Heike Wagner Dasein für Andere – Dasein als Andere in Europa
VS RESEARCH
Heike Wagner
Dasein für Andere – Dasein a...
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Heike Wagner Dasein für Andere – Dasein als Andere in Europa
VS RESEARCH
Heike Wagner
Dasein für Andere – Dasein als Andere in Europa Ecuadorianische Hausarbeiterinnen in Privathaushalten und katholischen Gemeinden Madrids
VS RESEARCH
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2010 Lektorat: Dorothee Koch VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-16680-3
Dank Viele haben direkt oder indirekt zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen. Ihnen allen sei von Herzen gedankt. Mein besonderer Dank gilt Professor Thomas Hauschild und Professorin Irmtraud Stellrecht, welche mich am Institut für Ethnologie der Universität Tübingen für das Fach begeisterten und in die Kunst der Ethnographie einführten. Vor allem sei Professorin Elke Mader vom Institut für Kultur- und Sozialanthropologie der Universität Wien für ihre Betreuung und tatkräftige Unterstützung herzlichst gedankt. Für die finanzielle und persönliche Förderung während meines Studiums bis hin zur Dissertation bedanke ich mich beim Cusanuswerk. Wichtig waren für mich Impulse und Rückmeldungen, die ich bei Tagungen erhielt. Helma Lutz sei für ihre Einladung zur Konferenz „Migration and Domestic Work in Global Perspective“ in Wassenaar (26.-29.05.2005) gedankt, welche mir die Möglichkeit gab, mit vielen der hier zitierten HausarbeitsforscherInnen in direkten Kontakt zu treten und Teile meiner Ergebnisse zu diskutieren. Nicht vergessen möchte ich, dass mir spanische ForscherInnen wie Ángeles Escrivá und María García-Cano Torrico, nachdem ich Probleme beim Zugang zu ihren Studien hatte, mir diese kurzerhand aus Spanien zusandten. In verschiedenen Momenten standen mir zahlreiche Personen zur Seite, sie korrigierten Texte und diskutierten mit mir über Aspekte meiner Forschung oder über Haushalts- und Migrationsforschung im Allgemeinen. Beispielhaft seien Professorin Sabine Strasser, Franziska Baumann, Elisabeth Schmid, Heidi Weinhäupl, Julia Czarnowski, Gabriele Brandhuber sowie die Mitglieder der Arbeitsgruppe KRItische MIgrationsforschung genannt. Spezieller Dank auch an meine Eltern und meinen Mann für ihre Unterstützung und Liebe. Mein größter Dank gilt den hier untersuchten Personen und Institutionen, welche mir die Forschung erst ermöglichten. Besonders danke ich den ecuadorianischen Frauen, Männern und Kindern für ihre Offenheit und Bereitschaft, mich bei ihnen und unter ihnen aufzunehmen. Ihnen sei diese Arbeit gewidmet. Mögen sich ihre Träume, Hoffnungen und Projekte erfüllen. Heike Wagner
Inhalt 1
Einführung ...................................................................................................... 13 1.1
2
Kontextualisierungen...................................................................................... 23 2.1
2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.1.4 2.1.5 2.2
2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.2.4 2.3 3
Zum Aufbau der Ethnographie ............................................................... 18
Migration als soziale Konstruktion ......................................................... 23
Die soziale Konstruktion von „Migranten“ und „Migrantinnen“ in Spanien – historische Zugänge ............................................... 24 Migrantinnen – als Frauen mehrfach diskriminiert ..................... 26 Konstruktionsprinzipien und Differenzmarker ........................... 26 Migrationsforschung und die soziale Konstruktion von Migration .................................................................................... 28 Migration – eine begriffliche Annäherung .................................. 29 Migration als soziale Praxis .................................................................... 32
Überlegungen zu einem praxeologischen Ansatz ....................... 33 Kontexte, Brüche und Erweiterungen ......................................... 35 Die Bedeutung der globalen Ökonomie als strukturale Macht ... 39 Das soziale Geschlecht als transversale Strukturierungskraft ..... 40 Sozialtheoretische Kontextualisierung der Arbeit .................................. 41
Der Migrationsprozess ecuadorianischer Hausarbeiterinnen als Forschungsprozess .......................................................................................... 43 3.1
Die Methodologie..................................................................................... 43
3.1.1 Methodenvielfalt ......................................................................... 44 3.1.1.1 Teilnehmende Beobachtung .................................................... 44 3.1.1.2 Interviews................................................................................ 45 3.1.2 Raum – Multi-sited Ethnography ................................................ 46 3.1.3 Zeit – 14 Monate Feldforschung ................................................. 46 3.1.4 Grounding – das Verweben von Datensammlung und Datenanalyse ............................................................................... 47 3.1.5 Nähe und Distanz, subjektive Verortungen ................................ 50 3.2
3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4
Der Forschungsprozess ........................................................................... 52
Bestimmung und Konstruktion des Feldes ................................. 52 Explorative Forschungsphase in Spanien.................................... 55 Problemorientierte Forschung in Ecuador .................................. 59 Vertiefung und Beendigung der Forschung in Madrid ............... 60
8
Inhalt
4
Die ecuadorianische Auswanderung nach Spanien...................................... 61 4.1
Die „neue Emigration“ und die ecuadorianische Krise ......................... 65
4.2
Neue Krise, alte Krisen und andere Migrationsgründe – über die Plurikausalität von Migrationsentscheidungen........................................ 74
4.2.1
Genderexklusion und Gendergewalt in Ecuador: stille Migrationsgründe ........................................................................ 76 4.2.1.1 Genderexklusion und Gendergewalt in Ecuador ..................... 76 4.2.1.2 Genderexklusion und Gendergewalt als Migrationsursache ... 96 4.2.1.3 „Versteckte” Migrationsgründe: Warum tauchen diese Daten so selten auf? ................................................................ 99 4.2.2 Die Bedeutung von Vorstellungen, Hoffnungen und Träumen. 101 4.2.3 Die Rolle sozialer Netzwerke ................................................... 111 4.2.4 Die Migrationsindustrie: Migration als großartiges Geschäft ... 121 4.2.4.1 Migrationsindustrie, die von reisenden MigrantInnen lebt ... 122 4.2.4.2 Migrationsindustrie, die von (schon bestehenden) Migrationen lebt .................................................................... 128 4.2.5 Warum Spanien? Das neue Einwanderungsland ....................... 129 4.3 5
Ecuadorianische Migration nach Spanien: plurikausal und vielschichtig ........................................................................................... 136
Angekommen: EcuadorianerInnen in Madrid ........................................... 141 5.1
Neubeginn im fremden Kontext ............................................................ 141
5.1.1 5.1.2 5.2
Zu MigrantInnen in Spanien werden ................................................... 155
5.2.1 5.2.2 5.2.3 6
Wohnen – „el piso compartido“: MigrantInnen-WGs .............. 143 Die Bedeutung von Ressourcen: Netzwerke, der Zugang zu Informationen und Hilfsleistungen ........................................... 153 Ohne regulären Aufenthaltstitel: „Hier gibt es keine Freiheit“ . 156 Illegalisierung, Diskriminierung und Ethnisierung: Als Andere gleich gemacht.............................................................. 158 Initiation zur Migrantin ............................................................. 163
Arbeit als Hausarbeiterinnen....................................................................... 167 6.1
Haushaltsarbeit, Reproduktionsarbeit, Hausarbeit – begriffliche und erste inhaltliche Klärung ............................................................... 168
6.2
Eine neue, alte Beschäftigung für Migrantinnen – Hausarbeit im Kontext der Globalisierung ..................................................................... 171
6.2.1 6.2.2
Die neue Nachfrage nach bezahlter Hausarbeit ........................ 174 Die Ethnisierung von Hausarbeit .............................................. 179
9
Inhalt
6.3
Die gesetzliche Regelung von Hausarbeit in Spanien .......................... 183
6.4
Hausarbeit als hoch-personalisierte Arbeit in der Privatsphäre (der Anderen) .................................................................................................. 190
6.4.1
Arbeitsplatz Privatsphäre: Unsicherheiten und Grenzüberschreitungen ............................................................. 191 6.4.2 „Zur Familie gehörig“: Die Ambivalenz von Nähe und Distanz im hierarchischen Kontext ........................................... 194 6.4.2.1 Als Interna Medium eines flexiblen, bequemen (Familien-) Lebens der Anderen: die Verdichtung der Problematiken .... 199 6.4.3 „Zur Familie passend“: Die Bedeutung von Persönlichkeit und Haltung ............................................................................... 203 6.5
Wie finde ich Arbeit? – Die Suche nach und Rekrutierung von Hausarbeit ............................................................................................... 206
6.5.1 6.5.2 6.5.3 6.6
Aushänge, Netzwerke und andere Formen der Arbeitssuche.... 206 „Arbeitssuche kostet Geld“: Notwendige Ressourcen .............. 211 Haarefärben und andere Strategien der Arbeitssuche ............... 215
Ein Hausarbeitskurs für Migrantinnen in einer katholischen Gemeinde in Madrid – Sozialarbeit als Migrationsinstitution ............... 219
6.6.1
Kochen, Nähen, Tischdecken: Der Ablauf und Inhalt des Kurses ....................................................................................... 222 6.6.2 Der Hausarbeitskurs als Teil der katholischen Kirche .............. 225 6.6.3 Differenzfaktoren und Signifikationsgeber des Kurses............. 228 6.6.3.1 Hausarbeit als „natürliche Arbeit der Frau“: Arbeitsverständnis und Frauenbild ....................................... 230 6.6.3.2 (Potentielle) Mütter und Flexibilitätsprobleme ..................... 235 6.6.3.3 Die ungebildeten, unzivilisierten Fremden ........................... 238 6.6.3.4 Außerhalb des Rechts ........................................................... 248 6.6.3.5 Arbeit, nichts als Arbeit – Platzzuweisung und Integrationshilfe .................................................................... 254 6.6.4 Unterschiedliche Positionen, Zielsetzungen und Strategien der verschiedenen AkteurInnen................................................. 258 6.6.4.1 Hilfe und Selbsthilfe – Die Rolle der Voluntarias ................ 258 6.6.4.2 Halbmächtige und andere Mächte – die Ordensschwester und die Priester ..................................................................... 263 6.6.4.3 Die Rolle der Gemeinde innerhalb des Viertels und als Teil der Gesellschaft ............................................................. 264 6.6.4.4 Strategien und Ziele der Migrantinnen: „Man muss sie zu nehmen wissen“................................................................ 267
10
Inhalt
6.6.5 7
Integration und Erziehung zur nachgefragten, untergeordneten und entpersonalisierten Hausarbeiterin .......... 275
Strategien, Handlungsspielräume und Möglichkeiten ............................... 277 7.1
7.1.1 7.1.2 7.1.3 7.2
Strategien bei der Haushaltsarbeit ........................................................ 278
„Bitte nicht stören, ich bin am Kochen” und andere Strategien bei der Arbeit ........................................................... 278 Das selbstgewählte Ende des Arbeitsverhältnisses ................... 286 Affirmierend, manipulierend, aushandelnd – Strategien bei der Arbeit .................................................................................. 293 Strategien außerhalb der Arbeit ............................................................ 296
7.2.1 Mittel gegen Stress und Erschöpfung ....................................... 296 7.2.1.1 Umstrittene Erholung und Freizeitaktivitäten bei ecuadorianischen Treffpunkten – das Beispiel von Lago...... 302 7.2.2 „Cadenas de dinero“ – Netzwerkstrategien............................... 309 7.2.3 „Baños dulces“ und andere Veränderungsrituale ...................... 313 7.2.4 „Baile de solteros“ – Ressource Frausein ................................. 317 7.2.5 Handlungsspielräume, Grenz(überschreitung)en, Strategien .... 326 7.3
Freude und Leid .................................................................................... 331
7.3.1 Die Selbstbewertung der Migration als Hausarbeiterin ............ 332 7.3.1.1 Der ungleiche „Gewinn für alle“........................................... 341 7.3.1.2 Auswirkungen auf die Geschlechterverhältnisse .................. 346 7.3.1.3 Die Neudefinition der Geschlechterverhältnisse im Migrationsprozess ................................................................. 359 7.3.2 Haushaltsarbeit – Ermöglichung und Verhinderung zugleich... 361 8
Schlussfolgerungen ....................................................................................... 365 8.1
Die Migration ecuadorianischer Frauen nach Madrid ........................ 365
8.2
Migrantische Haushaltsarbeit im Kontext der Globalisierung – Asymmetrien, Kurse und Diskurse ........................................................ 367
8.3
Handlungsfelder und Strategien ........................................................... 374
8.4
Dasein für Andere – Dasein als Andere in Europa .............................. 378
8.5
Hinweise für weitere Forschungen ....................................................... 380
Bibliographie ......................................................................................................... 383 Monographien, Zeitschriften- und Sammelbandbeiträge ................................. 383 Internetquellen ................................................................................................... 406 Abbildungs- und Tabellenverzeichnis ................................................................. 409
Hinweise zur Übersetzung der Zitate Spanischsprachige Zitate wurden übersetzt, während englischsprachige wie französischsprachige Texte im Original zitiert werden. Bei der Übersetzung aus dem Spanischen, welche häufig Zitate von MigrantInnen betreffen, versuchte ich eine Balance zwischen dem Beibehalt des Stils samt Gesprächssituation und flüssiger Lesbarkeit zu finden. So entschloss ich mich beispielsweise, das „Sie“ der Anrede im ecuadorianischen Spanisch bei der deutschen Übersetzung zu erhalten. Dabei ist zu betonen, dass es bei FreundInnen und innerhalb der Familie nicht wie im Deutschen eine Distanz ausdrückt, sondern vielmehr freundschaftlichen bzw. familiären Respekt und Verbundenheit. Auslassungen wurden wie folgt gekennzeichnet (...) Kommentare, Klarstellungen und Erklärungen erfolgen als [...]
Abkürzungsverzeichnis AI ALISEI ASOCAMU CEDATOS DEDIME CEPAM CEPAR CEPLAES EU FEPP ILO INEC IWF NGO OSCE UNO UNICEF USA
Amnisty International/Amnistía Internacional Asociación para la cooperación internacional y ayuda humanitaria Asociación de caravanas de mujeres Centro de Estudios y Datos Centro de Investigación de los Movimientos Sociales del Ecuador Centro Ecuatoriano para la Acción de la Mujer Centro de Estudios de Población y Desarrollo Social Centro de Planificación y Estudios Sociales Europäische Union Fondo ecuatoriano populorum progressio International Labour Organization Instituto Nacional de Estadística y Censos Internationaler Währungsfond Non-Governmental Organization Organization for Security and Co-operation in Europe United Nations Organization United Nations International Children’s Emergency Fund United States of America
1
Einführung
Mónica1 aus Ecuador ist 39 Jahre alt, hat drei Kinder und arbeitet seit zwei Jahren in Madrid als Hausarbeiterin. Sie wohnt bei ihrer Arbeitsstelle und ihre Aufgaben bestehen aus einem „Rund-um-Service“ von Pflege eines bettlägerigen alten Mannes, Putzen, Kochen, Waschen für 600 Euro im Monat. Es handelt sich um eine körperlich anstrengende und, da der Mann oft vor Schmerzen schreit und stöhnt, psychisch sehr belastende Arbeit. Mónica hat sonntags von zehn Uhr morgens bis 22 Uhr abends sowie vier bis sechs Stunden unter der Woche frei. Ansonsten steht sie 24 Stunden am Tag zur Verfügung. Da der alte Mann auch nachts der Pflege bedarf, gibt es keine festen Arbeitszeiten. Sie hat wenig Freizeit und auch keine Privatsphäre. Ihr Schlafzimmer wird gleichzeitig vom Sohn des alten Mannes als Arbeits-, Musik- sowie Rückzugszimmer genutzt. Er ist Mitte dreißig, wohnt ebenfalls in der Wohnung und wird von ihr mitversorgt. Erst wenn das Zimmer abends vom Sohn frei gemacht wird, kann Mónica ins Bett. Generell ist das Verhältnis mit ihm sehr freundlich, was jedoch auch darauf beruht, dass sie ihre eigenen Wünsche denen ihres Arbeitgebers unterordnet. Ihre knappe Freizeit verschafft ihr nicht die Entspannung und Erholung, die sie bräuchte. Gleichzeitig ist sie jedoch glücklich darüber, dass sie die Versorgung und Ausbildung ihrer Kinder in Ecuador garantieren kann, was vor ihrer Migration nach Madrid nicht möglich war: Ihr Mann brachte seinen Lohn durch und misshandelte sie psychisch. Sie selbst misshandelte die Kinder, bis sie in Ecuador psychologische Hilfe in Anspruch nahm. Sie begann, ihre Rolle neu zu definieren und sich und die Beziehung zu ihrem Ehemann zu verändern. Sie suchte sich Arbeit und migrierte schließlich mit Hilfe einer Schwägerin nach Spanien. Ihr Wunsch war und ist es auch fünf Jahre nach ihrer Reise, ihre Kinder bald nach Spanien nachholen zu können oder nach Ecuador zurückzukehren (vgl. Wagner 2006). Mónica steht hier beispielhaft für ecuadorianische Haushaltsarbeiterinnen in Spanien, deren Migrationsprozess ich in einer 14-monatigen Feldforschung in Madrid (12 Monate) und Ecuador (2 Monate) für die vorliegende Ethnographie untersuchte. Ihre Geschichte zeigt zentrale Aspekte migrantischer Haushaltsarbeit (d.h.
1
Alle Namen sind Pseudonyme, um die Anonymität der Personen zu bewahren. In wenigen Fällen wurden zusätzlich weitere persönliche Attribute wie zum Beispiel der Herkunftsort verfremdet.
Heike Wagner, Dasein für Andere – Dasein als Andere in Europa, DOI 10.1007/978-3-531-92167-9_1, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2010
14
1 Einführung
Haus-, Erziehungs- und Pflegearbeiten2) auf: Mónica arbeitet als so genannte Interna3 (Englisch „live-in“), das heißt als Hausarbeiterin, welche am Arbeitsplatz wohnt. Hat Mónica keine unmittelbaren Tätigkeiten zu verrichten, kann sie sich nicht zurückziehen. Zwar haben die meisten Internas im Gegensatz zu Mónica ein eigenes Zimmer. Dieses befindet sich jedoch im „Zuhause“ der ArbeitgeberInnen. Arbeitet eine Hausarbeiterin stundenweise („por horas“ bzw. als sogenannte Externa4), hat sie hingegen klarer geregelte Arbeitszeiten und wohnt nicht bei der Arbeitsstelle. Oft vermindert sich jedoch auf diese Weise das verfügbare Einkommen, weil sie nun Wohnen und Essen selbst bezahlen muss, wodurch sich die Realisierung vieler Migrationsprojekte verzögert. Haushaltsarbeit stellt eine unsichtbare und ungeschützte Tätigkeit dar, welche quasi „außerhalb des Gesetzes“ stattfindet. Entweder handelt es sich um eine informelle Arbeit, – wobei viele Migrantinnen zusätzlich über keinen legalen Aufenthaltstitel verfügen –; oder um eine gesetzlich zwar geregelte Tätigkeit, aber aufgrund der spanischen Gesetzgebung um eine zu Gunsten der ArbeitgeberInnen regulierte Arbeit, die Hausarbeiterinnen einen speziellen Status zuweist und ihnen weniger Rechte als anderen ArbeiterInnen garantiert. Arbeitsinspektionen sind beispielsweise praktisch unmöglich und die konkreten Arbeitssituationen nach außen hin unsichtbar. Die Arbeitsbedingungen sind daher vor allem vom guten Willen der ArbeitgeberInnen abhängig. Die Arbeit in der Haushaltsarbeit stellt keine Berufsentscheidung der ecuadorianischen Frauen dar, sondern eine der Hauptarbeitsmöglichkeiten als Migrantinnen in Spanien. Dahinter stehen spezifische politische, rechtliche, soziale wie ökonomische Prozesse, welche die Migrantinnen in diese Arbeit lenken. Es handelt sich um den heute wichtigsten Arbeitssektor von Migrantinnen weltweit und eines der am stärksten wachsenden Gewerbe in Europa (vgl. Hess 2005, 97; Lutz 2005, 66). Haushaltsarbeit betrifft Kernbereiche derzeitiger gesellschaftlicher Entwicklungen, indem Haushaltsarbeiterinnen im Kontext unterschiedlichster sozialer Veränderungen (steigende Arbeitsmarktpartizipation von Frauen, Alterung, Abbau des Sozialstaates etc.) durch die Ermöglichung von billiger und flexibler Auslagerung der 2
Es geht also um verschiedene Formen von Versorgungs- und Pflegearbeiten, angefangen von Putzen, Kochen, Waschen, Bügeln, Aufräumen über Kinderbetreuung, Erziehung bis hin zu Kranken- und Altenpflege. All dies wird unter den Begriff ‘Haushaltsarbeit’ gefasst (vgl. Geissler 2002), welcher parallel zu ‘Hausarbeit’ verwendet wird. Eine genauere begriffliche wie inhaltliche Bestimmung erfolgt unter 3.4.1. 3 Es werden folgende Arbeitsprofile unterschieden, welche im Laufe der Studie immer wieder auftauchen werden: Internas wohnen und arbeiten bei den ArbeitgeberInnen im Haushalt. Sie übernachten also auch dort. Externas arbeiten täglich eine bestimmte Anzahl von Stunden im gleichen Haushalt, wohnen jedoch nicht dort. Por horas („pro Stunde“) bedeutet, auf Stundenbasis zu arbeiten; meistens in mehreren Haushalten. 4 Siehe oben
1 Einführung
15
Haus-, Pflege- und Erziehungsarbeiten zum Erhalt familiärer Strukturen, den Genderverhältnissen sowie der Sozialstruktur als solcher beitragen und den Lebensstandard breiter sozialer Sektoren garantieren (vgl. Anderson 2000, 15ff). In ihrer Rolle als Arbeiterinnen in Privathaushalten befinden sich die Haushaltsarbeiterinnen daher im Zentrum sozialer Prozesse. In Bezug auf Integration, Partizipation und Interaktion stehen sie aber am Rande der Gesellschaften und sind oft vielfältigen Formen von Diskriminierung, Ausbeutung sowie anderen Formen von Gewalt (zum Beispiel sexualisierter Gewalt durch ArbeitgeberInnen) ausgesetzt. Und dennoch kann die Arbeit wie im Fall von Mónica auch bestimmte Vorteile bringen, so zum Beispiel die Versorgung ihrer Kinder in Ecuador. Aus diesem Grund wird oft von einem gegenseitigen Gewinn von ArbeitgeberInnen wie Arbeitnehmerinnen gesprochen und verschiedene Annahmen bezüglich der Migrationsmotivationen bzw. -gründe, der Evaluierung der Arbeits- und Lebensbedingungen sowie der Realisierung der Migrationsprojekte zugrundegelegt. Diese Aspekte werden in der vorliegenden Studie für ecuadorianische Haushaltsarbeiterinnen in Madrid untersucht. Haushaltsarbeit wird dabei nicht nur in ihrer Arbeitsdimension behandelt, sondern in den größeren Kontext des Migrationsprojektes und -prozesses der Migrantinnen eingeordnet. Folgende Forschungsfragen wurden gestellt: 1) Warum migrieren ecuadorianische Frauen nach Spanien? – Ursachen der Migration: in welchem Kontext, von wem, vor dem Hintergrund welcher Erwartungen die Entscheidung zur Migration getroffen wurde und welches Migrationsprojekt die Frauen verfolgen. 2) Worauf treffen sie? – Arbeits- und Lebens(un)möglichkeiten als Hausarbeiterinnen in Madrid: die Charakteristika von Haushaltsarbeit, deren legale Bedingungen, Rollenzuweisungsprozesse, die Suche und Rekrutierung von Haushaltsarbeit, der Alltag und die Bedeutung der Hausarbeit für die Migrantinnen. 3) Wie gehen sie damit um? – Strategien der Haushaltsarbeiterinnen: wie die Ecuadorianerinnen ihren Migrationsprozess gestalten, welcher Handlungsraum ihnen offen steht und inwieweit sie ihre Projekte realisieren können. Im Hintergrund des konkreten Beispieles der ecuadorianischen Hausarbeiterinnen in Madrid steht die Frage nach den Möglichkeiten und Unmöglichkeiten von Migrantinnen im Kontext der Globalisierung, d.h. nach deren Handlungsfeld und somit auch ihrer Rolle in den Einwanderungsgesellschaften. Hierzu wird die Haushaltsarbeit nicht nur im Bereich des Privathaushaltes analysiert, sondern auch im spanischnationalen, transnationalen wie globalen Kontext verortet. Auch wenn im Folgenden die Geschichten von Frauen, die strukturellen Bedingungen und das Spezifikum von Haushaltsarbeit als primäre (wenn auch nicht ausschließliche) Arbeit von Frauen im Zentrum der Analyse steht, handelt es sich um keine Forschung über isoliert gedachte bzw. methodisch isolierte Frauen. Gen-
16
1 Einführung
der ist stets interaktiv und relational konstruiert. Das Verständnis von Geschlecht bzw. die jeweilige geschlechtliche Identität als heterosexuelle, homosexuelle oder transsexuelle Personen werden also mit anderen Personen verhandelt, gestaltet sowie situativ bestimmt (vgl. Hauser-Schäublin/Rössler 1998, 16). Daher interagierte ich auch mit Partnern, verschiedenen Familienangehörigen wie Kindern und FreundInnen der Frauen in Spanien sowie Ecuador und interviewte auch sie. Zusätzlich führte ich Interviews mit anderen ecuadorianischen Frauen und Männern als Vergleichsgruppen durch (das heißt mit Männern, welche nicht zu den untersuchten Netzwerken gehörten, sprich keine Partner oder Freunde der erforschten Frauen und nicht ausschließlich heterosexuell waren). Die Studie beschäftigt sich zwar mit heterosexuellen Frauen, ich hatte aber auch Kontakte und führte Gespräche mit homosexuellen sowie transsexuellen EcuadorianerInnen. Außerdem gilt, dass zwar ecuadorianische Frauen im Zentrum meiner Analyse stehen, sie werden aber weder von Männern, Kindern, Familienangehörigen unabhängig gedacht noch von ihnen her oder in Bezug auf diese hin analysiert. Vor allem fasse ich „Frauen“ nicht als eine homogene Gruppe: Wie die US-amerikanische Frauen- und Geschlechterforschung in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren mit ihrer Kritik am Mittelschichtbias und dem unreflektierten Ethnozentrismus der damaligen vorherrschenden Konzeptionen der Frauenforschung bereits herausarbeitete, kann nicht abstrakt und allgemein von „den Frauen“ gesprochen werden.5 Die Kategorie „Frau“ bzw. „Gender“, also soziales Geschlecht, muss somit als universale Kategorie dekonstruiert und deren soziale und kulturelle Inhomogenität in den Blick genommen werden. Ist hier also von „Frauen“ die Rede, liegt kein essentialistisches oder kulturalistisches Verständnis zugrunde. Es gibt keine feste, homogene oder statische Gruppe „der Frauen“. Dennoch kann und muss von Frauen bzw. von Geschlecht gesprochen werden, nämlich wenn es um strukturelle, strukturierende und strukturierte6 Zusammenhänge geht. Gender, ‚Race’7, Ethnizität, Klasse, Religion, Sexualität, physische Fähigkeiten8, Alter, Staatsbürgerschaft, Zeit in Spanien oder Bildung wie auch andere Differenzformen bezeichnen Kräfte und Machtbeziehungen, die Gesellschaften über Verschiedenheiten, Veränderungen und interne Unter-
5
Vgl. die Kritik des Black Feminism; für eine Übersicht vgl. Knapp 2005, 69. Zum Verständnis von „strukturierende und strukturierte“ vgl. die Sozialtheorie im folgenden Kapitel 2.2. 7 Hier wird der englischsprachige Begriff ‚Race’ benutzt, um ihn vom „Rassebegriff“ und dessen Konnotationen der Verwendung im deutschsprachigen Raum abzugrenzen (vgl. Knapp 2005). Dabei ist wichtig, dass es hier, wie bei anderen Differenzkategorien auch, um Zuschreibungen und keine „neutralen“ Beschreibungen geht. 8 Der Begriff „physische Fähigkeiten“ wird im Rückgriff auf Baca Zinn, Hondagneu-Sotelo und Messner gewählt, um den Ausdruck „Behinderung“ als negativ konnotierten Begriff zu vermeiden (vgl. Baca Zinn/Hondagneu-Sotelo/Messner 2000, 1). 6
1 Einführung
17
schiede hinweg stratifizieren.9 Sie sind intersektional10 miteinander verwoben, was unterschiedliche Formen, Positionen, Möglichkeiten und Unmöglichkeiten für die einzelnen Personen bewirkt (vgl. Baca Zinn/Hondagneu-Sotelo/Messner 2000, 1). Eine ledigliche Betonung von Differenzen und Veränderungen wäre aufgrund der Strukturierungsmacht der Differenzformen ebenso problematisch wie deren Negierung. Wie Andersen schreibt: „Theoretical arguments emphasizing the fluidity and agency of gender, race, class, and sexuality make these social factors seem inherently unstable, but they are at the same time remarkably (and frustratingly) stable over time.“ (Andersen 2005, 452)
Das Gleiche gilt für die Rede von „EcuadorianerInnen“, „SpanierInnen“, „MigrantInnen“ oder anderen Sammelbegriffen. Sie bilden keine einheitlichen Gruppen. Sie treten aber in bestimmten Kontexten als solche auf bzw. werden als solche konstruiert. So schreiben Solé und Parella beispielsweise bezüglich der Kategorie „Migrantinnen“ und „Haushaltsarbeit“: „Migrant Women in Spain present many distinct personal histories, circumstances and geographical, economic, social and cultural backgrounds. In addition they have a very great variety of working careers. Despite all of these differences, it would appear to make sense to study migrant women as a group, given that there exist structural factors that have a great influence over them and that relegate them to a very specific ‘niche’ in the job market: domestic service.“ (Solé/Parella 2003, 70)
Auch für EcuadorianerInnen gilt, dass sie nicht als eine klare Gruppe existieren, weder in Ecuador noch in Spanien, dass sie sich aber selbst kontextuell als solche definieren und/oder organisieren und vor allem auch in verschiedenen institutionellen Zusammenhängen als solche konstruiert werden. Dazu gehören das spanische Einwanderungsgesetz, die Medien, Stereotypen und damit verbundene Praktiken, in denen EcuadorianerInnen in Spanien zum so genannten „colectivo ecuatoriano“ als einer scheinbar homogenen Gruppe gemacht werden und sich machen (vgl. Cortez 2004).11 EcuadorianerInnen in Spanien unterscheiden sich jedoch auf vielfältige Weise, weshalb es Gemeinsamkeiten, aber notwendigerweise auch Unterschiede gibt. Ihre Sozialisierung in der ecuadorianischen Gesellschaft prägt auf verschiedenen Ebenen bestimmte Werte, Normen, Geschmäcker, Vorlieben, Sinngebungen, Umgangsformen. Diese werden jedoch jeweils individuell sowie klassen-, geschlechts- und gruppenspezifisch ausgeformt, affirmiert und/oder verändert. Die Ethnographie zielt auf das Herausarbeiten dieser Differenzen und Gemeinsamkeiten in der Perspektive einer praxeologischen Sozialtheorie (vgl. Kapitel 9
Vgl. Moores Unterscheidung von „differences between“ und „differences within“ (vgl. Henrietta Moore 1993, 195). 10 Vgl. zum Ansatz der „intersectionality“ und einer intersektionalen Perspektive für den deutschsprachigen Raum Knapp 2005. 11 Unter 2.1 wird näher auf die soziale Konstruktion von Migration eingegangen.
18
1 Einführung
2). Es geht um spezifische Kontexte, rechtliche, politische, soziale, kulturelle und ökonomische. Diese Kontexte sind mehrfach gebrochen und differenziert und wiesen verschiedene Räume auf: Ecuador, Spanien, aber auch andere sowie transnationale Räume, sei es als transnationale Praxis der MigrantInnen oder transnationale Makrostrukturen wie die Europäische Union und der globale Markt. 1.1 Zum Aufbau der Ethnographie Die vorliegende Studie reflektiert den Migrationsprozess ecuadorianischer Hausarbeiterinnen in Madrid. Dieser Prozess hat Subjekte, welche die Migration gestalten, aber auch Räume, andere Subjekte und Strukturen, welche den Kontext der Handlungen bilden und mit diesen in Beziehung stehen. Mein Fokus liegt daher auf der Interaktion, dem Ineinander und der Soziogenese von Strukturen, Institutionen und Handlungen. Der erste Block der Arbeit (Kapitel 2) wird in diesem Sinne von mir als „Kontextualisierungen“ bezeichnet und verortet die Migration, aber auch die Migrationsforschung und die Migrationspolitik in den jeweiligen Zusammenhängen, Machtstrukturen und Geschichten. Er führt gleichzeitig die wichtigsten theoretischen Konzepte ein, auf denen die Arbeit basiert: ein sozialtheoretischer Ansatz, welcher Geschichte, Struktur und Handlung verbindet, im transnationalen Kontext verortet, Körper als Kontext und Träger von Subjektivität sowie Objektivierung einbezieht und Gender nicht nur als einen zusätzlichen Faktor der Analyse betrachtet, sondern als einen Aspekt, der alle Ebenen des Migrationsprozesses prägt (vgl. Pessar/Mahler 2001). Der Erörterung der sozialtheoretischen Grundannahmen führt gleichzeitig in die Forschungsfragen ein. Für die ganze Arbeit gilt, dass die wissenschaftliche Diskussion und der Forschungsstand zu den erörterten Fragen in die Darlegung und Analyse der Daten einfließt. Theoriediskussion und ethnographische Erörterung sind miteinander verwoben, weshalb ich getrennte Kapitel von Theoriediskussion auf der einen Seite und Datendarstellung wie -analyse auf der anderen Seite bewusst vermeide. Lediglich das folgende zweite Kapitel hat einen stark sozialtheoretischen Schwerpunkt und kann von LeserInnen, welche vornehmlich an der Ethnographie, den Lebensumständen, Arbeitsbedingungen und Handlungsstrategien ecuadorianischer Hausarbeiterinnen interessiert sind, zusammen mit Kapitel 3 (methodologische Erörterungen) übersprungen werden. Das Ineinander von Datenerhebung, -analyse und -verschriftlichung schließt auch den Forschungsprozess selbst ein. Der Hauptteil der Studie beginnt daher mit der Darlegung des Forschungsprozesses, in der die Methodologie der Arbeit, der Forschungsverlauf, die interaktive Konstruktion des Forschungsfeldes, die Forschungsfragen sowie die Rolle als Forscherin diskutiert werden (Kapitel 3).
1.1 Zum Aufbau der Ethnographie
19
Anschließend wird die Migration der ecuadorianischen Hausarbeiterinnen erörtert. Diese wird als räumlich vielfältig verorteter Prozess verstanden. Die Analyse beginnt daher mit der Migrationsentscheidung in Ecuador, da die Migrationsursachen und -motivationen sowie die Entscheidung zur Migration (wer diese wie beeinflusst und getroffen hat) Auswirkungen auf den Migrationsverlauf haben. Ich nehme dabei keine räumliche Gerichtetheit an, da es sich um keinen linearen Prozess von Ecuador nach Spanien handelt, weder zeitlich noch räumlich, sondern um Handlungen in den verschiedenen Kontexten, an denen auch Personen teilhaben, die nicht migrieren (vgl. Anthias 2000, 21). Es zeigt sich, dass die ecuadorianische Migration nach Spanien, obwohl durch die ökonomische Krise in Ecuador (Ende der 1990er Jahre) ausgelöst, nicht nur ökonomisch erklärt werden kann, sondern plurikausal und vielschichtig ist. Auch deren „Feminisierung“ lässt sich nicht allein über die Nachfrage nach weiblichen Arbeitskräften erklären, sondern ebenso durch andere Gründe, wie zum Beispiel den Wunsch, sich aus gewaltsamen Geschlechterbeziehungen zu befreien (4.2.1). Im Sinne einer chronologischen Gliederung folgt der Analyse der Auswanderungsgründe die Reflektion der Ankunft in Spanien und somit der Problematiken, die mit dem Leben als Migrantinnen in Madrid verbunden sind: Wohnen, die Verwandlung in eine illegalisierte Migrantin und die Zuschreibung bestimmter Arbeitsmöglichkeiten (Kapitel 5), von denen ich die Haushaltsarbeit als Hauptarbeitssektor vertiefe (Kapitel 6). Nach einer ersten inhaltlichen und begrifflichen Bestimmung (6.1), erfolgt eine geschichtliche Einordnung von Haushaltsarbeit in Spanien und die Erörterung ihrer steigenden Nachfrage im Kontext der Globalisierung (6.2). Es handelt sich um eine vergeschlechtlichte und ethnisierte Arbeit, welche gesellschaftlich nicht als vollwertige Arbeit anerkannt ist. Diese Minderbewertung und nicht volle Anerkennung schreiben sich in die gesetzliche Regelung von Haushaltsarbeit ein. In Spanien ist Haushaltsarbeit nicht Teil des allgemeinen Arbeitsrechtes, sondern erhält einen Sonderstatus als „spezieller Arbeitssektor“ mit weniger Rechten, wodurch die Arbeit asymmetrisch zu Gunsten der ArbeitgeberInnen geregelt ist (6.3). Der Arbeitsplatz Privathaushalt bedingt eine hochpersonalisierte Arbeit in der Privatsphäre (der Anderen), was sich für Internas, die im Haushalt, in dem sie arbeiten, wohnen, noch verschärft (vgl. das obige Beispiel von Mónica). Es handelt sich um eine ungeschützte Tätigkeit im Haus, welche auf verschiedenen Formen der Hierarchisierung und Differenzierung (nach Geschlecht, nach Herkunft, nach sozialem Status, nach als Arbeit anerkannten Tätigkeiten, etc.) basiert (6.4). Sie ist durch verschiedene Unsicherheiten, mögliche Gefahren, Grenzüberschreitungen und Asymmetrien geprägt und zeichnet sich unter anderem durch die asymmetrische Aushandlung von Nähe und Distanz aus. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Persönlichkeit der Haushaltsarbeiterinnen sowohl im Sinne von Entpersonalisierung durch die ArbeitgeberInnen als auch von Performanz einer bestimmten geforderten Persönlichkeit durch die Arbeitnehmerinnen selbst. Bereits die Arbeitssuche und die Bedingungen der Vermittlung von Haushaltsarbeiterinnen
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1 Einführung
ist durch die Charakteristika der Hausarbeit bestimmt. Die Rekrutierung ist jedoch nur wenig erforscht (vgl. Lutz 2002a, 163). Sie prägt aber die Arbeit (vgl. Hondagneu-Sotelo 2001, 92ff) und ermöglicht es, diese als soziale Institution zu analysieren, an der verschiedene AkteurInnen und Institutionen partizipieren, auch solche, welche keine Haushaltsarbeiterinnen einstellen. In der Studie wird daher der Arbeitssuche der Haushaltsarbeiterinnen ein besonderes Gewicht gegeben, welche in Bezug auf ihre verschiedenen Arten, Bedingungen, Strategien und Ressourcen (6.5) sowie am Beispiel eines Hausarbeitskurses in einer katholischen Gemeinde in Madrid als Form der Rekrutierung und Strukturierung von Haushaltsarbeit untersucht wird (6.6). Die Analyse des Kurses zeigt die sozialen Differenzierungsmechanismen, welche mit Haushaltsarbeit und deren naturalisierter Abgabe an fremde Frauen12 verbunden sind. Der Kurs stellt damit eine Mittlerinstitution zwischen globaler Ökonomie, spanischer Gesellschaft, Privathaushalten, Migrantinnen und deren Handlungsstrategien sowie Migrationsprojekten dar. Sowohl der Kurs als auch die Haushaltsarbeit selbst werden von den Migrantinnen jedoch strategisch genutzt. Diese Strategien werden über den Hausarbeitskurs hinaus bei den konkreten Arbeitsstellen (7.1) sowie außerhalb der Arbeit in Madrid diskutiert (7.2). Es handelt sich um verschiedene Formen der Manipulation und Grenzziehung bei der Arbeit bis hin zur strategischen Einsetzung des „Frauseins“, der Merkantilisierung von akkumuliertem „migrantischem Kapital“ (Mahler 1995, 156), Ausbeutung hilfesuchender MigrantInnen sowie Veränderungsritualen, welche das „Schicksal“ beeinflussen sollen. Die Analyse der Strategien gibt dabei gleichzeitig einen Einblick in den Alltag der ecuadorianischen Haushaltsarbeiterinnen und deren Handlungsmöglichkeiten. Indem die Unterschiede zwischen den Migrantinnen (unter anderem gemäß deren Arbeitsprofil, Beziehung zu den ArbeitgeberInnen, Beziehung zum Staat, Migrationsprojekt, Verantwortung gegenüber Dritten, Ressourcen) sowohl für die Strategien bei als auch außerhalb der Arbeit herausgearbeitet werden, zeigt sich, dass die Handlungsfelder und -möglichkeiten nicht für alle Ecuadorianerinnen gleich sind. Neben den Unterschieden wird dabei gleichzeitig die Beschränktheit der Handlungsspielräume der Migrantinnen in Madrid klar, welche bewirkt, dass sich viele mit der Migration verbundenen Hoffnungen und Träume als Illusionen erweisen. Vor diesem Hintergrund wird abschließend die Frage gestellt, inwiefern Haushaltsarbeit ermöglichend, ob sie nicht vielmehr verhindernd ist und wie die Frauen selbst ihre Migration beurteilen (7.3). Es zeigt sich, dass sie Möglichkeiten eröffnet, dass der Gewinn jedoch nicht so eindeutig ist, wie dies Argumentationen rund um den vermeintlich gegenseitigen Nutzen von ArbeitgeberInnen und Hausarbei12
Es handelt sich nicht nur um ausländische Frauen, sondern auch um einheimische. Gleichzeitig, wenn auch in weit geringerem Maße, um ausländische Männer, vor allem, was Pflege betrifft. Es geht also um „Fremde“ und „Frauen“, normalerweise, jedoch nicht ausschließlich, in der Kombination von „fremde Frauen“, welche hier im Zentrum der Analyse stehen.
1.1 Zum Aufbau der Ethnographie
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terInnen implizieren. Oft ist sie weniger ermöglichend als erhofft, belastender als erwartet und durch die Arbeit selbst, aber auch andere Aspekte im Migrationskontext beschränkend, gleichzeitig aber aufgrund anderer Faktoren und in anderen Relationen Möglichkeiten eröffnend. Im Schlusskapitel (Kapital 8) werden die Ergebnisse der einzelnen Kapitel nochmals aufgegriffen, in den analysierten Migrationsprozess eingeordnet und zusammengeführt.
2 Kontextualisierungen
Migration ist heute in aller Munde. In privaten oder öffentlichen Diskussionen, teilweise aber auch in wissenschaftlichen Publikationen, hat sich dabei ein „Mainstream“ über die Ursachen und Motivationen, den Verlauf, die Auswirkungen auf die jeweiligen Gesellschaften sowie über scheinbar „klare“ Begrifflichkeiten gebildet, welche die dominanten Diskurse über Migration prägen. Doch wie eindeutig sind die Analysen? Wie klar sind Kategorien wie „Migration“, „Migrant“ und „Migrantin“? 2.1 Migration als soziale Konstruktion Was heute unter „Migration“ verstanden und in Berichterstattungen, Diskussionen wie alltäglichen Gesprächen vorausgesetzt wird, steht in einem historischen, sozialen und politischen Kontext. Migration, die Rede und das Denken darüber sind in Raum und Zeit verortet. Die jeweilige Politik, die Interessen, die sozialen und kulturellen Zuschreibungen verändern sich. Spanien war beispielsweise bis in die 1980er Jahre ein Auswanderungs- sowie Transitland13 und ist nun selbst zum Einwanderungsland geworden (vgl. Pedone 2003, 45ff; s. auch Kapitel 4.2.5). Wer und wie jemand als MigrantIn betrachtet wird, wandelt sich ebenso. In Flandern galten zum Beispiel in den 1930er Jahren ausschließlich Juden und Jüdinnen als „bedrohliche EinwanderInnen“, während in den 1980er Jahren der gleiche Begriff exklusiv für türkische und marokkanische „GastarbeiterInnen“ gebraucht wurde. In den spezifischen historischen und sozialen Umständen wurden einmal jüdische, dann muslimische EinwanderInnen zur Gefahr konstruiert. Die sozialen Mechanismen und Diskurse verliefen dabei parallel, jeweils als Antwort auf spezifische soziale Prozesse, Ängste und Interessen im Kontext eines schnellen sozialen und ökonomischen Wandels (vgl. Swyngedouw 1995).14
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Zum Beispiel für MarokanerInnen in andere, mitteleuropäische Länder. In Spanien wurde in den 1960er Jahren beispielsweise der Begriff „MigrantIn“ für spanische EmigrantInnen, welche im Zuge der mitteleuropäischen Gastarbeiterregime nach Deutschland, Frankreich, die Schweiz und die Niederlande migriert waren verwendet; in Katalunien jedoch außerdem für interne MigrantInnen aus Südspanien. PensionärInnen aus Großbritannien und Deutschland, welche sich an den
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Heike Wagner, Dasein für Andere – Dasein als Andere in Europa, DOI 10.1007/978-3-531-92167-9_2, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2010
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2 Kontextualisierungen
Das Verständnis und die Rede von Migration bzw. MigrantInnen haben also eine Geschichte und sind nicht überhistorisch oder subjekt- bzw. interesselos. Ich verstehe Migration daher als soziale und somit auch als geschichtliche Konstruktion. Im Folgenden wird dies näher ausgeführt, indem die heutige Migration und die soziale Konstruktion von „Migrant“ bzw. „Migrantin“ im Prozess der Moderne und der dabei konstruierten Bedeutung von „Fremden“ bzw. „fremden Frauen“ verortet wird. Dabei werden Mechanismen der sozialen Positionierung und deren Naturalisierung in der Sozialstruktur aufgewiesen, welche später in der Arbeit näher vertieft werden und hier vor allem den methodologischen Zugang verdeutlichen sollen. Im Verlauf der Arbeit werden diese für den Migrationsprozess der ecuadorianischen Hausarbeiterinnen näher analysiert. Dabei wird beispielsweise aufgezeigt, wie der erforschte Hausarbeitskurs zur Schaffung sozialer Differenzziehungen zwischen SpanierInnen und MigrantInnen sowie zur sozialen Konstruktion und Praxis „migrantischer Haushaltsarbeit“ aktiv beiträgt und diese strukturiert (vgl. 6.6). Diese Prozesse werden als soziale Praxis begriffen, an welcher auch die Wissenschaft Anteil hat, was nun im Weiteren näher ausgeführt wird. 2.1.1 Die soziale Konstruktion von „Migranten“ und „Migrantinnen“ in Spanien – historische Zugänge Migration handelt aus Sicht der Einwanderungsgesellschaft, von „Fremden“, die in ihre Gesellschaft kommen. Wie diese wahrgenommen und thematisiert werden, ist jedoch kein natürlicher Prozess, sondern ebenfalls historisch und sozial situiert. In den europäischen Gesellschaften gründet das Verständnis von „Fremden“ geschichtlich im Prozess der Nationenbildung, welcher unter anderem im Kontext der imperialen Expansion erfolgte. Dabei wurden Dichotomien von „Wir“ (Zivilisierten, Weißen, Kolonialherren) und „Anderen“ (Kolonialisierten, Unzivilisierten) geschaffen (vgl. Lutz 2002b, 61) und auch die „Idee von Lateinamerika“ entstand in diesem Prozess als Begriff der „kolonialen Differenz“ (vgl. Mignolo 2005). In Spanien erfolgte die Nationwerdung im Zusammenspiel zwischen Conquista (Eroberung und Kolonialisierung Lateinamerikas) und Reconquista (der christlichen (Zurück-) Eroberung der muslimischen Gebiete der iberischen Halbinsel). Die dabei entstandenen Dualitäten zwischen „SpanierInnen“ und „Anderen“ tauchen auch im von mir erforschten Hausarbeitskurs auf: oben/unten; entwickelt/unterentwickelt; wir/sie; Kultur/Natur; zivilisiert/ unzivilisiert; Bildung/Ignoranz. Diese Oppositionen begründeten damals wie heute eine soziale Hierarchie aufgrund einer postulierten natürlichen Überlegenheit über „die Anderen“ (vgl. Nash 2000, 286). spanischen Küsten niederließen wurden von diesem Begriff gänzlich ausgespart (vgl. Ribas-Mateos 2004, 181). Hierauf wird unter 2.1.2 nochmals kurz eingegangen.
2.1 Migration als soziale Konstruktion
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Die europäische Moderne trägt in sich die Abgrenzung nach Außen (Exklusion) zur Bildung der imaginierten Gemeinschaft einer „homogenen“ Nation nach Innen (Inklusion) (vgl. Balibar/Wallerstein 1991, 49-84; Anderson 1991). Stratifikation nach Geschlecht und Herkunft sind der europäischen Moderne inhärente, konstitutive Elemente. Werden daher die europäischen (Einwanderungs-)Gesellschaften als Freiheit und Gleichheit anstrebende Gesellschaften betrachtet, müssen auch deren historische wie aktuelle Basis beachtet und die Gesellschaften über ihre eigenen Vorstellungen der Freiheit und Gleichheit selbst kontextualisiert werden. Die Durchsetzung dieser Ideen stellte die „Negierung der historischen Freiheit, der bürgerlichen Autonomie und [die Negierung] der ‚ethischen’ Wahl einer anderen Gestaltung“ dar (Bhabha 2000, 361). „Kolonialisierte“ und somit „Fremde“ haben also bereits einen „sozialen Ort“, eine Zuschreibung und Bedeutung. Dies gilt für die Gegenwart, aber auch für den geschichtlichen Kontext der Konstruktion von Alterität während der europäischen imperialen Expansion und deren Folgezeiten. In den Kolonien bildeten die eingewanderten Kolonialherren Identitäten, die auf dem Ausschluss und der Marginalisierung der einheimischen Bevölkerungen basierte. Silva zeigt für Ecuador, wie die ecuadorianische Gesellschaft und die dominante, offizielle Definition „des Ecuadorianischen“ auf der Idee der Herrschaft über den Boden (als Enteignung) und der Idee der „besiegten Rasse“ (mit gleichzeitigem Ausschluss bzw. Unterordnung dergleichen) aufbauen (vgl. Silva ²1995). Die so geschaffenen „ganz Anderen“ dienten aber auch der Schaffung der europäischen nationalen Identitäten: Im binären Gegenüber der Anderen und Ausgeschlossenen konnte ein homogenes Eigenes, eine einschließende nationale Identität begründet werden (vgl. Fanon 1961, 29), welche männlich war. „Diese historischen Wurzeln rassistischer Stereotypen, die sich heute zusehends auf die neuen Migrantengruppen konzentrieren, liegen oft in diesem Umgang mit kolonisierten Völkern.“ (Castles/Miller 1997, 48).
Die europäische Moderne ist also dadurch charakterisiert, dass sie systematisch Nicht-EuropäerInnen und Minderheiten von der Schaffung der bürgerlichen Öffentlichkeit ausschloss bzw. in eine untere Klasse einordnete.15 Dabei stellen sie jedoch nicht die einzige diskriminierte Gruppe dar. Auch Frauen wurde der Zugang zur bürgerlichen Öffentlichkeit verwehrt (vgl. Fraser 1991). Bis heute sind die europäischen Gesellschaften, unabhängig von den je konkreten Ausprägungen, hierarchisch entlang verschiedener Differenzformen wie Klasse, Herkunft und soziales Geschlecht16 organisiert.
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In Spanien zeigt sich dies beispielsweise ganz deutlich in Bezug auf Sinti und Roma, als „Gitanos“ und „Gitanas“ bezeichnet. 16 Dies schließt Frauen, aber auch nicht heteronorme geschlechtliche Identitäten ein.
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2 Kontextualisierungen
2.1.2 Migrantinnen – als Frauen mehrfach diskriminiert Migrierende Frauen sind mehrfach diskriminiert (aufgrund von Herkunft/‚Race’, Klasse, Aufenthaltstitel und Geschlecht). Dies zeigt sich im Verständnis von Migrantin selbst: Die Rede von Migration stellt diese meist (implizit) als Wanderung von Männern dar. Migrierte Frauen werden im alltäglichen Sprachgebrauch in einer Vielzahl der Medien und öffentlichen Diskussionen wie auch vielen Gesetzgebungen migrierten Männern zu- bzw. untergeordnet.17 Dadurch scheint eine Differenzierung zwischen Männern und Frauen nicht notwendig, zumal den migrierten Frauen in diesen Darstellungen keine Rolle an der Schaffung von Öffentlichkeit und keine eigenständige Handlungen wie zum Beispiel eine unabhängige Partizipation am Arbeitsmarkt zuerkannt werden.18 Dies gilt auch für die explizite Thematisierung von Frauenmigration, wenn migrierte Frauen als bloße Opfer von Frauenhandel oder Gewalt dargestellt werden, jedoch nicht in anderen Zusammenhängen. Aber auch wenn in spanischen Medien Migrantinnen unabhängig von diesen Referenzen thematisiert werden, steht dennoch oft die Vorstellung einer „traditionellen Frau“ dahinter: verheiratet, abhängig und vom sozialen Leben ausgeschlossen. Dem entgegen steht jedoch die große Zahl der allein migrierten Frauen, welche jung, unabhängig und unverheiratet sind (vgl. Nash 2000, 280) und im Falle der ecuadorianischen Migration nach Spanien Ende der 1990-Jahre und Anfang 2000 die Mehrzahl der Migrierten ausmachte (vgl. Gratton 2005, 10ff). 2.1.3 Konstruktionsprinzipien und Differenzmarker Die soziale Konstruktion von Migration und MigrantInnen legt Grenzen sowie Differenzmarker zwischen „Einheimischen“ und „MigrantInnen“ fest. Diesen liegen verschiedene hierarchisierte Klassifikationen und Konstruktionsprinzipien zugrunde wie zum Beispiel die erwähnte Einteilung in Zivilisierte und Unzivilisierte. Es handelt sich um Signifikationsgeber, um Konstruktionsprinzipien der sozialen Praxis, welche als Attributionen Grenzen zwischen MigrantInnen und SpanierInnen, zwischen Männern und Frauen etc. ziehen und dabei die spezifischen Rollen der „Anderen“ konstruieren, als normal etablieren oder affirmieren (vgl. Bourdieu 1987, 729ff). Diese Mechanismen der Differenzierung schaffen und naturalisieren 17
Frauen werden viel häufiger als Männer lediglich Aufenthaltstitel als abhängige Partnerinnen und abhängige Familienmitglieder erteilt, womit ihnen oft das Recht auf Arbeit und den Zugang zu allen Integrationsangeboten verwehrt ist (vgl. OSCE 2009, 29f). 18 Da die dominante Logik binär ist, wird auch hier – lediglich in diesem Sinne – das binäre Gegenüber von Männern und Frauen thematisiert und insofern homosexuelle, bisexuelle und transsexuelle Identitäten, wie im dominanten Denken ausgeschlossen. Dies heißt nicht, dass diese Identitäten nicht existierten, aber auch ihnen wird keine Rolle an der Schaffung von Öffentlichkeit zuerkannt, noch weniger wird ihre Identität als solche anerkannt und differenziert.
2.1 Migration als soziale Konstruktion
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Grenzziehungen zwischen „MigrantInnen“ und „Einheimischen“ und weisen bestimmten Gruppen („Fremden/MigrantInnen“, „Frauen“) spezifische Rollen zu. Auch Hausarbeit stellt einen derartigen Mechanismus der Differenzierung dar, welcher soziale Hierarchien ausdrückt sowie reproduziert (vgl. Anderson 2000, 17; vgl. 3.4.2.1). Dazu gehört auch, dass AusländerInnen (und Minderheiten) in den unterschiedlichsten Gesellschaften immer wieder mit Schmutz und Dreck, mit Lärm, Gestank und Unordnung in Verbindung gebracht werden. In einer Studie im Jahr 2002 zu einer spanischen Mission als Treffpunkt spanischer Rentnerinnen in Süddeutschland, welche als so genannte „Gastarbeiterinnen“ nach Deutschland gekommen waren19, erzählten mehrere Frauen, wie deren deutsche NachbarInnen ihnen vorgeworfen hätten, dass sie und/oder ihr spanisches Essen stinken würde (vgl. Wagner 2002). In der gleichen Logik werfen SpanierInnen EcuadorianerInnen vor, dass sie oder ihr Essen schlecht riechen würden und dass sie schmutzig seien. Dabei wird Schmutz als soziale Kategorie benutzt, welche den „Reinheitsgrad“ der Person und davon abgeleitet die soziale Position bestimmt (vgl. Douglas 1966; Dabringer 2004).20 Im Deutschen wird dies zum Beispiel im Begriff des „sozialen Abschaums“ ausgedrückt. Diese Konstruktionen bzw. Stereotypisierungen werden in den Medien und in den alltäglichen Interaktionen festgeschrieben und auf diese Weise „naturalisiert“, selbstverständlich bzw. natürlich gemacht, ohne nach deren Ursprung und Geschichte zu fragen. Die negative Geruchserfahrung wird somit als rein biologische Erfahrung erlebt, während die gleiche Speise im Urlaub des jeweiligen Landes oder in einem ausländischen Restaurant als Delikatesse empfunden werden kann. Geschmack und Vorlieben haben jedoch eine Geschichte und sind ebenfalls sozial konstruiert (vgl. Bourdieus Konzept der „Inkorporation“; Bourdieu 1987, 729ff. Dies wird im Folgenden noch näher ausgeführt). Ein gängiges Bild über EcuadorianerInnen in Spanien ist daher auch der Hinweis darauf, wie sie sich in Parks träfen und diese vollkommen schmutzig zurücklassen würden. Regelmäßige Medienberichte mit anschaulichen Fotos unterstützen die Bilder. Dabei wird von „den“ EcuadorianerInnen oder „den“ MigrantInnen in Form einer kollektiven, essentalistischen Repräsentation gesprochen, während gleichzeitig die verbreiteten „Botellones“ der spanischen Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen, welche den jeweiligen Platz bzw. Park (ebenfalls) verschmutzt zurücklassen und Unmengen von Alkohol konsumieren, als singulärer Ausdruck der Jugendkultur oder, wenn es sich 19
Vgl. Wagner (2002) „Die spanische Mission. Ein sozialer Raum entleert sich.“ Die Studie basierte auf teilnehmender Beobachtung sowie mehreren biographischen Interviews plus Focusgruppen mit 6 spanischen Rentnerinnen („Gastarbeiterinnen“) sowie mit einer Vergleichsgruppe von sieben Spanierinnen zwischen 30 und 40 Jahren, welche mit ihren deutschen Partnern in Deutschland lebten („Heiratsmigrantinnen“). 20 Dabringer (2004) weist eine ähnliche Logik für Marktfrauen in Quito und „Säuberungsaktionen“ von Seiten der Stadtverwaltung nach: Dabei geht es nicht um die Verbesserung der (hygienischen) Bedingungen in einer Markthalle oder bestimmten Plätzen, sondern um die Entfernung (meist indigener) VerkäuferInnen.
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2 Kontextualisierungen
um spanische Drogenabhängige handelt, als „Kultur der Degenerierten“ dargestellt werden, welche nichts oder nur Randständiges über die spanische Gesellschaft ausdrückten.21 Bei der Berichterstattung und Rede über die Treffen von MigrantInnen hingegen wird der (nicht immer vorhandene) Schmutz als repräsentativ für die, sprich alle EcuadorianerInnen dargestellt – als die MigrantInnen, welche die Ordnung stören und schmutzig, Abschaum sind. Außerdem werden die Treffen auf Schmutz und Alkohol festgeschrieben bzw. reduziert (vgl. 7.2.1). Auf diese Weise wird die sozial untergeordnete Position der MigrantInnen naturalisiert: Die ihnen adskribierte unterste soziale Klasse wird als „normal“ und als ihnen „logisch“ korrespondierender sozialer Ort konstruiert. Dabei werden „Klasse“ und „Herkunft“ als Differenzmarker miteinander verbunden. In der migrantischen Haushaltsarbeit kommen „Rassismus“, „Sexismus“ und „Klassismus“ zusammen: Es sind ausländische, migrantische Frauen, welche eine „schmutzige“ Arbeit verrichten, die der untersten sozialen Klasse zugeschrieben und sozial als eine der schlechtesten Arbeiten betrachtet wird (vgl. die erwähnte dreifache Diskriminierung aufgrund von ‚Race’, Klasse und Geschlecht). Obwohl die Tatsache, dass Migrantinnen vornehmlich in der Haushaltsarbeit arbeiten, sozial konstruiert ist, wird dies als „natürlich“ empfunden, da es einer praktischen Logik und deren Normen wie Selbstverständlichkeiten entspricht. Darauf wird unterKapitel 6 näher eingegangen. Die Hinordnung auf bestimmte Tätigkeiten wie auch Alterität sind jedoch nicht von Natur aus gegeben, sondern haben eine Geschichte. Sie werden sozial erzeugt. Auch die Wissenschaft ist mit ihren dominanten Ideen, Begrifflichkeiten und scheinbaren „Natürlichkeiten“ Teil dieser Prozesse. 2.1.4 Migrationsforschung und die soziale Konstruktion von Migration Wissenschaft findet nicht außerhalb von Gesellschaft und Kultur, an einem quasi „neutralen“ Ort, statt.22 Edward Saids Studie zum Orientalismus machte dies sehr deutlich. Er zeigte auf, dass der Orientalismus als Forschungsrichtung einen Diskurs darstellt, der sein Forschungsobjekt, den Orient, selbst erzeugt, indem er diesen homogenisiert und essentialisiert. Der Orient ist daher kein gegebenes empirisches Faktum, sondern Ergebnis eines Diskurses (vgl. Said 1981). 21
Vgl. beispielsweise die Artikel in der Zeitung El País zum Thema: http://www.elpais.com/articulo/sociedad/64/adolescentes/cree/beber/normal/elpepisoc/20071117elp episoc_9/Tes [26.01.2008] http://www.elpais.com/articulo/Galicia/Coruna/primera/ciudad/Galicia/prohibe/botellon/centro/ur bano/elpepiautgal/20071222elpgal_2/Tes [26.01.2008] 22 Damit grenze ich mich von einem Wissenschaftsverständnis in der Tradition Max Webers ab, der von einer potentiellen Wertfreiheit der Sozialwissenschaften ausgeht.
2.1 Migration als soziale Konstruktion
29
In der Migrationsforschung zeigt sich diese Kontextualität der Forschung in der erwähnten (zumindest anfänglichen) Konzentration auf Männer, welche die vergeschlechtlichte Logik und Prozesse der westlichen Gesellschaft reproduziert(e) (vgl. Pessar/Mahler 2001, 3). Auch die Kultur- und Sozialanthropologie als Fach ist als Bestandteil des Projektes der Moderne oder, wie Kathleen Gough schrieb, als „child of imperialism“ (Gough 1968) Teil der sozialen Prozesse und somit auch der Machtbeziehungen. Das heißt nicht, dass sie einfach bestimmte Ideen und IdeenSysteme, welche durch Machtgruppen monopolisiert werden, affirmiert. Viele ethnologische Forschungen dekonstruieren gerade die „Selbstverständlichkeiten“ und kontextualisieren durch ihre Mikrostudien Begriffe und Handlungen oder problematisieren die Sprache und die unreflektierte Verwendung von Begriffen (vgl. Wolf 2001, 79). Jede Forschung muss sich jedoch die Frage stellen, wie die verwendeten Ideen, Begriffe und Kategorien bzw. das Forschen selbst zum jeweiligen Kontext stehen. Ein Beispiel ist die Frage der Repräsentanz von MigrantInnen in Statistiken: So kann ein Stereotyp von „Rückständigen“ und „Ungebildeten“ zum Beispiel durch Statistiken bestätigt bzw. geschaffen werden, wenn nur die im jeweiligen Einwanderungsland anerkannten Bildungsabschlüsse aufgelistet und einer Analyse des „Bildungshorizontes von MigrantInnen“ zugrunde gelegt werden, ohne den Begriff „Bildung“ näher zu definieren bzw. zu problematisieren. Je nach Kontext, nach Verwendung und Bezug der Begriffe, können sich der Inhalt und das Ergebnis von Studien daher ändern. Wird also von „Migration“ gesprochen, so geht es nicht um neutrale, machtfreie und eindeutige Prozesse. Vielmehr schwingt in der Begrifflichkeit ein sozialer Kontext mit, welcher vermachtet ist. Migration begreife ich daher als soziale Konstruktion, sowohl historisch im Sinne des Entstandenseins innerhalb bestimmter Konstellationen (zum Beispiel der spanischen Kolonialgeschichte in Ecuador) als auch als eine jeweilige Konstruktion von Sinngebung, von sozialen Topoi, unter welchen „dem Migranten“ und „der Migrantin“ in der spanischen Gesellschaft, aber auch in den Sozial- und Kulturwissenschaften eine bestimmte Rolle zugesprochen wird. 2.1.5 Migration – eine begriffliche Annäherung Wie wird hier nun „Migration“, „Migrant“ und „Migrantin“ verstanden? Definitionen von Migration gibt es zuhauf. Über unterschiedliche Akzentuierungen hinweg, sind bei allen Definitionen die Aspekte von Wechsel und Bewegung zentral (vgl. Treibel 21999, 19). Da auch TouristInnen, HändlerInnen oder WissenschaftlerInnen sich im Raum bewegen, ist zu ergänzen, dass die Personen kurzfristig oder langfristig an einem bestimmten Ort bleiben möchten und dass dies durch Arbeit mindestens eines Mitglieds einer Gruppe, sei es einer bereits vor der Migration bestehen-
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2 Kontextualisierungen
den bzw. neu geschaffenen Gruppe oder wie zum Beispiel im Falle von „HeiratsmigrantInnen“ durch „Einheimische“ ermöglicht wird. Arbeit spielt sowohl für die Mehrzahl der Wandernden als auch für die Gesellschaft, in die sie migrieren, eine zentrale Rolle. Migrierende dürfen aus diesem Grund jedoch nicht generell als „ArbeitsmigrantInnen“ betrachtet werden. Arbeit bzw. die Garantie des Lebensunterhaltes stellt zwar eine notwendige Bedingung der Realisierung von Migration dar, jedoch nicht automatisch deren (einzige) Motivation (vgl. 4.1). Ich vermeide daher den Begriff der „Arbeitsmigration“, zumal er über seine ökonomistische Beschränkung hinaus eine Festschreibung der MigrantInnen auf deren Rolle als (billige) Arbeitskräfte nahelegt. Ebenso sind Begriffe wie zum Beispiel „Heimat“ als Bezeichnung des Herkunftslandes von MigrantInnen in seiner Konnotation der emotionalen Bindung problematisch, da es eine essentialistische Festschreibung von Herkunftsland als Identifikationsort beinhaltet. Für das Verständnis von Migration wird hier der in Spanien dominante Begriff von MigrantInnen benutzt, da dieser nicht nur festlegt, wer als „MigrantIn“ gilt, sondern auch, wer als solche/r mit den impliziten jeweiligen Möglichkeiten und Verweigerungen, strukturellen Zuweisungen, Stereotypen etc. behandelt wird. Es wird also auf die strukturelle Definition von „MigrantInnensein“ zurückgegriffen (vgl. Kap. 5), da diese die Bedingungen festlegt, welche Wandernde in Spanien zu MigrantInnen macht: ihre Herkunft aus einem sogenannten „Entwicklungsland“ bzw. einem armen „Drittland23“. Zu den wichtigsten „EinwanderInnengruppen“ in Spanien gehören nämlich zum Beispiel auch Deutsche und EngländerInnen, welche als EU-BürgerInnen jedoch anderen Gesetzen unterworfen sind.24 In den öffentlichen Debatten werden sie nicht oder nur nach definitorischer Klarstellung als MigrantInnen betrachtet und sodann von Drittstaatsangehörigen, auf die sich diese Arbeit bezieht, unterschieden. Im hier verwendeten Begriff werden daher EU-BürgerInnen aus Schengenstaaten, MigrantInnen aus „reichen“ nicht-EU-Ländern (wie USA, Australien etc.) wie auch so genannte „high-skilled“ MigrantInnen ausgeklammert. Für die Definition der bezeichneten Gruppe ist es unerheblich, ob sich eine Person mit legalem Aufenthalts- und Arbeitstitel in Spanien befindet oder nicht.25 Das gängige Verständnis von Migration beruht auf den oben aufgeführten Dichotomien von Wir/die Anderen, aber auch auf einer staatlich beschränkten Festschreibung von Raum, welche gerade MigrantInnen durchbrechen. Ich greife daher zwar auf die strukturelle Bestimmung von „MigrantIn“ durch das Migrationsregime 23
Terminologie für alle Länder, welche nicht Teil der Europäischen Union sind. Seit meiner Forschung haben sich diese Zugehörigkeiten verändert, da z.B. Rumänien mittlerweile ein EU-Mitgliedsstaat ist. Hier zeigt sich die soziale wie politische Konstruktion und Veränderbarkeit der Definition von MigrantInnen sehr deutlich. 24 Erst im Jahr 2000 übersteigt die Anzahl nicht-europäischer MigrantInnen in Spanien diejenige der europäischen (vgl. Pedone 2003, 41). 25 Vgl. zum Verständnis von „Migrant“ und „Migrantin“ in Spanien und dessen Veränderung RibasMateos 2004, 181ff.
2.1 Migration als soziale Konstruktion
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(legal, politisch, sozial) zurück, ohne jedoch die dem Verständnis zugrunde liegende binäre Raumlogik zu übernehmen. Migration als Bewegung im Raum darf nicht als eine Bewegung von einem Punkt A nach einem Punkt B verstanden werden, sondern als eine fortwährende Bewegung im transnationalen Raum, welcher vermachtet ist. Transnationalismus wird von Linda Basch, Nina Glick Schiller und Cristina Szanton Blanc, den Pionierinnen der Transnationalismusforschung, wie folgt definiert: „We define ‚transnationalism’ as the processes by which immigrants forge and sustain multistranded social relations that link together their societies of origin and settlement. We call these processes transnational to emphasize that many immigrants today build social fields that cross geographic, cultural, and political borders.“ (Basch et al. 1994, 7)
Beschränken Basch et al. in obigem Zitat die Verbindungen zunächst auf das Land, aus dem ausgewandert und die Gesellschaft, in die eingewandert wird, so ist ihr Hinweis auf soziale Felder, die geographische, kulturelle und politische Grenzen überschreiten, weiter als eine dichotome Verbindung von zwei Ländern zu fassen, da MigrantInnen Kontakte in verschiedene Länder pflegen können. Hier soll es momentan lediglich um die „Entgrenzung“ der Perspektive von Migrationsforschung gehen und somit um die Überschreitung von nationalstaatlichen Begrenzungen in der Analyse und Fragestellung. Es werden deshalb dichotome Analysen wie zum Beispiel lokal versus global; oder Herkunfts- versus Aufnahmeland aufgebrochen. Transnationalismus wird dabei nicht als Bewegung der Entterritorialisierung (zum Beispiel Appadurai 199126), auch nicht als Schwund des Nationalstaates begriffen (ebd. oder bei Kearney 1991). Vielmehr bleibt die Bedeutung der Nationalstaaten, wenn auch unter veränderten Bedingungen erhalten. Deren Macht zeigt sich gerade im Bereich der Migrationspolitik, zum Beispiel im Falle der Illegalisierung von MigrantInnen und deren sozialer, politischer wie ökonomischer Logik. Das Migrationsregime hierarchisiert dabei die Bevölkerung und eröffnet Migrierten lediglich bestimmte Möglichkeiten, welche der Nachfrage nach billigen, flexiblen und belastbaren Arbeitskräften im informellen Sektor entsprechen (vgl. Hess 2005, 242). „Illegalität“ ist daher ebenfalls sozial konstruiert und politisch – vom Nationalstaat – gemacht, weshalb hier Begriffe wie legal/illegal als bipolare Bezeichnungen vermieden bzw. ausschließlich als juridische Begriffe benutzt werden. Zur Bezeichnung der sozialen und politischen Konstruktion von EinwanderInnen ohne legalen Aufenthaltstitel wird von „Illegalisierten“ gesprochen (vgl. 5.2).
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Vgl. die Kritik von Mintz (1998) an der These der Entlokalisierung bzw. Deterritorialisierung.
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2 Kontextualisierungen
2.2 Migration als soziale Praxis Migration und deren Analyse als soziale Konstruktion zu verstehen, betont die Verortung in vermachteten Kontexten, ohne jedoch ein rein strukturalistisches Verständnis zugrunde zu legen, so, als ob die Sozialstruktur die Handlungen, Ideen, Werte und Normen der sozialen AkteurInnen determiniere. Vielmehr geht es um das Ineinander von Struktur und Handlung. In der Migrationsforschung sind rein strukturalistische Zugänge in verschiedenen, zum Beispiel ökonomistischen Ansätzen zu finden, welche Migrationsformen über Armut und ein ungleiches Verhältnis von Angebot und Nachfrage an Arbeitskräften oder durch Lohndifferenzen erklären (vgl. Todaro 1969; Borjas 1989; Vidal 2000, 49). Würde diese Erklärung jedoch ausreichen, müssten einerseits viel mehr Menschen weltweit migrieren und andererseits Migrationen in Ländern mit ähnlichen ökonomischen und somit strukturellen Grunddaten auch vergleichbare Migrationsbewegungen aufweisen. Dies trifft jedoch nicht zu (vgl. Parnreiter 2000, 25). Eine derart ökonomistische, strukturalistische Analyse blendet vielmehr zentrale Dimensionen einer Migration aus: Der Standardtyp dieser Forschungen ist ein von wirtschaftlichen Ursachen getriebener und gezogener Mann. Hinter Statistiken verschwinden die konkreten Menschen, insbesondere die migrierenden Frauen, mit ihren unterschiedlichen Motiven, Entscheidungen und Geschichten. Sie werden zu einem anonymen und passiven „Strom der Migranten“ (vgl. Bräunlein/Lauser 1997, XII). Migrierende sind aber nicht nur ökonomisch Getriebene, sondern kompetent und aktiv Handelnde, welche bestimmte Vorstellungen und Ziele mit ihrem Migrationsprojekt verfolgen, welche nicht ausschließlich wirtschaftliche sind. Sie treffen Entscheidungen, analysieren und interpretieren ihre Situation und entwickeln verschiedene Handlungsstrategien. Gegen einseitig strukturalistische Ansätze muss daher auch die Bedeutung der kommunikativen und reflexiven Fähigkeiten der sozialen AkteurInnen in die Analyse aufgenommen und die Subjekte als aktiv handelnd und gestaltend untersucht werden. Aktiv zu handeln, bedeutet aber nicht, dass die Projekte der MigrantInnen und deren Realisierungsmöglichkeiten unbegrenzt wären und nun ihrerseits die Struktur in ihrer Bedeutung für das Handeln der sozialen AkteurInnen ausgeblendet werden kann: Globale, (trans-)nationale sowie subjektiv einverleibte Strukturen, Kognitionen und Netzwerke schränken sie ein, beeinflussen die Entscheidungen und den Verlauf der Migration. Gleichzeitig werden die Bedingungen durch die MigrantInnen gestaltet, umgedeutet und verändert. Es muss daher um beides gehen: um Struktur und Handlung, um eine Makro- und eine Mikroanalyse (vgl. Kofman et al. 2000, 28; Basch et al. 1994, 10). Eine derartige Verbindung und die Überwindung der Dichotomie von „Objektivismus“ und „Subjektivismus“, von „Struktur“ einerseits und „Handlung“ andererseits sind das Ziel von Pierre Bourdieus Theorie der sozialen Praxis (vgl. zum Beispiel Bourdieu ²1997, 97ff), von der diese Arbeit inspiriert ist.
2.2 Migration als soziale Praxis
33
2.2.1 Überlegungen zu einem praxeologischen Ansatz Pierre Bourdieu betrachtet die soziale Praxis als Schnittpunkt von Struktur und Handlung, in dem sowohl die strukturellen Bedingungen als auch die je konkreten Handlungen der sozialen AkteurInnen zum Tragen kommen (vgl. ebd.): Strukturen bestehen nicht außerhalb bzw. unabhängig von sozialen Praktiken27; vielmehr finden Handlungen stets in einem bestimmten vorstrukturierten Kontext statt. Strukturen sind daher sowohl durch menschliches Handeln gemacht als auch gleichzeitig das Medium der Konstitution des menschlichen Handelns. Insofern ist jeder Akt der Produktion von Strukturen auch ein Akt der Reproduktion, denn die Strukturen, die eine Handlung möglich machen, werden durch das Handeln reproduziert. Selbst eine Handlung, die die soziale Ordnung durchbricht, wird erst durch vorgegebene Strukturmomente möglich, die im Handeln modifizierend reproduziert werden. Indem ein Mensch handelt, bezieht er bzw. sie sich auf Strukturen. Durch sie sind soziale AkteurInnen in der Lage, spezifische Ziele zu erreichen. Strukturen schränken daher Handeln nicht nur ein, sie ermöglichen es auch. Bourdieu geht dabei jedoch nicht nur von einer institutionellen Strukturierung sozialer Praktiken in sozialen Feldern als „Ding gewordene Geschichte“ aus, sondern erweitert das Verständnis, indem er auch inkorporierte Strukturen, als Habitus „Leib gewordene Geschichte“ in die Analyse aufnimmt (vgl. ebd.). Unter Habitus versteht er geteilte kulturelle Dispositionen, klassenspezifische Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsschemata, welche sowohl den Praxisformen der sozialen AkteurInnen als auch den damit verbundenen alltäglichen Wahrnehmungen konstitutiv zugrunde liegen. Ein Habitus entsteht durch die transformierende Verinnerlichung der äußeren materiellen und kulturellen Existenzbedingungen und kann somit auch als Verleiblichung der Geschichte verstanden werden. Geschmack, Gesten, Organisationsmuster, Geschlechterverhältnisse und Anderes werden auf diese Weise inkorporiert, reproduziert, aber auch gleichzeitig verändert. „Verinnerlicht“ bezieht sich dabei nicht nur auf kognitive, sondern auch körperliche Prozesse, einverleibt in Form von Gesten, Körperempfindungen, Körperhaltungen, Fühlen etc. Auch der Körper wird daher durch habituelle Schemata geformt (vgl. Bourdieu ²1997, 147ff). Da es sich um mit anderen sozialen AkteurInnen geteilte Dispositionen handelt, ist diesen ein praktischer Sinn inne, eine praktische Logik, welche das soziale Miteinander in den jeweiligen sozialen Feldern bestimmt und als normal 27
Wie dies beispielsweise der Strukturfunktionalismus in der Tradition Radcliffe-Browns annimmt: Er versteht die Gesellschaft als eine Art Körper, in der die einzelnen Individuen wie Organe funktionierende Teile des Ganzen sind. Die einzelnen sozialen AkteurInnen tragen durch ihre Funktion zum Erhalt der Gesellschaft bei. Sie werden als von der Gesellschaft geformt und abhängig betrachtet, in der sie bestimmte Funktionen erfüllen. Das menschliche Verhalten und Denken erscheint dabei als ein Ergebnis von Kräften, das die Handelnden weder kontrollieren noch verstehen können. Die Analyse interessiert sich daher für die „strukturellen Kräfte“ (vgl. Radcliffe-Brown 1952, 179ff).
34
2 Kontextualisierungen
erscheinen lässt.28 Unter Feld versteht Bourdieu Praxisfelder, Kraft-, Spiel- und Kampffelder, eine Art Arena, die durch Verhandlungs-, Macht- und Austauschbeziehungen zwischen verschiedenen Positionen definiert sind und in denen es um die Aufteilung von Kapitalien geht, welche als „Verfügungsmacht im Rahmen eines Feldes“ wirken (vgl. Bourdieu 1985, 10). „In analytic terms, a field may be defined as a network, or a configuration, of objective relations between positions. These positions are objectively defined, in their existence and in the determinations they impose upon their occupants, agents of structure or the distribution of species of power (or capital) whose possession commands access to the specific profits that are at stake in the field, as well as by their objective relation to other positions (domination, subordination, homogy, etc.)“ (Bourdieu/Wacquant 1992, 97)
Bourdieu unterscheidet ökonomisches, kulturelles, soziales sowie symbolisches Kapital (vgl. Bourdieu 1992, 49ff): a.
b.
c.
d.
28
ökonomisches Kapital bezieht sich auf Geld und Güter, welche in Geld verwandelt werden können. Im Kapitalismus herrscht eine tendenzielle Dominanz des Geldes, weshalb das ökonomische Kapital die bedeutendste Kapitalform und die Grundlage der Aneignung des anderen Kapitals darstellt. soziales Kapital basiert auf einem Netzwerk von mehr oder weniger institutionalisierten Beziehungen wie zum Beispiel der Zugehörigkeit zu einer Gruppe. Das soziale Kapital hat einen Multiplikatoreffekt bezüglich der anderen Kapitalformen. Beziehungsarbeit bedarf der Zeit und des Geldes, während kulturelles Kapital den Aufbau von Beziehungen erleichert. Gleichzeitig funktioniert soziales als symbolisches Kapital. Kulturelles Kapital ist von der Logik materiellen Reichtums verschieden, auch wenn kulturelles Kapital unter bestimmten Bedingungen in ökonomisches sowie symbolisches Kapital transformierbar ist. Bourdieu unterscheidet drei Formen kulturellen Kapitals: das objektivierte (zum Beispiel Bücher, Gemälde, Instrumente), das inkorporierte (zum Beispiel Bildung, körper- und somit personenbezogene Fähigkeiten) sowie das institutionalisierte Kapital (Titel und Bildungsabschlüsse). Symbolisches Kapital stellt die wahrgenommene, als legitim anerkannte Form der anderen Kapitalformen und somit das Zusammenwirken derselben in Form von Prestige, Ruhm und Status dar. Ihm kommt eine besondere Funktion bei der alltäglichen Legitimation gesellschaftlicher Herrschaftsverhältnisse zu.
Bourdieu betont, dass „die Praktiken ohne jede strategische Berechnung und bewusste Bezugnahme auf eine Norm objektiv aufeinander abgestimmt und ohne jede direkte Interaktion und damit erst recht ohne ausdrückliche Abstimmung einander angepasst werden können“ (Bourdieu 1993, 109. Kursiva im Original). Auch wenn eine konkrete Praxis ohne direkte Interaktion mit anderen Personen stattfinden kann, ist sie dennoch Teil einer gemeinsamen sozialen Praxis und insofern interagieren die Personen miteinander.
2.2 Migration als soziale Praxis
35
Um die AkteurInnen und Gruppen mit dem meisten bzw. mächtigsten Kapital entstehen verschiedene Kraft- und Machtzentren. Soziale Felder werden daher von Bourdieu auch als Kampffelder verstanden, weil diese als soziale Praxis im Wandel und im „Kampf zwischen den Herrschenden und den Anwärtern auf die Herrschaft“ (Bourdieu 1993, 107) umstritten sind. Auch für Bourdieu sind die sozialen AkteurInnen somit keine passiv Handelnden, sondern kompetente soziale AkteurInnen, welche strategisch handeln.29 Dabei sind nicht die Praktiken selbst festgelegt – die Personen sind also nicht strukturell determiniert –, sondern die Grenzen von möglichen und unmöglichen Handlungen. Es sind die sozialen Praktiken, die strukturiert werden. Diese können bewusst verändert werden, und auch in den Feldern werden nur die Handlungsspielräume festgelegt. Dieser Spielraum wird sodann akteurInspezifisch und in diesem Sinne individuell und improvisierend genutzt. Es geht daher nicht um homogene, kulturell einheitliche Gruppen.30 Der Habitus und dessen Praxisformen werden außerdem nicht simpel reproduziert, sondern in der Reproduktion verändert und in Frage gestellt – zum Beispiel, wenn die Sinnhaftigkeit durch Erfahrungen in anderen sozialen Feldern nicht mehr gewährt ist, wie dies in der Migration der Fall sein kann. Gültige Praxisformen müssen im Rekurs auf das verfügbare Kapital und im Bezug auf die Sinnhaftigkeit bisheriger Praxisformen neu definiert werden. Es stellt sich dabei die Frage, welches die relevanten Kontexte der ecuadorianischen Migrantinnen und die Strukturen darstellen, in denen ihre Handlungen verortet sind, wie also die Frage nach Struktur und Handlung, nach Kontinuität und Wandel sowie nach deren konkreten Kontexten für die vorliegenden Forschungsfragen zu verstehen sind. Dazu muss Bourdieus Ansatz in Anlehnung an Appadurai beschleunigt und entgrenzt werden, weshalb sich diese Arbeit als von Bourdieus praxeologischem Zugang inspiriert versteht, jedoch nicht als eine direkte Umsetzung seiner Sozialtheorie. 2.2.2 Kontexte, Brüche und Erweiterungen Mit der Migration nach Spanien sind Grenzüberschreitungen, neue Kontakte und Kontexte sowie Veränderungen verbunden, ohne dass es sich dabei um lineare Bewegungen von A nach B noch um eindeutige Prozesse handelt. Migrationen, aber auch andere Phänomene wie zum Beispiel die neuen Technologien stellen gerade die Frage nach Raum und Zeit im Kontext der Globalisierung neu. 29
Der Strategiebegriff ist für Bourdieu zentral. Er grenzt sich auch hierbei sowohl von strukturaldeterministischen als auch von einem einseitigen „subjektivem Handlungsvoluntarismus“ ab (vgl. Schwingel ²1998, 92f). 30 vgl. auch Fredrik Barths (1969) Kritik an einem essentialistischen Verständnis von Kultur bzw. Ethnizität als „homogenes Ganzes“.
36
2 Kontextualisierungen
Schon immer gab es verschiedene Formen von Transaktionen und Interaktionen zwischen Gruppen, inklusive Austausch über Ideen und Denkweisen (vgl. Wolf 1982). Mit den neuen Technologien, Transport- und Kommunikationsmöglichkeiten sowie der zunehmenden Präsenz und Bedeutung der Medien sind diese Prozesse jedoch beschleunigt und die Vernetzungen verdichtet worden. Bourdieus Habituskonzept muss daher dynamischer verstanden werden. Es muss als vielschichtig und weit mehr als bei Bourdieu in Bezug zu den allgemeinen Veränderungen im Kontext der Globalisierung gesetzt werden, die zudem als plural und vielfältig, also nicht als einseitig nur ökonomische Globalisierung zu verstehen ist. Appadurai spricht von einer notwendigen „Beschleunigung“ des Habitus: „[S]ome of the force of Bourdieu´s idea of the „habitus“ can be retained (…), but the stress must be put on his idea of improvisation, for improvisation no longer occurs within a relatively bounded set of thinkable postures, but is always skidding and taking off, powered by the imagined vistas of mass-mediated master narratives. There has been a general change in the global conditions of life-worlds: put simply, where once improvisation was snatched out of the glacial undertow of habitus, habitus now has to be painstakingly reinforced in the face of life-worlds that are frequently in flux.“ (Appadurai 1991, 200)
Die Beschleunigung soll der Gefahr begegnen, durch die Verlagerung der sozialen Strukturmomente in die sozialen AkteurInnen zu statische und schematische Vorstellungen von gesellschaftlicher Reproduktion zu entwickeln, die Handlungs- und Veränderungsmöglichkeiten als zu begrenzt zu betrachten sowie den Raum der Handlung zu lokalisiert und eindeutig zu denken (vgl. Hörning 2001, 169ff). Durch die Massenmedien sind heute beispielsweise verschiedene Kulturen, Praktiken, Werteorientierungen, religiöse Muster, Musikstile, Mode und Vieles mehr global präsent. Andere Lebensstile werden dabei als für alle erreichbar dargestellt und können sich von Menschen weltweit als handlungsweisende Projekte vorgestellt werden (vgl. Appadurai 1991, 198ff). Es ist möglich, sich imaginativ in anderen sozialen Feldern zu verorten und die Praxis, die Hoffungen und Ziele auf einen translokalen sowie transnationalen Raum zu beziehen. Imagination hat daher heute eine starke handlungsleitende Funktion (vgl. Appadurai 1991, 198). Dies betrifft gerade auch Migrationen: Über die Massenmedien werden zum Beispiel eine bestimmte Vorstellung des guten Lebens (als Migrantin) in Europa, aber auch bestimmte Konsummuster verbreitet, welche Migrationswünsche und -entscheidungen beeinflussen. Appadurai führt hierfür den Begriff der so genannten „imagined worlds“ in Erweiterung von Benedict Andersons „imagined community“ (vgl. Anderson 1991) ein: „I would like to call imagined worlds, that is, the multiple worlds that are constituted by the historically situated imaginations of persons and groups spread around the globe (…). An important fact of the world we live in today is that many persons on the globe live in such imagined worlds (and not just in imagined communities) and thus are able to contest and sometimes even subvert the
2.2 Migration als soziale Praxis
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imagined worlds of the official mind and of the entrepreneurial mentality that surround them.“ (Appadurai 52000, 33. Kursiva im Original).
Appadurai schreibt den imaginierten Welten ein subversives Potential zu und geht davon aus, dass die Bedeutung von Nationalstaaten, nationalen Territorien, nationalen Identitäten und Loyalitäten abnehmen. Viele Forschungen weisen jedoch die bleibende Bedeutung des Nationalstaates bzw. dessen steigende Bedeutung nach, welche diesen nicht trotz, sondern vielmehr wegen Migrationen zukommt.31 Für meine Analyse ist hier die Bedeutung der Imaginationen als soziale Handlung und der imaginativen Verortung in de-lokalisierten Landschaften (scapes, wie Appadurai sagt) sowie die Bedeutung der Medien und neuen Technologien als Strukturierungskräfte der sozialen Praxis im transnationalen Raum der entscheidende Beitrag von Appadurais Ansatz, auf den ich in diesem Sinne zurückgreife, ohne jedoch dessen Verständnis des Phänomens des Transnationalismus und des Nationalstaates zu übernehmen.32 Ist im Folgenden von Strukturierungskräften die Rede, so werden diese unter der Perspektive von Polysemie, Offenheit und Widersprüchlichkeit von Strukturen und Handlungen sowie Überlappung verschiedener Felder und Intersektion der Strukturierungsfaktoren betrachtet (vgl. Wolf 1990, 590ff). Strukturen werden als verschieden stark und nicht als gleichmäßiges Gitter, sondern vielmehr als ein Kräftefeld verstanden, in welchem es verschiedene Arten von Macht gibt und sich unterschiedliche Kräfte, Kapitalien, Institutionen, aber auch AkteurInnen gegenüberstehen. Diese handeln von ihren jeweiligen sozialen Positionen und Schemata her und konkurrieren so miteinander. Im Rückgriff auf Eric Wolf können vier Arten von Macht unterschieden werden (vgl. Wolf 1990, 586ff): a. b.
31
Macht als Eigenschaft einer Person.33 Macht als Fähigkeit, den eigenen Willen über den anderen in einer sozialen Aktion und interpersonalen Beziehungen durchzusetzen.34
Dies zeigt sich unter anderem darin, dass MigrantInnen, auch wenn diese aus dem nationalen Einflussbereich der Einwanderungsgesellschaft heraustreten können, sich dennoch nicht in einem machtlosen Raum befinden, mit dem keine Interessen verbunden wäre. Außerdem darf die Mobilität selbst nicht überschätzt werden (vgl. die Kritik durch Featherstone 2002). 32 In meiner Forschung sind die neuen Medien vornehmlich als Erleichterung und Verbilligung von Kommunikation von Bedeutung, weniger als Informationsmedium. So erteilte ich mehreren Frauen zum Beispiel eine Einführung in Internet und zeigte ihnen, wie sie auf diese Weise unterschiedliche, wichtige Informationen erhalten, aber auch zum Beispiel die Zeitung aus Ecuador lesen und sich mit anderen MigrantInnen in Verbindung setzen können. Ihr Interesse konzentrierte sich jedoch auf das Erlernen von E-Mail, Chat und Videokonferenzen, welche sie fortan, insofern ihre Verwandten und Bekannten in Ecuador und anderen Teilen der Welt Zugang zu Internet hatten, auch nutzten. 33 Wolf verweist hier auf Nietzsche. Diese Interpretation von Nietzsches Machtbegriff ist jedoch nicht unumstritten, bezieht sich zum Beispiel Foucault mit seinem Machtverständnis (bei Wolf d) direkt auf Nietzsche. 34 Wolf verweist hier auf Weber.
38 c.
2 Kontextualisierungen
Taktische bzw. organisierende Macht, bei welcher einzelne AkteurInnen bzw. eine „Operationseinheit“ die Handlungen Anderer innerhalb eines bestimmten Settings vorschreiben. „Power that controls the settings in which people may show forth their potentialities and interact with others.“ (ebd.)
d.
Strukturale Macht, welche die Settings organisiert und leitet sowie die Verteilung und Richtung von Energieflüssen festlegt.35 „Structural power shapes the social field of action so as to render some kinds of behavior possible, while making others less possible or impossible.“ (ebd.)
Die Pluralität der Strukturen, deren unterschiedliche Strukturierungskraft und die Verschiedenheit der Schnittpunkte der strukturalen Mächte sind Auslöser von Differenz, Offenheit und Widersprüchlichkeit zwischen und innerhalb von Feldern. Die Strukturen und folglich die Strukturierungskraft von Ressourcen, von Institutionen oder von Personen sind qualitativ in ihrer Kraft unterschiedlich, jedoch nie geschlossen, absolut oder statisch. Die ecuadorianischen Frauen und Männer können daher in Spanien Widersprüche, Lücken und Nischen nutzen, sich darin positionieren und diese – jedoch innerhalb ihrer Möglichkeiten begrenzt – für ihre Ziele einsetzen (vgl. auch Hess 2005, 19). Die strukturierende Kraft ist also keine abstrakte Größe, sondern von der Praxis und somit von den jeweiligen Strategien, Orientierungen und Positionierungen innerhalb der Felder und der verschiedenen Ressourcen abhängig. Pessar und Mahler (2001) sprechen von der „social location“, die eine Person einnimmt. „By social location, we refer to persons’ positions within power hierarchies created through historical, political, economic, geographic, kinship-based and other socially stratifying factors.“ (Pessar/Mahler 2001, 6)
Diese soziale Positionierung kann strategisch genutzt und die Strukturierungskraft von Faktoren, je nach deren Dominanz und Umfang, beeinflusst werden. Transnationale Praktiken können etwa ein einseitig ausgerichtetes nationales Migrationsregime unterlaufen und über Netzwerke Alternativstrukturen errichten. Transnationalen Praktiken wird daher immer wieder von AutorInnen wie Appadurai eine subversive Kraft zugesprochen.36 Die transnationale und somit nicht einseitig nationale Verortung von MigrantInnen irritiert und provoziert Gesellschaften und deren „nationalen Mitglieder“. Gleichzeitig handelt es sich jedoch um keine beliebigen Strukturierungen, sondern um – wenn auch offene und polysemische –Struk35
Hier weist Wolf auf Marx und Foucault hin. Vgl. zum Beispiel auch Negris und Hardts (2002, 400ff) Vorstellung der „Menge“, die sich transnational gegen Unterdrückungsmechanismen auflehnen wird; aber auch zum Beispiel Kearney 1991. 36
2.2 Migration als soziale Praxis
39
turen, welche entlang der Klassifikationen von Geschlecht, Nation, Region, Alter und Sozialstatus, Aufenthaltstitel und physische Fähigkeiten etc. geformt sind (vgl. auch Bourdieu 1992, 152). Auch wenn aber die sozialen AkteurInnen unterschiedlich lokalisiert sind und Strukturen unterschiedlich aktiviert werden können, finden jegliche Handlungen in einem gemeinsamen globalen Kontext statt. Es gibt kein Lokales ohne Globales: Lokales und Globales durchdringen sich (vgl. dazu Kreff 2003). Dabei stellt die globale Ökonomie den Makrokontext der strukturalen Macht. Wie alle anderen Prozesse ist auch diese entlang von Gender und anderen Differenzkategorien intern differenziert wie strukturiert. 2.2.3 Die Bedeutung der globalen Ökonomie als strukturale Macht Eine dominante umfassende globale Struktur stellt die kapitalistische Produktion und Reproduktion dar, welche als strukturale Macht den Handlungs(un)möglichkeiten von sozialen AkteurInnen einen Rahmen gibt. Die globale Ökonomie und die so verstandene Globalisierung ist hierarchisch strukturiert und somit vermachtet. Dies gilt auch für andere Formen von Globalisierung wie zum Beispiel dem Zugang zu Technologien, Medien, Konsumgütern, Mobilitätsmöglichkeiten. Wie Phizacklea schreibt: „Globalization (…) always has been about linkages and inequalities between regions on a global basis.“ (Phizacklea 1998, 22) Es handelt sich um keinen „neutralen“ Raum mit quasi „neutralen“ Prozessen, wie die neoliberale Theorie des globalen freien Marktes beispielsweise annimmt. Diese heutige dominante Theorie der ökonomischen Globalisierung geht davon aus, dass sich ökonomische Prozesse, wenn sie nicht politisch gelenkt werden, von alleine regulieren und über das Zusammenspiel der freien Kräfte (vgl. Smiths „invisible hand“, Smith 1776) zu einem Ausgleich und auf diese Weise zu Gerechtigkeit führen (vgl. van Hayek 1991). Die Kritik an (neo-)liberalen Theorien und deren Annahmen einer „unsichtbaren Hand“ ist vielfältig. Für hier ist entscheidend, dass es sich um keine unvermachteten Prozesse handelt und sich der Kapitalismus immer schon neben der freien auch der unfreien Arbeitskraft bediente (vgl. Cohen 1987). Miller und Castles fassen auch heutige Formen von Migration unter „unfreie Arbeit“, wenn zum Beispiel im Rahmen der irregulären Einwanderung den gesellschaftlich nachgefragten ArbeiterInnen jeglicher gesetzlicher Schutz verweigert wird. Sie schreiben: „Arbeitsmigranten sollten in diesem Zusammenhang (wenn auch nicht in allen Fällen) unter die Kategorie der unfreien Arbeitskräfte gefasst werden, weil sie entweder gezwungen werden, sich dorthin zu begeben, wo ihre Arbeitskraft benötigt wird, oder weil ihnen bestimmte Rechte abgesprochen werden, auf die andere Arbeitskräfte Anspruch haben und sie dadurch nicht unter gleichen Bedingungen mit diesen konkurrieren können. Selbst unter Bedingungen freiwilliger und unkontrollierter Migration (wie die Einwanderung in dem des Commonwealth zwischen 1945 und
40
2 Kontextualisierungen 1962) kann die reale Freiheit der betroffenen Arbeitskräfte durch institutionelle und informelle Diskriminierung eingeschränkt sein.“ (Castles/Miller 1997, 47)
Jenseits der berechtigten Diskussionen, ob es sinnvoll ist, die Begrifflichkeit der „unfreien Arbeitskräfte“ und deren historischen Verknüpfung zur Sklavenwirtschaft, Zwangsarbeit und feudaler Arbeit auf heutige Migrationen anzuwenden37, soll hier nochmals festgehalten werden, dass, wie oben bezüglich der modernen Nationalstaaten erwähnt, der Kapitalismus und somit die modernen, kapitalistischen Volkswirtschaften in sich die Logik der Ausbeutung Anderer tragen. Dazu gehört auch die institutionalisierte billige(re) oder kostenlose Arbeitskraft von Frauen, weshalb Frauen als Schlüsselfiguren der Globalisierung zu verstehen sind (vgl. Sassen 1998, 81ff). 2.2.4 Das soziale Geschlecht als transversale Strukturierungskraft Gender wirkt als Strukturierungskraft auf allen Ebenen des Migrationsprozesses (vgl. Pessar/Mahler 2001), angefangen beim Wirtschaftssystem über Institutionen wie die Familie bis hin zu Interaktionen und persönlichen Geschlechteridentitäten. Gender, d.h. das soziale Geschlecht, ist eine entscheidende Strukturierungskraft des sozialen Lebens. Es wirkt auf die Entscheidung zur Migration und bildet, hinterfragt, verändert und/oder affirmiert Machtstrukturen (vgl. Pessar/Mahler 2001). Es prägt den gesamten Migrationsprozess, Makro- wie Mikroebene, und stellt deshalb eine umfassende dominante strukturale Macht dar. Es steht nicht allein, sondern ist intersektional mit anderen strukturalen Größen wie zum Beispiel Ethnizität/‚Race’, Klasse, Lebenszyklus oder Nationalität verbunden (vgl. Moore 1993,195; Knapp 2005). „Gender ist niemals allein wirksam, sondern wird in spezifischen Kontexten gleichzeitig mit und durch andere Differenzen konstruiert, artikuliert und sozial realisiert.“ (Strasser/Schein 1997, 10)
In der Hausarbeit wird dies sehr deutlich: Sie gilt als Aufgabe bzw. Tätigkeit von Frauen, jedoch nicht als Arbeit. Für die Erwerbsarbeit als Marktökonomie und für die Arbeit in der Privatsphäre als Haushaltsökonomie herrschen konträre Logiken, welche geschlechtsspezifisch zugeordnet werden (vgl. Geissler 2002, 37). Die Versorgungs-, Pflege- und Erziehungsarbeiten im Haus werden dabei als weibliche „Nicht-Arbeit“ bzw. „Arbeit aus Liebe“ (vgl. Bock/Duden 1977) konstruiert. „Hausarbeit ist eine ganz besonders „gendered activity“, sie ist emotional hochgradig mit Bedeutungen und Interpretationen darüber verbunden, wer wir als Frauen und Männer sind und wer wir sein wollen. Mit ihrer Verrichtung oder Verweigerung tauchen unweigerlich Fragen der Hierarchie
37
Ich stehe einer derartigen Analogie eher skeptisch gegenüber.
2.3 Sozialtheoretische Kontextualisierung der Arbeit
41
und Dominanz auf, zusammen mit den dazugehörigen, häufig ambivalenten Emotionen. Bewusste Einstellungen, mehr oder minder bewusste Gefühle und alltägliche Praxis passen hier nicht immer zusammen.“ (Rerrich 2002, 21)
Heutige Hausarbeit weist neben der Zuordnung nach Geschlecht immer mehr auch eine Unterscheidung nach Klasse und Herkunft auf, welche durch die steigende Verknüpfung der politisch-ökonomischen, technologischen und kulturell-legalen Verbindungen zwischen Staaten und Gesellschaften intensiviert wird (vgl. Misra/Merz 2005, 4). Dass die Hausarbeit in westlichen Ländern heute vor allem von migrantischen Frauen übernommen wird, ist daher Teil der aktuellen Globalisierungsprozesse mit deren Formung und Verstärkung von Ungleichheiten und Abhängigkeiten (vgl. Parella 2003, 68). „In globalization, the rise of neo-liberalism in the global south pushes women into migrant domestic labor and the similar rise of neo-liberalism in the global north directs their flow.“ (Parreñas 2003b, 25)
Auf diese Prozesse wird unter 6.2 detailliert eingegangen. 2.3 Sozialtheoretische Kontextualisierung der Arbeit Die vorliegende Arbeit versteht sich als praxeologische Forschung, welche mit Bourdieu die soziale Praxis zum Ansatzpunkt der Forschung macht und somit sowohl den Gegenstand der Forschung als auch die Forschung und die Forschende selbst als Teil dieser sozialen Praxis versteht. Dabei werden Struktur und Handlung als konstitutiv für die Praxis und für die Analyse erachtet. Der Begriff der Interaktion wird übernommen, um zu betonen, dass die soziale Praxis immer als relational konstruierte Praxis zu denken ist, also im Miteinander verschiedener sozialer Akteure und Akteurinnen konstituiert wird. Strukturen werden mit Eric Wolf als offen, polysemisch und mehrfach gebrochen sowie mit Bourdieu durch Praxis reproduziert, affirmiert, verändert oder unterlaufen verstanden. Die Arbeit positioniert sich somit bewusst im Spannungsfeld zwischen Differenzierung und Gemeinsamkeit, zwischen pluraler, ausdifferenzierter Gesellschaft und deren Strukturierung. Es können daher keine allgemeingültigen Aussagen über konkrete Handlungen von Personen gemacht werden. Diese sind innerhalb der strukturellen Bedingungen strategisch38 „individuell“ sowie durch die Verfügung über verschiedene Ressourcen (hier als Sammelbegriff für die unterschiedlichen Kapitalformen verwendet), aber 38
„Strategien“ wird hierbei als Sammelbegriff benutzt, ohne zwischen Taktiken (als Gegenstrategien der Schwachen) und Strategien (als Waffen der Mächtigen) zu unterscheiden. So wird ein dialektisches Verständnis bzw. Aufeinanderbezogensein vermieden, welches spätestens durch die Durchbrechung des Raumes mittels der Migration so nicht gegeben ist.
42
2 Kontextualisierungen
auch personale Aspekte wie Begabungen, spezielle (Un-)Fähigkeiten bis hin zu Prägungen durch „Schicksalsereignisse“ wie Tod und deren biographische Auswirkungen unterschieden. Es können jedoch begrenzende und/oder eröffnende Strukturen, deren Kraft, Bedeutung, Umgehung und Veränderung für und durch soziale Praxis analysiert und somit die Bedingungen der Möglichkeit von Handlungen und je spezifisch deren (Neu)Aushandlungen und Nutzungen untersucht werden. Die soziale Praxis als praktische Reproduktion und zugleich realisierendes Produkt von Strukturen ist in Raum und Zeit verortet und basiert auf Interaktion mit anderen sozialen AkteurInnen, mit welchen in einer gelingenden Praxis ein sozialer bzw. praktischer Sinn geteilt wird. Wurde bislang von Kontext gesprochen, so meint dies eine raum-, zeitliche und praktische (und somit strukturelle wie interaktiv-agierende) Verortung. Er wird als Begriff aufgenommen, um einen vorstrukturierten und in den sozialen Handlungen aktualisierten „sozialen Raum“ zu bezeichnen, jedoch ohne in Bourdieus Terminologie und Ansatz des sozialen Feldes aufzugehen. Auch die wissenschaftliche und mediale Praxis sind Teil des Kontextes und müssen auf ihre Bedingungen und Konstruktionsprinzipien hin hinterfragt werden. Zentral ist dabei der Machtbegriff, welcher im Rückgriff auf Eric Wolf in vier Arten von Macht unterschieden wird. Von Bourdieu wird das Habituskonzept kritisch erweitert übernommen. Seine Aufnahme der Körperlichkeit in die soziale Praxis ist ein zentraler Beitrag seiner Habitustheorie. Um zu statische und schematische Vorstellungen von gesellschaftlicher Reproduktion zu vermeiden, wird das Habituskonzept „beschleunigt“ und dynamischer, die Strukturen offener, vielfach gebrochen sowie im transnationalen Raum verortet verstanden. Die Bedeutung der Reproduktionen sozialer Handlungen und der notwendige Rekurs auf habituelle Schemata werden daher unter dem Aspekt der Neuaushandlungen in den neuen sozialen Kontexten untersucht. Die mit diesem sozialtheoretischen Zugang eingeführten Kategorien bilden die transversalen Kategorien der Analyse der Daten. „Transversal“ meint hier, dass diese Kategorien die ganze Analyse durchziehen und prägen: Raum und Zeit, Macht, Körper, (Un)Möglichkeiten [von Handlungen], [soziales Handeln als] Strategien, Interaktion, Ressourcen, Kontext, Medien, Migration, Transnationalismus sowie Gender, Klasse, Ethnizität, Alter, Nationalität, und Status [als strukturierende Faktoren]. Unter Ressourcen werden auch biographische und personale Ressourcen, unter anderem auch Macht als Eigenschaft einer Person, gefasst, was sich je nach Fall als soziales und/oder symbolisches Kapital auswirken kann. Auf diesem Hintergrund wird im Folgenden zunächst der Prozess der Datenerhebung und anschließend die Ethnographie vorgestellt.
3 Der Migrationsprozess ecuadorianischer Hausarbeiterinnen als Forschungsprozess
Im Oktober 2003 begann ich meine Feldforschung über den Migrationsprozess ecuadorianischer Migrantinnen in Madrid. Ich forschte zwölf Monate in Madrid sowie zwei Monate in Ecuador im Umfeld der MigrantInnen. Datenerhebung, -analyse, und -verschriftlichung gingen dabei ineinander über, was sich auch in der vorliegenden Studie niederschreibt, indem Daten und Interpretationen, Beschreibung und Theorie verwoben werden. Die Analyse des Forschungsprozesses soll daher auch zunächst mit der Darstellung der Datengewinnung und der angewandten Methodologie beginnen. 3.1 Die Methodologie Die vorliegende Studie basiert auf einer Feldforschung von 14 Monaten in Madrid und Ecuador. Wie Beer (2003, 11) schreibt, bildet die Feldforschung die zentrale Methode der Kultur- und Sozialanthropologie. Dabei handelt es sich jedoch nicht um die Anwendung einer einzelnen Methode, sondern um eine Vielfalt von Methoden (3.1.1.1). Wie der Name sagt, geht es um eine Forschung im Feld, das heißt, in der Lebenswelt der Untersuchten (ebd.). Die ForscherInnen begeben sich also nicht in ein Labor, sondern erheben über einen längeren Zeitraum (3.1.1.3) „vor Ort“ Daten. Dieser „Forschungsort“ ist jedoch, zumindest in der Migrationsforschung, nicht stationär und an einen einzigen lokalen Ort gebunden, weshalb auch die Forschenden selbst sich bewegen und multilokal forschen sollten (3.1.1.2). Aber auch so ist das Forschungsfeld nicht gegeben. Es existiert nicht als solches, sondern wird als Bestandteil des Forschungsprozesses konstruiert (3.1.2.1), was die Bestimmung der eigenen Rolle als ForscherIn einschließt. In den gesamten Forschungsprozess gehen dabei die Forschungsbedingungen (3.1.1.4) und die Subjektivität der Forschenden (3.1.1.5) ein: „[I]n a world of infinite interconnections and overlapping contexts, the ethnographic field cannot simply exist, awaiting discovery. It has to be laboriously constructed, prised apart from all the other possibilities for contextualization to which its constituent relationships and connections could also be referred. This process of construction is inescapably shaped by the conceptual, professional, financial and relational opportunities and resources accessible to the ethnographer.“ (Amit 2000, 6. Eigene Hervorhebung)
Heike Wagner, Dasein für Andere – Dasein als Andere in Europa, DOI 10.1007/978-3-531-92167-9_3, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2010
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3 Der Migrationsprozess ecuadorianischer Hausarbeiterinnen als Forschungsprozess
3.1.1 Methodenvielfalt Feldforschung besteht aus der Kombination unterschiedlicher Methoden. Neben qualitativen Methoden werden beispielsweise quantitative oder historische Zugänge sowie andere Formen der Sozialforschung angewandt. Die Hauptmethode anthropologischer Datenerhebung stellt die teilnehmende Beobachtung dar. Auch meine Forschung basierte darauf. Ich ergänzte sie mit Interviews sowie einer Umfrage. Zusätzlich zu meinen erhobenen Daten stützte ich mich auf politologische, ökonomische und soziologische Forschungen sowie auf statistische Daten. Die Teilnahme an Kursen des Doktoratsstudiums „Migraciones“ am Instituto Ortega y Gaset der Universidad Complutense in Madrid erleichterten mir diesen interdisziplinären Zugang. 3.1.1.1 Teilnehmende Beobachtung Die Grundlage meines anthropologischen Forschens bildete die teilnehmende Beobachtung und deren Verschriftlichung: Ich konnte am Leben der erforschten MigrantInnen in Madrid wie auch bei deren Familienangehörigen in Ecuador teilnehmen, beobachten, Fragen stellen und Interviews durchführen. Das Wahrgenommene, Gehörte und Gesehene notierte ich täglich in meinem Feldtagebuch (vgl. Hauser-Schäublin 2003, 33ff). Teilnehmende Beobachtung stellt idealerweise die geplante Beobachtung des Verhaltens von Personen in ihrer alltäglichen Umgebung durch eine Person dar, welche an den Interaktionen teilnimmt und von den anderen Personen als Teil ihres Handlungsfeldes betrachtet wird (vgl. Friedrichs 1985, 288). Teilnehmende Beobachtung basiert also auf physischer Präsenz, auf der Möglichkeit, in der jeweiligen Sprache zu kommunizieren, darauf, sich einer neuen Erfahrung auszusetzen, offen zu sein, andere, zunächst fremde Vorstellungen, Werte und Verhaltensweisen mitzuleben, von innen zu betrachten, das heißt, am Alltag teilzunehmen, um kennenzulernen und zu analysieren. Wie dies im Fall meiner Forschung konkret aussah, führe ich unter 3.1.2 aus. Der Name selbst weist jedoch bereits darauf hin, dass es sich um durchaus widersprüchliche Ansprüche handelt, bedeutet Teilnahme doch Nähe und Beobachten Distanz (vgl. Hauser-Schäublin 2003, 38). Blok schreibt daher: „Die Perspektive der teilnehmenden Beobachtung beruht auf der Fähigkeit, sich auf das Leben in einer anderen Kultur einzulassen, indem man an ihm teilnimmt, und auf der Fähigkeit zur Distanz, indem man es beobachtet. In der Kombination dieser beiden Teilperspektiven ist die Quintessenz der ethnographischen Teilperspektiven enthalten.“ (Blok ²1995, 32)
3.1 Die Methodologie
45
Die Forschenden sollen dabei „Teil des Feldes“ werden, während sie jedoch auch selbst das von ihnen untersuchte Feld und somit ihre Forschung beeinflussen, da es sich um eine intersubjektive, dialogische Generierung von Daten handelt (vgl. Cropley 2002, 161). Da die Methode auf sozialen Beziehungen basiert, ist sie mit Subjektivitäten sowie Rollen(zuschreibungen) verbunden, weshalb ich zum besseren Verständnis unten (3.1.1.5) auch meine eigenen Verortungen kurz ausführen werde. 3.1.1.2 Interviews Ein wichtiger Bestandteil meiner Feldforschung bestand aus qualitativen Interviews, welche die teilnehmende Beobachtung ergänzten sowie vertieften (vgl. Schlehe 2003, 71ff). Ich führte 87 formelle Interviews bzw. ExpertInnengespräche, welche in der Mehrzahl mehrere Stunden dauerten. Wichtige Informantinnen interviewte ich mehrfach. Die meisten Interviews konnte ich aufnehmen. Einige wenige notierte ich auf Wunsch lediglich handschriftlich mit.39 Darüber hinaus nahm ich an unzähligen spontanen, informellen Gesprächen teil, welche oft den Charakter eines Interviews annahmen und teilweise von mir direkt mitnotiert werden konnten. Ansonsten machte ich mir sofort anschließend Notizen. Von den 87 Interviews führte ich 19 (zusammen mit unzähligen informellen Gesprächen) mit Angehörigen der MigrantInnen in Ecuador. Meinen Aufenthalt in Ecuador nutzte ich zudem, um zehn ExpertInnengespräche zu führen. Auf diese Weise stellte ich meine ersten Ergebnisse anderen ForscherInnen sowie MitarbeiterInnen von NGOs zur Diskussion und fragte gezielt nach mir offenen Punkten. Neben intensiver Literaturrecherche versuchte ich so die dürftige Bibliographie zur ecuadorianischen Migration nach Spanien und anderen relevanten Aspekten auszugleichen. Alle formalen Interviews bereitete ich als halbstrukturierte Interviews vor. Die Interviews mit den EcuadorianerInnen begann ich jedoch stets mit einer offenen Frage, welche auf ein narratives Interview zielte. Ich bat sie um eine biographische Erzählung und somit um eine Selbstdarstellung ihres Migrationsprozesses, um auf diese Weise zu untersuchen, welchen Entscheidungsraum sich die Frauen selbst zuschreiben, auf welche Werte sie rekurrieren und welche Motive sowie Personen sie in der Konstruktion ihrer Biographie in den Mittelpunkt stellen (vgl. Paul 1998, 29). Viele Frauen bestanden jedoch auf Fragen, weshalb ich stets einen Fragenkatalog mitbrachte.40 Manche nahmen die lange Liste an Fragen zum Anlass, von sich aus
39
Die meisten Transkriptionen der Interviews machten Ethnologiestudierende in Ecuador gegen Bezahlung. 40 Ich hatte manchmal den Eindruck, dass allein die Tatsache, dass ich eine Liste mit Fragen neben mich legte oder diese zu Beginn zeigte, für die Interviewten „Professionalität“ ausdrückte und der Interviewsi-
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3 Der Migrationsprozess ecuadorianischer Hausarbeiterinnen als Forschungsprozess
spontan ein weiteres Interview vorzuschlagen, da „all die Fragen der Liste sicherlich noch gar nicht beantwortet sind“. 3.1.2 Raum – Multi-sited Ethnography Migrationsforschung hat mit sich bewegenden Menschen zu tun. Ihre Entscheidungen zur Migration, ihre Projekte, die Verfolgung derselben und ihre alltäglichen Praktiken sind dabei in unterschiedlichen sozialen Feldern verortet. Oben (2.2.2) wurde auf die theoretischen Aspekte hingewiesen (Globalisierung, Transnationalismus), aber auch auf methodischer Ebene stellen sich dadurch spezifische Herausforderungen: Wurde Feldforschung lange Zeit als eine an einen Ort fixierte, stationäre Forschung verstanden, verlangt eine Forschung über MigrantInnen als „moving targets“ (Welz 1998) auch sich bewegende ForscherInnen. Marcus (1995) plädiert daher für eine „multi-sited ethnography“ an verschiedenen Orten unter Einbezug unterschiedlicher Perspektiven. ForscherInnen sollen den Menschen, ihren Lebensgeschichten, aber auch Dingen, Konflikten oder Geschichten folgen. Die vorliegende multilokale Forschung greift dieses Postulat auf, indem sie die Transnationalität der Lebenswirklichkeit der MigrantInnen auch in die Datenerhebung einschließt. 3.1.3 Zeit – 14 Monate Feldforschung Die Forschung über 14 Monate erlaubte mir, Veränderungen im Migrationsprozess, in den Motivationen, im Migrationsprojekt, den Strategien und Positionen zu erkennen und somit die Prozesshaftigkeit in den Lebens- und Migrationsverläufen zu analysieren. Wie der Begriff „Migrationsprozess“ selbst nahe legt, handelt es sich um Prozesse. Meine Forschung spiegelt dabei einen konkreten Moment darin wider, welcher sich heute, bei der Fertigstellung der Studie, bereits weiter entwickelt und verändert hat. Während nämlich die Mehrzahl meiner InformantInnen zur Zeit der Forschung weder Aufenthalts- noch Arbeitserlaubnis besaß, sind alle hier vorgestellten Frauen, Männer und deren Kinder mit Ausnahme einer Peruanerin durch die Regularisierung im Jahr 2005 zu regulären Aufenthalts- und Arbeitstiteln gelangt, tuation Gewicht gab. Ich nahm daher immer meine Liste mit, auch wenn ich sie nicht einsetzen wollte. Dies lehrten mich Erfahrungen wie zum Beispiel folgende: Einmal meldete mir die Tochter einer interviewten Ecuadorianerin nach einem für mich sehr ergiebigen und interessanten Interview zurück, dass die Mutter das Interview schon gut gefunden hätte, aber ich hätte mich besser vorbereiten und mehr Fragen stellen sollen. Obwohl ich ihr erklärt hatte, dass ich gerne ihre Geschichte und Eindrücke in ihren Worten erfahren würde, erschien ihr meine Zurückhaltung und das Zuhören als unprofessionell. Ich legte daraufhin immer einen Fragekatalog sichtbar auf den Tisch.
3.1 Die Methodologie
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wodurch sich ihre Lebensbedingungen stark veränderten: Sie brauchen sich nicht mehr vor Ausweisung zu fürchten, können nach Ecuador oder in andere Länder reisen, eine Familienzusammenführung planen und Vieles mehr. 3.1.4 Grounding – das Verweben von Datensammlung und Datenanalyse Bereits während der Feldforschung begann ich, meine Felddaten zu codieren, Hypothesen zu entwickeln, diese in den Forschungsprozess einzubringen, zu modifizieren und zu überprüfen. Dabei ließ ich mich vom Konzept des „Grounding“ der Grounded Theory (vgl. Glaser/Strauss 1967) inspirieren. Glaser und Strauss wenden sich mit ihrer Methodologie gegen Formen deduktiver Sozialforschung sowie gegen qualitative Methoden, welche Datenerhebung, analyse und deren Verschriftlichung in getrennten Arbeitsschritten vollziehen. Diesen Zugangsweisen stellen sie die Gleichzeitigkeit sowie Verwobenheit des Forschungsprozesses und dessen Verschriftlichung entgegen, wie dies in der folgenden Visualisierung verdeutlicht wird (vgl. Glaser/Strauss 1967).
Abbildung 1: Grounded Theory, Eigene Visualisierung41
Es handelt sich um einen „Prozess der fortwährenden Begründung (Grounding) der Interpretationen in den Daten“ (Muckel 2004, 1): Von Anbeginn der Forschung an 41
Diese Visualisierung enstand im Rahmen eines Methodenseminars zur Grounded Theory. Eine Erstversion meinerVisualisierung wurde von Marion Linska am Computer umgesetzt.
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3 Der Migrationsprozess ecuadorianischer Hausarbeiterinnen als Forschungsprozess
werden die Daten nicht nur notiert, sondern auch codiert und somit analysiert. Dabei werden erste Hypothesen gebildet und anschließend weiteres Forschungsmaterial gesammelt, um diese zu hinterfragen, zu bestätigen, zu modifizieren oder zu verwerfen. Erste Interpretationsversuche werden in Form von Kategorien formuliert und wieder an das Datenmaterial herangetragen, präzisiert, verändert, übernommen oder abgelegt. Über einen permanenten Vergleich werden auf dieser analytischen Basis spezifische Daten42 für die weitere Theoriebildung erhoben.43 Sind alle Variationen festgestellt und erklärt, die Kategorien ausreichend in den Daten verankert und wären keine wichtigen Neuinformationen durch neue Datenerhebung erhältlich, kann davon ausgegangen werden, dass die Kategorien gesättigt sind. Auf diese Weise kann eine in den Daten gründende Theorie („Grounded Theory“) entwickelt werden. Dieser gesamte Prozess der Datenerhebung und -interpretation wird verschriftlicht, was einen Prozess der (Selbst-)Reflektion, des Dialogs mit den Daten und somit der Analyse darstellt, aber auch der Transparenz des Forschungsprozesses dient. In meiner Forschung griff ich auf den methodologischen Grundsatz der Grounded Theory über die Verwobenheit des gesamten Forschungsprozesses und die induktive Offenheit der Forschung zurück. Auch wenn ich daher mit einer ausgearbeiteten Fragestellung ins Feld ging, war meine Feldforschung „offen angelegt“. Der Fokus auf Hausarbeit, auf deren Rekrutierung und Strukturierung (durch die Erforschung des Hausarbeitskurses) ergab sich beispielsweise erst im Forschungsprozess. Mein Feldmaterial begann ich während der Feldforschung zu codieren. Ich entwickelte immer wieder neue Fragen, Themen und erste Hypothesen sowie Kategorien, welche ich in die weitere Datenerhebung einbrachte. Den ganzen Forschungsprozess, aber auch die Analyse, Fragen, Thesen schrieb ich täglich in meinem Feldtagebuch nieder. Auch während des Schreibens der Ethnographie führte ich die Analyse stets auf die Daten zurück, wobei mir „atlas.ti“, ein Programm zur computergestützten qualitativen Analyse, half. Meine Forschung ist in diesem Sinne von der Grounded Theory inspiriert. Sie zielt jedoch nicht primär und direkt auf innovative Theoriebildung, wie Glaser und Strauss dies fordern, sondern auf die Bearbeitung der aufgeworfenen (modifizierten und hinterfragten) Forschungsfragen, was theoretische Reflektion und kritische Auseinandersetzung mit Theorien einschließt. Ich nehme jedoch keinen linearen Forschungsprozess hin zu einer eindeutigen Theorie an, wie dies die Grounded Theory anstrebt. Seit dem Erscheinen des ersten Werkes (1967) haben sich die 42
Dies wird als „theoretisches Sampling“ bezeichnet (vgl. Strauss ²1998, 70 bzw. Glaser/Strauss 1967, 45ff). 43 Vergleiche zwischen (verschiedenen) Daten, Interpretationsvorschlägen und neuen Daten sind ein wichtiges Instrument der Analyse. Es werden Daten zu bestimmten konkreten Themenfeldern, aber auch Vergleichsdaten gesammelt.
3.1 Die Methodologie
49
Ansätze von Glaser und Strauss (sowie Corbin in Zusammenarbeit mit Strauss) zwar weiterentwickelt und in Form unterschiedlicher Rückgriffe durch verschiedene AutorInnen verändert. Ich sehe jedoch bei einer konsequenten Anwendung der Methodologie die Gefahr einer positivistischen Vorstellung von Wissenschaft und objektiver Forschung, was meiner eigenen konstruktivistischen Zugangsweise widerspricht (vgl. auch die Kritik von Denzin 1994). In meiner Ethnographie steht daher auch nicht die abstrahierte Theorie, sondern die Beschreibung bzw. beschreibende Analyse und theoretische Refexion derselben im Vordergrund. Ich ordne dazu die Analyse inklusive der theoretischen Diskussionen in die Narrative ein, verwebe also Daten, Analyse und Verschriftlichung auch in der Ethnographie, kontextualisiere die Analyse, beschreibe AkteurInnen, Szenen, Felder und erzähle deren Geschichten. Die Kategorien und Theorien sind somit in die Daten eingebettet und es geht mir vielmehr darum, Widersprüche, Paradoxien und somit Gesamtzusammenhänge zu erfassen, was gerade die teilnehmende Beobachtung ermöglicht.44 Die Studie folgt daher einem ethnographischen Zugang mit einem eher holistischen Fokus. „Trotz der Fokussierung auf Einzelprobleme und bestimmte Fragestellungen haben Ethnologen den Anspruch, ganzheitlich zu arbeiten, das heißt: die Gesamtzusammenhänge zu erfassen. Ethnologen schreiben von dem Ideal der holistischen Forschung: jede Fragestellung soll – soweit möglich – in den weiteren kulturellen Kontext eingebettet werden. Das heißt, auch wer eine Untersuchung über die in einer Sprache vorkommenden Farbkategorien durchführt, wird sich über materielle Kultur, die Beziehung der Geschlechter, Arbeitsteilung, Religion usw. informieren müssen.“ (Beer 2003, 12. Hervorhebung im Original)
Eine holistische Erfassung einer Forschung ist im strengen Sinne des Wortes nicht möglich. Beer spricht daher auch vom „Ideal“, welches „soweit möglich“ verfolgt werden soll. In meiner Forschung ordnete ich Haushaltsarbeit – und das stellt meiner Meinung nach einer der wichtigen Beiträge dieser Studie dar – in den Migrationsprozess der Frauen und somit auch in den Migrationskontext in Spanien ein. Auf diese Wiese wird der Kontroverse um die Frage nach den Auswirkungen von Hausarbeit auf den Handlungsspielraum der Frauen ein neuer Zugang eröffnet (vgl. dazu 3.5.3). Der Blick auf die Verbindungen und Einbettungen von Daten ist dabei gerade der Beitrag einer Feldforschung mit teilnehmender Beobachtung, da sie erlaubt, die Polysemie von Bedeutungen, Handlungen, Situationen zu erforschen und eindeutige Abstraktionen darüber, was Personen tun, vielmehr zu hinterfragen (vgl. Wolf 2001, 64).45 44
Für Unterschiede und Abgrenzungen von Ethnographie und Grounded Theory vgl. Charmaz/Mitchell 2001. 45 Ich stehe daher auch dem Konzept der Sättigung innerhalb der Grounded Theory skeptisch gegenüber. Wie auch Charmaz und Mitchell schreiben:
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3 Der Migrationsprozess ecuadorianischer Hausarbeiterinnen als Forschungsprozess
3.1.5 Nähe und Distanz, subjektive Verortungen Feldforschung beruht nicht nur auf physischer, sondern auch auf sozialer Nähe, Empathie, Einfühlen und Mitfühlen (vgl. Hauser-Schäublin 2003, 38). Es geht also auch um die Persönlichkeit der Forschenden und deren jeweiligen Biographien wie Zugänge, weshalb ich einige Aspekte hier anführen möchte: Ecuador als Land und seine Menschen waren mir vor meiner Forschung bereits vertraut, da ich zuvor zweieinhalb Jahre in Lateinamerika (eineinhalb davon in Ecuador) gelebt und mich im Studium regional auf Ecuador spezialisiert hatte. Außerdem hatte ich zwei Jahre vor Aufnahme meiner Feldforschung ein Praktikum bei Rumiñahui, einem Verein ecuadorianischer MigrantInnen, in Madrid gemacht, um einen ersten Eindruck und Zugang zum Thema zu finden. Ich konnte daher in meiner Forschung auf bestimmte Gemeinsamkeiten aufbauen, war als „vertraute Fremde“ nah genug, um bekannte Interaktionen, geteilte Werte und gemeinsame Geschichten zu konstruieren (über Orte in Ecuador, Speisen, Musik etc.). Ich war aber auch fremd genug, um im Miteinander – sowohl sie als auch ich – weniger Konventionen unterworfen zu sein. Viele MigrantInnen (nicht nur EcuadorianerInnen) verspürten Neugierde mir gegenüber, da ich mit ecuadorianischem Akzent Spanisch spreche und noch mehr, wenn sie erfuhren, dass ich mit einem Ecuadorianer verheiratet bin. So erfolgte die Annäherung oft beiderseits, was die Kontaktaufnahme erleichterte. Dass ich mit meinem Mann vor Ort war, hatte Auswirkungen auf die verschiedensten Interaktionen, auch wenn er sich in meiner Forschung sehr im Hintergrund hielt. So spielten sich bestimmte Stereotypen aus Ecuador (zum Beispiel zwischen Leuten aus dme Hochland und der Küste) auch zwischen meinen InformantInnen und meinem Mann bzw. in Bezug auf meinen Mann mir gegenüber ab. Mehrfach irritierte zudem mein Verhalten als verheiratete Frau, wenn ich zum Beispiel mit Freundinnen alleine Tanzen ging. Die Gespräche zu meiner Rolle und meinem Verhalten als Ehefrau (eines Ecuadorianers) waren wichtiges Feldmaterial für mich, zumal auch ecuadorianische, verheiratete Frauen alleine weggingen. Meine Vertrautheit mit Ecuador war Vorteil und Nachteil zugleich. Es war teilweise trügerisch, weil ich auf diesem Hintergrund Vieles als „normal“ empfand und von zu vielen Gemeinsamkeiten ausging, was vor allem zu Beginn meiner Forschung ein Problem darstellte: Ich reproduzierte mehrfach das mir Vertraute gedanklich wie interaktiv und ging von „Selbstverständlichkeiten“ aus, die für manche EcuadorianerInnen schon in Ecuador nicht und für andere durch die Migrationserfahrung nicht mehr selbstverständlich waren. Die Reflektion beim Tagebuchschreiben und Codieren machten mir diese Problematik bewusst, weshalb ich ver„Early saturation leads to narrow, superficial categories and premature closure. Strong ethnographic work requires saturation of a wide range of categories, located in their cultural, historical or organizational contexts.“ (Charmaz/Mitchell 2001, 68)
3.1 Die Methodologie
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stärkt auf meine eigene Projektionen und Manipulationen der Situationen achtete (vgl. Hauser-Schäublin 2003, 50ff). Außerdem konfrontierte ich meine Ergebnisse nicht nur mit der relevanten Literatur, sondern auch mit den InformantInnen selbst und gab ihnen so die Möglichkeit der Intervention, Kritik und Diskussion. Im Laufe der Forschung wurde ich mit interessanten biographischen Aspekten konfrontiert, welche mir zuvor in dieser Art nicht bewusst waren (vgl. Knowles 2000, 57): Wie erwähnt, war einer meiner Forschungspunkte ein Hausarbeitskurs, in welchem Migrantinnen Unterricht in spanischer Küche, Bügeln und Handarbeit (teilweise auch Altenpflege) erteilt wurde, um sie zur Arbeit in spanischen Haushalten auszubilden und sodann zu vermitteln. Er fand täglich von 10h30 bis 13 Uhr statt. Ganz im Sinne der teilnehmenden Beobachtung verbrachte ich Tage, Wochen und Monate damit, mit anderen Frauen zu kochen, zu stricken, zu sticken, zu putzen und manchmal auch zu bügeln. Meine eigene konservative, geschlechtsspezifische Erziehung zu einer „guten (Haus)Frau“ in meiner Familie im Allgäu half mir dabei sehr. – Ich konnte bereits stricken, sticken und nähen und war in einem Ideal der Hausarbeit als Hausfrau erzogen worden, welches mich die Leidenschaft und den Selbstwert der spanischen Unterweisenden (zum Beispiel der Köchinnen) nachvollziehen ließ, auch wenn dies für mich bis heute fremd bleibt. Meine konservative Erziehung verwandelte sich somit im Forschungskontext zu einer Ressource, zu kulturellem Kapital, das mir einen Zugang zu diesem für meine Forschung wichtigen Kontaktpunkt ermöglichte. Dabei erkannte ich erst im Forschungsprozess, dass meine Mutter in ihren Erzählungen über ihre Zeit in Stuttgart, wo sie als junge Frau vom Land bei einer Familie gewohnt, deren Haushalt geführt sowie auf deren Kinder aufgepasst hatte, von ihrer eigenen Arbeit als Interna und somit als interner Migrantin erzählt hatte. Nur war mir dies unter anderem deshalb nicht bewusst, da ich mit bezahlter, migrantischer Hausarbeit zunächst einseitig die strukturellen Bedingungen von Unterordnung und Ausbeutung verband, meine Mutter jedoch von ihrer Zeit in Stuttgart stets als von einer sehr glücklichen Zeit mit strahlenden Augen erzählt hatte: vom Tanzengehen, den Freundschaften und vielem mehr. Es sei eine glückliche Zeit gewesen, betonte sie mir gegenüber in einem daraufhin mit ihr geführten Gespräch erneut. Dass mir dies nach ein paar Monaten Feldforschung und in einem Moment auffiel, wo ich intensiv das Leben der Migrantinnen teilte, ist kein Zufall: Ich konnte neben all den Problemen und dem Leiden auch Einblicke in ihre Hoffnungen, ihre Projekte und ihre glücklichen Momente erlangen. Nicht immer werden ihre Hoffnungen und Träume erfüllt, viel zu oft nicht und meist in viel geringerem Maße als erhofft, aber die Migration stellt ein aktiv gestaltetes Projekt dar, welches, wenn auch begrenzte, Möglichkeiten beinhaltet (vgl. 7.3.2).
52
3 Der Migrationsprozess ecuadorianischer Hausarbeiterinnen als Forschungsprozess
3.2 Der Forschungsprozess Die Forschung in Spanien lässt sich in eine eher explorative und anschließend problemorientiertere Phase unterteilen (vgl. dazu Beer 2003, 24). In der ersten Phase ging es darum, das Feld als solches zu konstruieren, kennenzulernen und erste Fragen und Hypothesen zu entwickeln, welche ich anschließend vertiefte, dazu neue Daten sammelte, Thesen verwarf, präzisierte und so langsam zu Forschungsergebnissen gelangte. Diese zweite Phase der Datenerhebung erfolgte sowohl in Ecuador im (früheren) Umfeld der Migrantinnen als auch anschließend erneut in Madrid. In meiner Forschung legte ich bewusst kein besonderes Gewicht auf sensationalistische Geschichten von Ausbeutung und Misshandlung der MigrantInnen, sondern vielmehr auf die alltäglichen Geschichten, die in ihrer Mehrzahl ebenfalls von Ausbeutung und Misshandlung sprechen, aber von deren gewöhnlichen Formen (vgl. Hondagneu-Sotelo 2001, xii). Werden die großen Skandale und Extremfälle in den Mittelpunkt der Analyse gesetzt, erscheinen die weniger Aufsehen erregenden Fälle, welche jedoch die alltäglichen Praktiken darstellen, als „normal“. Diese Normalisierung verschleiert und verharmlost die Machtstrukturen (vgl. Hess 2005, 13). 3.2.1 Bestimmung und Konstruktion des Feldes Meine Forschung begann nach der Ankunft in Madrid damit, eine Wohnung in einem für meine Untersuchung günstigen Viertel – mit hohem ecuadorianischem Bevölkerungsanteil – zu finden. Da die Wohnungs- und Zimmersuche in Madrid neben formellen Wegen wie zum Beispiel Zeitungsinseraten vor allem informell über Aushänge erfolgt und ich außerdem die relevanten Stadtviertel zuerst kennenlernen wollte, waren meine ersten Schritte im Feld Schritte im wahrsten Sinne des Wortes: tagelang kilometerlange Spaziergänge durch Gebiete, welche mir aus den Statistiken als Bezirke mit hohem Anteil ecuadorianischer MigrantInnen bekannt waren. Nach zwei Wochen fand ich auf diese Weise eine Wohnung in einem Viertel, von dem hier zum Zwecke der Anonymisierung als „San Cristobal“ die Rede sein wird. Zum Zeitpunkt meiner Forschung machten EcuadorianerInnen beinahe 20 % der Gesamtbevölkerung von San Cristobal aus.46 Je nach Straßenabschnitten variierten diese Zahlen beträchtlich.
46
Die Zahl bezieht sich auf den so genannten Padrón, sprich auf das Einwohnermelderegister, welches am 01.07.2004 veröffentlicht und am 01.01.2004 erhoben wurden (also Stichtag 01.01.2004 hat). Es werden hier keine exakten statistischen Daten aufgelistet, um die Anomysierung des Viertels möglichst zu wahren. Für weitere Zahlen zu EcuadorianerInnen in Madrid bzw. zu Spanien vgl. http://www. madrid.org/iestadis/fijas/otros/estructu.htm#Poblaci%F3n [26.01.2008]
53
3.2 Der Forschungsprozess
Wie aus folgender Darstellung ersichtlich, bildeten EcuadorianerInnen zum Stichtag 01.01.2005 in Madrid mit 29,7 % aller AusländerInnen die größte ausländische Bevölkerungsgruppe. Ausländische Bevölkerung in Madrid gemäß Nationalität Quelle: Padrón Municipal de Madrid, Stichtag 01.01.2005 500.000 450.000
452.616
400.000 350.000 300.000 250.000 200.000
134597
150.000 100.000 50.000
42032
29556
27569
24256
19492
Kolumbien
Rumänien
Peru
Marokko
Bolivien
18417
16900
0 Ausländische Bevölkerung insgesamt
Ecuador
China Dominikanische Republik
Tabelle 1: Ausländische Bevölkerung in Madrid gemäß Nationalität, Stichtag 01.01.2005. Eigene Darstellung auf Grundlage des Padrón47
Insgesamt belief sich der Anteil ausländischer MitbürgerInnen in Madrid auf 14,3 %, in absoluten Zahlen 452 616 Personen, wie in Tabelle 2 ersichtlich.
Die Zahlen des Einwohnermeldeamtes sind zwar nicht präzise. Sie geben aber einen guten Überblick über die migrantische Präsenz in einem Viertel, da sich in Spanien auch illegalisierte Personen anmelden können und auf diese Weise Anspruch auf die allgemeine, öffentliche Gesundheitsversorgung erhalten. Nicht alle können sich jedoch melden, da z.B. oft Grenzen bei einer bestimmten Anzahl von MitbewohnerInnen in einer Wohnung gesetzt werden, oft jedoch 20 Personen auf engstem Raum leben und eine Meldung daher nicht für alle möglich ist. Manche wissen zudem nichts von der Möglichkeit der Registrierung und deren Vorteile; wieder andere misstrauen der Geheimhaltung der Daten (vor der Polizei), welche zu Beginn meiner Feldforschung gesetzlich garantiert war. Die erhobenen Daten stellen interne Informationen der Stadtverwaltung dar, welche nicht an Dritte weiter gegeben werden durften. In Folge der Terroranschläge in Madrid am 11.03.2004 wurde ein neues Gesetz erlassen, welches den polizeilichen Zugriff zur Verbrechensbekämpfung ermöglichte. 47 Eigene Darstellung auf der Grundlage des Padrón Municipal de Habitantes a 1 de enero de 2005 (vgl. http://www.munimadrid.es/portal/site/munimadrid/menuitem.199479e61b01b0aa7d245f019f c08a0c/?vgnextoid=08607a7f271ce010VgnVCM1000000b205a0aRCRD&vgnextchannel=dfd9ef637004 a010VgnVCM100000d90ca8c0RCRD [25.03.2009])
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3 Der Migrationsprozess ecuadorianischer Hausarbeiterinnen als Forschungsprozess
Bevölkerung in Madrid gemäß Nationalität Quelle: Padrón Municipal, Stichtag 01.01.2005 4.000.000
3.167.424
3.000.000
2.713.552
2.000.000 452.616
1.000.000
1.256
0 Bevölkerung in Madrid insgesamt
Spanischer Nationalität
Ausländischer Nationalität
Keine Angabe
Tabelle 2: Spanische und ausländische Bevölkerung in Madrid gemäß Nationalität, Stichtag 01.01.2005. Eigene Darstellung auf Grundlage des Padrón48
Mit knapp 20 % ecuadorianischer Bevölkerung handelte es sich beim Viertel San Cristobal um eines der Gebiete mit dem höchsten Anteil ecuadorianischer EinwanderInnen und migrantischer Bevölkerung im Allgemeinen. Es war ein durch die (vornehmlich ecuadorianische) Migration durch und durch geprägtes Viertel: Meine ecuadorianischen NachbarInnen betrieben zum Beispiel ein so genanntes Locutorio, in welchem billige Telefonate ins Ausland gemacht werden konnten. Sie hatten Internetanschlüsse, betrieben einen Paketdienst zwischen Ecuador und Spanien, erledigten Geldüberweisungen nach Ecuador, verkauften Flugtickets, ecuadorianische Schönheitsprodukte und Vieles mehr. Um die Ecke gab es mehrere ecuadorianische, kolumbianische oder gemischt-lateinamerikanische Bars, Restaurants und Diskos. In meiner Straße verkaufte ein ecuadorianisches Unternehmen Elektrogeräte (von der Kette „Mi Comisariato“), welche in Madrid ausgewählt, bezahlt und in Ecuador angeliefert wurden. Ebenso konnten im Viertel Autos und Häuser gekauft werden, die in Ecuador ausgeliefert bzw. gebaut wurden („Ecuacasa“, „Ecuacoche“). In mehreren Kirchengemeinden des Viertels wurden ecuadorianische und/ oder peruanische Jesusbilder, Marienstatuen und Heilige verehrt, teilweise auch von spanischen Gemeindemitgliedern. Es gab von SpanierInnen und MigrantInnen gemeinsam genutzte Räume, aber auch je eigene Bereiche. Darüber entstanden gelegentlich Konflikte, wie zum Beispiel bei einem Park, dessen Nutzung durch die MigrantInnen als Symbol für Probleme und Konflikte galt und vor meiner Forschungszeit Anlass für anti-Einwanderungsdemonstrationen, Drohungen und Ausschreitungen gegeben hatte. 48
Vgl. http://www.munimadrid.es/portal/site/munimadrid/menuitem.199479e61b01b0aa7d245f019f c08a0c/?vgnextoid=08607a7f271ce010VgnVCM1000000b205a0aRCRD&vgnextchannel=dfd9ef637004 a010VgnVCM100000d90ca8c0RCRD [25.03.2009])
3.2 Der Forschungsprozess
55
Da TouristInnen oder mittel-/nordeuropäische MieterInnen in der Regel nicht ins Viertel kamen, wurde ich fast ausschließlich als osteuropäische Migrantin betrachtet und behandelt. Auf diese Weise konnte ich das Miteinander inklusive der Ethnisierung und Stereotypisierung von MigrantInnen am eigenen Leib erfahren und erforschen. So schimpften zum Beispiel SpanierInnen im Supermarkt vor mir (und durch meine Gegenwart ausgelöst) über das „Problem der Einwanderung“, darüber, so die Rede, dass „die Osteuropäerinnen kein Spanisch könnten“, was sich direkt darauf bezogen hatte, dass eine ältere Spanierin in meine Richtung etwas gesagt, ich dies jedoch nur schlecht gehört und nicht auf mich bezogen und somit nicht reagiert hatte. Ich wurde von Bulgarinnen, Russinnen und Polinnen auf ihrer jeweiligen Sprache angesprochen und respektiv für eine Bulgarin, Russin oder Polin gehalten. Aber auch auf der Straße wurde ich einmal von einer älteren Spanierin gefragt, ob ich Polin sei und in ihrem Haushalt arbeiten wollte. War ich hingegen an touristischen Orten, wurde ich als Deutsche oder Nordeuropäerin betrachtet und behandelt.49 3.2.2 Explorative Forschungsphase in Spanien Angekommen im Viertel, ging es mir zunächst darum, dieses kennen zu lernen und Kontakt zu (ecuadorianischen) MigrantInnen aufzunehmen. Anfangs begab ich mich vor allem in Parks und auf Kinderspielplätze, beobachtete und führte erste Interviews durch. Von Anfang an waren diese nicht auf EcuadorianerInnen allein beschränkt, sondern schlossen auch andere MigrantInnen sowie SpanierInnen ein. Diese spontane und informelle Kontaktaufnahme war in der Regel problemlos. Die meisten Personen waren bereit, mit mir zu reden und aus den oben genannten Gründen auch neugierig auf mich als „vertraute Fremde“. Um einen regelmäßigen Kontakt mit Migrantinnen zu ermöglichen, machte ich mich auf die Suche nach einem formalen Kontaktpunkt, der eine gewisse Konstanz garantieren würde. Ich besuchte verschiedene Institutionen, welche mit bzw. für MigrantInnen arbeiteten. Als beste und interessanteste Möglichkeit erschien mir der besagte Hausarbeitskurs, zu dessen Teilnahme ich, nachdem ich mein Forschungsanliegen dargelegt hatte, von der Sozialarbeiterin und einem der Priester der Gemeinde, welche fortan „San Ignacio“ genannt wird, eingeladen wurde. Dort könnte ich Frauen kennenlernen und formelle wie informelle Gespräche führen. Ich bot
Hier zeigt sich deutlich, wie „whiteness“ keine einheitliche Kategorie darstellt, sondern gegenüber der gleichen Person aufgrund verschiedener Kontexte und situativen Zuschreibungen unterschiedlich bewertet wird. Neben den Untersuchungen zu verschiedenen Formen von Rassismus und „blackness“ ist es daher notwendig, auch „whiteness“ vermehrt zu untersuchen und zu differenzieren (vgl. zum Beispiel Phoenix 1998).
49
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3 Der Migrationsprozess ecuadorianischer Hausarbeiterinnen als Forschungsprozess
an50, in einem späteren Moment der Forschung ihnen bei ihrer Arbeit zu helfen und wurde darum gebeten, den Frauen ihre Lebensläufe für Bewerbungen zu schreiben sowie einen wöchentlichen Computerkurs durchzuführen, was ich sehr gerne übernahm. Andere Erwartungen und/oder Zuschreibungen waren eher problematisch für mich und hatten mit der Konzeption und Zielsetzung des Kurses zu tun, welchen ich zwar sodann erforschen, dadurch aber nicht Teil der Gemeinde werden wollte. In 3.4.6 werde ich näher darauf eingehen. Entgegen meiner ursprünglichen Planung, über den Kurs lediglich Kontakt zu einzelnen Migrantinnen zu erhalten und den Schwerpunkt auf diese Frauen zu legen, erwies sich der Hausarbeitskurs auch selbst im Laufe der Wochen als interessanter Forschungspunkt: Einerseits war er ein idealer Kontaktpunkt, welcher mir Einblick in viele Geschichten (Quantität) und tiefe Kontakte (Qualität) zu MigrantInnen ermöglichte, deren Leben ich über Monate erforschen konnte. Andererseits konnte ich hier die Eingliederung in den migrantinnenspezifischen Arbeitsmarkt im Kontext der Beziehungen zwischen lernenden Migrantinnen und unterweisenden Spanierinnen und somit die Haltungen beider Gruppen zueinander, deren jeweiligen Ziele und Projekte im Kurs und die Handlungsstrategien der Migrantinnen untersuchen. Ich nahm daher sechs Monate lang regelmäßig, meist täglich am Kurs teil. Mit vielen der teilnehmenden Frauen konnte ich mittags deren Freizeit verbringen, informelle Gespräche oder Interviews durchführen und sie in ihrem Alltag, beispielsweise zu Jobbörsen begleiten. Dabei lernte ich ihre Strategien der informellen Arbeitssuche kennen. Wir kochten auch zusammen, machten vereinzelt spontane Partys51, gingen gemeinsam Bummeln52 und auf Arbeitssuche. Mit Frauen, welche Arbeit fanden, hielt ich, insofern möglich, Kontakt, interviewte sie über ihre Arbeit, besuchte sie bei der Arbeit und sprach mit den ArbeitgeberInnen, was jedoch nur vereinzelt möglich war. Der Kontakt mit den Frauen wurde teils abgebrochen oder reduziert, weil einige von Madrid wegzogen und da ihre Freizeit als Hausarbeiterinnen sehr beschränkt war, weshalb wir uns nur punktuell treffen bzw. telefonieren konnten. Mit manchen Frauen (und deren Familien und/oder FreundInnen) ergaben sich intensive Beziehungen bis hin zu bis heute andauerenden Freundschaften und wir besuchten uns gegenseitig.53 Feste und größere Treffen wurden
Es war ein freiwilliges wie unfreiwilliges Anbieten, da die Sozialarbeiterin mir dies implizit nahe legte. Ich tat es sehr gerne und fand diese Form des reziproken Tausches ein gutes Arrangement. 51 Viele Frauen nahmen an diesen Partys nicht teil, da sie kein Geld, aber vor allem auch keine Zeit hatten und z.B. auf ihre Kinder aufpassen mussten und wie im Falle von Verónica ihr Mann gegen derartige Treffen war. 52 Bummeln bedeutet jedoch nicht, dass wir einkaufen gingen; vielmehr sollte gerade kein Geld ausgegeben werden. 53 Nicht mit allen Erforschten kam es zu einer intensiven Freundschaft, vielmehr handelte es sich oft um „freundschaftliche Kontakte“ (vgl. Hess 2005, 16). Manche Frauen und Männern waren mir und wahrscheinlich auch ich ihnen weniger sympathisch und mein Verhältnis zu ihnen war rein auf die Forschung 50
3.2 Der Forschungsprozess
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(von den Frauen) oft bei mir organisiert, da ich im Gegensatz zu ihnen nicht in einem so genannten „Piso compartido“, einer „MigrantInnen-WG“ wohnte, wo sich oft 10-20 Personen ein Bad und eine Küche teilten (vgl. 3.3.1.1), sondern eine kleine Wohnung mietete. Nicht alle Frauen lernte ich über den Hausarbeitskurs kennen. Ganz bewusst suchte ich weitere Kontaktpunkte, nicht nur um den Kreis zu erweitern, sondern auch, um eine mögliche Vergleichsgruppe zu schaffen und um Spezifika in der Arbeitsvermittlung, den Arbeitsbedingungen und etwaige Unterschiede in den Strategien und Projekten zu erkennen. Mit einer Familie war ich bereits aus Ecuador befreundet und die Kontakte mit ihr waren von Anfang an vornehmlich freundschaftlicher Art, obwohl ich mit ihnen ebenfalls Interviews durchführen und ihr Leben durch den langjährigen Einblick in ihre Geschichten vertieft kennenlernen konnte. Zu Beginn meiner Forschung war ich vor allem darum bemüht, meine Rolle als Forscherin zu definieren und zu kommunizieren, was vor allem im Hausarbeitskurs notwendig war: Die Leiterin bestand gegen meine Einwände darauf, dass ich „wie eine weitere Migrantin“ am Kurs teilnehmen solle, weshalb ich – wie der Rest der Teilnehmerinnen auch – weder eingeführt noch vorgestellt wurde (vgl. 3.4.6, wo detaillierter darauf eingegangen wird). Ich musste daher während des Kochens und Handarbeitens in den (nicht immer erlaubten) Gesprächen meine Rolle als Forscherin und nicht Migrantin klarstellen. Da ich während des Kurses nicht offen mitschreiben und als Forscherin nicht richtig auftreten konnte, hatte ich zunächst ethische Bedenken und wusste nicht so ganz, wie ich meine Rolle definieren sollte. Ich erzählte zwar in Einzelgesprächen von meiner Forschung, machte erste Interviews und erklärte, dass ich Notizen machen und daraus eine Studie verfassen würde, aufgrund der Forschungsumstände war meine Rolle jedoch nicht klar. Mir kam dann der Umstand zugute, dass eines Tages eine Freundin im Hausarbeitskurs in meinem Rezeptheft blätterte und Feldnotizen fand, welche ich tags zuvor in aller Eile nach dem Kurs notiert hatte. Sie versammelte andere Frauen und wollte eine Stellungnahme von mir, warum ich die Gespräche des Vortages notiert hätte. Ich erklärte ihnen daraufhin, dass ich, wie sie wüssten, eine Forschung über das Leben ecuadorianischer Migrantinnen in Madrid durchführte und dass diese Notizen Teil davon seien. Ich nutzte die Gelegenheit, um meine Forschungsmethode besser zu erklären und ihnen nochmals die Anonymisierung ihrer Geschichten und Aussagen zuzusichern. Ich fragte sie, ob dies ein Problem für sie darstelle und ob sie mit meiner Vorgehensweise einverstanden wären. Ihre Zustimmung entlastete mich sehr. Zwar hatte ich zuvor betont, dass ich eine Forschung durchführte, dass ich Notizen machen und ein Buch auf dem Hintergrund ihrer Erfahrungen veröffentlichen würde, dennoch fühlte ich mich oft in einer Zwischenrolle zwischen Migrantin, Studenbezogen. Mit anderen ergaben sich mit der Zeit intensive Kontakte, gegenseitiges Verständnis, Sympathie und Freundschaft, die bis heute anhalten.
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3 Der Migrationsprozess ecuadorianischer Hausarbeiterinnen als Forschungsprozess
tin, Journalistin und Spionin. Ich befürchtete, dass all meine Worte nicht genau erklären würden, was ich wirklich tat, da ich letztlich ja „eine von ihnen“ werden wollte und mich „wie sie“ und zusammen mit ihnen in ihren Räumen bewegte. Wie auch Beer schreibt: „Das führt (...) zur Frage, inwieweit allen Informantinnen und Informanten verständlich gemacht werden kann, was man möchte und warum man sich bei ihnen aufhält. Gelingt das nicht, werden eventuell falsche Hoffnungen und Erwartungen geweckt. Vollständig wird es nie gelingen, deutlich zu machen, welche Ziele hinter der Feldforschung stehen. Als Ideal sollte aus ethischen Gründen jedoch angestrebt werden, die Menschen, mit denen man während der Feldforschung zusammenlebt, so weit wie möglich über die eigenen Motive und Absichten aufzuklären.“ (Beer 2003, 27)
Die beschriebene Szene half mir dabei und machte deutlich, was es eigentlich hieß, dass ich eine Forschung machte. Sie führte aber auch dazu, dass manche Frauen sich mir gegenüber über mehrere Wochen anders verhielten und bestimmte Rollen inszenierten, von denen sie annahmen, dass ich diese erwartete und/oder besonders schätzte. Mit der Zeit legte sich dies wieder. Neben dem Hausarbeitskurs, der teilnehmenden Beobachtung am Leben der erforschten Frauen sowie der Durchführung von zahllosen informellen Gesprächen und Interviews mit ihnen, führte ich auch formelle Interviews wie informelle Gespräche mit anderen Personen durch: Ich interviewte andere MigrantInnen, nicht nur EcuadorianerInnen und nicht nur heterosexuelle Frauen wie Männer sowie Frauen, welche nicht am Hausarbeitskurs teilnahmen; SpanierInnen, welche den Hausarbeitskurs leiteten bzw. dort mitarbeiteten; sogenannte Mediadores Culturales („interkulturelle Schlichter“) sowie SozialarbeiterInnen, welche im Viertel arbeiteten. Ebenso sprach ich mit Verantwortlichen in der Verwaltungsbehörde des von mir untersuchten Distrikts, machte Interviews mit PassantInnen im Viertel und führte zahlreiche ExpertInnengespräche, um die Forschungsfragen auch verschiedenen, nicht-migrantischen AkteurInnen zu stellen und so meine Daten durch deren Sicht zu ergänzen. Um die Interaktion mit der spanischen Gesellschaft sowie die Symbole und Handlungen der SpanierInnen besser verstehen zu können, nahm ich an verschiedenen, offiziellen wie inoffiziellen Veranstaltungen wie zum Beispiel den Feierlichkeiten zum Nationalfeiertag teil, beobachtete, machte Interviews mit anwesenden SpanierInnen sowie MigrantInnen und ging zu mehreren Treffen für/von/mit/über MigrantInnen.54 Diese Daten waren für mich wichtig, um einen generellen Ein- und Überblick über das Setting zu erhalten und gleichzeitig mein Forschungsfeld und die relevanten Forschungsfragen abzugrenzen. Ich beschränkte mich jedoch vornehmlich auf das Viertel, in dem ich lebte, und bewegte mich, um mein ForSo war ich beispielsweise Teilnehmerin am „Primer Congreso Internacional de Políticas Locales de Integración de Nuevos Vecinos“ („Erster internationaler Kongress zu lokalen Politiken der Integration von neuen Nachbarn“, 26.-18.11.2003, in Madrid).
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3.2 Der Forschungsprozess
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schungsfeld überschaubar zu halten, in den Räumen der von mir erforschten MigrantInnen und deren Netzwerke (und somit gleichzeitig über das Viertel und Spanien hinaus). Als die Forschung immer tiefer und zeitintensiver wurde, kürzte ich im April meine Teilnahme am Hausarbeitskurs auf zwei bis drei Tage pro Woche. Manchmal fehlte ich auch eine ganze Woche. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt schon so viele Daten zum Hausarbeitskurs, dass ich davon ausgehen konnte, dass mir durch die Reduktion auf eine punktuelle Teilnahme keine wichtigen neuen Erkenntnisse entgehen würden. Ich konzentrierte mich fortan auf die Geschichten, Erfahrungen, Alltagshandlungen und Strategien der Ecuadorianerinnen sowie auf deren Netzwerke, Kontakte und die relevanten Institutionen. 3.2.3 Problemorientierte Forschung in Ecuador Nach acht Monaten Feldforschung in Spanien setzte ich meine Studie für knappe zwei Monate in Ecuador fort, um den Kontext, die Erfahrungen und die Interpretationen anderer am Migrationsprozess der Frauen Beteiligter (Familienangehörige, Partner, Kinder, etc.) kennen zu lernen und die Aussagen der ecuadorianischen Frauen in Madrid damit in Beziehung zu setzen. Das erlaubte mir, den transnationalen Kontext der Ecuadorianerinnen nicht nur von Spanien, sondern auch von Ecuador aus zu untersuchen und so die beiden relevanten (Haupt-)Kontexte in die Forschung aufzunehmen (vgl. 3.1.1.2). In Ecuador war es mir möglich, Familienangehörige von zwölf erforschten Frauen zu besuchen. Dazu gehörten Kinder, Eltern, Partner, Geschwister und andere Familienangehörige. Ich führte Interviews oder informelle Gespräche durch, da in manchen Fällen formale Interviews nur begrenzt möglich waren. Bei den meisten Familien konnte ich über Nacht bleiben, wodurch ich einen Einblick in das Familienleben erhalten und die Interviews durch teilnehmende Beobachtungen ergänzen konnte. Neben 19 formellen Interviews und unzähligen Gesprächen mit Angehörigen und FreundInnen, besuchte ich zusätzlich verschiedene Institutionen in Ecuador, welche mit oder für MigrantInnen arbeiteten, um deren Erfahrungen und Expertise zu erfragen und in Interviews zu dokumentieren. Wie oben erwähnt, ging es mir bei den ExpertInnengesprächen vor allem darum, meine Ergebnisse zur Diskussion zu stellen sowie Datenlücken zu schließen, da ich nur kurze Zeit in Ecuador forschen, somit nur begrenzt Daten sammeln konnte und es andererseits nur sehr wenig Literatur zu den hier erforschten Themen gibt.
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3 Der Migrationsprozess ecuadorianischer Hausarbeiterinnen als Forschungsprozess
3.2.4 Vertiefung und Beendigung der Forschung in Madrid Die Forschung in Ecuador warf neue Fragen auf bzw. rückte vorherige Ergebnisse und Aussagen in ein neues Licht, weshalb ich nach meiner Zeit in Ecuador diesen Fragen nachging und dann meine Forschung immer mehr auf die Formulierung von Thesen und deren Überprüfung zuspitzte. Ich konzentrierte mich daher in den verbleibenden Monaten einerseits auf die wichtigsten Fallbeispiele und führte andererseits vermehrt Interviews mit institutionellen AkteurInnen durch (SozialarbeiterInnen, VertreterInnen der Stadtverwaltung, Caritas), um den Kontext und die Institutionen, in denen sich die ecuadorianischen Frauen in Madrid bewegen, auch aus der Sicht der AkteurInnen dieser Institutionen zu analysieren. Die letzten beiden Monate der insgesamt 14 Monate andauernden Forschung verwandte ich vornehmlich auf Literaturrecherche, ExpertInnengespräche sowie auf die Formulierung der präzisierten Thesen aus dem Forschungsprozess. Diese erste Analyse der Daten fasste ich einen Artikel, den ich vor der Publikation meinen Hauptinformantinnen zur Rückkopplung meiner Analyse mit den Erforschten übergab und sie um ihre Kommentare bat (vgl. Wagner 2004). Außerdem sandte ich den Artikel an verschiedene Institutionen und Expertinnen, stellte die Ergebnisse beim vierten „Congreso sobre la inmigración en España ‘Ciudadanía y participación’“ in Girona vor und schloss die Feldforschung mit dieser Rückführung der Diskussion ab.
4 Die ecuadorianische Auswanderung nach Spanien
„Unser Land ist nämlich nicht arm. Wir haben das Erdöl; es gibt auch Goldminen in unserem Land; wir haben viele Legenden und all diese Tongefäße (...) Es ist nicht so, dass [Ecuador] so arm sein müsste, wie es nun ist. Es ist wegen der schlechten Regierung, dass man es manchmal bereut, Ecuadorianer zu sein. (...) Nicht wegen des Landes an sich, denn unser Land ist hübsch, es ist schön, um dort zu leben, sondern wegen der schlechten Regierung müssen wir emigrieren.“ (Magdalena)
Ecuador ist mit einer Fläche von über 255.000 km2 und etwas mehr als 13,7 Millionen EinwohnerInnen eines der kleinsten Länder Südamerikas, weist jedoch eine der höchsten Biodiversitäten weltweit auf.55 Es gliedert sich geographisch in drei große Regionen: Das westliche Küstentiefland (Costa), das zentrale Andenhochland (Sierra), und das östliche Tiefland, welches Teil des Amazonasbeckens ist (Oriente). Zu Ecuador gehören außerdem die Galápogosinseln. Politisch wie wirtschaftlich teilt sich Ecuador zwischen Sierra und Costa; das Tiefland hat trotz dessen wirtschaftlicher Bedeutung durch die Erdölforderung und den Tourismus wie auch ungeachtet der Kämpfe der indigenen Bevölkerung politisch nur wenig Macht und Einfluss. Die Sierra ist seit der spanischen Eroberung Sitz der großen Haziendas, die im Besitz der mächtigen SpanierInnen und katholischen Orden waren und teilweise bis heute deren Nachfahren gehören. Die Costa etablierte sich hingegen nach der Unabhängigkeit von Spanien (1830) und der damit verbundenen Aufhebung von Ausfuhrbeschränkungen mit dem Handel tropischer Früchte (allen voran Bananen) immer mehr zur wirtschaftlichen Exportmacht. Die Sierra blieb lange Zeit vornehmlich auf die landwirtschaftliche Produktion von Mais, Weizen, Maniok, Gerste, Kartoffeln, Obst und Gemüse für den größtenteils nationalen Konsum beschränkt (vgl. Cueva ³1998, 19-25), bis in den letzten Jahren auch das Hochland von großen, häufig transnationalen Unternehmen für den Gemüseanbau sowie vor allem den Anbau von Rosen entdeckt wurde. Der Rosenanbau hat sich seither zu einem bedeutenden Exportzweig in der ecuadorianischen Sierra entwickelt und die Produktion verändert.
Laut offizieller Website verfügt Ecuador über 256.370 km² Staatsfläche und hat im Mai 2009 13.782.329 EinwohnerInnen. Vgl. http://www.presidencia.gov.ec/articulog.php?ar_codigo=165&ca_ codigo=112&ca_padre=0 [12.05.2009]
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Heike Wagner, Dasein für Andere – Dasein als Andere in Europa, DOI 10.1007/978-3-531-92167-9_4, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2010
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4 Die ecuadorianische Auswanderung nach Spanien
Ecuador ist ein in der Verfassung verankertes pluriethnisches und plurikulturelles Land mit vornehmlich mestizischer, indigener und afroecuadorianischer Bevölkerung. Hinzu kommt ein geringerer Anteil an EinwanderInnen aus Asien, USA, Europa und dem vorderen Orient. Die Zahlen über die Zusammensetzung der Bevölkerungsgruppen variieren erheblich und basieren auf unterschiedlichen Zuschreibungen. Wichtig ist hier, dass die ethnische Zusammensetzung wie auch die begriffliche Zuteilung direkt in der politischen Geschichte Ecuadors gründet und bis heute einen wesentlichen Strukturierungsfaktor der ecuadorianischen Gesellschaft bildet: Im kolonialen System der „castas“ wurde Klasse mit Ethnie bzw. ‚Race’ verbunden, wodurch die ecuadorianische Gesellschaft gemäß rassistisch-biologischer Kriterien stratifiziert wurde. Aufgrund der so genannten „Rassenmischung“, das heißt gemäß des Anteils an spanischem Blutes wurde einer Person eine soziale Position zugewiesen. SpanierInnen nahmen die Spitze der sozialen Hierarchie ein, gefolgt von fein gegliederten graduellen Abstufungen gemäß der jeweiligen „Mischung“, wobei AfroamerikanerInnen als SklavInnen in die Region gebracht wurden und die indigene Bevölkerung im so genannten Huasipungo-System (vgl. Icaza 1985) in eine Form von Leibeigenschaft gezwungen wurden.56 1851 wurde in Ecuador die Sklaverei zwar offiziell abgeschafft und 1964 das Huasipungo-System mit einer Landreform offiziell beendet. Die ecuadorianische Gesellschaft, deren Institutionen, die Definition dessen, was und wer EcuadorianerIn ist, oder wie Erika Silva sagt, der „Mythos der Ecuatorianität“ (Silva ²1995), fußt aber bis heute unter anderem auf einer Stratifikation gemäß ethnischer Zugehörigkeit und ‚race’ mit deren korrespondierenden sozialen Verortungen, Zuschreibungen und unterschiedlichen Zugängen zu Ressourcen. Trotz der Landreform von 1964 konnte sich beispielsweise bis heute in der Sierra der Großgrundbesitz durch MestizInnen, Nachfahren der spanischen EroberInnen sowie AusländerInnen erhalten, weil eine komplexe Interaktion zwischen den politischen und ökonomischen Kräften die großen Haziendas relativ intakt und in Privathänden beließ (vgl. Crain 1989, 116; Benítez 61992, 159), welche diese dann teils an (transnationale) Großunternehmen weiterverkauften. Einzig die im Huasipungo-System direkt abhängigen Indigenas wurden durch die Reform aus der Abhängigkeit entlassen, was ihre wirtschaftliche Situation jedoch oft nicht verbesserte. Heute bewirtschaften die meisten auf dem Land lebenden Indigenas entweder Minilatifundien, auf denen sie zur Subsistenz und, so möglich, für den lokalen oder nationalen Markt produzieren, arbeiten als LohnarbeiterInnen auf den großen Haziendas bzw. in transnationalen Unternehmen wie dem Rosenanbau, verdienen sich ihr Geld auf dem informellen Sek56
Nicht alle waren versklavt und in Leibeigenschaft; die Region Esmeraldas war beispielsweise Ziel sich befreiter SklavInnen; andererseits war die indigene Bevölkerung im Tiefland und der Küste nicht in gleicher Weise in das koloniale System eingebunden und unterdrückt wie die Bevölkerung aus dem Hochland. Im Kontakt mit dem Kolonialstaat und später unabhängigen Nationalstaat galt das Kastensystem auch für sie.
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tor durch Kunsthandwerk, Schuhputzen, Hausarbeit, Bau oder durch Migration in die großen Städte bzw. ins Ausland. Mit ihren Produkten partizipieren die Indigenas wie auch mestizische KleinbäuerInnen zwar am Markt, aber unter ungleichen Bedingungen und ohne gegen GroßproduzentInnen konkurrieren zu können, da die Preise durch die großen Agroindustrien bzw. durch den internationalen kapitalistischen Markt festgelegt werden. Bestimmte Sektoren wie Handarbeit, Textilien und Handwerk sowie transnationaler Handel und Musik eröffnen Indigenas Chancen auf ein besseres Einkommen, was jedoch nur wenigen möglich ist, da oft nur die HändlerInnen, jedoch nicht die ProduzentInnen selbst davon profitieren. Es gibt daher nicht nur asymmetrische Beziehungen zwischen MestizInnen sowie Weißen und Indigenas und AfroecuadorianerInnen, sondern auch, wie im Falle der indigenen Bevölkerung rund um Otavalo auch unter den verschiedenen Gruppen selbst.57 Trotz der Veränderungen und internen Differenzen werden Indigenas und AfroecuadorianerInnen meist essentialisiert und sind ihre Beziehungen zu MestizInnen und Weißen mehrheitlich weiterhin durch Dominanz und Ausbeutung bestimmt, da Letztere vornehmlich die Bedingungen der Arbeitsverhältnisse, des Handels, der Kommunikation usw. bestimmen.58 „Der Rassismus und die diskriminierenden Praktiken produzieren und reproduzieren sich [in Ecuador] in allen Sozialisierungsräumen und reichen von der Familie bis zur Stadt; das heißt, der Rassismus ist ein intrapersonaler, intersubjektiver und institutioneller Wert.“ (Vazqués Lola 2002, 98)
Der Rassismus stellt jedoch nicht die einzige Strukturierungskraft der ecuadorianischen Gesellschaft dar. Auch viele mestizische und weiße EcuadorianerInnen leben in Armut oder Misere und das, obwohl Ecuador über eine Vielzahl natürlicher Ressourcen verfügt und eine hohe Produktivkraft aufweist. Der Wohlstand ist jedoch zutiefst ungleich verteilt und konzentriert das Einkommen und den Reichtum in den Händen Weniger. Die Gesellschaft ist daher auch über den Zugang zu und die Auch hier gilt: Es gibt keine homogenen Gruppen. Es gibt Unterschiede zwischen Männern und Frauen, zwischen Besitzenden und nicht Besitzenden; aufgrund von Fähigkeiten, Zugang zu Ressourcen, Bildung, Alter, dem Einhalten oder nicht Einhalten von Normen und Werten und bestimmter Hierarchien, etc. Aber auch untereinander sind die indigenen Gruppen verschieden. Eine spezifische Gruppe stellen beispielsweise die transnationalen indigenen HändlerInnen aus Otavalo dar, welche zirkulär weltweit in Otavalo hergestellte oder von anderen HerstellerInnen eingekaufte Handarbeiten vertreiben (vgl. Kyle 2001). Die Gruppe ist in sich sehr stratifiziert mit armen BäuerInnen und ProduzentInnen der Waren und reichen transnationalen HändlerInnen und MusikerInnen. 58 Die durchschnittlichen Lebensbedingungen der indigenen und afroecuadorianischen Bevölkerung sind im Vergleich zur Mehrzahl der Bevölkerung schlechter: Oft fehlt ihnen Strom, haben sie keinen Anteil an der Trinkwasserversorgung und am Straßennetz. Die Diskriminierung zeigt sich offen im Alltag im Umgang, der Anrede, in den schulischen Lehrbüchern, die auf Spanisch und für die städtische, mestizische Kultur ausgerichtet sind. Die Kleidung, der Akzent und das Aussehen sind trotz Veränderungen und wichtigen Errungenschaften der verschiedenen sozialen Bewegungen, allen voran der indigenen Bewegung, ständiges Motiv der Herabsetzung (vgl. Benítez 61992, 159f). 57
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Kontrolle über verschiedene Ressourcen entlang von Klasse stratifiziert (vgl. Acosta/López/Villamar 2004, 260).59 Weitere umfassende Strukturierungskraft ist das soziale Geschlecht: Durch die spanische Kolonialisierung samt christlicher Evangelisierung wurde die heutige Form patriarchaler Gesellschaft in Lateinamerika institutionalisiert. In der kolonialen wie postkolonialen Gesellschaftsordnung verbanden sich bestimmte Geschlechterbilder mit den politischen und wirtschaftlichen Machtverhältnissen als die die gesellschaftliche Stellung bestimmenden Prinzipien (vgl. Stolcke 2002, 192), welche sich als dominante Sozialstruktur etablierten. Die Machtbeziehungen nahmen sexualisierte wie ethnisierte bzw. ‚racialised’ Formen an (vgl. Chant/Craske 2003, 131). Frauen wurden weniger Rechte und legale Handlungsmöglichkeiten als Männern zugesprochen und nur Männer als legitime Repräsentanten in der Politik anerkannt. Zusätzlich wurde eine patrilineare Erbfolge staatlich institutionalisiert (vgl. Grubner et al. 2003, 24). Die spanische Krone setzte ein System von Unterordnung und Ausbeutung ein, das Doppelmoral, Betrug, gewaltsame zwischenmenschliche Beziehungen sowie Alkoholismus als rechtfertigenden Mechanismus umfasste. Bis heute ist die Basis des Staates die patriarchal verwaltete Familie als Garant sozialer Stabilität (vgl. Chambers 1999, 72), was durch die geschlechtsspezifische Logik des Kapitalismus unterstützt und neu etabliert wird (vgl. Balibar/Wallerstein 1991). Trotz zahlreicher Veränderungen60 haben Frauen in Ecuador, wie in anderen Ländern auch, einen schlechteren Zugang zum öffentlichen Gesundheitssystem; in vielen Familien, vor allem in der Sierra, wird die Ausbildung von Söhnen der von Töchtern vorgezogen; generell erhalten Frauen weniger Lohn und oft wird die Erwerbsarbeit von Frauen strukturell, aber auch interpersonell durch Partner oder andere Familienangehörige verhindert. Unabhängig von der konkreten Praxis der bestehenden Lohnarbeit von Frauen, wird diese in den dominanten Genderstereotypen als männlicher Bereich konstruiert, in dem Männer als „Versorger ihrer Familien“ soziales, symbolisches und produktives Kapital anhäufen können (vgl. 4.2.1.1, wo darauf detailliert eingegangen wird). Die dominanten Genderideale gehen trotz Unterschieden, Veränderungen und Widerständen von essentialisierten Geschlechtlichkeiten, von einer je einzigen Form von Männlichkeit und für Weiblichkeit aus, welche binär und mestizisch ist. Andere Formen werden diskriminiert. ‚Race’ und Klasse werden dabei direkt mit Gender verbunden.61 Dies zeigt sich gerade auch an bezahlter Hausarbeit, welche in EcuaGemäß Acosta et al. stellt diese ungleiche Redistribution der Einnahmen und des Reichtums einer der Hauptgründe für die existierende Armut in Ecuador dar. 60 Es existiert zum Beispiel in Ecuador eine Frauenquote für das Parlament; es wurden Comisarías de la Mujer errichtet, etc. (zur Frauenquote vgl. z.B. Cañete 2004). 61 So wurde zum Beispiel dem Sohn von Mónica, einer afroecuadorianischen Migrantin, ursprünglich aus der Region um Esmeraldas, später aus Guayaquil, in Ecuador verboten, mit langen Haaren in die Schule zu kommen, da dies Mädchen vorbehalten sei – ein Problem, das auch indigenen Jungen passiert, wenn diese in den Städten zur Schule gehen und sie vor die Alternative gestellt werden: Schule oder lange 59
4.1 Die „neue Emigration“ und die ecuadorianische Krise
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dor vornehmlich von indigenen und afroecuadorianischen Frauen, oft interne Migrantinnen, ausgeübt wird (vgl. Radcliffe 1999, 87)62. Bezahlte Hausarbeit ist daher auch einer der alltäglichsten Ausdrücke sozialer Ungleichheit in Lateinamerika und wird von der städtischen Oberschicht unter anderem als „Prestigeobjekt“ betrachtet (vgl. Dabringer 2004, 79). Die Differenzen zwischen ArbeitgeberInnen und Hausarbeiterinnen spiegeln dabei nationalisierte Wertehierarchien der ethnostratifizierten und genderdifferenziert strukturierten ecuadorianischen Gesellschaft wider: „Having worked for several years as domestics with a number of different employers, current homeworkers identified their treatment at the hands of their employers as being realted to their relativ racial positioning, with blacks and Indians experiencing behavior that highlights the difference between employers and employees in a nationalised hierarchy of value.“ (Radcliffe 1999, 94)63
Ecuador ist seit 1830 eine unabhängige Republik mit einer demokratischen Verfassung. Das Land ist jedoch politisch sehr instabil, was mit einer permanenten Verschlechterung der ökonomischen nationalen Lage in den 1990er Jahren sowie der starken Auswanderung nach Spanien korrespondiert. 4.1 Die „neue Emigration“ und die ecuadorianische Krise „Es gibt nicht einmal für die Sozialdienste [Geld], noch für die Bildung oder Gesundheit. Es ist nicht so, dass es keine Ressourcen gäbe, im Gegenteil. (...). Jetzt nehmen sie uns das Geld weg, das sie uns als Darlehen schickten. Und was man jetzt zahlt, sind die Schulden. Also das ist ein Attentat auf uns.64 Das bringt unglaublich viele Konsequenzen mit sich. (...) Da Ecuador ein friedliches Land ist, ist Migration die (...) beste Möglichkeit, die es hat.“65 (Bruder von Claudia, interviewt in Ecuador, Nähe von Ambato)
Haare. Im Gegensatz zu bestimmten indigenen Konzepten von Männlichkeit entsprechen lange Haare gerade nicht der Norm des mestizisch-weißen Ideals von Männlichkeit. Aber auch andere Formen von Geschlechtlichkeit und Sexualität wie Homosexualität oder Transsexualität werden diskriminiert. Dabei werden nicht nur ethnische und regionale Unterschiede sowie Differenzen aufgrund von Klasse oder anderen Aspekten nicht beachtet, sondern auch ein monolytisches Verständnis des Mestizischen und der Geschlechter grundgelegt (vgl. Andrade 2001, 18). Darauf wird im Folgenden unter 4.2.1.1 näher eingegangen. 62 Für einen allgemeineren Blick auf migrantische Haushaltsarbeit in Lateinamerika vgl. de los Reyes 2001, 281f. 63 Wenn Ecuadorianerinnen nach Spanien kommen und dort als Hausarbeiterinnen arbeiten, bringen sie diese Vorstellung von Hausarbeit als Teil und Ausdruck einer hierarchischen und ungleichen Gesellschaft mit. Da viele ecuadorianische Migrantinnen aus der Mittelschicht kommen, ist es möglich, dass sie vor der ecuadorianischen Krise (dies wird im Folgenden ausführlich erklärt) selbst Hausarbeiterinnen angestellt hatten. Bei den hier vorgestellten Frauen war dies jedoch nicht der Fall. 64 Der Interviewte bezieht sich auf die Ausschlandsschuld und die daraus entstehende „Schuldenfalle“. 65 Als Alternative nannte er eine Revolution, welche er für Ecuador als „friedliches Land“ als unrealistisch erachtete.
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4 Die ecuadorianische Auswanderung nach Spanien
Ecuadorianer und Ecuadorianerinnen migrieren seit Jahrzehnten. Die Tatsache der Migration allein ist daher keine Besonderheit und vielfältig belegt.66 Die etablierten Routen waren jedoch bis in die 1990er Jahre vom Hochland an die Küste67, vom Land in die Stadt68 und seit den 1960er Jahren (vornehmlich) von den Provinzen Azuay und Cañar in die USA69. Insgesamt nahm die Migration aus Ecuador am Ende der 1990er Jahre sehr stark zu, wie in folgender Darstellung deutlich wird. Ecuadorianische Auswanderung nach Jahr Quelle: INEC 2001 Zahl aller im Zensus 2001 genannten migrierten EcuadorianerInnen nach Jahr der Migration
120000 100000
107088
105080
2000
2001
80402
80000 60000 40000 20000
33723 18423
18516
1996
1997
0 1998
1999
Tabelle 3: Migrierte, nicht zurückgekehrte ecuadorianische Haushaltsmitglieder nach Jahr; Quelle: Zensus 2001 (INEC 2001) Eigene Darstellung70
Die Zunahme der ecuadorianischen Migration ist je nach Zielland jedoch unterschiedlich. So war die Migration nach Spanien bis in die 1990er Jahre zahlenmäßig gering, nahm jedoch ab dem Jahr 1996 immer mehr zu, während die Migration nach den USA stark abnimmt (vgl. Gratton 2007, 587 für genaue Zahlen).71 Stellten EcuadorianerInnen Anfang der 1990er-Jahre in Spanien eine quantitativ unbedeutende Gruppe dar, so waren sie im Jahr 2000 bereits zur zahlenmäßig stärksten ausländischen Bevölkerungsgruppe in Madrid geworden. Von 1999 bis
Für eine Geschichte der ecuadorianischen Migration vgl. Camacho 2004, 11-28. Beispielsweise analysiert von Lentz 1988. 68 Vgl. zum Beispiel Herrera 2002. 69 Vgl. Jokisch 2001; Pribilsky 2001; Astudillo/Cordero 1990. Eine Ausnahme bilden, wie oben erwähnt, die transnationalen indigenen Händler aus Otavalo. 70 Vgl. http://157.100.121.12/cgibin/RpWebEngine.exe/PortalAction?&MODE=MAIN&BASE= ECUADOR21&MAIN=WebServerMain.inl [25.03.2009]) 71 Dies ist unter anderem mit einer immer restriktiveren Einwanderungspolitik in den USA und der damit verbundenen Zunahme der Gefahren bei einer Migration nach den USA verbunden. 66 67
4.1 Die „neue Emigration“ und die ecuadorianische Krise
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2000 nahm die am Einwohnermeldeamt registrierte72 ecuadorianische Bevölkerung in Madrid um 575,11 % zu (vgl. Gómez Ciriano 2002, 23). Diese „neue ecuadorianische Migration“ weist neben dem neuen Zielland Spanien bzw. dem Zielkontinent Europa73 signifikante Differenzen zur bis dahin bedeutsamsten Migration nach den USA auf: Während vornehmlich BäuerInnen bzw. aus bäuerlichen Familien stammende BewohnerInnen des südlichen Hochlandes nach den USA migrierten und migrieren, konzentriert sich die Auswanderung nach Spanien mehr auf die Städte und die bedrohte Mittelschicht (vgl. Gratton 2005, 7). Es handelt sich bei der Migration nach Europa vielmehr um eine pluri-ethnische Migration (vgl. Jokisch 2001, 75), wobei MestizInnen insgesamt die Mehrzahl der MigrantInnen darstellen. Im Gegensatz zur Migration nach den USA, bei welcher der Anteil der Männer überwiegt, waren in den ersten Jahren über 50 % der EcuadorianerInnen in Spanien Frauen. Die Migration nach Spanien war daher „female-led“ (Gratton 2007, 589) mit einer Mehrzahl von Frauen, welche alleine migrierten und Partner und/oder Kinder in Ecuador zurückließen (ebd.). Zudem stieg die Migration nach Spanien und Europa stärker und schneller an. Ihren Höhepunkt erfuhr die Migration nach Europa in den Jahren 1999 und 2000, während Ecuador seine größte Krise seit dem Bestehen als Republik erfuhr: Ecuador erlebte zwischen 1995 und 2000 die schnellste Verarmung ganz Lateinamerikas und die drastischste Verschlechterung der allgemeinen Lage eines lateinamerikanischen Landes, welche in Lateinamerika nur vom argentinischen wirtschaftlichen Zusammenbruch von 2001 übertroffen wurde (vgl. Gratton 2005, 6). Nach einer langen Phase des ökonomischen Stillstandes zwischen 1980 und 1998 mit einem Wachstum von 0,3 % durchschnittlich, sank 1999 das BIP um 30 % (vgl. Acosta/López/Villamar 2004, 259-260). 1998 wies Ecuador die höchste Inflationsrate ganz Lateinamerikas auf, fiel unter die Länder mit der stärksten Arbeitslosigkeit und gehörte zu den meist verschuldeten Ländern der Erde.74 Die Zahl der Armen stieg von 34 % im Jahr 1995 auf 71 % im Jahr 2000 an (vgl. Acosta/López/ Villamar 2004, 260). Dies betraf auch und vor allem die städtische Mittelschicht mit höherer Bildung, welche die größte Gruppe der seit 1996 einsetzenden starken Migration nach Europa, vornehmlich Spanien, ausmachte (vgl. Gratton 2005, 39f). Gleichzeitig konzentrierte sich der Reichtum immer mehr auf wenige Personen, während auf der anderen Seite Unternehmen Bankrott gingen, Arbeitsplätze vernichtet wurden und die Gehälter ihre Kaufkraft verloren. Die Arbeitsbedingungen In Spanien ist es möglich, sich als Undokumentierte beim Bürgermeisteramt anzumelden und auf diese Weise Zugang zum öffentlichen Gesundheitssystem zu erlangen. Die Zahlen der Bürgermeisterämter sind zwar nicht deckungsgleich mit den jeweiligs tatsächlich vor Ort Lebenden, geben aber dennoch einen guten Einblick. 73 Weitere relevante neue Zielländern sind: Italien, Niederlande, Belgien und Deutschland. 74 Vgl. http://www.cepal.cl/espanol/Publicaciones/estudio99.intro.htm. [06.07.2000]. 72
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und -möglichkeiten verschlechterten sich; die ohnehin geringen Investitionen in soziale Bereiche und öffentliche Dienste wie Gesundheit, Bildung oder Wohnen wurden reduziert; Nahrungsspenden nahmen ab und die Zahl der Unterernährten und Kranken stieg an. Neben dieser generellen Verschlechterung der Lebensqualität wuchs die Unsicherheit. Gewalttaten und Verbrechen nahmen zu, Repressionen und politische Instabilität standen an der Tagesordnung (vgl. Acosta et al. 2004, 260-261). Die Zunahme der ecuadorianischen Migration ist je nach Zielland jedoch unterschiedlich. So war die Migration nach Spanien bis in die 1990er Jahre zahlenmäßig gering, nahm jedoch ab dem Jahr 1996 immer mehr zu, während die Migration nach den USA stark abnimmt (vgl. Gratton 2007, 587 für genaue Zahlen).75 Stellten EcuadorianerInnen Anfang der 1990er Jahre in Spanien eine quantitativ unbedeutende Gruppe dar, so waren sie im Jahr 2000 bereits zur zahlenmäßig stärksten ausländischen Bevölkerungsgruppe in Madrid geworden. Von 1999 bis 2000 nahm die am Einwohnermeldeamt registrierte76 ecuadorianische Bevölkerung in Madrid um 575,11 % zu (vgl. Gómez Ciriano 2002, 23). Diese „neue ecuadorianische Migration“ weist neben dem neuen Zielland Spanien bzw. dem Zielkontinent Europa77 signifikante Differenzen zur bis dahin bedeutsamsten Migration nach den USA auf: Während vornehmlich BäuerInnen bzw. aus bäuerlichen Familien stammende BewohnerInnen des südlichen Hochlandes nach den USA migrierten und migrieren, konzentriert sich die Auswanderung nach Spanien mehr auf die Städte und die bedrohte Mittelschicht (vgl. Gratton 2005, 7). Es handelt sich bei der Migration nach Europa vielmehr um eine pluri-ethnische Migration (vgl. Jokisch 2001, 75), wobei MestizInnen insgesamt die Mehrzahl der MigrantInnen darstellen. Im Gegensatz zur Migration nach den USA, bei welcher der Anteil der Männer überwiegt, waren in den ersten Jahren über 50 % der EcuadorianerInnen in Spanien Frauen. Die Migration nach Spanien war daher „female-led“ (Gratton 2007, 589) mit einer Mehrzahl von Frauen, welche alleine migrierten und Partner und/oder Kinder in Ecuador zurückließen (ebd.). Zudem stieg die Migration nach Spanien und Europa stärker und schneller an. Ihren Höhepunkt erfuhr die Migration nach Europa in den Jahren 1999 und 2000, während Ecuador seine größte Krise seit dem Bestehen als Republik erfuhr: Ecuador erlebte zwischen 1995 und 2000 die schnellste Verarmung ganz LateinaDies ist unter anderem mit einer immer restriktiveren Einwanderungspolitik in den USA und der damit verbundenen Zunahme der Gefahren bei einer Migration nach den USA verbunden. 76 In Spanien ist es möglich, sich als Undokumentierte beim Bürgermeisteramt anzumelden und auf diese Weise Zugang zum öffentlichen Gesundheitssystem zu erlangen. Die Zahlen der Bürgermeisterämter sind zwar nicht deckungsgleich mit den jeweiligs tatsächlich vor Ort Lebenden, geben aber dennoch einen guten Einblick. 77 Weitere relevante neue Zielländern sind: Italien, Niederlande, Belgien und Deutschland. 75
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merikas und die drastischste Verschlechterung der allgemeinen Lage eines lateinamerikanischen Landes, welche in Lateinamerika nur vom argentinischen wirtschaftlichen Zusammenbruch von 2001 übertroffen wurde (vgl. Gratton 2005, 6). Nach einer langen Phase des ökonomischen Stillstandes zwischen 1980 und 1998 mit einem Wachstum von 0,3 % durchschnittlich, sank 1999 das BIP um 30 % (vgl. Acosta/López/Villamar 2004, 259-260). 1998 wies Ecuador die höchste Inflationsrate ganz Lateinamerikas auf, fiel unter die Länder mit der stärksten Arbeitslosigkeit und gehörte zu den meist verschuldeten Ländern der Erde.78 Die Zahl der Armen stieg von 34 % im Jahr 1995 auf 71 % im Jahr 2000 an (vgl. Acosta/López/Villamar 2004, 260). Dies betraf auch und vor allem die städtische Mittelschicht mit höherer Bildung, welche die größte Gruppe der seit 1996 einsetzenden starken Migration nach Europa, vornehmlich Spanien, ausmachte (vgl. Gratton 2005, 39f). Gleichzeitig konzentrierte sich der Reichtum immer mehr auf wenige Personen, während auf der anderen Seite Unternehmen Bankrott gingen, Arbeitsplätze vernichtet wurden und die Gehälter ihre Kaufkraft verloren. Die Arbeitsbedingungen und –möglichkeiten verschlechterten sich; die ohnehin geringen Investitionen in soziale Bereiche und öffentliche Dienste wie Gesundheit, Bildung oder Wohnen wurden reduziert; Nahrungsspenden nahmen ab und die Zahl der Unterernährten und Kranken stieg an. Neben dieser generellen Verschlechterung der Lebensqualität wuchs die Unsicherheit. Gewalttaten und Verbrechen nahmen zu, Repressionen und politische Instabilität standen an der Tagesordnung (vgl. Acosta et al. 2004, 260-261). Die Anzahl der Verbrechen steigt hier täglich. Der Index ist sehr hoch. Es gibt niemanden, der das stoppt, weder die Polizei noch das Militär, niemand setzt dem ein Ende. (...) Wenn Sie in Ihrem Haus sind, dann, plum, wenn Sie es am wenigsten denken, schlagen Sie Ihnen die Türe ein, töten Sie, nehmen die Sachen mit. (...) So ist es hier in unserem Vaterland. (...) Und die Verbrecher haben mehr Möglichkeiten als wir, die wir keine Verbrecher sind. Sie werden festgenommen und es passiert ihnen nichts. Sie sind ein paar Tage dort [im Gefängnis] und schon gehen sie wieder (...), denn niemand klagt sie an. (...) Aus Angst klagt sie auch der Richter nicht an. (...) Wegen der Korruption und all dem.“ (Giovani)
Ähnliche Aussagen finden sich in verschiedenen Interviews: „Ich bin hierher [nach Spanien] gekommen, weil es dort [in Ecuador] nichts gab. (...) Schau, zum Beispiel wurde mir, bevor ich hierher kam, eine Arbeit um 50 Dollar angeboten, von neun Uhr morgens bis sechs Uhr abends, bei einer kranken Frau, die man pflegen musste. (...) Mit 50 Dollar monatlich, was mache ich damit?“ (Erika)
Was war geschehen? In den 1970er Jahren galt Ecuador aufgrund des ökonomischen Aufschwungs durch große Ölfunde noch als eines der wirtschaftlich blühendsten Länder Lateiname78
Vgl. http://www.cepal.cl/espanol/Publicaciones/estudio99.intro.htm. [06.07.2000].
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rikas. Seit den 80er Jahren bewegte es sich aber immer mehr in eine wirtschaftliche Krise.79 Der Krieg zwischen Peru und Ecuador (1995) bewirkte eine erste Zuspitzung der ecuadorianischen Krise (vgl. Jokisch 2001, 67), mit der eine beginnende, wenn auch noch nicht sehr starke Migration nach Spanien vornehmlich aus Loja und El Oro, den Grenzregionen mit Peru, einsetzte (vgl. Gómez Ciriano 2001, 175). 1997 und 1998 verlor Ecuador durch Naturkatastrophen im Zuge des Niño-Stroms ungefähr zwei Millionen US$. Gleichzeitig sank der Erdölpreis (die wichtigste Exportquelle Ecuadors und Hauptstütze des Staatshaushaltes) auf eines seiner tiefsten Niveaus (vgl. Jokisch 2001, 67). Auch die Auswirkungen der Asienkrise setzten der ecuadorianischen Wirtschaft zu. Die Zeit war von politischen Unruhen, Instabilität, Korruption und ständigem Regierungswechsel geprägt: Zwischen 1996 und 2000, das heißt innerhalb von fünf Jahren, hatte Ecuador fünf Präsidenten. Rechnet man ein Triumvirat mit, das im Januar 2000 für wenige Stunden nach dem Sturz von Präsident Jamil Mahuad die Präsidentschaft für sich beanspruchte, erhöht sich die Zahl auf acht80. Auch nach dem Jahr 2000 blieb die politische Situation turbulent. Hier ein kurzer Überblick, welche die politische Instabilität verdeutlicht: Von 1996-2005 beendete kein ecuadorianischer Präsident seine Amtszeit regulär; wobei auch die Regierung unter Palacio durch hohe politische Instabilität und regelmäßige Abdankungen und Ersetzungen von MinisterInnen geprägt war. Alle Präsidenten wurden entweder gestürzt, dankten unter dem Druck der protestierenden Zivilbevölkerung ab, flohen ins Ausland oder wurden, wie z.B. Abdalá Bucaram, vom Parlament des Amtes enthoben. Ecuadorianische/r Präsident/in
Amtszeit
Abdalá Jaime Bucaram Ortiz Rosalía Arteaga Fabian Alarcón Rivera Jamil Mahuad Witt General Mendoza, Antonio Vargas, Enrique Solórzano (nicht offiziell anerkannt) Gustavo Noboa Bejarano Lucio Gutiérrez Alfredo Palacio Rafael Correo
10. August 1996 – 6. Februar 1997 6. Februar 1997 – 11. Februar 1997 11. Februar 1997 – 10. August 1998 10. August 1998 – 22. Januar 2000 21. Januar 2000, für wenige Stunden 22. Januar 2000 – 15. Januar 2003 15. Januar 2003 – 20. April 2005 20. April 2005 – 15. Januar 2007 seit 15. Januar 2007
Tabelle 4: Ecuadorianische PräsidentInnen von 1996-2009; eigene Darstellung
1996 kam Präsident Abdalá Bucaram mit dem Versprechen an die Macht, die Situation der Armut in Ecuador zu verbessern. Dazu gehörte u.a. der Plan, die einheimi79 80
Vgl. http://www.cepal.cl/espanol/Publicaciones/estudio99.intro.htm. [06.07.2000]. Vgl. dazu: Lucas 2000; Lascano Palacios 2001 sowie Herrera Aráuz 2001.
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sche Währung, den Sucre, an den US$ zu koppeln, was zu massiven Protesten der Zivilbevölkerung führte („proyecto de convertibilidad“; vgl. Acosta 1997, 41-55). Jedoch nicht nur seine Wirtschaftspolitik, sondern auch der Anstieg der Korruption und des Nepotismus während seiner Regierung führten zu Protestaktionen und Kritik verschiedenster nationaler wie internationaler Institutionen.81 Nach sechs Monaten Präsidentschaft wurde Bucaram durch die bis dahin größten Demonstrationen und Aufstände aller sozialen Schichten gestürzt. Nach seiner Amtsenthebung und Ausreise nach Panamá wurde er wegen Korruption und Veruntreuung angeklagt und ein Untersuchungsverfahren eingeleitet. Jamil Mahuad, Nachfolger des abgesetzten Abdalá Bucaram, führte dessen neoliberale Wirtschaftspolitik weiter und lenkte Anfang 1999 mit der staatlichen Rettung von 16 Finanzinstituten (u.a. nach deren unsicheren Finanzspekulationen) für fast 2600 Millionen Dollar die Wirtschaft in eine Rezension (vgl. Jokisch 2001, 67). Im März 1999 stieg die Inflation um 60 %, im Jahr 2000 um 91 % (vgl. Ildis82). Die Wirtschaftspolitik der ecuadorianischen Regierung stoppte diese Krise nicht. Dazu gehörte auch die Zahlung der Auslandsschulden, welche 1999, im schlimmsten Jahr, beispielsweise 75 % des Staatshaushaltes betrug (vgl. Acosta et al. 2004, 262f).83 UNICEF forderte Ecuador daher auf, die Auslandsschulden nicht zu bedienen, sondern vielmehr den Sozialinvestitionen Vorrang zu geben. „Diejenigen, die glauben, dass sie zuerst die Probleme der [Auslands-]Schuld lösen müssen, um dann den sozialen Bedürfnissen zu begegnen, liegen falsch.“ (UNICEF, zitiert in Acosta et al. 2004, 263)
Die Regierung unter Jamil Mahuad setzte jedoch vielmehr auf die Zahlung der Auslandsschulden und darauf, verschiedene neoliberale Maßnahmen durchzusetzen, die vom internationalen Währungsfond (IWF) geforderten Strukturanpassungsmaßnahmen zu verwirklichen und sich so dessen Unterstützung zu sichern (vgl. Gómez Ciriano 2001, 177). Für Acosta, López und Villamar (2004, 263) liegt darin der Schlüssel zum Verständnis der starken ecuadorianischen Migration: Strukturanpassungsmaßnahmen stellen ein konstitutives Element der vorherrschenden neoliberalen ökonomischen Theorie dar und werden von internationalen führenden Agenturen wie dem IWF und der Weltbank vorgeschrieben. Obwohl neoliberale Politiken auf ökonomisches Wachstum und eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage zielen, steigern sie die Armutsrate und die Unterschiede zwischen Arm und Reich. Wie auch Sassen darlegt, führen diese Programme zu höherer ArSo machte u.a. der US-amerikanische Botschafter in Ecuador eine öffentliche Deklaration gegen die Korruption unter Präsident Bucaram. Vgl. dazu: Pallares/Cevallos 1997, 21-27. 82 Quelle: http://www.ildis.org.ec/estadisticas/estadisticascatorce.htm [18.04.2006] Die Inflation wurde u.a. dadurch gestoppt, dass Ecuador dollarisiert wurde. 83 Zur Auslandsschuld soll hier nur so viel gesagt werden, dass die Schulden aufgrund der hohen Zinsen nicht zurückzahlbar sind. Als Nettobetrag wurden sie bereits mehrfach zurückbezahlt. 81
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beitslosigkeit, zu einer Reduktion von Unternehmen, welche Güter für den lokalen Markt produzieren, sowie zu erhöhter Auslandsverschuldung und lösen somit Migrationen aus bzw. beeinflussen sie (vgl. Sassen 2003, 43-60). Joya Misra und Sabine Merz sprechen ihrerseits von einem direkten Zusammenhang zwischen neoliberalen Politiken und Migrationsbewegungen: „From the perspective of the sending countries, faced with the powerful pressures of neoliberalism on their economies, more and more workers consider immigration as a means to supporting their families. (…) Neoliberal structural adjustment includes: privatizing, limiting, or cutting social welfare programs on health, education, and welfare; privatizing state enterprises and cutting subsidies on products and services; limiting labor market policies such as wage minimums and curtailing wages more generally; liberalizing imports and easing restrictions on foreign investment; and devaluing the currency in order to make export prices more competitive.“ (Misra/Merz 2005, 12f)
Auch für Ecuador lässt sich dieser Zusammenhang aufweisen: Schon die Verarmung seit den 1980er Jahren steht u.a. in Bezug zu Strukturanpassungsmaßnahmen und Auslandsschulden: „Einer der Faktoren, die die Stärke der Krise erklären und die es wert sind, extra betont zu werden, wurzelt in der Strukturanpassung und in den Stabilisierungspolitiken im Sinne des internationalen Währungsfonds, welche seit Beginn der 80er Jahre angewandt wurden. Auch wenn manche das Gegenteil behaupten, hat die ecuadorianische Wirtschaft, wie die anderer Länder der Region, das Rezept der Strukturanpassung ausgeführt und erlitten. So wurde in Ecuador mit unterschiedlichen Graden von Kohärenz und Intensität sowohl wirtschaftlich als auch im Finanzwesen der Gedanke der Öffnung und Liberalisierung im Sinne des internationalen Währungsfond/der Weltbank übernommen und über vielfältige Mechanismen (zum Beispiel über „Empfehlungen“ des IWF) durchgesetzt, sogar mit dem Rückgriff auf verschiedene Formen externer und interner Erpressungen.“ (Acosta/López/Villamar 2004, 264)
Die ecuadorianische Migration jedoch allein über diese makro-ökonomischen Zusammenhänge zu erklären, reicht nicht. Wirtschaftliche, politische, soziale und persönliche Faktoren wie Motive können sich bei einer Entscheidung zu einer Migration bestens ergänzen und dürfen je nicht isoliert und/oder monokausal verstanden werden, auch wenn sie in ihren Ebenen und Auswirkungen analytisch zu unterscheiden sind. Eine Migration und die Entscheidung dazu verstehe ich daher als ein komplexes soziales Phänomen, welches nicht über einen einzigen Faktor erklärt werden kann, weder in den Ursachen bzw. Motivationen noch in deren Verlauf (vgl. Wagner 2007b). Damit grenze ich mich von Erklärungen der ecuadorianischen Migration ab, welche diese allein über die ecuadorianische Krise und die damit verbundene Verarmung sowie die Nachfrage in Spanien erklären (vgl. zum Beispiel Gratton 2007), ohne jedoch das ökonomische Argument zu negieren oder zu relativieren – gerade im Falle der ecuadorianischen Migration bildet die ökonomische, soziale und politische Krise den Kontext der Auswanderung nach Europa, in dem die Entscheidung zur Migration getroffen wurde. Die Krise selbst ist, wie deutlich wurde, vielfältig und hat verschiedene Auslöser: Zusammenfassend kann gesagt werden,
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dass Ecuador seit den 80er Jahren aufgrund seiner Auslandsverschuldung, den Strukturanpassungsmaßnahmen samt Sinken des Erdölpreises sich immer mehr in eine wirtschaftliche Krise bewegte, die sich durch die Asienkrise als internationaler Finanzkrise, den Schäden durch den Niño-Strom sowie den Kosten des Krieges mit Peru verschlechterten. Korruption, Bereicherung und neoliberal orientierte Wirtschaftspolitiken verbunden mit konstanten politischen Unruhen und Absetzungen der jeweiligen Regierungen trugen ihren Teil dazu bei, dass Ecuador die schlimmste Krise seines Bestehens erlebte, wodurch immer mehr EcuadorianerInnen in der Migration eine Alternative bzw. eine Lösungsstrategie sahen. Der Vater von Claudia erklärte die Emigration seiner drei Kinder nach Spanien in diesem Sinne: „Sie gingen halt wegen der Armut. An erster Stelle, um die Haushalte zu ernähren. Wegen der großen Krise hier, kann man das [hier] nicht (...). [Es gibt] Armut, große Armut. Es gibt keine Arbeit, nichts. (...) Ich habe acht Kinder mit Schulabschluss, aber es gibt nichts, wo sie sich ihren Lebensunterhalt verdienen könnten. Und das ist richtig schlimm. Deshalb ging meine Tochter, die Consuelito. Sie ging als erste nach Spanien. Dann holte sie die andere nach, die Claudia. Und die Claudia und sie haben dann den Jungen geholt. Es sind drei [Kinder], die ich dort habe.“ (Vater von Claudia)
Auch Mónica beschreibt, wie die Verarmung ihre Migrationsentscheidung beeinflusste: „Die Verzweiflung hat mich zunächst dazu gebracht, von dort wegzugehen, weil ich, – das ist mir nicht mehr aus dem Kopf gegangen, dass ich in der wirtschaftlichen Lage oder wie es mir ging, dass ich meine Kinder in der Armut, in der ich sie hatte, nicht [leben lassen] wollte. Denn ich bin nicht in einer solchen Armut aufgewachsen. Ich wuchs vor allem gut situiert auf. Anfangs war es so mit meinem Mann. Uns ging es gut. Aber als er seine Arbeit verlor, bewegten wir uns anstatt vorwärts rückwärts, so wie der Krebs. Also sagte ich: ‚Das will ich nicht.’ Weil meine Kinder hatten-. Sie hatten Schuhe und dann liefen sie [nur] mit einem Paar Schuhe herum, die ihnen schon von den Füßen zu fallen drohten (….) und es hat sich mir in den Kopf gesetzt, dass ich von dort weg gehen musste. Ich weiß nicht, ob es zum Guten oder zum Schlechten führt, aber ich musste weg von dort. Jetzt bin ich hier und ich sage mir: ‚Gut, ich muss vorwärtsgehen.’“ (Mónica)
Mónica erzählt hier, wie ihre Familie verarmte, wie ihr Mann seine Arbeit verlor und ihre Kinder in einer Armut leben mussten, die sie aus ihrer eigenen Kindheit nicht kannte. Dabei geht es um die ökonomische Krise, aber auch um mehr. Ihre Geschichte ist komplexer und vielschichtiger, was für ihre Migration, aber nicht nur für sie allein gilt.
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4.2 Neue Krise, alte Krisen und andere Migrationsgründe – über die Plurikausalität von Migrationsentscheidungen „Mein Mann arbeitete [wieder], aber da mir (….) die Situation, in der ich mit ihm lebte, nicht gefiel, sagte ich, dass ich von dort weg gehen wollte-. Das hatte ich, sage ich dir, schon geplant, bevor ich einen Mann hatte, bevor ich Kinder hatte. Ich (….) hatte Lust, raus zu kommen, zu reisen, aus Ecuador weg zu gehen. Aber mir taten sich keine Möglichkeiten dazu auf. Also sagte ich, sogar [noch] als ich mein erstes Kind hatte, sagte ich meiner Mami, dass sie einer Freundin, die in der Schweiz lebte, sagen solle, dass sie uns helfen solle. (….) Diese Cousine hat ihr [dann aber] rundheraus gesagt, dass sie ihr nicht helfen wird. (…) Gut, wir [Mónica und ihre Schwester] sind also geblieben. Ich sagte mir: Aber eines Tages werde ich von hier weg gehen. Denn ich werde nicht hier bleiben. Ich bin nicht in dieser Armut aufgewachsen und ich werde meine Kinder nicht in dieser Armut aufziehen, die mir nicht gefällt-. Ich wurde immer ärmer, aber als dieser [Mónicas Mann] arbeitslos wurde (…) [sagte ich mir] ‚Also, das gefällt mir nicht, das gefällt mir nicht und ich - (Seufzer) ich weiß nicht mit wessen Hilfe, aber ich gehe. Ich gehe.’ (…) wenn nicht über meine Schwägerin – dieselbe, die mich [dann] hierher gebracht hat, dann wäre es eine andere gewesen. Aber ich wäre von dort weg gegangen.“ (Mónica)
Mónica beschreibt in obigem Zitat den Prozess ihrer Migrationsentscheidung. Sie hatte schon lange den Wunsch zu migrieren; schon vor ihrer Partnerschaft. Bereits vor der ecuadorianischen Krise hatte sie einen Versuch unternommen, eine migrierte Verwandte durch ihre Mutter kontaktieren zu lassen. Diese hatte ihr jedoch die erhoffte Hilfe nicht gewährt. Ihre damalige Migrationsmotivation beschreibt sie mit den Worten „Lust, raus zu kommen, zu reisen, aus Ecuador weg zu gehen“. Es geht also um Reiselust, etwas kennen zu lernen, das Umsetzen von Träumen und Imaginationen und schließlich die Konkretisierung ihrer Migration durch die Notwendigkeit, neue Einkommensquellen zu suchen und der Verarmung im Kontext der Krise zu entkommen. Die Realisierung ihrer Träume war jedoch an eine Hilfestellung durch eine verwandte Migrantin geknüpft, welche sich zunächst nicht konkretisieren ließ. Als dann eine ihrer Schwägerinnen nach Spanien ging, bat sie diese, sie nachzuholen, sobald sie es könne. In Ecuador hatte sie ihrer Schwägerin trotz jahrelanger Differenzen und Streitigkeiten in einer Notlage ausgeholfen, sie bei sich zu Hause aufgenommen, und so eine reziproke Verpflichtung mit ihr etabliert. Die Schwägerin hielt Wort und half ihr: Sie lieh ihr Geld für die Reisekosten, holte sie am Flughafen ab, nahm sie die ersten Tage bei sich auf und half ihr bei der Arbeitssuche (vgl. 4.2.3.). Dieser Kontakt, die Brücke nach Spanien über ihr bestehendes Netzwerk war entscheidend für die Realisierung von Mónicas Migrationsprojekt. Ein weiterer, zentraler Aspekt ihrer Migrationsentscheidung stellt die Beziehung zu ihrem Partner dar: Ihr gefiel, wie sie sagt, die Situation, in der sie mit ihm lebte, nicht. Sie wollte weg von ihm. Ihr Mann war ihr untreu, brachte den Lohn mit Alkohol durch und hatte deshalb auch seine Arbeit verloren. „Er war ein Hund (...). Da er sah, dass die anderen auch ihre Frauen hatten, also wollte er das auch. Er wollte mehr sein. Er wollte der – wie wir in meinem Land sagen, der Hahn für viele Hennen sein, verstehst du? Der Hahn im Stall. Also war das Einzige, was er wollte, mehr als die ande-
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ren Hähne zu sein. Er wollte die anderen zerdrücken. Nun gut. (….) Er ist also [während seiner Arbeit] mit zwei Frauen reingegangen und mit zehn zurück gekommen. Er ist gegenüber etwas Trinken gegangen und war die ganze Zeit betrunken.“ (Mónica über ihren Mann Giovani)
Aufgrund seines Verhaltens hatte sich die materielle wie soziale und emotionale Situation von Mónica und ihren Kindern geändert. Sie wurde von ihrem Mann psychisch misshandelt. Und wie der Vater misshandelte auch sie ihre Kinder physisch, bis sie psychologische Hilfe suchte. Die Therapie half ihr, sich selbst und ihre Rolle neu und unabhängig von ihrem Mann zu definieren. Sie veränderte ihr Verhalten gegenüber ihren Kindern sowie die Beziehung zu ihrem Mann, von dem sie sich zeitweise trennte. Als er wieder zurückkam, setzte sie ihm nichts entgegen, u.a. aus Angst, da er ihr gedroht hatte, sie umzubringen, falls sie einen anderen Mann hätte. Sie suchte sich Arbeit als Hausarbeiterin und später als Putzfrau in einem Unternehmen und versuchte, ihren Mann zu ignorieren. Als ihre Schwägerin ihr das Angebot machte, sie nach Spanien zu holen, zögerte sie nicht und bereitete ihre Reise vor. Sie arbeitet heute als Hausarbeiterin in Spanien und finanziert nun, unabhängig von ihrem Mann, ihre drei Kinder, welche zunächst bei ihren Schwiegereltern in Ecuador auf dem Land blieben und nun bei ihrer Schwester in Guayaquil leben, in der Hoffnung, auf eine baldige Zusammenführung. In Mónicas Geschichte wird klar: Neben der Verarmung durch die ecuadorianische Krise spielen Imaginationen, Netzwerke, Genderbeziehungen und die Verarmung durch das Verhalten ihres Mannes eine entscheidende Rolle für ihre Migration. Wie sie sagt: „Ich kam wegen des Finanziellen, aber selbst so kam ich, um vor diesem Mann zu fliehen.“ Diese Verwobenheit von Motiven lässt sich bei vielen anderen Geschichten aufzeigen. Folgendes Zitat von Isabela soll exemplarisch dafür stehen: „Wir vier [Geschwister] waren auf der Schule. Mein Vater hatte ein Möbelgeschäft und sagen wir, ökonomisch gesehen gab es Stabilität. Aber ich hatte diese Idee, es ist, ich war (...) immer eine Person, die über das, was sie hat, hinausgehen wollte. Also sagte ich mir: Ich muss gehen, so oder so.” – „Aber was für einen Traum hattest du?“ – „Eine andere Kultur kennen zu lernen (...) und die Situation in Ecuador wurde immer kritischer, daher kannst du dich ökonomisch nicht so entwickeln, wie du willst. (...) Aber es war mehr das: gehen zu wollen, andere Leute kennen zu lernen, die Grenze, die mir meine Eltern gesetzt hatten, zu überwinden. (...) Sie sagten mir: nach der Schule gehst du auf die Universität und ich wollte aber nicht in dieser Situation weiter leben: von der Universität nach Hause und von zu Hause-, nein, ich wollte mehr, ich wollte mich weiter weg wissen (...), unabhängig fühlen.“ (Isabela)
Auch hier spielen verschiedene Motive zusammen: eine andere Kultur, andere Lebensformen kennen zu lernen; über die gesetzten Horizonte hinaus zu gehen; finanziell unabhängig zu sein und finanzielle Stabilität zu finden sowie Konsumwünsche zu verwirklichen. Isabela wollte sich von der elterlichen Kontrolle befreien und auf diese Weise unabhängig werden. Ihre Eltern besaßen ein eigenes Geschäft und hätten ihr ein Universitätsstudium finanziert. Sie wollte jedoch auf eigenen Füßen
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stehen und frei von Kontrollen und Zwängen sein und machte sich sodann nach Abschluss der Schule mit einer Bekannten, finanziert durch ihre Familie, nach Spanien auf. Die nationale Krise wie auch persönliche Krisen, Genderexklusion, Wünsche, Imaginationen und Hoffnungen, Abenteuerlust und soziale Beziehungen beeinflussen also die Entscheidung zur Migration. Diese Aspekte werden im Folgenden näher ausgeführt und um zusätzliche Faktoren ergänzt. Dabei gelten nicht alle Punkte für alle MigrantInnen gleich. 4.2.1 Genderexklusion und Gendergewalt in Ecuador: stille Migrationsgründe „Ich kam mit dem Projekt zu arbeiten, etwas für mich zu machen und von meinem Vater unabhängig zu werden, da ich sehr unterdrückt lebte. (…) [Die Frauen in Ecuador] sind wie Sklavinnen (…). Der Mann kommandiert sie sehr herum. Ich stand hingegen unter dem Befehl meines Vaters. Hierher zu kommen, hat mich unabhängig gemacht.“ (Claudia)
Im obigen Zitat bezeichnet Claudia Frauen in Ecuador als „Sklavinnen“ und beschreibt sie als „unterdrückt“ sowie „unter dem Befehl“ von Männern stehend. Damit verbindet sie ihr Migrationsprojekt: der Unterdrückung und Begrenzung als Frau in Ecuador zu entkommen, unabhängig zu werden. Diese Motivation begegnete mir in meiner Feldforschung in verschiedenen Facetten und Kombinationen immer wieder: Viele ecuadorianische Frauen waren auch auf der Suche nach Autonomie, nach Befreiung aus unbefriedigenden und/oder gewaltsamen Beziehungen und nach Distanz zu Ecuador. Dies gilt vor allem und gerade für Frauen, die wie Claudia in einem sehr strikten Genderregime in Ecuador aufgewachsen sind und somit nicht für alle Ecuadorianerinnen in gleichem Maße. Viele Paare leben in Ecuador wie in Spanien glücklich und gewaltfrei zusammen, weshalb derartige Genderprojekte nicht allgemeingültig sind. Hier soll es zunächst um diese Fälle und somit um den Zusammenhang von Genderexklusion sowie Gendergewalt und Migration gehen, ohne dies zu verabsolutieren. Partnerschaftlicher Nachzug wird unter 3.2.2.3 (soziale Netzwerke) separat behandelt. 4.2.1.1 Genderexklusion und Gendergewalt in Ecuador Claudia und ihre Geschwister wurden von ihren Eltern in einem streng asymmetrischen und binären Verständnis von Genderrollen, Sexualität und Wertigkeiten von Männern und Frauen erzogen. Dazu gehörten beispielsweise Vorstellungen, dass der Mann das Kreuz der Frau sei, welches es zu ertragen gilt, wie im folgenden Zitat deutlich: „Meine Mutter sagte: ‚Der Mann ist das Kreuz. Wenn du heiratest, musst du ihn, selbst wenn er dich misshandelt, ertragen.’“ (Claudia)
4.2 Neue Krise, alte Krisen und andere Migrationsgründe
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Bezeichnend ist hier der Ausdruck „ertragen“ (Spanisch: „ahuantar“), der das asymmetrische Genderverhältnis ausdrückt, legitimiert und naturalisiert (vgl. Camacho 2001, 145).84 Über ihren Vater sagte Claudia: „Mein Vater ist nämlich sehr hart, sehr, sehr hart. Was er sagte, war das Gesetz. Es gab keine Diskussion.“ Vor ihrer Migration wollte sie ihr Vater verheiraten, woraufhin sich Claudia entschloss, ihrer Schwester nach Spanien zu folgen. Ihre Migration war mit dem expliziten Wunsch verbunden, von ihrer Familie unabhängig zu werden und der durch ihren Vater bestimmten und arrangierten Hochzeit zu entgehen. In Spanien setzte sie sich konstant und sehr intensiv mit ihrer Genderidentität, mit Fragen nach Partnerschaft, Weiblichkeit, Sexualität und Mutterschaft auseinander. Sie hatte verschiedener Partner, probierte Beziehungen aus. Sie wehrte sich dagegen, der Norm zu entsprechen, zu heiraten und Kinder zu bekommen, sondern wollte zuerst ihre eigenen Ziele verfolgen (ein Haus in Ecuador bauen), Erfahrungen sammeln. Sie zog mit einem Mann zusammen. Als sie merkte, dass dieser sie lediglich als Liebhaberin wollte und als er ihr gegenüber gewalttätig wurde, trennte sie sich von ihm. Sie handelte also ganz entgegen der ihr vermittelten Werte, gleichzeitig erklärte sie ihre Handlungen bzw. Fragen danach vornehmlich im Rekurs auf diese Normen und Vorstellungen. Davon wird im weiteren Verlauf noch die Rede sein. Hier geht es momentan lediglich darum, wie die restriktiven Gendernormen in Ecuador ihre Migration nach Spanien (mit) beeinflussten. Dazu gehörte unmittelbar die von ihrem Vater arrangierte Hochzeit, vor der sie mittels ihrer Migration floh. Ehe wie auch Mutterschaft gehören zu den anerkannten Rollen für Frauen in Ecuador, welche Status, Sinn und Anerkennung bringen können. In ihrer lebensschaffenden und -erhaltenden Rolle gelten Frauen als „santas“ („heilige“) und „puras“ („reine“). Im Extremfall kann dies bedeuten, dass eine Frau, die keine Kinder Claudia erklärte mir gegenüber ihre Gendervorstellungen immer wieder im Rekurs auf christliche Vorstellungen, welche Leiden, Hingabe und Selbstopferung als Ideale in die lateinamerikanischen Kulturen eingeschrieben haben. Auch heute werden diese von konservativen katholischen Sektoren propagiert, auch wenn ihr Einfluss immer mehr umstritten ist und geringer wurde (vgl. Cuví Sanchez et al. 2001, 307ff; Camacho 2001, 115ff). Als Grundlage für das Selbstbild bleiben diese sozialen Konstrukte jedoch, obwohl sie oft nicht der gelebten Praxis entsprechen, bestehen (vgl. Ströbele-Gregor 2001, 164). Für Claudia waren sie sehr wichtig, sie löste sich aber auch immer wieder davon und stellte sich kritisch dazu, wie der Nachsatz im folgenden Zitat zeigt: „Gott selbst hat sie ja schon zu Machisten gemacht. Schau, nur Männer dürfen Priester sein. (…) Dass der Mann das Haupt sein soll. Wenn Gott selbst Mann war, musste er einen Mann schaffen. Er kann nicht anders. Aber wenn es nicht durch eine Frau gewesen wäre…“ (Claudia) Die Beziehung zur christlichen Genderideologie und -praxis ist hier sehr deutlich. Gleichzeitig macht Claudia innerhalb des christlichen Diskurses die Rolle der Frau stark: Der von ihr männlich verstandene Gott wurde Mann – aber durch eine Frau, wie sie betont: Ohne die Mütterlichkeit der Frau Maria gäbe es also keine christliche Erlösung durch den Mann Jesus. Claudia setzte sich vor ihrer Migration und auch in ihrer Zeit in Madrid stark mit diesen Normen und ihrer Konstruktionen und Selbstaneignung als Frau auseinander. Ihre Migration war mit dem expliziten Wunsch verbunden, von ihrer Familie unabhängig zu werden und einer durch ihren Vater bestimmten und arrangierten Hochzeit zu entgehen.
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bekommen kann oder will, nichts gilt, keinen Status innehat. So sagte mir beispielsweise der Schwiegervater von Mónica auf meine Antwort auf seine Frage, ob ich verheiratet sei und Kinder hätte und ich antwortete, dass ich verheiratet, aber kinderlos sei: „Eine Frau, die keine Kinder bekommen kann, ist wertlos.“ Er hätte seine Frau erst geheiratet, als diese schwanger war. Ansonsten hätte er sich eine andere Frau gesucht. Möchte eine Frau aber beispielsweise nicht jung heiraten, wird sie oft zu einer „solterona“ erklärt (das deutsche Äquivalent wäre eine „alte Jungfer“), welche keinen Mann mehr finden wird. Ihr wird eine bestimmte Rolle wie die Pflege der älteren Familienangehörigen zugesprochen und sie wird mitleidig betrachtet. Eine Frau in der südlichen Sierra Ecuadors erklärte mir ihre Ehe dadurch, dass ihr Vater immer gesagt hätte, dass eine Frau, die bis 22 Jahre nicht verheiratet sei, eine solterona würde und keinen Mann mehr finden könne. „Also habe ich den ersten Deppen geheiratet, den ich fand“, sagte sie mir verbittert. Ihr Mann sei ein schlechter Ehemann, er sei untreu und sehr „machistisch“, wie sie erklärte. Ihre Ehe sei „eine Hölle“, erklärte sie mir mehrfach. Aber auch ihr Mann sagte mir dies unabhängig davon, als er erfuhr, dass ich verheiratet sei (vgl. Wagner 2008a). Nicht alle Frauen möchten aber generell oder zu einem bestimmten Zeitpunkt Mütter werden. Über eine beendete Beziehung sagte Claudia: „Wenn ich bei diesem Jungen geblieben wäre, hätte ich nichts gemacht, nur Kinder. (Sie lacht). Und mit Kindern kann man nichts mehr machen.“ Manche Schwangerschaften sind außerdem erzwungen bzw. Resultat von Gewaltanwendung wie in folgendem Fall: Yvonne, wie Claudia Bauerntochter aus einem Dorf in der Nähe von Ambato, erzählte beispielsweise, dass sie von ihrem Ehemann in der Hochzeitsnacht vergewaltigt und davon schwanger wurde. Ihr Mann war generell gewalttätig und verbot ihr jegliche Eigenständigkeit. Nicht einmal ihre Familie, die im gleichen Dorf lebte, durfte sie alleine besuchen. Als sich ihr die Möglichkeit zur Migration bot, nahm sie diese ohne zu zögern an. Im gesellschaftlich und familiär ökonomisch legitimierten Migrationsprojekt konnte sie sich von ihrem gewaltsamen Mann und dem Säugling trennen. Dieser wächst nun bei der Familie ihres Mannes auf. Sie unterstützt ihn finanziell. Yvonnes Mutterschaft ist Resultat einer Vergewaltigung, also von sexualisierter Gewalt. Ihr weiblicher Körper wurde in ihrer Ehe objektiviert: Er ist mütterlicher oder erotischer Körper, jeweils in Funktion für andere: um Kinder zu gebären oder als erotische Körper für die Befriedigung ihres Mannes, aber nicht für die Selbstaneignung ihrer Sexualität und für das Erleben und Ausleben ihrer eigenen sexuellen Wünsche (vgl. Camacho 2001, 153). Ihr erotischer Körper wurde dabei nicht nur von ihrem Mann überwacht, sondern auch von anderen Familienmitgliedern, nach ihrer Hochzeit sogar noch mehr wie folgendes Beispiel zeigt, das sie mir berichtete: Nach einem Dorffest kurz nach ihrer Hochzeit tanzte sie mit alten Bekannten, woraufhin ihr Mann eifersüchtig wurde und ihre Mutter ihr sodann vor ver-
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sammelter Festgesellschaft eine Ohrfeige versetzte und sie für ihr unehrenhaftes Verhalten als Ehefrau öffentlich bestrafte. Die weibliche Sexualität gilt in diesem Verständnis als zu kontrollierende und reine bzw. unreine, je nach Normerfüllung. Sie wird von den Männern für deren eigene Lust geschätzt, aber nicht unbedingt für die weibliche Lust und Erfüllung der weiblichen Sexualität. Während die weibliche Sexualität als passive und (auto- wie fremd-) zu kontrollierende verstanden wird, gilt die männliche Sexualität in dieser hierarchisierten Vorstellung hingegen als naturhaft und als biologische Notwendigkeit, welche, wenn ein Mann sexuell erregt ist, sofort befriedigt werden müsse. Sie sei, wie mir mehrfach in Interviews und informellen Gesprächen von Männern wie Frauen auf verschiedene Weise erklärt wurde, quasi instinktiv und unkontrollierbar, weshalb Untreue bei Männern und Frauen auf einer unterschiedlichen moralischen wie biologischen Ebene angesiedelt werden. Männer würden von Frauen gereizt und müssten sodann ihre Sexualität naturhaft ausüben.85 Viele Frauen zu „haben“, führt in dieser Genderlogik zu Statusgewinn unter Männern, welche so ihre Männlichkeit unter Beweis stellen. Mónica erzählte beispielsweise, dass sie in den über zehn Jahren Beziehung und Sexualleben mit ihrem Mann, welcher ihr einziger Sexualpartner je gewesen sei, nur eine Stellung praktiziert hatte, dass sie sich nie ihrem Mann nackt gezeigt und sexuelle Kontakte mit ihm immer nur unter einer Decke bedeckt gehabt hatte. Ihrem Mann hätte es hingegen an sexuellen Erfahrungen in diesen Jahren nicht gemangelt. Er war untreu und hatte viele verschiedene Frauen, wie er auch selbst mir gegenüber erzählte. Unter der Fremd- und Selbstkontrolle wird eine Frau zur „Reinen, zur „Jungfrau“ und/oder „Lebensschenkenden“ und so zu einer guten und respektablen Frau, einer „buena mujer“86. Zentral ist dabei die Enthaltsamkeit – vor und innerhalb der Ehe. Viele ecuadorianische Männer und Frauen – vor allem, aber nicht nur MestizInnen und Weiße –, sagen daher, dass eine Frau jungfräulich in die Ehe gehen soll, während sie Männern das freie Ausleben ihrer Sexualität als „natürlich“ zugestehen. Teresa aus Esmeraldas und später Guayaquil, drückte dies auf dem Hintergrund der Untreue ihres Mannes und der Konflikte mit ihm wie folgt aus: „Da der Mann sehr machistisch ist, will er Frauen einfach so, um sich zu vergnügen, aber um zu heiraten, will er, dass es eine Jungfrau ist, also so: Er will seine Jungfrau heiraten, aber um sich zu vergnügen, gibt es andere Frauen. (...) In Ecuador ist es so, der Mann ist sehr machistisch. (...) Bevor sie heiraten, gehen sie mit vielen aus, weil der ecuadorianische Mann ein großer Frauenheld ist, ein Frauenheld und sehr untreu ist er auch. Es gibt nur wenige Treue und, es gefällt ihnen zum Diese Vorstellungen gibt es nicht exklusiv in Ecuador, sondern sind auch in anderen Ländern weit verbreitet. Außerdem gibt es in Ecuador diese „dominanten“ Gendernormen. Diese sind jedoch je nach Ethnizität, Region, Gruppenzugehörigkeit, Sozialisation und Persönlichkeit oft in ihrer konkreten Ausformung, unter Umständen auch in ihrer Normativität unterschiedlich. 86 Zur „buena mujer“ gehört binär komplementär die „mala mujer“, welche ihre Sexualität nicht kontrolliert bzw. nicht kontrollieren lässt (vgl. Camacho 2001, 156). Es wird daher oft von den zwei weiblichen Rollen „santa“ oder „puta“ gesprochen. Stephen fasste dies im Konzept des Marianismo. 85
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4 Die ecuadorianische Auswanderung nach Spanien Beispiel, mit vielen Frauen auszugehen und klar, sie wollen mit allen schlafen, aber heiraten wollen sie keine mehr oder wenigstens nicht mehr, wenn sie mit ihnen geschlafen hat. Und wenn sie heiraten sollten, dann muss sie Jungfrau sein; d.h. sie achten darauf, dass sie Jungfrau ist und dass sie bei ihnen bleiben und dass sie schließlich sie heiraten. Aber es ist so, der Mann ist dort so.“ (Teresa)
Teresa verallgemeinert und absolutiert hier stark, spricht aber einen wichtigen Punkt an: In der dominanten Gendernorm soll die Frau jungfräulich sein; wohingegen der Mann viele Frauen haben darf oder haben soll, wie auch folgendes Gespräch zeigt, welches ich mit dem Mann und der Schwester von Mónica in Guayaquil aufzeichnete: „Wenn ein Mann viele Frauen hat…“ Giovani: „Sagen sie: Er ist ein Frauenheld!, aber das macht ihnen nichts mehr aus!, da passiert nichts mehr (Maricela lacht) Frauenheld ist ein Geschenk, das man ihnen macht, ein Titel.“ – Maricela: Genau. – Heike: So ist es? – Giovani: Umso mehr es einem gesagt wird – Maricela: umso stolzer wird er – Giovani: und hat mehr Frauen [wörtl.: Weibchen]87 – Heike (an Maricela gerichtet): Ach wirklich? – Maricela: Ja, er hat dann mehr Frauen [Weibchen].“
Während Frauen also enthaltsam und jungfräulich sein bzw. nur mit einem Mann ihre Sexualität leben sollen, wird die Untreue von Männern von vielen EcuadorianerInnen nicht nur als normal betrachtet, sondern als eine Auszeichnung verstanden und zwar von vielen Männern wie Frauen, wie obiges Zitat zeigt (vgl. auch Cuví Sánchez/Martínez Flores 2001, 324). Die weibliche Jungfräulichkeit wird in dieser Gendernorm als kontrollierte und zu kontrollierende Sexualität verstanden und oft wird sie mit Hilfe von Restriktionen und/oder Gewalt durch Partner oder Familienangehörige eingefordert. Die Untreue einer Frau wird in dieser Logik als Bruch bzw. Übertretung der Normen gewertet und entweder symbolisch, aber auch physisch bis hin zu Tötung sanktioniert (vgl. Cuví Sanchez et al. 2001, 320). Giovani drückte sich in diesem Sinne zum Beispiel aus: „Wenn ich zum Beispiel untreu bin, dann darf nur ich das sein. Und wenn ich erfahre, dass meine Frau etwas mit einem anderen hat, dann töte ich sie oder was weiß ich.“ Gendergewalt ist in Ecuador weit verbreitet. Viele Praktiken werden dabei nicht in der Art und Weise umgesetzt wie sie nominell angekündigt und vertreten werden, wie auch Giovani seine Aussage mit „oder was weiß ich“ endet. Auch der Wert der Jungfräulichkeit wird in der Praxis nicht unbedingt befolgt, in den persönlichen Beziehungen aber zur Schau gestellt. Wird die Nicht-Einhaltung jedoch öffentlich, etwa in Form einer Schwangerschaft, dann wird das Abweichen von der dominanten Norm oft bestraft bzw. verheimlicht. In der mestizischen Mittel- und Oberschicht ist es daher beispielsweise üblich, dass die Großeltern das Kind einer
Auf Spanisch „Hembra“: Hembra ist eigentlich ein Begriff aus der Tierwelt bzw. bezieht sich auf die Sexualität und die biologische Reproduktion, wörtlich also: umso mehr Weibchen hat er.
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unehelichen Tochter als ihr eigenes ausgeben und aufziehen (vgl. Cuví Sanchez et al. 2001, 315).88 Der Wert der weiblichen Sexualität ist in dieser Logik durch ihre Jungfräulichkeit, das Nicht-Ausleben ihrer Sexualität bzw. deren Restriktion auf einen bestimmten (Ehe-)Mann definiert, sprich nicht als selbst verfügbare, für sich gelebte Sexualität und Körperlichkeit, sondern relational auf einen (noch zu erwartenden) Mann. Die männliche Sexualität hingegen ist auf seine eigene Erfahrung und seinen Statusgewinn durch sexuelle Kontakte bezogen. Richard, der Mann von Alexandra, aus der Region um Guayaquil und nun zusammen mit seiner Frau in Madrid, erklärte mir: „Dort in Ecuador ist die Jungfräulichkeit etwas, das noch äußerst geschätzt wird. (…) Man fühlt sich mehr als Mann (….), erzählt es den Anderen. ‚Schau, das Mädchen da aus dem Viertel, sie war Jungfrau und ich habe sie gegessen [Spanisch: Me la comí].’ (…) – „Wie eine Trophäe?“ – „Ja genau, eine Trophäe, das ist das passende Wort (…) das, was einer will, ist, das Gericht essen (…) hingehen und sie praktisch essen. (…) Weil [die Jungs] sofort wissen, dass es Frauen im Leben gibt, und Bordelle, Frauen in der Prostitution, wollen die Jungs die 11, 12 Jahre alt sind, glaube ich, schon – kennen lernen, was eine Frau ist.“ (Richard)
Richard spricht hier davon, als Mann eine Frau „zu essen“. Zuvor waren Giovani und Maricela zitiert worden, wie sie davon redeten, dass Männer „Weibchen [hembras] haben wollen“. Hier wird sprachlich auf Eroberung, Besitz und tierische Sexualität (Weibchen) sowie auf biologische, einseitig aktive Vorgänge (Männer essen; Frauen werden gegessen bzw. lassen sich essen) Bezug genommen. Cornwal berichtet über ähnliche Zuschreibungen in den Mainstreamdiskursen in Brasilien. Sprache reflektiert und reaffirmiert die Genderbotschaften, welche in Sexualität und deren Ausdrücke bzw. Zuschreibungen eingeschrieben sind (vgl. Chant/Craske 2003, 143, sie zitieren Cornwal 1994, 119).89 Die von Richard beschriebene Initiation von jungen Männern in Bordellen ist in Ecuador weit verbreitet, jedoch nicht die alleinige Norm und je nach Kontexten (regional, ethnisch etc.) verschieden.90 Gerade bei dem Verständnis und der Praxis
Dies ist möglich, solange Frauen jung Mütter werden. In den letzten Jahren bekommen Ecuadorianerinnen im Schnitt jedoch später als früher Kinder, weshalb anzunehmen ist, dass sich diese Praxis ändern wird. 89 Die Sprache über Sexualität ist jedoch nicht überall gleich. Richard, Giovani und Maricla stammen beispielsweise allesamt von der Küste. Im Hochland würde unter Umständen eine andere Ausdrucksweise gewählt; die dahinter liegende Vorstellung von Sexualität ist aber auch im Hochland dominant. 90 Die Anthropologin Silvia Alvarez erzählte mir von ihrer Forschung an der südlichen Küste Ecuadors (Halbinsel Santa Elena), dass neben der Initiation durch eine Sexarbeiterin auch Bestialismus weit verbreitet ist. Sie berichtete aber auch über gemeinsame Initiationen mit einer Partnerin. In Haushalten mit Internas, also Hausarbeiterinnen, welche am Arbeitsplatz wohnen, werden erste Erfahrungen oft mit diesen gemacht – oft in Form sexualisierter Gewalt, also gegen deren Willen. Dies ist nicht singulär für Ecuador, sondern auch in anderen Ländern Lateinamerikas der Fall (vgl. Chant/Craske 2003, 145). 88
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von Jungfräulichkeit, sexueller Initiation und „vorehelichen“91 sexuellen Erfahrungen gibt es starke Differenzen. Manche indigene Gruppen wie zum Beispiel von Weismantel für Zumbagua beschrieben, finden voreheliche sexuelle Kontakte unter Jugendlichen als ganz normal und sanktionieren diese nicht (vgl. Weismantel 2001, 83). Andererseits gibt es heute generell starke Veränderungen unter den jungen Generationen innerhalb der verschiedenen Gruppen, wozu auch verschiedene Faktoren wie zum Beispiel der Zugang zu Verhütungsmitteln, Aufklärung durch zivilgesellschaftliche Gruppen, besserer Zugang zu Bildung, spätere Heirat sowie die verstärkte Lohnarbeit von Frauen beitragen (vgl. Chant/Craske 2003, 147). Die stark hierarchische und heteronorme Zuschreibung innerhalb der Mainstream-Gendernormen wird heute immer mehr hinterfragt und geöffnet, wodurch eine größere Toleranz gegenüber anderen Formen aufscheint. Gleichzeitig zeigen die dominanten Normen aber eine starke Beharrlichkeit: „[H]ierarchical heterosexist norms have cirmcumscribed and constrained the behaviours and identities of all people in the region in one form or another, whether male or female, gay, straight, transvestite, or undecided/determined, and/or black, mestizo, mulato or indigenous. While in many respects, these norms show striking levels of persistence, at some levels and in some quarters it is possible to discern greater tolerance towards departures from past beliefs and practices over time. (…) This is not to say that the battle for sexual pluralism is anywhere near being won. There are many obstacles to be overcome (…).“ (Chant/Craske 2003, 160. Kursiva im Original)
Trotz entscheidender Veränderungen bleibt die ecuadorianische Gesellschaft – wie andere Gesellschaften auch – patriarchal-asymmetrisch strukturiert und bietet Frauen wie auch anderen nicht der „Norm Entsprechenden“ wie Lesbinnen, Transsexuellen, aber auch Indigenen, AfroecuadorianerInnen, Kranken, Behinderten etc. weniger Möglichkeiten als gesunden, heterosexuellen, weißen/mestizischen Männern. Basis des Staates war und ist bis heute die patriarchal verwaltete Familie als Garant sozialer Stabilität (vgl. Chambers 1999, 72). Die Familie basiert als Institution auf der unentgeltlichen Arbeit der Frauen und deren Definition als Ehe- bzw. Hausfrauen und Mütter, verbunden mit dominanten Konstruktionen von Frauen als heterosexuelle und „ser-para-otros“ („Für-Andere-da-zu-Sein“) oder „ser-a través-de-otros“ („sich-über-Andere-Definieren“) (vgl. Camacho 1996, 110). Diese Genderideologie gründet auf einem dichotomen Verständnis von Privatem und Öffentlichem, von produktiver und reproduktiver Arbeit, wie sie sich in verschiedensten modernen Gesellschaften finden lässt. Frauen werden dem privatem Raum und den reproduktiven Tätigkeiten zugeordnet und mit Werten wie süß und sanft („dulce“) sowie zärtlich („cariñosa“), aber auch passiv zurückhaltend, dieHier nicht als legal-formalisierte Ehe verstanden, da diese in manchen Regionen zum Beispiel der Küste wenig praktiziert wird. Es gibt formale Beziehungen mit bestimmten Rollen, Erwartungen und Pflichten, sie werden aber – vor allem an der Küste – in der Regel nicht legal als Zivilehe formalisiert (mündliche Kommunikation durch Alvarez, 2004).
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nend bis hin zu sich aufopfernd und hingebend assoziiert, während Männer als aktiv und im öffentlichen Raum produktiv tätig konstruiert werden.92 Die Trennung von Privatem und Öffentlichen als scharfe und strikt realisierte Trennung wird und wurde jedoch nur in Ausnahmefällen verwirklicht93 und trifft zum Beispiel auch nicht für die Kolonialzeit allgemeingültig zu: Von Anfang an haben die Kolonialherren Kinderfrauen, Köchinnen etc. nachgefragt. Aber auch wenn die Trennung zwischen Privatem und Öffentlichem wie auch die Zuweisung von Frauen auf das Haus mit reproduktiver, unbezahlter Arbeit und den Mann auf die Öffentlichkeit mit produktiver, bezahlter Arbeit im Sinn einer scharfen Trennung und Undurchlässigkeit so nicht stimmt, wird die dahinter liegende Rollenideologie dazu benutzt, um Frauen soziale und hierarchische Räume zuzuschreiben und andere zu verweigern. Claudia erzählt von der dichotomen und gleichzeitig androzentrischen Logik in ihrer Familie, die rechtfertigte, dass Töchtern nach der Grundschule der weitere Besuch der Schule verweigert wurde:94 „Mein Vater hatte die Vorstellung, dass die Bildung nur etwas für Männer sei, weil die Frauen ins Haus gehören.“ Die Argumentation, dass die Frauen ins Haus gehören, ist weniger geographisch-räumlich denn als ideologisch-symbolische Geographie zu verstehen. Es handelt sich um eine Bauernfamilie, in der die Mutter selbstverständlich außer Hauses auf dem Feld und beim Verkauf auf dem Markt arbeitet. Ihre Arbeit wird jedoch als solche nicht anerkannt und ihr Radius über diese Räume hinaus beschränkt. Claudia und ihre beiden Schwestern besuchten alle aus eigener Initiative die weiterführende Schule: Claudia verkaufte hierfür ihre kleine Schweinezucht, die sie aus einem Geschenk aufgezogen hatte und ihre ältere Schwester ging als 12-jährige in die Stadt, um bei einer fiktiven Verwandten als Haushaltsarbeiterin zu arbeiten unter der Zusicherung, dass sie abends zur Schule gehen dürfte. Die dominante männliche Identität charakterisiert sich über die Arbeit und Tätigkeiten außer Haus. Der Mann gilt als der Versorger der Familie, während viele Frauen nicht außerhalb des Hauses arbeiten (sollen bzw. dürfen). Dies wird mit Stigmatisierungen wie zum Beispiel, dass Frauen, wenn sie arbeiten gehen, sich „prostituieren“ würden, gerechtfertigt und sanktioniert. Camacho stellt hier den Zusammenhang zur Gendergewalt her – die Werte der Sozialisation führen zu Passivität und Schweigen, indem sie dementsprechende Verhaltensnormen und Werte vermittelt. In der Erziehung, so Camacho, „dominieren Gefühle, die zur Passivität und zum weiblichen Schweigen führen“ (Camacho 2001, 141). 93 In meiner Feldforschung lernte ich einen solchen Fall kennen, welcher nicht singulär, aber auch nicht allgemeingültig ist. Es handelte sich um die Mutter von Alexandra. Ihre Geschichte wird im Folgenden noch ausgeführt. 94 Diese Praxis scheint, wie mir die Anthropologin Silvia Alvarez, welche über die ecuadorianische Küste forscht, in einem Expertengespräch versicherte, vor allem in der Sierra verbreitet zu sein, u.a. wegen der Geschichte des Haciendasystems, welches nicht in dieser Art für die Küste galt. Auch in meinen Daten spiegelt sich dies wieder. 92
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4 Die ecuadorianische Auswanderung nach Spanien „Die Männer sagen: ‚Die Frau gehört ins Haus und der Mann zur Arbeit’ und damit machen sie, wozu sie Lust haben. Warum denken die nicht nach? Warum erlauben sie nicht, dass eine Frau arbeitet? Warum? Weil sie sagen, dass eine Frau unabhängig wird, weil sie sagen, dass eine Frau-. Ich sage, dass die Frau sich nicht prostituiert, denn die Frau kann, auch wenn sie zu Hause ist und der Mann arbeitet, wenn sie Lust dazu hat, sich prostituieren, weil sie nichts zu tun hat.“ (Mónica)
Mónica spricht hier auf das Stigma an, dass Frauen sich prostituieren würden, aber auch darauf, dass die Männer sagen würden, dass die Arbeit ein Weg zur Unabhängigkeit darstelle. Dies kann Mónica einerseits auf dem Hintergrund ihrer eigenen Geschichte sagen, da für sie der Schritt in die Arbeitswelt entscheidend war, andererseits spielt sie damit auf einen verbreiteten Rollenkonflikt an, von dem auch Richard erzählt: „Diese Mentalität ist sehr verbreitet, dass wir so gut wie möglich versuchen, dass der Mann der Versorger des Hauses ist und wir haben noch nicht diese offene Mentalität, dass die Frau sich auch bilden und auch ökonomisch verbessern kann. Oft kann die Frau mehr Geld als der Mann verdienen. (…) Aber wenn hingegen die Frau beginnt, diese Art von Veränderungen in ihrem Leben zu haben, Geld zu verdienen, dann gewöhnt sie sich auch daran und möchte auch Regeln setzen oder möchte mehr als der Mann sein. Dann gräbt der Mann das, was wir in uns tragen, hervor. Wenn du mit deiner Arbeit nicht mehr als deine Frau verdienen kannst, wirst du dich weniger wert fühlen als sie, unabhängig von der Liebe, die dir die Frau zeigen mag. Und dann fängt der Mann an, diesen Machismus zu entwickeln, der, na ja, irgendwie: Entweder lässt du deine Arbeit oder du kannst sehen, was passiert, oder wir trennen uns, oder er schlägt sie und oft führt dies dazu, dass die Beziehung zerbricht, weil es ihm nicht gefällt, dass er weniger ist als die Frau. Der Mann muss immer versuchen, mehr als die Frau zu sein, immer, immer. Es gibt dieses Problemchen bis heute.“ (Richard, Mann von Alexandra)
Richard spricht hier viele wichtige Punkte an: Das Selbstbild und das dominante Ideal des Mannes als Versorger korrespondiert mit der Rolle der Frau als finanziell Versorgte. Wird diese binäre Logik durchbrochen, kann dies zu Konflikten, Krisen bis hin zu Gewalt gegenüber der Frau führen. Viele Männer möchten nicht, dass ihre Frauen arbeiten. Mit der ökonomischen Krise ist die Arbeit von Frauen jedoch in mehr Familien als bisher notwendig geworden und als Zubrot willkommen, vor allem, solange die Rolle der Männer als Versorger nicht in Frage gestellt wird. Immer mehr Frauen arbeiten daher heute in Ecuador. Verdient eine Frau jedoch mehr als ihr Partner, können daraus ernsthafte Probleme und Konflikte resultieren, wie dies in der Ehe von Teresa und Rafael der Fall war: Teresa hatte als Ärztin (und später als Pharmareferentin) ein sehr gutes Einkommen und viel größere Einnahmen als ihr Mann, der sein Studium in der Mitte hatte abbrechen müssen, da er seine Familie in einer Notzeit hatte finanziell unterstützen müssen. Verheiratet mit Teresa sah er sich jedoch dadurch, dass diese mehr als er verdiente, in seiner männlichen Identität in Frage gestellt. Er wollte ihr und sich die respektiven Genderrollen beweisen. Es gab oft Konflikte und als sie herausfand, dass er sie betrog, beschloss sie, ihre gut bezahlte Arbeit aufzugeben und nach Spanien zu migrieren, um dort neu zu beginnen, „Land zwischen uns zu bringen“, wie sie sagte. Die Gender-
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problematik, die ihre Beziehung und auch ihre Migrationsentscheidung prägte, erklärte sie u.a. wie folgt: „Es ist so, dass der Ecuadorianer ein Machist ist. Die Frau ist fürs Haus und er zum Arbeiten da. (...) Er ist so aufgewachsen, dass das seine Pflicht ist, und andersrum ist er so aufgewachsen, dass es die Pflicht der Frau ist, zu akzeptieren, zu Hause zu sein. (...) Dort [d.h. in Ecuador] haben sie diese schon festgeschriebene Rolle und vielmehr werden sie zornig, wenn eine Frau arbeitet, es gefällt ihnen nicht, dass die Frau arbeitet und vor allem, wenn sie mehr als sie verdienen, dann sterben sie. Das war, was mir passierte: Ich konnte das Doppelte oder Dreifache von dem meines Mannes verdienen. Aber das war halt so, wie die Situation sich ergab, denn du weisst, dass man in Ecuador, wenn man das Studium beendet, mehr Möglichkeiten hat als wenn man es nur zur Hälfte hat. (....) Also konnte ich klarerweise eine bessere Arbeit finden (...) und das konnte er nicht ertragen, obwohl ich nie, ich war nie eine Egoistin mit dem Geld, egal, ob er oder ich es verdient haben, wir haben es zusammen ausgegeben. Vielmehr war er es, der das Geld verwaltet hat (...) und als wir uns getrennt haben, da habe ich mich um meine Sachen gekümmert, da wurde ich misstrauisch, weil ich mir sagte: sicher gibt er das Geld mit der da aus, und da wurde ich noch zorniger, dass er es mit der da ausgibt.“ (Teresa)
Eine weit verbreitete Art, innerhalb der Geschlechterlogik zu bleiben, besteht darin, die Lohnarbeit von Frauen als weniger bedeutsam zu erachten. So werden Frauen, selbst wenn sie quantitativ betrachtet hauptsächlich oder allein den Lebensunterhalt einer Familie bestreiten, dennoch oft lediglich als „Zubrot Verdienende“ und nicht als „Versorgende“ der Familie betrachtet, weil diese Rolle im dominanten Wertesystem einem Mann vorenthalten ist und so Rollenkonflikte vermieden werden. Dazu gehört auch, dass Frauen zusätzlich zur Lohnarbeit außer Haus die Hausarbeit erledigen bzw. organisieren und für die Kindererziehung verantwortlich sind, etwas, das auch für andere Länder, konkret für Spanien gilt. Dabringer zeigt in ihrer Studie über ein Frauenprojekt in einem Armenviertel in Quito, dass, obwohl stereotype weibliche Lebensentwürfe nicht (mehr) gelten, sie dennoch Werte darstellen, an denen sich viele Frauen orientieren: „Obwohl viele Frauen in eigenen Berufen arbeiten oder gearbeitet haben, sind sie es, die die zusätzliche unentgeltliche Arbeit zu Hause leisten. Leben sie in ehelicher Gemeinschaft, wirtschaften sie – dem dichotomischen Rollendenken entsprechend – dem Haushaltseinkommen des Mannes mit ihrer Lohnarbeit oft „nur zu“ (Werlhof/Mies/Bennholdt-Thomson 1988). Wie ich anhand meiner erhobenen Materialien zeige (...), ist gerade diese Auffassung von weiblichem „ZuArbeiten“ zum Haushaltseinkommen jene, die subtil immer vorhanden ist und die sich für (Ehe)Männer von arbeitenden Frauen nur schwer dekonstruieren lässt. Frauenleistung wird im städtischen Kontext der andinen Gesellschaft als untergeordnet gedacht, gleichzeitig richtet sich auf Frauen eine „Wohlseinserwartung“, für die Familie zu sorgen, und „da zu sein“.“ (Dabringer 2004, 80)
In einer Studie von Troya zu Männlichkeitskonstruktionen unter Berufstätigen mit Universitätsabschluss der ecuadorianischen Mittelschicht in Quito wird ebenso deutlich, dass auch berufstätige Frauen der Mittelschicht ihre Identität mehr über ihre Mütterlichkeit und/oder ihr Ehefrausein als über ihre Lohnarbeit definieren und dass bei Paaren, in denen sowohl der Mann als auch die Frau außerhalb des
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Hauses in der Lohnarbeit tätig sind, die Hausarbeiten vornehmlich als (zusätzliche) Aufgabe der Frau betrachtet werden (vgl. Troya 2001, 92). Diese Werte und Wertschätzungen der jeweiligen Rollen werden von vielen Frauen als normal empfunden und vertreten. Außerdem bringt der Respekt vor gesellschaftlichen Normen selbst Respekt und sozialen Status ein. So wurde ich zum Beispiel von Sofía in einer ecuadorianischen Diskothek in Madrid darauf hingewiesen, nicht so laut zu lachen, „weil sie dich sonst als eine loquilla [eine „Verrückte“, eine „leicht zu Habende“, eine „unwürdige Frau“] betrachten“. Frauen dürfen nicht laut lachen oder reden, sonst sind sie keine ehrbaren Frauen und werden nicht als solche respektiert. Halten sie diese und andere Werte bzw. Normen jedoch ein, sind sie respektable Frauen, werden geehrt und erhalten eine Rolle sowie Status, den sie gestalten können. Frauen können daher aus Werten wie „ser dulces“ („süß sein“) und „ser cariñosas“ („zärtlich sein“) sowie aus dem Wert, anderen zu dienen und für andere zu leiden, eine Bestätigung ihrer selbst ziehen. Ihre Rollen und die Einhaltung derselben ermöglichen es, respektiert zu werden und Status zu erlangen, aber auch sozialen Sinn zu konstruieren. Es geht daher nicht nur um Normen und Sanktionen, sondern auch um Identifizierungen mit bestimmten Rollen, Vorstellungen und Subjektivitäten. So erzählte mir eine beruflich erfolgreiche Doktorin, dass sie sich zeitweise von ihrem Mann getrennt hatte und ausgezogen sei, es aber nicht ausgehalten hätte, niemandem zu dienen. Sie hätte daher ihre Mitbewohnerinnen angefleht, sie für sich kochen zu lassen, da „ich es brauchte, jemanden zu bedienen“. Wird jedoch die hinter diesen Normen und Werten stehende binäre und asymmetrische Logik mit deren respektiven Rollenzuschreibungen durchbrochen, kann dies je nach Familie, Partnerschaft, Umfeld und konkreten Kontexten zu Konflikten, Krisen bis hin zu Gewalt führen. Mit der ökonomischen Krise ist die weibliche Erwerbstätigkeit, wie oben ausgeführt, in mehr Familien als bisher existentiell notwendig geworden, was von vielen Männern als Nichterfüllung ihrer Rolle als „Brotverdiener“ und somit als eine Krise ihrer männlichen Identität erfahren wurde. Forderten Frauen eine Umverteilung und Aufwertung ihrer Rolle, konnten daher bei einem Paar, welches die dominanten Geschlechterbeziehungen lebte bzw. von einem derartigen Umfeld umgeben war, grundsätzliche Fragen nach der jeweils männlichen und weiblichen Identität, deren Rollen und Machtpositionen auf dem Spiel stehen. Dies kann zu einer Neudefinition der Rollen führen, aber auch zu symbolischen Sanktionen bis hin zu Gewaltanwendungen. Gewalt ist einer der Aspekte, der sich mir in meiner Forschung geradezu aufdrängte. Eine Feldnotiz aus der Anfangszeit meiner Forschung lautet: Heute habe ich drei Geschichten von Frauen gehört, deren Ehen mit Gendergewalt im engen und weiteren Sinne begonnen haben: Magdalena wurde vor den Augen ihres Freundes vergewaltigt, woraufhin dieser sie heiratete, um sie zu schützen und sie von der Sierra mit sich an die Küste nehmen zu können.
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– sexualisierte Gewalt Sofía hat einen Cousin geheiratet, den sie gerade erst kennen gelernt hatte, um dem sexuellen Missbrauch durch ihren Vater zu entkommen. Ihr Mann war von Anfang an untreu und gewaltsam. – Sexueller Missbrauch durch den eigenen Vater; psychische und physische Gewalt in der Ehe Edith hat den Vater ihres Kindes geheiratet, um ihren Vater vor der ‚Schande’ eines unehelichen Enkelkindes und einer Tochter als Madre Soltera [=unverheiratete Mutter] zu bewahren. – Ungewollte Ehe, um „Schande“ zu verhindern Außerdem wurde Edith von ihrem Gynäkologen während der Schwangerschaft vergewaltigt, woraufhin sie ihr Kind verlor.“ – sexualisierte Gewalt
In vielen der von mir aufgezeichneten Geschichten spielt Gewalt in den verschiedensten Formen eine Rolle: Sei es, dass der Ehemann auf der Strasse erschossen wurde und die Frau, da sie dadurch der ökonomischen Versorgung durch den Mann entbehrte, nach Spanien kam, um den Unterhalt für sich und ihren Sohn zu bestreiten. Oder dass, wie bei Maria hinter der Migration des Mannes ein gewaltsam ausgetragener Konflikt über Landrechte stand: Nachdem ihre Eltern auf ihren Mann geschossen hatten, drängte Maria ihn, nach Spanien zu migrieren und auf diese Weise gleichzeitig den von ihr seit Langem ihm angetragenen Wunsch zu verwirklichen, wie viele Nachbarn zu migrieren und so zum Wohlstand der Familie beizutragen. Später kam sie nach, „um nach ihm zu sehen“. Viele Frauen migrieren aber auch, um sich von gewalttätigen Partnern mittels der Migration zu trennen: Dies ist der bereits erwähnte Fall von Yvonne, welche mir die Gendergewalt in Ecuador in Abgrenzung zu Spanien erklärte, wo 2003/ 2004 im Schnitt eine Frau pro Woche von einem (Ex-)Partner ermordet wurde95: Gewalt gegenüber Frauen ist in Ecuador … ... „sehr verbreitet! Das tägliche Brot. (…) Die spanischen Männer haben hier mehr Mitleid: Sie bringen dich auf einmal um. Dort bringen sie dich nicht um. Dort zerstören sie dich langsam über Jahre und Jahre hinweg.“ (Yvonne)
Yvonne spricht hier auf dem Hintergrund ihrer eigenen Erfahrung physischer, psychischer und sexualisierter Gewalt in ihrer Ehe. Andere Ecuadorianerinnen sagten mir in Spanien hingegen, dass sie lieber einen ecuadorianischen als einen spanischen Partner hätten, denn die Spanier würden die Frauen umbringen, die Ecuadorianer lediglich schlagen. Hier werden zwei Dinge deutlich: Die Berichterstattung über häusliche Gewalt in Spanien ließ das Thema als präsenter und virulenter erscheinen; andererseits sprachen die Frauen auf dem Hintergrund ihrer Erfahrungen – positive oder negative – und urteilten so. Festzuhalten ist jedoch, dass es sowohl in Spanien als auch in Ecuador wie auch in anderen Ländern häusliche bzw. innerfamiliäre Gewalt gibt. Gewalt durchdringt die ecuadorianische Gesellschaft als soziale Rahmenbedingung in verschiedensten Facetten. Gendergewalt ist eine Form davon: Frauen und In Spanien war das Thema Gendergewalt gerade stark in der Presse. Es wurden Bewusstseinskampagnen gestartet und viel auf das Thema hingewiesen.
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Männer aller sozialer Schichten und ethnischer Herkunft sind zwar davon betroffen, vor allem jedoch heterosexuelle Frauen und andererseits homosexuelle und transsexuelle Männer. Häusliche Gewalt im Sinne von Gewalt im Haushalt bzw. durch Mitglieder eines Haushaltes gehört vor allem für Frauen und Kinder zu ihrem Alltag, sei es, dass sie selbst in einer Gewaltbeziehung leben oder andere Personen kennen, welche geschlagen werden. Eine Umfrage des CEPAR96 (2004) in 10.814 ecuadorianischen Haushalten in den verschiedenen Regionen Ecuadors, in denen mindestens eine Frau zwischen 15 und 49 Jahren lebte97, ergab, dass 42 % der Befragten eine Form von Gewalt unter ihren Eltern beobachtet hat. 41 % der (zuvor) verheirateten bzw. mit einem Partner zusammenlebenden Frauen gab an, dass sie selbst verbale oder psychologische Gewalt; 31 % physische und 12 % sexualisierte Gewalt erleb(t)en. Dabei rechtfertigen viele Frauen und Mädchen diese Gewalt: In einer Studie von Camacho (2003, n=1000) wird beispielsweise das Schlagen von Frauen durch ihre Partner von einem Drittel (und zum Teil mehr) der befragten Jugendlichen unter bestimmten Umständen gerechtfertigt; wie in Tabelle 5 ersichtlich. Bemerkenswert ist der hohe Prozentsatz der Akzeptanz unter den Jugendlichen allgemein sowie das Ergebnis, dass die Mädchen die Gewalt gegenüber sich selbst bzw. ihr Geschlecht in allen Punkten bis auf die weibliche Untreue in höherem Maße für angemessen und normal halten als die Jungen. Situationen, in denen Gewalt gegen Frauen durch Männer gerechtfertigt ist Wenn die Frau den Mann auch schlägt Wenn die Frau sich nicht richtig um die Kinder kümmert Wenn die Frau ihn mit einem anderen betrügt Wenn die Frau nicht ihren Verpflichtungen nachkommt Wenn die Frau nicht dem Mann gehorcht Wenn der Mann betrunken ist
Mädchen in % 41,3 38,5
Jungen in % 33,1 35,7
Total in % 37,6 37,2
33,5 29,5
39,8 25,8
36,4 27,9
24,3 14,2
19,8 11,2
22,3 12,8
Tabelle 5: Rechtfertigung von Gewalt gegen Frauen durch 1000 befragte Jugendliche; eigene Übersetzung und Darstellung auf Basis von Camacho 2003, 152
Als Normalität basiert Gewalt auf sozial legitimierten Normen sowie Rollen, welche ausgehandelt und sanktioniert werden. Gewalt stellt folglich die Frage nach der sozialen Ordnung und den Machtbeziehungen, in denen sie stattfindet (vgl. Hagemann-White 2003, 97; Dobash&Dobash 2003, 743). Centro de Estudios de Población y Desarrollo Social Teilweise wurden Frauen alleine interviewt, teilweise waren mehrere Mitglieder des Haushaltes anwesend, um Informationen über die Nutzung von Gesundheitsangeboten, Ausgaben für Gesundheit und andere Bedürfnisse des Haushaltes zu erfragen.
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4.2 Neue Krise, alte Krisen und andere Migrationsgründe
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„Violence is used as a means of obtaining an end, as an expression or product of men´s power over women, and is deeply rooted in the historical legacy and contemporary manifestations of differential gender power.“ (Dobash&Dobash 2003, 743)
Im Falle von häuslicher Gewalt gegen heterosexuelle Frauen, um die es hier geht98, betrifft dies die dominanten Geschlechterasymmetrien, deren Rechtfertigungen und institutionelle Formen von Familie, Schule, Gesetzgebung oder Religion. Verlässliche Statistiken über die Verbreitung häuslicher Gewalt in Ecuador sind sehr schwer zu erhalten, da sich die offiziellen Quellen lediglich auf die zur Anzeige gebrachten Fälle beziehen. Es existieren jedoch verschiedene qualitative wie quantitative Studien, welche das Thema explizit oder implizit thematisieren und sämtlich auf deren hohen Verbreitungsgrad hinweisen. Gloria Camacho führte beispielsweise, nachdem sie zunächst zwei Umfragen über die Charakteristika und Ursprünge häuslicher Gewalt in Ecuador gemacht hatte (vgl. Camacho 1996), eine quantitative wie qualitative Studie über die Wahrnehmung, Erfahrung und Praxis von Gewalt bei Jugendlichen durch, bei der sie tausend junge EcuadorianerInnen in den fünf größten Städten Ecuadors befragte (vgl. Camacho 2003). Über 40% der Jugendlichen gaben an, dass ihre Mütter vom Vater geschlagen würden. Bedenkt man, dass nicht alle Kinder von der Gewalt wissen oder diese in einer Umfrage benennen, ist es wahrscheinlich, dass die Anzahl der Fälle von Gewalt höher ist (vgl. Camacho 2003, 118). Vor allem wurde aber in der Untersuchung lediglich nach physischer Gewalt und nicht nach anderen Formen wie zum Beispiel psychischer, sexualisierter oder ökonomischer Gewalt gefragt. Es ist also davon auszugehen, dass die Zahl der Mütter, die häusliche Gewalt erfahren, höher liegt. Eine Studie des CEPAM99, durchgeführt von Ardaya und Ernst (2000), geht sogar davon aus, dass 80 % der ecuadorianischen Frauen zumindest eine Form von Gewalt – physische, psychische, sexualisierte oder ökonomische – in irgendeinem Moment ihres Lebens erlitten haben (vgl. Ardaya/Ernst 2000, 49).100 Statistisch wird der Großteil an häuslicher Gewalt von Männern gegen Frauen verübt (vgl. Chant/ Craske 2003, 118). Obwohl die Mehrzahl der Forschungen die hier vertretene Geschlechterasymmetrie in Bezug auf häusliche Gewalt belegen, gibt es eine Gruppe von ForscherInnen, welche von einer Geschlechtersymmetrie ausgehen, was als Symmetriehypothese bezeichnet wird. Sie beziehen sich dabei auf Daten, welche sie mit Hilfe der sogenannten CTS (Conflict Tactics Scale)-Methode erhoben. Die dabei angewandte Methodologie ist jedoch sehr umstritten, da sie zum Beispiel verschieden schwere Formen von Aggression und Gewalt auf einer Ebene analysieren und andere als physische (insbesondere sexualisierte) Gewalt nicht berücksichtigt (vgl. Dobash&Dobash 2003, 737-740). Heterosexuelle und homosexuelle häusliche Gewalt sind andererseits analytisch nicht auf einer gleichen Ebene (zum Beispiel in Bezug auf binäre Geschlechternormen) angesiedelt, weshalb es hier lediglich um Fälle innerhalb der binären, hetersexuellen Norm und deren hierarchischen Zuschreibungen geht. Dies entspricht auch dem Fokus der Forschung, welche sich auf heterosexuelle Frauen beschränkt. 99 Centro Ecuatoriano para la Acción de la Mujer 100 Wie sich in der Divergenz der Zahlen zeigt, ist es sehr schwierig, Angaben über den Verbreitungsgrad zu machen, da den Studien oft unterschiedliche Kriterien (z.B. welche Formen von Gewalt einbezogen 98
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Die Ehe bzw. Partnerschaft wird von vielen Frauen daher als Krise bzw. als möglicher Problemherd betrachtet, was zur Folge hat, dass in vielen Gesprächen auf eine innerhalb dieses Kontextes und dessen Logik selbstverständliche Art gefragt wird: „Respektiert dich dein Mann?“; „Behandelt dein Mann dich gut?“ Viele Frauen unterscheiden zwischen der Zeit des Verliebtseins, des gemeinsamen Ausgehens und der anschließenden Ehe, da sich Männer oft nach der Heirat bzw. der Geburt des ersten Kindes verändern. Viele Frauen merken außerdem mit der Zeit, dass ihre Männer untreu sind und werden, wenn sie von ihren Männern Rechenschaft verlangen, von diesen geschlagen. Gerade in der Anfangszeit einer Beziehung und bei Veränderungen der Beziehungskonstellationen, wie beispielsweise durch die Migration oder die Geburt eines Kindes ausgelöst, werden die jeweiligen Rollen (neu) ausgehandelt und Machtkonstellationen geprägt. Dadurch kann Gewalt aufkommen oder sich verstärken, vor allem, wenn Männer ihre Positionen als asymmetrische Entscheidungs- wie Kontrollgewalt betonen und festigen möchten (vgl. auch Cuvi Sánchez et al. 2001, 330ff). Konkrete Auslöser von Gewalt können Eifersucht, aber auch die Untreue des Mannes sein, um mögliche oder tatsächliche Anklagen durch die Frau zu unterbinden, wie dies beispielsweise bei Sofía der Fall war (vgl. auch Ardaya/Ernst 2000, 111-117). Auch Aktivitäten, welche Frauen außerhalb des Hauses ausüben wie zum Beispiel eine Arbeit, ein Studium oder die Mitarbeit in einer Organisation können in der gleichen Logik der Geschlechterasymmetrie Auslöser von Gewalt sein. Oft beschweren sich gewalttätige Männer, die Frau würde den Haushalt nicht richtig führen und rechtfertigen so die Gewaltanwendung. Auch Konflikte über die Kinder und die Kindererziehung werden teilweise durch Gewalt ausgetragen. In einer qualitativen Studie von Camacho (1996) mit 59 misshandelten Frauen wurde am häufigsten Alkoholkonsum des Mannes (25,4 %) als Auslöser von Gewalt genannt, gefolgt von Untreue des Mannes (20,3 %), Konflikte über Haushaltsarbeiten (16,9 %), Konflikte wegen des Charakters der Frau101 (16,9 %) sowie Eifersucht (15,3 %) genannt werden (vgl. Camacho 1996, 45). Viele Männer trinken, wie in Camachos Studie als häufigster Auslöser genannt, und schlagen dann ihre Partnerinnen, wenn sie betrunken sind (vgl. auch Cuvi Sánchez et al. 2001, 330ff). Auch in meiner Forschung war dies mehrfach der
werden oder nicht) zugrunde liegen. Silvia Álvarez berichtet von ihrer Forschung Anfang der 1990er Jahre an der Südküste Ecuadors, dass Ärzte auf dem Land aufgrund der starken Gewalt gegen Frauen den betroffenen Frauen Beruhigungspillen verschrieben, die diese ihren Männern in das Essen mischten, woraufhin jene einschliefen und nicht gewaltsam werden konnten. Seither wurden verschiedene Maßnahmen zur Bekämpfung häuslicher Gewalt entwickelt, jedoch ohne die hohe Verbreitung und gesellschaftliche Akzeptanz grundsätzlich verändern zu können. Persönliche Mitteilung durch Silvia Álvarez. 101 Dieser Punkt wird nicht näher erläutert. Der Hinweis auf den Charakter lässt meiner Meinung nach Situationen anklingen, in denen sich Frauen wehren bzw. Konflikte austragen.
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4.2 Neue Krise, alte Krisen und andere Migrationsgründe
Fall.102 Unter Alkoholeinfluss aktiviert sich oder verschlimmert sich die Gendergewalt, was auch in der Studie von CEPAR deutlich wurde: 52 % gaben an, dass Betrunkenheit oder eine andere Form von Drogenkonsum oder Eifersucht des Mannes (ebenso 52 %) physische oder sexualisierte Gewalt gegen die Partnerinnen auslösten. Männer misshandeln ihre Frauen aber auch, ohne dass es zuvor einen einsehbaren Anlass gegeben hätte und ohne dass sie dafür Gründe nennen – in Camachos Studie macht dies 11,9 % aus (Camacho 1996:45). In der Regel bringt gewalttätiges Handeln seitens der Männer Konflikte um Rollen, Verhaltensnormen und Machtpositionen und, damit verbunden, den Anspruch auf Verfügbarkeit beziehungsweise Kontrolle der Frauen zum Ausdruck. Häusliche Gewalt von Männern gegenüber Frauen ist außerdem vielfach mit Gewalt gegen Kinder verbunden. Claudia rechtfertigte dies mit dem Hinweis, dass die Mutter „sich entlädt“ („se desahoga“), wenn sie die Kinder schlage: „Und wie sie mich schlug! Sie schlug mich vor allen meinen Freunden, bis sie sich entladen hatte.“ Die bereits zitierte Studie von Camacho zeigt, dass in bestimmten Fällen über 60 % der befragten Jugendlichen Erziehung mit Schlägen als normal und notwendig erachteten (vgl. Camacho 2003, 101). Interessant ist dabei auch, dass im Fall des späten Nachhausekommens eine Differenz um 10 % je nach Geschlecht besteht, ob ein Verhalten mit Schlägen zu sanktionieren sei oder nicht:
% aller befragten Jugendlichen
Schläge gegenüber Söhne oder Töchter werden gerechtfertigt, wenn.... (in %, auf Grundlage von Camacho 2003, n=1000 Jugendliche) Sohn 70 60 50 40 30 20 10 0
Tochter 61,3 64,5
58,5 57,4 40,9
47,6 46
31,5
angetrunken/ betrunken nach Hause kommt
mit PartnerIn weg geht und spät nach Hause kommt
in der Schule sitzen bleibt
unverschämt gegenüber Vater oder Mutter ist
Tabelle 6: Rechtfertiung von Gewalt gegenüber Kindern durch 1000 befragte Jugendliche; Quelle: Camacho 2003, 101; eigene Darstellung
Der Alkoholkonsum ist sowohl soziales und rituelles Medium als auch Problemfaktor in Ecuador. Darauf wird unter 7.2 noch eingegangen.
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4 Die ecuadorianische Auswanderung nach Spanien
Viele ecuadorianische Eltern grenzen sich in Spanien von der spanischen Erziehung ohne physische Bestrafung ab und machen diese Art der Erziehung für Drogenkonsum und verschiedene andere Probleme spanischer Jugendlicher verantwortlich. Davon war in meiner Forschung sowohl in Spanien als auch in Ecuador immer wieder die Rede. Bei meinem Besuch bei der Familie von Verónica in Guayaquil spielte Magdalena, Verónicas Cousine, welche auch Migrantin in Spanien gewesen und nach Ecuador zurückkehrt war, darauf an: „Die spanische Jugend ist unmoralisch: viele Drogen, der Sex und all dies. (….) Das wird wohl so sein, weil sie es nicht zulassen, dass die Kinder richtig kontrolliert [=geschlagen] werden. Die zeigen einen an. Du darfst sie nicht bestrafen.“ (Magdalena, Cousine von Verónica)
Es gibt auch in Ecuador Gesetze gegen Kindesmisshandlung, viele Eltern und Kinder sehen jedoch Bestrafen durch Schläge als richtig und als Ausdruck von Liebe. Sowohl für schlagende Partner als auch für schlagende Eltern wird wiederholt, wie Luis Giovanni im Rückgriff auf ein gängiges Sprichwort erklärt: „Umso mehr er/sie dich schlägt, umso mehr liebt er/sie dich.“ Als ich während meines Forschungsaufenthaltes in Ecuador eine Familie besuchte, kam eine Lehrerin vorbei, um über das neue Gesetz gegen Gewalt gegen Kinder und die Strafen (bis zu sechs Jahren Gefängnis, so die Auskunft der Lehrerin) zu informieren. Das Thema Bestrafung der Kinder durch Schläge war nach dem Gespräch jedoch unverändert positiv belegt und mit Werten wie Liebe und Zuneigung verbunden. Als ich bei der Familie von Verónica in Guayaquil zu Besuch war, wurden die Kinder ständig mit Schlägen bedroht und der „latigazo“, eine Peitsche, oft aus Kuhdärmen, hing entweder sichtbar an einem Haken an der Wand im Wohnzimmer oder ging von Hand zu Hand der Mütter, die ihre Kinder damit zum Sich-Benehmen aufforderten. Jaime, einer der Ehemänner sagte von sich aus spontan zu mir, dass er dagegen sei, dass seine Frau die Kinder schlage. Bestrafen sei schon o.k., aber auf eine andere Art, indem zum Beispiel Fernschauen oder etwas Ähnliches verboten würde, aber nicht durch Schlagen. Er würde das nie tun, aber die Mutter schon. Er würde daher zu ihr sagen, dass die Kinder sie nicht lieben werden, worauf seine Frau ihm antworten würde, das es genau das Gegenteil sei: Sie würden sie noch mehr lieben. Und das sei genau der Fall, erklärte er mir. Auch seine Mutter hätte sie viel, sehr viel geschlagen, mehr als sein Vater, aber sie liebten mehr die Mutter. Das Schlagen wird dabei als notwendiger Teil der Erziehung und Medium der Liebe und Fürsorge verstanden. In diesem Sinne schrieb auch Nicolás, ein 25jähriger Student aus Quito, nach dem plötzlichen Tod seiner Mutter ein sehr bewegendes Rundmail an seine engsten FreundInnen und seine Familie, in dem er an seine Mutter erinnerte und all das aufzählte, was er ihr verdanke. Neben anderen Aspekten bedankte er sich bei ihr für alle von ihr erhaltenen Schläge. Diese hätten ihn zu einer aufrechten und ehrbaren Person gemacht, dazu, was er heute sei.
4.2 Neue Krise, alte Krisen und andere Migrationsgründe
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Schlagen, vor allem aber „Kontrolle” wird von Erwachsenen wie Kindern für persönliche Beziehungen immer wieder als positiver Wert benannt: Wer kontrolliert, drückt seine (Für-) Sorge und Liebe aus.103 „Controlar“ (kontrollieren) wird dabei mit „cuidar“ (aufpassen, schützen, kümmern) bzw. „educar“ (erziehen) gleichgesetzt und oft ebenso in partnerschaftlichen Beziehungen positiv bewertet, etabliert und reproduziert. Auch in anderen Kontexten ist Gewalt positiv besetzt. Es gibt beispielsweise ein gewaltsames Ritual, welches einem Geburtstagskind zuteil werden kann: Für jedes Lebensjahr schlagen die FreundInnen und Verwandte dieses mit einem Gürtel. Es ist schmerzhaft und teils gefürchtet, oft aber Teil des Gratulierens. Es würde beweisen, wie erwachsen man sei, dass man etwas aushalten kann, so jemand aus Quito zu mir. Hier wird die Ambivalenz von Gewalt deutlich: Sie kann Positives wie Negatives vereinen und wird nicht automatisch, auch nicht von allen, als zerstörerisch begriffen (vgl. Grubner 2005, 3ff104). Das Mit- und Ineinander von „controlar“ und „cuidar“ definiert Rollen und sozialen Status. Eltern sehen innerhalb dieser Logik ihre Aufgabe auch darin, ihre Kinder (und mit ihnen die Familie) vor Normübertretungen und Statusverlust innerhalb der dominanten Strukturen und somit der gesellschaftlich anerkannten „Normalitäten“ zu bewahren. Auch hier gilt: Der Respekt vor gesellschaftlichen Normen bringt auf diese Weise für den/die Betroffene/n selbst Respekt und sozialen Status. Wie die Studie von Camacho darüber hinaus zeigt, werden Frauen, welche als Kinder geschlagen, in sehr hierarchischen Gendervorstellungen und in Werten, welche Gewalt legitimieren, erzogen wurden, öfters bzw. über einen längeren Zeitraum als andere Frauen von ihren Partnern geschlagen. Sie selbst rechtfertigen die von ihren Männern angeführten Gründe, dass sie beispielsweise den Haushalt nicht richtig geführt hätten, stärker als andere Frauen (vgl. Camacho 1996, 42-44; 81-115). Die Werte und Wertschätzungen der jeweiligen Rollen werden in der Sozialisation normalisiert bzw. naturalisiert und von vielen Frauen als normal empfunden sowie als solche vertreten. Damit sind oft auch christliche Werte des Leidens, der Hingabe und der Selbstopferung verbunden, welche vornehmlich als weibliche Ideale verstanden und vermittelt werden. Leiden und Leidensfähigkeit unterstreichen in diesem Denken die moralische und spirituelle Überlegenheit über Männer (vgl. Cuví Sanchez et al. 2001, 307ff; Chant/Craske 2003, 167). Dabei können Liebe, Befürwortung, Abgrenzung und Angst ineinander übergehen. Alexandra erzählte mir beispielsweise immer wieder von ihrem Vater, dass er zwar „muy machista“ gewesen sei und ihre Mutter schlecht behandelt hätte, dass er 103 So zum Beispiel die Geschwister von Isabela, welche, nachdem ihre Eltern Isabela nach Spanien gefolgt sind, nun bei Onkel und Tante wohnen. Dort gefalle es ihnen sehr. Onkel und Tante seien sehr um sie bedacht und bemüht und „nos controlan mucho“, „sie kontrollieren uns sehr“, erzählten sie mir glücklich. 104 Grubner bezieht sich auf die neue Gewaltsoziologie, welche u.a. diesen Aspekt der Ambivalenz von Gewalt als „grundlegende soziale Kraft“ herausarbeitet (vgl. auch von Trotha 1997).
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4 Die ecuadorianische Auswanderung nach Spanien
aber auch gut zu ihnen gewesen sei, da sie immer etwas zu essen gehabt hätten. Nie hätte ihnen zu essen gefehlt. Seine Rolle als Versorger definierte für sie seine Vaterschaft und Partnerschaft mit ihrer Mutter: Weil er ihnen zu essen gab, war er ein guter Vater und Mann. Im Laufe meiner Feldforschung starb ihr Vater und als ich ihre Familie in Ecuador, in der Nähe von Guayaquil besuchte, war ihre Mutter gerade dabei, sich neu, nun ohne ihren Mann, zu orientieren. Sie war zutiefst verunsichert, weil sie in den knapp dreißig Jahren Ehe nie alleine aus dem Haus gegangen war und nun nicht einmal wusste, wie sie einen Bus oder Taxi ins Stadtzentrum nehmen sollte. Sie hatte mit 13 Jahren einen 16 Jahre älteren Mann geheiratet105, welcher ihr bei der Hochzeit sagte: „Ich werde dich zu Ende erziehen.“ Er war ihr Mann, Vater und Patron zugleich: Ihr war es nicht erlaubt, sich selbst außer Haus zu bewegen. Sie war nie alleine auf der Straße unterwegs, erklärte sie mir, weil ihr Mann ihr das verboten hätte. Sie hätte nicht einmal alleine einkaufen dürfen. Sie sei immer begleitet worden. Und bevor sie geheiratet hätte, sei sie auch nie alleine unterwegs gewesen, weil sie da unter der Kontrolle ihrer Eltern gestanden hätte. Nun wüsste sie nicht so genau, wie sie sich verhalten solle, sie fände sich nun alleine nicht zurecht. Ihr Mann sei zwar sehr eifersüchtig gewesen, aber dennoch hätte sie ihn geliebt. Nun habe sie aber große Angst davor, ihr Leben weiter zu leben, weil sie die Gegenwart ihres Mannes manchmal immer noch spüre und er zu ihr gesagt hätte: „Am Jahrestag meines Todes, werde ich zurückkommen, um dich zu holen.“ Sie hatte daher große Panik, würde ihn nachts im Zimmer spüren, weshalb eine Tochter mit ihrer Familie zu ihr gezogen war. Dies stellt ein Extremfall dar, wie auch die anderen zitierten Fälle für die hier im Vordergrund stehende Frage nach dominanten Strukturen und nicht so sehr nach den Aushandlungen und den je konkreten Ausformungen im Zentrum standen. Nicht alle Frauen und Männer leben und/oder bejahen diese Beziehungsformen, auch nicht in meiner Forschung. So sagte beispielsweise Juan aus Guayaquil auf meine Rückfrage, was er denn, nachdem er selbst den Begriff eingeführt hatte, unter „Machismo“ verstehen würde: „Der Machismo ist der Mann, der die Frau dominiert und unterwirft (...). Das ist für mich eine obsessive Person, die glaubt, dass sie die Besitzerin einer Person sei: ‘Du bist meine Frau, du bist hier und du bewegst dich nicht, solange ich dir keine Erlaubnis dazu gebe.’ – ‘ Ich gehe an die Ecke.’ – ‘Nein, du kann nicht gehen, du bleibst hier!’ – ‘Ich gehe mit meinen Freundinnen weg.’ – ‘Nein, du musst hier bleiben, und wenn ich dir keine Erlaubnis erteile, gehst du nicht, und wenn du gehst, dann prügle ich dich, gebe ich dir einen Schlag mit einem Stock.’ In Südamerika wird der Machismo sehr stark praktiziert, weißt du? Hier wird er auch gelebt, aber sehr wenig. Mir gefällt das nicht. Nie hat mir das gefallen. Ich habe immer gewollt, dass Mann und Frau frei sind, unter der Voraussetzung, dass es Respekt zwischen ihnen gibt, wenn sie ein Paar sind. (...) Ich mag das überhaupt nicht, die Personen zu unterwerfen. In der Mehrzahl der Fälle meinen sie, dass, weil du jemanden heiratest, in eine Ehe trittst und sie dir ein Dokument geben, dass dies eine Rechnung über einen 105 Diese Arrangements waren in Ecuador – zumindest unter MestizInnen – weit verbreitet, sind heute jedoch seltener geworden.
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Kauf sei, mit der du diese Person unterwerfen kannst; Mann und Frau, egal, ob wir eine höhere Bildung haben oder nicht. Ich glaube an das Einfühlungsvermögen, das Verständnis der Personen untereinander und nicht an irgendeine Form von Dokumenten, die dich dazu zwingen, dort zu bleiben.“ (Interview mit Juan und Manolo; hier spricht Juan)
Viele Frauen und Männer leben in Ecuador andere Formen und Geschlechterbeziehungen und/oder streben Veränderungen an, kämpfen, verhandeln und ändern die konkreten Beziehungen. Dabei ist die Lohnarbeit die Sphäre der Geschlechterbeziehungen, welche die dramatischste Veränderungen der letzten Jahrzehnte durchlaufen hat, ohne dass dies zu linearen und eindimensionalen Veränderungen geführt hätte: Die Lohnarbeit von Frauen außer Haus kann sowohl Veränderungen in den Hierarchien und Rollenzuschreibungen bewirken als auch Auslöser von Konflikten und Gewalt sein, vor allem dann, wenn die männliche Identität stark auf einer Rollenvorstellung als Versorger und Entscheidungs- sowie Machtträger basiert. Dies gilt, wie noch deutlich werden wird, auch für den Migrationskontext (vgl. 7.3.1.2). Eine Möglichkeit, Alternativen zu suchen, Leben anders zu gestalten und den begrenzenden und/oder unterdrückenden Kontext hinter sich zu lassen, stellt die Migration dar (vgl. Ruiz 2002; Pedone 2003). Dabei handelt es sich wie im Falle von Mónica oft um eine Kontinuität von Transformationsprozessen, welche in Ecuador begonnen haben: Ohne die Therapie in Ecuador hätte Mónica, wie sie sagt, ihr Leben nicht in der Art gestalten können, wie sie es schließlich tat: Ermutigt durch die psychologische Unterstützung entschloss sie sich, Arbeit zu suchen und ihre Kinder und sich alleine zu ernähern. Sie trennte sich zeitweise von ihrem Mann, schmiss diesen aus der Wohnung und nahm ihr Leben allein, unabhängig von ihrem Partner in die Hand. Die Migration nach Spanien setzte diesen Prozess fort. Der Ausgrenzung zu entgehen und Alternativen zur aktuellen Situation zu suchen, motivierte mehrere der hier erforschten ecuadorianischen Frauen, sich für eine Migration zu entscheiden.106 Claudia erklärte beispielsweise: „Wenn ich nicht von dort weg gegangen wäre, hätte ich nichts aus meinem Leben machen können, meine [eigenen] Entscheidungen treffen. (…) Mein Vater wollte mich mit einem reichen Mann verheiraten, aber ich wollte nicht.“ (Claudia)
106 Dabei handelt es sich jedoch um kein exklusiv auf (heterosexuelle) Frauen bezogenes Motiv: Ich lernte auch Männer kennen, welche ein dezidiertes Genderprojekt verfolgten: Jean Pierre war beispielsweise auf der Suche nach einer anderen Form von Paarbeziehung, da er, wie er sagte, kein Macho sein und keine asymmetrische Beziehung führen wollte, frühere Partnerinnen in Ecuador dies jedoch von ihm erwartet hätten. Mehrere Männer berichteten mir davon, dass sie in Ecuador sehr viel Alkohol getrunken und ständig viele Frauen gehabt hätten, dem aber mit der Migration ein Ende bereiten und eine andere Form von Männlichkeit leben wollten, was sie in Ecuador für sich als nicht möglich empfanden. Dies war beispielsweise der Fall von Claudias Schwager. Er lernte Claudias Schwester in Spanien kennen. Wieder andere waren auf der Suche nach mehr Realisierungsmöglichkeiten als Homosexuelle oder Transsexuelle und verbanden auf diese Weise ein explizites Genderprojekt mit ihrer Migration.
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Auch der 16-jährige Sohn von Sofía in der Nähe von Guayaquil erklärte mir: „Als meine Mutter ging, hatten wir keine ökonomischen Probleme. (…) Meine Mutter ist nämlich auch deshalb gegangen, weil sie unabhängig sein wollte. Sie wollte spüren, dass sie wertvoll ist, dass sie selbst für sich Sorgen kann. Stell dir vor, sie ging und wollte Möglichkeiten für sich suchen.“ (Sohn von Sofía, interviewt in einem Ort bei Guayaquil)
Ökonomische und soziale Motive können sich dabei bestens ergänzen. An den folgenden Worten von Sofía zeigt sich, wie die Motive sich überschneiden und wie sie sich mit ihrer eigenen Rolle und Identität als Frau und Mutter auseinander setzte, bevor sie die Entscheidung zur Migration traf. Zunächst war die Migrationsentscheidung im Kontext der Krise durch die (temporäre) Arbeitslosigkeit ihres Mannes bedingt. Eine Schwägerin seinerseits lebte bereits in Madrid und hatte zunächst ihm und sodann Sofía die Hilfe zur Migration angeboten, da sie sagte, dass es besser sei, wenn seine Frau, Sofía, käme, da diese leichter Arbeit als Haushaltsarbeiterin finden könnte. Sie begannen also, Sofías Migration vorzubereiten. Dann fand ihr Mann wieder eine gut bezahlte Arbeit. Sofía wollte nun jedoch auf alle Fälle nach Spanien: „Und dann (...) sind uns dann Sachen passiert [Probleme mit dem Mann], dass ich nein sagte. Besser gehe ich, das heißt, meine Entscheidung wechselte vom Wirtschaftlichen hin dazu, mich von meinem Mann zu trennen. (...) Das war mir schon [früher] durch den Kopf gegangen, aber es ging immer um die Familie, darum, immer zusammen zu bleiben. (...) Und dann (...) habe ich gesagt: Ok, er bleibt hier und arbeitet. Er ist bei meinen Kindern. Ich werde etwas Geld machen – ich dachte trotzdem, dass ich zurückkehren würde – und ich sagte: Ok, wenn ich dann zurückkomme, werde ich sehen, ob er mit einer anderen Person zusammen ist oder nicht. Man denkt trotzdem immer an seine Familie. Immer ist die Familie da, dass man die Frau ist und all das. Aber als sie mich dann anriefen, dass das Flugticket schon da sei, dass das Geld für den Pass schon geschickt worden sei. (...) Und zum Schluss sagt er mir, dass ich es doch besser gut überlegen solle, dass ich nicht kommen solle. Ich sage ihm: Nein. – Es war schon alles entschieden. Ich sage ihm, dass es zu spät sei, dass man mir schon das Ticket geschickt hätte und alles.“ – „Ah, und warum sagt er dir das?“ – „Ich glaube, er merkte, dass etwas passieren würde. Ich glaube, er begann zu merken, dass das [die Ehe] schon zu einem Ende kam. (...) Dass ich gehen und er mich verlieren würde. Und praktisch war es so. Und ich sagte: Nein. Ich habe mich schon entschieden zu gehen. Meine Kinder haben mich schon verstanden. Sie sagten: Mama, wir unterstützen Sie und alles.“ (Sofía)
Der Zusammenhang zwischen Genderexklusion bzw. Gendergewalt und Migrationsentscheidung reduziert sich jedoch nicht allein auf den Wunsch, über eine Migration eine Veränderung bzw. Trennung herbeizuführen. Darum geht es im nächsten Abschnitt, bevor eine kurze Rückfrage an die Forschungsliteratur gestellt wird. 4.2.1.2 Genderexklusion und Gendergewalt als Migrationsursache Die Entscheidung zu einer Migration findet nicht in einem abstrakten, neutralen Raum statt, sondern in bestimmten Kontexten – familiären, nachbarschaftlichen, regionalen, nationalen und translokalen –, mit konkreten Charakteristika und Ge-
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schichten, zu denen auch Genderexklusion sowie das Phänomen der häuslichen Gewalt gehören können. Ein wichtiger Aspekt des Zusammenhangs wurde bereits oben genannt: Frauen sehen in der Migration die Chance, sich von ihren Partnern und/oder Familien zu trennen. Im Kontext der ecuadorianischen Krise, von der bis auf eine kleine Oberschicht alle sozialen Sektoren und Gruppen betroffen waren bzw. sind, lässt sich für die meisten Familien ein sozial anerkannter Grund zur Migration finden. Dies ermöglichte Frauen eine räumliche Distanzierung und (langfristig) eine Trennung, und zwar in Absprache und Übereinkunft mit dem Partner und ohne sich offiziell trennen oder sich mit ihrem Partner überwerfen zu müssen. Die Migration bot neben der geographischen Entfernung auch die finanziellen Mittel, um sich und gegebenenfalls die Kinder ernähren zu können. Erika sah beispielsweise in Ecuador keine Chance, sich von ihrem Mann zu trennen und vollzog dies erst mittels ihrer Migration nach Spanien. Ihrem Mann verheimlichte sie ihren Aufenthaltsort, täuscht ihm vor, sie sei weiterhin in Ecuador, und vermied so, dass er transnational über Netzwerke oder Telefonate Kontrolle beziehungssweise Gewalt über sie und/ oder ihre Kinder ausüben konnte: „Ich habe mich im Moment meiner Ankunft [in Spanien vom Mann] getrennt. (…) ‚Und tschüs!’, habe ich ihm gesagt. Er glaubt, dass ich bis heute in Manta [einer Stadt in Ecuador] bin. Ich bin seit eineinhalb Jahren hier und er ist davon überzeugt, [dass ich dort bin] weil ich ihm schreibe. Und von Manta aus schicken sie es ihm nach Quito und er erhält dort meine Briefe. (…) Immer wenn er mir etwas antat, habe ich bei mir gedacht: Eines Tages wirst du sehen, was ich dir antue. Ich gehe und du wirst nicht wissen, wohin.“ (Erika)
Es erfolgen jedoch nicht nur Abgrenzungen von Gewaltbeziehungen mittels Migrationen. Umgekehrt kann Migration auch Teil der Logik und Praxis der Gewalt gegen Frauen darstellen: Nicht immer treffen nämlich Frauen selbst die Entscheidung zur Migration, sondern sie werden aufgrund des feminisierten Arbeitsmarktes und einer Frauen bevorzugenden Einwanderungspolitik (vgl. Oso 1998:117-122) sowie weil sie als leidensfähiger und/oder als zuverlässiger im Senden von Geldbeträgen gelten, auch von der Familie zur Migration ausgewählt (vgl. auch Gregorio Gil 1998:140ff). Giovani erklärte mir beispielsweise, dass seine Frau Mónica stärker sei als er. Er könnte die Unterordnung, wie sie von ihm als Migranten in Spanien verlangt werden würde, nicht ertragen, seine Frau schon. Frauen seien allgemein besser dazu geeignet. Dies muss aber nicht unbedingt im Gegensatz zu einem Trennungsprojekt stehen: Auch wenn die Entscheidung zur Migration nicht (hauptsächlich) von den Frauen selbst getroffen wird, betrachten sie die damit verbundene Distanzierung nicht immer nur als negativ, sondern unter Umständen auch als Chance und/oder Therapie (vgl. Fresneda 2001:142). Sie ergreifen daher in Spanien die Initiative, sich
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von ihren Männern scheiden zu lassen, oder suchen neue Partner, um eine andere Form von Beziehung und Sexualität zu leben. Es gibt jedoch auch die umgekehrte Form: Dass Frauen nach Spanien gehen, um „nach ihrem Mann zu sehen“, weil dieser eine neue Partnerin gefunden hat bzw. finden könnte. Davon war bereits am Rande die Rede.107 „Die Ehe sichern“ [Spanisch: „Asegurar el matrimonio“], nannten dies Frauen mir gegenüber. Auch Männer migrierten aus diesem Grund. Bei Frauen spielten neben emotionalen und sozialen Gründen (den Partner und/oder den Vater der Kinder nicht zu verlieren) aber auch ökonomische Aspekte eine besondere Rolle: Aufgrund der strukturellen Diskriminierung von Frauen (schlechterer Zugang zu Lohnarbeit; niedrigere Löhne, etc.) haben Frauen in Ecuador oft keine Chance, ohne das Einkommen des Mannes bzw. ohne die geschickten Gelder zu überleben, die Kinder auf die Schule zu schicken etc. Viele Frauen sind von ihren Männern daher finanziell abhängig. Dies stellt die andere, nämlich die strukturelle Seite der Genderexklusion dar: Männer gelten nicht nur als Versorger, viele Frauen sind auch ohne Männer nicht in der Lage, ihre Familie zu versorgen: weil sie nicht zur Schule gehen konnten, weil sie viel weniger verdienen als Männer und weil der gesetzlich garantierte Unterhalt pro Kind so minimal ist, dass selbst bei gut verdienenden Männern ein Auskommen damit nicht garantiert ist. Susana aus Ambato schilderte mir gegenüber beispielsweise ihren Fall: Ihr Mann hatte aufgehört, regelmäßig Geld aus Spanien zu schicken und alles deutete darauf hin, dass er eine neue Beziehung in Spanien hatte und allmählich den Kontakt zu seiner Familie in Ecuador einstellen würde. Sie fragte sich daher, wie sie ohne ihren Mann leben, die Familie alleine ernähren und die Schulgelder für ihre vier Kinder aufbringen sollte. Sie hatte zwar einen kleinen Laden, dieser gab jedoch nicht genug Geld für eine fünfköpfige Familie ab. Sie wollte ihren Mann zurück und somit auch den Familienvater, der sich für die Kinder verantwortlich zeigt. Sie sagte ihrem Mann nichts, verkaufte ihr Geschäft, ging nach Spanien und suchte ihn in Madrid. Sie hatte recht gehabt: Er hatte eine neue Frau. Er kam aber zu ihr zurück und später holten sie die Kinder nach Spanien nach. Es gibt aber auch Fälle, wo Frauen gezwungen werden, gegen ihren Willen ihren bereits migrierten Männern nachzufolgen. Dolores, eine Indigena aus der Provinz Tungurahua, wurde von ihrem Mann, der in Ecuador sehr gewalttätig, untreu und dominant gewesen war, mit der Drohung, ihr kein Geld mehr zu schicken, zur Migration nach Spanien erpresst. Zwar war der Mann heimlich, ohne Dolores zu informieren, nach Spanien gegangen, fühlte sich dort allerdings nicht so richtig wohl, da er unter anderem sämtliche Hausarbeiten selbst erledigen musste und er einsam war. Nach zwei Jahren verlangte er, dass seine Frau ihm nachkomme, was diese zunächst verweigerte. Auch ihre beiden älteren Kinder flehten sie an, nicht zu migrie-
107
Siehe oben der Fall von María.
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ren. Die Gewalttätigkeit des Vaters war ihnen nur noch allzu präsent.108 Dolores sah dennoch keine Alternative als dem Wunsch ihres Mannes nachzukommen: vier Kinder in Ecuador von den Erträgen eines kleinen Feldes aufzuziehen, wäre ihr nicht möglich gewesen und auch andere Wege sah sie nicht für sich und ihre Kinder. „Dort arbeitete ich in der Landwirtschaft. Ich arbeitete viel, auch samstags und sonntags, aber wir litten sehr. Es reichte uns nicht. (…) Meine Geschwister und meine Eltern haben mir sehr geholfen. Sie gaben uns zu essen. Wir litten sehr und mein Mann sagte, dass er uns vergessen würde, wenn ich nicht käme.“ (Dolores)
Dolores hatte als Indigene und Frau aufgrund der strukturellen Gewalt in Ecuador zu wenig Ressourcen für sich und ihre Kinder zur Verfügung. So entschloss sie, sich dem Willen des Mannes zu beugen und ging mit ihren beiden jüngsten Kindern nach Spanien, obwohl sie wusste, wie gewalttätig er zu ihr gewesen war.109 Anders als in den bisher genannten Fällen ist Dolores Migration kein Versuch, Abstand von der Abhängigkeit von und Gewalttätigkeit durch ihren Partner zu nehmen, sondern die Migration findet als Teil dieses asymmetrischen und gewalttätigen Verhältnisses statt. Der Zusammenhang von häuslicher Gewalt und Migrationsentscheidung hat also zwei Aspekte: Die Entscheidung kann selbst eine Praxis der Genderexklusion bzw. -gewalt (als interpersonale, familiäre oder strukturelle Form) sein und somit innerhalb der Logik derselben erfolgen oder mit dem Wunsch nach (Fortsetzung der) Veränderung und Distanzierung verbunden sein, also als Abgrenzung und Überwindung einer Gewaltbeziehung. Ökonomische und soziale Motive können sich dabei bestens ergänzen und dürfen je nicht isoliert und/oder monokausal betrachtet werden. 4.2.1.3 „Versteckte” Migrationsgründe: Warum tauchen diese Daten so selten auf? Nach den obigen Ausführungen stellt sich die Frage, weshalb, wenn ein derartiger Zusammenhang zwischen häuslicher Gewalt und Migration existiert, dieser nur am 108 Als ich Dolores Familie in Ecuador besuchte, war eine der häufigsten Fragen an mich, ob und wie sehr sie von ihrem Mann geschlagen würde. Er hätte sich verändert, würde Dolores am Telefon erzählen. Er würde sie nicht mehr so sehr schlagen, ihr aber nun damit drohen, sie auf die Straße zu setzen und außerdem würde er die Kinder schlagen, erzählten sie mir. Auch ansonsten war das Thema Gewalt bei meinem Besuch bei der Familie von Dolores allgegenwärtig: Die Mutter erzählte mir immer wieder, wie schlecht ihr Mann sei, dass er sie immer geschlagen hätte. Es sei sehr schlimm, dass Männer Frauen schlagen würden. Warum dies wohl so sei?, fragte sie mich einmal spontan. Sie würde sich jedoch auf die Seite ihrer Schwiegertöchter stellen, erklärte sie mir. Sie würde diese auffordern, ihre Männer zurückzuschlagen. Noch abends im Bett – ich durfte zusammen mit ihr in ihrem Bett übernachten –, sprach sie von sich aus nochmals das Thema „schlechte Männer“ an. 109 Auf die Situation von Dolores und ihre Strategien in Madrid wird in Kapitel 7.3 noch näher eingegangen.
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Rande oder gar nicht in Umfragen und öffentlichen Diskussionen präsent ist. Für die ecuadorianische Migration liegen mehrere Studien vor, welche zum Ergebnis kommen, dass Frauen auch (beziehungsweise vornehmlich, so Ruiz 2002) aus Gründen von Gendergewalt sowie Genderexklusion migrieren (vgl. Fresneda 2001; Cardoso 2002; Pedone 2003 sowie Camacho/Hernández 2005). Obwohl dieser Zusammenhang also nicht unerforscht ist, – Henrietta Moore schrieb bereits 1988, dass Genderbeziehungen und vor allem Genderkonflikte ein Schlüssel zum Verständnis dessen sind, warum Frauen migrieren (vgl. Moore 1988, 95; aber auch Kofman et al. 2000, 22ff) –, greifen die meisten Medien, politische Diskussionen wie auch viele Studien nicht auf diese Ergebnisse zurück. Dies liegt meiner Meinung nach einerseits daran, dass Forschungen mit einer Genderperspektive nur langsam Einzug in die Mainstream-Forschungen finden (vgl. Hondagneu-Sotelo 2000, 119); andererseits passt die Plurikausalität nicht zum weit verbreiteten einseitigen, monokausalen und unidirektionalen Fokus auf Migrationsthemen. Es gibt aber noch einen weiteren wichtigen Faktor, auf den auch Cardoso (2002, 131) in seiner Untersuchung abhebt, nämlich dass der Hinweis auf wirtschaftliche Faktoren „ein guter Vorwand“ zur Legitimierung der Migration sein kann: „In einigen Fällen fliehen die „Migranten“ nicht nur vor der Armut, sondern auch vor ihren eigenen Konflikten, und die Arbeitslosigkeit oder die niedrigen Löhne sind lediglich ein guter Vorwand oder ein Faktor, der zu den persönlichen, partnerschaftlichen, affektiven, etc. Konflikten dazu kommt.“ (Cardoso 2002, 131. Kursiva im Original)
Der Hinweis auf wirtschaftliche Faktoren kann also „ein guter Vorwand“ sein. Dieser legitimiert eine Migration. Im Kontext der ecuadorianischen Krise lässt sich für die meisten Familien ein ökonomischer Grund beziehungsweise eine wirtschaftliche Notwendigkeit einer Migration finden, was die Verbindung mit eigenen, anderen (aber nicht offen dargelegten) Motiven ermöglicht, zumal Frauen auch zur Migration ausgewählt werden. Gendergewalt und Genderexklusion als stille Migrationsgründe sind daher nicht nur in der Forschung „still“, sondern unter Umständen auch unter den Migrierten selbst, welche vor allem in Umfragen oder ersten Interviews zunächst legitimierte Gründe“ angeben bzw. einen „gute-Frau-Familie-Text“ reproduzieren (vgl. Pessar 1999, 586). Eine Schuldirektorin aus Guayaquil spricht in diesem Sinne in einem Interview in der Studie von Camacho und Hernández von einem „currículo oculto“, einem versteckten Lebenslauf, und unterscheidet zwischen offiziellen Angaben über Migrationsgründe und Informationen, die sie über informelle Gespräche und Interaktionen erhält: „Ich glaube, es gibt einen versteckten Lebenslauf, der nach und nach in informellen Gesprächen und nicht in den typischen Treffen erfahren werden kann, die dir zwar Information geben, aber nicht wirklich tiefe; sondern indem man miteinander zu tun hat. Wenn man sie mehrmals besucht und das Kind beobachtet, da bekommst du mehr und wirklichere Information. Da gibt es also
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Frauen, die wegen der wirtschaftlichen Lage gegangen sind. Es gibt Fälle, in denen Frauen [migrieren], weil sie mit ihrem Mann schlecht auskommen und die einzige Lösung darin besteht, die Sklaverei mit diesem Typen, der mich umbringt, der mich entwürdigt, zu beenden und zu gehen. Und sie lassen die Kinder bei der Großmutter. Und andere [Frauen migrieren], weil sie erfahren haben, dass ihr Mann dort mit einer anderen zusammen ist und sie sind gegangen, um zu sehen, was passiert und ob sie die Probleme lösen können. Ich habe all diese Fälle [in der Schule] und als ich in Quito war, war es dasselbe. Es ging ihnen schlecht in der Ehe, sie waren zerstritten, wir werden uns trennen-. Dann gehe ich. Andere wegen des Ökonomischen, weil ihnen das Geld nicht reicht.“ (TL, Schuldirektorin, Guayaquil; in: Camacho/Hernández 2005, 95. Hervorhebung im Original)
Die Schuldirektorin unterscheidet hier zwischen offiziellen Angaben über Migrationsgründe und „wirklicheren“ Informationen, wie sie es nennt, die sie über informelle Gespräche und Interaktionen erhält. Auch in meiner eigenen Forschung wurde teilweise erst im Verlauf des Interviews und/oder in informellen Gesprächen und Interaktionen andere Motivationen genannt.110 Es gibt quasi eine „offizielle Geschichtsschreibung“, die in den Medien, in vielen Studien, aber unter Umständen genauso von MigrantInnen ratifiziert wird. Diese ist einseitig ökonomisch und reduziert die Komplexität von Migrationen. Die Hoffnung, mit der Migration eine Befreiung aus patriarchalen Strukturen und unbefriedigenden Beziehungen zu erreichen, ist von Vorstellungen geprägt, die Spanien als ein Land imaginieren, das Hoffnungen und Träume erfüllen lässt. Diesen Vorstellungen kommt bei der Entscheidung zu einer Migration eine wesentliche Rolle zu. Das nächste Kapitel widmet sich diesem Aspekt. 4.2.2 Die Bedeutung von Vorstellungen, Hoffnungen und Träumen Gisela: „Die Leute glauben, dass hier [in Spanien] das Paradies sei.“ (...) – Luis Giovanni: „Aber dort [in Ecuador] wird niemandem herumkommandiert, hier schon. Und das stellen sich die Leute nicht vor. Hier wird man beleidigt.“ – Heike: „Warum existiert dieses Bild?“ – Gisela: „Weil die Leute mit viel Geld, teurer Kleidung [nach Ecuador] kommen, sich Häuser kaufen. Aber die Leute wissen dort nicht, dass man dafür arbeiten muss.“ (Gespräch mit zwei Jugendlichen aus Ecuador in einem Park in Madrid)
Das Migrationsprojekt ist ein zunächst imaginiertes Projekt, in welches Vorstellungen über und die gedankliche Antizipierung von Möglichkeiten, Verwirklichungen von Hoffnungen, Träumen und Phantasien, aber auch von Risiken, Unmöglichkeiten und Gefahren eingehen, welche dafür entscheidend sind, ob Menschen migrieren oder nicht. 110 Ruiz hebt in diesem Sinne, und meiner Meinung zurecht, den Vorzug einer qualitativen Langzeitforschung hervor, die es erlaubt, vielfältige Ebenen kennen zu lernen, verschiedene Daten zu erhalten und die Kontexte, in denen und aus denen heraus gesprochen wird, zu verstehen (vgl. auch Ruiz 2002, 88). Sie betont, dass eine qualitative Analyse Visionen überwinden kann, die alle Gründe und Auswirkungen der Migration auf rein numerische und ökonomische Faktoren reduziert.
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Luis Giovanni und Gisela sprechen im Eingangszeit von der Bedeutung der Vorstellungen für die Migrationsentscheidung: Die Leute würden sich Spanien als Paradies vorstellen, was sie unter anderem darauf zurückführen, dass Migrierte mit teurer Kleidung und viel Geld nach Ecuador auf Besuch kämen und/oder sich Häuser bauen, aber nicht erzählen würden, wie hart sie dafür arbeiten müssten und wie schlecht sie dafür lebten. Dadurch entstünde das Bild des leicht verdienten Geldes, das Leute zur Migration animiere. Derart „symbolische Informationen“ spielen eine entscheidende Rolle für die Vorstellungen über Migrationen, allen voran die so genannten Remesas, die nach Ecuador geschickten Gelder. Diese Gelder und Produkte/Geschenke, aber auch Statussymbole wie Häuser und Privatschulen der Kinder sind Teil des kognitiven Transnationalismus111. Sie stellen die Vorwegnahme einer Migration dar, dessen, was mit dem eigenen Migrationsprojekt erreicht werden soll. Dabei sind sichtbare „Ergebnisse“ wie Häuser, Kleidung, Konsummöglichkeiten, Gesundheitsversorgung etc. und damit verbundener sozialer Status in Ecuador bedeutsam, aber auch Erzählungen von MigrantInnen am Telefon bzw. über Internet, Briefe, Fotos und Postkarten oder Berichte in den verschiedenen Medien. Neben diesen direkten symbolischen Informationen sind auch historische und neue Bilder über Spanien bzw. Europa von entscheidender Bedeutung.112 Imaginationen sind handlungsweisend (vgl. Appadurai 1991, 198 sowie 2.2.2). Sie sind eingebettet in konkrete Kontexte, deren Geschichte, in Praktiken und Interaktionen mit lokalen wie (trans)lokalen AkteurInnen, mit Institutionen, Medien und Diskursen, worauf im Folgenden noch näher eingegangen wird. Auch die Informationen sind keine neutralen Größen. Sie sind situativ, Teil eines sozialen Feldes und mit bestimmten Zielen verbunden. Im Falle der Migrationsindustrie aus Reisebüros, KreditgeberInnen, Airlines etc., die Träume der leichten Migration bedienen bzw. schüren und gleichzeitig „Informationen aus erster Hand“ professionell anbieten (vgl. dazu Kapitel 4.2.4), ist dies eindeutig. Es gilt aber auch darüber hinaus: Wer was wann und warum erzählt, ist nicht allgemein gültig, sondern vielmehr auf einen konkreten Kontext bezogen. So erzählte Teresa beispielsweise, wie sie bei ihren ArbeitskollegInnen Vorstellungen über ihr „gutes Leben in Spanien“ weckte, um nicht ihr Ansehen und ihren Status in Ecuador zu verlieren, den sie als erfolgreiche Ärztin und später gut verdienende Pharmareferentin hatte.
Vgl. für die Bedeutung des „cognitive transnational space“ Pessar/Mahler 2001, 8. Bei meinem Forschungsaufenthalt drückten mir Familienangehörige von MigrantInnen in ihrer Mehrzahl ihre Überzeugung aus, dass Spanien ein schönes Land sei, wie sie dies von gesandten Postkarten und Fotos aus Spanien sehen könnten. Viele Personen unterschieden zwischen Spanien als Land für MigrantInnen, für die das Leben sehr hart sei, und Spanien als Land für die SpanierInnen selbst sowie für TouristInnen. Sie betonten, dass Spanien sehr schön sei und verwiesen auf Berichte im Fernsehen, Fotos und Postkarten. 111 112
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Vor allem in der Anfangszeit in Spanien, in der sie als Hausarbeiterin arbeitete, gab sie ihren früheren ArbeitskollegInnen in Ecuador bewusst falsche Informationen: „Ich sage nichts, nur dass ich arbeite, dass es mir gut geht. Aber ich sage nicht, worin ich arbeite. Jetzt habe ich schon gesagt, dass ich dort im Friday als Rezeptionistin arbeite. Aber als ich [als Hausarbeiterin] arbeitete, habe ich nichts gesagt (Lachen). Aber als sie mir sagten, warum ich nach Spanien ging, habe ich ihnen gesagt, dass ich hier eine Arbeit hätte.“ (Teresa)
Teresa gab ihren KollegInnen vor ihrer Migration an, dass sie eine Arbeit als Ärztin in Spanien erwartete. Da sie, wie sie es ausdrückte, „kein Motiv zur Migration hatte“, das heißt dass ihr Motiv – die Trennung von ihrem Mann – kein ökonomisches und somit allgemein akzeptiertes Migrationsmotiv darstellte, erzählte sie den Leuten auch am Telefon von Spanien aus, dass sie eine gute Arbeit gefunden hätte. Erst nach mehreren Jahren, da sie nun Papiere hatte, als Rezeptionistin in einer angesehenen Restaurantkette arbeitete und eine eigene Wohnung gekauft hatte, erzählte sie den Leuten in Ecuador, was sie wirklich arbeitete. Auch andere Frauen wie zum Beispiel Claudia erklärten, dass sie nicht erzählten, wie sie lebten, teils, um wie im Falle von Elisabeth nicht ihren Status, „ihr Gesicht zu verlieren“, aber auch, um Familienangehörigen in Ecuador nicht in (zusätzliche) Sorge zu versetzen. Oft wollten Familienangehörige und Bekannte in Ecuador daher von mir wissen, wie es denn ihren Verwandten und FreundInnen in Spanien ginge oder, wie manche sagten, „wirklich ginge“. Die Schwester von Mónica bat mich beispielsweise, ihr mehr über das Leben ihrer Schwester zu erzählen und da sie mir bereits erklärt hatte, dass Mónica ihr sage, dass es ein hartes Leben sei, dass die Pflege eines alten Mannes sehr anstrengend sei, erzählte ich recht offen. Das Ergebnis war, dass ich Mónicas Schwester Mariana zum Weinen brachte: Sie hatte sich nicht vorstellen können, dass das Leben ihrer Schwester wirklich hieß, 24 Stunden am Tag zu arbeiten, mit einem alten, im Sterben liegenden Mann zu leben, der nur vor sich hin stöhnte, schrie und/oder schimpfte, keine Kommunikationsmöglichkeiten zu haben usw. Ich hatte in gewisser Weise eine Grenze der Information überschritten, eine Nähe gebracht und detaillierte Informationen gegeben, die jenseits ihrer Vorstellungen gelegen hatten. Auch wenn die Aussagen der Migrierten nicht immer geglaubt werden, stellen diese dennoch für die in Ecuador Lebenden Informationen aus erster Hand dar, welche in modernistische Vorstellungen und Entwicklungsideen passen, auf die unten noch näher eingegangen wird, und auf deren Hintergrund die symbolischen sowie verbal kommunizierten Informationen trotz des Wissens um Übertreibungen und falschen Informationen gelesen und eingeordnet werden. Luis Giovanni und Gisela sprachen beispielsweise davon, dass sie „eine Party“ und „ein besseres Leben“ erwartet hätten:
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4 Die ecuadorianische Auswanderung nach Spanien „Wie stelltest du dir Spanien vor?“ – Luis Giovanni: „Als eine Party.“ – Gisela: „Dass es hier ein besseres Leben wäre. Aber hier knallt man mit dem Kopf gegen die Wand. Das Leben ist sehr hart. Das ist kein Leben. Hier zu leben, gefällt mir nicht. Man muss sehr viel arbeiten. Man muss mit Unbekannten leben. Es lebt sich schlecht [hier].“
Oft sprachen Migrierte davon, dass MigrantInnen ihnen falsche Eindrücke darüber vermittelt hätten, wie man in Spanien leben und arbeiten würde und wie sie diesen geglaubt hätten. „Andere kommen, weil sie getäuscht wurden.“ – „Getäuscht?“ – „Durch die Kommentare der eigenen Freunde.“ – „Wegen der Übertreibungen.“ – „Sie bauschen es auf.“ – „Sie malen das Schwarze in rose Farbe.“ – „Sie vermitteln den Leuten falsche Hoffnungen.“ (Gespräch mit mehreren EcuadorianerInnen bei der Militärparade zum spanischen Nationalfeiertag in Madrid)
Nicht immer werden aber positive Bilder mit einem Leben als MigrantIn in Spanien verbunden. Mónica sprach zum Beispiel davon, dass sie genau gewusst hätte, worauf sie sich einließe und dass ihr Chef und ihre ArbeitskollegInnen in Ecuador sie gewarnt hätten, dass die Migration nach Spanien „eine Hölle“ sei. Sie sagte: „Ich wusste, worauf ich mich einlasse. (…) Aber ich wollte kommen, weil ich Arbeit brauchte. Ich sagte: ‚Auch wenn es dort eine Hölle ist, ich gehe trotzdem. Gottes Wille möge geschehen; ja. Wenn ich hier [in Ecuador] in einer Hölle lebe, dann probiere ich halt eine andere aus!’“ (Mónica)
Wie Mónica betonten auch andere Frauen mir gegenüber, dass sie gewusst hätten, was sie erwarte und worin sie arbeiten würden. Die ersten MigrantInnen hätten noch von einem leichten Leben und guten Jobs geträumt, sie aber nicht mehr nicht. Oft wurde in Gesprächen daher zwischen den „ersten MigrantInnen“ und den späteren unterschieden und zwar sowohl zeitlich bezüglich der ersten Jahre der ecuadorianischen Migration nach Spanien als auch persönlich als erstes Glied einer Migrationskette (vgl. 4.2.3). Zu wissen, dass man ausgebeutet, misshandelt werden und als Frau als Hausarbeiterin arbeiten wird, heißt aber nicht, dass die MigrantInnen genau das, auf was sie in Spanien treffen, vorausgesehen hätten. Auch wenn sie daher wussten, dass sie eine harte Zeit erwarten würden, hatten die meisten MigrantInnen dennoch mehr Möglichkeiten und eine bessere Behandlung erwartet und nicht antizipiert, wie hart das Leben sein würde. In vielen Interviews oder Erzählungen berichteten EcuadorianerInnen daher über ihre erste Zeit in Spanien als Schock über die Bedingungen, über die allmähliche Erkenntnis, dass die Projekte nicht wie erhofft realisiert werden können und Ähnliches. Ingrid erzählte beispielsweise über den Tag ihrer Ankunft: „Ich schaute und das –. Ich hatte mir etwas anderes vorgestellt. Und ich sagte mir: ‚Hoppla, wo bin ich da nur hingekommen?’ Und das war zum Heulen, wirklich zum Heulen.“ Auch andere Personen unterschieden, dass sie gewusst hätten, dass es hart sein würde und dass sie ausgebeutet werden würden, dass ihnen aber nicht klar gewesen
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sei, welche Kaufkraft der Lohn haben, wie viel Geld sie für ihre laufenden Kosten brauchen würde und wie wenig somit zum Sparen übrig bleiben würde. Sie hatten nicht damit gerechnet, dass sie ihre Projekte nicht in der Weise, wie sie sich das vorgestellt hatten, realisieren könnten. Unabhängig davon, mit welchem Ziel und auf welchem Hintergrund Informationen gegeben werden, also unabhängig von der Intention der Informierenden, werden diese zudem immer in die eigene Praxis eingeordnet und mit anderen Angaben und Vorstellungen in Bezug gesetzt. So erzählten mir die Familienangehörigen von Alexandra und Graciana in La Libertad, einer Stadt bei Guayaquil, dass sie aus Reportagen im Fernsehen wüssten, dass man 90.000 $ bezahlen müsste, um mit einem Bananentransport per Schiff in die USA zu gelangen. Der Bruder erzählte mir weiter, dass die Leute meistens aber über die Grenzen mit Mexiko nach Spanien gelangen würden und verwechselte Spanien und USA.113 Weiter erklärte er mir, dass sich die Migration lohnen würde, weil man in Spanien 20 $ die Stunde verdienen, wenn auch 12 Stunden am Tag arbeiten müsste. Keiner seiner Familienangehörigen in Spanien verdiente zu dieser Zeit zwanzig Dollar bzw. Euro die Stunde, nicht einmal zehn. Dies mag an zu wenig oder falsch vermittelten Informationen liegen. Die Vorstellungen von den Löhnen sind aber auch und gerade durch die „symbolischen Informationen“ beeinflusst und somit dem Eindruck, dass sich die mit der Migration imaginierten Projekte (zu) konkretisieren bzw. materialisieren (scheinen).114 Es fließen Wissen und Imagination ein: Es stimmt, dass die EcuadorianerInnen in Spanien viele Stunden arbeiten. Sie verdienen zwar nicht viel, da sie aber in der Regel sehr bescheiden und sparsam leben, verfügen sie von Ecuador her betrachtet über „viel Geld“, was auch durch die Lohndifferenzen unterstützt wird. Die Vorstellungen speisen sich aus verschiedenen Quellen und können dabei auch widersprüchlich sein. Eine bedeutsame Quelle stellen die verschiedenen Medien dar. Da die ecuadorianische Migration nach Spanien ein wichtiges und aufgrund ihres Ausmaßes mit den Jahren ein alltägliches Thema wurde, gibt es heute viele Medien in Ecuador sowie transnationale Medien, die zum Thema Migration berichten und eine Vielzahl an unterschiedlichen Berichterstattungen und Meinungen abgeben. Es finden sich auch explizite Aufklärungskampagnen wie die Broschüre „¿Piensas migrar? Infórmate“ („Gedenkst du zu migrieren? Informiere dich“), herausgegeben von Alisei und FEPP (2003). In den Medien geht es jedoch nicht (nur) um Informationen über die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten einer Migration. Vielmehr handelt es sich um eine komplexe Berichterstattung über verschiedene Ereignisse und Geschichten. 113 Die geographische Lage von Spanien war oft unbekannt, wobei dies gleichzeitig nicht als wichtige oder relevante Information für den Migrationsprozess erachtet wurde. 114 Mit den von Alexandra gesandten Geldern konnte das bescheidene Haus renoviert und erweitert werden, u.a. um eine Durchlauftoilette (kein Plumpsklo mehr) und eine Dusche.
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Verschiedene ecuadorianische Zeitungen haben außerdem Online-Portale, in denen dem Thema Migration, aber auch den MigrantInnen selbst Raum gegeben wird. In der digitalen Version der Tageszeitung „El Comercio“ findet sich beispielsweise eine eigene Rubrik „Album familiar“ („Familienalbum“) mit der Untersektion „Mi familia a lo lejos“ („meine Familie in der Ferne“), wo EcuadorianerInnen auf der ganzen Welt Photos von sich einstellen und Grüße an ihre Familien, FreundInnen, Hekrunfsregionen schicken, Botschaften an die Regierungen und PolitikerInnen oder ganz persönliche Mitteilungen für bestimmte Personen (oft Kinder und/oder Eltern) schreiben können.115 Ein Vater grüßt beispielsweise seinen Sohn zu dessen Geburtstag über das Internetportal: „Es sind schon sechs Jahre, dass ich nicht bei deinem Geburtstag dabei sein konnte. Es tut mir weh und es ist mir unmöglich, dich nicht weiter zu lieben. Die Minuten zerrinnen wie Wasser zwischen den Fingern. Sechs Herbste habe ich wegen dir geweint, sechs Winter habe ich wegen dir geweint, aber ich halte es nicht länger aus. Ich werde zurückkommen, auch wenn du dann 26 Jahre alt bist. Du bist mein Kind. Heute habe ich deine Fotos angeschaut und bemerkt, dass ich nicht ohne dich leben kann. Aus Kalifornien, USA, (...), dein Vater.“
In einem anderen Beitrag mit Gruppenfoto schreibt eine Ecuadorianerin aus London Grüße an ihre Freunde und ihre Familie in Ecuador, Spanien, Portugal, Italien und den USA. Es gibt aber auch Botschaften, welche an den spanischen Staat bzw. „irgendeine Autorität in Spanien“ gerichtet, gleichzeitig auch an die ecuadorianischen LeserInnen. So zum Beispiel folgender Text, welcher eine Anerkennung der ecuadorianischen Universitätstitel fordert und gleichzeitig über die Arbeitsmöglichkeiten als MigrantIn in Spanien aufklärt: „Eine Arbeitsmöglichkeit. Die Doktorin (...), Psychologin, mit Abschluss an der Universidad Central in Quito musste aus wirtschaftlichen Gründen emigrieren und ist heute eine Kellnerin in einem Restaurant, eine Arbeit, die nichts mit ihrem Beruf zu tun hat. Aus diesem Grund würde ich mir wünschen, dass irgendeine Autorität in Spanien es uns erleichtern möge, uns in den Arbeitsmarkt entsprechend unserer Berufe als Professionelle zu integrieren, da uns unser Titel in Spanien überhaupt nichts nützt.“
Auch im Fernsehen gibt es transnationale Berichterstattung: So brachte der Canal Uno täglich Nachrichten aus Ecuador und berichtete über EcuadorianerInnen und andere MigrantInnen in Spanien. Die Nachrichten über EcuadorianerInnen wurden in Spanien und Ecuador ausgestrahlt. Zudem gab es persönliche transnationale Kommunikation über das Fernsehen, zum Beispiel über die Sendung „desde el locutorio“ („aus dem Telefoncenter“), wo ein Fernsehteam in Spanien ein Mikro-
115 Alle Texte sind entnommen http://elcomercio.com [06.06.2006] bzw. http://www.elcomercio. com/seccion_ec.asp?id_seccion=35 [02.05.2009].
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phon vor einer Kamera aufstellte und EcuadorianerInnen ihre Familien, FreundInnen etc. in Ecuador über das Fernsehen grüßen konnten. Die Medien helfen also, transnationale Verbindungen aufrecht zu erhalten, zu pflegen und somit eine „Kultur der Migration“ zu schaffen, welche Migrieren als eine normale Lebensform und eine mögliche Form des Lebensunterhaltes, als „mobile livilehood“, wie Sørensen und Fog Olwig sagen, etabliert (vgl. Fog Olwig/ Sørensen 2002). Sie tragen dazu bei, dass sich Personen in Ecuador wie in Spanien sowie in den verschiedenen Ländern imaginativ in anderen sozialen Feldern verorten (vgl. Appadurai 1991, 198ff), wie dies beim zweiten Beispiel aus dem Internetportal von el Comercio der Fall sein kann: Eine Ecuadorianerin grüßt über Internet aus London ihre Familie in Ecuador, Spanien, Portugal, Italien und den USA. Die dabei geschaffenen, affirmierten und/oder veränderten Vorstellungen werden aktiv übernommen und mit bekannten Ideen und Wissen in Verbindung gesetzt, wodurch diese erweitert oder modifiziert werden. Oben war bereits die Rede davon, dass die Vorstellungen über Europa auch durch Ideen der Entwicklung und des Fortschrittes geprägt sind: Sie sind Teil bzw. Ausdruck eines nationalen ecuadorianischen Projektes der Modernisierung und Entwicklung im Kontext makrostruktureller Umstrukturierungsprozesse.116 Isabela nahm zum Beispiel in ihren Aussagen immer wieder darauf Bezug, dass Spanien ein entwickeltes, ein modernes Land sei, das mehr Möglichkeiten als Ecuador biete. Befragt zu ihrem Traum, den sie mit ihrer Migration verband, gab sie im bereits zitierten Interview unter anderem an: „Eine andere Kultur kennen lernen (...) und die Situation in Ecuador war immer kritischer, daher kannst du dich wirtschaftlich nicht so entwickeln, wie du willst. Es schwirrt dir keine andere Idee im Kopf herum als zu gehen, weil du, da du weißt, dass du in ein entwickeltes Land gehst, mehr Möglichkeiten hast, deine Träume zu verwirklichen.“ (Isabela)
Viele Personen in Ecuador wissen, wie gesagt, dass das Leben in Spanien hart ist, dass EcuadorianerInnen dort diskriminiert und ausgebeutet werden. Sie sehen aber in Spanien gleichzeitig ein „modernes“, „entwickeltes“, „zivilisiertes“ Land, so die mir genannten Begriffe, und somit einen Hort von Verheißungen, Möglichkeiten und Chancen. Informationen über die harten Lebensbedingungen dekonstruieren dabei die Vorstellungen über eine „leichte Migration“ oder „das Paradies Spanien“, aber nicht unbedingt über die Ideen des Liberalismus und Entwicklungsdiskurses, welche der Migration oft auch zugrunde liegen (vgl. Vallejo 2004). So begegneten mir in Ecuador Aussagen wie „hier gibt es keine Initiative“ sowohl von EcuadorianerInnen als auch von AgentInnen der internationalen Entwicklungszusammenarbeit. Nanda Shrestha packt dieses Phänomen prägnant in den Ausdruck des „be116 Damit gehe ich über die von Goycochea benannten Vorstellungen der „bondades europeas“ (die „europäischen Vorzüge“) hinaus und erweitere ihre Analyse (vgl. Goycochea 2003, 22).
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coming a development category“ und weist für Bangladesh nach, wie die (ländliche) Bevölkerung einerseits zur Entwicklungskategorie internationaler und nationaler Institutionen, aber auch zur eigenen, verinnerlichten Entwicklungskategorie wurden (vgl. Shrestha 1995, 266). Goycochea zitiert aus einem Interview mit Familienangehörigen in Ecuador: „Die Armut ist zu groß oder vielleicht fehlt uns etwas mehr Initiative was die Arbeit betrifft. Vielleicht mehr Schaffensgeist, Bewegung, Aktivität. Vielleicht sind wir ein bisschen nachlässig. Wir haben nicht diese Einstellung des Sicht-Selbst-Verbesserns. Vielleicht im Handel….. Weil wir wissen, dass wir Ecuadorianer auch unsere Fähigkeiten haben. Wir können viele Dinge, vielleicht ist es ein bisschen Nachlässigkeit mit uns.“ (Goycochea 2003, 23. Kursiva im Original)
In meinen formalen Interviews kam diese explizite Referenz nicht vor. Die Vorstellung vom entwickelten und fortschrittlichen Spanien im Gegensatz zum rückständigen, sich entwickelnden Ecuador wurde jedoch sehr oft genannt, zum Beispiel von Giovani in Guayaquil: „Ich habe die Vorstellung, dass Spanien wie ein neuer Planet für uns ist, die wir hier in unserem Vaterland sind; ein Vaterland, das so klein ist und eine geringere Zivilisation mit etwa 20 Jahren Rückstand hat, was die Zivilisation, die Industrie betrifft. (…)“ – „Wie [meinen Sie das]?“ – „In Bezug auf alles, oder, wie soll ich sagen, sie haben den größeren Fortschritt: Technologie, ehhhh, Zivilisation, Kultur, alles haben sie fortschrittlicher als in unserem Land.“ (Giovani)
Viele MigrantInnen erwarteten von ihrer Migration nach Spanien explizit eine Reise in ein fortschrittliches, modernes Land, welches ihnen ein „modernes Leben“ (wie auch immer sie dies im Konkreten definierten) ermöglichen würde. Vallejo versteht die ecuadorianische Migration in diesem Sinne als „Fortschrittsreise“ und kontextualisiert diese im Projekt der ecuadorianischen Moderne (vgl. Vallejo 2004, 127): „Die transnationale Migration kann als die körperliche und personalisierte Verwirklichung des Projektes der ecuadorianischen Moderne betrachtet werden: eine imaginierte kollektive Reise, die die geographischen Hierarchien des Fortschritts ersteigen.“ (Vallejo 2004, 113)
Vallejo kritisiert dabei die modernistischen und entwicklungszentrierten Projekte, argumentiert aber gleichzeitig innerhalb der Idee der Migration als Modernisierung und Fortschritt, wie sie den Migrationstheorien der 60er Jahre zugrunde lag (vgl. Ackermann 1997, 3ff). Dies ist problematisch und zumindest für die interne Migration der 1980er Jahre, welche laut Vallejo nicht von der internationalen zu unterscheiden ist (vgl. Vallejo 2004, 111), durch die Studie von Carola Lentz im pseudonymisierten Dorf „Shamanga“ widerlegt: Lentz zeigte darin, wie Indigenas aus der Sierra gerade nicht ein Modernisierungsprojekt mit ihrer Migration an der Küste verbanden, sondern mittels ihrer Migration ihre Lebens- und Wirtschaftsform in Zeiten der Modernisierung und Verarmung der ländlichen Bevölkerung aufrecht zu erhalten versuchten:
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„Auf den ersten Blick erscheint die Geschichte Shamangas tatsächlich als eine Geschichte dörflicher Modernisierung, wachsender Inkorporation in den kapitalistischen Waren- und Arbeitsmarkt und als Prozess der „Mestizierung“, der sozioökonomischen, politischen und kulturellen Integration der indianischen Bevölkerung in die nicht-indianische nationale Gesellschaft, die die Regierungen Ecuadors seit dem Ende der 70er Jahre als unumgängliche Voraussetzung der Überwindung von „Unterentwicklung“ propagieren. (....) So paradox es klingen mag: die Migration hat – bisher zumindest – das Überleben Shamangas als dörflich-bäuerlicher Dorfgemeinde ermöglicht, nicht etwa unterminiert.“ (Lentz 1988, 272-281)
Vallejos Analyse ist somit nicht als allumfassend zu verstehen. Er weist aber auf einen zentralen Aspekt hin: Die Idee von Entwicklung als staatliches und individuelles Projekt prägen die ecuadorianische Gesellschaft und deren Mitglieder, gleichzeitig verbreiten zahlreiche internationale Agenturen mit ihren respektiven Institutionen und AkteurInnen vor Ort die Ideen von Modernisierung, Fortschritt und Entwicklung. Medien, globale Konsummuster und die Logik des Marktes sind ebenso daran beteiligt. Es geht daher nicht nur um den Entwicklungsdiskurs, sondern auch um deren praktischen Umsetzung in Lebensstilen, Konsum, Ideen und Vorstellungen und somit auch um kulturelle Dimensionen der Globalisierung (vgl. Appadurai 1991). „Zivilisiert“ und „unzivilisiert“ waren dabei Gegensatzpaare, welche immer wieder sowohl bei meiner Forschung in Ecuador (s. die obige Aussage von Giovani) als auch in Spanien von EcuadorianerInnen genannt wurden. Manuela, eine Freundin von Alexandra, benutzte in verschiedenen Zusammenhänge immer wieder die binären Begriffe zivilisiert für Spanien und unzivilisiert für Ecuador als Analysehintergrund, auf dem sie Dinge bzw. Situationen klassifizierte und interpretierte. So zum Beispiel im Gespräch über die Geburt von Alexandras und Richards Sohn, dessen Geburt nach mehreren Tagen künstlich eingeleitet werden musste. Richard berichtete erstaunt, dass Alexandra nicht auf und ab gehen sollte, obwohl dies doch ein sehr gutes Mittel sei, eine Geburt einzuleiten. Manuela sagte daraufhin empört zu ihm: „Also bitte, vergleiche hier [Spanien] bitte nicht mit Ecuador! Hier ist alles zivilisiert!“ „Zivilisiert“ wurde von Manuela im weiteren Verlauf des Gespräches mit Technologie, also technischem Fortschritt, gleichgesetzt, wozu auch Körperpraktiken, Umgang mit Körperlichkeit und somit Schwangerschaft und Geburt gehörten. Nicht alle sprachen derart affirmativ von Spanien als „fortschrittlichem“ und/oder „zivilisiertem“ Land. Viele bezogen sich jedoch bei der Beschreibung ihrer Imaginationen und ihres Schocks in Spanien darauf. Ana berichtete beispielsweise, dass sie sich erhofft hatte, mit ihrer Migration in ein „modernes“, „fortschrittliches“ Land zu kommen und machte dies an der Architektur fest: „Bevor ich hierher kam? (Zögern) Gut (Lachen), als ich gerade erst angekommen war, war ich enttäuscht, weil ich dachte, dass es mehr–, größer sei. (…) Ich stellte mir so Gebäude vor, schönere Sachen und so, nicht? (…) Ich erinnere mich, dass ich meinem Vater sagte: ‚Scheißdreck, und das ist [also] Spanien.’.“ (Ana)
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Modern/entwickelt/fortschrittlich wurde außerdem mit einer Kultur der Freiheit und Gleichheit assoziiert. Claudia spielte beispielsweise immer wieder auf die „erste Welt“ (oft auch als „scheinbar erste Welt“ relativiert) und Ecuador als „dritte Welt“ oder „unterentwickeltes Land“ an und bezog sich dabei unter anderem auf die Eltern-Kind- sowie auf die Geschlechterbeziehungen: „Die Leute sind nicht so, wie man gedacht hat. Wie die Eltern und Kinder sich anschreien! Sie schlagen sich! So viele Frauenmorde! Es ist nicht so fortgeschritten wie man gedacht hat.“ (Claudia)
Wie viele andere relativierte und kritisierte Claudia die Idee des „entwickelten“ oder „fortschrittlicheren Spanien“, gab damit aber nicht die Dichotomie von entwickelt/unter-entwickelt und das Projekt der Entwicklung auf. Vielmehr bezog sie sich in ihren Analysen wiederholt auf diese Kategorien. Sie war von Spanien enttäuscht, weil es diesen Vorstellungen nicht entsprach. Teresa erklärte ihre Vorstellungen über Spanien vor ihrer Migration und die Enttäuschung danach wie folgt: „Ich sag dir, ich hatte keine klare Idee. Ich stellte mir vor oder besser, ich stellte mir nicht vor, dass wir AusländerInnen uns alle jeden Moment treffen würden, weil hier trifft man auf jeden, es scheint, als ob es ein Taschentuch ist. Und dann dachte ich, ich hatte die Idee eines Land, das nicht, wegen seines Entwicklungsstandes, dass die Leute jeder für sich leben würden, im Sinne davon, dass nicht, oder besser, hier achten die Leute auf alles; und [ich dachte], dass man nicht beachtet wird, ich dachte so. Hier ist es ein Land, wo, zum Beispiel ich kenne hier von diesem Gebäude nicht viele, aber sicherlich haben sie von mir schon ein Bild gemacht, Biographie und alles eingeschlossen. In der Art, das meine ich, dass ich eine andere Idee hatte in Bezug auf die Situation, auf die ich treffen würde.“ (Teresa)
Teresa hatte sich, wie sie im weiteren Gespräch sagte, einen „modernen Lebensstil“ vorgestellt: Freiheit, Gleichheit, keine Kontrolle, Individualismus, also dem liberalen Ideal entsprechend.117 Sie hatte an diese Ideale geglaubt und mit ihnen gerechnet. Sie hatte also die Vorstellungen und die vermittelten Ideen von „Moderne“, „Entwicklung“ etc. als realitätsdeckend betrachtet und wurde enttäuscht: In Spanien sind die EcuadorianerInnen nicht frei und auch nicht den SpanierInnen oder EUBürgerInnen und anderen „privilegierten MigrantInnen“ gleichgestellt. Sie werden vielmehr zu einer Gruppe gemacht, ethnisiert und auf bestimmte ökonomische wie soziale Nischen und Räume verwiesen (vgl. 5.2), was dazu führt, dass sich „jeder trifft“, wie Teresa sagte. Auf der Idee von Gleichheit und Freiheit aller in westlichen Gesellschaften basieren aber verschiedene Migrationsprojekte wie zum Beispiel „Abenteuer“ und „Selbstverwirklichung“, wozu auch der Wunsch gehört, an einer spanischen Universität zu studieren, wie dies bei Silvia der Fall war. Sie ging davon aus, dass sie nach kurzer Zeit in Spanien zu Papieren gelangen und dann studieren könne. Obwohl ihr 117
Vgl. als „Klassiker“ einer liberalen Theorie der Gerechtigkeit: Rawls 101998.
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ihre bereits migrierten Schwestern von der Migration abgeraten hatten, da es zu hart und zu schwierig sei, entschied sie sich dennoch zur Migration. „Sie hatten mir Schlechtes erzählt, schrecklich. Meine Schwester sagte: ‘Es wird dir nicht gefallen; dass die Arbeit sehr hart, sehr schwierig ist, du wirst [Ecuador] sehr vermissen, du wirst weinen.’ Aber trotzdem (…).“ (Silvia)
Sie hatte viele „Informationen aus erster Hand“, hatte mit ihren Schwestern gesprochen, welche sie entmutigten. Sie war aber dennoch von der Hoffnung erfüllt, dass sie an einer spanischen Universität studieren könne, was sich als illusorisch erwies. Dies hat mit Vorstellungen über Spanien als entwickeltes Land, über Spanien als das Land, in dem sich Projekte realisieren wie auch mit persönlichen sowie symbolische Informationen zu tun, aber auch damit, dass die ecuadorianische Krise selbst eine Krise der Imaginationen darstellte und sich der Raum, auf den sich die Vorstellungen beziehen, erweiterte (vgl. Goycochea 2003, 52). War nun vor allem von Imaginationen über Spanien und deren Einfluss auf eine Migration die Rede, so darf nicht vergessen werden, dass, je nach Migrationsprojekt bzw. -entscheidung auch Imaginationen über Personen und Netzwerke vor Ort ausschlaggebend für eine Migration sind. Dies war zum Beispiel bei Dolores der Fall, welche sich, wie sie sagte, keine Gedanken über Spanien gemacht hatte, sondern, da sie von ihrem in Ecuador gewalttätigen Mann dazu gezwungen worden war, zu ihm nach Spanien zu kommen (vgl. 4.2.1.2), sich vor allem gefragt und ausgemalt hatte, was sie von ihm zu erwarten habe. Auch ihre Kinder dachten vor allem an den Vater. „Wie stellten Sie sich Spanien vor?“ – „Ich weiß nicht, meine Idee-. Es erschien mir nicht nah, es war, als ob noch ein Jahr Zeit war, bis ich ging. Erst als nur noch Tage fehlten, bemerkte ich es. Meine ältesten Kinder sagten zu mir, dass ich nicht kommen solle, weil sie wussten, dass ihr Vater schlecht [zu mir] war.“ (Dolores)
Die sozialen transnationalen Beziehungen stellen einen der wichtigsten Kanäle dar, auf welchen Informationen und Produkte der Migration zirkulieren (vgl. Escrivá/Ribas 2004, 39) sowie Vorstellungen geprägt werden. Sie sind aber auch in anderem Maße bedeutend für die Entscheidung und den Verlauf von Migrationen. Ihnen gilt daher das nächste Kapitel. 4.2.3 Die Rolle sozialer Netzwerke „Zuerst kam ein Cousin hierher nach Spanien. Er wird nun schon bald zehn Jahre hier sein. (...) Und da hat er meinem Papi gesagt, dass er hierher kommen soll. (...) ‚Ich nehme dich in meiner Wohnung auf, wenn du willst (...). Ich werde dir helfen, Arbeit zu suchen.’ Das hat er zu ihm gesagt. Mein Vater entschied sich daraufhin, hierher zu kommen. (...) Er ist halt gekommen, weil er jemanden hatte, wo er hinkommen konnte. Weil wenn er alleine gewesen wäre, wäre er nicht gekommen.“ (Magdalena)
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4 Die ecuadorianische Auswanderung nach Spanien
Magdalena erzählt im obigen Zitat von der Migration ihres Vaters, welcher mit Hilfe eines Cousins nach Spanien kam und in dessen Folge Magdalenas Mann, ihre Mutter, ihre Geschwister und sie selbst migrierten. Wie Magdalenas Familie migrieren die meisten Menschen nicht alleine, ohne jemanden vor Ort zu kennen oder Informationen über das Zielland zu besitzen, sondern mit Hilfe sozialer Kontakte. So können sie Informationen „aus erster Hand“ erhalten, die Risiken und Unsicherheiten abschätzen sowie verringern. Durch finanzielle Hilfen bewahren bereits migrierte FreundInnen, (fiktive) Verwandte, ArbeitskollegInnen, NachbarInnen und Bekannte Migrierende vor Kredithaien und reduzieren auf diese Weise die Kosten der Migration: Über Netzwerke gelangen Migrierende an wichtige Auskünfte, haben Fragen der Unterkunft und Verpflegung für die Anfangszeit gelöst sowie Zugang zu einer Arbeit bereits organisiert oder zumindest erleichtert. Nicht immer erweisen sich die Kontakte zwar als derart stark solidarisch, wie von Migrierenden erhofft, aber schon allein mit dieser Hilfe zu rechnen oder sie nominell am Telefon zugesagt zu bekommen, kann ausreichen, um eine Migrationsentscheidung anzuregen oder zu verfestigen. Personen, welche auf Kontakte, Hilfe und Unterstützung vor Ort zurückgreifen können oder zumindest davon ausgehen, über dieses soziale Kapital zu verfügen, treffen daher leichter eine Entscheidung zur Migration als Personen ohne solche Voraussetzungen (vgl. Massey et al. 1993). Außerdem kann die Migration entlang von Kontakten und Beziehungen zur Selbstreproduktion von Migrationen beitragen (vgl. Parnreiter 2000, 37). Die Bewegung von Informationen, Ressourcen und verschiedenen Formen von Unterstützungen für Migrierende durch Primärbeziehungen, inklusive der Hilfe in der Anfangszeit, wird oft als „Kettenmigration“ (vgl. MacDonald/MacDonald 1964, 83) bezeichnet. Ein Beispiel hierfür ist eine Gruppe von Köchinnen aus Calderón, einem Ort nördlich von Quito, welche sich, wie Vidal in ihrer Studie für das Jahr 2000 aufzeigt, in Madrid reorganisierten und jedes Wochenende an Treffpunkten im Parque del Oeste in Madrid typisches Essen aus der ecuadorianischen Sierra verkauften (vgl. Vidal 2000, 36).118 Auf diese Weise sind in Ecuador Gruppen, Familien und Nachbarschaften migriert, wodurch sich manche Wohnviertel und Dörfer signifikant leerten. Dabei handelt es sich um Netzwerkbeziehungen, das heißt um Beziehungen zwischen sozialen AkteurInnen (Einzelpersonen, Haushalten, Familien, Lokalgruppen, etc.), welche durch mindestens eine soziale Interaktion (Kommunikation, Transaktion, Verwandtschaft, politische Unterstützung, usw.) verbunden sind. Die 118 Da die Kontrolle und Restriktionen für migrantische Treffen in Parks und an öffentlichen Plätzen immer stärker wurden, mussten sich Treffpunkte immer wieder neu organisieren. Zum Zeitpunkt meiner Forschung hatten die Treffen im Parque del Oeste sowie dem Parque El Retiro, ein weiterer lange Zeit hoch frequentierter Treffpunkt von EcuadorianerInnen, stark abgenommen und sich vielmehr nach Lago verlagert (vgl. 7.2.1.1).
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4.2 Neue Krise, alte Krisen und andere Migrationsgründe
Beziehungen können symmetrisch, das heißt ausgewogen, oder asymmetrisch, also unausgewogen und Ausdruck von Machtbeziehungen, sein. Beide Formen können für potentielle MigrantInnen relevant sein. Viele EcuadorianerInnen aktivierten im Kontext der ecuadorianischen Krise Kontakte und Netze, um eine Migration zu ermöglichen, wie Ramírez und Ramírez (2005a) in ihrer Studie über die Bedeutung von Netzwerken in der ecuadorianischen Migration zeigen. Tabelle 7 macht deutlich, wie die Migration in Ecuador nicht alle Provinzen gleich erfasste, sondern diese zunächst in bestimmten Regionen besonders intensiv war (vgl. dazu auch Ramírez und Ramírez 2005b, 2). Auswanderung gemäß ausgewählter Provinzen und Jahren
Emigriertere
30000
AZUAY
EL ORO
GUAYAS
LOJA
PICHINCHA
25000 20000 15000 10000 5000 0 1996
1997
1998
1999
2000
2001
Tabelle 7: Ecuadorianische Migration gemäß ausgewählter Provinzen und Jahre; Quelle: INEC 2001; eigene Ausarbeitung
Die Tabelle basiert auf dem Zensus von 2001 und zeigt die fünf Provinzen Ecuadors, welche zwischen 1996 und 2001 im Schnitt die größte Auswanderung erfuhren. Dabei lässt sich auch die unterschiedliche zeitliche Entwicklung der Migration in den verschiedenen Provinzen erkennen. So nimmt die Emigration von Azuay im Jahr 2001 ab und erfährt in den Jahren zuvor nicht die gleiche Zunahme wie zum Beispiel die Emigration aus den Provinzen Pichincha (mit Hauptstadt Quito) und Guayas (mit Provinzhauptstadt Guayaquil). Wie oben erwähnt, handelt es sich bei der Emigration aus Azuay um eine vornehmliche Migration nach den USA, welche abnimmt, während die Migration nach Europa, vornehmlich Spanien, zunimmt (vgl. 4.1). Dass die Migration nach den USA nicht direkt durch die neue Destination Spanien in Azuay ersetzt wurde, hat unter anderem mit Netzwerkstrategien und damit verbundenen Ressourcen zu tun.119 119 wie auch mit anderen Faktoren, wie z.B. der etablierten Migrationsindustrie, auf welche im folgenden Kapitel näher eigegangen wird.
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4 Die ecuadorianische Auswanderung nach Spanien
Bei der Entscheidung zu einer Migration spielen die bereits erörterten Dynamiken der Imaginationen, der Etablierung einer „Kultur der Migration“ im Kontext der ecuadorianischen Krisen mit gleichzeitigem (scheinbar) materialisiertem Erfolg in Form von geschickten Geldern, Häusern etc. eine Rolle, aber auch Netzwerke und affektive, soziale Gründe wie im Falle von Verónica: Sie wurde von ihrem Mann animiert, zu ihm nach Spanien zu kommen, weil er sich einsam fühlte. Er hatte sie jeden Tag angerufen und ihr gesagt, dass er sehr alleine sei und sie doch zu ihm kommen solle. Verónica und Fernando führten eine sehr glückliche Partnerschaft und sie sehnten sich beide danach, schnell wieder vereint zu sein, wie sie auch ihre beiden Kinder, welche zunächst bei Verónicas Mutter blieben, so schnell wie möglich nach Spanien holten. Ich fragte Verónica nach ihrer Motivation: „Und hattest du Lust, hierher zu kommen, oder?” „Ja, kennenlernen schon (betont einschränkend. Wir lachen). Ja, schon. Er sagte auch zu mir: Die Reise ist so, als ob wir geheiratet hätten und dies die Hochzeitsreise wäre, die ich dir geschenkt habe.“ (Wir lachen beide)
„Damit er nicht zurückkehrt, kam ich“, sagte sie weiter. Wenn sie nicht käme, würde er zurück nach Ecuador gehen, hätte er zu ihr gesagt. Also stimmte sie ihm zu. Aber sie hätte eigentlich gedacht, dass ihr Mann es nicht ernst meinen würde. Dann aber hätte er zu ihr gesagt, dass sie ihren Reisepass beantragen solle, hätte die Sache ernsthaft vorangetrieben und also sei sie gekommen. Verónicas Migration und anschließend diejenige ihrer beiden Kinder war im Migrationsprojekt zunächst nicht vorgesehen. Geplant war eine kurze Phase der Trennung von ihrem Mann, welcher in Spanien genügend Geld verdienen sollte, um anschließend in Ecuador eine Zukunft für die Familie sichern zu können. Dieser hatte vor seiner Migration in Ecuador als Bauarbeiter gearbeitet und nur sehr wenig Geld verdient. Verónica hatte zeitweise Speisen gekocht und von zu Hause aus verkauft. Sie lebten zusammen mit Verónicas drei Schwestern und deren Familien in einem Haus. Jede Familie bewohnte ein Zimmer; die Küche, Bad und das Wohnzimmer teilten sie sich.120 Das Projekt von Fernando und Verónica war bei der Entscheidung zu Fernandos Migration ökonomisch und auf eine schnelle Rückkehr nach Ecuador bezogen gewesen. Mit der Migration von Verónica und in ihrer Folge der beiden Kinder, welche von der Mutter Verónicas nach Spanien gebracht wurden, investierten sie jedoch einen Großteil ihrer Ersparnisse in die Familienzusammenführung, also in 120 Als ich die Familie in Ecuador besuchte, hatte der ebenfalls migrierte und zurückgekommene Vater von Verónica mit eigenen, ersparten Geldern aus Spanien sowie von Verónica und Fernando gesandten Geldern begonnen, das Haus umzubauen, sodass jede Familie über zwei Zimmer verfügte: ein Kinderzimmer sowie ein Zimmer für die Eltern. Außerdem bauten sie im nun dreistöckigen Haus pro Stock ein Bad, eine Küche sowie ein Wohnzimmer ein. Das Zusammenleben als Familie, eine verbreitete soziale Form des gemeinsamen Wohnens als „extended family“ an der ecuadorianischen Küste (vgl. Álvarez, persönliche Mitteilung) sollte jedoch auch nach der Rückkehr bewahrt bleiben.
4.2 Neue Krise, alte Krisen und andere Migrationsgründe
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ein soziales Projekt. Da die Kinder außerdem noch recht klein waren, konnte und wollte Verónica nur beschränkt arbeiten, sodass sich das Migrationsprojekt notwendigerweise wandelte. Ein Familiennachzug ist daher oft gerade ökonomisch nicht lukrativ, vor allem, wenn auch Kinder migrieren. Es wäre meist billiger, die Familie würde getrennt leben.121 Hier zeigt sich deutlich, wie neben ökonomischen Überlegungen bzw. Faktoren auch soziale, affektiv-emotionale Aspekte eine Rolle spielen, ob bzw. was für eine Migrationsentscheidung getroffen wird (vgl. auch INTERMON et al. 2001, 60) und wie sich diese im Laufe der Zeit verändern können. Migrationen entlang von Netzwerken machen die soziale Bedeutung und Dynamik von Migrationen einmal mehr deutlich. Netzwerke dürfen dabei jedoch nicht als fixe Größen mit nur uniplexen Beziehungen betrachtet werden. Soziale Beziehungen und somit auch Netzwerke sind dynamisch und komplex. Es müssen daher auch die Asymmetrien und Überschneidungen sowie die Neuschaffung, die Umgehung und Aktivierung spezifischer Kontakte und Beziehungen beachtet werden. Eine Einschränkung der für die Migration (von Frauen) relevanten Netze auf familiäre Netzwerke, ist daher auch aus folgenden Gründen problematisch: Netzwerke erster Ordnung (im Sinne direkter Beziehungen) sind nicht ausschließlich an Verwandtschaftsbeziehungen gekoppelt (vgl. Boissevain 1974, 26). Andererseits schließt eine Beschränkung auf verwandtschaftliche Kontakte Migrationsverläufe analytisch aus, in denen Frauen wie Männer aus ihren Familien ausbrechen, familiäre Entscheidungen durchbrechen oder ausnutzen (wollen), um ihre eigenen Projekte zu verfolgen und daher Netzwerke umgehen und familiäre Kontakte gerade nicht aktivieren.122 Nicht alles läuft über familiäre und im Umfeld der Familie etablierte Netze. Kontakte werden, besonders im Falle von Frauen, die ihre Männer bzw. Familien verlassen wollen, auch vermieden und neue bzw. andere aktiviert, die nicht mit der Familie zu tun haben, wie zum Beispiel im bereits erwähnten Falle von Yvonne123, welche über ihre Migration und die Wahl ihres Wohnortes sagte: „Das Gute von hier ist, dass es niemanden von unserem Ort gibt.“ (Yvonne) Sørensen geht davon aus, dass einer der Gründe der Etablierung der dominikanischen Migration nach Europa (im Gegensatz zur lang währenden Auswanderung nach den USA) und deren Feminisierung u.a. darauf zurückzuführen sei, dass dominikanische Frauen vermehrt aus Gründen der Genderexklusion und -gewalt migrierten und die vergeschlechtlichten, kontrollierenden Netze sich auf die USA, 121 Vor allem können bestimmte Projekte wie eine gute Bildung für die Kinder mit Privatunterricht und Privatschulen in Spanien nur schwer finanziert werden, wohingegen dies aufgrund der Lohn- und Preisdifferenzen für migrantische Kinder in Ecuador weit einfacher ist. Auch müssen die Familien, um sparen zu können, in der Regel viel bescheidener leben als in Ecuador (vgl. 3.3). 122 Der Titel von Pedones Studie „Tú siempre jalas a los tuyos“ („Du ziehst immer die Deinen nach.“) erscheint mir daher problematisch, zumal sie selbst in ihrer Studie auch andere Fälle dokumentiert. 123 Yvonne war in Ecuador von ihrem Mann misshandelt worden und beabsichtigte sich über die Migration von ihm zu trennen (vgl. 4.2.1).
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4 Die ecuadorianische Auswanderung nach Spanien
aber weniger auf Europa bezogen. Da diese schwächer waren, konnten Frauen ihre eigene Netze und Migrationen besser gestalten (vgl. Sørensen 2005 sowie Sørensen/Guarnizo 2008). Für die ecuadorianische Migration nach Spanien ist ein direkter Zusammenhang zwischen Vermeidung und Etablierung neuer Netze und der Migration nach Europa als neuem Zielland in meiner Forschung, aber auch in der mir bekannten Forschungsliteratur, so nicht festzustellen. Die Umgehung von Netzwerken einerseits und die Kontrolle wie Beschränkung durch vergeschlechtlichte Netzwerke können jedoch grundlegende Faktoren für die Entscheidung und den Verlauf von Migrationen sein und zum Beispiel, wie der Fall von Yvonne zeigte, die Richtung und räumliche Verortung von Migrantinnen bedingen, also innerhalb von Spanien Unterschiede in Zielregionen und sozialen Interaktionen bewirken. Dabei können Frauen eigene Netzwerke initiieren, oft ohne das Wissen ihrer Partner. Diese Netzwerke sind Frauen-zentriert, was jedoch nicht heißt, dass sie Männer ausschließen (vgl. dazu auch Hondagneu-Sotelo 1994, 86ff). Erika migrierte beispielsweise über ein derartiges Frauen-zentriertes Netzwerk und trennte sich so von ihrem gewalttätigen Mann. Von Spanien aus kontrollierts sie die Interaktion mit ihm über ihn ausschließende Beziehungen. Es war bereits davon die Rede, dass ihr Mann nicht wusste, dass sie in Spanien ist und wie sie über ein eigenes Netzwerk kontrollierte, dass er keinen weiteren Einfluss auf ihr Leben in Spanien und das ihrer Kinder in Ecuador nehmen konnte. Um mit ihrem Mann in Kontakt zu bleiben und zu verhindern, dass er zu ihrer Familie fährt und die gemeinsamen Kinder sucht, blieb sie, – jedoch nun unter ihren Bedingungen und über ihre Netzwerke – mit ihm in Kontakt. Oben war bereits die Rede davon, dass sie Briefe für ihn nach Ecuador schickte, welche von vor Ort von ihrer Familie an ihn weitergeleitet wurden, um den Eindruck zu erwecken, dass sie noch in Ecuador sei. Sie erzählte: „Er glaubt, dass ich bis heute in Manta bin. Ich bin seit eineinhalb Jahren hier und er ist davon überzeugt. (…) Wir haben darüber gesprochen, dass er mich sehen will. Ich sage ihm, ja, am Sonntag sehen wir uns. (Lachen) (…) Dass er mich sehen will, dass er mit mir reden will (...). Aber ich sage ihm: Niemand hat Sie124 dazu veranlasst, sich so schlecht zu benehmen. Und er hat sich verhalten (betont) (…).“ – „Er weiß auch nicht, wo deine Kinder sind?“ – „(…) Nein, in Manta, bei mir in Manta. Weißt du sogar – er ist vor Kurzem nach Guayaquil gefahren (…). Auf dem Weg, an einer Haltestelle, hat er mich gesehen. (Lachen) (…) ‚Versteck dich nicht. Ich habe dich gesehen.’ Ich sage zu ihm: ‚Aha.’ Und er sagt zu mir: ‚Ja, ich habe dich schon gesehen, ich weiß nun also, wo ich dich das nächste Mal suchen muss.’“ (Erika)
Erikas Familienangehörige schützten ihre Kinder in Ecuador und schickten deren Mann ihre Briefe von vor Ort. Ihre Freundinnen und Bekannte, welche in der Nähe 124 In Ecuador ist es üblich, dass sich Paare als Ausdruck gegenseitigen Respekts siezen. Kinder siezen ihrerseits die Eltern aus Respekt; die Eltern duzen ihre Kinder. Teilweise vermischen sich duzen und siezen auch. Heute hat dies abgenommen, ist aber weiterhin weit verbreitet.
4.2 Neue Krise, alte Krisen und andere Migrationsgründe
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ihres Mannes wohnten, hielten sie über dessen Pläne informiert und sie selbst versuchte, über ihre Briefe, aber auch regelmäßige Telefonate mit ihm in Kontakt zu bleiben und so sich und ihre Kinder zu schützen. Es funktionierte. Ihr Mann handelte innerhalb der ihm vermittelten Logik, indem er ihr drohte, sie in Manta besuchen zu kommen, und erzählte, dass er sie gesehen hätte. Ohne die Unterstützung durch ihre Kontakte wäre dies nicht möglich.125 Netzwerke sind aber nicht ausschließlich solidarisch und unterstützend, was ebenfalls deutlich wurde: Über Netzwerke wird auch kontrolliert, werden Interessen und Entscheidungen durchgesetzt, wird manipuliert, Macht und Gegenmacht ausgeübt. Dies gilt auch für Familien. Sie sind Orte des Konfliktes und des Aushandelns von Rollen und Machtbeziehungen (vgl. Moore 1988), was auch Auswirkungen auf Migrationsentscheidungen und -verläufe hat (vgl. Pessar 1999, 582ff). Oft bestimmen beispielsweise die Migrierten und in Spanien Etablierten, also PionierInnen einer Migrationskette, wessen Migration sie unterstützen. Sie entscheiden darüber, wer migrieren kann und wer nicht. Dabei können ganz unterschiedliche Motive zusammen spielen: So werden zum Beispiel wie im Falle von Sofía häufig Frauen ausgesucht, weil diese schneller Arbeit finden (würden) oder es spielen persönliche Aspekte wie Sympathie und Antipathie eine Rolle, wie Mónica erzählt: „Ich sagte meiner Mami, dass sie einer Freundin, die in der Schweiz lebte, sagen solle, dass sie uns [Mónica und ihrer Schwester Aranceli] helfen solle. (….) Aber meine Mutter sprach mit ihr über meine Schwester [Maricela]. Aber meine Cousine126 versteht sich nicht mit meiner Schwester, und meine Mutter sprach mit ihr über diese, über meine Schwester und sagte nichts über Aranceli und mich. Also sagte diese Cousine rundheraus nein (….) Dass, wenn es Aranceli gewesen wäre, hätte sie ihr schon geholfen, aber die gehen wolle, sei Maricela und ihr würde sie nicht helfen, sagte sie zu ihr.“ (Mónica)
Interessant an Mónicas Aussage ist hier, dass die Mutter darüber bestimmt, wem sie den Kontakt verschafft und zwar, zumindest in der Wahrnehmung von Mónica, obwohl die von der Mutter ausgewählte Schwester die geringste Chance hatte, von der Migrierten Unterstützung zu erfahren. Mónica und ihrer Schwester Aranceli verweigerte die Mutter hingegen den Kontakt. Sie nutzte ihre Position als Brokerin, das heißt als eine Person, die Zugang zu direkten Beziehungen, Informationen und Ressourcen hat, welche anderen Personen, ihren Töchtern, verwehrt waren, ganz singulär und restriktiv.
125 Ein Kioskbesitzer entlarvte sie jedoch: Sie hatte ihm angerufen und nach ihrem Mann gefragt, dabei jedoch typische Begriffe aus Spanien (vor allem das „vale“ zum Ausdruck von Zustimmung) benutzt, woraufhin dieser sofort gesagt hätte, dass sie doch aus Spanien anrufen würde. Sie war sich aber sicher, dass er sie nicht bei ihrem Mann verraten würde. 126 Mónica spricht hier Synonym von Cousine und Freundin. Da sie (wie auch eine ihrer Schwestern) bei fiktiven Verwandten aufwuchs, welche sie Tante nannte, sind hier Verwandtschaftsbezeichnungen vielleicht in einem weiteren, auch fiktiven Sinne gemeint.
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Auch bei Sofía wird deutlich, wie die Migrierte über die zu migrierende Person bestimmt und somit eine Selektivität der Migration bewirkt. Außerdem zeigt sich die Vielschichtigkeit der Migrationsentscheidung und das Ineinandergreifen verschiedener Faktoren, wie dies oben bereits anklang: Ausschlaggebend für Sofías Migration war im Kontext der temporären Arbeitslosigkeit ihres Mannes der Anruf einer Schwägerin, die sich anbot, Sofías Mann nach Spanien zu holen. Später rief sie erneut aus Spanien an und sagte, dass es besser sei, wenn Sofía, weil es für Frauen einfacher sei, Arbeit zu finden. Zu diesem Zeitpunkt hatte ihr Mann bereits wieder Arbeit gefunden. Sofías nutzte die Tatsache, dass sie zur Migration ausgewählt wurde, um sich auf diese Weise von ihrem Mann zu trennen. Netzwerke eröffnen also Chancen und Möglichkeiten, indem sie Zugang zu Informationen, Ressourcen, Gruppen, Arbeit sowie verschiedenen Formen von Hilfe (finanziell, Unterkunft etc.) bieten, sie verhindern aber auch bzw. setzen Grenzen. Die Asymmetrien beschränken sich jedoch nicht nur auf Familienbeziehungen, sondern prägen allgemein Beziehungen, insofern es Machtunterschiede, verschiedenen Zugang zu unterschiedlichen Ressourcen (inklusive Prestige und Status) gibt. Dabei muss es sich nicht immer um beabsichtige Folgen handeln. So können innerhalb von Netzwerken auch bestimmte Handlungsformen, Erwartungen und Möglichkeiten reproduziert werden, welche nicht immer optimal die vorhandenen Möglichkeiten und Hilfsangebote nutzen. Bestimmte Informationen können auf diese Weise beispielsweise gerade nicht gewusst werden, weil eine Person davon ausgeht, über seine oder ihre Kontakte alles schon zu wissen und die bestmögliche Strategie erlernt zu haben. Staring nennt dies „the flip-side of embeddedness“ (Staring 1998, 224ff).127 Viele Hilfsangebote durch migrierte Bekannte und Verwandte stellen nicht nur reziprok-solidarische Hilfestellungen dar, wie das Eingangszitat von Magdalena weiter ging. Auf meine Rückfrage, ob der Cousin des Vaters ihm auch wie versprochen geholfen hätte, antwortete Magdalena: „Ja, er hat ihm geholfen, aber danach hat er ihm alles ins Gesicht gezählt und er musste die ganze Zeit, die er dort gewohnt hat, abbezahlen.“
127 Am teilnehmend beobachteten Hausarbeitskurs nahm eine Peruanerin, Maribel, teil, welche über sehr viele Informationen verfügte und diese gerne weiter gab. Ende 2003 überzeugte sie viele der Frauen im Kurs erfolgreich davon, dass Anfang des Jahres 2004 eine allgemeine Legalisierung erfolgen würde, was jedoch nicht der Fall war. Viele Frauen richteten sodann ihre Strategien danach aus: Sie nahmen zum Beispiel Arbeiten unter schlechtesten Bedingungen an, um im Falle einer Legalisierung über den obligatorischen Arbeitsvertrag zu verfügen. Diese fand jedoch erst im Jahr 2005 statt. Dieses Gerücht entwickelte sich mit der Zeit zu einer „allgemeinen Wahrheit“, sodass mir bald, da immer mehr Frauen davon sprachen, nicht mehr klar war, inwieweit es sich um ein auch außerhalb dieses Netzwerkes verbreitetes Gerücht unter Illegalisierten in Spanien handelte oder ob es sich vornehmlich auf diese Gruppe beschränkte (auch andere, jedoch nicht alle meiner Kontakte abseits des Kurses sprachen davon).
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Ihr Vater wurde also von einem Cousin zur Migration animiert und ihm wurde von diesem in der Anfangszeit geholfen. Der Cousin ließ sich die Hilfe jedoch, nachdem sich der Vater etabliert hatte, bezahlen. Auch andere MigrantInnen erzählten mir immer wieder, dass sie Hilfe erhalten hatten, wie diese jedoch dann zurückgefordert wurde und zwar nicht in einer verzögerten und immateriellen Weise, wie dies ihnen unter Umständen mit den gleichen Personen oder mit VertreterInnen des gleichen Haushaltes, der gleichen Familie oder Gruppe aus Ecuador bekannt war, sondern auf monetäre Weise, also in der Logik des Marktes. In verschiedenen Varianten klagten Migrierten in immer wiederkehrenden, ähnlichen Aussagen, dass sie mit einer größeren bzw. anderen Hilfe durch die Familie oder FreundInnen gerechnet hätten: „Vergiss die Familie, die Freunde, hier hilft dir niemand.” „Hier gibt es keine Solidarität.“ „Hier gibt es keine Familie.“ Auch Pedone berichtet aus ihrer Studie über Netzwerke ecuadorianischer MigrantInnen: „Sowohl in den Herkunftsorten als auch in den Ankunftsorten haben wir feststellen können, dass ein Großteil der Gefallen eine monetäre Transaktion beinhalten, was die Machtbeziehungen stärkt und immer mehr vertikalere Verbindungen in den Migrationsnetzen schafft. Die soziale Distanz von Gefallen, wie sie von Sahlins (1963) und Lomnitz (1994) vorgeschlagen wird, wird in der internationalen Migration mit neuen Bedeutungen versehen; während in der Ursprungsgesellschaft ein wichtiger Gefallen an die Mitglieder der Familie gestellt wird, ist es in der Ankunftsgesellschaft notwendig, eine andere Form von Beziehungen zu schaffen, wo die Gefallen einen ökonomischen Wert annehmen, welche oft bereits einen festen Tarif haben, auch in den Migrationsketten, die das „Ankunftsnetz“ bilden.“ (Pedone 2005, 14)
Die Netze können also eine zweideutige Funktion haben: Sie helfen zur Migration und ermutigen dazu. Im Moment der Ankunft ändert sich diese Hilfe jedoch: Bis dahin symmetrische Beziehungen können mit der Migration und der damit verbundenen Neuverteilung von Rollen und Ressourcen (bereits Migrierte/Migrierende; über Kapital Verfügende/Abhängige; im Migrationskontext Erfahrene/Migrieren Wollende/Neu Angekommene; etc.) zu asymmetrischen bzw. vertikalen Beziehungen werden (vgl. Pedone 2003, 229ff). Migrierte, vor allem bereits Etablierte, verfügen daher über ein hohes soziales bzw. ökonomisches Kapital, das ihnen Macht gibt und welches sie als Ressource einsetzen können. Andererseits ist das Leben als MigrantInnen durch das Sparen sehr großen Entbehrungen ausgesetzt (vgl. 5.2 sowie 7.2) und viele möchten ihr hart Erspartes nicht „verschenken“, indem sie Verwandte oder Bekannte zum Beispiel bei sich umsonst wohnen lassen, während Fremde ihnen Mieteinnahmen zahlen würden. Im Migrationskontext haben sich daher neue Normalitäten etabliert wie diese, dass auch von der Familie Hilfe bezahlt wird. Unter 5.2 wird näher hierauf eingegangen. Gleichzeitig erfolgt bei der Aktivierung von Netzwerken oft auch ein instrumenteller Rückgriff auf Kontakte, mit denen keine enge Beziehung besteht, sondern
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welche vielmehr über schwache Verbindungen und/oder Beziehungen durch Dritte zustande kommen. Die Netzwerke, mit deren Hilfe jemand migriert, sind daher nicht notwendigerweise deckungsgleich mit den Kontakten und Beziehungen, die jemand in Spanien pflegt. Wird jemand von der Familie zur Migration ausgewählt, kann es außerdem sein, dass Beziehungen und Kontakte aktiviert werden, die zwar mit anderen Mitgliedern der Familie in Ecuador in einer Beziehung von Verpflichtungen und Gefallen stehen, jedoch nicht mit den Migrierenden selbst, von diesen eventuell gar nicht persönlich gekannt werden. Netzwerke können, unabhängig davon, ob sie sich als helfende erweisen oder nicht, allein als erwartete Ressource mit dafür ausschlaggebend sein, ob eine Entscheidung zur Migration getroffen wird, da mit ihnen als Ressourcen gerechnet und somit das Risiko sowie die Kosten als niedriger eingeschätzt werden. Daniela aus Kolumbien erzählte beispielsweise, wie sie mit der Hilfe katholischer Kirchengemeinden rechnete: „Ich bin immer in der Kirche, damit sie mir helfen.“ Vor ihrer Migration nach Spanien war sie bereits eine Zeit in San Francisco (USA) als Hausarbeiterin tätig gewesen und auch dort, betonte sie mir gegenüber, erhielt sie vor allem über die katholische Kirche Hilfe. Daniela war sehr religiös, praktizierte den Katholizismus, rechnete mit der Hilfe Gottes als übernatürliche Ressource in ihrem Migrationsprojekt, aber auch strategisch mit der katholischen Kirche als Hilfsinstitution und Raum solidarischer Netzwerke (vgl. 6.6). Nicht immer funktionieren jedoch die Netze, mit denen gerechnet wird, vor allem, wenn diese, wie im Falle eines Onkels von Verónica, nur als imaginierte solidarische Beziehungen bestehen: Verónicas Onkel war fünf Jahre vor meinem Besuch in Guayaquil nach Spanien migriert, um dort zu arbeiten. Er war ein Pionier ohne Kontakte vor Ort, hatte aber Informationen darüber, dass sich EcuadorianerInnen jedes Wochenende im Parque el Retiro in Madrid treffen würden und hatte dies in die Planung seines Migrationsprozesses als wichtige Ressource einbezogen. Er sei also in den Park gegangen, erzählte er mir, hätte aber von den EcuadorianerInnen dort keine Hilfe und keine Informationen erhalten. Er habe sich nicht ausgekannt und nicht gewusst, wie alles funktionierte, war auf deren Hilfe angewiesen, die er jedoch nicht erhielt. Als er merkte, dass sein mitgebrachtes Geld immer weniger wurde und da er keine Arbeit finden konnte und nichts von den Hilfsangeboten für MigrantInnen gewusst habe, sei er besser wieder zurückgekommen. Er hätte seinen Rückflug nach Ecuador knapp einen Monat nach seinem Hinflug angetreten128. Ich konnte mich mit ihm in Ecuador unterhalten und er sprach sehr verbittert darüber, dass seine Landsleute ihm nicht geholfen hätten. Er sei ja extra in den Parque el Retiro gegangen, betonte er, um an Informationen zu gelangen, aber ihm sei nicht geholfen worden. Der Onkel ging quasi von einer „nationalen Solidarität“ 128 Da er als Tourist einreiste, hatte er Hin- und Rückflug buchen müssen, den er ansonsten hätte verfallen lassen.
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unter EcuadorianerInnen aus, welche es, wie sich für ihn herausstellte, so nicht gab und gibt. Daraus lässt sich jedoch nicht der Umkehrschluss ziehen, dass MigrantInnen untereinander unsolidarisch seien: Mir wurde immer wieder darüber berichtet und auch ich selbst konnte festellen, wie sich MigrantInnen untereinander halfen. Diese Hilfe und Solidarität stellt jedoch kein Automatismus dar und gründet auch nicht in einer „nationalen Essenz“, wie dies Verónicas Onkel angenommen hatte (vgl. 5.2). Für die konkrete Entscheidung und die Planung einer Migration sind Informationen sowie Ressourcen notwendig, welche oft über Kontakte, symmetrische oder asymmetrische Beziehungen, aktiviert werden. Doch selbst wenn jemand auf die Unterstützung der Familie, FreundInnen und Bekannten zurückgreifen kann, braucht sie oder er eine Menge von Ressourcen, Medien und Informationen, welche meist nicht allein von diesen Kontakten geleistet werden können oder wollen. Dazu stellen eine Reihe von Agenturen, GeldleiherInnen oder Reisebüros Dienstleistungen zur Verfügung, quasi als professionalisierte, nutzenmaximierende vertikale Netze; als Broker von Berufs wegen. Umso weniger (potentiell) Migrierende über soziales und ökonomisches Kapital durch persönliche Netzwerke verfügen, desto mehr sind sie auf die Migrationsindustrie angewiesen, um die es im Folgenden gehen wird. 4.2.4 Die Migrationsindustrie: Migration als großartiges Geschäft „Detailed knowledge of the various immigration policies is the most valuable capital of ‚travel‘ agencies aiding (legally or illegaly) the migration process.“ (Harzig 2001, 25)
Am Migrationsprozess haben viele verschiedene AkteurInnen teil: Personen, die wandern, wie auch andere, die nicht wandern; Personen, die in der Migration ein Projekt für sich und/oder Familienangehörige bzw. FreundInnen sehen, und andere, die an der Migration als Geschäft beteiligt sind. Alle sind AkteurInnen im Migrationsprozess und beeinflussen diesen. Hier soll es nun um Migration als Geschäft gehen, was ich in Anlehnung an Hödl et al. als Migrationsindustrie bezeichne. Hödl et al. (2000, 14) sprechen von „Immigrationsindustrie“ und beziehen sich auf AnwerberInnen, Anwaltskanzleien, Reisebüros, Broker und organisierte Kriminalität, die formelle wie informelle Netzwerke bilden (ebd.). Ich weite Hödls et al. Begriff von „Immigrationsindustrie“ auf „Migrationsindustrie“ aus, verstehe ihn allgemeiner nicht als in eine Richtung gedachter Begriff (wie Immigrationsindustrie also Einwanderungsindustrie nahe legt) und unterscheide zwei Formen: a) Personen und Institutionen, welche von der Entscheidung zur Migration, das heißt von neuen MigrantInnen leben und unter den obigen Begriff der Immigrationsindustrie von Hödl et al. fallen: GeldleiherInnen, teilweise, wenn auch nicht ausschließlich, Reisebüros, Personen, die informell über die Grenze helfen und PassfälscherInnen.
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b) Personen und Institutionen, die von der (schon bestehenden) Migration leben: Banken und Finanzinstitutionen, Reisebüros, Institutionen, welche mit transnationaler Kommunikation zu tun haben wie Telefonunternehmen, VideoproduzentInnen129, verschiedene Formen transnationaler Medien, Paketdienste sowie ecuadorianische Unternehmen, welche seit der Migration (vermehrt) ethnische Produkte nach Spanien exportieren oder Niederlassungen in Spanien haben, wo Produkte in Spanien ausgesucht, bezahlt und in Ecuador ausgeliefert werden. Beide Gruppen sind als Migrationsindustrie zu verstehen, beeinflussen aber die Migration unterschiedlich. 4.2.4.1 Migrationsindustrie, die von reisenden MigrantInnen lebt Im Gegensatz zu der Gruppe der Migrationsindustrie, die von der Migration als solcher und der transnationalen ecuadorianischen Gemeinschaft lebt, steht die erste Gruppe in Bezug zur Migration als Reise und bedarf neuer MigrantInnen bzw. einer zirkulären Migration, welche auf Hilfe anderer, nämlich der Dienstleistungen der Migrationsindustrie angewiesen sind. Eine zentrale Rolle spielten in Ecuador Reisebüros. Bis zum 3. August 2003 konnten EcuadorianerInnen in die Europäische Union ohne TouristInnenvisum einreisen, was den überwiegenden Teil meiner InformantInnen betrifft.130 Bei der Einreise wurde jedoch geprüft, ob eine Person tatsächlich als Touristin nach Europa einreiste. Ein festes Verfahren gab es dazu nicht, jedoch Anhaltspunkte wie Fragen über die Reiseroute, Hotels, Sehenswürdigkeiten, Kontakte und Pläne sowie ein Reisekapital über 1500 bis 3000 US$, die so genannte „Bolsa“, welche bei der Passkontrolle vorzuweisen war. Mit einer Kreditkarte konnte das Barkapital reduziert werden. Eine Einladung einer/s Spaniers/in oder einer/s legalisierten EcuadorianerIn stellte eine zusätzliche Ressource beim Grenzübergang dar, da diese nachweisen sollte/konnte, dass eine Person auf Besuch nach Spanien kam.131 Wer nicht glaubhaft machen konnte, als TouristIn einzureisen, wurde abgewiesen. Die Entscheidung lag dabei bei den GrenzbeamtInnen und war zutiefst zweideutig: Mit unterschiedlichen Methoden bis hin zu Drohungen wurden die EcuadorianerInnen unter Druck gesetzt (vgl. dazu auch Pedone 2003, 129 In der Gegend von Dolores Herkunftsdorf gab es beispielsweise ein kleines Unternehmen, welches bei Festen im Auftrag von Migrierten des Dorfes Videos erstellte. Dabei wurden nicht nur die Familienangehörige und FreundInnen gefilmt, sondern auch alle Anwesenden immer wieder dazu aufgemuntert, in die Kamera Grüße für die Familie in Spanien zu senden. Ein Video kostete 20 $. 130 Da ich meine Forschung im Oktober 2003 begann, beziehen sich meine Daten fast ausschließlich auf Personen, welche vor August 2003 einreisten und nach drei Monaten Aufenthalt als TouristInnen zu „Illegalen“, also illegalisiert wurden. 131 Mit einer Gesetzesänderung im Jahr 2004 wurden einladende Personen dafür verantwortlich gemacht, dass eine Person, welche durch eine Einladung ihrerseits ein Touristenvisum nach Spanien bekam, auch wieder ausreiste.
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223f), andere hingegen, wie zum Beispiel Isabela, welche bei ihrer zweiten Einreise (beides Mal als Touristin) offen sagte, dass sie ohne Papiere zum Arbeiten kam, wurden eingelassen.132 Mit Wissen über die richtigen Antworten und das passende Verhalten konnte das Risiko einer Abweisung jedoch verringert werden: Viele Reisebüros spezialisierten sich daher darauf, ein teures Migrationspaket zu verkaufen, wozu vor allem die Vorbereitung auf Spanien, touristische Informationen für die Fragen an der Grenze („sensitivity training“, wie Mahler dies nennt; Mahler 1995, 76), oft auch Unterbringung in einem (Luxus-)Hotel und Transportmöglichkeiten für die ersten Tage in Madrid gehörten. Die Tatsache, dass es mit der Zeit „in allen Vierteln und an allen Orten des Landes“, wie Goycochea plakativ schreibt, solche Reisebüros und GeldleiherInnen gab, deutet einerseits auf die Zunahme der Migration, aber auch darauf hin, dass Migration ein gutes Geschäft darstellt (vgl. Goycochea 2003, 49). Für Anthias und Lazaridis stellt die schnelle Etablierung, Spezialisierung und Professionalisierung der Migrationsindustrie einen der Gründe der raschen Zunahme der Migration im Mittelmeerraum dar (vgl. Anthias/Lazaridis 2000, 4). Robalino beschreibt in ihrer Erzählung des ecuadorianischen Migranten Juan Alberto über dessen Ankunft am Flughafen von Madrid: Im Flug hatte eine junge Frau neben ihm im Flugzeug gesessen, welche am Flughafen in Madrid vor ihm in der Schlage der Passkontrolle gestanden war und nun von Polizisten weggeführt wurde. Von ihren Lippen konnte er lesen: „Sie haben mich ausgewiesen! – Wie?, dachte ich. Sie, die so schön und jung ist. Ein kalter Schauer lief über meinen Körper und ich spürte Angst davor, was mir passieren würde. – Nächster! Ich war an der Reihe. – Juan Alberto Paredes Culcay. – Ja, das ist mein Name. – Ecuadorianer? – Ja. – Wozu bist du [nach Madrid] gekommen? – Ich kam, um Madrid kennenzulernen. – Ah....wirklich? – Ja, die Gran Vía, die Puerta del Sol, der Paseo de la Castellana..... Ich begann alles, was das Fräulein vom Reisebüro mir beigebracht hatte, zu wiederholen. – Sei schon still! Wozu bist du hierher gekommen? – Um Madrid kennenzulernen, wie ich ihnen gesagt habe. – Ecuadorianer..... Dieses Mal sagte er es mit einem etwas lächerlichen Akzent. – Ihr seid alle Lügner. Ihr kommt überhaupt nicht, um hier etwas kennenzulernen! – Also, ich kam um [all das] kennen zu lernen. Die Gran Vía, das Prado Museum und...“ (Robalino133, 7f.)
Die Geschichte geht so weiter, dass Juan Alberto auf seinen regulär aufhältigen Cousin und dessen Einladungsschreiben verweist und erklärt, dass dieser ihm von den Sehenswürdigkeiten berichtet hätte. In der Erzählung wird jedoch deutlich, dass er vom Reisebüro für die Passkontrolle trainiert worden war. Manche Reiseagenturen gaben nicht nur Unterweisungen, wie man sich am besten bei der Passkontrolle verhalten und was man sagen solle, sondern auch 132 Viele MigrantInnen reisten über ein anderes EU-Land ein, wo sie sodann die Paßkontrolle durchliefen und normalerweise in Barajas nicht mehr kontrolliert wurden. Andere nahmen die Landroute ab Amsterdam, Paris, Frankfurt etc. 133 Die Publikation enthält keine Jahresangabe, s. Literaturliste.
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Tipps für die Reise, die passende Kleidung und Informationen über die eigenen Rechte. Teresa berichtete beispielsweise, dass sie im Flugzeug alles angenommen hätte, was ihr angeboten wurde, weil dies ihr so vom Reisebüro erklärt worden sei: Alles sei bezahlt. Sie könnte nehmen, was sie wolle. Bestimmte Agenturen vergaben zusätzlich zum Reisepaket Kredite mit zum Teil sehr hohen Zinsen und boten somit ein Rundumpaket an, das ihnen pro Reise sehr hohe Gewinne brachte. Oft arbeiteten sie mit Fluggesellschaften und Hotels sowie mit AgentInnen vor Ort zusammen, welche zum Beispiel das geliehene Geld für den Nachweis bei der Passkontrolle direkt am Flughafen wieder abnahmen oder EcuadorianerInnen vom Flugzeug zu informellen Arbeitsplätzen brachten (vgl. auch Goycochea 2003, 49). Einige AgentInnen von KreditgeberInnen nahmen am Flughafen den gerade Angekommenen ihren Reisepass als Garanten der Rückzahlung ab und verkauften ihn, falls diese nicht erfolgte.134 Aufgrund der Einreise ohne Touristenvisum hatte sich ein transnationaler Markt für ecuadorianische Pässe entwickelt, welcher zwischen Spanien, Ecuador und Peru, aber auch zum Beispiel Italien funktionierte. Maldonado (2000, 122) berichtet, dass ein ecuadorianischer Pass in Italien zwischen 600-2000 US$ einbrachte. Wem das Geld ausging, bevor er bzw. sie eine Arbeit gefunden hatte, konnte als eine mögliche Strategie den Pass verkaufen. Dieser transnationale Migrationsmarkt lebt in seinen verschiedenen Formen direkt von der Migration und kurbelt diese mitunter durch gezielte Werbung an. Vidal berichtet, dass schon 1991-1992 bei der ersten Regulierung in Spanien die Migrationsindustrie in Ecuador eine Werbekampagne über exzellente Migrationsbedingungen nach Spanien führte. „Viele heimlichen Agenturen beginnen [1991/1992] in Ecuador eine Werbekampagne über die wunderbaren Migrationsbedingungen in Spanien, das in voller ökonomischer Expansion steckt, wo außerdem die juristischen Behördengänge einfacher sind als die nach den USA (...) und wo außerdem keine sprachlichen noch kulturellen Probleme existieren.“ (Vidal 2000, 58)
Bei einem Aufenthalt in Ecuador konnte ich im Jahr 2001 Plakate mit Aufschriften wie „Wollen Sie Ihr Leben verbessern? Migrieren Sie nach Spanien!“ sehen und es wurde mir von Werbeständen auf öffentlichen Plätzen in Quito berichtet, wo Agentinnen von KreditgeberInnen und Reisebüros eine Migration nach Spanien nicht nur schmackhaft machten, somit Imaginationen und dadurch Migrationsmotivatio-
134 Das Einkassieren des Passes erfolgte auch durch Familienangehörige oder Bekannte, zum Beispiel um die Rückzahlung geliehener Gelder zu versichern, aber auch um zu verhindern, dass die angekommene Person unabhängige, eigene Wege geht und nicht die für sie vorbestimmte Rolle (zum Beispiel unentgeltlich auf die Kinder der Familienangehörigen aufzupassen) ausübt. Manche Familienangehörige begründeten das Abnehmen des Passes damit, dass so einer übereilten Rückkehr vorgebeugt würde, da es normaler Reflex sei, in der Anfangszeit zurückkehren zu wollen.
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nen förderten, sondern dazu gleichzeitig die notwendigen Dienstleistungen im Paket anboten. Nach der Einführung des Touristenvisums für EcuadorianerInnen (wie auch anderer LateinamerikanerInnen) mussten sich diese AkteurInnen neu orientieren. In Ecuador wurden viele Reisebüros, die von Reisen allein nicht leben konnten, geschlossen. In einem Artikel in El Comercio im September 2003, also einem Monat nach der Einführung des Touristenvisums, ist davon die Rede, dass Garca Tours (ein Reiseunternehmen mit vielen verschiedenen Sitzen in ganz Ecuador) 200 von insgesamt ungefähr 860 Reiseagenturen allein im Kanton Pichincha (dazu gehört die Hauptstadt Quito) schließen musste. Der Chef einer anderen Reisebüro-Kette (Monte Selva) wird zitiert, dass die Nachfrage nach Flügen um 90 % gesunken sei. 80 % der Flüge sei normalerweise nach Spanien gegangen; 15 % nach Italien, dem zweitstärksten Einwanderungsland für EcuadorianerInnen in Europa zu dieser Zeit. So wurden die Reisetickets plötzlich wieder viel billiger: Während ein Ticket nach Spanien zur Hochzeit der Auswanderung 1300 US$ kostete, sank der Preis nach der Einführung des Visums auf 600 US$ ab. Im gleichen Artikel erzählt eine Vertreterin einer anderen Reisebüro-Kette (Tropical Adventures), dass nun viele EcuadorianerInnen versuchen würden, einen Visumsantrag in der französischen Botschaft zu stellen. „Sie dauern kürzer und haben gute Resultate.“, wird sie zitiert. Auf diese Weise gibt sie im Interview ein klares Signal an mögliche KundInnen: „Orientiert euch um, der Weg nach Europa (und der Kauf eines Tickets) ist nicht wirklich geschlossen!“ Die Migrationsindustrie reagierte also sofort; suchte Alternativen, um ihren Markt sichern. Die Medien, in diesem Fall El Comercio, halfen dabei. (vgl. www.elcomercio.com vom 12.9.2003; „La visa a Europa frenó la venta de pasajes aéreos“). Die Einführung des Touristenvisums hatte auch Auswirkungen auf andere AkteurInnen der Migrationsindustrie: So funktionierte die Logik des Geldleihens nicht mehr im gleichen Maße. Zuvor verlief das Rückbezahlen des Kredits normalerweise relativ problemlos, da die meisten Migrierten wollten, dass ihre Familienangehörigen nachkommen konnten und sie dazu oft wieder Geld leihen mussten. Um daher den Familienangehörigen die Chance zur Migration nicht zu verbauen und weil andererseits die Familie in Ecuador als potentielle MigrantInnen auch ein Interesse an der Zahlung der Schulden hatte, wurde so schnell wie möglich der Kredit zurückgezahlt. Nun sei jedoch das Geschäft kaputt gegangen, klagte die Freundin einer Geldleiherin, welche diese in ihren Geschäften begleitete. Alles hätte sich mit der Einführung des Visums verändert. Es würden nicht mehr viele Personen migrieren und somit einerseits niemand mehr Geld leihen, andererseits aber auch viele ihre Kredite nicht zurückzahlen. Die Freundin hätte nun viele hypothekierte Häuser, die sie eintreiben sollte, die sie aber nicht interessieren würden und andererseits hätte sie auch Skrupel, einer Familie das Dach über dem Kopf wegzunehmen, wes-
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halb sie es beließen, wie es sei. Sie hätte mit dem Visum viel Geld verloren. Andererseits, so räumt sie ein, hätte sie früher auch sehr viel Geld verdient. An diesem Beispiel zeigt sich, was Kyle für die Chulqueros und Coyoteros nach den USA aus der Provinz Azuay berichtet: Es handelt sich dabei nicht nur um Hochkriminelle, um skrupelloses MenschenhändlerInnen, sondern oft auch um Personen, die Teil der (Dorf-)Gemeinschaft, der FreundInnengruppe oder der Familie sind (vgl. Kyle 2000). Was nicht heißt, dass es keine hoch-kriminellen GeldleiherInnen gäbe: Da kurz vor der Einführung des Visums viele EcuadorianerInnen diese „letzte Chance der Migration“ noch nutzen wollten, versuchten mehrere MigrationsagentInnen eine gewisse Unsicherheit bzw. Unwissen über die neue rechtliche Lage zu nutzen. In der Zeit kurz vor der Einführung und unmittelbar danach wurden daher viele Personen in Ecuador um ihr Geld betrogen: Clever berichtete mir beispielsweise, wie er bei einem Besuch im August 2003 in Guayaquil auf der Straße von einer jungen Frau angesprochen wurde, ob er nicht daran interessiert wäre, nach Spanien zu migrieren. Neugierig geworden, hätte er mit ja geantwortet, woraufhin ihn die Frau in ein Büro begleitete, wo diese sofort verschwand und ihn mit einem Mann allein ließ, der ihm erklärte, wie einfach es sei, nach Spanien zu gehen. Auf seine Frage, ob er denn ein Visum benötige, sagte ihm der Mann, dass dies nicht nötig sei, obwohl die Visumspflicht bereits eingeführt worden war. Ihm wurde außerdem angeboten, Geld zu leihen. Abschließend wurde ihm gesagt: „Schau, das Ticket kostet 1600 €, aber, da wir uns ja nun schon kennen, kümmere ich mich für 2000 € um alles.“ Über eine Rhetorik der Vergemeinschaftung wurde die Dienstleistung als Hilfe und Gefallen dargestellt. Sofía erzählte vom Fall ihres Mannes, welcher kurz vor Einführung der Visumspflicht sein Geld an eine fiktive Reiseagentur verloren hatte. Ihm wurde ein Ticket gezeigt, in welchem lediglich das genaue Datum noch einzutragen war, welches aber sofort bezahlt werden musste, was er tat. Am nächsten Tag sollte er sein fertiges Flugticket abholen, aber das Reisebüro existierte nicht mehr. Mit der Einführung der Visumspflicht etablierte sich eine neue Route über Ungarn, welches zu diesem Zeitpunkt noch nicht Teil der Europäischen Union war und somit über eine „grüne Grenze“ verfügte, die jedoch schon bald, im Mai 2004, ebenfalls geschlossen wurde. Bei meinem Aufenthalt in Ecuador befragte ich Einzelpersonen und ExpertInnen, wie sich die Migration und vor allem die Migrationsindustrie nun organisieren würden. Die meisten von ihnen wussten nichts davon, dass nun ein Visum für Ungarn benötigt wurde und manche erzählten, dass Reisebüros ihnen oder Bekannten die Route nach Ungarn empfohlen hatten. Interessant an den Gesprächen war auch, dass bei den Informationen über Einreisemöglichkeiten das „Wo?“, sprich geographisches Wissen, sekundär bis uninteressant war, während das „Wie?“, nämlich „Wie komme ich nach Spanien bzw. in die EU?“ die entscheidende Information darstellte. So wurde mir beispielsweise von verschiedenen Personen (u.a. MitarbeiterInnen in NGOs, die mit MigrantInnen bzw. deren
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Angehörigen arbeiteten) erzählt, dass die neue Route über Asien verliefe, was sich nach genauem Nachfragen als die bekannte Strecke über Ungarn erwies. Diese Formen der Einreise bargen jedoch viele Gefahren in sich und viele EcuadorianerInnen sprachen sich wie zum Beispiel Giovanni und Maricela mir gegenüber gegen eine derartige Migration in die EU aus: Giovanni: „Mit Coyoteros [zu migrieren] bedeutet, Geld zu verschenken und viele Risiken einzugehen.“ –Maricela: „Und viele, ganz viele Risiken einzugehen (betont). Das eigene Leben, (...) die Vergewaltigung (...) Nein. Nein, nein.“ (bestimmt) – Giovanni: „Daher lieber hier in Frieden leben.“ (Interview mit Giovanni und Maricela in Guayaquil)
Auch Amparo hatte sich gegen eine Einreise über Ungarn entschieden, nachdem sie in Ecuador festsaß, da ihre Papiere – wie von vielen anderen EcuadorianerInnen auch – monatelang in der spanischen Botschaft in Ecuador nicht bearbeitet wurden. Sie war nach Ecuador gekommen, um ihre Papiere in der spanischen Botschaft zu erledigen und abzuholen, nachdem ihr Antrag auf Legalisierung in Spanien positiv entschieden worden war. Sie hatte erwartet, dass dies sehr schnell erledigt sein würde, woraufhin sie ihr behindertes Kind in Spanien bei dessen Großmutter zurückgelassen hatte und nun in Ecuador ohne Arbeit und getrennt von ihrem Kind beinahe verzweifelte.135 Sie hatte sich daher über alternative Einreisemöglichkeiten informiert, sich dann aber dagegen entschieden. Ich befragte sie, welche Möglichkeiten sie ausfindig machen konnte. Sie erklärte mir: „Über Coyoteros weiß ich nichts und ich würde es nicht machen. Es gibt auch Leute, die mit falschen Pässen, falschen Visa nach Spanien und Italien gehen. Ich würde es nicht machen.“ Sie hatte sich nach einer Einreise über Ungarn erkundigt, aber auch ihr Reisebüro hatte ihr davon abgeraten: „Das Reisebüro sagt, dass es keine Verantwortung für Reisen nach Ungarn übernimmt. Das Büro bevorzugt, Probleme zu vermeiden, weil in Manabí einige Reisebüros geschlossen wurden, weil sie Tickets verkauften, um per Schiff in die USA zu reisen. Mir sagten sie, dass ich nicht über diesen Weg gehen solle.“ (Amparo)
In diesem Falle riet das Reisebüro von einer irregulären Einreise ab, was Amparo über das Eigeninteresse des Reisebüros erklärt, welches Angst vor einer Schließung bzw. rechtlichen Konsequenzen hatte. Andere Personen bzw. Institutionen der Migrationsindustrie spezialisieren sich gerade auf diese Nischen. Oft präsentieren sie sich dabei als HelferInnen der Migration und versuchen eine emotionale Verbindung mit den MigrantInnen und eine 135 Dies stellt keinen Einzelfall dar. Die Bearbeitung dauerte oft Monate, wodurch die Personen ihre Arbeit in Spanien verloren und wie im Fall von Eltern, die ihre Kinder (teilweise alleine mit Lösungen für die scheinbare kurze Zeit der Abwesenheit der Eltern) vor Ort zurück ließen, zu großen Problemen führte. In Gesprächen mit NGOs wurde mir von mehreren derartigen Fällen berichtet. Amparo bekam wenige Wochen nach unserem Gespräch schließlich ihre Papiere und kehrte umgehend nach Spanien zurück.
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solidarische Grundstimmung zu schaffen (wie im zitierten Falle von Clevers Erzählung: „Jetzt, wo wir uns kennen…“). Die Schaffung bzw. Betonung affektiver Bindungen stellt eine allgemeine ökonomische Strategie dar und prägt zum Beispiel auch die Werbung der Geldüberweisungsinstitute. So schrieb United Parcel Service im Januar 2001 an protestierende MigrantInnen in Spanien: „[Wir drücken] unsere totale Unterstützung eurer Forderungen nach unverzüglicher Legalisierung aller undokumentierter MigrantInnen und nach rechtlicher Gleichstellung mit den ArbeiterInnen des spanischen Staates [aus], weil, egal woher wir auch kommen, wir alle gehören der gleichen Arbeiterklasse an.“ (United Parcel)136
Die Geldinstitute, Banken und Paketservices gehören zur zweiten Gruppe der Migrationsindustrie, welche im Gegensatz zur ersten Gruppe nicht direkt zur Migration animiert oder motiviert, aber dazu beiträgt, dass Migration etwas Alltägliches wird, also eine „Kultur der Migration“ unterstützt und somit der Reproduktion von Migrationen hilft, von der sie wiederum direkt profitiert. 4.2.4.2 Migrationsindustrie, die von (schon bestehenden) Migrationen lebt Cristina Vallejo berichtet, dass im Jahr 2004 MigrantInnen in Spanien 3481 Millionen Euro in ihre Herkunftsländer schickten und spanische Banken und Sparkassen 240 Millionen Euro an Kommissionen für diese Geldtransfers verdienten.137 Es handelt sich um einen Sektor, der boomt: Vor 1990 gab es in Spanien fast keine Geldtransferinstitutionen. Nach 1997 jedoch, mit der Zunahme der migrantischen Bevölkerung in Spanien, ließen sich immer mehr nieder (vgl. Colectivo IOÉ 2001c, 4), sodass im Jahr 2004 mehr als 50 verschiedene für Geldtransfers autorisierte Unternehmen mit ihren respektiven Niederlassungen und Büros in Spanien registriert waren (vgl. Cortez 2006). Von den Bewegungen zwischen den Kontinenten profitieren auch Fluglinien wie Iberia, welche im Jahr 2006 70 % des Marktanteiles von Reisen zwischen Europa und Ecuador innehatte. Im Jahr 2005 reisten beispielsweise mehr als 120 000 Passagiere zwischen Spanien und Ecuador. Telekommunikationsunternehmen wie die spanische Telefónica steigerten im Jahr 2005 ihren Umsatz um 40 % und machte somit den größten Umsatz ihrer Firmengeschichte. In Ecuador investierte Telefónica 62,8 Millionen Euro.138 136 Während eines Praktikums bei einem Verein ecuadorianischer MigrantInnen im Herbst 2001 eingesehen und mit Erlaubnis kopiert. 137 http://www.extranjerossinpapeles.com/paginas/noticias/20%20de%20junio%202005.htm 138 El Comercio, 28.02.2006. Telefónica ha invertido USD 62,8 milliones en Ecuador. http://www.elcomercio.com/solo_texto_searchz.asp?id_noticia=18428&anio=2006&mes=2&dia=28
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Einen weiteren wichtigen Sektor stellen „ethnische Produkte“, allen voran Lebensmittel aus den Herkunftsländern dar. Es finden sich derartige Produkte sowohl in großen Supermärkten als auch in spezialisierten Geschäften in Spanien, welche in der Regel von etablierten MigrantInnen betrieben werden. 343 Unternehmen in Ecuador exportierten laut einem Bericht in El Vistazo im Jahr 2004 ihre Produkte nach Spanien wie zum Beispiel die Compañía de Cervezas Nacionales, Conservas Isabel Ecuatoriana oder Nestlé Ecuador (vgl. Velasco Maldonado 2005, 38).139 Migration stellt also ein großes Geschäft dar, an dem verschiedene Institutionen und AkteurInnen teilhaben. Manche – die beschriebene erste Gruppe – leben davon, dass Menschen die Entscheidung zur Migration treffen und beeinflussen diese, indem sie ein leichtes Bild der Migration verbreiten und Träume des guten Lebens als MigrantIn bedienen oder Personen direkt ansprechen und zu einer leicht realisierbaren Migration ermutigen. Außerdem agieren sie als Minimierungsagentur von Risiken und stellen oft auch die Finanzierungsmöglichkeit. Einmal etabliert, kann sich diese Gruppe als extrem stark und als kaum mehr kontrollierbare Kraft erweisen (vgl. Hödl et al. 2000, 14). Die zweite Gruppe der Migrationsindustrie partizipiert am und profitiert vom Migrationsmarkt und beeinflusst damit die Migrationen, indem sie Migration etwas Alltägliches werden lässt und zu einer „Kultur der Migration“ beiträgt. Diese Migrationsindustrien stellen ein transnationales Unternehmen dar mit AkteurInnen in Ecuador, Spanien, aber auch anderen Orten der Welt. Sie sind in ihrer hoch professionalisierten Form bestens über die verschiedenen Migrationsregime und deren mögliche Löcher informiert, reagieren aber auch sensibel auf Konjunkturen und auf neue wie alte Nachfragen nach migrantischer Arbeit. Das nächste Kapitel setzt sich abschließend mit der Frage auseinander, warum EcuadorianerInnen nach Spanien migrieren und nicht in ein anderes Land. 4.2.5 Warum Spanien? Das neue Einwanderungsland „Es ist wegen der leichten Einreise [nach Spanien].“ – „Mich hat Spanien nicht interessiert (...). Ich wollte nach England oder den USA gehen. Aber da die Einreise einfach war.“ – „Jetzt ist es nicht mehr so. Jetzt verlangen sie Visa.“ – „Wegen der Sprache und um nicht die Inflation und den Mangel an Arbeitsstellen zu erleiden.“ (Interview mit EcuadorianerInnen bei der Militärparade in Madrid zum spanischen Nationalfeiertag, 12.10.2003)
139 Neben diesen Beispielen gibt es noch eine Fülle weiterer Formen der Partizipation am Migrationsmarkt wie zum Beispiel die überteuerte Untervermietung einer Wohnung durch legalisierte MigrantInnen oder SpanierInnen, indem die irreguläre Situation von MigrantInnen, teilweise auch die Desinformation und Hilfsbedürftigkeit von Neuangekommenen ausgenutzt und zu erhöhten Preisen und schlechten Bedingungen vermietet wird (vgl. Kapitel 5.2).
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Spanien hat seit den 1970er Jahren große Veränderungen erlebt, welche u.a. mit dem Ende der Diktatur unter General Franco und der Demokratisierung (1975) sowie dem Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft (1985) und der Stabilisierung der spanischen Wirtschaft sowie den Dynamiken der wirtschaftlichen wie kulturellen Globalisierung verbunden sind (vgl. Ribas-Mateos 2000, 173-197). Bis in die 1980er Jahre war Spanien ein Auswanderungsland und entwickelte sich dann immer mehr zu einem Einwanderungsland (vgl. Colectivo IOÉ 1999, 59ff). Dies beeinflusste auch die ecuadorianische Migration: Während Migrationen nach den USA durch die Verschärfung der Grenzkontrollen und des Durchgreifens in den USA immer unattraktiver wurden, begann Spanien als Einwanderungsland interessanter zu werden (vgl. Jokisch 2001, 66; Gratton 2005, 8). Entscheidend dafür, ob ein Land sich jedoch als Einwanderungsland etabliert, ist die Nachfrage nach migrantischen Arbeitskräften, was auch für irreguläre Einwanderung gilt (vgl. Cyrus 2004b, 28ff). Bei migrantischer Arbeit im hier verwendeten Sinn für Spanien handelt es sich um die Nachfrage nach billigen, belastbaren, ‚anspruchslosen’ und bei Bedarf entlassbaren Arbeitskräften in den Sektoren Haushaltsarbeit, Sexarbeit, Gastronomie, Landwirtschaft und Bau, welche vornehmlich von MigrantInnen bedient und informell geregelt wird (vgl. Anthias/Lazaridis 2000, 4). Es geht um einen segmentierten Arbeitsmarkt (vgl. Solé/Parella 2003, 68ff). Das bedeutet, dass es zwei getrennte Segmente gibt, eines, in welchem soziale Mobilität möglich ist und ein zweites, in welchem maximal horizontale Mobilität, jedoch kein bzw. nur schwer sozialer Aufstieg erreichbar ist. Das zweite Segment bezieht sich auf die oben genannten Tätigkeiten, für welche wenig Ausbildung benötigt wird, die intensiv an Arbeitskraft und niedrig an Produktivität sind und in denen die bereits erwähnten Arbeitsbedingungen wie Niedriglöhne, temporäre und jahreszeitlich bedingte Arbeiten, etc. vorherrschen (vgl. auch Colectivo IOÉ 2004, 105). Spanien weist einen großen informellen Sektor auf, welcher einerseits charakteristisch ist für die historisch etablierten Nischenökonomien im Mittelmeerraum (vgl. Horden/Purcell 2000), andererseits auch ein Charakteristikum der ökonomischen Globalisierung darstellt, in deren Machtzentren nicht nur ein Anstieg samt Konzentration von Reichtum, sondern auch eine damit verbundene, wachsende Nachfrage nach informeller Niedriglohnarbeit zu verzeichnen ist (vgl. Sassen 1998, 153-172). Dies ist auch einer der Gründe, weshalb heute in Spanien ein zunehmender Bedarf nach Haushaltsarbeit, nach Kinderbetreuung und informellem Pflegepersonal für ältere und bedürftige Menschen herrscht, welcher immer mehr von migrantischen Frauen bedient wird. Die Ursachen der steigenden Nachfrage sind jedoch weit komplexer und gründen zum Beispiel auch in der Veränderung der Geschlechterbeziehungen sowie der spanischen Familienstrukturen innerhalb der Transformationsprozesse der spanischen Gesellschaft und dem Abbau des ohnehin schwachen Sozialstaates (vgl. Parella 2003, 134ff; Sassen 2004, 70). Es handelt sich um verschiedene Faktoren auf unterschiedlichen Ebenen, welche in Kapitel 6.2
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ausführlich erörtert werden. Hier gilt zunächst festzuhalten, dass es eine starke Nachfrage nach migrantischen Arbeitskräften in Spanien gibt. Mehrere Ecuadorianerinnen, welche Ende der 1990er Jahre nach Spanien migriert waren, berichteten mir, wie sie auf der Straße angesprochen worden waren, ob sie nicht in einem Haushalt arbeiten wollten. Bis heute kann dies passieren, stellt jedoch eher eine Ausnahme dar. Heute ist die Suche nach Haushaltsarbeiterinnen vielmehr stark formalisiert (vgl. 6.3) und auch die spanische Gesetzgebung trägt der starken Nachfrage Rechnung, indem sie im so genannten Cupo-System ein Kontingent von ArbeiterInnen direkt für diese Tätigkeiten anwirbt (vgl. Kofman et al. 2000, 118).140 Indem in den 1990er Jahren (wie auch bei den Legalisierungen) ein hohes Kontingent für Haushaltsarbeiterinnen reserviert war, trug Spanien gleichzeitig zur Feminisierung der Einwanderung bei (vgl. Oso 1998, 117-122), was unten nochmals aufgegriffen wird. Spanien ist an Einwanderung interessiert, profitiert von ihr (auch von illegalisierter) und ist offen für diese.141 So gibt es beispielsweise neben dem wirtschaftlichen auch einen demographischen Nutzen von Einwanderung: Spanien benötigt laut einer UN-Studie bis zum Jahr 2050 insgesamt 44 Millionen ImmigrantInnen, um den demographischen Rückgang zu stoppen und das Sozialsystem (speziell die Pensionen) zu erhalten (vgl. World Economic and Social Survey 2007. Development in an Ageing World142). Es braucht und wünscht Einwanderung, möchte sie aber kontrollieren und je nach sozial- und arbeitspolitischer Nützlichkeit sowie ideologischen Zielsetzungen regulieren (vgl. Pedone 2003, 34ff). Spanien hat daher auf verschiedenen Ebenen und auf komplexe Weise am Migrationsprozess Anteil und verbindet Ecuador als Auswanderungsland und Spanien als Einwanderungsland mit den respektiven Rollen. Saskia Sassen spricht in diesem Zusammenhang von „bridging“, von der Brückenbildung zwischen Einwanderungs- und Auswanderungsländern (vgl. Sassen 2004, 65ff). Es handelt sich um wirtschaftliche, politisch-historische, legale, aber auch soziale und kulturelle Verbindungen, welche vermachten und als solche vergeschlechtlicht sind. Es lassen sich verschiedene Formen derartiger Brücken bzw. Verbindungen unterscheiden, welche teilweise bereits ausgeführt wurden: koloniale und neo-koloniale Beziehungen mit deren verschiedenen legalen, kulturellen wie sozialen Auswirkungen; neue Formen von Räumlichkeit durch mediale, technologische Verbindungen und deren Einfluss auf Imaginationen und Mobilität; direkte Anwerbung durch Regierungen, ArbeitgeberInnen oder Netzwerke (ethnische oder Migrationsindustrie); Netzwerke mit bereits Migrierten oder SpanierInnen als soziale Verbin-
140 In den letzten Jahren hat Spanien neue bilaterale Abkommen mit Herkunftsländern (z.B. Marokko) geschlossen. Ein Abkommen mit Ecuador zur Anwerbung in Ecuador besteht seit 2001. 141 vgl. Kapitel 5.2.2. Dort wird näher darauf eingegangen. 142 http://www.un.org/esa/policy/wess/index.html [26.02.2008]
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dungen; (Menschen)Handel oder Export migrantischer Arbeit sowie Spanien als Eintritt bzw. als Brückenkopf nach Zentraleuropa143. Die makroökonomischen Dynamiken der Globalisierung, deren Einfluss auf die ecuadorianische Krise und Migration sowie die Informalisierung der Ökonomie mit deren verstärktem Bedarf an NiedriglohnarbeiterInnen wurden bereits ausgeführt. Spanien nimmt also eine aktive Rolle im Migrationsprozess ein, indem es billige migrantische Arbeitskräfte formell (im Cupo-System oder über bilaterale Abkommen) oder informell nachfragt. Spanische Unternehmen partizipieren aber auch direkt am lateinamerikanischen Markt: 1994 war Spanien beispielsweise nach den USA der zweitgrößte Anleger in Ecuador mit einem Umsatz von 42,7 Millionen Dollar (vgl. Gomez Ciriano 1998, 104. Er bezieht sich auf Daten des spanischen Arbeits- und Sozialministeriums). Andererseits gilt Spanien als der „Obst- und Gemüsegarten Europas“ („el huerto de Europa“) (vgl. Pedone 2005, 20), da in Südspanien (allen voran Murcia) Obst und Gemüse für den Markt in ganz Europa angebaut werden. Die Produktion erfolgt vornehmlich mit Hilfe billiger, migrantischer Arbeit und ist ohne diese nicht denkbar. Die ersten Netzwerke ecuadorianischer MigrantInnen nach Spanien entstanden aus der südlichen Sierra Ecuadors daher auch nach Murcia. Sie folgten der Logik der Nachfrage und etablierten sich anschließend als Netzwerke, welche Familienangehörige, FreundInnen und Bekannte nachholten (vgl. ebd.). Die spanische Landwirtschaft beeinflusst die Migrationen nach Spanien aber nicht nur als ein Bereich, welcher migrantische Arbeit nachfragt und anzieht, sondern auch als ein Sektor, welcher die Entwicklung und ökonomische Wettbewerbsfähigkeit von Ländern wie Ecuador verhindert: Der Agrarsektor wäre nämlich einer der Bereiche, in welchem so genannte „Entwicklungsländer“ auf dem Weltmarkt konkurrieren und ihre Nationalökonomien stützen könnten. Die landwirtschaftliche Produktion ist in Europa jedoch so stark subventioniert und gleichzeitig durch die EU-Agrarpolitik protegiert, dass dies verhindert wird. Es gibt in dieser Hinsicht gerade keinen freien Markt für außereuropäische AgrarproduzentInnen mit der Europäischen Union (vgl. Abad 2000, 62). Daraus ergibt sich eine doppelte Dynamik: Arme Länder können aufgrund der subventionierten, protektionistischen EUAgrarpolitik auf dem Markt nicht konkurrieren, während gleichzeitig die billige Arbeitskraft aus diesen verarmten Ländern nachgefragt wird und diese wieder preiswerte Produkte für EU-BürgerInnen garantiert. In vielen Herkunftsländern ist die Agrarproduktion außerdem mittlerweile in den Händen ausländischer Unternehmen, welche exportorientierte industrielle Landwirtschaft betreiben (in Ecuador beispielsweise das US-amerikanische Unternehmen Dolé, welches riesige Bananenplantagen an der ecuadorianischen Küste besitzt). Viele Bauern und Bäuerinnen, welche bis dahin Subsistenzwirtschaft betrie143
Vgl. hierzu Goméz Ciriano 1998, 104f.
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ben, werden durch diese in die Lohnarbeit angeworben, was einen ersten Schritt im Migrationsprozess darstellen kann: Viele der ArbeiterInnen dieser ausländischen Unternehmen sind interne MigrantInnen und oft handelt es sich um junge Frauen. Dies hat normalerweise Auswirkungen auf die Organisation der Haushalte, auf die Rollenzuschreibungen, auf die Lebensstile und Projekte, und kann die Bereitschaft zu einer internationalen Migration erhöhen. Der Kontakt mit ausländischen Vorgesetzten, MitarbeiterInnen, Produkten, Verhaltensweisen und Gewohnheiten beinhaltet ein mögliches zusätzliches Gefühl der Vertrautheit und Sicherheit in Bezug auf eine etwaige Migration (vgl. Sassen 1998, 117-120).144 Im Falle transnationaler Unternehmen handelt es sich um „neo-koloniale“ Verbindungen, welche zusätzlich zu kolonialen Verbindungen eine neue, bedeutsame Topographie bilden. Im Falle Spaniens ist jedoch auch die (post-)koloniale Verknüpfung für die ecuadorianische Einwanderung von entscheidender Bedeutung: Im Eingangszitat klang bereits an, dass sich EcuadorianerInnen u.a. wegen der sprachlichen und kulturellen Nähe wie auch aufgrund legaler Vorteile für Spanien als Migrationsziel entschieden. Als EinwohnerInnen einer spanischen Ex-Kolonie und eines Ziellandes spanischer Emigrationen (während der Kolonialzeit, bei Hungersnöten wie auch während der Franco-Diktatur) verfügten LateinamerikanerInnen im Allgemeinen und EcuadorianerInnen im Konkreten über einen legalen Sonderstatus in Spanien. EcuadorianerInnen brauchten aus diesem Grund, wie bereits erwähnt, bis August 2003 kein Visum, um nach Spanien für eine Zeit von bis zu drei Monaten einzureisen.145 Im Código Civil, dem Zivilrecht, legten die Artikel 17-28 fest, dass EcuadorianerInnen nach zweijährigem legalem und ununterbrochenem Aufenthalt in Spanien Anspruch auf die spanische Staatsbürgerschaft haben sollten. Für mit SpanierInnen Verheiratete verkürzte sich die Zeit auf ein Jahr (vgl. Gómez Ciriano 1998, 104-5). Ferner hatten EcuadorianerInnen uneingeschränkten Zugang zum spanischen Arbeitsmarkt, was bedeutete, dass sich EcuadorianerInnen mit regulärem Aufenthaltstatus unabhängig von Kontingenten und dem nationalen Arbeitsmarkt auf alle ausgeschriebenen Stellen bewerben konnten (vgl. Goméz Ciriano 2000, 216).146 Diese Sonderrechte wurden mit einer Gesetzesänderung im Jahr 2000 abgeschafft und EcuadorianerInnen müssen sich seither den allgemeinen Anforderungen stellen.
144 Dieser Zusammenhang von „Modernisierung“, „Industrialisierung“ und Auswanderung ist auch insofern interessant, dass viele Entwicklungsprogramme auf „Industrialisierung” und Export basieren und gleichzeitig das Ziel verfolgen, Auswanderung zu stoppen. 145 Vgl. „Convenio de Supresión de Visados de España con Ecuador“ („Abkommen über die Aufhebung von Visa zwischen Spanien und Ecuador“) vom 30.10.1963. 146 Vgl. „Convenio de Doble Nacionalidad Hispano-Ecuatoriano” („Abkommen über die doppelte spanisch-ecuadorianische Nationalität“) vom 22.12.1964. Im nächsten Kapitel wird deutlich werden, dass es andere soziale Mechanismen gab, um die Mehrzahl der EcuadorianerInnen und MigrantInnen auf den schlecht bezahlten, ausbeutbaren und prestigelosen Stellen zu halten.
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4 Die ecuadorianische Auswanderung nach Spanien
Ein weiterer Aspekt, welcher Spanien wie auch Italien für EcuadorianerInnen als Zielland attraktiv machte, stellte die Möglichkeit dar, (im Gegensatz zu zentraleuropäischen Ländern wie zum Beispiel Deutschland und Österreich), sich über die reguläre Gesetzgebung oder außergewöhnliche Regularisierungen bzw. Amnistien zu legalisieren, also als Illegalisierte eine reguläre Arbeits- sowie Aufenthaltserlaubnis zu erlangen. Mit diesem eher prozessualen Ansatz von Irregularität als ein Schritt hin zur Regularität werden der Aufbau und die Planung von Lebensprojekten erleichtert, Integrationsmöglichkeiten und -sicherheiten geschaffen. Allein die Möglichkeit eröffnet eine gewisse Perspektive, denn letztlich sind Legalisierungen in Spanien nicht automatisch. Für viele EcuadorianerInnen erwies sich die Gesetzeslage aufgrund der ständigen Änderungen im Fremdenrecht und der unregelmäßigen Legalisierungswellen als unüberschaubar und teils willkürlich: Anträge verschiedener mir bekannter Personen, welche die Anforderungen scheinbar erfüllten, wurden abgelehnt und nicht immer waren die Kriterien klar, warum ein Antrag angenommen, ein anderer abgelehnt worden war. Außerdem verband sich die reguläre Legalisierung über das Ausländergesetz mit klientelistischen Praktiken, da die Bearbeitung der Anträge nicht wie offiziell vorgegeben drei Monate dauerten, sondern bis zu zwei und fast drei Jahre in Anspruch nahm und die MigrantInnen so an ihre Arbeitsstellen gebunden wurden, da eines der Hauptkriterien der Nachweis eines Arbeitsvertrages darstellte, an den die Erteilung eines Aufenthaltstitels samt Arbeitserlaubnis gekoppelt war. Die ArbeitgeberInnen verfügten auf diese Weise über Arbeitskräfte, die im Tausch gegen eine Legalisierung monate- oder gar jahrelang für einen Hungerlohn und unter teilweise menschenunwürdigen Bedingungen arbeiteten (vgl. Solé/Parella 2003, 66). Die Legalisierung ist auf die oben beschriebenen „migrantischen Arbeiten“ beschränkt. Eine gewährte Aufenthaltserlaubnis bezieht sich auf die Tätigkeit (wenn auch nicht den konkreten Arbeitsplatz), für welche eine Person die Aufenthaltserlaubnis erhielt. Die Vergabe wird also direkt auf die Nachfrage abgestimmt. Dies hatte, wie oben erwähnt, auch zur Folge, dass die Legalisierungsprozesse nicht geschlechtsneutral sind, sondern, da die Nachfrage nach migrantischer Hausarbeit von Frauen besonders stark ist, jeweils ein hohes Kontingent für migrantische Frauen in dieser Tätigkeit vorgesehen war (vgl. Oso 1998, 117-122). „Seit 1994 [als die Politik der Arbeitskontingente begonnen wurde] ist die Mehrzahl der über diesen Weg erteilten Arbeitserlaubnisse für Haushaltsarbeit vergeben worden (die absolute Mehrheit an Frauen). In der Praxis kanalisiert diese verwaltungstechnische Regulierung die Migrationsflüsse in diesen Sektor, erhöht die Nachfrage, verstärkt die Segmentierung des Arbeitsmarktes gemäß Geschlecht und stellt ein Anziehungsfaktor für weibliche, „unabhängige“ Migrationen dar (welche nicht von der vorausgehenden Anwesenheit eines spanischen Familienmitglieds abhängig sind).“ (Colectivo IOÉ 2001a, 453)
Migrationen werden also in ihrer Richtung, Form und ihrem Ausmaß auch durch Aktivitäten der so genannten Einwanderungsländer beeinflusst und initiiert. Gegen
4.2 Neue Krise, alte Krisen und andere Migrationsgründe
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jegliche Polemiken und Diskurse, die eine „Migrationswelle“ postulieren, die „Europa überrollt“ oder „den Einfall von MigrantInnen“ in Europa und dessen einzelne Länder propagieren, kann festgestellt werden, dass die Einwanderungsländer (unabhängig davon, ob sie sich als solche verstehen oder nicht) aktiv an den Prozessen teilhaben, die zu internationalen Migrationen führen. Sie profitieren makroökonomisch von den Terms of Trade, nationalökonomisch von billigen, jederzeit abstoßbaren Arbeitskräften, partizipieren aber auch durch historische wie aktuelle Brücken an Migrationsbewegungen. Bilder und Darstellungen wie die erwähnten Stereotype, in denen die Einwanderungsländer passiv und ohne ursächliche Handlungen im Migrationsprozess dargestellt werden, sind daher nicht nur falsch, sondern Teil der Kriminalisierung wie auch Marginalisierung von MigrantInnen und auf diese Weise Ausdruck des politischen Gebrauchs der Migration, mit deren Hilfe populistische Politiken von komplexen Problemen ablenken und durch die Nutzung von MigrantInnen als Sündenböcke Stimmen gewinnen (vgl. Bukow/Llaryora ³1998). In diesen Bildern werden. MigrantInnen entpersonalisiert und rein als Arbeitskräfte (oder maximal zusätzlich als Hilfe gegen den Geburtenrückgang) betrachtet, also in deren „Wert für die Gesellschaft“, aus der die MigrantInnen gleichzeitig per definitionem ausgeschlossen werden, wodurch sie zu einer billigen, flexiblen und belastbaren Ware gemacht werden, welche je nach nationalen Interessen benutzt und wieder abgestoßen werden kann. Als solche werden sie aber nachgefragt (vgl. dazu auch 6.6). Da die Möglichkeit zu arbeiten einen der Grundpfeiler von Migrationen darstellt, bedingt die Nachfrage nach migrantischer Arbeit als grundlegender Aspekt die Migrationen, die Entscheidung dazu und deren Verlauf. Migrationen sind daher nicht allein eine Frage von Politik, von Restriktionen und Kontrollen. „Zusammengefasst partizipierten die Aufnahmeländer typischerweise an den Prozessen, die zur Schaffung der internationalen Migration führten.” (Sassen 2004, 66) Im Folgenden wird kurz die bisherige Analyse zusammengeführt, um anschließend den Migrationsprozess der vorgestellten Frauen und ihrer Familien in Spanien, Ecuador und im transnationalen Raum weiter zu verfolgen.
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4 Die ecuadorianische Auswanderung nach Spanien
4.3 Ecuadorianische Migration nach Spanien: plurikausal und vielschichtig „Menschen wandern, weil sie arm sind, weil sie keinen Job, kein Einkommen und keine Perspektiven haben. Das sagt uns der Hausverstand. Die Suche nach Arbeit und höheren Löhnen ist das wichtigste Motiv für MigrantInnen ihre Heimat zu verlassen, bestätigen in schöner Regelmäßigkeit Umfragen und repräsentative Stichprobenerhebungen (Mikrozensen) aus aller Welt. (…) Mit Binsenwahrheiten wie „Armut“ oder „Lohndifferentialen“ können diese Entwicklungen [aber] nicht erklärt werden. Die scheinbar so banale Frage, warum Menschen emigrieren und was ein Land zum Abwanderungsland macht, muss folglich neu gestellt werden.“ (Parnreiter 2000, 25)
Die Entscheidung zu einer Migration ist Teil eines Prozesses, in den Hoffnungen, Imaginationen, soziale, politische, ökonomische, symbolische sowie kulturelle Faktoren eingehen und den verschiedene Personen und Institutionen, die oft auch nicht wandern, beeinflussen. Wie gezeigt wurde, sind Migrationen vielschichtig, plurikausal und vergeschlechtlicht. Sie können und dürfen nicht auf einzelne Faktoren reduziert werden. Obwohl dies regelmäßig in Migrationsstudien aufgewiesen wird, hält sich in öffentlichen Diskussionen, politischen Debatten wie Medienberichterstattungen hartnäckig ein monokausales Verständnis, wie im Eingangszitat kritisiert: Menschen migrieren, weil sie arm und/oder auf der Suche nach besseren Löhnen sind. Diese Erklärungen sind nicht falsch und beziehen sich zu Recht auf Armut und Verarmung, auf die hierarchisch strukturierte, ungleiche Globalisierung sowie auf die Nachfrage nach migrantischen Arbeitskräften in Einwanderungsländern. Allein ökonomische Erklärungen sind jedoch unvollständig und können viele Aspekte von Migrationen nicht erklären, weshalb hier eine plurikausale und vielschichtige Analyse verfolgt wurde, in der sich ökonomische, politische, soziale und kulturelle wie auch persönliche Faktoren ergänzen. Der Grundkontext der ecuadorianischen Migration nach Spanien bildete die ecuadorianische Krise Ende der 1990er Jahre. Es handelte sich um die schlimmste Krise Ecuadors seit Bestehen als Republik, welche sich durch eine drastische Verarmung, ökonomische, politische wie soziale Unsicherheit und den Abbau der ohnehin schlechten Sozialleistungen im Rahmen von Strukturanpassungsmaßnahmen auszeichnete. Da EcuadorianerInnen bis 2003 kein Visum zur Einreise in die EU benötigten, etablierte sich in der Krise eine neue, starke Migration nach Europa, vornehmlich nach Spanien, wo migrantische Arbeitskräfte nachgefragt wurden und aufgrund der kolonialen Geschichte sprachliche wie kulturelle Gemeinsamkeiten herrschten. In kürzester Zeit wurde Migrieren zu einer neuen Normalität, weit über die bis dahin regional beschränkte Migration in die USA hinaus. Innerhalb dieser allgemeinen Migrationsbewegung war es möglich, weitere Motive mit der Migration zu verbinden, da im Kontext der Krise für die meisten Familien eine wirtschaftliche Legitimierung der Migration zu finden war. Viele ecuadorianische Frauen nutzten diese allgemeine Migrationskultur, um zusätzlich zu einer Antwort auf die ecuadorianische Krise Formen von Genderexklusion und Gendergewalt in Ecuador zu
4.3 Plurikausalität und Vielschichtigkeit der Migration
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entkommen. Dabei half ihnen die Nachfrage nach weiblichen, migrantischen Arbeitskräften und eine vergeschlechtlichte Migrationspolitik in Spanien, welche dazu beitrug, dass die Migration von Frauen immer mehr unterstützt wurde oder Frauen aufgrund des feminisierten Arbeitsmarktes von ihrer Familie und/oder ihrem Partner zur Migration ausgewählt wurden. All diese Faktoren erklären, warum in der ecuadorianischen Migration so viele Frauen Partner zurücklassen. Durch die wirtschaftliche Legitimation ihrer Migrationen trugen die Frauen selbst dazu bei, eine einseitig ökonomische Version ihrer Migration zu verbreiten. Diese Gendermotive gelten jedoch nicht für alle Frauen. Den Migrationen liegen plurale, unterschiedliche und vielschichtige Motive zugrunde. Dazu gehören etzwerke, welche ausschlaggebend dafür sein können, ob jemand migriert oder nicht. Es schließt zudem die Bedeutung der Migrationsindustrie ein, welche auf der einen Seite mangelnde Netzwerkkontakte ersetzen kann, auf der anderen Seite aber bestimmte spezifische Dienste anbietet, welche die Reise selbst wie auch die Einreise erleichtern. Um das Geschäft „Migration“ aufrecht zu erhalten, unterstützt der Zweig der Migrationsindustrie, welcher nicht (nur) von bestehender Migration, sondern von reisenden, neuen MigrantInnen lebt, die Schaffung bzw. den Erhalt bestimmter Vorstellungen über das Leben und die Möglichkeiten als MigrantInnen in Madrid und somit den Wunsch zu migrieren. Imaginationen kommen auch andersweitig eine grundlegende Bedeutung zu: In das Migrationsprojekt gehen Vorstellungen über und die gedankliche Antizipierung von Möglichkeiten, Verwirklichungen von Hoffnungen, Träumen und Phantasien, aber auch von Risiken, Unmöglichkeiten und Gefahren ein. Diese Vorstellungen sind eingebettet in konkrete Kontexte, Praktiken und Interaktionen mit lokalen wie (trans)nationalen AkteurInnen, sowie mit Medien und verschiedenen Diskursen. Die Bilder und Vorstellungen über Spanien sind dabei durch koloniale und neo-koloniale Beziehungen mit deren verschiedenen legalen, kulturellen wie sozialen Auswirkungen geprägt. Spanien partizipiert und profitiert auf verschiedene Arten aktiv an der Migration ecuadorianischer Frauen, sowohl durch kolonialgeschichtliche wie aktuelle Verbindungen. Dazu gehört auch, dass die in Spanien bestehende Nachfrage nach migrantischen Arbeitskräften unter anderem durch direkte Anwerbung formal geregelt wird, wodurch es nationalökonomisch über billige, jederzeit abstoßbare Arbeitskräfte verfügt. Spanien nutzen außerdem makroökonomisch die zu Gunsten der reichen Industrienationen organisierten Terms of Trade, welche verhindern, dass arme Länder auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig werden, was gleichzeitig auch Auslöser von Migrationen ist. Migrationen sind also plurikausal, komplex und von einer Vielzahl von AkteurInnen beeinflusst, wie hier immer wieder betont wurde. Auch Camacho bestätigt dies in ihrer Studie über die Migration von Ecuadorianerinnen nach Spanien. „Die Frauen reisen nicht nur auf der Suche nach wirtschaftlichen Ressourcen [nach Spanien], sondern im Streben nach Autonomie, Ruhe, persönlicher Entwicklung, letztendlich auf der Suche
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4 Die ecuadorianische Auswanderung nach Spanien nach neuen und besseren Möglichkeiten nicht nur für ihre Familie, sondern für sich selbst. (...) Die Migration muss [daher] integral verstanden werden, als eine Realität, die auf verschiedene ökonomische, soziale, kulturelle und genderspezifische Faktoren antwortet und daher auf unterschiedliche Weise von den verschiedenen AkteurInnen erfahren wird und diese unterschiedlich beeinflusst.“ (Camacho/Hernández 2005, 28)
Aufgrund dieser Vielschichtigkeit sind einseitige bzw. allumfassende Erklärungen kritisch zu betrachten. Dies gilt zum Beispiel auch für eine ausschließliche Analyse weiblicher Migrationen als „Familienstrategie“147 (wie zum Beispiel Anthias/Lazaridis 2000, 11). Hier zeigte sich, dass manche Ecuadorianerinnen mit ihrer Migration gerade eine Neudefinition von Familie und deren Beziehungen anstrebten, teilweise eine Trennung von ihrer Familie bzw. ihrem Haushalt, weshalb das praktizierte Konzept der Familie von diesen Frauen mittels ihrer Migration gerade in Frage gestellt wird. Es müsste zumindest problematisiert werden, wer unter die Kategorie Familie gefasst wird, wenn sich beispielsweise Frauen von ihren Partnern trennen, aber in der Migration eine Strategie sehen, den Unterhalt ihrer Kinder zu bestreiten.148 Aus dem gleichen Grund sollte auch das Ergebnis von Morokovašic „Frauen brechen von zu Hause auf, um zu Hause bleiben zu können“ (Morokovašic 1994) nicht verallgemeinert werden. In Bezug auf Formen zirkulärer Migrationen mag dies stimmen, ist meiner Meinung nach jedoch nicht einfach auf internationale Migrationen übertragbar (vgl. Lutz 2003, 258). Es ist vielmehr notwendig zu differenzieren und die Komplexität des Phänomens Migration nicht zu reduzieren. Die hier ausgeführte Analyse versuchte diese Vielschichtigkeit an den Migrationsgeschichten von EcuadorianerInnen in Madrid aufzuweisen, ohne dafür jedoch Vollständigkeit und Allgemeingültigkeit zu beanspruchen. Es wurden diejenigen Faktoren betont, welche eine Entscheidung zur Migration beeinflussen, aber weniger die Aspekte herausgearbeitet, welche Menschen veranlassen, sich gegen eine Migration zu entschließen, was manchmal die schwierigere Frage sein kann. Mónicas Schwester Maricela wäre zum Beispiel gerne migriert und hätte unter Umständen auch die Möglichkeit dazu gehabt. Sie hatte aber Angst um ihren Sohn, der gerade in die Pubertät gekommen war und Alkoholprobleme hatte. Mit viel Mühe schloss dieser in den folgenden Jahren die Schule trotz seines Alkoholismus ab. Sie ist überzeugt, dass er dies nicht geschafft hätte, wäre sie migriert. 147 Phizacklea gelangt beispielsweise in einem Artikel von 2003 nach einer differenzierten Analyse zu quasi deterministischen Schlussaussagen, in denen die Frauen als von der Schwere ihrer Situationen Getriebene erscheinen, wenn sie sagt, dass es für sie keine andere Alternative gegeben hätte als zu migrieren. Sie stellt die Migrantinnen quasi als Fliehende dar, die ganz auf ihre „Familien“ hin handeln, auch wenn sie dabei eigene Ziele wie das Verlassen der Hausarbeit verfolgen: „There was no alternative but to migrate. Bringing better life to their families is pre-eminent, sending home money to their families is their priority, but their own aspirations for the future are not just a better paying, legal job but the prospect of moving out of domestic work altogether.“ (Phizacklea 2003, 35) 148 Zu einer Kritik am Haushaltsansatz vgl. Hondagneu-Sotelo 1994 sowie Pessar 1999, 582ff.
4.3 Plurikausalität und Vielschichtigkeit der Migration
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Auch Silvias Tante in Santo Domingo de los Tsachilas gab ihre Kinder als Motiv der Nicht-Migration an. Sie befürchtete, dass ihr Sohn anderenfalls die Schule nicht beendet hätte. „Und warum haben Sie sich nicht früher zum Weggehen animiert?“ „Früher? Weil mein Sohn in der Schule war. (…) Um mich nicht [von ihm] zu trennen. Wie auch immer, da er nur mich hat, der Vater und ich sind nämlich getrennt. Das war daher das Motiv. Ich dachte nach und sagte: Wenn ich gehe und ihn zurücklasse, bevor er die Schule abschließt, macht er halt keinen Abschluss. Das war mein Motiv.“ (Tante von Silvia)
Die Verantwortung gegenüber Kindern oder Eltern kann daher entweder gerade durch die Migration übernommen werden oder, insofern dies auch in Ecuador möglich erscheint und falls in der Migration ein zu großes Risiko gesehen wird, eine Entscheidung gegen die Migration herbeiführen. Aber auch die subjektive Einschätzung der eigenen persönlichen Lage in emotionaler und sozialer Hinsicht, konkrete Lebensumstände wie Probleme, der Moment im Lebenszyklus einer Person (verheiratet/unverheiratet/verwitwet; Pubertät/Schwangerschaften/ Menopause; generationale Position etc.), biographische Ressourcen oder charakterliche Unterschiede und das jeweilige Weltbild können eine Person zur Migration ermuntern, während sie eine andere demotivieren würden. So greifen manche Personen selbstbewusst und optimistisch die positiven Berichte aus Spanien auf, andere jedoch vornehmlich die negativen Aspekte, während wieder andere zum Beispiel in ihrer Religiosität über ein soziales Kapital verfügen, das ihnen Sicherheit und Geborgenheit in einem göttlichen Plan verspricht und somit Ängste und Risiken minimiert. Wieder andere ziehen eine Verschlechterung ihrer Situation in Ecuador einer Diskriminierung und Ausbeutung als MigrantIn in Spanien vor, wie Teresa auf die Frage danach, ob ihre Schwestern, nachdem sich ihre ökonomische Situation in Ecuador verschlechtert hat, nun auch nach Spanien käme, sagt: „[J]etzt ist es schwierig, weil meine Schwester immer gut situiert war, aber sie sagt, dass die Dinge dort [in Ecuador] sehr, sehr schwierig sind, sogar für sie.“ – „Wirklich? Und gedenken sie zu kommen?“ „Nein, ich denke nicht, sie macht das nicht. Sie ist ein bisschen stolzer.“ (Teresa)
Auch wenn aber wie hier persönliche Ressourcen und Aspekte Migrationen beeinflussen und die Einzelpersonen normalerweise ihre Migration als Resultat persönlicher Entscheidungsprozesse sehen, so handelt es sich um keine rein individuellen Faktoren. Vielmehr wird jegliche Migrationsentscheidung, wie aufgewiesen und reflektiert wurde, auch durch die verschiedenen (strukturellen) Kontexte in deren Geschichte wie Aktualität beeinflusst (vgl. Sassen 2004, 63). Auf dem Hintergrund der Analyse der Migrationsgründe und -motivationen geht es im Folgenden um die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten, auf die EcuadorianerInnen in Madrid treffen und darum, wie Hoffnungen und konkrete Chancen, Projekt und Realisierung zueinander in Beziehung stehen und wie die EcuadorianerInnen damit umgehen. Der Migrationsprozess beginnt
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4 Die ecuadorianische Auswanderung nach Spanien
dabei nicht erst in Spanien, sondern schließt alle hier analysierten Dynamiken mit ein. Die verschiedensten AkteurInnen, Institutionen und strukturellen Bedingungen beeinflussen die Migrationsentscheidung wie auch deren Verlauf, weshalb sie uns im Migrations- und Analyseprozess auch weiterhin begleiten werden.
5 Angekommen: EcuadorianerInnen in Madrid
„Für mich war es sehr hart, hierher zu kommen. Es war sehr hart angesichts dessen, wie man arbeitet und (...) wie man behandelt wird.” (Erika)
Die Entscheidung zur Migration wird in Ecuador auf dem Hintergrund von Erzähltem, Imaginiertem und Erhofftem unter Beteiligung verschiedener anderer AkteurInnen wie Familie, Migrationsindustrie, FreundInnen oder Verwandten im Kontext der Nachfrage in und dem Bezug zu Spanien getroffen. Angekommen in Madrid stellt sich jedoch Vieles anders dar als vermutet: unbekannte Sinneseindrücke und andere körperliche Erfahrungen, die Trennung von geliebten Personen, unter Umständen von den Kindern, die Dominanz der Arbeit im Alltag, die Unsicherheit als Illegalisierte, der Statusverlust, die Festschreibung auf bestimmte, zugeschriebene Tätigkeiten, Diskriminierung und Ethnisierung sowie die schwierigen Wohnsituationen und Vieles mehr stellen neue, oft unerwartete Anforderungen an die MigrantInnen. 5.1 Neubeginn im fremden Kontext Mit der Migration erfolgt eine Veränderung der sozialen Felder und Positionen sowie der Sinnhaftigkeit der eigenen Handlungspraxis samt Orientierungsmuster, was auch Auswirkungen auf die Verhaltenssicherheit hat (vgl. Lentz 1988, 165). Was in Ecuador noch als logisch und sinnvoll erschien, ist es nicht zwangsläufig in Spanien. Viele Vorstellungen über das Leben als MigrantInnen in Spanien wie zum Beispiel Erwartungen über schnell erspartes Geld und eine baldige Rückkehr oder die Hoffnung auf Gleichheit und sozialen Aufstieg erweisen sich meist als falsch. Die Schulden, welche oft sehr hoch sind, können nicht wie erhofft zurückbezahlt werden, was nicht nur radikales Sparen und Arbeiten notwendig macht, sondern auch eine starke Belastung darstellt. Ebenso werden durch die Migration Klassenunterschiede unter den EcuadorianerInnen gesellschaftlich nivelliert sowie mitgebrachte Fähigkeiten und Wissen entwertet (vgl. Mahler 1995, 58). Außerdem sind den Migrierten praktisch alles neu und fremd: das Essen, die Verhaltensweisen, die Art zu sprechen sowie der Lebens- und Arbeitsrhythmus. All dies birgt hohe physische wie psychische Belastungen in sich.
Heike Wagner, Dasein für Andere – Dasein als Andere in Europa, DOI 10.1007/978-3-531-92167-9_5, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2010
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5 Angekommen: EcuadorianerInnen in Madrid
Die Veränderungen und die Notwendigkeiten, sich neu orientieren zu müssen, beginnen spätestens mit dem Einsteigen in das bzw. mit dem Aussteigen aus dem Flugzeug. Für Personen, welche nicht von AgentInnen der Migrationsindustrie, Verwandten oder Bekannten vorbereitet und auch nicht vom Flughafen abgeholt wurden, stellte die Ankunft am Flughafen das erste große Hindernis im Migrationsprozess dar. Dazu gehörte zunächst, die Passkontrolle zu durchschreiten und als TouristIn ins Land gelassen zu werden, wie dies zur Zeit meiner Forschung gerade nicht mehr möglich war, jedoch alle hier vorgestellten EcuadorianerInnen betrifft, da diese (teils gerade) noch vor der Einführung des TouristInnenvisums im August 2003 nach Spanien eingereist waren. Oben wurde bereits auf die Passkontrolle am Flughafen hingewiesen und die damit verbundene „TouristInnenprüfung“, welche teils willkürlich war, teils aber auch aufgrund von Nervosität und mangelnder Vorbereitung nicht bestanden wurde. Die Passkontrolle war daher gefürchtet und mit großen nervlichen Anspannungen verbunden. Iván Matute beschreibt in seiner autobiographischen Erzählung, wie nach der Ankunft in Madrid eine Frau aus seinem Flug auf ihn zukam: „/Entschuldigung, junger Mann, ich bin Ecuadorianerin. Können Sie mir einen Gefallen tun? / – Klar, habe ich ihr geantwortet – Ihre verweinten Augen ließen mich ahnen, dass ihr etwas passiert war. /Ich weiß nicht, wie ich es Ihnen sagen soll, ich schäme mich, aber ich muss es tun, um mich gut zu fühlen /. Aber was ist denn mit ihnen los, fragte ich sie erneut – /Ich weiß nicht, ob ich schreien oder heulen soll, aber bitte tun Sie mir einen Gefallen. / (...) Können Sie mich umarmen, ich muss jemanden umarmen, nach diesem ganzen Kreuzweg, der mich fertig machte / – Beruhigen Sie sich, Señora – / Sie wissen nicht, wie lange ich darauf gewartet habe, nach Spanien überzusetzen, nach zwei Versuchen in die USA schaffe ich es jetzt, durchzukommen, ich weiß nicht, ob ich glücklich oder traurig bin. Endlich wurden meine Gebete erhört. Es war nicht gerecht, nachdem ich versucht hatte, in die USA zu gehen, einmal mittels eines Coyotes und einmal mit einem falschen Visum und beides Mal hatte ich Pech, dieses Mal musste ich durchkommen und ich habe es geschafft. Jetzt werde ich arbeiten und die Schulden bezahlen können. Ich werde der Bildung meiner Kinder gerecht werden können (...) Ich werde meiner kranken Mami helfen können.“ (Matute 2004149, 76f).
In Matutes Beschreibung wird deutlich, welche finanzielle wie psychische Belastung mit der Migration bzw. mit der Einreise im Konkreten verbunden ist. Isabela berichtete mir von ihrer ersten Ankunft in Madrid, wie sie auf dem Flughafen, nachdem sie die Passkontrolle passiert und ihr Gepäck abgeholt hatte, nicht wusste, was sie machen sollte. Sie hatte sich von ihrer Freundin getrennt, um aus taktischen Gründen unabhängig voneinander die Zollkontrolle zu passieren und wusste nun nicht weiter. Sie sei in den Flughafen rein und raus gegangen. Die Hilflosigkeit, das Verloren- und Alleinsein auf dem Flughafen und später in Madrid (da
149 Die Autobiographie wurde von Matute selbst verlegt und herausgegeben. Sie erschien 2004 im Eigenverlag. Die Schriftweise wurde aus dem Originaltext übernommen.
5.1 Neubeginn im fremden Kontext
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die Freundschaft mit der mitgereisten Freundin nach kürzester Zeit zerbrochen war), erwähnte sie im Interview wie in informellen Gesprächen immer wieder: „Zwei Wochen nach meinem Schulabschluss [bachillerato] kam ich hierher. Es war eine harte Erfahrung, erstens, weil es das erste Mal war, dass ich von zu Hause fortging, mit 18 Jahren, und ich nicht wusste, worauf ich mich einließ. Zweitens, weil ich hier absolut niemanden kannte. Nur um ein Beispiel zu nennen: Als ich im Flughafen von Barajas ankam, lief ich im Flughafen rein und raus, ohne zu wissen, was ich tun sollte. Es war eine harte Erfahrung.“ (Isabela)
Wer eine Adresse zur möglichen Unterkunft hatte, nahm ein Taxi dorthin. Wer jedoch über keinerlei Adressen und Informationen verfügte, war ganz auf sich alleine gestellt und musste Informationen und Kontakte erst suchen. Mir begegnete im Herbst 2001 ein Ecuadorianer im Bus von Spanien nach Deutschland, welcher unterwegs nach Bonn war, da er gehört hatte, dass es dort eine größere Gruppe von EcuadorianerInnen gäbe. Seine Strategie sei, so erklärte er mir, am Bahnhof auszusteigen, zu warten, bis EcuadorianerInnen vorbei kämen und diese anzusprechen und um Hilfe zu bitten. Er hoffte, so außerdem seine Nichte ausfindig zu machen, von der er lediglich wusste, dass sie in Bonn leben und arbeiten würde. Eines der zentralen Probleme nach der Ankunft stellte vor allem die Unterkunft dar. Teilweise verschiebt sich die Unmittelbarkeit um ein paar Tage, wenn zum Beispiel ein Migrationspaket mit Hotel gebucht worden war oder Personen bei Verwandten oder Bekannten wohnen konnten. Da deren Wohnsituation meist ebenfalls beengt war, konnte auch erwünschter Besuch nach relativ kurzer Zeit zu einer Belastung werden und zwar sowohl aus räumlichen als auch finanziellen Gründen (Anderson berichtet von zwei bis drei Wochen; vgl. Anderson 2003, 30). Auch die Aufgenommenen fühlten sich oft mit fortschreitender Zeit immer unwohler, empfanden sich als Last und suchten eine unabhängige Lösung für die eigene Wohnsituation. Ohne Partner und Kinder migrierte Frauen – im Falle der ecuadorianischen Migration nach Spanien zur Zeit meiner Forschung die Mehrzahl – versuchten normalerweise, so schnell wie möglich, eine Arbeit als Interna zu finden. So sind Wohnungssuche und Mietkosten idealerweise umgangen. Je nach arbeitsfreier Zeit, dem Arrangement mit den ArbeitgeberInnen und persönlichen Wünschen benötigten sie jedoch oft eine zusätzliche Unterkunft für eine Nacht, falls sie eineinhalb Tage am Stück frei hatten. Außerdem dauerte die Arbeitssuche normalerweise eine gewisse Zeit, weshalb auch als Interna arbeitende Frauen zunächst eine Unterkunft suchen mussten. 5.1.1 Wohnen – „el piso compartido“: MigrantInnen-WGs „Ich gehe zu der Wohnung und sehe die Mini-Wohnung. (...) Gut, es gab vier Personen. (...) Um sechs, sieben, acht [Uhr], kamen [plötzlich] viele, viele Personen. (...) Ich sah mir das an: ‘Und das?’ Ich hatte mir etwas Anderes vorgestellt und sage: ‘Meine Güte, wo bin ich hingekommen?’
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5 Angekommen: EcuadorianerInnen in Madrid Und das war zum Weinen und Weinen. Es wurde Nacht und ich sagte: ‘Und gut, wo werde ich jetzt schlafen?’ Ich war wegen der Zeitverschiebung schon müde. (...) ‘Ich bin müde, ich möchte schlafen.’ – ‘Ja, warte.’ (...) Ich war so in einer Ecke und bin eingeschlafen. Ich hielt die Müdigkeit nicht aus, die Erschöpfung und ich schlief einfach ein, als: ‘O.K., Ingrid’, und sie beginnt das Sofa zu öffnen, sie öffnen es zu einem Bett (...) und als ich dort hingehe (...) waren dort zwei Männer, eine Frau, ein Baby und ich, die wir dort schlafen mussten. Und ich: ‘Was?!!!’ (betont) Ich hatte in meinem ganzen Leben nicht mit einem anderen Mann zusammen geschlafen, der nicht mein Ehemann war und hier, mit dem ganzen lauten Chaos. Für mich war das, sagen wir, das Schlimmste. ‘Ich schlafe hier nicht!’ Und es gab dort so ein rundes Tischchen, in einer Ecke gab es so eines und einen Sessel, und ich setzte mich dorthin und begann zu weinen, weinen, heulen und ich bin in diesem Sessel eingeschlafen. Am nächsten Tag kam meine Freundin und ich sagte ihr: ‘Hol mich hier raus.’ Ich weinte und weinte und weinte. (….) Bis ich dann das fand, wo wir 14 Mädels wohnten. Das war eine ganz kleine Sache, aber gut, wenigstens waren wir Frauen, wo tagsüber war es sehr gut, nachts gab es keinen Platz zum Durchkommen, überall lagen Matratzen und – ein Bad war dort, wo es kein heißes Wasser gab, also uuhhh (...). Ich wollte sterben, ich wollte zurückgehen, ich weinte den ganzen Tag und weinte und ‘Ay, ich will zurück.’“ (Ingrid)
Geschichten wie die von Ingrid waren bei Erzählungen über die Anfangszeit und manchmal auch über die spätere Wohnsituation Gang und Gäbe. Üblicherweise war das Leben von MigrantInnen in Spanien (zumindest in der Anfangszeit) von striktem Sparen geprägt, wozu auch die Wohnarrangements zählten: 20 Personen wohnten, kochten, aßen in einer kleinen Wohnung, teilten das Bad und organisierten wer morgens wann ins Bad geht, wann die Küche benutzt, was wann von wem geputzt würde, etc. Meistens fanden sich in den Badezimmern und Toiletten keinerlei persönliche Gegenstände. Vielmehr nahm zum Beispiel jede und jeder ihr eigenes Toilettenpapier jeweils mit und brachte es wieder zurück ins Zimmer. So wurden Probleme vermieden. Für gewöhnlich wohnten mehrere Personen in einem Zimmer, oft teilten sie ein Bett und nicht selten wurden Zimmer (zum Beispiel Wohn- und Esszimmer) abends in Schlafstätten verwandelt oder durch Möbelstücke in mehrere Unterzimmer unterteilt und vermietet. Sofía wohnte beispielsweise eine Zeit lang in einem derartigen „piso compartido“ (wörtlich: „geteilte Wohnung“, also eine Wohngemeinschaft) im Wohnzimmer (gleichzeitig Esszimmer), welches untertags auch als solches benutzt wurde. Sie musste täglich warten, bis dieses abends nicht mehr in Gebrauch war, um es sodann zu ihrem Schlafzimmer umzufunktionieren. Häufig gab es Stockbetten, in denen mehrere Personen schliefen. Teilweise wurden Betten stundenweise bzw. nach Tages- und Nachtturnus vermietet. Wurden Wohn- und Esszimmer ganztägig bewohnt, bedeutete dies, dass es keinen Gemeinschaftsraum und somit keinen Tisch gab. Gegessen wurde dann im jeweiligen Zimmer auf dem Bett sitzend oder, falls ein Zimmer groß genug war, an einem kleinen (oft improvisierten) Tisch. Hausaufgaben wurden von Kindern oft im Bett sitzend gemacht. Viele MigrantInnen teilten daher mit unbekannten Personen das Bett und Putzen, (Un-)Ordnung etc. beinhaltete ein großes Konfliktpotential mit migrantischen
5.1 Neubeginn im fremden Kontext
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(Wohngemeinschafts-) wie spanischen und anderen NachbarInnen (aus Nachbarwohnungen) und machten eine starke gegenseitige Rücksichtsnahme notwendig. Kinder hatten dadurch nur einen sehr begrenzten Raum zum Spielen und sich Austoben. Sie müssen leise sein und sich einschränken, was teils neue Formen der Disziplinierung, der Belohnung und der Organisation des Familienlebens nach sich zog (Fernseher oder viel draußen im Park). Nicht nur die Kinder, auch die Erwachsenen empfanden das Wohnen als „ein Gefängnis“ („Ich bin hier eingesperrt“, hörte ich in verschiedenen Varianten immer wieder), was neben anderen Faktoren wie Geldsorgen, harter Arbeit etc. einen bedeutenden Anteil an der psychischen Belastung des Lebens als MigrantIn und an davon ausgelösten Depressionen hat (vgl. auch Anderson 2003, 33). Im Bild des Gefängnisses wird deutlich, dass Migrationen eine neue RaumZeit-Ordnung bewirken, u.a. ausgelöst durch die Lebens- und Arbeitsbedingungen150. Gleichzeitig sind auch unterschiedliche Vorstellungen von Ruhezeiten, über die Nutzung öffentlichen Raumes und zum Beispiel über die normale Lautstärke von Musik bedeutsam, da spanische NachbarInnen sich immer wieder beschwerten, dass migrantische AnrainerInnen zu laut seien. Um daher Konflikte zu vermeiden, vor allem um unauffällig und unsichtbar zu sein (was die Mehrzahl der MigrantInnen schon allein aufgrund ihrer fehlenden Aufenthaltserlaubnis versuchte), mussten ganz neue Entspannungs- und Vergemeinschaftungsmethoden entwickelt werden, da die herkömmlichen, nämlich zum Beispiel Musik aufzudrehen, zu tanzen, zu singen und miteinander zu trinken, zu Konflikten mit SpanierInnen oder MitbewohnerInnen des piso compartidos151 führen können, wie im folgenden Zitat deutlich wird. „Was muss man lernen, wenn man hierher kommt?“ „Also das Wichtigste ist, zu lernen, zusammen zu leben, untergeordnet unter die Gesetze von ihnen zu leben. Deshalb ist es hier so, dass Sie, wenn Sie in ihrem Zimmer sind, keinen großen Lärm machen dürfen. Wenn Sie Musik hören, dürfen Sie die Lautstärke der Radios, des Fernsehers, nicht zu sehr aufdrehen, nicht laut sein, weil der Nachbar neben Ihnen, der im anderen Zimmer wohnt, der ruht sich gerade aus und man muss sich dessen etwas bewusst sein. Wie hier wohnen in einer Wohnung zum Beispiel mindestens zwanzig Personen, zwanzig Personen. Von den zwanzig Personen, was weiß ich, schlafen ungefähr zehn oder acht Personen und die zwei, drei, vier, die da sind, was weiß ich, die hören Musik, aber es muss leise sein. Also in dieser Hinsicht ist es anders. Dort in Ecuador gehen Sie zum Beispiel hin und drehen die Musik auf. Sie machen, was Sie
150 Ebenso erfolgt eine neue Raum-Zeit-Ordnung durch die transnationale Selbstverortung der MigrantInnen. 151 In einem Fall, wohnte ein Spanier zusammen mit drei ecuadorianischen Familien in einem piso compartido. Ansonsten handelte es sich jedoch stets um migrantische Wohngemeinschaften, welche teils nach Nationalitäten (EcuadorianerInnen/PeruanerInnen etc.), teils nach Regionen (ecuadorianische Costa/Sierra) oder Kontinenten (lauter LateinamerikanerInnen) organisiert oder auch ganz unterschiedlich zusammengesetzt waren. Sofía lebte beispielsweise in einem piso compartido, in dem neben mehreren EcuadorianerInnen auch mehrere NigerianerInnen lebten.
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5 Angekommen: EcuadorianerInnen in Madrid wollen, schreien, springen, hier hingegen nicht. Hier müssen Sie zurückhaltender sein. Das ist total anders.“ (Interview mit Fernando)
Indem nicht die gleichen Entspannungsarten und Formen sozialen Miteinanders gelebt werden können, kann auch die Freizeit zu Stress werden, was psychisch zusätzlich belastend wirkt. Viele Frauen sagten unabhängig und in verschiedenen Situationen über das Leben in Spanien immer wieder: „Hier gibt es keine Freiheit.“ Dabei bezogen sie sich teilweise auf ihren fehlenden Aufenthaltstitel (s. unten). Oft spielten sie aber auch auf die Unmöglichkeit an, die eigenen Freizeitaktivitäten und Entspannungsarten zu leben (vgl. dazu auch 7.2.1.1). Jedoch nicht nur in der Wohnung sind die Erfahrungen von Körperlichkeit und Sinnlichkeit verändert. Das Essen, das Klima, die Landschaft – alles ist unterschiedlich. „Dort ist alles grün, alles schön.”, sagte beispielsweise Claudia über ihr Dorf in Ecuador. Mónica meinte: „Hier spürt man viel Kälte (Lachen). Wie soll ich dir sagen – viel Kälte in Bezug auf die Personen selbst, nicht nur die Kälte, die man physisch spürt.“ (Mónica)
Unterschiede zeigen sich jedoch auch in Aspekten, die als „gleich“ erwartet werden, wie zum Beispiel der Sprache. Claudia erzählte, wie bei ihrer ersten Arbeitsstelle über sie gelacht wurde, weil sie eine bestimmte, typisch ecuadorianische Ausdrucksweise benutzt hatte: „Sie haben über das „mande”152 gelacht; es ist ein Ecuatorianismus.“ Auch Sofía berichtete über ihr anfängliches Erstaunen, dass das spanische Spanisch anders war: „Als ich kam, hörte ich sie reden und sagte: ‚Aber in Ecuador redet man nicht so!’ Das heißt, Ausdrücke, Sätze und solche Sachen. Ich sagte das und jetzt rede ich plötzlich gleich und das, obwohl ich noch nicht lange hier bin. Jetzt rede ich schon wie sie.” (Sofía)
Vor allem Männer, welche auf dem Bau arbeiteten, erzählten mir von ihren anfänglichen Problemen mit ihnen fremden Ausdrücken, da viele Werkzeuge einen anderen Namen in Spanien haben und sie diese zunächst lernen mussten. Generell gab es aber wenige Verständigungsprobleme. Die Sprache blieb jedoch als ethnischer Marker bestehen und war oft Konfliktpunkt unter EcuadorianerInnen, zum Beispiel als Indiz, ob jemand zu seiner Herkunft stehen würde oder nicht.153 Neben diesen verschiedenen Formen von Konfliktpotentialien untereinander, mit anderen MigrantInnen sowie SpanierInnen, war in den Pisos compartidos zusätzlich auch die Privat- und Intimsphäre eingeschränkt, was einen weiteren Stressfaktor bedeutet. Sexuelle Kontakte und Intimität stellten oft ein großes Problem dar 152
„Mande?“ bedeutet wörtlich: „Sie befehlen?“. Es handelt sich um einen kolonial geprägten Begriff, welcher in Ecuador benutzt wird, um eine höfliche Rückfrage (im Sinne von „Wie bitte?“) zu stellen. 153 Dies begegnete mir vor allem an ecuadorianischen Treffpunkten wie zum Beispiel in Parks, wo dies nach mehreren Flaschen Bier immer wieder zu Konflikten führte.
5.1 Neubeginn im fremden Kontext
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und immer wieder erwähnten Frauen mir gegenüber, wie sie sich schämten, im Zimmer mit ihnen fremden Personen, sexuelle Kontakte mit ihren Partnern zu haben. Sie würden jedoch dazu gezwungen und/oder fühlten sich dazu verpflichtet, u.a. weil sie die oben erwähnte „naturhafte Notwendigkeit der unmittelbaren Erfüllung sexueller Bedürfnisse von Männern“ vertraten und ihre eigene Rolle als „verfügbare Partnerinnen“ als selbstverständlich betrachteten. Bei einem Gruppeninterview erzählten mir ecuadorianische Frauen teils belustigt, teils schockiert mehrere Geschichten aus ihrer eigenen Erfahrung (passive wie aktive), wie Paare ihre Intimität in einer derartigen migrantischen Wohngemeinschaft lebten. Es war einzig ein Ehemann anwesend, welcher sich jedoch nicht dazu äußerte: „Aber wie machen es die Paare, die Privatsphäre, die Intimsphäre?“ „Ich erzähl´s dir besser nicht: in der Wohnung.“ – „Diese Geräusche. Horror.“ – „Wo die 15 Chicas [junge Frauen] waren, kam gerade der Mann von einer und am gleichen Tag-, weil sie hatten ihnen ein Stockbett gegeben und diese Chica schlief oben im Stockbett und so hörte man es. (Lachen) Warte, ich erinnere mich, wie sie ihm das sagte, dass [sie] nicht [wollte], aber der Mann war gerade erst angekommen und wollte und so. Und ich sagte, man hörte alles und dann ñaca, ñaca [knack, knack].“ – „Ooooh, das ist Horror.“ – „(...) Nachts war es schlimm, weil es ging taca, taca, taca, taca (...) (Lachen) und man hörte alles (...) Nein, das ist schlimm, es ist eine schreckliche Sache. Für mich war das schrecklich, für mich war das schrecklich.“ – „Ich denke, dass es für die Frau schlimmer ist. Denn für mich war es schlimm. Man hält es als Frau aus, eine Frau kann es ohne weiteres monatelang aushalten, ohne dass sie sexuelle Kontakte hat, aber die Männer bestehen darauf. Bestehen darauf! Und mit so vielen Leuten um einen herum.“ – „Das ist wahr.“ – „Man weiß nicht, was man tun soll.“ – „Ich stelle mir diese Chica vor, am nächsten Tag, die Arme.“ – „Wie peinlich.“ – „(...) Unten schlief die Tante und ich weiß nicht wer und oben das Mädel, weil es ein Stockbett war. Also sagt sie [die Tante ] (...) zur Chica: ‚O.k., ihr Hübschen, heute gehen wir weg, weil ihr macht Nacht für Nacht taca, taca!’ Und die Arme hatte den Kopf eingezogen (Lachen) und wir gingen alle auf die Straße.“ (Gruppeninterview)
Die Frage der Privat- und Intimsphäre war auch nach der Anfangszeit oft ungelöst oder schlecht gelöst, da die am meisten verbreiteten Wohnarrangements auch später darin bestanden, dass zwei FreundInnen oder Familien mit ihren Kindern gemeinsam ein Zimmer in einem „piso compartido“ mieteten und dort wohnten.154 Dabei handelt es sich jedoch nicht unbedingt um eine neue Form des Wohnens, sondern um eine auch in Ecuador verbreitete Praxis, bei der Großfamilien zusammen in einem Haushalt leben. Dabei können sich kulturelle wie ökonomische Gründe sowohl im Herkunfts- als auch im Migrationskontext verbinden (vgl. Anderson für München. Anderson 2003, 32). Es war bereits davon die Rede, dass Verónicas drei Schwestern in Guayaquil gemeinsam in einem Haus lebten – jedes Paar mit seinen Kindern in einem Zimmer. Zum Zeitpunkt meines Besuches in Ecuador vergrößerte Verónicas Vater gerade das Haus, sodass nun jede Familie 154 Einmal sagte mir die fünfjährige Tochter einer Freundin, als ihre Mutter auf einen ihrer Streiche etwas überreagierte, ins Ohr: „Meine Mami ist ein bißchen nervös, weil sie gerade Liebe gemacht haben.“ Hier wohnten Eltern mit ihren beiden Kindern auf ungefähr 15 m², wobei dies nichts Neues darstellte: Auch in Ecuador hatten sie gemeinsam in einem Zimmer gewohnt.
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5 Angekommen: EcuadorianerInnen in Madrid
über zwei Zimmer verfügt: eines für die Kinder und eines für die Eltern, direkt beieinander, mit einer nur teilweise geschlossenen Wand verbunden, auf diese Weise aber gleichzeitig sichttechnisch abgetrennt. Die Kinder teilen sich immer ein Bett. Eine Trennung von Eltern- und Kinder-Schlafzimmer wurde durch die in Spanien verdienten Gelder ermöglicht und war erwünscht. Als Familie wird das Zusammenleben in einem gemeinsamen Raum (je nach Fall als Zimmer oder Haus) ohne die westlichen Standards von „Privatsphäre“ oft als normal und erstrebenswert befunden. Es handelt sich um eine in Ecuador übliche Praxis, welche aber je nach Region, Klasse, Ethnizität und persönlichen Vorstellungen unterschiedlich und nicht überall zu finden ist. Außerdem gab es einen klaren Unterschied in Spanien: Im Gegensatz zu Ecuador ging es um Wohngemeinschaften mit zunächst Unbekannten155 und nicht um ein Zusammenleben als Großfamilie. Manolo erklärte mir in diesem Sinne sein Wohnarrangement in einem piso compartido, in dem er zusammen mit einem anderen Ecuadorianer ein Zimmer teilte: „Wir müssen so leben, um... wie soll ich dir sagen? (...) Die Zahlung des Zimmers ist einfacher. Dies ist ein System, das wir fast alle machen (....) vor allem die MigrantInnen, nicht wahr?“ – „(...) Und habt ihr euch schon früher gekannt oder erst hier?“ – „Wir haben uns hier in Spanien kennengelernt; nicht vorher schon in Ecuador, nein.“ (Interview mit Manolo)
Viele EcuadorianerInnen konnten sich keine anderen Wohnarrangements leisten. Als lange Zeit ‚Illegalisierte’ können MigrantInnen zudem keine legalen Mietverträge eingehen, werden aber auch als legalisierte ‚Fremde’ von spanischen VermieterInnen oft diskriminiert unter dem Motto: „Wir wollen keine AusländerInnen“. Diese Form der Marginalisierung und Bildung sozialer Nischen mit räumlichen Randzonen, in denen bestimmte Randgruppen wohnen, schließt zwar auch andere, offiziell als spanische StaatsbürgerInnen anerkannte Minderheiten wie zum Beispiel Gitanos und Gitanas ein. Bei MigrantInnen kommt erschwerend hinzu, dass sie, zumindest in ihrer Anfangszeit, normalerweise illegalisiert und somit MieterInnen ohne offizielle Verträge sind, wodurch sie oft zusätzlicher Willkür ausgeliefert sind: mündliche Abmachungen können von heute auf morgen gebrochen werden; Mietpreise werden beliebig erhöht oder es werden im Wissen der schwachen Position der MieterInnen bei der monatlichen Abrechnung der Stromkosten fiktive, überhöhte Preise verlangt. Ihr fehlender Aufenthaltstitel und/oder die Diskriminierung als „MigrantInnen“/„AusländerInnen“ lassen ihnen aber oft keine andere Chance als derartige Arrangements anzunehmen. Das wissen SpanierInnen wie MigrantInnen und nutzen dies vielfach profitabel aus. Vor allem in der Anfangszeit fehlen häufig Kontakte, aber auch Informationen über „normale Mietpreise“, wie
155 Was für viele Eltern ein Problem ist, da sie sich um ihre Kinder sorgen, wenn diese alleine zu Hause bleiben müssen.
5.1 Neubeginn im fremden Kontext
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man ein Zimmer sucht und wie man Zugang zu informellen oder formellen (Hilfs-) Netzwerken findet. Mit der Zeit verbessern sich normalerweise die Wohnsituationen. Da die große Mehrzahl der Migrationsprojekte jedoch auf Sparen und zwar radikalem Sparen bei sehr geringen Einkünften beruht, blieben die Meisten der von mir kennengelernten MigrantInnen in einem piso compartido wohnen, wenn auch oft unter besseren Bedingungen als in der Anfangszeit. Die Nachfrage nach Zimmern in einer derartigen migrantischen Wohngemeinschaft, nach Zimmern, Betten oder Betthälften blieb auch nach der Etablierung der Neuangekommenen bestehen. Daraus hat sich ein lukratives Geschäft für legalisierte MigrantInnen entwickelt: Teresa berichtete beispielsweise, dass sie für einen Platz in einem Bett, das sie mit anderen, ihr unbekannten Frauen teilen musste, 90 € im Monat bezahlte. In der kleinen Wohnung wohnten 22 Personen. Eine derartige Wohnung kostet vielleicht 800 € Miete pro Monat, woraus sich ein Reingewinn von ungefähr 1180 € ergibt: Selbst wenn die Gesamtmiete mehr kosten und die Nebenkosten nicht 22 x 90 € extra umgelegt werden sollten, ist die Spannweite deutlich: Es lässt – 800 € sich sehr viel Geld mit überhöhten Mieteinkünften aus überfüllten 1980 € Wohnungen verdienen. Um als MigrantInnen erfolgreich zu sein, bedarf es der Erwirtschaftung eines Überschusses. Wer nur überlebt und das Nötigste verdient, kann keine Schulden bezahlen, kann aber auch nicht Geld nach Ecuador schicken und/oder sparen. Geld war nicht umsonst einer der in meiner Analyse meist vergebenen Codes. Die Arbeitsmöglichkeiten in Spanien sind jedoch so gering, dass dieser Überschuss nur mit ununterbrochener, harter Arbeit (vgl. Colectivo IOÉ 2003, 101ff) oder durch das Ausnutzen der schwachen, von Informationen und informellen Hilfestellungen abhängigen (neuen) MigrantInnen zu erwirtschaften ist. Aus der Notlage anderer MigrantInnen kann auf diese Weise das meiste Geld gemacht werden. Mahler bezeichnet die dazu notwendigen Ressourcen als „immigrant capital“ (Mahler 1995, 156) und beschreibt parallele Prozesse für die Migration/Flucht von Salvadoreño/ as nach und deren Ankunft in den USA: „They learn that the rules of life are different in the United States from what they were at home. As innocents and greenhorns, they often learn these lessons through victimization. But once having paid their dues, they also learn to play the new games to their advantage. Among the lessons migrants learn in the days following their arrival, three play crucial roles in the realigning expectations with reality: (1) learning how difficult it is to produce and safeguard surplus income, (2) understanding that the drive to produce a surplus commodifies most relationships, and (3) realizing that opportunities for producing that surplus lie primarily within one’s community and not outside it. To tap these opportunites, migrants must recognize and utilize their community’s resources for their own benefit.“ (Mahler 1995, 90)
Wer also Papiere hat oder über bestimmtes Wissen bzw. Möglichkeiten verfügt, kann daraus Kapital schlagen und so Teil der Migrationsindustrie (vgl. 4.2.4) wer-
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5 Angekommen: EcuadorianerInnen in Madrid
den. Zimmer unterzuvermieten, stellt daher auch die gängigste Form dar, sich eine Wohnung zu kaufen, da durch die etablierten Preise für ein Zimmer (normalerweise für ein 15m² Zimmer zwischen 280 € und 350 €) mindestens die eigenen Fixkosten, wenn nicht zusätzliche Einkünfte erbracht werden. Auf diese Weise wird ein Kauf erschwinglicher bzw. meist erst möglich, da die MigrantInnen, egal ob regulär oder irregulär aufhältig, in ihrer großen Mehrzahl lediglich Arbeiten ausüben können, die trotz hoher Arbeitszeiten nur einen geringen Lohn in Spanien erbringen.156 Die Marginalisierung, Rollenzuschreibung sowie Ausgrenzung mittels der Migration und Illegalisierung macht die Unterstützung durch Netzwerke, die Überbrückung sozialer Lücken und informelle Informationen sowie Vermittlungen zu Arbeitsstellen notwendig. Diese Abhängigkeit von informeller Hilfe, und somit von Netzwerken, ermöglicht es wiederum anderen MigrantInnen in (mittlerweile) besseren Positionen, einen Profit zu erwirtschaften, welcher über migrantische Arbeit allein nicht möglich wäre. Hier zeigt sich einmal mehr die Ambivalenz von Netzwerken: Sie wirken einerseits unterstützend, andererseits aber auch verhindernd und ausbeutend. Die Hilfe basiert auf der Asymmetrie der jeweiligen Positionen, welche für die eigenen Vorteile ausgenutzt werden. Teilweise nimmt die Hilfe/Ausbeutung Extreme an wie im Fall von Amparo, die von einer ecuadorianischen Freundin, welche ihr Geld zur Migration geliehen hatte, eineinhalb Jahre in Schuldknechtschaft gehalten wurde. Amparo musste auf die Tochter der Freundin aufpassen, sie versorgen und bei ihr als Interna arbeiten. Sie erhielt dafür 150 € monatlich und musste ansonsten ihre Schulden mit der Arbeit abbezahlen. Ich lernte Amparo kennen, als sie gerade auf Arbeitssuche war, um sich nach eineinhalb Jahren aus diesem Arrangement zu lösen. Innerethnische bzw. innermigrantische Ausbeutung war häufiges Gesprächsthema unter EcuadorianerInnen, wie oben (4.2.3) bereits anklang. Es gab eine Art Slogan, den ich immer wieder hörte: „Wenn man hierher kommt, gibt es keine Familie, keine Freunde, nichts.“ Oder: „Hier zählt nur das Geld.“ Fernando beklagte sich zum Beispiel einmal in einem Gespräch mit mir, dass das, was ihn vor allem in Spanien schmerzte, die fehlende Rücksicht und Solidarität unter EcuadorianerInnen sei, weil „die eigenen Leute nehmen dich aus“. Sie würden Gewinn mit der Not der anderen machen, da diese keine Papiere haben. Die Grenzziehung, wann Hilfe zu Ausbeutung wird, war jedoch nicht immer einfach und nicht jede Form der Übervorteilung wurde gleichermaßen kritisiert. 156 Je nach Migrationsprojekten ist dies unterschiedlich: Wer sich in Spanien niederlassen möchte, versucht eine Wohnung zu kaufen. Wer jedoch schnell nach Ecuador zurückkehren will, priorisiert Projekte in Ecuador, allen voran den Bau eines Hauses bzw. Kauf einer Wohnung. Mit den Jahren können sich diese Projekte überschneiden bzw. ergänzen: So bauten beispielsweise viele der mir Bekannten zunächst ein Haus in Ecuador, kauften eine Wohnung oder verbesserten ihre Wohnungen bzw. Häuser in Ecuador aus. Nach einigen Jahren in Spanien kauften sie sich außerdem eine Wohnung in Madrid (auf Kredit).
5.1 Neubeginn im fremden Kontext
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Sich eine Wohnung zu kaufen bzw. als HauptmieterIn die Wohnung so unterzuvermieten, dass man selbst keine Miete zu bezahlen hat, war mehr oder weniger akzeptierte Praxis, solange die Mieten nicht zu hoch und die Wohnbedingungen nicht zu schlecht waren. Dies schloß auch eine neue Normalität ein, dass Verwandte und Bekannte reguläre Mieten zahlen. Auch Fernando unterschied zwischen Ausbeutung, welche er kritisierte, und der Notwendigkeit (für sich) zu arbeiten. Auf meine Frage, was er denn dazu meinte, dass immer wieder gesagt würde, dass es in Spanien keine Solidarität mehr innerhalb der Familien gäbe, erklärte er mir: „O.k., ich sage Ihnen etwas. Sie wissen, dass es hier hart ist, um einen Duro zu verdienen. Um einen Duro zu verdienen, das kostet. Also, wenn Sie hier Familie haben und du einen Verwandten bei dir hast, dann arbeiten Sie und Ihr Verwandter ist da. Er schläft bis um zehn, elf Uhr morgens aus, anstatt frühmorgens loszugehen. Auch wenn er keine Arbeit findet,– ich gehe und suche Arbeit. So Gott will, findet er dabei Arbeit, aber er zieht es vor, bis um zehn Uhr auszuschlafen, anstatt loszugehen und Arbeit zu suchen, und dann kommt mein Wochenende, mein Monatsende. Ich komme mit meinem Geld und er sagt zu mir: Leih mir, um das zu zahlen. Oder leih mir, um das andere zu zahlen. Wozu soll ich ihm etwas geben? Ich kann nichts geben, weil das, was ich erarbeitet habe, ist für mich und außerdem ist es hart für mich zu arbeiten.“ – „Klar.“ – „Und zudem muss ich meine Familie ernähren. Ich muss für, wie man sagen kann, dafür bezahlen, was ich lebe. Also denken sie, dass man, weil man ihnen nichts leiht, dass man schon eine andere Art und Weise angenommen hat. Also solch einer Person, die nicht auf Arbeitssuche geht, wozu werden Sie dieser etwas geben? Und wenn sie Arbeit sucht, dann arbeitet sie nur zwei, drei Tage und dann gefällt ihr die Arbeit nicht mehr, weil die Arbeit sehr hart ist. ‚Hier mache ich mir dies kaputt.’ Also wollen sie nicht mehr arbeiten. Wozu bin ich dann gekommen? (...) Die Leute, die hierher kommen, kommen um zu arbeiten, um zu kämpfen, kommen wegen einer Ideologie. Aber die so kommen, um das Leben [der anderen] schwer zu machen oder um kriminell zu werden, nein, das nicht. Dafür finde ich überhaupt keinen Grund. Für mich ist es das, was sie meinen, dass jemand sich verändert.“ (Fernando)
Fernando betont, dass er sein Geld für seine eigene, (Kern-)Familie braucht und unterstellt Hilfsbedürftigen, dass diese nicht richtig arbeiten wollten und nicht die notwendige Einstellung bei der Arbeitssuche und bei der Akzeptanz der Arbeitsbedingungen hätten. Über die schwierigen Bedingungen bei der Arbeitssuche und die Arbeitsbedingungen selbst spricht er hingegen nicht, was typisch bei diesen Aussagen ist: Obwohl in anderen Zusammenhängen die strukturellen Bedingungen als MigrantInnen beklagt werden, zum Beispiel dass es als MigrantIn schwierig ist, Arbeit zu suchen, dass Vorurteile, Feindlichkeiten, Aufenthaltstitel und andere soziale Prozesse zu Marginalisierung und Ausschluss von Möglichkeiten und Hilfsleistungen führen, so werden, wenn es um die Veränderung der sozialen Beziehungen in bezug auf Reziprozität und finanzielle Hilfe geht, nicht diese Prozesse und das System als solches für die (notwendige) Veränderung der Strategien, sondern die Personen dafür kritisiert (vgl. auch Mahler 1995, 94-104). Die innerethnische und innerfamiliäre Ausbeutung bzw. die mangelnde Solidarität untereinander wird dabei oft als schlimmer empfunden als ausbeuterische Praktiken durch SpanierInnen, da diese erwartet werden und als „normal“ gelten. Ist daher von Ausbeutung durch
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SpanierInnen die Rede, weisen viele EcuadorianerInnen darauf hin, dass es auch oder gar vor allem EcuadorianerInnen oder andere etablierte MigrantInnen seien, die MigrantInnen ausbeuten und relativieren auf diese Art und Weise die Ausbeutungspraktiken der SpanierInnen. „Oder weißt du, die ecuadorianischen Emigranten sind sogar manchmal mehr, in ihrer Mehrzahl werden wir mehr durch die eigenen Ecuadorianer als von den Spaniern ausgebeutet.” – „In welcher Hinsicht, wo?“ – „In den Wohnungen, zum Beispiel (...) Schau mich an zum Beispiel. Eine Anekdote: Als ich ankam, gerade angekommen und eine Woche hier war, hat die Señora, die Besitzerin der Wohnung, mir gesagt: ‚Kannst du bügeln?’, ich sage: ‚Nein.’ Sie sagte: ‚O.k., das macht nichts, ich bringe es dir bei’. Sie hat mich zu ihrer Arbeit mitgenommen, ihr zufolge, um mir das Bügeln beizubringen. Sie hat mich einen riesigen Berg Kleidung bügeln lassen, aber das war ihre Arbeit. (...) Und sie hat mir nichts dafür gezahlt.“ (Isabela)
Von den EcuadorianerInnen wird quasi eine Parallelwelt erwartet, in welcher andere Werte herrschen. Dies ist jedoch in der angemahnten Art und Weise im Migrationskontext nur schwer möglich bzw. unrealistisch. Die Migration stellt Familien, Bekannte, Haushalte und FreundInnen vor neue Herausforderungen, etabliert neue Strategien, verlangt neue, andere Allianzen und generiert neue Formen von Konflikten und bringt bestehende Konflikte ans Licht. In der Klage, dass es in Spanien keine Solidarität mehr gäbe, wird daher die Veränderung und Neuaushandlung von Beziehungen beschrieben, aber nicht deren Ursache. Andererseits wird aber auch ein Ideal von Familie oder Freundschaftsbeziehungen beschworen, welches in Ecuador in dieser Art nicht allgemeingültig und für alle Mitglieder eines Haushaltes existiert(e). Sofía teilte beispielsweise in einem Gespräch mit anderen MigrantInnen in Madrid zunächst die Klage einer Ecuadorianerin, dass die eigene Familie in Spanien zum Problem werde, schränkte daraufhin jedoch sofort ein, dass sie sich mit ihrer Schwägerin schon in Ecuador nicht verstanden hätte. Gleichzeitig gibt es aber auch große Solidarität und Unterstützung untereinander, sei es innerhalb der Familie, unter FreundInnen oder durch Unbekannte, wie Richard erzählte: „Manche [helfen] schon, andere nicht. Von Leuten, von denen ich zum Beispiel nicht erwartet hätte, dass sie mir helfen, sie haben mir geholfen. Momentan bin ich in dieser Arbeit, durch jemanden, von dem ich nie gedacht hätte (....) Aber schau, dieser Señor, immer wenn er mich traf [fragte er]: ‚Arbeiten Sie?’ – ‚Ja, ich arbeite.’ Und ich kam und er fragt: ‚Arbeiten Sie?’ – ‚Nein.’ Und dann hat er mir [eine Arbeit] verschafft, zuerst hat er mir eine verschafft und dann diese jetzt (...) und er hat mich zwei Mal angerufen: ‚Wie geht es dir? Arbeitest du schon?’, besorgt, ob ich arbeite, weil er sah, dass ich in Not war, um die Schulden zu bezahlen und so viele andere Sachen.“ (Richard)
Richard erzählt hier, wie ihm von einem eher Unbekannten bei der Arbeitssuche geholfen wurde. Im Gegensatz zu einem Mietverhältnis und finanzieller Hilfen gab der Helfende hier Informationen weiter und half ihm mit seinen Kontakten in seiner freien Zeit. Ökonomische Hilfen liegen dabei auf einer anderen Ebene.
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Die Anfangszeit bedarf also der Lösung ganz praktischer Probleme im neuen, fremden Kontext wie die bereits erwähnte Suche nach einer Unterkunft, die Orientierung in der fremden Stadt (zum Beispiel auch Metrobenutzung), die Arbeitssuche, unter Umständen auch Nahrungsbeschaffung. Dabei besteht ein großer Unterschied, ob eine Person alleine in Spanien ist oder über etablierte und unterstützende Netzwerke verfügt. 5.1.2 Die Bedeutung von Ressourcen: Netzwerke, der Zugang zu Informationen und Hilfsleistungen Oben wurde bereits darauf hingewiesen, dass soziale Beziehungen eine wichtige Ressourcenquelle darstellen und für den Verlauf eines Migrationsprozesses eine entscheidende Rolle spielen. Sie unterscheiden sich je nach Inhalt (Verwandtschaft, soziale Unterstützung, wirtschaftlicher Tausch, Kommunikation) und begünstigen oder beschränken Handlungen auf verschiedene Art und Weise (vgl. Pedone 2003, 106ff). Um sich in die spanische Gesellschaft einzugliedern, sind Kontakte zu Personen in anderen Positionen, asymmetrische Netzwerke und die Überschneidungen von Netzwerken besonders bedeutsam, weshalb die Schaffung neuer Netzwerke und die Beziehung zu Brokern von entscheidender Bedeutung und deshalb auch so profitabel sind. Es gibt daher große Unterschiede zwischen Personen je nach der Vielzahl, Bedeutung und Qualität ihrer Kontakte, ihrer Informationen und ihrem Zugang zu anderen Netzwerken. Dies wird sich im Verlauf der Ethnographie immer wieder zeigen, weshalb hier nur kurz darauf hingewiesen werden soll. Viele (oder überhaupt) Kontakte zu besitzen, bedeutet jedoch nicht automatisch, dass diese auch Hilfestellungen sowie qualitativ gute Informationen geben. Wichtiges Wissen wird daher gerade oft nicht gewusst und andererseits prägen Gerüchte oder Fehl- bzw. Halbinformationen Strategien (vgl. 4.2.3; Pedone 2003, 244). Informationen zu erhalten bzw. über diese zu verfügen, stellt aber eine der zentralen Ressource im Migrationsprozess dar. So gibt es in Madrid eine Vielzahl von Hilfsangeboten von Kleider- über Nahrungsspenden bis hin zu Arbeitsbörsen, welche allesamt MigrantInnen den Einstieg erleichtern und über Notzeiten hinweg helfen können. Man muss aber wissen, wo wann welche Hilfe erhältlich ist. Diese Informationen sind jedoch nicht immer einfach zugänglich. Ich arbeitete mich beispielsweise zusammen mit arbeitssuchenden Freundinnen durch die Angebote von Arbeitsbörsen und, obwohl wir systematisch Informationsbroschüren durchlasen und unsere verschiedenen Netzwerke nach Informationen befragten, stieß ich im Laufe der Zeit immer wieder auf neue Angebote, von denen ich nie zuvor gehört hatte. Es sind aber auch andere Kapitalien in der Anfangszeit entscheidend. Dazu gehören z.B. aus Ecuador mitgebrachtes Geld, die Möglichkeit, Geld in Spanien zu leihen oder von Ecuador geschickt zu bekommen, aber auch verschiedene Formen
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von Hilfsangeboten und der strategische Umgang damit. Hilfsangebote können in Notlagen aber und gerade in der Anfangszeit entscheidend sein. Manche Arbeitslose, Arbeitssuchende oder nur beschränkt Arbeitende spezialisierten sich zeitweise auf das Sammeln bestimmter Hilfsangebote. Vor allem Frauen, welche mit Partnern und kleinen Kindern in Madrid waren und nur begrenzt arbeiten konnten, nutzten diese Strategie, um ihren Teil zum Familieneinkommen beizutragen, wie sie mir gegenüber erklärten. Sie wussten, wo Nahrung und wo Kleidung geschenkt oder billig abgegeben wurde und konnten so Ausgaben sparen. Dolores bediente sich dabei nicht nur formeller Hilfestellungen, sondern auch informeller Hilfe durch andere Ecuadorianer, welche bei Marktständen arbeiteten und ihr das ausgemusterte Obst und Gemüse beiseite legten. Diese sortierte sie sodann ihrerseits aus, warf Unbrauchbares weg und nahm das Essbare mit nach Hause. So erhielt sie, wie sie mir stolz erklärte, umsonst Gemüse und Obst. Sie machte sich dabei meiner Meinung nach nicht nur die Hilfsbereitschaft der ecuadorianischen Verkäufer zunutze, sondern auch Klassenunterschiede und ethnisierte Stereotypen gegenüber ihr als indigener Ecuadorianerin durch die mestizischen, ecuadorianischen Verkäufer. Ihr machte es nichts aus, die Reste nach Brauchbarem zu durchsuchen, während sie gleichzeitig mit ethnisierten Stereotypen gegenüber der „armen Indigena“ rechnen konnte, auch wenn sich diese Unterscheidungen (nach Klasse und Ethnizität) im Migrationskontext in der Hinsicht auf Arbeits- und Lebensmöglichkeiten relativierten. Vielmehr verfügte sie im Vergleich zu anderen Familien einerseits über ein fixes Einkommen ihres Mannes, welcher legalisiert mit festem Vertrag auf dem Bau arbeitete und andererseits über Mietzahlungen durch Untervermietung eines Piso compartido. Es ging daher in ihrem Fall auch nicht um das Abwenden von direkter Not mittels der Gemüse- und Obstreste, sondern um das Sparen. Dolores war es zudem sehr wichtig, auch zum Unterhalt beizutragen und auf diese Weise ihre Rolle gegenüber ihrem in Ecuador physisch gewalttätigen und nun in Spanien vielmehr psychisch gewaltsamen Mann zu stärken. Teresa berichtete mir ihrerseits von einer Hilfsstelle, die ihr von einer Arbeitskollegin ihres Mannes empfohlen worden war. Da sie unwissentlich und ungeplant schwanger nach Spanien gekommen war, hatten sich ihr Projekt und dessen Verlauf grundlegend verändert. Sie konnte erst einmal nicht arbeiten und war nach der Geburt ihrer Tochter auf der Suche nach Unterstützung. Vom Ausmaß der ihr gebotenen Hilfe war sie sehr überrascht. Im Interview stellte sie die Art und Weise, wie diese Hilfe erfolgte, in Frage: „Ich bin mit dem Mädchen gegangen. Aber ich habe sie mitgenommen, weil ich niemanden hatte, wo ich sie lassen konnte (Lachen) und es scheint, dass sie Mitleid bekam und sie holte Sachen hervor. Und sagen wir, wir hatten eine Tüte dabei für ein paar Sachen, ich musste ein Taxi nehmen.“ – „Wirklich?“ – „Weil es gab keine Möglichkeit, dass ich mit dem Kinderwagen und mit diesem Berg von Sachen hätte gehen können und also nahm ich ein Taxi (...)“. – „Hat dich das Taxi dann gleich viel gekostet wie das Essen?“ – „Nein, weil 9000 Peseten hat mich das Taxi gekostet, nur für ein Paket Milch wären schon 1000 Peseten weg gewesen, weil es waren 12 Pakete, dann die Natil-
5.2 Zu MigrantInnen in Spanien werden
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las 12, 10 Pakete Reis, 10 Tüten (....) Und die Kiste mit Keksen, mit [Keks-]Tüten drinnen und Öl und Nudeln, sie gab mir eine riesige Menge.“ (Teresa)
Teresa sagt hier, dass die Mitarbeiterin der Hilfsstelle angesichts der Neugeborenen wohl Mitleid bekommen und ihr daher unverhältnismäßig viel geschenkt hätte. Mitleid und ein (zugeschriebener) Opferstatus sind Faktoren, welche oft die größten solidarischen Reaktionen bewirkten. Nicht selten bestand daher die erfolgreichste Strategie darin, diese aktiv zu bemühen, wozu auch gehörte, gerade nicht zu erzählen, welche Ausbildung und Erfahrungen man mitbringt. Es kann daher sein, dass MigrantInnen selbst ein Bild der „armen, ungebildeten Opfer“ performen, da sie (nur) so mit Hilfe rechnen können. Es gibt viele Probleme und Schwierigkeiten, welche es in der Anfangszeit und im weiteren Verlauf des Migrationsprozesses zu lösen gilt. Dabei müssen oft neue Handlungsmuster und Strategien entwickelt und auf neue Ressourcen gebaut werden, da der spanische Kontext den strukturellen Rahmen für die Verwirklichung des Migrationsprojektes setzt und seinerseits definiert, was gesellschaftlich unter „MigrantIn“ zu verstehen ist und welche Rolle EcuadorianerInnen in Spanien einnehmen können. 5.2 Zu MigrantInnen in Spanien werden „María Dolores Guamán Campana Abgeschlossene Schulbildung: Studium an der Fakultät für Philosophie und Sprachen der Universität Guayaquil. Titel in Rechnungswesen. Englischunterricht am Instituto Benedy in Guayaquil. Arbeit als Sekretärin, als Bibliothekarin (inklusive Ausbildung neuer MitarbeiterInnen) sowie als Händlerin. Seit März 2003 eine Migrantin mehr in Spanien.”157
Der Entschluss zur Migration impliziert, zu einer „MigrantIn“ zu werden. Die Selbstdefinition dieser Rolle und die damit verbundenen Hoffnungen, Träume und Imaginationen unterscheiden sich jedoch oft grundlegend vom Verständnis und vor allem von der Rolle der MigrantIn, die ihnen in Spanien zugesprochen und ermöglicht wird. Viele Aspekte, wie zum Beispiel eine angenommene Gleichheit Aller in modernen, demokratischen Gesellschaften, erweisen sich schnell als falsch: Im Jahr 2000 arbeiteten 98 % aller legalisierten EcuadorianerInnen im Haushalt, in der Landwirtschaft, auf dem Bau oder in anderen schlecht bezahlten, anstrengenden und oft unstabilen Tätigkeiten, und zwar unabhängig von ihrer Ausbildung, ihrer Berufserfahrung und ihren Kenntnissen (vgl. Lora-Tamayo D’cón 2000, 80). In diesem Sinne beklagten verschiedene Frauen auf die Frage, was ihnen an Spanien nicht
157 Inspiriert durch den Klappentext des Buches “Ecuador en España. La realidad de la migración“ von Edmundo Oviedo Campaña (2002). Den Lebenslauf selbst übernahm ich von einer mir bekannten Ecuadorianerin.
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gefalle, dass sie nur bestimmte Arbeitsmöglichkeiten hätten und, wie Silvia sagte „immer das Gleiche arbeiten müssen“. Verschiedene soziale Mechanismen hielten die EcuadorianerInnen in diesen Tätigkeiten und machten sie zu MigrantInnen gemäß ihrer spezifischen Funktion für die spanische Gesellschaft: billige, anspruchslose, belastbare, leicht abstoßbare Arbeitskräfte in den nachfragenden Tätigkeitsbereichen zu sein. Dazu gehört, dass sie zu einer eigenen, geschlossenen Gruppe gemacht wurden, dem so genannten „colectivo ecuatoriano“ („das ecuadorianische Kollektiv“) bzw. allgemein zu „los/ las migrantes“ („die Migranten“ bzw. „die Migrantinnen“). Es handelt sich dabei um eine sozial zugeschriebene Rolle, welche die Individualität mit ihren spezifischen Erfahrungen und Ressourcen gesellschaftlich beschränkt. Eine besondere Rolle spielt dabei die Illegalisierung. 5.2.1 Ohne regulären Aufenthaltstitel: „Hier gibt es keine Freiheit“ „Und wie hattest du dir Spanien vorgestellt?“ „Gut, mein Mann hatte mir schon mehr oder weniger erzählt, dass es schön sei, aber dass das Leben hier ein bisschen schwierig sei, weil man hier nicht genügend Freiheit hätte, zumindest wenn man keine Papiere hat. Man kann nicht einfach weggehen, zu der Uhrzeit, wie man will, weil man gefasst werden kann, und dann weisen sie einen aus.“ (Verónica)
Mit Ausnahme der im Vergleich wenigen Personen, die über Familienzusammenführung nach Spanien kamen oder direkt in Ecuador angeworben wurden und auf diese Weise mit Vertrag und Aufenthaltsgenehmigung nach Spanien einreisten, lebte die große Mehrheit der EcuadorianerInnen nach Ablauf des dreimonatigen Aufenthaltes als TouristIn (bzw. nach Einführung des Visums im August 2003 von Anfang an) zunächst illegalisiert in Spanien. Keine Aufenthaltsgenehmigung zu besitzen, bedeutet, dass die Möglichkeit einer Abschiebung wie ein Damoklesschwert ständig über den Köpfen schwebt. Wer jedoch abgeschoben wird, kann seine/ihre Ziele nicht verwirklichen, was je nach Migrationsprojekt und Moment im Migrationsprozess bedeuten kann, dass die Schulden, welche für die Reise aufgenommen wurden, nicht zurückbezahlt werden können, hypothekierte Grundstücke, Häuser etc. verloren gehen und der Unterhalt des Haushaltes in Ecuador (erneut) bedroht ist. Um daher eine Abschiebung zu verhindern, leben Illegalisierte so unauffällig wie möglich: Sie fahren zum Beispiel stets mit Ticket in den öffentlichen Transportmitteln und lassen sich auch sonst nichts zu schulden kommen. Sie versuchen nahezu unsichtbar zu werden, gesellschaftliche Regeln und Normen einzuhalten und so wenig wie möglich zu interagieren. Je nach Strategien, Informationen, Einschätzung der Lage und Persönlichkeit führt es zum Beispiel dazu, dass öffentliche Plätze gemieden werden und Illegalisierte abends nicht aus dem Haus gehen (vgl. Alt 2003,
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167ff). Dies schränkt die Freizeitaktivitäten und den Alltag zusätzlich ein, was eine weitere hohe psychische Belastung darstellt, zumal die Wohnstätte in der Regel auch kein Ort der Entspannung ist und freie Zeit vielmehr im Freien bzw. außer Hauses verbracht werden muss. Oft wird daher, wie von Verónica im Eingangszitat, über das Leben in Spanien gesagt, dass es keine Freiheit gibt. Angelina drückte dies in einem Gespräch mit einer anderen Ecuadorianerin recht deutlich aus: „Dies ist eine Scheiße. Hier gibt es keine Freiheit.“ – „Nein, es gibt keine Freiheit.“ Angelinas Aussage bezog sich einerseits auf ihre Möglichkeiten, deren Beschränkung, aber auch auf die Behandlung, welche sie unmittelbar zuvor durch SpanierInnen erfahren hatte, die ihr zu verstehen gegeben hatten, dass sie als Migrantin weniger Wert, unwissend und untergeordnet ist bzw. zu sein hat. Die fehlende Aufenthaltserlaubnis schreibt den MigrantInnen bestimmte Rollen zu und verhindert den Zugang zu den meisten öffentlichen Institutionen, zu geregelten und geschützten Arbeitsverhältnissen sowie zu allen möglichen Formen von Rechten, wobei zu betonen ist, dass in Spanien im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern wie Österreich und Deutschland der Zugang zum öffentlichen Gesundheitssystem frei und unabhängig vom Aufenthaltsstatus gewährt ist. Das Migrationsregime ist aber auch in Spanien äußerst effizient und produktiv darin, „die Bevölkerung zu hierarchisieren und Migrierenden unterschiedliche Pfade und Rechte bis zur ‚Illegalität’ aufzuweisen. (...) Gerade dadurch, dass immer mehr MigrantInnen undokumentiert wandern und mehrortige Existenzen aufbauen, kann Arbeitskraft den neuen globalisierten Bedingungen entsprechend regiert werden.“ (Hess 2005, 242-244)
Ein irregulärer Status ist daher keine gänzlich „ungewollte Praxis“, an welcher alleine MigrantInnen und VertreterInnen der Migrationsindustrie inklusive MenschenhändlerInnen und SchlepperInnen Anteil haben, sondern ein vielschichtiger Prozess mit einer Vielzahl an AkteurInnen. Notwendige Voraussetzung ist dabei die Nachfrage nach informeller Arbeitskraft, was im Folgenden noch näher ausgeführt wird. Lutz hält fest: „Illegalität ist keine individuelle Eigenschaft, kein humanes Charakteristikum, sondern basiert auf staatlicher Zuschreibung und ist darum vor allem konjunkturabhängig. Illegalität ist im Prinzip kein kriminelles, sondern ein aufenthaltsrechtliches bzw. arbeitsrechtliches Delikt“. (Lutz 2005, 73. Sie bezieht sich auf Bade 2001, 65)
Illegalisierung ist Teil einer sozialen, ökonomischen sowie politischen Logik und trägt zusammen mit Ethnisierung und Diskriminierung zur Festschreibung der MigrantInnen in ihrer Rolle als belastbare, flexible und ausbeutbare Arbeitskräfte bei, weshalb diese Faktoren im Folgenden in ihrem Zusammenwirken betrachtet werden.
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5.2.2 Illegalisierung, Diskriminierung und Ethnisierung: Als Andere gleich gemacht „Sie haben gesagt, (...) dass man mit den Papieren [etwas Anderes] arbeiten kann (...). Aber das ist nicht so. Weil wenn du deine Dokumente regelst, (...) dann dazu, damit du weiter putzt (...)“ (Erika)
Die MigrantInnen, von denen hier die Rede ist, bilden in der spanischen Gesellschaft, grob betrachtet, die unterste soziale Schicht, welche durch zugeschriebene Kriterien wie Herkunft und die ökonomische Funktion für die „Einwanderungsgesellschaft“, jedoch nicht durch andere Aspekte wie zum Beispiel Bildung und Arbeitserfahrung strukturiert wird. Herkunft und Klasse werden auf diese Weise strukturell verbunden, was sich in vielfältigen Formen von Diskriminierung äußern kann. Diese „Ethnostratifizierung“ (vgl. Parella 2003, 158ff) ist zwar nicht statisch und auch nicht als ausschließlich aufgrund von „Fremdheit“ definiert zu betrachten (zum Beispiel stellen auch Gender oder Gesundheit wichtige Faktoren dar und außerdem zeigt sich heute gleichzeitig eine stetige Prekarisierung und Verarmung von „Einheimischen“). Für MigrantInnen erfolgt eine Rollenzuweisung als „Andere“ innerhalb der sozialen Hierarchien, welche sehr stabil ist, was die oben zitierte Statistik über die Arbeitsfelder legalisierter EcuadorianerInnen in Spanien verdeutlichte. Gesetzliche Richtlinien wie zum Beispiel der notwendige Nachweis, dass keine SpanierInnen die für nicht-EU-BürgerInnen beantragten Arbeiten verrichten könnten (vgl. Gómez Ciriano 2000, 216) oder das „Quoten-System“, welches Quoten für Einwanderung zur Verrichtung bestimmter Tätigkeiten vorsieht (vgl. Solé/Parella 2003, 67), legen diese Stratifizierung und Ethnisierung des Arbeitsmarktes gesetzlich fest. Cachón spricht in diesem Zusammenhang von „institutioneller Diskriminierung“ (vgl. Cachón 1995; 2003). Durch eine Betonung der Fremdheit der EinwanderInnen wird zudem ein gesellschaftlich gewolltes „Distanztheorem“ zwischen EinwanderInnen und Aufnahmegesellschaft festgeschrieben, welches sowohl ökonomische als auch soziale sowie politische Interessen befriedigt. So können PolitikerInnen auf dem Feld der Einwanderungsdiskussion populistisch ihre Steuerungspotenz erweisen, auch wenn die geführte Diskussion nicht sachlich und lösungsorientiert ist. „Die Sonderstellung des Migranten ist ein Akt der politischen Hervorhebung und Einordnung einer erst dadurch bestimmten Gruppe. Die Sonderstellung bewirkt eine Bevölkerungsgruppe, die nach Maßgabe der bürgerlich definierten Gesellschaftlichkeit hervorgehoben werden kann, um letztlich den ökonomisch bedingten Steuerungsbedarf des politischen Zentrum, des Staatsapparates zu befriedigen. Dabei kommt es weniger darauf an, ob der Steuerungsbedarf auf diese Weise, nämlich durch Ethnisierung wirklich ökonomisch effektiv gedeckt werden kann. Es genügt eigentlich, wenn der Staatsapparat hier seine Bereitschaft ankündigt und damit auf politischer Ebene Steuerungspotenz demonstriert. Deshalb lässt sich die „Politik der Ethnisierung“ auch nicht quantitativ, sondern al-
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lenfalls qualitativ ausmachen, zum Beispiel in der rechtlichen Sonderbehandlung, der praktizierten Willkür usw.“ (vgl. Bukow/Llaryora ³1998, 167)
In diesem Prozess werden die Eingewanderten ethnisiert, das heißt fremder gemacht als sie sind und als Andere (re)konstruiert. Dies hat Auswirkungen auf den Handlungsspielraum, auf die Interaktion mit der Aufnahmegesellschaft wie auch auf die Handlungsstrategien sowie Orientierungsmuster. Dabei erfolgt eine negative soziale Konstruktion, zum Beispiel indem, obwohl informelle Tätigkeiten in der Mehrzahl durch „Einheimische“ ausgeübt werden, diese ausschließlich mit MigrantInnen in Verbindung gebracht werden und auf diese Weise ein „Ausländerproblem“ sozial konstruiert wird, welches nicht der Praxis entspricht (vgl. Cyrus 2004b, 29f). Dazu gehört auch die erwähnte Thematisierung „illegaler Einwanderung“ als ein einseitig von anscheinend „ungewollten“ MigrantInnen bestimmter Prozess, ohne die Vielzahl der daran beteiligten AkteurInnen zu benennen. Damit Personen überhaupt „illegal“ in ein Land einwandern können, bedarf es aber, wie bei der Analyse der Auswanderungsgründe deutlich wurde, notwendigerweise auch der „Anschlussfähigkeit“, nämlich der Nachfrage ihrer Arbeitskraft, aber auch der „Zugänglichkeit“ zum Arbeitsmarkt (vgl. Cyrus 2004b, 28ff). „Migranten sind beim illegalen Aufenthalt auf Unterstützung angewiesen. Die illegale Einwanderung gelingt nur, wenn sie von der aufnehmenden Gesellschaft toleriert, nachgefragt und im weitesten Sinne sogar unterstützt wird. Selbst die Formen extremen Menschenhandels, bei dem Ausländer eingeschleust und unter Androhung oder Anwendung von Gewalt ausgebeutet werden, korrespondiert letztlich mit einer im Aufnahmeland bestehenden Nachfrage (Bales 2001; Cyrus 2004a). Eine Unterstützung illegaler Migration kann bereits mehr oder weniger unwissentlich erfolgen, wenn beim Kauf von Dienstleistungen oder Waren ein möglichst niedriger Preis zum alleinigen Kriterium der Entscheidung und damit in Kauf genommen wird, dass durch Ausbeutung illegaler Migranten soziale und tarifliche Standards bei der Produktion verletzt wurden. Die Unterstützung erfolgt aber auch bewusst.” (Cyrus 2004b, 28)
Illegalisierung stellt also ein sozialer, ökonomischer sowie politischer Prozess dar, welcher zusammen mit Ethnisierung und Diskriminierung zur Festschreibung der MigrantInnen in ihrer Rolle als belastbare, flexible und ausbeutbare Arbeitskräfte beiträgt. Für die ecuadorianischen Migrantinnen in Madrid heißt dies einerseits, dass Träume von sozialem Aufstieg oder Arbeit im gelernten Beruf unrealistisch werden bzw. viel schwieriger erreichbar sind als angenommen, sie andererseits mit Fremdenfeindlichkeit, der Betonung von Distanz und gleichzeitiger Vereinheitlichung konfrontiert werden. Dabei werden sie zu „den“ EcuadorianerInnen (oder „den“ MigrantInnen) gemacht – einer scheinbar einheitlichen Gruppe des „colectivo ecuatoriano“. Die Verschiedenheiten aufgrund ihrer Herkunft aus verschiedenen Klassen mit unterschiedlichen Arbeitserfahrungen, regionalen, biographischen, ethnischen und kulturellen Hintergründen, abweichenden Erwartungen an ihr Projekt und ihre Arbeit werden von außen quasi vereinheitlicht. Sie teilen nun ein Set ähnli-
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cher struktureller Bedingungen und Erfahrungen, an denen die Arbeitsbedingungen einen großen Anteil haben, wie im nächsten Kapitel am Beispiel der Hausarbeit gezeigt werden wird (vgl. auch Hondagneu-Sotelo 2001, 60). Dies wird im zuvor zitierten Lebenslauf einer ecuadorianischen Migrantin (zu Beginn von Kapitel 5.2) deutlich. Er ist vom Klappentext des Buches „Ecuador en España. La realidad de la migración“ von Edmunds Oviedo C. (Oviedo C. 2002) inspiriert, in welchem sich der ecuadorianische Autor vorstellt und nach der Auflistung seiner verschiedenen universitären Abschlüsse und Berufserfahrungen endet: „Ab April 2000 ein Migrant mehr in Spanien“. Verschiedene soziale Mechanismen weisen Migrierten ihren gesellschaftlichen Platz zu und halten sie dort. Eine sehr effektive Form ist die Illegalisierung von Migration. Aber auch andere Mechanismen wie zum Beispiel die Ethnisierung der MigrantInnen als die „Fremden“ und Minimierung derselben als „Ungebildete“ bzw. „Unzivilisierte“ oder andere soziale Praktiken wie zum Beispiel die NichtAnerkennung akademischer Titel, bewirken, dass die Mehrzahl der MigrantInnen auch nach ihrer Legalisierung in den für sie bestimmten Arbeiten tätig ist.158 Mit der Zeit gibt es zwar die Möglichkeit zu Verbesserungen. In den meisten Fällen handelt es sich jedoch lediglich um eine horizontale und keine vertikale Mobilität, was der Logik des segmentierten Arbeitsmarktes entspricht (vgl. 4.2.5) und zum Beispiel heißt, dass eine Ecuadorianerin von der Arbeit als Interna zur gleichen Tätigkeit jedoch auf Stundenbasis, als Externa oder in den Hotel- und Gastronomiebereich wechselt. Nur in Ausnahmefällen und nur unter bestimmten Bedingungen (wie zum Beispiel Unterstützung eines Netzwerkes; Broker in die „Mehrheitsgesellschaft“; lange Zeit in Spanien; große finanzielle Ressourcen; biographische Ressourcen wie Bildung, Arbeitserfahrung, Klassenhintergrund) ist eine vertikale soziale Mobilität möglich. Die Rolle als MigrantIn kann zwar aktiv gestaltet und verändert werden – jedoch in den meisten Fällen nur innerhalb festgesetzter Grenzen und mit bestimmten Strategien.159 Erika drückte dies im Eingangszitat aus: Auch wenn man Papiere erlangt, so muss man dennoch immer noch putzen. Weiter im Gruppeninterview erzählte sie, wie schwer es für sie war, nach Spanien zu kommen und dann die Behandlung und die Arbeitsbedingungen am eigenen Leib zu erfahren. Sie hielt dage158 Nach der Regularisierung 2005 arbeiteten Ecuadorianerinnen in Spanien weiterhin vornehmlich in der Haushaltsarbeit (2006: 36,1 %; 2007: 31,1 % aller Ecuadorianerinnen in Spanien; Instituto Nacional de Estadística y Censos (INEC) 2008:40). Dabei gibt es jedoch Unterschiede nach Herkunft, aber auch je nach Profil, Ressourcen und Präferenzen einzelner Personen. Ecuadorianerinnen konzentrierten sich vornehmlich auf den Hausarbeitssektor und dabei vielfach auf die Arbeit als Internas, was zusätzlich zum segmentierten Arbeitsmarkt auch auf die kurze Zeit in Madrid und somit einem meist irregulären Aufenthaltstitel mit mangelnder Arbeitserlaubnis sowie auf Netzwerkstrategien zurückzuführen ist (vgl. Gratton 2007; ILDIS/FES 2002, 8-11). In Südspanien waren viele Ecuadorianerinnen zudem in der Landwirtschaft tätig. 159 vgl. 7.2, wo die Bedingungen, unterschiedlichen Ressourcen, Möglichkeiten und Unmöglichkeiten diskutiert werden.
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gen, „in unserem Land sind wir zwar arm, wenn wir aber unser Hemd ausziehen können, um es unseren Kindern geben zu können (...), dann geben wir es; hier [die SpanierInnen, geben es dir] nicht.” Wladimir merkte daraufhin sarkastisch an: „[Hier geben es ihnen die SpanierInnen], um zu sehen, ob sie [die Ecuadorianerinnen] es waschen.” In diesem Gesprächsausschnitt geht es nicht um Kleiderspenden, – diese gibt es in Madrid zuhauf –, sondern um die Zuweisung einer Rolle: die Migrantin ist zum Waschen, zum Putzen etc. dar. In dieser Dynamik werden die EcuadorianerInnen lediglich als MigrantInnen wahrgenommen, behandelt und auf diese Weise erst zu MigrantInnen gemacht. Das bedeutet, dass Statuskriterien wie zum Beispiel Bildung, Arbeitserfahrung, Besitztümer, Fremdsprachenkenntnisse, unternommene weite Reisen etc., welche unter SpanierInnen, aber auch unter EcuadorianerInnen zu Differenzierungen führen und Prestige- sowie Statusgewinn bedeuten, von Seiten der spanischen Gesellschaft für „MigrantInnen” nicht angewendet werden. Mit der Migration erfolgt eine Neudefinition und Gleichschaltung als „MigrantInnen” mit dem respektiven niedrigen sozialen Status und der Einschränkung bis Aufhebung der mitgebrachten Ressourcen und des Status aus Ecuador, was sich nur unter bestimmten Bedingungen und nach langer Zeit vielleicht ändern kann.160 Dazu gehört auch eine Neudefinition der Körperlichkeit, welche zu einem der zentralen Faktoren des Lebens als „MigrantIn in Spanien” wird: Sie zeigt einerseits oft die eigene „Fremdheit” und ist somit Quelle von Rassismen sowie Ethnisierung. Sie wird, wie unter 2.1 ausgeführt, zum Symbol der Unreinheit als Konstitutionsprinzip des scheinbaren „Kollektivkörpers“ bzw. des Ausschlusses davon und ist gleichzeitig Erinnerungsträger wie Ankerpunkt im fremden Kontext. Die Körperlichkeit wird aber auch zur Hauptressource im Migrationsprozess, da der belastbare, gesunde Körper das wichtigste Kapital der Arbeitssuche und der Arbeitsausübung für die nachgefragten Arbeiten, inklusive Sexarbeit, darstellt. Gleichzeitig verkörpert die Körperlichkeit bei Frauen auch die Unsicherheit und Verletzbarkeit als (neu angekommene) Migrantin, da Frauen (vor allem, wenn sie als illegalisierte Migrantinnen betrachtet werden), immer wieder sexuellen Belästigungen (vornehmlich durch alte Spanier) auf der Straße ausgesetzt sind. Verschiedene Ecuadorianerinnen und andere Latinas berichteten von sexuel160 Dies ist für Kinder oft besonders schwer. Gracianas Kinder wollten zum Beispiel nach ihrer Ankunft in Madrid mit dem Taxi in die Schule gefahren werden, wie sie es aus Ecuador gewohnt waren. Einerseits hatte es mit der Kriminalität, aber auch mit ihrem Status in Ecuador zu tun: Viele Kinder, welche in Ecuador bleiben, erfahren mit der Migration ihrer Eltern einen Status- und Prestigegewinn (oder im Kontext der Krise den Erhalt derselben), was sich auch ökonomisch deutlich zeigt: Sie verfügen oft über Güter, welche andere sich nicht leisten können. Außerdem gehen sie meist in Privatschulen und viele Eltern bauen ein neues Haus. Werden die Kinder nach Spanien geholt, kehrt sich dieser Statusgewinn von einem Tag auf den anderen jedoch um: Die soziale Position wird zugewiesen; die meisten Familien leben in einem Zimmer und die Kinder werden als südamerikanische Kinder im Extremfall mit dem Schimpfwort „Sudacas“ beschimpft und ihnen über verschiedene Praktiken vermittelt, dass sie „die Letzten“ seien.
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len Belästigungen und auch mir als vermeintlichen Osteuropäerin passierte dies mehrfach. Mit der Zeit und dem damit verbundenen Gewinn von Sicherheit und Orientierung im neuen Kontext nahmen die Belästigungen ab. In verschiedenen Regelungen, aber auch alltäglichen Interaktionen werden die verschiedenen Zuschreibungen bzw. Stereotype, welche mit der Rolle als MigrantIn verbunden sind, deutlich gemacht und festgeschrieben. Von unterschiedlichen AkteurInnen und Institutionen werden die Personen bewusst wie unbewusst in ihre adskribierte Rolle hinein erzogen. Dies kann durch fremdenfeindliche Aussagen und/oder Behandlung auf der Straße seitens Unbekannter, durch sexuelle Belästigung als scheinbar recht- und schutzloser Migrantin sein oder zum Beispiel durch Praktiken am Arbeitsplatz (vgl. auch 6.6). Erika berichtete: „Du kommst zu einer Arbeit, (...) sie geben dir diese Uniform, damit du sie anziehst, auch wenn sie zerrissen ist, geben sie sie dir, so als ob sie dich auf diese Weise erniedrigen möchten. Sie erniedrigen dich so, egal, woher du bist, aber sie setzen dich herunter, auf einen Schlag brechen sie dir deinen Stolz, den du hast, wie man dort [in Ecuador] sagt. Du bist nichts wert, jetzt wirst du sehen, wie es dir ergeht. Das ist, was hier passiert.“ (Erika)
Erika sagt hier entscheidende Sätze: „Sie erniedrigen dich“; „Sie brechen dir den Stolz“; „Du bist nichts wert“. Durch die Behandlung am Arbeitsplatz erfolgt oft eine symbolische, rituelle Erniedrigung und Platzzuweisung, wozu auch gehört, den Stolz zu brechen, die eigene Persönlichkeit in gewisser Hinsicht aufzugeben und zur „Migrantin“ zu werden (vgl. Mahler 1995, 58). Je nach Hintergrund (Klasse, früherer Tätigkeit, Alter, Migrationsprojekt etc.) wurde dies als unterschiedlich hart empfunden. Teresa, in Ecuador, wie berichtet, Ärztin und gut verdienende Pharmareferentin, erzählte, was für ein Schock und wie schwierig es für sie gewesen sei, die Rolle der Migrantin einzunehmen: „Mensch, ich hatte nie gedacht, dass ich je jemanden bedienen würde. Das ist schon ein Schock. Ich habe jeden Tag geweint, ich weinte. Sagen wir für mich, sagen wir, manchmal fühlt man sich erniedrigt, wie man sagt: Aber warum muss ich diese Dinge in meinem Leben machen? Weil dort in Ecuador war ich, oder, hatte ich einen, einen Status, nicht dass ich, aber die Leute [sagten] Frau Doktor hier, Frau Doktor dort. Ich hatte einen Freundeskreis, o.k., da ich Pharmareferentin war und dann in einem guten Labor gearbeitet habe, einem transnationalen Unternehmen, wurde ich in einem Sektor zu VIP-Ärzten geschickt, also besuchte ich die wichtigsten Ärzte der Stadt, wo ich wohnte, die bedeutendsten (...) also hatte ich einen anderen Kreis, einen anderen Umgang.“ (Teresa)
Zu einer Migrantin zu werden, bedeutet eine vordefinierte Rolle auszufüllen und sodann aktiv zu gestalten (vgl. Kap. 7). Eine Entscheidung zur Migration impliziert, sich für diese Rolle zu entscheiden, egal, ob man diese derart erwartet und imaginiert hat oder nicht. Es ist die einzige Möglichkeit. Wer nicht bereit war, diese Rolle auszuüben, scheiterte bzw. kehrte nach Ecuador zurück, wie dies immer wieder, vor allem von Personen, welche in Ecuador über genügend Geld verfügten und vom
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„Migrationsfieber“ angesteckt wurden, gemacht wurde. Viele jedoch, zum Beispiel auch Teresa, kehrten aber nicht zurück, „um nicht das Gesicht zu verlieren“: „Ich kam im Jahr 2000, im April 2000. (...) Gut, am Anfang halt, das Typische von allen, die wir migrieren: Wir kommen an, wir sehen, dass es nicht so ist, wie es schien und dann eine Etappe, in der man zurück gehen möchte, immer. Ich glaube immer, dass wir das alle durchmachen, dass wir zurückwollen, dass wir zurückgehen wollen. Aber nein. Weil man sagt es ja allen, aus Stolz, weil man sagt: ‚Wozu werde ich gescheitert in mein Land zurückkehren, die Leute lachen über mich.’ – ‚Ach, ich gehe, chao.’ Sie machen einem eine Abschiedsparty und alles und dann kommt man ganz am Ende zurück? Nein. Das hat uns bewogen zu sagen: ‚Wir bleiben hier.’ Und davon abgesehen, persönliche Sachen, die dazu kommen. Ich kam zum Beispiel, ohne es zu wissen schwanger hierher und habe es erst hier bemerkt.“ (Teresa)
Bei der Aneignung der Rolle als MigrantIn handelt es sich um einen interaktiven Prozess, welchen ich in freiem Rückgriff auf Victor Turner als eine Initiation zur MigrantIn verstehe. 5.2.3 Initiation zur Migrantin Turner unterscheidet mit Rückgriff auf van Gennep (2005) drei Phasen der Initiation, welche jeweils mit Riten verbunden sind: Eine erste Phase der Trennung, Ablösung aus dem alten Zustand und Status. Eine zweite Phase des Schwellenzustandes bzw. der Liminalität ohne soziale Merkmale sowie der dritte Moment der Wiedereingliederung in die Gesellschaft mit einem neuen Status (vgl. Turner 1969). Auch wenn es sich beim Prozess der „MigrantInwerdung“ nicht um klare Rituale handelt, so können meiner Meinung nach obige Phasen und deren inhaltliche Aspekte in diesem Verlauf festgestellt werden: Um MigrantIn werden zu können, muss der alte Status abgelegt werden. Man tritt aus seiner Umgebung heraus, bewegt sich im Raum und nimmt eine neue Rolle im Kontext der spanischen Gesellschaft und in der Interaktion mit derselben ein. Besonders deutlich wird dies am Grenzübertritt: An der Grenze erfolgt eine Statuszuschreibung, wo rechtliche, soziale, politische und ökonomische Handlungspositionen, kulturelle Strategien und Subjektentwürfe zugeteilt werden, welche funktional zur Nachfrage nach niedrig zu entlohnender migrantischer Arbeitskraft für die flexibilisierten Produktions- und Arbeitsverhältnisse stehen (vgl. auch Kearney 1991, 58ff). Vor allem der Zustand der Liminalität findet sich in dem gesellschaftlichen Verlust der eigenen Ressourcen, Persönlichkeit und Individualität. Die Ethnisierung und Gleichschaltung als „colectivo ecuatoriano“ in öffentlichen Diskursen, der Presse sowie den alltäglichen Interaktionen spielt hierbei eine wichtige Rolle: Die MigrantInnen bekommen zwar keine eigene, sie von den „Anderen“ unterscheidende Kleidung, wie im Falle der von Turner beschriebenen Rituale, – ihre Hautfarbe
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übernimmt jedoch zum Beispiel neben anderen Aspekten diese Funktion161 (wenn auch nicht immer, da EcuadorianerInnen sehr unterschiedliche physische Merkmale aufweisen und manche unter SpanierInnen nicht als AusländerInnen auffallen); nur, dass diese im Gegensatz zu den Initianden der von Turner beschriebenen Rituale nicht wieder abgelegt werden kann. Aber auch der fehlende Aufenthaltstitel trägt zur Gleichschaltung und Ausgrenzung der „InitiandInnen“ bei. Diese bekommen in dem Prozess den neuen Status als „illegalisierte MigrantInnen“ und übernehmen ihn auch persönlich. Sie gliedern sich als MigrantInnen – marginalisiert und mit reduzierten Rechten – in die Gesellschaft ein bzw. werden eingegliedert (vgl. auch Mahler 1995, 58). All dies stellt einen interaktiven Prozess dar. Viele MigrantInnen eignen sich dabei die Profitlogik an, welche zur erwähnten innermigrantischen Geschäftsausübung bzw. Ausbeutung führt, sowie den dominanten bipolaren Diskurs der migrantischen Invasion Spaniens. Silvia relativierte beispielsweise ihre eigenen Aussagen, indem sie den Invasionsdiskurs im bereits zitierten Interview übernahm: „Was mir nicht gefällt? Dass wir das Gleiche arbeiten müssen. Klar, o.k., es ist klar, dass wir in ein Land eindringen, wie man sagt. Und du musst akzeptieren, was es gibt.“ Nicht alle Personen übernehmen aber diese Logik; nicht wenige denken aber auch schon vor ihrer Migration so und schreiben zum Beispiel ähnlich ausgrenzende Konstruktionen den kolumbianischen und peruanischen MigrantInnen bzw. Flüchtlingen in Ecuador zu. Um in Spanien leben und arbeiten zu können, werden die Rolle sowie die Arbeits- und Lebensbedingungen übernommen, unabhängig von der jeweiligen Einstellung und Position. Sie werden aber aktiv, kreativ und strategisch gestaltet und unter Umständen verändert. Mit dem Verweis auf Turner handelt es sich hier um eine Analogie. Es geht nicht darum, den Migrationsprozess eins zu eins als Initiationsprozess zu verstehen. Es lassen sich jedoch die drei Phasen von Ablösung und Ablegung des alten Status, Schwellenzustand und Eingliederung mit einem neuen, sozial funktionalen Status als MigrantIn finden. Die Einwanderung selbst kann daher als Initiation bzw. Passageritus verstanden werden, wie dies auch Mahler und Kearney mit je unterschiedlichen Nuancen für die illegalisierte Einwanderung nach den USA feststellen (vgl. Mahler 1995, 85; Kearney 1991, 549). Bei einem auf Rückkehr nach Ecuador projektierten Migrationsprozess, bleibt für viele EcuadorianerInnen die Zeit als MigrantIn in Spanien selbst ein Schwellenzustand, welcher auf dessen Überwindung und Wiedereingliederung in einem neuen Status als erfolgreich Zurückgekehrte in Ecuador zielt. Die Zeit in Spanien wird so als eine „Aus-Zeit“ gewertet, mit einem eigenen Status und einer besonderen Rolle als Teil der entpersonalisierten Gruppe der MigrantInnen, welche jedoch mit der 161 Eine beliebte Strategie stellt daher das Haarefärben dar (vgl. 6.5.3), wodurch viele Frauen „unauffälliger“ bzw. „unsichtbarer“ werden. Nicht jedes Färben entpringt jedoch diesem expliziten Wunsch, sondern kann auch einem Modeideal entsprechen bzw. damit kombiniert sein.
5.2 Zu MigrantInnen in Spanien werden
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Rückkehr nach Ecuador überwunden werden und zu einem neuen Status führen soll.162 Bestimmte Statussymbole, Prestigeobjekte, beinahe ritualisierte Erfolgsgeschichten sowie Feste, Versammlungen etc. verstärken diesen Prozess. Dass dies unter Umständen 20 Jahre im Schwellenzustand bedeuten kann, wird dabei in Kauf genommen, hat oft jedoch einen hohen psychischen, physischen wie sozialen und emotionalen Preis. Da in Spanien jedoch sozialer Aufstieg großteils verwehrt wird, richtet sich dieser Wunsch auf Ecuador. Unabhängig davon, ob das Leben als MigrantIn in Spanien als „Aus-Zeit“ oder als Ziel betrachtet wird, gilt es, eine „MigrantIn“ zu werden. Auch dabei spielt Zeit eine Rolle: Denn mit der Zeit wird der anfängliche Schock und die Desorientierung weniger, man gewöhnt sich an den Lebensstil der SpanierInnen und die Rolle als MigrantInnen dabei, lernt die Stadt kennen, wird selbständiger und erhält möglicherweise einen legalen Aufenthaltstitel und entwickelt neue Projekte. In den Kapiteln 7.1 und 7.2 wird dies nochmals ausgegriffen und näher erörtert. Hier soll zunächst Alexandra zitiert werden: „Ich fühlte mich sehr schlecht. Die Einsamkeit und das, obwohl ich hier meinen Schwager und meine Schwester hatte, aber die Einsamkeit war so stark, dass ich nicht mehr weiter konnte.“ – „Und was hast du gemacht?” – „Ich habe begonnen zu arbeiten und was jemand in diesen Fällen macht, ist sich erinnern. Von den Erinnerungen leben, von den Fotos leben, die Fotos anschauen, die Fotoalben und weinen, weinen, viel weinen, viel weinen, bis ein Moment kommt, an dem du dich schon etwas beruhigst. Es vergehen ein Tag, zwei Monate und dann siehst du die Dinge schon anders.“ (Interview mit Alexandra)
Die Einschätzung des Lebens in Spanien sowie der Möglichkeiten, welche die Migration eröffnet, hängt stark von den Arbeitsmöglichkeiten ab. Für die Rolle als MigrantIn und zur Verwirklichung des jeweiligen Migrationsprojektes sind diese konstitutiv, da erst sie die Finanzierung anderer Projekte wie Hausbau in Ecuador, aber auch Reisen oder Studieren eröffnen. Im Folgenden steht daher die Hausarbeit als einer der Hauptarbeitssektoren und entscheidende Strukturierungskraft im Migrationsprozess für migrantische Frauen im Zentrum der Analyse.
162 Bei einer derartigen langen „Aus-Zeit“ im „Schwellenzustand“ kann jedoch nicht mehr von einer Initiation oder von einem Ritual im Turnerschen Sinn gesprochen werden.
6 Arbeit als Hausarbeiterinnen
„Wir kamen hier an und am Anfang liefen die Dinge ein bisschen schlecht, ziemlich schlecht, bis wir letztendlich, eine Arbeit fanden.“ (Teresa)
Zu arbeiten bzw. eine Arbeit zu finden, stellt einen der Hauptpfeiler einer Migration dar und bildet die Bedingung der Möglichkeit der Realisierung der Migrationsprojekte. Neben der Wohnungssuche, welche im letzten Kapitel ausgeführt wurde, stellt daher die Arbeitssuche die weitere große Herausforderung der Anfangszeit dar. Die Arbeitsmöglichkeiten bilden aber zudem eine der wichtigsten strukturellen Bedingungen des Lebens als Migrantin in Madrid, auch über die Anfangszeit hinaus. Der Hauptarbeitssektor ecuadorianischer Migrantinnen in Madrid stellte 2004 die Haushaltsarbeit dar (vgl. Gratton 2007, 589ff; s. die oben (5.2) zitierten Statistiken). In den vorherigen Kapiteln war bereits mehrfach die Rede von Hausarbeit, deren Charakteristika und Kontexten. Im Folgenden werden diese verschiedenen Aspekte zusammengeführt und vertieft. Zunächst soll jedoch eine erste inhaltliche und begriffliche Klärung erfolgen. Dazu möchte ich nochmals die unterschiedlichen Arbeitsarrangements in Erinnerung rufen:
Internas bzw. Internos wohnen und arbeiten bei den ArbeitgeberInnen bzw. bei den zu Pflegenden im Haushalt.163 Sie übernachten also auch dort. Externas bzw. Externos arbeiten täglich eine bestimmte Anzahl von Stunden, wohnen jedoch nicht am Arbeitsplatz. Por horas („pro Stunde“) bedeutet, auf Stundenbasis zu arbeiten; meistens in mehreren Haushalten.
163 Vor allem bei Altenpflege müssen sich ArbeitgeberInnen und Betreute/Versorgte nicht notwendigerweise entsprechen, wie dies immer wieder in verschiedenen Analysen angenommen wird.
Heike Wagner, Dasein für Andere – Dasein als Andere in Europa, DOI 10.1007/978-3-531-92167-9_6, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2010
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6 Arbeit als Hausarbeiterinnen
6.1 Haushaltsarbeit, Reproduktionsarbeit, Hausarbeit – begriffliche und erste inhaltliche Klärung Die Internationale Organisation für Arbeit (ILO) definiert Hausarbeit (im Englischen „domestic work“) wie folgt: „Work done primarily to maintain households. Includes the provision of food and other necessities, cleaning, caring for children and the sick and elderly, etc.“ (ILO Thesaurus 2005)
Es geht also um Arbeiten, die einen Privathaushalt aufrechterhalten, was verschiedene Bedürfnisse der Mitglieder beinhaltet sowie „etc.“, wie die Definition des ILO endet. Im „etc.“ liegt, wie sich im Folgenden zeigen wird, eine der Hauptproblematiken bezahlter Hausarbeit: Die genauen Tätigkeiten sind oft nicht klar definiert und bei vielen HausarbeiterInnen gehört, je nach Arbeitsarrangement, „alles“ zu den Aufgabenfeldern (vgl. auch Anderson 2000, 15). Darüber hinaus geht es nicht allein um physische Tätigkeiten, sondern auch um mentale und emotionale, interpersonale Arbeit: So gilt es die Arbeit und das Funktionieren eines Haushaltes zu organisieren, Zeitmanagement zu betreiben, aber auch bei der Pflege und dem Erziehen von Kindern emotionale Stütze zu sein. „Doch sind beim Kochen, Putzen und insbesondere bei der Versorgungs- und Betreuungstätigkeit noch viele weitere Kompetenzen gefragt: Managementtalent, Sorgfalt, Einfühlungsvermögen, Geduld, Ausdauer, Frustrationstoleranz, Relativierungsvermögen, Disziplin, Selbstreflexion, emotionale Intelligenz und Gedächtnisleistungen sind erforderlich. In der englischsprachigen Debatte wird hier von emotionaler Arbeit gesprochen.“ (Lutz 2005, 75)
Hausarbeit bedarf des Wissens über Putzmittel, mögliche Zerstörung von Oberflächen durch dieselben, Ernährungswerte, Kochrezepte etc. Im Gegensatz zur gängigen Geringschätzung der Haushaltsarbeiten als einfache Tätigkeiten verlangt die gute Organisation und Versorgung eines Haushaltes also eine Vielzahl verschiedener physischer, mentaler, emotionaler Fähigkeiten und unterschiedlichstes Wissen. Auf meine Frage, was in einer Anzeige als Anforderungsprofil für ihre Arbeit als Interna stehen sollte, zählte Silvia beispielsweise folgende Punkte auf: „Eine sehr geduldige, sehr tolerante Person, welche eine Bemerkung nicht krumm nimmt. Sie sollte sehr kommunikativ sein und sie muss gerne Tratschen. Das Wichtigste ist dein Mundwerk. Das Essen ist überhaupt kein Problem. Es ist ganz leicht, fettarm. Gut, du musst Putzen können, aber mehr interessiert das Gespräch, dass du Themen zur Unterhaltung vorschlägst.“ (Silvia über ihre Arbeit)
Es fällt auf, dass Silvia hier die sozialen Kompetenzen als Anforderungsprofil in den Vordergrund stellt. Im Interview betonte sie auch später nochmals, dass das Kochen leicht und dass sie beim Putzen bislang nie kontrolliert worden sei. Ihre Hauptaufgabe bzw. das für sie Anstrengendste an ihrer Arbeit sei die Begleitung der alten Frau. Da diese am liebsten über andere sprach („das Tratschen“), fühlte sie sich oft
6.1 Hausarbeit – begriffliche und erste inhaltliche Klärung
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unwohl und fand, wie sie mir immer wieder erzählte, keine Gesprächsthemen. Sie versuchte es auch damit, ihr etwas vorzulesen und sie auf diese Weise zu unterhalten, was die Frau jedoch nicht interessierte. Je nach Arbeitsarrangement variieren die Tätigkeiten und umfassen zum Beispiel einzelne Aufgaben wie das Putzen des Hauses, jedoch nicht das Kochen oder die Pflege. So arbeitete beispielsweise Maria als Externa vornehmlich als „acompañante“, als Begleiterin einer älteren spanischen Frau. Wie bei Silvias Arbeit, stand auch bei ihr das Gespräch im Vordergrund: Maria und die ältere Frau strickten zusammen und unterhielten sich. Einmal pro Woche putzte Maria außerdem die kleine Wohnung der Frau. Ihre Hauptaufgabe bestand jedoch darin, Begleiterin und Unterhalterin zu sein. Andere Externas müssen hingegen täglich kochen, putzen, waschen, bügeln, einkaufen sowie die Kinder eines Haushaltes versorgen. Ihre Aufgaben können „alles“ umfassen. Im Gegensatz zu Internas verfügen sie jedoch über einen festgelegten Feierabend, auch wenn dieser nicht immer eingehalten wird. Bezahlte Hausarbeit ist daher nicht primär über die verrichteten Aufgaben, sondern über die Rolle zu definieren, welche die ArbeiterInnen in einem bestimmten Set sozialer Beziehungen konstruiert und situiert (vgl. Anderson 2000, 21; 6.4.3, wo dieser Aspekt noch deutlicher herausgearbeitet wird).164 Es gibt außerdem unterschiedliche Bezeichnungen. In der deutschen Fachliteratur gibt es keinen einheitlichen Begriff für (bezahlte) Arbeiten in einem Privathaushalt, vielmehr werden vor allem die Begriffe „Hausarbeit“, „Reproduktionsarbeit“ sowie „Haushaltsarbeit“ verwendet. Diese Ausdrücke beschreiben allesamt Arbeiten zur emotionalen, sozialen, organisatorischen, physischen und psychischen Versorgung eines Haushaltes. Sie setzen aber in ihren Bezeichnungen unterschiedliche konzeptuelle Schwerpunkte: „Reproduktionsarbeit“ verweist auf die Aufrechterhaltung und Erneuerung von Haushalten bzw. Personen und stellt ein Komplementaritätsbegriff zur „Produktionsarbeit“ dar. Er entstammt marxistisch inspirierten, feministischen Diskussionen und unterstreicht, dass Reproduktionstätigkeiten der Produktionsarbeit ebenbürtige Tätigkeiten sind und dass sie eine Notwendigkeit des menschlichen Lebens darstellen. Auf diese Weise kritisiert der Ausdruck die Festlegung von Reproduktionsarbeit (egal ob bezahlt oder unbezahlt) als einfache, minderwertige und weibliche Tätig-
164 Dies gilt auch für die verschiedenen Formen der sogenannten „vor-industriellen Dienerschaft“. Auch diese war nicht primär über konkrete Tätigkeiten bestimmt, welche ebenfalls sehr divers sein konnten, sondern durch die Beziehung zu einem „Herren“ bzw. einer „Herrin“. „Domestic service, though also being an employment, was not a specific job, but rather a type of relationship: a servant was defined as such because he or she had a master, not because he or she carried out a specific task. The ministers of princes and kings, as well as farm servants, could be considered as servants. Being a servant was a condition rather than a profession requiring peculiar abilities and implying the performance of specific tasks.“ (Sarti 2005, 42. Sie bezieht sich auf Fairchilds 1984, 2f sowie Dürr 1995, 2005).
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keit, sowie die damit verbundenen Asymmetrien zwischen den Geschlechtern. Laslett und Brenner schreiben in diesem Sinne: „Renewing life is a form of work, a kind of production, as fundamental to the perpetuation of society as the production of things.“ (Laslett/Brenner 1989, 383)
„Reproduktionsarbeit“ betont mit ihrem Bezug zur Produktionsarbeit, dass diese Tätigkeiten gesellschaftlich notwendig und für die kapitalistische Gesellschaft strukturbildend sind (vgl. Hess 2005, 176). Um diese Aspekte hervorzuheben, spreche ich von Reproduktionsarbeit, lege aber einen weiten Begriff von Reproduktion zugrunde, der ebenso generationale sowie soziale Reproduktion umfasst, da bezahlte Hausarbeit als „Mechanismus der Differenz“ auch Status und Ehre bringt und somit soziale Unterschiede sichtbar macht oder festschreibt. Dies alles wird unter 6.4 noch näher ausgeführt. Hier werden vor allem die Begriffe Hausarbeit und Haushaltsarbeit benutzt, zumal der Begriff der Reproduktionsarbeit Gefahr läuft, im Begriff selbst die wertende Unterscheidung von Produktion und Reproduktion festzuschreiben. Die Bezeichnung „Hausarbeit“ erscheint mir insofern passender, da sie den Ort der Arbeit in den Mittelpunkt stellt, nämlich das Haus (als Ort sozialer Beziehungen) mit den damit verbundenen sozialen Imaginationen und Konnotationen wie Privatsphäre (aufgrund derer die Arbeit nicht als solche anerkannt wird), deren Schutz (welcher legal in der spanischen Gesetzgebung festgeschrieben ist; vgl. 6.3) und NichtArbeit (welche der öffentlichen und „echten“ Arbeit diametral entgegengesetzt ist) usw. Als sozialer Ort ist das Haus mit Differenzfaktoren wie Geschlecht (Ort der Frau), Klasse (ArbeitgeberIn/ArbeitnehmerIn) und Ethnizität (als migrantischer Arbeitsort) verbunden. Geissler (2002, 31) weist jedoch zurecht darauf hin, dass „Hausarbeit“ im Alltagsgebrauch zu eng mit Tätigkeiten wie Putzen, Kochen und Einkaufen besetzt ist, wodurch Aspekte wie Pflege unbeachtet bleiben. Sie schlägt daher den Ausdruck „Haushaltsarbeit“ vor und fasst darunter die „klassische“ Hausarbeit, Pflegearbeit und Erziehungsarbeit. Bei der Referenz auf Haushalt (als eine soziale Einheit) fehlt allerdings der soziale Ort des Hauses, da ein Haushalt nicht direkt an eine Lokalität gebunden sein muss. Ich verwende „Hausarbeit“ wie „Haushaltsarbeit“ daher parallel und versuche somit, beide Aspekte – den Ort der Arbeit wie die inhaltliche Entgrenzung von „Hausarbeit“ – zu vereinen. Spreche ich in diesem Zusammenhang von „Haushalt“ meine ich den lokalisierten Privathaushalt einer bestimmten Person bzw. Familie und nicht das weitere sozialanthropologische Verständnis von Haushalt. Andererseits wird auch unter „Hausarbeit“ ein erweitertes Verständnis der Aufgaben zugrunde gelegt und auch Pflege einbeschlossen, da die Aufgaben sich bei meiner Forschung überlappten und sich keine allgemeingültige, sinnvolle Grenze zwischen Hausarbeit und Pflege ziehen ließ. Letztendlich ist jeder Ausdruck unzureichend und muss konkretisiert werden. Es gibt jedoch Begriffe, welche meiner Einsicht nach zu vermeiden sind. Darunter
6.2 Hausarbeit im Kontext der Globalisierung
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fällt zum Beispiel „Haushaltshilfe“ (bei Thiessen 2002, 149), da „Hilfe“ den Aspekt der Arbeit sowie die mit bezahlter Haushaltsarbeit verbundenen Asymmetrien zwischen ArbeitgeberIn und ArbeitnehmerIn verschleiert. Über die Terminologie hinaus ist festzuhalten, dass die soziale Organisation dieser Aufgaben über Kulturen und Klassen hinweg sowie innerhalb derselben variiert (vgl. Hondagneu-Sotelo 2001, 23). Haushaltsarbeit steht in einer bestimmten Geschichte und einem konkreten Kontext, welche zum Verständnis der heutigen Praktiken maßgeblich sind. Darum geht es im Folgenden. 6.2 Eine neue, alte Beschäftigung für Migrantinnen – Hausarbeit im Kontext der Globalisierung „Eine Hausarbeiterin zu haben, ist [in Madrid] absolut normal: Früher, ohne die Waschmaschinen (betont), war es normal, eine Frau zur Versorgung des Hauses und ein Kindermädchen für die Kinder zu haben. (...) Nach dem Bürgerkrieg gab es viele Mädchen im Alter von 14 Jahren, die in einem Haus für das Essen dienten. (...) [Dann] kamen die Haushaltsgeräte, Waschmaschine165 usw. und die Frauen arbeiteten nicht. Also gab es weniger Hausarbeiterinnen und nur wer konnte [hatte eine]. Jetzt ist die Arbeitskraft billig und die Frauen arbeiten. Also gibt es wieder viele Hausangestellte.“ (Interview mit politischer Aktivistin in Madrid)
Bezahlte Hausarbeit wird in Spanien heute immer wieder über deren Nähe zur Dienerschaft charakterisiert, welche sich sowohl legal (vgl. Colectivo IOÉ 2001a, 43) als auch in der Einstellung vieler ArbeitgeberInnen (vgl. Andall 2003b, 40f) zeigt.166 Trotz dieser historischen Verknüpfung und mancher Kontinuitäten (vor allem bei der Arbeit als Internas und Internos) handelt es sich jedoch bei heutiger Hausarbeit um keine bloße Fortsetzung, sondern um eine neue Arbeitsform, welche mit dem Kapitalismus eine grundlegende Veränderung dessen erfuhr, „was sie ist, wer sie tut, wie sie getan wird, die Einstellung zu ihr, ihre sozioökonomische Bedeutung, ihre Beziehung zur gesellschaftlichen und natürlichen Umwelt“ (Bock/Duden 1977, 122). Sie steht im Zusammenhang mit der Moderne (vgl. Gather/Meißner 2002) bzw. der Spät- und Postmoderne und gründet u.a. in der historischen Aufspaltung von Markt- und Haushaltsökonomie sowie der Etablierung der Werte des Bürgertums: Bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts war das Haus das Zentrum der Ökonomien: Auf dem Land erwirtschaftete die Familie den Großteil der von ihr konsumierten Produkte im häuslichen Umfeld selbst und auch in der Stadt hatten die 165 Oft wird mit der Technisierung von Haushaltsarbeit Arbeitserleichterung und vor allem Arbeitsverringerung verbunden. Zahlreiche Studien zeigen jedoch, dass dies nicht notwendigerweise der Fall ist, da es sich um ein Wechselspiel von Technik, Arbeit und Zusammenleben mit verändernden Reinlichkeitsnormen, Hygienevorstellungen etc. handelt (vgl. zum Beispiel Methfessel 1988). 166 Die notarielle Regelung von Dienerschaft ist in Spanien ab dem Ende des 15. Jahrhunderts belegt. Für eine Geschichte der Hausarbeit in Spanien vgl. Colectivo IOÉ 2001a, 145-157. Ich beziehe mich im Folgenden in weiten Teilen auf Colectivo IOÉ 2001a.
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Handwerker ihre Arbeitsräume vornehmlich im Haus. Mit der industriellen Revolution erfolgte jedoch eine Aufspaltung der arbeitsteiligen Herstellung der Lebensbedingungen in Markt- und Haushaltsökonomie mit je unterschiedlichen konträren Logiken: Das Haus wurde zum Ort der Nicht-Arbeit bzw. der „Arbeit aus Liebe“ (Bock/Duden 1977) sowie des Konsums. Es wurde der “echten” Arbeit außerhalb des Hauses diametral gegenüber gestellt. Zusätzlich wurden die Räume vergeschlechtlicht: Das Haus und die darin verrichteten Tätigkeiten wurden zur Sphäre der Frau; die Öffentlichkeit und Arbeit außerhalb des Hauses zur Sphäre des Mannes.167 Auch wenn diese Aufteilung weder strikt noch ungebrochen praktiziert wurde und nicht für alle Personen praktikabel war, wurde diese Vergeschlechtlichung von Räumen und Tätigkeiten in dominanten familiären Normen institutionalisiert sowie kulturell grundgelegt (vgl. Geissler 2002, 37f). Es handelte sich dabei um die neuen Werte des aufkommenden Bürgertums, welches es schaffte, sich in diesem Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus als aufsteigende Klasse zu etablieren, was auch die bürgerliche Vorstellung von Familie und Häuslichkeit einschließt (vgl. Colectivo IOÉ 2001a, 148). Als Arbeit galt von da ab lediglich die Produktionsarbeit außerhalb des Hauses. Im gleichen Zuge setzte sich ein Verständnis von Öffentlichkeit durch, welches sich durch die Unterordnung sowie den Ausschluss von Frauen, Fremden und Besitzlosen aus dem öffentlichen Raum als dominante, wenn auch nicht unhinterfragte oder unveränderte Struktur auszeichnete (vgl. Fraser 1991). Damit wandelte sich das Verständnis von Haushaltsarbeit, Öffentlichkeit und Weiblichkeit und es erfolgte eine zunehmende Feminisierung der bezahlten Reproduktionstätigkeiten. Bestand im Jahr 1752 das Verhältnis zwischen männlichem und weiblichem „Dienstpersonal“ in Galizien 29 % zu 71 %, so waren ein Jahrhundert später nur noch 15 % männlich. Männern hatten sich durch die wirtschaftlichen Veränderungen neue Erwerbsmöglichkeiten außerhalb der Haushalte eröffnet, den Frauen jedoch praktisch nicht. Sie wurden vielmehr strukturell aus anderen Berufen herausgehalten, zum Beispiel indem Handwerkern verboten wurde, den weiblichen Angestellten ihr Handwerk zu lehren (vgl. Colectivo IOÉ 2001a, 151f). Arme Frauen vom Land (und aus der Stadt) fanden daher in den Städten fast ausschließlich eine Anstellung als „Dienstmädchen“, welche sich auch nicht als Brücke zu anderen Tätigkeiten erwies, wie dies oft erhofft und dargestellt wurde. Vielmehr verhinderte sie den Einstieg in andere Arbeiten. Hausarbeiterinnen, welchen ein sozialer Aufstieg gelang, schafften dies daher nicht über die Arbeit, sondern vielmehr über eine 167 Das heißt nicht, dass zuvor eine Geschlechteregalität geherrscht hätte. Die Formen, Normen und Werte änderten sich jedoch in diesen Prozessen und legten neue Orte bzw. Räume fest, welche früher, da die meisten Männer auch im Haus arbeiteten (sei es als Handwerker, Bauern oder als Diener in fremden Haushalten), nicht in der gleichen Art und Weise vergeschlechtlicht waren. Auch die Dienerschaft war im Feudalsystem nicht eine weibliche Tätigkeit. Vielmehr waren in den angeseheneren Tätigkeiten der Dienerschaft vornehmlich Männer beschäftigt (vgl. Colectivo IOÉ 2001a). Mit der Etablierung der bürgerlichen Werte erfolgte jedoch eine Verweisung der Frauen auf das Haus.
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Ehe (vgl. Colectivo IOÉ 2001a, 439).168 In Haushalten, die es sich leisten konnten, arbeiteten die Frauen nicht in der Lohnarbeit, sondern gaben die Hausarbeit an Bedienstete ab und widmeten sich der „Schönheit des Hauses“ und der „Schönheit des eigenen Körpers“, den neuen, verallgemeinerten und durchgesetzten Idealen der bürgerlichen Frauen.169 Haushaltstätigkeiten bzw. Tätigkeiten im Haus wurden damit zu Kernbereichen der Konstruktion der sozialen Geschlechter (vgl. 2.2.4). Bis heute sind sie mit (heterosexuellen) Konnotationen des Verständnisses von Mannsein und Frausein, von Öffentlichkeit und Privatheit verbunden und somit symbolisch als an Andere abgegebene, bezahlte Arbeiten wie auch als von (weiblichen) Familienmitgliedern verrichtete Arbeiten hochgradig aufgefüllt (vgl. Rerrich 2002, 21). In Spanien veränderte sich die bezahlte Haushaltsarbeit über die Jahre in ihren Formen, Kontexten sowie in ihrem Umfang. Ein Moment des massiven Anstiegs der Haushaltsarbeit erfolgte u.a. in den 1960er Jahren, als Spanien sein autarkieorientiertes Wirtschaftsmodell aufgab und ab 1959 ein liberales Entwicklungsmodell verfolgte: Die interne (wie internationale170) Migration intensivierte sich und viele Frauen vom Land fanden Arbeit in städtischen Haushalten. Durch das wachsende Einkommen der neu entstehenden Mittelschichten erhöhte sich zudem die Nachfrage nach Hausarbeiterinnen, was diese Prozesse verstärkte (vgl. Colectivo IOÉ 2001a, 440). San Cristobal, das Viertel meiner Feldforschung, entstand in dieser Zeit. Viele SpanierInnen, welche heute im Viertel leben, kamen ab den 1960er Jahren aus ländlichen Gebieten der Extremadura, aus Andalusien, Toledo und Galizien nach Madrid. Einige von ihnen waren zunächst MigrantInnen in Mitteleuropa und kamen dann als RückkehrerInnen nach Madrid. Nicht wenige Frauen arbeiteten damals und teilweise auch heute noch in Privathaushalten.171 168 Bis heute stellt sich diese Frage, ob Hausarbeit eine Brücke oder nicht vielmehr ein Ghetto darstellt, wie zum Beispiel von Sarti aufgegriffen (vgl. Sarti 2005, 27ff). Es wird sich in Kapitel 7.2.4 zeigen, dass auch heute noch die Heirat eines wohlhabenden Spaniers als einer der zielführendsten Wege gilt, sozialen Aufstieg zu erlangen. 169 Zusammen mit der räumlichen Zuweisung der Frauen auf das Haus entstanden neue Vorstellungen und Ideale der Schönheit des Hauses, aber auch des weiblichen Körpers. Die Energien der Frauen wurden so auf die Modellierung ihres Körpers gemäß des neuen „Mythos Schönheit“ (Wolf 1991) gerichtet. 170 Viele spanische Emigrantinnen arbeiteten auch im Ausland als Hausarbeiterinnen. Es wird beispielsweise geschätzt, dass 1970 um die 100.000 Spanierinnen als Hausarbeiterinnen in Frankreich arbeiteten (vgl. Colectivo IOÉ 2001a, 155f). Auch hier gilt, dass sich die spanische Emigration nicht nur über die wirtschaftlichen Veränderungen bzw. die wirtschaftliche Krise erklären lässt, die zur Übernahme des Entwicklungsmodells führte. Auch die spanische Krise war nicht nur wirtschaftlicher Art, sondern auch sozial und politisch durch die Diktatur unter Franco. 171 Staatliche Wohnungsförderungen ermöglichten es internen MigrantInnen bzw. EmigrantInnen im Ausland, hier anzusiedeln und sich Wohnungen zu kaufen. Die Informationen über das Viertel beziehe ich aus Interviews mit MitarbeiterInnen des Sozialdienstes des Gebietes sowie mit politischen AktivistInnen, welche u.a. ein Archiv des Viertels erstellten.
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Derzeit wird die bezahlte Haushaltsarbeit jedoch immer mehr von internationalen MigrantInnen ausgeübt. Handelt es sich um eine Arbeit als Interna, finden sich fast ausschließlich internationale Migrantinnen (vgl. Colectivo IOÉ 2001a, 455). Heutige Haushaltsarbeit weist neue Dynamiken und Charakteristika, vor allem neue AkteurInnen auf: die MigrantInnen. Der folgende Abschnitt reflektiert diese Prozesse beginnend mit der Frage nach der neuen, steigenden Nachfrage nach Hausarbeit. 6.2.1 Die neue Nachfrage nach bezahlter Hausarbeit „Früher waren die [spanischen] Frauen wie diese Frauen, die nun kommen [die migrantischen Hausarbeiterinnen], ich kann dir [das] erzählen.“ (Interview mit Charo, 65-jährige Spanierin)
Das neue Erstarken der Nachfrage nach Haushaltsarbeit und deren Internationalisierung stellen keinen Nebenschauplatz der aktuellen politisch-ökonomischen, demographischen, technologischen, sozialen und kulturellen Prozesse dar, sondern ist Teil und Konsequenz derselben. Verschiedene Ebenen ergänzen sich dabei und gehen teilweise ineinander über, kommen aber auch unabhängig voneinander zum Tragen. Sie sind jedoch alle im Kontext der Globalisierung verortet. Als Arbeit für Frauen – für nach Klasse und Herkunft unterschiedene Frauen – ist Hausarbeit als solche nicht neu. Neu ist jedoch die steigende Transnationalisierung sowie zunehmende Verknüpfung der politisch-ökonomischen, technologischen, medialen und kulturell-legalen Verbindungen zwischen Staaten und Gesellschaften, die diese Prozesse intensivieren und u.a. bewirken, dass immer mehr MigrantInnen aus unterschiedlichen Ländern als HausarbeiterInnen im Ausland arbeiten (vgl. Misra/Merz 2005, 4). Die aktuellen wirtschaftlichen wie sozialen Prozesse innerhalb des Kontextes der Globalisierung formen und verstärken die Ungleichheiten und Abhängigkeiten sowohl auf lokaler, nationaler wie inter- bzw. transnationaler Ebene (vgl. Parella 2003, 68; Parreñas 2003a, 25). Das heutige Wirtschaftssystem trägt in sich die Logik, sowohl hoch-dotierte Arbeitsplätze als auch niedrigst bezahlte Dienstleistungsarbeiten zu schaffen, welche vornehmlich weiblich und/oder migrantisch sind (vgl. Sassen 1998, 81ff). Wirtschaftliche Globalisierung bedeutet daher nicht nur globale Finanzmärkte, transnationale Produktionsweisen etc., sondern auch die Ausbreitung und Nachfrage nach Arbeiten mit niedrigem Lohn, meist ohne formelle Absicherungen (vgl. Sassen ²2001, 289ff; 1998, 153ff).172 Diese Arbeiten werden größtenteils von Frauen ausgeübt und basieren auf der Polarisierung der Arbeiten und deren Bezahlung. Mit dieser Dynamik verbunden ist die steigende Nachfrage nach Haushaltsarbeiten durch 172 Als eine Form der Maximierung der Flexibilität der ArbeitgeberInnen werden im Kontext der wachsenden Ungleichheiten von Löhnen und profitschaffenden Möglichkeiten immer mehr Arbeiten informalisiert und zu Niedrigst-Lohn-Arbeiten gemacht (vgl. Sassen 1998, 169).
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höchst-verdienende Männer und Frauen, welche sich in den großen Städten der ökonomischen Globalisierung konzentrieren. Diese Personen arbeiten viele Stunden, müssen flexibel sowie mobil sein und haben hohe Luxus- wie Freizeitansprüche, denen sie u.a. durch die Nachfrage nach HaushaltsarbeiterInnen begegnen (vgl. Sassen ²2001; 1998, 122). „The expansion of the high-income workforce in conjunction with the emergence of new cultural forms has led to a process of high-income gentrification that rests, in the last analysis, on the availability of a vast supply of low-wage workers. This has reintroduced – to an extent not seen in a very long time – the whole notion of the „serving classes“ in contemporary highincome households.“ (Sassen 1998, 91)
Es gilt auch hier, dass die Produktion und somit die Globalisierung der Produktion nicht ohne Reproduktionsarbeiten auskommt, welche heute ebenfalls globalisiert sind (vgl. Truong 1996, 47). Generell herrscht heute ein neues Zeitmanagement, da Arbeiten oft zeitintensiver wurden, Freizeit einen hohen Stellenwert einnimmt und viele Personen „Zeit kaufen“, indem sie die Haushaltsarbeiten abgeben, um so Freizeit und „qualitativ wertvolle Zeit“ verbringen zu können (vgl. Parella 2003, 221). Die Ungleichverteilung von Zeit bzw. die ungleichen Bedingungen der Möglichkeit der Verfügung über die eigene Zeit stellt für das Soziologenkollektiv Colectivo IOÉ in Anlehnung an Gorz das zentrale Charakteristikum der heutigen Wirtschaftsform dar. Sie generiert dabei gleichzeitig eine Nachfrage nach Reproduktionsarbeiten, um gut verdienenden Personen in festen Anstellungen zu freier Zeit zu verhelfen (vgl. Gorz 1997, in: Colectivo IOÉ 2001a, 165f). Es handelt sich jedoch nicht nur um die Frage nach qualitativ wertvoll verbrachter Zeit, welche den Anstieg der Nachfrage nach Hausarbeit erklären kann. Zentrale Bedeutung kommt auch der steigenden Arbeitsmarktpartizipation spanischer Frauen zu. Seit Ende der 1970er Jahre hat sich in Spanien die Anzahl der „Hausfrauen“, also Frauen, welche sich exklusiv den Haushaltsarbeiten widmen, um 2,5 Millionen reduziert (vgl. Colectivo IOÉ 2003, 84). Das Verständnis von Familie und Partnerschaft hat sich zudem gewandelt und pluralisiert. So sind heute immer mehr Frauen alleinstehend und/oder alleinerziehend und bei vielen Paaren, egal ob mit oder ohne Kinder, arbeiten Frauen in der Lohnarbeit außer Haus. Obwohl sich aber das Verständnis änderte, blieben die grundlegenden Elemente der patriarchalen Kultur wie zum Beispiel die vergeschlechtlichte Arbeitsteilung und die Bedeutung des Vaters als „Haupt der Familie“ zu weiten Teilen bestehen (vgl. Colectivo IOÉ 2001, 133a). Die zugrunde liegenden Werte und Rollenansprüche werden zwar von vielen Frauen abgelehnt, die Haushaltsarbeit bleibt jedoch bei Paaren, bei denen beide erwerbstätig sind, weiterhin in der Regel Frauenarbeit (vgl. Colectivo IOÉ 2003, 84). Dies wurde bereits für Ecuador aufgezeigt (vgl. 4.2.1) und gilt auch für andere Länder. Viele doppelverdienende Paare verlagern daher die Hausarbeit
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durch Bezahlung einer dritten Person nach außen und vermeiden somit Rollenkonflikte: „Sie [die erwerbstätige Mittelschichtsfrau und die migrantische Hausarbeiterin] stehen für einen neuen globalisierten Regulationsmodus auch der Privatsphäre, der die Frage nach einer geschlechtergerechten Um- und Neuverteilung von Erwerbs- und Versorgungsarbeiten durch die feminisierte Ethnisierung der Letzteren umgeht. In diesem Sinne könnte man auch hier von einer Transnationalisierung sozialen, intergeschlechtlichen Konfliktpotentials sprechen.“ (Hess 2005, 247)
Die heutige Nachfrage nach Haushaltsarbeit lässt sich jedoch nicht auf eine bloße Ersetzung der Hausfrauen durch fremde Frauen zurückführen. Die Arbeitsbedingungen selbst haben sich in weiten Bereichen geändert und erfordern eine Umstrukturierung der Haushaltsarbeiten. Dazu gehört, dass in vielen Familien das Einkommen der Frauen in größerem Maße als zuvor gebraucht wird, und dass andererseits die Flexibilisierung der Erwerbsarbeit eine Neuorganisation der Reproduktionsarbeit erfordert. Hondagneu-Sotelo spricht in diesem Sinne von einer „New World Domestic Order“, da die New Economy auch auf der Reorganisation der Haushaltsarbeiten beruht (vgl. Hondagneu-Sotelo 2001, 4ff). Alleinerziehende und Paare mit Kindern, in denen beide arbeiten, bedürfen immer mehr einer Form der Kinderversorgung, welche der Flexibilität der heutigen Arbeitsbedingungen entspricht. Diese lassen es oft nicht zu, dass einE ArbeitnehmerIn die Arbeit Punkt 15 Uhr 40 verlässt, weil der Kinderhort oder die Schule um 16 Uhr oder ensprechend später endet. Viele Arbeiten wie Pflege und Erziehung der Kinder sind gerade nicht flexibel und können nicht nach Feierabend oder am Wochenende erledigt werden. Diese Tätigkeiten abzugeben, bedeutet daher Kontrolle und Flexibilität zu erhalten, welche teils für die Arbeit, teils aber auch für die heutigen Freizeitansprüche der individualistisch geprägten Konsumgesellschaft genutzt werden (vgl. Colectivo IOÉ 2001a, 133). Die mit Pflege und Kinderbetreuung verbundenen Aufgaben wurden früher zudem mehrheitlich von Frauen im Verbund der Großfamilie erledigt. Obwohl sich die Familienstrukturen und die Rollen der spanischen Frauen darin heute stark verändert und ausdifferenziert haben, basiert das spanische Wohlfahrtssystem, kombiniert mit privaten und kirchlichen Hilfsangeboten, jedoch weiterhin darauf: Der spanische Sozialstaat folgt einem familiaristischen Modell, das auf der Familie als Reproduktionseinheit basiert. Abrahamson bezeichnet dies als „katholisches Modell“ (Abrahamson 1995). Dieses unterstützt Familien viel weniger als zum Beispiel in mitteleuropäischen Ländern, da von einer gegenseitigen finanziellen wie sozialen Hilfe der Großfamilie ausgegangen wird (vgl. Parella 2003, 218). Das Familienkonzept einer generationenübergreifenden, geschlossenen Einheit, die an einem Ort lebt, gibt es aber als selbstverständliche Institution nicht mehr, wie auch die Rolle der katholischen Kirche und deren Werte heute zwar noch bedeutende, einflussreiche Vertreter wie das Opus Dei aufweist, jedoch im Gros der Gesellschaft an Rele-
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vanz und Glaubwürdigkeit verloren haben. Während daher die bisherigen Rollenmuster und Normen für Haushaltsarbeiten nicht mehr in gleicher Weise garantiert sind und immer mehr Frauen arbeiten (müssen), wird gleichzeitig aber im Zuge der Umstrukturierungen des Sozialstaates das schon lückenhafte Wohlfahrtssystem immer mehr abgebaut (vgl. Parella 2000, 282-285), was neue Arrangements erforderlich macht. Die demographischen Veränderungen der letzten Jahre mit immer mehr alten Menschen bei abnehmender Geburtenzahl – Spanien hat eine der geringsten Geburtenraten der Welt173 – haben eine zusätzliche Nachfrage nach Altenpflege in der bezahlten Haushaltsarbeit geschaffen. Private Pflegeeinrichtungen sind jedoch sehr teuer und werden von vielen SpanierInnen als „Abschiebung der Alten“ betrachtet und abgelehnt. Die private Altenpflege ist daher eine der großen wachsenden Arbeitssektoren, was sich auch in San Cristobal, im Umfeld meiner Feldforschung, zeigte: Laut Aussage einer Sozialarbeiterin wurden bei einer Arbeitsvermittlung im Viertel zur Zeit meiner Untersuchung etwa 90 % der Hausarbeiterinnen in die Altenpflege vermittelt. Die MigrantInnen stützen also durch die billige Übernahme der Reproduktionsarbeiten das lückenhafte Sozialsystem und tragen so zur Bewahrung desselben bei. Die Legalisierungsprogramme und das Cupo-System reflektieren dies und erkennen es implizit an (vgl. 4.2.5).174 Pfarrer Isidorio aus dem Viertel San Cristobal sagte dazu: „Wir merken, dass man die Migranten, um unser Sozialsystem zu erhalten, (...) als einen Schlüsselfaktor betrachten muss, nicht wahr? Unsere spanische Bevölkerung ist sehr alt, sie ist sehr gealtert, nicht wahr? Also merkt der Spanier, dass wir dank der Einwanderung das Lebensniveau, das wir haben, halten können.“ (Pfarrer Isidorio)
Der Anstieg der Nachfrage nach Hausarbeiterinnen hat jedoch nicht nur mit der steigenden Lohnarbeit von Frauen, den Veränderungen in der Familie und dem Abbau und den Lücken im Sozialsystem bei gleichzeitiger Alterung der Bevölkerung zu tun. Haushaltsarbeiten werden heute auch deshalb nachgefragt, weil die Ansprüche daran aufgrund der neuen Lebensstile der Mittelklassen höher und die Arbeiten dadurch zeitintensiver wurden: Putzen und Waschen mit Ökoprodukten, die Einhaltung veränderter Sauberkeitsstandards, die vermehrte Haltung von Haustieren sowie das Ideal einer individuell verstandenen Kinderbetreuung haben die Haus-
173 Im Jahr 2004 betrug beispielsweise die Geburtenrate in Spanien gemäß dem spanischen nationalen Statistikinstitut 1,329 Geburten pro Frau; im Jahr 2005 1,346. Vgl. www.ine.es/jaxiBD/tabla.do [25.03.2009] 174 MigrantInnen sind aber auch zusätzliche und verlässliche SteuerzahlerInnen, da der Erhalt und die Erneuerung eines Aufenthaltstitels an das regelmäßige Zahlen der Steuern gebunden ist (vgl. Colectivo IOÉ 2001a, 454; Herranz Gómez 1996, 399). Viele MigrantInnen zahlen daher auch in Zeiten von Arbeitslosigkeit Abgaben, um ihre Ansprüche nicht zu verlieren. Zudem weisen MigrantInnen eine höhere Natalität auf, wodurch sie den Geburtenrückgang korrigieren.
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haltsarbeiten in den letzten Jahren vervielfacht (vgl. Lutz 2007). Sie werden daher vermehrt abgegeben und somit nachgefragt. Nicht zu vergessen ist, dass HausarbeiterInnen auch ein Prestige- und Luxussymbol darstellen, Status vermitteln und somit über die verrichteten Arbeiten hinaus durch die jeweiligen Rollenzuschreibungen („Bedienstete“ – „Herrschaften“) ein soziales Kapital schaffen können (vgl. Anderson 2000, 21). Dieser Status beruht auf der Asymmetrie der Rollen sowie der Differenzierungskraft von Hausarbeit: Hausarbeit ist mit Schmutz, Körperausscheidungen und Unordnung, also mit sozialen Aspekten verbunden, welche in den westlichen Gesellschaften negativ konstruiert werden (vgl. Thiessen 2002 144ff).175 Diese zu beseitigen, schafft Ordnung und Ehre – jedoch nicht unbedingt für die Arbeiterin selbst, sondern vor allem für die ArbeitgeberInnen.176 Sich bedienen zu lassen und vor anderen bedient zu werden, macht zudem soziale Hierarchien deutlich bzw. legt diese gegenüber Anwesenden fest (vgl. Colectivo IOÉ 2001a, 164; Sarti 2005, 22). Unabhängig von den konkreten Praktiken trägt bezahlte Hausarbeit als Wertesystem diese Konnotationen und Möglichkeiten als Mechanismus der Differenzierung sowie Aneignung von Ehre durch Entehrung von Bediensteten (vgl. Anderson 2000, 141ff) als Potential in sich. Manche ArbeitgeberInnen sind sich dieser impliziten Hierarchien bewusst und bemühen sich darum, sie zu vermeiden, indem sie zum Beispiel einen guten Lohn mit Extrazahlungen (Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld) bezahlen, symbolisch mitputzen und so versuchen, die inhärenten Hierarchien zu durchbrechen oder durch andere Formen der „guten Behandlung“ (Geschenke, Kekse, spezielles Trinkgeld) sich von „schlechten ArbeitgeberInnen“ zu unterscheiden und die servilen Konnotationen zu relativieren, was jedoch vor allem für Mitteleuropa und USA gilt (vgl. auch Hondagneu-Sotelo 2001, 161ff; Lutz 2007, 123177). Die Behandlung hängt dabei stark
175 Schmutz hat in dieser Hinsicht eine kulturelle Bedeutung, worauf oben in anderen Zusammenhängen bereits hingewiesen wurde (vgl. 2.1.3 sowie Douglas 1966). Schmutz stellt ein relationales Kriterium innerhalb des systematischen Ordnens und Klassifizierens von Dingen dar, indem Spuren des Lebens entfernt, getrennt und/oder beseitigt werden. Die Distanzierung vom Lebendigen und somit zum Beispiel von den eigenen Körperausscheidungen bildet u.a. die Grundlage der Konzeption des bürgerlichen Subjekts als unabhängigem und von körperlichen Prozessen getrenntem Wesen (vgl. Thiessen 2002, 145). 176 Was nicht heißen muss, dass die Tätigkeit dadurch keine Freude bereitet, vielmehr können HausarbeiterInnen durch das Schaffen von Ordnung und Sauberkeit auch ein Gefühl von Zufriedenheit und Selbstbestätigung erlangen (vgl. Hondagneu-Sotelo 2001, XIV. 159). 177 Lutz weist darauf hin, dass ein einfaches Ausbeuter-Ausgebeuteten-Schema daher die komplexen Beziehungen zwischen Hausarbeiterinnen und ArbeitgeberInnen nicht fasst (vgl. Lutz 2007, 123). Dabei wird das Unbehagen von ArbeitgeberInnen gegenüber bezahlter Haushaltsarbeit vor allem für mitteleuropäische und USamerikanische ArbeitgeberInnen berichtet (zum Beispiel von Andall 2003b, 40 für Großbritannien). In Südeuropa ist hingegen die Nähe zur Dienerschaft weit mehr erhalten geblieben (vgl. ebd., 41).
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von den jeweiligen Arbeitsarrangements, aber auch den Einstellungen der ArbeitgeberInnen wie auch der ArbeitnehmerInnen ab (vgl. 6.4).178 Hausarbeit ist Ausdruck und Reproduktion sozialer Beziehungen (vgl. Anderson 2000, 17) und ist daher, auch wenn sie keine unmittelbare Kontinuität der Dienerschaft darstellt und untereinander in den konkreten Arbeitsbeziehungen variiert, eine Tätigkeit, welche klassengeprägt ist und auf sozialen Asymmetrien basiert. Dazu gehört auch die Bewertung: Haushaltsarbeit wird gemeinhin als unqualifiziert und als leichte Tätigkeit definiert, ist schlecht bezahlt, anstrengend, unsichtbar, nahezu ungeschützt und wenig legal geregelt (vgl. 6.4). Haushaltsarbeit ist nicht nur gesellschaftlich nicht als Arbeit anerkannt, sondern wird gegenüber den HausarbeiterInnen allgemein als leichte Betätigung deklariert, wodurch oft die anstrengenden Arbeitsbedingungen gerechtfertigt werden. Sie ist schlecht bezahlt und hat negative soziale Konnotationen. Oft erfolgt bezahlte Hausarbeit zudem informell. Von SpanierInnen wird sie daher, wenn möglich, vermieden und heute vor allem als Notnagel (nach Scheidung, Witwenschaft, unmittelbare ökonomische Krisen) und als Ergänzung zu anderen Einkommen betrachtet, normalerweise jedoch nicht als Ganztagesarbeit (vgl. Colectivo IOÉ 2001a). Als solche wird sie von immer weniger Spanierinnen ausgeübt, was zum nächsten Punkt, der Ethnisierung von Hausarbeit, führt. 6.2.2 Die Ethnisierung von Hausarbeit Seit sich die Arbeits- und Bildungsmöglichkeiten von Frauen in Spanien verbesserten, wurde es für spanische Frauen leichter, Angebote in der Landwirtschaft und Beschäftigungen im Dienstleistungssektor sowie in der Industrie abzulehnen. Einheimische Frauen, vor allem junge, vermeiden daher, so gut es geht, die bezahlte Hausarbeit (vgl. Parella 2003, 13). Es herrscht jedoch keine simple Ersetzung einer bestehenden, quasi konstanten Nachfrage nach Haushaltsarbeit durch MigrantInnen (vgl. Colectivo IOÉ 178 Die Einstellungen und Behandlungen durch die spanischen ArbeitgeberInnen bzw. verschiedenen Familienmitglieder sind oft sehr unterschiedlich. Im Falle von Natalia bot ihr beispielsweise die Tochter der von ihr gepflegten Frau an, bei der sie als Interna mit nur einmal pro Monat zehn Stunden Freizeit arbeitete, sie gelegentlich zu ersetzen, damit sie mehr Freizeit hätte. Die Tochter fand die Arbeit von Natalia anstrengend und machte sich Sorgen um diese als Person. Ihr Bruder hingegen, also der Sohn der gepflegten Frau, sah in Natalia lediglich eine Arbeitskraft und entließ diese, als sie einmal an ihrem freien Sonntag zu spät zur Arbeit kam (7.1.1). Der Tochter tat dies leid und versicherte Natalia, dass sie bei ihrer weiteren Arbeitssuche sie als Referenz angeben könnte. Sie würde Natalia weiterempfehlen. Hier zeigen sich deutlich unterschiedliche Positionen und Einstellungen, auch, dass der Sohn letztendlich derjenige ist, der die Entscheidungen trifft. Für eine Typologie der Arbeitsverhältnisse, jedoch beschränkt auf ein Verhältnis zwischen einer weiblichen Arbeitgeberin und einer Hausarbeiterin, vgl. Colectivo IOÉ 2003, 111-116.
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6 Arbeit als Hausarbeiterinnen
2001a, 455). Die oben beschriebenen Prozesse haben eine neue und verstärkte Nachfrage nach Hausarbeit geschaffen und zwar zusätzlich unter neuen Charakteristika. Dazu gehört, dass heute vermehrt Stellen als Internas nachgefragt werden, welche aufgrund der Arbeitsbedingungen fast ausschließlich von MigrantInnen übernommen werden. Durch das Mehrangebot an HausarbeiterInnen sanken die Löhne, wodurch bezahlte Haushaltsarbeit heute für mehr Personen und Haushalte erschwinglich wurde, was die steigende Nachfrage zusätzlich verstärkte (vgl. Hondagneu-Sotelo 2001, 8). Wie im Eingangszitat dieses Kapitels zitiert wird: „Jetzt ist die Arbeitskraft billig und die [spanischen] Frauen arbeiten [außer Haus], also gibt es wieder viele Hausangestellte.“179 Hausarbeit wird also nicht mehr nur als Luxus und Privileg der Oberschicht betrachtet (vgl. Parella 2003, 134). Es existiert außerdem eine direkte Nachfrage nach migrantischen, und nicht spanischen HausarbeiterInnen aufgrund ethnisierter Stereotypen (vgl. Kofman et al. 2000, 124f; Anderson 2000, 154). Lateinamerikanerinnen gelten beispielsweise als besonders liebevoll im Umgang mit Kindern und alten Menschen oder andererseits als besonders unterwürfig. Auf diese Weise werden mit ihnen Werte verbunden, welche sie vor spanischen Hausarbeiterinnen auszeichnen. „Na ja, sie haben Vieles, zum Beispiel sind sie sehr herzlich, sehr nah, sie sind normalerweise sehr liebenswürdig (....). Normalerweise, sind die Leute halt sehr arbeitsam.“ (Sozialarbeiterin in einer Jobbörse)
Nicht alle Zuschreibungen sind jedoch positiv. Luis, ein freiwilliger Mitarbeiter im Hausarbeitskurs, hob beispielsweise hervor, dass LateinamerikanerInnen sehr liebevoll und herzlich seien, jedoch sehr langsam: „Um alte Menschen zu pflegen, sind sie außerordentlich.” – „Ach so?” – „Sie sind sehr herzlich, ja. Sehr herzlich. (....) Es kann sein, dass es eine Beschwerde gibt, aber es ist sehr selten. Es sind sehr gute Menschen, [aber] im Moment der Arbeit sind die Hispanos sehr langsam. (....) Sie machen die Sachen gut, aber sie sind langsamer.” (Interview mit Luis, freiwilliger Mitarbeiter des Hausarbeitskurses)
Die gleichen Stereotypen wurden teilweise auch von EcuadorianerInnen vertreten. Dies kann einerseits als Übernahme des dominanten spanischen Diskurses verstanden werden, vor allem wenn es sich um positive Bilder handelt. Andererseits entsprechen die Stereotype auch bestimmten Werten und Idealen aus Ecuador und/ oder können als Abgrenzungen gegenüber SpanierInnen in Form positiver Selbstbeschreibungen dienen. Was genau darunter verstanden und wie dies kontextuali-
179 Interessant, wie hier die Migrantinnen als „billige Arbeitskraft“ und die Spanierinnen als „Frauen“ bezeichnet werden. Zudem wird zwischen den „arbeitenden“ Frauen und den Hausangestellten unterschieden.
6.2 Hausarbeit im Kontext der Globalisierung
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siert wird, ist jedoch oft unterschiedlich und divergent. Antonio und Manolo aus Ecuador erklärten ihre Sicht wie folgt: „Die ecuadorianische Kultur charakterisiert sich dadurch, dass wir unterwürfiger sind, herzlicher.“ – „Gerade weil wir Latinos und Ecuadorianer sind, widmen wir uns mehr den Leuten, sind wir liebevoller, zärtlicher, und das ist es, was uns an der Kultur der Europäer schockiert. Die Europäer hier sind oberflächlicher, kälter und berechnender, egozentrischer, jeder nur für sich.“ (Interview mit Antonio und Manolo in Madrid)
Die verbreitetste Vorstellung über lateinamerikanische Hausarbeiterinnen bezieht sich darauf, dass sie liebevoll, geduldig und respektvoll gegenüber alten Menschen seien, wie immer und immer wieder gesagt. Im Hintergrund stehen dabei auch die Genderreferenzen, Vorstellungen über lateinamerikanische Frauen, über Hausarbeit als Frauentätigkeit und die Kombination dieser beiden Aspekte. Es geht somit auch um die Gendersozialisation in Lateinamerika bzw. Imaginationen der ArbeitgeberInnen darüber: So kann es dazu kommen, dass die in Ecuador dominanten Gendervorstellungen und -praktiken, welche von vielen Frauen gerade nicht gelebt werden bzw. überwunden werden wollen, sich im Migrationskontext zu einer Ressource auf dem Arbeitsmarkt entwickeln und von vielen Frauen wiederum als solche auch inszeniert und beworben werden (vgl. Wagner 2004, 95). Auf diese Weise können die Frauen diese Ideen als Vorteil auf dem Arbeitsmarkt nutzen, gleichzeitig aber auch die Genderideale und ihre Beziehungen neu aushandeln bzw. verändern, indem sie beispielsweise den restriktiven Kontrollen und asymmetrischen Rollenzuschreibungen durch ihre Familie bzw. Partner umgehen und neue Möglichkeiten für sich suchen (vgl. auch Momsen 1999, 10; 7.3.1.2). Haushaltsarbeit ist letztendlich zutiefst mit Genderreferenzen und der Organisation der Reproduktionsarbeit als konstruierter weiblicher Rolle verbunden (vgl. Rerrich 2002, 21). So bleiben Haushaltsarbeiten, selbst wenn Frauen sie an bezahlte HausarbeiterInnen abgeben, in der Regel weiterhin „weibliche Tätigkeiten”. Meist sind es daher auch die Frauen eines Haushaltes, welche Aufgaben zuweisen, Lohnverhandlungen führen, Konflikte austragen etc. und den Haushalt organisieren. Handelte es sich um den selbständigen Haushalt eines Elternteils, trafen in meiner Feldforschung oft auch Söhne Entscheidungen, wiesen aber normalerweise nicht die Aufgaben zu. Die vermehrte Externalisierung und Bezahlung von Hausarbeit führt nicht zu einer Veränderung in der Wahrnehmung und Bewertung derselben: Hausarbeit bleibt minderwertig und nicht als Arbeit anerkannt und wird fast ausschließlich von Frauen erledigt. Zwar finden sich auch immer wieder Männer als Hausarbeiter (vgl. Escrivá 1999, 362; in meiner Forschung vor allem in der Altenpflege). Diese sind jedoch vergleichsmäßig wenige und haben zudem im Gegensatz zu Frauen eher die Möglichkeit, diesen Arbeitssektor zu verlassen (vgl. auch Parella 2003, 299; Colectivo IOÉ 2001a, 450). Doch selbst die Beschäftigung von Männern verändert nichts
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6 Arbeit als Hausarbeiterinnen
an der grundsätzlichen Vergeschlechtlichung der Haushaltsarbeiten als weibliche Tätigkeiten.180 Die Hauptform heutiger bezahlter Haushaltsarbeit stellt deren Abgabe an sozial niederstehende (Klasse), fremde (Ethnizität) Frauen (Geschlecht; in Ausnahme Männer) dar. Bei diesem Hauptmuster werden die Genderungleichheiten durch autochthone (Mittelschichts-)Frauen auf Ungleichheiten nach Klasse und Ethnie verlagert (vgl. Parella 2003, 109), wodurch sich patriarchale Beziehungen nicht nur zwischen Männern und Frauen, sondern auch zwischen MigrantInnen und Einheimischen ausdrücken können.181 Es gibt in diesem Sinne ein „neues Geschlechterarrangement“ (vgl. Friese 1996, zitiert in Lutz 2005, 80), welches weiterhin die Haushaltsarbeit als Frauenarbeit versteht, jedoch nun entlang von Klasse und Ethnizität, und diese an andere, meist fremde Frauen abgibt, wodurch sie ethnisiert wird (vgl. Hondagneu-Sotelo 2001, 17f). Im Folgenden wird von HausarbeiterInnen in der weiblichen Form die Rede, da sich die Studie lediglich auf Hausarbeiterinnen bezieht. Nur wenn es explizit um Männer geht („Hausarbeiter“) oder wenn betont werden soll, dass Männer und Frauen die Arbeit verrichten („HausarbeiterInnen“) wird von der weiblichen Form abgewichen. Die Minderbewertung und nicht volle Anerkennung als gleichwertige Arbeit schlägt sich in der Gesetzgebung und den daraus resultierenden Rechten als HausarbeiterInnen nieder, um die es im Folgenden geht.
Im Falle männlicher Hausarbeiter wird deren Geschlecht der Klasse und Ethnizität untergeordnet. Wie Anderson schreibt: „Thanks to the hidden labour of migrant domestic workers, some middleclass women gain access to the public sphere.“ (Anderson 2000, 190). Dieser Aspekt ist in seiner strukturellen Bedeutung zentral, darf meiner Meinung nach jedoch nicht zu einer Engführung der Analyse der Arbeitsbeziehung im Haushalt als Frau(Arbeitgeberin)–Frau(Arbeitnehmerin)–Konstellation führen, wie dies zum Beispiel bei Anderson 2000 der Fall ist. Für meine Studie hat sich vielmehr gezeigt, dass vor allem in der Pflege auch viele Männer Arbeitgeber sind. Wurde zur Pflege der Eltern/eines Elternteils von den Kindern gemeinsam eine Hausarbeiterin eigenstellt, waren es oft die (ältesten) Söhne, welche wichtige Entscheidungen trafen und Wünsche kommmunizierten. 180 181
6.3 Die gesetzliche Regelung von Hausarbeit in Spanien
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6.3 Die gesetzliche Regelung von Hausarbeit in Spanien „Habe ich dir eigentlich schon erzählt, dass ich als Hausarbeiterin kein Recht auf Arbeitslosenhilfe habe? (...) Sie nehmen uns so viel Geld [in Form von Steuern] und wir haben überhaupt nichts davon. (...) Die wissen nicht, was Opferbringen heißt, diese Schurken, die das Gesetz machen.“ (Mónica)
Bezahlte Haushaltsarbeit nimmt in Spanien eine rechtliche Zwischenposition zwischen bezahlter, formaler Arbeit und Nicht-Arbeit ein: Bis zum Jahr 1985 war bezahlte Hausarbeit im Zivilrecht und nicht im Arbeitsrecht geregelt (vgl. Escrivá 1999, 345)182, da nach einer Definition von 1900, die Tätigkeit außerhalb eines Privathaushaltes die Voraussetzung für eine Anerkennung als Arbeit darstellte (vgl. Martínez Veiga 1995, 17), wovon Hausarbeit als Arbeit innerhalb des Hauses definitorisch ausgeschlossen ist, da sie nicht in der öffentlichen Erwerbsphäre verrichtet wird. Andererseits wird sie wie eine Arbeit bezahlt. Erst im Jahr 1985 wurde u.a. auf Druck der Frauenbewegungen ein Arbeitsrecht für HausarbeiterInnen eingeführt und der Begriff „empleados del hogar“, Hausangestellte, erstmals ins Gesetz aufgenommen.183 Auf diese Weise sollte der Begriff der „Dienerschaft“ mitsamt dessen servilen Konnotationen und Praktiken überwunden werden (vgl. Herranz Gómez 1996, 392). Die Hausarbeit wurde jedoch nicht Teil des allgemeinen Arbeitsrechtes, sondern erhielt einen Sonderstatus als „spezieller Arbeitssektor“ (vgl. RD 1424/ 1985) mit weit weniger Rechten als im allgemeinen Arbeitsrecht. In der legalen Organisation wie auch in deren Praxis hat sie daher eine Nähe zur „Dienerschaft“ beibehalten (vgl. Colectivo IOÉ 2001a, 43). Tabelle 8 zeigt die Unterschiede zwischen dem allgemeinen und dem speziellen Arbeitsrecht für HausarbeiterInnen. Sie stellt die Rechte von HausarbeiterInnen dem allgemeinen Arbeitsrecht gegenüber und enthält die wichtigsten bzw. anschaulichsten Unterschiede. Die Arbeitszeit wird im allgemeinen Arbeitsrecht anders als im Hausarbeitsgesetz geregelt: Es existieren zwar jeweils gesetzlich geregelte Höchstarbeitszeiten und festgelegte Ruhephasen. HausarbeiterInnen haben jedoch im Vergleich schlechtere Bedingungen; außerdem sind die garantierten Rechte ambivalent gehalten: So darf die tägliche Arbeitszeit jeweils nicht mehr als neun Stunden betragen. Das Arbeitsgesetz für HausarbeiterInnen sieht jedoch zusätzliche Präsenzzeiten vor („tiempos de presencia”), in denen die Hausarbeiterin zwar nicht verpflichtet ist, „normale Haushaltsarbeiten“ zu erledigen, sie aber solche Arbeiten verrichten darf, die wenig Anstrengung verlangen (vgl. Martínez Veiga 2004, 145-146). Bedenkt man die Zuschreibungen an Haushaltsarbeit, nämlich, dass diese einfach sei sowie von Frauen 182 Lediglich während einer kurzen Zwischenphase von sechs Tagen im Jahr 1931 wurde sie in das Arbeitsgesetz aufgenommen. Für eine ausführliche Geschichte vgl. Colectivo IOÉ 2001a, 171ff. 183 Bis 1984 gab es zudem ein Gesetz innerhalb des Zivilcodes (Art. 1585 des Zivilcode von 1889), welches festlegte, dass im Falle von Lohnkonflikten den ArbeitgeberInnen zu glauben sei (vgl. Colectivo IOÉ 2001a, 169f).
6 Arbeit als Hausarbeiterinnen
184
naturgemäß und von Herzen getan wird, kann die meiste Arbeit als wenig anstrengend deklariert werden. Doch selbst wenn darunter Aufgaben wie zum Beispiel die Tür zu öffnen oder ans Telefon zu gehen (vgl. Colectivo IOÉ 2001a, 177) verstanden werden, handelt es sich um eine Festsetzung des Raumes und der Handlungsmöglichkeiten der HausarbeiterInnen während ihrer eigentlich freien Zeit. Die gesetzliche Regelung von Hausarbeit im Vergleich zum allgemeinen Arbeitsrecht Allgemeines Arbeitsrecht
Spezielles Arbeitsrecht für HausarbeiterInnen
Tägliche Arbeitszeit (max.)
9 Stunden
9 Stunden + Anwesenheitszeit
Ruhezeiten zwischen den Arbeitsphasen
12 Stunden
Wöchentliche Ruhezeiten
36 Stunden
36 Stunden
ununterbrochen
ununterbrochen oder unterbrochen
Bezahlung in Form von Kost und Logis (in % vom Grundgehalt)
Maximal 30 %
Maximal 45 %
Arbeitslosenversicherung
Ja
Nein
Bezahlter Krankenstand
Ab dem dritten Tag
Ab dem 29. Tag
Sozialabgaben
Je nach Lohn
Fix
30 Tage
7 Tage
30 Tage
20 Tage
Entschädigung bei begründeter Kündigung
20 Tage
7 Tage
Maximale Grenze
12 Monatslöhne
6 Monatslöhne
Entschädigung bei rechtswidriger Kündigung
45 Tage
20 Tage
42 Monatslöhne
12 Monatslöhne
Internas: 8 Stunden Externas: 10 Stunden
Kündigungsfrist * Beschäftigung unter einem Jahr * Beschäftigung über einem Jahr
Maximale Grenze pro Arbeitsjahr
Tabelle 8: Die gesetzliche Regelung von Hausarbeit im Vergleich zum allgemeinen Arbeitsrecht. Erstellt in Anlehnung an Escrivá 1999, 349 und deren Bearbeitung durch Colectivo IOÉ 2001a, 180. Die Tabellen sind jeweils umfangreicher.
6.3 Die gesetzliche Regelung von Hausarbeit in Spanien
185
Die legal vage gehaltenen und explizit erlaubten „Präsenzzeiten“ basieren vielmehr auf der Negation des freien Umgangs mit der eigenen Zeit und der Aberkennung persönlicher Bedürfnisse. Da (anscheinend) keine schwere physische Arbeit verrichtet wird (bzw. werden darf), wird diese Kontrolle über die freie Zeit und die lokale Bindung an das Haus als Nicht-Arbeit betrachtet, welche daher auch keiner Vergütung bedarf. So mussten Frauen, wenn wir in ihrer freien Zeit verabredet waren, „kurz noch einkaufen“ gehen; „zuerst noch den alten Mann beim Arzt vorbei bringen“; „auf dem Rückweg etwas bei der Apotheke abholen“ etc.. Auch wer regelmäßig ans Telefon geholt wird, kann nicht in Ruhe ein Buch lesen und noch viel weniger das Haus verlassen. Es handelt sich also nicht um Freizeit, auch nicht um einen „Gefallen“, wie dies oft von ArbeitgeberInnen benannt wird, sondern um die Verlängerung der Arbeitszeit, da über die Zeit, den Raum und die Aufmerksamkeit der HausarbeiterInnen verfügt wird. „Auf diese Weise ist die Präsenzzeit in der Praxis eine effektive Verlängerung des Arbeitstages und macht es zur Gewohnheit, dass die Arbeitszeiten ohne Kontrolle und ohne ökonomischen Ausgleich verlängert werden.“ (Herranz Gómez 1996, 395)
Die Ausweitung der Arbeitszeiten ohne weitere Vergütung und die damit verbundene Ausbeutung sind besonders bei Arbeitsverhältnissen als Internas verbreitet (vgl. auch Colectivo IOÉ 2001a, 177). Ein Ecuadorianer drückte dies folgendermaßen aus: „Sagen wir, bei einem festgesetzten Lohn haben sie einen klaren Arbeitsbeginn, aber kein festes Arbeitsende. Es ist eine unbegrenzte Arbeitszeit.” (Gruppeninterview mit EcuadorianerInnen am Nationalfeiertag, 12.10.2003)
Auch in Bezug auf die Ruhezeiten werden Unterschiede bei der Arbeit als Hausarbeiterin gemacht: Sind ansonsten 12 Stunden Pause zwischen den Arbeitsphasen vorgeschrieben, werden diese bei Internas auf acht, bei Externas auf zehn Stunden reduziert. Aber nicht einmal diese werden immer eingehalten. Ebenso werden die wöchentlichen Ruhezeiten im Gesetz unterschiedlich behandelt: Sieht das allgemeine Arbeitsrecht mindestens eineinhalb Tage Arbeitspause am Stück vor, so wird bei Hausarbeiterinnen die Aufsplittung der Ruhezeiten erlaubt. Oft werden die eineinhalb freien Tage in der Praxis zwischen Sonntag (in der Regel 10 bis 22 Uhr frei) und Donnerstag Nachmittag (zum Beispiel 14 bis 22 Uhr frei) aufgeteilt, was jedoch insgesamt keine 36 freie Stunden, sondern in diesem konkreten Fall lediglich 20 Stunden ergibt. Die Uhrzeiten können zwar variieren; auf die vorgeschriebenen eineinhalb freie Tage (also 36 Stunden) kommen dennoch nur die Frauen, welche eineinhalb Tage am Stück frei haben, zum Beispiel von samstags, 10 Uhr morgens, bis sonntagabends 22 Uhr.
6 Arbeit als Hausarbeiterinnen
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Das Gehalt kann zudem bis zu 45 % in Form von Kost und Logis bezahlt werden (im allgemeinen Arbeitsrecht maximal 30 %184), was ein gängiges Argument für das niedrige Gehalt von Internas ist: Im ausbezahlten Lohn seien Unterkunft und Verpflegung enthalten, quasi abgezogen. Dafür könnten die Internas ihren Lohn als Ganzen sparen. Sie bräuchten ja sonst nichts. 500 € Gehalt werden auf diese Weise, wie im folgenden Zitat, zu einem guten Verdienst erklärt: „Sie haben nicht das Problem der Unterkunft. Sie haben nicht das Problem der Ernährung, weil es mit inklusive ist und alles. Sie zahlen ihnen 500 €, das bleibt ihnen frei zur Verfügung.“ (Engracia, Sozialarbeiterin und Arbeitsvermittlerin im Viertel)
Es stimmt aber nicht, dass die HausarbeiterInnen keine weiteren Ausgaben hätten: Sie brauchen Kleidung, Hygieneartikel und Essen, teils Unterkunft für ihre freie Zeit. Viele versuchen diese zwar so klein wie möglich zu halten, zum Beispiel indem sie Kleiderspenden tragen, nur Billigprodukte kaufen und ihre Bedürfnisse, vor allem die Freizeitaktivitäten, auf ein Minimum reduzieren. Dies ist speziell in der Anfangszeit der Fall, wenn noch Schulden abzuzahlen sind. Wird diese Form des Sparens und die damit verbundene Selbstisolierung wie Selbstverneinung dauerhaft, kann dies zu ernsthaften psychischen Problemen führen, wie zum Beispiel Luchita, Leiterin eines migrantischen Vereins, als Problem der Arbeit von Internas berichtet: „Eine Interna vergisst zu reden, sie vergisst manchmal sogar Namen.“ Mit der Haushaltsarbeit ist eine Vielzahl weiterer Problemfelder verbunden, auf die im Folgenden Kapitel näher eingegangen wird. So ist zum Beispiel die im Lohn gesetzlich implizierte Bereitstellung von Kost und Logis nicht einmal stets garantiert: Immer wieder wurde mir von Frauen (und Männern) berichtet, dass ihnen das Essen rationiert wurde und dass sie hungern mussten. Teilweise mussten sie sich von ihrem Lohn zusätzlich Essen kaufen (vgl. auch Momsen 1999, 6). Eine Frau erzählte mir beispielsweise während des Wartens bei einer Arbeitsbörse, dass sie gerade ihre Arbeit als Interna aufgegeben hätte, weil sie Magenprobleme bekommen und der Arzt ihr gesagt hätte, dass sie so nicht weiter machen könnte, da sie sonst ernsthafte gesundheitliche Probleme bekäme. Die Chefin sei sehr schlecht zu ihr gewesen und zudem hätte sie dort zu wenig zu essen bekommen. Die Chefin hätte aber auch nicht erlaubt, dass sie sich etwas dazukaufe, um mehr essen zu können. Als sie mit der Chefin darüber sprach, war diese nicht einsichtig, woraufhin sie die Arbeit aufgegeben hätte. Auch das Wohnen ist nicht automatisch als eigenes Zimmer zu verstehen: Viele Frauen müssen bei kleinen Kindern oder bei Pflegebedürftigen im Zimmer übernachten und verfügen über kein eigenes Zimmer, also über keine Privatsphäre. Mónicas Zimmer wurde als einleitendes Beispiel zu dieser Studie beschrieben (vgl. Einführungskapitel). Untertags war es das Arbeits- und Musikzimmer des erwach184
Die ILO schlägt 20 % vor (vgl. Colectivo IOÉ 2001a, 178).
6.3 Die gesetzliche Regelung von Hausarbeit in Spanien
187
senen Sohnes der Familie. Hatte Mónica eine Pause, konnte sie sich nicht zurückziehen, wenn das Zimmer besetzt war. Zwar wurde in der Mehrzahl der mir bekannten Internas ein kleines Zimmer zur Verfügung gestellt, Mónicas Beispiel war jedoch nicht der einzige derartige Fall in meiner Forschung. Wird der Lohn mit 45 % Kost und Logis hochgerechnet, bleibt dennoch ein minimaler Stundenlohn: Zum Zeitpunkt meiner Forschung war ein guter Lohn als Interna 550 €. In der Rechnung wäre der Gesamtlohn sodann 1000 €. Geht man davon aus, dass der Arbeitsrhythmus zwischen 12-14 Stunden täglich beträgt (vgl. Herranz Gómez 1996, 397; Colectivo IOÉ 2001a, 178), was sicherlich nicht übertrieben ist, so ergibt sich gerundet auf eine Stelle nach dem Komma bei 24 Arbeitstagen im Monat (was auch nicht hoch berechnet ist): für 12 Stunden pro Tag: 1000 €/12 h x 24= 1000 €/288 h= 3,5 €/h für 14 Stunden pro Tag: 1000 €/14 h x 24= 1000 €/366 h= 2,7 €/h Wie gesagt, sind hier auf den in Euro erhaltenen Lohn zusätzlich 45 % Kost und Logis auf den Monatslohn hinzugerechnet. Außerdem legte ich der Rechnung 550 € und nicht zum Beispiel 500 € zugrunde, was die Sozialarbeiterin in obigem Interview als normalen Lohn nennt. Sie selbst vermittelte Arbeiten zu diesem Lohn in Haushalte. Meine Rechnung beinhaltet also eher nach oben hin korrigierte Zahlen.185 Das Arbeitsrecht legitimiert jedoch nicht nur den niedrigen direkten Lohn, sondern schreibt auch weitere rechtliche Ungleichbehandlungen vor: Obwohl angemeldete Hausarbeiterinnen Sozialabgaben leisten müssen (welche vom Lohn noch abzuziehen sind), haben sie weniger Sozialansprüche als andere ArbeiterInnen. Dazu gehört, dass sie keinerlei Recht auf Arbeitslosenunterstützung haben; außerdem tritt bei ihnen der Krankenstand erst ab dem 29. Arbeitstag in Kraft und nicht wie bei anderen ArbeiterInnen ab dem dritten Tag. Die Sozialabgaben sind zudem fix festgesetzt, also unabhängig vom jeweiligen Lohn. Wie sich weiters in der Gegenüberstellung sehen lässt, gibt es klare Ungleichbehandlung bei der Kündigungsfrist sowie bei der Entschädigung für begründete und unbegründete Kündigungen. Dies ist insofern besonders virulent, weil Frauen und Männer, welche als Internas bzw. Internos arbeiten, bei einer Kündigungsfrist von sieben Tagen (bei einer Beschäftigung unter einem Jahr) gerade auch aufgrund ihrer Arbeitsform praktisch keine Chance haben, eine neue Anstellung zu finden, jedoch schon bald nach einer Kündigung mit ihren Koffern bzw. Tüten ohne Unterkunft auf der Straße stehen.
185 Würde man Kost und Logis nicht mit 45 % dem ausgezahlten Lohn dazuzählen, sähe die Rechnung wie folgt aus: für 12 Stunden pro Tag: 550 €/12 h x 24= 2,4 €/h für 14 Stunden pro Tag: 550 €/14 h x 24= 1,5 €/h
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6 Arbeit als Hausarbeiterinnen
Mónica bemängelt im Eingangszitat diese Ungleichbehandlung der Hausarbeiterinnen. Eine Freundin hatte sie über ihre geminderten Rechte als Hausarbeiterin in Spanien aufgeklärt, woraufhin sie sich einer migrantischen Organisation anschloss, welche Rechtsbeistand gab, um, wie sie mir mehrfach erklärte, ihre Rechte kennen zu lernen. Sie wollte wissen, worauf sie Anspruch hatte und wie sie diesen einfordern konnte. Sie wollte generell die rechtliche Lage von Hausarbeiterinnen verstehen. Auf diesem Hintergrund wollte sie ihre Strategien und Pläne überdenken. Dazu gehörte es, dass sie ihre Arbeitgeber um die Einhaltung der gesetzlichen Mindeststandards bat. Diese antworteten ihr ironisch: „Du verlangst viel. Bald schon wirst du um ein Auto bitten.“ Im gleichen Kontext der Diskussionen um die Arbeitsbedingungen, ausgelöst durch Mónicas Forderungen nach Einhaltung der legalen Bestimmungen, wurde ihr mehrfach mitgeteilt, dass sie zufrieden sein solle, eine so leichte Arbeit zu verrichten und dafür bezahlt zu werden. Gerade sie hatte jedoch aufgrund der Pflege eines bettlägrigen Mannes eine sehr anstrengende Arbeit. Mónica kommentierte dies sarkastisch: „Sie zahlen mich fürs Nichtstun [sagen sie]. Ich werde mir jetzt eine Arbeit suchen, wo sie mich dafür zahlen, dass ich etwas tue.“ Die Sonderbehandlung der Hausarbeit in einem separaten Gesetz wird u.a. über die Rechte der ArbeitgeberInnen auf Schutz ihrer Privatsphäre begründet, welche über die Arbeitsrechte der HausarbeiterInnen gestellt werden (vgl. Colectivo IOÉ 2003, 111): Der Respekt vor der Intimsphäre der ArbeitgeberInnen und vor der Unverletzlichkeit des Heimes erhält dabei Priorität und verhindert zusätzliche Inspektionen am Arbeitsplatz, was den idealen Rahmen für die Vermeidung dieser ohnehin abgeschwächten gesetzlichen Mindestanforderungen, für Ausbeutung und Misshandlung bildet. „In diesem Sinne wird der Schutz der Zivilrechte der ArbeitgeberInnen auf Kosten der Arbeitsrechte der Personen hergestellt, die in der Hausarbeit arbeiten.“ (Parella 2003, 286. Sie bezieht sich ebenfalls auf Colectivo IOÉ 2001a).
Durch den Sonderstatus und die Überordnung der Zivilrechte der ArbeitgeberInnen werden die sozialen Konstruktionen rund um die Reproduktionstätigkeiten verfestigt, denen bis heute die vergeschlechtlichte Aufteilung der Räume mit dem Haus als Ort der Nicht-Arbeit und der Privatsphäre sowie dem Außerhäuslichen als Ort der Arbeit zugrunde liegen (vgl. Martínez Veiga 1995, 17). Bei Haushaltsarbeiten handelt es sich jedoch gerade um eine Arbeit im Haus, welche die Konstruktion von privat und öffentlich durchbricht, da „mit dem Eintritt der Haushaltshilfe in das Private Öffentlichkeit Einzug [hält]“ (Thiessen 2002, 142). Die geschützte und größtenteils geschlossene Privatsphäre macht die Haushaltsarbeit jedoch zu einer nach außen hin unsichtbaren und ungeschützten Tätigkeit. Da die Regelung der Haushaltsarbeit weniger auf den Schutz der ArbeitnehmerInnen als auf die Bedürfnisse der ArbeitgeberInnen ausgerichtet ist, wird diese Problematik verfestigt. Die
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gesetzlich festgelegten Arbeitsstunden mit dem Zusatz der „Anwesenheitszeit“ machen dies sehr deutlich: Das Gesetz ist bewusst ambivalent gehalten und lässt so die Möglichkeit der gesetzlich erlaubten Ausbeutung offen. Durch die geringe gesetzliche Regelung und den übergeordneten Schutz der Privatsphäre der ArbeitgeberInnen werden die Bedingungen der Ausbeutung und Misshandlung strukturell ermöglicht, wodurch die HaushaltsarbeiterInnen vom „guten Willen“ der ArbeitgeberInnen abhängig gemacht werden. Ein Arbeitsverhältnis zu formalisieren, bietet, generell gesehen, für HausarbeiterInnen daher wenig Vorzüge, sowohl für migrantische als auch spanische: Sie müssen Abgaben zahlen, haben aber nur geringe bis keine Vorteile davon (wie zum Beispiel im Falle der nicht vorhandenen Arbeitslosenversicherung). Der einzige Grund für Spanierinnen, als Haushaltsarbeiterinnen offiziell angemeldet zu arbeiten, stellt die Pensionssicherung dar, welche jedoch sehr niedrig ist. Der Zugang zum öffentlichen Gesundheitssystem wird in Spanien allen Gemeldeten auf der Grundlage eines festen Wohnsitzes in Spanien (auch ohne legalen Aufenthaltstitel) gewährt. Dieser Grund fällt daher für Migrantinnen wie Spanierinnen für eine Formalisierung weg. Im Gegensatz zu SpanierInnen sind MigrantInnen jedoch angemeldet: Sie brauchen zur Erlangung und Erhaltung ihres legalen Aufenthaltstitels eine formale Anstellung (vgl. Colectivo IOÉ 2001a, 183). In der Anfangszeit in Spanien kann daher bei Migrantinnen die Bereitschaft von ArbeitgeberInnen, ihnen einen offiziellen Vertrag auszustellen und so einen Legalisierungsprozess zu beginnen, einer der ausschlaggebenden Gründe für die Akzeptanz einer Arbeit darstellen. Oft wurden deshalb schlechter bezahlte Arbeiten angenommen, wenn dafür versprochen wurde, „die Papiere zu regeln“, was Ausbeutung und Misshandlung Tür und Tor öffnet. Die Asymmetrien und Charakteristika der Hausarbeit als ungeschützte und unsichtbare Tätigkeit hängen direkt mit der Lokalisierung der Arbeit in einem fremden Privathaushalt zusammen. Die Arbeit wird auf diese Weise zu einer hoch-personalisierten Arbeit.
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6.4 Hausarbeit als hoch-personalisierte Arbeit in der Privatsphäre (der Anderen) „Wenn die Chefs nicht da wären, das wäre gut.“ (Claudia)
Bezahlte Haushaltsarbeit findet in der Privat- und Intimsphäre der ArbeitgeberInnen statt. Was für eine Hausarbeiterin ihren Arbeitsplatz darstellt, ist für die Mitglieder des Privathaushaltes ihr Zuhause, wo sie ungestört und geschützt ihren privaten Bedürfnissen nachgehen und ihre Individualität jenseits sozialer Normen leben wollen. Die Anstellung einer Hausarbeiterin dient der Entlastung eines Haushaltes und der entspannten Realisierung eines Ideals von Privatem und, je nachdem, von Familie. Allgemein gesprochen, sollen die Privatsphäre und die darin Wohnenden so gering wie möglich gestört und die Ordnungskategorien der ArbeitgeberInnen, deren Ideale von Kindererziehung und Pflege respektiert werden.186 Mit Ausnahme von Betreuungsarbeiten und Pflege, wo der persönliche Umgang Teil des Arbeitsprofils ist, sollen die HausarbeiterInnen nahezu unsichtbar sein und den Ablauf bzw. die Personen selbst möglichst wenig behindern.187 „[D]ie Unsichtbarkeit [ist] ein besonderes Kennzeichen dieser Arbeit. Ihr Wert liegt darin, dass mithilfe von Reinlichkeitsritualen ein zivilisierter Zustand, der physisches und psychisches Wohlsein erzeugt, eine räumliche und mentale Ordnung wiederhergestellt wird. Genau hierin liegt ein Aspekt, der die Erwerbsarbeit im Haushalt von anderen Erwerbstätigkeiten unterscheidet, sie zu einer besonderen Aktivität macht: Hausarbeit ist nicht nur hochgradig personalisiert und emotional aufgeladen, sondern sie findet in einem Raum statt, der als intim und gefühlsgeladen definiert wird, in dem Arbeit an und mit Identität stattfindet. Damit wird von denjenigen, die stellvertretend diese Identitätsarbeit vollbringen, erwartet, dass die sowohl mit Gegenständen als auch mit Menschen verbundenen Empfindungen, die Ökonomie der involvierten Gefühle, eruiert, akzeptiert, respektiert und geteilt werden.“ (Lutz 2005, 75. Kursiv im Original)
Bei bezahlter Hausarbeit handelt es sich somit aufgrund des Arbeitsortes „Privathaushalt“ und der damit verbundenen Konnotationen von „weiblicher Nicht-Arbeit“ bzw. „Arbeit aus Liebe“, von Recht auf Individualität, Entspannung und Entscheidungsmacht, um hoch-personalisierte, unsichere wie auch individualisierte Arbeitsarrangements, welche identitär stark aufgeladen sind. Dies führt zu ganz spezi186 Im Privathaushalt sind nach außen verborgene, negativ konnotierte Aspekte wie Schmutz, Körperausscheidungen, etwaige Hilflosigkeiten oder Schwächen sichtbar und eine der zentralen Aufgaben von HausarbeiterInnen besteht darin, diese zu beseitigen, zu überspielen bzw. zu bewältigen (vgl. Thiessen 2002, 145 sowie oben). Ordnungskategorien, Vorstellungen über Kindererziehung und Pflege sind oft persönlich-individuell verschieden und stark mit Fragen von Identität verbunden (vgl. Lutz 2007, 63ff). HausarbeiterInnen sollen diese daher respektieren und umsetzen, ohne Diskussionen oder Rechtfertigungen darüber führen zu müssen. 187 Betreuung ist in diesem Fall weit zu fassen und schließt auch nicht explizit als Arbeitsprofil benannte, aber implizit verlangte Unterhaltungen und Zuhören ein, zum Beispiel neben oder nach Erledigung von Putzarbeiten. Doch auch hier gilt: Jenseits dieser punktuellen, von den ArbeitgeberInnen definierten Interaktionen, sollen sie normalerweise unsichtbar sein und so wenig wie möglich stören.
6.4 Hoch-personalisierte Arbeit in der Privatsphäre (der Anderen)
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fischen Problemfeldern, bei denen Fragen der Aushandlung von Nähe und Distanz, von Räumen und Privatsphären, von Rollen, Rechten, Grenzziehungen und –überschreitungen sowie das Ausleben bzw. Disziplinieren der jeweiligen Persönlichkeit eine zentrale Rolle spielen. Dies betrifft sowohl ArbeitgeberInnen als auch ArbeitnehmerInnen, wenn auch in einer Beziehungshierarchie und somit in unterschiedlichen Rollen und Möglichkeiten. Im Folgenden wird daher sowohl die Perspektive der Hausarbeiterinnen als auch der ArbeitgeberInnen berücksichtigt. Da es zudem große Unterschiede gemäß der jeweiligen Arbeitsarrangements gibt und sich die Problematiken bei einer Arbeit als Interna verdichten, wird der Situation als Interna ein eigenes Unterkapitel gewidmet. 6.4.1 Arbeitsplatz Privatsphäre: Unsicherheiten und Grenzüberschreitungen Die Anstellung einer Hausarbeiterin bedeutet aus Sicht der ArbeitgeberInnen ein Wagnis, welches „Unannehmlichkeiten“ in der eigenen Privatsphäre, aber auch Risiken mit sich bringen kann. ArbeitgeberInnen befürchten häufig, dass der Zugang zur eigenen Privatsphäre und der Umgang mit zu betreuenden Familienmitgliedern zu Indiskretionen, Diebstahl und Misshandlung der Schutzbefohlenen führen kann (vgl. auch Lutz 2007, 95ff). Engracia, die Sozialarbeiterin und Arbeitsvermittlerin in der katholischen Gemeinde, in der ich einen Hausarbeitskurs (6.6) erforschte, drückte dies wie folgt aus: „Wir überlassen ihnen das Beste, das, was wir am meisten lieben, denn normalerweise (...) arbeiten unsere Migrantinnen188 in der Hausarbeit, wo sie die Großeltern pflegen. Und was also ein Kind am meisten liebt, sind seine Eltern und die lässt er in ihren Händen; wir lassen ihnen auch die Kinder und was ein Ehepaar am meisten liebt, sind seine Kinder.“ (Engracia)
Zu Beginn meiner Feldforschung wurde in den spanischen Medien ausgiebig der Fall einer Ecuadorianerin dokumentiert, welche das Kind ihrer ArbeitgeberInnen misshandelt hatte. Die Eltern hatten versteckte Kameras installiert und die Misshandlungen aufgezeichnet. Immer wieder wurde das Video in den verschiedenen Medien gezeigt. Der Einzelfall weitete sich so zu einem Generalverdacht gegen ecuadorianische bzw. migrantische HausarbeiterInnen im Allgemeinen aus, und viele ArbeitgeberInnen installierten Überwachungskameras. Manche Vermittlungsinstitutionen erklärten mir, dass Ecuadorianerinnen nicht mehr zur Kinderbetreuung erwünscht seien, da diese die schutzbefohlenen Kinder schlagen würden. Aus einem Fall wurde ein neues, ethnisiertes Stereotyp kreiert, welches die Ängste und
188 Bezeichnend ist hier der Ausdruck „unsere Migrantinnen“. Unter 6.6 wird die Arbeit der Gemeinde näher analysiert.
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Unsicherheiten der ArbeitgeberInnen anheizte und ihnen einen konkreten Bezugspunkt gab.189 Viele ArbeitgeberInnen versuchten daher, bereits bei der Suche, über Empfehlungen oder die Vermittlung durch Bekannte eine gewisse Garantie über die einzustellende Person zu erlangen (vgl. 6.5). Es geht dabei jedoch meist nicht nur um die Absicherung gegenüber möglichen Risiken, sondern auch um die Durchsetzung ihrer Interessen, Wahrung von Distanz und Betonung der jeweiligen Rollen (vgl. 6.4.3). Hausarbeiterinnen riskieren ihrerseits, im Privathaushalt verschiedensten Formen von Unterordnung und Misshandlung bis hin zu Gewalt ausgesetzt zu sein. Dazu gehören beispielsweise die Nichteinhaltung von Ruhezeiten oder die oben erwähnte Rationierung oder der Entzug von Nahrung. Eine Frau berichtete beispielsweise: „Ich wartete, bis alle gegessen hatten und das, was übrig blieb, das musste ich essen. Und wenn sie mich mit dem Jungen in den Park schickten, dann ging der Junge [mit mir] zum Spielen und sie blieben zum Essen. Wenn ich dann um vier Uhr nachmittags zurückkam, ging es mir zum Bedauern schlecht. Anders gesagt, ich dachte, dass ich sterben würde. Und ich habe mir da vier Kekse von zu Hause mitgenommen, die Kekse des Jungen, um wenigstens etwas zu essen, denn es schien, als ob ich zusammenbrechen würde.“ (Gruppeninterview)
Die Rationierung bis hin zur Verweigerung von Essen ist eines der häufigst genannten Problemfelder migrantischer Hausarbeit und betrifft vor allem Internas, aber auch Externas.190 Viele Frauen, mit denen ich sprach, erzählten außerdem von sexuellen Belästigungen bis hin zu sexualisierter Gewalt an ihren Arbeitsstellen. Nancy gab beispielsweise eine Arbeit bei einem älteren Ehepaar aus diesem Grund auf. Der Mann hatte ihr am ersten Arbeitstag an die Brüste gefasst. Als er sie auch am nächsten Arbeitstag belästigte, beschloss sie, nicht mehr dorthin zu gehen. Für Nancy war dies nicht die erste derartige Erfahrung, und auch viele andere Frauen erzählten mir wiederholt von sexuellen Belästigungen am Arbeitsplatz.191 Dies beeinflusste die Arbeitsmöglichkeiten von Ecuadorianerinnen. Der Arbeitsmarkt war dadurch jedoch nicht wirklich geschlossen, da zum Beispiel ein Großteil der Arbeitsvermittlung und Arbeitssuche über Netzwerke erfolgte (vgl. das folgende Kapitel, 6.5). 190 In Interviews wie auch informellen Gesprächen bei Arbeitsbörsen wurden mir wiederholt gesundheitliche Probleme aufgrund von Nahrungsmangel als Grund der Aufgabe einer Arbeitsstelle genannt. Eine Frau erzählte beispielsweise von ihrer ersten Arbeitsstelle, bei der sie zusammen mit ihrem Mann als Internos arbeiteten: Sie mußten jedes Ei, das sie aßen, aufschreiben, damit die Chefin sodann die verbrauchten Nahrungsmittel zählen und abrechnen konnte. Sie hatten ganz oft Hunger und die Frau hätte nicht akzeptiert, dass sie mehr Essen benötigten, zumal es sich um schwere Arbeit gehandelt hätte, wo sie viel Energie verbrauchten. Es sei so schlimm gewesen, dass sie die Arbeit schließlich aufgegeben hätten. 191 Nancy nannte ihren ArbeitgeberInnen, das heisst weder dem älteren Ehepaar noch dessen Kindern, den wahren Grund ihrer Arbeitsaufgabe. Sie wollte dies der alten Frau nicht antun, erklärte sie mir. Sie täte ihr leid. Viele Gewalterfahrungen werden auf diese Weise verheimlicht, weil es den Hausarbeiterinnen selbst peinlich ist, sie sich schämen oder sie keine weiteren Konflikte für sich oder, wie in diesem 189
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Die unterschiedlichen Arten von Gewalt, denen eine Haushaltsarbeiterin in einem Privathaushalt ausgesetzt sein kann, lassen sich mit Momsen wie folgt systematisieren: „(...) physical violence, ranging from rape to repeated slapping; overwork, including having to work for more than one household and being refused days off; non-payment of wages or a reduced salary; and poor living conditions, including lack of food and privacy.“ (Momsen 1999, 6)
Obwohl viele Frauen betonten, dass sie gut behandelt würden und dass drastische Gewaltanwendungen nicht die Regel seien, erfolgte die Behandlung innerhalb der Beziehungshierarchien, der allgemeinen Minderbewertung von Hausarbeit sowie der Logik der billigen und flexiblen Auslagerung von Haushaltsarbeit, welche den Rahmen bilden, innerhalb dessen besser oder schlechter behandelt wird. Beispielsweise wird der Lohn für Hausarbeit scheinbar „natürlich“ in Bezug darauf, was Andere bezahlen und nicht in Bezug auf die verrichtete Arbeit bestimmt (vgl. auch Hondagneu-Sotelo 2001, 83), also auf eine informell, innerhalb der Netzwerke geregelte Mindestzahlung.192 „Gut behandelt zu werden“, erfolgt daher innerhalb der Bedingungen bezahlter Hausarbeit (vgl. Anderson 2000, 122-125). Die konkrete Form der Arbeitsbedingungen und -beziehungen ist aufgrund der Arbeit in der Privatsphäre höchst individualisiert und je nach ArbeitgeberInnen verschieden, so auch die Behandlung. Diese ist vom „guten Willen“ der ArbeitgeberInnen abhängig, da die Arbeitsverhältnisse zu Gunsten der ArbeitgeberInnen organisiert und Missbrauch sowie Ausbeutung strukturell ermöglicht bzw. Gewaltformen nicht verhindert werden. Es ist daher von entscheidender Bedeutung, „gute ArbeitgeberInnen“ zu finden.193 Um derart gute Arbeitsarrangements zu beschreiben, sprachen Frauen oft davon, „Teil der Familie“ der ArbeitgeberInnen zu sein. Immer wieder hörte ich diesen Ausdruck, jedoch nicht allein von den Haushaltsarbeiterinnen, sondern auch von ArbeitgeberInnen. Dabei waren jedoch meist unterschiedliche Dinge gemeint.
Fall, für andere auslösen möchten. Auf diese Weise wird ein Stereotyp verstärkt, welches beklagt, dass migrantische Hausarbeiterinnen keine Konstanz am Arbeitsplatz hätten und „grundlos“ ihre Arbeit aufgäben (vgl. auch 6.6). 192 Dies heißt jedoch nicht, dass der Betrag immer übernommen wird. Manche ArbeitgeberInnen setzen sich bewusst dagegen ab und bezahlen mehr; andere informieren sich über die unterste Grenze, um diesen Preis oder gar weniger zu bezahlen. 193 Das kann bedeuten, dass HausarbeiterInnen eine Arbeit mit niedrigerem Lohn und/oder mehr Arbeitsstunden, aber respektvoller Behandlung einer Arbeit mit besserem Lohn, aber schlechter, entwürdigender oder gar gewaltsamer Behandlung vorziehen. Dies hängt jedoch stark vom jeweiligen Moment im Migrationsprozess, dem konkreten Migrationsprojekt und somit auch den finanziellen Nöten ab.
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6.4.2 „Zur Familie gehörig“: Die Ambivalenz von Nähe und Distanz im hierarchischen Kontext „In einem anderen Haus wirst du dich nicht so wohl fühlen wie hier, denn hier bist du wie zu Hause.“ (Mónicas Arbeitgeber)
Sprachen Hausarbeiterinnen davon, „Teil der Familie“ zu sein, machten sie normalerweise eine positive Aussage bezüglich einer „guten Behandlung“ durch „gute ArbeitgeberInnen“, was eine Durchbrechung unpersönlicher Hierarchien und Anerkennung des eigenen Personseins implizierte. Viele Haushaltsarbeiterinnen – aber nicht alle – wünschten es sich, in diesem Sinne Teil der Familie ihrer ArbeitgeberInnen zu sein.194 Als Kennzeichen einer derart guten Behandlung wurde regelmäßig die Frage angeführt, ob eine Haushaltsarbeiterin mit den ArbeitgeberInnen gemeinsam oder separat aß bzw. anschließend zum Beispiel die Reste in der Küche aufessen musste. Dies galt quasi als Symbol des „Teil-der-Familie-Seins“ (womit stundenweise Stellen für diese Frage ausgeschlossen sind): Wer mit am Tisch isst, wird in seinem Personsein anerkannt, wer separat essen muss, wird rein funktional für ihre Arbeit betrachtet, so die gängige Aussage.195 Auch Mayra und Erika führten in einem Gruppeninterview, als es über die Behandlung als Haushaltsarbeiterinnen ging, das (nicht) gemeinsame Essen als Beispiel und Ausdruck der Behandlung in einem Haushalt an: Wer mit am Tisch isst und nicht nur die Reste zu essen bekommt, wird besser behandelt. Mayra: „Es ist die Behandlung, und es gibt manche, die sind aber auch-. Manche marginieren uns, manche nicht. Einige Personen hier behandeln uns gut, aber manche nicht, manche nicht. Es gibt einige Personen, die gerne mit anderen zusammen sind, zum Beispiel beim Essen. Aber es gibt andere, welche es nicht mögen. ‚Iss in der Küche’, oder: ‚Wartet, bis wir gegessen haben, damit ihr essen könnt!’“ – Erika: „Die Mehrheit ist so.“ – Mayra: „Die Mehrheit ist so.“ – Heike: „Dass man separat essen muss?“ – Erika: „Warten, damit sie fertig sind und man beginnt, die Reste zu essen, falls genügend übrig bleibt.“ – Mayra (betont): „Falls genügend übrig bleibt!“ (Ich schaue wohl erstaunt, sodass Erika nochmals betont:) – „Falls genügend übrig bleibt! Wirklich!“ – Mayra: „Die Mehrheit der
194 „Teil der Familie zu sein“ ist jedoch nicht immer gewünscht: Während manche Hausarbeiterinnen aus einem personalen Verhältnis Anerkennung finden, welche für sie auch identitätsstiftend ist (vgl. Hondagneu-Sotelo 2001, 171ff), wünschen sich andere gerade Distanz und möglichst keine Interaktionen mit den ArbeitgeberInnen (wie dies zum Beispiel Claudia als Wunsch äußerte: Die Arbeit an sich würde ihr gefallen, wenn nur die ArbeitgeberInnen nicht anwesend wären). Das hängt einerseits von den jeweiligen ArbeitgeberInnen und der Behandlung durch dieselben ab, aber auch vom Selbstverständnis als Hausarbeiterin, der Bedeutung der Arbeit sowie von früheren Arbeitserfahrungen. 195 Gerade bei Externas und Internas, welche sehr stark in den Alltag eines Haushaltes einbezogen sind, sind deartige Grenzziehungen durch die Familienmitglieder besonders ausgeprägt. Diese sind jedoch nicht einseitig. Manche Frauen bevorzugen es, nicht mit der Familie zu essen und gerade nicht „Teil der Familie“ zu werden, da dies oft neue Abhängigkeit und die nur symbolische Verschleierung von Hierarchien bedeuten kann. Hierauf wird im Folgenden noch näher eingegangen.
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Mädels, mit denen wir sprechen, erzählten das.“ (Gruppeninterview. Hier sprechen Erika und ihre Schwester Mayra)
Gemeinsames Essen trägt eine starke symbolische Bedeutung in sich. Das Zusammensitzen und gemeinsame Mahl symbolisiert dabei die Dazugehörigkeit zur Gemeinschaft, weshalb die Frage nach den Mahlzeiten die Grenzziehungen zwischen den Hausarbeiterinnen und der Familie sichtbar machen. „The issue of food captures the essence of how Latina live-in domestic workers feel about their jobs. It symbolizes the extent to which the families they work for draw the boundaries of exclusion or inclusion, and it marks the degree to which those families recognize the live-in nanny/housekeepers as human beings who have basic needs.“ (Hondagneu-Sotelo 2001, 35)
Viele Familien wollen jedoch nicht, dass die Hausarbeiterinnen mit ihnen essen. So betonten beispielsweise Erika und Mayra, dass die Mehrzahl ihrer Bekannten separat essen müssten (vgl. auch Rul-lán Buades 1998, 109). Andererseits gibt es Hausarbeiterinnen, welche es bevorzugen, alleine zu essen (vgl. ebd.): In verschiedenen Gesprächen mit Hausarbeiterinnen, welche bei alleinstehenden älteren Personen arbeiteten, berichteten diese ausnahmslos, dass sie mit den von ihnen Betreuten zusammen essen würden, dass es sich dabei jedoch nicht immer um einen Ausdruck von Anerkennung und Respekt handle und sie oft lieber für sich essen würden. Viele alte Menschen wollten nicht alleine essen und verlangten, dass die Haushaltsarbeiterinnen mit ihnen aßen, beschimpften diese jedoch im gleichen Zuge während des Essens, schafften Distanzen und betonten ihre hierarchische Position. Die dichte Beziehung während des Essens forderte dabei sehr persönliche Angriffe heraus. Natalia aus Bolivien erzählte mir beispielsweise, wie sie beim Essen (aber nicht nur da) regelmäßig aufs Ärgste beschimpft wurde. Sie nahm dann ihren Teller und aß lieber allein in der Küche: „Manchmal beleidigt sie mich oder sagt mir etwas und ich ziehe es vor, vom Tisch aufzustehen. Beim Essen oder so, erniedrigt sie mich. Ich bevorzuge es, meinen Teller zu nehmen und in die Küche zum Essen zu gehen. (...) Ich mache das, weil du schluckst und schluckst und dann ist eine Grenze erreicht. Auch wenn du ihr sagst, dass es so nicht stimmt und dass sie sich zügeln solle, dass sie sich irre oder sonst etwas, sie hört dir nicht zu. Sie sagt dir, dass du eine Soundso bist und so weiter.“ – „Und beschimpft sie dich in Worten?“ – „Ja, sie demütigt mich, sie erniedrigt mich. Sie hat ihre eigenen Ausdrücke, die ich dir wirklich nicht sagen kann, weil es andere Ausdrücke sind als ich kenne. Ich erinnere mich nicht einmal daran, aber es ist so, als ob sie dir sagt‚(...) dass du nichts wert bist. Sie will dich erniedrigen, deine Stimmung mit ihren Worten drücken. (...) Ich sage ihr, gut, und gehe, nehme (...) mein Essen mit. Sie wird darüber wütend, dass ich sie alleine lasse. Aber was sonst kann ich machen? In die Küche zum Essen gehen und ihr nicht zuhören.“ (Natalia)
Das gemeinsame Essen war in diesem Fall nicht erwünscht und wurde von Natalia auch immer wieder unterbrochen und verweigert. So auch, wenn Besuch anwesend war:
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„Wir essen gemeinsam: Wir frühstücken gemeinsam und essen gemeinsam zu abend. Wenn ihre Tochter oder sonst jemand kommt (...) heißt das, mitten unter ihnen zu sein. Das gefällt mir eigentlich nicht. Ich gehe zum Essen in die Küche und bediene diejenigen, die kommen. Das ist ein Hetzen, eine Schufterei. Es ist zu viel. Wenn ihre Tochter oder ihr Sohn kommt oder anderer Besuch, höre ich nicht auf, von hier nach dort zu rennen.“ (Natalia)
Natalia zieht es vor, nicht mit dem Besuch an einem Tisch zu essen, unter anderem, da sie diese bedienen muss und, wie sie sagt, nur am Rennen und Bedienen ist. Mit am Tisch zu essen, bedeutet also nicht unbedingt, als Person anerkannt und respektiert zu werden, sondern unter Umständen genau das Gegenteil. Das gilt auch für die Rede vom „Teil-der-Familie-Sein“. Wenn ArbeitgeberInnen davon reden, dass eine Hausarbeiterin „zur Familie gehört“, kann sich dies auf das Zugeständnis bestimmter Rechte, Kenntnisse der Person und Respekt vor der Persönlichkeit beziehen, meist ist jedoch etwas Anderes gemeint bzw. akzentuiert als wenn die Hausarbeiterinnen davon sprechen. „Teil der Familie zu sein“, bedeutet für die ArbeitgeberInnen normalerweise nämlich nicht die Aufgabe der Hierarchien – basiert doch darauf das Arbeitsarrangement –, auch nicht die Aufnahme in die Familie mit bestimmten Rechten und nicht nur Pflichten, sondern vielmehr eine Betonung der vordefinierten, bezahlten Rolle für die Familie, was nicht selten bedeutet, dass die Hausarbeiterin ihre eigene Familie, ihre Bedürfnisse und Prioritäten hintenan stellen muss. Dies verschärft sich, umso mehr Zeit eine Hausarbeiterin im Haushalt verbringt und umso mehr Aufgaben sie verrichtet. So wird sie immer mehr zum „Teil der Familie“, jedoch weniger im Sinne der gewünschten Nähe und Wertschätzung, sondern vielmehr auf asymmetrische Weise in ihrer Rolle für den Haushalt und somit ihrer Funktionalität für die anderen Mitglieder des Haushaltes. Manche Frauen mussten beispielsweise kurzfristig arbeiten, weil ihre ArbeitgeberInnen umplanten, spontan Gäste einluden. Mónica musste beispielsweise bei einem von uns lange geplanten Fest kurzfristig arbeiten, weil der Sohn, welcher sonst bei seinem bettlägrigen Vater geblieben wäre, doch keine Zeit hatte. Um die Flexibilität und Reibungslosigkeit des Haushaltes zu garantieren, müssen die HausarbeiterInnen hoch flexibel sein.196 Vor allem für Internas und, wenn auch weniger, für Externas stellt dies ein Problem dar. Bei Internas kann dies so weit führen, dass diesen nicht erlaubt wird, zum Arzt zu gehen, wenn sie krank sind.197 All dies bedeutet aber nicht, dass die Hausarbeiterinnen nicht als „Teil der 196 Das Gebot der Flexibilität und reibungslosen Auslagerung der Haushaltsarbeiten wird jedoch auch immer wieder anders gelöst, indem es zum Beispiel zusätzliche Aushilfen für Abendtermine oder unvorhergesehene Wochenendarbeiten gibt. Je nach Arbeitsbeziehung kann sich eine Hausarbeiterin durch die Vertretung auch hin und wieder während ihrer regulären Arbeitszeiten vertreten lassen. Sie zahlt sodann die Vertretung, erhält aber dadurch mehr Freiheit (vgl. 7.1). Dies hängt vor allem von den ArbeitgeberInnen und den finanziellen Möglichkeiten der HausarbeiterInnen ab. 197 Aufgrund der begründeten, teils aber auch unbegründeten Angst, ihre Arbeit zu verlieren, gehen viele HaushaltsarbeiterInnen unter Umständen auch von sich aus nicht zum Arzt, und melden ihren Arbeitge-
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Familie“ betrachtet werden. Oft ist die Abhängigkeit von ihrer Arbeitskraft ganz deutlich. Es liegt jedoch ein asymmetrisches Verständnis dieser Praxis des „Teil-derFamilie-Seins“ zugrunde, in welcher von der Hausarbeiterin erwartet wird, dass sie sich familiär gegenüber der Familie, dem Haushalt oder der von ihr gepflegten Person verpflichtet fühlt, ohne dass diese Pflicht und das erwartete Interesse reziprok verstanden und zurückgegeben würde (vgl. Anderson 2000, 123). Ungeplante Überstunden werden so der „Arbeit aus Liebe“ in der Familie zugeordnet, welche angeblich selbstverständlich und gerne erledigt wird. Werden die Bedingungen nicht akzeptiert und – im Bild bleibend – die Liebe verweigert, kann dies zu Problemen bis hin zur Kündigung führen. Neben den unterschiedlichen Verständnissen darüber, was es bedeutet, „Teil der Familie“ zu sein, sind HausarbeiterInnen, welche Kinder und/oder alte bzw. kranke Menschen betreuen, oft de facto für diese Personen „Teil der Familie“, indem sie für sie zentrale Bezugspersonen innerhalb der Familie darstellen. Viele Betreute bauen starke Bindungen zu den Hausarbeiterinnen auf, welche oft auch ihrerseits intensive Beziehungen zu den betreuten Personen pflegen. Nicht selten geben Hausarbeiterinnen beispielsweise den von ihnen gehüteten Kindern die Liebe, die sie ihren eigenen Kindern transnational so nicht zukommen lassen können.198 Das Gleiche gilt für die Arbeit mit älteren Personen. Die Schwester von Yvonne wollte zum Beispiel, obwohl sie ein besseres Arbeitsangebot hatte (gemäß Lohn und Arbeitszeiten), ihre Arbeitsstelle nicht wechseln, weil sie die von ihr gepflegte Frau nicht allein lassen wollte, nachdem gerade erst deren Mann verstorben war. Dabei ist jedoch zwischen den betreuten Personen und den ArbeitgeberInnen zu unterscheiden, welche oft nicht deckungsgleich sind: im Falle von Kindern sind es deren Eltern, im Falle von älteren Menschen deren erwachsenen Kinder. Die intensive Beziehung und die jeweiligen Rollen für die betreuten Personen können jedoch sowohl von den ArbeitgeberInnen als auch von den Hausarbeiterinnen dazu genutzt werden, um Bedingungen auszuhandeln bzw. zu manipulieren. ArbeitgeberInnen können an die Hausarbeiterin appellieren, wie sehr die Familie von ihrer Arbeit abhängig sei und wie wichtig sie für die Familie, aber ganz besonders für die Betreuten sei, wodurch zum Beispiel scheinbar natürlich unbezahlte Überstunden verlangt werden (vgl. Anderson 2000, 124). Oft wird auf diese Weise auch moralischer Druck ausgeübt, wenn Hausarbeiterinnen ihre Arbeit aufgeben möchten. Mónica wollte zum Beispiel ihre Arbeit verlassen, wurde aber von ihren Arbeitgebern (den Söhnen des von ihr gepflegten alten Mannes) beschworen, dass diese „niemanden mehr für den alten Vater finden würden“, dass sie als Familie auf die (gute) Arbeit von Mónica angewiesen seien. Außerdem wurde ihr gesagt: „In berInnen nicht, dass sie krank sind. Wenn sie dann einen Arzt aufsuchen, sind Krankheiten daher oft schon weit fortgeschritten und hätten früher behandelt werden sollen (vgl. Anderson 2003, 34ff). 198 vgl. zum Thema der transnationalen Mutterschaft: Wagner 2008b sowie Hondagneu-Sotelo/Avila 1997.
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einem anderen Haus wirst du dich nicht so wohl fühlen wie hier, denn hier bist du wie zu Hause.“ Sie nahmen auf die Implikation der „guten Behandlung“ Bezug und schwächten bzw. verschleierten auf diese Weise die Hierarchien, was es ihnen ermöglichte, die emotionale Beziehung zur Manipulation zu benutzen.199 Diese Form moralischen Drucks, der Betonung, von der (guten) Arbeit abhängig zu sein, die Person und ihre Arbeit zu schätzen und dass sie Teil der Familie sei, ist ein häufiges Muster. Als Maribel beispielsweise ihre Arbeit als Interna aufgeben wollte, wurde sie von ihrer Arbeitgeberin unter Tränen angefleht zu bleiben. Sie entschuldigte sich bei ihr für das Verhalten ihres Mannes (unmittelbarer Auslöser von Maribels Entscheidung) und Maribel ließ sich zum Bleiben überreden. Einen Monat später gab sie die Arbeit auf, weil die Behandlung für sie unerträglich geworden war. Es hatte sich nichts geändert.200 Aber auch die Haushaltsarbeiterinnen können möglicherweise ihre Position in der bzw. für die Familie nutzen, um bessere Arbeitsbedingungen (mehr Freizeit und Sonderzahlungen) für sich zu verhandeln.201 So kann es sein, dass Kinder so sehr an einer Hausarbeiterin hängen und die Eltern lieber gegen ihren eigenen Willen (veränderte) Arbeitsbedingungen akzeptieren als gegen die Wünsche ihrer Kinder zu handeln. Dies hebt jedoch die Asymmetrie der Arbeitsbeziehungen nicht auf: Im Falle Mónicas stimmten ihre Arbeitgeber zunächst besseren Arbeitsbedingungen zu (Einhaltung von freien Tagen inklusive Feiertagen sowie Urlaub). Sie hielten ihre Versprechungen jedoch nicht ein und wenige Wochen, nachdem sich Mónica zum Bleiben entschieden und dafür ein anderes Arbeitsangebot ausgeschlagen hatte, wurde der alte Mann in ein Pflegeheim gebracht. Mónica hatte eine Woche Zeit, sich eine neue Arbeit zu suchen. Sie wurde dabei nicht unterstützt. Nun gehörte sie nicht mehr zur Familie. „Teil der Familie” zu sein, ist also ambivalent und mit Widersprüchen belegt. Während Hausarbeiterinnen damit Nähe im Sinne von Anerkennung und Respekt als Person verbinden, bedeutet es für viele ArbeitgeberInnen vielmehr eine funktionale Hinordnung und Unterordnung unter die Bedürfnisse der Familie bzw. des Haushaltes und damit eine Negierung des Personseins der Hausarbeiterinnen. Die Rede „Teil der Familie” zu sein, ist also mehrdeutig und abhängig davon, wer spricht, ob HausarbeiterInnen oder ArbeitgeberInnen, und davon, wie deren Verständnis und Zielsetzung bezahlter Haushaltsarbeiten aussieht.
Unten (7.2) wird Mónicas Fall detailliert erörtert. Generell ist die Aufgabe einer Arbeit nicht einfach und Vieles hat dabei mit der Unsicherheit und Ungeschütztheit einer Arbeit in einem fremden Privathaushalt zu tun. Die jetzigen Arbeitsbedingungen kennt man. Eine andere Familie, einen anderen Arbeitsplatz muss man erst wieder mit all den damit verbunden Risiken und Problemen kennenlernen (vgl. auch 7.1.2). 201 In Kapitel 7.1 werden Strategien bei der Arbeit erörtert. Dieser Aspekt wird dabei nochmals aufgegriffen und näher ausgeführt. 199 200
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Diese Problematiken rund um die Privatsphäre und die damit verbunden dichten Beziehungen und Aushandlungen von Nähe und Distanz (sozial wie emotional) sind bei Internas besonders ausgeprägt. 6.4.2.1 Als Interna Medium eines flexiblen, bequemen (Familien-)Lebens der Anderen: die Verdichtung der Problematiken Umso mehr Zeit, Raum und Aufgaben eine Arbeit als Haushaltsarbeiterin umfasst, desto persönlicher werden die Arbeitsbedingungen, unbestimmter sowie grenzenloser die Aufgaben und desto mehr Konflikt- und Gewaltpotentiale ergeben sich. Besteht die Arbeit darin, einmal pro Woche die Putzarbeiten im Haushalt zu erledigen und/oder die Wäsche zu machen und zu bügeln, geht es vornehmlich um die Auslagerung dieser spezifischen, mehr oder weniger klar umrissenen Tätigkeiten. Oft sind die ArbeitgeberInnen zudem nicht anwesend. Bei einer Arbeit als Interna ist das Gegenteil der Fall: Es geht auch um ihre Präsenz und Verfügbarkeit, wodurch soziale Interaktionen nicht nur unvermeidbar, sondern Teil des Arbeitsprofils sind. Internas werden als Medium eines flexiblen, bequemen (Familien-)Lebens bzw. zur rund-um-die-Uhr-Pflege eingestellt, was, wie oben bereits ausgeführt wurde, dazu führt, dass die Bedürfnisse der Hausarbeiterinnen denen der ArbeitgeberInnen und Versorgten untergeordnet werden. Dazu gehört, dass Internas bei ihrer Arbeit oft ihr Recht auf Erholung und Privatsphäre verweigert wird. Im Falle von Claudias Arbeit als Interna ging es so weit, dass ihr Arbeitgeber regelmäßig in ihr Zimmer eindrang. Er stahl ihr beispielsweise tropische Früchte aus ihrem Zimmer, die sie geschenkt bekommen hatte. Auch andere Dinge verschwanden aus ihrem Zimmer oder wurden im Zimmer verändert,202 bis sie von der Tochter des alten Mannes, bei dem sie arbeitete, ein Schloss verlangte. Die Tochter lehnte mit dem Argument ab, dass dies zu teuer sei, woraufhin Claudia sagte, dass zwei Ösen und ein Vorhängeschloss reichen würden und sie sich die Kosten teilen könnten. Dieser Übereinkunft stimmte die Tochter zunächst zu, kam jedoch kurz darauf nochmals zu ihr und verbot ihr explizit, ein Schloss anzubringen. Das sei das Problem, wenn man als Interna arbeite, erklärte mir Claudia. Hier sind zwei Aspekte verwoben: Während Claudia den Privatbesitz des Haushaltes respektieren muss, wird ihr eigener Besitz (die selbst gekauften bzw. geschenkten Früchte) in den Haushalt inkorporiert und somit zu Allgemeinbesitz erklärt.203 Dass sie selbst auch über die Speisen der Familie verfügen darf, ist dabei 202 Sie arbeite zwar als Interna, hatte jedoch tagsüber Stunden frei, welche sie zur Arbeit in anderen Haushalten nutzte. In dieser Zeit drang der zu betreuende Mann in ihr Zimmer ein. 203 Auch Hondagneu-Sotelo berichtet darüber, wie die von den lateinamerikanischen Hausarbeiterinnen in Los Angeles gekauften Nahrungsmitteln von Familienmitgliedern, für die sie arbeiteten, einfach aufgegessen wurden (vgl. Hondagneu-Sotelo 2001, 35).
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unerheblich, da Kost und Logis ja implizit vom Lohn abgezogen werden. Es geht aber auch noch um einen anderen Aspekt: Ihr wird die Möglichkeit verweigert, sich das Zimmer – eigentlich ihre Privatsphäre im fremden Haushalt – anzueignen und nach ihren Vorstellungen zu gestalten. So hängte der alte Mann Bilder, welche Claudia, da sie ihr nicht gefielen, in Rücksprache mit ihm abgehängt hatte, in ihrer Abwesenheit einfach wieder auf. Er machte auf diese Weise ganz deutlich, dass das Zimmer zu seinem Lebensraum und seinem Stil gehörte, worüber er auch bestimmen könnte. Sie befand sich in seiner Privatsphäre, welche sie zu respektieren hatte, während ihr Arbeitgeber ihre seinen Wünschen unterordnete. Sich als Interna eine Rückzugsmöglichkeit zu schaffen und sich im Zimmer einzurichten, ist in der Regel eine Illusion, weil die Grenzen wie im Falle von Claudia immer wieder überschritten werden. Es wird aber oft auch gar nicht versucht, weil die Arbeitsbedingungen nicht dazu einladen und weil viele HausarbeiterInnen ihre Arbeit als vorübergehend betrachten und nach besseren Arbeitsmöglichkeiten Ausschau halten bzw. hoffen, bald an Papiere zu gelangen und dann einen Arbeitsplatzwechsel vornehmen zu können. Das wurde mir klar, als ich eines Tages mit Sofía unterwegs war und deren Mitbewohnerin204 Maribel, welche ich auch kannte, anrief. Maribel erklärte, dass sie gerade ihre Arbeit als Interna hingeschmissen hätte und bat um Hilfe beim Tragen ihrer Sachen. Als wir ankamen, war ich ganz erstaunt, dass Maribel lediglich zwei große und eine kleine Plastiktüte bei sich hatte. Ich hatte Koffer und mehrere Taschen erwartet, da Maribel mehrere Jahre bei der Familie als Interna gearbeitet hatte. Doch meine Wahrnehmung lief diametral zu derjenigen von Maribel und Sofía. Aus meinen Aufzeichnungen: Ich sage in der Metro: „Ein ganzes Leben in zwei Plastiktüten“, weil ich es sehr wenig finde, woraufhin Maribel sagt: „Erst als ich angefangen habe zu packen, habe ich bemerkt, wie viel Sachen ich doch habe und ich dachte, ich hätte nichts.“ Sofía stimmt ihr zu: „Ja, wenn man als Interna arbeitet, ist es das Problem, wenn man die Arbeit aufhört und man dann doch viele Sachen hat.“ Ich denke: Viele Sachen! Zwei große Plastiktüten und eine kleine Einkaufstasche!
Sofía und Maribel, welche beide als Internas arbeiteten, sprachen aus ihrer Arbeitserfahrung heraus, wo klar ist, dass sie als Interna am Arbeitsplatz „nichts haben“ (dürfen/wollen). Ich betrachtete es hingegen von meiner bequemen Perspektive derjenigen, welche es gewohnt ist, Identität und Wohnen zu verbinden. Nicht viel zu besitzen und „vorübergehend zu leben“, prägt jedoch nicht nur das Leben und Arbeiten als Interna, sondern von den meisten MigrantInnen, vor allem in den ersten Jahren der Migration.205 Aufgrund der Logik, Zielsetzung, Regelung und der Umstände der Arbeit verschärft sich dies jedoch für eine Interna. 204 Maribel teilte mit Sofía am Wochenende ein Bett in einem Piso compartido. Unter der Woche arbeitete sie als Interna. 205 Oben (5.1.1) wurde auf die Pisos compartidos hingewiesen, welche ebenfalls dadurch gekennzeichnet sind, dass sie nur über wenig bis keine Privatsphäre verfügen. Sowohl aus raumtechnischen, finanziellen
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Neben der mangelnden Privatsphäre, dem Wohnen auf Zeit und den anderen hier aufgewiesenen Problemfeldern, stellt die Frage nach sozialen Kontakten und somit nach der Realisierung der Soziabilität als Grundaspekt des Personseins eine zentrale Schwierigkeit des Lebens und Arbeitens als Interna dar. Der Sinn und Zweck der Anstellung einer Interna liegt, wie gesagt, in deren Präsenz und Verfügbarkeit, was aber bedeutet, dass die Hausarbeiterinnen nur in ihren wenigen freien Zeiten Kontakte jenseits des Telefonierens pflegen können. Nur in Ausnahmefällen durften Internas Besuch an ihrem Arbeitsplatz empfangen, selbst wenn die Arbeit zu manchen Tageszeiten auf Präsenz beschränkt war (zum Beispiel in der Zeit der Siesta). Bei Mónica war es möglich. Wenn der Sohn nicht anwesend war, empfing sie hin und wieder Besuch. Der Sohn wusste davon und traf mich zum Beispiel auch mehrfach in der Wohnung an. Da der alte Mann bettlägrig, schwerst pflegebedürftig und nicht mehr zu einem Gespräch fähig war, sondern nur noch schrie, stöhnte, jammerte oder schlief, war es zwar wichtig, dass jemand bei ihm war, mit ihm redete, ihn versorgte und den Haushalt führte. Er selbst konnte aber keine Gespräche mehr führen. Die Besuche waren jedoch nur punktuell und Mónica erzählte immer wieder davon, wie sehr sie soziale Kontakte bei ihrer Arbeit als Interna vermisste und wie sie mit der Zeit „verblöden und verstummen“ würde. „Bald werde ich nicht mehr lesen noch schreiben können”, klagte sie mehrfach. Sie wolle etwas anderes für sich, erklärte sie mir. Nicht immer in diesen vier Wänden sein. Dies sei kein Leben. Ihr fehlten Kontakte, ein unbeschwertes Miteinander, Leichtigkeit.
sowie migrationsspezifischen Gründen haben die meisten MitbewohnerInnen derartiger MigrantInnenWGs nur geringe Besitztümer, solange das Projekt auf baldige Rückkehr nach Ecuador zielt bzw. noch keine klare Entscheidung getroffen wurde, wo die jeweilige Person wie lange wohnen wird. Erst mit der Entscheidung, in Spanien an einem bestimmten Ort bleiben zu wollen, also nicht nach Ecuador zurückzukehren oder in ein anderes Land weiter zu migrieren, und mit einer gewissen beruflichen Stabilisierung, beginnen die meisten MigrantInnen, sich niederzulassen, eine längerfristige und bequemere Wohnmöglichkeit zu suchen und unter Umständen eine Wohnung und eigene Möbel zu kaufen. Bis dahin ziehen viele MigrantInnen immer wieder um, orientieren sich in schwierigen Momenten (zum Beispiel ausgelöst durch den Tod einer gepflegten Person) bzw. Notsituationen wieder neu und ändern ihre Projekte. Fernando, Verónicas Mann, hatte zum Beispiel einmal, als Verónica mit den Kindern auf Besuch bei Verwandten in einer anderen spanischen Stadt war und er nach (bereits lange schwelenden) Konflikten im Piso compartido plötzlich umziehen musste/wollte, die meisten angeschafften Dinge weggeworfen, einfach auf die Straße gestellt, wo sie normalerweise schnell neue BesitzerInnen finden. Dazu gehörte auch eine neue, unausgepackte Puppe der Tochter, die diese erst von ihrer Oma zu Weihnachten bekommen hatte. Auch eine volle Flasche Olivenöl und frisch zubereiteten Achiote (ein ecuadorianisches Gewürz) hatte er weggeworfen. Es seien zu viele Dinge gewesen, erklärte er. Verónica war nach ihrer Rückkehr zutiefst sauer auf ihren Mann und erzählte mir immer wieder davon. Fernando, so Verónica, hätte auf ihre Rückkehr warten können (nur einen Tag später). Warum er denn den Umzug alleine gemacht hätte (und somit viele Dinge wegwarf), fragte ich sie, woraufhin sie erklärte, dass Fernando Probleme mit den (ecuadorianischen) VermieterInnen vermeiden wollte. Aus diesem Grund sei er ausgezogen, erklärte auch er mir. Er hätte gewusst, räumte auch Verónica ein, dass sie die Situation so nicht akzeptiert und mit den VermieterInnen gestritten hätte. „Um Probleme zu vermeiden, weil ich sonst Probleme gemacht hätte“.
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Für „Pionierinnen“ und neu angekommene Migrantinnen, das heißt für Frauen, welche über wenige bis gar keine Kontakte in Madrid verfügen, ist dies umso schwerer. Denn als in einem fremden Privathaushalt Lebende haben sie nur sehr beschränkte Möglichkeiten, jemanden kennenzulernen und Freundschaften zu schließen. Kinderspielplätze stellen typische Kontaktpunkte dar, insofern Kinder zu betreuen sind; ebenso Parks, in denen mit älteren Menschen spazieren gegangen werden kann sowie Dachterrassen, auf denen die Hausarbeiterinnen der verschiedenen Haushalte eines Mehrfamilienhauses die Wäsche aufhängen. Guadalupe hatte so zum Beispiel eine Freundin gefunden. Sie verabredeten sich manchmal auf der Dachterrasse. Die soziale Isolation führt häufig zusammen mit anderen Faktoren206 zu Depressionen unter Hausarbeiterinnen, von denen bereits kurz unter 5.1.1 die Rede war. Viele Hausarbeiterinnen erzählten, dass sie in einem bestimmten Moment ihres Migrationsprozesses eine Depression hatten. Manche waren in psychologischer Behandlung und/oder nahmen Psychopharmaka.207 Es wurde oben Luchita mit ihrer Aussage zitiert, dass Internas manchmal sogar Namen vergessen, da sie nicht mit anderen reden. Ingrid sprach davon, dass dies zu Stress führe: „[Das Eingeschlossensein] ist schrecklich. Das stresst dich total.“ (Ingrid) Mónica nannte das Radio ihren besten Freund. Sie hörte einen Sender für lateinamerikanische MigrantInnen, wodurch sie Musik und Witze hören konnte, die ihr gefielen, aber auch wichtige Informationen über ihre legale Situation, Gesetzesänderungen, über Veranstaltungen etc. erhielt. „Ich lache alleine mit dem Radio“, fasste sie ihr Leben bzw. ihre sozialen, selbst bestimmten Kontakte als Interna zusammen.208 Dabei war der alltägliche Umgang mit dem Sohn des alten Mannes, den sie pflegte, nicht schlecht. Er war durchaus nett und herzlich zu ihr, jedoch innerhalb der festgelegten Grenzen und Hierarchien: Wenn sie abends gemeinsam fern schauten, bestimmte er das Programm. Wie erwähnt, war ihr „eigenes Zimmer” gleichzeitig das Musik-, Freizeits- und Arbeitszimmer des Sohnes, weshalb sie dieses nicht nur nicht nach ihren Vorstellungen gestalten, sondern auch zeitlich nicht frei darüber verfügen konnte. Sie wurde als Arbeitskraft behandelt, welche „immer verfügbar” und „hoch flexibel” sein musste. Verabredungen über die Arzum Beispiel Überarbeitung, Diskriminierungserfahrungen, Trennung von Geliebten etc. Nicht jede Selbstbeschreibung einer Depression entspricht unbedingt einer klinischen Diagnose. In diesem Zusammenhang ist dies jedoch insofern unerheblich, als es hier lediglich festzustellen gilt, dass die Bedingungen der Arbeit als Haushaltsarbeiterin psysisch belastend und krank machend sein können. Diese emotionalen und physischen Auswirkungen von Migration, von denen hier immer wieder die Rede ist, werden, obwohl sie in verschiedensten Studien dokumentiert sind (zum Beispiel Hondagneu-Sotelo 2001, 196; Anderson 2003, 33), zu wenig beachtet (vgl. auch die Forderung von Sharpe 2001, 9f, welche für mehr Untersuchungen zu diesem Aspekt appelliert.) 208 Unter 6.6 wird dies nochmals aufgegriffen. Als nämlich Mónicas freie Zeiten neu verteilt wurden (der halbe freie Tag wurde von Samstag auf Donnerstagmorgen umverlegt), besuchte sie donnerstags den Hausarbeitskurs, unter anderem auch, um Leute kennen zu lernen und soziale Kontakte zu pflegen. 206 207
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beitsbedingungen wurden nicht eingehalten. Insofern Mónica sich jedoch nicht gegen diese Rahmenbedingungen auflehnte, war das Verhältnis gut bis herzlich. Und dennoch wurde Mónicas Personsein immer wieder negiert. Mónica fasste dies auf meine Frage anlässlich ihres Geburtstages, ob ihre Arbeitgeber etwas gesagt hätten und ob sie ein Geschenk bekommen hätte, in folgende Gegenfrage: „Was wird die schon mein Leben interessieren?“ Hondagneu-Sotelo beschreibt eine ebenso ambivalente Arbeitsbeziehung zwischen Hausarbeiterin und Arbeitgeberin aus ihrer eigenen Forschung wie folgt: „Respectful warmth coexisted along with deep antagonism rooted in inequalities of class, citizenship status, and race, and both found daily expression.“ (Hondagneu-Sotelo 2001, 200) 6.4.3 „Zur Familie passend“: Die Bedeutung von Persönlichkeit und Haltung „Eine nicht so anspruchsvolle Person, die ein bisschen gepflegter ist.“ (Claudia über das Anforderungsprofil ihrer Arbeit als Hausarbeiterin)
Bislang war davon die Rede, wie Hausarbeiterinnen „Teil der Familie“ sind bzw. sein sollen, wobei betont wurde, dass dabei von Seiten der ArbeitgeberInnen hauptsächlich die Funktionalität für die Familie gemeint ist. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Personen austauschbar und die Persönlichkeit der Hausarbeiterinnen unwichtig wären. Im Gegenteil: Um die Erfüllung der gewünschten Rolle als Hausarbeiterin sowie die Kontrolle und Sicherheit des eigenen Haushaltes, aber auch um ein reibungsloses, „harmonisches“ Miteinander zu ermöglichen, suchen viele ArbeitgeberInnen einen bestimmten Personentyp. „Sympathisches Äußeres“, „ein netter Charakter“, „liebevoll und geduldig“ werden so zu zentralen Einstellungskriterien. Eine Hausarbeiterin soll „zur Familie (bzw. zum Haushalt) passen“ und ihre Rolle als „Teil der Familie“ einnehmen, weshalb ArbeitgeberInnen von Hausarbeiterinnen nicht nur bestimmte Tätigkeiten, sondern auch Rollenmuster verlangen und dabei die Persönlichkeit und die Beziehungsmuster in den Mittelpunkt stellen (vgl. die Definition von Hausarbeit in 6.1, welche auf Anderson 2000, 21 zurückgreift). Mehrfach begegnete es mir im Laufe meiner teilnehmenden Beobachtung und in Gesprächen bei Arbeitsvermittlungen von Haushaltsarbeit, dass ArbeitgeberInnen konkrete Angaben zu Körper- bzw. Persönlichkeitsmerkmalen einer Hausarbeiterin machten: Sie solle „präsentabel und nicht dick“ sein, wurde zum Beispiel verlangt. Aber auch eine höhere Bildung wurde als Kriterium genannt, da auf diese Weise die Haushaltsarbeiterin besser „zur Familie passen“ würde, weil zum Beispiel Gespräche am Tisch einfacher seien und/oder den Kindern bei Hausaufgaben geholfen werden könnte. Eine Arbeitgeberin suchte beispielsweise dezidiert nach einer polnischen Hausarbeiterin, da, so ihre Erklärung, die Mehrzahl der migrierten Polinnen Universitätsabschlüsse hätte. Sie solle ihr bei der Kommunikation per E-
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Mail mit ihrer Tochter im Ausland helfen. Andere Kriterien rekrutierender ArbeitgeberInnen waren beispielsweise das Alter: „nicht zu jung und nicht zu alt.“ Dabei kommen, wie oben erwähnt, häufig ethnisierte Stereotypen zum Tagen, welche Haushaltsarbeiterinnen je nach ethnischer bzw. nationaler Gruppenzugehörigkeit essentialisierte Charakteristika zuschreiben (Kofman et al. 2000, 124f; Anderson 2000, 154; Cox 1999). Bei der Einstellung wurde also bereits auf bestimmte Persönlichkeitsaspekte, aber auch äußere Faktoren geachtet, welche somit nicht erst bei der Arbeit selbst, sondern auch schon bei der Rekrutierung und Vermittlung zum Tragen kommen.209 Auf meine Frage, wie man ihre Arbeit in einer Stellenausschreibung beschreiben könnte, antwortete Claudia mit Hinweis auf Persönlichkeitskriterien, Haltung sowie Äußeres wie folgt: „Eine nicht so anspruchsvolle Person, die ein bisschen gepflegter ist. Ich habe eine Freundin, die sich ein bisschen gehen lässt. Sie hat Papiere und findet keine Arbeit. Auch will sie nicht in dem arbeiten, was ich arbeite [d.h. Hausarbeit]. Und sie findet keine Arbeit.“ – „Und das ist, weil sie nicht auf ihr Äußeres achtet?“ – „Ich weiß nicht, aber [ihre Hautfarbe] ist auch etwas dunkel.“ (Claudia)
Claudia machte hier Referenzen auf favorisierte physische Charakteristika (helle Hautfarbe; „gepflegt“210), aber auch auf Aussehen und Kleidung (sich nicht „gehen lassen“; „gepflegt“) sowie auf die vorteilhafte Haltung und Persönlichkeit („nicht so anspruchsvoll“). Diese Punkte führte sie im Interview weiter, indem sie die Geschichte zweier Kolumbianerinnen erzählte, welche am ersten Arbeitstag protestiert hätten, da die Absprachen von den ArbeitgeberInnen nicht eingehalten wurden, woraufhin sie am gleichen Tag gefeuert worden seien. Claudia erklärte, dass diese Frauen nicht in einem Privathaushalt arbeiten könnten, „weil sie sich ständig beschweren. Man muss die Chefs [aber] aushalten“. Sie betonte: Wer sich nicht unterordnen kann, auf Einhaltungen von Vereinbarungen bzw. auf Rechte pocht, ist für bezahlte Haushaltsarbeit nicht geeignet.211 Nach einer Einstellung wird unter Umständen verlangt, bestimmte Persönlichkeitsmerkmale aufzugeben, die Rolle als untergeordnete Hausarbeiterin einzunehmen und sich an ein gewünschtes Ideal anzupassen. So müssen sich Frauen beispielsweise die Beinhaare rasieren, bestimmte Kleidung tragen oder, wie im Falle von Guadalupe, die Haare schneiden lassen: Guadalupe hatte lange Haare. Sie liebte Vgl. 6.6, wo dies am Beispiel des Hausarbeitskurses ausführlich erörtert wird. Hier ist nicht ganz klar, inwieweit Claudia „gepflegt“ mit heller Hautfarbe gleichsetzt und nach rassistischen Kriterien interpretiert. 211 Dies ist vor allem in den ersten Jahren der Fall, in denen noch kein Netz von „guten ArbeitgeberInnen“ für stundenweise Arbeiten aufgebaut werden konnte bzw. durch mögliche Arbeitsplatzwechsel eine Stelle gefunden wurde, an der die Mindeststandards bezahlter Hausarbeit eingehalten werden und die Behandlung respektvoll ist (vgl. 7.1). Doch selbst dann bleiben Asymmetrien bestehen, sind Grenzübertretungen möglich und die “Persönlichkeit” beider Seiten relevant. 209 210
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sie. Ihrer Arbeitgeberin gefielen sie jedoch nicht. Immer wieder sagte diese zu ihr, sie solle sich doch die Haare schneiden lassen, was Guadalupe jedoch längere Zeit ignorierte. Aus Anlass ihres Geburtstages wurde sie von ihren ArbeitgeberInnen zu einem besonderen Abendprogramm eingeladen, zu dem sie sich, so die Auflage, „hübsch machen“ sollte. Alle wussten, was es bedeutete: Sie musste sich die Haare schneiden lassen. Guadalupe weinte die Nacht vor dem Schneiden durch. Sie hätte aber keine Alternative gehabt, erklärte sie mir wie auch eine ihrer Verwandten mit ähnlichen Worten wie Claudia: „Um die Arbeit zu behalten, muss man die Chefs zufrieden stellen.“ Indem man sich aber der Familie anpasst und unterordnet, kann es andererseits möglich sein, Rahmenbedingungen zu schaffen, innerhalb derer man die Arbeitsbedingungen gestalten und aushandeln kann, wie dies bei Guadalupe der Fall war. Abgesehen von diesen Eingriffen war sie nämlich sehr mit ihrer Arbeitsstelle zufrieden. Sie ging beispielsweise täglich mit ihrer Chefin zu deren Freundinnen zum Bingospielen, was ihr große Freude bereitete. Auch die Arbeit selbst sei nicht so schwer und das Kochen erledigte sie mit ihrer Chefin gemeinsam. Und dennoch wurde diese Veränderung ihres Äußeren und somit eine Übertretung ihrer körperlichen Grenze verlangt. So lange sie diese Bedingungen jedoch akzeptierte, hatte sie eine gute Arbeitsstelle. Dabei kommt es stark auf die ArbeitgeberInnen, deren Ansprüche und Zielvorstellungen für den Haushalt sowie auf deren Einstellung gegenüber Bediensteten an. Aber auch die Prioritäten und Wahrnehmungen der Hausarbeiterinnen sind unterschiedlich. Während manche Haushaltsarbeit an sich als degradierend empfinden (zum Beispiel Teresa), macht anderen die Arbeit selbst durchaus Spaß, jedoch unter der Voraussetzung, dass sie respektvoll behandelt werden. Claudia sagte in diesem Sinne: „Mir hat die Arbeit im Haus immer gefallen und dass du gut behandelt wirst.“ Claudia hatte daher mit der Arbeit keine Probleme, jedoch mit deren hoch-personalisierten Verortung im Privathaushalt der ArbeitgeberInnen mit all den hier diskutierten Konnotationen. Als Wunschkonstellation einer Arbeitsstelle sagte sie deshalb: „Wenn die Chefs nicht da wären, das wäre gut.“ Die Zentralität der Persönlichkeit bei der Einstellung und der Eingriff in dieselbe im Arbeitskontext zeigen die Problematik der Hausarbeit in der Privat- und Intimsphäre der ArbeitgeberInnen: Es handelt sich um hoch-personalisierte Arbeitsbedingungen, welche sich graduell von der Arbeit als stundenweise Hausarbeiterin über eine Arbeit als Externa bis zur Interna verdichten. Dabei geht es jedoch nicht nur um die Verrichtung von Tätigkeiten, sondern auch um die Aufrechterhaltung bzw. Verwirklichung eines bestimmten Lebensstils, um eine bestimmte Rolle im Haushalt und um die Rollenermöglichung für andere Familienmitglieder. Bereits bei der Anstellung einer Hausarbeiterin wird daher eine bestimmte „Persönlichkeit“ (vgl. auch Anderson 2000, 120ff; Hondagneu-Sotelo 2001, 77), besser gesagt, eine bestimmte Rolle oder Performanz einer Persönlichkeit gesucht, da es normalerweise nicht um die Persönlichkeit selbst, sondern um die dadurch garantierten Bedingun-
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gen und Sicherheiten im eigenen Haushalt geht. Obwohl daher die Persönlichkeit bei der Rekrutierung im Zentrum steht, handelt es sich gleichzeitig in der Mehrzahl der Fälle um eine Entpersonalisierung der Frauen und eine Restriktion auf bzw. Initiation derselben in ihre Rolle als migrantische Haushaltsarbeiterinnen. Dabei versuchen beide Seiten, sowohl ArbeitgeberInnen als auch ArbeitnehmerInnen, den Schutz der eigenen Persönlichkeitsrechte zu garantieren und Risiken so gut wie möglich zu minimieren, wenn auch auf andere Art und Weise und aufgrund der hierarchischen Beziehung unter anderen Bedingungen. Diese Problematiken von Hausarbeit als ungeschützte, unsichtbare und hoch-personalisierte Tätigkeit im Haus, welche auf verschiedenen Formen der Hierarchisierung und Differenzierung basiert, zeigt sich bereits bei der Arbeitssuche und den Bedingungen der Vermittlung von Hausarbeiterinnen, welche in den nächsten zwei Abschnitten erörtert werden. 6.5 Wie finde ich Arbeit? – Die Suche nach und Rekrutierung von Hausarbeit „Am Anfang war es meine Schwägerin, die mich da [in die Arbeit] eingeführt hat. (...) Man fragt immer bei den Chicas, die in der Nähe sind, so herum, wo man Arbeit finden kann (...). Die andere [Arbeitsstelle], da gab es eine Chica, eine Chilenin, die mich anrief und mir sagt: ‘Schau’, sagt sie, ‘da gibt es eine Arbeit als Interna.’” (Sofía)
Arbeit zu finden, ist nicht einfach. Es setzt voraus, Zugang zur „Welt der Hausarbeit“ zu erlangen und deren Logik zu verstehen. Vor allem für neu Angekommene ist dies sehr schwer. Sie müssen sich das Wissen über die Arbeitsrekrutierung, die Arbeitssuche (z.B. die Benutzung der Metro) sowie praktische Kenntnisse (wie spanische Küche) erst aneignen. Dazu bedürfen sie verschiedener Ressourcen, welche dafür entscheidend sein können, ob sie eine gute und sichere Arbeit finden können, was für den weiteren Verlauf des Migrationsprozesses maßgeblich sein kann. Dabei gibt es unterschiedliche Formen und Strategien der Arbeitssuche, welche verschiedene Ressourcen voraussetzen. 6.5.1 Aushänge, Netzwerke und andere Formen der Arbeitssuche „Das läuft mehr über Freundschaft als über Arbeitsbörsen, denn die Arbeiten finden sich eher, wenn es dir jemand so sagt.“ (Teresa)
Die Arbeitssuche nach Hausarbeit wie auch deren Rekrutierung erfolgen über Aushänge, Inserate, Netzwerke, Institutionen sowie Agenturen. Die offiziellen, teils staatlichen Vermittlungsagenturen sind für die hier vorliegende Studie insofern irrelevant, da zum Zeitpunkt meiner Forschung nur ganz wenige der von mir unter-
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suchten Frauen über einen legalen Aufenthaltstitel verfügten und überhaupt auf diese Art der Arbeitsvermittlung hätten zugreifen können (zu den offiziellen Vermittlungsagenturen in Spanien vgl. Parella 2003, 311ff). Die Vermittlung bezahlter Haushaltsarbeit erfolgt aber generell vornehmlich informell über Netzwerke, nichtstaatliche Institutionen sowie Aushänge bzw. Annoncen, für welche der Aufenthaltstitel unerheblich ist (vgl. auch Anderson 2000, 34). Es handelt sich um einen hoch-organisierten Arbeitsmarkt, welcher jedoch informell geregelt und insofern „informell formalisiert“ ist (vgl. Hondagneu-Sotelo 2001, 61ff). Eine besondere Bedeutung kommt dabei Netzwerken zu, wie Teresa im obigen Zitat sagt: „Das läuft mehr über Freundschaft als über Arbeitsbörsen.“ Aufgrund des legalen Sonderstatus, der Nicht-Anerkennung als Arbeit, aber auch der Unsicherheit der Arbeit und der Dichte der Arbeitsbeziehungen lassen sowohl ArbeitgeberInnen als auch ArbeitnehmerInnen eine informelle Vermittlung über Netzwerke priorisieren. Stellt sich kein (schneller) Erfolg dabei ein, kombinieren die meisten Frauen verschiedene Formen und Strategien: Weit verbreitet ist die Suche über Aushänge, auf denen die eigene Arbeitskraft angeboten wird und Kontaktdaten hinterlassen werden. Die Aushänge können wie der unten abgebildete formal und eher teuer (computergeschrieben und dann kopiert) oder von Hand auf Zettel geschrieben sein. Da die an Pfosten aufgehängten Zettel von Angestellten der Stadtverwaltung im Rahmen der Reinigung der Straßen in der Regel täglich entfernt wurden, galt es, strategisch vorzugehen: Eine Frau erzählte beispielsweise, dass sie ganze Straßenzüge mit 500 Aushängen rauf und runter geklebt hätte. Die beste Uhrzeit sei nachmittags um 16 Uhr, wenn die Leute von der Arbeit kämen und man sie so quasi abfangen könnte, bevor die Zettel von der städtischen Reinigung wieder beseitigt werden. An manchen Orten wie Telefonzentren, den Locutorios, und Pfarrgemeinden gab es extra Infobretter oder Schaukästen, an denen Arbeitsgesuche angebracht werden konnten. Ansonsten wurden Telefonkabinen, Strom- und Ampelpfosten oder Hauswände vollgeklebt sowie Angebote in Briefkästen verteilt. Auch die Wohnungssuche, -vermietung und -verkauf waren derartig organisiert. Als ich zu Beginn meiner Feldforschung mit meinem Mann in Madrid eine Wohnung suchte, stellte dies eine unserer ersten Lektionen dar: Zu lernen, dass Zimmer und Wohnungen ebenso, wenn nicht vor allem, über das informelle Aufhängen von Angeboten bzw. Gesuchen gefunden werden und nicht primär über Zeitungsannoncen, wie ich das zunächst erwartet hatte. Auch wir klebten also Pfosten, Telefonkabinen, Häuserwände sowie schwarze Bretter in den für die Forschung interessanten Vierteln voll und fanden schließlich unsere Wohnung über ein an einer Telefonkabine ausgehängtes Angebot. Aber auch über Zeitungsinserate wurden Arbeiten gesucht und vermittelt. Diese Möglichkeit erwies sich jedoch für die von mir befragten Frauen als weniger erfolgreich und auch risikoreich. Viele Inserate unter der Rubrik Hausarbeit waren
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nämlich vielmehr versteckte Suchen nach Sexarbeiterinnen. Immer wieder geschah es, dass Frauen bereits am Telefon sexuell belästigt wurden, was auch Anderson von ihrer Studie in Spanien berichtet (vgl. Anderson 2000, 38). Nancy schilderte beispielsweise: „Es hieß: Es wird eine Frau für die Pflege eines alten Mannes gesucht. Also gehe ich hin und rufe die Nummer an. Und er sagt mir (...): ‚Aber, schau mal, bist du gerne zärtlich? Bist du zärtlich? Magst du die Küsschen, die Umarmungen?’, so sagt er. (...) ‚Denn ich bin nun mal ein Mann, und also, meine Frau hat nichts mehr mit mir. Und willst du mit mir zusammen sein? Du machst das Haus und dann bist du fertig und wir sind zusammen.’ (...) Für einen anderen Herrn haben sie ganz genau so eine Anzeige aufgegeben und wir rufen an, weil es hieß, dass er 1500 monatlich bezahlen würde. ‚Wow! Das ist gut, für eine Stunde täglich!’ (Lachen). (...) Ich sage: ‚Das ist zu schön, um wahr zu sein.’ Ich rief ihn an und genauso, für das Gleiche: Ob einem der Sex gefällt, ob einem die Küsschen gefallen, ob man zärtlich ist (....).“ – „Aber steht dies unter „Altenpflege“?“ – „Ja, unter Altenpflege. (...) Also wird man (...) schon nervös bzw. man bekommt Angst (...) oder besser gesagt, hat man keine Lust mehr anzurufen, weil man nicht weiß, mit was sie einem kommen werden.“ (Nancy)
Nancy betonte in diesem Abschnitt des Interviews immer wieder, wie sie mittlerweile wegen sexuellen Belästigungen am Telefon schon Angst hätte, auf Inserate zu antworten. Hier zeigt sich, wie viele Unsicherheiten die Arbeitssuche begleiten. Diese Gefahren korrelieren mit den oft prekären und gewaltsamen Arbeitsbedingungen, welche eine Trennung zwischen Hausarbeit und (erzwungener) Sexarbeit nicht immer leicht machen (vgl. Momsen 1999, 6). Eine Vermittlung bzw. Rekrutierung über Netzwerke kann hingegen mehr Sicherheit und Kontrollmöglichkeiten geben. Enge Kontakte vermitteln zumindest das Gefühl. Außerdem ist es weniger mühsam, billiger sowie schneller, insofern man über funktionierende Netzwerke mit Zugang zu diesem Arbeitsmarkt verfügt. Dabei spielen sowohl horizontale Netze (unter MigrantInnen sowie ArbeitgeberInnen) als auch vertikale Netze (ArbeitgeberInnen gegenüber MigrantInnen; Agenturen gegenüber MigrantInnen; MigrantInnen mit Angeboten gegenüber suchenden MigrantInnen) eine wichtige Rolle. ArbeitgeberInnen empfehlen Frauen weiter, fragen ihre Angestellten, die frühere Hausarbeiterinnen oder die Beschäftigten von FreundInnen oder Familienangehörigen, ob sie nicht jemanden für die Arbeit im Haushalt von Verwandten, FreundInnen etc. kennen würden.212 Auf diese Weise kann eine Hausarbeiterin im Schnellballprinzip entweder für sich selbst, falls sie auf Stundenbasis arbeitet, oder für Andere Arbeiten finden. Engracia, selbst Arbeitsvermittlerin, erzählte aus ihrer Praxis: 212 Dies erleichtert nicht nur die Suche der Frauen, sondern kann auch den ArbeitgeberInnen dabei helfen, einen bestimmten Persönlichkeitstyp zu rekrutieren und Garantien sowie gewisse Bedingungen festzuschreiben.
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„Du denkst, dass wenn eine Person zu einer Arbeit geht und die Erwartungen gut erfüllt und zufrieden ist, dass sie dann Quelle anderer Arbeiten ist, von Freunden zum Beispiel, Bekannten, Familienangehörigen, die eine brauchen. Manchmal schickst du sie drei Stunden zu einer Familie und nach einer Woche hat sie die der Cousine, der Nichte und der-. Also sind sie selbst, wenn sie die Erwartungen erfüllen, sozusagen Verbreitung und Quelle von Arbeitsstellen.“ (Engracia)
Engracia verweist hier darauf, dass sowohl die Arbeitnehmerin als auch die Arbeitgeberin zufrieden sein müssen, damit die Weiterempfehlung und das Schneeballprinzip der Arbeitsvermittlung funktioniert. Das stimmt für Frauen, welche nicht in tiefsten Notlagen, nicht gerade erst angekommen sind und eine gewisse Auswahl in Bezug auf Behandlung, Lohnangebot sowie generelle Arbeitsbedingungen treffen können. Viele Frauen haben oder sehen jedoch keine Möglichkeit, Arbeitsangebote abzulehnen und Bedingungen auszuhandeln. Die Machtasymmetrie zwischen ArbeitgeberInnen und ArbeitnehmerInnen ist dabei nicht zu unterschätzen oder gar, wie von Engracia, zu nivellieren. Vor allem finden die Aushandlungen im Kontext der Hierarchien statt und sind somit nicht beliebig. Eine Vermittlung über Netzwerke bedeutet daher für die Hausarbeiterinnen auch nicht automatisch höheren Schutz oder bessere Konditionen. Die Netzwerke beeinflussen und strukturieren vielmehr selbst den Arbeitsmarkt und können beabsichtigt oder unbeabsichtigt bewirken, dass die Lohn- sowie Arbeitsbedingungen gleich bleiben (vgl. Hondagneu-Sotelo 2001, 90f).213 Indem sich ArbeitgeberInnen nämlich untereinander abstimmen, wird der Arbeitsmarkt ökonomisch (in Bezug auf die Lohnzahlungen) wie sozial (in Bezug auf die Arbeitsbedingungen) durch die ArbeitgeberInnen und intervenierenden Institutionen und Personen strukturiert. Es wird quasi im Kontakt untereinander und dem, „was man hört, was normal ist“, festgelegt, „was normal ist“ bzw. „normal zu sein hat“, wobei ArbeitgeberInnen dabei je nach Einstellung, Wertschätzung und eigenen finanziellen Mitteln bewusst mehr oder weniger bezahlen können. Dabei kann es aber auch vorkommen, dass ArbeitgeberInnen bei der Vermittlung bessere Konditionen herausschlagen als sie selbst gewähren, u.a., um das eigene Gesicht gegenüber FreundInnen zu wahren, welche mehr bezahlen (können) (vgl. Hondagneu-Sotelo 2001, 89). Neben horizontalen Netzwerken, kommen also gerade auch vertikale Netzwerke zum Tragen, wenn ArbeitgeberInnen unter ihren Bekannten um (mehr) Arbeit für eine Hausarbeiterin fragen und sich zum Beispiel als Empfehlung anbieten. Als Sofía beispielsweise in Folge der Arbeitslosigkeit ihres Chefs ihre Arbeit als Interna verlor, fragte ihre Chefin in ihrem Bekanntenkreis herum, ob nicht jemand auf der Suche nach einer Hausarbeiterin sei und verschaffte Sofía stundenweise Arbeit, um so nicht ganz ohne Einkünfte dazustehen. Neben dieser direkten Form der Intervention waren auch schriftliche Empfehlungsschreiben oder Telefonate potentieller ArbeitgeberInnen mit früheren ArbeitgeberInnen wichtig bei der Arbeitssuche. 213 Auf diese Weise erfolgt auch eine Konzentration mancher Gruppen an gewissen Orten, Vierteln etc. sowie in bestimmten Arbeitstypen sowie -arrangements (vgl. auch INTERMON et al. 2001).
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Vertikale Beziehungen existieren dabei nicht nur zu SpanierInnen, sondern auch unter MigrantInnen und können für die Arbeitssuche ebenso entscheidend sein. Etablierte MigrantInnen ließen sich dabei ihre Brokerrolle teilweise auszahlen und verkauften Arbeitsangebote (vgl. 5.1). Vor allem Neuangekommene bzw. Personen, welche über kein Überbrückungsgeld für eine Arbeitssuche verfügten und zum Beispiel als Internas mit nur wenig Möglichkeiten zur Kontaktaufnahme arbeiteten, zahlten eine Vermittlung und in diesem Sinne den Zugang zu einem Netzwerk. Mir wurden zum Beispiel das erste Monatsgehalt oder die Hälfte davon als Vermittlungsgebühr genannt. Weitere Broker bzw. Gatekeeper stellen NGOs, Kirchengemeinden und andere Institutionen dar, welche Arbeitsuchende und Arbeitgebende miteinander in Beziehung setzen, jedoch ohne davon ökonomisch zu profitieren (vgl. 6.6).214 Allgemein kann jedoch mit Hondagneu-Sotelo gesagt werden, dass Netzwerke bei der Arbeitssuche eine der wichtigsten Ressourcen darstellen: „Network contacts, or lack of them, can make you or brake you“ (HondagneuSotelo 2001, 74).215 Netzwerke sind aber nicht einfach gegeben, was vor allem für MigrantInnen zutrifft, welche wie beispielsweise Teresa nicht entlang persönlicher Netzwerke migrieren: Teresa war zusammen mit ihrer Schwester ohne persönliche Kontakte nach Madrid gekommen und verfügte daher zu anfangs weder über die notwendigen Informationen noch Netze. Auch neue Bekannte halfen ihr und ihrer Schwester zunächst nicht. So mussten sie selbst Strategien im Rückgriff auf ihre eigenen Ressourcen entwickeln. Schließlich fanden beide Schwestern über eine schon länger migrierte Mitbewohnerin Arbeitsstellen, welche von dieser wegen des niedrigen Lohnes und der Arbeitsbedingungen nicht (mehr) gewollt wurden. Sie berichtet: „Wir gingen den ganzen Tag auf Arbeitsuche. Sie waren echt schlecht [zu uns, die Mitbewohnerinnen]. Sie sagten uns nicht, wo, wann das Essen ausgegeben wurde. (...) Unter all den Leuten, die dort wohnten, gab es [aber] eine junge Frau, die als Interna auf ein Kind aufpasste. Sie quälte sich, ehrlich gesagt, schon ein bisschen dort und sie wollte zu einer Arbeit als Externa wechseln und überließ ihre Arbeit meiner Schwester. Da sie schon viele Jahre hier war und die Art und Weise kannte, weil das läuft mehr über Freundschaft als über Arbeitsbörsen, denn die Arbeiten finden sich eher, wenn es dir jemand so sagt, also überließ sie diese Arbeit meiner Schwester und sie machte sich daran, eine Arbeit als Externa zu suchen. Dabei fand sie [verschiedene] Angebote und eines davon als Externa war das, welches sie mir gab. Da sie schon längere Zeit hier war und wusste, wie viel sie verdienen wollte, oder, besser gesagt, wenn du dringend eine Arbeit brauchst, nimmst du das Erste, das sie dir geben. Ich musste die Unterkunft zahlen, musste –, sie hatte Geld gespart und konnte in Ruhe suchen. Also fand sie diese Arbeit, diese Frau zu pflegen. Ihr passte der Lohn nicht. Sie sagte, dass es sehr wenig sei.“ (Teresa)
214 Im nächsten Kapitel wird mit dem Hausarbeitskurs eine derartige Institution detaillierter betrachtet, weshalb hier ein Hinweis genügen soll. 215 In Kapitel 4.2.3 wurde der Fall von Verónicas Onkel berichtet, welcher keinen Zugang zu Netzwerken in Madrid fand und nach Ecuador zurückkehrte.
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Die Geschichte von Teresa und ihrer Schwester zeigt deutlich, wie sie als Neuangekommene Arbeiten unter Bedingungen annahmen, die länger Aufhältige ablehnen konnten. Dabei spielen Ressourcen und somit der Zugang zu Netzwerken, aber auch die Zeit in Spanien und die Bedingungen der Arbeitssuche eine entscheidende Rolle. Sie prägen die Suche selbst und schließlich die Arbeitskonditionen. Bislang war vornehmlich von Netzwerken und Informationen die Rede. Es gibt jedoch eine weitere zentrale Ressource, nämlich finanzielle Möglichkeiten, Geld. Die Mitbewohnerin von Teresa und deren Schwester hatte Geld gespart und Zeit für die Arbeitssuche, während für Teresa und ihre Schwester die Suche dringlicher war. Doch auch sie verfügten im Gegensatz zu anderen neuangekommen, hoch verschuldten MigrantInnen über eine bessere Ausgangsposition: Sie konnten sich Geld aus Ecuador schicken lassen und waren ohne Schulden migriert. 6.5.2 „Arbeitssuche kostet Geld“: Notwendige Ressourcen „Mein Mann musste mir dann Geld, Dollar von dort aus Ecuador schicken. (...) Ich sagte zu ihm: ‚Uns ist das Geld ausgegangen und ich habe keins mehr. Noch haben wir keine Arbeit gefunden, wir haben nichts zu essen.’” (Teresa)
Arbeitssuche kostet Geld. Eine Person, welche nicht arbeitet, muss dennoch irgendwo schlafen, sich ernähren und kleiden. Sie muss also ihren Lebensunterhalt bestreiten, während sie keine Einkünfte durch Arbeit hat. Zusätzlich bedarf die Arbeitssuche selbst finanzieller Ressourcen: Eine Annonce aufzugeben, bei möglichen ArbeitgeberInnen anzurufen, dorthin zu fahren, sich vorzustellen, wieder zurück zu fahren, Zettel auf einem Computer zu verfassen bzw. dies in Auftrag zu geben, sie auszudrucken und zu kopieren; all dies kostet Geld. Mir passierte es einmal, dass mich eine Frau, Lydia, im Hausarbeitskurs darum bat, ihr einen Euro zu leihen, um ein Telefonat für ein Arbeitsangebot zu erledigen. Sie erhielt die Arbeit und erwähnte fortan immer wieder meine Hilfe bei ihrer Arbeitssuche, denn an diesem Euro hätte das Arbeitsangebot scheitern können, da sie zu diesem Zeitpunkt vollkommen mittellos war und ihr Sohn, bei dem sie wohnte, erst am folgenden Wochenende seinen Lohn ausbezahlt bekam. Sie musste jedoch dieses Telefonat noch am selben Tag erledigen, sonst hätte sie das Angebot verloren. Lydia war nach Spanien gekommen, um ihrem Sohn, welcher alleine nach Madrid migriert war, zur Seite zu stehen. Sie wurde von ihm während ihrer Anfangszeit und Arbeitssuche finanziell unterstützt. Da er jedoch sehr wenig verdiente und immer wieder auf dem Bau um seinen Lohn betrogen wurde, reichte das Geld oft nicht aus, was Lydias Arbeitssuche erschwerte. Eine Kettenmigration versucht diese Problematik normalerweise zu umgehen, indem eine Person als erste migriert und quasi „den Weg bereitet“. Wenn diese ihre Schulden zurückbezahlt und sich etabliert hat, kann die nächste Person folgen und auf das Wissen, die Kontakte und die Unterstützung der „Pionierin“ zurückgreifen. Bei einer mir bereits aus Ecuador
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befreundeten Familie war diese Unterscheidung bei Gesprächen über die Migration stets präsent: Carla war vor Jahren als erste nach Spanien gekommen. Ihre Migration war zwar nicht als Kettenmigration geplant, mit den Jahren kamen jedoch immer mehr Geschwister nach. Teilweise lebten fünf der zwölf Geschwister plus einer Schwägerin, drei derer Geschwister und der kleine Sohn von Carlas Bruder in Madrid. Zwei Schwestern sind zwischenzeitlich nach Ecuador zurückgekehrt, wobei eine der Schwestern mittlerweile erneut in Spanien ist. Jedes Mal, wenn ich jemanden aus der Familie nach ihrer Erfahrung fragte, wurde ich auf Carla verwiesen: Sie könnte mir Geschichten erzählen. Die Anderen hätten nicht so leiden und kämpfen müssen. Carla hätte bereits Alles für sie vorbereitet gehabt. Carla bestätigte dies. Ihr Anfang war in vielerlei Hinsicht schwerer; die Arbeitssuche sei jedoch leichter gewesen. Heute seien so viele MigrantInnen in Spanien, dass keine derart hohe Nachfrage mehr herrsche wie zu ihrer Zeit. Für MigrantInnen, welche über keine oder nur wenige unterstützende Kontakte und Netzwerke verfügen, können die Anfangszeit und die damit verbundene Arbeitssuche zu einem großen Problem werden. Teilweise müssen sie Schulden machen und begeben sich so in einen Teufelskreis. Diese verzweifelte Arbeitssuche wird mitunter schamlos ausgenutzt. Immer wieder wurden mir Fälle berichtet, wo Frauen (und Männer) um ihren Lohn betrogen und/oder misshandelt wurden, damit rechnend, dass diese als undokumentierte MigrantInnen keine Anzeige erstatten würden und dass sie alles tun würden, um eine Arbeitsstelle zu bekommen bzw. zu erhalten. Natalia hatte beispielsweise einen Vorstellungstermin außerhalb Madrids, bei dem sie „Probearbeiten“ sollte. Sie musste fünf Stunden ohne Pause arbeiten. Sie bekam nichts zu essen und erhielt am Ende dafür ein paar Euro, welche nicht einmal ganz die Buskosten deckten. Insgesamt machte sie ein Minus von zehn Cent für fünf Stunden harte Arbeit ohne Pause und Essen. Natalias Fall stellt keine Ausnahme dar. Immer wieder nutzten SpanierInnen und teilweise auch MigrantInnen die verzweifelte Arbeitssuche von MigrantInnen aus, um sich billige Arbeitskräfte zu verschaffen.216 Sie ließen sie zum Beispiel auf Probe arbeiten und bezahlten ihnen dafür nichts oder nur einen Minimalbetrag und hatten ihre Arbeit billig erledigt. Auch mir passierte dies, als ich, wie bereits erzählt, auf der Straße angesprochen wurde, ob ich Polin sei: Ich wartete zusammen mit anderen lateinamerikanischen Frauen auf den Einlass zu einer Arbeitsvermittlung in spanische Haushalte. Eine ältere Spanierin kam auf uns zu und sprach mich an, ob ich Polin sei. Ich antwortete schlicht nein. Die Frau ging weiter. Ich schaute die anderen Frauen erstaunt an und diese meinten, dass die Frau sicherlich ein Arbeitsangebot machen wollte, ich solle nicht dumm sein und mit ihr reden. Ich sagte, dass ich aber keine Arbeit suche, woraufhin sie mich baten, die Arbeit an sie weiter zu 216 Vgl. der Fall von Isabela (5.1.1), deren Mitbewohnerin ihr anbot, ihr das Bügeln beizubringen und sie schließlich ihre Arbeit machen ließ, den Lohn aber alleine einsteckte.
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vermitteln. Ich lief also der Frau hinterher, welche mich sogleich in Beschlag nahm, mich bat, mit ihr bis zu einer Bank zu gehen und dabei ihre Tasche zu tragen, was ich anfangs noch gerne tat. So könnten wir reden. Nach der Bank musste sie zu einer Arztpraxis und etwas abgeben – wir sprachen immer noch, ich trug weiterhin ihre Tasche und von dort ging es zum Einkaufen. Langsam kam ich mir wie ihr kleines Hündchen und wie eine komplette Idiotin vor (wie ich in mein Feldtagebuch notierte), war aber auch glücklich darüber, eine Arbeit (für eine Freundin) zu finden und Einsicht in dieses subtile Ausnutzen meines Wunsches zu finden, unbedingt die Arbeit zu bekommen und daher ihr auch willentlich ganz behilflich und gehorsam zu sein. Nach dem Einkaufen ging es zur Wohnung der Frau. Ich trug nach wie vor die Einkaufstaschen, half ihr in der Wohnung, bis sie mir sodann das Arbeitsangebot unterbreitete. Ich erwähnte oben, dass ich die Frau überzeugen konnte, Leidy, eine bolivianische Freundin, einzustellen, welche anschließend von der Frau misshandelt wurde.217 Sie wurde beschimpft, musste bis um ein Uhr nachts arbeiten, wurde gegen ihren Willen eingesperrt und als sie endlich gehen konnte, wurde sie nicht bezahlt. Mich rief die Frau tagelang mehrmals an, schrie ins Telefon, beschimpfte abwechselnd Leidy oder mich. Es war Psychoterror. Als Leidy sich befreien konnte, war sie psychisch am Ende. Neben den bereits genannten Aspekten der Rekrutierung aufgrund ethnisierter Stereotypen sowie der informellen Anwerbung auf der Straße ist hier vor allem das Ausnutzen der eigenen Machtposition einerseits und der Notsituation der MigrantInnen andererseits sehr deutlich. Die Rekrutierung erfolgte hier im scheinbaren Wissen meiner schwachen Position, des großen Angebots migrantischer Arbeitskräfte sowie meines dringenden Wunsches, diesen Arbeitsplatz zu bekommen. So hatte besagte Frau eine vollkommen unterwürfige wie fügsame Trägerin, Unterhalterin und Gehilfin in mir gefunden. Eine Vermittlung über Netzwerke kann diese Risiken möglicherweise einschränken, auch wenn es dafür keine Garantie gibt. Wer außerdem oder stattdessen über finanzielle Ressourcen verfügt, kann Bedingungen stellen und wählerischer sein. Natalia fand schließlich die oben (6.4) erwähnte Arbeit als Interna bei einer alten Frau, welche sie dankbar annahm: Sie arbeitete, wenn sie nicht vorher geweckt wurde, von neun Uhr morgens bis nachts um 24 Uhr, wann normalerweise die alte Frau ins Bett ging. Sie selbst ging zwischen 00:30 und 1:00 schlafen. Sie hatte lediglich einmal im Monat sonntags von morgens zehn Uhr bis nachts 22 Uhr frei. Da217 Ich erklärte der Frau, dass ich keine (polnische) Migrantin sei, sondern eine Forschung durchführe. Da sie auf der Suche nach einer Haushaltsarbeiterin war, bat ich sie, eine Freundin einzustellen, wie mir von diesen aufgetragen worden war. Die Frau war begeistert, weil sie in mir eine Art Garantin sah. Sie bat mich zudem, zusammen mit einer Freundin stundenweise bei ihr zu arbeiten, was ich zunächst annehmen wollte, da ich sowieso auf der Suche nach einer stundenweisen Arbeit als Hausarbeiterin zur teilnehmenden Beobachtung war. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich jedoch bereits für die nächsten Tage Interviews ausgemacht und wollte diese nicht umorganisieren. Die Situation eskalierte dann so schnell, dass sich die Frage erübrigte.
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6 Arbeit als Hausarbeiterinnen
für wurden ihr 600 € bezahlt. Als ich sie bei ihrer Arbeitsstelle besuchte, erklärte sie mir, dass sie froh über ihre Arbeit sei, da sie seit einem Monat in Spanien und pleite war und dringend ihre Schulden in Bolivien zurückzahlen musste. Ihre Situation war zudem umso dringlicher, da sie ungeplant schwanger nach Spanien gekommen war.218 „Ich kam hier an und war einen Monat ohne Arbeit. Im Januar war ich ohne Arbeit, im Februar begann ich zu arbeiten. Am ersten Februar, einem Sonntag, war ich ohne Geld in meinem Geldbeutel. Ich hatte nicht einmal einen Euro. Das war ziemlich traurig, wirklich. Ich weinte daher, ich litt wegen der Art und Weise, wie mich die Frau behandelte, aber ich musste es aushalten, weil ich mir sagte, dass ich kein Geld habe. Und was mache ich? Ich kann nichts mieten, ich werde das und jenes nicht tun können. (...) Gemäß dem, was ich verstanden habe, würden sie mir 600 Euro bezahlen, mit nur einmal einem freien Sonntag im Monat. Ich nahm es an, weil ich es brauchte. Ich brauchte es dringend.“ (Natalia)
Natalia arbeitete unter Schwerstbedingungen, wurde von der alten Frau schlecht behandelt (vgl. 6.4), hatte keine medizinische Versorgung, nicht eine Untersuchung während ihrer Schwangerschaft, lediglich konnte sie einmal zum Zahnarzt, als sie eine Zahnentzündung hatte, und wurde schließlich nach mehreren Monaten Arbeit entlassen, als sie an ihrem einzigen freien Tag im Monat etwas nach 22 Uhr zurück kam. Natalias Geschichte ist vor allem durch ihre große (finanzielle) Not, mangelnde Netzwerke und die Dringlichkeit ihrer Arbeitssuche geprägt. Hätte sie über mehr Ressourcen verfügt, hätte sie vielleicht bessere Arbeitsbedingungen finden können, vielleicht auch eineN BrokerIn bezahlen und so Arbeitsangebote, unter Umständen inklusive Arbeitsvertrag für den Legalisierungsprozess, kaufen können. Sie stellte aber keinen Einzelfall dar. Gerade neu Angekommene verfügen meistens nicht über große Ressourcen und haben zusätzlich zu ihrer schwachen Position Schulden, welche sie so schnell wie möglich zurück bezahlen müssen. Sie nehmen daher äußerst prekäre Arbeits- und Lohnbedingungen an, was zu immer niedrigeren Löhnen und verschlechterten Arrangements führen kann. Die Arbeitssuche bedarf außerdem bestimmter Kenntnisse, Informationen und teilweise Hilfen. Madrid ist eine große Stadt und die Adressen der Arbeitsangebote müssen für ein Vorstellungsgespräch ausfindig gemacht und dann gefunden werden. Man muss sich in der Stadt und ihrer Umgebung auskennen, aber auch zum Beispiel das Transportnetz verstehen. Mehrmals wurde mir die Metro genannt, welche gerade in der Anfangszeit und vor allem den älteren MigrantInnen Schwierigkeiten bereitet hatte. Eine Arbeitssuche setzt unter Umständen auch voraus, sich telefonisch mit den möglichen ArbeitgeberInnen in Kontakt zu setzen, sich vorzustellen und erste 218 Hier zeigt sich, dass Frauen aufgrund der Möglichkeit einer Schwangerschaft zusätzlich vulnerabel sind. Auch Teresa war, wie oben erwähnt, ungeplant schwanger nach Spanien gekommen.
6.5 Die Suche nach und Rekrutierung von Hausarbeit
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Vereinbarungen zu treffen, was nicht immer einfach ist. EcuadorianerInnen haben den großen Vorteil der gemeinsamen Sprache. Diese allein ist aber nicht ausreichend. Je nach Charakter und Erfahrung wurde das Telefonieren als belastend und schwierig empfunden oder als normal und eine Herausforderung unter vielen bewertet. Der Charakter wie auch biographische Ressourcen (wie Lebens- und Berufserfahrung, Konfliktfähigkeit, Erfahrung im Umgang mit Niederlagen), aber auch andere Aspekte wie der Moment im Lebenszyklus beeinflussen die Wahl der Strategien, den Umgang mit Rückschlägen und die Einschätzung oder Bewältigung von Problemsituationen. Dabei spielen auch Weltbilder bzw. Religion eine Rolle219, da diese eine wichtige Ressource in der schwierigen Phase der Arbeitssuche darstellen können, als emotionale Sicherheit durch die Verortung in einem „größeren Plan” bzw. als Wissen um einen „übernatürlichen Schutz“ und somit als spirituelles Kapital (Bernal 2006), aber auch konkret als Institution und somit soziales Kapital (Lauser/Weißköppel 2008, 15). Daniela wurde oben bereits zitiert, wie sie erklärte: „Ich bin immer in der Kirche, damit sie mir helfen.“ (Daniela) Verschiedene Ressourcen bedingen die Arbeitssuche und prägen gleichzeitig die Strategien. In den Kapiteln 7.1 sowie 7.2 wird dies für die Strategien bei sowie außerhalb der Arbeit nochmals aufgegriffen und zusammengeführt. Hier geht es zunächst um die Strategien der Arbeitssuche. Die Trennung derselben in Formen, Ressourcen und Strategien ist dabei als heuristische zu verstehen. 6.5.3 Haarefärben und andere Strategien der Arbeitssuche „Du musst dir die Haare färben. Braun ist gut. Mit grauem Haar findest du keine Arbeit.“ (Beatriz zu Guadalupe)
Oben wurde berichtet, wie Frauen Tipps über Kleidung und Körperhaltung beim Warten vor einer Jobbörse austauschten (vgl. 6.4). Dazu gehören auch Strategien, sich zum Beispiel die Haare zu färben, um jünger auszusehen oder weniger als Latina erkennbar zu sein, aber auch, um in den Augen der SpanierInnen als „attraktiv und präsentabel“ zu erscheinen. Eine ungefähr 40jährige Frau erklärte beispielsweise während des Wartens bei einer Arbeitsbörse: „Ich habe hier meinen Look verändert, um jünger auszusehen, weil das Alter ist hier ein Problem. Du darfst weder sehr jung noch sehr alt sein.“ 219 So wurde Maribel, welche ihre Arbeit als Interna aufgrund falscher Beschuldigungen und schlechter Behandlung hingeworfen hatte, von ihren Mitbewohnern, mit denen ich gerade ein Interview führte, ermuntert: Juan: „Keine Sorge, du hast einen sehr großen Glauben und das ist gut.“ – Maribel: „Ja.“ – Juan: „Du-, wie man in Ecuador sagt, du scheißt dich nicht an.“ (Lachen) (Interview mit Manolo und Juan, WG von Sofía. Maribel kam dazu und nahm kurz am Interview teil)
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6 Arbeit als Hausarbeiterinnen
Beatriz gab Guadalupe mehrere Tipps zur Arbeitssuche. Neben dem Haarefärben (siehe Eingangszitat) solle sie außerdem sagen, sie hätte bereits alte Menschen gepflegt und könne spanische Gerichte kochen. Das Wissen könne sie sich dann über Kochbücher und Gespräche mit Anderen aneignen. „Man muss lügen”, erklärte sie. Sonst hätte man keine Chance. Ihre Strategie war, sich eine bessere Ausgangssituation zu verschaffen, indem sie bestimmte Bedingungen (scheinbar) erfüllte, welche sie vor Anderen auszeichnen konnte.220 Sie spielte die Rolle der „Erfahrenen“ und „Erprobten“ sowie der äußerlich den SpanierInnen „Angepassten“. Auch durch ihre rötlich gefärbten Haare wollte sie sich von der Masse der MigrantInnen abheben. Wirklich erfolgreicher war sie bei der Arbeitssuche während meiner Forschung damit nicht, was aber auch daran liegen kann, dass sie mit ihrem sechsjährigen Sohn alleinerziehend in Madrid war und somit nur bestimmte Arbeitsangebote annehmen konnte. Als zielführend erwiesen sich die Strategien anderer Frauen, welche ebenfalls eine bestimmte Rolle einnahmen und auf Performanz als Strategie der Arbeitssuche bewusst oder unbewusst setzten, jedoch nicht in Form von Professionalisierung oder körperlicher Angleichung wie Beatriz, sondern durch die Inszenierung einer sich unterordnenden, unsichtbaren, (scheinbar) perfekten Hausarbeiterin. Wie sich zeigen wird, ging dies im Hausarbeitskurs Hand in Hand mit der Ausrichtung des Kurses selbst. Aber auch in anderen Zusammenhängen wie zum Beispiel der bereits erwähnten Arbeitsvermittlung in einem Kloster konnte ich diese Zusammenhänge beobachten und in Gesprächen erfahren. Eine wichtige Rolle spielte dabei auch der Eintritt in klienteläre Beziehungen. Bei mehreren Hausarbeitsvermittlungen wurde mir von arbeitssuchenden Migrantinnen erklärt, dass diejenigen Frauen Arbeitsangebote erhielten, welche immer wieder und regelmäßig kämen, weil die Vermittelnden „einen dann kennen und schätzen“ werden. Dazu gehöre, positiv aufzufallen und in Erinnerung zu bleiben. Guadalupe war im Hausarbeitskurs eine Meisterin der klientelären Praktiken. Sie war immer besonders „folgsam“ und nutzte gleichzeitig die Beziehungen, um ihre eigenen Interessen zu verfolgen und andere Ziele zu unterlaufen (vgl. Scott 1985). Zwar ärgerten sich die Leiterinnen immer wieder über sie, gleichzeitig war sie allseitig beliebt, umarmte die verantwortlichen Personen, begrüßte sie mit Kuss und war stets zu extra Aufgaben bereit. Diese Strategie der Unterwürfigkeit ist meiner Meinung nach daher oft so erfolgreich, weil sie genau dem Persönlichkeitsprofil entspricht, welches normalerweise von Hausarbeiterinnen erwartet und von möglichen ArbeitgeberInnen nachgefragt wird. Nicht alle MigrantInnen betrachteten dies jedoch als (legitime) Strategie. Sie kritisierten, dass durch die Unterwürfigkeit Normalitäten geschaffen würden, welche sich negativ auf alle auswirken und die Machtpositionen schwächen würden, 220 Schon bei ihrer Einreise nach Spanien hatte sich diese Strategie für sie durch gefälschte Papiere bewährt, da sie als Peruanerin sonst ein Visum benötigt hätte, welches sie jedoch nicht oder nur schwer hätte bekommen können.
6.5 Die Suche nach und Rekrutierung von Hausarbeit
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um Rechte einzufordern und als Hausarbeiterinnen und nicht Dienerinnen behandelt zu werden.221 Guadalupe kombinierte diese Strategie der Unterwürfigkeit mit einer Inszenierung als schwaches Opfer, welches sie auch anderen MigrantInnen und FreundInnen gegenüber einsetzte und so immer wieder Mitleid auslöste und auf diese Weise spezielle Hilfe bei der Arbeitssuche erhielt. Sie setzte in ihren Strategien ganz auf soziale Beziehungen: Gegenüber ArbeitsvermittlerInnen verhielt sie sich unterwürfig und gegenüber anderen MigrantInnen als besonders nett, witzig und zugleich arm und schwach, als Opfer, dem geholfen werden musste. Es funktionierte: Immer wieder bekam sie Arbeitsangebote, zunächst als Vertretung, und schließlich fand sie über Kontakte die oben ausgeführte Arbeit, mit der sie mit Ausnahme des erzwungenen Haarschnitts im Großen und Ganzen sehr zufrieden war. Auf soziale Beziehungen zu setzen, kann aber auch bedeuten, dass alte oder gar abgebrochene Kontakte neu aktiviert werden, um Arbeit zu finden. So kann in einer Notlage ein genderinspiriertes Migrationsprojekt, nämlich sich von der eigenen Familie und/oder dem Partner zu trennen, hintenangestellt werden, was vor allem dann der Fall ist, wenn Kinder versorgt werden müssen. Sofías Geschichte ist ein solcher Fall: Als sie keine Arbeit fand und ihre Strategie, sich von ihrem neuen Partner vorübergehend versorgen zu lassen, um mit ihrer Freundin Maribel eine Bar aufzumachen, nicht aufging, kehrte sie zu ihrem zwischenzeitlich auch migrierten Mann zurück, von dem sie sich mittels der Migration getrennt hatte.222 Sofía hatte mit ihm lose Kontakt gehalten und als er ihr versicherte, dass er für sie eine Arbeit gefunden hätte, verließ sie Madrid und ging zu ihm in eine andere spanische Stadt. Sie wüsste, was sie erwarte, erklärte sie mir. Das sei besser als die momentane Situation mit ihren Unsicherheiten. Mehrere Frauen insistierten, dass sie noch nicht 221 Fernando, Verónicas Mann, ärgerte sich mir gegenüber beispielsweise mehrfach über die „Paysanitos“, wie er abfällig EcuadorianerInnen aus der Sierra nannte (er kommt aus Guayaquil, also der Küste), welche gemäß seiner Ausführungen bei der Arbeitssuche total unterwürfig seien und alles daran setzen würden, dass man Mitleid mit ihnen hätte. Sie seien schuld daran, dass die EcuadorianerInnen insgesamt schlecht und ohne Würde behandelt würden. Hier spielen Regionalismen und damit verbundene Stereotype eine Rolle; gleichzeitig verweist Fernando auf eine von EcuadorianerInnen und anderen MigrantInnen angewandte Strategie, welche sich, wie er zurecht bemerkt, auch gegen sie selbst wenden kann. Regionale Unterschiede bei der Strategiewahl von EcuadorianerInnen aus der Küste und der Sierra, könnten unter Umständen in den unterschiedlichen ländlichen Arbeitsbeziehungen und -systemen seit der Kolonialzeit historisch begründet sein, wie mir Sylvia Álvarez in einem Expertininterview nahe legte. Es sei jedoch dahin gestellt, ob von Mustern gesprochen werden kann oder ob nicht vielmehr die politisch wirksamen Regionalismen in Konfliktsituationen unter ArbeitskollegInnen oder bei der Verfolgung unterschiedlicher Strategien der Arbeitssuche zum Tragen kommen und somit die persönlichen Konflikte regionalisiert werden. 222 Ihr Mann hatte in Ecuador im öffentlichen Dienst gearbeitet und war mit Korruptionsvorwürfen konfrontiert worden. Er hatte Angst, ins Gefängnis gehen zu müssen und beschloss daher, nach Spanien zu migrieren, um sich einer Anklage zu entziehen. Die Verdächtigungen gegen ihn seien später fallen gelassen worden. Er sei aber vorsichtshalber geflohen, da „man nie wüsste“, wie seine Kinder mir sagten. Sofía half ihm dabei finanziell.
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6 Arbeit als Hausarbeiterinnen
aufgeben solle und z.B. Aushänge aufhängen oder Inserate aufgeben solle. Es sei lediglich eine Frage der Zeit und des Suchens. Das hätte alles keinen Sinn, meinte hingegen Sofía. Sie setzte vielmehr auf soziale Beziehungen bei der Arbeitssuche und deren Finanzierung, vornehmlich auf Abhängigkeitsbeziehungen mit Männern. Als diese in Madrid nicht funktionierten und die Beziehung mit ihrem aktuellen Partner in eine Krise geriet, ging sie zu ihrem Ex-Mann nach Galizien.223 Die Formen, Ressourcen und Strategien der Arbeitssuche sind, wie im Fall von Sofía sehr deutlich wird, auch von anderen Möglichkeiten, Wertorientierungen und Ressourcen abhängig. So verfügten Frauen, welche mit stark kontrollierenden bis hin zu gewalttätigen Partnern zusammen lebten, nur über einen eingeschränkten Zeit- und Raumradius. Es geschah daher immer wieder, dass Frauen ihre Arbeitssuche abbrachen, weil sie nicht länger außer Hauses sein konnten: Der Mann würde schon bald zurückkommen und sie müssten noch kochen. Sonst gäbe es eine Katastrophe, wurde mir beispielsweise von Gloria erklärt. So konnte es vorkommen, dass wir stundenlang auf den Einlass in eine Jobbörse warteten, um überhaupt einen Platz zu ergattern, und als die Arbeitsangebote verlesen wurden, gehen mussten, weil Gloria Angst vor Konflikten mit ihrem gewalttätigen Partner hatte, falls sie nicht vor ihm zu Hause sei und fertig gekocht hätte. Andere Frauen wie Dolores mussten ihren Mann um Erlaubnis bitten. Wenn er nicht wollte, konnte sie eine Arbeit nicht annehmen. Die Arbeitssuche ist also auch durch (Un-)Möglichkeiten beschränkt, welche andere AkteurInnen, der eigene Haushalt, Genderbeziehungen und -normen sowie unterschiedliche Ressourcen und Strategien bewirken, die auf die Arbeitssuche Einfluss nehmen. Einen diese strukturierenden Rahmen bilden sie sozialen Strukturen, allen voran die legalen Begrenzungen, der segmentierte Arbeitsmarkt und die sozialen Ausschlussmechanismen, wie auch die verschiedenen intervenierenden Institutionen, welche die Arbeitsmöglichkeiten der Migrantinnen festlegen und auf diese Weise den Arbeitsmarkt mit dessen Logik strukturieren. Als eine derart strukturierende Institution und als eine Art von „domestic vocational training school“ (Hondagneu-Sotelo 2001, 15) wird im Folgenden der bereits erwähnte Hausarbeitskurs in einer katholischen Pfarrgemeinde untersucht. Wie auch anderen Institutionen, welche ArbeitgeberInnen und ArbeitnehmerInnen in Kontakt bringen, kommt ihm bei der Strukturierung der Arbeit, der Unterweisung und der sozialen Konstruktion der Arbeitskräfte eine besondere Rolle als „Gatekeeper” (Momsen 1999, 8) zu.
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Hierauf wird unter 7.2.4 nochmals näher eingegangen.
6.6 Ein Hausarbeitskurs in einer katholischen Gemeinde in Madrid
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6.6 Ein Hausarbeitskurs für Migrantinnen in einer katholischen Gemeinde in Madrid – Sozialarbeit als Migrationsinstitution „Das fundamentale Ziel des Projektes besteht darin, sie, sagen wir, im Bereich der Arbeit zu unterstützen. Ich meine, dass sie dann keine Schwierigkeiten im Bereich der Arbeit finden. Daher sind die Workshops hauptsächlich über Haushaltstätigkeiten, weil sie dort sich integrieren können. Denn viele, du hast gesehen, wie viele von ihnen, da sie irregulär aufhältig sind und also, weil sie irregulär hier sind, keinen Zugang zu einer sagen wir offiziellen Arbeit in Anführungszeichen haben.“ (Engracia, Sozialarbeiterin des Hausarbeitskurses)
Den Hausarbeitskurs lernte ich zu Beginn meiner Forschung kennen, als ich auf der Suche nach einem Kontaktpunkt zu ecuadorianischen MigrantInnen war. Von verschiedensten Seiten wurde mir von der Kirchengemeinde San Ignacio erzählt, welche im Viertel Sozialarbeit für MigrantInnen durchführen und in die Hausarbeit vermitteln würde. Ich suchte also die Kirchengemeinde, welche, wie sich zeigte, ganz in der Nähe meiner Wohnung lag. Ich kam zunächst zu den alten Öffnungszeiten bei der Kirchengemeinde San Ignacio an und traf auf zwei Ecuadorianerinnen, welche ebenfalls falsch informiert worden waren. Charo, eine ältere freiwillige Mitarbeiterin („Voluntaria“), empfing uns, begrüßte uns herzlich und fragte zunächst die beiden Frauen vor mir nach deren Anliegen und klärte sie über die Angebote und deren Organisation in der Gemeinde auf: Hier würden keine Geschenke verteilt, keine Kleider, kein Essen, kein Geld, nichts dergleichen. Vielmehr würden Kurse angeboten, um die notwendigen Fähigkeiten zu erlangen und so bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu erhalten. Da die Gemeinde eine Arbeitsvermittlung in Privathaushalte unterhielte, würden die Personen, die die Kurse gemacht hätten, dorthin vermittelt. Es gäbe einen Kochkurs, Nähkurs und einen Kurs zur Altenpflege. Die Kurse seien gratis und dauerten nicht sehr lange. Wenn beim Kochkurs Essen übrig bliebe, dürfte man es mitnehmen. Eine Essensausgabe gäbe es jedoch nicht. Als ich an der Reihe war und sagte, ich käme ebenfalls wegen Cáritas (parroquial), wie die Sozialarbeit der Gemeinde genannt wurde, stoppte mich Charo sofort und gab mir die gleiche Auskunft nochmals. Als sie zu Ende war, setzte ich zur Darlegung meines Anliegens an: Ich sei keine Migrantin, sondern Deutsche, woraufhin mich Charo unterbrach: „Das macht ja nichts. Wir haben hier auch Russinnen, einen Tschechen224“, betonte sie. „Alle müssen irgendwie Geld verdienen, egal woher sie sind. Auch als Deutsche darfst du an unseren Kursen teilnehmen“, versprach sie mir. Ich hob nochmals an und erklärte, dass ich eine Studie durchführen würde und daher die Sozialarbeiterin 224 Im Jahr vor meiner Forschung waren auch Männer zu den Kursen zugelassen. Die Männer hätten jedoch kein Interesse gezeigt, erklärte mir Engracia, die Sozialarbeiterin, in einem späteren Interview und es hätte moralische Probleme gegeben, weil sich Männer und Frauen aus dem Kurs näher gekommen seien, obwohl diese bereits PartnerInnen hatten. Und außerdem gäbe es das Problem der Unaufmerksamkeit der Männer, welche Engracia mir geschlechtsspezifisch erklärte und gleichzeitig normativ den Ausschluss im Hinblick auf die Geschlechterrollen rechtfertigte: „Ein Mann in einer Küche? Also nein.“
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6 Arbeit als Hausarbeiterinnen
sprechen wollte. Gut, antwortete Charo, egal wozu. Ich solle zur festgelegten Zeit kommen und die Schwester würde mir in allem, was möglich sei, helfen. Ich kam also zur Sprechstunde wieder und traf auf eine größere Gruppe wartender LateinamerikanerInnen, welche bis auf ein bolivianisches Paar gänzlich aus Frauen bestand. Schnell entwickelten sich Gespräche, welche neben verschiedenen Formen von Konflikten und/oder Enttäuschungen innerhalb der Familie um die Arbeitssuche kreisten: Wie finde ich Arbeit? Wer hilft wie am besten? Wo findet man welche Hilfe? Die Gruppe tauschte sich über spezifische Probleme wie zum Beispiel mangelnde Kenntnisse im Umgang mit den öffentlichen Verkehrsmitteln aus. Während des Wartens und Redens flossen viele Tränen. Auch ich wurde nach meiner Lage und meiner Situation gefragt. Ich erklärte, dass ich eine Studie durchführte und dazu auf Hilfe durch die Gemeinde hoffte. Wir unterhielten uns kurz darüber. Sie baten mich um Informationen über Hilfsprogramme, welche ich ihnen weitergab. Ansonsten hielt ich mich eher zurück. Eine der anwesenden Frauen war Guadalupe. Als ich an die Reihe kam, wurde ich von Engracia, Ordensfrau sowie studierte Sozialarbeiterin225, von der bereits mehrfach die Rede war, sowie Luis, einem älteren, dem einzigen männlichen, freiwilligen Mitarbeiter („Voluntario“), in einem Büro empfangen. Ich stellte mich vor und erklärte, dass ich eine Feldforschung durchführte und auf der Suche nach einem Kontaktpunkt sei, an dem ich Ecuadorianerinnen kennen lernen könnte und dass mich auch die Sozialarbeit der Gemeinde selbst interessieren würde. Sie befragten mich daraufhin über meine Ausbildung sowie die Finanzierung meiner Forschung und baten mich, meinen Forschungsantrag vorbeizubringen und zu einer weiteren Besprechung zu kommen. Beim nächsten Treffen war neben Engracia auch Padre Clever, ein ecuadorianischer Priester, anwesend, welcher in Madrid ein Doktoratsstudium absolvierte und in der Gemeinde als Priester mitarbeitete. Hauptverantwortlicher der Gemeinde war der spanische Pfarrer Padre Isidorio, welcher jedoch nicht für die Sozialarbeit zuständig war. Diese wurde ganz von Schwester Engracia geleitet und konzipiert. Padre Clever hatte mein Forschungsdesign gründlich gelesen und diskutierte mit mir meine Hypothesen.226 Er erzählte aus seiner Praxis, gab Beispiele und auch Engracia beteiligte sich am Gespräch. Es handelte sich teils um ein ExpertInnengespräch, vor allem erfuhr ich jedoch auf diese Weise die Grundannahmen, welche die Arbeit mit/für MigrantInnen in der Gemeinde prägten. Mir wurde nochmals die Konzeption des Kurses erklärt, welche den programmatischen Aussagen von Charo bei meiner ersten Begegnung entsprach: Es gäbe keine Essensausgabe, keine Almosen etc., sondern Hilfe zur Selbsthilfe. In der Gemeinde würden die Frauen ausge225 Engracia wurde von ihrem Orden für die Arbeit als Sozialarbeiterin der Pfarrei San Ignacio, von der hier die Rede sein wird, sowie einer zweiten Pfarrei des gleichen Distrikts zugeteilt. 226 Er bezog sich vor allem auf die Frage, ob die Migration für Frauen eine positive Veränderung der Geschlechterbeziehungen bewirken könnte, was er verneinte (vgl. dazu 7.3.1.2).
6.6 Ein Hausarbeitskurs in einer katholischen Gemeinde in Madrid
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bildet und auf diese Weise würde ihnen zu einer Arbeit und Selbständigkeit verholfen. Ich wurde eingeladen, am Hausarbeitskurs der Gemeinde teilzunehmen, um so einen direkten Zugang zu den Frauen und deren Geschichten zu erlangen. Im Gegenzug bot ich an, in einem späteren Moment meiner Forschung bei der Arbeit zu helfen, was sich schließlich darin konkretisierte, dass ich den Frauen ihre Lebensläufe für Bewerbungen schrieb sowie einen Computerkurs erteilte. Engracia und Padre Clever freuten sich: „Enfach wie eine weitere Migrantin“ sollte ich am Kurs teilnehmen. Auf diese Weise könnte ich mich unterhalten, die Geschichten der Frauen hören und wäre direkt mit ihnen zusammen, schlug Engracia vor. Ich war sehr dankbar und erfreut, wandte jedoch ein, dass ich keine Spionin sein wollte und den Frauen klar sein sollte, dass ich eine Forschung mache, worauf Engracia jedoch meinte, ich solle einfach teilnehmen und nichts weiter sagen. Dies sei das Beste. Dieses Arrangement bereitete mir großes Unbehagen. Ich sah mich jedoch auch nicht in der Lage, auf einer Vorstellung oder Einführung zu bestehen. Vielmehr war ich dankbar für die Möglichkeit der Teilnahme. Ich kam zusammen mit zwei weiteren Frauen (Guadalupe aus Ecuador und Beatriz aus Peru) am Montag der folgenden Woche als Neue in den Kurs. Über das Wochenende hatte ich mir viele Gedanken darüber gemacht, wie ich mit meiner Rolle als „eine Migrantin mehr“ im Kurs umgehen sollte und wie ich meine Rolle als Forschende definieren könnte. Dann wurde ich jedoch, wie Guadalupe und Beatriz auch, weder eingeführt noch nach Namen, Hintergründen und Erwartungen an den Kurs gefragt. Wir waren einfach „eine weitere Migrantin“. Lediglich für die Anwesenheitsliste wurden wir nach unserem Namen und einer Telefonnummer gefragt, weiter nichts. War ich anfangs noch damit beschäftigt, meine Rolle zu definieren, teilnehmend zu beobachten, Notizen zu machen, ohne eine Spionin zu sein (vgl. 3.2.2), wurde mir erst im Verlauf der Zeit klar, dass auch die anderen Frauen keine „Migrantinnen per se“ sind, sondern per adskriptionem, das heißt durch soziale Zuschreibung und durch die soziale Praxis, an welcher der Hausarbeitskurs eine zentrale Rolle einnahm. Und mit der Zeit bestätigte sich, dass die Definition von Rollen und die Unterweisung in damit verbundene Haltungen und Handlungen eine der wichtigsten Zielsetzungen des Kurses darstellten, denn nicht nur ich wurde nicht vorgestellt und eingeführt, sondern auch alle weiteren Frauen waren vom Eintritt in den Kurs an, eine Migrantin unter vielen, scheinbar ohne Geschichte, ohne andere relevanten und berechtigten Ziele als der Suche nach Haushaltsarbeit.227 227 An mich wurden durch die Leitung jedoch noch andere Rollen herangetragen, welche für mich äußerst problematisch waren: Ich sollte bei der „moralischen“ und „kulturellen“ Unterweisung der Migrantinnen mit helfen, welche im Folgenden (vgl. 6.6.3.3) ausgeführt wird. Die Definition und Abgrenzung meiner Rolle sowie die unterschiedlichen Erwartungen und Wahrnehmungen daran (durch die Leiterin, die Voluntarias, die MigrantInnen sowie andere Mitglieder der Gemeinde, welche lediglich sporadisch
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6 Arbeit als Hausarbeiterinnen
In den Gesprächen untereinander während des Kochens und anschließenden Nähens machten wir uns miteinander bekannt und erzählten unsere Geschichten und Ziele.228 Teilweise waren auch die freiwilligen Mitarbeiterinnen, die „Voluntarias“, an den Gesprächen beteiligt und manche von ihnen versuchten die Namen der Teilnehmerinnen zu lernen und sich auch für die Personen zu interessieren, wobei hierfür nur wenig Raum und Offenheit von Seiten der Leitung war. Diese Gespräche untereinander stellten einen wichtigen Aspekt des Kurses und dessen Praxis für die teilnehmenden Migrantinnen dar. Sie waren aber nicht immer erwünscht und waren nicht Teil der offiziellen Idee des Kurses, welche im Folgenden kurz ausgeführt wird. 6.6.1 Kochen, Nähen, Tischdecken: Der Ablauf und Inhalt des Kurses Die Sprechstunde von Engracia und Luis fand einmal pro Woche statt. Sie war offen für alle Hilfesuchenden, unabhängig von Herkunft, Geschlecht und Religion, wie Charo erklärt hatte. Hilfesuchenden Frauen wurde angeboten, am Hausarbeitskurs teilzunehmen, welcher von Montag bis Freitag täglich stattfand und von ehrenamtlichen Helferinnen geleitet wurde. Bis auf eine Voluntaria, welche während meiner Feldforschung neu ins Team aufgenommen wurde, waren sämtliche Voluntarias über 60 Jahre alt und unterrichteten auf dem Hintergrund ihrer Erfahrungen mit der eigenen Haushaltsarbeit oder als bezahlte Hausarbeiterinnen in fremden Haushalten. Die Situation der teilnehmenden Frauen war unterschiedlich: Manche von ihnen hatten bereits in einem spanischen Haushalt gearbeitet, andere arbeiteten einige Stunden oder einzelne Tage und waren auf der Suche nach einer einzigen oder weiteren stundenweisen Arbeitsstellen, andere waren wiederum ganz neu in Spanien, wieder andere waren schon seit Monaten auf Arbeitssuche und wurden durch Verwandte oder Bekannte teils in Spanien, einzeln aber auch durch geschicktes Geld aus ihren Herkunftsländern finanziert. Einige der Frauen hatten kleine Kinder oder waren hochschwanger und nutzten den Kurs, um andere Frauen zu treffen und gleichzeitig ihre Position auf dem Arbeitsmarkt für eine spätere Arbeitssuche zu verbessern. Egal, welche die Motivation und die Grundvoraussetzungen waren:
vorbei kamen) waren für mich somit ständige Reflexionspunkte, welche mich zu den Kernfragen des Kurses führten. 228 So definierte ich nach und nach meine Rolle als Forscherin. In spontanen Interaktionen mit Personen, SpanierInnen oder Migrantinnen, welche neu im Kurs waren bzw. nur am Rande mit uns zu tun hatten, wurde ich jedoch weiterhin als Migrantin wahrgenommen und behandelt, was mir letzendlich für die Forschung sehr zugute kam.
6.6 Ein Hausarbeitskurs in einer katholischen Gemeinde in Madrid
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Die Teilnahme am Hausarbeitskurs war die Bedingung der Möglichkeit für weitere Unterstützung durch die Gemeinde.229 Der offizielle Stundenplan des Hausarbeitskurses lautete wie folgt: 10h30 (nach der Messe): Kochen bis 11h30, maximal 12 Uhr. Anschließend: Abspülen, Aufräumen, Tischdecken für eine Gruppe von SeniorInnen, welche nach dem Kurs zum Mittagessen kam. ~ 12 Uhr bis offiziell 12h30, faktisch 13 Uhr: Handarbeitskurs (Nähen, Sticken, Stricken, Stopfen) oder Bügeln. Stellt man sich nun einen schulmäßigen Kurs vor, in welchem eine Gruppe von Schülerinnen in einem klar vorher bestimmten Zeitraum, mit offen gelegten Zielen, einem vorgeplanten und unter den verschiedenen Lehrkräften abgestimmten Lehrplan etc. lernen, hat man ein falsches Bild vor Augen. Obwohl Pünktlichkeit zum Beispiel einer der Werte war, welche die Frauen im Kurs lernen sollten (da sie als „von Kultur aus unpünktlich“ betrachtet wurden), begann der Kurs nur selten pünktlich, da viele Voluntarias erst um 10:30 losgingen, um die Kochzutaten zu kaufen oder sich aus anderen Gründen verspäteten (vgl. 6.6.3.3). Wurden besondere Aktivitäten, wie zum Beispiel eine Weihnachtsfeier, durchgeführt, wussten unter Umständen nicht alle MitarbeiterInnen davon. Der Kurs zeichnete sich daher durch einen hohen Grad an Improvisation und Unklarheit aus. Dazu gehörte auch, dass der Kurs weder Anfang noch Ende hatte und viele Frauen, welche über Monate am Kurs teilgenommen hatten, wochenlang auf ihre Teilnahmebescheinigungen, welche für sie wichtige Ressourcen bei der Arbeitssuche darstellten, warteten. Es herrschte sowohl in Bezug auf die Konzeption als auch die Behandlung Willkür und oft wurde geschimpft und geschrieen, ohne dass mir die Ursachen dafür klar gewesen wären. Die Küche war in dieser Hinsicht ein etwas geschützterer Raum. Hier wurde weniger diszipliniert. Vor allem bei der Handarbeit und dem Bügeln, welche in einem großen, offenen (Durchgangs- und Empfangs-)Raum durchgeführt wurden, sowie im Umgang mit Engracia wurden Disziplin und Unterordnung eingefordert, wodurch Willkür, Improvisation und Erniedrigungen genauso zum Kurs gehörten wie die Unterstützung und empfangene Hilfe. Zusätzlich zum regulären Kurs erteilte im Oktober und November eine ausgebildete Altenpflegerin insgesamt vier Nachmittage lang einen Pflegekurs, welcher sehr gut organisiert und strukturiert war. Er fand zwar in einem Raum der Gemeinde statt, es nahmen jedoch, zumindest meiner Wahrnehmung nach, weder Engracia noch eine andere Voluntaria (unmittelbaren) Einfluss auf den Verlauf. Von Januar bis Mai erteilte ich außerdem jeden Montag von 17:30 bis 18:30 einen Computerkurs. Zwar hatte ich laut Engracia jegliche Freiheit, sie versuchte jedoch regelmäßig, ihn zu beeinflussen, indem sie zum Beispiel Teresa vom Kurs ausschließen wollte, da sie nicht am Hausarbeitskurs am morgen teilnahm und das, 229
Dieser Punkt wird im Folgenden noch näher ausgeführt.
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so Engracia, „obwohl sie gar nichts arbeitet und Zeit hätte“. Darauf werde ich im Folgenden noch näher eingehen. Das Hauptproblem des Computerkurses war jedoch die Unpünktlichkeit und zwar nicht so sehr von Seiten der Teilnehmerinnen, sondern von Seiten von Engracia oder der zuständigen Person, welche nach der Pause die Räumlichkeiten der Gemeinde wieder aufschließen sollte. Normalerweise endete die Pause am Nachmittag um 17 Uhr. Da nur Teresa einen eigenen Computer zu Hause hatte, war mit den Frauen vereinbart worden, dass sie bereits um 17 Uhr zum Üben kommen könnten und ich als Ansprechpartnerin anwesend wäre. Der Unterricht begann um 17:30. Obwohl dies mit der Gemeinde abgesprochen war, funktionierte es praktisch nie. Teilweise standen wir selbst um 17:30 noch vor verschlossenen Türen. Darauf wird im Folgenden noch im Detail eingegangen. Hier gilt es festzuhalten, dass der Kern des Kurses die Unterweisung in Haushaltsarbeiten darstellte und gelegentlich durch Zusatzangebote wie einen Pflegekurs sowie einen Computerkurs ergänzt wurden. Für die katholische Kirche ist die Vermittlung von Hausarbeiterinnen wie auch die Durchführung derartiger Kurse nicht neu. Spanien stellt hier keinen Einzelfall dar (vgl. Scrinzi 2003 für Italien und Frankreich sowie Sarti 2005, 15 und die dortigen bibliographischen Hinweise). In der Mitte des 19. Jahrhunderts entstand beispielsweise in Madrid der Frauenorden der „Religiosas de María Inmaculada“, deren Ordensidentität sich bis heute auf die Arbeit mit und Vermittlung von Hausarbeiterinnen bezieht. Sie werden deshalb auch „del servicio doméstico“ genannt, also (Schwestern) „der Hausarbeit“.230 Hierbei handelt es sich um bestimmte Sektoren und Institutionen der katholischen Kirche231 (weshalb auch nicht alle Kirchengemeinden und katholische Einrichtungen in Spanien Hausarbeiterinnen rekrutieren). Es lässt sich aber dennoch eine spezifische Verbindung zwischen katholischer Kirche und Hilfsangeboten für MigrantInnen im Allgemeinen sowie migrantischer Hausarbeit im Spezifischen feststellen, welche für diese Art von Institutionen und Richtungen bezeichnend sind. Vor einer Analyse der Praxis des Kurses und dessen zugrundeliegende Schemata, soll dieser daher zunächst in die katholische Kirche, deren Anliegen, Verortung sowie Rolle analysiert werden.
230 Das dieser Arbeit zugrundeliegende Frauenbild war das einer orientierungslosen, vor allem moralisch orientierungslosen jungen Frau, welche ohne sozialen Rückhalt in die Stadt kommt und dort durch Pfarrgemeinden oder Kongregationen einen Platz in der Gesellschaft erhält. Vgl. www.religiosasdemariainmaculada.org/espanol/ [02.04.2007]. 231 Im Folgenden wird dies näher diskutiert. Grob lässt sich das dieser Arbeit mit Hausarbeiterinnen zugrundeliegende Frauen-, Arbeits- und AusländerInnenbild als „konservativ“ bezeichnen, welches entlang nivellierter („jede Arbeit ist würdig“) und naturalisierter („die natürliche Rolle der Frau“) Hierarchien Rollenzuschreibungen vornimmt, die im Rückgriff auf katholische Doktrinen begründet werden. Bezeichnenderweise ist der Pfarrer von San Ignacio Mitglied des Opus Dei. All dies wird im weiteren Verlauf verdeutlicht.
6.6 Ein Hausarbeitskurs in einer katholischen Gemeinde in Madrid
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6.6.2 Der Hausarbeitskurs als Teil der katholischen Kirche Themen der Migration und Integration sind wichtige Arbeitsbereiche der katholischen Kirche in Spanien. Eine besondere Rolle spielt dabei Cáritas española, der Dachverband der karitativen und sozialen Dienste der katholischen Kirche, in den auch der Hausarbeitskurs und die Arbeitsvermittlung von San Ignacio als sogenannte „Cáritas parroquial“, das heißt als Cáritas auf der Ebene der Pfarrgemeinden (spanisch: parroquia), eingebunden sind. Die Cáritas parroquiales bilden die MikroEbene von Cáritas española und sind über verschiedene Formen wie zum Beispiel Workshops, aber auch über finanzielle Unterstützung in die Institution von Cáritas eingebunden. Die konkrete Arbeit der Cáritas parroquiales kann jedoch je nach Pfarrgemeinde verschieden sein. Das Emblem von Cáritas española trägt das Motto „Trabajamos por la justicia“, übersetzt: „Wir arbeiten für die Gerechtigkeit“. Auf der Homepage von Caritas steht folgende Selbstbeschreibung: „Unter ihren Gründungszielen stechen die Hilfe zur Förderung eines menschenwürdigen Lebens und zur integralen Entwicklung der Würde aller Menschen, welche sich in einer prekären Lage befinden, hervor. Cáritas übernimmt auf ihrem Weg in ihrer sozialen Tätigkeit ein dreifaches Engagement: die öffentliche Meinung zu informieren, anzuklagen und für Situationen von Armut und Vulnerabilität zu sensibilisieren.”232
Cáritas stellt sich hiermit in die Tradition der katholischen Sozialdoktrin, welche auf den drei Prinzipien Solidarität, Subsidiarität und Personalität beruht und den Einsatz für Gerechtigkeit, Freiheit, und Gemeinwohl als Konstitutiva des Katholizismus und dessen sozialer Praxis versteht (vgl. Anzenbacher 1998). Auch ihre Integrations- und Migrationsarbeit ist davon geprägt. Cáritas hat zum Beispiel bei den verschiedenen Gesetzesänderungen im spanischen Ausländerrecht der letzten Jahre auf die öffentliche Meinung wie auch auf die politische Debatte eingewirkt und sich für Legalisierungen und bessere Lebensbedingungen von MigrantInnen eingesetzt. Sie ist außerdem in der Basisarbeit tätig, indem sie konkrete Sozialprojekte unterstützt und durchführt. Viele katholischen Organisationen engagieren sich in ihrer Basisarbeit für MigrantInnen (vgl. dazu Itçaina/ Dorangricchia 2005, 189). Cáritas stellt hierbei nur eine von zahlreichen katholischen Institutionen dar, welche sich rund um das Thema Migration auf politischer und/oder projektorientierter, sozialer Ebene engagieren. Das Engagement der katholischen Kirche und ihrer VertreterInnen ist auch institutionell als Positionierung innerhalb der spanischen Gesellschaft zu verstehen. So ist das Engagement der katholischen Kirche, deren Einrichtungen und vieler katholischer AkteurInnen auch Teil der Neubestimmung des Verhältnisses von Kirche und Staat nach dem Übergang zur Demokratie (1975). General und Diktator 232
www.caritas.es/quienesSomos/index.php?MQ%3D%3D [15.01.2008].
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Francisco Franco (1892-1975), welcher Spanien von 1939 bis 1975 regierte, hatte einen sogenannten Nationalkatholizismus eingeführt, der auf eine explizite Verbindung von Staat und Kirche zielte. Zwar erfolgte nach dem Übergang zur Demokratie eine Säkularisierung der sozialen Dienste, viele werden jedoch weiterhin von religiösen Institutionen getragen. Die Frage des Verhältnisses von Kirche und Staat ist daher bis heute nicht ganz geklärt. Diese enge Verflechtung von Kirche und Staat ist charakteristisch für südeuropäische Länder, was Archambeault von einem „mediterranen Modell“ (Archambeault 2002, 65) sprechen lässt. Sie bezeichnet damit u.a. den historischen Konflikt um das Verhältnis von Staat und Kirche in Südeuropa, wo die Trennung derselben erst jung ist, der Übergang zur Demokratie spät erfolgte und soziale Hilfsleistungen bis heute innerhalb der Familie, der Gemeinde oder des Dorfes geleistet werden, jedoch nicht unbedingt innerhalb größerer, staatlicher Strukturen.233 Kirchliche soziale Dienste sind daher auch im jetzigen Sozialsystem von entscheidender Bedeutung (ebd., 65f) und werden oft von öffentlichen Institutionen finanziell unterstützt (Aparicio/Tornos/Labrador 1999, 200234). Laut Itçaina und Dorangricchia sind die Positionen der Bischofskonferenzen gegenüber Einwanderung sowohl in Spanien als auch in Italien daher auch im Horizont der Suche des Rückerhalts bzw. Beibehalts des Einflusses der katholischen Kirche in Bereichen wie Bildung, Gesundheit und soziale Dienste zu verstehen. In Spanien ist das Thema Einwanderung zudem in die Frage nach der spanischen Nationalidentität eingebettet und dabei durch die Frage nach dem Verhältnis von Kirche und Staat geprägt und somit auch durch die Diskussion über die Rolle, die der katholischen Kirche in der Identitätsbildung als katholische und/oder säkulare Nation zukommt (Itçaina/Dorangricchia 2004, 13). All dies schließt einen gleichzeitigen Einsatz für Solidarität und Gerechtigkeit nicht aus. Ein weiterer Kontext des Engagements stellt die (imaginierte) Katholizität (lateinamerikanischer) MigrantInnen dar. Die katholische Kirche verfügt als transnationale Institution über eine jahrhundertlange Tradition, in welcher LateinamerikanerInnen in die „Weltkirche“ integriert wurden. Die LateinamerikanerInnen gelten daher auch als potentielle oder tatsächliche Mitglieder der katholischen Kirche und können somit, wie auch Pfarrer Isidorio mir gegenüber betonte, die in eine Krise geratene Kirche in Spanien stärken: 233 Vgl. Abrahamsons Rede von einem „katholischen Modell“ des spanischen Sozialsystems, welches auf der (katholisch definierten) Familie (mit der Frau als Ehefrau und Mutter zu Hause) als Grundstütze der Gesellschaft bzw. der sozialen Reproduktion beruht (Abrahamson 1995; vgl. 6.2.1). 234 Dies wird in der zitierten Monographie indirekt deutlich, da die AutorInnen Vorwürfe gegen die öffentlichen Institutionen diskutieren, dass diese die soziale Arbeit an die Kirche deligieren würden, sowie andererseits Vorwürfe gegen katholische Institutionen, eine chaotische und widersprüchliche Arbeit zu leisten. Ihrer Meinung nach handle es sich aber um eine Zusammenarbeit zwischen öffentlichen und kirchlichen Hilfsangeboten. Dabei zeigt sich: Die katholische Kirche spielt auch nach dem Übergang von der nationalkatholisch intendierten Diktatur zur säkularisierten Demokratie eine entscheidende Rolle im Bereich der sozialen Dienstleistungen.
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„Für die Kirche ist sie [die Migration] die Zukunft, nicht wahr? Europa ist ein sehr gealterter Kontinent und die Zukunft der Kirche geht halt auch über Amerika, nicht wahr? Wo Abermillionen von Katholiken leben.“ (Padre Isidorio von San Ignacio)
Die LateinamerikanerInnen stellen für den Priester als (imaginierte) KatholikInnen also auch eine Antwort auf die Krise der katholischen Kirche in Spanien dar.235 Dies erklärt jedoch nicht ausreichend das Engagement der katholischen Kirche, da viele EinwanderInnengruppen wie zum Beispiel MarokkanerInnen nicht katholisch sozialisiert sind. Aber auch die LateinamerikanerInnen sind bei Weitem nicht so einheitlich religiös und katholisch wie von vielen Mitgliedern der von mir untersuchten Kirchengemeinde angenommen.236 Vielmehr sind diese seit jeher religiös plural, da viele indigene Völker auch trotz der mit der Kolonialisierung verbundenen Evangelisierung ihre Religionen (zumindest teilweise bzw. modifiziert) bewahrten und das kolonial-religiöse System die Bevölkerung nicht in gleicher Weise umfasste. Durch den Einfluss des Protestantismus, anderer religiöser, auch (neo-)indigener237 Strömungen und des Atheismus hat sich dies heute noch verstärkt. Richtig ist aber, dass die katholische Kirche als Institution weiterhin eine wichtige Rolle in lateinamerikanischen Gesellschaften spielt. Im untersuchten Hausarbeitskurs konnte ich jedoch keine Eingliederung der teilnehmenden Frauen in die Kirchengemeinde und keine Vergemeinschaftung beobachten (vgl. auch Aparicio et al. 1999, 170ff). Der Kurs zielte weder auf Rekrutierung, Missionierung noch auf Integration der Migrantinnen in die Gemeinde, auch nicht auf eine personenspezifische Unterstützung, sondern auf die Unterweisung als Hausarbeiterin, Vermittlung und somit Integration in den migrantinnenspezifischen Arbeitsmarkt (vgl. Wagner 2009b). Eigene Gruppen für MigrantInnen innerhalb der Pfarrei wurden mit dem Hinweis abgelehnt, dass es Aufgabe der Gemeinde sei, den MigrantInnen bei ihrer Integration und nicht zu einer Segregation zu verhelfen. Diese Integration basierte jedoch auf Rollenzuschreibungen, welche
235 Sarti berichtet, wie in Italien seit den 1930er Jahren katholische Amtsträger katholische Hausarbeiterinnen aufgrund ihres exklusiven Zugangs aufriefen, als „Missionarinnen“ der Familien bzw. Kinder ihrer ArbeitgeberInnen zu agieren und somit diesen eine eigene „Mission als KatholikInnen“ zusprach (vgl. Sarti 2005, 13ff). Dies weist eine gewisse historische Kontinuität auf, wie Sarti verdeutlicht: So tauften beispielsweise vom Beginn der Neuzeit an bis ins 19. Jahrhundert katholische Hausarbeiterinnen bei jüdischen Familien die Kinder ihrer ArbeitgeberInnen, wozu sie oft von Priestern ermutigt wurden. Die getauften Kinder wurden anschließend unter Umständen der Familie weggenommen und christlich erzogen. Ein prominenter Fall stellt Edgardo Mortara dar, welcher 1858 vom Papst entführt wurde und nie mehr zu seiner Familie zurückkehrte (ebd. 14). Der Hausarbeitskurs in San Ignacio hatte jedoch keinerlei Ambitionen dieser Art. 236 Auf die Frage, was der Beitrag der Migrantinnen für die spanische Gesellschaft sei, wurde mir in Interviews mit Voluntarias der Gemeinde häufig die Religiosität und das religiöse Wissen der MigrantInnen genannt. In manchen Interviews war dies der einzige positive Aspekt der Einwanderung lateinamerikanischer MigrantInnen. 237 Vgl. zum Beispiel die „Iglesia Nativa Americana del Tawantinsuyo“ (www.inatawan.org [15.01.2008])
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auf verschiedenen Ebenen zwischen Migrantinnen und SpanierInnen unterschieden und diese Unterschiede festschrieben. Die soziale Praxis des Hausarbeitskurses soll daher im Folgenden auf deren praxisleitende Faktoren, auf den Kontext der sozialen Konstruktion und ihre Konstruktionsprinzipien hin untersucht werden. Die Zielsetzungen der AkteurInnen sowie die Rollenzuschreibungen und Differenzmechanismen stehen dabei im Vordergrund der Analyse. 6.6.3 Differenzfaktoren und Signifikationsgeber des Kurses „Dann müssen sie sich halt an das anpassen, was man ihnen hier [an Arbeit] geben möchte. Deshalb sagen sie, dass es Arbeiten seien, die erniedrigen. Da sie [aber] ohne Vertrag weder offiziell noch legal kommen, – wenn sie ihren Vertrag und ihre Papiere hätten...“ (Charo)
Der Hausarbeitskurs ermöglicht idealerweise den Zugang zum Arbeitsmarkt bezahlter Haushaltsarbeit und stellt somit eine wichtige Ressource und dankbar angenommene Unterstützung für Migrantinnen dar. Die Art und Weise des Kurses, die Durchführung und Zielsetzung, vor allem aber die Behandlung der Kursteilnehmerinnen stieß jedoch sowohl bei den teilnehmenden Frauen als auch bei einigen Voluntarias auf Kritik. Eine der Hauptkritiken betraf die funktionale Zielsetzung des Kurses und die damit verbundene Behandlung. Mónica kritisierte bspw. in einem Interview den Kurs, indem sie betonte, dass sie kein Roboter, keine Maschine oder Soldatin und auch kein Tier sei: „In der Kirche werden einem die Frauen, die dort hingehen [die Voluntarias], anscheinend helfen. Aber sie behandeln einen, als ob man ein Tier sei (...) ‚Hier kommt man zum Arbeiten her, hier kommt man dazu, hier kommt man hierzu her!’ [sagen sie] Aber [wir kommen] auch nicht [hierher], um so erniedrigt zu werden.“ (Mónica)
Sie analysierte im gleichen Interview weiter: „Sie unterrichten uns (...) Moralerziehung – dass wir uns so und so verhalten sollen. (...) Als ob wir ihre Soldaten wären und sie unsere Oberst, die uns befehlen müssen. (...) Ich wünschte mir, dass sie ein bisschen menschlicher werden würden und sich mehr mit uns auseinander setzten. Wir sind nämlich menschliche Wesen.“ (Mónica)
Mónica hebt hier auf die Zielsetzung und den Inhalt des Kurses ab und verweist darauf, dass weniger Kenntnisse und Fähigkeiten als vielmehr Moral und Verhaltensweisen unterrichtet werden und zwar in Form von Befehl und Gehorsam (wie Soldatinnen), Unterordnung und Erniedrigung sowie Entpersonalisierung (wie Tiere, wie Maschinen oder Roboter). Diesen Aussagen und der Praxis des Kurses liegen bestimmte Vorstellungen über Arbeit, Frausein, Ausländerinsein und Migration zugrunde, welche den Hausarbeitskurs, dessen Konzeption wie Durchführung leiteten. Es handelt sich um Signifikationsgeber, um „Konstruktionsprinzipien der
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sozialen Praxis”, um mit Bourdieu zu sprechen, welche als Attributionen Grenzen zwischen MigrantInnen und SpanierInnen, zwischen Männern und Frauen etc. ziehen. Dabei werden spezifische Rollen „der Anderen“ konstruiert, als normal etabliert oder affirmiert (vgl. Bourdieu 1987, 729ff). In 2.1 war von der sozialen Konstruktion der MigrantInnen die Rede, welche auf der dichotomen Gegenüberstellung von „den Anderen“ und einem „Wir“ beruhen, die als eine natürliche soziale Hierarchie zwischen „Fremden“ von „außen“ und „Einheimischen innen“ verstanden wird, aber auch andere Gruppen wie Frauen und Minderheiten von der Schaffung von Öffentlichkeit ausschließen bzw. diese unterordnen. Stratifikation nach Geschlecht und Herkunft sind, wie erörtert wurde, der europäischen Moderne inhärente, konstitutive Elemente. Diese Mechanismen der Differenzierung schaffen und naturalisieren Grenzziehungen zwischen „MigrantInnen“ und „Einheimischen“ und weisen bestimmten Gruppen („Fremden/MigrantInnen“, „Frauen“) spezifische Rollen zu. Auch Haushaltsarbeit stellt ein Mechanismus der Differenzierung dar, welcher soziale Hierarchien ausdrückt sowie reproduziert (vgl. Anderson 2000, 17, vgl. 6.1). In diesem Sinne ist auch der Hausarbeitskurs konstitutiv an der Schaffung von Differenz beteiligt und ist, wie gezeigt wird, nicht nur und nicht vornehmlich eine Unterweisung in spezifische Aufgaben, sondern vielmehr in die Rolle als Hausarbeiterin, in die damit verbundenen Normen und Verhaltensweisen und somit in die adskribierte soziale Rolle als Migrantin: als Hausarbeiterin, als Fremde, als Migrantin und als Frau. Dabei handelt es sich jedoch weder um ungebrochene noch unhinterfragte Praktiken und Prinzipien. Wie erwähnt, übten auch Voluntarias Kritik am Kurs und unterliefen teilweise Regeln, insofern dies möglich war und vor der Leiterin und anderen Voluntarias versteckt bleiben konnte. Die Voluntaria Amalia hielt in einem Interview mit mir zum Hausarbeitskurs beispielsweise plötzlich inne hielt und fragte mich: „Ganz im Vertrauen: Findest du nicht, dass Engracia [die Sozialarbeiterin und Leiterin des Kurses] unmenschlich ist?“. Auch Padre Clever beschwerte sich mir gegenüber immer wieder über die Behandlung der Frauen im Kurs und dessen Konzeption ohne Begleitung und Förderung der Personen. Für die Nichteinhaltung bestimmter Regeln wurden aber auch die Voluntarias kritisiert und (z.B. in Form von Schreien durch Engracia) sanktioniert. Jedoch nicht alle Voluntarias und auch nicht alle Migrantinnen standen der Konzeption kritisch gegenüber. Andere betrachteten ihre Aufgabe zum Beispiel darin, die Vorgaben, vornehmlich der Leiterin oder des Pfarrers, unhinterfragt auszuführen. Weder der Kurs selbst noch die verschiedenen Gruppen (Leitung – Voluntarias – Teilnehmerinnen) können also als homogene Entitäten verstanden werden. Auch die mit dem Kurs verfolgten Ziele waren oft verschieden, zum Beispiel je nach AkteurInnen und Machtposition (Pfarrer/Sozialarbeiterin-Voluntaria/o-MigrantIn) sowie je nach Rollenverständnissen und Zuschreibungen gegenüber den Migrantinnen, welche jeweils die Praxis des Kurses prägten. Es gab aber bestimmte dominante Prinzipien, welche nicht nur von
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Engracia vorgegeben und eingefordert wurden, sondern auch für die Mehrzahl der Voluntarias eine praktische Logik, einen in sich selbstverständlichen sozialen Sinn trugen, der den Kurs prägte und ihn in seinem Verlauf als „normal“ und „natürlich“ erscheinen ließ (vgl. Bourdieu ²1997). Dabei handelte es sich nicht nur um singuläre Einfälle von Engracia und einem isolierten, einzigartigen Kurs, sondern um soziale Prinzipien innerhalb der Logik spezifischer Sektoren der katholischen Kirche, des spanischen Staates und der globalen Ökonomie. Im Folgenden werde ich zunächst die Konzeption des Kurses und die ihm zugrunde liegenden Konstruktionsprinzipien darstellen. Anschließend analysiere ich die unterschiedlichen Positionen, Zielvorstellungen und Praktiken der Voluntarias und Migrantinnen und somit die Pluralität und den Widerstand im Kurs. 6.6.3.1 Hausarbeit als „natürliche Arbeit der Frau“: Arbeitsverständnis und Frauenbild „Das ist etwas, das für eine Frau, eine Hausfrau wichtig ist.“ (Engracia in Bezug auf den Handarbeitsunterricht im Kurs)
In Interviews und Gesprächen mit den Voluntarias kam mehrfach die Rede darauf, ob und was diese selbst vor ihrer Pensionierung gearbeitet hätten. Mehrere Frauen, welche nun Migrantinnen in Haushaltsarbeiten unterrichteten, hatten selbst in fremden Haushalten gearbeitet oder bei sich zu Hause gegen Bezahlung für andere Personen genäht und gebügelt. In den Gesprächen relativierten aber etliche – nicht alle – Frauen diese Tätigkeiten und sagten, dass sie nichts gearbeitet hätten. Im Interview mit Augusta fragte ich, nachdem sie mir bereits nebenbei berichtet hatte, dass sie früher außer Haus gegen Bezahlung gebügelt hatte, dann aber davon sprach, dass sie nicht gearbeitet hätte, nochmals nach: „Aber du hast nicht gearbeitet?“ – „Nein, ich nicht.“ – „Gebügelt.“ – „Gebügelt, aber, wie soll ich sagen, als (...) mein Sohn schon 12 Jahre alt war. (...) Als sie [die Kinder] noch so klein waren, habe ich nicht gearbeitet. (...) Ich nahm mir (...) Kinderkleidung nach Hause, um sie auf der Nähmaschine zu nähen. All das habe ich zu Hause gemacht (...). Und dann, (...), habe ich schon begonnen, außerhalb des Hauses [wörtlich: „auf der Straße“] zu arbeiten. Ich habe gebügelt, zwölf Jahre lang. (...) Dabei war ich sehr glücklich und es ging mir dort sehr gut. (...) Den ganzen Tag habe ich nichts Anderes gemacht als gebügelt (...), bis zu neun Stunden (...). Aber wenigstens kommt so etwas fürs Essen herein.“ (Augusta)
Augusta führte hier mehrere Ebenen und Aspekte ein: Die Familie und ihre Mutterrolle setzt sie als obersten Wert; die Haushaltsarbeit ist für sie Nicht-Arbeit, selbst ihre Arbeit zu Hause (das Nähen), und das außer Haus verdiente Geld lediglich „Zugewinn“ für den Kauf von Nahrungsmitteln, welcher von ihr jedoch nicht als Arbeitslohn bezeichnet wird.
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Oben war bereits davon die Rede, dass Hausarbeit normalerweise nicht als ebenbürtige Lohnarbeit anerkannt ist und als „Frauenarbeit“, als eine „natürliche weibliche Tätigkeit“ betrachtet wird: Scheinbar sind Frauen aufgrund ihrer Natur dazu befähigt zu putzen, zu pflegen, Diskretion zu bewahren sowie respektvoll, geduldig und liebevoll mit Kindern und älteren Menschen umzugehen.238 Diese Vorstellungen korrespondieren mit bzw. gründen im christlich fundierten Frauenbild der „SichHingebenden“, und „Für-Andere-Daseienden“, welches im Hausarbeitskurs der katholischen Pfarrgemeinde mit deren Polarität von Mann und Frau und korrespondierenden naturalistisch-biologistisch zugeschriebenen Rollenorstellungen in stärkerer bzw. weniger hinterfragter Weise zum Tragen kam als in anderen Sektoren der spanischen Gesellschaft. Befragt nach dem Frauenbild antwortete mir der Pfarrer: „Was ist die Rolle der Frau? Was ist das Wichtigste, das Größte einer Frau? Die Mutterschaft, die sie freiwillig übernimmt. (…) Es gibt ein Dokument, das vor kurzem der Heilige Stuhl über den Mann und die Frau veröffentlicht hat (…).“ (Pfarrer)
In den letzten Jahren gab es mehrere kirchliche Dokumente zum Thema der Stellung der Frau. Hier soll exemplarisch ein Brief von Papst Johannes Paul II. aus dem Jahr 2004 an die katholischen Bischöfe zitiert werden. Er schreibt: „Unter den Grundwerten, die mit dem konkreten Leben der Frau verbunden sind, ist jener zu erwähnen, den man ihre ‚Fähigkeit für den anderen’ genannt hat. Trotz der Tatsache, dass eine gewisse Strömung des Feminismus Ansprüche ‚für sie selber’ einfordert, bewahrt die Frau doch die tiefgründige Intuition, dass das Beste ihres Lebens darin besteht, sich für das Wohl des239 anderen einzusetzen, für sein Wachstum, für seinen Schutz. (...) In dieser Perspektive wird die unersetzliche Rolle der Frau in allen Bereichen des familiären und gesellschaftlichen Lebens verständlich, bei denen es um die menschlichen Beziehungen und die Sorge um den anderen geht. Hier zeigt sich deutlich, was der Heilige Vater den Genius der Frau genannt hat. Dies beinhaltet vor allem, dass die Frauen aktiv und auch fest in der Familie, ‚der anfänglichen und in gewissem Sinn „souveränen“ Gesellschaft’ gegenwärtig sein sollen.“ (Johannes Paul II. 2004, Art. 13. Hervorhebungen im Original)
Hingabe, sich Veräußern, für andere Dazusein werden hier als weibliche Eigenschaften und Konstitutiva des Frauseins definiert. Frauen haben „in allen Bereichen des familiären und gesellschaftlichen Lebens“ eine „unersetzliche Rolle“, bei denen es um menschliche Beziehungen und Sorge um den anderen geht, wodurch eine 238 Bei Migrantinnen werden diese Eigenschaften als ausgeprägter als bei spanischen Frauen betrachtet, was teilweise auf kulturelle Unterschiede (im Sinne ethnisierter Stereotype) oder auf ein bei spanischen Frauen „falsches Verständnis von Frausein“ („Feminismus“) zurückgeführt wird, das nicht dem eigentlichen katholischen Frauenbild entspricht. Da Lateinamerikanerinnen als religiöser gelten, können sich die kulturellen und katholisch-religiösen Argumente überschneiden. 239 Durch den Singular maskulinum von Fähigkeit für den anderen und das Wohl des anderen, sein Wachstum, sein Schutz, ist die binäre Rollenzuschreibung noch stärker, da ein Plural auch Frauen subsumieren könnte. So ist das Geben weiblich und das Nehmen männlich bestimmt. Hier zeigt sich, wie auch in der Sprache bestimmte Vorstellungen ausgedrückt und reaffirmiert werden.
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klare Einschätzung und Hinordnung erfolgt. Ansprüche „für sich selbst“ einzufordern, gilt als negativ und wie Johannes Paul II. im apostolischen Brief „Mulieris dignitatem“ („über die Würde der Frau”) schrieb, nicht der Würde der Frau entsprechend: „Die Würde der Frau ist eng verbunden mit der Liebe, die sie gerade in ihrer Fraulichkeit empfängt, und ebenso mit der Liebe, die sie ihrerseits schenkt. So wird die Wahrheit über die Person und über die Liebe bestätigt. (...) Die Frau kann sich nicht selbst finden, wenn sie nicht den anderen ihre Liebe schenkt.“ (Johannes Paul II. 1988, Mulieris dignitatem, 30. Kursiva im Original)
In Spanien wurde während des Franco-Regimes und dessen Programm des „Nationalkatholizismus“ dieses konservative, katholische Frauenbild in religiösen Termini regelrecht propagiert. So war zum Beispiel von der „heiligen Mission der Frau“, dem Heim als „Tempel“ oder dem „erhabenen Priestertum der Frau“ die Rede (vgl. Nash 2000, 288). Die Arbeit wurde als Mittel der „Heiligung“ durch Gehorsam, Dienen und Opfer verstanden. Dieses Verständnis wird heute nicht mehr im gleichen Maße geteilt und ist nicht gleich einflussreich auf das Verständnis von Hausarbeit. „The Catholic doctrine has thus a certain influence on this sector. Yet Catholics do not have a common shared view on domestic service. Today many refuse the conservative approach that considers it as a means of “sanctification” through obedience, service and sacrifice particularly suited for (lower class and/or migrant) women, because it is performed within a family.“ (Sarti 2005, 15)
Es gibt jedoch katholische und andere gesellschaftliche Sektoren, welche diese Vorstellungen weiterhin vertreten und praktizieren. Dazu gehört das in Spanien entstandene und bis heute sehr einflussreiche Opus Dei. Es wurde 1928 vom im Jahr 2002 heilig gesprochenen Josemaría Escrivá (1902-1975), der maßgeblich an Francos Nationalkatholizismus beteiligt war, in Spanien gegründet und hat heute Niederlassungen in 61 Ländern (vgl. www.opusdei.org). Padre Isidorio, der Pfarrer von San Ignacio, wie auch andere Mitglieder der Gemeinde gehörten zum Opus Dei. Zentrum der Spiritualität stellt die Heiligung über die Arbeit dar, wie mir Padre Isidorio erklärte: „Was das Opus Dei möchte – sein Charisma, nicht wahr? Das ist die Heiligung seiner Mitglieder im Beruf. Das Opus Dei entsteht in Madrid am zweiten Oktober 1928 durch göttliche Eingebung (…) und von Anfang an hat es diese Botschaft verbreitet. (…) Aber letzten Endes lautet die Botschaft des Opus Dei, die außerdem die Botschaft des Evangeliums ist, Gott inmitten der Welt zu entdecken; die Heiligung des Berufslebens (...), die Arbeit zu heiligen, sich in der Arbeit zu heiligen und mit der eigenen Arbeit die Nächsten zu heiligen.“ (Padre Isidorio, vgl. auch www.opusdei.org)
Heiligung ist also zentrales Thema. Sie wird bei der Arbeit angezielt und zusammen mit einer Spiritualität des Opfers gelebt, welche auch körperlich in Form von Selbst-
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kasteiung und Flagellation ausgedrückt wird, wie mir weiters Padre Isidorio erläuterte. Dieses für die heutige spanische Gesellschaft eher konservative Arbeits- und Frauenbild reiht sich bestens in die bezahlte Haushaltsarbeit ein und begründet die Rekrutierung von Migrantinnen aufgrund ihrer natürlichen Qualifikation als Frau, verschleiert und legitimiert gleichzeitig implizit die Ausbeutung und Misshandlung durch ein Verständnis von Heiligung durch Arbeit, Aufopferung und Unterordnung und rechtfertigt diese mit theologischen Argumenten.240 Über die Aufopferung für die Familie und dem scheinbaren Willen zur Selbstopferung, wird die Vermittlung zu schlechten Bedingungen begründet, wie folgendes Interview mit Charo zeigt: „Manchmal gefällt es ihnen dann, ihren Freiraum zu haben. Dann sage ich ihnen, dass sie, wenn sie ihr Land und ihr Haus und alles verlassen, dann kommst du für ein paar Jahre und musst dich aufopfern. (...) Du kommst mit der Idee zu sparen und den Deinen Geld zu schicken, also musst du dich ein bisschen aufopfern, weil dazu hast du dort alles, was du am meisten liebst, zurückgelassen.“ (Charo)
Charo argumentiert hier mit der Aufopferung der Frauen, welche sie, wie sie stolz erzählt, auch von diesen explizit verlangt. Wie schon mehrfach betont, handelt Haushaltsarbeit weniger von bestimmten Aufgaben als von einer spezifischen Rolle, welche als weibliche definiert wird. Im Kurs wurden daher die Teilnehmerinnen nicht nur in konkreten Tätigkeiten bzw. Fähigkeiten ausgebildet. Vielmehr beinhaltet die Unterweisung der Frauen auch, sie zu „guten Frauen“ zu erziehen, ganz unabhängig von der konkreten Arbeitssuche. Dies macht der im Hausarbeitskurs beinhaltete Handarbeitskurs ganz deutlich: Neben dem Kochkurs, welcher von allen Frauen als notwendige Ressource bei der Arbeitssuche betrachtet wurde, war der Handarbeitskurs, oft kurz als Nähkurs 240 Angesprochen auf die Selbstbeschreibung mancher Internas als Sklavinnen und der Analyse einiger WissenschaftlerInnen von Hausarbeit als moderner Sklaverei antwortete Padre Isidorio u.a. in Bezug auf sein Verständnis von Heiligung und Würdigung durch Arbeit. Er verwies aber auch darauf, dass „diese Arbeiten niemand will“, dass es um die Frage gerechter Entlohnung ginge und somit auch von den ArbeitgeberInnen abhängig sei: „Es gibt Leute, die sagen, dass die heutige Haushaltsarbeit wie die moderne Sklaverei sei, was sagst du dazu?“ – Padre Isidorio: „Na ja, vielleicht fehlt es dafür nicht (...) an Gründen, aber wir müssen auch bedenken, dass diese Arbeiten niemand will und dass es auch Arbeiten darstellen, welche, wenn man ihnen einen transzendentalen Sinn gibt, große Bedeutung haben. (…) Ich glaube, dass diese Arbeiten würdig sind, gut sind, menschlich sind und dass alle Arbeiten die Personen würdigen. Es muss auch einen Ausgleich zwischen Arbeit und Lohn geben, den manche erhalten müssen, um diese Arbeit zu machen und dann muss diese Person, die diese Arbeit anbietet, sehen, dass diejenige, die sie macht, kein Objekt ist. Sie ist kein Arbeitsinstrument, kein Sklave, nicht? (…) Letztendlich würdigt die Arbeit, heiligt die Arbeit und die Arbeit ist eine Verlängerung von Gottes Werk. Den Sinn der Sklaverei geben wir ihr, nicht wahr?“ – Heike: „Aber (…) die Frauen, die zum Beispiel als Internas arbeiten, fühlen sich nicht sehr gewürdigt, geheiligt.“ – Padre Isidorio: „Ja, aber das hängt schon von der Person, die ihr die Arbeit gegeben hat, ab, und es hängt auch von ihr selbst ab, ihre Rechte einzufordern und auch ihre Pflichten zu erfüllen.“ (Padre Isidorio)
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bezeichnet, ebenso obligatorisch. Den Frauen war es nicht erlaubt, nach dem Kochkurs nach Hause zu gehen. Begründet wurde er von der Leiterin wie folgt: „Ich sehe es [das Nähen] sehr positiv, ich sehe es sehr positiv. Sie [die Migrantinnen] schätzen es nicht. Sie schätzen es nicht, aber es ist sehr wichtig. Schau, wenn sie als Internas arbeiten, dann werden sie dazu angehalten werden, alles Mögliche zu tun. Und auch für sich selbst (...). Anders gesagt, wenn sie einen Hosenbund für sich nähen oder einen Rock kürzen oder sich einen Pullover machen können (...). Sie schätzen es weniger als die Küche. Aber das ist etwas, das für eine Frau, eine Hausfrau wichtig ist.“ (Engracia; vgl. Eingangszitat)
Es ist also etwas, das für eine Frau, definiert als Hausfrau, wichtig ist, wie die Leiterin sagt. Es geht um die Ausbildung in „weiblichen Fähigkeiten“, die jede Frau kennen sollte, also um eine Erziehung zu einer Hausfrau, zur „natürlichen Rolle der Frau“ und so gleichzeitig zur Weckung der hausfraulichen Berufung.241 Die „natürliche Rolle als Hausarbeiterin“ entspricht dabei nicht unbedingt der Selbstwahrnehmung und den Gendervorstellungen sowie Migrationsmotivationen der Kursteilnehmerinnen. Sie fügt sich aber perfekt in die Arbeit von Caritas parroquial von San Ignacio und deren Rekrutierung wie Unterweisung von Hausarbeiterinnen als unhinterfragte Arbeit von (migrantischen) Frauen. Die Unterstützung der spanischen Familien durch eine Hausarbeiterin passt außerdem in die katholische Vision der Familie als „Keimzelle der Gesellschaft“, da das Wohlergehen der Gesellschaft als zutiefst mit dem Wohlbefinden der Familie verbunden verstanden wird, welche es zu schützen und zu unterstützen gilt (vgl. Johannes Paul II 1981, 7). Daher wurde mit der Vermittlung der Hausarbeiterinnen, welche in ihrer Mehrzahl in der Altenpflege arbeiteten, nicht nur den Migrantinnen „etwas Gutes getan“. Gleichzeitig wurden auch die Familien der Gemeindemitglieder unterstützt, welche die Haupt-ArbeitgeberInnen darstellten. Mit Hilfe der migrantischen Hausarbeiterinnen konnten diese ihre Familienangehörigen zu Hause pflegen und/oder Familie und Beruf vereinbaren. Dabei verbanden sich die katholisch-konservativen Vorstellungen von Frausein, von Familie und Arbeit (inklusive Lösung von Arbeitskonflikten sowie Akzeptanz von Arbeitshierarchien als Teil der Heiligung durch Arbeit, Entbehrung und Opfer), um die untergeordnete Position der Hausarbeiterinnen gegenüber ArbeitgeberInnen zu rechtfertigen und zu festigen. Gleichzeitig wurden unterschiedliche Konstruktionen von Weiblichkeit für „Einheimische“ und für „Migrantinnen“ sowie zwei Maßstäbe für das Verständnis von Familie eingeführt: einer für die spanischen Familien und ein anderer für die Migrantinnen, was im Folgenden deutlich wird.
241 Der Handarbeitsunterricht wurde von den Kursteilnehmerinnen je nach Einstellung zur Handarbeit und je nach jeweiliger Situation unterschiedlich bewertet: Wer gerne handarbeitete, fand es eine tolle Möglichkeit, mehr zu lernen bzw. es in Gemeinschaft mit anderen Frauen zu tun. Wer jedoch keine Freude an Handarbeit hatte und vor allem dringend auf Arbeitssuche war, sah darin keinen Sinn und die Pflicht dazu als hinderlich und Zeitverschwendung.
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6.6.3.2 (Potentielle) Mütter und Flexibilitätsprobleme „Das ist das Problem dieser Frauen, dass sie alle Kinder haben.“ (Luis)
Die Mutterschaft migrierter Frauen wurde ambivalent betrachtet. Einerseits wurden Migrantinnen gerade als Mütter, welche ohne ihre Kinder migriert waren, als Opfer von Armut in ihren Herkunftsländern und/oder verantwortungslosen Vätern, als aufopferungsbereite, hingebungsvolle Mütter verstanden, also ganz dem zitierten katholischen Mutterideal entsprechend. Andererseits verhinderten Kinder die notwendige Flexibilität, welche die Attraktivität migrantischer Arbeitsbedingungen für die ArbeitgeberInnen darstellt. Hatten die Frauen daher ihre Kinder in Spanien bei sich, wurde dies als Hindernis für ihre Arbeitsvermittlung gesehen. Luis, der einzige Voluntario, sagte dies im obigen Zitat prägnant: „Das ist das Problem dieser Frauen, dass sie alle Kinder haben.“ Auch Charo kritisierte: „Internas sind viel gefragt und es gibt sehr wenige, weil sie [die Migrantinnen] es nicht wollen. Manche, weil sie Kinder haben und diejenigen, die keine Kinder haben, wollen sich nicht binden.242 (...) Sie wollen: ‚Ich will lieber vier Stündchen am Morgen und vier am Nachmittag.’ Ich sage ihnen: ‚Und ich wollte gerade gerne auf einer Reise sein, aber nachdem ich es nicht kann, dann muss ich halt hier bleiben.’“ (Charo)
Die Frauen sollten also am besten kinderlos und ohne weitere Bindungen und Bedingungen sein, so dass sie den Forderungen der ArbeitgeberInnen nach Flexibilität und Mobilität nachkommen können. Handelte es sich um junge, ungebundene, kinderlose Frauen, sollten diese mit dem Kinderkriegen erst einmal warten. Charo erteilte dazu neben dem Handarbeiten Unterweisung in passender Sexual- und Familienmoral. Sie erzählte mir stolz im Interview: „Aber du kannst nicht in jedem Moment ein Kind haben wollen. Ich sage es ihnen, weil, klar, ich kann es ihnen als verheiratete Person sagen: Der Körper verlangt immer, aber wir beherrschen den Körper mit der Intelligenz. Wir sagen: Ok, Körperchen, jetzt hör auf. Denn vielleicht habe ich ein Kleinkind mit acht Monaten und es ist nicht der Moment, um erneut schwanger werden zu können.243 Denn du denkst, dass du und das Kind und das andere [Kind] nicht unter die Brücke gehen werden. Das darfst du nicht machen. (…) Man muss die Kinder auch verantwortungsvoll bekommen.“ (Charo)
Für Spanierinnen gilt also das Familien- und Frauenideal, Kinder zu bekommen und so ihre Würde und Verantwortung als Frau zu übernehmen (s. oben). Für Migrantinnen hingegen bedeutet es, keine zu bekommen bzw. diese nicht bei sich zu haben oder damit zu warten. Es gab also unterschiedliche Konstruktionen von WeiblichCharo spielt hier auf die Arbeitszeiten und das Gebundensein an den Ort der ArbeitgeberInnen an. Hier zeigt sich das katholische Verständnis von Sexualität und Zeugung, da Charo zur Schwangerschaftsverhütung die Intelligenz zur Kontrolle der Sexualität empfiehlt und zum Beispiel nicht Verhütungsmittel. 242 243
236
6 Arbeit als Hausarbeiterinnen
keit für „Einheimische“ und für „Migrantinnen“ sowie zwei Maßstäbe für das Verständnis von Familie, eines für die spanischen Familien, welche es in ihrer Einheit, Elternschaft, Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu unterstützen galt, und ein anderes für die Migrantinnen, deren Mutterrolle negiert, untergeordnet oder transnational in die Herkunftsländer verlagert wurde. Andall berichtet Ähnliches für die Arbeit der katholischen Kirche mit Migrantinnen in Italien: „But the organization of the Catholic sector´s family support for migrant women effectively meant protection for the Italian family and a parallel but different organization of the family unit for migrant women.“ (Andall 1998)
Die Arbeit der migrantischen Hausarbeiterinnen schützt dabei gerade die spanische bzw. italienische Familien und hilft die Einheit der Familie trotz Veränderungen in den Geschlechterrollen und Tätigkeitsfeldern zu erhalten. Von den Kursteilnehmerinnen wurde daher verlangt, hoch flexibel zu sein und am besten keine Kinder (bei sich vor Ort) zu haben. Migrantinnen werden auf diese Weise aus den öffentlichen Diskussionen um Gender bzw. Genderrollen ausgenommen, da sie lediglich als Arbeiterinnen definiert werden. Als solche ermöglichen sie jedoch die Genderveränderungen der spanischen Frauen. Indem sie selbst systematisch davon ausgeschlossen werden, unterstützen sie den Wandel in der Familienstruktur und im Sozialsystem bzw. fangen diesen auf (vgl. auch Andall 1998 für ähnliche Zusammenhänge in Italien). Während daher MigrantInnen in den öffentlichen Diskursen als Bedrohung für den Lebensstil und die „Wohlfahrt“ der „Einheimischen“ konstruiert werden, sind sie es, die diese erst ermöglichen (vgl. Anderson 2000, 192ff). Dazu bedarf es aber der unterschiedlichen Logiken und der Grenzziehungen zwischen „Einheimischen“ und „MigrantInnen“, weil nur so die Struktur stabil erhalten werden kann, die gerade auf dem Ausschluss bzw. selektiver Rollenzuweisung der MigrantInnen beruht. Ihnen wird konsequent der Zugang zu gleichen Möglichkeiten verweigert, wodurch ihre Rolle im Sozial- und Wirtschaftssystem festgeschrieben wird. So bleibt ihre Position als billige, flexible, ausbeutbare Arbeitskräfte garantiert, die für SpanierInnen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die Pflege zu Hause, die Entlastung bei Haushaltsarbeiten sowie Luxus und Status im Privathaushalt erschwinglich machen und für eine breite Masse ermöglichen. Der Hausarbeitskurs der Pfarrei partizipiert aktiv daran. Die Konzeption der Gemeinde, keine eigene MigrantInnenpastoral durchzuführen, trägt zusätzlich zur Entpersonalisierung und einseitigen Festschreibung als Arbeiterinnen bei, da keine Räume der Begegnung und Anerkennung als Personen geschaffen werden (vgl. die Kritik in der oben zitierten Studie
6.6 Ein Hausarbeitskurs in einer katholischen Gemeinde in Madrid
237
von Aparicio et al. 1999, wo MigrantInnen ähnliche Kritiken an katholischen Hilfsangeboten in Madrid übten).244 Andere Migrationsziele als (bedingungslose) Arbeit galten im Kurs nicht. Vielmehr wurden Projekte, welche nicht der Selbstopferung über die Arbeit in einem spanischen Haushalt entsprachen, als illegitim betrachtet. Wie im Kapitel zur Auswanderung deutlich wurde, sind die Migrationsprojekte der Frauen jedoch plural und nicht alle kommen nach Spanien, um sich für ihre Familien lediglich aufzuopfern (4.2). Engracia und die Voluntarias wussten jedoch nichts von den Plänen und Träumen der Frauen, u.a. auch deshalb, weil die meisten Kursteilnehmerinnen das von ihnen erwartete Bild des armen leidenden Opfers inszenierten, andererseits aber auch keine Chance hatten, sich selbst, ihr Wissen und Können im Kurs einzubringen und nicht nur in ihrer gegenwärtigen und beschränkten Rolle, sondern auch in ihrer Geschichte, Zukunft und ihrer Gegenwart außerhalb des Kurses und der „Mehrheitsgesellschaft“ wahrgenommen zu werden. Im Kurs wurden die Frauen über ihre unterschiedlichen Geschichten, Fertigkeiten und Erfahrungen hinweg zu einer Gruppe homogenisiert, welche auf verschiedenen Zuschreibungen basierte. Dazu gehörte u.a. das Bild als „ungebildete“ Migrantinnen, welches in seiner Absolutheit falsch ist: Viele MigrantInnen und die Mehrzahl der ecuadorianischen MigrantInnen im Konkreten stammten aus der Mittelschicht und verfügten über weiterführende Bildungsabschlüsse (vgl. Gratton 2007, 593). Soziale Prozesse und nicht ihr Mangel an Fähigkeiten oder Ausbildung verwiesen sie hauptsächlich auf bestimmte „migrantische Arbeiten“. Dennoch galten sie im Kurs als ungebildet und „ganz anders“. Auch hierzu äußerte sich Charo, nachdem sie vom Unterrichten in Sexualmoral erzählt hatte: „Aber ich glaube, dass sie es nicht einmal verstehen. (…) Mensch, wenn du dem Körper gibst, dann verlangt er alles. Und je besser du den Körper unter Kontrolle hast, dann wären wir nicht wie die Tiere. (…) Ich sage, dass ich es verstehe, weil, klar, ich bin in eine Familie geboren worden, wo man mir beigebracht hat, dass man eine Ausbildung hat und also sind die Leute auch Opfer dessen, wo sie geboren werden.“ (Charo)
Laut Charo verstanden die Frauen ihre Ratschlägte nicht, was zur Folge habe, dass sie sich weiterhin wie Tiere verhalten würden. Dafür könnten sie aber nichts, weil es ihnen ja niemand beigebracht habe. Für Charo waren die Kursteilnehmerinnen ganz und gar anders sowie Opfer einer postulierten Rückständigkeit ihrer Herkunftsländer.
244
An mehreren Stellen wird in der Studie darauf hingewiesen, dass in den Interviews mit MigrantInnen verschiedenster Herkunft und religiösen Hintergrunds allein die katholische Kirche von den MigrantInnen kritisiert wird. Sie handle lediglich als Arbeitsagentur, böte keinen Ort der Begegnung noch persönliche Anerkennung und behandle die MigrantInnen vielmehr auf kalte und unpersönliche Art und Weise (vgl. Aparicio et al. 1999, 170-171.174.180). Hierauf wird unten (6.6.4.3) nochmals eingegangen.
6 Arbeit als Hausarbeiterinnen
238 6.6.3.3 Die ungebildeten, unzivilisierten Fremden
„Die Leute sind auch Opfer dessen, wo sie geboren werden.“ (Charo)
Ausgesprochenes Ziel des Kurses war die Arbeitsbefähigung und Arbeitsvermittlung der Migrantinnen, also die Integration in den ihnen offen stehenden Arbeitsmarkt, wie Engracia im Eingangszitat zu 6.6 erklärt. Dazu wurde spanische Küche, Bügeln sowie Handarbeit gelehrt. Über die praktische Unterweisung hinaus sollte der Kurs aber auch eine „kulturelle Unterweisung“ in die spanische Kultur und in die „richtige Verhaltensweise in einem spanischen Haushalt“ bieten. Dies beinhaltete neben spanischen Putz- und Essgewohnheiten zum Beispiel auch Pünktlichkeit oder Disziplin, Eigenschaften, welche den Migrantinnen abgesprochen wurden. Pünktlichkeit bzw. die „kategorische Unpünktlichkeit der Migrantinnen“ waren im Hausarbeitskurs ständiges Thema und wurde von Engracia, aber auch anderen Voluntarias wie Charo als Essenz der Problematik und Unvermittelbarkeit der Migrantinnen schlechthin dargestellt (vgl. auch García-Cano Torrico 2004, 157). Dabei fand nicht nur eine Essentialisierung statt, sondern auch eine Form von Schuldzuweisung an die Migrantinnen, welche aufgrund ihrer „mangelnden Arbeitsmoral“ nicht vermittelbar seien. Misserfolge des Kurses und der Vermittlung wurden also mit den Migrantinnen und nicht mit dem Kurs und den Vermittelnden in Verbindung gebracht, was auch García-Cano Torrico von ihrer Studie in Málaga berichtet (vgl. ebd., 169). Es wurde bereits in Bezug auf das Frauenbild und Familienverständnis gezeigt, dass zwei unterschiedliche Maßstäbe für Migrantinnen und SpanierInnen angeführt wurden, was auch hier gilt: Aufgrund der mangelnden Organisation und der Verspätung der Voluntarias begann der Kurs praktisch nie pünktlich. Viele Voluntarias gingen vor dem Kurs in die Messe, welche mal früher, mal später endete und meist gingen sie erst nach der Messe zum Einkaufen, was dazu führte, dass sie nicht rechtzeitig um 10:30 anwesend waren. Die Unpünktlichkeit von SpanierInnen wurde aber komplett ausgeblendet. Dabei war die Unpünktlichkeit der Kursteilnehmerinnen oft auch eine Reaktion auf die Organisation und Durchführung des Kurses. Wer nämlich pünktlich kam, wurde oft zum Putzen der Gemeinderäumlichkeiten eingeteilt. Donnerstags war dies institutionalisiert. Mehrere Frauen wurden (mit „du, du, du, ihr kommt mit“ oder „ich brauche drei!“) anstatt des Kochunterrichts zum Putzen der Kirche abkommandiert, wo sie anderen älteren Frauen der Gemeinde, „Putz-Voluntarias“, beim Putzen der Kirche helfen mussten. Oft wurden KursteilnehmerInnen jedoch auch zum Putzen des Saales, in dem der Handarbeitskurs statt fand, wo aber täglich auch eine SeniorInnengruppe aß, anschließend Karten spielte sowie Kaffee trank und wo regelmäßig abends Sitzungen und Treffen abgehalten wurden, angehalten. Während die Küche und der
6.6 Ein Hausarbeitskurs in einer katholischen Gemeinde in Madrid
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Saal von den Kursteilnehmerinnen sauber hinterlassen werden mussten245, fanden wir morgens immer wieder Stuhlkreise vor, welche wir zurechtrücken mussten, und Schmutz, den wir wegputzen mussten. Das Warten auf eine Voluntaria war daher meist mit Putzen sowie mit Zurechtweisungen, teils Schreien und Erniedrigungen verbunden, vor allem, wenn Engracia anwesend war. Früher oder pünktlich zu kommen, war somit oft nicht nur eine Zeitverschwendung, sondern auch ein SichAussetzen, möglicherweise erniedrigt zu werden. Außerdem kamen die meisten Kursteilnehmerinnen maximal zehn Minuten zu spät, da dies die fest gesetzte Obergrenze des erlaubten sich-Verspätens war. Danach durfte man an diesem Tag (zumindest offiziell) nicht mehr teilnehmen. Innerhalb dieser zehn Minuten spielte sich normalerweise auch die Verspätung der Voluntarias ab. Zwei Beispiele sollen genügen, um die Essentialisierung der Frauen als schlechthin unpünktlich und die unterschiedlichen Maßstäbe für Migrantinnen und Spanierinnen zu veranschaulichen. Hier ein Ausschnitt aus einer Feldtagebuchaufzeichnung: Der Kurs begann an diesem Tag nicht pünktlich, da ein Topf sowie Zutaten fehlten. Wir saßen also herum (...). Engracia kam immer wieder herein und brachte nach und nach die zum Kochen fehlenden Dinge. Um 10:50 verkündigte sie groß, dass nun die Tür abgeschlossen werde und dass, wer jetzt noch käme, nicht mehr reingelassen werde. Die Pünktlichkeit sei in Spanien nämlich sehr wichtig. „Ich gehe davon aus, dass dies woanders auch so ist“, fügte sie hinzu. Dass der Kurs aus Desorganisation um 10:50 noch nicht begonnen hatte, war bedeutungslos.
An einem anderen Tag hielt uns Rosa, die einzige Voluntaria unter 60 Jahren, welche erst gegen Ende meiner Feldforschung zum Kurs stieß, einen Vortrag darüber, dass wir pünktlich sein müssten. Sie betonte essentialistisch-moralisierend: „In euren Ländern seid ihr nicht pünktlich, aber hier müsst ihr es sein. Hier seid ihr in Spanien und müsst es lernen. Das ist eine sehr schlechte Angewohnheit von euch.“ Während sie auf uns einschimpfte, kam eine zweite Voluntaria mit ihren Einkaufstüten in die Küche, um den Kochkurs – verspätet – zu beginnen.
245 Mit den Voluntarias, welche für die Versorgung der SeniorInnengruppe zuständig waren, gab es regelmäßig Konflikte darüber, dass die Küche nicht sauber genug übergeben würde. Dies wurde vor allem mit Schreien und Demütigungen kommuniziert. Einmal wurde ich zum Beispiel angeschrien, ich solle die benutzten Geschirrtücher mit nach Hause nehmen, um sie dort zu waschen. Es sei eine Schande, wie wir alles verschmutzen würden. Wir seien dreckig. Da gerade Charo in den Raum kam, fragte ich sie vor der anderen Voluntaria, welche für die SeniorInnenarbeit zuständig war und mich gerade angeschrien hatte, bis wann sie denn die Geschirrtücher wieder brauchen würde, woraufhin Charo klar stellte, dass die Waschmaschine in der Küche wie immer auch zum Waschen der Geschirrtücher zu benutzen sei und niemand die Tücher mit nehmen muss noch je musste. An der Reaktion der anderen Voluntaria und der offensichtlichen Schikane war klar, dass es nicht um die Geschirrtücher gegangen war, sondern um die Festlegung von Rollen und Hierarchien, wozu einmal mehr die Kategorie Schmutz herangezogen wurde (vgl. 2.1.3).
240
6 Arbeit als Hausarbeiterinnen
Die Absurdität, dass Rosa gerade über die schlechte Gewohnheit der Migrantinnen im Gegensatz zur Pünktlichkeit in Spanien gesprochen hatte, wurde ausgeblendet, da zwei unterschiedliche Maßstäbe gesetzt und auf scheinbar ganz natürliche Weise zwischen Migrantinnen und Spanierinnen unterschieden wurde. Die Unpünktlichkeit von SpanierInnen wurde dabei irrelevant. Der Computerkurs, den ich einmal pro Woche in der Gemeinde erteilte, begann, wie oben bereits kurz erwähnt, oft unpünktlich, weil Engracia und/oder ihre Mitschwestern verspätet zum Aufschließen kamen. Und egal, wie oft ich sie darum gebeten hatte, pünktlich zu sein, wir standen dennoch meist vor verschlossenen Türen. Wenn sich aber die Kursteilnehmerinnen verspäteten und Engracia anwesend war, zögerte sie nicht, diese zurechtzuweisen. Es wurden also Hierarchien betont und innerhalb dieser Rollen zugewiesen, Pünktlichkeit einmal als legitim und ein anderes Mal als „Essenz der kulturellen Minderwertigkeit“ deklariert und moralisch verworfen. Parallel zur Vermittlung in die Haushalte und Bewertung der Arbeitsbeziehungen, geht es auch hier primär um die Moral und das Verhalten der Hausarbeiterinnen, nicht der ArbeitgeberInnen oder wie in diesem Fall der Voluntarias bzw. Engracias. Der Hausarbeitskurs zielte daher nicht nur auf die Vermittlung von Fähigkeiten und Verhaltensweisen, sondern auch auf die Erziehung zu einer bestimmten (Arbeits-)Moral und deren Überprüfung. Wer als Migrantin also nicht pünktlich war (unabhängig von der Pünktlichkeit der SpanierInnen), wer sich nicht unterwürfig zeigte etc., bestand die Prüfung nicht, konnte nicht vermittelt werden.246 Luis und Charo erklärten: Luis: „Klar, man schickt eine Person, die schon bekannt ist, die schon den Kurs gemacht hat. (...) Du kannst keine Unbekannte schicken, weil du nicht die Verantwortung für diese Person übernehmen kannst. Sie kann die beste Person der Welt sein, aber sie kann sich als schlecht erweisen.“ – Heike: „Ist das also der Grund, weshalb manchmal auch Frauen in den Kurs geschickt werden, obwohl sie bereits in einem Haushalt [in Spanien] gearbeitet haben? Um sie kennenzulernen?“ – Luis: „Es kommt darauf an. (...). Aber du kannst nicht eine Person wohin schicken, die du nicht kennst.“ – Heike: „Im Kurs geht es also sowohl um das Vertrauen als auch“ – Charo (unterbricht): „Ja, es ist wie ein Punkt, an dem es sich konzentriert, um dich kennenzulernen, wie du bist, wie“ – Luis (unterbricht): „Du kannst keine [Frau] (...) schicken, wenn du sie nicht kennst.“ (Interview mit Charo und Luis)
246 Für die Voluntarias wurde außerdem der Hausarbeitskurs als Freizeit katalogisiert, für die Migrantinnen sollte es jedoch Arbeit sein, was unterschiedliche Zeitkategorien implizierte, denn in der Freizeit war Pünktlichkeit gerade kein Maßstab. Immer wieder wurde ich von spanischen FreundInnen bei Verabredungen, aber auch zum Beispiel bei Interviewterminen mit den Voluntarias darauf hingewiesen, dass die genannte Zeit nicht exakt zu verstehen sei. Für die „fremden“ Frauen war der Kurs jedoch Arbeit und unter arbeitsbezogenen Zeitkategorien („Pünktlichkeit“) zu verstehen, wodurch für sie diese Unterscheidung nicht gemacht wurde. Waren sie daher unpünktlich, wurde ihnen vorgeworfen, dass sie für eine Arbeitsvermittlung ungeeignet seien und nicht die notwendige Ernsthaftigkeit und Arbeitsmoral aufwiesen.
6.6 Ein Hausarbeitskurs in einer katholischen Gemeinde in Madrid
241
Die Antwort auf meine Rückfrage, ist hier entscheidend: Mir war aufgefallen, dass Frauen, welche bereits mehrere Jahre in spanischen Haushalten gearbeitet hatten und spanische Küche und Haushaltsführung konnten, dennoch in den Kurs geschickt wurden. Charo und Luis erklärten es hier: Es geht darum, die Frauen kennenzulernen und so für deren Arbeit, deren Person, deren Einstellung und (Arbeits)Moral garantieren zu können und also nicht unbedingt um die Ausbildung. So lässt sich auch die Bedeutung der (Un-)Pünktlichkeit wie auch anderer angemahnter Eigenschaften verstehen: Neben den essentialistisch-ethnisierenden negativen Zuschreibungen ging es um konkrete Qualifikationen, die als Garanten der „Qualität“ der zu vermittelnden Arbeitskraft dienen sollten. Mónica charakterisierte von sich aus in einem Interview den Hausarbeitskurs als Moralunterricht. Teile des Zitats wurden oben bereits angeführt: „Sie unterrichten Moral, wie soll ich sagen, Moralerziehung – dass wir uns so und so verhalten sollen (...) und ohne zu wissen, wie wir sind. Denn wir wissen, was wir sind und kennen die Verantwortungen, die wir haben. Wenigstens ich bin mir darüber im Klaren und ich weiß, (...) was mich erwartet (...) und was ich machen muss. (...) Als ob wir ihre Soldaten wären und sie unsere Oberst, die uns befehlen müssen, und wir selbst die Soldaten, die dem, was man ihnen sagt, gehorchen müssen. Und das darf nicht so sein. Ich wünschte mir, dass sie ein bisschen menschlicher werden würden und sich mehr mit uns auseinandersetzten. Denn wir sind menschliche Wesen. (...) Mit Mariela [einer Voluntaria] gefällt es mir hingegen. (...) Sie ist verständnisvoll, sie hört zu und sie redet [mit uns].“ (Mónica)
Mónica kritisiert hier, dass im Kurs Moral in Form von Befehlen und Gehorsam, Unterordnung und Erniedrigung sowie Entpersonalisierung unterrichtet wird, in mehrfacher Hinsicht. Sie weist u.a. daraufhin hin, dass sie ihren sozial adskribierten Ort und ihre Rolle in Spanien kenne und nicht noch zusätzlich diszipliniert und gebrochen werden müsse: „Ich weiß, wozu ich hierher gekommen bin und was ich machen muss.“ Sie kenne ihren Ort und ihre Rolle in Spanien, betonte sie, der Kurs müsse ihr diesen nicht erst zeigen, muss sie also nicht initiieren (vgl. Kap. 5.2.3), behandle sie jedoch, als ob dies, und nicht das Lernen bestimmter Fähigkeiten, das Wichtigste sei.247 Neben der Unpünktlichkeit, welche kulturalistisch als Inbegriff der Charakterisierung und Festschreibung der Migrantinnen als Fremde diente, wurden die Teilnehmerinnen auch mit anderen negativen Konnotationen versehen. So beklagten sich Engracia wie auch andere Voluntarias immer wieder, dass die Frauen ihre Arbeit einfach aufgäben und es ihnen an Konstanz fehle. Aus Gesprächen mit besag247 Dabei entspricht der Hausarbeitskurs ganz der Logik der bezahlten Haushaltsarbeit, welche über eine bestimmte Rolle und nicht konkrete Aufgaben definiert wird (vgl. Kap. 6.4), weshalb die Erlangung des Habitus einer (unterwürfigen) Hausarbeiterin eine wichtige Arbeitsqualifikation darstellt: Mit der Unterweisung in Moral und Unterordnung werden die Frauen quasi zu „perfekten Hausarbeiterinnen“, welche ihre Rolle einnehmen und ihre Persönlichkeit (Fähigkeiten, Bedürfnisse etc.) den Ansprüchen der ArbeitgeberInnen unterordnen.
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6 Arbeit als Hausarbeiterinnen
ten Frauen wusste ich jedoch, dass sie ihre Arbeit aufgrund von sexuellen Belästigungen oder anderen Gewaltformen verlassen hatten.248 Die Sozialarbeiterin und die Voluntarias erfuhren meist nicht von diesen Fällen, da sie einerseits nicht nachfragten, sondern sofort Vorwürfe machten, andererseits, weil sie im Kurs die quasi übergeordneten Rechte der ArbeitgeberInnen unterstrichen. Sie erzogen die Migrantinnen im Kurs in eine untergeordnete Machtposition und wurden daher als mögliche Helferinnen meist gar nicht betrachtet oder hatten bereits durch verweigerte Unterstützung zuvor enttäuscht (vgl. die Studien von Rul-lán-Buades 1998, 136.160 sowie Aparicio et al. 1999, 170 für Berichte aus anderen katholischen Institutionen). Andere Negativzuschreibungen besagten, dass die migrantischen Kursteilnehmerinnen unzuverlässig, unverantwortlich und langsam seien. Zwar seien die Hispanos, wie Luis bereits zitiert wurde, für die Arbeit mit alten Menschen und Kindern phänomenal. Aber wenn es um Arbeit249 ginge, seien sie einfach langsam. Charo und Luis erklärten: Luis: „Es sind sehr gute Menschen, im Moment der Arbeit sind die Hispanos [aber] sehr langsam. (....) Sie machen die Sachen gut, aber sie sind langsamer. Das mag das Klima sein oder was auch immer (...).“ – Charo: „(...) Sie haben nicht unseren Charakter, vielleicht liegt das am Klima. Von den Orten, wo es kälter ist, sind sie vielleicht schneller und wenn die Leute an Orten wohnen, wo es sehr heiß ist, dann sind sie für gewöhnlich langsamer wegen des Problems der Hitze.250 (...) Sie [die Kursteilnehmerinnen] sind langsam und ich sehe das. Ich sehe das im Kurs, dass ich aufstehe, den Tisch decke, ihn abtrage, ihn decke (Seufzen) und sie schauen mir zu (…) Das sagen dir alle, dass es so ist, wie ich geschlussfolgert habe, dass in dem Land, aus dem sie kommen, das Klima, dass sie aus einem anderem Holz sind. Es ist eine andere Struktur. Das ist nicht, dss sie langsam sein wollen, dass sie kommen und sagen: ‘Ok, hier werde ich langsam sein.’“ (Interview mit Luis und Charo)
Mit dem Hinweis auf das Klima entschuldigen Luis und Charo quasi die Frauen, führen jedoch ein deterministisches und homogenisierendes Verständnis der Herkunft ein, auch wenn Charo im weiteren Verlauf des Interviews einräumt, dass mit der Zeit sich der Einfluss des neuen Klimas in Spanien positiv auswirken könnte. Diese naturalistische und negative Zuschreibung ist jedoch nicht singulär, sondern ist Teil der dominanten sozialen Konstruktion von MigrantInnen als „die Anderen” und wird auch in anderen Studien berichtet (z.B. García-Cano Torrico 2004, 168). Charo drückt dies im Eingangszitat sehr deutlich aus: „Die Leute sind auch Opfer dessen, wo sie geboren werden.“ Sie sind also Opfer, können nichts dafür, dass sie Dinge nicht können, anscheinend unfähig und unterentwickelt sind; sie vgl. den Fall von Nancy, welcher in Kapitel 6.4.1 berichtet wurde. Im Duktus des Interviews scheint es, als ob die „Altenpflege“ vom „Arbeiten“ unterschieden wird und Luis diese als „Nicht-Arbeit“ betrachtet. Es ist jedoch nicht eindeutig. 250 Charo und Luis erklären dies im Folgenden in Bezug auf Spanien, wo sie dies auch in den Unterschieden zwischen SpanierInnen aus Nordspanien und aus Andalusien reflektiert sehen. Danach kommen sie wieder auf die Migrantinnen zurück. 248 249
6.6 Ein Hausarbeitskurs in einer katholischen Gemeinde in Madrid
243
können diesem nicht entgehen. Dabei schwingen nicht nur Festschreibungen und Essentialisierungen, sondern ganz klare Hierarchisierungen mit. Padre Isidorio antwortete mir auf die Frage, ob er Unterschiede zwischen LateinamerikanerInnen erkennen könnte, u.a. mit dem Hinweis darauf, dass Argentinien und Chile „zivilisierter“ seien, da sie Europa näher stünden. „Ich glaube, dass im Allgemeinen alle Südamerikaner, zumindest, was wir unter Mittelamerika und Südamerika verstehen, – ohne Argentinien, Chile als zivilisiertere Länder, die näher an Europa sind –, ich traue mich nicht, es ist eine Verallgemeinerung, und das wäre nicht gut, aber doch, dass sie abergläubischer sind.251“ (Padre Isidorio)
Padre Isidorio bezeichnet hier SüdamerikanerInnen als „abergläubischer“, auch wenn er sich mit einer Verallgemeinerung schwer tut und benutzt den Begriff „zivilisierter“ bzw. implizit, „unzivilisiert“ oder „weniger zivilisiert“. Er macht dabei kein bloßes Statement über kulturelle Unterschiede, sondern qualifiziert diese modernistisch aus der Sparte der „weiter oben Stehenden“, „in der sozialen Evolution weiter Gekommenen“. Es wird auf diese Weise kollektiv eine Überlegenheit und „natürliche Hierarchie“ zwischen SpanierInnen/EuropäerInnen und MigrantInnen festgeschrieben, welche die Machtausübungen über sie rechtfertigt. Wie bereits ausgeführt wurde, situiert sich der Pfarrer mit diesem Denken in der kolonialen Geschichte und deren Einfluss auf die heutige soziale Konstruktion dessen, was unter Migrant und Migrantin verstanden wird (vgl. Nash 2000, 284; 2.1.1), wozu u.a. die imperiale Expansion und das damit verbundene rassistische Denken gehören (vgl. Lutz 2002b, 61), welches in modernisierenden und zivilisatorischen Termini erklärt wurde. Die katholische Kirche hatte als evangelisierende und auf diese Weise christlich zivilisierende Institution aktiv daran Anteil. Die dabei geschaffenen Dualitäten prägen auch die dominanten Wahrnehmungs- und Handlungsschemata im Hausarbeitskurs: entwickelt/nterentwickelt; zivilisiert/unzivilisiert; wir/sie; Kultur/Natur (Klima); berechtigt/außerhalb des Rechts. Diese Zuschreibungen begründeten damals wie heute eine soziale Hierarchie aufgrund einer postulierten natürlichen Überlegenheit über die so definierten Niederstehenden (vgl. Nash 2000, 286; 2.1.1). Obwohl es heute in Spanien eine differenzierte und differenzierende Geschichtschreibung gegenüber der Kolonialisierungs- und Evangelisierungstätigkeit Spaniens gibt, wird von vielen SpanierInnen und VertreterInnen der katholischen Kirche wie auch anderer gesellschaftlicher Sektoren das zivilisatorische und evange-
251 Padre Isidorio hatte im Gespräch zuvor auf meine Frage nach der religiösen Praxis der MigrantInnen darauf kritisch geantwortet, dass die lateinamerikanischen Gemeindemitglieder „immer noch sehr abergläubisch“ seien, wie er sagte. Er stellte dies den spanischen Gläubigen gegenüber und mahnte an, dass er sich frage, “ob dies überhaupt ein christlicher Glaube ist“. Ich fragte daraufhin mehrere Aspekte nach, u.a., ob er Unterschiede unter LateinamerikanerInnen erkennen könne. In der Antwort kam daher die Referenz auf den “Aberglauben”.
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6 Arbeit als Hausarbeiterinnen
lisierende Werk durch die Kolonialisierung als alleinig positiv oder vornehmlich positiv verstanden und stolz hervorgehoben. So erklärte mir auch Padre Isidorio: „Ich glaube, dass die Entdeckung Amerikas durch Spanien im Jahr 1492 durch Christoph Columbus, ich glaube, dass das eines der größten Werke war, das unser Land vollbracht hat, oder? Es gab eine „schwarze Legende“ [eine kritische, negative Darstellung der spanischen (Kolonial)Geschichte], nicht wahr? Vielleicht gab es auch Fehler, aber ich glaube, dass es auch eine Kolonialisierung war, wo es christliche Prinzipien gab. (...) Aber alles, was die Entdeckung, die Kolonialisierung Amerikas durch Spanien war, ich glaube, dass das etwas ziemlich Gutes war, nicht? (...) Und zwischen Gutem und Schlechten und einer fälschlicherweise genannten „schwarzen Legende“, glaube ich, dass es etwas ziemlich, ziemlich Positives war, oder? (...) Im Allgemeinen glaube ich, dass es ein Werk war, auf das wir Spanier sehr stolz sind.“ – „Und was ist dieses Gute?“ – „Ich glaube, die ganze evangelisierende Aufgabe, die Aufgabe der Förderung eines menschenwürdigen Lebens, die Aufgabe, all diesen Ländern dabei zu helfen, sich zu entwickeln und dann auch als die Unabhängigkeit im 19. Jahrhundert war, nicht wahr? (...)“ – „Und Förderung eines menschenwürdigen Lebens in welchem Sinn?“ – „Indem erkannt wurde, dass die Personen, die es dort gab, keine bloßen Indios waren, sondern dass sie auch Personen waren, auch wenn es dort Sklaverei [unter ihnen] gab, oder?“ (Interview mit Padre Isidorio)
Padre Isidorio betont hier, dass die Kolonialisierung für Lateinamerika ein Glücksfall gewesen sei, da sie ökonomische, soziale, politische wie menschliche Entwicklung gebracht hätte. Auch wenn es dabei negative Aspekte der Kolonialisierung gegeben haben mag, überwiegt laut Padre Isidorio das „gute Werk“ der Kolonialisierung aufgrund von Evangelisierung und Ermöglichung der verschiedenen Formen von Entwicklung.252 Etablierte Machtbeziehungen, Ausbeutung und Gewalt(same Evangelisierung, Entwicklung etc.), all dies sind für ihn untergeordnete, unwichtige Aspekte dieser Geschichte. Ähnlich verhielt es sich im Hausarbeitskurs: Machtfragen wurden nicht reflektiert, die Hierarchien als natürlich gegeben angenommen und die verschiedenen sozial etablierten Differenzierungen und deren Mechanismen unhinterfragt (re-)affirmiert. Wurde die Logik (durch eine Voluntaria oder Migrantin) durchbrochen, wurde dies sanktioniert. Die imperiale Expansion Europas und deren politische wie ökonomische Ziele wurden und werden in den dominanten Diskursen oft mit der Hilfe an die (kulturell, technologisch, menschlich und religiös) scheinbar unterentwickelten Völkern legitimiert. Auch die Vermittlung und Anstellung von Hausarbeiterinnen wird von Vermittelnden und ArbeitgeberInnen häufig als „Hilfe an die armen Frauen und deren armen Familien“ betrachtet, also als persönliche Entwicklungs- und Emanzipationshilfe (vgl. auch Lutz 2002a, 9).253 Die Fragen nach adäquaten Lohn- und Arbeitsbedingungen werden auf diese Weise nicht mehr im Kontext der spanischen 252 Vgl. die Rede von Papst Benedikt XV 2007 in Brasilien, in der er sagte: „Christus war der Erlöser, nach dem sie [die indigene Bevölkerung Lateinamerikas vor der Eroberung und Evangelisierung] sich im Stillen sehnten.“ Vgl. http://www.vatican.va/holy_father/benedict_xvi/speeches/2007/may/ documents/hf_ben-xvi_spe_20070513_conference-aparecida_ge.html [25.03.2009] 253 Eine zivilisatorische Idee wurde zum Beispiel auch im 19. Jahrhundert in Bremen für die Dienstmädchenarbeit in Form einer sogenannten „Zivilisationsoffensive“ (vgl. Friese 1991, 250) vertreten.
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Gesellschaft, sondern quasi internationalisiert im Kontext der internationalen ungleichen Verhältnisse behandelt und dadurch die Ausbeutungsverhältnisse verdeckt. Die Praxis in Spanien wird so nicht mit in Spanien geltenden Kriterien bewertet. Die unterschiedlichen Maßstäbe werden als Spiegelung der verschiedenen Ausgangsbedingungen analysiert, wodurch Machtfragen und Hierarchien in den Arbeitsbeziehungen nicht hinterfragt werden müssen, da sie anscheinend natürliche Hierarchien im Entwicklungsgrad spiegeln. Es erscheint so als normal und natürlich, die Einwanderung in nationalen Termini und in Bezug auf die Vorteile für Spanien zu denken und zu rechtfertigen, wie dies der Pfarrer der Gemeinde machte. Er stellte dabei den Zusammenhang zwischen spanischer Kolonie, ökonomischen Interessen und heutiger Einwanderung her. „Ich glaube, dass die Einwanderung eine Bereicherung für das spanische Volk ist. Es ist auch das, was wir vor vielen Jahren, da um 1492, (...) nach Amerika brachten. Das ist in gewisser Weise eine Investition, die wir machten und ich glaube, dass sie uns Gewinn bringt, oder? Man muss die Migration nämlich positiv sehen, als Reichtum, nicht wahr?” (Padre Isidorio)
„Die Migration als Reichtum zu verstehen“, wie Padre Isidorio dies sagt, ist eine klare nationalistische Sichtweise und unterscheidet einmal mehr auf innerhalb dieses dominanten Denkens scheinbar natürliche Art und Weise zwischen „den Anderen“ und den „SpanierInnen“, zwischen „Amerika“ und „Spanien“. Indem die MigrantInnen ihren zugeschriebenen Platz einnehmen, tragen sie zum Reichtum der SpanierInnen bei und zahlt sich die Investitition, wie er dies nennt (nachdem die ExKolonien keinen direkten Reichtum mehr für Spanien erwirtschaften), aus.254 Dazu ist es aber entscheidend, dass die Frauen als Migrantinnen ihren Platz einnehmen und behalten. Wenn die Frauen die von ihnen erwarteten unterwürfigen Haltungen nicht erfüllten und zum Beispiel ungerechtfertigte Regeln nicht einhielten, wurden sie daher auch immer wieder durch Befehle, Beschimpfungen, Willkür und Demütigungen „kulturell erzogen“. Dieses Einnehmen des Platzes, die Konnotationen und damit verbundene Erziehung möchte ich an einem Beispiel (von vielen) veranschaulichen, welches die hierarchischen Oppositionen von oben/unten, (absurder) Befehle/Ausführung, Bewegung/Sitzen deutlich macht. Es handelt sich um eine „klassische Aschenputtelszene“: Angeles, die Voluntaria, welche uns an diesem Tag Kochunterricht erteilen sollte, konnte aufgrund einer Desorganisation des Kurses noch nicht mit dem Kochunterricht beginnen und war auf der Suche nach einer Beschäftigung für uns, die wir uns angeregt unterhielten und die freie Zeit nutzten, um uns auszutauschen. Sie war dazu aus der Küche gegangen und kam plötzlich zurück, wies uns schroff an, wir sollten uns alle an die Tische um die Herdplatten setzen, woraufhin sie vor jeder von uns einen Haufen von Linsen ausleerte, die wir sodann verlesen sollten, und zwar einzeln: 254 Wobei Padre Isidorio hier nicht nur von ökonomischem Reichtum redet, sondern auch von kulturellen und religiösen Werten.
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Sie stand in der Mitte des Kreises, disziplinierte uns und wir saßen je über einem Haufen Linsen gebeugt, welche bereits in der Fabrik vorsortiert waren und welche sich leicht verlesen ließen und es nicht nötig machten, diese einzeln hin und her zu schieben. Sie stand also, wir saßen; sie gab uns Befehle, wir führten diese aus, obwohl sie uns unnötig erschienen; sie schimpfte, wir schwiegen. Nachdem wir zuvor sehr aktiv waren, waren wir künstlich still und stumm gemacht worden.
Derartige Momente gab es immer wieder. Durch Befehle, Beschimpfungen, Willkür und Demütigungen erfolgte eine eigene Art kultureller Erziehung. Teilweise wurden die Frauen aber auch in Form eines „Erniedrigungsrituals“ durch Engracia gedemütigt, wodurch die Hierarchien und zugeschriebenen, angenommenen Rollen zwischen Migrantinnen und SpanierInnen, Haushaltsarbeiterinnen und ArbeitgeberInnen bzw. Lehrerinnen akzentuiert und die Kursteilnehmerinnen diszipliniert wurden. Ritualisierte Entwürdigungen sind auch für die Arbeitsbedingungen in einem Haushalt üblich und können im Extremfall physische Gewalt beinhalten wie Anderson aus ihren Studien in Großbritannien berichtet: „In the UK, workers have reported broken bones, beatings and an almost ritualised violence used overtly to demonstrate the employer´s control over the worker, similar to the degradiation expressed through work.“ (Anderson 2000, 136)
Der Disziplinierung und Erziehung zur Hausarbeiterin diente auch das so genannte „taller de comunicación“, ein „Kommunikationsworkshop“, welcher zum Ende meiner Feldforschung im Kurs, als ich mich bereits ziemlich zurückgezogen hatte (und Ende des Kurses vor der Sommerpause) einmal pro Woche anstatt der Handarbeit stattfand. Engracia bat mich, diesen zu leiten und gab mir dazu Materialien von einer anderen Gemeinde. Die Materialien behandelten „kulturelle Unterschiede zwischen MigrantInnen und SpanierInnen“, aber auch Tipps für die Arbeitssuche und das Vorstellungsgespräch. Ich fand dies ein durchaus brauchbares Material, hatte jedoch als erstes die Frauen nach ihren Wünschen und Bedürfnissen gefragt, woraufhin diese die Notwendigkeit geäußert hatten, einen Raum des Austausches und der gegenseitigen Unterstützung zu eröffnen. Da auch Engracia mir gegenüber die Stärkung der Personen und das Einbringen ihrer Ressourcen und Fähigkeiten als mögliche Ziele des „taller de comunicación“ genannt hatte, definierte ich dieses zu einem offeneren Raum ohne strikte Leitung um. Gemeinsam als Gruppe legten wir Themen und wechselnde Diskussionsleiterinnen fest. Engracia war davon nicht überzeugt und forderte sodann immer mehr bestimmte Inhalte und Vorgehensweisen sowie eine autoritäre Rolle von mir ein. Zusammen mit verschiedenen Aussagen von Voluntarias wurde mir mit der Zeit erst klar, dass der praktische Sinn des Gesprächskreises darin bestehen sollte, den Frauen Moral zu lehren. Engracia sagte mir mit der Zeit immer wieder, dass ich den anderen Frauen beibringen sollte, dass sie in einem Vorstellungsgespräch nicht gleich nach dem Lohn fragen sollten und dass ich sie kulturell wie moralisch erziehen sollte. So sagte mir einmal auch Charo,
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als sie sich über die Teilnehmerinnen und deren mangelnde Disziplin beschwerte, dass ich das ja verstehen würde, „du, die du sie unterrichtest“. Sie setzte dabei voraus, dass ich die Frauen moralisch unterweisen würde und dabei einen Beitrag zur Lösung der von ihr beschriebenen Probleme (Unpünktlichkeit, Unzuverlässigkeit etc.) leisten könnte. Auch Rosario sprach mich beim Interview mit ihr auf meine Rolle als „Erzieherin“ der Migrantinnen an. „Du weisst, dass man die Sachen sagen muss. Du, die du da bei ihnen bist und sie erziehst, du wirst das wissen.“ – „Ich erziehe niemanden!“ – „Ok, die du ihnen Vorträge darüber hälst, wie sie sich verhalten sollen, über die Gewohnheiten und so, du weisst, dass sie sich ändern und diese Sachen lernen müssen.“ (Interview mit Rosario)
Da wurde mir erst klar, welches die mir zugeschriebene Rolle war und welches der eigentliche Sinn und Ziel des „Taller de comunicación“ sein sollte, nämlich die Frauen zu erziehen, ihnen Vorträge zu halten, wie sie sich richtig zu verhalten hätten etc. Neben diesem „taller der comunicación“ gab es außerdem ein sogenanntes „taller de cultura“, also einen „Kulturworkshop“. Anstatt der Handarbeit wurde Frauen, welche kein Spanisch konnten, Sprachunterricht erteilt sowie Analphabetinnen Lesen und Schreiben beigebracht. Diese Angebote wurden von verschiedenen Voluntarias wie Voluntarios durchgeführt, welche, wie es schien, recht unabhängig vom restlichen Kurs agieren konnten, aber nicht regelmäßig kamen. Die Teilnehmerinnen an diesem „Kulturworkshop“ waren in der Regel sehr glücklich und dankbar über dieses Angebot. Lourdes aus der südlichen Sierra Ecuadors war zum Beispiel begeistert über ihren Unterricht in Lesen und Schreiben und war glücklich, dass sie sich nun einen langjährigen Traum erfüllen konnte. Der Schreib- und Sprachunterricht fand jedoch nur vereinzelt statt, da Analphabetinnen und nicht-Spanischsprachige unter den Kursteilnehmerinnen eine große Ausnahme darstellten. Dennoch existierte in der Gemeinde das Stereotyp, dass die Kursteilnehmerinnen generell ungebildet bzw. Analphabetinnen seien. Mehrfach wurde mir dies von der Sozialarbeiterin und verschiedenen Voluntarias als Problem und als Grund deren „logischer“ Verweisung auf die Hausarbeit genannt. Auffällig ist, dass die migrierten Frauen offiziell und von den bestimmenden Personen im Kurs nie nach ihren Kenntnissen und Fähigkeiten gefragt wurden. Auf diese Weise bestätigte sich das Vorurteil von selbst, da die Frauen im Kurs Lernende, hierarchisch Unterstellte waren und keinen Raum hatten, ihre Fähigkeiten zu nennen oder unter Beweis zu stellen. Vielmehr waren Frauen, welche den Anforderungen und Stereotypen entsprachen, erfolgreicher und wurden schneller vermittelt. Auch wenn es also je nach Bedarf Alphabetisierungs- und/oder Spanischunterricht gab, war meiner Meinung nach im Hausarbeitskurs unter „kultureller Unterweisung“ primär die Einweisung in das ideale Verhalten der „Unterschicht“ gegenüber ihren „HerrInnen“ und somit in die Interaktionen gemeint, von denen ange-
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nommen wurde, dass sie zwischen ArbeitgeberInnen und Hausarbeiterinnen stattfinden würden. Diese waren zutiefst hierarchisch und abgrenzend gedacht und entsprachen nicht unbedingt den anschließenden konkreten Arbeitsverhältnissen, welche durchaus weniger hierarchisch und erniedrigend sein konnten. Bei der Disziplinierung der Kursteilnehmerinnen handelte es sich daher nicht um eine „unlogische“, „falsche“ oder „ungerechte“ Behandlung der Migrantinnen, sondern um eine innerhalb der Logik der Haushaltsarbeit „normale“ und „notwendige“ Form der „Ausbildung“. Dazu dienten Differenzierungsmechanismen, Rollenunterweisungen und deren Rechtfertigungen. Die Schaffung und Betonung von kulturellen oder ethnischen Unterschieden essentialisierte dabei die Unterschiede und ordnet sie in die spanische Gesellschaftsstruktur ein, in welcher den LateinamerikanerInnen (aber auch anderen „Fremden“) sowohl durch die Kolonialgeschichte und die damit verbundene Konstituierung des „Spanischen“ als auch anderen negativen Konstruktionsprinzipien ein untergeordneter Platz zugewiesen ist. Die kulturellen Unterschiede wurden auf diese Weise in soziale, politische und legale Unterschiede übersetzt bzw. naturalisiert, weshalb auch die „kulturelle Erziehung“ bzw. „Zivilisierung“ eine Unterweisung in die bereits vorherbestimmte soziale Rolle als Haushaltsarbeiterinnen darstellte. 6.6.3.4 Außerhalb des Rechts „Wenn ich aber nach dem Gesetz nicht arbeiten dürfte, dann überlege ich es mir ein bisschen, wenn ich dem Chef widerspreche.“ (Engracia)
Die Kursteilnehmerinnen wurden in Bezug auf ihren legalen Status generell als irregulär aufhältig (obwohl sich manche regulär in Spanien aufhielten) behandelt. Dadurch wurde eine vordefinierte Nicht-Zugehörigkeit und Rechtlosigkeit in Spanien betont, welche die Behandlung sowie den Anspruch an sie, Arbeit zu schlechten, ausbeuterischen Bedingungen anzunehmen, begründete. Der irreguläre Aufenthaltsstatus wurde als Argument dafür verwendet, dass die Kursteilnehmerinnen keine Bedingungen und Forderungen stellen dürften. Engracia erklärte mir in einem Interview: „Wenn du sie [reden] hörst, dann werden sie dir sagen, dass sie sich ausgebeutet fühlen (...) Dort im Kurs, sie [die Migrantinnen] sind ohne Papiere. Aber wir (…) gehen von einer Situation aus, in der viele Fälle von Mißbrauch und viele Probleme daher kommen, dass sie nicht regulär aufhältig sind! Also, da sind nicht regulär hier sind, (…) können sie auch nichts kritisieren.“ (Engracia)
Die Sozialarbeiterin Engracia spricht hier im Sinne einer „selbst verschuldeten Illegalität“ und betont, dass viel Missbrauch durch die irreguläre Situation der Migrantinnen geschehe und dass diese daher kein Recht hätten, ausbeuterische Arbeitsbedingungen abzulehnen, diese zu kritisieren noch den ArbeitgeberInnen zu wider-
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sprechen.255 Dies war eines der immer wiederkehrenden Argumente. So betonte beispielsweise auch Charo im oben bereits zitierten Interview: „Das ist ein riesiges Problem, weil dann müssen sie sich an das anpassen, was man ihnen hier geben möchte. Deshalb sagen sie, dass es Arbeiten seien, die erniedrigen. Da sie [aber] ohne Vertrag weder offiziell noch legal kommen, – wenn sie ihren Vertrag und ihre Papiere hätten...“ (Charo)
Die Arbeit der Kirchengemeinde wurde dabei in einer rein funktionalen Integration der (undokumentierten) Migrantinnen in einem ihnen vorbestimmten sozialen Ort zu von ihnen zu akzeptierenden Bedingungen verankert. Auf diese Weise wurde die politische Dimension der Migration und der unterbezahlten Haushaltsarbeit verdunkelt und die strukturelle Diskriminierung im Zugang zu und im Verständnis von „Citizenship“ naturalisiert. Die gewollt apolitische Arbeit in der Pfarrei stand dabei im Gegensatz zu Positionen von Caritas española, welche für Regularisierungen und bessere Bedingungen von MigrantInnen kämpft.256 Die Verantwortlichen des Kurses sprachen zwar zeitweise auch davon, dass eine Regularisierung wünschenswert wäre, die Behandlung der Kursteilnehmerinnen in der Praxis ließ davon jedoch nichts spüren: Es erfolgte eine Betonung von Unterschieden, von Sozialhierarchien und Machtstrukturen, von „richtigem“ und „falschem“ Verhalten und eine Einforderung der (sozialen) Unterordnung. Dabei hätte die Pfarrei und ihre Arbeitsvermittlung eine zentrale Machtposition als Vermittlerin zwischen Hausarbeiterinnen und ArbeitgeberInnen inne und könnte bestimmte Bedingungen aushandeln: Wie unter 3.4.5 ausgeführt, versuchen ArbeitgeberInnen durch die Arbeitsvermittlung über Bekannte oder vertrauensgebende Institutionen den Unsicherheiten und möglichen Risiken zu begegnen, welche mit der Einstellung einer fremden Person im Privathaushalt und dem Überlassen von Schutzbefohlenen und/oder Wertgegenständen verbunden sind. Die Gemeinde benutzte jedoch ihre Position als Brokerin und Garantin der „Qualität der Arbeit“ sowie „moralischen Integrität“ der von ihnen vermittelten Frauen nicht, um Mindeststandards bezüglich Löhne und Arbeitsbedingungen festzulegen und zu verhandeln.257 Vielmehr gebrauchte sie ihre starke Position als „Gatekeeper“ (vgl. Momsen 1999, 8) einseitig zur Kontrolle und Disziplinierung der Migrantinnen. Die Garantie guter Arbeitsbedingungen und der 255 Als Gegenschablone wird dabei immer wieder die spanische Auswanderung innerhalb des Gastarbeiterregimes angeführt, welche im Gegensatz zur Einwanderung nach Spanien mit Papieren und geregelt erfolgt sei. Augusta wies im Interview auf die Auswanderung ihres Mannes nach Deutschland hin, berichtete aber gleichzeitig, dass ihre Tochter nicht dieser Meinung sei, was zeigt, dass es keinen Konsens darüber gibt: „Meine Tochter sagte mir: ‘Mama, du nicht, sag du nichts, weil Papa ist auch nach Deutschland gegangen.’ (...) Ich sage: ‘Aber dein Vater ging, da waren wir noch unverheiratet. Er ging mit seinem Arbeitsvertrag, seinem Gesundheitszeugnis (...) und er ging, um zu arbeiten und ein paar Peseten zu sparen. Als ein paar wenige Jahre vorbei waren, kam er zurück und fertig.’“ (Augusta) 256 vgl. dazu auch Itçaina/Dorangricchia, unveröffentlichtes Manuskript. 257 Dies wird Pfarreien von MigrantInnenorganisation wie zum Beispiel Rumiñahui auch vorgeworfen.
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Schutz der Frauen war zwar mir in den Interviews erklärtes Ziel der Rekrutierungsbörse. Ich erlebte es in meiner monatelangen Feldforschung jedoch nie, dass zugunsten der Migrantinnen interveniert wurde. Auch wenn die Sozialarbeiterin vielleicht vereinzelt eingriff, beschwerten sich sie und die meisten Voluntarias mir gegenüber vielmehr mehrfach, dass die Frauen nicht bereit seien, bestimmte Arbeitsangebote anzunehmen, weil sie den Lohn oder die Arbeitsbedingungen zu schlecht fänden.258 Da sie aber irregulär in Spanien aufhältig seien (was nicht für alle Kursteilnehmerinnen zutraf), hätten sie auch keine Möglichkeit, kein Recht, etwas Anderes zu verlangen, so der immer wiederkehrende Vorwurf und die naturalisierte Selbstverständlichkeit, die Mittlerposition der Gemeinde zugunsten der ArbeitgeberInnen und nicht zugunsten bestimmter Mindestbedingungen für die Haushaltsarbeiterinnen zu nutzen. Dazu gehörte auch die Forderung, plurale Strategien der Arbeitssuche und die damit verbundene Wahlmöglichkeit unter verschiedenen Arbeitsangeboten aufzugeben, wie folgendes Beispiel von Lydia deutlich macht: Lydia war über die Kirchengemeinde zu einem Vorstellungsgespräch vermittelt worden. Die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung waren jedoch sehr schlecht. Die zukünftige Arbeitgeberin, Tochter des zu pflegenden Ehepaares, hatte ihr gesagt, dass ihre Eltern schwierig seien, da in ihrer Mutter die Liebe gestorben sei, so hätte die Frau gesagt. Sie wolle jedoch nicht, dass ihre Eltern sich trennten, weshalb eine Pflegerin neben den sonstigen Aufgaben auch die Ehekrise der Eltern lösen sollte. Da Lydia am gleichen Tag über ihr persönliches Netzwerk eine andere Arbeit mit besseren Konditionen angeboten wurde, lehnte sie das Arbeitsangebot der Kirchengemeinde ab. Engracia rief sie daraufhin am nächsten Tag zu sich ins Büro und kritisierte sie heftigst. Beim gemeinsamen Spülen fragte sie mich, wieso sie die Arbeit annehmen solle, wenn ihr etwas Besseres angeboten wurde: „Habe ich etwa nicht das Recht, das auszusuchen, was für mich das Beste ist?“
Von Lydia wurde hier absolute Unterordnung und das Aufgeben pluraler Strategien verlangt, was gerade kontraproduktiv zum deklarierten Ziel des Hausarbeitskurses ist, nämlich den Migrantinnen bei der Integration in den Arbeitsmarkt zu helfen und sie als Personen dabei bestmöglichst zu unterstützen. Der Fall von Lydia macht dreierlei Aspekte deutlich: Würden sich die Frauen an die Vorgaben der Gemeinde halten, wäre ihr Handlungsspielraum noch eingeschränkter als er dies als (illegalisierte) Migrantinnen in Spanien sowieso bereits ist, da die Arbeitssuche gerade einer 258 Eine Arbeit mit dem Argument abzulehnen, der Lohn sei zu gering, wurde als Skandal betrachtet und als solcher auch sanktioniert. Nur einmal erlebte ich, dass Charo über einen Lohn entsetzt war, nämlich als einer Frau von Engracia ein Arbeitsangebot vermittelt worden war, bei dem sie für zehn Stunden Pflege einer alten Frau von Montag bis Samstag als Externa 350 € im Monat erhalten sollte. Engracia hatte das Angebot, wie gesagt, kommentarlos und ohne weite Verhandlungen gegenüber der ArbeitgeberInnen weitergegeben. Charo war entsetzt. Generell wurde das Ausschlagen von Arbeitsangeboten aufgrund des Lohnes als illegitim kritisiert. Einer Ecuadorianerin, welche bei ihren erwachsenen Kindern in Madrid lebte, wurde, nachdem sie mehrere Arbeitsangebote abgelehnt hatte, u.a., weil ihre in Madrid etablierten und legalisierten Kinder nicht wollten, dass sie zu derartigen Arbeits- und Lohnbedingungen arbeitete, angedroht, dass sie beim nächsten Ablehnen eines Arbeitsangebotes aus dem Hausarbeitskurs rausgeschmissen würde. Sie kam von sich aus nicht mehr.
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Vielfalt von Strategien und vor allem persönlicher Netzwerke bedarf (vgl. 6.5). Auch die Kursteilnehmerinnen fanden in ihrer Mehrzahl nicht über die Gemeinde Arbeit, sondern über Netzwerke und/oder andere Arbeitsbörsen, welche sie nachmittags, außerhalb des Kurses, besuchten. Den Kursteilnehmerinnen wird zweitens keinerlei Recht der Auswahl zugebilligt, wodurch auch die Verhandlung bestimmter Arbeitsbedingungen unmöglich wird, zumal die Gemeinde die Bedingungen ebenso nicht verhandelt bzw., falls, dies nur in Ausnahmefällen tut. Schließlich erfolgt im Kurs eine Disziplinierung ganz zugunsten der ArbeitgeberInnen, welche normalerweise spanische Gemeindemitglieder bzw. über solche Vermittelte sind. Forderungen nach einem Lohnminimum oder bestimmten Arbeitsbedingungen wie zum Beispiel drei Stunden Freizeit pro Tag bei Internas, die von MigrantInnenvereinen wie Rumiñahui gestellt wurden, fanden daher in der Gemeinde kein Gehör. Gleichzeitig war ich bei einer Sitzung von Cáritas parroquial, also der Gemeindecaritas eingeladen, in der sich alle im Sozialbereich tätigen Voluntarias und Voluntarios trafen. Dort wurde ein Besuchsdienst für spanische Gemeindemitglieder organisiert, welche Pflegebedürftige zu Hause betreuten und so über wenig bis keine Freizeit und nur eingeschränkte soziale Kontakte verfügten. Der Plan basierte auf der Grundannahme, dass es nicht gut sei, rund um die Uhr mit Alten und Pflegebedürftigen zusammen zu sein und somit weder Freizeit noch Ansprache zu haben, da dies zu Depressionen, psychischen wie sozialen Problemen führe. Interessanterweise war dies genau das Arbeitsprofil der meisten von der Gemeinde vermittelten Hausarbeiterinnen, welche in ihrer Mehrzahl als Internas zur Pflege in Haushalten von Gemeindemitgliedern arbeiteten. Auch die Auswirkungen wie Depressionen und Verlust sozialer Kontakte waren richtig beschrieben (vgl. 5.1; 6.4). Ein Besuchs- und Entlastungsdienst für migrantische Hausarbeiterinnen wurde jedoch nicht angedacht. Es wurden also auch hier zwei Maßstäbe angelegt, einen für spanische Gemeindemitglieder, welche durch die gleichen Arbeitsbedingungen krank würden und entlastet werden sollten, und einen anderen für die Migrantinnen, welche durch die Rund-um-Pflege eine quasi “natürliche Rolle” einnahmen und gleichzeitig die Pflege zu Hause für viele Familien erst ökonomisch ermöglichten. Dabei war das Kriterium nicht primär die Zugehörigkeit zur Gemeinde, da auch mehrere migrantische Hausarbeiterinnen an den Messen teilnahmen und somit in diesem Sinne Gemeindemitglieder waren, sondern vielmehr (verbunden mit Genderfaktoren) ethnische Kategorien („wir“ und „die Anderen“) und deren respektiven, legal übersetzten Rollenzuschreibungen, unter Umständen auch die Zeit der Mitgliedschaft in der Gemeinde. Zuvor war bereits davon die Rede, dass MigrantInnen, indem sie lediglich als Arbeiterinnen definiert werden, den Wandel in der Familienstruktur und im Sozialsystem samt Alterung der Gesellschaft und Veränderung der Geschlechterrollen auffangen (vgl. 6.4.2). Dazu bedarf es aber dieser unterschiedlichen Logiken und der Grenzziehungen zwischen „Einheimischen“ und „Migrantinnen“, verbunden mit
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der Zuschreibung ungleicher Rollen, Rechte und Bedürfnisse. Sonst funktioniert diese Anordnung mit ihren respektiven Rollen nicht. Einmal bat Engracia Mónica um ein Gespräch. Diese nahm donnerstags, an ihrem freien Tag als Interna, am Kurs teil und hoffte, so eine neue Arbeitsstelle zu finden. Der alte Mann, den sie pflegte, war mittlerweile stark pflegebedürftig (zum Beispiel regelmäßiges Trockenlegen, auch nachts), er stöhnte immerzu und schrie ständig laut auf. Wenn er klare Sätze formulierte, dann waren dies zumeist Beleidigungen. Für Mónica war die Arbeit von mal zu mal anstrengender259 und außerdem war absehbar, dass der Mann bald sterben würde bzw. nicht mehr würde zu Hause gepflegt werden können, weshalb sie auch in dieser Hinsicht mit einer frühzeitigen Arbeitssuche einer Arbeitslosigkeit vorbeugen wollte, da ihre Kinder in Ecuador auf ihre Geldsendungen angewiesen waren. Als Engracia sie daher um ein Gespräch ansuchte, war sie sehr glücklich und zuversichtlich, da sie bereits seit Langem versuchte, darüber mit Engracia zu sprechen, diese aber keine Zeit gehabt hatte. Ich wartete mir ihr, bis Engracia Zeit hatte. Nach einer Stunde – an ihrem einzigen freien (bzw. nur halben freien) Tag unter der Woche – wurde Mónica zu Engracia ins Büro gebeten und sodann von ihr nicht einmal danach gefragt, wie es ihr ginge, sondern danach, wie sich der Gesundheitszustand des alten Mannes, den sie pflegte, entwickelt hätte. Dann wurde sie entlassen. Sie hätte keine weitere Zeit zu einem Gespräch, erklärte Engracia ihr, als Mónica dieser ihre Situation und ihr Anliegen vorbringen wollte. Mónica fühlte sich danach unsäglich gedemütigt, auf den Arm genommen, entwürdigt. Anstatt ihr zu helfen, wurde von ihr scheinbar natürlich verlangt, dass sie eine Stunde auf Engracia wartet, um danach lediglich in ihrer Rolle als bedingungslose, belastbare Hausarbeiterin behandelt zu werden, während ihre eigenen Bedürfnisse als Person negiert werden. Sie war lediglich eine Arbeitskraft für die spanischen Gemeindemitglieder, ohne weitere Rechte und Anliegen. Auf verschiedenen Ebenen wurden den Haushaltsarbeiterinnen weniger Rechte zugesprochen, was teils durch ihren mangelnden Aufenthaltstitel oder ihre Herkunft (und damit verbunden „moralische Rückständigkeit“) begründet wurde. Sie wurden somit als formal „außerhalb des Rechts“ betrachtet, aber auch unabhängig davon als mit weniger Rechten als „Einheimische“ behandelt, was sich auch darin ausdrückte, dass stillschweigend davon ausgegangen wurde, dass in Konfliktsituationen die spanischen ArbeitgeberInnen automatisch „recht hatten“.260 Gab es Beschwerden, wurde stets die Version der ArbeitgeberInnen übernommen bzw. deren Position betont, – selbst wenn diese sie nicht einforderten – ohne dass bzw.
259 Ich besuchte Mónica manchmal an ihrem Arbeitsplatz und empfand schon die kurze Zeit dort als sehr anstrengend. 260 Wie dies im Artikel 1585 des Zivilcode von 1889, welcher bis 1984 Gültigkeit besaß, gesetzlich festgelegt war: im Falle von Lohnkonflikten ist den ArbeitgeberInnen zu glauben (vgl. Colectivo IOÉ 2001a, 169f).
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bevor die Frauen nach ihrer Version gefragt wurden. So war dies im folgenden Beispiel der Fall. Ich zitiere aus meinem Feldtagebuch: Während wir in der Küche beim Kochen waren, kam Charo rein und rief Beatriz zu einem Gespräch mit Engracia. Diese wollte mit ihr über das Vorstellungsgespräch von letzter Woche sprechen, das Beatriz und Dolores hatten. Es ging darum, eine ältere Frau zu pflegen und zu unterhalten. Das Angebot, das Engracia ihnen weitergegeben hatte, lautete, dass es sich um eine Arbeit von 10-14 Uhr und 16-20 Uhr handle (oder so ähnlich), von Montag bis Freitag, für 650 €. Als sie dort ankommen, sagt der Mann (Sohn der alten Frau) aber zu ihnen, dass die bisherige Hausarbeiterin doch weiter bei ihnen arbeiten wird und dass es nun nur um die Arbeit von 16-20 Uhr ginge, für 240 € im Monat. Beatriz hätte zugesagt, Dolores nicht, weil sie nicht wußte, bei wem sie ihre Kinder abends lassen konnte. Beatriz Schwester hätte auf ihren Sohn aufgepasst, da diese mittags/abends frei hat. Am gleichen Abend hätte aber ihre Schwester angerufen, dass sich ihr Arbeitsrhythmus geändert hätte, weil die von ihr versorgte Frau erkrankt ist. Also kann sie nicht auf den Jungen aufpassen. Eine Freundin von Beatriz würde zwar auf ihn aufpassen, aber für 150 € im Monat – dann blieben ihr noch 90 € Lohn übrig, was zu wenig ist. Sie sei daher am gleichen Abend um 21 Uhr zu der Familie zurück und hätte mit dem Mann gesprochen. Dieser sei ganz verständnisvoll gewesen. Sie bat ihn, dass er sie anrufen solle, falls die Hausarbeiterin doch nochmals die Meinung ändere. Sie hatte die Hoffnung, dass sie doch noch die Arbeit für den ganzen Tag bekommen könnte. Engracia hat sie also zu sich gerufen und mit ihr geschimpft. Der Mann hätte ihr rückgemeldet, dass keine der beiden Frauen die Arbeit annehmen konnte und dass er jemand anderes bräuchte. Nun wollte sie von Beatriz wissen, wieso sie die Arbeit nicht genommen und weshalb sie die Arbeit zuerst zu- und dann wieder abgesagt hätte. Engracia hätte mehrfach Erklärungen verlangt, immer wieder das Gleiche nachgefragt und in keinem Moment erwähnt, dass der Fehler ja der des Mannes bzw. der anderen Hausarbeiterin gewesen sei, weil Beatriz und Dolores ja unter anderen Bedingungen dorthin gegangen seien.
Obwohl Beatriz und Dolores hier keinerlei Schuld am Nichtzustandekommen des Arbeitsverhältnisses traf, machte Engracia sie dafür verantwortlich und forderte Rechtfertigungen. Dass der Arbeitgeber das Arbeitsangebot geändert hatte, spielte dabei keine Rolle. Dieses Beispiel stellt keine Ausnahmesituation dar: Die Kursteilnehmerinnen wurden in ähnlichen Fällen immer zuerst als schuldig erklärt. Die ArbeitgeberInnen waren die „Guten“ und „im Recht“ (formal wie auch moralisch) und meistens spanische Gemeindemitglieder bzw. über solche Vermittelte und gehörten somit zum „Wir“; die Migrantinnen hingegen zu den „Anderen“, eine Distinktion, die immer wieder auf dem Hintergrund der verschiedenen erläuterten Differenzmechanismen reaffirmiert bzw. konstruiert wurde.
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6.6.3.5 Arbeit, nichts als Arbeit – Platzzuweisung und Integrationshilfe „Was hältst du von der Rolle der Gemeinden hier?“ – „Den Migranten wird dort aus einer Machtposition heraus ein Ort zugewiesen. Sie unterschätzen die Migranten.“ (Interview mit Luchita, Leiterin einer Assoziation ecuadorianischer MigrantInnen in Madrid)
Ziel des Hausarbeitskurses war die Integration in den Arbeitsmarkt, wie Engracia erklärte: „Daher sind die Kurse vornehmlich über Haushaltsarbeiten, weil es das ist, wo sie [die Migrantinnen] sich integrieren können.“ Als Erleichterung des Zugangs zum Arbeitsmarkt und Bereitstellung dazu notwendiger Ressourcen (wie Kochkenntnisse, aber auch ein konkretes Arbeitsangebot) stellte der Kurs eine wichtige Hilfestellung dar. Der Kurs bot aber, wie sich gezeigt hat, nicht nur Unterricht in spezifischen Fähigkeiten, sondern eine Unterweisung in die adskribierte soziale Rolle als migrantische Arbeiterinnen: als Hausarbeiterin, als Fremde, als Migrantin und als Frau. Die Rollenzuweisung basierte dabei, wie ausgeführt, auf verschiedenen Differenzmechanismen, welche die Rolle als Hausarbeiterin für Migrantinnen naturalisieren (vgl. Bourdieu 1987, ²1997). So wird es „ganz normal“ und „logisch“, dass die Migrantinnen mit einem anderen Maßstab und lediglich als Arbeiterinnen betrachtet werden und nicht als Personen mit ihren eigenen Geschichten, Projekten und Kenntnissen. Es kommt nicht in den Sinn, dass die Rolle zugeschrieben und somit verhandelbar ist – und zwar im doppelten Sinne verhandelbar, nämlich als nicht ausschließlicher sozialer Ort einerseits und als eine Arbeitsmöglichkeit, deren Bedingungen verhandelt werden könnten, andererseits. Es ist nicht Teil des sozialen Sinnes und von den Personen in den Machtpositionen (vornehmlich Engracia und ihre Stellvertreterin Charo261) unerwünscht, weshalb andere Signifikationen und Praktiken nicht nur unterdrückt, sondern auch sanktioniert wurden. Dies soll abschließend am Beispiel des Konfliktes um Teresas Teilnahme am Computerkurs veranschaulicht werden, worauf oben (6.6.1) schon kurz hingewiesen wurde. Es verdeutlicht, zusammenfassend, nicht nur die Praxis innerhalb des Kurses, sondern verweist auch auf die zugrunde liegende Festschreibung der Möglichkeiten der Migrantinnen im größeren gesellschaftlichen Kontext: Teresa hatte über ihre Mutter, welche am Hausarbeitskurs teilnahm, von der Möglichkeit des Computerkurses in der Gemeinde erfahren. Zu diesem Zeitpunkt hatte Teresa bereits als Interna gearbeitet, hatte Papiere erlangt und arbeitete nun in einem Restaurant Spätschichten. Sie hatte einen Computer zu Hause und versuchte sich Datenverarbeitung selbst beizubringen. Sie erhoffte, auf diese Weise eine Arbeit in einer der vielen Geldtransferunternehmen zu finden, welche aufgrund der Migration und des Sendens von Geldern in die Herkunftsländer florierten. Engracia kannte Teresa und als sie diese unter den Kursteilnehmerinnen sah, kam sie aufgeregt zu mir und verlangte, Teresa aus dem Kurs auszuschließen. Sie würde nicht arbeiten, würde tagsüber nur zu Hause herumsitzen und könnte daher problemlos in den Hausarbeitskurs kommen, so das Argument von Engracia. Nur so hätte sie ein Recht auf die Teilnahme am Computerkurs. Mein Argu-
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Auch Rosario hatte formal eine leitende Funktion inne, welche diese jedoch nicht gerne ausübte.
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ment, dass es genügend Computer und nur wenige Teilnehmerinnen gäbe, also Kapazitäten frei seien, fand zunächst kein Gehör. Nach einer Diskussion durfte sie schließlich bleiben.
Interessant ist hierbei, dass Engracia ganz deutlich macht, dass die Arbeit der Gemeinde und somit auch der Computerkurs den Frauen keine soziale Mobilität und Ausstieg aus der Haushaltsarbeit ermöglichen sollte. Vielmehr war meine Vorgabe für den Computerkurs, den Frauen beizubringen, einen Lebenslauf zu verfassen, weil sie diesen immer wieder bei der Arbeitssuche (als Hausarbeiterin) benötigten und sie dafür normalerweise fünf Euro bezahlen mussten. Selbst meine Idee, den Frauen die Benutzung des Internets zu zeigen, um auf diese Weise (insofern Familienangehörige die Möglichkeit dazu hatten) die transnationale Kommunikation (auch unter MigrantInnen in verschiedenen Ländern und Städten Spaniens) zu erleichtern sowie den Zugang zu Informationen im Internet zu ermöglichen, wurde als unnötig deklariert.262 Es ging also nicht um Lebensqualität oder um die Eröffnung neuer Möglichkeiten. Die Hilfestellung durch die Gemeinde soll hiermit aber nicht negiert werden: Die Arbeit der Gemeinde half bei der Arbeitsfindung, strukturierte und begrenzte damit aber (unbeabsichtigt) auch die Möglichkeiten der Migrantinnen (vgl. auch Hondagneu-Sotelo 2001, 61) und zwar doppelt: strukturell-institutionell einerseits und durch den praktischen Sinn innerhalb der Interaktionen andererseits. Viele Migrantinnen, welche am Kurs teilnahmen, waren neu in Madrid und/oder verfügten nur über wenige Kontakte und Netzwerke (außerhalb ihrer Familien). Eine große Anzahl der Kursteilnehmerinnen hatten zum Beispiel kleine Kinder, die sie bislang vornehmlich zu Hause versorgten. Die Interaktion mit den SpanierInnen in der Gemeinde waren daher für viele über punktuelle Kontakte beim Einkaufen, auf der Straße oder in anderen Institutionen hinaus die ersten längerfristigen Interaktionen mit SpanierInnen. Wie sich gezeigt hat, zielte die Behandlung auf Unterordnung, Unterscheidung und Ausschließung bzw. Zuordnung auf die Haushaltsarbeit, wodurch Marginalität in zweifacher Hinsicht geschaffen wurde: durch die Vermittlung als Hausarbeiterin und durch die (zumindest von Engracia vorgeschriebene) Behandlung und die damit verbundene Konstruktion eines Bildes der SpanierInnen. So wie aus den verschiedenen Kursteilnehmerinnen „Migrantinnen“ und sodann „Hausarbeiterinnen“ gemacht wurden, wurde auch ein Bild von „SpanierInnen“ konstruiert, welches sich auf ein (teilweise imaginiertes und stereotypisiertes) Bild spanischer ArbeitgeberInnen und deren Ansprüche sowie Haltungen gegenüber migrantischer Hausarbeiterinnen bezog, das zutiefst hierarchisch war und ein negatives Bild vermittelte. Dieser (Erst-)Eindruck und die Erfahrung der Diskriminierung und Misshandlung verhinderte eine Vergemeinschaftung zwischen SpanierInnen und MigrantInnen, welche, wie aufgewiesen, im Hausarbeitskurs auch nicht erwünscht war. 262
Ich brachte es den Frauen schließlich in unserer Freizeit und somit außerhalb des Kurses bei.
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Unter 5.2.3 war bereits die Rede von der Initiation zur Migrantin und migrantischen Hausarbeiterin durch derartige soziale Interaktionen. Im Hausarbeitskurs ist diese Initiation institutionalisiert. Durch seine Ausrichtung auf Sozialisierung und Disziplinierung zu migrantischen Hausarbeiterinnen rechtfertigt der Hausarbeitskurs und unterstützt er aktiv die Bildung und Festschreibung einer neuen, rechtlosen Unterschicht in Spanien (vgl. Ambrosini 2000 für Italien). Die dieser Praxis zugrundeliegenden Differenzmechanismen wurden in den vorherigen Abschnitten ausgeführt. Sie beziehen sich auf die Ethnizität der Migrantinnen, welche als Fremdheit bzw. Unzivilisiertheit qualifiziert wird, den (nicht immer fehlenden) legalen Status sowie ihr Frausein. Ich fasse sie abschließend kurz zusammen: Der fehlende legale Status wird als selbstverschuldet und illegitim betrachtet und als gerechtfertigter Grund der Verweigerung von Rechten im Sinne von „Citizenship“, der Ausbeutung und Minderbehandlung der Migrantinnen. So werden die Frauen als „außerhalb des Rechtes“ betrachtet, was nicht nur formal-juridisch, sondern auch moralisch-logisch verstanden wurde. Die Fremdheit (aufgrund von Kultur oder Natur) der Frauen wird als Gefälle zwischen Entwickelten und Unterentwickelten, Unzivilisierten verstanden, weshalb vor allem „Arbeitsmoral“ sowie die „korrekten Haltungen“ als Haushaltsarbeiterin unterrichtet wurden. Symbol der „Fremdheit“ bzw. „Andersheit“ ist die postulierte Unpünktlichkeit von Migrantinnen, welche als ein Problem für die Arbeitsvermittlung betrachtet wurde. Dass die spanischen MitarbeiterInnen des Kurses ebenso, wenn nicht sogar in stärkerem Maße unpünktlich waren, wurde nicht reflektiert, da es sich um Essentialisierungen sowie Anlegung zweier unterschiedlicher Maßstäbe für SpanierInnen und MigrantInnen handelt. Die MigrantInnen werden auf diese Weise fremder gemacht als sie sind, also ethnisiert, und in die binäre Logik von Inklusion und Exklusion eingeordnet, welche ein „Wir“ in Abgrenzung zu „Anderen“ definiert und das Handeln zugunsten der eigenen, nationalen Interessen legitimiert sowie Machtausübungen verdunkelt. Aufgrund ihres Frauseins wird den Kursteilnehmerinnen der scheinbar „natürliche Ort“ als Haushaltsarbeiterinnen zugewiesen. Dazu wird auf ein katholisches Frauenideal zurückgegriffen, welches Frauen als naturhafte Hausfrauen und Mütter versteht, die sich für ihre Familie aufopfern. Im Kurs wurden die Teilnehmerinnen aktiv darin unterwiesen. Die geforderte konditionslose Selbstopferung der Frau lässt die Ausbeutungsverhältnisse als Los der Frau erscheinen, verdeckt die Machtbeziehungen und macht Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen unzulässig. Dazu trägt die Verschiebung der Referenzpunkte bei, welche Lohn- und Arbeitsbedingungen in Bezug zu (imaginierten) schlechteren Bedingungen in den Herkunftsländern setzt und diese so aus dem spanischen Kontext (und den damit verbundenen Lebenskosten) abstrahiert sowie diese auf ein bedingungsloses, leidensbereites Migrationsprojekt zu Gunsten der (zurückgebliebenen) Familie bezieht. Andere,
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individuelle, emanzipatorische Migrationsprojekte werden dadurch illegitim. Das Frauenbild verdeckt zudem die untergeordnete Rolle der Frau in der katholischen Kirche, welche sich nicht nur in der Praxis und Zielsetzung des Kurses, sondern auch in der Rolle der Voluntarias und der Sozialarbeiterin (und Ordensschwester) spiegelt, was im Folgenden noch näher ausgeführt wird. Die katholische Gemeinde partizipiert mit dem Hausarbeitskurs aktiv an der Schaffung bzw. Aufrechterhaltung sozialer Differenzen zwischen SpanierInnen und MigrantInnen, an deren Ethnisierung sowie Essentialisierung als „Fremde“ und „Andere“ mit zugeschriebenen sozialen Rollen als migrantische Arbeitskräfte, jedoch nicht als gleichwertige Personen. Dies zeigt sich u.a. darin, dass der Sozialarbeit der Gemeinde je verschiedene Maßstäbe für das Verständnis und die Realisierung von Familie, Mutterschaft und Frausein zugrunde liegen, je nachdem ob es sich um („Drittstaats-“)MigrantInnen oder SpanierInnen bzw. EU-BürgerInnen mit freiem Zugang zum Arbeitsmarkt oder andere „privilegierte AusländerInnen“ handelt. Die Pfarrei nimmt zwar eine wichtige Schnittstelle zwischen den ArbeitgeberInnen und den Hausarbeiterinnen ein, indem sie für deren Arbeitsqualität wie moral garantiert, was für viele Familien nicht zuletzt deshalb von zentraler Bedeutung war, da sie nicht nur Güter, sondern auch geliebte Personen den „fremden Frauen“ überlassen. Die Gemeinde nutzte diese Machtposition jedoch nicht, um zu Gunsten der Migrantinnen Arbeits- und Lohnbedingungen auszuhandeln. Auf diese Weise wirkt sie an der sozialen Konstruktion und Praxis „migrantischer Haushaltsarbeit“ mit und strukturiert sie zu Ungunsten der Migrantinnen, indem sie als Gatekeeper zwischen Angebot und Nachfrage die Kursteilnehmerinnen der Nachfrage einseitig anpassen. Ihre Arbeit deklariert die Pfarrei als apolitisch, wodurch die Ausbeutungs- und Abhängigkeitsverhältnisse wie auch die verschiedenen Formen von Gewalt, denen die Migrantinnen aufgrund von Ethnizität, Gender, Klasse und legaler Status ausgesetzt sind, verschleiert werden. Unter den Voluntarias gäbe es alternative Modelle des Kurses sowie des Bildes der Migrantinnen, die Machtstrukturen unterdrücken diese jedoch, was Thema des nächsten Kapitels ist. Die Sozialarbeit der katholischen Gemeinde ist eine Hilfe bei der Arbeitssuche und bei anderen Problemen. Die Prämissen des Kurses, das apolitische Verständnis von Migration, Sozialarbeit und migrantischer Haushaltsarbeit führen aber dazu, dass eine als solidarisch deklarierte Arbeit Teil der Ausbeutung, Misshandlung und restriktiven Rollenzuweisung der Frauen wird. Anstatt die Teilnehmerinnen bei ihrem Migrationsprozess als Personen und nicht nur Arbeitskräfte für spanische Haushalte zu unterstützen, werden sie im Kurs mit Hilfe von Disziplinierung und Ethnisierung zu migrantischen Hausarbeiterinnen gemacht und auf einen vordefinierten Ort in der globalen Ökonomie positioniert.
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Die Migrantinnen waren aber keine passiven Opfer. Sie gestalteten den Kurs mit und funktionalisierten diesen teilweise um. Durch Boykott von Regeln, Nichtbeachtung von Demütigungen bis hin zu offener Kritik leisteten sie Widerstand gegenüber unwürdiger Behandlung sowie willkürlichen und ungerechtfertigten Regeln. Auch die Voluntarias vertraten keine einheitliche Position und hielten sich nicht unbedingt an die Vorgaben des Kurses. Im Folgenden soll es um diese unterschiedlichen Positionen sowie Zielsetzungen der verschiedenen AkteurInnen innerhalb der Sozialarbeit für Migrantinnen in der Pfarrgemeinde San Ignacio gehen. 6.6.4 Unterschiedliche Positionen, Zielsetzungen und Strategien der verschiedenen AkteurInnen „Nicht alle Lehrerinnen sind nett (Lachen). Es gibt schon einige, die wirklich schroff sind (...) Gut, man muss sie auch zu nehmen wissen, weil wenn sie manchmal schlechter Laune sind, muss man sich dumm stellen, so als ob nichts wäre, mit ihren Launen mitspielen (…). Ansonsten ist alles in Ordnung. “ (Interview mit Verónica)
Bislang standen die Strukturierungen im Zentrum der Analyse sowie Engracia (samt Padre Isidorio und teilweise Charo) als diejenigen, welche als Leiter(Innen) die Signifikationen im Hausarbeitskurs bestimmten und sanktionierten. Hier soll es nun um die verschiedenen AkteurInnen, um deren Positionen, Zielsetzungen und Strategien gehen. 6.6.4.1 Hilfe und Selbsthilfe – Die Rolle der Voluntarias Die Voluntarias befinden sich in einer ambivalenten Rolle als Zwischenposition zwischen den Kursteilnehmerinnen, welche sie unterweisen (sollen), und ihrer eigenen hierarchischen Beziehung zur Sozialarbeiterin (und dem Pfarrer), welche die Macht über die Sinngebung und Zielsetzung des Kurses innehaben. Ihnen werden Vorgaben gesetzt, die sie umsetzen sollen. Engracia kam oft unerwartet in den Kurs und beschimpfte Migrantinnen wie Voluntarias, wenn diese ihrer Meinung nach bestimmte Regeln und Ziele nicht einhielten. Passierte dies, schrieen manche Voluntarias ihrerseits die Kursteilnehmerinnen an und verlangten klare Hierarchien und Unterordnung der Migrantinnen. Andere drückten hingegen ihr Unverständnis und ihre Missbilligung bestimmter Regeln aus und boykottierten diese, solange Engracia nicht in der Nähe war und übten Widerstand gegenüber dieser Form der Sinngebung und Dominanz. In den Einzelinterviews mit den Voluntarias zeigten sich mir daher auch ganz andere Facetten und Einstellungen mancher Frauen, welche jedoch aufgrund ihrer Rolle innerhalb der Pfarrei im Kurs selbst nicht zum Vorschein kommen konnten. Es war bereits die Rede von Amalia, welche mich im Interview plötzlich spontan fragte: „Ganz im Vertrauen. – Findest du nicht, dass Engracia unmenschlich
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ist?“ Sie gehörte zusammen mit Mariela zu den Voluntarias, welche einen sehr herzlichen und egalitären Umgang mit den Kursteilnehmerinnen pflegten.263 Amalia unterlief ganz bewusst bestimmte Vorgaben, wie zum Beispiel das Verbot, dass das Gekochte nicht im Kurs gegessen werden durfte, sondern in einer Dose mit nach Hause genommen werden musste. Da das Essen stets zu Mittag fertig war und wir Hunger hatten und die Regel nicht wirklich einsichtig war, setzten wir uns oft darüber hinweg und aßen dennoch – meist aus unseren Dosen heraus, weil wir so keine Teller spülen mussten und wir, falls Charo oder Engracia in die Küche kommen sollten, leicht das Essen zur Seite stellen konnten.264 Amalia fand die Regelung nicht nur unsinnig, wie sie mir erklärte, sondern erlaubte uns auch zu essen und deckte uns gegenüber Engracia. Im Interview machte sie mehrere Bemerkungen und Verbesserungsvorschläge für den Kurs. Aufgrund der Struktur und starken Hierarchisierung des Kurses war oder schien es ihr wie auch den anderen Voluntarias aber nicht möglich, diese in den Kurs einzubringen. Ähnliches gilt für Rosario. Sie war eine recht offene und herzliche Frau, welche sich auch für die Kursteilnehmerinnen und deren jeweiligen Geschichten interessierte. Im Interview mit ihr war bemerkenswert, wie sie, befragt nach Migration im Allgemein sowie zu den Kursteilnehmerinnen im Konkreten, im Gegensatz zu den meisten anderen Voluntarias eher zurückhaltend, kontextualisierend und nicht stereotypisierend sprach. Befragt nach ihrem Verständnis migrantischer Hausarbeit, antwortete sie mir zum Beispiel: „Das ist das Einzige, das die armen Frauen finden. Es bleibt ihnen nichts Anderes, denn viele von ihnen haben eine gute Ausbildung, sie haben Universitätsabschlüsse von dort, aber hier bleibt ihnen kein anderes Mittel, als die einzige Arbeit zu suchen, die ihnen bleibt (...). Ich weiss nicht, ob sie das Gleiche wie die Spanierinnen verdienen oder weniger oder mehr (...). Sie werden sie doch nicht misshandeln oder komische Sachen mit ihnen machen, oder?“ (Rosario)
263 Amalia war aufgrund ihrer Einstellung und Behandlung der Kursteilnehmerinnen im Kurs sehr gemocht. Sie kochte jedoch mit sehr viel Fett und mit viel Färbemittel (gelber Lebensmittelstoff anstatt Safran), weshalb sie als Person sehr geschätzt und sehr beliebt war, jedoch nicht so sehr als Köchin. Mariela war hingegen sowohl als Person als auch als Köchin beliebt. 264 Das Essen entwickelte sich zu einem der großen Konflikt- sowie Widerstandspunkte, weil, obwohl verboten, dennoch oft im Kurs gegessen wurde. Einmal war eine Spanierin mit im Kurs, welche gerade einen Drogenentzug hinter sich hatte oder machte. Ihr war es ganz verboten, das gemeinsam Gekochte zu essen. Sie durfte das gemeinsam Gekochte weder mitnehmen noch im Kurs essen, was allen, inklusive der anwesenden Voluntaria María del Carmen unbegreiflich war. María del Carmen ging daher zu Charo (Engracia war nicht da), um den Grund dafür zu erfahren: „Sie ist ein anderer Fall“, war Charos Auskunft. Alle Kursteilnehmerinnen samt Voluntaria waren darüber total entrüstet und servierten ihr dennoch eine Suppe. Sie hatte jedoch Angst, entdeckt zu werden, woraufhin sie Begonia zum Essen auf die Toilette, welche an die Küche angrenzte, schickte. Wie oben bezüglich des Essens als Hausarbeiterin (6.4.2) gilt auch hier, dass Essen eine besondere symbolische Bedeutung in sich trägt. Beim Essen war daher auch eine Grenze des Erträglichen erreicht, welche regelmäßig zu Protest und Boykott der Vorgabe, nicht im Kurs zu essen, führte.
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Rosario macht hier keine systemische Analyse, verteidigt aber auch nicht, wie zum Beispiel Charo, Luis oder Engracia (unaufgefordert) in den Interviews, dass die Frauen, da ungebildet, unpünktlich oder illegalisiert nichts Anderes fordern und tun dürften als billige Haushaltsarbeiterinnen zu sein. Außerdem ist sie darüber besorgt, ob die vermittelten Kursteilnehmerinnen gut behandelt oder ob sie gar misshandelt werden. Angesichts von Rosarios Fragen ist klar, dass diese bei Treffen der Voluntarias nicht thematisiert wurden, kein Verständnis und Sensibilisierung für das Thema „migrantische Haushaltsarbeit“ in der Gemeinde erfolgte und kein Schutz der Migrantinnen, so zumindest laut Rosario, durch die Gemeinde erfolgte.265 Rosario ließ ihre Fragen und ihre Ansichten aber nicht in ihre Arbeit einfließen, zumindest nicht bewusst. Sie betonte mir gegenüber, dass sie keine eigenen Kriterien in die Arbeit einbringe, sondern Befehle („ordenes“) ausführe. So vertrat sie im Interview mir gegenüber zwar eigene Meinungen und Vorstellungen über die Teilnehmerinnen des Kurses und dessen Konzeption. Sie hinterfragte jedoch nicht den Hausarbeitskurs daraufhin. Auf die Frage, welche Aufgabe sie im nächsten Jahr in der Gemeinde übernehmen würde, meinte sie daher auch: „Das ist mir egal. Ich werde die Befehle ausführen, die sie [Engracia] mir gibt.” Rosario denkt hier ganz hierarchisch und ordnet ihre eigenen Ansichten und Einstellungen den Anweisungen Engracias unter. Das führte jedoch auch dazu, dass sie teilweise mit ihrer Aufgabe und Rolle überfordert war, da sie von Engracia immer wieder dafür kritisiert wurde, dass sie nicht streng genug sei. Als Mitverantwortliche des Kurses (zusammen mit Charo, mit der sie täglich den Handarbeitsunterricht leitete), wurde sie von Engracia besonders aufgefordert, die Migrantinnen zu erziehen, ihnen Moral beizubringen und ihnen gegenüber hart zu sein. An manchen Tagen oder in bestimmten Situationen (nachdem sie zum Beispiel selbst zurecht gewiesen worden war) disziplinierte sie daher die Frauen, schrie sie ungewöhnlich hart, willkürlich und in einer Art und Weise an, welche zu ihrem sonstigen Auftreten (und ihren Aussagen im Interview) nicht passte.266 Engracias Reaktionen wurden nicht nur von den Kursteilnehmerinnen gefürchtet, sondern auch von manchen Voluntarias. María del Carmen hatte bei265 Ich war bei mehreren Treffen anwesend und es wurden entweder ganz praktische Dinge besprochen, welche aber mit anderen Bereichen der Sozialarbeit der Gemeinde zu tun hatten, oder allgemeine Prinzipien der Sozialarbeit. 266 Einmal fuhr Rosario Verónica unverhältnismäßig scharf an, woraufhin diese in Tränen ausbrach. Es herrschte zu dieser Zeit unter uns Kurzteilnehmerinnen bereits Missmut, da wir Hausschuhe für den Weihnachtsbasar der Gemeinde stricken mussten und viele Frauen dies erst lernen mussten. Wieso dies, wie Engracia sagte, „für eine Frau wichtig ist“, war uns nicht einsichtig und Verónica war, wie viele andere auch, daher schon angespannt. Sie wollte lieber sticken bzw. gleich nach dem Kochkurs nach Hause gehen, was jedoch nicht erlaubt war. Die Abfuhr von Rosario gab ihr das Letzte. Rosario konnte mit Verónicas Reaktion überhaupt nicht umgehen, weil sie nicht verstand, weshalb diese weinte und sich verletzt fühlte. Immer wieder kam sie zu ihr und erklärte ihr, dass sie sie doch gern hätte und dass sie als Spanierin halt laut reden würde, aber deshalb doch nicht böse sei.
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spielsweise, als einmal beim Kochen durch ein Missgeschick einer Teilnehmerin ein Zuckerglas heruntergefallen und zerbrochen war, regelrecht Angst vor Engracias Reaktion. Sie wusste nicht, was sie tun sollte und als Engracia in die Küche kam, stellte sie sich (auch körperlich) schützend vor die Kursteilnehmerin und begann anstatt derer zu erklären, dass ein Zuckerglas kaputt gegangen sei, dass sie aber ein solches zu Hause hätte und mitbringen könnte. Engracia meinte, dass es kein Problem gäbe, wichtig sei allein, es ihr zu melden. María del Carmen war danach erleichtert und wiederholte zweimal zur Gruppe: „Wenn etwas kaputt geht, ist das kein Problem, solange man es Engracia mitteilt. Man muss es ihr einfach nur mitteilen.“ Interessant war hierbei, dass María del Carmen sonst eher unfreundlich und autoritär war. Eine Frau sagte einmal über sie: „Sie ist böse und es macht ihr Spaß, so zu sein.“ In dieser Situation stellte sie sich jedoch schützend vor die Gruppe bzw. vor die konkrete Person. Dabei verhielt sich María del Carmen generell unterschiedlich, je nachdem, ob sie mit uns kochte (in der Küche, idealerweise hinter verschlossener Tür, gelegentlich unterbrochen durch Charo oder Engracia, welche jedoch nicht täglich anwesend war) oder ob sie außerhalb der Küche bzw. in Gegenwart von Engracia oder anderer Voluntarias war. Während sie in der Küche auch nett oder, wie in der beschriebenen Szene, beschützend sein konnte, verhielt sie sich in der „Öffentlichkeit“, also in der Gegenwart anderer SpanierInnen bzw. spanischen Gemeindemitgliedern stark disziplinierend. Eine dafür typische Szene mit María del Carmen wird in folgendem Feldtagebuchausschnitt beschrieben, in dem gleichzeitig klar wird, dass nicht alle Voluntarias die Logik des Kurses gleich oder überhaupt umsetzen. Wir warten auf den Beginn des Kurses. María del Carmen kommt hereingestürmt, grüßt kaum und fährt uns schon an, wir sollen die Rollläden hochmachen, lüften und kehren. Wir (...) schauen uns nur an, holen den Besen und maulen etwas vor uns hin, ob die Frau nicht wenigstens nett grüßen könnte. Wir kehren also. Die anderen kommen, auch Charo, Rosario, Engracia, Padre Isidorio, alle rauschen vorbei, und für alle ist klar, dass wir hier putzen müssen. Die Köchin Mariela kommt auch und meint, wir seien aber fleißig, was nicht nur mir auffällt: Sie sagt es in nettem Ton, aufrichtig und nicht fordernd wie die anderen.
Hier wird nochmals deutlich, wie die Voluntarias sich unterschiedlich positionierten und verschiedene Kriterien und Zielsetzungen für den Kurs sowie Ansichten bezüglich Migration und (migrantischer) Haushaltsarbeit vertraten. Jedoch auch hinsichtlich der Motivation für die Mitarbeit im Hausarbeitskurs unterschieden sich die Voluntarias erheblich. So gab es diejenigen, welche in Gesprächen vornehmlich persönliche Motive für ihre Teilnahme am Kurs nannten. Dazu gehörte, dass viele sich betätigen und der Langeweile im Alter entgehen wollten und andererseits ihre freie Zeit als Rentnerinnen auch in der Hilfe für Andere
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einsetzen wollten.267 Zum Hausarbeitskurs gehörte für viele Voluntarias auch, FreundInnen zu treffen oder, wie im Falle von Charo und Luis, über das Engagement eine Möglichkeit der Anerkennung durch Andere zu erhalten.268 Victoria hingegen hatte psychische Probleme und war eingeladen worden, sich an der Sozialarbeit in der Gemeinde zu beteiligen, um nicht alleine zu sein. Die Mitarbeit war für sie eine Form von Therapie, wie sie selbst sagte. All diese persönlichen Motive können untereinander verknüpft sein. Dies war jedoch nicht notwendigerweise der Fall. Augusta erklärte mir beispielsweise, dass es ihr nicht darum ginge, den Frauen zu helfen, sondern darum, die Gemeinde zu unterstützen, sich zu betätigen und alte Bekannte in der Gemeinde zu treffen. Die Arbeit für die Migrantinnen war für sie dabei nicht nur sekundär, sondern unsinnig, wie sie im Interview sagte: „Früher brauchten sie [die Migrantinnen] Hilfe. Die jetzigen brauchen keine.” (Augusta) Augusta begründete ihre Mitarbeit im Kurs (und nicht einer anderen Tätigkeit in der Gemeinde) damit, dass der Priester sie darum gebeten hatte. Auch andere Voluntarias sowie der Voluntario Luis verwiesen bei der Frage nach ihrer Mitarbeit in diesem konkreten Projekt darauf, dass sie vom Pfarrer bzw. von Engracia darum gebeten worden seien. Rosario erklärte mir im Interview: „Jedes Jahr mache ich etwas. Im ersten Jahr war ich für die Küche und den Seniorenkaffee verantwortlich (....).“ „Und wie kamst du zum Nähkurs (...)?“ – „Engracia hat es mir gesagt.“ (Rosario)
Die meisten Voluntarias nannten eine Vielzahl von Motiven. Lediglich Amalia und Mariela nannten als einzige Motivation, den Migrantinnen zu helfen. Dies heißt nicht, dass sie keine anderen Ziele mit ihrer Mitarbeit verbunden hätten. Es ist jedoch bemerkenswert, dass es gerade sie beide waren, welche das Personsein der Kursteilnehmerinnen ins Zentrum ihrer Arbeit stellten und von den Kursteilnehmerinnen als Beispiele guter Behandlung genannt und als Personen geschätzt wurden. Interessanterweise befanden sich unter den Lehrenden auch ehemalige spanische Haushaltsarbeiterinnen: Augusta hatte zum Beispiel jahrelang in einem fremden Haushalt gebügelt. Auch Amalia hatte bei einer Familie als Hausarbeiterin gearbeitet, um zwei Beispiele zu nennen. Es wäre daher eine Vergemeinschaftung zwischen Migrantinnen und spanischen Lehrerinnen aufgrund der Berufserfahrung und 267 Es ist charakteristisch für katholische Gemeinden, dass die Unterweisenden im Hausarbeitskurs vornehmlich ehrenamtlich helfende, ältere Frauen sind. Rosario erklärte beispielsweise: „Ich bin im August vier Jahre Witwe (…). Jetzt habe ich die Rente, die mir von meinem Mann geblieben ist (...). Deshalb habe ich viel Zeit, um in die Pfarrei zu gehen und dort etwas zu machen. Jedes Jahr mache ich etwas.“ (Rosario) Lediglich eine Voluntaria, Rosa, war unter sechzig Jahre alt. 268 Padre Clever, der Hilfspfarrer, kommentierte im Interview von sich aus deren Arbeitsmotivation folgendermaßen: „Sie sind dort, um gesehen zu werden.“ Padre Clever verurteilte diesen Wunsch und deslegitimierte im Weiteren Charos und Luis Mitarbeit. Darum geht es hier in keiner Weise. Es soll lediglich die Vielfalt der Motive aufgezeigt werden.
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sozialen Rolle möglich gewesen und der Kurs hätte auf eine Professionalisierung der Haushaltsarbeit zielen können. Durch die Ethnisierung und Behandlung als „Andere“, als „unterentwickelte, fremde Migrantinnen“ wurde dies jedoch strukturell verhindert. Eine Solidarisierung und Reflexion über Machtverhältnisse und Ausbeutung wurde in der Arbeit der Pfarrei gerade nicht angestrebt. Außerdem verklärte die christliche Rede über das gemeinsame Personsein aller Menschen, das katholische Frauenbild und das Arbeitsverständnis als „Heiligung“ und „Opfer“ diese Dimensionen. Erst in Einzelinterviews mit den Voluntarias erfuhr ich von deren eigenem Migrationshintergrund vom Land in die Stadt und deren Arbeit als bezahlte Hausarbeiterinnen. 6.6.4.2 Halbmächtige und andere Mächte – die Ordensschwester und die Priester Engracia, die Leiterin des Kurses, war ausgebildete Sozialarbeiterin und arbeitet als Ordensschwester in der Gemeinde. Es wurde bereits betont, dass sie den Hausarbeitskurs konzipierte, kontrollierte und Abweichungen sanktionierte. Ihre Vorgaben und ihr Verhalten wurden dabei teilweise auch von Voluntarias kritisiert (zum Beispiel Amalia mit ihrer spontanen Frage an mich, ob ich diese nicht auch unmenschlich fände), aber auch gefürchtet (wie im Falle von María del Carmen als einer Frau das Zuckerglas herunterfiel und zerbrach). Engracia übte die organisierende Macht über den Kurs aus, wobei Charo ihr dabei direkt zur Seite stand. Engracia war aber auch selbst als Frau und Ordensschwester in einer ambivalenten Rolle der immer nur halbmächtigen Frau innerhalb des hierarchischen Settings der katholischen Kirche. Sie hatte zwar die Leitung der Sozialarbeit unter sich, war jedoch immer dem Pfarrer bzw. den Pfarrern unterstellt, was nicht nur eine Frage von Autorität, sondern im konkreten Fall auch von Respekt und Achtung war. Beide Pfarrer der Gemeinde – Padre Isidorio als Hauptverantwortlicher wie auch der Hilfspfarrer Padre Clever – sprachen immer wieder sehr abwertend von Engracia als „der Nonne“ („la monja“) und nannten sie auch direkt so. Bei einem Interview mit Engracia war der Pfarrer mit Jugendlichen der Gemeinde gerade dabei, ein Fest vorzubereiten. Dabei wurden auch die Lautsprecher geprüft (oder einfach aus Spaß benutzt) und zwar vom Pfarrer, der über einen längeren Zeitraum über Lautsprecher Bemerkungen über „la monja“, also Engracia, machte. Wir sprachen in ihrem Büro und über den Lautsprecher kamen immer wieder irgendwelche Kommentare. Auf diese Weise finden sich auf meiner Interviewaufnahme zwei verschiedene hierarchischen Ebenen, welche in der Gemeinde und ihrer Sozialarbeit zusammenkommen: Engracias Beschreibung des Hausarbeitskurses und die ihren Aussagen zugrunde liegenden Differenzmechanismen gegenüber den Migrantinnen einerseits und die Rolle von Engracia innerhalb der Gemeinde als (weibliche) Nonne unter den (männlichen) Pfarrern andererseits.
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6.6.4.3 Die Rolle der Gemeinde innerhalb des Viertels und als Teil der Gesellschaft Es gibt auch gemeinde- bzw. kircheninterne Aspekte, welche den Hausarbeitskurs prägten. In früheren Kapiteln wurde diesbezüglich ausgeführt, dass die katholische Kirche auf der Ebene der Sozialarbeit und durch das Migrationsthema ihren Einfluss in der spanischen Gesellschaft stärken wollte. Außerdem waren die zukünftigen ArbeitgeberInnen der vermittelten Hausarbeiterinnen in ihrer großen Mehrzahl spanische Gemeindemitglieder, Bekannte derselben oder MitbewohnerInnen des Viertels, zu deren Gunsten die Machtposition als Vermittlerin genutzt wurde. In diesem Sinne gab es konkrete gemeindeinterne Faktoren, die die Arbeit des Hausarbeitskurses prägten. Dazu gehörte auch, dass die Voluntarias nicht aufgrund ihrer Kochkompetenzen ausgewählt wurden und es keine gemeinsame Linie beim Kochunterricht gab: Manche Voluntarias vermittelten eher simple Hausmannskost, während wieder andere, Amalia und vor allem Rosa, auf Professionalisierung zielten. Rosa hatte bereits zuvor als Kochlehrerin gearbeitet und brachte nicht nur Rezepte bei, sondern gleichzeitig allgemeines Kochwissen, angefangen von der sicheren Handhaltung, um sich beim Gemüseschneiden nicht in die Finger zu schneiden, bis hin zu Tipps, wie bestimmte „Unfälle“ (Versalzen, zu viel Fett oder Ähnliches) ausgeglichen werden können. Sie stach daher gegenüber den anderen Voluntarias hervor und wurde von den Kursteilnehmerinnen dafür sehr geschätzt.269 Umso absurder war es für die Kursteilnehmerinnen, dass Rosa bei der Terminvergabe den anderen Voluntarias nachgeordnet wurde, weil Engracia den älteren Gemeindemitgliedern über den Kurs eine Beschäftigungsmöglichkeit geben wollte und deshalb anderen Frauen Vorzug gab. Obwohl Rosa bereit war, regelmäßig Kochunterricht zu erteilen, wurde sie immer wieder durch andere Voluntarias ersetzt, welche weder so gut kochen noch erklären konnten. Dies führte zu Frustration bei den Kursteilnehmerinnen, weil einmal mehr deutlich wurde, dass Professionalisierung und die Vermittlung von Kompetenzen nicht im Zentrum der Arbeit standen. Nicht nur gemeindeinterne Aspekte, sondern auch die Rolle der Pfarrgemeinde im Viertel beeinflusste die Arbeit und die Stellungnahme gegenüber Migration und MigrantInnen. Dies verschärfte sich dadurch, dass dem früheren Pfarrer (Padre Isidorio war zum Zeitpunkt meiner Forschung erst seit zwei Jahren in der Gemeinde) vorgeworfen wurde, dass sich das Viertel aufgrund seiner Arbeit plötzlich mit MigrantInnen gefüllt hätte.270 Es hatte damals, also vor meiner Forschung, De269 Als sie jedoch eines Tages auch mit Schimpftiraden begann, Disziplin einforderte und den Kursteilnehmerinnen Unpünktlichkeit sowie kulturelle Rückständigkeit vorwarf, trübte sich die Begeisterung, jedoch nicht die Wertschätzung ihrer Arbeit. 270 Ich bin diesem Thema, nachdem es immer wieder erwähnt worden war, systematisch nachgegangen und auf verschiedenste Versionen gestoßen. Inwieweit und in welchem Maße der Pfarrer eine wichtige Rolle spielte, wurde mir dabei jedoch nicht klar und leider verstarb er plötzlich, bevor ich ihn interviewen
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monstrationen gegen die Gemeinde gegeben, das Gemeindehaus war beschmiert sowie Morddrohungen waren gegenüber dem Pfarrer ausgesprochen worden. Padre Isidorio erklärte mir, dass er deshalb versuche, überhaupt nicht über das Thema Migration und die Sozialarbeit für MigrantInnen zu sprechen, sondern nur allgemein von Cáritas parroquial, weil sonst der Vorwurf käme, dass die Gemeinde sich lediglich für die MigrantInnen engagieren würde. „Wir müssen auch vorsichtig sein, wenn wir zum Beispiel von Cáritas sprechen. Man spricht [in dem Sinne] von Cáritas, dass es versucht, den Leuten zu helfen, mit Projekten und Angeboten. Aber das Thema der Integration (...) ist ein Punkt, den wir versuchen, auf der Ebene der Pfarrgemeinde wenig anzusprechen. Um nicht nochmals Narben aufzubrechen und erneute Wunden [zu schaffen]. Das Thema existiert also, aber wir werden warten, bis die Zeit vergeht und die Sachen vorübergehen, nicht wahr? Sonst gibt es jemand, der sagt: ‚Hier in der Gemeinde werden mehr die von draußen als die von drinnen berücksichtigt. Man kümmert sich mehr um diejenigen, welche keine Papiere haben, als um uns, die wir unser ganzes Leben schon von hier sind.“ (Padre Isidorio)
Interessant ist, dass Padre Isidorio nicht nur die Hilfe im Allgemeinen anspricht, sondern auch das Thema „Integration“, welches besser vermieden würde, wie er erklärt. Es wird also geholfen, jedoch ohne eine Bewusstseinsbildung und Aufklärung gegenüber dem Thema Migration und migrantischer Haushaltsarbeit zu leisten. Die Arbeit soll vielmehr unsichtbar sein, wie auch die Migrantinnen am besten unsichtbar sein sollten, wodurch die apolitische und nicht verhandelnde Rolle der Gemeinde zusätzlich legitimiert wird. Der Kurs darf jedoch nicht nur als rein kirchliche Praxis betrachtet werden, wie im vorherigen Kapitel deutlich wurde; auch nicht lediglich als Ausdruck einer durch kirchliche Strukturen frustrierten Person („la monja“). Dies wäre eine unzulässige Verkürzung, da nicht nur katholische Institutionen eine derartige Vermittlung und Ausbildung von Migrantinnen in Spanien durchführen und auch andere Organisationen, wie verschiedene Studien zeigen, mit ihrer Arbeit zur Differenzschaffung und Festschreibung von Migrantinnen als Hausarbeiterinnen beitragen: Alarcón, Gibert, Parella und Ribas untersuchten beispielsweise die Ausbildung zu Hausarbeiterinnen durch NGOs und MigrantInnenvereine in Barcelona. Es handelte sich um ähnliche Angebote wie der hier untersuchte Hausarbeitskurs, jedoch unter anderer Trägerschaft und Durchführung. Die AutorInnen kommen zum Ergebnis, dass die Kurse zu Gunsten der ArbeitgeberInnen funktionieren und die strukturellen Bedingungen reproduzieren (vgl. Alarcón et al. 2000, 365-379). García-Cano Torrico führte eine Studie zu Ausbildungskurse für migrantische konnte. Eindeutig ist jedoch, dass die Umstruktierungen des Viertels (zum Beispiel Wegzug in andere Viertel und dadurch freiwerdende Wohnungen, Alterung der Bevölkerung und Nachfrage nach Pflegekräften, niedrige Mietpreise bei gleichzeitiger sehr guter Lage und Anbindung durch Metro und Bus sowie mögliche Kettenphänomene, nachdem sich einige MigrantInnen niedergelassen hatten) ebenso eine wichtige Rolle spielten. Dies waren Punkte, welche sowohl von VertreterInnen einer Nachbarschaftsorganisation, der Gemeindeverwaltung als auch Sozialinstitutionen angeführt wurden.
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Hausarbeiterinnen von staatlicher Seite sowie NGO-Seite durch und auch sie zeigt, dass diese Art von Kursen zur Schaffung und Festschreibung von Differenz zwischen den „Einheimischen“ und „Anderen“ beitragen (vgl. García-Cano Torrico 2004, 237). Die Vermittlung und Ausbildung von Hausarbeiterinnen von San Isidorio steht also in einem größeren sozialen Kontext und stellt keine isolierte oder rein kirchliche Praxis dar. Dennoch gibt es, wie sich in der Analyse der Differenzmechanismen bereits gezeigt hat, bestimmte katholische (besser gesagt, konservativ-katholische) Aspekte, die die Arbeit prägen und bestimmte Praktiken hervorbringen. Obwohl keine direkten Untersuchungen zur Vermittlung in katholischen Institutionen vorliegen, gibt es zwei Studien, welche innerhalb anderer Fragestellungen dazu Daten anführen (vgl. Aparicio/Tornos/Labrador 1999; Rul-lán Buades 1998). Beide Forschungen sind kircheneigene bzw. -nahe Studien und berichten (irritiert) von den Ergebnissen ihrer Untersuchungen, dass MigrantInnen sich in Spanien bei katholischen Hilfseinrichtungen am schlechtesten behandelt bis misshandelt fühlten, unabhängig von deren Herkunft und Glaubenszugehörigkeit. In der Studie von Rul-lán-Buades werden z.B. Charakteristika und Bedürfnisse migrantischer Hausarbeiterinnen erhoben. Sie stellt eine Auftragsarbeit des oben erwähnten Ordens der „Schwestern der Hausarbeit“ dar und wurde gemeinsam mit MitarbeiterInnen des Ordens in dessen Umfeld, sprich mit der „migrantischen Klientel“ des Ordens durchgeführt. Die Migrantinnen kritisieren dabei die Arbeit des Ordens, stellen die Einstellung der Ordensschwester in Frage und mahnen an, dass sie persönliche Begleitung sowie Anerkennung durch dieselben vermissen. Rullán-Buades schreibt dazu: „Der Fall der negativen Meinung über das Anliegen der Nonnen, den Armen zu helfen, ist noch auffälliger, wenn man bedenkt, dass, wie wir schon mehrfach hingewiesen haben, viele der Befragten in regelmäßigem Kontakt mit sozialen Zentren stehen, welche von Ordensschwestern geleitet werden.“ (Rul-lán-Buades 1998, 160)
An einer anderen Stelle im Text verweist Rul-lán-Buades auf eine frühere, ebenfalls von ihm im Auftrag des Ordens zum gleichen Thema durchgeführte Studie, in der genauso das Misstrauen gegenüber den Ordensschwestern und Priestern sowie Zweifel an deren Arbeit von Seiten der migrantischen Hausarbeiterinnen zum Ausdruck gekommen waren (vgl. Rul-lán-Buades 1998, 136). Ebenso kritische Aussagen sind in der Untersuchung von Aparicio, Tornos und Labrador dokumentiert (vgl. Aparicio et al. 1999). Sie stellt eine der wenigen Studien dar, welche explizit religiöse Institutionen in Madrid untersuchen. Die AutorInnen fragen, inwieweit die Institutionen der verschiedenen Religionen Hilfe für MigrantInnen bieten und wie sie zu deren Integrationsprozess beitragen. Sie berichten an mehreren Stellen, dass in den Interviews mit MigrantInnen verschiedenster Herkunft und religiösen Hintergrunds allein die katholische Kirche von den Mig-
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rantInnen kritisiert wird, dass sie lediglich als „Agentur für Zeitarbeit“ handle, dass sie keinen Ort der Begegnung noch persönliche Anerkennung biete und die MigrantInnen vielmehr auf kalte und unpersönliche Art und Weise behandeln würde (vgl. Aparicio et al. 1999, 170-171.174.180). Diese Aspekte werden in der Studie von Aparicio et al. nur am Rande erwähnt und können dort nicht erklärt werden. Mit den hier aufgewiesenen Analysen wurde deutlich, dass die Sozialarbeit für Migrantinnen in konservativen katholischen Gemeinden und Ordensgemeinschaften in Spanien aufgrund des der Praxis zugrunde liegenden Frauenbildes, des Arbeits- und Rollenverständnisses eine besonders disziplinierende und funktionale Zielsetzung einer als solidarisch verstandenen Praxis sein kann. Gleichzeitig ist diese aber auch Teil der Logik von Differenzmechanismen, welche die soziale, legale wie politische Strukturierung der spanischen Gesellschaft legitimieren271 sowie die Rolle von Migrantinnen im globalen Wirtschaftssystem festlegen (vgl. auch Hochschild 2003; Hondagneu-Sotelo 2001). 6.6.4.4 Strategien und Ziele der Migrantinnen: „Man muss sie zu nehmen wissen“ Gegenüber den Entwürdigungen und willkürlichen Befehlen leisteten die Frauen mit Lästern, Schimpfen, Boykott, Nicht-Ausführen von als ungerecht empfundenen Anweisungen bis hin zur offenen Beschwerde Widerstand. Die Weihnachtsfeier im Hausarbeitskurs liefert gute Beispiele hierfür, weshalb ich diese auf dem Hintergrund meiner Tagebuchaufzeichnungen näher ausführen und analysieren möchte: Nachdem Padre Isidorio eine Geschichte zur Besinnung erzählt hatte, betonte er, dass man nie die Hoffnung verlieren sollte. Er richtete sich an die Gruppe: Im Kurs ginge es auch nicht nur um die Hoffnung, Arbeit zu finden, sondern um mehr. Caritas [parroquial, also die Sozialarbeit der Gemeinde] ziele nicht nur auf Arbeitssuche, sondern alle Kursteilnehmerinnen würden auch als Personen mit ihren Sorgen und Nöten ernst genommen. Und wenn es jemandem mal einem Tag schlecht ginge, dann solle sie dies sagen. Dies sei o.k. und würde jedem mal passieren. Und eines sei ganz wichtig: Hier seien alle gleich. Es gäbe keine Unterschiede, alle seien gleich. Und wir sollen diese Liebe hier, in San Ignacio, spüren. Das bedeute Caritas: Liebe. Er fragte: „Fühlt ihr euch ernst genommen?“, woraufhin Stille folgte. Niemand antwortete. Er versuchte es, irritiert, nochmals: „Nein? Fühlt ihr euch nicht ernst genommen?“ – Einzig Verónica sprach leise: „Ja.“ Mit Nachdruck hob er nochmals an, ob es wirklich nur eine sei, die sich angenommen fühle und fügte hinzu. „Fühlt ihr euch geliebt?“ Und wieder antworteten nur zwei Frauen ganz leise: „Ja.“ Der Pfarrer war sichtlich verunsichert und, anstatt weiter nachzufragen und die Feier als Möglichkeit zu nutzen, einen Raum für die verschiedenen Wahrnehmungen und Kritik zu eröffnen und so alle als Personen zu behandeln, wie er zuvor betont hatte, erzählte er die Geschichte der anwesenden Voluntaria Victoria (ohne diese zu fragen oder um deren Beschreibung ihrer Geschichte zu bitten). Ihr sei es auch sehr schlecht gegangen. In der Gemeinde hätte sie aber Unterstützung erfahren. Victoria würde hier, in der Gemeinde, unterstützt werden, würde aber gleichzeitig auch als Voluntaria anderen helfen.
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welche ihrerseits historisch wie aktuell im Zusammenhang zur katholischen Kirche stehen.
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Doch auch nach dieser Geschichte blieb die Stimmung bedrückt und keine Kursteilnehmerin regte sich. Die Voluntaria Mariela bat um das Wort: Sie sei hier in der Kirche, weil auch ihr die Kirche geholfen hätte. Nur wegen der Hilfe der Kirche hätte sie eine Ausbildung zur Schneiderin machen können. Sie sei vom Land und sei damals auch arm gewesen und musste, als sie nach Madrid kam, ebenso alles neu lernen. Nun ergriff Engracia das Wort und sagte, dass es sie erstaunen und beunruhigen würde, dass wir zu verstehen gäben, dass uns nicht zugehört würde. Wenn dies so sei, dann bitte sie, mit ihr darüber zu sprechen. Alle sollten wissen, dass sie immer für alle da sei und nicht nur zur Arbeitssuche. Wir sollten zu ihr kommen. Padre Isidorio griff dies nochmals auf, und betonte abermals, dass wir wissen sollten, dass sie tatsächlich für uns, für unsere Sorgen und Nöte da seien und dass wir uns dazu nur melden bräuchten, dass immer Zeit dafür sei, woraufhin Engracia lachend einwarf, dass dies so leider auch nicht der Fall sei, „weil die Armen kommen manchmal, wenn ich nicht kann, wenn ich mich um andere Personen kümmere, dann müssen sie manchmal lange warten, aber natürlich bin ich für sie da.“272 Nachdem die hinterfragten Praktiken und die unausgesprochene, aber von den Frauen deutlich kommunizierte Kritik durch den Pfarrer, Engracia sowie einzelne Voluntarias einseitig wieder zurecht gerückt waren, verabschiedete sich der Pfarrer und wünschte allen frohe Weihnachten. Das Thema wurde als abgeschlossen definiert, obwohl keine der migrantischen Kursteilnehmerinnen etwas gesagt hatte bzw. sagen konnte. Engracia bat nun alle, sich zum Mittagessen an den Tisch zu setzen, weil schon bald die SeniorInnengruppe käme und wir uns beeilen müssten. Während alle anderen aufstehen, ruft Daniela [eine Kursteilnehmerin], dass sie auch etwas sagen möchte. Engracia reagiert nicht auf sie, ignoriert sie. Amalia, die Voluntaria, besteht jedoch darauf, dass sie auch reden dürfte. Engracia weist auf das Zeitproblem hin, dass ja die SeniorInnen kommen würden. Letztlich darf Daniela jedoch sprechen und beginnt mit feierlicher und fester Stimme zu erklären, wie sie für die erhaltene Hilfe dankbar sei, dass sie aber sagen möchte, dass den Leuten in der Gemeinde „Feingefühl, um die Dinge zu sagen“ fehle. Sie würden die Sachen nicht mit Respekt sagen. „Wir sind aber auch Personen und man muss auch unsere Würde respektieren.“ Sie erzählt, wie eine Voluntaria sie in der Kirche, weil sie den Putzeimer nicht ganz mit Wasser gefüllt hatte (vor Kurzem hatte sie erst eine große Operation am Bauch gehabt), beschimpft hatte: „Du bist für nichts zunutze; du hast dies zu einer Scheiße gemacht; lass es und geh in die Küche.“ Victoria und Amalia, welche mir direkt gegenüber sitzen, schauen betroffen drein. Victoria weist Daniela jedoch zurecht, dass man nicht verallgemeinern dürfte. Sie würde sich für diese Person bei ihr entschuldigen. Ihr hätte aber eine Landsmännin von ihr (Kolumbien) auch einmal „Scheiß Spanierin“ gesagt, und deshalb würde sie auch nicht verallgemeinern. Engracia unterbricht das Thema und ruft dazu auf, dass wir nun essen sollten, weil es sonst zeitlich zu eng würde. Daniela solle ihr ihre Kritik persönlich sagen und hätte dies auch schon zuvor machen sollen. Hier und jetzt sei nicht der richtige Moment. Solche Dinge sollte man ihr direkt sagen. Und es würde sie interessieren, ob dies ein persönliches Problem von Daniela sei, woraufhin sie den Rest der Kursteilnehmerinnen fragt, ob denn auch den anderen schon so etwas passiert sei. Obwohl die schlechte Behandlung immer wieder Thema unter den Kursteilnehmerinnen und ein mehr oder alltägliches Problem war, reagierte in diesem Moment jedoch niemand. Meiner Meinung nach hatte dies einerseits damit zu tun, dass Daniela ein paar Tage zuvor Mandarinen vom Nachtisch der SeniorInnengruppe gestohlen und dafür die ganze Gruppe in Verdacht gebracht hatte und viele nicht wollten, dass sie als Sprecherin der Gruppe auftrat273, andererseits hatte es sich aber auch bereits ausgiebig erwiesen, dass es nicht gut war, im Kurs direkte Kritik zu formulieren, sondern diese vielmehr indirekt – wie in Form des Schweigens auf die Frage des Pfarrers – oder durch andere Formen des Widerstandes auszudrücken. Mit der direkten Kritik hatte Daniela Interessant, wie Engracia hier die Zusage des Pfarrers sofort zurücknimmt. Außerdem hatte Daniela ihre Rede eingeleitet, indem sie betonte, dass sie immer ehrlich und aufrichtig sei, was viele Kursteilnehmerinnen auf dem Hintergrund deren Mandarinenklauens verärgert hatte. 272 273
6.6 Ein Hausarbeitskurs in einer katholischen Gemeinde in Madrid
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ihre Chance, durch die Gemeinde vermittelt zu werden, praktisch zunichte gemacht, was für sie jedoch egal war, da sie bereits mehrere Arbeitsstellen über ihre persönlichen Netzwerke in Aussicht hatte.274 Und tatsächlich: Nur wenige Tage nach der Weihnachtsfeier, nämlich am ersten Januar, begann sie bei einer Familie zu arbeiten. Ihre offene Kritik war quasi auch ihr Abschied vom Hausarbeitskurs. Sicherlich gab es noch andere Gründe, weshalb die anderen Frauen schwiegen, welche ich jedoch nicht erfuhr. Viele wollten auch endlich essen, feiern und nach Hause gehen bzw. die Feier nicht ganz kaputt machen, da ein besonderes Essen und Geschenke auf alle warteten.
Die Kritik kam jedoch durchaus an. So nahm mich Charo nach der Feier zur Seite und sagte: „Sag mir, habe ich einen starken Charakter, ja oder nein? Ja klar. Ich habe einen starken Charakter, aber so bin ich nun mal.“ Sie erkannte also an, dass sie einen starken Charakter hätte und machte diesen dafür verantwortlich, dass sie die Frauen, wie sie implizit zugab, immer wieder anschrie. Sie schränkte aber sofort ein, dass auch Daniela kein Engel sei und eine der Frauen, die die Kirche putze, erklärte sie, hätte große psychische Probleme. Deshalb handle sie so. „Wir wissen das, klar, und mit dir kann man darüber reden, aber mit diesen da [sic], geht das nicht.“ Charo nahm also die Kritik an und bezog diese teilweise auf ihre eigene Person, entschuldigte ihr Verhalten jedoch durch ihren starken Charakter, welcher nun mal so sei und den man, so die implizite Botschaft, einfach akzeptieren müsste. Während im Falle der Migrantinnen deren Charakter zu disziplinieren und moralisch weiterzubilden war, entschuldigte sie ihr Verhalten als naturhaft. Das Beispiel, welches Daniela vom Putzen in der Kirche erzählt hatte, deslegitimierte sie, indem sie es zu einem Ausdruck einer kranken Frau und auf diese Weise zu einem Einzelfall erklärte und ihm außerdem die rassistische Konnotation nahm. Dass die Frau krank und daher nicht ernst zu nehmen sei, könnten Daniela und allgemein die Migrantinnen („diese da“) jedoch aufgrund ihrer Ungebildetheit (oder was auch immer Charo mit „mit diesen da [kann man nicht reden]“ meinte) nicht verstehen. Die erfahrene Misshandlung wurde so zu einem Problem einer einzigen Kursteilnehmerin umgedeutet. Auch in der Folgezeit änderte sich die Behandlung im Kurs nicht. Es konnte jedoch andererseits nicht geleugnet werden, dass die Kursteilnehmerinnen die vom Pfarrer postulierte Güte und Liebe negiert hatten. Vielmehr hatten Daniela mit ihrer offenen Kritik sowie der Rest des Kurses durch das Schweigen und die Verweigerung der Anerkennung hehrer Prinzipien die Öffentlichkeit der Weihnachtsfeier, an der der Pfarrer als höchste Autorität, Engracia als Leiterin des Kurses sowie fast alle Voluntarias teilgenommen hatten, genutzt, um sich das verweigerte Personsein anzueignen und sich gegen die Behandlung und einseitige Benutzung als migrantische Arbeitskräfte zur Wehr zu setzen. 274 Aufgrund der unterschiedlichen Bedingungen waren es vor allem Frauen, welche durch andere Personen finanziell unterstützt wurden und daher nicht so verzweifelt auf Arbeitssuche waren, die gegen die Behandlung und Einseitigkeit des Kurses Widerstand leisteten (bzw. leisten konnten). Die Verzweifelten konnten sich dies normalerweise nicht leisten und waren daher ideale Kursteilnehmerinnen, welche der verlangten „Arbeitsmoral“ entsprachen und daher auch keine offene Kritik formulierten.
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6 Arbeit als Hausarbeiterinnen
Im Kurs gab es immer wieder ähnliche Formen des Widerstandes, der Zurückweisung der Entpersonalisierung und Misshandlung in Form von Boykott, Verweigerung und Deslegitimierung und zwar weniger als direkte Kritik und Rebellion, sondern vielmehr als indirekter Widerstand oder in Form kleiner Veränderungen und Umfunktionalisierungen (vgl. Scott 1985). Zur Veranschaulichung soll ein kleines Beispiel von der gleichen Weihnachtsfeier reichen: Mit dem Mittagessen endete die Feier. Das Meiste war bereits gespült und es war nur mehr wenig zum Abspülen, Putzen und Aufräumen da. Zusammen mit zwei weiteren Frauen (Nancy und Alba) erklärte ich mich dazu bereit. Die Zeit war bereits fortgeschritten und die Voluntarias, welche das Essen für die PensionärInnen aufwärmen und austeilen kamen, waren bereits da. Sie gehörten zu einem anderen Team und hatten mit dem Hausarbeitskurs eigentlich nichts zu tun, außer, dass sie direkt nach dem Kurs zum SeniorInnennachmittag kamen und immer wieder irgendwelche Bestätigungen dafür suchten/fanden, dass Migrantinnen generell schmutzig und problematisch seien. Während sie den Platz, wo sie Kaffee kochten, oft mit Kaffeepulver sowie -flecken hinterließen, wurde jeder vom Hausarbeitskurs hinterlassene Ölspritzer zum Anlass von Schreien und Degradierungen genutzt. Oft gab es auch gar keinen direkten Auslöser dafür. Nach der Weihnachtsfeier war nun die Küche, als sie kamen, noch nicht ganz aufgeräumt und sauber, woraufhin sie uns anschrien und zwar in einer Art und Weise, wie es von Daniela bei ihrer Klage über die schlechte Behandlung im Hausarbeitskurs nicht besser hätte illustriert werden können. Ich putzte also den minmal verschmutzten Herd, damit sie das Essen warm machen konnten, was auch mit dem wenigen Schmutz, der noch dort war, möglich gewesen wäre. Ihr Geschimpfe ließ ich an mir abprallen, ignorierte sie also. Dies machte eine der Frauen nur noch wütender, woraufhin sie mich anfuhr, dass ich nicht lachen solle. Sie wurde richtig aggressiv mir gegenüber. Nancy stellte sich daraufhin schützend vor mich und sagte zu ihr: „Sie versteht es nicht. Sie kann kein Spanisch!“ Nancy meinte danach entschuldigend zu mir, dass mangelnde Sprachkenntnisse eine gute Erklärung seien und ich so in Ruhe gelassen würde. Sie hatte Erfolg. Die Voluntaria zog schimpfend davon. Wir lachten danach noch herzlich darüber.
Sich dumm und unwissend zu stellen, am besten ohne Sprachkenntnisse, erwies sich immer wieder als gute Strategie, wenn auch die meist verbreitetste Strategie diejenige war, schlechte Behandlung einfach zu ignorieren, wie ich dies im obigen Beispiel tat. Verónica wurde bereits zitiert, wie sie sagte, dass man die Voluntarias, wenn sie schlechte Laune hätten, einfach ignorieren sollte und nach ihrer Pfeife tanzen müsste. So würde man Probleme vermeiden (vgl. Eingangszitat zu 6.6.4). Sich unwissend und dumm zu stellen, war aber nicht nur erfolgreich, um Konflikte zu vermeiden. Es konnte auch bei der Arbeitsvermittlung durch die Gemeinde helfen, indem das Bild einer „idealen Hausarbeiterin“ zum Beispiel als Inszenierung einer ungebildeten, gefügigen Hausarbeiterin performt wurde, was oben als „Strategie der Unterwürfigkeit“ bezeichnet wurde (6.5.3, vgl. Scrinzi 2003, 3 für Parallelitäten in katholischen Hausarbeitskursen in Italien). In meiner Feldforschung konnte ich dies vor allem bei Frauen beobachten, welche dringend eine Arbeit suchten und nicht von anderen Personen in Spanien (oder anderen Ländern) finanziell unterstützt wurden, was oft bei gerade Angekommenen der Fall war, wenn das erste, mitgebrachte Geld ausgegangen war. Aber auch nach der Ankunft konnten immer wieder Notlagen eintreten, zum Beispiel,
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wenn eine gepflegte Person starb und die Hausarbeiterin so arbeitslos wurde. Da jedoch oft ganze Familien von den Geldsendungen abhängig waren und viele Frauen bei den geringen Löhnen kein Geld für sich in Spanien für Übergangs- oder Notzeiten sparen konnten bzw. wollten, waren sie auf schnelle Arbeitsfindung angewiesen. Derartig Verzweifelte waren es, welche vornehmlich die beschriebenen Formen von Performanz ausübten, vor allem dann, wenn dies implizierte, sich nicht nur punktuell, sondern über einen längeren Zeitraum zu erniedrigen.275 Eine weitere, damit kombinierbare Form stellte die Betonung eines Opferstatus dar, was teilweise sehr großzügige solidarische Reaktionen bewirkte, weil sie Schuldgefühle hervorriefen, wie bereits oben kurz erwähnt wurde. Andere Kursteilnehmerinnen gingen, wie von Guadalupe berichtet, ein klienteläres Verhältnis mit einer der Schlüsselpersonen, vornehmlich Charo, ein, oder versuchten es zumindest. Wieder anderen war diese Performanz und Klientelisierung egal (zum Beispiel Beatriz), da sie mehr auf ihre Netzwerke hofften, um Arbeit zu finden, und vom Hausarbeitskurs vor allem die Teilnahmebescheinigung erhalten und sich mit anderen Frauen in ähnlicher Situation treffen wollten (vgl. auch García-Cano Torrico 2004, 218ff). Die Kursteilnehmerinnen lassen sich grob in zwei Gruppen einteilen, welche sich bezüglich ihrer Bedingungen, Ressourcen, Strategien und Motivationen zur Kursteilnahme unterscheiden: Wer ohne Unterstützung war und dringend einer Lohnarbeit bedurfte, setzte seine ganze Energie und Konzentration auf eine Arbeitssuche. Diese Gruppe muss Arbeit finden, letztendlich (vor allem, wenn erst kurz angekommen) ziemlich egal wie und unter welchen Bedingungen (vgl. 6.5.2). Insofern bestätigt sich, was Hondagneu-Sotelo in Bezug auf die Hausarbeitsvermittlungsagentur „Domestic Desperation“ in Los Angeles schreibt: „These women are among the most desperate job seekers, and that is why they have come to ‘Domestic Desperation’.“ (Hondagneu-Sotelo 2001, 92) Kursteilnehmerinnen, welche dringend eine Arbeit benötigten, gehörten zu derartigen „most desperate job seekers“. Sie nahmen mehr oder weniger jegliche Angebote an, welche Engracia ihnen vermittelte, unabhängig von den Arbeits- und Lohnbedingungen. Sie entsprachen ganz dem Ideal der hoch flexiblen und belastbaren Arbeitskräfte und waren somit von der Gemeinde auch leichter vermittelbar und erwünschter. Neben dieser Gruppe der „Verzweifelten“ gab es im Hausarbeitskurs eine zweite Gruppe, welche zwar auch auf Arbeitssuche war, jedoch nicht in der gleichen Unmittelbar- und Dringlichkeit. Viele Kursteilnehmerinnen hatten kleine Kinder (teilweise Neugeborene), waren schwanger oder wurden, wenn es sich um ältere 275 Bei manchen zeigte sich, wenn sie aufgrund ihrer Arbeitslosigkeit ohne finanzielle Mittel blieben, nicht nur eine Veränderung bzw. Affirmierung ihrer Strategien, sondern auch eine Verschlechterung ihrer Kleidung und Gesundheit (Körpergewicht, Müdigkeit und Ähnliches).
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Frauen handelte, von ihren Kindern unterstützt, welche nicht wollten, dass ihre Mütter eine schlecht bezahlte und anstrengende Arbeit (in Relation zu den Durchschnittslöhnen und durchschnittlichen Arbeitsbedingungen als Hausarbeiterinnen) annahmen. Schwangere Frauen oder Frauen mit kleinen Kindern waren unflexibler, weniger belastbar und suchten stundenweise Arbeit oder eine Arbeit als Externa. Sie wurden als Familienangehörige, meist Partnern, unterstützt und brauchten nicht in der gleichen Dringlichkeit Geld wie die erste Gruppe. Andere waren nicht auf direkter Arbeitssuche, sondern wollten sich durch den Kurs für eine zukünftige Arbeit qualifizieren, zum Beispiel für die Zeit nach der Geburt des Kindes oder wenn die Kinder größer sind. Die Teilnahmebescheinigung sollte also als Kapital für die (spätere) Arbeitssuche dienen und dafür eine zusätzliche Ressource darstellen. Nicht alle Kursteilnehmerinnen waren also auf (unmittelbarer) Arbeitssuche, weshalb auch das Lernen (Kochen, Handarbeit, Bügeln) von vielen Kursteilnehmerinnen nicht nur als Ressource zur Arbeitssuche betrachtet wurde, sondern auch als Freizeitbeschäftigung bzw. als Möglichkeit, durch Handarbeiten Geld zu sparen.276 Den Frauen dieser zweiten Gruppe war der soziale Aspekt des Kurses daher besonders wichtig: reden, neue Leute kennenzulernen, Freundschaften zu knüpfen, die eigenen vier Wände zu verlassen. All das wurde in Interviews und informellen Gesprächen als wichtige Seiten des Kurses genannt. Dies gilt sowohl für „Verzweifelte“ als auch „Unterstützte“, mit dem Unterschied, dass es für Erstere ein wichtiger Nebeneffekt war (zumal oft Netzwerke ihnen letztlich Arbeitsangebote vermittelten), für unterstützte Migrantinnen jedoch auch einer der Hauptaspekte sein konnte: Der Langeweile zu entkommen und/oder andere Migrantinnen kennenzulernen, sei es aus sozialen (Freundinnen finden, sich entspannen) oder aus arbeitstechnischen Gründen (Arbeitsvermittlung über Netzwerke). Magdalena erklärte mir beispielsweise auf meine Rückfrage, wie sie Spanien heute beschreiben würde, nachdem sie zuvor von ihren Anfangseindrücken von Spanien als Gefängnis („una carcel“) gesprochen hatte, von sich aus in Referenz auf den Kurs: „Und wie würdest du Spanien jetzt beschreiben, wenn dich jemand frägt?“ – „Schon besser, weil früher habe ich nicht gearbeitet, ich war schwanger, ich war die ganze Zeit nur in meinem Zimmer277. Auch deshalb erschien es mir wie ein Gefängnis. Aber jetzt komme ich, wie gesagt, zu diesem Kurs und alles ist besser für mich, weil ich jeden Tag rauskomme, andere Leute treffe. Jetzt wird es für mich besser werden, nicht wahr?“ (Magdalena)
276 So brachten einige Kursteilnehmerinnen, als es darum ging, für den Weihnachtsbasar zu sticken, stricken und zu häkeln, selbst Wolle mit und begannen, etwas für sich anzufertigen, was von manchen Voluntarias unterstützt, von Engracia aber nicht gerne gesehen wurde. Während des Handarbeitsunterrichtes stellten die Frauen zudem die soziale, kommunikative Seite in den Vordergrund, wodurch aus dem Unterricht mehr ein nettes Zusammensein wurde, etwas, was von Charo (und manchmal auch Rosario) meist unterbunden wurde, außer sie war selbst in die Gespräche involviert und kontrollierte diese. 277 In einem Piso compartido.
6.6 Ein Hausarbeitskurs in einer katholischen Gemeinde in Madrid
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Magdalena beschreibt hier, dass sich ihr Leben durch die Teilnahme am Kurs sowie durch eine (von FreundInnen vermittelte) stundenweise Arbeit bereits verändert hat. Sie bringt ferner die Hoffnung zum Ausdruck, dass ihr der Kurs noch mehr ermöglichen wird. Dabei geht es ihr neben der Arbeit und der damit verbundenen Möglichkeit, als Familie ihr Migrationsprojekt (Hausbau, Rückkehr nach Ecuador) zu verwirklichen, auch und vor allem um die sozialen Aspekte des Kurses („andere Leute treffen“; „rauskommen“). War sie nach ihrer Ankunft, Schwangerschaft und Geburt praktisch nur alleine zu Hause geblieben, hatte keine Kontakte („wie ein Gefängnis“) und war es ihr sehr langweilig gewesen, empfand sie den Kurs als einen wichtigen Schritt in ihrem Migrationsprozess hin zur Verbesserung ihrer Situation. Nicht nur Magdalena beschrieb dies. Für viele Frauen mit kleinen Kindern bzw. in Partnerschaften war die Teilnahme am Kurs ein erster Schritt raus aus ihren vier Wänden, aber auch raus aus einem Leben in Einförmigkeit in einem kleinen Zimmer hin zu neuen Freundinnen, Themen, Informationen und Kenntnissen bis hin zur Arbeitssuche. Im Kurs bzw. danach tauschten sie sich über verschiedene Strategien der Arbeitssuche aus, teilten ihre Probleme und Sorgen und besprachen, was als normaler Lohn und als durchschnittliche Arbeitsbedingungen gelten kann. Es kehrte auch eine neue Form von Normalität für viele Frauen ein, da sie nun eine Gruppe hatten, mit der sie nachmittags nach dem Kurs noch zusammen tratschen, einkaufen oder gemeinsam essen konnten. Viele Frauen, welche nach bzw. außerhalb des Kurses zu mir (zu einem Interview) kamen, erklärten mir, dass dies das erste Mal sei, dass sie alleine unterwegs seien und dass sie bei jemand Anderem zu Gast seien. Jedoch nicht nur ich initiierte Treffen zu Hause, auch andere Frauen luden dazu ein, nach dem Kurs das Gekochte gemeinsam bei sich zu essen, was, da alle Kursteilnehmerinnen im Viertel wohnten (und wohnen mussten, um daran teilnehmen zu dürfen), leicht zu organisieren war und oft angenommen wurde. Eine Frau machte beispielsweise ein Abendessen zu ihrem Geburtstag und lud mehrere Frauen ein. Andere organisierten für eine hochschwangere Kursteilnehmerin ein „Babyshower“, eine Party vor der Geburt, wozu jedoch nicht alle kommen konnten. Manche mussten (kurzfristig) arbeiten. Andere kamen nicht, weil sie kein Geld hatten, um sich an den Kosten zu beteiligen, geschweige denn ein Geschenk zu kaufen. Obwohl beteuert wurde, dass dies egal sei, kamen sie nicht.278 Im Kurs bildete sich auch eine Gruppe279, welche hin und wieder gemeinsam tanzen ging. All diese Aspekte bedeuteten für die Frauen eine Zäsur im Migrationsprozess.280 Bei 278 Das Fest wurde bei mir gefeiert. So wurde es von Sofía festgelegt, weil ich zwar auch nur eine kleine Wohnung bewohnte, aber alleine, nicht in einer MigrantInnen-WG wie alle anderen. Bei mir konnte man frei über Zeit und Raum verfügen. Es musste lediglich mein Mann gefragt werden. 279 Es handelte sich hierbei um Frauen, welche kinderlos waren oder ihre Kinder nicht bei sich im Kurs hatten. 280 Vgl. Hess 2005, 158ff: Hess berichtet, wie bei den von ihr erforschten slowakischen Au-pairs in Deutschland Deutschkurse ein wichtiger Einschnitt ihrer Migration darstellten. Im Kurs lernten die Frauen andere Slowakinnen kennen und schöpften durch Kontakte mit Frauen in ähnlichen Situationen
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Frauen, welche kein Spanisch konnten oder Analphabetinnen waren, wurde diese Bedeutung durch den Sprach- und Schreibunterricht noch unterstrichen.281 Der Hausarbeitskurs war daher auf verschiedenen Ebenen für den Migrationsverlauf und allgemein den Alltag bedeutsam. So erfolgte die Arbeitssuche bzw. das Finden einer Arbeit nicht nur direkt über die Arbeitsvermittlung der Gemeinde, sondern gerade auch über die Netzwerkbildung im Kurs und die Kursbescheinigung. Gleichzeitig wurde deutlich, dass der Kurs als solcher, indem er den Frauen einen Raum zur Netzwerkbildung, zum Kennenlernen anderer Frauen, zur Betätigung und zum Verlassen der Wohnung eröffnete, unabhängig von einer Arbeitsvermittlung einen wichtigen Einschnitt im Migrationsprozess darstellte. Diese Aspekte wurden von der Kursleitung jedoch nicht geschätzt, vielmehr liefen sie dem Konzept des Hausarbeitskurses mit dessen Entpersonalisierung und Disziplinierung der Migrantinnen diametral entgegen. Einziges Ziel sollte die Arbeitssuche als migrantische Hausarbeiterin sein, wobei die Freude an Handarbeit und deren Ausübung als Sparmöglichkeit zwar nicht erklärtes Ziel war, aber geduldet wurde, entsprach dies doch dem Frauenbild und der Idee des Handarbeitsunterrichtes, welche bereits zitiert wurde: „[D]as ist etwas, das für eine Frau, eine Hausfrau wichtig ist.“ (Engracia) Engracia sprach zwar immer wieder davon, wie wichtig Kochkenntnisse bei der Arbeitsvermittlung seien und dass die Kursteilnehmerinnen eine Bescheinigung über die Teilnahme am Kochkurs erhalten würden, viele Frauen mussten jedoch wochen- und sogar monatelang auf ihre Teilnahmebescheinigungen warten. Genauso wenig wie das Zertifikat, stand die Netzwerkbildung im Zentrum des Kurses, wohingegen sie für viele Kursteilnehmerinnen einer der wichtigsten Faktoren darstellte. Die Arbeitssuche sollte jedoch restriktiv auf die Vermittlung über den Kurs beschränkt sein. Die Devise lautete: „Alles, was mit Arbeit zu tun hat, muss über Engracia gehen“ (mehrfach von Charo und Rosario, aber auch von Engracia selbst so verkündet). Gespräche untereinander über mögliche Arbeitsstellen, Vor- und Nachteile derselben sowie mögliche Strategien (zum Beispiel der Lohnverhandlungen) wurden kritisiert oder auch sanktioniert, von den Migrantinnen jedoch dennoch geführt, sei es während des Kurses oder außerhalb. So gingen Frauen beispielsweise gemeinsam nach dem Kurs zu anderen Hausarbeitsbörsen oder vermittelten untereinander Arbeitsangebote weiter, wenn eine Frau diese (zum Beispiel wegen ihrer Kinder) nicht annehmen konnte. Auch die Kinderbetreuung wurde oft untereinander organisiert, sodass zum Beispiel eine Frau ein Arbeitsangebot an-
Mut zur Umorientierung und entwickelten Konfliktstrategien für Probleme bei ihren Arbeitsstellen. Im Austausch konnten sie zudem erkennen, welche Arbeitsbedingungen normal und welche nicht normal waren. Außerdem konnten sie Netzwerke schaffen sowie notwendige Informationen erfragen, welche es ihnen erlaubten, nach Ablauf ihrer Au-pair-Zeit illegalisiert in Deutschland zu bleiben. 281 Manche Frauen sagten jedoch nicht, dass sie nicht lesen und schreiben konnten und erhielten/wünschten daher keinen Unterricht.
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nahm und eine andere Frau aus dem Kurs dafür bezahlte, währenddessen auf ihr Kind aufzupassen. Der Kurs war also ein wichtiger Beitrag für die Frauen und eine wichtige Ressource im Migrationsprozess, bei ihrer Integration, jedoch auch aufgrund anderer, nicht intendierter Aspekte, welche die Frauen gegen Sanktionen und die ausdrücklichen Vorgaben der Kursleitung (teilweise mit Unterstützung mancher Voluntarias) verfolgten. Diese Aspekte entsprachen jedoch nicht dem Ziel des Kurses, obwohl sie für die Arbeitssuche sowie die Integration in die spanische Gesellschaft und den Arbeitsmarkt wichtig wären, wie das obige Zitat von Magdalena zeigt. Dazu bedürfte es jedoch eines breiteren Verständnisses von Integration sowie der Anerkennung der Migrantinnen als Personen. Nur so könnte der Kurs nicht nur unverhandelte, funktionale Arbeitsvermittlung disziplinierter Hausarbeiterinnen sein. Dann könnte auch sein Potential als wichtige Zäsur im Migrationsprozess zu Gunsten der Migrantinnen genutzt werden. Dies alles war jedoch nicht erwünscht und widersprach den dem Kurs zugrunde liegenden Prinzipien. 6.6.5 Integration und Erziehung zur nachgefragten, untergeordneten und entpersonalisierten Hausarbeiterin „Man kann sagen, dass die Funktionen, die diese Art von Ausbildung erfüllen, folgende sind: Sozialisierung der ausländischen Bevölkerung in die Normen und Verhaltensweisen der Aufnahmegesellschaft; Reproduktion einer segmentierten Arbeitskraft gemäß ihrer Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe sowie gemäß des Geschlechts (...) und schließlich Schaffung von Räumen sozialer Beziehungen und Interaktionen zwischen der ausländischen Bevölkerung jenseits der Beziehungen, die mit der nationalen Bevölkerung etabliert werden.“ (García-Cano Torrico 2004, 237)
Der Hausarbeitskurs stellt eine Mittlerinstitution zwischen globaler Ökonomie, spanischer Gesellschaft, Privathaushalten, Migrantinnen und deren Handlungsstrategien sowie Projekten dar. Im Kurs werden die Migrantinnen in die ihnen von der spanischen Gesellschaft, dem spanischen Arbeitsmarkt (im Kontext der globalen, neoliberalen Ökonomie), der Gesetzgebung und anderen Institutionen des Migrationsregimes adskribierte Rolle als Hausarbeiterinnen erzogen. Auf diese Weise wird die Sozialstruktur realisiert, reaffirmiert und die Möglichkeiten der Migrantinnen auf die Hausarbeit hin strukturiert. Der Hausarbeitskurs dient dabei der Institutionalisierung der Hausarbeit und insofern als Migrationsinstitution (vgl. auch Goss/Lindquist 1995): Er kanalisiert Handlungen und Strategien der Migrantinnen, während er gleichzeitig von diesen (wie auch von den Voluntarias) gemäß eigener Bedürfnisse und Möglichkeiten benutzt und umfunktionalisiert wird (vgl. auch Dolores Juliano 2000, 387282), wenn auch innerhalb der strukturellen Bedingungen. „Migration“ wird 282 Dolores Juliano beschreibt, wie Migrantinnen sehr schnell lernen, die sozialen Hilfsdienste zu ihren Gunsten zu nutzen.
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dabei je individuell und je nach Gruppenzugehörigkeit (Migrantinnen, Voluntärinnen, Pfarrer, Sozialarbeiterin, andere Gemeindemitglieder, zukünftige ArbeitgeberInnen) unterschiedlich verstanden, beurteilt und verfolgt. Die Macht über die Organisation und Strukturierung des Kurses und dessen Signifikationen hat dabei die Gemeinde, im Konkreten Engracia und Padre Isidorio, inne. Gleichzeitig versucht sich die Gemeinde bzw. die katholische Kirche durch eine Etablierung als Migrationsinstitution (im Sinne von karitativer Arbeit) strukturell in der spanischen Gesellschaft zu etablieren und ihre Machtposition zu sichern. Im Hausarbeitskurs kommen daher verschiedene Ebenen und Interessen unterschiedlicher AkteurInnen zusammen. Durch organisatorische Macht wird den Möglichkeiten ein Rahmen gegeben, welcher stark begrenzend wirkt, ohne jedoch einseitig determinierend zu sein. Wie aufgewiesen wurde, werden die Migrantinnen durch verschiedene soziale Prozesse in die Haushaltsarbeit gelenkt, welche auch gesetzlich zu Gunsten der ArbeitgeberInnen organisiert ist, was im Hausarbeitskurs deutlich wurde. Dieser stellt aber auch ein wichtiges Kapital für die Migrantinnen dar und ist somit nicht nur einseitig beschränkend. Die migrantischen Kursteilnehmerinnen benutzen ihn als Ressource für den Zugang zu einer Arbeit (ohne Papiere), welche die grundlegende Bedingung der Möglichkeit der Realisierung ihrer Migrationsprojekte darstellt, aber auch zur Eröffnung anderer Möglichkeiten (Netzwerkbildung, der Langeweile Entkommen, Lernen etc.) und manipulieren die Regeln und Positionen in Form von Performanz derselben, Klientelisierung und Ähnlichem. Auch die Hausarbeit wird von den Migrantinnen innerhalb der Bedingungen der Möglichkeiten (strategisch) genutzt. Trotz aller Formen von Entpersonalisierung, Disziplinierung, Ausbeutung, Unterbezahlung und Misshandlung eröffnet der Hausarbeitskurs und auch die bezahlte Hausarbeit den Ecuadorianerinnen auch Chancen, Geld zu verdienen und ihre eigenen Projekte (zumindest teilweise und modifiziert) zu realisieren, was es nun näher zu untersuchen gilt. Im Folgenden werden die Erfahrungen, Wahrnehmungen, Strategien wie Bewertungen von Haushaltsarbeit dargestellt und analysiert. Dabei steht die Spannung zwischen Entpersonalisierung (durch das Migrationsregime bzw. die konkrete Arbeit) auf der einen Seite und die Aneignung, das Einbringen des eigenen Personseins sowie die Verfolgung des Migrationsprojektes auf der anderen Seite im Zentrum der Betrachtung.
7 Strategien, Handlungsspielräume und Möglichkeiten
„Die Sklaverei ist schon seit Langem vorbei.“ (Mónica)
„Die Sklaverei ist schon seit Langem vorbei.“ Mit diesen Worten klagten Mónica und andere Migrantinnen immer wieder über ihre Arbeitsbedingungen. Dabei ging es um ihre Behandlung, ihre Reduktion auf eine entpersonalisierte Arbeitskraft, aber auch um ihren Handlungsspielraum, welcher teilweise in Analogie zur Sklaverei, aber gerade auch in der Betonung des Unterschieds zur Sklaverei bestimmt wurde. Es ging also sowohl um Grenzen als auch um Möglichkeiten und somit um die Rahmenbedingungen und die Zielsetzungen ihrer Handlungsstrategien. Die beiden Aspekte – starke Begrenzung und Einschränkung der Handlungsmöglichkeiten einerseits und Vertrauen in Veränderungsmöglichkeiten sowie praktische Aushandlung von Rechten und Widerstand andererseits – waren Grundlage der meisten Handlungsstrategien, worum es im Folgenden nun gehen soll. Die von den ecuadorianischen Hausarbeiterinnen verfolgten Strategien lassen sich heuristisch in solche unterteilen, welche direkt mit der Arbeit verbunden sind (7.1) und andere, welche außerhalb der Arbeit auf eine Verbesserung der Situation als Migrantin in Madrid zielen (7.2). Die Strategien am Arbeitsplatz betreffen aufgrund der besonderen Dichte der Beziehungen besonders Internas sowie Externas und können je nach konkreter Situation, Ressourcen und Prioritäten mehr oder weniger verfolgt werden. Beide Formen der Strategien hängen miteinander zusammen und gehen teilweise direkt ineinander über. Die Analyse der Handlungsstrategien zeigt, wie sich die ecuadorianischen Haushaltsarbeiterinnen ihre Arbeit und ihre Möglichkeiten aneignen und zu verändern versuchen. Dabei werden gemäß des praxeologischen sozialtheoretischen Ansatzes Strukturen wie Handlungen notwendig aufeinander bezogen verstanden, weshalb die Untersuchung der Strategien gleichzeitig auch die Handlungsmöglichkeiten und die Ressourcen der Frauen erforscht. Es wird deutlich, dass diese nicht für alle Frauen gleich sind, weshalb die Unterschiede zwischen den Migrantinnen herausgearbeitet werden. Vor diesem Hintergrund wird abschließend die Frage gestellt, inwiefern Haushaltsarbeit ermöglichend, ob sie nicht vielmehr verhindernd ist und wie die Frauen selbst ihre Migration beurteilen (7.3).
Heike Wagner, Dasein für Andere – Dasein als Andere in Europa, DOI 10.1007/978-3-531-92167-9_7, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2010
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7 Strategien, Handlungsspielräume und Möglichkeiten
7.1 Strategien bei der Haushaltsarbeit „Bitte nicht stören, ich bin am Kochen“ (Mónica)
Bezahlte Haushaltsarbeit charakterisiert sich durch die Dichte und Personalität der Arbeitsbeziehung, vor allem, wenn Kinder, Alte und/oder Kranke betreut werden und es sich um ein Arbeitsarrangement als Externa, vor allem als Interna handelt (vgl. 6.4). Auf der Dichte der Beziehung beruhen aber nicht nur eine Vielzahl der mit bezahlter Haushaltsarbeit verbundenen Problemfelder, sondern auch Strategien und Aushandlungen. Oben wurde beispielhaft ausgeführt, wie ArbeitgeberInnen gelegentlich gegen ihren eigenen Wunsch Hausarbeiterinnen nicht entlassen, weil ihre Kinder bzw. alte oder kranke Familienangehörige sie ins Herz geschlossen haben. Daraus ergibt sich ein zusätzlicher Handlungs- und Aushandlungsspielraum, da die Beziehung strategisch zur Aushandlung besserer Arbeitsbedingungen benutzt werden kann, wenn auch ohne Garantie auf Erfolg: Die Grenzen definieren die ArbeitgeberInnen, und so kann es genauso passieren, dass eine Hausarbeiterin entlassen wird, obwohl die Kinder dies nicht wünschen. Die Aushandlung der Beziehung findet also im hierarchischen Kontext der Haushaltsarbeit statt (6.4.2) und ist nicht beliebig. Trotz der Restriktionen leisten die migrantischen Hausarbeiterinnen aber Widerstand, nutzen und manipulieren ihren Handlungsspielraum und verfolgen ihre Bedürfnisse und Ziele. 7.1.1 „Bitte nicht stören, ich bin am Kochen” und andere Strategien bei der Arbeit Mónica erklärte mir, dass sie mit „Nicht stören, ich bin am Kochen” eine wirksame Strategie gefunden hätte, um sich zurückzuziehen und Ruhe auszubitten. Wie ausgeführt, war ihre Arbeit ausgesprochen anstrengend und durch die Altersdemenz des von ihr gepflegten Mannes vor allem psychisch belastend. Sie hatte nur wenig Ansprache, kaum Freizeit und Kontaktmöglichkeiten, kein eigenes Zimmer, praktisch keine Bestätigung in ihrer Arbeit, oft keine Ruhe und auch nachts Arbeit, wenn der alte Mann versorgt werden musste. In dieser Situation entdeckte sie das Kochen für sich als „Hobby”, wie sie sagte. Einerseits konnte sie sich in der Küche einen persönlichen Ort des Rückzugs und einen Freiraum schaffen. Andererseits hatte sie auf diese Weise sehr sinnliche Vergnügen und Erfolgserlebnisse, welche ihr neben Freude auch Anerkennung durch den Sohn des gepflegten Mannes brachte, für den sie kochte. Beim vergnüglichen Kochen konnte sie aber auch sich selbst verwöhnen. Die Arbeitsbedingungen änderte sie auf diese Weise zwar nicht grundlegend, milderte jedoch den Stressfaktor der Arbeit ab. Auch die erwähnten Strategien, sich mit anderen HausarbeiterInnen des gleichen Mehrfamilienhauses auf der Dachterrasse zum gemeinsamen Wäscheaufhän-
7.1 Strategien bei der Haushaltsarbeit
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gen und Gespräch zu treffen oder sich analog auf dem Kinderspielplatz mit anderen Kinderbetreuerinnen zu verabreden (vgl. 6.4.2.1), sind Versuche, die persönlichen Bedürfnisse (nach Ruhe, Soziabilität etc.) mit der Arbeit zu verbinden, ohne in diese selbst grundlegend eingreifen und die Bedingungen verhandeln zu müssen. Dadurch kann eine Optimierung der Arbeitsleistung erfolgen, ohne diese selbst zu ändern.283 Neben diesem sanften Einbringen und Ausleben der eigenen Bedürfnisse ohne direkten Eingriff in den Arbeitsablauf versuchen HausarbeiterInnen auch, strategisch ihre Arbeitssituation zu verbessern, wobei verschiedene Zeitfenster zu unterscheiden sind. Manche Hausarbeiterinnen akzeptieren bewusst schlechte Arbeitsbedingungen und inszenieren das von den ArbeitgeberInnen angetragene Bild einer „idealen Hausarbeiterin“ in der Hoffnung, dass daraus mit der Zeit eine Grundlage für Verhandlungen entstehen kann. Andere hingegen handeln Arbeitsbedingungen und tragen Konflikte direkt, d.h. im Moment, aus, sei es formell oder informell durch Austasten und punktuelle Grenzüberschreitungen. Oft werden die verschiedenen Strategien kombiniert und situativ verfolgt. Bei allen drei Formen stellt Zeit ein wichtiger Faktor dar. So vergrößern sich bei „etablierten“ Migrantinnen aufgrund der Zeit normalerweise die Ressourcen (Netzwerke, Informationen, Finanzen, etc.), weshalb für sie die Risiken und Unsicherheiten, welche zum Beispiel mit einer Kündigung oder der Beendigung einer Arbeitsstelle verbunden sind, verringern. Mit der Zeit legalisieren sich zudem viele Migrantinnen, was ihre Möglichkeiten zusätzlich verändert.284 Auch strategisch wird mit dem Faktor Zeit gerechnet: Lydia wurde beispielsweise von der Vorgängerin ihrer Arbeit explizit darauf hingewiesen, dass sie erst zeigen solle, dass sie gut arbeite, dann könnte sie die Arbeitgeberin darum bitten, ihr einen offiziellen Vertrag auszustellen und sie bei den Legalisierungsformalitäten zu unterstützen. Es geht also darum, „gut zu arbeiten”, sich nicht zu beschweren, eine Performanz der scheinbar „perfekten Haushaltsar283 Eine ähnliche, die festgesetzten Grenzen wahrende und gleichzeitig den eigenen Kontrollbereich ausweitende Strategie stellt die oben erwähnte Praxis dar, FreundInnen bzw. Bekannte für den Dienst am Wochenende und/oder als Aushilfe unter der Woche zu rekrutieren. Auf diese Weise werden von der Hausarbeiterin eingeführte „Normalitäten“ auch von ihrer Vertretung praktiziert, wodurch bestimmte Zugeständnisse und Ausgehandeltes nicht mit dem Argument zurückgenommen oder relativiert werden können, dass die „Frau vom Wochenende“ sich nicht über bestimmte Dinge beschwert und es ihr nichts ausmacht, gewisse zusätzliche Aufgaben zu erledigen. Jedoch nicht immer sind die ArbeitgeberInnen zu derartigen Arrangements bereit, während es andererseits auch nicht einfach ist, jemanden zu finden, die unter der Woche gelegentlich aushelfen kann, da die Meisten (regelmäßig) arbeiten oder kleine Kinder versorgen. 284 Die Zeit in Spanien ist daher ein Differenzfaktor, welcher Hierarchien unter MigrantInnen schafft. Diese Hierarchien unterscheiden auch verschiedene „Migrationsgruppen“ gemäß derer Zeit in Spanien. Escrivá berichtet beispielsweise in ihrer Studie zu peruanischen Haushaltsarbeiterinnen in Barcelona, dass die Peruanerinnen Ende der 1990er Jahre in ihren durch Prekarität und Irregularität gekennzeichneten Arbeiten durch Ecuadorianerinnen ersetzt wurden. Die Peruanerinnen konnten bessere Arbeitsbedingungen (in der Mehrzahl in anderen Privathaushalten) erlangen (vgl. Escrivá 1999, 372).
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beiterin“ zu geben, um so die eigene Verhandlungsposition zu verbessern.285 Dies beinhaltet oft aber auch, dass Ausbeutung und Misshandlung in der Hoffnung erduldet werden, die eigene Lage in der Zukunft zu verbessern. Die strukturelle Unterordnung und der Ausschluss aus Schutzmechanismen als „Illegalisierte“ und Arbeiterinnen in der Privatsphäre der Anderen unterstützen diese Probleme. Viele MigrantInnen leben daher in einer Art „Aus-Zeit”, „Zwischen-Zeit“ oder „Übergangs-Zeit“, dem unter 5.2.3 beschriebenen Schwellenzustand, welcher entweder in transnationaler Projektion auf eine Überwindung durch Rückkehr nach Ecuador oder eine Verbesserung durch Veränderung der persönlichen (Arbeits)Situation in Spanien zielt.286 Mónica erzählte beispielsweise in einem Interview mit ihr über ihre Arbeit in der Vergangenheitsform und projizierte sich auf diese Weise in eine bessere Zukunft. In diesem Sinne wird eine Arbeit als Interna auch als Strategie in der Anfangszeit betrachtet, da sie als Illegalisierte mehr Schutz vor Polizeiaufgriffen und somit Ausweisung bietet (vgl. auch Lutz für Deutschland 2003, 256ff). Haushaltsarbeiterinnen handeln Bedingungen aber auch direkt aus und/oder setzen ihrerseits Grenzen. Dies kann wie im folgenden Fall von Guadalupe lediglich eine punktuelle Grenzsetzung sein, umfasst aber möglicherweise auch das Verhandeln festgesetzter Bedingungen wie Lohn, Arbeitszeiten und Ähnliches. Bei Guadalupe ging es um die Forderung der von ihr gepflegten Frau, abends zusammen im Dunkeln den Rosenkranz zu beten. Guadalupe, selbst sehr religiös und in ihren Strategien meist auf Unterordnung und Gehorsam setzend, weigerte sich hier aber: Sie würde zu der alten Frau sagen, dass sie entweder im Hellen beten oder gar nicht, erklärte sie mir. Im Dunkeln auf alle Fälle nicht. Sie betonte mir gegenüber mehrfach, dass die alte Frau ihrer Meinung nach „nicht ganz normal“ sei. Als sie mit dem Rosenkranz im Dunkeln noch mehr als bisher die Grenze des für Guadalupe Normalen überschritt, setzte diese ihrerseits eine Grenze und war auch zu einer Konf-
285 Was jedoch keinerlei Garantie darstellt. Sofía verlor beispielsweise eine Arbeitsstelle als Interna, nachdem sie nach drei Monaten Arbeit, bei der, wie sie sagt, „alles gut zu laufen schien“, danach bat, „ihre Papiere zu machen“, das heisst, ihr einen offiziellen Arbeitsvertrag auszustellen und so einen Legalisierungsprozess zu beginnen: „Ich war drei Monate in diesem Haus. Es schien, als ob alles gut laufen würde. Ich bat sie, dass sie mir die Papiere machen. Sie sagte mir, ok, dass sie sie mir machen würden, aber als sie das Papier unterschreiben musste (...), sagte sie mir nein (...). Nach ein paar Tagen sagte sie mir, (...) dass die Schwester ihr etwas gesagt hätte, dass ich nicht gut arbeiten würde. Was weiss ich, oder sie suchten nur einen Vorwand“ (Sofía) 286 Oft können die anvisierten Ziele („in zwei Jahre kehre ich zurück“) nicht in der geplanten Weise verwirklicht werden, und andererseits erweisen sich erreichte Schritte in Spanien nicht als die erhofften Ermöglichungen (vgl. Kap. 5). Eine Legalisierung bringt zwar verschiedenste Formen von Sicherheit und die Möglichkeit, nach Ecuador und wieder zurück nach Spanien zu reisen. Das Verlassen des Sektors „Haushaltsarbeit“, wie oft erwünscht, ist dadurch jedoch, zumindest zunächst, nicht möglich, da der Aufenthaltstitel vielmehr legal an eine Arbeit als Hausarbeiterin gekoppelt ist (7.2).
7.1 Strategien bei der Haushaltsarbeit
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rontation darüber bereit, da sie die Forderung nicht nur befremdlich, sondern auch als bedrohlich empfand.287 Die migrantischen Hausarbeiterinnen leisteten verschiedenartig Widerstand bei ihrer Arbeit. Natalia berichtete (vgl. 6.4), wie sie, wenn die von ihr versorgte Frau beim Essen zu unverschämt und beleidigend wurde, ihren Teller nahm, in die Küche ging und ihr somit die Essensgemeinschaft, aber auch sich selbst als Objekt der Beschimpfungen entzog. Sie boykottierte das gemeinsame Mahl. Auch Mónica setzte Grenzen und leistete Widerstand gegenüber unwürdiger Behandlung: Falls der von ihr gepflegte Mann zu unverschämt wurde, schimpfte sie zurück, jedoch nur, wenn sie mit ihm alleine war: „Dass ich (...) die Beleidigungen aushalten solle: ‚Ah, du bist ein Esel, du bist das, du bist jenes (...) und lauter Sachen, die man ihm [dem Sohn] mitteilen musste. Aber wenn wir beide [mit dem zu pflegenden Mann] alleine waren, dann habe ich das nicht zugelassen. Wenn er ‚pu’ gesagt hat, dann habe ich ‚pa’ gesagt. Denn ich war nicht bereit –. Wenn er mir sagte, dass ich ein Esel sei, dann habe ich ihm gesagt, dass er ein noch viel größerer sei (...) Ich habe das den Söhnen nicht erzählt, dass ich auch den alten Mann beschimpfte.“ (Mónica)
Mónica erklärte, dass sie auf die Beleidigungen des alten Mannes antworte, um ihre Würde zu bewahren und sich von niemandem erniedrigen zu lassen. Das hätte sie sich geschworen: „Ich kam mit der Einstellung hierher, dass ich mich, egal, wo ich auch bin, mich von niemandem mit Füßen treten lasse (…), denn wenn ich nicht auf mich acht gebe, wer wird auf mich achten? Wenn ich mich nicht verteidige, wer wird mich verteidigen?” (Mónica)
Mónica klagte immer wieder, dass sie die „Sklavin“ ihrer Arbeitgeber sei, dass die Sklaverei aber schon seit Langem abgeschafft sei und dass sie daher nicht so behandelt werden wolle und sich deshalb wehre.288 Ihre Möglichkeiten, Widerstand zu 287 Hierzu ist zu erwähnen, dass kurze Zeit zuvor die Schwester der alten Frau gestorben war, welche ebenfalls von Guadalupe gepflegt worden war. Diese war der tiefen Überzeugung, dass die alte Frau umgebracht worden sei und auch der herbeigerufene Arzt, betonte sie mir gegenüber, hätte seine Zweifel am natürlichen Tod der Frau gehabt. Für Guadalupe war es eine Tatsache, dass die Frau ermordet worden war. Seither träumte sie ständig von der „armen Seele“ der toten Frau und fühlte sich durch die Familie bedroht, welche ihr auch jeglichen Kontakt nach außen verbot (man musste sie beispielweise spät abends bzw. nachts heimlich auf ihrem Handy anrufen). Guadalupe wollte aber die Arbeit, welche eine Vertretungsstelle für nur wenige Wochen war, zu Ende führen, da sie dringend das Geld benötigte. Sie versuchte daher, wenn es für sie bedrohlich erschien, Grenzen zu setzen, ansonsten einfach die Zeit auszuharren. Gott würde sie beschützen und hätte sie zu dieser Arbeitsstelle geschickt, damit sie die Abgründe der Menschen kennen lernen und sich noch mehr Gott zuwenden würde, erklärte sie mir. Aufgrund ihrer Religiosität hatte sie eine Interpretationsmöglichkeit, die es ihr erlaubte, ihre Arbeit auszuhalten und trotz ihrer Ängste sich nicht in ihrem Leben bedroht zu fühlen, da sie sich in einem göttlichen Plan geschützt wusste. Gleichzeitig versuchte sie, sich so gut wie möglich abzugrenzen und selbst zu schützen. 288 Dass Mónica als Afroecuadorianerin immer wieder (und so oft wie sonst niemand) auf die Slaverei Bezug nimmt, ist kein Zufall. Sie wuchs in der Provinz Esmeraldas auf, der Region mit dem höchsten
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leisten und ihre Würde einzufordern, waren jedoch begrenzt: So setzte sie den Beleidigungen des alten Mannes lediglich dann etwas entgegen, wenn sie mit diesem alleine war. Sie wusste, dass sie ansonsten die Arbeitsstelle verlieren bzw. das Arbeitsklima und ihre Bedingungen verschlechtern könnte. Je nach Möglichkeiten, Ressourcen, habitualisierten Strategien, Erfahrungen, Situationen und Einschätzung der Lage kämpften die Hausarbeiterinnen unterschiedlich um ihre Rechte und stellten Forderungen. Dies zu tun, birgt immer das Risiko in sich, die Arbeitsstelle zu verlieren oder die eigene Position durch Abwehrreaktionen zu verschlimmern, was viele MigrantInnen, vor allem in der Anfangszeit, nicht riskieren wollen bzw. können. Claudia gehörte zu denjenigen, welche sich von Anfang an wehrten: Bei ihrer ersten Arbeitsstelle hätte sie sich bei ihrer Chefin über die ungerechte Behandlung durch die „Ama de llaves“ (wörtl.: die „Herrin der Schlüssel“), also der Vorsteherin der Hausbediensteten, beschwert. Die Chefin selbst sei nett, aber die Haushaltsvorsteherin sei sehr ungerecht zu ihr gewesen. Claudia ging daraufhin zu ihrer Chefin und beklagte sich. Mit Erfolg: Die Ama de llaves hätte sich fortan viel freundlicher ihr gegenüber verhalten und sogar mit ihr Kaffee getrunken, betonte sie. Es handelte sich um Claudias erste Arbeitsstelle nach ihrer Ankunft in Madrid. Sie ist in dieser Hinsicht, vor allem als Neuangekommene, in meiner Forschung eher eine Ausnahme. Konflikte mit anderen Haushaltsangestellten, welche schon länger in einem Haushalt arbeiteten, wurden mir ansonsten vielmehr als Grund dafür genannt, eine Arbeit aufzugeben. Dabei spielten unterschiedliche Strategien, Erfahrungen und Zielsetzungen eine große Rolle289, aber auch, und meiner Meinung nach vor allem, verschiedene Voraussetzungen als Neuangekommene. Claudias Situation war nämlich – im Gegensatz zu anderen gerade erst angekommenen Migrantinnen – weniger prekär: Sie war ihrer Schwester nach Madrid gefolgt und hatte deren Unterstützung. Außerdem war sie alleinstehend, kinderlos und musste keine Anteil an afroecuadorianischer Bevölkerung in Ecuador, welche durch freigekommene, entlaufene SklavInnen sowie – so zumindest die Legende – aufgrund eines Schiffsbruches eines SklavInnenschiffes vor der Küste Esmeraldas besiedelt wurde. Mónica betonte immer wieder, dass die Sklaverei zu Ende sei und dass sie sich von niemandem treten lassen wolle. Auch andere MigrantInnen und vereinzelt SpanierInnen (zum Beispiel Amalia, eine der spanischen Voluntarias von San Ignacio) sprachen gelegentlich in Bezug auf bezahlte Haushaltsarbeit von Sklaverei. Mónica machte jedoch am häufigsten diese Referenz. 289 Claudia schreckte auch bei späteren Arbeitsstellen vor Konfrontationen mit den ArbeitgeberInnen nicht zurück. Es wurde bereits von ihrer Arbeit bei einem älteren Mann berichtet, der in ihr Zimmer eindrang und dort Früchte klaute und einfach Bilder aufhängte. Sie forderte daraufhin von der Tochter des Mannes, ihrer Arbeitgeberin, ein Schloss. Es gab auch Konflikte mit einer jungen Spanierin, die dem Herrn den Hof machte und Claudia schikanierte. Sie hätte zwar gestritten und um ihre Arbeit gekämpft, erklärte sie mir. Schließlich sei sie jedoch freiwillig gegangen. Claudia empfand sich jedoch nicht als stark. Dass sie innerhalb bestimmter Grenzen blieb und die Arbeit bei dem älteren Herrn aufgab, ärgerte sie und sie beschrieb sich mir gegenüber immer wieder als passiv und schwach (vgl. Wagner 2004, 98ff).
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Familienangehörigen in Ecuador versorgen. Ihre Schulden hatte sie daher auch schnell zurückgezahlt.290 Neben der formellen Art, über Gespräche Konflikte zu lösen und neue Absprachen zu erreichen, verfolgen Haushaltsarbeiterinnen informelle Wege des Abtastens, in denen sie ausprobieren, bestimmte Grenzen zu überschreiten, und deren Konsequenzen testen. Dies war beispielsweise der Fall von Guadalupe und ihrer Familie in Madrid, welche bei Guadalupes letzter von mir dokumentierten Arbeitsstelle291, einmal den Zeitrahmen ihrer Freizeit nicht einhielten: Sie arbeitete in einem Dorf in der Sierra im Umland von Madrid und hatte sonntags von 10 Uhr morgens bis 22 Uhr abends frei. Da der Weg vom Dorf bis nach Madrid zur Wohnung ihrer Nichten Alexandra und Graciana für die wenigen Stunden fast zu weit war, kam sie nur selten nach Madrid zu Besuch. Wenn sie aber kam, dann war diese wenige gemeinsame Zeit für sie besonders wichtig, weshalb sie bereit war, Grenzen zu überschreiten bzw. auszutasten. Als Guadalupe einmal in Madrid war, rief sie mich spontan an, sie würde ein Fest machen und ich solle mit meinem Mann vorbei kommen.292 Ich notierte in meinem Feldtagebuch: Sie sei in Madrid, hätte am Freitag ihren Namenstag gehabt und würde nun feiern. „Heike, komm sofort. Ich trinke Whiskey“, sagt sie zu mir und befiehlt mir oder bittet mich inständig, wie man will, dass ich unbedingt und sofort mit meinem Mann zu ihr kommen solle. Meinen Einwand, dass wir gerade auf dem Sprung zu einem anderen Treffen seien, lässt sie nicht gelten. Ich solle sofort kommen. „Ich brauche dich hier.“ Also gingen wir zu ihr. Als wir ankommen, ist der Alkoholpegel schon recht hoch, aber auch wir werden schnell eingestimmt. Guadalupe erzählt von ihrer Einsamkeit, von ihrer Arbeit als Interna, aber auch von ihrem transnationalen Schmerz, da zwei ihrer Enkelkinder in Ecuador das gerade zu Ende gegangene Schuljahr nicht geschafft haben, worüber sie sehr traurig ist. Wir tanzen, trinken und essen. (...) Guadalupe macht zeitweise nichts anderes als Graciana, meinem Mann und mir „Ich mag dich!“ zuzurufen. Sie erzählt immer wieder, dass ich ihre erste Freundin hier in Madrid gewesen sei, dass wir uns am ersten Tag in San Ignacio kennengelernt hätten und seither seien wir Freundinnen. Und als ich ihr erzählt hätte, dass ich einen ecuadorianischen Mann hätte, hätte sie mich noch mehr gemocht. Dann erinnert sie mehrfach daran und erzählt, dass ich sie mit nach Hause genommen hätte, und dass mein Mann dann für sie gekocht hätte. (...) Sie würde mich ja so mögen: „Heike!“ – „Ja, Guadalupe.“ – „Ich mag dich!“ – „Ich dich auch, Guadalupe.“ Dies war ein Endlosdialog! Wie eine Litanei. Neben vielen, vielen Kraftausdrücken, sagt sie außerdem immer wieder „Ecuador, mein Land. Ecuador, mein Land.“ (...) Irgendwann ist Guadalupe so betrunken, dass klar ist, dass sie im derartigen Zustand nicht mehr zur Arbeit fahren kann. Es ist zwar noch nicht so spät und sie nimmt Francisco regelmäßig das Versprechen ab, dass er sie auch bestimmt zum letzten Bus in Richtung ihrer Arbeit bringen würde. Dies wäre aber nicht möglich und vor allem kontraproduktiv gewesen. Also rufen ihre Nichten ihren Chef an und erklären, dass Guadalupe eine Magenverstimmung hätte und krank sei. 290 Vgl. die oben erörterten unterschiedlichen Möglichkeiten von Teilnehmerinnen im Hausarbeitskurs, 6.6.4.4. 291 Also nicht der oben berichteten Stelle, wo sie im Dunkeln Rosenkranz beten sollte, sondern der Arbeit, wo sie sich die Haare schneiden musste, sich jedoch sonst recht wohl fühlte. 292 Ihre Nichten wohnten mit ihren Männern und Kindern in der gleichen Straße wie ich und wir hatten uns über Guadalupe, welche anfangs bei ihnen wohnte, angefreundet.
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Dies sei kein Problem, versichert dieser, woraufhin wir noch etwas weiter feiern und wir dann nach Hause gehen.
Guadalupe benötigte diese Feier. Sie brauchte ein Ventil, um ihrer Einsamkeit, ihren Sorgen (zum Beispiel über die schulischen Probleme ihrer Enkelkinder) wie ihren Hoffnungen Ausdruck zu verleihen und sich in der ihr vertrauten Gemeinschaft zu regenerieren. Sie wollte sich geliebt wissen und feierte daher im Kreise ihrer Verwandten und FreundInnen. Da sie wochenlang ununterbrochen im Dorf ihrer Arbeit gesessen hatte, bedurfte sie einer derartigen Unterbrechung und Selbstaneignung. Die Feier half ihr dabei. Im Migrationskontext der Entpersonalisierung und Diskriminierung ermöglichte sie ihr die Reaffirmation ihrer (nicht nur migrantischen) Persönlichkeit und der Selbstverortung im (transnationalen) Raum. Nicht umsonst wiederholte sie immer wieder, wie gern sie uns Anwesende habe, sprach uns direkt an und versicherte sich auch unserer Zuneigung. Auch dass sie bei uns eingeladen gewesen war und mein Mann extra für sie gekocht hätte, war für sie etwas ganz Besonderes, die sie sonst Andere bediente und nur selten außerhalb ihrer Familie bedient und verwöhnt wurde.293 Dabei reihte sie mich in die ecuadorianische Gemeinschaft, in das „Wir“ des ecuadorianischen Festes ein, indem sie immer wieder betonte, dass sie mich, seit sie wüsste, dass ich mit einem Ecuadorianer verheiratet sei, noch mehr mögen würde. Sie beschwor Ecuador, ihre Familie dort, ihre Familie und FreundInnen in Madrid, also ihre Gemeinschaft vor Ort, und verortete sich selbst und auch uns darin als einzelne Personen und gleichzeitig als Gemeinschaft im transnationalen sowie lokalen, nachbarschaftlichen Raum. Dazu gehörte auch das kollektive, rituell-gemeinschaftliche Trinken, welches ein in Ecuador weit verbreitetes Medium ritueller Vergemeinschaftung und Identitätskonstruktion bzw. -affirmation darstellt (vgl. Huarcaya 2003, 37ff)294: Entweder wird reihum aus dem gleichen Gefäß getrunken oder es wird immer gleichzeitig das je eigene Glas (die Flasche oder Ähnliches) gehoben und sodann gemeinsam getrunken. Alleine anzuheben, wäre unhöflich. Der Alkoholkonsum ist dabei in seinem kultu293 Natürlich spielen hier auch genderspezifische Aspekte eine Rolle. Auch ich hatte öfters gekocht und sie, wenn sie mich besuchte, bewirtet. Dass (m)ein Mann aber für sie gekocht hatte, war (nicht nur im ecuadorianischen Kontext) etwas Besonderes für sie. 294 Huarcaya bezieht sich in seinem Buch auf ein indigenes Ritual in den Dörfern um Cacha in der ecuadorianischen Sierra. Sein genereller Zugang, dass Alkoholkonsum in seinem kulturellen und sozialen Kontext zu verstehen ist und eine rituelle Praxis der Vergemeinschaftung, der symbolischen Reproduktion der Gemeinschaft und der sozialen Konstruktion der Identität darstellt, ist jedoch auch über den konkreten indigenen Kontext in Cacha für viele andere EcuadorianerInnen und deren Rituale der Vergemeinschaftung mit Alkoholkonsum gültig. Wichtig ist festzuhalten, dass viele Personen in Ecuador, zum Beispiel aufgrund von Alkoholismus und andere mit übersteigertem Alkoholkonsum verbundenen Problemen, vor allem auch durch die Konversion zum Protestantismus, Alkoholkonsum ablehnen und dieser andererseits oft nicht (mehr) rituell-gemeinschaftlich verstanden wird, sondern vielmehr individuell (vgl. Huarcaya 2003, 104).
7.1 Strategien bei der Haushaltsarbeit
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rellen (ecuadorianisch-transnationalen) sowie sozialen (migrationsspezifischen) Kontext zu verstehen.295 Guadalupe überschritt hier nicht zum ersten, wenn auch nicht besonders häufigen Male ihre festgelegte freie Zeit, was ihre ArbeitgeberInnen zuließen. Sie griff dabei in einen sensiblen Bereich ihres Arbeitsarrangements ein, ermöglichte sich so aber eine Regeneration außerhalb der Arbeit im Kreise ihrer Familie und FreundInnen. Um also ihr Personsein in selbstbestimmter Weise zu leben und Strategien jenseits der Arbeit zu verfolgen, überschritt sie die ihr bei der Arbeit gesetzten Grenzen bzw. musste diese überschreiten. Die hier analytisch verfolgte Trennung zwischen Strategien bei der Arbeit und solchen außerhalb der Arbeit (7.2) verschwimmt dabei. Mit derartigen Grenzübertretungen gehen Hausarbeiterinnen aber das Risiko einer Entlassung ein. Natalia verlor sie beispielsweise nach mehrmonatiger Arbeit, als sie das erste Mal an ihrem einzigen freien Tag im Monat (10-22Uhr) eine Stunde zu spät kam. 12 freie Stunden pro Monat (und es wurde bereits erwähnt, dass oft der Beginn der freien Zeit mit „kannst du noch kurz zur Apotheke“, „noch rasch abspülen“ und Ähnlichem hinausgezögert wird), sind schnell vergangen. „Die Arbeit ist anstrengend und das Bisschen, das sie mich ausgehen lassen, – es ist spät geworden!“, erklärte sie mir. Natalia hatte einen Mann getroffen, dieser lud sie zum Abendessen ein. Sie war glücklich, und die Zeit verging wie im Flug. Als sie zu ihrer Arbeitsstelle zurück kam, hätte der Sohn der von ihr versorgten Frau, welcher nicht im Haushalt wohnte, bereits auf sie gewartet, sie angeschrieen und aufs Schlimmste beleidigt. Auf ihre Widerrede, dass sie kein Tier sei, um so angeschrieen zu werden, hätte er sie nur noch mehr beschimpft. Sie wollte mir gegenüber nicht wiederholen, was er genau zu ihr gesagt hätte, es war jedenfalls entwürdigend, und hatte mit Disziplinierung, Rollenzuweisungen und Entpersonalisierung zu tun. Nach dieser demütigenden und entwürdigenden Szene verließ sie die Arbeit, wobei Kündigung und Entlassung sich hier überlappten. Für Natalia war eine Grenze erreicht: Ihre Arbeit war nie leicht gewesen. Die alte, allein lebende Frau war oft unverschämt. Sie hätte sie jedoch ertragen, versicherte Natalia, aber nicht die Beleidigungen durch den Sohn. „Die alte Frau ertrage ich irgendwie, aber ich ertrage nicht, dass man mich so beleidigt”, erklärte sie mir. Die Tochter der Frau hätte, als sie zwei Tage später zurückkam, um ihre Kleidung zu holen, zu ihr gesagt, dass es ihr leid täte, dass sie sie gerne behalten würde, auch weil die Mutter sie sehr gern hätte. Natalie könne bei ihrer Arbeitssuche ihre Nummer als Referenz angeben, was eine wichtige Ressource (vgl. 6.5) und bei einer gekündigten Arbeit (bzw. nach „Rauswurf“) ansonsten oft ein Problem bei der weiteren Arbeitssuche darstellt.296 295 Das gemeinsame Trinken und andere Formen der Vergemeinschaftung werden unter 7.2.1 nochmals bezüglich der Freizeitaktivitäten als Formen von Erholung und Entspannung erörtert. 296 Oben (6.2.1) wurde bereits auf dieses Beispiel und darauf hingewiesen, dass hier deutlich wird, dass zwischen den ArbeitgeberInnen von Natalia keine einheitliche Position herrschte. Es zeigt sich, dass die
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7 Strategien, Handlungsspielräume und Möglichkeiten
Dass Natalia (mittlerweile hoch schwanger) es überhaupt so lange bei dieser Arbeit ausgehalten hatte, war für mich bewundernswert. Sie sah es aber, wie sie mir erklärte, als einzige Möglichkeit, ihre Schulden vor der Geburt ihres Kindes zurückzuzahlen, was ihr auch gelang. Ihre psychische wie physische Kraft war durch diese anstrengende Arbeit und ihre Schwangerschaft jedoch an eine Grenze gelangt und sie hatte bereits damit gerechnet, bald die Arbeit aufgeben zu müssen.297 Außerdem hatte sie an diesem Tag nach Monaten wieder eine Verabredung mit einem Mann gehabt. Plötzlich war sie nicht mehr nur „die Haushaltsarbeiterin“, sondern eine junge, attraktive Frau mit Träumen und Hoffnungen gewesen. Diese wurden mit den extremen Beleidigungen, Entwürdigungen und der erneuten Entpersonalisierung vehement zerbrochen. Für Natalia bedeutete dies das Ende des Ertragbaren. Die Arbeit aufzugeben und zu gehen, ist sicherlich die effektivste, wenn auch definitivste Form der Grenzziehung. Sie ist jedoch nicht immer leicht. 7.1.2 Das selbstgewählte Ende des Arbeitsverhältnisses „Ich möchte zuerst die rechtliche Beratung und dann das Gespräch mit José Miguel [einem der Arbeitgeber]. Die denken, dass ich doof sei, dass ich keine Ahnung hätte. Damit sie mich nicht so behandeln, lasse ich mich zuerst beraten und rede dann mit ihnen.“ (Mónica)
Es war bereits mehrfach die Rede davon, dass und wie Hausarbeiterinnen ihre Arbeit aufgeben bzw. wie und warum ihnen gekündigt wird. Dabei ist auch hier zwischen einer Arbeit als Interna und einer Arbeit als Externa und/oder por horas zu unterscheiden. Arbeiten als Internas werden häufig mit einem großen Eklat, einem „Krach” sowohl von Seiten der Haushaltsarbeiterinnen als auch ArbeitgeberInnen beendet, welcher in der Regel schon länger schwelende Konflikte und (körperliche ArbeitgeberInnen (in diesem Fall Geschwister und somit Kinder der gepflegten Frau) unterschiedliche „Einstellungen“ gegenüber Natalia und ihrem Arbeitsprofil hatten: Die Tochter versuchte die Arbeitsbedingungen von Natalia zu entschärfen, indem sie ihr anbot, sie zu vertreten und ihr somit mehr Freizeit zu ermöglichen, also das Arbeitsarrangement mit lediglich zwölf Stunden Freizeit im Monat zu erweitern und entschuldigte sich sowohl für die Behandlung Natalias durch ihre Mutter, welche sie selbst auch als nicht gerechtfertigt bezeichnete, wie auch für den Rauswurf durch den Sohn. Während der Sohn und die Mutter in Natalia lediglich die Arbeitskraft betrachteten, nahm die Tochter Natalia auch als Person mit deren Bedürfnissen wahr. 297 Bei Mónica war dies ähnlich: Als Sofía eine Arbeitsstelle außerhalb von Madrid antrat, begleiteten wir sie zum Busbahnhof in Madrid, um sie zu verabschieden. Es war Sonntagabend und Mónica sollte eigentlich um 22 Uhr wieder zurück bei ihrer Arbeit sein. Schon nach 22 Uhr rief sie beim Sohn des Mannes, den sie pflegte, an und teilte ihm mit, dass sie noch am Busbahnhof sei. Weil ihr Handyguthaben endete, wurde die Verbindung unterbrochen, bevor dieser ihr antworten konnte. Bis wir vom Busbahnhof bei ihrer Arbeit waren, war es ungefähr 24 Uhr. Ich fragte sie besorgt, was wohl ihre Arbeitgeber jetzt sagen würden, woraufhin sie, die sie sonst immer sehr auf das Einhalten der zeitlichen Regeln bedacht war, zu mir meinte: „Ach, sollen sie sagen, was sie wollen.“ Sie wolle sowieso dort weg.
7.1 Strategien bei der Haushaltsarbeit
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wie psychische) Grenz(überschreitung)en sowie sonst meist unthematisierte Rollenzuschreibungen und Einstellungen ans Licht bringt. Externas und por horas Arbeitende benutzen hingegen öfters Lügen, zögern die Rückkehr zu einer Arbeit hinaus („ich bin krank“) oder erscheinen einfach nicht mehr am Arbeitsplatz (vgl. auch Hondagneu-Sotelo 2001, 114-134298). Unter 6.4.1 wurde ein derartiger Fall berichtet: Nancy hatte eine Arbeit als Externa aufgegeben, bei der sie sexuell belästigt worden war. Sie ging nicht mehr hin und beendete so die Arbeit ohne nähere Erklärungen und Rechtfertigungen. Nicht alle Arbeiten als Externas werden jedoch „leise“ beendet und andererseits enden Arbeiten als Internas nicht immer wie im oben beschriebenen Fall von Natalia mit einem großen Eklat, vor allem, wenn es sich um eine lang überlegte und abgewogene Entscheidung handelt, um die es im Folgenden gehen soll. Will eine Interna nämlich eine Arbeit beenden und eine neue Arbeitsstelle suchen, ist dies oft keine leichte Entscheidung, insbesondere wenn es sich um Frauen handelt, die finanzielle Verpflichtungen in Ecuador haben und nur über wenige bis keine finanzielle Reserven und geringe Kontakte verfügen, was an Mónicas Fall verdeutlicht werden soll: Mónica sprach in informellen wie formellen Gesprächen im Laufe der Zeit immer öfter davon, dass sie ihre Arbeitssituation nicht mehr ertrage299 und unbedingt eine Änderung bräuchte. Ihre weitere Sorge bestand darin, dass der alte Mann bald sterben könnte und sie dann plötzlich auf der Straße stehen würde.300 Es fiel ihr jedoch schwer, das Thema bei ihren Arbeitgebern anzusprechen, da sie moralische Vorbehalte bzw. Angst vor einer moralisierenden Antwort hatte. Sie erklärte mir: „Ich möchte zuerst mit ihnen reden. Ich weiß nicht, ob das, – es ist mir unangenehm, weil ich weiß nicht, ob sie ihn, – sie mir sagen werden, dass ich diesem Herrn den Tod wünsche oder dass ich ihn schon tot sehe, aber ich möchte, dass, – was sagen ihm die Ärzte? Weil, – dass sie mir ein Empfehlungsschreiben geben und ich beginne, Arbeit zu suchen, denn ich kann auch nicht auf der Straße bleiben. Was interessiert sie schon, dass ihr Vater morgen stirbt und sie mir sagen: ‚Mónica, 298 Hondagneu-Sotelos Studie zu lateinamerikanischen Haushaltsarbeiterinnen in Los Angeles analysiert diese Prozesse ausführlich. Dabei sind die Fälle jedoch nicht einfach nach Spanien übertragbar. So berichtet sie beispielsweise von ihrer Forschung in Los Angeles, dass eine weit verbreitete Strategie unter Latinas darin bestünde, ihren ArbeitgeberInnen zu erklären, dass sie dringend zu einem Familienmitglied in ihr Land zurückreisen müssten: Die Mutter sei gestorben, die Kinder schwer krank oder Ähnliches. Oft würden die ArbeitgeberInnen ihre früheren HausarbeiterInnen dann wenige Tage/Wochen später sehen, wie sie aus einem Haus in der Nachbarschaft von der Arbeit kämen (vgl. Hondagneu-Sotelo 2001, 130). In Spanien ist mir diese Strategie nicht begegnet, auch wenn es sie ebenso dort geben könnte. 299 In den drei Interviews mit ihr (insgesamt neun Stunden) taucht zwanzig Mal der Begriff „aguantar“ („ertragen“) auf und erhöht sich sukzessive vom ersten Interview (10. Februar 2004: fünf Mal) über das zweite (20. April 2004: sechs Mal) hin zum dritten Interview (22. April: neun Mal). 300 In 6.6.3.4 wurde erwähnt, wie Mónica mit Engracia darüber sprechen wollte, dass sie auf der Suche nach einer neuen Arbeitsstelle sei, Engracia ihr jedoch Hilfe verwehrte. Hierauf wird unten nochmals eingegangen.
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7 Strategien, Handlungsspielräume und Möglichkeiten
gut, mein Vater ist schon gestorben, und was ist jetzt mit dir? Auf die Straße.’ Und ich habe nirgends, wohin ich gehen könnte.“ (Mónica)
Mónica setzt hier in ihren Erklärungen immer wieder neu an. Sie war beunruhigt und wusste nicht, wie sie das Gespräch mit ihren Arbeitgebern angehen sollte. Die Situation, die anstrengende Arbeit und, damit direkt verbunden, der Gesundheitszustand des Mannes, wurden aber immer kritischer und schwieriger, sodass sich die Fragen für Mónica zuspitzten. Sie wollte dringend ihre Arbeitssituation verändern, war aber sehr verunsichert, ob sie dies in Form von Neuaushandlungen bei ihrer Arbeit oder durch einen Arbeitsplatzwechsel versuchen sollte. Sie wog die Pros und Contras ihrer Arbeit gegeneinander ab und beriet sich mit FreundInnen, welche sie beispielsweise darauf hinwiesen, dass sie bei ihrer Arbeit praktisch alleine sei und von niemandem kontrolliert würde, was ein großer Vorteil darstelle. Mónica erklärte mir, dass sie bei ihrer jetzigen Arbeit Besuch empfangen und bewirten könnte, ohne dass ihr Chef etwas dagegen sagen würde. All dies würde wohl bei einer anderen Stelle wegfallen. Es könnte also auch sein, dass ihre nächste Arbeitsstelle noch schlimmer werden würde. In verschiedenen Varianten sagte sie daher immer wieder: „Ich weiß nicht, ob es mir woanders besser oder schlechter ergehen wird, aber ich halte es nicht mehr aus.“ Für Mónica war klar, dass sie ein Risiko eingehen würde, sie brauchte aber eine Veränderung. Sie war am Ende ihrer Kräfte und ihr fielen die Haare aus, was für sie ein Sinnbild ihrer Situation war. Sie sah für sich zwei Optionen, zwischen denen sie sich entscheiden musste: Sie konnte einerseits eine neue Arbeitsstelle suchen und dann mit oder ohne einem Monat Pause dorthin wechseln. Andererseits konnte sie versuchen, ihre bisherige Arbeitssituation zu verbessern, indem sie einen Monat Urlaub zur Erholung erhalte und die gesetzlich festgelegten Feiertage sowie das ganze Wochenende frei bekäme, also samstagabends nicht zur Arbeit zurückkehren müsse. Als sie jedoch mit den Söhnen des Mannes (ihren Arbeitgebern) sprach – eines ihrer Argumente war, dass sich die Arbeitsbedingungen durch die Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Mannes sehr verändert hätten und nicht mehr dem anfangs vereinbarten Arrangement entsprächen –, wurde sie mit den bereits zitierten Worten zurückgewiesen, dass sie viel fordern und bald noch nach einem Auto verlangen würde (vgl. 6.3). Mónica berichtete im dritten Interview von einem weiteren Gespräch: „Ich habe es ihnen schon einmal gesagt und sie sagten mir: ‚Weißt du was, Mónica. Du musst verstehen, dass es einem bei allen Arbeiten, die man hat, schlecht geht, und du musst verstehen, dass nicht alles rosig ist und dass (...) es ihm einen Tag schlecht und an einem anderen gut geht. Das ist überall so.’ Aber –, ich habe es ihnen nicht erklärt, und ich möchte es ihnen auch nicht mehr erklären. Ich habe keine Lust mehr, auf alles hinzuweisen, was ich mit ihm [dem gepflegten Mann] ausgehalten habe, denn ich habe es ihnen schon ein Mal gesagt und sie haben mir auf diese Weise geantwortet, dass die Arbeit nun mal so sei, also kann ich ihnen nichts weiter sagen als: ‚Wisst ihr was? Ich möchte meinen Urlaub, ok?’ (…) Der Sohn hingegen hatte eine Arbeit, wo er sich nicht gut mit der Chefin verstand, dass die Chefin zu große Ansprüche stellte. (…) Er blieb nicht einmal
7.1 Strategien bei der Haushaltsarbeit
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drei Monate bei dieser Arbeit, hat gekündigt und ist gegangen. Denn er sagte, dass er so nicht arbeiten könnte. (…) Das ist, was ich sage: ‘Was für Deppen und was für Dummköpfe! Sie denken, dass sie die einzigen menschlichen Wesen seien!’“ (Mónica)
Mónica berichtet hier, wie sie auf klar gesetzte Grenzen und Rollenzuschreibungen stieß, welche auf naturalisierten Differenzmechanismen basieren: Während ihr Chef eine Arbeit, wenn sie ihm nicht gefällt, aufgibt, wird ihr klar gemacht, dass zu einer Arbeit (als Migrantin) immer auch dazu gehört, dass es einem schlecht geht. Bessere Arbeitsbedingungen gäbe es nicht. Mónica analysierte in diesem Ausschnitt sehr klar die differenzierende Logik hinter der Aussage ihres Arbeitgebers mit dessen naturalisierter Unterscheidung zwischen dem „Wir“ der SpanierInnen und „den Anderen“ der MigrantInnen und die Entmenschlichung ihrer selbst als Arbeitskraft, wenn sie kritisiert, dass nicht nur ihre Arbeitgeber menschliche Wesen seien. Dabei war sie sich ihrer Rolle innerhalb der spanischen Gesellschaft und konkret für ihre Arbeitgeber bewusst. Ihr war klar, dass ihr strukturell nicht die gleichen Möglichkeiten gegeben sind, wodurch die Aussage ihres Arbeitgebers, dass es einem „bei allen Arbeiten, die man hat, schlecht geht“ auch über die konkrete Arbeitsstelle hinaus aussagekräftig war. Daher war sich Mónica auch bezüglich der Frage, ob es für sie bessere Arbeitsbedingungen geben könnte, unsicher, zumal sich ihre Lage (keine Aufenthalts-, keine Arbeitserlaubnis und kein Erspartes) seit ihrer Ankunft nicht wirklich verändert hatte. Es handelte sich um ihre erste Arbeitsstelle und auch aus ihrem Umfeld hörte sie unterschiedliche Meinungen. Mónica beschloss daher, bevor sie erneut mit ihren Arbeitgebern reden würde, sich genau über ihre Rechte als Hausarbeiterin zu informieren, weshalb sie einem MigrantInnenverein beitrat, welcher u.a. juridischen Rat erteilte. Sie erklärte: „Ich möchte zuerst die rechtliche Beratung und dann das Gespräch mit José Miguel [dem ältesten Sohn des von ihr gepflegten Mannes, der nicht mit im Haushalt wohnte]. Die denken, dass ich doof sei, dass ich keine Ahnung hätte. Damit sie mich nicht so behandeln, lasse ich mich zuerst beraten und rede dann mit ihnen.“ (Mónica; vgl. Eingangszitat)
Doch dies erwies sich als nicht so einfach. Aufgrund ihrer Arbeitszeiten konnte sie lediglich samstagmittags einen Termin wahrnehmen und schon die Vereinbarung eines Termins bereitete ihr Probleme. Einerseits war das Telefon des Vereins nicht immer besetzt, andererseits wollte sie unbemerkt anrufen. Sie bat daher ihren Bruder, ihr den Termin zu besorgen, was er jedoch nicht tat. So dauerte es, bis sie endlich juristischen Rat erhielt. Davor hatte Mónica bereits andere Strategien ausprobiert, welche jedoch fruchtlos geblieben waren. So hatte sie, als sich der Gesundheitszustand des Mannes verschlechterte, zunächst mit Engracia von San Ignacio gesprochen und um eine andere Arbeitsstelle gebeten. Diese hatte ihre Bitte jedoch abgewehrt (vgl. 6.6.3.4):
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7 Strategien, Handlungsspielräume und Möglichkeiten
„Engracia (...) um Hilfe zu bitte, erschien mir eine schlechte Idee, denn als dieser Herr, den ich pflege, begann, sich mir gegenüber schlecht zu verhalten, habe ich mit ihr gesprochen und ich habe ihr gesagt, dass ich es nicht mehr aushalte. Was sie mir sagte war: ‚Aber Mónica, was sollen wir machen? Schau, [andere] Arbeiten gibt es nicht.’ Also sage ich mir, dass ich, wenn ich darum bitte, merke, dass ich keine Hilfe erhalte, nicht einmal von denen, die anscheinend Cáritas sein, die Leute sind, die helfen und von der Kirche sind. Aber ich bin gegen eine Wand angelaufen, also muss ich es dort [bei der Arbeit] [weiter] aushalten.“ (Mónica)
Engracias Argument, dass es keine Arbeit gäbe, ist hier relativ, weil während der gesamten Zeit, die ich am Hausarbeitskurs teilnahm, immer wieder Arbeiten als Internas vergeben wurden. Vielmehr wurde Mónicas Begründung, dass sie die Arbeit nicht mehr ertrage, von Engracia als illegitim erachtet. Von dieser Seite konnte sie also keine Hilfe erwarten. Als allein Migrierte301 und Interna verfügte Mónica über nur wenige Kontakte und wusste nicht genau, auf wen sie zählen konnte, zumal sie finanzielle Verpflichtungen für ihre Kinder hatte. Sie erklärte mir, sie bräuchte Zeit zum Abwägen, um ihre Kontakte besser kennen zu lernen und zu wissen, ob sie, falls sie ihre Arbeit aufgäbe und in eine Notlage gerate, auf diese bauen könne. „Ich muss die Welt, in der ich mich bewege, besser kennenlernen und wissen, wer gut und wer schlecht ist, mit wem ich rechnen kann und mit wem nicht. Also habe ich all das schon elf Monate lang ertragen, ohne zu wissen, wohin ich gehe, noch wie ich gehe, noch wer mir die Hand reichen wird und wer nicht. Ich habe einfach –. Ich bitte Gott, dass er mich nicht im Stich lässt.“ (Mónica)
Mónica fühlte sich allein und betonte immer wieder, dass sie ihr Leben selbst in die Hand nehmen müsste. Das hätte sie auch in Ecuador getan und das würde sie auch in Spanien. Sie hoffte dazu auf göttliche Hilfe und Beistand, vor allem aber auf sich selbst. „Ich muss mich selbst darum kümmern (...), denn wenn ich mich nicht bewege, wird sich niemand für mich einsetzen. Niemand wird mir sagen: ‚Mónica, weißt du was? Zieh von dort hierher.’ Oder: ‚Such hier.’ Nein, ich bin es, die dies machen muss. Wenn ich es früher machen konnte –, und schau, als ich noch in Ecuador war, habe ich (...) Wenn ich mich behaupten kann, werde ich mich durchschlagen so gut ich kann, denn (...) es gibt ein Sprichwort, das sagt: Gott sagte, beschütze dich und ich werde dich auch beschützen. Denn, wenn ich nicht auf mich aufpasse, wer wird mich schützen?” (Mónica)
Über eine Bekannte fand Mónica schließlich ein anderes Arbeitsangebot und hatte nun eine konkrete Entscheidungsgrundlage: diese neue Arbeit oder eine Verbesserung der bisherigen Arbeit. 301 Sie hatte zwar ihre Schwägerin und seit Kurzem auch ihren Bruder in Madrid. Sie konnte aber mit ihnen nicht rechnen: Mit ihrer Schwägerin verstand sie sich nicht und ihr Bruder hatte partnerschaftliche sowie finanzielle Schwierigkeiten und war nicht in der Lage, ihr zu helfen. Vielmehr unterstützte sie ihn finanziell. Lange Zeit fand er keine feste Stelle, arbeitete lediglich temporär auf dem Bau und war immer wieder arbeitslos. Die Beziehung zu ihm verbesserte sich erst mit dem Laufe der Jahre.
7.1 Strategien bei der Haushaltsarbeit
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Die weitere Entscheidungsfindung bekam ich nicht mehr vor Ort, sondern transnational vermittelt über ihre Familienangehörigen in Ecuador mit, da ich gerade dort auf Feldforschung war: Sowohl auf dem Land bei ihren Schwiegereltern, wo ihre Kinder zu diesem Zeitpunkt wohnten, als auch im Gespräch mit ihrer Schwester und ihrem (Ex-)Mann in Guayaquil war von Mónicas Arbeitsplatzwechsel die Rede: Sie hätte eine neue Arbeit gefunden, würde bald dort anfangen, hätte sie am Telefon erzählt, und sie sei sehr zufrieden damit. Das Gleiche sagte sie mir am Telefon. Ich war daher sehr erstaunt, als ich nach knapp zwei Monaten Feldforschung in Ecuador nach Madrid zurückkehrte und Mónica weiterhin an ihrer alten Arbeitsstelle vorfand. Als ich sie fragte, wieso sie denn bei ihrer Arbeit geblieben sei, antwortete sie mir in Rückverweis auf eine bereits gemachte Aussage: „Sage ich dir nicht, dass ich die größte Idiotin der Welt bin?“ Auf meinen Einwand, dass sie ja sicherlich einen Grund gehabt hätte, ergab sich folgendes Gespräch. Ich zitiere aus meinem Feldtagebuch: „Ich weiß nicht, ich bin dumm. José Miguel [einer ihrer Arbeitgeber, ältester Sohn des gepflegten Mannes, welcher vornehmlich die Entscheidungen traf] hat mit mir gesprochen und mir all das versprochen und mir gesagt, dass ich doch bleiben solle, dass sie jetzt keine andere Person mehr finden würden und ich bin geblieben.“ – „Haben sie dich überredet?“, frage ich. – „Ja.“ Sie zeigt sich sehr unsicher. (...) Sie sagt von sich aus erbost, dass Felipe [der jüngere Sohn, welcher mit im Haushalt lebt] zu ihr sagen würde. „In einem anderen Haus wirst du dich nicht so wohl fühlen wie hier, denn hier bist du wie zu Hause.“ Sie sagt dies entrüstet, wendet dann aber gleich ein: „Ich bin auch unverschämt: hier erhalte ich Besuch und ich bewirte sie immer, ich gebe ihnen zu essen.“ Sie lacht darüber.
Oben (6.4.2) wurde bereits analysiert, wie die Arbeitgeber daran appellierten, dass Mónica Teil der Familie sei und sich wie in ihrem eigenen Haus fühle. Dies war jedoch lediglich ein Element, welches Mónicas Entscheidung beeinflusste, welche in ihrer Aussage zunächst sich selbst Vorwürfe machte, anstatt die Komplexität und Schwierigkeit ihrer Situation und ihrer Entscheidung zu benennen.302 Schließlich räumte sie ein, dass sie sich überzeugen ließ und andererseits auch nicht die Freiräume bei ihrer Arbeit (Besuch durch Freundinnen) aufgeben wollte. Außerdem hatte Mónica bessere Arbeitsbedingungen ausgehandelt. Die Zugeständnisse hatten sie überzeugt. Doch hatte sie nicht damit gerechnet, dass diese nicht eingehalten werden würden. Zwar hatte sie, wie abgesprochen, das Wochenende von Samstag 10 Uhr bis Sonntag 22 Uhr frei. Sie musste aber jeden Feiertag arbeiten und wie befürchtet wurde der alte Mann schon kurze Zeit später in ein Pflegeheim gebracht und sie stand ohne Arbeit da. Sie bekam keinerlei Unterstützung und Vergütung während der Arbeitssuche und musste sofort ausziehen. 302 Auch in Bezug auf andere Situationen individualisierte Mónica immer wieder Probleme. Dabei steht sie jedoch nicht alleine. Wie bereits in Kapitel 5 ausgeführt, geben sich MigrantInnen angesichts der schwierigen Lage normalerweise gegenseitig die Schuld für Ausbeutung und Misslagen oder, wie in diesem Fall, sich selbst.
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7 Strategien, Handlungsspielräume und Möglichkeiten
Mónicas Fall zeigt sowohl die Komplexität und Problematik der Arbeit sowie des Migrationskontextes als auch die verschiedenen Faktoren, welche die Entscheidungsmöglichkeiten bezüglich der Aufgabe einer Arbeit beeinflussen. Ihre Situation im Migrationsprozess, ihr Migrationsprojekt, ihre Verpflichtung gegenüber ihren drei Kindern in Ecuador, die geringe Dichte ihrer Netzwerke, mangelnde finanzielle Rücklagen, ihre Beziehung zu ihren Arbeitgebern und die dennoch vorhandenen Vorteile ihrer Arbeit, aber auch ihre Risikobereitschaft und somit die Einschätzung ihrer Möglichkeiten, Ressourcen und unbeabsichtigter Folgen, all dies beeinflusste ihre Entscheidung. Wer wie Mónica illegalisiert und von einer Arbeitsstelle abhängig ist, weder über starke Netzwerke noch über akkumuliertes ökonomisches Kapital verfügt, um eine Übergangszeit und Arbeitssuche finanzieren zu können und keinen Ort zum Wohnen hat, geht ein hohes Risiko durch Verlust der Arbeitsstelle ein und überlegt es sich gut, die Arbeit durch eigene Entscheidung aufzugeben oder durch Beendigung durch die ArbeitgeberInnen zu verlieren. Dies spiegelt sich auch in einer Umfrage unter 1000 Hausarbeiterinnen (600 Migrantinnen und 400 Spanierinnen; vgl. Rul-lán-Buades 1998), bei der u.a. danach gefragt wurde, wie sie sich angesichts von „ungerechter Behandlung“ bei der Arbeit verhalten würden. Dabei zeigte sich, dass spanische Hausarbeiterinnen viel häufiger als migrantische ihre Arbeit aufgeben. Rul-lán-Buades erklärt: „Angesichts von Ungerechtigkeit hängt die Lösung, eine Arbeitsstelle aufzugeben [wörtlich: ein Haus zu verlassen] oder zu bleiben, wesentlich davon ab, ob die ungerecht behandelte Hausarbeiterin einen anderen Ort hat, wohin sie gehen kann. Daher ist es natürlich, dass fast die Hälfte der befragten spanischen Hausarbeiterinnen, nämlich 48,4 %, die, wie wir uns erinnern, in ihrer Mehrzahl stundenweise arbeiten und bei ihren Eltern oder einem Familienangehörigen wohnen, wenn sie fühlen, dass sie ungerecht behandelt werden, daran denken, die Arbeitsstelle aufzugeben, während nur 34,7 % der Ausländerinnen diese drastische Entscheidung treffen können.“ (Rul-lán-Buades 1998, 123. Kursiva im Original)
Die Umfrage zeigt, dass Migrantinnen sich aufgrund ihrer Migrationssituation seltener als Spanierinnen gegen ungerechte Löhne und Behandlungen wehren, was unter anderem ein Grund dafür ist, weshalb sie im Gegensatz zu spanischen Hausarbeiterinnen normalerweise schlechtere Arbeitsbedingungen aufweisen. Dazu gehört, dass Spanierinnen vornehmlich stundenweise in fremden Privathaushalten arbeiten, wohingegen Migrantinnen in ihrer Mehrzahl als Internas oder Externas arbeiten. Rul-lán Buades Hinweis, dass die Spanierinnen „einen Ort [hätten], wohin sie gehen können“, ist zudem nicht nur räumlich als „Dach über dem Kopf“ zu verstehen, sondern vor allem auch als Ort, an dem gratis Verpflegung und andere Formen von Unterstützung gewährt werden, etwas, das unter MigrantInnen nicht in gleicher Art und Weise der Fall bzw. möglich ist (vgl. Kap. 5). Gleichzeitig kann jedoch, wie hier gezeigt wurde, nicht allgemein von migrantischen Haushaltsarbeiterinnen und ihren Handlungsmöglichkeiten sowie -strategien gesprochen werden, da sie untereinander
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im kontextuellen Rahmen migrantischer Haushaltsarbeit über verschiedene Ressourcen und Möglichkeiten verfügen. Im Folgenden werden diese unterschiedlichen Faktoren, welche den Handlungsspielraum beeinflussen, noch einmal kurz zusammengefasst, bevor die Strategien außerhalb der Haushaltsarbeit analysiert werden. 7.1.3 Affirmierend, manipulierend, aushandelnd – Strategien bei der Arbeit „Despite the incredible restrictions and controls imposed by employers and immigration laws, many maids develop systems of resistance.“ (Momsen 1999, 11)
Die migrantischen Hausarbeiterinnen verfolgen verschiedene Strategien, um ihre Projekte zu verwirklichen und ihre Position zu verbessern. Das hat sich beim Hausarbeitskurs und nun bezüglich Strategien bei ihren Arbeitsstellen gezeigt und wird im Folgenden außerhalb der Arbeit erörtert. Die Ecuadorianerinnen versuchten, Probleme und Gefahren möglichst unter Kontrolle zu halten, Grenzen zu ziehen, ihre Arbeitssituation zu sichern, sie zu verbessern und sich Freiräume zu eröffnen. Dazu gehören die Aneignung der oft negierten Aspekte des eigenen Personseins, Widerstand gegen bestimmte Arbeitsarrangements und -beziehungen sowie der Versuch der Verwirklichung der eigenen Projekte, auch wenn diese möglicherweise neu definiert werden mussten. Es zeigte sich, dass in der stark hierarchisierten Arbeitsbeziehung der migrantischen Haushaltsarbeit im Kontext der respektiven Rollenzuschreibungen und gesetzlichen Beschränkungen als Migrantinnen die Handlungsspielräume sehr begrenzt sind, dass diese jedoch auf unterschiedliche Weise und kreativ genutzt werden. Trotz der starken Restriktionen und Kontrollen leisten die migrantischen Hausarbeiterinnen Widerstand, nutzen ihre Handlungsspielräume, und versuchen, ihre Möglichkeiten zu erweitern (vgl. auch Thiessen 2002, 149; Momsen 1999, 11). Die dabei verfolgten Strategien sind unterschiedlich: So zielen manche nicht auf eine Umgestaltung der Arbeitsbedingungen selbst, sondern auf die Erlangung bestimmter Freiheiten und die Verbesserung der eigenen Situation, da eine starke Abhängigkeit vom Lohn herrscht und/oder mit einer Änderung der Arbeitsstelle keine Verbesserung der Situation erwartet wird. Der Arbeitsablauf wird dabei nicht gestört, unter Umständen sogar erleichtert, indem innerhalb des festgelegten Arbeitsrahmens Ventile zur Regeneration und zum Ausleben persönlicher Bedürfnisse geschaffen werden, was zur Optimierung der verrichteten Arbeit führen kann. Im Gegensatz zu dieser Schaffung von Regenerationsmöglichkeiten und Freiräumen streben Hausarbeiterinnen aber auch eine Veränderung der Arbeitsbedingungen an, wobei verschiedene Zeitfenster zu unterscheiden sind. Manche Hausarbeiterinnen akzeptieren bewusst schlechte Arbeitsbedingungen und inszenieren das von den ArbeitgeberInnen angetragene Bild einer „idealen Hausarbeiterin“ in
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7 Strategien, Handlungsspielräume und Möglichkeiten
der Hoffnung, dass daraus mit der Zeit eine Grundlage für Verhandlungen entstehen kann. Andere hingegen handeln Arbeitsbedingungen und tragen Konflikte direkt, d.h. im Moment, aus, sei es formell oder informell durch Austasten und punktuelle Grenzüberschreitungen. Oft werden die verschiedenen Strategien kombiniert und situativ verfolgt. Die radikalste und wirkmächtigste Veränderung stellt eine Kündigung bzw. die Aufgabe einer Arbeit dar, bedeutet aber durch den Verlust der Einkünfte hohe Risiken im Migrationskontext. Wer als Interna arbeitet und nur über wenige Ressourcen verfügt, gleichwohl Verpflichtungen gegenüber Dritten hat, trifft diese Entscheidung darum meist nur im Extremfall und/oder wenn eine andere Arbeitsstelle in Aussicht steht oder zumindest als realistisch erachtet wird. Es gibt daher Unterschiede unter den Migrantinnen bezüglich ihrer Wahl- sowie Strategiemöglichkeiten, welche Auswirkungen auf die Akzeptanz von Arbeitsbedingungen haben. Diese sind von verschiedenen Ressourcen und folglich von den unterschiedlichen Positionen im Migrationsprozess und Migrationskontext abhängig. Es lässt sich keine Typologie erstellen, da je nach Kombination der verschiedenen Faktoren die konkrete Lage anders ist. Wie sich hier am Fall von Mónica, aber auch bei der Analyse der unterschiedlichen Möglichkeiten und Strategien im Hausarbeitskurs (6.6.4.4) gezeigt hat, können aber Schlüsselfaktoren festgehalten werden, die die Arbeits- und Lebensbedingungen und somit den Handlungsspielraum der migrantischen Haushaltsarbeiterinnen bestimmen. Dazu gehört vor allem der strukturale Rahmen des Migrationsregimes mit dessen naturalisierten Differenzmechanismen303 und der Hausarbeit als soziale, globalisierte Institution304, wie in den vorrangegangenen Kapiteln ausgeführt wurde. Für die konkreten und innerhalb dieses Rahmens variierenden Arbeitsbedingungen sind die „Beziehung zum Staat“ (Aufenthaltstitel und Arbeitserlaubnis) sowie die „Beziehung zu den ArbeitgeberInnen“ ausschlaggebend, wie auch Anderson (2000, 1f) in ihrer Studie zeigt. Die Beziehung zu den ArbeitgeberInnen ist meiner Meinung nach aber nicht nur dadurch bestimmt, ob eine Haushaltsarbeiterin als Interna bei den ArbeitgeberInnen wohnt oder nicht (wie bei Anderson), sondern auch durch die „Interaktion“ mit den ArbeitgeberInnen, was deren angewandte Differenzmechanismen und Rollenzuschreibungen einschließt, welche die Arbeitsbedingungen sowohl von Internas, Externas wie auch por horas prägen und deren Handlungsspielraum mit festlegen: Wer als ArbeitgeberIn auf einem hierarchischen Arbeitsverhältnis in Anlehnung an die 303 Migrationsregime wird hier also nicht auschließlich legal, sondern auch in Bezug auf ethnisierende Stereotypen und somit auf naturalisierte Differenzmechanismen (wie unter 6.6.3 erörtert) verstanden, welche ebenfalls einen wichtigen Faktor der Ethnostratifizierung des Arbeitsmarktes und der generellen Möglichkeiten in Spanien darstellen. Aber auch Netzwerkdynamiken tragen dazu bei, dass bestimmte Positionen und Strategien sich festschreiben (vgl. auch Parella 2003, 173ff), bilden aber eine Mesoebene und gehören nicht direkt zum Migrationsregime, welches die strukturale Macht dazu darstellt. 304 Und somit auch das Genderregime.
7.1 Strategien bei der Haushaltsarbeit
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„Dienerschaft“ besteht und in einer Haushaltsarbeiterin lediglich eine Arbeitskraft zu Gunsten der eigenen Bedürfnisse und Prioritäten sieht, wird bei einer punktuellen Grenzüberschreitung (wie Natalias Arbeitgeber) sofort reagieren und sie entlassen. ArbeitergeberInnen mit einer anderen Einstellung werden (wie in Guadalupes Fall) darüber eher hinwegsehen. Zusätzlich zu diesen beiden Punkten beeinflussen die von den ArbeitgeberInnen bestimmten Arbeitsaufgaben (das „Arbeitsprofil“) die Bedingungen und den Handlungsspielraum der HausarbeiterInnen. Diese Faktoren organisieren das Setting der strukturalen Macht (wobei der Staat selbst auch solche ausübt) als organisierende Macht (vgl. Wolfs Unterscheidung in 2.2.2) und legen somit den Handlungsrahmen fest. Der Handlungsspielraum ist jedoch nicht nur durch die Arbeit selbst und deren strukturale Verortung, sondern auch durch Faktoren beeinflusst, welche die Situation der MigrantInnen jenseits der Arbeit und der strukturellen Kontexte prägen und zum Beispiel darüber entscheiden, inwieweit eine ausbeuterische, misshandelnde Arbeit aufgegeben werden kann. Dazu gehören das Migrationsprojekt, unterschiedliche Ressourcen (allen voran Netzwerke als soziales Kapital, aber auch andere Kapitalformen wie beispielsweise Bildungs- und Klassenhintergrund oder Erfahrungen mit Konfliktsituationen) sowie die persönliche Situation in Madrid (mit PartnerIn, Familie und/oder Kindern, oder alleine in Spanien), welche gleichfalls Einfluss darauf nehmen, ob jemand als Interna arbeitet und eine Arbeit aufgeben kann oder nicht. Viele MigrantInnen akzeptieren (vor allem) in der Anfangszeit (und somit in der großen Mehrzahl illegalisiert) Arbeiten, an welche sie nur wenige Bedingungen stellen (können), was sich erst nach einer Phase der Etablierung verbessert. Zeit in Spanien (Anfangszeit, „etabliert“) ist deshalb ein ebenso entscheidender Faktor, welcher zudem Einfluss auf den Aufenthaltstitel nehmen kann, da viele Frauen über die regulären Legalisierungsmechanismen oder über außergewöhnliche Legalisierungen zu Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis gelangen können, auch wenn dies nicht verallgemeinerbar ist. Dabei beeinflussen Formen der (finanziellen) Verantwortung (für Kinder und/oder Familienangehörige) die anderen Faktoren wie zum Beispiel das Migrationsprojekt oder die Ressourcen (zum Beispiel ob es möglich ist, Geld für eine Überbrückungsphase bei Arbeitslosigkeit zu sparen) wie auch die Möglichkeiten als Person mit PartnerIn, Familie und Kinder in Spanien. Von besonderer Rolle ist dabei auch, ob eine Frau Kinder zu versorgen hat bzw. Kinder plant und somit auch der Moment im Lebenszyklus (inklusive Akkumulation von Erfahrungen). Diese migrantinnenspezifischen Faktoren bestimmen den Umgang mit den Möglichkeiten, die Akzeptanzschwelle sowie die Prioritäten, Wünsche und Ziele und somit die Strategien und die Unterschiede unter den migrantischen Haushaltsarbeiterinnen. Das Migrationsregime und die Logik der Haushaltsarbeit im Kontext der Globalisierung bilden hingegen die strukturale Macht, welche weder statisch noch zementiert ist, sondern Handlungsspielraum für Unterschiede unter den Mig-
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rantInnen und den ArbeitgeberInnen wie auch für Aushandlungen, Durchbrechungen und Verbesserungen der jeweiligen Situationen lässt. Diese sind jedoch nicht beliebig, auch nicht für alle gleich. Im Folgenden wird der Analysekontext über die konkrete Arbeit hinaus erweitert und der Blick auf Strategien im Migrationskontext außerhalb der Arbeit gerichtet werden, wobei nun auch solche Strategien thematisiert werden, welche eine Durchbrechung der Rollenzuschreibung und Platzzuweisung im Migrationsregime ermöglichen (sollen). 7.2 Strategien außerhalb der Arbeit In verschiedenen Zusammenhängen wurden bereits Strategien außerhalb der Arbeit angesprochen. So zum Beispiel die oben beschriebene Strategie, eine Wohnung zu mieten und sodann Zimmer unterzuvermieten, um auf diese Weise die eigenen Mietkosten zu sparen bzw. zusätzliche Einnahmen zu generieren (5.1.1). Wer über einen legalen Aufenthaltstitel bzw. über ein bestimmtes Wissen oder Möglichkeiten verfügt, kann daraus auf verschiedene Art und Weise Kapital schlagen. Als Beispiele wurden unter anderem Gebühren für vermittelte Arbeitsstellen (also Vermarktung der eigenen Netzwerkposition als BrokerIn) angeführt. Auch eine transnationale Rückkehrorientierung und die damit verbundene strategische „Aus-Zeit“ wurde bereits erwähnt (7.1.1), ebenso andere Strategien wie zum Beispiel Migrationen entlang von Netzwerken (4.2.3). Hier werden nun mit den Freizeitaktivitäten, Netzwerkstrategien, Veränderungsritualen sowie genderspezifischen Strategien die in meiner Forschung wichtigsten Strategien der ecuadorianischen Hausarbeiterinnen analysiert, ohne dafür Anspruch auf Vollständigkeit zu reklamieren. Die Strategien geben dabei gleichzeitig einen Einblick in die Alltagspraktiken, Möglichkeiten und unterschiedlichen Ressourcen der ecuadorianischen Hausarbeiterinnen. 7.2.1 Mittel gegen Stress und Erschöpfung „Ich weiß nicht. Es ist einfach, dass dich bei deiner Arbeit so viele Sachen bedrücken (...). Wenn du dann hierher kommst [am Wochenende] und deine Schwester etwas sagt, das nicht passt oder so, dann entlädst du dich mit dem ersten, der dir über den Weg läuft, um irgendwie den Stress loszuwerden und nicht zusammenzubrechen.“ (Silvia)
Oben (7.1.1) war von Möglichkeiten der Stressreduktion bei der Arbeit die Rede: wie Mónica kochte und buk, um sich etwas zu gönnen und sich in der Küche einen Freiraum zu schaffen. Es hat sich aber auch gezeigt, dass es nur bedingt möglich ist, den Stress bei der Arbeit zu vermindern, vor allem, wenn es sich um eine Arbeit als Interna handelt. Silvia sagt dies im Eingangszitat: Unter der Woche als Interna bei einer älteren Frau schluckte sie alles in sich hinein. Sobald sie jedoch am Wochen-
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ende frei hatte, entlud sie sich mit der ersten ihr vertrauten Person, die ihr über den Weg lief, normalerweise eine ihrer beiden Schwestern. Die meisten Mittel und Strategien gegen den Arbeitsstress und die physische wie psychische Belastung finden daher außerhalb der Arbeit statt. Auch hier gilt, dass es Unterschiede in den Möglichkeiten je nach Migrationsprojekt, -bedingungen, Arbeitsarrangement, Zeit in Spanien und familiären bzw. persönlich-individuellen Situationen gibt. Ebenso spielen ethnische, gender- und klassenspezifische305 sowie andere Faktoren eine Rolle. Die Freizeitaktivitäten selbst und die Formen, welche Erholung und Entspannung geben, sind somit plural. So begegneten mir Frauen, welche am Wochenende vornehmlich den Schlaf nachholten, den sie unter der Woche nicht bekamen, um am Montag wieder ausgeruht für die Arbeit zu sein; andere trafen sich mit FreundInnen und/oder Verwandten, gingen aus, unternahmen etwas, machten Sport (Fußball, Ecuavolley306, teilweise auch Jogging). Wieder andere, allen voran Internas, hatten, wie oben ausgeführt, nur ein Minimum an Freizeit, welche sie nutzten, um Geldüberweisungen sowie Anrufe nach Ecuador zu tätigen und sich, je nachdem, etwas zu gönnen, etwas zu unternehmen und/oder jemanden zu treffen.307 Die arbeitsfreie Zeit wurde aber oft auch genutzt, um Großeinkäufe zu tätigen, zu Kleiderbörsen zu gehen, sprich, Geld zu sparen (vgl. auch Mahler 1995, 130) oder zusätzliches Geld zu verdienen (oft wurden mitgebrachte Fähigkeiten wie Haarschneiden sowie Kochen oder Ähnliches genutzt, um ein zusätzliches Einkommen zu generieren308), wobei dies durchaus mit Spaß und Erholung verbunden sein konnte, wenn jemand beispielsweise einer Freundin die Haare schnitt und sich so Geld hinzuverdiente. Die Freizeitaktivitäten dürfen aber nicht nur funktional als Erholung zum erneuten Arbeiten betrachtet werden. Das Erlangen bestimmter materieller Güter, vor allem von Prestigeobjekten, das Tragen von Markenartikeln usw. kann dabei aber auch die Degradierung durch die Art der Tätigkeit, die erfahrenen Diskriminierungen wie Stigmatisierungen kompensieren, Selbstbewusstsein geben und ein Differenzmechanismus bzw. Statussymbol gegenüber anderen MigrantInnen sein. Ähnliches berichtet Sarti: „So they use material goods to boost their self-esteem in a context where it is threatened and to transcend their present lower status (i.e. that of domestics). At the same time they distin„Klassenspezifisch“ wird hier in Bezug auf die Klassenherkunft in Ecuador verstanden. Eine ecuadorianische Variante von Volleyball. 307 Silvia hingegen nutzte das Wochenende für ihr Fernstudium, dessen Finanzierung im Zentrum ihres Migrationsprojektes stand. Mit anderen Studierenden der ecuadorianischen Fernuniversität Universidad de Loja schrieben sie Arbeiten, trafen sie sich zum Lernen und unternahmen etwas. Sie führten quasi neben ihrer Arbeit als Internas, in der Gastronomie oder auf dem Bau auch eine Art „StudentInnenleben“. 308 Bei ecuadorianischen Treffpunkten (Parque del Retiro, Parque el Prado etc.) gab es immer auch die Möglichkeit, sich in einer Ecke die Haare schneiden zu lassen. Beide Seiten profitierten davon: Für die KlientInnen war es billiger und für die Haareschneidenden ein zusätzliches Einkommen. 305 306
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guish themselves from other migrants. (...) Moreover, as members of transnational families they try to compensate for absence by sending or taking home abundant material goods that also are a symbol of their success of migrants.“ (Sarti 2005, 18)309
Die Freizeitaktivitäten inklusive Konsummuster sind also auch durch die Migrationssituation und die damit verbundenen Erfahrungen bedingt. Sie können aber auch Teil der Migrationsentscheidung selbst sein. Andererseits sind die freie Zeit und die Ermöglichungen darin (Konsum- wie Handlungsmöglichkeiten) auch selbst Teil vieler Migrationsprojekte und wichtiger Bestandteil des Lebens in Madrid. Von vielen Frauen wurde daher zwischen Arbeit und Freizeit unterschieden und das eigene Selbstbewusstsein und der Status nicht aus der Art der Arbeit, sondern aus ihrem Ermöglichungspotential und somit dem Lohn gezogen.310 Isabela wurde oben (vgl. 4.2) zitiert, dass sie mittels ihrer Migration unter anderem „eine andere Kultur, eine andere Welt kennenlernen“ und als junge Frau „selbständig“ sowie „unabhängig“ von ihren Eltern werden wollte. In ihrer Bewertung ihrer Migration hob sie darauf ab, dass sie nun mehr Freiheiten hätte, alleine Tanzen und etwas Trinken gehen und in anderer Weise als Frau über ihr Leben bestimmen könnte. Sie sagte: „Hier gibt es mehr Freiheit. Das ist eine der schönsten Sachen, die ich erlebt habe, die Freiheit. (...) Sagen wir, das einzig Schöne, das ich erlebt habe, war das, die Freiheit, die ich hier hatte (...) und dass ich die Kontrolle über mein Leben hatte. Indem ich die Zügel meines Lebens in die Hand nahm und ich mir das sagte, dass es niemand gab, der mir vorschreibt: Mach das nicht, weil es schlecht ist!, sondern dass ich weiss, dass ich mein Leben auf den richtigen Weg bringen kann. Und das war das Schöne, zu erleben, was es heisst, frei zu sein (Lachen).“ (Isabela)
Isabela bezeichnet ihre gewonnene Freiheit als das „einzig Schöne“ an ihrem Aufenthalt in Spanien. Auf die Frage, ob sie also nach Ecuador zurückkehren möchte, antwortete sie, dass sie trotz ihrer Arbeit als Haushaltsarbeiterin und den Restriktionen wie Diskriminierungen durch die spanische Gesellschaft, derer sie sich bewusst sei und welche sie kritisierte, in Spanien bleiben möchte. Dabei verwies sie immer wieder auf ihre Freizeitmöglichkeiten und Freiheiten als Frau311, ohne jedoch ihre Migration zu verklären noch die erfahrene Diskriminierung zu relativieren.
309 Sarti bezieht sich auf die Mittelklasseherkunft der philippinischen Migrantinnen in Italien, auf welche im Zitat angespielt wird, und verweist unter anderem auf die Studien von Magat 2005 sowie von Parreñas 2003a, 2005. Auch die Mehrzahl der Ecuadorianerinnen in Madrid hat einen Mittelklassehintergrund. 310 Oben (6.4) wurde darauf hingewiesen, dass die Arbeitsbeziehung und die Rolle in einer Familie aber auch identitätsstiftend und Quelle von Anerkennung sein kann. 311 Auf diese geschlechtsspezifischen Aspekte der Freizeitaktivitäten sowie auf die Auswirkungen der Migration auf die Möglichkeiten und die Geschlechterbeziehungen wird unten näher eingegangen (vgl. auch Wagner 2004, 2007, 2009a, 7.5.1.3). Hier ist festzuhalten, dass auch die Freizeitaktivitäten und Formen der Erholung nicht geschlechtsneutral sind.
7.2 Strategien außerhalb der Arbeit
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Generell gilt, dass die Freizeit, unabhängig davon, ob sie Teil des Migrationsprojektes ist oder nicht, (auch) der Regeneration und Entspannung dienen soll, dass die Freizeitaktivitäten jedoch auch verschiedenen Begrenzungen unterworfen sind. Dazu gehören Formen der Selbstbeschränkung wie rigoroses Sparen und ein hoher Arbeitsrhythmus, Begrenzungen durch die Wohnsituation, kulturelle Unterschiede über Vorstellungen bezüglich der Lautstärke von Musik mit spanischen NachbarInnen, die Gefahr der Ausweisung für Illegalisierte sowie Konflikte bei der Aneignung des öffentlichen Raum(es). Vor allem Personen, welche noch Schulden haben, von deren Geldsendungen Personen abhängig sind und/oder welche so schnell wie möglich nach Ecuador zurückkehren möchten, schränken ihre Ausgaben bis auf ein Minimum ein, verfolgen eine Strategie der „Aus-Zeit“, und organisieren ihr Leben auf die Realisierung des Migrationsprojektes und die Überwindung der gegenwärtigen Lage hin. Natalia lehnte zum Beispiel bei ihrer Arbeit als Interna das Angebot der Tochter der von ihr gepflegten Frau ab, sie bei der Arbeit gelegentlich zu vertreten und ihr somit mehr freie Zeit zu ermöglichen. Ihre Begründung hierfür lautete, dass sie kein Geld ausgeben wolle, aber auch Angst davor hätte, sich daran zu gewöhnen, über mehr Freizeit zu verfügen, was vom gelegentlichen guten Willen der Tochter abhängig gewesen wäre. „Sie weiß, dass ihre Mutter manchmal mühsam ist, aber (Seufzen) ich gehe nicht, denn –. Ich habe einmal auch der Frau gesagt, dass ich Angst habe, mich daran zu gewöhnen, weg zu gehen, da ich jung bin. Ich habe Angst, mich an diesen Rhythmus des Weggehens oder mehr Freundschaften zu gewöhnen.“ (Natalia)
Natalia hatte Angst davor, sich (wieder) daran zu gewöhnen, ein soziales Leben mit Freizeit, Ausgehen, dem Treffen von FreundInnen etc. zu haben, von dem sie aber wusste, dass es in ihrer momentanen Lage nicht möglich wäre. Sie versuchte daher ihre Bedürfnisse nach Soziabilität gänzlich zu unterdrücken, diese quasi auszuschalten, um mehr Geld sparen zu können. Derartige Strategien der „Aus-Zeit“ führen häufig zu Depressionen und anderen Krankheiten. Oft harren Hausarbeiterinnen in ungesunden Arrangements so lange aus, bis der Körper eine Grenze setzt, teilweise, weil sie keine Alternativen sehen und/oder weil sie auf den Faktor Zeit hoffen. So lassen sich depressive Haushaltsarbeiterinnen Psychopharmaka verschreiben (bzw. sie bekommen diese von den ÄrztInnen unkommentiert verschrieben), um mit deren Hilfe weiter funktionieren zu können. Eine derartige Strategie lässt sich jedoch normalerweise nicht allzu Lange aufrechterhalten, weshalb die Migrationsprojekte und -ziele meist im Laufe der Zeit verändert und die Realisierung ihrer Ziele verschoben werden (müssen) (vgl. auch Sarti 2005, 29). Die Freizeit mit daher der Zeit wichtiger, da der Körper und die Psyche nicht unendlich belastbar sind und, um nicht krank zu werden, auch der Erholung bedürfen. Magdalena berichtete beispielsweise, wie ihr Va-
300
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ter, als er anfangs alleine in Spanien lebte, dabei war, sich zugrunde zu richten, da er nur gespart hätte. Ihre Strategie als Familie sei es nun, soviel wie möglich zu sparen, um schnell nach Ecuador zurückzukehren, ohne jedoch daran kaputt zu gehen: „Wir machen alles, was möglich ist, um zurückzukehren, aber manchmal gibt man sich auch seine kleine Vergnügen, man hat Spass, weil wir werden auch nicht (…) nur arbeiten, arbeiten und sonst nichts. (….) Manchmal nehmen wir etwas Geld, um einen Ausflug zu machen oder etwas Anderes zu essen, aber wir denken nicht immer nur an die Rückkehr. Weil wenn wir nur an das Zurückkehren denken würden, würden wir nichts essen. Mein Vater hat nämlich, um meine Mutter [nach Spanien] zu holen, nur Huhn gegessen, weil das andere Fleisch sehr teuer ist und um so zu sparen. Er sagt: ‘Für mich allein habe ich ein Huhn für die ganze Woche gekauft. (…) Das Mittagessen aß ich mit meinem Chef’, erzählt er. Um zu sparen, um davon meine Mutter [nach Spanien] zu bringen (…). Aber er war dabei, sich zugrunde zu richten (…) denn er sagte auch, dass er sich in seinem Zimmer mit einer Flasche Wein einschloss (…) um zu weinen, die Musik anzumachen, Musik zu hören und an uns zu denken, zu weinen und sich alleine zu betrinken.“ (Magdalena)
Im Falle von Magdalenas Vater wird deutlich, wie belastend radikales Sparen sein kann. Magdalenas Famile versuchte daher einen Kompromiss aus Sparen und Erholung zu finden. So unternahmen sie regelmäßig Ausflüge, fuhren zum Beispiel im Sommer mit dem Auto des Vaters in andere spanische Städte oder gingen schwimmen. Mit größerer legaler, finanzieller wie sozialer Stabilität ändern sich oft die Möglichkeiten der Freizeitaktivitäten und Erholungsarten. So entschieden sich beispielsweise manche MigrantInnen für bestimmte Hobbies (die Schwägerin von Dolores nahm zum Beispiel Klavierunterricht und kaufte sich ein Keyboard; Noelia meldete sich zum Führerschein an; Ana machte einen Schwimmkurs) und mehrere bereits länger in Spanien Aufhältige machten Urlaub: Montserrat ging etwa zusammen mit ihrer Familie (ihrem Mann Victor, ihrem Sohn, ihrer Schwester, deren ebenfalls ecuadorianischem Partner und Sohn) nach Teneriffa auf Urlaub. Dies war ihr erster Urlaub seit ihrer Migration nach Spanien (Victor war seit 5,5 Jahren, Montserrat seit 5 Jahren in Spanien), wobei Victor zwischendurch einmal in Ecuador gewesen war. Durch die Wohnbedingungen in Pisos compartidos oder, noch verstärkt als Interna, sind die Freizeitmöglichkeiten und der Erholungsfaktor der freien Zeit oft zusätzlich eingeschränkt (vgl. 5.1.1). Wie erwähnt, haben viele Internas für das Wochenende kein zusätzliches Zimmer und wenn, dann teilen sie dieses mit anderen oder schlafen zum Beispiel auf dem Sofa im Wohnzimmer. Aber auch wer in einem Piso compartido wohnt, muss Rücksicht auf die MitbewohnerInnen sowie auf (spanische) NachbarInnen in anderen Wohnungen nehmen und kann zum Beispiel nicht einfach FreundInnen oder Familienangehörige zum ausgiebigen Kochen, Essen und Feiern einladen. Zudem ist die Privat- und Intimsphäre eingeschränkt. Die in Ecuador habitualisierten Entspannungsarten und Vergemeinschaftungsformen konnten daher in Madrid nicht in der gleichen Art und Weise gelebt werden, da dies zu Konflikten mit (spanischen) NachbarInnen und MitbewohnerIn-
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nen führen konnte (ebd.).312 Im Gruppeninterview mit Ingrid, Montserrat, Noelia, Carla und Victor, erklärten Victor und Noelia beispielsweise auf die Frage, was für sie Entspannung bedeutet: „Essen. (...). Wir essen (betont), hier knabbern sie.“ (Lachen) – „Ein Fest mit lauter Musik zu machen. Aber gut, das Einzige, was uns fehlt, ist die Musik, aber sonst, das Essen und das Zusammensein ist immer notwendig, weil das ist unsere Gewohnheit.“ (Gruppeninterview)
Die Unmöglichkeit, die Musik wie in Ecuador laut aufzudrehen und zu tanzen, wurde wie hier von verschiedenen Personen immer wieder als ein Problem der Freizeitgestaltung betont. Eine starke Einschränkung erfuhren Personen, welche über keinen regulären Aufenthaltsstatus verfügten und Angst vor einer Abschiebung haben mussten. Die Freizeit und die Entspannungsformen können dadurch zusätzlich belastet und stresserfüllt sein. Verónica und ihr Mann Fernando gingen aus diesem Grund mit ihren Kindern konsequent nur an Orte, wo viele Leute und somit Polizeikontrollen auszuschließen waren (zum Beispiel Parks, Plaza Mayor, offizielle Veranstaltungen wie die „Cabalgata de los Reyes“313, die Militärparade zum 12. Oktober, zur Hochzeit des Prinzen Felipe im Mai 2004, Schwimmen in Freibädern, und Ähnliches). Sie vermieden es strikt, abends unterwegs zu sein. Als zum Anlass des sechsten Dezembers, dem Fest von Quito, ein „Ecuadorfestival“ in Madrid stattfand, wollten zunächst verschiedene FreundInnen mit mir dorthin gehen. Nachdem es aber immer mehr Gerüchte über die Zunahme von Razzien, Aufgriffen und Ausweisungen gab, sagten nach und nach die Personen, welche keinen regulären Aufenthaltstitel hatten, ab. Als immer mehr Personen über Kontrollen und Gefängnisaufenthalte sowie Ausweisungen berichteten, gingen wir (Sofía, Gloria, Begonia, Mónica unter anderen) nicht mehr wie zuvor tanzen und waren generell vorsichtiger. Nicht alle MigrantInnen gehen jedoch mit der Gefahr eines Aufgriffs und der Ausweisung gleich um, was ebenfalls mit den verschiedenen Bedingungen, Momenten und Projekten der jeweiligen Personen in Beziehung steht. Ana unternahm beispielsweise immer wieder Werbefahrten (teilweise mit ihrer Mutter) zu verschiedenen Orten in Spanien (einmal auch nach Portugal) und das, obwohl sie illegalisiert war.314 Yolanda, ebenfalls illegalisiert, flog, bevor sie, wie geplant, nach zwei Jahren 312 Nicht alle gingen damit auf dieselbe Weise um und betrachteten daher auch die Konflikt- und Gefahrenpotentiale nicht in gleicher Weise. Die Freizeit kann aber konflikt- und stressvoll sein, was psychisch zusätzlich belastend und bei einem gewalttätigen Partner gewaltauslösend wirken kann (vgl. Wagner 2007b, 2009a). 313 Der Zug der „Heiligen drei Könige“; ein riesiger Umzug mit unterschiedlichsten Figuren, bei dem Kinder Geschenke erhalten. Ähnlich wie Karnevalsumzüge in Deutschland. 314 Ihre Eltern waren seit Jahren in Spanien (die Mutter seit zehn Jahren, der Vater kam später). Beide waren legalisiert, besaßen ein Locutorio und Ana rechnete damit, bald selbst legalisiert zu sein. Sie arbeitete im Geschäft ihrer Eltern und verkaufte zusätzlich aus Lateinamerika importierte Schönheitsprodukte.
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als Hausarbeiterin in Spanien nach Ecuador zurückkehrte, von Madrid nach Rom, um dort einen Freund zu besuchen. Sie wolle nicht nach Ecuador zurück, ohne den Papst gesehen und etwas Anderes kennengelernt zu haben, so ihre Erklärung. Würde sie abgeschoben, verliere sie nicht viel, fügte sie hinzu. Sie kam unbehelligt nach Rom und zurück. Wer jedoch das Risiko einer Abschiebung nicht eingehen will bzw. kann, weil sie zum Beispiel Verantwortungen für Dritte hat, wird derartige Unternehmungen nicht wagen. Der öffentliche Raum ist jedoch nicht nur für illegalisierte MigrantInnen vermachtet und begrenzt, was am Beispiel der ecuadorianischen Treffen in Lago, einem Ausflugsziel in Madrid, im Folgenden ausführlicher dargestellt wird. Dabei zeigt sich einerseits, wie gemeinsame Freizeitaktivitäten Mittel gegen Stress, Erschöpfung und Degradierung bei der Arbeit darstellen können, wie diese aber andererseits als selbstbestimmte, sichtbare Handlungen von MigrantInnen im öffentlichen Raum umstritten sind und begrenzt werden. 7.2.1.1 Umstrittene Erholung und Freizeitaktivitäten bei ecuadorianischen Treffpunkten – das Beispiel von Lago „Hier sind wir alle Ecuadorianer. Wer singen will, der singe. Wer tanzen will, der tanze. Hier sind nur Ecuadorianer und wir sind stolz darauf, Ecuadorianer zu sein. Es lebe Ecuador!“ (Mann in Lago)
Neben festen Freundeskreisen, welche sich zu Hause, auf einem bestimmten Sportplatz oder in einem kleineren Park treffen, existieren in Madrid ecuadorianische Treffpunkte, an denen sich am Wochenende Hunderte bis Tausende EcuadorianerInnen versammeln, um ecuadorianisches Essen und verschiedene andere Produkte zu (ver)kaufen, Musik zu machen, andere EcuadorianerInnen zu treffen, Sport zu treiben und Informationen aus Ecuador, über Wohn-, Arbeits- und Hilfsmöglichkeiten sowie legale Fragen und Ähnliches auszutauschen. Während meiner Forschung stachen die Treffen in „Lago“ (einem Teil des Parks „Casa de Campo“) heraus.315 Es handelte sich um einen Kontaktpunkt, aber auch um einen Ort der Regeneration, wo die bekannten Entspannungstechniken gelebt wurden. Im sonstigen Kontext von Marginalisierung, Diskriminierung und Entpersonalisierung konnte hier in der Gruppe Halt, Unterstützung und Anerkennung gefunden werden. Es gab beispielsweise eine Gruppe von MusikerInnen, welche sich regelmäßig dort trafen: Gitarrenspieler stellten sich mit einem kleinen Verstärker zusammen, verschiedene SängerInnen kamen teils spontan, teils abgesprochen dazu und sie mach315 Vgl. zu früheren Treffen im Parque del Oeste, welche sich jedoch aufgrund massiver Polizeipräsenz mehr und mehr räumlich verlagerten, Vidal Rodríguez/Moreno Lorite 2000. Davor und teilweise zeitgleich wurden Treffen im Park „El Retiro“ durchgeführt.
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ten gemeinsam Musik. Drumherum gesellten sich andere Leute im Kreis. Es wurde gemeinsam gesungen, zugehört, teilweise getanzt, getrunken, sich zwischendurch unterhalten und wieder der Musik zugewendet. Dabei wurden die Anwesenden, wie im Eingangszitat, zum Mitmachen aufgefordert: „Hier sind wir alle Ecuadorianer. Wer singen will, der singe. Wer tanzen will, der tanze. Hier sind nur Ecuadorianer und wir sind stolz darauf, Ecuadorianer zu sein. Es lebe Ecuador!“ „Hier sind wir alle Ecuadorianer“ wurde in unterschiedlichen Zusammenhängen immer wieder gesagt, wie auch die Musik von verschiedenen Viva-Rufen mit teils nationalen, vor allem aber lokalen bzw. regionalen Referenzen unterbrochen wurde („Viva el Ecuador“, „Qué viva Guayaquil!“, „Viva Cuenca!“ etc.). Die MusikerInnen hielten immer wieder kleine Ansprachen, in denen sie auf die schwierige Situation als MigrantInnen hinwiesen und Bestätigung, Würde, Mut, Hoffnung und Halt in der Gemeinschaft proklamierten. Die Treffen, vor allem dieses gemeinsame Musizieren, Tanzen, sich Unterhalten und Trinken, wiesen ähnliche Aspekte wie Guadalupes Spontanfest auf (vgl. 7.1.1): Das gemeinsame Singen, Tanzen und Trinken umfasst die rituellen Elemente der Vergemeinschaftung, der symbolischen Reproduktion der Gemeinschaft und der sozialen Konstruktion der Identität. Im Migrationskontext der Entpersonalisierung und Diskriminierung ermöglichte es die Reaffirmation der (nicht nur migrantischen) Persönlichkeit und der Selbstverortung im (transnationalen) Raum, aber auch die Positivdeutung und Selbstaneignung des „MigrantInseins“. Die Treffen boten die Möglichkeit, der Einsamkeit, den Sorgen und Hoffnungen Ausdruck zu verleihen und sich in einer Gemeinschaft mit vertrauten Formen, wenn auch nicht unbedingt mit vertrauten Menschen, zu regenerieren. Der sozialen Konstruktion von außen als „Colectivo ecuatoriano“ wurde dabei ein eigenes „Wir“ entgegengesetzt. In Spanien wie in Ecuador lehnten aber viele EcuadorianerInnen den damit verbundenen Alkoholkonsum ab und kritisierten diese Formen der Treffen und Feiern, zumal Alkoholismus und andere mit Alkohol verbundene Probleme nicht zu unterschätzen sind.316 Im Gegensatz zu Guadalupes Fest im Familien- und FreundInnenkreis fanden die Treffen regelmäßig und in einem öffentlichen Park (also sichtbar) statt. Der dabei anfallende Müll und die, vor allem zu vorgerückter Stunde, Alkoholisierten wurden oft zur Stigmatisierung aller EcuadorianerInnen in Madrid herangezogen, quasi als Symbol bzw. Bestätigung der postulierten „schmutzigen AusländerInnen“ und der scheinbaren „Unzivilisiertheit“ sowie „Unkultiviertheit“ ecuadorianischer MigrantInnen (vgl. 2.1.3).317
Starker Alkoholkonsum kann zum Beispiel ein Auslöser häuslicher Gewalt sein (vgl. 4.2.1). Um das Problem des Mülls in den Griff zu bekommen, schlossen sich während meiner Forschungszeit die Essens- wie Getränkeverkäufer zusammen. Sie bezahlten nun eine Person, welche die ganze Zeit leere Flaschen einsammelte. 316 317
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Aufgrund ihrer Sichtbarkeit im öffentlichen Raum und der wenigen sonstigen Referenzen, welche als Gegenpol für alternative Bilder dienen könnten, wurde die einseitige Konstruktion von EcuadorianerInnen als homogene Gruppe unterstützt. Viele EcuadorianerInnen in Madrid grenzten sich daher vehement von diesen Treffen und den dort anwesenden EcuadorianerInnen ab und erklärten mir, dass aufgrund der dort versammelten EcuadorianerInnen alle stigmatisiert würden: „Ich bin wirklich gegen diese Versammlungen, wo alle Landsleute sind, weil dort trinken sie, essen und, schau, das stört, denn sie lassen überall Müll zurück.“ – „Das schafft ein schlechtes Bild.“ – „Und wegen einem zahlen wir alle (...). Und als früher die Treffen im Retiro [ein anderer Park in Madrid] waren, da haben die Spanier alles zu uns gesagt, weil, schau, an den Wochenenden haben sie mit Müllcontainern Bierflaschen von den Trinkgelagen eingesammelt, denn die Landsleute trinken viel.“ (Gruppeninterview mit Ingrid, Montserrat, Noelia, Carla und Victor)
Ähnliches sagten auch andere Frauen wie zum Beispiel Teresa. Auch in Ecuador war dies bei meiner Feldforschung vor Ort ein Thema. Verschiedene lokale Medien wie persönliche, transnationale Kontakte hatten darüber berichtet. Verärgert über die „schlechte Repräsentation“ in Spanien bildeten sich in Ecuador ebenfalls Abgrenzungen zu den „unzivilisierten“ EcuadorianerInnen in Spanien. Dabei wurden die negativen Zuschreibungen („schmutzig“, „unkultiviert“) übernommen und affirmiert, aber gleichzeitig die Kollektivierung auf alle EcuadorianerInnen im transnationalen Raum relativiert: So wurde mir in Ecuador gesagt, dass lediglich die Schlimmsten nach Spanien gegangenen seien, wohingegen die EcuadorianerInnen in Ecuador nicht so seien: „Die Schlimmsten sind gegangen. Das sind schmutzige Leute“, wurde mir beispielsweise in Quito gesagt. Auf die Frage, woher die Person dies wüsste, antwortete sie mir: Im Vistazo, einer ecuadorianischen Zeitschrift, wäre eine Reportage darüber gebracht worden. Wie in Berichten und Auseinandersetzungen in Spanien wird auch in Ecuador in der Regel weder differenziert noch kontextualisiert, wenn es um die Treffen in den Parks geht. Die ecuadorianischen MigrantInnen selbst betonten hingegen immer wieder, dass sie keine homogene Gruppe bilden und ihre Freizeit nicht auf gleiche Weise verbringen würden, was auch den Alkoholkonsum (im Freien) und den Umgang mit Müll und Schmutz einschließt. Neben der Verallgemeinerung und der damit verbundenen Stigmatisierung quasi aller EcuadorianerInnen in Madrid ist aber auch die Reduktion der Treffen in Lago auf Alkohol und Schmutz problematisch, da es ganz unterschiedliche Elemente und Momente der Treffen gibt und nicht alle, die dort hingehen, Alkohol trinken und Müll produzieren. Drei Monate lang bin ich zusammen mit meinem Mann regelmäßig am Wochenende in Lago gewesen, danach sporadisch immer wieder.318 318 Dabei waren die Treffen oft sehr unterschiedlich in ihrer Komposition, Anwesenheit von Personen und Dynamik. Manchmal fühlten wir uns sehr wohl, andere Male war uns der Alkoholpegel zu hoch und die Stimmung nicht sehr einladend.
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Wir haben dort gegessen, uns umgeschaut, unterhalten und vor allem den MusikerInnen zugehört. Wir lernten Leute kennen und schlossen Freundschaften. Wir nahmen also beobachtend teil, ich führte eine Umfrage durch und machte Interviews mit dort Anwesenden, sowohl mit BesucherInnen, mit EssensverkäuferInnen, mit MusikerInnen, einem Vertreter der VerkäuferInnen als auch mit einem an einer Polizeiaktion beteiligtem Polizisten. Um den kulturalistischen Erklärungen nachzugehen, führte ich außerdem verschiedene ExpertInnengespräche zum allgemeinen Thema der Nutzung des öffentlichen Raumes und der Nutzung von Parks in Ecuador durch.319 Dabei wurde deutlich, dass es sich nicht um ein beliebiges Treffen handelte, sondern dass auch der Ort (das heißt die Grünfläche, der anliegende See, welcher „Lago“ („See“) seinen Namen gibt, der Kinderspielplatz, der Fußballplatz und die vorhandenen Parkbänke) wichtig für den Besuch von Lago sind und es sich hier nicht lediglich um „Saufgelage“ handelt. Mónica, welche selten in Lago war, erklärte zum Beispiel, dass sie sich dort an Parks in Quito erinnert fühle: „Lago ist für mich so, als ob es (Nachdenken) die Carolina oder Ejido [zwei Pärke in Quito] wären (…) [oder] la Alameda [anderer Park in Quito]. Das ist dort, wo es auch diesen Teich gibt. […] In der Alameda und der Carolina (...) ist es, wo es diesen Teich gibt.“ (Mónica)
Die simple Zuschreibung von Alkohol und Schmutz als Hauptreferenz für die Treffen in Lago ist daher zu reduziert. Zwar wurde von vielen – nicht allen – Alkohol getrunken, jedoch nicht notwendigerweise bis zu einem Rauschzustand. Viele Personen kamen nur vorbei, aßen, kauften zum Beispiel CDs und DVDs, ecuadorianische Produkte, hörten der Musik zu, fragten nach bestimmten Informationen und gingen weiter. Gleichzeitig ist diese Art des Alkoholkonsums nicht „typisch ecuadorianisch“ (vgl. die Hinweise auf die sogenannten Botellones spanischer Jugendlicher unter 2.1.3) und wird zum Beispiel auch von Mahler aus ihrer Forschung zu MigrantInnen aus El Salvador in New York erzählt: „Often, men´s social time actually started on Saturday night, and by Sunday morning the living area would be strewn with Budweiser bottles. These few moments of relaxation provided a respite from the psychological and physical stress of the week; they also were the forum for exchanging information about jobs and used cars, baby-sitters and locations of cheap goods.“ (Mahler 1995, 130)
Mahler schreibt hier den Alkoholkonsum ausschließlich den Männern zu, was in dieser Absolutheit für EcuadorianerInnen in Spanien nicht gilt, wie dies im Gruppeninterview mit Ingrid, Montserrat, Noelia, Carla und Victor untereinander folgendermaßen diskutiert wurde: 319
Die Ergebnisse werden an anderer Stelle ausgiebiger vorgestellt und diskutiert werden.
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„Aber das mit dem Alkohol, warum ist es so wichtig?“ – „Ich denke, dass, schau, es ist eine Gewohnheit in Ecuador, am Wochenende zu trinken. Dort trinken die Männer viel und ich weiß nicht warum, aber trinken dort die Männer viel. Und hier trinken sie am Wochenende genauso, oder mehr sogar, weil sie nun einen weiteren Grund aus ihrem Leben zum Trinken haben: die Einsamkeit. Sie vermissen ihre Familie. Denn es gibt viele Leute, die hier komplett alleine sind. Sie haben niemanden, oder sie haben einen Bruder und sehen ihn aber nie, weil sie in unterschiedlichen Wohnungen leben und jeder sein eigenen Leben lebt (...). Sie fühlen sich sehr einsam. Hier gibt es auch viele Frauen, die trinken.“ – „Dort [in Ecuador] nicht?“ – „Dort nicht.“ – „Dort kommt es sehr selten vor, dass eine Frau trinkt. Der Alkohol ist für den Mann.“ – „Doch, sie machen es auch.“ – „Sehr selten, sehr selten.“ – „Aber hier gibt es Frauen, die am Wochenende auf der Straße und auch in den Parks bis zur Bewusstlosigkeit trinken, nicht mehr auf den Beinen stehen können. Das ist auch die Einsamkeit. Die Einsamkeit macht das.“ – „Die Frauen trinken viel.“ – „Sie flüchten sich auch in den Alkohol.“ (Gruppeninterview mit Ingrid, Carla, Noelia, Montserrat und Victor).
Der Alkoholkonsum wird hier vor allem durch die Einsamkeit der Frauen erklärt. Diese stellt laut Umfrage von Rul-lán-Buades und Team mit 1000 Hausarbeiterinnen (600 Migrantinnen und 400 Spanierinnen) zusammen mit Geldsorgen das größte Problem migrantischer Hausarbeiterinnen dar (vgl. Rul-lán-Buades 1998, 126-127; vgl. auch Hondagneu-Sotelo 2001, 36 für ihre Forschung in Los Angeles). Probleme als Hausarbeiterin n= 600 migrantische Hausarbeiterinnen; Angaben in % Quelle: Rulán-Buades 1998, 127
30 25
27,9
27,9
Einsamkeit Geld Zukunft Heimweh/Sehnsucht Gesundheit Andere keine Angabe
23,5
%
20 15 10
10,5 7,2
5
1,7
1,3
0
Problemkategorien
Tabelle 9: Probleme als Hausarbeiterin; eigene Übersetzung und Ausarbeitung auf der Grundlage von Rulán-Buades 1998, 127
Auch wenn der Alkoholkonsum in der Freizeit nicht allein daraus erklärt werden kann, ist deutlich, dass er auch mit dem Migrationskontext zusammenhängt. Alexandra berichtete zum Beispiel, wie sie sich in ihrer Anfangszeit gelegentlich am
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Wochenende mit einer Freundin traf, um gemeinsam zu trinken, zu weinen und dann wieder zurück zu ihrer Arbeit als Hausarbeiterin zu gehen. „Ich hatte diese Freundin (...). Sie rief mich am Wochenende an und sagte mir: ‚Komm, lass uns etwas raus gehen. Lass uns etwas trinken und so weiter. Ich trank etwas [Alkohol]. Manchmal ging ich und wir beide begannen zu weinen, weinen und weinen.“ (Alexandra)
Auch Mahler erklärt die von ihr beschriebenen gemeinsamen Treffen und den damit verbundenen Alkoholkonsum in Bezug auf den Migrationskontext: „These few moments of relaxation provided a respite from the psychological and physical stress of the week“. Außerdem wurden wie bei den ecuadorianischen Treffen migrantInnenspezifische Informationen ausgetauscht. Um diese Treffen und die Aktivitäten zu analysieren, muss also der Migrationskontext und dessen Bedingungen mit bedacht werden. Es geht also auch um die Erfahrungen als MigrantInnen und deren Auswirkungen auf Stress, Freizeitbedürfnisse und -aktivitäten sowie um Fragen von Anerkennung bzw. Marginalisierung. „Warum treffen sich die Ecuadorianer in den Parks?” – „Ja, das würde ich auch gerne wissen. Ich weiß nicht, warum. Ich glaube, sie fühlen sich, – weil ich glaube, dass wir320 uns marginalisiert fühlen.“ (Mónica)
Mónica sagt hier ganz klar: Wir fühlen uns marginalisiert. Auch die Konflikte rund um die Nutzung des Parks sind Teil dieser Marginalisierungsprozesse. Die Nutzung des öffentlichen Raumes ist stets auch eine Frage von Aushandlungsprozessen, von legitimierten öffentlichen Handlungen und der legitimierten Präsenz von Gruppen und Einzelpersonen im öffentlichen Raum. Der öffentliche Raum ist also nicht einfach „egalitär“ und „machtfrei“, vielmehr treten dort Formen von Exklusion oder Integration gerade zutage (vgl. Llopis/Moncusí 2005, 5). Die Konflikte und Stigmata handeln also auch von der Sichtbarkeit der EcuadorianerInnen, deren selbstbewusstem Auftreten als „Andere“, der gleichzeitigen Situierung im lokalen wie transnationalen Raum und ihrer selbstbestimmten Nutzung des öffentlichen Raumes. Dies zeigte sich u.a. daran, dass das Stigma „Alkoholkonsum“ nicht als Alkoholproblem wahrgenommen und thematisiert wurde (zum Beispiel als Gesundheitsproblem), sondern als „Verschmutzung des öffentlichen Raumes“, als „ecuadorianisches Problem“ und als Frage „legitimer Raumnutzung“: Der Ort bei Lago, wo die Treffen stattfanden, ist kein versteckter Platz, sondern liegt an einem Spazierweg und ist beliebtes Ausflugsziel anderer BewohnerInnen von Madrid (vgl. Wiest/Büscher 52003, 304), welche sich nun durch die Nutzung des zuvor „freien“ 320 Interessant, wie Mónica hier die Distanz innerhalb des Satzes aufgibt. Zunächst spricht sie von EcuadorianerInnen im dritten Plural, wie ich die Frage stelle, und wechselt dann zur ersten Person Plural. Sie wisse selbst keine Antwort, erklärt sie, tastet sich aber dann („ich glaube“) zu einer Antwort vor, bei der sie sich dann auch selbst in das Subjekt einschließt und schließlich zum Schluss kommt: Wir fühlen uns marginalisiert.
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Raumes und die „massive Präsenz von EcuadorianerInnen“ gestört fühlten. Es gab Proteste von LokalbesitzerInnen am See, welche gegen die ecuadorianischen Treffen Einspruch erhoben und unter anderem die Stadtverwaltung dazu bewegten, mit Polizei gegen die Treffen vorzugehen. Die Gründe bezogen sich auf das Verbot des informellen Verkaufs zubereiteter Speisen, also auf Hygienegebote, sowie auf Schmutzbelästigung, aber auch darauf, dass „es eine große Ansammlung gibt und sie machen, was sie wollen.“ Es geht also auch um das selbstbestimmte öffentliche Auftreten und das Sichtbarwerden als ecuadorianische MigrantInnen, etwas, das viele EcuadorianerInnen strategisch gerade unterlassen, beziehungsweise zumindest in dieser Form umgehen möchten, da es Vorurteile verschärfen würde, wie Isabela betonte. Rumiñahui, der spanisch-ecuadorianische Verein ecuadorianischer MigrantInnen, versuchte zum Beispiel, Alternativen der Freizeitgestaltung anzubieten, welche ebenso soziale, rekreative und identitäre Aspekte umfassten, aber Alkohol und Konfliktpunkte mit der spanischen Mehrheitsgesellschaft vermieden. Auf diese Wiese sollten Integrationsmöglichkeiten in die spanische Gesellschaft geschaffen und somit ein Gegenpol zu Marginalisierung und Ausgrenzung gebildet werden. In Valencia organisierten sie beispielsweise Fußballligen, an denen im Jahr 2004 32 männliche und 14 weibliche Teams teilnahmen.321 Die Mehrzahl der SpielerInnen waren EcuadorianerInnen. Es spielten aber auch einige andere LateinamerikanerInnen sowie ein paar SpanierInnen mit (vgl. Llopis/Moncusí Ferré 2005, 2). Ein Vertreter von Rumiñahui erklärte Llopis und Moncusí Ferré in einem Interview: „In den lateinamerikanischen Ländern stehen die Leute auf Fußball. Oder anders gesagt, allen gefällt der Fußball und derartige Sachen. Genau wie in Europa. Genau gleich. Also machen wir es hier einfach so, dass wir Aktivitäten übertragen und entwickeln, die viele schon in ihrem Land gemacht haben. (...) Denn wir werden es auch nicht verstecken, dass es zum Beispiel einen Teil von Lateinamerikanern gibt, die viel trinken. Unsere Leute trinken viel, aber, wenn wir sie hingegen in einer sportlichen Aktivität halten, werden sie im Gegenteil mehr Sport machen und weniger Alkohol [trinken] (…). Und wir haben unsere eigenen Regeln. Wenn eine Person trinkt und einen schlechten Eindruck macht, erhält sie eine Strafe.“ (Leiter von Rumiñahui. Zitiert aus Llopis/Moncusí Ferré 2005, 6)
Es handelt sich hier um den strategischen Versuch, die Situation als EcuadorianerInnen zu verbessern und hierüber auch auf das Stigma und das faktische Problem des Alkoholkonsums einzuwirken, um auf diese Weise die Integration zu erleichtern. Von den hier vorgestellten Frauen machte mit Ausnahme von Isabela jedoch niemand an derartigen „Integrationsaktivitäten“ oder „alternativen Gruppen“ mit. Auch ging keine Frau regelmäßig nach Lago, jedoch mehrere sporadisch. Die Meisten äußerten sich aber eher kritisch darüber. Eine Ausnahme bildeten religiöse ecuadorianische Feiern wie die Romería del Quinche und das Fest zur Feier der 321
Die Männer spielen in Teams mit elf Personen, die Frauen mit sieben Personen.
7.2 Strategien außerhalb der Arbeit
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Virgen del Cisne in Lago, an denen mehrere Frauen (zum Beispiel Guadalupe sowie Verónica mit Familie) teilnahmen. Ihre Freizeitaktivitäten wie Strategien spielten sich ansonsten jedoch vielmehr in kleineren Gruppen ab, also in Bezug auf Netzwerke, um die es im folgenden Punkt geht. 7.2.2 „Cadenas de dinero“ – Netzwerkstrategien „Wir machen eine Geldkette und dann möchte ich mir eine Videokamera kaufen.“ (Verónica)
Um größere und kleinere Ausgaben zu tätigen, muss oft über Monate gespart werden. Das gilt vor allem für jene MigrantInnen, welche erst kurze Zeit in Spanien sind und/oder das meiste Geld nach Ecuador schicken. Braucht man für eine bestimmte Anschaffung oder Ausgaben in Ecuador (wie Schulgelder etc.) schnell einen größeren Betrag, stellen sich verschiedene Probleme, denn Geld von anderen zu leihen, birgt ein großes Konflikt- bzw. Unsicherheitspotential und (Klein)Kredite sind meist nicht erhältlich (wegen mangelnder Sicherheiten, irregulärem Aufenthaltstitel etc.) sowie aufgrund der hohen Zinsen unattraktiv bzw. problematisch. Verónica und Fernando machten daher zusammen mit vier weiteren Parteien ihres Piso compartido eine „cadena de dinero“, eine „Geldkette“. Dies hatten sie bereits in Ecuador gemacht: Es wurden jeden Monat 200 € in einen Topf gezahlt und die zusammengekommenen 1000 € verlost. Wer gewann, zahlte die folgenden Monate weiter, nahm aber nicht mehr an der Verlosung teil, wodurch alle TeilnehmerInnen nach und nach 1000 € erhielten. Auf diese Weise wurden Kredite und neue Schulden vermieden und eine alternative Form eines „Kleinkredites“ geschaffen, ohne in das Banksystem eintreten zu müssen. Lediglich die Person, welche als letzte das Los zog, hatte keinen zeitlichen Vorteil mehr davon, aber auch keinen Schaden oder Nachteile. Für eine derartige Geldkette ist eine Gruppe von Personen notwendig, denen man vertraut. Es geht also um soziale Beziehungen. Ihre Relevanz und ihr Potential als Alternativinstitutionen sowie als Broker ist in den verschiedensten Zusammenhängen und Ebenen des Migrationsprozesses bereits thematisiert worden. Dabei wurde deutlich, dass sie eine der zentralen Ressourcen im Migrationsprozess darstellen. Sie können wie im Falle der Geldketten als horizontales Netz Teil der gemeinsamen Überlebens- und Verbesserungsstrategien sein. Sie können aber auch vertikale Netze umfassen wie zum Beispiel die beschriebenen Formen der Monetarisierung von Hilfe, Informationen und Dienstleistungen für andere MigrantInnen, welche lediglich einzelnen Personen ökonomische Vorteile verschaffen. Über die Merkantilisierung dieses spezifisch „migrantischen Kapitals“ (vgl. Mahler 1995, 156) treffen beide Bedürfnisse hierarchisch aufeinander: notwendige, informelle Dienstleistungen für weniger Etablierte und eine (Zu-) Verdienstmöglichkeit für besser
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Situierte. Dabei ist es gerade oft erst dieser Zuverdienst, welcher eine relativ schnelle oder überhaupt eine Verwirklichung der Migrationsziele und eine Verbesserung der eigenen Position gegenüber anderen MigrantInnen erlaubt (vgl. 5.1).322 Eine weitere Netzwerkstrategie besteht in der gezielten Förderung eines Mitgliedes (einer Familie, eines FreundInnenkreises), von dem angenommen wird, dass es die meisten Ressourcen besitzt, um eine strukturell bessere Position zu erreichen. So konnte beispielsweise Omar Fortbildungskurse besuchen sowie ein Buch verfassen, weil er die finanzielle Unterstützung seiner Familie, d.h. seiner Frau sowie seiner ebenfalls migrierten Eltern, hatte. Außerdem unterstützten ihn verschiedene Institutionen und förderten ihn. Ohne diese Freistellung und die finanzielle Unterstützung durch sein familiäres Netzwerk hätte er dies jedoch so nicht erreichen können. Derartige Familienstrategien sind oft entlang von Geschlechterhierarchien organisiert: Im Falle von Meggy und Oscar arbeitete beispielsweise Meggy über Jahre als Interna. Oscar blieb anfangs mit dem gemeinsamen Sohn in Guayaquil zurück, bis Meggy beide nach Spanien nachholen konnte. Dort arbeitete Meggy zunächst weiterhin als Interna, während Oscar den Sohn versorgte und sich, während dieser in der Schule war, meist unentgeltlich in einer spanischen Nichtregierungsorganisation engagierte. Er hatte die Hoffnung, auf diese Weise eine seinem Universitätsstudium (Soziologie) angemessene Arbeit zu finden. Den Lebensunterhalt deckte während dieser Zeit vornehmlich seine Frau mit ihrer Arbeit ab. Mit ihrer Hilfe war es ihm zudem möglich, ein Studium an einer spanischen Universität durchzuführen.323 Die Familienstrategie stützte sich auf Meggys Arbeit, die über Jahre den Lebensunterhalt der Familie sicherte und ihre eigenen Wünsche nach Veränderung unterordnete. Hier spiegeln sich asymmetrische Geschlechterpraktiken, aber auch langfristige Arbeitsprojekte und Veränderungen in den Geschlechterrollen, da Omar über Jahre die Versorgerrolle an seine Frau abgab und sich verstärkt um das gemeinsame Kind kümmerte. Es zeigt sich aber auch die geschlechtsspezifische Akkumulation kulturellen Kapitals in Ecuador (so kann es sein, dass Frauen nicht studieren konnten, die Männer jedoch schon, weil ihre Herkunftsfamilien sie unterschiedlich unterstützten) wie auch geschlechtsspezifische Unterschiede beim Zugang zum Arbeitsmarkt in Spanien (indem Frauen häufig im Haushaltssektor leichter Arbeit finden und oft eine höhere Stabilität und somit sicherere Einnahmen als Männer garantieren können; vgl. Escrivá 2000, 215). Wenn es sich nicht um Verwandtschaft handelt, müssen Beziehungen und Kontakte häufig erst geschaffen und dann auch erhalten werden, egal, ob es um 322 Eine andere Möglichkeit stellen zum Beispiel Unternehmen und Dienstleistungen dar, welche auf spezifische Bedürfnisse von MigrantInnen (wie Speisen, Produkte, Schönheit etc.) eingehen und auf diese Weise einen neuen, offenen Markt bedienen, welcher durch die Migration oft erst geschaffen wird. 323 Ob es ihm gelungen ist, das Studium zu beenden und eine Arbeit in seinem Interessensbereich sowie gemäß seiner Qualifikationen zu finden, weiß ich nicht.
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eine Zugehörigkeit zu einem vertikalen oder horizontalen Netz geht. Dies betrifft sowohl Beziehungen unter MigrantInnen als auch zu SpanierInnen. Eine Strategie, Arbeitsbeziehungen zu verdichten und so die eigene Position auch nach Ende einer Arbeitsbeziehung zu stärken, stellt eine fiktive Verwandtschaft in Form von Patenschaft dar. Neugeborenen Kindern wurden daher oft (auch) spanische PatInnen gegeben, meist frühere ArbeitgeberInnen, bei denen die Frauen bis kurz vor der Geburt gearbeitet hatten.324 Auf diese Weise wird bewusst die Beziehung gestärkt und zumindest in ihrer Definition fiktiv verändert (co-madre, „Mit-Mutter“ und copadre, „Mit-Vater“). Außerdem wird der Kontakt in das Netzwerk rund um die früheren ArbeitgeberInnen (als mögliche neue ChefInnen) verfestigt und eine Referenz für die Arbeitssuche (vgl. 6.5) langfristig garantiert. Nicht alle (Ex-) ArbeitgeberInnen wollen aber eine derartige Beziehung und/oder halten die Erwartungen daran ein. Zumindest potentiell und formal wird auf diese Weise eine Klientbeziehung bzw. Formalisierung einer Beziehung mit möglichen spanischen Brokern etabliert, welche den Zugang zu sowie die Bereitstellung bestimmter Ressourcen (angefangen von Empfehlungen bei der Arbeitssuche über die Weitergabe wichtiger Informationen bis hin zum Leisten finanzieller Hilfe) institutionalisieren können, auch wenn dies nicht garantiert, dass sich die PatInnen so verhalten wie es von ihnen erhofft wird.325 Die eigene Position als MigrantIn zu stärken und/oder zu verändern, beabsichtigen Vereine, Gewerkschaften und ähnliche Institutionen. Die Formen können dabei sehr unterschiedlich sein. Sie reichen von kulturellen und religiösen Aktivitäten bis hin zur Bereitstellung verschiedener migrantInnenspezifischer Angebote und politischem Engagement in Spanien. Hier interessieren vor allem die beiden letztgenannten Formen, welche einerseits dazu dienen können, individuelle Ziele zu erreichen, aber auch Mechanismen der sozialen Partizipation und politischen Forderungen in Spanien darstellen (vgl. Veredas Muñoz 2003, 207f). Obwohl es eine Vielzahl migrantischer bzw. ecuadorianischer Vereine in Spanien gibt, war im Umfeld meiner Forschung praktisch niemand aktives oder passives Mitglied solcher 324 Mir begegneten beispielsweise mehrere Fälle einer gemischten „PatInnenstrategie”: ein Patenteil war ecuadorianisch; ein anderes spanisch, meist ein/e aktuelle/r oder frühere/r Arbeitgeber/in (zum Beispiel Montserrats Sohn und Gracianas Tochter). 325 Hier handelt es sich um Strategien von Eltern neugeborener bzw. kleiner Kinder. Kinderlose, junge MigrantInnen versuchten zum Beispiel, SpanierInnen kennenzuleren, indem sie Kontaktpunkte wie zum Beispiel Diskotheken aufsuchten, wo sich vornehmlich junge SpanierInnen trafen. Jean Pierre (36 Jahre, allein stehend) suchte auf diese Weise Kontakte mit SpanierInnen bzw. EuropäerInnen und wollte so auch eine europäische Frau kennenlernen. Dabei handelte es sich um den Versuch, Freundschaften zu schließen, also (nominell) horizontale Beziehungen zu Personen zu etablieren, welche für ihn aber gleichzeitig auch soziales wie symbolisches Kapital darstellten. Diese Strategie war jedoch oft sehr teuer, wie Jean Pierre berichtete: „In einer Nacht zahlte ich 150 €, um Vergnügen zu haben. (...) Ich sage dir, bei dem Ort zahlte ich mindestens 15, 20 € Eintritt und die Preise drinnen, die Getränke waren teuer. (...) Spanische Leute gehen dorthin, europäische Leute.“ (Jean Pierre)
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Vereine. Ausnahmen waren Edith und Isabela326: Edith nahm für kurze Zeit, als ihr Mann in einer anderen Stadt arbeitete und sie daher mehr Freiheiten und mehr Freizeit hatte, an einer politischen Gruppe in unserem Viertel teil. Isabela, welche bei Rumiñahui aktiv gewesen war, engagierte sich in einer katholischen Gemeinde, die Treffen zwischen SpanierInnen und MigrantInnen organisierte, um so das gegenseitige Kennenlernen zu erleichtern, Vorurteile abzubauen und Kontakte zu ermöglichen. Isabela war von all den Frauen, welche ich kennenlernen konnte, am aktivsten. Mónica hingegen war wie andere Frauen (wie zum Beispiel Begonia) Mitglied eines Vereins für MigrantInnen, wo sie Informationen und Beistand in rechtlichen Angelegenheiten erhielt. An anderen Aspekten war sie nicht interessiert. Daneben begegneten mir andere Zusammenschlüsse wie Nachbarschaftsvereine („Asociaciones de vecinos“), also territorial organisierte Vereine, an denen ich im Viertel gelegentlich teilnahm, bei denen jedoch nie MigrantInnen anwesend waren. Der Orden „Religiosas de María Inmaculada“ hatte eine Asociación de empleadas de hogar (einen Hausarbeiterinnenverein) und somit einen entlang einer Tätigkeit organisierten Verein. Von den hier vorgestellten Frauen war jedoch keine Mitglied einer derartigen Vereinigung, genauso wenig wie sie an Gewerkschaften oder anderen, sei es nach Religion, nationaler, ethnischer Herkunft oder anderen Kriterien organisierten Gruppen teilnahmen.327 Was Schwenken in diesem Kontext für Migrantinnen in Deutschland schreibt, gilt auch hier: „Die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen wird von der Mehrzahl der Migrantinnen – wie auch der restlichen Bevölkerung – auf informellem (und oft individuellem) Wege versucht. Kollektive politische Artikulationen (...) sind noch nicht sehr verbreitet.“ (Schwenken 2003, 143)
Von den hier vorgestellten Frauen wurden, wie gesagt, Hilfsleistungen von Vereinen und anderen Institutionen wie eine Rechtsberatung in Anspruch genommen bzw. als möglicher Grund für eine Mitgliedschaft in Erwägung gezogen. Eine Mitarbeit und politisches Engagement wurde hingegen von Vielen als falsche bzw. uneffektive Strategie und/oder als unrealistisch sowie zu viel Zeit und Energie nehmend betrachtet, welche sämtlich für die momentanen, direkten Bedürfnisse gebraucht wurden. Richard erklärte, nachdem er sagte, dass er gerne politisch aktiv wäre, in diesem Sinne: „Ja, ich mag die Politik, aber fangen wir mal an: Ich möchte legal [hier] sein (...). Sprechen wir von dem, was als erstes kommt (...) und ich würde gerne mal schauen, [aber] Schritt für Schritt. (...) und auch nicht nur für die Interessen der Migranten kämpfen, sondern für alle. Im Viertel, wo ich wohne, würde es mir gefallen, wenn es eine Verbesserung gäbe. (...) Wie gesagt, aber alles geht Schritt für Schritt. Das erste ist (...) legal zu sein. Und jetzt habe ich schon etwas, wofür ich kämpfe
326 Sowie Personen, welche ich bereits von meinem Praktikum und meiner Vorstudie bei dem ecuadorianischen MigrantInnenverein „Rumiñahui” im Jahr 2001 kannte. 327 Dies wird auch in anderen Studien berichtet, vgl. Colectivo IOÉ 2001a, 458 sowie Escrivá 1999, 367.
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– für einen kleinen Spanier [seinen neugeborenen Sohn, der die spanische Staatsbürgerschaft hatte].“ (Richard)
Sein erstes Ziel, so Richard, sei die Legalisierung. Danach könne er sich darüber Gedanken machen, ob er sich engagiert und für Verbesserungen kämpft, wobei er betont, dass er sich für alle, nicht nur die MigrantInnen einsetzen wolle. Zu kämpfen hätte er momentan aber genug, nämlich für seinen neu geborenen Sohn. Alexandra und er hatten Schulden, waren beide arbeitslos bzw. ohne feste, regelmäßige Beschäftigungen und befanden sich in einer finanziellen Krise. Für sie waren nun andere Unterstützungsmechanismen und Solidaritäten von entscheidender Bedeutung, während politisches Engagement in der Prioritätenliste weit nach hinten rückte. 7.2.3 „Baños dulces“ und andere Veränderungsrituale „Ich finde keine Arbeit, weil ich versalzen bin.“ (Gloria)
Die EcuadorianerInnen in Madrid versuchten auf allen Ebenen ihre Situation zu verbessern, was auch verschiedene Formen von Ritualen einschließen konnte. So wurde ich einmal von José und Graciana, der Nichte von Guadalupe, darum gebeten, ihre drei Kinder (zehn, acht und vier Jahre) am folgenden Samstag bei mir übernachten zu lassen. Ich notierte in meinem Feldtagebuch: Sie bräuchte die Wohnung und die Kinder sollten nicht da sein. Ich schaue sie fragend an. – Sie würde es mir dann erklären. „Aha“, sage ich, woraufhin José meint. „Sie sagt: Ich möchte auch dabei sein“ und wir lachen. (...) Ich sage: „Das hört sich nach Brujería328 an.“ Sie fragt schnell: „Glaubst du daran?“ – Bevor ich jedoch antworten kann, redet sie schon weiter. Sie sagt, sie müsste es noch genau klären, ob ihre Tante kommen kann. (...) „Sie weiß viel darüber. Du kennst sie noch nicht.“ Und dann müssten sie noch klären wegen des Babys von Alexandra. Es sei ja noch sehr klein, nicht dass ihm etwas passiert. Außerdem müssten es sieben Personen am Tisch sein. Dann erklärt sie: José braucht eine „Limpia“ [eine Reinigung]. Er bestätigt: Er sei krank, „aber man findet nichts“.
So kamen die Kinder am folgenden Wochenende zu mir. Als ich sie abholte, waren sie ganz aufgeregt. Sie waren begeistert darüber, bei mir zu übernachten, aber auch das Ritual und das Kommen der Tante versetzte sie in Spannung. Als ich mit den Kindern loszog, war die Tante dabei, mit Schutzritualen das Zimmer von Alexandra, der anderen Nichte, die mit ihrer Familie im gleichen Haushalt wohnte, vor allem ihr neugeborenes Baby vor dem Übergriff des Schadens, welcher von José abgewendet werden sollte, zu schützen. Da José krank war, medizinisch jedoch 328 Brujería, wörtlich „Hexerei“ oder „Zauberei“. Als Brujas und Brujos bzw. Curanderas und Curanderos werden in Lateinamerika ritualle SpezialistInnen in der Volksmedizin und im Schamanismus bezeichnet.
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nichts festgestellt wurde, konnte es sich, so die Erklärung, nicht um eine Krankheit im westlich-medizinischen Sinne handeln, sondern um ein Übel, welches José befallen hatte.329 In diesem Fall ging es um Josés Gesundheit: Er hatte erst vor Kurzem einen Herzinfarkt erlitten und, nachdem er aus dem Krankenhaus wieder entlassen war, fühlte er sich dennoch nicht gesund, war sehr schwach und angeschlagen. Schon der Herzinfarkt war für ihn und die Familie ein Schock, da er mit 39 Jahren dafür zu jung erschien, und so wurde von ihm auch eine schnelle Genesung und die Wiederaufnahme seiner Arbeit auf dem Bau erwartet. Das war jedoch nicht der Fall. Die Folge waren finanzielle Einbußen sowie Unsicherheiten für die Familie. Anfangs erhielt er noch Krankengeld und später Arbeitslosengeld, da er offiziell mit Vertrag gearbeitet hatte und eine Aufenthalts- wie Arbeitserlaubnis besaß. Die Differenz zu seinem früheren Lohn fehlte jedoch dem Familieneinkommen. Gleichzeitig war er offiziell für wieder gesund erklärt worden, während er sich jedoch noch schwach und krank fühlte. Mit Hilfe dieses Rituals sollte nun das Unglück von José und seiner Familie abgewendet sowie seine frühere Gesundheit wieder hergestellt werden. Auch andere Frauen wandten Rituale an, um ihre Lage positiv zu beeinflussen. Sofía versuchte beispielsweise auf diese Weise ihre „Pechsträhne“ zu überwinden: Es wurde bereits erzählt (vgl. 6.5.1), dass Sofía ihre erste Arbeitsstelle verlor, da ihr Arbeitgeber arbeitslos geworden war, woraufhin sich die Familie Sofías Arbeit nicht leisten konnte. Auch von ihrer zweiten Arbeitsstelle als Interna war bereits kurz die Rede, bei der sie, nachdem sie nach drei Monaten, in denen „alles gut zu laufen schien“, ihre Arbeitgeberin darum bat, einen Legalisierungsprozess zu beginnen, wenige Tage später entlassen wurde (vgl. 7.1.1). Ihre dritte Arbeitsstelle verlor sie aufgrund von Telefonkontrollen durch ihre Arbeitgeberin. Sofía erzählte, wie in ihrer ersten Arbeitswoche plötzlich das Telefon läutete. Sie sei in der Küche gewesen und hätte einen Moment benötigt, um zu bemerken, dass es das Telefon war, das da läutete und hätte es nicht sofort gefunden. Als sie abhob, hätte man aber bereits aufgelegt. Als ihre Chefin nach Hause gekommen sei, hätte sie ihr erzählt, 329 Es wurde im Gespräch nicht klar, ob die Familie davon ausging, dass jemand José bewusst Schaden zugefügt, ihn also „verhext“ hatte (ihm durch eine Person ein daño, ein Schaden, bewusst zugefügt wurde), oder ob José das Übel an einem Ort einfach aufgenommen hatte, ohne dass es dazu einen äußeren Anlass gegeben hätten (er also „mala suerte“, das heisst „Pech“ hatte). Beide Ansichten wären möglich. Da aber extra mit der Tante, welche ansonsten eher gemieden wurde, eine besondere Spezialistin um Hilfe gebeten wurde, und nicht Guadalupe, welche ebenfalls Reinigungen durchführte (und dies auch regelmäßig in der Familie, unter anderem in meiner Gegenwart tat), gehe ich davon aus, dass es sich um Schadenszauber und dessen Abwehr handelte. Das ganze Ritual und die Kraft, die dem Übel zugesprochen wurde (sodass die Kinder extra nicht zu Hause übernachten sollten), deutet meiner Meinung nach darauf hin. In der zugrundeliegenden Vorstellung kann das Übel gebannt und abgewehrt, jedoch nicht vernichtet werden. Die Kinder sind daher bei der Aktivierung des Übels nicht in der Wohnung anwesend und die anderen MitbewohnerInnen (Alexandra, Richard und vor allem ihr neugeborener Sohn) werden unter einen besonderen Schutz gestellt.
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dass jemand angerufen, dass sie aber zu spät abgehoben hätte. Das sei sie (die Chefin) gewesen, erklärte diese, und sie müsste sofort zur Stelle sein, wenn das Telefon klingelt. Beim nächsten Kontrollanruf sei sie wieder zu langsam gewesen, da sie das falsche, das hausinterne, Telefon abgehoben hätte und wieder hätte die Chefin nicht nochmals angerufen. Für ihre Arbeitgeberin sei dies der Beweis gewesen, dass Sofía ihre Arbeitszeit nicht im Haus bei der Arbeit verbringen würde, weshalb sie entlassen wurde. Bei ihrer nächsten Arbeitsstelle als Externa gab es ein Missverständnis mit der Arbeitgeberin über den Beginn der Arbeit, wodurch Sofía (anscheinend) zu spät zur Arbeit erschien: Sie sei am Montag zur vereinbarten Zeit zur Arbeit gekommen. Dies sei aber zu spät gewesen, weil die Kinder keine Schule gehabt hätten, was man ihr aber nicht gesagt habe. Auch diese Arbeit verlor sie. Danach war sie bereits so nervös, dass sie bei ihrer nächsten Arbeit einen heißen Topf auf eine nicht hitzebeständige Arbeitsfläche stellte. Sie wurde entlassen. Sie sei schon traumatisiert, erklärte sie mir. Sofía war auf der Suche nach einem anderen Leben nach Spanien gekommen, ohne Abhängigkeiten, Unterdrückung und psychische Misshandlung. Sie wollte „etwas für sich machen“, wie mir ihr Sohn in Ecuador sagte. Die unsicheren Arbeitsverhältnisse und ihre „Pechsträhne“ waren jedoch genau das Gegenteil davon und brachten sie immer mehr zur Verzweiflung: Sie sei mittlerweile sehr unsicher, hätte Angst, eine Arbeit anzunehmen, weil sie sich davor fürchte, etwas falsch zu machen, erklärte sie immer wieder. Alles wäre bei ihrer ersten Arbeitsstelle so gut gegangen, seither aber nicht mehr.330 Sie sei verunsichert, hätte Angst, die spanische Küche nicht gut genug zu kochen, und dadurch, dass sie sich fürchtete, würde sie immer ängstlicher werden. Sie sei „salada“, „versalzen“, erklärte sie mir, weshalb sie nun „süße Bäder“ („baños dulces“) nehmen würde, um das Salz – Zeichen von Unglück im andinen Raum (vgl. Wörrle 1996, 136ff) – abzuwenden, wegzuwaschen und ihr Schicksal zu „versüßen“, d.h. positiv zu wenden.331 Auch andere Frauen sprachen in Bezug auf ihre Arbeitssuche (Gloria) oder persönliche Probleme (Carla) davon, dass sie „salada“, versalzen, seien und daher „alles, was ich anpacke, schief geht“, wie beispielsweise Carla sagte. Es sei, als könne 330 Die Familie hatte ihr sogar, nachdem sie ihr aufgrund finanzieller Probleme kündigen musste, bei der weiteren Arbeitssuche geholfen, weil sie mit ihrer Arbeit sehr zufrieden war (vgl. 6.5.1). 331 Ihr Rezept zu den baños dulces lautete wie folgt: Die Bäder müssen am Dienstag und Freitag erfolgen und zwar zuerst ein Bad aus Waschmittel und Zucker sowie drei Zitronen. Damit muss der Körper von oben nach unten abgewaschen werden. Anschließend erfolgt ein Bad mit süßen Düften bestehend aus: Zimt, Nelken, Minze, Sternanis, Honig sowie drei Löffeln Zucker. Zunächst wird an drei Tagen das erste und zweite Bad nacheinander genommen. Anschließend vier Mal nur das zweite Bad. Hier zeigt sich eine klare Zweiteilung im Ritual: Als erstes wird der Schaden abgewendet, von oben nach unten weggewaschen, also etwas abgegeben. Anschließend wird etwas Neues, nämlich die süßen Düfte, das Positive, aufgenommen (vgl. zu dieser Struktur auch Wörrle 2002, 267; sowie zu anderen süßen Bädern Mader 1999, 153).
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sie machen, was sie wolle, aber der Ausgang sei negativ. Sie sei „vom Pech verfolgt“, wie eine vergleichbare Redewendung im Deutschen besagt. „Es ist wie verhext“, wäre eine weitere Entsprechung (vgl. ebd., 136ff). Dabei kann es ähnlich wie im deutschen Sprachgebrauch um eine Redewendung gehen, welche Unglück und Unmut ausdrückt, jedoch keine weiteren praktischen Handlungen einschließt. Normalerweise handelt es sich aber wie im Falle von Sofía um Signifikationsgeber, welche die momentane Situation nicht nur erklären, sondern im Zusammenhang mit konkreten rituellen Praktiken und deren Sinngebungen stehen. Auf diese Weise wird eine weitere Handlungsebene eröffnet, nämlich, das Schicksal positiv zu beeinflussen und die Pechsträhne durch Abwendung des Unheils zu beenden; ihr versalzenes Leben zu versüßen. Das Leben als Migrantin in Spanien birgt, wie hier in verschiedenen Zusammenhängen deutlich wurde, sehr viele Unsicherheiten und Ungewissheiten, welche, wie die plötzliche Arbeitslosigkeit von Sofías erstem Arbeitgeber, diese ganz unvorhergesehen und ohne jegliche Sicherheiten (da illegalisiert, ohne Vertrag, etc.) trifft. Bei manchen MigrantInnen wie Sofía häufte sich dieses Unglück. Ihr Leben war aus dem Gleichgewicht geraten und sie war nicht mehr „Herrin ihrer Lage“. Durch die Beeinflussung ihres Glücks und dem Abwenden von Schaden und Pech mittels der Bäder versuchte sie dieses Unglück abzuwenden. Auch Mónica glaubte an diese Möglichkeit und schlug sich mit dem Gedanken herum, einen Heiler aufzusuchen. Ihre Freundin Raquel hatte ihr einen Mann empfohlen, der „bota los caracoles“ („Schneckenhäuser wirft“). Sie wollte gerne zu ihm gehen, er sei aber sehr teuer: Schon allein für die Diagnose würde er 40 € verlangen; für die Behandlung – wie viel er wohl dafür verlangen wird?, fragte sich Cristina. Anderseits sei sie in Ecuador einmal beinahe gestorben, weil ihr Geist schon am Schwinden war. Eine Frau, eine Nachbarin ihrer Mutter, hätte ihr das Leben gerettet. Daraufhin sei sie regelmäßig zu ihr gegangen, um sich Limpias machen zu lassen, Reinigungen also, um Unheil abzuwenden. Nun brauche sie wieder eine. Ihre Freundin würde zu diesem Mann mit den Schneckenhäusern gehen und sie wolle dies auch tun, denn ihre Freundin hätte unglaubliches Glück.332 „Sie hat Geld wie 332 Ich fragte nicht nach, woher der „Mann mit den Schneckenhäusern“ ist. In Spanien finden sich auch unter den MigrantInnen verschiedene rituelle SpezialistInnen (vgl. Gracianas Tante). Daneben greifen manche EcuadorianerInnen auch transnational auf ihnen bekannte HeilerInnen in Ecuador zurück. Ein Curandero erzählte mir beispielsweise in der Provinz Tungurahua, dass er immer wieder Heilungsrituale für MigrantInnen in Spanien durchführen würde. Die Verwandten der migrierten Person würden ihm dazu ein Foto und/oder Kleidungsstücke mit dem jeweiligen Anliegen überbringen und er würde dann an bestimmten heiligen Orten Heilungsrituale für diese Person durchführen. Mit der transnationalen Migration eröffnete sich somit auch ein neuer Handlungsraum für rituelle SpezialistInnen. Mader berichtet beispielsweise darüber, wie Frauen im ecuadorianischen Amazonasgebiet Liebesrituale durchführen lassen, um zum Beispiel auf das Denken und Fühlen des migrierten Ehemannes einzuwirken und sich dessen Beziehung zu sichern (vgl. Mader 1999, 154). Dabei stellt die Einflussnahme auf Personen und Begebenheiten an anderen Orten Teil des normalen rituellen Handelns dar, welches andere Zeit- und
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Dreck“, erklärte sie mir. Sie hätte eine eigene, große Wohnung, ein Auto und einen Schönheitssalon. All dies hätte ihr ein alter Spanier gegeben. Diese Frau hätte unglaubliches Glück! Und sie selbst würde da in dieser Arbeit rumhängen und verrückt werden. Nein, so ginge es nicht weiter. Sie wolle nicht von Spanien weggehen, ohne etwas erreicht zu haben, etwas gespart zu haben. Etwas in Spanien zu erreichen, ist jedoch für eine/n einzelne/n Migrant/in nur sehr schwer zu schaffen. Eine Möglichkeit, effektiv die eigene Position zu verbessern und strukturelle Grenzen zu durchbrechen, kann eine Beziehung zu einem wohlhabenden Mann darstellen, wie dies bei Mónicas Freundin der Fall war. Darum und um ähnliche Strategien geht es nun im nächsten Punkt. 7.2.4 „Baile de solteros“ – Ressource Frausein „Such dir einen Deppen, bis du jemanden findest, den du wirklich liebst und du gehst. So machen es die Frauen aus deinem Land.“ (Claudia zitiert einen Arbeitskollegen)
Immer wieder begegneten mir ähnliche Berichte, Gerüchte, Witze oder Pläne wie Mónicas Erzählungen von ihrer Freundin Raquel, welche um das Thema „Beziehung zu einem (alten) Spanier“ kreisten. So beschrieb Angie, wie ihr eine Bekannte, als sie arbeitslos war, geraten hätte, in spanische Bars und Diskos zu gehen. Dort würde sie leicht einen spanischen Mann finden und ihr Arbeitsproblem sei gelöst. Claudia berichtete Ähnliches von ihrer ersten Arbeitsstelle. Dort war es der Chauffeur Ihrer ArbeitgeberInnen, welcher ihr sagte, sie solle es doch so wie andere ecuadorianische Frauen machen. „Er sagte mir: Wieso machst du es nicht wie die aus deinem Land?“ Auf ihre Rückfrage, was dies denn sei, antwortete der Chauffeur: „Sich einen Spanier suchen. Er gibt dir Wohnung, Essen, alles, und du arbeitest ganz für dich allein. Such dir einen Deppen, bis du jemanden findest, den du wirklich liebst und du gehst. So machen es die Frauen aus deinem Land.“ Die Generalisierung und Ethnisierung dieser Strategie („die Frauen aus deinem Land“), wie sich der Chauffeur Claudia gegenüber ausdrückte, ist übertrieben. Und doch traf auch ich immer wieder auf das Gerücht/den Wunsch/Berichte über diese Strategie. Die Idee übte einen Reiz aus, nicht nur, weil viele Frauen alleine waren und sich nach einem Partner sehnten, sondern auch, weil mit der Partner-/Liebschaft mit einem Spanier sich die eigene Situation nachhaltig verbessern kann. Der Raumdimensionen unterliegt. Mit der Migration vergrößern sich lediglich die räumlichen Distanzen. Befragt nach der Überwindung von Distanzen, antwortete daher ein Schamane auch Elke Mader: „Die Welt ist klein für einen Schamanen. Wenn du die Macht hast, bedeutet die Entfernung gar nichts. Wenn ich ayahuasca nehme, dann sehe ich die ganze Welt aus großer Distanz. Dann ist sie so klein, dass ich sie leicht in meinen Händen halten kann.“ (Zitat Mader aus einem Gespräch mit dem Schamanen Pedro Cajeca, Puyo, Ecuador, 1999. Vgl. www.lateinamerika-studien.at/content/kultur/ethnologie/ ethnologie-687-html [22.01.2008]).
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Fall von Mónicas Freundin Raquel zeigt dies deutlich: Ihr spanischer Liebhaber bezahlte die Wohnung, in der sie lebte und ermöglichte es, ihren Traum zu verwirklichen, nämlich einen Schönheitssalon zu eröffnen. Ohne diese Unterstützung wäre es viel schwieriger, oder vielleicht sogar unmöglich gewesen. In verschiedenen Zusammenhängen ist hier deutlich geworden, dass der Zugang zum Arbeitsmarkt für MigrantInnen restriktiv auf bestimmte Arbeiten hin organisiert ist. Mit dem Hausarbeitskurs wurde zum Beispiel eine Form der Lenkung und deren Naturalisierung analysiert. Dies hat Auswirkungen auf die Handlungsmöglichkeiten der Frauen: Die meisten ecuadorianischen Hausarbeiterinnen – wenn auch nicht alle333 – würden lieber in einem anderen Bereich arbeiten. Eine Analyse des Colectivo IOÉ (2003) auf der Grundlage der Statistiken zur Befragung der berufstätigen Bevölkerung334 zeigt, dass 97 % der befragten Migrantinnen (n=175.000) den Sektor Haushaltsarbeit gerne verlassen würden (vgl. Colectivo IOÉ 2003, 93). Wie ausgeführt, ist dies einerseits nicht so leicht und andererseits stellt die gemeinhin existierende Mobilität unter MigrantInnen vornehmlich eine horizontale Veränderung von Interna zu Externa und/oder por horas dar bzw. je nach Umständen und Prioritäten ein Verlassen des Sektors Haushaltsarbeit hin zu anderen, MigrantInnen vornehmlich offen stehenden Arbeitssektoren wie Gastronomie, Hotelwesen und in Ausnahmefällen Landwirtschaft. Wenn ein Verlassen dieser Tätigkeiten und somit vertikalte Mobilität möglich ist, dann nur sehr langsam und vereinzelt, unter spezifischen Bedingungen (vgl. Colectivo IOÉ 2003, 84ff; Actis 2005, 13ff335). Diese Alternativen sind zudem nicht immer nur attraktiv. Es handelt sich zwar normalerweise um Mobilität, jedoch lediglich um eine horizontale Mobilität im Sinne der Verbesserung innerhalb der prekären Arbeiten, welche jedoch ebenfalls anstrengend sind und sogar unter Umständen eine größere Flexibilität und Unsicherheit als Haushaltsarbeit aufweisen, sodass Frauen immer wieder auch zur Haushaltsarbeit zurückkehren (vgl. auch Escrivá 1999, 372; Kofman et al. 2000, 107). Carla überlegte sich beispielsweise als sie schwanger wurde, wieder eine Arbeit als Interna zu suchen. Sie war seit sechs Jahren in Spanien, hatte, nachdem sie sich über ihre Arbeit als Interna legalisieren konnte, in die Gastronomie gewech333 Dies hängt stark mit der Erwartung an eine Arbeit (und somit auch mit Klassenherkunft, vorheriger Arbeitserfahrung, Beruf etc.) wie auch mit dem Migrationsprojekt und damit zusammen, ob eine Niederlassung in Spanien oder eine (baldige) Rückkehr geplant sind. 334 vgl. Encuesta de Población Activa http://www.ine.es/inebase/cgi/um?M=%2Ft22%2Fe308&0= inebase [26.02.2008] 335 Actis weist auf, dass sich auch nach der Legalisierung keine signifikanten Veränderungen diesbezüglich zeigen (vgl. Actis 2005), wobei es dabei um statistische Tendenzen, durchschnittliche Werte und somit um keine Allgemeingültigkeiten geht. Silvia wechselte beispielsweise, nachdem sie jahrelang als Interna gearbeitet hatte, als Sekretärin zum spanischen Heer. Auch Sofías Sohn begann nach seiner Familienzusammenführung nach Spanien eine Ausbildung als Soldat. Als ich mit ihm in Ecuador sprach, berichtete er mir bereits über Sofías Pläne für ihn. Er wollte dies überhaupt nicht, da er befürchtete, dass die SoldatInnen ausländischer Herkunft immer zu den gefährlicheren Einsätzen geschickt würden. Sein Wunsch war vielmehr gewesen, in das ecuadorianische Heer einzutreten.
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selt. Ihre Arbeit sei physisch aber nun einfach zu anstrengend, auch wenn sie prinzipiell nicht mehr langfristig als Interna arbeiten wollte. Die Mobilität ist insgesamt schwierig, begrenzt und bedarf bestimmter, nicht allen gleich zugänglicher Bedingungen, wie sich schon oben gezeigt hat. Die Heirat bzw. Beziehung mit einem Spanier ist dabei einer der Wege, berufliche Mobilität, Verbesserungen und/oder sozialen Aufstieg zu ermöglichen (vgl. auch Herranz Gómez 1996, 441). Dabei kann auch die Hausarbeit selbst das Medium der Heirat sein, nämlich wenn eine Beziehung zwischen Arbeitgeber und Haushaltsarbeiterin entsteht. Dabei muss die Initiative nicht unbedingt von den Frauen ausgehen. Natalia wurde beispielsweise über eine Freundin eine Heirat mit einem Spanier angeboten: Der spanische Freund eines Freundes ihrer Freundin war auf der Suche nach einer Frau. Dass Natalia schwanger war, störte ihn nicht. Im Gegenteil, er wollte das Kind als sein eigenes annehmen und freute sich darauf. Er bot ihr an, dass sie doch zu ihm ins Dorf ziehen solle. Er würde ihr Geld geben, damit sie ihrer Familie regelmäßig Geld schicken könnte und er versprach, dass es ihr und ihrem Kind an nichts fehlen würde. Der Mann sei ein sehr tüchtiger, arbeitsamer Mann und hätte Geld, aber, so Natalia zu mir, er sei überhaupt nicht aufmerksam und sie sei der Meinung, dass eine Frau nicht nur zum Sex da sei. Was sie suche, sei ein Partner, jemand, der sie verstehe und respektiere. Das hätte sie ihm gesagt, worauf er ihr zugesichert hätte, dass sie anfangs in zwei separaten Betten schlafen würden, bis sie sich an ihn gewöhnt hätte. Außerdem hätte er betont, dass er ihr gegenüber respektvoll sein und nur dann, wann auch sie wolle, mit ihr schlafen würde. Natalia war mit ihrer Schwangerschaft in einer schwierigen Situation und das Angebot des Mannes hätte eine Lösung dargestellt. Sie war daher bereit, den Mann näher kennenzulernen. Sie trafen sich mehrfach, aber sie hätte einfach nichts für ihn gefühlt, erklärte sie mir. Ihre Freundinnen hätten aber zu ihr gesagt, dass er doch hübsch und sympathisch sei und sie sein Angebot annehmen solle. Sie würde aber nichts für ihn empfinden. Und dann als seine Frau. „Dass ich Sex von ihm bekomme, aber keine Liebe? Nein, ich muss meinen Körper respektieren.“ Sie wolle dies nicht. Die Vorstellung allein würde sie anekeln. Er sei ja schon gut zu ihr gewesen, hätte ihr einmal 50 € und einmal 200 € gegeben und sie sei ihm ja auch dankbar dafür, aber sie würde nichts für ihn empfinden. Sie hatte ihm versprochen, mit ihm in sein Dorf zu fahren und sie hätte auch immer noch für sich offen gelassen, ob nicht doch etwas daraus werden könnte. Also sind sie mit der neugeborenen Tochter ein Wochenende zu ihm ins Dorf. Und es schien ihr, dass schon das ganze Dorf von ihr wusste und zwar nach der Version des Mannes: Sie wurde herzlich von dessen Freunden begrüßt, umarmt, wurde gefragt, wann die Hochzeit sei, im Zimmer, wo sie übernachtete, stand eine Wiege etc.. Das hätte ihr richtig Angst gemacht und es sei ihr sehr unangenehm gewesen, betonte sie. Außerdem hätte der Mann das neugeborene Mädchen überall als seine
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Tochter vorgestellt und hätte sich für sie beglückwünschen lassen. Schon als sie im Dorf ankamen, hätte er neben einer Frau angehalten, um das Baby, „seine Tochter“, zu zeigen. Das sei ihr erster Schock gewesen. Aber es sei nicht nur das gewesen. Sie hätte im Dorf bemerkt, dass er ein Mann vom Land sei, der keine Bildung, keine Kultur hätte, wie sie sich ausdrückte. Er hätte ihr in diesem Sinne nichts zu bieten. Sie habe aber ganz andere Erwartungen, habe selbst eine höhere Bildung und wolle nicht mit einem ungebildeten und ungehobelten Typen zusammen sein. Man müsse ja auch zusammen passen, erklärte sie. Seine Familie hätte zum Beispiel Tischsitten, die ihr nicht gefallen würden. Und dann gäbe es in diesem Dorf keine Arbeit für sie und sie hätte sich das gut überlegt: Was hätte ihr das Dorf zu bieten? – Nichts. Sie könnte dort nur im Haus sein, aber kein Geld verdienen, um dieses ihrer Familie zu schicken. Sie sei aber nicht nach Spanien gekommen, um einen Mann zu suchen, sondern um zu arbeiten. Natalia lehnte schließlich das Heiratsangebot ab. Von Anfang an war sie sich nicht sicher gewesen, wollte aber der Idee zumindest eine Chance geben. Der Mann hatte ihr aber nicht mehr zu geben als die momentane Lösung ihrer finanziellen Sorgen. Er passte nicht zu ihr und ihren Erwartungen an eine Partnerschaft, auch wenn er ihr Geld gegeben hätte, um dieses ihrer Familie zu schicken. Sie wäre von ihm abhängig gewesen, hätte nur den von ihm bestimmten Betrag zur Verfügung gehabt und dafür ihre Unabhängigkeit und ihren Lebensstil aufgegeben. Außerdem hätte diese arrangierte Beziehung im Gegensatz zu einer strategischen Heirat zur Erlangung einer Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis sexuelle Kontakte eingeschlossen, was Natalia unter diesen Umständen nicht wollte, genauso wenig wie sie Madrid, die Großstadt, verlassen und aufs Land ziehen mochte. Abgesehen davon hatte sie für ihre finanzielle Situation bereits eine erste Lösung gefunden: Eine Frau war bereit, für 80 € im Monat auf ihre Tochter aufzupassen und sie wollte nun Arbeit suchen. Sie betrachtete somit ihre Lage als momentanen Engpass, war aber hoffnungsvoll und zuversichtlich für ihre weitere Zukunft. Derartige Partnerschaften, zumindest als Plan und Versuch, gibt es immer wieder. Es gibt sogar eine professionalisierte Form der Arrangierung: Seit 1995 organisiert Manuel Gozalo mit seiner „Asociación de caravanas de mujeres“ (ASOCAMU) sogenannte „Frauenkarawanen“ („Caravanas de mujeres“336), in denen alleinstehende Frauen aus Madrid (in ihrer Mehrzahl Migrantinnen aus Lateinamerika und Osteuropa337) eine Busreise in ländliche Dörfer unternehmen und dort auf alleinstehende spanische Männer vom Land treffen, welche auf der Suche 336 Auf der Homepage der Asociación de caravanas de mujeres (ASOCAMU) finden sich Informationen, Presseberichte sowie Fotos stattgefundener „Frauenkarawanen“ www.caravanasdemujeres.com [05.09.2007]. 337 Vgl. Artikel von Pilar Pintado „Caravana de solteras“ vom 07.07.2005 mit Interview mit Manuel Gozalo www.madridiario.es/mdo/reportajes/reportajesmadrid/caravanamujeres-070705.php [05.09.20 07]
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nach Frauen sind. Das Thema wurde mit „Flores de otro mundo“ von Icíar Bollaín (1999) sogar verfilmt.338 Aufgrund der starken internen Migration vom Land in die Stadt sind in Spanien heute viele Dörfer verlassen, und junge Männer finden dort nur schwer Partnerinnen. Dies ist kein Phänomen, welches sich auf Spanien beschränkt. Die Frauenkarawanen oder informelle Vermittlungen wie im Falle von Natalia antworten darauf, indem Migrantinnen als potentielle Partnerinnen angesprochen werden, wie Pintado aus einem Interview mit Manuel Gozalo berichtet: „Anfangs ‚rekrutierte’ [sic] er sie in Zonen von Madrid wie Aravaca, wo es eine große Anzahl von Dominikanerinnen und Ecuadorianerinnen gibt, die dort in Häusern arbeiten. Und heute ist es leicht, Plakate von seinen Karawanen in Locutorios und lateinamerikanischen Frisörsalons zu finden. Er hat Karteikarten von 200 Frauen, die Mehrzahl Migrantinnen aus Südamerika und Osteuropa, im Alter von 25 bis 55 Jahren.“ (Pintado 2005)
Ob dabei auch Phantasien über „traditionelle Frauen“, welche bereit sind, zu Hause zu bleiben, den Haushalt zu führen, eine asymmetrische Beziehung zu leben etc., eine Rolle spielen, sei dahingestellt. Die Projekte, Erwartungen und Hoffnungen der teilnehmenden Frauen lassen sich jedoch nicht einfach auf „Heiratsvermittlung“ reduzieren, wie auch die Frauenkarawane keinen simplen „Heiratsmarkt“ darstellt. Es handelt sich um einen schönen, preiswerten und sicheren Ausflug, bei dem getanzt und geflirtet wird, neue Freundinnen gefunden werden können und unter Umständen eben auch ein Mann (ebd.).339 Gleichzeitig stellen der weibliche Körper und kulturalistische stereotype Zuschreibungen gegenüber Migrantinnen („traditionelle Frauen“ etc.) wichtige Ressourcen im Migrationskontext dar. Dies gilt sowohl für Haushaltsarbeit, für Sexarbeit als auch für eine potentielle Beziehung mit einem Spanier (vgl. 5.2.2). Als Strategie wird eine derartige Beziehung jedoch vor allem mit einem wohlhabenden Mann, idealerweise mit einem Witwer, interessant. Eine Beziehung mit einem Mann auf dem Land ist hingegen wenig attraktiv, da die meisten Frauen nicht von Madrid wegwollen, um in einem kleinen Dorf zu wohnen (vgl. Pintado 2005).340 Der Fall 338 Der Film handelt von einer derartigen Karawane und von daraus entstandenen Beziehungen zwischen Lateinamerikanerinnen und Spaniern. 339 Ausflüge werden von den meisten (illegalisierten) MigrantInnen aufgrund der damit verbundenen Kosten, Gefahren und der notwendigen Organisation unterlassen. Angebote wie die Caravana de mujeres sind daher willkommene Ausflugsmöglichkeiten. Mehrere Frauen aus dem Hausarbeitskurs bzw. dessen Umfeld (Sofía, Maribel, Begonia, Verónica mit beiden Kindern und ich) nahmen in ähnlicher Weise, initiiert durch Verónica, an einem Ausflug nach Valladolid teil. Organisiert wurde er von einer evangelischen Gemeinde in Madrid und hatte daher auch religiöse Elemente. Diese interessierten uns nicht, störten uns aber auch nicht. Wir machten uns einen schönen Tag, nahmen am Programm teil und hatten unsere Freude. Niemand von uns nahm sonst an den Gottesdiensten der Gemeinde teil. Es war also eine rein strategisch-funktionelle Nutzung des Angebots. 340 Dies gilt auch für eine Arbeit auf dem Land. Amalia, eine der Voluntarias von San Ignacio, erzählte einmal im Kurs, dass in ihrem ländlichen Herkunftsort in Galizien ein älteres Paar jemanden zur Pflege
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7 Strategien, Handlungsspielräume und Möglichkeiten
von Raquel, Mónicas Freundin, welche alleine, lediglich als Liebhaberin eines spanischen Mannes, in der Stadt wohnt, von diesem finanziell versorgt wird und zusätzlich für sich in ihrem eigenen Geschäft arbeiten kann, erscheint in diesem Sinne als perfektes Arrangement und dient zusammen mit anderen ähnlichen Fällen als Vorbild für die zitierten Aussagen, dass eine Beziehung zu einem (wohlhabenden) Spanier die Lösung für verschiedene (finanzielle, legale, affektive) Fragen sei. Dabei kann es um strategisches Ausnutzen im Sinne von Claudias Arbeitskollegen gehen, aber auch um eine migrantische Form des „Aschenputtelmythos“, der einer lieben, duldsamen, hübschen Frau sozialen Aufstieg durch ihre „klassische Rolle“, nämlich Ehefrau durch Heirat, verspricht. Jeweils wird eine strukturelle Neupositionierung, weg von der Rollenzuschreibung als „Migrantin“ und somit auch Haushaltsarbeiterin angezielt, sowie die Eröffnung neuer, anderer Möglichkeiten.341 Es gibt aber auch Frauen, welche auf der Suche nach Männern sind, die sie „versorgen“, ohne ein Mehr an Status und finanziellen Möglichkeiten anzustreben. Was sie wollen, ist ein Abschied aus der Haushaltsarbeit bzw. generell aus der Lohnarbeit. Die Wahl eines möglichen Partners und die Rede oder das Träumen darüber beziehen sich in diesen Fällen weniger auf dessen soziale Position und somit nicht auf seine Nationalität („ein Spanier“, „ein Europäer“), sondern auf die Ermöglichung des Ausstiegs aus der Lohnarbeit. Lourdes erklärte mir beispielsweise auf meine Frage, ob sie als junge Witwe (40 Jahre alt) denn nochmals heiraten wollte, dass sie dies schon gerne täte, wenn sie jemand fände, der sie versorgte. „Ja, damit er mich aushält. Das habe ich mir vorgenommen. Aber schon jemand, der mich wahrhaftig liebt, der mich respektiert und nicht nur das will, was wir schon wissen [Geschlechtsverkehr].“ (Lourdes)
Da Lourdes nicht in Spanien bleiben wollte, suchte sie einen Ecuadorianer. Daniela sehnte sich auch nach einer Beziehung, ohne damit einen sozialen Aufstieg anzustreben. Sie wollte aber dennoch eine Verbesserung ihrer Lage. Sie suche daher vornehmlich einen Europäer und würde einen Latino nur dann nehmen, wenn dieser legalisiert sei und, besser noch, wenn er die spanische Staatsbürgesucht, aber niemanden gefunden hätte und das, obwohl die Arbeitsbedingungen sehr gut gewesen wären. Um nicht alleine in ihrem Haus zu wohnen, sei das Paar nun in ein Altersheim umgezogen. Niemand wolle wohl aufs Land gehen. Mónica sagte darauf, dass sie sofort woanders hingehen würde, schon einfach nur, um etwas Anderes kennenzulernen und dann sagen zu können, dass sie in Spanien war und Einiges kennengelernt hätte! Claudia antwortete ihr darauf skeptisch, dass sie ja nicht auf Urlaub, sondern zum Arbeiten dorthin gehen würde. Und was macht sie dann in einem Dorf? Wo es keine Ablenkung gibt? Einer Freundin von ihr sei es so ergangen – zum Schluss sei sie nur im Haus gewesen. Nein, das wollte sie nicht und außerdem hätte sie ihre Geschwister in Madrid. 341 Beatriz schlug beispielsweise einmal Guadalupe vor, zusammen nach Sol (Zentrum von Madrid) zu einem „Baile de Solteros“ („Singletanzabend“) zu gehen, wo Witwer Frauen suchen würden. Sie könnten dort zusammen hingehen und sich einen spanischen Witwer suchen. Verwirklicht haben sie dies jedoch nie.
7.2 Strategien außerhalb der Arbeit
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gerschaft hätte. Wozu solle sie jemanden ohne Papiere nehmen?, fragte sie mich. Sie wolle unter diesen Bedingungen keine Familie gründen und auch keine Partnerschaft eingehen. Sie wolle einen Mann, der sie finanziell versorge und nicht umgekehrt. Sie begab sich dazu in Diskotheken und suchte aktiv einen Partner. Auch Sofía verfolgte, als sich in ihrer Notsituation andere Versuche, eine gute Arbeitsstelle zu finden, als nicht zielführend erwiesen, Strategien in Bezug auf Männer. Sofía stellte sich immer mehr in die Abhängigkeit von Männern und versuchte so, neue Sicherheiten zu erlangen. War sie anfangs noch regulär wie andere Frauen auf Arbeitssuche als Hausarbeiterin (über Netzwerke, Arbeitsbörsen etc., vgl. 6.5)342, gab sie das mit der Zeit immer mehr auf und konzentrierte sich auf verschiedene Männer: Sie ermutigte einen älteren Spanier, den sie in einer Bar kennengelernt hatte und sich für sie interessierte, ließ sich von ihm einladen, und kochte für einen anderen Mann, bei dem sie dafür umsonst wohnen durfte (zeitweise kochte sie für drei verschiedene Männer). Über diese Männer erhoffte sie sich neue Sicherheiten, sowohl finanziell als auch affektiv-emotional. Sie richtete ihr Handeln mehr und mehr auf Männer aus und strukturierte ihr Leben um diese Männer herum, das heißt, sie hatte bestimmte Zeiten, an denen sie bei diesen in der Wohnung war, für sie Erledigungen machte und, wie gesagt, kochte. Sie ging daher nicht mehr zu Arbeitsbörsen, verlor eine Arbeitsmöglichkeit, weil sie nicht zur angegebenen Uhrzeit anrief und ging zum Schluss sogar nicht mehr zu Vorstellungsgesprächen, die ihr über Bekannte vermittelt worden waren. Sie hätte kein Glück bei der Arbeitssuche, es hätte keinen Sinn, erklärte sie. Verschiedene Frauen redeten daraufhin auf sie ein, sie solle nicht so pessimistisch sein, nicht so negativ denken und weiter, auch auf andere Art (zum Beispiel, wie oben erwähnt, durch das Aufhängen von Zetteln) Arbeit suchen. Sofía lehnte dies jedoch ab. Dabei war sie in keiner Weise passiv. Ihre Strategie war nun aber eine andere und ließ sich nicht mehr ohne weiteres mit ihrer bisherigen Arbeitssuche vereinbaren. In ihrer Notsituation griff sie immer mehr auf die ihr bekannten und etablierten Handlungsschemata zurück (sich in Abhängigkeit eines Mannes zu stellen, sich versorgen zu lassen, diesem zu dienen), was zum Schluss dazu führte, dass sie zu ihrem Ehemann, welcher mittlerweile auch nach Spanien migriert war, zurückkehrte (vgl. 6.5.3). Sofía hatte ihm bei seiner Migration geholfen und lose mit ihm Kontakt gehalten. Er hatte von Anfang an signalisiert, dass er gerne wieder mit ihr zusammenkommen würde, hatte ihr Geschenke gemacht und sich um sie bemüht. Er war dann aber in eine andere Stadt gezogen. Als er ihr versicherte, dort eine Arbeitsstelle für sie gefunden zu haben, brach Sofía nach einer gewissen Zeit des Abwägens und Wartens, ob sie nicht doch noch in Madrid eine Lösung finden würde, alles ab und ging zu ihm. Ich notierte in mein Feldtagebuch von ihrem letzten Tag in Madrid: 342 Sie hatte auch, wie oben kurz erwähnt, zusammen mit einer Freundin versucht, ein eigenes Geschäft, eine Bar, aufzuziehen.
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7 Strategien, Handlungsspielräume und Möglichkeiten
Sie wüsste, was sie erwarte, erklärte sie mir. „Und, wie fühlst du dich?“, frage ich sie. „Ich bin ruhig, ruhiger“, antwortete sie. Auf meine Frage, ob sie wieder mit ihrem Mann zusammen sein würde, schaute sie mich vielsagend, irgendwie auch verschmitzt an, und lächelt unsicher. „Alles inbegriffen?“, frage ich sie und spiele auf Geschlechtsverkehr an, worauf sie lacht. „Ja, alles inklusive.“ – „Und was hältst du davon?“, frage ich weiter und erhalte zur Antwort: „Ich kenne ihn schon. Ich weiß, was mich erwartet. Ich bin ruhig. Wie Mónica gesagt hat: Ich habe alles in die Hände Gottes gelegt.“ Und nun nehme sie dies als Zeichen Gottes, dass gerade jetzt ihr Mann eine Arbeit für sie gefunden habe. Das sei besser als die momentane Situation mit ihren Unsicherheiten. Mónica gibt Sofía zum Abschied die Bitte mit auf den Weg, dass sie sich psychologische Betreuung suchen solle und auch mir erklärt sie, Sofía sei ganz in dem Denken verstrickt, dass eine Frau immer einen Mann brauche und von diesem abhängig sein müsse. Sie sei zu sehr in die Männergeschichten verwickelt und käme nicht mehr raus. So sei es auch bei ihr gewesen und sie wüsste, wovon sie spräche: Das sei ein Teufelskreis und sie selbst sei nicht alleine aus diesem rausgekommen. Sie hätte es auch nicht gewollt. Obwohl sie gewusst hätte, dass es nicht gut sei, wie sie lebe, hätte sie nichts ändern wollen. Ich sage, dass es vielleicht die Unsicherheit ist, weil man nicht weiß, was kommt, das, was man lebt, kennt man zumindest, auch wenn es schlecht ist. – Sie darauf: Genau. So sei es auch bei Sofía. Sie hätte Angst vor Veränderungen. Das hätte sie zu ihr gesagt. (...) Sie solle sich nicht von einem Mann abhängig machen. Aber dies sei der Machismo. Sofía sei abhängig und käme nicht aus diesem Zirkel raus. Sie brauche daher psychologische Betreuung. (...) Wenn sie es nicht selbst auch gemacht hätte, so Mónica, wäre sie nicht hier, hätte sie nicht gearbeitet, keine eigene Lösung gesucht. Erst mit der Hilfe hätte sie erkannt: „Ich kann arbeiten. Ich selbst kann meine Probleme lösen, – und jetzt bin ich hier, für mich und für meine Kinder, nichts mehr.“
Mónica sieht in Sofías Handeln die Logik des „Machismo“, wie sie dies nennt, und setzt dies in Beziehung zu ihrer eigenen Geschichte, der sie mittels psychologischer Hilfe eine andere Richtung geben konnte. Schließlich migrierte sie und trennte sich von ihrem Mann. Aber auch Sofía hatte mittels der Migration der Beziehung mit ihrem Mann ein Ende gesetzt und wollte ihr Leben in Spanien alleine, selbstbestimmt führen und eigene Entscheidungen treffen. Sie hätte sich, wie mir ihre älteste Tochter in Ecuador sagte, auf diese Weise „richtig von ihm getrennt“. Sie wollte „etwas für sich tun“, drückte sich Sofía auch aus. Sofía war es, welche viel von Emanzipation, Selbstbewusstsein und Selbstbestimmung redete, andere Frauen animierte, sich nicht unterdrücken zu lassen, sondern aus unguten Beziehungsmustern auszubrechen. Sie selbst war aus dem Teufelskreis, von dem Mónica spricht, mittels ihrer Migration ausgebrochen. Sie wollte eine Veränderung und neue Sicherheiten. Das Leben in Spanien, mit den vielen Ungewissheiten, Unberechenbarkeit und Abhängigkeiten vom „Glück“, dem „guten Willen von ArbeitgeberInnen“ etc. mit gleichzeitiger Verantwortung für die in Ecuador zurückgebliebenen Kinder, war aber voll von neuen Abhängigkeiten und Unsicherheiten und war zutiefst physisch wie psychisch belastend. Dazu gehört, dass die in Ecuador natürlich ausgeübte praktische wie emotionale Sicherheit in Spanien eingeschränkt und das Selbstverständnis (inklusive Rollen- und Statusverständnis) in vielerlei Hinsicht in Frage gestellt wird. Sofía war daher verunsichert, traumatisiert, wie sie sagte. Außerdem hatte sich ihr emanzipatorisches Projekt und die Suche nach einer anderen Form von Beziehung nicht wie erhofft erfüllt: Sie hatte zwar in Madrid einen ecuadorianischen Partner gefunden, mit dem sie eine andere Art der Beziehung führte und
7.2 Strategien außerhalb der Arbeit
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zunächst auch glücklich war. Auch dieser war jedoch untreu und erfüllte nicht den Wunsch nach Anerkennung und Respekt, den Sofía sich von der Beziehung erhofft hatte. Als ihre Arbeitssuche und andere Strategien (wie das Veränderungsritual) schließlich nicht funktionierten, griff sie auf die ihr bekannten Handlungsschemata zurück und fand so eine Lösung für ihre Probleme: Ihr Ex-Mann verschaffte ihr eine Arbeit, gab ihr finanzielle, aber auch emotionale Sicherheit. Es handelte sich hierbei aber nicht um eine bloße Kontinuität ihrer Handlungsweisen, sondern um den Rekurs auf eine ihr aus Ecuador bekannte Strategie im Kontext der Migrationsproblematik. Schon angesichts der drohenden Vergewaltigung durch ihren Vater hatte sie diese gewählt: Sich in die Abhängigkeit eines anderen Mannes zu stellen, indem sie einen Cousin heiratete, den sie gerade erst kennen gelernt hatte. Er ermöglichte es ihr jedoch, von Zuhause weg zu gehen. „Besser heiratest du ihn, bevor dich dein Vater nimmt“, hätte auch ihre Mutter damals zu ihr gesagt. Aber auch dieser Mann stellte sich als gewalttätig heraus, trank, verprügelte die Kinder und war untreu.343 Mit der Rückkehr zu ihrem Mann „wusste [sie], was sie erwartete“, auch wenn es das war, was sie mit ihrer Migration hinter sich lassen wollte. Nach wenigen Monaten war Sofía erneut von ihrem Ex-Mann schwanger. Sie versicherte mir am Telefon, dass es ihr gut ginge. Die weitere Entwicklung der Beziehung konnte ich nicht mehr aus der Nähe, sondern lediglich über Telefonate verfolgen. Sie erreichte mit ihrer Strategie Vieles, was sie sich erhofft hatte: Sie fand Arbeit, finanzielle Sicherheit und konnte ihre Kinder nach Spanien holen, jedoch auf Kosten ihrer Unabhängigkeit und Selbstbestimmung, also unter Aufgabe ihres persönlichen Migrationsprojektes und der Wiederaufnahme der weiblichen Rolle als „ser-paraotros“ („Für-Andere-da-zu-Sein“) oder „ser-a través-de-otros“ („sich-über-AndereDefinieren“) (Camacho 1996, 110, ausgeführt in 4.2.1). Anfang 2009, nun legalisiert, mit einer stabilen Arbeitsstelle als Externa, ihrer kleinen Tochter im Kindergarten, den drei Kindern aus Ecuador bei sich in Spanien, hat sie die Scheidung eingericht und sich erneut von ihrem Mann getrennt. Es ginge ihr gut.
343 Auch die drei Kinder sagten mir in Ecuador: Ihr Vater sei Alkoholiker gewesen und hätte sie, vor allem die beiden älteren Kinder, misshandelt.
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7 Strategien, Handlungsspielräume und Möglichkeiten
7.2.5 Handlungsspielräume, Grenz(überschreitung)en, Strategien „Ich werde mir einen Spanier suchen müssen. Es bleibt mir nichts Anderes mehr übrig.“ (Mónica)
Eines Tages erklärte mir Mónica wie im Eingangszitat, „ich werde mir einen Spanier suchen müssen“, und erzählte dann von ihrer Freundin Raquel. Dabei ging es ihr nicht wirklich darum, einen neuen Partner zu suchen, hatte sie doch, wie sie immer wieder betonte, noch genug von ihrer Beziehung mit ihrem Mann und verfolgte andere Prioritäten. Mit ihrer Aussage spielte sie vielmehr auf ihre Schwierigkeiten bei ihrer Arbeit, ihre begrenzten Möglichkeiten sowie die Einschätzung ihrer eigenen Ressourcen (ökonomisch, sozial, kulturell etc.) an. Da vertikale Mobilität und eine strukturelle Durchbrechung der Logik der Rollenzuweisung schwierig und nur unter bestimmten Bedingungen möglich ist, erschien ihr wie anderen Frauen auch die Heirat mit einem wohlhabenden Spanier, der Einsatz der Ressource „Frausein“ und somit die Affirmation und/oder Manipulation der patriarchalen Grundstrukturen als die effektivste, unter Umständen die einzige Art, die eigene Situation nachhaltig zu verbessern und aus den Marginalisierungsprozessen auszubrechen. Dies betrifft gerade Frauen wie Mónica, welche über nur geringe Ressourcen in Spanien verfügen. Für sie stellt im Migrationskontext die (Re-)affirmierung oder Inszenierung von Weiblichkeit innerhalb der patriarchalen Logik sowohl eines ihres wichtigsten Arbeitskapitals (in Bezug auf Haushaltsarbeit und Sexarbeit) dar als auch eine der zentralen Ressourcen zur Überwindung bzw. Verlassen derselben und Schaffung von Sicherheit und neuen, anderen Möglichkeiten. Die Frauen verfolgen aber plurale Strategien. Sie eignen sich ihren Handlungsspielraum an, manipulieren, handeln aus, setzen Grenzen und verbessern je nach Ressourcen und Bedingungen ihre Situationen. Wie oben ausgeführt, bewirken ihre unterschiedlichen Ressourcen (migrantisches, ökonomisches, symbolisches und soziales Kapital), die verschiedenen Migrationsprojekte, die persönlichen Situationen, Verantwortungen (vor allem für Kinder und Eltern in Ecuador) sowie die Zeit in Spanien Unterschiede in ihren Möglichkeiten. Sie bestimmen zwar nicht die strukturale Macht, jedoch teilweise die organisatorische und ihren Umgang damit. Der Aufenthaltstitel und die Arbeitserlaubnis haben sich oben bezüglich der Bedingungen und Strategien bei der Arbeit als von entscheidender Bedeutung erwiesen. Auch für die hier analysierten Strategien sind diese fundamental (vgl. z.B. Josés Möglichkeit, während seiner Krankheit Krankengeld und dann Arbeitslosengeld zu beziehen). Die von vielen MigrantInnen mit einer Migration, vor allem mit einer Legalisierung, verbundene Hoffnung auf berufliche wie soziale Mobilität bzw. Stabilität (über typische „migrantische Arbeiten“ hinaus) konnte jedoch nur schwer und selten, d.h. nur unter ganz spezifischen Bedingungen, erreicht werden. Allgemein betrachtet, konnten Verbesserungen der Arbeitsbedingungen und der Lebens-
7.2 Strategien außerhalb der Arbeit
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situation erlangt werden; strukturelle Durchbrechungen und Veränderungen bezüglich der Rollenzuschreibungen und sozialen Position in Madrid jedoch nur vereinzelt. Darin besteht der Hintergrund der Aussagen über Beziehungen zu wohlhabenden Spaniern. Die Geschichten der hier untersuchten Frauen bestätigen dies ebenso: Auch zwei Jahre nach ihrer Legalisierung arbeiteten Mónica, Sofía, Graciana, Ingrid, Maribel, Alexandra und Verónica weiterhin in der Haushaltsarbeit. Mónica konnte zwar ihren Wunsch verwirklichen, als Externa zu arbeiten, verfügt nun jedoch über weniger Geld und hatte seit ihrer Legalisierung mehrere Arbeitsstellenwechsel und somit größere Instabilität und Sorgen als zuvor. Von einer Arbeitsstelle wurde sie krank. Bislang konnte sie ihre Kinder in Ecuador nicht besuchen. Claudia war in Ecuador und hoffte nach ihrer Rückkehr, in einer Putzfirma unterzukommen, um so das personalisierte Arbeitsverhältnis in einem Privathaushalt zu umgehen. Sie schrieb sich in verschiedenen Arbeitsbörsen ein und fand schließlich eine Arbeit als Kassiererin und Regalauffüllerin in einem Supermarkt. Verónica hatte auch gehofft, in einer Putzfirma zu arbeiten. Es gelang ihr jedoch nicht. Sofía arbeitet weiterhin als Externa, nun aber mit einem offiziellen Vertrag. Teresa, welche zur Zeit meiner Forschung bereits den Haushaltsarbeitssektor verlassen und in die Gastronomie gewechselt hatte, arbeitet nach wie vor dort. Ihren Plan, gemeinsam mit ihrem Mann genügend Geld zu sparen, um ein Kleinunternehmen (eine Bar, Prospektverteiler oder Ähnliches) aufzubauen, konnte sie noch nicht verwirklichen. Sie hatte aber mittlerweile zusammen mit ihrem Mann eine Wohnung gekauft, wo sie alleine mit ihrer Familie (Mann, Kind, Schwiegermutter) lebt; eine Rückkehr nach Ecuador steht für sie außer Frage. Zusammen mit ihrem Mann versucht sie weiterhin ein Startkapital für ihr eigenes kleines Unternehmen zu sparen.344 Es kann also Verbesserungen und Veränderungen im Laufe der Zeit und unter ganz bestimmten Bedingungen geben, wie im Falle von Sofía aber auch Verschlechterungen oder wie bei Graciana eine Rückkehr zur Haushaltsarbeit. Actis schrieb 2005, es sei noch nicht klar, in welcher Art und Weise und ob überhaupt die Legalisierung der EcuadorianerInnen in Madrid auch einen beruflichen Aufstieg über bestimmte Arbeitssektoren hinaus ermöglichen wird. Vielmehr zielte auch die Legalisierung im Jahr 2005 auf eine strukturelle Unterordnung der MigrantInnen in Spanien. 344 Teresa überlegte, ob sie nicht versuchen solle, ihren Ärztinnentitel in Spanien anerkennen zu lassen, was jedoch nach genauer Information weitere Studien und letztlich eine Degradierung als Krankenschwester bzw. Hebamme bedeutet hätte. Zur Anerkennung als Ärztin müsste sie neu studieren. Teresa verfügte unter den hier vorgestellten Frauen über das größte symbolische, kulturelle ökonomische wie migrantische Kapital. Immer wieder dachte sie über eine mögliche Anerkennung ihres Titels nach. Neben dem Studium und der Herunterstufung ihres Titels, wäre vor allem das Gleichgewicht mit ihrem Mann (bezüglich Arbeits- und Lohnbedingungen und den damit verbundenen Geschlechterkonstruktionen) erneut aus dem Lot geraten.
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7 Strategien, Handlungsspielräume und Möglichkeiten
„Die ‚neue Einwanderungspolitik’ Spaniens hält gesetzliche und sozioökonomische Kontexte aufrecht, die die migrantischen Arbeiter auf eine Position struktureller Unterordnung stellen. (...) Es ist nicht klar, in welchem Maße der Zugang zu „den Papieren“ die Möglichkeiten beruflichen Aufstiegs erhöhen.“ (Actis 2005, 23. Hervorhebungen im Original)
Die bereits zitierte Studie des INEC aus dem Jahr 2008 zeigt, dass auch nach der Regularisierung von 2005 Ecuadorianerinnen in Spanien weiterhin vornehmlich in der Haushaltsarbeit arbeiteten (2006: 36,1 %; 2007: 31,1 % aller Ecuadorianerinnen in Spanien, was den Hauptarbeitssektor bildete; vgl. INEC 2008:40). Indem die beruflichen Möglichkeiten weiterhin beschränkt bleiben, bestehen oft auch finanzielle Engpässe, psychische und physische Belastungen sowie die anderen hier ausgeführten Aspekte weiter, da sie Teil der Logik der Arbeit sind. Aufgrund dieser Voraussetzungen ist migrantische Arbeit für Spanien attraktiv und wird deshalb auch in diesen Charakteristika gehalten. Obwohl eine Legalisierung also in vielerlei Hinsicht eine Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen darstellt, sind dadurch die unterschiedlichen Differenzmechanismen und Formen „institutioneller Diskriminierung“ (Cachón 1995; 2003) nicht automatisch gänzlich aufgehoben, da sie nicht allein auf dem Aufenthaltstitel basieren. Auch als Legalisierte sind die Chancen und Möglichkeiten ecuadorianischer MigrantInnen nicht den SpanierInnen gleich gestellt. Das zeigte sich exemplarisch an der Pluralität der Differenzmechanismen im Hausarbeitskurs. Der Aufenthaltstitel stellte dabei lediglich einen Differenzmechanismus unter vielen dar, wurde aber generalisierend auch für Frauen angewandt, welche legalisiert waren. Die Logik der strukturellen Unterordnung bleibt deshalb bestehen bzw. aktualisiert sich in neuen Differenzierungsdiskursen und -prozessen. Für die einzelnen sozialen AkteurInnen und Gruppen können aber Verbesserungen erfolgen, zum Beispiel, indem sie zu besseren Arbeitsbedingungen wechseln (zum Beispiel Interna zu Externa und schließlich por horas; oder weg von der Hausarbeit hin zur Gastronomie) und durch neuankommende MigrantInnen in ihren vorherigen Arbeiten ersetzt werden. Soziale wie beruflich-vertikale Mobilität findet jedoch dennoch meist nicht statt (vgl. Andall 2003b).345 Die Strukturen sind jedoch keine statischen Gebilde, weshalb auch langfristige strukturelle Veränderungen (zum Beispiel auch generationale) nicht ausgeschlossen sind. Es wird sich daher zeigen, als wie stabil und beschränkend oder ermöglichend sich die Strukturen gegenüber (ecuadorianischen) Migrantinnen in Spanien in Zukunft erweisen werden (vgl. Colectivo IOÉ 2005, 17). Die bisherigen, beschränkten Möglichkeiten für außereuropäische MigrantInnen in Spanien lassen hierfür jedoch nur wenig Optimismus zu (vgl. Actis 2005, 23). Der Handlungsspielraum wird jedoch nicht nur im Ineinander von diesem arbeitsmarkt- sowie (damit verbundenen) migrationsregimespezifischen Rahmen mit 345
Andall spricht daher vom Aufkommen einer neuen „Dienstleistungskaste“.
7.2 Strategien außerhalb der Arbeit
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migrantInnenspezifischen Bedingungen bestimmt. Vielmehr muss die Systematisierung aus 7.1.3, welche oben lediglich in Bezug auf die Strategien bei der migrantischen Haushaltsarbeit erfolgte, analytisch erweitert werden, da durch die Begrenzung auf den Arbeitsplatz die Verortung in verschiedenen Kontexten und die Beteiligung unterschiedlicher AkteurInnen (über die Beziehung zwischen ArbeitgeberInnen und Arbeitnehmerinnen hinaus) lediglich erwähnt, jedoch nicht in die Systematisierung aufgenommen wurden: Hier hat sich nun für den Alltag und die Strategien außerhalb der Arbeit nochmals verstärkt gezeigt, dass der Raum nicht nur auf den Arbeitsplatz hin lokalisiert werden kann, sondern dass auch andere, wie zum Beispiel transnationale Räume (samt transnationaler Beziehungen) die unterschiedlichen Strategien beeinflussen und dass diese Räume vermachtet sind. Dies wurde im Bezug auf die Nutzung des öffentlichen Raumes sehr deutlich. Aber auch der transnationale Raum ist nicht frei von Machthierarchien und differenzierten Nutzungen gemäß unterschiedlicher Positionen.346 Wie hier in verschiedenen Zusammenhängen immer wieder betont wurde, sind Netzwerke sowohl als symmetrische als auch als asymmetrische Vernetzung entlang unterschiedlicher Faktoren wie Zeit in Madrid, Geschlechterhierarchien, migrantisches Kapital etc. im Migrationsprozess von besonderer Bedeutung. Sie sind ausschlaggebend dafür, ob bestimmte Projekte verfolgt werden und inwiefern Risiken (wie die Aufgabe einer Arbeit) in Kauf genommen werden können. Über vermachtete Netzwerke kann jedoch auch die Kontrolle der Sexualität migrierter Frauen und die Verhinderung der Realisierung von Migrationsprojekten wie die Trennung von (gewalttätigen) Partnern erfolgen. Die „ethnische community“, direkte familiäre, nachbarschaftliche, freundschaftliche Kontakte sind daher auch lokal wie transnational Teil des Handlungsspielraumes, da sie Möglichkeiten und Projekte unterstützen, jedoch auch verhindern können. Auch dieser Kontext ist daher für die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten als ecuadorianische Hausarbeiterinnen ausschlaggebend (hierauf wird unter 7.3.1.3 nochmals eingegangen). Im In- und Gegeneinander von Handlungsmöglichkeiten und -strategien im Migrationskontext kommen auch habitualisierte Handlungs-, Wahrnehmungs- und Orientierungsmuster zum Tragen. Diese werden durch die Veränderungen des sozialen Kontextes im Laufe der Migration hinterfragt, in vielfacher Weise neu ausgehandelt und reinterpretiert, aber nicht unbedingt abgelehnt, sondern unter Umständen wie im Falle von Sofía neu aktualisiert. In ihrer finanziellen Notsituation griff sie darauf zurück, stellte sich in die Abhängigkeit von Männern und suchte schließlich in der Rückkehr zu ihrem Mann Sicherheit. Sie benutzte diese Strategie also nicht, um den Hausarbeitssektor zu verlassen und ihre Ressourcen zu mehren, sondern vielmehr zur Bewahrung bzw. Erlangung einer Arbeitsstelle. Dabei zeigt 346 Dazu gehören auch genderspezifische Rückkehrorientierungen sowie Muster im Senden von Geldern zu Familienangehörigen in Ecuador (vgl. dazu zum Beispiel Pedone 2003, 423ff).
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7 Strategien, Handlungsspielräume und Möglichkeiten
Sofías Fall, wie sich die unterschiedlichen Kontexte überlappen (Sofía griff erst in ihrer Notsituation darauf zurück, was direkt mit dem Makrokontext der Migration zu tun hat) und wie unterschiedliche AkteurInnen in verschiedenen Momenten ihres Migrationsprozesses Relevanz erhielten. Die Grundstruktur der Handlungsmöglichkeiten bildet daher die soziale Logik von Migration in Spanien und die damit verbundenen Rollenzuweisungen sowie Beschränkungen im Kontext der Globalisierung. Nicht umsonst wurde von den Frauen immer wieder auf eine Beziehung zu einem wohlhabenden Spanier bzw. Europäer angespielt, da sie diese als eine der wenigen Möglichkeiten sahen, eine andere Rolle einzunehmen und die strukturelle Logik zu durchbrechen. Neben dieser eher utopischen Verortung hat sich aber auch gezeigt, dass die EcuadorianerInnen eine Vielzahl verschiedener Strategien verfolgen und zwar auf unterschiedlichen Ebenen: So versuchten zum Beispiel José und Sofía über Rituale eine übergeordnete Kraft auszuüben, indem sie auf das „Schicksal“, das „Glück“ einzuwirken versuchten. Dabei ging es jedoch nicht um strukturelle Veränderungen, sondern um die Wiederherstellung von Sicherheit und Gesundheit, um weiter arbeiten zu können. Für José funktionierte es: Er fand eine Arbeit, welche körperlich weniger belastend war (als Maler) und hatte keine gesundheitlichen Probleme mehr. Auch Sofía versuchte mittels Veränderungsritualen eine Beeinflussung ihrer Arbeitssituation, jedoch ohne Erfolg. Weit erfolgreicher können hingegen Netzwerkstrategien sein. Sie bilden Alternativinstitutionen, welche es erlauben, sich gegenseitig abzusichern und gemeinsam die jeweiligen Ressourcen zu optimieren. Exemplarisch wurde hierfür die „cadena de dinero“ ausgeführt. Netzwerke könnten auch in institutionalisierter und formalisierter Form die untergeordnete Position der MigrantInnen erleichtern bzw. verbessern. Von den hier untersuchten Frauen nahm jedoch praktisch keine an Vereinen teil. Eine andere, genuin netzwerkspezifische Strategie stellt die Etablierung und Merkantilisierung asymmetrischer Beziehungen in Form von Brokerage dar, auf die hier immer wieder verwiesen wurde (zuerst 5.1.2). So sehr diese Strategie der „innermigrantischen Ausbeutung“ und die Veränderung bzw. Merkantilisierung der sozialen Beziehungen unter FreundInnen, Verwandten und Bekannten auch untereinander kritisiert wird, sagt sie vor allem etwas über die Bedingung der Möglichkeiten der EcuadorianerInnen in Madrid aus (ebd.). Die Handlungen sind aber nicht allein auf Spanien beschränkt, sondern räumlich wie zeitlich in verschiedenen Kontexten verortet. Dies kann dazu führen, dass die Zeit in Spanien strategisch als eine Art „Aus-Zeit“ betrachtet wird, wodurch Ungerechtigkeiten akzeptiert und der Körper wie die Psyche an ihre Grenzen geführt werden. Dass dies einen hohen gesundheitlichen Preis haben kann, wurde hier mehrfach betont. Erholungs-, Entspannungs- und somit Freizeitformen kommen daher eine wichtige Bedeutung zu. Sie können Mittel gegen Stress und Erschöpfung und also funktional auf die Regeneration und Weiterarbeit hin geordnet sein, aber
7.3 Freude und Leid
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auch ein Ziel per se und somit einen Teil des Migrationsprojekts darstellen. Jedoch auch die Freizeitaktivitäten sind nicht nur frei und entspannt, sondern in Konflikte um „Rollenzuweisungen“, „Exklusion“, „Sichtbarkeit“ und „Egalität“ eingebunden. Es stellt sich daher auch in diesem Zusammenhang nochmals die Frage nach Partizipation und Handlungsmöglichkeiten, da im öffentlichen Raum verschiedene Differenzierungs- und Ausschlussmechanismen wirken. Treffpunkte wie in Lago sind daher nicht nur Orte von Entspannung und Erholung, sondern ebenso von kollektiven Identifikationen und Kategorisierungen. So kann die Freizeit genauso zu Stress werden, was wiederum die Erholungsmöglichkeiten einschränkt. Vor allem wird eine „Partizipation und Integration als Gleiche“ auf diese Weise verhindert, während gleichzeitig die Exklusionspraktiken sichtbar, verhandelt und unter Umständen durchbrochen werden. Auf diesem Hintergrund stellt sich abschließend die Frage, inwiefern die ecuadorianische Migration und migrantische Haushaltsarbeit überhaupt ermöglichend, oder ob sie nicht vielmehr verhindernd ist, und wie die Frauen selbst ihre Migration beurteilen. Auf dieser Grundlage wird die dominante öffentliche Debatte rund um das Thema migrantische Haushaltsarbeit mit ihrem Argument des beiderseitigen Gewinns für ArbeitgeberInnen und migrantischen HausarbeiterInnen sowie die Debatte rund um die Auswirkungen der Haushaltsarbeit auf die Geschlechterbeziehungen analysiert. 7.3 Freude und Leid „Hier zu sein, lohnt sich je nach Motiv, das dich zur Auswanderung bewog.“ (Teresa)
Teresa antwortete auf die Frage nach einer Bewertung ihrer Migration mit dem Eingangszitat: „Hier zu sein, lohnt sich je nach Motiv, das dich zur Auswanderung bewog.“ In allen mit MigrantInnen geführten Interviews bat ich um eine Bewertung ihrer Migration. Dabei zeigte sich, dass die Evaluation nicht nur unter den MigrantInnen variierten, sondern dass auch die gleichen Personen je nach Bezugspunkt, Moment, Thema und Umstände (inklusive GesprächspartnerIn) ihre Migration unterschiedlich bewerteten, was nun im Folgenden analysiert wird. Auf dieser Grundlage wird die dominante öffentliche Debatte rund um das Thema migrantische Haushaltsarbeit mit ihrem Argument des beiderseitigen Gewinns für ArbeitgeberInnen und migrantischen HausarbeiterInnen sowie die in der Forschungsliteratur umstrittene Frage nach den Auswirkungen migrantischer Haushaltsarbeit auf die Geschlechterbeziehungen erörtert. Abschließend wird die Analyse zusammengeführt.
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7 Strategien, Handlungsspielräume und Möglichkeiten
7.3.1 Die Selbstbewertung der Migration als Hausarbeiterin „Spanien ist ein Land der Möglichkeiten. Es ist ein schönes Land. Es ist ein offenes Land. Das heißt, es erlaubt es dir, dich zu verwirklichen. Die Leute –, es gibt gute Menschen hier. Es gibt gute Menschen, wirklich gute Menschen, aber sie müssen halt gut sein. Die Leute sind [hier] rassistisch. Im Grunde sind sie alle Rassisten, wenn auch der eine oder andere weniger, stärker oder weniger stärker, aber sie sind Rassisten. Sie haben das mit dem Rassismus und diese Dinge nicht überwunden. Sie sind auch, wie soll ich dir das sagen? Manchmal ist es so, als ob sie darüber wütend sind, dass die Migranten hierher kommen.“ (Teresa)
Teresa spricht davon, dass „Spanien ein Land der Möglichkeiten“ sei. Auch Richard benutzte diesen Ausdruck und bezog sich wie Teresa darauf, dass es Arbeitsmöglichkeiten gibt. Teresa wies gleichzeitig aber auch auf die Kosten, die Behandlung, Rollenzuweisung und somit die Problematik als ecuadorianische Migrantin in Spanien hin: Obwohl sie dreifach betont, dass es gute Personen in Spanien gibt, die Aussagen über SpanierInnen also nicht verallgemeinert werden dürfen, wird deutlich, wie sehr ihre Erfahrungen und Interaktionen mit SpanierInnen durch Diskriminierungserfahrungen, von Rassismus, wie sie sagt, geprägt sind. Der soziale Aspekt des Lebens in Spanien fällt daher bei ihrer Bewertung schlecht aus, auch wenn sie betont, dass Spanien ein schönes, offenes Land voll Chancen sei. Einmal mehr zeigt sich die Komplexität von Migration, welche ganz unterschiedliche Aspekte, Erfahrungen, Prioritäten und Perspektiven vereint: Es war bereits die Rede von den verschiedenen Haltungen und Positionierungen gegenüber bezahlter Haushaltsarbeit wie auch von den verschiedenen Situationen, Ressourcen und Handlungsmöglichkeiten der ecuadorianischen Hausarbeiterinnen. Aber auch das Leben und Arbeiten in Madrid beinhaltet (ökonomisch, sozial, rechtlich, politisch etc.) unterschiedliche Dimensionen, positive wie negative Aspekte. Diese alle wirken sich auf die Bewertung der Migration aus. In dieser Vielschichtigkeit liegt das Problem der Evaluierung der Haushaltsarbeit sowohl für die wissenschaftliche Analyse als auch für die Frauen selbst. Es gibt aber Faktoren, welche eine Grundstruktur bilden. Um sie wird es im Folgenden gehen. Wie Teresa oben zitiert wurde, sind die Migrationsprojekte bei einer Evaluation der Migration entscheidend. Diese sind jedoch plural und nicht unbedingt nur auf Arbeiten und auf die Erlangung eines Lohnes bezogen (vgl. 3.2), wie den MigrantInnen bzw. den HaushaltsarbeiterInnen oft einseitig unterstellt wird, vor allem, wenn es darum geht, ihre Rolle als „ArbeitsmigrantInnen“, als billige, belastbare, leicht abstoßbare Arbeitskräfte zu rechtfertigen. Aber selbst, wenn das Ziel darin besteht, irgendeine Arbeit zu finden und egal wie und unter welchen Bedingungen Geld zu verdienen, ist der Lohn, wie sich im Verlauf dieser Arbeit gezeigt hat, normalerweise nicht so hoch und ermöglichend wie erhofft, sondern wird erst durch einen hohen Arbeitsrhythmus, durch reduzierte Ausgaben und nach mehreren Jahren zu einem „guten Lohn“. Andererseits ändert sich oft eine anfängliche Posi-
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tivbewertung mit der Zeit, da die physischen wie psychischen Kosten sich erst langsam bemerkbar machen. Es ist daher keine einfache Gleichung wie folgende möglich Arbeitsmöglichkeiten (Lohn) in Spanien = Realisierungsmöglichkeiten = positive Bilanz Selbst bei Personen wie zum Beispiel Verónica und Fernando, welche ein vornehmlich ökonomisches Migrationsprojekt verfolgen und ihre Migration sehr positiv beurteilen, ist diese Gleichung nicht linear. So betonte Fernando beispielsweise, dass er so schnell wie möglich nach Ecuador zurückkehren wolle, weil er merke, dass er rasch alterte und seine Kraft und Gesundheit immer mehr schwanden. Gleichzeitig waren ihm und Verónica aber auch klar, dass sie nicht erst in Spanien in einer prekären Situation lebten und arbeiteten: Verónica und Fernando waren in Ecuador sehr arm und Verónica verwies bei ihrer Bewertung zum Beispiel darauf, dass sie nun ihren Kindern, wann immer sie wollten, eine Bananenmilch machen, ihnen Orangensaft kaufen und ihnen Wünsche wie einen Besuch bei McDonalds ermöglichen könnten, lauter Dinge, welche in Ecuador aufgrund ihrer Armut so nicht möglich gewesen wären. Auch Fernando erklärte, dass sie mittels ihrer Migration ihre Armut hätten überwinden können. Er erzählte, wie sie im Jahr vor seiner Migration nicht einmal Weihnachten bzw. Neujahr hätten feiern können: „Hier kaufen Sie zum Beispiel ganz schnell ihre Kleidung zu Weihnachten, zu Neujahr.347 Sie machen ein gutes Festessen. Und dort, um ein gutes Festessen zu machen, müssen Sie sich schon vor Dezember Gedanken darüber machen. Zum Beispiel ab November müssen Sie Geld sparen, um ein gutes Abendessen machen zu können, um Truthahn zu kaufen (...). Oder wenn Sie eine (...) Schweinskeule machen möchten (...). Und wenn Sie viele Kinder haben, ist es noch schwieriger. Ab Oktober müssen Sie die Kleidung für die Kinder kaufen, um sie neu einkleiden zu können, um sie wenigstens an diesem Tag gut zu kleiden. Aber es gibt Personen, die, wenn sie Arbeit haben, es machen, und wenn nicht, dann feiern wir348 es im Kleinen, einfach so. Denn im Jahr, bevor ich hierher kam, haben meine Frau und ich bis um zwölf Uhr nachts gearbeitet und so traf uns der Jahreswechsel. Meine Frau hat sogar geweint, weil sie sich nicht einmal hatte umziehen können, und so waren wir immer noch am Arbeiten, (...) sie und ich.349 (Fernando)
Auf meine Frage, ob er mit seinem Projekt zufrieden sei, räumte er ein, dass es ihnen gut ginge, dass ihm aber ein regulärer Aufenthaltsstatus und somit Rechte
347 Sich für den Jahreswechsel festlich, wenn möglich neu einzukleiden, ist sehr wichtig und Teil der Feiern zum neuen Jahr. 348 Fernando wechselt vom zunächst allgemeinen grammatikalischen Neutrum zum „Wir“, also er und Verónica. Er unterscheidet dabei zwischen denjenigen, welche sich über Sparen diese Dinge leisten können und einem „Wir“, die sich nicht einmal auf diese Weise Kleidung und ein gutes Essen bezahlen konnten. 349 Sie verkauften von zu Hause aus (quasi durch das Fenster) selbst zubereitete Speisen.
334
7 Strategien, Handlungsspielräume und Möglichkeiten
und Schutz fehlen und dass er sich nicht wirklich in Spanien wohl fühlen würde. Er müsse es aber, weil er nur so seinen Kindern ein gutes Leben bieten könnte. „So wirklich wohl fühle ich mich nicht. Aber ich muss es, denn man kann sagen, dass ich [in Spanien] alles habe, um meine Kinder gut aufzuziehen, um ihnen eine gute Ernährung geben zu können, was das Elementarste ist. Und dass sie alles haben, was ein Kind braucht, denn in Ecuador kann ich ihnen nichts davon geben. (...) Wenn Sie also wollen, dass es den Ihrigen sehr gut geht, dann müssen Sie Opfer bringen.“ (Fernando)
Fernando stellt hier seine eigene Bedürfnisse (samt seiner Gesundheit, welche, wie er immer wieder betonte, unter den Arbeitsbedingungen auf dem Bau Schaden nahm) hinter die seiner Kinder und evaluierte, wie auch Verónica, ihre Situation in Spanien in Relation zu ihren Arbeits- und Lebensmöglichkeiten in Ecuador. Unter dem Strich, so beide, sei es eine positive Rechnung. Für Teresa fiel dagegen ein ökonomischer Vergleich negativ aus. Sie hatte in dieser Hinsicht in Ecuador alles: ein Haus, je ein Auto für sich und ihren Mann, Urlaub, gutes Essen etc. In Spanien fand sie aber, was sie in Ecuador aufgrund der Untreue ihres Mannes und der Konflikte wegen ihres höheren Einkommens verloren hatte: „tranquilidad“ – Ruhe, innere Sicherheit, Zufriedenheit. Mittels ihrer Migration suchte sie Distanz und Veränderung, was sie auch fand. Sie konnte in dieser Hinsicht ihr Migrationsprojekt verwirklichen und ist diesbezüglich zufrieden. Ihr Mann kam schließlich nach Spanien nach und heute leben sie als Paar mit ihrer Tochter und einem neugeborenen zweiten Kind in Madrid. Ihre Beziehung hat sich positiv geändert. Dabei ist für Teresa die Arbeit die Bedingung der Möglichkeit, ihren Lebensunterhalt zu finanzieren, und somit ein zentraler Aspekt. Im Vergleich zu Ecuador stellt diese jedoch sowohl bezüglich der Art der Arbeit als auch des Lohnes und des damit ermöglichten Lebensstandards einen Abstieg dar. Teresa zieht also trotz der Arbeit und der Diskriminierungserfahrungen eine positive Bilanz. Wenn es ihnen aufgrund finanzieller Probleme, Herabsetzungen durch SpanierInnen und Ähnlichem schlecht ginge, würde ihr Mann sie um Verzeihung bitten und sich über sich selbst ärgern, da sein Verhalten der Auslöser der Migration gewesen sei. Wären sie aber dort geblieben, so Teresa, wäre ihre Beziehung sicher kaputt gegangen. „Er bittet mich immer um Verzeihung. Er sagt, dass er nicht weiß, was ihm passiert ist, dass ihn das wütend macht, dass es schien, als ob ihm alles egal sei. Und schau, wenn wir dort [in Ecuador] geblieben wären, wäre dies [die Ehe] schließlich kaputt gegangen. Daher sage ich: das Motiv, weswegen ich kam, hat sich gelohnt, denn mein Leben ist nun ruhig350.“ (Teresa) 350 In den folgenden Zitaten ist mehrfach von „Ruhe“ und „ruhig“ die Rede. Im Spanischen steht hierfür „tranquilidad“ bzw. „tranquilo/a“. Siehe die obige Erklärung dazu: Teresa suchte in Spanien „tranquilidad“ – Ruhe, innere Sicherheit, Zufriedenheit –, welche sie in Ecuador aufgrund der Untreue ihres Mannes und der Konflikte wegen ihres höheren Einkommens verloren hatte. Tranquilidad ist dabei ein Konzept, welches für eine harmonische Einheit der sozialen wie kosmischen Beziehungen steht, wobei auch die (ökonomischen und politischen) Rahmenbedingungen eingeschlossen sind.
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Bezüglich ihrer früheren Klassenzugehörigkeit und beruflichen wie finanziellen Möglichkeiten bedeutete die Migration für Teresa einen Verlust. Eine Bewertung ist daher nicht immer einfach. Sie erklärte: „Ich bin auf der Suche nach Ruhe migriert und die habe ich nun. Dass ich nicht habe, was ich dort hatte? Gut, das habe ich nicht, aber das, was ich gesucht habe. In gewissem Sinne lebe ich mit meiner Familie in Ruhe (...). Aber wenn ich anfange, ganz kühl darüber nachzudenken, nein. Dass ich kam, um mit meinem Mann in Ruhe zu leben, ok. Ich habe meine Tochter, die ich nicht erwartete, (...) also ok. Wenn ich es unter diesem Gesichtspunkt betrachte, ja. Aber unter anderen Gesichtspunkten vermisse ich manchmal auch mein anderes Leben, denn hier bin ich sehr alleine, sehr alleine, im Sinne dessen, dass die Leute sich hier so ändern (...). Das heißt, ich habe (...) keine Freundinnen, denen ich sagen kann: Gehen wir hierhin, gehen wir dorthin. Ich habe zwei oder drei [Freundinnen] (...), und da man arbeiten muss und all das (...). Denn dort hatte ich (...) mehr Möglichkeiten. (...) Unter anderem reicht das Geld nicht. (...) Dort gab es mehr Zeit, die man sich selbst widmen konnte. Hier ist das Leben arbeiten und sich erholen, um wieder zu arbeiten.“ (Teresa)
Wie die meisten von mir gesprochenen bzw. interviewten Personen verwies Teresa sowohl auf positive wie negative Aspekte. Es gab für sie keine einfache und eindeutige Aussage: Bezüglich ihres Wunsches, Ruhe in ihr (Familien-)Leben zu bringen, war sie zufrieden. Ihr Leben in Spanien hatte aber auch negative Aspekte wie ihre Einsamkeit, die Dominanz der Arbeit im Alltag und die geringen finanziellen Möglichkeiten, lauter Faktoren, welche in unterschiedlicher Weise von vielen MigrantInnen nicht geplant und erwartet wurden. Dies gilt auch für Personen wie Montserrat und Victor, welche eine sehr positive Gesamtbilanz zogen und ihr ökonomisches Projekt erfolgreich verwirklichen konnten: Sie verfügen beide über eine feste Arbeit (Victor als Koch; Montserrat während meiner Forschung in der Haushaltsarbeit, mittlerweile auch in der Gastronomie) und konnten in Kombination mit der Untervermietung ihrer Wohnung ökonomische Stabilität erlangen. Aber auch sie sagen, dass ihr Leben Schwierigkeiten beinhaltet: „Es ist schon auch ein bisschen schwierig. (...) Die Gewohnheiten sind unterschiedlich. Die Leute schauen uns schief an.“ – „Wir müssen uns daran gewöhnen.“ – „Es gibt Leute, die uns akzeptieren, und andere, die uns nicht akzeptieren...“ – „Genau.“ – „und der Stress.“ (Gruppeninterview. Es spricht hauptsächlich Montserrat)
Montserrat weist hier unter anderem auf den Stress hin. Victor hatte im Jahr vor meiner Forschung eine schwere Krise. Er wollte einfach nur noch nach Ecuador, obwohl, äußerlich betrachtet, ihr Migrationsprozess sehr gut verlief: Er hatte bereits eine feste Stelle, war legalisiert und Montserrat war mit dem ersehnten Kind schwanger. Es ging ihm aber so schlecht, dass er nicht mehr hätte arbeiten können, weshalb, so Montserrat, sie ihn hätte nach Ecuador auf Urlaub gehen lassen, obwohl sie hochschwanger war. Nach einem Monat in Ecuador ging es ihm besser. Er kam zurück und nahm seinen Arbeitsrhythmus wieder auf.
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Unerwartete Folgen und die nicht kalkulierten bzw. kalkulierbaren Kosten stellen einen der größten Problemfaktoren eines Migrationsprozesses dar: Normalerweise wird eine Migration linear auf ein vordefiniertes Ziel hin geplant. Es hat sich aber gezeigt, dass damit auch viele ungeahnte Aspekte verbunden sind. Diese können positiv sein: So nannten mir zum Beispiel viele Frauen die Auswirkungen ihrer Migration auf ihr Selbstbewusstsein und ihr Selbstbild als Frau, aber auch der neue Lebensstil in Spanien als einen ungeplanten, aber positiven und wichtigen Effekt ihrer Migration351, wie dies Ingrid und Montserrat im Gruppeninterview mit Ingrid, Montserrat, Noelia, Carla und Victor sagten: „Wovon ich überzeugt bin, ist, dass das Reisen, an einen anderen Ort zu gehen, mit anderen Personen aus anderen Kulturen zusammenzuleben, für alle Personen sehr bereichernd ist.“ – „Ja, das stimmt.“ – „Dass dies eine Erfahrung ist, glaube ich, eine sehr große Erfahrung, so an einem anderen Ort zu sein. Denn du hast dann schon andere Ideen, dein Geist öffnet sich.“ – „Du hast andere Freundschaften, eine andere Kultur.“ (Gruppeninterview mit Ingrid, Montserrat, Noelia, Carla und Victor. Es sprechen Ingrid und Montserrat)
Zu den ungeplanten Auswirkungen gehört aber oft auch, dass sich Projekte und Erwartungen zum Beispiel bezüglich des geplanten Zeithorizontes, der Sparmöglichkeiten, der Zurückstellung von Bedürfnissen oder der beruflichen Möglichkeiten als unerreichbare Illusionen erweisen (vgl. 7.1). Normalerweise zeigt sich nämlich oft erst nach und nach, ob sich bestimmte Träume realisieren lassen und ob eine Redefinition des Migrationsprojektes und der Einschätzung der eigenen Möglichkeiten notwendig ist. So erklärte mir Claudia einmal in Reaktion auf optimistische und erwartungsfrohe Aussagen einer neu in Spanien angekommenen Bolivianerin, dass sie anfangs auch gedacht hätte, dass Spanien für sie ein Neuanfang mit guten Möglichkeiten bedeuten würde, dass sie aber mit der Zeit bemerkt hätte, dass dies nicht der Fall sei: „Das Leben hier ist anders. Die Einsamkeit. Auch wenn du mit einem anderen Denken kommst, du änderst dich trotzdem. Zum Beispiel was Angela aus dem Kochkurs gesagt hat, dass für sie, die Tatsache, hier zu sein, eine zweite Möglichkeit darstelle. – Sie ist erst seit sehr kurzer Zeit hier. Ich dachte am Anfang auch so.“ (Claudia)
Mónica berichtete Ähnliches: Am Anfang, als sie ihren ersten Lohn erhielt, sei sie überglücklich gewesen, dass sie ihren Kindern in Ecuador Geld schicken konnte. Auf meine Frage, ob sie also zufrieden sei, antwortete sie mir: „(Seufzer) Na ja, zu Beginn, da war ich schon etwas zufrieden. Ich kam, fand Arbeit: ‚Ach, Danke, lieber Gott!’ Danach fühlte ich mich ein bisschen enttäuscht, weil sie mich auszubeuten begannen.
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vgl. 7.3.1.2, wo darauf näher eingegangen wird.
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Denn mit der Zeit bemerkte ich, dass ich keine Feiertage hatte. Ich hatte, ich habe352 keine Ferien, ich habe nichts.“ (Mónica)
Zunächst war Mónica also froh, dass sie ihre Kinder versorgen und somit eines ihrer zentralen Migrationsmotive erfüllen konnte. Sie war glücklich, überhaupt Arbeit gefunden zu haben. Dann wurde ihr aber klar, wie gering letztlich ihr Lohn, wie anstrengend ihre Arbeit war und wie ihre Grundrechte nicht respektiert wurden. Ihre Einschätzung änderte sich daher allmählich.353 Allgemein gilt, dass umso mehr sich die Frauen in die spanische Gesellschaft integrierten, desto mehr die Differenzmechanismen bezüglich ihres Lohnes, ihrer Behandlung und ihrer Möglichkeiten als Ecuadorianerinnen in Madrid ans Licht traten. Doch auch wenn Migrationsprojekte verwirklicht werden können, garantiert dies aufgrund der unerwarteten Kosten und Folgen nicht automatisch eine positive Migrationsgeschichte, wie Alexandras Fall zeigt: Alexandra war, animiert durch ihre Schwester Graciana, nach Spanien gekommen, um die Medikamente ihres schwer erkrankten Vaters zu finanzieren sowie das Haus in Ecuador, in dem mehrere Familienmitglieder als Großfamilie lebten, auszubessern und zu erweitern. Sie hatte außerdem Probleme mit ihrem Mann, was die Migration zusätzlich motivierte. Gleichzeitig konnte sie mit ihren geschickten Geldern die Schul- und Lebenskosten ihrer beiden Kinder finanzieren. Nachdem ihr Vater gestorben war, kehrte sie nach Ecuador zurück. Ihr Mann, welcher mittlerweile ebenfalls nach Madrid migriert war, blieb in Spanien, um Geld zu sparen und Schulden abzubezahlen. Nach wenigen Wochen war Alexandra jedoch wieder in Spanien. Ich führte kurz nach ihrer Rückkehr ein Interview mit ihr. Ihre Bilanz über ihre Migration war durchwegs negativ: Würde sie sich nochmals neu entscheiden können, würde sie nicht nach Spanien migrieren. „Eine Bilanz, falls es mir nochmals passieren sollte, wenn sie [Graciana] mir nochmals sagen würden: ‚Komm!’?354 Nein, ich würde nicht kommen. Ich würde nicht kommen. (...) Trotz dessen, dass ich ohne Geld war (...), trotz allem. Ich hätte besser dort gekämpft und ich hätte meiner Schwester gesagt: Leih mir dann doch dieses Geld [für Ecuador]. Ich zahle es dir zurück. Und ich mache ein Geschäft auf. Aber hierher zu kommen, ich wäre nicht gekommen.“ – „Und warum?“ – „Weil ich sehr viel verloren habe. Ich habe die Umarmungen meiner Tochter verloren, die Umarmungen meiner Kinder. Ich habe die Wärme meiner Eltern verloren, meinen Mann nicht, weil ich meinen Mann [hier, in Spanien] habe (...). Aber ich habe viele Dinge meiner Tochter, meiner einzi-
352 Interessant, wie Mónica hier zunächst in der Vergangenheit spricht und dann einen Zeitwechsel ins Präsenz vornimmt: Ihre Arbeitsbedingungen haben sich diesbezüglich nicht verändert, weshalb ihr Bericht auch aktuell gilt. 353 So ist auch die Wahrnehmung von Ecuador her eine andere, wenn sie sich auf die geschickten Gelder, die gebauten Häuser und ausgebildeten Kinder richtet, aber nicht auf deren Preis und die Situation in Spanien (vgl. 4.2.2). 354 Graciana, ihre bereits migrierte Schwester, hatte ihr das Geld zur Migration geliehen und sie dazu animiert. Sie lieh ihr das Geld zur Migration, sandte laut Auskunft von Alexandra, Guadalupe und der Mutter aber selbst keine Gelder an ihren kranken Vater in Ecuador.
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gen Tochter, die ich habe, verloren, meines Sohnes, (...) die Muttertage, die Weihnachtstage, die Neujahrstage, die ich mit ihnen verbrachte. Für nichts, nicht für alles Geld, das ich [ihnen nach Ecuador] schicken kann, werde ich das, was ich, indem ich hier herkam, verloren habe, wiedergewinnen. Daher sage ich, dass ich, wenn es nochmals so sein würde, dass ich dort bleiben würde. Ich würde mit meinem Mann arbeiten, weil ich das ganze Leben mit ihm gearbeitet habe, und ich weiß, dass es für das Essen und die Ausbildung meiner Kinder irgendwie reichen würde.“ (Alexandra)
Alexandra bezieht sich hier auf die Beziehung zu ihren Kindern, deren Kindheit sie versäumte. Da sie ihre Tochter mit sechs Monaten bei ihrer Mutter zurückgelassen und diese sie als ihre eigene Tochter aufgezogen hatte, war Alexandra für die Tochter, als sie nach Ecuador zurückkehrte, eine Fremde. Für Alexandra war dies ein großer Schock und es gab viele Konflikte zwischen ihr und ihrer Mutter, aber auch mit ihrer kleinen Tochter, welche sich weigerte, sie als Mutter anzuerkennen. Vielmehr verunsicherte die neue Situation die Tochter, wovon sowohl Alexandra als auch ihre Mutter in Ecuador mir berichteten. Laut ihrer Mutter versteckte sich die Tochter zum Beispiel vor Alexandra, was deren Verlustgefühl in Aggressivität verwandelt hätte. Alexandra hätte daraufhin ihre Tochter geschlagen und zur MutterTochter-Beziehung quasi zwingen wollen, erklärte ihre Mutter weiter. Inwieweit Alexandra ihre Tochter wirklich schlug, sei hier dahin gestellt. Deutlich war mir jedoch bei meinem Besuch in Ecuador wie auch bei meinen Gesprächen mit Alexandra in Madrid, dass es einen Konflikt zwischen den beiden Frauen (der Großmutter als soziale und Alexandra als biologische Mutter) bezüglich der Mutterschaft gab.355 Für Alexandra war diese Erfahrung zutiefst frustrierend, wie sie mir, zurück in Spanien, berichtete. Mit ihrem älteren Sohn hingegen hatte sie sofort wieder eine sehr gute, enge Beziehung und als sie nach wenigen Wochen nach Spanien zurückkehrte und somit ihr Rückkehrprojekt nach Ecuador als gescheitert erklärte bzw. dem Drängen ihres Mannes in Spanien nachgab, wieder nach Madrid zu kommen, stand für Alexandra die Sinnhaftigkeit ihrer ganzen bisherigen Migration in Frage, zumal sie zudem befürchtete, dass ihr Sohn nun auf die schiefe Bahn geraten könnte, wie sie sagte. Der Verlust der Mutter-Kind-Beziehung mit ihrer Tochter wie auch der Gegenwart im Leben ihres Sohnes sei ein zu hoher Preis gewesen. Ich kannte Alexandra bereits vor ihrer Rückkehr nach Ecuador. Wir waren eng befreundet und sahen uns regelmäßig, teilweise täglich. Ihre Bilanz war damals 355 Hier zeigt sich, wie komplex das Phänomen der transnationalen Mutterschaft ist. Meiner Meinung nach darf daher zum Beispiel nicht simplifizierend von der Abwesenheit von Liebe durch migrierte Mütter gesprochen werden (wie Hochschild 2003, 22ff). Die Migration der biologischen Mutter hatte für die Tochter nämlich zunächst keinen Verlust bedeutet, da sie in ihrer Großmutter eine (soziale) Mutter hatte und diese durch die Geldsendungen der leiblichen Mutter in der Lage war, ihren Unterhalt zu finanzieren. Erst mit der Rückkehr der biologischen Mutter begannen für sie die Probleme und Traumata der transnationalen Mutterschaft, nämlich nicht ihre eigenen, sondern die ihrer Mutter, welche nun zu ihren wurden.
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aufgrund ihres anderen Bezugspunktes und der unterschiedlichen Situationen ganz anders gewesen. Es waren nicht die gleichen Themen, welche im Vordergrund standen: Sie war glücklich, dass sie über Jahre die Medikamente ihres schwer kranken Vaters hatte finanzieren und das Haus ihrer Familie hatte renovieren und verbessern können. Freudig und stolz zeigte sie mir Fotos der Verbesserungen im Haus. Die Entfernung zu ihren Kindern war für sie damals zwar bereits ein schwieriges und trauriges Thema und auch einer der Gründe, nach Ecuador zurückzukehren. Sie hatte jedoch nicht damit gerechnet, dass sie die Mutterschaft ihrer Tochter verlieren könnte, wie sie es bei ihrer Rückkehr empfand.356
356 Die Mutterschaft ist eines der schwierigsten Themen, da es in sich komplex ist und viele Frauen erst mit der Zeit merken, dass sie nicht so über die Gestaltung ihrer Mutterschaft bestimmen können, wie sie dies erhofft und geplant hatten. Unter den Frauen in Spanien gab es daher je nach Situation, persönlicher Entscheidung und Umstände geteilte Meinungen bezüglich der Gestaltung der Mutterschaft, ob es besser sei, die Kinder nach Spanien zu holen bzw. mitzubringen, ob es gut oder überhaupt möglich sei, als Migrantin und Hausarbeiterin als Mutter präsent zu sein und den Kindern ein gutes Leben in Madrid zu ermöglichen, zumal, wie die Analyse des Hausarbeitskurses zeigte, Mutterschaft (und Partnerschaft) von den Vermittelnden als Hindernis der geforderten Flexibilität betrachtet wurden. Mutterschaft bzw. die Frage nach Kindern war daher eines der meist diskutierten und schmerzhaftesten Themen unter den Frauen (vgl. zum Thema der transnationalen Mutterschaft Wagner 2008b; Carillo 2005; HondagneuSotelo, Avila 1997). Frauen, deren Kinder in Ecuador blieben, also transnationale Mütter, sind normalerweise froh, dass sie ihre Kinder versorgen können. Sie sind aber oft auch traurig und besorgt, wie es diesen wohl in Ecuador ergehe. Viele transnationale Mütter müssen mit ambivalenten Gefühlen kämpfen und ihre Vorstellungen über „gute Mutterschaft” neu definieren. Zusätzlich müssen sie mit dem Stigma und anderen Formen von Kritik umgehen, welche sie aufgrund ihrer Abwesenheit als schlechte Mütter darstellen (vgl. Wagner 2007c; 2008b; Hondagneu-Sotelo 2001, 25ff). Viele transnationale Mütter versuchten so gut wie möglich, im Leben ihrer Kinder präsent zu sein. Ingrid rief zum Beispiel zweimal täglich bei ihren Kindern an. Sie wollte hören, wie es ihnen geht, an ihrem Leben teilhaben; außerdem fühlte sie sich als Interna einsam. Auch Dolores rief ihre in Ecuador gebliebenen Kinder täglich am Handy an, so dass sie den Großteil ihres Lohnes in die soziale Beziehung mit ihren Kindern investierte. Im Gegensatz zu Ingrid war Dolores jedoch mit ihrem Mann in Spanien, wodurch sie von dessen Einkünften plus der Beträge aus Untervermietungen leben und sparen konnten. Ingrid hingegen war alleine in Spanien. Durch die Telefonate gab sie viel Geld aus, wodurch das Sparen für eine Rückkehr bzw. für eine Familienzusammenführung schwieriger wurde. Mit den Jahren konnte sie aber nicht mehr nur an Sparen und an die Geldsendungen für ihre Kinder denken, sondern wollte auch die sozialen Beziehungen und ihre Bedürfnisse als Person, als Mutter, ausleben. Dabei gibt es ganz unterschiedliche Formen der transnationalen Mutterschaft. Diese hängen stark von den jeweiligen Umständen in Madrid, aber auch in Ecuador ab, wo und bei wem zum Beispiel die Kinder wie geblieben sind. Zudem gibt es in Ecuador unterschiedliche Familienkonzeptionen, welche Mutterschaft (und Vaterschaft), Kindschaft und Bezugspersonen verschieden konstruieren, wodurch die Abwesenheit der (biologischen) Mutter nicht für alle Kinder die gleiche Bedeutung hat. Für Mónica war die Distanz zu ihren Kindern zwar schwierig, vor allem aber für sie. Die Kinder erklärten mir bei meinem Besuch in Ecuador hingegen, dass es ihnen seit der Migration der Mutter besser gehe, dass es nun genug Essen gäbe und dass sie „tranquilos“ seien. Tranquilidad bezog sich unter anderem auf die Abwesenheit häuslicher Gewalt durch die beiden Eltern, von der oben die Rede war. Mónica machte sich zudem keine Illusionen über mögliche Alternativen zu ihrer Migration noch Sorgen, dass es den Kindern ohne ihr schlecht gehen könnte (im Gegensatz zu Dolores, welche konstant besorgt war, ob die Kinder auch
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7 Strategien, Handlungsspielräume und Möglichkeiten
Richard, Alexandras Mann, evaluierte hingegen die Migration auch nach Alexandras Aufenthalt in Ecuador357 als sehr positiv und zwar mit wieder anderen Bezugspunkten: Das öffentliche Gesundheitssystem in Spanien hätte es möglich gemacht, Alexandras Nierenprobleme zu lösen und in deren Arbeitslosigkeit hätten sie zudem Arbeitslosenhilfe erhalten. Dies sei wunderbar. Bezüglich ihrer Elternschaft setzte er andere Zeitfenster und hoffte, die Kinder so bald wie möglich nach Spanien holen zu können. Die jeweiligen Bewertungen der Migration sind also kontextuell, situativ und relational und können je nach Bezugspunkt, Moment, Zeit in Spanien, Thema und Umstände (inklusive GesprächspartnerIn) variieren. Gleichzeitig beeinflussen Unterschiede unter den Ecuadorianerinnen (nach Ressourcen, Verpflichtungen gegenüber anderen, persönlicher Situation in Madrid etc.) die Möglichkeiten und Evaluationen (vgl. 7.1 sowie 7.2). Es kann daher keine einheitliche Aussage getroffen werden. Vielmehr beinhaltet eine Migration sowohl positive wie auch negative Aspekte, Gewinne in bestimmten, Verluste in anderen Bereichen und daraus resultierende Widersprüche. Alle finden jedoch innerhalb des hier aufgewiesenen Rahmens der Bedingungen der Möglichkeiten als ecuadorianische Haushaltsarbeiterinnen in Madrid statt, welche in der Regel begrenzter sind als von den Frauen imaginiert. Auf einer Positivbewertung als Absolutum beruht jedoch die Argumentation eines gegenseitigen Gewinnes von ArbeitgeberInnen und HausarbeiterInnen, bei dem die Lohn- und Arbeitsbedingungen migrantischer HaushaltsarbeiterInnen mit dem Hinweis auf die Ermöglichungen für die MigrantInnen gerechtfertigt werden beziehungsweise eine Diskussion über diese als unnötig erklärt wird. Es gäbe einen genügend zu essen hätten, ob sie in die Schule gingen, ob sie gute Kleidung bekämen etc.). Für Mónica stand fest, dass ihre Entscheidung zur Migration richtig und ohne Alternativen gewesen sei: „Ich weiß, dass es hart ist, dass ich meine Kinder zurücklassen muss, aber ich muss [es] (...), weil ich ihnen hier kein Dach über dem Kopf werde geben können, ihnen nicht das werde geben können, was ich für sie will.“ (Mónica) Mónica hätte ihre Kinder gerne bei sich in Spanien. Ihre Situation als alleinstehende Migrantin würde es ihr jedoch nicht erlauben, ihre Kinder in der Art und Weise zu versorgen, wie sie dies wünschte, betonte sie, weshalb sie es vorzöge, diese in Ecuador zu lassen. Ihre Kinder fehlten ihr aber sehr: „Das Einzige, was mich hier hält ist die Wirtschaft. Es ist das Finanzielle, nur das Finanzielle. (...) Manchmal habe ich Lust, meinen Koffer zu nehmen, meinen Koffer zu packen und abzuhauen (...), weil mir fehlen meine Kinder. Ich möchte meine Kinder sehen.“ (Mónica) Mónica vermisste ihre Kinder. Ihre Migration implizierte für sie jedoch nichts notwendigerweise Traumatisierendes für ihre Kinder, wuchsen diese doch bereits zuvor in einer Großfamilie mit mehreren Bezugspersonen auf und wurde auch sie selbst, als sie sechs Jahre alt war, einer kinderlosen fiktiven Tante übergeben, welche sie fortan aufzog. Mónica erzählte, dass dies anfangs schwierig für sie gewesen sei, dass sie aber ansonsten eine normale und glückliche Kindheit wie Jugend bei ihrer Tante verbracht hätte. Sie würde ihre Kinder gerne bei sich in Spanien haben, ihre Arbeits- und Lebensbedingungen wie auch ihre legale Situation erlaubten es ihr aber nicht, so über ihre Mutterschaft zu entscheiden, wie sie dies gerne getan hätte (zur Vertiefung vgl. Wagner 2008b; Parreñas 2003a; Hondagneu-Sotelo/Avila 1997). 357 Richard war im Gegensatz zu Alexandra seit seiner Migration nicht mehr in Ecuador.
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beiderseitigen Gewinn, sowohl für die ArbeitgeberInnen als auch für die MigrantInnen, welche auf diese Weise ihre Migrationsprojekte verfolgen und Ziele erreichen könnten, die so in ihren Herkunftsländern nicht möglich wären. 7.3.1.1 Der ungleiche „Gewinn für alle“358 Die Argumentation, dass Haushaltsarbeit einen gemeinsamen Gewinn für ArbeitgeberInnen wie HausarbeiterInnen darstelle und es sich somit um eine „win-winSituation“ handle, basiert unter anderem auf folgenden vier Hypothesen: erstens der Annahme, dass es neben dem Vorteil für die ArbeitgeberInnen auch einen eindeutigen Nutzen für die Hausarbeiterinnen gibt; zweitens, dass dieser Gewinn der Haushaltsarbeit aus dem Lohn erfolgt, welcher als gut definiert wird; dass dies, drittens, so auch von den migrantischen HaushaltsarbeiterInnen empfunden und deshalb von ihnen die Hausarbeit als Arbeitsmöglichkeit geschätzt wird und dass, viertens, sich aus dem gegenseitigen Gewinn eine Symmetrie ableiten lässt, welche eine Thematisierung der Arbeitsbedingungen unnötig macht. In der Analyse wurde deutlich, dass die Haushaltsarbeit als Lohnarbeit zwar bestimmte Ermöglichungen beinhaltet, dass aber andererseits von keinem eindeutigen Gewinn der Haushaltsarbeit für die HausarbeiterInnen gesprochen werden kann. Es handelt sich vielmehr um eine Vielzahl von Faktoren und Bedingungen, welche sowohl die Haushaltsarbeit als auch den Migrationskontext umfassen, in den die Arbeit eingebettet ist, aber auch Unterschiede unter den Migrantinnen betreffen. In den Diskussionen rund um den Vorteil der Haushaltsarbeit für die MigrantInnen steht hingegen alleine die Erlangung eines Lohnes im Blickfeld. Es wird also die Komplexität und Vielfalt vereinfacht bzw. von den konkreten Arbeits- wie Lebenssituationen hin auf den Lohn abstrahiert, wodurch die Arbeitsbedingungen für die Diskussion als irrelevant erscheinen. Zwar stimmt es, dass viele Hausarbeiterinnen den Lohn und die finanziellen Möglichkeiten als Ergebnis ihrer Arbeit wertschätzen, daraus lässt sich jedoch weder eine Legitimierung der Arbeitsbedingungen noch eine Positivbewertung der Arbeit durch die Frauen ableiten. Die Frauen bewerteten ihre Arbeit vielmehr unterschiedlich und positionierten sich auf verschiedene Weise ihr gegenüber: So gab es Frauen, welche stolz darauf waren, wie gut sie kochen könnten, dass Gepflegte sich bei ihnen wohl fühlten etc., und aus ihrer Arbeit Selbstbestätigung zogen. Claudia erklärte beispielsweise auf die Frage, ob ihr ihre Arbeit gefalle: „Mir haben die Arbeiten im Haushalt immer gefallen, und dass man dich gut behandelt.“ (Claudia)
358
Vgl. hierzu auch Wagner 2009c.
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Für Claudia ging es um die Behandlung, ob sie als Person wahrgenommen und geachtet würde (vgl. dazu auch Hondagneu-Sotelo 2001, 171ff). Die Aufgaben selbst machten ihr mit Ausnahme der Pflege Spaß.359 Für sie hing die Arbeit von den ArbeitgeberInnen sowie den jeweiligen Arbeitsprofilen ab (vgl. 7.1.3): Sie wollte aber nicht als Interna arbeiten und auch nicht in der Pflege von alten, bettlärigen, kranken Menschen. Manche Frauen, welche ähnliche (vielleicht schlechtere) Arbeit(sbedingung)en bereits in ihren Herkunftsländern ausübten, fanden diese in Spanien – zumindest in der Anfangszeit – als normal. Eine Verallgemeinerung davon ist jedoch unzulässig.360 Andererseits rechtfertigt der Fall von „leidensbereiten“ Personen, welche mit schlechten Arbeitsbedingungen zufrieden sind, nicht die soziale Festschreibung von „Leidensbereitschaft“, unterschiedlichen Maßstäben für ein gutes Leben, für die Achtung oder Missachtung von Menschen- und Grundrechten für „Einheimische“ und „Andere“. Auf dieser Unterscheidung basiert jedoch die Argumentation, aber auch die soziale Logik migrantischer Haushaltsarbeit, welche der unterschiedlichen Logiken und Grenzziehungen zwischen „Einheimischen“ und „Migrantinnen“ bedarf, um die respektiven Rollen stabil zu erhalten. Die meisten Frauen sahen in der bezahlten Hausarbeit eine „Übergangsphase“, ein „Trampolin“ hin zu einer Legalisierung und (anschließend) anderen Arbeitsmöglichkeiten (vgl. auch García-Cano 2004, 188). Sie distanzierten sich (innerlich) sowohl von der Art der Arbeit als auch von ihren ArbeitgeberInnen.361 Sie konnten wie Silvia ihrer Arbeit nichts abgewinnen außer das damit erzielte Einkommen: „Das ist eine entwürdigende Arbeit. Sie gefällt mir nicht. (...) Sie gefällt mir nicht (mehrfach).“ (Silvia) Die Mehrzahl der von mir gesprochenen und erlebten Haushaltsarbeiterinnen trennten die Arbeitsbedingungen und -aufgaben vom Lohnerwerb ab und definierten ihre Arbeitsidentität über den Lohn und die Ermöglichungen daraus und nicht über die Art der Arbeit selbst: Es gab in diesem Sinne eine weitverbreitete Neudeutung und Aufwertung der Arbeitsidentitäten, unabhängig davon, wie das konkrete Arbeitsarrangement bewertet wurde. Dabei bestimmten die Frauen die bezahlte Haushaltsarbeit nicht aufgrund der sozialen Klassifikation von Haushaltsarbeit nach Schmutz und Herkunft (wie ansonsten in Spanien wie auch in Ecuador der Fall), 359 Auch María gefiel ihre Arbeit. Sie plante zudem, einen Kinderhort für die Kinder der arbeitenden MigrantInnen bei sich zu Hause aufzumachen. Auch in Ecuador hätte sie immer wieder Kinder bei sich gehabt, auf die sie aufpasste. Das mache ihr Spass. María war von ihrer Idee begeistert. Dabei unterscheidet sie sich von anderen Ecuadorianerinnen u.a. aufgrund verschiedener Klassenzugehörigkeit in Ecuador, früherer Arbeitserfahrungen, Bildungshintergrund, Neigungen und Ziele. 360 Zumal die ecuadorianische Auswanderung nach Madrid Mitte 1990 und Anfang 2000 eine vornehmlich urbane Migration der Mittelschicht darstellte (zumindest für die hier analysierten Zeiträume der ecuadorianischen Migration nach Madrid) und andererseits viele MigrantInnen auf der Suche nach einem besseren Leben waren. 361 Was aber nicht unbedingt Distanz zu den von ihnen Versorgten und Gepflegten implizieren muss.
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sondern gemäß Lohn und Realisierung eigener Projekte.362 „Hier ist jede Arbeit würdig.“ So lautete eine Art „Slogan“, welcher mir immer wieder auf verschiedene Art begegnete. Die sozialen Konnotationen bezahlter Hausarbeit wurden so relativiert und die Arbeitsidentität von der Art der Arbeit abgesondert.363 Auch im Argument des beiderseitigen Gewinnes werden die konkrete Arbeit und der Lohn getrennt, jedoch auf andere Weise: Während diese Trennung für die Migrantinnen eine strategische Positionierung, Selbstdefinition und Projektion innerhalb des Migrationsprojektes (zum Beispiel als „Aus-“ oder „Übergangszeit“) darstellt, bietet es den ArbeitgeberInnen die Möglichkeit, von den konkreten Bedingungen zu abstrahieren und diese impliziert zu rechtfertigen bzw. zu verschleiern. Auf diese Weise wird die migrantische Haushaltsarbeit aus der spanischen Gesellschaft mit deren Rechten, Pflichten, Gesetzen, Schutz etc. herausgelöst und scheinbar natürlich innerhalb der internationalen ungleichen Verhältnisse gerechtfertigt, also in Bezug auf die Arbeits- und Lebensbedingungen in Ecuador, im „Herkunftsland“. Diese Logik funktioniert aber nur, solange die Referenzen der HaushaltsarbeiterInnen auf Ecuador bezogen bleiben, man könnte auch sagen, so lange sich die Migrantinnen nicht (als Gleiche) in die spanische Gesellschaft integrieren und also weiterhin unterschiedliche Maßstäbe angewandt werden können.364 Dazu werden die Haushaltsarbeiterinnen in den Diskursen wie in der Praxis auf ihre Rolle als Arbeitskräfte reduziert und somit auf einen ökonomistischen Begriff von „ArbeitsmigrantInnen“ (vgl. 2.1.5), denen eine rein wirtschaftliche Migrationsmotivation zur Lohnarbeit unterstellt wird. Wie im Kapitel 4 erörtert, sind die Migrationsprojekte jedoch plural und können nicht lediglich auf Finanzielles bezogen werden. Der 362 Die Kategorisierung nach Geschlecht bleibt bislang bestehen, auch wenn immer mehr Männer in der Altenpflege tätig sind und auch dort verschiedene andere Haushaltsarbeiten (wie Kochen, Putzen etc.) ausüben. 363 Diese Neubewertung stellt eine Neupositionierung und Aufwertung der eigenen Arbeit dar; gleichzeitig passt sie bestens in konservative Arbeitsideologien, wie die oben beschriebenen Aussagen des Opus Dei, mittels derer Machthierarchien und Differenzmechanismen verschleiert und gleichzeitig naturalisiert werden. Interessant ist hierbei, dass häufig, wie zum Beispiel im folgenden Gruppeninterview, darüber gesprochen wird, als ob es sich um ein „spanisches Phänomen” und nicht ein „migrantisches Phänomen“ handle: „Hier kannst du irgendetwas arbeiten. Die Leute diskriminieren dich nicht, weil du in der Hausarbeit arbeitest.“ (Zustimmung durch andere: „Stimmt.“) „Hier ist es den Leuten egal, worin du arbeitest, solange du nicht schmutzig und ungepflegt herumläufst. Den Leuten ist es egal. Ich habe das bemerkt. Hier diskriminieren dich die Leute nicht (...) wie in Südamerika: Du sagst, dass du Hausarbeiterin bist und sie schauen dich an, als ob du nichts wert wärst.“ (Montserrat im Gruppeninterview) Montserrat bezieht die Neubewertung der Arbeit auf die spanische Gesellschaft und nicht auf eine Neudefinition unter den ecuadorianischen MigrantInnen, so als ob in Spanien die Klassifikationen gemäß der Art der Arbeit nicht existieren würden, was jedoch, wie die Analyse des Hausarbeitskurses zeigte, gerade die grundlegende Logik migrantischer Hausarbeit darstellt. Es handelt sich daher meiner Meinung nach um eine Selbstaneignung und Neudefinition von Arbeitsidentitäten und Statuskonstruktionen unter den (ecuadorianischen) MigrantInnen in Spanien. 364 Dies wird im Schlusskapitel nochmals aufgegriffen und näher ausgeführt.
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7 Strategien, Handlungsspielräume und Möglichkeiten
Lohn ist zwar die Bedingung der Möglichkeit der Realisierung der Migrationsprojekte und nimmt eine überragende Zentralität im Alltag ein, er stellt jedoch nicht den einzigen ausschlaggebenden Faktor für eine positiv evaluierte Migration dar. Indem die Hausarbeiterinnen als „Arbeitsmigrantinnen“ behandelt werden, wird ihre soziale, ökonomische und politische Unterordnung und ihre Konzentration in bezahlter Hausarbeit legitimiert, was es ermöglicht, den Rassismus und die Diskriminierung zu ignorieren sowie erlittene Misshandlungen wegzuerklären (vgl. HondagneuSotelo 2001, 18). Mit der einseitigen Argumentation über den Lohn und der damit verbundenen Abstraktion aus den Arbeitssituationen wird der Blick von den konkreten Arbeitsbedingungen (und somit auch von der Anwendung verschiedener Kriterien) abgewandt. Die Haushaltsarbeit wird dabei aus ihren Raum- und Zeitverortungen wie auch aus den interaktiven Kontexten der Arbeitsbeziehung mit ihren servilen Konnotationen, Gewaltpotentialen etc. gelöst. Dies erlaubt es, die zeitlichen Veränderungen im Migrationsprozess, aber auch in der Bewertung von Haushaltsarbeit, sowie die (unvorhergesehenen) Kosten für die sozialen Beziehungen wie die Gesundheit als irrelevant zu erachten. Es handelt sich aber um konkrete Personen mit unterschiedlichen Bedürfnissen, Aspekten und Beziehungen, welche nicht auf die Erlangung von Lohn reduziert werden können, auch nicht von ihnen selbst, denen es in der Regel nur über eine bestimmte Phase hin gelingt, Grundbedürfnisse (zum Beispiel nach Soziabilität) zu negieren, ohne dass sie daran psychisch wie physisch Schaden nehmen (vgl. 7.1.2; 5.2.3).365 Derartige Auszeiten dauern bei Migrantinnen mit wenigen Ressourcen und großen Verantwortungen für Dritte unter Umständen jahrelang, woran gerade auch der geringe Lohn Anteil hat. Er kann auch aus diesem Grund nicht nur als Ermöglichung betrachtet werden. Wie am Beispiel von Teresa deutlich wurde, erfolgt eine positive Bewertung der Migration oft nicht wegen, sondern trotz der Arbeit. Die Grundlagen der winwin-Argumentation sind also in ihrer Verallgemeinerung, ökonomischen Engführung wie Abstraktion aus den konkreten Raum-Zeit-Verortungen inhaltlich verkürzt bzw. falsch. Dazu gehört auch die angenommene Symmetrie im beiderseitigen Gewinn der Arbeitsbeziehung, welche darauf aufbaut, dass die Nachteile und Risiken vor allem auf der Seite der Hausarbeiterinnen (und deren Familien) liegen (vgl. auch Lutz 2007, 123). Während der Gewinn der ArbeitgeberInnen, des Sozialsystems und der patriarchal strukturierten Gesellschaftsstruktur außer Frage steht, ist der vermeintliche Nutzen der migrantischen Hausarbeiterinnen nicht eindeutig: Unter den Bedingungen ungleicher Möglichkeiten, Misshandlung und Unterordnung kann die Haushaltsarbeit einen Vorteil bringen. Dieser ist jedoch nicht garan365 Hier zeigt sich ein klarer Gegensatz zu einer Pendelmigration (zum Beispiel Polen-Deutschland; Slowakei-Österreich), in denen diese „Aus-Zeiten“ durch Rückkehr öfters unterbrochen werden.
7.3 Freude und Leid
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tiert und hängt, wie erörtert von verschiedenen Faktoren ab. Die win-win-Argumentation mit ihrer postulierten Symmetrie, der Abstraktion von den Arbeitsbedingungen mit gleichzeitiger Reduktion der Hausarbeiterinnen zu „Arbeitsmigrantinnen“ schreibt dabei gerade die Asymmetrien fest und schränkt die Möglichkeiten der Migrantinnen ein, indem sie dazu beiträgt, ihre Rolle als migrantische Haushaltsarbeiterinnen zu naturalisieren und die Anwendung von unterschiedlichen Maßstäben für „Einheimische“ wie „MigrantInnen“ zu legitimieren, wodurch erlittene Misshandlungen und die Verweigerung gleicher Grundrechte als Thema scheinbar unbedeutend werden. In der Reduktion, Isolation (auf den Lohnerhalt einerseits bzw. aus dem größeren Migrationskontext andererseits) und Abstraktion aus der Komplexität mit gleichzeitig postulierter Eindeutigkeit, liegt eines der zentralen Probleme nicht nur der öffentlichen Diskussion, der Betrachtungsweise der ArbeitgeberInnen wie auch der (potentiellen) Haushaltsarbeiterinnen selbst, sondern auch manch wissenschaftlicher Diskussionen rund um das Thema „migrantische Haushaltsarbeit“. Dies zeigt sich ganz besonders, wenn auch in anderer Form und mit anderen Konsequenzen, bei der Frage nach den Auswirkungen migrantischer Haushaltsarbeit auf die Geschlechter- und Rollenverhältnisse, für die sich in der Migrationsforschung sowohl Belege für eine Veränderung als auch für eine Reaffirmation hierarchischer Beziehungen finden (vgl. Escrivá 2000, 213ff; sowie Chant/Craske 2003, 247ff; Pessar/Mahler 2001, 15 für eine Literaturdiskussion). Die Kontroverse spiegelt meiner Meinung nach sowohl die aufgewiesene Komplexität der migrantischen Haushaltsarbeit als auch die Problematik der Isolierung der Arbeit aus dem größeren Migrationskontext (inklusive der transnationalen Beziehungen wie Projekte und der verschiedenen Zeitfenster). Wird nämlich lediglich die Art der Arbeit und die Rolle als migrantische Haushaltsarbeiterin analysiert, handelt es sich um eine Reaffirmation der Geschlechterverhältnisse, da migrantische Haushaltsarbeiterinnen gerade die Aufgabe der „untergeordneten, putzenden und pflegenden Frau“ innerhalb der spanischen Haushalte erfüllen. Solé und Parella schreiben beispielsweise in diesem Sinne: „The stratification of the labour market along the lines of gender and ethnicity has meant that, for migrant women, the decision to migrate, far from bringing considerable improvements in their situation compared with that experienced in the country of origin, has produced the opposite effect: downward mobility, with the exception of the economic aspect. This arises due to the fact that the patriarchal structures are transferred from the country of origin to the receiving country and, as such, gender relations remain essentially unaltered.“ (Solé/Parella 2003, 71)
Andere Analysen betonen hingegen gerade den finanziellen Aspekt der Arbeit (welcher bei Solé und Parella als Ausnahme zum sonstigen Abstieg der Migrantinnen erwähnt wird) und kommen zum Schluss, dass der Lohn (oft zusammen mit einem verstärkten Zugang zu öffentlichen Räumen gedacht) zu größerer persönlicher
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7 Strategien, Handlungsspielräume und Möglichkeiten
Selbstbestimmung und Unabhängigkeit der Frauen führt (zum Beispiel Sassen 2004, 84)366. Wie Lutz (2005, 83) schreibt, handelt es sich um eine „Gleichzeitigkeit von Paradoxien“. Auch meine Forschungsergebnisse legen nahe, dass es sich um verschiedene, ineinander verwobene Prozesse und Kontexte und somit um beides handelt: um eine Reaffirmation auf der einen Seite und eine Veränderung auf der anderen Seite, um Struktur und AkteurInnen mit unterschiedlichen Migrationsprojekten sowie um Interaktionen und Beziehungen mit verschiedenen AkteurInnen, wie im Folgenden ausgeführt wird. Die analysierten Aspekte fließen dabei ineinander und beziehen sich nicht nur auf die bezahlte Haushaltsarbeit, sondern auch auf deren Verortung im größeren Migrationskontext (=Raum) und -prozess (=Zeit), welche meiner Meinung nach für die Analyse unbedingt mit einbezogen werden müssen. Mit der Frage nach den Geschlechterbeziehungen wird der Kreis zu dem bisher Diskutierten, unter anderem zu den Migrationsprojekten, geschlossen, welche, wie unter 3.2 argumentiert, auch mit Genderprojekten verbunden sein können. Darum soll es im Folgenden abschließend gehen. Der Focus liegt dabei auf Beziehungen unter ecuadorianischen MigrantInnen, also nicht auf Beziehungen mit SpanierInnen oder anderen MigrantInnen, auch nicht auf allein Migrierten bzw. allein Stehenden, deren Situation bereits im Hinblick auf Mónica, Claudia, Yvonne oder Isabela thematisiert wurde. Es zeigt sich, dass die Arbeitsmarktpartizipation der Frauen einen zentralen Aspekt in der Neuaushandlung der Geschlechterbeziehungen darstellt, jedoch nicht den einzigen. 7.3.1.2 Auswirkungen auf die Geschlechterverhältnisse „Ich habe mich wahnsinnig verändert, (...) als Person, als Frau. In meinem Leben gab es große, große Veränderungen. (...) Schau (...). Ich war von meinem Mann abhängig. Ich arbeitete nicht. (...) Und da der Mann sehr machistisch ist, (...) also habe ich ihm gehorcht, was er halt gemacht hat (...). Ich fühle mich [jetzt] aufgewertet. Zu wissen, dass ich arbeiten kann, dass ich mein Geld haben kann. Ich kann davon kaufen, ohne dass mir irgendjemand [etwas] sagt (...). Früher fühlte ich mich wie nutzlos, als ob ich von einer anderen Person abhängig wäre (...). Hier habe ich mich ein bisschen mehr als Person aufgewertet.“ (Gruppeninterview. Es spricht Ingrid)
Eine Migration stellt eine räumliche Veränderung und Neusituierung dar und zwar nicht von neutralen Personen, sondern von konkreten Männern und Frauen mit ihren jeweiligen Geschichten und eingeübten Handlungsmustern, wozu auch Geschlechterbeziehungen und -vorstellungen zählen. Diese finden in Ecuador in einem bestimmten Umfeld statt, welches sich durch die Migration (teilweise) verändert. Der sozial, politisch, rechtlich und kulturell ungewohnte Kontext fordert neue 366 Wobei Sassen an anderer Stelle betont: „Two distinct dynamics converge in the lives of immigrant women“ (Sassen 2003, 260) und dabei auf die Arbeits- und Lebensbedingungen abhebt.
7.3 Freude und Leid
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Praktiken, Orientierungen, Rollen und Neuaushandlungen heraus, welche durch die strukturellen (Un-)Möglichkeiten der Lebens- wie Arbeitsbedingungen in Spanien einen Rahmen erhalten, der vermachtet und somit nicht neutral ist. Damit sind strukturelle Gewalt, Statusverlust und die Notwendigkeit der Neudefinition der eigenen Rolle verbunden. Dies hat auch Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen PartnerInnen und Familienangehörigen. Die Situationen, Relationen und Intersektionen ändern sich mit der Migration nach Spanien, was ein neues Aushandeln der Genderbeziehungen mit sich bringt. Das bedeutet nicht automatisch eine Verbesserung oder Verschlechterung. Es gibt jedoch Faktoren, welche darauf Einfluss nehmen: Die Lebens- und Arbeitsbedingungen als Stressfaktoren; die Lohnarbeit von Frauen und deren Auswirkungen auf die Genderrollen sowie Gendervorstellungen; neue ‚Normalitäten’; die Herausforderungen beim Nachzug von Männern; neue Ressourcen im Migrationskontext wie Hilfsangebote und die Anzeige von Gendergewalt; die verschiedenen Formen von Netzwerken und deren Unterstützung oder Sanktionierung von Veränderungsprozessen sowie die inkorporierten, sozialisierten Normen und Werte. Vieles davon wurde im Laufe dieser Studie ausgeführt und wird nun exemplarisch für den Aspekt „Migration und Geschlechterbeziehungen“ zusammengeführt. Dabei ist nochmals zu betonen, dass auch in Ecuador eine Pluralität an Konzepten und Praktiken der Geschlechterbeziehungen vorherrscht und die dominanten Genderkonzepte in den verschiedensten Kontexten herausgefordert werden (u.a. auch durch die Migration allein stehender Frauen; vgl. Wagner 2007a, 6ff sowie 2009a für die folgenden Überlegungen). Es handelt sich also nicht nur um Veränderungen im bzw. aufgrund des Migrationskontextes, sondern auch um eine mögliche Kontinuität bzw. Verstärkung von Transformationsprozessen im transnationalen Raum. Der (transnationale) Migrationskontext bildet aber auch zusätzliche, neue Aspekte. Die Migrationsprozesse bergen in sich hohe physische wie psychische Belastungen: Unbekannte Eindrücke und körperliche Erfahrungen, kulturelle Unterschiede, die Trennung von geliebten Personen, die Dominanz der Arbeit im Alltag, die Unsicherheit als Illegalisierte, der Statusverlust, die Festschreibung auf bestimmte, zugeschriebene Tätigkeiten, Diskriminierung und Ethnisierung sowie die schwierigen Wohnsituationen; all dies stellt neue, oft unerwartete Anforderungen an die MigrantInnen, ganz besonders in der Anfangszeit. Um Arbeit zu erhalten – Grundbedingung der Möglichkeit der Realisierung des Migrationsprojektes – müssen sich die EcuadorianerInnen in die ihnen fremde Gesellschaft einordnen und einen Platz einnehmen, der mit Unterordnung, Degradierung und mit schlecht bezahlten, harten Arbeiten verbunden ist (vgl. Colectivo IOÉ 2001a, 17ff). Die in Ecuador selbstverständlich ausgeübte praktische wie emotionale Sicherheit ist daher eingeschränkt und das eigene Selbstverständnis (inklusive Rollen- und Statusverständnis) wird in vielerlei Hinsicht in Frage gestellt. Außerdem lassen sich die ökonomischen Projekte (in der Anfangszeit vor allem das Zurückzahlen der Schulden) meist nicht in der
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7 Strategien, Handlungsspielräume und Möglichkeiten
Art und Weise verwirklichen, wie dies erhofft wurde, was eine zusätzliche Belastung darstellt, vor allem, wenn Kinder und andere in Ecuador zurück gebliebene Verwandte von den an sie geschickten Geldern abhängig sind. Normalerweise ist das Leben ecuadorianischer MigrantInnen in Spanien von striktem Sparen geprägt, wozu auch die Wohnarrangements zählen: Es gibt keine Privat- und noch weniger Intimsphäre (vgl. 5.1.1). Das Leben auf engem Raum birgt viel Konfliktpotential sowie neue Auseinandersetzungen mit Kindern bzw. unter den Eltern über deren Erziehung. Dazu kommt, dass auch die Freizeitmöglichkeiten für MigrantInnen beschränkt sind, vor allem solange sie über keine Papiere verfügen (vgl. Kap. 5; 7.2). Migration und, damit verbunden, die Arbeitsbedingungen sind also mit großen Belastungen verbunden, was obendrein das Konfliktpotential in Beziehungen erhöht, jedoch auch zu neuen Solidaritäten zwischen PartnerInnen führen kann. Einen zentralen Punkt stellt in vielen Konflikten und Neuaushandlungen die Lohnarbeit der Frauen dar. Normalerweise umfasst ein Migrationsprojekt migrierter Paare von Anfang an die Lohnarbeit von Frauen, um so viel Geld wie möglich zu verdienen und zu sparen.367 In Ecuador hat sich die Arbeitsmarktpartizipation der Frauen mit der Krise verstärkt; in Spanien ist sie zur Normalität geworden. Die Frauen sind in dieser Hinsicht nun in einer den Männern gleichgestellten oder sogar überlegenen Position, da sie aufgrund des feminisierten Arbeitsmarktes oft leichter Arbeit finden und unter Umständen schneller zu einem legalen Aufenthaltstitel gelangen (vgl. 4.2.1.2). Die Rollenzuschreibung des männlichen „Versorgers“ und eine darauf aufbauende Geschlechterhierarchie sind somit in der Praxis noch mehr als in Ecuador durchbrochen. Oft versorgen Frauen außerdem (zumindest phasenweise) alleine ihre Familie, da Männer zum Beispiel auf dem Bau je nach Auftrags- und Wetterlage (zeitweise) entlassen werden. Wie für die Situation in Ecuador dargelegt (ebd.), kann Lohnarbeit außer Hauses ein Auslöser von Gewalt gegen Partnerinnen sein, wenn die „Versorgung der Familie“ konstitutiv für die Konstruktion der Identität eines Partners ist, durch die Versorgerrolle der Frau die Machtbalance bzw. Machthierarchie innerhalb einer Familie als gefährdet erachtet wird und ein Mann dazu neigt, mit Gewalt seine Machtposition einzufordern (vgl. auch Menjívar/Salcido 2002, 906f). Richard erklärte beispielsweise auf die Frage nach Veränderungen in den Beziehungen: 367 Haben Frauen Kleinkinder zu versorgen, hüten sie oft Kinder anderer MigrantInnen oder Verwandter gegen Bezahlung und tragen auf diese Weise zum Familieneinkommen bei. In meiner Forschung war dies öfters der Fall. Im Gegensatz zu anderen Studien (zum Beispiel Hondagneu-Sotelo 2001) wurden diese Aufgaben nicht nur als „schlechteste“ und/oder erste Beschäftigung nach der Ankunft verstanden (was es auch gab), sondern stellten auch Strategien migrantischer Mütter dar, welche auf diese Weise ein zusätzliches Einkommen generierten oder, wie oben von María berichtet, einen Berufswunsch und dementsprechenden Plan umfassten. Jedoch erst mit mehreren Kindern und mit einer billigen Miete bzw. einer untertags freien Wohnung kann dies finanziell attraktive werden.
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„Das ist, was ich dir zu sagen versuche: dass die Frau [in Spanien], da sie nun ein bisschen mehr finanzielle Freiheit hat, nicht mehr so davon abhängig ist, was der Mann verdient.“ – „Es gibt also eine Veränderung?“ – „Darin ja.“ – „Positiv?“ – „Das ist die positive Veränderung, aber die negative Veränderung ist zum Beispiel das, was ich dir sage, dass die Frau beginnt, ökonomisch frei und nicht mehr vom Mann abhängig zu sein und also kann sie schon mehr ihre Stimme erheben. Sie erhebt ein bisschen mehr ihre Stimme und fängt an, nicht mehr den Machismus, sondern den Feminismus zu wollen (...) [Es beginnt] einen Wettbewerb: (...) ‚Ich bin derjenige, der mehr für das Essen ausgibt.’ Und sie beginnen, einem diese Sachen vorzuhalten. Das sind Sachen, die ich hier [in Spanien] erlebt habe.“ (Richard)
Die Neuaushandlung der Rollen und die Austragung von Konflikten eröffnet oft neue Handlungs- und Interprationsmuster und vor allem auch die Notwendigkeit der Neuverhandlungen der Genderverhältnisse. In vielen Partnerschaften und Haushalten hat die Migration zu einer für die Frauen positiven Veränderung der Arbeitsteilung, der Entscheidungsprozesse sowie der Bewegungsmöglichkeiten geführt (vgl. auch Hondagneu-Sotelo 1994, 193ff). Dazu gehört die Normalität, dass Männer vermehrt im Haushalt mitarbeiten368, wie Montserrat im Eingangszitat sagt. Auch Fernando erzählte über ecuadorianische Männer in Spanien: „Der Mann muss seinen Machismo hinter sich lassen und der Frau Platz machen.“ Fernando bezog sich bei dieser Aussage primär auf seine eigene Mithilfe bei den reproduktiven Tätigkeiten wie Kochen, Abspülen, Putzen, Kinderhüten, welche er im weiteren Verlauf des Gespräches mit der Lohnarbeit seiner Frau begründete. Sofía erklärte ihrerseits: „Der Unterschied ist, dass du, wenn du in Ecuador bist, die Frau bist, die sich um das Haus kümmert und so, nicht wahr? Du bist in diesem Umfeld und der Mann ist es, der das Geld bringt und fertig. Du kommst hierher und du merkst, dass auch du dein Geld haben kannst, denn auch du kannst machen, was du willst, was dort alle schlecht finden würden. Du kommst also hierher, um mit mehr Leuten zusammen zu leben, und siehst, dass der Mann sein Essen zubereiten muss, sich um seine Kleidung kümmern muss. Das ist der Unterschied (...), dass es das nicht mehr gibt: ‚Nein, du bist die Frau. Mach mir das. Koch mir.’ Es gibt schon Männer hier, die sich nicht daran anpassen, die Sachen selbst zu machen, aber trotzdem. Auch wenn es schlecht sein mag, aber sie müssen es machen. Ich glaube, dass sie es mit der Zeit lernen, denn ich habe (...) eine Person kennengelernt, (...), wenn er arbeiten ging, habe ich gekocht und er gab mir [auch] zu essen.“ (Sofía)369
Viele ecuadorianischen Männer und Frauen empfinden eine derartige Neudefinition ihrer Geschlechterrollen als positiv; die Männer vor allem auch in Bezug auf ihre verstärkte Einbindung in die Elternschaft, da sie nun aufgrund der Arbeit ihrer Partnerinnen und deren Bedingungen (Arbeitszeiten, physische und psychische Belastung) mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen. Sie waschen sie, wechseln ihre Windeln und nehmen intensiv am Leben ihrer Kinder teil, was eine größere Nähe 368 „Mitarbeit des Mannes“ bedeutet in der Regel keine quantitative Gleichverteilung der Haushaltsaufgaben. „Haupt der Familie“ und „Hauptentscheidungsträger“ bleibt dennoch meist der Mann. 369 Dieses Interview wurde vor der Verschlechterung von Sofías Arbeitssituation geführt, d.h. vor der Zeit, bevor sie begann, für andere Männer zu kochen (vgl. 7.2.4).
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7 Strategien, Handlungsspielräume und Möglichkeiten
mit sich bringt. Diese Prozesse sind jedoch weder konfliktfrei, automatisch oder allgemeingültig. Die Lohnarbeit von Frauen außer Hauses kann daher nicht nur zu Veränderungsprozessen in den Hierarchien und Rollenzuschreibungen sowie zu größerer Autonomie der Frauen und einer stärkeren Verteilung der Haushaltsarbeiten führen, sondern ebenso Auslöser von Konflikten und Gewalt sein, vor allem dann, wenn die männliche Identität stark auf einer Rollenvorstellung als Versorger und Entscheidungs- sowie Machtträger basiert. Durch die weit verbreitete Mitarbeit von Männern bei Reproduktionstätigkeiten wird allerdings die zugeschriebene Geschlechtlichkeit von Versorgungsarbeiten wie Kochen, Waschen und Putzen für die Familie als primär „weibliche Aufgaben“ relativiert. Dies trägt dazu bei, dass Situationen, in denen in Ecuador Gewalt gegenüber Frauen im Haushalt legitimiert werden, nämlich zum Beispiel, wenn Frauen den Haushalt nicht richtig führen würden (vgl. Camacho 1996, 51ff, ausgeführt in 4.2.1.1), nicht mehr gleich stimmig sind und sich somit das Umfeld, in dem die Geschlechterasymmetrien gelebt werden und deren inhaltliche Referenzen verändern (vgl. auch Hondagneu-Sotelo 1994, 196). Viele Männer und Frauen interpretieren bei diesen Prozessen und Aushandlungen die Normen neu, reaktualisieren sie unter Umständen und/oder manipulieren sie andererseits kreativ (vgl. ebd.; Cuberos Gallardo 2007). Dies gilt für Spanien wie für Ecuador: Die Lohnarbeit in Ecuador stellt einer der Bereiche dar, in denen die Geschlechterbeziehungen eine der größten Veränderungen der letzten Jahrzehnte durchliefen. Auch in Ecuador führte dies zu keinen linearen und eindimensionalen Veränderungen. Dabringer berichtet beispielsweise aus ihrer Studie zum Frauenprojekt D´Casa im Süden Quitos: „Die Firma D´Casa mitzutragen bedeutet für die Frauen, ihre eigene Rolle und die innerhalb der Familie zu verändern: Es entstehen andere Erwartungshaltungen an sich selbst, an die Familie, an die Freunde. Frauen fallen (...) als Arbeitskräfte zu Hause aus, größere Kinder und mittlerweile manchmal auch Männer übernehmen verschiedene Arbeiten im häuslichen Bereich. Automatisch verändern sich damit alteingesessene Rollenmuster. Das jedoch aus der praktischen Notwendigkeit heraus. In den verschiedenen Familien geht diese Veränderung sehr unterschiedlich vonstatten. Werden in der einen Familie bis zum heutigen Tag fast täglich Diskussionen um das neue Rollenverhalten der Frauen geführt, hat sich in anderen die Selbstverständlichkeit der neuen Situation breit gemacht, die als erfreulicher Schritt zu einer neuen Aufgabenverteilung innerhalb der Haushalte dokumentiert werden kann. Die Familienunterstützung bot also zum Teil die Möglichkeit für vermehrte Frauenaktivitäten. In jenen Familien, in denen diese Unterstützung in all den Jahren nicht gewährleistet war, ‚[…] domestic conflict [was] the result’ (Stephen Lynn 1997:271).“ (Dabringer 2004, 375f)
Die Arbeitsmarktpartizipation als migrantische Haushaltsarbeiterinnen fordert also Neuverhandlungen der Geschlechterrollen heraus und kann zu Veränderungen der Geschlechterrollen und -asymmetrien führen. Die Arbeit als solche stellt jedoch eine Reaffirmation einer untergeordneten Genderposition dar und schreibt die patriarchale Genderhierarchie in der Sozialstruktur fest. Daraus kann aber nicht geschlossen, dass die Genderbeziehungen wesentlich unverändert bleiben, wie Solé
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und Parella oben zitiert wurden (Solé/Parella 2003, 71). Auch wenn die strukturelle Analyse der Stratifikation des Arbeitsmarktes und der Rollenzuweisung innerhalb einer hierarchisch-patriarchalen Logik richtig ist, darf die Frage nach den Auswirkungen der Haushaltsarbeit für die Geschlechterbeziehungen nicht alleine darüber erklärt werden. Es handelt sich um keine linearen Prozesse, sondern um die Gleichzeitigkeit von Verbesserungen und Verschlechterungen in unterschiedlichen Lebensbereichen. Oben wurde außerdem darauf hingewiesen, dass die Rollenzuschreibung auf Haushaltsarbeiten auch als Ressource genutzt wird (vgl. 7.2.4) und der wirtschaftliche Nutzen der Arbeit von der Selbstpositionierung abgetrennt wird. Auch Momsen schreibt in diesem Sinne: „Although the presence of the domestic worker may maintain the patriarchal family ideal of gendered divisions of labour, the worker herself may be utilizing these traditional ideas to free herself from restrictive familiy control and to seek for new opportunities.“ (Momsen 1999, 10)
Frauen setzen ihre Rolle auf dem Arbeitsmarkt also auch funktional ein, um ihre eigenen Ziele zu erreichen, wozu ebenso die instrumentelle Umdeutung von Haushaltsarbeit weg von deren Gender-, Ethnizitäts- und Klassenkonnotationen hin auf deren Lohn zählt. Die Lohnarbeit in der Hausarbeit stellt also eine symbolische wie faktische Reproduktion der patriarchalen Unterordnung dar. Sie kann Auslöser von Konflikten in der Partnerschaft sein, aber auch ermächtigend wirken und bildet daher gleichzeitig einen der entscheidenden verändernden Faktoren im Migrationsprozess, indem sie eine stärkere wirtschaftliche, soziale wie räumliche Selbständigkeit der Frauen ermöglicht und somit Veränderungen in den Rollenverständnissen und beziehungen eröffnet (vgl. Novablos Goméz/VOMADE-VINCIT 2006, 42ff). Dazu gehören auch neue „Normalitäten“. Silvia erklärte in einem Interview auf die Frage nach Veränderungen und Unterschieden zu ihrem Leben in Ecuador, dass sie erst in Spanien begonnen hätte, über bestimmte „Normalitäten“ ihres Lebens in Ecuador nachzudenken. Sie sagte: „Ich fand das dort ganz normal (...) Hier merkst du, dass es anders ist, aber dort nicht. Dort denkst du, dass dies normal ist. (...) Dass du alles machen musst, bezogen auf die Familie und das Haus. (...) Aber hier merkst du, dass es nicht [so sein muss], dass man die Sachen aufteilen kann.“ (Silvia)
Im weiteren Verlauf des Interviews wies Silvia auf verschiedene andere „Normalitäten“ in Ecuador und Spanien hin. Ein wichtiger Unterschied sei, dass es unter EcuadorianerInnen in Spanien üblich(er) sei, dass Frauen alleine ausgingen. Nicht alle ecuadorianischen Männer wie Frauen fanden dies jedoch richtig – auch nicht in Ecuador –, weshalb es auch immer wieder als „libertinaje“ („Zügellosigkeit“) kritisiert wurde. In dieser Interpretation kann das Ausgehen mit einer Gruppe von ArbeitskollegInnen und Bekannten zu Eifersucht des Partners führen. Während ein solches Verhalten in Ecuador jedoch einen (sozial legitimierten) Grund für Konflik-
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te und gewalttätige Sanktionen darstellen kann, ist dies im Migrationskontext nicht im selben Maße möglich, da das spanische (wie ecuadorianische bzw. migrantische) Umfeld die der Kontrolle zugrunde liegenden Normen und Werte oft nicht (mehr) in derselben Art und Weise vertritt, sich Frauen verschiedenster Herkunft untereinander austauschen, solidarisieren und unterstützen sowie mit ihrem eigenen Einkommen über eine neue Basis für Aushandlungen bis hin zu Trennungen verfügen. Richard klagte beispielsweise: „Die Frau arbeitet, aber sie beginnt eine andere Form von Austausch mit Frauen aus Europa zu haben, Frauen aus anderen Ländern, Frauen aus Südamerika und so. Sie unterhalten sich, verbringen ihre Zeit miteinander, um sich zu entspannen. (...) Die Haushaltsarbeiterinnen beginnen, miteinander sich auszutauschen: ‚Und du: Wie findest du das? Und was macht dein Mann für dich? Und warum ist dein Mann so?’ Und die eine sagt ihr eine Sache und die andere sagt eine andere Sache: ‚Lass dich nicht [so behandeln]. Du bist doch diejenige, die das Geld verdient!’ (...) Sie sind wie der Teufel hinter unseren Frauen her und versuchen, ihre Wesensart zu ändern, dass sie nicht dem Mann unterwürfig sein sollen. Ich sage ja nicht, dass die Frau unterwürfig sein muss. Sie muss ihre eigene Persönlichkeit haben und wenn sie mit dem Mann reden muss, soll sie reden, so natürlich wie möglich. Es dürfte da kein Problem geben. Aber dann beginnen sie zu reden, kommen nach Hause: ‚Nein, dieses Geld schicke ich zu mir nach Hause und du, wenn du willst, schick das deinige.’ Oder: ‚Zahl du die Wohnung’, was auch immer. Hier haben sie gelernt: ‚Ich zahle meinen Teil und du zahlst deinen Teil.“ (Richard)370
Richard beklagt, dass Frauen nun ihr eigenes, unter Umständen höheres Einkommen als ihre Partner hatten und neue Arrangements, Freiheiten und Regelungen einforderten. Zusätzlich dazu bewegten sich Frauen im Gegensatz zu Ecuador selbstverständlicher und ohne Gefahr, oft, aufgrund der Arbeitszeiten, auch abends alleine. Die Logik von „cuidar“ (schützen, sich kümmern) und „controlar“ (kontrollieren, vgl. 4.2.1.1) ist auf diese Weise verändert: Frauen können/müssen/wollen nicht in gleichem Maße beschützt, kontrolliert und auch nicht versorgt werden wie in Ecuador. Außerdem fällt ein möglicher normativer Druck durch das Umfeld in Ecuador weg, wie dies im folgenden Ausschnitt aus dem Gruppeninterview mit Montserrat, Noelia, Ingrid, Carla und Victor über ihre Konflikte in der Anfangszeit und die Neuaushandlung der Rollen deutlich wird: „Dort ist es üblich, dass (...) der Mann von der Arbeit kommt und man muss ihn, während er herumsitzt, bedienen muss (...)“. – „Und er ist nicht in der Lage, einem Kind eine Windel zu wechseln. Er ruft die Frau!“ (...) Frage an Victor: „Und (...) hättest du dort in Ecuador nicht geholfen?“ 370 Weiter im Interview erzählt Richard, wie Männer sich gegenseitig gegen die Veränderungen der Geschlechterrollen unterstützen und sich diesen gemeinsam widersetzen würden: „Wenn wir uns alle treffen, dann werden wir wieder die selben wie früher. Wir kommen einfach nicht nach Hause. Manchmal geben wir unserer Partnerin nicht einmal Bescheid. Wir kommen zusammen und setzen uns um zu trinken: ‘Gehen wir da und da hin, in eine Diskothek zum Tanzen.’ – ‘Gehen wir!’ Wir fühlen uns dann wieder als den gleichen Machist wie in unserem Land. Und wenn die Frau zu Hause dann Vorwürfe macht, dann kriegt sie eine gehauen. (...) Da die Frau hier ein bisschen besser geschützt ist, gibt es zwar viele, die immer noch keine Anzeige erstatten, andere aber schon.“ (Richard) Auf die Möglichkeit der Anzeige wird unten noch näher eingegangen.
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(...) Victor: „Ich glaube nicht.“ – Montserrat (Frau von Victor): „Weil dort immer die Freunde zu Hause sind.“ – Victor: „Ehrlich gesagt, ist es hier die Notwendigkeit.“ – Montserrat: „Der Bruder würde ihn sofort Pantoffelheld [im Spanischen „mandarina“] nennen (...).“ – Ingrid: „Der Bruder, der Nachbar, sofort (...). Sofort machen sie sich über ihn lustig. (...)“ Frage an das Paar: „Und war es dann für euch nicht schwer hier? Das bedeutet doch eine ganze Veränderung in der Partnerschaft.“ – (...) – Montserrat: „Am Anfang hatten wir ein bisschen Reibereien (...). Ich durfte zum Beispiel nicht alleine raus gehen. (...) Also haben wir gesprochen und ich habe Victor auch gesagt, dass ich viel im Haus zu tun habe. Aber trotzdem, am Anfang wollte er auch, dass ich alles mache. (...) Manchmal haben wir uns schon gestritten. (...) Jetzt nicht mehr.“ (Gruppeninterview mit Montserrat, Noelia, Ingrid, Carla und Victor)
Hier zeigt sich einerseits die Aushandlung der Aufgaben (Versorgung des Kindes und andere Arbeiten im Haushalt), Räume und Möglichkeiten (alleine als Frau auszugehen), aber auch, wie der konkrete soziale Kontext dieses Paares in Ecuador mit seinen respektiven Rollenansprüchen und sozialen Sanktionen (in Form von Lächerlichmachung und Verachtung von Männern, welche ihren Frauen helfen) alternative Geschlechterbeziehungen in Ecuador verhindert bzw. erschwert hätten. Der andere Kontext in Spanien kann zudem eine Veränderung und Öffnung von Geschlechterkonzepten hin auf eine größere Pluralität erleichtern371, worunter auch die Rolle und der Status unverheirateter Frauen zählen kann, wie mir von mehreren Ecuadorianerinnen gesagt wurde: Es würde kein Druck auf sie als allein stehende Frauen ausgeübt, schnell bzw. irgendjemanden zu heiraten, um so das Stigma bzw. die Rollenzuschreibung einer „solterona“ (vgl. 4.2.1.1; Wagner 2008a) zu umgehen. Noelia sagte beispielsweise: „Denn in meinem Alter, uy!, da bist du [in Ecuador] schon alt372 und hier, da ist es ein Vergnügen, weil hier fühlst du dich nicht so alt. Sie lassen dich nicht so alt fühlen. Es ist, als ob dein Selbstbewusstsein hier wächst. In diesem Sinn wächst dein Selbstbewusstsein. Du fühlst dich gut.“ (Noelia)
Der Migrationskontext kann also Veränderungsprozesse eröffnen bzw. vereinfachen, wodurch es anderseits zu (einer Verstärkung von) häuslicher Gewalt kommen kann, gerade auch, um „neue Normalitäten“ zu verhindern. Am ausgeprägtesten sind die beschriebenen Prozesse beim Nachzug von Partnern, wenn also Frauen zuerst migrieren und ihre Männer nachkommen, was in der Mehrzahl ecuadorianischer Paare in den ersten Jahren der Fall war (vgl. Gratton 2005, 10ff): Schon aufgrund der Distanzbeziehung und den jeweils unterschiedlichen Erfahrungen in dieser Zeit sind sich die PartnerInnen in vielerlei Hinsicht fremd geworden und müssen sich als Paar neu finden. Kommt der Mann nach, sind die Unterschiede unmittelbarer und die Machtpositionen oft vielfach verkehrt: Nun versorgt die Frau den Mann, was konträr zur dominanten männlichen Identität und der damit verbundenen erwarteten bzw. zugeschriebenen Macht steht. Er verfügt 371 Von einigen der von mir interviewten bzw. gesprochenen EcuadorianerInnen in Madrid (Frauen wie Männer) wurde ein anderer „Lebensstil“ als positiver Aspekt ihres Lebens in Spanien angeführt. 372 Noelia bezieht sich darauf, dass sie über 30 Jahre alt und unverheiratet ist (vgl. 4.2.1.1).
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nicht über ein eigenes Einkommen und muss sich die Handlungskompetenzen für den neuen Kontext erst aneignen. Seine Entscheidungskompetenz in der Familie und seine Bewegungsmöglichkeiten im öffentlichen Raum373 sind eingeschränkt. Seine Partnerin kennt hingegen das neue Umfeld, sie kann Strategien entwickeln, Informationen geben und ist der Kontrolle des Mannes weithin entzogen, wenn sie arbeiten geht. Für viele nachziehende Männer ist Handlungs- und Entscheidungsmacht innerhalb der Partnerschaft jedoch konstitutiv. In einem für sie selbst ganz fremden Kontext treffen sie auf eine handlungssichere und selbstbewusste Frau mit eigenem Geld und Entscheidungsgewalt, was Depressionen, sexuelle Impotenz, diffuse Reizbarkeit und übermäßigen Alkoholkonsum auslösen kann. Diese Männer sehen ihre männliche Identität bedroht und durchleben eine schwere persönliche Krise (vgl. Fresneda 2001, 141). All dies kann Auslöser von Konflikten bis hin zu Gewalt sein oder eine bereits in Ecuador bestehende Gewaltbeziehung verstärken.374 Es sind jedoch nicht nur die Rollenansprüche von Männern und nicht nur äußere Umstände des Migrationskontextes, welche eine Paarbeziehung beeinflussen. Die von ecuadorianischen Frauen vertretenen Normen und Werte sowie etablierte Strategien spielen ebenso eine wichtige Rolle. Die Neuaushandlung von Rollen und Subjektivitäten in Folge der Migration ist nicht beliebig, sondern findet in einem strukturellen und situativen Rahmen in Spanien statt, wozu auch die jeweils eigene Geschichte und inkorporierten Denk-, Handlungs- und Wahrnehmungsschemata, der Habitus, gehören (vgl. Bourdieu ²1997). Diese werden durch die Veränderungen des sozialen Kontextes hinterfragt und in vielfacher Weise neu ausgehandelt und reinterpretiert, aber nicht unbedingt abgelehnt. Frauen, welche sich mittels der Migration von ihren Partnern getrennt bzw. sich aus gewalttätigen Familien gelöst haben, reproduzieren daher unter Umständen bestimmte Handlungen, welche eine neue Gewaltbeziehung herbeiführen oder weiterhin aufrecht erhalten können (vgl. dazu auch Wagner 2004). So griffen manche Frauen beispielsweise in Notsituationen, aber auch in der Gestaltung von neuen Beziehungen, auf etablierte Handlungsschemata (zum Beispiel sich in Abhängigkeit eines Mannes stellen, sich versorgen lassen, diesem dienen) zurück und begaben sich so erneut in eine hierarchische Beziehung, teilweise mit gewalttätigen Partnern, wie dies oben für Sofía bereits ausgeführt wurde (vgl. 7.2.4).
Bei irregulärem Aufenthaltsstatus wird dies verstärkt. Padre Clever aus San Romualdo erzählte aus seiner Betreuungspraxis ecuadorianischer MigrantInnen, dass sich die Situation der Frauen, sobald ihre Partner nachkämen, verschlechtere. Generell stand er Analysen positiver Auswirkungen für die Frauen eher skeptisch gegenüber. Seiner Meinung nach würde die Last der Migration auf den Schultern der Frauen ruhen. Sie seien es, welche ihr ganzes Geld nach Ecuador schickten und dieses, sobald ihre Partner in Spanien seien, an diese abgeben müssten. Ein derart allein pessimistisches Bild kann ich aus meinen Daten nicht schließen. 373 374
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Es gibt aber auch Frauen, welche eine Gewaltbeziehung zulassen, weil sie nicht mit genügend Ressourcen zum Schutz vor dem früheren Partners rechnen und sie Angst vor dessen Gewalttätigkeit ihnen oder ihren Familienangehörigen (vor allem Kindern) in Spanien oder Ecuador gegenüber haben. Dieses Fortbestehen der Beziehung findet jedoch in einem neuen Kontext und unter anderen Bedingungen statt, welche zu Brüchen und Widersprüchen in den etablierten Schemata bzw. Rollen führen und so auch in einer scheinbar reproduzierten Gewaltbeziehung Transformationen bewirken können.375 Gewalttätigkeit in einer Beziehung kann aber auch beendet werden, was u.a. mit in Spanien zur Verfügung stehenden Ressourcen zusammenhängt. Dolores, die zum Zeitpunkt meiner Forschung bereits eineinhalb Jahre mit ihren beiden kleinen Kindern bei ihrem in Ecuador gewalttätigen Mann in Madrid lebte, wurde in Spanien von diesem weit weniger geschlagen als in Ecuador. In Spanien übte er hingegen starken psychischen Druck auf sie aus und schlug die Kinder. Sie drohte ihm, dass sie ihn, sobald er sie schlage, anzeigen würde. Die Beziehung der beiden war durch ständige Konflikte geprägt. Bereits in Ecuador war Dolores, obwohl sie mit Gewalt gegenüber Frauen von klein auf konfrontiert und zum Aushalten der Schläge erzogen worden war, von einer Nachbarin ermutigt worden, sich gegen die Gewalt des Mannes zu wehren. Als indigene Frau standen ihr jedoch zu wenig Ressourcen zur Verfügung, vor allem sah sie keine Möglichkeit, ihren Mann zu verlassen. Sie rechnete mit keinem Schutz als misshandelte Frau und fürchtete die Konsequenzen einer Anzeige. Es fehlten ihr aber auch die ökonomischen Möglichkeiten, ihre Kinder ohne den Unterhalt des Mannes ernähren zu können.376 Dolores erzählte mir immer wieder, dass ihr Mann nun auch in Spanien großen Druck und psychische Gewalt auf sie ausüben würde. Er drohte ihr mehrfach, sie mit den Kindern auf die Straße zu setzen. Daher vermeide sie jeglichen Konflikt mit ihm und handle gemäß der etablierten Norm: Sie akzeptierte, dass ihr Mann am Wochenende trank, dass er heimkam, wann er mochte und kümmerte sich alleine um den Haushalt und die Kinder. Arbeiten nahm sie nur an, wenn ihr Mann ihr dies erlaubte und gab sie auf, wenn er es sagte etc. In diesem Sinne kann von einer Reaffirmation der Gewaltbeziehung gesprochen werden. Dolores hatte in Spanien sogar weniger Freiheiten als zuvor: einerseits als illegalisierte Migrantin in der spanischen Gesellschaft, als indigene Frau innerhalb einer vornehmlich mestizischen ecuadorianischen Gruppe, aber auch als mehrfach diskriminierte Migrantin (aufgrund von Klasse, Ethnizität, Aufenthaltstitel und Geschlecht) und Mutter, da sie nicht mehr über die Unterstützung der Großfamilie 375 Der Habitus wird in den neuen sozialen Feldern herausgefordert, weshalb dieser, wie oben (2.2.2) ausgeführt, als vielschichtig, offen und dynamisch verstehen werden muss. 376 Dieser kann in Ecuador zwar eingeklagt werden, in der Regel ist der gewährte Betrag jedoch unzureichend zur Existenzsicherung (vgl. 4.2.1).
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verfügte, in der die Kinder gemeinsam aufwachsen und erzogen werden. Sie nutzte bzw. rechnete aber mit den neuen Möglichkeiten, die ihr in Spanien zur Verfügung standen: Sie hatte sich vorsorglich an eine Sozialarbeiterin gewandt und es war ihr Unterstützung in Aussicht gestellt worden. Verglichen mit vielen anderen Migrantinnen verfügte sie als Lateinamerikanerin über den großen Vorteil der gleichen Sprache und somit über einen leichteren Zugang zu Informationen und Hilfsangeboten.377 Außerdem konnte sie im Rahmen ihrer Arbeitssuche bei einer nichtstaatlichen Hilfsstelle für Migrantinnen um Rat und Hilfe ansuchen, ohne dass ihr Mann davon erfuhr und ohne ihren Bewegungsradius überschreiten zu müssen, was für viele Frauen ein zusätzliches Problem beinhaltet, wenn ihre Männer ihre Bewegungen und ihren Zugang zu Institutionen wie Hilfsstellen kontrollieren, die Frauen also nahezu isoliert sind (vgl. Menjívar/Salcido 2002, 904). Neben den Unterstützungsprogrammen für misshandelte Frauen378 stellt die Möglichkeit der Strafanzeige gegenüber einem gewalttätigen Partner eine der wichtigsten Ressourcen dar.379 Oft verändert bereits die Androhung einer Anzeige die Position von Frauen, da für migrantische Männer eine Anzeige und Verurteilung die Erlangung beziehungsweise Verlängerung eines Aufenthaltstitels verhindern kann. Frauen verfügen daher in Spanien aufgrund der Illegalisierung und restriktiven Legalisierung von MigrantInnen über ein neues Machtmittel, welches die Machtpositionen und somit auch die Entscheidung zu einer Trennung beeinflussen kann. Die Erstattung einer Anzeige ist jedoch nicht einfach und kann aufgrund der gleichen Problematik der staatlichen Gewalt für die Migrantinnen für sie zum Nachteil werden bzw. den Zugang aus Angst davor erschweren. Dies gilt vor allem für Frauen wie Dolores, welche über keinen regulären Aufenthaltstitel verfügen und für eine Anzeige als illegalisierte Migrantinnen in Kontakt zu den Behörden treten müssen. Zwar haben in Spanien auch illegalisierte Frauen ein Recht auf Anzeige, ihr irregulärer Aufenthaltsstatus bedeutet aber eine zusätzliche Hürde sowie die reale Gefahr einer Ausweisung, welche sich in den letzten Jahren noch verschärfte. So behandelt die „Instrucción 14/2005“ vom 29.07.2005 (eine Direktive zur „Ley Orgánica 1/2004“380, einem Gesetz über die Maßnahmen zum integralen Schutz Vgl. zu dieser Problematik Amnistía Internacional 2007a, 31. Hierbei ist jedoch zu bemerken, dass irregulär aufhältige Migrantinnen von staatlichen Hilfsprogrammen ausgeschlossen und somit auf nicht-staatliche Hilfe angewiesen sind (vgl. ebd.). 379 Im Jahr 2004 waren 46 % der anzeigenden Frauen in Madrid Migrantinnen. Bedenkt man, dass MigrantInnen lediglich 11 % der Bevölkerung Madrids darstellen, sind die Anzeigen unter MigrantInnen höher als unter SpanierInnen (vgl. Novablos Goméz/VOMADE-VINCIT 2006:11). 380 Die spanische Regierung erließ im Dezember 2004, also nach meiner Feldforschungszeit, ein Gesetz zur Gendergewalt (Ley Orgánica 2004 vom 28.12.2004), welches in Artikel 17.1 explizit darauf hinweist, dass allen Frauen, welche Opfer von Gendergewalt werden, unabhängig von ihrem Ursprung, ihrer Religion oder irgendeiner anderen Bedingung und persönlichen oder sozialen Situation die Rechte des neuen Gesetzes garantiert werden. Artikel 30.2 des gleichen Gesetzes betont, dass bestimmte Frauen aus persönlichen und sozialen Gründen einem größeren Risiko oder größeren Schwierigkeiten ausgesetzt seien, Hilfe zu erlangen und schließt explizit Migrantinnen ein. 377 378
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gegen Gendergewalt) explizit den Fall von illegalisierten Frauen, welche eine Anzeige wegen Gendergewalt erstatten. Es wird betont, dass für illegalisierte Frauen die gleichen Rechte auf Schutz gelten. Gleichzeitig werden aber die PolizistInnen beauftragt, den Aufenthaltsstatus der anzeigenden Frauen zu erfassen. Wird einem Antrag auf Schutz als Opfer von Geschlechtergewalt stattgegeben, kann eine Migrantin einen Folgeantrag auf Aufenthalt aufgrund außergewöhnlicher Umstände stellen. Wird jedoch der Schutz nicht gewährt, weil die Anzeige nicht als rechtens erachtet wird, weist die Direktive Strafen bis hin zur Ausweisung der Frau aufgrund ihres irregulären Aufenthaltstatus an (vgl. Instrucción 14/2005 sowie die Kritik von Amnistía internacional 2006).381 Neben irregulär Aufhältigen sind vor allem Frauen besonders gefährdet, welche über Familienzusammenführung zu ihren Ehemännern nach Spanien kamen, da deren Aufenthaltsstatus rechtlich an den ihrer Männer gebunden ist. Werden daher die Männer misshandelter Frauen verurteilt und verlieren in der Folge ihren Aufenthaltstitel, riskieren die Frauen ihren eigenen Aufenthalt, wodurch sie auf einer anderen Ebene auch bestraft werden (vgl. Gascón Sorribas/Gracia Ibáñez 2004: 7ff). Generell ist diese Praxis der Anzeige und deren Konsequenzen sehr ambivalent, da ihre Wirkungskraft auf der strukturellen Diskriminierung von MigrantInnen aufgrund von Herkunft und Aufenthaltstitel basiert. So ist es vor allem die Gefahr einer (möglichen) Ausweisung der Männer, welche die Position der Frauen stärkt (und unter Umständen gleichzeitig deren eigenen Aufenthalt im Land gefährdet). Selbst wenn aber eine Anzeige möglich und Unterstützung gewährleistet ist, garantiert dies nicht unbedingt ein faires Verfahren, weshalb viele Frauen, auch auf dem Hintergrund ihrer verschiedenen Erfahrungen von Diskriminierung in Spanien, den Behörden und Gerichten nicht vertrauen (vgl. ebd. sowie Amnistía Internacional 2007a, 26)). Viele Frauen wägen daher das Risiko einer Anzeige lange ab. Der Fall von Dolores zeigt, wie schwierig eine Trennung ist und welche weiteren Aspekte diese bedingen: Dolores sah eine Trennung erst als letzte Möglichkeit, da diese für sie zwar einen persönlichen Gewinn in Form des Endes der Gewalt gegen sie und ihre Kinder bedeuten, aber gleichzeitig einen Verlust in anderen Bereichen darstellen würde: Sie müsste als illegalisierte Migrantin in Kontakt mit den Behörden treten und wüsste nicht, welche Konsequenzen dies mit sich brächte. Ihr Mann könnte noch gewalttätiger werden, ohne dass es zu einer Verurteilung und Schutz vor seiDie spanische Sektion von Amnesty International kritisiert seither die spanische Regierung, dass einerseits das Gesetz allgemein nicht genügend umgesetzt wird (vgl. die Studie der spanischen Sektion von Amnesty International „Spanien: Mehr Rechte, die gleichen Hindernisse“ [eigene Übersetzung], vom 28.06.2006) und dass undokumentierte Migrantinnen einen schlechteren Zugang zu Hilfsangeboten haben sowie durch die ergänzende Direktive 14/2005 von Ausweisung bedroht sind (vgl. die Studie von Amnistía Internacional „Undokumentierte Migrantinnen: Wie lange noch ohne Schutz vor Gendergewalt?“ [eigene Übersetzung] vom 24.11.2005). 381 Für aktuelle Daten zur rechtlichen Lage in Spanien vgl. Wagner 2009a.
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ner Gewalt käme. Andererseits hätte sie nicht mehr seine ökonomische Unterstützung. Sie müsste dann ihre vier Kinder alleine ernähren. Aber auch dazu hatte sie bereits einen Plan, zumal ihr Mann ihr droht, sie auf die Straße zu setzen. Sie erzählte: „Wenn er mich verlässt, gehe ich nicht [nach Ecuador] zurück. Ich schicke meine Kinder [nach Ecuador] und suche eine Arbeit als Interna, egal was. Ich gehe nicht. Ich schicke meine Kinder und mache ein bisschen Geld. Denn was soll ich dort allein mit vier Kindern machen?“ (Dolores)
Solange ihr Mann jedoch für die Kinder bezahle und die begonnene Familienzusammenführung sowie Legalisierung von Dolores und ihren beiden Kindern in Spanien vorantreibe, vermeide sie jegliche Konflikte, erklärte sie mir. In der momentanen Situation sah sie die Beendigung der psychischen wie physischen Gewalt gegen sie und ihre Kinder nicht als ihre Hauptpriorität. Vielmehr wollte sie ihre beiden älteren Kinder nach Spanien holen und so lange wie möglich die ökonomische Lage sichern.382 Sollte die Situation mit ihrem Mann jedoch zu schlimm werden, hatte sie dafür einen Plan entwickelt und sich Unterstützung zugesichert. Auf die konkreten Entscheidungen kann auch das Umfeld Einfluss nehmen, weshalb nochmals kurz auf die Bedeutung von Netzwerken eingegangen wird: Die lokalen wie translokalen Netzwerke aus Bekannten, Verwandten, FreundInnen und Familienangehörigen formen die Kontexte mit, in denen die Beziehungen gelebt und ausgehandelt werden. Netzwerke können dabei unterstützend oder kontrollierend und begrenzend sein, wie bereits mehrfach anklang: Oft sanktionieren nicht nur die Partner bestimmte Verhaltensweisen, sondern auch Familienangehörige und Bekannte.383 Im Falle von Inés war es beispielsweise ihre Tochter: Inés trennte sich in Spanien von ihrem gewalttätigen Mann, der sie jahrelang misshandelt hatte. Ecuadorianische Freundinnen halfen ihr dabei und standen ihr tatkräftig zur Seite. Allerdings wurde sie von ihrer jugendlichen Tochter kritisiert, weil ihr Vater durch die Anzeige von Inés nun vorbestraft war. Inés erklärte daraufhin ihrer Tochter, dass sie nicht länger die Gewalt ihres Mannes ertragen wolle und könne, woraufhin ihr diese vorwarf, dass sie es in Ecuador ja auch gekonnt hätte. Auf die Aussage 382 Hondagneu-Sotelo berichtet von ihrer Studie mexikanischer Migrantinnen in den USA, dass für viele Frauen Fragen der Gendergleichheit hinter „migrantischen Problemen” zurücktraten: „Many of these women, forms of oppression which derive from their class, ethnic, and legal status were experienced as more decisive than gender oppression. Immigrant women in this study reported that being poor, „illegal”, overworked, nervous about meeting bills, and unable to obtain satisfactory medical assistance for their children were far more troublesome than gender inequality.” (Hondagneu-Sotelo 1994, 198) Auch Pessar schreibt in diesem Sinne: „We must abandon the notion that gender hierarchy is the most determinative structure in their lives.“ (Pessar 1999, 589) 383 Frauen riskieren bei einer Trennung daher unter Umständen, den Status und Respekt innerhalb ihrer Familie zu verlieren, da oft den Frauen die Schuld an der erfahrenen Gewalt und an einer Trennung gegeben wird (vgl. auch Menjívar/Salcido 2002, 904f für den Fall von Salvadoreño/as und GuatemaltekInnen in den USA).
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ihrer Mutter, dass die Dinge sich ändern würden, wurde die Tochter aggressiv. Nachdem sich Inés von ihrem Mann getrennt hatte, war es nun ihre Tochter, die sie unter Druck setzte. Die soziale Umgebung und somit auch Netzwerke spielen sowohl für Ecuadorianerinnen, die sich von ihren ebenfalls migrierten Partnern in Spanien trennen möchten, als auch für Frauen, die mit ihrem Migrationsprojekt eine Distanzierung von gewalttätigen Partnern oder Eltern in Ecuador verbinden, eine wesentliche Rolle. Im Falle der räumlichen Trennung versuchen viele Partner und Familienangehörige von Ecuador aus über Netzwerke Kontrolle über die Frauen in Spanien auszuüben.384 Sie schaffen oder aktivieren ein Netz von InformantInnen, welche die Verhaltensweise der Frauen auf dem anderen Kontinent kontrollieren sollen. Die erhaltene Information wird je nach der Machtstellung, welche die Person innerhalb der Beziehung hat oder bekommt, eingesetzt (vgl. Fresneda 2001, 139). Oft entstehen dabei ganze Netzwerke von Gerüchten, sanktionierenden Diskursen und unter Umständen auch gewaltsame Praktiken. Frauen, die sich mit einem expliziten Projekt der Trennung nach Spanien aufmachten, versuchten daher oft, wie ausgeführt, alternative Netze zu schaffen bzw. entlang dieser zu migrieren und sich auch in Spanien in Distanz zu möglichen Kontakten zu organisieren. 7.3.1.3 Die Neudefinition der Geschlechterverhältnisse im Migrationsprozess „[Die Migration] hat ihre positiven und auch negativen Seiten. Die positiven sind, dass du eine andere Lebensweise lernst. Es gibt nicht mehr diese Vorstellungen, dass der Mann derjenige ist, der die Zügel der Familie hält und alles entscheiden muss. Hier haben sich die Dinge geändert.“ (Montserrat)
Im Migrationskontext werden Genderbeziehungen neu definiert, was zu Veränderungen – großen und kleinen, positiven und negativen – je nach situativem Aushandeln, den jeweiligen Kontexten und Dispositionen führt: Konfliktverstärkend bzw. auslösend wirken die Arbeits- und Lebensbedingungen als MigrantInnen in Spanien, welche psychisch wie physisch sehr belastend und konfliktreich sind. Einen besonders kritischen Moment kann die Nachfolge des Partners sein. Angesichts einer im für sie fremden Kontext handlungssicheren und sie versorgenden Frau erleben viele nachkommende Männer persönliche Krisen aufgrund der notwendigen Neuaushandlung der jeweiligen Rollen, verbunden mit einer Infragestellung der männlichen Machtpositionen. Wer diese nicht ändern will, kann mit Hilfe von Kontrolle, Druck und Gewalt versuchen, die Machtasymmetrie zu festigen bzw. wieder herzustellen. 384 Dies kann auch umgekehrt für migrierte Partner, aber auch für migrierte Kinder und Geschwister gelten.
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Dabei ist zentral, inwiefern die Geschlechterhierarchie durch inkorporierte Normen und Werte legitimiert ist und welche Brüche und Widersprüche diese im neuen Kontext erfahren. Die Arbeitsmarktpartizipation der Frauen kann in diesem Sinne zwar Auslöser von Konflikten bis hin zu Gewalt sein, sie wirkt aber auch für viele Frauen ermächtigend und stellt einen der entscheidenden verändernden Faktoren im Migrationskontext dar. In der Regel führt sie zu einer verstärkten Mithilfe der Partner bei den Haushaltsarbeiten, ermöglicht den Frauen aber auch eine erhöhte ökonomische, soziale wie räumliche Selbständigkeit und kann somit zum Beispiel die Trennung von einem gewalttätigen Mann erleichtern. Die Arbeit als solche stellt jedoch eine Reaffirmation der patriarchalen Struktur und Rollenzuweisung dar, weshalb sie gleichzeitig beschränkend und belastend ist, auch wenn sie als Ressource genutzt werden kann. Ebenfalls verändernd wirken der neue Kontext und die neuen Normalitäten in Spanien, da Begründungen der Geschlechterhierarchien bis hin zu Rechtfertigungen für Geschlechtergewalt wie beispielsweise eine postulierte Vernachlässigung der Haushaltsaufgaben nicht mehr gleich stimmig und sozial legitimiert sind. Für die Überwindung einer Gewaltbeziehung sind die Möglichkeit der Strafanzeige sowie die Hilfsprogramme für misshandelte Frauen in Spanien und deren Auswirkungen auf den Migrationsprozess des Angezeigten von besonderer Bedeutung.385 Wie der Fall von Dolores gezeigt hat, stellen die Geschlechterbeziehungen (abgesehen davon, dass nicht alle als stark hierarchisch gelebt und/oder empfunden werden) nicht unbedingt das einzige Problem und auch nicht notwendigerweise die Priorität ecuadorianischer Frauen in Spanien dar, bedenkt man die vielfältigen anderen Formen von Unterdrückung und Schwierigkeiten, denen sie aufgrund ihrer Klassenzugehörigkeit, Ethnizität, ihres Aufenthaltsstatus, etc. zusätzlich ausgesetzt sind. Unabhängig von den jeweiligen Prioritäten, werden Geschlechterbeziehungen und –vorstellungen aber, egal ob bewusst oder unbewusst, durch den neuen Kontext herausgefordert und dabei neu ausgehandelt und verändert oder reaffirmiert (vgl. auch Chant/Craske 2003, 253).
385 Wie sich gezeigt hat, ist deren Existenz allein aber nicht ausreichend, da aufgrund der Isolation einerseits, aber auch auch der strukturellen Diskriminierung der Migrantinnen ihr Schutz und die Effektivität einer Anzeige nicht immer garantiert sind (vgl. Wagner 2009a, 58).
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7.3.2 Haushaltsarbeit – Ermöglichung und Verhinderung zugleich „Ich kam mit dem Projekt zu arbeiten, etwas für mich zu machen und von meinem Vater unabhängig zu werden, da ich sehr unterdrückt lebte. (…) Hierher zu kommen, hat mich unabhängig gemacht. (...) Dort [in Ecuador] gibt es andere Arbeiten. Du hast das Wochenende, du kannst deine Eltern pflegen, die es am meisten verdient haben, denn hierher zu kommen und einer anderen Person den Hintern zu putzen, das ist keine [Eröffnung von] Möglichkeit[en].“ (Claudia)
Die Migration ecuadorianischer Frauen nach Spanien bietet verschiedene Möglichkeiten, aber auch Unmöglichkeiten. Wie im Verlauf der Ethnographie deutlich wurde, gibt es normalerweise keine absoluten Gewinne oder Verluste. Vielmehr handelt es sich um ineinander verwobene Aspekte und Prozesse. Der Zeithorizont spielt dabei eine zentrale Rolle und macht das Ineinander sehr deutlich: Mit der Zeit kann sich die Situation aufgrund der physischen wie psychischen Kosten verschlechtern; sich durch eine Legalisierung und die Vermehrung der Ressourcen aber auch verbessern (vgl. 7.1; 7.2.). Es ist auch eine Kombinationen beider Aspekte (Verschlechterung wie Verbesserung) auf unterschiedlichen Ebenen bzw. in verschiedenen Zusammenhängen möglich (zum Beispiel bessere Bezahlung einerseits, aber Belastung durch gesundheitliche Probleme oder Trennung von Kindern andererseits). Es gibt daher keine linearen Gleichungen.386 Außerdem kann aus der Realisierung bestimmter Projekte nicht abgeleitet werden, dass die Haushaltsarbeit für die Ecuadorianerinnen insgesamt eine Ermöglichung bedeutet und positiv bewertet wird. So wurde am Fall von Teresa gezeigt, dass sie nicht wegen, sondern vielmehr trotz der Arbeit eine positive Bilanz ihrer Migration zieht und das, obwohl sie zum Zeitpunkt des Gespräches bereits den Hausarbeitssektor verlassen und in die Gastronomie gewechselt, also eine berufliche Verbesserung erlebt hatte. Der Gewinn ist daher nicht so eindeutig, auch nicht so groß, wie dies in Argumentationen rund um den vermeintlich gegenseitigen Nutzen von ArbeitgeberInnen und HausarbeiterInnen vorausgesetzt wird. Dazu gehört, dass die ArbeitgeberInnen die Arbeit nach ihren Prioritäten organisieren können und im Gegensatz zu den Hausarbeiterinnen, welche in ihren Privathaushalten vielfältigen Formen von Gewalt ausgesetzt sein können, weitgehend rechtlichen Schutz genießen (vgl. 6.3). Und doch beinhaltet die Haushaltsarbeit positive wie negative Aspekte. Wie bezüglich der Auswirkungen auf die Geschlechterverhältnisse gezeigt, ist die Arbeit nicht einseitig einschränkend und verhindernd: Sie kann auch Positives beinhalten 386 Wie Pessar im Rückgriff auf Ferrees Kritik der Suche nach Eindeutigkeiten innerhalb bestimmter feministischer Ansätze betont: „To account for these seeming inconsistencies and contradictions in immigrant women´s lives, it is useful to recall Myra Ferree´s (1990) observation that many of our feminist models founder because they have sought consistency in working women´s lives where no such consistency exists.“ (Pessar 1999, 585f)
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und von Frauen dafür geschätzt werden. Dies negiert jedoch nicht die strukturelle Analyse. Es relativiert sie auch nicht: Vielmehr geht es um den Zusammenhang von Struktur und Handlung (vgl. 2.2): Die Handlungsspielräume der Haushaltsarbeiterinnen sind beschränkt und zwar nicht nur durch die Arbeit allein, was sich bereits bezüglich der Migrationsmotive und ihrer Möglichkeiten im Kontext der Globalisierung in Ecuador zeigte (Kap. 4), sondern auch durch verschiedene Formen der Rollenzuschreibungen, Ausgrenzungen, Möglichkeiten und Unmöglichkeiten als MigrantInnen in Madrid (Kap. 5, 6, 7). Der gegebene Handlungsspielraum wird von den Ecuadorianerinnen aber genutzt, um ihre Projekte zu verfolgen und ist somit auch ermöglichend und zwar nicht nur als Struktur selbst (welche stets ermöglichend und verhindernd ist, vgl. 2.2), sondern auch als strukturelle Veränderung mittels der Migration, als Änderung der Kontexte und Handlungsräume, zum Beispiel durch den Eintritt in die Lohnarbeit, Zugang zu neuen Ressourcen und Normalitäten usw.. Trotz der oft erniedrigenden, physisch wie psychisch belastenden Arbeitsverhältnisse können daher bestimmte Hoffnungen (unter Umständen modifiziert) realisiert werden (vgl. auch Hess 2005, 15). Die ecuadorianischen Haushaltsarbeiterinnen können folglich erfolgreiche Migrantinnen und Opfer prekärer Ausbeutungssituationen zugleich sein, da die positiven Aspekte die erfahrene Diskriminierung, Unterordnung und Entpersonalisierung nicht minimieren. Wie auch Helma Lutz aus ihrer Forschung schreibt: „Während die HaushaltsarbeiterInnen von den einen als „agents of change“ (Morokvasic 1991, 1993) gerühmt werden, die sich durch enorme Mobilitäts- und Risikobereitschaft auszeichnen und zur Transnationalisierung von Konsumstrukturen und Lebensstilen beitragen, sehen andere sie als „Opfer“ und betonen die Prekarität der Lebenssituation.387 Die erste Gruppe verfolgt also die Strategie des empowerment, indem sie über eine positive Benennungspraxis die Leistungen der betroffenen MigrantInnen würdigt, die zweite Gruppe skandalisiert die Situation und versucht so, auf Arbeits- und Menschenrechtsverletzungen aufmerksam zu machen. [Es] wurde gezeigt, dass für beide Positionen in der Empirie Belege zu finden sind. Daraus ist zu folgern, dass sie miteinander verbunden sind und nicht getrennt werden können. Beide Aspekte sind Teil des gleichen Phänomens (...); sie stellen also die Vorder- und Rückseite ein und desselben Gegenstandes dar.“ (Lutz 2007, 201f. Kursiv im Original)
Es handelt sich um die Frage von Strukturen und deren Nutzung, Aneignung wie möglicher Durchbrechung, wobei Migrationen als Bewegungen im sozial strukturierten Raum bereits eine derartige Strategie der Erweiterung der Handlungsspielräume, der Öffnung und Neuverortung im Kontext der Globalisierung darstellen. Aber auch der Migrationskontext in Spanien ist vermachtet, wodurch die Migration in einen erneut beschränkten, jedoch möglicherweise anders begrenzten, intersektional unterschiedlichen Kontext führt, was exemplarisch bei der Analyse der Auswirkung auf die Geschlechterbeziehungen aufgezeigt wurde. 387 So etwa: Ökumenische Asiengruppe 2000; Repect-Initiative Berlin, 2000; LeVoy und Verbrugge (2005) für die Organisation PICUM; Human Rights Watch 2006 [Originalfußnote im Zitat]
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Haushaltsarbeit ist daher Verhinderung und Ermöglichung zugleich, verhindernd in ihrer strukturellen Beschränkung, der differenzierenden und unterordnenden Rollenzuweisung als ecuadorianische MigrantInnen, welche andere Maßstäbe als für SpanierInnen ansetzt, institutionell diskriminiert, die MigrantInnen von gleichen Chancen ausgrenzt und mit den globalen Ungleichheiten nicht nur rechnet, sondern diese auch national bzw. lokal anwendet. Unter den Bedingungen struktureller und oft auch interpersonaler Gewalt eröffnet die Migration aber auch Möglichkeiten. Sie ist jedoch meist weniger ermöglichend als von den EcuadorianerInnen erhofft, belastender als erwartet und somit innerhalb der differenzierenden Logik beschränkend, schon allein deshalb, weil migrantische Haushaltsarbeit keine Berufsoption darstellt, sondern Ergebnis der Rollenzuweisung als ecuadorianische Migrantin in Madrid im Kontext der Globalisierung ist.
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„Wenn ich nicht von dort [Ecuador] weggegangen wäre, hätte ich nichts aus meinem Leben machen können, meine eigenen Entscheidungen treffen. (...) Mein Vater wollte mich mit einem reichen Mann verheiraten, aber ich wollte nicht. (...) Das Positive ist [in Spanien], dass ich sparen kann, (...); dass ich machen kann, was ich will. Das Negative: (...), dass du weniger bist als die anderen. Zum Beispiel machen sie mehr für die Hunde und Katzen als für einen.“ (Claudia)
Claudias Reflektion ihrer Migration im Eingangszitat beinhaltet zentrale Aspekte der hier vorgenommenen Analyse: ihre Migrationsentscheidung (die unerwünschte durch den Vater arrangierte Ehe), ihr Leben in Madrid und ihre Bewertung bezüglich positiver (Unabhängigkeit, Sparen) wie negativer Aspekte (Diskriminierung, Unterordnung). Den grundsätzlichen Rahmen bildet sowohl in ihrer Geschichte als auch in der vorgestellten Analyse die Haushaltsarbeit, welche in ihrer Einbettung in den Migrationsprozess der Ecuadorianerinnen untersucht wurde. Abschließend werden nun die wichtigsten Punkte der Analyse nochmals aufgegriffen und zueinander in Beziehung gesetzt. Die Forschungsergebnisse münden in grundsätzliche Fragen bezüglich Teilhabe, Integration und Rolle von „Anderen“ in Europa sowie in Rückfragen an diese sowie künftige Studien. 8.1 Die Migration ecuadorianischer Frauen nach Madrid Obwohl Migrationsforschungen Auswanderungen normalerweise in ihrer Mehrdimensionalität untersuchen, hält sich in öffentlichen Diskussionen, politischen Debatten wie Medienberichterstattungen hartnäckig ein monokausales Verständnis: Menschen migrieren, weil sie arm und/oder auf der Suche nach besseren Löhnen sind. Diese Erklärung ist nicht falsch. Sie bezieht sich zu Recht auf Armut und Verarmung, auf die hierarchisch strukturierte, ungleiche Globalisierung sowie auf die Nachfrage nach migrantischen Arbeitskräften in Einwanderungsländern. Allein ökonomische Argumentationen sind jedoch unvollständig und können viele Aspekte von Migrationen nicht erklären, im Falle der ecuadorianischen Migration zum Beispiel ihr Spezifikum als feminisierte Migration mit einem hohen Anteil an Frauen, welche Partner wie Kinder in Ecuador zurücklassen. Hier wurde daher eine plurikausale und vielschichtige Analyse durchgeführt, in der sich ökonomische, politische, soziale wie kulturelle Gründe ergänzen.
Heike Wagner, Dasein für Andere – Dasein als Andere in Europa, DOI 10.1007/978-3-531-92167-9_8, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2010
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Den Grundkontext der ecuadorianischen Migration nach Spanien bildete die ecuadorianische Krise Ende der 1990er Jahre. Es handelte sich um die schlimmste Krise Ecuadors seit Bestehen als Republik, welche sich durch eine drastische Verarmung, ökonomische, politische wie soziale Unsicherheit und den Abbau der ohnehin schlechten Sozialleistungen im Rahmen von Strukturanpassungsmaßnahmen charakterisierte. Bis auf die kleine Oberschicht mussten die meisten ecuadorianischen Haushalte der Krise in Form von Umstrukturierungen und neuen Arrangements zur Einkommenssicherung begegnen, was unter anderem durch Migration und/oder durch Intensivierung der Arbeit von Frauen bewerkstelligt wurde. Da EcuadorianerInnen bis 2003 kein Visum zur Einreise in die EU benötigten, etablierte sich in der Krise eine neue, starke Migration nach Europa, vornehmlich nach Spanien (und Italien), wo eine hohe Nachfrage nach migrantischen Arbeitskräften bestand. In kürzester Zeit wurde Migrieren in Ecuador zu einer Normalität, weit über die bis dahin regional beschränkte Migration in die USA hinaus. Da im Kontext der Krise für die meisten Familien eine Migration aus wirtschaftlichen Gründen legitimiert werden konnte, war es innerhalb dieser allgemeinen Migrationsbewegung leicht möglich, auch andere Motive mit der Migration zu verbinden. Der Hinweis auf wirtschaftliche Faktoren bot einen hinreichenden Grund, eine Migration zu erklären, auch wenn andere Motive im Vordergrund standen bzw. die ökonomischen Migrationsmotive ergänzten. Die Frauen trugen so selbst zu einer einseitig ökonomischen Version ihrer Migration bei. Viele ecuadorianische Frauen nutzten diese neu entstandene, allgemeine Migrationskultur, um zusätzlich zu einer Antwort auf die ecuadorianische Krise ihrer Festschreibung als Frau auf bestimmte Rollen und Familienstrukturen zu entkommen und/oder Abstand zu gewalttätigen Partnern bzw. Familienangehörigen zu gewinnen. Die Nachfrage nach weiblichen, migrantischen Arbeitskräften und die vergeschlechtlichte Migrationspolitik in Spanien, trugen ihrerseits dazu bei, dass die Migration von Frauen immer mehr Unterstützung erfuhr und diese aufgrund des feminisierten Arbeitsmarktes von ihrer Familie und/oder ihrem Partner zur Migration ausgewählt wurden. Diese Gendermotive gelten jedoch nicht für alle Frauen. Den Migrationen liegen plurale, unterschiedliche und vielschichtige Motive zugrunde, welche sich überlappen und ergänzen können. Dazu gehören auch Netzwerke, welche oft ausschlaggebend dafür sind, ob jemand migriert oder nicht, auch wenn sich diese nicht immer nur als ermöglichend erweisen. Ebenso bedeutsam ist die Migrationsindustrie, welche auf der einen Seite mangelnde Netzwerkkontakte ersetzen kann, auf der anderen Seite auch bestimmte spezifische Dienste (zum Beispiel Ratschläge für die Befragung als „Touristin“ bei der Passkontrolle) anbietet. Sie erleichtert die Reise, vor allem die Einreise. Um das „Geschäft Migration“ aufrechtzuerhalten, unterstützt der Zweig der Migrationsindustrie, welcher nicht (nur) von bestehender Migration, sondern (auch) von reisenden, neuen MigrantInnen lebt, die Schaffung bzw. den Erhalt bestimmter Vorstellungen über das Leben und die Möglichkeiten als Mi-
8.2 Migrantische Haushaltsarbeit im Kontext der Globalisierung
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grantInnen in Madrid, und somit den Wunsch zu migrieren. Vorstellungen beeinflussen auf verschiedene Art und Weise eine Migration: Das Migrationsprojekt ist ein im Prozess der Entscheidung imaginiertes Projekt, in welches Vorstellungen über Möglichkeiten, Verwirklichungen von Hoffnungen, Träumen und Phantasien, aber auch die gedankliche Vorwegnahme von Risiken, Unmöglichkeiten und Gefahren eingehen. Diese Vorstellungen sind in konkrete Kontexte, Praktiken und Interaktionen mit lokalen wie (trans)nationalen AkteurInnen, Medien und Diskursen eingebettet. Die Bilder und Vorstellungen über Spanien sind dabei auch durch koloniale und neo-koloniale Beziehungen und deren verschiedene legale, kulturelle wie soziale Auswirkungen geprägt. Spanien partizipiert auf mehrfache Weise aktiv an der Migration ecuadorianischer Frauen, sowohl durch kolonial-geschichtliche als auch aktuelle Verbindungen, und profitiert davon. Auf diese Weise verfügt der spanische Arbeitsmarkt über billige, jederzeit abstoßbare Arbeitskräfte. Auch die zu Gunsten der reichen Industrienationen organisierten Terms of Trade, welche verhindern, dass arme Länder auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig werden, kommen Spanien zugute und sind ihrerseits einer der Auslöser von Migrationen. Migrationen sind, wie gezeigt werden konnte, plurikausal. Eine Vielzahl von Faktoren und AkteurInnen hat daran Anteil, auch die Einwanderungsländer und ArbeitgeberInnen mit ihrer Nachfrage nach migrantischen Arbeitskräften. 8.2 Migrantische Haushaltsarbeit im Kontext der Globalisierung – Asymmetrien, Kurse und Diskurse Die bezahlte Haushaltsarbeit stellt heute weltweit den Hauptarbeitssektor von Migrantinnen dar. Es handelt sich dabei nicht um eine Berufsoption, sondern um eines der wenigen Arbeitsfelder, welches Migrantinnen offen steht, und um eine ganz spezifische Arbeit: Haushaltsarbeit wurde historisch als weibliche Nicht-Arbeit bzw. minderwertige Arbeit konstruiert, welche Frauen aus Liebe verrichteten und welche ihren „natürlichen“ Eigenschaften wie Fähigkeiten entspräche. Sie ist mit verschiedenen Vorstellungen von Frausein und Geschlechterrollen inhaltlich zutiefst aufgeladen. Seit Entstehen der Haushaltsarbeit als weibliche Arbeit im Prozess der Etablierung des Bürgertums wurde sie immer auch an Frauen, welche nicht zum Haushalt gehörten (oft interne Migrantinnen; während der Dienstbotenzeit auch an Männer), als bezahlte Arbeit abgegeben. Heute charakterisiert sie sich zusätzlich durch eine steigende Transnationalisierung als Arbeitssektor transnationaler migrantischer Frauen (in geringem Maße ebenso migrantischer Männer). Dabei ersetzen Migrantinnen nicht einfach eine bestehende, quasi konstante Nachfrage nach bezahlter Haushaltsarbeit. Verschiedene gesellschaftliche wie globale Veränderungen schaffen
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einen neuen und verstärkten Bedarf nach Hausarbeit, welcher außerdem andere Charakteristika aufweist. Das zeigt beispielhaft der Anstieg der Nachfrage nach Internas. Zu den Veränderungen gehören unter anderem Umstrukturierungen im Wirtschaftssystem (Flexibilisierung, Liberalisierung, wachsende Ungleichheiten), eine gestiegene Arbeitsmarktpartizipation spanischer Frauen, Abbau des ohnehin lückenhaften spanischen Wohlfahrtssystems, ein neues Zeitmanagement und höhere Ansprüche, was freie Zeit, Luxus und Prestige betrifft, demographische Änderungen, Veränderungen in der Familienstruktur und den Geschlechterverhältnissen mit gleichzeitigem Beibehalt eines familiaristischen Verständnisses von Sozialstaat und dem Erhalt patriarchaler Werte (inklusive der Aufgabenverteilung im Haushalt). Die zunehmende Verknüpfung der politisch-ökonomischen, technologischen, medialen, kulturellen und legalen Verbindungen zwischen Staaten und Gesellschaften intensivieren diese Prozesse und tragen zur Ethnisierung der Haushaltsarbeit bei. Neben der Ermöglichung eines bequemen Lebensstils, der optimalen Nutzung der freien Zeit sowie der Erlangung von Status und Ehre bieten Haushaltsarbeiterinnen eine Lösung für verschiedene gesellschaftliche Problemfelder: Sie übernehmen die patriarchal zugeschriebene Rolle spanischer Frauen in der spanischen Familie wie Gesellschaft und erhalten so das Genderregime. Auf diese Weise erlauben sie die Aufrechterhaltung von Egalitätsdiskursen, da Konflikte über Geschlechterrollen und -aufgaben gelöst erscheinen, indem sie auf eine andere Person übertragen werden. In diesem Sinne wird die Haushaltsarbeit weiterhin als Frauenarbeit verstanden, jedoch nun entlang von Klasse und Ethnizität an andere, meist migrantische Frauen abgegeben. Patriarchale Beziehungen drücken sich daher nicht nur zwischen Männern und Frauen, sondern auch zwischen Migrantinnen und Einheimischen aus. Es geht jedoch nicht nur um Geschlechterbeziehungen. Die Einstellung einer Haushaltsarbeiterin erleichtert auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Sie hilft einerseits, eine Mehrfachbelastung der Frauen bei Aufrechterhaltung der zugeschriebenen weiblichen Haushaltsarbeiten zu reduzieren, und ermöglicht andererseits Eltern, seien sie allein erziehend oder beide arbeitend, die auf dem Arbeitsmarkt geforderte Flexibilität. Migrantische Haushaltsarbeit garantiert außerdem die finanzielle Leistbarkeit der Pflege von alten und/oder kranken Menschen, wodurch sie eine individualisierte Antwort auf den „Pflegenotstand“ bietet und den Staat aus seiner Verantwortung entlässt. Hierfür werden vor allem Internas als billige, flexible, belastbare Rund-um-die-Uhr-Arbeitskräfte nachgefragt, wozu fast ausschließlich Migrantinnen bereit sind. Dies hat direkt mit den Charakteristika von Haushaltsarbeit als einer hoch-personalisierten Arbeit in der Privatsphäre der ArbeitgeberInnen mit deren spezifischen Problemfeldern zu tun, welche sich bei einer Arbeit als Interna verdichten: Die Anstellung einer Hausarbeiterin dient der Entlastung eines Haushaltes und der entspannten Realisierung eines Ideals von Privatem, Familie und Freizeit. Die Privatsphäre soll dabei von den Hausarbeiterinnen so wenig wie möglich gestört
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und die Ordnungskategorien der ArbeitgeberInnen, deren Ideale von Kindererziehung und Pflege respektiert werden. Im Privathaushalt sind nach außen verborgene sowie negativ konnotierte Aspekte wie Schmutz, Körperausscheidungen, etwaige Hilflosigkeiten oder Schwächen sichtbar. Eine der zentralen Aufgaben von HausarbeiterInnen besteht darin, diese zu beseitigen, zu überspielen und als nichtig erscheinen bzw. bedeutungslos werden zu lassen. Mit Ausnahme von Betreuungsarbeiten und Pflege, wo der persönliche Umgang Teil des Arbeitsprofils ist, sollen die HausarbeiterInnen möglichst unbemerkbar sein und den Ablauf des Familienlebens so wenig wie möglich behindern. Unsichtbarkeit, Anpassung und Unterordnung stellen daher besondere Kennzeichen dieser Arbeit dar. Durch die Verortung im Privathaushalt kommen zusätzlich zu den konkreten Aufgaben die Aushandlung von Nähe und Distanz und das Vorhandensein unterschiedlicher Muster asymmetrischer Grenzziehungen hinzu. Dazu gehören Formen der Unterordnung wie zum Beispiel räumliche Trennungen beim Essen sowie Entwürdigungen zur Platzzuweisung und Sichtbarmachung der Hierarchien. Im Privathaushalt erfolgen aber auch gewaltsame Übertritte, allen voran in Form sexualisierter Gewalt. Die Hausarbeiterinnen sind rechtlich nur minimal geschützt: In Spanien ist Haushaltsarbeit nicht Teil des allgemeinen Arbeitsrechtes, sondern erhält einen Sonderstatus als „spezieller Arbeitssektor“, in dem HaushaltsarbeiterInnen weniger Rechte als anderen Angestellten zugesprochen werden. Diese Sonderbehandlung wird mit dem Schutz der Privatsphäre der ArbeitgeberInnen begründet, welcher über die Rechte der HausarbeiterInnen gestellt wird: Der Respekt vor der persönlichen bzw. familiären Intimsphäre und vor der Unverletzlichkeit des Heimes erhält dabei Priorität und verhindert Inspektionen am Arbeitsplatz, was eine Opportunitätsstruktur für die Umgehung gesetzlicher Mindestanforderungen, Ausbeutung, Misshandlung und andere Formen von Gewalt schafft. Hausarbeit ist daher nicht nur durch den Arbeitsplatz im Privathaushalt und die hoch-personalisierte hierarchische Arbeitsbeziehung ungleich zu Gunsten der ArbeitgeberInnen strukturiert, sondern auch durch das Gesetz. Hausarbeiterinnen sind somit vom „guten Willen“ der ArbeitgeberInnen abhängig. Bei Haushaltsarbeiten handelt es sich um physisch und psychisch oft anstrengende Arbeiten, vor allem wenn es um Pflege von alten und/oder kranken Menschen geht. Viele HausarbeiterInnen erzählten, dass sie in einem bestimmten Moment ihres Migrationsprozesses unter einer Depression litten. Manche waren in psychologischer Behandlung und/oder nahmen Psychopharmaka. Haushaltsarbeit hatte einen wichtigen, jedoch nicht alleinigen Anteil daran. Generell war das Leben der ecuadorianischen MigrantInnen in Spanien, vor allem in den ersten Jahren, sehr anstrengend und schwierig. Die gedrängte Wohnsituation bei der Ankunft, wo die EcuadorianerInnen mit bis zu zwanzig Personen zusammen wohnten, verschiedenartigste Diskriminierungserfahrungen, die Enttäuschung über nicht erfahrene Hilfe
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durch andere MigrantInnen und die oftmalige Erkenntnis, dass die mit der Migration verbundenen Projekte und Hoffnungen sich nicht oder nur teilweise verwirklichen lassen, sind ebenso psychisch sehr belastend. Dabei hatten viele Frauen gewusst, welche Arbeitsmöglichkeiten und Lebensbedingungen sie in Madrid erwarteten. Doch auch wenn sie mit Ausbeutung, Unterordnung und Erniedrigung gerechnet hatten, waren sie sich meist nicht bewusst, was es bedeutete, als Haushaltsarbeiterinnen zu arbeiten. Zudem hatten sie nicht die Kombination mit anderen Diskriminierungs- und Marginalisierungserfahrungen außerhalb der Arbeit erwartet. Viele Annahmen, wie zum Beispiel die Vorstellung von Gleichheit aller Personen in modernen, demokratischen Gesellschaften, erwiesen sich daher als falsch. Die Arbeit hatte einen wichtigen Anteil an der physischen wie psychischen Belastung der Migration, und zwar nicht nur durch die Aufgaben selbst, sondern vor allem auch aufgrund der Behandlung und aufgrund ihrer Rolle in sowie für die Privatsphäre der ArbeitgeberInnen. Je nach ArbeitgeberInnen und Zweck der Einstellung gibt es dabei Unterschiede bezüglich des Arbeitsprofils und der Behandlung. Es geht jedoch stets um eine bestimmte Rolle und Rollenermöglichungen für die Mitglieder des Haushaltes, um die Aufrechterhaltung oder Verwirklichung eines bestimmten Lebensstils und (Familien-)ideals. Hausarbeiterinnen stellen das billige Medium eines flexiblen, bequemen Lebens dar. Dazu werden die Bedürfnisse wie Eigenarten der Frauen denen der ArbeitgeberInnen untergeordnet, möglichst unbemerkbar gemacht und sie hin zu einer vordefinierten Arbeitskraft entpersonalisiert. Für die hoch-personalisierte Arbeit wird jedoch gleichzeitig eine bestimmte (inszenierte) Persönlichkeit gefordert, welche sich zum Beispiel auf ethnisierte Stereotypen wie „sanfte, liebevolle, geduldige Latinas“ bezieht. Dabei geht es jedoch nicht um die Persönlichkeit der Frauen selbst, sondern um die Erfüllung einer gewünschten Rolle, um Kontrolle und Sicherheit für die ArbeitgeberInnen sowie um die Garantie eines reibungslosen, „harmonischen Miteinanders“. „Sympathisches Äußeres“, „netter Charakter“, „liebevoll und geduldig“ wurden so zu zentralen Einstellungskriterien. Am Arbeitsplatz wurde daher auch immer wieder verlangt, bestimmte Persönlichkeitsmerkmale aufzugeben, die Rolle als untergeordnete Hausarbeiterin einzunehmen und sich an ein gewünschtes Bild von Haushaltsarbeiterin anzupassen. So mussten sich Frauen beispielsweise die Beinhaare rasieren, bestimmte Kleidung tragen oder die Haare schneiden. Eine bestimmte Persönlichkeit inklusive Äußerem und entsprechenden Kenntnissen zu bieten sowie die geforderten Rollen auszufüllen, stellt daher eine der wichtigsten Strategien und Ressourcen bei der Arbeitssuche wie auch bei der Arbeit selbst dar. Die ecuadorianischen Haushaltsarbeiterinnen verfolgten verschiedenste Strategien von Haarefärben über Sich-nicht-Schminken bis Erwähnen oder NichtErwähnen von universitären Titeln, inszenierte Unterordnung und Höflichkeit bei gleichzeitiger Aushandlung und Manipulation der Beziehungen und Rollen.
8.2 Migrantische Haushaltsarbeit im Kontext der Globalisierung
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Diese Performanz und Anpassung sind Teil des Prozesses, ecuadorianische Migrantin in Madrid zu sein und die damit verbunden Rollen und Möglichkeiten einzunehmen. Die Entscheidung zu einer Migration beinhaltete also notwendigerweise, eine Migrantin in Spanien zu werden, was bestimmte legale, soziale, politische und ökonomische Implikationen hat: Die soziale wie legale Konstruktion von Migration und MigrantInnen legt Grenzen sowie Differenzmarker zwischen Einheimischen und MigrantInnen mit bestimmten Arbeitsmöglichkeiten fest. Durch die Migration erfolgte daher eine Neudefinition und Gleichschaltung der EcuadorianerInnen als MigrantInnen mit einem zugeschriebenen niedrigen sozialen Status und der Einschränkung der mitgebrachten Ressourcen. Zur neuen Hauptressource wurde hingegen die Körperlichkeit, da der belastbare, gesunde Körper das wichtigste Kapital der Arbeitssuche und deren Ausübung für die nachgefragten Tätigkeiten darstellt. Gleichzeitig beinhaltete die Körperlichkeit bei Frauen auch die Unsicherheit und Verletzbarkeit als (neu angekommene) Migrantin, da Frauen (vor allem, wenn sie als illegalisierte Migrantinnen betrachtet werden) immer wieder sexuellen Belästigungen auf der Straße wie bei der Arbeit ausgesetzt waren. Die Ecuadorianerinnen wurden über einen interaktiven Prozess zu Hausarbeiterinnen. Sie selbst stellten sich aktiv den ihnen offenen Möglichkeiten und handelten ihren Handlungsspielraum aus. Gleichzeitig wurde ihnen über verschiedene Formen sowohl strukturell-formeller als auch informeller Prozesse die Rolle als Hausarbeiterinnen zugeschrieben und diese verfestigt. Dem Gender- und dem Migrationsregime kommen dabei eine besondere Bedeutung zu. Indem zum Beispiel Arbeitsmöglichkeiten für nicht europäische MigrantInnen über legale Bestimmungen von vornherein auf bestimmte Tätigkeiten eingeschränkt werden, wird der Arbeitsmarkt ethnostratifiziert. Einen der stärksten Mechanismen stellt der irreguläre Aufenthaltstitel bzw. die Illegalisierung dar. Jedoch auch nach einer Legalisierung wirkt die institutionelle Diskriminierung weiter, da die Differenzmechanismen und Rollenzuschreibungsprozesse nicht allein auf dem Aufenthaltstitel basieren und somit durch ihn nicht automatisch aufgehoben sind. Es handelt sich um eine Vielzahl sozialer Differenzmechanismen, welche entweder formalisiert als Gesetze und andere Arten staatlicher Regelungen oder informalisiert Teil des praktischen Sinnes sind. Beide Formen können ineinander übergehen. Daran partizipieren unterschiedliche AkteurInnen und Institutionen, auch solche, welche keine HaushaltsarbeiterInnen einstellen. Durch die Analyse des Hausarbeitskurses mit dessen den konkreten Arbeitsplätzen vorgelagerten Rekrutierungs-, Ausbildungs- und Disziplinierungsprozessen wurde deutlich, dass die katholische Gemeinde mit ihrem Hausarbeitskurs als „Gatekeeper“ agiert. Sie partizipiert aktiv an der Schaffung bzw. Aufrechterhaltung sozialer Differenzen zwischen SpanierInnen und Migrantinnen wie auch an der Ethnisierung und Essentialisierung der Migrantinnen als „Fremde“ und „Andere“ mit den respektiven zugeschriebenen sozialen Rollen als migrantische Arbeitskräfte. Dies zeigte sich unter anderem daran, dass die Konzeption des Kur-
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ses auf unterschiedlichen Maßstäben für das Verständnis und die Realisierung von Familie, Mutterschaft und Frausein basierte, je nachdem ob es sich um Migrantinnen (=Hausarbeiterinnen) oder SpanierInnen (=ArbeitgeberInnen) handelte. Dieser sozialen Praxis liegen bestimmte Konstruktionsprinzipien und Differenzmechanismen zugrunde, welche es als „ganz normal“ und „logisch“ erscheinen lassen, dass den Ecuadorianerinnen in Spanien nur wenige Berufsfelder offen stehen. Dazu gehörten deren Ethnizität, qualifiziert als Fremdheit bzw. Unzivilisiertheit, ihr Frausein und ihr (nicht immer fehlender) legaler Status. Ein irregulärer Aufenthaltstitel wurde als selbstverschuldet, illegitim und als gerechtfertigter Grund betrachtet, den Migrantinnen Rechte zu verweigern, sie auszubeuten und als minderwertig zu behandeln. Die scheinbare Fremdheit der Frauen wurde als Gefälle zwischen Entwickelten und Unterentwickelten, Unzivilisierten verstanden, weshalb vor allem „Arbeitsmoral“ sowie die „korrekten Haltungen“ als Haushaltsarbeiterin unterrichtet wurden. Die Migrantinnen wurden auf diese Weise ethnisiert und in die binäre Logik von Inklusion und Exklusion eingeordnet, welche ein „Wir“ in Abgrenzung zu „Anderen“ definiert und das Handeln zugunsten der eigenen bzw. nationalen Interessen legitimiert sowie Machtausübungen verschleiert. Bei der Zuweisung des scheinbar „natürlichen Ortes“ als Haushaltsarbeiterinnen wurde auf ein (katholisches) Frauenideal zurückgegriffen, welches Frauen als naturhafte Hausfrauen und Mütter versteht, die sich für ihre Familie aufopfern. Im Kurs wurden die Teilnehmerinnen aktiv darin unterwiesen. Die geforderte konditionslose Selbstopferung als Frauen lässt dabei die Ausbeutungsverhältnisse als „Los der Frau“ erscheinen, verdeckt die Machtbeziehungen und macht Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen unzulässig. Dazu trägt zudem die Verschiebung der Referenzpunkte bei, welche Lohn- und Arbeitsbedingungen in Bezug zu (imaginierten) schlechteren Bedingungen in den Herkunftsländern setzt und diese so vom spanischen Kontext (und den damit verbundenen Lebenskosten) abstrahiert. Durch die Zuschreibung eines bedingungslosen, leidensbereiten Migrationsprojektes zu Gunsten der (zurückgebliebenen) Familie wurden Probleme bei der Arbeit inklusive Ausbeutung und Gewalterfahrungen als natürlicher Teil des Migrationsprozesses gesehen und andere, individuelle, emanzipatorische Migrationsprojekte gleichzeitig als illegitim erklärt. Vor dem Hintergrund dieser naturalisierten Prinzipien wird es „ganz selbstverständlich“ und „logisch“, dass die Migrantinnen mit einem anderen Maßstab gemessen und lediglich als Arbeiterinnen betrachtet wurden, nicht als Personen mit ihren eigenen Geschichten, Projekten und Kenntnissen. Sie in Haushalte zu vermitteln, erscheint als gute Hilfe, als Ermöglichung, damit sie ihren Platz finden, wodurch eine als solidarisch verstandene Arbeit Teil der Ausbeutung, Misshandlung und restriktiven Rollenzuweisung der Frauen wurde. Dass diese Rolle zugeschrieben und somit verhandelbar ist – und zwar im doppelten Sinne verhandelbar, nämlich als
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nicht ausschließlicher sozialer Ort einerseits und als eine Arbeitsmöglichkeit, deren Bedingungen verhandelt werden könnten, andererseits, wurde nicht thematisiert. Es war nicht Teil des sozialen Sinnes bzw. von den Personen in den Machtpositionen unerwünscht, weshalb andere Signifikationen und Praktiken nicht nur unterdrückt, sondern auch sanktioniert wurden. Die Pfarrei nahm eine wichtige Schnittstelle zwischen den ArbeitgeberInnen und den Hausarbeiterinnen ein, indem sie für deren Arbeitsqualität wie -moral garantiert, was für viele Familien nicht zuletzt deshalb von zentraler Bedeutung ist, da sie nicht nur Güter, sondern auch geliebte Personen den „fremden Frauen“ überlassen. Die Pfarrgemeinde nutzte diese Machtposition jedoch nicht, um zu Gunsten der Migrantinnen Arbeits- und Lohnbedingungen zu verhandeln, sondern strukturierte vielmehr die Haushaltsarbeit zu Ungunsten der Migrantinnen, indem sie als Vermittlerin zwischen Angebot und Nachfrage die Kursteilnehmerinnen der Nachfrage einseitig anpasste. Im Hausarbeitskurs wurden die Migrantinnen in die ihnen von der spanischen Gesellschaft, dem spanischen Arbeitsmarkt (im Kontext der globalen, neoliberalen Ökonomie), der Gesetzgebung und anderen Institutionen des Migrationsregimes adskribierte Rolle als Hausarbeiterinnen hinein erzogen. Auf diese Weise wurde die Sozialstruktur realisiert, affirmiert und die Möglichkeiten der Migrantinnen auf die Hausarbeit hin strukturiert. Der Kurs diente dabei der Institutionalisierung von Hausarbeit und wirkte an der sozialen Konstruktion wie Praxis migrantischer Haushaltsarbeit mit, indem er die Handlungen und Strategien der Migrantinnen kanalisierte. Auf diese Weise begründete und unterstützte er die Bildung einer neuen, rechtlosen Unterschicht. Gleichzeitig positionierte sich die Pfarrgemeinde bzw. katholische Kirche als Migrationsinstitution (im Sinne von karitativer Arbeit) strukturell in der spanischen Gesellschaft und sicherte so ihre gesellschaftliche Position. Als Kochunterricht, Arbeitsvermittlung sowie Möglichkeit der Vernetzung unter den Migrantinnen bot der Kurs dennoch eine Hilfe und stellte somit ein wichtiges Kapital für die Migrantinnen dar, wodurch er nicht nur einseitig beschränkend wirkte. Die migrantischen Kursteilnehmerinnen nutzten den Kurs als Ressource für den Zugang zu einer Arbeit (als Illegalisierte), welche die grundlegende Bedingung zur Realisierung ihrer Migrationsprojekte darstellt. Sie verwendeten ihn aber auch zu anderen Zwecken (Netzwerkbildung, der Langeweile entkommen, lernen etc.) und manipulierten die Regeln wie Positionen in Form von Performanz, Klientelisierung und Ähnlichem. Auf diese Weise gestalteten sie den Kurs mit und funktionalisierten ihn soweit möglich um. Durch Boykott von Vorgaben, Nichtbeachtung von Beleidigungen bis hin zu offener Kritik leisteten sie Widerstand gegenüber demütigender Behandlung sowie willkürlichen und ungerechtfertigten Regeln. Das zeigte sich nicht nur beim Kurs, sondern gilt auch für bezahlte Haushaltsarbeit selbst, welche von den Migrantinnen innerhalb der Bedingungen der Möglichkeiten strategisch genutzt wurde.
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8.3 Handlungsfelder und Strategien Strategischem Handeln im Sinne von Aushandeln der Möglichkeiten, von Manipulation wie Veränderung, aber auch von Affirmation und Realisierung derselben kam im Rahmen dieser Studie eine zentrale Rolle zu. Die Analyse erfolgte gemäß des sozialtheoretischen Ansatzes, welcher Strukturen wie Handlungen notwendig aufeinander bezogen versteht: Es wurde daher die soziale Praxis untersucht, welche sowohl die Begrenzungen und Ermöglichungen von Handlungen als auch die Strategien innerhalb der Handlungsfelder vereint. Im Zuge der Forschung wurden die Strategien der ecuadorianischen Haushaltsarbeiterinnen bei der Arbeitssuche, bei der Arbeitsstelle sowie außerhalb der Arbeit untersucht. Die Migration als solche stellt außerdem selbst eine Strategie der Erweiterung der Handlungsspielräume, der Öffnung und Neuverortung dar, was ebenso Teil der Analyse war. Es zeigte sich, wie die Frauen trotz starker Restriktionen und Kontrollen bei ihrer Arbeit Widerstand leisteten, ihre unterschiedlichen Handlungsspielräume nutzten und versuchten, ihren Handlungsspielraum zu erweitern. Manche Strategien bei der Arbeit erwiesen sich dabei als System erhaltend, indem innerhalb des festgelegten Arbeitsrahmens Ventile zur Regeneration und zum Ausleben persönlicher Bedürfnisse geschaffen wurden, ohne den Arbeitsablauf zu stören. Eine derartige Strategie konnte zur Optimierung der verrichteten Arbeit führen. Andere Strategien veränderten und manipulierten die Arbeitsbeziehungen wie -bedingungen. Je nach Ressourcen, Risikobereitschaft und Lohnabhängigkeit beendeten die Frauen eine unerträgliche oder unerwünschte Arbeitssituation. Innerhalb der (gleichen) strukturellen Bedingungen als ecuadorianische Haushaltsarbeiterinnen in Madrid fanden sich daher Unterschiede unter den Frauen: Wer alleine in Madrid war, Kinder in Ecuador zu versorgen hatte und nicht über ein Netzwerk verfügte, welches Arbeitsplätze vermitteln und (finanzielle) Hilfsmöglichkeiten bereitstellen konnte, war von einer Arbeit besonders abhängig, arbeitet meiste als Interna und ging, wie am Beispiel von Mónica verdeutlicht wurde, beim Verlassen einer Arbeitsstelle hohe Risiken ein. Die Unterschiede basieren insbesondere auf der persönlichen Situation (Migrationsprojekt; Verantwortung gegenüber Dritten; Vernetzung in Madrid; alleine/mit Kindern/mit Partnern in Madrid; Aufenthaltstitel; Zeit in Spanien; Ressourcen inklusive Bildungshintergrund, Arbeitserfahrung, Konflikterfahrung und Ähnlichem) sowie der Arbeitssituation (Arbeitsprofil Interna/Externa/Por Horas; Einstellung und Anforderungen der ArbeitgeberInnen; formalisiert/legalisiert/nicht gemeldet). Die verschiedenen Aspekte konnten sich dabei überschneiden bzw. gegenseitig bedingen (zum Beispiel die Frage nach dem Aufenthaltstitel mit dem Arbeitsprofil, der Arbeitssituation sowie der Zeit in Spanien). Eine besondere Bedeutung kam dem Aufenthaltstitel zu. Eine Legalisierung bewirkt eine größere Sicherheit und weniger Abhängigkeiten in asymmetrischen Beziehungen, wodurch sich die Arbeitsbedingungen und auch die Freizeitmöglichkeiten normalerweise verbesser-
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ten. Die Arbeitsmöglichkeiten erweiterten sich jedoch normalerweise lediglich in Form horizontaler Mobilität hin zu anderen, besseren migrantischen Arbeitsstellen (von Interna zu Externa; aus dem Hausarbeitssektor in die Gastronomie und Ähnliches). Die Ecuadorianerinnen sprachen daher immer wieder davon, „sich einen wohlhabenden (alten) Spanier bzw. Europäer zu suchen“, denn angesichts der strukturellen Beschränkungen erwies sich die Ressource „Frausein“ und somit die Affirmation und/oder Manipulation der patriarchalen Grundstrukturen als die effektivste, unter Umständen einzige Art, die eigene Situation nachhaltig zu verbessern und aus den Marginalisierungsprozessen auszubrechen. Als am weitesten verbreitete Strategie unter MigrantInnen, die eigene Lage zu verbessern, erwies sich die Merkantilisierung von migrantischem Kapital (Informationen, Strategien, Netzwerkkontakte, Arbeitsmöglichkeiten) und somit die Etablierung wie Vermarktung asymmetrischer Beziehungen unter MigrantInnen. Obwohl die EcuadorianerInnen von SpanierInnen ebenso oder stärker ausgebeutet wurden, richtete sich ihre Kritik oft mehr gegen diese „innermigrantische Ausbeutung“ und die Veränderung der sozialen Beziehungen unter FreundInnen, Verwandten und Bekannten. Mit Ausbeutung und Diskriminierung durch SpanierInnen rechneten sie normalerweise und oft rechtfertigten sie diese durch die Übernahme der Differenzdiskurse und betrachteten sie als normal. Eine Übervorteilung und Ausbeutung durch andere MigrantInnen wurde jedoch als illegitim und unsolidarisch verurteilt. Zimmer teuer unterzuvermieten und Informationen oder Arbeitsangebote zu verkaufen, stellte jedoch eine der wenigen Möglichkeiten dar, als migrantische Arbeitskräfte einen signifikanten Überschuss zum Sparen zu erwirtschaften, ohne die physische wie psychische Gesundheit zu gefährden. Für viele Frauen, stellte Religiosität eine wichtige Ressource im Migrationsprozess dar, welche in schwierigen Situationen Hoffnung, Erleichterung und Kraft gab: Durch das Sich-Verortetwissen in einem höheren Plan und durch das Rechnen mit dem Schutz durch eine höhere Macht, fiel es religiösen Frauen und Männern oft leichter, Risiken einzugehen und gegen Verzweiflung anzukämpfen, indem sie ihre Hoffnungen und Projekte in eine gesicherte Zukunft projizierten. Manche Strategien zielten daher auch auf die Beeinflussung des „Schicksals“ mittels Veränderungsritualen. Die Handlungsfelder, Ressourcen, Möglichkeiten und Grenzen waren dabei nicht nur auf Spanien bezogen: Die EcuadorianerInnen verorteten sich und handelten in verschiedenen Kontexten und Räumen. Transnationale Räume (samt transnationaler Beziehungen) waren dabei zentral. Aber auch diese sind vermachtet und können ermöglichend wie begrenzend sein. So versuchten beispielsweise in Ecuador gebliebene Partner und/oder Familienangehörige Kontrolle über die Sexualität, Handlungen und Interaktionen von migrierten Frauen mittels eines Netzes aus InformantInnen, auf der Basis von Gerüchten etc. auszuüben und auf diese Weise die Handlungsmöglichkeiten der Frauen in Madrid einzuschränken. Manche Frauen
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vermieden daher explizit bestimmte Räume, was sich sowohl auf Kontakte mit anderen EcuadorianerInnen und/oder MigrantInnen, aber auch auf Interaktionsräume mit SpanierInnen oder anderen EuropäerInnen beziehen konnte. Eine Migration nach Spanien konnte aber andererseits auch eine Trennung von (gewalttätigen) Partnern und finanzielle Unabhängigkeit ermöglichen, wie dies bei mehreren Frauen der Fall war. Auf diese Weise war der transnationale Raum und die Bewegung innerhalb desselben sowie die ermöglichte Distanz auch eine Chance. Die Migration und die Hausarbeit im Speziellen sind nicht nur einseitig einschränkend und verhindernd, was unter anderem anhand der Auswirkungen auf die Geschlechterverhältnisse gezeigt wurde. Der Handlungsspielraum ist auch ermöglichend, und zwar nicht nur als Struktur selbst (welche stets ermöglichend und verhindernd ist), sondern auch als strukturelle Veränderung durch Migration, als Änderung der Kontexte und Handlungsräume, zum Beispiel durch den Eintritt in die Lohnarbeit, Zugang zu neuen Ressourcen und Normalitäten. So nannten die Ecuadorianerinnen in der Bewertung ihrer Migration neben finanziellen Möglichkeiten wie zum Beispiel einem Hausbau in Ecuador, Bezahlen von Schulgeldern der Kinder und Ähnlichem auch „Freiheit“, „Unabhängigkeit“, Veränderungen in den Geschlechterbeziehungen, die Distanz zum Herkunftskontext, die Eröffnung neuer kultureller und sozialer Erfahrungen wie auch neue Konsummöglichkeiten als positive Aspekte ihrer Migration. Trotz der erniedrigenden Arbeitsverhältnisse mit unter Umständen hohen persönlichen wie sozialen Kosten konnten daher bestimmte Hoffnungen (wenn auch oft modifiziert) realisiert werden. Haushaltsarbeit umfasst also beides, Verhinderung und Ermöglichung zugleich: Sie ist verhindernd in ihrer strukturellen Beschränkung, der differenzierenden und unterordnenden Rollenzuweisung, welche unterschiedliche Maßstäbe ansetzt, institutionell diskriminiert, von gleichen Chancen ausgrenzt und mit den globalen Ungleichheiten nicht nur rechnet, sondern diese auch national bzw. lokal anwendet. Sie eröffnet aber auch Möglichkeiten. Sie ist jedoch meist weniger ermöglichend als von den Ecuadorianerinnen erhofft, belastender als erwartet und somit innerhalb der differenzierenden Logik beschränkend. Die ecuadorianischen Haushaltsarbeiterinnen konnten folglich erfolgreiche Migrantinnen und trotzdem Opfer von Ausbeutungssituationen sein. Beide Aspekte sind Teil des gleichen Migrationsprozesses und dürfen nicht auf einen Gesichtspunkt reduziert oder ineinander überführt werden. Der sozialtheoretische Zugang der Studie ermöglichte genau dies: beides zusammen zu denken und Einseitigkeiten zu verhindern. Indem die soziale Praxis im Zusammenspiel von Handlung und Struktur untersucht wurde, konnte gezeigt werden, wie die Strukturen begrenzt und begrenzend sind, aber innerhalb der Grenzen auch ermöglichend wirken und strategisch genutzt, affirmiert oder transformiert werden. Die Begrenzung des Handlungsspielraums im Kontext der Globalisierung bewirkt, dass die Migrantinnen Opfer struktureller Rollenzuschreibungen, institutioneller Diskriminierung und internationaler Ausbeutungslogiken, dadurch jedoch nicht passiv sind. Sie nut-
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zen den ihnen gegebenen Handlungsspielraum, welcher durch die Änderung der Kontexte, die räumliche Distanz, die Arbeitsmöglichkeiten, neue Kontakte und Normalitäten u.v.m. auch verschiedenste Chancen bietet. Auch in der Bewertung der ecuadorianischen Hausarbeiterinnen zeigte sich diese Komplexität und die beiden Seiten der Strukturen, welche es unmöglich machen, von einem eindeutigen Gewinn oder Verlust zu sprechen. Auch die Frauen selbst taten dies nicht. Ihre Bewertungen waren vielmehr abwägend und differenzierend sowie kontextuell, situativ und relational oft verschieden. Sie variierten je nach Bezugspunkt (Arbeitsbedingungen, Lohn, Ermöglichungen in Ecuador, Möglichkeiten in Spanien usw.), Moment, Zeit in Spanien, Thema und Umständen. Es handelt sich um eine Vielzahl von Faktoren und Bedingungen, welche sowohl die Haushaltsarbeit als auch den Migrationskontext umfassen, in den die Hausarbeit eingebettet ist, welche aber auch Unterschiede unter den Migrantinnen betreffen. Sowohl die erforschte katholische Gemeinde, die ArbeitgeberInnen als auch der dominante öffentliche Diskurs gingen jedoch von einem eindeutigen Gewinn aus, welcher in den Argumentationen auf einer Reduktion und Engführung basiert, indem nur die Erlangung eines Lohnes und die möglichen Chancen für die Haushaltsarbeiterinnen im Blickfeld stehen. Die strukturelle Analyse und somit die Kosten wie negativen Aspekte bleiben außen vor. Es wird also die Komplexität und Vielfalt vereinfacht, die Dualität und gegenseitige Bezogenheit von Struktur und Handlung nicht beachtet und von den konkreten Arbeits- wie Lebenssituationen hin auf den Lohn abstrahiert. Dieser stellt zwar eine wichtige Ressource für die Hausarbeiterinnen dar. Daraus lässt sich aber nicht ableiten, dass die Arbeit als solche als positiv erachtet und deshalb legitimiert wird. Vielmehr trennten viele Haushaltsarbeiterinnen die Arbeit vom Lohnerwerb ab und definierten ihre Arbeitsidentität über den Lohn und die Ermöglichungen daraus und nicht über die Art der Arbeit selbst. Auch im Argument des beiderseitigen Gewinnes werden die konkrete Arbeit und der Lohn getrennt. Während diese Trennung für die Migrantinnen jedoch eine strategische Positionierung, Selbstdefinition und Projektion innerhalb ihres Migrationsprojektes darstellt, bietet es für die ArbeitgeberInnen die Möglichkeit, von den konkreten Bedingungen abzusehen und diese implizit zu rechtfertigen. So wird die migrantische Haushaltsarbeit aus der spanischen Gesellschaft mit deren Rechten, Pflichten, Gesetzen, Schutz etc. herausgelöst, in Bezug zu den Arbeitsund Lebensbedingungen im Herkunftsland gesetzt, und scheinbar natürlich innerhalb der internationalen ungleichen Verhältnisse gerechtfertigt. Die Produktion von Marginalität wird auf diese Weise verschleiert, es wird von Gleichheitsprinzipien Abschied genommen und die Verstärkung sozialer Ungleichheiten als normal deklariert, was auch für „einheimische“ prekär Arbeitende und Arme immer mehr gilt. Mit der Abstraktion von den Arbeitssituationen wird der Blick von den konkreten Arbeitsbedingungen (und somit auch von der Anwendung verschiedener Kriterien für „Einheimische“ und „Andere“) abgewandt. Die Haushaltsarbeit wird
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aus ihren Raum- und Zeitverortungen wie auch aus den interaktiven Kontexten der Arbeitsbeziehung mit ihren servilen Konnotationen, dem Gewaltpotential etc. gelöst. Dies erlaubt es, die zeitlichen Veränderungen und die (unvorhergesehenen) Kosten für die sozialen Beziehungen wie die Gesundheit zu ignorieren bzw. als irrelevant zu erachten. Hausarbeiterinnen sind jedoch nicht nur Arbeitskräfte, sondern konkrete Personen mit unterschiedlichen Bedürfnissen, Aspekten und Beziehungen, weshalb sie nicht auf die Erlangung von Lohn und auf ihre Rolle als Arbeitskräfte reduziert werden dürfen, wie dies in der Argumentation eines gemeinsamen Gewinnes der Fall ist, welche den Frauen zudem eine rein ökonomische Migrationsmotivation zur Lohnarbeit und eine allein finanzielle Evaluierung ihrer Migration unterstellt. Ein Aspekt ist dabei besonders entscheidend: Diese Logik und Argumentation funktioniert nur, solange die Referenzen der Haushaltsarbeiterinnen auf Ecuador bezogen bleiben, man könnte auch sagen, so lange sich die Migrantinnen nicht (als Gleiche) in die spanische Gesellschaft integrieren (können), sie weiterhin Fremde bleiben und als solche ihnen gegenüber andere Maßstäbe als für „einheimische SpanierInnen“ angewandt werden können. 8.4 Dasein für Andere – Dasein als Andere in Europa Migrantische Haushaltsarbeiterinnen stellen die ideale Lösung auf verschiedene Fragen heutiger Haushalte dar und werden in dieser Funktion als „Problemlöserinnen“ wie „Dienstleisterinnen“ sehr geschätzt. Als Erzieherinnen der einheimischen Kinder, als Pflegerinnen der alten und kranken Personen, in ihrer Ermöglichung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, der Leistbarkeit von Pflege zu Hause, ihrer Schaffung von Lebensqualität und „qualitativ hochwertiger“ freier Zeit, sprich in ihrem unsichtbaren „Dasein für Andere“, sind sie höchst erwünscht. Sobald sie jedoch sichtbar werden und somit nicht mehr nur die Funktion als Arbeitskräfte für Andere einnehmen, sondern als Personen, als Andere anwesend sind, ändert sich oft die gesellschaftliche Wahrnehmung und Thematisierung. Di Palma (2004) zeigte dies in seiner Studie zu Repräsentationen ecuadorianischer MigrantInnen in der italienischen Presse in Genua: Solange die Ecuadorianerinnen als Internas arbeiteten und somit unsichtbar waren, wurden sie gar nicht oder als passiv und freundlich dargestellt. Als jedoch deren Kinder nach Italien nachkamen und öffentliche Räume beanspruchten, setzte eine Stigmatisierung in der Berichterstattung ein. Lutz weist für Deutschland darauf hin, dass Hausarbeiterinnen bislang weder in Integrationsdebatten als Problemkategorie noch in öffentlichen Unmutsbekundungen auftauchen. Die Meinungsführer dieser Debatte, so Lutz, hätten wohl selbst Interesse daran, das Thema Haushaltsarbeit auszusparen (vgl. Lutz 2007, 207). Auch im erforschten Hausarbeitskurs in Madrid zeigte sich, dass, insofern es
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um die Funktion der Hausarbeiterinnen für die spanischen Haushalte ging, vornehmlich positive Stereotypen (liebevoll, geduldig, sanft) mit ihnen verbunden wurden. Ging es jedoch um deren eigene Zielsetzungen und Bedürfnisse wie zum Beispiel im Falle von Mutterschaft, wurden negative Stereotypen konstruiert („unflexible“ Mütter, nicht vermittelbar, unmoralisch, unzivilisiert). Die Problematik der Sichtbarwerdung und der Einnahme eines öffentlichen Raumes zeigte sich ganz besonders bei der Analyse des ecuadorianischen Treffpunkts bei „Lago“, in einem Park in Madrid. EcuadorianerInnen verbrachten dort ihre Freizeit und wurden somit als Gruppe sichtbar und hörbar. Die Treffen boten den EcuadorianerInnen die Möglichkeit, ihrer Einsamkeit zu entgehen, ihren Sorgen wie Hoffnungen Ausdruck zu verleihen und sich in einer Gemeinschaft mit ihnen vertrauten Formen zu regenerieren. Im Migrationskontext der Entpersonalisierung und Diskriminierung ermöglichten die Treffen die Reaffirmation der (nicht nur migrantischen) Persönlichkeit und die Selbstverortung im (transnationalen wie lokalen) Raum, aber auch die Positiv- und somit Umdeutung wie Selbstaneignung des „MigrantInseins“. Der sozialen Konstruktion von außen als „Colectivo ecuatoriano“ wurde ein eigenes, selbstbewusstes wie sichtbares „Wir“ entgegengesetzt. Die Treffen führten zu vehementen Abwehrreaktionen, zur Konstruktion negativer Stereotypen und zu deren Verallgemeinerung auf alle EcuadorianerInnen in Madrid. Neben konkreten Konflikten im Umfeld dieser Treffen ging es dabei um die Frage nach Personsein und Partizipation einerseits sowie Entpersonalisierung und Hinordnung auf eine bestimmte Rolle andererseits. Max Frisch fasste dies in Bezug auf das Gastarbeiterregime in das mittlerweile geflügelte Wort: „Wir wollten Arbeitskräfte, und es kamen Menschen.“ Damit sind zentrale Fragen verbunden und zwar nicht nur danach, wie sich die Frauen ihr Personsein selbst aneignen – was hier ausgiebig diskutiert wurde –, sondern auch, inwiefern sie als Personen Trägerinnen von bestimmten Rechten in Europa sind, beginnend bei den Menschen- und Grundrechten, deren Übertretung und Missachtung für die Lösung der verschiedenen mit Haushaltsarbeit verbundenen sozialen Problemfelder scheinbar selbstverständlich in Kauf genommen werden. Die hier analysierte Praxis migrantischer Haushaltsarbeit stellt das demokratische Selbstverständnis der europäischen Gesellschaften und die Grundlagen der Europäischen Union in Frage, welche sich in ihrer Charta der Grundrechte unter anderem auf die Würde der Menschen, das Recht auf Unversehrtheit, das Verbot erniedrigender Strafe oder Behandlung, auf Nichtdiskriminierung sowie auf gerechte und angemessene Arbeitsbedingungen verpflichtet. In der Studie wurde immer wieder gezeigt, dass Migrationen konstruierte und somit dekonstruier- wie gestaltbare Prozesse darstellen, an denen verschiedene AkteurInnen und Ebenen beteiligt sind. Der Migrationspolitik kommt dabei eine entscheidende Rolle zu, indem sie die Lebensbedingungen der MigrantInnen und deren Möglichkeiten grundlegend strukturiert. Das zeigten die Verbesserungen der Ar-
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beitsbedingungen, welche mit der Legalisierung des Aufenthaltsstatus und mit der Formalisierung der Arbeitsverhältnisse der Frauen einhergingen. In restriktiveren Migrationsregimen wie dem deutschen oder österreichischen würden die hier analysierten Biographien der ecuadorianischen Haushaltsarbeiterinnen aufgrund der mangelnden Legalisierungsmöglichkeiten daher anders verlaufen (vgl. auch Lutz 2007, 190). Es zeigte sich aber auch, dass eine Legalisierung zwar eine Veränderung der Arbeitsbedingungen, größere Stabilität und die Gewährung verschiedener Rechte (wie zum Beispiel Familienzusammenführung) mit sich bringt, dass dadurch andere Differenzmechanismen jedoch nicht automatisch außer Kraft gesetzt werden. Dies wurde bei der Analyse des Hausarbeitskurses sehr deutlich: Es handelt sich um eine Migrationsinstitution, welche aber selbst nicht formalisiert ist, sieht man von ihrer Einbettung in die katholische Kirche als Institution ab. Sie vermittelt jedoch zwischen Angebot und Nachfrage, strukturiert auf diese Weise die Haushaltsarbeit und nimmt aktiv an der Schaffung von Distanz und Differenz zwischen Einheimischen und Fremden teil. Es geht also nicht nur um politisch-legale Prozesse, sondern auch um die informelle Strukturierung der sozialen Praxis mit ihren unterschiedlichen Formen, Ebenen und AkteurInnen. Ein wichtiger Schritt zum Verständnis und zur Gestaltung dieser Prozesse scheint mir dabei die hier vorgenommene Analyse der Konstruktionsprinzipien der sozialen Praxis und deren Konfrontation mit den Geschichten, den Strategien, (Un-)Möglichkeiten wie auch den Wahrnehmungen und Bewertungen der Migrantinnen zu sein. Auf diese Weise können die Differenzmechanismen und deren Naturalisierungen dekonstruiert, aber auch Einseitigkeiten in der Analyse und in der Thematisierung migrantischer Haushaltsarbeit vermieden werden. 8.5 Hinweise für weitere Forschungen Viele Aspekte meiner Forschung konnten hier nur angerissen werden. Daten zur transnationalen Mutterschaft (vgl. dazu Wagner 2007a; 2008b) oder auch zur Nutzung der transnationalen Räume durch Migrierte und Nicht-Migrierte in unterschiedlichen Ländern, insbesondere auch Transaktionen und Kommunikationsformen gingen hier in die Analyse in ihrer grundsätzlichen Dimension, aber nicht immer explizit und vordergründig ein. Es wäre interessant, die Vermachtungen, Überlappungen und Durchbrechungen der verschiedenen Räume im Migrationsprozess weiter zu verfolgen, zumal die Frage nach der Selbstverortung im Raum, nach Vermeidung von Räumen bzw. Herstellung neuer Räume, aber auch nach Projektionen im Raum sowie Überwindung der räumlichen Trennung (von Kindern, Eltern, Partnern) eines der zentralen Themen darstellt, wenn ich heute, drei Jahre nach Beendigung meiner Forschung, mit den Frauen spreche.
8.5 Hinweise für weitere Forschungen
381
Verbunden mit der Frage nach Raum ist die Zeitdimension. Sie war in der Studie durch den Fokus auf den Migrationsprozess und durch die 14-monatige Forschung in verschiedener Weise präsent. Sie zeigte sich beispielsweise in Form unterschiedlicher Zeithorizonte, in deren Auswirkungen auf die Handlungsstrategien und Projekte, aber auch als zeitliche Veränderungen und Möglichkeiten. So erwies sich beispielsweise die Projektion in die Zukunft als eine Auszeit-Strategie, welche als diskursive Strategie auch von SpanierInnen zur Ausgrenzung von MigrantInnen genutzt wurde, wenn die MigrantInnen lediglich als RückkehrerInnen und nach Ecuador Zurückzukehrende behandelt wurden und ihnen eine andere Raum-undZeit-Verortung verwehrt wurde. Mit der Frage nach der Verortung von Handlungen in Raum und Zeit werden grundlegende Fragen der Sozialtheorie gestellt. Auch der hier gewählte praxeologische Zugang sollte auf diese Aspekte hin nochmals geprüft und erweitert werden. Moldenhauser (2006) schlägt beispielsweise vor, die antizipierte Zukunft als Teil des Habitus zu denken, da auch die Projektion in die zukünftige Zeit handlungsprägend ist und habitualisiert wird, was hier mit Appadurais Verständnis der Imagination als sozialer Praxis angedacht wurde. Der praxeologische Ansatz als solcher hat sich in seinem Verständnis der sozialen Praxis als Schnittpunkt von Struktur und Handlung als sehr sinnvoll erwiesen, ebenso die Einbettung der Haushaltsarbeit in den größeren Migrationskontext und –prozess. So konnten Komplexitäten aufgewiesen werden. Dies betrifft zum Beispiel die Pluralität der Migrationsmotive, Fragen der Genderidentität, aber auch die Selbstbewertung der Haushaltsarbeit (und der Migration) durch die migrierten Frauen, welche sich hier als situativ, kontextuell und als sich mit der Zeit verändernd erwiesen haben. Die Forschungsergebnisse sind Resultat der angewandten Methoden: Die Studie basiert auf einer Feldforschung von vierzehn Monaten in Spanien wie Ecuador mit intensiver teilnehmender Beobachtung sowie über achtzig Interviews. Die qualitative Forschung über einen längeren Zeitraum an verschiedenen Orten erlaubte es, die Haushaltsarbeit, aber auch die je einzelnen Geschichten in den größeren Migrationskontext und -prozess einzuordnen. Auf diese Weise wurde die Hausarbeit im weiteren Lebenszusammenhang der Migrantinnen inklusive der gesellschaftlichen wie globalen Verortungen erforscht. So konnte eine Reduktion der Ecuadorianerinnen auf ihre gesellschaftlich zugeschriebene Rolle als Arbeiterinnen vermieden und über ihre Arbeit bzw. die Arbeitssuche hinweg auch ihr Freizeitverhalten, ihre Strategien und Pläne im spanischen Kontext wie auch im transnationalen Raum untersucht werden. Hätte ich die Forschung früher beendet und nur in Spanien durchgeführt, hätte sie nicht zu diesen Ergebnissen geführt. Solch lange, multilokale Datenerhebungen sind heute jedoch immer schwieriger durchführbar und finanzierbar. Mit der Priorisierung anderer Methoden, Forschungsrichtungen und Disziplinen etablieren sich neue Grenzziehungen und Hierarchien innerhalb der Wissenschaf-
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8 Schlussfolgerungen
ten, der Zugangsweisen wie Themen. Jedoch erst der interdisziplinäre und methodisch übergreifende Austausch zwischen qualitativer und quantitativer Forschung wird es erlauben, die aktuellen gesellschaftlichen Prozesse zu verstehen und Antworten darauf zu formulieren.
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Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Grounded Theory, Eigene Visualisierung.
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Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Ausländische Bevölkerung in Madrid gemäß Nationalität. Eigene Darstellung auf Grundlage des Padrón Municipal de Habitantes, Stichtag 01.01.2005. Tabelle 2: Spanische und ausländische Bevölkerung in Madrid gemäß Nationalität. Eigene Darstellung auf Grundlage des Padrón Municipal de Habitantes, Stichtag 01.01.2005. Tabelle 3: Migrierte, nicht zurückgekehrte ecuadorianische Haushaltsmitglieder nach Jahr. Eigene Darstellung auf Grundlage des Zensus 2001 (INEC 2001). Tabelle 4: Ecuadorianische PräsidentInnen von 1996-2009. Eigene Darstellung. Tabelle 5: Rechtfertigung von Gewalt gegen Frauen durch 1000 befragte Jugendliche. Eigene Darstellung auf Grundlage von Camacho 2003, 152. Tabelle 6: Rechtfertigung von Gewalt gegenüber Kindern durch 1000 befragte Jugendliche. Eigene Darstellung auf Grundlage von Camacho 2003, 101. Tabelle 7: Ecuadorianische Migration gemäß ausgewählter Provinzen und Jahre. Eigene Ausarbeitung auf der Grundlage des Zensus von 2001. Tabelle 8: Die gesetzliche Regelung von Hausarbeit im Vergleich zum allgemeinen Arbeitsrecht. Eigene Darstellung in Anlehnung an Escrivá 1999, 349 und deren Bearbeitung durch Colectivo IOÉ 2001a, 180. Tabelle 9: Probleme als Hausarbeiterin. Eigene Ausarbeitung auf der Grundlage von Rulán-Buades 1998, 127.
Heike Wagner, Dasein für Andere – Dasein als Andere in Europa, DOI 10.1007/978-3-531-92167-9, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2010
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