David Case
DER ENTFESSELTE DÄMON inkubus. Die sexuelle Beziehung zu Dämonen. Kann sie Wirklichkeit werden, oder ist si...
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David Case
DER ENTFESSELTE DÄMON inkubus. Die sexuelle Beziehung zu Dämonen. Kann sie Wirklichkeit werden, oder ist sie nur ein Wahn, aus Alpträumen geboren? Und kann man ihr mit den Mitteln der Psychologie und Wissenschaft begegnen? Fragen, die sich der Arzt Dr. Pope Mitte des letzten Jahrhunderts stellen muß, als er die Behandlung einer jungen Frau übernimmt, deren Psyche sich in kürzester Zeit dramatisch verändert hat. Begleiten Sie ihn auf seiner Reise an die Grenzen des menschlichen Verstandes, wo Logik und medizinisches Wissen bedeutungslos werden und andere, höllische Gesetze gelten. Ein grausiges Vergnügen und düstere Träume bei diesem außergewöhnlichen und großartigen Roman wünscht Ihnen Ihr DÄMONEN-LANDRedakteur Dieser Roman erschien erstmals 1979 als VAMPIR Horror-Roman 344
Scanned March 2005 by Binchen71 Not for sale
Mein erster Eindruck von Fengriffen House legte den Vergleich mit einem Skelett nahe. Ich sah das Gebäude vom Wagen aus. Es zeichnete sich vor einem wildromantischen Sonnenuntergang ab wie die geschwärzten Knochen eines monströsen Lebewesens, etwa eines Sauriers, der in grauer Vorzeit in diesem öden Moor gewandert war und sich hingelegt hatte, um zu sterben. Wir kamen aus östlicher Richtung. Die Straße wand sich wie eine Schlange zwischen den Hügeln hindurch. Der Sonnenuntergang bildete für das Haus den Hintergrund. Die dunklen Wolken schienen mit einem blutroten Horizont im Westen zu kollidieren. Der obere Rand der Mauer und die Spitzen der höchsten Bäume waren in goldenes Licht getaucht, während die übrige Landschaft bereits in der Dämmerung versank. Ich bin ein Mann der Wissenschaft, von Launen unabhängig und verrückten Einfällen nicht zugänglich, doch als ich auf dieses bemerkenswerte Gebilde starrte, hatte ich ein Gefühl wie von nahendem Unheil, eine Vorahnung von einem katastrophalen Geschick. Eine volle Minute lang starrte ich gebannt nach vorn, bis ich mich soweit in der Gewalt hatte, daß ich über meinen unverhofften Mangel an Nüchternheit lächeln konnte. Ich beugte mich zu dem Fahrer vor. Er wartete nicht auf meine Frage. »Ja, das ist Fengriffen«, sagte er. Er knallte mit der Peitsche. Ich lehnte mich zurück. Der Wind rauschte in den Bäumen. Vielleicht war es die kalte Luft, die mich frösteln ließ. *** Der Wagen beschrieb einen Bogen und hielt vor dem Vordereingang, einem steinernen Rundbogen, in den eine schwere hölzerne Tür eingelassen war. Als wir auf die Tür zugingen, wurde diese lautlos geöffnet. Ein Diener, vom Alter gebeugt, nahm mir den Hut und Stock ab und befreite den Fahrer von meinem Gepäck. Der Fahrer kehrte zu seinem Wagen zurück, und ich schritt ins Haus. »Sie sind gewiß Dr. Pope?« sagte der Diener. »Ja.« »Der Herr erwartet Sie in der Bibliothek. Wenn Sie mir bitte folgen wollen, Sir?« Er führte mich durch getäfelte Korridore, die so lang und breit waren, daß die Ecken im Dunkeln lagen, und klopfte dezent an eine Tür. Eine Stimme rief: »Herein!«
Der Diener öffnete die Tür und wich zur Seite. Ich betrat einen eindrucksvollen Raum aus Eiche und Leder. Charles Fengriffen kam mir entgegen und streckte die Hand aus. »Dr. Pope, ich freue mich, daß Sie so prompt gekommen sind.« Sein Händedruck war fest und trocken. Fengriffen war ein großer, hagerer Mann mit aristokratischem Gesicht und einer Liebenswürdigkeit, die stärker war als seine angeborene und anerzogene Arroganz; aber unter der glatten und förmlichen Oberfläche wirkte er angestrengt, und hinter seinen Augen lauerte eine Spur von Verzweiflung. Ich war darüber kaum überrascht, schließlich hatte er mich nicht grundlos aus London zu sich gerufen. »Ich hoffe, Sie hatten eine angenehme Reise«, sagte er. »Ich kann mich nicht beklagen.« »Und hoffentlich war die Reise nicht vergeblich . . .« Er bot mir einen Sessel am Kamin an. »Vermutlich sind Sie müde und hungrig«, sagte er. »Vielleicht sollten Sie, ehe wir uns unterhalten . . .« »Ich bin mehr neugierig als müde.« »Neugierig?« Ich nickte. »Woher kannten Sie meinen Namen, Sir?« »Der Arzt im Dorf hat Sie mir empfohlen. Dr. Whittle. Ein guter Mann, der imstande ist, einen gebrochenen Arm zu schienen, aber unbewandert in der neuen und modernen Technik der - der . . .« »Psychologie.« »Ja. Dr. Whittle hat von Ihren Studien in Leipzig gehört und von Ihren Erfolgen, und er hat mir vorgeschlagen, mich Ihrer Hilfe zu versichern.« »Das ist ungewöhnlich. Die wenigsten Landärzte haben Vertrauen zu meiner Wissenschaft, nur sehr wenige haben überhaupt von ihrer Existenz gehört.« »Wie ich sagte - Whittle ist ein tüchtiger Mann, und er weiß um seine Grenzen.« »Und das Problem?« Fengriffen gestikulierte kraftlos. »Ich bin nicht sicher, Sir. Jedenfalls fühle ich mich hilflos, ich bin auf Unterstützung angewiesen und hoffe, daß Sie mir diese Unterstützung geben können. Sie werden mich nicht undankbar finden . . .« Ich hob abwehrend die Hand. In solchen Fällen ist es nicht angebracht, vorher über das Honorar zu sprechen. »Sie haben in Ihrem Brief Ihre Frau erwähnt.«
»Ja. So ist es.« »Und Ihre Frau - ist leidend.« Er nickte. »Ich vermute, sie ist im Begriff, den Verstand zu verlieren.« »Was veranlaßt Sie zu dieser Annahme?« fragte ich. »Da sind gewisse Symptome, eine gewisse Veränderung in ihrem Verhalten mir gegenüber, eine plötzliche Gleichgültigkeit für alles, was sie vorher interessiert hat. Sie müssen verstehen — wir haben einander sehr geliebt. Seit sie schwanger ist, haben die Symptome sich verstärkt.« »Das ist bei einer Schwangerschaft nicht selten.« »Aber diese Veränderung ist nicht normal. Meine Frau scheint mich zu verabscheuen, manchmal sogar zu fürchten. Ich habe sie oft ertappt, wenn sie mich mit unverhülltem Haß betrachtet, wie sie sich selbst betrachtete, ihren geschwollenen Leib, und ihr Gesicht war zu einer unmenschlichen Grimasse verzerrt. Ich habe den Verdacht, daß sie mein Kind nicht will, was mit ihrer gestorbenen Liebe zu mir zu erklären wäre, aber eben dafür gibt es keinen ersichtlichen Grund, keine Berechtigung, und ich bange wirklich . . .« »Sir, Ihnen muß klar sein - ich bin Arzt und Psychologe, aber kein Eheberater.« »Ja, ja. Das ist mir klar. Vielleicht werden Sie den Eindruck gewinnen, daß meine Frau mich nicht mehr liebt. Vielleicht ist dies der Eindruck, den ein objektiver Beobachter haben muß. Aber ich kenne Catherine - das heißt, ich habe sie gekannt, und wir waren sehr glücklich. Ihr Verhalten ist mir unverständlich. Wenn Sie wenigstens dieses Geheimnis enträtseln, die Ursache finden . . .« »Ich werde tun, was in meiner Macht steht. Weiß Ihre Frau, weshalb ich hier bin?« »Sie weiß, daß Sie Arzt sind. Ich habe Sie über - über Ihre Studien nicht unterrichtet. Möchten Sie mit ihr sprechen?« »Alles zu seiner Zeit. Wird sie mit uns essen?« »Wenn Sie es für richtig halten.« »Ja. Oft ist es besser, einen Menschen zu beobachten, bevor man versucht, zum Ursprung der Krankheit vorzudringen. Auf diese Art kann man sich unvoreingenommen eine Meinung bilden. Wenn Sie mir jetzt meine Zimmer zeigen könnten . . .« *** Mrs. Lune war eine ältliche Frau mit massivem Kinn. Sie ging vor mir
eine breite Treppe hinauf und hielt die Kerze vor sich wie eine Waffe eine wirkungslose Waffe gegen die schwarzen Schatten in diesem riesigen Gebäude. Am Ende der Treppe bogen wir in einen langen Korridor ein, der als Bildergalerie diente. Zu beiden Seiten hingen Porträts der Familie Fengriffen. Ich blieb ein wenig zurück, mich interessierte die auffallende Ähnlichkeit dieser Gesichter. Mrs. Lune blieb stehen und wandte sich zu mir, um mir zu leuchten. Die Gesichter der Fengriffen starrten auf mich herunter. An jedem Rahmen war ein kleines Schild mit Namen und Daten des Porträtierten angebracht. Die Bilder waren in chronologischer Reihenfolge aufgehängt, und zwar in regelmäßigen Abständen. Eines der Bilder fehlte; an der Wand war ein helles Rechteck, als wäre das Gemälde erst kürzlich entfernt worden. »Einer der Ahnen scheint vermißt zu sein«, sagte ich. »Ja, Sir«, sagte Mrs. Lune und fügte schnell hinzu: »Ihr Zimmer ist hier, Sir.« Sie öffnete eine Tür auf der anderen Seite der Galerie. Dann trat sie zurück und wartete. Ich ging nicht in das Zimmer, sondern daran vorbei zum nächsten Porträt, das zugleich das letzte war. Es stellte meinen Gastgeber, Charles Fengriffen, dar. Er hatte auf der Leinwand mehr Ähnlichkeit mit seinem Vater als in Wirklichkeit, denn auf dem Bild hatte er die steife Pose und Leblosigkeit der übrigen Fengriffens. Nach der Reihenfolge zu urteilen, war das fehlende Bild das von Charles Fengriffens Großvater. »Was ist mit dem fehlenden Bild passiert?« fragte ich. »Ich weiß es nicht, Sir«, sagte Mrs. Lune. Meine oberflächliche Neugier verwandelte sich in Mißtrauen, denn es war kaum möglich, daß diese Frau über einen solchen Fall, der den Haushalt betraf, dem sie offenbar vorstand, nicht informiert war. »Vielleicht ist es abgenommen worden, um restauriert zu werden?« »Das kann sein, Sir.« Ich begriff, daß sie entschlossen war, nicht mehr zu sagen. Ich zuckte mit den Schultern und ging an ihr vorüber in die Zimmer, die mir für die Länge meines Aufenthalts zugedacht waren. Mrs. Lune trat hinter mir ein und beschäftigte sich, obwohl es für sie keine Beschäftigung mehr gab. Das Feuer im Kamin brannte, die Kerzen waren angesteckt, die Gardinen waren geschlossen und das Bett war zurückgeschlagen. Mrs. Lune stocherte im Kamin, klopfte auf die Laken, zupfte an den Vorhängen und rückte die Kerzen zurecht.
»Ist das alles, Sir?« fragte sie schließlich. »Ja, es ist alles in Ordnung.« Sie ging zur Tür und zögerte. Sie hielt die Kerze so, als wolle sie sich dahinter verstecken. Ihre Augen lagen tief in den Höhlen und glitzerten. »Hier wird kein Arzt gebraucht«, sagte sie. »Wie darf ich das verstehen?« »O Sir, dafür bin ich nicht zuständig«, erwiderte Mrs. Lune todernst. Sie verließ das Zimmer und zog die Tür hinter sich zu. *** Catherine Fengriffen begrüßte mich höflich, aber mit einer Kälte, die mit einer etwaigen natürlichen Zurückhaltung einem Fremden gegenüber allein nicht zu erklären war, einer Kälte übrigens, die angesichts der Tatsache, daß Catherine Fengriffen mich lang und anscheinend nachdenklich musterte, ein wenig befremdlich wirkte. Ich fühlte mich peinlich berührt. Endlich wandte sie sich von mir ab und betrachtete ihren Mann mit einem ähnlich eindringlichen Blick; sie kehrte mir dabei das Profil zu, und ich stellte fest, daß sie eine bemerkenswert schöne Frau war, aber diese Schönheit war mir entgangen, solange sie mich angesehen hatte. Die Schönheit war zweifellos vorhanden, aber sie wurde von Catherine Fengriffens Gesichtsausdruck bis zur Unkenntlichkeit reduziert. Sie war jünger als ihr Mann. Ihre Haut war glatt und gepflegt und wies keinerlei Unregelmäßigkeiten auf, zugleich war sie angespannt und wie verzerrt. Die Haltung der Frau war frei und aufrecht, trotzdem vermittelte sie den Eindruck, Catherine Fengriffen trüge eine Last auf den Schultern. Ihre Augen glänzten, aber es war der Glanz der Sonne an einem diesigen Tag. Ihre Schwangerschaft war weiter fortgeschritten, als ich vermutet hatte. Ein wenig unerwartet wandte sie sich wieder an mich. »Sie kommen aus London. Eine bestimmt ermüdende Reise.« Ihr ironischer Tonfall gab mir zu verstehen, daß sie meine Reise für reine Zeitverschwendung hielt, und sie erwartete auch keine Antwort. Wir gingen ins Eßzimmer und begannen zu speisen. Mehr um die Unterhaltung in Gang zu halten, die ständig zu versiegen drohte, als aus wirklicher Anteilnahme, lenkte ich das Gespräch auf die Ahnengalerie im ersten Stock. »Mir sind die Bilder aufgefallen«, sagte ich. »Es ist anscheinend eine vollständige Historie der Fengriffens . . .«
Catherine sah mich scharf an, und Charles beschäftigte sich hastig mit seinem Weinbecher. »Ich habe nicht gezählt«, sagte ich. »Wie weit reicht diese Sammlung in die Vergangenheit zurück?« »Zwölf Generationen«, sagte Fengriffen. »Eine lange Zeit.« »Eine Art Familientradition. Ich habe mein eigenes Porträt hinzugefügt, vielleicht ist es Ihnen aufgefallen.« »In der Tat. Bei den männlichen Familienmitgliedern ist eine beachtliche physische Ähnlichkeit festzustellen. Ganz ungewöhnlich.« Er nickte. »Ich möchte nicht sagen, daß Porträts in diesem steifen Stil meinem Geschmack entsprechen, aber ich wollte die Einheitlichkeit nicht zerstören.« Catherine starrte mich nach wie vor an. »Ich finde diese Ähnlichkeit eher beunruhigend«, sagte sie. »Wirklich? In welcher Beziehung?« fragte ich. »Vielleicht ist nichts dagegen einzuwenden, wenn jemand aus einer alten Familie stammt und stolz ist auf sein Blut, aber ein Mensch sollte ein Individuum sein, nicht nur ein Glied in einer Kette.« »Jeder Mensch ist ein Glied in einer Kette«, sagte ich. »Natürlich kann er auch mehr sein, es kommt auf ihn an.« »Ich habe mich ungeschickt ausgedrückt«, sagte Catherine. »Wenn eine so starke äußerliche Ähnlichkeit vererbt wird, heißt das nicht, daß auch andere Eigenheiten vererbt werden, etwa der Charakter? Die schlechten Eigenschaften nicht anders als die guten?« »Catherine . . .«, mahnte Fengriffen. »Es kann so sein«, sagte ich, »aber es muß nicht.« Sie lächelte. »Ich beuge mich Ihren überlegenen Kenntnissen«, sagte sie. »Ich habe mich mit Vererbung beschäftigt«, sagte ich. »Davon bin ich überzeugt, Doktor«, sagte sie. »Das Thema interessiert mich nicht.« Fengriffen wandte sich zu ihr und wollte etwas sagen. Ihre Unhöflichkeit war ihm deutlich unangenehm, doch ich hielt es für zweckmäßig, diese Linie der Konversation zu verlassen. So kam ich ihm zuvor. »Zwölf Generationen, sagen Sie? Ist die Galerie für diese Periode komplett?« Er sah mich verwirrt an und nickte. »Aber ein Platz ist leer«, sagte ich.
»Das ist richtig. Wir haben dieses Bild weggegeben, um es reparieren zu lassen. Ein kleines Mißgeschick. Jemand vom Personal ist mit einem schweren silbernen Leuchter gestolpert. Sie werden bemerkt haben, wie finster es in der Galerie abends ist. Jemand ist gestolpert und gegen das Bild gefallen. Der Leuchter hat ein Loch in die Leinwand gerissen. Wir mußten das Bild abhängen.« »Aha. Darf ich fragen, welchen Vorfahren das Bild darstellt?« »Meinen Großvater«, sagte Charles. »Henry Fengriffen«, erläuterte Catherine. Charles runzelte die Stirn. Anscheinend gefiel Catherines Ton ihm nicht. Sie hatte den Namen hervorgestoßen wie einen Fluch. Sie lächelte, ein bitteres, spöttisches Lächeln, das ausschließlich ihrem Mann galt, während Jacob, der Diener, zwischen ihr und ihm hantierte und das Geschirr abtrug. Catherine entschuldigte sich und zog sich wieder zurück. Fengriffen und ich gingen wieder in die Bibliothek. Der Wind heulte ums Haus, aber das Feuer im Kamin verbreitete eine gewisse Behaglichkeit. Fengriffen setzte sich mir gegenüber. Er streckte die Beine von sich und legte die Hände auf die Armlehnen des Sessels. Sein Gesicht war beherrscht, aber für meinen Geschmack beinahe zu ausgeglichen. »Jetzt haben Sie meine Frau gesehen«, sagte er. Ich nickte. »Haben Sie ihr Benehmen nicht auch als - unnormal empfunden?« »Vielleicht ein wenig distanziert.« »Ja, natürlich, aber Sie haben sie früher nicht gekannt. Sie können sich nicht vorstellen, wie radikal sie sich verändert hat. Sie war warmherzig und liebenswürdig, fast das genaue Gegenteil von dem, was sie heute ist.« »Aber ein verändertes Benehmen lässt nicht auf eine Geisteskrankheit schließen, jedenfalls nicht unbedingt.« »Ich verstehe«, sagte Fengriffen. »Sie glauben, sie hat lediglich aufgehört, mich zu lieben.« Ich fand das Wort >lediglich< bemerkenswert. Ich sagte: »Wenn sie aufgehört hat, Sie zu lieben, muß es dafür einen Grund geben. Meine Absicht ist, verschlungene Fäden einer psychischen Entwicklung zu verfolgen und Fehlentwicklungen nachzuspüren. Mit der Erkenntnis kommt häufig die Heilung. Mehr kann ich nicht tun. Ich kann Ihre Frau nicht nötigen, Sie zu lieben, wenn sie dazu nicht freiwillig bereit ist.« »Das erwarte ich auch nicht.«
»Vielleicht müssen auch Sie sich ändern . . .« Er schüttelte den Kopf. Ich war mir nicht sicher, was er mit dieser Geste verneinen wollte. »Sie werden keine voreilige Diagnose stellen?« fragte er. »Sie werden mit Catherine sprechen?« »Natürlich.« »Vermutlich allein?« »Wahrscheinlich. Aber vorher möchte ich gern Ihnen zuhören, um eine Basis zu bekommen, auf der ich aufbauen kann. Erzählen Sie mir, wie Sie Ihre Frau kennengelernt und weshalb Sie geheiratet haben.« Fengriffen sog an seiner Zigarre und lehnte sich zurück. Er schloß die Augen. Nach wenigen Minuten begann er zu sprechen. »Ich wurde hier im Haus geboren. Meine Mutter starb, als ich noch ein Kind war, daher habe ich nur eine bruchstückhafte Erinnerung an sie. Ich verbrachte meine Kindheit und Jugend in dieser Umgebung, und ich glaube, daß es eine glückliche Zeit war. Diese Jahre vergingen, und ich wurde ein junger Mann. Ich beschloß, das Leben kennenzulernen. Ich mietete mir eine Wohnung in London. Mein Vater hatte nichts dagegen, tatsächlich fand er meinen Einfall vorzüglich und stattete mich mit einem reichlichen Einkommen aus. So verließ ich also zum erstenmal dieses Haus. Der Charme der Stadt nahm mich sofort gefangen. Ich glaube, ich war ein entsetzlicher Verschwender. Ich glitt von einem Vergnügen zum nächsten und ergötzte mich an den Wonnen der Gewöhnlichkeit. Natürlich war mir dies ständig bewußt, obwohl ich heute diesen Abschnitt meines Lebens aus einer anderen Perspektive betrachte. Vielleicht könnte man mich als einen skrupellosen Schürzenjäger bezeichnen. Ich war ein typischer junger Mann, und ebenso typisch hielt ich mich für absolut einmalig. Ich hätte mir nicht träumen lassen, daß ich nur durchmachte, was die meisten Männer durchmachen.« Er schwieg und dachte nach. Ich war eingenommen von dieser klaren und ehrlichen Selbstanalyse und von seinem erkennbaren Mangel an Schuldgefühlen, die in vielen Menschen erwachsen, wenn sie es nicht vorziehen, jene Periode ihrer Entwicklung ins Unterbewußtsein zu verdrängen. »Sprechen Sie weiter.« »Ich trank zuviel und spielte um beachtliche Summen, aber ich geriet weder in Schulden noch in andere Schwierigkeiten. Ein Teil meines Verstandes blieb stets so weit nüchtern, daß ich mich zügeln konnte,
trotzdem führte ich ein nach normalen Maßstäben wildes Leben. Ein Teil dieses Lebens waren natürlich die Frauen von zweifelhaftem Ruf.« Fengriffen lächelte. »Catherine wußte von diesen Frauen, bevor wir heirateten«, sagte er und beantwortete damit eine Frage, die ich nicht gestellt hätte. »In London bin ich ihr zum erstenmal begegnet, das war - warten Sie -, ja, es muß sieben oder acht Jahre nach meiner Ankunft gewesen sein. Ich war von ihrer Schönheit sofort beeindruckt, aber damals war ich an weniger dauerhaften Beziehungen als einer Heirat interessiert, und offensichtlich gehörte Catherine nicht zu den Frauen, die man - Sie verstehen? Wir wurden Freunde, und zwischen uns bestand eine große Zuneigung, aber nicht mehr - jedenfalls nichts, das man in Worte fassen könnte, obwohl ich zu der Ansicht neige, daß der Keim zu unserer Liebe gesät wurde, lange bevor wir ihn erkannten. Catherine war über das Leben, das ich führte, unterrichtet und betrachtete es, falls überhaupt, mit einer Art amüsierter Toleranz. Unerwartet ist mein Vater gestorben, und ich fand mich im Besitz dieses beachtlichen Erbes und hatte das Gefühl, ein Versager zu sein. Ich hatte meinen Vater einige Jahre nicht besucht und bedauerte jetzt meine Nachlässigkeit. Ich begriff plötzlich, wie schäbig ich durch mein wüstes Leben geworden war, und verstand, daß es an der Zeit war heimzukehren. Ich tat es. Aber ich war noch nicht ganz einen Monat hier, als die Einsamkeit mein Glück zu überschatten begann. Ich entschloß mich, mir eine Frau zu suchen, und erinnerte mich spontan an Catherine. Sie war begabt, reizend, charmant und schön - alles, was ein Mann sich wünschen konnte. Ihre finanziellen Mittel waren beschränkt, aber ihre Familie war alt und von ausgezeichnetem Ruf. Geld bedeutete mir wenig. Ich hatte bei weitem mehr Geld, als ich einigermaßen vernünftig ausgeben konnte.« Er machte eine vage Bewegung mit der Hand, in der er das Glas kostbaren Armagnac hielt, in die Richtung zur Bibliothek. »Ich vermutete, daß Geld auch für Catherine nicht viel bedeutete und der Gedanke daran ihre Entscheidung nicht beeinflussen konnte. Ich liebte sie, davon war ich jetzt überzeugt, und schmeichelte mir, von ihr gewiß wiedergeliebt zu werden. Vielleicht war dies mein Irrtum. Ich bete zu Gott, daß ich mich nicht geirrt habe. Die Alternative - sie wäre schwer zu ertragen.« Fengriffens Gesicht umwölkte sich, während er stumm seine Gedanken wälzte. »Es war seltsam, wie plötzlich ich mir meiner Liebe bewußt wurde, wie
mir unvermittelt klar wurde, daß ich meine Gefühle für sie verfälscht hatte, indem ich sie für Freundschaft hielt. Ich reiste unverzüglich nach London und machte Catherine einen Antrag, und sie stimmte ohne zu zögern ein, mit einem Lächeln und einem Blick, als hätte sie fest mit meinem Antrag gerechnet und geduldig darauf gewartet. Wir haben in London geheiratet, sobald die Formalitäten erfüllt waren, und fuhren sofort auf den Kontinent, um dort die Flitterwochen zu verbringen. Es war eine Zeit unvorstellbaren Glücks. Es war noch mehr. Es war Entzücken und Ekstase. Ich hatte nicht den geringsten Zweifel, daß ich mich gut und klug verheiratet hatte, gewissermaßen mit Perfektion. Catherine war wirklich so, wie ich sie mir wünschte. Meine Liebe steigerte sich ins Grenzenlose, sie war jenseits aller Vernunft, und Catherine erwiderte meine Liebe ebenso. Schließlich blieb uns nichts anderes übrig, als zurückzukehren. Ich mußte mich um meinen Besitz kümmern. Wenn ich gewußt hätte - ich hätte auf alles verzichtet. Ich hätte bereitwillig das Leben eines armen Bauern auf einem steinigen Acker geführt. Aber ich wußte nichts! Ich konnte es nicht wissen. Deswegen sind wir wiedergekommen. Und damit begann die Veränderung.« Seine Stimme wurde hart, sein Gesicht straffte sich. Die Asche fiel von seiner Zigarre und zerstäubte auf den gutgeputzten Reitstiefeln. »Ich kann den Zeitpunkt auf die Sekunde genau bestimmen.« Er blickte in die Vergangenheit, die in seinem Gedächtnis aufbewahrt war und im Schatten lauerte - unförmige Schemen, die stumm den Augenblick erwarteten, da die Visiere offen sind, um dann vielleicht anzugreifen und zum tödlichen Streich auszuholen. Ich ertappte mich dabei, weniger objektiv zu sein, als mein Beruf es erfordert hätte. »Es war die Sekunde, in der sie zum erstenmal Fengriffen House sah«, sagte er nach einer Weile. »Sie haben das Haus ja auch gesehen. Es ist eindrucksvoll und ein bißchen unheimlich. Sogar ich, der ich doch meine Kindheit auf diesem Boden und in diesen Räumen verbracht habe, werde häufig von einem seltsamen Gefühl befallen, wenn ich das Gebäude aus einiger Entfernung betrachte. Trotzdem ist es nur ein Haus und sonst nichts. Die seltsame Stimmung wächst aus der eigenen Psyche des Beschauers. Gott ist mein Zeuge, daß ich nichts geahnt habe, als ich an jenem Abend meine Frau nach Hause brachte - übrigens ein Abend ähnlich wie dieser. Der Himmel stand scheinbar in Flammen, und das Haus zeichnete sich scharf gegen den Sonnenuntergang ab. Wir befanden uns in einem offenen Wagen und fuhren zwischen den Hügeln hindurch, und ich blickte zärtlich und aufmerksam zu meiner Braut. Ich wünschte ihre erste
Reaktion auf ihr neues Heim zu beobachten und hoffte, daß es ihr gefiel. Natürlich kannte ich die Stelle genau, wo die Straße um einen kahlen Hang biegt und so ein unbehindertes Blickfeld eröffnet. Unser Wagen bog also um den Hang, und plötzlich erstarrte Catherine. Sie zitterte. Sie öffnete ein wenig den Mund und atmete erschrocken ein. Ich vermutete, daß sie fror, und zog sie an mich und erkundigte mich nach ihrem Befinden. Sie antwortete nicht. Sie starrte weiter zu dem Haus mit einem Ausdruck, der schwer zu beschreiben ist - nicht Angst, sondern eher die Vorahnung von etwas Unangenehmem. Was immer in ihr vorgegangen sein mag — in diesem Augenblick begann die Veränderung.« Fengriffen lehnte sich zurück. Er war nun wieder in der Gegenwart, aufgetaucht aus dem Dschungel seiner Erinnerungen. »Ich verstehe«, sagte ich, »zugleich verstehe ich nichts. Hat sie Ihnen denn nie mitgeteilt, was sie in diesem Moment empfunden hat?« »Nie. Ich glaube nicht, daß sie es weiß. Es war ein Gefühl, einmalig, aber nicht greifbar.« »Nicht greifbar. Ja, mir ist es ähnlich ergangen.« »Natürlich gibt es Legenden«, sagte er mit einer Geste der Geringschätzung. »Welches alte Haus hat nicht seine Geister, seine Legenden und seinen Aberglauben? Ich beachte sie nicht, bestimmt nicht. Die Diener glauben vermutlich daran, und ich fürchte, daß Catherine mittlerweile ebenfalls daran glaubt. Aber als sie das Haus zum erstenmal sah, hat sie die Legenden gewiß noch nicht gekannt, wodurch sie natürlich belanglos werden - eher ein Symptom als eine Ursache für ihr Verhalten.« »Was für Legenden?« »Das ist alles Unsinn. Ich werde meine und ihre Zeit nicht damit vergeuden, und in allen Einzelheiten kann ich sie ohnehin nicht einmal rekapitulieren. Mir geht es darum, daß von diesem Augenblick an und ohne erkennbaren Zusammenhang Catherine sich allmählich von mir zurückgezogen hat. Sie wurde störrisch und schweigsam, unternahm allein ausgedehnte Spaziergänge und verbrachte Stunden einsam in ihrem Zimmer oder schloß sich in die Bibliothek ein. Bücher hatten sie vorher nie besonders interessiert, und ich mußte zu der Meinung gelangen, daß sie lediglich nicht bei mir sein wollte. Aber Catherine lehnte es ab, sich mit mir darüber auszusprechen. Ich bat sie, flehte sie an, mir zu sagen, was los wäre. Sie war nicht einmal bereit, einzuräumen, daß sich etwas geändert hatte. Ich teilte ihr mit, daß wir wieder fortgehen könnten, sofern ihr daran lag, ich teilte ihr mit, daß ich damit einverstanden war, mit ihr gemeinsam unverzüglich abzureisen,
dorthin, wo wir glücklich gewesen waren, daß allein ihre Liebe für mich wichtig war, daß ich mich mit Freuden in Lumpen hüllen und mit den nackten Händen der Erde einen Lebensunterhalt für sie und mich abringen wollte, solange ihre Liebe zu mir existierte. Sie schüttelte nur den Kopf, ein bißchen traurig, und sagte - es war das einzige Mal, daß sie wenigstens indirekt bekannte, daß doch eine Veränderung stattgefunden hatte -, es wäre zu spät, und die Vergangenheit wäre nicht wiederholbar. Damit war die Unterhaltung für sie beendet, und ich stand hilflos und hoffnungslos da und suchte in all meinem Kummer verzweifelt nach einem Anhaltspunkt. Aber die Zeit heilte nichts. Die Zeit arbeitete gegen mich. Als ich endlich erfuhr, daß Catherine ein Kind erwartet, war ihre Veränderung unübersehbar geworden.« Er wartete, daß ich etwas sagte. Ich hätte ihm am liebsten einige ermutigende Worte gegönnt, doch dazu wußte ich zu wenig. »Haben Sie mir wirklich alles erzählt?« fragte ich. Er nickte. »Und Sie haben also keinerlei Erklärung, von dem Schock, den Ihre Frau möglicherweise beim Anblick des Gebäudes bekommen hat, einmal abgesehen?« »Catherine hat mir gegenüber die Legenden erwähnt«, sagte er leise, »sie hat erklärt, daß sie dieses Haus nicht mag, aber das hat doch augenscheinlich mit ihren Gefühlen für mich nichts zu tun. Außerdem habe ich ihr angeboten, mit ihr fortzuziehen. Sie hat abgelehnt.« »Die Legenden. Ja. Sie könnten Ihre Frau natürlich beeinflußt haben. Möglicherweise bringt sie im Unterbewußtsein Sie mit dem Haus in Verbindung, und der Haß oder auch die Befürchtungen, die sich entwickelt haben, stehen nun in einem gewissen Zusammenhang . . .« »Sie müssen die Wahrheit herausfinden«, sagte Fengriffen. »Ich will Bescheid wissen.« Ich nickte. Der Mann tat mir leid. »Ich werde morgen mit Ihrer Frau sprechen«, sagte ich. *** Ich fand Catherine im Park. Sie ging spazieren. Es war noch früh? und ein dichter Nebel lastete auf der Erde, so daß Catherine den Anschein erweckte, über dem Boden zu schweben. Ich mußte meinen Schritt beschleunigen, um sie einzuholen. Ich hatte nicht den Eindruck, daß sie mich bemerkte, sie starrte abwesend in die Ferne,
aber als ich sie ansprach, war sie nicht überrascht. Sie benahm sich, als hätte sie mich erwartet. Sie nickte, und ich ging neben ihr her. »Warum sind Sie hergekommen, Doktor?« fragte sie. »Ihr Mann hat mich um meinen Besuch gebeten.« »Ist mein Mann krank?« Sie lächelte verstohlen. »Charles hält mich für wahnsinnig«, sagte sie. »Nicht wahnsinnig, nein. Für unglücklich.« »Sind Sie dafür zuständig? Gibt es ein Kraut gegen das Unglück? Gibt es ein Heilmittel, das mich glücklich machen kann? Gibt es eine Droge, die die Traurigkeit aus meiner Seele ziehen könnte?« »Sie sind also wirklich unglücklich?« »Sie verlangen doch wohl von mir keine Diagnose meiner eigenen Krankheit?« »Ich bitte Sie nur, mit mir zu reden.« »Worüber?« »Worüber Sie wollen.« »Über mein Unglück?« »Zum Beispiel.« Sie zuckte mit den Schultern und schwieg einige Minuten lang. Sie schien die Umgebung nicht mehr wahrzunehmen, auch mich und ihren Kummer hatte sie anscheinend vergessen. Schließlich zuckte sie abermals mit den Schultern und blickte zu mir auf. »Was kann es schaden . . .«, fragte sie rhetorisch. »Gewiß wird es nichts nützen, aber was kann es schaden, wenn ich mit Ihnen rede? Sie haben recht. Charles hat recht. Ich bin sehr unglücklich. Niemand ist daran schuldig, nicht einmal ich selbst. Ich bin verdammt . . .« *** »Ich liebe Charles von ganzem Herzen«, sagte sie. »Aber was ist das schon, das Herz? Es macht täglich soundsoviele Schläge, und schließlich hört es auf zu schlagen. So ist es mit der Liebe. Mein Herz schlägt noch, und ich liebe noch. Früher oder später - wahrscheinlich früher -, fürchte ich, wird es aufhören. Aber ich liebe meinen Mann und habe Mitleid mit ihm. Ich kann mir vorstellen, welche Qual mein Verhalten ihm bereiten muß. Allein Ihre Anwesenheit in Fengriffen House ist ein Beweis für seine Qual. Trotzdem bin ich außerstande, sie zu verringern. Ich kann mit Charles nicht über meine Gefühle sprechen, ich kann kein Geständnis ablegen. Ich fühle, wie eine untreue Frau fühlen muß, eine Frau, die nach
wie vor ihrem Mann ergeben ist und dennoch von einem unwiderstehlichen Verlangen zur Untreue getrieben wird.« Sie schüttelte den Kopf. »Nein, ich habe ihn nicht betrogen«, sagte sie, »nicht im üblichen Sinn. Ich bin ihm untreu geworden in einem viel schrecklicheren Sinn, als Worte ausdrücken können - Worte, die zu gebrauchen ich gewohnt bin. Die Untreue ist ein lebender Bestandteil dieses Hauses, ein Organismus, der überall in den Mauern nistet. Der Augenblick, als ich zum erstenmal diese Türme und Zinnen sah, die gespenstischen Felsen, die aus dem öden Moor ragen - Sir, auch Sie haben das Haus zum erstenmal gesehen. Haben Sie nicht das Unheil gespürt, das von diesem Gebäude ausstrahlt?« Ich sagte nichts. »Oh, die blinden Männer der Wissenschaft!« spottete sie. »Ich verstehe nichts von Wissenschaften, deswegen trage ich keine Scheuklappen. Als dieses Haus in mein Blickfeld rückte, fror ich plötzlich. Ich spürte, wie ein Speer aus Kälte sich in meinen Körper bohrte. Charles zog mich an sich, er wollte wissen, warum ich zitterte. Was konnte ich ihm antworten? Es war ein Gefühl, Worte reichten nicht aus, es zu beschreiben. Aber sind Gefühle nicht auch Symbole?« »Hm, Gefühle können etwas anderes anzeigen . . .« »O ja, meine Gefühle haben etwas angezeigt! Wenn ich nur hätte ahnen können, was sie anzeigten, ich hätte dieses Haus nicht betreten. Ich habe mich ermahnt, mich nicht lächerlich zu machen, und bin durch dieses abscheuliche Portal gegangen. Drinnen war Feuer in den Kaminen, und die Kerzen verbreiteten ein mildes Licht, und vorübergehend fühlte ich mich wohler. Eine Weile war ich sogar heiter. Ich dachte, meine Angst wäre irrational und absurd, ich versuchte zu glauben, was Charles mir einreden wollte, nämlich daß ich mich nur erkältet hätte. Dann wurden weitere Anzeichen erkennbar. Mrs. Lune betrachtete mich immer wieder mit Augen, in denen einfaches und schieres Mitleid zu lesen war. Mein Mann wurde aufmerksam, seine Stimmung verdüsterte sich. Er warf Mrs. Lune einen scharfen Blick zu, den ich hatte nicht bemerken sollen, und Mrs. Lune verließ das Zimmer. Er saß da und brütete vor sich hin, das Kinn sank ihm auf die Brust. Ich hatte Charles bis dahin nur fröhlich und ausgelassen erlebt und erkundigte mich nach seinem Befinden. Als er sekundenlang aufblickte, bemerkte ich in seinem Gesicht einen Ausdruck, der auf Furcht schließen ließ. Aber so wenig wie ich war Charles imstande, seine Gefühle auszudrücken. Er sagte, er wäre nur von der Reise ein wenig ermüdet, und schlug vor, bald schlafen zu gehen.
Die erste Nacht verbrachte Charles in meinem Zimmer, und von der unangenehmen Erinnerung an meine Gefühle einmal abgesehen, war alles in Ordnung. Aber am Morgen, allein vor meinem Frisiertisch, war die unheimliche Kälte, die mir im Wagen durch den Körper gedrungen war, wieder da. Sie hüllte mich buchstäblich ein, und sie war intensiver als im Wagen, und anders, so als ob die Atmosphäre sich auf mich legte, um mich unter Eis zu zerdrücken. Ich zwang mich, aufzustehen und vom Tisch fort zum Fenster zu gehen. Ich zwang meine Glieder, mir zu gehorchen, meine Muskeln, mir den Dienst nicht zu verweigern, wie ein Mensch, der durch tiefes Wasser watet. Ich hatte das Gefühl, jeden Augenblick zu ersticken. Ich riß das Fenster weit auf und atmete gierig die frische Luft ein. Allmählich verebbte das unheimliche Gefühl, ich spürte es, als würde es aus mir heraus und durch das Fenster gezogen. Der Kokon aus Kälte fiel von mir ab, die Gardinen flatterten, und dann stand ich zitternd da und starrte hinaus auf das öde Moor. Ich konzentrierte mich auf die Aussicht, damit meine Gedanken nicht abirrten. Die Moorgebiete waren - sind wunderschön, so stark und rauh und einsam und zugleich ruhig und friedlich. Eine Ahnung der Ewigkeit liegt über dieser kargen Landschaft. Der Frieden, den sie ausstrahlt, griff auf mich über, und ich beschloß, dieses Land nicht weniger zu lieben als mein Mann. »Kommen Sie«, sagte sie. »Ich möchte Ihnen die Stelle zeigen, an der ich an jenem Morgen war, meinem ersten Morgen in Fengriffen House.« *** Wir schritten einen nur andeutungsweise vorhandenen Pfad entlang. Sie ging zwischen den Bäumen hindurch, als befände sie sich auf einer glatten Straße. Zu beiden Seiten tauchten nun mächtige Felsen auf, schoben sich zusammen. Catherine wand sich an ihnen vorbei. Sie glitt durch Schatten und Lichtstreifen, sie schien ihr Ziel so genau zu kennen, als wäre sie nicht nur einmal hier gewesen. Plötzlich blieb sie stehen und gab mir mit der Hand ein Zeichen. Ich ging an ihr vorbei und befand mich am Rand eines Friedhofs. Ich war ein wenig verblüfft. Catherine starrte mich an und lächelte. Es war kein angenehmes Lächeln. Sie deutete auf die Grabsteine, unförmige Brocken Granit und Marmor, halb in die Erde eingesunken, alt und mißfarben wie verrottende Drachenzähne. »Hierher hat jener erste Spaziergang mich gebracht«, sagte Chatherine.
»Ich habe Ruhe und Frieden gesucht, aber das Schicksal hat mich zu diesen Gräbern gelenkt, zu diesem Gefilde der Erinnerung und der Trauer, wo die Ahnen meines Mannes bestattet sind und eines Tages auch meine irdischen Überreste vermodern werden. Aber ich fürchte den Tod nicht. Ich würde ihn willkommen heißen, falls er mir wirklich Vergessen beschert. Damals hatte ich solche Gedanken nicht. Ich nahm diese ungewollte Begegnung mit den Gräbern als Omen, das mir Angst einjagte. Trotzdem hielt mich etwas davon ab, Hals über Kopf zu flüchten. Ich wanderte zwischen diesen Monumenten des Jenseits daher, als wäre jeder meiner Schritte vorbestimmt. Sehen Sie, das ist das Grab von Charles' Vater. Es ist noch ziemlich neu, der Stein ist noch nicht in den Boden gesunken. Der Sarg wird noch gut erhalten sein. Wie lange dauert es, Doktor, bis ein Leichnam ganz zerfallen ist?« Trotz der grausigen Aspekte des Themas, für das Catherine sich entschieden hatte, blieb ihre Stimme gleichmütig und beherrscht. Sie schlenderte an den Grabsteinen vorbei, und ich bemerkte, wie tief bei jedem Schritt ihre festen Sportschuhe sich in die lockere Erde drückten. Sekundenlang hatte ich die wahnwitzige Vorstellung von einer gespenstischen Macht, die Catherine abwärts zu den Gräbern zerrte. Ich hatte eine Halluzination wie von Händen, die nach oben griffen und Catherine an den Knöcheln packten, dann überlegte ich, daß dieses Bild unsinnig war. Befand sich jene gespenstische Macht nicht vielmehr über der Erde und lastete auf Catherines Schultern und preßte sie nach unten? Plötzlich blieb sie stehen. »Hier ist die Grabstätte von Charles' Großvater«, sagte sie. »Das Denkmal eines Menschen, der regiert und geherrscht hat und . . . Nicht mehr als ein roh zugeschnittener Stein. Aber das ist nicht alles, was er seinen Nachkommen vererbt hat . . .« Der Stein war ein oben abgerundeter Brocken Granit mit einer Messingplatte. Pflanzen hatten ihn halb überwuchert, aber das Schild war noch zu sehen, die Inschrift war lesbar. Henry Fengriffen hatte ein stattliches Alter erreicht. Catherine trat auf das Grab und legte die rechte Hand auf den Stein. Ihr Gesicht zuckte und drückte nicht Haß oder Angst, sondern eine tiefe Verachtung aus. Ich erschrak über diesen stummen Ausbruch und erinnerte mich daran, daß Henry Fengriffens Porträt jenen zweifelhaften Unfall erlitten hatte. »Catherine«, sagte ich leise. Sie schien nicht zu hören. Sie lehnte sich gegen den Stein und
betrachtete die schwarze Erde zu ihren Füßen. »Etwas hat mich zu diesem Grabstein geführt«, sagte sie. »Damals wußte ich noch nichts von der Legende. Trotzdem bin ich an den übrigen Steinen vorübergegangen und habe kaum mehr als einen oberflächlichen Blick an sie verschwendet; ich bin auf dieses Grab zugesteuert, als hätte ein Magnet mich angezogen . . .« Sie war nun nicht mehr kühl und beherrscht. Ihre Augen waren weit aufgerissen und mir zugewandt, aber sie sahen mich nicht. »Plötzlich kam hinter dem Stein ein Gesicht zum Vorschein, ein gräßliches Gesicht, hohläugig und mit eingefallenen Wangen und einer roten Linie vom linken Mundwinkel bis zum Backenknochen. Die Linie hatte die Farbe von Blut, als hätte jemand mit einem Messer in dieses Gesicht geschnitten. Ich taumelte zurück und schrie. Nie hatte ich solches Entsetzen gekannt! Ich glaubte nicht, einen Menschen vor mir zu haben, ich dachte an einen Teufel, an einen leichenfressenden Dämon. Ich versuchte, meinen Blick von dieser Manifestation des Bösen zu lösen, aber er war wie in den Augenhöhlen festgefroren. Ich wollte um Hilfe rufen, aber meine Stimmbänder waren wie verschnürt. Das Gesicht wandte sich mir zu. Die Augen funkelten triumphierend, der Mund verzog sich zu einem hämischen Grinsen und legte schwärzliche Zähne frei. Eine Ewigkeit sahen wir einander an, dann verschwand der Mann unvermittelt zwischen den Bäumen. Er war groß und knochig, und seine Kleidung bestand aus Fetzen von Fell und Leder. Ich hörte, wie er sich durchs Unterholz einen Weg brach, dann war alles still. Ich war unfähig, mich zu bewegen. Ich stand da, Gott weiß wie lange, dann floh ich zum Haus. Von dieser Sekunde an war meine Hoffnung, hier je Frieden finden zu können, endgültig vernichtet.« »Diese Erscheinung . . .«, begann ich. »Oh, es war keine Erscheinung! Diese Kreatur existiert, wahrscheinlich ist sie sogar menschlich!« »Das wissen Sie?« Sie nickte. »Ich bin ihr wieder begegnet«, sagte sie. »Doktor, Sie ziehen Ihre Schlußfolgerungen voreilig. Ich wußte, daß dieser Mensch real war, auch damals wußte ich es. Als ich das Haus erreichte, lief ich sofort in mein Zimmer, warf mich aufs Bett und war stundenlang in kalten Schweiß gebadet. Schließlich erlangte ich meine Beherrschung zurück und ging nach unten. Charles war in der Bibliothek. Ich erzählte ihm, was geschehen war, und beobachtete, wie er die Zähne zusammenbiß und seine
Haut über den Backenknochen fahl wurde. Ich fragte ihn, ob er wüßte, wer diese Kreatur ist, und zuerst antwortete er nicht. Ich konnte seine Gedanken erraten; er überlegte, was er mir sagen sollte. Endlich erklärte er, der Mann wäre ein Wildhüter, und ich brauchte keine Angst vor ihm zu haben, aber während er sprach, sah ich, daß er selbst Angst hatte. Ich bin von Natur aus neugierig, ich war es immer, aber was mich dazu veranlaßte, das Geheimnis um diesen rätselhaften und entsetzlichen Mann zu ergründen, war mehr als Neugier. Ich ahnte, daß er in irgendeiner unabänderlichen Weise mit meinem Schicksal verbunden war. Ich rief Mrs. Lune in mein Zimmer. Die gute Frau kam, und es gelang mir, den Anschein zu erwecken, ruhig und ausgeglichen zu sein und ohne Emotionen zu sprechen. Ich erwähnte lediglich, daß ich diesem Mann auf meinem Spaziergang begegnet war, und erkundigte mich, ob sie wüßte, wer er wohl sein könnte. Als ich die rote Linie auf seiner Wange beschrieb, schien Mrs. Lunes ernstes und noch freundliches Gesicht zu zerfließen. Sie war den Tränen nahe. Sie sagte, sie möchte lieber nicht darüber reden. Ich ließ nicht locker. »Der Waldmensch«, sagte Mrs. Lune. »Aber wer ist er? Gehört er zum Personal?« Sie schüttelte den Kopf und murmelte vor sich hin. »Warum befindet er sich dann auf dem Besitz meines Mannes?« fragte ich. Sie sagte: »Ich weiß es nicht genau. Ich habe gehört, daß er ein erebtes Recht hat, in den Wäldern zu leben, in einer Hütte, die schon seinem Vater gehört hat.« »Aber wieso?« Mrs. Lune rang die Hände und sagte: »Eine Ungerechtigkeit - in der Vergangenheit. Ich habe gehört, wie darüber gesprochen wurde. Der Großvater des Herrn hat etwas getan, das nicht - das er nicht hätte tun dürfen. Und dann schrieb er in sein Testament, daß die Nachkommen des Waldmenschen auf alle Zeit befugt sind, auf diesem Land zu wohnen.« »Was für eine Ungerechtigkeit?« fragte ich. »Ich kann es Ihnen nicht sagen, Madam.« Ich habe nicht locker gelassen. Ich habe gelockt und gedroht, aber mehr habe ich von Mrs. Lune nicht erfahren. »Sie scheint eine abergläubische Frau zu sein«, sagte ich. »Sie haben sich doch wohl von ihrem Geschwätz nicht verwirren lassen! Diese Leute glauben an Legenden und Märchen . . .« Catherine schüttelte den Kopf.
»Habe ich mich etwa verwirren lassen . . .?« fragte sie rhetorisch. »Doch, das Geschwätz hat mich verwirrt. Aber Sie wissen ja nichts! Ich war entschlossen, die Legende kennenzulernen. Ich wollte Bescheid wissen. Ich schickte die Lune hinaus, worüber sie sehr erleichtert war, dachte über das wenige nach, das ich wußte, und beschloß, Charles zu fragen, wenn er am Abend zu mir in mein Zimmer kam - ich wollte ihn nicht nur fragen, ich wollte ihn zwingen, mir die Wahrheit zu sagen. *** Doch Charles kam nicht in mein Zimmer. Ich wälzte mich ruhelos auf meinem Bett, ich war enttäuscht und ungeduldig, aber nicht zornig. Unausweichlich kehrten meine Gedanken zu dem Waldmenschen zurück. Ich sah sein Gesicht vor mir, das mich verfolgte. Ich schloß die Augen, aber die Vision wurde noch deutlicher, wenn sie hinter meinen Lidern gefangen war. Stundenlang lag ich da, war in kalten Schweiß gebadet und starrte zur Decke und sah doch nur immer den Waldmenschen. Zu guter Letzt spürte ich, wie der Schlaf mich allmählich übermannte. Ich versuchte, mich diesem Bedürfnis zu überlassen. Meine Gedanken verschwammen, dann wurde ich jählings wieder hellwach. Die Gegenstände in meinem Zimmer schienen sich mir zu nähern, sie wuchsen ins Gigantische und glitten in die Dunkelheit zurück. Nach und nach versank ich in Apathie. Und dann geschah es. Es war das gleiche Gefühl, das mich am Morgen überkommen hatte, aber nun war es hundertfach verstärkt. Am Fenster entstand plötzlich ein Geräusch, die Gardinen blähten sich nach innen, und dann raste das Ding ins Zimmer, fegte in die Ecken, suchte und scharrte. Es konzentrierte sich auf mein Bett, schwebte über mir und drang auf mich ein - ein Strahl aus Luft, so schwer und so kalt, daß er körperlich wurde. Es legte sich um mich wie ein Lebewesen, hielt meine Glieder umklammert und stach in meine Brust, daß mein Herz aufgespießt war. Ich konnte mich nicht bewegen. Ich konnte nicht schreien. Meine Augen waren weit offen. Ich war ganz wach, aber vollständig hilflos in diesem übernatürlichen Griff. Ich kann nicht sagen, wie lange die eisige Umarmung dauerte, aber in dieser Zeit war ich Gefangene einer Macht, die jedes menschliche Verständnis übersteigt. Ich fühlte, wie der Druck nachließ; die Kälte versiegte, das Rauschen verebbte allmählich, bis es im Zimmer totenstill
war, und ich schrie. Charles kam als erster. Er stand mit wirrem Blick und zerzausten Haaren an der Tür und hatte eine Pistole in der Hand. Mrs. Lune erschien hinter ihm. >Der Fluchs stammelte sie unentwegt, >der Fluch . . .< Charles stieß sie grob zur Seite und schloß die Tür. Er kam zum Bett und versuchte die Waffe zwischen den Falten seines Morgenmantels zu verbergen. Er setzte sich zu mir, nahm meine Hand und blickte mir in die Augen. Ich ahnte, wieviel Mühe es ihn kostete, Ruhe zu bewahren. Er strich mir über die Haare und redete leise auf mich ein, und ich erzählte ihm, was geschehen war. Ich sprudelte sinnlos Worte hervor und wimmerte und weinte. Er versuchte, mich zu beschwichtigen, er gab mir zu bedenken, daß ich gewiß geträumt hätte, und ich klammerte mich an ihn und flehte, mich nicht allein zu lassen. Schließlich gewann ich wenigstens teilweise die Kontrolle über mich zurück. Um Charles gefällig zu sein, wiegte ich ihn im Glauben, mich überzeugt zu haben.« Catherine stieß die Schuhspitze in die feuchte Erde und zog sie zurück. Sie hatte einen scharfen Eindruck hinterlassen, den sie mit Interesse betrachtete. »Und trotzdem«, sagte ich, »es muß ein Traum gewesen sein.« »Es war kein Traum«, sagte sie. »Es war Realität. Ich habe Ihnen vom erstenmal erzählt, aber dabei ist es nicht geblieben. Der Traum ist wiedergekehrt - das Erlebnis, das Sie für einen Traum halten. Und ich will Ihnen noch etwas sagen: Am nächsten Tag habe ich den Waldmenschen gesucht. *** Ja, ich bin allein bis in die Mitte des Waldes vorgedrungen und habe diese Karikatur alles Menschlichen gesucht. Ich habe ihn gesucht und gefunden.« Sie schnitt eine Grimasse. Verblüfft und ein wenig skeptisch blickte ich sie an. »Es war weder Mut noch Tapferkeit«, sagte sie. »Ich hatte keine andere Wahl. Ich bin allein und unbewaffnet den überwachsenen Pfad entlanggegangen und hatte nicht den geringsten Zweifel, daß ich ihn aufstöbern würde. Ich bin direkt zu seiner zerfallenen Hütte gegangen, ohne mich noch einmal zu verirren, obwohl ich nie vorher in diesem Gehölz war und obwohl der Pfad zahlreiche Abzweigungen hat. Er lebt
dort, wo der Wald am dichtesten und am dunkelsten ist. Ich kam zu einer Lichtung, und dort war das Blockhaus. Ungefähr eine halbe Stunde lang stand ich unter den Bäumen und starrte auf das miserable Bauwerk. Es erschien mir unwirklich - viel unwirklicher als das Erlebnis, das Sie für einen Traum zu halten wünschen. Endlich trat ich auf die Lichtung und näherte mich der Tür. Sie stand offen. Der Waldmensch war in der Hütte, er kauerte vor einem schmierigen Topf, der über einem Feuer hing. Sein Hund lag neben ihm. Mann und Hund sahen mich an und schienen sich über mein Erscheinen nicht zu wundern. Der Hund bleckte die Zähne, aber er knurrte nicht, und der Mann sagte nichts. In seiner eigenen Umgebung fand ich ihn nicht mehr so widerwärtig, eher bemitleidenswert. Ich teilte ihm mit, daß ich mit ihm sprechen wollte. Er reagierte nicht. Er griff nach einem Holzlöffel und rührte im undefinierbaren Inhalt des Topfs. Ich trat ein und blieb bei ihm stehen. Der Inhalt des Topfs war fettig und blubberte und strömte einen unangenehmen Geruch aus, wie auch der Mann selbst. Offenbar waren seine Kleider schmutzig, und er hatte sich schon lange nicht mehr gewaschen. Ich hatte einen Brechreiz und war ein bißchen taumelig, trotzdem war ich entschlossen. Ich setzte mich zu ihm auf den kahlen Boden und erkundigte mich nach der Legende von Fengriffe House. Er schien mit sich zu Rate zu gehen, sofern ein solcher Mensch zu abstrakten Gedanken überhaupt fähig ist, und dann begann er zu sprechen, wobei er unentwegt in seinem garstigen Brei rührte. Er berichtete mir mit heiserer Stimme und in einer primitiven Sprache von der Legende und dem Fluch.« Catherine senkte die Stimme und starrte mich unverwandt an. »Und seitdem kenne ich mein Schicksal.« Sie wartete auf meine Reaktion. »Und die Legende?« flüsterte ich. Sie schüttelte den Kopf. »Darüber spreche ich nicht. Sie ist eine Erzählung über menschliche Verworfenheit, die ich nicht wiederholen kann.« Fengriffen sah zu, während der Stallbursche das Pferd sattelte. Fengriffen trug eine vorzüglichen geschneiderten Reitanzug und klopfte abwesend mit der Reitgerte an den rechten Stiefelschaft. Mein Weg führte mich an den Ställen vorbei, und ich blieb stehen. »Haben Sie mit meiner Frau gesprochen?« fragte Fengriffen. »Ja. Wir haben uns unterhalten. Einzelheiten. Ich muß sie zusammensetzen.« »Sie meinen, Sie müssen die Wahrheit von den Absurditäten trennen?«
»Nein. Das meine ich nicht.« Er musterte mich kritisch. »Sie haben mir also nichts zu berichten?« »Noch nicht.« »Ich verstehe. Und wohin gehen Sie jetzt?« »Spazieren. Wenn ich nachdenke, gehe ich oft spazieren.« Ich wandte mich ab, um weiterzugehen. »Vermutlich hat Catherine Ihnen eine Menge Unsinn aufgetischt.« Ich blieb stehen und drehte mich zu ihm um. Ich schwieg. »Ich wollte Sie warnen, nicht alles, was sie zur Zeit sagt, als Tatsache zu nehmen.« »Wohl nicht. Aber ich treffe selbst die Auswahl.« Ich hatte den Eindruck, daß er eine scharfe Entgegnung auf der Zunge hatte, doch er zuckte lediglich salopp mit den Schultern. »Natürlich«, sagte er. Ich überquerte die freie Fläche an einer anderen Stelle als vorhin mit Catherine und erreichte die Bäume in einiger Entfernung südlich vom Friedhof. *** Der Wald war zwar zugewuchert und verwildert, aber nicht sehr groß. Ich hielt es nicht für besonders schwierig, die Unterkunft des Waldmenschen aufzustöbern. Ich fand zahlreiche Pfade, die anscheinend von Hirschen und Rehen gebahnt worden waren, und folgte dem breitesten. Die Erde wurde feuchter, beinahe morastig. Der Schlamm sog an meinen Schuhen und gab meine Füße nur widerwillig wieder frei. Der Spaziergang gestaltete sich von Schritt zu Schritt unerfreulicher - und plötzlich stand ich vor der Hütte. Das Bauwerk war aus grauen, groben Feldsteinen und gespaltenen Balken errichtet und hätte dringend einer Renovierung bedurft. Eine dünne Rauchsäule kam aus dem schiefen Kamin, stieg einige Handbreit senkrecht auf und wurde dann vom Wind gepackt und verweht. Ich starrte die Hütte einige Augenblicke lang an, bevor ich des Waldmenschen gewahr wurde. Er saß vor der Tür, direkt in meinem Blickfeld, aber er hatte sich so sehr der Umgebung angepaßt, daß ich ihn erst bemerkte, als er sich bewegte. Er hob den Kopf, um mich zu betrachten. Sein Aussehen war in der Tat erschreckend. Das Muttermal - Catherine hatte sich nicht geirrt: der blutrote Streifen war wirklich ein Muttermal - verlief von seinem linken Mundwinkel zur Schläfe, und die fettigen Haare fielen ihm zottig über die Braunen. Ich fühlte mich von dieser Erscheinung abgestoßen; trotzdem
waren seine Züge nicht ohne Intelligenz. Allerdings war diese Intelligenz nicht die eines zivilisierten Menschen, sondern es war die animalische Schläue und das instinktive Mißtrauen eines Mannes, der allein und inmitten der Natur lebt. Er stand nicht auf, als ich näher kam, aber er öffnete den Mund zu einem freundlichen Grinsen. Er hatte einen vorgeschobenen Unterkiefer. Neben ihm rührte sich ein Wesen, das ich zunächst für einen Haufen Lumpen gehalten hatte; das Wesen war ein Hund. Er beobachtete mich mit einem ähnlichen Ausdruck wie sein Besitzer. Ich blieb einige Meter vor diesem Gespann stehen und lehnte mich auf meinen Stock. »Ich möchte gern mit Ihnen reden«, sagte ich. Er nickte. Der Hund schlich zu ihm hin und winselte. Der Mann legte ihm seine derbe linke Hand auf den Kopf. »Haben Sie einen Augenblick für mich Zeit?« Er blinzelte. »Ich habe nichts getan.« »Das habe ich auch nicht sagen wollen.« Seine Finger fuhren nervös durch das struppige Fell des Hundes. »Das ist hier mein Haus«, sagte er und nickte, als müßte er sich seine Worte selbst bestätigen. »Niem'and kann mir bestreiten, daß dies hier mein Land ist. Man kann mich nicht wegschicken.« »Ich habe nicht die Absicht, Sie wegzuschicken, mein guter Mann.« »Aber Sie kommen doch vom Herrenhaus?« Ich nickte. »Von Fengriffen?« Ich nickte abermals. Er wandte sich zu dem Hund und stieß ein tiefes, kehliges Geräusch aus, worauf das Tier die Ohren spitzte. »Ich bin Arzt«, sagte ich. In seinen Augen funkelte ein plötzliches Interesse. »Die Herrin ist also übel dran«, sagte er. Ich ging auf die Bemerkung nicht ein. »Soviel ich weiß, hat die Herrin vor einiger Zeit mit Ihnen gesprochen.« »Ö ja . . .« »Ich möchte gern wissen, worüber Sie gesprochen haben.« Er schüttelte den Kopf. Sein Gesichtsausdruck wurde finster und störrisch. »Wollen Sie es mir nicht sagen?« »Nein.«
»Warum nicht?« »Dazu habe ich keinen Grund. Das ist hier mein Haus. Ich muß mit niemand reden, wenn ich nicht will.« »Aber es wäre doch nicht schlimm, Sie würden sich nichts vergeben.« Wieder schüttelte er den Kopf. »Aber Sie haben doch bereitwillig mit der Herrin gesprochen.« »Der Herrin habe ich erzählen müssen, was ich ihr erzählt habe.« »Sie mußten?« »Es war meine Pflicht.« »Aber mir wollen Sie nichts erzählen?« »Dazu hab ich keinen Grund.« Ich starrte ihn an und versuchte die Gedanken hinter seiner Stirn zu erahnen. Ich fragte mich, ob seine Weigerung nur eine charakteristische Bosheit oder besser motiviert war. Ich sagte: »Die Herrin ist krank. Ich glaube, Sie sind imstande, zu ihrer Genesung beizutragen, wenn Sie mir mitteilen, worüber Sie sich mit ihr unterhalten haben.« Er wirkte schon ein wenig skeptisch, dann drückte sein Gesicht sekundenlang Erstaunen und danach schließlich Heiterkeit aus. »Genesung?« fragte er. »Genesung?« Sein Gelächter war feindselig und unmenschlich. Es erschien mir unmöglich, daß Stimmbänder solche Laute produzieren konnten. Das Gelächter schwoll an und ab und endete schließlich in einem Hustenanfall. Er spuckte auf den Boden, besah sich interessiert den schleimigen Klecks und blickte zu mir auf. Sein Gesicht war todernst. Dann erhob er sich abrupt und trat in seine Hütte, der Hund schob sich wie ein Reptil hinter ihm her, die Tür knallte zu. Ich umklammerte mit beiden Händen den Stock. Von drinnen erklang abermals das entsetzliche Gelächter, das wieder in einem Hustenanfall unterging. Ich wirbelte herum und brach durch den Wald. Ich war zu aufgeregt, um nüchtern nachzudenken. *** Ich konnte mir unschwer den Eindruck ausmalen, den der Waldmensch bei Catherine hinterlassen hatte, erst als er unvermittelt auf dem Friedhof aufgetaucht war und dann bei ihrem Besuch in seiner Hütte. Tatsächlich fiel es mir nicht leicht, mich durch die Erinnerung an seinen Anblick nicht deprimieren zu lassen, und für Catherine mußte das Erlebnis noch
gräßlicher gewesen sein, da ihre Psyche bereits durch die Furcht geschädigt war und ohnehin auf dem schmalen Grat zwischen Vernunft und Wahnsinn balancierte. Schwieriger zu beurteilen war die Frage, weshalb er sich geweigert hatte, mit mir zu sprechen. Im nachhinein hatte ich sogar den Verdacht, an ihm die Merkmale eines schlechten Gewissens beobachtet zu haben. Hatte er in Wirklichkeit ein dunkles Geheimnis zu verbergen, oder war sein stummes Mißtrauen lediglich eine typische Eigenschaft seines Wesens? Am Morgen fragte ich Fengriffen, ob er mir für einen Tag einen Wagen leihen könnte. »Gewiß«, sagte er. »Darf ich erfahren, zu welchem Zweck?« »Ich will ins Dorf. Ich halte es für geraten, ein paar Worte mit dem Arzt zu wechseln.« Sein Gesicht verfinsterte sich. »Mit dem alten Whittle? Ich habe Ihnen doch mitgeteilt, daß er nach eigener Ansicht in dieser Sache machtlos ist.« »Trotzdem halte ich es für klüger, mit ihm zu sprechen. Ich muß die Tatsachen von verschiedenen Seiten beleuchtet und kennenlernen, bevor ich darangehen kann, sie zusammenzusetzen. Whittle könnte Symptome beobachtet haben, die ihm bedeutungslos erschienen, die aber für mich wertvoll sind.« Fengriffen nickte nachdenklich. »Sie sind der Fachmann, Sie müssen wissen, was Sie tun.« *** Ich schickte meine Karte in Dr. Whittles Behandlungszimmer, und er ließ mich sofort vor. Er war ein ziemlich alter Mann und hatte schlohweiße Haare, aber seine Augen waren jung und voller Interesse. Das Zimmer war behaglich und ohne Luxus eingerichtet und roch angenehm nach Kaffee, gutem Tabak und Büchern. Wir schüttelten einander die Hand. Whittle war mir auf Anhieb sympathisch. »Ich möchte Ihnen dafür danken, daß Sie mich empfohlen haben«, sagte ich. »Es war sehr schmeichelhaft.« »Im Gegenteil«, erwiderte er. »Für mich war es schmeichelhaft, Sie empfehlen zu können. Ich habe einiges über Ihre Studien und über Ihre Experimente gelesen - tatsächlich habe ich alles gelesen, was ich auftreiben konnte. Ich bedaure, mich in Anbetracht meiner Jahre nicht selbst mit dieser neuen Wissenschaft befassen zu können.«
Er bot mir einen Sessel an und nahm hinter dem Schreibtisch Platz. »Ja«, sagte er, »ich bin in der Tat fasziniert von diesen Theorien. Sie sind doch gewiß wegen Catherine Fengriffen zu mir gekommen?« »So ist es.« »Ich fürchte, ich bin außerstande, Ihnen zu helfen, Dr. Pope. Ich habe sie im Rahmen meiner beschränkten Möglichkeiten behandelt, leider ohne Ergebnis. Zuerst vermutete ich, sie befände sich im Anfangsstadium einer organischen Gehirnerkrankung, und verordnete Entspannung und viel frische Luft. Aber ihr Leiden ist nicht physischer Natur. Wahrscheinlich die Psyche. Doch das ist nicht mein Gebiet.« »Seele und Körper sind voneinander abhängig und können sich wechselseitig beeinflussen. Darf ich Ihnen einige Fragen nach ihrem gesundheitlichen Allgemeinzustand stellen?« »Gewiß. Soweit ich es beurteilen kann, ist ihr Allgemeinzustand - ihr physischer Allgemeinzustand - befriedigend. Ich habe sie sorgfältig untersucht und konnte keinerlei Symptome einer mir bekannten Krankheit feststellen. Sie ist lustlos. Sie hat keine Freude am Leben. Noch gravierender ist, daß sie nicht den Eindruck erweckt, diese Lebensfreude wiedergewinnen zu wollen. Sie scheint damit zufrieden zu sein, allmählich in Apathie zu versinken.« Er starrte vor sich auf die Schreibtischplatte und dachte nach. Ich wartete. »Ich möchte noch einen Schritt weiter gehen«, fügte er unvermittelt hinzu. »Sie selbst scheint ihren Zustand nicht befremdlich zu finden, sondern benimmt sich, als kenne sie die Ursache und hielte sich für unheilbar.« Ich teilte ihm mit, daß ich bisher zum gleichen Resultat gelangt war. »Falls Sie spezifische Fragen haben . . .«, sagte er. »Nicht über ihren Gesundheitszustand. Aber ich bin im Begriff, Ermittlungen anzustellen, und vielleicht können Sie mir dabei helfen. Sie werden möglicherweise überrascht sein, wenn Sie hören, in welche Richtung meine Ermittlungen sich erstrecken, aber ich glaube, sie haben Gewicht.« Ich zögerte. Der Arzt betrachtete mich neugierig; offenbar wunderte er sich über mein Schweigen. »Ist Ihnen die Legende von Fengriffen bekannt?« fragte ich. Er zuckte ein wenig zusammen und blinzelte wie eine alte Eule. Er sagte nichts. »Die Legende um den Waldmenschen«, sagte ich in einem jähen Impuls. Whittle nickte; er schien ebenfalls zu zögern.
»Ich fürchte, daß ein Zusammenhang zwischen dieser Legende und Catherine Fengriffens Geisteszustand besteht«, sagte ich. »Die Kenntnis der Legende könnte ihren Zustand verursacht haben.« »Sie ist also informiert . . .« »Ja.« »Charles hat mich gebeten, die Legende nicht in ihrer Gegenwart zu erwähnen, aber ich hätte es natürlich ohnehin nicht getan. Ob auch er angenommen hat, sie könnte anfällig für diese Geschichte sein?« »Davon bin ich überzeugt. Aber sie hat die Geschichte gehört, und sie hat eine bedenklich lebhafte Phantasie. Wenn sie auch nicht abergläubisch ist, so ist sie doch labil und leicht zu beeindrucken. Diese Kombination kann harmlos oder bei einem Künstler sogar von Vorteil sein, aber in diesem speziellen Fall ist sie ein Fluch. Für mich wäre es gewiß eine große Unterstützung, wenn ich über diese Legende Bescheid wüßte.« Wieder nickte er. »Eigentlich ist es gar keine Legende«, sagte er. »Tatsächlich ist es die Wahrheit. Die Geschichte ist entsetzlich, aber sie ist geschehen, ich habe sie zu einem Teil miterlebt. Der Fluch ist natürlich Unsinn, doch die Geschichte allein ist schon ein Alptraum. Ich kann verstehen, daß die Kenntnis dieses Verbrechens eine junge Frau berührt. Es ist schon lange her. Ich war ein ganz junger Arzt und hatte das erste Jahr meine eigene Praxis. Wäre ich schon reifer und abgebrühter gewesen, hätte der Vorfall mich bestimmt weniger belastet - ich glaube es jedenfalls. *** Einer der Hauptakteure ist Charles' Großvater, Henry Fengriffen. Er war ein ungewöhnlicher Mensch, dieser Fengriffen, launisch und absolut unberechenbar. Er war kein finsterer Grübler, sondern von einer hektischen Aktivität und einer unerträglichen Arroganz, außerdem war er ausschweifend und liederlich. Zugleich jedoch neigte er dazu, ins entgegengesetzte Extrem zu fallen, soll heißen, sobald er irgendeine Untat begangen hatte, verspürte er Minuten danach tiefe Reue und bemühte sich, den Schaden zu beseitigen, den er angerichtet hatte. Natürlich war das nicht immer möglich, was ihm indes nicht klar zu sein schien. Er lebte in dem Wahn, daß etwa eine Handvoll Geld vollauf genügte, ein Verbrechen ungeschehen zu machen. Er hatte aber auch Vorzüge. So war er ungewöhnlich großzügig und loyal zu seinen Freunden, und alle, denen er kein Unrecht zugefügt hatte,
bewunderten und achteten ihn. Um ihm Gerechtigkeit angedeihen zu lassen, muß ich hinzufügen, daß es für einen Mann seines Standes recht einfach war, ausschweifend und liederlich zu werden. Henry genoß es, den Landherrn zu spielen, die Ernten seiner abhängigen Bauern niederzugaloppieren, sich mit seinen Kumpanen sinnlos zu betrinken und in die Städte und Seebäder zu reisen, um sich dort mit lockeren Weibern abzugeben, um waghalsige Einsätze zu spielen oder zu zechen. Nun denn. Fengriffen hatte zu dieser Zeit einen jungen Wildhüter, der in einer Hütte im Wald lebte. Sein Name war Silas. Er war ein angenehmer Mensch, gut gewachsen, schlank und muskulös und trotz seiner derben Kleidung aus Fell und Leder und eines unförmigen Muttermals an der Wange nicht übel anzusehen. Er war im Dorf geboren, und ich bin ihm oft begegnet. Natürlich war er nicht sonderlich intelligent und auch ganz ungebildet, dennoch war er ein Musterexemplar gesunder Männlichkeit. Die jungen Mädchen fühlten sich zu ihm hingezogen, sie grüßten ihn errötend und senkten den Blick, wenn er durch die Straßen ging. Ich vermute, daß er sich jede Beliebige hätte auswählen können, und schließlich, als er ungefähr fünfundzwanzig war, holte er sich im Dorf eine Braut. Sie hieß Sarah und war knapp siebzehn, eine Jungfrau von beachtlicher Schönheit. Sie heirateten im Dorf, und in der Hochzeitsnacht nahm Silas seine Frau mit in die Waldhütte, um an der Stelle die Hochzeit zu vollziehen, wo er zweifellos mit Sarah für den Rest ihres irdischen Daseins in Glück und Zufriedenheit hätte verbringen können, wenn es nicht zu jener Untat gekommen wäre.« Whittle spielte mit einer Tabakdose. Er starrte sie eindringlich an, als wäre das Rosenholz in Wahrheit ein Kristall, der ihm die Vergangenheit enthüllte. »Henry Fengriffen hörte von der Hochzeit, er hörte auch von den äußerlichen Vorzügen der Braut und davon, daß sie noch Jungfrau war. Normalerweise hätte dies für ihn nicht mehr bedeutet als ein Anlaß zu einer rüden Konversation oder etlichen deftigen Witzen zwischen ihm und seinen Kumpanen, aber das Schicksal intervenierte mit brutaler Hand. Denn Fengriffen war sinnlos betrunken. Er befand sich am Ende eines dreitägigen Gelages. Der Alkohol hatte zerstört, was an Urteilskraft in Fengriffen war, und ein Vakuum hinterlassen, das nun mit Wollust gefüllt wurde. Er entschloß sich, die Braut zu besichtigen, vielleicht glaubte er sich als Grundherr dazu befugt. Seine Kumpane waren wie immer einverstanden, sie waren stets für jede Art Dummheit zu haben. Sie stiegen also beim Fengriffen House auf ihre Pferde und sprengten über die Felder
und durch den Wald, sie ignorierten die Gefahr, welche die Bäume bei Dunkelheit und bei Galopp darstellten, und lachten und grölten. Es scheint unglaublich, daß nicht mindestens einer von ihnen bei der wilden Jagd verletzt wurde; eine Verletzung hätte sie möglicherweise wieder zur Vernunft gebracht und das Schlimmste verhüten können. Aber der Satan geleitete ihre Pferde, und schließlich langten sie auf der Lichtung an. Ich glaube fest, daß an diesem Punkt der Entwicklung eine Missetat noch nicht geplant war. Aber ich kann mich auch irren, wer weiß. Jedenfalls stiegen sie aus den Sätteln und kamen im selben Augenblick zur Hütte, als das Hochzeitspaar sich zur Ruhe begeben wollte. Fengriffen trommelte gegen die Tür und begehrte lauthals Einlaß, und schließlich öffnete Silas und spähte mißtrauisch hinaus. »Ich bin gekommen, um die Braut zu besichtigen!« »Sie ist im Bett, Herr«, sagte Silas. »Um so besser, mein lieber Mann«, sagte Fengriffen. Er stieß den Wildhüter zur Seite und trat ein. Seine Kohorte trottete lachend hinter ihm her. Einige von ihnen hatten ein paar Flaschen Wein mitgebracht, die sie von Hand zu Hand wandern ließen. Sie tranken aus den Flaschen und bekleckerten sich die Gesichter und die Westen. Sie können sich vorstellen, welche Gefühle den armen Silas angesichts dieser Invasion übermannten. Seine Braut deckte sich hastig bis zum Hals zu und starrte mit furchtsam aufgerissenen Augen auf den Grundherrn und seinen Anhang, und ihre Angst trug zu Fengriffens Fröhlichkeit bei. Mit Frauen von zweifelhaftem Ruf kannte er sich vortrefflich aus, aber Jungfrauen waren ihm weniger häufig begegnet. Er packte die Decke an den Ecken und zerrte sie weg, und das Mädchen lag nackt und sich windend vor Scham vor aller Augen, während Silas in hilfloser Wut zusah. Fengriffens Kumpane rotteten sich um das Bett zusammen, rissen Witze und tranken und klopften einander anerkennend auf die Schulter. Silas zitterte vor Empörung. Er ballte die Hände und grub die Zähne in die Unterlippe. Ein Scherzbold sagte: »Es ist bestimmt viele Jahre her, daß Fengriffen zum letztenmal eine unbeschädigte Jungfrau gesehen hat, meint ihr nicht, Freunde?« Die Freunde fanden diese Bemerkung ganz großartig. Sie brüllten vor Heiterkeit, und Fengriffen beschloß, zur allgemeinen Belustigung mit einem eigenen Scherz beizutragen. Er wandte sich zu Silas und fragte: »Haben Sie sie schon genommen?« »Nein!« schrie Silas und stürmte vor. Die beiden Männer fixierten
einander. Fengriffen hat nachträglich geschworen, daß er bis zu diesem Moment nicht die Absicht hatte, den Akt tatsächlich auszuführen, bis dahin wäre alles nur Spaß gewesen. Ich glaubte es ihm. Aber er war ein seltsamer Mensch. Als der Diener dem Herrn das Recht verweigerte, verspürte dieser einen unwiderstehlichen Drang, sich sein Recht zu nehmen. Fengriffens Begleiter verstummten. Offenbar begriffen sie, was sich da anbahnte. Wäre Silas ein schwächlicher Mensch gewesen - aber er war es nicht. Er war ein Diener, aber er war ein Mann, der ebenfalls auf sein Recht pochte. Er baute sich zwischen Fengriffen und dem Bett auf und verschränkte seine mächtigen Arme über der Brust. Möglicherweise wäre Fengriffen auch da noch vernünftigen Worten zugänglich gewesen, er hätte sich vielleicht durch Bitten erweichen lassen. Aber Silas bat nicht, er trachtete auch nicht, Fengriffen von der Sinnlosigkeit seiner Tat zu überzeugen. Er wußte, daß er mit seinem Herrn nicht argumentieren durfte, sie hätten es gewiß beide als ungehörig empfunden. Fengriffen trat vor, und Silas reagierte, wie es seine Art war, wie ein bedrohtes Tier. Er packte Fengriffen an den Schultern und schleuderte ihn zu Boden. Seine Augen funkelten, seine Brust hob und senkte sich, aus seinem Mund floß Speichel. Er baute sich über Fengriffen auf, und Fengriffen schrie um Hilfe. Der Haß seines Dieners jagte ihm Entsetzen ein, er war erschrocken über die Wildheit der Attacke. Seine Begleiter zögerten eine Sekunde, sie waren wie gelähmt, dann warfen sie sich auf Silas. Silas wehrte sich mit übernatürlicher Kraft und schlug einige von ihnen nieder. Ich habe ihre Wunden behandelt, ich weiß, wie unglaublich er seine Widersacher zugerichtet hat. Aber die Gegner waren in der Übermacht. Schließlich konnten sie Silas überwältigen. Sie hielten ihn fest, Doktor, während Fengriffen die jungfräuliche Braut vergewaltigte!« Whittle schwieg. »Keine hübsche Geschichte«, sagte ich. Er sah mich traurig an. »Es kommt noch schlimmer«, sagte er. *** »Als Fengriffen mit dem Mädchen fertig war, trat er vom Bett zurück und verneigte sich ironisch vor seinem ungehorsamen Diener. Mit einer Handbewegung bot er die Frau ihrem Ehemann an. Er war zufrieden, daß
er den Mann für seine Widersetzlichkeit bestraft hatte. Silas befand sich noch in den Fäusten der anderen. Er hatte den Kampf eingestellt, während Fengriffen die Braut schändete, aber nun kämpfte er wieder. Er hatte Schaum vor dem Mund und stieß bestialische Flüche aus. Sarah war hysterisch, sie schluchzte und stöhnte und war kaum imstande zu atmen. Sie sah die Axt, die Silas nicht nur dazu benutzte, Bäume zu fällen, sondern mit der er auch Tiere erledigte, die sich in einer Falle gefangen hatten. Sie starrte das Werkzeug an, dann packte sie plötzlich zu und zerrte es zum Bett. Sie hatte nicht die Kraft, die Axt aufzuheben, sie schleifte sie über den Boden und zu sich auf die Matratze. Ehe einer der Anwesenden ihre Absicht ahnte, hatte sie die Axt gegen das Kissen gelehnt, daß die Schneide nach oben zeigte, und sich auf den Bauch gewälzt. Sie preßte ihren Hals gegen die Scheide, um sich die Kehle durchzuschneiden. Die Männer ließen Silas los, ohne an die möglichen Folgen zu denken. Sie waren erschrocken über Sarahs Handlungsweise, die keiner von ihnen eingeplant hatte. Trotz der Verruchtheit ihrer Tat war diese ihnen immer noch nicht mehr als eine lustige Episode, die man mit lautem Gelächter am Kamin erzählen und wiedererzählen konnte, nicht anders, als wenn sie sich mit einem attraktiven und raffinierten käuflichen Mädchen vergnügt hätten, oder, vielleicht treffender, eine Jagd erfolgreich zu Ende gegangen wäre. Sie müssen verstehen, Doktor - für diese Männer waren der Wildhüter und seine Frau genaugenommen keine menschlichen Wesen. Silas stürzte vor und warf sich neben dem Bett auf die Knie. Niemand versuchte, ihn daran zu hindern. Sarah brabbelte vor sich hin, als Silas ihr die Axt aus den Händen wand. Die Wunde war nicht tödlich. Aber die Haut war verletzt, und über Sarahs nackten Körper floß Blut. Silas starrte sie an und stöhnte tief in der Brust, dann schnellte er hoch, wirbelte herum und schwang die Axt in einem weiten und wilden Bogen nach Fengriffens Kopf. Fengriffen riß seine Arme hoch, um den Hieb abzuwehren, und die Schneide glitt an seinem Kopf vorbei und streifte seine Schulter. Er taumelte gegen die Wand, und Silas rückte nach und brachte abermals die Axt hoch. Wieder fiel Fengriffens Kohorte über ihn her, wieder kämpfte er wie ein Berserker, um schließlich der Übermacht zu erliegen. Er kämpfte verzweifelter als vorher, so daß die Männer ihm einige Male heftig auf den Kopf schlagen mußten, ehe sie imstande waren, ihn zu zähmen. Fengriffen betastete seine Schulter, er war wahnsinnig vor Zorn. Sein Stolz konnte einen solchen Angriff nicht einfach hinnehmen, und jetzt fühlte er sich provoziert, wie er noch nie provoziert worden war. Seine
eigene Schuld war im Augenblick ohne Belang, er verzieh dem Diener nicht, daß dieser sich gewissermaßen auf eine Ebene mit ihm gestellt hatte. Silas, obwohl nicht voll bei Bewußtsein, hatte nach wie vor die Axt in der rechten Hand, und in diesem Augenblick sah Fengriffen eine Möglichkeit für seine Rache. Er befahl seinen Kumpanen, Silas aus dem Haus zu schleifen. Sie taten es, während er um sich trat und sich verzweifelt aufbäumte. Fengriffen folgte und ordnete an, den Wildhüter zu dem Stapel Feuerholz zu führen, das neben der Hütte aufgeschichtet war. Neben dem Holz war ein Hackklotz, auf den Fengriffen mit zitternden Fingern deutete. Seine Freunde waren unentschlossen. Sie wünschten nicht, Anteil an einem Mord zu haben. Fengriffen brüllte sie an, bis sie gehorchten. Sie zwangen Silas vor dem Hackklotz in die Knie. Fengriffen schickte einen der Männer zum Brunnen, einen Eimer kaltes Wasser zu holen, zog die Jacke aus und rollte die Hemdärmel auf. Er schwitzte, seine Augen waren stier vor Zorn und Trunkenheit, seine Schulter war mittlerweile blutüberströmt und schmerzte, doch er ignorierte den Schmerz. Die Schmach, von einem seiner Diener verletzt worden zu sein, wog schwerer als der Schmerz. Der Mann kam vom Brunnen zurück, er brachte einen Eimer Wasser, und Fengriffen nahm den Eimer und stellte ihn neben den Klotz. Er erteilte weitere Befehle. Als seine Kumpane verstanden, daß es ihm gar nicht um einen Mord ging, waren sie plötzlich nicht mehr störrisch. Sie waren Menschen von seinem Kaliber, sie konnten nachfühlen, was er empfand. Zwei von ihnen umklammerten Silas' rechten Arm und drückten ihn auf den Block. Die drahtige Hand zuckte im Mondlicht wie ein bleicher Tintenfisch. »Sie haben in einer Nacht zweimal die Hand gegen Ihren Herrn erhoben!« röhrte Fengriffen. »Dazu wird es nie wieder kommen!« Er nahm die Axt und postierte sich seitlich vom Hackklotz. »Wollen Sie um Gnade bitten?« fragte er. Silas wandte den Kopf zur Seite, blickte zu Fengriffen empor und stieß einen Fluch aus. »Dann nehme die Gerechtigkeit ihren Lauf!« sagte Fengriffen mit zusammengebissenen Zähnen. Er schwang die Axt hoch und herunter. Die Schneide traf Silas' Hand über den Fingerknöcheln und grub sich ins Holz. Silas schrie nicht. Er gab keinen Laut von sich. Er starrte unentwegt Fengriffen ins Gesicht, Fengriffen trat zurück und nickte seinen Männern
zu, die hastig die verstümmelte Hand in den Eimer Wasser tauchten. Dann traten alle zurück. Silas blieb in seiner Stellung hocken, sein Kopf sackte auf den Block. Das kalte Wasser betäubte den Schmerz. Silas rührte sich nicht, offenbar wagte er nicht, den Arm aus dem Wasser zu ziehen. Die Gentlemen standen schweigend um ihn herum. Sie fühlte sich unbehaglich. Die Häßlichkeit des Verbrechens, das sie begangen hatten, schien ihnen endlich bewußt zu werden. Fengriffen war fahl und schwitzte. Er zog seine Jacke wieder an. Plötzlich sehnten sich alle danach, dem Ort dieses schrecklichen Auftritts zu entfliehen. Schweigend gingen sie dorthin, wo sie ihre Pferde angebunden hatten, nahmen die Zügel auf und stiegen in die Sättel. Jetzt endlich regte sich Silas. Die Männer erstarrten mitten in der Bewegung. Fengriffen hatte erst einen Fuß im Bügel und blickte über die Schulter nach hinten. Er sah, wie Silas' linke Hand über den Boden kroch und die abgetrennten Finger suchte. Sie sammelte die Finger einen nach dem anderen ein und umschloß sie mit der Faust. Silas legte seinen linken Unterarm um den Eimer und drückte ihn an die Brust. Der rechte Arm war noch im Wasser. Dann richtete er sich auf und wandte sich zu Fengriffen. Er stand voll im Mondlicht, als er die verstümmelte Hand aus dem Wasser hob und mit den gräßlichen Stümpfen auf Fengriffen deutete. Dann sprach er den Fluch aus. Dieser Fluch ist zum Vater der Legende geworden, und er muß tief aus Silas' Seele gekommen sein, denn dieser einfache Mensch war gewiß mit derlei Verwünschungen nicht bewandert. Feierlich verkündete er, daß der Geist, den diese blutige Nacht beschworen habe, nicht eher ruhen noch rasten werde, bis die schändliche Tat gerächt sei, und daß die nächste jungfräuliche Braut in Fengriffen House ebenfalls die Schrecken einer Vergewaltigung verspüren werde. Silas' Stimme bannte die Männer wie mit unzerbrechlichen Fesseln aus gefrorenem Stahl. Keiner von ihnen rührte sich von der Stelle, sogar die Pferde standen wie aus Erz gegossen. Endlich tauchte Silas den grausigen Rest seiner Hand wieder in den Eimer, wandte sich ab und taumelte zur Hütte. Fengriffen starrte ihm nach, und in seinem Herzen war Angst. *** »Wie ich sagte, war Fengriffen ein Mensch von beträchtlicher Launenhaftigkeit, und der Fluch trug dazu bei, seinen Stimmungswechsel
zu beschleunigen. Er wurde schlagartig nüchtern und von Reue buchstäblich überschwemmt. Trotz seiner Wunde galoppierte er den ganzen Weg bis zum Dorf, um mich zu holen. Er platzte zu mir ins Zimmer und drängte mich zur Eile. Ich wollte zuerst seine Verletzung behandeln, die ziemlich häßlich aussah - damals wußte ich noch nicht, was im Wald geschehen war. Aber er wies mich zurück. Er beschimpfte mich unflätig meines Ansinnens wegen und berichtete in fragmentarischen Sätzen über den tragischen Vorfall. Erst später erlangte ich gründlichere Kenntnis und war imstande, die Details zusammenzufügen. Fengriffen kehrte um und begleitete mich. Wir trieben unsere Pferde an wie von Sinnen, und ich bekenne, daß ich einen solchen Ritt nie wieder erlebt habe. Fengriffen hatte mich mit seiner Ruhelosigkeit angesteckt, er gehörte zu den Menschen, die ihre Emotionen auf ihre Umwelt übertragen. Als wir vor der Hütte anlangten, weigerte er sich, aus dem Sattel zu steigen und auch nur einen Schritt weiterzugehen. Er mochte mit dem Schauplatz seines Verbrechens nicht konfrontiert werden. Er ritt nach Hause, und ich überquerte allein die Lichtung. Mein Blick fiel sofort auf den Hackklotz, in dem die Axt noch steckte. Ich wandte erschüttert den Blick ab, stieg von meinem Pferd, band es an und trat in die Hütte. Silas kniete am Bett, neben ihm auf dem Boden stand der Eimer, und seine Hand befand sich im Wasser. Mit dem linken Arm hielt er seine junge Frau umschlungen. Als er mich hörte, wandte er blitzschnell den Kopf und sah mich an. Gott allein weiß, wie es Silas gelungen war, nicht das Bewußtsein zu verlieren, aber jedenfalls war es ihm gelungen. Er erkannte mich, er schien auch seiner Umgebung gewahr zu sein. Er wirkte gesammelt und vernünftig. Er hatte eine Menge Blut verloren, das Wasser im Eimer war dunkelrot. Es hatte ihm das Leben gerettet. Vielleicht wäre es für ihn besser gewesen, wenn er nicht gerettet worden wäre. Silas lehnte es ab, von mir versorgt zu werden, ehe ich mich nicht um Sarahs wirklich nur geringfügige Halsverletzung gekümmert hatte. Als ich zögerte, knurrte er mich an wie ein in die Enge getriebenes Raubtier. Sarah redete sinnlos vor sich hin, ihr Blick war umwölkt. Ich untersuchte ihre Wunde und stellte fest, daß sie in der Tat eine Lappalie war. Schlimmer war die Verletzung, die gewissermaßen tiefer ging als die Schneide der Axt - ich meine ihre Seele, ihren Verstand. Die Minuten des Schreckens und des Entsetzens hatten sie verwirrt, aber möglicherweise hätte sie sich wenigstens oberflächlich erholt, wenn es nun nicht zum nächsten und mutmaßlich gravierendsten Zwischenfall gekommen wäre. Silas drückte Sarah an seine Brust, während ich die Wunde behandelte, seine Faust lag
auf ihrer Schulter. Ich hob Sarahs Kinn an, dabei sackte sie ein wenig in Silas' Arm, er fing sie auf, und bei dieser Gelegenheit öffnete er die Hand. Die vier Finger fielen heraus. Die vier abgetrennten Finger fielen Sarah in den Schoß, und wir starrten sekundenlang voll Entsetzen auf sie hinunter. Ich wiederhole - falls überhaupt Hoffnung bestanden haben sollte, Sarahs Geisteszustand wiederherzustellen, so schwand sie in diesem Augenblick. Sarah stimmte ein unmenschliches Geheul an, ein Geheul, das man im allgemeinen von einer menschlichen Kehle nicht erwartet, ein Geheul, das nicht die Reaktion auf einen Schock war, sondern absolut bedeutungslos, ein mechanischer Impuls, ausgelöst durch ein Gehirn, in dem jegliches Begreifen erloschen war. In einsamen, stillen Nächten hallt dieses Geheul immer noch in meinen Ohren wider, denn es ist in meinem Innern aufbewahrt und mutmaßlich längst mit meinem Unterbewußtsein verwoben.« *** Doktor Whittle ging zum Fenster, blieb dort stehen und blickte hinaus. Er hatte die Hände auf dem Rücken verschränkt. Er schien in der letzten Stunde gealtert zu sein, aber vielleicht hatte ich nur diesen Eindruck, weil ich nun seine jungen, wachen Augen nicht sah. Ich nahm an, daß seine Erzählung beendet sei und wollte eben etwas sagen, als er sich zu mir umwandte. »Der Rest ist recht undramatisch«, erklärte er. »Silas erholte sich, und Sarah blieb am Leben. Henry Fengriffens Schuldgefühl war grenzenlos. Er wollte Ersatz leisten, aber Silas weigerte sich. Er lehnte Geld und Lebensmittel und Wein ab, er lehnte alle materiellen Güter ab, mit denen Fengriffen seine Schuld begleichen wollte. Er trieb so Fengriffen in eine tiefe Frustration, in ein Stadium der Hilflosigkeit, in dem Fengriffen über einem Fegefeuer aus Reue und Scham rotierte. Seine Bemühungen, das Verbrechen ungeschehen zu machen, wurden immer verzweifelter. Aber natürlich ging es ihm nur darum, das Verbrechen in seinen eigenen Augen ungeschehen zu machen, für die Umwelt war es ohnehin nicht möglich, und für sie interessierte Fengriffen sich nach wie vor nicht im geringsten. Aber der Wein, den er Silas schickte, wurde in Gegenwart des Überbringers ausgegossen, die Lebensmittel, die Fengriffen schickte, verrotteten oder wurden von den Ratten gefressen, und das Geld, das Fengriffen schickte, wurde im Wald verstreut. Silas glaubte fest daran, daß
Fengriffen für seine Tat würde büßen müssen, und wenn nicht er selbst, dann seine Familie. Er glaubte an seinen Fluch. Er blieb in seiner Hütte und bezog von Fengriffen weiter sein kümmerliches Gehalt. Er kümmerte sich um das Wild und um den Wald, im Dorf ließ er sich nie wieder sehen. Seine Frau verwandelte sich in kurzer Zeit von einem schönen, gesunden jungen Mädchen in eine schlampige Hexe mit narbigem Hals, eine Hexe in Lumpen und mit irrem Blick. Sie magerte ab bis zum Skelett. Einige Male lief sie weg oder verirrte sich, und Silas mußte sie suchen und mit Gewalt aus dem Moor nach Hause schleifen. Jahre später erfuhr ich, daß sie einen Sohn geboren hatte. Ich ging zu der Hütte, mehr aus Neugier, als aus Pflichtgefühl. Das Kind war kräftig und sah gesund aus, lediglich entstellt durch das Muttermal, das Silas ihm vererbt hatte, aber das des Kindes war größer und scheinbar blutiger. Ich erschrak über Sarahs Anblick. Sie war das jammervollste Geschöpf geworden, das man sich vorstellen kann, die Karikatur einer Madonna. Silas wirkte auf mich ebenfalls verändert, das einzelgängerische Leben hatte Spuren hinterlassen. Mit großer Mühe lockte ich die Mitteilung aus ihm heraus, daß er sich endlich doch herbeigelassen hatte, von Fengriffen eine Gabe anzunehmen. Henry hatte nämlich von seinen Versuchen nicht abgelassen, sich diese Last von der Seele zu räumen, und mit der Geburt des Kindes hatte er seine Chance erkannt, Silas mit einem Geschenk zu überraschen, das dieser weder zurückgeben noch ablehnen konnte. Eigentlich hatte er nicht damit gerechnet, daß Silas Kinder haben würde, nicht zuletzt Sarahs Zustand wegen. Da dies nun aber zur Tatsache geworden war, nahm er in seinem Testament eine kleine Änderung vor - eine sehr kleine Änderung, wie Sie vielleicht denken werden - in der Weise, daß Silas und seine Nachkommen ein ewiges und unkündbares Recht erhielten, in den Wäldern des Fengriffen-Besitzes zu leben. Möglicherweise hatte er erwartet, daß Silas theoretisch auch dieses Recht zurückweisen würde, um dennoch zu bleiben, denn er hätte nicht gewußt, wohin er gehen sollte, so daß die Vergünstigung nach Silas' Tod dem Kind zugute kommen mußte, doch war dies nicht der Fall. Silas schien sich zu freuen, und noch mehr schien er sich darüber zu freuen, daß auch seine Nachfolger auf dem Besitz verbleiben sollten. Zuerst nahm ich sein Verhalten als Beweis dafür, daß sein Haß abgeflaut war oder der Vorfall für ihn die Wichtigkeit verloren hatte, die Silas ihm zunächst beigemessen hatte, denn immerhin hatte er wertvollere Gaben zurückgewiesen. Doch ich hatte mich geirrt.
Während wir uns unterhielten, nahm er das Kind auf den Schoß und ließ es mit der verstümmelten Hand spielen. Das Kind lachte und krähte vor Vergnügen über das grausige Spielzeug, und Silas lachte ebenfalls, und zwar mit einem Anflug von Stolz. Ich begann zu ahnen, worüber Silas glücklich war. Er war zufrieden, daß sein Sohn die Rache, die er, Silas, den Fengriffens angedroht hatte, noch erleben würde - und offenbar hat er sich nicht getäuscht . . .« Whittle hob die Brauen und blickte mich scharf an. »Silas' Sohn ist also - jener Waldmensch?« »O ja. Sarah und Silas sind sehr alt geworden, sie waren schließlich hilflos und mußten von dem Sohn unterhalten werden, und die ganze Zeit über, in all diesen Jahren, hat Silas die Wurzeln seines Hasses in seinen Sohn gesenkt, er hat seinen Verstand vergiftet, bis auch der Sohn nur noch die Vision von jener Rache hatte, nach der sein Vater sich ein Leben lang sehnte. Die beiden sind vor einigen Jahren gestorben. Aber der Sohn ist geblieben.« »Dann ist der Waldmensch erheblich älter, als ich dachte«, sagte ich ein wenig sinnlos. »Immerhin ist mit dieser Geschichte einiges erklärt.« »Wird sie Ihnen von Nutzen sein?« »Ich hoffe es. Diese sogenannte Legende und vor allem der Fluch dürften für Catherine Fengriffens Verfassung verantwortlich sein. Man muß sie von diesen Träumen erlösen.« »Ich wünsche Ihnen Erfolg.« Ich sah ihm an, daß er skeptisch war. Ich stand auf und reichte ihm die Hand. »Ich danke Ihnen, daß Sie mir soviel Zeit geopfert haben«, sagte ich. »Vielleicht sehen wir uns mal wieder.« *** An diesem Abend aß Catherine nicht mit uns. Sie ließ sich entschuldigen, sie wollte im Bett bleiben. Sie fühlte sich nicht wohl. Weder Fengriffen noch ich hatten Appetit, daher nahm die Mahlzeit nicht viel Zeit in Anspruch. Wir sprachen wenig. Anschließend begaben wir uns in die Bibliothek, und nachdem der Diener Jacob Kaffee und Brandygläser gebracht und sich zurückgezogen hatte, berichtete ich Fengriffen, daß ich über den Fluch informiert sei. Seine Augen funkelten spöttisch, als er meine Feststellung mit einer ungeduldigen Handbewegung quittierte. Ich ärgerte mich und winkte
ebenfalls ab. Er musterte mich überrascht. »Was ist schon ein Fluch?« fragte er rhetorisch. Er beugte sich vor und runzelte die Stirn. Er wirkte ein wenig gereizt. »Worte, nichts als Worte, Aberglaube, Humbug! Ich habe keinen Exorzisten gerufen, damit er mein Haus von einem Bannfluch befreit, sondern ich habe mich an einen Arzt gewandt!« »Ich spreche als Arzt zu Ihnen, Sir«, sagte ich. »Aber die Wahrheit . . .« »Es geht nicht um die Wahrheit, sondern um den Glauben. Wenn Ihre Frau an den Fluch glaubt, ist die Wahrheit belanglos. Das Gehirn ist imstande, sich eine eigene Wahrheit zu erschaffen.« »Sie verwirren mich, Doktor.« »Aber Sie haben mich auch verwirrt, das heißt, Sie haben zu der allgemeinen Verwirrung beigetragen! Sie haben nicht alles gesagt, was Sie wissen. Vielleicht haben Sie alles erzählt, was Sie für wichtig halten - dann haben Sie sich aber in der Auswahl geirrt. Sie wußten, daß Ihre Frau den Waldmenschen besucht hat?« Die Falten auf seiner Stirn vertieften sich, sein Gesicht wurde dunkel vor Verlegenheit. »Ich weiß, daß sie sich komprimittiert hat, indem sie zu dieser Hütte ging, ja. Eben dieser Schritt war falsch, er ist an allem schuld, nicht ein alberner Racheschwur.« »Sie beurteilen Ihre Frau sehr streng.« »Aber mit Recht!« »Ja, das berühmte Recht der Fengriffen. Ist dies das Recht, das Ihr Großvater dem Wildhüter gegenüber angewandt hat?« Seine Augen funkelten, und sekundenlang hatte ich ihn im Verdacht, mich schlagen zu wollen. Ich sprach leise und behutsam. »Meine Wissenschaft steckt noch in den Kinderschuhen, möglicherweise noch nicht einmal dort. Ich habe nie behauptet, die Winkelzüge des Unterbewußtseins zu verstehen, aber ich habe oft die Symptome beobachtet, und Sie dürfen mir glauben, daß sie schrecklich sein können. Eines Tages, wenn diese Wissenschaft erwachsen und gereift ist, irgendwann in der fernen Zukunft, werden die Menschen, die ihr dienen, den Gehirnwindungen folgen können und den Schleier beseitigen, der das Unterbewußtsein verhüllt.« »Es ist genug«, flüsterte er. »Dann versuchen Sie, mir zu glauben. Die Krankheit Ihrer Frau steht im
Zusammenhang mit dem Fluch.« »Dieser verdammte Waldmensch!« sagte er. Aber hinter der Verwünschung war kein Zorn mehr, Fengriffen war nun ganz ruhig, und sein Gesicht war wie Asche. »Kann er tatsächlich für das Verhalten meiner Frau verantwortlich sein? Kann sie die Worte dieser Kreatur wirklich ernst genommen haben?« »Verantwortlich? Er ist nur soweit verantwortlich, als er ihr von der Vergangenheit erzählt, und sie hat ihm geglaubt, überdies hat er ja nicht gelogen. Die Verantwortung liegt bei der Tat Ihres Großvaters und in der Bereitwilligkeit Ihrer Frau, mehr als lediglich Tatsachen zu akzeptieren.« »Ich verstehe dies alles nicht«, sagte Fengriffen. »Ich habe den Eindruck, wir sprechen über Schwarzkunst, über angebliche Künste, die mit dem Mittelalter ausgestorben sind.« Seine Stimme klang nicht ironisch, sondern bekümmert. Ich sah ihm an, wie tief bestürzt er war. »Sie verwechseln eine Wissenschaft, mit der wir noch nicht viel anfangen können, mit Hexerei oder Zauberei. Sie lehnen den Fluch ab, Sie halten nichts davon - Sie haben recht. Aber das gilt nur für Sie selbst. Sie können nicht bestreiten, daß der Fluch eine Wirkung auf Ihre Frau hat. Um Ihre Frau zu heilen, müssen wir uns notgedrungen mit dem Fluch befassen, wir müssen ihn zu widerlegen versuchen, wir müssen ihr beweisen, daß ihre Gedanken falsch sind, und ihr die Wahrheit zeigen, die zweifellos auf unserer Seite ist.« Fengriffen nickte schwerfällig. »Vielleicht sollten wir jetzt anfangen«, sagte ich. »Ihr Vater - hat er auch nicht an den Fluch geglaubt?« »Natürlich nicht. Er hat gar nicht daran gedacht! Wir sind keine Familie von Idioten!« - »Und Ihre Mutter?« »Sie hat natürlich auch nicht daran geglaubt.« »Wer war sie?« »Ein Lady von großer Vornehmheit«, sagte er in einem Anflug von Stolz. »Sie war ein wenig älter als mein Vater. Ich habe Ihnen wohl mitgeteilt, daß sie starb, als ich noch ein Kind war, ich kann mich daher kaum an sie erinnern. Ich kann nicht unterscheiden zwischen eigenen Eindrücken und dem, was man mir über sie berichtet hat. Sie war eine Witwe . . .« »Eine Witwe?« »Ja. Sie war die Frau des besten Freundes meines Vaters. Offenbar waren sie einander zugetan, als ihr Mann noch lebte, in allen Ehren, davon bin ich überzeugt, und nach der Trauerzeit - in der mein Vater sie
unterstützte, indem er ihre Angelegenheiten regelte -, war es ganz natürlich, daß Respekt und Zuneigung zu Liebe aufblühten. Natürlich war diese Liebe nicht die Romantik der Jugend, Sie verstehen, sondern die echte Bindung gereifter Menschen. Und so . . .« »Und so«, unterbrach ich, »war Ihre Mutter keine jungfräuliche Braut, als sie zum erstenmal ins Fengriffen House kam.« Fengriffen blinzelte heftig. »Gewiß nicht. Eine Witwe . . .« Er verstummte und sah mich beunruhigt an. Charles Fengriffen kannte den Wortlaut des Fluchs genau, und dies war kein Weg, seine Frau von der Unsinnigkeit ihres Aberglaubens zu überzeugen. Wir schwiegen beide. *** Jakob klopfte an und trat ein, um das Kaffeegeschirr abzuräumen. Er fragte, ob wir noch irgendwelche Wünsche hätten, und Fengriffen entließ ihn mit einer Handbewegung. Jacob ging wieder. »Und?« fragte Fengriffen. »Wir müssen es anders versuchen.« »Es liegt ganz bei Ihnen.« »Wann hat Ihre Frau das Porträt von Henry Fengriffen zerstört?« Er war nicht sonderlich überrascht. »Hat sie Ihnen eingestanden, daß sie es zerstört hat?« »Es war offensichtlich.« »Ja, ich glaube, es ist wirklich offensichtlich. Es ist schwierig, mit einem Fremden darüber zu sprechen, auch wenn er Arzt ist. Natürlich hätte ich es trotzdem längst tun sollen, denn der Vorfall war ein Markstein, wenn ich mich so ausdrücken darf, auf Catherines Weg in den Niedergang. Es ist schon einige Monate her, und seitdem ist ihr Zustand kontinuierlich schlimmer geworden.« Er hielt inne und dachte nach. »Tatsächlich war es derselbe Tag, an dem Dr. Whittle uns informierte, daß sie ein Kind bekommt. Wir saßen zu dritt in der Bibliothek, und Whittle schien sich über die angenehme Nachricht zu freuen, die er uns übermitteln konnte. Ich war ebenfalls erfreut, wie sollte ich nicht? Ich wandte mich zu meiner Frau. Sie war bleich geworden, verstört und sichtlich erschüttert. Ihre Reaktion war mir unerklärlich, denn wir hatten oft über die Möglichkeit, Kinder zu haben, diskutiert, und sie hatte es sich nicht weniger gewünscht als ich. Ich war wie vor den Kopf geschlagen. Ich
faßte nach ihrer Hand, doch sie zog sie brüsk an sich, stand auf und verließ wortlos das Zimmer. Die Situation war mir über die Maßen peinlich. Der arme alte Whittle sah mich begriffsstutzig an. Da war er als Überbringer einer guten Offenbarung zu uns gekommen und wurde behandelt wie ein Sendbote des Unglücks. Ich versuchte seine und meine Verstimmung aus der Welt zu reden und fand läppische Entschuldigungen für Catherines Benehmen, die ihn bestimmt nicht überzeugten. Zu dieser Zeit war ihre Verwirrung noch nicht so weit fortgeschritten, daß Whittle zwangsläufig unterrichtet gewesen wäre. Er nahm meine Entschuldigung höflich zur Kenntnis und verabschiedete sich. Ich begab mich zu Catherines Zimmer. Die Tür war versperrt, dahinter war es totenstill. Ich klopfte nicht an, sondern ging weiter in mein Zimmer und zu Bett. Ich konnte nicht einschlafen. Ich dachte unentwegt über Catherines befremdliche Reaktion nach, und die Stunden verstrichen qualvoll langsam, während ich zwischen Sorgen und Ärger hin und her gerissen wurde. Ich war noch wach, aber bereits im ersten Halbschlaf, als ich hörte, wie Catherine auf den Korridor trat. Ich erkannte ihre Schritte. In diesem ersten Abschnitt unserer Ehe war ich mit allem, was Catherine betraf, auf eine wunderbare Weise vertraut. Ich vermutete, daß sie in mein Zimmer käme, und wartete hoffnungsvoll. Aber die Schritte bewegten sich an meiner Tür vorüber und weiter den langen Gang entlang. Ich stand auf und lief zur Tür, sekundenlang hatte ich den Verdacht, daß Catherine schlafwandelte. Ich spähte hinaus und vernahm ihre Stimme. Sie redete leise vor sich hin, aber Worte waren nicht zu verstehen. Ich bemerkte, daß Catherine sich in der Bildergalerie befand. Ich war wie erstarrt. Allmählich gewöhnten meine Augen sich an die dämmerige Beleuchtung, und nun stellte ich fest, daß Catherine sich vor dem Porträt meines Großvaters aufgebaut hatte. In ihrem flatternden weißen Nachthemd und mit offenen Haaren sah sie wie eine jugendliche Hexe aus. Während ich sie noch beobachtete, stach sie plötzlich mit einem Brieföffner, den sie in ihrem Zimmer aufbewahrte, wie von Sinnen auf das Bild ein. Immer wieder schnitt der Brieföffner in die Leinwand, und Catherine murmelte und stöhnte. Ich traf keinerlei Anstalten, sie zurückzuhalten, ich war zu erschrocken, um mich von der Stelle zu rühren. Als das Werk der Zerstörung vollendet war und die Leinwand in Streifen aus dem Rahmen hing, trat Catherine zurück und hüllte sich eng in ihr Nachthemd, als sei ihr jählings kalt geworden. Ihre Brüste wogten, sie warf den Kopf in den Nacken. Erst jetzt schien sie des Brieföffners in ihrer Hand gewahr zu werden und
schleuderte ihn von sich wie einen schmutzigen Gegenstand - als wäre der Brieföffner durch die Berührung mit dem Porträt unrein geworden. Sie kam zurück, und als sie dicht vor mir war, entdeckte sie mich, ging aber wortlos an mir vorbei. Ihr Gesicht war verzerrt vor Haß und Schmerz, es hatte keinerlei Ähnlichkeit mehr mit dem Gesicht der Frau, die ich liebte.« Fengriffen schauderte. »Mein Gott«, sagte er leise, »es war entsetzlich!« »Und Sie haben diese Zerstörung nicht mit dem Fluch in Verbindung gebracht?« Er senkte den Blick. »Ich habe die Zerstörung mit Wahnsinn in Verbindung gebracht«, flüsterte er. Dann bemerkten wir gleichzeitig, daß Catherine an der Tür stand. *** Fengriffen riß den Kopf hoch, alarmiert durch Catherines Gegenwart und wegen seiner letzten Bemerkung. Catherine war sehr blaß. Sie schwankte und konnte sich offenbar nur mit Mühe auf den Beinen halten, doch ihr Ausdruck war ruhig und gefaßt. Sie blickte zu ihrem Mann, dann sah sie mich an und verzog den Mund zu einem Lächeln, das nicht zu ihren todernsten Augen paßte und mich gespenstisch an das Grinsen eines Menschen im Starrkrampf erinnerte. Ich wandte mich schnell ab. Fengriffen sprang auf. »Catherine! Du solltest nicht hier sein . . .« »Oh! Und wo sollte ich sein?« Fengriffen ging auf sie zu. Er machte zwei schnelle Schritte und stockte, als wäre er gegen eine unsichtbare Barriere geprallt. Er blieb stehen und starrte sie hilflos an. Seine Schultern zuckten. Catherine blickte an ihm vorbei zu mir, und ich sah wieder auf. Sie fixierte mich. »Sie haben also von dem Fluch gehört«, sagte sie. Ich nickte. »Und haben über diesen Unsinn gelacht . . .« Ich schüttelte langsam den Kopf. »Nur wenig Dinge sind unsinnig«, sagte ich. »Was im Schmerz eines gebrochenen Herzens ausgesprochen wird, kann kein Unsinn sein.« »Sie irren sich«, sagte sie. »Charles, irrt er sich? Anschuldigungen und Anklagen können durchaus Unsinn sein.«
Sie winkte vage ab, als käme es weder auf seine noch auf meine Meinung an. Fengriffen wandte sich zu mir um, er suchte einen Verbündeten, und ich wußte nicht, was ich sagen sollte. Was hätte ich sagen können, wenn beide Fengriffens mir zuhörten? Was für ihn richtig war, mußte für sie falsch sein, und umgekehrt. Er sah wieder zu seiner Frau, doch sie ließ mich nicht aus den Augen. »Aber Sie haben auch unrecht, was den Fluch betrifft«, sagte sie. »Sie haben die Bedeutung nicht verstanden, sie haben mißachtet, was doch offensichtlich ist, Sie haben alles Vordergründige ausgespart und etwas gefunden, das Ihrem Begriffsvermögen weniger fremd ist und besser in das System paßt, das Sie sich durch Ihre Studien erschlossen haben. Nein, Doktor. Der Fluch treibt mich nicht in den Wahnsinn, so wenig wie das Verbrechen ein Produkt des Wahnsinns war. Können Sie folgen? Die arme Frau hat als Ergebnis des Verbrechens den Verstand verloren, so wie ich fürchte, als Ergebnis der Vergeltung den Verstand zu verlieren. Aber das ist nur eine Nachwirkung, nichts weiter. Die Vergeltung hat sich eine viel gräßlichere Methode ausgesucht als einfach nur Wahnsinn . . .« Um der Wahrheit die Ehre zu geben, muß ich bekennen, daß ich in diesem Augenblick nicht die geringste Spur von Wahnsinn in Catherines Aussehen erkennen konnte, und auch die Stimme, mit der sie mir die abstruse Erklärung mitgeteilt hatte, war nicht die einer Geisteskranken. Ich hoffte, daß sie weitersprach, denn ich ahnte, daß sie jetzt möglicherweise enthüllen würde, was für sie die Wahrheit war, aber ihr Gesicht verdüsterte sich, sie grub die Zähne in die Unterlippe, wandte sich um und eilte aus dem Zimmer. Die Bewegung löste den Bann, in dem Fengriffen sich befunden hatte. Er lief hinter ihr her und rief nach Mrs. Lune. Die Frau kam; durch die offene Tür sah ich, wie sie Catherine am Fuß der Treppe einholte. Sie war nicht weniger bleich als Catherine. Sie fasste - nach Catherines Arm, und Catherine stützte sich schwer auf sie. Mrs. Lune half ihr die Stufen hinauf. Fengriffen trat zum Fuß der Treppe und bewegte die Arme, als hätte er gegen Fesseln anzukämpfen. Er starrte den beiden Frauen nach, bis sie verschwunden waren, dann drehte er sich zu mir um. »Was kann sie gemeint haben?« fragte er. Ich antwortete nicht, denn ich wußte es nicht. Aber etwas anderes wollte ich wissen, mußte ich wissen. »Sie haben einen wichtigen Punkt unterschlagen«, sagte ich. »Entweder aus Schuldgefühl oder aus Stolz haben Sie geschwiegen. Ihre Frau hat von einer Anklage gesprochen, offenbar haben Sie ihr etwas vorgeworfen. Was
haben Sie ihr vorgeworfen - und was haben Sie mir vorenthalten? Hat es mit ihrem gegenwärtigen Zustand zu tun?« Fengriffen nickte. Ich bereitete mich darauf vor, der Wahrheit ein Stück näher zu kommen. »Ja«, flüsterte er. »Ich habe einen Punkt unterschlagen. Ich habe ihn mir selbst unterschlagen, ich habe ihn aus meinen Gedanken, aus meinem bewußten Denken vertrieben. Aber ich kann ihn nicht von meinen Träumen fernhalten, ich kann nicht verhindern, daß dieser Vorfall sich in meine Gedanken schleicht, sobald meine Kontrolle nachläßt . . .« *** Fengriffen stellte das Glas fort, lehnte sich an den Kaminsims und fuhr sich abwesend mit der Hand über die Stirn. Ich ahnte, daß er leise sprechen würde, und trat näher zu ihm hin, doch ich achtete darauf, daß ich nicht in sein Blickfeld geriet. Er sollte durch mich nicht abgelenkt werden. »Eines Abends«, sagte er, »es ist acht oder neun Monate her, kam ich unerwartet aus der Stadt zurück. Ich weiß nicht mehr, welcher Tag es war, jedenfalls hatten Catherines Symptome noch keinen Anlaß zur Besorgnis gegeben, und wir wußten auch noch nicht, daß sie schwanger war. Ich hatte geschäftlich in der Stadt zu tun und eigentlich beabsichtigt, dort zu übernachten. Aber die Geschäfte waren schneller abgewickelt, als ich vorausgesehen hatte, und so war ich in der Lage, mit dem letzten Zug zurückzukehren. Ich hatte den Wagen im Dorf gelassen und die Pferde in einem Mietstall untergebracht. Ich stieg also aus dem Zug, ließ anspannen und fuhr nach Hause. Mittlerweile war es ziemlich spät, und nirgends brannte mehr Licht. Ich rief den Stallburschen, mir blieb nichts anderes übrig, aber ich hatte keine Ursache, Jakob zu stören, und schloß selbst die Tür auf und trat ins Haus. Ich ging sofort nach oben. Um zu meinem Zimmer zu gelangen, muß ich an der Tür meiner Frau vorbeigehen, und ich verhielt mich so leise wie möglich, weil ich vermeiden wollte, sie zu wecken. Als ich Catherines Tür erreichte, hörte ich ein Geräusch, das mich veranlaßte, stehenzubleiben. Das Geräusch kam aus Catherines Zimmer, ein schwaches Murmeln, das eine leise geführte Unterhaltung sein konnte, es war aber auch möglich, daß Catherine im Schlaf sprach. Ich war nicht mißtrauisch und gelangte zu der Auffassung, daß Catherine träumte, vielleicht erlebte sie einen Alptraum, und ich fragte mich, ob ich sie nun nicht doch wecken sollte. Ich dachte an die Uhrzeit und war sehr unentschlossen. Während ich noch
dastand, wurde das Geräusch lauter. Ich sagte, ich war nicht mißtrauisch, und ich war es wirklich nicht, aber plötzlich packte mich kalte Angst, weil das Geräusch nicht nur lauter, sondern auch deutlicher wurde. Ich schlich auf den Zehenspitzen zur Tür und lauschte - ich benahm mich schäbig, Sie brauchen mich darüber nicht aufzuklären, aber vielleicht können Sie die Qual eines solchen Augenblicks nachvollziehen, den impulsiven Wunsch verstehen, die Wahrheit zu erfahren, die Art, in der die Eifersucht die Ehre in Mitleidenschaft zieht, die Urteilskraft beeinträchtigt und einen Menschen nötigt, sich zu verhalten, wie kein Gentleman sich verhalten darf. Aber genug der Entschuldigungen. Ich näherte mich schamlos Catherines Tür und preßte ein Ohr an das Holz. Und dann erkannte ich die Geräusche, Doktor. Es waren - wie soll ich mich ausdrücken? - die Geräusche der Liebe.« Fengriffens Gesicht war gerötet und aufgewühlt, und er sah mich jetzt direkt an. Seine Augen schienen zu brennen, sie verrieten ein Gefühl, das tiefer und ernster war als Eifersucht. »Mit diesen Geräuschen war ich wohlvertraut«, sagte er. »Heftiger Atem und Stöhnen und Murmeln und Seufzen und der metalische Protest der Bettfedern. Ich konnte nicht ruhig zuhören, gewissermaßen objektiv, denn mir war bewußt, daß die Stimme meiner Frau diese wortlosen, aber ausdrucksvollen - und wie ausdrucksvollen! - Laute von sich gab. Wenn man als Ehemann mit einer Frau lebt, lernt man die Besonderheiten ihrer Ekstase erkennen, die Höhepunkte und die Wellen ihrer Leidenschaft, den besonderen Rhythmus, der einer Frau eigen ist, die man liebt. Und genauso wurden diese Geräusche meinem Gehirn übermittelt, die kleinen, spitzen Schreie wie Messerstiche, die gutturalen Laute wie Keulenhiebe . . . Schließlich machten meine Emotionen sich gewaltsam Luft, ich stieß einen Schrei aus und warf mich in blinder Wut gegen die Tür. Sie war versperrt. Ich hämmerte mit den Fäusten dagegen, ich versuchte sie einzutreten. Die Gewalt meiner Attacke brachten die Geräusche in Catherines Zimmer abrupt zum Verstummen. Die Stille erschien mir schlimmer als die Geräusche. Die Tür hielt stand, und ich entfernte mich einen Schritt, während ein entsetzliches Schweigen sich über das Haus senkte. Meine Verzweiflung steigerte sich. Noch einmal warf ich mich gegen die Tür, und diesmal gab sie nach und flog auf. Ich erblickte ein Schauspiel, das sich mir unauslöschlich ins Gedächtnis eingegraben hat. Catherine saß aufrecht im Bett. Sie war nackt. Laken und Decken waren zerwühlt und hingen zum Teil auf den Boden. Catherine wandte mir das Gesicht zu, ihr Mund war leicht geöffnet, ihre Augen waren glasig,
anscheinend wußte sie nicht einmal, wo sie war und wer sie war. Ihre weiße Haut glänzte vom Schweiß, ihre Haare waren zerzaust, und ihre schlanke rechte Hand lag an ihrer Kehle. Ich bemerkte, wie ihre Halsschlagader heftig pulsierte und wie ihre Brüste sich hoben und senkten, als sie schwer atmete. Ich sah diese Einzelheiten, dann blickte ich an ihr vorbei und bemerkte, daß das Fenster offen war. Die Läden waren weit zurückgeklappt, die Gardinen waren nach draußen gewölbt, als wären sie mitgezerrt worden, als jemand hastig geflüchtet war. Während ich hinstarrte, glitten die Gardinen ins Zimmer zurück. Mit drei Schritten war ich am Fenster, aber es war eine stockfinstere Nacht. Ich blickte hinaus, konnte jedoch nichts sehen. Ich drehte mich zu Catherine um, und gleichzeitig wurde ich des Gestanks gewahr, der das Zimmer erfüllte und meine Nase beleidigte - ein seltsamer Geruch nach Schimmel und Moder, den ein Mensch zurückgelassen haben mochte, der zu Fuß einen herbstlichen Wald voller welker Blätter durchquert hatte. Der Geruch drang beizend in meine Nase und reizte mich zum Würgen und zum Husten. Ich kämpfte den Reiz nieder und ging zum Bett. Der penetrante Duft wurde schwächer, als frische Luft ins Zimmer strömte, und meine Nase beruhigte sich. Catherine hatte sich nicht gerührt, lediglich ihre Augen waren mir gefolgt, und diese Augen waren nun nicht mehr glasig. Sie leuchteten. In solchen Sekunden haben ihre Augen eine besondere Art zu leuchten - wie von einem inneren Licht, das durch die verschleierten Pupillen dringt gleich dem Licht der Sonne an einem dunstigen Himmel. Ich beobachtete diese Veränderung. Mein Zorn war zu einer steinernen Ruhe geronnen, als ob meine Gefühle sich zu einer Schutzbarriere aus Eis vor meinem Hirn geballt hätten, und hinter diesem Verteidigungswall hervor blickte ich zu Catherine. Sie ist meine Frau, Doktor. Ich habe sie geliebt, und ich habe gesehen, wie sie sich jählings verändert, wenn der Akt der körperlichen Liebe vorüber ist. Genau so, Doktor, hat sie in diesem Augenblick ausgesehen. So hat sie ausgesehen . . .« Fengriffen verstummte, spreizte die Finger und zuckte mit den Schultern, ohne indes den Eindruck der Gleichgültigkeit erwecken zu können. »Natürlich habe ich sie der Untreue bezichtigt. Daran konnte - nein, daran kann es keinen Zweifel geben. Ich habe sie nicht sofort angeklagt, ich konnte mich nicht dazu überwinden, auch nur ein Wort zu sagen. Ich bin in mein Zimmer gegangen und habe dort die entsetzlichste Nacht
meines Lebens durchwacht, aber am Morgen habe ich Catherine beschuldigt. Was hätte ein anderer Mann an meiner Stelle getan? Sie hat nicht geleugnet, sie hat mich keiner Entgegnung gewürdigt, sie hat mich angestarrt, als hätte ich etwas Unbegreifliches ausgesprochen, als wäre sie nicht imstande, meine Worte zu verstehen. Aber sie konnte auch nichts sagen, denn da gab es nichts mehr zu sagen. Und das Ergebnis meiner Anschuldigung?« Er lächelte freudlos. »Es war, als ob ich im Unrecht wäre, Doktor. Seit dieser Nacht hat sie mir den Zutritt zu ihrem Schlafzimmer verweigert - als hätte tatsächlich ich sie betrogen!« Fengriffen löste sich vom Kamin und ging durch das Zimmer. »Falls sie Ihnen untreu war . . .«, sagte ich. Er starrte mich an. »Haben Sie Ihre Frau nicht noch weiter von sich fortgetrieben?« fragte ich. »Ihre Vermutung hat sich doch gewiß auf Ihr Verhalten ausgewirkt.« »Nein, Doktor. Ich bin bereit, Catherine zu verzeihen. Ich habe es ihr gesagt. Ich will ihr alles vergeben, wenn ich damit ihre Liebe zurückgewinnen kann, denn ich liebe sie trotz dieser Anschuldigung und trotz ihrer stummen Gegenbeschuldigungen. Meine Liebe ist größer als meine Eifersucht und großer als mein Stolz. Catherine erlaubt mir nicht, ihr zu verzeihen, sie hört mir nicht zu, wenn ich mit ihr rede, ich bin ihr gleichgültig. Sie will keine Vergebung. Doktor, denn sie verachtet mich.« »Die Reaktion einer Frau auf ihre eigene Schuld ist nicht immer logisch«, sagte ich, »und wenn Sie . . .« »Die Schuld soll der Teufel holen!« Er schnitt mir das Wort ab. »Finden Sie heraus, warum sie mich nicht mehr liebt! Sagen Sie mir, was ich tun soll. Kurz nach jener schrecklichen Nacht gab es die ersten Anzeichen ihrer Schwangerschaft. Ich habe gehofft, daß die Schwangerschaft uns wieder näher zusammenbringen würde, doch sie hatte die entgegengesetzte Wirkung. Mein Kind und Erbe wird geboren werden, Doktor, aber in welch einer Situation! Um Gottes willen, heilen Sie Catherine von ihrem Wahnsinn, ehe das Kind geboren wird!« Er starrte mich an mit einem Ausdruck voll dumpfer Verzweiflung und fassungslosem Schmerz, daß ich den Blick abwandte. Als ich wieder aufsah, hatte Fengriffen das Zimmer verlassen. *** Ich saß allein beim Schein des erlöschenden Kaminfeuers, ging in Gedanken sämtliche Möglichkeiten durch und versuchte, System in das
Gerüst aus Fakten zu bringen. Ich war keineswegs davon überzeugt, daß Catherine ihrem Mann untreu gewesen war; tatsächlich erschien mir der ganze schmerzvolle Bericht ziemlich unwahrscheinlich, allzu lebhaft und allzu offensichtlich von Fengriffens Gefühlen und Ängsten verzerrt. Andererseits spürte ich: daß er mir endlich die Wahrheit gesagt hatte, wie er sie sah, und daß ein außergewöhnliches Ereignis in Catherines Schlafzimmer stattgefunden haben mußte. Fengriffens Verdacht war verständlich und naheliegend, und er wurde gestützt durch Catherines Weigerung, sich zu rechtfertigen, und durch ihre Ablehnung der Vergebung, die er ihr angeboten hatte. Dennoch ließ ihr Verhalten auch andere Schlußfolgerungen zu, und vor allem kam sie mir nicht wie eine Frau vor, die einem anderen Mann den Zutritt zu ihrem Schlafzimmer gestattet und ihren Mann in seinem eigenen Haus betrügt. Falls sie ihn wirklich nicht mehr liebte, konnte ich nichts tun, und ich durfte es auch nicht versuchen, denn eine sterbende Liebe befindet sich außerhalb der Reichweite der Wissenschaft. Aber Catherine hatte mir mitgeteilt, daß sie ihn noch liebte, und ich glaubte es ihr. Sie hatte mir auch mitgeteilt, daß sie ihn nicht betrogen hatte, sie hatte mich also einer Erklärung gewürdigt, die sie ihm vorenthielt. Damit gab es eine neue Alternative, und für mich gab es eine neue Methode, mich diesem Problem zu nähern. Die Alternative hatte in meinen Gedanken allmählich und eigentlich gegen meine Absicht Gestalt gewonnen. Genaugenommen betraf sie Hirngespinste, auf die ich in meiner Praxis noch nie gestoßen war, aber ich hatte sie als gewissermaßen klassische Verirrung studiert, und sie konnten durchaus Catherines Verhalten erklären. Sie veränderten auf beklagenswerte Weise für den Betroffenen die Wirklichkeit, sie waren ungewöhnlich und im Gegensatz zu anderen Geisteskrankheiten auch unfundiert, eine Fixierung aus einer dunklen Epoche, die in einer aufgeklärten Zeit nicht hätte überleben dürfen, aber sie hatte in Catherines Psyche fruchtbaren Boden gefunden, als sie erschüttert und verstört durch die Erzählung des Waldmenschen in dieses Haus zurückgekehrt war. So furchtbar dieses Leiden war, so konnte es doch behandelt und ausgemerzt werden, sobald ich entdeckt hatte, wie es in Catherine gewachsen war. Eben dies war das Problem. Wo hatten die Halluzinationen von ihr Besitz ergriffen? Wo hatte sie den Keim dieser fixen Idee in sich aufgenommen? Indem ich darüber nachdachte, ließ ich meinen Blick absichtslos durch den Raum schweifen, über die dämmerigen Schatten in den Ecken, die orangefarbenen Flammen im Kamin, die Bücher, mit denen die Wände
bedeckt waren. Ich hielt inne. Fengriffen hatte erwähnt, daß Catherine viele Stunden allein in der Bibliothek verbracht hatte. Zu dieser Zeit hatte ich der Mitteilung weiter keine Bedeutung beigemessen, ich hatte mich mit der Vermutung begnügt, daß sie sich offenbar nach Einsamkeit gesehnt hatte, doch nun bekam Catherines Handlungsweise einen anderen Sinn. Ich spürte mit nahezu absoluter Gewißheit, daß die Antwort auf meine Frage irgendwo inmitten des gesammelten Wissens auf diesen Regalen zu finden war. Ich erhob mich aus dem Sessel und schlenderte zu den Regalen und daran entlang, wobei ich aufs Geradewohl den einen oder anderen Band aus den Fächern zog. Die Rücken der Bücher waren staubfrei, aber die Oberseiten waren Mrs. Lunes Aufmerksamkeit entgangen. Sie trugen einen dicken Mantel aus grauem Staub, der jahrelang ungestört geblieben war. Ich blickte auf die Titel und stellte fest, daß diese Bibliothek ein überreiches Angebot an Werken aus nahezu sämtlichen Gebieten der Wissenschaft enthielt. Bei meinem zweiten Rundgang entdeckte ich, wonach ich Ausschau gehalten hatte. Bevor ich das Buch aus dem Regal nahm, wußte ich auch, daß dieses Buch das unheilvollste war, das Catherine in die Hände hatte geraten können. Ich betrachtete es genauer und sah, daß die Oberseite staubfrei war. Catherine hatte sich also nicht nur einmal damit befaßt. Das Buch hieß >Mallus Maleficartum<. Es war die illustrierte Pariser Ausgabe von 1497, jener widerliche Klassiker, der die Inquisition angeheizt hatte, ein verbrecherisches Werk über die Dämonologie, das unvorstellbare Verfolgungen, eine Lawine von Prozessen und entsetzliche Folterqualen über die Menschheit gebracht und die dumpfe Furcht des Aberglaubens in grelle Hysterie verwandelt hatte. Nun hatte es also wieder einmal ein Opfer gefunden. In einem Zeitalter, in dem es seine schreckliche Macht längst hätte verlieren müssen, hatte es einen Sieg über Catherines verwirrten Verstand davongetragen. Ich nahm das Buch, stellte es mit dem Rücken nach unten aufrecht auf den Tisch und ließ es los, so daß es an der Stelle aufklappen mußte, die zuletzt am häufigsten aufgeschlagen worden war. Das Buch öffnete sich im zweiten Teil. Ich blickte auf die Seite und wußte vorher, welches Thema dort behandelt wurde. Inkubus.
Sexuelle Beziehungen zu Dämonen. Dies also war der Wahn, der Catherine befallen hatte . . . *** Ich hielt mich nicht damit auf, den Text zu lesen, der Catherines Verstand beschädigt hatte, sondern schlug das Buch schnell zu, als wäre es eine Büchse der Pandora, aus der böse Geister und monströse Teufel mich anfallen konnten, zwar nicht greifbar und ohne Substanz, aber trotzdem imstande, konkrete Verwüstungen anzurichten. Ich stellte das Buch zurück ins Regal und ertappte mich dabei, daß meine Nackenhaare sich gesträubt hatten. Ich begriff, welche entsetzliche Qualen die arme Frau hatte erdulden müssen. Trotz der späten Stunde entschloß ich mich, unverzüglich mit Catherine zu sprechen. Ich wandte mich an Mrs. Lune, ohne Fengriffen zu informieren. Mrs. Lune sträubte sich, die Mistreß zu stören, sie erfand Entschuldigungen und Ausflüchte, bis es mir schließlich gelang, sie von der Dringlichkeit meines Anliegens zu überzeugen. Mit erheblichen Bedenken geleitete sie mich nach oben zu Catherines Zimmer. Catherine lag wach im Bett, die Decken waren locker über ihren geschwollenen Leib gebreitet, ihre Augen wirkten alarmiert in ihrem schmerzverzerrten Gesicht. Sie schien sich über meinen Besuch zu wundern. Mrs. Lune blieb an der Tür stehen und war nervös, ihre Züge verrieten ein deutliches Unbehagen. »Ich muß mit Ihnen sprechen«, sagte ich. Catherine runzelte die Stirn. »Ich - ich habe ihm gesagt. . .«, stotterte Mrs. Lune. »Es ist gut«, sagte Catherine. »Sie können gehen.« Mrs. Lune atmete erleichtert auf. Sie zog sich zurück und ließ die Tür spaltbreit offen. Ihre Schritte verklangen auf dem Korridor. Ich trat neben das Bett, setzte mich auf einen Stuhl, beugte mich vor und redete leise und eindringlich auf Catherine ein. »Sie müssen mir berichten, was Sie für die Wahrheit halten, Madam. Es geht um Ihre Genesung und um Ihr ungeborenes Kind. Vergessen Sie nicht, daß ich Arzt bin, denken Sie immer daran. Sie dürfen sich auch nicht von Scham beeinflussen lassen.« »Scham? Ich schäme mich nicht. Sie können nichts für mich tun, Sie verschwenden nur Ihre Zeit.« »Ich kann zuhören.«
Sie lächelte grimmig. »Ich verstehe von alledem mehr als Sie, Doktor, trotz Ihrer Studien. Ich habe nicht studieren müssen. Ich habe aus der Erfahrung gelernt.« »Dann werde ich vielleicht von Ihnen lernen.« Sie sah mich erstaunt an. »Wissen Sie, was mir geschehen ist?« Ich nickte. »Na schön, dann werde ich Ihnen alles erzählen, Doktor. Sie werden mir nicht glauben, aber Sie werden die Wahrheit zu hören bekommen.« Sie lächelte wieder. Dann begann sie zu sprechen. *** »Ich habe mich gewehrt. Sie müssen mir das glauben, Doktor, ich habe mich wirklich mit aller Kraft gewehrt, aber mein Widerstand war sinnlos. Es war nichts Physisches, wenn Sie verstehen, was ich meine. Mein Wille ist schließlich zerbrochen, und ich habe mich gefügt. Was es war, oder wie es möglich war - ich weiß es nicht. Ich habe in den Büchern in der Bibliothek gesucht und gewisse Begriffe und Namen gefunden, die vielleicht passen, vielleicht auch nicht, immerhin betreffen sie lediglich Aberglauben und Hexerei und Zauberei und Selbstbetrug und Unwissenheit. Ich war mit diesen Erklärungen nicht zufrieden. Was ich erlebt habe, war Wirklichkeit. Wenn ich wahnsinnig bin, dann ist mein Wahnsinn ein Produkt der Wirklichkeit. Und falls ein Gottesurteil je schrecklicher gewesen sein sollte, dann kann das menschliche Gehirn es sich jedenfalls nicht mehr ausmalen. Es kam immer nachts, Doktor. Was immer es war - es kam in jeder Nacht, in der ich allein geschlafen habe. Der Anfang war stets gleich, nämlich die Illusion von Gewicht und Kälte, und Gewicht und Kälte nahmen von Mal zu Mal zu. Jede Nacht schien die Substanz anzuschwellen. Statt der Kälte in der Luft entstand gewissermaßen ein Körper aus Kälte, der durch das Fenster drang und sich neben mich und zum Schluß auf mich legte. Was ist ein Schemen, ein Gespenst, ein Geist nicht mehr als ein Gebilde aus Temperatur? Ich lag stumm da, als diese seine Gegenwart über mich kam, und wimmerte vor Furcht vor seiner Berührung und wünschte es weit fort und kämpfte - ich kämpfte wochenlang - dagegen an. Aber von Nacht zu Nacht kämpfte ich weniger. Es tat mir nicht weh. Ich
spürte keinen Schmerz, nicht einmal die Kälte war unangenehm, doch die Erfahrung selbst war so schrecklich, so unmenschlich, daß ich das Gefühl hatte, in eine andere Dimension gebracht zu werden, auf eine andere Ebene der Existenz, in eine andere Sphäre der Realität. Und ich wußte mit einem überwältigenden Haß auf mich selbst und voller Verachtung, daß ich keine andere Wahl hatte, als früher oder später aufgesogen zu werden. Vielleicht ließ meine Willenskraft nach, weil ich wußte, daß mein Widerstand vergeblich war, aber das ist nicht von Belang. Ist eine Nacht, eine Woche, ein Monat noch wichtig, wenn das Ergebnis von vornherein feststeht? Und so ergab ich mich. Das Wesen nahm feste Formen an, und als es dies tat, verströmte es einen durchdringenden Geruch nach Schwefel und Moder, und die Kälte verebbte. Die Moleküle der Luft verdichteten sich, bis ich die Form dieses Wesens sehen konnte. Es blieb transparent, und die Konturen verschwammen, aber es hatte eine Gestalt und schwebte über mir, und dann ließ es sich auf mir nieder. Ich hatte keine Energie mehr. Meine Schenkel öffneten sich. Ich spürte eine klamme Umarmung und schloß die Augen, denn ich wollte nichts sehen. Ich drückte es mechanisch mit den Händen zur Seite - das heißt, ich beabsichtigte es, und spürte, wie meine Arme schwer durch das Wesen hindurchgingen wie durch eine dicke Flüssigkeit. Der Geruch bewirkte, daß ich schwindlig wurde, er betäubte meine Sinne, und dann ergriff das Wesen von mir Besitz. Ich fühlte, wie es zitterte, und hörte ein unwirkliches Stöhnen, als hätte sich innerhalb der Eingeschlossenheit meines Zimmers ein starker Wind erhoben, vielleicht auch innerhalb meines Körpers. Das Wesen bewegte sich. Ich bewegte mich mit ihm. Gott möge mir verzeihen, aber ich konnte nicht anders, ich nahm aktiv an dieser entsetzlichen Verbindung teil. Ich weiß nicht, wie lange es dauerte, aber schließlich merkte ich. wie das Wesen den Akt vollzog. Dann zog sich das Wesen von mir zurück. Es schwebte wieder über mir, blieb eine Weile und verschwand. Die Gardinen bewegten sich, als es durchs Fenster glitt, und ich war allein und zitterte und bebte - aber Worte können solche Empfindungen nicht beschreiben. Was soll ich noch sagen0 Das Wesen kam jede Nacht wieder. Ich täuschte nicht einmal mehr Widerstand vor, meine Kraft war versiegt. Ich erwartete seine Ankunft voller Verachtung und Entsetzen und trotzdem, zu meiner Schande muß ich es bekennen, mit einer gewissen Vorfreude. Die Vereinigung mit diesem Wesen war alles andere als widerwärtig. Ich lebte wie eine
Somnambule. Ich wartete jede Nacht, und das Wesen kam jede Nacht. Ich war die Geliebte dieses Wesens geworden und empfing allnächtlich seine Umarmung, ich spendete Genuß und erhielt Genuß. Und von Nacht zu Nacht versank ich tiefer in Verstrickung und Sünde. Dann kam das Wesen eines Nachts nicht mehr. In dieser Nacht begriff ich das entsetzliche Schicksal, das dieses Wesen über mich gebracht hatte. Ich wußte, daß seine Mission beendet war und daß es nie wiederkehren würde.« Catherines Augen waren weit aufgerissen, ihr Mund war grotesk zu einem bitteren Lächeln verzerrt. »Ich habe Ihnen nun alles gesagt, Doktor. Vielleicht können Sie mir nun auch etwas sagen . . .« Ich schwieg. »Haben Sie >Mallus Maleficarum< gelesen?« fragte sie. »Und das >Dictionnaire Infernal< und >Alexicacon< und ein Dutzend weitere Bücher über dieses Thema, ja.« »Und wie ist Ihre Meinung über dieses heftig diskutierte Gebiet, Doktor?« »Wie soll ich das verstehen?« »Können Inkuben sich mit einer sterblichen Frau fortpflanzen?« Ich suchte nach einer Antwort. Catherine blickte an sich hinunter auf ihren aufgetriebenen Leib. Ihr Gesicht zuckte vor Haß. »Ich habe Angst, das Kind eines Dämons in mir zu tragen«, flüsterte sie. Entsetzt verließ ich das Zimmer. *** Ich verbrachte einen erheblichen Teil der Nacht mit der Frage, ob ich die wahre Natur von Catherines Phantasien ihrem Mann preisgeben sollte. Fengriffen, so dachte ich, würde gewiß erleichtert sein, daß seine Frau ihn nicht zum Hahnrei gemacht hatte, aber er war kein Mensch von großem Zartgefühl. Er hatte nicht viel Verständnis für andere Menschen, und es war schwierig vorauszusagen, wie er reagieren würde, wenn er begriff, unter welcher Selbsttäuschung der Verstand seiner Frau zusammenzubrechen drohte. Schließlich rang ich mich zu der Überzeugung durch, daß es am besten war, ihn einzuweihen, weil meine eigene Arbeit, nämlich den monströsen Schemen aus Catherines Bewußtsein zu vertreiben, mit Gewißheit erleichtert wurde, wenn Fengriffen informiert war. Aber ich wollte dieses Thema nicht in der Bibliothek diskutieren, wo die
Unterhaltung notgedrungen durch das Gespräch, das ich mit ihm am Abend dort geführt hatte, beeinflußt werden mußte. Ich wollte überhaupt nicht im Haus mit ihm reden. Der Gegenstand, der zu behandeln war, trug so viele Merkmale des Unheimlichen, daß ich zu der Überzeugung gelangte, bei Tageslicht und im Freien wäre er eher zu bewältigen. Daher wartete ich bis nach dem Frühstück und fragte dann Charles, ob er Lust hätte, mit mir auszureiten. Er warf mir einen forschenden Blick zu, sagte aber nichts, sondern nickte zustimmend. Ich ging zu meinem Zimmer und zog einen Reitanzug an; des unwirtlichen Wetters wegen nahm ich meinen Mantel mit. Als ich unten in den Vorhof trat, standen dort zwei gesattelte Pferde. Fengriffen hielt die Zügel seines großen Braunen und spähte zum Himmel. Der Stallbursche führte das Pferd, das für mich bestimmt war, einen grauen, ziemlich kleinen Wallach, der freundlich und träge wirkte, womit ich durchaus zufrieden war. »Heute wird es noch regnen«, sagte Fengriffen. »Hat Jakob es prophezeit?« Fengriffen nickte und schwang sich elegant in den Sattel. »Wir müssen ja nicht weit reiten«, sagte ich. Fengriffen nickte wieder, sein Gesicht war ernst. Der Stallbursche half mir auf den Grauen, trat zurück und schob die Mütze aus der Stirn. Er blickte uns nach, als wir vom Hof ritten. Nach einer Weile ließen wir die Pferde in Schritt fallen und ritten am Saum des Waldes entlang. Nach etwa einer halben Stunde bogen wir um einen grauen Felsvorsprung, das Haus hinter uns war von hier aus nicht mehr zu sehen, und Fengriffen zügelte abrupt. Er blickte auf mich herunter und griff meinem Pferd ins Zaumzeug, als hielte er mich für unfähig, das Tier ohne seine Hilfe zum Stehen zu bringen. »Nun?« sagte er. »Lassen Sie uns absteigen.« Wir taten es. Fengriffen wickelte die Zügel der beiden Pferde locker um einen kräftigen Ast eines nahen Baumes, ich setzte mich auf den Felsen. Fengriffen kam zu mir, stellte einen Fuß neben mich auf den Stein, beugte sich vor und stemmte einen Ellbogen auf das Knie. »Nun?« fragte er noch einmal. »In der Psyche Ihrer Frau ist eine - Abnormalität«, sagte ich vorsichtig. Er bewegte die Lippen, ich hob die Hand und kam ihm zuvor. »Warten Sie. Unterbrechen Sie mich noch nicht. Hören Sie mich an, ehe Sie etwas sagen. Abnorm bedeutet nicht wahnsinnig. Aber wenn dieser
Zustand bleibt, kann er zu einer Geisteskrankheit führen, er kann sie provozieren. Ihre Frau hängt einem Glauben an, der in einer früheren Epoche beinahe alltäglich war - im Mittelalter. Inzwischen ist er nicht mehr alltäglich, und allein die Seltenheit macht ihn überaus gefährlich. Der Glaube Ihrer Frau steht in einem engen Zusammenhang mit dem Fluch, aber ich glaube nicht, daß er durch den Fluch hervorgerufen wurde, auch nicht durch das Wissen um die Existenz des Fluchs. Ich würde eher annehmen, daß bei Ihrer Frau eine innere Bereitschaft vorgelegen hat, diesen Fluch als Mittel für eine Bestrafung anzunehmen. Ich vermute, daß Ihre Frau an einem Schuldgefühl leidet, für das gewiß Gründe bestehen die ich übrigens nicht kenne, und ich bezweifle, daß sie selbst sie kennt -, und dieses Schuldgefühl ist gesteigert worden durch die Erzählung des Waldmenschen. Dieses Zusammentreffen hat Träume ausgelöst, genauer: einen Alptraum, der sich eine Zeitlang wiederholt hat und von einer Art war, daß Ihre Frau ihn als Wirklichkeit angenommen hat. Offenbar war es nicht möglich, zwischen Alptraum und Realität zu unterscheiden.« »Träume! Wie können Träume als Wirklichkeit erscheinen?« »Für Catherine sind es keine Träume. Sie sind Wirklichkeit. Sie sind bei weitem wirklicher als die Gründe für ihr Schuldgefühl, denn ihr Bewußtsein hat diese Gründe nicht akzeptiert, es hat sie verdrängt, um sich selbst, nämlich das Bewußtsein, zu schützen. Aber damit muß man beginnen. Wenn es mir gelingt, in ihr Unterbewußtsein zu dringen und die Ursache dieses Schuldgefühls aufzudecken, kann ich mich damit auseinandersetzen. Möglicherweise ist dieser Prozeß nicht nur langwierig, sondern auch anstrengend für sämtliche Beteiligten.« Fengriffen zog eine Pfeife und einen Tabaksbeutel aus der Tasche und konzentrierte sich darauf, den Tabak in die Pfeife zu stopfen. »Könnte dieses Schuldgefühl seinen Ursprung in einer Untreue haben?« »Es könnte, aber wohl nicht in dem Sinn, den Sie dem Wort geben, jedenfalls glaube ich es nicht. Es könnte auch hundert andere Motivationen haben.« »Diese Träume . . .«. sagte er leise. Er riß ein Streichholz an und hielt die Flamme über den Tabak in seiner Pfeife. Er paffte. »Welcher Natur sind die Träume?« »Sexueller Natur.« Fengriffen runzelte die Stirn, nicht vor Ärger, sondern im offenkundigen Bemühen, mich zu verstehen. Er klemmte die Pfeife zwischen die Zähne und blies grauen Rauch durch die Nase. »Ihnen muß klar sein«, sagte ich, »daß ein sexuelles Schuldgefühl nicht
notwendigerweise sexuelle Ursachen hat.« Er sagte nichts. »Wissen Sie, was ein Inkubus ist?« Fengriffen nickte langsam und nahm die Pfeife aus dem Mund. Er steckte den Tabaksbeutel und die Streichhölzer wieder ein. »Ein Dämon oder ein Teufel, der Geschlechtsverkehr mit Sterblichen sucht«, sagte er. »Richtig?« »Richtig, wenngleich ein wenig vereinfacht.« »Aber das ist doch absurd!« »Für Sie und für mich. Nicht für Catherine. Sie haben in Ihrer Bibliothek ein Buch, in dem solche Dinge behandelt werden - aber nicht so behandelt, wie ein Wissenschaftler es tun würde, sondern mit der üblen Religiosität eines unaufgeklärten Zeitalters. Ihre Frau hat das Buch gelesen. Menschen neigen dazu, zu glauben, was schwarz auf weiß gedruckt vor ihnen liegt. Catherine konnte vor sich selbst nicht zugeben, daß ihre Träume lediglich Träume waren, sie konnte sich nicht damit abfinden, daß sie in ihren Träumen sexuelle Erfüllung fand. Sie suchte nach einer Antwort und fand sie in den hinterhältigen Lehren dieses berüchtigten Buchs - und zwar zu einer Zeit, da sie bereits Kenntnis von jenem Fluch hatte und dadurch verstört war. Damit schloß sich der Kreis. Die Träume wurden zunehmend realistischer, je verstörter sie selbst wurde, und je verstörter sie wurde, desto weiter entfernten die Träume sie von der Wirklichkeit.« »Aber warum sollte sie diese erotischen Träume haben?« »Damit schneiden Sie wieder die Frage des verdrängten Schuldgefühls an. Die Gründe können weit in ihrer Vergangenheit liegen, bei einem vergessenen Zwischenfall aus ihrer Kindheit. Sie können aber auch ganz einfach einem Bedürfnis entspringen, dann läge das Versäumnis bei Ihnen, etwa weil Sie die sexuellen Ansprüche Ihrer Frau nur unzureichend befriedigt haben. Ich halte diese letzte Annahme übrigens für mehr als wahrscheinlich. Aber, und darauf möchte ich ausdrücklich hinweisen, die besondere Natur der Träume und die Tatsache, daß Catherine außerstande war, sich damit abzufinden, daß es Träume waren, beweist ihre Unschuld.« Fengriffen hob fragend die Brauen. »Die Wollüstigen werden durch erotische Träume nicht verwirrt«, erklärte ich. »Sie erfreuen sich dieser Träume und nehmen sie als Ersatz für unerfüllte Wünsche. Nur Menschen, die dazu neigen, Wünsche und Sehnsüchte zu unterdrücken, reagieren verstört. Je mehr diese Menschen ihre Sehnsüchte unterdrücken, desto größer die Verstörung durch die Träume. Bei Menschen mit einer Veranlagung zu psychischer Instabilität kann eine Unterdrückung erotischer Bedürfnisse
Phantasien auslösen, die nicht mehr auf die Stunden des Schlafs beschränkt bleiben, sondern zu Wachträumen werden. Sie verstehen, worauf ich hinauswill? Ihre Frau weigert sich, daran zu glauben, daß sie erotische Träume hat, deshalb klammert sie sich an den Fluch, der seinen Ursprung in einem Sexualverbrechen hat, und an das, was sie über übernatürliche Kopulation gelesen hat. Damit hat sie die notwendige Erklärung. Sie ist zu dem Glauben gelangt, daß ein Dämon sie besucht.« »Das ist ganz bestimmt Wahnsinn!« »Generationen waren mit dieser Erklärung zufrieden. Sogar das Wort Alptraum hat hier seine Wurzel. Ein Alp oder auch Alb ist ein gespenstisches Wesen. Ich habe Ihnen ja gesagt, daß dieser Glaube heutzutage recht selten geworden ist, das sollte ihn indes nicht unbegreiflich machen.« Fengriffen nahm seinen Fuß von dem Felsen und richtete sich auf. »Und die Nacht, von der ich Ihnen erzählt habe, die Nacht, in der ich in ihr Zimmer eingedrungen bin? Ist es möglich, daß der Anblick, den ich als Beweis als der Untreue gedeutet habe, lediglich ein Traum war?« »Es ist möglich und sogar wahrscheinlich.« Er atmete auf, aber er war nach wie vor skeptisch. Die Mähnen der Pferde flatterten im Wind, der jäh aufgekommen war, der Himmel war dunkler geworden. Die Luft roch nach Regen. »Und Sie werden bleiben, solange es nötig ist?« »Selbstverständlich. Übrigens verachtet Ihre Frau nicht Sie, sondern sich selbst. Sie verweigert sich Ihnen nicht, weil sie Sie nicht mehr liebt, sondern weil ihr Mann sich nicht mit einer Frau beschmutzen soll, die mit einem Dämon Umgang gehabt hat. Catherine hält sich selbst für beschmutzt und wertlos.« Er klatschte sich mit der Reitpeitsche gegen den Stiefelschaft, anscheinend war er tief in Gedanken. »Eine Heilung ist möglich?« »Davon bin ich überzeugt.« »Und Sie werden bleiben, solange Catherine Sie braucht?« »Wenigstens werde ich bleiben, bis Ihr Kind geboren ist«, sagte ich. »Danach bin ich vermutlich überflüssig. Eine normale Geburt und die Mutterschaft werden die beste Therapie sein - Ihre Frau wird sich selbst heilen können.« »Ich verstehe nicht. Eine normale Geburt?« Er runzelte finster die Stirn, und mir wurde klar, daß unsere Unterhaltung ihn nicht zu der gleichen Schlußfolgerung geführt hatte, die seine Frau bedrückte, und daß es vielleicht besser war, wenn er diese Schlussfolgerung nicht zog. Aber nun
begann er zu begreifen. Er begann die entsetzliche Angst zu erkennen, die seine Frau in ihren Klauen gepackt hielt, und sein Gesichtsausdruck veränderte sich. Sein Stirnrunzeln wich einer tiefen Bestürzung, die sich in Grauen verwandelte Seme Haut war plötzlich straff über die Wangenknochen gespannt, darunter zuckten die Muskeln. »Das glaubt sie?« flüsterte er. »Sie fürchtet es.« »Daß sie das Kind eines Dämonen trägt?« »Ihre Verwirrung . . .«. sagte ich lahm. Ich verstummte hilflos, als ich in Fengriffens Gesicht blickte. Ich fand die richtigen Worte nicht, und Fengriffen hörte mir auch nicht mehr zu. *** Fengriffen war wie zu Eis erstarrt, und er benötigte einige Minuten, um wenigstens äußerlich den Schock zu überwinden. Dann stampfte er heftig mit dem Fuß auf und schlug sich mit der rechten Hand heftig in die linke Handfläche; der Knall war scharf wie ein Peitschenhieb. Im selben Augenblick rollte Donner über den Himmel, als ob die Götter selber den Schmerz dieses Mannes teilten. Der Himmel wurde schwarz, die Wolken veränderten ihre Farbe, ohne den Standort zu verändern, scheinbar drehten sie sich um die eigene Achse, um der Erde ihre dunklere Seite zuzukehren. Ein Blitz zerriß die Finsternis, die ersten Regentropfen fielen, langsam und schwer wie eine verlorene Hoffnung, während der Wind an Stärke jählings zunahm und Fengriffens Haare durcheinanderwirbelte. Abermals rollte über uns der Donner. »Sie haben von einem Fluch gesprochen«, sagte Fengriffen. Seine Stimme klang hohl und erstickt, als hätte alle Kraft ihn verlassen. »Eine Untreue ist besser als das! Wahnsinn ist sympathischer als Idiotie! Lieber Wahnsinn als Verlust aller Vernunft, als elende, jämmerliche Dummheit . . .« Er riß den Kopf herum und starrte in die Richtung, aus der wir gekommen waren und in der das Haus lag. Er hob die Hand und sagte etwas, das ich nicht verstand, aber ich ahnte, daß er eine schreckliche Verwünschung ausstieß. Mit zwei großen Schritten lief er zu seinem Pferd, löste mit einem Ruck die Zügel und stieg so jäh in den Sattel, daß sein Pferd scheute und stolperte. Er hämmerte dem Tier die Hacken in die Weichen und galoppierte von dannen, daß hinter ihm die lockere Erde spritzte. Ein
Schlammbrocken traf mich an der Stirn; ich wischte ihn mit dem Handrükken ab und starrte hinter Fengriffen her. Der Regen war stärker geworden, der Wind fegte ihn mir ins Gesicht, und ich hielt eine Hand über die Augen. Fengriffens Schmerz ging auf mich über, als wäre ich von alledem nicht weniger betroffen als er, und ich hatte das Gefühl einer großen Belastung, der ich nicht gewachsen war. Ich spürte diese Belastung beinahe körperlich, sekundenlang hatte ich den Eindruck, daß meine Stiefel tief in den weichen Boden sanken. Der Regen wurde zum Wolkenbruch. Ich blickte dorthin, wo Fengriffen verschwunden war, bis mein Pferd leise wieherte. Das Geräusch brachte mich wieder zur Besinnung. Ich stieg auf und folgte Fengriffen. *** Der Sturm war überwältigend. Meine Sichtweite betrug nur wenige Fuß, und selbst die waren wässerig verschleiert. Mir blieb nichts anderes übrig, als dem Pferd seinen Willen zu lassen und darauf zu vertrauen, daß es uns zum Haus zurückbefördern würde. Wieder zuckten Blitze vom Himmel, und ich sah das Haus vor mir auftauchen und verschwinden, weil die jähe Illumination einer ebenso jähen Dunkelheit wich. Ich zog den Kopf ein und duckte mich, bis das Pferd mich in den Stall getragen hatte, dann blickte ich auf. Fengriffens Pferd war da, und der Stallbursche war damit beschäftigt, ihm den Sattel abzunehmen. »Wo ist Ihr Herr?« fragte ich. Ich sprang ab, der Stallbursche sah über die Schulter zu mir her. »Ich weiß es nicht, Sir. Er war ziemlich aufgeregt. Er ist von seinem Pferd gestiegen und wortlos hinausgerannt. Er hat einen Spaten mitgenommen.« Er nahm mir die Zügel ab. »Ist er zum Haus gelaufen?« fragte ich. »Ich kann's Ihnen wirklich nicht sagen, Sir.« Ich spähte zum Eingang. Der Regen fiel wie aus Kannen. Aber nässer als ich war, konnte ich nicht werden, daher zog ich den Mantel enger und ging zum Haus. Vor mir tanzte ein Licht. Einen Moment später war das Licht als Laterne zu erkennen, und der alte Jakob starrte mich an. Er trug einen Regenumhang mit Kapuze.
»Ist der Herr bei Ihnen, Sir?« fragte er. »Er hat vor ein paar Minuten den Stall verlassen.« Jakob besah sich ausdruckslos den strömenden Regen. »Die Herrin hat Wehen«, sagte er. »Wir haben ins Dorf nach Dr. Whittle geschickt, und Mrs. Lune hat gemeint, ich soll den Herrn holen.« »Sind Sie ihm auf dem Weg vom Haus nicht begegnet?« »Nein, Sir. Sonst wäre ich doch nicht zum Stall gekommen.« »Wohin kann er gegangen sein . . .?« fragte ich rhetorisch. Ich hatte die Worte kaum ausgesprochen, als ich mit einer bedrückenden Gewißheit ahnte, wo Fengriffen sich befand. Er war nicht zum Haus und schon gar nicht zu Catherine geritten, wie ich zunächst befürchtet hatte, sondern er hatte nur den Spaten holen wollen. Ich entriß Jakob die Laterne, ohne mich mit einer Erklärung aufzuhalten, und fand mich damit ab, daß er mich nun ebenfalls für geistesgestört halten mußte. Ich warf mich dem Sturm entgegen und fragte mich, was denn nun eigentlich wirklich Wahnsinn sei. Ich eilte zum Wald und zum Friedhof. Der Regen fiel nicht mehr gleichmäßig. Sekundenlang versiegte er sogar ganz, während Wind und Wolken miteinander spielten, dann war er wieder ein geschlossener Vorhang und prasselte herunter wie ein Wasserfall. Der Wald wirkte unter diesem Ansturm einer Sintflut verändert, die Zweige waren schwer vor Nässe und sackten durch, und ich wußte nicht, wohin ich mich wenden sollte. Und dann gefror mir das Blut in den Adern. Ich hörte das Geräusch eines Spatens, der in die Erde gerammt wurde, und heftiges Stöhnen. Ich hielt auf diese Geräusche zu, unbeirrbar und gedankenlos wie ein Schlafwandler. Ich hatte Angst, einigermaßen grundlos, wie ich mir immer wieder ins Gedächtnis zu rufen suchte, zugleich war ich fasziniert. Ich pirschte zu dem Geräusch des Spatens hin, und als ich um einen mächtigen Baum bog, befand ich mich am Rand des Friedhofs. Ein weiterer wild zuckender Blitz spaltete den Himmel, die verstreuten Grabsteine waren einen Sekundenbruchteil lang wie von Scheinwerfern angestrahlt, und ich sah Fengriffen. Er stand am Grab seines Großvaters. Er hatte sich schon tief in die Erde gewühlt und war vorgebeugt, sein Kopf war gesenkt, mich und die Laterne schien er nicht zu beachten. Er brachte den Spaten hoch und klatschte eine weitere Ladung nassen Sand auf den halbhohen Hügel hinter ihm. Dann fiel wieder Finsternis zwischen
ihn und mich, und meine Laterne konnte sie nicht durchdringen. Ich stand, als wäre ich festgewurzelt. Ich hörte, wie der Spaten immer wieder in den Boden stach, bis der nächste Blitz Fengriffen erneut in mein Blickfeld brachte. Der Hügel war höher geworden. Fengriffen befand sich tiefer im Grab. Sein Gesicht war mir zugewandt, er hatte die Augen geschlossen, weil das gleißende Licht ihn störte, und bleckte die Zähne. Abermals breitete sich Dunkelheit aus, und jetzt war ich dankbar dafür. Ich hörte, wie der Spaten auf Holz traf und schloß nun selbst die Augen. Wenn es wieder blitzte, wollte ich nicht sehen, was Fengriffen tat. Holz splitterte; Holz, das vermutlich feucht und verrottet war, und Fengriffen schrie. Was er schrie, war nicht zu verstehen. Ich hörte, wie er den Spaten wegwarf und den Sarg mit den bloßen Händen zertrümmerte. Dann wirbelte ich herum, hastete taumelig zurück zum Waldrand, suchte Schutz unter den Ästen einer mächtigen Eiche und bemühte mich, nicht zu denken. *** Fengriffen kam einige Yard rechts von mir aus dem Gehölz. Der Sturm war einige Zeit zuvor verebbt, ich wußte nicht, wie lange schon, und es interessierte mich auch nicht. Ich hatte mich auf den Boden gesetzt und gewartet. In unregelmäßigen Abständen fielen noch ein paar Tropfen. Der Wald triefte, und auf der anderen Seite des freien Geländes glänzte das Haus vor Nässe. Die Kopfsteine im Hof funkelten. Ich erhob mich, als Fengriffen an mir vorüberging. Er wirkte benommen und innerlich aufgewühlt, seine Arme baumelten schlaff herab, seine Hände waren wie Klauen. Seine Fingernägel waren abgebrochen, und seine Hände waren schmutzig und blutig, als hätte er sich an dem Holz des Sargs verletzt. Ich stellte keine Fragen, ich wollte nichts wissen. Ich trat zu ihm hin. Fengriffen wandte sich ohne erkennbare Überraschung mir zu und sah mich an, anscheinend ohne mich zu erkennen. Ich sprach ihn mit seinem Namen an. »Was? Ja? Was?« fragte er abwesend. »Kommen Sie mit zum Haus.« »Was? Oh, Sie sind's . . .« Ich packte ihn am Arm. »Sie sind's«, sagte er noch einmal. »Kommen Sie mit zum Haus.«
»Ja. In Ordnung.« »Der Arzt ist gerufen worden.« »Was? Warum?« »Ihre Frau . . .« »Oh. Ja. Ich verstehe. Ja. Ich hätte dabei sein sollen.« Er sah mich von oben bis unten an und rollte die Augen und blinzelte. Ich zog ihn zum Haus, und er leistete keinen Widerstand. *** Whittles Wagen stand vor dem Portal. Ich fragte mich uninteressiert, ob Whittle trotz des Unwetters gekommen war oder ob seit dem Unwetter schon genügend Zeit verstrichen war. Jakob eilte uns aus dem Haus entgegen. Er war vergnügt und ein wenig aufgeregt und informierte uns, daß Whittle schon bei Catherine sei. Fengriffen nickte. Sein Gesicht drückte eine gewisse Unruhe aus, dann wurde es unvermittelt ernst, und ich glaubte zu sehen, wie seine kummervollen Gedanken - Gedanken, die ich gesät hatte - aus seinem Gehirn rannen, so wie das Wasser in kleinen Bächen aus seinen Kleidern und auf die Kopfsteine zu unseren Füßen rann, als ob die Sorgen aus seinem Herzen tropften wie die letzten schweren Tränen aus den ausgewrungenen Wolken. Die Sonne brach sich wieder Bahn, der Tag wurde hell und leuchtend, und auch Fengriffens Missetat auf dem Friedhof hatte gewissermaßen die schwarzen Wolken von seiner Seele geräumt, sie hatte ihm geholfen, seine Energie und seine rasende Entrüstung abzutragen, so daß er jetzt ruhig und vernünftig war und in Gedanken zu seiner Frau und zu seinem Kind zurückkehren konnte. Die Therapie war bestimmt nicht so, daß ich sie guten Gewissens hätte verordnen können, aber sie hatte gewirkt, und vielleicht war sie für Fengriffen die beste aller denkbaren Therapien, denn niemand konnte wissen, zu welchen Maßnahmen er andernfalls Zuflucht gesucht hätte. Wir traten ins Haus. Die Diener eilten durcheinander und trafen die notwendigen Vorbereitungen, von oben kam Whittles Stimme, er brüllte Instruktionen. Fengriffen und ich gingen in die Bibliothek und stellten fest, daß Jakob schon Feuer im Kamin entfacht und Kaffee serviert hatte. Der Wind sog die Flammen in den Kamin. Fengriffen rauchte unentwegt. Er wechselte zwischen Zigarren und Pfeife, als könnte er nicht entscheiden, wovon er sich mehr Beruhigung
versprach. Er war nervös wie alle werdenden Väter, doch seine Nervosität wurde zweifellos durch die Hoffnung noch gesteigert, daß die Geburt auf seine Frau heilend wirkte und Catherine zu ihm zurückkehrte. Einige Male setzte er sich hin, doch stets stand er nach wenigen Sekunden wieder auf und marschierte im Zimmer hin und her. Nachdem ich mehrmals versucht hatte, ihn in ein Gespräch zu verwickeln und ein wenig abzulenken, gab ich auf und versank inmitten von Rauchschwaden in Schweigen. Von Zeit zu Zeit blickte ich auf meine Uhr. Ich hatte das Gefühl, daß die Geburt sehr lange dauerte, obwohl ich wenig berufliche Erfahrung in solchen Dingen hatte. Fengriffen schien sich nicht für die Zeit zu interessieren. Im Laufe des Nachmittags wurde er allmählich ruhiger, er lief auch nicht mehr so häufig hin und her, sondern blieb immer öfter am Fenster sehen und blickte hinaus in den Garten. Sein Gesicht war gesammelt, er hatte die Hände auf dem Rücken verschränkt. Er hatte sich nicht die Mühe gemacht, das Blut und den Schmutz abzuwaschen, und wir trugen auch noch die durchnäßten Kleider. Auf dem nächsten Baum sang ein Vogel. Ich war davon überzeugt, daß er sang, weil der Regen die Würmer aus dem Boden gelockt hatte. Endlich schrie das Kind. Fengriffen stand gerade am Fenster. Seine Schultern strafften sich, sekundenlang bewegte er sich nicht. Dann wirbelte er herum und rannte zur Tür. Ich folge ihm in die Halle und sah, wie er die Treppe hinauflief, wobei er immer drei Stufen auf einmal nahm, und im ersten Stock den Korridor entlangeilte. Ich hastete hinter ihm her und war nicht viel langsamer. Als ich am Ende der Treppe anlangte, trat eben Mrs. Lune aus Catherines Zimmer. Ihr Gesicht war kalkweiß. Fengriffen hielt abrupt an, um nicht mit ihr zusammenzustoßen, und sie traf keine Anstalten, ihm den Weg freizugeben. »Ein Sohn«, sagte sie. »Ein prächtiger Sohn.« Aber mit dem Ton, in dem sie es sagte, stimmte etwas nicht. Fengriffen schien es auch zu spüren, denn er starrte sie einen Augenblick lang an, bevor er an ihr vorbeiging. Dr. Whittle tauchte in der Tür auf. Er postierte sich direkt vor die Öffnung, als wollte er jedem den Zutritt verwehren. Über Fengriffens Schulter hinweg warf er mir einen bedeutsamen Blick zu, einen beinahe beschwörenden Blick, wie ich empfand, während Fengriffen an ihm vorüber ins Zimmer spähte, von der Tür aus wie bei jenem anderen schicksalhaften Zwischenfall, von dem er mir erzählt hatte. Die Szene, die sich seinen Augen darbot, war eher noch gräßlicher. Ich
trat zu ihm und sah, was er sah. Whittle blickte mich immer noch an. Catherine befand sich mit ihrem Kind im Bett. Sie hielt das Kind mütterlich-zärtlich in den Armen, doch ihr Gesicht war abgewandt. Ich spürte, wie Fengriffen neben mir erstarrte, und ich erstarrte ebenfalls. Mir wurde heiß und kalt, und meine Nerven flatterten. Das Kind hatte ein blutrotes Muttermal an der Wange. *** Fengriffen knirschte mit den Zähnen. Darauf ballte er die Hände. Er taumelte, dann gewann er das Gleichgewicht zurück und machte einen Schritt ins Zimmer. Dr. Whittle ging rückwärts und blieb zwischen Fengriffen und dem Bett, und ich trat neben ihn. Ich hatte den Verdacht, daß Whittle und ich keine andere Wahl haben würden, als Fengriffen zu überwältigen, um ihn vor einer Unüberlegtheit zu bewahren, und Whittle hatte anscheinend auch diesen Eindruck. Aber Fengriffen blieb freiwillig stehen. »Verdammte Hure«, sagte er. Er sprach so leise, daß Catherine ihn unmöglich hören konnte. Er wandte sich an Whittle, seine Augen erinnerten an die eines gehetzten Wildes. »Ist es möglich?« fragte er. Whittle sah ihn nur an. »Könnte ihre Furcht bewirkt haben, daß dieses Kind so gezeichnet ist? Kann ein Schock oder Angst das Kind dazu verflucht haben, das Mal des Waldmenschen zu tragen?« Whittle senkte verlegen den Blick. Er schielte zum Bett und wieder zum Boden; offenbar wußte er nicht, wohin er in diesem Zimmer blicken sollte. Catherine wimmerte, ihr Gesicht war noch zur Wand gedreht. Mrs. Lune tauchte nun auch an der Tür auf; ihre Lippen zitterten, in ihren Augen waren Tränen. Fengriffen wandte sich zu mir und packte mich mit beiden Fäusten am Kragen, und ich stellte abwesend fest, daß seine Finger immer noch blutig und schmutzig waren. Er schüttelte mich. »Sagen Sie es mir! Ist so etwas denkbar?« »Ich weiß es nicht«, sagte ich. »Im Bereich der Wissenschaft, nach menschlichem Ermessen - ist es möglich?« Er versprühte Speichel, wenn er sprach, aber seine Stimme war beherrscht. Er hätte Sokrates sein können, der eine absurde Frage nach der
Natur der Wahrheit stellte, oder Diogenes, der beim Schein einer Laterne einen ehrlichen Menschen suchte, oder auch Herakles, der durch den Mist des Augiasstalles watete. Ich versuchte mit den Schultern zu zucken, aber Fengriffen hielt mich mit solcher Kraft gepackt, daß ich mich nicht rühren konnte. Meine Bemühungen brachte seine Fäuste näher an meiner Kehle. »Vielleicht«, sagte ich. »Vielleicht?« »Die Wissenschaft ist keine Sackgasse.« Sein Druck verstärkte sich, und ich fürchtete, er könnte mich erdrosseln. Ich umklammerte seine Gelenke und versuchte den Griff zu lockern, doch seine Kraft war schier übermenschlich, und ich hatte den Eindruck, Stahlbänder unter meinen Fingern zu spüren. Ich fühlte, wie seine Kraft durch seine Unterarme floß und meine Brust zusammenschnürte, wie sie in meinen Körper sickerte und sich hier in Angst verwandelte, während seine Hände an meinem Hals zitterten und zuckten. Ich schrie auf. Whittle erkannte meine Bedrängnis. Er faßte nach Fengriffens Schulter, um ihn von mir fortzuziehen, und seine Hand wurde weggeschleudert, als Fengriffen die Muskeln noch mehr anspannte. Fengriffen reckte sich hoch auf und beugte sich über mich, er war wie ein Turm, und seine Augen schienen sich zu erweitern, bis sie mich aufsaugen konnten. »Haben Sie je gehört, daß so etwas geschehen ist?« flüsterte er. In seinen Mundwinkeln war weißer Schaum, seine Halsschlagadern pulsierten. »Bitte . . .«, ächzte ich. Er blinzelte. Der Druck verringerte sich. Trotz des physischen Unbehagens, das er mir verursachte, wußte ich, daß die Attacke nicht mir galt, und eigentlich war es keine Attacke. So wenig wie ein Ertrinkender auf hoher See ein Stück Treibholz attackiert, das ihn retten kann, so wenig attackierte Fengriffen mich. Seine Augen bettelten, seine Stimme klang flehend. Die Gewalttätigkeit dieser Umarmung war ihm nicht bewußt. Ihm war nur bewußt, daß es vielleicht doch noch eine Erklärung gab, an die er sich klammern konnte, eine flüchtige Hoffnung, die ihn möglicherweise vor dem endgültigen Absturz bewahrte, eine Antwort, die er suchen mußte. Aber ich brachte die Antwort nicht über die Lippen. Nie zuvor hatte ich mich so hilflos gefühlt, nie hatte ich mehr bedauert, so wenig zu wissen. Ich wünschte mir von ganzem Herzen, die Lüge aussprechen zu können. Ich hätte Fengriffen gern überzeugt, und ihm so seinen Frieden wiedergegeben, doch hier, in diesem Zimmer, war das Kind, und im
Gesicht des Kindes war das ererbte Mal eines anderen Mannes. Ich hätte es für ein Verbrechen gehalten, Fengriffen jetzt Hoffnung zu schenken und zugleich zu wissen, daß diese Hoffnung sich mit den Jahren in Mißtrauen verwandeln mußte, und das Mißtrauen zu Gewißheit. Die Gewißheit würde noch schrecklicher sein, wenn sie, durch die Zeit vergrößert, die ausgeleerten Schiffe füllte, auf denen vorher die Hoffnung gesegelt war. Ich öffnete den Mund, aber meine Worte scheiterten an der Barriere meiner Kehle. Ich schluckte und schwieg. »Haben Sie je gehört, daß so etwas geschehen ist?« fragte Fengriffen. Seine Stimme bannte mich. Langsam schüttelte ich den Kopf, nur einmal, von Seite zu Seite, und wußte, daß ich die Frau im Zimmer schlimmer verfluchte, als es der Waldmensch bisher hatte tun können. Fengriffen hatte die Wahrheit verdient. Er beobachtete meine Bewegung der Verneinung, wie er vielleicht eine angriffslustige Kobra beobachtet hätte, fasziniert von den giftigen Zähnen der Ablehnung, durchbohrt von den Fängen des Wissens, paralysiert vor der tödlichen Wahrheit, die in seinen Adern floß. Er öffnete die Fäuste. Er schob mich mit den offenen Händen von sich, daß ich gegen die Wand prallte. Die Anstrengung hatte seine Verletzungen wieder aufbrechen lassen, meine Jacke und mein Hemd waren blutverschmiert. Fengriffen sah es und hielt seine Hände nah vor die Augen. Er starrte seine Finger an, als mißtraute er dem Anblick und als hätte er feindselige Objekte vor sich, die sich wie Parasiten an die Enden seiner Arme geheftet hatten. »Ja!« sagte er verblüfft. »Das hatte ich ganz vergessen.« Er schüttelte den Kopf. Er wandte sich zu seiner Frau. »Für so was!« flüsterte er. Er starrte sie an, und Catherine erwiderte den Blick. Zum erstenmal, seit wir ins Zimmer getreten waren, drehte sie sich zu uns um. Sie zuckte konvulsivisch. Eine einzelne Träne rann ihr über das Gesicht. Ihre Augen waren riesige Gefäße, mit denen sie den Strahl der Verachtung aufnahm, der ihr entgegengeschleudert wurde. Sie drückte das Kind enger an die Brust, doch nicht, um es zu beschützen, sondern als Schild gegen Fengriffens Haß. Fengriffen hielt seine Hände so, daß Catherine sie sehen konnte. »Für dich habe ich meinen Ahnen aus dem Grab gerissen!« brüllte er. Dann lief er aus dem Zimmer.
*** Fengriffens Stimme hallte im Zimmer wider, seine Schritte polterten die Treppe hinunter und verebbten, die schwere Tür nach draußen fiel laut ins Schloß. Ich blickte zu Whittle hinüber, Whittle sah mich an. Mrs. Lune löste sich von der Tür und kam herein. Sie stöhnte. Sie hatte die Hände vor der Brust gefaltet. Sie ging an uns vorbei zum Bett, und ich wandte den Blick von Whittle ab und sah zu ihr hin. Ich hatte das Gefühl, etwas tun zu müssen, und dieses Gefühl war unabhängig von meinen beruflichen Pflichten. Ich trat ebenfalls zum Bett und neigte mich über die Frau. »Catherine«, sagte ich. »Lassen Sie mich in Ruhe«, sagte sie. Ihre Stimme war klar und sachlich, aber unter dieser Oberfläche vibrierte es. »Bitte, hören Sie mich an!« »Lassen Sie mich in Ruhe. Das ist mein Kind. Wessen Kind es außerdem sein mag, ist ohne Belang. Es ist mein Kind! Lassen Sie uns allein.« »Sie müssen sich der Wahrheit stellen!« sagte ich laut. Ich wollte sie erschrecken, ich wollte dieses Vibrieren unter der Oberfläche hervorbringen, damit es sich in Tränen auflösen konnte. Trotz des Mals im Gesicht des Kindes, das Catherines Schuld bewies, glaubte ich ihr nach wie vor - das heißt, ich glaubte, daß sie ihre Phantasien für Wirklichkeit hielt und sich dadurch, daß sie im Unterbewußtsein die Wahrheit blockierte, in eine Wahnvorstellung verrannt hatte, die entsetzlicher war, als jede Wahrheit sein konnte. Sie schüttelte energisch den Kopf. Mrs. Lune setzte sich auf die Bettkante und legte Catherine einen Arm um die Schultern. Sie warf mir einen giftigen Blick zu und deutete verstohlen zur Tür. »Die Wahrheit, Catherine!« schrie ich. »Es geht um Ihre Gesundheit und um Ihr Kind!« »Ich kenne die Wahrheit!« kreischte sie. Das Gesicht des Kindes knitterte sich zu einem Bündel Falten, ich ahnte, daß es gleich greinen würde. Catherine starrte mich an, in ihren Augen flackerte der Wahnsinn. »Es ist wahr, wahr, wahr!«
Sie atmete krampfhaft und würgte. Dr. Whittle zupfte mich am Ärmel. »Vielleicht später«, sagte er. Ich nickte. Später war wahrscheinlich schon zu spät. Ich spürte, wie eine tiefe Erschöpfung sich auf mich legte, meine Schultern sackten herab. Whittle hatte recht. Hier konnte ich nichts mehr tun. Ich folgte ihm zur Tür, während Mrs. Lune zärtlich Catherine an sich zog und ihr die Haare streichelte. Whittle schloß hinter uns die Tür und seufzte, dann ging er voraus zur Treppe. In der Galerie blieb ich einen Augenblick stehen und hörte, wie unten Fengriffens Pferd über den Hof galoppierte. Der Hufschlag verklang in der Richtung zum Wald. *** Whittle und ich saßen in der Bibliothek. Der Nachmittag war allmählich in den Abend übergegangen, und jetzt spannte die Nacht ein schwarzes Leichentuch vor dem Fenster auf. Whittle wartete darauf, daß ich etwas sagte. Er sah mich schweigend an; vielleicht hoffte er, daß ich eine abstruse Theorie wie eine mythologische Pflanze aus dem fruchtbaren Boden der Wissenschaft pflücken würde. Möglicherweise gab ihm mein Verhalten Anlaß zu einer solchen Erwartung, denn ich starrte angestrengt zum Fenster, und meine Stirn war kraus. Aber ich starrte wirklich auf das Fenster, mein Blick durchdrang nicht einmal die Scheibe. Ich hatte keine Theorie. Die Tatsache erschien mir unwiderlegbar. Was Catherine glaubte - daß ein dämonischer Liebhaber sie besucht hatte -, war absolute Wahrheit für mich. Die beiden Wahrheiten existierten auf verschiedenen Ebenen, sie waren Dimensionen, die nicht zu vereinen waren. Ob damit Catherine von Schuld freizusprechen war, ging die Wissenschaft nichts an, sie war dafür nicht zuständig, und ich hatte nicht die Absicht, eine solche Frage zu beantworten. Diese Frage hatte ihr Mann zu beantworten. Endlich brach Whittle das Schweigen. »Ich vermute, daß es nicht möglich ist«, sagte er schwach. »Oder doch?« »Wie meinen Sie?« »Es kann doch nicht sein, daß dieses Mal irgendwie mit Catherines Zustand zusammenhängt, mit ihrer Angst . . .« »Geschwätz von alten Weibern. Als Theorie ist es unhaltbar. Als Tatsache? Das liegt mehr auf Ihrem Erfahrungsgebiet als auf meinem. Können Sie Fengriffen Hoffnung machen? Haben Sie je erlebt, daß ein Kind auf diese Art gezeichnet worden wäre?«
»Nein«, sagte er und seufzte. »Und doch erscheint es mir unglaublich, daß sie dem Waldmenschen erlaubt haben könnte, sie zu - zu . . . Daß sie den Kerl aus dem Wald in ihr Zimmer gelassen haben könnte, um mit ihm . . . Unglaublich!« »Aber sie hat es getan«, sagte ich. »Bewußt hat sie es nicht getan. Wer immer es war - vermutlich der Waldmensch, von dieser Annahme müssen wir ausgehen -, der nachts zu ihr durchs Fenster gestiegen ist, sie ist davon überzeugt, daß er der Inkubus war, den sie sich in ihrer Verwirrung erschaffen hat.« »Gott helfe der armen Frau«, sagte Whittle, »und Gott helfe dem armen Charles. Kann sie nicht von diesem Wahnsinn geheilt werden! Wird Charles tolerant genug sein, Catherine nach ihren unschuldigen Absichten zu beurteilen, und nicht nach ihrer Tat? Er ist nicht sehr tolerant. Sie wissen natürlich, wohin er gegangen ist?« »Ich fürchte . . .« Whittle zog seine Schnupftabaksdose aus der Tasche, legte sie auf den Tisch und versuchte sie parallel zu den Kanten auszurichten. »Sie kennen Fengriffen schon lange, Doktor«, sagte ich. »Halten Sie ihn für einen Menschen, der einen Mord begehen könnte?« Whittle zuckte mit den Schultern. »Er ist nun mal ein Fengriffen«, sagte er. In das folgende Schweigen platzte Mrs. Lune. Sie hatte eine Bibel in der Hand, ihre Augen waren feucht und gerötet. Sie steuerte mit energischen Schritten auf mich zu und blieb vor mir stehen. »Bitte, Sir, kann ich Sie einen Augenblick sprechen?« »Selbstverständlich.« Sie packte die Bibel mit beiden Händen wie ein Priester die Brüstung seiner Kanzel, wenn er sich darauf vorbereitet, seine Theologie wie ein Schlachtbeil über den Köpfen seiner Zuhörer zu schwingen. »Die Herrin schläft jetzt«, verkündete sie. »Gut«, sagte ich. Tatsächlich wußte ich nicht, ob ich diese Tatsache wirklich für vorteilhaft halten sollte, denn der Schlaf wird meistens von Träumen begleitet, und Catherines Träume hatten sich als reichlich unheilvoll erwiesen. »Ich weiß, daß Sie Arzt sind«, erklärte Mrs. Lune. »Sie tun, was Sie für richtig halten, Sir, aber wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf - es gibt Dinge, von denen Sie weniger verstehen als von anderen. Ich möchte Sie nicht beleidigen, Sir, ich sage nur meine Meinung. Die arme Herrin hat
- das soll heißen, es gibt Dinge . . .« Sie verlor den Faden, ich kam ihr zu Hilfe. »Ich bin mit den Einzelheiten des Fluchs vertraut.« Mrs. Lune knabberte an ihrer Unterlippe. »Wenn Sie den Herrn davon überzeugen könnten, daß es wahr ist - daß die arme Herrin unschuldig ist . . .« »Ich werde ihn nicht belügen«, sagte ich fest. Ich wollte sie daran hindern weiterzureden, denn eine Diskussion über dieses Thema war sinnlos. »Ich werde mein Bestes tun, Verständnis und Toleranz in Fengriffen zu wecken, aber ich werde kein Doppelspiel treiben.« Mrs. Lune blickte zu Whittle. »Tut mir leid«, sagte er. Mrs. Lunes Wortschatz war beschränkt. Die Gedanken waren in ihrem Kopf, ich sah es ihr an, und sie rang um den richtigen Ausdruck, wobei sie ratsuchend zu den Bücherregalen spähte, als hoffte sie, daß ihr die fehlenden Vokabeln aus den Folianten zuwachsen könnten. Sie öffnete den Mund. Und ein gellender Schrei hallte durchs Haus. Ich zuckte zusammen, Whittle zuckte zusammen, und Mrs. Lune, nach wie vor mit offenem Mund, begann heftig zu zittern. Der Schrei war nicht von ihr gekommen. Ich sprang auf und eilte in die Halle, als der zweite Schrei erklang - weniger schrill, als hätte Kummer den Schreck ersetzt. Der Schrei kam von oben. Kein dritter Schrei folgte. Whittles Schritte hinter mir ließen die Stille noch beklemmender erscheinen, als ich die Tür zu Catherines Zimmer aufstieß. Catherine lag allein im Bett. Das Kind war verschwunden. *** Das Zimmer war kalt. Die Kälte war größer, als ich es je im Winter in England erlebt hatte, zugleich war der Raum von einem fauligen Geruch erfüllt, der so penetrant war, daß er beinahe körperlich wirkte. Ich durchquerte das Zimmer und schloß die Fensterläden. Der Geruch verursachte mir Übelkeit, und ich stützte mich einen Augenblick lang auf das Sims und schüttelte den Kopf, um mein Gehirn vom Einfluß dieser Duftschwaden zu befreien. »Das Kind«, sagte Catherine. »Es hat mein Kind geholt!«
Ich wandte mich zu ihr um, tappte unbeholfen zum Bett und setzte mich zu ihr. Ich faßte nach ihrer Hand, die feucht war wie von geschmolzenem Eis. Catherine redete undeutlich und sinnlos vor sich hin, Worte waren nicht zu verstehen. Whittle tauchte an der Tür auf, ich sah, wie er vor dem Gestank zurückprallte. »Wer hat das Kind geholt?« fragte ich. Catherine verzog das Gesicht zu einer Grimasse und schüttelte sich. Die Haut an ihrem Arm zuckte, als führte sie ein Eigenleben. »War es der Waldmensch?« Sie starrte mich verständnislos an. »Wer hat das Kind geholt?« fragte ich noch einmal. »Er«, sagte sie leise. »Er.« »Wer, um Himmels willen?« »Der Vater«, stöhnte sie. Ich packte sie an beiden Schultern und rüttelte sie derb, die Haare fielen ihr ins Gesicht, ihr Kopf pendelte kraftlos vor und zurück. Sie leistete keinen Widerstand. Ich hatte den Eindruck, daß die heftige Bewegung ihr willkommen war, sie paßte sich dem Rhythmus an, ihr ganzer Körper schleuderte hin und her. Ich ließ sie los, aber sie wiegte sich weiter. Sie stieß mit dem Kopf an die Wand, ich hielt sie fest und spürte, wie sie zitterte. Ich sprach jetzt scharf und laut, um die Wolken, die ihren Verstand einnebelten, zu durchdringen. »Der Waldmensch!« sagte ich. »Der Waldmensch hat das Kind an sich genommen! Der Waldmensch ist der Vater, es war immer nur der Waldmensch! Sie haben sich zu Phantastereien hinreißen lassen! Der Waldmensch! Der Waldmensch! Es war ein Mann, ein lebender Mann, sonst nichts!« Aber Catherine hörte mich nicht. Sie hatte sich hinter die Wolken, die ihre Gedanken blockierten, zurückgezogen und befand sich in einer Welt, zu der andere keinen Zutritt hatten. »Der Waldmensch!« schrie ich. »Der Vater«, murmelte sie. »Mein Kind. Sein Kind. Der Vater. Er ist zu seinem Kind gekommen. Er hat das Kind geholt. Er ist fort, fort, fort. Wo, wo wo . . .« »Catherine!« Sie blickte mich an, ihre Augen waren plötzlich wach und klar. Sie runzelte die Stirn.
»Ich frage mich«, sagte sie. »Ich frage mich, wohin sie gegangen sind.« Dann waren die Wolken wieder da, es war, als gingen hinter ihren Pupillen Jalousien nieder. Sie wand sich und zuckte und brabbelte. Ich seufzte und stand auf. Mrs. Lune erschien nun auch an der Tür, sie zitterte nicht weniger als Catherine. Sie hielt die Bibel vor sich wie eine Waffe und pirschte argwöhnisch zum Bett. »Bleiben Sie bei ihr«, sagte ich. Mrs. Lune sah mich an. In ihren Augen war eine Gläubigkeit, die ich nicht nachvollziehen konnte. Vielleicht war sie glücklicher als ich. Sie nickte und ging weiter zum Bett und schloß Catherine in die Arme, doch die Bibel ließ sie nicht los. »Sie arme, unschuldige Frau«, sagte sie. *** Im Korridor hielt Whittle mich am Arm fest. »Was war das für ein Gestank?« fragte er. »Ich weiß es nicht. Ich kann es nur vermuten. Ein ungewaschener Kerl, eingetaucht in den Dreck und Morast verrotteter Vegetation - was sonst?« Whittle war mit der Erklärung nicht ganz zufrieden. Er schüttelte den Kopf. »Ich hatte in meinem Beruf schon mit vielen Toten zu tun«, sagte er. »Ich habe Leichen gesehen, die wochenlang unentdeckt hinter verschlossenen Türen gelegen hatten, ich habe Glieder amputiert, die vom Wundbrand zerfressen waren, daß bei der geringsten Berührung das Fleisch von den Knochen gefallen ist, aber so einem Geruch bin ich noch nicht begegnet. Wenn ich mir vorstellen soll, daß ein Kerl, der so riecht, mit Catherine . . .« Er schauderte. »Es muß der Waldmensch gewesen sein. Er hat sich das Kind geholt als Höhepunkt seiner Rache.« »Können wir nichts tun?« meinte Whittle. Wir gingen durch die halbdunkle Bildergalerie in die Richtung zur Treppe. Ich sagte nichts. »Was, glauben Sie, wohin er das Kind bringt?« fragte Whittle. »In seine Hütte? Oder wird er das Kind töten? Was spielt sich in einem solchen Kopf ab?« Langsam schritten wir die Stufen hinunter. »Ich glaube nicht an eine unmittelbare Gefahr für das Kind«, sagte ich,
»mehr als eine Erkältung ist einstweilen nicht zu befürchten. Wir sollten trotzdem versuchen, es so bald wie möglich zu finden. Ich bezweifle auch, daß der Waldmensch dem Kind absichtlich Schaden zufügen wird, schließlich ist es sein Sohn. Er hat keinen Grund, dem Kind etwas Schlechtes zu wünschen, wahrscheinlicher ist, daß er es behalten will als Verkörperung seiner erfüllten Vergeltung.« »Eine Erkältung wäre schlimm genug«, sagte Whittle. »Wir können nur beten, daß der Kerl genügend Menschenverstand oder Instinkt hat, das Kind warm einzupacken. Aber da ist noch eine andere Gefahr, an die wir denken müssen . . .« Er blieb am Fuß der Treppe stehen und blickte mich an. Ich blieb ebenfalls stehen. »Fengriffen ist zu dem Waldmenschen gegangen«, sagte er. »Er wartet jetzt auf ihn, und wer weiß, wozu er in seinem Zustand fähig ist. Ich glaube, wir müssen uns beeilen. Wir müssen dem Waldmenschen folgen und ihn überholen, bevor er dort ist, wo Fengriffen auf ihn lauert, wir müssen verhüten . . .« Ich nickte. Ich wußte, wozu Fengriffen fähig war, wenn blinde Wut und Schmerz ihn überwältigten, schließlich hatte ich ihn auf dem Friedhof erlebt, und ich hatte in Catherines Schlafzimmer die Kraft von Fengriffens Armen zu spüren bekommen. Das Kind war gewiß unschuldig, aber es trug das verhaßte Mal von Catherines Verfehlung, und Whittle und ich hatten in der Tat Anlaß, nicht noch länger zu verweilen. Wir liefen zur Tür, und plötzlich hielt Whittle inne. Er ächzte und schloß die Augen. Catherines Stimme war wieder da, sie drang durch geschlossene Türen, durch den Boden, durch die Steine, aus denen dieses Haus errichtet war, aber sie erinnerte nur noch oberflächlich an die Stimme eines Menschen. Sie brachte ein Geheul hervor, das nicht die Reaktion auf einen Schock war, sondern absolut bedeutungslos, ein mechanischer Impuls, ausgelöst durch ein Gehirn, in dem jegliches Begreifen erloschen war. Whittle hatte so ein Geheul schon einmal gehört. Er brauchte mich nicht darauf hinzuweisen, ich wußte es. Dieses Geräusch hatte Sarah hervorgebracht, als man sie vergewaltigt hatte und die abgehackten Finger des Wildhüters Silas ihr in den Schoß fielen. *** Vor der mächtigen Tür blieben wir abermals stehen, und das Haus überragte uns wie ein gigantischer Monolith. Ich atmete die frische Luft
tief ein und bemerkte, daß Whittle das gleiche tat. Mechanisch wandten wir uns zu den Ställen, dann dachte ich noch einmal nach und hielt Whittle an. »Wahrscheinlich ist es klüger, wenn wir ihm zu Fuß folgen«, sagte ich. »Er hat nur einen knappen Vorsprung, und er muß immerhin das Kind tragen. Bis die Pferde gesattelt sind, verlieren wir Zeit, außerdem ist es zu Pferd schwieriger, seine Fährte im Blickfeld zu halten.« Whittle nickte. Wir änderten unsere Richtung und steuerten auf Catherines Fenster zu, um dort im aufgeweichten Boden die Spur des Waldmenschen zu suchen. Wieder kamen wir nicht weit. Wir hatten erst einige Schritte zurückgelegt, als über die Kopfsteine des Hofs Hufschlag sich näherte; einen Augenblick später tauchte Fengriffen aus der Dunkelheit vor uns auf. Aufrecht und reglos saß er auf seinem Pferd. Er bemerkte uns nicht, bis ich seinen Namen rief, dann hielt er an und stieg ab, die Zügel ließ er auf dem Boden schleifen. Das Pferd blieb stehen. »Erledigt«, sagte Fengriffen. Sein Zorn war geschwunden, er war sehr ruhig. »Was haben Sie getan, Charles?« fragte Whittle. Sein Tonfall war der eines Beichtvaters. »Getan? Ich habe einen Mord begangen. Was sonst hätte ich tun können?« Whittle und ich sahen einander an. Fengriffen zuckte mit den Schultern. »Was sonst . . .«, sagte er noch einmal. Aus der Innentasche seines Mantels zog er einen Revolver und starrte ihn an, als wolle er sich über den Mechanismus eines solchen Geräts klarwerden. Der Revolver war ziemlich groß und wirkte hart und gefährlich. Fengriffen betrachtete ihn von allen Seiten, schließlich deutete der Lauf direkt auf sein Gesicht. Ich packte zu, um Fengriffen die Waffe zu entreißen, aber er trat zurück und schüttelte den Kopf. »Nein, nein. Machen Sie sich keine Sorgen. Ich habe nicht die Absicht, mir das Leben zu nehmen«, sagte er. »Ich habe nur in den Lauf geguckt und überlegt, was der Waldmensch in seinen letzten Augenblicken empfunden haben mag. Können Sie sich vorstellen, wie riesig dieses kleine schwarze Loch in einer derartigen Situation erscheint? Tatsächlich ist so ein Loch doch viel mehr als eine Aussparung in einer metallenen Röhre. Es ist eine Lücke in Raum und Zeit, ein bodenloser Schacht, der die Seele eines Menschen aufsaugen kann, abwärts und abwärts, hinunter in eine wie auch immer geartete andere Dimension. Oder auch nicht. Höchst
bemerkenswert! Und der Waldmensch hat in diesen Abgrund gestarrt und gelächelt. Das ist doch ungewöhnlich, daß ein Mensch in einen Spalt im Universum lächelt, finden Sie nicht auch, Gentlemen? Sein Hund hat geknurrt und die Lefzen hochgezogen, aber der Waldmensch hat gelächelt, und ich habe ihn totgeschossen. Er war tot, aber er hat immer noch gelächelt. Er wird dieses Lächeln mit ins Grab nehmen.« Whittle, ich und das Pferd standen da, ohne uns zu rühren. Fengriffen lächelte nun auch, seine Zähne schimmerten in der Dunkelheit. »Und dann, Gentlemen«, sagte Fengriffen, »habe ich mich in der Hütte ein wenig umgesehen. In einer Ecke lehnte eine Axt, die schon mein Großvater benutzt hatte, und ich habe überlegt, ob ich die Axt nicht dazu verwenden sollte, dieses Lächeln zu beseitigen. Ich habe ernstlich überlegt, aber ich konnte nicht.« Er lachte amüsiert. »Jetzt freue ich mich, daß ich es nicht getan habe«, sagte er. »Was hätte es nützen können?« »Und das Kind?« flüsterte Whittle. Fengriffen reichte mir den Revolver. Ich steckte ihn in die Jackentasche. »Ich bin kein Barbar«, beteuerte Fengriffen. »Ich könnte einem unschuldigen Kind kein Leid zufügen. Meine Frau muß natürlich mein Haus verlassen; sie wird das Kind mitnehmen. Ich werde warten, bis sie reisefähig ist. Ich habe nichts gegen das Kind.« »Aber wo ist das Kind?« fragte Whittle. Die Frage war lächerlich, denn auch Whittle mußte inzwischen begriffen haben, daß er und ich uns von falschen Annahmen hatten leiten lassen. Die Frage war gewissermaßen anachronistisch. »Wo?« Fengriffen wunderte sich. »Ich verstehe Sie nicht, Doktor.« »Hat nicht . . .« Ich brachte Whittle mit einer Handbewegung zum Schweigen. Ich wandte mich an Fengriffen. »Wie lange ist es her, seit - seit Sie ihn getötet haben?« Fengriffen wirkte verwirrt. »Ich habe keine Ahnung«, sagte er. »Wieviel Zeit ist vergangen, seit ich das Haus verlassen habe? Ich bin direkt zu der Hütte geritten. Ist das überhaupt wichtig?« Weitere Worte waren überflüssig. Whittle und ich gingen zur Ecke des Hauses, nebeneinander her, getrieben von den gleichen Emotionen, und Fengriffen blickte uns voll Bestürzung nach. Die Erde war nach dem Unwetter mit Wasser
vollgesogen. Unsere Schuhe hinterließen tiefe Spuren, es war nicht zu vermeiden. Wir bogen um die Ecke und befanden uns unter Catherines Fenster. Es lag nicht sehr hoch. Für einen gewandten Mann war es keine Schwierigkeit, von dieser Höhe auf den weichen Boden zu springen. Aus dem Fenster drang Licht. Wir betrachteten den Boden unter dem Fenster. Da waren keine Fußspuren. Da waren keine Spuren außer unseren eigenen. Kein Mann war aus dem Fenster gesprungen . . . »Könnte sie . . .«, stammelte Whittle entsetzt und deutete zum Fenster, »könnte sie - das Kind getötet und versteckt haben?« »Ich weiß es nicht. Ich weiß nichts.« Fengriffen kam nun auch um die Ecke und sah uns begriffsstutzig an. Wir untersuchten noch einmal den Boden, obwohl es sinnlos war, und wir suchten noch, als der Wind wieder aufflackerte. Er rauschte hoch über uns in den Kronen der höchsten Bäume, und er verbreitete eine unwirkliche Kälte, eine feuchte Kälte wie aus einem vermoderten Grab. Die alten Eichen ächzten, und aus weiter Ferne kam das trostlose Geheul eines Hundes. Der Wind jagte über uns hinweg, eine eisige Bö, dann war er verschwunden, Gott weiß, wohin. Er zerflatterte und zerwirkte und versiegte, und ich blickte über das Moor und fror. Der Hund hörte auf zu heulen. Das Geheul wurde durch Catherines irrsinniges Gelächter ersetzt, das schrill und gellend durch die verfluchten Mauern des Hauses schallte.
ENDE
Die Reise durch das
DÄMONEN-LAND geht weiter!
Während der Mensch sich als Herr über seine Städte wähnt, ist es doch das »Ungeziefer«, das tatsächlich über Straßenschluchten, Häuser und Kanalisation herrscht. Wo kein Leben möglich scheint, findet man Kakerlaken, Spinnen und Kellerasseln. Und Ratten, Raubtiere im Mini-Format, dem Leben in, oder besser: unter der Zivilisation perfekt angepaßt. Sie finden Wege in jedes Haus, jedes Vorratslager. Sie treten in Rudeln auf, um ihre Beute zu jagen. Und sie lassen sich nicht vertreiben oder ausrotten. Gegen Gifte sind sie innerhalb weniger Generationen immun. Trotzdem leben sie im Verborgenen, scheuen die Konfrontation. Noch. Doch was geschieht, wenn eine Mutation intelligente Ratten hervorbringt, die eine graue Armee formieren und einen Vernichtungsplan gegen den Feind schmieden - den Menschen? In seinem beängstigenden Roman
DIE RATTEN KOMMEN beschreibt Gay D. Carson eine fiktive Invasion der Ratten - ein Szenario, das angesichts der aktuellen Rattenplage in Berlin durchaus möglich erscheint.