M. Wegener Der Energiefresser Rex Corda Band Nr. 12 Version 1.0 Der Energiefresser Die Laktonen haben doch noch eine Cha...
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M. Wegener Der Energiefresser Rex Corda Band Nr. 12 Version 1.0 Der Energiefresser Die Laktonen haben doch noch eine Chance! Jakto Javan erhält die Chance aus der Hand der »Barbaren « – der Terraner! Rex Corda weiß, daß es eine Möglichkeit gibt, die Energieblase zu sprengen. Rex Corda entwickelt einen tollkühnen Plan, um die Orathonen doch noch zu schlagen. Der unvorstellbar große Energieschirm, der das gesamte TerraSystem umspannt, wird von der Sonne Alpha Centauri gespeist. Die Orathonen zapfen diese Sonne mit Hilfe von gigantischen Energiestationen an. Ungeheure Energiemengen werden durch eine »Hyperraumröhre« an das solare System herangeleitet und mit Hilfe von zahlreichen weiteren Energiestationen an die Energieblase abgeführt. Irgendwann einmal werden die Energievorräte Alpha Centauris erschöpft sein. Doch dann wird das TerraSystem nicht mehr existieren, denn die kosmische Falle schnürt sich unerbittlich zusammen. Es gibt nur eine Chance, das Ende abzuwenden. Rex Corda ist entschlossen, seinen Plan durchzuführen. Der Mutant Fred Matson muß eine Energielücke schaffen. Einige Männer müssen in das Niemandsland hinter der Barriere hinübergleiten. Sie müssen den Kampf mit den Energiestationen aufnehmen. Nur wenn der Energiefluß von Alpha Centauri zur energetischen Barriere an einer Stelle unterbrochen werden kann, wird sich die kosmische Falle öffnen. Rex Corda ist entschlossen, den Kampf aufzunehmen. Die winzige Chance, die die Erde hat, darf nicht verspielt werden. Rex Corda wagt sich an die Energiewand, hinter der die mächtigen Leiber der orathonischen Hantelraumer lauern. Die wichtigsten Personen Rex Corda : Präsident der Vereinigten Staaten Sigam Agelon : Oberbefehlshaber der orathonischen Streitkräfte Bekoval und Percip : Laktonen *** Er schrie. Er schrie selbst dann noch, als das Fürchterliche sich aus dem chaotischen Sinnestaumel entfernte und er nur noch undeutlich zwischen irrealer Phantasie und nüchterner Wirklichkeit unterscheiden konnte. Er war das bedauernswerte Opfer einer genetischen NegativMutation, das menschliche Produkt einer durchaus lebensfähigen Samenzelle. Aber diese Zelle war gammaverseucht. Harte GammaAlpha und Betastrahlung hatten ihn zu einem Wrack gemacht – seelisch und körperlich. Fred Matson war zu erschöpft, um noch einen klaren Gedanken zu erfassen. Das Herumwälzen auf die andere Körperseite geschah aus dem unterbewußten Instinkt, einer Gefahr entfliehen zu wollen, die es eigentlich gar nicht gab. In seinen normalen Stunden bezeichnete er den Vorgang als psychologische Schockträumerei. Sein Schreien verstummte sekundenlang, dann verlor sich der Geist erneut in der irrealen Schizophrenie einer abstrakten Traumwelt. Sein Körper zuckte, während er schlief – oder zu schlafen glaubte, denn selbst das ließ sich nicht genau definieren. Er bäumte sich auf. Das entsetzliche Gebilde war im Anfangstadium immer ein formloser häßlicher Klumpen, der in einem schwarzen Meer zähen Wassers schwamm. Es war das Pseudopodium eines beginnenden riesigen Urmeeres, das zahllose Pseudoarme ausstrecken konnte. Matson stand hart vor der lebenden Felswand. Sie war grau, aber immer wenn er sich in seiner Angst gegen sie lehnte, begann sie zu zucken und nach ihm zu stoßen. Jetzt war das schwarze zähflüssige Wasser wieder gestiegen und griff gierig nach seinen Beinen. Er sprang hoch und lehnte sich hart gegen den Felsen. Aber das zuckende Gestein bildete eine Hand mit vielen Fingern, die ihn immer an eine Leiche erinnerte.
Diese Hand schoß aus dem Felsen und schlug nach seinem Kopf. Er wußte, daß sie ihn in das Wasser zu
stoßen versuchte, doch bisher war es ihm immer gelungen, sich an dem Felsen zu verkrallen, ungeachtet
der schrecklichen stoßenden Leichenhand. Da tauchte das Ding plötzlich auf. Es war ein einfacher
treibender Klumpen, der sich bei seinem Anblick jählings veränderte.
Das Ding – wie er selbst es in wachen Stunden bezeichnete – schwamm langsam auf ihn zu. Ein riesiges
Auge starrte ihn an. Dann bildete es einen großen trichterförmigen Mund und begann schaurig zu
lachen.
Ein langer dünner Riesenarm schoß vor, wickelte sich um seinen Hals und versuchte, ihn in die
schweigende dunkle Brühe zu ziehen.
Fred Matson klammerte sich in namenloser Angst an den Felsen.
Das Wasser stieg höher und umspülte seine Beine. Als es die Schuhe berührte, vernahm er ein leises
Zischen, und hellgrauer Rauch entwickelte sich. Der rechte Schuh löste sich langsam in Nichts auf.
Matson kroch hilfesuchend noch dichter an den Felsen, doch gleich darauf versuchte er sich wieder
loszureißen.
Ein starker grünlichfahl schimmernder Arm hatte seine Kehle umklammert und versuchte ihn zu
erwürgen. Der Klumpen lachte hämisch.
»Du kannst nicht weg. Versuche es doch! Du bist zu schwach, um dich gegen uns zu wehren. Ich bin der
Felsen und das Wasser zugleich. Du glaubst mir nicht?«
Der Felsen verkleinerte sich in erschreckend schneller Weise.
Matson stand plötzlich auf einem stumpfen Kegel, der konvulsivisch zuckte und bebte.
Dünne gitterartige Stäbe schossen in Matsons unmittelbarer Nähe aus dem Boden, umringten ihn und
schlossen ihn von allen Seiten ein. Oben bogen sie sich zusammen und verwuchsen miteinander, so daß
er jetzt unentrinnbar in einem Käfig saß.
Dann sah er die riesenhafte schwarze Woge.
Das Meer bäumte sich weiter hinten auf und bildete eine titanisch große Welle, die langsam auf ihn
zurollte.
Noch vier, fünf Sekunden, dann würde sie ihn verschlingen.
Matson hämmerte mit den Fäusten an das Gitter, aber es war jetzt hart wie Stahl.
Dann sah er plötzlich die Kugel. Sie tauchte immer dann auf, wenn er sich bereits verloren glaubte.
Sie schimmerte in einem schwachen rötlichblauen Glanz und strahlte eine beunruhigende Kälte aus.
Ganz weit hinten über dem Meer tanzte die Kugel auf und nieder.
Matson glaubte in der Kugel ein Gesicht zu erkennen – sein Gesicht. Es war verzerrt vor Angst und
Hilflosigkeit, wach und mißtrauisch und von vielen Furchen durchzogen.
»Konzentriere dich jetzt«, sagte die Kugel, das Gesicht oder der Planet, oder was immer es sein
mochte.
»Konzentriere dich und verändere deine Gestalt. Ich werde dir helfen herauszukommen. Siehst du den
grünen Strahl?«
Matson nickte.
Der armdicke grüne Strahl schwebte im Zeitlupentempo heran, zog über das Wasser und blieb dann
wie abgeschnitten dicht vor dem lebenden Käfig stehen.
Fred Matson erschauerte beim Anblick des grünen Strahles, der aus purer Energie zu bestehen schien.
Dies hier war immer der Punkt, wo er nicht mehr weiter wußte. Tief im Unterbewußtsein empfand er
die Gefahr, die von der Kugel und dem Energieband ausgingen, aber jedesmal riß die Szene dann
plötzlich ab.
Wollte die Kugel ihm tatsächlich helfen?
So war es auch jetzt wieder. Jählings verschwand alles in einem wogenden Meer
durcheinanderhastender schwarzer Schatten. Dann war nur noch der dunkle unendliche Raum um ihn, in
dem er hilflos um sich tastend herumtrieb, ohne ein Ziel zu finden.
Weit vorn, nur am gelegentlichen Aufblitzen erkennbar, funkelte ein kleiner Punkt.
Matson näherte sich dem leuchtenden Etwas, oder das Etwas näherte sich ihm. Da er keine
Bezugspunkte zur Relativität besaß, ließ sich das ohnehin nicht einwandfrei feststellen.
Etwas später erkannte er, daß es der grüne Strahl war, der sich ihm näherte oder umgekehrt.
Wabernde Energiezungen leckten nach ihm, um ihn zu vernichten. Doch Matsons Körper versteifte sich.
Er zog die Energie mit den mentalen Geistesströmen seines Ichs auf und leitete sie in sich hinein.
Panische Angst überfiel ihn, als sich alles um ihn herum erneut veränderte.
»Genau das habe ich gewollt«, sagte die telepathische Stimme der Kugel plötzlich neben ihm.
»Und genauso ist es auch geschehen. Siehst du nun, daß du machtlos bist?«
Matson streckte abwehrend die Hände aus. Da erst bemerkte er, daß er nur noch einen unförmigen
Rumpf besaß, der nichts mit einem menschlichen Körper gemein hatte.
Die Kugel tanzte jetzt dicht vor seinem Gesicht auf und ab.
»Du bist nun eine Energieform geworden, und du wirst das Sonnensystem verlassen, wenn ich es dir
sage.«
»Ich will nicht«, murmelte Matson schwach.
»Du mußt!«
Die Kugel wurde kleiner. Sie fiel hinunter und schwebte in eine bodenlose Tiefe.
»Jetzt!« vernahm er einen klaren und überaus deutlichen Impuls.
Matson wurde plötzlich von unbekannten Kräften fortgeschleudert. Sein Sturz in die Unendlichkeit
erreichte die Lichtgeschwindigkeit und schoß noch darüber hinaus.
Matson wurde nach dem im vierdimensionalen Kontinuum geltenden Einsteinschen Gesetz in seiner
Masse plötzlich unendlich.
Seine Existenz verlor sich.
*
Leutnant Baker warf einen sorgenvollen Blick auf den tobenden Mann. Auffordernd blickte er zu dem
anwesenden Doktor Konsinsky hinüber.
»Schrecklich! Können Sie ihm nicht noch eine Spritze geben, Doktor?«
Konsinsky hob die schmalen Schultern. Der kurzsichtig blinzelnde Arzt machte eine hilflose
Handbewegung dazu.
»Ich fürchte, das wird nicht mehr viel nützen. Dieser Mann ist nur ein sensibles, überempfindliches
Geschöpf, das in einer ständigen Bewußtseinsspaltung lebt. – Lebt ist noch zuviel gesagt«, murmelte
der Arzt. »Er vegetiert mit dem sicheren Tod vor Augen dahin.«
Konsinsky sah sich schweigend um.
Das Zimmer verriet den Luxus eines reichen, verwöhnten Mannes. Matson war reich. Es war ihm sogar
gelungen, seinen Reichtum über die wilde Zeit der orathonischen Invasion hinwegzuretten. Aber er
konnte nichts mehr damit anfangen.
»Vorsicht, er bewegt sich wieder.«
Konsinsky trat hinzu und versuchte, den tobenden Mann unter Kontrolle zu bringen.
Es gelang nur teilweise. Auch der Leutnant der Mutantenpolizei war machtlos.
Fred Matson schlug die Augen auf. Mit dem Erwachen aus einer undefinierbaren Traumwelt kam
gleichzeitig der Schock. Er schrie und wälzte sich verzweifelt in dem riesigen Bett hin und her.
Baker hielt den entsetzt wirkenden Mann fest, während der Arzt ihm eine Beruhigungsspritze gab.
»Das ist schon die dritte heute«, flüsterte, er. »Vom medizinischen Standpunkt aus betrachtet, kann
ich das kaum noch verantworten. Aber etwas müssen wir ja tun, um seine Schmerzen zu lindern, nicht
wahr?« wandte er sich hilflos an den dunkelhaarigen Leutnant.
»Sie sind schließlich der Arzt!« lautete die lakonische Antwort.
Konsinsky winkte müde ab. Er blinzelte zu dem todkranken Mutanten hinüber.
»Wie fühlen Sie sich jetzt?«
Fred Matson richtete sich auf.
»Der Strahl, der grüne Strahl. Ich nehme die Energie auf und werde in die Vergangenheit
geschleudert. Helfen Sie mir doch!«
»Schon gut«, meinte Konsinsky beschwichtigend. »Der Strahl verschwindet wieder. Sehen Sie, er ist
schon gar nicht mehr da.«
Der Mutant sah sich mit schreckgeweiteten Augen um.
»Der Strahl ist nicht mehr da?« hauchte er. »Aber das schwarze Wasser und der lebende Felsen. Dort
sind sie!«
Konsinsky und der Leutnant sahen sich arglos um.
Fred Matsons Entsetzensschreie erstarben.
Er sprang auf und griff nach dem Hals des Arztes.
*
An dem gewaltigsten Energieschirm, den es jemals gab, hatten annähernd hunderttausend laktonische
Raumschiffe ihre Position bezogen.
Oberbefehlshaber über die gigantische Flotte war Jakto Javan.
Die Holografen der einzelnen Schiffe waren in einer Sammelschaltung auf Empfang geschaltet.
Jakto Javan erschien im dreidimensionalen Bild auf den Aufnahmeoptiken der Raumer.
Seine rechte Hand hing unnatürlich verkrampft an der Bildeinfassungsleiste des Schirms. Er konnte
die Prothese vorerst nur beschränkt einsetzen. Er hatte sich noch nicht daran gewöhnt. Ebensowenig
hatte er sich mit der Tatsache abfinden können, bei dem Duell gegen Sigam Agelon in die Rolle des
Verlierers gedrängt worden zu sein.
Das Resultat des Zweikampfes war der Verlust der rechten Hand, die Agelon ihm mit der
energetischen Drachenklaue abgeschlagen hatte und an deren Stelle er jetzt eine Prothese trug.
Jakto Javan beabsichtigte, in einem letzten verzweifelten Manöver die titanische Energieblase
aufzureißen. Es war der letzte Ausbruchversuch, nachdem alle anderen fehlgeschlagen waren.
»Achtung!« dröhnte es in den Lautsprechern der akustischen Anlagen.
»Ich fasse zusammen: Das Robotraumschiff ›Hera‹ beginnt in der Nähe des zweiten Planeten mit der
Beschleunigungsphase, erreicht nach den Berechnungen jenseits des Pluto die einfache
Lichtgeschwindigkeit und versucht dann in den Hyperraum einzutauchen. Die auftretenden
Strukturerschütterungen kommen in unmittelbarer Planetenhöhe also nicht mehr zur Auswirkung.«
Die Augen in dem breitflächigen Gesicht blickten noch durchdringender.
»Sie kennen Ihre Befehle. Die Koordinate BM: 24112 im 36GradSektor ist völlig frei zu halten. Das
Schiff fliegt robotgesteuert. Ich erwarte Ihre Meldungen über den Einsatz der FiktivWerfer.«
Jakto Javan schaltete ab.
Die einlaufenden Meldungen im Flottenflaggschiff wurden registriert und gespeichert.
»Hera« stand nahe der Venusbahn und wartete auf den Funkimpuls zur Auslösung der
Beschleunigungsphase.
Hart vor dem Schirm standen die Raumer mit den FiktivWerfern. Sie waren in der Lage, zeitlich
stabile Strukturbilder durch den fünfdimensionalen Schirm zu werfen. Vor einigen Tagen hatte man
mit Hilfe der fiktiven Bilder die Orathonen sehr verwirrt.
Die PseudoProjektoren, wie sie auch noch hießen, waren bereit, ebenso der Robotraumer, der den
kugelförmigen Energieschirm im Hyperraum durchstoßen sollte, wobei der Raumer erst unmittelbar vor
der Barriere in den Hyperraum tauchen würde.
Ein ähnliches Experiment war bereits mißglückt. Jetzt versuchte man es mit einem Robotraumer,
dessen vierdimensionale Kugelfelder vor Erreichen des Schirmes zusätzlich eine neutrale
Librationszone schaffen sollten.
Jakto Javoan löste den Funkimpuls aus.
Jenseits der Erdbahn schnappte in dem Raumer »Hera« ein Relais ein, und ein Stromkreis erwachte
zum Leben. Hochverdichtete Plasmaströme setzten das Schiff in Bewegung und schoben es über die
Venusbahn hinaus.
Auf den Holografen tauchte der Punkt mit wahnwitziger Beschleunigung auf. Sein Strukturfeld baute
sich auf, umhüllte ihn wie eine langgezogene Ellipse und ließ ihn als irrlichternden Punkt erscheinen.
Bereits nach zehn Minuten hatte er 97 Prozent Unterlicht erreicht. Bei Erreichen der absoluten
Konstantgeschwindigkeit verschwand er aus den Tastgeräten der Ortung und zog als Hyperreflex über
die Zusatzschirme.
Jakto Javan wartete schweigend ab. Jeden Moment mußte der Impuls an die Schirmfelder gelangen
und den Raumer entstofflichen, sobald er sich vor der Energiewand befand.
In den lauernden Schiffen flammten erneut die Holografen auf.
»Kommandant spricht! Die Schiffe brechen sofort hindurch. Das Zusammenbrechen des Schirms
dürfte gut erkennbar sein. Keine Verzögerungen, bitte. FiktivWerfer einsetzen!«
Jenseits des grünen fünfdimensionalen Schirmes, der das gesamte Sonnensystem hermetisch
einschloß, gingen die orathonischen Raumschiffe in Gefechtstellung.
Fiktive, aber doch von der Massenortung erfaßbare Objekte durchbrachen den energetischen
Sperrschirm und wichen in blitzschnellen Manövern den heranschießenden Impulswellenbündeln aus.
Die Orathonen glaubten erneut an einen Durchbruch.
Die Bilder, die man durch das Schutzfeld projizierte, narrten sie.
Als der Sammelimpuls das Librationszentrum aktivierte, ging das Raumschiff in den Hyperraum, noch
bevor es dem physikalischen Gesetz einer unendlich werdenden Masse folgen konnte.
Der irrlichternde Reflexpunkt verschwand aus der Hyperortung.
Jakto Javan wollte gerade aufatmen, als ihn die Stimme des Mathematikers aus seinen Betrachtungen
riß.
»Das Schiff taucht wieder auf, Sir. Der Durchbruch gelingt nicht.«
Javan fuhr herum. Sein Blick saugte sich am Holografen fest.
Dann geschah alles mit atemberaubender Geschwindigkeit.
In der Akustik krachte es, als das Schiff wieder ins vierdimensionale Kontinuum zurückfiel.
Gleichzeitig mit dem akustischen Signal entstand ein deutlich sichtbares Flimmern.
Dort, wo der Schirm noch vor kurzem in hellem Grün geleuchtet hatte, entstand jetzt eine blutrote
Stelle, die sich strahlenförmig nach allen Seiten ausbreitete. Lange Feuerarme griffen ins All hinaus
und erhellten kurz den schwarzen neunten Planeten. Pluto leuchtete sekundenlang als geisterhaftes
Schemen auf, als »Hera« restlos vergast wurde und als leuchtende Partikelwolke durch den
nachtschwarzen Raum zog.
Das Robotschiff existierte nicht mehr. Es gab nicht einmal kleinste Teile von dem Raumer. Seine
Materie hatte sich restlos in Energie umgewandelt.
Jakto Javan sah auf die in der Zentrale anwesenden Offiziere. Die Männer blickten betreten zu Boden.
Es schien keine Methode zu geben, mit der man den Schirm wirkungsvoll durchbrechen konnte. Sie alle
waren im Sonnensystem gefangen.
*
Rex Corda sah der jungen blonden Frau sinnend in die blauen Augen. Sie war vierundzwanzig, besaß ein
länglichovales Gesicht und Augen, die wie kleine Sterne strahlten. Corda glaubte, winzige
Goldkörnchen darin leuchten zu sehen.
Virginia Ramoni lächelte gequält.
»Ich weiß nicht, was ich tun soll, Mister Corda. Fred sitzt bereits seit einer Stunde reglos da und
starrt vor sich hin. Seit Sie ihn aus dem All zurückgebracht haben, ist er verändert.«
»Ich muß ihn unbedingt sprechen, Miß Ramoni. Ich nehme an, Sie sind seine Verlobte?«
»Seine Frau. Wir haben vor etwa vier Monaten geheiratet.«
Corda nickte. Er hatte die junge Frau noch nie vorher gesehen. Ebenso hatte Matson sie niemals
erwähnt.
Wieder nickte Rex.
»Er hat uns seine Hilfe zugesagt. Bedenken Sie, Mrs. Matson, er ist der einzige, der überhaupt noch
helfen kann.«
Auf dem bestrickend schönen Gesicht der jungen Frau zeichneten sich Schatten des Schmerzes ab.
Corda folgte ihr kopfschüttelnd bis an die Wohnzimmertür.
Dann fiel ihm etwas ein. Die Frau war mit Matson verheiratet, aber weshalb hieß sie dann Ramoni?
Sie drehte sich hastig um und blieb so abrupt stehen, daß Corda fast mit ihr zusammengeprallt wäre.
Ihre Pupillen weiteten sich, ängstlich sah sie den hochgewachsenen Mann an.
»Ich bin Mutantin, Mister Corda. Genau wie Fred. Vielleicht wissen Sie, daß wir nicht offiziell heiraten
dürfen, aber wir haben es heimlich getan. Ich erzähle Ihnen das, weil ich Vertrauen zu Ihnen habe.«
»Sie können meine Gedanken lesen?«
»Nicht direkt. Ich kann sie nur sinngemäß erfassen. Ich bin eine doppelpolige Mutantin, wenn Ihnen das
etwas sagt.«
Es sagte Corda nicht viel. Virginia Ramoni klärte ihn auf.
»Fred, mein Mann, ist ein StrukturEnergetiker.«
»Mutara war auch einer. Kennen Sie ihn?«
»Tsati Mutara? Ja, flüchtig. Was macht er?«
»Ich glaube, er ist tot«, murmelte Corda dumpf. »Er kam bei einem Einsatz gegen die orathonischen
Transmitter vermutlich ums Leben.«
»Das ist ja furchtbar.«
Das hübsche Gesicht verzog sich schmerzvoll. Nur die Augen strahlten genauso hell wie zuvor.
Virginia Ramoni, im Berufsleben Biomedizinerin für angewandte ExperimentalBiomedizin, ließ Corda in
das geräumige Wohnzimmer eintreten. Hastig flüsterte sie ihm zu:
»Erschrecken Sie ihn nicht. Tasten Sie sich langsam an ihn heran, er wird sonst störrisch und
eigensinnig. Tun Sie so, als hielten Sie sich schon eine Weile im Zimmer auf.«
Corda nickte. Die Atmosphäre im Raum knisterte vor Spannung.
Dort vorn saß Fred Matson. Der StrukturEnergetiker war ein Wrack, voll von Mißtrauen, geplagt von
gräßlichen Alpträumen, und lebte in dem Bewußtsein, daß seine Umwelt ihn ständig bedrohen würde.
Zur Zeit war er der wichtigste Mann im Sonnensystem. Es gab außer ihm keine EnergieEntzerrer
mehr, seit Mutara von seinem letzten Einsatz nicht zurückgekommen war.
Matson wandte sich nicht um. Seine Augen blickten starr einen Punkt an der getäfelten Wand an. Nur
seine Hände zitterten, und er war merkwürdig unruhig.
Corda blieb hinter dem breiten Rücken des Mutanten stehen.
»Nun – Fred.« Virginia RamoniMatson legte ihm liebevoll die Hand auf den Arm.
Matson schien aus tiefen Träumen zu erwachen.
»Wir haben einen Gast – Mister Corda.«
»Ich will nicht sterben«, murmelte der Mutant.
Abwehrend hob er beide Hände hoch. Dann sah er sich um. Nichts in seinem Gesicht verriet, daß er
unter Wahnvorstellungen, Bewußtseinsspaltung und temporärem Gedächtnisschwund litt. Für kurze
Zeit war er wieder ein ganz normaler Mann.
Den letzten Satz mußte er auch schon wieder vergessen haben.
Corda streckte ihm die Hand hin.
»Wir kennen uns ja bereits …«
Er brach ab und sah auf die Frau, die unterdrückt zu schluchzen begann.
Corda vermutete ein Geheimnis um die beiden so grundverschiedenen Menschen. Aber er vermochte
nicht zu sagen, was es war.
Während Corda noch darüber nachsann, nickte Matson mehrmals vor sich hin. Neue Wellen der Angst
und Panik überfielen ihn.
»Sie haben nichts erreicht, nicht wahr?« fragte er schleppend. »Am Schirm, meine ich«, setzte er
zögernd hinzu.
»Nein, nichts. Keine Macht kann den Schirm brechen, da die Energien, die man Alpha Centauri abzapft,
zu gewaltig sind. Der einzige, der noch helfen könnte, wären Sie, Matson.«
Matson hustete unterdrückt. Corda sah, daß sich sein Gesicht dunkelblau verfärbte. Es war ein
trockener, quälender Husten. Der Mann war bereits vom Tode gezeichnet.
Dann machte Rex eine ungewöhnliche Entdeckung.
Die beiden hatten ihm etwas verschwiegen.
Vor Beginn des Hustenanfalles hatte sich RamoniMatsons hübsches Gesicht ebenfalls verfärbt. Sie
litt ganz offensichtlich unter plötzlicher Atemnot.
Erst als der Mutant sich wieder beruhigte, glätteten sich auch ihre Züge. Das geschah im gleichen
Augenblick.
Corda sah das ungleiche Paar sekundenlang an. Die Eröffnung der Frau traf ihn wie ein Schlag.
»Sie sollen alles wissen, Mister Corda. Mein Mann ist ein HyperstrukturEntzerrer, und ich bin eine
telepathisch begabte ParallelMutantin. Ich kenne seine Gedanken nicht immer, aber ich fühle alle
Gemütsregungen mit. Wenn Sie mich bisher noch nicht zu Gesicht bekommen haben, so lag das an der
Tatsache, daß ich mich verstecken mußte, wenn Freds psychische Träume begannen. Ich leide mit und
erlebe all das Fürchterliche genauso wie er.«
Corda brachte immer noch keinen Ton heraus. Sie trug das schwere Leid ihres Mannes, ohne lange
Worte darüber zu verlieren. Sie mußten sich sehr lieben. Damit hatten sich im Falle Matson ganz neue
Perspektiven eröffnet.
Ein HyperstrukturEntzerrer und eine ParallelMutantin! Es war unfaßbar, obwohl Corda über die
Begabung des Mutanten durchaus informiert war.
Als er mit seinen stummen Betrachtungen soweit gekommen war, überfiel ihn ein neuer quälender
Gedanke.
Wenn Matson starb – wie er immer behauptete – starb seine Frau dann auch? Er wagte nicht, dieses
Thema anzuschneiden. Andererseits fand er es gewissenlos, wenn er sie nicht restlos über alles
aufklärte.
Virginia RamoniMatson lächelte wehmütig. Sie hatte Cordas Gedankenvorgänge sofort erfaßt.
»Ich auch«, sagte sie leise. »Es ist nun einmal so, aber auf mich kommt es nicht an. Ich sorge mich nur
um Fred.«
Matson forderte Rex Corda mit einer stummen Handbewegung auf, Platz zu nehmen.
Dann drehte er Corda wieder den Rücken zu, als ein erneuter Hustenanfall ihn schüttelte. Bei Matsons
Frau zeigten sich abrupt die gleichen Symptome. Sie hustete zwar nicht, aber ihr plötzlicher
Luftmangel sagte mehr als alle Worte.
Der Mann tat Rex leid, ebenso seine Frau.
»Können Sie nichts gegen den quälenden Husten unternehmen?« erkundigte er sich besorgt.
Matson winkte verzweifelt ab.
»Nein, die Ärzte sind machtlos. Es hat ja nun auch keinen Zweck mehr, oder?«
Der schwere Mann erhob sich. Seine Bewegungen wirkten müde, aber seine Stimme klang entschlossen.
»Gehen wir, Mister Corda. Ich werde Ihnen helfen, den Energieschirm zu neutralisieren. Es wird
gelingen, ich weiß es.«
Rex Corda blieb unbehaglich sitzen.
»Ich weiß nicht, ob ich Ihr Opfer unter diesen Umständen noch annehmen kann. Vermutlich wäre es
zuviel verlangt.«
»Ach! Weshalb schwenken Sie plötzlich um? Jetzt, wo ich mich überwunden habe, wollen Sie nicht
mehr.«
Matson schrie die letzten Worte. Sein Riesenkörper bebte vor Erregung.
»Es haben sich neue Gesichtspunkte ergeben, Mister Matson. Unter den jetzigen Umständen wäre es
wohl besser …«
»Sie haben eine Waffe gegen den Schirm?« unterbrach Matson hastig.
»Nein, wir haben nichts. Es läuft nur noch ein einziges Experiment, das aber aller Voraussicht nach
scheitern wird. Man versucht nochmals einen Durchbruch im Hyperraum.«
»Das gelingt nie!« behauptete Matson.
»Vielen Dank, daß Sie mich zur Erde zurückgebracht haben.«
Matson sah auf seine Frau. Sekundenlang trafen sich ihre Blicke.
Da ging Rex Corda still hinaus, ohne sich noch einmal umzusehen. Er fühlte, daß sich hier eine große
menschliche Tragödie anbahnte.
*
Die Kolonie im Meer wucherte mit unerhörter Schnelligkeit. Sie war erst vor einigen Stunden
entstanden, als einige Keime sich von der Hauptkolonie erhoben hatten und mit dem Wind über den
Ozean getrieben wurden.
Sechzehn Kilometer entfernt fielen die klumpenförmigen Gebilde ins Wasser.
Die Pest begann zu wachsen. Die Sporaden schickten ihre Keimfäden in die Tiefe und verankerten sich
untereinander.
Die Semibioten begannen das Plankton abzugrasen und bildeten die charakteristischen Igelstacheln,
die wie spitze Lanzen über die Meeresoberfläche hinauswuchsen.
Innerhalb von sechs Stunden hatte die Kolonie sich in rasender Eile vervierfacht. Die
meeresbiologischen Gegebenheiten waren so günstig, daß sie innerhalb einer weiteren Stunde abermals
um das Doppelte anwachsen konnte.
Jetzt, nachdem die Orathonen die Erde verlassen hatten, wuchsen und vermehrten sich die Kolonien
unkontrolliert mit atemberaubender Schnelligkeit.
Sie bedrohten die Erde!
Die vorerst nur im SargassoMeer auftretenden Parasiten wucherten weiter. Die Insel Mayaguana war
ihr erstes Opfer gewesen. Semibioten hatten sie restlos überwuchert und alles Leben auf ihr erstickt.
Der Gleiter, der die schnell wachsende Kolonie überflog, verhielt und senkte sich langsam nieder,
Kwamo Tosta blickte durch die breiten Sehluken nach draußen. Das laktonische Spezialkommando zur
Bekämpfung der Parasiten wartete schweigend auf seine Einsatzbefehle.
Kwamo Tosta wandte sich um. Der Laktone hatte die Oberlippe hochgezogen, was ihm ein gereiztes
Aussehen verlieh. Deutlich sichtbar schimmerten zwei Reihen roter Zähne.
»Es wird immer schlimmer«, fauchte er. »Ich komme immer mehr zu der Überzeugung, daß die
Orathonen die Kolonien bewußt wuchern lassen haben. Ngorma, Sie wissen, was Sie zu tun haben.«
Aus dem zweiten Sitz des Beobachters schraubte sich ein gedrungen wirkendes Individuum mit einem
flachen ausdruckslosen Gesicht hervor. Ofar Ngorma galt selbst bei den Laktonen nicht als schön.
Zudem überragte er noch den Kommandanten um eine volle Kopfeslänge.
»Jawohl, Sir. Soll ich gleich feuern, Sir?«
Die schwenkbaren Hitzstrahler ruckten nach einem kurzen Handgriff herum. Die Abstrahlmündungen
drohten hinab ins Meer – auf die semibiotische Kolonie, über der der Gleiter jetzt reglos hing.
»Errechnen Sie erst die Werte über Ausdehnung und Tiefe. Zu schade, daß wir die Kolonien nicht
verwerten können.«
Mißbilligend sah er auf die Millionen Arme, die aus dem Wasser ragten und sich schwankend bewegten.
Wenn man genauer hinsah, konnte man den fortschreitenden Wucherungsprozeß mit bloßem Auge
beobachten.
Ngorma nahm die Auswertung vor. Sie veränderte sich mit jeder Minute. Das Ergebnis war
erschreckend.
Die Kolonie im Meer hatte bereits eine Ausdehnung von sechzehn Quadratkilometern. In einer Stunde
würde sie fast doppelt so groß sein.
»Soll ich feuern, Sir?« fragte der laktonische Agent nochmals.
»Nein, wir können sie jetzt nicht mehr auf einmal vernichten. Sie stößt bereits die ersten Keime ab.
Schießen Sie eine schmale Passage in die Kolonie und trennen Sie die Bioten in der Mitte. Die Hälfte
teilen wir nochmals. Anschließend werden die vier Quadrate dann verbrannt.«
Ofar Ngorma zog den Gleiter schweigend hoch.
Der dritte anwesende Laktone überwachte auf den Schirmen die weitere Abstoßung sporadischer
Keimzellen.
Wenn eine Kolonie nicht restlos vernichtet wurde, entstand aus kleinsten Teilchen innerhalb weniger
Stunden die nächste, die nur das eine Bestreben kannte, sich in rasender Eile zu vermehren.
Der Gleiter flog eine steile Anflugkurve, kehrte zu seinem Ausgangspunkt zurück und strich in zehn
Meter Höhe über das Wasser dahin.
Ngorma feuerte ohne Zieloptik. Seine Finger drückten die Salventaste der Zwillingsstrahler und
rasteten sie ein.
Glutrote Feuerbahnen fraßen sich in die Parasiten, brachten das Meer in weitem Umkreis zum Kochen
und hieben mit der elementaren Gewalt des Feuers die wild peitschenden Semibioten auseinander.
Die zahllosen Stacheln krümmten sich unter der Einwirkung der Strahlen und verbrannten.
Der Schmerz durchzuckte die ganze Kolonie. Quadrat eins war innerhalb weniger Minuten restlos
verbrannt. Die Aschereste sanken langsam ins Meer hinab.
In heller Panik stieß die Kolonie sporadische Keime ab, deren gefiederte Köpfe wie kleine Fallschirme
dicht über die Wasseroberfläche trieben.
Aber der laktonische Beobachter paßte auf. Er gab Ofar Ngorma mit der Hand ein Zeichen.
Die thermischen Abstrahlkanonen kamen nicht mehr zur Ruhe. Pausenlos wurden die Energiestöße ins
Meer gejagt und peitschten die Wassermassen hoch, während gleichzeitig die gierigen Freßzellen, die
Phagozyten, der Bioten abstarben und verdampften.
Über dem Ozean hing eine weiße Nebelbank. Sie zeigte den Weg der Vernichtung an.
Unterdessen liefen die Auswertungen. Angestellte Berechnungen ergaben, daß diese Kolonie restlos
zerstört war. Sogar die schnelltreibenden Keimzellen, die sich bereits abgesondert hatten, waren den
thermischen Energien zum Opfer gefallen.
Kwamo Tosta war mit dem Erfolg zufrieden. Nachdenklich auf den untersetzten Beobachter starrend,
bekam er plötzlich sehr sinnende Augen.
Der als häßlich geltende Laktone Conracor drehte sich unbehaglich herum. Er hatte die Blicke des
Kommandanten gespürt.
»Sie sehen mich so merkwürdig an, Sir. Ist etwas Besonderes vorgefallen?« Kwamo Tosta nickte. Seine
Züge hatten sich verhärtet, die Augen blickten jetzt entsetzt.
»Diese Teufel«, murmelte er. »Sehen Sie sich um! Wohin Sie auch blicken, überall in dem Meer
entstehen semibiotische Kolonien.«
»Wir werden sie vernichten, Sir.«
»Hoffentlich. Aber das ist es nicht allein. Die sich ständig steigernde Wachstumsrate birgt für Terra
eine Gefahr, der man bisher kaum sonderliche Beachtung geschenkt hat.«
»Ich weiß, Sir«, sagte Conracor. »Die Kontinente werden überwuchert. Fauna und Flora sterben unter
dem Einfluß der gefräßigen Semibioten langsam, aber sicher ab.«
»Das auch.«
»Noch etwas anderes, Sir?«
»Ja, noch eine Sache, die viel wichtiger ist. Erinnern Sie sich, daß die Orathonen mit einem gewagten
Hypersprung im TerraSystem auftauchten? Die gewaltigen Strukturerschütterungen sind durch das
gesamte System gelaufen und haben die Oberflächen einiger Planeten verwüstet.«
»Ich weiß, ich erinnere mich.«
»Dieser Planet hat kein Flimmerfeld mehr. Oder besser gesagt, nur noch ein sehr schwaches. Die
Semibioten bewirken das.«
Der Kommandant knirschte mit den Zähnen.
»Wissen Sie jetzt endlich, was ich damit zum Ausdruck bringen will?«
»Ja, Sir. Das Flimmerfeld um einen Planeten verhindert den Austritt aus dem Hyperraum eines
Planeten.«
Der andere Laktone fuhr wieselflink herum. Seine Augen hatten sich zu schmalen Schlitzen verkniffen.
Auch er war entsetzt und schockiert.
»Dann könnten die Orathonen per Hyperflug eine Bombe ins Erdinnere schicken?«
»Genau. Und die würde den ganzen Planeten restlos zerfetzen. Das kann übrigens zu jeder Zeit
geschehen, meine Herren. Geben Sie sofort einen Vorgangsbericht an die Flotte durch.«
*
Der Mutant Fred Matson litt wieder unter seinen quälenden Hustenanfällen. Diesmal war es so schlimm,
daß man allen Ernstes befürchtete, er werde den entsetzlichen Krampf nicht lebend überstehen.
Mit verdrehten Augen und kalkigem Gesicht ruhte er in einem Schalensitz.
Leutnant Baker war auf der Erde geblieben, nur Dr. Konsinsky begleitete den sterbenskranken
Mutanten.
Der kleine Arzt wirkte verzweifelt, er gab ganz offen zu, am Rande seiner Weisheit angelangt zu sein.
Matson schüttelte sich in schweren Krämpfen, dann, nach einer Weile, entspannte sich sein Körper.
Er atmete flach und stoßartig.
Unter diesen Umständen sah es nicht so aus, als wäre er eine große Hilfe. Es war fraglich, ob er den
Energieschirm neutralisieren konnte, falls die Anfälle sich schneller wiederholten.
Corda griff dem fettleibigen Mann hilfreich unter die Arme.
»Es geht schon«, flüsterte Matson. »Manchmal überfällt es mich eben.«
»Ich weiß. Ruhen Sie sich aus.«
»Wo sind wir jetzt?«
»Im All. Wir fliegen zum Flottenflaggschiff. Ich sage Ihnen, wann es soweit ist.«
»Ich will die Wand sehen, verstehen Sie! Ich muß sie sehen können, oder ich werde verrückt.«
Der laktonische Pilot, der den Raumgleiter steuerte, mußte die Worte sinngemäß erfaßt haben.
Schweigend drückte er die Taste des Holografen ein.
Der aufflammende Holograf zeigte im dreidimensionalen Bild das All und in weiter Ferne die grünlich
schimmernde Barriere.
Matsons Kopf schoß vor. Die Augen saugten sich am Holografen fest.
Da war sie, die Wand, die das TerraSystem hermetisch abschloß, die es in ganz kurzer Zeit sogar
vernichten würde.
Der Schirm zog sich ständig zusammen, doch das war nicht optisch erkennbar, sondern nur meßbar. Das
Kleinerwerden der titanischen Blase aber hatte einen unheimlichen Effekt. Der schrumpfende Schirm
würde in absehbarer Zeit die äußeren Planeten aus ihren Bahnen zwingen und sie dem Mittelpunkt
näher schieben. Alles andere würde die Masse der einzelnen Planeten besorgen. Sie würden sich
gegenseitig vernichten, aus ihren Bannen drängen, bis sie miteinander kollidierten.
So sah das Ende aus!
Besorgt sah Corda auf den Mutanten. Matsons Augen waren entsetzt und starr auf den Holografen
gerichtet.
Begann er Zweifel an seinen eigenen Fähigkeiten zu hegen?
»Glauben Sie, daß wir ihn einsetzen können, Doc?« erkundigte sich Rex Corda besorgt.
Konsinsky blinzelte zu dem Holografen hinüber. Sein eingefallenes Gesicht drückte echte Besorgnis
aus.
»Er muß es selbst wissen. Medizinisch gesehen, ist er ein Wrack, und ein Einsatz wäre niemals zu
verantworten. Andererseits hat der Mann nichts zu verlieren. Er kann das ganze System retten, denn
er selbst wird ohnehin bald …«
Konsinsky brach ab, als der Mutant mit flammenden Augen herübersah. Der schmächtige Arzt schämte
sich plötzlich seiner Worte.
Aber Matson hatte den Sinn gar nicht erfaßt. Er wandte den Blick und sah wieder auf das energetische
Schirmfeld. Die gigantische Barriere löste in seinem Innern Komplexe aus. Er hatte furchtbare Angst
vor dem, was nun folgen sollte.
Andererseits war er nicht fähig, den Blick von dem Schirm zu lösen. Er mußte einfach hinsehen, oder er
wurde wahnsinnig.
Als er endlich die Augen schloß, tat er es in dem Bewußtsein, bald sterben zu müssen. Entsagungsvoll
lächelnd, schlief er überraschend ein.
Und dann kamen die quälenden Träume!
Sie hieben in seine mutierten Extrasinne, brachen mit elementarer Gewalt über ihn herein, zerfetzten
seine labilen Nerven mit maßloser Gewalt.
Fred Matsons schwerer Riesenkörper bebte. Er schrie!
Die Männer blickten schweigend weg. Nur Corda nicht. Sein mitleidsvoller Blick blieb an dem zuckenden
Menschenbündel hängen.
Weit weg, auf Terra, würde sich jetzt eine junge Frau in Krämpfen winden. Sie würde alle Stadien der
inneren Verzweiflung und Angst ihres Mannes miterleben.
Sie würde genauso schreien wie er.
*
Jakto Javan, der Oberbefehlshaber der laktonischen Raumflotte, war persönlich anwesend, als der
Raumgleiter in die magnetischen Fangfelder des Flottenflaggschiffes hineintobte.
Das Einschleusungsmanöver geschah mit wahnwitziger Geschwindigkeit. Das elektromagnetische Feld
zog sich unter dem Ansturm zusammen, verdichtete sein Energiepotential und bremste den Gleiter mit
atemberaubenden Werten ab.
Lautlos schwangen die Außenschotts herum. Der große Schleusenraum füllte sich mit atembarer Luft.
Rex Corda stieg aus. Er trug immer noch seine khakifarbene Uniform.
Jakto Javan grüßte flüchtig. Sinnend blieb sein Blick auf Matson hängen, der einen feuerroten
Raumanzug trug. Das Gesicht hinter der Helmscheibe wirkte aufgeschwemmt und verquollen.
Jakto Javan empfand eine unerklärliche Scheu vor dem Mutanten, der mit müden Bewegungen hinter
Rex Corda herging.
Weitere Laktonen erschienen. Corda erkannte Percip, den LithalonGeborenen, Fatlo Bekoval und Ga
Venga, den blauhaarigen Kynother mit dem übergroßen Kopf und dem Zwergenkörper.
Jakto Javan hatte alle Zurückhaltung abgelegt. Er hatte gute Gründe dafür. Er war auf die Erde
angewiesen und ganz besonders auf die Zusammenarbeit mit Rex Corda und dem Mutanten. Nur Matson
allein war noch in der Lage, den Schirm zu neutralisieren. Gelang ihm das nicht, waren die Laktonen
gefangen und würden zusammen mit dem Sonnensystem untergehen.
»Sagen Sie ihm, daß er seinen Raumanzug ablegen kann. Hier ist jeder Raum mit Sauerstoff
angereichert.«
GaVenga übersetzte blitzschnell. Der kleine Kynother wirkte zerfahren und nervös, ein Zustand, den
Corda sonst an ihm kaum bemerkt hatte.
Er klopfte an Matsons Helmscheibe. Der Mutant verstand ihn. Schnappend glitt die magnetische
Sicherung zurück. Der Helm rutschte zurück auf die Schultern.
»Sie können den ganzen Anzug ablegen, Matson. Es ist noch nicht soweit.«
»Ich behalte ihn an. Ich will ihn nicht mehr ablegen.«
Matson fiel wieder in seine alte störrische Haltung zurück. Er wollte unbedingt seinen Willen
durchsetzen.
»Okay, lassen Sie ihn an. Ich dachte nur, er behindert Sie.«
»Nein. Ich lasse ihn an«, wiederholte Matson.
Doktor Konsinsky gab Corda einen Wink. Rex nickte zum Zeichen, daß er verstanden hatte. Matson war
ohnehin hochempfindlich, und Widerspruch vertrug er seit einigen Tagen nicht mehr.
Im Flottenflaggschiff herrschte eine sinnlos scheinende Emsigkeit. Offiziere und Mannschaften
hasteten pausenlos vorbei. Das Getrappel schwerer Raumstiefel wirkte zermürbend.
Etwas später erreichten sie die Kommandozentrale. Das große Schiff nahm Fahrt auf und schoß über
die Plutobahn hinaus, der Energiebarriere entgegen.
Corda sah, wie Jakto Javans linke Hand fast unmerklich zitterte. Die Blicke des laktonischen
Befehlshabers hingen am Gesicht des Mutanten.
Matson saß in einem Schalensessel. Sein unnatürlich bleiches Gesicht beeindruckte die Männer auf eine
unheimliche Weise. Seit fast zwanzig Minuten hatte sich der Mutant nicht mehr bewegt. Wie eine
steinerne Statue saß er reglos inmitten der Kommandozentrale.
Doktor Konsinsky wich Cordas fragenden Blicken geflissentlich aus.
Er, der den Mutanten kannte wie kein anderer, war gegen die Gemütsverfassung des übersensiblen
Mannes absolut machtlos. Medikamente und Spritzen wirkten nicht mehr. Konsinsky war nur noch
anwesend, damit Matson ein vertrautes Gesicht um sich hatte. Aber er sah dieses Gesicht gar nicht. Er
sah niemanden mehr an.
»Wie geht es jetzt weiter?« fragte Corda.
Jakto Javan fuhr auf. Nur schwer vermochte er die Blicke vom Gesicht des unheimlichen Mutanten zu
reißen.
»Drei Einsatzgruppen gehen durch. Zwei werden nur aus erprobten laktonischen Raumsoldaten
bestehen, während Sie die andere leiten. Jede Gruppe benutzt einen Raumgleiter. Da die Raumer nur
schwache Antriebsaggregate haben, wird das Flaggschiff unmittelbar vor der ›Wand‹stehenbleiben.«
Wieder irrte Javans Blick ab.
Der Mutant hatte sich noch immer nicht bewegt. Lebte er überhaupt noch?
Javan lief es kalt über den Rücken, aber er faßte sich schnell wieder.
»Die beiden Raumscheiben werden von uns aus mit der Impulsschleuder abgeschossen. Ihre
Beschleunigung wird achthundert Meter im Sekundenquadrat erreichen.«
Corda nickte. Er konnte sich lebhaft vorstellen, was geschah, falls bei diesem Beschleunigungsstoß die
Andruckneutralisatoren versagen sollten.
Der Beharrungseffekt würde sie zerquetschen!
Als Corda so weit mit seinen Gedanken gekommen war, ertönte ein Summton.
Javan drehte sich ruhig um. Im Gesicht des zwei Meter zehn messenden laktonischen Riesen zeichnete
sich keine Regung ab.
»Ja, bitte?«
Aus den knappen Worten sprach die ganze Würde seines hohen Ranges.
Javan war einer der vier höchsten adligen Laktonen.
»Die Einsatzgruppen sind bereit. Wir erwarten Ihre Befehle«, tönte es aus der Akustik. Der Sprecher
war auf dem Holografen nicht zu sehen.
Javans dunkelblaue Uniform erhielt einen metallenen Schimmer, als das gleißende Kunstlicht ihn voll
traf. Schmerzhaft deutlich blitzte das Symbol des laktonischen Sonnensystems auf seiner linken
Schulter auf. Es bestand aus blau glänzenden Edelsteinen.
»Warten Sie noch«, sprach er in die gitterförmige Akustik.
Der massige Kopf mit den kleinen Ohren wandte sich Corda zu.
»Können wir beginnen?«
Corda sah abwesend auf den reglosen Mutanten, dann fiel sein fragender Blick auf Konsinsky.
Der kleine Arzt hob hilflos die schmalen Schultern. Sein wehmütiges Lächeln wirkte gefroren.
»Einmal müssen wir wohl, nicht wahr?« sagte er dann. »Aber ich fürchte, Matson ist nicht ansprechbar.
Er scheint in Trance versunken zu sein.«
Corda räusperte sich lautstark. Dann trat er an Matson heran. Seine Hand legte sich auf das
Schulterteil des feuerroten Raumanzuges.
»Hallo, Matson! Sind Sie bereit? Wir warten auf Sie!«
Matson rührte sich nicht. Sein Körper hatte sich noch mehr versteift. Dumpf stierte er auf die
zahlreichen Kontrollen der komplizierten Schaltanlage.
Percip, der laktonische Agent mit der roten Narbe über der Oberlippe, trat unvermittelt ins Blickfeld
des Mutanten. Seine roten Zähne blitzten. Er faßte Matson am Arm. Dann schrie er leise auf. Matsons
hervorquellende Augen verwirrten den abgebrühten Laktonen. Als Corda hinzusprang, war es schon zu
spät. Der Mutant kippte lautlos aus dem Schalensitz. Dumpf dröhnend schlug sein Körper vor den
entsetzten Augen der Laktonen auf dem Boden der Zentrale auf.
*
Das laktonische Spezialkommando war nicht mehr Herr der Lage.
Die krebsartigen Geschwülste der Semibioten wucherten. Es war ihnen gelungen, weitere Keime
abzustoßen und neue Kolonien zu bilden. Das Meer war übersät mit ihnen, verseucht von der
wuchernden Pest.
Und sie wuchs und dehnte sich mit unglaublichem Tempo aus. Immer neue »Inseln« tauchten auf.
Kwamo Tosta sah sich plötzlich einem Problem gegenüber, das man anfangs als harmlos belächelt hatte.
Jetzt war ihnen das Lachen gründlich vergangen.
Es schien, als kämpfe man gegen ein unübersehbares Heer von Ameisen. Immer wieder tauchten sie
auf.
Kwamo Tosta fühlte sich ohnmächtig, wie er es noch nie zuvor empfunden hatte.
Auch Ofar Ngorma sah die Sinnlosigkeit ihrer Säuberungsaktion ein. Wütend hieb der Laktone auf die
Schalter der Salvenautomatik. Sie rasteten ein. Das dumpfe Tosen der energetischen Strahlwaffen
verstummte plötzlich.
»Zwecklos«, meinte er, »völlig sinnlos. Was zuerst nach einem abwechslungsreichen Spiel aussah, ist
jetzt in einen nervenzerfetzenden Kleinkrieg ausgeartet. Wir bekämpfen eine wild wuchernde Pest, die
sich nach jeder Vernichtungsaktion verdoppelt. Ich habe die Salvenautomatik inaktiviert.«
Kwamo Tosta sah hinaus. Tief unter ihnen dehnte sich eine semibiotische Kolonie aus. Ihre Länge ließ
sich nur annähernd abschätzen. Bis zum fernen Horizont hin schoben sich die stachelartigen Gebilde
aus dem Wasser. Sie befanden sich in ständiger wildzuckender Bewegung. Katapultartig wurden die
Sporen herausgestoßen und segelten mit dem Wind weiter.
Die Kolonie wuchs mit erschreckender Schnelligkeit! Der Ozean schien im Sichtbereich des
laktonischen Einsatzkommandos nur noch aus Semibioten zu bestehen.
»Wir fordern drei Schlachtkreuzer an. Wie stark ist diese Zone?«
Ngorma tippte die Werte aus den kleineren Rechenautomaten in den Hauptcomputer.
Die Antwort, die diesmal auf Stanzstreifen erfolgte, warf ihn fast um.
»Elfeinhalbtausend Quadratkilometer, wenn wir die terranische Rechnungsweise zugrunde legen«, las
er ab.
Tostas Mundwinkel bildeten zwei schmale Kerben.
»Spruch an die Flotte. Wir benötigen dringend Schlachtschiffe. Dies hier ist eine Aufgabe für die
RobotEinsatzgruppen.«
Tosta wandte sich ab. Er war verärgert, daß er Hilfe anfordern mußte. Vielleicht würde man das als
Unfähigkeit auslegen, dachte er.
Dann fiel sein Blick auf Conracor. Der laktonische Beobachter fixierte aus schmalen Augen eine
breitklaffende Lücke in der Riesenkolonie. Sie war erst vor einigen Minuten entstanden. Das freie
Wasser schimmerte tiefblau herauf.
»Was gibt es?«
Conracor deutete nach unten. Ein Teil der Kolonie begann sich überraschend zu verfärben. Die Bioten
starben zu Tausenden ab. Sie verkümmerten, welkten und sanken ins Meer.
»Dort unten bewegt sich etwas.«
Kwamo Tosta sah es nun auch.
In dem freien Wasser tauchten monströse Gebilde auf. Ihre Leiber schimmerten weißlich. Köpfe mit
seltsam geformten Gesichtern erschienen. Es waren Hunderte, die sich dort versammelt hatten. Fast
vorwurfsvoll sahen sie zu dem laktonischen Vernichtungsschiff hinauf.
*
Konsinskys heiserer Schrei hallte sekundenlang von den Wänden der Zentrale wider. Der terranische
Arzt stürzte vor.
Percip sah ungläubig auf den am Boden liegenden Mutanten. Die Narbe auf seiner Oberlippe leuchtete
blutrot. Er war erregt. Er konnte es nicht fassen, daß der einzige Mann, der ihnen allen Rettung
bringen konnte, einfach tot sein sollte.
Konsinsky hob schon die Augenlider des Mannes hoch, als die anderen erst aus ihrer Erstarrung
erwachten »Er lebt!« stellte er fest.
Die knappe Feststellung löste eine allgemeine Erleichterung aus. Corda half dem Arzt, Matson wieder in
den Schalensitz zu bringen.
Der Mutant schlug überraschend die Augen auf. Verständnislos sah er sich um, erblickte die Laktonen,
überblickte die gigantischen Ausmaße der Kommandozentrale. Nur schwer fand er wieder in die
Wirklichkeit zurück.
»Ich mache Ihnen viel Mühe, wie?« fragte er heiser.
Die Männer beeilten sich, seine Frage zu verneinen.
Jakto Javan, der genau wußte, wie wertvoll dieser Mann war, legte ihm die Hand auf das Schulterstück
des Raumanzuges.
»Ich verspreche Ihnen, alles zu tun, was in unserer Macht steht, damit Sie restlos wieder gesund
werden. Das ist das wenigste, was wir tun können. Unsere BioMedizin hat einen Stand erreicht, der
kaum noch zu überbieten sein dürfte.«
GaVenga übersetzte die Worte blitzschnell.
Matsons Gesichtsausdruck wechselte von jäher Freude in tiefe Niedergeschlagenheit.
»Mir kann niemand mehr helfen. Auch Ihre überragende Medizin nicht. Ich werde den Einsatz nicht
lebend überstehen. Ich weiß es und beginne, mich damit abzufinden.«
Die Schultern des Mutanten sanken noch mehr nach vorn. Er bot ein Bild des Mitleids.
»Ich habe Angst vor der kinetischen Energie«, flüsterte er Javan zu. »Verstehen Sie mich?«
Der Schento nickte, obwohl er keinesfalls verstand, was Matson damit andeuten wollte. Es war auch zu
kompliziert für einen, der nicht in den Bahnen eines mutierten Geistes dachte.
Matson war innerhalb der nächsten Viertelstunde wie umgewandelt. Jetzt, wo der Einsatz unmittelbar
bevorstand, gab er sich heiter und ausgeglichen. Er erzählte dem lauthals lachenden Kynother sogar
einen Witz.
Psychologische Ablenkungsmanöver, dachte Jakto Javan. Er hat furchtbare Angst vor dem Einsatz und
will das aber vor den anderen jetzt um keinen Preis mehr zugeben.
Dem aufmerksam beobachtenden Flottenbefehlshaber entgingen nicht die sich ständig
zusammenziehenden Pupillen des Mutanten, die seine wahren Gefühlsregungen klar genug ausdrückten.
Vier Minuten später kam die Klarmeldung aus dem Schleusenhangar des riesigen Schiffes. Die
Raumgleiter waren bereit.
Fred Matson schloß seinen Raumhelm. Die eingebaute Funksprechanlage hatte er mit einem kurzen
Griff ausgeschaltet. Somit war er von der Außenwelt völlig abgeschnitten und isoliert. Er wollte mit
niemandem mehr sprechen und auch keine Antworten geben.
Er war ein Mensch, der in ständigem Zwiespalt seiner Gefühle lebte und der von einem Extrem ins
andere fiel.
In dem großen Schiff jagten sich die Befehle. Die laktonischen Einsatzkommandos waren bereit zur
Einschleusung in die Gleiter.
Eine Gruppe von drei spezialisierten Agenten schwebte bereits in schweren Raumpanzern vor dem
Schirm. Vier weitere würden später folgen.
Konsinsky blinzelte jedesmal erstaunt herüber, wenn der Holograf in Betrieb war. Das Gerät zeigte in
der Direktsicht die breiten Rücken der im All schwebenden Gestalten.
Bei jeder Änderung des Blickwinkels aber sah der verblüffte Doc eine neue Perspektive.
Wenn er sich weiter nach rechts oder links bewegte, sah er die laktonischen Agenten von der Seite,
schließlich sogar von vorn.
Konsinsky kam über diesen dreidimensionalen RaumtiefenEffekt nicht aus dem Staunen heraus.
Ein paarmal schon war er versucht, den Holografen zu berühren, um die Gestalten anzufassen. Aber er
unterdrückte diese Regung gewaltsam, aus Angst, sich lächerlich zu machen.
Jakto Javans spöttische Blicke ließen ihn verlegen hüsteln. Betont gleichgültig wandte er sich von dem
Holografen ab. Innerlich leise fluchend, gab er es auf, das Geheimnis ergründen zu wollen.
Corda, Matson und die Laktonen verließen nacheinander die Zentrale.
Konsinsky äugte ihnen nach. Den an komplizierten Schalttafeln sitzenden anderen Laktonen schenkte er
keine Beachtung. Unauffällig, wie er glaubte, lief er in einem langen Bogen wieder zurück und blieb vor
dem Holografen stehen.
»Zur Hölle«, murmelte der kleine Doc, »wie machen sie das bloß! Zauberei, eh?«
Er streckte die Hand nach dem Holografen aus und berührte das Feld.
Seine tastenden Finger suchten vergeblich nach einer gläsernen Scheibe. Sie stießen ins Leere vor, und
ein seltsames Kribbeln lief durch seinen Körper. Entsetzt zog er den Arm zurück.
Dr. Konsinsky konnte sich mit dieser Tatsache laktonischer Technik nicht befreunden.
Nach einem letzten Blick auf das Gebilde einer Superlativen Technik erstarrte er plötzlich in seinen
Bewegungen.
Ein olivgrüner Strahlschuß, der aus dem Nichts kam, raste mit halber Lichtgeschwindigkeit auf ihn zu –
genau ins Zentrum des Holografen hinein.
Konsinsky ließ sich ächzend zu Boden fallen. Vor seinen Augen explodierte nun lautlos eine Mauer aus
grellem schmerzendem Licht.
*
Die Fremden kamen!
Telepathische ExtraSinne lauschten hinauf in die Atmosphäre. Die emotionelle Sphäre knisterte.
Vernichtung!
Die telepathisch begabten Delphine belauschten voller Entsetzen die Gedanken der laktonischen
Einsatzkommandos.
Hunderte von weißgrauen Delphinen tauchten auf, nachdem ihre gedankliche Ausstrahlung eine breite
Lücke ins Reich der Semibioten geschlagen hatte.
Jetzt reckten sie die Köpfe aus dem Wasser, die Körper schnellten hoch.
Aber die Fremden verstanden sie nicht.
Schoschan, der Führer der Delphinengruppe, wußte, was nun folgen würde. Die Fremden forderten
Schiffe an, die das ganze Meer zum Kochen bringen konnten.
Er gab seinen Artgenossen den Befehl zur Flucht. Sie sollten sich dorthin wenden, wo es freies Wasser
gab und wo nicht die Gefahr bestand, von den Energiegeschützen vernichtet zu werden.
Die Delphine begriffen. Ihre schlanken Leiber tauchten hinab, nachdem sie noch einen Blick nach oben
geworfen hatten. Der fliegende Gegenstand unternahm keine Anstalten, noch mal das Feuer zu
eröffnen. Bewegungslos stand er nun über dem freien offenen Wasserstreifen.
Dann jagte die Gruppe der Delphine in wilder Flucht davon.
*
»Sie sind weg«, stellte Ofar Ngorma fest.
Kwamo Tosta sah auf die Stelle hinab, wo die weißen Leiber in wilder Hast davonstoben.
Die Semibioten begannen bereits wieder mit der Überwucherung des freien Wasserstreifens.
Erst das dumpfe Röhren riß ihn aus seinen Betrachtungen. Gewaltsam verdrängte Luftmassen
erzeugten den krachenden Donner ständiger Detonationen.
Am Horizont tauchten zwei gewaltige Schiffe auf.
Die Raumschiffe der TrakonKlasse hieben die Luftmassen auseinander und bremsten ihre
Eigengeschwindigkeit mit materialerschütternden Manövern ab. Ihre GravitationsStützfelder hielten
die gewaltigen Riesen mit einer Länge von 2160 m nahezu bewegungslos über dem Dschungel der
Semibioten.
Kwamo Tosta atmete auf, doch dann zuckte er zusammen.
Hoch über ihnen – aus dem Nichts fallend – senkte sich ein Gigant herab, der die TrakonKreuzer klein
erscheinen ließ.
Ein Raumschiff der PithonKlasse! Es war selbst für die kampferprobten Laktonen jedesmal ein
erhebender Anblick, den Triumph ihrer eigenen Technik betrachten zu können.
Das feuerrote Schlachtschiff war viertausendundsechzig Meter lang! Die Masse des Giganten ließ sich
nur schwer erfassen.
Kwamo Tosta zog den Kopf ein, als die Stimme aus der Akustik krachte.
»Achtung! Räumen Sie das Gebiet. Gehen Sie höher. Der Beschuß erfolgt in sechs Zeiteinheiten.«
»Danke, ich habe verstanden.«
Tosta sah auf die kleinen Schirme. Der rote Titan schien direkt vom Himmel zu fallen.
Ofar Ngorma erwartete keine Befehle mehr. Seine Finger hieben auf die roten Fluchtschalter. Die
Scheibe raste mit wilder Beschleunigung davon und stieg gleichzeitig höher.
Was dann folgte, trieb den laktonischen Spezialisten den Schweiß aus den Poren.
Der feuerrote Gigant blieb am Anfang der semibiotischen Kolonie stehen. Er schwebte im Schutz
seiner Gravitationsfelder in vier Kilometer Höhe über dem Wasser.
Irgendein Gunner drückte im Innern des Titanen auf den Knopf der Salvenautomatik.
Mißtönendes Kreischen klang auf. Vier unglaublich kurze Impulsbündel rasten aus den Abstrahlkanonen
und hieben in die Kolonie.
Das Meer wich vor der glosenden Feuersäule zurück, verdampfte und erzeugte einen Trichter, in dem
es kochte und brodelte.
Der nächste Schuß schoß eine Nanosekunde später ein. Der Trichter vergrößerte sich. Eine haushohe
Woge brach aus dem Wasser und rollte in den Schlund, der bereits jetzt eine Tiefe von mehreren
hundert Metern aufwies.
Die Semibioten wurden von einem gewaltigen Sog erfaßt, der sie gierig hinabriß. Sie bildeten eine hohe
Woge, zerfielen in Millionen kleiner Bruchstücke und verschwanden in einer aufgischtenden
Riesenblase. Sie verdampften augenblicklich.
Mit unfaßbarer Geschwindigkeit riß es die kilometerlange Kolonie in den Trichter. Saugende,
schmatzende Geräusche waren bis in die Atmosphäre vernehmbar.
Kwamo Tosta sah zur Borduhr. Es war unfaßbar. Was sie in drei bis vier irdischen Tagen nur mit
allergrößten Mühen bewältigt hätten, schaffte der Gigant der PithonKlasse mit vier Impulsstößen in
zwei Zeitintervallen.
Das schwere Schlachtschiff nahm Fahrt auf und erreichte die nächste Kolonie. Innerhalb weniger
Minuten verschwand sie und löste sich auf.
Tosta wirkte niedergeschlagen.
»Fliegen Sie zurück«, meinte er zu Ngorma. »Sonst verwechselt man uns vielleicht mit einer
sporadischen Keimzelle, die sich gerade einen neuen Landeplatz sucht. Möglicherweise schießt dann
einer übungshalber mit seiner Dienstwaffe nach uns.«
Sein freudloses Lachen machte deutlich, was der Raumgleiter trotz seiner verheerenden Waffen
eigentlich war. Im Verhältnis zum Schlachtraumer der PKlasse ein Nichts, das nicht einmal imstande
war, eine Kolonie in der Größenordnung von elfeinhalbtausend Quadratkilometern zu vernichten.
Als der Gleiter abdrehte, brach hinten am Firmament die Hölle auf. Alle drei Schiffe begannen jetzt
zu feuern.
*
Dr. Konsinsky blinzelte ungläubig, als er die Gesichter der Laktonen sah, die immer vor ihren Geräten
saßen. Es schien ihnen gar nichts auszumachen, daß man auf sie feuerte.
Ein breitschultriger Mann half ihm auf die Beine, und ein grinsendes Gesicht mit roten Zähnen sah ihn
an.
»Verdammt! Welcher Ungeist hat mich nur geritten, als ich mit in den Raum ging«, murmelte der Doc
mit zusammengepreßten Zähnen.
Der Laktone beugte sich neugierig vor.
»Ota ä cocta ä r'gentamor?«
»Da soll einer draus schlau werden«, brummte Konsinsky mißvergnügt. Er sah den grinsenden Laktonen
an.
»Ja, prima Wetter heute«, sagte er laut. »Aber es wird sicher noch Regen geben.«
Der Laktone verstand ihn nicht. Konsinsky wedelte mit der Hand. Dann verließ er grinsend die
riesenhafte Zentrale.
Er verfluchte seine Kühnheit, mit nach hier oben gegangen zu sein, wie er das All bezeichnete.
Konsinsky war immer ein einfacher Mann gewesen, wenn er auch eine Kapazität in der Medizin war.
Aber das alles erschien ihm unheimlich und fremd.
Am meisten hatte ihn der Holograf beeindruckt. Er war sich immer noch nicht sicher, ob man sich nicht
einen reichlich makabren Scherz mit ihm erlaubt hatte.
Auf dem breiten Gang, der zum Schiffshangar führte, traf er die Gruppe wieder. Alle waren in
schwere Raumpanzer gehüllt. Rex Cordas Helm war am Magnetverschluß noch offen.
Nur Matson stand etwas abseits, als ginge ihn das alles gar nichts an. Der Mutant winkte unwirsch ab,
als Konsinsky sich ihm näherte.
Matson duldete niemanden mehr in seiner unmittelbaren Nähe.
»Bleiben Sie hier an Bord, Doktor«, rief Corda. »Man wird Sie später wieder zur Erde bringen, wenn
der Einsatz gelungen ist.«
»Und wenn nicht…?« fragte Konsinsky zweifelnd.
Corda zuckte nur die Schultern. Unter dem Raumanzug war das nicht zu sehen.
»Sie kommen auf alle Fälle wieder zurück.«
Konsinsky wollte noch zu einer Erwiderung ansetzen, doch der Strom der Ereignisse riß ihn fort.
Harte Kommandos erklangen, Befehle jagten sich. Der lange, mit unglaublich vielen Instrumenten
angefüllte Gang erwachte jäh zum Leben, als die Männer des Einsatzkommandos zur Panzerschleuse
hasteten.
Die Leute trugen laktonische Spezialausrüstung. Ortungsschutzgeräte baumelten am Rücken der
schweren Kampfkombinationen. Sie waren lebende Superbomben, eingesetzt zur Vernichtung der
orathonischen Energiestationen, die das Schirmfeld um das TerraSystem erzeugten.
Die Taktik lag in allen Einzelheiten fest. Alles andere hing von dem Mutanten und den FiktivWerfern
ab, die jetzt wieder in Aktion traten.
Corda, Percip, Bekoval, GaVenga und ein paar andere Laktonen bildeten das Oberkommando der
Durchbruchsaktion. Ihr Raumgleiter ruhte abschußbereit im elektromagnetischen Abprallsektor. Ein
Impuls genügte, um den Gleiter durch den Schirm zu schleudern – falls er sich öffnete.
Man hatte diesen Weg gewählt, weil kein menschliches Gehirn in der Lage war, im Bruchteil einer
Nanosekunde zu reagieren. Das vermochte nur eine komplizierte elektro+positronische Robotik.
Die andere Einsatzgruppe ruhte in den Andrucklagern neben ihnen in einem weiteren Raumgleiter. Sie
hatte genau die gleiche Aufgabe. Die restlichen vier Laktonen schwebten jetzt langsam zur Schleuse
hinaus. In langgezogener Kette näherten sie sich dem grünen Energieschirm.
Zwischen ihnen – am grellen Rot des Raumanzuges deutlich erkennbar – schwebte Fred Matson, der
Mutant.
Corda erkannte, daß er die hilfreichen Stützbewegungen der laktonischen Agenten verzweifelt
abwehrte, obwohl er keine Raumerfahrung besaß. Er hatte das Energiefeld jetzt zum zweitenmal in
seinem Leben gesehen. Es war sein zweiter Besuch im All für ihn.
Corda entspannte sich. Die Laktonen sahen stumm herüber.
Durch den transparenten Schirm erkannte man die eiförmigen orathonischen Energiestationen. Einige
Hantelraumer standen in weiter Entfernung hinter dem Schirm.
Ab und zu feuerten sie auf die Fiktivbilder, die plastisch den Schirm durchdrangen und mit großer
Beschleunigung davonstoben.
Der Mutant hatte jetzt seinen Einsatzpunkt erreicht. Hart schwebte er vor der Energiewand.
Sein Gesicht war verzerrt, er hatte auch wieder die Funkanlage eingeschaltet.
»Fertig?« vernahm Corda die heisere Stimme. »Soll ich beginnen?«
Corda holte tief Luft. Er sah die ungeheure Anspannung in den Gesichtern der Laktonen, die ihn
begleiteten.
Bekoval hatte die Zunge zwischen die Zähne geschoben, was bei ihm den Ausdruck höchster Erregung
kennzeichnete. GaVenga hatte übernormal große Augen.
»Ja, Sie können beginnen.«
Cordas Stimme war ein leises Flüstern. Man hörte ihn auf allen Schiffen über den Sprechfunk.
Auf dem kleinen Holografen hob sich Jakto Javans mächtiger Brustkasten. Unbewußt hatte das
Mitglied des SCHENTA den Atem angehalten.
Der Mutant schwenkte halb herum. Sein weißes Gesicht glich einer Totenmaske. Stoßweise ging sein
Atem.
Da vernahm Corda das heisere Wispern. Es drang über eine Frequenz, die den Sprechfunk überlagerte,
und war in laktonischer Sprache abgefaßt.
GaVenga brachte sein Gesicht blitzschnell in Cordas Nähe, schaltete den Frequenzschalter um und
rief Corda die Übersetzung zu. Noch nie zuvor hatte der kleine Kynother so blitzschnell gehandelt und
übersetzt.
Corda nickte ihm dankend zu. Seine Stimme erscholl über den Sprechfunk wie das harte Rollen eines
Gewitters.
»Halt, Matson! Hören Sie auf! Das Unternehmen wird sofort abgebrochen!«
In den laktonischen Schiffen breitete sich Entsetzen aus.
*
Virginia RamoniMatson empfing die chaotischen Gedanken ihres Mannes wie einen körperlichen Hieb.
Sie versuchte, den grauenhaften Ansturm der wechselnden Bilder abzuschwächen, aber ihre geistigen
Kräfte reichten dazu nicht aus.
Flimmernde Linien, die alle Farben des Spektrums durchliefen, erschienen vor ihrem geistigen Auge.
Statisches Rauschen und Knistern wurde laut und immer lauter, bis ihre Trommelfelle zu bersten
drohten.
Die positronischen Wirbelfelder, die das große Energiefeld aussandte, waren der Auftakt zu einer
höllischen kreischenden Musik.
Die ParallelMutantin wand sich in hilflosen Krämpfen am Boden. Die grüne grauenhafte Wand umgab
sie! Tausend fremde Augen blickten sie an. Ein lohend roter Raumanzug blähte sich auf. Sie vernahm
das Schluchzen eines Mannes, der hart am Rande eines Nervenzusammenbruches stand.
Es war Fred – ihr Mann, der in eine beginnende Agonie fiel. Dann wurde sein Körper steif. Seine
Extrasinne verströmten das Fluidum der Angst, den drohenden Abgrund seines nahen Todes, das
Absterben eines menschlichen Körpers.
Stimmen sprachen durcheinander. Dazwischen erklang das mißtönende Kreischen greller Töne, die
nichts Menschliches an sich hatten.
Und die Wand wuchs vor ihrem geistigen Auge zu erschreckender Größe an!
Ein Gesicht… Corda! Laktonische Männer mit roten Zähnen und harten Gesichtern. Raumschiffe, die
schwere Impulsstrahlen ausspien. Tod und Vernichtung.
Dann eine klare unmißverständliche Stimme, die hallend durch das ganze Universum sprach:
»HALT MATSON! HÖREN SIE AUF!«
Die Welt verschwand mit einem Schlag von der Bildfläche. Sie versank in einem Meer eisigen
Schweigens. Totenstille herrschte, jedes Geräusch war gestorben. Die Gesichter, Raumschiffe,
Strahlen – alles war verblaßt.
Der Körper der ParallelMutantin sank in sich zusammen. Weinend und schluchzend streckte sich die
junge Frau aus. Sie war nicht mehr in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen.
*
Matson vernahm den Ruf, der wie Donner in seinen Ohren widerhallte.
Einen Moment lang war er unschlüssig, wie er sich verhalten sollte. Jetzt war er gerade an dem Punkt
angelangt, wo ihm das Öffnen des energetischen Schirmes keine Schwierigkeiten bereitet hätte. Er
hatte sich mit allem abgefunden – selbst mit dem Tod.
Die Gedankenkraft seiner Extrasinne brach zusammen. Plötzlich kam er sich alt und hilflos vor.
Aber er gehorchte dem zwingenden Befehl und wandte sich schwerfällig ab. Mit müden verzweifelten
Bewegungen trieb er dem Schleusenhangar zu.
Corda erwartete ihn im offenklaffenden Sehleusenschott.
Matson erwartete keine Erklärung. Alles war ihm gleichgültig geworden. Er verspürte nur das
dringende Bedürfnis nach absoluter Ruhe. Deshalb schaltete er wieder seinen Sprechfunk ab.
Jakto Javan war im Schleusenhangar erschienen, der bereits wieder mit atembarer Luft gefüllt war.
Der Schento war zornig. Corda empfing ihn mit einem eisigen Lächeln. Er schob GaVenga vor, der
übersetzen sollte, denn Javan sprach Laktonisch.
Javans Stimme klang gefährlich leise.
Corda sah, daß der Schento sich nur mühsam beherrschte.
»Wie können Sie es wagen, einen Einsatz zu unterbrechen, bei dem für das laktonische Reich fast alles
auf dem Spiel steht! Das hier ist keine harmlose Schießübung, Terraner! Vergessen Sie nicht, daß Sie
nicht mehr als ein geduldeter Gast sind. Sie haben Ihre Kompetenzen entschieden überschritten. Von
einem Eingreifen Ihrerseits war niemals die Rede. Nach laktonischem Recht könnte ich Sie mit dem
Tod bestrafen.«
Cordas blaue Augen sprühten Eisesblitze.
»Falls ich ein Laktone wäre – unbedingt. Ich hatte zwingende Gründe, den Einsatz zu unterbrechen.«
Javan richtete sich zu voller Größe auf. Er überragte Corda mehr als um Kopfeslänge.
»Ich bitte, mir diese Gründe darzulegen.«
»Ich bin niemandem Rechenschaft schuldig – außer Terra. Dennoch will ich Ihnen die Gründe
auseinandersetzen. Sie haben eben einen wichtigen Funkspruch von der Erde erhalten.«
»Allerdings. Ich wüßte jedoch nicht, was das mit unserem Einsatz zu tun hat.«
»Eine ganze Menge.«
Cordas Blick blieb an der dunkelblauen laktonischen Uniform hängen.
»Man teilte Ihnen mit, daß das sogenannte Flimmerfeld der Erde nicht mehr besteht, seit die
semibiotischen Kolonien unkontrolliert weiterwuchern.«
Javan machte eine zustimmende Bewegung.
»Das betrifft in keiner Weise den geplanten Einsatz.«
»Sie irren«, sagte Corda kalt und verletzend.
Jakto Javan hatte sofort begriffen, was Rex Corda meinte. Er bewunderte plötzlich den unglaublichen
Mut dieses Terraners, der sich jetzt von seiner härtesten Seite zeigte. Dennoch hob er unwissend die
Schultern.
»Ich verstehe nicht, was Sie meinen.«
»Sie verstehen sehr gut. Man hat Ihnen mitgeteilt, daß die Erde jetzt schutzlos ist. Die Orathonen
können uns mit einer einzigen Bombe vernichten, die sie im Zentrum unseres Planeten aus dem
Hyperraum auftauchen lassen. Schön, das ist unser Risiko, werden Sie sagen. Solange jedoch der
Schirm bestehen bleibt, ist das Risiko merklich kleiner geworden.«
»Sie übertreiben.«
»Bestimmt nicht. Ein Mann der Erde verschafft Ihnen den Durchbruch durch das Energiefeld.
Logische Folgerung: Sie verschwinden ganz einfach, ohne sich weiter um uns zu kümmern. Wir sind den
Orathonen hilflos ausgeliefert, falls sie irgendwelche Racheabsichten hegen.«
»Wir werden nicht einfach verschwinden.«
»Das sagen Sie jetzt. Wer aber will Sie daran hindern? Wir vielleicht? Sie wissen genau, daß wir dazu
nicht in der Lage sind.«
»Sie haben mein Wort.«
»Das ehrt mich. Dennoch werden Sie zugeben müssen, daß Ihr Wort für mich keine absolute Garantie
ist. Man kann es auf viele Arten umgehen. Ich schlage Ihnen ein logisch fundiertes Geschäft vor.«
Jakto Javan sah ein, daß er sich zum zweitenmal in Rex Corda geirrt hatte. Dieser Mann war ein ebenso
eiskalter Rechner wie er selbst.
Er würde die Stirn haben und Lakton ein Ultimatum stellen!
Die Blicke der beiden Männer kreuzten sich. Javan mußte feststellen, daß Corda ihm in mancher
Hinsicht ebenbürtig war; er hätte an Cordas Stelle genauso gehandelt. Das Blatt hatte sich nun einmal
für Sekunden zum Nachteil der Laktonen gewendet.
Dann kam das, was der Schento bereits geahnt hatte. Er blieb eiskalt und ruhig.
»Ich stelle Ihnen ein Ultimatum, Jakto Javan, das letzten Endes auf ein Geschäft hinausläuft. Sind Sie
interessiert?«
Javan lächelte herablassend. Wieder tasteten sich die beiden Männer mit Blicken ab.
»Ich bin gespannt, mit welchen Machtmitteln Sie mir drohen wollen.«
»Sie werden enttäuscht sein. Sie kommen nicht eher durch die Barriere, bis daß die Semibioten auf
allen irdischen Meeren restlos vernichtet sind. Für Ihre Raumschiffe dürfte das kein Problem sein, für
uns aber ist es eine Garantie, daß man nicht durch den Hyperraum eine Bombe in die Erde schickt.«
»Wir sind bereits dabei, die Kolonien zu vernichten, Corda. Sie haben völlig sinnlos in die Planung und
Organisation eingegriffen. Was wollen Sie eigentlich noch?«
Corda grinste jetzt ganz offen.
»Was ich will? Ich fürchte, daß Ihr einzelner kleiner Raumgleiter nicht viel ausrichten kann. Er wird
noch in einigen Jahren auf die Kolonien feuern. Schicken Sie ein paar Schlachtschiffe aus der
Kreisbahn hinunter. Damit wäre das Problem in kürzester Zeit zufriedenstellend gelöst. Uns geht es
nur darum, daß das Flimmerfeld wieder entsteht. Ich hoffe, wir haben uns verstanden, Jakto Javan.«
Javan, der genau wußte, welches Machtmittel Corda durch den Mutanten in die Hand gegeben war,
mußte zugeben, daß der Terraner seine Chancen geschickt zu nutzen verstand.
»Gut, ich bin einverstanden«, sagte der Schento dann. »Ich betrachte das allerdings nicht als
Geschäft. Auf Lakton würde man Erpressung dazu sagen.«
Die Augen des Laktonen blitzten Corda an.
»So? Dennoch bleibt es ein Geschäft, weil beide Seiten davon profitieren. Wie ist es nun – der Mutant
wartet. Sobald die Meldung von der restlosen Vernichtung eintrifft, wird Matson den Schirm öffnen.«
Javan gab ein paar kurze Anweisungen, dann wandte er sich wieder um.
»Woher wissen Sie, daß wir nur einen Raumgleiter abkommandiert hatten? Die Schiffe sind übrigens
unterwegs. Es sind zwei Kreuzer und ein Schlachtschiff. Hoffentlich schießen sie nicht daneben«,
sagte der Schentone bissig.
Corda hieb sofort in dieselbe Kerbe.
»Hoffentlich nicht, denn jede Verzögerung bedeutet: kein Durchbruch durch den Schirm.«
Die anwesenden Laktonen erstarrten. In diesem Ton hatte noch niemand mit dem Schento zu reden
gewagt.
Die allgemeine Anspannung löste sich erst, als Jakto Javan leise lachte.
Der Mann von der Erde, der ihm vor kurzer Zeit das Leben gerettet hatte, hatte das gewagt, was
niemand für möglich gehalten hätte. Er stellte den Laktonen ein Ultimatum mit einer eiskalten
unverschämten Selbstverständlichkeit.
Es war nicht zu fassen. Javan wandte sich ab.
Sie waren bemerkenswert, diese Terraner, dachte er. Immerhin, sie waren nur zivilisierte Halbwilde,
wenn man es genau betrachtete, aber man mußte mit ihnen rechnen.
*
Die Vollzugsmeldung lief zwei Stunden später ein.
Corda informierte sich zum Mißvergnügen der Laktonen, daß die Meldung nicht fingiert war. In aller
Ruhe wartete er ab, bis er die Bestätigung von unbedingt verläßlichen Verbindungsleuten erhalten
hatte. Dann erst gab er den Befehl zum Einsatz.
Fred Matson stand jetzt zum zweitenmal dicht vor der Energiebarriere. Weißlichgelb leuchtete sein
Gesicht herüber, als ihn die Reflexe des Schirmes trafen. Das grüne Licht der Energiebarriere verlieh
ihm das Aussehen eines Toten.
Er hatte keine weitere Order mehr erhalten, er mußte jetzt selbständig handeln und den Augenblick
des Durchbruchs selbst bestimmen.
Die Energiewand wölbte sich ihm drohend entgegen.
Links und rechts von ihm, soweit dieser Begriff Gültigkeit besaß, schwebten die laktonischen Agenten
in ihren komplizierten Raumausrüstungen. Weit hinter ihm drohte der Riesenschlund der Schleuse, in
dem die beiden Gleiter ruhten.
Matson gab sich alle Mühe, an nichts anderes zu denken als an die Energiewand. Doch immer wieder
schweiften seine Gedanken ab. Er hatte unsagbare Angst davor, wieder in seine psychomatische
Schockträumerei zu verfallen.
»Du mußt jetzt den Schirm durchbrechen«, hämmerte er sich immer wieder ein. »Du mußt hindurch,
alles andere ist unwichtig und belanglos.«
Seine Extrasinne spielten ihm einen Streich. In seinem Innern gab es eine wispernde Stimme. Sie sagte
ihm, daß er nicht hindurchkommen würde.
Matson verlor sekundenlang die Konzentration. Er wußte, daß die Männer, die hindurchgeschleust
werden sollten, mit fiebernden Sinnen warteten.
Als er sich endlich konzentriert hatte und mit der Umwandlung beginnen wollte, tauchte ein kurzer
Gedanke in seinem Hirn auf. Virginia!
Matson griff weinend ins Leere, er schluchzte, brüllte und rang sich zu der bitteren Selbsterkenntnis
durch, daß er versagen würde.
Er wußte nicht mehr, wie lange er schon an der »Mauer« stand. Zeit war für ihn ein relativer Begriff
geworden, dem er keinerlei Bedeutung mehr zumaß.
Tränen der Enttäuschung liefen ihm über das verquollene Gesicht. Sie schlugen sich als milchiger
Nebel an der transparenten Helmscheibe nieder und nahmen ihm die Sicht. Der Feuchtigkeitsabsorber
begann aufzuheulen. Die kondensierten Streifen verschwanden langsam.
Matson zitterte jetzt am ganzen Körper. Angst, unbeschreibliche Gefühle und namenloses Entsetzen
überfluteten ihn. Drüben, jenseits des Schirmes, drohte der dunkle Schlund eines orathonischen
Energiegeschützes herüber. Matson konnte genau in die Abstrahlmündung blicken.
Endlich hatte er sich gefaßt. Sein Geist wurde klar, die unheimlichen Gedanken des Entsetzens
verschwanden. Das All um ihn herum nahm erschreckend gigantische Ausmaße an.
Die Barriere begann zu wachsen!
Matsons Extrasinne griffen die gewaltigen Energiereserven des Schirms an. Das bedrohliche Flimmern
der Wand nahm ab und verwischte in einem wirbelnden Farbenreigen.
Fred Matsons Körper begann sich in erschreckender Weise zu verändern.
*
Die FiktivWerfer waren in vollem Einsatz. Die durchaus echt wirkenden Gebilde leichter
Raumscheiben, kleinerer Kreuzer und Gleiter strebten zu Hunderten hinaus – den Orathonen entgegen,
die sich nur noch vereinzelt die Mühe machten, die heranrasenden Objekte unter Feuer zu nehmen.
Ein Gleiter raste genau in den systematischen Salventrakt eines feuernden Hantelraumers hinein. Er
zerstob in einer lautlosen Detonation und vergaste. Nichts blieb von ihm übrig.
Bekoval lachte heiser. Sein Mund hatte sich verzogen, während er dem Scheingefecht zusah.
»Die Orathonen haben keine Möglichkeit, die Projektionen vor dem Beschuß von wirklichen Schiffen zu
unterscheiden«, sagte er dann. »Die Punkte tauchen auf den Energie und Massetastern auf, werden
unter Beschuß genommen und verschwinden dann. Den Orathonen ist es noch nie gelungen, Wrackteile
aufzuspüren.«
Rex Corda hörte nur mit halbem Ohr hin.
Seine ganze Aufmerksamkeit galt Matson, der in unnatürlicher Schräglage vor der Barriere schwebte.
Deutlich hob sich der feuerrote Raumanzug von dem grünlichen Hintergrund ab.
Bekoval wollte noch weitersprechen, aber Corda gebot mit einer Handbewegung Schweigen.
Auf den Frequenzen herrschte absolute Stille. Tausende laktonischer Augen sahen auf den Mutanten,
der immer noch bewegungslos vor dem Schirm hing.
Dann, ganz langsam, begann sich die gewaltige Energiewand zu verändern.
Sie wurde an einer Stelle milchigtrübe und gestattete keinen Blick mehr zur anderen Seite.
Gleichzeitig aber trat ein anderer unheimlicher Effekt auf.
Corda war jetzt sicher, daß der Mutant keine leeren Worte gesprochen hatte. Seine Schockträume
hatten einen realen Hintergrund.
Die Gestalt des Mutanten wurde kleiner!
Ebenso unmerklich verblaßte das feuerrote Strahlen seines Raumanzuges. Wässeriges Rot schimmerte
vor dem Schirm und vermischte sich zu einem schmutzigen Grau.
Rex Corda fühlte, wie seine eigenen Sondersinne mit aller Gewalt aufbrachen. Es geschah ganz
überraschend.
Er spürte, wie der Mutant unglaubliche Energiemengen fraß und wie die faszinierende Persönlichkeit
des Mannes etwas auszustrahlen begann, das jenseits aller bekannten Gedanken lag.
Es war so fürchterlich und so grauenhaft, daß Rex Corda mit beiden Händen zum Kopf griff.
Erst das harte Knallen seiner Fäuste an den Raumhelm brachte ihn wieder zu sich.
Mit weitaufgerissenen Augen sah er zu Matson hinüber. Der Mutant leuchtete jetzt in fahlem Weiß. Es
war fraglich, ob er noch lebte. Aber Rex glaubte es, denn seine psychoelektrische Körperaura bestand
noch wie zuvor. Das bewies der elektromagnetische Diagrammschreiber am Schaltpult, der jetzt immer
mehr in die Höhe schnellte. Matsons Körper mußte sich mit unglaublichen Energiemengen angereichert
haben, die jedes menschliche Vorstellungsvermögen sprengten.
Niemand von den Laktonen sprach mehr ein Wort. Der Vorgang draußen am Energieschirm hatte sie alle
erstarren lassen. In ihrer langjährigen Geschichte hatte es nie zuvor einen Fall wie diesen gegeben.
Matson verkleinerte sich immer mehr. Sein Körper schrumpfte zusammen. Der Raumanzug, der jetzt
nur noch undeutlich zu erkennen war, machte jede Verkleinerungsphase des Körpers mit.
Die Energiewand wurde immer milchiger. Feine Schleier zogen vorüber, winzige Nebelgebilde
zerstoben dort, wo vormals eine energetische fünfdimensionale Sperre jeden Durchbruchversuch
unmöglich gemacht hatte.
Und dann brach es wieder über Cordas Sondersinne wie ein Schock herein.
Der Mutant war nur noch knapp einen Meter groß! Er hatte alles Menschliche verloren. Länglich und
rechteckig zuckte er wie eine Säule lebender Gasmassen herüber.
Seine wimmernden Gedanken ließen Cordas Blut in den Adern erstarren. Es waren die Empfindungen
eines Mannes, den unfaßliche Kräfte in den Tod trieben, in die bewußte Vernichtung seines Ichs.
Kleiner wurde die Gestalt, sie schrumpfte noch mehr zusammen. Sie wechselte die Farbe.
Aus dem lohenden Weiß wurde ein stumpfes Grau, während der Prozeß sich seinem Ende näherte.
»Fred Matson« war nur noch einen halben Meter groß!
Seine Gedanken erstarben. Gleichzeitig mit seiner Umwandlung in eine neue Daseinsform erstarben
auch die Empfindungen. Rex Corda fühlte nichts mehr. Aus dem Mutanten war ein »Es« geworden!
Der Schirm zerriß! Die milchigtransparenten Stellen verschwanden. Dahinter schimmerten Reflexe auf,
die orathonischen Energiestationen.
Noch weiter gab es nur das dunkle All, den Abgrund nach Alpha Centauri.
Sie alle sahen den offenen Schirm, in dem nun eine breite Lücke klaffte. Aber sie sahen auch noch
etwas anderes. Etwas Schreckliches, das die meisten ihr Leben lang nie vergessen würden.
Das »Es« war nur noch vierzig Zentimeter groß.
Mit unvorstellbarer Gewalt wurde es von den Energien davongerissen, trieb am Schirm entlang und
raste dann als lohender Punkt zurück ins Sonnensystem.
Schon eine Sekunde später ließ Es sich optisch nicht mehr ausmachen. Nur auf den Orterschirmen der
laktonischen Schiffe wurde sekundenlang ein heller Fleck sichtbar.
Dann verschwand Es plötzlich.
*
Die laktonischen Einsatzkommandos kamen nicht mehr dazu, Überlegungen anzustellen.
Es ging alles zu schnell. Die Ereignisse überstürzten sich.
Man handelte mit unwahrscheinlicher Schnelligkeit, denn die Chance zum Durchbruch des noch immer
offenen Schirmfeldes kehrte vielleicht nie wieder.
Rex Corda fühlte nur einen plötzlich einsetzenden Schmerz, der den Nacken heraufkroch und eine
gähnende Leere im Gehirn erzeugte.
Der Abschußimpuls riß den Gleiter aus dem elektromagnetischen Abprallfeld, beschleunigte ihn und
jagte ihn ins All hinaus.
Im gleichen Augenblick ertönte das wilde Heulen der Absorberbänke. Die GravoNeutralisatoren
sprachen mit der exakten Präzision an, die man von einem laktonischen Erzeugnis unbedingt erwarten
durfte.
Der zweite Gleiter raste mit atemberaubenden Werten ebenfalls hinaus. Zwei feuerspeiende
Ungeheuer tobten durch das Feld und verschwanden.
Die laktonische Gruppe in den schweren Kampfkombinationen kam nur langsam vorwärts.
Als der letzte Mann, frei im Raum schwebend, die Barriere passieren wollte, geschah es.
Die Energiewand wurde dichter! Sie flimmerte in sattem Grün, dann schloß sie sich überraschend
schnell.
Der Laktone geriet in helle Panik.
Ein Schlag auf die Gürtelschnalle der Kombination brachte ihn rasend schnell voran. Das Mikro
Impulstriebwerk sprach sofort an.
Aber der laktonische Agent verlor durch die plötzliche Beschleunigung jede Orientierung. In
schwerelosem Zustand rotierte er ein paarmal wild um seine eigene Körperachse. Anschließend begann
er sich haltlos zu überschlagen.
Das Energiepotential war immer noch nicht voll erreicht, als er in die sich schließende Trennlinie
hineingeriet.
Er schrie laut auf. Doch es gab niemanden, der ihm jetzt helfen konnte.
An der rechten Körperhälfte begann sich der Raumanzug zu verfärben. Die Energien griffen zu,
zerrten den Mann zu der am stärksten aufgeladenen Seite und hieben in wilder Vernichtung auf ihn ein.
Sein Kopf ragte bereits über die Barriere, als der Auflösungsprozeß begann.
An dem verfärbten Kombinationsteil entstand eine große Blase, die den schweren Raumpanzer aufriß
und die ihn in einer hellen Wolke einfach in Staub verwandelte.
Der Rest war eine schlagartige Dekompression, die den Laktonen im Vakuum aufblähte und zerriß.
Einen Sekundenbruchteil später hatte sich die Barriere endgültig und fest geschlossen.
Ein leuchtender Fleck strahlte noch einmal hell auf. Mehr blieb von dem Laktonen nicht übrig.
*
Der Automat begann mit der Bremsverzögerung, um die rasende Geschwindigkeit aufzuheben.
Corda konnte nicht mehr sehen, was am Schirm vorging. Die Geschwindigkeit hatte sie weit
hinausgetragen und das ganze Universum verzerrt. Jedenfalls schien es so, als hätten sich die
Perspektiven verzogen.
Das wilde Rucken ließ nach. Corda erblickte die Gestalten neben sich. Fatlo Bekoval, Percip, GaVenga.
Weitere sieben Laktonen ruhten hinter ihnen in den Andruckpolstern.
Eine flache Raumscheibe schoß ihnen in schlingernden, torkelnden Bewegungen entgegen.
Percip, der laktonische Agent, der den Gleiter flog, unterbrach die Automatik und übernahm die
Bedienungskontrollen.
»Vorsicht!« schrie GaVenga. »Das Ding kommt genau auf uns zu.«
Die Scheibe tobte mit wahnsinnigen Werten durch den Raum. Sie stoppte blitzschnell, beschleunigte
dann wieder und fegte auf sie zu.
GaVenga klammerte sich an die kunststoffüberzogenen Armlehnen.
Bekoval grinste, als er die Angst in den Zügen des Kynothers erkannte.
»Keine Sorge. Das ist ein Fiktivbild. Prächtig, nicht wahr? Damit halten wir seit einigen Wochen die
Orathonen zum Narren.«
Corda vermochte es nicht zu glauben. Der rasende Gegenstand hatte auf dem Orterschirm einen hellen
Reflex erzeugt. Ebenso unvermittelt sprach auch der akustische Summer der Masseortung an.
Das Bild der wild hin und her flitzenden Raumscheibe wirkte unbedingt echt. Seitlich zog sie an ihnen
vorbei.
Der Raum in einer halben Lichtminute von Pluto entfernt wimmelte von Scheiben und anderen
Fiktivbildern. Überall hinter dem geschlossenen Schirm saßen Laktonen in den Schiffen und
projizierten unermüdlich die Bilder ins All.
Von dieser Seite sah alles ganz anders aus. Ungehindert konnte man durch das Energiefeld blicken.
Aber alles schien leicht verzerrt und in den Konturen verwaschen.
Sah man länger hin, dann veränderte der Schirm seine Farbe und wurde von einem leichten Rot
überzogen.
Corda hoffte noch immer, eine Spur des Mutanten zu entdecken. Es gab keine.
Matson oder das, was einmal Matson dargestellt hatte, war endgültig verschwunden.
Auf dem Holografen wuchs die riesenhafte Masse eines orathonischen Hantelraumers plötzlich an. Sie
erfüllte den ganzen Schirm.
Man sah nur noch einen Ausschnitt von den gewaltigen gepanzerten Wandungen im Verbindungsarm.
Bullige Geschütztürme und Energiekanonen blitzten auf. Das All erhellte sich entlang den Schußbahnen
in einer grellen schnellaufenden Flammenlinie.
»Das ist doch zwecklos«, rief Corda aus. »Schön, sie feuern meist auf Fiktivbilder. Aber genausogut
können sie auch uns unter Feuer nehmen. Und dann war alles umsonst. Wichtig ist, daß wir das
Einsatzkommando finden. Die Männer können sich noch nicht allzu weit von der Energiebarriere
entfernt haben. Verschwinden Sie daher lieber aus der Nähe des Giganten.«
»Na schön«, brummte Percip. »Langsam müssen wir uns ohnehin einig werden, welche Energiestation wir
nun zuerst nehmen wollen.«
Seine Worte gingen in einem lautlosen gespenstischen Blitz aus den Impulsgeschützen unter.
Corda duckte sich rein instinktiv. Der Strahl war einige Kilometer an ihnen vorbeigegangen.
Jetzt schlug er drüben am Schirm auf und explodierte in tausend Farben.
»Wir nehmen die erste, legen die Zeitbombe und verschwinden so schnell wie möglich. Können wir es
wagen, die Einsatzgruppe anzufunken?«
»Lieber nicht«, wehrte Bekoval ab. »Die Orathonen bewahren vermutlich Funkstille. Man würde uns
sofort orten. Wir fliegen jetzt hinüber, wobei wir uns im Schutz des orathonischen Schiffes halten
werden.«
Percip flog eine weite Anflugkurve, dann näherte sich der Raumgleiter dem Hantelschiff, das eben
noch auf sie gefeuert hatte.
Langsam manövrierten sie sich heran.
Die Orathonen waren immer noch mit den PseudoSchiffen beschäftigt. Sie schenkten dem im
Kernschatten des Raumers fliegenden Gleiter keine Beachtung.
»Dort vorn schweben Gestalten.«
GaVenga deutete mit der Hand zu der Energiewand hinüber. Die Blicke der Männer flogen herum.
Das Einsatzkommando in den Raumpanzern hob sich deutlich gegen den leuchtenden Schirm ab. Die
laktonischen Agenten trieben als winzige Punkte in den Raum hinaus. Ihre langgezogene
Kettenformation hatte sich aufgelöst. Einzeln konnten sie kaum von der Ortung orathonischer Schiffe
erfaßt werden, es sei denn aus Zufall.
Der Hantelraumer näherte sich unterdessen dem Schirm.
»Es hat den Anschein, als wenn sie etwas bemerkt haben. Aber was sollte es sein?« fragte Percip
nachdenklich.
Als niemand eine Antwort gab, geschah ganz unerwartet zweierlei zur gleichen Zeit.
Der Hantelraumer schoß plötzlich nach vorn. Hoch über ihnen wurde das tausend Meter lange gewaltige
Verbindungsstück zu den beiden Kugeln sichtbar. Kalt und gefährlich glänzte die riesengroße
Metallplasthülle der Panzerwandungen.
Noch während des sprunghaften Vorrückens öffnete sich das gähnende Riesenmaul einer Schleuse und
spie einen flachen Gegenstand aus.
Percip knirschte in ohnmächtiger Wut mit den Zähnen. Er konnte nicht mehr helfen, sie konnten nichts
anderes tun, als plötzlich ihre Position zu wechseln.
Er griff zu den Alarmstartschaltern, als das Objekt dicht vor der Barriere seinen Flug stoppte und in
geringem Abstand an ihr vorbeiglitt.
Dann blitzte es blutrot auf.
Man hatte die laktonischen Agenten entdeckt!
Ein grellbuntes Feuerwerk lief an der Energiebarriere entlang. Es breitete sich wie farbiger Regen
nach allen Seiten aus.
Eine atomare Kettenreaktion dehnte sich ins All hinaus und vernichtete die Männer des laktonischen
Einsatzkommandos.
*
Das prunkvolle Haus stand in Sarasota an der TampaBucht.
Virginia RamoniMatson hatte zweieinhalb Stunden jeden Kontakt zu ihrem Mann verloren. Fred war
entweder bewußtlos oder zu erschöpft, um noch einen klaren Gedanken fassen zu können.
Virginia hielt die Ungewißheit nicht mehr aus. Sie lief in den kleinen Park der Villa und wartete.
Worauf? Sie wußte es nicht. Sie ahnte nur, daß sie in der Stille des großen Hauses verrückt werden
würde.
Angenehmer frischer Wind, der vom Meer herüberwehte, kühlte ihre brennende Stirn. Den Schock
hatte sie wieder überwunden.
Ziellos lief sie an den Ziersträuchern vorbei, blieb unter einer Palme stehen und sah zum Himmel
hinauf.
Alles war still und ruhig. Die Welt schien den Atem angehalten zu haben.
Irgendwo dort oben in der azurblauen Ferne mußte Fred sein. Allein in seinem einsamen Kampf gegen
das gewaltige Energiefeld. Der erste Versuch war aus irgendwelchen Gründen fehlgeschlagen.
Sie kannte die Gründe nicht. Vermutlich war Fred überanstrengt, denn die Bilder, die sie empfangen
hatte, waren schlagartig abgerissen.
Virginia entspannte sich. Ihr schlanker Körper reckte sich, tief holte sie Luft.
Neben ihr, im künstlich angelegten Park, zwitscherte ein bunter Vogel auf einem Ast.
Er blieb sitzen, als die junge Frau näher kam. Zwei braune Augen starrten sie erwartungsvoll an.
Auch als sie zaghaft die Hand ausstreckte, machte er keine Anstalten, davonzufliegen. Lediglich seine
Federn richteten sich ein wenig auf. Dann fing er wieder leise an zu zwitschern.
Das war Virginias letzter Eindruck.
Die Konturen des kleinen Parks wurden undeutlich, das Haus vollführte eine halbe Drehung und kam
dann zum Stillstand. Aber es blieb schräg stehen.
Virginias Mund öffnete sich zu einem Schrei.
Der kleine bunte Vogel rückte unruhig auf seinem Ast hin und her, und aus seinem Auge fiel eine
perlende Träne.
Virginia, die ParallelMutantin, wußte, daß dieser Vorgang keineswegs wirklich geschah, aber ihre
ExtraSinne überlagerten diesen Eindruck und zeigten ihr eine andere Welt.
Das Auge des Vogels fiel ganz heraus, und es wurde ein schillernder roter Edelstein.
Sein Singen wurde lauter, schriller, die Federn fielen von ihm ab, und ein blankes Gerüst kam zum
Vorschein.
Virginia taumelte. Sie vermochte nicht mehr zu unterscheiden, was die Wirklichkeit war.
Als sie wieder zu dem Ast hinsah, war der kleine Vogel verschwunden. An seiner Stelle grinste sie ein
Totenschädel an.
Wirre, krause Gedanken strömten auf sie ein. Sie versuchte fortzulaufen, doch eine unbekannte Kraft
hielt sie unerbittlich an dieser Stelle fest.
Sie konnte sich nicht mehr bewegen. Sie verspürte nur einen leichten Zug in die Höhe, aber ihre Beine
waren schwer wie Blei, und ihr Blick verschleierte sich.
Dann empfing sie die ersten Bilder aus dem All. Sie waren bunt durcheinandergewürfelt und nicht so
koordiniert wie beim erstenmal.
Das dunkle All rotierte, grelles Lohen hellte die Finsternis auf.
Fred tauchte auf. Es sah aus, als schwebe er inmitten eines gewaltigen grünen Meeres. Aber er besaß
kein Gesicht, nur ein feuerroter Körper schwebte vor ihr, der auf und nieder sank.
Als sich die weiße Fläche seines Kopfes ihr zuwandte, schrie sie gellend auf.
Ein verwaschener Fleck, ohne Leben, in dem kein Muskel zuckte. Nur zwei dunkle Schatten darin.
Für einen winzigen Augenblick kehrte ihr normales Bewußtsein zurück. Sie wußte, daß Fred im
Todeskampf mit der Barriere lag und daß er diesen Kampf verlieren würde – genauso wie sie selbst.
Anschließend griffen wieder die gespenstischen Bilder nach ihr. Letzte telepathische Ausstrahlungen
ihres Mannes, der sie unbewußt übermittelte.
Und sie war eine ParallelMutantin. Sie konnte nicht anders, sie mußte diese Bilder aufnehmen, selbst
wenn sie sich dagegen sträubte.
Virginia fühlte einen plötzlichen Schlag, der durch ihren Körper zuckte und jede Zelle in hohe
Schwingungen versetzte.
Der kleine Vogel saß noch immer auf seinem Ast. Nur jetzt zwitscherte er nicht mehr. Ängstlich sahen
seine runden Augen auf das Geschöpf, das nun laute ängstliche Schreie ausstieß.
Da flatterte der Vogel erschreckt davon.
Die Mutantin spürte mit den Kräften des Unterbewußtseins das nahende Ende, den unausbleiblichen
Tod ihres Mannes. Hochfrequentierte Ströme durchfluteten ihr mutiertes Gehirn. Sie schienen schon
aus einer anderen Dimension zu kommen.
Ein letztes verschwommenes Bild von der Energiewand. Sie war schwächer geworden, aber mit Fred
ging gleichzeitig eine schreckliche Veränderung vor.
Er erstarrte, verlor seinen Körper und nahm eine andere Gestalt an.
Virginia vermochte nicht mehr den Kopf zu heben. Kein Glied gehorchte mehr ihrem Willen. Sie war
gelähmt und war sich dessen auch durchaus bewußt.
Plötzlich entfernte sich der Boden unter ihren Füßen, sie verspürte noch, daß sie aus irgendeinem
Grund immer größer wurde.
Der Rest war ein einziger grauenhafter Kampf, der sie durchtobte, der alle Bewußtseinsströmungen
unterbrach und sie in andere unbekannte Bahnen lenkte.
Auf dem freien Rasenplatz dicht neben der Palme veränderte sich eine menschliche Frau.
Sie wuchs!
Ihre Gestalt floß dahin, die Materie ihres Körpers wandelte sich.
Bei drei Meter Höhe glich sie einer schlanken Felsnadel, die sich nach oben zu verjüngte. Die Beine
hatten sich verformt, ihr Rumpf war hellgrau geworden.
Als sie viereinhalb Meter Höhe erreicht hatte, erinnerte nichts mehr an Virginia RamoniMatson.
Neben der Palme stand ein schlankes viermeterfünfzig hohes, felsartiges Gebilde. Es hatte sich im
Boden vor dem Haus verankert und erinnerte an das abstrakte Meisterwerk eines Bildhauers.
Ganz oben aber formten sich seltsame Buchten und Falten in der sonst vollkommen glatten Oberfläche
der Nadel.
Virginia hatte eine andere Daseinsform erhalten.
Ihr menschlicher Körper existierte nicht mehr, doch der Geist lebte noch.
Er dominierte über den Körper und stürzte ihn in emsige Aktivität.
Die schlanke Felsnadel begann zu zittern und zu wanken. Eine Aura des Grauens umgab sie.
*
Sie empfingen den zermürbenden Hieb einer vernichtenden Gewalt.
Nacorma sah, wie seine Kameraden in der Gluthölle einer atomaren Reaktion vergast wurden.
Weit hinter ihm hatte sich ein anderer Laktone in verwehenden Rauch aufgelöst, als die Barriere sich
schloß.
Es war Nacormas Glück, daß die MikroBeschleuniger seines Kampfanzuges einen leichten Defekt
erlitten hatten. Sie ließen sich nicht mehr abstellen.
Wie eine Rakete raste er ins All hinaus. Er entfernte sich von der Einsatzgruppe und raste hinaus in die
Unendlichkeit.
Ein Raumgleiter schoß an ihm vorbei. Man sah ihn nicht. Er war nur ein winziges Staubkorn im Meer des
ewigen Schweigens.
Er wußte nicht, wieviel Zeit inzwischen vergangen war. Sein MikroTriebwerk spie immer noch einen
dünnen Partikelstrom aus und beschleunigte ihn immer mehr.
Sich umdrehend, gewahrte er den Schirm. Er war schon so weit entfernt, daß er ihn nur noch als
undeutliches Flimmern wahrnahm.
Immer weiter raste er in die Unendlichkeit. Wenn er seinen jetzigen Kurs beibehielt, würde er genau
auf eine der eiförmigen Energiestationen zufliegen.
Weit voraus im Nichts schwebten sie. Ein blutrotes Energieband, weitgefächert wie eine Impulssalve
aus einem laktonischen Energiewerfer, zog sich von der Station bis zu dem Schirm hin.
Die gewaltigen Energien wurden der Sonne Alpha Centauri entzogen.
Verzweifelt versuchte er, mit den Fingerhaken der Raumkombination das Reglerventil zu erreichen. Die
Ursache des Versagens beruhte auf einem geradezu lächerlichen Vorgang.
Das Ventil war aus irgendeinem Grund abgebrochen! Er mußte es schon seit langem verloren haben.
Nacorma sann darüber nach. Aber es gab keinen Ausweg. Er mußte weiterfliegen.
Oder er versuchte, eine der Korrekturdüsen zu zünden. Dann würde er einen langen Bogen beschreiben
und wieder an seinen Ausgangspunkt zurückkehren.
Nach reiflicher Überlegung kam er zu dem Schluß, daß ihm keine andere Wahl blieb.
Die Fingerhaken des Raumanzuges griffen nach den Korrekturkammern. Er drückte die Taste nieder.
Lautlos wurde er dann durch den plötzlich auftretenden Seitendruck herumgerissen.
Er erschrak, als er den Diskus sah, auf den er gerade zuflog.
Die orathonische Raumscheibe stand abseits vom Kampfplatz. Sie war nicht allzu weit von der
Energiestation entfernt.
Nacorma ließ sofort die Taste wieder hochschnellen. Die Energiegabe der PlasmaStützmasse konnte
ihn verraten. Es war schon schlimm genug, daß der MikroMeiler die verräterischen Impulspartikel
ausstieß.
Er hoffte, daß der Diskus ihn nicht bemerken würde, denn das konnte unter Umständen nicht nur
seinen Tod bedeuten, sondern das ganze Unternehmen scheitern lassen.
Nacorma zuckte heftig zusammen, als eine laute Stimme in seinem Helmempfänger ertönte. Die
Stimme sprach orathonisch, aber Nacorma verstand den Sprecher.
»Wie kommen Sie denn hierher?« klang es verblüfft.
Nacorma nestelte bereits an der magnetischen Haftbombe, die mit einem InfrarotSucher
ausgerüstet war.
Er wußte genau, daß man ihn nicht gefangennehmen würde, sondern kaltblütig abschießen würde. Daher
sollte sein Tod wenigstens nicht umsonst sein. Vielleicht konnte er damit auch die anderen vor der
Vernichtung retten.
»Wo ich herkomme? Man hat mich aus einem laktonischen Raumer gestoßen und mein Triebwerk
blockiert.«
»Weshalb?« fragte die Stimme.
»Ich habe gemeutert. Man hofft, daß ihr mich ohnehin abschießen werdet.«
»Wir glauben kein Wort. Berichten Sie die Wahrheit.«
Nacorma trieb in langem Bogen auf den Diskus zu.
Unbemerkt löste er die Bombe und gab ihr eine leichte Drehung.
Sie stob sofort davon, schoß auf den Diskus zu und heftete sich an die Unterseite. In zehn
Zeiteinheiten würde der nukleare Spaltstoff kritisch werden.
»Das ist die Wahrheit. Ihr könnt jetzt das Feuer eröffnen.«
Noch immer strömten die Partikel aus dem MikroTriebwerk und verliehen ihm ein rasendes Tempo.
Zwei oder drei Orathonen lachten gehässig.
»Das werden wir auch, aber schön langsam. Feuer frei!« sagte eine Stimme.
Nacorma konnte sich nicht vorstellen, daß die Orathonen ihn mit einem Schuß erledigen wollten. Sie
würden sich einen Spaß daraus machen, dicht vorbeizuschießen, bis er vor Angst wahnsinnig wurde.
Aber diesen Gefallen würde Nacorma ihnen nicht tun. Er behielt die Nerven und seine eiskalte Ruhe.
Schließlich durfte er sich nicht umsonst als Soldat zu der laktonischen Elitegruppe zählen.
Die Orathonen schossen zuerst mit gewöhnlichen Raumraketen. Das erste Geschoß detonierte in
verhältnismäßig weitem Abstand vor ihm.
Er flog gerade auf die detonierenden Trümmer zu, die in heller Rotglut leuchteten.
Er grinste kalt, drückte dann auf den Impulsschalter und raste dem Diskus entgegen.
»In vier Zeiteinheiten werde ich euch einen Witz erzählen. Vermutlich werdet ihr nicht mal mehr
darüber lachen können.«
Die Antwort auf seine Worte war eine lange Flammenbahn, die ihn überholte, maßlose Helligkeit
verbreitete und dann im Nichts wirkungslos verpuffte.
Nacorma sah stirnrunzelnd auf seinen eingebauten Zeitmesser.
»Noch drei Zeiteinheiten«, verkündete er.
Wieder erklang das harte Lachen über den Sprechfunk.
»Humor in der Todesangst. Du willst sie mit uns teilen, Laktone. Aber wir werden dich bestimmt
enttäuschen.«
»Ich euch auch«, sagte Nacorma laut.
Er klinkte die zweite und letzte Bombe aus und jagte sie in Richtung der Energiestation.
Drüben paßte man allerdings auf und war für alle Fälle gewappnet. Der InfrarotKopf wurde sofort
erfaßt und durch eine lange Energiebahn vernichtet.
Eine kleine Sonne ging auf.
Nacorma wartete geduldig. Die Anfragen der Orathonen über den Sprechfunk ignorierte er. Er gab
keine Antwort.
Nur noch zwei Zeiteinheiten!
Die Orathonen beendeten ihren sogenannten Spaß mit der ihnen am meisten geläufigen Methode.
Ein kurzer Impulsstoß verließ die Abstrahlmündungen.
Nacorma verglühte in einer rotvioletten Wolke.
Er nahm nicht mehr wahr, wie ein unwahrscheinlich greller Blitz das All aufriß und den orathonischen
Diskus in glühende Bruchstücke verwandelte.
*
Fred Matsons Angst hatte sich verloren. Er ahnte, daß er keinen Körper besaß. Seine Struktur hatte
sich völlig in ein Etwas verwandelt, für das er keine herkömmliche Bezeichnung fand.
Aber er sah nichts. Er war blind.
Er fühlte nur den rasenden Sturz durchs Universum, der kein Ende zu nehmen schien.
Lange Flammen tauchten vor seinen blinden Augen auf. Er sah sie nicht, fühlte sie nur und vermutete,
daß es Helligkeit war, die auf ihn zuschoß.
Sein Körper schoß in rasendem Flug weiter. Die kinetische Energie, die er aufgenommen hatte, wirbelte
ihn durch das terranische System.
Fred Matson konnte nichts unternehmen, um diesen Fall in die Ewigkeit zu bremsen. Er hatte auch kein
Verlangen danach. Es war ihm gleichgültig geworden, wohin er trieb.
Er besaß keine Augen und Ohren, keine Nase und keinen Mund. Er besaß überhaupt nichts Menschliches
mehr. Am ehesten ließ sich seine Zustandsform mit einem Felsstück vergleichen.
Länglich, wie ein Geschoß, flog er auf einer vorbestimmten Bahn weiter. Er wurde jetzt weder
beschleunigt noch verlangsamt.
Seine Bahn wies in langen Spiralen direkt zur Sonne.
Er würde einmal kurz aufglühen, um dann in der Sonne zu verschwinden.
Aber es sollte nicht soweit kommen.
Etwas Fremdes lag in seinem Weg, und dieses Etwas war dazu bestimmt, für Fred Matson, oder seine
umgewandelte Struktur, Schicksal zu werden.
*
»Man hat sie abgeschossen«, brüllte Bekoval, dessen Stirn vor Zorn dunkelrot glühte.
Er beruhigte sich jedoch, als er Cordas verweisendes Kopfschütteln sah.
»Hmm«, meinte er dann, »wir hätten es mit den Orathonen vermutlich genauso gemacht.«
Rex Corda gab keine Antwort. Er hatte mit sich selbst genug zu tun.
Ihr Kurs war die eiförmige Energiestation, die man sprengen wollte.
Nach den Berechnungen würde ein Ausfall von nur zwei oder drei Stationen genügen, um das
Schirmfeld zusammenbrechen zu lassen. Die annähernd fünfhundert orathonischen Hantelraumer, die
sich in diesem Sektor noch aufhielten, würde man in einer blitzschnellen Offensive vernichten.
»Fehlt Ihnen etwas?« erkundigte sich GaVenga besorgt über den Sprechfunk.
Cordas Helmscheibe war von innen beschlagen, sein Gesicht nur undeutlich zu erkennen.
»Ich weiß nicht. Etwas stimmt mit dem Raumanzug nicht.«
»Dann ziehen Sie ihn aus«, riet Percip. »Die Luft ist atembar. Wir können zumindest auch die Helme
ablegen, sie wirken nur störend.«
Corda ließ den Magnetverschluß zurückschnappen.
Ein heftiger Stoß fegte ihn von den Beinen, warf ihn zurück in den Sitz.
»Das war unser schwacher Schutzschirm«, erklärte Bekoval. »Er hat gehalten. Allerdings haben wir nur
einen ganz leichten Streifschuß abbekommen. Ein direkter Treffer in unseren Schirm, ich weiß nicht…«
Er brach ab und ließ den Flug einen langen Bogen beschreiben. Unter Berücksichtigung der hohen
Geschwindigkeit wurde es eine Kurve von etlichen tausend Kilometern.
Der Hantelraumer jagte eine Salve aus den thermischen Geschützen, aber sie lag im Grünsektor und
richtete keinerlei Schaden an.
Die ganze Gegend wimmelte plötzlich von Raumgleitern. Die Orathonen waren unschlüssig, welche sie
zuerst unter Feuer nehmen sollten.
Bekoval manöverierte den relativ schwachen Gleiter dichter an die Energiestation. Er hielt sich immer
so, daß er einen weiteren Abstand von dem energetischen Fächerstrahl besaß, der ununterbrochen aus
der Station floß und das Schirmfeld speiste.
Rex Corda zwängte sich unterdessen aus dem Raumanzug. Die Blicke der anderen fielen auf seine
khakifarbene Uniform, die ihn als Offizier auswies.
Der höchste Repräsentant der Erde hatte keinen Blick für die neugierigen Gesichter der Laktonen
übrig, die noch immer in ihren Andrucklagern ruhten. Dafür untersuchte er intensiv seinen Raumanzug.
Der leichte Kampfpanzer wies keine äußerlichen Beschädigungen auf. Aber die Feuchtigkeitsabsorber
waren defekt, und die Helmscheibe troff vor Nässe. Der Anzug war unbrauchbar.
»Haben wir noch einen Reserveanzug?« fragte er.
Percip verneinte.
»Es ging alles zu schnell. Niemand hat daran gedacht. Ich werde mich nachher um die Anlage kümmern.
In dem Anzug sind Sie blind und hilflos.«
Im Backbordsektor schob sich wieder das drohende Ungetüm orathonischer Bauart heran. Es war ein
Superriese, ein Schlachtschiff, zur Vernichtung ganzer Planeten bestimmt.
Der Hantelraumer kämpfte mit einem wild um sich feuernden laktonischen Kreuzer. Ein Treffer
brachte den laktonischen Riesen ins Taumeln. Seine Hülle riß auf und begann an der Einschußstelle
intensiv rot zu glühen.
Männer in Raumanzügen verließen in fluchtartiger Eile das Schiff und strebten in Richtung des grünen
Energieschirmes eilig davon.
Der Überriese schenkte der echten Scheibe keine Beachtung mehr. Die Impulsgeschütze hieben breite
Breschen in die laktonischen Schiffbrüchigen.
Das Bild war derart eindrucksvoll und plastisch, daß Corda wiederum Zweifel kamen, daß es fiktiv sein
sollte. Er glaubte sogar, die entsetzten Gesichter der Männer zu sehen, wie sie reihenweise starben.
»Ich verstehe nicht, daß sie es nicht merken. Sie fallen ständig auf die Fiktivbilder der Schiffe herein.
«
Der Orathone drehte ab, nachdem er den laktonischen Kreuzer in einen wüsten Trümmerhaufen
verwandelt hatte. Ein letzter Strahlschuß löste den PseudoKreuzer restlos auf. Er verschwand
schlagartig von der Bildfläche, ohne irgendwelche Spuren zu hinterlassen.
»Sie merken es vielleicht. Da die Dinger aber so echt sind, sind sie nicht mehr in der Lage, zwischen
PseudoSchiffen und echten Raumern zu unterscheiden. Deshalb nehmen sie aus reiner Vorsicht alles
unter Feuer. Das kostet sie natürlich unvorstellbare Energien, dennoch können wir nicht damit rechnen,
daß sie sich verausgaben. Sie haben unbegrenzten Nachschub.«
Percip drehte sich um. Seitlich von ihnen schoß erneut ein laktonischer Raumgleiter heran. Ganz
offensichtlich versuchte er, dem orathonischen Riesen zu entkommen.
»Fiktiv!« stellte Bekoval lakonisch fest.
Aber er irrte sich. Über die Frequenz kam ein kurzes Erkennungssignal. Das war alles, was das andere
Einsatzkommando tat. Es kam nicht mehr zu weiteren Aktionen.
Ein ungemein blendender Schuß tobte durch das All, erhellte die bleichen Gesichter der Männer und
warf den Raumgleiter aus der Bahn. Schlingernd torkelte er davon. Der untere Düsenkranz lohte in
heller Rotglut auf.
Als der zweite Schuß fiel, zerplatzte der Gleiter. Er löste sich auf.
Wirbelnde, stark nachglutende Wrackteile kündigten von dem Ende.
Die Orathonen machten sich nicht die Mühe, in den Wrackteilen nach Lebenszeichen zu suchen. Lange
Energiebahnen rasten in den wirbelnden Trümmerreigen und vernichteten ihn gänzlich.
Die letzten Männer des Einsatzkommandos sahen sich betreten an. Niemand sprach ein Wort. Der
schnelle Ablauf der Geschehnisse hatte sie nachhaltig beeindruckt.
Das Unternehmen begann zu scheitern, nachdem die anderen beiden Kommandos im Kampf gefallen
waren.
Sollte alles umsonst gewesen sein?
Corda stellte sich ganz nüchtern und sachlich die Frage, wann es sie treffen würde.
Er brauchte auf die Antwort nicht lange zu warten.
Der riesige Hantelraumer schob sich sprunghaft näher heran, seine Geschütze drohten den Männern
entgegen.
Und dann brach die Hölle auf.
*
Will Rimsons Auftrag lautete schlicht und einfach, sich um die Mutantin Virginia RamoniMatson zu
kümmern.
Der Funkspruch war von einem gewissen Doktor Konsinsky aus dem All gekommen, der behauptete,
diese Bitte von Rex Corda nur weiterzugeben.
Rimson traf erst am späten Nachmittag in Sarasota ein.
Der alte Wissenschaftler wußte nicht, worum es ging. Aber wenn Rex Corda das verlangt hatte, mußte
es stimmen, daran konnte nicht der geringste Zweifel herrschen.
Rimson hatte einen Sonnengleiter benutzt, war an der TampaBucht gelandet und hatte das
stromlinienförmige Fahrzeug sehr zum Ärger eines Polizisten einfach an dem Strand abgestellt.
Die ärgerliche Frage des Ordnungshüters hatte er mit einer Handbewegung abgetan.
Er hatte den fluchenden Polizisten einfach stehenlassen.
Will Rimson grinste noch jetzt, als er an den Vorfall dachte.
»Hmm. Die Villa dürfte wohl nicht so schwierig zu finden sein, was, Nukleon?«
Der telepathisch begabte Schäferhund bellte zustimmend. Will Rimson trottete weiter.
»Aber was erzählen wir der Dame bloß – daß wir uns um sie kümmern sollen? Wirklich seltsam.«
Der alte Mann und der Hund liefen am weißen Strand der TampaBucht entlang. Die Sonne schien auf
blaues Wasser. Beruhigende Stille herrschte ringsum. Leise plätscherten die Wellen an den Strand.
Seit die Orathonen die Erde verlassen hatten, schien die Welt wieder in helleren Farben zu leuchten.
Rimson und Nukleon waren eine Viertelstunde gelaufen, als sie einen künstlich angelegten Park
erreichten. Zwischen den Palmen schimmerte das helle Weiß eines großen Hauses.
Will Rimson unterhielt sich wieder mit seinem Hund.
»Schätze, wir sind da, Alter. Wenn das nicht die Villa ist, heiße ich nicht mehr Rimson. Meinst du, sie
ist es, Alter?«
Nukleon nickte zustimmend. Der Hund hatte den Sinn der Frage erfaßt. Dann aber blieb er plötzlich
stehen, stemmte die Vorderfüße in den Boden. Seine Fellhaare sträubten sich, und er stieß ein heiseres
Knurren aus.
Rimson hatte bereits das offenstehende Portal erreicht. Er blieb sofort stehen und lauschte mit
angehaltenem Atem. Er wußte, daß er sich auf den Hund verlassen konnte, und ignorierte diese
Warnung nicht.
Irgend etwas stimmte hier nicht. Der Park enthielt etwas Unheimliches.
Aber was war es?
Nukleon sah ihn noch einmal an, dann schlug er sich in einem weiten Bogen lautlos in die Büsche.
Rimson fand für das Verhalten seines Hundes keine Erklärung. Er wußte nur, daß er scharf aufpassen
mußte, um einer Gefahr zu entgehen.
Nichts rührte sich. Still und verlassen lag der große Park vor ihm.
Vorsichtig bog Rimson nach links ab.
Er blieb sofort stehen, als aus den Ziersträuchern ein leises Geräusch kam.
»Nukleon?« Rimson flüsterte den Namen seines Hundes.
Da vernahm er einen leisen schleichenden Schritt.
Er war nicht mehr allein!
Noch jemand befand sich außer ihm und Nukleon in dem Park.
Rimson sprang trotz seines Alters mit einem verblüffend schnellen Satz zur Seite.
Dann starrte er gebannt in die Büsche.
Sie teilten sich.
Zwischen den Zweigen kam eine Hand zum Vorschein.
Eine langläufige spiralige Waffe tauchte auf! Sie zielte auf seinen Körper.
Ein olivgrünes quadratisches Gesicht starrte ihn mit kalten Augen an.
In den Blicken des Orathonen lag der Wille zum Töten!
*
Bekoval schlug mit der Hand so hart auf die Schalter, daß die obere Verkleidung mit einem häßlichen
Knirschen zersplitterte.
Der Gleiter machte einen Satz vorwärts. Er raste mit äußerster Beschleunigung auf den Hantelraumer
zu, als wolle er ihn rammen. Gleichzeitig feuerten die kleinen Energiekanonen.
Die Strahlen trafen auf die Schutzhülle des Giganten, die sich blitzschnell errichtete. Bevor sie
wirkungslos verpufften, durchliefen sie alle Farben des Spektrums.
»Das kann ja heiter werden«, murmelte GaVenga.
Und es wurde heiter!
Es schien, als fordere der Laktone das Schicksal heraus. Aber er war nicht umsonst ein
kampferprobter Stratege.
Nur eine Verzweiflungstat konnte noch Rettung bringen und den übermächtigen Gegner verblüffen.
Bekoval hatte im Bruchteil einer Sekunde erkannt, daß der Gigant ein Prallfeld errichtet hatte und
keine flammenden Kampfschirmfelder.
»Hoffentlich halten die Gravitationsautomaten«, hörten sie ihn noch murmeln.
Dann traf der Gleiter radikal auf die doppelschichtigen Prallfelder des Titanen.
Die Automatik kreischte im grellsten Diskant. Pneumatische Sitze ruckten in den schlittenförmigen
Gleitbahnen nach vorn. Sie versuchten, die maßlosen Kräfte zu neutralisieren.
Andruckwerte von einundzwanzig gravo, für kurze Augenblicke für den menschlichen Körper gerade
noch ertragbar, kamen durch.
Danach ein neutraler Aufprall. Er übertraf alles bisher Dagewesene.
Instrumente gingen klirrend zu Bruch. Das Heulen der GAutomaten wurde unregelmäßig, und die
Triebwerke begannen zu stottern.
Der orathonische Riese hatte sein Feuer eingestellt. In seinen Prallschirmen tobten fürchterliche
Entladungen.
Er wurde voll beansprucht, als drei fiktive LaktonKreuzer auf ihn zuschossen und ihn in einer
Zangenformation anflogen.
Der große Hantelraumer bebte und zuckte, als die überschweren Waffentürme jetzt die fiktiven
Bilder angriffen.
Die Männer sahen das alles wie durch einen farbigen Schleier. Das All rotierte, blinkende Sterne
schossen ihnen entgegen. Der Raumgleiter knirschte in allen Verbänden.
Unvorstellbare Gewalten schleuderten ihn von dem Hantelraumer ab.
Aber Bekovals Lächeln wirkte dennoch beruhigend. Seine Anflugkurve war so berechnet, daß der
Gleiter in einem langen Bogen auf die eiförmige Energiestation zuschoß.
»Das hat geklappt«, meinte er zufrieden.
Er sah, daß Rex Corda lächelte.
»Sie kann wohl nichts aus der Ruhe bringen, wie?«
Cordas Lächeln verstärkte sich. Er gab keine Antwort.
Die Energiestation besaß keinen Schutzschirm, als sie sich ihr erneut näherten. Vermutlich hielten die
Orathonen die Erstellung eines Schirmes für reine Energieverschwendung, denn bisher waren die
laktonischen Angriffe erfolglos gewesen.
Die Station glich einem Riesenei von zweihundert Meter Durchmesser an der stärksten Stelle. Sie war
mit Raketenwerfern und Energieprojektoren bestückt
Niemand schenkte ihnen Beachtung, als sie anlegten. Es gab nur einen kaum spürbaren Ruck.
»Das gefällt mir nicht«, sagte Percip.
Corda sah sich die einladend offenstehende Schleuse an. Er beeilte sich, wieder seinen Raumanzug
anzuziehen, obwohl die Absorberanlage immer noch defekt war. Percip hatte keine Zeit mehr gefunden,
sie zu reparieren.
»Mir gefällt das auch nicht. Eine Falle! Man müßte uns längst bemerkt haben.«
Die Erkenntnis, daß niemand auf sie feuerte, wirkte zermürbend. Sie machte alles nur noch
unheimlicher.
»Beeilen Sie sich, so schnell wie es geht.«
Corda schloß seinen Raumhelm. Noch war die Scheibe klar und durchsichtig.
*
Der Bronzeroboter im Innern, der über die Kontrollen gebeugt stand, hatte die anlegende Raumscheibe
keine Sekunde lang aus den Augen gelassen.
Aus seinem Blickwinkel sah er nur den rechten oberen Rand des kleinen Schiffes.
Aber das genügte völlig.
Sein flexibles Gesicht verzog sich zu einer Grimasse. Dann löste er mit einem schnellen Griff einen
kurzen Impulsstoß aus. Es ging so unheimlich schnell, daß kein menschliches Auge dieser Bewegung zu
folgen vermocht hätte.
Vor der Energiestation stand ein bläuliches Wabern. Der Raumgleiter zerbarst in einer Glutwolke.
Staubpartikel, die hell aufglühten, zogen als verwehende Gaswolke davon.
*
Zwei, drei Sekunden lang war Will Rimson gelähmt. Sein Verstand weigerte sich einfach, zu erfassen,
was hier vorging.
Es konnte nicht stimmen. Die Tatsachen bewiesen aber genau das Gegenteil.
Der Orathone war genauso echt und realistisch wie die ganze Umgebung hier.
Rimson beschäftigten seltsame Gedanken.
Wie kam der Orathone hierher – was wollte er? Hatte ihm dieser Dr. Konsinsky eine Falle gestellt?
Viele Fragen, auf die er keine Antwort fand. Und irgendwie hatte er das Gefühl, als würde er auch nie
mehr eine Antwort erhalten. Der Orathone sah nicht aus, als wenn er verhandeln wollte.
Wo blieb Nukleon? Verdammt! Der alte Wissenschaftler verfluchte seinen Leichtsinn. Der Hund hatte
ihn doch in aller Deutlichkeit gewarnt!
Rimson machte einen winzigen Schritt nach links.
Sofort zuckte die spiralige Waffe hoch.
Der Orathone schob sich aus dem Gebüsch.
Rimson vermutete in ihm einen Agenten, den man auf der Erde zurückgelassen hatte und der im
Untergrund, allein auf sich gestellt kämpfend, Verwirrung stiften sollte.
Aber was hatte er davon, wenn er ihn, Rimson, erschoß? Er würde nur Aufsehen erregen.
»Was wollen Sie?« brachte Rimson mühsam hervor.
Er wußte, daß die Orathonen MikroDolmetscher besaßen, die im Gürtel ihrer Kombination eingebaut
waren.
Der Mann mußte ihn also verstehen, falls er das Gerät eingeschaltet hatte.
Der Orathone stand jetzt dicht vor Will Rimson und bohrte ihm den Lauf der Waffe in die Brust.
Er gab mit keiner Silbe zu erkennen, daß er verstanden hatte.
Rimson zuckte zusammen. Er bemerkte, wie der Orathone immer wieder unruhige Blicke nach hinten in
den Park warf, als suche er etwas.
Nukleon vielleicht? dachte Will. Vermutlich hatte er den Hund gesehen.
Wieder flog sein Blick in den Park hinüber.
Er hatte ganz offensichtlich Angst, dachte Will beklommen.
Schnell wog er seine Chance ab, mit einem gewaltigen Satz in die Büsche zu springen und dann ins Haus
zu laufen.
Er drehte sich um. Die Waffe hob sich sofort höher, zielte auf seinen Kopf. Der Finger des Orathonen
drückte auf den Auslöseknopf.
Gleich mußte der vernichtende Blitz kommen.
Rimson schrie auf!
Da sprang ein schwarzer Schatten durch die Luft.
*
Corda, Bekoval, Percip und GaVenga sowie sechs weiteren Laktonen war es gerade noch gelungen, das
offenstehende Schott zu erreichen.
Der letzte Mann hatte es nicht mehr geschafft. Im selben Augenblick, als er das Schiff verlassen
wollte, ruckte der Energieprojektor herum.
Es sah aus wie eine Schießübung. Es hatte nichts brutal Kriegerisches an sich, eher schien es wie eine
leichte Spielerei.
Ein kurzer Blitz flammte auf. Er traf den Gleiter und vernichtete ihn. Wie ein lästiges Insekt wurde
das laktonische Kleinschiff von der Wandung hinweggefegt.
GaVenga starrte mit schreckensbleichem Gesicht durch die Helmscheibe.
»Erledigt«, murmelte er dumpf. »Einfach so … schschschttt… und schon ist alles vorbei. Wenn wir nur
drei Sekunden länger gezögert hätten, dann …«
Rex Corda winkte hastig ab. Immerhin befanden sich im Innern der Station Orathonen oder aber
Bronzeroboter.
Zu seinem Ärger mußte er feststellen, daß die Helmscheibe schon wieder beschlug. Er konnte nur noch
nebelhafte Umrisse erkennen.
Ein kurzer Gang nahm sie auf. Lange hellerleuchtete Schaltpulte zu beiden Seiten verrieten, daß die
Anlage mit äußerster Leistung arbeitete.
Aber es war niemand zu sehen. Auch schien man sie im Innern der eiförmigen Station noch nicht
bemerkt zu haben. Man glaubte sie vernichtet.
Bekoval fuhr mit einem blitzschnellen Satz herum, als hinter ihnen das runde Schott aus der Wand
glitt. Vollkommen geräuschlos fuhr es in die gegenüberliegende Seite und rastete ein.
»Jetzt sitzen wir wie eine Maus in der Falle«, GaVenga machte ein resigniertes Gesicht. »Sie
brauchen nur das andere Schott zu öffnen und einmal kurz eine normale Dienstwaffe abzufeuern. Ich
bin wirklich gespannt, was sie mit uns vorhaben.«
Die Außenlautsprecher der Helme übertrugen leise, knirschende Geräusche.
»Also doch! Man läßt Luft herein. Man hat uns entdeckt.«
»Gar nichts hat man«, wies Bekoval den Kynother zurecht. »Sie haben nur das Außenschott
geschlossen, um vor Überraschungen sicher zu sein. Den Lufteinlaß besorgt eine Automatik unabhängig
davon, ob sich jemand hier aufhält oder nicht.«
Immer mehr atembare Luft erfüllte die Vorkammer der Schleuse.
Kurzentschlossen ließ Corda den Helm zurückschnappen. Jetzt konnte er wenigstens wieder sehen.
Bekoval, der mit einem Satz bei ihm stand, schlug mit der Faust gegen den Helm. Mit einem harten
Knallen sprang er wieder in den Magnetverschluß hinein.
»Tun Sie das nicht wieder«, rief er über den Sprechfunk. »Wenn man nun statt Sauerstoff Giftgas in
den Raum geblasen hätte, wären Sie bereits ein toter Mann.«
»Danke, mein Freund. Aber das wäre ein absolut unlogischer Vorgang gewesen. Da hätte es bessere
Möglichkeiten gegeben, als die Atmosphäre in diesem Raum zu vergiften.«
Der Helm schnappte erneut zurück.
Bekoval grinste erleichtert.
»Wie sagt ihr immer? Vorsicht ist besser als Nachsicht, nicht wahr?«
Corda zog kurzentschlossen den hinderlichen Raumanzug aus und warf ihn in eine Ecke der Kammer.
Die Männer waren weitergegangen. Das nächste Schott, ebenfalls rund, war geschlossen.
Corda blickte noch einmal über die Schulter zurück. Dann lockerte er die Strahlwaffe und nahm sie in
seine rechte Hand.
Ganz vorsichtig griff Percip nach dem Schott, das unter dem Druck seiner Finger lautlos nach innen
schwang.
Der ausgeglichene Luftdruck setzte der Stahltür keinen Widerstand mehr entgegen.
Die Männer des Einsatzkommandos zogen ihre Dienstwaffen. Spiralige Strahler mit verheerender
Wirkung.
Sie alle, außer Corda, trugen ihre Raumanzüge. Nur die Helme hatten sie nach hinten geklappt.
Bekoval flüsterte Rex Corda hastig zu:
»Sie hätten den Anzug nicht ausziehen sollen. Wenn man uns entdeckt, haben Sie nicht die geringsten
Fluchtchancen.«
»Deshalb müssen wir die Burschen überraschen. Aber ein defekter Raumanzug nützt mir nicht viel. Er
wirkt nur hinderlich. Nachher, wenn alles vorbei ist, werde ich ihn wieder anziehen. Sind die Bomben
bereit?«
Bekoval nickte.
Zwei Männer des Einsatzkommandos sonderten sich ab. Leise glitten sie durch das Schott. Ihre
Aufgabe war klar umrissen. Sie waren Spezialisten, die sich in der orathonischen Technik auskannten.
Sie hatten die Funkanlage der Station lahmzulegen, damit man keine Hilfe mehr anfordern konnte.
Als dritter stieg Corda durch das Schott. Seine helle Khakiuniform stach scharf vom Graugrün der
Wände ab. Er gab den Leuten einen Wink, ihm zu folgen.
Vor ihnen lag ein langer erleuchteter Gang. An den Wänden befanden sich Bildschirme, die nicht in
Betrieb waren. Offenbar fühlte sich die Besatzung der Station absolut sicher.
Gesprochen wurde nicht mehr. Die Laktonen bemühten sich, leise aufzutreten, um sich nicht durch den
Lärm ihrer Schritte zu verraten.
Corda, Bekoval und Percip gingen lautlos nach links. Die restlichen Männer liefen in die
entgegengesetzte Richtung.
Sechs Meter weiter fand sich ein rundes Mannschott. Es sah aus wie ein riesiges Bullauge.
Corda blieb sofort stehen. Die beiden Laktonen erstarrten ebenfalls mitten im Schritt.
Aus dem vor ihnen liegenden Raum drangen Geräusche.
Rex Corda schlich zentimeterweise vorwärts, dann richtete er sich mit einem schnellen Satz auf, hob
die Waffe und stieg mit dem rechten Fuß auf die untere Rundeinfassung des Durchlasses.
Sein Gesicht verriet keine Überraschung.
Vor ihm stand ein Bronzeroboter in der grellgelben Uniform eines orathonischen Offiziers.
Die kalten Augen sahen Corda gnadenlos an. Der Roboter machte eine halbe Drehung, eine spiralige
Strahlwaffe tauchte in der rechten Hand auf. Noch schneller fuhr Rex Cordas Arm mit der Waffe
nach oben. Es kam auf Sekundenbruchteile an.
*
Der orathonische Agent wurde von der Wucht des Aufpralls nach vorn geschleudert.
Überraschung und Wut machten sich in seinem Gesicht breit.
Er fiel hin. Sein Strahler flog ihm aus der Hand und landete in hohem Bogen vor Rimsons Füßen, der
erschreckt einen Meter zurücksprang.
Nukleon ließ zähnefletschend sein Opfer los, an das er sich von hinten herangeschlichen hatte.
Dann ging alles so schnell, daß Will Rimson nicht mehr zum Nachdenken kam. Er konnte später auch
nicht mehr genau sagen, wie es alles passiert war.
Er sah nur noch, wie der Hund laut aufjaulend zurücksprang, einen wilden Sprung in der Luft vollführte
und dann mit eingezogenem Schwanz in den Büschen verschwand.
Will Rimson hörte den rollenden Donner, der seine Trommelfelle erschütterte. Etwas schmerzhaft
Heißes streifte ihn, und der Geruch versengten Stoffes drang im selben Moment auch schon in seine
Nase.
Der Strahler war auf einen Stein geprallt, als der Orathone gezwungen war, ihn loszulassen.
Der aktivierte Zündknopf war eingedrückt. Die Waffe begann auf dem Boden zu feuern und gleißende
Strahlen auszuspeien. Der harte Rückschlag der Waffe löste immer neue Impulse aus, ließ den
Strahler hochschnellen und wieder auf den Boden prallen.
Will Rimsons Hose war versengt. Eine lohende Feuerzange hatte den linken Schuh gestreift und das
Oberleder teilweise verbrannt.
Rimson begann zu hüpfen, denn die sengenden Strahlen fegten dicht über den Boden und setzten die
noch grünen Büsche ringsum in Brand. Jeden Augenblick fürchtete er, von einem Schuß getroffen zu
werden.
Aber er hatte Glück. Außer dem versengten linken Schuh und der leicht lädierten Hose war ihm nichts
geschehen.
Der Strahler vollführte einen letzten wilden Satz, spie noch einen zuckenden Feuerstrahl aus und
schwieg dann.
Will Rimson fiel erschöpft und keuchend zu Boden. Erst nach einer ganzen Weile wagte er es, die
Augen zu öffnen.
Sein Blick fiel auf den Orathonen. Entsetzt zuckte er zusammen.
Der orathonische Agent oder besser das, was noch von ihm übrig war, bildete eine schwarze verkohlte
Masse. Mehrere Strahlschüsse mußten ihn noch im Fallen getroffen und sein Leben beendet haben.
Rimson sah ekelerfüllt auf den Körper.
Dann wandte sich der grauhaarige Wissenschaftler ab. Er würde den Vorfall der Polizei melden, die
dann alles Weitere veranlassen mußte.
Vergeblich zermarterte er sich das Gehirn über den Orathonen. Was konnte der Agent hier gesucht
haben? War es tatsächlich eine Falle, die ihm jemand bewußt gestellt hatte? Er konnte es sich nicht
vorstellen. Wer konnte schon an einem alten Mann ein besonderes Interesse haben?
Niemand, sagte er kategorisch, am allerwenigsten ein Orathone.
Rimson ging weiter. Nukleon kam herangejagt und begleitete ihn.
Der Wissenschaftler machte sich keine weiteren Gedanken über den Vorfall. Für die wahren
Hintergründe waren andere Dienststellen zuständig, er nicht.
Fünfzig Schritte weiter blieb er wie angewurzelt stehen.
Die Ziersträucher umsäumten eine kleine Lichtung. Daneben stand eine Palme, die ihre Wedel dem
Abendwind entgegenreckte.
Das war es aber nicht, was Will Rimson zu seinem erschreckten Ausruf veranlaßte.
Mitten auf der Lichtung stand ein hellgrauer Felsen, der einer überdimensionierten Nadel glich. Und
die Spitze dieser Felsnadel, die nach oben hin zerfurcht und in Falten auslief, zitterte und bebte!
Als Rimson sich, furchtsam nach allen Seiten blickend, noch näher heranschob, blieb Nukleon mit
gesträubtem Fell stehen. Der Hund weigerte sich, auch nur einen Schritt weiterzugehen.
Rimson sah die Angst in den braunen Augen seines treuen Gefährten. Er selbst verspürte noch nichts,
wenn man davon absah, daß die Felsnadel unheimlich und beängstigend wirkte.
Und von Virginia RamoniMatson, der Frau des Mutanten, war noch immer keine Spur zu entdecken.
Doch das seltsame Gebilde faszinierte Rimson. Es schien der abstrakten Vorstellung eines
schizophrenen Bildhauers entsprungen zu sein. Das Kunstwerk schien zu leben, jedenfalls befand es
sich in unverkennbarer, schwingender Bewegung.
Daß etwas nicht mit ihm stimmte, wurde Will Rimson erst klar, als Nukleon kläglich zu jaulen begann.
Der Hund benahm sich völlig verrückt. Eng an den Boden gedrückt, schlich er dahin.
»Nukleon, hierher!« befahl der alte Wissenschaftler.
Der Hund hörte nicht auf die Stimme seines Herrn.
Er stieß auch keine warnenden Laute aus. Er hatte Angst, und etwas von dieser Angst färbte auch auf
Will Rimson ab.
Dennoch überwand er sich und trat ein paar Schritte näher heran.
Da hörte er es überdeutlich: Der Abendwind pfiff um den oberen zerfurchten Teil der »Nadel«, und
tausend Stimmen, die aus der Unendlichkeit zu kommen schienen, wisperten durcheinander.
Rimson lief ein eiskaltes Kribbeln über den Körper.
Das Wispern verstummte, aber eine sphärische, unsagbar fremde Musik klang in seinen Ohren auf.
Und dann war da noch etwas.
Sowie er sich bis auf eine bestimmte Nähe dem Felsen genähert hatte, vernahm er eine körperlich
spürbare Sphäre, die ihn wegzuschleudern drohte. Es war eine Aura, eine Ausstrahlung, die zwar nichts
Bedrohliches besaß, dafür aber so fremd war und so unheimlich wirkte, daß sich seine Sinne zu
verwirren drohten.
Bis auf vier Schritte hatte Rimson sich dem Gebilde genähert.
Dann sah er hinauf zur Spitze. Im selben Moment packte ihn das kalte Entsetzen. Mit allen Anzeichen
der Furcht lief er eilig davon.
*
Rex Corda hatte mit einem kurzen Blick die ganze Einrichtung der Energiezentrale in sich
aufgenommen.
Der Raum war mit Schaltpulten, Holografen und einer sinnverwirrenden Automatik ausgerüstet.
Tiefes Brummen erfüllte die Station. Der Boden vibrierte leicht.
Der sonst in seiner Schnelligkeit unschlagbare Bronzeroboter kam noch zum Schuß, aber er traf einen
Orathonen, der sich aus dem rechten Verbindungsarm herangeschlichen hatte und nun mitten ins
Schußfeld lief.
Der Bronzeroboter drückte ab. Der Orathone warf die Waffe hin und fiel zu Boden.
Rex Corda hatte sich durch den blitzschnellen Vorfall nicht ablenken lassen.
Sein Finger drückte auf den Auslöseknopf der Waffe. Dumpfes Röhren erfüllte den Raum und ließ ihn
fast taub werden. Entlang der Schußbahn glühten sonnenhelle Partikel auf.
Zischend fraß sich der Strahl in die rechte, obere Brustseite des Roboters. Sein Gesicht verzog sich,
als ob er Schmerzen empfände.
Dort, wo der glutende Energiefinger sich hineinfraß, verkohlte die Uniform. Ein blankes Stahlgerüst,
aus dem bläuliche Flammen zuckten, kam zum Vorschein.
Deutlich sah Corda, wie die Gestalt zusammenzuckte, in der rechten Hand noch immer den spiraligen
Strahler haltend.
Er schoß nicht mehr. Er wußte auch so, daß der Roboter erledigt war.
Seine Reaktionen wurden bereits schwächer. Er fiel zurück, öffnete die Hände und krachte in das
hinter ihm stehende Schaltpult, das eine lange sinnverwirrende Anordnung von vielen kleinen Hebeln
aufwies.
Die Bedienungskontrollen wurden durch den Aufprall des Roboters aus ihren Stellungen gerissen. Vom
Schaltpult flammte ein greller Blitz auf, und eine graue Rauchwolke kräuselte sich nach oben.
Corda drehte sich um, hob den Strahler und zielte auf die Gestalt, die jetzt zum Schott
hereindrängte.
Es war Bekoval. Hinter ihm tauchte Percip auf.
Rex ließ die Waffe sinken.
»Prächtig«, meinte der Laktone kalt. »Wir haben den Schuß gehört. Bisher haben wir aber niemanden
mehr in der Station entdeckt. Ob die beiden allein waren?«
Corda zuckte die Schultern.
Sie traten in den Raum ein.
Der am Boden liegende Orathone war tot, durch ein Mißverständnis von einem Bronzeroboter
erschossen worden.
»Kommen Sie, Corda!«
Percip griff nach seinem Arm. Er überzeugte sich, daß der Roboter restlos vernichtet war. Noch immer
schlug aus der klaffenden Einschußstelle eine kleine blaue Flamme heraus. Der Schuß hatte die
wichtigsten Teile einer komplizierten Elektronik zerstört.
»Wir müssen verschwinden. Die Bomben sind bereits gelegt. Die beiden Spezialisten haben uns soeben
mitgeteilt, daß die Funkanlage nicht in Betrieb war. Sie haben sie aber auf alle Fälle dennoch zerstört.«
Er warf einen Blick auf Cordas Armbanduhr.
»Wenn der lange Zeiger hier oben steht, geht die Bombe hoch. Im ganzen sind es zwei hochwertige
Spaltstoffbomben, die die Station restlos zerreißen werden.«
»Also noch fünfundzwanzig Minuten«, meinte Corda ungerührt. »Ich möchte mir gern einmal das
System der EnergieUmwandlung ansehen. Wo befindet sich der Raum?«
»Sie haben Nerven«, brummte Bekoval. »Und wenn die Zeitzündung ein paar Minuten früher hochgeht,
was dann?«
»Ich habe aber Vertrauen in Ihre Technik, mein Freund.«
Auf dem Gang kamen ihnen die anderen Männer des Einsatzkommandos entgegen. Sie berichteten, daß
die ganze Besatzung der Station tatsächlich nur aus einem Bronzeroboter und einem orathonischen
Offizier bestanden hatte. Jedenfalls hatte man keine weiteren Lebenszeichen mehr entdeckt.
Bekoval konnte es nicht glauben. Er fand sich jedoch mit der Tatsache ab.
»Wo ist GaVenga geblieben?« wandte sich Corda fragend an die Laktonen. Allgemeines Schulterzucken
antwortete ihm. Ganz automatisch hatten die Laktonen diese terranische Geste übernommen.
Niemand hatte den kleinen Kynother gesehen. Er war ganz plötzlich verschwunden, ohne etwas gesagt
zu haben.
Corda hastete los. Er brauchte jedoch nicht weit zu laufen.
Der Kynother saß vor der Schleusenkammer auf dem Boden. Sein riesiger Schädel wackelte. Er hielt
etwas in der Hand.
»GaVenga! Was tust du hier?«
Das Knabengesicht wandte sich ihm zu. Der Kynother steckte in einem viel zu großen Raumanzug.
Wenn er den Helm des Anzuges schloß, sahen nur noch seine Augen aus dem Oberteil heraus. Und seine
blauschwarzen Haare.
»Ich repariere den Absorber, Sir. Sie wollen doch, daß der Anzug wieder funktioniert, nicht wahr? Sie
werden ihn bald benötigen.«
»Ja, ich weiß. Aber in fünfundzwanzig Minuten geht die Bombe hoch.«
»Fünfundzwanzig Minuten?« Der Kleine dachte nach.
»Massig Zeit, Sir Rex. Da kann nichts mehr geschehen.«
»Sir Rex – hmm. Ich erinnere mich nicht, daß man mich zum Ritter geschlagen hat.«
Rex grinste den kleinen Burschen an. Er war ein prächtiger Kerl.
Nachdenklich ging er wieder den Gang zurück.
Die Laktonen erwarteten ihn bereits ungeduldig.
»Haben Sie schon daran gedacht, daß wir uns noch ein gewaltiges Stück von der Station entfernen
müssen, wenn wir nicht gleich selbst mit hochgehen wollen?« hielt Bekoval ihm entgegen.
Corda sah die Männer der Reihe nach an.
»Okay. Lassen Sie die Leute schon ausschleusen. Ich komme etwas später nach. Können Sie sich nicht
vorstellen, daß mich die ganze Anlage brennend interessiert?«
»Vorstellen schon«, dehnte Percip, »nur wir haben etwas dagegen, in unmittelbarer Nähe einer
nuklearen Detonation zu schweben.«
Der Laktone lachte leise, doch dann begannen sich seine Züge zu verhärten.
»Hört ihr nichts?« fragte er.
Corda sah sich um.
Irgendwo war da ein gleichmäßiges monotones Geräusch. Es kam näher, und es hörte sich an, als rolle
aus dem jenseitigen Gang etwas auf sie zu. Zu sehen war jedoch nichts.
Die Männer zogen ihre Dienstwaffen, justierten die Stärke der energetischen Ladung ein und warteten
ab.
Corda winkte ihnen, in den kleinen Raum zu folgen, wo er den Bronzeroboter erschossen hatte. Dort
war man vor Überraschungen einigermaßen sicher.
Das rhythmische Rollen: und Stampfen kam immer näher. Niemand konnte sich einen Begriff von dem
machen, was da auf sie zukam. Die Laktonen hatten die ganze Station durchgekämmt, ohne eine
bemerkenswerte Entdeckung gemacht zu haben.
Was sollte es dann sein?
Corda bückte sich. Zentimeterweise schob er sich näher an das offene Schott und sah hinaus auf den
Gang.
Unterdessen war das Stampfen noch lauter geworden.
Dann walzte das Biest dröhnend heran – genau auf Rex Corda zu.
*
»Treffer!« meldete der orathonische Feuerleitoffizier. »Allerdings haben wir nicht geschossen,
sondern der Räumer im Backbordsektor.«
Catos Curnama, der orathonische Kommandant, winkte geringschätzig ab.
»Bisher haben sie noch keinen einzigen Erfolg erzielt«, meinte er. »Jeder Raumer, dem aus
unerklärlichen Gründen der Durchbruch gelang, ist vernichtet worden. Sie haben eine Methode
entwickelt, den Schirm zu durchbrechen, aber es gelingt immer nur einzelnen.«
»Vielleicht handelt es sich um Spiegelungen.«
»Die auf Masse und Energietaster ansprechen?« höhnte der Kommandant.
»Aber – wir haben noch niemals Trümmer von den LaktonenRaumern gefunden.«
»Weil wir eben zu gründlich sind. Außerdem besitzen wir stärkere Waffen als die Laktonen, das hat
sich ja erwiesen.«
Der Kommandant war ein älterer Orathone. Seine stumpfgrauen Federn auf dem massigen Schädel
bewiesen das. Und er als der Ältere und Vorgesetzte hatte immer recht.
Das wußte der Feuerleitoffizier, deshalb wagte er auch keinen weiteren Widerspruch.
Sinnend sah er auf den Holografen. Dann verhärtete sich das grüne Gesicht triumphierend. Die blauen
Federn auf seinem Kopf richteten sich auf. Er wies mit der Hand auf das dreidimensionale plastische
Bild.
»Dieses Mal sind Trümmer übriggeblieben, Kommandant. Zwar nur als leuchtende Partikel, aber ein
kleines Bruchstück ist herausgerissen worden. Dort vorn, neben der Energiestation treibt es.«
»Tatsächlich! Die Fragmente der Raumscheibe, die so unkontrolliert herumflog und uns zu rammen
wagte. Vermutlich war sie von den Laktonen robotgesteuert.«
Curnama überlegte einige Sekunden. Seine Neugier, das erstemal die Bruchstücke eines sonst immer
restlos vernichteten Gegners anmessen zu können, verbarg sich nur schlecht.
Er drückte die Sprechtaste ein.
»Kommandant hier! Ein aus zehn Mann bestehendes Kommando klarmachen zum Ausschleusen. Wir
fliegen Energiestation sieben an.«
Der Hantelraumer der DorrKlasse, mit einem Kugeldurchmesser von je zweihundert Metern, scherte
aus seinem Kurs.
Die Orathonen des Untersuchungskommandos legten Raumanzüge an.
Das Hantelschiff mit der leuchtend roten Aufschrift schoß in einem eleganten Bogen herum. Wenig
später schwebte es mit feuerbereiten Geschützen dicht vor der Energiestation.
*
Das Monstrum war ein zylinderförmiger Körper, der auf unzähligen Rollen lief. Er besaß die Größe eines
ausgewachsenen Mannes, nur war er wesentlich breiter und gedrungener.
Aus seinem konisch zulaufenden Oberteil blinkte eine wild hin und her schwingende Antenne.
Unzählige kleinere und größere Metallarme fuhren aus versteckten Öffnungen. Es sah aus, als tastete
sich das metallene Ungeheuer den Gang entlang.
Vor der Energiezentrale kam es zum Stillstand.
Cordas Waffenhand zuckte herüber. Er wollte erst schießen, wenn das Ding über den unteren Rand
stieg und zu keiner weiteren Reaktion in der Lage war.
Rex sah in Bekovals entspanntes Gesicht, als die Antenne sich näher herantastete und sichtbar wurde.
Der Laktone machte keine Anstalten, von der Dienstwaffe Gebrauch zu machen.
»Ein Roboter«, erklärte Percip, der gelangweilt auf das Ding starrte.
Es hob sich jetzt vom Boden und begann dann zu schweben. Als es einen halben Meter Höhe erreicht
hatte, trieben es unsichtbare Kräfte weiter.
Bekoval gab dem Zylinder einen Tritt.
Er kam von seinem Kurs ab, schoß quer durch den Raum und knallte dröhnend an die Wand neben einem
Bildschirm.
Die Laktonen lachten leise.
Nur Corda sah aus engen Augen auf den Roboter, der blitzschnell ein paar dünne Stäbe ausfuhr und
den Anprall an die Wand noch abzumildern versuchte. Schließlich sank er langsam zu Boden und blieb
dort liegen.
»Arbeitsroboter, wie sie in den Energiestationen üblich sind. Es ist sinnlos, auf das Ding zu schießen.
Sie sind harmlos und können uns nicht sehen. Ihre Aufgabe besteht ausschließlich darin, Fehler zu
entdecken und den Schaden wieder zu beheben.«
Corda stellte sich dem Ding in den Weg, das jetzt wieder zu rollen begann. Der Roboter rollte auf ihn
zu, stoppte und wich dann in einem kurzen Bogen aus. Nur seine Antenne bog sich dem Hindernis
entgegen und tastete es ab.
Danach rollte es ungeniert weiter bis an das Schaltpult.
GaVenga kam herein. In den Armen hielt er den Raumanzug. Er schwitzte vor Anstrengung.
»Bitte, Sir. Der Absorber ist wieder in Ordnung. Es war nur eine Kleinigkeit.«
Corda bedankte sich.
Dann sah der Kynother den Roboter, der drei kurze Säulen ausgefahren hatte und sich mit dem
Oberteil über das halbzerstörte Schaltpult beugte.
Gerade hatte der Rob einige Werkzeugarme ausgefahren und schraubte schon die zerstörten und
restlos deformierten Hebel ab.
GaVenga drückte die Antenne des Roboters herunter, bis sie in die qualmende Öffnung der
Schalttafel hineinragte.
Der Rob versuchte, die Antenne sofort einzufahren, berührte dabei jedoch im Innern der Elektronik
einen noch intakten Stromkreis.
Es gab einen dumpfen Knall. Brummend und vibrierend blieb der Arbeitsroboter stehen und regte sich
nicht mehr.
»Kurzschluß«, meinte der Kynother achselzuckend.
»So bleibt ihm wenigstens die Explosion nachher erspart.«
Percip begann erste Anzeichen von Ungeduld zu zeigen. Immer wieder sah der laktonische Agent sich
um.
Die Männer verließen den Raum, während Corda noch einen Sprung in die UmwandlerStation riskierte,
die einhundert Meter weiter links lag.
Je näher er kam, desto lauter und dumpfer wurde das Dröhnen, das aus dem Raum drang.
Das Schott stand weit offen. Zur Bedienung der vollautomatischen Anlage war niemand erforderlich.
Lediglich ein kleinerer Arbeitsroboter glitt auf einer Laufschiene durch den Raum. Er beachtete den
Eindringling nicht. Er war emsig mit einem Lochstreifen beschäftigt, den er schließlich in einen
Computer warf.
Der Raum maß annähernd achtzig Meter im Quadrat. Die Deckenhöhe mochte zwanzig Meter betragen.
Fasziniert blieb Rex Corda stehen.
Das dumpfe Rumoren wirkte fremd und beängstigend. Es waren Geräusche, die eine unbekannte Macht
widerspiegelten, die voller Geheimnisse war.
Inmitten des Raumes gähnte ein riesiges Loch im Boden. Aus der Öffnung schoß eine lohende Säule
hervor und verschwand irgendwo unterhalb der Decke.
Corda mußte vor dem orangegelben Leuchten die Augen schließen.
Das war die Hypersäule, die Energie, die man der viereinhalb Lichtjahre entfernten Sonne Alpha
Centauri entnahm und die hier erst wieder sichtbar wurde, als die Hypersäule sie vierdimensional
entzerrt hatte.
Riesige Abstrahlpole fingen die Energie nochmals auf und leiteten sie weiter.
Dort, wo die Hyperröhre begann, war nichts als ein Flimmern zu sehen. An den Polen jedoch wurden die
unvorstellbaren Energien sichtbar gemacht.
Weitere Abstrahlfelder leiteten die lohende Säule weiter.
Sie konzentrierten sich auf einen Punkt im All und ließen das Schirmfeld entstehen. Da die Kapazität
gleichbleibend sein mußte, genügte schon der Ausfall einer einzigen Energiestation, um das Schirmfeld
zu schwächen.
Auf dieser Tatsache basierte Cordas Plan von einem wenigstens teilweisen Zusammenbruch der
Energiemauer. Man würde die noch fehlenden Energien durch die anderen Stationen nicht mehr
rechtzeitig ersetzen können. Der Durchbruch konnte somit teilweise gelingen.
Nach einem letzten Blick in den Raum kehrte Corda wieder zurück.
Aufgeregte Laktonen kamen ihm in dem schmalen Gang entgegen.
Er konnte sich nicht vorstellen, warum die Männer so merkwürdige Gesichter machten. GaVenga sah
aus, als ginge für ihn jeden Augenblick das Universum unter.
»Was ist passiert?« fragte Corda.
Bekoval deutete mit der rechten Hand zum Schleusenschott.
Im selben Moment gab es einen spürbaren Ruck.
»Ein Hantelraumer der DorrKlasse legt gerade an«, flüsterte er. »Aus irgendeinem Grund haben die
Orathonen Verdacht geschöpft.«
Wieder gab es einen Ruck. Der Hantelraumer war jetzt fest mit der Energiestation verbunden.
*
Will Rimson blieb nach zwanzig Metern abrupt stehen. Das körperlich Spürbare der fremden Aura war
erloschen.
Er sah sich verblüfft um. Sehr nachdenklich geworden, ging er wieder ein paar Schritte zurück.
Dann kam ein überraschender Gedanke.
Konnte es sein, daß diese Statue, oder was immer es darstellen mochte, eine Frequenz ausstrahlte, die
nach einem mehrdimensionalen Prinzip arbeitete?
Eine Hyperfrequenz?
Rimson schlug sich vor die Stirn. Das würde zumindest erklären, was den Orathonen angelockt hatte.
Die Gefiederten trugen ja in ihrer Kombination winzige Empfänger, die auf Hyperimpulse ansprachen.
Wer aber hatte dann diese Nadel aufgestellt?
Als er sich noch einen Schritt weiterbewegte, begann das Ziehen in seinem Kopf.
Ein halber Schritt zurück.
Nichts! Alles war normal.
In Gedanken zog Will Rimson eine Linie. Wenn er sich stark konzentrierte, war es ihm möglich, der
Säule oder dem Felsen näher zu kommen, obwohl eine fremde unbekannte Macht alles versuchte, ihn
davon abzuhalten.
Er mußte unbedingt herausfinden, aus welchem Material die Nadel gebaut war. Irgendein verrückter
Bildhauer mußte sie geschaffen haben und hatte das Oberteil vielleicht mit einer elektronischen Orgel
ausgestattet.
»Du solltest dich schämen, Alter!« rief er zu seinem Hund. »Komm gefälligst her!«
Nukleon schüttelte zweimal den Kopf hin und her. Er blieb direkt vor der Linie liegen, die Will in
Gedanken gezogen hatte.
Der Hund weigerte sich. Statt dessen deutete er mit der Schnauze zu dem weißen Haus hinüber.
»Ach ja, richtig. Siehst du, Alter, vor lauter Aufregung habe ich glatt meinen Auftrag vergessen. Hmm,
bisher hat sich aber auch noch niemand gemeldet, nicht wahr?«
Rimson war es gewohnt, endlose Selbstgespräche zu führen, die manchmal in den kuriosesten Sätzen
gipfelten.
»Okay. Du hast sowieso Angst, Alter. Ich auch. Gehen wir also erst einmal in das Haus.«
Rimson marschierte quer über den Rasen. Endlich stand er zusammen mit dem Hund vor dem Portal.
Er war nicht verwundert, es offen zu finden. Er fand es nur unheimlich und befremdend.
Zögernd schritt er in die prunkvolle Empfangshalle hinein. Dabei belauerte er jede Reaktion des
Hundes.
Nukleon trottete neben ihm her und hielt den Kopf suchend auf den Boden gerichtet.
Rimson fand einen Schal, der an einem Haken hing. Er gehörte ganz offensichtlich der mysteriösen
Frau des Mutanten.
Rimson hielt Nukleon den Schal hin.
»Such, Alter!«
Nukleon schnüffelte einmal kurz, dann wandte er sich ab und marschierte den Weg, den sie gekommen
waren, wieder zurück.
»Im Haus ist sie also nicht«, brummte Will ungeduldig. »Folglich muß sie draußen sein. Sollte die Dame
etwa auf den Gedanken gekommen sein, mit einem alten Mann Verstecken zu spielen?«
Er kicherte belustigt vor sich hin und folgte dem Hund.
Nukleon blieb am Rand der unsichtbaren Linie stehen und kläffte die Säule an.
»Alter Tölpel«, murrte Rimson, der nichts begriff.
»Sieht vielleicht so die Frau aus, die wir suchen, eh?«
Scharf blickte er auf den Hund, der sich wie toll gebärdete, aber keinen einzigen Schritt über die
gedachte Linie riskierte.
Nukleon nickte bestätigend mit dem Kopf.
Rimson wandte sich erbittert ab. Die Ausstrahlung der unsichtbaren Aura schien den Hund konfus
gemacht zu haben. Er war nicht mehr zu gebrauchen. Selbst auf Rimsons wiederholte Aufforderung
reagierte er in keiner Weise.
Er kläffte nur die Felsnadel an, sprang an Rimson hoch und versuchte ihn in den Kreis der Ausstrahlung
zu zerren.
Der alte Wissenschaftler wurde immer neugieriger.
Komisch, je näher er dem Gebilde kam, um so mehr vergaß er seine eigentliche Aufgabe.
Er mußte alle Kräfte aufbieten, um nicht wieder umzukehren, als das seltsame Grauen ihn erfaßte und
nicht mehr losließ.
Jetzt vernahm er auch wieder das hohle Wispern, das oben aus der Spitze ertönte und das sich nicht
erklären ließ. Es sei denn, überlegte Rimson, der Wind fing sich in der Spitze und erzeugte die Töne,
die an eine fremde Musik erinnerten.
Aber zur Zeit gab es keinen Wind. Er hatte sich gelegt. Alles war still und unheimlich ruhig.
Da hatte Rimson die Säule erreicht.
Aus der unmittelbaren Nähe wirkte sie noch immer wie ein Felsen, aber das Material war porös und
durchlässig.
Nur um in dieser entsetzlichen Stille nicht ganz zu verzweifeln, sprach Rimson wieder mit sich selbst.
»Ich werde eine Probe mitnehmen und das Zeug untersuchen. Nie so etwas Ähnliches gesehen.« Sein
Finger pochte an das Ding. Es gab einen hell klingenden Ton, und Rimson fühlte entsetzt, wie ein
schwacher elektrischer Schlag durch seinen Körper zuckte. Das Raunen und Wispern vom oberen Teil
klang bedrohlich und grausam. Mit zitternden Fingern brachte Rimson sein Taschenmesser aus der
Hose, klappte es auf und näherte sich noch mehr dem Nadelfelsen. Gerade als er es ansetzen wollte,
um eine Probe abzuschaben, zuckte er zusammen. Das Ding leuchtete plötzlich und unerwartet blutrot
auf.
*
Die Männer ahnten, daß sie verloren waren.
Corda sah, wie sich erste Anzeichen einer Panik in den Gesichtern abzeichneten. Er aktivierte seine
empathischen Extrasinne, konzentrierte sich auf die Gefühle der Laktonen und blickte sie lange an. Er
wunderte sich, daß er diesmal keine Kopfschmerzen empfand.
Die Gesichter der Männer entspannten sich. Etwas Einschläferndes hatte sich in ihrem Geist
breitgemacht und beruhigend auf sie eingewirkt.
Aber in knapp zwanzig Minuten geht die Bombe hoch! dachte Corda benommen.
Wenn es ihnen bis dahin nicht gelang, die Station unbemerkt zu verlassen, würden sie sich genau im
Zentrum der atomaren Detonation befinden.
»Wir sollten unauffällig die innere Schleuse öffnen, sobald sie herein wollen«, flüsterte Bekoval. »Tun
wir es nicht, dann schöpfen sie sofort Verdacht und schießen uns zusammen.«
Percip nickte eifrig.
»Sehr gut. Wir bauen uns rechts und links in den Kammern auf und eröffnen sofort das Feuer, sowie
jemand in den Gang kommt. Das ist unsere einzige Chance. Was meinen Sie, Corda?«
Rex Corda winkte ab. Sein Plan hatte sich in Sekundenbruchteilen schon in seinem Gehirn geformt. Er
war fest entschlossen, ihn in die Tat umzusetzen.
»Ich halte die Idee zwar nicht für schlecht, aber ich glaube, wir werden auf diese Art und Weise
keinen Erfolg erzielen können.«
»Es gibt keine bessere Idee«, sagte Bekoval hart. Sein Kinn war energisch nach vorn geschoben.
Percip drängte: »Wir müssen uns entscheiden. Hinter unserem Rücken befinden sich die Bomben, und
vor uns steht der Hantelraumer. Eines ist so gefährlich wie das andere.«
»Wir könnten die Bomben entschärfen«, warf ein anderer Laktone ein. »Der Zünder läßt sich noch
einmal auf dreißig Zeiteinheiten zurückstellen.«
»Das hilft uns nicht. Dann töten uns die Orathonen. Wie war das mit Ihrer Idee von vorhin, Corda?«
Der hochgewachsene Mann verschränkte lässig die Arme über dem Brustteil der Kombination.
»Meine Idee ist ganz einfach. Wir kapern den Hantelraumer. Das ist alles.«
Das war alles!
Corda sah in ungläubige und erstaunte Gesichter. Die Laktonen waren fassungslos.
»Sie wissen nicht, was Sie da vorschlagen, Corda«, meinte Bekoval dann. »Schön, man kann den
Orathonen einen Diskus entwenden, wie das die Erfahrung gelehrt hat, oder vielleicht einen
mittelgroßen Raumgleiter. Aber niemals einen vollbemannten Hantelraumer.«
»Dann machen wir eben den Versuch. Die DorrKlasseRaumer sind mit zweihundert Metern
Kugeldurchmesser nicht gerade groß. Und darin liegt unsere Chance. Wir lassen die Gefiederten an uns
vorbeilaufen. Sie werden ohnehin die ganze Station durchkämmen. Und wir haben sogar noch Zeit und
können in aller Ruhe in den Hantelraumer hineinspazieren.«
»Hineinspazieren«, stöhnte Percip fast weinerlich.
»Wenn ich Sie reden höre, wird mir angst und bange. Ich sagte, es handelt sich um ein orathonisches
Raumschiff.«
»…der DorrKlasse. Das weiß ich jetzt. Und jetzt möchte ich Sie bitten, keine Zeit zu verlieren, meine
Herren. Los, dort drüben hinein. Sie, Bekoval und Percip, folgen mir. Geschossen wird nur, wenn es gar
nicht mehr anders geht. Es ist wirklich für uns der allerletzte Ausweg.«
Die Laktonen fühlten sich von dem zwingenden Blick der kristallblauen Augen gebannt.
Bekoval wollte protestieren, aber dazu blieb ihm keine Zeit mehr.
Die Vakuumpumpe begann zu heulen, und die Automatik würde die Schleuse öffnen. Außerdem besaßen
die Orathonen Impulsschlüssel für ihre Stationen und waren in der Lage, die Schleusenkammern ohne
fremde Hilfe zu öffnen.
Corda gelang es gerade noch, in dem zweiten kleinen Raum Deckung zu suchen.
Rex Corda hatte unbewußt richtig kalkuliert.
Die Orathonen gingen geradeaus den Gang entlang. Insgesamt waren es zehn Mann, die nun jeden Raum
einer peinlich genauen Kontrolle unterzogen.
In spätestens zwei Minuten würden sie den erschossenen Orathonen und den Bronzeroboter
entdecken.
Und dann würde hier die Hölle losbrechen!
Percip wollte gerade husten. Corda schlug ihm mit einer blitzschnellen Bewegung den Helm über den
Kopf. Das harte Knacken des Einrastens in die Wulsteinfassung klang wie ein scharfer Knall. Percip
hätte ebensogut husten können.
Ein Orathone blieb ruckhaft stehen, während die anderen weitergingen. Er wandte Corda und Bekoval
sein grünes Gesicht zu.
Seine rechte Hand hob den Strahler schußbereit nach oben. Zwei, drei Sekunden verstrichen, in denen
er unschlüssig auf der Stelle stand, den Blick zurückgerichtet.
»Er kommt auf uns zu«, hauchte Percip und legte seinen Helm an Cordas Kombination. Seine schwere
Dienstwaffe ruckte nach oben.
»Nicht schießen!« flüsterte Corda. »Wenn er den Raum betritt, schlagen wir zu.«
Der Orathone hatte seinen Entschluß gefaßt. Mit schnellen Schritten näherte er sich dem ovalen
Schott.
Der Raum war nur spärlich erleuchtet. Ein paar Bildschirme blinkten und verbreiteten eine
gespenstische Helligkeit.
Corda machte eine abwehrende Handbewegung, als Percips Waffe noch einmal nach oben ruckte. Das
war genau in dem Augenblick, als der Grünhäutige zu ihnen hereinblickte.
Rex Corda atmete innerlich auf. Der Orathone trug seinen Raumhelm zurückgeklappt auf der Schulter.
Die Halterung war eingerastet.
Er wartete ab, bis der Featherhead in den zwielichtig erhellten Raum trat. Ein Schlag auf die
Halsmuskulatur ließ den Olivgrünen wanken.
Bekoval öffnete die Arme, um ihn aufzufangen, damit er beim Fallen keine unnötigen Geräusche
verursachte.
Percip holte aus und schlug noch einmal zu. Ehe der Orathone einen Schrei ausstoßen konnte, sank er
wie vom Blitz gefällt in sich zusammen. Die Männer legten ihn auf den Boden.
»Es kann gelingen«, sagte Percip leise. »Die einzige Schwierigkeit ist nur, das Schott zu schließen, das
zur Schleuse führt. Der Luftausgleich dauert dreieinhalb Zeiteinheiten. Wenn die Orathonen uns in
der Zwischenzeit entdecken, sind wir natürlich geliefert. Sie werden rücksichtslos feuern, ohne an
ihre eigenen Leute zu denken. Für sie steht eine ganze Menge auf dem Spiel.«
»Für uns auch«, flüsterte Corda zurück. »Für uns sogar noch mehr. Wo sind sie jetzt?«
»An der ersten Abzweigung. Jeden Augenblick können sie den Roboter entdecken.«
»Dann schnell hinüber, aber geräuschlos. Geben Sie den anderen Leuten einen Wink.«
Der Laktone gehorchte widerspruchslos. Er hatte längst erkannt, daß Corda die Chancen in dem
ungleichen Kampf fast noch besser zu nutzen verstand als er selbst, und das, obwohl Percip ein
laktonischer Agent war, der eine abgeschlossene Spezialausbildung hinter sich hatte.
Ohne ein Geräusch zu verursachen, schlich er hinüber zur Schleuse. Sekunden später stand das
gesamte Einsatzkommando geschlossen in der Kammer.
Wenn jetzt eine Anfrage aus dem Hantelraumer kam, waren sie erledigt. Die Männer machten sich in
dieser Hinsicht nichts vor. Aber sie würden ihr Leben so teuer wie möglich verkaufen, das stand für sie
fest.
Nervenzerfetzende Sekunden vergingen. Es bestand die Möglichkeit, daß man sie auf der anderen
Seite des Hantelraumers genau in das Mündungsfeuer hochenergetischer Strahlwaffen rennen ließ. Es
war eine verteufelte Situation.
Bekoval sah auf den kleinen Druckmesser an der gegenüberliegenden Wand. Der Luftausgleich hatte
bald stattgefunden. Die Vakuumpumpe schwieg.
Sie konnte keine Geräusche mehr verursachen, weil es keine Luft mehr gab. Jetzt existierte zwischen
der Energiestation und dem Hantelraumer nur ein luftleerer Raum, der in den Schleusenkorridor der
Hantel führte.
Im nächsten Verbindungsarm war die Situation gerade umgekehrt, nur ging der Luftausgleich
wesentlich schneller vonstatten.
Das Schott schwang einen Zentimeter auf und blieb in dieser Stellung stehen.
Die Männer hielten ihre Dienstwaffen umklammert.
Hinter dem Schott blieben sie unbeweglich stehen, als Corda ihnen ein Zeichen mit der Hand gab.
Jeden Augenblick erwartete man eine Falle.
Rex Corda spähte unter Beachtung der nötigen Vorsicht hindurch. Niemand war im angrenzenden
Korridor des fremden Schiffes zu sehen.
Eine hellblaue Lampe blinkte in regelmäßigen Abständen auf. Sie zeigte nur an, daß der Luftausgleich
stattgefunden hatte. Man konnte ohne weiteres in den Hantelraumer gehen.
Nur – wieviel Orathonen mochten sich jetzt gerade dort aufhalten?
Corda ließ seinen Helm lautlos zurückschnappen und bedeutete Bekoval, das gleiche zu tun.
Über den eingebauten Funksprech war von nun an eine Verständigung unmöglich geworden. Sie verbot
sich aus logischen Überlegungen von selbst. Schließlich konnten die Orathonen zufällig auf derselben
Frequenz empfangen.
»Wie sieht es bei den DorrRaumern hinter der Schleuse, unmittelbar am Eingang, aus?« fragte Rex. »
Uns kann jetzt nur noch ein blitzschneller Überraschungsangriff helfen.«
»Das ist das Wahnsinnigste, was ich je gehört habe«, sagte der Laktone.
Er gab aber bereitwillig Auskunft, denn das Temperament Rex Cordas riß ihn mit. Es war fesselnd, mit
diesem Mann zusammenzuarbeiten. Bekoval wollte ihn jedenfalls nicht zum Gegner haben.
»Der erste Raum ist die Funk und Ortungszentrale. Gleich dahinter liegt der eigentliche
Kommandostand, die Zentrale. Daran angeschlossen ist der vollautomatische Feuerleitstand mit den
komplizierten Waffenschaltungen. Der Transmitter zur anderen Kugel befindet sich in der Zentrale.«
»Transmitter?« echote Corda. »Das ist mir neu. Aber das hat Zeit bis später.«
Er drehte sich zu den fieberhaft wartenden Männern um, die ihre Strahlwaffen auf das Schott
richteten.
»Fertig?« fragte er leise.
Percip nickte grimmig als Antwort.
Rex Corda drückte mit der Hand an das Schott.
Es kostete ein wenig Kraft, aber es schob sich langsam nach innen und glitt ein Stück in die Wand.
Mit einem Satz befand sich Rex Corda in dem angrenzenden Raum. Hart fuhr er herum und gab den
Männern, die noch im Schatten der Kammer lauerten, ein Zeichen.
Sie blieben stehen. Corda glaubte, ihren Atem zu hören, so ruhig wurde es.
Bekovals verzweifelter Schritt nach vorn erstarrte mitten in der Bewegung. Er war sich immer noch
nicht sicher, was Corda nun eigentlich wollte. Aber er respektierte die Handlungen des Terraners.
Bisher waren alle Unternehmen, die der junge Terraner geleitet hatte, zufriedenstellend abgelaufen.
Corda schlüpfte in den Raum. Das erste, was er sah, waren die weitaufgerissenen Augen in einem
olivgrünen Gesicht. Dann sprang der Orathone mit einem schnellen Satz hoch.
*
Rimson zuckte blitzartig zurück. Gleich darauf schämte er sich über sein Benehmen.
Nun gut, dachte er, die Säule leuchtete also, was war schon dabei?
Er wußte aber genau, daß etwas dabei war, und das war es auch, was ihn schockierte. Es war kein
gewöhnliches Licht, das die Säule ausstrahlte.
Es war eine Warnung, die ihm jemand zuteil werden ließ. Er sollte die Säule aus einem ihm unbekannten
Grund nicht berühren.
Rimson war viel zu neugierig, um jetzt noch vor sich selbst einen Rückzug antreten zu können.
Eine Weile lang starrte er das Ding an. Dann sah er zu Nukleon hinüber.
Der Hund hatte den Kopf auf die Pfoten gelegt und verfolgte jede seiner Bewegungen. Sein Fell war
immer noch gesträubt. Er winselte leise und warnend.
Die Farbe des Nadelfelsens verblaßte allmählich und machte wieder dem dumpfen Grau Platz, das mit
einem hellen Braun vermischt war.
»Ich will ja gar nichts weiter, nur eine kleine Probe«, murmelte Rimson.
Irgendwie war er der Ansicht, das Ding würde ihn verstehen können, obwohl das natürlich unsinnig war.
Dennoch schien eine fremde Macht dem Nadelfelsen Leben eingehaucht zu haben.
Rimson brachte jetzt entschlossen sein Taschenmesser der Säule näher. Wieder leuchtete sie auf,
doch der alte Wissenschaftler biß die Zähne zusammen und ignorierte die stumme Warnung.
Die Klinge des Messers schabte vergeblich über das Material, das so porös und durchlässig aussah. Zu
Rimsons großer Verblüffung ließ sich nicht ein Stäubchen abkratzen.
Dafür trat etwas anderes ein.
Wie von Geisteskräften bewegt, machte sich sein Messer selbständig, flog ein paar Meter durch die
Luft und blieb dann im Rasen stecken.
Rimson holte tief Luft. Sein Gesicht lief rot an, und zorngerötet tauchte er nach unten.
Jemand hielt ihn ganz offensichtlich zum Narren!
Als er den Versuch wiederholte, trat der gleiche Effekt noch einmal auf. Das Messer segelte davon.
Rimson klopfte grimmig an die Säule, die nun immer stärker bebte und schwankte.
Und Nukleon fletschte die Zähne. Es sah aus, als grinse der Hund zu den vergeblichen Bemühungen
seines Herrn.
Da gab Will Rimson auf. Murrend wandte er sich zurück, ständig den Kopf nach hinten gedreht und
wilde Blicke zurückwerfend.
Er wußte, daß er später einmal wiederkommen würde, um das Geheimnis zu lösen. Dann würde er auch zu
seiner Materialprobe kommen.
Eine innere Stimme aber sagte ihm ganz deutlich, daß das nie der Fall sein werde.
Danach hatte Will Rimson es sehr eilig, den unheimlichen Platz zu verlassen. Mit sich selbst, seinem
Hund und der ganzen Welt unzufrieden, lief er eilig davon.
*
Rex Corda rührte sich keinen Millimeter, als der Orathone Anstalten traf, auf ihn einzudringen.
Mit aller Konzentration versuchte er den Grünhäutigen gefühlsmäßig zu beeinflussen.
Es gelang nach überraschend kurzer Zeit. Cordas Sondersinne beruhigten das Gehirn des Orathonen,
der jetzt in seinen Bewegungen immer langsamer wurde. Sein zum Schlag erhobener Arm sank langsam
nach unten.
Er tastete sich in seinen Sessel, griff daneben und sank dann langsam zu Boden, als die Kräfte des
fremden Geistes ihn beruhigten und entkrampften.
Der Featherhead schloß die Augen und streckte sich aus. Sein Körper entspannte sich. Er wurde
bewußtlos, ohne sich dagegen wehren zu können.
Corda ließ los. Die Gedankenkonzentration erschöpfte ihn, wenn er sie länger anwandte. Er hatte das
Ziel erreicht. Der Olivgrüne war ausgeschaltet.
Bekoval betrat mit schnellen leisen Schritten den Raum. Er hatte den Vorgang in allen Einzelheiten von
draußen verfolgen können.
Mit keinem Wort gab er zu verstehen, daß die Fähigkeiten Rex Cordas ihn bis ins Innerste
erschreckten.
Er gab den Funkspezialisten einen hastigen Wink.
»Schnell! Die Anlage unterbrechen. Wie fühlen Sie sich?« fragte er Corda.
»Prächtig. Es hat wunderbar geklappt.«
Der Laktone machte plötzlich ein erschrockenes Gesicht.
»Wann gehen die Bomben hoch?«
»In acht Zeiteinheiten nach Ihrer Rechnung. Können Sie einen Hantelraumer fliegen?«
Bekoval nickte verdutzt.
»Natürlich. Genauso wie jeder Orathone ein laktonisches Raumschiff fliegen kann. Das lernen wir in
den Militärschulen.«
»Dann wäre ja alles geklärt.«
»Für Sie. Für uns sind noch ein paar Fragen offen. Allerdings kann ich mir das Weitere vorstellen. Sie
haben sich vorhin so intensiv nach dem Transmitter erkundigt. Das ist das Transportmittel zwischen
den beiden Kugeln. Der Mittelarm ist bei diesem Schiff ziemlich lang. Ein einfaches Transportmittel…«
»Still!« flüsterte Corda. »Ich glaube, die Orathonen kommen aus der Energiestation zurück.«
Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, rannte Corda in den nächsten Raum.
Die Laktonen hatten sofort erfaßt, worauf es ankam.
Der Überfall erfolgte blitzschnell.
Schwere Dienstwaffen ruckten hoch und richteten sich auf die verblüfften Grünhäutigen.
»Los, an die Wand!« kommandierte Percip in orathonischer Sprache.
Die drei Olivgrünen gehorchten zögernd. Unter ihnen befand sich der Kommandant des Hantelraumers.
Betont gelassen drehte er sich um und schritt auf die rechte Wand zu. Anschließend bekam Corda eine
ungefähre Vorstellung davon, wie schnell ein Orathone die Waffe ziehen konnte.
Hart vor der Wand warf sich der Kommandant zu Boden. Wie durch Zauber hielt er plötzlich seinen
Strahler in der Hand.
Die schwere Dienstwaffe röhrte los. Direkt neben Corda schlug der Strahl in die Instrumententafel
und zerschmolz die Oberfläche zu einem glutflüssigen Tropfen.
Rex Corda schoß noch im Fallen. Sein Helm schlug schmerzhaft gegen die Schulter.
Das verzerrte Gesicht des Orathonen löste sich in flimmerndes Nichts auf.
Die beiden anderen zeigten keine feindlichen Absichten. Sie rührten sich auch nicht, als GaVenga
ihnen die Dienstwaffen abnahm.
»Das war nur der Auftakt«, bemerkte Bekoval. »Gleich geht es richtig los.«
Bekoval wandte sich schnell um.
»Drei Mann gehen in die Feuerleitzentrale.« Er grinste dünn.
»Ich kann mir vorstellen, was Sie sich ausgedacht haben, Corda. Sie wollen die eine Kugel absprengen
und mit der anderen und dem Verbindungsstück allein weiterfliegen. Habe ich recht?«
»Genau. Leider blieb keine Zeit, die Einzelheiten zu erläutern. Es ging zu schnell, und außerdem hatten
wir mit dem Auftauchen des Hantelraumers nicht gerechnet.«
Corda ging weiter, während GaVenga die beiden Gefangenen bewachte.
Drüben, in der anderen Kugel, hatte man immer noch nichts bemerkt. Völlig ahnungslos saßen die
Orathonen auf der anderen Seite vor ihren Kontrollen. Bis sie merkten, daß der Funk ausgefallen war,
konnte noch eine Weile vergehen.
Im angrenzenden Raum, an dessen rechter Seite die Feuerleitzentrale lag, befand sich der kleine
Transmitter, der die Verbindung zur anderen Kugel herstellte.
Die Laktonen hatten unterdessen den Feuerleitstand besetzt und nahmen die erste Umprogrammierung
am großen Computer vor.
Percip war plötzlich neben ihm. Er riß einen kleinen schimmernden Hebel herunter.
Das Transmitterfeld erlosch.
»Damit wir vor Überraschungen sicher sind«, meinte er. »Es könnte jemand auf die Idee kommen,
dieser Kugel einen Besuch abzustatten. Drüben dürften sich nach meiner Schätzung etwa vierzig
Orathonen aufhalten. Wenn sie jetzt herüber wollen, haben sie einen netten Spaziergang vor sich.«
»Jede Kugel kann für sich arbeiten und auch selbständig fliegen, wenn man sie absprengt, nicht wahr?
« erkundigte sich Rex.
»So ist es.«
»Hmm. Sollten die Featherheads etwas bemerkt haben, dann könnten sie doch eine Bombe in den
Transmitter jagen, um uns zu vernichten.«
»Jetzt nicht mehr«, erläuterte Percip. »Die Bombe würde sofort zurückkehren. Aber sie werden
bemerken, daß das Feld nicht mehr arbeitet.«
Im gleichen Augenblick kam auch schon die Anfrage aus der anderen Kugel, ob alles in Ordnung sei.
Bekoval schrak hoch. Man hatte vergessen, den normalen Bordsprechverkehr lahmzulegen. Aber das
war jetzt nicht mehr zu ändern.
Er erhob sich aus dem Schalensitz vor dem Kommandopult, bohrte dem einen Olivgrünen die Waffe in
den Rücken und deutete auf die Sprechtaste. Leise zischte er ihm in seiner Sprache zu:
»Los, Freund! Erkläre, daß hier alles in Ordnung ist. Am Transmitterfeld ist eine kleine Reparatur
notwendig. Zögere nicht, oder ich drücke ab. Du kannst nichts mehr riskieren, sonst jagen wir eine
Bombe durch den Transmitter in die andere Kugel. Verstanden?«
Der Orathone gehorchte entsetzt. Wortgetreu plapperte er Bekovals Sätze nach.
Drüben war man beruhigt.
»Fertigmachen. Wir starten!« brüllte Bekoval dann überlaut.
Die Geschehnisse überschlugen sich.
In der Vorkammer polterten schwere Raumstiefel. Der Boden dröhnte. Aber noch immer waren die
Orathonen ahnungslos. Sie hatten den Toten und den Bronzeroboter und auch den Bewußtlosen
entdeckt. Niemand kam indessen auf die Idee, daß sich bereits Laktonen im Innern des Schiffes
befanden. Es war auch zu unwahrscheinlich.
Bekoval sprang erneut auf. Die anderen Laktonen standen hinter der komplizierten Funkanlage und
warteten schweigend ab.
Sie ließen die Olivgrünen an sich vorbeilaufen. Der erste hatte bereits die Zentrale erreicht, als er
plötzlich in die drohenden Mündungen schwerer Strahler blickte. Er hob sofort die Hände.
Corda trat von hinten an die überraschten Männer heran. Überall ertönter, plötzlich scharfe Befehle,
sich zu ergeben.
Die Orathonen waren eingekreist. Sie waren prompt in die Falle gelaufen, die man ihnen gestellt hatte.
Bekoval gab lautstark zum Ausdruck, daß er bei der geringsten verdächtigen Bewegung schießen würde.
Sein Strahler deutete unmißverständlich auf den toten Featherhead, den Corda erschossen hatte.
Die Orathonen begriffen.
GaVenga sammelte grinsend die Strahlwaffen ein. Es waren neun Stück.
»Was machen wir jetzt mit den, grünen Kerlen?« fragte er.
Sein großer Kopf wackelte. Den Mund hatte er bis an die Ohren gezogen.
»Wir schicken sie durch den Transmitter«, erklärte Corda kalt. »Anschließend sprengen wir die andere
Kugel ab und jagen sie auf eine Energiestation.«
Bekoval nickte schweigend. Genauso hatte er sich die Angelegenheit vorgestellt. Es war die beste
Lösung.
Er und Percip betätigten die Schaltungen. Die Schotts schlossen sich. Das große Hantelschiff legte ab
und schoß ins All hinaus.
Die Orathonen standen noch immer zusammengedrängt am Eingang der Vorkammer. Sie hatten keine
Ahnung, was ihnen bevorstand.
Rex Corda blickte angestrengt auf die Uhr. Er sah, wie Bekoval und Percip mit der Steuerung des
Raumers beschäftigt waren.
Zwei Minuten blieben noch. Dann würden die Bomben in der Station hochgehen.
»Die Orathonen werden natürlich nicht zusammen mit der Kugel auf eine andere Station gelenkt«,
erklärte Corda beiläufig. »Wir lassen ihnen eine Chance. Sie erhalten von uns einen Befehl, der
genügend Zeit zum Ausschleusen läßt. Erst dann sprengen wir die andere Kugel ab.«
»Die Kerle können ruhig zum Teufel gehen«, widersprach Bekoval. »Sie haben es nicht besser verdient.
«
»Wir machen es jedenfalls nicht so«, wies Corda ihn zurecht. »Sie haben eine Chance, in Raumanzügen
das Schiff zu verlassen und können von einem anderen Hantelraumer aufgenommen werden.« »Damit sie später gegen uns operieren können«, brummte der Laktone. Man sah ihm an, daß ihm diese Lösung keinesfalls gefiel. Corda drehte sich um. Sein Blick fiel auf den Holografen. Weit hinter ihnen im All flammte der grelle Blitz einer künstlichen Sonne auf. Feurige Protuberanzen griffen ins All, ließen den normalen Glanz der Sonne verblassen und überschütteten alles mit maßloser Helligkeit. * Doktor Konsinsky strich ruhelos durch endlose Korridore und Gänge, die kein Ende nahmen. Er kam sich höchst überflüssig vor und wußte nicht, was er beginnen sollte. Das hektische Leben um ihn herum ignorierte er. Laktonen hasteten an ihm vorbei. Manche grinsten ihn freundlich an, andere musterten ihn wie einen seltenen Käfer und sahen mit offenem Mund hinter ihm her. Konsinsky störte sich nicht weiter daran. Sie wußten, daß er harmlos war und ihnen nicht schaden würde. Vor ihm, als einer der langen Gänge überraschend zu Ende war, befand sich ein rundes Loch im Boden. Der Doc starrte verblüfft auf die Stelle und fragte sich, wie es wohl weitergehen sollte. Er trat an den Schacht heran und blickte hinein. Tief unter ihm schimmerte fahles Licht herauf. Es schien aus weiter Ferne zu kommen. Kopfschüttelnd sah er immer wieder hinab. Sollte er den langen Weg noch einmal zurücklaufen? Er hatte sich in dem riesigen laktonischen Kasten hoffnungslos verirrt, gab das aber um keinen Preis nicht einmal vor sich selbst zu. Und einen der herumhastenden Laktonen wollte er ebenfalls nicht fragen. Sie verstanden ihn ohnehin nicht, und ihre Übersetzungsgeräte hatten diese Burschen auch nie eingeschaltet. Folglich war es ihnen auch gar nicht wichtig, was er erzählte. Also schwieg er lieber. Dann war da noch etwas. Die Laktonen verströmten einen herben bitteren Geruch. Man konnte sie buchstäblich auf die berühmten drei Meilen gegen den Wind riechen, dachte Konsinsky. Er wandte sich wieder um. Der Weg war zu Ende. Er mußte wieder den langen Gang zurücklaufen. Dann fiel ihm etwas ein. Sie hatten etwas, das sie AntigravSchächte nannten. Sollte es sich hierbei um einen dieser handeln? dachte er, von plötzlicher Neugier gepackt. Konsinsky fühlte eine heldenhafte Verzweiflung in sich aufsteigen, als er mit der Hand über das Loch im Boden tastete. Er verspürte einen leichten Zug abwärts, als ziehe ein leichter Wind seine Hand unnachgiebig nach unten. Konsinsky, einer der letzten alten Vertreter ärztlicher Praktizierkunst, die sich als Widerspruchsgeist gegen eine machtvoll nach vorn drängende Technisierung wehrten, beschloß, der Sache genauer auf den Grund zu gehen. Er schob sich noch näher an das merkwürdige Ding heran. Instrumente und fremde Schriftzeichen, die ringsum an den Wänden angebracht waren, erweckten sein Interesse. Er drückte auf einen kleinen unscheinbaren Knopf. Nichts geschah. Er hatte etwas Großartiges erwartet. Statt dessen trat nicht der geringste Erfolg ein. Aber etwas anderes geschah! Konsinsky glitt in seinem Übereifer aus, wehrte sich verzweifelt gegen das Abrutschen und stieß einen brüllenden Schrei aus. Heftig um sich schlagend, rutschte er dem Rand des Abgrundes entgegen. In einem Anfall bitterer Selbstbemitleidung dachte er daran, daß man ihn unten höchstwahrscheinlich mit zerschmetterten Gliedern auffinden würde. Verdammte Technik, knirschte er. Dann erwartete er den Aufprall seines Körpers in einer bodenlosen Tiefe. Konsinsky starrte drei Sekunden später verblüfft auf seine Brille. Sie war ihm von der Nase gerutscht und schwebte zum Greifen nahe vor seinen Augen. Verlangsamte Reaktionen, konstatierte er nüchtern. Der Sturz in den Abgrund verzögerte sein Denken. Sekunden dehnten sich dabei zu Ewigkeiten aus. Man verlor jegliches Gefühl zur relativen Zeit. Er machte sich den Spaß, nach seiner Brille zu greifen. Es war etwas schwierig, aber es gelang
überraschend.
Ich muß verrückt sein, dachte er, oder aber es gibt tatsächlich AntigravSchächte, die die
Schwerkraft aufhoben, denn die Wände glitten nur langsam an ihm vorbei.
Fassungslos sah er sich um. Sein Körper schwebte ganz allmählich dem fernen Ziel zu. Wie in einem
Lift ging es abwärts.
Eine halbe Minute später stand Konsinsky zitternd und fassungslos in einer der kleinen
Waffenzentralen. Der Lift hatte ihn hierhergetragen und sanft abgesetzt.
Konsinsky setzte sich auf den kunststoffüberzogenen Boden. Seine Gedanken kreisten wild
durcheinander. Wie konnte so etwas geschehen?
Er sah sich benommen um. Bildschirme leuchteten, riesige Instrumententafeln glotzten ihn an, und der
Boden wurde von einem leichten Vibrieren erschüttert. Und noch etwas fiel ihm auf.
Er war allein in der Waffenzentrale. Niemand war zu sehen.
*
Die Laktonen brüllten sich begeistert etwas zu, als die Energiestation in einem wilden Feuermeer
verging und restlos vergast wurde.
Anschließend verhärteten sich ihre Gesichter, als ihr Blick auf die gefangenen Orathonen fiel, die sich
in einer Ecke zusammendrängten.
Percip ging auf sie zu. Seine Waffe war auffordernd nach vorn gerichtet.
Wieder benutzte er die orathonische Sprache.
»Los, ihr steigt jetzt in den Transmitter und verschwindet. Schnell, beeilt euch.«
Er zögerte einen Moment, dann sagte er:
»Behaltet Eure Raumanzüge gleich an. In zehn Zeiteinheiten seid ihr Schiffbrüchige, die dringend der
Hilfe bedürfen.«
Die Orathonen zögerten noch. Percips Hand griff nach oben. Er schaltete das Transmitterfeld ein.
»Spring!« kommandierte er. Der Strahler unterstrich seine Worte nur allzu deutlich.
Der erste Olivgrüne kam der Aufforderung zögernd nach. Er trat in das Transmitterfeld und
verschwand.
»Und jetzt ihr!«
Nacheinander sprangen die Orathonen. Als der letzte Mann im flimmernden Feld verschwand, legte
Percip den Hebel um. Die Orathonen in der anderen separat arbeitenden Kugel waren abgeschnitten.
Unterdessen hatten die Laktonen alles zum Abstoß der anderen Kugel vorbereitet. Es war eine
mühselige und komplizierte Aufgabe, die normale Programmierung von Grund auf zu ändern.
Cordas Plan war einfach, er klang jedenfalls einfach.
Die andere Kugel sollte auf eine Energiestation abgefeuert werden, nachdem die Orathonen die Chance
erhalten hatten, in Raumanzügen noch vor dem Zusammenprall auszusteigen.
»Wie weit sind wir?« fragte Corda. Bekoval deutete auf die zahlreichen Kontrollen vor sich.
»Gleich fertig. Wir bringen das Raumschiff so dicht wie möglich an die nächste Station heran. Das
vereinfacht den Abschuß, denn die Bahngeschwindigkeit der Kugel erfordert eine genaue Berechnung.
Können Sie den Sprechfunk wieder einschalten?«
Rex Corda nickte. Der Griff zur Taste verband die Kugel jetzt mit der anderen.
Bekoval flog mit hoher Geschwindigkeit riesige weite Schleifen. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis
man auf den Hantelraumer der DorrKlasse aufmerksam wurde. Bisher hatte man allerdings noch nichts
bemerkt.
Weiter vorn erklang Percips Stimme. Er und die anderen Laktonen arbeiteten fieberhaft an der
komplizierten Umprogrammierung der Computer.
Weiße und orangefarbene Stanzstreifen wurden in das Riesengehirn gegeben und dort verarbeitet.
Alles war zum Absprengen der anderen Kugel vorbereitet.
Bekoval beugte seinen massigen Oberkörper über die Taste. Man sah ihm an, daß er die Orathonen am
liebsten ihrem Schicksal überlassen hätte.
»Raus mit euch«, brüllte er in orathonischer Sprache. »Öffnet die Schleuse und verschwindet. Wir
sprengen jetzt ab.«
Wortfetzen klangen zurück. Corda hörte, wie die Orathonen durcheinanderbrüllten.
GaVenga war unbemerkt neben ihn getreten.
»Sie sagen, wie kämen nicht weit. Und mit der Vernichtung einer Energiestation würde es uns nie
gelingen, den Schirm zu neutralisieren. Sie werden alle Kampfeinheiten alarmieren.«
Auf dem Holografen tauchten plötzlich kleine undeutliche Gebilde auf. Orathonen in gelben
Raumanzügen verließen in überstürzter Hast den Hantelraumer. Ihre eingebauten Triebwerke liefen
auf höchster Beschleunigung. Sie strebten von der Kugel fort und verloren sich augenblicklich in der
Weite des Alls. Nur an dem Aufblitzen ihrer Korrekturdüsen ließ sich ihr Kurs noch eine Weile lang
verfolgen, dann hatte die Finsternis sie verschluckt.
Percip und Corda hasteten in die Feuerleitzentrale.
Die riesigen Holografen arbeiteten. Ein anwesender Laktone hatte sie in Betrieb genommen.
Corda bewunderte die Männer, die sich mit einer geradezu spielerisch anmutenden Sicherheit in die
fremde Technik hineindachten und sie auch fehlerfrei bedienten. Beide Seiten hatten sich die Technik
des Gegners in dem Jahrtausende währenden Krieg angeeignet.
Auf den Holografen tauchten weitere eiförmige Energiestationen auf.
»Sie haben noch nichts bemerkt«, erläuterte der laktonische Agent.
»Möglich. Woraus schließen Sie das?«
»Daraus, daß sie ihre Energieschirme immer noch nicht aufgebaut haben. Bis jetzt sind sie immer noch
ahnungslos.« Percip lachte kalt auf. »Aber das wird sich jetzt ändern. Wir stoßen die andere Kugel ab.
Der Zusammenprall mit der Station vor uns wird alle beide vernichten.«
»Halt!« rief Corda aus. »Wir sollten sie erst noch ablenken. Die Feuerleitzentrale ist doch
gefechtsklar, nicht wahr?«
»Ja, natürlich.«
Percip sah den Terraner lauernd an. Er versuchte sich vorzustellen, was Corda beabsichtigte.
Dann überzog sich sein Gesicht mit einem verstehenden Lächeln.
»Sie meinen, wir sollten die anderen unter Feuer nehmen?«
»Genauso habe ich es mir vorgestellt. Beschuß einer anderen Station mit schweren Waffen, damit man
nicht die Kugel im Anflug vernichtet.«
»Ein guter Vorschlag.«
Bekovals Stimme unterbrach ihn. Der Laktone hatte alle Hände voll zu tun. Er war sichtlich ungeduldig.
»Worauf warten wir denn noch?« brummte er. »Jede Verzögerung kann sich verhängnisvoll für uns
auswirken. Ich sprenge jetzt ab.«
»Einen Augenblick noch«, sagte Corda. Er umriß in kurzen Worten das Vorhaben.
Bekoval gab sofort seine Zustimmung.
Die riesige Feuerleitzentrale erwachte zu hektischem Leben. Die Laktonen schalteten. Weitere
Holografen flammten auf. Sprunghaft schoben sich die Energiestationen ins Reflexvisier der
Zielautomaten.
Der aufgeteilte Quadratsektor erleichterte die Bezeichnung der Position. Annähernd zwanzig
Energiestationen erschienen auf den Zielschirmen. Dazwischen waren die orathonischen Giganten zu
erkennen. Riesige Hantelschiffe trieben im freien Fall vorbei. Niemand von ihnen rechnete mit einem
Angriff. Die Explosion der ersten Station hatte einige Schiffe angelockt. Aber aus den Gaspartikeln
ließen sich keine Schlüsse mehr ziehen. Man vermutete eine energetische Kumulation, einen
Energiestau, der die Kapazität der Station überfordert hatte. Es sah nach einem Unglück aus, wie es
mitunter schon mal vorkommen konnte.
Als die blauen Zündmarken aufleuchteten, nickte Percip beruhigend. Sein Finger wies auf den Sektor
Rot, wo das riesige Ei blauweiß schimmerte.
»Feuer frei!«
Corda drückte einen Schalter nieder. Es gab für den Sektor nur diesen einen. Außerdem war er noch
einmal durch ein flackerndes Licht gekennzeichnet.
Zwei schlanke Projektile glitten aus den magnetischen Laufschienen. Ihre Suchköpfe peilten die
Station an. Mit wahnsinniger Geschwindigkeit strebten sie davon.
Der Raumer wendete im NeunzigGradWinkel, zog eine Schleife, die ihn bis dicht an die
Energiebarriere heranbrachte, und verzögerte dann.
Die Männer warteten auf den Einschlag.
Niemand schenkte dem Hantelraumer Beachtung.
Bekoval lenkte das Schiff am Schirm entlang. Anschließend raste der Raumer auf die im Rotsektor
liegende dritte Energiestation zu.
»Klarmachen zum Absprengen!« tönte ein Befehl.
Auf dem Holografen tauchte der große riesige Komplex des Hantelraumers auf. Ein paar Schaltungen
erfolgten.
Dann löste sich die andere Kugel vom Verbindungsarm des Riesen. Es gab einen kurzen harten Ruck.
Die Triebwerke zündeten in gespenstischer Lautlosigkeit.
Schneller als das Auge die Bewegung wahrnehmen konnte, stob die zweihundert Meter durchmessende
Kugel davon. Ihr Ziel war die Energiestation, die querab vom Kurs des Raumers lag.
Im gleichen Sekundenbruchteil, als die Kugel mit atemberaubenden Werten davonstob, flammte es im
Rotsektor auf.
Bekoval hatte sich gespannt vorgebeugt. Die anderen Männer hielten den Atem an.
Die zwei schlanken Projektile waren kurz vor Erreichen der Energiestation abgefangen und zur
Detonation gebracht worden. Noch ein gleißender Blitz lohte auf. Er tauchte das All in flüssiges Feuer.
Orangefarbene Nebel, die unvorstellbar schnell expandierten, breiteten sich aus und zogen als
harmlose Gase davon.
»Nichts«, meinte der Laktone nüchtern. »Aber das war ja auch nicht anders zu erwarten. Die Kugel
werden sie bestimmt nicht abfangen; sie ist zu schnell, und ihre Masse ist annähernd gleich groß wie
die der Station.«
Der Hantelraumer, jetzt nur noch eine Kugel mit einem herausragenden Verbindungsarm, schoß wieder
davon.
Die Orathonen waren aufmerksam geworden, Ein Schlachtschiff, das im freien Fall an der Barriere
entlangtrieb, richtete die erste Anfrage an den Torso des Hantelraumers. Bekoval erkannte es, als der
Summer der Funkanlage ansprach.
Er gab keine Antwort. Die Anlage war unterbrochen. Niemand konnte zu ihnen sprechen, lediglich der
Summer zeigte an, daß man es immer wieder versuchte.
Das Schlachtschiff scherte schwerfällig aus seinem Kurs aus und kam näher.
»Jetzt ist es soweit«, überlegte Bekoval laut.
»Wenn wir nicht antworten, werden sie das Feuer eröffnen. Kann jemand die Schutzschirme errichten?
Sie werden vermutlich nicht viel abhalten, denn dem Riesen haben wir nichts entgegenzusetzen, aber
wir können uns damit gegen leichtere Waffen schützen.«
Percip nahm die erforderlichen Schaltungen vor. Im Verbindungsarm der Kugel begannen die schweren
Meiler zu dröhnen. Die Energien wurden weitergeleitet. Aus dem Nichts heraus entstand der bläulich
wabernde Schirm, der die Kugel umhüllte und den Verbindungsarm des Schiffes schützte.
Dicke Schweißtropfen erschienen auf Bekovals Stirn. Seine Hände waren feucht.
Als das schwere Schlachtschiff sich noch näher heranschob, hatte die abgesprengte Kugel ihr Ziel
erreicht.
Sie prallte mit der ungeschützten Energiestation zusammen.
Der Holograf erlosch. Die maßlose Helligkeit, die sich ausbreitete, hatte die Aufnahmefähigkeit der
Energieoptik überstiegen und mit herausfliegenden Sicherungen reagiert.
Das Universum schien unterzugehen.
*
Konsinsky schrak ächzend zurück, als das gewaltige Feuer sich ausbreitete und alles mit gleißenden
Lichtbahnen überschüttete.
Die Zentrale hatte plötzlich etwas Beängstigendes angenommen. Sie erwachte zum Leben.
Konsinsky wußte nicht, daß es sich um eine kleine Nebenstation handelte. Er hielt sie für das
Gigantischste, was er je in seinem Leben gesehen hatte.
Interessiert trat er näher an die Holografen heran.
Er erkannte, daß sich der Energieschirm an einer Stelle geöffnet hatte.
Konsinsky nahm das Unfaßbare als ganz natürlich hin. Vor ihm wanderte der Zielstrahl der Waffenoptik
über den Schirm. Gebannt verfolgte der Doktor, was sich draußen tat. Hinter der jetzt teilweise
offenen Barriere erschien ein Hantelraumer und versuchte, in einem großen Bogen auszuweichen.
»Aha«, brummte der Doc. »Er hat Angst, daß jemand das Feuer eröffnet. Hmm, vermutlich kann man
jetzt durch den Schirm schießen.«
Dann schwieg er wieder. Die Vorgänge fesselten ihn und rissen ihn mit. Im Banne einer Superlativen
Technik, stockte ihm der Atem. Noch immer trieb der orathonische Raumer vor ihm. Er schien zum
Greifen nahe zu sein.
Konsinsky schüttelte nichtbegreifend den Kopf. Weshalb schossen die Laktonen nicht, jetzt, wo der
Schirm offen war? Den einen Hantelraumer hätten sie bequem erledigen können.
Der Zielstachel der Automatik wanderte weiter. Fasziniert verfolgte Konsinsky, wie die Automatik den
Raumer hartnäckig verfolgte. Er kam nicht mehr aus dem Reflexvisier heraus.
Konsinskys Finger zuckten vor. Es schien ganz einfach zu sein. Man brauchte wohl nur auf einen Knopf
zu drücken. Hastig zog er sie wieder zurück.
Aber ein innerer Zwang trieb ihn dazu, wieder auf das Schaltpult zu fassen.
Der fremde Raumer kam noch näher. Konsinsky schüttelte die Benommenheit ab, die ihn überfiel.
Ein helles Pfeifen riß ihn aus seiner Versunkenheit. Im gleichen Moment leuchteten vor ihm zwei
hellgrüne Schalter auf. Darunter erschien eine flammende Schrift. Das Pfeifen verstärkte sich, bis es
zum Schrillen wurde.
Konsinsky konnte nicht mehr ruhig bleiben. Wenn man wenigstens dieses entnervende Geräusch
abschalten könnte, dachte er.
Zwei, drei Sekunden lang blieb sein Blick auf den Schaltern hängen.
Dann nahm er allen Mut zusammen. Teils verärgert über das Pfeifen und teils neugierig, was er wohl
damit bewerkstelligte, hob der Doc seinen knochigen Finger.
Kurzsichtig blinzelnd, sah er auf den Schirm. Ja, der große Raumer schwebte immer noch im Feld des
Visiers.
Konsinsky drückte auf die beiden grünen Schalter.
Das Pfeifen verebbte, die Zündmarken erloschen.
Er wandte sich hastig ab. Plötzlich überfiel ihn eine namenlose Angst.
An der Tür angekommen, die zum Korridor führte, sah er sich noch einmal um.
Einen Schrei der Verzweiflung ausstoßend, rannte er plötzlich davon. Er konnte es nicht fassen.
Ein gleißender Strahl hatte den Hantelraumer erfaßt und ein riesiges Loch in den Verbindungsarm
geschmolzen.
Weiter innen tobte ein fürchterlicher Brand, der sich rasch ausdehnte.
Konsinsky war einem Zusammenbruch nahe. Aber er überwand sich.
Laut und falsch pfeifend, lief er den Gang entlang. Eine eiskalte Faust hatte sich um sein Herz
geklammert und drückte es zu.
Laktonen begegneten ihm. Er grinste freundlich, seine Hände zitterten.
Er hoffte nur, daß niemand bemerken würde, was er angerichtet hatte. Aber wer sollte schon darauf
kommen, dachte er. Er war gegen diese Leute nur ein kleiner Primitiver.
*
Das Schlachtschiff eröffnete sofort das Feuer, als Bekoval den Raumer herumriß und flüchtete.
Corda blieb kalt und gelassen. Die große Chance, den Energieschirm endgültig aufzureißen, bot sich
jetzt geradezu an. Zwei Energiestationen waren ausgefallen. Die Kapazität der anderen reichte nicht
mehr aus, den Schirm in voller Stärke zu erhalten.
Weiter drüben wurde bereits der erste Riß sichtbar. Aber er genügte noch nicht, die laktonischen
Raumer ausbrechen zu lassen.
Ein schlanker Raumtorpedo, abgefeuert von dem großen Hantelraumer, glitt beängstigend rasch heran.
GaVenga klammerte sich an die Armlehne des zweiten Beobachtersessels. Der Kynother war in sich
zusammengesunken. Flammend stach sein roter Brustkeil auf der tiefschwarzen Uniform hervor.
Bekoval flüchtete mit maximalen Werten. Das Schiff machte einen riesigen Satz nach vorn, schoß
radikal zur Plutobahn ins All hinaus und näherte sich einer vorgelagerten Energiestation.
Corda hielt den Augenblick für günstig, zwei Raumminen aufs Geratewohl abzuschießen.
Ein Erfolg trat indessen nicht ein. Die Minen wurden abgefangen und zur Detonation gebracht.
Beharrlich folgte ihnen unterdessen noch immer der schlanke Projektilkörper. Er ließ sich selbst durch
die gewagtesten Manöver nicht abschütteln.
Corda hastete zur Feuerleitzentrale hinüber.
Auf den kleineren Schirmen war der Körper zu sehen, der sich der Geschwindigkeit des Raumers
angepaßt hatte. Das Schlachtschiff schob sich ebenfalls wieder heran. Es schien vor dem
superschnellen Giganten kein Entkommen zu geben. Er war wesentlich schneller als das kleinere
Hantelschiff.
Corda drückte auf den Salvenschalter der Bordautomatik. Ultrahelles Lohen fuhr aus dem Raumer, die
schweren Waffentürme schwenkten wechselweise auf das Projektil ein.
Aber der Torpedo wich geschickt aus. Seine hochempfindliche Tastautomatik schaltete ebenso schnell
wie die teilmechanisierte Zentrale des Feuerleitstandes.
»Wir benötigen mehr Energie für den Schirm«, ließ sich Bekoval vernehmen. »Wenn es uns nicht
gelingt, das Ding abzuschütteln, werden wir total zerpulvert. Jemand soll die Meiler weiter
hochfahren.«
»Und wenn sie kritisch werden?«
Der Laktone biß die Zähne zusammen. Anschließend beeilte er sich, um die tobenden Meiler noch höher
zu fahren.
Die Vibration der Kugel nahm mit jeder Sekunde mehr zu. Die Zelle schwang wie eine riesige Glocke,
die ein Titan in Schwingungen versetzt hatte.
Der Schirm baute sich noch stärker auf, aber lange konnten die Energien nicht mehr bereitgestellt
werden. Die Anlage war überlastet.
Bekoval verwünschte die orathonische Technik, deren Waffensysteme völlig perfekt waren. Sie waren
so perfekt, daß sie selbst die eigenen Schiffe vernichteten.
Noch einmal versuchte er einen Ausfall. Zwecklos. Der Körper folgte unbeirrbar. Er glich jede
Bewegung des flüchtenden Schiffes aus und paßte sich jeder neuen Situation überraschend schnell an.
»Es hat keinen Zweck mehr, Bekoval.«
Corda trat an den Laktonen heran und legte ihm die Hand auf die breite Schulter. Bekoval sah auf.
»Was wollen Sie unternehmen?«
»Noch einmal dasselbe. Wir machen einen Diskus klar zum Ausschleusen, lenken den Raumer in eine
andere Energiestation und sprengen uns ab. Das ist die einzige Möglichkeit.«
Der Laktone nickte sinnend. »Riskant. Man wird uns sofort entdecken. Dort drüben, der
Schlachtkreuzer wartet bereits. Aber es scheint wirklich die einzige erfolgversprechende Möglichkeit
zu sein. Ich habe …«
Bekoval kam nicht mehr dazu weiterzusprechen.
Das Projektil hatte seine Geschwindigkeit beträchtlich erhöht.
Mit halber Lichtgeschwindigkeit knallte es in den Schutzschirm.
In den Abwehrfeldern begannen fürchterliche Entladungen zu toben. Überlastete Meiler brummten
tief und röhrend auf. Der Schirm wurde aufgebläht, sackte dann zusammen und verfärbte sich in ein
schmutziges Rosa, als der Torpedo explodierte.
Der Schlachtkreuzer griff im selben Moment ein. Konzentriertes Punktfeuer überlastete den Schirm.
Aber noch hielt er. Die Gewalt der Detonation richtete im Innern erhebliche Schäden an.
Die Neutralisatoren begannen im grellsten Diskant zu heulen. Zeitweilig auftretende Beharrungskräfte
warfen alles an Bord durcheinander.
Corda zögerte nicht länger. Mit ruhigen Worten trieb er die Laktonen zur Eile an.
Im Schleusenraum wurde der Diskus klar zum Aufschleusen gemacht. Man konnte diesem Gegner auf
die Dauer nicht mehr widerstehen. Die Geschütze waren gegen die Schirme des Giganten machtlos. Es
war ein aussichtsloser Kampf.
Minuten später liefen die Klarmeldungen ein. Bekoval steuerte kreuz und quer durch kleine
orathonische Raumscheiben, zwischen anderen Schiffen hindurch und riskierte zweimal einen
Zusammenstoß.
Die noch im Raum zusammengezogenen orathonischen Einheiten waren von dem Schlachtschiff über
Funk alarmiert worden. Von allen Seiten wurde der Hantelraumer jetzt unter Feuer genommen.
Bekoval lenkte ihn einer abseits stehenden Energiestation entgegen. Sie hatte mit den anderen beiden
vernichteten ein riesiges Dreieck gebildet. Wenn es gelang, diese Station zu vernichten, war das
Schirmfeld an einer Seite restlos neutralisiert.
Das Schlachtschiff bedrängte sie erneut. Corda erkannte die Absicht des Gegners jetzt mit
erschreckender Deutlichkeit.
Man trieb sie ganz bewußt wieder auf das Schirmfeld zu. Am Rand der Barriere aber lauerten die
schweren Schlachteinheiten der Orathonen.
Bekoval wollte noch einmal wenden, aber Rex Corda winkte ab.
»Bleiben Sie auf diesem Kurs. Nicht mit dem Schiff auf die Energiestation zielen. Wir fliegen immer
geradeaus weiter, rasten die Automatik ein und schleusen uns im Schatten des Raumers aus. Bis man
uns entdeckt und bemerkt hat, daß es sich um einen Diskus handelt, in dem keine Orathonen sitzen,
können wir wertvolle Zeit gewonnen haben.«
»Ist alles soweit fertig?« erkundigte sich der Laktone heiser.
»Ja, wir können aussteigen.«
Corda wandte sich um.
GaVenga übersetzte seine Worte an die anderen Laktonen.
»Steigen Sie in den Diskus. Das Schiff bleibt auf dem jetzigen Kurs. Los, beeilen Sie sich, die Plätze
einzunehmen. Es wird etwas eng werden, aber es geht.«
Die Laktonen verschwanden.
Wieder traf ein Strahlschuß den Raumer, der noch immer mit hoher Geschwindigkeit ins All
hinausstrebte und dabei einen langen Bogen beschrieb.
Corda und Bekoval betraten den Diskus als letzte. Die anderen Männer hatten inzwischen Platz
genommen. Es war reichlich eng.
Corda wartete ab, bis das große Schlachtschiff sich noch näher heranschob. Es feuerte nur
gelegentlich. Vielleicht legte es auch Wert darauf, die Insassen lebend zu bekommen.
Nachdem sich das Schott geschlossen hatte, löste Percip den Impulsstoß aus.
Ein brutaler Andrucksschock von zwanzig Gravo erfolgte, der jedoch sofort ausgeglichen wurde.
Aus dem inzwischen offenen Schleusenhangar zuckte ein feuerspeiendes Ungetüm heraus. Es
verschwand lautlos im Schatten des Raumers, tauchte in der Finsternis unter und änderte dann den
Kurs.
Der Torso des Hantelraumers aber stob weiter auf seiner Bahn, immer noch gefolgt von dem
Orathonen, der sich seines Sieges absolut sicher war.
Der Diskus schoß auf Pluto zu.
Die Männer sahen, wie die Hantel in einem wilden Manöver ihren Kurs änderte, noch mehr
beschleunigte und dann auf die Energiestation zuflog.
Die Reaktion der Orathonen kam zu spät. Niemand hatte auch nur ernstlich in Erwägung gezogen, daß
sich der Raumer in selbstmörderischen Absichten in die Station stürzen würde.
Der Zusammenprall erfolgte mit der elementaren Wucht zweier Giganten. Gerade als die
Energieschirme an der Station aufflammten, prallte der Hantelraumer mit der Station zusammen, die
durch den ungeheuren Stoß aus ihrer Bahn geworfen wurde und dann in einem wild glutenden
Trümmerregen zerbarst.
Der Energiestrahl erlosch. Der Schirm erhielt keine weitere Energie mehr. Der Kontakt über den
Hyperraum nach Alpha Centauri wurde unterbrochen.
Dann geschah das Unglaubliche.
Im Schirmfeld, das das ganze Sonnensystem hermetisch abschloß, klaffte ein breiter Riß auf.
Dahinter lauerte die laktonische Flotte mit hunderttausend Schiffen.
Die Orathonen erkannten entsetzt, wie sich das Chaos auszubreiten begann. Ihre fünfhundert
Hantelraumer standen einer unfaßbaren Übermacht gegenüber.
Es würde für sie kein Entkommen mehr geben. Sie hatten sich zu sicher gefühlt und ihr ganzes
Vertrauen in die energetische fünfdimensionale Barriere gesetzt.
Corda lächelte kalt. Sie hatten das Unwahrscheinliche geschafft. Die Barriere existierte zwar noch,
aber dem Durchbruch durch den Schirm stand nun nichts mehr im Wege.
Die Schlacht, die sich jetzt anbahnte, war so gut wie gewonnen. Den Orathonen konnte es nicht mehr
gelingen, das Feld wieder aufzubauen.
Die ersten LaktonenRaumer schossen vor …
*
Das »Ding« tauchte zur selben Zeit ganz überraschend auf.
Es erschien aus dem Nichts, flammte immer heller werdend zu seiner vollen Größe auf.
Eine blaßblaue Glocke hing im All. Sie strahlte eine merkwürdige stille Bedrohung aus.
Es war wie das Erscheinen eines riesigen großen Balles, der sich plötzlich aufblähte.
Niemand konnte sich sein Erscheinen erklären. Es gab einfach keinen vernünftigen Grund für die
plötzliche Existenz des »Dings«. Es war da, und es existierte. Folglich hatte man es zu akzeptieren.
Entsetzen vor dem Unbekannten machte sich in den LaktonenRaumern breit, die in der Nähe des
Asteroidgürtels standen. Man vermutete einen neuen heimtückischen Trick der Orathonen. Aber die
waren genauso schockiert.
Das »Ding« zog ruhig seine Bahn. Nur das intensive Leuchten hatte sich noch verstärkt. Und außerdem
war es groß, viel größer als ein orathonischer Riesenraumer.
Die Laktonen blickten betreten weg. Niemand ahnte, was sich zur Zeit im Sonnensystem tat. Es war
auch zu unglaublich. Zu fremd!
ENDE
IN DER NÄCHSTEN WOCHE
RAUMFESTUNG SCHALMIRANE
Noch eine außerirdische Macht taucht im TerraSystem auf. Eine Macht, mit der keine der Parteien
gerechnet hat. Fred Matson ist es, der die Unbesiegbaren ruft! Der Mutant ist nicht tot – aber er ist
auch nicht mehr Fred Matson! Er zwingt die Macht in den Vordergrund, die die Laktonen in Schrecken
versetzt! Die Festung wirft jeden zurück, der sich ihr nähert. Nur einer darf sie betreten – Rex Corda!
Sein Weg führt auf die ›Raumfestung Schalmirane‹.
Diesen RexCordaRoman Nummer 13 erhalten Sie in der nächsten Woche für 80 Pfennig bei Ihrem
Zeitschriftenhändler.
WER IST WAS?
Kleines Lexikon des Kosmos
Aluminaut USForschungsUBoot, kann mit sechs Mann an Bord bis zu drei Tagen unter Wasser
bleiben. Hohes Suchvermögen durch fünf hochempfindliche Sonargeräte, gute Sicht durch vier große
Bulleys, helle Außenlampen gewähren Sicht bis zu zwanzig Metern. Ist für Tauchtiefe bis zu 5000 m
entworfen.
Asiatic Union = AU, Union der Sowjetrepubliken mit China und gesamt Ost und Südasien.
Kommunistisch.
semibiotischer Conductor = »halblebender« Dirigent. Besteht zur einen Hälfte aus organischer,
halbselbständig denkender Materie und ist zur anderen ein elektronisches Gerät. Wird ins Gehirn
eingepflanzt. Mittels elektronischer Fernsteuerung läßt sich gesamte Instinkt und Gefühlsskala
abspielen.
Diskusraumer = Raumschiff der Orathonen.
Gleiter (auch Sonnengleiter) äußere Form amerikanischer Straßenkreuzer ohne Räder.
Energieschöpfung aus Sonnenbatterien. In Bug und Heck kreisrunde Einschnitte, in denen die
Antriebsaggregate sitzen. Auftrieb wie bei Hubschraubern. Der Lärm der Maschinen wird abgesaugt
und die dabei erfaßte Energie wieder dem Antrieb zugeführt.
Hantelraumer OrathonenRaumer, Superraumschiffe. Kommandant ist immer ein Orathone.
Kommandozentrale immer in einer Kugel.
MagnetSmash MAS, bleistiftdünnes Gerät mit kleinem Abzugshebel. Verschießt winzige Stahlnadeln,
die einen starken Elektroschock verursachen, sobald sie auf Metallhaut der Roboter schlagen.
Spezialwaffe gegen Bronzeroboter. Vernichtet durch Schock das positronische Hirn des Roboters. Auf
Menschen angewendet eine Waffe, die ein Koma hervorruft. Nach Stunden Eintritt des Todes, falls
nicht mit einem Herzschrittmacher das Herz wieder voll aktiviert wird.
Bronzeroboter Roboter mit absolut menschenähnlichem Aussehen. Besitzen Persönlichkeit. Können
lachen. Metall ist beweglich, kann aber nicht durch mechanische Mittel verletzt werden. Flexibilität
des Metalls wird durch ein spezielles Energiefeld aufrechterhalten. Sie haben Orathonen immer in der
Form anzusprechen, daß sie sich zuerst vorstellen. Bezeichnungen bestehen aus Buchstaben und
Zahlengruppen, wobei jeweils eine Zahl mehr als Buchstaben zu nennen ist (3 Buchstaben 4 Zahlen
etc.).