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In der Nacht zum 22. März zeigte die Ostsee noch einmal ihre Krallen. Das Baltische Mee...
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Seewölfe 331 1
Fred McMason 1.
In der Nacht zum 22. März zeigte die Ostsee noch einmal ihre Krallen. Das Baltische Meer erhob sich fast übergangslos mit heftigen Grundseen und scharf peitschendem Wind. Am Ruder stand der dunkelblonde Bill, als Rasmus sich erhob und das Deck wusch. Zwei hammerartige Böen knallten in die Segel und ließen die „Isabella“ nach Steuerbord überkrängen. Die See rollte kurz und ruppig. Sie wirbelte den Grund auf und pochte hart und fordernd an den Rumpf. Es hörte sich an, als würden riesige Hämmer von unten her gegen einen dumpf klingenden Gong geschmettert. Ben Brighton sprang zum Ruder und hielt es fest, weil es zu schlagen begann. „Das geht hier immer verdammt schnell“, sagte er zu Bill. „Man denkt an nichts Böses, und schon pfeift eine Bö heran, die See erhebt sich und beginnt zu brüllen, als hätte man ein Untier aus dem Schlaf geweckt.“ „Scheint vorbei zu sein“, meinte Bill erleichtert, „jetzt bläst es wieder beständig aus Nord.“ „Verlaß dich lieber nicht darauf!“ Auf der Leeseite schäumte es wild auf. Zischend donnerte Rasmus an Deck, leckte mit seiner schaumigen Riesenzunge bis an den achteren Niedergang und verholte ins Meer zurück. Auf dem Achterdeck befand sich außer den beiden Männern nur noch Big Old Shane. Im Großmars hielt Jan Ranse Ausguck, während die beiden Hakenmänner Matt Davies und Jeff Bowie Wache gingen. Die anderen schliefen. Sie hatten in letzter Zeit ziemlich viel leisten müssen, und der harte Kampf gegen die Russen war kein Spaziergang gewesen. Jetzt aber war das Flaggschiff von Semion Marinesko versenkt, die Russen waren geschlagen. Kurs Wiborg lag an, das man morgen vormittag erreichen würde, falls sich die See nicht weiterhin so ruppig benahm. Rasmus stieg wieder hoch, übergangslos und wild jagte er mit ein paar hundert Tonnen Salzwasser heran und goß es über
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die Decks. Dazu donnerte er wieder seinen Riesenhammer unter den Bug, so daß die „Isabella“ hart nach oben stieg. Klatschte der Bug wieder in die See zurück, dann begann es erneut gewaltig zu gischten, zu zischen und zu rauschen. Diese kurzen üblen Grundseen schüttelten die Lady jedesmal hart durch, denn an ihnen konnte sie nicht gemächlich empor klimmen wie auf der Dünung des Atlantiks, die lang rollte. Hier erhielt sie einen gewaltigen Hieb vor den Bug, und wenn sie sich schüttelte und zur Seite neigte, erfolgte der nächste harte Schlag. Der „Ententümpel“ und „Heringsteich“ hatte eben so seine kleinen Tücken. Die Schläfer im Mannschaftslogis störte das jedoch nicht. Die schnarchten und sägten, daß die Schotten zitterten und einem himmelangst werden konnte. Auf ihrem Kontrollgang sah auch jedesmal Matt Davies oder Jeff Bowie kurz hinein, ob alles in Ordnung war. „Das sind vielleicht ein paar Schnarchsäcke“, sagte Matt oben an Deck. „Da unten ist es lauter als an Deck. Kapier ich gar nicht, daß man so schnarchen kann. Das hört sich an, als würden auf einer Werft pausenlos Holzbalken gesägt.“ „Du müßtest dich erst mal hören“, sagte Jeff anzüglich. „Du wachst doch jedesmal bei deinem eigenen Geschnarche auf.“ „Ich schnarche nie“, behauptete der grauhaarige Matt. Und dann stritten sie sich eine ganze Weile dar- über, bis jeder versicherte, er liege so ruhig wie ein Toter in der Koje. Als Jeff später noch einmal nach-. sah, war der Kutscher schon wach und las beim Schein einer Ölfunzel in einem zerfledderten und nur noch lose zusammengehaltenen Buch. Hin und wieder zog er den Schädel ein, wenn die Lampe bedrohlich dicht an ihm vorbeischwang, aber das Geschriebene faszinierte ihn so, daß er es nicht fertigbrachte, ein Stück zur Seite zu rücken. Der Kutscher war im Besitz etlicher Bücher, die er sich überall dort zusammenkaufte, wo sich eine Gelegenheit
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dazu bot. Er las die Reiseberichte des Marco Polo und anderer verwegener Forscher und Kaufleute und verglich sie kritisch mit seinen eigenen Erfahrungen. Er las aber auch ebenso gern Bücher über Medizin, über die edle Kunst des Kochens und verschmähte auch nicht Unterhaltungslektüre. Von seinem Wissen hatten die Arwenacks immer profitiert, und an Bord wurde der hagere und schmalbrüstige Mann bewundert. Allerdings brachten gewisse Kerle - ganz besonders der Profos – dafür kein Verständnis auf. Auch Jeff Bowie kapierte das nicht so richtig und Paddy Rogers, der jetzt gerade erwachte, schon gar nicht. Daher war der Kutscher für ihn eine gelehrte Persönlichkeit. „Was liest du denn da?“ fragte er verschlafen. Er gähnte laut und kletterte aus der Koje, um Matt abzulösen. Gegen die „Isabella“ rannte gerade wieder eine kurze und sehr harte Grundsee an, und die feuerte Paddy mit einem Affenzahn wieder in die Koje zurück, daß es nur so krachte. „Shakespeare heißt der Dichter“, erklärte der Kutscher. Aber das hörte Paddy schon nicht mehr, denn jetzt flitzte er sehr unsanft aus der Koje heraus. Es haute ihn durch den Gang, er versuchte sich noch festzuhalten, erwischte aber nur ein paar Blätter des Buches und sauste weiter, genau in Sam Roskills Koje hinein, die der seinen gegenüberlag. Roskill war auch schon wach, da hatten sie alle eine innere Uhr, um Jeff Bowie abzulösen. „He, in meiner Koje wird nicht gelesen“, sagte er fluchend. „Außerdem hast du da gar nichts drin zu suchen.“ „Das Buch heißt: ,Die Komödie der Irrungen’“, sagte der Kutscher grinsend. „Das paßt wieder mal prächtig, was?“ Roskill feuerte Paddy hinaus und mußte sich selbst festhalten, weil auch er noch etwas verschlafen war. Jetzt aber hatten alle beide wieder das richtige Gefühl für die Bewegungen der See und konnten sie ausgleichen.
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Der Kutscher las weiter, ungerührt der brausenden und donnernden Wogen, die über die Decks wuschen. Matt Davies und Jeff Bowie zogen ihre nassen Plünnen aus und hängten sie zum Trocknen über den Rand der Koje. Dann hauten sie sich hin, schliefen aber noch nicht, sondern fingen wieder ihren alten Streit an, wer am lautesten schnarchen würde. Der Kutscher wurde zum Schiedsrichter ernannt, aber der hatte nach zehn Minuten bereits die Nase voll, denn die beiden Schnarcher sägten so übel, daß er auf seine „Komödie der Irrungen“ fluchend verzichtete und an Deck in die Kombüse ging, um dort für das Frühstück aufzuklaren und das Feuer im großen Herd zu entzünden. Gegen Morgen ließ das Toben der See nach. Die verdammt ekelhaft einfallenden Böen waren einem gleichmäßig blasenden Wind gewichen, und die Ostsee hatte sich wieder beruhigt. Wiborg lag an. Das Hafenstädtchen war ein paar Stunden später schon klar zu erkennen, und noch am Vormittag segelte die „Isabella“ vor den Hafen und ging, weil dort etliche Schiffe lagen, auf der Reede erst einmal vor Anker. * In der kleinen Jolle pullte Stenmark den Seewolf etwas später an Land. Wiborg war ein sauberes und adrettes Hafenstädtchen mit kleinen Backsteinhäusern, ein paar Lagerhallen und Schuppen am Hafen. Hasard hatte von dem Landeshauptmann des schwedischen Län Wiborg, Alvar Renquist, ein Empfehlungsschreiben erhalten. Das war der Dank für die Hilfe gegen die Russen, denen die Arwenacks ' das Fürchten beigebracht hatten. Renquist hatte hier in Wiborg seinen Hauptsitz, hielt sich aber zur Zeit noch in Wekkelaks auf, um dort die Aufräumungsarbeiten zu leiten, denn die Russen hatten die kleine Hafenstadt zusammengeschossen. Aus diesem Grund
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war Renquist auch mit der „Isabella“ nicht mitgesegelt, obschon er das liebend gern getan hätte. Als Stenmark mit der Jolle an der hölzernen Pier anlegte, stand da schon der Hafenmeister, ein schlanker sehniger Mann, der ihnen wohlwollend entgegenblickte. Sein Blick ruhte auf Hasard, dann wanderte er weiter zu der Galeone hin, und er nickte unwillkürlich und anerkennend. Offenbar gefiel ihm das Schiff, denn so etwas wie die „Isabella“ kriegte er in Wiborg sicher kaum zu sehen. Hasard sprang an Land und stellte sich vor. Stenmark spielte wieder den unerläßlichen Dolmetscher. Schließlich zog Hasard das Empfehlungsschreiben von Alvar Renquist hervor und überreichte es dem Hafenmeister. Der las es genau durch, nickte ein paarmal dazu und schenkte den beiden Männern einen anerkennenden Blick. Dann reichte er ihnen spontan die Hand. Das Empfehlungsschreiben hatte offenbar tiefen Eindruck beim Hafenmeister hinterlassen, denn der Mann behandelte sie mit zuvorkommender Höflichkeit. „Ich werde ihnen gleich hier vorn einen Liegeplatz zuweisen“, sagte er freundlich. „Dann liegen Sie an der Hauptpier und haben günstige Gelegenheit zum Einkauf. Sie können hier alles ergänzen, was Sie wünschen. Trinkwasser ist natürlich kostenlos.“ „Vielen Dank“, sagte Hasard über Stenmark. „Dann werden wir gleich verholen.“ Er drehte sich um und warf einen Blick über den Hafen. Da, wo der Hafenmeister ihnen den besten Platz zugewiesen hatte, schien alles in quirliger und hektischer Bewegung zu sein. Weiter hinten wogten Menschen durcheinander, Rummelgeschrei war zu hören, und unsichtbar fidelten da ein paar Musikanten. „Ein Fest?“ fragte der Seewolf. Der Hafenmeister nickte und deutete weiter nach achtern. „Der alljährliche Rummelplatz von Wiborg, Kapitän Killigrew. Jedes Jahr
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wird hier eine große Schau abgezogen, die die Leute magisch anzieht. Sie werden das noch sehen, der Marktplatz ist gleich da, wo das Volk herumläuft und Zerstreuung sucht.“ Hinter der Menge war ein Zelt zu erkennen, um das sich Leute drängten. Die Musik spielte noch immer, ein Köter kläffte laut und entnervend, und auf einem hochgebauten Podest sprang ein Possenreißer herum, der der Welt völlig neue Sensationen verkündete und mit seiner marktschreierischen Stimme mühelos alles andere übertönte. „Na, das werden wir uns später einmal ansehen“, sagte Hasard. „Meine Söhne werden begeistert sein. Aber erst verholen wir einmal zur Pier. Wir sehen uns sicher noch.“ „Ich nehme die Leinen wahr“, versprach der Hafenmeister. „Ich gebe ganz ehrlich zu, daß ich neugierig auf Ihr Schiff bin. Ich kann einfach den Blick nicht davon abwenden.“ „Sie dürfen es sich in aller Ruhe ansehen”, versprach Hasard. Mit einem freundlichen Kopfnicken stieg er zusammen mit Stenmark in das Boot. Sten ergriff die Riemen und pullte die kleine Jolle wieder zur Reede hinaus. „Ein Volksfest ist immer eine tolle Abwechslung, Sir“, sagte Sten unterwegs. „Das letzte, was wir sahen, liegt schon eine Ewigkeit zurück. Es war in Tanger.“ „Ja, mit Zauberern und allen Schikanen, es war jedenfalls das größte seit langer Zeit.“ Als die Jolle anlegte, standen die Arwenacks ausnahmslos am Schanzkleid und blickten zum Land hinüber. Hasard enterte auf und wurde sogleich von Carberry empfangen, der wieder mal die Nase vorn und schön etwas gerochen hatte. „Da scheint ein Volksfest zu sein, Sir“, sagte er freundlich grinsend. „Wird mächtig viel los sein, was, wie?“ „Sieht so aus, Ed. Aber erst verholen wir zur Pier. Von dort aus könnt ihr alles ganz genau sehen.“ „Na fein“, sagte Ed grinsend. „Vielleicht läuft da wieder so ein Rübenschwein rum wie damals dieser -
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„Kaliban und Baobab“, sagte Philip junior. „Das war an jenem Tag, als du die Eisenstange verbogen und den Baobab aufs Kreuz gelegt hast, Mister Profos.“ „Ja“, meinte Ed andächtig, „das war prächtig. Hier werde ich mal gleich richtig aufdrehen, daß ...“ „Am Bratspill kannst du mächtig aufdrehen, Mister Carberry“, sagte Hasard sanft. „Da kannst du die Spillspaken nach allen Seiten verbiegen.“ „Heißt das, es gibt keinen Landgang, Sir?“ protestierte Ed. „Natürlich gibt es Landgang, aber zuerst wollen wir doch an die Pier, oder nicht?“ Der Profos drehte sich um. „Warum seid ihr noch nicht beim Ankerhieven, ihr Sturmsäcke?“ knurrte er. „Hopp auf, oder wollt ihr warten, bis der ganze Rummel wieder vorbei ist?“ Als Hasard nach achtern ging, entsann er sich beim besten Willen nicht, daß die „Isabella“ jemals so schnell verholt worden war. Anscheinend spielte der Profos heute den Zauberer, und so hatte er den Anker vermutlich freihändig aus dem Grund gerissen und an Bord gehievt. Nur unter zwei Segeln lief die „Isabella“ dann an die Pier. Der Hafenmeister nahm die Leinen entgegen und vertäute sie. Dann bat ihn Hasard an Bord, weil der Mann darauf brannte, sich dieses herrliche Schiff einmal aus der Nähe anzusehen. „Dieses Schiff ist wie eine Frau“, begann er zu schwärmen, „man kann sich in es verlieben.“ Die gefühlvollen Ausbrüche des Hafenmeisters juckten die anderen Arwenacks jedoch nicht, denn die hatten jetzt den Rummelplatz unmittelbar vor Augen, standen am Schanzkleid und stierten hinüber. Inzwischen gingen der Kutscher und Mac Pellew an Land, um die Vorräte zu ergänzen. Da gab es wieder frische Eier, frisches Fleisch, Käse und Milch. Von letzterer behauptete der Profos allerdings, da vermisse er den brandyähnlichen Geschmack, und er habe mal einen gekannt, der sei vom vielen Milchsaufen ein Ochse geworden, und ein ähnliches
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Schicksal würde ihm ganz sicher nicht widerfahren. „Mann, da ist ja wirklich was los“, sagte Luke Morgan begierig. „Das sollten wir uns mal direkt von der Pier aus ansehen.“ Fast alle enterten ab und standen dann auf der Pier. Neben ihnen lag eine kleine finnische Galeone, und von der rannten jetzt drei Kerle grölend in Richtung des Rummelplatzes. Was sich in dem Zelt abspielte, war nicht zu erkennen, wahrscheinlich ging es da drin erst am Abend oder späten Nachmittag richtig los. Aber das aufgebaute Podest war interessant, um das sich eine dichte Menschengruppe scharte. Vor den Stufen des Podestes stand ein ziegenbärtiger Possenreißer, der sich das Gesicht weiß angemalt hatte und aus dem Stand heraus immer wieder einen Salto rückwärts schlug. Grimassen schneidend sprang er dann unter die Leute, streckte die Hände aus und deutete auf das Podest. Was da oben stand, ließ Carberrys Herz schneller schlagen, denn das war ein Urvieh, von dessem bloßen Anblick man schon schwere Alpträume kriegte. „Mann, ist das ein kapitaler Elchbulle“, sagte der Profos. Die anderen konzentrierten ihre Blicke jetzt ebenfalls auf den höllischen Koloß. Der Kerl, ein riesiger Klotz, ein glatzköpfiges Ungeheuer mit tiefen Narben in der zerhauenen Visage, schritt auf dem Podest auf und ab. Dabei stieß er Grunzlaute aus wie ein Wasserbüffel, blieb alle Augenblicke stehen, winkelte einen seiner mächtigen Arme an und ließ die Muskelberge spielen. Sobald er den Arm anspannte, sprang ein Bizeps auf, der den 17-pfündern glich, die in die Culverinen gestopft wurden. Dann nahm er seine Wanderung grunzend wieder auf, hob die Arme in Siegerpose hoch und zeigte seine Rücken- und Brustmuskeln. Stränge waren das, abnorme Wülste, die sich wie doppelt geholte Schlepptrossen auf seinem ungeschlachten Körper spannten.
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„Den schaffst selbst du nicht, Ed“, sagte Matt Davies. „Der Kerl ist ein Gebirge aus Muskeln. Sieh mal, was der jetzt tut.“ Offenbar um seine irrsinnige Kraft zu demonstrieren, ging der Muskelprotz jetzt auf einen gewaltigen Hackklotz zu, der auf dem Podest stand. Der Possenreißer holte ein paar Nägel aus seiner Hosentasche, ließ sich einen Hammer geben und klopfte ein halbes Dutzend fast handlanger Kupfernägel leicht in den Hauklotz. Die Nägel ließen sich nur schlecht einschlagen. Darüber legte er ein Holzbrett, schlug wieder einen Salto rückwärts und deutete auf den glatzköpfigen Kerl. Der stieß wieder ein paar Grunz-laute aus, rollte wild mit den Augen, stieß ein dumpfes „Uuaahhh“ aus und knallte seine rechte Pranke auf das Brett. Das ganze Podest wackelte, als er zuschlug. Ein paar Frauen kreischten, einige Männer traten beeindruckt zurück. Auf dem Podest erklang ein Knirschen, dann verschwanden die Nägel blitzartig in dem Hauklotz, und das Brett zersplitterte. „Oh, Obergroßhochlord“, sagte Gary Andrews, „der hat vielleicht einen Schlag drauf! Da muß ich Matt recht geben, Ed: Diesen Kerl würdest auch du nicht schaffen.“ Carberry blickte finster auf den Glatzkopf mit dem übermächtigen Brustkasten und den Armen eines Riesengorillas. „Pah“, sagte er nur verächtlich. Aber er war doch verdammt beeindruckt. Trotz der Märzkühle trug das grunzende Ungeheuer nur eine Fellhose. Der Riesenlümmel war von oben bis unten eingeölt und glänzte wie die Speckschwarte eines Eisbären. Seine Augen waren klein, tückisch und verkniffen. In seinem Gesicht standen tiefe Blatternarben, und es sah ganz so aus, als hätte da manch ein Messer seinen Weg in die höllische Visage gefunden. Genauso gut war es aber auch möglich, daß sich der Kerl vor den Lauf einer mit Grobschrot geladenen Drehbasse verirrt hatte, gerade als sie abgefeuert wurde. Sein Schädel war rund wie eine Kugel und völlig kahl. Nicht eine einzige Borste sproß
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darauf. Sein Hals bestand nur aus einer wulstartigen Ansammlung von Muskeln und verschwand übergangslos in den Schultern. Der Hauklotz wurde weggetragen. Zwei Männer brachten eine stabile Bretterwand, die jeder prüfen konnte. Nacheinander kletterten vier ausgewachsene Männer auf das Podest, die sich neben dem Riesen wie lächerliche Zwerge ausnahmen. Diese vier Kerle hielten die Bretterwand jetzt fest. Der Possenreißer sprang wieder seinen Salto rückwärts, lachte gellend und versuchte sich dann in einem Handstand. Gerade als er die Beine in der Luft hatte, griff der Muskelprotz zu. Mit Zeigefinger, Mittelfinger und Daumen schnappte er den Possenreißer am linken Schuh wie eine zu groß geratene Kakerlake, hob ihn am ausgestreckten Arm hoch, drehte sich herum und reichte den Possenreißer den anderen nach unten. Ein anderer Kerl tauchte vor dem Podest auf, ein dicklicher, trommelbäuchiger Bursche mit wabbeligem Doppelkinn und einem Vollmondgesicht, der nun angeberisch auf den Koloß deutete und verzückte Worte in die staunende Menge brüllte. „Was sagt er?“ fragte der Profos begierig, weil keiner der Männer ihn verstand. Stenmark übersetzte wieder. Das Gegröle von dem feisten Mann war mühelos zu verstehen. „Er preist seine Stärke. Der Klotz da ist Ringer und angeblich der stärkste Mann der Welt.“ „Pah“, sagte Ed wieder, und es klang etwas muffig. „Und was labert er sonst noch?“ „Dieser Kerl wird der Bulle von Wiborg genannt“, übersetzte Sten, „er ist noch nie in einem Kampf besiegt worden. Wer es schafft, ihn auf die Bretter zu legen, erhält zehn Goldstücke. Und jetzt wird der Bulle von Wiborg die Bretterwand einschlagen, nur so, damit die anderen sehen, wie stark er ist.“ „Pah“, sagte Ed zum dritten Male, „die Bretter schlage ich auch durch.“ Der Bulle von Wiborg schlug sie allerdings anders durch, als Ed das erwartete.
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Er stand wieder grunzend da, mit pendelnden Armen. Den runden Schädel hatte er noch tiefer eingezogen, so daß jetzt nicht einmal mehr der Hals als Andeutung zu erkennen war. Aus seinen Schultern wuchs nur noch eine mächtige, zernarbte und eingeölte tückische Riesenkugel hervor. „Uuuaahhhh!“ brüllte er langgezogen. Dann rannte er los, den bulligen Schädel nach unten gesenkt. Die vier Männer stemmten sich in die Bretterwand und hielten sie mit aller Kraft fest. Das lebende Muskelpaket rannte -mit dem Schädel voran - wild durch die Bretterwand. Es waren beileibe keine Brettchen, wie Ferris Tucker sah, sondern starkes Holz, wie es beim Bootsbau verwendet wurde. Krachen und Splittern. Holzstücke flogen nach allen Seiten, als der Schädel durch die Wand stieß. Die vier Männer riß es ausnahmslos um. Sie hatten nur noch Holzsplitter in den Händen. Hasard und Philip junior nickten anerkennend über den Kraftakt. Dieser Rummel erinnerte sie nur allzu lebhaft an Kalibans Gauklertruppe im fernen Tanger, der sie einst angehört hatten. „Junge, Junge“, sagte Hasard, „der ist ja noch wilder als dieser Baobab. Der haut alles kurz und klein.“ Auch Philip war von diesem Monstrum und dem ganzen Drumherum fasziniert. „So übertrieben scheint das gar nicht zu sein, von wegen stärkster Kerl der Welt und so“, meinte er. „Aber der Mister Profos hat dem anderen Kerl in Tanger ja auch das Fürchten beigebracht, obwohl der auch behauptete, der stärkste Mann zu sein. Dieser hier sieht aber noch fürchterlicher aus.“ „Ein glatzköpfiger Affenarsch ist das“, sagte der Profos. „Dem sieht man die Gemeinheit schon auf eine Meile an. Ich hätte nicht übel Lust, es dem eingeölten Eierkopf mal ordentlich zu zeigen.“ „Nun werd' mal nicht gleich hysterisch“, sagte Ferris. „Der Kerl scheint dir ja mächtig gegen den Strich zu gehen.“
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„Tut er auch. Ich wette, der kämpft auch nicht ehrlich, sondern mit Haken und Ösen. Aber leider findet sich ja keiner, der den Lümmel mal kräftig massiert.“ „Sieht aber doch so aus, als würde es einer tun“, meinte Stenmark, der dem marktschreierischen Gebrüll wieder lauschte. „Er bietet wieder seine zehn Goldstücke für den, der den Bullen von Wiborg aufs Kreuz legt.“ Auch der Hafenmeister sah jetzt interessiert zu, als sich einer der Finnen vom Nachbarschiff meldete. Es war ein breitschultriger gedrungener Mann mit kräftigen Fäusten, der offenbar ganz begierig auf die zehn Goldstücke war. Seine beiden Kameraden hieben ihm auf die Schulter und feuerten ihn an. Auf dem Rummelplatz wurde es für Augenblicke totenstill. „Mut hat der Kerl, das muß man ihm lassen“, meinte Sam Roskill. „Nur die zehn Goldstücke hat er noch nicht. Wenn der Bulle ihn so annimmt wie die Bretterwand, dann gnade ihm Gott. Der fliegt bis auf sein Schiff zurück.“ Der Seemann sah sich grinsend um, bevor er etwas schwerfällig und linkisch das Podest betrat. Der Kerl mit den Wabbelwangen, der den Bullen von Wiborg anpries, grinste süffisant, legte dem Seemann die Hand auf die Schulter und wandte sich der Menge zu. „Keine Angst, Herrschaften“, verkündete er laut, „es gibt doch einen Mann, der den Kampf wagt. Zehn Goldstücke für ihn, wenn er den Bullen besiegt. Zehn blanke Goldstücke!“ Dann wandte er sich an den lauernd dastehenden Seemann und betrachtete ihn mit einem Ausdruck, als sei er längst geschlagen und nur noch ein Wrack. „Viel Glück, junger Mann!“ schrie er. „Der Kampf kann beginnen. Der bessere Mann wird siegen. Zuvor aber wollen wir die Zuschauer doch noch um ihr Scherflein bitten.“ Der Possenreißer schnitt dämliche Grimassen, nahm seinen spitzgeformten Hut und verschwand in der Menge zum Abkassieren. Auch der Marktschreier
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sammelte Taler und andere Münzen ein und animierte die Leute zum Ausgeben. Wer nicht zahlte, den traktierte er und stieß ihn aus der Menge. Dabei würzte er seine Püffe mit derben Sprüchen, nannte die Zaungäste Parasiten, die sich auf Kosten ihrer zahlenden Nachbarn ergötzten und fand so den richtigen Ton für die unbedarfte Menge. Auf dem Podest zog der Seemann bedächtig sein Hemd aus, bis er mit nacktem Oberkörper dastand. Der Bulle von Wiborg musterte ihn tückisch, pendelte mit den Armen und grinste hinterhältig. Er glänzte vor Öl, stellte sich wieder in Positur und ließ seine fürchterlichen Muskelberge von allen Seiten spielen. „Dem gebe ich keine drei Minuten“, sagte Matt Davies. „Wir können ja wetten“, schlug der Deckälteste Smoky vor, der dafür schon immer einen Hang hatte. Aber die anderen wollten nicht. „Ich glaube auch nicht, daß er den Bullen schafft“, urteilte Big Old Shane. „Das ist ein ausgefuchster Rummelplatzkämpfer, der hat schon so manche Schlacht hinter sich, das beweisen seine vielen Narben. Was sagt der Kerl jetzt, Sten?“ fragte er, als wieder das Geschrei losging. „Er erklärt die Regeln, weil der Finne danach fragte.“ „Und wie sind die?“ „Es gilt für den Finnen, den Bullen aufs Kreuz zu legen. Wie er das schafft, spielt keine Rolle. Es gibt keine festen Regeln. Er muß ihn packen, wie er ihn erwischt. Für den Bullen gilt das gleiche.“ Die beiden standen sich geduckt gegenüber. Der Finne suchte nach einem Ansatzpunkt. Der Bulle lauerte mit pendelnden Armen und eingezogenem Schädel. „Sieh nur zu, daß du dir den möglichst weit vom Leib hältst“, murmelte Ferris Tucker, „wenn der dich erst einmal in den Klauen hat, Junge, dann bist du erledigt.“ Der finnische Seemann wußte so recht, wie er beginnen sollte. Auch die Anfeuerungsschreie seiner Kameraden
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trieben ihn nicht vorwärts. Er zögerte noch. Der Mut hatte ihn zwar nicht verlassen, aber jetzt, aus unmittelbarer Nähe, sah das glatzköpfige Monstrum noch viel schlimmer aus als von weitem. Die Augen waren Schlitze wie bei einem Mongolen. Er stand so fest auf seinen mächtigen Säulenbeinen, daß der Eindruck entstand, nicht einmal ein Elefant könne diesen Koloß umwerfen. Seine Arme pendelten jetzt schneller, und er rückte ein paar Schritte vor. „Gibt's ihm!“ brüllten die beiden Finnen. Nach dem Motto: Angriff ist die beste Verteidigung, sprang der Seemann blitzschnell vor, hieb dem Bullen von Wiborg hart die Faust an den blanken Schädel und schlug gleich noch einmal nach. Die beiden Treffer erzielten nicht die geringste Wirkung. Der Bulle schüttelte nicht einmal den Kopf. Er grunzte nur, wie er es bei seinem Rundgang vorher schon getan hatte. Vielleicht ließ er sich die beiden Brocken auch absichtlich an den Schädel schlagen. „Nicht schlecht“, kommentierte Ben Brighton. „Aber er hat zuwenig Saft dahinter.“ Die Seewölfe konnten sich ein Urteil erlauben, denn im Faustkampf mangelte es keinem einzigen von ihnen an Erfahrung. Davon verstanden sie eine ganze Menge. Der Bulle pendelte noch näher heran, und als der Finne zum zweiten Male angriff, klatschten die Leute Beifall und schrien sich die Kehlen heiser. Das alles gehörte zur Schau, auch daß sich der Riese scheinbar vor Schmerzen krümmte. Hätte er den Finnen gleich auf Anhieb verprügelt, dann hätte sich wohl kein zweiter Mann bereit gefunden, den Kampf noch einmal aufzunehmen. Wieder attackierte der Finne. Er erwischte den rechten ölglänzenden Arm, packte ihn mit hartem Griff, bog ihn herum. und versuchte ihn umzudrehen, um den Bullen aufs Kreuz zu legen. Die beiden Seeleute brüllten sich die Kehlen heiser, als sie den vermeintlichen
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Erfolg sahen und sich damit den zehn Goldstücken näher glaubten. Noch zwei weitere Finnen verließen jetzt das Schiff und stürmten zu dem Podest hinüber, um ihren einsam kämpfenden Kameraden zu unterstützen. Zum ersten Mal griff jetzt der Bulle zu. Fast mühelos wand er sich aus dem harten Griff heraus. Er glitschte dem Seemann unter den Fingern weg, packte mit den gewaltigen Pranken zu, umfaßte ihn am Hosenbund, stemmte ihn tückisch grinsend hoch und warf ihn dann auf die Bretter des Podestes. Wieder erzitterte unter dem Anprall die ganze Holzkonstruktion. Doch der Finne gab noch lange nicht auf. Blitzschnell sprang er auf die Beine und ließ seine Fäuste fliegen. Mit wütendem Gebrüll drang er auf den Koloß ein und versuchte, seine Schläge anzubringen. Jeder Treffer, den er landete, wurde mit lautem freudigen Gebrüll quittiert. Der Kerl mit dem Vollmondgesicht und den Wabbelwangen nickte dem Bullen unmerklich zu. Offenbar ging die Schau jetzt dem Ende entgegen. Die Leute hatten gezahlt und etwas gesehen, mehr war für das Geld nicht drin. Der Bulle ließ sich unter dem Gejohle zwei harte Brocken in den Körper schlagen, dann schlug er zu, hart und unbarmherzig, hielt den taumelnden Seemann fest, packte ihn wieder und warf ihn erneut auf die Bretter. Noch während er versuchte, wieder auf den Beinen zu stehen, erwischte ihn der nächste Schlag. Der Bulle schlug zu wie ein riesiger Hammer, gab Ohrfeigen, teilte Tritte aus und warf den Finnen zum vierten Mal hart auf die Bretter. Jetzt war das Gesicht des Seemannes vor Wut entstellt, und einige Körperstellen liefen dunkel an. Er konnte keinen einzigen Schlag mehr anbringen, denn der Bulle hob ihn jedesmal aus, schmiß ihn krachend zu Boden und scheute sich auch nicht, gemeine und hinterhältige Schläge auszuteilen, die den Finnen total zermürbten.
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„Verdammt noch mal!“ brüllte Ferris Tucker. „Das ist doch kein ehrlicher Kampf.“ „Eine Sauerei ist das“, sagte Ed empört. „Der Halunke kämpft mit dreckigen Tricks und schlägt auf die empfindlichen Stellen.“ Auch die anderen waren empört. „Eine solche Kampfesweise kann ich nur verurteilen“, sagte Hasard. „Der Mann hat keine Chance, weil er ehrlich kämpft.“ Der Finne hatte auch keine Chance mehr. Schmerzverzerrt kam er wieder auf die Füße, doch der Koloß stellte blitzschnell das Bein hinter ihn und gab ihm einen heftigen Schlag vor die Brust. „Schiebung! Gemeinheit! Betrug!“ brüllten ein paar Leute. Als der Kerl mit dem Vollmondgesicht sie drohend ansah, schwiegen sie eingeschüchtert. Der Finne, rasend vor Wut über die heimtückisch geführten Schläge, wollte jetzt auch zum letzten Mittel greifen. Er hatte am ganzen Körper schwarzblaue Flecken, rannte auf den grunzenden Büffel los und hieb mit aller Kraft zu. Ein schmetternder Schlag warf ihn auf die Bretter. Der Bulle hob ihn hoch und ließ ihn wieder fallen. Und dieses Spiel wiederholte er so lange, bis der Finne sich nicht mehr rührte und total zusammengeschlagen auf den Brettern lag. Damit war der Kampf beendet. Der Bulle hob die Arme über den Kopf, stolzierte über das Podest und wölbte seinen tonnenförmigen Brustkasten hervor, indem er ihn noch größer aufblies. „Der Mann hat leider verloren“, sagte der mit dem Vollmondgesicht bedauernd. „Wie gern hätte ich ihm die zehn Goldstücke ausgezahlt. Aber es war ein guter und ehrlicher Kampf, und wer daran zweifelt, der möge bitte herkommen und es dem Bullen von Wiborg selbst sagen.“ „Beschiß war das!“ brüllten die Finnen empört. „Unter einem ehrlichen Kampf stellen wir uns etwas anderes vor.“ „Bringt euren Macker weg!“ schrie der Dicke. „Räumt ihn ab, den Schwächling!“ Dabei bückte er sich und rollte den bewußtlosen Seemann auf die Seite.
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Dan O'Flynn mit seinen scharfen Augen sah es, die anderen merkten es erst, als er sie darauf hinwies. „Dieser Lumpenhund. Seht euch fas an! Der mistet dem Finnen auch nach tatsächlich die Hosentaschen aus. Die anderen merken das überhaupt nicht.“ Hatte der unfaire Kampf die Seewölfe schon erregt und aufgebracht, so empörte sie das Tun des Dicken jetzt noch mehr. Geschickt wie ein Taschenspieler ließ er seine Finger in den Hosentaschen des Finnen verschwinden, klaute ein paar Münzen und drehte sie so geschickt zwischen den Fingern, daß keiner es sah. Gleich darauf war die andere Tasche an der Reihe. „Wie Kalibang, sagte Hasard junior, „der verstand es auch so geschickt, Münzen verschwinden zu lassen. Dieser Kerl ist fast genauso flink.“ Das war wirklich das letzte! Erst schlugen sie den Mann so zusammen, daß er nicht mehr laufen konnte, dann beraubten ihn die Schnapphähne auch noch. Der Profos pumpte schon seinen Brustkorb voll Luft und hielt nur noch mühsam an sich. Die Arme hatte er empört in die Seiten gestemmt, ein Zeichen, daß er gleich auf Braßfahrt ging. Aber dann änderten sich die Dinge drüben am Podest, denn jetzt trugen die beiden zuletzt erschienenen Finnen ihren bewußtlosen Kameraden durch die Menge zum Schiff. „Himmel, sieht der aus“, sagte der Kutscher, der gerade die ersten Einkäufe abgeschlossen hatte. Ja, der Finne sah wirklich zum Fürchten aus. Sein Gesicht war verschwollen und aufgedunsen. Wie eine zerschlagene Puppe hing er in den Armen seiner Kameraden, die ihn mit mürrischen und wütenden Gesichtern an Bord schleppten. Die beiden anderen Finnen standen noch da, wutschnaubend sannen sie offenbar auf Rache, oder wie sie dem Koloß beikommen konnten, der so hinterhältig und gemein gekämpft hatte.
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Sie brauchten nicht lange zu suchen, denn der Wabbelkerl stellte sich mit heuchlerischem Gebaren in Positur. Sten übersetzte wieder, was er sagte. „Noch ist der Bulle von Wiborg unbesiegt, Herrschaften. Aber das kann sich vielleicht auch einmal ändern. Weil der Kampf jedoch so kurz war, sind wir bereit zu einer Zugabe. Ich wette, daß selbst zwei Männer auf einmal nicht in der Lage sind, unseren Kämpfer zu besiegen.“ Er ließ die Worte nachwirken und grinste infam. „Ja, darauf wette ich! Möchten zwei starke Männer gegen ihn antreten? Bitte sehr, wer traut sich? Falls zwei Männer den Bullen von Wiborg besiegen, bin ich bereit, jedem der Kämpfer zwanzig Goldmünzen zu zahlen. Man höre Und staune: Ich sagte, für jeden Kämpfer zwanzig Goldstücke! Ist das ein Angebot? Wer wagt es für zwanzig Goldstücke, gegen unser Prachtkerlchen anzutreten? Alles geht ehrlich und sauber zu. Leute! Denkt an die zwanzig Goldstücke! Ein Vermögen für den, der es schafft. Zwei Mann gegen einen!“ „Ein widerlicher Hund“, sagte Jack Finnegan. „Ich wünsche ihm nur, daß er doch noch seinen Gegner findet.“ „Der schafft auch zwei“, meinte Mac Pellew. „Mit zweien räumt der noch gemeiner auf.“ Carberry juckten schon wieder die Fäuste. Er räusperte sich laut, Ah sich um und warf einen fragenden Blick auf den Seewolf, der mit verschränkten Armen dastand und zum Podest blickte. Carberry räusperte sich noch einmal, doch von seinem Kapitän erfolgte keine Reaktion. Der stand ganz unbeteiligt da, als ginge ihn das alles gar nichts an. Das dritte Räuspern half ebenfalls nichts, und so drehte der Profos sich wieder um. Offenbar wollte Hasard wohl nicht begreifen, was Ed da gerade stumm vortrug. Kaum hatte der Dickwanst sein Marktgeschrei beendet, ging es drüben auch schon los. Die beiden Finnen waren nicht mehr zu bremsen, als der Marktschreier in die Menge blickte. Sie
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wollten nicht nur die Goldmünzen, sie wollten ihren zusammengeschlagenen Kameraden rächen, denn sie hatten eine Stinkwut im Bauch und waren zu allem entschlossen. Jetzt stürmten sie das Podest, wo der Fettwanst herumtönte. Der Bulle von Wiborg grinste verächtlich, was den beiden Finnen hektische Röte in die Gesichter trieb. Zu zweit wollten sie es diesem Kerl zeigen, zu zweit und mit aller Gewalt. Die Menschenmenge johlte vor Begeisterung, und auch der Dickwanst gab sich scheinbar erfreut und jovial. Er musterte die beiden Finnen ganzgenau. „Das sind zwei harte Knochen“, sagte Ed abschätzend. „Wie die aussehen, verstehen sie was davon. Hoffentlich werden sie nicht leichtsinnig. Ich wünsche mir ebenfalls, daß sie diesem dreimal geölten Koffnuken-Häuptling ordentlich was vors Maul geben.“ Bevor die beiden Aufstellung nahmen, wurde jedoch erst einmal kassiert. Der Possenreißer unternahm wieder mit albernen Witzen seine Runde, hielt die Mütze auf und zog dauernd an seinem Ziegenbart, während der Fette auf der anderen Seite abkassierte und lauthals diejenigen verdammte, die keinen lausigen Taler ausgeben wollten. „Seht her!“ verkündete der Dicke laut, nachdem er abkassiert hatte. „Seht sie euch genau an. Zwei Männer - und nicht gerade klein Und schmächtig, sondern prächtig gewachsene Kerle. Seeleute, die hart und stark sind. Vielleicht sind sie gleich um ein paar Goldmünzen reicher. Dann können sie dem Kapitän das Schiff abkaufen und ihn zum Teufel jagen.“ „Fang endlich an!“ rief der eine Finne. „Dein Gequatsche kannst du dir für alte Weiber aufheben.“ „Vielleicht seht ihr nachher auch wie alte Weiber aus.“ Der Dicke lachte dröhnend wie über einen guten Witz. „Laßt sie endlich anfangen!“ rief es der Menge.' Inzwischen flüsterten die beiden Finnen leise miteinander. Nach ein paar Worten nickten sie sich zu. Sie hatten. ihre Taktik
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abgesprochen, wie sie gegen den Bullen vorgehen wollten. Der stand wieder grunzend wie ein Wasserbüffel da, musterte die beiden aus seinen schmalen Mongolenaugen und grinste immer noch so hinterhältig. Er hatte auch längst seine Taktik entwickelt, und daß die nicht die feinste war, störte ihn nicht. „Uuaaahhh!“ röhrte er laut, um die beiden einzuschüchtern. Wie er über die Bretter marschierte, schien er vor lauter Kraft kaum noch laufen zu können. Seine Säulenbeine stampften über die Bretter, bis das Podest wieder erzitterte und zu schwanken begann. Dann folgte das Ritual seiner Vorbereitung, indem er auf seinen gewaltigen Brustkasten hieb, daß es nur so dröhnte, und sich immer wieder aufblies und die Fäuste rieb. Der Marktschreier verkündete wieder die Regeln, die überhaupt keine waren, und verließ dann das Podest. Auf der „Isabella“ drückten sie alle die Daumen für die beiden Finnen, die lauernd zu dem Koloß starrten. Einer von ihnen postierte sich jetzt auf der linken Seite, der andere hielt sich mehr rechts, damit sie den Kerl von zwei Seiten in die Zange nehmen konnten. Ihre Hände waren zu Fäusten geballt, sie belauerten jede Bewegung des Muskelpaketes. Der Bulle ging jetzt aus seiner Ecke. Die Hände hatte er halb erhoben, den Kopf tief zwischen die Schultern gezogen. Er tänzelte ein paar Schritte und sprang dann blitzschnell auf den links stehenden Mann zu, den er sofort annahm. Auf diese Gelegenheit hatte der andere Finne gelauert. Mit einem mächtigen Satz sprang er vor, um dem Bullen einen Schlag zu verpassen. Doch der hatte sich den anderen geschnappt, drehte ihn herum und benutzte ihn als Deckung. Dabei hielt er ihm im Genick gepackt wie ein Karnickel, das gerade den Jagdhieb empfangen soll. Urplötzlich schleuderte er den Mann nach vorn. Die beiden Finnen krachten zusammen. Der Koloß sprang aus dem Stand hoch und stieß beide Männer mit den Beinen um.
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Auf diesen Angriff waren alle beide nicht vorbereitet. Ehe sie wieder auf den Beinen waren, stand das Monstrum schon über ihnen, riß den einen hoch und schlug wieder wie ein Hammer zu. Der Finne brach aufstöhnend zusammen und blieb liegen. Der andere griff an, schlug, traf auch einmal und empfing dann selbst einen Schlag, der ihn über das Podest schleuderte. Schon war der Bulle über ihm, griff ihm um den Hals, verschränkte beide Arme darum und drückte kräftig zu. Er hielt den Finnen im Würgegriff so lange, bis empörte Schreie aus der Menge drangen. Erst dann ließ er seinen Gegner los, der sich nicht mehr rührte. Der zweite Finne rollte herum und versuchte, sich wieder aufzurappeln, während der Bulle hämisch grinsend vor ihm stand. Er schaffte es noch bis auf die Knie, dann traf ihn der Ellenbogen. Ein Ausheber folgte, der Koloß warf den Finnen auf die Bretter. Damit war der Kampf auch schon beendet. Beide Finnen lagen bewußtlos auf den Brettern. Der Bulle von Wiborg tobte grunzend mit hoch erhobenen Armen über das Podest und lenkte die Menge von dem Halsabschneider ab, der sich über die beiden Männer beugte und sie befingerte. Wie bei einem Taschenspieler ging das ruck, zuck. Finger griffen in die Taschen der Bewußtlosen, zogen die Münzen heraus und ließen sie klammheimlich verschwinden, während der Bulle lauthals verkündete, daß er 'es sogar mit drei Männern aufnehmen würde. Als der Schnapphahn die beiden 'Finnen gefilzt hatte, hörte er mit seiner Protzerei auf. Viel war es nicht, was die Seeleute in den Taschen trugen, doch auch Kleinvieh macht Mist, und nach dieser Devise handelten die Jahrmarktsbetrüger, Roßtäuscher und Schnapphähne. Die beiden zusammengeschlagenen Finnen wurden weggetragen. Die Menge starrte fast ehrfürchtig zu dem glatzköpfigen Ungeheuer, das so nebenbei zwei harte
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Kerle vernascht hatte, und zwar so, daß sie sich immer noch nicht rühren konnten. Sie würden auch eine ganze Weile an ihren Blessuren zu kauen haben. Weitere Männer meldeten sich vorerst nicht, und so war das widerliche Schauspiel fürs erste beendet. 2. Carberry war vor Wut dunkelrot im Gesicht angelaufen. „Dieser hinterhältige Affenarsch!“ brüllte er. „Dem werde ich es jetzt zeigen! Der soll mal sehen, wie ein englischer Profos kämpft. Im Augenblick haben wir sowieso nichts zu tun, da ist es mir ganz recht, diesem eingeölten Rübenschwein ein wenig auf die Glatze zu pochen. Jetzt werdet ihr was erleben, Leute!“ verkündete er. „Und die Goldstücke bringe ich auch mit. Den stoß ich aus der Hose, den verdammten Rosstäuscher.“ Der Profos hatte sich in Rage geredet, hob die Faust und drohte dem Giganten aus der Ferne Prügel an. Dann zog er ebenfalls das Genick ein, wölbte die Riesenbrust vor und wolle sich gerade in Marsch setzen, als eine sanft klingende Stimme ihn stoppte. „Wohin des Weges, Mister Carberry?“ fragte der Seewolf lächelnd. „Äh ...“, stotterte Ed, „ich will nur mal dem Rübenschwein da drüben zeigen, wie man richtig kämpft, Sir. Bei mir bringt er keinen seiner üblen Tricks an.“ „Davon bin ich überzeugt. Er wird keinen einzigen Schlag bei dir anbringen, Ed.“ „Vielleicht nur einen winzigen“, sagte Ed einschränkend. „Nicht mal einen winzigen“, sagte Hasard kühl. „Er wird dich nicht einmal berühren.“ „Du hältst wirklich große Stücke auf mich, Sir.“ Ein fürchterliches Grinsen folgte. So grinste der Profos immer, wenn er im Geist jemand in die Mangel nahm. Und diesmal war der „Koffnuken-Häuptling“ an der Reihe. Den würde er kalfatern, aufgeien und um die Rah wickeln.
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„Ja, das halte ich für gewöhnlich. Aber du wirst gar nicht erst dort hinübergehen, mein lieber Mister Carberry. Und deshalb wird dich auch kein Schlag treffen, nicht mal ein kleiner.“ „Ich verstehe nicht“, sagte Ed unsicher, aber er verstand sehr gut, er war nur mal wieder auf einem Ohr taub. „Das ist ganz einfach zu verstehen. Wir haben Wiborg angelaufen, um hier Pelze einzukaufen. Das ist der Zweck der Reise, mehr haben wir nicht vor. Folglich sind wir also nicht in Wiborg, um uns herumzuprügeln, schon gar nicht mit derartigen Rummelplatzschlägern. Ich will keine ramponierten Knochen an Bord, und ich lege Wert auf einen gesunden Profos, nicht auf einen halben Krüppel, der seinen Borddienst nicht versehen kann.“ „Ha, Sir“, sagte Ed, „der KoffnukenHäuptling wird mich nie im Leben zum Krüppel schlagen. Wenn ich erst mal da oben stehe, dann zeige ich ihm gleich den Friedhof, damit er schon mal Maß nehmen kann. Ich will ihm ja nur ein bißchen die Ohren besäumen.“ „Es bleibt dabei, Ed“, sagte Hasard mit harter Stimme. „Keinen Kampf, keine Schlägerei mit diesem Monstrum.“ Carberry gab noch immer nicht auf. Er glänzte wieder mit beschwörenden Gesten und unglaublichen Argumenten. „Aber, Sir, wenn ich keine Bewegung habe, dann werde ich ganz steif, ich muß einfach mal ein wenig die Arme schlenkern. Lange genug habe ich ja mit dem lächerlichen Streifschuß in der Krankenkammer liegen müssen. Da rosten die Knochen ein, Sir, weil man sich nicht bewegen kann.“ „Dann könntest du vielleicht die Segel auf tuchen“, schlug Hasard nachdenklich vor. „Dabei werden die Arme mächtig beansprucht.“ Doch der Profos hatte sich nun mal in diesen Koffnuken - was immer das auch sein mochte - verrannt und wollte dem Kerl am liebsten jetzt gleich und sofort an den Kragen. Das mit dem Segelauftuchen überhörte er geflissentlich. Pah, die Dinger
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hatten ja auch nicht an seiner Ehre gerüttelt. „Sir!“ rief er eindringlich und beschwörend. „Es geht ja um die Ehrlichkeit an sich und so. Man muß diesem Bullen Manieren beibringen, sozusagen auf dienstlicher Ebene als Profos und Zuchtmeister. Gleichzeitig muß man diesen Dicken belehren, daß er sich nicht an fremden Eigentum zu vergreifen hat. Wir alle haben gesehen, daß er die Niedergeschlagenen gefleddert hat. Das ist Diebstahl, Sir, jawohl! Da beißt keine Maus das Kabelgarn durch. Na, sind das nicht stichfeste Argumente?“ „Nein, das sind keine“, sagte Hasard. „Das ist anderen passiert und nicht uns, darum haben sich die Finnen selbst zu kümmern. Wir sind nicht die Handlanger der Justiz. Uns geht das absolut nichts an. Wenn die Finnen sich an dem Kampf beteiligen wollen, dann ist das ihre Sache. Sie haben es herausgefordert. Ihr könnt den Rummelplatz gern besuchen und euch da umsehen, und ihr könnt euch auch die Kämpfe direkt am Podest ansehen, falls sich noch ein Verrückter dazu einfindet. Mehr ist nicht drin. Es gibt keinen Kampf mit dem Bullen von Wiborg.“ Der Profos nahm seinen letzten verzweifelten Anlauf. „Und wenn ich ihm das ganz höflich sage, Sir?“ Jetzt setzte Ed wieder dieses Gesicht auf, das Hasard an einen verkleideten Weihnachtsengel denken ließ, der in Waisenhäusern und Hospizen Pfefferkuchen verteilt. Aber hinter diesem Weihnachtsengel lauerte ein böser Wolf. Der legte es nur darauf an, den Bullen von Wiborg so lange zu provozieren, bis dem sämtliche Gäule durchgingen. „Die Diskussion ist beendet“, sagte Hasard. „Für dich habe ich eine bessere Aufgabe. Du darfst mich mit Stenmark zu dem Pelzhändler Birger Runeberg begleiten, für den wir das Empfehlungsschreiben von Heikki Lathinen haben. Da kannst du deine Kunst als Profos beweisen. Ich habe vorhin gesagt, daß wir in Wiborg sind, um Pelze
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einzukaufen. Was verstehst du denn von Pelzen, Ed?“ Dem Profos war die Petersilie verhagelt. Seine Argumente hatten wieder einmal nicht gezogen, und so wurde er muffig. „Pelze?“ fragte er brummig. „Davon verstehe ich überhaupt nichts, kein Stück. Für so'n Kram kann sich vielleicht der Wikinger begeistern, aber ich nicht. Ich kann nicht mal einen Rattenpelz von einem Karnickelpelz unterscheiden. Und ein Katzenfell nur dann, wenn der Kater noch drinsteckt.“ „Das ist sehr bedauerlich, Mister Carberry. Dann wird es allerhöchste Zeit, daß du dich auch damit einmal beschäftigst. Du hast doch noch einiges zu lernen, Mister Carberry. In letzter Zeit besteht dein Leben nur noch aus Prügeleien oder darin, irgendeinem Vollidioten zu zeigen, wer die härteren Fäuste hat. Und du würdest dich jetzt am liebsten mit dem Affen da oben um ein paar Goldmünzen prügeln. Entweder schlägt er dir alle Knochen, oder du legst ihn auf die Bretter. Einer von euch beiden ist jedenfalls für eine ganze Weile erledigt oder trägt einen Dauerschaden mit sich herum. Dafür kriegst du dann zehn Goldmünzen. Gerade aus dem Grund, weil du kaum satt zu essen hast und das Geld so dringend brauchst. Während ihr euch prügelt, schauen die anderen begierig zu, um zu sehen, wer die ersten blauen Augen hat oder verwurstet auf den Brettern liegt. So kämpfen eigentlich nur die Barbaren, aber offensichtlich willst du dich zu denen zählen.“ Der Profos zog das Genick ein, als die Standpauke über ihn erging. Klar, dachte er beklommen, der Seewolf hatte schon recht mit seinen Argumenten, aber... Ein kleines „Aber“ ließ der Profos immer noch offen, denn für alle Argumente gab es schließlich auch Gegenargumente. Etwas nachdenklicher geworden, hörte er zu, und als an seinem geistigen Auge die letzten Jahre blitzschnell vorbeizogen, da mußte er erkennen, daß sein Weg doch mit verdammt viel Kleinholz gepflastert und etlichen Prügeleien angereichert war. So
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manches Veilchen war da am Wegesrand voll erblüht. Während Hasard seinem Profos schonungslos die Wahrheit offenbarte und ihm eine gehörige Moralpauke hielt, grinsten die anderen unmerklich. Ed war nun sichtlich gebremst, denn das Argument konnte er dem Seewolf nicht abstreiten, daß das Leben auch aus etwas anderem als Prügeln bestand. „Fassen wir zusammen“, sagte Hasard. „Du verstehst nichts von Pelzen, und ich gehe ganz ehrlich zu, daß ich mich damit ebenfalls noch nicht befaßt habe. Ich verstehe auch nichts davon. Pelze wollen wir aber einkaufen, und zwar für die Englische Krone. Wie, zum Teufel, müssen solche Pelze aber beschaffen sein? Wie sollen sie zugerichtet sein, wie gegerbt, und was der Dinge mehr sind. Die Güte der Pelzwaren ist ja ausschlaggebend dabei, aber wie unterscheiden wir das? Da haben wir ein Problem am Hals, das mir wichtiger erscheint als dieser hirnlose Glatzkopf da drüben.“ Die Arwenacks sahen sich untereinander fast verlegen an. In solchen Dingen hatten sie sich immer auf ihren Kapitän verlassen, das war nur ganz selten ihre Sorge. „Hasard tut das schon“, „Hasard erledigt das“, und: „Kein Problem für unseren Kapitän, der schafft das!“ Es hörte sich so einfach an: Pelze einkaufen. Mit den zwei Worten war anscheinend alles abgetan. Das erledigte man mit links. Ben Brighton zuckte verlegen mit den Schultern. „Davon verstehe ich auch nichts“, gab er ehrlich zu. „Was kauft man denn überhaupt - Silberfuchs, Otter, Zobel oder Biber?“ „Oder Hermelin“, sagte Ferris Tucker. „Hermelin, der kostbare Edelpelz, in den sich Könige und Hoheiten kleiden.“ Der Kutscher verstand viel von der Medizin und vom Kochen. Das fiel auch in Mac Pellews Ressort, davon verstand er etwas. Ferris Tucker verstand sich auf Holz, Big Old Shane kannte sich in seiner Sparte als Schmied aus. Al Conroy war ein
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Waffennarr, dem Kanonen und alles, was damit zusammenhing, über alles gingen. . Nils Larsen sprach Deutsch und Dänisch, Stenmark war ein hervorragender Dolmetscher für nordische Sprachen. Will Thorne verstand sich hervorragend aufs Segelmachen und Schneidern. Roger Brighton kannte sich blind mit allem aus, was mit dem Rigg zusammenhing. Aber Pelze? No, Sir, tut uns leid, das las der Seewolf aus den Gesichtern. Jeder hatte auf irgendeine Art sein ganz spezielles Gebiet, auch Batuti, Bill oder die Zwillinge. „Das heißt“, sagte der Kutscher etwas beschämt, „daß wir eine Ware einkaufen müssen, von der wir qualitätsmäßig so gut wie gar nichts verstehen. Verdammt peinlich ist das. Jeder Pelzhändler kann uns grinsend übers Ohr hauen, denn der merkt doch gleich, ob wir etwas davon verstehen oder nur wie blinde Hühner zwischen den Pelzen umherirren.“ „Leider ist das richtig, was du sagst“, erwiderte Hasard. Ja, da standen sie nun mit langen Gesichtern. Zwar hatten sie das Empfehlungsschreiben des Schweden an Bord, von dem selbst der Hafenmeister so angetan war, aber sie kannten Runeberg nicht, und wenn der ein Schlitzohr war, dann rasierte er sie ganz nach Lust und Laune. Hasard glaubte das zwar nicht, aber verlassen konnte er sich darauf natürlich nicht. Es konnte ihnen ohne weiteres passieren, daß man sie in England wegen minderwertiger Pelze einfach auslachte. An dem Holz, das sie eingekauft hatten, gab es nichts zu rütteln. Das hatte der Schiffszimmermann persönlich ausgesucht, und es war von erstklassiger Qualität. Auch über die Fässer Akvavit brauchte man nicht zu diskutieren. Da kannte sich der Profos aus, dem drehte man keinen Schund an. „Wie sieht es mit dir aus, Jan? Oder Paddy, Jack, Bill? Habt ihr eine Ahnung von Edelpelzen?“ Alle vier senkten die Köpfe, starrten auf die Planken, und einer nach dem anderen
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hauchte verschämt: „Nein, leider nicht, Sir.“ Der Profos betrachtete die Wolfshündin Plymmie. Dann wanderte sein Blick zu dem zweiten Fellträger an Bord, dem Schimpansen Arwenack, und er verglich erst insgeheim, dann laut. „Plymmie hat doch ausgesehen wie eine Hafenratte mit ihrem Fell“, sagte er, „ruppig ,struppig, verdreckt und zerzaust. Aber die Felle zwischen Plymmie und Arwenack unterscheiden sich doch wesentlich. Wir müssen eben darauf achten, daß wir nur glatte Felle kriegen, keine struppigen. Und wenn der Kerl uns Affen- oder Hundefelle andrehen will ...“ „Hier gibt's höchstens Polaraffen“, sagte Ferris und tippte mit dem Finger gegen die Stirn. „Das sind großmäulige Herumtöner. Überlege dir gefälligst, was du sagst, Ed!“ „War ja nur ein Vorschlag“, maulte der Profos. Luke Morgan setzte schon zum zweiten Male zum Sprechen an. Sonst hatte er immer eine große Klappe, diesmal jedoch wirkte er schüchtern und linkisch und von seiner aufbrausenden Art war nichts zu merken. „Ich - ähh -“, murmelte er schon zum dritten Male. Carberry drehte sich zu ihm um. „Was grummelst du denn da ständig, du geölter Brandsatz? Wenn du nichts zu sagen hast, dann halt gefälligst den unteren Süllrand von deiner Oberlippe.“ „Laß ihn in Ruhe, Ed“, erklärte Hasard scharf. „Was wolltest du sagen, Luke?“ Luke Morgan, das am schnellsten und hitzigsten entflammbare Temperament an Bord, trat einen Schritt vor. Er war nicht so groß wie die meisten Seewölfe, aber das glich er durch Pfiffigkeit und Gewitztheit wieder aus. Manchmal war er ein wenig unberechenbar, denn er konnte sehr aufbrausend und jähzornig werden. Heute war er nichts von allem. Fast verlegen, aber doch irgendwo stolz, sah er sich im Kreis seiner Kameraden um. „Sir, ich, äh - von - von Pelzen verstehe ich etwas, ich meine, etwas viel sogar ähh sehr viel sozusagen.“
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Hasard starrte den kleinen Luke verblüfft an. „Du verstehst etwas von Pelzen?“ fragte er fassungslos. Ja, Sir, das war früher mein Fach, ganz früher. Mein Alter war nämlich Kürschner, er war Zurichter für Rauchwaren.“ Paddy Rogers, der neben dem Profos stand, kriegte prompt wieder eine rote Birne und dachte angestrengt nach. Das fiel ihm oftmals ein bisschen schwer, und auch diesmal ging das wieder nicht ganz in seinen Schädel hinein. Deshalb wandte er sich fragend an den Profos, doch das hätte er lieber lassen sollen, denn von Ed empfing er immer solche Auskünfte, mit denen er absolut nichts anfangen konnte oder er wurde nur noch mehr verwirrt. Manchmal allerdings blickte der Profos auch nicht durch, und dann redete er sich auf die ganz faule Tour daran vorbei. „Das hat doch aber nichts mit Pelzen zu tun, Ed“, raunte er, „Luke meint bestimmt Tabak mit den Rauchwaren. Du kennst doch Tabak. Das sind die gepreßten Blätter, die ...“ „Jaja“, sagte Ed ungeduldig, weil er selbst über Luke verblüfft war. „Du bist zwar ein guter Kerl, Paddy, aber da oben muß dir wohl mal ein bißchen Stroh mit reingerutscht sein. Früher haben die Rauchwarenzurichter nämlich Tabak aus Hundehaaren gemacht oder aus alten Fellen.“ „Muß ja furchtbar gestunken haben“, meinte Paddy tiefsinnig. „Ja, ganz sicher.“ „Dein Vater war Kürschner?“ wiederholte Hasard ungläubig. „Und was warst du?“ Luke grinste leicht verlegen. Es war ihm immer noch peinlich, daß ausgerechnet er etwas von Edelpelzwerk verstand. „Ich war bei ihm in der Lehre, Sir, und habe das Handwerk erlernt. Mein Alter hat mich ganz schön hart rangenommen, bis ich eines Tages die Nase voll hatte und zur Armee abgehauen bin. Ich konnte keine Pelze mehr sehen. Na, den Rest kennst du, Sir. Aus der Armee bin ich auch abgehauen, und dann hat's mich später in die Karibik verschlagen.“
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Jetzt zogen die anderen Arwenacks nicht nur betroffene und verblüffte Gesichter, ihnen klappte regelrecht der Unterkiefer weg, und alle stierten wie die Kälber den kleinen pfiffigen Luke an, der jetzt so verlegen wurde, daß er ebenfalls rot anlief. Für Hasard war das wieder eine Neuheit, genauso wie die Sache mit Stenmark oder Nils Larsen. Wieder einmal fragte er sich, was er eigentlich von seinen Männern wußte. Luke hatte das nie erwähnt. Sie kannten zwar alle seine Vergangenheit, aber eben nur einen kleinen Abschnitt. Jeder wußte, daß Luke von der Armee desertiert und später in der Karibik gelandet war. Aber der Vater Kürschner und der Sohn Lehrling? Nein, das hatte keiner vermutet. Aber da war noch der Profos, der längst nicht alles bewundernd schluckte, was ihm serviert wurde. Vielleicht will sich der kleine Kerl hier bloß mal kräftig aufblasen und wichtig tun, dachte er. Deshalb wandte er sich um und sah Luke überfreundlich an. „Du bist also Spezialist für Pelze, was, wie?“ „Ja, das stimmt, Ed.“ „Das sagst du! Aber ich glaube dir das nicht. Du hast doch bloß wieder ein großes Maul wie immer und die Schnauze vorn. Weil jetzt keiner an Bord ist, der sich mit dem Zeugs auskennt. Wer taucht da frisch und unbekümmert an der Kimm auf wie eine grinsende Beutetratte? Der gute Luke Morgan, der Retter des Vaterlandes!“ Carberry trat noch dichter an ihn heran. Luke stand jetzt unter seinem Brustbein und mußte hochblicken. „Du in Pelze gewickelter Hering“, grollte er, „du kannst doch nicht mal `ne Roßhaarmatratze von einem Ochsenfell unterscheiden.“ „Kann ich doch“, behauptete Luke kühl und ohne aufzubrausen. „Kannst du nicht“, brummte Ed ungehalten. „Wenn du dich mit Pelzen auskennst, dann bin ich bereit, äh - dann bin ich bereit, mir von dir eine Glatze scheren zu lassen, wie die von dem Riesenroß auf dem Rummelplatz
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Nach diesen Worten hielten alle erst einmal die Luft an, blickten gebannt auf Luke und dann wieder auf den Profos. Selbst Hasard, der etwas sagen wollte, schwieg vorerst. „Natürlich“, sagte Ed mit erhobenem Finger, „gilt das auch umgekehrt. Wenn du zwei Felle nicht voneinander unterscheiden kannst, dann werde ich mir deine Rübe vornehmen und sie kahl scheren, bis du ebenfalls wie der Bulle von Wiborg aussiehst.“ Gelächter erklang, man kannte schließlich des Profos' Witzchen. Doch der pfiffige Luke Morgan hakte sofort nach. „Soll das eine Wette sein, Ed?“ fragte er überraschend sanft. „Selbstverständlich“, knurrte Ed. „Also dann noch einmal die Bedingungen“, sagte Luke. „Wenn ich bei den Fellen und Pelzen versage, wirst du mir höchstpersönlich eine Glatze scheren. Richtig?“ „Richtig.“ „Kenne ich mich mit Pelzen aber gut aus, dann werde ich dir, dem Profos Edwin Carberry, eine Glatze scheren. Bedenke, daß du dann ohne Haare rumläufst.“ „Ich ganz sicher nicht - du wirst der Kahlkopf sein.“ „Ich nehme die Wette an“, sagte Luke. „Ich auch!“ brüllte Carberry. Beide schlugen unter dem wilden Gelächter der anderen ein. Der Profos setzte mit dieser Wette wieder mal einen Meilenstein, doch das wußte er noch nicht. Während sie sich noch die Hände gaben, sagte Luke: „Ich muß dann aber natürlich mit dem Kapitän, dir und Sten zu dem Pelzhändler, damit das an Ort und Stelle und unter fachmännischer Aufsicht entschieden wird.“ „Einverstanden“, sagte Ed grinsend. Dann blickte er den kleinen Luke bedauernd an. „Schöne braune Haare hast du”, sagte er, „dazu passen deine blauen Augen gut. Wie fürchterlich wirst du erst mit einer Glatze aussehen!“
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„Ja, was sein muß, muß sein“, sagte Luke bedauernd und strich mit der Hand über seine Haare. „Weißt du, daß du schon so gut wie verloren hast?“ fragte der Profos mißtrauisch. „Das heißt noch gar nichts. Noch ist es ja nicht so weit.“ Hasard lehnte sich an die Nagelbank des Großmastes und amüsierte sich köstlich. Er betrachtete Luke und Ed und stellte sich entweder den einen oder den anderen kahlköpfig vor. Nein, eigentlich stellte er sich nur en einen so vor, Edwin Carberry nämlich, Profos und Zuchtmeister der „Isabella IX.“. Der würde die Wette höchstwahrscheinlich verlieren und war in seinem Eifer wieder mal wie ein Bulle über das Ziel geschossen. Luke Morgan war viel zu pfiffig und zu gerissen, um eine von vornherein aussichtslose Wette einzugehen. Luke Morgan verlor keine Wetten, der war mit allen Wassern gewaschen und allen Hunden gehetzt. Sich den Profos allerdings glatzköpfig vorzustellen, dazu bedarf es schon einer gewissen Phantasie, dachte Hasard. Himmel, aus dem würde ein richtiges Monster werden. Unwillkürlich warf er einen Blick zum Land auf den Bullen von Wiborg, der immer noch grunzend und mit schlenkernden Armen über das Podest walzte und nach einem weiteren Gegner Ausschau hielt, den er verwursten konnte. Das Gejohle der Männer nahm kein Ende mehr. Sie alle grinsten jetzt, denn das versprach ein toller Spaß zu werden. Hasard sah wieder auf Luke, den sie jetzt umringten und ihm neugierige Fragen stellten. Die Wette galt, daran biß keine Maus einen Faden ab. Es fragte sich jetzt nur noch, wen es erwischen würde. Luke hatte also das Handwerk des Kürschners erlernt. Nicht zu fassen! Vielleicht nicht bis zur Perfektion, aber man würde ja sehen. Das kam darauf an, wie hart oder gut die Erziehung des Alten gewesen war, die er seinem Söhnchen hatte
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angedeihen lassen, bevor Luke selber stillschweigend zur Armee verduftete, um dort das zu erleben, was er bei seinem Alten zwischen Fellen und Pelzen nachhaltig vermißte. Außerdem war mit Luke Morgan eine recht eigentümliche Wandlung vor sich gegangen. Seine Augen blitzten jetzt - und das nicht nur wegen der Wette -, sondern weil er stolz darüber war, der entscheidende und verantwortliche Mann beim Pelzeinkauf zu sein. Jetzt wurde Luke mit einem sehr lange zurückliegenden Teil seiner Vergangenheit konfrontiert, denn die Felle und Pelze hatten in seinem Leben einmal eine entscheidende Rolle gespielt. Jetzt war der Punkt angerührt worden, eine verborgen knospende Pflanze, die nun schlagartig erblühte. Eine derartige Wette hatte es an Bord der „Isabella“ auch noch nicht gegeben, und so erhitzten sich die Gemüter daran. Ein Wettfieber begann, angeheizt vom Decksältesten Smoky, der es wieder mal nicht lassen konnte. „Wer will mit mir wetten?“ rief er. „Ich nehme die Wetten sofort an, und ich wette auch gleich als erster. Ich setze auf den Profos, da ist mir das Geld sicher.“ „Glaubst du denn, Luke hat uns was vorgeschwindelt?“ fragte Roger Brighton. „Ich traue dem Braten nicht so recht“, sagte Smoky. „Luke ist ja für seine große Klappe bekannt.“ „Ja, das stimmt“, meinte auch Ferris Tucker. „Er hat schon oft die Gegend vollgetönt, und jetzt ist er richtig kleinlaut geworden. Ich setze auch auf den Profos.“ „Ausgerechnet jetzt stellt sich heraus, daß sein Alter Kürschner war“, meinte Stenmark. „Das ist ja wie vom Himmel gefallen. He, was sagst du dazu, Luke?“ „Gewettet ist gewettet“, sagte Luke und lächelte leicht. „Ihr müßt selbst entscheiden, auf wen ihr setzt.“ „Der Profos würde doch nicht wetten, wenn er weiß, daß er anschließend mit einem kahlen Eierkopf rumlaufen muß“, sagte Blacky. „Nee, da ist mir Luke zu unsicher. Vielleicht kann er wirklich nur
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'ne Roßhaarmatratze von 'ner Kuhhaut unterscheiden. Ich setze ebenfalls auf Ed.“ So . ging das weiter, alle grinsten, alle wetteten, und es war so herrlich aufregend, weil der Ausgang völlig ungewiß war. Diese Abwechslung nach all den Kämpfen erfreute wieder mal ihr Herz, denn die Späße gehörten genauso zum Bordleben wie der harte Kampf ums Überleben. Schließlich verkündete Smoky das Ergebnis. „Sieht schlecht aus für dich, Luke. Jeder hat gewettet. Es steht jetzt sechzig zu vierzig gegen dich.“ Auch Old O'Flynn hatte sich nicht nehmen lassen, sein Scherflein bei Smoky abzugeben. „Wenn ich das nur genau wüßte, verdammt“, murmelte er. „Auf irgendeinen mußt du schließlich setzen“, sagte Smoky. „Dann auf den Profos.“ „Und warum?“ erkundigte sich Smoky grinsend. „Ed wird wohl selbst wissen, wie er aussieht“, meinte der Alte. „Wenn der jetzt noch eine Glatze hat, dann sieht er noch fürchterlicher aus. Dann kneifen nicht nur die Arwenacks vor ihm aus, dann haut auch die Bullenschnauze auf dem Podest vor lauter Angst ab, wenn er den Profos nur sieht.“ „Auf jeden Fall dürfte es sehr lustig werden.“ „Bestimmt sogar“, sagte Donegal kichernd. „Weißt du, ich wünsch dem Profos ja mal so einen Ausfall, dann kann er nämlich mal über sich selbst lachen, falls er den Mut dazu hat. Und er darf sich dann nicht wundern, wenn er von allen Seiten ständig gehänselt wird.“ „Mein Gott, das wird was geben“, sagte Smoky andächtig. Auch er warf einen schnellen Blick auf die beiden Männer. Der Profos schien den Sieg schon in der Tasche zu haben, denn so benahm er sich. Es war nur ein Wunder, daß er noch keine Scherze über den bald glatzköpfigen Luke vom Stapel ließ.
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Luke Morgan berührte das alles nicht. Er lächelte nur verhalten, und in seinen blauen Augen stand ein undeutbares Licht. Offenbar war er sich seiner Sache sicher. 3. Durch die Wette war der Bulle von Wiborg vorübergehend in Vergessenheit geraten, denn die Seewölfe beschäftigte immer noch das reizvolle Thema, ob nun Luke Morgan oder Edwin Carberry bald mit einer Glatze an Bord herumstolzieren würde. Einer von beiden kam jedenfalls nicht darum herum. Das stand mit absoluter Sicherheit fest, und so wuchs die Spannung immer mehr. Smoky, der sich in allerlei Vermutungen darüber erging, wie der Profos oder Luke nach der erfolgten Schur wohl aussehen mochten, hielt die Spannung nicht mehr aus und wurde bei Hasard vorstellig, der sich auf der Kuhl aufhielt und mit Ben sprach. „Wann gehen wir denn zu dem Pelzhändler Runeberg, Sir?“ erkundigte er sich neugierig. „Ich meine, äh - es gibt doch ein Sprichwort, das sagt, was man heute besorgen kann, das soll man nicht auf morgen verschieben.“ „Du bist ja sehr angestrengt bei der Sache“, lobte Hasard den Deckältesten¬ spöttisch. „Geht es dir um den Pelzeinkauf, Smoky?“ „Aye, aye, Sir, genau darum geht es sagte Smoky mit einem heuchlerischen Grinsen. „Wir möchten nämlich gern wissen, wer denn nun die Wette verliert.“ „Scheinheilige Bande“, sagte der Seewolf lachend. „Aber wenigstens seid ihr ehrlich. Ich möchte auch gern wissen, wer denn nun gewinnt oder verliert.“ „Und wann gehen wir?“ drängte Smoky erneut. „Heute nicht mehr, Smoky, wir wollen ja auch nichts überstürzen. Bei dem Einkauf sollten wir uns Zeit lassen, um sorgfältig und bedächtig auszuwählen. Jetzt ist später Nachmittag. Wir werden Birger Runeberg morgen vormittag aufsuchen. Der
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Hafenmeister hat mir vorhin seine Adresse gegeben.“ „Schade“, maulte Smoky, „sonst hätten wir das heute noch erfahren. Wirklich jammerschade.“ „Tröstet euch mit Landurlaub“, schlug Hasard vor. „Ben wird die Bordwachen bestimmen, die anderen können losziehen.“ Die Arwenacks wandten sich den beiden Männern zu. Landurlaub - das war doch was, gerade hier bei dem Rummelfest. „Können wir gleich losziehen?“ fragte Ferris. „Selbstverständlich. Aber wie gesagt“, ein Blick mit gerunzelten Augenbrauen traf Carberry, „gewisse fromme Pilger möchte ich doch höflichst bitten, an Land keinen Stunk zu veranstalten. Haltet euch von diesem Wiborger Bullen fern und laßt euch nicht provozieren. Ihr habt genügend andere Abwechslung.“ Hasard wartete darauf, daß Carberry wieder seine übliche Litanei vom Stapel ließ, die da besagte, daß er als friedlicher und frommer Pilger nie und nimmer auf die Idee verfallen würde, irgendwo Stunk anzufangen. Heute hatte Ed eine andere Masche drauf. Er blickte betont harmlos drein, so harmlos, daß es Hasard schon wieder grauste, wenn er dieses bedauernswerte und harmlose Biedermannsgesicht sah. Nein, der gute Ed konnte wieder mal kein Wässerchen trüben, das sollte ihm ja nur niemand unterstellen. Er hockte da wie ein großer friedlicher Kater, der die Mäuse wohlwollend betrachtet und nur darauf wartet, daß die Zuschauer verschwinden, damit er die Mäuse ungestört fangen kann. „Wie steht es mit uns beiden, Dad?“ fragte Hasard junior. „Gilt der Landgang auch für uns beide, und können wir Plymmie mit an Land nehmen?“ Hasard wußte, daß es seine Söhne fast magisch zum Rummelplatz zog, erinnerte die Atmosphäre sie doch lebhaft an Tanger und den Orient, den sie mit Kalibans Gauklertruppe durchzogen hatten. Sie brannten darauf, ins Zelt zu marschieren.
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„Das gilt auch für euch, und Plymmie könnt ihr mitnehmen. Aber nur bis zum Einbruch der Dunkelheit, dann seid ihr wieder an Bord.“ „Aye, aye, Sir!“ riefen beide. Fast die ganze Meute schwirrte daraufhin ab und ergoß sich an Land. Die Zwillinge nahmen Plymmie mit, die schon zu jaulen begann, denn sie kannte das Aufbruchmanöver und wurde unruhig, weil das wieder Abwechslung verhieß. Die Hündin hatte sich inzwischen prächtig entwickelt und fühlte sich an Bord wohl. Das bewies sie schon dadurch, daß sie die Decks der „Isabella“ als ihr Reich betrachtete, denn sobald sich ein Fremder dem Schiff näherte, fletschte sie das Prachtgebiß und ließ ein gefährliches wolfsähnliches Knurren hören. Die meisten zogen es daraufhin schon vor, lieber Abstand zu wahren. „Zuerst ins Zelt“, sagte Hasard, als sie an Land waren. „Da treten bestimmt ein paar Gaukler auf.“ Dem glatzköpfigen Bullen und dem Dickwanst schenkten sie nur einen flüchtigen Blick. Dann marschierten sie ins Zelt und sahen sich um. Es war gut besetzt, aber es hielt keinen Vergleich mit Kalibans Gauklertruppe stand. Hier war alles nüchterner, es fehlte der Pomp und Prunk des Orients, und es gab auch keine verschleierte Bauchtänzerin. Dafür gab es andere Gaukler, ein paar Trapezkünstler, einen Feuerschlucker, Seiltänzer, den Possenreißer mit seinem lächerlichen Ziegenbart und Taschenspieler, die ihre Kunststücke zeigten. In der Mitte des Zeltes, einem kleinen Areal, das als Manege diente, spie ein dicker Kerl Feuer scheinbar aus dem Mund, stopfte sich die kleinen Fackeln in den Hals und löschte sie wieder. Was da gebrüllt und geschrien wurde, verstanden Hasard und Philip zwar nicht, aber den Sinn begriffen sie. Der Possenreißer rannte am Manegenrand herum, sah sich die Erwachsenen, Kinder und Halbwüchsigen an und deutete dann auf einen Jungen, der etwa vierzehn Jahre
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alt war und ganz aufgeregt wirkte, als der Possenreißer auf ihn zuging. Erstaunt sah er den Jungen an, sagte etwas und deutete dann auf seine Nase. Er griff zu und zog daran, und während er zog, fielen dem Jungen immer wieder Goldstücke aus der Nase. Der Bengel kreischte laut und ungläubig und versuchte es dann selbst erfolglos. „Das Ding ist so alt wie die Welt“, sagte Philip abfällig und warf einen Blick auf Plymmie. Die hockte mit hochgestellten Ohren und aufmerksam blickenden Augen neben ihnen und rührte sich nicht. Ihr Maul war leicht geöffnet, die Zunge hechelte ein wenig. Plymmie war ganz gespannte Aufmerksamkeit. Der Possenreißer rannte weiter, sah die Zwillinge und näherte sich ihnen ebenfalls. Sein Blick wanderte hin und her, er grinste sich eins, denn die beiden Jungen waren voneinander nicht zu unterscheiden. Auch hier versuchte er unter dem Gelächter der Zuschauer, Hasard Geldstücke aus der Nase zu ziehen. Was er sagte, deutete Hasard als: „Du hast Gold im Gesicht, Junge!“ Diesmal fand der Possenreißer jedoch seinen Meister, denn diesen uralten Trick beherrschten Hasard und Philip gleich gut. Als die ersten Goldstücke scheinbar aus Hasards Nase klingelten, und der Spitzbärtige grinsend daran zog, hielt Hasard ebenso grinsend und ebenfalls scheinbar erstaunt den Kopf etwas höher. Gleichzeitig fing er unauffällig einen kleinen Teil des Goldsegens ab und ließ ihn unsichtbar in seiner rechten Hand verschwinden. Anschließend zeigte ihm der Possenreißer etwas verwirrt ein paar Goldstücke, die er in seiner Tasche verschwinden ließ. Hasard grinste pflichtschuldigst, griff nach dem Bart des verwirrten Possenreißers und zog leicht daran. Schließlich molk er ihm fünf Goldstücke aus dem Ziegenbart und überreichte sie ihm mit einer lässigen Verbeugung. Das Publikum schrie und johlte vor Vergnügen. Die Halbwüchsigen sprangen
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begeistert von den Bänken, und die Erwachsenen klatschten laut Beifall. Dem Possenreißer war das Grinsen allerdings vergangen. Er war so verblüfft wie noch nie in seinem Leben, sah die Zwillinge verdattert an, stierte auf die Goldmünzen in seiner Hand und griff an seinen lächerlichen Bart, Dann ging er kopfschüttelnd davon, musterte die Zwillinge aber immer wieder neugierig. Verdammt, dieser junge Bursche verstand sich ja noch besser darauf als er selbst. Er sah in ein Gesicht, das jung und doch irgendwie alt und wissend aussah, mit eisblauen Augen und schwarzer Haartolle. In diesem jungen und doch irgendwie zeitlos wirkenden Gesicht stand ein leichtes, fast überhebliches Grinsen. Das ist das Gesicht eines jungen Burschen, der mehr gesehen hat als sie alle hier zusammen, dachte er. Die Schau ging weiter, mit Rauch und Feuer und einem ziemlich unbedarften Magier, der nach Philips Meinung ruhig noch ein paar Jahre in die Lehre hätte gehen sollen. Mit seinen Tricks konnte er vielleicht die Bürger Wiborgs verwirren, aber nicht die beiden Söhne des Seewolfs. Ein Esel wurde in die Manege geben. auf den sich der Possenreißer setzte und eine Runde ritt. Der Esel trollte sich ganz friedlich durch die Menge. Dann wurde wieder etwas in die Menge gerufen, während der Clown ein Goldstück hochhielt und lauthals etwas verkündete. Ein kleiner pfiffiger Bengel stürmte los, sah das Goldstück gierig ah und schwang sich voller Übereifer auf den Esel. „Auch ein alter Hut“, sagte Hasard. „Wer eine Runde durch die Manege schafft, kriegt das Goldstück. Der Junge schafft garantiert keine zehn Yard.“ Kaum saß der Junge auf dem Grautier, da wurde das Eselchen verdammt biestig und tückisch. Es keilte nach allen Seiten aus, steilte in die Höhe und benahm sich wie verrückt. Nach ein paar Sprüngen landete der Junge brüllend im Sand und humpelte unter dem schadenfrohen Gelächter anderer auf seinen Platz zurück.
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Ein zweiter Versuch, diesmal von einem Erwachsenen unternommen, scheiterte ebenso kläglich. Das Eselchen raste durch die Manege, warf den Reiter ab und sicherte seinem Herrn ein Goldstück. Noch einmal hielt der Possenreißer das Goldstück hoch. „Ist ja legal verdient“, meinte Philip schulterzuckend und stand auf. „Mal sehen, ob das Vieh so reagiert wie unser Esel damals.“ Die Menge johlte sofort wieder los, als Philip in die Manege trat. Allen war noch gut in Erinnerung, was sie eben mit den Goldstücken gesehen hatten. Da Philip die Sprache des Possenreißers nicht verstand, erklärte der gestenreich, daß Philip eine Runde reiten müsse, bis zum Ausgangspunkt zurück. Dann erhielte er das Goldstück. Die Hauptsache sei, das Eselchen würde ihn nicht abwerfen. Dem Possenreißer war allerdings nicht ganz wohl, als er das Gesicht des Jungen sah. Da blitzte schon wieder diese verdammte Überlegenheit auf, als hätte der Lümmel alles längst durchschaut. Philip nickte, deutete eine leichte Verbeugung an und sprang mit einem Satz auf das Eselchen. Allerdings setzte er sich verkehrt herum auf den Grauen und hielt sich am Schwanz fest. Die Menge begann zu brüllen und zu johlen, denn das Eselchen trabte munter seine Runde, ohne zu bocken oder zu springen. Der verzweifelte Possenreißer rannte nebenher und piesackte das Eselchen mit Worten und Knüffen. Doch das dachte gar nicht daran, seinen jungen Reiter abzuwerfen, hielt den Kopf gesenkt und trabte so lange, bis es wieder am Ausgangspunkt stand. Grinsend stieg Philip ab, doch der Possenreißer, der jetzt sehr verärgert wirkte, wollte das Goldstück nicht herausrücken. Wortreich deutete er an, daß so nicht geritten werden dürfe. Aber da hatte er die ganze Meute plötzlich gegen sich. Die Leute drohten mit erhobenen Fäusten und schrien, bis der Possenreißer schließlich widerwillig das Goldstück übergab. Sein Ziegenbart
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zitterte vor Empörung. Offenbar wiesen ihn die Leute darauf hin, daß er gesagt hatte, der Esel müsse, ohne seinen Reiter abzuwerfen, wieder an den Ausgangspunkt zurückkehren. Das hatte er getan, nicht mehr und nicht weniger. Als Philip die Goldmünze in Empfang nahm, erschien am Zelteingang der Dickwanst, der den Bullen von Wiborg angepriesen hatte und nun gehässig und voller Wut zu den Zwillingen starrte. Der Blick war ausgesprochen drohend, aber der Kerl traute sich nicht, etwas zu sagen, denn die Menge murrte bereits wieder. „Wir verziehen uns lieber“, sagte Hasard, „sonst gibt es wirklich noch Stunk, und wir sind wieder schuld.“ „Das wird die beste Lösung sein“, meinte auch Philip, und so verließen sie gemeinsam mit Plymmie das Zelt, um draußen noch ein wenig herumzustromern. Der Fettwanst mit den Hängebacken war jetzt wieder auf dem Podest und rief Kämpfer gegen den Bullen von Wiborg auf. Doch es meldete sich vorerst niemand. Die meisten standen nur stumm da und starrten das gewaltige Gebirge aus Fleisch, Muskeln und Sehnen an, das immer noch grunzend wie ein Erdschwein über das Podest stampfte und sich produzierte. Da passierte etwas, was Hasard und Philip leider zu spät bemerkten, und wofür sie auch wirklich nichts konnten. Plymmie ging in die Hocke und setzte sein Häufchen genau dort ab, wo die Stufen zum Podest hinaufführten. Der Fettwanst, der die Zwillinge aus eiskalten Augen drohend musterte, sah plötzlich rot und kriegte fast einen Schlag. So dick und ungelenkt er auch wirkte, aber er war sehr behende und schnell. Wie durch Zauberei tauchte plötzlich ein Knüppel in seiner Hand auf. Er packte ihn fester, war mit einem blitzschnellen Satz unten am Podest und drosch den Knüppel dem Hund ins Kreuz. Plymmie jaulte laut auf, wirbelte herum und versuchte, nach dem Knüppel zu schnappen. Der Fettwanst schlug noch ein zweites Mal zu, doch der Schlag ging ins
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Leere, weil Hasard und Philip den Hund am Genickfell packten und ihn aus der Reichweite des Kerls brachten. Für den war das Anlaß genug, hinter den beiden herzurennen. Wahrscheinlich war er immer noch wegen des Goldstückes sauer und hatte jetzt wegen Plymmies Häufchen einen guten Vorwand, nun auch die beiden Jungen zu verdreschen. Als er sie nicht erreichte, brüllte er etwas, was offenbar Russisch klang - Flüche und Verwünschungen. Dann blieb er stehen, nahm genau Maß und schleuderte den Knüppel voller Wut hinter den beiden Jungen her. Der Holzprügel traf Philip schmerzhaft im Kreuz. Die Wucht, die hinter dem Wurf steckte, ließ Philip die Zähne zusammenbeißen. Wie eine Feuerlanze fuhr es ihm durch den Rücken. Fast hätte er laut aufgeschrien, doch er beherrschte sich mühsam. „Zum Schiff!“ rief Hasard. „Verdammt, ist das ein gemeiner Bastard. Der rennt uns nach.“ Plymmies Häufchen stand zwar in keinem Verhältnis zu dem Tobsuchtsanfall des Dicken, es war kein Schaden angerichtet worden, aber seine Reaktion war hart und wild. Er bückte sich nach dem Knüppel, nahm ihn in seine Pranken und rannte weiter, schreiend und brüllend, und den Holzprügel wild hin und her schwingend. Seinem Gesicht war unschwer anzusehen, daß er die beiden Jungen erbarmungslos zusammenschlagen würde, denn es wurde immer wilder und brutaler. Unter normalen Umständen wären die Zwillinge nicht ausgekniffen, aber hier galt Vater Hasards Befehl: keinen Stunk! Und durch ihre Flucht wollten sie den Stunk eben vermeiden. Daran hielten sie sich zähneknirschend. Keuchend, stolpernd, Plymmie mit sich ziehend, und von dem wüsten Schläger mit Gebrüll verfolgt, erreichten sie die Pier und damit die Stelling, die zur „Isabella“ führte. Blacky hatte Wache, und er hatte auch mitgekriegt, was da an dem Podest vor sich gegangen war. Allerdings wußte er nichts von Plymmies Häufchen, aber er sah, daß
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der Dicke versuchte, auf die Zwillinge einzuprügeln. Jetzt hatte er sie fast erreicht, holte wieder aus und wollte Hasard junior eins überbraten. Blacky hatte die Ruhe weg. Trotzdem handelte er blitzschnell, als die Zwillinge an ihm vorbeifegten und der Fettwanst sich anschickte, ungeniert und mit der größten Selbstverständlichkeit die „Isabella“ im Sturmschritt zu nehmen, nur um sein Mütchen an den beiden zu kühlen. Da war er bei Blacky genau an der richtigen Adresse. Der wurde gleich fuchtig, als er sah, wie der Fettwanst brüllend weiterrannte. Das geht nun wirklich zu weit, dachte er. So weit kam es noch, daß hier jedes knüppelschwingende Monstrum einfach an Bord rannte. Blackys Arm schoß lässig hoch und blockte den Schlag ab. Der Fettwanst blieb überrascht stehen. Blackys rechte Faust zuckte aus dem Schultergelenk heraus, eine knallhart gestochene Gerade folgte, und die landete bei dem Fettwanst direkt auf der Nase und trieb ihn wie eine orkanartig einfallende Bö schlagartig zurück. Er sauste über die Stelling auf die Pier zurück, drehte sich wie ein dicker fetter Kreisel um seine Achse und verlor die Orientierung. Inzwischen waren viele Neugierige erschienen, die dem Fettwanst gefolgt waren. Ein paar Zuschauer standen ohnehin schon seit längerem in unmittelbarer Nähe. Als der Dicke davontorkelte und sein Gesicht hielt, klang schadenfrohes Gelächter auf. Offenbar gönnten sie dem markschreierischen Kerl diesen Hieb. Aber jetzt war der Stunk doch da, den sie alle vermeiden wollten, denn nun eskalierte die ganze Angelegenheit, und augenblicklich war der Teufel los. Der Bulle von Wiborg walzte heran. 4. Hasard und Philip berichteten ihrem Vater kurz und knapp, was geschehen war.
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Der Seewolf nickte nur und schickte die beiden nach achtern. Inzwischen erkannte auch Blacky, daß jetzt gleich der Teufel los sein würde, als das Gebirge aus Muskeln und Sehnen, angestochen wie ein wütender Stier, herantobte. Der Boden erzitterte unter den gewaltigen Säulenbeinen, die Pier vibrierte, und die Schaulustigen spritzten auseinander vor Angst. Blacky hätte jetzt am liebsten die Stelling eingeholt, um jeden weiteren Ärger zu vermeiden. Er hatte keine Angst vor diesem Muskelberg, beileibe nicht, denn Blacky war ein harter und zäher Kämpfer, der sich nicht einschüchtern ließ. Aber diesem Gewaltakt wollte er doch gern aus dem Weg gehen, um nicht ganz Wiborg in helle Aufregung zu versetzen. Da stand Hasard urplötzlich neben ihm, wie aus den Planken der Kuhl gewachsen. „Paß auf den Fettwanst auf“, zischte er Blacky zu, „den Bullen kann jetzt nichts mehr bremsen, der sieht nur noch rot.“ „O verdammt“, sagte Blacky, „der sieht aus, als will er das ganze Schiff zertrümmern.“ Der Vergleich stimmte. Der Muskelprotz war wirklich nicht mehr zu bremsen. Grunzend und brummend schob er sich vorwärts, von einer Kraft getrieben, wie sie wahrhaftig nur ein ausgewachsener Bulle aufbringt. Nichts und niemand würde diesen glatzköpfigen Kerl mit der zerhauenen Visage mehr aufhalten können. Der rannte glatt durch die Planken der „Isabella“ und auf der anderen Seite wie eine Kanonenkugel wieder hinaus. Hasard registrierte nur aus den Augenwinkeln die Zuschauer, die noch weiter zurückwichen, und sah die Finnen vom Nachbarschiff, die buchstäblich die Luft anhielten. Drei schwer verletzte Männer hatte ihnen dieser heranwalzende Bulle schon beschert, jetzt gab es gleich den nächsten Halbtoten, so dachten sie alle. Denn wer wollte diesen Urkräften des Bullen schon etwas entgegensetzen? Der kämpfte doch mit allen schmutzigen Tricks.
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Wie immer in derartigen Situationen blieb Hasard eiskalt und beherrscht. Nur sein Gesicht war kantig, den blauen Augen entging nichts, während er sehr gelockert auf der Pier stand - ein breitschultriger unnachgiebiger kühler Kämpfer, riesengroß mit langen schwarzen Haaren und kaltem Blick. Die Leute erschauerten. Hier stand eine Art Weltuntergang bevor. In Wiborg und am Hafen hatte sich bereits herumgesprochen, daß der breitschultrige schwarzhaarige Riese der Kapitän dieser prächtigen Galeone war. Er hatte die Sympathien aller auf seiner Seite, doch es sah nicht so aus, als würde er den Kampf gegen diesen voll aufgebraßten Bullen überstehen, jedenfalls nicht mit heilen Knochen. Das Monstrum mit dem zerhauenen Gesicht und den gewaltigen Fäusten war jetzt heran. Die Augen waren zusammengekniffen, die Muskeln wölbten sich wie Stränge auf seinem Körper. So wie er im Ring die Männer verwurstete, so wollte er auch hier vorgehen. Hasard wich vor dem schnaufenden und grunzenden Büffel keinen einzigen Inch zur Seite. Aber er explodierte in seiner überall gefürchteten Art und mit einer sagenhaften Schnelligkeit und Härte. Er schoß die Rechte aus dem Schultergelenk, bretthart gestochen, mit eiskalter Präzision und einer fast tierischen Kraft dahinter. Dieser Brocken aus Eisen hatte die Durchschlagskraft eines 17-pfünders und flog noch schneller. Planken hätte man mit diesem Hieb zertrümmern oder einen Ochsen fällen können. Die steinharte Rechte erwischte Bullen von Wiborg mit voller Härte am kahlen Schädel. Er stoppte wie ein Schiff, das voll in eine Pier kracht und nicht weiter kann. Sein massiger Körper wurde hart geschüttelt, seine Augen nahmen von einem Augenblick zum anderen eine rote Farbe an. Ein wildes Zittern durchlief den Bullen. Durch die Menge der Zuschauer ging ein tiefes Stöhnen.
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Ja, jetzt erkannten sie, daß sie in dem schwarzhaarigen Riesen einen harten, schnellen und präzise schlagenden Mann vor sich hatten, der eiskalt und überlegt handelte. Die Rechte hing noch für einen Lidschlag am Schädel des Bullen, als auch schon die Linke mit derselben fürchterlichen Wucht hervorstach. Niemand wäre nach diesen beiden knallharten Schlägen noch auf den geblieben, doch der Bulle fiel nicht um. Jetzt waren seine Augen unterlaufen und das Weiße nicht zu sehen. Zum zweiten Mal schüttelte es ihn, als sei er gegen eine Mauer geprallt und aus vollem Lauf gestoppt worden. Hasard spürte diese fürchterliche Kraft des Mannes, den ungeheuren Widerstand, mit dem er die beiden Schläge einsteckte, ohne auf die Pier zu fallen. Lauter Beifall brandete nach den Schlägen auf. Jeder gönnte dem Kerl ordentlich was auf die Ohren, und besonders die Finnen überboten sich gegenseitig im Brüllen der Begeisterung. Die zwei Schläge hatten den Kerl zwar gestoppt und vorübergehend aufgehalten, doch jetzt setzte sich der Koloß erneut wie ein Hammerwerk in Bewegung und grunzte laut. Der Seewolf änderte die Taktik. Er sah ein, daß dieser Kerl mit den Fäusten nicht zu schaffen war, auch wenn er weiterhin hart auf ihn eindrosch. Dieses Gebirge war durch Schläge nicht zu fällen, das mußte zermürbt und Stein um Stein abgetragen werden, anders war es nicht auseinanderzunehmen. Bei den Mönchen auf Formosa hatten die Seewölfe die Kampftechnik erlernt, die aus Hebelgriffen und deren Ausnutzung bestand. Es war eine elegant erscheinende Kampfesweise mit Griffen, die blitzschnell und präzise ausgeführt wurden. Die Mönche verzichteten auf jegliche Art von Waffen und waren dabei trotzdem jedem überlegen. Selbstverteidigung nannten sie das und scheuten sich nicht, auch gegen knüppelschwingende Gegner mit den bloßen Händen anzutreten. Durch diese
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Kampftechnik landeten ihre Gegner immer wieder überraschend schnell auf dem Kreuz. Hasard entsann sich der kurzen, aber präzisen Schulung noch sehr genau. Die würde auch bei dem Bullen Wirkung zeigen. Er mußte sich nur vorsehen, nicht in den Bereich der Riesenfäuste zu gelangen oder sich von dem muskelstrotzenden Armen umklammern zu lassen. Der Bulle stürmte jetzt auf ihn zu, schüttelte den Schädel und holte mit der rechten Faust zu einem alles vernichtenden Schlag aus. Hasard duckte ab, kurz bevor dieses Ding von Eisenfaust seinen Schädel erreichte. Als sie an ihm vorbei ins Leere stieß, grunzte der Bulle vor Verblüffung, daß da nur noch Luft war. Hasard nutzte den ausgestreckten noch in der Luft hängenden Arm. Mit beiden Händen umklammerte er das mächtige Handgelenk, drehte sich rasend schnell um seine Achse, ging leicht in die Knie und drückte den Arm hart über seine Schulter. Der Erfolg war verblüffend, so verblüffend, daß die Zuschauer fassungslos die Mäuler aufsperrten. Dem Bullen blieb nur eins : Entweder er stieg - dem Hebelgesetz folgend -hoch über Hasards Schulter, oder er brach sich durch sein eigenes Gewicht den Arm. Also stieg er lieber, denn der Schmerz trieb selbst ihm das Wasser in die Augen. Der Schleudergriff erfolgte. Aus dem Grunzen wurde ein Quieken, dann ging der Koloß auf seine erste Luftreise im Leben. Seine drei Zentner Muskeln und Knochen hoben sich, wirbelten durch die Luft und gehorchten dem Gesetz der Schwerkraft. Aus zweieinhalb Yard Höhe krachte er auf die dicken Bohlen der Holzpier. Es dröhnte nicht, es krachte, als habe eine volle Breitseite eingeschlagen und die Pier zertrümmert. Dieses Geräusch wurde jedoch mühelos von dem Gebrüll und Gekreisch der Zuschauer überlagert, denn sie kriegten das gratis zu sehen, wofür sie sonst bezahlen mußten. Außerdem hatte der Bulle von Wiborg jetzt einen Gegner,
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an dem er sich die Zähne ausbiß und den er nicht wie einen leeren Sack hin und her stoßen konnte. Die Begeisterung kannte keine Grenzen, als der Bulle auf den Bohlen lag. In diesem Augenblick schrien ein paar Leute auf, denn noch während der Koloß strampelte, näherte sich der Fettwanst blitzartig dem Seewolf von hinten. Feine Kämpfer waren das! Der Dicke hatte seinen Knüppel verloren, dafür hielt er jetzt in der Hand ein langes spitzes Messer und holte aus. Die Klinge zielte auf Hasards Rücken. Blacky war das nicht entgangen, denn der Dicke hatte sich heimtückischerweise immer noch halb bewußtlos gestellt, reagierte nun aber sehr schnell. Blacky handelte mit imponierender Lässigkeit. Fast spielerisch waren seine Bewegungen. Sein rechter Fuß schoß vor und hakte sich um das Bein des Dicken. Ein kurzer Ruck folgte. Der Fettwanst verlor das Gleichgewicht. Er ruderte noch mit den Armen, konnte sich aber nicht mehr halten und fiel der Länge nach platt auf die Nase. Sein Geschrei ging im erneuten Freudengebrüll der Zuschauer unter. Das Messer hielt er jedoch noch immer in der Hand. Blacky stellte lässig seinen Fuß auf den Messerarm, griff nach dem spitzen Dolch und warf ihn mit einer verächtlichen Geste über die Schulter ins Hafenwasser. Gleichzeitig hievte er den Marktschreier mit einem Ruck hoch und verpaßte ihm ein hartes Ding an die Kinnspitze. Tief die Luft ausstoßend sank der Messerstecher kraftlos in sich zusammen. Anschließend verschränkte Blacky die Arme über der Brust und sah auf den gefällten Dicken. Zum selben Zeitpunkt war auch der Bulle wieder auf den Beinen. Er geriet immer mehr in Rage und schlug zu. Hasard duckte ab, tat so, als würde er den Arm ergreifen, wie zuvor schon, feuerte stattdessen aber eine harte Faust ab. Sie durchschlug die hochgerissen Arme des Goliaths und landete krachend auf dem Kinn. Der Kopf des Bullen flog hart in den Nacken zurück. Erneut beutelte es ihn bis
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in die Fußspitzen. Sein Schädel wackelte bedrohlich, doch das war auch die einzige Reaktion. Dann schüttelte er sich, und jetzt gelangte er an einen Punkt, an dem er nur noch rot sah, denn bisher hatte er seinen Gegner noch kein einziges Mal erwischt. Da ihm das in seiner langen Laufbahn als Rummelplatzschläger noch nicht passiert war, überschwemmte ihn eine wilde Woge der Wut und des Jähzorns. Er gelangte einfach an diesen schwarzhaarigen Teufel nicht heran und steckte einen harten Schlag nach dem anderen weg. Und die Schläge saßen jedes Mal voll im Ziel und waren von unheimlicher Härte. Jetzt ging er Hasard an, wild entschlossen, diesen schwarzhaarigen Satan mit den bloßen Fäusten umzubringen. Zweimal schlug er mit aller Kraft ins Leere, ein drittes Mal ebenfalls. Vor Zorn vergaß er sein Gegrunze, dafür brüllte er jetzt wie wild bei jedem Angriff. Hasard ließ ihn immer wieder leerlaufen und behielt die Taktik des Zermürbens bei. Anders war der Klotz nicht zu schaffen. Er musste sich restlos verausgaben, aber das würde eine Weile dauern. Als auch der vierte Schlag ins Leere zischte, begann der Bulle wild zu röhren. Hasard wich den wirbelnden Hammerschlägen immer wieder aus, tänzelte zur Seite, stand urplötzlich vor dem Kerl, feuerte eine Rechte ab und sprang wieder zurück. „Weiter so, Sir!“ brüllte Blacky, der genau sah, was der Seewolf beabsichtigte. Der Bulle bemerkte von alldem nichts, sondern raste weiter wie ein tobsüchtiger Stier über die Holzbohlen, trat mit den Füßen, schlug mit den Fäusten und versuchte auch, die Zähne einzusetzen. Mittlerweile waren sie am Ende der Pier angelangt, wo es nicht mehr weiterging. Da war nur noch das Wasser. Hasard blieb stehen und sah den Koloß grinsen. Dessen Fäuste schlugen jetzt einen wirbelnden Reigen durch die Luft. Wie eine Riesensense stampfte er wuchtig heran. Jetzt wollte er ihn untermangeln,
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denn weiter ging es für den Schwarzhaarigen nicht mehr. Mit allesbrechender Gewalt, zerstörerisch vor blinder Wut, stürmte der Koloß weiter und holte zum Tritt aus. , Da wich Hasard gedankenschnell zur Seite, ging leicht hinter dem letzten Poller in Deckung und knallte dem vorbeirasenden Brocken die Handkante in das Muskelgenick. Der Schlag beförderte den Koloß gleich weiter. Er griff haltsuchend mit den Armen um sich, strampelte wild durch die Luft und landete fluchend im Wasser. Dort klatschte er hinein wie ein Mühlstein, das gesamte Hafenwasser geriet in lebhafte Bewegung. Die Leute brüllten wieder. Schadenfrohes Gelächter war das, Erleichterung darüber, daß der Klotz Hasard noch nicht ein einziges Mal getroffen hatte und jetzt im Hafenwasser strampelte. Für den Bullen, wie sie ihn in Wiborg nannten, mußte das die übelste Schmach sein, die er je erlitten hatte. Aber wenn jetzt jemand der Zuschauer dachte, der Kampf sei beendet, dann sah er sich getäuscht. Triefnaß platschte der Kerl zu den Steigeisen der Leiter und enterte flink und schnell auf. Das Bad hatte ihn keinesfalls abgekühlt, es stachelte seine blanke Wut nur weiter an, und jetzt ging er gnadenlos aufs Ganze. „Paß gut auf, Sir“, warnte Blacky besorgt. „Der ist jetzt schlimmer als Schießpulver.“ „Das weiß ich“, entgegnete Hasard ruhig und gelassen. Noch zwei Mann standen an Deck - Old O'Flynn und Big Old Shane, die erst später an Land gehen wollten. O'Flynn stand auf seinen Krücken da, weil sein Knöchel hin und wieder noch ein bißchen weh tat. Er paßte auf wie ein Luchs und behielt den Wabbelwangigen scharf im Auge, damit der nicht wieder einen Trick versuchte. Als der Marktschreier sich aufrichtete und den Achtersteven in die Luft reckte, verlagerte Donegal das Gewicht auf die linke Krücke und hieb ihm mit der anderen ordentlich eins über. Die Krücke wischte pfeifend durch die Luft. Der Wabbelige
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schrie auf und streckte erneut alle viere von sich. Auf der Pier tobte der Kampf weiter. Hasard führte ihn elegant, lässig und präzise, während der Koloß jetzt versuchte, Hasard das Knie in den Unterleib zu rammen. Auch mit dem eisenharten Schädel schlug er jetzt nach dem Seewolf. Gleichzeitig versuchte er, seinen Gegner durch Beinstellen aufs Kreuz zu legen. Hasard gab acht, immer aus der Reichweite dieser fürchterlichen Arme zu bleiben. Er wollte keinen Schlag fangen, denn die waren wie Hammerschläge, und so behielt er seine Zermürbungstaktik bei. Ein zweites Mal landete die Faust dicht vor seinem Gesicht, nur ganz haarscharf am Kopf vorbei. Zwei Hände wie Stahlklammern packten zu, drehten den Arm herum, setzten zum Hebelwurf an, hoben den Bullen aus. Schmetternd landete er wieder auf dem Kreuz, daß die Pier nur so dröhnte. Himmel, kann der Kerl was einstecken, dachte Hasard. Den kriegt man nur in einer Steinmühle Mein. Beim nächsten Angriff ließ er sich einfach fallen, winkelte die Knie an und streckte die Arme aus. Der Bulle stürzte auf ihn zu, fühlte sich auf wunderbare Art und Weise schwerelos werden, spürte, wie wiederum die kräftigen Hände seine Handgelenke packten und war nicht in der Lage, sich dagegen zu wehren. Zappelnd hing er sekundenlang fast waagerecht im eisenharten Griff. Dann wurde er davongeschleudert und griff wieder um sich. Zwei Stiefel drückten in seinen Magen und verstärkten die Hebelwirkung ganz gewaltig. Dann ließen ihn die Hände ebenso plötzlich los. Der Griff war lässig, schnell und doch kraftvoll, dagegen gab es keine Wehr. Als der Bulle diesmal kopfvoran auf den Bohlen landete, sah er eine Menge Sterne, taumelte auf die Knie, schüttelte seinen massigen Schädel und wollte wieder hoch. Durch eine dichte Wand aus bunten Feuerchen flog etwas auf ihn zu. Er hörte es krachen. Der Schlag warf ihn rücklings zurück auf die Planken. Er strampelte mit
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den Beinen und brüllte vor ohnmächtiger Wut. Nur einen einzigen Schlag wollte er anbringen, nur einen einzigen, aber das war nicht zu schaffen, denn dieser Teufel beherrschte eine Technik, die es gar nicht zuließ, daß man ihn traf. Seine Fäuste wurden zur Seite gewischt oder landeten stets daneben. Ebenso schnell flog er jedes Mal darauf hart aufs Kreuz. Nach dem achten oder neunten Griff, der ihn jedesmal hart auf die Bohlen warf, wurde der Bulle weich. Brüllend hieb er in die Luft, einen Schlag brachte er endlich an, doch der riß ihm fast den Arm aus der Schulter, denn er traf nicht den Riesen, sondern donnerte seine Faust an einen Eichendalben an der Pier, weil Hasard noch rechtzeitig in die Knie gegangen war. Dem Seewolf stand jetzt der Schweiß auf der Stirn. Er kämpfte verbissen, tänzelte zurück, ging wieder vor, schnappte sich den Bullen mit einem harten Griff und warf ihn um die Hüfte. Als hätte er heißes Eisen angefaßt, ließ er immer gleich wieder los. Es krachte und polterte, die Pier erzitterte in allen Fugen. Schulterwurf, Ausheber, ein wilder Krach, erneut küßte der Koloß die staubigen Bohlen. Diese Würfe, für die er keine Abwehr fand, zermürbten und demoralisierten ihn, und kaum war er wieder auf den Beinen, dann klopfte ihm eine eisenharte Faust das Kinn weich. Immer mehr Sterne standen dem Dicken jetzt vor Augen, hin und wieder flammte auch eine Sonne grell auf, und in seinem kugeligen Schädel explodierte ein Faß Schießpulver, oder eine Riesenkugel raste durch seine Schädeldecke und zerplatzte dort. Aber er stand immer wieder auf. Seine Augen waren glasig, aus seinem Mund drang ein dumpfes Röcheln. Er streckte die Pranken aus und griff zu. Wieder ins Leere, denn vor seinem verschwimmenden Blick war nur das Hafenwasser. Jetzt fuhr er schon wesentlich schwerfälliger herum. Da stand dieser Satan und lachte höhnisch mit weißen Zähnen, Schweiß auf der Stirn und flatternden schwarzen Haaren.
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Der Bulle von Wiborg machte seinem Namen alle Ehre. Er stand da und stierte seinen Gegner an, suchte nach einem Punkt, wo er ihn fällen konnte. Der stand jetzt ohne jede Deckung da, die Arme lose am Körper und wartete. Den Kopf zwischen die Schultern gezogen, rannte der Klotz los. Gleichzeitig bildeten seine mächtigen Arme eine Allesumfassende riesige Zange. Ein uriger Schrei brach von seinen Lippen, das rechte Knie setzte gleichzeitig zum Rammstoß an. Er dachte, er sei immer noch schnell, doch seine Bewegungen waren müde geworden. Der andere war jedenfalls viel schneller und noch gut bei Atem. Der Glatzkopf spürte es überdeutlich, als etwas an seine rechte Schläfe krachte. Sonne, Sterne, Nebel und Schießpulver, das alles explodierte gleichzeitig in einer brüllenden Detonation. Und dann war da nur noch ein schwarzes gähnendes Loch, endlos tief. Eine Kluft, in die der Dicke hineintaumelte. Er war so paralysiert, daß er die Arme nicht mehr hochbrachte. Er wollte sie heben, doch es ging nicht. An seinen Armen hingen tonnenschwere Bleigewichte. Er bewegte lautlos die Lippen und brach zusammen. Das riesige Gebirge aus Muskeln und Sehnen streckte sich der Länge nach aus. Der Bulle hatte seinen Meister gefunden! Was jetzt auf der Pier und an Land losbrach, war nicht mehr mit normalem Geschrei zu vergleichen. Die Leute waren restlos aus dem Häuschen und ließen einen Sturm der Begeisterung los, der durch ganz Wiborg zu hören war. Hasard stand da, schwer atmend, und wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht. Seine Fäuste zuckten, in den Schultergelenken brannte es, und er schnappte nach Luft. Seine nächste Reaktion war neben Erleichterung auch Wut über sich selbst. Jetzt hatte er genau das getan, was er seinem Profos strikt verboten hatte. Jetzt
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hatte er selbst gegen diesen Muskelberg gekämpft und gewonnen. Wie ein Schläger, dachte er verärgert, und das alles nur wegen Plymmie, weil die ein Häufchen vor das Podest gesetzt hatte, einen Klacks im wahrsten Sinne des Wortes. Nein, korrigierte er sich gleich darauf. Seine Söhne hatten sich korrekt verhalten, und ein Hund kannte die menschlichen Regeln eben nicht, dem konnte man nichts vorwerfen. Aber der Dicke hatte auf seine Söhne eingeprügelt - das war der eigentliche Grund zum Ärgernis gewesen. Jetzt lagen der Dicke und der Bulle ausgezählt auf den Bohlen. Die Menge ließ Hasard hochleben. Sie hieben ihm auf die Schultern und beglückwünschten ihn lautstark. Aber das alles plätscherte an seinem Ohr wie aus weiter Ferne vorbei. Er starrte fast blicklos auf die beiden bewußtlosen Kerle und fragte sich wie der Dicke und sein Schläger auf die Niederlage vor aller Augen wohl reagieren würden, denn der Nimbus des Bullen von Wiborg war dahin. Seine protzige Unbesiegbarkeit war vor einem brüllenden und schadenfrohen Publikum abgeblättert wie alte Farbe, und das überwanden solche Männer nicht. „Was ist?“ fragte er abwesend. Blacky hatte schon zweimal gefragt, aber Hasard war noch ein ganzes Stück weg, bis er in die Wirklichkeit zurückfand. „Was tun wir mit den beiden Kerlen, Sir? Das war übrigens ein prächtiger Kampf. So habe ich dich schon lange nicht mehr erlebt.“ „Bleib auf dem Boden, Blacky. Schnappen wir uns die Kerle und feuern wir sie auf das Podest da drüben, wo sie hingehören.“ „Aye, aye, Sir“, sagte Blacky mit leuchtenden Augen. Auch Shane, Old O'Flynn und ein paar andere ließen es sich nicht nehmen, den Seewolf zu seinem Sieg zu beglückwünschen, bis Hasard langsam biestig wurde. „Verdammt, ich habe den Kerl nicht gegen Geld herausgefordert“, sagte er, „und ein
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Schaukampf war ebenfalls nicht eingeplant. Ich habe mich nur über den Fettwanst geärgert. Der hätte nicht gleich mit dem Knüppel schlagen sollen. Und dieser Mistbock hier wäre auch besser auf seinem Podest geblieben.“ „Trotzdem“, beharrte Big Old Shane, „du hast sauber und fair gekämpft, und das verdient Anerkennung. Ich werde mir den Bullen gleich mal aufladen.“ Für Big Old Shane blieb allerdings nur der Fettwanst übrig, denn Hasard bückte sich bereits nach dem schlafenden Bullen und hievte ihn sich aufs Kreuz. Unter dem Gejohle der Leute, die immer noch klatschten und brüllten, trug Hasard den Fleischberg die Stufen des Podestes hoch und warf den Kerl dort wie einen Sack Rüben auf die Bretter. Shane hievte den immer noch bewußtlosen Fettwanst hoch und warf ihn neben den anderen. „Mir langt es für heute“, sagte Hasard. „Immer wenn man Stunk vermeiden will, geht es ganz besonders hart her.“ Der graubärtige Ex-Schmied von Arwenack grinste. „Was wohl der Profos dazu sagen wird“, sagte er augenzwinkernd. „Der war ganz wild auf diesen Fleischkloß.“ „Der Profos wird in der nächsten Zeit genug mit seiner Glatze zu tun haben“, erwiderte Hasard, und diesmal lächelte er ebenfalls. „Das Problem wird ihn noch eine ganze Weile beschäftigen.“ „Du glaubst wirklich, daß er die Wette verliert?“ „Hat Luke jemals eine Wette verloren?“ fragte Hasard dagegen. „Bisher noch nicht. Aber auch der Heppus“, das war abwertend für Herkules gemeint, „hat noch keine Niederlage erlitten. Das war seine erste.“ „Der ist auch nicht so gewitzt wie Luke“, sagte Hasard. Unter dem Gejohle des Publikums, das jetzt den besten Kampf der letzten zehn Jahre gesehen hatte - und den noch kostenlos - kehrten sie an Bord zurück.
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Die Arwenacks tummelten sich noch irgendwo herum und würden wohl erst spät in der Nacht angesäuselt zurückkehren. 5. Carberry grinste über beide Ohren, als er am anderen Morgen in aller Frühe vernahm, was sich ereignet hatte. „Sieh mal an“, sagte er fast neidisch, „mir verbietet der Sir, daß ich den Bullen ein bißchen auf Trab bringe, und er selbst prügelt ihn windelweich.“ „Dafür war auch ein Grund vorhanden, Ed“, sagte der Seewolf, der gerade an Deck erschien. „Aye, aye, Sir“, sagte der Profos eifrig. „Aber ich hätte den Kerl zu gern einmal durchgewalkt. Ich kann ja mit Plymmie später vor dem Podest auf und ab gehen, vielleicht kackt sie noch einmal dahin, und dann habe ich auch einen Grund.“ „Das sieht dir ähnlich, du bist wirklich unverbesserlich, Ed. Ich denke, wir suchen jetzt Runeberg auf. Die gesamte Crew ist nämlich schon sehr um deine Haare besorgt.“ „Die bleiben drauf“, versicherte Ed freundlich. „Wenn einer an der Rübe friert, dann ist es Luke.“ Nach dem Frühstück gingen sie los. Hasard hatte das Empfehlungsschreiben von Heikki Lahtinen dabei, dem Reeder und Holzkaufmann aus Abo. Zu viert waren sie: Hasard, Stenmark, der Profos und Luke Morgan, der sich angeblich auf Pelze verstand, wie der Profos immer wieder extra betonte. Das Kontor und die Lagerräume befanden sich nach des Hafenmeisters Beschreibung in unmittelbarer Nähe des Hafens und waren nicht schwer zu finden. Als Hasard sich über Stenmark als Dolmetscher durchfragte, fanden sie Birger Runeberg auf Anhieb. Er war ein großer schlanker und kräftig gebauter Mann mit einem ehrlichen Gesicht und hellen blauen Augen. Nase und Kinn waren kräftig ausgeprägt, sein helles Haar ein wenig gelichtet.
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Die Begrüßung fiel herzlich aus, die Männer waren sich auf Anhieb sympathisch, und Runeberg drückte Hasards Rechte noch einmal kräftig, nachdem er das Schreiben durchgelesen hatte. Stenmark dolmetschte wieder flüssig. „Ich kenne Sie schon, Kapitän Killigrew“, sagte Runeberg. „Seit gestern kennt Sie fast jeder in Wiborg. Ich selbst habe den Kampf zwischen Ihnen und diesem fürchterlichen Kerl gesehen und kann Ihnen zu dem überragenden Sieg nur gratulieren. Sie haben den Leuten in Wiborg damit einen großen Gefallen getan.“ „Ich wollte den Kampf nicht“, sagte Hasard. „Der Bulle griff mich an, und ich mußte mich verteidigen.“ Birger Runeberg nickte nachdenklich. „Der Bulle - ja. Das ist sein Kampfname, der Bulle von Wiborg. Er tauchte hier zum ersten Male vor zehn Jahren als Ringer auf. Seither erscheint er mit dem Dicken jährlich im März auf dem Jahrmarkt und veranstaltet Preiskämpfe. Leider finden sich auch immer wieder Dumme bereit, die ihre Kraft messen wollen und, dann erbarmungslos zusammengeschlagen werden. Das gilt natürlich nicht für Sie, Kapitän Killigrew, Sie hatten andere Motive. Nehmen Sie sich vor diesen beiden Kerlen in acht. Sie sind nicht nur heimtückisch und hinterhältig, sie sind auch sehr nachtragend.“ „Was für Landsleute sind das?“ „Der Bulle stammt aus Persien und heißt Rahim Mansour. Der Dicke ist Russe, er heißt Djemal Jarigin. Beide sind der Schrecken aller Rummelplätze, Jahrmärkte und Messen. Sie üben Terror aus und betrügen die Leute nach Strich und Faden.“ „Wir haben gesehen, daß der Russe den Opfern die Taschen leerte“, sagte Hasard. „Er tut das sehr geschickt und schnell.“ „Jetzt werden sich beide etwas vorsehen, wie ich vermute, seien Sie aber trotzdem auf der Hut. Der Russe ist ein schlitzohriger Beutelschneider und Betrüger, der Perser ein übler Schläger. Sie haben ihm die erste Niederlage bereitet,
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und das verwindet er nicht. Er ist noch nie im Kampf besiegt worden, seit zehn Jahren nicht. Er wird auf Rache sinnen. Aber lassen wir diese Kerle, es führt zu nichts, sie sind Halunken. Sie wollten Pelze kaufen, Kapitän Killigrew. Lathinen empfiehlt Sie sehr, und wen mir Heikki ans Herz legt, dem kann ich absolut vertrauen. Ich freue mich, Sie kennenzulernen.“ Das versicherte Hasard ebenfalls. Runeberg hatte ein offenes, ehrliches Gesicht, man konnte ihm vertrauen, er war korrekt und höflich, und somit war die Vertrauensbasis hergestellt, und keiner würde den anderen übers Ohr hauen. Er bot allen einen Schnaps an und trank ihnen zu. Anschließend führte er die Seewölfe zu seinen Lagerhallen hinüber. Was hier an Pelzen lag, war finanziell nicht einmal annähernd abzuschätzen. Es mußte ein riesiges Vermögen sein. Da stapelten sich ganze Ballen bis an die Decke. Vor jedem Packen war ein Fell ausgebreitet, gegerbt und gewalkt, daneben ein zweites noch unbearbeitetes zum Vergleich, damit der Käufer wußte, welche Art Pelze er vor sich hatte. Hasard kriegte sehr schmale Augen. Er konnte wohl beurteilen, ob die Felle schön waren, ob sie ihm gefielen oder ob sie sein Mißfallen erregten, aber über die Verarbeitung wußte er nichts, und den Wert konnte er ebenfalls nicht schätzen. Dabei war dieser Pelzhandel für die englische Krone äußerst wichtig. Der Profos begnügte sich mit einem süffisanten Grinsen und blickte Luke Morgan an, der auf die Felle stierte. „Sehen Sie sich alles in Ruhe an“, sagte Runeberg, „in der angrenzenden Lagerhalle finden Sie jene Felle und Pelze, die schon bearbeitet sind. Das hier ist Rohware, das gehört noch in die Kürschnerei zu den Spezialisten. Das andere ist in meiner Kürschnerei fix und fertig bearbeitet worden.“' Hasard nickte und fand, daß er doch zwischen zwei Stühlen saß. Wie, zum Teufel, unterschied man die Qualität bei diesen Fellen?
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„Polarfuchs“, sagte Luke gerade. „Das ist ja ganz hervorragende Qualität.“ Er befingerte das Pelzwerk, drehte es herum, hob auch blitzschnell einen ganzen Packen hoch und drehte ihn ruckartig herum. „Was zum Teufel, soll das?“ fragte der Profos knurrend. „Willst du hier gleich umstauen, was, wie?“ „In manchen Fellen oder Pelzen“, dozierte Luke etwas von oben herab, „hält sich der sogenannte Kürschner auf. Das ist ein Pelzkäfer mit dem lateinischen Namen Attagenus pellio. Der legt hier seine Eier ab, daraus werden Larven, und diese Larven fressen das Pelzwerk kurz und klein. Das kriegt jeder Kürschnerlehrling schon in den ersten Lehrtagen eingebläut, darauf hat man immer zu achten, du Hering. Und wenn man die Pelze ganz schnell umdreht, dann fallen die Larven heraus, oder die Käfer hauen ab.“ „So“, sagte Ed verbiestert, „die Käfer hauen ab, aha, hmmmm.“ Ziemlich kleinlaut klang das, und unwillkürlich fuhr sich der Profos mit der rechten Hand über seine Haarborsten. Daß er dabei hart schluckte und recht unglücklich dreinschaute, konnte vielleicht bloßer Zufall sein. Hasard kam aus dem Staunen über Luke nicht mehr heraus. Der benannte jeden Pelz auf Anhieb, wies auf die Qualität hin, hatte auch an manchem Pelzwerk etwas zu bemängeln, lobte hier und dort, kritisierte oder nickte anerkennend. Runeberg hatte auch fertige Pelzmäntel auf Lager, Pelzmützen und sogar Pelzstiefel. Dann sprach Luke über Stenmark mit Runeberg, und sie palaverten fast eine halbe Stunde lang. Luke beriet den Seewolf, welche Pelze zu kaufen sich lohnten, von welchen man gleich massenweise kaufen und auf welche man verzichten sollte. Er sah Birger Runeberg immer wieder anerkennend nicken, wenn Luke etwas sagte. Schließlich wandte sich der Pelzhändler lächelnd an Hasard. „Sie sind ein tüchtiger Kaufmann, Kapitän Killigrew, das beweist allein schon die
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Tatsache, daß Sie sich extra einen Experten für dieses Gebiet an Bord genommen haben. Der Mann ist vom Fach. Kennen Sie ihn schon lange?“ Der Profos nieste so laut und erschrocken, daß sich ein ganzer Stapel Felle bewegte. Dann begann er zu husten, als hätte er einen ganzen Blaufuchs verschluckt, der ihm noch im Hals hing. „Das ist ein Mann meiner Besatzung“, erklärte Hasard und grinste so infam, daß Runeberg fast daran zweifelte. „Toll“, sagte er, „na ja, das ist Ihre Sache, obwohl ich nur selten gehört habe, daß Pelzexperten auch zur See fahren.“ Stenmark übersetzte das natürlich extra korrekt und überdeutlich. Aber der Profos schien heute einen kleinen Mann im Ohr zu haben. Sein Gesicht wurde immer länger, seine rechte Hand fuhr immer wieder über seinen Schädel, und er wirkte verbiestert und muffig, als er vor den Pelzmützen stand und den Berg aus Fellen sauer anstierte. Hasard kaufte Polarfuchs, Biber, wilde Nerze, Bisam, Silberfuchs, Otter und auch den kostbaren Hermelin. Von einigen anderen Sorten riet Luke Morgan ab. Die ließen sich in England nur schlecht an den Mann bringen, beteuerte er. Auch über den Preis wurde man sich sehr schnell einig. Runeberg feilschte nicht, und Luke fand den Preis korrekt und angemessen, daher feilschte er auch nicht. Aber dem Profos mußte Hasard noch eins überbraten, und er tat das mit ausgesprochenem Genuß. „Mister Morgan ist wirklich Decksmann an Bord meines Schiffes“, sagte er, „bis gestern wußten wir nicht, daß er etwas von Pelzwerk versteht. Aber jetzt hat er das offenbar bewiesen, denn die meisten wollten es nicht glauben.“ Ein Blick aus den Augenwinkeln traf den Profos, der immer mehr zusammenschrumpfte. Hasard entsann sich nicht, ihn jemals so gesehen zu haben. Fast klein wirkte Carberry jetzt, klein und häßlich mit hängendem Kopf und stierem Blick, das Gesicht so sauertöpfisch verzogen wie Mac Pellew, als hätte er
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gerade erfahren, daß die Welt untergehen würde und mit ihr alle seine Freunde. Und zur Krönung dieser augenblicklichen Jammergestalt jetzt noch eine Glatze, dachte Hasard fast entsetzt. Himmel und Oberhochgroßlord! Bei dem Profos traute sich dann ja keiner mehr an Deck. Die Kerle zeigten schon die Hacken, wenn er nur an der Kimm auftauchte. „Ein Experte ist das“, sagte Runeberg spontan. „So einen Mann könnte ich hier gebrauchen, der versteht sein Handwerk.“ Carberry wurde noch kleiner, als Sten das übersetzte. Er drückte das Kreuz durch und muffelte herum, nieste alle Augenblicke und hustete dann wie ein kranker Elchbulle, bis sogar der Pelzhändler aufmerksam wurde. „Fehlt dem Mann etwas?“ fragte er besorgt. Hasard nickte ernst und sah den Profos an, der noch einmal liebevoll und abschied nehmend seinen Schädel kratzte. Noch hatte er dabei Haare in der Hand - noch... „Ja, leider“, sagte Hasard bedauernd. „Eine Allergie nennt man das wohl, glaube ich. Er ist allergisch gegen Pelzwerk und Felle. Aber das gibt sich im Laufe des Tages, dann wird er sich wieder befreiter fühlen, dann nämlich, wenn er den Pelz los ist, ich meine, wenn wir ihn verstaut haben.“ Carberry litt schon jetzt Höllenqualen, und die anderen waren so unfair und ergötzten sich mit fast sadistischer Freude daran. „Dann hätten Sie ihn besser an Bord lassen sollen“, meinte Runeberg besorgt, „ich kenne das nämlich.“ „Das wollte ich auch, aber er kann sich trotz seiner Allergie an Pelzen und Fellen nicht satt sehen“, log Hasard. „Es ist ein Kreuz mit ihm, dabei tut er mir richtig leid.“ „Ja, ein etwas - hmmm, eigenartiger Mensch“, murmelte Runeberg, aber das meinte er keinesfalls böse, wenn dem Profos nach der Übersetzung auch fast die Tränen in die Augen schossen. Jetzt sah er wie das Leiden Christi persönlich aus, als hätte ihm jemand die Dornenkrone aufgesetzt und mit einem Hammer festgeklopft. Er litt Höllenqualen,
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der Profos, und er verfluchte das Kürschnerhandwerk und ganz besonders einen vorwitzigen, großmäuligen Luke Morgan, der ihm das alles eingebrockt hatte. Klar, Luke war an allem schuld, kein Zweifel! So sah Ed es aus seiner jetzigen Perspektive, die alle anderen Gedanken verdrängte. Er war wieder der glorifizierte Unschuldsengel und alle fieren waren Sauhunde und Rübenschweine. Daß er das alles selbst provoziert hatte, kam gar nicht zur Suche. Die Bezahlung war erledigt. Die Lieferung sollte nach dem Mittag erfolgen. Runeberg wies ein paar seiner Leute an, die Felle in Packen zu sortieren und zum Transport bereit zu halten. „Ich begleite den Transport persönlich“, sagte Runeberg. „Kurz nach Mittag sind wir dort.“ Hasard gab ihm die Hand. „Ich würde mich geehrt fühlen, wenn ich Sie zu einem kleinen Umtrunk einladen dürfte, Mister Runeberg.“ Die Einladung wurde dankend angenommen. Runeberg begleitete sie hinaus und sah mitleidig auf den hinterher schleichenden Riesen. Den mußte die Allergie ja mächtig gepackt haben, denn der war so verstört, daß er alle Augenblicke stehenblieb, tief und kräftig durchatmete und ein Gesicht zog, als müsse er zu seiner eigenen Beerdigung. Ein bedauernswerter Kerl war das, fand Runeberg. So groß und stark und doch so anfällig und sensibel wie eine empfindliche Mimose. Jeder hatte eben sein Kreuz zutragen, auch dieser Riese. 6. Ferris Tucker starrte sich die Augen aus, als die vier Mann wieder zurückkehrten. Jetzt mußte der Beweis ja erbracht sein. Entweder würde Luke Morgan still und bescheiden die Klappe halten, oder er würde grinsen. Andere Möglichkeit: Ed würde laut herumtönen, den kleinen Luke verhöhnen und sich krank lachen. Und
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dabei würde er ihm ständig grinsend auf die Schulter klopfen. Aber der Profos tönte nicht herum. Vielmehr feixte Luke Morgan ganz niederträchtig. Stenmark grinste hinterhältig, und auch der Seewolf war so fröhlich wie selten. Immer wieder erschien in seinen Mundwinkeln ein Lächeln. „Jetzt weiß ich, wo die Glocken hängen“, rief Ferris fast entsetzt. „Seht euch den Profos an, der ist total abgeschlafft und hinkt wie eine kranke Miesmuschel hinterher.“ „Verdammt!“ brüllte Smoky verstört. „Das sieht ja fast so aus, als hätte ich die Wette verloren.“ „Hast du auch“, sagte Sam Roskill. „Luke ist eben ein ausgefuchstes Kerlchen.“ „Wollen wir wetten, daß Ed die Wette verloren hat?“ fragte Smoky. „Du spinnst ja“, sagte Dan, „laß uns erst einmal die andere Wette abwarten, Mann.“ „Dem Profos hängen die Ohren bis auf den Boden“, stellte Bill fest. „Das überlebt er nicht. Das schafft ihn total.“ Die meisten hatten die Wette verloren, aber der Spaß an der Sache überwog, und so zahlten sie schon jetzt, als sie den kleinlauten Profos sahen. Dem entging das natürlich auch nicht, als er über die Stelling wankte, und sein Gesicht wurde noch länger. Klar, daß jetzt auch die Hänselei losging, das war unvermeidbar. Der Kutscher, den Carberry immer gern zur Brust nahm und trotzdem dabei den kürzeren zog, schien ganz besorgt. Sein Grinsen war nur angedeutet und leicht mitleidig. „Armer Ed“, sagte er bedauernd. „Sieht so aus, als hättest du wirklich verloren.“ „Hab ich von Anfang an gewußt“, brummte Carberry. „aber ich bin ja kein Spielverderber.“ Gelächter erklang von allen Seiten, als die Arwenacks sich aufbauten. Carberry zuckte wie unter einem Hieb zusammen. Bevor der „gute Ed“ nun seine Federn lassen mußte, klärte Hasard seinen Mannen erst einmal ganz genau auf, auch darüber, daß sich Luke als Experte, erwiesen hatte
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und sich wahrhaftig mehr als sehr gut auf diesem Gebiet auskannte. „Luke ist also Sieger“, sagte Hasard. „Und du, Ed, wirst das tragen wie ein Mann, was du herausgefordert hast. Im übrigen haben Haare die Angewohnheit, wieder nachzuwachsen. Falls du das nicht glaubst, dann wird der Kutscher es dir gern bestätigen.“ Das tat der Kutscher auch sogleich liebevoll und besorgt, doch sein versteckter Spott war dabei nicht zu überhören. „Keine Sorge, Ed“, sagte er, „sieh dir nur einmal deine Borsten an. Jedes einzelne ist fast so hart wie ein Kupfernagel. Das beweist doch schon, wie gesund sie sind. Und sie werden wieder prächtig nachwachsen. Anfangs siehst du zwar wie ein zu groß geratener Igel aus, aber das gibt sich wieder. Ein Kahlschlag der Haare, das weiß sogar die Medizin schon, fördert den Nachwuchs. Erst viel später, wenn du mal ein alter Knochen bist, dann geht der Haarwuchs leicht zurück, doch das kann wiederum vorteilhaft durch eine Perücke ausgeglichen werden. Ich denke da an einen gewissen Nathaniel Plymson von der ,Bloody Mary', der weiß sich auch zu helfen. Später kannst du dir sogar die Haarfarbe selbst aussuchen, Löckchen tragen, Zöpfe oder eine niedliche Krause.“ „Hör auf so'n Scheiß zu predigen, du Molch“, brummte Ed. „Wachsen sie bestimmt schnell wieder nach?“ „Klar doch“, versicherte der Kutscher ernsthaft. „Du hast da keine Probleme. Haare wachsen ganz besonders auf Sumpflandschaften sehr prächtig. Sie gedeihen aber auch auf Wasserköpfen und sogar Melonen. Selbst bei gewissen Dürreperioden in gewissen Hirnzonen pflegen die Haare ...“ „Hör auf!“ brüllte Ed, während sich e Arwenacks vor Lachen bogen und sich die Seiten hielten. Die Predigt des Kutschers sorgte für ausgelassene Heiterkeit, aber diesmal war Carberry eine Art Patient und konnte sich nicht durchsetzen. Grämlich sah er sich schon als Pflegefall wochenlang im Krankenraum der „Isabella“ liegen.
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„Genug jetzt“, sagte Hasard. „Luke, fang an! Der Kutscher hat schon Schere, Messer und Seife bereit.“ Luke Morgan grinste und feixte abwechselnd. Ein köstliches Spielchen war das, besonders, wenn man es gewonnen hatte, so wie er. Da konnte man es dem Profos mal prächtig zeigen. Lächelnd stellte er sich vor Ed und verkündete laut: „Ich bestehe nicht darauf, dem Profos die Haare abzusäbeln, Sir. Ich habe die Wette gewonnen, und das genügt mir, das war mir der Spaß wert. Noch mehr Freude hat es mir bereitet, Sir, daß ich dir beim Einkauf der Pelze behilflich sein konnte.“ Der Kutscher stieß einen anerkennenden Pfiff aus. Die meisten anderen murmelten achtungsvoll „Donnerwetter“, oder „ein feiner Zug von unserem Luke“. Hasard rechnete ihm das ebenfalls hoch an und nickte ihm zu. „Prachtvolle Kerle sind das“, sagte er laut. „Dann entfällt also die Absäbelei der Profoshaare.“ „Von wegen“, röhrte Ed. „Wette ist Wette. Jetzt habe ich mich daran gewöhnt mit einer Platte herumzulaufen und ...“ „Aber du hast doch noch keine“, sagte Matt. „Ich will aber eine, verdammt noch mal. Und ich bestehe sogar darauf. Wo kämen wir hin, wenn man seine Wette nicht hält, was, wie?“ Sie starrten ihn an, als hätte er jetzt endgültig den Verstand verloren. „Wenn man eine Niederlage erlitten hat“, sagte Ed, „dann trägt man sie auch wie ein Mann und steht das durch, jawohl! Und als Profos ist es meine verdammte Pflicht und Schuldigkeit, allen Rübenschweinen und Affenärschen mit leuchtendem Beispiel voranzugehen. Ich bin bereit, ich hab schließlich auch meinen Stolz. Und jetzt fangt endlich an!“ „Aber Ed“, sagte Hasard vermittelnd, „wenn Luke doch großzügigerweise darauf verzichtet ...“ „Luke hat überhaupt keine Verzichtserklärungen abzugeben, Sir. Die Glatze ist mein gutes Recht und steht mir
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zu. Ehrlich erworben, ohne Haken und Ösen. Und wenn Luke mir die Borsten nicht absäbeln will, dann tue ich es eben selbst. Wohin führt denn das, wenn ich jetzt kneife, was, wie? Die Kerle haben sich über mich halb krank gelacht, jetzt sollen sie ruhig nur noch mehr rumstänkern und blöde Witze reißen. Ein Profos weicht und wankt nicht. Fang jetzt endlich an, du verlauste Pelzlaus!“ rief er Luke zu. „Du spinnst doch, Ed“, sagte sein Freund Ferris. „Laß es bleiben. Nachher siehst du aus wie ein kalter Arsch mit Birnen.“ „Genauso will ich auch aussehen. Oder wollt ihr jetzt etwa vor der Wette kneifen?“ „Na gut“, sagte Luke schließlich, „wenn du unbedingt darauf bestehst, dann bleibt mir nichts anderes übrig.“ „Endlich siehst du es ein.“ Carberry verstrahlte plötzlich eine direkt beängstigende Ruhe. Er brachte sogar ein mattes Grinsen zustande. Der Kutscher schwieg verblüfft, auch die anderen wußten daraufhin nichts mehr zu sagen, und so reichte der Kutscher Luke Morgan für den Grobschnitt zunächst eine Schere. Der Profos zog sein Hemd aus, hockte sich auf die Kuhlgräting und wartete geduldig wie ein Opferlamm, als Luke mit dem Instrument anrückte, noch einmal zögerte, dann aber loslegte und in die Pracht mit schlechtem Gewissen hineinschnitt. Das erste Büschel flog auf die Planken. Dort stand Hasard junior und kehrte des Profos harte Borsten zu einem Häuflein zusammen. Die Crew schwieg immer noch eisern. Jeder starrte gebannt auf Eds Schädel, der nun sichtlich kleiner wurde, aber auch borstiger, bis er schließlich wie ein kleiner Strohballen aussah. Luke schnitt weiter, und etwas später erinnerte sie der Profos verblüffend an den Aracanga Sir John, wenn der in der Mauser war und halbgerupft aussah. Jetzt standen ihm Igelborsten vom Kopf nach allen Seiten, doch der Profos grinste. Allerdings veränderte sich durch den Haarschnitt auf eigentümliche Art und
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Weise auch sein Gesicht. Die Narben waren deutlicher zu erkennen, die Augen wurden etwas größer und sein Rammkinn nahm überdimensionale Formen an. Gleichzeitig lag auch ein Hauch von wilder Brutalität in Eds Zügen. Luke Morgan schluckte verstört, seifte dann dem Profos den Schädel ein, bis der unter einer dichten weißen Matte verschwand und setzte mit dem Rasiermesser zum Feinschnitt an. Zügig rasierte er den Schädel kahl, schnitt und säbelte, ließ sich dann von Philip eine Pütz Seewasser bringen und tunkte den Profosschädel hinein. Dann spülte er Schaum und Seife ab. Als Carberry diesmal den Schädel hob, da zuckten doch alle mächtig zusammen. Seine fromme Pilgerrolle konnte er jedenfalls nicht mehr spielen. Jetzt sah er eher wie ein Kinderschreck aus, und eine weit entfernte Ähnlichkeit mit dem Bullen von Wiborg ließ sich bei allem guten Willen nicht leugnen. „Ogottogott“, sagte Smoky entsetzt. „Jetzt laust mich doch dieser und jener“, meinte Old O'Flynn entgeistert, „so sieht der alte Carberry in Wirklichkeit aus! Das ist ja entsetzlich, mir graust.“ „Ohhh, Mann, ohhh, Mann“, stöhnte Smoky. Dan O'Flynn grinste, Tucker nickte dem Glatzkopf-Profos zu und begann laut zu lachen. Big Old Shane schlug sich die Fäuste auf die mächtigen Schenkel und lachte Tränen. Und der nun kahlköpfige Profos hockte grinsend auf der Gräting und präsentierte sich seinen verblüfften und erheiterten Kameraden. Selbst als das Gelächter anschwoll, wurde er nicht sauer oder gar ärgerlich, er lachte sogar mit, allerdings sah das zum Fürchten aus. Die Kerle konnten sich an seinem Anblick nicht satt sehen und kriegten sich nicht mehr. „Habt ihr jetzt genug gestiert, ihr Ochsen?“ fragte Carberry ausgesprochen freundlich. „Dann ist es ja gut.“ Er stand auf, bückte sich nach seinem Hemd und holte etwas daraus hervor. Es
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war eine Pelzmütze, und sie paßte merkwürdigerweise wie angegossen, als er sie auf seinen kahlen Schädel stülpte. „Dann amüsiert euch mal schön“, sagte er trocken. „Den Anblick habt ihr lange genug genossen.“ Jetzt war der Profos am Grinsen, das tat er auch ausgiebig. „Eine Pelzmütze?“ sagte Hasard, und seine Frage klang mißtrauisch. „Wo hast du die denn her, Ed?“ „Tja, wo habe ich sie eigentlich her, Sir? Ah, ich weiß es. Die muß mir im Pelzlager beim Niesen wohl plötzlich unters Hemd gerutscht sein.“ Solange seine Glatze nicht sichtbar und unter der Mütze verborgen war, funktionierte auch wieder der treuherzige Hundeblick und der fromme Augenaufschlag. Carberry grinste zu ganz dünn. „Mann, bist du ein Schlitzohr“, sagte Hasard andächtig und kopfschüttelnd. „Beim Niesen unters Hemd gerutscht!“ „Ja, es passieren merkwürdige Sachen“, sagte Ed treuherzig. Die Arwenacks konnten nicht mehr. Ihr Profos war einfach ein unverbesserlicher Kerl, und so ließen sie ihrem brüllenden Gelächter freien Lauf, daß es über den ganzen Hafen wie ein Gewitter zog. Der Seewolf gab sich lachend geschlagen. Er seufzte leise. „Ich gebe eine Runde Akvavit aus“, erklärte er. „Luke und Ed erhalten eine doppelte Runde. Ein wenig muß das ja gefeiert werden, ihr Schlitzohren.“ Das taten sie dann auch, und das Gelächter nahm kein Ende. * Nach dem Mittagessen, dem Bakken und Banken, rumpelten drei Kastenwagen über die Katzenköpfe der Pier und hielten vor der „Isabella“. Birger Runeberg kletterte von dem einen Wagen und ließ von zwei Männern die Planen zurückschlagen. Auf allen drei Wagen befanden sich große Bündel Pelze, die sogleich abgeladen wurden.. Auf der
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„Isabella“ war der Laderaum bereits geöffnet und wartete auf die kostbare Fracht. „Sie können es noch einmal überprüfen, Kapitän Killigrew“, sagte Runeberg, „ich verbürge mich für die Qualität. Ein Extrapacken ist die Zugabe, wie bei mir üblich nach einem großen Verkauf.“ Hasard nahm den Mann ein wenig beiseite. „Ich bin Ihnen noch etwas schuldig, Mister Runneberg“, sagte er, „den Betrag für eine Pelzmütze nämlich. Die ist meinem Profos aus Versehen unters Hemd gerutscht, als er niesen mußte.“ „Ah, der Mann, der gegen Pelze so empfindlich ist?“ Hasard lachte leise und berichtete Birger Runeberg von der seltsamen Wette, und wie alles zusammenhing. Zuerst war Runeberg ernst und hörte gespannt zu, dann grinste er, schließlich lachte er laut und konnte sich kaum beruhigen. „Geschenkt, geschenkt!“ .rief er. „Die geht extra noch als Zugabe drauf. Ich habe mich köstlich amüsiert.“ „Die Mütze ist sozusagen in Notwehr entwendet worden“, sagte Hasard, „und gerade deshalb bestehe ich darauf, sie zu bezahlen.“ . Schließlich willigte Runeberg widerstrebend ein und nannte einen lächerlichen Betrag. „Dort hinten lungert der Perser herum“, sagte er, „der Schläger Mansour. Geben Sie gut acht.“ Hasard und die anderen hatten den Bullen von Wiborg längst gesehen, doch sie behandelten ihn wie Luft. Er stand an der Pier, nicht weit von den Wagen entfernt, und sah zum Fürchten aus. Hasards Fäuste hatten ihn gezeichnet und farbige Spuren in der Visage hinterlassen. Die eine Klüse war blauschwarz und dichtgeschwollen, unter der anderen prangte ein dunkelgrünes Veilchen mit den zarten Farben des Regenbogens. -Aber das eine Auge blitzte ausgesprochen tückisch. Gleich darauf passierte der nächste Zwischenfall.
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Tucker und zwei andere luden sich die Packen aufs Kreuz und trugen sie an Bord. Den nächsten Pelzpacken, einen besonders schweren Brocken, schnappte sich Batuti und hievte ihn sich auf das breite Kreuz. Dabei mußte er so gebückt gehen, daß er kaum noch nach rechts oder links blicken konnte. Der Bulle von Wiborg hatte unmerklich seinen Standort gewechselt und stand jetzt so, daß Batuti dicht an ihm vorbei mußte. Der Mann aus Gambia ahnte nichts Böses. Als er vorbeiging, stellte Mansour ihm ein Bein. Gleichzeitig holte er mit dem anderen Fuß aus und trat Batuti kräftig und voller Wut in den Hintern. Unter der Last der Pelze und durch den unverhofften Tritt aus der Balance gebracht, flog Batuti mit seiner schweren Last auf die Katzenköpfe und segelte ein Stück auf ihnen entlang. Der Packen mit den Pelzen sauste noch weiter, doch Batuti war so schnell wie ein Panther wieder auf den Beinen. Allerdings war er auch genauso wütend wie ein Panther, der gereizt wurde. Mit einem mächtigen Satz sprang er zurück und hob die Fäuste. Seine Augen rollten vor Wut, und mit seiner Beherrschung war es vorbei. Mansour grinste dreckig und verschlagen. Er wollte provozieren, und das war ihm auch gelungen. Allerdings hatte er nicht mit der wahnsinnig schnellen Reaktion des Schwarzen gerechnet. Doch noch bevor Batuti etwas unternehmen konnte, stand plötzlich der Profos wie aus dem Boden gewachsen neben ihm. Auch Stenmark und Smoky erschienen unvermittelt. Der Profos hatte eine doppelläufige Radschloßpistole in der Faust und richtete sie auf den Bullen. In seinem Blick lag eine eiskalte Wut. „Wenn du Wildsau hier nicht augenblicklich verschwindest“, brüllte er, „dann werde ich schießen! Sag ihm das, Sten!“ Sten übersetzte es im selben brüllenden Tonfall, doch Mansour grinste nur dreckig. Carberry senkte den Doppellauf und drückte ab, genau vor die Füße des Bullen.
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Der sprang aus dem Stand entsetzt einen riesengroßen Schritt zurück und starrte den Profos verblüfft an. „Die nächste trifft!“ brüllte Ed. „Die kriegst du eine Daumenbreite über deiner Wurstnase serviert, du Hohlkopf!“ Als Sten auch das übersetzte, starrte Mansour beeindruckt den Profos an, grinste dann wieder dreckig und spie Carberry dicht vor die Stiefel. Dann sagte er etwas in holperigem heiserem Schwedisch. „Er fragt, ob das schwarze Schwein sich nicht selbst verteidigen könne. Er würde gern gegen ihn auf dem Podest kämpfen, aber dazu sei das schwarze Schwein sicher zu feige.“ Es hätte nicht viel gefehlt, und der Profos hätte auch noch den anderen Lauf leergeschossen, so war er in Braß. Er sprang noch einen Schritt vor, gereizt bis zum Äußeren. „Du hast wohl noch nicht die Schnauze voll von gestern, du Mistkerl, was, wie? Wie unser Kapitän kämpft, so kämpft die ganze Mannschaft. Da kannst du Bullenarsch gleich dein letztes Gebet sprechen, dein persisches, du Stinkwanst. Und nach einem Sarg kannst du dich ebenfalls gleich umsehen.“ Der Bulle schluckte hart. Haß war in seinem einen Auge zu erkennen. Ed hätte ihn jetzt liebend gern gleich an Ort und Stelle zur Brust genommen. Doch da war noch ein anderer, der sich in seiner Ehre und seinem Stolz gekränkt fühlte. Batuti mußte von Smoky, Stenmark und Gary Andrews festgehalten werden, damit er den Bullen nicht verschlang. Die drei Männer hatten alle Mühe, ihn zu bändigen. „Ich mich nix lassen beleidigen von dumme Kerl, von überhaupt keine Kerl“, brüllte er. „Mir auch keiner in Hintern treten. Ich ...“ Hasard erschien, und erst jetzt, als Mansour den Seewolf erblickte, trollte er sich langsam und widerwillig. Batuti aber war immer noch außer sich und kaum zu halten.
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„Ich jede Herausforderung annehmen“, schrie er. „Und ich werde Kerl auf seinen Platschkopf hauen, bis kaputt.“ „Gerade das bezweckt er ja“, sagte Hasard leise. „Der will sich für die Prügel von gestern rächen, Batuti. Verstehst du das nicht?“ „Er will uns doch nur provozieren, sonst nichts, Batuti. Und da bist du ihm gerade recht.“ Mittlerweile war auch Dan O'Flynn erschienen, der die letzten Sätze noch mitgehört hatte. Er verstand Batuti, der in derlei Dingen recht empfindsam war, dessen Stolz verletzt war und der sich gedemütigt fühlte durch den Tritt und die Beleidigungen. „Offenbar wird hier mit zweierlei Maß gemessen“, sagte Dan O'Flynn kühl. „Gestern nahm sich der Kapitän wegen eines miesen Hundehaufens das Recht heraus, den Bullen kräftig zu verprügeln. Heute wird ein Mann der Crew tödlich beleidigt, ein guter Mann versteht sich. Den beleidigt ein hergelaufenes Rübenschwein und greift ihn auch noch an. Und da hat Batuti meiner Ansicht nach ein wirkliches Recht, es diesem Mistkerl heimzuzahlen.“ Das waren harte Worte, aber harte Worte hatte sich Dan O'Flynn schon oft herausgenommen. 7. Hasard sah in die Gesichter der Männer, die ihn umstanden. Er blickte in empörte und wütende Gesichter, die ihn fragend anstarrten. „Diese Wildsau hat uns in Batuti alle beleidigt“, erklärte Mac Pellew, „und wir halten verdammt noch mal zusammen, Sir. Jedenfalls würde ich jederzeit für Batuti auf das Podest steigen und es diesem Warzenschwein zeigen.“ „Das würde ich auch tun“, sagte der Kutscher fest, „und darauf gebe ich euch mein Wort.“ „Keine Frage, daß ich mich für Batuti dahinstelle“, erklärte auch der Exschmied
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von Arwenack, Big Old Shane, mit fester Stimme. Ja, jeder war dazu bereit, wie Hasard erkennen mußte. Hier zeigte sich wieder einmal der eiserne Zusammenhalt, die gewaltige Kette, die sie alle zusammengeschmiedet trug, und einer bedenkenlos für den anderen eintrat, auch wenn es sein Leben galt. Hasard war beeindruckt, knirschte aber mit den Zähnen. „In Ordnung“, sagte er, „so war es, und so wird es zwischen uns auch bleiben. Einer für alle und umgekehrt. Ich wollte nur verhindern, daß dieser Schläger Batuti die Knochen bricht. Das war meine ganze Sorge.“ O'Flynn sah dem Seewolf kühl in die Augen und hielt auch dem Blick eisern stand. „Überlaß das doch Batuti, Sir. Der hat in mehr als hundert Kämpfen gezeigt, was er für ein guter und harter Mann ist. Aber du könntest Batuti ja helfen, Sir, indem du ihm aus deiner Erfahrung etwas über die Schwachstellen dieses Kerls mitteilst. Wir haben den Kampf ja leider nicht gesehen. Ich bin dafür, daß er die Herausforderung annimmt, und wenn du ihm hilfst, Sir ...“ Das waren wieder harte Worte, und sie provozierten Hasard auch, der O'Flynn jetzt wild anblickte. „Du gehst ein bißchen zu weit, Mister O'Flynn“, sagte er scharf, aber dann begriff er, warum sich Dan so einsetzte. „Du tust es für deinen Freund Batuti, Dan“, sagte er milder. „Du hast das zwar nie so deutlich gezeigt, aber ich weiß, daß du dich für ihn in Stücke hacken lassen würdest.“ „Das ist richtig, Sir“, erwiderte Dan, „aber ich sagte ja schon, daß wir leider an Land waren und den Kampf nicht gesehen haben. Ich möchte nur wissen, mit welcher Taktik du den Bullen geschafft hast, denn den legt man doch nicht mit den Fäusten flach.“ „Das ist richtig. Mit den bloßen Fäusten allein ist der Kerl nicht zu schaffen, das habe ich festgestellt. Er steckt die härtesten Brocken weg wie ein Eichenschott.“
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„Und wie hast du es geschafft, Sir?“ Dans Stimme klang jetzt ganz sanft, und aus seinen Augen war die Kühle wieder verschwunden. „Mehr mit Verstand als mit roher Kraft. Den Bullen muß man zermürben und immer wieder leer laufen lassen. Und Batuti darf nie in den Bereich seiner Fäuste geraten oder sich gar auf einen Ringkampf einlassen. Das beherrscht der Bulle perfekt, und dagegen ist auch kein Kraut gewachsen.“ „Ich verstehe“, sagte Dan. „Ich werde mit Batuti trainieren, falls du keine Einwände hast, Sir. Ich werde die Rolle des Bullen spielen und Batuti auf die primitivste Art reizen.“ Hasard lächelte knapp. „Du wirst dabei kräftig was aufs Maul kriegen, Mister O'Flynn. Du weißt ja, wie Batuti reagiert, wenn man ihn beleidigt.“ „Und wenn ich hundertmal was aufs Maul kriege, dann ist es mir egal. Batuti muß es dem Bullen besorgen, und darauf werden wir ihn trimmen.“ Hasard war einverstanden und nickte. „Ich werde dabei sein“, versprach er, „und euch unterstützen. Aber das üben wir unten im Laderaum, nicht auf der Pier, wo jeder zusehen kann. „Danke, Sir. Waren meine Worte vorhin zu hart?“ „Manchmal“, sagte Hasard nach denklich, „habt ihr O'Flynns eine Kodderschnauze, daß einem angst und bange werden kann. Zumindest waren deine Worte ehrlich, und ich -freue mich darüber, daß ihr so eisern zusammenhaltet.“ „Batuti ist auch ein feiner Kerl -und mein Freund“, betonte Dan O'Flynn ausdrücklich. Aber das brauchte er nicht zu betonen, das wußte an Bord der „Isabella“ ohnehin jeder, daß die beiden mit einer wahren Affenliebe aneinander hingen, wie der Profos zu sagen pflegte. „Hör zu, Batuti“, sagte Dan etwas später. „Du wirst diese Beleidigung wieder abwaschen, und du wirst es dem verdammten Bullen zeigen.“
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„Batuti werden zeigen, bis Bulle kaputt“, sagte der Neger wild. „Mistkerl haben Batuti getreten.“ „Jaja, ich weiß, Batuti. Aber das geht nicht mit bloßen Fäusten, das hat selbst Hasard nur schwer geschafft. Du weißt doch noch, was wir bei den Mönchen auf Formosa gelernt haben.“ „Klar, alle Mann kämpfen ohne Waffen. Gehen selbst auf bewaffnete Leute mit nackte Hände los. Wir haben ganz schön Prügel gekriegt von kleine wilde Männer. Sind wie Aale, schnell, glitschig, hauen zu, verschwinden wieder. Mit einmal Fuß in Bauch, dann Faust an Kopf oder Ellenbogen in Rippen. Profos, Ferris, alle Mann flogen ganz schnell durch die Luft.“ Batuti entsann sich sehr gut an das alte Konfuziuskloster und den Abt Sun Lo, dessen Lehre verbot, Waffen zu tragen oder zu benutzen. Aus zwingender Notwendigkeit hatten die Mönche daher eine Angriffs- und Verteidigungstaktik entwickelt, die wirklich einmalig war. Etwas von dieser Technik hatten sie die Seewölfe gelehrt, und davon war auch noch eine ganze Menge hängengeblieben. „Richtig“, sagte Dan, „und weil du gegen den Bullen sonst keine Chance hast, werden wir beide jetzt üben. Du weißt, ich bin dein Freund, Batuti, aber jetzt bin ich der Bulle von borg, und du darfst nicht mehr Dan O'Flynn in mir sehen, klar?“ „Savvy“, sagte der Neger, „du mich kaputtmachen, mich beleidigen und ich dann angreifen.“ „Aber nicht mit den Fäusten“, erinnerte Dan. „Nur mit den Tricks, Schlägen, Fußtritten und Handkantenschlägen der Mönche. Und wehe, du haust nicht richtig zu, dann erlebst du was, oder der Bulle von Wiborg zermatscht dich zu Pflaumenmus. Verstanden?“ „Savvy“, sagte Batuti wieder. Etwas hilflos stand er da, während er seinen Freund Dan anblickte. „Batuti glauben, nicht so richtig hart können schlagen, kleines armes O'Flynn. Ogottogott, machen armes Dan kaputt.“
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„Quatsch keinen Mist, du Wanze!“ „Batuti nix Wanze!“ schrie der Neger. „Batuti dreckige Mistwanze!“ brüllte O'Flynn. Der Neger, ein unverfälschter Naturbursche, stand wie begossen da, als Dan ihn verhöhnte, absichtlich natürlich, denn irgendwie mußte er den Mandingo aus Gambia schließlich in seine Rolle zwingen. „Affenarsch“, höhnte Dan, „du bist ja zu feige zum Kämpfen.“ Batuti rollte wild mit den Augen und hob die Fäuste. „Paß auf, kleines Dan!“ schrie er wütend. „Hosenscheißer, ich bin nicht kleines Dan, ich bin Bulle von Wiborg, der schwarze Schweine frißt.“ Mit einem brüllenden Schrei ging Batuti los und holte zu einem wilden Schwinger mit der Faust aus. Inzwischen war Hasard in den Laderaum abgeentert und begutachtete den Kampf. Noch war es kein Kampf, aber der Neger wurde immer wilder und wütender und sah in O'Flynn jetzt tatsächlich den Perser Mansour, der ihn bis zur Weißglut reizte. Dan O'Flynn ging ebenfalls aufs Ganze, hart und gnadenlos. Er kannte alle Tricks der Mönche, und er beherrschte auch die Gegengriffe und begann nur zu fintieren. Als Batuti zuschlug, schüttelte Dan den Kopf, duckte blitzschnell ab, kreiselte herum und trat dem Neger den Stiefel in den Hintern, genau wie es Mansour getan hatte. „Jetzt geht es endlich los“, sagte Ed von oben, der gebannt zusah. „Dan versteht es aber auch geschickt, ihn zu reizen.“ „Batuti braucht nur immer eine Anlaufzeit“, sagte Ben Brighton. „Der hat noch nicht richtig kapiert, daß Dan jetzt der Bulle von Wiborg ist.“ Batuti hatte jetzt aber doch begriffen. Er war noch aufgeregt. Hatte er anfangs nur halbherzig seinen Freund Dan angegriffen, so steigerte er sich jetzt immer mehr. O'Flynn gab ihm allerdings auch Gelegenheit genug, um die Griffe anzuwenden. Er zwang den Neger dazu, und prompt hatte Batuti ihn auch schon
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erwischt und warf ihn mit einem Hebelwurf aus dem Hüftgelenk quer durch den Laderaum. Dan O'Flynn segelte hart über die rohen Bohlen und fiel dabei so kräftig auf die Schnauze, daß er Sterne sah. Leicht benommen schüttelte er den Kopf, war blitzschnell auf den Beinen und fintierte einen Griff. „Schwach war das, du räudiger Köter!“ schrie er. „So kannst du bei mir nicht landen.“ Diesmal krachte Batuti auf die Planken, aber er erhob sich mit einer verblüffenden Geschmeidigkeit und griff wieder an. Auch er fintierte jetzt, hob Dan aus, tänzelte zurück und knallte ihm die Handkante beim Zurückweichen in die Rippen. „Jetzt hat er es endlich gefressen“, stellte Big Old Shane sachkundig fest. Einmal ging Hasard dazwischen und erklärte Batuti, wie er den Bullen besser zermürben könne. „Du bist immer noch zu dicht am Mann“, sagte er. „Wenn der Bulle dich aus der Nähe erwischt, bricht er dir alle Knochen. Paß auf, ich zeige es dir.“ Hasard ging auf Batuti los, als wolle er ihn umklammern. Doch bevor es soweit war, ließ er sich fallen, holte mit dem rechten Bein aus und riß Batuti die Füße unter dem Leib weg. Der Mandingo setzte sich hart auf die Planken. Als er aufstand, erhielt er einen Schlag vor die Brust, der ihn taumeln ließ und beim Zurückweichen flog ihm schon wieder etwas in die Rippen. „Verdammich“, sagte er wild. „Genauso“, meinte Hasard. „Ran an den Kerl, schlagen, sofort zurück, vom Leib halten, gleich wieder nachsetzen. Das strengt ganz schön an, wie?“ Batuti befolgte die Regel, und Dan stellte sich ihm weiterhin zur Verfügung. Sie prügelten sich gegenseitig die Seelen aus dem Leib, und Dan kriegte eine Menge zu spüren und geriet immer mehr ins Schwitzen. Batuti dagegen war nichts anzumerken. Er tänzelte elegant und geschmeidig hin und her, hielt sich O'Flynn strikt vom Körper
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und wich immer wieder in pendelnden geschmeidigen Bewegungen aus, bis Dan zu schnaufen begann. „Greif gefälligst weiter an, du Holzkopf“, sagte er. „Noch ist der Kampf nicht beendet.“ „Aber armes O'Flynn fallen dauernd auf Schnauze“, jammerte Batuti. „Scheiß auf armes O'Flynn!“ brüllte der alte Donegal von oben hinunter. „Gib's dem Lümmel, er hat längst mal was auf die Ohren verdient. Ihm macht das nichts aus.“ Die Arwenacks lachten laut, als Donegal sich engagierte. Aber der Alte war stolz auf seinen Sohn und darauf, daß er für diesen Kampf blaue Flecken, Stauchungen und Quetschungen in Kauf nahm, nur damit Batuti später leichter den Bullen angehen konnte. Danach ging es fast zwei Stunden Auf Batutis Stirn zeigte sich immer noch kein Schweißtropfen, er ermüdete nicht, er war wie eine Maschine, hebelte und griff, trat zu und wieder zurück, bis Dan schließlich keuchte. „Legt mal eine Pause ein“, sagte Hasard. O'Flynn legte seinem Freund den Arm auf die Schulter und grinste. „Mann, du hast mich ganz schön aufs Kreuz gelegt. Oft genug konnte ich nichts dagegen tun.“ „Viel Schmerzen, Dan?“ „Ach was“, tat Dan die Frage ab, zählt doch nicht. Die paar blauen Flecken sind bald wieder vergessen. Aber genauso mußt du an den Kerl ran, wenn möglich noch härter, sonst drischt er dich gnadenlos zusammen.“ Bill hievte eine Pütz Wasser und reichte sie am Tampen nach unten. Die erste goß sich Dan über den Schädel, die zweite kühlte Batuti ab. „Noch eine Runde?“ fragte Dan, „eine kurze nur.“ „Nix mehr“, sagte Batuti, „du hast schon zuviel gekämpft. Batuti kann nicht mehr mit ansehen.“ „Fein“, sagte Dan grinsend, „dann fang endlich an! Auf was wartest du noch?“ Noch einmal ging es eine halbe Stunde im Laderaum rund, daß die Planken
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erzitterten. Danach kroch O'Flynn mehr, als er ging, nach oben. Aber Batuti war für den Kampf gestählt und konnte ihn kaum erwarten. Immer wieder legte er Dan die Hand auf die Schulter und bedauerte „armes kleines O'Flynn“. „Ich werde jetzt den Dicken zur Brust nehmen“, sagte Dan. „Vielleicht können Ed und Sten mitgehen. Ich will ihm erklären, daß Batuti die Herausforderung annimmt, aber um den Preis von hundert Goldtalern. Wenn der Bulle verliert, soll er außerdem auch noch berappen. Einverstanden, Sir?“ Hasard sah die beiden Männer an und nickte schließlich. „Einverstanden“, sagte er, „nimm hundert Goldtaler mit, und laß dir von dem Fettwanst das Gold ebenfalls zeigen. Runeberg hat ja betont, daß sie nicht nur Schläger und Stänkerer sind, sondern auch noch die Leute betrügen.“ „Ich werde das schon erledigen“, versprach Dan. „Die Kerle sollen sich wundern.“ 8. Rahim Mansour, bekannt als der Bulle von Wiborg, lümmelte auf dem Podest herum, hatte die mächtigen Arme vor der Brust verschränkt und sah die Seewölfe verächtlich an. Während der Bulle alle Augenblicke auf den Boden spie und nach neuen Opfern Ausschau hielt, turnte der Russe Jarigin mißtrauisch die Stufen hinunter und sah die Männer fragend an. Sein Blick war hämisch. „Du brauchst dich nicht so überlegen aufzuspielen, Dicker“, sagte Dan kalt. „Und dein dreckiges Grinsen wird dir auch bald vergehen“, ließ er übersetzen. „Was heißt das?“ fragte der schlitzohrige Russe kalt. „Das heißt, daß dein Stinktier da oben heute etwas zu weit gegangen ist. Der Brüllaffe hat einen unserer Männer herausgefordert, und der nimmt den Kampf an.“
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„Er hat keine Angst?“ fragte der Dicke lachend. „Im Gegenteil, er brennt darauf, die Wildsau anzunehmen, aber er stellt eine Bedingung.“ „Und die wäre?“ fragte Jarigin mißtrauisch. „Der Sieger des Kampfes erhält einhundert Goldtaler auf die Hand.“ „Einhundert? Zehn sind üblich.“ „Nicht in diesem Fall. Der Bulle ist sich doch seines Sieges absolut sicher“, sagte Dan höhnisch. „Habt ihr denn hundert Goldtaler?“ erkundigte er sich gierig. Dan O'Flynn griff unter sein Hemd, holte einen größeren Lederbeutel hervor und band ihn auf. „Natürlich haben wir die“, erklärte er kalt. Er schüttete den blinkenden Inhalt in Carberrys weitgeöffnete Pranken. Dort gleißte und funkelte die ganze Pracht, und der Dicke wurde ganz zappelig. „Ich werde mich mit Mansour besprechen“, sagte er hastig. Die Besprechung dauerte nur einen kurzen Augenblick, denn als der Bulle das Geld sah, grinste er dreckig, rieb seine mächtige Brust und nickte immer wieder. „Wir sind einverstanden“, erklärte der Dicke hastig. „Der Sieger erhält hundert Goldtaler.“ „In Ordnung“, sagte O'Flynn hart. „Wir haben dir unsere hundert Goldtaler gezeigt, aber ich frage mich, ob ihr die Summe auch aufbringen könnt. Habt ihr hundert Taler?“ „Natürlich haben wir hundert Taler.“ .“Dann hol sie her“, beharrte Dan, „und zeige sie uns. Wenn ihr die Summe aber nicht habt, Freundchen, dann wird es euch beiden verdammt dreckig ergehen. Und da wird dich auch dein Schläger nicht mehr retten können. Unser Kapitän hat angeordnet, daß wir dann hier in voller Stärke anrücken und den Leuten einen Schaukampf liefern, wie ihn Wiborg nie zuvor gesehen hat. Kostenlos versteht sich. Wir rücken mit mindestens zwanzig Mann an, zertrümmern euer Podest und schlagen euch mit den Trümmern zusammen. Und
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deinen Bullen verarbeiten wir öffentlich zu Hackfleisch. Dich selbst wird sich unser Profos zur Brust nehmen, dieser Mann hier.“ Dan deutete auf Carberry, der ausgesprochen unliebenswürdig grinste und bekräftigend zu den Worten nickte. „Das - das ist doch nicht euer Ernst!“ rief der Russe. Oben lauschte der Bulle der Übersetzung und schwoll rot an. Er ging bis an die Treppe und brüllte etwas, doch der Profos grinste ihn kalt und drohend an. „Egal, was der Brüllaffe gesagt hat“, erklärte er, „ihr habt den Stunk angefangen und werdet ihn auch ausbaden. Und wenn der Kerl schon vorher was auf die Ohren will, dann braucht er es nur zu sagen, ich stelle mich gern zur Verfügung.“ Der Russe schluckte hart. Wenn er die Kerle so ansah, dann glaubte er ohne weiteres, daß sie ihre Worte in die Tat umsetzen würden. Daß mit denen nicht zu spaßen war, hatten sie zur Genüge bewiesen. Andererseits, so überlegte er, war das ein Bombengeschäft, das Geschäft seines Lebens. Gut, der Bulle war an diesem schwarzhaarigen Kapitän gescheitert, und man sah ihm die Niederlage auch jetzt noch an. Aber das stachelte nur seinen Ehrgeiz an, und einen zweiten Kampf würde er mit Sicherheit nicht verlieren. „Ich hole die Goldstücke“, sagte der Russe. „Einen Augenblick nur, ich bin gleich wieder zurück.“ Während er verschwand, musterte der Profos immer wieder aus schmalen Augen das Ungeheuer über ihnen, diesen grün, blau, braun und schwarz gefärbten Koloß, dessen Veilchen am Auge nun so richtig voll erblühte. „Wenn Batuti so kämpft, wie er gerade gezeigt hat und von diesem Stil auch nicht abweicht“, sagte Stenmark, „dann wird er diesen Klotz zermürben, da bin ich sicher.“ „Das müßte zu schaffen sein“, meinte Dan. „Er hat mich jedenfalls so oft aufs Kreuz gelegt, daß ich kaum noch laufen kann.“ Der Russe war in einem Planwagen hinter dem Zelt verschwunden und kehrte wieder
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zurück. In der Hand hielt er ebenfalls ein Ledersäckchen, das er öffnete. „Genau abgezählt, einhundert goldene. Talerchen“, sagte er. „Das hat Mansour alles mit seiner gewaltigen Kraft verdient.“ „Dann kann er sich ja noch hundert dazuverdienen“, sagte Dan spöttisch. Er sah sich die Goldstücke genau und prüfte sie. Aber sie waren t daran bestand kein Zweifel. Da wir gerade von den Zuschauer sprechen“, sagte der Russe voller , „ihr müßt verstehen, daß das für mich ein Geschäft ist, ein Schaukampf und natürlich eine große Reklame. Der Bulle von Wiborg wird seinem Namen gerecht werden. Seid ihr damit einverstanden, wenn wir den Kampf auf heute Nachmittag fünf Uhr festsetzen? Es geht los, wenn die Kirchturmuhr die fünfte Stunde schlägt. Ich brauche die Zeit, um möglichst viele Zuschauer heranzuholen. Die Bitte werdet ihr mir doch nicht abschlagen.“ Dan O'Flynn überlegte nicht lange. „Seid ihr damit einverstanden?“ fragte er die anderen. „Warum nicht? Wir vergeben uns dabei nichts. Und ein Schaukampf ist sein gutes Recht.“ „Also gut“, sagte Dan, „wir sind einverstanden. Der Kampf beginnt um fünf Uhr.“ „Um fünf Uhr“, wiederholte der Dicke und rieb sich die Hände. Er sah den Männern nach, die jetzt wieder zu ihrem Schiff zurückkehrten, und warf einen Blick auf den Schläger. „Hast du alles verstanden, Rahim?“ Der Bulle grinste tückisch und schlug seine rechte Faust in die linke offene Hand, daß es nur so klatschte. „Alles verstanden, Djemal“, sagte er. „Diesen schwarzen Affen werde ich abräumen, der fliegt bis zu den Sternen, jeden Knochen werde ich ihm zermalmen.“ „Dann streng dich an. Später sind wir um hundert goldene Talerchen reicher. Jetzt werde ich erst einmal die Leute zusammentrommeln. Das wird ein tolles Geschäft werden.“
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Daraufhin begann der Fettwanst kräftig die Werbetrommel zu rühren und schrie sich die Kehle heiser. Der Possenreißer tauchte ebenfalls wieder auf, rannte durch die Straßen von Wiborg und verkündete das Ereignis mit brüllender Stimme. Die ersten Neugierigen begannen sich zu sammeln. * „Alles geregelt, Sir“, verkündete Dan, als sie wieder an Bord waren. „Der Kerl hat uns die Goldstücke gezeigt, der Kampf ist auf fünf Uhr festgesetzt.“ Hasard hatte Batuti noch einmal psychologisch in die Mangel genommen und ihm immer wieder geduldig die Taktik eingehämmert, mit der er vorzugehen hatte. „Vor allem“, sagte der Seewolf eindringlich, „mußt du diese Beleidigungen vergessen. Du darfst nicht mehr daran denken. In dir darf keine Unbeherrschtheit und kein Zorn sein.“ „Batuti alles haben vergessen, Sir“, beteuerte der Gambia-Riese. „Bleiben kalt wie Schnauze von Plymmie.“ „So ist es richtig, Batuti“, lobte ihn Jack Finnegan. „Du stehst für uns alle da oben, und du wirst es diesem Kerl besorgen. Wir alle glauben an dich.“ „Batuti wird kämpfen“, versicherte der Riese. „Gut, dann gehen die ersten jetzt gleich an Land und verteilen sich möglichst unauffällig um das Podest herum“, sagte Hasard. „Ich traue dem Fettwanst nicht. Ich selbst bleibe mit Dan, Shane, Ferris und Ed in unmittelbarer Nähe der Kampfstätte, damit wir den Dicken im Auge behalten können. Ihr könnt jetzt losgehen, wer Wache hat, ist ja schon bestimmt worden.“ Einer nach dem anderen verließ das Schiff und ging zum Rummelplatz hinüber, wo sich bereits die ersten Neugierigen eingefunden hatten Hasard zog zusammen mit Batuti und Shane los. Die anderen hatten bereits ihre Plätze eingenommen.
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„Wenn er was vom schwarzen Affen sagt, reagiere nicht darauf“, hämmerte Hasard Batuti noch einmal ein. „Du überhörst das einfach, er kann dich nicht beleidigen.“ „Savvy, Sir, Batuti nicht hinhören.“ Es war kurz vor fünf Uhr, als Batuti die Stufen des Podestes enterte und ruhig Aufstellung nahm. Er schenkte seinem Gegner nur einen kalten Blick, der ihn so musterte, als würde er ihn gleich auseinandernehmen. Die beiden wurden vorgestellt. Die Menge, unübersehbar groß, hielt den Atem an und starrte zu dem Podest hoch, wo der hünenhafte Neger lässig und ruhig in der Ecke stand, während der Bulle von Wiborg wieder wie ein grunzendes Warzenschwein auf und ab stampfte. „Ein einmaliger Kampf!“ brüllte der Marktschreier aus voller Lunge in die Menge. „Der berühmte Bulle von Wiborg tritt gegen den schwarzen Affen aus Afrika an, der ihn auf dreiste und überhebliche Weise herausgefordert hat. Das wird ihm noch leid tun, Leute! Er wird gleich seine Reise zu den Sternen antreten, und die Welt wird für ihn mit einem Donnerschlag enden. Wenn es vom Kirchturm fünf schlägt, beginnt der Kampf, gleich nach dem fünften Schlag.“ Batuti sah wie unbeteiligt in die Menge, entdeckte die Gesichter seiner Kameraden und lächelte vor sich hin. Dann begann er mit ein paar Lockerungsübungen und wartete ab. Der Dicke verließ jetzt mit dem Possenreißer das Podest und war eifrig und mit rotem Schädel am Kassieren. Der Bulle von Wiborg stand mit pendelnden Armen da und starrte Batuti verächtlich grinsend an. Batuti wartete gelassen ab, ganz locker und entspannt stand er da und lauschte dem ersten Schlag der Turmuhr. Wieder war es in der Menge totenstill geworden. Da erklang der fünfte und letzte Schlag, und der Bulle stürmte mit einem Affenzahn und lautem Gebrüll auf Batuti los. Seine Fäuste waren hoch erhoben, das Knie zum Rammstoß bereit. Er war sich
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ganz sicher, daß der Neger ausweichen würde. Aber der blieb stehen wie eine Eiche und ließ den Bullen herantoben. Und dann verhielt er sich genauso, wie Hasard und Dan ihm geraten hatten. Die Leute kriegten etwas zu sehen, was sie vor Begeisterung schreien und quieken ließ, denn da oben auf dem Podest stand ein schwarzer Zauberer, der nicht zu fassen war. Kaum waren die wirbelnden Fäuste heran, da duckte er sich tief und hebelte den Koloß mit einem schnellen Griff hoch über sich weg. Der Bulle wurde von unsichtbaren Kräften gepackt, emporgehoben und drehte sich in der Luft. Batuti trat schnell zur Seite, als er gigantische Masse hochgewuchtet hatte. Als hätte man einen Ochsen aus zwei Yard Höhe fallen lassen, so krachte es, als Mansour mit dem Gesicht voran auf die Bretter prallte. Er hielt sich den Schädel und fuhr hoch. Ein blitzschnell geführter Handkantenschlag gegen seinen Hals säbelte ihn sofort wieder von den Beinen. Zum zweiten Male ging er dumpf zu Boden. Leute schrien und johlten sich Kehlen heiser. Der Bulle nahm den dritten Anlauf mit Gebrüll und Geschrei und einer unbeschreiblichen Wut im Bauch. Wieder jagte er ins Leere, sah seinen Gegner neben sich stehen, fühlte wie seine Arme herumgerissen wurden und er wie ein Kreisel durch den Ring wirbelte. Er drehte sich zweimal um seine eigene Achse, versuchte die Balance wiederzufinden und fühlte sich zu seiner grenzenlosen Verblüffung erneut hochgehoben. Er stieg über den Kopf des Negers hinweg, sah dessen Kraushaar, wollte danach greifen, doch da war nichts mehr. Nur die Bretter nahmen ihn wieder auf, als er hart landete. Tobend schrie er sich die Kehle wund und wurde immer unbeherrschter, weil er seinen Gegner nicht fassen konnte. Der war wie ein Geist, tauchte mal hinter, mal neben ihm auf oder stand plötzlich
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zähnefletschend vor ihm und schlug zu. Der Kopf des Bullen flog jedesmal wie ein Ball nach hinten und pendelte dann wieder zurück. Als er das sechste oder siebte Mal hart und schmerzhaft auf die Bretter krachte, hatte er den ersten Knacks weg. Sein Körper brannte wie Feuer, seine Arme griffen ins Leere, und diesmal gelangte er nur taumelnd auf die Beine. Dann blieb er stehen, stierte auf Batuti und sprang plötzlich mit beiden Beinen hoch, um sie Batuti vor die Brust zu stoßen. Das hatte noch nie seine Wirkung verfehlt und riß jeden Gegner um. Nur - da war nichts mehr, als er sprang. Noch während er durch die Luft sprang, schlug ihm Batuti ein hartes Ding an die Ohren, packte die Beine des landenden Bullen, nahm sie in eine Zangenbewegung und drehte den Koloß herum. Er war schon wieder auf den Beinen, tänzelte zurück, glitt dann aber elegant vor und schlug zum ersten Mal hart mit der Faust zu. Der Wiborger Bulle blieb stehen, als sei er gegen eine Mauer gedonnert. Sein Rücken bog sich durch, es sah aus, als kippe er hintenüber. Batuti hebelte ihm die Beine weg und setzte einen zweiten Schlag nach. Erneut warf es den Klotz hart um. Von unten wurde Batuti aus der Menge angefeuert. Die Seewölfe brüllten begeistert, und das gab Batuti noch mehr Auftrieb, als er gebraucht hätte. „Mach den Kerl fertig!“ gellte Dan O'Flynns Stimme. Nächster Hebel, ein harter Rammstoß, Bein stellen, ein Schlag mit der Handkante. Das alles ging blitzschnell. Dazwischen stach wieder die harte schnelle Faust zu, und die traf immer genau den Punkt, den sie wollte. Der Bulle wurde durchgeschüttelt, gebeutelt, hin und her geschleudert, landete mal mit dem Hintern auf den Brettern, fiel dann auf den Rücken oder knallte mit dem Schädel gegen die Seile, bis er nur noch benommen durch den Ring taumelte.
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Ein mit aller Kraft abgefeuerter mächtiger Schlag warf ihn endgültig aus dem Rennen. Stöhnend brach der Berg aus Muskeln zusammen, streckte sich aus und zuckte mit den mächtigen Beinen. Dann rollte er zur Seite, stieß ein tiefes, röhrendes „Uuaaahhh“ aus und trat so ab, wie die meisten seiner Gegner abtraten sang- und klanglos, zusammengeschlagen und bewußtlos, nicht mehr wissend, was um ihn herum vorging. Jetzt war die Hölle los. Die Leute drängten um das Podest und warfen es fast um. Ein unbeschreiblicher Jubel brach aus. Der Bulle von Wiborg brauchte sich in dieser Stadt künftig nicht mehr blicken zu lassen, der war seinen Heiligenschein der Unbesiegbarkeit jetzt zum zweiten Male losgeworden, und kein Köter nahm auch nur einen Knochen von ihm. Als Hasard sich umdrehte, sah er den Russen gerade durch die Menge schleichen, um sich still und heimlich zu empfehlen. Und um die hundert Taler wollte er sich auch drücken. Hasard lief hinterher, erwischte den Wabbeligen und zog ihn mit harter Hand durch die Menge zum Podest. Er stieß ihn mitten hinein in die Reihen der Seewölfe, und da empfing der Dicke zuerst mal ein paar zarte Backpfeifen, die sein Gesicht immer länger erscheinen ließen. „Hiergeblieben, Freundchen!“ herrschte ihn Stenmark an. „Du willst dich wohl heimlich verholen, was? Das war ein guter und ehrlicher Kampf, und du berappst jetzt deine hundert Taler. Und dann stellst du dich da oben hin und erklärst unseren
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Mann mit lauter Stimme zum Sieger. Und wenn du das nicht ganz schnell und ganz laut tust, dann wird der schwarze Mann den nächsten Kampf mit dir abziehen.“ Carberry griff zu, Ferris packte den Dicken und hielt ihn fest, und dann mußte er mit rotem Gesicht seine hundert Taler berappen. Neben ihm auf den Brettern aber lag immer noch der Bulle von Wiborg, wie von einer riesigen Sense hingemäht. Seine Beine zuckten wieder, doch es würde eine Weile dauern, bis er auf seinen Säulen wieder stehen konnte. Auf dem Podest hob der Dicke matt und weinerlich die Arme und rief Batuti zum Sieger aus. Batuti wurde umjubelt. Da war ein unvorstellbares Kreischen und Brüllen, es wurde gepfiffen und geklatscht, als der Mandingo ohne jede Ermüdungserscheinung das Podest verließ und den Kopf stolz erhoben trug. „Alles klar“, sagte er strahlend. „Batuti wieder ehrbarer Mann. Gehen jetzt zurück an Bord?“ „Wo denkst du hin“, sagte der Profos entrüstet. „Gewinnst hier hundert Taler und willst an Bord? Der Sieger muß einen ausgeben, und deshalb gehen wir jetzt in die nächste Kneipe. Oder hat jemand was dagegen?“ „Wenn du deine Pelzmütze auf behältst, dann nicht“, sagte Hasard lachend. Als strahlende Sieger zog die ganze Meute los. Es gab ja auch wirklich etwas zu feiern...
ENDE