Wasser berührend, kam es auf uns zu. Der Pilot hatte die Raketen gesehen. Wir waren gerettet!
Abgemacht! 1 Am Abend gab auf Drängen des Expeditionsleiter der Kandidat der biologischen Wissenschaften Mischa Agejew in der Mannschaftsmesse des „Bogatyr" einen kurzen Bericht über seine Beobachtungen am Verhalten einiger Mikroorganismen des Planktons und seine daraus entwikkelte Hypothese. Mischa trug einen schwarzen Anzug, hatte sich sorgfältig rasiert und sogar den widerspenstigen Haarschopf gebändigt. Während des Vortrages zauste er sich aber so häufig am Kopf,~daß die Frisur bald wieder die gewohnte Form annahm. Das Referat war schon fast vorbei, als der diensthabende Funker in die Kajüte trat und sich zum Expeditionsleiter durchzwängte. Wortlos hielt er ihm einen Zettel unter die Nase. Der Alte blickte ihn wütend an, schnaufte laut, bezähmte sich dann aber und setzte die Brille auf. Nachdem er das Papier studiert hatte, räusperte er sich laut und blickte den Referenten an. Mischa hielt mitten im Wort inne. „Sagen Sie, Agejew", begann der Alte, winkte jedoch ab< ohne den Satz zu beenden. „Na gut, machen Sie weiter." Mischa fuhr unsicher fort, aber der Alte unterbrach ihn aufs neue: „Agejew, wann haben Sie das letzte Mal nach Ihren Mikroben gesehen?" „Das letzte Mal? Bevor ich hierherging." „Also vor ungefähr einer Stunde?" i „Ja. Weshalb, Grigori Semjonowitsch?" „Und wie benahmen sich die Tierchen?" „Normal. Sie hielten sich etwa in der Mitte des Glases auf. Aber was soll das bedeuten?" „Das bedeutet, mein verehrter Forscher, daß Ihre Hypothese keinen Pfifferling wert ist!" schrie der Alte und schwenkte das rätselhafte Papier. „Sie singen hier wie eine Nachtigall, wir alle spitzen die Ohren, und zur selben Zeify 62
vor vielleicht fünf Minuten, fand vierzig Meilen von hier ein weiteres Erdbeben statt. Ich erhielt soeben eine Kopie des Seismogramms." • Die nun folgende stumme Szene wirkte überaus malerisch. Der Referent stürzte Hals über Kopf zur Tür. 2
„Sie sind tot", sagte Mischa finster. Er stand mitten in der Kajüte und hielt das Reagenzglas in der Hand. „Alle. Keinerlei Lebenszeichen. Komisch." Basanow und Sergej sahen ihn mitfühlend an.. „Wann ist das nur passiert?" murmelte Mischa und hielt das Glas ans Licht. „Ich hätte das Wasser öfter erneuern sollen. Sobald kein frisches Seewasser mehr zuströmt, verändert sich natürlich das Milieu. Wie hab ich das nur außer acht lassen können!" „Nun, sei nicht traurig", ermunterte ihn Basanow. „Morgen tauchen wir und holen dir neue." „Richtig", fiel auch Sergej ein. „Hauptsache, du behältst recht. Der Mißerfolg beweist es sogar. Deine Käferchen konnten das Erdbeben nicht voraussagen, weil sie tot waren. Ein unanfechtbarer Beweis!" Er nahm Mischa vorsichtig, wie dem Kind ein gefährliches Spielzeug, das Reagenzglas aus der Hand und blickte sinnend in das getrübte Wasser. „Hör mal, mein Lieber, hast du eine biochemische Analyse vorgenommen?" „Dazu "bin ich noch nicht gekommen." „Tu das. Mit den Käfern ist das nicht das Richtige, sie sind zu zart und empfindlich. Wir müssen versuchen, ohne sie auszukommen." „Wie das?" „Ein Modell mußt du schaffen, Freund. Wozu taugen sie schon, deine Mikroben? Du wirst ja doch nicht die ganze Zeit vor ihnen sitzen, um den Moment des Erdbebens nicht zu verpassen, und sie noch dazu pausenlos mit frischem Wasser versorgen. Wir werden künstliche schaffen. Übrigens brauchen wir diese Mikroben gar nicht so genau nach63
zubilden. Einen Roboter stattet man auch nicht mit Augen. Armen, Beinen und anderen menschlichen Details aus. Ein modellierter Chemismus - das ist's, was wir benötigen. Ich denke, mit vereinten Kräften werden wir ein biochemisches Milieus entwickeln, das genauso auf ein nahendes Erdbeben reagiert wie diese Käferchen." „Eine ausgezeichnete Idee!" Basanow klopfte, wie um dieses Bündnis zu bekräftigen, mit einer Hand Mischa, mit der anderen Sergej auf die Schulter. „Und ich verbinde euch das künftige Voraussagegerät mit einer so lauten Klingel oder Alarmanlage, daß von einem drohenden Erdbeben sogleich die halbe Welt erfährt!"
Am 18. Juni dieses Jahres fand laut vorgesehenem Programm die abschließende Erprobung des Geräts ,,AEA-2" (Automatischer Erdbebenanzeiger) statt, das von M. A. Agejew, K. I. Basanow und S. N. Wetrow konstruiert worden war. Ein Erdbeben der Stärke vier, dessen Zentrum in einer Tiefe von 60 bis 70 Kilometern im Gebiet der Insel Paramuschir lag, zeigte» das Gerät 14 Stunden 16 Minuten vorher an. Aber Mischa war schon wieder von einem neuen Gedanken ausgefüllt. „Wir müssen lernen, die Erdbeben von vornherein auszuschalten", sagte er zu seinen Freunden. „Oho, er hat keinen üblen Geschmack", bemerkte Sergej. „Der Appetit kommt beim Essen!" Basanow lachte und faßte die beiden Freunde um die Schultern. „Ich muß gestehen, daran habe ich selbst auch schon gedacht. Und ich hab sogar eine Idee. Aber sie muß noch hundertfach überprüft werden, und bis dahin heißt es stillschweigen. Abgemacht?" „Abgemacht, Kommandant!"
D I A G O N A L R Ä T S E L
a - a — a — a —a - a - a - a - a—a - a - a - a - a - a - b - b - b - c - e - e - e - e - e - e - e f - f — h — h — i — i — i — i — i — i — i—k — k — k — k—I — I — t — I — I — I — m — m — m — m — n o - o - p - p - p - r - r - r - r - r - r - s - s - s - t - t - t - t - t - t - t - t - t - t - u - v - w Man setze in die waagerechten Spalten je zwei fünfbuchstabige, aus den obigen Buchstaben gebildete Wörter folgender Bedeutung ein: 1. Masseneinheit für Edelsteine- Genußmittel, 2. Färbverfahren für Textilien - Hauptstadt der Tatarischen ASSR, 3. Kopfbedeckung - männliche Ente, 4, Vogelart-französischerZeichner und Karikaturist, 5. Brettspiel - vergletschertes Gebirge in Westsibirien, 6. Rennbeginn Titelgestalt eines Jugendbuches von Renn, 7. Nebenfluß der Elbe - südostspanische Industriestadt, 8. Fluß im Banat - fließendes Gewässer, 9. festgesetzte Gewichts- oder Betragsgrenze sowjetischer Kosmonaut. Der Buchstabe des Mittelfeldes ist beiden Wörtern gemeinsam. Die beiden Diagonalen, von oben nach unten gelesen, ergeben den nördlichsten Vorsprung Alaskas und den südlichsten Vorsprung Grönlands. Auflösung im nächsten Heft Auflösung des Rätsels aus Heft 14 Waagerecht: 1. Wasser, 5. Pascal. 8. Ufa, 9. Madrid. 10. Pendel, 11. eau, 13. Las Palmas, 17. Kap, 19- Bar, 2 1 . La Rochelle. 27. der, 28. Stunde, 29. Dattel, 30. Lie. 3 1 . Fliege, 32. Norden. Senkrecht: 2. Adana, 3. Sirup, 4. Rudel, 5. Papua, 6. Sand, 7. Arena, 12. Ampere. 13. Laub, 14. Ster, 15. Adel, 16. Stich, 17. KraT, 18. Pole, 20. Artel, 22. Adele, 23. Orden, 24. Euter, 25. Leere, 26. Ende.