ED NAHA
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ED NAHA
Der Roman zum Film Ins Deutsche übertragen von Wolfgang Neuhaus Scanned by Doc Gonzo Diese digitale Version ist FREEWARE und nicht für den Verkauf bestimmt
BASTEI-LÜBBE-TASCHENBUCH Allgemeine Reihe Band 13 243 Erste Auflage: Januar 1990
© Copyright 1989 by Lorimar Productions, Inc. All rights reserved Deutsche Lizenzausgabe 1989 Bastei-Verlag Gustav H. Lübbe GmbH & Co., Bergisch Gladbach Originaltitel: Dead Bang Lektorat: Martina Sahler Titelfoto: Warner Books Umschlaggestalrung: Quadro Grafik, Bensberg Satz: Fotosatz Steckstor, Bensberg Druck und Verarbeitung: Brodard & Taupin, La Fleche, Frankreich Printed in France ISBN 3-404-13243-2 Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer.
Erster Teil Ein Held ist nicht mutiger als ein normaler Mensch — er ist fünf Minuten länger mutig. Ralph Waldo Emerson
Nur noch zwei Tage bis Weihnachten, und Jerry Beck war in Sachen Mord unterwegs. Er hockte in der kleinen, schmuddeligen Kneipe in Los Angeles und starrte durchs schmutzige Fenster nach draußen. Am trüben abendlichen Himmel schwebte der Goodyear-Zeppelin. FRÖHLICHE WEIHNACHTEN, kam von hoch droben die frohe Botschaft der Glühlampenketten. NUR NOCH ZWEI EINKAUFSTAGE! Draußen vor der Kneipe hatte jemand ein paar mickrige elektrische Christbaumkerzen an zwei spindeldürre Palmen gehängt. Beck seufzte. Heile Welt, ade. Er ließ sich tiefer in seinen Stuhl rutschen und starrte auf den smogvernebelten Mond. Welch eine Stadt, dachte er. Wie hatte seine Ex-Gattin immer gespottet? Jesus Christus wäre in Los Angeles geboren worden. Aber man fand keine drei Heiligen. Und eine Jungfrau schon gar nicht. Er nippte an seinem Drink und stierte düster vor sich hin. Er hatte gottverdammt keine weihnachtlichen Gefühle. Er fühlte sich krank. Der Kerl, der Beck gegenübersaß, quasselte und quasselte. Beck versuchte, seine Gedanken zu sammeln. Unbewußt schnüffelte er an seiner rechten Hand. Tabak. Er konnte ihn riechen. Wie den Tod. Beck hatte vor zwei Tagen das Rauchen aufgegeben. »Wenn du's zwei Tage lang durchhältst, bist du übern Berg«, hatte ihm jemand mal gesagt.
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Zwei Tage, und er stank immer noch nach Scheiße. Nach Nikotin. Na ja, kam aufs gleiche raus. Ein fetter Mann mit ungepflegtem Zottelbart kam in die Kneipe getorkelt und brachte den heißen, erstickenden Atem des Santa-Ana-Windes mit in den verräucherten Raum. Beck spürte Schweißtropfen auf der Stirn prickeln. Welch eine Weihnacht. Temperaturen um die 30 Grad. Typisch für Los Angeles. Jerry Beck hatte erst ein einziges Mal eine Weiße Weihnacht erlebt: mit Schnee im Marktwert von zwei Millionen Dollar, den eine Gruppe illegaler Einwanderer verhökern wollte, die ein so schauderhaftes Englisch sprachen, daß einem der Gürtel aus der Hose rutschte. Zwei Burschen an der Bar führten idiotische Streitgespräche über Seelenwanderung und Volleyball und versuchten, durch ihre geistigen Ergüsse zwei junge Miezen zu beeindrucken, um sie dann schneller aufreißen zu können. Die beiden Kerle waren braungebrannte, aufgeblasene Arschlöcher. Die beiden Mädchen kauten wie zwei Kühe auf ihren Kaugummis herum. Wären ihre Kleider nur ein bißchen kürzer gewesen, wären es Blusen gewesen. Beck versuchte, sich auf seinen Drink zu konzentrieren. Er hielt die rechte Ex-Raucherhand so weit wie möglich von der Nase weg. Eigentlich könnte er seine Klamotten packen und aus Los Angeles verschwinden. Würde ihm gar nicht schwerfallen. Was war das schon für eine Stadt? Eine Wucherung, jawohl. Mehr nicht. Nur eine riesige Wucherung voll von Möchtegerns und Niegewesens. Diese Stadt war das Eldorado der verkrachten Existenzen. Umherstreifende Straßengangs knallten unschuldige Zeugen ihrer Einbrüche und Überfälle ab, nur weil sie die falsche Hautfarbe hatten. Der Smog nahm so bedrohliche Formen an, daß den Herstellern von Gasmasken eine goldene Zukunft in Aussicht stand. Beck starrte den winzigen Weihnachtsbaum an, der vor ihm auf dem Tisch stand. Ein armseliges Lämpchen an seiner Spitze blinkte in unregelmäßigen Abständen auf. Er strich mit
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dem Finger über ein Schild auf dem Plastikständer des Baumes. >Made in Taiwan. < Irgendwo in der Kneipe grölte jemand Stille Nacht, aber mit einem Akzent, wie Beck ihn noch nie gehört hatte. »Schtüüühülä Nooocht, hooi-ligä Nooocht...« Beck seufzte tief. Er konzentrierte sich auf den Mann, der ihm gegenüber saß. Der Bursche quasselte immer noch vor sich hin wie ein mit Aufputschmitteln vollgepumpter Papagei. Beck entschloß sich, aufmerksamer zu sein. Schließlich war er deswegen hier — um sich das Gesabber dieses Trottels anzuhören. Aber irgendwie fühlte er sich dem ganzen Mist heute abend nicht gewachsen. Er versuchte, seine immer wieder abschweifenden Gedanken unter Kontrolle zu bekommen. Er mußte diese Sache hier zu Ende führen. »Also, wieviel?« fragte der Mann nervös und benutzte seine Cocktail-Papierserviette dazu, sich den Schweiß vorn Kinn abzuwischen. Beck zuckte die Achseln und rieb sich mit der Hand übers kurze blonde Haar. »Willst du einen schwarzen Burschen oder einen weißen?« »Wo liegt denn der Unterschied?« sagte der frettchengesichtige Mann ungeduldig. »In der Hautfarbe.« Das Frettchen rutschte unruhig auf seinem Stuhl herum. »Was soll das sein? Ein Witz? Es geht um meine hurensohngottverdammte Mutter!« Beck zuckte wieder die Achseln und bedauerte in seinem tiefsten Innern die galoppierende Inflation des Zerfalls traditioneller Familienbande in dieser Stadt. Allmählich gelang es ihm, sich auf sein Gegenüber zu konzentrieren: einen langen, dürren Burschen namens Kladas, der wie ein riesiges häßliches Nagetier aussah. Der Kerl war Ende Dreißig. Für Beck, der im gleichen Alter war, war er ein Jüngling . . . obendrein ein geistig zurückgebliebener. Beck grinste und störte sich nicht daran, daß ihm der Schweiß in Strömen vom Körper lief und sein zerknittertes Hemd durchnäßte. Der Lappen war ohnehin so exklusiv wie Kölnisch Wasser aus einem Discountladen. Und so roch es jetzt auch.
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Becks Sportjackett sah sogar noch schäbiger aus. Es war ein Polyester-Ding im Stil der Freizeitmode der Lower Hast Side; die Sorte, die mit Vorliebe von fetten, großkotzigen Kerlen in Marina-Del-Rey-Restaurants getragen wird. Den Typen, die den Kellnerinnen beim Kassieren in den Ausschnitt glotzten oder die versuchen, Blondinen anzumachen, die jünger sind als ihre Schuhe. Scheißspiel. Beck richtete den Blick seiner grünen Augen auf das fleischgewordene nervöse Zucken, das ihm gegenübersaß. »Immer mit der Ruhe, Junge. Cool bleiben.« »Was? Immer mit der Ruhe, sagst du? Mann, das ist 'ne Sache, die ... na ja, weißt du ...« Beck rieb sich mit der Rechten über die Augenbrauen. Eine Migräne war im Anmarsch. Eine Armee von Migränen. »Ja, ja, ja. Ich weiß. Eine Sache auf Leben oder Tod.« »Stimmt, stimmt.« Kladas nickte, und sein Kopf ruckte rauf und runter wie bei einer Marionette, bei der ein besoffener Anfänger die Fäden zieht. »Weißt du, in diesem Job spielen Qualität der Auftragserledigung und Zuverlässigkeit die wichtigste Rolle. Und das bestimmt den Preis«, sagte Beck grinsend. »Ein schwarzer Killer kostet dich einen Riesen, ein weißer anderthalb.« Beck versuchte nicht, den Großkotz zu spielen. Er versuchte nur, dem Frettchengesicht die Regeln des Spiels beizubringen. Sein Kunde schien sie ihm nicht abzukaufen. Er riß die Augen auf. »Scheiße auch! Das ist viel Kies, Mann. Warum kostet ein weißer Bursche denn fünfhundert Bucks mehr als ein schwarzer?« Beck zuckte die Achseln. »Weil Weiße den Job normalerweise sauberer und besser erledigen. Sie sind pünktlich, besorgen sich die jeweils passende Waffe mit dem richtigen Kaliber und, und, und. Aber wo liegt denn der Haken? Du hast doch gesagt, deine Alte ist 250 Riesen Lebensversicherung schwer.« »Ja, aber es kann Monate dauern, bis ich an den Schotter rankomme. Ich hab' mir sagen lassen, daß man solche . . . Sachen auch für fünfhundert Bucks erledigen lassen kann.« Beck versuchte ein Lächeln. Schließlich stand Weihnachten
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vor der Tür. »Ja, und dann kannst du dir gleich für 14 Dollar 95 ein kleines Rettungsfloß kaufen. Mann, es ist doch nicht irgendwer, dem du das Licht ausknipsen lassen willst. Es ist deine Mami. Willst du überleben? Dann setz auf Qualitätsarbeit. Schnell, sauber, gründlich. Es liegt an dir, Boß.« Der nervöse Mann namens Kladas fing an mit den Knöcheln zu knacken. Krack. Knirsch. Peng. Knack. Knirsch. Dazu nickte er rhythmisch. »Okay. Okay. Okay. Scheiß drauf.« Beck nickte. »Ein Weißer also?« »Ja, zum Teufel. Die Sache ist zu wichtig, als daß sie versaut werden darf.« »Wie wahr, wie wahr«, sagte Beck grinsend. Er schlug seine schäbige Polyesterjacke auf. Ein dünner Draht kam zum Vorschein. Er war an ein Mini-Mikrofon angeschlossen, das an Becks schreiend roter Krawatte befestigt war. Dem Mann namens Kladas traten die Augen aus den Höhlen. Beck grinste noch breiter und zog seine schäbige Jacke ein Stück weiter auf. An der Brusttasche seines Hemds war eine Erkennungsmarke befestigt: LOS ANGELES SHERIFF'S DEPARTMENT, MORDDEZERNAT, Beck ließ ein Nimm's-nicht-so-tragisch-Grinsen aufblitzen. »April, April, Arschloch«, sagte er. Dem dürren Burschen traten die Augäpfel so weit aus dem Kopf, als würden sie jeden Moment abheben und in eine niedrige Erdumlaufbahn gehen. Beck sah, daß der Bursche sich aus dem Staub machen wollte. Verständlich. Kladas drehte kaum merklich den Kopf zur Tür und behielt dabei Beck im Auge. Die beiden Männer saßen nur etwa fünfzehn Meter von der Tür entfernt. Er, Kladas, würde es schaffen. Jawohl. Seine Beinmuskeln spannten sich. Seine Gedanken rasten — und kamen abrupt zum Stillstand, als sein Blick auf Becks rechte Hand fiel. Er stellte fest, daß er in die Mündung einer 38er Smith & Wesson starrte. Die Waffe lag ganz ruhig in Becks Faust. Er grinste noch immer. Ihm schien das alles ungeheuren Spaß zu machen. Das Frettchengesicht erhob sich trotzdem langsam aus seinem Stuhl. Er kam sich vor wie ein Taucher, der zum ersten
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Mal von der Taucherkrankheit erwischt wird. Er wollte, mußte sich nach oben kämpfen. Die Wasseroberfläche durchstoßen. Den Himmel sehen. Tief die kühle, klare Luft einatmen. Becks Linke schoß hoch. Er zog Kladas am Hemdkragen wieder in die Tiefe, hob die Kanone und richtete sie auf den Kopf des Dürren. »Du möchtest deinen Urlaub doch nicht mit 'nem ziemlich großen Loch in deinem häßlichen Schädel verbringen, oder?« Kladas schüttelte stumm den Kopf. Nein. »Fein«, sagte Beck lächelnd. »Kennst du irgendwelche Weihnachtslieder?« »Ich . .. äh, glaub' schon«, stammelte Kladas verdutzt. »Ich kenn'... Ich sah drei Schiffe.« »Großartig. Dann fang mal an zu singen. Wir gehen jetzt wie zwei alte Freunde zur Tür. Und immer schön lächeln.« Kladas schluckte, nickte. Er begann mit hoher, quiekender Stimme zu singen: »Ich sah drei Schiffe, die segelten ein... in der Heiligen Nacht, in der Heiligen Nacht... drei Schiffe, die mir solch Freude gebracht...« Beck führte Kladas an der gräßlichen Weihnachtsdekoration vorüber, die sinnigerweise eine Südseelandschaft zeigte und von jemandem aufgebaut worden war, der es besser nicht hätte tun sollen. Bunte Lampen an Palmen blinkten in einschläferndmonotonem Rhythmus. An und aus. An und aus. Irgend jemand fütterte die altersschwache Jukebox mit ein paar Münzen, und dann fingen entweder Patsy Kline oder die Los Losbos an zu trällern. Bei diesen Lautsprechern war das verdammt schwer zu unterscheiden. Kladas sang noch schlechter. »Ich saaah dreiii Schiffe, die seeegelten eiiin ...« Beck drückte ihm die Mündung des 38ers ins Kreuz und schob ihn durch die Tür. »Fröhliche Weihnachten, Arschloch.« Draußen vor der Kneipe wartete bereits ein schwarzweißer Streifenwagen. Beck schubste Kladas zwei Officers in die Arme. Dann ging er zu seinem zerbeulten Toyota Celica, Baujahr 77, hinüber, kratzte ein paar Lacksplitter von der Fahrertür ab, öffnete sie und schwang sich hinters Lenkrad.
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Beck beobachtete, wie der Streifenwagen mit seinem selten dämlichen Passagier losfuhr. Durchs geöffnete Seitenfenter seiner Toyota-Rostlaube schlug Beck der heiße Hauch des Santa-Ana-Windes ins Gesicht. Beck schaltete das Radio ein. Statisches Rauschen. Nichts als statisches Rauschen. Er beugte sich zum Handschuhfach hinüber, nahm eine zerknitterte Packung Marlboro heraus und zündete sich eine Zigarette an. Teufel auch ... es war Weihnachten. Jeder brave Junge hatte sich ein Geschenk verdient. Er saß im Wagen und starrte gedankenversunken zur Kneipe hinüber, schnippte hin und wieder die Zigarettenasche auf die Straße. Scheißjob, Scheißstadt. Er tat sich selbst leid. Sogar dieser Trottel namens Kladas tat ihm irgendwie leid. Vielleicht lag es daran, daß es nur noch zwei Tage bis Weihnachten waren. Beck wußte, daß seine Feiertage in diesem Jahr aus einer Reihe von Gründen nicht allzu festlich verlaufen würden. Bei diesem Gedanken griff er wieder ins Handschuhfach und nahm einen fast leeren Flachmann mit Wodka heraus. Er kippte den Rest in sich hinein, ohne den Blick von der Fassade der schäbigen Kneipe abzuwenden. In irgendeiner nahen Seitengasse brannte jemand Knallfrösche ab. Beck konnte das Knattern und Prasseln hören, als es von den Stuckfassaden der umliegenden Häuser zurückgeworfen wurde und durch die Gasse rollte wie Gewitterdonner. Stille Nacht, heilige Nacht. Was Nikolaus wohl" dazu sagen würde. Beck hielt den leeren Flachmann an die Brust gedrückt und starrte hinauf zum zigarettengelben, abbröckelnden PlastikWagenhimmel. Die Lampe der Innenbeleuchtung baumelte an drei Drähten in der heißen Santa- Ana-Brise. Weihnachten in Los Angeles war wie Ostern in Los Angeles, was wie Thanksgiving in Los Angeles war, was wiederum wie Silvester, Halloween, Columbus Day, Saint Patrick's Day und jeder andere Feiertag zur freien Auswahl in Los Angeles war. Wettervorhersage? Sonnig und heiß.
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Stimmungsbarometer? Stark fallend. Beck hockte in seinem Wagen und sehnte sich nach Dingen, die er nie gehabt hatte. Ein Betrunkener torkelte an Becks Rostbeule heran und spähte mit glasigen Augen ins Wageninnere. Beck versuchte, den Kerl einfach zu ignorieren. Der Betrunkene blieb aber stehen und beobachtete Beck beim Rauchen und Vor-sich-hinStarren, als hätte er so etwas noch nie gesehen. Ein Speicheltropfen, der im Mondlicht glitzerte, fiel von der Unterlippe des Betrunkenen. Der Typ gaffte und gaffte. Schließlich wurde es Beck zuviel. Er drehte sich im Sitz zu dem Mann um. »Hast du was an den Augen?« »Uh - äh?« »Verpiß dich.« Beck zog langsam den 38er aus der Schulterhalfter. Der Betrunkene wich zurück und lallte irgend etwas. Ein Amerikaner war der Schluckspecht nicht. Schon wieder ein Akzent, den Beck noch nie gehört hatte. Beck seufzte und ließ den Motor an. Er fühlte sich großartig. Er hätte die ganze Welt umarmen können. Um ihr sämtliche Knochen zu brechen. Beck lenkte seinen Wagen auf den unkrautüberwucherten Einstellplatz hinter dem Apartmenthaus, in dem er wohnte. Er fluchte lautlos, als ein Jet im Tiefflug vom Burbank Airport dicht über die Häuser hinweg in den Abendhimmel donnerte, tief genug, um Becks Innereien vibrieren zu lassen. »Ich hasse dich, du Scheißding«, fluchte er. Er beugte sich über den Fahrersitz nach hinten und nahm die Taschen mit dem Spielzeug für seine beiden Kinder von der Rückbank des Wagens. Seit einer Woche kutschierte er die Sachen jetzt schon durch die Gegend. Er stopfte eine jungfräuliche Flasche Wodka — sein Abendessen — in eine der Taschen, stieg aus und marschierte in Richtung Eingangstür. Er schloß den Briefkasten auf. Ein paar Rechnungen und ein DIN-A4-Umschlag fielen ihm entgegen. »Na, so was«, murmelte er. »Keine Weihnachtskarte.« Er knallte den Briefkasten zu und bemerkte, daß er beob-
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achtet wurde. Er blickte nach oben. Auf der Treppe saß einsam und verlassen ein schmächtiger Latino-Junge. Die Wortfetzen eines wüsten, in spanischer Sprache geführten Streits ratterten wie fernes Maschinengewehrfeuer aus dem ersten Stock herunter. Beck verstand kein Spanisch, aber er kapierte auch so, was da oben gesprochen wurde. Jesus, ging's da rund. Er hatte so was Ähnliches oft genug gehört, als er selbst noch ein Kind war. Er nickte dem Jungen zu. »He, Juancho, que pasa«? Der Junge zuckten die Achseln, und seine großen braunen Augen füllten sich mit Tränen. »Nicht viel, Mann.« Der Kleine wies mit dem Kopf die Treppe hinauf. »Immer die gleiche Kacke.« »Weißt du schon, wo du heute abend bleiben kannst?« fragte Beck. Der Junge sah zu Boden. Beck kapierte. Er legte den Finger nicht in die Wunde. »Wenn's dir zu den Ohren rauskommt, klopf bei mir an. Ich hab' einen Schlafsack und 'ne Ecke für dich frei.« Juancho lächelte und nickte. »Was is' in den Taschen da?« »Spielzeug für meine Kinder.« Juancho erhob sich langsam, kam die Treppe herunter und ging zur Ausgangstür. »Deine Kinder haben's gut, Mann.« Er ging nach draußen, schwang sich auf sein Fahrrad und verschwand in der Dunkelheit. Beck stellte fest, daß er grinste. »Ja ... die haben's wirklich gut.« Einen Moment verharrte er, dachte an seine Kinder. Er bekam sie so selten zu Gesicht, daß sie ihn mittlerweile mit >Onkel Daddy< anredeten. Beck stieß einen monumentalen Seufzer aus. >Onkel Daddy< war geradezu zärtlich im Vergleich zu den Worten, mit denen die Mutter seiner Kinder ihn belegte. Er stieg zu seiner Wohnung im ersten Stock hinauf, jonglierte mit den Taschen und fummelte dabei den Schlüssel ins Schloß. Dann betrat er das unmöblierte Ein-Bett-Schlafzimmer. Er ließ seinen Blick hinüber ins Wohnzimmer schweifen und über die Kisten, den Fernseher, der auf einem Bierkasten stand, und die wenigen Möbel, die in chaotischer Unordnung im Zimmer standen.
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»Aaah«, seufzte er. »Trautes Heim, Glück allein.« Er wohnte jetzt seit vier Monaten hier. Eines Tages würde er sich Zeit nehmen und gründlich aufräumen. Eines Tages. Heute war er nicht in Putzlaune. Beck schlurfte durchs Wohnzimmer bis in einen Raum, der mit viel Phantasie als Küche zu identifizieren war. Er kippte Chips in eine Schüssel und goß sich ein großes Glas Wodka ein, ging zurück ins Wohnzimmer und fiel über einen der Spielzeugkartons her. Etwas zu hastig. Unzählige, merkwürdig geformte bunte Plastikteile prasselten zu Boden. Beck spähte in den Karton. Ein dicker Packen Papier lag darin: >BAUANLEITUNG FÜR ANTI-TERROR-TRUCK. FÜR VIER- BIS ACHTJÄHRIGE. < Er zog sich eine leere Kiste heran, hockte sich darauf und holte seine Lesebrille hervor. Er setzte das betagte Monstrum auf. Das rechte Glas flog — plop — aus der Fassung. Wütend riß Beck einen Streifen Klebeband von der Kiste, auf der er hockte, hob das Brillenglas auf und klebte es am Rahmen fest. »Ich schwöre bei Gott, eines Tages lege ich mir Kontaktlinsen zu«, murmelte er und versuchte, sein rechtes Auge hinter dem Klebeband in die richtige Stellung zu bringen. Die Bauanleitung für das Spielzeug ragte vor ihm auf, voluminöser als die neueste Auflage der Enzyclopaedia Britannica. Er starrte auf die Plastiktrümmer, die um ihn herum auf dem Boden lagen, und auf den dicken Packen der Montageanleitungen. Dann griff er seufzend nach dem Wodkaglas und kippte den Inhalt in einem Zug hinunter. »Na, sauber.« Er rülpste. Die grellbunten Plastikteile schienen für einen Moment vor seinen Augen zu verschwimmen. Ach, was soll's, dachte Beck. Er konnte den Krempel später zusammenbauen. Es war ja noch immer reichlich Zeit bis Heiligabend. Er wandte sich der Post zu. Rechnungen. Gas. Strom. Er wühlte sich durch Reklame und Wurfsendungen bis zum irgendwie amtlich aussehenden Umschlag vor, riß ihn auf und zog das Schreiben heraus. Eine Drohung seiner Ex-Gattin Gloria. Juristenkauderwelsch. Ein verzerrtes Lächeln legte sich auf sein Gesicht. Eine
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gerichtliche Verfügung, aha. Ihm wurde in dem Wisch jeglicher Kontakt mit Gloria und seinen Kindern verboten, sofern keine ausdrückliche schriftliche Erlaubnis vorlag. Beck lachte auf. Das Lachen verwandelte sich in ein abgehacktes Kichern. Dann rülpste er noch einmal. »In diesem Sinne — schnuckelige Weihnachten, Beck, altes Haus«, sagte er etwas undeutlich, denn die Wirkung des Wodkas setzte ein. Aber längst nicht in dem Maße, wie er sich das gewünscht hätte. Er nahm die gerichtliche Verfügung, knüllte sie zusammen und warf sie durchs offene Fenster. Der Umschlag flog hinterher. »Verpißt euch«, sagte er undeutlich. Beck schaltete den altersschwachen Fernseher ein, dessen Lautsprecher von Zeit zu Zeit den Geist aufgab. Es wurde ein brennender Weihnachtsscheit gezeigt. Dazu lief eine arg zerkratzte Bing-Crosby-Schallplatte. >I 'm dreaming of a white Christmaaasrchratatat... < Der Lautsprecher. »Yeah, bravo, Bingle«, lallte Beck und schaltete den Apparat wieder aus. Er setzte sich in seinen Lehnstuhl, grapschte nach der Wodkaflasche und stieß sie dabei um. Der Schnaps spritzte über die ellenlange Bauanleitung für den regenbogenfarbenen Anti-Terror-Truck, den er mit in seine Wohnung geschleppt hatte. Er bückte sich nach der Flasche, nahm einen Schluck, holte den Mop und wischte den Fusel auf. Dann setzte er sich, legte sich die klebrigen Blätter auf den Schoß und richtete seine Aufmerksamkeit auf die verstreut zu seinen Füßen liegenden Plastikteile. Dann nahm er den Zusammenbau des Spielzeugs mit grimmiger Entschlossenheit und gedämpfter Begeisterung in Angriff. »Was, zum Teufel, kann heute schon noch schiefgehen?« murmelte er. In ein paar Stunden sollte er's erfahren.
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2 Er hieß Burns, und er hatte eine Tätowierung. Es war nicht das normale, geschmackvolle Design — wie etwa ein Totenschädel mit zwei gekreuzten Knochen darunter. Es war auch kein Herz, keine nackte Frau, kein kreischender Adler. Es war etwas anderes, etwas Besonderes. Ein Kreis. Und in diesem Kreis war ein Kreuz. Durchstoßen von zwei gezackten Blitzen. Burns rieb sich über den Arm, dort, wo die Tätowierung war. Gewohnheitssache. Es erinnerte ihn daran, wer er war. Für was er eintrat und kämpfte. Er überquerte in einem heruntergekommenen Viertel von Los Angeles eine dunkle, wie ausgestorben wirkende Straße und ging zu einem Mini-Markt hinüber. Er liebte solche kleinen Läden. Los Angeles war voll davon. Und voll von scheußlichen Gebilden aus architektonischen Alpträumen. Es gab sie hier an jeder Ecke. Er fühlte sich hier zu Hause. Diese Bauten waren häßlich. Er war häßlich. Es war spät, und es war heiß. Burns konnte spüren, wie seine Füße in den Springerstiefeln schwitzten. Die gesamte Umgebung war düster, wirkte träge und unbeweglich in der stickigen Nachtluft. Die einzige Lichtquelle, das einzige Anzeichen von Aktivität, von Leben, war dieser mickrige Mini-Markt. Burns wurde davon angezogen wie eine Motte vom Licht. Er betrat den Laden, der rund um die Uhr geöffnet hatte. Mary's. Hier gab's nutzlosen Plunder und ganz normale Haushaltartikel. Nur war hier alles einen schönen Batzen teurer als in normalen Geschäften. Das ist Raub, dachte Burns grinsend. Die Art von Raub, für die man nicht in den Knast wandert. Ein Schwarzer mittleren Alters kauerte hinter dem Ladentisch und versuchte, einen defekten Getränkemixautomaten zu reparieren. Burns beobachtete den schwarzen Mann, wie dieser von Zeit zu Zeit mit der Faust gegen den Automaten schlug. Burns konnte nicht anders, er mußte lächeln. Wenn du
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mit der Technik konfrontiert wirst und nicht klarkommst, gebrauch deine Fäuste. Der Schwarze, Edwin Gates, wandte den Kopf und blickte in Burns' Richtung. Schlagartig wurde er sichtlich nervös. »Wenn Sie eine Colamix möchten, haben Sie Pech«, sagte er lächelnd. Burns lächelte zurück. »Du bist derjenige, der Pech hat. . . Nigger.« Gates blinzelte. Einmal. Zweimal. Dreimal. Was, zum Teufel, sollte das? Kein Mensch redete mehr so zu einem Schwarzen. Niemand. Wir schreiben das Jahr 1989, Junge, dachte Burns. , Er stierte den Fremden an, und jede Faser seines Körpers spannte sich. Ihm brach der Schweiß aus. Der Kerl schien kein bißchen nervös zu sein. Jesus, hier war eine Gegend, in der die Schwarzen und die Latinos das Sagen hatten. Als Weißer mußte man ganz schön auf seinen Arsch aufpassen. Vor allem, wenn man hierherkam und >Nigger< in die Gegend rief. Wenn jemand das mitbekam, konnte man sich verdammt schnell in eine Zielscheibe für eine Schrotladung verwandeln. Aber vielleicht war dieser Bursche lebensmüde oder bescheuert. Oder beides. Oder ein Junkie? Nein. Seine Augen waren zu wachsam, zu flink. In dem Moment, in dem Gates Augenkontakt mit dem Fremden aufgenommen hatte, wußte er auch schon, daß er das besser nicht getan hätte. Er wandte schnell den Blick von dem Mann. Hier lag irgend etwas in der Luft. Irgend etwas, das sehr, sehr böse enden konnte. Der tätowierte Kerl grinste. Er hob langsam eine halbautomatische 9-Millimeter-Browning, die er aus der Tasche gezogen hatte. Für Gates spielten Rassenvorurteile plötzlich keine Rolle mehr, denn der Bursche kam jetzt hinter den Tresen und richtete die Mündung der Kanone genau auf die Schläfe des schwarzen Verkäufers. Der Mann namens Burns lächelte. »Die Registrierkasse. Geh rüber. Mach sie auf.« »Kein Problem«, sagte Gates keuchend, in dessen Magen auf einmal tausend Schmetterlinge zu flattern schienen. Er
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ging mit steifen Schritten zur Kasse hinüber. »Es sind aber gerade mal fünfzig Dollar drin ... es ist spät, und ... na ja, das ist bei uns so üblich.« »Du brichst mir das Herz. Nimm einfach alles raus, was drin ist.« Gates drückte einen Knopf, und die Kasse sprang mit einem hellen Klingeln auf. Er nahm alles an Geldscheinen heraus. Fünfzig Dollar. Vielleicht auch nur vierzig. Seine großen Hände zitterten, als er Burns die Scheine reichte. Der Tätowierte lächelte und stopfte sie in die Taschen seiner Jeans. Die Waffe hielt er starr auf Gates' Schläfe gerichtet. »Ooo-kay«, sagte Burns gedehnt und grinste breit. »So. Wie war's jetzt mit deinen Kohlen, Nigger?« Gates nickte stumm. »Yes, Sir«, sagte er dann. »Tut mir leid, Sir. Die hatte ich ... ganz vergessen.« Er zog langsam seine Geldbörse aus der rechten Gesäßtasche und legte sie auf den gläsernen Ladentisch zwischen Bonbonschachteln und Einwegfeuerzeugen mit dem Aufdruck >I LOVE L.A. < »Jetzt nimm das Geld raus«, sagte Burns leise. »Jawohl.« Gates nahm das Bargeld aus der Geldbörse, legte es auf den Ladentisch. 35 Dollar und 68 Cent. »In Ordnung?« fragte er leise. Burns sagte nichts, lächelte nur. Er fing an zu kichern. Der Schwarze hatte ihm die ganze Zeit nicht ins Gesicht geblickt, hatte nur auf den Boden gestarrt. Nicht schlecht. Der Nigger würde ihn, Burns, also nicht identifizieren können, wenn die Cops später auftauchten. Burns wäre am liebsten in schrilles Gelächter ausgebrochen. Als ob das diesem Blödmann den dämlichen Schädel retten würde! Keine Chance, Nigger. Du hast geglaubt, clever zu sein? Von wegen. Scheißdreck. Burns hätte am liebsten aufgeheult vor Vergnügen. Er raffte das Geld zusammen und umrundete den Tresen, hinter dem Gates zitternd und mit gesenktem Kopf stand. Der Tätowierte baute sich vor dem Ladentisch auf. »Glaubst du an den lieben Gott?« fragte er. »Ja. Ja, das tu ich.« Burns grinste. »Das ist gut. Weil ich hier ein Werkzeug
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habe, mit dem ich jetzt sofort für dein Seelenheil sorgen kann. Möchtest du Jesus kennenlernen? Möchtest du einem Heiligen oder einem Märtyrer deiner Wahl vors Antlitz treten?« Der große Neger starrte in die Mündung der Halbautomatik. »Bitte. Ich habe Sie nicht angesehen . . . Ich kann Sie nicht identifizieren.« Burns fing an zu lachen. Erst war es nur ein leises Kichern, dann steigerte es sich zu einem irren Geheul. »O nein. Nein. Nein«, japste er. »Aber dafür kann ich dich identifizieren. Ist gar nicht schwer. Genau in diesem Augenblick sehe ich nämlich einen beschissenen toten Nigger vor mir liegen.« Burns kreischte irre, als er abdrückte. Die Kugeln schlugen in Gates' Brust. Sein Körper wurde zurückgestoßen, zuckte wild wie in einem makaberen Tanz und verschwand hinter dem Ladentisch des Mini-Markts. Burns trat vor, beugte sich über den Tresen und beobachtete, wie der große Farbige wild um sich drosch und immer größere Blutfontänen aus den Wunden in seinem Oberkörper spritzten. Die zuckenden, krampfartigen Bewegungen erinnerten Burns an Break Dance, und ihm gefiel dieser Vergleich.Disco death dance. Er lächelte wieder, sah den letzten Zuckungen des Mannes zu, die Waffe fest an den rechten Oberschenkel gepreßt. Dann verließ er den kleinen Laden und summte dabei >Jingle Beils <. Jesus Christus, wie sehr er Weihnachten liebte. Und er mußte nochso vielen Leuten Geschenke machen. Er schlenderte durch die dunklen Straßen von South Central L. A. Die Menschen hier schliefen jetzt friedlich. Mit Träumen von Kerzenlicht und strahlenden Kinderaugen in ihren dämlichen Schädeln. Burns ging kreuz und quer durch dieses heruntergekommene Viertel, etwa eine halbe Stunde lang, summte dabei Weihnachtslieder und betrachtete die schmutzigen, verfallenen Fassaden der Häuser. Bald würde das alles verschwunden sein. Ausradiert. Er würde dafür sorgen. Menschen, die sich in einer so erbärmlichen, dreckigen, verwahrlosten Umgebung wohl fühlten, diese Penner und Proleten, die den Staat schröpften, indem sie Sozialhilfe kassierten, die Junkies, die Armen — sie würden ein für allemal verjagt werden. Nein, ausgerottet. Er würde dafür sorgen. Er, Burns, und seinesglei-
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chen. Es gab nichts, was sie aufhalten konnte. Der Niedergang dieser Nation mußte gestoppt, der Abschaum vernichtet werden. Ein Windstoß fuhr ihm übers Gesicht, wirbelte den Staub durch die schmutzigen Straßen. »Ho, ho, ho«, flüsterte der Tätowierte, als er daran dachte, wie symbolisch das war. Er hörte das Motorengräusch schon, bevor er den Wagen entdeckte. Er drehte sich um. Er sah den Streifenwagen, der langsam und leise den Block hinunter und auf ihn zugerollt kam. Er mußte sich nicht mal sonderlich anstrengen, um die Stimme des Sergeants verstehen zu können, als dieser ins Mikro des Funkgerätes sprach. »Hier Kimble. Ich halte jetzt an der Kreuzung Foothill und McGann. Habe verdächtige Person entdeckt. Entspricht Beschreibung des Täters beim bewaffneten Raubüberfall auf Mary's Mini-Markt in Sieben-Elf...« Burns setzte ein strahlendes Lächeln auf. Wäre die Tätowierung nicht gewesen, hätte man ihn für einen ganz gewöhnlichen, abgerissenen Streuner halten können, von denen es in dieser Stadt so viele gab. Der Sergeant, der allein im Wagen war, öffnete die Tür, drehte sich halb im Sitz um und stellte einen Fuß auf die Straße. Er stieg nicht aus. »Heute ein bißchen früh auf den Beinen, was?« sagte er. Bums nickte freundlich. Dieses junge grüne Arschloch von Cop hatte ja keine Ahnung, was gleich passieren würde. Strahlende Augen. Rosige Wangen. Kleiner dünner Schnäuzer. Burns lachte leise und zuckte die Achseln. »Der Santa-AnaWind. Ich kann nie schlafen, wenn der Santa-Ana weht. Bringt mich ins Schwitzen. Ich schwitze dann sogar die Bettlaken durch.« »Ah, ja.« Burns lächelte. »Ja. Übrigens — fröhliche Weihnachten, Officer.« Der Sergeant, kaum älter als Zwanzig, lächelte zurück. »Wünsche ich Ihnen auch, mein Junge. Haben Sie Ihren Ausweis dabei?«
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Burns fragte: »Reicht mein Führerschein?« Der Sergeant nickte und versuchte, Burns' Gesicht zu studieren, als dieser in die Gesäßtasche seiner Jeans griff. Der hält mich für einen Säufer, nichts weiter, dachte Burns und schüttelte sich innerlich vor Lachen. Der Sergeant hielt sich mit einer Hand am Rahmen der Fahrertür fest und schwang sich aus dem Wagen. Er trat auf Burns zu, um dessen Führerschein zu überprüfen. Und spürte in diesem Augenblick, daß hier etwas nicht stimmte. Ganz und gar nicht stimmte. Die Körperhaltung des anderen hatte sich ganz plötzlich verändert. Er hielt sich jetzt gerader, aufrechter. Und immer noch tastete seine Rechte nach der Brieftasche mit dem Führerschein. Die Augen des Sergeants weiteten sich, als Burns' Hand statt mit der Brieftasche mit einer 9-Millimeter erschien. Der Mann hob die Kanone, zielte aus kürzester Distanz genau auf das Gesicht des jungen Polizisten. Der Sergeant reagierte instinktiv, griff nach seinem geholsterten Dienstrevolver. Doch mitten in dieser Bewegung verharrte er. Irgend etwas schien seine Hand festzuhalten. Die Angst. Die Angst und das Wissen, daß er keine Chance hatte. Eine tödliche Kombination. Aber versuchen mußte er es. Was er tat, war sinnlos. Der junge Cop wußte es. Er versuchte es mit Worten statt mit der Waffe. »Ke . . . warten Sie, warten Sie. Lassen Sie uns darüber reden. Wir können doch darüber reden, oder?« Dem Cop brach der Schweiß aus. Burns gefiel das sehr. »Leck mich am Arsch.« Burns hob nun auch die Linke, legte sie um den Kolben und hielt die Waffe jetzt im Beidhandanschlag. Instinktiv hob der Sergeant die Hände schützend vors Gesicht. »Du hast keine Chance, Scheißer«, sagte Burns, lächelte und drückte ab. Rhythmisch, Patrone für Patrone, bis der Schlagbolzen auf eine leere Kammer traf. Der Oberkörper des Sergeant wurde in den Streifenwagen zurückgeschleudert. Seine Füße trommelten krampfartig auf den Asphalt, sein Körper zuckte, seine Fäuste droschen gegen Amaturenbrett und Fahrersitz. Das erste 9-Millimeter Hohlmantelgeschoß hatte seinen rechten Oberarm zerfetzt. Die
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zweite und dritte Kugel hatten klaffende Löcher in Brust und Kopf geschlagen. Die Hände peitschten durch die Luft und fingen Stücke einer halbfesten Substanz auf. Sein Fleisch. Sein Blut. Burns, noch immer lächelnd, lud die Waffe nach. Dann trat er langsam auf den Wagen zu und feuerte wieder. Der Körper des Sergeants zuckte und krümmte sich unter der Einschlagswucht der Geschosse. Burns feuerte und feuerte und feuerte, bis auch dieses Magazin leer war. Bis der Cop reglos dalag. »Euch allen eine frohe Weihnacht«, flüsterte Burns. »Und allen ... eine gute Nacht.« Er starrte auf den zerfetzten Körper des Polizisten. Es war faszinierend festzustellen, daß man jemanden, der vor Sekunden noch so voller Leben war, in so kurzer Zeit so ruhig, so still, so friedlich machen konnte. Er betrachtete die Bäche aus Blut, die aus den Wunden des Mannes liefen, sich in seinem Schoß vereinten, schließlich am linken Bein herunterliefen und auf dem Asphalt der Straße eine sich rasch vergrößernde Lache bildeten. Burns beobachtete, wie diese Pfütze aus Blut wuchs und wuchs. Er sah, wie sich sein grinsendes Gesicht darin spiegelte. Er trat mit der Stiefelspitze in die Blutlache, um sie schneller abfließen zu lassen. Der rote Strom bewegte sich träge in Richtung Rinnstein und floß dann langsam die Straße hinunter. Burns beobachtete das fasziniert. Schließlich erreichte der karminrote Bach einen Abfluß; einen Gully an der Straßenecke. Das Blut tropfte hinab in die Finsternis. Burns kauerte sich ein paar Minuten vor den Gully und beobachtete, wie die rote Flüssigkeit in der Schwärze verschwand. Mit einem Ruck erhob er sich. Ein Weihnachtslied pfeifend, machte er sich auf den Weiterweg durch die heiße Nacht über Los Angeles. Gott. Das Leben konnte großartig sein.
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3 Beck lag ausgestreckt auf seiner Klappcouch und schlief, die Wodkaflasche in einer Hand. Die Einzelteile des Spielzeugs lagen noch immer verstreut um ihn herum. Das Telefon schrillte. Beck blinzelte und stellte fest, daß er eingeschlafen war, als der Fernseher noch lief . . . wieder mal. Becks Hand erwachte zum Leben, bevor sein Gehirn es tat. Er griff nach dem Hörer. »Beck«, sagte er verschlafen. »Hier Beck.« Er hörte der leisen, quäkenden Stimme am anderen Ende der Leitung zu. »Ja, ja«, sagte er und nickte schläfrig. »Ich kenn' die Ecke . . . 'ne Viertelstunde von hier. Höchstens zwanzig Minuten. Ja. Genau. Bin schon unterwegs.« Er knallte den Hörer auf die Gabel und entdeckte die Einzelteile dessen, was als Weihnachtsgeschenk für seinen Sohn gedacht war. >Problemlos zusammenzusetzen<. Diese Armleuchter. »Mist«, murmelte Beck. »Man muß ein gottverdammter NASA-Wissenschaftler sein, um mit diesem Scheißding fertig zu werden.« Auf dem Bildschirm flimmerte Schnee. Immerhin. Wenigstens das erinnerte an Weihnachten. Eine halbe Stunde später beobachtete Beck die verzweifelten Bemühungen der trüben Sonne über Los Angeles, gegen den Smog und den Rauch aus den Schornsteinen der Mietskasernen anzukämpfen. Flecken milchigen gedämpften Lichts glänzten auf einem gelben Plastik-Absperrband, das den Schauplatz eines Verbrechens vor den Neugierigen, den Obdach- und/oder Arbeitslosen und den Leuten abschirmte, die nichts anderes zu tun hatten als zu gaffen. Er sah die Kreidemarkierungen auf dem Asphalt. Er sah die Patronenhülsen. Er sah den Körper, der von einer tristen braunen Decke nur spärlich verhüllt war, auf der Straße liegen. Er sah die Ströme eingetrockneten Blutes auf dem Asphalt. Das Blut des Opfers war an einigen Stellen auch durch den Stoff der braunen Decke gesickert.
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Beck lenkte den Toyota zur Absperrung hinüber, hielt, steckte sich seine Erkennungsmarke an und schwang sich aus dem Wagen. Ein Officer in blauer Uniform kam auf ihn zumarschiert und fixierte ihn scharf. »Morddezernat?« »Ja.« Beck nickte. »Bulle?« Der Officer schluckte. »Ich . . . ich habe jemanden vom Morddezernat erwartet, darum ...« Beck grinste. »Das bin ich. Unser Tag fängt an, wenn eurer aufhört. Seid ihr die Jungs, die für diese Sache hier zuständig sind?« Der Officer und zwei der ihn begleitenden Streifenbeamten nickten eifrig. Beck ging zu dem braunen Tuch hinüber, unter dem der Körper lag. Er stellte fest, daß es Hülsen von 9-MilimeterGeschossen waren, die verstreut auf dem Boden lagen. Seltsam, dachte er. Ausgerechnet dieses Kaliber. Das war eigentlich nicht die richtige Gegend für den Besitzer einer solchen Kanone. Zu teuer. Der Officer trottete neben Beck her. »Wie schön, daß sich jemand die Zeit nimmt, Leute umzulegen«, murmelte Beck und starrte auf die Menge der Gaffer. »Ich hatte schon Angst, ruhige Feiertage erleben zu können.« Der Officer schien über Becks nicht gerade ehrfurchtsvollen Worte entsetzt zu sein. Beck ignorierte ihn, hockte sich neben dem Opfer nieder und zog die Decke vom Körper. Er merkte, wie sein Unterkiefer aufklappte. Der Magen schien ihm auf die Kniekehlen zu rutschen. O Scheiße. Der Mann war kaum noch zu erkennen. Und er war vom Sheriffs Department. Ein stählerner Ring schien sich um Becks Brust zu legen. Er starrte auf die Leiche und spürte, wie beim Anblick des jungen Burschen auf dem blutigen Asphalt auch ein Teil von ihm selbst starb. Die Augen des Cops waren noch weit aufgeris sen, sein Gesicht — das, was von seinem Gesicht noch übrig war — eine verzerrte Maske, auf der sich Verblüffung und Schmerz vermischten. Beck streckte Daumen und Zeigefinger seiner Rechten aus und strich dem toten Sergeant die Augen zu. Die blutbespritzte Erkennungsmarke des Mannes war
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durch den Einschlag einer Kugel fast in zwei Stücke gerissen worden. »Wie heißt er?« fragte Beck den Streifenbeamten, der hinter ihm stand. »Kimble. Gary Kimble.« Beck nickte, machte sich ein paar Notizen und ging zu seinem Wagen zurück. »War's das?« fragte der diensthabende Officer, der ihn begleitete. »Ja.« Beck nickte. »Das ist es immer.« Er stieg in seinen Wagen, fuhr los, knipste die Funksprechanlage ein und riß das Mikro aus der Halterung. »Hier Beck. Erzählt mir mal, was ihr über den Verdächtigen rausgefunden habt, der diesen Laden überfa ... Nein, ich hab' keine neuen Informationen für euch, aber wenn für Kimble die Ähnlichkeit seines Mörders mit dem Scheißkerl, der den Laden überfallen hat, groß genug war, um den Burschen befragen zu wollen, stehen die Chancen gut, daß wir uns über ein und dasselbe Arschloch unterhalten. Und noch was . . . wenn das noch mal passiert, dann laßt mich vorher wissen, daß man einen von unseren Jungs getötet hat, okay? > Polizeibeamter in Schießerei verwickelt< trifft es wohl nicht so richtig, ihr Penner. Ich hatte gottverdammt keine Ahnung, daß es einer von uns war, bis ich diese verfluchte Decke hochgehoben hatte.« Beck rammte das Mikro wieder in die Halterung und raste in Richtung Sheriff's Department an der Ecke Broadway und Temple. Vor fünfzig Jahren war das Gebäude noch der protzige Sitz des Gerichts und der Justizverwaltung gewesen: der Stolz der Stadtväter von Los Angeles. In den vergangenen fünf Jahrzehnten aber hatten sich die einzelnen Abteilungen nach und nach in neuere, größere Gebäude verzogen, und die Stadt wußte mit dem alten Klotz nichts Besseres anzufangen, als das Sheriff's Department farin unterzubringen. Beck saß in seinem winzigen Büro auf der Schreibtischplatte und starrte abwechselnd auf die Tasse mit lauwarmem Kaffee und die Fotos seiner beiden Kinder, die er unter eine durchsichtige Schreibunterlage gequetscht hatte: Karen stand züchtig neben ihrer Mutter, während Mark den Hund der Familie, Freddie, so herzlich an sich drückte, als wolle er ihn erwürgen. Beck und Mark beim Footballspielen. Beck, wie er
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Karen ihre erste Puppenstube zusammenbaute. Beck, Gloria, Karen und Mark bei einem ihrer wenigen gemeinsamen Picknicks im Grünen. Becks Kiefermuskeln spannten sich. Irgend etwas tief in seinem Inneren begann zu schmerzen. Er nahm schnell den Blick von den Fotos, schwang sich von der Schreibtischplatte und setzte sich vor die abgegriffene Tastatur eines Personal Computers. Er knetete die Hände, daß die Knöchel knackten, und überlegte, welche Fragen und Informationen er ins von Kaffeeflecken übersäte Keyboard eintippen konnte. Dann gab er Ort und Uhrzeit des Raubüberfalls auf den Mini-Markt ein. Die vorläufige Personenbeschreibung des Täters. Den Ort und die bisher bekannten Umstände des Mordes an Gary Kimble. Dann leitete Beck all diese Informationen an den Zentralcomputer weiter: Index-Code: >Raubüberfälle<. Das Laufwerk schnarrte. Kurz darauf erschien auf dem Monitor die Auflistung der registrierten Raubüberfälle, die in jüngster Zeit im Bereich des Los Angeles Sheriff's Department, des San Fernando Police Department und des Los Angeles Police Department verübt worden waren. Mindestens zweihundert. Beck griff diejenigen Überfälle heraus, die im näheren Umkreis jenes Ortes stattgefunden hatte, an dem gestern nacht das Blutbad verübt worden war. Zum Schluß flimmerten nur noch die Daten von weniger als einem Dutzend Überfällen auf dem Grünmonitor. Beck seufzte und zog seine ramponierte Lesebrille aus der Manteltasche. Er setzte sie auf und suchte diejenigen Überfälle heraus, die in den letzten drei Wochen in dieser Gegend passiert waren. Sechs. Und sie ähnelten einander. Alle sechs Überfälle waren auf Läden verübt worden, die rund um die Uhr geöffnet hatten. Und all diese Geschäfte befanden sich innerhalb eines Umkreises von nur vier Meilen. Becks Körper straffte sich unwillkürlich, als er feststellte, daß die Überfälle offenbar immer brutaler und gewalttätiger ausgeführt worden waren. Es hatte damit angefangen, daß der unbekannte Täter seine Opfer mit der Waffe niedergeschla-
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gen hatte — und war gestern abend mit zwei Morden geendet, Vorläufig. In Becks Magen schien plötzlich ein zentnerschwerer Stein zu liegen. Er stand auf, ging zum Telex-Gerät hinüber und schickte eine Anfrage nach Sacramento, wo die auf Kaution oder Bewährung auf freien Fuß gesetzten Kriminellen computermäßig erfaßt waren. Er brauchte eine Aufstellung all der Personen, die für solche Raubüberfälle, wie er sie gerade eben aufgelistet hatte, in Frage kamen und die außerdem in den letzten sechs Monaten auf freien Fuß gesetzt worden waren. Er starrte auf das Telex-Gerät, dann auf seine Armbanduhr. Er hatte noch Zeit genug für eine Spritztour. Noch Zeit genug, seine Kinder zu sehen ... wenn auch nur von weitem. Beck kauerte tief im Fahrersitz. Gegenüber auf der anderen Straßenseite befand sich die Vorschule. Mark und Karen, vier und fünf Jahre alt, tobten mit den anderen Kindern über den Schulhof. Sie waren schon klasse, die beiden. Keine Angst vor irgendwas. Der Boogeyman? Damit brauchte man den beiden erst gar nicht zu kommen. Keine Chance, der Knabe. Sie waren cleverer als er. Und sie wußten, daß ihr Dad ein Bulle war. Kein Boogeyman konnte ihren Daddy stoppen. Das Lächeln verschwand aus Becks Gesicht. Kein Boogeyman konnte ihren Daddy stoppen. Aber eine gerichtliche Verfügung. Beck ließ sich tiefer in den Sitz rutschen. Er wollte nicht die Aufmerksamkeit des Lehrers erregen, der über den Schulhof streifte. Der Lehrerin. Eine junge Frau mit dem Gesicht einer alten Frau. So viele Runzeln und Falten. Sein Sohn und seine Tochter fanden wie erhofft den Zettel, den Beck in der Pause klammheimlich an den Maschendrahtzaun gehängt hatte. Sie falteten ihn auseinander. >Ich liebe Euch. Daddy. < Soviel konnten sie schon lesen. Sie entdeckten seinen Wagen und winkten. »Wir lieben dich auch, Daddy!« riefen die beiden im Chor. Beck winkte zurück und warf Kußhändchen. Und dann kam auch schon die Lehrerin angewalzt. Sie rollte mit der Grazie eines Schützenpanzers auf den Zaun zu.
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Beck rutschte noch tiefer in den Sitz, spähte über den Türrand. Er atmete auf. Sie kam nicht zu ihm rüber. Er wurde buchstäblich von der Pausenklingel gerettet. Die Kinder trotteten ins Schulgebäude zurück. Die Lehrerin warf Beck einen bitterbösen Gorgonen-Blick zu, der ihr Gesicht noch häßlicher machte, als es ohnehin schon war. Sie schnaufte hörbar. Dann stampfte auch sie zurück in die Schule. Kein Zweifel: Glorias Anwalt hatte diesen Drachen schon über die gerichtliche Verfügung informiert. Beck seufzte und machte sich auf den Weg zurück in sein Büro. Auf seinem Schreibtisch lag das Telex aus Sacramento mit der Auflistung der auf Bewährung auf freien Fuß gesetzten Straftäter. Beck warf gerade einen prüfenden Blick auf den Zettel, als ein Kollege, Detective Bilson, zu ihm ins Büro kam. »Na, Beck? Wohnst du noch immer im Heartbreak Hotel?« »Nee. Hab' gestern abend in der Lotterie gewonnen. Ich war gerade kurz weg und hab' mir das Los-Angeles-Hilton gekauft.« »Nicht übel. Hör mal, wir feiern heute abend 'ne kleine Party. Den jährlichen Ball der einsamen Herzen am Heiligen Abend. Ein kleines intimes Zusammentreffen der Junggesellen, Geschiedenen und sonstwie in den Arsch Getretenen. Du hast dich dieses Jahr für unseren Verein qualifiziert.« »Ich fühle mich geehrt.« »Die Sache steigt bei Brubaker. Zu saufen gibt's reichlich. Und ungefähr ein Dutzend Bräute. Wer weiß, vielleicht findest du ein neues Glück.« »Vielleicht lerne ich sogar das Schweben durch Meditation.« »Okay. Dann roll heute abend an.« Beck nickte geistesabwesend. Er blickte wieder auf das Telex aus Sacramento. Nur vier Namen standen auf der Mitteilung. Instinktiv konzentrierte sich Becks Aufmerksamkeit auf einen ganz speziellen Namen: Robert >Bobby< Burns. Männlich. Kaukasier. Alter 29 Jahre. Sein Strafregister reichte zurück bis ins zarte Alter von 16 Jahren. Eine ziemliche Latte: Bewaffneter Raubüberfall. Tätlicher Angriff mit einem Klapp-
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messer. Mordversuch. Hatte gerade ein paar Jährchen in Soledad abgesessen, in illustrer Gesellschft. Die Creme de la Dreck. Von kriminellen Hell's Angels bis hin zu führenden Mitgliedern der neo-faschistischen Aryan-Bruderschaft. Vor vier Wochen auf Bewährung entlassen. Beck notierte sich den Namen von Burns' Bewährungshelfer: Elliot Webly. Er starrte wieder auf den Ausdruck. »Bobby«, sagte er fast andächtig. »Ich muß mich in meinem beschissenen Leben wenigstens um irgendwas kümmern. Nichts hat mehr Sinn für mich. Ich brauch' etwas, was mich auf Trab hält, sonst werd' ich noch bescheuert.« Er unterstrich den Namen Bobby Burns. »Und du wirst mich auf Trab halten, Bobby«, sagte Beck lächelnd. »Du bist derjenige, der mir den Verstand retten kann.« Er faltete den Ausdruck zusammen und schob ihn in seine Jackentasche. »Du glücklicher Hurensohn.« Er lehnte sich im Stuhl zurück, hob den Hörer ab und wählte eine Nummer. »Verbinden Sie mich mit Elliot Webly.« Er nickte, als er gebeten wurde zu warten. Er fing an, vor sich hin zu summen. By The Time I Get To Phoenix von Jimmy Webb. Den Song hatte er schon immer gehaßt. Endlich. Eine Stimme am anderen Ende der Strippe. »Hallo? Hier Webly.« »Hier Jerry Beck, Morddezernat. Ich möchte gern mit einem Ihrer Anvertrauten reden. Robert Bobby Burns. Und ich brauch' sein Vorstrafenregister.« Webly war nicht gerade begeistert. »Sein Vorstrafenregister? Na, hören Sie mal. Sie machen wohl Witze. Heute ist Heiligabend, Mann.« »Schön. Dann packen Sie's ein und verschnüren Sie's als Geschenkpaket. Ich brauch' das Strafregister. Heute noch.« »Ich bin schon so gut wie aus der Tür, Mr. Beck. Ich muß auf die letzte Minute noch ein paar Einkäufe machen, und ...« »Tut mir leid, das zu hören, aber der gute Bobby wird verdächtigt, einen Verkäufer und einen Kollegen von mir erschossen zu haben, und ich weiß nicht mal, wie dieser Burns überhaupt aussieht, zum Teufel.«
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»Wie kommen Sie auf die Idee, daß Burns Ihr Mann sein könnte?« »Ich habe die Liste der auf Bewährung auf freien Fuß gesetzten schweren Jungs durchgecheckt und bin dabei auf seinen Namen gestoßen. Er ist wegen bewaffneten Überfalls eingelocht worden und erst vor kurzem auf Bewährung freigekommen. Im Umkreis von vier Meilen um seine Wohnung wurden in den letzten Wochen sechs Raubüberfälle verübt. Burns steht an der Spitze meiner privaten Top Ten, darum brauch' ich von Ihnen ...« »Bitte, Mr. Beck«, winselte Webly. »Es ist doch Heiligabend. Ich ... ich hab' Familie. Haben Sie keine Familie?« »Ich hatte mal eine. Jetzt hab' ich keine mehr. Dafür hab' ich einen toten Cop, einen Verkäufer, der aussieht wie ein Schweizer Käse, und schlimme Kopfschmerzen. Ich brauche das Vorstrafenregister!« »Sie verstehen nicht. Sie wollen nicht verstehen. Das muß ich Ihnen wirklich in aller Deutlichkeit sagen, Mr. Beck. Nein, ich werde jetzt einkaufen gehen. Ich geh' jetzt. Ich bin schon aus der Tür. Vor zwei Minuten hab' ich zu meiner Frau gesagt, daß ich schon unterwegs bin. Es ist Heiligabend. Heiligabend.« Beck nickte. »Okay. Ich kann Ihre Sorgen verstehen. Wissen Sie was? Sie machen jetzt Ihre Einkäufe und fahren zu Ihrer Frau, und ich treffe Sie morgen früh in Ihrem Büro.« »Morgen ist der erste Weihnachtstag!« »Kleinen Moment... ja. Könnte hinhauen. Sie haben ein geradezu unheimliches Talent, Kalender zu lesen.« »Aber... meine Familie!« »Man kann nicht alles haben, Webly. Ich seh' Sie dann in Ihrem Büro. Morgen früh, acht Uhr? Wie war's damit?« »Leck mich«, fauchte Webly in den Hörer. »Nicht doch. Also gut, sagen wir, um acht Uhr dreißig. Oh, und noch was, Webly. Nur, weil Weihnachten ist und dieser ganze Stuß . . . Sie brauchen sich nicht extra fein zu machen oder mir was mitzubringen. Natürlich habe ich nichts dagegen, aber...« Beck hörte, wie der Hörer auf die Gabel geknallt wurde. Er
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zuckte die Achseln, summte die Melodie von Jimmy Webb, die er besonders haßte, packte seine Akten zusammen und verließ das Büro.
4 Nat King Cole besang Äpfel, Nuß und Mandelkern, während sich drei junge Detectives dabei abwechselten, in das Waschbecken auf der Toilette von Brubakers Apartment zu kotzen. Später glotzte Jerry Beck sein Spiegelbild im Panoramafenster an, von dem aus man weite Teile der Stadt überblicken konnte. Sein Gesicht war blaß und ausgemergelt. Seine Augen waren so blutunterlaufen, daß man sie als Ampelleuchten hätte verwenden können. Er sah schlecht aus. Er fühlte sich auch schlecht. Er versuchte, sich an den Heiligen Abend vor einem Jahr zu erinnern. Er konnte nicht. Teufel, er konnte sich im Moment nicht mal an das Gesicht seiner Frau erinnern. Das ganze, jetzt fast vergangene Jahr war ein einziger großer Haufen Scheiße gewesen. Rechtsanwaltsbesuche. Schlimme Besäufnisse. Er hörte noch seine Kinder weinen, als er sie verlassen hatte, dieses eine und gleichzeitig letzte Mal. Ein Koffer. Er hatte nur einen Koffer mitgenommen. Hatte Gloria gebeten, den Rest seiner Klamotten aufzubewahren. Sie hatte sie verbrannt, wie er später erfuhr. Er beobachtete das Spiegelbild der feiernden Partygäste auf der Fensterscheibe. Ein wüster Haufen angesäuselter Cops marschierte grölend um einen kleinen Sarg herum, der die Aufschrift >LOS ANGELES SHERIFF'S DEPARTMENT, MORDDEZERNAT< trug und der mit Schnaps gefüllt war. Beck lächelte schmal. Diese Fete heute abend war sowohl ein ziemlich rauher Leichenschmaus für Sergeant Kimble als auch ein Weihnachtsbesäufnis der vom Schicksal in den Hintern Getretenen. Er spitzte die Ohren, um das Gegröle hinter seinem Rücken verstehen zu können. »Jerry wird den Schweinepriester schon erwischen.« »Wenn ich den Mistkerl jemals in die Finger kriege . . . ich
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würde ihm so den Arsch aufreißen, daß er in zwei Teilen vor den Richter gestellt werden muß.« Beck starrte durch das Spiegelbild hindurch und beobachtete schweigend, wie ein dichter brauner Dunstschleier über die Berge gekrochen kam und das glitzernde Lichtermeer der Stadt allmählich verschlang. Nikolaus hatte nur eine Chance, sich heute abend mit heiler Haut durch Los Angeles zu kämpfen: mit Gasmaske und einer Schlägertruppe aus Beamten der Umweltschutzbehörde. Beck hob das Glas an die Lippen und bemerkte plötzlich, daß sein Spiegelbild Gesellschaft bekommen hatte. Er drehte sich um und sah sich einer attraktiven Frau Mitte bis Ende Zwanzig mit kurzgeschnittenen brünetten Haaren gegenüber. »Der erste Heilige Abend ohne traute Familie?« fragte sie. Beck zuckte die Achseln. »Ist wohl nicht zu übersehen, was?« »Nein. Meine Bemerkung war nur ein Zufallstreffer«, sagte die Frau und nippte an ihrem Drink. »Ich heiße Linda.« »Jerry Beck.« »He, wo hab' ich den Namen schon mal gehört?« »Keine Ahnung.« »Ich weiß. Sie sind der Mann, der an diesem Mordfall ar-bei ... an dieser Sache mit dem Sergeant, der erschossen wurde. Wie geht's voran?« Beck runzelte die Stirn. »Es geht voran.« »Das hört sich aber nicht sehr überzeugend an.« »Es gibt 'ne Menge Dinge, von denen ich im Moment nicht überzeugt bin.« Linda zwang sich zu einem Lächeln. »He. Laß Sonnenschein ins Herz hinein. Wir haben Weihnachten.« »Davon bin ich am wenigsten überzeugt.« Sie legte ihm eine Hand auf den Arm. »Ich wollte nicht so flapsig sein. Tut mir leid, daß ich Sie gestört habe. Fröhliche Weihnachten.« Linda wandte sich um, wollte gehen. Beck hielt sie sanft am Ellbogen fest. »Bleiben Sie. Bitte. Ich geb' Ihnen 'nen Drink oder sonstwas aus, okay?« »Ich dachte, Sie wollten alleine sein.«
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»Das dachte ich auch. Jetzt nicht mehr. Da können Sie mal sehen, wie sehr ich im Moment von der Rolle bin.« Irgend jemand drehte einem Knabenchor die Gurgel ab und legte Phil Spectors Weihnachts-Rock-Album auf den Plattenteller. Sofort kam Leben in die Bude: die angeschlagenen Cops torkelten mehr oder weniger im Rhythmus der Musk durchs Zimmer. »Möchten Sie tanzen?« fragte Linda. »Ich ... äh ... kann nicht so schnell tanzen.« »Dann«, sagte Linda und führte ihn in die Mitte des Zimmers, »tanz ganz einfach langsam.« Beck lächelte. Die Kleine war nett. Nett. Ein Wort, das er schon lange nicht mehr gebraucht hatte. An das er schon gar nicht mehr gewohnt war. »Ich ... ich hab' zu Hause auch 'nen Plattenspieler«, sagte er und führte sie langsam, immer wieder torkelnden Cops ausweichend. »Und was für Musik?« Beck dachte angestrengt nach. »Ich hab' ja nicht gesagt, daß ich Platten habe ... nur 'nen Plattenspieler.« »Hast du auch ein Radio?« »Glaub' schon ...« Sie hakte sich bei ihm ein. »Dann laß uns improvisieren.« Beck führte die junge Frau aus Brubakers Apartment. Sie fuhren in Lindas Wagen zu seiner Wohnung. Beck lächelte, als er die Tür öffnete. Das erste aufrichtige Lächeln dieses Jahres. »Ich hoffe, du stehst auf >neue amerikanische Verwahrlosung<«, sagte er verlegen. »Ich bin gerade erst eingezogen und...« »Ist mein Lieblingsstil«, sagte sie lachend. Ein paar Stunden später lag Beck in ihren Armen und lächelte. »Gott, es ist so schön mit dir«, flüsterte er. »Mit dir auch.« »Hab' gar nicht mehr gewußt, wie schön das sein kann. Man vergißt das wohl. Ich jedenfalls. Manchmal bin ich so fertig, daß ich sogar vergesse, was real ist.« Becks Augenlider wurden schwer. Er schlief ein. Er bekam nicht mehr mit, wie Linda leise schluchzte. Sie umklammerte das Kopfkissen, vergrub ihr Gesicht darin und erstickte ihr Schluchzen.
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Am nächsten Morgen wäre Beck fast aus dem Bett gefallen, als er plötzlich die Dusche rauschen hörte. Er stand auf. Sein Schädel hämmerte. Er pfiff trotzdem vor sich hin. Verdammt, ja. Er pfiff tatsächlich fröhlich vor sich hin. Er trottete in die Küche und kochte sich Kaffee mit einem Schuß Alka-Seltzer für seinen gefolterten Magen. Er versuchte, nicht allzu laut zu rülpsen, als er die Tür des Kühlschranks öffnete. Das Weihnachtsfrühstück stand auf der Tagesordnung. Beck verzog das Gesicht, als er auf den Inhalt des Kühlschranks starrte. Es sah da drin aus wie nach einem mißglückten chemischen Experiment. Immerhin hatte er es geschafft, einige wundersame Variationen der Farbe Grün zu kreieren. Er nahm ein paar Scheiben giftgrünen Käse und ein paar Eier heraus. Der Käse fand sein unrühmliches Ende in einem Plastikmüllbeutel. Der Inhalt der Eier landete in einer Plastikschüssel. Beck bemühte sich, seine hämmernden Kopfschmerzen zu ignorieren, holte tief Luft und verrührte die Eier. Nur um sicherzustellen, daß ihm durch die kreisende Bewegung seiner Hand nicht schlecht wurde, schüttete er schnell eine Dose Bier in sich hinein. Am besten bekämpft man einen Kater mit seinem Verursacher. Linda erschien in der Tür. Fertig angezogen. Beck ging der Versuch, seine Überraschung zu verbergen, völlig daneben. »Ich muß gehen«, sagte Linda, und jede Spur von Emotion war aus ihrer Stimme verschwunden. »Na ja, angezogen dafür bist du jedenfalls«, sagte Beck erstaunt. »Ich mach gerade Frühstück. Der Kaffee ist heiß.« Linda starrte stirnrunzelnd auf den Boden. Die Einzelteile des Anti-Terror-Trucks lagen noch immer verstreut herum. Sie schüttelte gerade den Kopf, um Becks Angebot, mit ihm zu frühstücken, abzulehnen, als ein startender Jet die Wände erzittern und die Scheiben klirren ließ wie bei einem Beben mittlerer Stärke. »Wie wär's mit 'nem Alka-Seltzer?« rief Beck. »Was?« »Alka-Seltzer!« brüllte Beck gegen den Höllenlärm der Triebwerke an. »Plop, plop, zisch, zisch?«
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Das Dröhnen verschwand allmählich, Becks Lächeln ebenfalls. »Burbank Airport. >Leisester Flughafen der Welt<«, erklärte er. »Das mindeste, was sie dir sagen, wenn du anrufst und dich beschwerst.« Linda drehte sich um und ging zur Haustür. »He«, sagte Beck und trabte aus der Küche. »Was soll die Eile?« »Du hast um halb neun einen Termin, und ich hab' noch ein paar Sachen zu erledigen. Danke für den netten Abend. Ehrlich.« Linda klopfte ihm auf die Schulter und öffnete die Tür. Beck kapierte nicht, was eigentlich vor sich ging. »Stimmt was nicht? Was ist denn passiert?« »Nichts ist passiert. Hat nichts mit dir zu tun.« Beck ließ seinen Blick über das Chaos schweifen, das er als seine Wohnung bezeichnete. »Mit wem denn sonst? Ich seh' hier sonst keinen.« »Ich will damit sagen ... es liegt nicht an dir. Es liegt an mir.« Linda wandte sich um und ließ die Tür hinter sich leise ins Schloß fallen. Beck stand da mit seiner Plastikschüssel und den drei halb durchgerührten Eiern. »Super«, murmelte er. »Echt super.« Er ging zurück in die Küche und starrte in die Schüssel. Sein Magen fing an, Saltos zu schlagen. Er kippte die gelbe Masse ins Waschbecken. War wohl nichts mit häuslicher Beschaulichkeit, dachte er und grinste schief. Soviel zum Thema > fröhliches Pfeifen nach dem Aufstehen<. Er beobachtete, wie die letzten Reste der gelben Brühe im Abfluß verschwanden. Ach, scheiß drauf. Er mußte einen Job erledigen. Er mußte einen Killer fangen. Er stand übers Wachbecken gebeugt. Ihm wurde schlecht. Er schwitzte. Ja, er mußte einen Killer fangen — wenn er sich vorher nicht die Seele aus dem Leib kotzte.
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5 Beck blinzelte geblendet, als er auf den leuchtend grünen Jogginganzug Weblys, des Bewährungshelfers, starrte. Mannomann, stöhnte Beck in Gedanken. Das Ding muß ja ein Vermögen gekostet haben. Wahrscheinlich war's ein Weihnachtsgeschenk seiner Frau. Der Fummel war abgrundtief häßlich, aber hell genug, um Webly auch bei tiefster Dunkelheit bei Annäherung eines jeden Autos zu schützen, selbst wenn ein Blinder hinterm Steuer saß. Beck rieb sich die Augen und ließ sich in den Stuhl vor Weblys Schreibtisch fallen. »Sie sehen beschissen aus«, sagte der Bewährungshelfer. »Danke«, sagte Beck. »Ich fühl' mich auch beschissen.« Webly erwies sich als ein mickriger, zappeliger kleiner Kerl mit stark gelichtetem Haar. Die roten Flecken in seinem Gesicht und die Art und Weise, wie er auf seiner Unterlippe herumkaute, zeigten, daß er nicht sonderlich erfreut darüber war, am ersteh Weihnachtstag arbeiten zu müssen. Beck war das scheißegal. Der Giftzwerg würde schon darüber wegkommen. Webly hob den Kopf und schnüffelte. »Sie müssen dieser Beck sein.« »Lassen Sie ihre blöden Witze, Webly. Ich bin nicht in Stimmung.« »Sie sind nicht in Stimmung? Ich bin nicht in Stimmung. Meine Frau ist nicht in Stimmung. Heute ist Weihnachten, Beck!« »Frohes Fest, Webly. Aus tiefster Seele und vom Grunde meines Herzens.« Webly funkelte Beck wütend an. »Haben Sie Burns' Strafregister?« fragte Beck. Der Bewährungshelfer seufzte und schob Beck über den Schreibtisch einen Umschlag zu, in dem man das Telefonbuch von Los Angeles hätte unterbringen können. Beck hob ihn auf und wog ihn in der Hand. »Bobby hat sich ja ganz schön rangehalten.« »Können wir jetzt gehen?«
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»Ich möchte erst die Akte lesen.« Webly stand auf. »Na los. Sie können ja beim Laufen lesen, oder?« »Sogar Kaugummi kauen«, sagte Beck und folgte dem Kleinen auf den Flur. Beck ging absichtlich langsam und blätterte umständlich die Akte durch. Er setzte sich mit großer Geste seine klebebandverstärkte Lesebrille auf und sagte dann »Ts, ts.« Etwa ein dutzendmal. Webly seufzte. »Ja, ja, ich weiß. Acht Verhaftungen, fünfmal in Kalifornien verurteilt, zweimal in Texas. Steht alles da drin. Also, dann ...« »Halt! Joggen Sie mir nicht weg, Webly. Ich muß mir mit dem Ding Zeit lassen.« Der Bewährungshelfer warf einen verzweifelten Blick auf seine Armbanduhr. Beck wühlte sich durch die Papiermassen. Dutzende von Fotos eines sehr jungen, sehr gutaussehenden Bobby Burns waren darunter. An seiner Körperhaltung und dem Gesichtsausdruck konnte man leicht erkennen, daß Burns sich als eine Art Outlaw wie aus den guten alten Tagen des Wilden Westens betrachtete. Er trug das Haar lang, dazu einen Drei-Tage-Bart. Eine Kreuzung zwischen Billy The Kid und Charles Manson. Beck runzelte die Stirn, als er sah, wie das Gesicht des Mannes auf den Fotos immer härter und hagerer wurde, als die Jahre und das wilde Leben, das er geführt hatte, ihren Tribut gefordert hatten. »Ein echtes, hochkarätiges Rund-um-die-UhrArschloch«, sagte Beck. »Hätte mir kein besseres Persönlichkeitsprofil wünschen können. Burns ist auf Raubüberfälle spezialisiert, hat eine Vorliebe für halbautomatische Waffen, steht besonders auf Neun-Millimeter-Kanonen, hängt aber auch sehr an seiner dreizehnschüssigen belgischen Brow-ningHighpower. Entzückend.« »Ich habe die Akte gelesen, Beck.« »Ich bin stolz auf Sie, Webly.« »Ist Ihnen schon aufgefallen, daß der Flur hier ganz leer ist? Ist Ihnen aufgefallen, daß alle Flure leer sind? Ist Ihnen aufgefallen, daß wir die einzigen sind, die sich hier herumtreiben?« »Ist irgendwie gemütlich, nicht wahr?« sagte Beck, während sie das Gebäude verließen. Draußen stand einsam und
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verlassen Becks Schrottmühle auf dem Parkplatz. Beck ging langsam hinüber, blätterte dabei immer noch in der Akte herum. »Wie können Sie nur mit einem solchen Arschloch wie dem hier fertig werden, Webly? Ein Mann von Ihrer... äh ... Sensibilität...« »Wissen Sie«, sagte Webly und spielte an den Ärmeln seines Jogginganzugs herum, »wenn Bobby sich für den rechten Weg entschieden hätte, dann hätte er im Berufsleben fast alles erreichen können. Er ist hochintelligent. Sein IQ liegt bei 135. Er hat einen jüngeren Bruder, John, der ein Stipendium an der Universität von New Mexico bekommen hat. Studiert Chemotechnik. Unterschätzen Sie Bobby nicht. Und unterschätzen Sie auch seine Mutter nicht, falls Sie mit dem Gedanken spielen, mal bei ihr vorbeizuschauen. Sie ist eine richtige Hell's-Angels -Mami.« Beck klappte die Aktenmappe zu und lehnte sich an seinen Wagen. Webly wandte sich zum Gehen. »Also dann, Beck, alles Gute«, sagte er. »Ich an Ihrer Stelle würde mal über die Anonymen Alkoholiker nachdenken. Alkoholismus ist eine Krankheit, wie Sie wissen.« »Genau wie Fußpilz. He, wo ist denn Ihr Wagen?« »Zu Hause. Ich bin hierher gejoggt.« »Sie wollen mich verarschen«, sagte Beck grinsend. »Durchaus nicht«, erwiderte Webly spitz. »Ich wohne siebensechzehntel Meilen von hier entfernt. Ich komme jede Woche dreimal hierher gejoggt. Ergibt zwei und fünfachtel Meilen. Sie sollten es mal versuchen. Ist gut für Ihr kardiovaskuläres System.« Ein Lächeln spielte auf Becks Gesicht. »Wissen Sie was? Steigen Sie ein. Ich fahr' Sie nach Hause. Na los. Ist schließlich Weihnachten. Geben Sie Ihrem Dingsbumssystem einen Tag frei.« »Na ja ...« »Ihre Frau wird Ihnen um den Hals fallen. Sie werden früh zu Hause sein. Können ein nettes Feuerchen im Kamin machen...« »Wir haben dreißig Grad!« »Okay, dann machen Sie eben 'ne Kerze an. Singen Sie mit Ihrer Frau Weihnachtslieder. So etwas in der Richtung.«
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»Also gut.« Webly zuckte die Achseln und versuchte die Beifahrertür zu öffnen. Sie rührte sich nicht. Beck, der schon hinter dem Steuer saß, grinste ihn an und rief: »Treten Sie davor.« Webly hob den rechten Fuß und rammte ihn gegen die Tür. Sie sprang knirschend auf. »Wo haben Sie diese Karre denn aufgegabelt?« »Hat mir ein Antiquitätenhändler verkauft«, sagte Beck und lenkte den Wagen vom Parkplatz. »Der Wagen hat früher mal Liberace gehört. Bevor der Bursche berühmt wurde, natürlich.« Webly schoß einen mißtrauisch-ängstlichen Blick auf Beck ab, als dieser den Wagen beschleunigte. Es klapperte, rasselte und rüttelte. Webly spähte nervös durch die Windschutzscheibe. »Ah, da vorn ist schon meine Straße«, sagte er kurz darauf und zeigte mit dem Finger auf eine Straßeneinmündung. »Radford. Gleich links an der Ecke können Sie mich raus lassen.« Beck zuckte die Achseln. »Was meinen Sie — sollen wir nicht lieber 'ne kleine Spritztour machen?« »Sie fahren an meiner Straße vorbei...« »Einundzwanzig, zweiundzwanzig . . . jetzt sind wir dran vorbei.« »Sie sind an meiner Straße vorbeigefahren!« winselte Webly. »Da wir uns in diesem Punkt also einig sind — darf ich Sie was fragen? Würden Sie mir einen Gefallen tun?« »Sie ... Sie sind verrückt.« »Ich werde Ihnen sogar in diesem Punkt zustimmen, wenn Sie mir helfen. Ich brauche Sie, weil ich jetzt Mama Burns besuchen werde. Sie kennen die Spielregeln. Ein Verurteilter, der auf Bewährung frei ist, verliert den gesetzlichen Schutz gegen Leibesvisitation und Festnahme, aber nur in Anwesenheit eines Bewährungshelfers. Sie sind einer.« Weblys Gesicht wurde knallrot und bot einen recht schmucken, irgendwie weihnachtlich-festlichen Kontrast zu seinem grünen Jogginganzug. »Das ist Kidnapping!« kreischte er, schäumend vor Wut. »Sind Sie sich darüber klar, daß Sie mich kidnappen?«
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»Nee«, sagte Beck. »Kidnapping ist ein Verbrechen. Das hier ist nur eine kleine Gefälligkeit, die ein Gesetzesbeamter einem anderen erweist. Wissen Sie, Webly, mit jemandem wie Ihnen an der Seite kann ich ganz beruhigt bei Mama Burns reinmarschieren. Wenn Sohnemann Bobby da ist, gehört er mir. Ob's Ihnen gefällt oder nicht — Sie sind meine Eintrittskarte.« »Und Sie sind ein echtes Arschloch, Beck«, giftete der Kleine. »Es kostet Sie eine halbe Stunde Ihres Lebens. Das ist das Schlechte an der Sache. Das Gute ist, daß wir vielleicht einen Burschen zu fassen kriegen, der neun Kugeln in einen Cop reingepumpt hat. Das arme Schwein hatte nicht mal seine Waffe aus dem Holster gezogen. Sie wollen sich über Verbrechen unterhalten? Nun, das ist ein Verbrechen.« Webly starrte dumpf brütend durch die Frontscheibe. »Ich mag Sie nicht, Beck.« Beck zog den Wagen nach links und bog auf eine Schnellstraße ab. »Ich kann damit leben.«
6 Beck und Webly fuhren eine Straße in einem MittelklasseWohnbezirk hinunter. Die Häuser waren Nachkriegsmodelle in Schuhkartonbauweise mit Anbaugaragen, Lattenzäunen, sauber und ordentlich getrimmten Rasenflächen und farbenfrohkitschigem Weihnachtsschmuck in Gärten und Fenstern. Sämtliche Häuser waren liebevoll gepflegt. Bis auf eines. Beck grinste und steuerte diese Bruchbude an. »Das ist Mama Burns' Behausung, was?« sagte er. Webly schwieg verbissen. Das Haus brauchte dringend eine gründliche Renovierung. Oder besser gleich eine Planierraupe. Familie Burns schien eine Vorliebe für schmutzige Trümmerhaufen im Vorgarten zu haben. Ein verrosteter Motorblock und ein 50-Gallonen-
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Ölfaß, randvoll mit zerbeulten Bierdosen waren der Blickfang in diesem Chaos aus altem Gerumpel. Vier Chopper a la Easy Rider standen in der unkrautüberwucherten Auffahrt. Hell's Angels - und Harley-Davidson-Plakate und Poster waren in den Fenstern angebracht und ersetzten die Gardinen. Beck stoppte vor dem Haus und bedeutete Webly auszusteigen. Der Kleine schwang sich mit mürrischem Gesicht vom Sitz und knallte die Tür zu. Leise rieselte der Rost. »Und jetzt?« fragte er. »Und jetzt? Jetzt gehen wir entweder rein, oder wir stellen uns vor die Tür und singen Frosty, der Schneemann.« Beck angelte eine lange, stählerne Taschenlampe vom Rücksitz, stieg aus und marschierte Richtung Eingangstür. Webly trottete neben ihm her. »Vielleicht ist es Ihnen noch nicht aufgefallen, Beck«, sagte er kichernd und wies mit dem Kopf auf die Taschenlampe, »aber es ist heller Tag.« Beck nickte nur. Er ging zur Eingangstür der Burns-Behausung und klopfte mit der Unterseite der Taschenlampe gegen das morsche Holz. Nichts. Er klopfte noch einmal. Keine Antwort. »Vielleicht sind sie nicht zu Hause«, sagte Webly hoffnungsvoll. »Vielleicht hab' ich nicht laut genug geklopft«, erwiderte Beck und hämmerte den Boden des Lampengriffs so kräftig gegen die Tür, daß sie fast aus den Angeln flog. Und dann hörten die beiden Männer, daß sich drinnen schwere Schritte näherten. Die Tür flog auf. Vor ihnen ragte ein Bär von einem Kerl auf, der fast den Türrahmen ausfüllte. Ein Hell's Angel. Er trug nur Shorts und den Michelin-Führer durch die Welt der Tätowierungen auf seiner nackten Haut. Sein Kater schien noch schlimmer als der von Beck zu sein. Die Augenlider standen auf Halbmast, und sein Atem stank, als hätte er an einem Auspuffrohr gelutscht. Der Typ machte den Eindruck, als schien er sich über den Besuch nicht sonderlich zu freuen. »Wer zum Henker bist du, du beschissenes Arschloch?« röhrte der Hell's Angel und stierte Beck aus blutunterlaufenen Augen an.
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Beck ließ ihn seine Erkennungsmarke sehen. »Sheriff's Department.« »Fick dich und deine Mutter«, gab der Hüne zur Antwort. Er wollte die Tür zuschlagen. Beck ließ ihn nicht. Er schob das untere Ende der stählernen Taschenlampe in den Türrahmen. Die Tür federte zurück und vibrierte laut scheppernd. Der Hell's Angel riß sie auf, röhrte wütend und stampfte auf Beck zu. Er hob seine rechte Pranke, um Becks Scheitel auf die andere Seite zu legen. Beck seufzte und rammte dem Bullen die Taschenlampe in den Magen. Der Hüne machte eine unfreiwillige Verbeugung. Beck riß die Lampe hoch und erwischte den Mann krachend am Unterkiefer. Der schwankte bedrohlich, bis ihn ein dritter Schlag in den Nakken traf. Er segelte die drei Treppenstufen hinunter, landete mit einem satten Wumm im Staub des Vorgartens und blieb reglos liegen. Webly stand fassungslos da, Augen und Mund weit aufgerissen. Beck tätschelte die Taschenlampe. »Erstaunlich, was man mit dem Ding bei Tageslicht alles anstellen kann, was?« Beck stieg die Eingangstreppe hinunter, legte dem Hell's Angel Handschellen an, schleifte ihn zu einem der Chopper und ließ das andere Ende der stählernen Armreifen um den Lenker einer der schweren Maschinen schnappen Er blinzelte Webly zu. »Vorsichtshalber.« »Sie haben mir den Kiefer gebrochen«, wimmerte der benommene Riese, der aus der Bewußtlosigkeit erwacht war. »Nein, hab' ich nicht«, sagte Beck. »Vielleicht tu ich's eines Tages, aber bis jetzt hab' ich dir den Kiefer nicht gebrochen.« »Schhheiiißeee«, zischte der Hüne und wurde wieder bewußtlos, erwachte wieder, wurde wieder bewußtlos. Beck stieg über den leise stöhnenden Bullen hinweg. »Wir dürfen jetzt reingehen, ja?« sagte er zu ihm. »Vielen Dank auch.« Webly hielt sich ganz dicht hinter Beck, als sie das Haus betraten. Das Innere erwies sich als ein Schweinestall der gehobenen Kategorie. Das Wohnzimmer zierte ein Teppich aus Bierflaschen, achtlos hingeschmissenen Kleidungsstük-ken, zerfledderten Männermagazinen und zerfetzten Pizzaschachteln. Beck mußte grinsen. Im Vergleich mit dieser Rum-
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pelkammer sah seine eigene Bude wie das Präsidentenzimmer im Sheraton aus. Drei oder vier Neandertaler-Typen lagen in verschiedenen Stadien der Besoffenheit in den Ecken des Zimmers und schnarchten, daß die Fenster leise klirrten. »Jesus«, flüsterte Beck. »Darwin hatte unrecht. Es gibt sie doch noch, die Höhlenmenschen.« Einer der schlummernden Giganten öffnete die Augen, entdeckte Beck und stieß ein tiefes Grollen aus. Beck legte die Rechte an die Pistole. »Schlaf weiter, Schluckspecht.« Er klopfte auf die geholsterte Waffe. Der triefäugige Koloß röchelte, zuckte die Achseln, schloß die Augen und fing wieder an zu schnarchen wie eine kaputte Kreissäge. Beck drehte sich zu Webly um. »Riechen Sie auch, was ich rieche?« Webly schnüffelte. »Kalte Pizza?« »Nein, Ex-Knackis. Wieviel wollen Sie darauf wetten, daß jeder von diesen abgebrochenen Riesensauriern 'ne Straflatte hat, die länger ist als Sie?« Webly legte die Stirn in Falten. »Solange sie gegen kein Gesetz verstoßen, sollten wir ihnen ihre Vergangenheit nicht zur Last legen.« Beck blickte auf und sah einen jungen, gepflegten Mann in einem sauberen Sweatshirt und brandneuen Jeans das Zimmer betreten. »Kann ich Ihnen helfen?« »Wo ist Burns?« fragte Beck. »Robert >Bobby< Burns?« Der junge Mann zuckte die Achseln. »Keine Ahnung.« »Sie sind John, stimmt's? Der Bruder?« fragte Beck. »Ja.« »Wir sind Cops.« »Das dachte ich mir.« Beck war drauf und dran, die Beherrschung zu verlieren. John Burns lächelte schmal. »Fühlen Sie sich nicht wohl? Sie sehen gar nicht gut aus.« »Vier Wochen Hawaii, und ich bin wieder der Alte.« »Na, Mann, es ist Weihnachten. Vielleicht sollten Sie sich heute mal 'nen freien Tag gönnen.«
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Webly schnaufte verächtlich. »Versuch nicht, mich zu verarschen, Junge«, sagte Beck. »Ich will wissen, wo dein großer Bruder ist. Und ich will es jetzt wissen.« »Immer mit der Ruhe, Mann. Ich weiß nicht, wo er ist. Ehrlich.« »Würdest du's mir sagen, wenn du's wüßtest?« fragte Beck. »Nein. Wahrscheinlich nicht.« Beck wußte, daß das alles ihn nicht weiterbrachte, fragte aber trotzdem: »Hast du ihn gesehen?« John schüttelte den Kopf. »Er ist mein Bruder. Er führt sein eigenes Leben. Ich weiß nicht, was Sie ihm zur Last legen wollen — falls Sie ihm was zur Last legen wollen. Sein Job ist, das zu tun, was er gern tun möchte, und Ihr Job ist es, ihn zu finden, wenn Sie ihn finden möchten. Mehr kann ich Ihnen nicht dazu sagen. Ich bin sowieso nur über Weihnachten hier. In zwei Tagen verschwinde ich wieder. Muß zurück zur Uni.« John Burns zuckte die Achseln. »Mehr kann ich Ihnen wirklich nicht sagen.« Beck warf Webly einen raschen Blick zu. Webly warf seiner Uhr einen raschen Blick zu. Beck seufzte. Er war auf sich allein gestellt. Er wandte sich wieder John Burns zu. »Wo ist deine Mutter?« John Burns wies mit dem Kopf über die Schulter auf eine geschlossene Tür. »Im Schlafzimmer.« »Ist sie wach?« John druckste herum und schien plötzlich ziemlich verlegen zu sein. Beck nickte. »Nikolaus ist zu Besuch, was, Junge?« »Jaaa.« Beck hörte plötzlich aus einem nahe gelegenen Badezimmer ein Geräusch. »Wer ist da drin?« fragte er John. »Ein Freund meiner Mutter. Irgend so 'n Bursche.« »Nur irgend so 'n Bursche?« »Soviel ich weiß.« »Ein Knacki?« »Stark anzunehmen«, murrte John. »Mhm-mh.« Beck nickte. Er ging hinüber zur Badezimmertür und riß sie auf. »Bist du salonfähig?« rief er hinein.
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Und dann saß Beck auch schon auf dem Hintern, als ein junger, drahtiger, bärtiger Bursche die Tür aufschmetterte, aus dem Bad schoß und wie ein Schatten durchs Zimmer huschte. »He!« brüllte Beck, als der Kerl durch die Eingangstür nach draußen sprang. Der Bärtige stolperte über das Gerumpel im Vorgarten, fiel die Länge nach aufs Gesicht. Staub wölkte auf. Dann war der Mann schon wieder auf den Beinen und flitzte die Straße hinunter. »Verdammte Scheiße!« fluchte Beck, rappelte sich auf und sprintete an einem völlig verdutzten Webly und einem amü siert grinsenden John Burns vorbei. Beck hatte den Mann in dem winzigen Moment nicht erkannt. Der Kerl konnte weiß Gott wer sein. Bobby Burns, zum Beispiel. Beck jagte durch die Müllkippe im Vorgarten und auf den Bürgersteig. Und dann sah er den Burschen. Er verschwand gerade über eine hohe Mauer, die auf den Hof eines Nebenhauses führte. Beck rannte los, schwang sich ebenfalls über die Mauer und sah dabei aus den Augenwinkeln, daß etwas Giftgrünes, Keuchendes ihm zu folgen versuchte. Webly, dachte Beck, der sich soeben beim Überklettern eines Lattenzauns fast den Bauch aufgeschlitzt hätte. Beck behielt den Bärtigen jetzt im Auge, folgte ihm von Grundstück zu Grundstück, von Straße zu Straße. Hunde kläfften wütend. Frauen stießen schrille Schreie aus. Männer schimpften. Babys kreischten. Beck hörte es kaum, dafür schlug sein Herz zu laut. Sein Atem ging rasselnd. Doch seine Beine trommelten in einem steten Rhythmus über Asphalt, Kies, Gemüsebeete und Blumenrabatten. Er schwor sich, eines Tages endgültig das Rauchen aufzugeben. Die drahtige Gestalt sprintete gerade über eine Hauptkreuzung. Hupen veranstalteten ein wildes Konzert, begleitet vom schrillen Kreischen von Autoreifen. Mehrere Wagen schleuderten wild um die eigene Achse. Beck schlängelte sich durch das Chaos, entschlossen, den Burschen um keinen Preis entkommen zu lassen. Noch immer war die Entfernung zwischen ihm und dem Bärtigen zu groß, als daß Beck hätte sagen
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können, ob es Bobby Burns war oder nicht. Egal. Er mußte den Burschen schnappen, so oder so. Denn es mußte ja einen Grund dafür geben, daß er beim Anblick eines Cops durchgedreht war. Er mußte Dreck am Stecken haben. Und er mußte Bobby zumindest kennen. Der Drahtige raste jetzt auf eine riesige Krippe zu, die vor einer Kirche aufgebaut worden war. Verfolgt von den entsetzten Blicken der andächtig Versammelten wühlte er sich hindurch, grapschte die Figur der heiligen Jungfrau Maria und schleuderte sie über die Schulter auf Beck, der sich rasch duckte. Beck verzog das Gesicht, als er dem sakralen Geschoß auswich. Dieser Sprinter gehörte eindeutig nicht zu den tiefreligiösen Menschen. Der Bärtige räumte sich den Weg frei und bog in eine mit Müll und Unrat übersäte Seitenstraße ein. Beck veringerte den Abstand mehr und mehr. Sein Schädel hämmerte und dröhnte, sein Magen schmerzte. Noch drei Meter. Anderthalb Meter. Beck sah, wie der Bursche einen Haken schlagen wollte. Er warf sich kopfüber nach vorn. Seine Arme legten sich um die Hüften des Mannes. Der Schwung warf sie beide auf den Asphalt. Sofort drosch der Drahtige wild um sich. Einer seiner Schwinger streifte Becks Stirn, und Beck rollte in den Rinnstein, ließ den Gegner aber nicht los. Beck wehrte die Schläge ab, die auf ihn niederprasselten. Der Typ kämpfte, als ginge es um sein Leben. Beck war von der Wildheit und Wucht der Schläge überrascht. Er spürte, wie sich eine Hand zur Pistole tastete, stieß das rechte Knie vor und erwischte den Gegner voll in der Magengrube. Der Bärtige grunzte und prustete. Seine Atemwolke schlug Beck voll ins Gesicht. Bier und Pizza. Der drahtige Mann kämpfte sich frei, kam taumelnd auf die Beine. Verdammt, das ist nicht Burns! fluchte Beck lautlos. Er sah eine Schuhsohle auf sein Gesicht zurasen, warf sich blitzschnell zur Seite und sprang auf. Der Bärtige wollte sich wieder zur Flucht wenden, aber Beck hatte nicht die Absicht, ihn laufen zu lassen. Nicht, wo er schon so viel investiert hatte. Er nahm die linke Faust zurück und schmetterte sie dem Mann auf die Nase. Der Kerl schrie
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vor Schmerz und Überraschung und vollführte einen wilden Steptanz. Beck nutzte die Gelegenheit, dem wimmernden Mann die Beine wegzutreten. Der Kerl fiel krachend auf den Hintern. Eine trockene Rechte, dann lag er, alle viere von sich gestreckt, bewußtlos auf dem Bürgersteig. Beck stand keuchend über ihn gebeugt und taumelte. Plötzlich spürte er, wie sein Magen revoltierte. Beck krümmte sich, und dann schoß sein Mageninhalt hoch. Er konnte nichts dagegen machen. So stark war er nun auch wieder nicht. Beck kotzte die Brust des Mannes auf eine Art und Weise voll, die Linda Blair mit Stolz erfüllt hätte. Er ging in die Knie, kroch zum Bordstein und spuckte den Rest in die Gosse. Er hörte, wie ein Wagen mit kreischenden Bremsen hielt und ein paar Zentimeter vor seinem Kopf zum Stehen kam. Er wischte sich über die Augen und sah die Aufschrift >Ihr Helfer und Beschützer< auf der weißen Wagentür. Ein Streifenwagen. Zwei uniformierte Officers stiegen aus. »Na, na, was haben wir denn hier Schönes?« fragte einer der beiden Cops. »Eine kleine, intime Auseinandersetzung am Geburtstag vom Christkind? Ts, ts.« Der andere Cop grinste. »Oh, ihr verdammten Schwulen. Euch ist auch gar nichts heilig.« Beck versuchte, auf die Beine zu kommen. Er hatte jetzt erst kapiert, daß die beiden Cops offenbar glaubten, hier hätte sich soeben eine Art Eifersuchtsdrama zwischen zwei warmen Brüdern abgespielt. Beck wühlte in seiner Tasche herum und schaffte es schließlich, die Erkennungsmarke herauszuziehen. »Los Angeles Sheriff's Department, Morddezernat«, quetschte er keuchend hervor. Der erste Cop war sichtlich geschockt. »Das soll wohl ein Witz sein ...?« Beck, der schwankend auf die Füße gekommen war, sah Webly taumelnd auf ihn zukommen. Der grüne Jogginganzug war sichtlich mitgenommen. Der zweite Cop drehte sich um und starrte den japsenden kleinen Mann an. »Wer, zum Teufel, sind Sie denn?« »Elliot Webly, Bewährungshelfer«, quietschte er atemlos. Webly starrte auf Beck, dann auf den von grünem Schleim
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bedeckten Burschen, der reglos am Boden lag. »Beck! Was haben Sie denn da gemacht?« »Gekotzt, Webly. Wonach sieht's denn sonst aus?« Der Bärtige kam langsam wieder zu sich. Die beiden Cops hatten sich über ihm aufgebaut. Einer der beiden schüttelte den Kopf und sagte zu Beck: »Wir würden Ihnen ja gerne helfen, aber Sie haben den Burschen ... tja ... na ja.« Der Bärtige starrte auf seine grün verkleisterte Brust, setzte sich ruckartig auf und kreischte: »Der Mutterbumser hat mich vollgekotzt! Jesus! Du beschissenes Schwein von einem schwulen Arschloch!« Beck lehnte sich an eine Straßenlaterne. »Stopft ihm endlich das Maul. Meine Kopfschmerzen bringen mich um.« Der Bärtige kam schwankend auf die Beine, taumelte von einer Seite zur anderen und schoß vernichtende Blicke auf Beck ab. »Du gottverdammter Hurensohn! Warum hast du mich nicht auch noch vollgeschissen?« »Wenn du nicht sofort die Fresse hältst, nehm' ich dich beim Wort«, sagte Beck und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er wandte sich an einen der beiden Officers. »Könnten Sie ihm schon mal Handschellen anlegen und ihm seine Rechte vorlesen?« »Klar. Was hat er denn ausgefressen?« Beck zuckte die Achseln, ging zum Bärtigen hinüber und zog ihm die Brieftasche aus der Gesäßtasche. »Werden wir jetzt rausfinden. Ich laß seine Personalien durch den Computer jagen.« Beck zog den Ausweis des Burschen aus der Brieftasche, ging zum Streifenwagen und beugte sich hinein. Über Funk fragte er nach, ob der Mann auf der Liste derjenigen stand, die auf Bewährung auf freien Fuß waren. Nach einer Minute kehrte Beck zu Webly und den beiden Cops zurück. »Unser Süßer hier heißt James Ellis«, sagte er. »Kein Haftbefehl, wird nicht gesucht. Er ist auf Bewährung draußen. Aber der Kotzbrocken hat mich tatsächlich angegriffen.« Beck starrte Ellis an, von dessen Kleidung noch immer sein Mageninhalt tröpfelte. »Du hast kein sonderlich sympathisches Äußeres. Mr. Ellis.«
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Er bemerkte, wie Webly ihn wütend anstarrte. »Ja, ja ich weiß. Er ist einer von Ihren Schäfchen, was? Aber warum ist er denn abgehauen? Und ich hab' ihn erwischt, oder?« Die beiden Officers blickten sich an. Sie waren mehr als nur ein bißchen verwirrt. »Möchten Sie, daß wir den Mann mit aufs Revier nehmen?« »Nein, das werd' ich selbst erledigen«, sagte Beck. »Ich hab' meinen Wagen nicht allzuweit von hier geparkt.« »Wir würden Sie ja alle zu Ihrem Wagen fahren«, sagte einer der Cops zu Beck und zeigte auf den vollgekotzten ExKnacki. »Aber der da ... nun, ja ...« »Ich versteh' schon, Männer.« Beck lächelte. »Danke für eure unbürokratische Unterstützung.« Er blickte dem davonfahrenden Streifenwagen nach, und das Lächeln verschwand aus seinem Gesicht, als er sich Ellis zuwandte. »Okay, du Arsch. Hier lang.« Er führte Ellis in einen Hauseingang, den nervösen Webly im Schlepptau. »Beck? Was tun Sie da, Beck?« Beck schleuderte Ellis mit dem Rücken hart an die Backsteinwand. »Wo ist Bobby Bums?« Ellis zuckte die Achseln. »Prügel doch die Scheiße aus mir raus.« Beck lächelte,Webly an. »Ich liebe diesen Job. Wirklich.« Er riß Ellis herum, rammte dessen Gesicht gegen die Wand und trat ihm das rechte Knie in die Nieren. Webly war sichtlich geschockt. »Moment! Aber... das können Sie doch nicht machen!« »Was kann ich nicht machen? Ich verhör' doch nur 'nen Verdächtigen.« Er rammte Ellis noch einmal das Knie in die Nieren und flüsterte ihm ins Ohr: »Und er kennt ja schon seine Rechte.« Webly fing an, auf seinen Fußballen zu wippen. »Jetzt hören Sie mir mal zu, Beck! Ich habe nicht die Absicht, mir das noch länger anzusehen. Ich will nicht, daß so etwas unter meiner Ägide passiert!« »Unter Ihrer was?« »Meiner Ägide!« geiferte Webly. »Meiner Schirmherrschaft! Ich bin hier verantwortlich!« Beck beugte sich ganz nahe an Ellis heran. »Hast du das
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gehört? Der Kleine da ist hier verantwortlich. Ich nicht. Du weißt, was das bedeutet?« Beck angelte einen Vierteldollar aus seiner Tasche und warf ihn Webly zu. »Hier. Gehen Sie. Irgendwohin. Rufen Sie mal wieder Ihre Frau an. Sagen Sie ihr >Hallo< von mir.« Webly fing die Münze auf. Sein kleiner, magerer Körper zitterte vor Wut. Er starrte Beck an, überlegte, ob er eingreifen sollte, und entschied sich dann vorsichtshalber dagegen. »Beck? Ich kann Sie wirklich nicht leiden, Beck.« »Das sagten Sie schon. Ihre Frau wartet. Um die Ecke ist 'ne Telefonzelle. Sie können Sie gar nicht verfehlen. Ich hätte sie vorhin fast vollgekotzt.« Webly zog sich aus der Gasse zurück und murmelte irgend etwas vor sich hin. Wieder beugte Beck sich ganz nahe an Ellis heran. »Da geht er hin, Ellis. Der Mann, der hier die Verantwortung trägt. Nur wir beide sind jetzt noch übrig. Ich brauch' ein paar Antworten, Ellis. Ich hab' Kopfschmerzen, die nicht verschwinden wollen. Ich seh' alles doppelt. Und mir ist schlecht. Wenn ich nicht ein paar vernünftige Antworten kriege, kotz ich dich vielleicht noch mal voll.« Er legte seinen Mund an Ellis' Ohr. »Also, laß es uns noch einmal versuchen. Wo ist Bobby Burns? Wie ich hörte, seid ihr gute alte Kumpels.« Ellis nickte und zuckte zusammen, als ihm der faulige Geruch von Becks Atem in die Nase stieg. »Als ... als Bobby aus dem Knast entlassen wurde, hat er mich angrufen. Wir haben 'n bißchen bei ihm in der Bude rumgehangen. Das ist alles, Mann. Er hat auf irgendwelche Typen gewartet, die bei ihm aufkreuzen wollten. Mehr weiß ich nicht, Mann. Ehrlich.« »Er hat verdammt viel mehr getan als nur auf ein paar Typen zu warten, stimmt's? Er hat ein Ding gedreht.« Ellis warf Beck einen ängstlichen Blick zu. »Ich hab' Ihnen nichts mehr zu sagen. Nur in Anwesenheit eines Bewährungshelfers.« »Der Bursche, der gerade abgehauen ist, ist Bewährungshelfer. Aber er steht jetzt am Telefon und quasselt mit seiner Alten. Willst du warten, bis er wiederkommt?«
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Beck drückte ein Knie vor Ellis' rechte Niere. Ellis schüttelte hastig den Kopf. »Die Burschen, auf die Bobby gewartet hat, sind aufgetaucht. Vor zwei Tagen.« »Wer sind die Knaben?« »Weiß ich nicht. Ehrlich. Hab' ich noch nie gesehen. Die Jungs waren im Knast, das weiß ich. Einer nannte sich Ray, der andere Sleepy.« »Sind die auf Bewährung draußen?« fragte Beck. »D ... das ist alles, was ich weiß«, stammelte Ellis verängstigt. »Ich hab' die Jungs nur einmal kurz gesehen. Da sind sie in 'nem rotbraunen Ford-Kombi losgefahren. Sie haben irgendwas von 'nem Kaff namens Bakersfield gesagt. . . daß sie da noch 'nen Burschen treffen wollten. Aber mehr nicht. Ich weiß nicht, wie der Kerl in Bakersfield heißt. Ich schwor's. Die Jungs haben mir nicht mehr erzählt, und ich hab' nicht weiter gefragt.« Beck studierte das Gesicht des Bärtigen. Dann nickte er und nahm Ellis die Handschellen ab. Er stieß ihn aus der Seitengasse auf den Bürgersteig. »Und was passiert... jetzt?« fragte Ellis. Beck zuckte die Achseln und führte Ellis bis zur Telefonzelle, wo Webly in ein Gespräch vertieft war. »Nein, Schatzi, ehrlich! Ja, das stimmt wirklich. Ich sag' dir, der Mann ist gewalttätig...« Beck packte Ellis mit der Linken im Nacken und hämmerte mit der Rechten an die Telefonzelle. Webly schoß einen halben Meter in die Höhe. »He, Webly. Wollen Sie diesen Heini wegen Verstoßes gegen die Bewährungsvorschriften anklagen?« Webly schob die Tür der Zelle auf. »Ich sicher nicht«, sagte er und bedeckte den Telefonhörer mit der Rechten. Beck blickte Ellis an, ließ ihn los und zuckte die Achseln. »Muß heute dein Glückstag sein, du Stinker. Ve rpiß dich.« Ellis gaffte Beck mit offenem Mund an, warf Webly ein raschen Blick zu, ging dan langsam ein Stück die Straße hinunter und raste plötzlich los. Beck lächelte Webly an. Webly blickte rasch weg, sagte in die Sprechmuschel: »Ich muß jetzt gehen, Mausi. Küßchen«, und hängte den Hörer ein. Beck gluckste, wandte sich um und wollte gerade zu seinem
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Wagen schlendern, als der Pieper, sein akustisches Warngerät, plötzlich zum Leben erwachte. Beck wartete, bis Webly aus der Telefonzelle gestiegen war, ging dann hinein und fütterte den Apparat mit einem Vierteldollar. Webly seufzte und setzte sich auf den Bordstein — fast in den inzwischen eingetrockneten Beckschen Schleim, der beinahe so grün war wie Weblys Jogginganzug. »Versaut«, murmelte er weinerlich und blickte betrübt auf sein Weihnachtsgeschenk, Der Anzug war verschmiert mit Dreck, Öl und Schweiß. »Total versaut.« »He, Webly«, sagte Beck lächelnd, als er wieder aus der Telefonzelle kam. »Wir haben Glück gehabt. Der Bursche, der in diesem Mini-Markt angeschossen wurde, ist operiert worden. Er hat überlebt. Er ist bei Bewußtsein. Na los. Ich fahr' Sie nach Hause.« Webly sprang auf wie ein Kastenteufel und wich rückwärtsgehend vor Beck zurück. »Ooo nein. O nein. Nein. Werden Sie nicht. Nein, Sir. Diesmal nicht. Auf keinen Fall steig' ich noch einmal in Ihren Wagen. Ich gehe nach Hause. Ich gehe nach Hause. Gucken Sie mal, in welche Richtung ich jetzt gehe. Sehen Sie? Sehen Sie das? Wissen Sie, was das bedeutet? Das bedeutet, ich gehe nach Hause. Nach H —a — u — s —e.« Beck beobachtete, wie der Zwerg rückwärts die Straße hinunterschlich. Er ließ Beck nicht aus den Augen. Er sah aus wie ein leuchtend grünes Krustentier mit häßlichen schwarzen Flecken. »Aber, Webly. Bis nach Hause ist es sehr weit, und ...« »Ich ruf mir ein Taxi.« »Hier draußen kriegen Sie nie ein Taxi.« »Dann werde ich eben trampen!« heulte Webly. Beck schüttelte den Kopf und lachte. Dann wandte er sich um und schlenderte zu seinem Wagen hinüber. Er drehte sich noch ein letztes Mal zu Webly um. »He, Webly!« Der Kleine hielt an, zog den Kopf zwischen die schmalen Schultern. Er erwartete offenbar das Schlimmste. »Was ist los, Beck? Was wollen Sie denn noch?« Beck grinste und winkte ihm zu. »Danke . . . und fröhliche Weihnachten und beste Grüße an Mausi.«
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»Ich scheiß auf Sie, Beck!« kreischte der Kleine. Beck schwang sich achselzuckend hinters Steuer. Junge, Junge, dachte er. Manchen Leuten geht aber auch jede Weihnachtsstimmung ab.
7 Nach einer schnellen Nachhausefahrt, einer noch schnelleren Dusche und einem halben Dutzend Fahnenkiller machte sich Beck auf dem Weg zu einem trostlosen latrinengrünen Gebäude in West Los Angeles: ein Krankenhaus, dessen bloßer Anblick einen krank machen konnte. Das Gebäude war so trostlos, daß es von einem manischdepressiven Architekten entworfen worden sein mußte. Wohl, um den Bau ein bißchen aufzuheitern, hatten die Grün-derväter kleine Flächen mit Grünzeug in den Betonflächen vor und an den Seiten des Krankenhauses verstreut anlegen lassen. Aber die meisten Blumen waren in der grellen Wintersonne verdorrt. Nur die Kakteen und Palmen hielten sich noch wacker. Damals, als man den häßlichen Klotz gebaut hatte, führte auch die Schnellstraße noch nicht in knapp hundert Meter Entfernung vorbei. Aber Lärm und Auspuffgase machten den Patienten, die auf dem Weg der Besserung waren, wohl ebensowenig aus wie denjenigen, die es nicht mehr lange machten. Nachdem Beck am Empfangsschalter seine Erkennungsmarke gezeigt und sich nach Gates erkundigt hatte, wurde ihm der Weg erklärt. Beck ging los, und während er durch die düsteren, tristen Korridore schlenderte, überlegte er, was ihm weniger gefiel: das pißgelbe Licht, das hier alles beleuchtete und jedem, der ihm entgegenkam, ein leicht gelbsüchtiges Aussehen verlieh, oder das leise Gedudel von Supermarktmusik, das aus den Wänden sickerte. Beim Geruch, der hier herrschte, dachte er kurz an seine beiden Kinder, die jetzt, in diesen Weihnachtstagen, von sei-
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ner Ex-Gattin mit Anti-Daddy-Gift vollgestopft wurden. Er erinnerte sich daran, wie gräßlich die Truthahnfüllung seiner Frau immer geschmeckt hatte. Die Kinder würden ihr nicht glauben, wenn Gloria genauso schlecht schwindelte wie sie kochte. Die waren zu clever, darauf reinzufallen. Hoffte er jedenfalls. Er hielt vor Zimmer Sechs in der chirurgischen Abteilung. Ein Sicherheitsposten stand vor der Tür. Beck stellte sich vor und wurde eingelassen. Der Nachtverkäufer des Mini-Markts, Gates, lag eingewikkelt wie eine Mumie in seinem Krankenbett. Er war verkabelt wie eine Apollo V vor dem Start. Beck versuchte, den Schauder zu unterdrücken, der seinen Körper durchrieselte. Das war gar nicht komisch. An einen Anblick wie diesen würde er sich nie gewöhnen können. Gates war nur noch ein einziger großer Verband, aus dem Drähte und Schläuche zu einem mittelgroßen Fuhrpark aus piependen, summenden, klickenden Maschinen führten. »Mr. Gates?« sagte Beck sanft und trat ans Krankenbett. »Mein Name ist Jerry Beck. Ich bin vom Los Angeles Sheriff's Department. Morddezernat.« »Morddezernat? So sollten Sie nicht mit mir reden. Ich bin ja noch nicht tot«, drang es dumpf unter den Verbänden hervor. »Ja. Ein weihnachtliches Wunder«, sagte Beck lächelnd. »Nein. Ein schlechter Schuß«, sagte Gates. »Oh, er wollte mich töten. Er hat's versucht.« Beck setzte sich in einen Stuhl neben dem Bett. Er zog einen kleinen >Sechserpack< aus der Tasche — eine zusammenfaltbare Mappe, in der sich sechs Fotos von möglichen Tätern befanden. Fünf dieser Bilder zeigten nichtssagende Gesichter von Kaukasiern. Sie hätten aus einem High School-Jahrbuch stammen können. Das sechste Foto zeigte Bobby Burns. »Ich möchte, daß Sie sich diese Schnappschüsse sehr sorgfältig ansehen«, flüsterte Beck. »Ich weiß, das ist nicht leicht für Sie. Ich weiß, wie sehr Sie sich wünschen, daß wir diesen Bastard zu fassen kriegen.« »Und ihn in den Arsch treten«, quetschte der weißhaarige
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Mr. Gates zwischen den zusammengepreßten Kiefern hervor. »Und ganz bestimmt in den Arsch treten«, erwiderte Beck. »Also, sehen Sie die Bilder sehr genau an. Sie sind alles, was wir haben, Mr. Gates.« Zwischen den Verbänden, die sein Gesicht fast völlig verdeckten, huschten Gates' Blicke zwischen den Fotos hin und her. »Verdammt.« »Was ist denn?« sagte Beck und beugte sich vor. »Ich bin nicht sicher, ob er einer von diesen Burschen war. Ich habe fast die ganze Zeit auf den Boden geguckt. Das kriegt man beigebracht, wissen Sie? Guck auf den Boden, nicht in ihre Gesichter. Wenn die Kerle ein bißchen Verstand haben, können sie sich denken, daß sie dich dann nicht töten müssen. Das ist uns immer wieder gesagt worden. Das hat man uns eingebleut. Hat sich bezahlt gemacht, was?« »Sie sind davongekommen«, sagte Beck lächelnd. »Nur das ist wichtig. Also, lassen Sie sich Zeit.« Gates starrte die Fotos eine kleine Ewigkeit lang an. »Der da unten«, sagte er dann, und seine Stimme war plötzlich rauh. »Der Bursche unten rechts. Vielleicht.« Beck hielt mühsam seine Gesichtsmuskeln unter Kontrolle. Gates hatte genau Bobby Burns' Visage herausgepickt. »Vielleicht ist nicht genug, Mr. Gates. Entspannen Sie sich. Lassen Sie das alles noch einmal vor Ihrem geistigen Auge ablaufen.« »Das hab' ich«, flüsterte Gates. »Jede Minute, jede Stunde — seit es passiert ist. Doch ich kann es immer noch nicht mit Sicherheit sagen. Ich kann mich an dieses Gesicht nicht deutlich genug erinnern. Nur an diese Tätowierung erinnere ich mich. Eine komische Tätowierung. Und an seine Schuhe. Ja, über die Schuhe kann ich Ihnen was erzählen. Große Dinger. Wie Soldatenstiefel. Bis oben zugeschnürt. Die Dinger sahen aus wie ...« Beck blinzelte. »Tätowierung? Sie haben eine Tätowierung erwähnt. Er hatte eine Tätowierung?« Gates nickte. Beck zog einen dicken Umschlag aus der Tasche. Bobby Burns' Strafregister. Er blätterte es hastig durch, suchte die Fotos. »Beschreiben Sie bitte diese Tätowierung, Mr. Gates. Können Sie sich genau daran erinnern?«
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»Teufel, ja«, murmelte Gates. »Überhaupt kein Problem. Sie war auf seinem Arm . . . seinem rechten Unterarm. Ein Kreis mit einem Kreuz drin, und zwei gezackten Balken, die durchs Kreuz schnitten. Blitze. Ja, das war's. Zwei große Blitze, wie auf dem Umhang von Flash. Können Sie sich aus Ihrer Kinderzeit noch an die Flash-Comics erinnern? Ich hab' die Dinger immer meinem Sohn gekauft. Er wäre jetzt so etwa in Ihrem Alter, wenn der Vietkong nicht gewesen wäre. Aber diese Tätowierung... sie war wie die von Flash...« »Ja. Ja. Ja«, murmelte Beck und sah die Fotos durch. »Ich persönlich hatte immer eine Schwäche für Batwoman.« »Ist auch 'ne tolle Type.« »Die beste«, sagte Beck. Er grinste und drückte ein Foto in eine von Gates' bandagierten Pranken. »Sah die Tätowierung so ähnlich aus wie diese hier?« fragte er. Gates starrte auf ein Foto, auf dem Bobby Bums' rechter Unterarm abgebildet war. Deutlich war eine Tätowierung zu sehen, die genau Gates' Beschreibung entsprach. Gates kicherte. »Ich glaub', da haben wir 'nen Volltreffer gelandet.« Beck nahm das Foto wieder an sich. »Mr. Gates, Sie machen mich stolz darauf, ein Mensch zu sein.« »Aber der Kerl auf dem Bild da ist ein Tier«, sagte Gates dumpf. »Keine Sorge. Wir werden diesen Mistkerl kriegen, Mr. Gates. Und wenn wir ihn haben, wenn ich ihn habe, werde ich ihn persönlich verhören und dabei ganz speziell an Sie denken. Na, wie hört sich das an?« »Hört sich gut an.« Beck schob seine Akten zusammen und erhob sich. Er legte eine Hand auf den dick bandagierten, von Kugeln zerfetzten rechten Arm des Mannes. »Und jetzt gönnen Sie sich endlich wieder angenehme Träume, Mr. Gates. Werden Sie nur wieder gesund. Sie brauchen sich um nichts mehr Sorgen zu machen.« »Gut zu wissen«, seufzte Gates. »Verdammt, das ist gut zu wissen.« »Und fröhliche Weihnachten, Mr. Gates, sofern das für Sie möglich ist. Sie haben sich's verdient.«
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»Wenn Sie ihn haben, treten Sie dem Kerl in den Arsch, Mr. Morddezernat. Halten Sie ihn fest, und treten Sie ihm ganz fest in den Arsch. Ein schöneres Weihnachtsgeschenk kann mir niemand machen.« Beck mußte das Wenige, was vom Gesicht des alten Knaben zu sehen war, unwillkürlich anlächeln. Gates, dieser zähe alte Knochen, hatte Mumm, das mußte man ihm lassen. »Das Geschenk teilen wir uns«, sagte Beck. »Okay, Mr. Gates?« »Gern, Mr. Morddezernat. Legen Sie nur los. Holen Sie sich den Dreckskerl.« Beck verließ das Zimmer und eilte den Korridor hinunter. Plötzlich störten ihn das pißgelbe Licht und das nervtötende Gedudel nicht mehr. Zwanzig Minuten später saß Beck wieder vor seinem altersschwachen Computer und spähte durch seine wacklige Klebeband-Lesebrille, während er die komplette Personenbeschreibung von Robert >Bobby < Burns in die Tastatur tippte — diesem Oberarschloch und Cop-Killer. Die Daten wurden an alle Polizeicomputer im gesamten Westen der Vereinigten Staaten weitergeleitet. >Sofortige Festnahme wegen Verstoßes gegen die Bewährungsvorschriften <, fügte er hinzu. Außerdem die Informationen, die er vom Kotzbrocken Ellis und dem Nachtverkäufer Gates bekommen hatte. Dann gab Beck die entsprechenden Informationen auch über Telex weiter. Er drückte die Taste und hörte dem leisen Summen des Gerätes zu. Er lehnte sich zurück, blickte sich um. Durch die Fenster seines winzigen Büros sah er die Kollegen der Weihnachtsschicht — eine Notmannschaft aus Junggesellen, Geschiedenen, Verwitweten, Außenseitern, Verlorenen. Er ließ seinen Blick über die Wände der anderen Büros schweifen. Kitschiger Weihnachtsschmuck, so weit das Auge reichte. Glöckchen, Engelchen, Rehlein im verschneiten Walde. Billiger Glitzerkram. Ein leicht zerknautschtes 3-DPortrait des Weihnachtsmannes grinste ihn vom schwarzen Brett an. Es hing inmitten der Visagen auf den Steckbriefen der meistgesuchten Gewaltverbrecher der USA. Beck stieß einen monumentalen Seufzer aus, als er sich an
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das teuflische Weihnachtsgeschenk für seinen Sohn erinnerte, das noch immer in alle Einzelteile verstreut auf dem Boden seines Wohnzimmers lag. Er erhob sich aus dem Stuhl und trat ans Fenster seines Büros. Draußen schien die Riesenstadt Los Angeles mit ihrer gelbbraunen Dunstglocke noch weiter weg, noch unwirklicher zu sein als sonst. Kaum Verkehr auf den Schnellstraßen und Autobahnen. Nicht der gewohnte Lärm von da draußen. Eigentlich sollte man zufrieden sein. Weniger Verkehr, weniger Verkehrstote. Statt dessen fühlte Beck sich hundeelend. Was, zum Teufel, war eigentlich los mit ihm? Warum fühlte er sich so beschissen? Beck schlenderte vom Fenster wieder hinüber zum Stuhl hinter seinem Schreibtisch und ließ sich hineinfallen. Er stützte das Kinn in die rechte Hand und starrte das Telefon an. Nach einem Moment des Zögerns zündete er sich eine Zigarette an. Sie schmeckte wie ein brennender Autoreifen. Er drückte die Kippe aus und wählte dann eine ihm vertraute und dennoch so fremde Nummer. Er kannte diese Nummer seit ungefähr einem Menschenleben. Es war mal seine eigene gewesen. Er wartete. Eine freundliche Frauenstimme erklang am anderen Ende der Leitung. »Hallo?« »Hi«, sagte Beck. »Ich bin's. Fröhliche Weihnachten.« »Was willst du?« erwiderte seine Frau. Die Stimme klang jetzt wie berstendes Eis. »Ich wollte nur mal >hi< sagen«, sagte er lahm. »Das hast du ja nun.« Beck kämpfte gegen seine Hilflosigkeit an. »Wie geht's den Kindern? Wie geht's dir? Geht's dir gut?« »Was glaubst du denn, wie's mir geht?« »Na ja, ich war ... äh, hast du den Schmuck gefunden? Für den Baum, meine ich?« »Ich hab' den alten Plunder weggeschmissen und vernünftigen Weihnachtsschmuck gekauft. Brandneuen«, erwiderte Gloria spitz. »Oh! Ja. Ja, gut. . . ich glaube, der alte war schon ziemlich
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mitgenommen. Wir hatten das Zeug seit...« »Ich weiß, wann wir die Sachen gekauft haben. Jedes einzelne Stück davon«, sagte Gloria schroff. »Warum, glaubst du denn, habe ich ihn weggeworfen? Glaubst du, ich will in meinen Alpträumen von schäbigen Glöckchen und verkratzten Christbaumkugeln verfolgt werden?« »Ja... nein. Ich meinte auch nicht...« Beck atmete aus und kämpfte hart gegen den Impuls, den verfluchten Apparat an die Wand zu feuern. Er mußte sich abkühlen und von vorn anfangen. Sie konnte ihn nicht anschreien, wenn er cool blieb. Er würde ihr zeigen, daß er sich geändert hatte. »Was für einen Baum hast du denn gekauft?« »Einen grünen.« Beck rieb sich über die Augen. »Ich meine ... wo hast du ihn gekauft? In Hapgood's Baumschule? Wo wir immer unsere Bäume gekauft haben?« »Ich habe einen künstlichen Baum gekauft. Bei Bullocks.« Beck konnte es einfach nicht glauben. Seine Kinder waren so gern mit ihm zur Baumschule rausgefahren und hatten sich einen richtigen Baum ausgesucht. In den letzten beiden Jahren hatten sie immer einen Heidenspaß dabei gehabt. Sicher, Gloria hatte immer gesagt: >Gebt bloß nicht mehr als zehn Dollar aus<, aber er und die Kinder hatten sich immer den größten, schönsten Baum ausgesucht, der zu haben war. Der Baum hatte ihn so ungefähr vierzig oder fünfig Bucks gekostet, und er hatte den Differenzbetrag mit einem Augenzwinkern und einem >Sagt Mom nichts davon< von seinem Weihnachtsgeld abgezweigt. Gloria redete immer noch. » . . . und hat sogar schon fertig montierte Kerzen.« »Gloria«, seufzte Beck. »Du hast also einen gottverdammten künstlichen Weihnachtsbaum für die Kinder gekauft? Was soll das denn für ein Weihnachten für sie sein? Diese künstlichen Dinger riechen ja nicht mal nach Baum. Die riechen nur nach ... nach ... Gummi.« »Und was glaubst du, was für ein Weihnachtsfest das für mich ist, Jerry? Ich habe hier einen Haufen unbezahlte Rechnungen liegen! Ich habe zwei Kinder! Ich habe Rechtsanwälte, die mir im Nacken sitzen!«
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Beck spürte, wie sein Gesicht rot anlief. »Hör mal, es ist auch für mich nicht gerade 'ne fröhliche Weihnachtszeit, Schatz.« Er versuchte sich zu beruhigen, so gut es ging, und fügte hinzu: »Ich . . . ich will damit ja gar nichts sagen. Ich weiß natürlich, wie du dich fühlst. Übrigens hättest du keine gerichtliche Verfügung zu erwirken brauchen, um mich davon abzuhalten, an der Schule zu stoppen, weil ich die Kinder mal sehen wollte. Du hättest es mir nur zu sagen brauchen.« Schweigen am anderen Ende der Leitung. Im Hintergrund konnte er seine Kinder hören. »Ist Daddy dran?« fragte eine helle Jungenstimme. Beck wartete, daß seine Ex-Frau auf diese Frage antwortete. Vergeblich. »Es ist ja nicht so, daß ich mit 'ner Sonnenbrille und 'nem Mantel irgendwo herumgelungert habe, um die Kinder mal zu Gesicht zu kriegen«, sagte er schließlich. »Das habe ich ja auch nicht behauptet«, sagte Gloria schnippisch. »Ich mußte nur sichergehen, daß nichts Schlimmes passieren kann. Oh, ich kenne euch Bullen. Ich weiß, wie ihr sein könnt.« »Gut. Lassen wir das. Sind die Kinder da?« »Warum willst du das wissen?« »Weil ich ihr Vater bin. Ich möchte ihnen fröhliche Weihnachten wünschen.« »Du hast dich nie um sie gekümmert, als du noch bei uns warst. Immer kam zuerst deine Arbeit.« »Gloria, laß uns nicht wieder davon anfangen... ich bin ihr Vater. Ich möchte mit den beiden sprechen, und dann möchte ich ihnen später ihre Geschenke vorbeibringen.« »Die Kinder schlafen.« »Es ist Nachmittag!« »Sie sind krank.« »Ich kann aber ihre Stimmen hören.« »Ich hab' gesagt, sie sind krank, nicht tot. Sie sind zu krank, um ans Telefon zu kommen.« »Gloria, bitte, können wir uns nicht wie erwachsene Menschen benehmen? Ich bin ihr Vater. Es steht mir zu, mit den beiden zu sprechen. Ich meine ... die beiden sind schließlich
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unsere Teamarbeit, oder? Es sind unsere Kinder. Unsere Kinder. Also sind sie genauso meine wie auch deine.« »Ist es nicht eine Schande, daß die Gerichte das ganz anders sehen?« »Ja ... ja, das ist es«, sagte Beck mühsam beherrscht. »Bitte, Gloria. Laß mich mit den beiden reden.« Beck hörte, wie es im Hörer leise klickte. Aufgelegt. Peng. Tot. Ein schriller Piepton. »Gloria? Gloria? Gloria!« Beck hockte da und preßte den piepsenden Hörer neben sein Ohr. Eine Träne lief aus seinem linken Auge und kullerte über die Wange. »Ich brauch' die beiden doch, Gloria. Sie sind ein Teil von mir«, flüsterte er. »Sie sind alles, was von mir noch übrig ist.« Er stellte fest, daß er die Zähne so fest zusammenbiß, daß es weh tat. Er rammte den Hörer auf die Gabel, streckte den rechten Arm aus und wischte wütend über die Schreibtischplatte. Sämtliche Akten segelten durch die Luft. Die schwebenden Verfahren machten ihrem Namen alle Ehre. Er beobachtete, wie die maschinengeschriebenen Berichte und die zahllosen Fotos durch sein Mini-Büro flatterten und sich auf dem Boden verstreuten. Er ballte die Rechte zur Faust und hämmerte sie auf die Schreibtischplatte. Wuchtig. Einmal. Zweimal. Dreimal. »Ich scheiß auf dich!« brüllte er die Wände an. »Ich scheiß auf alles!« Zwei Schreibtischtäter im benachbarten Büro sahen zu ihm herüber — mit einem Blick, der normalerweise für anstekkende Krankheiten reserviert war. Beck lächelte die beiden mit seinem falschesten Lächeln an. »Und auf euch scheiß ich auch«, flüsterte er. Er lümmelte sich in seinen Stuhl. Vernichtend geschlagen. Er starrte auf das Chaos am Boden, das er geschaffen hatte. Seufzend erhob er sich und beugte sich über die heillos verstreuten Akten und Fotos. Er fing an, mit beiden Händen die Unterlagen zusammenzuschaufeln. Da war Bobby Burns Akte. Da war die Kimble-Akte. Und dann stach ihm ein Foto ins Auge. Sein Unterkiefer klappte herunter.
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Es war ein Foto des ermordeten Sergeant Kimble. Der arme Teufel, den Bobby Bums vor weniger als zwei Tagen das Licht ausgeknipst hatte. Und dort, auf dem Foto, war auch Kimbles Frau zu sehen. Sie lächelten beide. Sie hielten sich in den Armen. Kimbles Frau hieß Linda. Beck wußte es. Er hatte in der vergangenen Nacht mit ihr geschlafen. Beck ließ sich langsam auf den Fußboden sinken und hockte sich hin. Er starrte auf das Foto. Er mußte ganz sicher sein. Nein, es konnte nicht dieselbe Frau sein. Es konnte nicht. Oder? Er wühlte in der Akte herum, zog jede auch noch so winzige Notiz aus der Mappe, sah sich jede auch noch so unbedeutend erscheinende biographische Information über Kimble und Gattin an. Nach fünf Minuten war er sicher, daß Mrs. Kimble und Linda ein und dieselbe Person waren. Er stand langsam auf. Er blickte zu Boden. Der Boden war ganz nahe. So klein hatte er sich noch nie gefühlt. Er ging mit langsamen Schritten aus seinem Büro und ließ die anderen Akten, Fotos und Unterlagen achtlos liegen. Es gab plötzlich zu viele offenen Fragen in seinem Leben. Und viel zu wenige Antworten. Vielleicht war es an der Zeit, ein paar dieser Antworten herauszufinden.
8 Beck saß in seinem Wagen, den er am Bordstein einer Allee in West Los Angeles geparkt hatte, und wartete. Trotz des allgegenwärtigen heißen Santa-Ana-Windes war ihm kalt. Er zündete sich eine Zigarette an. Scheiße. Er mochte nicht mal mehr den Geschmack des
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Tabaks. Vielleicht lag es aber auch nur daran, daß er seit heute morgen die Marke gewechselt hatte. Er rauchte jetzt eine ganz leichte Sorte. Geringster Teergehalt von allen, kaum Nikotin. Was die Aufschrift aber nicht verriet — die Dinger rochen wie Chinakracher. Und wenn man dreimal dran gezogen hatte, waren sie bis auf den Filter runtergebrannt. Er warf die Zigarette, seine zehnte, aus dem geöfneten Seitenfenster des Wagens und beobachtete weiter das Haus. Es war ein kleines Doppelhaus im spanischen Stil. Die Art von tristen architektonischen Ausrutschern, für die Los Angeles berühmt war. Neben dem auf spanisch getrimmten Bau stand ein Haus im nachgemachten Tudor-Stil, der Vorgarten zum Bersten voll mit schlimm von Blattläusen befallenen Rosen. Und daneben wiederum stand ein Ranchhaus im Stil der 50er Jahre. Es war die Art Haus, auf das jede Familie in einer vierzig Jahre alten Situationskomödie stolz gewesen wäre. Beck starrte auf das spanische Doppelhaus. Und wartete. Die Straße wirkte wie ausgestorben. Beck entschloß sich, sich tiefer in den Fahrersitz rutschen zu lassen und die Wolken zu beobachten. Er hatte schon als Kind gern die Wolken beobachte, die unterschiedlichen Formen betrachtet. Zirruswolken. Kumuluswolken. Er starrte gen Himmel. Er war gelb vor Dunst. Nicht eine Wolke war zu sehen. Er zündete sich noch eine Zigarette an und machte seine eigenen Wolken. Nach einer Stunde sah er einen Subaru heranrollen, ein Modell aus den frühen 80ern. Der Wagen hielt vor dem Haus. Linda stieg aus. Ihr rotbraunes Haar glitzerte im trüben LosAngeles-Sonnenschein. Sie winkte einer Verwandten oder Freundin zum Abschied zu, blieb am Bordstein stehen und beobachtete, wie der Wagen davonfuhr. Beck holte tief Luft und stieg aus. Er ging mit schnellen Schritten über die Straße und erreichte Linda, als diese gerade die Eingangstür öffnen wollte. »Hast du 'nen Moment Zeit?« fragte er, und seine Stimme hörte sich mehr wie das Quaken eines Frosches denn wie ein Geräusch an, das ein menschliches Wesen produzieren konnte. Linda fuhr herum. »Hast du mich erschreckt!«
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»Tja, du weißt ja, wie wir Bullen so sind.« Sie nickte. Beck versuchte ein Lächeln. Es wurde ein blödes Grinsen daraus. »Übrigens ... du hast mich auch erschreckt.« Er griff in die Hosentasche und zog ein zerknittertes Foto heraus. Er reichte es ihr und sah, wie ihr Gesicht bleich wurde, als die Erinnerungen an ein vergangenes Leben in ihr aufstiegen. Ein Leben, das sie an der Seite ihres Ehemannes Gary Kimble geführt hatte. Linda lächelte traurig. »Wie hast du's rausgefunden?« Beck lachte laut auf und versuchte, sich seinen eigenen Kummer nicht anmerken zu lassen. »Na, hör mal, ich bin Detective beim Morddezernat, und .. .« Er stockte, als in diesem Augenblick ein schwerer Kombi vor der Auffahrt eines Nachbarhauses hielt. Eine fette Frau in einem weißen Mantel und beladen mit Geschenkpaketen führte ein kleines fettes Mädchen in einem weißen Mantel und beladen mit Geschenkpaketen an der Hand. Die beiden sahen aus wie ein kleiner und ein großer weißer Wal. Beide winkten dem Kombi zu, als dieser mit kreischenden Reifen losfuhr und um die nächste Straßenecke schoß. »Tschüs, Ma-ma!« rief die Gestalt aus einem feuchten Traum Herman Melvilles. »Mann, da schenkt die mir schon wieder so 'n blödes Nachthemd!« murrte das kleine Mädchen und verzog das Gesicht. »Oma fällt nun mal nichts Besseres ein. Sie liebt dich. Das ist wichtiger als alles andere.« »Bis auf eins«, sagte das Mädchen. »Die LP von AC-DC.« »Dein Vater würde dir den Arsch versohlen, wenn er hier wäre.« »Wenn mein Vater hier wäre«, giftete die Kleine, »wären wir nicht hier. Dann wären wir in Santa Maria.« Linda nickte den beiden Dicken zu, als diese den Gehweg hochschlurften, der zum Hauseingang führte. Dann drehte sie sich zu Beck um und zuckte die Achseln. »Tut mir leid.« »Mir auch«, sagte Beck und erwiderte das Achselzucken.
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»Ich meine damit nicht, was du denkst...«, begann Linda. Beck biß sich auf die Unterlippe. »Wie, zum Teufel, willst du wissen, was ich gerade denke?« Linda grinste. »Es steht dir deutlich im Gesicht geschrieben, Sergeant. Möchtest du was zu trinken? Ich kann dir 'nen Kaffee machen ...« Beck lachte bitter auf. »Ich brauch' keinen Kaffee. Außerdem bin ich neuerdings wählerisch, mit wem ich was trinke.« »Seit wann?« »Seit gestern abend.« »Sei nicht so gemein«, sagte Linda. »Es tut mir leid. Ich hätte das nicht sagen sollen.« Sie fing an, in ihrer beigefarbenen Handtasche nach den Haustürschlüsseln zu wühlen. Beck mußte lächeln. Die Weiber stopfen alles in ihre Handtaschen . . . bis sie sich dann in dem Chaos selbst nicht mehr zurechtfanden. Linda starrte ihn an. »Was findest du denn so komisch?« »Nichts. Gar nichts. Hör mal. Ich bin nicht hergekommen, um mich zu entschuldigen oder damit du dich entschuldigst. Nicht so was Kompliziertes. Ich möchte nur wissen ... na ja, warum?« Lindas Schultern sackten herab. »Ich wollte es dir sagen. Ich hatte vor, es dir zu sagen ... aber das nächste, woran ich mich erinnern kann ... wir lagen im Bett.« Beck fuhr sich mit den Fingern durch sein kurzgeschnittenes blondes Haar. »Langsam, langsam. So schnell ging's ja nun auch wieder nicht.« Linda wühlte weiter in ihrer Handtasche herum. Beck hörte, wie sie leise weinte. »Für mich schon.« Beck fühlte sich aus dem Konzept gebracht. »Und das soll ich dir glauben? Ich meine . . . wir haben doch noch getanzt. Getrunken. Geredet. Radio gehört.« »Und sollte mich das etwa vom Hocker reißen?« erwiderte Linda. »Wo sind denn die verdammten Schlüssel? Und warum haust du nicht einfach ab?« »Warum lügst du mich immer noch an?« fragte Beck sanft. »Ich dich anlügen?« sagte Linda scharf. Ihre braunen Augen funkelten vor Zorn. »Er war dein Mann!« rief Beck.
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»Wer gibt dir das Recht, mich zu verurteilen?« »Weiß ich nicht«, sagte Beck. »Aber für wen, zum Teufel, hältst du mich? Und für wen, zum Teufel, hältst du dich?« »He! Linda?« rief eine Stimme. »Ist bei dir da drüben alles in Ordnung?« Linda wandte den Kopf zur Seite. Drüben auf dem Nachbargrundstück standen die fette Frau und ihre fette mürrische Tochter in ihren weißen Mänteln. Linda zwang sich zu einem Lächeln. »Ja, Nancy. Alles in Ordnung. Hi, Alma. Fröhliche Weihnachten. Mir geht's gut. Das ist ein ... ein Freund...« Die beiden weißen Wale winkten Jerry zu. Er grinste, winkte zurück und raunte Linda dabei zu: »Treib's nicht auf die Spitze, Mrs. Kimble.« Linda fand schließlich den Schlüssel und zog ihn aus der Handtasche. »Ja«, sagte sie über die Schulter, während sie die Haustür öffnete. »Er war mein Mann. Mit der Betonung auf war. Aber warum, zum Teufel, rechtfertige ich mich eigentlich vor dir? Ich brauche mich nicht vor dir zu rechtfertigen.« Sie öffnete die Tür zu ihrer Wohnung. »Jeeesus«, seufzte Beck. »Was wäre das schön, wenn's mal irgend jemand tun würde.« »Möchtest du reinkommen oder nicht?« Beck zuckte die Achseln. »Weiß ich selbst nicht.« Linda stieß ein rauhes, schnaubendes Geräusch aus und betrat ihre Wohnung. »Was genau möchtest du wissen?« Beck beugte sich in die Eingangstür, folgte Linda aber nicht. »Was ich wissen möchte? Himmel noch mal! Ich möchte alles wissen! Warum du so schnell in mein Bett gekrochen und am nächsten Morgen nicht schnell genug wieder verschwinden konntest. Wenn du irgendwelche Informationen haben wolltest, hättest du bloß fragen brauchen. Wir hätten beide 'ne Menge Zeit gespart... und Mühe.« Linda setzte sich in einen Wohnzimmersessel. »Erstens«, sagte sie und starrte ihn wütend an, »bin ich nicht schnell in dein Bett und wieder rausgekrochen. Es war nicht... geplant. Ich hab's nicht erwartet. Ich mochte dich, und es war Heiligabend, und ich hab' mich allein gefühlt. So allein, daß ich glaubte, sterben zu müssen. Ich hab' dieses Gefühl auch in
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deinen Augen gesehen. Ich mußte mit jemandem zusammen sein, und du warst da. Das ist alles.« Beck grinste schief. »Alles?Das ist nicht alles. Quatsch.« Linda wandte den Kopf zur Seite. »Nein. Ich wollte etwas anderes. Wenigstens glaubte ich es gestern abend.« Beck nickte. »Und was?« »Ich wollte den Mann finden, der Gary getötet hat.« Beck rollte die Augen gen Himmel. Der Putz an der Decke von Lindas Wohnung bröckelte an einigen Stellen ab. »He, he. Das ist mein Job.« Linda starrte ihn wieder an. Hart und durchdringend. »Dann finde den Bastard, schnapp ihn dir und bring ihn um!« Beck pfiff leise durch die Zähne. »He, immer mit der Ruhe. Das ist nicht mein Job.« »Er — hat — den — Tod — verdient«, sagte Linda ganz langsam und betonte bewußt jedes einzelne Wort. Beck blickte sie nachdenklich an. Er fragte sich, wie sich die Sanftheit und Wärme, die er letzte Nacht in ihr gefühlt hatte, mit der Härte, die sie jetzt an den Tag legte, unter einen Hut bringen ließ. »Kann schon sein. Aber nicht auf die Art und Weise, wie sie dir vorschwebt, Kleine. Und du wolltest vor allem erfahren, was für ein Kerl es ist, der den Mörder deines Mannes jagen soll, nicht wahr?« Sie schwieg. Beck seufzte. »Aber... wenn du ihn so geliebt hast, warum hast du ihn dann überhaupt verlassen?« Lindas ganzer Körper schien unter dem Gewicht dieser Frage zusammenzusinken. »Spielt das eine Rolle? Und du hast recht. Ich wollte auch wissen, was für ein Mann du bist.« Beck starrte sie an. Er wollte etwas sagen. Irgend etwas. Aber es gab nichts mehr zu sagen. Unwillkürlich mußte er leise lachen. »Komisch«, murmelte er dann. »Ich bin hierher gekommen und hab' mir gesagt, nicht mehr aus dieser ganzen Sache zu machen - aus letzter Nacht — , als es wert ist. Ich wollte mich nicht in irgendwas einkaufen, bei dem man als Sieger weniger gewinnt als man als Verlierer verliert...« »Was, zum Teufel, redest du da eigentlich?«
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Beck zuckte die Achseln. »Du weißt es. Vielleicht weißt du's auch nicht. Vielleicht weiß ich's nicht.« Beck wandte sich zum Gehen. »Bis dann.« Mit einem Ruck stand Linda auf. »Was ich auch getan habe — ich wollte dich nicht verletzen.« »Komisch, warum fühle ich mich deshalb nicht besser?« Linda folgte ihm bis zur Straße. »Was hast du jetzt vor? Wohin gehst du jetzt?« Beck sagte über die Schulter: »Ich hab' zu Hause noch 'ne halbvolle Flasche Wodka und ein halb zusammengebautes, buntes, teuflisch kompliziertes Spielzeug für meinen Jungen. Ich glaube, ich werd' 'ne Münze werfen, auf was ich mich zuerst stürze.« »Beck?« rief Linda. »Beck!« Er wandte sich um. »Mach dir wegen mir keine Vorwürfe, Kleine«, sagte er lächelnd. »Ich bin an solchen Mist gewöhnt. Ich bin Bulle, denk dran. Du erinnerst dich ja sicher daran, wie es ist, mit 'nem Bullen zusammen zu sein.« »Ja«, sagte sie leise. »Ja, stimmt.« »Tja«, sagte er, als er seinen Wagen erreicht hatte. »Wie meine geliebte Verflossene immer über das Leben zu sagen pflegte: >Es ist ein großer Haufen Scheiße.<« Er lächelte sie ein letztes Mal kurz an, schwang sich auf den Sitz und knallte die Fahrertür zu. Eine kleine Lawine aus Lackund Rostsplittern regnete auf die Straße und bedeckte den Berg aus Zigarettenkippen, den er etwa eine Stunde vorher dort aufgehäuft hatte. Beck ließ den Motor seines verbeulten Toyota an. Ist das Leben nicht herrlich? dachte er und fuhr los.
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Zweiter Teil Mit einem freundlichen Wort und einer Kanone kommt man viel weiter als nur mit einem freundlichen Wort. Albert >Al< Capone
9 Das El Coyote war eine mexikanische Bierkneipe. Sie lag am Highway 20, ein Stück außerhalb der kleinen Arbeiterstadt Cottonwood, einem unbedeutenden Flecken auf der Landkarte Arizonas. Dieses Kaff hatte nichts Besonderes zu bieten außer seinem Himmel. Dem Himmel. Dem großartigen Himmel. Blauschwarz und glasklar und nicht durch den Smog und die Lichter einer Großstadt verschandelt. Jetzt, am Abend, war dieser Himmel ein Naturereignis. Allgegenwärtig. Allumfassend. Ein unermeßlicher, ungeheurer Schleier aus funkelnden Sternen und einigen wenigen, in den letzten Sonnenstrahlen tiefrot glühenden, faustförmigen Wolken. Das El Coyote war ein alter Bau, groß und häßlich und quadratisch. Die Neon-Leuchtreklame über dem Schindeldach, das seit den frühen 50er Jahren dringend hätte renoviert werden müssen, zeigte einen Coyoten, der an diesem Abend den strahlenden winterlichen Mond am fast sternklaren Himmel anzuheulen schien. Doch der Coyote summte nur leise vor sich hin: schlecht verkabelte elektrische Leitungen. Es war der Abend des ersten Weihnachtstages. Jedermann in Cottonwood, der Familie, Freund oder Freundin hatte, war zu Hause und hatte, sofern vorhanden, die Heizung hochgedreht, denn der Dezemberwind war schneidend kalt. Trotzdem hatte das El Coyote geöffnet.
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Nur vier oder fünf verstaubte klapprige Wagen standen auf dem öden Parkplatz. Bis der Ford-Kombi kam. Die Geschichte des El Coyote sollte heute abend umgeschrieben werden. Gründlich umgeschrieben. Vier Männer stiegen aus dem Wagen. Es waren keine Arbeiter aus der Stadt. Es waren Männer, die eine Arbeit verrichteten, die in dieser Gegend niemand sonst tat. Ihre weißen Atemwolken wurden vom scharfen Wind davongerissen, als die vier Männer zum Eingang des El Coyote gingen. Einer von ihnen rieb sich über eine auffällige, unverwechselbare Tätowierung am Unterarm. Der Mann mit der Tätowierung atmete tief die klare, kalte Luft ein. Er liebte den Südwesten. Er liebte dessen Weite, den Eindruck von grenzenloser Freiheit, den diese Landschaft vermittelte. Er liebte es zuzuhören, wenn die alten Männer sich über indianische Legenden unterhielten. Die Geistertänzer. Die Medizinmänner. Die Indianer waren auf dem richtigen Weg gewesen. Sie hatten an die Erde und an die elementaren Kräfte geglaubt. Sie hatten sich nicht mit Bürokratenscheißdreck herumschlagen müssen wie er. Aber die Indianer hatten einen unverzeihlichen Fehler. Sie waren keine Weißen. Schade. Der Tätowierte erreichte die Vordertür des Bierschuppens und trat mit der Sohle seines schweren Stiefels dagegen. Krachend flog sie auf. Der Name des Mannes war Bobby Burns. Er war mü de. Er hatte die Schnauze voll. Alles kotzte ihn an. Die ganze Welt fuhr zur Hölle, und er wußte es. Die wenigen Gäste im El Coyote blickten auf, als die Fremden eintraten. Einer oder zwei der Gäste murmelten irgend etwas vor sich hin. Diese Kerle gehörten zu der Sorte von Gringo-Desperados, um die man besser einen großen Bogen schlug. Sie waren Überbleibsel aus einer anderen Zeit. Menschen, die ihr Leben haßten und davon träumten, zur DaltonBande zu gehören, zum Beispiel, ohne je die Chance dazu zu bekommen.
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Zur falschen Zeit geboren. Am falschen Ort. Mit der falschen Einstellung zum Leben. Die meisten dieser Typen waren harmlos. Das wußten die Mexikaner, die hier im El Coyote verkehrten. Sie hatten schon mehr als einen Gringo wie diese da im El Coyote gesehen. Die Schnauze voll von ihren Eigenheimen oder ihren Jobs oder ihren Weibern oder ihren fernbedienten Farbfernsehern oder allem zusammen. Sie mußten nur ein bißchen Dampf ablassen, diese Grin-gos. Zurück zur Natur. Es verwunderte die Gäste nur, daß diese Typen immer wieder das El Coyote, eine Kneipe, die so weit weg von der Hauptstraße lag, in ihre Freiheitssehnsucht einschlossen. Aber egal. Gab man diesen Möchtegern-Desperados genug Platz, ließ man sie in Ruhe, hatten sie nach einer Stunde die Nase voll und verschwanden zur nächsten Touristenfalle. Gut so. Sollten sie sich da besaufen. Schlägereien anfangen. Sich an Frauen ranmachen. Und, wenn sie genug Bargeld hatten, vielleicht mit einer Nutte vögeln. Bobby Burns ließ seinen Blick durch die Kneipe schweifen. Er wandte sich an einen seiner Kumpane. »Ray, du gehst mit Sleepy hinten rum.« Der glatzköpfige, pockennarbige Ray nickte. Er winkte dem fetten, bärtigen Sleepy, ihm zu folgen. Die beiden verließen das El Coyote wieder. Burns blickte ihnen hinterher. Welch ein Gespann, diese beiden. Er hatte Ray im Knast kennengelernt. Ray war ein Muskelpaket, ein Body-Building-Typ. Er war mal der blonde Schwärm vieler Weiber an den kalifornischen Stranden gewesen, dachte Burns grinsend. Bevor er entdeckt hatte, daß er auf minderjährige Mädchen abfuhr. Oh, er mochte sie sehr, die Vierzehn-, Fünfzehnjährigen. Und wenn sie ihn nicht mochten, war das nicht weiter schlimm. Er hatte sie noch immer dazu gebracht, ihn zu mögen. Einmal war eins dieser kleinen Mädchen, nachdem sich Ray mit ihr vergnügt hatte, in ein tiefes Koma gefallen. Sie hatte drei ältere Brüder und jede Menge Freunde gehabt. Die entschlossen sich damals, Ray eine Lektion zu erteilen, bevor
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sie ihn an die Bullen auslieferten. Sie hatten ihn fürchterlich verprügelt und sein Haar verbrannt. Ray, der unerschütterliche Ray, hatte festgestellt, daß ihm die Glatze gefiel. Und während seiner Zeit im Knast hatte er damit angefangen, seinen kahlen Schädel zu polieren. Das, so meinte er, hob ihn aus der Menge heraus. Sleepy wiederum war das Produkt einer inzestuösen Beziehung zwischen Cousin und Cousine, die irgendwo im Süden Floridas geheiratet hatten. Stark wie ein Ochse — und auch ungefähr so intelligent — war er ein Schläger erster Güteklasse und konnte, wenn er wütend war, einen Mittelklassewagen samt Insassen auf die Seite kippen — was er übrigens schon bewiesen hatte. Zum Glück für Burns war Sleepy zu dämlich, um allzu oft in Wut zu geraten. Wäre das nicht der Fall gewesen, hätte er Bobby wegen einer bestimmten Sache, die jetzt zwei Monate zurücklag, möglicherweise schon längst in Stücke gerissen. Burns lächelte, als er das narbige, dürre Gerippe namens Crossfield betrachtete, das neben ihm stand. Crossfield war ein Fall für sich. Einer der rauhesten und härtesten Burschen in Soledad, und das wollte verdammt was heißen. Crossfield hatte immer zur Marine gehen wollen. Aber er hatte nicht mal schwimmen gelernt. Pech. Plus die Tatsache, daß die Navy keine Schwerverbrecher in ihre Reihen aufnahm. Also tat Crossfield das Nächstbeste. Er ließ sich einen Bart wachsen, wie ihn die U-Boot-Commander in den Spielfilmen über den Zweiten Weltkrieg trugen. Wenn er auch kein Seemann geworden war, so sah er jedenfalls so aus. Genauer gesagt, wie ein Seeman aus einem Cartoon: eine hagere Ausgabe von Bluto. »Möchtest du 'nen Burrito?« fragte Burns Crossfield. »Mir schmeckt dieser mexikanische Fraß nicht. Vielleicht nehm' ich lieber 'n Hot dog.« Crossfield lächelte. Dabei verwandelte sich sein Totenkopfgesicht in eine häßliche Krater-Landschaft. »Irgendwie hab' ich Kohldampf, Mann. Richtigen Heißhunger. Kann mich kaum noch beherrschen.« Die beiden standen jetzt in der Mitte der Kneipe und betrachteten die Massen hell erleuchteten Weihnachts-
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Schmucks. Typisch für die Taco-Fresser, dachte Bobby. Billiger Kitsch. Sogar eine Krippe stand am entferntesten Ende des Tresens. Burns mußte über die ansonsten derbe, spärliche Einrichtung des El Coyote grinsen. Diese Bauerntrampel. Eine briefmarkengroße Tanzfläche. Eine klappriger Veteran von Poolbillardtisch. Eine verbeulte, altersschwache Wurlitzer-Jukebox, die Salsa-Klänge vor sich hin wimmerte. Er strich sein fettiges, langes schwarzes Haar zurück. Heute, am ersten Weihnachtstag, waren nur sechs Leute in dieser Kneipe. Nicht mitgezählt die winzige mexikanische Wirtin, ein ältliches Pin-up-Girl für Liliputaner. Doch trotz ihres kleinen Wuchses, ihres fast lächerlich dick aufgetragenen Make-ups, schien sie Mumm zu haben. Burns erkannte es in ihren Augen. Kalt und blau wie Stahl. So fest und hart und durchdringend, daß sogar Burns versuchte, ihrem Blick auszuweichen. Na gut. Er würde sie anschauen, wenn er es wollte ... und dann würde er's der alten Schlampe auf die Rechnung schreiben, ihm so kalte Blicke zuzuwerfen. Bobby und Crossfield starrten die Mexikaner an, die die beiden Fremden aufmerksam musterten. Kein Problem, diese beiden Gringos. Keine große Sache. Nur ein bißchen freundlich sollte man vielleicht sein. Ein alter weißhaariger Mexikaner namens Ponchito, der am Tresen saß, hob sein halb geleertes Glas, in dem ein undefinierbares gelbes Gebräu schwappte. Er lächelte die beiden an und rief: »Amigos! Feliz Navidad!« Bobby grinste und starrte den Alten an wie eine Schlange die Maus. In diesem Augenblick flog die Hintertür krachend aus den Angeln. Holzsplitter sirrten durch die Luft. Ein riesiger Stiefel, der zu einem überlebensgroßen Blödmann — Sleepy — gehörte, schwebte für Sekunden im staubumwallten Türrahmen. Louisa, die Frau hinter dem Tresen, holte keuchend Atem. Ray und Sleepy stampften in die Kneipe. Sie hielten riesige Gewehre in den Fäusten. Gewehre, wie die Mexikaner sie nie zuvor gesehen hatten, außer in den Filmen mit Sylvester Stallone.
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Ray blickte Bobby an und zuckte die Achseln. »Die beschis sene Tür war abgeschlossen. Das ist gesetzwidrig. Man darf eine Ausgangstür während der Öffnungszeiten nicht abschließen. So geht das doch nicht. Die Bullen könnten diesen Saftladen in weniger als einer Minute dichtmachen, wenn sie das wüßten.« Auf den gebräunten Gesichtern der Mexikaner zeichnete sich plötzlich Bestürzung ab. Und Angst. Denn nun hatten auch Bobby und Crossfield ihre Waffen gezogen. Crossfield hielt eine Mack 10 in den Fäusten, Bobby seine heißgeliebte NeunMillimeter-Browning. Bobby lächelte die Gäste an. »Legt euch auf den Boden. Jeder!« Die Mexikaner starrten erst Bobby an, warfen sich dann fragende, erschreckte Blicke zu. Und dann sahen sie alle auf Louisa, als könnte die Tatsache, daß ihr das El Coyote gehörte, den Fortgang der Ereignisse irgendwie beeinflussen. Louisa hielt den Blick aus ihren kalten blauen Augen auf Bobby gerichtet. Bobby Burns spürte wieder die zwingende Kraft, die in diesem Blick lag. Wie, um sich davon zu befreien, trat er zwei Mexikanern, die an der Theke saßen, die Hocker unter den Hintern weg. Die Männer stürzten hart zu Boden. Bobby stieß ein schrilles, irres Heulen aus, das selbst den frömmsten Padres den Glauben an das Gute im Menschen geraubt hätte. Auch Ray und Sleepy waren der Meinung, daß es nun an der Zeit wäre, in Aktion zu treten. Ray ließ seine knorrige Rechte vorschießen und packte einen älteren Mann am Hemdkragen, zerrte ihn vom Hocker und schleuderte ihn brutal zu Boden. Augenblicke später hockte er rittlings auf dem Rücken des alten Mannes — ein muskelbepackter, glatzköpfiger, grinsender Satan, bereit, sein Opfer mit in die Hölle zu nehmen. Er rammte dem Mann die Mündung seines 45er Colts an den Hinterkopf. Sleepy stapfte hinter den Tresen, packte die winzige Frau und zerrte sie auf die Tanzfläche. Er trat ihr die Beine unterm Körper weg, ging neben ihr in die Knie und rieb ihr Gesicht im Sägemehl, mit dem der Boden hier bestreut war. Dann riß
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er ihren Kopf brutal an den Haaren hoch und zwang sie, in Richtung ihrer Gäste zu blicken. Die sechs Mexikaner drehten betreten die Köpfe zur Seite. Bobby lachte irre. Einer der alten Männer hatte sich in die Hosen gepinkelt. Grinsend drehte Burns sich zu Ray um. »Räum die Kasse aus.« Ray marschierte hinter den Tresen, während Bobby den Lauf seiner Waffe der Reihe nach auf die Männer richtete, die sich inzwischen gehorsam auf den Boden geworfen hatten. Die Mexikaner begriffen das alles nicht. Jedermann wußte doch, daß hier in dieser Gegend kaum etwas zu holen war. Mein Gott, sie alle waren arme Schlucker. Sleepy und Crossfield, die wie Schakale grinsten, gingen die Reihe der Männer ab und plünderten sie aus, zogen armselige Geldbörsen oder Brieftaschen aus Jacken und Hosen. Die höchste Summe, die sie fanden, betrug fünf Dollar. Inzwischen hatte sich Ray schon eine ganze Weile vergeblich mit der Registrierkasse herumgeschlagen. »Das Scheißding geht nicht auf«, sagte er wütend. »Was ist das hier für ein bepisster Laden!« Bobby ging hinüber zu Louisa, die unter dessen irrem Blick rasch den Kopf abwandte und zu Boden starrte. Er beugte sich über sie und drückte ihr die Mündung seiner Neun-Millimeter an die Schläfe. »Wie geht das gottverdammte Ding auf?« Louisa blieb regungslos liegen und sprach gegen den Boden, um nicht mehr den Wahnsinn in den Augen des Grin-gos lodern zu sehen. »Die Kasse klemmt schon mal. Sie ist schon alt und . . .« »Ich will nicht die Lebensgeschichte von dem Scheißding hören. Wie geht die Kasse auf?« »Man muß gegen die rechte Seite schlagen.« Ray grinste Bobby an und zuckte die Achseln. Dann hämmerte er seine riesige Faust gegen die rechte Seite der alten Registrierkasse. Mit einem lauten, hellen Klingelton sprang sie auf. Ray griff hinein, raffte die wenigen zerknitterten Geldscheine zusammen und hielt sie hoch. »Jesus! Hier ist ja kaum was drin! So gut wie nichts!« Sleepy hatte momentan seine eigenen Probleme. Er hatte dem weißhaarigen Ponchito die Geldbörse aus der Tasche
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gezerrt und sie durchwühlt. Jetzt rief er: »Dieses alte Arschloch hat nur Pesos bei sich. Was, zum Teufel, sollen wir mit beschissenen Pesos anfangen!« Bobby zuckte nur die Achseln und wandte sich um. Er blickte hinunter auf den zitternden alten Mann. Ohne ein Wort zu sagen, jagte er dem Alten aus kürzester Entfernung drei Kugeln in den Kopf. Die anderen Mexikaner erstarrten vor Entsetzen. Louisa wollte schreien, doch sie brachte nur ein leises, gedämpftes Wimmern hervor. Bobby tauschte einen kurzen Blick mit den anderen. Dann, wie auf ein stillschweigendes Kommando, eröffneten sie gemeinsam das Feuer auf die am Boden liegenden Mexikaner. Die Körper wurden durchgeschüttelt, der Holzfußboden aufgerissen und mit Blutspritzem, Fleisch- und Kleidungsfetzen übersät. Einer der jüngeren Gäste, dessen rechtes Bein von einer Garbe zerrissen worden war, versuchte sich aufzurichten. Er kroch stöhnend zur eingetretenen Hintertür. Er kam knapp drei Meter weit. Dann schossen Crossfield und Sleepy lächelnd auf ihn. Die großkalibrigen Kugeln ris sen seinen Körper fast in zwei Hälften. Bobby widmete sich inzwischen mit sichtlichem Vergnügen der entsetzensstarren, apathischen Louisa. Er schoß ihr systematisch in Arme und Beine, um für ein Höchstmaß an Schmerz zu sorgen, bevor er ihr schließlich ins Genick feuerte, dicht unterhalb des Schädels. Dann beobachtete er, wie das Blut aus der klaffenden Wunde in ihrem Nacken spritzte. Nach zehn scheinbar endlosen Sekunden hörten die Schüsse und Feuerstöße abrupt auf. Es stank nach Blut und Kordit. Bobby und seine Kumpane reckten stolz die Brüste und blickten irre grinsend auf die blutigen Bündel am Boden. Ganze Arbeit. Man konnte kaum noch erkennen, daß die ... Dinger, die vor ihren Füßen lagen, Menschen gewesen waren. Bobby ging hinüber zum Tresen und kratzte an der Trittleiste ein Stück von irgend etwas Blutigem, Klebrigem von der Sohle seines rechten Springerstiefels. Verdammte Schweinerei. Die Stiefel waren blutbespritzt. Dabei hatte er vorher
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schon gewußt, daß er die neuen Stiefel nicht hätte anziehen sollen. In diesem Moment hörte er ein Geräusch im Hintergrund und erstarrte. Die anderen warfen sich fragende Blicke zu. Die Wasserspülung des WC. Bobby wäre fast in schallendes Gelächter ausgebrochen. Da war noch einer von diesen Greasern auf dem Scheißhaus, wahrscheinlich zu besoffen, um irgendwas gehört zu haben. Eine Stimme fing an, ein altes spanisches Weihnachtslied zu singen. Der -Stimme folgte Sekunden später ein kleiner, gedrungener Körper in die Kneipe. Der zwergenhafte Mann, dessen Bauch fast sein Hemd sprengte, kam mit schwankenden, unsicheren Schritten um den Tresen und zog den Reißverschluß seines Hosenstalles zu. »Was für ein Geknatter!« lallte der Mann und rollte mit den Augen. »Was sollte das sein? Cinco de Mayo? Ich dachte, wir hätten Weihnachten.« Bobby grinste den Kleinen schief an. Der wandte langsam den Kopf und sah die zerfetzten Körper, das gräßliche Blutbad. Sein Gesicht wurde starr und wachsbleich. »He, Taco-Fresser«, flüsterte Bobby. »Hier spielt die Musik.« Der Mann drehte unendlich langsam den Kopf und blickte zu Bobby auf. Bobby heulte schauerlich, als er mit drei genau gezielten Schüssen die Schädeldecke des Mannes wegsprengte. »Okay. Und was machen wir jetzt, Jungs?« fragte er dann. Crossfield dachte angestrengt nach, und seine von Narben verwüstete Visage verwandelte sich in ein einziges großes Fragezeichen. »Na ja, wir könnten noch was hierbleiben und 'n paar Bierchen schlucken, würde ich sagen«, meinte er schließlich. »Tequila«, sagte Sleepy. »Die haben Tequila.« »Das ist Greaser-Gesöff«, sagte Ray abfällig. »Das ist guter, harter Stoff, Mann«, erwiderte Sleepy. »Mehr interessiert mich nicht. Ich hab' Durst.« Bobby seufzte. Manchmal fragte er sich, warum er sich
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eigentlich mit diesen drei Scheißern herumtrieb. Keiner von ihnen hatte wirklich was auf dem Kasten. Er stieg über die auf dem Boden verstreuten Körperteile hinweg, trat hinter den Tresen und holte ein paar Sechserpacks Bier und einige Flaschen Schnaps aus dem Kühlfach. »Hier. Wir trinken ein paar Bier und Tequila, okay?« Seine drei Partner grinsten sich blöde an und nickten Bobby dann synchron zu. Bobby warf Ray seine Kanone zu. Ray pflückte sie wie ein geschickter Baseball-Flügelspieler aus der Luft. Bobby klemmte sich die Bierpakete und die Schnapsflaschen unter die Arme, umrundete den Tresen und ging zur Tür. »Na los«, sagte er über die Schulter. »Wir hauen hier ab und saufen das Zeug woanders. Das könnt ihr als Befehl betrachten, hier zu verschwinden.« Die drei Männer folgten Bobby Burns hinaus in die klirrend kalte Abendluft; die roten Spuren, die ihre Stiefel hinterließen, bildeten einen deutlichen Kontrast zum hart gefrorenen, rauhreifbedeckten Boden. Ray zog Bobby eine der Flaschen aus den Armen. »He, Mann!« rief er. »Die ist ja fast leer. Gottverfluchte Betrüger!« Er schleuderte die Flasche durch die offenstehende Tür in die Kneipe, wo sie klirrend an einer Wand zerplatzte. Drinnen, auf dem Boden der Tanzfläche, ging ein Zucken durch einen der blutüberströmten Körper. In einem Reflex riß Louisa bei dem Geräusch zersplitternden Glases die Augen auf. Sie war nicht tot. Aber was sie gesehen hatte ... Wen sie gesehen hatte, würde sie nie vergessen ... und sie würde sich nur zu gern an alles erinnern, wenn jemand sie danach fragte. Wenn sie nur jemand finden würde. Wenn sie nur jemand fragen würde. Dann — vielleicht — würde ihr verzerrter Mund wieder Worte formen können.
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10 Beck saß hinter seinem Schreibtisch und rieb sich die Augen, die müden, schmerzenden Opfer einer weiteren langen, leeren, einsamen Nacht. Neben Becks Schreibtisch baute sich Detective Bilson auf. Er hielt ein paar Polaroid-Fotos in der Hand. »Hier, Beck, guck mal. Ich bin Vater.« Beck blickte auf. Er wußte, daß Bilson Single war. Nein, noch schlimmer. Er war zweimal geschieden. »Laß mal sehen.« Bilson schob ihm ein Foto hin, das eine Katze zeigte, die sechs neugeborene Junge säugte. »Sam hat die kleinen Biester«, sagte Bilson. »Willst du eine? Ich such' ein gutes Zuhause für die Kleinen.« Beck schüttelte langsam den Kopf. »Wer, zum Teufel, möchte denn mit einer Katze zusammenleben?« Bilson schien leicht eingeschnappt zu sein. Beck versuchte, sich taktvoll aus der Affäre zu ziehen. »So hab' ich's doch nicht gemeint, Bilson. Aber es gibt nun mal Katzenmenschen und Hundemenschen. Und ich, ich bin Hundemann.« Bilson nickte. »Oh, ich verstehe.« »Das wußte ich«, seufzte Beck. Dabei wußte er es in Wirklichkeit selbst nicht. Er hatte nie im Leben ein Haustier gehabt. Er war weder Katzenmensch noch Hundemensch. Nicht mal — wie es aussah — Menschenmensch. »Äh, Jerry«, sagte Bilson, schon in der Tür. »Willst du nicht wenigstens mal drüber nachdenken?« »Ja«, sagte Beck. »Bald.« Als Bilson endlich verschwunden war, konzentrierte Beck sich auf das Drum-Solo, das seine bleiernen, müden Augenlider spielten. Das Telefon schrillte. »Beck.« Statisches Rauschen am anderen Ende der Leitung. »Sergeant Beck? Hier ist Walker Hillard«, drang schließlich eine dünne Stimme an sein Ohr. »Ah, ja.« »Ich bin der Polizeichef von Cottonwood, Arizona.«
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»Da bin ich ganz sicher«, erwiderte Beck gähnend. »Bei uns gibt's eine kleine mexikanische Bar draußen vor der Stadt. El Coyote. Sie wurde gestern abend ausgeraubt. Als die Burschen die Kasse leergeräumt hatte, haben sie offenbar allen Gästen befohlen, sich auf den Boden zu legen. Und dann haben diese Schweine sie alle erschossen! Es ist furchtbar. Es sah da drin aus wie in einem Schlachthaus.« Von einem Moment zum anderen war Becks Müdigkeit verflogen. »Und ...?« »Ich habe Ihr Telex gelesen und mich gefragt, ob diese Sauerei irgendwas mit Ihrem Gesuchten zu tun haben könnte.« »Ich weiß nicht«, erwiderte Beck. »Was haben Sie denn sonst noch fes tgestellt?« »Wir haben . ..«, sagte der Chief, und seine Stimme wurde bei der schlechten Verbindung von schrillem Pfeifen überlagert. » ... ist unglaublich, aber die Besitzerin lebt noch. Vielleicht kann sie ein paar von den Kerlen identifizieren.« »Langsam, langsam«, sagte Beck. »Die Frau lebt noch, sagen Sie?« »Ein Wunder. Bekam eine Kugel ins Genick, dicht unterhalb des Schädels. Außerdem in Arme und Beine. Sie ist ein dürres kleines Ding, aber hart und zäh. Unheimlich zäh. Aber ihr Zustand ist äußers t bedenklich.« Beck fletschte die Zähne. »Die Ärzte sollen alles tun, um die Frau am Leben zu erhalten. Ich bin schon unterwegs zu Ihnen.« Er stürmte aus seinem Büro und warf einen raschen Blick zu Bilson hinüber. »Sag dem Captain, daß ich möglicherweise eine heiße Spur im Kimble-Fall habe. In Cottonwood, 'ner Kleinstadt in Arizona, ist gestern abend 'ne Horde Irrer eingefallen.« »Arizona? Was versprichst du dir...?« »Tu mir noch einen Gefallen. Benachrichtige das FBI.« »Äh ... was ist mit den Kätzchen?« »Nimm's mir nicht übel, Bilson, aber steck sie dir in den Hintern«, sagte Beck und verschwand aus der Tür.
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11 Beck saß auf dem Polizeirevier in Cottonwood und staunte. Jetzt fehlte nur noch, daß Andy Griffith zu ihm hereinkam: Die Wache war so ländlich-patriotisch, daß sie fast schon wie die Kulisse für eine Filmklamotte aussah. An den Wänden von Chief Hillards Büro hingen schlecht retuschierte Porträts von Richard Nixon, Ronald Reagan, Jimmy Baker und Oliver North. In einer Ecke prangte ein überdimensionales Sternenbanner. Beck trommelte nervös auf der Aktenmappe herum, die auf seinem Schoß lag. Er wartete auf den Chief. Vielleicht kam er ja irgendwann mal rein, um noch mehr Fotos aufzuhängen. Vielleicht die Porträts von allen Kabinettsmitgliedern der Reagan-Administration, die unter dem Druck von Verdächtigungen vorzeitig ihren Sessel hatten räumen müssen. Beck ließ seinen Blick durch das Büro schweifen und schüttelte den Kopf. Nein, war nicht drin. Der Raum war nicht groß genug dafür. Und dann betrat Chief Hillard endlich sein Büro. Er war ein kleiner, mürrischer Miesepeter, der seinen Gürtel so tief trug, daß er fast in der Leistengegend hing. Seinen Stetson trug er a la Sam Spade lässig zur Seite geschoben auf dem Schädel. Barney Fife spielt Humphrey Bogart. »Ich habe schlechte Nachrichten«, sagte Hillard, starrte den Cop aus der Großstadt an und mochte ihn kein bißchen leiden. »Sie ist tot«, sagte Beck seufzend. Hillard nickte. »Tut mir leid. Ich habe vor einer Stunde vom Gemeindekrankenhaus den Anruf bekommen. Vor anderthalb Stunden. Ich habe versucht, Sie zu erreichen, bevor Sie Los Angeles verließen, aber ich bin hier ganz schön auf Trab gehalten worden. Sie wissen ja, wie das ist.« Beck blickte aus dem Fenster. Die Hauptstraße der kleinen Stadt war wie ausgestorben. Nur ein einsamer Abschleppwagen stand am Bordstein. Beck nickte. »Ja. Ich kann mir vorstellen, daß die Jungs von der Verkehrskontrolle mit ihrer Weisheit am Ende sind.«
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»Ein Trauerspiel«, sagte Hillard und nickte. »Ja«, sagte Beck. »Sieht aus, als hätte ich mich umsonst auf die Socken gemacht.« Hillard grinste verschlagen. Er versuchte sich jetzt offenbar als Bogart in Casablanca. »Vielleicht. Vielleicht auch nicht.« Er öffnete die Tür seines Büros, die direkt zur Straße hinausführte. »Kommen Sie.« »Was ist denn los?« fragte Beck. »Sie sind nicht der einzige Detective in der Stadt«, sagte Hillard und führte Beck zu seinem Streifenwagen. »Ich kann Ihnen nicht ganz folgen, Chief. Die Frau ist tot. Tote Zeugen kann man nicht in den Zeugenstand holen. Jedenfalls nicht da, von wo ich komme.« »Tja, bestimmt weiß man dort, von wo Sie kommen, auch nicht alles«, sagte Hillard kichernd. »Ich habe zehn, nein, fünfzehn Minuten, nachdem ich die Nachricht über Louisas Tod bekommen habe habe, einen Bericht von einem meiner Jungs gekriegt. Er hat heute morgen einen rotbraunen FordKombi in Richtung Steadman-Ranch fahren sehen. Ich glaube, es ist ein Versuch wert, mal nach dort rauszufahren.« Beck blickte den Barney/Bogart-Verschnitt an und mußte unwillkürlich grinsen. »Da bin ich ganz Ihrer Meinung, Chief.« Minuten später wurde Beck auf einer staubigen unbefestigten Straße kräftig durchgeschüttelt. Links und rechts der Bukkelpiste erstreckte sich die Prärielandschaft bis zum schier endlosen Horizont. Zwei schwarzweiße Streifenwagen folgten dem des Chiefs. Beck warf einen nervösen Blick über die Schulter. Zwei Streifenwagen. In jedem nur ein Officer. Das gefiel ihm nicht. Ganz und gar nicht. »Wissen Sie, Chief«, begann Beck, »ich hab' nachgedacht.« Hillard grunzte. Er schien nicht sonderlich beeindruck. »Falls sich herausstellt, daß Ihr Mann tatsächlich den Kombi gesehen hat, den wir suchen ...« »Oh, das hat er. Das ist der richtige Wagen. Ich hab' da ein gutes Gefühl«, sagte der Chief grinsend. »Hier draußen bei uns brauchen Sie nur Ihren Instinkt zu folgen. Man kann es förmlich riechen, wenn einen Ärger erwartet. Tatsache.«
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»Okay. Nehmen wir mal an, es ist tatsächlich der Wagen, den wir suchen«, sagte Beck. »Dann besteht die Möglichkeit, daß wir den Burschen unterlegen sind.« Der Chief kicherte. »Wie kommen Sie denn auf die Idee?« »Sie haben 'ne Schrotflinte. Wir beide haben 38er. Ihre Officers haben 38er. Das ist unsere ganze Bewaffnung. Aus dem, was Sie mir über den Überfall auf diese Kneipe erzählt haben, kann man schließen, daß die Schweinebande ein mittleres Waffenlager mit sich herumschleppt. Halbautomatische Gewehre. Eine Mack 10. Das meine ich mit unterlegen. Es wäre nicht schlecht, wenn wir uns Alternativen überlegen würden. Wir könnten zum Beispiel...« »Lassen Sie mich Ihnen ein bißchen Nachhilfeunterricht erteilen, Beck«, sagte Hillard und schoß eine diesmal aufrichtige Version des bösen Blicks auf Beck ab. »Sie sind Großstadtcop. Wenn ich in einer Großstadt Dienst machen würde, würde ich auf Sie hören, glauben Sie mir. Sie kennen Ihr Revier, ich das meine. Und das hier ist nicht die Großstadt. Das hier ist Cottonwood. 2231 Einwohner. Das hier ist meine Stadt. Mein Territorium.« »Aber...« »Um es auf einen Nenner zu bringen... ich laß mir hier von keinem reinreden!« Beck seufzte. Er roch förmlich die Katastrophe, die in der Luft lag. »Okay. Sie sind der Chief.« »Stimmt. Ich bin der Chief.« »Ja. Großartig.« »Verlassen Sie sich ganz auf mich.« Beck nickte. »Sie sind nicht zufällig mit 'nem Burschen namens Custer verwandt, oder?« »Wissen Sie was?« sagte der Chief mit einem schiefen Grinsen. »Nein.« »Ich kann Sie nicht leiden.« Beck ließ sich im Sitz zurückrutschen. »Wenn Sie dem Verein beitreten möchten, brauchen Sie 'ne dreistellige Mitgliedsnummer. « Das Gesicht des Chiefs nahm einen fragenden Ausdruck an, aber er gab keinen Kommentar zu Becks Bemerkung.
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Hillard lenkte den Wagen von der Seitenstraße auf einen einspurigen, staubigen, schlaglochübersäten Feldweg. Die Landschaft wurde immer wilder und zerklüfteter. Beck kaute auf der Unterlippe. Das alles gefiel ihm nicht. Es gefiel ihm ganz und gar nicht. Immer wieder warf er nervöse Blicke über die Schulter. Die beiden Streifenwagen folgten ihnen stur. Beck beobachtete jede Kurve, jede Einbuchtung, jeden Strauch am Wegrand nach Anzeichen irgendwelcher Aktivitäten. Drei-, vierhundert Meter hinter dem Abzweig auf die Nebenstraße gelangten sie an ein ausgetrocknetes Bachbett, das von einer alten Holzbrücke überspannt wurde. Fünfzig Meter hinter dieser Brücke stand ein sonnengebleichtes, kleines hölzernes Farmhaus mit einem noch kleineren Nebengebäude, das wahrscheinlich vor langer Zeit als Scheune gedient hatte. Beck holte seine Lesebrille hervor und setzte sie auf. Er suchte aufmerksam die Umgebung ab. Nichts. Kein Anzeichen von Leben. Und am schlimmsten: kein Anzeichen von einem rotbraunen Ford-Kombi. Becks Magen machte Flickflacks. Er warf einen raschen Blick auf Hillard. Der Chief war verdammt gelassen. Er nahm das Handmikro aus der Halterung am Funkgerät. »Dorothy, hier ist der Chief. Wir sind gerade bei der alten Steadman-Farm angekommen. Laß von Dotty so gegen halb eins zwei Steak-Sandwiches in mein Büro bringen, ja? Wir brauchen nicht lange.« Er lächelte Beck an. »Möchten Sie Bratkartoffeln oder Pellkartoffeln?« Beck nahm seine Lesebrille ab und verstaute sie langsam in seinem Sportsakko. »Ha? Oh, äh ... Bratkartoffeln. Bratkartoffeln wären prima.« Er beobachtete weiter das scheinbar verlassene Farmgebäude. »Dorothy? Beide Sandwiches mit Bratkartoffeln«, hörte er Hillard ins Mikro sagen. »Und sorg dafür, daß die Zeitungsfritzen im Revier sind, wenn wir zurückkommen. Ich hab' das Gefühl in den Knochen, daß das 'ne größere Sache wird. Danke, Süße.« Er hängte das Mikro zurück in die Halterung und drehte
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sich zu Beck um. »Sieht so aus, als hätten wir doch was gemeinsam.« »Bitte? Was?« »Bratkartoffeln. Wir sind beide Bratkartoffelfreunde.« »Wir sind beide totes Fleisch!« stieß Beck wild hervor. Eine Mikrosekunde, bevor er das Rattern der automatischen Waffen hörte, sah Beck das grelle Mündungsfeuer. Eine Kugel schlug in die Windschutzscheibe des Streifenwagens und zerschmetterte sie. Beck ließ sich instinktiv auf den Wagenboden fallen, als der Chief wie verrückt am Lenkrad kurbelte und den Wagen herumriß. »Was, zur Hölle ...?« brüllte er. »Das ist die Hölle, ja!« rief Beck, der sich bei jedem Schlagloch und jeder Bodenwelle den Kopf am Armaturenbrett stieß. »Und wir sind geradewegs reinspaziert.« »Halten Sie's Maul, Beck!« kreischte der Chief. »Jawohl, Sir«, rief Beck und hörte plötzlich das Geräusch verschmorender Leitungsdrähte über ihm. Der Chief konnte den Wagen nicht mehr halten. Er brach aus, raste durchs Geländer der wackeligen, altersschwachen Brücke und stürzte mit der Kühlerschnauze voran ins Bachbett. Großkalibrige Kugeln sirrten um sie herum, schlugen dumpf in die Uferböschung, pochten ins Holz der Brücke. Beck reckte den Kopf gerade lange genug aus dem Seitenfenster, um noch mitzubekommen, wie der zweite Streifenwagen gegen eine niedrige, aus Felsbrocken errichtete Mauer raste. Der Officer rollte sich, offenbar unverletzt, aus dem Wagen und warf sich mit einem Hechtsprung hinter die Mauer. Die Reifen des dritten Streifenwagens wurden von den Geschossen aus den automatischen Waffen regelrecht zerfetzt. Holpernd und rumpelnd kam der Wagen neben einem großen Baum zum Stehen. Sein Fahrer kroch aus dem Wrack und schlängelte sich hinter den Baum in Deckung. Beck, der noch immer am Boden des Streifenwagens hockte, wollte nach der Schrotflinte Hillards greifen, doch der Chief riß die Waffe an sich. Beck seufzte. »Sie brauchen kein Schrotgewehr, Chief.
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Sagen Sie den Burschen doch einfach, wer Sie sind, dann lachen die sich tot.« »Leck mich am Arsch, Beck!« kreischte Hillard. »Leck mich auch, Chief!« brüllte Beck. Die Geschosse pflügten jetzt eine Schneise durchs knochentrockene Bachbett. »Ich scheiß auf dich und deine Steak-Sandwiches und deine gottverfluchten Bratkartoffeln. Ich will dir mal die Wahrheit sagen, Arschloch. Ich hasse Bratkartoffeln!« Eine Kugel aus einer Mack 10 fetzte ein Stück Blech in der Größe eines Fußballs aus der Beifahrertür. Der Chief erstarrte vor Entsetzen. Beck riß ihm die Schrotflinte aus den Händen. »Das ist jetzt meine«, sagte er. Eine weitere Salve aus einem automatischen Gewehr schlug mit der Wucht eines Dampfhammers in den Kofferraum ein. Der Funksender wirbelte als qualmendes, unförmiges Etwas durch die Luft. »Riechen Sie auch was?« fragte der Chief mit zittriger Stimme. »Ja, Ihren Benzintank«, murmelte Beck. »In ein paar Sekunden können wir uns in gottverdammte Steak-Sandwiches verwandeln. Da können wir genausogut aussteigen.« Der Chief schluckte und nickte ergeben. Beide Männer traten die Türen auf, sprangen ins Bachbett und warfen sich flach zu Boden. Beck, die Schrotflinte in den Fäusten, kroch die Uferböschung hoch. Das Feuer aus den schweren Waffen, das aus den zerschmetterten Fenstern des alten Hauses kam, zerfetzte jetzt systematisch die drei Streifenwagen. Metall- und Plastikstücke regneten wie Konfetti durch die Luft. Die beiden in Deckung liegenden Officers erwiderten hin und wieder halbherzig das Feuer aus ihren armseligen 38ern. Es war so, als würde man mit Erbsenpistolen auf Schützenpanzer losgehen. Beck warf einen raschen Blick zu Hillard hinunter. Der Chief drückte sich flach auf den Boden der ausgetrockneten Wasserrinne. Von Zeit zu Zeit, wenn er nicht mal zu heftig zitterte, hob er die rechte Hand, um ungezielt ein paar Schüsse abzugeben. Beck versuchte, vom Bachbett in Richtung Farmgebäude zu
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kriechen und feuerte dabei die Schrotflinte ab, lud nach, feuerte wieder. »Scheiße«, keuchte er, als der Beschuß ihn wieder und wieder zwang, den Rückzug zum Bachbett anzutreten. Ein Hagel aus Gesteinssplittern und Erde spritzte ihm ins Gesicht, als er sich schließlich die Böschung hinabrollen ließ. Über ihm und an der gegenüberliegenden Seite der Uferböschung wurde der hartgebackene Boden von den Geschossen durchgepflügt. Beck prallte am Grund des Bachbettes hart mit dem Chief zusammen. »Wer, zum Teufel, sind diese Kerle?« fragte Hillard keuchend. »Ich glaube, Sie würden sie als Großstadt-Kriminelle bezeichnen«, sagte Beck grinsend. Hillards Gesicht rötete sich beängstigend schnell. Ein wütender Barney Bogart war kein schöner Anblick. »Veräppeln Sie mich nicht, Beck. Ich habe Ihre Klugscheißerei satt. Sie macht mich krank.« »Meine Klugscheißerei ist jedenfalls harmlos«, erwiderte Beck, schoß in die Höhe, feuerte blitzschnell die Schrotflinte ab und duckte sich wieder. »Aber Ihre Klugscheißerei kann uns Kopf und Kragen kosten.« Ein Feuerstoß aus einem automatischen Gewehr schmetterte in einen Felsbrocken dicht neben Becks Kopf. Er zuckte zurück, krümmte sich zusammen und preßte den Körper dicht an die Uferböschung. Und dann stellte er erstaunt fest, daß das wütende Feuer, das aus dem alten Farmgebäude kam, allmählich verebbte. Irgendwas war da im Busch. Langsam kroch Beck wieder die Böschung hinauf, spähte über den Rand hinweg zum Haus. Stille. Aus der Tür des Farmgebäudes kam plötzlich ein Mann nach draußen gerannt. Beck zögerte. Das konnte eine Falle sein. Der Kerl stürmte zum Nebengebäude, verschwand darin. Dann erschien ein weiterer Mann und folgte dem ersten. Dann noch einer. »Christus«, murmelte Beck, als er Bobby Burns' Gestalt erkannte. Burns rannte ebenfalls geduckt vom Farmhaus zur
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Scheune hinüber. Der Killer hielt eine Mack 10 in der einen Hand, eine Schachtel 50-Millimeter-Munition in der anderen. »Also gut, du Wichser«, flüsterte Beck. »Ich bin dir noch etwas schuldig.« Er warf dem verdutzten Hillard die Schrotflinte vor die Brust. Dann hob er langsam seine 38er und zielte sorgfältig, hielt etwas vor. Die Zunge zwischen die Zähne gepreßt, drückte er drei-, viermal hintereinander rasch ab. Für Bobby Burns kam dieser plötzliche Beschuß wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Die Kugeln verfehlten seinen Kopf nur um Zentimeter — so knapp, daß er die sengende Hitze der Geschosse spüren konnte. »Verdammt«, murmelte Beck, als er beobachtete, wie Burns sich zu Boden fallen ließ und durch den Staub in Richtung Scheune kroch. Das Munitionspaket hatte er verloren, aber die Mack 10 hielt er weiter in der Faust. Für einen Augenblick blieb er zögernd liegen. Er überlegte offenbar, ob er sich die Munitionsschachel holen sollte. Ein weiterer Schuß Becks nahm ihm diese Entscheidung ab. Scheiß auf die Munition. Beck entschloß sich, mit dem verdammten Versteckspiel aufzuhören. Er sprang auf und jagte eine Salve zu Burns hinüber. Bobby entdeckte Beck sofort, rollte sich durch den Staub zur Seite und brachte die Mack 10 in Anschlag. Er umklammerte die schwere Waffe mit beiden Händen und eröffnete das Feuer. Beck reagierte gerade noch rechtzeitig. Bevor der Kugelhagel seinen Körper zerfetzen konnte, sprang er kopfüber in das Bachbett zurück. Bobby schoß unbeirrt weiter und ließ eine mittelgroße Lawine aus Felsbrocken, Erde und Staub auf Beck und Hillard hinabregnen. Beck schäumte vor Wut. Er starrte den Chief an. »Ich hasse nicht nur Bratkartoffeln, ich hasse auch Tatar.« Der Feuerstoß brach abrupt ab. Beck erhob sich langsam und spähte vorsichtig zur Farm hinüber. Stille. Bobby Burns war verschwunden. Beck stand da und suchte aufmerksam die Umgebung ab. Urplötzlich explodierte die hölzerne Wand des Nebengebäudes. Ein braunroter Ford-Kombi schoß durch den Vor-
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hang aus Staub und durch die Luft wirbelnden zersplitterten Holzlatten. »Los! Na los!« rief Beck. »Tut irgendwas!« Er feuerte, was seine 38er hergab. Die Officers und Hillard kamen langsam aus ihren Deckungen hervorgekrochen und gaben alle paar Sekunden ein paar halbherzige, ungezielte Schüsse auf den Wagen ab. Der Fahrer des Kombi aber machte gar keine Anstalten, den Cops zu entwischen. Er umkreiste unheilverkündend langsam das Farmhaus. In Beck stieg eine düstere Ahnung auf. Er fühlte sein Herz bis zum Hals schlagen. »Runter!« brüllte er Hillard und den Officers zu. Noch immer umkreiste der Kombi langsam das Farmhaus. »He!« stieß der Chief hervor. »Wir haben die Schweinehunde aus dem Konzept gebracht. Sehen Sie? Sehen Sie? Die versuchen gar nicht mal... o Scheiße!« Der Kombi hatte angehalten. Die Hecktür schwang auf, und ein Thompson-Maschinengewehr, Kaliber 50, auf ein Dreibein montiert, kam zum Vorschein. Bobby saß mit gespreizten Beinen hinter der mörderischen Waffe und grinste wie ein Verrückter. Fast liebevoll zog er den Abzugsbügel durch. Die Thompson begann ihr höllisches Lied zu spielen. Innerhalb von Sekundenbruchteilen war die Luft über den Köpfen der Cops erfüllt von Geräusch kreischender Projektile, die sich mehr nach kleinen Raketen als nach großkalibrigen Geschossen anhörten. Die Kugeln schlugen in die Streifenwagen, zerhackten das, was von ihnen noch übrig war, zu Stahlgerippen. Schwarz-und weißlackierte Trümmer schwirrten durch die Luft. Bäume wurden zersplittert, Sträucher zerfetzt, das Geländer der hölzernen Brücke sauber abrasiert. Der Höllenlärm schien kein Ende nehmen zu wollen. Die Cops hielten sich so dicht an den Boden gepreßt wie eine lang vermißte Geliebte. Dann röhrte plötzlich der Motor des Kombi auf. Der Wagen beschleunigte rasant und schoß in verrückten Schlangenlinien über die alte, staubige Zufahrtsstraße der verlassenen Farm. Beck spähte ganz vorsichtig über den Rand der Böschung. Der Kombi war verschwunden. Nur am Horizont stand eine dünne, langsam zerfasernde Staubwolke.
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Beck seufzte. Das Dröhnen des Maschinengewehres schmerzte in der plötzlichen Stille in seinen Ohren. Er ließ sich die Böschung hinunterrutschen und blickte den Chief an. »So«, sagte er lächelnd und sah auf seine ramponierte Armbanduhr. »Ich fürchte, unsere Bratkartoffeln werden kalt. Wir werden wohl ein Weilchen hierbleiben müssen. — Kennen Sie irgendwelche Wortspiele?« Der Chief warf Beck einen finsteren Blick zu. »Wir werden jetzt das Haus durchsuchen. Natürlich nur, wenn Sie damit einverstanden sind, Sie Großstadt-As.« Hillard wühlte sich die Böschung hinauf und winkte seinen beiden Männern, zu ihm zu kommen. Beck folgte ihm langsam. »Das ist wirklich eine großartige Idee, Chief. Vielleicht haben die Jungs das Telefon heilgelassen. Dann können wir die nächste Abschleppfirma anrufen, damit sie die Wagen hier wegholt.« Der Chief wandte den Kopf ab, ignorierte Beck. Aber Beck war jetzt nicht mehr zu bremsen. »Vielleicht haben die Burschen auch 'nen Fernseher dagelassen. Sehen Sie gern Donahue, Chief? Oprah? Nein, ich hab's. Die Burschen haben uns Bratkartoffeln dagelassen. Das ist es, Chief. So hat doch alles noch sein Gutes, was?«
12 Das grelle, stechende Licht der Wintersonne fiel durch die glaslosen Fenster, Ritzen und Kugellöcher ins Innere des alten Farmhauses. Beck schenkte dem Chief, der mit seinen beiden Männern den Bau durchstöberte, kaum Beachtung. Statt dessen konzentrierte er sich auf die Anlage und Aufteilung des Farmhauses. Es war solide gebaut. Die Wände waren durch Strebepfeiler gestützt und mit Sandsäcken verstärkt. In den Fensterrahmen befanden sich stählerne Streben. Beck hatte das unbestimmte Gefühl, daß er mehr als nur einer Meute von geistesgestörten Killern gegenüberstand.
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Er befürchtete, etwas zu sagen, an das er nicht mal denken wollte. Er ging ins ehemalige Wohnzimmer. Er sah große Kisten, die vollgestopft waren mit Flugblättern und Broschüren. Er sah die Pamphlete durch und stellte rasch fest, daß sie alle von verschiedenen rassistischen weißen Extremistengruppen stammten. Die Arian-Bruderschaft. Der Orden. Die amerikanische Nazi-Partei. Die >Weißen für ein weißes Amerikas<. »Reizend«, murmelte er. Inzwischen kläffte Hillard einem seiner beiden Officers Befehle zu. »Geh zur Hauptstraße und halte einen Wagen an. Es kann gottverdammt Stunden dauern, bevor Dorothy, diese selten dämliche Kuh kapiert, daß hier was schiefgelaufen ist.« Der pickelgesichtige Officer machte ein wütendes Gesicht. »Mann, Chief. Warum ich? Ich hab' zwei Dienstjahre mehr auf dem Buckel als Randall.« Hillard ballte die Fäuste, daß die Knöchel weiß hervortraten, und schrie mit hochrotem Kopf: »Warum du? Weil ich dich schicke, du Penner! Darum! Und jetzt mach, daß du hier rauskommst, zum Teufel!« Beck begann zu lächeln. Hillard bemerkte es. »Sagen Sie nichts, Beck. Kein Wort. Nicht ein Wort!« Der Cop aus Los Angeles strich sich mit den Fingern der Rechten quer über den Mund, als würde er einen Reißverschluß zuziehen. Das Gesicht des Chiefs wurde noch roter — falls das überhaupt möglich war. Beck ignorierte den wutschnaubenden Hillard und ging nach draußen. Irgend etwas wollte ihm hier nicht gefallen. Irgendwas an dieser ganzen Sache stank zum Himmel. Sein Instinkt sagte es ihm. Irgendwas paßte bei dieser ganzen Geschichte nicht zusammen. Was war das fehlende Verbindungsstück? Er würde es in dem Moment wissen, wenn er es sah. Er schlenderte an der Frontseite des Farmgebäudes entlang und entdeckte die Schachtel mit der 50-Millimeter-Munition.
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Sie war von einer dünnen Staubschicht bedeckt und lag noch genau dort, wo Bobby Burns sie hatte fallen lassen. Beck ging hinüber, kniete nieder, nahm die Schachtel und öffnete sie. Ein halbes Dutzend zusammengefaltete Briefe waren hineingestopft worden. Beck zog sie heraus. Alle Briefe waren an >Robert Burns, Soledad Prison< gerichtet. Außerdem fand Beck ein zerfleddertes Billigladen-Adreßbuch in der Munitionsschachtel. Ein Gummiband hielt es zusammen. Beck zog das Gummiband ab. Er schlug das Adreßbuch auf, setzte seine zusammengeklebte Lesebrille auf und blätterte die Seiten durch. Namen. Nummern. Datumsangaben. Aus dem ganzen Land. Kalifornien. Oregon. Alabama. Georgia. New York. Nach dreißig Bundesstaaten hörte Beck zu zählen auf. Er schob das Buch in seine Jackentasche und wandte sich wieder der Munitionsschachtel zu. Es war nur noch ein weiterer Gegenstand darin: eine Karte der Vereinigten Staaten. Beck faltete die Karte auseinander und sah eine mit rotem Fettstift markierte Route, die von Los Angeles über Bakersfield und dann weiter durch Kalifornien nach Arizona und drüber hinaus führte. Weit, weit darüber hinaus. Beck summte vor sich hin, faltete die Karte wieder zusammen und schob sie in die Innentasche seines jetzt prall gefüllten Sportsakkos, nachdem er einen raschen Blick über die Schulter geworfen hatte. Er stopfte die Briefe wieder zurück in die Munitionsschachtel, verschloß sie und legte sie auf den staubigen Boden. Er erhob sich und ging zum Haus zurück, als ihn ein plötzliches, überraschend lautes Tschupp-Tschupp-Tschupp innehalten ließ. Instinktiv wollte er sich zu Boden werfen. Statt dessen wirbelte er herum und sah, wie ein Hubschrauber tief über die braunen Hügel in der Umgebung schwebte. Der Helikopter hielt genau auf das von Kugeln durchlöcherte Farmhaus zu.
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Chief Hillard kam nach draußen gestürmt. Beck grinste schief. Vielleicht dachte der Bursche, die Bratkartoffeln würden per Luftpost eingeflogen. Die beiden Officers kamen hinter ihrem Herrn und Meister hergerannt und blieben im Eingang stehen. Ihre Münder verformten sich zu einem kollektiven, erstaunten >O<. Beck beobachtete, wie der Hubschrauber landete. Die Rotorblätter wirbelten einen Sandsturm mittleren Ausmaßes auf. Beck sah, wie ein kleiner, gedrungener Mann mit gewölbter Brust und in einem todschicken, teuren, dreiteiligen Anzug aus der Kanzel stieg. Der Bursche sah äußerst korrekt und seriös aus. Und trotzdem lächerlich. Er hatte ein Gesicht wie das grinsende Pausbäckchen auf einer Büchse Gerber-Babynahrung, doch er versuchte krampfhaft, eine finstere, harte, entschlossene Miene zu zeigen. Mit seinem geschniegelten, angeklatschten roten Haar, seiner gewaltigen Lücke zwischen den Schneidezähnen und seiner leicht sommersprossigen Stupsnase sah der Bursche aus wie eine fleischgewordene Version von Howdy Doody. Den Mann schien der Sandsturm nicht zu stören. Er strich sich sein Haar glatt und kam so aufrecht heranstolziert, als hätte er einen Stock verschluckt. Beck mußte grinsen — obwohl er wußte, daß dieser Bursche zwar den Körper eines gut trainierten Zwölfjährigen hatte, aber bestimmt kein Mann war, der sich so leicht verarschen ließ. Irgend etwas in Becks Hinterkopf rastete plötzlich ein. Der Gnom mußte ein Bundesbulle sein. FBI. Nur Bundesbullen sahen so steif und geschniegelt aus. Beck beobachtete, wie der gutgekleidete Zwerg grußlos am verdutzten Chief und dessen beiden noch immer dämlich aus der Wäsche guckenden Officers vorbeiging, als wären sie Luft für ihn. Der Mann hielt auf Beck zu, blieb direkt vor ihm stehen und blickte zu ihm auf. Er rümpfte seine sommersprossige Nase. »Sie sind Beck.« Es war eine Feststellung, keine Frage. Beck nickte. »Der bin ich.« »Arthur Kressler, FBI.«
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Die beiden Männer schüttelten sich die Hände. Der Chief und seine beiden Trabanten glotzten herüber und versuchten, nicht allzu beeindruckt dabei auszusehen. Kressler ignorierte die cottonwoodschen Bauerntrampel auch weiterhin. »Ich habe Ihre Nachricht über die neuen Erkenntnisse im Fall Kimble bekommen und bin sofort losgeflogen. Man hat mir Ihren Aufenthaltsort genannt. Man hat mir mitgeteilt, Sie seien über Funk nicht zu erreichen.« Kressler blickte auf das arg demolierte Farmhaus und die kurz vor dem Zusammenbruch stehende Scheune. »Ich sehe jetzt, warum.« Der gedrungene FBI-Agent umrundete gemeinsam mit Beck das Haus. »Was für eine Schlacht hat hier eigentlich stattgefunden?« Beck zuckte die Achseln. »Wir hatten ein kleine Auseinandersetzung mit ein paar schlecht erzogenen Burschen. Ich bin sicher, der Chief wird sich glücklich schätzen, Ihnen die Einzelheiten erzählen zu dürfen. — He, Chiefy! Chief Hillard!« Beck winkte den noch immer verblüfft aus der Wäsche gukkenden Polizeichef heran. »Chief Hillard, das ist Mr. Kressler vom Federal Bureau of Investigation.« Er blinzelte Hillard zu. »Das FBI ist ein echter Großstadtverein, wissen Sie.« »Jawohl. Ich kann alles erklären, Mr. Kressler, Sir«, sagte Hillard zackig. »Also, das war so ...« »Ich bin sicher, daß Sie das können«, erwiderte der Bundesbeamte, ließ Hillard einfach stehen und folgte dem davonschlendernden Beck. »Das hier nennen Sie eine kleine Auseinandersetzung?« stieß Kressler hervor. »Es sieht mehr nach einem Artilleriegefecht aus.« »Wie gesagt, fragen Sie den Chief nach Einzelheiten. Aber wenn Sie sich mal was Interessantes ansehen möchten, dann kommen Sie mit ins Haus.« »Mist«, murmelte Kressler. »Ich bin die Verrückten auf dieser Welt so langsam leid.« »Noch haben Sie ja nichts gesehen«, sagte Beck und öffnete dem geschniegeltem Gnom die Eingangstür. Beck führte ihn ins ehemalige Wohnzimmer und zog eine
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Handvoll Flugblätter aus einer der Kis ten. »Sehen Sie sich mal diesen Scheißdreck an.« Er stopfte Kressler ein paar Blätter in die Hände und behielt einige für sich. Er zückte seine lädierte Lesebrille und setzte sie auf. »Hören Sie zu. Hier steht: >Es wird Zeit, unsere Meinungsverschiedenheiten zu begraben und uns auf unsere gemeinsamen Ziele zu besinnen, unsere gemeinsame Vision eines neuen, geläuterten Amerika, gesäubert von den Feinden, die das Blut unserer Nation verunreinigen .. .<« Kressler nickte zwar, schien aber nicht sonderlich beeindruckt. Beck durchwühlte die Papiere. »Wie bei diesem geistigen Dünnschiß nicht anders zu erwarten, fahren diese Irren gleich eine ganze Horde von solchen Feinden auf. >Juden. Nigger. Mexikaner. Araber. Kubaner.<« Er blickte Kressler an. »Lassen Sie solche Fanatiker eine Rasse aufs Korn nehmen, irgendeine Rasse. Klopfen Sie dämliche Sprüche, schieben Sie diesen Menschen die Schuld an allen Schlechtigkeiten dieser Welt zu, und schon haben Sie 'nen Todfeind, den es auszurotten gilt. Das gab's schon mal.« Der FBI-Mann blickte auf ein Flugblatt und nickte. »Die typische Argumentation solcher weißen Herrenrassen-Organisationen.« »Ach, das kennen Sie schon?« fragte Beck. »Und das FBI sieht einfach dabei zu, wie diese Irren fröhlich weiter solchen Schwachsinn produzieren?« »Wir leben in unruhigen, schwierigen Zeiten, Sergeant Beck.« Kressler warf die Flugblätter auf den Boden. »Abgesehen davon sitzt die Hälfte dieser Poeten sowieso hinter Gittern. Ich bin sicher, daß sie das alles mit der Zeit vergessen werden.« »Ach ja? Seltsam. Warum fühle ich mich bei diesem Gedanken nicht wohler?« sagte Beck mit Schärfe in der Stimme. Kressler reagierte nicht darauf. »Ist das da Klebeband auf Ihrer Brille?« »Ja, einer der kleinen Scheißer wollte sich selbständig machen«, murmelte Beck. Er zerknüllte die Flugblätter, die er in den Händen hielt. »Was mich so beunruhigt, ist die Tatsache, daß die Burschen in diesen Wischs hier immer wieder von einem > großen
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Treffen< schreiben, das sie veranstalten wollen. Anscheinend wollen sie ihre dämlichen Köpfe zusammenstecken, sich absprechen, sich zusammentun und einen einzigen großen Verein mit einheitlicher Organisations- und Machtstruktur bilden.« Kressler zuckte die Achseln. Er schien noch immer nicht übermäßig alarmiert zu sein. Beck bohrte weiter. »Nach diesem Mist hier zu urteilen, scheinen die Kerle so was wie einen Flächenbrand entfachen zu wollen. Sie meinen es verdammt ernst. Sie halten sich offenbar für die neuen Ritter der Tafelrunde oder so was . . . auf der Suche nach einem neuen König Artus. Einem sehr, sehr weißen König Artus.« Kressler ließ ein schiefes Lächeln aufblitzen. »Wenn sie ihn finden, geht die Welt nicht davon unter.« »Das meinen Sie doch nicht im Ernst«, sagte Beck fassungslos. »Es dreht sich hir um eine Gruppe von Neonazis, der auf der Suche nach einem Camelot sind, das nur für Weiße reserviert ist.« »Hören Sie, Beck«, sagte Kressler in knappem, militärischem Tonfall, »ich weiß durchaus, was Sie meinen. Ich versuche nur, Ihnen darzulegen, welche Position das FBI in dieser Frage einnimmt. Und unsere Meinung geht dahin, daß es keine Gemeinsamkeiten oder Vereinigungsbestrebungen innerhalb dieser extremistischen Organisation gibt. Es sind Splittergruppen. Ihr Einfluß ist lokal begrenzt. Sie sind voneinander isoliert und abgeschottet.« »Sie wollen anscheinend nicht verstehen, Agent Kressler«, sagte Beck scharf, »daß diese zersplitterte kleine Mafia in Los Angeles einen Officer brutal getötet und einen unschuldigen alten Knacker zum Krüppel geschossen hat, dessen einziges Verbrechen es war, als Verkäufer in einem Mini-Markt zu arbeiten und eine schwarze Hautfarbe zu haben. Und Ihre harmlosen Splittergruppen haben in einem kleinen Bums lokal hier in dieser Gegend sieben Menschen regelrecht abgeschlachtet, weil sie die Frechheit hatten, Mexikaner zu sein. Außerdem vergessen Sie einen weiteren Aspekt: den der Mobilität. Die Drecksäcke sind in zwei Tagen hierher in dieses Kaff gekommen. Ich will dabei gar nicht weiter darauf ein-
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gehen, daß die Burschen in einem Ausmaß bewaffnet sind, das die meisten Einheiten der Nationalgarde vor Neid erblassen ließe. Verdammt, daß alles muß auf irgendwas hinauslaufen!« »Die Welt wimmelt von Psychopathen«, sagte Kressler achselzuckend. »Oh, Jesus«, seufzte Beck. »Also los, kommen Sie. Ich werde Sie mitnehmen. Ich möchte so schnell wie möglich eine Fahndungsmeldung nach diesem Ford-Kombi rausschicken. Die Burschen halten sich vielleicht noch in der Gegend hier auf.« »Wollen Sie denn keins von diesen Flugblättern mitnehmen? Keine von den Broschüren?« fragte Beck erstaunt, »Doch, doch, mach ich«, seufzte Kressler und nahm wahllos zwei oder drei Blätter vom Boden. »Ich glaube nicht, daß sie irgendwie von Bedeutung sind. Aber damit Sie beruhigt sind, nehme ich die hier mit.« »Heben Sie sich keinen Bruch, Kressler. Und tun Sie mir bloß keinen Gefallen.« Kressler brachte ein Lächeln zustande. »Oh, keine Sorge. Das habe ich nicht vor.« Der gedrungene Zwerg blickte zu Beck auf. »Und vergessen Sie nie, daß ich vom FBI bin, Mister Beck. — Na los, kommen Sie.« Der kleine Mann in seinem schicken Anzug stolzierte aus dem Ranchhaus.Beck drehte sich der Magen um vor so viel Ignoranz und Großkotzigkeit. Beck folgte dem FBI-Agenten aus dem von Kugeln durchsiebten Gebäude. Er kam an einem völlig verwirrten Chief Hillard und zwei wie verloren dastehenden Officers vorbei, als er Kressler zum Hubschrauber folgte. Er schwang sich in die Kanzel — und griff sich an die Brust, als die riesige Libelle sich dröhnend in die Luft erhob. »Fliegen Sie nicht gern?« fragte Kressler. »Lieber auf die Fresse als im Hubschrauber«, sagte Beck und beobachtete, wie die Gebäude der Farm unter ihm erschreckend schnell kleiner wurden. »Man kann sich an alles gewöhnen«, sagte Kressler, der kerzengerade aufgerichtet in seinem Sitz hockte. Tief unter ihnen schüttelte ein wütender Chief Hillard dem
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davonschwebenden Hubschrauber die Fäuste. »Arschlöcher!« tobte er. »Die ganze beschissene Welt ist voller Arschlöcher. Das sage ich.« Er wandte sich um und stierte seine Officers an. Die beiden nickten wie auf ein geheimes Kommando. Der Chief marschierte los, die staubige Zufahrtsstraße hinunter. »Kommt endlich, ihr Penner. Ich hoffe, ihr seid wenigstens imstande, einen Wagen anzuhalten, der uns mitnimmt.« Auf der Wache in Cottonwood saß Beck im einzigen Besucherraum, den das Revier vorzuweisen hatte. Der Inhalt der Munitionsschachtel, den er nicht in den Taschen seiner Jacke hatte verschwinden lassen, lag vor ihm auf der zerkratzten Tischplatte: ein paar nichtssagende, langweilige Briefe. Er vergewisserte sich, daß er nicht beobachtet wurde, und holte dann langsam das Adreßbuch und die Landkarte aus seinen Jackentaschen. Er sah sich die auf der Karte markierte Route an, die Städtenamen, die unterstrichen waren, und verglich sie mit denjenigen Telefonnummern, die Burns in seinem Adreßbuch besonders hervorgehoben hatte. Schweigend machte er sich Notizen, während im Nebenzimmer die unscheinbare, schlampig gekleidete Dorothy in den Telefonhörer quasselte. »Ja. Ja. Moment, ich hab's, Chief. Die Amco-Tankstelle. Ja, Wir werden ein Taxi... Nein? Gut, dann werden wir Sie von einem Privatwagen abholen lassen ...« Die Frau seufzte. »Ich weiß, daß es nicht fair ist, wenn Sie nicht dabei sind, aber ich kann die Leute doch nicht einfach wegschicken. Die kriegen hier so selten mal einen Hubschrauber zu sehen. Ich kann sie doch nicht davon abhalten, wenn sie wie die Verrückten Fotos davon machen ... Ja. Ja. Der Fotograf von der Zeitung war auch hier. Richtig. Die Fernsehleute auch. Ja. Ja. Sogar die Leute vom Radio. Ja. Tut mir leid . . . ich weiß. Ich weiß. Die haben Ihre Qualitäten nie richtig eingeschätzt.« Ein schmieriges Lächeln kroch über Dorothys Pferdegesicht. »Natürlich, einige von uns hier wissen, was Sie wert sind ...« Beck ließ seine Beweismittel wieder in den Taschen seiner
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Jacke verschwinden und griff zum Hörer des einzigen Telefons im Besucherraum. Er wählte die Nummer seines Cap-tains, eines müden, verbrauchten Los-Angeles-Eingeborenen namens Waxman. Ein fetter, glatzköpfiger, meist mürrischer Kerl, der mit Vorliebe an riesigen, stinkenden Zigarren paffte. Beck berichtete dem Captain, was vorgefallen war. »Wollen Sie mir damit zu verstehen geben, daß Sie Beweis mittel vorenthalten haben?« fragte Waxman, als Beck geendet hatte. »Dem FBI?« »Nur ein paar«, gab Beck zu. Waxman, den fast nichts in Aufregung versetzen konnte — außer vielleicht eine Schachtel Mylanta-Zigarren —, schnaufte hörbar. »Ich weiß nicht, ob ich Sie küssen oder killen soll.« »Gibt's nicht irgendwas dazwischen?« fragte Beck. Waxman lachte. Fast. Es hörte sich wie ein Rülpser an. »Okay. Also. Sie haben eine Landkarte, ein Adreßbuch und ein paar bescheuerte Briefe. Was noch?« Beck klemmte den Hörer zwischen Kopf und linke Schulter. »Nun ja, wenn man nach der Karte geht, ist ihr nächstes Ziel in Oklahoma. Eine Stadt namens Bogan. Liegt nicht sehr weit außerhalb von Oklahoma City. Captain, ich glaube, wir sind einer sehr großen und sehr unheimlichen Sache auf der Spur. In diesem kleinen Adreßbuch stehen Hunderte von Namen. So bekannt ist Bobby Burns nun auch wieder nicht. Ich bin nicht sicher, was sich hier wirklich abspielt, Captain, aber es muß eine Verbindung geben zwischen dem Mord an Kimble und dem an den armen Schweinen, die hier in dieser Kneipe abgeschlachtet worden sind. Aber ich werde noch nicht schlau daraus. Ich meine, diese Burschen stecken bis zur Hals krause in ihrer Rassistenscheiße. Wie das zum Mord an einem weißen Polizisten paßt, will mir nicht in den Kopf. Nur wenn ich die Burschen schnappen kann, finde ich's vielleicht raus. Ich glaube, es ist eine Versuch wert, aber... ich werd' Spesen machen müssen.« Waxman seufzte. »Ich wußte, daß das kommt. Wieviel?« »Was würden Sie denn so schätzen?« »Sie wollen mich wohl verarschen!« »Okay. Ein paar hundert Bucks«, sagte Beck. »Erstmal muß
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ich mir 'nen Mantel kaufen. Hier draußen ist richtiger Winter. Ich frier' mir sonst die Eier ab.« »Sind die Flugtickets in Ihren 'paar hundert Bucks' inbegriffen?« »Flugtickets? Ich brauch' 'nen Wagen.« »Warum haben Sie mich nicht gleich angepinkelt?« Beck lächelte. »Ich wußte, daß Sie Verständnis für mich haben. Werden Sie mir das Geld rüberkabeln?« »Habe ich eine Wahl?« »Nein.« »Ich hasse Sie, Beck.« »Ich hasse Sie auch, Captain.« »Schön, daß wir uns so gut verstehen. Tun Sie mir einen Gefallen?« »Jeden.« »Passen Sie da draußen auf Ihren Arsch auf, okay? Wir wollen Kimbles Killer haben. Dem Staatsanwalt würde es gefallen. Der Presse würde es gefallen. Kalifornien würde es gefallen. Und wir haben hier 'ne Witwe, der würde es sehr gefallen.« Beck nickte, und ein eiserner Ring legte sich um sein Herz. »Ich weiß, Captain. Ich werde mein Bestes tun.« »Mehr verlange ich gar nicht.« Beck legte langsam den Hörer auf die Gabel. Er blickte auf und sah das häßliche Pferdegesicht Dorothys zu ihm hinüberspähen. »Keine Sorge. War ein R-Gespräch«, sagte Beck. Dorothy zog die Nase hoch und drehte sich wieder zu ihrem Schreibtisch um. »Ist ja nicht mein Geld.« Beck mußte lächeln. Dieser kleinliche Bürokratenkram war überall die gleiche Scheiße. Selbst in der finstersten Provinz.
13 Beck saß hinter dem Lenkrad seines Leihwagens und kämpfte mit der schneidend kalten, abendlichen Luft, die er durchs geöffnete Seitenfenster fegen ließ, um sich wach zu halten.
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Die Schnellstraße führte durch das trostlose flache Wüstenbecken, das sich bis nach Oklahoma erstreckte. Becks Lider waren bleischwer, sein Kopf sank hin und wieder auf die Brust. Der Wagen fraß Meile um Meile. Beck hielt durch. Er konnte noch immer Müdigkeit und Hunger niederkämpfen, als er Stunden später durch das nördliche Texas fuhr. Nie im Leben hatte er eine eintönigere Landschaft gesehen. Endlich, im Morgengrauen, erreichte ein völlig zerschlagener Beck die Außenbezirke von Oklahoma City. Er fuhr langsam in die Stadt ein und hielt schließlich vor einem Büro der Western Union. Weil er nur sein Sportsakko trug, schauderte er schon beim bloßen Anblick der in mollige Parkas gehüllten Einheimischen, die er vorbeischlendern sah. Als er ausstieg, fiel die Kälte ihn an wie ein wildes Tier. Es mochten hier draußen Temperaturen um den Gefrierpunkt herrschen. Becks Zähne klapperten so heftig aufeinander, daß er die Erschütterung bis in die Zehnägel spürte. Er betrat das Gebäude der Western Union. Der Clerk hinter dem Schalter blickte auf. »Mein Name ist Beck. Sergeant Beck. Los Angeles Sheriff's Department. Morddezernat.« Der Clerk sah ihn unbeeindruckt an. »Was kann ich für Sie tun?« »Mein Captain müßte mir telegrafisch Geld überwiesen haben.« Der Clerk lächelte. Er wühlte in einem Berg von Papieren herum. »Tut mir leid. Für einen Beck ist nichts eingegangen.« »Sind Sie sicher?« fragte Beck erstaunt. Der Clerk nickte. Dabei glänzte seine Glatze im Licht der Neonlampe über dem Schalter wie eine Christbaumkugel. »Ganz sicher.« »Das ist unmöglich.« Der Clerk lächelte. »Mr. Beck, nichts ist unmöglich.« Beck starrte den Clerk düster an. Der Mann zuckte die Achseln. »Es stehen Kunden hinter Ihnen, Mr. Beck.« »Sergeant Beck. Gibt's hier irgendwo ein Münztelefon?« »Gleich draußen vorm Büro. Noch was?«
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»Ich werd' mich an die Freundlichkeit erinnern, du Lackaffe«, murmelte Beck und verließ, das Büro. Er fütterte den Apparat mit ein paar Münzen, wählte und versuchte, die Kälteschauer zu ignorieren, die in regelmäßigen Abständen durch seinen Körper jagten. »Ich möchte mit Captain Waxman sprechen. — Was? Er ist nicht da?« bellte er in den Hörer. »Dann holen Sie ihn aus der verdammten Konferenz raus. Interessiert mich nicht, ob er mit dem Bürgermeister oder dem Papst spricht! Ich ... oh, hi, Suzy. Hör mal, ich hab' hier ein kleines Problem. Richtig. Nein, das Geld ist nicht hier. Du hast es persönlich über-wie . .. Nein? Wen soll ich anrufen? Nein, ich hab' die Nummer der WesternUnion-Hauptverwaltung nicht ... Ja, ich steh' hier vor der Western Union in Oklahoma City. Hier draußen haben wir dreißig Grad unter Null, und ich frier' mir den Arsch . . . mich entschädigen? Wie kannst du mich entschädigen? Meine Kreditkarte? Meine Kreditkarte ist soviel wert wie ein Bierdeckel. Tot bei Einlieferung. Bitte? ... Suzy, weißt du, wie teuer 'ne Scheidung ist? Nein .. . ich will damit nicht sagen . . . Hör mal, Suzy, diese Aasgeier von Rechtsanwälten berechnen dir jede Minute! ... Schon gut... Bogan? Das Geld trifft mit mir zusammen in Bogan ein? ... Ja, ja, ich fahr' jetzt nach Bogan. Ich bin topfit. Richtig. Prima. Wenn's noch irgendwelche Probleme gibt, ruf ich dich an ... wenn ich mir ein paar Münzen zusammenbetteln kann. Du auch, Kleine. Schönen Tag noch.« Beck rammte den Hörer in die Gabel, schoß einen vernichtenden Blick auf den Clerk der Western Union ab, der auf seinem fetten Hintern gemütlich in seinem warmen Büro hockte, und eilte zu seinem Wagen. Er schaffte die Strecke bis nach Bogan in einer halben Stunde. Er fuhr die ganze Zeit mit Bleifuß. Je schneller er fuhr, um so besser arbeitete die Heizung des Wagens. Als er schließlich vor der Polizeistation in Bogan parkte, stand seine Blase kurz vor der Explosion, und seine Lippen waren taub vor Kälte. Er kletterte steif aus dem Fahrersitz, schlug die Tür zu und stieg die krumm und schief gegossenen Betonstufen zum Eingang der Polizeistation hinauf. Bogan schien ungefähr dop-
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pelt so groß zu sein wie Cottonwood, aber die öde Umgebung ließ die Stadt doppelt so isoliert und irgendwie kleiner erscheinen. Jedenfalls schien Bogan tief in der Vergangenheit verwurzelt zu sein. Dem Aussehen der Hauptstraße nach zu urteilen, war hier seit mehreren Jahrzehnten kein neues Gebäude mehr errichtet worden. Es war die Art von Stadt, bei der man sich vorstellen konnte, daß Sonntags Marschkapellen in ihren protzigen Provinzuniformen durch die Straßen zogen und Lieder wie >Give Me That Old Time Religion< dudelten. Beck knöpfte seine Jacke zu, während er die krummen Stufen zur Eingangstür hinaufstieg. Von außen sah der triste Bau wie ein Gemälde von Norman Rockwell aus. Einem mit Tranquilizern vollgepumpten Norman Rockwell. Beck öffnete die Tür und betrat das Revier. Er blickte in uninteressierte, aber sehr weiße Gesichter. Wenn die Officers noch ein bißchen weißer gewesen wären, hätte es sich bei ihnen um Absolventen der Fakultät für Vererbungslehre im Dorf der Verdammten handeln können. Beck ging zum diensthabenden Sergeant hinüber und hielt ihm seine Marke hin. »Jerry Beck. Chief Tremmel erwartet mich.« Der Diensthabende machte sich nicht mal die Mühe, zu Beck aufzublicken. »Der Chief hat gesagt, Sie sollen sofort zu ihm reinkommen.« Er wies mit dem Kopf auf eine große Eichentür, auf der in kunstvoller Schablonenschrift das Wort > CHIEF < aufgemalt war. Beck klopfte pflichtschuldig an, bevor er die Tür öffnete und eintrat. Der Polizeichef von Bogan, Elton Tremmel, erhob sich hinter seinem riesigen alten Schreibtisch. Das Ding war fast so gebeugt wie er selbst. Der spindeldürre glatzköpfige Mann sah aus wie ein Ghoul im Polizeidienst - mit eingesunkener Brust, hohlen Wangen, tief in den Höhlen liegenden Augen und einem Gebiß, das aussah, als wäre es ursprünglich für einen viel größeren Mund angefertigt worden. Der Chief fletschte die falschen Zähne, was wohl ein Grinsen sein sollte, und streckte seine knochige Klaue aus. Beck ergriff sie, schüttelte sie und versuchte, zurückzulächeln.
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Alles, was er zustande brachte, war ein leises Zähneklappern. »Wie geht's denn so, Sergeant?« fragte der Chief grinsend. »Gut, Chief, gut«, sagte Beck und ließ seinen Blick durchs Büro schweifen. Die Wände waren pißgelb und pellten sich. Die Büromöbel waren konsequent im David-Crockett-Stil gehalten. An jeder Wand hingen ausgestopfte Tierköpfe und ließen gerade noch genug Platz für einige wenige Gewehrständer und eine große Holztafel mit der Aufschrift: WENN DU NICHT IN DIESER STADT WOHNST, NIGGER, DANN SEI NACH SONNENUNTERGANG VERSCHWUNDEN. Beck ließ sich in einen Stuhl fallen, der so klapprig war wie der Chief. »Prima Schild«, sagte Beck und wies mit dem Kopf darauf. »O ja.« Tremmel nickte eifrig und ließ seine gebückte Gestalt in einen winzigen Stuhl sinken. »Es war die beschis sene ACLU, diese kommunistischen jüdischen Bastarde, die dafür gesorgt haben, daß es vom Eingang abmontiert werden mußte. Dabei si t es eine gottverdammte Tradition in dieser Gegend! Teufel noch mal.« Der häßliche Schädel grinste. »Aber macht nichts. In dieser Stadt treiben sich nach Sonnenuntergang trotzdem keine fremden Nigger rum.« Beck lächelte ausdruckslos. Im Vergleich zu diesem Blödmann wirkte sogar Chief Hillard wie ein Harvard-Absolvent. Tremmel nahm einen dünnen Stapel Papiere in seine schwielige rechte Kralle. »Ich hab' meine Jungs schon eingewiesen. Bis jetzt keine Spur von einem rotbraunen FordKombi. — He, Sie sind ja ganz blau im Gesicht. Frieren Sie?« Beck nickte. »Ja. Sieht man das?« »Ihre Lippen sehen aus wie Himbeereis. Gottverdammich.« Der Chief grinste und zog eine Schublade in der ungefähren Größe des Grand Canyon auf. Er nahm einen Parka heraus und warf ihn Beck zu. »Hier. Den werden Sie brauchen.« »Danke.« »Ihr kalifornischen Jungs seid verweichlicht. Ihr habt's zu
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leicht«, kicherte Tremmel. »Ich hab' mir sagen lassen, der Sonnenschein und die Bikini-Muschis machen das Blut dünn und die Birne weich.« Beck schnappte den Parka auf. »Tja, so ist das nun mal. Das Land, wo Milch und Honig fließen.« Er ließ sich tiefer in den Stuhl rutschen. »Tägliche Dienstbesprechung am Strand. Anschließend eine Stunde Sonnenbad. Dann Volleyball. Und ab und zu killt irgendein Arschloch 'nen Cop, und jeder von uns ist stinksauer. Kein Strand mehr, keine Sonne mehr und keine Muschis mehr, bis der Trottel gefaßt ist. Wir ziehen dann immer Strohhalme aus unseren BananaDaiquiris, wer den Lümmel fangen darf. Darum bin ich hier, Chief. Ich hab' diesmal den kürzesten Strohhalm erwischt.« Das Lächeln auf Tremmels Geiergesicht verschwand schlagartig. Seine welken Lippen konnten das Versandhausgebiß so gerade eben noch bedecken. Seine Kiefermuskeln arbeiteten. Beck erkannte, daß der Mann im Austeilen besser war als im Einstecken. Er ließ die flotten Sprüche beiseite und wurde ernst. »Kennen Sie einen Mann namens Gebhardt?« Tremmel zuckte die Achseln. »Warum?« Beck zupfte geistesabwesend am Parka herum. »Na ja, ich weiß nicht. Ich bin nun mal hier in der Gegend und hab' mir gedacht, ich fahr' mal auf 'nen Sprung bei ihm vorbei. Ich hab' Grund zu der Annahme, daß er mit einem Schwein namens Bobby Burns Kontakt hatte und vielleicht noch hat.« Tremmels Gesicht war jetzt wie versteinert. »Sie müssen die Namen irgendwie ducheinandergeworfen haben.« Beck grinste breit. Er roch Scheiße. Und der Chief steckte mittendrin. »Nein. Glaub' ich nicht. Wissen Sie, Gebhardts Name, seine Adresse und seine Telefonnummer stehen in Burns' Adreßbuch. Warum sollte Burns das alles eintragen, wenn er diesen Gebhardt nicht kennt?« Tremmel versuchte, seinen Zorn zu verbergen. Beck bemerkte, daß der knorrige Provinzcop mit der rechten Hand vorsichtig eine Ecke seines Dienstbuchs zerriß. »Vielleicht haben die beiden nur gemeinsame Interessen. Sie wissen schon. Entenjagd, zum Beispiel.«
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»Ich glaube, die beiden haben mehr gemeinsame Interessen als die Entenjagd, Chief.« »Zum Beispiel?« Beck rollte übertrieben mit den Augen. »Mann! Ich weiß nicht. Vielleicht geht's um weiße rassistische Extremistengruppen. Ich weiß, daß ihr hier in der Gegend wahrscheinlich nicht viel darüber wißt, aber . . .« Er lehnte sich verschwörerisch vor, » . . . ist Ihnen schon aufgefallen, daß es in diesem unserem Lande eine Reihe von Organisationen gibt, die jeden hassen, der nicht wie sie selbst ist? Juden und Schwarze, zum Beispiel.« Tremmel kicherte, nahm die Hand vom Dienstbuch und schwang seine dürren Beine auf die Schreibtischplatte. »Gebhardts Farm ist eine halbe Autostunde von hier entfernt. Ich muß mich noch um ein paar dienstliche Angelegenheiten kümmern. Ich ruf Sie irgendwann heute nachmittag an. Wir können dann gemeinsam zu ihm rausfahren.« »Ich hab' seine Adresse, und ich hab' einen Wagen. Ich kann also allein rausfahren, Chief. Was halten Sie davon?« Beck behielt sein Grinsen bei. Aber jetzt war es Tremmel, der noch breiter grinste. »Ohne mich oder einen Hausdurchsuchungsbefehl werden Sie Ihren Fuß nicht auf Gebhardts Grundstück setzen, Freundchen. Ich nehme an, daß Sie keinen Durchsuchungsbefehl bei sich haben, oder?« Beck fixierte den Chief mit hartem Blick. »Ich muß ihn in meinem Koffer gelassen haben.« »Den mit den warmen Klamotten drin?« Beck nickte. »Den mit den warmen Klamotten.« »Den Sie nicht gepackt haben.« »Den ich irgendwo verloren haben muß. Wir Jungs aus Kalifornien sind so richtige Jet-setter.« »Da haben Sie aber Pech gehabt«, sagte Tremmel grinsend. Die beiden Männer starrten sich eine Weile schweigend an und warteten darauf, daß der andere nachgab. Beck mußte nicht lange warten. Die Tür flog auf, und ein Officer mit einem käsigen Pickelgesicht kam ins Büro gestürmt. Tremmel stierte ihn überrascht an. »Da draußen ist ein Bursche vom FBI, Chief«, sagte der
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Mann. »Er sagt, er möchte zu Ihnen reinkommen.« Tremmels tief in den Höhlen liegende Augen quollen weit daraus hervor. »Das FBI? Scheißdreck. Na gut. Also gut. Schick ihn rein. Sofort. Auf der Stelle.« Tremmel rappelte sich auf, als die kleine, stämmige Gestalt Kresslers ins Büro marschiert kam. Beck lächelte. Howdy Doody trug heute einen anderen Anzug. Wieder vom Feinsten. Und der Bursche hielt sich wieder so aufrecht, als hätte er sich ein Brett in den Rücken geklemmt. Seine Frisur war perfekt. Kressler ignorierte Beck und richtete den Blick auf den Chief. »Arthur Kressler, Spezialagent des FBI. Abgestellt zu Sonderermittlungen im Mordfall Kimble.« Kressler streckte seine Hand nicht zur Begrüßung aus. Tremmel auch nicht. Er war anscheinend zu nervös und verwirrt dazu. »Chief Elton Tremmel. Zu Ihren Diensten, Sir. Was kann ich für Sie ...« »Eldon?« »Elton.« »Wie der Popsänger?« fragte Beck. »Nein, Sir! Wie mein Großvater!« »Puh«, sagte Beck, scheinbar erleichtert. »Das ist gut. Ich hab' über diesen anderen Elton schon reichlich komische Sachen gehört.« Tremmels Gesicht war plötzlich von kleinen roten Flecken übersät. Kressler schoß einen strengen Blick in Becks Richtung ab. »Mir ist zu Ohren gekommen, daß Sie bestimmte Hinweise haben, die uns vielleicht weiterführen könnten, Beck. Wie läuft's überhaupt so?« Beck hob die Hände und zuckte übertrieben die Achseln. »Um die Wahrheit zu sagen, läuft's mir ein bißchen zu langsam. Ich will damit natürlich nicht andeuten, daß der Chief hier schuld daran ist. Er hat im Moment nur so furchtbar viel zu tun. Stimmt's, Chief?« Tremmels Blicke zuckten zwischen den beiden Männern hin und her, als wisse er nicht, wen er zuerst ansehen sollte. »Sie haben mir nicht gesagt, daß das FBI in diesen Fall eingeschaltet worden ist«, quetschte er, an Beck gewandt, zwischen den zusammengepreßten Zähnen seines Gebisses hervor.
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Beck schlug sich an die Stirn. »Hab' ich das nicht? Oh! Oh. Dann ist das alles mein Fehler, fürchte ich. Wissen Sie, Chief, ich betrachte Artie nämlich nicht als FBI-Agenten.« Kresslers Augen wurden rund wie Untertassen. Beck erhob sich und legte dem babygesichtigen Mann den Arm um die Schulter. »Ich betrachte Artie als meinen Freund. Wir treiben uns oft zusammen am Strand rum. Spielen Volleyball. Wir machen überhaupt 'ne Menge typisch kalifornische Sachen. Worüber Sie vorhin geredet haben, zum Beispiel, Chief. Und Artie ist wild drauf, Gebhardt einen Besuch abzustatten.« Tremmel ließ sich schwer auf seinen altersschwachen Stuhl fallen und umkrampfte mit beiden Händen die Schreibtischkante. »Gut. Also gut. Ich bin ein vielbeschäftigter Mann. Aber ich bin, zum Teufel noch mal, nicht so beschäftigt, als daß ich dem FBI nicht mit allen Mitteln, die mir zur Verfügung stehen, helfen könnte. Lassen Sie mich nur schnell noch ein paar Sachen erledigen, und dann treffen wir uns draußen im Dienstzimmer, ja? Dann fahren wir gemeinsam zu den Gebhardts rüber.« »Danke, Chief«, sagte Beck, streckte ihm die Hand hin und schüttelte Tremmels schwielige Klaue. »Sie sind wirklich zu freundlich.« Beck nahm Kressler beim Arm und schob den Kleinen zur Tür. »Wer ist denn dieser Gebhardt?« zischte Kressler. »Ich werde Ihnen alles erklären, sobald wir drüben im Dienstzimmer sind«, flüsterte Beck und lächelte dem dumpf vor sich hin brütenden Tremmel über die Schulter zu. »Nochmals ganz herzlichen Dank, Chief. Mein Freund Artie wird dem FBI über Ihre vorbildliche Dienstauffassung Mitteilung machen.« Tremmel schluckte und nickte. »Ja«, sagte er. »Gut.« Er beobachtete, wie die beiden Männer sein Büro verließen. Er wartete, bis sie die Tür zum Dienstzimmer hinter sich geschlossen hatten. Dann griff er hastig zum Telefon. Er wählte eine ihm sehr vertraute Nummer. Als am anderen Ende der Leitung abgehoben wurde, begann Tremmel mit sehr, sehr gedämpfter Stimme zu sprechen, und dabei behielt er nervös die Tür im Auge.
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14 Die Gebhardt-Ranch war ein blühendes Paradies in einer riesigen öden Wildnis. Sie ähnelte mehr einem Landsitz als einer Western-Ranch, jedenfalls, wie sie in Becks Vorstellung aussah. Es gab keine Cowboys. Keine Corrals. Keinen Sagebrush, nur eine scheinbar Zurschaustellung von Reichtum und Überfluß. Hunderte von Acres eingezäunten Weidelandes, in dessen Mittelpunkt etwa ein Dutzend blendend weißer Gebäude standen, die ein großes, einzeln stehendes Haus umringten. Dieses sah aus wie eine protzige Südstaaten-Villa. Von weitem sah die Ranch fast wie ein mittelgroßes Dorf aus, das der liebe Gott hier inmitten dieser öden Abgeschiedenheit achtlos hatte zu Boden fallen lassen. Es gab sogar eine altertümliche Kirche auf dem >Dorfplatz<; weiße Säulen stützten das Vordach; Buntglasfenster funkelten in der klaren Wintersonne; ein hoher Kirchturm ragte in den stahlblauen Himmel. Auf der Spitze des Kichturms aber befand sich kein Kreuz, sondern ein äußerst seltsames Symbol. Ein schmiedeeiserner Kreis, der ein Kreuz umschloß, das von zwei Blitzen durchschnitten wurde. Beck saß auf dem Rücksitz von Tremmels Streifenwagen. Der hohlwangige Gesetzesmann starrte stur geradeaus auf die Straße und gab keine Silbe von sich. Draußen heulte ein scharfer kalter Wind. Vorn neben Tremmel hockte Agent Kressler. Sein Babyface war angespannt und zeigte einen sorgenvollen Ausdruck, als erwarte er irgendwelchen Ärger. Beck seufzte tief. Von dem Kleinen durfte er sich keine große Hilfe erwarten. Tremmel hörte Becks Stoßseufzer und warf ihm im Innenspiegel einen düsteren Blick zu. »Wenn Sie gleich diese Leute kennenlernen, werden Sie sich dumm vorkommen, daß sie diesen Fuhrpark haben anrollen lassen«, sagte Tremmel mürrisch. Beck warf einen Blick über die Schulter. Drei schwarzweiße Streifenwagen folgten ihnen dichtauf. »Kann sein«, erwiderte er. »Aber drüben in Arizona sind
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wir auch mit drei Streifenwagen zu einer Farm rausgefahren. Wir haben die Wagen verloren, die Funkgeräte und was weiß ich und haben unsere Ärsche nur mit verdammt viel Glück in Sicherheit gebracht.« Tremmel grunzte nur. Offensichtlich war der Bursche nie Vorsitzender seines Debattierclubs auf der High School gewesen. Kresslers Kopf flog wie beim Kommando > Augen links! < zu Tremmel herum. »Der Mann übertreibt nicht, Chief. Ich habe diese Farm gesehen.« »Ich zweifle nicht an Ihren Worten, Sir«, sagte Tremmel und betonte dabei das Wort >Ihren<. Der Chief lenkte den Wagen vor einen riesigen, weiß gestrichenen Bogen mit der Aufschrift >Gebhardt-Farm<, unter dem sich das schwere, schmiedeeiserne Tor befand, hinter dem die Zufahrt zu den Ranchgebäuden begann. Tremmel nickte den beiden Wachmännern zu, die hier draußen postiert waren. Der ältere der beiden nickte zurück und drückte auf einen Knopf im Wärterhaus. Das große Tor öffnete sich lautlos. Die vier Wagen rollten hindurch und fuhren bis vor das Hauptgebäude. Zwei Gestalten tauchten aus der Villa auf. Reverend Gebhardt nebst Gattin. Reverend Gebhardt, ein weißhaariger, schnauzbärtiger Mann, der sich weitaus kraftvoller bewegte, als man es von jemandem in seinem Alter erwarten konnte, trat an den Wagen Tremmels heran und begrüßte den Chief freundlich. »Hallo, Chief. Ich freue mich, Sie zu sehen. Was führt Sie denn heute zu uns heraus?« fragte Gebhardt. Tremmel räusperte sich. »Äh ... ja, nun . . . ich habe zwei Freunde mitgebracht, die Sie gern sprechen möchten.« »Ihre Freunde sind auch meine Freunde«, sagte Gebhardt lächelnd und musterte Kressler und Beck aus wachen, flinken grauen Augen. Beck stieg aus und runzelte die Stirn. Kressler trat auf Gebhardt zu. »Ich binArthur Kressler, FBI«, sagte das rothaarige Babyface und schüttelte dem Reverend die Hand. »Das ist Sergeant Jerry Beck vom Los Angeles She-riff's Department.«
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Beck schüttelte dem Reverend ebenfalls die Hand. »Morddezernat«, fügte er mit Nachdruck hinzu. Der Reverend bedachte Beck aber nur mit einem raschen flüchtigen Lächeln und richtete statt dessen seine ganze Aufmerksamkeit auf den FBI-Agenten. »Nun, wie gefällt Ihnen unsere bescheidene Ranch, Mr. Kressler?« Mrs. Gebhardt stand ein paar Meter hinter ihrem Angetrauten. Sie sah aus wie eine Barbie-Puppe, die in die Jahre gekommen war; das Lächeln lag wie eingefroren auf ihrem Gesicht. Kressler wandte sich ihr zu. »Einen wirklich reizenden Wohnsitz haben Sie hier, Reverend und Mrs. Gebhardt. Ich habe noch nie eine so ... saubere Ranch gesehen.« »Sauberkeit ist nach der Frömmigkeit das höchste Gebot«, sagte Gebhardt so andächtig, als würde er beten. Beck hatte das Gefühl, als hätte man ihm eine Überdosis LSD verpaßt. Er verdrehte die Augen - und entdeckte plötzlich das Symbol auf der Kirchturmpitze. Der klare, wolkenlose Winterhimmel ließ das Gebilde noch seltsamer und unheimlicher erscheinen, als es ohnehin schon war. Es funkelte im hellen Sonnenlicht. Mrs. Gebhardt, die kurz im Haus verschwunden war, trat mit einem kleinen Tablett in den Händen auf die Männer zu. »Ich habe gerade ein paar frische Apfeltaschen gebacken«, sagte sie. »Ich würde mich geschmeichelt fühlen, wenn die Herren zugreifen würden«, sagte sie steif und unfreiwillig zweideutig. Kressler schien tatsächlich zu erröten. »Ich . . . weiß nicht, Mrs. Gebhardt. Sehr freundlich von Ihnen, aber ich habe ein bißchen Übergewicht. Ich bin sicher, daß sie vorzüglich schmecken.« Er schnüffelte. »Sie riechen auch vorzüglich.« Beck seufzte. Mrs. Gebhardt strahlte Kressler an. Ihr Lächeln war so breit, daß die Mundwinkel fast mit den Ohren Bekanntschaft schlössen. »Die Äpfel werden uns von Freunden aus Washington geschickt«, sagte sie. »Sie haben dreimal hintereinander den Goldenen Apfel gewonnen.« »Tatsächlich?« sagte Kressler, offenbar tief beeindruckt. Er nahm eine Apfeltasche und mummelte daran herum. Beck sah sich plötzlich auch mit Mrs. Gebhardt und ihren
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Apfeltaschen konfrontiert. »Oh... danke«, sagte er und nahm sich eine. Mrs. Gebhardt entschwebte, nachdem sie ihre hausfraulichen Pflichten erfüllt hatte, in den Eingang des Herrenhauses, wo sie mit ihrem ewigen Lächeln wie ein gut dressiertes Haustier stehenblieb. Beck hielt die klebrige Apfeltasche in der Hand und starrte wieder das seltsame Symbol auf der Kirchturmspitze an. »Ich glaub', so ein Kreuz wie das Ihrer Kirche da oben hab' ich noch nirgendwo gesehen«, sagte er so beiläufig wie er nur konnte. »Was ist das für eine Glaubensgemeinschaft?« In Gebhardts Augen blitzte es auf. Plötzlich sah er ganz und gar nicht mehr wie ein sanftmütiger Prediger aus» »Die Arische Nationalkirche Christi, Mr. Beck.« »Ich glaub' nicht, daß ich schon mal was davon gehört habe«, sagte Beck und knabberte an der Apfeltasche. »Worin liegt denn der Unterschied zu den . . . sagen wir mal, Baptisten?« Der Reverend trat an Becks Seite und blickte andächtig hinauf zu dem seltsam-unheimlichen Gebilde. Seine Stimme war weich und verträumt, als er sagte: »Dieses Symbol verkörpert die Essenz all dessen, was Amerika dereinst war und was es einst wieder sein wird, Mr. Beck.« »Und was genau ist das, Reverend?« »Weiß und sauber, Mr. Beck. Gereinigt von all dem Rassenschmutz, der gegenwärtig das Herzblut der Nation besudelt.« Nach diesen Worten ließ der Reverend ein Lächeln aufblitzen, das ihm das Aussehen eines Schakals verlieh. Beck bemerkte, wie Kresslers Hamsterbacken plötzlich zum Stillstand kamen. Er stand mit dicken Wangen da, runzelte die Stirn und schien ehrlich verblüfft zu sein. Tremmel stand neben ihm. Sein Ghoul-Gesicht hatte sich zu einer Visage verzogen, die, wenn Beck es richtig deutete, Belustigung darstellen sollte. Beck nickte dem Reverend in gespielter Nachdenklichkeit zu. »Sie sagen es.« »Ja«, meinte Ge bhardt. »Unsere Nation liegt im Sterben, wissen Sie. Und nur deshalb, weil sie von Menschen mit minderwertigem Blut infiziert worden ist. Sie sind wie Parasiten
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an einer gigantischen, erhabenen Eiche, ernähren sich von ihr, Tag für Tag, saugen ihr die Kraft aus. Der Verfallsprozeß ist langsam und schmerzhaft. . . aber unabwendbar tödlich, wenn man ihn nicht aufhält. Und dieser Verfall muß aufgehalten werden.« »Sie haben sich eine gewaltige Aufgabe zum Ziel gesetzt, Reverend. Aber Sie haben, das muß ich zugeben, triftige Gründe dafür genannt. Ehrlich gesagt — mit solchen Augen habe ich die Vereinigten Staaten noch nie betrachtet.« Gebhardt nickte traurig. »Damit stehen Sie nicht allein, Mr. Beck. Viele gute, aufrichtige, treue Amerikaner haben sich von einem trügerischen Gefühl der Sicherheit einschläfern lassen, und zwar von einer Regierung, die aus politischen oder finanziellen Gründen nicht will, daß wir Amerikaner endlich die Wahrheit erfahren. Durch Verbrechen, Gewalttaten und Perversionen jeglicher Art bedrängen diese niederen Rassen die weiße Rasse. Und dies ist nur ein Teil eines groß angelegten, organisierten, systematisch geführten Angriffs, der das gute, reine Blut korrumpieren und schließlich wegschwemmen soll. Glücklicherweise gibt es noch Menschen wie wir, Menschen, die diese Tatsachen kennen. Und wir werden diese Botschaft verbreiten.« Beck hätte schwören können, daß in den Augen des Reverends Tränen glitzerten. Er nickte gespielt verständnisvoll. »Ich glaube, ich kann an Ihre Worte anknüpfen, wenn ich jetzt auf den Grund unseres Besuchs zu sprechen komme. — Kennen Sie diesen Mann?« Er zog das Foto Bobby Burns' aus der Innentasche seiner Jacke und reichte es Gebhardt. Der Reverend betrachtete das Foto aufmerksam, bevor er es Beck zurückgab. »Ich glaube nicht, Mr. Beck.« Beck schob das Foto in seine Jacke zurück und kaute wieder an der Apfeltasche herum. »Er heißt Robert >Bobby< Burns. Wir haben Grund zu der Annahme, daß dieser Mann möglicherweise Kontakt zu Ihnen hat.« Gebhardt täuschte Gleichgültigkeit vor. »Wir haben viele Freunde, die hin und wieder mal bei uns vorbeischauen, Mr. Beck. Freunde von Küste zu Küste und von Grenze zu Grenze.«
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Beck wußte, daß es zwecklos war, weiter zu bohren. Er warf Mrs. Gebhardt, die noch immer vor dem Eingang des Herrenhauses stand, ein breites Lächeln zu. »Ich wußte nicht, daß es menschenmöglich ist, eine Apfeltasche so gut zuzubereiten, Madam.« Mrs. Gebhardt strahlte und machte einen Knicks. »Oh, danke sehr, junger Mann.« Noch immer lächelnd, wandte Beck sich wieder an den Reverend. »Haben Sie etwas dagegen, wenn wir uns mal hier ein bißchen umsehen?« Gebhardt erwiderte das Lächeln. »Nicht im geringsten.« Beck winkte Mrs. Gebhardt zu und umrundete das Herrenhaus. Endlich konnte er damit aufhören, wie ein Idiot zu grinsen. Sein Kiefer tat ihm von dieser ewigen Grinserei schon weh. Er warf die angeknabberte Apfeltasche wütend hinter einen kleinen Erdwall. Selbst kalte Pizza schmeckte besser als dieses klebrige pappige Zeug. Preisgekrönte Äpfel. Schwachsinn. Der Weg hinterm Haus hatte ein leichtes Gefalle. Beck blickte sich aufmerksam um. Und dann sah er in der Mitte eines Feldes ein makellos weißes kleines Gebäude: einen Schießstand. Sah eigentlich ganz normal aus. Beck stapfte hinüber zum Schießstand. Er hob einige der Pappscheiben auf, die verstreut auf dem Boden lagen. Es waren keine üblichen Zielscheiben mit Zahlenringen. Statt dessen befanden sich widerliche Karikaturen von Gesichtern im Zentrum dieser Scheiben. Gesichter von Farbigen, Arabern, Juden, Mexikanern. Die Farbigen waren als gefährlich aussehende Kreaturen dargestellt, mit wulstigen Lippen und abgrundtief häßlichen Gesichtern. Die Juden waren durch die Bank verschlagen aussehende Rabbis mit funkelnden Augen, bärtig und düster dreinblickend. Auf die hakennasigen Araber und die rundköpfigen Mexikaner warf Beck nur noch einen kurzen Blick, denn er hörte, daß sich Schritte näherten. Kressler kam auf den Schießstand zugeschlendert, die Stirn gefurcht. Beck sah das Erschrecken auf dem Babygesicht des FBIAgenten, als dieser die Zielscheiben sah. »Ist nicht ganz so
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einfach, das hier mit Reinlichkeit und Gottgläubigkeit und preisgekrönten Apfeltaschen unter einen Hut zu bringen, was, Kressler?« Der stämmige kleine Mann nahm Scheibe um Scheibe auf, um sie sich genauer anzusehen. Dann schüttelte er den Kopf. »Das Schlimme daran ist, daß diese Leute nach außen hin so harmlos tun«, sagte er leise, mehr zu sich selbst als zu Beck. »Nein«, sagte Beck, bückte sich und hob ein paar leere Patronenhülsen auf. »Das Entsetzliche daran ist, daß sie eben nicht so tun. Sie verstellen sich nicht. Sie glauben an den Schwachsinn, den sie von sich geben. Die sind schon so verrannt in ihre Ideen, daß sie es gar nicht mehr merken.« »Das dürfte wohl eine zu grobe Vereinfachung sein«, sagte Kressler achselzuckend. »Na ja, stimmt vielleicht«, murmelte Beck und suchte weiter den Boden ab. »Aber gibt Ihnen das alles nicht schwer zu denken, Kressler? Wir sind hier in eine verdammt große Klapsmühle geraten, in der man Irre fabriziert. Wie können Sie da eigentlich so gelassen bleiben?« »Ich bin Profi. Ich bin darauf trainiert, mich in der Gewalt zu haben.« »Ersparen Sie mir weitere Einzelheiten aus Ihrer Karriere«, sagte Beck, entdeckte eine weitere Patronenhülse und hob sie auf. Er ließ die leeren Hülsen über seine Handfläche rollen. »Das Kaliber für automatische Waffen, Agent Kressler. Für eine Neun-Millimeter. Little Bobby Burns' Lieblingskanone.« Der Kleine wirbelte hastig um seine eigene Achse und spähte über die umliegenden Hügelrücken. »Glauben Sie, er ist hier gewesen?« »Ich weiß, daß er hier gewesen ist«, erwiderte Beck und ging noch ein Stück weiter den Hang hinunter. Kressler folgte ihm. »Ich wäre nicht mal sonderlich überrascht, wenn er genau in diesem Augenblick irgendwo hier steckt.« Zweihundert Meter über den beiden Männern, auf dem Kamm eines Hügels liegend, beobachtete Bobby Burns, Ray, Sleepy und Crossfield jede Bewegung, die Beck machte, mit gespannter Aufmerksamkeit. Ihre Waffen lagen griffbereit neben ihnen. Die vier hatten sich flach an den Boden
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gedrückt und die Kälte stieg ihnen in die Knochen. Sie waren alles andere als begeistert von ihrer momentanen Situation. Besonders Burns war stinksauer. Dabei hatte der Reverend ihm doch versichert, daß in dieser Gegend das Recht auf ihrer Seite sei. Und jetzt? Jetzt lagen sie hier in der Kälte, im Dreck, versteckten sich wie ängstliche Karnickel vor einer mickrigen Gruppe dämlicher Provinzbullen. Wenn ich dem Reverend schon nicht mehr trauen kann, dachte Burns, wem kann ich dann noch trauen? Doch er verscheuchte diesen Gedanken sofort wieder. Wenn irgend jemand diese Hampelmänner elegant loswerden konnte, dann war es Gebhardt. Offensichtlich waren aber auch die Bullen in dieser Gegend schon vom bürokratischen Scheißdreck der Regierung vergiftet worden, weil sie ihn dauernd schlucken mußten. Liberale Pisser. Kommunistenfreunde. Sie hatten ihren Glauben, ihre Ehre, ihre Treue zur Nation schon vor Jahren verloren. Oder verkauft. Dreckige Schweinehunde. Der Große dort unten bückte sich jetzt gerade und hob eine weitere Patronenhülse auf. Er roch dran. Steckte sie ein. Das kleine rothaarige Ferkelchen stand daneben. Der Große hob jetzt den Kopf und suchte offenbar die umliegenden Hügelkuppen ab. Wonach? Burns zuckte heftig zusammen, als Beck ihm jetzt voll das Gesicht zuwandte und er es genau erkennen konnte. »Jesus!« stieß Burns hervor. »Er ist es!« »Wer?« fragte Sleepy. »Der Bursche, der mit den Cops auf der Steadman-Farm gewesen ist!« Er nahm sein Gewehr, brachte es in Anschlag und visierte Becks Kopf durchs Zielfernrohr an. »Der Scheißer, der drüben in Arizona mit 'ner 38er auf mich geballert hat. Das ist er. Ich bin ganz sicher. Der Hurensohn. Der Bastard.« »Was, zum Henker, treibt der Kerl hier in Oklahoma?« fragte Ray. »Vielleicht ist er 'n Bundesbulle«, meinte Crossfield. Bobby schüttelte heftig den Kopf. »Nein, ist er nicht. Der ist nur 'n kleiner Scheißer. Bundesbullen sind solche gebügelten
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Burschen wie der Gnom da neben ihm.« Bobby grinste schmierig. »He, das ist sicher einer. Der ist so geschniegelt, daß du ihn umlegen und stilvoll begraben kannst, ohne daß du seinen Anzug wechseln mußt.« Er senkte den Lauf des Gewehrs. »Aber dieser andere Mutterbumser... aus dem werd' ich nicht schlau.« Ray zuckte die Achseln. »Wir knallen ihm die Rübe ab und filzen ihn. Dann wirst du schon aus ihm schlau.« Burns lächelte. »Ich hab' 'ne bessere Idee, Ray. Wir knallen ihn ab, weil wir dann nicht mehr aus ihm schlau zu werden brauchen.« Sleepy streckte seine klobige Pranke nach seiner Automatik aus. Burns hielt seinen Arm fest. »Nicht jetzt. Wir lassen uns was Besonderes einfallen.« Die vier Männer kicherten und beobachteten, wie Beck und Kressler den Schießstand verließen und zu den wartenden Streifenwagen zurückgingen. Bald würde Jerry Beck die Gebhardt-Ranch verlassen haben: Und wenn er erst die Ländereien der Arischen Nationalkirche Christi verlassen hatte, würde er die Welt des Bobby Burns betreten.
15 Kressler stand ungeduldig vor dem tristen Polizeirevier von Bogan. Er mußte einige Minuten warten, bis Beck die schiefen Stufen herunterkam — ohne den Parka, den Chief Tremmel ihm geliehen hatte. Als Beck den FBI-Mann erreichte, zitterte er vor Kälte. »Warum haben Sie so lange gebraucht?« fragte Kressler mürrisch und knöpfte seinen Mantel zu. »Hier draußen ist es bitterkalt.« Beck zuckte die Achseln, als er neben Kressler über die Straße zu den beiden Mietwagen ging. »Wem sagen Sie das. Der Chief hat seinen Parka zurückverlangt, wie Sie sehen.«
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»Sie haben keinen Mantel bei sich?« fragte Kressler erstaunt. »Wie Sie sehen«, sagte Beck mürrisch. »Fehlt Ihnen was?« »Ja, Reisespesen. Haben Sie inzwischen mal darüber nachgedacht, womit wir es hier zu tun haben könnten?« Kressler öffnete die Tür seines Mietwagens. »Soweit ich das bis jetzt beurteilen kann, ist es ein typischer Fall von Fanatis mus. Es ist widerlich, zugegeben, aber nichts Außergewöhnliches.« »Nichts Außergewöhnliches?« sagte Beck, und eine Woge heißer Wut verdrängte die Kälte. »Jetzt hören Sie mir mal zu, Kressler. Machen Sie Ihre verdammten Augen auf. Diese Leute hier sind kein zusammengewürfelter Haufen von Dorftrotteln, die sonntags am Stammtisch auf die bösen Nigger schimpfen! Die hier haben Geld im Rücken. Und sie haben jede Menge öffentlicher und behördlicher Unterstützung.« »Das können Sie nicht wissen«, sagte Kressler mit Schärfe in der Stimme. »Und ob ich das weiß, verdammt noch mal!« rief Beck. »Ich bin gerade aus einer solchen Behörde rausmarschiert. Welcher Scheißer, glauben Sie denn, hat vorher bei Gebhardt angerufen und ihn gewarnt, daß wir kommen?« Kressler blieb vor der geöffneten Tür seines Wagens stehen und präsentierte Beck die Lücke zwischen seinen Schneidezähnen, als er angewidert den Mund verzog. »Beck«, sagte er. »Ich wollte Ihnen schon die ganze Zeit etwas sagen. Unter Kollegen.« »Ich kann's kaum erwarten.« Kressler ignorierte Becks Zynismus. »Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie Ihre dauernden Kraftausdrücke auf ein Minimum beschränken würden. Das ziemt sich nicht für einen Mann, der Recht und Gesetz vertritt.« Beck starrte ihn an. Seine Zähne klapperten. »Sie wollen mich wohl verarschen?« Kressler reckte das Kinn vor. »Durchaus nicht.« Beck lief rot an. »Da versucht man diesem Hampelmann klarzumachen, daß hier irgendwas im Busch ist, daß sich hier
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irgend eine verdammt große Sache anbahnt, und alles, was ihn stört, ist meine Ausdrucksweise!« Beck schüttelte den Kopf. »Was, zum Teufel, fehlt Ihnen eigentlich, Kressler?« Kressler erwiderte Becks wütenden Blick. »Mir fehlt nichts. Aber ich bin Christ und empfinde Ihren Gassenjargon als persönliche Beleidigung.« Er ließ sich in den Fahrersitz fallen. »Andererseits . . . ich muß zugeben, daß Sie gute Arbeit leisten, Beck. Machen Sie weiter so. Wenn Sie mich brauchen, können Sie mich im Marriott in Oklahoma City erreichen. Ich bin bis heute abend neun Uhr dort. Meine Maschine geht um zehn.« Er schlug die Tür zu, ließ den Motor an, drehte die Seitenscheibe herunter und musterte Beck mit einer Art professionell-eingeübtem mitleidigen Ausdruck. »Ich an Ihrer Stelle würde mir außerdem einen Mantel besorgen. Bei diesem Wetter können Sie sich sonst zu Tode frieren.« Er kurbelte die Scheibe hoch. Beck beobachtete, wie der FBI-Agent losfuhr und um die nächste Biegung verschwand. Er stand wie eingefroren mitten auf der Straße. »Hurensohn«, murmelte er schließlich und steuerte erst seinen Mietwagen und dann Oklahoma City an. Er bemerkte nicht den weißen Ford-Lieferwagen, der ihm folgte. In Oklahoma City fand sich Beck wieder einmal in einer Telefonzelle vor einem Bürogebäude der Western Union wieder. »Sie wollen mir doch nicht weismachen, daß ich mein Geld nicht kriegen kann, bloß weil die Computer der Western Union ausgefallen sind!« bellte er in den Hörer. »Wie lange noch? Mindestens einen Tag? Mann, ich bin hier am Arsch der Welt! Bis dahin bin ich tot. Computerausfall! Ich glaub' Ihnen diesen Scheißdreck nicht!« Er rammte den Hörer in die Gabel und stapfte hinüber auf die andere Straßenseite, wo sich ein Laden für Second-HandKleidung befand, den die Schwestern des Ordens vom Heiligen Thomas betrieben. Er stieg über zwei schnarchende Schnapsleichen hinweg und betrat das Geschäft. Kurz darauf erschien er mit einem alten, abgetragenen Mantel, der ihm mindestens zwei Größen zu weit war.
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Er schwang sich wieder hinters Steuer, fuhr los und hielt nach einer Imbißbude Ausschau. Seine Wahl fiel auf einen schmuddeligen Hamburger-Schuppen, wo man sieh weder an seinem Mantel noch daran stören würde, wenn er mit zerknitterten Ein-Dollar-Noten und Kleingeld bezahlte. Er saß in der Imbißstube und starrte bedrückt aus dem schmutzigen, beschlagenen Fenster. Es hatte leicht zu regnen angefangen, und die Regentropfen verwandelten sich auf dem hartgefrorenen Boden in eine dünne Eisschicht. Der Wind wehte so heftig, daß die Fenster der Imbißbude durchgerüttelt wurden und leise klirrten. Beck schauderte. Nicht wegen der Kälte draußen, sondern weil er bis zum Hals in einer Sache steckte, die er einfach nicht begreifen konnte ... und bei der er ganz auf sich allein gestellt war. Er hatte noch keine Ahnung, wo er die Nacht verbringen sollte. Sein Bestand an Bargeld war geschrumpft. Sehr, sehr geschrumpft. Er bezweifelte stark, daß er sich ein Zimmer im Holiday Inn leisten konnte. Seine Kreditkarten waren wertlos. Vielleicht sollte er seine Dienstmarke in die nächste Pfandleihe bringen. Beck aß seinen Teller leer, bezahlte, gab ein Trinkgeld, das der Kellnerin ein verächtliches Schnaufen entlockte, und rannte durch den inzwischen strömenden Regen zu seinem Wagen. Er stieg ein und seufzte tief und herzhaft. Er wußte nicht, wen er mehr hassen sollte: Bobby Burns oder den verblichenen Sergeant Kimble, der ihm das alles eingebrockt hatte. Er fuhr los und spürte, wie die kalte Nässe durch den dünnen, abgewetzten Stoff seines Mantels drang. Die Wis chblätter des Leihwagens waren offensichtlich von oder für Blinde gemacht worden. Immerhin verteilten sie den Dreck sehr gleichmäßig auf die Frontscheibe. Becks Sichtfeld war so verschwommen, als hätte er plötzlich den grauen Star. Er verringerte das Tempo, um zu vermeiden, einen unschuldigen Passanten über den Haufen zu fahren, während er angestrengt nach einem billigen Motel Ausschau hielt. Er spürte, wie sich etwas Kaltes in sein Genick bohrte. Etwas Rundes, Stählernes. Beck schluckte, als ihm plötzlich klar wurde, daß es sich um die Mündung einer Browning High Standard 9-Millimeter handelte.
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»Fahr weiter«, sagte eine Stimme aus dem Dunkel hinter ihm. Beck hatte Bobby Burns endlich aufgespürt.
16 Beck steuerte den Wagen über die glatten, teils vereisten Straßen Oklahoma Citys. Die Mündung der Browning blieb fest an sein Genick gedrückt. Von Zeit zu Zeit warf Beck einen raschen Blick in den Innenspiegel. Bobby Burns' Gesicht wurde vom Licht der vorüberhuschenden Straßenlaternen gespenstisch angeleuchtet; seine braunen Augen funkelten irre. Sein Haar war lang und schwarz und wirr, und auf seinem Gesicht lag ein seltsames, schiefes Grinsen. Der Bursche hatte ganz eindeutig nicht alle Latten im Zaun. Beck fuhr ein paar Blocks schweigend geradeaus. Bobby schien sich am Anblick Oklahoma Citys zu erfreuen. Hoch über der Straße spannten sich die bunten funkelnden Lichterketten der Weihnachtsbeleuchtung. Große, hell angestrahlte Statuen des Weihnachtsmannes und seiner Rentiere, Engelchen und Feen blickten unbeteiligt auf Becks vorübergleitenden Mietwagen hinunter. Weihnachtliche Dekorationen glitzerten und blinkten und wirbelten in den Schaufenstern. Beck versuchte, sich in Bobby Burns' momentane Lage zu versetzen. Burns war, mit einem ellenlangen Strafregis ter, auf Bewährung frei. Warum sollte sich ein Bursche, der gerade erst aus dem Knast entlassen worden war, so gewaltig anstrengen, um schnellstmöglich wieder hinter Gitter zu kommen? Er konnte die Zeit im Knast doch nicht so sehr genossen haben. Und Burns mußte wissen, daß er dort wieder landete — es sei denn, er wußte einen idiotensicheren Weg, das zu vermeiden. Doch soweit Beck bekannt war, hatte das bis jetzt noch niemand geschafft. Er sah den irren Ausdruck in Burns' Augen, als er wieder
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einen Blick in den Innenspiegel warf, und er erkannte, daß der Versuch, sich in die Lage eines Burschen wie Burns zu versetzen, sinnlos war. Genausogut konnte man eine geladene Haubitze überprüfen, indem man in ihren Lauf kroch. »Fahr die nächste Straße links rein«, flüsterte Bobby. Beck gehorchte. Seine Hände waren feucht von Schweiß. Verdammt, wie warm dieser alte Putzlappen von Mantel plötzlich war. Er sah einen weißen Chevrolet 4x4, der von einer Tankstelle abfuhr und sich dicht hinter seinen Mietwagen setzte. Im Scheinwerferlicht eines weiteren Wagens hinter dem Chevy erkannte Beck im Fahrerhaus die Umrisse von drei Insassen. Er wußte sofort, daß es Bobbys Kumpel waren. Er kannte ihre unverwechselbaren Gestalten noch vom Artilleriegefecht auf der Steadman-Farm. »Wohin fahren wir denn?« fragte Beck. Der Druck der Pistolenmündung auf sein Genick verstärkte sich. »War nur so dahergesagt«, sagte Beck schnell. »Wer bist du?« fragte Bobby. »Wer will das wissen?« fragte Beck zurück. Er mußte den Namen hören. Er mußte sicher sein. Ganz sicher. »Ich. Ich, der Sensenmann«, sagte Bobby kichernd. »Aber das hast du ja schon die ganze Zeit gewußt. Und wer bist du?« »Ich bin mehr der schüchterne Typ«, erwiderte Beck hinhaltend. Er überlegte fieberhaft. Dann hörte er das metallische Klicken, als der Hammer der Browning gespannt wurde. »Okay«, sagte er seufzend. »Ich bin Cop. Aus Los Angeles.« »Scheißdreck«, zischte Bobby. »Ich hab' dich in Arizona gesehen, und jetzt seh' ich deine Fresse hier in Oklahoma. Du und ein Cop aus L. A.? Du Arschloch. Aber spielt sowieso keine Rolle, wer du bist. Ich blas' dir nämlich das Hirn aus dem Schädel, Mutterbumser.« Beck merkte, wie schnell ihm die Zeit davonlief. Er fuhr jetzt durch ein Einkaufsviertel, das, wie er sich erinnerte, schon fast am Stadtrand lag. Etwa eine Meile weiter, und er würde die Stadt verlassen haben. Und wenn er nicht bald etwas unternahm, kurz darauf auch diese Welt. Beck spähte die Straße entlang, suchte verzweifelt nach einer Chance, Burns irgendwie auszutricksen.
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Bobby schien es nicht zu merken. »Bevor du dieser Scheißwelt Lebewohl sagst, solltest du noch was wissen.« »Ich bin ganz Ohr«, sagte Beck und beobachtete weiter. Nichts. Keine Chance. »Leute wie du ... ihr glaubt, wenn ihr uns in den Knast steckt oder uns tötet, könnt ihr das Problern lösen.« »Nein, so denk' ich nicht darüber«, sagte Beck. »Ehrlich.« »Doch. Ich weiß es. Ihr wollt es so machen wie die alten Römer, als sie die Christen in die Arena getrieben haben, um sie von den Löwen fressen zu lassen. Ja, genauso haben's die Römer gemacht, als sie die Christen in die Kloaken von Rom gejagt haben, in die Katakomben. Heute ist es nicht anders, Mann. Nur heißen die Katakomben von heute St. Quentin oder Soledad. Hunderte von solchen Katakomben sind übers ganze Land verstreut. Aber das Christentum ist in den Kloaken von Rom nicht gestorben. Es ist gewachsen. Und genau das passiert zur Zeit in jedem Knast dieses Landes. Ein gemeinsamer Geist wächst. Eine gemeinsame Idee. Der gemeinsame Wille zum Kampf. Das konnte auch die Römer damals nicht besiegen, und viel weniger könnnen es Leute wie du. Unterwürfige, verweichlichte Arschkriecher, Liberale und Cops!« Zwei Blocks weiter sah Beck plötzlich seine Chance gekommen. Bobby schwieg, stierte jetzt dumpf vor sich hin. Beck sah einen Streifenwagen, der offenbar auf routinemäßiger Patrouillefahrt war. Beck lächelte Bobby im Innenspiegel an. »Hab' ich dir eigentlich schon gesagt, daß ich katholisch erzogen wurde?« »Halt die Fresse. Du hast es immer noch nicht kapiert, was?« »Ich glaub' nicht.« »Reinheit. Wir wollen die Reinheit. Das ist es. Wenn du erst mal begriffen hast, was Reinheit ist, kannst du das Leben gar nicht mehr mit anderen Augen sehen. Es gibt nichts Herrlicheres auf dieser Welt, als einen Niggerschädel im Visier einer Waffe zu haben. Es gibt keine größere Befriedigung, als einem Nigger den Wanst aufzuschlitzen ...« Der Streifenwagen näherte sich Beck und seinem geisteskranken Beifahrer.
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»... und ihm das Herz rauszureißen und reinzubeißen und dabei zuzusehen, wie dem Nigger sein eigenes Blut ins Gesicht spritzt. . . und in seinen Augen das Wissen um deinen gerechten, heiligen Zorn zu erkennen ...« Der Streifenwagen war jetzt nur noch etwa dreißig Meter von Becks Mietwagen entfernt. Beck wartete den richtigen Sekundenbruchteil ab und riß dann urplötzlich das Lenkrad nach links. »He!« kreischte Burns, der gegen die rechte hintere Tür geschleudert wurde. »Jetzt kriegst du meinen heiligen Zorn zu spüren, Arschloch«, keuchte Beck mit verzerrtem Gesicht und trat das Gaspedal bis zum Bodenblech durch. Der Mietwagen schoß mit qualmenden Reifen quer über die Straße — genau in die Fahrspur des entgegenkommenden Streifenwagens. Der Officer im schwarzweißen Buick trat voll in die Bremsen. Das Wagenheck schlingerte wild. Es war zu spät. Die beiden Fahrzeuge rasten ineinander. Funken sprühten, Metall kreischte gequält. Die Wagen kreiselten in entgegengesetzten Richtungen über die Straße, ohne daß sich ihr Tempo auf der regennassen, teilweise vereisten Fahrbahn verringerte. Der Chevy 4x4 kam in einem halben Block Entfernung von der Stelle, an der die beiden Wagen zusammengestoßen waren, zum Stehen. Crossfield, Sleepy und Ray beobachteten atemlos, wie die beiden Fahrzeuge wirbelnd und schlingernd über den glänzenden feuchten Asphalt schössen. Burns wurde auf dem Rücksitz hin und her geworfen. »Du Scheißer!« schrie er über das Kreischen der Reifen, das schrille Reißen von Blech und das Bersten von Glas hinweg. Dann prallte der Wagen mit Höllenlärm seitlich gegen eine Hauswand, schleuderte ein letztes Mal herum und stand. Sofort warf Beck sich aus der Tür, während Bobby versuchte, sich aufzusetzen und die Waffe in Anschlag zu bringen. Beck mußte höllisch schnell Deckung finden. Er rollte sich hinter den nächsten am Straßenrand geparkten Wagen. Keuchend warf er einen Blick über die Schulter. Der Streifenwagen war einen halben Block die Straße herunter rückwärts in zwei geparkte Wagen gerast.
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Bobby Burns trat wütend die Hintertür des Wracks auf und umkrampfte den Griff der Neun-Millimeter mit beiden Händen. Breitbeinig, beide Arme nach vorn gestreckt, stand er in Combat-Stellung da und suchte mit irrem Blick die Straße ab. »Wo bist du!« schrie er mit sich überschlagender Stimme. »Ich krieg dich! Ich krieeegdich!« Beck streckte die Hand nach seiner 38er aus. »Verdammt«, flüsterte er. Das Holster war leer. Die Kanone war verschwunden. Sie mußte beim Zusammenstoß aus dem Holster geschleudert worden sein und jetzt irgendwo im Autowrack liegen. Beck hatte eine teuflische Situation heraufbeschworen, und er wußte es. Denn die vorüberfahrenden Wagen verlangsamten ihre Geschwindigkeit, und es war nur noch ein Frage der Zeit, bis unschuldige Passanten in Bobby Burns' Privatkrieg gegen die >unreine< Welt hineingezogen wurden. Ein Ford rollte von hinten an Burns heran. Der Fahrer konnte also nicht sehen, daß Bobby alles andere als einen Blumenstrauß in den Händen hielt. Eine Frau steckte den Kopf aus dem Seitenfenster. »Sind Sie verletzt, junger Mann? Braucht jemand Erste Hil ...« Bobby wirbelte zum Ford herum und feuerte zweimal in Richtung der Frau. Die Geschosse schlugen in die Motorhaube, rissen Metallfetzen heraus. Die Frau schrie gellend auf, legte so hastig den Gang ein, daß das Getriebe krachte. Dann rammte sie den Fuß aufs Gaspedal und riß den Wagen herum. Mit schlingerndem Heck und kreischenden, qualmenden Reifen schoß der Ford in Gegenrichtung die Straße hinauf und stieß mit einem entgegenkommenden Chrysler zusammen. Inmitten dieses Infernos stand Bobby Burns und feuerte wild um sich. Drei weitere Wagen, deren Fahrer beim Anblick des Unfalls und durch das Krachen der Schüsse in Panik gerieten, kamen von der Straße ab, mähten Parkuhren um, rasten in Schaufenster und gegen Reklametafeln. Ein großer, strahlend heller Nikolaus aus farbigen Glühbirnen riß von einer der Lichterketten ab, die die Straße überspannten, zerschmetterte klirrend auf dem nassen Asphalt und explodierte in einem grellen Lichtblitz. Bunte Glassplitter
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zischten wie Geschosse durch die Luft. Der Gestank verschmorter Kabel breitete sich aus. Bobby drehte sich wie ein angeschlagener Boxer im Kreis herum und feuerte aus allen Rohren. Beck kroch zum qualmenden Wrack seines Mietwagens hinüber. Er mußte an seine Waffe herankommen. Ein Stück die Straße herunter taumelte ein benommener, schlanker Officer aus seinem zerbeulten schwarzweißen Streifenwagen. Der Officer nahm den Helm vom Kopf, und eine Flut langen blonden Haares ergoß sich über seine Schultern. Als die Polizistin Bobby entdeckte, riß sie die Dienstwaffe hervor und brachte sie beidhändig in Anschlag. »Sie da!« rief die junge Frau. »Keine Bewegung!« Der Motor des Chevy 4x4 röhrte plötzlich auf. Der Wagen rollte an und glitt mitten über die regennasse Fahrbahn, zwang die Wagen auf beiden Fahrspuren zu halsbrecherischen Ausweichmanövern. Sleepy beugte sich aus dem Fahrerhaus des Lieferwagens, brachte seine Automatik in Anschlag und eröffnete das Feuer auf den weiblichen Officer. Die Frau warf sich geistesgegenwärtig zu Boden, und die großkalibrigen Geschosse fraßen sich Zentimeter über ihrem Körper quer durch die rechte Seite des Streifenwagens. Der Chevrolet vollführte eine weite Wendeschleife, fuhr dann wieder die Straße hinunter und auf Bobby zu. Sleepy jagte einen weiteren Feuerstoß nach hinten in den Trümmerhaufen, der einst ein Streifenwagen gewesen war. Beck war inzwischen über den von Glas und Metallsplittern übersäten, regennassen Asphalt bis zu seinem Wagen gekrochen. Sofort sah er die 38er auf der Fußmatte vorm Fahrersitz liegen. Beck packte die Waffe, sprang auf und warf sich blitzschnell in den Sitz, als eine Salve aus Sleepys Automatik die Windschutzscheibe aus dem Rahmen fetzte. Beck trat mit verzweifelter Wildheit die Beifahrertür auf und ließ sich auf den Gehsteig rollen. »Ich leg dich uhuuum«, trällerte Bobby irr. »Ich leg dich uhuhuuuum.« Beck versuchte, Bobbys Vorsatz um jeden Preis zu vereiteln. Geduckt huschte er die Reihe der am Straßenrand geparkten Wagen entlang. In diesem Moment entdeckte
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ihn Burns. Die Kugeln aus Bobbys Neun-Millimeter rissen Beck fast die Absätze von den Schuhen. Beck mußte versuchen, bis zum Streifenwagen zu kommen. Der Streifenwagen hatte ein Funkgerät. Er konnte, mußte Hilfe herbeirufen — wenn das Gerät noch funktionierte. Auf jeden Fall konnte er wenigstens an die Schrotflinte der Blonden kommen. Die blonde Streifenpolizistin war inzwischen hinter dem Wagenwrack in Deckung gegangen. Sie hatte das mobile Funkgerät aus der Halterung genommen, hockte am Boden und rief ins Mikro: »Hier Adam 45.9 — l — l! Ich wiederhole: 9—1 — l an der Carlyle! Mein Gott, hier ist ein Krieg ausgebrochen!« Hinter ihr stießen drei weitere Wagen zusammen und schleuderten wild über die Straße. Einer riß zwei Telegrafenmasten um, die mit einer gräßlichen Weihnachtsbeleuchtung geschmückt waren. Ein halbes Dutzend Engelchen und drei Rentiere mußten dran glauben. Beck kam dem Streifenwagen langsam, aber sicher näher, denn Bobby feuerte jetzt wieder wild und ungezielt um sich, weil er Beck aus den Augen verloren hatte. Ein tiefes Dröhnen ließ den Boden erbeben, als der 4x4 dicht an Beck vorbeidonnerte und ein Feuerstoß aus Sleepys Automatik in die Hauswand hinter Beck schmetterte. Querschläger jaulten, Gesteinssplitter sirrten durch die Luft. Beck hatte sich gerade noch rechtzeitig auf den Bürgersteig fallen lassen und sich unter den nächstbesten geparkten Wagen gerollt. Er sah, wie sich ihm Bobbys Springerstiefel schräg von vorn näherten. Und als Beck den Kopf auf die Seite legte und einen Blick nach hinten warf, sah er die bullige Gestalt Sleepys und den kahlköpfigen Ray aus dem 4x4 steigen und von der anderen Seite auf ihn zurennen, die Waffen im Hüftanschlag. Beck kroch unter dem Wagen hervor und auf den Gehsteig. Die Schweinehunde wollten ihn in die Zange nehmen. Er mußte etwas tun. Und zwar schnell. Aber was? In Deckung gehen konnte er hier nirgendwo mehr. Bobby lachte schrill und irre und jagte methodisch Schuß um Schuß in jeden der in langer Reihe am Straßenrand geparkter Wagen.
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Was Beck jetzt wagte, war glatter Wahnsinn. Aber er hatte keine andere Wahl. Er richtete die Waffe auf den Benzintank des vor ihm geparkten Wagens, zählte lautlos bei Bobbys rhythmischen Schüssen mit — eins, zwei, drei —, schloß die Augen und schoß dann im gleichen Moment wie Burns. Die beiden Schüsse klangen wie einer. Und der Wagen flog Beck nicht um die Ohren. Benzin strömte aus dem Einschußloch auf den Asphalt. Beck beobachtete, wie das Rinnsal die Straße hinunterlief. Mit zitternden Händen zog er ein Streichholzheftchen aus der Jackentasche. Er dankte Gott dafür, daß er das Rauchen nicht aufgegeben hatte. Er brach ein Streichholz ab und versuchte es anzuzünden. Es war zu feucht. Das nächste Streichholz. Es brach durch. Scheiße. Ein drittes. Ein winziger, trüber blauer Funke leuchtete auf, aus dem langsam eine kleine Flamme wurde. Beck schickte ein dankbares Stoßgebet zum Himmel. Sleepy und Ray waren ihm jetzt schon verdammt nahe gekommen. Und auch Bobby hatte ihn fast erreicht. Beck hielt das Streichholz an das Heftchen und beobachtete, wie eine zentimeterlange Stichflamme in die Höhe schoß, als alle Streichhölzer explosionsartig Feuer fingen. Er warf das brennende Heftchen dicht neben die sich rasch vergrößernde Benzinpfütze, sprang auf und sprintete los, so schnell er konnte. Er mußte so viel Distanz wie möglich zwischen sich und den Wagen bringen, bevor das Unvermeidliche passierte. »Da ist er!« röhrte Sleepy und hob die Waffe. Bobby wirbelte herum und entdeckte Beck nun ebenfalls. Was er nicht entdeckte, war das dünne Rinnsal Benzin, das sich auf ihn zuschlängelte und nur noch etwa drei Meter von ihm entfernt war. Und dann geschah es. Der Wagen wurde förmlich in Stücke gerissen, als der Benzintank mit ohrenbetäubendem Donnern explodierte. Bobby wurde wie von einer Riesenfaust getroffen und nach hinten geschleudert, als sich die Straße in eine grellrote Flammenwand verwandelte. Stoßstangen, Autotüren, große Fetzen Blech, brennende
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Stoff- und Plastikteile regneten vom Himmel. Ein zweiter Wagen flog mit infernalischem Krachen in die Luft; seine Kühlerhaube drosch ins Schaufenster eines Geschäfts für Damenunterwäsche. Beck rannte im wahrsten Sinne des Wortes um sein Leben. Über ihm rissen die die Straße überspannenden Lichterketten aus ihren Verankerungen, prasselten zu Boden, explodierten um ihn herum in grellen Blitzen und überschütteten ihn mit einem Hagel aus heißen, scharfkantigen Splittern. Von den Isolatoren an den Leitungsmasten sprühten knisternd Funken; die Leitungen verschmorten mit häßlichem Brutzeln. Und noch einer der geparkten Wagen wurde zerrissen; fünfzehn Meter hinter Beck. Die plötzliche Druck- und Hitzewelle riß ihn von den Beinen und schleuderte ihn hart und schmerzhaft zu Boden. Der Asphalt zerkratzte seine Haut, Glasscherben schnitten in sein Fleisch. Er spürte, wie es warm von seiner Stirn herunterlief. Ein glutheißes Metallstück hatte ihn dicht über dem rechten Auge gestreift und eine klaffende Wunde gerissen. Beck krümmte sich vor Schmerz zusammen. Er senkte blitzschnell den blutenden Kopf, als ein Flammenspeer die Luft über ihm zerschnitt. Ein Gluthauch fegte über ihn hinweg. Er spürte, wie die Härchen in seinem Nacken und auf seinen Handrücken zu Asche verschmorten. Seine Augen tränten vom beißenden Qualm. In seinen Ohren heulte es schrill. Nein. Es war das Geräusch sich rasch nähernder Sirenen! Sleepy und Ray standen fasziniert vor den brennenden, prasselnden, rauchenden und durch die Luft wirbelnden Trümmern, starrten wie gebannt auf das Inferno. Bobby kam hustend und keuchend aus einer der dichten schwarzen Rauchwolken gehumpelt, die jetzt den gesamten Häuserblock förmlich verschlungen hatten. »Los, laßt uns hier abhauen!« befahl er und taumelte hinter Sleepy und Ray her, die sofort gehorchten. Die drei kletterten in den 4x4, und Crossfield jagte den Checy mit kreischenden Reifen aus dieser Ruß- und Flammenhölle. Beck kam taumelnd auf die Beine, hielt noch immer seine Waffe umklammert. Und dann erstarrte er, als er ein sehr vertrautes Geräusch vernahm: der Schlagbolzen einer 38er wurde gespannt.
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»Keine Bewegung!« rief eine Frauenstimme scharf. »Streck die Arme vom Körper!« Beck seufzte, ließ seine Waffe zu Boden fallen und gehorchte. »Ich bin vom Los Angeles Sheriff's Department, Officer«, sagte er keuchend. »Ich werde Ihnen jetzt meine Erkennungsmarke zeigen, okay?« Der weibliche Officer antwortete nicht, blickte ihn nur aus glasigen Augen an und hielt die Mündung der Waffe starr auf seinen Kopf gerichtet — für den Fall, daß er irgendeine Dummheit versuchte. Beck wußte das nur zu gut. Mit einer unendlich langsamen Bewegung griff er in die Innentasche seiner Jacke. »Ich hol' jetzt meine Erkennungsmarke aus der Tasche. So. Ich hab' sie jetzt in der rechten Hand. Ich ziehe jetzt die Hand langsam aus der Tasche und halte sie über den Kopf. In Ordnung?« Der reichlich zerzauste weibliche Officer trat langsam an Beck heran, als dieser seine Blechmarke vorsichtig aus der Innentasche seiner Jacke gezogen hatte. »Jerry Beck«, sagte er. »Los Angeles Sheriff's Department. Morddezernat.« Er blickte die sichtlich verblüffte Blondine an, und sein blutüberströmtes Gesicht verzog sich zu einem Lächeln. »Na, wie geht's?« Die Lippen der Frau begannen zu beben. Sie brachte keinen Ton hervor. Becks Lächeln wurde traurig. »Ich weiß, wie Sie sich jetzt fühlen. Aber Sie können nichts dafür. An diesen Burschen hat sich schon eine kleine Armee die Zähne ausgebissen.« Ein Streifenwagen schoß aus den Rauchschwaden hervor und hielt mit kreischenden Reifen. Das ohrenbetäubende Sirenengeheul verstummte. Ein hünenhafter Polizeilieutenant stieß die Tür auf, schwang sich vom Beifahrersitz und starrte mit offenem Mund auf das Inferno um ihn herum. Dann richtete sich seine Aufmerksamkeit auf Beck. »Sie!« donnerte der Riese. »Ich?« Beck lächelte schüchtern. »Ich — möchte — über — das hier — mit — Ihnen — reden«, röhrte der Lieutenant, und seine Nasenflügel bebten. »Würde es was helfen, wenn ich Ihnen sage, daß das alles
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nicht mein Fehler war?« fragte Beck und trat langsam auf den Hünen zu. Der abgebrochene Dinosaurier stemmte die Arme in die Hüften und schnaubte. »Sieht nicht so aus«, murmelte Beck, und seine Schultern fielen herab.
17 Das Comeback Inn Motel war eine heruntergekommene Absteige am Stadtrand von Oklahoma City. Die Zimmer waren bessere Wanzenbuden mit eingebautem Kabelfernseher. Beck stand mit nacktem Oberkörper vorm schmuddeligen Waschbecken im sogenannten Badezimmer. Seine Hose war zerrissen und völlig verdreckt. Er tunkte einen fleckigen Waschlappen in ein Glas Wodka und tupfte damit die drei tiefen Schnittwunden an seinem Kopf ab. Als er damit fertig war, kippte er den Wodka in einem Zug hinunter. Er ging zurück in sein Wohn/Schlafzimmer. Auf dem postkartengroßen Bildschirm des Fernsehers liefen gerade die neuesten Nachrichten über die Vorfälle des vergangenen Abends. Es war ein Farbfernseher — sofern man Blaßblau als einzige Farbe des Spektrums gelten ließ. Er ließ sich auf die geblümte Bettcouch fallen und ignorierte die Bilder auf dem Bildschirm, die die Flammenhölle auf der Carlyle Street dramatisch in Szene setzten. Das alles live zu erleben hatte ihm gereicht. Er starrte aus dem Fenster. Ein gigantischer Schneemann aus Glühlampen, der die Aufschrift FROHE WEIHNACHTEN UND GLÜCKLICHES NEUES JAHR trug, glotzte in seine Bruchbude. Die elektrischen Leitungen knisterten und surrten wie verrückt. Beck brauchte ein Bad und eine Rasur. Aber warum sich die Mühe machen. Er hatte ja nicht mal Klamotten zum Wechseln. Er trank noch einen dreistöckigen Wodka, beugte sich vor
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und knipste den Fernseher aus. Lieber schlafen, als sich die Augen zu verderben. Morgen stand ihm wahrscheinlich wieder ein Scheißtag bevor. Der Lieutenant war nicht allzu freundlich mit Beck umgesprungen. Ziemlich oft waren ihm die Worte wie >ausweiden< oder >Haut abziehen< rausgerutscht, noch öfter das Wort >lynchen<. Reizend. Vermutlich hatte nur der Anruf Captain Waxmans Becks Arsch gerettet. Er hörte Schritte draußen vor der Tür. Langsam zog er die 38er aus dem Holster und horchte angestrengt. Vielleicht wollte Bobby Burns ihm einen Besuch abstatten und seine Vorlesung fortsetzen. Jemand klopfte leise an die Tür. »Kleinen Moment!« rief Beck, um etwas Zeit zu schinden. Er schlich auf Zehenspitzen zur Tür, baute sich links davon auf, spannte die 38er und brachte die Waffe in Anschlag. Wieder ein leises Klopfen. Beck holte tief Luft, riß die Tür auf, packte blitzschnell zu, zerrte den draußen stehenden Mann mit einem Ruck ins Zimmer und trat ihm die Beine weg. Der Bursche fiel krachend aufs Gesicht und blieb, alle viere von sich gestreckt, stöhnend liegen. Sofort war Beck über ihm, drückte ihm ein Knie in den Rücken und preßte ihm die Mündung der 38er an den Hinterkopf. Becks Augen weiteten sich. Es war nicht Bobby. Der hier war nur halb so groß. Es war Arthur Kressler. Das Babyface des FBI-Mannes war eine bleiche, erstarrte Maske des Entsetzens, als Beck seinen eisernen Griff löste und sich erhob. »Jesus, Kressler... was, zum Teufel...?« Kressler kam schwankend auf die Beine, strich sich mit fahrigen Bewegungen sein Haar glatt und wischte über seinen Anzug. »Empfangen Sie Ihre Besucher immer so?« kläffte der Kleine mit hochrotem Kopf. Beck entspannte sich. »Sie haben sich einen etwas ungewöhnlichen Zeitpunkt für Ihren Besuch ausgesucht, Kressler. Außerdem dachte ich, Sie wären längst auf dem Rückflug nach Los Angeles. — Möchten Sie 'nen Drink?« »Nein, danke«, sagte Kressler und nahm mit raschen Blikken die Erbärmlichkeit des Zimmers in sich auf. Er lächelte schmal. »Ich habe etwas ... nun, sagen wir mal, begriffen.« Kressler bedachte Beck mit einem langen, prüfenden,
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abwartenden Blick, den Beck jedoch ignorierte. Statt dessen goß er sich einen weiteren Dreistöckigen ein und kippte ihn hinunter. Der Wodka brannte angenehm im Magen. »Ach, ja? Was haben Sie denn ausnahmsweise mal begriffen?« Kressler verschränkte in einer triumphierenden Geste die Arme vor der Brust. »Warum Sie immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort waren. Jedesmal. Sie haben irgend etwas herausgefunden ... irgendwas, das Sie mir verschwiegen haben. Beweismaterial. — Ich will es haben.« Kresslers Howdy-Doody-Gesicht hatte in diesem Moment das Aussehen eines Achtjährigen, dem man sein Spielzeug geklaut hat. Beck war nicht davon beeindruckt. »Vielleicht sage ich Ihnen, was ich rausgefunden habe«, erwiderte er. »Falls ich wirklich was rausgefunden habe . . . aber ich geb's Ihnen nicht.« Kressler wippte ungeduldig mit den Schuhsohlen. Er wurde sichtlich wütend. Seine Stimme nahm einen knappen, militärisch-schroffen Tonfall an. »Sie sind ein erstaunlicher Bursche, Beck, wirklich. Sie treiben sich hier draußen ohne jede Rückendeckung herum, ohne Geld und sogar ohne saubere Wäsche, wenn ich das richtig sehe. Aber zur Sache. Mit den entsprechenden Informationen — mit Ihren Informationen, Beck! — kann das FBI in einer einzigen Stunde das schaffen, wozu Sie einen Monat brauchen würden. Ich kann Ihrer Argumentation nicht folgen. Ich kann Ihren Trotz und Ihre Widerspenstigkeit nicht begreifen. Ich möchte es aber. Warum tun Sie das?« Beck goß sich einen weiteren Drink ein. Er hörte draußen ein dumpfes Geräusch und trat ans Fenster. Frosty, dem Schneemann, war eine Glühbirne an der Nase geplatzt. »Sie wollen es wirklich wissen?« sagte Beck, ohne sich vom Fenster abzuwenden. »Okay. Dann sperren Sie mal die Lauscher auf, Kressler. Ich will Ihnen die Wahrheit sagen — wie ich sie verstehe. Ich wollte diesen Fall nicht. Ich wollte ein paar ruhige freie Tage verbringen. Wissen Sie, ich bin dieses Jahr über Weihnachten in einer etwas, nun ja, ungewohnten Lage - keine Frau, keine Kinder, kein Geld. Nichts von all den Dingen, die normalerweise die Feiertage ausfüllen.« Er wandte sich vom Fenster ab und grinste Kressler schief
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an. »Was habe ich statt dessen? Das hier. Ein Mord. Noch schlimmer. Ein Mord an einem Cop. Okay, das bringt mein Job so mit sich. Also scheiß drauf. Tu's. Nur daß diesmal jeder, der mir über den Weg läuft, sich offenbar seinen eigenen Plan zurechtgeschneidert hat, Burns am Arsch zu kriegen — von einem Captain in Los Angeles über eine Witwe, die um jeden Preis Blut sehen will, einen Polizeichef eines Kuhdorfs in Arizona, der sich für die Presse gern in einem FBI-Hubschrauber hätte fotografieren lassen, bis hin zu einem Polizeichef in Oklahoma, der sich nach den guten alten alten Zeiten zurücksehnt, als Männer noch Männer und Frauen noch Frauen waren. Und Schwarze noch Nigger!« Kressler schüttelte langsam den Kopf. »Sie treiben mich wirklich an den Rand der Verzweiflung, Beck. Was ist denn meine Sünde in Ihren ach so tugendhaften Augen?« Beck kippte seinen Drink hinunter. »Sie wollen nur Ergebnisse, Kressler. Ihre verdammte Erfolgsstatistik aufbessern. Ihnen ist dieser ganze Bobby Burns- und Rassistenscheißdreck egal. Es macht Ihnen nichts aus, ob dieser Hurensohn einen Menschen, zehn oder hundert getötet hat. Sie scheißen drauf. Sie wollen nur Burns' Arsch, mehr nicht. Ich weiß doch, wie das beim FBI läuft. Sie tun gerade so viel, um den Ruhm einheimsen zu können, damit nächstes Jahr Ihr Etat erhöht wird. Die Drecksarbeit machen andere. Aber in Ordnung. Es ist ja nicht mein Geld, das Vater Staat zum Fenster rausschmeißt. Aber fragen Sie mich nie mehr danach, ob ich diesen Fall dem FBI übergeben werde. Ich hab's versucht, drüben in Arizona. Sie haben mir die Position des FBI in dieser Sache sehr deutlich gemacht. Für das FBI sind diese Irren in unbedeutende kleine Gruppen aufgesplittert, die keine Einheit anstreben, keine einheitliche Organisations- und Machtstruktur, die keinen Einfluß und keine Ambitionen haben. Sie wollten sich ja nicht mal diese Flugblätter ansehen! Sie haben sich damals nicht für irgendwelche Beweismittel interessiert. Warum jetzt auf einmal?« »Sind Sie fertig?« fragte Kressler, und sein Mund verzog sich zu einem Grinsen. »Ja«, sagte Beck, nahm das Glas und ging zum Badezimmer hinüber. Er spürte Wut in sich aufsteigen, drehte sich um und
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blickte Kressler düster an. »Nein. Ich bin, gottverdammt noch mal, noch nicht fertig. Wissen Sie, was mich an der ganzen Sache so überrascht? Nicht der verrückte Bobby Burns. Nicht der verrückte Rassismus weißer Extremisten. Was mich am meisten überrascht, sind Arthur Kressler und das beschissene FBI. Ich hatte geglaubt, das wäre genau die Art von Dreck, in dem Burschen wie Sie am liebsten wühlen. Wart ihr nicht die Kerle, die Al Capone am Arsch gekriegt haben? Oder war das Robert Stack? Kressler, Kressler. Ein Kerl, der einen Laden ausraubt, einen alten Nigger über den Haufen knallt und einen Bullen umlegt, der ist doch langweilig. Aber wie sieht's aus, wenn so ein Kerl glaubt, daß er dadurch zum Ritter einer Tafelrunde von Geisteskranken wird? Auf so einen Burschen würde ich ein waches Auge halten. Aber Sie tun's nicht. Jedesmal, wenn ich das angesprochen habe, kriegten Sie glasige Augen, Kressler. Warum, verdammt? Ist das alles zu verrückt für Sie? Zu kompliziert? Zu dreckig?« »Sie stecken in großen Schwierigkeiten«, flüsterte Kressler. »Das geht der ganzen Welt so. Möchten Sie mal meine Meinung über die US-Außenpolitik hören?« »Beck«, sagte Kressler betont ruhig. »Hören Sie mir jetzt ganz genau zu. Was ich jetzt sage, sage ich nur einmal.« »Ich werd's mir notieren«, sagte Beck und ging wieder in Richtung Badezimmer. Kressler schnaubte wütend, als Beck ihm den Rücken zukehrte. Er durchquerte mit schnellen Schritten das Zimmer, baute sich vor Beck auf, hob warnend den Zeigefinger und wies damit auf Becks Gesicht. »Ich will Ihr Beweismaterial haben«, sagte er scharf. »Und ich will es jetzt haben!« Beck starrte auf den erhobenen Zeigefinger Kresslers und bedachte den kleinen FBI-Mann mit einem spöttischen Lächeln. »Was ich jetzt sage, sag' ich auch nur einmal: Stecken Sie sich Ihren Finger in den Arsch.« Kresslers Babyface begann vor Wut zu wabbeln. Er schoß seinen finstersten Blick auf Beck ab und wisperte mit heiserer Stimme: »Ich mache Sie fertig, Beck. Sie sind erledigt. Das schwöre ich Ihnen. Und zum letzten Mal: Ihre lästerliche Fäkalsprache widert mich als gläubigen Christen an. Und legen Sie meinen Glauben nur nicht als Schwäche aus, denn
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ich kann Ihnen mit bloßen Händen die Kehle rausreißen.« Beck grinste Kressler an. »Ich schlottere vor Angst. Und kotzen Sie sich ruhig mal gründlich aus, bevor Sie sich verpissen, Arnie. Sie bezeichnen Wörter wie >Scheiße< und >Arsch< als vulgär, aber über Begriffe wie >Nigger< oder >Judensau< scheinen Sie sich trotz Ihrer angeblichen Frömmigkeit nicht übermäßig aufzuregen. Oder dieses Schild an der Wand von Tremmels Büro. >Wenn du nicht hier wohnst, Nigger, sei bis Sonnenuntergang aus dieser Stadt verschwunden <. Das ist lächerlich, Kressler. Über Wörter wie >Scheiße< und >Pisse< regt sich doch heutzutage nur noch der Jungfrauenverein auf. Und wissen Sie, was an der ganzen Sache noch perverser ist? Daß diese Irren, mit denen wir es zu tun haben, als ehrbare Bürger gelten, falls meine Vermutung stimmt. Unter dem Deckmantel von Gesetzestreue und geheuchelter Frömmigkeit predigen sie in ihren sogenannten > Arischen Nationalkirchen< den reinen Wahnsinn. Gefährlichen Wahnsinn. Sie brandmarken Werke wie Huckleberry Finn als >schweinisch<, verbannen sie aus ihren Stadtbüchereien und ernten dafür von gewissen Regierungsmitgliedern auch noch ein anerkennendes Schulterklopfen. Merken Sie denn nicht, was da läuft? Diese Spinner betrachten sich als Super-Patrioten. Sie wollen Minderheiten ausrotten und zitieren dabei sogar die Verfassung! Sie verdrehen sie so, daß sie daraus das Recht ableiten können, Ihr Heim mit Waffengewalt gegen jeden und alles verteidigen zu dürfen. Großartig, was? Vor allem, wenn man diese Nation als einziges, großes Heim betrachtet und die weiße Rasse als seine einzigen rechtmäßigen Bewohner. Diese Leute halten sich ernsthaft für aufrechte Amerikaner, wahre Patrioten. Verdammt noch mal, wenn man nicht mit allen gesetzlichen Mitteln gegen diese Verrückten vorgeht, werden sie mit diesem Irrsinn weitermachen und wahrscheinlich mehr und mehr Menschen dazu bringen, sich ihnen anzuschließen. Das ist nicht nur lästerlich, Kressler, und obszön, das ist gottverflucht pervers!« Beck seufzte. »Okay. Wenn wir nichts weiter zu besprechen haben, würde ich mir jetzt gern die Blase erleichtern und mir einen gemütlichen, gesunden Stuhlgang gönnen.« »Tun Sie das. Mit Ihnen kann man ja sowieso nicht ver-
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nünftig reden, Beck! Ich geb's auf!« geiferte Kressler. »Versprochen?« fragte Beck unschuldig. Der untersetzte FBI-Mann wirbelte herum und stapfte zur Tür. Er riß sie auf, wandte sich dann noch ein letztes Mal zu Beck um. »Ein einziger Anruf von mir, und Sie sind schneller zurück in Los Angeles, als Sie sich träumen lassen. Und ich habe die Absicht, diesen Anruf zu machen!« Er schmetterte die Tür hinter sich ins Schloß. Beck zuckte die Achseln, schlenderte zum Fenster und beobachtete, wie Kressler zu seinem Mietwagen trottete, einstieg, losjagte und in der klirrend kalten Oklahoma-Nacht verschwand. Beck warf dem elektrischen Schneemann einen fragenden Blick zu. »Hast du vielleicht 'ne Ahnung, Frosty? Meinst du, ich hab' was Falsches gesagt?« Er zog die Bettcouch auf, gemehmigte sich einen letzten Drink, legte sich flach und schlief mit dem Wunsch nach einer besseren Welt und einer weicheren Matratze ein. Vier Stunden später wurde er durch das schrille Klingeln des Telefons geweckt. Als er den Hörer abhob, geisterten noch immer verschwommene Familienfotos aus seinen Träumen in seinem Kopf, und Wodka kreiste in seinen Adern. »Hier Beck.« Am anderen Ende der Leitung schien eine wütende alte Tante loszukreischen, so schlecht war die Verbindung. Er verstand kein Wort. Erst allmählich ging ihm auf, daß sein Gesprächspartner Englisch sprach. »He! Brrr«, sagte Beck. »Nur die Ruhe. Versuchen wir's noch mal. Langsam. — Hier Beck. Verstand . . . oh, hi, Bilson. Was? Was! Ich soll sofort zurück nach Los Angeles kommen? Ich kann hier jetzt nicht weg, Mann. Ich steck' noch mitten in dem Fall. Der Captain weiß Bescheid. Was? Das FBI hat angeru ... ja, ich hab's kapiert. Ich hab's kapiert! Ich besorg' mir morgen das Flugticket.« Er knallte den Hörer auf die Gabel und drehte sich auf die Seite. »Dieses schleimige, geschniegelte kleine Arschloch hat es tatsächlich getan«, fluchte er in hilfloser Wut.
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18 Captain Waxman war heute kein glücklicher Mann. Sein Assistent Koch war heute kein glücklicher Mann. Beide waren zu einem Treffen in Waxmans Büro zu spät gekommen. Zu einem Treffen mit Jeny Beck. Und Beck war auch kein glücklicher Mann. Jetzt hockte er hier im Los Angeles Sheriff's Department vor diesen beiden Männern, obwohl er in Oklahoma auf der Jagd nach einer Meute von geisteskranken Killern hätte sein müssen. Er trug noch immer die Klamotten, in denen er verfolgt, beschossen und gekidnappt worden war und fast in die Luft geflogen wäre. Waxman, ein schwammiger Buddha von Mann, wühlte sich durch einen Berg von Papieren, die vor ihm auf dem Schreibtisch lagen. Sein Assistent, der neben ihm stand, wippte nervös auf den Fußsohlen und blickte ungefähr alle zwanzig Sekunden auf die Uhr. Waxman schob ihm die Akten zu und wandte sich an Beck, der nervös auf seinem Stuhl hin und her rutschte. »Beck, wenn ich einen meiner Leute zurückbeordere, will ich keinen fünfzehnminütigen telefonischen Vortrag hören, warum ich diesen Mann nicht zurückbeordern soll. Wenn ich ihn rufe, kommt er angesaust. Kapiert?« »Yessir«, seufzte Beck. »Übrigens, Sie sehen aus wie ein Haufen Scheiße.« »Äh... nun ja, Captain, Sie haben gesagt, ich soll vom Flughafen sofort hierherkommen. Außerdem ist da mit den Spesen und der Western Union irgendwas schiefge ...« Waxman schüttelte müde und lustlos den Kopf. »Schon gut, schon gut. Ich hab' hier genug Mist am Hals, ich kann nicht noch mehr davon gebrauchen. Ich mag Sie, Jerry, darum möchte ich nicht lange um den heißen Brei herumreden. Sie stecken bis zur Halskrause in Schwierigkeiten.« »Wenn der FBI-Agent Kressler dafür gesorgt hat, Chef . . . ich kann alles erklären«, sagte Beck lahm. Waxman versuchte ein Lächeln. Es klappte nicht. Seine Magengeschwüre brachten ihn um. »Jawohl. FBI-Agent
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Kressler hat dafür gesorgt. Ein Bewährungshelfer Webly hat dafür gesorgt. Zwei Polizeichiefs, die behaupten, Sie hätten in unverantwortlicher Weise gehandelt, haben dafür gesorgt. Ein ganzer gottverdammter Männergesangsverein hat dafür gesorgt, Jerry!« Waxman wartete, daß Beck etwas erwiderte. Vergeblich. Beck holte nur tief Luft und blies sie wieder aus. Seine ExFrau hatte ihm mal gesagt, das wäre ein gutes Mittel, innere Spannungen abzubauen. Doch der einzige Erfolg der Atemübung war ein gewaltiger Rülpser. Beck schmeckte den Wodka vom gestrigen Abend und das pappige Frühstück im Flugzeug vom heutigen Morgen. Er blickte verlegen zu Waxman auf. Der Captain lächelte nicht. Beck ließ sich tiefer in den Stuhl rutschen, als Waxman fortfuhr: »Mir sind Klagen wegen übermäßigen Alkoholgenusses, dem eines Polizeibeamten unwürdigen Gossenjargons, Einschüchterung unter Androhung körperlicher Gewalt, mutwilliger Zerstörung, schwere Sachbeschädigung, Verkehrsgefährdung sowie Kidnapping auf den Schreibtisch geflattert.« »Kidnapping stimmt nicht«, wagte Beck zu widersprechen. »Das ist ein ziemlich schwaches Argument, wenn man die Latte dieser gegen Sie erhobenen Vorwürfe betrachtet. Ich will offen zu Ihnen sein, Jerry, Sie wissen, daß ich für meine Leute höherenorts zu Kreuze krieche, um sie zu unterstützen oder aus dem Dreck zu ziehen. Und wenn mildernde Umstände vorliegen — wie eine erst kürzlich erfolgte Scheidung, zum Beispiel —, krieche ich noch ein Stück weiter. Aber in Ihrem Fall hat sich's ausgekrochen.« Beck brach der Schweiß aus. »Captain, Sie denken doch nicht etwa daran, mir den Fall wegzunehmen ...« »Immer mit der Ruhe, Jerry. — Und hören Sie auf, herumzu-zappeln, ja?« Beck merkte es nicht, aber er trommelte mit den Fingern auf seine Knie und mit dem rechten Bein auf den Boden. Er räusperte sich und hörte damit auf. Waxman beugte sich vor und schob dabei einen Teil seines beachtlichen Bauchs über die Schreibtischkante. »Was ist eigentlich los, Jerry? Raus mit der Sprache. Nur unter uns.
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Was ist an diesem Fall so besonders? Sie kannten Kimble nicht mal. Oder liegt es an Ihrer Scheidung?« Beck dachte kurz darüber nach. »Ich weiß nicht. Ich glaub' nicht.« Waxman runzelte die Stirn. Er sah aus wie eine Bulldogge, die an einer zu kurzen Leine zerrte. »Okay, fangen wir von vorn an, Jerry. Sie wollten alleine an diesem Fall arbeiten. Ich hab' das in die Wege geleitet. Ich tu das nicht für jeden! Ich hab's aber für Sie getan. Wir kennen uns doch gut, Jerry. Also, reden Sie. Bitte.« Becks Augenlider zuckten nervös, als er versuchte, die richtigen Worte zu finden. »Das ist kein simpler Mord, Captain«, sagte er schließlich. »Da steckt viel mehr dahinter. Und dieser Kressler hat sich schlichtweg geweigert, das zu akzeptieren und...« Waxman ballte die Rechte zur Faust. Er zerknüllte dabei eine Handvoll Papiere. »Jerry, ich höre es nicht so gern, wenn einer meiner Leute solche Dinge sagt wie >ein simpler Mord<. Ein Sergeant des Sheriff's Department wurde brutal erschossen. Und bis der Mann, der das getan hat, nicht verhaftet ist, interessiert uns nichts anderes. Es gibt nichts Schwerwiegenderes als diesen Mord. Haben Sie verstanden?« Beck nickte. »Ich hab' verstanden. Aber diesmal steckt wirklich viel, viel mehr dahinter.« Er griff in die Innentasche seiner Jacke und zog verschiedene Gegenstände heraus: Bobby Burns' Notizbuch und die markierte Landkarte, Flugblätter von der Steadman-Farm, das Telex aus Cottonwood. Er setzte seine ramponierte Lesebrille auf. »Captain«, sagte er und legte Waxman die Unterlagen auf den Schreibtisch, »bevor Sie irgendeine Entscheidung treffen, sehen Sie sich dieses Zeug hier mal an. Hier ist eine Karte, von der ich Ihnen am Telefon erzählt habe, die markierte Route. Und hier drin«, er zeigte auf das Adreßbuch, »stehen die Namen und Adressen. Und das hier sind ein paar von den Flugblättern. Sir, da ist irgendwas im Busch. Viel mehr, als jeder vermutet hat. Mehr als ich vermutet habe. Hier geht's nicht um Leute, die nur >Nigger< oder >Judenschwein< in die Gegend schreien. Denen geht's nicht um bloße Worte. Die
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handeln. Es ist eine verdammte Bewegung, Chef, die gut organisiert ist, die Geld hat, Verbindungen, von denen wir nur träumen ...« »Jerry«, sagte Waxman leise. »Nicht jetzt.« Beck machte ein bestürztes Gesicht. »Nicht jetzt? Jetzt oder nie, Captain! Schnelles Handeln ist geboten. Was sich da anbahnt, kann sich zu 'ner Katastrophe ausweiten.« Der Captain hab seine kleine, dicke rechte Hand. »Immer hübsch der Reihe nach. Zuerst einmal möchte ich, daß Sie die Sache weiter verfolgen. Aber um das durchzusetzen, brauche ich in Anbetracht der gegen Sie erhobenen Vorwürfe Schützenhilfe. Munition, die nur Sie mir beschaffen können. Ich hab' für Sie einen Termin bei Dr. Krantz vereinbart, einem unserer Psychologen, um ...« »Ein Mackendoktor?« »Ein Psychologe. Überzeugen Sie ihn davon, daß in Ihrem Oberstübchen alles stimmt, und Sie sitzen in der nächsten Maschine, die Sie zurück nach Arizona ...« »Oklahoma.« » . . . wohin auch immer bringen wird.« Waxman reichte Beck ein Notizbuch, auf dem ein Name und eine Adresse gekritzelt waren. Der Captain bemerkte den wütenden Ausdruck auf Becks Gesicht. »Heute nachmittag um vier«, erklärte Waxman. »Kommen Sie nicht zu spät. Und bauen Sie keinen Mist.« »Yessir.« Waxman stand ächzend auf, winkte seinem Assistenten und ging zur Tür. Er ließ einen niedergeschlagenen Beck vor seinem Schreibtisch zurück. »Ach ja, Jerry . . .«, sagte Waxman, bevor er das Büro verließ. »Yessir?« »Ihre Brille. Lassen Sie das Ding lieber reparieren, bevor Sie zu Dr. Krantz gehen ...« Waxman und Koch verließen das Büro. Beck steckte langsam die Briefe, die Karte und das Adreßbuch wieder ein ... all die Informationen, für die er in den vergangenen Tagen wieder und wieder sein Leben riskiert hatte. Wie viele Menschen hatten Bobby Burns und seine Kum-
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pane wohl schon auf dem Gewissen? Und wie viele mußten noch durch diese Bande sterben? Und nur weil er, Beck, in den Augen eines FBI-Blödmannes erstens über die Stränge geschlagen hatte und zweitens den Fall als viel zu ernst betrachtete, konnten Bobby & Co fröhlich weitermorden und sich dem Gesetz entziehen. Scheißspiel. Jetzt hing alles vom Treffen mit diesem Mackendoktor heute nachmittag ab. Wenn Beck seine Wut, seine Ängste, seine Verwirrung nicht verbergen und den Doc nicht davon überzeugen konnte, ein völlig normaler, geistig gesunder, ausgeglichener Cop zu sein, konnte er sich die Jagd auf Bobby Burns von der Backe putzen. Beck nahm langsam seine Brille ab. Er hielt sie einen Moment lang in der Hand. Das Klebeband war verzogen und eingerissen. Nicht mehr lange, und das Scheißglas würde wieder aus dem Rahmen fallen. Er mußte nach Hause gehen und versuchen, das Ding zu reparieren. Und wenn er angefangen hatte zu reparieren, konnte er bei sich selbst gleich weitermachen. Mit herzlich wenig Erfolgsaussichten.
19 Beck saß im Wartezimmer von Dr. Krantz' Praxis. Er kam sich vor wie ein Schuljunge, der zum Rektor gerufen worden war, weil er die Lehrerin in den Hintern gekniffen hatte. Ihm gegenüber hockte eine dürre, unattraktive Frau mit Kopfhörern hinter einem Schreibtisch und hämmerte irgendwas in die Tasten einer Schreibmaschine. Wahrscheinlich der auf Diktiergerät protokollierte Dachschaden eines oder einer Patientin. Soviel zum Thema >ärztliche Schweigepflicht<. Beck beobachtete, wie sich der Schweiß in seinen Handtellern sammelte. Er schnüffelte dran. Der Schweiß roch entfernt nach Wodka.
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Am Schreibtisch der dürren Sekretärin leuchtete eine Lampe auf. Sie nahm die Kopfhörer ab und warf Beck einen gelangweilten Blick zu. »Sie können jetzt zum Herrn Doktor, Mr. Beck«, sagte sie. »Durch die Tür da«, fügte sie überflüssigerweise hinzu, denn es gab nur eine. Beck nickte stumpfsinnig, wischte sich die Hände an der Hose ab und betrat die Praxis. Dort erwartete ihn ein kleiner, eulenhafter Mann. Zurückweichender Haaransatz. Große, dunkle Brille. Beck war verwirrt. Er kannte den Burschen von irgendwo her. Die Art, wie er die ständig verrutschende Brille immer wieder ein Stückchen hochschob. Die Art, wie sein Arztkittel etwas zu weit um seine mickrige Figur schlackerte. Die Art, wie er ein leises, hüstelndes Geräusch von sich gab, als er auf Beck zutrat, um ihm die Hand zu reichen. »Mr. Beck, ich bin Dr. Krantz«, sagte der Mann mit dünner, näselnder Stimme. Becks Augen weiteten sich. Nein, Krantz hatte er nie zuvor gesehen. Aber Woody Allen. Der Kerl sah wie Woody Allen aus! Beck unterdrückte nur mit Mühe ein Kichern, als er dem Mann die Hand schüttelte. »Freut mich, Sie kennenzulernen, Doktor«, brachte er mühsam beherrscht hervor. Er nahm in einem Sessel vor dem riesigen, klobigen Schreibtisch Platz, hinter dem nur der Schädel des Psychologen hervorragte, und kämpfte mit aller Kraft gegen einen Lachanfall. Krantz schob wieder mal seine Brille zurück, hüstelte, nahm dann einen Bleistift in die dürren Finger, schob ihn sich in den Mund, kaute kurz darauf herum und legte ihn dann wieder hin. Woody Allen. Becks Schultern zuckten. Sein Gesicht ebenfalls. Der Kerl mußte jeden Moment was merken. Krantz schob wieder die Brille hoch, nahm wieder den Bleistift und pochte damit auf einem kleinen Notizbuch herum. »Ich weiß, Mr. Beck, wie anstrengend diese Sitzungen sein können und wie aufgeregt manche Leute vorher sind«, sagte er. »Aber denken Sie ganz einfach: Der Mann ist auch bloß ein ganz normaler Bursche.« Alles hätte er sagen dürfen, nur das nicht. Beck konnte sich
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nicht mehr beherrschen. Er fing an zu prusten und zu schnauben — eine Art von unterdrücktem >Untersteh dich! < Gelächter —, wie ein Kind, das in der Kirche, auf einer Beerdigung oder wenn die fette Tante Sadie beim Thanksgiving-Dinner einen fahren läßt, von einem plötzlichen Kicheranfall überfallen wird. Krantz starrte ihn verdutzt an und legte dabei leicht den Kopf schief. Noch ein Woody-Allenismus. Aus, vorbei. Beck stieß zwischen den krampfhaft zusammengepreßten Lippen ein rhythmisches leises Wimmern aus. »Habe ich irgend etwas Komisches gesagt, Mr. Beck?« fragte Woody Krantz. »Nein!« keuchte Beck und schüttelte so heftig den Kopf, daß seine Wangen flogen. »Nein, Doktor. Es ist nur ... so unheimlich wichtig für mich.« Beck wußte, daß er sich jetzt verdammt zusammenreißen mußte, oder er würde sehr schnell in sehr große Schwierigkeiten kommen. »Es ist auch unheimlich wichtig, daß Sie ganz ehrlich zu mir sind«, sagte der Psychologe leise. »Stimmt«, erwiderte Beck und verwandelte sein Kopfschütteln in ein wildes, hastiges Nicken. »Stimmt. Genau. Jawohl. Ich verstehe. Ich werde ehrlich zu Ihnen sein.« Beck schaffte es, seine Gesichtsmuskeln zu entspannen. Der Psychologe lächelte weiter sein berufsmäßiges Lächeln. »Gut. Also lassen Sie mich auf meine ursprüngliche Frage zurückkommen. Habe ich irgend etwas Komisches gesagt?« Mannomann. Becks Hände umkrampften wie hilfesuchend die Sessellehnen. »Spielt das denn eine Rolle? Können wir's nicht einfach übergehen?« »Wir sind nicht hier, um irgend etwas zu übergehen, Mr. Beck.« Der Doktor starrte sein Gegenüber an. Beck wünschte sich ein großes Loch im Boden, in das er verschwinden konnte. Er verfluchte sich, die Sache so schnell und so gründlich versaut zu haben. Es blieb ihm nur ein Ausweg. Er mußte diesen Mackendoktor in den Arsch kriechen.
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»Okay«, sagte Beck mit plötzlichem Ernst. »Schauen Sie, Doktor, Sie sind Psychologe. Sie verstehen was von diesen Dingen. Sie sind Fachmann. Ich meine . . . der Rest der Welt rennt da draußen mit seinem kaputten Ego rum . . . aber ein Mann, der Psychologie studiert hat! Na ja, so ein Mann ruht in sich selbst und weiß genug, um ... um ...« Der Doktor fiel nicht darauf herein. »Sie schweifen ab«, sagte er seufzend. Beck holte tief Luft, gab sich innerlich einen Ruck und stieß abgehackt hervor: »Um — ehrlich zu sein — ich geb' Ihnen mein Wort drauf — um — ehrlich zu sein — Sie haben verdammt viel Ähnlichkeit mit — Woody Allen. Das ist alles.« Er lächelte den Psychologen an und erwartete, daß sein Lächeln erwidert wurde. Er wartete vergeblich. Krantz fing wieder an, mit dem Bleistift auf den Notizblock zu zu pochen. Diesmal schneller und lauter. Beck wandt sich. »Na ja, als Sie gesagt haben >Denken Sie ganz einfach, der Mann ist auch bloß ein ganz normaler Bursche< ...«, er wedelte mit den Händen in der Luft herum, als wollte er so den Satz vollenden und gleichzeitig um Verständnis bitten. Krantz' Mund schrumpfte zu einer sehr kleinen Falte zusammen. Das Pochen mit dem Bleistift wurde lauter und lauter. Sein Gesicht lief rot an. Scheiße. Beck war ehrlich verblüfft. »Äh«, sagte er und rang sich immer noch ein mattes Lächeln ab. »Es tut mir leid. Ich kann doch nichts dafür, daß Sie so aussehen. O verdammt . . . ich meine . . . ich wollte Sie nicht in Verlegenheit bringen. Ehrlich nicht.« Schweißperlen bildeten sich auf Krantz' hoher Stirn. Er schob wieder seine Brille hoch. »Sie haben mich nicht in Verlegenheit gebracht«, sagte er — etwas zu hastig. »Wie kommen Sie auf die Idee, mich in Verlegenheit gebracht zu haben?« Krantz' Gesicht war jetzt feuerrot. In diesem Moment wußte Beck, daß die Sache geplatzt war. Mit etwa zwanzig Megatonnen Sprengkraft. Krantz' Augen richteten sich starr auf sein Notizbuch, und er fing an, Becks Gesicht zu malen.
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Beck lümmelte sich geschlagen in den Sessel. »Nichts«, murmelte er. »Schwamm drüber.« Er starrte Krantz an. Krantz starrte sein Gekritzel an. »Gibt's sonst noch was zu besprechen?« fragte Beck schließlich. »Ich hab' das Gefühl, ich bin ein toter Mann. Egal, was ich jetzt noch sage.« »Oh, sind Sie nicht«, erwiderte Krantz mit eisiger Stimme. »Was wäre ich denn für ein Psychologe, wenn ich mich von so etwas in meiner Beurteilung Ihrer Persönlichkeit beeinflussen ließe.« Beck reckte den Kopf und warf einen Blick auf sein Porträt. Er konnte erkennen, daß Krantz ihn offenbar als wild dreinschauenden Verrückten betrachtete: eine Kreuzung zwischen Sirhan Sirhan und Dirty Harry. »Stimmt«, seufzte Beck. Er beugte sich im Sessel vor und betrachtete seine Handknöchel. »Sie sagten eben, daß Sie die Wahrheit hören möchten«, mumelte er dann, überraschend ernst geworden. »Ich werde Ihnen die Wahrheit sagen. Der Mordfall Kimble ist mein Fall. Ich hab' ihn mir nicht aufgedrängt, er ist mir einfach übertragen worden. Als wenn man ein Messer zwischen die Rippen kriegt. Aber das macht nichts. Es sind ineine Rippen. Meine Rippen. Mein Fall. Ich hab' die Ermittlungen angefangen, und ich möchte sie auch zu Ende führen. Das ist alles. Ich weiß nicht mal, warum. Vielleicht deshalb, weil ich im Moment sonst nichts in meinem Leben zu Ende geführt habe, weil sonst nichts vollständig und abgeschlossen ist.« Beck atmete tief durch. Er fühlte sich so verwundbar wie seit seiner Scheidung nicht mehr. Er hob den Kopf und blickte Krantz an. Krantz' Augen waren noch immer auf die Kritzeleien gerichtet. »Bringt das da irgendwas?« fragte Beck. »Vermutlich. Wenn Sie Einzelgänger sind«, sagte der eulenhafte Mann achselzuckend. »Ein Mann, der nicht gewillt ist, einem anderen Menschen zu vertrauen.« »Ich wollte Ihnen vertrauen, Doc. Ich will es immer noch«, sagte Beck mit einem Anflug von Verzweiflung. Krantz' Gesicht war eine fleischgewordene Maske der Herablassung. Er kritzelte weiter.
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Beck lümmelte sich wieder in den Sessel. »Ich hatte vorhin recht, stimmt's? Ich bin ein toter Mann.« »Falls das stimmen sollte, Mr. Beck«, erwiderte Krantz kurz angebunden, »dann sind Sie von eigener Hand gestorben.« »Es war diese Woody-Allen-Sache, nicht wahr?« Krantz blickte auf und sah Beck an. Sein Gesicht rötete sich wieder. »Kein Mensch reagiert freundlich, wenn man ihn lächerlich macht. Nicht einmal ein Psychologe.« Beck rollte mit den Augen. »Ich hab's doch gar nicht lächerlich gemeint. Ich hab's nur ehrlich gemeint. Ich fand's komisch, mehr nicht. Ich find' auch Woody Allen komisch. Was ist denn daran so gottverdammt falsch?« Er wartete auf eine Antwort. Er gab die Hoffnung noch immer nicht auf, den Mann zu versöhnen. Krantz warf einen Blick auf seine Armbanduhr und stand auf. »Tja, ich fürchte, unsere Gesprächszeit ist um, Mr. Beck.« Beck hockte wie eingefroren im Sessel. Er hatte es tatsächlich geschafft, sich selbst die Kehle durchzuschneiden. Seine Arme und Beine schienen aus Blei zu bestehen. Verdammt, fast kamen ihm die Tränen. Unglaublich. Er hatte die ganze Sache nur deshalb in den Teich gesetzt, weil er gelacht hatte. Weil dieser Typ wie Woody Allen aussah. Er verspürte das heftige Verlangen, seinem Porträt alle Ehre zu machen und aufzuspringen und dieser halben Portion was auf die Nuß zu geben. Oder den Burschen zu warnen: Wenn er ihm, Beck, kein begeisterndes, überschwengliches Zeugnis austeilte, würde Beck ihn unerbittlich jagen. Zur Strecke bringen. Herausfinden, wo seine Lieben wohnten und sie unter Druck setzen. Schlimmen Druck. Ab sofort. Immer. Rund um die Uhr. Statt dessen erhob sich Beck langsam und schwerfällig. Auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck der Verlegenheit. Er ließ sich von Krantz zur Tür bringen. Dort blickte Beck auf den eulenhaften Mann hinunter. »Wissen Sie, Doc, ich bin vielleicht ein widerliches Exemplar der Gattung Mensch. Aber ich werde mich deshalb nicht an Ihrer Schulter ausweinen. Ich bin ein guter Cop. Wenn ich selbst schon kein glückliches Leben führen kann, so kann ich wenigstens versuchen, dafür zu sorgen, daß andere Menschen das können. Mehr verlange ich gar
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nicht, Doc. Mehr will ich gar nicht vom Leben. Und jetzt liegt es an Ihnen, glaub' ich.« »Guten Tag, Mr. Beck«, sagte der kleine eulenhafte Mann mit ausdruckloser Stimme. »Ja, ja, gut«, sagte Beck und nickte. Dieser kleine miese Scheißer! »Also, bis demnächst, Doc. Ach ja ... noch was. Für Ihre Akten.« »Ja, Mr. Beck?« »Woody Allen ist einer der wenigen, über die ich mich totlachen kann.« Das Gesicht des kleinen Mannes wurde rot wie eine Tomate, als Beck das Wartezimmer durchquerte und grußlos die Tür hinter sich zuschlug. Wenn man schon eine Sache versaut, dachte er, dann wenigstens gründlich. Beck stapfte durch den Korridor des Bürogebäudes zum Aufzug. Er drückte auf den >Abwärts< -Knopf. Irgendwie kam ihm das symbolisch vor.
20 Beck schlug die Tür seines Toyota zu. Hoch über ihm donnerte ein Jet vom Burbank Airport in den smoggelben Himmel. Trautes Heim, Glück allein, dachte Beck mürrisch, als er zum Eingang des Apartment-Hauses trottete, in dem sich seine Bruchbude befand. Er blieb abrupt stehen. Dort, auf der Vordertreppe, saß Linda Kimble, eine Einkaufstasche neben sich. Beck setzte sich wieder in Bewegung und ging zu ihr hinüber, verwundert und ärgerlich zugleich. »Was machst du denn hier?« Sie blieb gelassen sitzen und zeigte auf die Einkaufstasche. »Ich hoffe, du magst Hummer. Hummer, Spargel, BasmatiReis und eine Flasche Mondavi Chardonnay.« Beck hockte sich neben sie. »Du bist nicht zum Mittagessen hierhergergekommen. Warum bist du hier?«
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»Können wir nicht nach dem Essen darüber reden?« »So'n Hunger hab ich gar nicht«, sagte Beck müde. »Ich glaube, ich hatte das Gefühl, daß es noch nicht zu Ende war... zwischen uns.« Beck legte die Arme um die Beine und faltete die Hände vor den Knien zusammen. »Komisch. Ich hätte drauf geschworen.« Er blickte die Frau neben sich an. Sie sah gut aus. Genauso gut wie vor ein paar Tagen, als sie beide ... »Woher hast du gewußt, daß ich wieder in Los Angeles bin?« fragte er. »Für die Ex-Frau eines Bullen kennst du dich im Dezernats-Dschungel verdammt gut aus.« »Ich arbeite als Rechtshelferin im Büro des Staatsanwalts«, sagte sie mit dem Anflug eines Lächelns. »Ich hab' mich durch die Juristische Fakultät gekämpft. Ich weiß, wie man bestimmte Fragen stellt, ohne sich verdächtig zu machen.« Becks Gesicht zeigte keine Regung. Linda zögerte. Dann fragte sie: »Möchtest du, daß ich gehe?« Beck schwieg. »Himmel«, flüsterte sie. »Ich komme mir blöd vor. Ich hab' gedacht... ich weiß nicht, was ich gedacht habe. Tut mir leid. Ich nehm' die Sachen mit nach Hause.« Sie griff nach der Einkaufstasche. »Vielleicht ein andermal.« Beck nahm ihre Hand und hielt sie fest. »Hör mal, ich bin müde. Abgeschlafft. Schlecht gelaunt. Das kommt hin und wieder bei mir vor. Ich weiß nicht, warum du gekommen bist, das ist alles. Ich kann mich nur noch daran erinnern, daß du von mir verlangt hast, den Mann zu töten, der deinen Verflossenen erschossen hat, und daß ich nein gesagt habe.« »Du hast vor ein paar Tagen mal was gesagt«, murmelte Linda, als Beck ihre Hand losließ. »Daß es sich nicht auszahlt, sich in etwas einzukaufen, bei dem man als Verlierer mehr verliert als man als Gewinner gewinnt, oder so ähnlich. Kannst du dich daran erinnern?« »Wenn's denn stimmt, hab' ich den Spruch wahrscheinlich von irgend jemandem geklaut«, sagte Beck grinsend. »Warum?« »Ich kenne das Gefühl. Und es tut gut, wenn man weiß, daß jemand anders dieses Gefühl ebenfalls kennt.«
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Beck streckte sich auf den Treppenstufen aus. »Und zum Dank dafür kommst du mit Hummer anmarschiert. Und mit Reis, dessen Namen ich nicht mal aussprechen kann.« Linda lachte leise. »Sei nicht so grob zu mir, Detective. Man kann mir momentan zu schnell Angst einjagen.« Beck sah der Frau in die Augen. Eine Woge verschiedenster Gefühle überschwemmte sein Herz. »Warum guckst du mich so an?« fragte Linda. »Weiß ich auch nicht.« Linda lächelte. »Sollen wir zu dir rauf?« »Ich ... ich kann nicht.« »Warum nicht? Hast du den Schlüssel verloren?« Beck lachte leise. »Sollte mich nicht wundern. Ich hab' in letzter Zeit so viel verloren, daß ich aufgehört habe zu zählen.« »Was denn?« »Weihnachten, zum Beispiel. Ich hab' das Weihnachtsfest mal geliebt. Weißt du, was daraus geworden ist? Ein Guerillakrieg zwischen mir und meiner Verflossenen um die Kinder. Einen Burschen einlochen zu müssen, der jemanden anmie-ten wollte, um seine eigene Mutter umlegen zu lassen.« »Und was hast du sonst noch verloren?« »Den gesunden Menschenverstand. Perspektiven. Herz. Seele.« Beck lachte leise. »Hab' ich noch was ausgelassen? Ach ja — Selbstbeherrschung. Weil ich dem falschen Kerl gegenüber zum falschen Zeitpunkt und auf die falsche Art und Weise das Maul aufgerissen habe, kann eine Meute verrückter Killer munter weitermorden. Weil ich über einen Mann gelacht habe, als ich es nicht hätte tun sollen, krieg' ich wahrscheinlich keine Genehmigung, die Stadt wieder zu verlassen, um zu versuchen, diese Irren einzukassieren. Hätte ich doch bloß die Schnauze gehalten. Aber nein. Ich muß natürlich die erstbeste bescheuerte Bemerkung von mir geben, die mir einfällt. Ich hab' gegen die Regeln der Selbstzensur verstoßen. Man wird's mir jetzt sogar schriftlich geben, daß ich ein sehr schmutziges Mundwerk habe.« »Diese Verrückten, von denen du geredet hast. . . die jetzt vielleicht entkommen werden . . . war der Mann, der Garry erschossen hat... war er auch ...?« »Ja, er ist einer von den Kerlen. Und weil ich ein so großes
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Arschloch bin, können der Junge und seine kleinen Kumpels sich zu großen, starken Massenmördern entwickeln .., völlig zu Recht, natürlich.« »Bist du betrunken?« »Nein. Stocknüchtern. Ich bin ein ganz schön armes Schwein, was?« Linda zog die Beine an und legte die Arme darum. »Nein, eigentlich nicht.« Beck erhob sich mit langsamen Bewegungen. »Nett von dir. Komisch. Ich hätte nie gedacht, daß ich heute hier sein würde. Na ja, ich hätte auch nie gedacht, daß ich mal als Geschiedener enden würde. So leben würde wie jetzt. So fühlen wie jetzt.« Linda blickte zu ihm auf. »Was fühlst du denn?« »Das willst du doch gar nicht wissen.« »Doch, will ich.« Beck zögerte. Er starrte Linda an. Sie meinte es ernst. Sie spielte ihm nichts vor. Diesmal nicht. »Manchmal ist es mir egal, ob ich lebe oder abkratze.« Linda schluckte, sagte aber nichts. Beck zuckte die Achseln. »So. Jetzt weißt du's.« Linda stand auf. »Du wirst mich nicht zu dir raufbitten, oder?« »Nein«, sagte Beck und ließ die Schultern sinken. »Nicht diesmal.« »Ein andermal?« »Mal sehen.« Linda nahm ihre Einkaufstasche und ging die Stufen der Eingangstreppe hinunter. Auf dem Gehsteig blieb sie stehen und wandte sich noch einmal um. »Ein letztes Wort noch, Detective«, sagte sie. »Was ich in der Nacht vor ein paar Tagen gesagt habe, hab' ich ernst gemeint. Daß du den Mann, der Gary ermordet hat, töten sollst. Ich hab' dir nur nicht gesagt, warum ich das will. Weil ich ihn sehr geliebt habe, Detective. Weil ich ihn so sehr geliebt habe, und weil er das wußte. Weil er zu jung sterben mußte, und ich nicht. Und frag' nicht warum, aber ich hab' wirklich geglaubt, daß ich dich dazu bringen kann, den Kerl so brutal abzuschlachten, wie er es mit Gary gemacht hat. Verrückt, was?« Becks Gesichtsausdruck wurde sanft. »Nein. Überhaupt nicht verrückt.«
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Linda ging über die Straße zu ihrem Wagen. »Bis zum nächsten Mal, Detective.« Beck winkte ihr zu. »Bis zum nächsten Mal, Linda.« Er ging die Treppe zu seiner Wohnung hinauf, hielt vor der Tür inne, machte kehrt und rannte wieder nach unten. Linda hatte gerade ihre Einkaufstasche verstaut und wollte sich hinters Steuer setzen. »Und noch was!« rief Beck. »Danke für das Angebot, mit mir zu essen. Ich mein's ernst.« Sie stieg ein. »Nichts zu danken!« rief sie zurück und fuhr los. Beck beobachtete mit gemischten Gefühlen, wie sie wegfuhr. Er kannte sie nicht mal richtig, doch in diesem Augenblick fühlte er sich ihr verbundener, als dies jemals bei Gloria der Fall gewesen war. Seine Ehe war eigentlich nur eine permanente Machtprobe gewesen. Mit vielen Streitereien, mit vielen gegenseitigen Vorwürfen, mit viel Heuchelei — und mit sehr wenig Liebe. Was der Grund dafür gewesen war, daß sich seine Ehe in einen Kampf verwandelt hatte, einen Kampf darum, wer der Herr im Hause war. Er, Beck, hatte diesen Kampf nie sonderlich ernst genommen. Und das vor allem hatte Gloria verrückt gemacht. Immer, wenn er damals vom Dienst nach Hause kam, hatte er nichts anderes gewollt, als ein bißchen familiäres Glück. Entspannung. Liebe. Damit die Erinnerungen an das Blut und den Dreck und die übelkeiterregenden Szenen und Bilder, die er fast tagtäglich erlebt hatte, verblaßten — sofern das überhaupt möglich war. Es hatte ihn eigentlich nie gestört, daß Gloria das Sagen hatte. Er hatte sich immer bemüht, ein guter, sanftmütiger Ehemann und Vater zu sein. Sanftmut aber war nicht die Reaktion gewesen, auf die Gloria nur gewartet hatte. Und bald hatten sie sich wegen der nichtigsten Dinge angegiftet. Und hatten dabei ihre Ehe zerstört. Er konnte sich nicht vorstellen, daß er mit Linda jemals so würde kämpfen müssen. Diskutieren, ja. Streiten, ja. Aber kämpfen? Nein. Er verscheuchte diese Gedanken. Er erinnerte sich selbst daran, daß Linda kaum mehr als eine Fremde für ihn war, mit der er geschlafen hatte.
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Beck trottete wieder die Stufen hoch und den Flur zu seiner Wohnungstür entlang. Er schob gerade den Schlüssel ins Schloß, als drinnen das Telefon schrillte. Beck riß die Tür auf, war mit zwei Schritten am Apparat und riß den Hörer von der Gabel. »Beck.« »Hier Captain Waxman, Jerry.« Beck rutschte das Herz in die Hose. »Captain . . . ich kann das alles erklären.« »Wie? Was gibt's denn da noch zu erklären? Holen Sie Ihre Reisespesen ab. Und nehmen Sie diesmal dicke Klamotten mit.« »Wie ... bitte?« »Sie haben den psychologischen Test glänzend bestanden.« »Hä?« »Also, setzen Sie Ihren Hintern in Bewegung. Wir haben schon die Frühmaschine nach Arizona für Sie gebucht.« »Oklahoma«, sagte Beck. Er konnte es nicht fassen. »Nein, warten Sie. Kleinen Moment.« Er zog Burns' markierte Landkarte aus der Jackentasche, »Colorado. Ich muß nach Colorado.« »Wohin auch immer. Viel Glück, Beck. Holen Sie sich diese Bestien.« »Das werd' ich, Captain. Das werd' ich.« Er legte ganz langsam den Hörer auf die Gabel, ließ sich in seinen Lehnstuhl sinken und brach in lautes Gelächter aus. Gottverdammt noch mal. Der gute alte Woody Krantz. Was für ein Bursche. Der Junge hatte nicht nur Sinn für Humor, er hatte wirklich was auf dem Kasten. Beck grinste, schüttelte den Kopf, setzte sich langsam im Lehnstuhl auf und ließ den Blick über das Chaos in seiner Wohnung schweifen. Die Kisten waren noch alle da. Die abblätternde Farbe an den Wänden. Die Wasserflecken. Der altersschwache Fernseher. Das Bett war nicht gemacht. Die Küche war ein Schweinestall. Es war so herrlich. Er hätte allen Grund gehabt, sich wohl zu fühlen. Aber Linda war nicht da.
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Er beugte sich im Lehnstuhl nach vorn, stützte die Ellbogen auf die Knie und das Kinn in die Handflächen. Noch nie im Leben hatte er sich so einsam und allein gefühlt.
21 Beck schlenderte durchs Flughafengebäude von Boulder, Colorado, gekleidet in einen nagelneuen, warmen Parka. Er trug einen Koffer mit sauberer Wäsche und eine Handvoll Hoffnungen bei sich. Durch das Panoramafenster des Terminals sah er große, weiße Kumuluswolken am stahlblauen Himmel. Anders als in anderen Orten, die er besucht hatte, war Boulder ansichtskartenperfekt. Er fühlte sich gelöst und entspannt. Ein großgewachsener schwarzer Cop mit bleistiftdünnem Schnäuzer wartete am Informationsschalter auf ihn. Der Mann war schlank, aber muskulös. Er schoß einen Blick auf Beck ab, der fast so kalt war wie die Luft draußen. »Jerry Beck?« fragte er. Beck nickte und sah sich um. »Wo ist Chief Dixon?« Der farbige Cop schob seinen Stetson zurück. »Sie stehen vor ihm.« Beck grinste. »Im Ernst?« Dixon grinste zurück. »Im Ernst.« »Möchten Sie mir helfen, ein paar schlimme Jungs zu fangen?« fragte Beck. »Die sind noch schlimmer als das Leben selbst. Kommen Sie, mein Wagen steht draußen.« Beck und Dixon verließen das Flughafengebäude und gingen zum schwarzweißen Streifenwagen des Chiefs hinüber. Ihre Schuhsohlen hinterließen eine jungfräuliche Fährte im frisch gefallenen Schnee. Dixon fuhr mit seinem Besucher vom Gelände des Flughafens, und schon erstaunlich kurze Zeit später fand Beck sich in einer wildromantischen Land-
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schaft mit eisbedeckten Feldern und schneegekrönten Bergen am Horizont wieder. »Man hat Sie also schon darüber informiert, hinter wem wir her sind?« fragte Beck schließlich. »Ich weiß bis jetzt nur, daß wir Psychopathen jagen, die sich in der Rolle von Mini-Hitlers gefallen, Beck.« »Nun ja, ich hab' versucht, mein Beweismaterial so gut es ging zurückzuhalten«, sagte Beck und zog Burns' Karte aus der Tasche seines Parka. »Je weniger davon wissen, desto besser.« Er faltete die Karte auseinander, setzte seine ramponierte Lesebrille auf, holte Bobby Burns' Adreßbuch hervor und verglich noch einmal den Namen im Adreßbuch mit dem auf der Karte markierten Punkt in Colorado. »Kennen Sie die Selby-Ranch?« fragte Beck. Dixon grinste zustimmend. »Ich kenne die Ranch — und den Mann.« »Hört sich nicht so an, als wäre er einer Ihrer Busenfreunde.« »Arien Selby ist einer der größten Niggerhasser in dieser Gegend. Ku-Klux-Klan-Aktivist. Wenn man dem ein neues Arschloch transplantiert, stößt das Arschloch ihn ab, nicht umgekehrt. Er wohnt ungefähr eine Autostunde außerhalb der Stadt auf einem Grundstück, das mit Stacheldrahtzäunen abgesichert ist wie ein Militärlager. Hab' mir schon gedacht, daß Sie mal 'nen Blick drauf werfen möchten.« Beck sah auf und stellte fest, daß der Chief einen Militärhubschrauber ansteuerte. Dixon lachte, als er Becks erstauntes Gesicht sah. Beck warf dem Chief einen Seitenblick zu. »Erzählen Sie mir jetzt bloß nicht, daß das hier im Kellman County die Standard-Arbeitsweise ist.« »Normalerweise ist sogar der rote Teppich und die Blaskapelle bei uns Vo rschrift«, sagte Dixon und stoppte. Er grinste. »Im Ernst — ist 'ne Gefälligkeit, die uns die Nationalgarde erweist. Kommen Sie.« Die beiden Männer stiegen aus und eilten zum Helikopter, denn der eisige Winterwind fegte ihnen ins Gesicht. Beck kletterte in den Passagiersitz, während Dixon sich hinter die
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Armaturen hockte. Er legte ein paar Schalter um, der Motor dröhnte auf, die Rotoren begannen zu wirbeln, und dann hob die Maschine mit Röhren und Grollen ab. Beck klammerte sich am Sitz fest und beobachtete, wie der verschneite Boden tiefer und tiefer unter ihm versank. Seine Augen begannen zu tränen. Ausgerechnet heute mußte er stocknüchtern sein. Dixon lachte laut auf. »Sie sind doch nicht etwa nervös, oder?« »Nein, nein«, sagte Beck. »Es ist nur . . . Sie wissen ja, wie das mit dem Fraß ist, den man im Flugzeug vorgesetzt bekommt.« »Mhm.« Dixon lächelte und jagte die Maschine tief über das gebirgige Gelände. Nach ein paar Minuten war Becks Gesicht fast so weiß wie die schneebedeckten Gipfel unter ihm. Dixon stieß ihn an. »Wir sind gleich da!« Der Hubschrauber glitt über eine weit verstreute Ansammlung von Ranchhäusern und Nebengebäuden hinweg. Einige der Gebäude sahen wie Baracken aus. Und eins wirkte von oben aus gesehen wie eine Kirche. Ein großer Corral war zu sehen. Und ungefähr ein Dutzend Fahrzeuge. Dixon machte plötzlich einen verwirrten Eindruck. »Die müssen Gäste haben.« »Worauf Sie einen lassen können«, sagte Beck. »Was, glauben Sie, kann das sein? Eine Art Versammlung?« »Sie sind nahe dran«, rief Beck über das Wummern der Rotorblätter hinweg. »Ich bin auf ein paar Briefe gestoßen, die an Bobby Burns gerichtet waren, als er noch im Knast saß. Ich glaube, das da unten ist ihr weißes Camelot.« »Was?« »Die Hochburg dieser Verrückten«, rief Beck. »Ich glaub', sie haben sich getroffen, um eine Art König zu wählen. Den obersten Führer jedes weißen Rassisten, der alt genug ist, eine Waffe tragen zu können. Sie sind zusammengekommen, um eine einheitliche Struktur ihrer Organisationn zu schaffen. Einen >neuen heiligen Bund<, wie diese Verrückten es nennen.« Dixons Gesicht war ein einziges großes Fragezeichen. »Mann, das ist ja abartig.«
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»Mehr als das«, rief Beck. »Wenn Bobby Burns und seine Meute da unten sind, dann schleppen sie garantiert auch ihr Waffenarsenal mit sich herum. Ich hab' gesehen, wie sie damit die gesamte Polizeistreitmacht einer Kleinstadt pulverisiert haben. Haben wir irgendeine Chance, diese Feuerkraft wettzumachen?« Dixon ließ ein breites Grinsen aufblitzen, »Ich bin Armeemajor der Reserve. Wenn Sie eine Wunschliste haben, reichen Sie sie rüber.« »Heilige Mutter Gottes, hilf!« brüllte Beck, als Dixon den Helikopter in steilem Winkel von der Farm wegzog. Beck schluckte und beobachtete, wie die Gebäude allmählich verschwanden. »Da gibt's noch ein weiteres Problem, Chief.« »Großartig.« »Wir brauchen gute Männer zur Unterstützung. Zuverlässige Männer, von denen keiner auf die Idee kommt, diese Burschen da unten anzurufen und zu warnen. Das ist in Oklahoma schon mal passiert. Wenn's hier auch passieren sollte, könnte es verdammt blutig werden. Die können uns in Fetzen schießen.« Dixon nickte gedankenversunken. Dann erschien ein Lächeln auf seinem Gesicht. »Ich glaube, ich kann Ihnen garantieren, daß das nicht passiert.« »Da fällt mir ein Stein vom Herzen«, keuchte Beck und rief dann schrill: »Werden wir gegen diesen Berg da fliegen?« »Welchen Berg?« fragte Dixon. Beck biß sich auf die Unterlippe, als die Kufen des Hubschraubers fast die Hügelkuppe streiften. »Kleiner Scherz«, sagte Dixon. »Das wußte ich selbst«, erwiderte Beck und versuchte, sein Frühstück im Magen zu behalten. »Ich bring' Sie dann gleich zu Ihrem Hotel«, sagte Dixon. »Zu Mittag essen wir bei mir zu Hause, okay?« »Mittagessen?« murmelte Beck. Es hörte sich an, als würde er von Zyankali sprechen. »Ja, ja, ja«, rief er dann, als der Helikopter plötzlich absackte. »Okay.« Die Maschine verschwand in einer tiefhängenden Dunstwolke. »Sind wir gleich da?« fragte Beck schrill. Er spürte, wie der Hubschrauber auf und nieder ruckte und
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schlingerte. Dann ging ein leichter Schlag durch die Maschine. Das Geräusch der Rotorblätter wurde immer leiser. »Was ist passiert!« rief Beck. »Was ist denn los, gottverdammt?« »Wir sind gelandet«, erwiderte Dixon. »Sie können jetzt Ihre Augen wieder aufmachen.« Beck merkte erst jetzt, daß er in den letzten paar Minuten die Augen geschlossen und den Sitz so hart umkrampft hatte, daß die Handknöchel weiß hervortraten. Sein Gesicht wurde puterrot, und er grinste verlegen. »Wissen Sie, ich bin mehr fürs Ballonfliegen.« Dixon schwang sich grinsend aus der Kanzel. »Man sieht's.« Eine halbe Stunde später hockte Beck gemütlich auf dem Bett in seinem Hotelzimmer im Holiday Inn. Er schaute sich mit müden Augen eine Talk-Show im Fernsehen an. Dom DeLuise wurde von einer albernen Blondine interviewt, die sich verzweifelt bemühte, einen höchst interessierten Eindruck zu machen, wenn DeLuise eine seiner Schlafmittel-Antworten von sich gab. Beck sah sich den Schauspieler an. Er sah wie das Modell für einen Rand-McNally-Globus aus. Beck ließ sich zurück aufs Bett fallen und schloß die Augen. Innerhalb einer Minute war er eingeschlafen. Und gefangen in einem Traum. Einem Traum, dem er gern entkommen wäre. Seine Kinder stehen im Türeingang seiner Wohnung. Seiner einstigen Wohnung. Sie weinen, strecken die Hände nach ihm aus. Er rennt auf sie zu. Doch plötzlich spürt er etwas Kaltes, Rundes in seinem Nacken. Bobby Burns ist wieder da. Er spürt, wie er zurückgerissen wird, weg von seinen Kindern. Wagen umkreisen mit kreischenden Reifen das Haus wie Indianer eine Wagenburg. Weiter und weiter wird er davongezerrt. Die Mündung ist noch immer in seinen Nacken gepreßt. Er fühlt sich wie gelähmt. Er kann nicht einmal die Beine bewegen. Obwohl er fliehen möchte. Weg von Burns. Raus aus dem Traum. Er spürt, wie er herumgerissen wird. Gary Kimble kommt
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auf ihn zu. Ein häßliches Bersten und Knacken ertönt. Gary Kimbles Gesicht wird vor Becks Augen zerfetzt. Linda steht hinter Gary, in Schwarz gekleidet, und zeigt mit einer blutverschmierten Hand auf Beck. Und dann auf den Boden. Die Mexikaner aus dem El Coyote liegen dort, direkt vor ihm, ihre Körper zerfleischt von großkalibrigen Geschossen aus automatischen Waffen. Die Szene ist genau so, wie er sie im Dienstbuch des Polizeichiefs von Cottonwood nachgelesen hat, drüben in Arizona... nur sieht er jetzt jedes Detail in grausamer Deutlichkeit. Burns packt ihn wieder, zerrt ihn weiter zurück — bis zu jener gespenstischen Kirche in Oklahoma. Beck starrt den Kirchturm hinauf. Der Kreis. Das Kreuz. Die Blitze. Das Emblem beginnt zu glühen. Die Blitze erwachen grell zukkend zum Leben. Es knistert und brutzelt, als würden Hochspannungsleitungen verschmoren. Die Blitze rasen genau auf ihn zu. Er kann sich nicht bewegen. Er spürt schmerzhaft den Druck von Bobbys Waffe im Nacken. Er hat keine Chance. Er riecht verbranntes Fleisch, als die Blitze ihn treffen. Und plötzlich ist nur noch Licht um ihn herum ... ... er reißt die Augen auf. Die klare Wintersonne schien durchs Fenster seines Hotelzimmers im Holiday Inn in Boulder, Colorado, genau in sein Gesicht. Er setzte sich auf, atmete tief durch. O Mann. Woody Krantz hätte an diesem Traum seine helle Freude gehabt. Er bemerkte erst jetzt, daß er schweißgebadet war. Er schwang sich aus dem Bett und taumelte ins Badezimmer. Er hatte heute morgen zuviel von dem Fraß im Flugzeug in sich reingestopft. Darum dieser Alptraum. Ja, klar.
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22 Chief Dixon wohnte in einem gepflegten, rustikalen Einfamilienhaus am Stadtrand von Boulder. Er stand an der Tür, um Beck zu begrüßen, als das Taxi vor der Auffahrt hielt. Beck zahlte, stieg aus und warf einen kurzen Blick auf die gartenzwerggroße Figur vom Nikolaus mit Rentieren und Schlitten, die im verschneiten Vorgarten vor einem großen, reich geschmückten Weihnachtsbaum stand. »Ich habe eine Überraschung für Sie«, sagte Dixon, nachdem sich die Männer die Hände geschüttelt hatte. »Unsere Armee ist da.« Er führte Beck ins Wohnzimmer. »Mr. Beck, darf ich Ihnen acht der feinsten Kerle aus dem Kellman County vorstellen? Gentlemen«, sagte er an die acht Officers gewandt, »das ist Jerry Beck.« Beck grinste von einem Ohr zum anderen. Die acht Männer nickten ihm zu. Fünf waren Farbige, drei waren Latinos. Dixon zeigte stolz mit dem Zeigefinger auf die Männer. »Keiner von den Jungs ist Klan-Mitglied.« »Ungemein beruhigend.« Ein kleiner Junge kam ins Wohnzimmer geschlendert und hielt ein großes, kompliziert aussehendes, buntes Spielzeug in den Händen. »Und das«, sagte Dixon, »ist mein Sohn Arnie. Sag >hi<, Arnie.« Der Kleine blickte zu Beck auf, legte das Spielzeug auf den Boden und schüttelte Beck die Hand, als würde er einen Pumpenschwengel bedienen. »Haaa-lo.« Dixon strahlte. »Ein höflicher Junge, finden Sie nicht auch?« »Sehr höflich«, sagte Beck und starrte das Spielzeug an. »Okay, Sohnemann. Jetzt muß Daddy aber arbeiten.« Dixon nahm den Kleinen bei der Hand und führte ihn aus dem Zimmer, während die acht Officers wieder auf ihren Stühlen Platz nahmen, die um einen Couchtisch aus Zedernholz gruppiert waren, auf dem eine topographische Karte
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der Gegend um Boulder lag. Als Dixon ins Wohzimmer zurückkam, nahm Beck ihn beiseite. »Das Spielzeug da«, flüsterte Beck, »ist doch ein Anti-Terror-Truck, nicht wahr?« Dixon nickte. »Stimmt.« Becks Stimme wurde noch leiser. »Und Sie haben das Ding selbst zusammengebaut?« »Klar. War ganz einfach. Warum?« »Nur so«, murmelte Beck und nahm auf einem freien Stuhl am Couchtisch Platz. Er hörte, wie auf einer Toilette irgendwo in der Nähe des Wohnzimmers die Wasserspülung ging. Dixon warf Beck einen raschen Blick zu. »Sie müssen ein ziemlich wichtiger Mann sein.« »Wieso?« fragte Beck. »Bei mir ist ein Bursche reingeschneit, der heute nachmittag extra hierher nach Boulder geflogen ist, weil Sie auch hier sind.« Arthur Kressler betrat das Wohnzimmer und kam zu Beck hinüber. »Freut mich, daß Sie es geschafft haben«, sagte der kleine, untersetzte FBI-Mann lächelnd und präsentierte dabei seine Zahnlücke. »Ja, und das habe ich nicht Ihnen zu verdanken«, sagte Beck und erhob sich. »Tut mir leid, wenn ich Sie enttäuschen muß, Kressler, aber der Mackendoktor und ich sind prima miteinander ausgekommen. Sie hätten mal mein Zeugnis sehen sollen.« Er grinste Kressler an, doch der verzog nur das Gesicht und setzte sich ebenfalls an den Tisch. »Was haben Sie denn getan? Seine Frau und Kinder bedroht?« Beck starrte auf den Kleinen hinunter. »Nein. Solche Methoden überlasse ich euch Bundesbullen.« Kressler schoß einen wütenden Blick auf Beck ab. »Ich habe Ihre dummen Sprüche satt, Beck. Was immer an diesen ganzen Sachen dran sein mag — wenn überhaupt was dran ist —, ich kriege Ihre Beweisstücke. Ob Sieg oder Niederlage oder Remis — ich kriege Ihre Beweisstücke!« »Ach, ja?« Die im Zimmer versammelten Cops warfen sich unbehagliche Blicke zu.
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Dixon blickte stirnrunzelnd zwischen Beck und Kressler hin und her. »Wie ich sehe, kennen die Herren sich bereits. Gut. Wenn Sie beide sich zu Ende gestritten haben, können wir uns dann unseren Problemen zuwenden?« Beck und Kressler warfen sich weiterhin giftige Blicke zu, schwiegen aber. Dixon beugte sich seufzend über die Karte. »Also. Zunächst ist zu beachten, daß die meisten dieser Burschen paramilitärisch organisiert sind. Das bedeutet, daß sie wahrscheinlich morgen um Sechs-Null-Null einen Wachwechsel vornehmen.« »Das bedeutet sechs Uhr früh, Kressler«, sagte Beck mit Unschuldsmiene. Dixon verzog das Gesicht. »Okay. Also müssen wir versuchen, bis spätestens Fünd-Fünfundvierzig unsere Stellungen bezogen zu haben. Die Kerle sind uns überlegen, was Bewaffnung und Mannschaftsstärke betrifft. Dafür ist das Überraschungsmoment auf unserer Seite. Wir müssen uns also heute abend noch überlegen, was wir unternehmen können, und werden uns anschließend noch etwas aufs Ohr legen.« Beck. starrte auf die Landkarte. »Mr. Inside, Mr. Outside«, murmelte er. »Was?« fragte Dixon. »Es gibt keine Möglichkeit, die Ranch im Sturm zu nehmen, es sei denn, jemand der hier Anwesenden hat feste Selbstmordabsichten, was ich in einem speziellen Falle nach besten Kräften unterstützen würde.« Alle im Zimmer versammelten Männer kicherten, mit Ausnahme Kresslers. Beck starrte weiter auf die Karte. »Aber mal angenommen, wir könnten diese Verrückten einkeilen...« Dixon ahnte, worauf Beck hinauswollte, und die Idee gefiel ihm. »Sie in die Zange nehmen.« Beck nickte. »Sie überrumpeln.« »Sie überrumpeln«, sagte Dixon und nickte ebenfalls.
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Es war noch dunkel, als Dixons Männer die letzten automatischen Waffen und Proviantstücke, die in der Garage des Chiefs gelagert gewesen waren, in den sechsten und letzten der geländegängigen, allradgetriebenen Jeeps verluden. Dann schwangen die Männer sich in die Wagen und fuhren los. Dixon und Beck übernahmen die Spitze. Beck hielt den >Anti-Terror-Truck< in der Hand und beäugte das unförmige Spielzeug von allen Seiten. »Und Sie haben das Ding selbst zusammengebaut?« murmelte er. Dixon seufzte. Er behielt aufmerksam die Straße im Auge, warf aber hin und wieder einen Blick zu Beck hinüber, der sich vergeblich bemühte zu kapieren, wie jemand es schaffen konnte, dieses Monstrum zu montieren. »Sie müssen mit Teil B anfangen. Nach oben drehen und dann das vordere Fahrwerk, Teil E, zusammenbauen und in Teil F einsetzen. Teil E dann mit dem hinteren Aufbau, Teil L, durch Teil S verbinden. Ganz einfach. — Na, kapiert?« Beck hob die Brauen und fummelte an dem komplizierten Ding herum. »Ich glaub' schon. Kann sein. Ich werd' mich aber nicht mehr an jede Einzelheit erinnern können. Ich fürchte, mein Junge wird mit leeren Kartons aufwachsen müssen, in denen Spielzeuge waren, die sein Alter nicht zusammensetzen konnte.« »Die meisten Kinder machen das irgendwann schon selbst«, meinte Dixon lächelnd. Beck legte sich das Spielzeug in den Schoß und starrte darauf hinunter. »Ja, wahrscheinlich. Hoffentlich.« Ein paar Minuten schwiegen die beiden Männer. Becks Gedanken schweiften ab. Zurück zu vergangenen, schöneren Weihnachtsfeiertagen. Er und seine Kinder, wie sie am Pier von Santa Monica Karussell fuhren. Wie sie Nikolaus im dortigen Einkaufszentrum besuchten. Wie er und Gloria Geschenkpakete ins Haus schmuggelten und sie ganz weit hinten in den Wandschränken versteckten, wo die Kinder sie nicht finden konnten, und wie sie die Geschenke dann am Heiligabend wieder hervorholten und sich fast die ganze Nacht um die Ohren schlugen, um alles bis Anbrach des folgenden Tages fertig zu haben.
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Tagesanbruch. Er blinzelte aus dem Seitenfenster. Dunkelheit. Er starrte auf seine Hände. Sie zitterten. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. Was, zum Teufel, war eigentlich mit ihm los? Ihm wurde abwechselnd heiß und kalt. Krämpfe durchzuckten seinen Magen. Seit zwei Tagen hatte er keinen Drink mehr angerührt. War es das? Das war's. Er war nüchtern. Sein Körper war nicht daran gewöhnt, nüchtern zu sein. Was, in Gottes Namen, tat er sich hier eigentlich an? »Was haben Sie denn, Beck?« fragte Dixon. »Bitte? Ach so, nichts. Ich hab' nur nachgedacht.« »Aber warum werde ich das verdammte Gefühl nicht los, daß Sie an irgendwas herumzuknabbern haben?« Beck zuckte die Achseln. »Sie werden's mir schon sagen.« Dixons Gesicht verhärtete sich. »Ich konnte irgendwie spüren, daß Sie . . . nun ja. Probleme haben. Und das hat mir Kummer gemacht. Darum hab' ich . . . ein paar Anrufe gemacht.« Becks Gesicht versteinerte. »Verdammte Scheiße.« Er starrte hinaus auf die im Licht der Scheinwerfer vorüberhuschende Waldlandschaft. Alles Scheiße. »Ich möchte immer gern wissen, mit wem ich zusammenarbeite, Beck. Auf mich warten Frau und Kind. Und so ist es auch bei vier von meinen Jungs. Ich will nach Feierabend mit heiler Haut nach Hause kommen. Alle wollen das.« Beck kochte innerlich vor Wut. »Sie können in Los Angeles anrufen. Sie können überall anrufen, wo's ein Telefon gibt. Aber das ist Scheißdreck, und Sie wissen es. Was meine Person betrifft, gibt es nur eine Frage, die zählt: Gibt's einen Grund dafür, Angst davor zu haben, mit mir zusammenzuarbeiten? Sich auf mich verlassen zu müssen? Sie kennen wohl schon die Antwort, sonst hätten Sie sich ja erst gar nicht auf diese Sache eingelassen, oder?« »Ich wollte, es wäre so einfach«, erwiderte Dixon. »Es ist so einfach«, sagte Beck und lachte gequält. »Das ist ja das Großartige an diesem Job, Chief. Man kann es auf einen einfachen Nenner bringen: überleben oder abkratzen.«
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Becks Lachen war so rauh, daß es sogar in seinen eigenen Ohren schmerzte. Er wußte nicht warum, aber er war sehr, sehr wütend. Und verletzt. Doch er mußte sich zusammennehmen. Für solche Gefühle war keine Zeit und kein Platz. Jetzt nicht. Nicht so dicht vor dem Ziel. Mühsam kämpfte er seinen Zorn nieder. Er ballte die Fäuste und blickte starr aus dem Fenster. Es war ihm in diesem Moment egal, ob er überlebte oder starb — solange nur dieser gottverdammte Fall zu Ende geführt wurde. Dixon warf einen raschen, besorgten Blick auf Beck, zuckte die Achseln und führte die Karawane tiefer in die Nacht. . . und näher an Bobby Burns und dessen kleine Armee heran.
23 Am Horizont schimmerte der erste Lichtstreifen des neuen Morgens, als die sechs Jeeps über eine ausgefahrene, holprige Pflasterstraße rumpelten. Sie erreichten schließlich einen einsamen, abgeschiedenen Punkt, an dem sich diese Straße gabelte. Ein steiler, schmaler Pfad schlängelte sich hinauf in die Hügel, während der gepflasterte Abzweig hinunter zur Selby-Ranch verlief. Dixon lenkte seinen Jeep, der noch immer die Spitze der Kolonne bildete, an den Straßenrand. Der Schnee knirschte unter den breiten Reifen. Hinter ihm hielten die anderen Fahrzeuge in einer Reihe. Ein Cop namens Franklin kam nach vorn zu Beck und Dixon. »Läuft alles wie abgesprochen? Sind alle startklar?« fragte der Chief. Franklin nickte nur und schwang sich auf den Rücksitz von Dixons Jeep. Der Chief öffnete die Fahrertür, beugte sich hinaus und blickte nach hinten auf Kressler und die anderen Männer. »Also dann, viel Glück, Jungs!« rief er und winkte ihnen kurz zu. Die fünf Jeeps setzten sich wieder in Bewegung und fuhren rumpelnd und schwankend die gepflasterte Straße zur SelbyRanch hinunter. Dixon, Beck und Franklin schwenkten
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auf die steile Abzweigung in die Hügel ein. Die Räder des Jeeps wühlten sich den Pfad hinauf, schleuderten Eissplitter und Schneefontänen in einem weiten Bogen in die kalte, klare Luft. Dixon lenkte das Allradfahrzeug sicher bis ans Ende des Pfades und parkte es dort geschützt unter hohen, verschneiten Bäumen. Schweigend packten der Chief, Beck und Frank-lin ihre mit Werkzeugen und anderen Ausrüstungsgegenständen gefüllten Rucksäcke aus dem Wagen. Die drei Männer legten sich die Tragegurte ihrer automatischen Waffen um die Schultern und machten sich im Gä nsemarsch auf den Weg durch die dichtbewaldete Hügellandschaft in Richtung Ranch. Beck führte die Gruppe. Er kämpfte gegen immer neue Magenkrämpfe und den schneidend kalten Morgenwind an, der auf seiner Haut brannte und den Schweiß so schnell trocknen ließ, wie er aus den Poren trat. Beck hoffte inständig, daß Kressler keinen Mist baute. Er warf einen raschen Blick auf die Armbanduhr. Wenn Kressler im Zeitplan geblieben war, mußte er ungefähr jetzt die Männer zu einem bestimmten Punkt an der gepflasterten Zufahrtsstraße geführt und sie bewaffnet haben. Becks Beine schienen aus Gummi zu bestehen. Er hatte das zuerst als natürliche Reaktion auf die Anspannung betrachtet. Aber er wußte: daran lag es nicht. Es lag an der Sauferei. Ihm wurde klar, wie sehr er es in den letzten Jahren mit dem Trinken übertrieben hatte. Die Bäume um ihn herum verschwammen zu einem einzigen, großen dunklen Schattengebilde. Sein Atem ging rasselnd. Sein Herz hämmerte schmerzhaft gegen die Rippen. Endlich wühlte er sich einen letzten steilen Hügel hinauf und legte sich oben auf dem Kamm flach zu Boden. Dixon und Franklin taten es ihm gleich. Beck schnallte den Rucksack ab, zog ein Nachtglas heraus und blickte auf das am Fuß des Hügels liegende Gelände der Selby-Ranch hinunter. Er nickte grimmig und reichte das Glas an Dixon weiter. Auch Dixon spähte hindurch. Er pfiff leise durch die Zähne. Das Gelände war noch sehr viel größer, als es bei ihrem Hubschrauberflug aus der Luft ausgesehen hatte. Rege Aktivität
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herrschte dort unten. Mehr als ein Dutzend verschiedener vierradgetriebener Fahrzeuge sowie einige Kombis ohne Nummernschilder standen auf dem großen freien Platz in der Mitte des Geländes. Das Grundstück wurde durch eine Batterie starker Flutlichtlampen hell ausgeleuchtet und war von einem hohen, mit Maschendraht verstärkten Stacheldrahtzaun umgeben. Im Abstand von etwa hundert Metern ragten hölzerne Wachtürme auf. Ein halbes Dutzend Posten, mit automatischen Sturmgewehren bewaffnet, waren auf Patrouille. Sie sahen zwar nicht gerade wie Elitesoldaten aus, aber sie machten einen wachen, bissigen Eindruck, wie Hunde, die einen Schrottplatz bewachten. Vermutlich waren sie auch nicht sehr viel intelligenter. Auf dem Giebel des Hauptgebäudes befand sich ein großes schmiedeeisernes Symbol. Der altbekannte Kreis mit Kreuz und Blitzen. »Was, zum Teufel, ist das denn für ein Gebilde?« flüsterte Dixon und gab das Nachtglas an Franklin weiter. »Das Symbol der Arischen Nationalkirche Christi«, gab Beck ebenso leise zurück. »Ich kann mich nicht daran erinnern, auf der Bibelschule gelernt zu haben, daß Jesus schwer bewaffnet war«, sagte Dixon. »Dann haben Sie wahrscheinlich das falsche Testament gelesen«, raunte Beck und kämpfte gegen einen weiteren heftigen Magenkrampf an. Stöhnend zog er das Army -Funksprechgerät aus dem Rucksack. »Redneck One«, sagte er leise ins Gerät, »hier Redneck One. Rufe Redneck Two. Können Sie mich verstehen? Over.« Kresslers Stimme quäkte aus dem Lautsprecher. »Hier Redneck Two. Verstehen Sie gut. Haben Sie Ihre Position bezogen? Over.« »Wir hocken genau über der Ranch«, erwiderte Beck. »Sieht so aus, als wäre die Bude da unten gerammelt voll. Sechs Wachposten mit automatischen Gewehren. Wir haben noch etwa zwanzig Minuten bis zum Wachwechsel. Bringen Sie Ihre Männer in Stellung. Over und Ende.« Beck schob das Gerät zurück in den Rucksack, ließ sich von
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Franklin das Nachtglas geben und spähte ein letztes Mal hindurch. »Diesmal ist die Überraschung auf meiner Seite, Bobby«, murmelte er. »Was?« fragte Dixon. »Ich hab' nur mit mir selbst geredet«, erwiderte Beck achselzuckend und reichte Dixon das Nachtglas. »Ich leiste mir am liebsten selbst Gesellschaft.« Über den entfernten Bergen ging die Sonne auf und warf lange Schatten über das Gelände der Selby-Ranch. Beck zog jetzt einen normalen Feldstecher aus dem Rucksack und setzte ihn an die Augen. »Aha. Es geht los«, sagte er. Auch Dixon und Franklin hatten ihre Feldstecher hervorgeholt und spähten zur Ranch hinunter. Ein Mann war aus dem Hauptgebäude gekommen, schlenderte zur Kirche hinüber, die im Zentrum der Gebäudeansammlung lag, und verschwand darin. Beck warf einen raschen Blick auf die Uhr. Er zog das Funkgerät wieder hervor und hielt es dicht vor die Lippen. »Redneck One, hier Redneck Two. Macht euch startklar, Jungs. Es ist gleich soweit.« Er verstaute Feldstecher und Funkgerät wieder im Rucksack, schnallte ihn sich um, erhob sich und winkte Franklin und Dixon. »Wie war's mit einem Spaziergang, Gentlemen?« sagte er und begann in geduckter Haltung den Abstieg über den steilen Hügelhang. Dixon schüttelte grinsend den Kopf und folgte Beck. Franklin bildete den Schluß. Das Trio bewegte sich vorsichtig und in Schlangenlinien den Hügel hinunter. Die Männer versuchten, so leise wie möglich zu sein und nutzten immer wieder Bäume und Sträucher als Deckung. Unter ihnen näherten sich jetzt Kressler und seine Männer in ihren Jeeps auf der gepflasterten Zufahrtsstraße dem Grundstück. Vier Officers sprangen ab. Zwei rannten nach rechts von der Straße in Deckung, zwei nach links. Beck, Dixon und Franklin hatten inzwischen den Fuß des Hügels erreicht, wo sich der hohe Stacheldrahtzaun erstreckte. Während Beck und Dixon nervös und wachsam die
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Umgebung im Auge behielten und sicherten, zog Franklin eine Drahtschere aus dem Rucksack und begann, die Stränge des Zauns durchzutrennen. Wieder warf Beck einen raschen Blick auf die Uhr. Er hoffte, daß die vier Officers, die von den Jeeps abgesprungen waren, inzwischen ihre Stellungen bezogen hatten. Der geringste Fehler, die kleinste Zeitabweichung konnte die elf Männer Kopf und Kragen kosten. Franklin durchtrennte Strang um Strang. Sein Atem ging keuchend. »Der Scheißdraht ist viel härter, als ich dachte«, stieß er hervor. »Mann, ich würde ihn durchbeißen, wenn ich in Form wäre«, zischte Beck. »Mach voran.« »Yessir«, keuchte Franklin. Wertvolle Sekunden verstrichen. Dann endlich hatte er es geschafft, ein fast mannshohes Loch in den mit Maschendraht verstärkten Stacheldrahtzaun zu schneiden. Beck beobachtete, wie zwei der Wachposten neben der Kirche verschwanden, wo sich offenbar eine Art Küche befand. Die beiden Männer, die die Posten auf Patrouille ablösen sollten, standen vor der Eingangstür der Kirche und tranken Kaffee. Jetzt, mit zunehmender Helligkeit, erlosch urplötzlich das grelle Flutlicht. »Gott sei Dank«, seufzte Beck und hob das Funkgerät an die Lippen. »Los, Männer.« Beck, Dixon und Franklin krochen durch die Öffnung im Zaun und gelangten unbemerkt hinter eine der hölzernen Baracken in Deckung. Ihre Herzen schlugen bis zum Hals, ihr Atem ging rasselnd. »Gut«, keuchte Beck. »Franklin, Sie versuchen, hinter das Hauptgebäude zu kommen. Dixon und ich werden die Kirche besuchen.« »Okay.« Franklin huschte geduckt in Richtung Hauptgebäude davon. Dixon und Beck beobachteten gespannt sein Vorrücken und warteten, bis er im trüben Licht des anbrechenden Tages unbemerkt sein Ziel erreicht hatte; dann rannten sie los in Richtung Kirche und nutzten jede Deckung, die sich ihnen bot. Eis und Schnee erschwerten ein schnelles Vorwärtskommen, besonders für Beck. Er hatte im Alter von
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zwölf Jahren zum letzten Mal Schnee gesehen. Südkalifornien ist als Wintersportgebiet nicht gerade berühmt. Sehr schnell — zu schnell — wurde es jetzt hell über der Selby-Ranch. Beck brach der kalte Schweiß aus. Er und Dixon konnten ihre Stellung neben der Kirche erst dann beziehen, wenn die beiden Posten sich auf den Weg gemacht hatten, sonst waren sie sehr schnell totes Fleisch. Doch noch immer wehten vom Eingang der Kirche Wortfetzen zu ihnen herüber, als Beck und Dixon sich hinter einem Stapel Feuerholz zu Boden fallen ließen. »Scheiße, wir sitzen fest«, keuchte Dixon. »Na, klar, wunderbar.« »Sieht verdammt so aus«, raunte Beck. »Die beiden Typen da vorn trödeln ganz schön rum, zum Teufel.« Die beiden Wachtposten tranken noch immer Kaffee, rissen dämliche Witze, lachten und schlugen sich gegenseitig freundschaftlich auf die Schultern. »Wenn die Penner uns das nächste Mal den Rücken zudrehen, stürmen wir auf kürzestem Weg in Richtung Kirchentreppe und versuchen, unter die Stufen zu kommen, sonst ist alles im Eimer. Okay?« sagte Beck und hätte fast gehustet, denn die kalte Luft spielte inzwischen Akkordeon mit seinen Lungenflügeln. »Wenn Sie meinen . . .«, erwiderte Dixon nicht gerade begeistert. In diesem Augenblick wandten sich die beiden Posten von Beck und Dixon ab, öffneten die Tür, traten in die Kirche und unterhielten sich mit Kumpanen, die sich, für die beiden Cops unsichtbar, im Innern des Gebäudes aufhielten. »Los!« zischte Beck, war mit ein paar Sätzen an der Treppe und warf sich darunter. Dixon folgte ihm Augenblicke später. Kaum waren die beiden Männer unter der Treppe verschwunden, als die Wachposten auch schon wieder auftauchten. Das war knapp gewesen. Verdammt knapp. »Komm, laß knacken, Kamerad«, sagte eine rauhe Stimme über ihnen. »Nur keine Panik, Red«, erwiderte jemand mit unangenehmer Fistelstimme. Schritte auf dem Treppenabsatz.
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»He, Red«, sagte die Fistelstimme. »Hast du schon gewußt, das sich Judenweiber beim Sex gern unterhalten?« »Nee. Echt?« »Ja. Eine hat mich neulich abends angerufen. Haaahaha.« »Uuuhaha.« Beck und Dixon machten sich unter der Treppe so klein wie möglich und drückten sich eng an die Wand, als die beiden Wachposten die knarrenden Stufen herabstiegen. »Und weißt du auch«, kicherte die Fistelstimme, »warum so viele Nigger in Vietnam den Arsch zugekniffen haben?« »Nee.« »Weil sie immer, wenn ihr Sergeant gerufen hat: >Fallen lassen <, ihre Knarren weggeschmissen haben.« »Hahaha.« »Ha — ha. Mieses Abott und-Costello-Material«, murmelte Beck. »Ich hab' die beiden auch nicht leiden können«, raunte Dixon. Beck stieß den Chief an und wies mit dem Kopf auf das große, stählerne Eingangstor. »Ich weiß, daß wir hier ganz schön im Dreck sitzen«, flüsterte er, »aber gucken Sie sich das mal an.« Von ihrem günstigen Beobachtungspunkt aus konnten Beck und Dixon sehen, wie Kressler und seine Gruppe mit den Jeeps bis vors Eingangstor fuhren und dort hielten. »Was ist denn das für eine Scheiße!« rief einer der beiden Wachposten. Kressler schwang sich aus dem Jeep. Sein gedrungener Körper war in einen Tarnanzug gehüllt. Er sah aus wie Rambos kleiner, verwachsener Bruder. Er setzte ein Megaphon an die Lippen. »Hier spricht das FBI«, dröhnte seine Stimme über das Gelände. »Ich habe einen Haftbefehl. Öffnen Sie das Tor.« »Der Mann ist nicht gerade feinfühlig«, sagte Dixon und schluckte schwer. Beck verdrehte sie Augen und wartete darauf, daß jeden Moment die Hölle losbrach. Er brauchte nicht mehr lange zu warten.
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24 Arthur Kressler stand wie ein Pinguin mit stolz geschwellter Brust vor dem schweren, massiven Stahltor. Die Flüstertüte verdeckte fast völlig sein Babyface. »Hier ist das FBI«, wiederholte er. »Ich habe einen Haftbefehl gegen Robert Bobby Burns und drei weitere namentlich nicht bekannte Personen.« Kressler beobachtete, wie sich drei Wachtposten mit gesenkten Waffen dem Tor näherten. Die drei Officers, die hinter Kressler standen, tauschten nervöse Blicke. »Wir haben Grund zu der Annahme«, fuhr Kressler fort, »daß Burns und die drei anderen Gesuchten sich auf diesem Grundstück aufhalten. — Ich wiederhole, hier spricht das FBI!« Zwei weitere Bewaffnete polterten über Beck und Dixon die Treppenstufen der Kirche hinunter. Und dann stürmten gleich zehn Mann, mit automatischen Gewehren bewaffnet, aus einer der Baracken. Sie alle rannten zum Eingangstor hinüber. Die vier Scharfschützen aus Dixons Mannschaft, die vor wenigen Minuten von den Jeeps abgesprungen waren und nun in Büschen und Sträuchern hinter Kressler und den drei Officers in Stellung lagen, brachten die Waffen in Anschlag. Kressler ließ das Megaphon sinken und starrte die mehr als ein Dutzend Männer auf der anderen Seite des Tores mit seinem finstersten Blick an, aber die bis an die Zähne bewaffneten Posten waren von der Macht des FBI offenbar nicht sonderlich beeindruckt. Das zeigte sich schon daran, daß sie verächtlich in den Schnee spuckten und überheblich grinsten. Die drei Officers hinter Kressler hoben ihre Waffen. Kressler stand wie erstarrt vor dem Tor und wartete. Im Hauptgebäude waren fünf junge Frauen gerade eifrig damit beschäftigt gewesen, Fladen zu backen, als Kresslers Stimme aus dem Megaphon übers Gelände hallte. Ein kleiner Junge, der auf einem Schaukelpferd hockte, erstarrte.
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»Was, um alles in der Welt, hat das denn zu bedeuten?« rief eine junge blonde Frau aus. Im gleichen Augenblick flog die Tür aus den Angeln. Officer Franklin stürzte ins Zimmer, das Gewehr im Anschlag. »Polizei!« rief er. »Keine Bewegung ... Ladies.« Der kleine Junge fing wieder an zu schaukeln und blickte zu dem farbigen Cop auf. »Hau ab, Niggerschwein«, sagte er und grinste schmierig. Franklin grinste zurück. Es kostete ziemliche Überwindung, dem kleinen blonden Bastard nicht den dämlichen Schädel von den Schultern zu reißen und nach draußen in den Schnee zu werfen. Die Eingangstür der Kirche wurde mit plötzlicher, wilder Wucht nach innen geschmettert. Beck und Dixon stürmten mit vorgehaltenen Waffen ins Gebäude. »Polizei! Keine Bewegung!« brüllte Beck. Er und Dixon tauschten einen raschen, verblüfften Blick, als sie sahen, wie diese >Kirche< eingerichtet war. Der Innenraum war lang und rechteckig. Auf einer erhöhten Plattform befand sich eine Kanzel. Am entfernten Ende des Kircheninnern stand ein äußerst seltsamer Altar, über dem anstelle eines Kreuzes der Beck nun sattsam bekannte Kreis mit dem von zwei Blitzen durchschnittenen Kreuz in seinem Innern hing. Rechts und links davon hingen eine große Naziflagge und die Fahne der Aryan-Bruderschaft. Ein Dutzend Männer waren um einen langen Konferenztisch aus Mahagoni versammelt. Sie waren mitten in ihren Bewegungen erstarrt, als Beck und Dixon mit den Waffen im Anschlag hereingestürmt waren. Beck bemerkte, wie sich ein junger Bursche aus einer Seitentür davonschleichen wollte. Mit drei, vier schnellen Schritten war Beck bei ihm und schlug ihm den Lauf des automatischen Gewehres auf den Schädel. »Tut mir leid, Junior«, sagte er. »Aber die Messe ist noch nicht zu Ende.« Der Junge schlug wie ein Sack Kartoffeln zu Boden. Beck zog einen Vorhang unterhalb der Kanzel zur Seite. Ein mittelgroßes Waffen- und Munitionslager kam zum Vorschein.
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»Oha. Anscheinend habt ihr Burschen noch nie davon gehört, daß den Sanftmütigen die Welt gehört«, sagte er. Dixon hielt die Waffe auf die Männer am Tisch gerichtet, während Beck nun grinsend zum Altar hinüberging. Unter der Naziflagge ragten zwei Beine hervor. »Kuckuck!« rief Beck. »Halleluja!« Reverend Gebhardt kam hinter der Flagge hervor. Er fuhr sich mit der Rechten verlegen durch sein graues Haar und strich sich den Schnäuzer glatt. Dann lächelte er Beck an wie ein Vater seinen verloren geglaubten und auf wundersame Weise wieder heimgekehrten Sohn. »Ich hab' nicht erwartet, Sie hier zu treffen, Reverend«, sagte Beck. »Nun, mit Ihnen habe ich auch nicht gerechnet«, erwiderte Gebhardt im Plauderton. »Gentlemen«, sagte Dixon höflich und wies mit der Mündung seiner Automatik zur Wand. »Darf ich Sie alle bitten, dort Aufstellung zu nehmen?« Der Reverend und das Dutzend Männer gehorchten zähneknirschend und lehnten sich an die Wand, die Arme ausgestreckt. Beck hielt die Meute in Schach, während Dixon einen nach dem anderen nach Waffen filzte. »So sauber, wie man nur sein kann — was Waffen betrifft«, sagte Dixon, als er fertig war. Beck blickte den Reverend an. »Na, schön brav das Evangelium verbreitet?« Gebhardt lächelte gewinnend. »In gewisser Weise.« Eine Gestalt kam aus dem Küchenbereich rechts vom Altar in die Kirche. Beck hob die Waffe. Es war Mrs. Gebhardt. Er ließ den Lauf der Automatik wieder sinken und grinste sie an. »Und Sie haben wohl wieder Ihre preisgekrönten Apfeltaschen gebacken, was?« »Sie sind ein böser und dummer Mensch, Mr. Beck«, sagte die alternde Barbie-Puppe. »Verglichen mit den Ausdrücken, mit denen man mich kürzlich erst belegt hat, is t das fast ein Kompliment, Mrs. Gebhardt«, erwiderte Beck. Er betrat die rustikal eingerichtete kleine Küche. Nichts Besonderes. An der entfernten Wand befand sich eine große
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Tür. Beck ging hinüber und öffnete sie. Es war kein Wandschrank, wie er erwartet hatte. Hinter der Tür führten Stufen in eine kleine Vorratskammer hinunter, die an die Luftschutzkeller erinnerte, die man in den 50er Jahren gebaut hatte. Er knipste das Licht an, ging die sechs Stufen in diesen Minikeller hinunter und ließ seinen Blick über die Regale schweifen. Es war eine Art Speisekammer; die Regale waren vollgestopft mit Lebensmitteln und Getränken. Genug, um eine kleine Armee damit abzufüttern. Beck verließ die Speisekammer, durchquerte die Küche und kehrte in die Kirche zurück. »Erinnert mich an zu Hause«, sagte er lächelnd zu Mrs. Gebhardt. Dixon winkte Beck zu. »Da draußen«, sagte er. Beck spähte durch ein Seitenfenster. Ein weiteres Dutzend bis an die Zähne bewaffneter Männer marschierte in Richtung Tor. Beck trat auf den Reverend zu. Die Mündung seines Gewehrs zeigte genau auf den Magen des Mannes. »Pfeifen Sie Ihre Braunhemden da draußen zurück«, sagte Beck. »Warum sollte ich?« erwiderte Gebhardt. Beck trat hinter Gebhardt und drückte ihm die Gewehrmündung in den Rücken. »Los, gehen Sie zur Tür.« Gebhardt gehorchte. Im Türeingang der Kirche befahl Beck ihm stehenzubleiben. »Ich möchte Ihnen mal was über Wunden erzählen, die Kugeln schlagen, Reverend«, murmelte er. »Über Einschußlöcher und Ausschußlöcher. Nehmen wir zum Beispiel die Kugeln, die in meinem Gewehr stecken. Wenn ich Ihnen eine in den Balg jage, dann ist das Einschußloch klitzeklein. Etwa in der Größe eines Zehncentstücks. Vielleicht auch wie ein Vierteldollar, kommt ja nicht mehr drauf an. Aber das Ausschußloch. Mannomann! Groß wie ein Baseball. Wie ein Basketball sogar.« »Sie würden einem Mann nicht in den Rücken schießen. Das läßt sich mit den ethischen Grundsätzen eines Weißen nicht vereinbaren«, sagte Gebhardt überzeugt. »Bobby Burns ist sehr weiß«, erwiderte Beck lächelnd. »Soll ich Ihnen mal erzählen, auf welche Körperteile er mit Vorliebe schießt? Bei alten Männern, zum Beispiel? Harmlosen Frauen?«
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Er spürte wie der Reverend erschauerte. »Seine Opfer gehörten nicht unserer Rasse an«, sagte Gebhardt. »Einer schon«, flüsterte Beck. »Ein Cop.« »Ich bin sicher, daß der Mann es dann nicht anders verdient hatte. Wahrscheinlich hat er uns bei unserer Arbeit behindert.« »Ja, wir Cops haben einen Hang dazu«, sagte Beck schwer atmend. Er konnte nicht glauben, was er da hörte. »Ich will Ihnen mal was sagen, Sie sogenannter Reverend. Über meine Eltern, sie waren weiß. Und deren Eltern ebenfalls. Aber meine Urgroßeltern? Schändlich. Wissen Sie, meine Urgroßmutter hatte Negerblut in den Adern. Ich schwor's bei Gott. Sie hat auf der Plantage meines Urgroßvaters gearbeitet. Nach dem Bürgerkrieg und der Aufhebung der Sklaverei hat sich Urgroßpapa entschlossen, sie zu heiraten . . . aber Himmel, was tu ich eigentlich? Geb' Ihnen ein langgehütetes Familiengeheimnis preis! Na ja, ich wette, es liegt daran, daß Sie Priester sind und das alles. Ich mußte mir das bloß mal von der Seele reden, glaub' ich.« Er verstärkte den Druck der Waffenmündung. »Aber was ist nun mit der Theorie, daß ein Weißer einem anderen Weißen nicht in den Rücken schießt? Ich fürchte, ich bin nicht blütenweiß. Mehr von der beigefarbenen Sorte. Wenn ich also abdrücke und Ihre beschissenen Eingeweide über den Schnee verspritze, dann werden Sie mir vergeben. Ja, Vater?« Der Reverend stieß ein leises, ächzendes Geräusch aus. »Also«, sagte Beck. »Sagen Sie Ihren Jungs, sie sollen ihre Ballermänner fallenlassen und sich einem Haftbefehl des FBI gegen Bobby Burns und Konsorten fügen.« Gebhardt holte tief Luft. »Männer!« rief er dann seiner am Tor versammelten Meute zu. »Es ist schon in Ordnung. Es ist nichts. Sie sind harmlos. Laßt eure Waffen fallen, und macht das Tor auf.« Die Wachtposten zögerten. »Ich kann euch versichern«, rief Gebhardt, »daß alles in Ordnung ist. Das hier hat gar nichts zu bedeuten. Legt die Waffen ab, und laßt diesen FBI-Mann aufs Grundstück.« Die Wachtposten ließen die Waffen in den Schnee fallen.
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»Sagen Sie ihnen, sie sollen die Kanonen so weit wegtreten, daß sie nicht mehr drankommen.« »Tretet die Waffen in meine Richtung, Männer, und verhaltet euch ruhig. Bleibt stehen, wo ihr seid«, rief Gebherdt. Die Wachtposten murrten, gehorchten aber. »Sehr gut, Reverend«, sagte Beck. »Sie sind ein sehr wortgewaltiger Verkünder des Glaubens. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden. Chief Dixon und ich haben noch was zu erledigen. — Chief?« Dixon wandte sich an die wutschnaubenden Weißen, die in der Kirche versammelt waren. »Ihr seid hübsch artig, okay?« sagte er grinsend und ging zu Beck und dem Reverend hinüber. »Dafür werden Sie in der Hölle schmoren«, flüsterte Gebhardt Beck zu. »So scharf bin ich nun auch nicht darauf, Sie wiederzusehen«, sagte Beck. »Ich werde für 'ne Menge Dummheiten in der Hölle schmoren. Aber das hier bringt mir ein paar Hilfspunkte für Herzensgüte und Anständigkeit ein.« Er ließ den Reverend stehen, verließ die Kirche und ging zum Tor hinüber. Dixon folgte ihm. Sie erreichten das Tor, als gerade drei Jeeps auf das Grundstück fuhren. Kressler, die drei Officers und die vier Scharfschützen sprangen aus dem Wagen. Beck wandte sich an die drei Cops und zeigte auf die versammelte Wachmannschaft. »Jungs, ihr haltet ein wachsames Auge auf die christliche Miliz hier. — Franklin!« rief er dann über die Schulter. »Ich bin hier drin!« drang eine Stimme aus dem Hauptgebäude. »Alles okay.« »So weit, so gut«, sagte Beck zu Dixon. Kressler gefiel es nicht, daß Beck die Befehle erteilte. Er zeigte es auch. Sein Gesicht war fast so rot wie sein Haar, als er sich vor Beck aufbaute. »Nun? Wo ist er?« Er blickte sich um, als würde er damit rechnen, daß Bobby Burns jeden Moment irgendwo aus dem Boden wuchs. »Ich hoffe für Sie, daß er hier ist, Beck.« »Wenn nicht«, sagte Kressler höhnisch und vergaß offenbar seinen Hang zur kultivierten Sprache, »sind Sie gewaltig in den Arsch gekniffen.«
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Er wandte sich an die Scharfschützen. »Also gut, Männer. Sie werden gemeinsam mit Chief Dixon das Grundstück absuchen. Beck? Ich möchte, daß Sie mir zeigen, was Sie gefunden haben.« Kressler wandte sich um und marschierte los. Auf der Mitte des Platzes blieb er stehen und wartete darauf, daß Beck ihm folgte. Die Scharfschützen warfen Beck rasche, verstohlene Blicke zu. Beck zuckte die Achseln und gab ihnen durch Kopfnicken zu verstehen, daß sie Kresslers Anweisungen Folge leisten und das Grundstück absuchen sollten. »Liegt's an mir?« sagte er dann zu Dixon. »Oder leidet der Bursche unter Persönlichkeitskonflikten?« »Er ist im Recht«, meinte Dixon. »Ich weiß, ich weiß«, murmelte Beck, durch dessen Magen plötzlich wieder ein schmerzhafter Krampf zuckte. Fast hätte er sich übergeben müssen. Er versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen. »Fühlen Sie sich nicht wohl?« fragte Dixon. »Doch, doch. Nur mein Magen nicht.« Dixon griff in die Tasche und holte eine weiße Tablette hervor. »Hier. Nehmen Sie das. Ich hab' auch Probleme mit dem Magen. Magengeschwür. Ein Mistding.« Beck schob sich die Tablette in den Mund. Sie schmeckte wie Kreide, aber er fühlte sich fast augenblicklich ein wenig besser. »Also los, Chief«, sagte er, »gehen Sie mit Ihren Leuten. Ich gehe mit der Schießbudenfigur da drüben. Schnappen wir uns diese Geisteskranken.« Dixon zog mit seinen Männern los. Er schickte eine Gruppe ins Haupthaus, eine andere zu den Baracken. Beck ging zur Kirche hinüber — und achtlos am ungeduldig wartenden Kressler vorbei. »Kommen Sie jetzt mit, oder was ist?« fragte Beck über die Schulter. Kressler schnaufte wütend und folgte Beck in die Kirche, wo der Reverend und Mrs. Gebhardt inmitten ihrer zwölf mürrisch dreinblickenden Jünger saßen. Beck grinste, als er sah, wie dem FBI-Mann die Augen aus den Höhlen traten, als er die Gebhards unter den Anwesenden erkannte. »Agent Kressler«, sagte Beck, »Sie erinnern sich gewiß noch an Mr. und Mrs. Gebhardt.«
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»Natürlich!« Kressler nickte den beiden übertrieben höflich zu. »Äh ... freut mich, Sie zu sehen.« Wären die Gebhardts ein mythologisches Duo gewesen, hätten ihre Blicke den kleinen FBI-Mann in Stein verwandelt. Kressler warf einen raschen Blick auf die zwölf gutgekleideten Männer. »Wer sind die anderen?« fragte er Beck. »Na, in Anbetracht dessen, daß dies hier Camelot ist«, erwiderte Beck und führte Kressler zum Tisch, »können das eigentlich nur die Ritter der Tafelrunde sein.« Kressler bedachte ihn mit einem >Lassen-Sie-diese-abfälligen-Bemerkungen<-Blick, den Beck aber ignorierte. Er zeigte auf die Gegenstände, die jeder der Anwesenden vor sich liegen hatte. »Sehen Sie mal hier, Kressler. Da ist zunächst das Standard-Wasserglas für jeden der Herren, wenn sie mal vom >Sieg Heil<-Schreien 'ne heisere Kehle kriegen. Und hier Notizbuch und Bleistift mit den hübschen Insignien der Arischen Nationalkirche Christi, was immer das sein mag. Und das hier — ist es nicht niedlich?« Er beugte sich vor und hob zwei kleine Flaggen hoch. »Jeder dieser Möchtegern-Ritter bekommt die beiden Flaggen. Die amerikanische und diese hier. Na, fällt der Groschen, Kressler? Kreis, Kreuz, Blitze?« Der FBI-Mann sagte nichts. Beck grinste schief. »Ich geb' Ihnen einen Tip. Das Abzeichen vom Elk's Club ist es nicht.« Gebhardt sagte wütend: »Wir können die Messe auf jede Art und Weise feiern, die wir für richtig halten, Mr. Beck. Dies ist ein freies Land, wie Sie wissen.« Beck schoß einen verächtlichen Blick auf den Reverend ab. »Was bin ich froh, daß gerade Sie sich daran erinnern, Reverend. Jetzt, wo ich das weiß, kann ich heute nacht viel besser schlafen.« Kressler schlich sich an Beck heran. »Beck, in diesem Raum ist nichts Illegales und findet nichts Illegales statt!« »Warten Sie's ab, Agent Kressler«, sagte Beck lächelnd. »Wir werden schon was finden.«
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25 In den nächsten zwei Stunden suchten Dixon und dessen Männer jeden Quadratzentimeter des Grundstücks nach Bobby Burns und seinen Killerkomplizen ab. Sie filzten die Wohnräume, Bäder, Neben- und Hinterzimmer. Leerten Wandschränke. Durchsuchten Dachböden und Keller. Sahen in Garagen nach. Überprüften die Baracken. Nahmen die Kirche unter die Lupe. Nichts. Beck und Kressler warteten im Küchentrakt der Kirche, wo ein zunehmend aufgebrachtes Ehepaar Gebhardt am Tisch saß. Draußen hielten die Cops noch immer die Waffen auf die Wachposten gerichtet. Beck brach der Schweiß aus. Seine Magennerven standen vor dem Zusammenbruch. Seine Karriere vielleicht auch. Er wußte, daß Burns und Konsorten sich irgendwo auf diesem Grundstück aufhalten mußten. Er wußte aber auch, daß der FBI-Image-besessene Kressler immer ungeduldiger wurde. Wenn sie Burns nicht bald fanden, würde Kressler kapitulieren. Die ganze Sache abblasen lassen. Aus. Vorbei. Dixon kam in die Küche. Beck sah ihn erwartungsvoll an. Dixon schüttelte den Kopf. In diesem Moment gingen Gebhardt die Nerven durch. Er sprang auf und brüllte Kressler an: »Wir haben Ihre Wünsche erfüllt. Jetzt erfüllen Sie unsere. Bitte, verschwinden Sie! Auf der Stelle!« Kressler gab Beck zu verstehen, ihm zu folgen, und verließ die Kirche. Auf seinem Babygesicht lag ein hämisches Grinsen. Beck wünschte sich nichts sehnlicher, als den Kleinen was aufs Maul zu schlagen, aber er hielt seine Wut unter Kontrolle. Er war nicht wild darauf, Woody Krantz noch einmal besuchen zu müssen. »Offensichtlich ist Ihr Mann nicht hier«, sagte Kressler und
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gab sich nicht die Mühe, seine Genugtuung zu verbergen. »Hören Sie, Kressler«, erwiderte Beck beschwörend. »Er ist hier? Was wollen Sie denn tun? Sang- und klanglos verschwinden?« »Was denn sonst? Oder haben Sie einen anderen Vorschlag. Sollen wir hier etwa Wurzeln schlagen? Den Belagerungszustand ausrufen? Geben Sie's doch zu, Beck. Sie haben verloren.« »Scheißdreck«, sagte Beck wütend. »Tja, mein Lieber«, meinte Kressler selbstgefällig, »wir hatten eine Abmachung getroffen, erinnern Sie sich? Ob Sieg, Niederlage oder Remis — ich bekomme die Beweismittel, die Sie mir vorenthalten haben. Jetzt ist es soweit. Bezahlen Sie Ihre Rechnung.« Kressler streckte die Hand aus. Beck wandte sich wortlos um, stapfte zurück in die Kirche und sagte zu Dixon: »Kommen Sie, Chief. Jetzt nehmen wir beide die Sache in die Hand.« Gebhardt erhob sich und wollte zum Wandtelefon greifen. »Ich bin ein toleranter Mann, Mr. Beck, aber jetzt...« Beck stieß ihn auf den Stuhl zurück. »Aber jetzt bleiben Sie noch ein Weilchen ein toleranter Mann, Reverend. Falls Sie sich beschweren wollen, wenden Sie sich an Mr. Kressler. Er hat in Washington 'ne Menge Beziehungen.« Beck stürmte aus der Kirche und an einem völlig konfusen Kressler vorbei. Dixon verdrehte die Augen und folgte Beck, der inzwischen das Kirchengebäude umrundet hatte und keuchend einen verschneiten, mit Felsbrocken übersäten kleinen Hang hinaufstieg. Oben angelangt, verharrte beide Männer schweigend und suchten einige Zeit angestrengt das Gelände ab. Um sie herum war nichts als Schnee. Jungfräulicher Schnee. Keine Spuren. Keine Flecken. Nichts. Nur ein riesiges weißes Tuch. »Burns muß hier sein«, murmelte Beck schließlich. »Aber wir haben doch alles durchsucht«, meinte Dixon. »Er ist nicht im Haupthaus, nicht in der Kirche, nicht in irgendeiner Baracke oder Garage oder sonstwo. Keine Spur. Wir haben in Ecken nachgeguckt, in denen man nicht mal ein
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Kleinkind verstecken könnte, geschweige denn einen erwachsenen Mann.« Beck ging das kurze Stück bis zum Stacheldrahtzaun hinauf, der das Grundstück auch hier oben abriegelte. Er wandte sich um. Von hier aus konnte man die gesamte Selby-Ranch überblicken. »Es ist mir unerklärlich«, sagte er nachdenklich. »Alles läuft genau so ab, wie es in den Briefen stand, die ich gefunden habe. Dieses Treffen, um einen >neuen heiligen Bund< zu schließen. Und diese Farm war auf der Karte markiert! Das hier ist es. Das ist das weiße Camelot. Der Ort, an dem alle Straßen zusammenführen. Die Ranch ist für die Pläne dieser Spinner wie geschaffen. Sie ist riesig. Sie ist stark befestigt und gesichert. Sie ist nicht weit von einer Großstadt entfernt, aber abgelegen genug, um ungestört zu sein. Das muß der Ort sein.« »Ja, gut, aber ...« »Die sogenannten Ritter sind hier, das Heer ist hier, die Führer sind hier. Nur Bobby und seine Busenfreunde fehlen, verdammt. Warum?« Er verstummte. Die Stille, die hier oben, an diesem einsamen Punkt, über der Landschaft lag, wäre überwältigend gewesen — hätte Becks Magen nicht so laut geknurrt. Und dann hörte Beck plötzlich das leise Geräusch irgendwo ganz in der Nähe. Drip, Drip, Drip. »Ich sag's nicht gern, Beck, aber ...«, begann Dixon. »Pssst!« »Wissen Sie, ich stehe voll auf Ihrer Seite, nur ...« »Seien Sie mal ruhig, Chief! Hören Sie?« Drip. Drip. Drip. Beck drehte den Kopf nach rechts und links und lauschte angestrengt, um festzustellen, aus welcher Richtung die Geräusche kamen. Plötzlich lächelte er und ging etwa fünf Meter nach rechts zu einer Tanne hinüber. Das Eis, das sich in der Nacht unten am Stamm des Baumes gebildet hatte, war fast weggeschmolzen. Im gleichmäßigen Rhythmus tröpfelte das Schmelzwasser in eine kleine Pfütze. Beck starrte auf den Boden. Das Gras und die Sträucher, die zum Vorschein kamen, waren braun und verdorrt — bis auf einen kleinen, grünen, knospenden Strauch.
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Ein kleiner, grünender Strauch, der aus einer feuchten Bodenschicht wuchs, wo ringsum alles bretthart gefroren war. Beck legte die Hand dicht neben dem Strauch auf den Boden. Er spürte die Wärme, die aus der Tiefe aufstieg. Er winkte den Chief zu sich und schob mit der Schuhspitze das feuchte Erdreich zur Seite. In der hellen, klaren Wintersonne erschien eine glänzende Metalloberfläche. »Was ist das denn?« fragte Dixon. »Ein Belüftungsrohr«, erwiderte Beck. Dixon blickte zuerst stirnrunzelnd auf das schimmernde Stück Rohrleitung, dann zur etwa hundert Meter entfernten Gebäudeansammlung der Ranch hinüber. »Was zum Teufel, hat ein Belüftungsrohr so weit von den Gebäuden entfernt zu suchen?« Beck grinste. »Ich glaube, wir haben unseren Mann gefunden, Chief.« »Heiliger Strohsack«, sagte Dixon. »Los, kommen Sie, Chief. Versüßen wir den Gebhardts diesen Tag noch mehr«, sagte Beck und rannte den Hang hinunter zur Kirche. Dixon folgte ihm, leise lachend und kopfschüttelnd zugleich. Unten angekommen, winkte Dixon zwei seiner Officers heran, Franklin und Parks. Sie sollten vor der Kirche warten. Die Gebhardts saßen immer noch in der Küche und starrten Kressler an wie zwei Schlangen die Maus, als Beck und Dixon hereinkamen. »Sind sie jetzt endlich fertig?« keifte Kressler mit hochrotem Kopf. »Der Reverend und seine Gattin haben weiß Gott Besseres zu tun, als untätig herumzusitzen!« Beck sah die Zahnlücke des Kleinen und fragte sich ernsthaft, ob sie sich bis zur Schädeldecke erstreckte. Er nickte höflich. »Wir sind gleich soweit. Ein paar Minuten noch, und wir haben die Sache erledigt.« Gebhardt sprang auf und war mit einem Satz am Wandtelefon. Mit fliegenden Fingern wählte er eine Nummer. »Das ist ein Skandal! Das ist eine eklatante Verletzung meiner verfassungsmäßig garantierten Rechte. Ich werde jetzt meinen Anwalt anrufen. Ich warne Sie, auch nur einen weiteren Schritt zu unternehmen! Entweder verlassen Sie auf der Stelle
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mein Grundstück, oder Sie werden sich einer Schadensersatzklage in Millionenhöhe gegenübersehen!« Beck ging gelassen zum Telefon hinüber und riß es aus der Wand. Putz flog durch die Küche. Beck warf dem entsetzten Gebhardt den Apparat vor die Brust. »Okay, jetzt verklagen Sie mich«, sagte er. »Ich bin sowieso pleite.« Gebhardt starrte Kressler an. »Ist das FBI auch pleite, Mr. Kressler?« Kressler schluckte und schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen, schwieg aber. Dixon grinste nur, holte Franklin und Parks herein und ging dann mit Beck zu der Tür, die in die unterirdische Vorratskammer führte. Die beiden Officers nahmen den Gebhardts gegenüber am Tisch Platz. Der Reverend und seine Gemahlin starrten in die beiden grinsenden, kohlenschwarzen Gesichter. »Hübsch haben Sie's hier«, sagte Franklin unschuldig. Parks nickte. »Ja. in so 'nem stinkfeinen Schuppen kann sich's sogar ein Nigger richtig gemütlich machen.« »He, he«, sagte Franklin. »Wie kannst du denn bloß Nigger sagen? Du bringst ja unseren Gottesmann hier in Verlegenheit.« Die Gebhardts schluckten synchron. Beck grinste. »Wir geben euch Bescheid, wenn wir euch brauchen«, sagte er zu den beiden Officers. Dann öffnete er die Tür, knipste das Licht an und stieg langsam und vorsichtig die Treppe zum Vorratsraum hinunter. Dixon folgte ihm. »Ich hoffe in Ihrem Interesse, Sie sind hier unten an der richtigen Adresse«, sagte er. »Sonst können Sie einpacken.« »Mann, das war ein Belüftungsrohr! Es hat Wärme abgestrahlt. Und Wärme steigt bekanntlich nach oben, oder?« Kresslers Stimme hallte plötzlich zu den beiden Männern herunter. »Beck? Sie sind erledigt! Haben Sie gehört? Sie sind am Ende! Sie werden nicht mal mehr eine Stelle als Nachtwächter kriegen, wenn ich mit Ihnen fertig bin.« Beck fing an, die Wände des unterirdischen Vorratslagers nach Hohlräumen abzuklopfen. »Ignorieren Sie ihn einfach«, sagte er zu Dixon. »Der beruhigt sich schon wieder. Sein Pro-
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blem ist, glaub' ich, daß er seine Schuhriemen zu fest schnürt. Schneidet bei ihm wahrscheinlich langsam die Sauerstoffzufuhr zum Hirn ab. Wenn er überhaupt eins hat. Ein trauriger Fall. Ein sehr, sehr trauriger Fall.« Dixon und Beck klopften weiter die Wände ab. Ergebnislos. Massive, dick verputzte Ziegelmauern. »Jesus«, sagte Dixon. »Die Wände sind ja dicker als bei den meisten Atombunkern.« »Irgendwo hier unten muß 'ne blinde Tür sein«, sagte Beck. Er zuckte die Achseln und fegte mit dem ausgestreckten Arm Blechdosen, Flaschen und Eingemachtes aus den Regalen. Kressler tauchte wie aus dem Nichts hinter ihm auf. Er lächelte die Art von Lächeln, das Gewichtheber bei einem plötzlichen Leistenbruch zeigen. »Haben Sie mich nicht gehört?« »Doch. Treten Sie zur Seite.« Kressler zeigte alle Anzeichen totaler Verblüffung. Beck rief Dixon zu: Ich glaube, ich hab's gefunden. Vielleicht.« Er suchte die Kammer nach einem geeigneten Werkzeug ab und fand eins: einen Vorschlaghammer. Er packte ihn, trat einen Schritt zurück und drosch ihn wuchtig gegen die Regalwand. Holz- und Glassplitter, Putz und Eingemachtes flogen durch die Vorratskammer. Das Regal brach nach zwei weiteren Schlägen zusammen. Kressler war entgeistert. Er sprang vor und wollte Beck den Hammer aus der Hand reißen. »Nett von Ihnen, aber ich mach' das lieber selbst, Agent Kressler«, sagte Beck grinsend und stieß den Kleinen zurück. Der FBI-Mann ging unsanft zu Boden, sprang auf und wollte sich auf Beck stürzen, wurde aber von den starken schwarzen Armen Dixons zurückgehalten. »He, he!« sagte Dixon und drückte Kressler die Luft ab. »Ihr seid vielleicht ein Gespann. Schluß jetzt, Kressler. Na!« Er ließ den Kleinen los. Kressler stand keuchend da und zitterte am ganzen Körper vor Wut. »Sie . . . Sie sind von Ihren Pflichten entbunden!« sagte er schweratmend zu Beck. »Hören Sie? Entbunden!« Beck nahm den Hammerstiel in die Fäuste und lächelte freundlich. »Schön wär's, he, Arschgesicht?« »Wie haben Sie mich genannt?«
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»Äh .. . kleinen Moment. Hab' ich Schweinebacke gesagt? Nein. Kotzbrocken? Nein. Drecksack?« Beck schnippte mit den Fingern. »Ah, ja. Ich glaub', ich hab's. Ich hab Arschgesicht gesagt.« Kressler stürmte los, als wolle er Beck an die Kehle gehen. Dixon trat zwischen die beiden und breitete die Arme aus. »Gottverdammt noch mal, aufhören! Beide! Was immer zwischen euch ist, tragt es woanders aus. Das ist jetzt nicht die richtige Zeit und der richtige Ort.« Er blickte Beck über die Schultern an. »Sie halten jetzt den Mund, ja? Halten Sie für eine einzige, winzige Minute mal die Klappe, Beck! Und Sie«, sagte er zu Kressler, »versuchen sich mal so profihaft zu verhalten, wie Sie immer tun, okay?« Beck und Kressler schienen sich zu beruhigen. Dixon betrachtete das als persönlichen Sieg. »Also dann«, sagte er fröhlich, »machen wir weiter.« »Hier gibt's nichts mehr weiterzumachen!« geiferte Kressler. »Ab sofort ist dieser Fall abgeschlossen. Daß das FBI so blöd war, sich überhaupt auf diese Sache einzulassen! Das sind nichts weiter als Hirngespinste eines versoffenen Cops.« »Bevor Sie das schriftlich niederlegen«, sagte Dixon nach einem ängstlichen Seitenblick auf Beck, »werfen Sie vielleicht mal einen Blick hier drauf.« Dixon ging zu der Stelle hinüber, wo die Trümmer des Regals lagen. Hinter dem Loch in der Wand waren kleine dunkle Höhlen zu erkennen. Eine stetige leichte Brise warmer Luft strömte daraus hervor. Kressler trat vor. Er schluckte und fing an zu blinzeln, als ihm der warme Hauch ins Gesicht wehte. »Es muß ein Weg da rein führen«, sagte Beck und warf dem staunenden Kressler den schweren Hammer absichtlich nur ein paar Zentimeter vor die Füße. Der schien es nicht einmal zu merken. Beck und Dixon suchten hinter den Regalen nach versteckten Schaltern oder Hebeln, mit denen sich die blinde Tür öffnen ließ. Während Beck auf der Suche nach diesem versteckten Schalter auf der linken Seite weiter Blechdosen, Einmachgläser und Flaschen aus den Regalen räumte, entdeckte Dixon
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auf der rechten Seite plötzlich einen seltsamen Kleiderhaken. Er ließ sich hin und her bewegen. »Bingo«, flüsterte der Chief. Es war ein Türriegel. Beck lächelte, als Dixon den Riegel zur Seite schob und die Tür/Wand öffnete. Hinter der Wand kam ein niedriger, kurzer Gang zum Vorschein, in dessen Zentrum sich ein Loch von etwa zwei Meter Durchmesser befand. Eine stabile stählerne Leiter ragte daraus hervor und führte in die Tiefe. Die drei Männer beugten sich vor und spähten ins Loch hinunter. Tief unter ihnen konnten sie Licht sehen — und den Eingang zu einer Art Stollen. Die warme Luft, die aus dem Schacht stieg und in den Vorratskeller wehte, strich über ihre verschwitzten Gesichter. Da unten mußte es mehr als nur einen mickrigen Stollen geben. Eine Art Tunnelsystem mit Klimaanlage vielleicht. Beck lächelte Dixon an. »Holen Sie Ihre Leute hier runter«, flüsterte er, als er sich an Bobby Burns' Vortrag während ihrer gemeinsamen Spritztour durch Oklahoma City erinnerte. »Wir werden jetzt die Katakomben erforschen.«
26 Franklin und Parks führten die wutschnaubenden Gebhardts mit vorgehaltenen Waffen aus der Küche hinüber zu ihrer kleinen Armee der >Arischen Nationalkirche Christi<, die noch immer, von den Scharfschützen bewacht, mitten auf dem Grundstück stand. Dann stiefelten die beiden zur Kirche zurück. »Könnte heute ein sehr interessanter Tag werden«, meinte Franklin. Parks nickte. »Ja. So macht dieser Job wenigstens Spaß, stimmt's? Ich meine, hier geht's wirklich mal um was Wichtiges.« Die beiden Männer gingen durchs Kirchengebäude und den Küchentrakt in den Vorrastskeller hinunter, wo ein sehr
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verwirrter und nervöser Agent Kressler damit beschäftigt war, seine Fassung wiederzugewinnen. Es ärgerte ihn, daß Beck anscheinend recht behalten hatte. Aber er hatte die Absicht, Kapital für seine Karriere aus dieser Sache zu schlagen. Er entschloß sich, noch ein paar Stunden über Becks Insubordination hinwegzusehen. Damit konnte man leben. Hinter der blinden Tür standen Beck und Dixon über den Schacht gebeugt. Tief unter ihnen lag der Stolleneingang im Dämmerlicht. Becks Magen rumorte auf Hochtouren. Seine Augen tränten. Seine Beine waren wie aus Gummi. Körperlich ging es ihm immer schlechter. Franklin und Parks tauchten hinter den beiden Männern auf. »Wir sind startklar«, sagte Franklin. »Was ist mit Mama und Papa Prediger?« fragte Beck über die Schulter. Franklin strahlte. »Die sind gut aufgehoben.« »Haben Sie schon einen Plan, Beck?« fragte Dixon. Beck zuckte die Achseln. »Nein«, sagte er und rieb sich über den rebellierenden Magen. »Wir können nur eins tun — runter und sie uns schnappen. Ich glaub' nicht, daß die Burschen freiwillig hier raufkommen.« »Wohl kaum. Verdammt, das alles gefällt mir nicht«, sagte Dixon stirnrunzelnd. »Mir auch nicht«, gab Beck zu. »Aber ich glaube, das liegt an der Umgebung. Fertig?« Dixon nahm einen tiefen Zug von der warmen, aus dem Schacht aufsteigenden Luft. »Allzeit bereit.« »Mehr verlange ich gar nicht.« Beck schob sich eine zweite der wie Kreide schmeckenden Magenpillen, die er von Dixon geschnorrt hatte, in den Mund, bevor er sich an den langen Abstieg über die stählerne Leiter machen wollte. Abgesehen vom spärlichen Licht, das weit unten aus der Tiefe und vom angrenzenden Vorratskeller zu den beiden Männern drang, war es stockdunkel. Becks Magen knurrte vernehmlich. »Glauben Sie, Sie halten durch?« fragte Dixon. Beck nickte. »Ja. Kotzen ist nicht drin. Ich hab' seit gestern nichts mehr gegessen.«
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»Solange ich nicht unter Ihnen klettern muß . . .«, sagte Dixon. »Ich meine, man weiß ja nie ...« »Keine Sorge. Ich geh' zuerst.« Beck schwang sich auf die Leiter und begann den Abstieg. Seine 38er steckte im Holster, sein automatisches Gewehr hatte er sich über die Schulter geschnallt. Dixon folgte ihm. »Verdammt, ich bin wirklich nicht gerade versessen drauf, da runterzuklettern«, flüsterte er. »Keine Panik«, raunte Beck zurück. »Wir haben das Überraschungsmoment auf unserer Seite, denken Sie dran. BobbyBoy glaubt sicher, daß wir uns immer noch da oben abrackern. Die Kerle haben garantiert keine Ahnung, daß wir ihr kleines unterirdisches Refugium entdeckt haben.« Kressler war als nächster an der Reihe. Doch bevor er auf die Leiter kletterte, baute er sich über dem Schacht auf, setzte das Megaphon an die Lippen und brüllte: »Hier spricht das FBI!« in die Katakomben hinunter. Kresslers Stimme rollte wie Donner durch die Stollen und Gänge tief unter Beck und Dixon. »Ach du dickes Ei«, stöhnte Beck. »Ich bin hierhergekommen«, dröhnte Kresslers Stimme weiter, »um einen Haftbefehl gegen Robert Bobby Burns und drei namentlich noch nicht bekannte Komplizen zu überbringen. Sie sind umzingelt, Burns! Sie haben keine Chance zu entkommen. Weisen Sie sich aus!« Beck sah zu Dixon hinauf. »Ich glaube, jetzt wissen die Burschen, daß wir hier sind.« Dixon starrte wütend nach oben, wo Kressler gerade seinen breiten Hintern auf die Leiter schwang und zu klettern anfing. Dixon sah, wie Franklin und Parks hinter dem kleinen FBIMann entsetzte Blicke tauschten. »Ist der Bursche ein Arschloch oder was?« murmelte Dixon. »Ein >oder was<«, sagte Beck und hangelte sich Sprosse um Sprosse den Einstiegsschacht hinab, bis er schließlich das Ende der Leiter erreichte. Fast rechnete er damit, wegen Kresslers Dummheit jeden Moment von großkalibrigen Geschossen in Stücke gerissen zu werden. Aber es herrschte völlige Stille und Leblosigkeit ringsum. Kein Geräusch. Keine Bewegung.
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Er winkte Dixon zu. Zögernd kam der Chief zu ihm herunter, gefolgt von Kressler, Franklin und Parks. Der Stollen gähnte dunkel und lautlos vor ihnen. »Diese verdammte Stille hört sich in meinen Ohren wie 'ne Einladung an«, wisperte Dixon Beck zu. Er bemerkte erst jetzt den seltsamen Ausdruck auf Becks Gesicht. »Oder was meinen Sie, Beck?« Beck nickte nur. Sein Mund war pulvertrocken. Auf seiner Stirn glitzerten Schweißtropfen. »Was ist denn los?« flüsterte Dixon. »Nichts.« »Doch, Sie haben was. Ist es Ihr Magengeschwür?« »Ich hab' kein Magengeschwür, Chief. Die Sauferei. Ich bin dabei, trocken zu werden und hab' so meine Probleme damit.« Dixon verdrehte die Augen. »Warum, zum Teufel, haben Sie vorher nie ein Worte darüber gesagt?« »Warum denn? Sie wären dann ohne mich hier runtergeklettert, und ich hätte dagestanden und diesen Spaß versäumt. Ich komme schon klar. Ehrlich. Also los. Gehen wir.« Beck führte die Männer langsam den Stollen hinunter. Er ähnelte dem Schacht in einer Mine; die Seitenwände und die Decke bestanden aus rohem Fels. Der Boden aber war eben und befestigt. Wahrscheinlich mit Kohlenteer. Alles wirkte kahl, tot, verlassen. Aber Beck ließ sich nicht täuschen. Er wußte, daß dieser Stollen mehr beherbergen mußte, als es den Anschein hatte. Ja, er war sogar sicher, daß diese unterirdische Anlage das wirkliche Machtzentrum der gesamten Camelot-Kommune darstellte. Die Stollenwände und -decken waren, wie auch die Luft, außergewöhnlich trocken. Das konnte bedeuten, daß hier unten Lebensmittel aufbewahrt wurden. Vielleicht noch mehr als das. Irgendwelche Gegenstände, die bei längerer Lagerung in normaler Luftfeuchtigkeit verrotteten oder funktsionsuntüch-tig wurden. Ausrüstungsgegenstände, zum Beispiel. Oder Waffen und Munition ... Etwa auf mittlerer Länge des Stollens befand sich zur Rech-
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ten eine Tür in der Felswand, die durch ein Sicherheitsschloß versperrt war. Beck blickte Dixon an. »Sieht so aus, als hätten unsere Freunde Überstunden gemacht, um die Kondition von Mutter Erde noch ein bißchen zu verbessern«, meinte er. »Mhm.« »Hat Franklin seinen Allzweckschlüssel mitgebracht?« Dixon winkte Franklin zu sich. Der Officer holte den Bolzenschneider aus seinem mitgeführten Rucksack und knackte das Schloß. »Dann wollen wir mal sehen, was in Zimmer Eins ist, Chief«, sagte Beck und schob langsam die Tür auf. Dunkelheit. Beck löste die Taschenlampe von seinem Gürtel. Die anderen folgten seinem Beispiel. Die Männer leuchteten den Raum aus. Es war geradezu ein Fort Knox aus Waffen und militärischem Gerät. Alles war sorgfältig vom Boden bis unter die Decke aufgestapelt; Berge von gut fünf Meter Höhe. M-16Gewehre. AK-47er. Granatwerfer. »Jesus«, sagte Dixon heiser. »Hier ist genug Feuerkraft versammelt, um halb Lateinamerika zu erobern. Beck nickte. »Oder das ganze Kellman County.« »Soviel Zeug hatten wir damals nicht mal bei der Army in den Waffenkammern«, sagte Dixon. »Ihr habt ja bei der Army auch nicht vorgehabt, die Vereinigten Staaten zu erobern«, murmelte Beck. Die Männer zogen sich aus dem Raum zurück und setzten ihren Weg duch den Stollen mit Hilfe der Taschenlampen fort, denn es wurde jetzt rasch dunkler um sie herum. »Chief«, flüsterte Beck. »Sehen Sie, da vorn. Da zweigt ein weiterer Stollen von dem hier ab.« »Wie Sie schon sagten, Beck«, erwiderte Dixon. »Katakomben.« »Sieht mir mehr wie ein gottverdammtes Labyrinth aus«, murmelte Beck. Er schwitzte jetzt am ganzen Körper. »Was ist? Ihr Magen?« fragte Dixon. »Nein, mein Gehirn«, flüsterte Beck. »Wir sind hier unten lebende Zielscheiben, dank der gütigen Mithilfe von Agent Kress...«
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Beck verstummte. Seine Muskeln spannten sich. Weiter vorn war das leise Klickern von herabfallenden Steinen zu hören gewesen. Beck starrte angestrengt in die Dunkelheit des Stollens — und sah in das jähe, grelle Mündungsfeuer einer automatischen Waffe. Das ohrenbetäubende Rattern und Dröhnen schien den Stollen auseinandersprengen zu wollen. Beck warf sich blitzschnell zu Boden und rollte sich hinter die nächstbeste Deckung. »Runter!« hörte er sich über das Wettern der Geschoßgarben den anderen Männern zurufen. Kleine Gesteinsbrocken wurden aus den Wänden des Stollengangs gerissen und prasselten auf die Männer herunter, als der Schütze Feuerstoß um Feuerstoß aus seiner Waffe jagte. Parks, der hinter einen Felsbrocken in Deckung kriechen wollte, stieß einen gellenden Schrei aus, als seine Brust von einer Salve zerrissen wurde. Sein Körper wurde von der Wucht der Einschläge gegen die Wand des Stollens geschleudert. Langsam rutschte er zu Boden und hinterließ dabei eine glitzernde Blutspur an der Felswand. Beck, Dixon, Franklin und Kressler feuerten aus allen Rohren zurück, schossen aber blind in die Dunkelheit vor ihnen. Kugeln umschwirrten die Männer; Funken sprühten; Staub und Gestein regnete herab. Beck krümmte sich plötzlich vor Leibschmerzen und Übelkeit zusammen und wälzte sich am Boden. Er war schweißgebadet, zuckte in heftigen Krämpfen. Jeder einzelne Knochen in seinem Körper schien seinen Schmerz herauszuschreien. Er war nahe daran, das Bewußtsein zu verlieren. Nicht jetzt! verfluchte er sich selbst. Nicht jetzt! befahl er sich verzweifelt. Wenn du schon in Ohnmacht fallen mußt, dann tu es, wenn du Zeit dafür hast. Er packte den Lauf seiner Waffe und rammte ihn sich in die Magengrube. Der Schmerz raste wie eine Feuerlohe durch seinen Körper, doch die Krämpfe ließen nach. Stöhnend richtete Beck die Mündung seiner Waffe wieder in die Dunkelheit und schoß weiter. Er hörte, wie die Kugeln in die Felswände und -decke schlugen und als Querschläger durch den Stollen heulten. Und dann erloschen drüben ganz plötzlich die Mündungsflammen. Beck stellte das Feuer ein.
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Dixon, Kressler und Franklin schossen noch immer ziellos in die Dunkelheit. »Feuer einstellen!« rief Beck. »Verdammt noch mal, Feuer einstellen!« Stille. Schwaden von beißendem Kordit krochen träge über den Teerboden des Stollens. Dann das Geräusch hastiger, sich entfernender Schritte. »Der Schweinehund ist abgehauen«, sagte Beck und erhob sich. Er ging zu Kressler hinüber. Der FBI-Mann hatte Parks' Kopf in seinen Schoß gebettet. »Er ist tot«, sagte Kressler leise. »Scheiße!« fluchte Beck. »O Scheiße, Scheiße!« »War nicht Ihr Fehler«, murmelte Dixon. »Wie tröstlich«, sagte Beck und wischte sich übers Gesicht. Dixon betrachtete Parks zerschundenen Körper, den Kressler inzwischen auf den Boden des Stollens gebettet hatte. Jetzt war es — wenn sie hier jemals lebend rauskamen — seine verdammte Aufgabe, Parks' Frau und den Kindern die Nachricht zu überbringen. Und das so kurz nach Weihnachten ... Abrupt straffte sich Dixons muskulöser Körper. Der Chief ging zum Eingang des zweiten, nach links abzweigenden Stollens hinüber. »Okay«, sagte er. »Wir teilen uns in zwei Gruppen. Beck, ich möchte, daß Sie mit mir kommen. Franklin, du gehst mit Kressler.« Kressler wollte irgend etwas sagen. Vermutlich, daß er hier die Verantwortung trage und somit auch die Befehle zu geben habe. Doch ein Blick auf seine von Parks' Blut durchtränkte Hose belehrte ihn eines Besseren. Franklin murmelte ein düsteren Fluch vor sich hin. Er war von seinem neuen >Partner< alles andere als begeistert. Dixon ignorierte es. »Du, Franklin, nimmst mit Kressler den Abzweig. Beck und ich rücken hier in diesem Stollen weiter vor. — Noch Fragen?« Niemand sagte ein Wort. Kressler und Franklin verschwanden im Seitentunnel, während Beck und Dixon tiefer in den Hauptstollen vordrangen. Kressler und Franklin bewegten sich langsam und vorsich-
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tig voran. Der FBI-Agent hatte die Führung übernommen und winkte den Cop plötzlich zu sich. Ein paar Meter vor ihnen zweigte ein weiterer Tunnel nach rechts ab. Vermutlich stellte er einen Verbindungsgang zu dem Stollen dar, in dem jetzt Beck Und Dixon vorrückten, so daß die drei Gänge ein A-förmiges System bildeten. Franklin gefiel das ganz und gar nicht. Denn jetzt konnten sie von vorn und hinten angegriffen werden. Sein Vater war in einer ähnlichen Situation in Vietnam auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Es wäre eine beschis sene Ironie des Schicksals, wnn ihm jetzt hier unten, nur ein paar Dutzend Meilen von zu Hause entfernt, das gleiche zustoßen würde. Im Hauptstollen drangen Beck und Dixon inzwischen vorsichtig und fast lautlos weiter und weiter vor. Plötzlich hielt Beck inne und wies mit der Mündung seiner 38er auf irgend etwas matt Schimmerndes weiter vorn an der linken Fels wand des Stollens. Es war eine stahlverstärkte Tür, wie die Männer kurz darauf feststellten. Beck bedeutete Dixon, sich an der rechten Seite der Tür zu postieren. Er selbst nahm auf der linken Seite Aufstellung. Er hielt drei Finger in die Höhe, ließ dann die Hand sinken. Dixon nickte, er hatte begriffen. Beck hob die Hand wieder, spreizte einen Finger ab. Eins. Dann noch einen. Zwei. Und noch einen. Drei. Die beiden Männer warfen sich vor und rammten die Schultern gegen die Tür, die unter dem Ansturm krachend aus den Angeln flog. Und dann standen sie mit vorgehaltenen Waffen im dahinterliegenden Raum, Und wurden erneut von völliger, fast beängstigender Stille begrüßt. Sie ließen über die Läufe ihrer Waffen hinweg den Blick durch den Raum schweifen. Keine Anzeichen von Bewegung waren im Licht ihrer Taschenlampen zu erkennen. Kein Laut war zu hören. Beck sah einen Lichtschalter innen neben dem Türrahmen und knipste ihn ein. Eine nackte Glühbirne leuchtete über ihnen auf, tauchte den Raum in ein trübes, gespenstisches Licht und warf zitternde Schatten an die Wände. Der Raum war vollgestopft mit modernen elektronischen Geräten unterschiedlichster Art.
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»Jetzt sehen Sie sich das mal an«, sagte Beck leise. »Die Datenverarbeitungs- und Kommunikationszentrale dieser Bande.« »Verdammt reichhaltig ausgestattet«, murmelte Dixon staunend. »Allerdings. Computer, Telex, Telefax, Kurzwellensender«, sagte Beck. »Zwölf Telefone. Den Jungs mangelt es an nichts. Die sind auf alles vorbereitet.« »Und ob sie das sind«, meinte Dixon. »Und sie werden das alles bald benutzen, wenn ihre Versammlung erfolgreich ...« Urplötzlich schoß auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes hinter einem Computerschaltpult eine riesige, schattenhafte Gestalt in die Höhe. Beck und Dixon wirbelten instinktiv herum — blickten in die Mündung einer Mack 10. Beck riß Dixon geistesgegenwärtig zu Boden, als auch schon das Mündungsfeuer aufleuchtete. In den rasenden, hämmernden Feuerstößen aus der schweren automatischen Waffe explodierte eine ganze Wand aus Geräten in einem donnernden grellen Lichtblitz. Beton-, Blech- und Plastikteile wirbelten durch die Luft. Der Geruch nach verschmorten Kabeln breitete sich aus. Inmitten dieses Infernos lagen Beck und Dixon eng an den Boden gepreßt, erwarteten, jeden Moment von Geschossen zerfetzt zu werden. Doch abrupt endete die mörderische Salve. Sie hörten in der plötzlichen Stille das leise Klirren, als der massige Mann, der so urplötzlich aufgetaucht war, das leere Magazin zu Boden fallen ließ und dann das metallische Klikken, als er ein neues einschob. Die wenigen Sekunden aber hatten Beck und Dixon gereicht, ihre Gewehre von den Schultern zu reißen und in Anschlag zu bringen. In dem Augenblick, als die Mack 10 wieder loshämmerte, erwiderten die beiden Männer das Feuer. Kressler und Franklin, die sich noch immer im Seitenstollen befanden, erstarrten mitten in der Bewegung, als das Rattern, Dröhnen und Wummern zu ihnen herüberdrang und als rollendes Echo durch das Labyrinth hallte. »Hier lang!« rief Kressler und rannte zum Eingang des Querstollens hinüber.
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Als die beiden Männer in den Tunnel einbogen, wurden sie von einer geballten Ladung großkalibriger Geschosse begrüßt. Kressler und Franklin wurden wie durch ein Wunder nicht getroffen, ließen sich zu Boden fallen und erwiderten dieses Sperrfeuer, schossen blind in den vor ihnen gähnenden düsteren Stollengang. Im Kommunikationsraum wurden Beck und Dixon von der überlegenen Feuerkraft der Mack 10 inzwischen mehr und mehr in die Defensive gedrängt. Sie hatten sich, dicht an den Boden gepreßt, hinter einem stählernen Gestell in Deckung gebracht. Doch was hieß hier schon Deckung? Die Geschosse pflügten um sie herum bereits den Betonboden auf. Beck sah nur noch eine einzige Chance. Als der Feuerstoß endete, weil der Schütze wieder einmal ein Magazin geleert hatte, gab Beck Dixon zu verstehen, bis dicht an die Wand zurückzuweichen. Dann legte er das automatische Gewehr zu Boden und glitt zur Seite weg, der 38er im Anschlag. Als er einen raschen Blick zur gegenüberliegenden Wand des Raumes warf, sah er mehrere Stapel Zielscheiben von etwa anderthalb Meter Höhe. Es waren Zielscheiben, wie er sie schon auf der Gebhardt-Farm gesehen hatte. Häßliche Karikaturen von Negern, Juden, Arabern. Dann setzte auch schon der mörderische Bleihagel wieder ein. Die Stapel aus Pappzielscheiben zitterten und bebten leicht. Beck sah die Mündungsblitze der Mack 10 dicht darüber aufblitzen. Und dann raste die Garbe auch schon auf ihn zu. Er hob blitzschnell die Waffe, zielte sorgfältig und drückte dreimal rasch hintereinander ab. Das Feuer aus der Mack 10 verstummte abrupt, setzte mit ohrenbetäubendem Lärm wieder ein, brach erneut ab. Zwei kurze, stotternde Salven noch, dann ging ein heftiges Beben durch die Stapel der Pappzielscheiben. Auch Dixon eröffnete jetzt das Feuer aus seinem automatischen Gewehr in diese Richtung. Augenblicke später brach die bullige Gestalt Sleepys durch die Pappstapel. Seine breite Brust war von Kugellöchern zerfetzt. Er taumelte nach vorn und stürzte mit einem dumpfen, in der plötzlichen Stille widerhallenden Aufprall zu Boden. Sein zuckender Körper
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war mit rassistischen Karikaturen der Zielscheiben wie mit einem makabren Leichentuch bedeckt. Nigger. Juden. Araber. Sleepy. »Dämliches Arschloch«, sagte Beck in einem Tonfall, als würde er Sleepys Grabinschrift lesen. Auch im Querstollen bei Kressler und Franklin war das gegnerische Feuer in dem Moment schlagartig verstummt, als das ferne Wummern der Mack 10 aufgehört hatte. Stille. Der FBI-Mann und Franklin warfen sich nervöse Blicke zu. Beide waren mißtrauisch, trauten dem plötzlichen Frieden nicht. Doch sie mußten weiter. Geduckt, langsam und vorsichtig bewegten sie sich durch den Verbindungstunnel in Richtung Hauptstollen. Plötzlich winkte Franklin dem FBIMann, stehenzubleiben. Er hatte ein raschelndes Geräusch gehört. Aber es kam nicht aus der vor ihnen liegenden Dunkelheit. Franklin drehte langsam den Kopf, lauschte. Verdammt, von hinten kam es auch nicht! Er spürte, wie eine Gänsehaut seinen Körper überzog. Und dann weiteten sich seine Augen vor Erstaunen, als er bemerkte, daß das Geräusch irgendwo über ihnen ... Es kam von oben! Eine Klapptür an der felsigen Decke schwang mit einem plötzlichen Ruck auf, und eine schattenhafte Gestalt ließ sich in den Stollen fallen. Augenblicke später zerriß das Hämmern einer Mack 10 die Stille. Kressler und Franklin versuchten verzweifelt, den Rückzug anzutreten, als Franklin plötzlich gellend aufschrie. Eine Kugel hatte sein rechtes Bein glatt durchschlagen, direkt über dem Knie. Er spürte noch, wie das Bein kraftlos und taub wurde, dann schlug er hart auf den Boden. Der Schütze feuerte weiter. Steinsplitter wurden aus den Fels wänden gerissen, Teerklumpen aus dem Boden gehobelt. In Kresslers Hirn rasten die Gedanken. Der FBI-Mann erkannte mit Entsetzen des Todgeweihten, daß er und Franklin sterben mußten. Sterben. Sterben. Sterben. Sterben — der Gedanke wiederholte sich in seinem Hirn wie bei einer kaputten Schallplatte. Er zitterte am ganzen Körper vor Angst und hilfloser Wut. Er taumelte zurück, versuchte, sich instinktiv an irgend etwas festzuklammern, um nicht zu stürzen.
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Seine Fäuste umkrampften etwas Schweres, Hartes. Es wurde ihm gar nicht bewußt, daß es sein automatisches Gewehr war. Er riß den Abzug durch. Der FBI-Mann eröffnete das Feuer auf die schattenhafte Gestalt etwa zwanzig Meter vor ihm. Und traf sie einmal. Die Mack 10 verstummte. Er traf sie zum zweiten Mal. Ein Zittern durchlief die dunkle Gestalt. Sie schien plötzlich zu schwanken. Kressler wurde schlagartig aus seiner Trance gerissen. Er holte durch die zusammengepreßten Zähne scharf Atem; die Luft pfiff mit einem Geräusch wie bei einem Kessel voll kochendem Wasser durch seine Zahnlücke. Er riß den Abzugsbügel ein drittes Mal durch. Die Gestalt vor ihm wurde durchgeschüttelt und nach hinten getrieben, taumelte von einer Stollenwand zur anderen und brach dann zusammen. Kressler rannte zu dem reglosen Körper hinüber, drehte ihn auf den Rücken. Er kannte das narbige Gesicht des Toten nicht. Es gehörte einem Mann namens Crossfield. Kressler ging zurück zu Franklin, der mit ausgebreiteten Armen und Beinen stöhnend auf dem Boden des Stollengangs lag. Der FBI-Mann besah sich Franklins Wunde. »Das wird wieder. Das kommt wieder in Ordnung«, sagte Kressler schweratmend. »Glatter Durchschuß. Ein sauberer, glatter Durchschuß.« Er zog den Gürtel aus seiner Hose. »Hier. Binden Sie Ihr Bein ab. Und bleiben Sie wachsam, Franklin. Und ganz ruhig liegenbleiben, ja? Ich hole die anderen. Behalten Sie einen klaren Kopf, okay?« Franklin nickte matt. Kressler stürmte los und verschwand in der Dunkelheit des Tunnels. Er wollte versuchen, in den Stollen zu Beck und Dixon zu gelangen. Wollte versuchen, die anderen zu holen. Wenn sie noch lebten. Beck und Dixon rannten währenddessen den Hauptstollen hinunter und versuchten, den Punkt auszumachen, an dem die entfernten Schüsse aufpeitschten, die sie plötzlich gehört hatten. Am Eingang zum Verbindungstunnel blieben sie keuchend stehen. Das entfernte Gewehrfeuer war schlagartig verstummt. Beck drang in den Verbindungstunnel vor, hielt sich dicht
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an der rechten Felswand. Dixon folgte ihm auf der linken Seite. Und dann hörten sie hallende Schritte irgendwo in der Dunkelheit vor sich. Die beiden Männer hielten inne, drückten sich eng an die Wand. Beck blickte zu Dixon hinüber und legte den Zeigefinger vor die Lippen. Der Chief nickte. Eine Gestalt schälte sich allmählich aus der Finsternis. Die Schritte wurden lauter. Beck spannte die Muskeln an. Die schattenhafte Gestalt war jetzt fast nahe genug heran. Komm noch ein bißchen näher, dachte Beck. Na los, komm schon, noch ein kleines Stück... Dann war die Gestalt heran. Becks Rechte schoß vor. Er stieß den Mann hart gegen die Felswand des Stollens und drückte ihm die Waffe an die Schläfe. »Beck!« »Ooouuh, Scheiße!« stieß Beck hervor, als er Kressler erkannte. Er ließ die Waffe sinken und gab den FBI-Mann frei. »Wo ist Franklin?« fragte Dixon rauh. »Er ist okay. Das heißt, er... er hat einen glatten Beindurchschuß. Ich habe ihn im Tunnel zurückgelassen und gesagt, daß ich Hilfe hole. Hören Sie, da ist etwas, das Sie wissen müssen. Über diesen Tunnels gibt es noch weitere Gänge. Es muß dort noch welche geben. Einer dieser Kerle ist Franklin und mir aus einer Falltür an der Decke direkt vor die Füße gesprungen.« Beck richtete den Strahl der Taschenlampe auf die Felsdecke über ihm. »Na großartig. Dann können uns diese Mißgeburten jetzt aus fast jeder Ecke abknallen.« »Wie können Sie so was sagen!« stieß Kressler hervor. Beck seufzte. »Weil es die Wahrheit ist.« Kriiik. Dixon und Beck tauschten einen raschen Blick. Irgendwo ächzte Metall, weil Gewicht darauf lastete. Das Gewicht eines menschlichen Körpers? Die beiden Männer spähten angestrengt in die vor ihnen liegende Finsternis. Drei Stollen. Drei Durchgänge. Aus welchem war das Geräusch gekommen? Beck wies mit dem Kopf zum Hauptstollen hinüber und setzte sich sofort in diese Richtung in Bewegung. Dixon, der vergeblich versucht hatte, das leise Quietschen zu lokalisie-
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ren, nickte zustimmend. Kresslers Blicke huschten ängstlich hin und her. Dann folgte er den beiden Männern. Sie bewegten sich leise in Richtung >Zentralkatakombe< voran — dorthin, wo das Ende des Verbindungsstollens liegen mußte. Jedes noch so leise Geräusch, das sie verursachten, erschien ihnen in der bedrohlichen Stille hundertfach verstärkt. Kriiik. Schon wieder. Metall. Irgendwas Metallisches. Ganz nah. Wo? Was? Und dann glaubte Beck, in der Dunkelheit vor ihm für einen winzigen Moment zwei schemenhafte Gestalten gesehen zu haben. Er spähte in die Finsternis des Stollens, bis seine Augen schmerzten. »Was ist?« fragte Dixon leise. »Irgend jemand ist da vor uns«, flüsterte Beck. »Woher wollen Sie das wissen?« wisperte Dixon. »Ich glaube, ich hab' da zwei Kerle gesehen.« »Sie glauben?« fragte Kressler laut. Dixon wandte sich zu Kressler um. »Bis jetzt war alles richtig, was dieser Mann getan hat und ...« Dröhnende, hämmernde Donnerschläge rissen dem Chief die weiteren Worte von den Lippen. Der Stollen wurde von zuckenden, grellenden Mündungsblitzen erleuchtet und erbebte unter den wütenden Feuerstößen, die jetzt aus allen Richtungen zu kommen schienen. Dixon wurde hart gegen die Stollenwand geschleudert, als sein linker Knöchel zerschmettert wurde. Eine feurige Lohe von Schmerz raste durch seinen Körper. Gellend schrie er seine Qual hinaus. Beck tauchte blitzschnell zur Seite weg, kam neben Dixon zu liegen und feuerte auf die tanzenden Mündungsblitze. Kressler preßte den Atem pfeifend durch die Zähne, drückte sich mit dem Rücken gegen die Wand und schoß in wilder Verzweiflung auf das, was da vor ihnen war — wer oder was es auch sein mochte. Und dann, von einem Moment zum anderen, verstummte das infernalische Knattern. »Es . . . geht schon, Beck«, sagte Dixon stöhnend in die plötzliche Stille. »Sie hatten recht. Zwei Mann. Es waren zwei
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Mann. Ein großer glatzköpfiger Kerl und ein Junge. Ein junger Bursche, dem der ... Wahnsinn in den Augen stand. Ich hab' so was noch nie gesehen, Beck. Der Wahnsinn!« Und dann hörte Beck schnelle, sich entfernende Schritte. »Sie bleiben bei ihm«, sagte er hastig zu Kressler. »Hol dir diese Schweinehunde«, stöhnte Dixon mit schmerzverzerrtem Gesicht. Beck nickte und rannte los, jede Deckung außer acht lassend. Er sah etwa zwanzig Schritte vor sich zwei schemenhafte Gestalten, die sich eilig in die Schwärze des Stollens zurückzogen. Sie näherten sich einer schwachen, aber in der Dunkelheit deutlich sichtbaren Lichtquelle. Beck konnte die Gestalten vor ihm jetzt im Gegenlicht besser erkennen. Der eine war ein kräftig gebauter, glatzköpfiger Mann. Sein kahler Schädel glänzte so stark, daß er Beck als eine Art Leuchtfeuer dienen konnte; das Gegenlicht bildete ein Halo um den Kopf des Mannes. Und der andere war ... Bobby Burns. Beck schwang seine schmerzenden Beine schneller voran. Er holte auf. Und dann waren Burns und der Glatzkopf wie vom Erdboden verschluckt. Das Leuchtfeuer war erloschen. Scheiße. Die Logik sagte Beck, daß er seine Schritte verlangsamen sollte, daß jetzt äußerste Vorsicht angebracht war, doch er war wütend und geladen genug, die Warnungen seines Verstandes zu ignorieren. Der heiße Zorn peitschte ihn weiter voran. Beck dachte an Kimble. An die Mexikaner im El Coyote. An Parks. Urplötzlich tauchte die teuflisch verzerrte Visage Rays dicht vor ihm auf. Der Kahlköpfige mußte sich hinter einem Fels vorsprung versteckt haben. Er heulte auf, irre und triumphierend, als er den Schock auf Becks Gesicht sah. Sofort riß er die Mack 10 hoch und eröffnete aus der Hüfte das Feuer. Zu hastig. Die Geschosse schlugen in die Felswand genau über Becks Kopf. Beck tauchte zur Seite weg und sah aus dem Augenwinkel, wie Ray sich umwandte und losrannte. Aus irgendeiner Öffnung in der Decke des Stollens fiel Licht und zauberte geisterhafte Reflexe auf seinen kahlen Schädel. Nach
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etwa zehn Metern änderte der Killer plötzlich die Richtung. Der glatzköpfige Verrückte verschwand — nach oben!
Kriiik. »Komm schon«, hallte Burns' Stimme von irgendwo oberhalb des Stollens zu Beck hinunter. »Bin dabei«, sagte Ray. Beck grinste, als er aus den Geräuschen und dem, was er beobachtet hatte, die Schlüsse zog. Stufen. Metallstufen. Beck sprang auf und stürmte dorthin, wo Ray verschwunden war. Bobby stand oben an einer Treppe in einem wuchtigen Türeingang, die Arme nach Ray ausgestreckt, als wollte er ihn umarmen, und redete drängend auf den Glatzkopf ein. »Jetzt mach schon, verdammt! Trödel nicht rum!« Als Beck den Fuß der Treppe erreichte, waren nur noch Rays Beine zu sehen, die gerade die letzten Stufen nahmen. Fluchend riß Beck die Waffe beidhändig in Anschlag. Besser die Beine als gar nichts, dachte er — und drückte ab. Rays fahles Gesicht verzog sich zu einer grotesken Grimasse, als er getroffen zusammenzuckte. Sein Mund war weit aufgerissen. Seine Visage sah plötzlich aus wie ein häßlicher Wasserspeier. Für einen Augenblick sah Beck genau in Bobby Burns' vor Entsetzen gweitete Augen, dann waren sie verschwunden. Rays Beine führten einen wilden Tanz auf. Beck jagte Kugel um Kugel in jeden Körperteil des Glatzköpfigen, den er vor die Mündung bekam. Langsam kippte Ray nach hinten. Er versuchte zu schreien. Er kam nicht mehr dazu. Zwei Kugeln zerrissen seine Lungen. Der aufgestaute Atem zischte aus seiner durchsiebten Brust wie aus einem Blasebalg. Als Ray am Fuß der Treppe ausschlug, sah sein Gesicht nicht mehr wie ein häßlicher Wasserspeier aus. Eigentlich hatte sein Gesicht mit nichts mehr Ähnlichkeit. Er rollte Beck genau vor die Füße. Beck starrte kalt und leidenschaftslos auf den verwüsteten Körper des Killers hinunter. »Pech gehabt.« Beck hörte, wie oben eine Tür zugeschlagen wurde. Er blickte die schwarze metallene Treppe hinauf. Die Tür war etwa drei Meter über ihm.
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Bobby Burns war verschwunden. Beck stieg langsam die Treppe hinauf. »Jetzt sind nur noch du und ich übrig, Bobby-Boy«, flüsterte er. »Nur noch wir beide.«
27 Jeder Schritt, den Beck die Treppe hinauf machte, beschwor ein anderes Bild vor seinem geistigen Auge herauf. Der von Kugeln zerfleischte Körper Kimbles. Den alten farbigen Verkäufer aus dem Mini-Markt in seinem Krankenbett, bis zum Hals in Gips und Verbänden und an Schläuche und Drähte angeschlossen. Die Stimme eines Bauerntrampels von Polizeichef, der Beck davon erzählte, wie Unschuldige in einer Mexikanerbar brutal abgeschlachtet worden waren. Die Zielscheiben mit den gräßlichen rassistischen Karikaturen. Der Frömmigkeit heuchelnde Prediger Gebhardt. Den blutigen Körper des getöteten Officers Parks. Chief Dixon mit seinem in Stücke geschossenen Fußknöchel. Das Gesicht Linda Kimbles, in dem der Wunsch nach Rache geschrieben stand. Oben an der Treppe angelangt, starrte Beck auf die schwarze Metalltür. Er brachte die Pistole in Anschlag, drückte die Tür auf. Vor ihm lag ein weiteres, noch größeres Waffenlager, als er es unten im Stollen gesehen hatte. Um Beck herum waren Unmengen von Kisten mit Gewehren und Munition säuberlich aufgestapelt. Das Waffenlager wurde von zwei Neonlampen an den Wänden in schummeriges Licht getaucht. Eine dritte Lampe an der Decke, genau über Becks Kopf, war nicht eingeschaltet. Der Raum war zweigeschossig. Eine hölzerne Treppe führte nach unten. Beck bewegte sich vorsichtig und lautlos durch den Raum in Richtung Holztreppe. Jede Faser seines Körpers war angespannt, seine Sinne geschärft. Er ließ den Blick durch den Raum schweifen. Er wartete auf eine Bewe-
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gung. Auf einen huschenden Schatten. Auf irgendein Anzeichen, daß Bobby Burns sich hier oben versteckt hielt. Das Anzeichen kam urplötzlich und mit vehementer Gewalt, als der Holzboden dicht neben Becks Füßen förmlich explodierte. Splitter sirrten durch die Luft. Burns war im Untergeschoß der Waffenkammer und feuerte auf ihn! Mit einem wilden, verzweifelten Sprung warf Beck sich auf einen Stapel Kisten, während der Fußboden von den Geschossen fast systematisch zerhackt wurde. Beck beobachtete, wie die Kugeln sich genau in seine Richting durchs Holz fraßen und in die Betondecke über ihm schlugen. Er sprang mit einem wilden Satz auf einen anderen Stapel Kisten hinüber. Burns feuerte fast pausenlos. Beck war einen gehetzten Blick zur Holztreppe hinüber, die ins Untergeschoß führte. Er mußte dort runter! Das Gewehrfeuer verstummte für einen Moment — Burns wechselte das Magazin. Beck wollte gerade seinen Fuß auf den Boden setzen, als eine neue Salve das Holz vor ihm zerfetzte. Die Geschosse verfehlten Beck nur um Haaresbreite und pfiffen und jaulten um ihn herum. Beck sprang auf einen Stapel Kisten, der dicht an der Wand stand, drückte den Rücken an die Wand und stieß den Stapel mit den Füßen um. Die Kisten polterten über den sich immer schneller in eine Kraterlandschaft verwandelnden Fußboden und bildete eine Kette, über die er bis zur Treppe gelangen konnte. Hoffentlich. Er sprang von Kiste zu Kiste, als Burns jetzt einen wahren Hagelschauer von heißem Blei durch die wenigen noch unversehrten Bodenbretter aj gte. Doch die Kisten schützten Beck, und es gelang ihm, sich bis zur Treppe vorzukämpfen. Dicht ans Geländer geduckt, verharrte er für einen Moment, holte tief Luft und wartete. Abrupt verstummte das Gewehrfeuer. Klirrend fiel das leere Magazin zu Boden. Beck fackelte nicht lange. Er wußte, daß er jetzt alles auf eine Karte setzen mußte. Er sprang auf und jagte die Stufen hinunter. Burns aber hatte unerwartet schnell nachgeladen und eröffnete sofort das Feuer auf ihn. Beck hörte den dumpfen Einschlag der Geschosse, als sie sich hinter ihm in die Löschbetonwand bohrten.
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Und dann stolperte er, segelte ungeschützt und hilflos durch die Luft, die mit dem beißenden Geruch von Kordit und Schweiß geschwängert war. Die Kugeln zirpten um ihn herum. Beck prallte hart und schmerzhaft auf den Boden und rollte sich hinter eine Wand aus metallenen Munitionskisten. Schwein gehabt. Die Wand als Deckung benutzend, kroch er in die Richtung, aus der das Gewehrfeuer kam. Als er das Ende der Wand erreicht hatte, sprang er blitzschnell vor und schoß auf . . . nichts. Bobby Burns war verschwunden. Beck hörte ein Geräusch hinter sich. Er wirbelte herum. Bobby stand am gegenüberliegenden Ende der Wand! Er riß die Mack 10 hoch und feuerte wild. Zwei Kugeln durchschlugen Becks Jackenzipfel, als er sich mit einem verzweifelten Satz hinter eine lange Reihe von Holzkisten warf, herumwirbelte, sich von einer Kiste zur anderen rollte und dabei immer wieder Schüsse in die Richtung abgab, in der er Burns zuletzt gesehen hatte. Auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes beobachtete Bobby Burns die Vorgänge mit sichtlichem Vergnügen. Dieser Blödmann von Cop hatte nicht bemerkt, daß an allen Wänden Spiegel hingen und ihm, Burns, deutlich zeigten, wo der Kerl sich befand, wenn er feuerte. Bobby beschloß, mit dem Burschen noch ein bißchen Katz und Maus zu spielen. Wann immer der Trottel sich bewegte, wollte Bobby eine Salve in genau die Kiste jagen, hinter der sein Gegner in Deckung lag. Er würde diesen Hurensohn damit zwingen, sich immer wieder hinter einer anderen Kiste in Deckung zu bringen. Bobby starrte grinsend in den Spiegel an der gegenüberliegenden Wand, sah Beck und feuerte. Nach drei-, viermaligem Stellungswechsel war Beck verwirrt, verzweifelt, einer Panik nahe. Wie, zum Teufel, konnte dieser Irre jede seiner Bewegungen verfolgen? Er warf einen raschen Blick über die Schulter. Der Spiegel. Beck verfluchte sich selbst, schimpfte sich einen Idioten. Das hätte er sich doch denken müssen! Er überlegte kurz, richtete dann die Mündung seiner 38er auf die beiden Lam-
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pen an den Wänden. Zwei schnelle Schüsse, und der Raum war in Dunkelheit getaucht. »Du kannst dich nicht vor mir verstecken, Arschloch«, hörte er Bobby Burns' hämische Stimme von der gegenüberliegenden Seite des Raumes. Beck schwieg. Er löste die Taschenlampe von seinem Gürtel, richtete sie auf den Spiegel und knipste sie ein. Grelles Licht stach Bobby in die Augen. Reflexartig riß er das automatische Gewehr hoch. »Krepier endlich, du Hurensohn!« kreischte er und schoß, jagte ein ganzes Magazin in den Spiegel, der förmlich auseinanderflog. Das Rattern und Hämmern der Waffe verstummte. Nur noch das leise Klirren von Glassplittern war zu hören. »Scheiße«, zischte Bobby, dem erst jetzt klar wurde, daß er ausgetrickst worden war. Er zitterte am ganzen Körper, zog mit fliegenden Fingern das leere Magazin aus der Waffe, riß ein neues vom Gürtel und wollte es in den Schacht schieben, als plötzlich Becks Stimme gellte: »Keine Bewegung! Polizei!« Bobby sah die schattenhafte Gestalt rechts in den Augenwinkeln. Er rammte das Magazin in den Schacht, wirbelte herum und wollte abdrücken. Beck rief ihm keine zweite Warnung zu. Er drückte ab. Burns hörte die Schußgeräusche, bevor er den Einschlag der Kugeln spürte. Sein Oberkörper bog sich grotesk nach hinten, als zwei Geschosse durch seine Brust schmetterten und beim Austritt aus dem Körper klaffende Löcher auf dem Rücken hinterließen. Noch einmal versuchte er, die Waffe zu heben. Er mußte diesen Bastard mit zur Hölle nehmen! Becks dritte Kugel traf Burns in den Hals. Ein Blutschwall schoß ihm aus Mund und Nase. Bobby Burns stürzte zu Boden. Er keuchte, hustete und wimmerte vor Schmerz, Wut und Enttäuschung. Beck trat langsam auf ihn zu. Eine Woge von Übelkeit stieg in ihm auf. Der Killer starrte Beck mit weitaufgerissenen Augen an. »Du ... bist es ...«, sagte er mit brüchiger, erstickter Stimme. »Jesus Christus. Du bist es.«
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Beck nickte. »Ja, Bobby. Ich bin's.« Er hörte das Geräusch von Schritten hinter sich und wirbelte herum, die Waffe im Anschlag. Kressler kam die Treppe herunter, seine 38er in der Faust. Beck ignorierte den FBI-Mann und blickte dem sterbenden Burns in die Augen. »Warum?« keuchte Bobby und wand sich wie in Krämpfen. »Warum...?« »Weil du in Los Angeles einen Cop getötet hast.« Bobby spuckte einen weiteren Schwall Blut aus. Er hielt nur noch mühsam die Augen auf Beck gerichtet. »Ich habe ... in Los Angeles ... keinen ... Cop getötet.« In Beck stieg eine heiße Woge der Wut auf. »Lüg mich nicht an, du Arschloch! Du stirbst! Sag die Wahrheit! Gib endlich auf, Bobby.« Burns' Körper began konvulsivisch zu zucken. »Ich . . . brauch' einen Arzt, Mann. Bitte, hol mir einen Arzt.« Beck beugte sich über den Sterbenden. »Ich scheiß auf dich und deinen Arzt. Du hast einen Cop in L.A. umgelegt. Du stirbst, Bobby. Du hast nichts mehr zu verlieren. Sag die Wahrheit. Du hast diesen Laden ausgeraubt und den alten Schwarzen angeschossen, und als dich ein Sergeant angehalten hat und dich befragen wollte, hast du ihn getötet. Abgeschlachtet! Du hast ein Dutzend Neun-Millimeter-Kugeln in ihn reingepumpt! Du stirbst, du Schwachkopf. Erzähl mir jetzt keinen Stuß mehr!« Bobby stieß ein ersticktes, röchelndes Lachen aus. Blut lief ihm übers Kinn und strömte aus der Halswunde. »Du hast den ... Falschen erwischt. Ich hab' in L.A. keinen Cop umgelegt. Du hast mich für etwas erschossen, was ich gar nicht getan habe. Du hast mich für ... nichts erschossen.« Bobbys Blicke ruhten starr auf Becks Gesicht, als würde er darauf warten, daß Beck endlich mit dem wahren Grund dafür herausrückte, warum er, Bobby, hatte sterben müssen. Beck drehte sich der Magen bei dem Gedanken um, daß die ganze Geschichte auf diese Weise zu Ende ging. Und genau das passierte. Bobby hustete röchelnd, stieß noch einen Schwall Blut aus. Durch seinen Körper ging ein letztes, heftiges Zucken. Dann
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starrten seine weit aufgerissenen Augen ins Nichts. Beck stand über Bobbys Leiche. Sein Atem ging schwer. Hätte er etwas im Magen gehabt — er hätte es jetzt ausgespuckt, so übel war ihm. In seinem Schädel dröhnte es. Seine Hände zitterten. »Sie haben den falschen Mann erschossen, Beck«, sagte Kressler hämisch grinsend. »Sie haben diesen Burschen 1500 Meilen weit wegen etwas gejagt, was er gar nicht getan hat! Er ist der Falsche!« Der FBI-Mann fing an zu lachen. Beck drehte sich zu ihm um. »Woher wollen Sie das wissen? Na los, Kressler, Sie sind von FBI. Sie sind doch der Experte für alle großen und kleinen Dinge der Polizeiarbeit. . . woher wollen Sie wissen, daß er der falschen Mann ist?« Kresslers Grinsen verwischte. Seine Stimme nahm einen ausdruckslosen Tonfall an. »Ich weiß es aus dem gleichen Grund wie Sie. Weil ich es gehört habe. Ob's Ihnen gefällt oder nicht, er hat die Wahrheit gesagt.« Beck war den Tränen nahe. Tief in seinem Innern wußte er, daß Kressler recht hatte. Bobby Burns war nicht Kimbles Mörder.
28 Beck stand noch immer vor Bobbys Leichnam, als Kressler wieder einmal seine Forderung stellte. »Tja, ich glaube, Sie schulden mir noch einige Beweismittel, Beck. Jetzt...« Und dann hörten beide das Geräusch eines einrastenden Schlagbolzens. Die Lampe an der Decke leuchtete auf. Beck blickte zur Treppe hinüber — und sah Bobbys Bruder John auf den obersten Stufen stehen. In Johns Faust lag eine Neun-Millimeter Browning. Der gepflegte junge Bursche trug Jeans und ein kurzärmeliges Hemd. Die Augen Johns traten aus den Höhlen, als er Bobbys Leiche sah. Sein Gesicht wurde aschfahl.
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Beck wurde von Trauer ergriffen. »John . . .«, begann er sanft. »Du hast ihn umgebracht!« stieß John hervor. »Du hast meinen Bruder getötet!« »Ich wollte nicht, daß es so endet, John. Ich schwöre dir..,« »Du schleimiger Bastard!« kreischte John. »Du dreckiger Hurensohn!« Er richtete die Mündung der Browning auf Becks Kopf. Genau in diesem Augenblick sah Beck die vertraute Tätowierung auf Johns Unterarm. Sie mußte ziemlich frisch sein, denn die Haut um diese Tätowierung herum war noch gerötet. Ein Kreis, ein Kreuz, zwei Blitze. Die Erkenntnis traf Beck wie ein Hammerschlag. Ihm wurde plötzlich klar, daß er nicht in das Gesicht eines braven CollegeBoys blickte, sondern einem brutalen Killer gegenüberstand. Er versuchte, sich langsam zur einen Seite des Raumes hinüberzubewegen. Er wußte, daß Kressler, wenn er sich wie ein Profi verhielt, zur anderen Seite treten würde. Dadurch — und nur dadurch — konnte John Burns aus dem Konzept gebracht werden, denn er konnte dann nur auf einen von beiden schießen, bevor er sich selbst eine Kugel einfing. Beck warf einen raschen Blick zu Kressler hinüber — und wurde von Entsetzen gepackt. Der FBI-Mann starrte mit offenem Mund auf John, stand wie angewurzelt da. John warf Beck wilde, haßerfüllte Blicke zu. »Ich hab' nicht mal mehr mit Bobby reden können. Ich bin gestern abend von New Mexico herübergekommen, und da hat er schon geschlafen. Jetzt wird er nie mehr erfahren, was ich getan habe. Er wird nie mehr stolz auf mich sein können. Er wird nie mehr erfahren, daß ich so war wie er. Daß ich so dachte wie er.« Er lächelte dämonisch. »>Feuer und Wasser<, würde Bobby sagen. Sie alle hatten es in sich. Alle Outlaws. Wenn du in dieser Welt frei leben willst, nennen sie dich einen Outlaw und knallen dich ab wie einen räudigen Hund. >Feuer und Wasse<, das brauchst du, wenn du überleben willst.« John nickte mechanisch. »Er hat mich geliebt. Er hätte für mich getötet. Er wäre für mich gestorben. Er hat mich geliebt. Er war mein Bruder. Aber er hat nie gewußt, daß ich wie er war. Bobby hat nie geglaubt, daß das in mir ist, was ein Mann
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braucht, um ein Outlaw zu sein, ein Kämpfer für die Freiheit, für die Reinheit, wie er selbst es war. Darum habe ich mir diese Browning besorgt, eine Neun-Millimeter, wie er sie hatte, und ich habe mir diese Tätowierung machen lassen, wie er sie hatte, und bin in diesen Laden gegangen und habe diesen Nigger über den Haufen geschossen, wie er es getan hätte. Und auf dem Weg nach Hause ... ja, da hab' ich auch euren verdammten Cop gekillt!« John grinste teuflisch. »Er kam auf mich zu, und ich sah ihm in die Augen — genau in seine verdammten Augen — und hab' gelächelt. Ja, ich hab' gelächelt und >Fröhliche Weihnachten, Officer< zu ihm gesagt. Und dann hab' ich diesen Mutterbumser weggepustet. Ich hab' für jede Schweinerei, die ein Arschloch von Cop Bobby angetan hat, seit er vierzehn war, eine Kugel in seinen Balg gepumpt. Ich hab's für Bobby getan. Ich war Feuer und Eis . . . und jetzt werd' ich's ihm nie mehr erzählen können, du Drecksau!« John hielt die Waffe starr auf Becks Kopf gerichtet. Kressler hatte sich noch immer nicht vom Fleck gerührt. Es schien, als wollte er dort, wo er stand, Wurzeln schlagen. »Laßt die Waffen fallen«, befahl John. »Los! Ich möchte eure Kanonen auf dem Boden liegen sehen.« Beck warf Kressler einen raschen Blick zu. Er wartete darauf, daß der FBI-Mann etwas unternahm. Irgend etwas. Kein Mann des Gesetzes ließ sich von einem Milchgesicht einschüchtern. Und er ließ nie seine Waffe fallen, solange noch Leben in ihm war. Nie. John starrte Kressler düster an. »Du zuerst. Na los, Arschloch.« Kresslers Babyface verzog sich zu einer grotesken Karikatur des Schreckens. Zu Becks Entsetzen löste er ganz langsam die Hand vom Kolben seiner 38er und ließ die Waffe auf den Boden fallen. Beck konnte es nicht fassen. Kressler hatte damit praktisch das Todesurteil für sie beide unterschrieben. John wandte sich jetzt Beck zu. »Und jetzt du.« Beck zögerte. »Wird's bald, du Schweinehund!« Becks Faust krampfte sich um den Griff der 38er. Er mußte versuchen, ein paar Sekunden Zeit zu schinden. »Okay,
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John«, sagte er, »aber ich finde, du solltest die Wahrheit über das erfahren, was hier passiert ist. Ich hab' deinen Bruder nicht erschossen.« Er wies mit dem Kopf auf den entsetzensstarren Kressler. »Er hat's getan.« Die Waffe in Johns Hand ruckte zu Kressler herum. Genau darauf hatte Beck gewartet. Im gleichen Augenblick rief er: »Weg!« warf sich zur Seite, rollte sich über einen Tisch, riß ihn um und ging dahinter in Deckung. Er kauerte sich regungslos und mit gesenkter Waffe hinter die massive Tischplatte. Johns Waffenarm zuckte reflexhaft wieder in Becks Richtung. Dadurch bekam Kressler, der sich endlich aus seiner Erstarrung löste, die Möglichkeit, sich hinter einen Stapel Kisten zu werfen. In diesem Moment feuerte Beck auf John, der sich blitzschnell ins Obergeschoß zurückzog, von oben die Schüsse erwiderte und Beck wieder in Deckung zwang. Kressler duckte sich wie ein geprügelter Hund, als Beck ihm einen wütenden, verächtlichen Blick zuwarf. Gottverdammt. Er, Beck, hatte gerade erst Bobby getötet. Er wollte nicht auch noch John töten müssen. Im Moment spielte es keine Rolle für ihn, ob dieser Junge einen Cop erschossen hatte oder nicht. In Becks Augen war er ein von Familie, Umwelt und Freunden versauter junger Bengel. Miese Familienverhältnisse. Der Bruder ein Verbrecher. Hatte versucht, keine krummen Dinger zu drehen, den rechten Weg zu gehen — so abgedroschen das klingen mochte. Hatte es nicht geschafft. Konnte nicht. Zuviel Druck. John hatte in einer Welt gelebt, in der unablässig Druck auf ihn ausgeübt worden war. Sie hatten ihn davon abgehalten, seine Ziele zu verwirklichen. Seinen Weg zu gehen. Hatten ihn in diese Scheiße hereingezogen. Und der Junge war einfach nicht alt oder nicht stark genug, um die Kraft aufzubringen, sich selbst aus diesem Dreck zu befreien. Er hätte jemanden gebraucht, der ihm den Weg zeigt, der ihm hilft. Ja, er hatte jemanden gebraucht — doch es war niemand dagewesen. Beck kannte das. Er kannte das Gefühl. Er hätte es John gern gesagt, aber die Ereignisse hatten sich überstürzt. Hatten sich zu schnell zum Schlechten gewandt. Es war zu spät.
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»John!« rief Beck. »Gib auf! Du kannst hier nicht gewinnen. Du hast bewiesen, was du beweisen mußtest. Gib auf!« Becks Bitte wurde von einem Hagel von Schüssen beantwortet, die den oberen Rand der Tischplatte zerfetzten. Beck duckte sich so tief er konnte hinter die Deckung. Im oberen Teil der Waffenkammer schob John ein neues dreizehnschüssiges Magazin in den Schacht der Browning und feuerte wieder in wilder Wut in den Raum unter ihm. Beck hockte hilflos hinter dem umgestürzten Tisch. Er mußte etwas unternehmen. Und zwar schnell. Sonst dauerte es nicht mehr lange, und er und Kressler wurden in Hackfleisch verwandelt. Beck brauchte nur an die schweren Waffen denken, die er dort oben gesehen hatte, wo John jetzt war. »He, John«, rief er. »Diesen ganzen > Feuer und Eis< Scheißdreck kannst du vergessen!« Johns Browning verstummte schlagartig. »Was? Was?« »Dein Bruder war ohne seine Browning ein mieser Feigling», fuhr Beck fort. »Er war 'ne echte Niete. Und er hat bei allen Knackis in Soledad den Arsch hingehalten, Mann. Er war 'ne regelrechte Nutte. So warm wie 'n Auspuffrohr.« Johns Gesicht lief rot an. »Und deine Mutter?« rief Beck. »Ich hab' Bilder, Mann. Polaroids. Sie hat die Hälfte aller Schwänze in eurer Gegend ausgesaugt. Ich hab' noch nie gesehen, daß eine einzige Frau so viele Schwänze im Mund ...« »Nein! Nein! Nein!« kreischte John. Seine Stimme kam aus den tiefsten Tiefen einer Seele. Völlig ohne Deckung kam er plötzlich die Treppe heruntergestürmt und rannte direkt auf Beck zu, jagte Kugel um Kugel aus dem Lauf seiner Browning. Beck wartete, bis John so dicht heran war, daß er fast dessen Atem spüren konnte. Dann sprang er blitzschnell hinter dem Tisch auf und zog zweimal durch. Die erste Kugel schlug in John Burns' Stirn. Er rannte weiter, ohne es noch zu wissen, denn er war bereits tot. Seine Beine gehorchten nur noch sinnlosen Hirnimpulsen. Die zweite Kugel fuhr in seine Brust und stoppte seinen Vorwärtsschwung. John stürzte zu Boden, nur einen halben Meter von seinem Bruder entfernt, dem er so gern bewiesen hätte, das er das Zeug zum >Outlaw< habe.
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Ihre Finger berührten sich fast. Die Tätowierungen an den Unterarmen waren selbst im trüben Licht hier unten deutlich zu erkennen. Beck stand schweratmend hinter dem umgestürzten Tisch. Er schwankte. Seine Rechte zitterte so stark, daß er die 38er in die andere Hand wechselte. Er hatte den Wunsch, sich übergeben zu können. Er hatte den Wunsch, weinen zu können. Er hatte den Wunsch, mit der bloßen Faust eine Wand zu durchschlagen. Das war kein Recht und keine Gerechtigkeit. Das war ein blutiges Chaos. Ein Clown mit käsigem Gesicht kam aus den Schatten getaumelt. Seine Hände zitterten. Sein Haar war schweißverklebt. Seine Augen waren vom Weinen gerötet und verquollen. Es war Kressler. Kressler schwankte mit gesenktem Kopf an Beck vorüber und wich dessen Blick aus. Er stieg langsam und schwerfällig wie ein alter Mann die Treppe hinauf. Der FBI-Mann gab leise, schluchzende Geräusche von sich. Sein Atem ging schnell und rasselnd. Beck konnte förmlich beobachten, wie der Mann innerlich zerbrach, als er sich die Treppe hinaufschleppte. In Beck stieg eine heiße Woge der Wut auf. »Kressler!« rief er scharf und stürmte zur Treppe. Der FBI-Agent hob sie Hände, als wollte er einen Faustschlag abwehren. »Ich habe Ihnen nichts zu sagen.« Beck packte den rechten Arm des Mannes und hielt ihn zurück. »Sie haben Ihre Waffen fallenlassen«, sagte er mit eisiger Stimme. »Sie haben das getan, was ein Polizist niemals tun darf!« Kressler wirbelte herum. Seine geröteten Augen funkelten vor Zorn, als er Beck anstarrte. »Hätte ich's nicht getan, hätte er mich erschossen!« »Er hätte uns beide erschossen, weil Sie's getan haben!« brüllte Beck. »Wer sind Sie, daß Sie mir Vorwürfe machen!« schrie Kressler. »Sie haben ihm gesagt, ich hätte seinen Bruder erschossen! Wenn's auf Sie angekommen wäre, dann wäre ich jetzt tot!« Beck lächelte den zitternden Mann traurig an. »Sie haben's
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nicht kapiert«, sagte er leise. »Es kam auf mich an.« Er ließ Kresslers Arm los, griff in die Tasche seiner Jacke und zog ein paar Papiere hervor. Bobbys Adreßbuch. Die markierte Landkarte. Die Briefe. »Hier, Kressler. Eine Abmachung muß eingehalten werden. Sieg, Niederlage oder Remis.« Kressler riß ihm die Unterlagen aus der Hand und stürmte fluchtartig die Treppe hinauf zum Licht, zur Sonne, zur normalen, heilen Welt irgendwo hoch dort oben über den Katakomben. Beck war allein. Allein mit den Leichen der Burns-Brüder. Er ging hinüber zu den reglosen Körpern. Er blickte auf sie hinunter. Lebend waren sie brutale Killer gewesen. Tot waren sie nur zwei verrückte Fanatiker; junge Versager, die einander niemals wirklich wie Brüder verbunden gewesen waren. Beck sah auf ihre Hände: Selbst jetzt, im Tode, waren die Hände von Bobby und John ein winziges Stück voneinander getrennt. Er blickte auf die Gesichter der Brüder, auf denen noch immer ein wilder, trotziger Ausdruck lag. Bobby — mit verzerrter Fratze eines Teufels; ein Gesicht, das viel zu früh, schon in der Jugend, zu alt geworden war. John — hübsch, adrett und sympathisch; der perfekte >kleine Bruder<; ein Bruder, den jeder normale Mann lieben und schätzen würde. Beck jedenfalls hätte es getan. Sein eigener Bruder war nicht einmal zwölf Jahre alt geworden. Beck hielt den Blick starr auf die Gesichter gerichtet. Er konnte sich von diesem Bild blutiger Zerstörung nicht lösen. Doch er konnte John und Bobby nicht einfach als totes Fleisch betrachten. Er sah sie als Menschen — verrückte junge Menschen, unglückliche junge Menschen, in diesem Sumpf aus Wahnsinn und Fanatismus verdorbene und zerbrochene junge Menschen. John und Bobby: Brüder. Er beugte sich über sie und drückte ihnen die Augen zu. Als er sich wieder aufrichtete, drehte sich alles um ihn herum. Seine Knie wurden weich.
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Beck ließ seine 38er fallen, taumelte zu einer Kiste hinüber und setzte sich schwerfällig darauf. Quälende Magenkrämpfe fielen ihn an. Er übergab sich. Und dann, endlich, konnte er weinen. Er ließ den Tränen freien Lauf. Er weinte um diese Welt, um diejenigen, die die BurnsBrüder zu dem gemacht hatten, was sie gewesen waren. Seine Seele schmerzte. Er brauchte eine Zigarette. Er brauchte einen Drink. Und am meisten brauchte er jemanden, bei dem er Halt finden konnte.
29 Das Konferenzzimmer der Polizeiwache in Boulder war dem FBI für ein Provinz-Medienspektakel überlassen worden. Reporter von Presse, Funk und Fernsehen drängten sich Schulter an Schulter in dem kleinen Raum, wie Kinder auf der Kirmes, die wild darauf waren, Kasperl & Co zu sehen. Beck lehnte an der Rückwand des Konferenzzimmers und beobachtete, wie ein Bursche in seriösem grauen Anzug mit ernstem Gesicht und ernstlichen Problemen, seine beginnende Glatze durch eine kunstvolle Frisur zu vertuschen, vorn auf dem Podium vor einer Batterie von Mikrofonen mit monotoner Stimme über Dinge redete, von denen er gar nichts wissen konnte. Ein sehr gut gekleideter Kressler stand hinter ihm und strich sich hin und wieder das Haar glatt. Wie immer, waren Anzug und Frisur perfekt. Howdy Doody war wieder der Alte. » . . . und ich freue mich«, erklärte der Bursche im grauen Anzug gerade, »sagen zu dürfen, daß die Lösung dieses Falles beispielhaft dafür ist, daß das FBI nicht nur erfolgreich mit lokalen Polizeibehörden zusammenarbeiten, sondern dabei auch hervorragende Resultate erzielen kann ...« Beck fing an zu zählen, wie viele der Zuhörer/schauer
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blonde Haare hatten. Mal sehen. Eins, zwei, drei... »Nach nochmaliger, eingehender Überprüfung von Robert Burns' Adreßbuch, der an ihn gerichteten Briefe und anderer Beweismittel, die dankenswerterweise von FBI-Agent Mr. Arthur Kressler beigebracht wurden«, fuhr der graue Anzug fort, »muß das FBI nun seine Position, die es bisher gegenüber rassistischen Organisationen eingenommen hat, überdenken. Es besteht jetzt ausreichende Gewißheit darüber, daß seitens dieser Organisationen Bestrebungen im Gange sind, sich unter einem gemeinsamen Dach zusammenzuschließen. Um diesen Bestrebungen begegnen zu können, haben wir eine entsprechend geschulte Sondereinheit des FBI gebildet.« Ein Murmeln ging durch die Reihen der versammelten Reporter. Es erinnerte Beck an die Geräusche, die dressierte Seehunde von sich geben, wenn man ihnen einen fetten Fisch hinwirft. »Und nun«, schloß der graue Anzug seine Rede, »möchte ich Ihnen den Mann vorstellen, der diesem Fall vom Anfang bis zum Ende seine ganze Kraft gewidmet hat. Agent Mr. Arthur Kressler.« Kressler watschelte zum Podium. Sein Babyface verzog sich dabei zu einer finsteren Grimasse, die wohl Härte und Entschlossenheit ausdrücken sollte: Elliot Ness, dargestellt von Spanky. Er zupfte an seinem perfekt geschnittenen Jackett. Er stand aufrechter da, als Beck es jemals bei ihm gesehen hatte. Beck gab ihm eine Zwei für die Kleidung, eine Eins für die Haltung und eine Eins plus für die schauspielerische Leistung. »Es gibt nicht sehr viel, was ich den Worten meines Vorredners hinzufügen kann«, sagte Kressler, und seine gespielte Bescheidenheit strömte wie der Geruch billigen Parfüms über seine Zuhörer hinweg. »Ich möchte jedoch diese Gelegenheit nutzen, dem FBI für seine konsequente, selbstlose Unterstützung und sein Engagement bei diesem Einsatz danken. Und, natürlich, gehört den lokalen Polizeibehörden ein kräftiges symbolisches Schulterklopfen. Ohne ihre Mithilfe würde ich heute nicht vor Ihnen stehen.« Beck hüstelte gerade laut genug, daß Kressler ihn bemerkte. Und der FBI-Mann schien sich plötzlich sehr für seine blank gewienerten Schuhe zu interessieren.
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Beck verließ die Versammlung, als die Reporter anfingen, Kressler mit Fragen zu bombardieren. Beim Hinausgehen hörte er noch: »Als Sie das Grundstück der Selby-Ranch betraten, Mr. Kressler, wußten Sie zu diesem Zeitpunkt schon von der Bedrohung durch die Stärke und Bewaffnung des Gegners?« »Ja«, sagte Kressler und stand plötzlich wieder steif aufgerichtet da. »Ja, das wußte ich. Ich wußte über alles ...« Beck trat aus der stickigen, verlogenen Atmosphäre des Polizeireviers hinaus in die frische, klare Winterluft von Boulder. Noch immer lag Schnee, noch immer war der Himmel stahlblau. An der Welt hier draußen änderte sich nichts durch Verlogenheit. Beck sah Chief Dixon, der, auf seine Krücken gestützt, an einem vor dem Gebäude geparkten Polizeijeep lehnte. Beck ging zu Dixon hinüber. »Na, wie läuft's da drin mit unserem Einzelkämpfer?« fragte Dixon. »Da wird so viel Schaum geschlagen, daß ich fast dran erstickt wäre«, erwiderte Beck. »Wie geht's Ihrem Bein?« »Tut teuflisch weh. Was haben Sie denn erwartet?« Beck zuckte die Achseln und lächelte. »Ich weiß, 'ne blöde Frage. Hab' nur versucht, höflich zu sein.« »Möchten Sie zum Flugplatz gebracht werden?« fragte Dixon und zeigte auf einen anderen Jeep, hinter dessen Steuer einer seine Officers saß. »Klar«, sagte Beck lächelnd. »Sehr gut. Ihre Tasche ist nämlich schon im Wagen.« Dixon griff durch das heruntergekurbelte Seitenfenster ins Innere seines Jeeps und holte einen Pappkarton heraus. »Ich hab' ein kleines Geschenk für Sie.« Er reichte Beck den Karton. Beck, sichtlich überrascht, öffnete ihn, indem er vorsichtig die Laschen aufzog. Im Karton war ein fertig zusammengebauter Anti-Terror-Truck. Dixon grinste Beck an, der einen roten Kopf bekam. »Ich hatte die Befürchtung, daß Ihr Junge vielleicht schon erwachsen sein könnte, bevor Sie das Ding zusammengesetzt haben. Bei Ihren handwerklichen Fähigkeiten ...« Beck schüttelte verlegen den Kopf und blickte dem großen,
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freundlichen Mann, der grinsend vor ihm stand, in die Augen. »Danke, Chief.« »War schön, mit Ihnen zusammenzuarbeiten, Beck. Ich würde es immer und jederzeit wieder tun.« »Das Kompliment kann ich zurückgeben, Chief Dixon.« Die beiden Männer schüttelten sich die Hände. Beck wandte sich um und ging zum wartenden Jeep hinüber. Dixon rief hinter ihm her: »Noch was, Beck. Es gibt mehr im Leben als nur Krepieren oder Durchkommen, wie Sie's mal ausgedrückt haben. Viel mehr — wenn Sie dem Leben nur eine kleine Chance geben.« Beck drehte sich ein letztes Mal um, winkte Dixon zu und lächelte. »Ich glaube, ich komme so langsam dahinter.« Er stieg in den Jeep. Der Officer nickte Beck lächelnd zu, ließ den Motor an und fuhr los. Beck beobachtete gedankenversunken, wie Boulder allmählich hinter ihm zurückblieb. Und so vieles mehr. Die Gesichter von John und Bobby Burns, Sleepy, Ray und Crossfield. Die Gesichter der Gebhardts. Und die Gesichter all ihrer Opfer. Er drückte den Karton mit dem Spielzeug an seine Brust und dachte über Dixons Worte nach. Darüber, was er von nun an mit seinem Leben anfangen konnte. Er schnaufte verächtlich. Wie war doch das Sprichwort über alte Hunde und neue Kunststücke? Aber, so nahm Beck sich vor, wenn es mit seinem Leben weiter bergab ging, dann wenigstens mit Stil. Er ließ sich tiefer in den Beifahrersitz rutschen. Boulder lag hinter ihm — und vor ihm ein neues Kapitel seines Lebens.
30 Beck trat aus dem Flughafengebäude in Long Beach, Kalifornien, und versuchte sich krampfhaft daran zu erinnern, wo er seinen Wagen geparkt hatte. Er starrte über den riesigen Parkplatz hinweg, der sich vor dem Terminal erstreckte wie eine düstere Wüste aus Vinyl- und Stahldächern.
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Himmel, er erinnerte sich an nichts mehr. Dabei waren nur ein paar Tage vergangen, seit er seine Kiste hier irgendwo abgestellt hatte. Es schien eine Ewigkeit her zu sein. Er ging einfach los. In die ungefähre Richtung, wo er glaubte, seinen Wagen geparkt zu haben. Er kam an endlosen Reihen glänzend polierter neuer Wagen vorüber. Da sollte es doch nicht allzu schwierig sein, die Rostbeule von Toyota zu finden. Aber von wegen. Er blickte seufzend auf die Markierungsschilder: Reihe Bl. Reihe B2..., die war's doch gewesen. Oder? Er ging einen Fußweg hinunter, wo sich eine chromblitzende Stoßstange an die andere reihte — und dann sah er den Schandfleck. Seinen Wagen. Er trottete zu dem verbeulten Toyota hinüber. Welch ein Empfang. Das Wrack von Celica war schon verdammt schmutzig gewesen, als er es vor ein paar Tagen hier abgestellt hatte, aber jetzt sah es aus wie ein Fundstück einer archäologischen Ausgrabung. Eine dicke Schicht aus Staub, Sand und Smog-Sedimenten hatten sich auf dem Gefährt abgelagert. Den Möven schien er als bevorzugte Zielscheibe für ihre Verdauungsprodukte gedient zu haben, Beck fummelte seinen Schlüssel aus der Tasche und dankte Gott dafür, daß Elefanten nicht fliegen konnten. Er öffnete die Fahrertür und wollte sich gerade hinters Lenkrad klemmen, als er erstarrte. Auf dem Fahrersitz stand ein Eiskübel, in dem sich eine Flasche Dom Perignon und eine einzelne Rose befanden. An den Eiskübel gelehnt war ein Umschlag, auf dem sein Name stand. Beck blickte sich irritiert um. Das mußte ein Scherz sein. Oder ein Irrtum. Oder ein Trick. Er stellte seine Tasche auf den Boden, hielt das Paket mit dem Anti-Terror-Truck aber an sich gedrückt. Dann beugte er sich ins Wageninnere, nahm den Umschlag, öffnete ihn und las: Wie ich Dich kenne, denkst Du jetzt: >Wie ist jemand in meinen Wagen gekommen?<. Ich war mit einem Cop verheiratet, erinnerst Du Dich? Bitte beachte jetzt die folgenden Anweisungen sorgfältig. Eins: Entfeme den Eiskübel aus dem Wagen. Zwei: Schließ den Wagen ab. Drei: Dreh Dich um und
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steige in den nächsten Wagen ein, der vor Dir hält. P.S: Dein Wagen ist ein Schandfleck. Beck wischte sich über das linke Auge. Es tränte ein bißchen. War wohl ein Sandkorn oder so was reingeflogen. Er las den Brief zu Ende: Willkommen zu Hause. In Liebe — Linda. Beck stand da und fummelte wie ein schüchterner, zu groß geratener Pennäler am Brief herum. Dann nahm er den Eis kübel aus dem Wagen, schlug die Tür zu und schloß sie ab. Er drehte sich langsam um und blickte die Zufahrtsstraße zwischen den Reihen der geparkten Wagen hinunter. Da war nichts. Beck grinste vor sich hin. War wohl doch nur ein Jux gewesen. Seine Augen weiteten sich, als eine glänzende, weiße Pullman-Limousine um eine Ecke gebogen kam und über die Zufahrtsstraße auf ihn zu glitt. Beck fühlte sich ein bißchen verlegen, als er an das verrostete Monstrum dachte, das hinter ihm stand. Er hoffte, daß der Fahrer dieses Schlachtschiffes nicht hielt, um sich nach dem Weg zu erkundigen. Zu seiner Verärgerung hielt die Limousine. Genau vor ihm. Hinter der getönten Frontscheibe sah Beck einen sehr jungen, sehr korrekt gekleideten Chauffeur. Die Hintertür des Wagens wurde geöffnet, und ein langes, schlankes Bein tauchte auf, als wollte ein weiblicher Passagier dieses Schiff verlassen. Doch das Bein blieb, wo es war. Statt dessen wehte eine weibliche Stimme aus dem Wageninnern. »Glückliches Neues Jahr, Seemann. Wollen Sie anheuern?« Beck schüttelte den Kopf und grinste vor sich hin. Er trottete zur Tür der Limousine hinüber, die Tasche und den Eiskübel in der einen, das Spielzeug fest in der anderen Hand, und stubste die Tür mit den Knie auf. Auf dem Rücksitz saß Linda. Sie trug ein hellblaues Abendkleid und lächelte ihn an. Es fiel Beck schwer, die richtigen Worte zu finden. »Ich . . . ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ist heute Neujahrstag? Ich fürchte, ich hab' die Übersicht verloren.« Linda lächelte. »Ich nicht.« Sie wies mit einer weit ausholenden Geste auf die Luxuskarosse. »Hast du so einen Trip schon mal gemacht?«
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Er schüttelte verlegen den Kopf. »Nee.« »Ich auch nicht«, sagte Linda lachend. »Also, dann machen wir's Beste draus.« »Äh, ich muß erst noch ein Geschenk bei meinem Jungen abgeben.« »Geburtstag?« »Nein. Weihnachten.« »Bist du damit nicht ein bißchen spät dran?« Beck ließ ein schiefes Lächeln aufblitzen. »Immer einen Tag zu spät dran und einen Dollar zuwenig in der Tasche. So bin ich eben.« Linda schüttelte den Kopf. »So warst du mal. Jetzt bist du ein anderer.« Er ließ sich von Linda die Sachen abnehmen und im Wagen verstauen. »Stimmt«, sagte er. »Vergeß ich nur dauernd.« Beck stieg ein. Linda hauchte ihm einen Kuß auf die Wange. Beck errötete. »Ich... weiß nicht, ob ich schon soweit bin.« Linda hakte sich bei ihm ein, als die Limousine anrollte. »Bist du, glaub mir. Eigentlich bist du in gewisser Weise sogar überfällig.« Beck beobachtete, wie sich seine zerbeulte Rostlaube zwischen den neuen, glänzenden Wagen verlor, als die Limousine langsam vom Parkplatz fuhr. »Weißt du was?« sagte er und lachte leise. »Da könntest du recht haben. Da könntest du wirklich recht haben.«
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Epilog Im Zuge weiterer Ermittlungen nach diesem Fall infiltrierte die FBI-Spezialeinheit extremistische weiße Rassistengruppen in den gesamten Vereinigten Staaten, was zu 40 Festnahmen und Anklagen führte. Unter denen, die vor Gericht gestellt wurden, waren die Männer, die den Brink's-Raub-überfall in Ukiah, Kalifornien, verübt hatten — 1,6 Millionen Dollar Beute —, und diejenigen, die für die Ermordung des Talkmeisters Alan Berg in Denver verantwortlich waren. Weitere Ermittlungen sind noch im Gange. ENDE
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