Der Atlantikpirat Ein Tauchboot verschwindet. Der Atlantikpirat wird zum Schrecken des Meeres. Sun Koh entdeckt eine kü...
6 downloads
260 Views
670KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Der Atlantikpirat Ein Tauchboot verschwindet. Der Atlantikpirat wird zum Schrecken des Meeres. Sun Koh entdeckt eine künstliche Insel, George Ketter erhält einen Auftrag, und Kapitän Blackeye lebt auf einem Vulkan. Nimba und Hal bauen sich ein Floß, finden aber eine Jacht, ziehen jedoch ein Flugzeug vor. In der Goldfabrik droht Meuterei, Sun Koh entgeht den Haien, Hal bekommt eine Ohrfeige und wagt sich mit Nimba in die Höhle des Löwen. Ein Mann schnappt über, Blackeye spielt Ko mödie und macht seine größte Beute, aber Sun Koh legt ihm das Handwerk.
Freder van Holk
Der
Atlantikpirat
ERICH PABEL VERLAG KG – RASTATT/BADEN
SUN KOH-Taschenbuch erscheint vierwöchentlich im Erich Pabel
Verlag KG, Pabelhaus, 7550 Rastatt
Neu bearbeitet von Heinz Reck
Copyright © 1979 beim Autor und Erich Pabel Verlag, Rastatt
Agentur Transgalaxis
Titelbild: Nikolai Lutohin
Alle Rechte vorbehalten
Gesamtherstellung: Clausen & Bosse, Leck
Vertrieb: Erich Fabel Verlag KG
Verkaufspreis inkl. gesetzl. MwSt.
Unsere Romanserien dürfen in Leihbüchereien nicht verliehen und
nicht zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden;
der Wiederverkauf ist verboten.
Alleinvertrieb und Auslieferung in Österreich:
Pressegroßvertrieb Salzburg, Niederalm 300
A-5081 Anif
Bestellungen einzelner Titel dieser Serie nicht möglich
NACHDRUCKDIENST:
Edith Wöhlbier, Burchardstraße 11, 2000 Hamburg l,
Telefon (040) 3019629, Telex 02161024
Printed in Germany
März 1979
Bearbeitet von Brrazo 03/2006
New York Herald Sensationelles Verschwinden eines amerikanischen U-Kreuzers Vor zwei Tagen verschwand auf mysteriöse Weise der neue U-Kreuzer ZRX l der Vereinigten Staaten von Nordamerika kurz nach seiner ersten Dienstfahrt. Diese Nachricht übermittelte unser Korrespondent unter gewissen Vorbehalten. Der Kreuzer ist ein neuer Typ von Unterwasserfahrzeug, dessen Konstrukti onsmerkmale streng geheimgehalten werden. Der Öffentlichkeit bekannt ist nur, daß die Größe des Fahrzeugs alle bisher gebauten Tauchschiffe über trifft und daß es in bisher unerreichte Tiefen zu tau chen vermag. Tags darauf, am 6. Mai, schrieb das Blatt: U-Kreuzer der amerikanischen Marine bleibt ver schwunden Ergänzend zu den bisherigen Meldungen verlautet: Der U-Kreuzer, ein Wunderwerk moderner Technik, um den sich bereits Spionagefälle ranken, wurde erst vor drei Tagen in Dienst gestellt, nachdem alle Pro befahrten zur vollen Zufriedenheit ausgefallen wa 5
ren. In den nächsten Tagen sollte der Kreuzer eine längere Pazifikfahrt antreten. Ein Teil der Mann schaft war für einen Tag beurlaubt. Zu Befürchtun gen außergewöhnlicher Vorfälle bestand kein Anlaß, da der Kreuzer im Stützpunkt unter Bewachung lag. Trotzdem war er am nächsten Morgen verschwun den. Nach übereinstimmenden Meldungen war der Kreuzer, der aufgetaucht vor Anker lag, gegen Mit ternacht noch gesehen worden. Später kam Nebel auf und machte ihn bis auf die Positionslichter unsicht bar, doch hörte die Deckswache eines in unmittelba rer Naheliegenden Zerstörers stets die gleichmäßigen Schritte der Wachen an Bord. Gegen drei Uhr mor gens wurden kurze Zeit unbestimmte Geräusche ver nommen, aber als offenbar unwichtig nicht weiter beachtet. Auf dem U-Kreuzer hatte sich nichts ver ändert, so weit er beobachtet werden konnte. Als sich am Morgen der Nebel hob, wurde festgestellt, daß die Positionslichter an zwei Bojen brannten, der Kreuzer aber selbst nicht mehr an seinem Liegeplatz war. Sofort einsetzende Suchaktionen führten zu kei nem Erfolg. Die Angelegenheit ist völlig rätselhaft. Über die Gründe, die den Kommandanten veranlaß ten, mitten in der Nacht heimlich auszulauten, herrscht Unklarheit. Ein Verbrechen ist nicht auszu schließen. 6
Am 7. Mai meldete ein Nachrichtendienst: Das Verschwinden des U-Kreuzers erfährt eine sen sationelle und zugleich grausige Aufklärung, die frei lich das Geheimnis über dieser ganzen Angelegen heit eher noch verdichtet. In unmittelbarer Nähe des Ankerplatzes wurde auf dem Grund des Hafens ein Unterseeboot entdeckt, das offensichtlich mit Absicht vor einigen Nächten zum Sinken gebracht wurde. Es handelt sich um ei nen älteren ausgemusterten Typ. Diese alten Boote werden an Liebhaber oder Schrottfirmen zum Ab wracken verkauft. Immerhin kann nun nicht mehr ausgeschlossen werden, daß Verbrecher das Boot benutzten, um durch die verschiedenen Hafensperren hindurch an den Kreuzer heranzukommen und ihn zu überfallen. Amerikanischer U-Kreuzer geraubt – Größter Spio nagefall der Geschichte? – Ein Mitglied des ZRX 1 erzählt »Wir waren in der Nacht zum 3. Mai sechsundzwan zig Mann, ausschließlich der Offiziere, an Bord. Au ßergewöhnliches hat sich meines Wissens nicht er eignet, nur weiß ich, daß verschiedene meiner Kame raden über starke Müdigkeit klagten. Wie ich später erfuhr, war der gesamten Besatzung mit dem Abend 7
essen ein Schlafmittel verabreicht worden, das erst nach einigen Stunden seine Wirkung tat. Ich schlief jedenfalls ein. Als ich erwachte, lag ich zwischen meinen bewußtlosen Kameraden. Man hatte uns alle in den vorderen Mannschaftsraum geworfen. Der UKreuzer befand sich in voller Fahrt. Es war wohl ein Zufall vielleicht auch, weil es praktisch unmöglich war – daß ich keine heftigen Bewegungen machte und so meine Lage erkennen konnte, bevor ich mich verriet. Ich hörte zwei Leute in dem Raum miteinander sprechen, deren Gesichter ich nicht sehen konnte. Sie sprachen englisch. Aus ihrer Unterhaltung entnahm ich, daß sich der Kreuzer im Besitz von Gangstern befand. Zu ihnen gehörten zwei Mitglieder der Besatzung, nämlich ein Koch, Dan Shrow, und ein Maschinist, Charles Redsmith. Der Koch hatte in das Abendessen ein Betäubungs mittel getan, und Redsmith hatte die Wache über nommen, als es zu wirken begann. Die Gangster selbst waren mit Hilfe eines alten Unterseebootes in den Hafen gekommen, hatten den Kreuzer unter dem Schutz des Nebels gekapert und mit ihm unbehelligt den Hafen verlassen. Die Männer sprachen davon, daß sie mit Hilfe des Kreuzers bald reich sein wür den, doch vermag ich nicht zu sagen, auf welche Weise dies geschehen soll. Nach einiger Zeit betraten noch einige Leute den Raum und erklärten, daß sie Ballast abwerfen woll 8
ten. Gleichzeitig spürte ich, daß wir aufstiegen. Ich wußte ihre Reden nicht zu deuten, andererseits konn te ich nach allem Gehörten keine Schonung erwarten. Ich stellte mich weiterhin bewußtlos. Die Männer schleppten meine Kameraden und mich an Deck des Schiffes. Ich öffnete vorsichtig die Augen und sah verschiedene Gesichter. Dann wurde mir bewußt, was die Männer taten. Sie warfen uns einfach über Bord. Weiter weiß ich nichts. Ich freue mich jedoch zu hören, daß die meisten meiner Kameraden am Leben geblieben sind.« AP Meldung Nr. 1207, 12. Mai 19.07 Uhr Schiffsunglück oder Verbrechen? Der Dampfer »Boston« ist aus bisher unbekannten Gründen auf hoher See gesunken. Ein amerikani sches Marineflugzeug sah das Schiff, in zwei Hälften geborsten, brennend sinken. Das Unglück muß so überraschend gekommen sein, daß weder Passagiere noch Mannschaften Gelegenheit fanden, die Boote zu benutzen oder über Bord zu springen. Vermutlich hat sich eine starke Explosion ereignet, die das Schiff zerriß und alles verbrannte. Es wird für möglich gehalten, daß das Schiff torpediert wurde. Jedoch würde diese Art der Zerstörung voraussetzen, daß sich der gestohlene U-Kreuzer in der Nähe befunden hat. Das widerspricht jedoch der allgemeinen Ansicht, 9
wonach er sich auf dem Weg zu einer Macht befin det, die auf seinen Besitz außerordentlich großen Wert legt. Es wird nicht bezweifelt, daß es sich bei der ganzen Angelegenheit um einen ebenso neuarti gen wie brutalen Fall von Spionage handelt, den man einer zivilisierten Nation eigentlich nicht zutraute. Depeschen-Dienst (DD) am 16. Mai Piraten überfallen auf hoher See einen Passagier dampfer der White Star Line – Geraubter U-Kreuzer taucht wieder auf Einen geradezu unglaublichen Vorfall berichtet ein mitgehörter Funkspruch des Passagierdampfers »Wa shington«, der von New York nach Southampton un terwegs ist. Am Morgen des dritten Fahrtages erschien in ge ringer Entfernung von der »Washington« ein großes U-Boot, welches das Schiff anrief und ihm befahl, zu stoppen. Der Kapitän kam dem Befehl nicht nach, sondern ließ nach der Nationalität des Bootes fragen und mit welchem Recht das Schiff angehalten werde. Darauf hißte der andere eine blutrote Flagge und teil te mit, daß er ein »selbständiger Gewerbetreibender« sei und dem Schiff einen Besuch abzustatten wün sche. Man möge ihm schleunigst ein Boot schicken. Der Kapitän setzte seine Fahrt fort, wurde aber durch rücksichtslose Schüsse, die acht Menschen verletz ten, belehrt, daß der Pirat seine Absichten mit Gewalt 10
durchzusetzen entschlossen war. Aus Verantwortung für sein Schiff und die zahlreichen Passagiere ließ der Kapitän stoppen und setzte ein Boot aus. Als es zurückkehrte, brachte es drei fremde Män ner mit, deren Gesichter durch vorgebundene rote Halbmasken verdeckt wurden. Der Kapitän empfing sie in begreiflicher Erregung, aber an der kalten Ruhe der Unbekannten scheiterte auch sein berechtigter Zorn. Vor zahlreichen Passagieren sowie verschiede nen Offizieren und Mannschaften des Schiffes spielte sich ungefähr folgendes ab: »Was fällt Ihnen ein«, fragte der Kapitän entrüstet, »mein Schiff zu beschießen und anzuhalten? Wer sind Sie?« Der vorderste der drei, ein schlanker, gut gebauter Mann, antwortete ihm mit ruhiger Stimme. Er blieb auch fernerhin der Wortführer. Die beiden anderen – der eine ein hünenhafter Neger – führten nur schwei gend seine Befehle aus. »Unsere Namen sind völlig belanglos. Wenn es Ihnen Spaß macht, können Sie mich Brown oder sonstwie nennen. Wir sind Freibeuter, die von ande rer Leute Reichtümer leben. Das genügt Ihnen hof fentlich?« »Ich halte das für einen schlechten Witz«, sagte der Kapitän. »Der Spaß wird Sie teuer zu stehen kommen.« 11
»Das überlassen Sie ruhig uns«, gab der Mann gleichmütig zurück. Der Kapitän musterte ihn befremdet. »Sie nehmen doch nicht im Ernst an, daß Sie lange Ihr Unwesen treiben können? Alle Nationen der Welt werden nach Ihnen fahnden, und es wird nicht lange dauern, dann hat man Sie erwischt. Sie würden wahrhaftig gut tun, wenn Sie sich nicht erst eine Liste von Straftaten zu legen würden.« Der Pirat lachte spöttisch. »Sparen Sie sich Ihre Überredungskünste! Kom men wir zur Sache. Ich habe Ihnen zunächst einige Mitteilungen zu machen, die Sie der Welt übermit teln sollen. Später werde ich keine Zeit finden, mich mit den Schiffskapitänen lange zu unterhalten. Zu nächst nehmen Sie zur Kenntnis, daß es sich bei je nem Unterseeboot dort draußen um den verschwun denen U-Kreuzer ZRX l handelt. Wir haben ihn ge kapert und benutzen ihn für unsere eigenen Zwecke. Vielleicht besitzt die Admiralität der Vereinigten Staaten die Liebenswürdigkeit, die Menschen über die hervorragenden Eigenschaften des Tiefseekreu zers aufzuklären. Das würde nämlich nutzlose Suchmanöver vermeiden helfen. Ferner teilen Sie bitte der Öffentlichkeit und damit Ihren Kollegen mit, daß es sich empfiehlt, meine Befehle schnell und genau zu befolgen. Wenn ich einem Schiff befehle, zu stoppen, dann erwarte ich, daß dem Befehl sofort 12
nachgekommen wird. Geschieht das nicht, werde ich ohne weitere Warnung das Schiff versenken.« Der Kapitän rang nach Worten. »Das ist – unver schämte Piraterie…« »Selbstverständlich«, gab der Fremde zu. »Ich sagte Ihnen ja schon, daß wir Piraten sind. Niemand soll sich einbilden, daß wir Passagiere schonen, so bald wir den geringsten Widerstand gegen unsere Befehle bemerken.« »Und – was wollen Sie von uns?« »Nur einen kleinen Anfang machen. Verständigen Sie bitte Ihren Zahlmeister, daß er seine Kassenbe stände und Depots ausliefert. Rufen Sie ferner bitte die Passagiere der Ersten Klasse zusammen. Ich hof fe, auf eine Million Dollar zu kommen und werde mich mit dieser Summe zufrieden geben.« »Sie sind verrückt«, rief der Kapitän wütend. »Keinen Cent werden Sie erhalten! Sie haben an scheinend noch nicht begriffen, daß Sie sich in unse rer Gewalt befinden?« Der andere zeigte grinsend seine Zähne. »Wir haben das sehr wohl begriffen, mein Lieber. Ich zweifle nicht im geringsten daran, daß Sie uns festnehmen oder über den Haufen schießen können. Wie Sie sehen, haben wir sogar darauf verzichtet, uns mit Waffen zu versehen. Ich garantiere Ihnen jedoch, daß bei der ersten feindlichen Handlung ge gen uns kein Mensch auf diesem Schiff am Leben 13
bleiben wird. Unsere Leute stehen drüben zum Ab schuß bereit.« »Ich weigere mich, eine Anordnung zu treffen, die diesen Raub erleichtert.« »Sehr brav«, lobte der Pirat spöttisch. »Doch das wird Sie nur einen Haufen Geld kosten. Meine Pau schalforderung an das Schiff erhöht sich von diesem Augenblick an auf zwei Millionen Dollar.« Er wandte sich zur Seite und blickte auf die zahl reichen Passagiere, die entrüstet, zornig oder ängst lich der Unterhaltung gelauscht hatten. »Meine Damen und Herren, wie Sie eben hörten, weigert sich der Kapitän, eine bestimmte Kontributi on zu zahlen. Es stände mir frei, die Tresore aufzu brechen, aber es widerstrebt mir, Gewalt anzuwen den. Ich bitte Sie daher, von sich aus zu handeln. Der Inhalt der Tresore ist ja schließlich Ihr Eigentum, außerdem werden Sie auch sonst allerhand Geld und sonstige Wertsachen bei sich tragen. Ich brauche zwei Millionen. Länger als fünf Minuten habe ich nicht Zeit. Wenn bis dahin das Geld nicht in meinen Händen ist, müßte ich bedauerlicherweise das Schiff mit allen Passagieren in Grund und Boden schießen lassen. Ich hoffe, daß Sie vernünftig sind. Zweifellos haben Sie sich ohnehin versichert, und außerdem ist die Gesellschaft verpflichtet, Ihnen jeden Schaden zu ersetzen. Sie werden diesem Herrn die gespendeten Beträge aushändigen.« 14
Er wies auf einen seiner Begleiter, der bis dahin regungslos dagestanden hatte. Dieser ging jetzt auf die Gruppe zu und sagte: »Bleiben Sie stehen. Sie dort! Sie wenden sich an den Zahlmeister und befeh len ihm, das im Tresor verwahrte Eigentum dieser Herrschaften heraufzubringen.« Mister Cridden, einer der reichsten Männer der Welt, fragte trocken: »Ist es Ihnen recht, wenn ich Ihnen einen Scheck ausschreibe?« »Darauf verzichten wir«, erwiderte der Pirat. »Ihre Unterschrift gilt zwar sonst viel, Mister Cridden, aber in diesem Fall wäre sie wohl völlig wertlos. Zahlen Sie lieber in bar. Es ist nun einmal nicht im mer empfehlenswert, die eigene Jacht zu Hause zu lassen und auf fremden Schiffen zu fahren.« Cridden trat vor. »Was wollen Sie, ich werde mei ne alten Gewohnheiten nicht mehr ablegen können. Hier haben Sie Ihr Geld. Betreiben Sie Ihr Geschäft etwa als Aktiengesellschaft?« »Leider nicht«, bedauerte der Mann höflich, »falls es jedoch einmal so weit kommen sollte, werde wir nicht verfehlen, Ihnen ein entsprechendes Angebot zu machen.« Die Passagiere waren mittlerweile in lebhafte Be wegung geraten, sie sprachen, schrien und liefen durcheinander. Schließlich bequemte sich einer nach dem anderen, den geforderten Betrag abzuliefern. Freilich sah man mehr Schmuckstücke und wertvolle 15
Steine als bares Geld. Der Pirat nahm alles. Erst nach acht Minuten trat der Mann zurück und wechselte einige Worte mit dem Anführer. Dieser reckte sich und rief: »Mister Cridden!« »Bitte?« »Ich würde Wert darauf legen, daß Sie mich be gleiten. Falls Sie noch einige Kleinigkeiten aus Ihrer Kabine mitzunehmen wünschen, beeilen Sie sich bit te.« Cridden schüttelte erstaunt den Kopf. »Ich hoffe, daß das ein Scherz ist?« »Nein, ist es nicht.« Cridden blieb ruhig, aber seine Stimme wurde eine Spur schärfer. »Ich finde, daß Sie den Spaß reichlich weit treiben. Ich habe Geschäfte, die meine Anwe senheit erfordern.« Der Pirat hob die Schultern. »Es tut mir leid, ich habe auch Geschäfte, und diese erfordern Ihre Anwe senheit. Ich brauche Sie für den Notfall als Geisel.« »Sie sind verrückt«, sagte Cridden. »Ich bekleide kein öffentliches Amt, so daß ich Ihnen nicht das ge ringste nützen würde.« »Das ist ein Irrtum, Mister Cridden«, sagte der Anführer. »Sie sind für mich ebenso wertvoll wie ein regierendes Haupt.« »Sehr schmeichelhaft«, knurrte Cridden. »Wieviel wollen Sie haben?« »Nichts als Ihre Person. Sie haben nichts zu be 16
fürchten. Es wird Ihnen bei uns ausgezeichnet gefal len, aber begleiten müssen Sie mich schon.« Cridden ergab sich in sein Schicksal. »Dann wird mir wohl nichts anderes übrigbleiben. Ich möchte nur einige Dinge mitnehmen.« Er gab einem der Leute Anordnungen. Während dessen wandte sich der Pirat erneut an den Kapitän, der mit bleichem Gesicht und geballten Händen alles geschehen ließ. »Sobald Mister Cridden fertig ist, werden wir Sie von unserer Gegenwart befreien. Sie dürfen dann Ih re Fahrt fortsetzen. Ich wünsche Ihnen eine glückli che Reise.« Der Kapitän murmelte etwas, das bestimmt kein Segenswunsch war. Kurze Zeit später stiegen die drei Piraten mit Cridden in das Boot. Die Passagiere sa hen sie drüben landen und übersteigen. Das Boot kam zurück, die Fahrt wurde fortgesetzt. Der UKreuzer blieb noch einige Zeit liegen, dann ver schwand er mit auffallender Schnelligkeit unter dem Wasserspiegel. Atlantikpirat schlägt zu – Schiff versenkt – Hunderte von Passagieren ertrunken Neue Nachrichten von den Schreckenstaten des Ver brechers, der mit einem gestohlenen U-Kreuzer den Atlantischen Ozean unsicher macht: Auf der Höhe der Azoren wurde der französische Passagierdampfer 17
»St. Cloud« von den Piraten aufgefordert, zu stop pen. Der Kapitän des Dampfers beachtete den Befehl nicht. Wenige Minuten später wurde das Schiff von einem Torpedoschuß mitschiffs getroffen; es begann sofort zu sinken. Die Besatzung tat ihr Bestes, um die Passagiere in die Boote zu bringen, aber die Ka tastrophe ereignete sich so schnell, daß kaum mehr genügend Zeit blieb, in die Boote zu kommen. Die Schiffbrüchigen wurden von dem deutschen Damp fer »Hannover«, der wenige Stunden später die Un glücksstelle passierte, aufgenommen. Damit hat der Atlantikpirat seine schreckliche Drohung wahrgemacht und ohne Rücksicht auf über hundert unschuldige Menschen ein Schiff versenkt, weil der Kapitän nicht bedingungslos seinen Forde rungen gehorchte. Weitere Einzelheiten auf Seite 4 dieses Blattes. * Das Flugzeug flog seinen geplanten Kurs. Kuba und Haiti lagen hinter dem Horizont, die Bahama-Gruppe schien sich eben träge unten ent langzuziehen. Voraus dehnte sich, unendlich weit, der Atlantische Ozean. »Die Gegend kenne ich«, sagte Hal Mervin. »Hier bin ich mit Miss Martini geflogen, als wir von Eng land kamen. Dort unten muß irgendwo die Insel lie 18
gen, auf der Kolumbus landete.« »San Salvador«, sagte Sun Koh. Hal meinte: »Eigentlich seltsam, daß vor Kolum bus keiner auf den Gedanken gekommen ist, hier zu erkunden.« »Die Zeit war noch nicht reif dazu. Außerdem galt ja bis tief ins Mittelalter hinein der Atlantische Oze an als ein Schlamm-Meer, eine sagenhafte Erinne rung an den Untergang der Atlantis, die noch nach wirkte.« »Wie tief ist das Meer hier?« »Etwa 13 500 Meter.« »Allerhand.« »Ja, aber, die gleiche Stelle war früher nur 8 500 Meter tief.« »Dann wird das Meer also immer tiefer?« »Das braucht durchaus nicht der Fall zu sein, eher das Gegenteil. Die betreffende Stelle liegt vermutlich in einem Bruchgraben, einem gewaltigen Riß zwi schen dem atlantischen Meeresboden und dem ame rikanischen Festlandsockel. Du weißt ja, daß man verschiedentlich mitten im Atlantik überraschende Hebungen des Meeresbodens festgestellt hat. In Ver bindung damit ist die Zunahme der Meerestiefe an dieser Stelle ein ziemlich sicheres Zeichen dafür, daß sich die untergegangene Insel Atlantis wieder aus ihren bisherigen Klammern löst und aufwärts steigt.« »Unser Erdteil?« 19
Sun Koh nickte ernst. »Ist bereits…« Er brach ab. Über den flimmernden Horizont schob sich ein Punkt. Der Punkt wuchs. »Das ist doch eine Insel«, rief Hal. »Unsinn, ein Flugzeug-Mutterschiff oder so etwas Ähnliches ist’s«, rief Nimba. Hal schnaubte verächtlich, dann starrten sie wieder schweigend hinunter. Der rätselhafte Körper dort unten wurde schnell deutlicher sichtbar. Er wirkte jetzt wie eine große Tischplatte aus Stahl, die auf dem Meer treibt. Flach und platt lag sie auf dem Wasserspiegel, über zehn Meter hoch. Der Vergleich mit einem Tisch drängte sich um so mehr auf, als an den beiden Ecken unter halb der Platte noch ein Stück von mächtigen, runden Füßen zu sehen war, riesige, weißgestrichene Säulen, die die Platte zu tragen schienen. Ganz eben war die Platte allerdings nicht. Ziem lich genau in der Mitte erhob sich ein turmartiges Gebäude, und an den Längsseiten standen eine ganze Reihe niedriger Hallen, die von oben aber den Ge samteindruck kaum störten. »Wißt ihr nun, was es ist?« fragte Sun Koh. »Eine Flugplattform, Sir.« »Eine künstliche Insel«, setzte Hal hinzu. »Ich ha 20
be ein ähnliches Ding schon mal in einem Film gese hen.« »Ihr habt recht. Es ist ein großer Landeplatz für Flugzeuge, die über den Ozean fliegen. Ich möchte wissen, wie er hierher kommt. Aber – da ist etwas nicht in Ordnung. Hinunter, Nimba!« Die Maschine ging scharf nach unten, drosselte ihr Tempo, senkte sich schwebend weiter und setzte schließlich auf der Plattform unweit des Turmes auf. »Haltet die Waffen bereit!« befahl Sun Koh, wäh rend sie aus der Kabine kletterten. Selbst ein Blinder konnte merken, daß hier nicht alles so war, wie es eigentlich sein sollte. Aus der Tiefe drang ein gleichmäßiges Strömen und Rau schen und Gluckern, aber sonst war es auf der riesi gen Platte still, unheimlich still. Auf der hellen Lan defläche waren hier und dort ausgedehnte, dunkle Flecken zu sehen, die nicht nach Wasser oder Öl aus sahen. »Blut«, sagte Hal, während er sich bückte und mit dem Finger über eine der dunklen Stellen strich. Sun Koh faßte ihn an der Schulter. »Laß das jetzt, Hal. Bleib hier, bewache die Ma schine und beobachte zugleich die Aufbauten dort drüben. Sobald sich etwas rührt, alarmierst du uns.« Hal warf sich in die Brust. »Sie können sich auf mich verlassen, Sir. Aber wollen Sie denn fort?« 21
»Ich will den Turm untersuchen«, erwiderte Sun Koh kurz. »Komm, Nimba. Gehen wir hinein!« Das war leichter gesagt als getan. Die beiden Männer fanden bald heraus, daß der Turm völlig aus Stahl bestand, dem so leicht nicht beizukommen war. Sie fanden eine Tür, konnten sie aber nicht öffnen. Sie sahen auch die Stellen, an denen die Fenster sit zen mußten, aber es lagen fugendicht stählerne Lä den davor. »Sollen wir sprengen, Sir?« schlug der Neger vor. Sun Koh schüttelte den Kopf und wies nach oben. »Nicht sprengen, sondern springen.« In fünf Meter Höhe setzten die senkrechten Wände des Turmes ab. Dort oben saß ein kreisrunder, kup pelartiger Aufbau, der ganz so aussah, als ob er drehbar wäre. Es erwies sich später, daß sich dort oben Maschinengewehre und ein kleines Geschütz befanden, mit denen man die ganze Plattform bestreichen konnte. Fünf Meter sind eine beachtliche Höhe, zumal wenn man sie hinaufspringen muß. Nur Sun Koh konnte hoffen, daß ihm der Sprung glückte. Er wußte nichts von seiner Vergangenheit, nicht von seiner Kindheit und Jugend, er konnte nicht sagen, wer sei nem Körper diese unerhörte Kraft und Elastizität ge geben hatte, aber er wußte, daß er sie besaß. Und das war die Hauptsache. Abschätzend ging er ein Stück zurück, um genü 22
gend Abstand für einen Anlauf zu bekommen. Dann schnellte er mit der Geschmeidigkeit und der geball ten Energie eines Panthers los. Sein Körper flog durch die Luft, seine Hände griffen zu, und schon hatte er sich auf die Plattform geschwungen. Seine Erwartung hatte ihn nicht getrogen. Oben fand er in der gewölbten Stahlwand eine niedrige Tür. Er brauchte sie nicht erst zu öffnen, sie war nur angelehnt. Sie hätte sich nicht schließen lassen. Auf der Schwelle, so weit man von einer solchen reden konn te, lag ein zusammengekrümmter menschlicher Kör per. Geisterhaft schien das Sonnenlicht auf die bleiche Hand, die in der schmalen Öffnung lag. Sun Koh riß die Tür vollends auf. Blutgeruch schlug ihm aus dem nicht besonders hellen Raum entgegen. Flüchtig beugte er sich nieder, während er über den Körper hinwegstieg. Der Mann war tot, daran war nicht zu zweifeln. Die Kuppel war tatsächlich ein drehbarer Panzer turm. Nicht weniger als vier Maschinengewehre wa ren hier aufgestellt, außerdem ein kleines Geschütz. Darüber hinaus befand sich noch ein ganzer Stapel verschiedenster Feuerwaffen hier oben. Die Stahl wände zeigten längliche Schlitze. In einer merkwür digen Aufhängevorrichtung standen Apparate mit Drehknöpfen, Lampen und Anschlüssen, anschei 23
nend eine Radioapparatur. Sun Koh hielt sich mit einer näheren Untersu chung nicht auf. Das hatte Zeit für später. Seine Aufmerksamkeit galt den beiden anderen Männern, die sich außer dem Toten noch im Raum befanden. Der eine war an der Radioapparatur zusammenge brochen. Der andere lag über einem Maschinenge wehr. Beide lebten noch. Sun Koh eilte schnell die gewundene Treppe hin unter. Sie führte durch zwei übereinanderliegende Räume an die untere Stahltür. Diese ließ sich von innen leicht öffnen; er stand wieder auf dem Deck. Gemeinsam mit dem Neger ging Sun Koh nun wieder nach oben. Flüchtig durchsuchten sie die bei den Zimmer nach Menschen, aber die einzigen Über lebenden befanden sich oben in der Kuppel. Mit äußerster Vorsicht lösten sie die beiden Män ner aus ihrer verkrampften Lage und untersuchten sie. Der Mann am Radioapparat hatte weiße Haare, sein Alter mochte rund sechzig Jahre betragen. Man sah ihm die starke Erschöpfung an. Seine Glieder waren fast kalt, aber er lebte noch. Das Herz schlug matt. Seine Verletzungen schienen an sich nicht be sonders erheblich zu sein. Ein Schuß saß in der Schulter, aber diese Wunde war bereits einwandfrei verbunden. Ein zweiter, unversorgter Schuß mußte 24
die Schädeldecke gestreift haben, doch sah es nicht so aus, als ob der Schuß lebensgefährlich sei. Im ganzen genommen hatte Sun Koh den Eindruck, daß dieser Mann mehr infolge von Strapazen, Aufregun gen und Schreck zusammengebrochen war, als durch diese Verletzungen. Jedenfalls würde es sorgfältiger Pflege bedürfen, um ihn wieder auf die Beine zu bringen. Weit bedrohlicher stand es um den zweiten Mann. Er war jung, wohl Anfang der Dreißiger und hatte ein gut geschnittenes, energisches Gesicht, das aller dings jetzt völlig mit Blutkrusten überzogen war. Er blutete aus drei Wunden, anscheinend Schußverlet zungen, von denen jede einzelne bedenklich aussah. Es wurde höchste Zeit, daß sie verbunden wurden. Der Mann war nahezu ausgeblutet. Seine Hände preßten sich auch jetzt noch auf die Wunden, aber sie hatten den Blutstrom nicht genügend zurückhalten können. Das Herz schlug nur noch schwach. »Ich fürchte, er stirbt uns unter den Händen«, sag te Sun Koh leise, nachdem er den letzten Verband angelegt hatte. »Gib mir Kognak, Nimba.« Vorsichtig flößte er dem Bewußtlosen etwas von dem scharfen Getränk ein. Vielleicht fachte es die Lebensgeister neu an, vielleicht erweckte es den Wil len des Mannes aus der Bewußtlosigkeit, jedenfalls zuckten nach einer Weile seine Augenlider. Er mach te krampfhafte Anstrengungen, sie zu öffnen. Für 25
einen Augenblick gelang es ihm, dann schlossen sie sich wieder. Doch nun begannen die Lippen sich zu bewegen, lautlos zunächst, bis sie endlich leise und kaum hörbar Worte formten: »Declaude – Rettung – überfallen – R l verloren – Gold im Meer.« Sun Koh legte ihm sanft den Finger auf den Mund. »Sprechen Sie nicht, Sie dürfen sich nicht anstren gen! Wir sind Freunde.« Dennoch riß sich der Verwundete hoch. »Lassen…« keuchte er lauter, »ich muß reden – R 1 retten – die Goldfabrik – sie lockten uns auf R 2 – überfielen und – zu dritt im Turm – konnten nicht ran – Verankerung gelöst – Schieber geöffnet – R 2 sinkt…« Und nach einer Pause flackerte es noch einmal auf: »Lefère – rettet R l – Generator 5 – rettet… R 2… sinkt…« Dann schlossen sich die Lippen, sie waren blut leer. Er war in tiefe Bewußtlosigkeit zurückgeglitten. »Wir wollen die beiden hinuntertragen«, sagte Sun Koh und hob den Schwerverwundeten behutsam auf seine Arme. »Nimm den anderen.« Bedächtig und vorsichtig schritten sie die Stufen hinunter, aus dem Turm hinaus und zum Flugzeug hin. Dicht vor Hal legten sie ihre Lasten ab. »Sir«, flüsterte der Junge, »wer ist das?«
»Ich weiß es selbst noch nicht.«
»Was sagte er?« erkundigte sich Nimba, der die
26
französisch gesprochenen Worte des jüngeren Man nes nicht verstanden hatte. Sun Koh hob ungewiß die Schultern. »Es waren Andeutungen, aus denen man allenfalls einiges rekonstruieren kann. So weit ich die Sache übersehe, ist ein Verbrechen verübt worden. Diese Plattform muß in Verbindung mit einer anderen ge standen haben, die als R l bezeichnet wird. Mit dieser muß es jedoch eine besondere Bewandtnis haben, denn er sprach vom Gold im Meer, von einer Gold fabrik und von Generatoren. Es ist kaum anzuneh men, daß man zwei solche Plattformen nebeneinan der legt. R l muß etwas anderes sein. Jedenfalls sind diese Leute von R l auf R 2 gelockt und hier überfal len worden. Es ist zum Kampf gekommen, bei dem es verschiedene Tote und Verwundete gegeben ha ben muß, darauf deuten diese Blutflecke hin. Die drei Männer – ein Toter liegt noch oben, Hal – konnten sich in den Panzerturm zurückziehen. Hier waren sie nicht nur vor weiteren Angriffen sicher, sondern sie beherrschten auch mit den Maschinengewehren, die dort oben stehen, die Plattform und vermutlich auch das unbekannte R 1. Damit blieb wohl den Gegnern nur noch ein Weg, sie unschädlich zu machen: man löste offenbar diese Plattform von R l und ließ sie davon treiben oder schleppte sie gar aus dem Schuß bereich. Sicher ragte sie ursprünglich hoch genug aus dem Wasser, um einen Motorkutter, der unten an den 27
Schwimmpfosten lag, genügend Deckung zu bieten. Aber darüber läßt sich kaum etwas sagen. Nur das steht wohl fest, daß man durch das Öffnen von Schiebern oder auf sonstige Weise diese Plattform mehr und mehr zum Sinken gebracht hat.« »Man hört noch jetzt irgendwo das Wasser ein dringen«, sagte Hal. Sun Koh nickte ernst. »Diese Stahlplatte muß ein riesiges Gewicht ha ben, das nur durch gewaltige Luftpontons getragen werden kann. Sobald sich diese mit Wasser füllen, muß sie unaufhaltsam versinken und durch ihre eige ne Schwere in den Ozean gedrückt werden. Ich glau be, es ist an der Zeit, eine entsprechende Untersu chung anzustellen. Du bleibst hier, Hal.« Die beiden Männer eilten wieder davon. Sie durchsuchten zunächst die flachen Hallen am Rande der Platte. Es waren Flugzeughangars, Werkzeug schuppen und Wohnräume. Menschen oder Leichen wurden nicht gefunden. Sie gewannen den Eindruck, daß hier in fieberhafter Hast, ohne Rücksicht auf die Zerstörungen, ausgeräumt worden war. Eine ganze Reihe von Luken führten unter das Deck der Plattform. Eiserne Treppen brachten sie in langgestreckte Korridore, auf die sich nach rechts und links Türen öffneten. Man wurde stark an ein Schiff erinnert. Hier unten machte alles den Eindruck vollkommener Neuheit und Unbenutztheit. Die 28
Wände waren weiß und fleckenlos, der Fußboden zeigte keine Schrittspuren, die Kabinen waren fast durchweg unbenutzt; sie waren aber gut eingerichtet. Nach einer Weile stießen die beiden Männer auf einen Quergang, der von dem anderen, sozusagen fabrikneuen Korridor, geradezu häßlich abstach. Hier hatte es einen Kampf gegeben; dicht beieinander la gen vier Tote, deren Hände noch Pistolen hielten. Die Wände und der Fußboden zeigten Spuren des Kampfes. Jenseits dieses Querganges fanden sie eine Treppe, die weiter hinunter führte. Sie endete auf einer Art Galerie im Freien, das heißt, zwischen der mächtigen Plattform und dem Meer. Von hier aus sah man am besten, wie dieses tech nische Ungetüm gebaut war. Die gewaltige Platte ruhte auf einem ganzen Wald von runden Stahlsäu len, deren Durchmesser schätzungsweise je zehn Me ter betragen mochte. Ohne Zweifel waren sie jetzt zum großen Teil mit Wasser gefüllt und füllten sich unter dem Gewicht der Platte mehr und mehr. Man hörte von hier aus das Gurgeln und orgelnde Rau schen des strömenden Wassers. Zwischen dem Wasserspiegel und der Unterseite der Plattform waren kaum noch drei Meter Abstand. Sicher würde es noch Stunden dauern, bevor sich das Wasser über dem riesigen Gebilde schloß, aber auch nicht länger. 29
Es gab offenbar kein Mittel, um das Sinken aufzu halten. Die offenen Schieber waren sicher schon tief im Wasser, ganz abgesehen davon, daß den beiden Männern ihre Lage unbekannt war. Nachdenklich kehrten sie nach oben zurück. »Hier waren Banditen am Werk«, sagte Sun Koh, als sie wieder neben den beiden Verletzten standen. »Diese Überlebenden brauchen dringend ärztliche Hilfe. Ich muß sie an Land zurückfliegen. Nur – un ser Flugzeug ist zu klein.« »Hm?« brummte Nimba. »Es hilft nichts«, entschied sich Sun Koh. »Ihr müßt hier auf meine Rückkehr warten. So schnell sinkt die Plattform nicht.« »Hm?« antwortete Hal. »In drei Stunden bin ich zurück«, erwiderte Sun Koh. »Bis dahin kann euch nicht viel zustoßen.« »Hm.« Hal klappte ein paarmal den Mund auf und zu, sagte aber nichts. Die beiden Männer griffen zu und Hal half, wo er helfen konnte. Die Geschichte konnte dumm ausgehen, fand er. Erstens stand durchaus nicht fest, wie lange sich das Ding hier halten würde, zweitens war es sicher nicht so leicht, Land zu finden, zumal es in einer Stunde dunkel sein mußte, drittens würde es noch schwerer sein, die Plattform wieder zu entdecken, viertens – 30
na, kurz und gut, dem Jungen war es etwas komisch zumute, obgleich er alles andere als ein Angsthase war. Aber auch er sah ein, daß es versucht werden muß te. Man konnte die beiden Verwundeten doch nicht einfach hier versaufen lassen. Sie wurden mit aller erdenklichen Sorgfalt in der kleinen Kabine verstaut und so gesichert, daß sie sich nicht bewegen konnten. Es war sehr fraglich, ob sie den Transport überstehen würden, aber es war auch nicht ausgeschlossen. Sun Koh wußte ein Flugzeug so sicher zu führen, daß keine Erschütterungen ent standen. Sun Koh schüttelte dem Neger und dem Jungen die Hände. »In einigen Stunden bin ich zurück. Wenn ich nicht irre, liegen im Turm Raketenpistolen. Für alle Fälle baut ein Floß. In den Kabinen ist genügend Holz. Nicht zu lange warten. Verstanden, Nimba?« »Jawohl, Sir«, erwiderte der Neger fest. Der Motor sprang an. Nimba und Hal traten zu rück. Die kleine Horizontalschraube klappte aus ihrer Rumpfverkleidung heraus, stellte sich fest und be gann sich zugleich mit dem großen Propeller zu dre hen. Der Motor dröhnte hoch. Nun rollte die Maschi ne, aber wenige Meter nur, dann hob sie sich ab, stieg schräg nach oben, bohrte sich steil in den Him mel und schoß dann davon. 31
Die beiden Zurückbleibenden sahen ihr nach. Sie waren jetzt abgeschnitten, allein in einer unendlichen Wasserwüste, die eben die Nacht einhüllte. Dumpf gurgelten und strömten irgendwo unter ih nen die Fluten in die Pontons. * Die Begrüßung, mit der Theophil Braddock seinen Gast empfing, zeigte, daß dieser mindestens einige Millionen wert war. Braddock versteuerte als Ein kommen des internationalen Versicherungskonzerns hundert Millionen, was auf ein Mehrfaches an Ver mögen schließen ließ. Die Begrüßung hob alle an ihm gewohnten Zurückhaltung auf. Er ging seinem Besucher entgegen und streckte ihm beide Hände entgegen, wobei er freundlich sagte: »Herzlich will kommen, mein lieber Ketter. Ich freue mich außeror dentlich, daß Sie meinem Wunsch Folge geleistet haben. Bitte, nehmen Sie Platz!« George Ketter, der so willkommen geheißen wur de, war ein Mann von annähernd dreißig Jahren, mit scharfgeschnittenen Gesichtszügen, ruhigen Augen und einer verwetterten Haut, wie man sie bei Leuten findet, die sich viel im Freien aufhalten. Seine Hal tung drückte Sicherheit und Gelassenheit aus. Von einer Befangenheit dem großen Finanzmann gegen über war nichts zu spüren, obgleich seine monatli 32
chen Bezüge kaum nennenswert waren. Er war aber gespannt darauf, was dieser Mann von ihm wünschte. An sich gab es keine Berührungs punkte zwischen dem Verkehrspiloten George Ketter und dem Finanzmann Theophil Braddock. Ketter hatte bisher nur gelegentlich von ihm gehört wie von anderen Leuten der oberen Zehntausend, er hatte ihn jedoch noch nicht einmal zu Gesicht bekommen. Der Direktor der Luftfahrtgesellschaft, Saunders, hatte ihn gestern abend zu sich rufen lassen und ihn gebeten, um diese Stunde bei Braddock vorzuspre chen. Näheres hatte er dabei nicht mitgeteilt, nur ein paar allgemeine Andeutungen gemacht, daß er sich auf ihn verlasse und was dergleichen Redensarten mehr waren. Na schön, vielleicht war dieser Brad dock auf den verrückten Gedanken gekommen, aus gerechnet ihn als Piloten für sein Privatflugzeug an stellen zu wollen. Braddock rückte ein Tischchen mit allerlei Geträn ken zurecht, bat zuzulangen und ging dann auf die Sache ein. Dabei verwandelte er sich sehr schnell aus einem jovialen Herrn in einen kühl überlegenden, kalt rechnenden Geschäftsmann. »Also, mein lieber Ketter«, begann er, »Sie schei nen ja ein tüchtiger Mann in Ihrem Fach zu sein?« George Ketter konnte an sich diese wohlwollende Anrede nicht leiden, er hätte am liebsten einiges er widert, aber da er nicht wußte, was der Gastgeber 33
von ihm wollte, beschränkte er sich mit einem Schul terzucken und mit der knappen Erwiderung: »Ich fliege nicht besser und nicht schlechter als hundert andere Piloten.« »Sagen Sie das nicht!« wehrte Braddock mit ei nem gewissen Eifer ab. »Sie besitzen verschiedene Preise für Dauer- und Langstreckenflüge. Sie haben monatelang die australischen Sandwüsten durch kreuzt. Sie sind wiederholt über den Pol geflogen wie andere Leute über den Eriesee, Sie haben sich in Patagonien einen Namen gemacht, kurz, Sie haben allerhand erlebt, ehe Sie Verkehrsflieger wurden, weil…« Er brach ab, Ketter aber ergänzte mit leichter Bit terkeit: »Weil mich tüchtige Finanzmänner um mein Geld brachten und ich keinen Krösus fand, der mir den Brennstoff bezahlte.« »Ganz recht, ganz recht.« Der andere nickte, zeig te ein Mitgefühl, das ihm niemand weniger glaubte als Ketter. »Sie hatten Pech. Wären Sie damals nur zu mir gekommen, ich habe mich von jeher für Ihre Reisen interessiert. Doch lassen wir das! Ich wollte nur noch einmal feststellen, daß Sie als Flieger wie als Mann den Anforderungen entsprechen, die ich für eine bestimmte Aufgabe stellen müßte. Ich glaube, Sie sind mein Mann.« Ketter fand seine Vermutung bestätigt. Braddock wollte ihn als Privatflieger einstellen. Da ihm an ei 34
nem solchen Posten nichts lag, entschloß er sich, so fort einen Riegel vorzuschieben. »Ich glaube es nicht«, erwiderte er deshalb kurz. »Ich habe nicht die Absicht, in Ihre Dienste zu treten. Meine jetzige Tätigkeit genügt mir, und später gehe ich wieder auf freie Fahrt. Ich habe nicht das gering ste Talent zum Angestellten.« »Sie verkennen meine Absichten, Mister Ketter. Ich ließ Sie nicht hierher rufen, um Sie als Piloten anzustellen.« Ketter war überrascht. »Sondern?« Der Millionär vermied eine direkte Antwort und kam auf einen scheinbar weit abliegenden Punkt zu sprechen. »Hm, sagen Sie, was halten Sie eigentlich von die sen Atlantik-Piraten?« Der Flieger setzte sich gerade hin. »Das ist eine merkwürdige Frage, die Sie mir schon näher erklären müßten.« Braddock machte eine entschlossene Handbewe gung, als wollte er alle Bedenken wegwischen. »Schön, ich werde meine Karten aufdecken. Sie unterhielten sich vor einigen Tagen mit einem Kame raden über jenen Piraten und entwickelten dabei ge wisse Absichten, wie man ihn fangen könne. Das Gespräch wurde ganz zufällig mitgehört.« Ketter lachte kurz auf. 35
»Zufällig ist gut. Es wird Ihnen so gut wie mir be kannt sein, daß es bei uns mehr Lauscher als Flieger gibt.« Der andere lächelte dünn. »Reden wir nicht davon, auch das hat seine Not wendigkeit. Jedenfalls erfuhr Ihr Direktor den Inhalt des Gesprächs und gab mir einen Tip, als ich mich mit ihm unterhielt. Deswegen bat ich Sie zu mir. Ich habe Ihren Plan geprüft und sehe eine Chance in ihm.« Ketter schüttelte den Kopf. »Sie müssen mich mit jemand verwechseln. Ich kann mich nicht entsinnen, einen Plan geäußert zu haben.« Braddock beugte sich vor. »Sie haben es vielleicht nicht so aufgefaßt, aber für mich ist es bereits ein Plan. Sie behaupteten, daß es nicht besonders schwer sein könne, den Piraten zu fangen?« »Das kann sein«, räumte Ketter ein. »Ein ent schlossener Mann mit genügend Ausdauer und Glück kann eine ganze Menge erreichen.« »So ungefähr äußerten Sie sich. Sie sagten aber noch mehr, nämlich, daß Sie selbst sich zutrauten, mit dem ganzen Spuk aufzuräumen?« Ketter kniff die Augen zusammen. »Aha! Nun gut, es kann sein, daß solche Worte ge fallen sind. Ich halte sie aufrecht.« 36
»Sie wollten dem U-Kreuzer per Flugzeug auf die richtige Weise beikommen? Wie meinen Sie das?« »Sie sind sehr genau über meine Worte orientiert, Mister Braddock. Ich weiß schon, es macht nichts aus, aber immerhin möchte ich gern einiges wissen, bevor ich meine Anschauungen entwickle. Man muß in den Staaten vorsichtig sein. Würden Sie mir bitte verraten, welches Interesse Sie an dem AtlantikPiraten haben?« Braddock lachte dröhnend. »Sie halten mich hoffentlich nicht für einen seiner Verbündeten?« Ketter schwieg einfach, so daß der Millionär fort fuhr: »Sie wissen, daß mir der größte Versicherungs konzern der Welt untersteht?« »Ich glaube, es gehört zu haben.« »Es ist schon so. Eine wichtige Abteilung unseres Konzerns umfaßt Schiffsversicherungen. Diese Ab teilung hat in den letzten Wochen geradezu phanta stische Einbußen auf zuweisen, denn selbstverständ lich mußte sie für die Überfälle auf hoher See mehr oder weniger aufkommen. Die Verluste sind derart, daß wir mit allen Mitteln versuchen müssen, dem Piraten das Handwerk zu legen. Gelingt uns das in kurzer Zeit nicht, so können wir diesen Teil unseres Konzern einfach liquidieren. Begreifen Sie jetzt, welches Interesse wir an der Angelegenheit haben?« Ketter hatte ihn unentwegt prüfend angesehen. 37
Jetzt sagte er langsam und schleppend: »Dann ist es also nicht richtig, wenn man die Geschichte von die sem Piraten für ein von Ihrem Konzern aufgebrachtes Märchen hält?« Braddock fuhr auf. »Wie – wie meinen Sie das?« George Ketter blieb gleichmütig. »Das wäre doch eine Möglichkeit, um die Versicherungsprämien wirksam in die Höhe zu treiben. Solche Sachen pas sieren doch nicht zum erstenmal.« Der Millionär leckte sich die Lippen. »Sie gehen aber scharf ins Zeug. Ich versichere Ihnen, daß Sie sich irren. Der Konzern würde solche Mittel gar nicht brauchen, da es keine Außenseiter gibt. Wir diktieren die Prämiensätze ohnehin. Glauben Sie mir ruhig, daß dieser Pirat uns einen Riesenschaden ver ursacht. Jeder Tag, den er in Freiheit verbringt, ko stet uns Millionen.« »Ich will es Ihnen glauben. Aber was wollen Sie nun von mir?« »Sehen Sie«, sagte Braddock, »wir grübeln schon eine ganze Weile, um eine Möglichkeit zu finden, den Piraten unschädlich zu machen. Er versenkt die Schiffe, beraubt sie, entführt Passagiere, zieht uns die Millionen aus der Tasche, und wir sind völlig hilflos. Zu Anfang bauten wir darauf, daß es den Flotten Amerikas und der europäischen Staaten gelingen würde, ihn so bald wie möglich zu fangen. Heute 38
hoffen wir das nicht mehr. Dieser Pirat stahl den vollkommensten Tiefseekreuzer, den es je gegeben hat. Er ist schneller als alle anderen Schiffe, vermag wirklich blitzschnell in große Tiefen zu tauchen und was der Dinge mehr sind, so daß wir nicht die ge ringste Hoffnung haben, ein Kriegsschiff oder ein anderes Unterseeboot könne ihn stellen. Wir wissen, daß er nur durch eins zu fangen ist, nämlich durch List, durch einen außergewöhnlichen Trick, gegen den er nicht gewappnet ist. Diesen zu finden, mühen wir uns nach besten Kräften. Darum sind Sie hier. Das Gespräch, von dem ich Kenntnis erhielt, ließ die Hoffnung zu, daß Sie uns eine Chance bieten wür den. Sie sagten, daß Sie sich zutrauen, den Piraten unschädlich zu machen. Sie werden vielleicht jetzt verstehen, wenn ich Sie bitte, mir diese Ansicht nä her zu erklären.« Der junge Flieger nickte ein paarmal, dann sagte er: »Ich begreife Ihre Lage, aber ich glaube, Sie mes sen einem zufälligen Gespräch zuviel Bedeutung bei. Meine Erwägung hatte als Ausgangspunkt die glei che Erkenntnis, die Sie aussprachen. Man kann dem Piraten nicht mit technischen Mitteln beikommen. Man muß ihn an einer Stelle zu treffen versuchen, an der er nicht überlegen, höchstens ebenbürtig ist. Der Einsatz von Kriegsschiffen und Flugzeugen ist ver fehlt, man muß den Menschen einsetzen.« »Ich verstehe nicht ganz…« 39
Ketter erklärte weiter: »Die Besatzung des Piraten schiffs besteht mit hoher Wahrscheinlichkeit aus ei ner Reihe von Verbrechern. Wenn es einem Mann gelingt, in die Besatzung eingereiht zu werden, be steht die Möglichkeit, daß er die niederen Instinkte der Leute heimlich aufwühlt und damit die Voraus setzungen zu einer Meuterei schafft. Es wäre auch denkbar, daß er die Führung des Schiffes an sich rei ßen kann. Ich glaube nicht, daß die Besatzung für ein U-Boot geschult ist. Zumindest darf man annehmen, daß der Führer der Leute der einzige ist, der den Kreuzer zu steuern vermag. Scheidet er durch List oder Gewalt aus, so sind die anderen von dem Ein dringling abhängig. Das muß man natürlich je nach der Lage der Sache einrichten, es läßt sich jetzt noch nicht übersehen.« Braddock schüttelte zweifelnd den Kopf. »Ich sehe für einen Mann keine Möglichkeit, um in die Besatzung jenes U-Kreuzers aufgenommen zu werden.« »Sie haben keine Phantasie, Mister Braddock. Nehmen wir einmal an, ich hätte mit der jungen Frau unseres leitenden Direktors ein Verhältnis angespon nen, das von ihm aufgedeckt wird. Es kommt zum Streit, ich töte ihn, nehme mir die beste Maschine und flüchte damit. Zeitung und Radio geben meine Tat bekannt, ferner eine genaue Beschreibung des gestohlenen Flugzeugs, meiner Person sowie meiner 40
abenteuerlichen Vergangenheit. Da wird meine UBoot-Ausbildung ebenso erwähnt wie einige meiner früheren Schandtaten. Alle diese Nachrichten würde der Pirat durch’s Radio erfahren. Eines Tages findet er mich dann in höchster Not auf dem Meer treibend. Was wird geschehen? Vielleicht irre ich mich, aber ich sehe eine große Chance, daß er neugierig ist, mich näher kennenzulernen.« Der Versicherungsmann lehnte sich zurück. »Ah – so herum…« Er dachte angestrengt nach. Minutenlang herrschte völlige Stille im Raum. Endlich beugte sich Brad dock vor. »Das läßt sich machen. Würden Sie den Versuch wagen?« Ketter hob nach einer Weile den Kopf. »Ich werde den Versuch wagen, wenn Sie eine Million für mich hinterlegen.« Braddock streckte ihm seine Hand entgegen. »Abgemacht. Und wenn Sie nicht wiederkom men?« »Verteilen Sie das Geld unter den Leuten, die ich Ihnen noch nennen werde. Aber ich werde wieder kommen.« »Niemand wünscht es mehr als ich«, versicherte Braddock. *
41
George Ketter hatte Glück. Drei Tage später stand er auf der Tragfläche einer kleinen Privatmaschine und gab dem herangleitenden Unterseeboot Notzeichen. Der Pirat kam bis auf Rufweite heran. Ein Mann winkte und schrie ihm zu, zu schwimmen. Ketter sprang daraufhin ins Meer und schwamm hinüber. Blackeye selbst half ihm auf das glatte Deck. Er stellte ihm auch die erste Frage, kaum daß Ketter das Wasser etwas abgeschüttelt hatte. »Sie sind der Pilot George Ketter, der wegen Mord gesucht wird?« Ketter nickte düster. »Sie wissen das so gut wie ich, Geben Sie sich aber keine Mühe, mir weitere Fragen zu stellen. Ich werde nicht antworten, ehe ich einen Anwalt zur Sei te habe.« Blackeye lachte. »Sie sitzen mächtig in der Tinte…« »Ich habe in Notwehr gehandelt«, sagte Ketter. »Das habe ich mir gedacht«, sagte Blackeye sarka stisch. »Na, kommen Sie mit!« In der Kabine wies er auf einen Stuhl. »Setzen Sie sich! Ihr Zeug muß trocknen. Aber zu nächst haben wir miteinander zu reden. Was ist mit Ihrer Maschine los?« »Benzinleitung gerissen.« »Pech, mein Lieber. Wissen Sie, daß diese Ge 42
schichte Ihnen mindestens lebenslänglich eintragen kann?« »Verdammt«, sagte Ketter, »Sie haben kein Recht, mich zu verhören.« »Nicht so hastig«, wehrte Blackeye ab. »Es könnte Ihnen lebenslänglich einbringen, wenn Sie jetzt auf einem Marinefahrzeug gelandet wären. Sie befinden sich auf dem U-Kreuzer ZRX l jedoch.« Ketter hob den Kopf. »Dem Piratenschiff?« »Ja.« Ein hörbares Aufatmen. »Damit – habe ich nicht gerechnet. Ich hoffe, daß Sie mich nicht gerade der Polizei übergeben werden, sondern mich irgendwo absetzen, wo ich verschwinden kann.« Blackeye prüfte ihn unentwegt forschend, belauer te jede Bewegung und den Tonfall seiner Stimme. »Übermäßig froh scheinen Sie nicht zu sein?« Ketter zeigte leises Erstaunen. »Froh? Sie wissen vielleicht nicht, wie einem zu mute ist, wenn man zum erstenmal einen Menschen umgebracht hat.« Blackeye zwinkerte. »Ich denke, Sie haben schon früher allerhand erlebt?« Ein zorniger Blick traf ihn. »Ich bin Zeit meines Lebens ein anständiger Mensch gewesen. Ich habe mich immer nur meiner Haut gewehrt.« 43
Der Kapitän grinste. »Das sagen wir alle, die Gerichte glauben es uns leider nicht. Wenn man Sie erwischt, wird man Ihnen alle Schandtaten anrechnen.« Ketter stieß eine Verwünschung aus. »Setzen Sie mich irgendwo ab und sparen Sie sich Ihre Moral pauken!« »Sie scheinen es ja mächtig eilig zu haben, wieder fortzukommen?« »Glauben Sie, ich habe Lust, früher oder später mit Ihrem Kasten abzusacken? Mich wundert’s, daß man Sie noch nicht erwischt hat. Lieber will ich mich von den Halen fressen lassen, als auf dem Meeres grund langsam zu verrecken. Ich kenne den Betrieb.« Blackeye nickte. »Richtig, Sie sind ja U-BootKapitän gewesen, wie ich hörte.« »Sie scheinen allerhand gehört zu haben«, meinte Ketter unwillig. »Aber es ist schon so, und deshalb habe ich keine Lust, mit Ihnen in der Gegend herum zuschwimmen.« »Es wird Ihnen kaum etwas anderes übrig bleiben. Ich habe Ihre ganze Geschichte erst für einen Trick gehalten, ich dachte, Ihre Maschine wäre ein Köder für mich, mit einigen U-Booten in der Nähe. Es scheint aber doch alles zu stimmen, und da kommen Sie mir recht gelegen. Ich brauche einen Mann, der etwas von der Navigation eines Unterseeboots ver steht, damit ich mich mal richtig ausschlafen kann. 44
Wie steht’s, wollen Sie nicht mitmachen, wenn Sie Ihren Anteil kriegen?« Ketter sah ihn voll an. »Ihr Geschäft geht sicher nicht schlecht, aber ich habe keine Lust, bei nächster Gelegenheit unten zu ersticken.« »Mit einem Strick um den Hals erstickt man auch«, gab Blackeye bedeutungsvoll zurück. »Au ßerdem unterschätzen Sie diesen Kreuzer. Eher geht die Welt unter, bevor er sich erledigt auf Grund legt.« Der Flieger machte eine wegwerfende Bewegung. »Redensart!« Blackeye erhob sich. »Sie werden anders darüber denken, wenn Sie das Schiff kennengelernt haben. Ich werde Ihnen ein paar trockene Sachen geben, dann wollen wir herumge hen.« Ketter dachte nach dem beendeten Rundgang an ders. Er ließ sich in die Besatzung des Piratenschiffes einreihen. Stellung und Titel gab es nicht für ihn, aber schon am nächsten Tag übernahm er die Füh rung des Kreuzers, während Blackeye seinen lang entbehrten Schlaf genoß. Selbstverständlich stand er dabei unter schärfster Beobachtung. Die führenden Mitglieder der Bande waren ebenso mißtrauisch, wie Blackeye es zu An fang war. Besonders Ham Smith und Jeremias Pat 45
terson waren nicht geneigt, einen Fremden sich in eine führende Stellung eindrängen zu lassen. Ande rerseits sahen sie ein, daß dieser Mann eine große Entlastung bedeutete und für sie außerordentlich wertvoll sein konnte, falls Blackeye infolge eines dummen Zufalls oder aus irgendeinem Grund nicht fähig war, das Schiff zu führen. Ketter gab sich keine Blöße. Er führte die Anordnungen aus, beanspruchte kei ne Rechte und ließ sich doch andererseits merken, daß es ihm nicht viel ausmache, was man von ihm denke. Im übrigen hielt er sich zur Mannschaft. Er nahm das Essen mit ihr gemeinsam ein, er schlief mit ein paar Mann zusammen in einem der kleinen Lo gis, obgleich ihm Blackeye einen abgesonderten Raum angeboten hatte. Eine merkwürdige Kolonne war diese Piraten mannschaft. Man sah rohe, brutale Gesichter unter ihnen, Kerle mit mächtigen Körpern. Daneben gab es Typen, die man sich im Anzug besser denken konnte als in dieser schmierigen Tracht. Gesichter von Spie lern, Glücksrittern und Hochstaplern. Und schließ lich waren ein paar Leute da, die echte Abenteurer waren, jene wilden, unruhigen und im Grunde ge nommen anständigen Menschen, die nur an der Star re des Gesetzes zerbrochen und zu Verbrechern ge worden waren. Die auffälligste Erscheinung war zweifellos Bill, 46
der Koch, ein vergnügter Halunke, der eine Portion Humor im Leib hatte, obgleich es ihm von allen am schlechtesten ging. Seine schiefe Nase gab allerlei Anlaß zu Anspielungen. Seine Augen funkelten li stig, spöttisch und vergnügt, seine spitze, freche Zunge schlug aber alles, was ihm über den Weg lief. Und ihm lief alles über den Weg, was auf dem Kreuzer lebte. Er kochte für alle, er bediente alle, und es war ein Wunder, wie er das überhaupt brach te. Er gehörte nicht zur Mannschaft. Die Piraten hat ten ihn von einem Dampfer mitgenommen, auf dem er allein zurückgeblieben war, als die Mannschaft in die Boote ging. Er war mit knapper Not dem Tod entgangen. Als er sich bemerkbar gemacht hatte, nahm Blackeye ihn in Gnaden auf, und jetzt war je der im Grunde genommen froh darüber. George Ketter fand ihn im Mannschaftslogis, als ihn Blackeye dorthin eingewiesen hatte, um sich erst mal auszuruhen. »Na«, fragte Bill, während seine kleinen Augen wieselflink den neuen Mann taxierten, »glücklich im Bund der schwarzen Schar aufgenommen? Wie fühlst du dich als Seepirat, du trauriger Ehebrecher?« »Halt’s Maul!« erwiderte Ketter unwirsch. »Wer bist du denn?« »Ich bin Bill, der Koch. Wenn du dir den Leib vollschlagen willst, wende dich ruhig an mich. Bei 47
mir gibt’s keine weißen Bohnen mit Pökelfleisch, bei mir gibt es einen piekfeinen Fraß. Wie gefällt dir Blackeye?« Ketter kniff die Augen zusammen. »Wenn du bestellt bist, mich auszuhorchen, dann scher dich lieber zum Teufel. Ob mir der Kapitän ge fällt oder nicht, kann dir so gleichgültig sein wie mir.« »Klar.« Bill grinste. »Die Hauptsache ist ja das lu stige Piratenleben, nicht wahr?« Damit verschwand er. An diese erste Begegnung mit dem merkwürdigen Koch schlossen sich noch manche andere, aber stets triefte Bill von Spott und dunklen Andeutungen, deren Sinn nicht ohne weite res zu erraten war. Bis Ketter eines Tages auf einen überraschenden Gedanken kam. Er kümmerte sich eingehend um die Stimmung der Mannschaft, weil er ja von hier aus ansetzen wollte. Mehrere Tage brauchte er, um mit diesen teilweise recht finsteren und groben Gesellen überhaupt Kon takt zu gewinnen, aber bald konnte er manches Wort wagen und noch mehr hören. Dabei machte er die Feststellung, daß die Mannschaft durchaus nicht zu frieden war. Gewiß, die Beute stapelte sich im Schiff, jeder einzelne konnte sich bereits als reichen Mann fühlen, aber den Leuten fehlte hier verschiede nes. 48
Sie murrten. Worüber? Genau genommen vielleicht darüber, daß ihr jetzi ges Leben nicht den Vorstellungen entsprach, die sie sich von dem Piratenleben gemacht hatten. Im ein zelnen fehlte ihnen zunächst der Alkohol, den Blak keye aus begreiflichen Gründen streng verboten hat te. Außerdem paßte ihnen die nüchterne, teilweise recht harte Arbeit nicht. Ferner waren sie es nicht gewöhnt, tage- und wochenlang in dem engen Käfig eines solchen Bootes zu leben. Wenige von ihnen waren schon einmal auf einem Schiff gefahren, ge schweige denn auf einem Unterseeboot. Der ständige Kampf um die Frischluft, das Tageslicht, der seeli sche Druck des Unterwasserdaseins legte sich schwer auf diese primitiven Gemüter. Und dann fehlten ih nen die Frauen. Wilde Phantasien spukten in den Köpfen der Leu te. Piratentum bedeutete für sie ungezügelte Freiheit, keinesfalls aber die strenge, enthaltsame Disziplin, die Blackeye ihnen auf zwang. Es gärte unter den Piraten. Und Bill trug mit sei nen Hetzreden einen großen Teil Schuld daran. Als George Ketter das einmal erfaßt hatte, kam er auf einen guten Einfall. Er suchte Bill in seiner Kombüse auf, zog die Tür sorgfältig hinter sich zu und sagte: »Bill, auf ein Wort!« Der Koch zwinkerte ihm zu. 49
»Was ist? Wenn du Schnaps haben willst, sage ich dir gleich, daß du dich umsonst anstrengst. Streng verboten, damit ihr keine Dummheiten macht. Blak keye hat ganz recht, wenn er euch wie kleine Kinder behandelt, schließlich schlagt ihr im Suff über die Stränge und bringt euern Mammon in Sicherheit, be vor sie euch erwischen.« Das war wieder eine seiner üblichen Redensarten, die so völlig im Sinn des Kapitäns schienen und doch praktisch seine Leute gegen ihn aufhetzten. »Ich bin kein Schnapstrinker«, erwiderte Ketter, »aber ich möchte gern mal wissen, was du mit deinen Redereien bezweckst. Du weißt doch ganz genau, daß du die Mannschaft verrückt machst.« Bill sah ihn schief an. »Was kann ich dafür, daß die Leute allerlei Rau pen im Kopf haben?« »Du machst ihnen den Mund wässrig.« Der Koch stand auf und trat dicht an ihn heran. »Tu ich das? Da täuscht du dich gewaltig, mein Lieber. Ich sage höchstens einmal, was ich denke, ich bin nicht so feige wie die anderen. Ich für meine Person habe mir das Piratenleben etwas lustiger vor gestellt. Der Mammon dort unten nützt mir einen Dreck, wenn ich dauernd auf diesem Schmierkasten leben muß. Nun kannst du gern zu Blackeye gehen und ihm das erzählen.« Ketter hob die Schultern. 50
»Ich denke nicht daran. Ich finde vielmehr, daß du recht hast. Besser als im Gefängnis lebt man hier nicht, und daher lohnt es sich nicht. Ich bin ja noch nicht lange hier, aber ich glaube, es wird nicht lange dauern, dann habe ich die Schnauze gründlich voll.« »Auf einmal?« erwiderte Bill spöttisch. »Und da kommst du zu mir und willst mir dein Leid klagen? Nein, da suche dir einen anderen aus. Ich soll dich wohl gar zu einer kleinen Meuterei ermuntern? Du scheinst mich für sehr dumm zu halten.« »Im Gegenteil, für sehr schlau.« Der Koch stutzte. »So? Dann wundert es mich, daß du überhaupt ge kommen bist. Halte mich für diesen oder jenen – in beiden Fällen ist es Quatsch, wenn du auf diese Wei se etwas von mir zu erreichen hoffst. Verstanden?« »Vollkommen.« Ketter nickte und ging hinaus. Er war zwar nun nicht viel klüger als vorher, aber er hatte mindestens begriffen, daß nichts zweckloser war als die Hoffnung, daß Bill ihm gegenüber vorerst seine Karten aufdecken würde. Er arbeitete aber weiter nach seinem Plan. Da war der lange Jens, ein entgleister Norweger, der mit sechs Mann das gleiche Quartier teilte wie Ketter. Er gehörte zu den schweigsamen, düsteren Naturen, denen das Reden keine Ablenkung oder Er leichterung bringt, sondern nur bevorstehende Explo sion ankündet. Er war einer der Unzufriedensten. 51
Er wälzte sich unruhig auf seinem Lager. Die Luft im Logis hatte viel zu wenig Sauerstoff, sie lastete schwer auf seiner Brust. Das konnte Jens von allen am wenigsten vertragen. »Verdammt«, fuhr er plötzlich hoch, »ich ersticke noch in diesem Kasten. Konnten wir nicht oben blei ben und erst mal gründlich Luft durchblasen lassen?« »Elende Stickluft«, knurrte ein anderer. »Sie macht sich ja schließlich bezahlt«, warf Ket ter ein. Jens starrte ihn bösartig an. »Quatsch du nicht in die Sache rein! Machst wohl den Sprecher für Blackeye, he?« »Das glaubst du wohl selber nicht. Ich habe ihm in den ersten fünf Minuten erklärt, daß ich keinen Wert darauf lege, in dem Kasten herumzufahren. Dieser Art von Luft habe ich zu oft genossen. Aber ihr habt doch alle Interesse daran, recht lange zu fahren. Jeder Tag macht euch reicher.« Jens spuckte verächtlich aus. »Jeder redet, wie er es versteht. Meinetwegen könnte der Zinnober lieber heute als morgen aufhö ren. Mein bisheriger Anteil genügt mir.« »Will denn Blackeye nicht bald Schluß machen?« »Frag ihn doch selbst!« knurrte der Norweger. »Bist doch dauernd mit ihm zusammen.« Ketter schwieg. Er spürte, daß man ihm noch nicht recht traute, aber gerade das bewies, daß die Leute 52
nicht mehr weit davon entfernt waren, sich gegen das Regiment Blackeyes aufzulehnen. Er versuchte, sich auch um die Gefangenen zu kümmern, bekam aber nur durch Zufall zwei von ih nen zu Gesicht; insgesamt befanden sich acht Män ner und zwei junge Mädchen an Bord, die als Geiseln galten. Sie wurden streng in ihren Kabinen verwahrt. Bill war so ziemlich der einzige, der Zutritt zu ihnen hatte. Vor allem hielt Blackeye streng darauf, daß die Mannschaft nicht mit den beiden Frauen in Berüh rung kam. Gerade das wurde ihm schwer übelge nommen. * Sun Koh flog wieder nach Nordosten. Trotz aller Eile und trotz aller Erfolge waren fast vier Stunden vergangen, seitdem er die Flugplattform verlassen hatte, ehe er wieder sichtete. Sie wurde hell vom Mond beschienen. Das Mondlicht lag so bleich auf der weißen, glatten Fläche und den Aufbauten, daß R 2 einen fast unwirklichen, gespensterhaften Eindruck machte. Sun Koh hatte im stillen angenommen, daß Hal und Nimba seine Ankunft zumindest bemerken wür den. Er war daher verwundert, als sich dort unten nicht das geringste regte. Aber es beunruhigte ihn auch nicht übermäßig. Die beiden verfügten über ge 53
sunde Naturen und brachten es sicher fertig, erst einmal ein paar Stunden zu schlafen. Von den runden Säulenfüßen der Plattform war nichts mehr zu sehen. Das Wasser spülte schon ge gen die Plattform selbst. Sie war in den letzten Stun den ein ganz beträchtliches Stück eingesunken. Aber was war das? Sun Koh bemerkte, daß an der Schattenseite der Plattform, fast verdeckt durch die langgestreckten Hallen, ein kleines Schiff lag, eine schmale, dunkle Jacht oder eine Art Tauchboot. Also war mittlerweile bereits von anderer Seite Hilfe eingetroffen? Dann war es allerdings kein Wunder, wenn Hal und Nimba beruhigt schliefen. Merkwürdig nur, daß das Boot keine Lichter zeigte. Die Maschine setzte dicht neben dem Panzerturm auf der Mitte der Plattform auf. Sun Koh sprang aus dem Flugzeug. Er erwartete nicht, seine beiden Begleiter in dem Turm zu finden, aber er warf trotzdem einen Blick hinein. Die Tür war nur angelehnt. Er riß sie ganz auf und trat in den unteren Raum. In diesem Augenblick warfen sich ein halbes Dut zend Männer auf den Ahnungslosen. Zehn, zwölf Arme umklammerten ihn, suchten ihn niederzuzwin gen, wehrlos zu machen und zu fesseln. 54
Die Männer hätten ebensogut versuchen können, ein explodierendes Pulverfaß mit den Armen zu sammenzuhalten. Im Bruchteil einer Sekunde wurde Sun Koh zu ei nem feuerspeienden Vulkan. Sein Körper bäumte sich auf, er schnellte sich weg, seine Fäuste schmet terten gegen Knochen und Muskeln, seine Beine be wegten sich in unwahrscheinlicher Geschwindigkeit. Man hörte Stöhnen, Krachen, dumpfe Aufschreie, Flüche, Schmerzensrufe und Wimmern, dann flogen die sechs Männer aus dem Turm hinaus. Aber schon kamen im Laufschritt von der Baracke her weitere Männer heran, Schüsse krachten, Projek tile klatschten gegen die Stahlwände und zischten an Sun Kons Kopf vorbei. Da griff er nach seiner Waf fe. Vergeblich, die Pistole war nicht mehr vorhanden. Sie mußte herausgefallen sein und irgendwo auf der Erde liegen. Das rettete den Angreifenden das Leben. Es war wohl mehr als eine Instinktbewegung, die Sun Koh nach seiner Feststellung veranlaßte, die Stahltür zuzuwerfen. Dann eilte er nach oben. Dort waren mehr Waffen, als er brauchte. Doch er stand sekundenlang völlig starr, als er die Kuppel betrat: sie war leer, ausgeräumt. Das kleine Geschütz stand noch in der Mitte, aber sonst war keine einzige Waffe mehr vorhanden, we der eine Pistole noch ein Maschinengewehr. Das Ge 55
schütz selbst war unbrauchbar gemacht worden. Das Johlen der Männer unten bewies, daß sie sich als die Herren der Lage fühlten. Sun Koh spähte durch einen der Sehschlitze hin aus. Sie schienen sich um seine Person nicht mehr groß zu kümmern, wenn auch zwei Leute den Turm auf merksam beobachteten und die Pistolen schußbereit in der Hand hielten. Ein großer Trupp zog bereits Sun Kohs Maschine über die ebene Fläche hin zum Rand, auf die Jacht zu, die jetzt hinter den Baracken hervorkam. Sun Koh war wehrlos, machtlos. Er mußte zuse hen, wie sie das Flugzeug auf das Vorderdeck der Jacht zogen und dort festbanden, er mußte zusehen, wie die Leute die Plattform verließen und er mußte sich schweigend ihre höhnischen Zurufe anhören, die zu ihm herübergellten. Das Schiff setzte sich in Fahrt, schnitt mit ziemli cher Geschwindigkeit durch das Wasser und ver schwand mehr und mehr in der Nacht. Sun Koh war allein auf der Plattform. In ein oder zwei Stunden hatte sich sein Schicksal entschieden. R 2 sank unaufhaltsam. *
56
Nimba und Hal hatten nicht im entferntesten daran gedacht, sich schlafen zu legen und ihr Vertrauen al lein auf die Rückkehr Sun Kohs zu setzen. Dazu war die Lage doch zu gefährlich. »Wir zimmern uns auf alle Fälle erst einmal ein Floß«, schlug Nimba vor, kaum daß das Flugzeug in der Ferne verschwunden war. Gegen diesen Vorschlag hatte Hal nichts einzu wenden. Das hinderte ihn aber nicht, gewohnheits mäßig zu meckern: »Für mich genügt ja eigentlich das Stück einer Bettstelle, aber für dich müssen wir schon einen anständigen Wagen zusammenbauen.« »Bilde dir ja nichts auf dein Flohgewicht ein«, knurrte Nimba. »Dein großer Mund braucht eigent lich ein Floß für sich.« Hal winkte ab. »Na schön, was wir für mein Maul mehr brauchen, das sparen wir auf jeden Fall an deinem Gehirn wie der ein.« Unter ähnlichen Sticheleien gingen sie an die Ar beit. In den Kabinen unten befand sich tatsächlich Holz genug, um ein Rettungsfloß für eine ganze Mannschaft zu bauen. Es machte bei Nimbas Kör perkräften auch keine Schwierigkeiten, das Holz he rauszureißen und hinaufzuschaffen. Erheblich weni ger leicht war es, aus diesen verhältnismäßig kleinen Einzelstücken ein brauchbares Floß zu bauen. Ein mal fehlte es an durchgehenden Balken und dann an 57
den nötigen Stricken. In zwei Stunden hatten sie ein ganz ordentliches Floß zusammengebaut. Es sah ungefähr wie ein zu sammengefallenes Schrebergartenhäuschen aus, aber es bestand darüber kein Zweifel, daß es bei friedli cher See die beiden eine Weile tragen würde. Ein besonderes Kunststück war es, das Floß auf das Wasser zu setzen. Es gelang, aber es kam den beiden selber als größtes Wunder ihres Lebens vor, daß dieser zusammengeflickte Bretterhaufen nicht auf halbem Weg auseinanderfiel. Während sie noch mit Befriedigung das Werk ih rer Hände betrachteten, schoß auf dem dunklen Was ser eine schlanke Motorjacht heran, ein schwarzer, dunkler Ozeanrenner, der sich von der Wasserfläche kaum abhob. Die beiden wurden zunächst durch das Motorgeräusch aufmerksam, dann erst sahen sie ihn. »Nun habe ich umsonst Blasen an die Hände ge kriegt«, stellte Hal mit einer gewissen Enttäuschung fest. »Das ist auch nicht schlimm«, erwiderte Nimba. »Wir können wahrhaftig von Glück reden, daß hier zufällig ein Schiff vorbeikommt. Die Geschichte wä re vielleicht noch brenzlig geworden. Ich werde mal rufen.« »Nicht nötig«, sagte Hal. »Die haben uns schon bemerkt, sie halten ja geradewegs auf uns zu.« Die Motor jacht schoß unmittelbar auf R 2 zu und 58
legte an dessen oberen Ende an. Hal und Nimba eil ten dorthin. Sie liefen einem halben Dutzend Männer in die Arme, die gerade auf die Plattform überspran gen. »Hallo«, schrie Nimba, »wir dachten schon, wir müßten uns einem Floß anvertrauen. Sie kommen zur rechten Zeit.« Als Nimba und Hal auf wenige Meter herange kommen waren, schallte ihnen unvermutet der dro hende Ruf entgegen: »Hände hoch!« Ein paar Pistolenläufe, die auf sie gerichtet waren, unterstützten mit hinreichendem Nachdruck diese Aufforderung. Der Neger und der Junge hoben auto matisch die Arme. Sie waren viel zu überrascht, um an Widerstand zu denken. Die Männer umkreisten sie. »Was haben wir denn da für seltsame Vögel ge fangen?« sagte einer von ihnen und blendete mit ei ner Scheinwerferlampe den beiden ins Gesicht. »Ein Neger? Und ein Junge? Wie kommt ihr denn hier her?« Nimba stieß den Jungen warnend in die Rippen und antwortete: »Wir sind Schiffbrüchige und stie ßen zufällig auf diese treibende Plattform. Wir sahen aber, daß sie allmählich absackt, und machten uns deshalb schon fertig, um weiterzukommen.« »So?« Das klang zweifelnd. »Nun, kommt erst mal ans Licht her, dann wollen wir weiter über die 59
Geschichte reden.« Was wollten die beiden machen? Schon, um kei nen Verdacht zu erregen, folgten sie willig der Bande und ließen sich auf das Schiff und unter Deck in eine Kabine führen. Mit einem Wink bedeutete man ihnen, sich zu set zen. Die Männer gruppierten sich um sie herum, der eine von ihnen, anscheinend der Anführer, pflanzte sich vor ihnen auf. Es wäre kühn gewesen, auf den bloßen Anblick hin zu behaupten, daß es sich bei ihren Gegnern um Verbrecher handele. Nimba und Hal waren auch noch weit davon entfernt, sie derartig einzuschätzen. Aber ausgerechnet der Anführer des Trupps hatte einem Zug im Gesicht, der wenig Gutes versprach. »Also«, begann er, »nun erzählt mir mal, was euch hierher getrieben hat. Ihr seid Schiffbrüchige, wie ihr sagt?« Nimba hatte sich mittlerweile überlegt, daß es am besten sei, bei der Wahrheit zu bleiben. Wenn die Männer nicht zufällig, sondern absichtlich hierher gekommen, wenn sie also wußten, was hier gesche hen war, hatte es wenig Zweck, ihnen etwas vorzu schwindeln. Sie mußten das Fehlen der beiden Män ner im Turm sehr bald bemerken. Wenn sie aber zu fällig auf die Plattform gestoßen waren, hatte es erst recht keinen Zweck, die Wahrheit zu leugnen. So berichtete Nimba in großen Zügen, was vorge 60
fallen war. Man habe die beiden Lebenden vorgefun den, und der Besitzer des Flugzeugs sei unterwegs, um sie an Land zu bringen. Der Bericht schien die Männer außerordentlich zu interessieren, denn sie unterbrachen ihn mehrfach mit Ausrufen. Als Nimba geendet hatte, schwiegen sie eine Weile und tauschten unter sich Blicke aus. Schließlich sagte der Anführer: »Ihr bleibt mittler weile hier. Macht keinen Unsinn und verhaltet euch ruhig, sonst könnte es euch schlecht gehen.« Der Trupp verließ den Raum, Nimba und Hal blieben allein. Hal flüsterte: »Das sieht ganz so aus, als ob wir uns in die Nesseln gesetzt hätten.« Nimba hob die Schultern. »Mir kommt’s auch ko misch vor. Aber vorläufig bleibt uns wohl nichts üb rig, als abzuwarten.« »Ich werde mal sehen, ob die Luft rein ist.« Der Junge schlich zur Tür und öffnete sie vorsich tig. »Hier wird nicht rumgeschnüffelt«, schnauzte ihn sofort von draußen jemand an. Wumm, schlug er die Tür zu. Um ein Haar hätte Hal sie an den Kopf bekommen. Nach einer Viertelstunde kehrten die Männer zu rück. »Es scheint zu stimmen, was ihr uns erzählt habt«, sagte der Anführer. »Ihr hättet aber besser getan, die 61
Verwundeten verrecken zu lassen. Wann kommt das Flugzeug zurück?« »Keine Ahnung«, sagte Nimba. »Na, wir werden ja sehen. Vorläufig bleibt ihr hier.« »Warum?« Der andere grinste: »Wir werden euch doch nicht einfach ertrinken lassen. Seemannspflicht, mein Lie ber. Wenn euer Freund kommt, wird er euch noch Gesellschaft leisten.« »Hoffentlich zieht er euch die Hammelbeine lang«, sagte Hal inbrünstig und laut genug, so daß es nicht überhört werden konnte. »Hoho«, sagte einer der Männer, »hört nur den Klugscheißer!« Hal, der einen Puff des Negers eingesteckt hatte, biß sich auf die Lippen. Nimba sprach statt seiner, möglichst unbefangen und harmlos. »Ihr wollt uns hier festhalten? Das verstehe ich nicht ganz. War um?« Der Anführer machte eine kurze Handbewegung. »Wir brauchen die Maschine. Später werden wir sehen, was mit euch geschieht. Es wird ganz davon abhängen, was uns euer Freund zu berichten hat.« »Er weiß doch genau so wenig wie wir«, meinte Nimba. »Er wird schon wissen, ob die beiden Leute nun in Sicherheit sind und ob sie wieder sprechen werden. 62
Und nun gebe ich euch den guten Rat, die Nase nicht wieder herauszustrecken, sie könnte sonst plötzlich ein Loch mehr haben, als nötig ist.« Nimba nickte gleichgültig. »Schon gut. Aber laßt uns wenigstens nicht verhungern.« »Ihr sollt was zu essen kriegen«, erwiderte der an dere wohlwollend. Der Trupp verschwand wieder. »Du denkst nur immer an deinen Bauch«, meinte Hal aufgebracht. Der Neger blinzelte ihn an. »Nichts macht einen harmloseren Eindruck, als wenn ein Mensch einen gesunden Appetit hat, merke dir das, mein Sohn. Wir wollen die Leute nicht miß trauisch machen, sonst pusten sie uns um. Je weniger sie uns beachten, desto eher können wir ihnen einen Streich spielen.« »Wenn wir nur ein paar Pistolen hätten.« Hal seufzte. »Kannst du nicht den Wächter niederschla gen?« »Und was würde die Folge sein? Selbst wenn wir uns auf der Plattform verbarrikadieren könnten, wür den die Leute einfach in der Nähe bleiben und war ten, bis wir abgesackt sind. Und Sun Koh könnte überhaupt nicht landen. Sie würden ihn unter Feuer nehmen, und er könnte ihnen von oben her nicht viel tun. Warten wir unsere Gelegenheit ab. Sun Koh wird ihnen schon das kleine Einmaleins beibringen.« 63
Das Essen brachte ein Mann. Man war vorsichtig genug ihn so zu decken, daß ein Angriff auf ihn we nig Zweck gehabt hätte. Eine Weile später hörten sie das Summen eines Flugzeugmotors. Sun Koh kam zurück. Sie lauschten in fieberhafter Aufregung. Von der Landung und von dem Kampf hörten sie nichts, aber dann fielen Schüsse, sie hörten rufende Stimmen und schnelle Schritte. »Nun raus«, flüsterte Nimba. »Vielleicht ist unser Wächter fort.« Das erwies sich als Irrtum. Nimba hatte kaum die Tür ein Stück aufgedrückt, als eine Kugel ihm die Haut an seinem Handgelenk aufriß. Mit einem Fluch wich er zurück, die Wache war wohl auf dem Posten. Gleich darauf wurde die Tür von außen geöffnet. Einer der Männer stand mit schußbereiter Pistole im Türrahmen und sagte finster: »Laßt die Witze, der nächste Schuß trifft in den Kopf.« Nimba kämpfte gegen seine trotzige Wut, aber Hal rettete die Situation. Er stellte sich breitspurig hin und begann eine Salve von Flüchen loszulassen, die sich nur so gewaschen hatten. Unzweifelhaft verfügte der Junge nicht nur über ein erstaunliches Talent zum Fluchen, sondern auch über einen umfangreichen Schatz an Flüchen, den er in den dunkelsten Vierteln und Gassen Londons erworben hatte. Der Wächter 64
wurde auf den ersten Anhieb förmlich blaß, um all mählich kameradschaftlich zu lächeln. In einer Pause erkundigte er sich fast wohlwollend: »Was willst du denn eigentlich, Kleiner?« »Zum Donnerwetter!« fauchte Hal. »Erstens bin ich nicht dein Kleiner, zweitens bin ich wirklich neugierig, auf was für einen verlassenen, schäbigen Kasten vollblutigen Gesindels wir da geraten sind. Euch hat wohl der Teufel ins Gehirn gespuckt? Wie kommt ihr dazu, einfach auf einen Menschen zu schießen, bloß weil er mal austreten will? Ihr denkt wohl, wir machen euch hier die Bude voll? Wenn ihr es nicht mal für nötig findet, eine Mitternachtsvase hier hereinzustellen…« »Na, wenn’s weiter nichts ist«, meinte der Mann. »Ihr hättet doch einen Ton sagen können. Ich habe gedacht, ihr wolltet ausreißen.« »Blödsinn!« schimpfte Hal. »Wenn einer Unfug macht, dann will er auf einmal etwas gedacht haben. Guck dir den Neger an, er ist ganz verdattert. Es fehlt nicht viel, dann fängt er an zu heulen.« So ging es weiter, während er sich und Nimba zum Örtchen begleiten ließ. Der Wächter hielt sie natür lich auch weiterhin unter den Augen, aber sie spür ten, daß er seine Pflichten jetzt erheblich lässiger wahr nahm. Die segensreichen Auswirkungen von Hals Auf treten machten sich erst eine Weile später bemerkbar. 65
Nimba und Hal waren kaum wieder in ihrer Kabi ne, als der Anführer eintrat. »Kann einer von euch das Flugzeug bedienen?« erkundigte er sich. Sie konnten es beide, aber Nimba versicherte so fort: »Nein.« Zögernd setzte er hinzu: »Mister Koh kann es.« »Der blutige Narr«, schimpfte der andere los, »er ist uns durch die Lappen gegangen, er hat sich im Turm eingeschlossen. Mag er dort ersaufen, wir bringen das Flugzeug auch so weg. Ihr seid auch zu keinem Dreck nütze.« Er verließ das Zimmer wieder. Von obenher kamen Zurufe, aus denen man schlie ßen konnte, daß die Maschine auf die Jacht übernom men wurde. Hal und Nimba sahen sich betroffen an. »Sieht bös aus«, sagte der Neger endlich. »Wären wir den Kerlen nur nicht so dämlich in die Arme gelaufen. Nun sitzen wir hier fest und Sun Koh erst recht.« »Die Plattform hält sich doch höchstens noch zwei, drei Stunden.« »Vielleicht findet er unser Floß«, meinte Hal hoff nungsvoll. »Sie fahren ab.« Hal beugte sich vor und hauchte: »Ich habe einen Plan. Das Flugzeug steht doch oben. Wir müssen versuchen, heranzukommen. Wir fliegen dann los 66
und holen Sun Koh.« »Ein feiner Gedanke. Aber ob sie uns heranlas sen?« »Versuchen müssen wir es. Wenn wir sie nicht beschwatzen können, dann geht es eben mit Gewalt. Einer von uns wird schon durchkommen. Es ist die einzige Chance.« Der Wächter steckte den Kopf herein, grinste und meinte: »Die Herrschaften werden gebeten, nicht un geduldig zu werden. Ich muß zu einer kleinen Bera tung. Macht keinen Unfug, wir sind gleich nebenan.« Die Tür wurde verschlossen. Damit schied zu nächst die Möglichkeit aus, sich mit dem Wächter anzubiedern. Eine halbe Stunde verging, dann wagte sich Hal bemerkbar zu machen. Er trommelte gegen die Tür. Nach einer Weile erschien ein anderer Mann und er kundigte sich, ob ihnen das Fell jucke. Hal verlangte einen Schluck Wasser. Er wurde bald darauf ge bracht, aber der Mann stellte ihn nur herein und ver schwand sofort wieder. Nach einer weiteren halben Stunde wurde es end lich lebendig, und nun schien sich das Blatt zu wen den. Der Anführer trat mit zwei seiner Leute ein. »Kommt mal mit, aber haltet eure Hände ruhig.« Hal sagte hörbar: »Ich glaube, die haben Angst vor uns.« Die Männer schienen die Bemerkung zu überhö ren, aber sie blieb trotzdem nicht ohne Wirkung. Die 67
Pistolen verschwanden wieder in den Taschen. Nimba und Hal wurden auf das Vorderdeck ge führt. Dort stand die silbern schimmernde ›Atlantis‹. Man hatte Taue über den Rumpf und die Tragflächen geworfen und sie auf diese Weise festgezurrt. »Nichts zu wollen, Jenkins«, rief einer der Leute, die sich dort zu schaffen machten, dem Anführer zu. Jenkins wies auf die Maschine und fragte seine beiden Gefangenen: »Wißt ihr, wie der Kasten aufge macht wird?« »Sie wollen wohl die Edelsteine herausholen?« fragte Hal. Jenkins fuhr herum und sah ihn scharf an. »Edelsteine? Wo?« Nimba verstand, was Hal ungefähr wollte und er klärte mürrisch: »Er faselt nur so. Sie dürfen das nicht ernst nehmen. Sie sagten, daß die Kabinentür nicht aufgeht?« Die scheinbare Ablenkung hatte die gewünschte Wirkung. Der Mann versteifte sich. »Schon, ich hoffe, daß ihr das Ding öffnen könnt. Aber wie ist das mit den Edelsteinen? Raus mit der Sprache!« »Es sind keine da«, meinte Nimba zurückhaltend. Er wollte dem Jungen den Vortritt lassen. »Freilich sind welche da«, sagte Hal heftig. »Uns nützen sie sowieso nichts mehr. Vielleicht läßt man uns frei, wenn wir sie ihnen zeigen?« 68
Jenkins grinste. »Tüchtig, Junge. Aber warum nicht, wenn es sich lohnt?« »Ha«, sagte Hal verächtlich, »das reicht für Ihr ganzes Leben aus. Da drin stecken für einige Millio nen Dollar Steine.« »So? Dann wollen wir uns nicht bei der Vorrede aufhalten. Her mit den Dingern, macht den Laden auf, wir können das verdammte Schloß nicht fin den.« »So einfach ist das nicht«, sagte Hal. »Macht auf«, herrschte der andere, den die Gier gepackt hatte. Nimba reckte sich hinauf; die Schiebetür rollte so fort zurück. Ohne eine weitere Erklärung abzuwar ten, drängten die Männer hinein und begannen zu stöbern. Nach einer Weile sprang Jenkins mit zorni gem Gesicht wieder herunter. »Ihr wollt uns wohl verkohlen. Da drin ist nichts von Edelsteinen zu sehen.« Hal hob gelassen die Schultern. »Ich habe doch gleich gesagt, das es nicht so ein fach ist. Sie stecken im Rumpf in einem eingebauten Safe, der öffnet sich nur, wenn die Turbine läuft. Und dann müssen die Seile runter, damit die Tragflä chen eingezogen werden können, anders öffnet sich der Safe nicht.« Jenkins’ Gesicht verlor das Mißtrauen. 69
»Ah, die Tragflächen werden eingeklappt? Dann besteht ja keine Gefahr. Stimmt das überhaupt, was der Junge erzählt, Schwarzer?« Nimba zuckte gleichmütig mit den Schultern. »Ich weiß nichts. Daß Edelsteine da sind, ist rich tig. Aber wie der Kasten geöffnet wird, weiß er al lein. Er hat Mister Sun Koh immer dabei helfen müs sen. Einer allein kann ihn überhaupt nicht öffnen, soviel ich weiß.« Der Anführer musterte sie eine Weile prüfend, aber die beiden machten harmlose Gesichter. Schließlich sagte er: »Warum zwei?« »Einer muß die Turbine laufen lassen«, gab Hal sofort Auskunft. »Ah, ich denke, ihr könnt nicht fliegen?« Hal schüttelte den Kopf. »Nun halten Sie aber den Atem an, Mister, jedes kleine Kind kann eine Turbi ne anlaufen lassen.« »Schon gut«, sagte Jenkins, »dann an die Arbeit. Die Stricke herunter!« Seinen Leuten gab er gleich zeitig die Weisung, im Maschinenraum das Tempo zu mäßigen. Das Flugzeug stand frei, es war nur noch an den Rädern durch untergeschobene Blöcke gegen ein Ab rollen gesichert. Nimba und Hal gingen mit den Bewegungen von Leuten, die ein notwendiges Übel auf sich nehmen, an ihre Arbeit. Vor allem klappten sie die kurzen 70
Tragflächen ein, eine Beschäftigung, die Jenkins au ßerordentlich zu beruhigen schien. Dann stiegen sie ins Cockpit. Jenkins folgte aus Neugierde und Miß trauen, seine Leute warteten voller Spannung an Deck. Nimba ließ die Turbinen an. Alles in Ordnung. Unmerklich nickte er Hal zu. Hal wandte sich an Jenkins. »So, jetzt will ich Ihnen die Tür des Safes zeigen. Geöffnet wird sie von hier aus, sobald die Turbine genügend Touren hat. Aber Sie müssen ausräumen, solange ich den Verschluß hier offen halte. Haben Sie nicht eine Leiter da?« Sie war da, man brachte sie heran. Hal legte sie an den Rumpf des Flugzeuges an, und zwar zwischen Propeller und Pilotenraum. Dort war auf der Obersei te tatsächlich ein rechteckiger Spalt zu sehen, eine Art Luke, nur daß sich dahinter nicht ein Schacht, sondern die Horizontalschraube der Maschine barg, die senkrechte Landungen und Aufstiege ermöglich te. »So«, sagte Hal, »nun steigen Sie hinauf und war ten Sie, bis sich die Klappe öffnet. Es wird nicht lan ge dauern.« Jenkins ließ es sich nicht zweimal sagen. Hal kletterte wieder zu Nimba zurück. »Fertig. Es kann losgehen.« »Drück den Daumen, daß wir nicht aufschlagen.« 71
Die Turbine summte höher und höher. Der Start war äußerst gefährlich. Zwar brauchte man nicht die Tragfläche, denn am Rumpf befanden sich eine gan ze Reihe offener Röhren, die die gleichen Dienste verrichteten, aber der Abstand zur Wasserfläche war beängstigend gering. Die Maschine mußte zunächst absacken, schlug sie aber aufs Wasser, so konnte sie sich ganz hübsch überschlagen. Trotzdem waren sie nicht pessimistisch. Einmal würde die Hilfsschraube nach wenigen Metern ein setzen, und dann würden die Räder so schnell ma schinell eingezogen, daß die Schwimmer gleitend einen Aufprall abmildern konnten. Freilich war alles nur eine Angelegenheit von Sekunden. Die Turbine sauste, die Düsen heulten auf, die Spanngelenke der Räder begannen einzusinken. Jetzt hob sich die Klappe, auf die Jenkins in fieberhafter Erwartung starrte. Und nun glitt die Kabinentür zu. »Jetzt!« schrie Hal. Die Düsen fauchten wilder, das Flugzeug bäumte sich wie unter einem gewaltigen Satz steil aufwärts in einem grotesken Satz vom Verdeck weg. Jetzt sackte die Maschine ab. Irgendwo brüllten Männer. Das Flugzeug schwankte, stürzte, schien auf das Wasser aufschlagen zu wollen, das Höhensteuer voll angezogen. »Aus!« ächzte Hal. 72
»Gelungen!« schrie der Neger. Dicht über dem Wasser glitt das Flugzeug ein Stück dahin, dann wurden die riesigen Kräfte der Maschine und das Höhensteuer wirksam und trium phierten über die erdgebundene Schwere. Steil zog die Maschine nach oben, in den Nachthimmel hinein. Irgendwo hinten versank eine winzige Motorjacht im Dunkel. »Weißt du«, meinte Hal aufgeräumt, nachdem sich ihre erste Erregung gelegt hatte, »diesen Jenkins hät te ich sehen mögen, wie er auf das Verdeck gefallen ist. Die Leiter ist ihm unter den Füßen weggerutscht. Schade, daß wir ihn nicht einmal in seinen ›Schatz‹ hineinsehen lassen konnten.« »Wie kann man nur so beutegierig sein«, sagte der Neger grinsend. Sie entdeckten die Plattform in dem Augenblick, in dem sie inmitten eines riesigen Strudels in die Tie fe sank. Eine Viertelstunde zu spät. Von Sun Koh war nichts zu sehen. Nimba und Hal waren unfähig, einen Ton heraus zuwürgen. Mechanisch begann der Neger, immer weitere Kreise über der Unglücksstelle zu ziehen. Vielleicht schwamm Sun Koh irgendwo da unten in der Tiefe. * 73
R 2 sank. Sun Koh verließ den Panzerturm, noch bevor die Motorjacht außer Schußweite war. Er wußte, daß ihm nicht mehr viel Zeit blieb. Bevor er an seine ei gene Rettung denken konnte, mußte er die gesamte Plattform absuchen, ob nicht in irgendeinem Winkel seine beiden Begleiter gefesselt oder verwundet la gen. Es war schwer, sich ein Bild von dem zu machen, was während seiner Abwesenheit hier vorgegangen war. Es konnte einen Kampf gegeben haben, der mit dem Tod der beiden geendet hatte, sie konnten aber auch irgendwo hingeworfen worden sein. Die Plattform war groß und barg in den Schuppen und unter Deck zahlreiche Räume. Es dauerte fast eine Stunde, bevor Sun Koh die Gewißheit hatte, daß sich Nimba und Hal nicht mehr auf R 2 befanden. Es war ihm nicht entgangen, daß aus einer Reihe von Räumen eine beträchtliche Menge Holz heraus gerissen war. Als er wieder nach oben kam, entdeck te er dann auch bald das kunstlose Floß, das auf dem Wasser schaukelte. Er wartete noch eine halbe Stunde. Erst als das Gurgeln der einströmenden Fluten einen merkwürdi gen satten Ton bekam, entledigte er sich seiner Sa chen und warf sie auf das Floß, dann warf er das Stahlseil los und sprang hinunter. 74
Das Floß nützte ihm zunächst noch nichts. Er mußte es erst aus dem Bereich der Plattform bringen, sonst würde er von dem saugenden Strudel einfach hinabgezogen werden. Deshalb schwamm er jetzt mit mächtigen Stößen voraus und stieß dabei das Floß vor sich her. Das war keine leichte Arbeit, aber Sun Kohs Kräfte waren zu groß, als daß sie sich daran erschöpft hätten. Als er genügend weit abgekommen war, stieg er auf das Floß und kleidete sich wieder an. Nun blieb ihm nichts anderes übrig, als sich von der Strömung weitertreiben zu lassen und auf etwas Glück zu hof fen. Einige Tage würde er Hitze, Hunger und Durst schon aushalten. Wenn er dann allerdings nicht auf ein Schiff oder auf Land stieß, sah es übel für ihn aus. Die dunkle Wasserfläche wurde von feinen silber nen Strichen belebt, die sich schnell in die Richtung auf das Floß bewegten. Sun Koh beobachtete sie sehr nachdenklich. Sollten die Hale schon unterwegs sein? Es sah bald aus, als ob eine spitze Haifischflosse das Meer von unten her aufschnitt. Jetzt wurde die Bewegung merklich langsamer, die schmale Linie verbreiterte sich, das Wasser rauschte und quoll… Sun Koh rieb sich über die Augen. Das, was da langsam herantrieb, aus dem Wasser 75
aufstieg, war… Ein Unterseeboot? Ja, es war ein Unterseeboot. Nach wenigen Minuten war eine langgezogene Aufwölbung aus grauem Metall voll sichtbar, die wie der schmale Riesenbuckel eines Sauriers wirkte. Nun war sie bis auf wenige Meter herangekommen. Und jetzt öffnete sich eine Luke auf der Oberseite, ein Mann wurde sichtbar, dessen Gestalt von unten her angestrahlt wurde. Er winkte freundschaftlich. »Sun Koh, wenn ich nicht irre.« »Ich bin es«, gab Sun Koh zurück. »Steigen Sie bitte ein, sobald wir heran sind.« Sun Koh nickte. Vorsichtig trieb das Boot heran. Dann war es soweit. Sun Koh schwang sich hinüber, in den Aufbau hinein, das Floß schwamm beiseite. In der erleuchteten Kommandozentrale schüttelte ihm der Kapitän des Bootes die Hand. »Willkommen, Mister Koh. Ich bin Omaka, und das ist mein Kamerad, Leutnant Hakuri.« Sun Koh drückte mit einfachen Worten seinen Dank für die Übernahme aus und setzte nachdenklich hinzu: »Das Schicksal meint es gut mit mir, daß Sie zufällig hier kreuzten.« Omaka sah ihn einen Augenblick verwundert an, dann sagte er mit stillem Lächeln: »Es ist kein Zufall. Wir sind seit vielen Stunden unterwegs, um hierher 76
zukommen. Leider war es zu spät, um die Besatzung von R 2 zu retten, aber noch früh genug, um sie auf zunehmen.« Jetzt stand in Sun Kohs Augen ein fragender Aus druck! »Es überrascht mich, was Sie sagen. Sie kamen absichtlich hierher?« »Ja«, bestätigte der Kapitän. »Ich erhielt einen ent sprechenden Befehl. Der Besitzer dieses Bootes fing einen Hilferuf auf, der von einem seiner Freunde, einem Professor Declaude, kam. Leider kamen wir eben doch zu spät für ihn.« »Nicht zu spät, nur…« Omaka verriet keine Ungeduld. Er wartete schwei gend, bis Sun Koh wieder zu sprechen begann und schilderte, was sich in den letzten Stunden ereignet hatte. Er war noch nicht ganz fertig, als einer der Leute meldete: »Flugzeug voraus!« Mit einem Schlag herrschte fieberhafte Erregung im Raum. Der Kapitän eilte ans Periskop und winkte Sun Koh zu sich. »Eine Maschine ohne Tragfläche, Mister Koh. Ist das Ihre Maschine?« Sun Koh sprang die Eisenleiter hinauf, suchte den Nachthimmel ab. Ja, da war es ganz deutlich zu se hen, das Flugzeug hatte die Tragflächen eingezogen und kreiste als Rumpf im weiten Bogen über die See. So konnte kein Fremder fliegen. Dort oben war 77
Nimba oder Hal, oder beide zusammen. Sun Kohs Stimme klang nicht ganz frei. »Bitte, rufen Sie es an.« »Der Funker arbeitete schon.« »Hallo – hallo – hallo – ja, einen Augenblick, Flugzeug ›Atlantis‹ meldet sich.« Im Nu war Sun Koh am Apparat. »Hier Sun Koh. Nimba, Hal? Seid ihr es?« »Sir!« rief es aus dem Mikrophon. Das Flugzeug beschrieb einige merkwürdige Kur ven, für die den Beobachtern unten die Erklärung fehlte. Und dabei war sie sehr einfach zu geben. Hal, der männliche, stolze Hal, schluchzte nämlich vor Freude, wie ein Kind. Die Tränen flossen ihm nur so über die sommersprossigen Wangen. Und Nimba zog die finstersten Grimassen, um nicht eben falls zu weinen. Trotzdem mußte er einige Male das Steuer loslassen und sich mit dem Handrücken über die Augen wischen. Dabei achtete er nicht sonderlich auf den Kurs, und so kamen die merkwürdigen Tau melbewegungen der Maschine zustande. Zehn Minuten später schwamm das Flugzeug ne ben dem Unterseeboot auf dem Wasser. Eine halbe Stunde später saß Sun Koh wieder am Steuer, und seine Maschine stieg mit ihm und seinen beiden Begleitern in die Luft. Unten glitt das Unterseeboot schnell in der glei chen Richtung hinter ihnen her. 78
R 2 war gesunken, nun galt es, R l zu suchen. Kapitän Omaka kannte ungefähr seine Position, mehr aber auch nicht. Sein Auftraggeber hatte keine Zeit gehabt, ihm Einzelheiten zu erklären. Nur das glaubte er sagen zu können, daß R l etwas gänzlich anderes sei als eine Flugplattform. Die Goldfabrik im Meer – so hatte es der andere genannt. R l war in den Händen von Verbrechern. Würde es gelingen, ihnen beizukommen? * Emil Schulze starrte nachdenklich durch das hohe Starkglasfenster auf den unendlichen Ozean hinaus, in den gerade die Sonne hineinzutauchen schien. Zu Anfang seiner Seefahrt war ihm dieser Anblick ma jestätisch vorgekommen, jetzt schien er langweilig und machte ihn irgendwie melancholisch. Eine verfluchte Sache! Für drei Jahre hatte er sich auf diese schwimmende Riesenfabrik verpflichtet. Er seufzte. Ein bißchen anders hatte er sich den Laden hier doch vorgestellt. Man macht sich eben niemals vorher das richtige Bild. Allein diese Hitze hier. Schließlich kein Wunder, so unmittelbar unter dem Äquator. Aber langsam bekam er Visionen von weißen Bergen, vom Skilauf, vom stiebenden Pul verschnee. 79
Er machte seinen gewohnten Rundgang durch die riesige, lange Halle, in der vier Gruppen von mächti gen Generatoren leise summend arbeiteten. Alles war weiß gekachelt, hell, peinlich sauber. Wenn man die blitzenden Messingteile sah, konnte einem das Herz im Leibe lachen. Wieder stand er am Eckfenster und blickte über die stahlgraue Pontonkante aufs Meer. Dort drüben hatte vorgestern noch R 2 gelegen, die neue Flug plattform, die erst vor einigen Tagen angekommen war. Seit gestern war nichts mehr von ihr zu sehen. Der Professor und der erste Ingenieur schienen mit ihr verschwunden zu sein, denn weder gestern noch heute hatten sich die beiden bei ihm sehen lassen, während sie sonst alle Nasen lang durch die Elektri zitätswerke kamen, die Emil Schulze betreute. Es war manches seltsam hier, und der Lefère machte sich doch schwer mausig. Emil Schulze hob die Schultern und wandte sich ab. Als er in der Nähe der Tür war, öffnete sie sich. Ein kräftig gebauter, älterer Mann trat ein; es war Paul Töpfer, der im Elektrizitätswerk Nummer fünf den gleichen Posten versah wie Emil Schulze hier in Nummer vier. Er trug seinen blauen Arbeitsanzug, obgleich er gerade Freischicht hatte. Emil Schulze streckte ihm etwas erstaunt die Hand 80
entgegen. »Nanu, Paul, was treibt dich denn hier her?« Töpfer sprach ganz gegen seine Gewohnheit ha stig. »Tag, Emil. Wir wollen um zehn Uhr in Bau fünf eine kleine Besprechung abhalten. Ich rechne auf dich. Fräser, Bouillard, Schneider und noch ein paar andere Leute werden da sein. Komm in den Zähler raum. Aber laß dich möglichst nicht sehen und halt den Mund. Mach’ weiter.« »Was ist denn los?« »Wirst es noch erfahren. Mahlzeit.« Schulze hielt den Weitereilenden am Ärmel fest. »He, Paul, wo steckt denn eigentlich der Alte? Und was ist mit R 2 los?« Töpfer wandte sich um und flüsterte: »Halt den Schnabel, sage ich dir. Die Wände haben Ohren. Du wirst heute abend darüber hören. Achtung!« Er hastete zur gegenüberliegenden Tür, Schulze bückte sich über die nächste Maschine. Ah, da kam auch schon Gerard herein, der dritte Ingenieur. Er prüfte mißtrauisch den Raum und den Mann, der ihm gleichgültig den Rücken zuwandte, als habe er sein Eintreten noch gar nicht bemerkt. »Schulze?« Emil richtete sich auf und grüßte. »Alles in Ordnung?« »Jawohl.« 81
»War das nicht Töpfer, der eben hier war?« Schulze markierte vollendet ein Erstaunen. »Töpfer? Ich habe ihn nicht gesehen. Aber der schläft doch sicher um diese Zeit.« »So!« Gerard war ganz und gar nicht überzeugt, aber er hütete sich, jetzt zuviel zu sagen. Mit einem scharfen Ruck wandte er sich ab und ging weiter. * Einige Stunden später! Bau fünf war einer der sechs mächtigen, zweistök kigen Bauten, die zwischen den Elektrizitätswerken standen. Im Zählerraum hatte sich fast ein Dutzend Männer versammelt, als Emil Schulze eintrat. Es waren Deut sche, Engländer, Franzosen und Amerikaner. Ernst haftigkeit, Zuverlässigkeit, Klugheit, Tüchtigkeit und auch wohl Schweigsamkeit waren ihre hervorste chenden Eigenschaften, die jedem einzelnen ins Ge sicht geschrieben schienen. Emil Schulze kannte jeden von ihnen. Sie gehörten alle zu dem dreißig Mann starken Trupp der Werk meister, die für diese schwimmende Fabrik ver pflichtet worden waren. Die Mehrzahl von ihnen hat te sich im Laufe der Zeit zu einer engen Kamerad schaft zusammengeschlossen. Mit den anderen Kol 82
legen wurde man nicht recht warm, die hielten eben zu Lefére. Paul Töpfer räusperte sich und begann ruhig, fast schwerfällig zu sprechen: »Ich glaube, wir sind alle da. Die fehlenden haben Dienst, mit ihnen habe ich heute nachmittag schon geredet. Wir müssen uns über einige Dinge klar werden. Die meisten von euch sind ja im Bilde, für die anderen wiederhole ich, um was es sich handelt.« »Da bin ich neugierig«, knurrte einer. »Um es kurz zu sagen«, fuhr Töpfer fort, »der Pro fessor ist verschwunden, mit ihm Neunier, außerdem von unserem Trupp Willby, Lennert und Martiny, dazu einige unserer besten Arbeiter. Verschwunden ist ferner gleichzeitig mit ihnen R 2, die Flugplatt form.« Verschiedene, überrascht klingende Bemerkungen zeigten, daß diese Mitteilung für diesen und jenen eine Neuigkeit war. Fragen klangen auf. Der Deut sche sprach weiter: »Ich will euch nicht erst einzeln die Fragen beantworten, das hält uns zu lange auf. Ihr kennt mich und wißt, daß ich so leicht nichts be haupte, was zweifelhaft sein könnte. Ich habe mich gründlich umgetan und einwandfrei folgendes fest gestellt: In der vorletzten Nacht ist Gerard mit noch einem Mann ins Hauptgebäude gekommen, sie haben Declaude und Meunier aus dem Schlaf geholt. Diese sind eine Weile später mit Willby zusammen, den sie 83
am Bau drei trafen, zu R 2 hinübergefahren. Das hat Fräser beobachtet, außerdem noch zwei andere Män ner. Wieder einige Zeit später sind von drüben Schüsse, Rufe und Schreie ertönt, das haben fünf Zeugen gehört. Die meisten von uns haben ja leider geschlafen. Am anderen Morgen war R 2 ver schwunden. Was dort geschehen ist, hat niemand beobachtet. Seit gestern liegen im Lazarett vier Ver wundete, nur Leute von Lefére. Die Motorjacht ist unterwegs. Ihr wißt, daß Lefère die Oberleitung über nommen hat. Nach seinen Erklärungen ist der Alte aus unbekannten Gründen mit R 2 fort und hat ihn beauftragt, ihn hier zu vertreten. So, das wäre wohl alles. Nun macht euch selber einen Vers darauf.« Die Männer schwiegen. Dann erfolgte eine Frage. »Du meinst, daß sie beseitigt worden sind?« Die Antwort kam hart und klar. »Ja, das ist meine Meinung und die Meinung der meisten unter uns. Vielleicht sind die Verschwunde nen nicht getötet worden, aber irgend etwas ist ge schehen, daß das Tageslicht zu scheuen hat. Ihr kennt ja Lefére.« Sie nickten alle. Ja, sie kannten Lefère und zwei felten nicht daran, daß er zu solchen Dingen fähig war. »Wir müssen ihn stellen«, schlug einer der Männer vor und löste damit beifälliges Gemurmel aus. Paul Töpfer verschaffte sich mit einer ruhigen 84
Handbewegung Gehör. »Wir sind von Professor Declaude und von Inge nieur Meunier für dieses Werk verpflichtet worden. Wir sind nur ihnen gegenüber verantwortlich, ob sie nun noch leben oder nicht. Ihr wißt, um was es hier geht. Für manche Leute ist diese Fabrik hundert Verbrechen wert. Ich habe aber keine Lust, Lefère gewissermaßen bei seinem Schurkenstreich zu hel fen. Wir müssen ihn zwingen, Farbe zu bekennen. Und wenn er uns nicht klipp und klar nachweist, daß unser Verdacht falsch ist, dann…« »Dann…?« Töpfer setzte mit entschlossener Miene erneut an. »Nun, die Sache ist wohl so, daß ohne uns die Bu de hier erledigt ist. Mit Lefère und Gerard ist nicht allzuviel los, und das Gesindel von Arbeitern, das sie um sich haben, ist einen Dreck wert. Wir sind die Spezialisten, und man hat uns nicht umsonst aus der ganzen Welt zusammengeholt. Sobald wir Schluß machen, ruht das Werk. Und wir werden Schluß ma chen, wenn es nicht anders geht. Wir haben uns dem Alten verpflichtet, aber nicht diesem…« »Wäre es nicht richtiger, wenn wir ihn einfach festsetzten, bis sich alles geklärt hat?« Einige nickten beifällig, andere schüttelten die Köpfe. »Das kommt leider nicht in Frage«, warf Fräser, der Engländer ein. »Er läuft immer schwerbewaffnet 85
herum und hat ständig ein paar von seinen Galgen vögeln um sich, die bei der geringsten Gelegenheit losknallen würden.« »Hm!« Töpfer nahm wieder das Wort. »Ich halte es für das beste, wenn wir erst mal mit Lefère reden. Von dem, was er sagt, wird es dann abhängen, was wir weiter tun werden.« »Und wenn er dich auslacht?« »Dann werde ich ihn dringend ersuchen, uns nach Hause zu fahren. Seid ihr damit einverstanden?« »Ja«, klang es allseitig zurück. Emil Schulze hob die Hand. »Wenn er sich nun weigert, uns abzutransportie ren?« Töpfer zögerte. »Dann – dann bleibt uns doch nur die Gewalt üb rig. Wir erzeugen eine Million Kilowatt, sie werden wir gegen seine Pistolen mobilisieren. Aber darüber brauchen wir uns jetzt nicht zu unterhalten. Zunächst will ich mit dem Mann reden. Am besten, ich gehe gleich mal hinüber.« In diesem Augenblick wurde die Tür aufgerissen. Alle Köpfe fuhren herum. Lefère stand im Türrahmen. Sein wuchtiger Körper füllte ihn fast aus. Wie ein Bulle wirkte dieser Mann, wie ein wilder Stier, so massig, so stark und jähzornig. Die kleinen, bösarti 86
gen Augen paßten durchaus zu dem Vergleich. Sein Gesicht war alles andere als angenehm, es verriet mehr schlechte Eigenschaften als gute. Wie Declaude ausgerechnet an diesen Mann gekommen war, das würde ewig schleierhaft bleiben. Hinter Lefère wurden verschiedene Männer sicht bar. In der Hand des Ingenieurs lag eine schwere Selbstladepistole. Er bewegte sie leicht hin und her, als suche er sich ein Ziel. In der Stimme des Mannes lag eine gefährliche Drohung, als er an die letzten Worte Töpfers an knüpfte: »Bemühen Sie sich nicht, ich bin gleich sel ber gekommen. Eine feine Gesellschaft ist das hier. Ihr habt wohl wenig zu tun, ihr Burschen? Was soll diese Versammlung bedeuten, he?« Töpfer trat furchtlos einen Schritt vor. »Wenn Sie über unsere Versammlung orientiert sind, so auch sicher über ihren Zweck. Wir sind übereingekommen, Sie um Aufklärung über gewisse Dinge zu bitten.« »Nämlich?« »Seit vorgestern ist R 2 verschwunden und mit ihr Professor Declaude, der erste Ingenieur und verschie dene andere Leute. Wo sind sie hin? Sie wissen es! Ich sage Ihnen offen, daß wir alle annehmen, daß ein Verbrechen geschehen ist, falls Sie die Angelegen heit nicht einwandfrei klären. Wo ist der Professor?« 87
In Leféres Augen lauerte es tückisch. »Ich sagte schon, daß er für einige Zeit fort ist, um weiter draußen Analysen des Meerwassers vorzuneh men.« Töpfer sah ihn fest an. »Das glauben wir Ihnen nicht.« Der andere lachte kurz auf. »Dann laßt ihr es eben bleiben«, erwiderte er. Niemand war sonderlich überrascht. Das Einge ständnis, das aus diesen Worten sprach, deckte sich mit allen Vermutungen. »Schön«, erwiderte der Deutsche wie überlegend, »unter diesen Umständen fühlen wir uns von unseren Verpflichtungen frei. Wir werden die Maschinen stil legen…« »Einen Dreck werdet ihr«, fuhr Lefère auf. »… und bei nächster Gelegenheit nach Hause fah ren«, vollendete der andere. »Ich hoffe, daß Sie uns so bald wie möglich ein Schiff zur Verfügung stel len.« »Da seid ihr aber im Irrtum«, erwiderte der Inge nieur höhnisch. »Ihr werdet hierbleiben.« Empört brandeten die Stimmen in entschiedener Ablehnung auf. »Ihr werdet hierbleiben, bis ihr verreckt«, schrie Lefère wütend. »Ihr habt euren Vertrag einzuhalten.« Töpfer reckte sich hoch auf. »Der Vertrag ist mit Professor Declaude abge 88
schlossen. Wir arbeiten nicht unter einem Mörder.« »Hund!« schrie Lefére. Sein Arm zuckte hoch. Töpfer stand wie ein Baum da. Seine Kameraden sprangen auf und stellten sich drohend gegen die Tür. »Er hat recht, er hat recht!« schrien sie durchein ander. »Keinen Finger rühren wir mehr, bevor der Alte nicht zurückkommt.« Das Gesicht des Ingenieurs war dunkelrot vor Wut, aber er beherrschte sich. Seine Stimme klang kalt, als er nach einer Pause sagte: »So, ihr wollt nicht mehr arbeiten? Nun, ich rate euch gut, seid ver nünftig. Macht eure Arbeit und kümmert euch nicht um alles andere. Dann habt ihr die beste Aussicht, euren heimatlichen Kirchturm noch einmal wieder zusehen. Laßt euch ja nicht einfallen, zu streiken oder ähnliche Mätzchen zu machen. Hier bin ich der Herr, und wenn ihr das nicht begreift, so werde ich es euch beibringen.« Ruhig und unerschüttert lehnte Töpfer ab. »Sie haben uns nichts zu befehlen. Wir werden nicht mehr arbeiten. Was meint ihr dazu, Kameraden?« »Wir rühren keinen Finger mehr«, gaben sie ihre Entschlossenheit zu erkennen. Lefère zog seinen Kopf in die Schultern ein. Seine Stimme zischte förmlich: »Ihr werdet tun, was ich euch sage. Zum letztenmal: Wollt ihr eure Pflicht 89
tun?« »Nein«, erwiderte Töpfer eisern. »Dann fahrt zur Hölle«, knirschte er verbissen. Ein Feuerstrahl zuckte aus der Pistolenmündung. Töpfer drehte sich halb herum und brach tot zu sammen. Erschossen. Es war ein kaltblütiger Mord. Lähmendes Schweigen folgte dem Schuß, ein Schweigen, das fast körperlich schmerzte. Dann sprang Emil Schulze den Mörder von der Seite her an, rasend und blindwütig, das Gesicht vor Zorn und Schmerz entstellt. Lefère schoß zum zweitenmal, aber dieser Schuß streifte nur den Kopf des Angreifers. Schon umklam merten dessen Arme den Hals des Ingenieurs. Doch diesem gelang es noch rechtzeitig, seine freie Faust Schulze in die Magengrube zu stoßen. Emil Schulze fiel aufstöhnend zu Boden. Von der Tür her wurden jetzt ein halbes Dutzend Pistolen auf die Werkmeister gerichtet, die mit fin steren Gesichtern vor sich hin starrten. Zwei knieten am Boden und kümmerten sich um Töpfer, dann richteten sie sich auf. »Er ist tot«, sagte einer mit schneidender Stimme. Um den Mund Leféres zuckte es wie Hohn. »Ja, Todesursache: Selbstmord. Er war der erste, der sich umbrachte. Laßt euch das als Warnung die 90
nen. Wenn ihr euch im geringsten meinen Anord nungen widersetzt oder das Werk sabotiert, geht’s euch genau so. Verstanden? Nun aber raus mit euch und laßt euch gefälligst nicht wieder zusammen se hen.« Gegen die Drohung und die Pistolen war nicht an zukommen. Emil Schulze und ein anderer Mann wollten den Toten aufheben, aber ein herrischer Befehl hinderte sie daran. »Liegen lassen, wir werfen ihn selbst ins Wasser. Raus, aber schnell!« Emil Schulze ging mit blassem Gesicht als letzter. Er steckte den Stoß, den ihm Lefère im Vorüberge hen gab, ruhig ein. Seine Gedanken kreisten um ein fernes Ziel. Paul Töpfer war sein bester Kamerad gewesen! Er sollte nicht umsonst gestorben sein! * R l. Während Sun Kohs Flugzeug das Tempo verrin gerte, um dann in geräuschlosen Gleitflug unter der dunklen Wölbung des nächtlichen Himmels entlang zuschweben, genossen die drei Insassen aufmerksam den seltsamen Anblick. Was R l auch immer sein mochte, mit Licht wurde 91
dort unten nicht gespart. Elektrisches Licht schien es in Hülle und Fülle zu geben, denn dort unten brann ten in den Gebäuden und auch draußen Hunderte von Lampen und Neonleuchten, so daß sich die Konturen scharf abzeichneten und man sich von oben her leicht über das Aussehen dieses geheimnisvollen Werkes unter dem Äquator orientieren konnte. Es war ein selten schönes Bild. R l lag wie ein fun kelndes Auge oder noch besser gesagt, wie ein leuch tender Diamantschmuck auf dem nachtdunklen Meer. Es war kein Zweifel: R l war eine von Menschen händen geschaffene künstliche Insel und zugleich eine großartige Fabrikanlage von beachtlichem Um fang. Der Neger, der noch immer am Steuer saß, wandte sich fragend um. »Wassern«, ordnete Sun Koh an. Wenige Minuten später setzte die Maschine in zwei Kilometer Entfernung von R l sanft auf dem Meer auf. »Nun hört zu«, sagte Sun Koh zu seinen beiden Begleitern, während er sich umzog. »Ich werde jetzt von hier aus zu R l hinüberschwimmen. Die Motor jacht der Verbrecher ist zwar noch nicht zurück, man wird auf R l kaum etwas von uns wissen, aber es scheint mir trotzdem wenig ratsam, so geradewegs dort zu landen. Wir müssen erst einmal die Verhält 92
nisse auskundschaften, bevor wir in die Geschicke von R l eingreifen. Also werde ich hinüberschwim men. Ihr bleibt in der Nähe und wartet die Ankunft des Unterseebootes oder meine Rückkehr ab. Laßt euch aber vorläufig lieber nicht sehen. Ich nehme zwei Leuchtraketen mit. Auf rot komme ich, auf grün kommt ihr zu mir.« »Wieviel Patronen für die Pistole, Sir?« erkundig te sich der Junge, der den wasserdichten Beutel pack te. »Zwei Streifen. Nimba, gib mir dein großes Mes ser.« »Sie denken an Hale, Sir?« Sun Koh hob die Schultern. »Für alle Fälle. Und vertragt euch inzwischen.« »Ich werde Nimba so behutsam wie einen Irrsin nigen behandeln«, versicherte Hal ernst. »Und ich werde Hal behüten, als wäre es mein ei genes Baby«, versprach der Neger grinsend. Sun Koh lächelte und reichte ihnen die Hand. Dann rollte die Kabinentür zurück, und Sun Kohs Körper glitt lautlos ins Wasser. Sun Koh schwamm in schnellem Tempo auf die leuchtende Insel zu. Seine Augen suchten sorgfältig die Umgebung ab, ob nicht irgendwo ein silberner Strich das Heranschießen eines Hales verriet. Aber nichts ließ sich sehen; die gefährlichen Raubtiere des Ozeans schienen zu schlafen. 93
Erst im letzten Augenblick wurde es für ihn ge fährlich. Als er bis auf hundert Meter an sein Ziel herangekommen war, bemerkte er hinter sich gleich zwei Schwanzflossen, die von verschiedenen Rich tungen her das Meer durchschnitten. Er schätzte ihre Entfernungen und ihr Tempo. Dann begann er zu schwimmen. Jetzt erst brachte sein Körper die wun derbaren Leistungen hervor, die in ihm steckten. Er wurde selber wie zum Fisch, er schoß mit geschmei diger Schnelligkeit auf den grauen Stahlponton zu, als wolle er mühelos den beutegierigen Jägern ent fliehen. Aber R l ragte hoch und glatt aus dem Wasser. Sun Koh hatte R l erreicht und konnte nicht hinauf. Die Hale glitten gefräßig heran. Sun Koh jagte an der grauen Wand entlang. Ir gendwo mußte doch ein Aufstieg sein. Aber wenn er nicht bald kam, dann war der Kampf auf Tod und Leben unvermeidlich. Er fühlte nach dem Messer in seinem Gürtel. Er zuckte unwillkürlich zusammen. Das Messer war fort. Es mußte herausgerutscht sein. Die Pistole? Sie nützte hier im Wasser nichts. Also war er waffenlos. Der nächste Hal war kaum noch zehn Meter ent fernt. Jetzt legte er sich auf den Rücken, um von unten her mit seinen zähnebesetzten Rachen sein sicheres 94
Opfer fassen zu können. Sun Koh jagte davon. Sein Tempo war unerhört, aber er wußte auch, daß er dem Spurt eines Hales nicht gewachsen sein würde. Und immer noch kein Aufstieg. Da – jetzt kam der graue, langgestreckte Leib mit dem gräßlichen Rachen von unten herauf, schnappte zu… Im letzten Augenblick warf sich Sun Koh jäh aus der Richtung heraus und stieß unter dem Rücken des Raubfisches hindurch wieder zur Oberfläche. Der Hal war ein Stück über sein Ziel hinausge schossen, wendete aber schon wieder. Auch der zweite Hal legte sich eben auf den Rücken. Der Tod grinste ihn an. Dunkel verschattet lag die Wand von R l, teil nahmslos und abwehrend. Doch da – hockte dort oben nicht ein Mann? Flüchtig sah Sun Koh eine winkende Armbewegung. Auf einmal lag ein senkrechter Streif der Stahlwand unter dem Licht einer starken Taschenlampe. Das weiße Licht beleuchtete eine Sprossentreppe, die in die glatte Wand eingelassen war. Man zeigte ihm den Weg zur Rettung. Mit zwei gewaltigen Stößen war Sun Koh heran. Dann schoß sein Körper mit einer letzten, verzwei felten Anstrengung über dem drohenden Rachen des Hales aus dem Wasser heraus, seine Hände faßten 95
wie Stahlklammern die rettenden Sprossen. Gerettet! Zumindest aus dem Rachen der Hale. Aber dafür war seine Ankunft auf R l nicht unbe merkt geblieben, so wie er gehofft hatte. Stand dort oben etwa ein noch gefährlicher Feind? * Oben stand Emil Schulze. Er hatte keine Ruhe gefunden. Der Schmerz über Töpfers Tod und der Wunsch nach Vergeltung hatten ihn gepackt. Schließlich war er hier draußen gelan det, wo er in der Deckung der Generatorenhalle vier unbeobachtet sitzen und in die Ferne starren konnte. Es war ihm nicht sofort bewußt geworden, daß dort unten ein Mensch war, der mit unglaublicher Geschwindigkeit vor zwei Halen um sein Leben schwamm. Aber dann hatte er blitzschnell gehandelt. Der Mann dort unten schien die Sprossentreppe nicht zu kennen, sonst wäre er doch längst auf ihr hochge klettert. Also richtete er das Licht seiner Lampe dar auf. Und nun standen sich die beiden in dem Licht schein, der aus den hohen Fenstern des Elektrizitäts werkes fiel, gegenüber. Sun Koh las in dem Gesicht des Mannes wie in ei nem offenen Buch, er atmete auf. Das war kein 96
Feind! Emil Schulze war – gelinde gesagt – fassungslos. Er starrte Sun Koh wie das achte Weltwunder an, er hatte auch allen Grund dazu. Er hätte es nie für mög lich gehalten, daß ein Mann zwei Halen entgehen konnte, die ihm so dicht auf den Fersen waren. Au ßerdem war es ihm völlig unbegreiflich, wie auf einmal hier mitten im Meer, einige tausend Meilen vom nächsten Land entfernt, ein Fremder ange schwommen kommen konnte. Noch weniger ver ständlich schien es ihm, daß dieser Fremde zwar wei ter nichts als eine kurze Schwimmhose und auf dem Rücken einen Beutel trug, aber trotzdem nicht den Eindruck eines Schiffbrüchigen machte. Und end lich: Was war dieser Mann für eine herrliche Er scheinung. Sun Koh riß sein Gegenüber aus seiner Betrach tung. Er streckte ihm die Hand entgegen und sagte mit melodischer, klangvoller Stimme: »Ich danke Ihnen für Ihr Eingreifen, mit dem Sie mir das Leben retteten. Ich heiße Sun Koh. Ohne Sie hätten mich jetzt die Hale.« Emil Schulze faßte sich. »Nicht der Rede wert, Herr Koh. Emil Schulze ist mein Name. Ich freue mich, daß es Ihnen gelungen ist, rechtzeitig hochzukommen.« Er war höflich genug, keine Frage zu stellen. Es war auch nicht nötig. Sun Koh hatte sich nach 97
schneller Prüfung entschlossen, aufs Ganze zu gehen. Er begann mit leiser, aber eindringlicher Stimme zu sprechen. »Ich danke Ihnen noch einmal. Sie sind ein Deut scher, wie ich höre und ich fühle, daß Sie es ehrlich meinen. Nun hören Sie zu. Unsere Unterredung wird entweder damit enden, daß ich Sie hier für einige Zeit gefesselt liegen lassen muß oder daß wir ge meinsam handeln. Geschehen wird Ihnen nichts, nur vermeiden Sie bitte jeden unnötigen Alarm, der mich zur Rücksichtslosigkeit zwingen würde. Ich bin von meinem Flugzeug aus herübergeschwommen, um mir diese Insel anzusehen. Mit Ihnen rechnete ich nicht. Die Gründe für meinen Besuch liegen darin, daß ich auf einer versinkenden Flugplattform zwei Menschen halbtot fand. Sie heißen Declaude und Meunier. Durch sie erfuhr ich von der Existenz die ser schwimmenden Fabrik. Nach allem, was geschah, nehme ich an, daß dieses Werk sich in den Händen von Verbrechern befindet. Ich bin entschlossen, hier aufzuräumen und R l für seinen rechtmäßigen Besit zer sicher zu stellen. Es bleibt mir dabei…« Emil Schulze konnte seine Erregung nicht mehr meistern. Er streckte beide Hände aus und erwiderte: »Sie brauchen nicht weiter zu reden. Ich bin Ihr Mann. Sie kommen wie ein Engel vom Himmel. Es stimmt, die Goldfabrik ist in den Händen von Ver brechern. Aber nicht alle hier befindlichen Männer 98
gehören zu ihnen. Hier sind etwa zwanzig Werkmei ster, die so wie ich denken. Aber Lefére, der zweite Ingenieur, hat uns in der Gewalt. Vor einigen Stun den erschoß er meinen besten Freund. Wenn ich ihm das heimzahlen könnte, ah… Aber sagen Sie, der Professor lebt?« Sun Koh, der die Ehrlichkeit in den Worten des anderen spürte, zweifelte nicht, in Schulze einen Hel fer gefunden zu haben. Er gab ihm eine kurze Schil derung vom Untergang der R 2 und schloß dann: »Ich ahnte doch, daß Verbrecher im Spiel waren, und daß es um die unbekannte R l ging. Ich erfuhr die Sachlage und kam hierher, aber was eigentlich die R l ist, das weiß ich noch immer nicht.« Emil Schulze sah ihn etwas erstaunt an. »Nun, R l ist doch eben diese schwimmende Gold fabrik, auf der Sie jetzt stehen.« Sun Koh schüttelte den Kopf. »Sie mißverstehen mich. Ich nenne den Namen und sah vom Flugzeug aus bei Nacht den Betrieb, aber auch nicht mehr. Was reizt die Verbrecher, sich in den Besitz von R l zu setzen? Warum baute man diese Fabrik mit sicherlich ungeheuren Kosten auf einer solchen künstlichen Insel? Warum nennen Sie R l eine Goldfabrik?« Emil Schulze begriff nun. »Ach so, Sie wissen nicht Bescheid. Nun, die Ge schichte ist sehr einfach. R l ist ein großes Elektrizi 99
tätswerk, das über eine Million Kilowatt erzeugt. Diese Energie wird an Ort und Stelle verwandt, um das Gold aus dem Meerwasser auszuscheiden.« Sun Koh lächelte. »Herr Schulze, ich glaube, Sie müssen mir als Laien gegenüber schon etwas ausführlicher werden. Wie können Sie mitten aus dem Meer Elektrizität gewin nen? Sie haben doch weder Kohle noch Wasserkraft zur Hand, ich sah weder Treibstofftanks noch andere Triebmittel!« Emil Schulze schlug sich an die Stirn. »Sie haben recht. Wenn man immer nur mit Fach leuten zusammenhockt, ist man geneigt, alles als be kannt vorauszusetzen. Ich will Ihnen die Geschichte erklären, so gut ich kann. Aber kommen Sie ein Stück weiter unter das Fenster, dort sind wir völlig gedeckt.« Sun Koh folgte ihm auf den schmalen Sims, der vor der Wand von Werk vier lag, und setzte sich ne ben Schulze, der ihm nun überraschend klar das technische Geheimnis um R l bekanntgab. »Die elektrische Energie wird von uns durch Tem peraturgefälle gewonnen. Das Meerwasser hat hier unter dem Äquator eine Oberflächenwärme von rund dreißig Grad. In zwei Kilometer Tiefe ist es jedoch nur noch vier bis fünf Grad warm. Das gibt einen Unterschied von fünfundzwanzig Grad, also ein be achtliches Temperaturgefälle. Wir nützen das aus. 100
Genau in der Mitte von R l, unter dem Hauptgebäu de, geht ein zwei Meter starkes Rohr hinab in zwei tausend Meter Tiefe, also bis in das kalte Wasser. Dieses Rohr ermöglicht in Verbindung mit einem Saugwerk den Austausch zwischen kaltem und war men Wasser und damit die Auswertung der fünfund zwanzig Grad Wärme zur Erzeugung von Wasser dampf.« Sun Koh stoppte den Sprecher mit einer Handbe wegung ab. »Einen Augenblick. Ich verstehe oder ahne wenig stens, daß ein Temperaturunterschied von fünfund zwanzig Grad, der ohne irgendwelches Heizmaterial gewonnen wird, eine Energiequelle sein kann. Mir ist jedoch nicht klar, wie Sie mit fünfundzwanzig Grad Wärme Wasserdampf erzeugen wollen.« »Das ist ganz einfach«, meinte Emil Schulze, »es gehört nur ein luftverdünnter Raum dazu. Gewöhn lich kocht das Wasser bei hundert Grad Wärme, das heißt, es verwandelt sich bei hundert Grad in Was serdampf. Diese hundert Grad sind aber nur unter den schlechtesten Bedingungen nötig, nämlich dicht auf Meeresniveau bei stärkstem Luftdruck. Schon wenn man ein paar hundert Meter in ein Mittelgebir ge hinaufsteigt, braucht man nur noch achtundneun zig, siebenundneunzig oder weniger Grad, weil der Luftdruck abnimmt. In dreitausend Meter Höhe brauchen Sie zum Beispiel nur fünfundachtzig bis 101
neunzig Grad Wärme, um Wasser verdampfen zu lassen. Deswegen kann man auch in solcher Höhe niemals Kartoffeln weich kochen, denn sie brauchen annähernd hundert Grad Wärme, das Kochwasser verdampft aber schon viel früher. Sie wissen sicher, daß man dann den fehlenden Luftdruck künstlich durch Dampfdruck ersetzen kann, indem man soge nannte ›Papinsche Töpfe‹ verwendet.« »Sie wollen sagen, daß die zum Verdampfen erfor derliche Wärme vom Luftdruck abhängig ist?« »Ganz recht, Herr Koh. Je höher der Luftdruck, desto mehr Wärme ist erforderlich, je geringer der Luftdruck, desto weniger Wärme braucht man zum Verdampfen. Die Geschichte ist also mehr als ein fach. Hat man nur fünfundzwanzig Grad Wärme zur Verfügung und will trotzdem Dampf erzeugen, so muß man den Luftdruck entsprechend herabsetzen, man muß den Dampf in einem entsprechend luftver dünnten Raum erzeugen.« »Und das geschieht hier?« Schulze nickte. »Jawohl. Wir erzeugen mit Hilfe des Temperatur gefälles im Meereswasser im stark luftverdünnten Raum beliebig viel Wasserdampf. Diesen Wasser dampf aber leiten wir durch Turbinen, wie das auch sonst üblich ist, und die Turbinen erzeugen in Ver bindung mit den Generatoren den elektrischen Strom. Ich nannte Ihnen schon die Normalleistung 102
von einer Million Kilowatt. In Wirklichkeit ist es et was mehr, denn jedes unserer sechs Elektrizitätswer ke produziert zweihunderttausend Kilowatt.« »Und diese Energie kostet gewissermaßen keinen Pfennig«, stellte Sun Koh staunend fest. Schulze hob die Schultern. »Gewiß, wenn man von den Kosten der Anlage und den geringfügigen Betriebskosten absieht. Die Anlage macht sich schnell bezahlt. Natürlich hat ein solches Werk nur Sinn, wenn man die Energie an Ort und Stelle ausnutzen kann. Und zu dem Zweck, zu dem sie hier verwendet wird, ist eben wieder die au ßerordentliche Billigkeit der Stromerzeugung eine notwendige Voraussetzung. Sobald das Kilowatt Strom mehr als einen Pfennig kosten würde, könnte man das Werk hier als Alteisen verkaufen.« »Und wozu wird der Strom verwendet?« Schulze schmunzelte. »Sie haben wohl gedacht, das sei ein Witz, als ich R l als ›Goldfabrik‹ bezeichnete? Wir erzeugen hier Gold, chemisch reines, einwandfreies Gold, das uns jede Bank mit Kußhand abnimmt.« »Durch Atomzertrümmerung?« »I wo, wir holen es einfach aus dem Meer, auf dem Weg der Elektrolyse. Einzelheiten kann ich Ih nen darüber leider nicht sagen, da es nicht in mein Fach schlägt, es wird außerdem möglichst geheim gehalten. Aber das wissen Sie doch, daß es im 103
Meerwasser Gold gibt.« Sun Koh nickte. »Schon, aber ich habe die vorhandene Menge für sehr gering gehalten.« »Das ist sie auch, es sind nur Bruchteile eines Mil ligramms pro Tonne, aber trotzdem steckt in unseren Weltmeeren so viel Gold, daß jeder lebende Mensch sieben Kilogramm aus dem Meerwasser in die Hand gedrückt bekommen könnte. Auf fünfzehn Milliar den Kilogramm schätzt man die Goldmenge, die fein verteilt in unserem Wasser steckt. Das ist ein ganz netter Brocken. Wenn aber die Energie nichts kostet und es die Anlage gestattet, daß man hinreichend viel Wasser durchlaufen lassen kann, so lohnt es sich schon. Und davon seien Sie überzeugt: Professor De claude ist alles andere als ein Phantast, der weiß ge nau, ob sich die Arbeit rentiert oder nicht.« »Das ist also das Geheimnis von R l«, sagte Sun Koh nachdenklich. »Nun verstehe ich auch, daß die ser Lefère Mord und Verbrechen auf sich genommen hat, um sich in seinen Besitz zu setzen.« »Hoffentlich können wir das dem Schuft gründlich versalzen. Hätten wir nur ein paar anständige Waffen zur Hand gehabt, da hätte er sein blaues Wunder er leben können. Aber ich denke, er wird auch so noch Augen machen.« Sun Koh sah ihn aufmerksam an. »Sie hatten sich schon einen Plan zurechtgelegt?« 104
»Jawohl«, erwiderte Schulze mit rauher Stimme, »ich hatte mir schon etwas ausgedacht. Der Himmel sei ihm gnädig, wenn er das überlebt.« »Lassen Sie hören«, bat Sun Koh. Emil Schulze zögerte. »Vielleicht ist es nun überflüssig geworden, wenn Hilfe von außen kommt. Aber, na gut, ich will es Ih nen sagen, selbst auf die Gefahr hin, daß Sie mich mißverstehen. Ich bin kein Mörder, aber ich habe eine unbändige Wut auf das Gesindel, das friedliche Leute über den Haufen schießt. Also es handelt sich darum: Ich wollte die Million Kilowatt, die in den Werken erzeugt wird, bei passender Gelegenheit, wenn Lefère mit seiner Bande zusammenhockt, auf das Hauptgebäude leiten. Es besteht, wie alles hier, in der Hauptsache aus Stahl. Ein paar Kupferschie nen an geeigneter Stelle angebracht und einige Um schaltungen genügen, um das Hauptgebäude zu dem elektrischen Stuhl zu machen, den die Kerle verdient haben.« Er brach ab. Eine Weile lag Schweigen zwischen den beiden Männern. Dann sagte Sun Koh ruhig: »Der Plan hat etwas Schreckliches an sich, aber ich verstehe Ihre Stimmung. Sie wollten die Zerstörung des Gebäudes und die Lahmlegung der Fabrik in Kauf nehmen?« Schulze nickte. »Besser das, als den Verbrecher auch noch reich 105
machen. Aber wie gesagt, ich hoffe, daß mein Plan nun überflüssig geworden ist.« Sun Koh hob leicht die Schultern. »Ich habe noch keinen Plan, ich kam nur hierher, um mich umzusehen. Mir scheint es jedoch richtig, einen Versuch zu wagen, das Werk zu erhalten und trotzdem die Bande unschädlich zu machen. Dazu genügt meist schon, daß man den Anführer matt setzt.« »Gerade das wird am schwersten sein, denn Lefère ist nicht nur sehr vorsichtig, sondern auch sehr stark und ein guter Schütze.« »Seine Kraft und seine Pistole werden kaum zu fürchten sein«, meinte Sun Koh lächelnd. »Wichtig scheint mir zunächst nur, wie ich am besten an ihn herankomme. Bitte, erzählen Sie mir einiges von den Menschen, die auf R l wohnen, von Ihren Freunden und Feinden.« Emil Schulze begann bereitwillig zu schildern. Die beiden Männer hockten noch lange zwischen Wand und Meer. * Auf der Motorjacht, die von der versunkenen R 2 zur R l zurückfuhr, herrschte böse Stimmung. Jenkins war erbärmlicher Laune. Man konnte ihm das nicht verdenken. Das Flugzeug war fort, die Edelsteine 106
verschwunden, die er schon in seiner Hand gesehen hatte, zudem hatte man ihn vor versammelter Mann schaft übers Ohr gehauen, es ist auch kein Spaß, mit einer geschwollenen Nase herumzulaufen. Kapitän Jenkins hätte allerhand dafür gegeben, die beiden Burschen – den Neger und den Jungen – in seine Reichweite zu bekommen. Hoffentlich waren sie wenigstens wie ihr dritter Freund ersoffen, der jetzt mit der R 2 zusammen auf dem Grunde lag. Die Jacht entwickelte ihre höchste Geschwindig keit. Es war an der Zeit, daß man zur R l zurückkam. Lefère würde schon warten. Die schwarze Jacht war ein schneller Renner, aber Okamas Unterseeboot war doch noch schneller. Das Boot rückte immer mehr auf, wenn sich die beiden Fahrzeuge auch vorläufig nicht sahen, beide eilten zu einem Ziel; irgendwo mußten sich ihre Wege treffen. Es geschah schneller, als die Verfolger angenom men hatten. Auf der Motorjacht ahnte man nichts von dem Vorhandensein des U-Bootes. Jenkins bekam erst dann eine Meldung, als das U-Boot bereits auf glei cher Höhe mit der Jacht lag. Einer der Leute kam in seine Kabine hinuntergestürzt. »Unterseeboot in Sicht, Kapitän.« Jenkins sprang mit einem Satz hoch. »Du bist verrückt!« Im Nu war er draußen. 107
Ohne Zweifel, das war das Periskop eines Unter seebootes. Jenkins kannte sich aus. Während des großen Krieges, als er noch Schiffsjunge gewesen war, hatte er oft mit Grauen aufs Meer hinausgestarrt und wiederholt Gelegenheit gehabt, die deutschen UBoote zu sichten. Zweimal hatte er sie an der Arbeit gesehen. Seitdem fühlte er sich unbehaglich, wenn er eines von diesen unheimlichen Dingern sah. Er schüttelte seine Beklemmung gewaltsam ab. Das war ja Unfug. Warum sollte das Boot drüben nicht zufällig den gleichen Kurs halten? »Es taucht auf!« Tatsächlich, mehr und mehr wurde das Boot sicht bar. Es hatte keinen Turm, sondern einen langge streckten, wulstartigen Aufbau, der fast wie der Buc kel eines Wals wirkte. »Geschütze richten«, befahl Jenkins. Es war bes ser, für alle Fälle gerüstet zu sein. Er preßte das Fern rohr an die Augen. Drüben öffnete sich das Oberluk. Ein Mann wurde sichtbar und begann zu signalisieren. »Stoppen.« Jenkins fluchte gräßlich. »Der Teufel soll euch holen, ihr höllischen Wege lagerer. Volldampf voraus!« »Sie sind aber schneller als wir«, wagte sein Ne benmann einzuwerfen. Jenkins’ Blick ließ ihn verstummen. 108
Von drüben kamen neue Signale. »Stopp oder wir schießen.« Jenkins schnauzte den bereitstehenden Signalgast an. »Was stehst du denn herum? Los, frag an, was das für Kerle sind? Sie sollen die Flagge zeigen. Mit welchem Recht halten sie uns auf?« Die Wimpel flogen hoch. Von drüben kam sofort die Antwort. »Fragen könnt ihr später. Jetzt stoppt.« Die Motorjacht raste weiter. Drüben öffnete sich eine seitliche Luke, ein wei ßes Wölkchen stieg auf, dicht vor der Jacht klatschte es ins Wasser, dann kam der dumpfe Knall eines Ab schusses hinterher. Neue Signale erschienen. »Wenn ihr nicht sofort stoppt, folgt ein Torpedo schuß.« »Stoppen!« schrie Jenkins. Die schwarze Jacht verlangsamte ihre Fahrt, dann ließ sie sich treiben. »Schickt ein Boot«, kam die Aufforderung. Jenkins entsann sich an Flüche, die seit zwanzig Jahren seinem Gedächtnis entschwunden zu sein schienen. Er fügte sich. Das Boot ging ab, inzwi schen wurde das Verdeck der Jacht auf harmlose Weise frisiert. »Verdammt, die holen j a unsere Leute heraus!« stellte der Steuermann fest. 109
Nach geraumer Zeit kam das Boot zurück, tatsäch lich war es nur mit fremden Leuten besetzt. Jenkins’ Handknöchel wurden weiß, so preßte er sie. »Japaner? Als ob ich es mir nicht hätte denken können. Niemand ist so unverschämt wie dieses gel be Pack. Verflucht und zugenäht, ich werde den Ker len die U-Boot-Jäger der ganzen Welt auf den Hals hetzen, wenn ich wieder nach Europa komme.« Der gute Jenkins ahnte nicht, daß er zu seinem Vorhaben keine Gelegenheit mehr bekommen sollte. Leutnant Hakuri verneigte sich mit vollendeter Höflichkeit, nachdem er das Verdeck betreten hatte. »Es tut mir außerordentlich leid, Herr Kapitän, daß wir Sie belästigen müssen, aber zwingende Gründe veranlassen uns dazu. Darf ich Sie um eine Unterre dung in Ihrer Kabine ersuchen?« »Einen Dreck dürfen Sie«, tobte Jenkins los. »Wie kommen Sie dazu, eine friedliche Jacht anzuhalten? Ich werde Sie beim Seegericht anzeigen. Ihr U-Boot ist kein Kriegsschiff, auch habe ich nichts von einer Kriegserklärung gehört. Ich hätte große Lust, Sie hi nunterzuwerfen. Jeder hergelaufene, farbige Pöbel nimmt sich das Recht…« Hakuri unterbrach ihn mit unveränderter Höflich keit: »Erregung ist nie gut für die Nerven, Herr Kapi tän. Es wäre schade um Ihr schönes Schiff, wenn wir es zerstören müßten. Bitte weisen Sie Ihre Mann 110
schaft an, dort auf das Hinterdeck zu treten. Dann zeigen Sie mir Ihre Kabine!« Jenkins nahm sich krampfhaft zusammen. Die an deren hatten die Übermacht. Zähneknirschend fügte er sich. Seine Leute sammelten sich an der bezeich neten Stelle, die Japaner blieben mit undurchdringli chen Gesichtern am Fallreep stehen. Der Kapitän und der Leutnant gingen hinunter. »So«, knurrte der Kapitän los, als sie sich an dem schweren Tisch gegenüberstanden. »Nun mal raus mit der Sprache, was soll das Affentheater bedeu ten?« »Nur einige kleine Fragen«, sagte Hakuri und lä chelte so verbindlich, daß es Jenkins kalt über den Rücken lief, »nur einige kleine Fragen. Wenn ich nicht irre, haben Sie die Flugplattform R 2 ver senkt?« »Was?« Jenkins starrte sein Gegenüber fassungslos an. Er sah wie in eine leere, ausdruckslose Maske. Mühsam faßte er sich und entgegnete abweisend: »Ich verste he Sie nicht. Mein Schiff ist eine harmlose Privat jacht, und ich fahre zum Vergnügen herum.« Hakuri nickte leicht. »Ganz recht, wenn ich auch kaum Ihre Ansicht tei len kann, daß es ein Vergnügen ist, unschuldige Leu te zu töten.« Jenkins verlor seine gesunde Hautfarbe. 111
»Wollen Sie etwa damit sagen, daß…« Der Japaner antwortete fast demütig: »Es ist eine uralte Weisheit, daß man sich nicht bei Vergangenem aufhalten soll. Verzeihen Sie meine Abschweifung. Kapitän Omaka wünscht nur einige Fragen von Ih nen beantwortet zu haben. Was ist R l?« Jenkins schwieg. Er war einfach nicht imstande zu sprechen. Unbeirrt höflich fragte der Japaner weiter: »Dann wollen Sie mir vielleicht sagen, wer Lefère ist?« Jenkins schwieg. »Oder wünschen Sie mir zunächst zu erklären, was sich auf R l ereignet hat?« erkundigt sich Hakuri un entwegt höflich. Der Kapitän schwieg noch immer, aber er faßte heimlich nach seiner Waffe. Die Angelegenheit sah ganz anders aus, als er bisher angenommen hatte. Bis jetzt hatte er geglaubt, es handle sich um ein Verse hen oder um einen schlechten Scherz, aber nun muß te er feststellen, daß er Feinden, Verfolgern gegenü berstand, die es auf ihn und seine Leute abgesehen hatten. Wie sie das alles wissen konnten, war ihm einfach unerfindlich. Jedenfalls wußten sie mehr, als gut war. Jenkins kannte die Japaner gut genug, um sich durch die harmlose Maske täuschen zu lassen. Nun nicht mehr! Hier gab es nur noch eines – Kampf! Diesen Kerl mußte er unschädlich machen, ihn und seine Leute als Geiseln behalten, alles auf 112
eine Karte setzen. Hakuri schien die Veränderung in Jenkins’ Wesen zu spüren. Sein Ton wurde plötzlich etwas schärfer. »Soll Ihr Schweigen bedeuten, daß Sie mir die Antworten auf meine Fragen verweigern wollen?« »Ganz recht, mein Lieber. Fragen Sie den Teufel oder seine Großmutter, aber quasseln Sie nicht wei ter! Haben Sie sonst noch Wünsche?« In Hakuris Augen blitzte es auf, aber seine Stimme blieb kühl. »Ich habe den Auftrag, Ihre Antworten zu hören. Falls Sie diese nicht freiwillig geben, muß ich Ge walt anwenden.« Der Kapitän zog eine drohende Grimasse. »Gewalt? Daß ich nicht lache. Auf meinem eige nen Schiff? Sie sind wohl verrückt, mein Lieber.« »Ich bin nicht geneigt, mich mit Ihnen über mei nen Geisteszustand zu unterhalten«, wehrte Hakuri höflich ab. »Wenn Sie nicht freiwillig…« Er trat einen Schritt auf Jenkins zu. Im Nu hatte dieser die Waffe aus der Tasche gerissen und ange schlagen. »Hände hoch, hopp, hopp!« »Mit größtem Vergnügen«, meinte Hakuri grin send. Er riß die Hände hoch, doch gleichzeitig warf er auch seinen ganzen Körper in die Luft, so daß er wie zu einer Kugel wurde, die nach rückwärts über schlug. Seine Beine flogen nach oben und trafen 113
Jenkins so geschickt und wuchtig, daß die Pistole im Bogen durch den Raum flog. Hakuri war wie ein Gummiball wieder auf den Beinen. Der Kapitän wollte sich auf ihn stürzen, es blieb aber bei seiner Absicht. Als er wieder zur Be sinnung kam, baumelte sein rechter Arm schlaff her ab, sein linker wurde auf dem Rücken derart fest gehalten, daß er nicht die geringste Bewegung mehr wagte. Hakuris Stimme verriet keine Spur von Aufre gung, als er sich nun wieder erkundigte: »Wollen Sie jetzt freiwillig antworten, Kapitän?« Ein widerlicher Fluch war alles, was Jenkins dar auf zu antworten hatte. Da griff der Japaner mit zwei Fingern nach seinem Nacken, behutsam, fast strei chelnd. Und dann bohrten sich seine Finger ein. Markerschütternd brüllte Jenkins wie ein Tier un ter dem Griff auf. Dann sank er mit zitternden Gliedern über den Tisch hin. »Wollen Sie mir nun antworten?« fragte Hakuri höflich, während seine Finger wieder sanft über den Nacken des Kapitäns strichen. »Ja, ja, ich will alles sagen!« Fast eine halbe Stunde dauerte das Gespräch. Jen kins antwortete mit größter Bereitwilligkeit, und wenn er einmal stockte, so brauchte der Japaner nur die Fingerspitzen vor seinen Augen zu schließen. 114
Als Hakuri wieder das Deck betrat, fand er erwar tungsgemäß die Mannschaft der Jacht gefesselt vor, das Unterseeboot legte gerade längsseits an. Die Besatzung der Jacht wurde unter Deck des UBootes gebracht und dort verwahrt. Die Leute ahn ten, daß sie erst wieder an das Tageslicht kommen würden, wenn ein Trupp Polizisten mit Handschellen zu ihrem Empfang bereitstand. Ein paar der japanischen Matrosen kamen auf die Jacht, Leutnant Hakuri übernahm das Kommando. Eine Stunde später schoß das Unterseeboot davon, im Kielwasser folgte die schwarze Jacht. Sie sollte später von R l noch mehr Menschenfracht überneh men. * Das Flugzeug wiegte sich in geziemter Entfernung von R l auf den Wogen des Ozeans. Die Nacht mußte bald dem Tag weichen. Hal sah gespannt auf den Punkt hin, der sich R l nannte. Nimba war mit einigen Kochkünsten be schäftigt. Es war zwar eng in der Maschine, aber das war seiner Meinung nach kein Anlaß, auf das für ihn stets so erfreuliche Essen zu verzichten. Der Blick des Jungen glitt für einen Augenblick über den eifrigen Neger, dann ging ein verschmitztes Lächeln über sein Gesicht. 115
Aber plötzlich schrie er auf: »Nimba! Nimba! Die grüne Rakete!« Der Neger ließ vor Schreck die Konservenbüchse fallen und fuhr hoch. »Wo? Wo?« schnappte er und sah angestrengt in die Ferne. Hal krümmte sich vor Lachen. »Ätsch, reingefallen, es war überhaupt keine da, ätsch.« Nimba stand einen Augenblick starr, dann holte er aus und versetzte dem Jungen eine handfeste Ohrfei ge. Der Neger nahm den freigewordenen Platz ein, ließ das Essen Essen sein und beobachtete nun selbst die ferne Insel. Es dauerte einige Zeit, bis Hal sich wieder aufge rappelt hatte. In der ersten Sekunde hätte er am lieb sten die Pistole herausgerissen und die ihm angetane Schmach gerächt, aber als er wieder stand, hatte sich seine Aufwallung schon verflüchtigt. Es dämmerte ihm, daß die Ohrfeige nicht ganz unverdient gewesen war. Trotzdem funkelte er voller Zorn den Neger an. Der nahm aber überhaupt keine Notiz von ihm, er hätte es noch nicht einmal bemerkt, wenn er ihm die Zunge herausgestreckt hätte. So mußte denn Hal sel ber ein Gespräch anfangen. Er tat es, wenn auch zu nächst nur halblaut, wie im Selbstgespräch. »Unverschämtheit. Mordversuch. Brutaler Prügel 116
held, ganz ohne Grund. Heimzahlen. Werd’s Sun Koh sagen.« »Sag’s ihm nur«, warf Nimba an dieser Stelle kühl ein, »vielleicht haut er dir auf die andere Wange auch noch eine rein, damit du nachher als Vollmond auf Reise gehen kannst.« »Warum denn nur?« rief Hal erleichtert, daß der Neger zu sprechen anfing und wieder zugänglich wurde. »Warum denn nur? Was fällt dir denn über haupt ein, mich so mir nichts dir nichts zu schlagen, daß einem fast das Gehirn verrutscht.« »Du hast ja gar keins«, stellte Nimba trocken fest. »Verrutscht, sage ich«, ereiferte sich der Junge, »und sämtliche Glieder ineinanderstauchen. Du denkst wohl, es ist jeder so ‚ne eiserne Jungfrau wie du? Bin ich etwa ein Sklave, daß du mich so behan deln darfst, du… Ich bin ein freier Engländer, und ich lasse mich nicht schlagen. Na warte nur, wenn wir wieder…« Nimba sah ihn flüchtig an und meinte ruhig. »Spar dir dein Gerede. Die Ohrfeige tut mir leid, aber ver dient hast du sie zehnmal. Du kannst so viel Spaß machen, wie du willst, aber nicht mit solchen Din gen. Sun Koh steckt vielleicht in größter Gefahr, und ein Raketensignal kann Tod oder Leben bedeuten. Unsere Aufgabe ist zu ernst, als daß du ausgerechnet einen solchen Witz machen darfst. Die Sicht wird immer schlechter. Beim zweitenmal springe ich viel 117
leicht dann nicht so schnell auf, schließlich stehen wir da und wissen nicht genau, ob es grün oder rot gewesen war, denn deine Augen allein sind mir nicht verläßlich genug. Und nun halte deinen Schnabel. Iß meinetwegen oder schlafe, ich passe selber auf.« Hal schluckte ein paarmal und schwieg. Nach fünf Minuten sagte er leise: »Du, Nimba, ich glaube, ich habe die Ohrfeige reichlich verdient, nimm mir die Geschichte nicht mehr übel und laß uns wieder gute Freunde sein.« Das war echt Hal. Nimba, der sich auch betroffen gefühlt hatte, strahlte über das ganze Gesicht und streckte ihm seine mächtige, schwarze Hand hin. Hal schüttelte sie wie ein Mann. Eine Viertelstunde später schlief der Junge tief und fest, aber es blieben ihm kaum zehn Minuten Zeit. Nimba schüttelte ihn wie ein Bündel hoch. »Hal! Auf, Hal! Die grüne Rakete, wir müssen los!« »Was – wo – wer?« stammelte der Junge mit blö dem Ausdruck, dann war er aber schnell wach. Er sprang an die Beobachtungsfenster. Keine Spur von einer grünen Rakete war zu sehen. Ah, elender Nimba. Wut schoß in Hal auf, er dreh te sich herum, Nimba stand dicht hinter ihm, harmlos wie ein neugeborenes Kind. Klatsch, nun hatte er seine Ohrfeige auf seiner 118
dunklen Backe sitzen. Nimba fiel nicht um, er schwankte aber ein biß chen. Nicht etwa von dem Streich, aber vor Überra schung. »Was…?« stotterte er. »Du bist ein trauriges, schwarzes Gestell«, fauchte Hal. »Erst machst du ein Theater wegen meiner Falschmeldung, jetzt willst du mich selber veralbern? So siehst du gerade aus! Hast du mich vorhin gehau en, tat ich es jetzt auch, wehe wenn du sie nicht fried lich einsteckst. Dann kannst du aber was erleben, du schwarzer Trüffel.« Nimbas Gesicht sprach Bände. »Mensch, Hal«, würgte er heraus, »die grüne Ra kete war tatsächlich da, aber jetzt ist sie nicht mehr zu sehen. Ich habe dich doch erst geweckt, als sie schon ziemlich verlöscht war.« Hal wehrte verächtlich ab. »Faule Ausrede. Den Schwindel kenne ich.« Nimbas Gesicht wurde sehr ernst, und er sagte ausdrücklich: »Die grüne Rakete war da, das schwör ich dir. Sie stieg zwar auffallend steil, aber brannte lange genug, als daß ich sie hätte übersehen können.« Gegen diesen Ton gab es keinen Einwand. Die Sa che stimmte. Hal zog eine betrübte Grimasse. »Dann habe ich dir eine Ohrfeige grundlos gege ben? Ich dachte, du hättest mich verkohlt.« »Laß gut sein!« meinte Nimba grinsend. »Wehge 119
tan hat es sowieso nicht.« »Trotzdem«, beharrte Hal. »Du kannst mir wieder eine reinhauen oder besser, du hast eine gut bei mir, falls wieder einmal Bedarf ist. Aber nun müssen wir los.« Kurz darauf kreiste das Flugzeug bereits über R 1. Die Sonne war inzwischen aufgegangen, so daß man alle Einzelheiten deutlich erkennen konnte. Sun Koh war nicht zu sehen, aber im Innenhof standen ver schiedene Leute und deuteten nach oben. »Ich kann Sun Koh nicht sehen«, meinte Hal, als sie noch unschlüssig über dem Werk kreisten. »Er ist vielleicht anderweitig beschäftigt. Am be sten wird sein, wir landen auf einem der flachen Dä cher.« Hal hatte dagegen nichts einzuwenden, dort oben war genügend Platz zum Landen. So ließen Sie denn die Laufräder aus den Schwimmern herausfahren. Gleich darauf setzte die Maschine leicht auf dem Dach von Bau drei auf. Nimba und Hal kletterten heraus. Da kamen die ersten Leute herangestürzt. Hal stieß den Neger an. »Du, die möcht’ ich nicht mit einem Dollar über die Straße schicken.« »Ich auch nicht«, knurrte Nimba. »Sie sehen nicht sonderlich gut aus und laufen herum, als wollten sie auf die Jagd gehen. Wahrscheinlich haben sie gerade 120
erst gegen die Verbrecher kämpfen müssen.« Sie schritten den Männern, die in immer größerer Zahl aus der Dachluke herauskamen, ein Stück ent gegen. »Wo ist Sun Koh?« rief ihnen Hal mit heller Stimme zu. Verschiedene Stimmen antworteten: »Sun Koh? Welcher Sun Koh? Der Chef? Lefère ist im Hauptge bäude. Wer seid ihr? Ah, da kommt Monsieur Ge rard.« Sie gaben einem einzelnen Mann Raum, der mit schnellen Schritten herankam. Sein Gesicht erinnerte trotz der schwarzen Haare an einen Fuchs mit wölfi schem Einschlag. »Wo ist der Chef?« rief Hal nun diesem zu. Gerard beherrschte die englische Sprache, er verstand daher die Frage, wenn ihm auch ihr Sinn nicht ganz klar war. Er vermutete jedoch, daß Lefère gemeint sei und erwiderte deshalb ohne Zögern: »Im Hauptge bäude.« Nimba beobachtete lieber, als daß er sprach. Er ließ den Jungen daher ruhig weiter verhandeln. »Hat er bestimmte Weisungen für uns?« »Nein«, gab Gerard unsicher zurück. Er zerbrach sich den Kopf darüber, warum ihm Lefére, mit dem er doch sonst gut Freund war, die Existenz dieser Maschine und der beiden Leute verschwiegen hatte. Es war doch offensichtlich, daß sie sich erwartet 121
fühlten. Oder sollte der Chef, von dem sie sprachen, etwa der alte Declaude sein? »Nein?« äffte Hal verächtlich nach. »Dann führen Sie uns zu ihm.« Gerard nahm Haltung an. »Einen Augenblick. Wer sind Sie überhaupt?« Hal starrte ihn verblüfft an und holte dann tief Atem. »Wer wir sind? Dumme Frage, Hal und Nimba na türlich. Wenn Sie nicht ein gar zu bedeutungsloses Individium wären, hätte Ihnen der Chef vermutlich von uns erzählt. Halten Sie uns gefälligst nicht mit Ihren Fragen auf!« »Na, na«, wehrte sich der Ingenieur, »nur nicht gleich so mausig werden. Ich bin verantwortlich da für, daß kein Unbefugter das Werk betritt. Wo kommt ihr denn her?« »Meine Fr…«, entrüstete sich Hal. »Sind Sie etwa ein verkappter Reporter, daß Sie das so genau wissen wollen? Aber wenn Sie einer wären, dann wüßten Sie ja Bescheid, daß R 2 abgesackt ist und daß wir bei Jenkins auf der Jacht…« »Ich bitte um Entschuldigung«, sagte Gerard ha stig und unterbrach damit Hals Redestrom. Lefère erwartete also tatsächlich die beiden. Oder wußten diese, wie die Verhältnisse hier lagen? Man mußte auf der Hut sein. Wenn Lefère solche Dinge seinem intimsten Vertrauten verschwieg, dann war der Mann 122
zu allem fähig… Gerard ahnte nicht, daß das nächste Wort des Jun gen ihm volle Aufklärung gegeben hätte. Er bat die beiden höflich, ihm zu folgen. Nimba winkte zwei Leute heran. »Sorgt ihr dafür, daß niemand an die Maschine kommt. Viel zu tun scheint ihr nicht zu haben.« »Runter mit euch!« herrschte Gerard nun die übri gen Männer an. »Die ganze Wache treibt sich hier herum. Seid ihr verrückt? Hier oben hat überhaupt niemand zu bleiben, ihr zwei stellt euch unten an die Luke und laßt niemand herauf.« Mit den zurückgehenden Leuten verließen Nimba und Hal mit Gerard das flache Dach. Sie stiegen zwei Stockwerke tief hinab und überquerten dann einen weiten Raum, der das Hauptgebäude von den Hallen trennte. Lefère lag auf dem Diwan, als Gerard bei ihm ein trat und mit kühler Zurückhaltung meldete: »Der Neger und der Junge aus dem Flugzeug sind drau ßen. Soll ich sie hereinlassen?« Lefère riß die Augen auf. »Die beiden Leute vom Flugzeug sind draußen«, wiederholte Gerard. »Was ich über diese verfluchte Geheimniskrämerei denke, sage ich dir später ein mal.« Der Chef schüttelte den Kopf. »Du bist verrückt geworden. Von wem sprichst 123
du?« »Himmeldonnerwetter«, legte Gerard los, »du hast die beiden Leute doch bestellt. Sie sind mit der Ma schine auf Bau drei gelandet und wollen dich spre chen.« Lefère erhob sich und erwiderte langsam: »Ich ha be keinen Menschen bestellt, geschweige denn er warte ich ein Flugzeug. Sie wollen vielleicht Declau de sprechen?« »Quatsch«, knurrte das Fuchsgesicht ärgerlich, »ich habe ihnen doch bereits auf den Zahn gefühlt. Sie wissen genau Bescheid. Du willst mich wohl dumm machen und so tun, als ob du nicht hinter meinem Rücken irgend etwas angerührt hättest.« Lefère hieb mit der Faust auf den Tisch. »Hält’s Maul, ich verstehe das vorläufig überhaupt nicht. Bring die Kerle herein. Kannst hierbleiben, sonst fängst du schließlich auch noch zu spinnen an.« Gerard verzichtete auf eine weitere Auseinander setzung und holte die beiden herein. Sie nahmen flüchtig von Lefère Notiz und sahen sich dann su chend um. »Nun?« sagte Hal schließlich. »Ich denke, der Chef ist hier?« Gerard wies auf seinen Spießgesellen und brumm te: »Ihr habt wohl keine Augen im Kopf? Dort steht er doch.« »Der?« entfuhr es Hal ebenso verächtlich wie er 124
staunt. »Naja, das ist doch Lefére«, setzte Gerard hinzu. Nimba sah Hal an, ihre Blicke trafen sich, und in dem des Jungen war eine Enttäuschung zu lesen, die mehr war, als der Neger augenblicklich vertragen konnte. Hal war nun fest davon überzeugt, daß Nimba sich mit der grünen Rakete getäuscht habe! Nimba wußte aber, was er gesehen hatte, aber ver stand nicht, was nun los war. Die Rakete hatte ge leuchtet, und doch… Beide sahen nun, daß sie wie blinde Mäuse direkt in die Höhle des Löwen hinein gelaufen waren. Der Name Lefère sagte ihnen genug, mehr als genug. R l war also noch in den Händen der Verbrecher. Nimba kürzte die Pause ab, die auf die letzten Worte Gerards folgte. »So«, sagte er nach einem scharfen Atemzug be dächtig, »wir hatten uns ihn nach der Beschreibung etwas anders vorgestellt. Aber das ist ja egal, die Hauptsache ist, daß wir da sind.« Lefère musterte die beiden. In seinen Augen war unverkennbar sein Mißtrauen zu lesen. Es entstand wieder eine kleine Pause, bevor er auf die Erklärung Nimbas antwortete: »Hm, auf einmal. Ich denke, ihr kennt mich und ich hätte euch bestellt?« Gelassen gab Nimba Antwort: »Kein Mensch hat behauptet, daß wir Sie kennen. Wir sehen Sie heute 125
zum erstenmal. Aber bestellt haben Sie uns.« Gerard grinste höhnisch. Lefère fuhr wütend hoch. »Wie kommt ihr zu der Behauptung? Ich habe nie im Leben daran gedacht, euch zu bestellen. Eben erst hörte ich zum erstenmal von euch.« Der Neger zog ein verblüfftes Gesicht. »Nanu, das kann wohl nicht gut stimmen. Jenkins sagte mir, er hätte sich drahtlos mit Ihnen unterhal ten, und Sie hätten befohlen, wir sollten sofort hier her kommen.« Nun war das Erstaunen bei Lefère groß. »Jenkins«, murmelte Lefére, »ihr kommt von Jen kins, von der Jacht?« »Natürlich.« Nimba nickte. »Woher denn sonst. Er hat uns die Position von R l angegeben und gemeint, wir sollten vorausfliegen. Sie wüßten über alles Be scheid.« Der Franzose beugte sich vor. »Ihr kommt von Kapitän Blackeye, he?« Nimba räusperte sich, um Zeit zu gewinnen. Er hatte nicht die geringste Ahnung, wer Kapitän Blak keye war. »Hm, Sie sind ziemlich neugierig«, brummte er. »Mir hat niemand gesagt, daß ich einen Haufen Aus künfte geben soll. Ich bin beauftragt, hierher zu flie gen und hier abzuwarten, bis – hm, bis mein Chef kommt. Weiter nichts. Und wenn Ihnen das nicht paßt…« 126
Lefère winkte ab und dachte dann scharf nach. Er war mißtrauisch, aber er wollte auch keinen Fehler begehen. Blackeye vertrug es schlecht, wenn andere Fehler machten. Er war rührig genug, und es war durchaus möglich, daß er die beiden Leute zu Jen kins geschickt hatte und daß er selbst bald auftau chen werde. »Also gut«, entschloß sich Lefére. »Warten wir ab. Ihr könnt es euch inzwischen bequem machen.« * Wo aber war Sun Koh? Der traute seinen Augen nicht, als er plötzlich Nimba und Hal in freundschaftlichster Unterhaltung mit Lefère aus dem Hauptgebäude heraustreten sah. Hier spielten sich Dinge ab, die nicht in seinem Pro gramm vorgesehen waren. »Lefère scheint Zuzug bekommen zu haben«, flü sterte Schulze ihm zu. Sun Koh hätte ihm allerhand über diesen Zuzug erzählen können, aber er begnügte sich mit einem Schulterzucken. Er nahm sich jedoch vor, später mit Nimba und Hal einige deutliche Worte über ihre Dis ziplin zu reden. Er befand sich bereits innerhalb des Hauptgebäu des. Bei ihm waren Schulze und Fräser. Emil Schulze hatte Sun Koh ein paar Kleidungs 127
stücke aus seinem Bestand zur Verfügung gestellt. Zum Schichtwechsel war Sun Kon zwischen den beiden Werkmeistern Georgy und Olivier zum Hauptgebäude gegangen, um die drei Männer, die dort während der Nacht an den Maschinen gestanden hatten, abzulösen. Fräser, der von rechtswegen dazu gehörte, wagte nicht, sich sehen zu lassen. Berger, der die große Turbinenanlage unter sich hatte, riß die Augen weit auf, als er die eintretende Ablösung sah. Sun Koh legte zwar hinter dem Rük ken des bewaffneten Wächters seine Hand beschwö rend auf den Mund, aber es fehlte trotzdem nicht viel, und der Mann hätte sich verraten. Es war gut, daß gleich darauf die Entscheidung fiel. Sun Koh machte nur noch ein paar Schritte, dann war er bei dem Posten. Dieser reagierte viel zu langsam, um gefährlich zu werden. Im Handumdrehen war er ge fesselt und geknebelt. »Warten Sie hier, bis ich wiederkomme«, befahl Sun Koh dem Werkmeister, während er den Gefan genen in einer Ecke niederlegte. »Hier, nehmen Sie meine Waffen an sich.« Dann eilte er hinaus und suchte die beiden ande ren, die ihre Kameraden unter nichtigen Vorwänden zurückgehalten hatten. Es war für Sun Koh nur ein Kinderspiel, auch dort die Wachen unschädlich zu machen. Die Abgelösten wanderten mit den Waffen der 128
früheren Wachen aus dem Hauptgebäude heraus. In ein Zimmer des ersten Stockwerkes hatte Lefère acht seiner zuverlässigsten Leute untergebracht, teils als Hauswache und teils als Schutz gegen seine eige nen Kumpane. Einige schnarchten so sehr, daß da durch jedes andere Geräusch übertönt wurde. Das war für sie ein Nachteil, denn als sie erwach ten, fanden sie sich entweder bereits gefesselt vor, oder sie waren schon überwältigt worden. Sie leiste ten keinen unnötigen Widerstand! Sun Koh nahm sich die Mühe, sie in einen der Stahlräume hinunter zu tragen, die neben der auf strömenden Wassersäule lagen. Dort konnten sie he rumschreien, so viel sie wollten. Er wagte bei dem Transport nicht viel, weil das Haus nun leer war. Nur noch Lefère befand sich oben. Wenn nichts dazwischen kam, war in einer halben Stunde alles zum entscheidenden Schlag vorbereitet. Nun aber spazierten auf einmal Nimba und Hal wie neugeborene Unschuldslämmer in der Gegend herum. Bessere Geiseln konnte sich Lefère wahrhaf tig nicht wünschen. Lefère kehrte allein ins Hauptgebäude zurück. Nimba und Hal wollten sich das Werk ansehen; mochte Gerard sie führen. Lefère hatte eine wichtige re Beschäftigung vor. Im Vorbeigehen blickte er flüchtig in den Wach raum. Nanu, er war leer! Er fluchte. Da lagen die 129
Kerle sicher in der Kantine und soffen sich voll, an statt hier für alle Fälle bereit zu sein. Er wollte um kehren, aber dann besann er sich und stieg weiter hinauf. Er bemerkte den Fremden erst in seinem Zimmer, als er schon die Tür hinter sich zugeschlagen hatte. »Was machen Sie denn hier?« schnauzte er in der Annahme, einen seiner Leute vor sich zu haben. Aber im gleichen Augenblick erkannte er seinen Irr tum. Das war doch ein Fremder? Seine Hand fuhr zur Tasche, aber schon ertönte scharf der Befehl: »Hände hoch, Monsieur Lefére!« Das klang nach allem andern als nach Spaß. Der Ingenieur beeilte sich zu gehorchen. Sun Koh trat an ihn heran und nahm ihm die Pisto le ab. »So, nun dürfen Sie Ihre Arme wieder runterneh men. Verzichten Sie aber auf verdächtige Bewegun gen.« »Wer sind Sie?« knurrte Lefére. »Wie können Sie es wagen, hier einzudringen?« »Sie haben es doch auch gewagt«, erwiderte Sun Koh nicht ohne Spott. »Wenn ich nicht irre, ist das hier der Arbeitsraum von Professor Declaude, in dem Sie doch nichts zu suchen haben.« »Es ist mein gutes Recht, hier zu sein. Ich bin der Stellvertreter des Professors.« 130
»Aber nur gegen seinen Willen«, ergänzte Sun Koh sarkastisch. »Machen wir’s kurz, Lefére! Sie haben den Professor beseitigt oder es wenigstens versucht, Sie haben R 2 versenken lassen, und Sie haben sich dieser schwimmenden Goldfabrik be mächtigt. Ihr Spiel ist aus. Ich nehme an, daß Sie den Rest Ihres Lebens hinter Zuchthausmauern verbrin gen werden.« »Sieh mal einer an«, sagte Lefère höhnisch. »Ma chen Sie sich nicht lächerlich. Sie sind ein einzelner Mann, und wir sind einige Dutzend. Ich möchte wis sen, wie Sie überhaupt hierher gekommen sind.« »Durchs Wasser«, erwiderte Sun Koh kurz. Er hat te keine Lust, sich mit dem Mann erst lange zu un terhalten. »Sie irren, wenn Sie annehmen, daß ich allein bin. Genau genommen stehen sich jetzt vier undzwanzig Mann von meiner Seite und einunddrei ßig von Ihrer gegenüber. Die Partie steht auf mehr als gleich, da wir den Vorteil der Überraschung für uns haben werden, es außerdem Ihren Leuten an der Führung fehlt. Ich möchte trotzdem einen Kampf vermeiden, der unnötig Menschenleben kostet. Viel leicht kann ich Sie zu der Überzeugung bringen…« In diesem Augenblick wurden auf dem Gang Schritte mehrerer Menschen hörbar, die sich schnell näherten. Beide horchten auf, Lefère voller Hoffnung und Triumpf, Sun Koh nicht ohne Spannung und Be sorgnis. 131
Wenn jetzt für Lefère Zuzug kam, dann blieben in diesem Zimmer einige Tote zurück. Die Tür wurde aufgerissen, Gerard stürzte herein. Hinter ihm erschienen Nimba und Hal. Sie verloren bald die Fassung. Sun Koh legte wie zufällig, war nend die Hand auf die Lippen, und Hal klappte sei nen Mund, der schon halb geöffnet war, schnell wie der zu. »Im Werk ist etwas nicht in Ordnung«, sagte Ge rard hastig, »du mußt – ah, du hast Besuch?« »Und was für einen«, sagte Lefère grinsend. »Ihr kommt wie die Engel vom Himmel. Der Kerl hält mir nämlich dauernd eine Pistole unter die Nase und schwatzt mir vor, er hätte R l in der Hand.« »Die Werkmeister planen etwas«, erwiderte Ge rard. Lefère machte eine unwillige Handbewegung. »Jetzt rechne ich erst mal mit diesem Mann ab. Nun, mein Lieber, immer noch so großmäulig? Hier stehen vier Mann. Was sagen Sie dazu? Nun nehmen Sie mal gefälligst die Hände hoch.« Sun Koh lächelte amüsiert. »Ich denke nicht dar an. Es wäre besser, wenn Sie es tun würden.« Lefère lachte gehässig. »Durch Frechheit lasse ich mich nicht bluffen. Paßt auf ihn auf. Raus mit dem Schießeisen!« Er trat auf Sun Koh zu, um ihm die Waffe aus der Tasche zu holen. 132
»Vielleicht sehen Sie sich mal um«, schlug ihm Sun Koh vor, »bevor Sie mich anfassen. Sie können sich dann einen Kinnhaken ersparen.« Irritiert durch das sorglose Gesicht hielt der Fran zose an und wandte sich um. Er sah direkt in Nimbas Pistole. Die von Hal berührte mit ihrer Mündung die Rippen von Gerard, dessen bleiches Gesicht von sei nen hochgestreckten Armen wirkungsvoll umrahmt wurde. »Ja«, seufzte Nimba grinsend, »es tut mir sehr leid, Monsieur Lefére, aber wir haben eben entdeckt, daß Sie doch nicht der richtige Chef für uns sind. Sie sind zu dumm für uns. Wir kehren reumütig zu unse rem bisherigen Chef zurück, der augenblicklich hin ter Ihnen steht.« Das war zuviel für Lefére. »So also wird gespielt«, knirschte er, drehte sich blitzschnell herum und warf sich auf den ruhig da stehenden Sun Koh. Das brachte ihm nun doch noch den angekündigten Kinnhaken ein, der ihn zu Boden warf. Kurz darauf lag er mit seinen Leuten zusammen im stählernen Gefängnis. Jetzt galt es noch, die rest lichen Männer unschädlich zu machen. Nimba und Hal wollten gleich berichten, aber Sun Koh wehrte kurz ab. Das hatte Zeit für später. Er ent wickelte kurz einen Plan. »Ihr beiden seid den Leuten unverdächtig. Wir ihr 133
das fertiggebracht habt, ist mir ein Rätsel, aber es ge nügt, daß es so ist. Es wird uns helfen, noch eine ganze Reihe Leute zu entwaffnen, ohne daß es auf fällt. Hier draußen stehen achtzehn Mann.« »Die anderen sind in Bau eins neben der Kantine«, informierte Hal. »Schön, nehmen wir zunächst diese Leute hier. Ihr geht mit diesen beiden Männern unauffällig hinüber. Noch besser wäre es, wenn Sie, Fräser, allein voraus gingen und Ihre Kameraden alarmierten. In fünf Mi nuten werden Hal und Nimba drüben erscheinen. Se hen Sie zu, daß noch ein paar Männer rechtzeitig ein greifen können.« Fräser ging los. Einer der Posten rief ihm eine Frage zu. Fräser beantwortete sie, dann verschwand er in Bau drei. Nach einigen Minuten schlenderten Nimba und Hal hinaus. Man ließ sie passieren, da sie offensicht lich zur Kantine wollten. Sie betraten diese allerdings nicht, sondern den daneben gelegenen Raum, in dem sich ein Dutzend Männer aufhielten. »Hoch mit euren Händen!« kommandierte Nimba sofort nach dem Eintritt und drohte mit seiner Waffe. »Hände hoch!« erscholl es fast gleichzeitig von der zweiten Tür her, an der Fräser mit einigen seiner Kameraden erschien. Die Leute wagten keinen Widerstand und ließen sich fesseln. 134
Fast ähnlich gelang einige Zeit darauf schlagartig die Überrumpelung der Männer, die auf dem Hof Wache hielten. Jeder von Ihnen blickte plötzlich in die Mündung einer Pistole, während von einem Dut zend Stimmen zugleich die barsche Aufforderung erfolgte, die Hände zum Himmel zu recken. R l war befreit worden, ohne daß es einen Tropfen Blut gekostet hatte. Ganz abgesehen von einigen glücklichen Umständen war es wohl auch deshalb gelungen, weil Leféres Leute bis zuletzt nicht die geringste Ahnung hatten, daß Feinde unter ihnen wa ren. Sie hatten sich allzu sicher gefühlt. Als die Gefangenen alle sicher untergebracht wor den waren und als man alle Vorbereitungen für den Empfang der Motorjacht getroffen hatte, nahm sich Sun Koh endlich seine beiden Begleiter beiseite. »So«, sagte er mit strenger Miene, »nun kommt ihr dran. Jetzt erzählt mir mal, wie ihr dazu kommt, so mir nichts dir nichts meiner Anordnung entgegen hier zu landen. Es ist zwar alles gut gegangen, aber ebensogut hätte es auch umgekehrt kommen können. Ihr solltet von rechtswegen jetzt noch draußen liegen und auf das Unterseeboot oder auf mich warten.« Nimba und Hal sahen sich an. Der Junge hätte nun allen Grund gehabt, zu triumphieren und den Neger zu belasten, aber dazu war er zu anständig. Er zuckte mit den Schultern und sagte: »Erzähl’ du, Nimba.« Der Neger blickte unsicher auf Sun Koh. 135
»Sie haben uns doch gerufen, Sir.« Sun Koh schüttelte den Kopf. »Das habe ich nicht getan.« »Aber – die grüne Rakete sollte doch bedeuten, daß – wir kommen müssen«, stotterte Nimba. Sun Koh sah ihn scharf an. »Ganz recht, Nimba, aber ich habe sie nicht abge brannt. Hast du sie gesehen?« »Jawohl, Sir«, erwiderte der Neger fest. »Eine Täuschung ist einfach nicht möglich.« »Merkwürdig«, murmelte Sun Koh. »Ich muß dir glauben, aber ich habe keine Rakete abgeschossen. Ich muß doch mal mit Schulze darüber sprechen. Wartet hier.« Er suchte Schulze auf. »Hören Sie, Schulze, ich gab Ihnen doch in der Nacht, als ich Ihre Sachen anzog, die beiden Raketen zur Aufbewahrung. Wo sind sie?« »Die Raketen? Die Raketen? Wo habe ich denn die Dinger hingesteckt? Ach so, ja, in Nickels Ar beitsjacke. Ich hatte sie an mich genommen, aber sie wurden mir zu unbequem und da habe ich sie im Vorbeigehen in die alte Jacke gesteckt. Donnerwet ter, habe ich die nicht vorhin bei Nickel gesehen? Ah, dort kommt er gerade. Nickel, Nickel, komm doch mal rüber!« Der etwas krummbeinige Werkmeister kam heran. »Was ist?« 136
Schulze wies auf seine schmierige Jacke. »Du, vor ein paar Stunden habe ich in die Tasche dort ein paar Signalraketen gesteckt. Hast du sie nicht bemerkt?« Nickel stemmte die Arme in die Hüften. »So, du warst der Halunke – entschuldigen Sie, es ist mir so rausgefahren. Aber da soll einer nicht fuch tig werden. Ich suche schon lange nach dem Kerl, der mir den Streich gespielt hat.« »Reg dich nur nicht auf«, begütigte Schulze, »das war doch wahrhaftig nicht weiter schlimm.« Nickel lief rot an. »Was, nicht weiter schlimm? Da soll doch… Ich habe mir bald an den Drecksdingern die Pfoten ver brannt, gerade, daß ich sie noch wegschmeißen konnte.« »Sie haben eine der Raketen angebrannt?« erkun digte sich Sun Koh schnell. Der Krummbeinige nickte. »Freilich, freilich, die grüne. Ich war erstaunt, als ich die Dinger in meiner Jacke fand. Was es war, konnte ich mir denken, dummerweise habe ich es auch noch ausprobiert. Ich habe so ein Ding zum Fenster hinausgehalten und angezündet. Ich denke, mir zerreißt’s die Pfote, als die Höllenmaschine auf einmal losgeht. Ein Glück, daß keiner das Feuerwerk gesehen hat, die andere Rakete habe ich ins Wasser geschmissen.« 137
Sun Koh dankte und ging zu seinen beiden Leuten zurück. Nimba atmete auf, als er Sun Kohs Bericht hörte. Es gab erfreulichere Dinge, als unter falschem Ver dacht zu stehen. Hal reichte ihm zerknirscht die Hand. »Ich habe tatsächlich geglaubt, du hättest ge schwindelt. Nun hast du die Ohrfeige doch zu Un recht gekriegt.« Sun Koh horchte auf. »Ohrfeige? Bei euch scheint’s ja nett zugegangen zu sein.« Hal kratzte sich am Kopf. »Nur ein kleiner, interner Meinungsaustausch, Sir.« »Kann ich mir vorstellen«, sagte Sun Koh trocken. »Nun mal raus mit der Sprache. Was ist mit der Ohr feige, und wieso seid ihr mit Lefère so gut Freund geworden?« Sie berichteten alles. Erst am nächsten Tag kam das Unterseeboot her an. Sun Koh hatte schon Stunden vorher mit Hilfe des großen Senders auf R l die Verbindung mit ihm aufgenommen, so daß Kapitän Omaka nicht erst draußen zu warten brauchte, sondern direkt am Stahlponton anlegen konnte. Die Motor Jacht traf erst einige Stunden später ein. Lefère machte böse Augen, als er sie liegen sah. 138
Die Jacht war seine letzte Hoffnung gewesen. Jetzt diente sie nur noch dazu, ihn an Land und vor den Richter zu bringen. Vorausgesetzt, daß Blackeye sie nicht abfing. * Sun Koh setzte seinen Flug fort. Hal vertrieb sich die Zeit an der eingebauten Fern sehkamera. Er entdeckte einen Punkt in dem Sucher und drehte an der Einstellung. Die Vergrößerung zeigte ihm, daß der Ozean nicht völlig regungslos lag, sondern in langgezogener Dünung wogte. Nun schob sich ein Schiff in das Blickfeld. Hal legte seine Stirn in Falten. »Hm«, meinte er nach einer Weile, »denen scheint die Luft ausgegangen zu sein. Das Schiff treibt ja quer zur Dünung.« Nimba streckte geruhsam seine Beine aus. »Wahrscheinlich ein altes Treibwrack?« »Eben nicht«, erwiderte Hal. »Er liegt normal überm Wasser. Es ist auch keine Beschädigung zu sehen.« Nun stand der Neger auf, wandte sich um und blickte ebenfalls auf die Scheibe des Fernsehers, auf der das in der Dünung taumelnde Schiff verhältnis mäßig groß und bis in alle Einzelheiten klar zu sehen war. 139
»Tatsächlich«, sagte er verwundert, »das sieht ja eigenartig aus, ein funkelnagelneuer Dampfer ohne Besatzung?« »Der Mann gibt Notsignale.« »Er wird uns gesehen haben. Wahrscheinlich ist es ihm zu einsam.« »Er hat Sehnsucht nach dir«, spottete Hal. »Warum nicht?« Hal hob die Schultern. Sun Koh erhob sich von seinem Platz und trat her an. »Laßt sehen!« Er beobachtete schließlich einige Augenblicke, dann wandte er sich an Nimba: »Lande, wir wollen uns um den Mann kümmern.« »Auf dem Schiff?« »Ja.« Es war gar nicht so leicht, auf dem schwankenden Deck ohne jede Hilfe zu landen, aber es gelang ohne Bruch. Sun Koh sprang als erstes heraus und zurrte das Flugzeug mit einigen Tauen fest, so daß es die Bewegung des Schiffes mitmachte. Hal und Nimba halfen ihm dabei. Erst als sie die Maschine gesichert wußten, kümmerten sie sich um den Mann, der schon minutenlang um sie herumlief und auf sie einredete. »Sie retteten mir das Leben«, versicherte er schon das zehnte Mal. »Oh, es war schrecklich, solange ich nicht wußte, daß Sie kamen. Dieser Satan hat uns 140
erwischt – diese Einsamkeit ist unbeschreiblich grau enhaft – ah, wir hatten eine so herrliche Fahrt – stel len Sie sich vor, wenn man lange, unendlich lange auf eine Detonation wartet – die armen Frauen – wahrhaftig, wie ein Himmelsboote erscheinen Sie mir…« Aufgeregt sprach er ohne Pause weiter, bis Sun Koh ihn bei den Schultern packte und ihm in die Au gen sah. »Beruhigen Sie sich, Mann. Sie sind ja ganz durcheinander.« Er zappelte erst noch unter dem Griff, aber das gab er bald auf. Er beruhigte sich nach kurzer Zeit. »Wer sind Sie?« fragte ihn Sun Koh. Der andere schluckte erst einmal, dann sagte er leise: »Raoul Fabre, Kaufmann.« »Passagier dieses Schiffes?« »Ja.« »Das ist der Dampfer ›Glasgow‹?« »Ja. Er kommt von Southampton und sollte nach Kapstadt.« »Das Schiff ist verlassen worden?« »Ja, heute morgen.« »Wo ist die Besatzung, wo sind die anderen Pas sagiere? Warum haben sie das Schiff alle verlassen?« »Der Pirat hat es befohlen.« »Wer ist das?« Fabre zeigte Erstaunen. 141
»Der Pirat – das ist eben der Pirat.« Sun Koh schüttelte den Kopf. »Ihre Erklärung ist mir unverständlich. Wer ist dieser Pirat?« Der Franzose zeigte sich immer erstaunter. »Ja – haben Sie denn noch nicht von ›ihm‹ gehört? Alle Zeitungen sind doch voll von ihm?« »Ich habe seit Wochen keine Zeitung gelesen.« Fabre wollte das einfach nicht fassen. »Ich hatte in der letzten Zeit keinen Kontakt mit der Welt«, erwiderte Sun Koh kurz. »Bitte, erzählen Sie mir ausführlich.« »Ja, ich will Ihnen alles berichten«, murmelte Fa bre kopfschüttelnd. »Kommen Sie, Sie werden sich wundern. Ich habe Zeitungen da, in denen alles haar genau geschrieben steht.« Sun Koh beauftragte seine beiden Leute, das Wet ter zu beobachten und Umschau zu halten, dann folg te er dem anderen in das Schiff. Sie gingen in eine der behaglichen Kabinen erster Klasse. Fabre wühlte geschäftig herum und brachte schließlich eine Reihe von Zeitungsausschnitten hervor. Sun Koh las sie aufmerksam durch. Fabre nahm die Abschnitte wieder an sich. »Das war alles, was ich vor meiner Abreise noch erwischen konnte. Selbstverständlich hörte seitdem die Tätigkeit dieser Piraten nicht auf. Sie haben nach den uns durch Radio zugegangenen Nachrichten in 142
der letzten Woche nicht weniger als vierzehn Schiffe geplündert.« »Die Kapitäne haben es nicht mehr gewagt, Wi derstand zu leisten.« Fabre hob die Schultern. »Wie sollten sie auch? Das Schicksal der beiden Schiffe, besonders der ›St. Cloud‹ diente als War nung.« »Die Piraten erhoben von jedem Schiff einen be stimmten Tribut?« »Ja, das ist recht verschieden gewesen. Bei einigen Schiffen, vor allem in den ersten Tagen, erschienen sie wie bei der ›Washington‹ an Bord und ließen sich bestimmte Beträge bezahlen. Bei anderen forderten sie Besatzung und Passagiere auf, die Boote zu besteigen und das Schiff zu verlassen. Sämtliche Wertsachen mußten an Bord bleiben. Diese Schiffe fand man später unversenkt wieder auf, nur fehlte ein Teil des Proviants und außerdem alles, was Geld und Geldeswert hatte. Wieder bei anderen Schiffen wurde der Kapitän gezwungen, eine hohe Summe im Boot auf das offene Meer hinausfahren zu lassen. Die Pira ten tauchten dann unvermittelt aus dem Meer auf und übernahmen das Geld, um sofort wieder zu ver schwinden. In einigen Fällen leistete man Wider stand, das führte aber stets zum Untergang des Schif fes mit allen schrecklichen Folgen.« »Bestien«, murmelte Sun Koh. »Dieser Pirat be 143
herrscht also augenblicklich den ganzen Atlantik?« »Ja, soweit es sich um ungeschützte Schiffe han delt. Der Schiffsverkehr hat stark gelitten. Man kann selbstverständlich nicht auf die Dauer jedem Schiff einen Kreuzer oder ein paar Unterseeboote als Schutz mitgeben.« »Haben die Piraten noch andere Menschen ent führt?« »Ja, und das ist vielleicht das schrecklichste Kapi tel aus der ganzen Geschichte. Es sind eine ganze Reihe, mindestens ein halbes Dutzend, angesehene Leute in den U-Kreuzern verschleppt worden. Wahr scheinlich als Geiseln. Doch damit hat man sich nicht begnügt. So ist zum Beispiel auch eine junge Dame, die Tochter eines englischen Botschafters, von den Piraten verschleppt worden.« Sun Koh blickte eine Weile schweigend vor sich hin, dann gab er sich einen Ruck und sagte leise: »Nun berichten Sie, was sich auf diesem Schiff er eignete, und warum Sie als einziger hierblieben.« Diese Frage steigerte die Nervosität des Franzosen wieder sichtlich. Er lief unruhig im Raum hin und her und begann dann zu erzählen: »Keiner von uns hat geglaubt, daß sich der Pirat um uns kümmern würde. Alle Nachrichten über ihn wiesen darauf hin, daß er sein Tätigkeitsfeld mehr im Nordwesten des Meeres hatte. Wir hielten uns hier unter dem Äquator für vollkommen sicher. Sie können sich unsere all 144
gemeine Bestürzung vorstellen, als heute morgen das Schiff angerufen wurde und den Befehl erhielt, abzu stoppen und Passagiere und Mannschaften mit den Booten auszusetzen und nach Norden zu schicken. Der Befehl wurde befolgt. Alle Menschen verließen ordnungsgemäß, wenn auch in denkbar größter Eile, das Schiff. Nur ich blieb.« »Warum?« »Ah, Sie werden es vielleicht nicht verstehen, aber ich bin ein Mann, der stets seinen eigenen Kopf ge habt hat. Das war nicht der erste Fall, in dem Passa giere ein Schiff verlassen mußten und tagelang im Boot herumtrieben. Entbehrungen litten, während das Schiff selbst völlig unbeschädigt auf dem Meer lag. Ich fand es daher überflüssig, sich in eines der Boote zu begeben. Ich fürchtete keine Gefahr und beschloß, auf dem Schiff zu bleiben und mich im Notfall zu verstecken.« »Ihre Überlegung war ja letzten Endes nicht schlecht. Kamen die Piraten auf das Schiff?« »Sie kamen, zwei Dutzend Mann wenigstens. Sie durchstöberten alles. Ich hatte mich versteckt, aber es fehlte nicht viel, und sie hätten mich gefunden. Ich wartete – wartete, – oh, es waren entsetzliche Minu ten, wie Ewigkeiten lang.« Sun Koh sah ihn zwingend an. »Beruhigen Sie sich, Sie haben jetzt nichts mehr zu befürchten.« »Sir, Sir!« hallte draußen die helle Stimme des 145
Jungen durch den Gang. Sun Koh sprang hoch und riß die Tür auf. »Hier, Hal! Was ist?« »Zwei Unterseeboote und ein Flugzeug halten auf das Schiff zu!« Sun Koh eilte nach oben. * Unmittelbar über dem Schiff stand in zweihundert Meter Höhe ein Flugzeug, dessen Kennzeichnung die Zugehörigkeit zur französischen Republik verriet. Die beiden Unterseeboote, die in etwa drei Kilometer Entfernung ziemlich dicht nebeneinander heran preschten, zeigten die englische Flagge. Alle drei hatten das gleiche Ziel, nämlich den ver lassenen Dampfer. Eines der Unterseeboote ließ ein winziges Beiboot zu Wasser, in diesem kamen einige Leute zum Schiff herübergerudert. Sun Koh, Hal, Nimba und der Franzose erwartete die Ankömmlinge am Fallreep. Es waren zwei Mann, die heraufgeklettert kamen. Diese beiden stellten sich kurz als Kapitän Child vom englischen Marineamt und Leutnant La Röche vom französischen Marine departement vor. »Wir hörten«, erklärte der Engländer, »daß dieses Schiff von den Atlantikpiraten angehalten worden sei 146
und man die Besatzung und Passagiere gezwungen habe, das Schiff zu verlassen. Wir sind daher er staunt, Sie hier zu finden.« Sun Koh gab ihnen bereitwillig Aufklärung. »Ich befinde mich mit meinen beiden Begleitern auf einer Flugreise über den Ozean. Mein Flugzeug steht dort, wir bemerkten zufällig den verlassenen Dampfer und landeten, um nach dem Rechten zu se hen. Ich erfuhr hier zu meinem Erstaunen sehr viel über eine Verbrecherbande, die Schiffe anhält und ausraubt.« »Und wer ist dieser Herr?« erkundigte sich der Kapitän. Raoul Fabre war sehr aufgeregt, er war kaum im stande zu sprechen, so daß Sun Koh an seiner Stelle erklärte: »Der Herr ist ein französischer Kaufmann, ein Passagier dieses Schiffes, der absichtlich zurück blieb, um sich den Aufenthalt im Boot zu ersparen. Er ist infolge der letzten Ereignisse noch ziemlich stark erregt.« Fabre fand endlich Worte, und nun sprudelte er hervor: »Ah, Sie sind Offiziere, Sie kommen um mich zu retten. Ich sehe die Unterseeboote, es sind Ihre Unterseeboote, wenn ich mich nicht täusche. Dieser Seepirat hat ein viel größeres Schiff – oh, es war ein schreckliches Erlebnis, meine Herren. Sie können mir nicht nachfühlen, wie mir zumute war, als ich diese Leute auftauchen sah. Sie hätten mich 147
getötet, gemordet, den Haifischen zum Fraß vorge worfen. Ah, diese Schufte…« Er hielt plötzlich inne, stierte sekundenlang vor sich hin und schrie dann gequält auf: »Sie wollen mich töten, sie wollen mich ermorden. Schützen Sie mich, retten Sie mich!« Sun Koh faßte ihn beim Arm. »Beruhigen Sie sich doch, Sie befinden sich ja in Sicherheit.« Der Franzose fuhr herum, starrte mit weit aufgeris senen Augen in Sun Kohs Gesicht und kreischte laut: »Lassen Sie mich los, ich will Ihnen alles bezahlen, aber töten Sie mich nicht.« Dann fuhr er zu den bei den Offizieren herum und flüsterte heiser: »Meine Herren Offiziere, warum nehmen Sie die Leute nicht fest? Sie suchen doch diesen Seeteufel, diesen Schurken, diesen Piraten. Hier steht er doch mit sei nen Helfershelfern, sehen Sie ihn denn nicht?« »Komplett verrückt geworden«, sagte Hal Mervin laut und deutlich. »Jetzt ist er übergeschnappt«, stimmte der Neger ihm bei. Die beiden Offiziere wechselten einen Blick, dann trat der Engländer einen Schritt vor und sagte zu Sun Koh: »Lassen Sie den Mann los!« Sun Koh tat ihm den Gefallen. Ruhig erwiderte er: »Es ist nicht ratsam, den Herrn sich selbst zu über lassen. Er zeigt alle Anzeichen einer erheblichen Verstörung.« 148
Der Kapitän winkte kurz ab. »Ich finde ihn zwar aufgeregt, aber bestimmt nicht geistesgestört. Wenn ich ihn recht verstehe, erhebt er eine schwerwiegende Anklage gegen Sie?« Sun Koh zog die Brauen zusammen. »Sie wollen doch hoffentlich jene irren Bemer kungen nicht ernst nehmen?« Jetzt mischte sich der Leutnant ein. »Erlauben Sie, Herr Kapitän, daß ich mit meinem Landsmann ein paar Worte wechsle. Er wird sich in seiner Heimatsprache besser ausdrücken.« »Bitte, wie Sie wissen, spreche ich ja selbst fran zösisch.« »Ich ebenfalls«, fügte Sun Koh zu. Der Leutnant wandte sich an Fabre. »Monsieur Fabre, wollen Sie bitte die Liebenswür digkeit haben, sich deutlich zu erklären. Sie kennen diesen Herrn und seine beiden Begleiter?« Fabre schüttelte den Kopf. »Ich kenne diese Herren nicht. Sie sagten mir zwar ihre Namen, aber ich weiß nicht, ob diese richtig sind. Fest steht nur, daß sie zu der Bande gehören, die dieses Schiff angehalten und ausgeraubt hat.« »Wie kommen Sie zu dieser Behauptung?« Der Franzose wies auf das Meer hinaus. »Dort draußen lag das große Unterseeboot, in das die Räuber verschwanden. Ich hatte mich versteckt, beobachtete aber die Piraten, nachdem sie das Schiff 149
verlassen hatten. Das Unterseeboot blieb eine ganze Weile liegen, dann öffnete sich der vordere Teil sei ner Aufbauten, und ein Flugzeug wurde sichtbar. Dieses Flugzeug steht jetzt dort.« Er wies mit dramatischer Geste auf Sun Kons Ma schine. »Hol’ einen Eimer kaltes Wasser«, riet Hal Mervin dem Neger laut. Obgleich der Junge nicht viel von der Anklage verstanden hatte, begriff er nun doch, um was es sich handelte. Ein Blick Sun Kohs befahl ihm jedoch zu schweigen. »Sie sahen das Flugzeug hierher kommen?« fragte der Leutnant. »Gewiß«, versicherte Fabre bestimmt. »Ich sah es aufsteigen. Kurz darauf verschwand das Untersee boot. Das Flugzeug kreiste ein paarmal über dem Schiff und landete dann. Dieser Mann erzählte mir, daß er nichts von den Seepiraten wüßte, und ich tat so, als ob ich es glaube. Aber er gehört zu ihnen und ist vielleicht gar der Anführer. Sehen Sie den Neger an! Haben Sie nicht gelesen, daß auf der ›Washing ton‹ ebenfalls ein Neger erschien, als das Schiff aus geplündert wurde? Ah, es sind diese verfluchten Seepiraten, aber ich werde dafür sorgen, daß sie an den Galgen kommen.« Die Blicke der Männer maßen sich. Der englische Offizier unterbrach das Schweigen, indem er sich an Sun Koh wandte. 150
»Was sagen Sie zu dieser Anklage?« Sun Koh gab unbewegt, als ob ihn die Sache per sönlich nichts anginge, die Antwort: »Sie ist von An fang bis Ende frei erfunden. Dieser Herr ist geistig nicht mehr ganz auf der Höhe. Ich habe mit den Pira ten nichts zu tun. Wie ich Ihnen sagte, erfuhr ich ja erst auf diesem Schiff von der Existenz jener Leute.« »Wie kommt es, daß Sie nichts von dem wissen, was seit Wochen die ganze Welt berührt?« »Ich lebte in dieser Zeit außerhalb der Zivilisation im Innern Afrikas.« »Hm.« Der Engländer räusperte sich. »Das ist na türlich eine Behauptung, die nur sehr schwer nach zuprüfen sein wird.« »Leicht möglich, doch ist das kein Grund, solchen unsinnigen Behauptungen Glauben zu schenken.« »Gewiß nicht«, gab der Engländer zu. »Sie besit zen ja eine sehr eigenartige Maschine, die zu keiner bekannten Type gehört?« »Es ist eine für mich konstruierte Maschine, die auf einigen neuen Erfindungen beruht.« »Von denen die Welt so wenig weiß wie von den Geheimnissen des verschwundenen U-Kreuzers?« In Sun Kons Augen blitzte es unmutig auf. »Sie wollen eine Verbindung zwischen mir und den Piraten herstellen, zu denen keine Veranlassung vorliegt. Das amerikanische Marineamt wird Ihnen bestätigen müssen, daß derartige Flugzeuge nicht zu 151
der Ausrüstung des U-Kreuzers gehören.« »Das würde jedenfalls die gegen Sie erhobene Anklage wesentlich entkräften.« Sun Koh kreuzte die Arme über der Brust. »Sie verdächtigen mich ernstlich?« Der Engländer hob die Schultern. »Nicht unbedingt, aber andererseits liegt gegen Sie eine bestimmte Anklage eines Augenzeugen vor. Sie werden verstehen, daß wir nicht berechtigt sind, uns in einer so wichtigen Angelegenheit auch nur die ge ringste Nachlässigkeit zuschulden kommen zu las sen. Ich muß Sie daher bitten, bis zu einer Klärung des Falles in Ihrem eigenen Interesse sich uns anzu schließen.« Sun Koh lachte kurz auf. »Das heißt, Sie wollen mich unter dem Verdacht verhaften, einer dieser Piraten zu sein?« Der Engländer wurde unter dem klaren, festen Blick etwas unsicher. »Ich möchte das nicht so präzisieren«, meinte er, »aber Sie müssen verstehen – halt, wo wollen Sie hin?« Hal Mervin und Nimba hatten sich inzwischen durch einige Blicke verständigt. Sie schlenderten in aller Gemütsruhe auf das Flugzeug zu. Als der Offi zier sie anrief, drehte sich Hal wieder um und ant wortete: »Zu unserem Flugzeug, Sir.« »Das kann ich Ihnen nicht erlauben«, sagte der 152
andere scharf. »Bleiben Sie beide hier.« Hal sah ihn mit aufreizender Neugier an. »Sie haben kein Recht, mir etwas zu befehlen. Wir müssen uns um die Maschine kümmern, sie ist nicht genügend verzurrt. Oder haben Sie das Geld, uns ei ne neue Maschine zu kaufen?« Der Kapitän machte ein finsteres Gesicht. »Die Maschine steht gut. Bilden Sie sich nicht ein, mir mit irgendwelchen Tricks kommen zu können. Treten Sie dorthin!« Hal schnippte mit den Fingern und blickte zu Sun Koh. »Sie haben mir überhaupt nichts zu befehlen, ver standen? Kümmern Sie sich um Ihre Arbeit, aber mi schen Sie sich nicht in unsere Angelegenheiten.« Dem Engländer stieg das Blut in den Kopf, als er die dreiste Antwort vernahm. Er fingerte an seiner Pistolentasche herum und zerrte seine Waffe heraus. Der Franzose zückte gleichzeitig einen Revolver. Hal Mervin wandte sich gelassen ab, zeigte ihnen seinen Rücken und ging dem Neger nach. Er war vollkommen beruhigt, da ihm Sun Koh unmerklich zugenickt hatte. Die Entwicklung der Dinge forderte schnell seine Entscheidung. Der Engländer legte die Pistole auf Hal an und rief gleichzeitig Sun Koh zu: »Befehlen Sie Ihren Leuten umzukehren. Ich schieße sonst!« »Stecken Sie Ihre Waffen weg«, sagte Sun Koh 153
streng. »Meine Leute handeln richtig, und ich werde sie nicht zurückhalten.« Der Kapitän verlor die Beherrschung, er schrie: »Ich zähle bis drei, dann…« Mit einem Sprung war Sun Koh bei ihm und schlug ihm die Pistole aus der Hand. Die Waffe flog im Bogen über die Reling ins Meer. Kurz darauf folgte die Waffe des Franzosen, die Sun Koh mit der anderen Hand fortgeschlagen hatte. Bevor die beiden sich gefaßt hatten, packte Sun Koh sie vorn am Rock, riß sie dicht nebeneinander und sagte zu ihnen mit scharfer Stimme: »Man schießt Menschen nicht in den Rücken, meine Her ren. Ich hätte große Lust, Sie ins Wasser zu werfen, damit Sie sich erst einmal abkühlen.« »Mille tonnere«, fuhr der Leutnant hoch, »das ist Widerstand gegen die Staatsgewalt. Ich werde mei nen Leuten befehlen…« »Schweigen Sie«, fuhr Sun Koh ihn an. »Glauben Sie wirklich, daß ich Sie oder Ihre Leute fürchte? Sie sehen, mein Flugzeug schwebt bereits. Bevor Sie oder Ihre Leute sich besinnen, sind wir außerhalb Ihres Bereichs. Die Maschine legt stündlich neun hundert Kilometer zurück, eine Verfolgung Ihrerseits ist aussichtslos. Sie benehmen sich wie Narren, mei ne Herren.« Er ließ beide los. Der Franzose war erregt, der 154
Engländer war sehr bleich, er kaute an seiner Unter lippe. Sun Koh wartete ab. Das Flugzeug hielt inzwischen dicht über dem Deck, Hal und Nimba warteten darauf, daß Sun Koh einsteigen werde. Das französische Wasserflugzeug hob und senkte sich unten auf der Dünung, die bei den Unterseeboote lagen still. Der englische Kapitän war es, der die gespannte Lage meisterte. Brüsk wandte er sich an den Franzo sen und sagte: »Bitte schweigen Sie, diese Drohun gen sind zwecklos.« Dann trat er auf Sun Koh zu und fuhr ruhiger fort: »Ich gebe zu, es war eine Torheit, mit der Waffe zu drohen. Wie ich sehe, sind Sie selbst bewaffnet. Ich glaube auch, es wäre Ihnen leicht gefallen, von Ihrer Waffe Gebrauch zu machen.« Sun Koh nickte leicht. »Sie sind sicher ein vorzüglicher Schütze, Herr Kapitän, aber Sie werden im Ernstfall zu spät sein, da Sie Ihre Waffe immer erst aus dem Halfter befrei en müssen. Sie verdanken Ihr Leben einzig dem Um stand, daß ich keine feindlichen Absichten gegen Sie hege.« Der Engländer fuhr sich über die Stirn. »Gerade das macht mich stutzig. Wenn Sie der At lantikpirat wären, hätten Sie keine Sekunde gezögert, uns niederzuknallen und das Weite zu suchen.« »Ich bin eben nicht jener Pirat, sondern das Opfer 155
einer unsinnigen Anklage. Sehen Sie doch diesen Mann an, halten Sie ihn wirklich für einen einwand freien Zeugen?« Raoul Fabre machte jetzt einen geradezu klägli chen Eindruck. Er hatte sich angstschlotternd in ei nen Winkel gedrückt und wimmerte vor sich hin, als befürchte er, jeden Augenblick ermordet zu werden. »Hm, offengestanden, ich fürchte auch, daß ich vorschnell auf seine Anklage einging. Sie machen nicht den Eindruck eines Verbrechers, während jener Herr…« Er machte eine Pause, dann fuhr er fort: »Nach meinen persönlichen Erwägungen würde ich Sie nicht weiter behelligen, aber infolge der Umstän de bin ich gezwungen, auch dem schwächsten und unzulänglichsten Verdacht nachzugehen. Es wäre mir lieb, wenn Sie meine Zwangslage verstehen würden. Ich kann Sie selbstverständlich nicht hin dern, das Weite zu suchen, aber ich müßte dann erst recht alles aufbieten, um Ihrer habhaft zu werden.« »Das ist durchaus verständlich«, erwiderte Sun Koh. »Ich bin mir klar darüber, daß ich mich erst recht verdächtig machen würde, wenn ich mich jetzt im Bewußtsein meiner Unschuld Ihnen entziehen würde. Andererseits ist es nicht gerade wünschens wert, wochenlang Ihr Gefangener zu sein.« Der Engländer hob die Hand. »Hören Sie, mir fällt da ein Mittelweg ein. Sie er wähnten vorhin, daß schon die Bauart Ihres Flug 156
zeugs den Beweis für Ihre Unschuld bringen müßte, da sie vollständig von der Bauart jener Flugzeuge abweicht, die auf dem geraubten U-Kreuzer unterge bracht sind. Nun gut, in der Nähe, etwa zweihundert Meilen von hier, kreuzt der amerikanische U-Kreuzer RU 26. Sein Kommandant hat alle Unterlagen über das geraubte U-Boot an Bord, unter anderem auch Aufnahmen jener beiden Flugzeuge. Ich werde mich mit ihm in Verbindung setzen und ihn bitten, uns an zusteuern. Er kann in einigen Stunden hier sein. Ich möchte Sie nun bitten, sich freiwillig auf mein Boot zu begeben, bis der Amerikaner eintrifft. Ihre beiden Leute können die Maschine in Sichtweite halten. Stellt sich an Hand der Untersuchung heraus, daß Ihr Flugzeug mit jenem nicht identisch ist, so werde ich Sie freilassen und als erster den Beschuldigungen jenes Herrn entgegentreten. Ich gebe Ihnen mein Eh renwort. Sollte sich freilich zeigen, daß…« Sun Koh lächelte leicht. »Das ist nicht zu befürchten. Die Flugzeuge des verschwundenen U-Kreuzers sind bestimmt anderer Konstruktion. Doch warum lassen Sie die Bilder nicht durch Ihr Flugzeug herbeischaffen? Es würde doch bestimmt schneller gehen.« »Das ist richtig, aber leider wachen die Amerika ner sehr eifrig über ihre Geheimnisse. Sie geben we der Bild noch Zeichnungen aus der Hand, obwohl die verschiedenen Staaten nachdrücklich um Einzelhei 157
ten ersucht haben – im Interesse einer besseren Ver folgung natürlich. Sie müssen also schon die Verzö gerung in Kauf nehmen.« Das Angebot schuf einen Ausweg, durch den alle unangenehmen Folgen vermieden werden konnten. Freilich… Sun Koh schüttelte weitere Bedenken ab und er klärte: »Ich nehme Ihr Angebot an.« * Die letzte Schöpfung der amerikanischen U-Werften war ZRX l, die vorletzte RU 26. RU 26 war ein U-Kreuzer, der zwar nicht mit den aufsehenerregenden Neuerungen seines Nachfolgers ausgestattet war, aber immerhin als hervorragend moderner Typ eines Unterwasser-Kampfschiffes gel ten konnte. Bestimmt stand er qualitativ ähnlichen Kreuzern anderer Staaten um nichts nach. Seine Größe, Bewaffnung und Schnelligkeit machten ihn, zumal bei seiner Tauchfähigkeit, zu einem Schlacht schiff von bedrohlichen Eigenschaften. Kommandant war Lawrence Pyham, dessen Onkel im Marineministerium eine einflußreiche Rolle spiel te. Der noch junge Offizier war übler Laune. Er hatte seine Gründe dafür. Seit Tagen kreuzte er in einem bestimmten Um 158
kreis umher und wartete darauf, daß sich der Atlan tikpirat sehen ließ. Der aber vermied es, ausgerechnet in die Nähe seines gefährlichsten Feindes zu kom men. Von hier und dort fing der U-Kreuzer Nach richten über die Tätigkeit der Verbrecher ein, aber stets spielten sie sich weit entfernt ab, so daß er wei terhin nutzlos an dieser einsamen Stelle hin und her fuhr. Nichts kühlt den Tatendrang stärker ab als der Mangel an Gelegenheit. Hatte der Kommandant auf ein Abenteuer gehofft, entpuppte sich das Suchen als eine höchst langweili ge Beschäftigung, die auf die Dauer an den Nerven zerrte. Pyham saß mit dem Ersten Offizier bei einer Partie Schach, als der Funker anrief. Verdrossen griff der Kapitän nach dem Hörer, um wieder die Meldung über einen Streich des fernen Piraten entgegenzu nehmen. Wider Erwarten kam jedoch diese Meldung: »Der englische U-Kreuzer CN 14 teilt mit, daß er unseren Standort ansteuert. Er hat einen Gefangenen an Bord, einen Mann, der vermutlich zur Bande des Atlantikpiraten gehört. Dieser Mann will Sie spre chen, um Ihnen gewisse Geständnisse zu machen.« »Warum gerade mir?« erkundigte sich Pyham tö richterweise. »Darüber wurde mir keine Mitteilung gemacht«, gab der Funker respektvoll zurück. 159
Dem Kommandanten fiel ein, daß dieser etwas seltsame Wunsch vielleicht mit der einflußreichen Stellung seines Onkels zusammenhängen konnte. Er ließ deshalb nicht zurückfragen, sondern erwiderte nur: »CN 14? Hat der Engländer eigentlich nicht bei den Azoren zu operieren?« »Ja«, bestätigte der Funker, »er ist jedoch, nach seiner Mitteilung, in Sondermission abkommandiert worden. Sie werden gebeten, unverzüglich an Bord zu kommen, da der Gefangene ein Sterbender sei.« »Aha. Wann denkt der Engländer hier zu sein?« »Bereits in einer Stunde.« »Es ist gut.« Pyham verständigte seinen Ersten von der Sachla ge und fügte verdrossen hinzu: »Die Engländer schnappen uns natürlich wieder den fetten Bissen weg, während wir hier nutzlos liegen.« Der andere lachte. »Tröste dich, anscheinend sollst du ja doch die Eh re haben, als erster gewichtige Enthüllungen vorzu nehmen. Ich möchte nur wissen, wieso man gerade auf dich verfallen ist?« Pyham zuckte mit den Schultern. »Wird wohl mehr eine Sache für meinen Onkel sein als für mich. Vielleicht braucht er einen Gene ralpardon für gewisse Leute? Diese Verbrecher ha ben manchmal merkwürdige Ansichten.« Der Erste nickte. 160
»Du kannst ja ein Lied davon singen. Hast du übri gens wieder mal etwas von Kapitän Blackeye ge hört?« Der Kommandant zog ein unmutiges Gesicht. »Nein.« »Er ist damals verschwunden und nicht wieder aufgetaucht«, sagte sein Gegenüber nachdenklich. »Eigentlich schade um ihn, er hatte allerhand Talente und er war ein Musterexemplar von einem Mann.« Pyham machte eine unwirsche Handbewegung. »Er war ein Mischling, von seiner Mutter her hatte er Negerblut in seinen Adern. Trotzdem besaß er die Frechheit, sich meiner Schwester zu nähern. Ich mußte ihn dafür öffentlich züchtigen, wenn die Be leidigung nicht auf uns Pyhams sitzenbleiben sollte. Er verschwand darauf, und damit hat sich der Fall für mich erledigt.« »Er schwor dir furchtbare Rache.« »Pah, Racheschwüre!« Der Erste schüttelte den Kopf. »Naja, du magst schon recht haben, denn schließ lich ist er ja verschwunden. Ich hätte es nie geglaubt. Wenn ein Mann so kalt und verbissen wie jener von Rache spricht, dann nimmt man für gewöhnlich nicht an, daß er schnell vergißt.« »Er ist eben ein Halbblut, das sagt allerhand. Du bist am Zuge.« Sie wandten ihre Aufmerksamkeit dem Spiel zu. 161
Eine Stunde später meldete man dem Kommandant die Ankunft des erwarteten U-Kreuzers. Als er nach oben kam, sah er das Schiff in einiger Entfernung halb aufgetaucht auf dem Wasser liegen. Er blieb einige Sekunden lang überrascht stehen und blickte hinüber. Die Engländer verfügten ja über ein stattliches Boot. Es war bestimmt größer als das seine und zeigte Formen, die an den verschwundenen Kreuzer erinnerten. Ja, es waren verschwiegene Leu te, diese Engländer. Sie machten kein Geschrei, aber wenn einmal ein Krieg ausbrach, dann zeigte sich, daß sie genau so gut, ja noch besser gerüstet waren als andere Staaten. Ein Beiboot schoß, getrieben von einem kräftigen Außenbordmotor, hinüber. Auf dem flachen, aufbau losen Deck des Engländers standen zwei Männer in Ölzeug, deren Gesichter infolge der tiefgezogenen Kappen nicht erkennbar waren. Als das Boot näher kam, wandte sich der eine der Männer ab, während der andere durch Zeichen bedeutete, an welcher Stel le es anlegen sollte. Das Boot legte sich kurz vor dem grauen Riesen rumpf quer und trieb mit einer geschickt abgepaßten Welle dicht an das Deck heran. Der Bootsmann vorn sprang über, und schon reichte auch der Engländer dem Kapitän die Hand und half ihm, auf den UKreuzer überzuspringen. In den nächsten Sekunden ereigneten sich Dinge, 162
die Pyham in seinem Leben nicht für möglich gehal ten hätte. Zunächst drehte sich der Zweite im Ölzeug um und packte den Kapitän bei den Armen. Pyham sah in sein Gesicht und erkannte in ihm den gleichen Mann, über den er vorhin mit seinem Ersten Offizier gesprochen hatte. Es war Kapitän Blackeye, jenes Halbblut, das er vor aller Öffentlichkeit gezüchtigt hatte, jener Mann, der ihm Rache geschworen hatte, bitterste, tödliche Rache. Kapitän Blackeye drückte ihn mit einem Aufla chen herum, so daß er zu seinem Schiff zurückblik ken konnte. Und da sah er, wie sich der U-Kreuzer plötzlich in die Luft zu heben schien, in der Mitte sprang eine mächtige Wolke hoch, der Kreuzer zer brach rechts und links in zwei Teile. Dann hörte man das dumpfe Aufbrüllen einer Explosion. Jetzt riß ihn das Halbblut wieder herum, so daß sie sich gegenüber standen. Die Arme des Mannes faß ten dabei immer noch wie Klammern den Körper des Amerikaners. Das wäre nicht nötig gewesen, denn dieser war durch die sich überstürzenden Ereignisse wie gelähmt. »Haben Sie das gesehen, Kapitän Pyham?« fragte Blackeye mit einer Stimme, in der Haß und Triumph zugleich schwankten. »Jetzt sind Sie mir auf den Leim gegangen. Wissen Sie, wo Sie sich befinden? 163
Das hier ist der U-Kreuzer, den Sie suchen, und ich bin sein Herr. Ich hätte Sie ebenfalls in die Luft sprengen können, aber das befriedigte mich nicht. Sie sollen wissen, durch wen Sie sterben. Denken Sie noch an den Schlag, mit dem Sie mich beschimpf ten?« Pyham hatte sich soweit gefaßt, daß er stolz erwi dern konnte: »Ich bedaure, daß ich Sie damals so glimpflich behandelt habe.« Blackeye lachte kalt auf. »Ich sehe, daß Sie ein Mann bleiben wollen. Das Vergnügen sollen Sie haben. Selbstverständlich wäre es Ihnen lieber, Sie hätten mich damals getötet, aber Sie können ja das nächstemal gleiches mit gleichem vergelten. Hier haben Sie erst mal Ihren Schlag zu rück.« Er holte blitzschnell aus. Pyham erhielt einen Faustschlag ins Gesicht, der ihn zurücktaumeln ließ. Er rutschte fast ins Wasser. Der Zorn trieb ihn hoch. Er stürzte sich auf seinen Gegner. Blackeye hielt ihm seine Pistole entgegen, so daß der Amerikaner unwillkürlich stoppte. »Einen Augenblick noch«, sagte Blackeye. Sein Gesicht war dabei von Haß verzerrt, doch seine Stimme klang ruhig und kalt. »Dieser Schlag war die Vergeltung. Was jetzt kommt, soll Ihnen die Zukunft schwer machen. Sie hielten Ihre Schwester für zu gut für mich Halbblut. Nun schön, Sie sollen wissen, wie 164
ich darüber denke. Sehen Sie dorthin.« Pyham wandte sich unwillkürlich um. Das Luk des U-Kreuzers war jetzt geöffnet, in ihm stand seine Schwester. Der Griff, mit dem der hinter ihr stehende Matrose sie umfaßte, bewies deutlich genug, daß sie sich als Gefangene hier befand und mit Gewalt nach oben ge schleppt worden war. Ihr Bruder stöhnte auf und warf sich mit einem entschlossenen Ruck auf den Piraten. Dieser war auf der Hut. Wenig später war Pyham ebenso gebunden wie seine Schwester. Eine Viertelstunde danach strahlten elektrische Wellen über das Meer und suchten den Empfänger des amerikanischen U-Kreuzers. Sie riefen nach des sen Kommandanten, nach Lawrence Pyham. Das Piratenboot empfing die drahtlosen Rufe. Ka pitan Blackeye meldete sich an Stelle Pyhams mit dessen Namen. Der englische Kapitän der Suchabteilung, der den Dampfer ›Glasgow‹ mit den vier Leuten an Bord auf gefunden hatte, ahnte nicht im entferntesten, daß er nicht mit dem amerikanischen Kommandanten sprach. Er schilderte ausführlich den vorgefundenen Tatbestand und bat um die erforderlichen Unterlagen zur Nachprüfung jener Angaben, die ihm Sun Koh gemacht hatte. Blackeye hörte aufmerksam zu. 165
»Sie sagen, daß Sie auf dem Schiff noch einen Passagier vorgefunden haben?« »Ja«, kam die Antwort zurück, »der Mann hatte sich versteckt und heimlich die Leute, die das Schiff ausplünderten, beobachtet. Wahrscheinlich hat ihn die dabei ausgestandene Angst etwas zerrüttet.« »Hat er die Leute des Atlantikpiraten erkannt?« »Sicher wird er diesen oder jenen wiedererkennen, wenn sich dazu Gelegenheit bietet. Freilich beschul digt er auch diese drei Männer, von denen ich Ihnen erzählte, die aber nach meiner Meinung nichts mit der Sache zu tun haben. Ich kann aber natürlich die Leute nicht loslassen, bevor ich nicht genau Bescheid weiß. Anhand Ihrer Unterlagen muß sich jedoch fest stellen lassen, ob…« »Selbstverständlich«, unterbrach Blackeye, »ich werde in einigen Stunden bei Ihnen sein. Der Gefan gene befindet sich an Bord Ihres Schiffes?« »Ja.« »Und der Franzose?« »Ebenfalls.« »Es ist gut, ich komme mit größter Beschleuni gung.« Blackeye lächelte böse, als er seinen drei Vertrau ten von der Sachlage Mitteilung machte. »Wir haben Glück«, meinte er. »Dieser neugierige Narr von der ›Glasgow‹ hätte uns gefährlich werden können. Man kann eben nicht vorsichtig genug sein. 166
Da wähnt man sich in völliger Sicherheit, hat schnell die ganze Geschichte vergessen, und dann läuft man eines Tages doch einem Kerl in die Hände, den man früher einmal aus Versehen geschont hat. Wenn die ser Engländer nicht ausgerechnet diesen U-Kreuzer gebraucht hätte, hätten wir nichts davon erfahren.« »Wir werden ihn natürlich zum Schweigen brin gen?« fragte einer der Vertrauten. »Selbstverständlich.« Ham Smith trat einen Schritt vor. »Hm, Kapitän, nur ein Wort. Sagten Sie nicht, daß jener Mann mit dem Flugzeug Sun Koh heißt?« Der Pirat nickte. »Allerdings, der Name wurde genannt. Was ist mit ihm?« Der Mann hob die Schultern. »Ich hörte mal verschiedenes von einem Sun Koh, der sich irgendwo dort unten in Mexiko eine richtige Festung gebaut haben soll, in der er allerlei neue Er findungen ausbrütet. Sie müssen wissen, daß ich eine Zeitlang bei einer verrückten Jungfer, einer gewissen Lady Houston, gewesen bin. Sie verkehrte mit die sem Mann, und ich kann Ihnen versichern, daß sie ihn für den lieben Gott und für den Teufel in einer Person hielt. Der Mann muß reicher sein als alle Mil liardäre von Amerika zusammen. Ich habe damals den Eindruck gewonnen, daß er mit seinen Erfindun gen die ganze Welt beherrschen kann, wenn er nur 167
will. Ich meine nur, wenn es der Mann wäre, wäre es doch schade, ihn einfach absacken zu lassen. Man könnte den Mann und seine Erfindungen für uns ar beiten lassen, zumindest müßte man ihn tüchtig aus quetschen.« Blackeye starrte mit gerunzelten Brauen vor sich hin. »Das wäre der Überlegung wert. Mir ist es auch, als hätte ich diesen Namen schon gehört. Jedenfalls kann es nicht schaden, wenn wir uns den Mann ein mal ansehen und feststellen, wie es um ihn steht.« Der Neger Jeremias Patterson pendelte mit seinem dicken, dunklen Kopf hin und her. »Es wird uns die Sache sehr erschweren, Kapitän. Bei der ›Glasgow‹ liegen noch zwei Unterseeboote und außerdem noch ein Flieger. Sobald die Verdacht schöpfen…« »Werden wir sie in Grund und Boden schießen«, unterbrach Blackeye kurz. »Aber es ist nichts zu be fürchten, Jeß. Die Engländer kennen das amerikani sche U-Boot nicht und werden es uns sicher glauben, wenn wir uns dafür ausgeben. Es wird uns keine Mühe machen, sie zu täuschen.« »Und wenn jener Franzose einen von uns wieder erkennt?« Der Kapitän winkte ab. »Dazu wird er nicht eher Gelegenheit haben, als bis er bei uns an Bord ist.« 168
*
Der englische Kapitän war selbstverständlich sofort bereit, Sun Koh und Raoul Fabre an Bord des ameri kanischen U-Kreuzers zu bringen. Er hegte nicht den geringsten Verdacht, sondern fand es sogar selbstver ständlich, daß der Amerikaner mit seinen wichtigen Geheimpapieren den Boden seines Schiffes nicht verließ. Auch der Anblick des U-Kreuzers weckte keinerlei Bedenken in ihm. Wie eine friedliche Versammlung von mächtigen Walen lagen die Unterseeboote in geringer Entfer nung voneinander auf dem Atlantik. Etwas seitlich lag der verlassene Passagierdampfer mit seinen wei ßen Flanken, noch weiter seitlich tanzte das Flugzeug wie eine riesige Mücke auf den Wellen. Fünfzig Me ter über dem Wasser aber schwebte die Maschine Sun Kohs, in der sich Hal und Nimba befanden. Der englische Kapitän, der französische Leutnant, der Ankläger und der Beschuldigte fuhren gemeinsam zu dem Amerikaner hinüber. Nichts ahnend stiegen sie auf den U-Kreuzer über. Die paar Leute, die sie sa hen, steckten in der Uniform der amerikanischen Ma rine. Übrigens empfing auch Blackeye sie in der vor schriftsmäßigen Uniform. Die Besucher ahnten nicht, daß dies die Uniform der ursprünglichen Besatzung waren, die man ihnen abgenommen hatte, bevor sie 169
ins Wasser geworfen wurden. Blackeye spielte seine Komödie vortrefflich. Seine Gesichtsfarbe verriet seine Blutmischung nicht ohne weiteres, sein Benehmen war tadellos und einwand frei, es entsprach genau dem, was man von einem amerikanischen Seeoffizier erwartete. Sie nahmen in der geräumigen Kajüte des Kapi täns Platz. Nach der allgemeinen Begrüßung leitete Blackeye das Gespräch auf die Sache. Er wandte sich an den Engländer. »Sie teilten mir mit, daß Sie diesen Herrn an Bord der ›Glasgow‹ fanden? Er heißt Fabre, wenn ich nicht irre?« »Raoul Fabre«, bestätigte der Engländer. Der Kommandant wandte sich an den Franzosen. »Sie wollen eine Anklage gegen diesen Herrn er heben?« Raoul Fabre hatte sich sicher in den dunkelsten Winkel der ›Glasgow‹ verkrochen, als die Piraten das Schiff ausplünderten. Er erkannte jedenfalls Blak keye nicht, obgleich dieser an Bord des Schiffes ge wesen war. Mit der Sicherheit eines Fanatikers, aber auch mit einer gewissen Scheu und Ängstlichkeit begann er seine Anklage zu wiederholen. Man ließ ihn ausre den, hörte ihm aufmerksam zu. Als er zu Ende war, beeilte sich sein Landsmann zu versichern: »Erlauben Sie mir, schon jetzt zu be 170
tonen, daß ich Herrn Fabre für einen ehrenwerten und anständigen Menschen halte, der es sich wohl überlegen würde, einen solchen Verdacht leichtsin nig auszusprechen.« Blackeye ging darüber hinweg und richtete das Wort an Sun Koh. »Wollen Sie sich bitte zu der Anklage äußern?« »Das ist nicht meine Absicht. Wenn Sie über die Unterlagen verfügen, die den verschwundenen UKreuzer betreffen, so müssen Sie ohne weiteres fest stellen können, daß die Anklage sinnlos ist. Ich be merke zufällig das verlassene Schiff und hielt es für meine Pflicht, nach dem Rechten zu sehen. Es liegt an Ihnen, sich davon innerhalb einer Minute zu über zeugen.« Blackeye deutete ein verbindliches Lächeln an. »Gewiß, das wird sehr schnell geschehen sein, doch zunächst gestatten Sie mir einige Fragen. Es ist leicht möglich, daß Sie die Notwendigkeit nicht ein sehen, aber ich habe bestimmte Gründe und bitte Sie, mir trotzdem Antwort zu geben.« In Sun Kohs Augen blitzte leichte Verwunderung auf, er entgegnete jedoch höflich: »Bitte fragen Sie.« Der Kommandant ließ sich das nicht zweimal sa gen. »Sie heißen Sun Koh?« »Ja.« »Kennen Sie eine gewisse Lady Houston?« 171
Sun Koh zog die Brauen zusammen. »Allerdings, aber diese Frage liegt doch wohl völ lig neben der Sache?« »Möglich«, gab der Pirat zu, den diese Antwort schon befriedigte. »Ihr Flugzeug stellt eine ganz neu artige Konstruktion dar?« »Ja«, erwiderte Sun Koh knapp. Blackeye beobachtete ihn unter halbgesenkten Li dern. Anscheinend gleichgültig meinte er: »Wie ich hörte, verfügen Sie außer diesem Flugzeug über eine ganze Menge Erfindungen, die bei ihrem Bekannt werden Aufsehen erregen könnten?« Sun Kohs Gesicht wurde glatt und ausdruckslos. »Sie scheinen mehr gehört zu haben als andere Sterbliche.« »Soll das eine Bejahung oder eine Verneinung meiner Frage sein?« Sun Kohs Stimme klang vollkommen gleichgültig. »Sie können das auffassen, wie es Ihnen beliebt. Ich verzichte darauf, auf dieses Thema einzugehen.« Blackeye beugte sich vor und sagte überraschend lebhaft: »Ich will nicht zudringlich sein, aber Sie werden mir zugeben, daß man Sie zu den reichsten Leuten der Erde zählt?« Sun Kohs Gesicht wurde immer verschlossener. Sorgfältig prüfend gingen seine Blicke über den Mann hin, der da so wißbegierig nach Dingen fragte, die ihn bestimmt nichts angingen. 172
Irgendwie kam ihm der Kommandant dieses Schif fes verdächtig vor. Vielleicht war es sein Ge sichtsausdruck, der ihm nicht gefiel und zuviel Bru talität und Rücksichtslosigkeit verriet, vielleicht war es der Widerspruch zwischen der betonten Höflich keit und dem kalten, harten Gesicht – jedenfalls hatte Sun Koh plötzlich das Empfinden, daß er in eine Fal le geraten sei. Er ließ sich aber nichts anmerken. »Haben Sie die Absicht, von mir Geld zu leihen?« stellte er spöttisch eine Gegenfrage. Blackeye lehnte sich zurück und lächelte wohlge fällig. »Durchaus nicht, es interessiert mich aus einem anderen Grund. Was aber Ihr Flugzeug betrifft…« Er sprach nicht fertig, denn plötzlich wurde in der Ferne ein Hilfeschrei hörbar. Er drang nur matt an die Ohren der Männer, aber es genügte, um festzu stellen, daß es der Schrei einer Frau war. Die Gäste sprangen auf. »Was war das?« fragte Sun Koh scharf. Der Pirat beherrschte sich ausgezeichnet. Außer einem flüchtigen Zucken verriet nichts an ihm, daß er betroffen war. Er winkte nachlässig ab. »O nichts, höchstens der Papagei. Meine Leute haben ein solches Tier als Talisman mit an Bord und bringen ihm allerhand Unfug bei. Wahrscheinlich haben sie das Tier eben gereizt.« 173
Die Männer hätten ihm das vielleicht geglaubt, zu mal er es ganz unbefangen vorbrachte. Aber da wie derholte sich der Schrei, jetzt nicht mehr so fern wie zuerst, und dann erschallte er abermals ein Stück nä her. Und nun gab es keine Täuschung mehr. Das war der Schrei einer hilfesuchenden Frau, die durch die Gänge des Bootes hindurch auf den Raum zurannte, in dem sich die Männer befanden. Mit zwei Sprüngen war Sun Koh an der Tür. Be vor er aber diese aufgerissen hatte, rief ihm Blackeye scharf zu: »Hiergeblieben! Hände hoch!« Blackeye war aufgesprungen und hatte plötzlich in jeder Hand eine Pistole. Die eine richtete er auf Sun Koh, die andere auf die völlig überrascht zurückwei chenden Offiziere. Sun Koh erfaßte die Lage mit einer kleinen Wen dung seines Kopfes. Er prallte wie ein Gummiball von der Tür zurück, rollte federnd über den Boden und fuhr mit solcher Geschwindigkeit von unten ge gen den Piraten hoch, daß dieser nach hinten über kippte und beide Revolver sich gegen die Decke der Kajüte entluden. Dann stürmte Sun Koh hinaus. Gerade bog um die Ecke des Ganges eine weibli che Gestalt. Es war eine junge Frau, deren Gesicht Verstörung und doch zugleich den entschlossenen Willen verrieten, sich zu retten. Unmittelbar hinter ihr tauchten einige Männer auf. 174
Wie ein Panther sprang Sun Koh vorwärts, er er reichte die Frau, die Schwester Lawrence Pyhams, bevor deren Verfolger zugreifen konnten. Er ließ sie an sich vorbei, schmetterte seine Fäuste auf die Männer, so daß sie wie vom Taifun durcheinander gewürfelt zu Boden stürzten. Dann wandte er sich um, nahm die Frau auf seine Arme und raste mit ihr den Gang entlang zur aufwärtsführenden Treppe. In Sekunden war ihm die ganze schreckliche Wahrheit aufgegangen. Dieser Kapitän war niemals der ordnungsgemäße Kommandant, und dieses Unterseeboot konnte kein Schiff der Vereinigten Staaten sein. Diese junge Frau hier war eine Gefangene. Diese Tatsache stand im Widerspruch zu allem, was man sich unter der Ord nung auf einem amerikanischen Kriegsschiff vor stellte. Wenn das aber kein amerikanisches Schiff war, dann konnte es nur eins sein: Der verschwundene UKreuzer. Sein Kommandant war der Atlantikpirat! Es gab also nur eins. Flucht – sofortige Flucht! Also stürmte Sun Koh nach oben, um aus dem Boot herauszukommen. Hinter ihm gellten Befehle, unter denen einer merkwürdigerweise dahin ging, nicht auf die Frau zu schießen. Nun ahnte Sun Koh Unheil. 175
Seine Vermutung wurde bestätigt, als er den letz ten Absatz der Treppe erreicht hatte. Das Luk war verschlossen. In diesem Augenblick wußte Sun Koh, daß er ge schlagen war. Er saß in der Falle! Zweierlei blieb ihm noch – entweder zu kämpfen, um wenigstens einige der Piraten mit in den Tod zu nehmen oder sich zu ergeben. Es war in dieser Se kunde durchaus zweifelhaft, ob das nicht auch seinen sofortigen Tod bedeutete. Da kamen auch schon seine Verfolger, eine wüste Gruppe uniformierter Männer, die sich wie reißende Wölfe auf ihn stürzen wollten. In ihren Händen blinkten die Pistolen, aber… Sie schossen nicht. Zum zweiten Mal rief eine scharfe Stimme von hinten: »Nicht schießen! Ich will die beiden lebend haben!« Einige der Männer steckten ihre Waffen weg. Man sah ihnen an, daß sie geneigt waren, es auch auf ei nen Kampf per Fäuste ankommen zu lassen. Aber Sun Koh sah ihnen offenbar so gefährlich aus, daß sie noch zögerten. Sie verteilten sich im Halbkreis wie Hunde um ein gestelltes, aber gerade darin ge fährliches Wild. Es kam nicht zum Kampf. Der Kreis wurde durchbrochen. 176
Blackeye, der Atlantikpirat, trat vor, unmittelbar hinter ihm folgten Jeremias Patterson und Ham Smith. Der Pirat stellte sich vor Sun Koh hin, breitbeinig und gewichtig. »Nun?« sagte er nach kurzem Schweigen. »Sie sind ja ein verflucht heller Kopf. Ich muß schon ge stehen, daß ich noch nie so schnell zu Boden gegan gen bin wie vorhin. Trotzdem wäre es vielleicht bes ser für Sie gewesen, wenn Sie die Ausrede von dem Papagei geglaubt hätten.« »Ich hätte schon ein Narr sein müssen, um das zu glauben«, sagte Sun Koh. Der andere hob flüchtig die Schultern. »Freilich, wenn die dumme Gans laut schreiend durch das Schiff rennt. Nun ist es egal. Sie können sich wohl ungefähr denken, wer ich bin?« »Ich zweifle nicht daran, daß Sie jener Seepirat sind, von dem ich in den letzten Stunden soviel ge hört habe.« Blackeye nickte. »Das haben Sie richtig erkannt. Sie befinden sich in dem Kreuzer, der von der ganzen Welt so eifrig gesucht wird. Ich schlage vor, daß wir uns in meine Kajüte begeben. Es ist nicht besonders gemütlich hier.« Sun Koh musterte ihn forschend. »Soll das heißen, daß Sie zunächst keine Feindse 177
ligkeiten beabsichtigen?« Der andere lachte auf. »Für wen halten Sie mich, verehrter Herr. Glauben Sie, daß ich dieses Theater eingefädelt habe, um Sie zu töten?« »Sondern?« »Als toter Mann sind Sie mir nichts wert, als le bender aber sehr viel. Ich lege Wert darauf, Sie am Leben zu erhalten, weil ich mir noch manches von Ihnen erhoffe.« Sun Koh lachte. »Seeräuberei und Erpressung scheinen sehr viel miteinander zu tun zu haben. Doch mir soll es bis zu einer günstigeren Gelegenheit recht sein. Was ge schieht mit dieser jungen Dame?« »Sie hat nichts zu befürchten«, versicherte Blak keye. Sun Koh bückte sich zu der Frau hinunter, die halb ohnmächtig neben der Treppe kniete. »Was ist mit Ihnen, Miss? Ich bin leider nicht in der Lage, Ihnen jetzt helfen zu können, aber es wäre mir lieb, etwas über Sie zu wissen, besonders ob das stimmt, was dieser Herr behauptet?« »Ich bin Claudia Pyham«, sagte sie leise. »Der Pi rat hat mich von einem Schiff heruntergeholt.« »Hat man Sie belästigt?« »Nein.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht klagen.« Sun Koh merkte, daß sie vieles zurückhielt, aber 178
leider konnte er ihr jetzt ebensowenig helfen wie sich selbst. »Sobald sich die Gelegenheit bietet, Ihnen zu hel fen, werde ich es tun«, flüsterte er ihr leise zu und folgte dann Blackeye und seinen Leuten. Während dieser Vorfälle lagen die beiden Unter seeboote und das Flugzeug weiterhin friedlich auf dem Wasser. Niemand achtete darauf, daß sich das Luk des U-Kreuzers plötzlich schloß, es war nicht zu sehen. Von dem Lärm hörte man natürlich erst recht nichts. Hal Mervin und Nimba sahen es freilich von oben her, aber sie wußten nicht, was es zu bedeuten hatte. Keiner von ihnen hatte Verdacht geschöpft, keiner von beiden vermutete auch nur im entferntesten, daß jenes große Boot der gesuchte Piratenkreuzer sein könne. Sie flogen nun etwas tiefer, konnten aber nichts Besonderes wahrnehmen. Der Piratenkreuzer verschloß sich gegen die Au ßenwelt. In Sekundenschnelle versank er in den Fluten. Hoch in der Luft starrten zwei Getreue mit bren nenden Augen in die Tiefe, in der sich irgendwo Sun Koh befinden mußte. Lebte er noch? Würden sie ihn je wiedersehen? Das Meer gab keine Antwort! 179
Kapitän Blackeye bedeutete Sun Koh, sich zu set zen. Er war betont höflich. »Ich hoffe, Sie haben inzwischen eingesehen, daß Ihr Leben auf diesem Schiff ohne meinen guten Wil len einen Pfifferling wert ist. Es hängt nunmehr von Ihnen ab, ob mir Ihre Existenz weiterhin interessant genug erscheint, um sie zu erhalten.« »Eine sehr großspurige Einleitung«, bemerkte Sun Koh nicht minder spöttisch, »die Sie sich getrost spa ren konnten. Überlassen Sie es nur ruhig mir, die Gewichtigkeit Ihrer erpresserischen Forderungen und die Schwierigkeiten meiner Lage zu beurteilen.« Blackeye warf ihm einen bösen Blick zu. »Ich fürchte nur, daß Sie dann irrtümlicherweise Ihr Leben riskieren. Aber wie Sie wollen. Ich werde Ihnen etwaige Dummheiten schon abgewöhnen.« »Sie eignen sich vorzüglich zum Erzieher.« Blackeye ging darüber hinweg. »Ich brauche Ihnen wohl nicht erst zu erzählen, daß ich Sie nicht wegen Ihrer schönen Augen ge schont habe. Sie sind sehr reich, nicht wahr?« Sun Koh musterte ihn spöttisch. »Wieviel hoffen Sie von mir zu erpressen?« Blackeye hob die Schultern. »Nun, sagen wir zehn Millionen.« »Sehr bescheiden! Ich wünsche Ihnen viel Glück zu Ihren Hoffnungen.« Der Kapitän grinste. »Nicht nötig. Nehmen Sie Ihr Scheckbuch heraus 180
und schreiben Sie einen Scheck über diese Summe aus!« Jetzt zuckte Sun Koh mit den Schultern. »Es tut mir außerordentlich leid, aber ich habe mein Scheckbuch im Flugzeug gelassen.« Der andere runzelte die Stirn. »Soll das ein Witz sein?« »Sie können mich ja durchsuchen«, schlug Sun Koh bereitwillig vor. Das Gesicht Blackeyes wurde düster. Er glaubte den Worten Sun Kohs und war enttäuscht. Er suchte nach einem Ausweg. »Ihre Leute halten sich mit dem Flugzeug sicher noch in der Nähe auf. Vielleicht können wir uns mit ihnen verständigen?« »Ich denke, Sie haben das Flugzeug abgeschos sen?« fragte Sun Koh. Blackeye machte eine unwirsche Bewegung. »Die Kerle waren schneller als wir.« Sun Koh wurde durch diese Mitteilung außeror dentlich erleichtert. Die Geldgier Blackeyes verhieß einen Weg zur Rettung. Wenn er töricht genug war, eine Verbindung mit dem Flugzeug herzustellen, dann konnte das die Rettung ermöglichen. »Versuchen können wir es ja«, schlug Sun Koh vor, »wenn Sie so großen Wert auf mein Scheckbuch legen. Ich rate Ihnen aber gleich, sich zu beeilen, sonst könnten Sie sich vergeblich anstrengen, meine beiden Leute noch zu erreichen.« 181
»Es sollte mich wundern, wenn sie nicht noch an der gleichen Stelle kreisen würden, an der wir ge taucht sind«, sagte Blackeye nachdenklich. »Sie sind bereit, mir einen Scheck auszuschreiben?« »Das wird von den Umständen abhängen.« »Was soll das heißen?« Sun Koh lachte ihm ins Gesicht. »Glauben Sie wirklich, daß ich Ihnen einen Scheck in solcher Höhe ausstelle, ohne mir vorher die Sicherheiten zu verschaffen, daß ich auch meine Freiheit wiedererlange?« »Darüber können wir reden, wenn es soweit ist«, erwiderte der andere mürrisch, »aber wenn Sie den ken, daß Sie mir heute einen Scheck ausstellen, den Sie morgen sperren lassen, dann sind Sie durchaus im Irrtum!« Sun Koh lächelte flüchtig. »Ja – es ist eben nicht leicht, erfolgreich Erpresser zu sein. Sie werden sich schon um einen Ausweg bemühen müssen, damit unsere beiderseitigen Inter essen gewahrt werden.« »Davon können Sie überzeugt sein, daß ich mir die Sache genau durch den Kopf gehen lasse«, brummte der Kapitän. »Einstweilen bleiben Sie hier, und ich werde – hallo, was ist das?« Blackeye horchte auf. Ebenso Sun Koh. Im Gang draußen näherten sich offenbar viele Menschen. Schritte und Stimmengemurmel wurden 182
hörbar, einige Stimmen hoben sich heraus. Blackeye ging hinaus. Sun Koh blieb allein zurück. Er benutzte die Gele genheit, um sich umzusehen. Gleichzeitig hörte er, was sich draußen abspielte. Die Leute, die da gegen den Kapitän andrängten, kannte er freilich nicht. »Was wollt ihr?« fragte der Kapitän mit scharfer Stimme. Einen Augenblick war es vollkommen still, dann räusperte sich ein Mann. Schwer und trotzig kamen seine Worte: »Wir haben es satt, Blackeye. Wir wol len Schluß machen.« »Was habt ihr satt?« »Die verfluchte Luft. Man erstickt ja.« Der Kapitän sprach beruhigend auf sie ein. »Das läßt sich nicht vermeiden, Jens, wir müssen spurlos verschwinden. Ihr wißt das doch selber? Oder ist es euch lieber, wenn ihr in Grund und Boden geschossen werdet?« Das Argument verfehlte seine Wirkung. »Nee«, kam die Antwort zurück. »Aber deshalb müssen wir nicht immer unter Wasser fahren. Wir wollen Schluß machen, unser Anteil ist groß genug.« Blackeye lachte spöttisch auf. »Ihr seid erbärmliche Narren. Habt ihr deswegen die ganze Gefahr auf euch genommen, damit ihr euch mit ein paar tausend Dollar zur Ruhe setzen könnt?« »Es kommen mehr als ein paar tausend Dollar auf 183
jeden«, ergänzte Jens. »Unten liegen schon ein paar Dutzend Millionen.« Sun Koh kümmerte sich nicht um den Fortgang der Unterhaltung. Der Raum, in dem er sich befand, bot keine Be sonderheiten. Er unterschied sich in nichts von ähnli chen Räumen. In der Seitenwand führte jedoch eine schmale Stahltür in einen Nebenraum. Sun Koh öffnete die Tür vorsichtig. Zu seiner Überraschung sah er die Kommandozen trale des U-Kreuzers vor sich. In dem mit Maschinenanlagen, Signallampen, Schaltern und Hebeln fast überreich angefüllten Raum befanden sich zwei Männer, von denen einer ein Neger war. Es handelte sich um Ketter, dem Blackeye die Führung des Schiffes übergeben hatte, ferner um Je remias Patterson, der teils als Gehilfe, teils als Über wacher tätig war. Das Gehirn des Kreuzers lag vor Sun Koh. Ein tollkühner Plan stieg blitzartig in ihm auf, als er den Raum vor sich liegen sah. Wer diese Anlage beherrschte, war der Herr des ganzen Schiffes. Die Befehle, die von hier ausgingen, mußten wohl oder übel befolgt werden, wenn die Mannschaft nicht ihr Leben in Gefahr bringen wollte. Entscheidend waren natürlich die Verteidigungs möglichkeiten. 184
Linkerhand führte offenbar eine Tür zum Gang hinaus. Gegenüber befand sich eine zweite Tür. Nach seiner Annahme mußte man durch sie auf die Treppe gelangen, die zum Luk führte. Und an der dritten Tür stand er selbst. Drei Türen. Etwas viel für eine Person. Aber… Sun Koh hätte vielleicht gezögert, wenn nicht ein Umstand eingetreten wäre, der ihn unabhängig von aller Überlegung zum Handeln zwang. Jeremias Patterson wandte sich um. Sekundenlang sahen sich die beiden Männer an. Der Neger fühlte instinktiv, daß dort im Türspalt ein Feind stand. Er tastete nach seiner Pistole. Sun Koh warf sich nach vorne, rollte über den Bo den hinweg und kam noch rechtzeitig an den Mann heran, um dessen Griff nach seiner Pistole auszuhal ten. Gleichzeitig führte er von unten her einen wuch tigen Hieb gegen das ungedeckte Kinn des Schwar zen, der diesen rückwärts fallen ließ. Im selben Au genblick richtete Sun Koh auch schon die Pistole des Negers auf den Mann am Steuer. »Unterlassen Sie jede verdächtige Bewegung, sonst schieße ich Sie nieder.« Von draußen klang das Gewirr der streitenden Stimmen. Niemand ahnte, daß sich hier Entscheiden des abspielte. 185
George Ketter wandte langsam den Kopf. »Sie brauchen die Pistole nicht gegen mich zu richten, falls Sie die Absicht haben, gegen Blackeye anzugehen und die Gewalt über das Schiff an sich zu reißen. Ich werde der Letzte sein, der dagegen etwas unternimmt.« Sun Koh trat dicht an ihn heran. »Wie meinen Sie das? Sprechen Sie schnell, ich habe wenig Zeit!« Ketter beeilte sich. »Ich bin seit einigen Tagen erst hier, mit List ein geschmuggelt. Man hat mich beauftragt, den Piraten unschädlich zu machen.« »Der Beweis dafür?« »Einen Beweis kann ich Ihnen leider nicht nennen. Es wäre zu gefährlich für mich gewesen, Papiere bei mir zu führen.« Sun Koh trat herum, so daß er in das Gesicht des anderen blicken konnte. »Hm«, sagte er nach einer kleinen Pause nach denklich, »möglicherweise stimmt das, was Sie sa gen. Verrichten Sie Ihren Dienst weiter! Sobald Sie aber eine verdächtige Bewegung machen, schieße ich. In welcher Tiefe fahren wir jetzt?« »Fünfzig Meter.« »Richtung?« »Nordwest zu West.« »Kann so bleiben, wenigstens vorläufig. Sie kön 186
nen sich mit der Mannschaft verständigen?« »Jederzeit, hier sind Telefone und Sprachrohre.« »Gibt es ein Mittel, um diese Türen zu schließen?« »Zwei sind schon zu. Es sind Schottentüren, die elektrisch verriegelt werden können. Die Schmaltür dort, die zur Treppe führt, kann nicht geschlossen werden. Die müßten Sie schon verteidigen.« Sun Koh atmete auf. »Das wird keine Mühe machen.« Er eilte zu dem Neger hin, der sich eben wieder regte, hob ihn auf und trug ihn durch den Raum zu der Treppentür. Ohne erst groß nach dem Rechten zu sehen, riß er sie auf und warf den Mann hinaus. Dann schloß er sie wieder. Draußen sprach der Kapitän soeben das letzte Wort. * Hal Mervin und Nimba flogen noch immer über je ner Stelle, an der das Unterseeboot verschwunden war. Sie wußten einfach nichts anderes zu tun. Es gab keinen Anhaltspunkt für sie, in welcher Richtung sie Sun Koh zu suchen hatten. Sie blieben also, kreisten und warteten. »Er muß doch von sich hören lassen«, versicherte Hal Mervin sich selbst und Nimba zum Trost immer wieder. »Er hat den Sprechfunk bei sich, und kann 187
uns verständigen.« Der Neger schüttelte den Kopf. »Woher willst du wissen, ob er den Apparat bei sich hat? Auch wenn Sun Koh noch lebt, dann haben sie ihn doch vermutlich niedergeschlagen und ihm alles aus den Taschen genommen. Ich fürchte, er liegt irgendwo unten gefesselt zwischen ein paar Stahlwänden und hat nicht die geringste Gelegenheit, sich mit uns in Verbindung zu setzen.« »Die Pest an deinen Hals!« fuhr Hal ihn wütend an. »Du mit deiner verfluchten Miesmacherei, schwarzsehen kann ich selber. Du denkst wohl, da von wird es besser?« Nimba nickte kummervoll. »Schimpf nur, deswegen haben wir noch lange keinen Grund, alles himmelblau zu sehen. Wir müs sen doch mit dem Schlimmsten rechnen, damit wir entsprechende Gegenmaßnahmen treffen können.« »Wir können gar nichts machen.« »Nee, wir nicht, aber…« Hal erriet den Gedankengang seines Kameraden. »Du meinst, daß wir uns an die Sonnenstadt wen den sollen?« »Ja«, bestätigte der Neger. »Manuel Garcia wird schon irgendein Mittel wissen, um den Piraten beizu kommen.« Sie schwiegen eine Weile und grübelten, dann sag te Hal Mervin: »Es wird uns wohl nichts anderes üb 188
rig bleiben. Aber eine Stunde wollen wir wenigstens noch warten. Wenn Sun Koh bis dahin keine Nach richt gegeben hat, setzen wir uns mit Garcia in Ver bindung.« Dabei blieb es. Es war noch keine Stunde vergangen, als Sun Kohs Stimme in ihrem Bordempfänger aufklang. Er vergewisserte sich zunächst, daß die beiden und das Flugzeug in Ordnung waren, dann schilderte er kurz seine Lage: »Ich habe die Kommandozentrale des UKreuzers in meiner Gewalt. Außer mir befindet sich noch ein Mann hier, ein gewisser Ketter, der behaup tet, als Detektiv im Auftrag eines amerikanischen Versicherungskonzerns tätig zu sein. Ich werde ver suchen, den Eingang in diesen Raum so lange zu sperren, bis ich den ganzen Kreuzer mit der Bande ausliefern kann.« »Können wir nicht helfen?« erkundigte sich Hal eifrig. »Unmittelbar nicht. Ich muß mit dem Boot unter Wasser bleiben, um die Mannschaft in der Gewalt zu behalten. Sobald das Schiff aufsteigt, haben die Leu te die Möglichkeit, durch die Geschützaufgänge und durch die beiden Flugzeugräume herauszugelangen, und sich damit meiner Gewalt zu entziehen. Ihr habt trotzdem einige sehr wesentliche Dinge zu erledigen, von denen viel abhängen wird. Ich beabsichtige, das Unterseeboot in die Nähe der englischen U-Kreuzer 189
zu bringen und dann erst aufzusteigen. Ihr müßt se hen, daß ihr euch so schnell wie möglich mit den Tauchbooten und den anderen Schiffen direkt in Verbindung setzt, damit diese sich an einer bestimm ten Stelle bereithalten. Eine Verständigung durch Funk oder Radio ist unter allen Umständen zu ver meiden. Die Funkzentrale ist in der Hand der Mann schaft. Wenn diese die Gefahr erkennt, ist mit einer Verzweiflungshandlung zu rechnen. Zumindest wird man sich an den Gefangenen vergreifen.« »Wohin wollen Sie den Kreuzer bringen, Sir?« »Wir fahren augenblicklich in nordwestlicher Rich tung. Sobald ihr euch mit den Suchschiffen verstän digt habt, gebt ihr mir entsprechende Mitteilungen. Am besten wird sein, wenn man dann in der Nähe des vereinbarten Treffpunkts eine Reihe von Booten aussetzt, zwischen denen ich auftauchen werde. Ich werde dann ständig mit euch auf unserer Geheimwel le in Verbindung bleiben.« »Wird gemacht, Sir.« * Sekunden dramatischer Spannung vergingen, nach dem Blackeye draußen im Gang das letzte Wort zu seiner Mannschaft gesprochen hatte. Sun Koh hörte, wie er noch einige Worte mit seinem Begleiter wech selte, dann zurück ging und die Tür öffnete. 190
Nun kam von zwei Seiten zugleich der Alarm. Während Blackeye mit einem überraschten Ausruf feststellte, daß sich sein Gefangener aus der Kabine entfernt hatte, stieß der hinausgeworfene Neger Rufe aus und lockte damit Teile der Mannschaft an die Treppe. Damit begann ein wildes Durcheinander. In seinem Raum tobte der Kapitän, er warf sich schließlich ein paarmal gegen die Tür, hinter der er Sun Koh vermutete. Gleichzeitig schrie er nach dem Neger. Auf der anderen Seite schwirrten Fragen und Aus rufe, auf die der Neger Antwort gab, soweit er dazu imstande war. Die Türklinke wurde herunterge drückt, dann hämmerten ein paar Mann dagegen und riefen nach Ketter. Schließlich warfen sich auch hier die Körper gegen die Stahltür. An der Mitteltür wurde ebenfalls gerüttelt, freilich, hier ebenso vergeblich, wie an den anderen Türen. Blackeye gab es auf seiner Seite auf und rannte zur Treppe herum. Hier traf er auf die sich immer mehr ansammelnde Mannschaft. Der allgemeine Lärm ebbte ab. Der Kapitän ließ sich berichten. Nun rüttelte Blackeye an der Tür. »Hallo, was soll das bedeuten? Warum haben Sie sich hier eingesperrt?« Sun Koh gab laut und deutlich Antwort: »Ich habe mich nicht eingesperrt, sondern Sie ausgesperrt. Ich 191
habe die Führung des Schiffes übernommen.« »Was?« schrie der Kapitän. »Ich verstehe kein Wort!« Ketter sagte leise zu Sun Koh: »Benutzen Sie doch dieses Sprachrohr! Es mündet draußen am Geschütz aufgang, damit können Sie sich verständigen, ohne Ihre Stimme anzustrengen.« Sun Koh nickte und rief durch die Tür: »Gehen Sie an das Sprachrohr, dann werden Sie mich besser verstehen.« Das »Sprachrohr« war ein Haustelefon, das die einzelnen Stationen des Schiffes mit der Zentrale verband. »Also, was soll der Unfug?« wollte Blackeye wis sen. Sun Koh gab ihm Auskunft. »Ich habe nicht die Absicht, mich Ihren erpresseri schen Forderungen zu stellen. Die Kommandozentra le ist in meiner Gewalt, ich werde sie so lange ver teidigen, bis ich das Schiff wieder verlassen kann. Sie sollten sich in Ihrem eigenen Interesse meinen Befehlen fügen, sonst übernehme ich keine Garantie dafür, daß Sie jemals das Tageslicht wiedersehen.« »Sie sind verrückt geworden«, ächzte der Kapitän. »Wir werden die Tür aufbrechen und Ihnen beibrin gen, solche Scherze zu unterlassen.« »Versuchen Sie es«, antwortete Sun Koh, »aber Sie dürfen damit rechnen, daß ich rücksichtslos 192
schieße. Außerdem…« Blackeye geriet in furchtbare Wut. Er stand schon nicht mehr am Sprachrohr, sondern war einen Au genblick später bereits wieder hinter der Tür zu hö ren, wo er zornig brüllte: »Wir müssen die Kerle her ausholen, sonst legt er uns alle auf Grund. Macht Platz!« Ein Körper wuchtete gegen die Tür, so daß diese erzitterte. Aber das Schloß war stark genug, um den Anprall auszuhalten, eine Füllung, die leicht nachge ben konnte, war nicht vorhanden, so daß die Piraten wenig Aussicht hatten, auf diese Weise einzudringen. Das sah Blackeye auch sehr bald ein. Nach drei Stößen schrie er: »Stop, so kommen wir nicht weiter! Es geht schneller, wenn wir das Schloß zerschie ßen!« Schüsse hämmerten gegen die Tür. Plötzlich ein häßlicher Aufschrei, ein Fluch und ein langgezogenes Stöhnen. Dann wurde es still. Sun Koh wußte, was geschehen war. Die Männer draußen hatten blindlings darauf losgeschossen und nicht daran gedacht, daß zwischen einer Holztür und einer Stahltür erhebliche Unterschiede bestehen. Die Geschosse waren sicherlich zum Teil zurückgeprallt und hatten einen oder mehrere der Piraten verletzt. Daher die allgemeine Bestürzung. Jetzt klangen draußen halblaute Bemerkungen auf, 193
Füße scharrten, dann wurde wieder geschossen. Die Piraten hatten ihre Taktik geändert. Sie hatten die eine Seite geräumt und schossen jedenfalls im Winkel, so daß sie von den Querschlägern nicht so leicht getroffen werden konnten. Wie spitze Hämmer schlugen die Geschosse auf das Schloß. Das hielt auf die Dauer die beste Tür nicht aus. Nach Sun Kohs Berechnung konnte es nicht mehr lange dauern, bis das Schloß weit genug zermürbt sein würde. Er konnte es aber nicht darauf ankom men lassen, daß nach einigen Minuten die ganze Mannschaft durch die offene Tür eindrang. Er wandte sich an Ketter. »Legen Sie das Steuer fest!« »Es ist festgelegt.« »Dann gehen Sie in Deckung, ich werde die Tür öffnen.« »Sie wollen schießen?« »Ja, ich will die Hitzköpfe etwas abschrecken.« »Ich helfe gern mit.« Sun Koh sah ihn überrascht an. »Haben Sie denn Waffen?« »Ich habe, wie Sie bemerken. Hoffentlich genügt Ihnen das zugleich als Beweis, daß Sie mir vertrauen können.« »Ja«, sagte Sun Koh kurz. »Nehmen Sie trotzdem Deckung!« 194
Ketter duckte sich gehorsam nieder. Sun Koh wirbelte den Schlüssel herum, drückte die Klinke und riß die Tür auf. Die Öffnung war kaum einen Spalt breit auf, als er auch schon zu schießen begann. Als die Tür vollkommen geöffnet war, hatten seine Schüsse bereits mehrere Leute in dem engen Gang umgelegt, hinter denen der Haufen der anderen Piraten in ungläubigem Entsetzen ver harrte. Die Tür flog wieder zu, ohne daß ein einziger Schuß in die Kommandozentrale eingedrungen war. Draußen heulten die Piraten in ihrer Wut auf. Dann wurde es still, die Piraten zogen sich an scheinend zurück. Jetzt sprach Sun Koh zum erstenmal mit Hal und Nimba. Er war kaum fertig, als ihn Ketter an das Sprach rohr rief. »Blackeye will Sie sprechen.« Sun Koh hatte wohl bemerkt, daß Ketter eine gan ze Weile bereits gelauscht hatte. Er erkundigte sich deshalb: »Was hat er Ihnen alles erzählt?« Der Amerikaner hielt den forschenden Blick ruhig aus. »Er hat mir Anweisung gegeben, Sie niederzu schlagen. Blackeye ist der Meinung, daß ich auf sei ner Seite stehe und von Ihnen mit der Pistole in Schach gehalten werde. Ich habe ihn vorläufig dabei 195
gelassen, weil es uns unter Umständen von Nutzen sein kann.« »Erwartet er von Ihnen keine Antwort?« »Im Gegenteil, er hat sie mir sogar verboten, um Sie nicht aufmerksam zu machen. Es ist vielleicht besser, wenn Sie so tun, als ob Sie nichts wüßten. Dabei bleibt mir die Möglichkeit, etwas über die Ab sichten der Bande zu erfahren.« Sun Koh meldete sich. Blackeye begann sofort zu sprechen, erheblich ru higer als vorhin, aber aus seinen Worten klang kalter, tödlicher Haß. »Ich gebe zu, daß ich Sie unterschätzt habe. Es wird uns eine ganze Reihe von Opfern kosten, wenn wir mit Gewalt in die Zentrale eindringen. Wir ver zichten daher darauf.« »Sehr vernünftig von Ihnen«, entgegnete Sun Koh kalt. »Und welche Absichten verbergen Sie dahin ter?« »Das kommt darauf an, welche Absichten Sie ha ben?« »Meine Absicht gab ich Ihnen schon bekannt. Ich werde dieses Schiff verlassen, ohne Ihnen einen Scheck auszustellen.« Diese Mitteilung erleichterte offenbar Blackeye. Etwas weniger scharf gab er zurück: »Wie stellen Sie sich das vor?« »Darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Ich 196
muß mir erst einmal die verschiedenen Möglichkei ten durch den Kopf gehen lassen.« Jetzt kam der Kapitän mit einem Vorschlag. »So, dann will ich Ihnen ein Angebot machen. Sie können uns sicher Schwierigkeiten machen, aber an dererseits wird es Ihnen so gut wie unmöglich sein, gegen unseren Willen das Schiff zu verlassen. Sie sind in der Zentrale genau so gut eingeschlossen, wie wir in den übrigen Räumen. Sobald Sie aufsteigen, bekommen wie die Oberhand.« »Diese Vorrede konnten Sie sich sparen. Was wol len Sie vorschlagen?« »Wir wollen eine Vereinbarung treffen. Ich ver zichte auf Ihr Geld und auf Genugtuung für meine verletzten Leute. Ich verpflichte mich, Sie unverzüg lich frei zu lassen. Entweder bringe ich Sie auf Ihr Flugzeug oder auf irgendein Schiff, ganz wie Sie wünschen. Sie öffnen dafür die Türen und lassen uns wieder in die Kommandozentrale hinein.« Sun Koh konnte ein Lächeln nicht unterdrücken, er führte diese Unterhaltung ohnehin nur, um Zeit zu gewinnen. »Und welche Garantie geben Sie dafür, daß diese Vereinbarung von Ihnen eingehalten wird?« Erwartungsgemäß antwortete der andere: »Ich ge be Ihnen mein Ehrenwort.« »Ich verzichte darauf«, entgegnete Sun Kon kühl. »Haben Sie sonst noch etwas?« 197
»Sonst noch etwas?« wiederholte Blackeye grim mig. »Wir sind ja immer noch soweit wie am An fang. Also seien Sie vernünftig! Ich habe Ihnen einen Vorschlag zur Güte gemacht. Es ist Ihr Fehler, wenn Sie ihn nicht annehmen.« »Dazu bin ich leider nicht in der Lage.« »Das ist sehr bedauerlich«, sagte der Kapitän in ei nem eigenartigen Tonfall. »Für Sie sicherlich«, meinte Sun Koh und horchte auf. »Vielleicht«, erwiderte Blackeye anscheinend gleichmütig. »Bestimmt aber für die Gefangenen, die wir bei uns haben. Meine Leute drängen darauf, sie Ihnen freizugeben. Sie wollen ihren Spaß haben. Sie wissen doch, daß zwei junge Mädchen dabei sind.« »Warum erzählen Sie mir das?« »Nur so, falls Sie etwa Anteil am Schicksal dieser Leute nehmen. Schließlich sind Sie ja daran schuld, wenn sie allmählich zu Tode geqäult werden.« »Ich wüßte nicht, inwiefern ich für die Bestialitä ten Ihrer Leute verantwortlich wäre.« Blackeye höhnte: »Wenn Sie auf meinen Vor schlag eingehen, ist das was anderes, dann würden die Gefangenen genauso schonend weiterbehandelt werden wie bisher. Wenn nicht…« Sun Koh stellte sich verärgert. »Sie wollen mir die Pistole auf die Brust setzen? Geben Sie mir wenigstens Bedenkzeit!« 198
Der Pirat schien darauf schon gewartet zu haben, denn er sagte schnell: »Eine Viertelstunde.« »Das genügt mir nicht. Eine Stunde mindestens.« »Eine Viertelstunde und keine Sekunde länger!« beharrte Blackeye. In Sun Kohs Tasche summte der Sprechfunk die Rufzeichen. Er schloß deshalb das Gespräch ab. »Gut, ich will versuchen, ob ich in einer Viertel stunde zu einem Entschluß kommen kann.« Hal Mervin berichtete nun. Seine Nachrichten klangen sehr tröstlich. In dises Gespräch hinein klang ein anderes, das zwischen Ketter und einem Mann geführt wurde, der irgendwo im Schiff an einem der Telefone hing. Ket ter winkte Sun Koh heran und hielt ihm einen zwei ten Hörer hin, durch den Sun Koh das Gespräch ver folgen konnte, während er sich noch mit Hal unter hielt. »Es ist Bill, der Koch«, verständigte Ketter Sun Koh. »Ketter«, sagte der Mann aus dem Schiffsinnern, »erinnerst du dich noch an das Gespräch, das wir ge stern führten? Du wolltest mich aushorchen, aber ich konnte dir unmöglich Bescheid geben. Heute ist das etwas anderes. Du hast schon ganz richtig getippt, ich spiele so ungefähr die gleiche Rolle wie du, bin ebenfalls mit dem Auftrag hier, die Bande unschäd lich zu machen.« 199
»Wie kannst du das von mir behaupten?« »Ich wußte es gestern noch nicht mit voller Be stimmtheit, aber jetzt kann ich es mir an den Fingern abzählen. Stimmt’s?« »Schon richtig«, gab Ketter zu. »Und wer bist du?« »John Poole, Kapitän beim englischen Geheim dienst.« Ketter wechselte die Tonart. »Nehmen wir an, daß es so ist, Kapitän Poole. Ha ben Sie mich nur angerufen, um mir das mitzutei len?« »Nein. Sie sollen Ihrem Mann sagen, daß er auf die Passagiere keine Rücksicht zu nehmen braucht. Sie wissen doch jedenfalls, daß Blackeye gedroht hat, die Geiseln zu töten?« »Allerdings!« »Na also! Ich habe die Gefangenen bewaffnet, au ßerdem die Schottentüren des Gangs geschlossen. Das sollen Sie nur wissen.« »Ich danke Ihnen«, erwiderte Ketter ernst. Jetzt mischte sich Sun Koh ein. »Mister Poole! Halten Sie sich die Piraten vom Leib, vermeiden Sie aber alles, was diese zu einem Verzweiflungsakt treiben könnte.« Nun meldete sich Blackeye wieder. Sun Koh hielt ihn noch einen Augenblick hin, um das Gespräch mit Hal Mervin zu beenden, dann sagte er zu dem Kapi 200
tän: »Also hören Sie, Blackeye, ich habe noch keine Zeit gehabt, nachzudenken. Sie müssen mich erst mal zur Ruhe kommen lassen. Die Sache ist nicht so einfach für mich. Fragen Sie in einer Stunde wieder nach!« »Tod und Teufel!« fluchte der andere. »Glauben Sie etwa, daß Sie mich zum Narren halten können? Ich habe nicht stundenlang Zeit. Eine Viertelstunde habe ich Ihnen gegeben. Meine Leute brennen dar auf, den Gefangenen auf den Leib zu rücken.« »Das kann ich leider nicht ändern«, erwiderte Sun Koh gelassen. »Sie geben die Gefangenen auf?« fragte Blackeye überrascht. »Wie kann ich es ändern? Machen Sie mit den Ge fangenen, was Sie wollen!« »Verdammt!« schrie Blackeye. »Sie wollen also die Zentrale nicht räumen?« »Das habe ich nicht gesagt. Fragen Sie in einer Stunde wieder an, bis dahin kann ich Ihnen bestimmt sagen, was geschehen wird.« Der Kapitän war sicherlich wütend, aber es blieb ihm nichts anderes übrig als abzuwarten. Die Piraten schienen ihre Drohung, gegen die Ge fangenen vorzugehen, doch wahrmachen zu wollen. Aus dem Innern drang das Geräusch von Schüssen herauf, es zeigte an, daß dort unten zwei Parteien ge geneinander kämpften. 201
John Poole meldete sich wieder: »Ein paar Leute versuchten, an die Frauen heranzukommen, der Gang blieb jedoch für sie gesperrt. Ich glaube, wir könnten es wagen, nach oben durchzubrechen. Wir sind im merhin bald ein Dutzend Leute.« Aber auch jetzt lehnte Sun Koh ab. »Nein, nein, bleiben Sie unten! Ich brauche sie dort sogar drin gend.« Sun Koh blieb jetzt dauernd mit Hal Mervin in Verbindung. Von da an leitete Hal Mervin wie ein Lotse den Lauf des Piratenkreuzers. Er gab Sun Koh die Rich tungsangaben, und dieser ließ Ketter entsprechend steuern. Endlich war es soweit, daß sich Sun Koh wieder mit Blackeye in Verbindung setzen konnte. »Ich habe mich entschlossen«, sagte er zu ihm. »Der Kreuzer befindet sich augenblicklich wieder in der Nähe der ›Glasgow‹. Ich werde ihn auftauchen lassen und dann das Schiff verlassen, um auf die ›Glasgow‹ überzusiedeln, deren Mannschaft ja bald zurückkommen muß, wenn sie nicht schon da ist. Sie riskieren dabei allenfalls, daß Sie für kurze Zeit von der Besatzung des Passagierdampfers gesehen wer den. Auf Ihr Ehrenwort kann ich mich hoffentlich verlassen.« »Darauf können Sie sich verlassen«, erwiderte Blackeye mit großer Erleichterung und doch zugleich 202
in einem Tonfall, der nichts Gutes versprach. Die letzten fünf Minuten vor der Entscheidung brachen an. Sun Koh verständigte sich nunmehr mit John Poo le. Kaum hörbar schlichen sich die Piraten nach oben. Es war klar, daß sie unter dem Hauptluk und an den beiden Geschützaufgängen standen, um im Falle ei ner Gefahr sofort eingreifen zu können. Vielleicht galt aber ihr Interesse auch mehr dem Mann, der sie stundenlang in Schrecken gehalten hatte. Der U-Kreuzer stieg langsam auf. Mit einem schlürfenden Geräusch öffneten sich die Luken. Die Piraten stürzten hinaus und… Sie brüllten vor Wut auf! Ringsum wimmelte es von Booten, von Matrosen, die die Gewehre auf sie angelegt hatten, ringsum auf dem grauen Leib des Piraten-Kreuzer s standen be reits handfeste Männer, die die hinauseilenden Pira ten ergriffen und in die Boote warfen, bevor sie zur Waffe greifen konnten. Die Piraten stauten sich und fluteten dann zurück. Aus dem Innern des Schiffes knallten Schüsse, dann eine ganze Salve, dann wieder einzelne Detona tionen. Von unten stürzten Piraten nach oben und prallten gegen ihre Kameraden. 203
Rufe, Schreie, Flüche und Befehle schwirrten durcheinander. Von oben strömte die Flut der Matrosen nach. Es war wie an einem Hexensabbat, Schüsse krach ten durcheinander. Arme hoben sich, die Piraten gaben den Wider stand auf. Innerhalb weniger Minuten waren die Piraten überwältigt. Blackeye lag tot an der Treppe, ein Matrose hatte schneller geschossen als er. John Poole, mit seiner verdrehten Nase, grinste wie gewöhnlich, als er aus der Tiefe herauskam. Hin ter ihm folgte ein glücklicher Zug von Menschen, die seit Wochen die Sonne nicht mehr gesehen hatten. George Ketter und John Poole schüttelten sich stumm die Hände. »Sie haben Ihre Aufgabe erfüllt«, beglückwünsch te ihn Ketter. »Alle Hochachtung!« »Umgekehrt wird ein Stiefel daraus«, wehrte Poo le ab. Sie sahen sich um. »Allein hätten wir es nicht geschafft, wenn nicht…« Sie suchten vergebens. Sun Koh war ins Wasser gesprungen. Das Flug zeug ›Atlantis‹ senkte sich flüchtig auf das Wasser nieder, dann nahm es ihn auf. 204
Während die Menschen noch nicht fassen konnten, daß der berüchtigte Atlantikpirat endlich unschädlich gemacht worden war, flog Sun Koh bereits wieder hoch über dem Ozean. ENDE
Bitte beachten Sie die Vorschau auf der nächsten Seite.
205
Als SUN KOH Taschenbuch Band 15 erscheint:
Freder van Holk
Die Rache Tibets
In London taucht ein altes Pergament auf, in Samarkand läuft ein Mann um sein Leben, und der lahme Timur tötet noch Jahrhunderte nach sei nem Tode. Hal Mervin und Nimba kommen ins Gefängnis, über Sun Koh schließt sich das Grab des großen Eroberers, und Kiang-schan flieht mit seiner Beute. Die Wüste ist groß, aber Sun Koh findet die Spur des Chinesen und stellt ihn in Lopnor. Kiang-schan rächt sich in Lhasa und hetzt in Taschi-Lhumpo, bis ihn schließlich doch die grausame Rache Tibets trifft. Die SUN KOH-Taschenbücher erscheinen vierwöchentlich und sind überall im Zeitschrif ten- und Bahnhofsbuchhandel erhältlich.
206