Atlan - Im Auftrag der Kosmokraten
Nr. 687 In der Sonnensteppe
Das Zerstörungskommando von Kurt Mahr
Die E...
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Atlan - Im Auftrag der Kosmokraten
Nr. 687 In der Sonnensteppe
Das Zerstörungskommando von Kurt Mahr
Die Expedition zur Sonnensteppe
Im Jahr 3818 wird Atlan aus seinem Dasein als Orakel von Krandhor herausgerissen. Der Grund für diese Maßnahme der Kosmokraten ist, daß Atlans Dienste an einem anderen Ort des Universums viel dringender benötigt werden als im Reich der Kranen. Neuer Einsatzort des Arkoniden ist die Galaxis Alkordoom, wo eine Entwicklung im Gang ist, die das weitere Bestehen der Mächte der Ordnung in Frage stellt. Bereits die ersten Stunden von Atlans Aufenthalt in Alkordoom zeigen auf, wie gefährlich die Situation ist. Der bestandene Todestest und der Einsatz im Kristallkommando beweisen jedoch Atlans hohes Überlebenspotential. Dennoch gerät der Arkonide in die Gewalt der Crynn‐Brigadisten – und ihm droht die Auslöschung seiner Persönlichkeit. Seine Rettung verdankt Atlan den Celestern, Nachkommen entführter Terraner. Sie bringen ihn nach New Marion, ihrer neuen Heimat, die ihrerseits durch Atlan vor der Vernichtung bewahrt werden kann. Kurz darauf wird der Arkonide selbst wieder in tödliche Konflikte verwickelt. Er wird auf den Planeten Brusquez verschlagen und schließt sich einer bunt zusammengewürfelten Forschungsexpedition an, die ausgelöscht werden soll durch DAS ZERSTÖRUNGSKOMMANDO …
Die Hauptpersonen des Romans: Atlan ‐ Der Arkonide in Not. Almergund und Duun ‐ Zwei Transversal‐Teleporter. Dhonat ‐ Leiter der Steppenforscher. Wasterjajn Kaz ‐ Schiffsführer der ZWERBUS. ANIMA ‐ Atlans lebendes Raumschiff erscheint.
1. »Paß auf, wo du hintriffst, du Klotz«, sagte die schnarrende Stimme auf alkordisch. Ich sah mich um. Wer hatte gesprochen? Es ist nichts Leichtes, an wildfremdem Ort aus längerer Bewußtlosigkeit zu erwachen und sogleich unfreundlich angesprochen zu werden. Rings um mich herrschte trübes Halbdunkel. Ich sah die Umrisse fremdartiger Maschinen. Es roch nach Moder und Rost. Wenn ich einen Schritt tat, knirschte und knisterte es unter dem Fuß. Ich hatte das Gefühl, ich befände mich in einer Umgebung, die jeden Augenblick über mir zusammenstürzen könne. Ich wollte raus hier. Immer mit der Ruhe, warnte der Extrasinn. Sprich mit ihm. »Mit wem?« frage ich laut. »Mit wem – was?« meckerte die knarrende Stimme. »Willst du dich über mich lustig machen?« »Nichts läge mir ferner«, antwortete ich mit aller Würde, die ich im Augenblick noch aufzubieten vermochte. »Ich bin nur verwirrt.« »Das merke ich. Halte still, bis Versenpaz dich untersucht hat.« Die Bedeutung dieser Worte entging mir für den Augenblick. Mich quälten andere Fragen. »Wo bin ich hier?« wollte ich wissen. »Du hast deine Frage selbst beantwortet«, schnarrte die Stimme aus dem Halbdunkel. »Du bist hier.« »Aha, ein Robot«, entfuhr es mir fast wider Willen.
»Woran erkennst du das?« wurde gefragt. »An deiner belämmerten Logik«, antwortete ich. Es hat keinen Zweck, meldete sich der Extrasinn. Alles hier ist alt und halb zerfallen. Du bist intelligent genug, dich nicht mit einem altersschwachen Robot anzulegen. »Ich will wissen, wo ich bin, verdammt noch mal«, murmelte ich. »Ich ging auf Kippelkart durch eine Tür, und – peng! – war ich fort.« Vermutlich ein Transmitter. Ich habe gespürt, daß wir eine Zeitlang schwerelos fielen. Wir sind nach meiner Schätzung Dutzende von Lichtjahren von Kippelkart entfernt. »Dann ist das hier die Gegenstation? Ein Transmitter‐Empfänger?« Wahrscheinlich. »Gut. Dann polen wir sie um und kehren nach Kippelkart zurück.« In Gedanken verfluchte ich Parillyon, der mir diese Sache eingebrockt hatte. Auf seinen Rat hin war ich nach Kippelkart gegangen, einer Welt, die er die Pforte der Weisen nannte – allein, ohne Hilfe. Irgend etwas hatte mir das Bewußtsein geraubt. Und jetzt war ich hier, in dieser Bruchbude, in der eine schnarrende Stimme zu mir sprach und halbgare Weisheiten von sich gab. Und dann war da noch … wer? Versenpaz, der mich untersuchen sollte? Richtig. Darüber würde ich mir an deiner Stelle den Kopf zerbrechen, meinte der Extrasinn. Das Wichtigste zuerst. Von irgendwo aus dem dämmerigen Halbdunkel kamen summende Geräusche, in die sich ab und zu ein kurzes Rattern mischte. Ein Umriß tauchte auf. Er hatte die Form eines halben Eis, besaß etwa meine Größe und bewegte sich mit der Schnittfläche wenige Zentimeter über dem Boden. Als er näher kam, sah ich, daß die Oberfläche des Eis aus Metall bestand. Sie war mit Rostflecken besät. Ich ließ das Ding herankommen. Es wirkte harmlos. Als es noch zwei Meter von mir entfernt war, ertönte das Rattern von neuem. In der Kuppelrundung öffnete sich eine Klappe, und ein Tentakel
schoß hervor. Ein metallener Stachel glitzerte im ungewissen Licht. Blitzschnell warf ich mich zur Seite, keine Zehntelsekunde zu früh. Der Stachel durchlöcherte die Luft an der Stelle, an der ich soeben noch gestanden hatte. Das Material meiner silberfarbenen Montur war widerstandsfähig; aber dem heimtückischen Dorn hätte es wohl kaum standgehalten. Das war es also, was die schnarrende Stimme meinte, wenn sie von einer Untersuchung sprach! Gepiekt sollte ich werden, womöglich aufgeschnitten und auseinandergenommen. Wer auch immer hier das Kommando führte, er schien nicht zu wissen – oder es kümmerte ihn nicht –, daß organisches Leben eine solche Behandlung normalerweise nicht überstand. Versenpaz bemerkte offenbar, daß sein erster Vorstoß ins Leere gegangen war. Glücklicherweise war er nicht der Schnellste. Das mußte an seinem Alter und dem Mangel an Wartung liegen. Ich wich vor ihm zurück. Er setzte nach. Ich stieß gegen etwas, das polternd in Stücke brach. Die tastende Hand fand einen Gegenstand, der aus Leichtmetall bestand und die Form eines Stuhlbeins hatte. Ich wartete, bis die Tentakel wieder in Sicht kam, dann schlug ich zu. Armer Versenpaz! Es mußte Hunderte von Jahren her sein, seitdem man sich das letzte Mal um sein Wohlbefinden gekümmert hatte. Die Kante des Stuhlbeins trennte den Greifarm nahe der Wurzel ab. Es war pathetisch anzusehen, wie der Stummel hilflos durch die Luft kreiste. Aber Mitleid war hier wenig angebracht. Ich hatte es mit einem Robot zu tun, der darauf aus war, mich zu sezieren. Ich griff von der Seite her an. Es gab einen hellen, schwingenden Laut wie von einer Glocke, als meine primitive Waffe auf Versenpazʹ Hülle eindrosch. Im Hintergrund hatte die schnarrende Stimme zu zetern begonnen. Ich achtete nicht darauf, was sie sagte. Versenpaz entwickelte Beulen und Kerben. Mein Stuhlbein dagegen hielt sich bravourös. Irgendwann muß es mir wohl gelungen sein, eine zentrale Schaltstelle des Roboters zu treffen. Er
drehte sich mehrmals im Kreis, gab ein protestierendes Zischen von sich und kippte schließlich zur Seite. Beim Umfallen prallte er gegen einen quaderförmigen Gerätekasten, der sich daraufhin in seine Bestandteile auflöste und Versenpaz unter seinen Trümmern begrub. Eine rostige Staubwolke erfüllte den Raum. Ich wandte mich schleunigst zur Flucht. Metallstaub war schlecht für die Schleimhäute. Ich gelangte in einen Korridor. Ein paar trübe Funzeln brannten unter der Decke. Am Ende des Ganges ein weiterer Raum mit Geräten und Maschinen einer unbekannten Technik. Doch halt – der Käfig dort hinten! Erinnerte er nicht an eine Transmitterstation, wie sie in der Frühzeit der terranischen Raumfahrt in Gebrauch gewesen war? Ein ferronischer Käfigtransmitter! Gewiß doch, das mußte es sein. Du meinst, die Ferronen waren hier? erkundigte sich der Extrasinn spöttisch. »Unsinn«, knurrte ich. »Äquivalenz der technischen Entwicklung.« Nur zu, ermunterte er mich. Aber verlier keine Zeit. Ich glaube, man wird ärgerlich. Ich horchte. Im Hintergrund war halblautes, wimmerndes Heulen zu hören. Alarmsirenen. Die fremde Technik erwachte und blies zum Angriff auf den fremden Eindringling. »Hilf mir, nach der Schalteinheit zu suchen«, forderte ich den Extrasinn auf. »Abschnitt Vedu‐Ekhor«, plärrte die schnarrende Stimme. Ich fuhr zusammen. Wie hatte sie mir hierher folgen können? »Räumeinheiten nach Abschnitt Vedu‐Ekhor.« * Ich arbeitete wie ein Besessener. Es war mir gelungen, mehrere Kontrollichter auf einer Konsole zum Leuchten zu bringen. Meine
Hoffnung konzentrierte sich darauf, daß der Käfigtransmitter von hier aus bedient werden könne. Ich betätigte Tasten, strich über Kontaktleisten. Dabei behielt ich den Käfig ständig im Auge. Es würde zu sehen oder zu hören sein, wenn Leistung in den Transmitter zu fließen begann. Das Wimmern der Sirenen war verstummt. Dafür näherten sich aus mehreren Richtungen zugleich scharrende, brummende und knisternde Geräusche. Die Räumeinheiten waren im Anmarsch. Von Zeit zu Zeit gab die schnarrende Stimme ihren Robottruppen zusätzliche Anweisungen. Sie war mir selbstverständlich nicht gefolgt. Es gab Lautsprecher in allen Räumen dieser Anlage. Die Steuerung der Geräte erfolgte auf akustischer Basis. Das war nichts Neues. Wir machten es mit unseren Servos genauso. Es war die Verwirrung, der Mangel an Orientierung gewesen, durch den ich mich hatte ins Bockshorn jagen lassen. Das leichtmetallene Stuhlbein lag griffbereit neben mir. Es war meine einzige Waffe. Das heißt, ich besaß noch das Mehrzweckmesser, das ein Teil meiner Ausstattung gewesen war, als ich mich vor vier Monaten unversehens auf der Welt Puurk wiedergefunden hatte. Aber wozu sollte mir hier ein Messer dienen? Das Stuhlbein dagegen war ein äußerst wirksames Gerät in einer Umgebung, in der alles so brüchig war, daß es bei mäßiger Kraftanwendung in seine Bestandteile zerfiel. Es knisterte im Metallnetz des Käfigs. Zusätzliche Kontrolleuchten flammten auf. Erregung packte mich. Ich kam dem Ziel näher. Ihr Götter Arkons, gebt mir noch zwei Minuten, und ich habe den Transmitter soweit, daß er mich zurück nach Kippelkart bringt! Ich nehme an, du hast volles Vertrauen in die Funktionsfähigkeit des Geräts. Ausgerechnet jetzt mußte er das sagen! Ich war drauf und dran, in den Käfig zu steigen, da fiel ihm ein, daß es um den Transmitter womöglich ebenso miserabel bestellt sein könne wie um den Rest der Maschinerie in dieser Anlage. Ich dachte an Alaska Saedelaere.
Wenn ich einen defekten Transmitter benutzte, lieferte ich mich demselben Schicksal aus, das den Maskenträger getroffen hatte. Die Geräusche der Räumgeräte kamen näher. »Ich habe keine andere Wahl«, brummte ich. Noch zwei Tasten, noch eine Kontaktleiste. Das Knistern im Gitter wurde lauter. Ein sanftes, hellblaues Glühen hüllte den Käfig ein. Ich suchte nach einer Verzögerungsschaltung. Ich brauchte dreißig Sekunden, um den Transmitter zu betreten. Woher sollte ich wissen, wie die fremde Technik den Zeitraum einer halben Minute definierte? Der Raum hatte vier Zugänge. In dreien davon tauchten Schatten auf, die Umrisse verschiedenartig geformter Roboter. Sie bewegten sich langsam. Greifarme, mit zangenähnlichen Klauen bewaffnet, waren starr nach vorne gereckt. Ihre Wahrnehmungsmechanismen suchten nach dem Fremdkörper, den sie abzuräumen hatten. In meiner Verzweiflung betätigte ich wahllos eine weitere Batterie von Tasten. Höchstwahrscheinlich rettete mir dieser Akt der Unbesonnenheit das Leben. Das Knistern des Käfigs wurde zu lautem Geknatter. Funken sprühten, das Gitterwerk begann zu glühen. Ich griff nach dem Stuhlbein, wollte auf den Transmitter zueilen – da schoß aus dem Innern des Käfigs eine grelle Stichflamme in die Höhe. Ein donnernder Knall löschte alle übrigen Geräusche aus. Eine heiße Druckwelle packte mich und schleuderte mich quer durch den Raum. Ich prallte gegen etwas Hartes und verlor für ein paar Sekunden die Besinnung. Als ich wieder zu mir kam, stand die Welt rings um mich in Flammen. Ich hatte den Transmitter überladen. Die Sicherungsmechanismen der überalterten Technik hatten versagt. Das Gerät war in die Luft geflogen. Das einzig Gute daran war, daß der Brand den näherrückenden Räumgeräten ebensoviel zu schaffen machte wie mir. Ich lag in der Nähe des vierten Ausgangs. Während die Flammen näherrückten, vergewisserte ich mich, daß sich von
dorther kein gegnerischer Robot näherte. Ich sprang auf und hetzte davon. Hinter mir knallte und blaffte eine Serie kleinerer Explosionen. Übelriechender Qualm folgte mir. Ich rannte, ohne auf Widerstand zu stoßen, durch einen langen Korridor, durch zwei, mit Geräten gefüllte Hallen, bog um eine Ecke, nahm eine Abzweigung nach rechts und fand mich schließlich in einem erfreulich hellen, kahlen Raum wieder, den der Rauch noch nicht erreicht hatte. Ich horchte. Es war ruhig. Hier hatte ich Zeit, ein wenig zu verschnaufen. Zwei Leuchtplatten glommen in der fünf Meter hohen Decke. Wände und Boden des Raumes machten einen wesentlich weniger verwahrlosten Eindruck als alles andere, was ich bisher zu sehen bekommen hatte. Vermutlich befand ich mich in einem neueren Teil der Anlage. Es gab hier keine Maschinen. Man hatte sie erst installieren wollen, aber es war irgend etwas dazwischengekommen. Das einzige, was mich an dem Raum störte, war, daß er nur zwei Ausgänge hatte. »Wo sind wir?« fragte ich. Woher soll ich das wissen? Solange du bewußtlos bist, sitze ich im Finstern. »Hat Parillyon mich in eine Falle gelockt?« Sieht so aus, nicht wahr? Aber es ergibt nicht allzuviel Sinn. Mir war klar, was der Extrasinn meinte. Die Falle, von der ich sprach, war ein Transmitter. Er hatte mich an einen Ort transportiert, der etliche Lichtjahre von Kippelkart entfernt war. Was wollte Parillyon hier mit mir anfangen? Er machte auf mich nicht den Eindruck eines Wesens, das weiträumig operierte. Der Transmitter hatte mich ohne Zweifel aus seiner Reichweite befördert. Blieb natürlich die Möglichkeit, daß er mich ganz einfach hatte loswerden wollen. Wozu! Um sich ANIMAS zu bemächtigen, meines vortrefflichen Raumschiffs? Da standen ihm ein paar böse
Überraschungen bevor. ANIMA war kein Ding, das man so mir nichts dir nichts einem anderen abnahm. Wahrscheinlich sind wir immer noch in Ordador, meldete sich der Extrasinn. Ordador war der Bezirk Nord in der sogenannten Unteren Hemisphäre der Galaxis Alkordoom. Ordador unterstand der Facette Gentile Kaz, einem der acht Leuchtenden, die dem Juwel Untertan waren, das angeblich irgendwo im Zentrum von Alkordoom seinen Sitz hatte. »Warum meinst du das?« fragte ich. Denk nach. Glaubst du wirklich, daß es Transmitterverbindungen gibt, die Bezirksgrenzen überschreiten? Natürlich hatte er recht wie fast immer. Die acht Facetten hielten zusammen, wenn ein Feind von außen die Galaxis Alkordoom bedrohte. Ansonsten waren sie untereinander zerstritten wie acht Rüden, die derselben Hündin nachlaufen. Wer immer die Transmitterstrecke eingerichtet haben mochte, hatte ohne Zweifel dafür gesorgt, daß Anfangs‐ und Endpunkt im selben Machtbereich lagen. Kippelkart, die Pforte der Weisen, gehörte zu Ordador, also befanden wir uns hier noch immer in Ordador – was auch immer ich mir unter hier vorzustellen hatte. »Wenn ich wenigstens sehen könnte, wie es draußen aussieht …«, begann ich. Die schnarrende Stimme hatte ich inzwischen vergessen. Ich erschrak bis ins Mark, als sie plötzlich zu sprechen begann. »Das Fremdgut befindet sich im Abschnitt Vedu‐Sapprod. Räum‐ und Desintegratoreinheiten sofort nach Vedu‐Sapprod.« * Ich haßte es, wenn man mich Fremdgut nannte. Ich war wütend. Wut trübte das Urteilsvermögen. Ich hätte ausreißen sollen. Statt dessen
nahm ich das Stuhlbein zur Hand, lief ein paar Dutzend Meter in den Korridor, durch den ich gekommen war, und kehrte wieder um, als ich sah, daß auf dieser Seite die Luft noch rein war. Als ich in den kahlen, hell erleuchteten Raum zurückkehrte, quollen sie bereits aus dem gegenüberliegenden Zugang: Roboter aller Formen und Funktionen, fast alle mit Rostflecken auf der metallenen Körperhülle. Sie waren ähnlich denen, die der explodierende Transmitter mir ferngehalten hatte. Die meisten hatten lange Arme mit Greifzangen am Ende. In meinem Zorn, beflügelt außerdem durch die bisherigen Erfolge, hatte ich keinerlei Respekt vor ihnen. Ich tanzte ihnen vor der Nase herum, und wenn die Zangen mich zu packen versuchten, schlug ich zu. Ich hatte Erfolg. Einer nach dem andern kippte zur Seite und blieb reglos liegen. Ich geriet in eine Art Rausch. Wie ein Berserker wütete ich unter den unbeholfenen Maschinengeschöpfen. Auf die Warnungen, die der Extrasinn mir zuschrie, achtete ich nicht. Das kam erst später, als der grünliche Strahl eines Desintegrators dicht an mir vorbeifauchte. Da sprang ich kopfüber in den Trümmerhaufen, zu dem sich die vernichteten Roboter türmten, und während ich durch die Schlitze zwischen mehreren Robotkörpern lugte, kam mir die Erkenntnis, daß ich mich angestellt hatte wie ein Narr. Die dort drüben, am anderen Eingang, waren keine schwerfälligen Raumgeräte. Sie mußten die Desintegratoreinheiten sein, von denen die schnarrende Stimme gesprochen hatte. Sie waren bewaffnet. Ihnen war mit dem Stuhlbein allein nicht mehr beizukommen. Die Strahlbündel ihrer Desintegratoren räumten mit meiner Deckung auf. Glück hatte ich nur insofern, als sie nicht wußten, wo ich mich versteckt hatte. Sie gingen systematisch vor und begannen am linken Ende des Trümmerwalls. Ich lag weit rechts. Es blieben mir, falls sie ihre Taktik nicht änderten, vielleicht noch zwei oder drei Minuten. Ich horchte nach hinten. Es klapperte und schepperte. Die Räumeinheiten waren immer noch an der Arbeit; aber sie mußten
sich durch einen Berg von Trümmern arbeiten, bevor sie mich erreichten. Vor allen Dingen würden sie sich über kurz oder lang dem Feuer der Desintegratormaschinen aussetzen. Das war mein Fluchtweg. Ich wandte mich langsam um. Vorsichtig räumte ich einigen Schutt beiseite. Die Greifklaue eines Räumroboters strich mir dicht an der Schulter vorbei, aber die Maschine bemerkte mich nicht. Immerhin bekam ich eine Vorstellung von den Schwierigkeiten, die auch auf diesem Ausweg auf mich warteten. Du hättest eben früher auf mich hören sollen, machte sich der Extrasinn bemerkbar. Meine Reue kam zu spät. Keinen halben Meter entfernt fraß sich ein dichtgebündelter Desintegratorstrahl durch die Masse der Trümmer und ließ glitzernde Metalldämpfe hinter sich zurück. Mich packte die Panik. Das Stuhlbein als Hebel benützend, stemmte ich Trümmerreste auseinander und versuchte, mir eine Bahn zu schaffen. Ich arbeitete so hektisch, daß ich bald mehr Lärm machte als die Räummaschinen. Sie wurden auf mich aufmerksam. Jedesmal, wenn ich den Kopf über den Schuttberg reckte, sah ich mehr zangenbewehrte Greifarme, die auf mich zukamen. Die kurze Ruhepause in dem vormals kahlen Raum hatte mir nicht viel genützt. In einem Trümmerloch, das ich mir selbst gegraben hatte, sackte ich zusammen. »Ich glaube, wir kommen hier nicht mehr raus«, murmelte ich. Ich wartete auf eine sarkastische Antwort des Extrasinns. Statt dessen hörte ich einen lauten Knall. Der Schutt, der mich umgab, rutschte in sich zusammen. Ein zweiter Knall war zu hören. Ein fahler Blitz zuckte quer durch mein Blickfeld. Ich richtete mich vorsichtig auf. Dort, wo sich zuvor die Desintegratormaschinen befunden hatten, loderten Flammen. Hinter mir ertönte der donnernde Krach einer Explosion. Die Greifarme der Roboter verschwanden wie Schaben, auf die das Licht einer Nachtlampe gefallen war.
Zieh den Kopf ein; du Narr, sonst wirst du noch in letzter Sekunde abgeschossen, wurde ich gewarnt. Ich hörte nicht darauf. Dort, wo die Desintegratoren gewesen waren, loderten Flammen, und hinter mir hatte die Explosion die Räuminstrumente zum Schweigen gebracht. Alles, was ich sah, war die schlanke Gestalt, die hochaufgerichtet durch die Wand des Feuers schritt, als könne ihr die Hitze nicht das mindeste anhaben. Sie war, zugegeben, nicht von beeindruckender Größe. Wenn es hochkam, stand sie anderthalb Meter hoch. Es war das Selbstbewußtsein, mit dem sie sich bewegte, das mich beeindruckte. Und die Waffe in ihrer Hand – oder war es wirklich eine Hand? Der logische Verstand, der mit der Methode der Bildmustererkennung arbeitete, glaubte, eine Ähnlichkeit mit einer terranischen Ameise zu erkennen. Aber was hatte in einer Situation wie dieser die Logik schon zu sagen? Die Waffe jedenfalls war es, die die Desintegratoreinheiten zum Verstummen gebracht hatte. Und wenn ich annahm, daß von einer dieser beiden zarten Hände auch die Wurfgranate ausgegangen war, die die Räumgeräte zum Verschwinden bewegt hatte, so ging ich wahrscheinlich nicht allzuweit fehl. Da kam das Geschöpf, das mich vor dem Untergang bewahrt hatte! Ich richtete mich höher auf. Sie sah mich und kam auf mich zu. Sie – wie anders hätte ich sie nennen sollen? Die schmale Taille, die ausladenden Hüften, die großen, dunklen Augen sprachen für sich selbst und drängten mir das genus‐spezifische Pronomen förmlich auf. Gewiß, sie sah aus wie eine irdische Ameise. Sie ging aufrecht. Sie trug den dunkelbraunen Chitinpanzer der Arthropoden. Sie bewegte sich auf zwei Beinen und gebrauchte zwei Arme, wie ein Humanoide es getan haben würde. Weitere Gliedmaßen besaß sie nicht. Vor dem Trümmerhaufen blieb sie stehen und sah mich über die tonnenförmigen Leiber zweier Räumroboter hinweg an. »Wer bist du, und wie kommst du nach Brusquez?« fragte sie auf
alkordisch. »Brusquez – ist das, wo ich bin?« antwortete ich. Ihr Mund, ein Spalt im konisch verlaufenden Vorderteil des Schädels, weitete sich. Die Augen glitzerten. Weiß Gott, es war ein spöttisches Lächeln, mit dem sie mich bedachte! »Wußtest du das nicht?« »Woher sollte ich es wissen? Ich wurde hierher verschlagen.« »Oh!« Ihre Augen wurden noch größer. »Ist das, was hier geschieht? Es gibt hier Maschinen, die … die …« »Transmitter«, sagte ich. Sie machte mit der freien Hand eine Geste, die sowohl Zustimmung als auch Gleichgültigkeit ausdrückte. »Ja«, meinte sie, »so nennt man sie wohl.« »Woher kommst du?« wollte ich wissen. »Von draußen«, antwortete sie. »Was ist draußen?« »Brusquez«, sagte sie. Mir wird schlecht, wenn die Unterhaltung sich noch lange Zeit auf intellektuell derart anspruchsvollem Niveau bewegt, beschwerte sich der Extrasinn. Er hatte recht. So kamen wir nicht weiter. »Ich bin Atlan«, sagte ich. »Bitte nenn mir deinen Namen.« »Ich bin Kjok‐Almergund«, antwortete sie. »Ich gehöre zu den Steppenforschern.« Ihre Worte elektrisierten mich. Steppenforscher! Von welcher Steppe war die Rede? Doch nicht von jenem geheimnisvollen und gefährlichen Bereich weiter im Innern von Alkordoom, den man die Sonnensteppe nannte? »Welche Steppe erforscht ihr?« fragte ich. »Bis jetzt sind wir zum Forschen noch nicht gekommen«, lautete ihre Antwort, gesprochen mit einer hohen und typisch weiblichen Stimme. »Wir stecken noch mitten in den Vorbereitungen. Brusquez ist unser Basislager. Sobald das zweite unserer Raumschiffe eintrifft,
brechen wir in Richtung Sonnensteppe auf.« Also doch! Plötzlich erschien mir meine Lage in einem gänzlich anderen Licht. Sogar mein Mißtrauen Parillyon gegenüber ließ ein wenig nach. Hatte er gewußt, daß der Kippelkart‐Transmitter mich in Richtung der Sonnensteppe befördern würde, die von Anfang an eines meiner Ziele gewesen war? Zwei Raumschiffe besaßen die Steppenforscher. Welch ein Glück! Wenn es mir gelang, mich ihnen anzuschließen, würde ich nicht nur zusätzliche Informationen über die Sonnensteppe erhalten, sondern ich konnte die Forscher womöglich auch überreden, mich dorthin zurückzubringen, wo ANIMA auf mich wartete. »Wir haben der alten Station kaum Beachtung geschenkt«, fuhr Kjok‐Almergund fort. »Sie war energetisch tot und außerdem unzugänglich. Erst vor kurzem erwachte sie zum Leben. Da wurde ich neugierig und ging nachsehen. Tatsächlich fand ich einen offenen Eingang …« Ich war so in meine Gedanken verstrickt, daß ich ein paar Sekunden brauchte, um zu begreifen, daß sie von der Anlage sprach, in deren Innerem wir uns befanden. Alsbald wurde mir klargemacht, wie gefährlich es war, die gegenwärtige Lage zu vergessen. Die schnarrende Stimme meldete sich von neuem. Es wurde nicht offenbar, zu wem sie sprach, aber ihre Worte waren dazu angetan, einem das Blut in den Adern gefrieren zu lassen: »Die Beseitigung des Fremdguts ist nicht gelungen. Es beginnt daher programmgemäß die Aktivierung des Autodestrukt‐ Mechanismus.« * Kjok‐Almergund sah mich aus großen Augen unsicher an. »Was heißt das?« flüsterte sie. »Die Station vernichtet sich selbst«, antwortete ich. »Komm, wir
müssen hier raus!« »Ich kenne den Weg«, sagte sie hastig. »Bleib bei mir!« Sie hatte kaum zu Ende gesprochen, da ertönte aus den Tiefen der alten Station ein dumpfes Dröhnen. Der Boden zitterte. Die Leuchtplatten in der Decke begannen zu flackern. Kjok‐Almergund stürmte davon. Wir bahnten uns einen Weg durch die Trümmer der Desintegratoreinheiten, die sie mit ihrer Waffe vernichtet hatte. Das Dröhnen wurde lauter. Die Station war im Begriff, sich aufzulösen. Meine Führerin bog nach links ab. Wir verließen damit den Weg, auf dem ich gekommen war, und gelangten an eine Rampe, die recht steil in die Tiefe führte. Ich umklammerte noch immer meine einzige Waffe, das leichtmetallene Stuhlbein. Es diente mir jetzt als Wanderstock, mit dem ich mich gegen Wände und Boden abstützte. Die Welt ringsum zitterte und schwankte wie unter dem Einfluß eines kräftigen Erdbebens. Es war schwierig, auf dem abschüssigen Boden das Gleichgewicht zu wahren. Glücklicherweise hatte die Beleuchtung uns bisher noch nicht im Stich gelassen. Die Deckenleuchten flackerten; aber sie verbreiteten genug Helligkeit, daß wir sehen konnten, wohin wir gingen. Die Rampe mündete in einen großen, halbrunden Raum. Ich hörte Kjok‐ Almergund einen schrillen Laut ausstoßen. Sie wies auf die gegenüberliegende Wand, vor der sich Trümmer türmten. »Dort war der Ausgang«, rief sie mir zu. »Er ist verschüttet.« Es galt, keine Zeit zu verlieren. Das Beben wurde von Sekunde zu Sekunde stärker. Ich hatte keine Ahnung, wie das Gebäude beschaffen war, in dem wir uns befanden; aber die Vorstellung, daß in jeder Sekunde Hunderte von Tonnen Wände, Böden und Decken auf uns herabprasseln könnten, trieb mir den Schweiß auf die Stirn. Ich rückte dem Trümmerhaufen mit meinem Stuhlbein zu Leibe. Ich stemmte es in eine Fuge zwischen zwei Metallkästen und versuchte, sie auseinanderzuhebeln. Der Versuch erwies sich als fruchtlos. Das Gewicht, das auf die Kästen drückte, war zu groß. Der Auflösungsprozeß der Station wurde von ohrenbetäubendem
Lärm begleitet, der unsere Verständigung erschwerte. Ich fuhr auf, als mir ein gellender Schrei in die Ohren drang. Kjok‐Almergund stand nur wenige Schritte von mir entfernt und wies mit entsetzter Geste in die Höhe. Die Decke lag zehn Meter über uns. Ein breiter Riß war entstanden. Eine Metallplatte von gewiß fünf Zentimetern Dicke neigte sich nach unten. Die ständigen Erschütterungen zerrten an der Verankerung. Die tonnenschwere Masse schickte sich an herabzustürzen. Ich schnellte mich auf Kjok‐Almergund zu. Der Aufprall trieb sie wie ein Geschoß vor mir her. Ich stürzte. Hinter mir gab es einen donnernden Krach. Der Boden bäumte sich auf und schleuderte mich in die Höhe. Staub wallte auf und drang mir in Augen, Nase und Mund. Ich stemmte mich in die Höhe. Wir waren hier nicht sicher. Wer mochte wissen, wann es der nächsten Deckenplatte einfallen würde, in die Tiefe zu stürzen. »Almergund …«, krächzte ich. »Sieh doch!« hörte ich ihre helle Stimme durch den tosenden Lärm. Ich wischte mir Schmutz und Tränen aus den schmerzenden Augen. Es war plötzlich heller geworden. Rötliches Licht mischte sich mit der gelblichweißen Helligkeit der Deckenleuchten. Verwundert sah ich auf. Hoch über mir, durch das Loch in der Decke zu sehen, spannte sich ein roter, von feinen Federwölkchen durchzogener Himmel. Warme Luft, erfüllt mit den Düften einer exotischen Pflanzenwelt, strömte zu uns herab. Ich musterte die Decke. Für den Augenblick schien sie zu halten. Aber das Beben fuhr mit unverminderter Stärke fort. Wir mußten raus, und zwar so schnell wie möglich. Die herabstürzende Platte lehnte schräg gegen die vordere, runde Wand des Raumes; aber die Schräge machte nicht einmal ein Drittel der Gesamthöhe aus. Wenn wir bis zur oberen Kante der Platte hinaufkletterten, blieben immer noch sieben Meter, die wir irgendwie zu überwinden hatten.
Aus den Augenwinkeln nahm ich wahr, wie Kjok‐Almergund den Arm in die Höhe reckte. Ich fuhr herum, gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie sich aus dem Lauf ihrer Waffe ein kleiner Ball unglaublich intensiver Helligkeit löste und fauchend in die Höhe stieg. Mein verwirrter Blick folgte seinem Kurs. Er beschrieb eine steile Kurve, und gerade in dem Augenblick, als er den Höhepunkt seiner Bahn überschritten hatte, zerplatzte er zu einem sprühenden Funkenregen, der in sämtlichen Farben des Spektrums leuchtete und strahlte. Eine Leuchtkugel, ging es mir durch den halb benommenen Sinn. Kjok‐Almergund kam auf mich zu. Noch hatte ich nicht gelernt, ihre Miene zu deuten; aber sie machte in diesem Augenblick einen ausgesprochen zuversichtlichen Eindruck. Sie streckte mir die freie Hand entgegen. Ich ergriff sie und spürte den kräftigen Druck der vier Finger, deren Oberfläche von eigenartig sanfter, fast flaumiger Beschaffenheit war. Ich wunderte mich noch, was sie im Sinn haben mochte – da erschien über uns im Rot des fremden Himmels der Umriß eines Gleitfahrzeugs. Kjok‐Almergund deutete mit dem Lauf ihrer Waffe in die Höhe. Ihre Augen glitzerten, und dann geschah etwas, was ich nicht mehr erlebt hatte, seitdem ich durch den Willen der Kosmokraten von Perry Rhodan und meinen terranischen Freunden getrennt worden war. Die Umgebung verschwand und tauchte noch im selben Augenblick wieder auf, jedoch gänzlich verändert und womöglich noch fremdartiger als zuvor. Plötzlich hatte ich zwei identische Exemplare meiner Retterin Kjok‐ Almergund vor mir. Verwirrt sah ich mich um. Ein greller Blitz erregte meine Aufmerksamkeit. Mein Blick fiel durch eine gewölbte, transparente Fläche. Tief unter mir sah ich eine Stichflamme in die Höhe schießen. Das dumpfe Gerumpel einer fernen Explosion war zu hören. Das rötliche Licht der fremden Sonne, die dicht über dem Horizont stand, beleuchtete eine paradiesische Landschaft mit Hügeln und Tälern, dichten Wäldern, Prärien und vielfach gewundenen Flußläufen. Die Stichflamme erlosch. Der Boden unter
meinen Füßen schaukelte ein wenig. Eine dichte Qualmwolke breitete sich dort aus, wo die Explosion stattgefunden hatte. Da begriff ich. Ich war teleportiert worden – wie seinerzeit von Gucky oder Ras Tschubai. Kjok‐Almergund hatte mich mit sich genommen. Ich befand mich an Bord des Gleiters, den ich vor wenigen Sekunden zum ersten Mal durch das Loch in der Decke gesehen hatte. Die Rettung hätte keinen Augenblick später kommen dürfen. Die Station war explodiert. Die Gefahr, in der ich mich befunden hatte, kam mir erst jetzt in vollem Umfang zu Bewußtsein. Dann aber brach sich eine neue Erkenntnis Bahn. Ich verdankte Kjok‐Almergund mein Leben – ihr und ihrer Artgenossin, Zwillingsschwester oder was sie sonst auch immer sein mochte, die da vor mir an den Kontrollen des fremdartigen Fahrzeugs saß. 2. Der Gleiter trieb mit geringer Geschwindigkeit über den Talgrund dahin. Es war eine eigenartige Situation. Die beiden Schwestern – ich nannte sie so, obwohl ich inzwischen wußte, daß zwischen ihnen keine Verwandtschaft bestand – hatten mir über sich selbst berichtet. Jetzt erwarteten sie, daß ich ihnen über mich erzählte. Ich hatte sie inzwischen meiner Dankbarkeit versichert, aber bevor sie mich zum Lager der Steppenforscher brachten, wollten sie wissen, mit wem sie es zu tun hatten. Was sollte ich ihnen sagen? Daß ich bis vor einem knappen halben Jahr das Orakel von Krandhor gewesen war, angeschlossen an einen Ballon voller Spoodies, dessen Aufgabe es war, meine Intelligenz zu intensivieren? Daß ich einen Ruf der Kosmokraten empfangen hatte, durch den ich aufgefordert worden war, in der Galaxis Alkordoom nach dem Rechten zu sehen? Daß ich die Aufforderung angenommen hatte und zeitverlustfrei auf die seltsame Welt Puurk
versetzt worden war? Daß mir ein Raumschiff zur Verfügung stand, das in Wirklichkeit ein belebtes Wesen war? Daß ich bei der Beseitigung der Hexe, der Facette Zulgea von Mesanthor entscheidend mitgewirkt hatte? Sie hätten mich für verrückt gehalten. So erzählte ich von einer Expedition, die sich wie die ihre die Erforschung der Sonnensteppe zum Ziel gesetzt hatte. Ich sprach von Parillyon und von der Landung auf Kippelkart, wo mich der Transmitter eingesponnen hatte. Ich gab an, ich sei biologisch ein Verwandter der Celester, stamme jedoch nicht von New Marion, sondern aus einer Nachbargalaxis. Das beeindruckte sie. Sie waren noch nie einem Wesen begegnet, das nicht aus Alkordoom kam. Ich konnte nicht erkennen, ob mein Bericht ihr Mißtrauen besänftigte. Ich wußte nicht einmal, ob sie wirklich mißtrauisch oder vielleicht nur neugierig gewesen waren. Auf jeden Fall erklärten sie sich bereit, mich zum Lager der Steppenforscher zu bringen. Die Expedition setzte sich aus knapp einhundert Wesen verschiedener Herkunft zusammen. Almergund und Duun – so nannte sich ihre Schwester – waren die einzigen Angehörigen aus dem Volk der Kjoker. Der Anführer der Expedition war Dhonat, ein der Beschreibung nach annähernd humanoides Wesen aus dem Volk der Hugerer. Von der Mannschaft befanden sich im Augenblick nur sechzig im Lager; die übrigen vierzig waren mit Wasterjajn Kaz unterwegs, um das zweite Raumschiff herbeizubringen. Der zweite Teil des Namens dieses vorerst noch Unbekannten erregte mein Interesse. Ich erfuhr daraufhin, daß Wasterjajn sich in der Tat für einen Verwandten der Facette Gentile Kaz hielt, ohne jedoch dafür nur den geringsten Beweis vorbringen zu können. Die gesamte Expedition hielt Gentile Kaz übrigens für den Feind und Unterdrücker der Völker des Abschnitts Ordador. Auch Wasterjajn stand unter dem Eindruck, er müsse besonders intensiv auf der Seite des Guten wirken, um wenigstens einen Teil des Schlechten, das von Gentile Kaz ausging, zu kompensieren.
Mein Extrasinn hatte sich die ganze Zeit über ruhig verhalten. Ich nahm das als Zeichen, daß er keinen Anlaß zum Mißtrauen sah. Ähnlich erging es mir. Ich fühlte mich ausgesprochen wohl in der Gesellschaft der beiden Kjokerinnen. Sie waren offen, humorvoll und – wie sagt man so schön? – unschuldig. Sie schienen mit noch nicht viel Bösem in Kontakt geraten zu sein. (Später stellte sich dann heraus, daß dieser Eindruck täuschte.) Am lustigsten war, daß sie sich ständig untereinander stritten – nicht gehässig oder gar feindselig, sondern gerade so, wie man es von zwei nahezu identischen Schwestern erwartete. Duun brachte den Gleiter auf Geschwindigkeit und wollte Kurs auf das Lager nehmen. Im selben Augenblick sprach ein Warngerät an. Ich kannte mich in der Technik des Fahrzeugs nicht aus und hielt mich im Hintergrund. Almergund hantierte an einem Gerät, das ich für eine Sende‐ und Empfangsstation hielt, und wenige Sekunden später erfüllten fremdartige Stimmen die kleine Kabine. Sie sprachen alkordisch, so daß wir sie ohne Mühe verstehen konnten; aber sie klangen so, als drängen sie durch ein langes, weites Rohr in unsere Gehörsinne, und waren von schnalzenden, schmatzenden Lauten untermalt. »… alte Station«, hörten wir. »Sie trat aus unbekanntem Grund in Tätigkeit und ist vor wenigen Minuten explodiert.« Eine zweite Stimme, von Störgeräuschen durchsetzt und offenbar aus größerer Entfernung kommend, antwortete: »Wenn es dort weiter nichts zu finden gibt, kehrt zurück.« »Mitnichten, mein Herr«, erwiderte die erste Stimme. »Es gibt fremde Wesen auf dieser angeblich unbewohnten Welt. Sie halten sich in einem eng begrenzten Bezirk in unmittelbarer Nähe eines Raumschiffs auf. Es muß sich um eine Expedition oder etwas Ähnliches handeln.« »Sofort nachsehen!« forderte die zweite Stimme. »Der Erleuchtete schickt seine Zerstörungskommandos aus, um zu verhindern, daß Unbefugte in den inneren Bereich der Galaxis eindringen. Wenn ihr
den Eindruck gewinnt, daß die Fremden eine Gefahr darstellen, vernichtet sie.« »Das möchte uns vielleicht schwerfallen, mein Herr. Immerhin besitzen sie ein Raumschiff. Ich nehme an, daß es bewaffnet ist. Was sollte ein kleines Boot mit vier Quaitti an Bord dagegen ausrichten können?« »Gut. Beschränkt euch aufs Nachsehen. Meldet mir, was ihr findet. Wenn es den Anweisungen des Juwels entspricht, greife ich mit der UNALASH an.« »So wird es getan, mein Herr. Zum Wohl EVOLOS!« »Zum Wohl EVOLOS!« Es knackte, und dann kam aus dem Empfänger nur noch das Rauschen der Weltraum‐Statik. Mein Puls machte Doppeltempo. Worauf war ich da per Zufall gestoßen? Irgendwo in der Nähe befanden sich Wesen, die sich selbst als Quaitti bezeichneten und im Auftrag des Juwels, des Erleuchteten, unterwegs waren! Das Juwel war der Herrscher der Innenzone Alkordooms, der Erleuchtete, der über den acht Facetten stand. Zerstörungskommando nannten die Quaitti ihr Unternehmen, und ihre Aufgabe war, Unbefugte am Eindringen in das Innere der Galaxis zu hindern. Zum Wohl EVOLOS taten sie ihre Pflicht. Das war der Name, der mich elektrisierte! EVOLO nannten die Kosmokraten die Gefahr, die dem Kosmos drohte. Niemand wußte, wer oder was EVOLO war, anscheinend auch die Kosmokraten nicht. Das Kernstück meines Auftrags lautete, Informationen über EVOLO zu sammeln und bei seiner Neutralisierung mitzuwirken. Hier fand ich die erste Spur! Gewiß doch würden die Quaitti, wenn ich nur die richtigen Methoden anwendete, mir sagen müssen, was sie über EVOLO wußten. Die beiden Kjokerinnen hatten mittlerweile ganz andere Sorgen. »Sie haben die energetischen Emissionen der alten Station angemessen«, stieß Duun hervor. »Dadurch sind sie auf unsere Spur gekommen. Sie haben das Lager und die EITZBUS entdeckt.«
Die EITZBUS war das Schiff, das sich gegenwärtig auf Brusquez befand. Die ZWERBUS war unter Wasterjajns Kommando auf dem Weg hierher. »Gib volle Fahrt«, riet Almergund. »Wir müssen Dhonat warnen.« Es war klar, warum niemand auf den Gedanken kam, einen Funkspruch an das Lager abzusetzen. So, wie wir die Unterhaltung der Quaitti abgehört hatten, würden sie die unsere belauschen. Niemand wußte vorerst, wie das Raumschiff der Quaitti, die UNALASH, beschaffen war. Es war sicherlich ein taktischer Vorteil, wenn die Steppenforscher dem Boot mit den vier Quaitti nachsetzen konnten, bevor diese erfuhren, daß man von ihrer Anwesenheit bereits wußte. Der Gleiter schoß davon. Ich hatte inzwischen eine einigermaßen genaue Vorstellung, wo sich das Lager der Steppenforscher befand. Das bewaldete Hügelland erstreckte sich noch ein paar Dutzend Kilometer nach Westen und ging dann in eine weite, von mehreren großen Strömen durchflossene Ebene über. An der Ostgrenze der Ebene, unmittelbar am Fuß der Hügel, befand sich das Lager. Es war inzwischen fast dunkel geworden. Das Rot des Himmels, das mir zuvor aufgefallen war, reflektierte nicht etwa die natürliche Farbe des Brusquez‐Zentralgestirns. Es war ein ganz ordinäres Abendrot gewesen, das jetzt, da die Nacht unmittelbar bevorstand, zu violetten und grünen Tinten zerfloß. Das Fahrzeug glitt dicht über die Wipfel des Waldes dahin, schräg den Hang einer Hügelkette empor. Als es die Kuppe überquerte, belebte sich eine kleine Videofläche des Armaturenbretts, die bisher dunkel gewesen war, mit Dutzenden bläulich leuchtenden Reflexe. »Das Lager«, erklärte Almergund, die meinen fragenden Blick zu bemerken schien. »Und was ist das dort an der Seite?« erkundigte ich mich. Die Reflexe lagen dicht gedrängt, wie man es von einem wohlorganisierten Lager mit zahlreichen Einrichtungen technischer
Art erwartete. Ein besonders intensiver Lichtklecks war am unteren Bildrand, aber immer noch in unmittelbarer Nähe der übrigen Reflexe zu sehen und stellte vermutlich das Raumschiff EITZBUS dar. Der Lichtpunkt, auf den ich zeigte, lag dagegen weit nach links verschoben und hatte eindeutig keinerlei Bezug zu den Energieechos, die vom Lager ausgingen. »Das muß bei den Ruinen sein«, antwortete Duun nachdenklich. »Ich kann mir nicht vorstellen, wer dort um diese Zeit …« »Die Quaitti«, fiel ihr Almergund ins Wort. »Das vermute ich auch«, sagte ich. Duun wandte sich zur Seite und sah mich an. Ihre Augen waren dunkel, unergründlich, feucht. Daß sie aus unzähligen Tausenden winziger Facetten bestanden, fiel nur dem auf, der es fertigbrachte, sich auf das Sehorgan selbst anstatt auf den Blick zu konzentrieren. »Was schlägst du vor?« fragte sie. »Es kommt darauf an, ob sie unsere Annäherung bemerken können oder nicht«, antwortete ich. »Die Technik der Quaitti ist mir unbekannt.« »Uns auch«, sagte sie. »Wir haben vor ein paar Minuten zum ersten Mal von den Quaitti gehört.« Mein Verstand arbeitete auf Hochtouren. Was hatte ich von den Quaitti zu erwarten? Der Umstand, daß wir ihre Unterhaltung mit der UNALASH so mühelos hatten abhören können, ließ den Schluß zu, daß sie in technischer Hinsicht nicht besonders anspruchsvoll waren. Sie waren gekommen, um das Lager der Steppenforscher auszuspionieren, und würden wahrscheinlich nicht damit rechnen, daß jemand anders darauf aus war, hinter ihnen herzukundschaften. Sie wußten nicht, daß wir über ihre Anwesenheit informiert waren. »Flieg hin«, sagte ich zu Duun. »Wir sehen sie uns aus der Nähe an.« *
Die Überreste mächtiger Gebäude ragten wie Schatten in den Nachthimmel. In der Finsternis und ohne Hilfsmittel ließ sich ihr Alter nicht bestimmen. Aber soviel wurde klar: Es mußte auf Brusquez vor Zeiten eine hochentwickelte Zivilisation gegeben haben. Was aus ihr geworden war, warum der Planet heutzutage als unbewohnt galt – wer mochte es wissen? Unsere Annäherung hatte sich anscheinend unbemerkt vollzogen. Wenigstens hatte sich der energetische Reflex des Quaitti‐Fahrzeugs nicht bewegt. Duun war an Bord des Gleiters zurückgeblieben. Almergund und ich schlichen durch die Dunkelheit auf den Ort zu, an dem wir das Fahrzeug der Fremden vermuteten. Man hatte mir eine Waffe gegeben, einen jener Kombistrahler, deren Leistung Almergund in der alten Station auf so beeindruckende Weise demonstriert hatte. Das bedeutete, daß man mir traute. Im Nordwesten verriet milchige Helligkeit den Standort des Lagers der Steppenforscher. Hier im Ruinenfeld dagegen war es stockfinster. Das System, dem Brusquez angehörte, befand sich offensichtlich in einer sternenarmen Gegend der Galaxis Alkordoom. Nur wenige Lichtpunkte waren am Himmel zu sehen. Die einzig nennenswerte Helligkeit kam von entfernten Sternenballungen, die infolge der gewaltigen Distanz wie matt leuchtende Wolken anzusehen waren. Almergunds große Augen wußten mit dem winzigen Rest Helligkeit wesentlich mehr anzufangen als die meinen. Ich verließ mich auf ihre Führung. Dafür war mein Gehör offenbar schärfer als das ihre. Ich hörte Stimmen und faßte sie am Arm, um sie zum Stehenbleiben zu veranlassen. Die Stimmen kamen näher. Wegen der vielen Mauerreste war es schwer zu beurteilen, aus welcher Richtung das Geräusch kam. Aber eines schien mir klar: Das waren nicht die hohlen, von schmatzenden Lauten durchsetzten Stimmen der Quaitti, wie wir sie über Funk gehört hatten! »Es sind welche aus dem Lager«, hauchte Almergund.
Das war bedenklich. Was hatten die Steppenforscher hier zu suchen? Wußten sie von der Anwesenheit der Quaitti? Kaum wahrscheinlich, sonst hätten sie sich nicht so unbesorgt unterhalten. Sie waren also aus Zufall hier – in unmittelbarer Nachbarschaft von Fremdwesen, die nur deswegen nicht unverzüglich zur Vernichtung des gesamten Forscherlagers geschritten waren, weil sie sich zu viert den Steppenforschern unterlegen fühlten! Der scharf gezeichnete Lichtstrahl einer kräftigen Lampe stach hinter einer Mauer hervor durch die Dunkelheit. Das war der Gipfel der Unvorsichtigkeit! Ich faßte Almergund bei der Hand und gab ihr ein Zeichen, mich zu führen. Wir mußten die Unbedachten warnen, bevor sie den Quaitti in die Arme liefen. Wir bogen um die Mauer. Die Szene, die sich uns darbot, werde ich mein Leben lang nicht vergessen. Das weiße Licht eines Handscheinwerfers beleuchtete einen kleinen, rechteckigen Platz, der ringsum von Gebäuderesten gesäumt wurde. Der Scheinwerfer lag auf dem Boden. Er mußte einem der beiden humanoiden Wesen, die sich uns gegenüber an eine halbzerfallene Mauer drückten, entfallen sein. Das Entsetzen, das sich in den Gesichtern der beiden Überraschten spiegelte, war unverkennbar. Es wurde ausgelöst durch zwei xenomorphe Geschöpfe, die sich zur linken Hand kriechend über den Boden schoben. Ihre Körper waren grau, ihre Umrisse fließend. Es fiel mir im ersten Schreck kein anderer Vergleich ein als der mit den Quallen der terranischen Weltmeere. Die beiden Humanoiden waren unbewaffnet. Almergund stieß einen spitzen Schrei aus, um sie auf unsere Anwesenheit aufmerksam zu machen. Das alles spielte sich in Sekundenbruchteilen ab. Wir waren überrascht, jene beiden dort drüben entsetzt. Die Quaitti waren die einzigen, die von Anfang an gewußt hatten, was hier geschehen sollte. Die beiden Quallenkörper blähten sich auf. In der feuchten, grauen Haut, auf der Laub und Schmutz klebten, bildete sich eine schlitzförmige Öffnung. Daraus hervor schoß mit scharfem,
zischendem Geräusch ein dünner Strahl gelblich‐grüner Flüssigkeit. Die beiden Strahlen waren vortrefflich gezielt. Die Humanoiden, die sich vor lauter Entsetzen nicht mehr zu rühren vermochten, wurden getroffen. Die Wirkung war grauenhaft. Die grünliche Substanz rann an den Körpern der beiden Getroffenen herab. Wo sie mit Kleidung oder Haut in Berührung kam, zersetzte sie diese. Dichter, weißer Qualm stieg auf, als wäre konzentrierte Schwefelsäure über unedles Metall gegossen worden. Vor unseren Augen lösten sich die beiden Unglückseligen auf. Der Vorgang vollzog sich so unglaublich schnell, daß aus den Schreien des Schmerzes, die ihre offenen Münder hatten formen wollen, nur noch ein ächzendes Röcheln wurde. Die beiden Quallenwesen wandten sich uns zu. Sie hatten die erste Gruppe von ungebetenen Besuchern erledigt, jetzt kam die zweite an die Reihe. Der Instinkt der Selbsterhaltung besitzt seine eigenen Methoden, die Sperren des eingefrorenen Verstandes zu beseitigen. Die Hand fuhr wie von selbst in die Höhe. Ich hatte im Gebrauch der fremden Waffen nur kurzen Unterricht erhalten; aber der Finger fand automatisch den richtigen Auslöser. Ein fahler, grüner Desintegratorstrahl schoß auf den vordersten Angreifer zu. Es gab ein häßliches Geräusch, das sich wie das Brodeln einer zähen Flüssigkeit anhörte. Die vordere Hälfte des Quaitti‐Körpers löste sich auf. Der Rest kippte haltlos zur Seite und rührte sich nicht mehr. Den zweiten traf dasselbe Schicksal. Ich handelte, wie gesagt, instinktiv. Ich hatte Almergund und mich zu schützen. Im Licht des Scheinwerfers hatte ich die breiige Masse, zu der die Körper zweier Humanoiden unter dem Einfluß des mörderischen Säurestrahls verwandelt worden waren, deutlich vor Augen. Mir stand nicht der Sinn danach, ein ähnliches Los zu erleiden. Das hohle Rauschen der Waffe war kaum verstummt, da erhob sich irgendwo in der Nähe ein durchdringendes Fauchen. Ich ging unwillkürlich in die Knie und zog Almergund mit mir. Aber die
Vorsicht erwies sich als überflüssig. Hinter den Ruinen stieg ein eng begrenztes, waberndes Feld rötlicher Helligkeit in die Höhe und verschwand binnen weniger Sekunden in der Finsternis des Nachthimmels. Einen halben Atemzug lang glaubte ich, den tropfenförmigen Umriß eines Fahrzeugs zu erkennen, das auf dem roten Flammenstrahl ritt. Der Rest des gegnerischen Kommandos hatte das Weite gesucht. Mir war übel. Ich hätte mich um die Überreste der Quallenkörper kümmern sollen, um zu erfahren, mit wem wir es da zu tun hatten. Aber ich hatte nicht die Kraft dazu. Ich wandte mich um. Almergund starrte mich an. Waren ihre Augen zuvor schon ungewöhnlich groß gewesen, so schienen sie jetzt vor Entsetzen noch einmal um die Hälfte geweitet. Ihr Mundschlitz bewegte sich; aber es dauerte geraume Zeit, bis sie das erste Wort hervorbrachte. »Das … das war gräßlich«, stammelte sie. Mir war nicht nach Unterhaltung zumute. Ich nickte einfach. Im selben Augenblick hörte ich das helle Summen von Gravomotoren. Im Nordwesten des Trümmerfelds stachen Scheinwerfer durch die Nacht. Sie kreisten suchend. Dabei kam das Motorengeräusch ständig näher. »Dhonat kommt«, sagte Almergund mit matter Stimme. * Einen bunter zusammengewürfelten Haufen hatte ich mein Lebtag noch nicht gesehen. In vier Gleitern waren sie gekommen, alle von demselben Typ wie das Fahrzeug, mit dem Duun uns gerettet hatte. Fast kaum einer von ihnen sah einem anderen ähnlich. Es mochten ihrer etwa dreißig sein, und sie kamen aus wenigstens zwanzig verschiedenen Völkern und Spezies. Duun war mit ihrem Gleiter inzwischen ebenfalls herbeigekommen, so daß insgesamt fünf Fahrzeuge entlang des
unebenen Platzrands lagen. Die Aufmerksamkeit der Steppenforscher konzentrierte sich zunächst auf die halb desintegrierten Körper der Quaitti, dann auf die breiige Masse, von der sie erst allmählich begriffen, daß sie die Überreste zweier ihrer Gefährten darstellte. Almergund und Duun wurden mit Fragen bestürmt, wobei Duun zugeben mußte, daß sie von nichts eine Ahnung hatte. Nur einer war da, der sich um den Fremdling kümmerte. Das heißt: Eigentlich waren es zwei; aber dem zweiten sah man mühelos an, daß er keine eigene Initiative entwickelte, sondern sich darauf beschränkte, den Fußstapfen des ersten zu folgen. Dhonat – das mußte er wohl sein – war um anderthalb Köpfe kleiner als ich. Schädel und Leib waren annähernd kugelförmig. Das Klischee des »kleinen, gemütlichen Dicken« drängte sich förmlich auf, erwies sich jedoch später, wie so viele Klischees, als absolut falsch. Zu allem Übel trug er noch eine enganliegende Kombination, die aus dunkelblauem, lederähnlichem Material bestand, und die Füße waren in kurze Stiefel gekleidet. Die linke Hand stak in einem dicken Handschuh, die rechte dagegen trug er offen. Seine Hautfarbe war ein fahles Gelbweiß. Alles in allem wirkte er, in den Augen eines Arkoniden, wie eine Karikatur. Aber ich war alt genug und weit genug herumgekommen, um zu wissen, daß die Maßstäbe lokaler Ästhetik kein brauchbarer Leitfaden für die Beurteilung fremder Völker sind. Wenn ich über den kleinen Dicken schon hätte lachen mögen, so wirkte sein Begleiter vollends wie eine Figur aus dem Panoptikum. Ein zwei Meter hoher Muskelprotz von dunkelbrauner Hautfarbe, bekleidet mit Fellfetzen, die durch Lederriemen zusammengehalten wurden. Ein Schädel, der im Vergleich zum übrigen Körper viel zu dünn wirkte und sich in der Form einer Bohne nach oben hin zur Seite neigte. Seine struppige Haarpracht war von schmutzigem Grau. Dazu besaß er einen schwarzen Stoppelbart, an dessen kümmerlichem Wuchs er ständig herumzupfte. Die Augen waren
von dicken Brauen überschattet. Er hatte wulstige Lippen, die ständig einen Spalt weit offenstanden. Durch den Spalt lugte die Spitze seiner Zunge. Wahrhaftig, wenn mir je einer zu Gesicht gekommen war, den ich für den Preis »Unintelligentestes Aussehen« hätte nominieren wollen, so wäre es dieser gewesen! »Du bist also Atlan«, sagte der kleine Dicke. »Und du bist Dhonat«, antwortete ich. Er schien überrascht. »Woher kennst du meinen Namen?« wollte er wissen. »Ich habe Gelegenheit gehabt, mich mit Almergund und Duun zu unterhalten.« Er wackelte ein wenig mit dem runden Kopf. Was die Geste zu bedeuten hatte, wußte ich nicht. »Woher hast du diese dort?« fragte er und deutete auf die Körperreste der beiden Quaitti. Ich hatte mir wohl gedacht, daß ich mit einigem Mißtrauen begrüßt werden würde; aber diese Frage hatte ich nicht erwartet. »Woher ich sie habe?« wiederholte ich ungläubig. »Ich habe sie überhaupt nirgendwoher. Sie waren hier, als ich mit Almergund ankam.« »Du willst mir einreden, das zeitliche Zusammentreffen deiner Ankunft und des Auftauchens dieser … dieser Fremdwesen sei ein Zufall?« Alkordisch war alles andere als meine Muttersprache. Ich war mit einer Kenntnis dieser Sprache, die mir weiß der Himmel wer ins Bewußtsein gepflanzt hatte, auf der unerfreulichen Welt Puurk zu mir gekommen. Aber in den vergangenen vier Monaten hatte ich genug Gelegenheit gehabt, mich im Gebrauch des Alkordischen zu üben. Ich kannte seine Nuancen, und ich verstand deutlich genug, daß Dhonat zum Ausdruck bringen wollte, er glaube mir kein einziges Wort. »Höre, Männchen«, sagte ich ärgerlich: »Du und deine Statistik kümmern mich einen Dreck. Mich hat ein Schicksal hierher
verschlagen, das ich selbst noch nicht ganz begreife. Ich bin wie ihr ein Steppenforscher. In einer explodierenden Transmitterstation hätte ich um ein Haar den Tod gefunden. Almergund und Duun haben mich gerettet. Dafür bin ich ihnen dankbar. Sie haben mich hierhergebracht. Sie wollten mich mit dir bekannt machen. Unterwegs stießen wir durch Zufall auf die Quaitti. Wir fanden sie hier, das heißt zwei von insgesamt vieren, wie sie zwei deiner Freunde massakrierten. Ich war es, der die beiden hier erledigte. Die andern beiden sind mit ihrem Fahrzeug entkommen. An deiner Stelle würde ich mich darum kümmern, was sie weiter vorhaben, anstatt einen unschuldigen Fremden zu verdächtigen.« Je länger ich sprach, desto mehr erregte ich das Interesse des Muskelprotzen. Er starrte mich unter buschigen Augenbrauen hervor an, als ginge ihm eben erst auf, daß ich das siebte Weltwunder war, nach dem er schon seit langem suchte. Als ich geendet hatte, zog er die Zungenspitze in den Mund zurück und sagte mit dumpfer, grollender Stimme: »Er spricht zu frech, Chef. Wir sollten ihn umbringen.« Ich schob die Waffe in den Gürtel meiner Montur. Meinen fingierten Ausfall wollte der Riese mit einem wuchtigen Faustschlag beantworten. Damit hatte ich gerechnet. Ich trat einen halben Schritt zur Seite. Sein Arm schoß an mir vorbei. Ich packte die Faust mit beiden Händen, drehte mich in seinen Schwung und zog mir den Arm über den Kopf. Der Rest geschah automatisch. Das war klassisches Kotegaeshi, einer der wirksamsten Griffe der alten orientalischen Wehrkünste. Der Muskelprotz sauste über mich hinweg, als ich den Oberkörper nach vorn abwinkelte. Ich führte seine Faust, bis ich hörte, wie er mit lautem Krach gegen einen Mauerrest prallte. Erst dann ließ ich los und wandte mich ruhig, als sei nichts geschehen, zu Dhonat um. Der Anführer der Steppenforscher musterte mich aus nachdenklichen, kugelrunden Augen. Ich hatte erwartet, daß er mich in irgendeiner Weise für den Angriff auf seinen Lakaien würde
bestrafen wollen. Statt dessen machte er mit der unbehandschuhten, rechten Hand eine Geste, die so etwas wie Gleichgültigkeit auszudrücken schien, und sagte: »Im großen und ganzen, glaube ich, bist du in Ordnung.« * Der Muskelprotz hieß Kolport und war in der Tat Dhonats Leibwächter. Er begegnete mir seit jener Auseinandersetzung mit Respekt. Er war einer von denen, die man beeindruckt, indem man sich ihren Körperkräften überlegen zeigt. Ich fragte mich, wie Dhonat ihn in Schach hielt. Das Lager bekam ich erst am nächsten Morgen zu sehen, nachdem ich mich in einer zeltartigen Unterkunft gründlich ausgeschlafen hatte. Ich hatte Dhonat zuvor ausführlich von dem Funkgespräch zwischen dem Raumschiff UNALASH und dem quaittischen Einsatzkommando auf Brusquez berichtet und mir von ihm versprechen lassen, daß Orterposten an Bord der EITZBUS auf das fremde Fahrzeug achten würden. Daraufhin hatte ich keine Bedenken mehr gehabt und mich ruhigen Gewissens der Müdigkeit überlassen, die mir schon seit geraumer Zeit in den Knochen saß. Das Lager bestand aus zahlreichen Gebäuden ähnlich dem, in dem ich die Nacht verbracht hatte, und bedeckte eine Fläche von rund einem Quadratkilometer. Es gab eine geringe Anzahl fester Bauwerke, in denen technische Einrichtungen untergebracht waren. Nach Westen hin dehnte sich die zumeist mit Busch bewachsene Ebene, im Osten erhoben sich die bewaldeten Hügel. Im Osten des Lagers ragte auch der zylindrische Rumpf der EITZBUS in die Höhe. Sie machte auf mich keinen besonders vorteilhaften Eindruck. Sie sah aus wie ein Ding, das man mit Hilfe eines Maklers für Gebrauchtraumschiffe erstand, und so ähnlich war, wie ich später von Dhonat erfuhr, der Vorgang auch gewesen.
In der Mitte des Lagers stand ein größeres Zelt, das allgemeinen Zwecken diente und in dem auch Proviant verabreicht wurde. Ich begab mich dorthin und empfing ein Frühstück, über das ich weiter nichts sagen möchte, als daß es meinen Hunger stillte. Freilich war ich, falls mein Sinn nach Gourmet‐Küche stand, hier am absolut falschen Ort. Die Diät‐Erfordernisse der drei oder vier Dutzend verschiedenen Spezies, aus denen sich die Mannschaft der Steppenforscher‐Expedition zusammensetzte, waren derart variiert und komplex, daß dem Proviantmeister selbst für die geschmacksarme Mahlzeit, die ich soeben verzehrt hatte, meine Hochachtung gebührte. Ich wurde von den Mitspeisenden mit neugierigen Blicken gemustert. Die Nachricht von meiner Ankunft hatte sich im Lager herumgesprochen, auch meine Beteiligung an der Aktion der vergangenen Nacht. Niemand sprach mich an. Die Blicke, die ich zu deuten vermochte, waren zurückhaltend bis mißtrauisch. Das war das Verhalten von Wesen, die zu lange unter der Knute eines Gewaltherrschers gelebt hatten, in diesem Fall Gentile Kaz. Es gab keine spontane Offenheit unter ihnen. Sie waren verschlossen. Der Fremde mußte ihnen erst beweisen, daß er ihr Freund war. Nach dem barbarischen Frühstück suchte ich Bekannte. Ich hielt ein bepelztes Wesen an, das sich auf sechs Beinen bewegte, und erkundigte mich nach Dhonats Aufenthalt. Der Fremde gab mir widerwillig Auskunft. Ich fand den Anführer der Steppenforscher in einem der wenigen festen Bauten. Dort war ein Computer installiert. Dhonat diskutierte mit einer Gruppe von Spezialisten die beste Methode, in die Sonnensteppe vorzustoßen. Ich mußte tatsächlich einen günstigen Eindruck auf ihn gemacht haben. Als er mich erblickte, löste er sich aus der Gruppe der Diskutierenden und schenkte mir seine Aufmerksamkeit. Allerdings geschah das nicht ganz uneigennützig, wie ich bald erfuhr. Ich bat ihn, mich durchs Lager zu führen und mich mit den wichtigsten Mitgliedern seiner Gruppe bekannt zu machen.
Unterwegs, schlug ich vor, könnten wir uns unterhalten. »Du bist selbst ein Steppenforscher«, war seine erste Äußerung, nachdem wir das Computergebäude verlassen hatten. »Was weißt du über die Sonnensteppe?« Aha, daher also wehte der Wind. Er wollte meine Bekanntschaft nicht umsonst gemacht haben. »Ich weiß, daß in der Sonnensteppe diejenigen Völker verbannt werden, denen man alle psionischen Kräfte geraubt hat.« Das war weiter nichts als ein Schuß ins Dunkle. Ich hatte Gerüchte in diesem Sinn gehört und mir während des Einsatzes gegen Zulgea von Mesanthor Ähnliches selber zusammenreimen können. Aber Genaues wußte ich nicht. Es kam jedoch jetzt darauf an, einen weiteren Eindruck auf Dhonat zu machen. »Außerdem umlagert die Sonnensteppe den eigentlichen Kern von Alkordoom, den Nukleus, in dem der Erleuchtete zu finden ist.« Das Manöver war erfolgreich. »Du bist in der Tat bestens informiert«, gestand Dhonat. »Du wirst ein wertvolles Mitglied unserer Forschergruppe sein.« »Ich habe nicht die Absicht, einer deiner Mitarbeiter zu werden«, belehrte ich ihn. »Mein Auftrag kommt von höherer Stelle.« Darüber wollte er natürlich Bescheid wissen. Nein, von den Kosmokraten hatte er noch nie gehört. Er wußte auch nicht, was eine Materiequelle war. Aber meine Schilderung dieser ihm unbekannten Gegebenheiten berührte ihn offenbar. Er glaubte mir. Ich merkte, daß er sich mit Duun und Almergund unterhalten hatte, die aufgrund meines Berichts einige meiner jüngsten Erlebnisse kannten. Mit Absicht brachte ich daher das Gespräch auf die beiden Kjokerinnen. Ich lobte ihren Mut und bekannte abermals meine Dankbarkeit für die Rettung meines Lebens. »Ich habe in einem weit von hier entfernten Teil des Universums Wesen gekannt, die dieselbe Fähigkeit besaßen wie Almergund und Duun«, sagte ich. »Sie konnten sich kraft ihres Willens von einem Ort an einen anderen versetzen, ohne Fahrzeug oder sonstige
Hilfsmittel. Wir nannten sie Teleporter. Ich bin erstaunt, unter den Steppenforschern ähnliche Fähigkeiten zu finden.« »Oh«, machte er, »ganz so vollendet sind die Gaben der beiden Kjokerinnen nicht. Sie sprechen nur aufeinander an. Die eine kann die andere zu sich holen, darauf läuft es hinaus. Die Fähigkeit zeigt sich dann besonders ausgeprägt, wenn die eine oder andere sich in ernsthafter Gefahr befindet. Ich habe von der Teleportation gehört. Einen echten Teleporter habe ich nie kennengelernt. Ich bezeichne die Gabe, die Almergund und Duun besitzen, als Transversal‐ Teleportation.« Die Logik, die sich hinter dieser Bezeichnung verbarg, verriet er mir nicht. Aber ich verstand jetzt, was gestern in der alten Station passiert war. Almergund hatte Duun durch ein Zeichen darauf aufmerksam machen müssen, daß sie sich in Gefahr befand. Das Zeichen hatte sie mit Hilfe der Leuchtkugel gegeben. Daraufhin war Duun mit dem Gleiter erschienen und hatte Almergund »zu sich geholt«. Bei Transportvorgängen dieser Art waren die beiden Kjokerinnen offenbar in der Lage, »Fahrgäste« mitzunehmen, so wie es Gucky und Ras Tschubai gewohnheitsgemäß taten. Erforderlich war dazu nur ein physischer Kontakt. Deswegen hatte Almergund mich bei der Hand ergriffen. »Hast du noch mehr Kjoker in deiner Gruppe?« wollte ich wissen. »Nein«, antwortete er. »Du täuschst dich übrigens, wenn du glaubst, daß alle Mitglieder des Kjoker‐Volks auf diese Weise begabt seien. Die Kjoker sind in Wirklichkeit ganz alltägliche Wesen. Almergund und Duun fanden gerade deswegen zu den Steppenforschern, weil sie den Bürgern ihrer Stadt wegen ihrer Fähigkeit der Transversal‐Teleportation unheimlich waren und wie Aussätzige behandelt wurden. Es hielt sie nicht mehr unter ihren Artgenossen.« So war das also! Wieviel persönliches Leid mochte sich hinter diesen kargen Worten eines Dritten verbergen. Die Rede kam auf die Quaitti. Die EITZBUS hatte während der
vergangenen zehn Stunden keine Spur von dem Raumschiff der Quallenwesen finden können. Dhonat bedauerte zwar den Verlust zweier Mitglieder seiner Expedition, aber ansonsten schien er geneigt, die Quaitti‐Gefahr auf die leichte Schulter zu nehmen. Ich warnte ihn. »Sie nennen sich das Zerstörungskommando«, sagte ich. »Sie sind vom Juwel selbst geschickt, um die äußere Peripherie der Sonnensteppe zu patrouillieren. Jeden Versuch Unbefugter, in die Steppe einzudringen, sollen sie verhindern. Wir wissen inzwischen, daß sie in der Wahl ihrer Mittel nicht wählerisch sind. Ich an deiner Stelle würde mich vorsehen.« Das überzeugte ihn nicht. Die ZWERBUS unter Wasterjajn Kaz müsse jede Stunde eintreffen, und mit zwei Raumschiffen dieser Stärke würde sich das Zerstörungskommando nicht anlegen. Ich hielt es für undiplomatisch, ihm jetzt schon zu sagen, daß nach meiner Ansicht die EITZBUS auf den Schrottplatz gehöre und daß er sich, wenn die ZWERBUS nicht um etliche Größenordnungen besser war, auf seine Raumflotte nichts einzubilden brauche. »Außerdem«, fügte er gutgelaunt hinzu, »ist es uns bisher gelungen, Gentile Kaz über unsere wahren Absichten zu täuschen. Warum sollten wir nicht auch die Quaitti an der Nase herumführen können?« »Aus welchem Grund ist es nötig, Gentile Kaz zu täuschen?« erkundigte ich mich. Der Blick, den er mir zuwarf, sagte mir, daß ich mir soeben eine Blöße gegeben hatte. Einer, der wie ich in höherem Auftrag handelte, mußte solche Dinge wissen. »Gentile Kaz ist eine der acht Facetten«, antwortete er ein wenig kühler als bisher. »Er kann nichts anderes wollen als der Erleuchtete selbst. Wenn dieser darüber besorgt ist, daß Unbefugte in die Sonnensteppe eindringen, dann muß es Gentile Kaz auch sein.« Natürlich! Wie hatte ich einen so einfachen Zusammenhang übersehen können? Glücklicherweise wurde ich rasch aus der
Verlegenheit befreit. Warnsirenen, deren Geräusche sich anhörten wie das Quaken überdimensionaler Ochsenfrösche, hallten über das weite Gelände des Lagers, und aus vielen Lautsprechern zugleich hallte die Meldung: »Ein fremdes Raumschiff im Anflug auf Brusquez. Hat soeben den Orbit verlassen und nähert sich dem Lager.« Dhonat sah mich an. Er hatte meine Warnung nicht ernst genommen. Jetzt kam die Gefahr unmittelbar auf ihn zu, und sie war näher, als selbst ich angenommen hatte. 3. Er hatte es plötzlich eilig. Aber bevor er davonstürmen konnte, griff ich ihn bei der Schulter und hielt ihn fest. »Wohin?« wollte ich wissen. »Zum Schiff«, stieß er hervor. »Das ist eine schlechte Idee«, sagte ich. »Im Schiff sollte sich nur die Mannschaft befinden, die zum Bedienen der Geschütze gebraucht wird.« »Aber die EITZBUS …« »Hör auf mich!« fiel ich ihm ärgerlich ins Wort. »Du kennst die Waffen der Quaitti nicht. Wenn sie die EITZBUS vernichten, während ihr euch alle an Bord befindet, was wird dann aus der Expedition?« Der Gedanke an meine Warnung, die er in den Wind geschlagen hatte, war ihm noch frisch in Erinnerung. Er lenkte ein. »Welches ist dein Plan?« fragte er. »Ich erzähle ihn dir unterwegs«, sagte ich. »Zuerst brauchst du einen Kommandoposten. Von wo aus wird das Lautsprechersystem betrieben?« Er wies auf einen kleinen, würfelförmigen Bau, dreihundert Meter entfernt. Wir liefen darauf zu. Mit seinen kurzen Beinen kam
Dhonat nur langsam vorwärts. Der Marsch strengte ihn an. Ich hatte in Wirklichkeit keinen fertigen Plan. Mir lag lediglich daran, so viele Steppenforscher wie möglich dem Raumschiff fernzuhalten. Auf die EITZBUS würde sich der Angriff der Quaitti konzentrieren, und ich traute ihnen durchaus zu, daß sie es fertigbrachten, den altersschwachen Kahn zu zerstören. Außerdem bestand die Möglichkeit, daß sie Beiboote ausschleusten und andere Punkte des Lagers angriffen. Bei der Abwehr dieser Art von Vorstößen rechnete ich mir größere Chancen aus. Dhonat verkündete über Lautsprecher, was ich ihm vorsagte. Von der EITZBUS aus sollte zumindest ein Versuch gemacht werden, mit den Fremden Funkkontakt aufzunehmen. Inzwischen waren die Geschütze zu bemannen und feuerbereit zu machen. Wenn die Quaitti nicht reagierten, würde man das Feuer auf sie eröffnen, sobald sie sich in Schußweite befanden. Sämtliche vorhandenen Gleiter waren startbereit, mit bewaffneten Steppenforschern bemannt und an verschiedenen Startplätzen über das ganze Lager verteilt. Unglücklicherweise verfügte nur die Hälfte dieser Fahrzeuge über eingebaute Bewaffnung. Eines der leistungsfähigsten stand unmittelbar außerhalb der Kommandostelle, von der aus Dhonat sprach. Seine Besatzung bestand bis jetzt aus dem Muskelprotz Kolport und den beiden Kjok‐Schwestern Almergund und Duun. Wenn es ernst wurde, kamen Dhonat und ich noch hinzu. Blieben noch eine Handvoll Forscher, die weder an Bord der EITZBUS noch als Gleiterbesatzungen Verwendung fanden. Ihnen befahl Dhonat auf meinen Rat hin, sich mit Waffen zu versehen und ins Hügelgelände östlich des Lagers zu entweichen. Dort fanden sie wenigstens Deckung. Mehr konnten wir für sie im Augenblick nicht tun. Inzwischen hatte sich der Gegner dem Lager bis auf dreitausend Kilometer genähert, wie der Meldung des Orterpostens an Bord des Raumschiffs zu entnehmen war. Was mir Sorge bereitete, war, daß
man die ganze Nacht über nach dem Raumschiff der Quaitti gesucht hatte, ohne auch nur eine Spur zu finden – und dann war das Fahrzeug plötzlich im Orbit über Brusquez aufgetaucht. Entweder herrschte im Orterposten der EITZBUS eine unglaubliche Schlamperei, oder die Quaitti verfügte über eine Art Orterschutz. Inzwischen waren zwei Versuche unternommen worden, die Quaitti per Funk anzusprechen. Sie hatten nicht reagiert. Damit waren die Würfel gefallen. Der Kampf ließ sich nicht mehr vermeiden. Ein weiteres Mal meldete sich der Orter von der EITZBUS. »Gegnerisches Schiff hat begonnen, Beiboote auszuschleusen. Bis jetzt acht …« Dhonat sah zu mir auf. Fast tat er mir leid. Eine weitere meiner unangenehmen Vorhersagen war Wirklichkeit geworden. * Als die ersten Quaitti‐Boote über dem Gelände des Lagers erschienen, waren Dhonat und ich bereits an Bord des Gleiters. Duun fungierte als Pilotin. Wir hatten Funkverbindung mit der EITZBUS. Almergund saß an der kleinen Konsole, von der aus die Bordwaffen gesteuert wurden. »Eröffnet das Feuer, sobald es euch richtig erscheint«, trug Dhonat der Besatzung des Raumschiffs auf. Sekunden später blitzte es an der Peripherie der walzenförmigen Schiffshülle auf. Ein weiterer Blitz erschien über uns im blauen Morgenhimmel und verwandelte sich in einen schwarzen Ball aus Qualm, aus dem glühende Trümmerstücke in die Tiefe regneten. Triumphgeschrei drang aus dem Empfänger. Die EITZBUS hatte ihren ersten Abschuß erzielt. Ich selbst hatte an der Begeisterung keinen Anteil. Die Quaitti‐ Boote verhielten sich merkwürdig passiv. Wahrscheinlich waren sie
unbemannt. Sie hatten bis jetzt noch keinen einzigen Schuß abgefeuert. Ich hielt es durchaus für möglich, daß sie nur dem Zweck dienten, die Stärke der EITZBUS‐Bewaffnung zu ermitteln. Die Quaitti wußten nicht, mit wem sie zu tun hatten. Bevor sie zum entscheidenden Schlag ausholten, wollten sie wissen, wie kräftig wir uns wehren konnten. »Wo steht das fremde Schiff?« fragte ich Dhonat. Er vermittelte meine Frage weiter. »Zweitausend Kilometer«, antwortete der Orter. »Warum eröffnet man nicht das Feuer?« wollte ich wissen. Was dann kam, geschah so schnell, daß wir von der Folge der Ereignisse förmlich überrollt wurden. Die Quaitti‐Boote, von denen die EITZBUS inzwischen drei abgeschossen hatte, drehten ab und verschwanden mit atemberaubendem Tempo in südlicher Richtung. Der Befehlshaber an Bord der EITZBUS suchte noch nach einer passenden Antwort auf meine Frage, da zuckte aus dem wolkenlosen Himmel ein Energiestrahl von derart phantastischer Intensität, daß wir geblendet die Augen schlossen. Mein Instinkt reagierte, bevor der Verstand die Zusammenhänge begriffen hatte. »Start!« schrie ich, noch mit geschlossenen Augen. »Kurs West!« Ich hörte das Triebwerk aufheulen; aber schon eine Sekunde später ertrank die Welt in brüllendem Donner. Der kleine Gleiter hatte kaum vom Boden abgehoben, als die mächtige Schockfront nach ihm griff und ihn schüttelte als wäre er ein loses Blatt im Sturm. Ich wurde nach vorn gerissen und hin und her geschleudert, bis mir der Gurt die Luft abzuschnüren drohte. In jedem Augenblick rechnete ich mit dem tödlichen Schock des Aufpralls, dem letzten Eindruck, den ich in diesem Leben empfangen würde. Aber das Befürchtete geschah nicht. Meine Uhr war noch nicht abgelaufen. Ich hörte Duuns helle, klare Stimme: »Sichere Flughöhe erreicht.« Das Schlingern und Stampfen wurde geringer. Ich öffnete die
Augen. Ich wußte, welches Bild mich erwartete, und dennoch war ich erschüttert. Duun hatte meine Anweisung getreulich befolgt und war nach Westen gestartet. Die Druckwelle hatte uns vor sich her geschoben. Wir waren über zwanzig Kilometer vom Lager entfernt, obwohl seit unserem Start erst wenige Sekunden vergangen waren. Hinter uns stand die gewaltige, weißgraue Rauch‐ und Dampfsäule, die die Explosion der EITZBUS in die Höhe gewirbelt hatte. Ihre obersten Schichten hatten die Grenze der Stratosphäre erreicht und breiteten sich aus, den typischen Pilz einer nuklearen Explosion formend. »Ihr Götter von Hug!« stöhnte Dhonat. Kolport, der Muskelprotz, hatte den Kopf nach vorn geneigt und das Gesicht in den Händen geborgen. Konvulsivisches Zucken erschütterte den mächtigen Körper. Dumpfe, trompetende Laute entrangen sich der Brust des Riesen. In diesem Augenblick empfand ich zum erstenmal echte Sympathie für ihn. Aber mit Sympathie und Mitgefühl war uns in dieser Lage nicht geholfen. Die EITZBUS war vernichtet, und mit ihr insgesamt 22 Steppenforscher, die die Orterstation und die Geschützstände bemannt hatten. Wo aber war der Gegner, und welchen Schlag hatte er als nächstes geplant? »Ortung«, knurrte ich. »Wie gut sind die Ortergeräte dieses Fahrzeugs?« »Gut genug, um ein großes Raumschiff zu erfassen«, antwortete Almergund, bemerkenswert munter und scheinbar unberührt von der Katastrophe, deren Augenzeugen wir soeben geworden waren. »Das Quaitti‐Schiff rührt sich nicht. Es steht noch immer rund zweitausend Kilometer entfernt, in südlicher Richtung. Höhe fünfzig Kilometer.« »Wir greifen an!« entfuhr es Dhonat. »Du bist verrückt«, wies ich ihn zurecht. »Wir suchen auf raschestem Weg Deckung in den Hügeln. Duun, schlag einen weiten Bogen über Nord nach Ost.«
Sie machte mit der linken Hand eine Geste der Zustimmung. Dhonat widersprach nicht. Ich hatte endgültig das Kommando übernommen. Es schimmerte feucht in Dhonats Augen. Ich fragte mich, ob Hugerer wie Arkoniden und Terraner die Fähigkeit besaßen zu weinen. Aber der Extrasinn meldete sich recht energisch zu Wort: Du bist nicht weniger verrückt als er! Ist das das einzige, woran du jetzt zu denken hast? »Almergund«, sagte ich, »ist dein Ortergerät gut genug, um die Boote der Quaitti zu registrieren?« Sie drehte sich um und sah mich an. Ich weiß nicht, ob das ein Lächeln war, mit dem sie mich bedachte. Die sachliche Kühle, mit der die beiden Kjokerinnen auf die Katastrophe reagierten, verwirrte mich ein wenig. Fast war ich geneigt, sie für gefühlsarm zu halten. »Das werden wir bald wissen, nicht wahr?« sagte Almergund. »Es werden im Augenblick keine Boote angezeigt. Das heißt entweder, daß keine in der Nähe sind oder …« »Daß dein Gerät nichts taugt. Duun, gibt das Triebwerk nicht mehr Geschwindigkeit her?« Sie drückte eine Reihe von Tasten. Das Geräusch des Antriebs blieb unverändert. »Anscheinend nicht«, antwortete sie gelassen. Ich schätze unsere Fahrt auf Mach 1,5. Für meine Ungeduld kam die langgestreckte Kette der Hügel viel zu langsam auf uns zu. Ich ertappte mich dabei, wie ich durch das gläserne Dach der Kanzel hindurch den südlichen Himmel abspähte. Wir erreichten das Hügelland ohne Zwischenfall. Dhonat starrte noch immer aus feuchten Augen vor sich hin und hatte seit etlichen Minuten kein Wort mehr gesprochen. Kolport hatte aufgehört zu schluchzen. Er hielt die Augen geschlossen und sah aus, als ob er schliefe. Ich ließ Duun ein paar Dutzend Kilometer weit über eine Hügelkette nach der anderen fliegen, bis ich; ein Tal fand, das mir
als Deckung geeignet schien. Es war dicht bewaldet. Ein kleiner Fluß mündete in einen See, über dessen ruhige, klare Fläche hinweg wir einen einigermaßen freien Ausblick haben würden. Wir landeten dort, wo sich der Fluß in den See ergoß. Duun drückte den Gleiter tief ins Unterholz des Uferwalds, so daß er von einem, der zufällig des Weges kam, nicht ohne weiteres gesehen werden konnte. »Was jetzt?« fragte Almergund, nachdem das letzte Geräusch des Triebwerks erstorben war. »Wir praktizieren die Taktik des Unterlegenen«, antwortete ich. »Wir warten und beobachten.« * Zwei Stunden später wußten wir, daß die Ortergeräte unseres Fahrzeugs besser waren, als ich ursprünglich angenommen hatte. Sie zeigten uns die Reflexe einer Gruppe von sechs Quaitti‐Booten, die über dem verlassenen Lager der Steppenforscher kreuzten. An den energetischen Entladungen, die von den Fahrzeugen ausgingen, erkannten wir, daß der Gegner dabei war, die Einrichtungen des Lagers systematisch zu demolieren. Das Raumschiff der Quallenwesen veränderte seinen Standort nicht. Es schwebte hoch in den oberen Bezirken der Stratosphäre und machte die Drehung des Planeten mit. Vorsichtig versuchten wir, mit anderen Überlebenden der Katastrophe in Verbindung zu treten. Schließlich waren es außer dem unseren insgesamt sieben Gleiter gewesen, die zu Beginn des Angriffs startbereit gestanden hatten, jeder mit einer zwei‐, drei‐ oder vierköpfigen Besatzung bemannt. 22 Steppenforscher hatten sich an Bord der EITZBUS befunden. An ihrem Schicksal gab es keinen Zweifel. Weitere acht Mitglieder des Teams hatten Dhonat zu Fuß in die Hügel geschickt. Sie alle trugen Miniaturfunkgeräte
bei sich. Wir arbeiteten mit schwächster Radiowelle, damit uns die Quaitti nicht auf die Spur kamen. Nach halbstündigem Bemühen erhielten wir endlich eine kaum verständliche Antwort von einem Einzelgänger, der sich – seiner Schilderung nach – zweihundert Kilometer südlich von uns befand. Dazu ist zu bemerken, daß Duun auf meine Anweisung hin tatsächlich einen weiten Bogen über Nord nach Ost geschlagen hatte. Unser Standort lag weit nordnordöstlich des Lagers. Der Forscher, mit dem wir Kontakt hatten, befand sich diesseits der am weitesten nach Westen vorgeschobenen Hügelkette. Er war in einer Höhle untergekrochen und wagte sich ab und zu aus der Deckung hervor, um über die Kuppe des Hügels hinweg die Vorgänge im Lagergelände zu beobachten. Er beschrieb das Lager als eine einzige Flammenhölle, über die hin und wieder Quaitti‐ Boote kreuzten, anscheinend auf der Suche nach Überlebenden. Er wußte außerdem zu berichten, daß sich zwei der Gleiter, die bei Beginn des Angriffs gestartet waren, um sich in Sicherheit zu bringen, in unmittelbarer Nähe der EITZBUS befunden hatten, als diese den Volltreffer erhielt. Es gab kaum einen Zweifel, daß wir auch diese Fahrzeuge mitsamt ihren Besatzungen auf die Verlustliste zu setzen hatten. Das war bedrückend, aber mich beunruhigte noch weitaus mehr, daß wir mit keinem der anderen geflohenen Steppenforscher Verbindung bekamen. Wo waren die sieben andern, die sich zu Fuß in die Berge abgesetzt hatten? Was war aus den übrigen fünf Gleitern geworden? Dhonat meinte, wir sollten starten und die Nähe des Lagers aufsuchen. Ihn bewegte die Sorge um seine Forscher. Er selbst war in erster Linie Wissenschaftler. Taktik gehörte nicht zu seinen Stärken. Es kostete mich Mühe, ihm den unsinnigen Plan auszureden. »Unsere einzige Hoffnung liegt darin, stillzusitzen, den Kopf unten zu halten und darauf zu warten, daß die Quaitti abziehen«, sagte ich. »Dann bleibt uns immer noch die ZWERBUS mit ihrer
Besatzung. Sobald die Quaitti verschwunden sind, fangen wir an, nach Überlebenden zu suchen – früher nicht.« Er sah mich an. Er besaß ein merkwürdiges Mienenspiel, dessen Bedeutung ich im Lauf der Zeit noch würde zu verstehen lernen müssen. Dazu nuancierte er den Gesichtsausdruck durch den Blick der runden Augen auf so vielfältige Weise, daß ich nie so recht wußte, woran ich mit ihm war. »Du sagst uns, was hier zu geschehen hat, nicht wahr?« fragte er. Ich wußte nicht, ob es ein Vorwurf sein sollte oder ob er wirklich eine Antwort darauf erwartete. Almergund enthob mich meiner Verlegenheit, indem sie erklärte: »Er entscheidet zu unser aller Vorteil.« * Wir waren ausgestiegen und hatten es uns unter den Bäumen so bequem wie möglich gemacht. Einer von uns befand sich jeweils im Cockpit des Gleiters und überwachte die Geräte. Ich hatte mich inzwischen mit der fremden Technik einigermaßen vertraut gemacht und beteiligte mich ebenfalls an der Wachroutine. Am frühen Nachmittag war ich ein Stück weit das Seeufer entlang gewandert und hatte eine kleine Bucht gefunden, die tief in den Wald einschnitt und auf mich einen derart bezaubernden und friedlichen Eindruck machte, daß ich mich niedersetzte, um die Ruhe und die idyllische Szene zu genießen. Die Gedanken wanderten. Ich fragte mich, wer die Wesen sein mochten, die früher diese paradiesische Welt bewohnt hatten, und was aus ihnen geworden war. Wer hatte dem Planeten den seltsamen Namen gegeben: Brusquez? Ich sollte Dhonat danach fragen; vielleicht wußte der etwas. Es kam mir in den Sinn, daß ich möglicherweise den Rest meines Lebens – wie lange mochte das sein?, – in diesem Paradies verbringen würde. Wenn es den Quaitti
gelungen war, einen der Steppenforscher zu fangen und zu verhören, dann wußten sie, daß wir auf die Ankunft der ZWERBUS warteten. Es war zu erwarten, daß sie sich auf die Lauer legten, und wenn die ZWERBUS nicht wesentlich besser ausgestattet war als ihr Schwesterschiff, dann würde sie dessen Schicksal teilen. Dann waren wir vom Rest des Universums abgeschnitten. Ich wußte nicht, ob irgend jemand nach den Forschern suchen würde, wenn man lange genug nichts mehr von ihnen hörte. Es war auch denkbar, daß die Kosmokraten sich um ihren verlorengegangenen Beauftragten kümmerten. Und selbst wenn keine der beiden Möglichkeiten sich verwirklichte, so war doch damit zu rechnen, daß diese herrliche Welt irgendeines Tages die Neugierde eines raumfahrenden Volkes wecken würde. Das erlebten vielleicht die anderen nicht mehr; aber ich würde bis dahin noch vorhanden sein. Verrückt vor lauter Einsamkeit, spottete der Extrasinn. Ich wurde abgelenkt. Es raschelte im Gestrüpp. Eine der beiden Kjokerinnen schob sich durch das Unterholz. Ich wußte nicht, welche es war. Ihr Aussehen war identisch, wenigstens für meine Augen. Sie trugen keine Kleidung, an der man sie hätte unterscheiden können. »Almergund«, sagte sie, als sie meinen fragenden Blick bemerkte. Ich dankte ihr mit einem Lächeln und lud sie durch eine Handbewegung ein, neben mir zu sitzen. Eine Zeitlang starrten wir wortlos auf das stille Wasser der Bucht hinaus. »Du hältst unsere Lage für ziemlich aussichtslos, nicht wahr?« begann sie schließlich. »Nicht für aussichtslos«, widersprach ich. »Nur für wesentlich schlimmer, als Dhonat sie sieht.« »Er ist kein Kämpfer«, sagte sie. »In Lagen wie dieser kennt er sich nicht aus.« »Aber ihr seid Kämpferinnen, du und Duun?« Ich wußte selbst nicht, wie mir diese Frage plötzlich in den Sinn gekommen war.
»Die Kjoker sind ein kriegerisches Volk«, antwortete sie. »Sie leben für den Kampf, und die wichtigste der kjokischen Tugenden ist die Tapferkeit. Ich sage nicht, daß ich das für richtig halte; ich erzähle dir nur, wie es ist. Was bringt dich auf die Idee?« »Wir waren alle erschüttert, als die EITZBUS vernichtet wurde. Nur Duun und du, ihr zeigtet keinerlei Reaktion.« »Ich vergaß, dir die zweitwichtigste kjokische Tugend zu beschreiben. Ein Kjoker zeigt der Öffentlichkeit niemals seine Gefühle.« Ich staunte immer wieder darüber, in der Mentalität wie vieler Völker das Prinzip der Emotionslosigkeit als wichtige, positive Charaktereigenschaft verankert war. Sie mochten sich äußerlich voneinander unterscheiden wie Almergund und ich, wie ein Blue und ein Haluter – aber nach außen hin stets gefaßt und unbeeindruckt zu erscheinen, das war ihnen allen wichtig. Es gab nicht viele Kulturen, die es ihren Mitgliedern leichten Herzens verziehen, wenn sie die Öffentlichkeit über ihre Gefühle wissen ließen. So wie unsere Unterhaltung bisher verlaufen war, hätten wir uns wahrscheinlich in eine Diskussion über philosophische Dinge verstrickt. Aber in diesem Augenblick erscholl von dorther, wo sich die Bucht in den See hinaus öffnete, ein schriller Pfiff. Almergund fuhr in die Höhe. »Das ist Duun«, sagte sie hastig. »Es muß etwas geschehen sein.« Sie eilte davon. Sie war grazil und gelenkig. Ich unternahm nicht einmal den Versuch, mit ihr Schritt zu halten. Als ich den Landeplatz des Gleiters erreichte, sah ich durch die gläserne Kuppel des Cockpits Dhonat, der armeschwenkend und mit leuchtenden Augen auf einen Unsichtbaren einredete. Ich brauchte Duuns Erklärung nicht. Ich wußte, wen der Oberforscher an der Strippe hatte. Ich kletterte, an Bord und hörte ihn schreien: »… steht nach wie vor zweitausend Kilometer südlich des Lagers, in zirka fünfzig Kilometern Höhe. Wenn du schlau verfährst, gelingt
es dir womöglich …« Die letzten vier Worte bekam sein Kommunikationspartner schon nicht mehr zu hören. Ich hatte inzwischen das Sendeaggregat ausgeschaltet. Er schob das Mikrophon von sich fort und sah mich an. Diesmal war seine Miene mühelos zu deuten. Er war wütend. »Was fällt dir ein …« begann er keuchend. Ich hätte ihm am liebsten eine Ohrfeige gegeben. Es juckte mir in den Fingern. Jahrelange Schulung in der Etikette der oberen arkonidischen Gesellschaftsschichten machte sich jetzt, nach weit mehr als zehntausend Jahren, bezahlt. Ich blieb äußerlich ruhig. »Das war die ZWERBUS, nicht wahr?« erkundigte ich mich. »Ja … und wenn schon?« entgegnete er aufsässig. »Wahrscheinlich noch ein paar Lichtstunden entfernt, so daß du sie nur per Hyperfunk erreichen konntest.« Ich warf einen besorgten Blick in Richtung des Muskelprotzes Kolport, der zu dieser Zeit an den Geräten Wache hielt. Dhonat begann zu verstehen, worauf ich hinauswollte. Seine nächste Antwort klang fast kleinlaut. »Ja, natürlich«, sagte er. »Die ganze Zeit aber«, hielt ich ihm entgegen, »liegen die Quaitti auf der Lauer und warten darauf, daß unser Hyperfunk auch nur einen einzigen Pieps von sich gibt.« Er begehrte auf. »Es war Wasterjajn, der mich anrief!« schrie er. »Hätte ich seine Sendung unbeantwortet lassen sollen?« »Es wäre sogar deine Pflicht gewesen«, antwortete ich, so ruhig ich konnte. »Was, glaubst du, wird jetzt geschehen?« Er brauchte nicht zu antworten. Kolport rief: »Ortung. Ein einzelnes Fahrzeug von Süden!« Man sah Dhonat das Schuldbewußtsein an. »Sei froh, daß es nur eines ist«, sagte ich. Dann stieß ich das Luk auf und rief hinaus: »Almergund, Duun – ich brauche eure Hilfe.« Sie kamen herbeigeeilt. Kolport überließ Duun den Platz an den Instrumenten. Mit knappen Worten beschrieb ich den beiden
Kjokerinnen die Lage. Sie begriffen sofort, was von ihnen erwartet wurde. Die Bordwaffe des Gleiters war starr eingebaut. Beim Schießen mußte mit dem gesamten Fahrzeug gezielt werden. Das Triebwerk begann zu summen. In diesem Augenblick würde auf dem Orterbild des Gegners der Lichtpunkt eines energetischen Reflexes entstehen, der den Standort unseres Gleiters kennzeichnete. Dem ließ sich nicht abhelfen. Unsere einzige Chance lag darin, daß die Quaitti unsere Kampfbereitschaft unterschätzten – ein Fehler, dem sie nach allem, was bisher geschehen war, recht wohl erliegen mochten. Almergund übernahm die Funktion des Bordschützen. Mit wachem Blick verfolgte sie die Bewegungen des Reflexes auf dem Ortervideo. Der Quaitti hatte weder Kurs noch Geschwindigkeit geändert. Er kam in gemächlichem Tempo näher – ein Jäger, der zu wissen glaubte, daß ihm sein Opfer nicht entkommen konnte. Kolport war inzwischen nach draußen geklettert. Dhonat saß im Hintergrund der Kabine. Man sah ihm an, daß er den Umfang seiner Dummheit inzwischen begriffen hatte. »Wartet nicht auf Anweisungen von mir«, erklärte ich den beiden Kjokerinnen. »Ihr wißt besser als ich, was zu tun ist.« Duun sah zu mir auf. Ich glaubte, einen Ausdruck von Dankbarkeit in ihren großen Augen zu sehen; aber freilich konnte ich mich auch getäuscht haben. Der Quaitti hatte inzwischen das südliche Seeufer überflogen und glitt in einer Höhe von knapp zweihundert Metern über die Wasserfläche auf uns zu. Vom Waldrand aus würde man ihn bereits sehen können. Hier jedoch versperrte das Unterholz den Ausblick. Ich sah Duun nach den Kontrollen greifen. Ich hatte mir längst einen sicheren Platz gesucht und mich angeschnallt. Die Art und Weise, wie die Kjokerin den Gleiter aus dem Stand in die Höhe schnellen ließ, verriet Meisterschaft. Noch weitaus mehr aber beeindruckte mich die Sicherheit des Instinkts, mit dem sie den richtigen Zeitpunkt für den Blitzstart gewählt hatte. Wir hatten die
Ebene der Baumwipfel kaum unter uns zurückgelassen, da stach der oberschenkeldicke Energiestrahl des gegnerischen Geschützes durch das helle Licht des Nachmittags und fuhr unter uns in den Wald. Ein Feuerball sprang auf, wo unser Gleiter sich noch vor wenigen Sekunden befunden hatte. Eine Qualmwolke stob in die Höhe. Ich machte mir Sorgen um Kolport. Hoffentlich war er schlau genug gewesen, sich möglichst weit vom Landeplatz zu entfernen. Duun sprach ein paar Worte in der wispernden, knisternden Sprache der Kjoker. Ich verstand sie nicht; aber ich wußte, was gesagt wurde. Almergund übernahm die Kontrolle des Fahrzeugs. Das alles geschah in einem Zeitraum von nicht mehr als zwei Sekunden. Der Gleiter bäumte sich auf, als Almergund feuerte. Fauchend und knallend entlud sich das großkalibrige Thermogeschütz. Der Quaitti hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Jetzt, da uns die Bäume den Ausblick nicht mehr verdeckten, war er deutlich zu sehen: ein glitzerndes, tropfenförmiges Gebilde weit draußen über dem stillen Wasser des Sees, zwei Kilometer entfernt. Almergund traf ihn voll. Der Quaitti‐Gleiter explodierte. Die brennenden Trümmer regneten auf den See hinab und versanken im Wasser, jedes Teil seinen Auftreffpunkt durch eine Säule aus weißem Dampf markierend. »Ein Überlebender«, meldete Duun sachlich. Ihre Augen waren schärfer als die meinen. Ich sah den treibenden Quallenkörper erst, nachdem sich der von der Explosion verursachte Aufruhr der Seeoberfläche gelegt hatte. Duun wartete meine Anweisung nicht ab. Unser Gleiter trieb mit mäßiger Geschwindigkeit auf den See hinaus. Dhonat war inzwischen aus seiner Trance des Schuldbewußtseins erwacht. Als ich das Luk öffnete, stand er mit schußbereiter Waffe an meiner Seite. Wir wußten nicht, wie der Quaitti auf unseren Rettungsversuch reagieren würde. Es waren nicht nur humanitäre Gründe, die mich bewegten, den
Überlebenden aus dem Wasser zu fischen. Wir mußten mehr über den Gegner in Erfahrung bringen. Die Überreste der beiden Quaitti, die ich in der vergangenen Nacht getötet hatte, wären gut dazu geeignet gewesen, uns Aufschluß über die körperliche Beschaffenheit der Fremdwesen zu geben, insbesondere über die chemische Konsistenz der fürchterlichen Säure, mit der sie ein ausgewachsenes, humanoides Lebewesen binnen weniger Sekunden zu zersetzen vermochten. Es war jedoch als sicher anzunehmen, daß die Körperreste nicht mehr existierten. Die Quaitti hatten das gesamte Lager dem Erdboden gleichgemacht. Hier nun bot sich uns die Gelegenheit, ein lebendes Mitglied der fremden Spezies in unsere Gewalt zu bekommen – eine Chance, die wir uns nicht entgehen lassen durften. Der Gleiter hing nur wenige Zentimeter über der Wasserfläche. Der Quaitti bewegte sich nur schwach. Ich sah mehrere Stellen, an denen die graue Haut des amorphen Körpers aufgerissen war. Das Fremdwesen war schwer verwundet. Auf dem Bauch liegend, den Oberkörper durch die Öffnung des Luks geschoben, hob ich die unförmige Masse empor. Es waren unangenehme Sekunden. Wie wenn der Quaitti sich für unsere Samaritertat dadurch bedankte, daß er uns mit seiner teuflischen Säure bespritzte? Es kam Gott sei Dank nicht dazu. Ich hievte den schweren Körper an Bord. Das Luk schloß sich selbsttätig. Duun ließ den Gleiter einen weiten, steilen Bogen beschreiben und kehrte zum nördlichen Seeufer zurück. Der Quaitti rührte sich nicht. Dhonat versah weiterhin das Amt des Gefangenenwärters. Er würde nicht zögern zu schießen, falls das Quallenwesen auch nur die geringste feindselige Geste machte. Wir alle erinnerten uns nur zu gut an den gräßlichen Anblick, den die beiden toten Steppenforscher in der gestrigen Nacht geboten hatten. Es war klar, daß wir unser bisheriges Versteck aufgeben mußten. In wenigen Minuten würde es hier von quaittischen Suchfahrzeugen nur so wimmeln. Dort, wo der Gleiter bis vor kurzem gelegen hatte, stand der Wald in
Flammen, eine Folge des Fehlschusses, den der Angreifer getan hatte. Kolport war ein Stück weit in östlicher Richtung gelaufen, um sich in Sicherheit zu bringen. Wir nahmen ihn an Bord. Er machte aus seinem Abscheu dem Quaitti gegenüber keinen Hehl. Ich hatte befürchtet, daß ich auf ihn würde aufpassen müssen, damit er dem Gefangenen nicht an den Kragen ging. Aber Kolport schien sich eher vor dem Fremdwesen zu fürchten. Jedenfalls suchte er sich einen Platz, der so weit wie möglich von dem reglos daliegenden Quallenkörper entfernt war. Auf dem Ortervideo erschienen die ersten Reflexe gegnerischer Fahrzeuge. Sie bewegten sich am Rand der Bildfläche. Wir hatten noch Zeit. Die Frage war allerdings, wie wir den Quaitti entkommen konnten. Sobald wir das Triebwerk in Gang setzten, waren wir auf ihren Orterbildern ebenso deutlich zu sehen wie sie auf dem unseren. Ich verstand Duuns fragenden Blick, ohne daß sie ein Wort zu sagen brauchte. »Wir suchen ein Gebiet, in dem es turbulent zugeht«, sagte ich. »Häufige schwere Gewitter, Erdbeben, Vulkanausbrüche … irgend so etwas.« »Äquatornähe«, antwortete Dhonat. »Bei der Vermessung der Planetenoberfläche fanden wir eine große Insel, auf der es von Vulkanen wimmelt.« »Ich erinnere mich«, sagte Duun gelassen, wie es ihre Art war. »Kurs dorthin?« »So schnell wie möglich«, nickte ich. * Drei Stunden später hatten wir sie abgehängt. Dhonat hatte nicht übertrieben, als er von einer Gegend intensiver vulkanischer Aktivität sprach. Dutzende von Qualmwolken stiegen aus bizarr geformten Bergspitzen in die Höhe. Die Luft war voller Rauch und
roch nach Schwefel‐ und Phosphorgasen. Die Sohlen der Täler bestanden zum Teil aus Lava, zum Teil aus Asche, die im Lauf der Jahrhunderte eine bimssteinähnliche Konsistenz angenommen hatte. Es gab nur wenig Pflanzenwuchs; höherentwickeltes Tierleben fehlte völlig. Es war ein Land, von dem mein Freund Reginald Bull mit Inbrunst gesagt hätte: »Schlimmer kann es in der Hölle auch nicht sein.« Immerhin waren wir den Quaitti entronnen. Die Vulkane erzeugten Energieechos, unter denen der schwache Reflex unseres Gleiters verschwand. Zwar wußte der Gegner, daß wir auf der großen Insel Zuflucht gesucht hatten. Aber das vulkanische Gelände hatte einen Umfang von mehr als 300.000 Quadratkilometer. Im schlimmsten Fall blieb den Quaitti die Möglichkeit, die gesamte Insel zu zerstören; aber ich bezweifelte, daß sie sich eines einzelnen Gleiters wegen solche Mühe machen würden. Unser Versteck jedenfalls würden sie nicht finden. Während unserer Flucht hatten wir mehrere Anrufe von der ZWERBUS erhalten. Es war Dhonat schwergefallen, nicht darauf zu antworten; aber inzwischen hatte er seine Lektion gelernt. Immerhin war Wasterjajn Kaz, dem Kommandanten des Schiffes zuzugestehen, daß er sich in der Situation, die für ihn recht verwirrend sein mußte, erstaunlich rasch zurechtfand. Bereits sein dritter Spruch war verschlüsselt, so daß die Quaitti ihn nicht ohne weiteres würden entziffern können. Wasterjajn versicherte uns, er habe Verständnis für unsere Lage und werde weiterhin funken, sowie einen Kanal für unsere Antwort reservieren lassen. Wir sollten uns melden, sobald sich Gelegenheit dazu böte. Inzwischen legte er uns Pläne vor, wie die ZWERBUS uns helfen könne. Wenn wir die Möglichkeit fanden zu antworten, würden wir nur das entsprechende Kennwort zu nennen brauchen, und Wasterjajn sprang sofort in Aktion. Es war ein recht effizientes Kriegsspiel, das wir da betrieben. Ob wir damit Erfolg haben würden oder nicht, hing eigentlich nur davon ab, wann es den Quaitti gelang, unseren
Kode zu knacken. Unser Landeplatz lag in einem mit Felsstücken aller Größenklassen übersäten Tal. Der Boden unter uns rüttelte und schüttelte sich des öfteren, ein Anzeichen der unablässigen tektonischen Aktivität der Insel. Duun saß an den Instrumenten und überwachte die Aktivität der Quaitti, die der fruchtlosen Suche allmählich müde zu werden schienen. Drei ihrer Boote hatten bis vor kurzem über der Insel gekreuzt, waren jedoch vor einigen Minuten nach Nordwesten abgezogen. Das gegnerische Raumschiff stand eben noch über unserem Orterhorizont und erschien auf dem Video als großer, verwaschener Fleck. Solange Duun über unsere Sicherheit wachte, war ich zuversichtlich. Ihr würde keine Bewegung des Gegners entgehen. Dhonat brütete über den Plänen, die Wasterjajn Kaz über Hyperfunk durchgesagt hatte. Er hatte den kleinen Bordcomputer in Betrieb genommen und versucht, von ihm zu erfahren, welche Taktik in einer Lage wie der unseren am angemessensten sei. Kolport hatte nichts zu tun. Ich bat ihn, den Gefangenen nach draußen zu bringen, damit ich ihn verhören könne. Der Auftrag war nicht nach Kolports Geschmack. Er sträubte sich dagegen, den Quaitti zu berühren. Aber ich konnte ihn schließlich überreden. Es war heiß und stickig draußen. Der allgegenwärtige Qualm reizte die Schleimhäute und stach in den Lungen. Almergund war mir ohne Aufforderung gefolgt. Sie trug ihre Waffe schußbereit und so, daß der Quaitti sie ständig vor Augen hatte. Ich legte Wert darauf, daß die Befragung außerhalb des Fahrzeugs stattfand, denn man konnte nie wissen, wann der Gefangene sich über die Fragen, die ich ihm zu stellen gedachte, so aufregen würde, daß er seine Säuredrüse aktivierte. Kolport legte den Quaitti auf einer von Staub und Hindernissen freien Stelle nieder. Ich ging anderthalb Meter von ihm entfernt hinter einem halbmannshohen Felsklotz in Deckung. Almergund hielt sich an meiner Seite. Ich entnahm ihrem Blick, daß sie meine Vorsichtsmaßnahmen für leicht übertrieben
hielt. In der Tat wirkte das Fremdwesen so schwach und teilnahmslos, daß ich froh sein mußte, wenn ich wenigstens die eine oder andere Antwort bekam. Aber die Vorsicht würde ich trotzdem nicht außer acht lassen. Almergund war jung und unerfahren. Sie hatte keine Situation durchgemacht, in denen ein Gegner, der nach allen klinischen Erkenntnissen bereits tot war, sich noch einmal aufbäumte und irreparablen Schaden anrichtete. »Wir sind nicht von Natur aus eure Feinde«, sprach ich über die Kuppe des Felsens hinweg auf den Quaitti ein. »Wir wissen nicht, warum ihr uns bekämpft. Vielleicht willst du mich darüber aufklären.« An einer Stelle seiner vielfach verwundeten Haut bildete sich eine Öffnung, die einem menschlichen Mund ähnelte. »Auftrag … Juwel … wir gehorchen«, wurde mir geantwortet. Ja, das war die Art von Stimme, an die ich mich erinnerte. Sie klang, als käme sie durch einen großen Trichter, und war von schmatzenden Lauten untermalt. »Wie lautet euer Auftrag?« wollte ich wissen. »Sonnensteppe … niemand betritt … Sperrzone …« »Warum ist das Juwel daran interessiert, daß niemand die Sonnensteppe betritt?« »Zum Wohl … EVOLOS.« »Wer ist EVOLO?« »Wer …?« Die Frage war nicht verstanden worden. »Das Juwel, der Erleuchtete ist um das Wohl EVOLOS besorgt. Ich möchte wissen, wer EVOLO ist.« »Wer … EVOLO?« Mir dämmerte allmählich, daß ich meinen Eifer an das falsche Objekt verschwendete. Unter den Quaitti schien es üblich, »zum Wohle EVOLOS« zu sagen, wie es sich die Terraner zur Gewohnheit gemacht hatten, bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit Gott zu danken. Die Frage, wer EVOLO sei, stieß auf dasselbe
Unverständnis, wie ein Terraner es zur Schau stellte, wenn man ihn fragte, wer denn »Gott« wäre – nachdem er soeben »Gott sei Dank« gesagt hatte. Nun befand ich mich also in einer Lage, die in meiner Wahlheimat Terra vor langer Zeit ein typisches Catch‐22 genannt worden wäre: Der Zutritt zur Sonnensteppe war um EVOLOS willen versagt, aber niemand wußte, wer EVOLO war. »Es geht dir nicht gut«, sagte ich zu dem Quaitti. »Gibt es irgendeine Weise, wie wir dir helfen können?« »Nicht helfen …«, kam die Antwort. »Ohnehin … verloren …« Die Bedeutung dieser Worte wurde mir erst viel später klar. Im Augenblick sah ich nur, wie der Quallenkörper sich zusammenzog, die Haut Blasen schlug und aus der Mundöffnung, deren Lippen erstarrt waren, ein dünner Faden farbloser Flüssigkeit rann. Es war alles in allem ein höchst unerfreulicher Anblick; aber ich wußte, daß soeben ein intelligentes Wesen dem Tod anheimgefallen war, und ich empfand Trauer darüber. Almergund mußte bemerkt haben, was ich fühlte. Es war ein merkwürdiger Blick, den sie mir zuwarf. Es war eine noch merkwürdigere Bemerkung, die sie machte. »Dort, wo du herkommst, müßt ihr viel Zeit haben«, sagte sie. Ich verstand trotzdem, worauf sie hinauswollte. »Zeit genug, um zu bedauern«, antwortete ich. Kolport stand vor dem Gleiter und wedelte mit seinen langen, muskulösen Armen. »Die ZWERBUS kommt!« rief er uns zu. 4. »Ich hoffe, du brauchst deinen Entschluß nicht zu bereuen«, sagte ich zu Dhonat. Es ärgerte mich, daß er seinen Entschluß getroffen hatte, ohne
mich um Rat zu fragen. Es war etwas Tragikomisches an seinem Geltungsbedürfnis, das ihn zwang, immer wieder unter Beweis zu stellen, daß er derjenige war, der die Entscheidungen fällte. Er hatte nur darauf gewartet, bis ich das Fahrzeug verließ. »Es gibt keine Gefahr mehr«, behauptete er. »Das Raumschiff der Quaitti hat sich zurückgezogen.« Das war neu. Ich warf Duun einen fragenden Blick zu. Sie machte die Geste der Bejahung. »Die Frage ist, wohin und wie weit«, setzte ich einen Dämpfer auf Dhonats Optimismus. »Die Quaitti wissen, daß die ZWERBUS sich in der Nähe befindet. Sie haben mit der EITZBUS leichtes Spiel gehabt und nehmen vermutlich an, daß ihnen die ZWERBUS ebenfalls keine nennenswerten Schwierigkeiten machen wird. So, wie ich die Lage sehe, liegen sie irgendwo im Hinterhalt und schlagen dann zu, wenn das Schiff am verletzlichsten ist – nämlich in dem Augenblick, in dem wir an Bord gehen.« Er winkte ab. »Du siehst die Dinge immer viel zu hoffnungslos«, meinte er. »Was wird aus den anderen Mitgliedern deiner Truppe?« fragte ich. »Keiner von ihnen hat sich mehr gemeldet«, sagte er. »Auch die ZWERBUS hat mit niemand außer uns Verbindung aufnehmen können.« »Sie werden aus lauter Angst vor den Quaitti nicht wagen, ihre Funkgeräte in Betrieb zu nehmen«, vermutete ich. »Wir kommen zurück, um nach ihnen zu suchen, sobald wir wissen, daß die Quallen sich wirklich zurückgezogen haben«, versprach er. Es war müßig, an seinem Plan herumzudiskutieren. Es ließ sich ohnehin nichts mehr daran ändern. Die ZWERBUS wurde im Lauf der nächsten zwei Stunden erwartet. Sie würde landen, den Gleiter an Bord nehmen und sofort wieder starten. Wo sie sich zu verstecken gedachte, um den endgültigen Abzug der Quaitti
abzuwarten, davon hatte Dhonat keine Ahnung. Er war kein Astronaut. Diese Entscheidung überließ er Wasterjajn Kaz. Es verstand sich von selbst, daß ich dem bevorstehenden Abenteuer mit gemischten Gefühlen entgegensah. Ich beschloß, mich auf meine und der beiden Kjokerinnen Wachsamkeit zu verlassen. Beim geringsten Anzeichen von Gefahr würde ich den Gleiter übernehmen und ihn so weit wie möglich vom Landeort der ZWERBUS wegsteuern. Lieber auf dieser Welt gestrandet als zu radioaktivem Staub zerblasen. Dhonat schien nur mäßig daran interessiert, was ich beim Verhör des Quaitti erfahren hatte. Die Nachricht vom Tod des Gefangenen nahm er gelassen entgegen. Erst als ich berichtete, daß die Quaitti ihren Auftrag in der Tat unmittelbar vom Herrscher der Kernzone, vom Erleuchteten selbst, erhalten hatte, horchte er auf. »Wenn wir also in die Sonnensteppe vorstoßen«, meinte er, »haben wir es nicht nur mit den Gefahren zu tun, die dort aus natürlicher Ursache auftreten, sondern wir müssen uns obendrein gegen das Juwel wehren.« »Das war vorauszusehen«, hielt ich ihm entgegen. »Das ist nicht gut«, sagte er. »Mancher Steppenforscher wird sich überlegen, ob er unter diesen Umständen an der Expedition teilnehmen soll. Die Furcht vor dem Juwel ist groß. Viele halten den Herrn des Nukleus für allmächtig.« »Du auch?« fragte ich verblüfft. Er machte die Geste der Verneinung. »Keiner ist allmächtig«, sagte er. »Ich fürchte mich vor dem Erleuchteten; aber keine Macht der Welt hält mich davon ab, eine Expedition in die Sonnensteppe zu unternehmen. Dort konzentriert sich alles Übel, von dem diese Galaxis beherrscht wird. Es ist meine Aufgabe als Wissenschaftler, dem Problem auf den Grund zu gehen und nach einer Lösung zu suchen.« Es waren zwar nur Worte, und niemand wußte, wie er sich anstellen würde, wenn es wirklich drauf und dran ging – aber in
diesem Augenblick hatte er zumindest einen Teil meines Respekts wiedergewonnen. Duun hatte sich auf ihrem schwenkbaren Pilotensessel zu uns herumgedreht. Sie wartete geduldig, bis in unserem Gespräch eine Pause eintrat. Erst dann sagte sie: »Die ZWERBUS setzt zur Landung an. Bis jetzt noch kein Zeichen von dem Quaitti‐Schiff.« * Es schien, als solle sich mein Pessimismus zum ersten Mal seit der Landung auf Brusquez als unbegründet erweisen. Die ZWERBUS baute, auf flimmernden Prallfeldern reitend, eine einwandfreie Landung kaum einen halben Kilometer von unserem Gleiter entfernt. Sie war in der Tat das Schwesterschiff der EITZBUS, eine mächtige Walze, die majestätisch in den grauen, rauchverhangenen Himmel emporragte. Sie schien ein wenig jüngeren Datums zu sein als die EITZBUS. Im großen und ganzen machte sie einen zuverlässigeren, tüchtigeren Eindruck als jene. Die Quaitti rührten sich noch immer nicht. Wir warteten, bis sich in halber Höhe des Walzenschiffs ein großes Luk auftat. Dann vergewisserten wir uns ein letztes Mal, daß der Gegner sich nirgendwo in der Nähe befand, und hoben im Blitzstart ab. Dhonats Miene war entspannt und ein wenig schadenfroh. Er gönnte mir die kleine Abfuhr, die das Schicksal mir erteilte, indem es sich weigerte, meiner Prophezeiung zu folgen. Wir landeten in einem hell erleuchteten Hangar, in dem zwei weitere Fahrzeuge desselben Typs standen. Eine Gruppe von fünf Wesen unterschiedlichster Herkunft stand zu unserem Empfang bereit. Ich gewann zum ersten Mal den Eindruck, daß die Schar der Steppenforscher erst vor kurzer Zeit zueinander gefunden haben mußte und noch weit davon entfernt war, einen nennenswerten
Grad der Homogenität zu besitzen. Niemand zeigte sich über mein Erscheinen verwundert. Ich wurde begrüßt, als ob ich von Anfang an zu den Mitgliedern der Expedition gehört hätte. Es wußte keiner, daß ich in Wirklichkeit ein Außenseiter war. Noch während der Begrüßung schloß sich das Luk. Am Zittern des Schiffskörpers war zu erkennen, daß die ZWERBUS abhob – genau, wie es geplant war. Durch einen weiten Antigravschacht glitten wir bugwärts und betraten wenige Augenblicke später die Kommandozentrale des Schiffes. Mein erster Blick galt den großen Bildschirmen. Die ZWERBUS bewegte sich mit geringer Geschwindigkeit und hatte eben erst die Gipfel der höchsten Vulkane unter sich zurückgelassen. Im stillen stimmte ich mit dem Piloten überein. Solange sich die Quaitti nirgendwo zeigten, bestand zu übermäßiger Eile kein Anlaß. Dann wandte ich meine Aufmerksamkeit dem Kommandanten zu. Manchmal stellt uns, die wir seit Jahrtausenden das Weltall durchstreifen und meinen, alle Ausdrucksformen der Schöpfung längst zu kennen, die Natur ein Wesen gegenüber, das trotz aller Abgeklärtheit, die wir zu besitzen glauben, sofort unsere Faszination erregt. Ein solches Geschöpf war Wasterjajn Kaz. Er war ein Felide, wie ein Xenobiologe gesagt hätte, ein Nachkomme katzenähnlicher Vorfahren. Seine Körpergröße betrug nicht mehr als anderthalb Meter. Er trug, soweit ich erkennen konnte, keine Kleidung. Der Pelzbesatz seines Körpers war hellblau und hellgrün gescheckt – eine natürliche Färbung, wie ich später erfuhr, nicht etwa eine Laune der Mode. Wasterjajn ging aufrecht auf zwei Beinen. Die dünnen Arme endeten in kleinen, geschmeidigen Pfoten, die mit je vier krallenähnlichen Daktylen ausgestattet waren. Das alles jedoch war es nicht, was mich überraschte. Der Schock war Wasterjajns Dikephalidität. Niemand hatte mich darauf vorbereitet, daß ich einen Zweiköpfigen zu sehen bekommen würde; die Natur macht sich nicht viel Mühe mit zweischädligen
Wesen. Oh gewiß, sie erschafft sie so, wie sie auch alles andere erschafft – statistisch, auf dem Wege der spontanen Mutation. Aber sie kümmert sich danach nicht mehr um ihre Geschöpfe, und da sich die Zweiköpfigen mit dem Zurechtfinden in ihrer Umwelt und dem Überleben schwer tun, landen ihre Spezies gewöhnlich nach kurzer Zeit im Darwinschen Abfalleimer. Ist es für die Standardintelligenz schon ein Problem, ihr eines Gehirn richtig zu gebrauchen, so sehen sich die Dikephalen mit der zusätzlichen Schwierigkeit konfrontiert, zwei Gehirne miteinander zu koordinieren. Die einzigen, die dieses Dilemma jemals aus vollem Herzen verstanden haben, sind wahrscheinlich die Experten aus der Frühzeit der Computertechnik, die sich als erste bemühten, zwei Rechenmaschinen zu sinnvoller Zusammenarbeit an der Lösung ein und desselben Problems zu bewegen. Oh, wie gut ich mich an jene Zeiten noch erinnerte. Auf Terra fanden sie in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts statt – kurz bevor ich das letzte Mal in meine Tiefseekuppel stieg. Wasterjajn Kaz bemerkte meine Überraschung. »Der Staatenlose ist es gewöhnt, daß man ihn anstarrt«, sagte er. »Verzeih«, bat ich. »Ich bin viel herumgekommen, aber Wesen deiner Art habe ich nur ganz selten zu sehen bekommen.« Es sprach nur einer der beiden Köpfe. Der andere war damit beschäftigt, die Bildschirme zu mustern. »Mir geht es nicht anders«, lautete die niedergeschlagene Antwort. »Auch ich bekomme Geschöpfe meiner Art nicht mehr vor Augen.« Eine der beiden Kjokerinnen stand neben mir; ich glaube, es war Almergund. »Sein Volk ist in der Sonnensteppe verschollen, glaubt er«, erklärte sie. »Deshalb nennt er sich den Staatenlosen.« Ich hatte das Bedürfnis, etwas Aufmunterndes zu sagen. »Wenn deine Artgenossen wirklich in der Sonnensteppe leben, werden wir sie finden und befreien«, versprach ich. Die vertikalen Schlitze seiner Pupillen weiteten sich. Beide Köpfe
blickten mich jetzt an; aber eine Sekunde später ruckte der erste zur Seite und faßte die Kjokerin ins Auge. »Nimmt er den Mund immer so voll?« fragte er. »Er kommt in höherem Auftrag«, wies Almergund den Spötter zurecht. »Er weiß, was er sagt.« Ich war ihr dankbar, daß sie meine Partei ergriff. Um Wasterjajn Kaz von allem Anfang an klarzumachen, daß ich an Bord seines Schiffes nicht die Rolle eines Statisten zu spielen gedachte, fragte ich ihn: »Ich nehme an, daß sich die Quaitti noch irgendwo in der Nähe aufhalten. Wo willst du Warteposition beziehen?« Zwei Augenpaare musterten mich eindringlich und, wie mir schien, ein wenig mißfällig. Es lag hier offenbar ein hoher Grad der Koordination vor. Die beiden Köpfe empfanden wie einer. Es gab keine Streitigkeiten wie seinerzeit zwischen den beiden Bewußtseinen des Doppelkopfmutanten Goratschin. »Was kümmert es dich?« fragte einer der beiden Münder. »Du machst Witze«, lachte ich. »Es gilt meinen einen Hals ebenso wie deine beiden. Ich befinde mich gern in Sicherheit. Ich sagte dir: Ich bin weit herumgekommen. Ich besitze Erfahrungen, die du dir zu unser aller Vorteil zunutze machen solltest.« Er war objektiv, das mußte man ihm lassen. Ob ich ihm behagte oder nicht, er nahm sich meine Worte zu Herzen. Mit einer seiner Pfoten machte er eine Geste, die Zustimmung auszudrücken schien. »Gut«, sagte er. »Der Rat eines Erfahrenen ist viel wert. Hast du Vorschläge?« Ich sah mich um. Der Himmel draußen hatte inzwischen eine dunkelviolette Färbung angenommen. Wir näherten uns den oberen Grenzen der Brusquez‐Atmosphäre. Mein Interesse galt jedoch der Besatzung der Kommandozentrale. Sie war so bunt zusammengewürfelt wie die ganze Schar der Steppenforscher. Ich hatte keine Ahnung, wie sehr man sich auf die Mannschaftsmitglieder der ZWERBUS im einzelnen verlassen
konnte. Ganz sicher dagegen wußte ich, daß ich an meiner Seite zwei Experten hatte, die an Umsicht, Reaktionsgeschwindigkeit und Entscheidungskraft so rasch niemand übertraf. »Es wäre gut, wenn du Duun zur Kopilotin machtest«, sagte ich, »und Almergund zur Orterin.« Da nahmen seine Augen einen ganz eigenartigen Ausdruck an. Ich glaube gar, der Felide bedachte mich mit einem Grinsen! »Du verstehst dein Handwerk«, lobte mich der linke Kopf. »Beim Schutzgeist aller Staatenlosen: Genau das hätte ich auch von mir aus getan!« Seitdem verstanden Wasterjajn Kaz und ich einander ein wenig besser, und zum Schluß wurde eine herzliche Freundschaft daraus. Duun und Almergund lösten die beiden Besatzungsmitglieder ab, die bisher als Kopilot und Orter fungiert hatten. Auch bei den beiden Kjokerinnen hatte ich mich durch meinen Vorschlag sicher nicht unsympathischer gemacht. Die ZWERBUS strebte in den freien Raum hinaus. Ich begriff, warum Wasterjajn bezüglich des Verstecks, in dem er den Abmarsch der Quaitti erwarten wollte, bisher noch keinen Entschluß gefaßt hatte. Zuerst mußte festgestellt werden, ob überhaupt noch etwas da war, vor dem es sich zu verstecken lohnte. Diesmal schien es so, als solle Dhonats Optimismus sich in vollem Umfang gerechtfertigt erweisen. Ich begann schon, mich dafür zu interessieren, wie dem eigenartigen Gefühl abzuhelfen sei, das sich in meinem Magen eingenistet hatte. Es war immerhin schon zwölf Stunden her, seit ich das letztemal einen Bissen zu mir genommen hatte, und davor war ich auch nicht gerade auf fürstliche Weise verpflegt worden. Ich wandte mich mit einer entsprechenden Frage an Wasterjajn Kaz. Damit hatte ich dem Schicksal offenbar das erwartete Stichwort gegeben. In demselben Augenblick, in dem Wasterjajn den Mund des linken Kopfes öffnete, um mir zu antworten, begannen die Alarmsirenen zu blöken. Über den Lärm hinweg war Almergunds helle, durchdringende Stimme zu hören:
»Ortung! Schwerer Raumflugkörper taucht hinter der Rundung des Planeten auf. Es ist der Quaitti …« * »Nichts wie fort!« schrie ich. »Sucht Ortungsschutz in der Sonne!« Das trug mir einen weiteren anerkennenden Blick des Kommandanten ein. »Du bist ein Geschöpf nach meinem Geschmack«, rief er begeistert. »Wozu Tapferkeit zeigen, wenn sie keine Aussicht auf Erfolg hat?« Dhonat kam herbei. »Warum keine Aussicht?« stieß er voller Erregung hervor. »Wir haben noch nicht einmal versucht …« Wasterjajns schroffe Handbewegung unterbrach ihn mitten im Satz. »Siehst du den Lichtklecks dort auf dem Orterbild?« zischte der Felide. »Ja«, antwortete Dhonat verwirrt. »Die Intensität des Echos verrät die energetische Ausstrahlung des Gegners. Ich sage dir, ohne das fremde Schiff aus der Nähe gesehen zu haben, daß es sämtliche Aggregate bis auf Überbelastung gefahren hat und der ZWERBUS an Leistung wenigstens um das Fünffache überlegen ist.« »Aber trotzdem …« »Nichts aber!« schrillte Wasterjajn. »Ich bin der Kommandant des Schiffs. Du bist der Leiter der Expedition. Im Augenblick geht es nur um die Sicherheit der ZWERBUS und ihrer Besatzung. Ich entscheide. Du setzt dich dort hinten hin und schnallst dich fest. Wir werden nämlich in Kürze einen recht ungemütlichen Zauber erleben.« Dhonat gehorchte wortlos. Er wirkte nicht einmal zornig oder
zerknirscht. Er verstand, wenn seine Kompetenz überfordert war; das war einer seiner vorteilhaften Züge. Inzwischen hatte Duun auf meinen ersten Aufschrei längst reagiert. Die ZWERBUS ließ den Planeten Brusquez mit Maximalbeschleunigung hinter sich und nahm Kurs auf die Sonne. Der Gegner mochte erwartet haben, daß das Schiff sich wenigstens vorübergehend zum Kampf stellen würde. Unsere Reaktion verwirrte ihn sichtlich. Er hatte einen Großteil seiner Energiereserven auf Feldschirme und Geschütztürme geschaltet. Es dauerte ein paar Sekunden, bis er diese Maßnahmen rückgängig machen konnte. In der Zwischenzeit schoß die ZWERBUS mit rasch zunehmender Fahrt davon. Almergund hatte die Entwicklung mit scharfem Blick verfolgt. Während die Quaitti Energie von den Feldschirmen und Bordwaffen auf das Triebwerk umleiteten, geschah es für den Bruchteil einer Sekunde, daß ihr Schiff nahezu schutzlos war. Die Entfernung zwischen den beiden Fahrzeugen betrug zu dieser Zeit knapp 100.000 Kilometer – eine Distanz, die die Geschütze der ZWERBUS noch ohne sonderliche Mühe zu überwinden vermochten. Almergund sah den kritischen Augenblick voraus. »Feuer aus allen Geschützen!« rief sie in den leuchtenden Ring des Interkom‐Mikrophons. Das Weltall flammte. Der Quaitti wurde mehrfach getroffen. Wir sahen auf dem Orterbild dünne Ströme verdampfenden Metalls ins Vakuum entweichen. Unsere Waffen waren nicht kräftig genug, das gegnerische Schiff auszuschalten. Aber wir hatten den Quaitti zu denken gegeben. Ihre Mentalität war robotähnlich, das hatte ich an dem Gefangenen bemerkt, den ich auf Brusquez verhört hatte. Initiative, wie die ZWERBUS sie auf ihrer Flucht entwickelte, mußte sie in Verwirrung bringen. Inzwischen wurden die Feldschirme unseres Schiffes ausgefahren. Die Quaitti setzten zur Verfolgung an; aber die Schäden, die unser Geschützfeuer angerichtet hatte, mußten recht bedeutend sein. Sie
entwickelten nicht einmal annähernd die Beschleunigung, die die ZWERBUS vorlegte. Das Flammenmeer der Sonnenoberfläche kam mit bemerkenswerter Geschwindigkeit auf uns zu. Vorübergehend tauchte die ZWERBUS in den Bereich relativistischer Geschwindigkeiten ein, und die Welt ringsum nahm eine fremdartig bunte Färbung an. Aber Duun hatte inzwischen den Bremsvorgang eingeleitet. Mit vergleichsweise geringer Geschwindigkeit glitt das Schiff durch die zwar energiereichen, aber optisch nicht wahrnehmbaren Strömungen der Sonnenkorona, drang in die Chromosphäre ein und sank langsam der Oberfläche der Photosphäre entgegen. Die Feldschirme flammten, aber sie hielten stand. In dieser Energiehölle würden uns die Quaitti niemals orten können. Wir waren fürs erste sicher. Jetzt kam es nur noch darauf an, wer mehr Geduld hatte: der Gegner oder wir. In ein paar Stunden würden wir Sonden ausfahren, die jenseits der Sonnenatmosphäre ein Augenmerk auf die Quaitti haben sollten. Das einzige, was mir Sorgen machte, war der Ortungsschutz, von dem ich mittlerweile annahm, daß der Feind ihn besaß. Wie sonst hätte er so unerwartet hinter der Rundung des Planeten auftauchen können? Ortergeräte funktionierten auf fünfdimensionaler Basis. Man konnte sie nicht dadurch beeindrucken, daß man einen Planeten zwischen sie und das zu ortende Gerät setzte. Aber das war vorerst nicht mein Kummer. Ich hatte ein paar Stunden lang Zeit, mich um meine eigenen Bedürfnisse zu kümmern. Wasterjajn Kaz hatte inzwischen soviel Zuneigung zu mir entwickelt, daß er mich eigenhändig an den Ort führte, an dem ich mich verköstigen konnte. Er zeigte mir auch eine Kabine, die für einen Humanoiden annähernd meiner Größe ausgestattet war. Über die Mahlzeit habe ich wiederum nichts zu sagen. Sie entsprach dem, was ich am Morgen dieses Tages – mein Gott, wie lange war das schon her! – zu mir genommen hatte, und dieselben
Entschuldigungsgründe waren auch hier anzuführen. Das Lager dagegen war überaus bequem. Während ich mich ausstreckte, faltete ich die Hände unter dem Hals. Ich glaube, ich war schon eingeschlafen, als mein Hinterkopf das Polster berührte. * Ich erwachte aus eigenem Antrieb – nicht, wie bei früheren Gelegenheiten, infolge des Heulens von Alarmsirenen oder aufgrund sonstiger ruhestörender Anlässe. Ich fühlte mich erholt und gekräftigt, und ein paar Augenblicke lang bot sich meinem vom Schlaf noch benommenen Verstand ein relativ rosiger Ausblick in die Zukunft. Aber dann setzte die Erinnerung ein. Das Schicksal meinte es in letzter Zeit nicht besonders gut mit mir. Erst war ich auf Parillyons Vorstellungen hereingefallen und hatte mich verleiten lassen, nach Kippelkart zu gehen, wo ich einem heimtückischen Transmitter zum Opfer gefallen und nach Brusquez versetzt worden war. In der alten Transmitterstation von Brusquez hatte ich in meiner Panik als erstes versucht, das Gegengerät in Betrieb zu nehmen und mit seiner Hilfe zur Pforte der Weisen, wie Kippelkart angeblich auch genannt wurde, zurückzukehren. Welch ein Glück, daß mir das nicht gelungen war! Der Extrasinn hatte recht gehabt. Der Transmitter der halb zerfallenen Anlage hätte wahrscheinlich auf dieselbe Weise funktioniert wie die Robottruppen, denen ihr Schutz oblag, nämlich fehlerhaft. Wenn ich mich dem blitzenden Käfig anvertraut hätte, wäre ich wahrscheinlich nicht mehr am Leben. Almergund hatte mich mit Hilfe ihrer Artgenossin Duun gerettet; aber die Rettung war kaum mehr gewesen als ein Überwechseln vom Regen in die Traufe. Ich bekam es mit einer Horde gewissenhafter, aber ansonsten recht hilfloser Steppenforscher zu tun, denen ein Zerstörungskommando des Juwels im Nacken saß.
Der Anführer der Forscher war ein ebenso wohlmeinender wie unerfahrener Humanoide namens Dhonat, der trotz seines Mangels an Erfahrung unter der Wahnvorstellung litt, daß er seine nicht vorhandenen strategischen Fähigkeiten bei jeder Gelegenheit unter Beweis stellen müsse. Weshalb ich in diesem Augenblick hinter etlichen stählernen Wänden und Schotten, einer reichlichen Menge Luft in einem hoffentlich zuverlässigen Energieschirm darauf hoffte, daß mir die Höllenglut der Photosphäre einer fremden Sonne nichts anzuhaben vermöchte. Arkonide, du sitzt in der Patsche. Ich nahm mir Zeit, mich zu säubern und zu erfrischen. Ein Geschöpf der Zivilisation fühlt sich auf die Dauer nicht wohl mit Schmutz in den Hautfalten und schwarzen Rändern unter den Fingernägeln. Die Hygiene war in letzter Zeit ein wenig zu kurz gekommen. Ich holte nach, was ich in den vergangenen dreißig Stunden versäumt hatte. Dann machte ich mich auf den Weg zur Kommandozentrale. Ich hatte sechs Stunden lang geschlafen und nahm an, daß auch die anderen sich inzwischen die Gelegenheit zum Ausruhen nicht hatten entgehen lassen. Beim Betreten der Zentrale bemerkte ich sofort, daß Spannung in der Luft lag. Almergund und Duun saßen an ihren Arbeitsplätzen. Wasterjajn Kaz hatte seinen schweren Pilotensessel weit nach hinten gekippt, so daß er fast die Form und Funktion einer Liege besaß, und starrte ausdruckslosen Blicks zur Decke hinauf. Im Hintergrund waren ein paar Mitglieder der Stammbesatzung mit Routineaufgaben beschäftigt. Dhonat bewegte sich mit aufgeregten, trippelnden Schritten hin und her, offenbar mit dem Überdenken eines gewichtigen Problems beschäftigt. Als er mich erblickte, kam er auf mich zugeschossen. »Diese zwei Holzköpfe von einem Kommandanten«, keifte er, »legen offenbar auf deine Meinung mehr wert als auf die des Leiters der Expedition. Ich sage: Wir kehren nach Brusquez zurück!«
»Du machst dir keine Freunde mit deiner Ausdrucksweise«, lächelte ich. »Laß uns hören, was Wasterjajn zu sagen hat.« Ich ging auf die Konsole des Kommandanten zu. Dhonat folgte mir widerwillig. Wasterjajn hatte seine Äußerung natürlich gehört. Er wartete meine Frage nicht ab, sondern erklärte von sich aus: »Ich habe gegen seinen Plan gar nichts einzuwenden. Aber ich wollte erst deine Meinung hören.« »Du ehrst mich«, bedankte ich mich. »Wie ist die Lage?« »Die Quaitti sind verschwunden. Die Sonden empfangen seit mehr als drei Stunden kein einziges Signal mehr.« »Habt ihr ihr Schiff tatsächlich davonfliegen sehen«, wollte ich wissen, »oder war es lediglich so, daß die Signale plötzlich aufhörten?« »Die Signale wurden im Lauf mehrerer Minuten ständig schwächer«, antwortete Almergund an Wasterjajns Stelle. »Wir schlossen daraus, daß das Schiff der Quaitti sich entfernte.« Denselben Schluß hätte ich unter normalen Umständen ebenfalls gezogen. Hier aber hatte ich ein ungutes Gefühl. Der allmähliche Intensitätsverlust hyperenergetischer Signale kann ohne große Mühe simuliert werden. Den Quaitti traute ich ohne weiteres zu, daß sie auf diese Weise versuchten, uns eine Falle zu stellen. »Du hattest Bedenken von meiner Seite erwartet?« fragte ich Wasterjajn. »Nicht unbedingt erwartet«, antwortete der linke Kopf. »Ich wollte nur hören, ob du welche hättest. Es könnte doch sein, daß wir bei unseren Überlegungen etwas übersehen haben.« Ich schüttelte den Kopf. Sie kannten die Geste nicht; sie würden sich beizeiten an sie gewöhnen. »Ich habe keine Einwände«, sagte ich. »Ich habe das unangenehme Gefühl, daß die Lage nicht so günstig, ist, wie wir sie sehen. Aber aus Gefühlen macht man keine Pläne. Wir wollten im Ortungsschutz der Sonne bleiben, bis die Quaitti abgezogen waren. Soweit wir die Dinge beurteilen können, sind sie verschwunden. Es
gibt keine Methode, mit deren Hilfe wir von hier aus zusätzliche Informationen erlangen könnten. Also laß uns aufbrechen.« Wasterjajn schwenkte seine Sessel in die normale Position zurück. »Gesprochen wie ein vernünftiger Astronaut«, lobte er mich. »Als ob ich nicht dasselbe schon vor zwei Stunden gesagt hätte«, knurrte Dhonat. * Vorsichtig schob sich die ZWERBUS aus der flammenden Hülle der fremden Sonne hervor. Der Raum ringsum war leer bis auf die Planeten des kleinen Systems und das übliche Gesprenkel kosmischer Trümmerstücke. Auf dem Orterbild blinkte hin und wieder der Reflex irgendeines kurzlebigen, energetischen Vorgangs, der sich in den Tiefen des Alls abspielte, charakteristisch mit seinem matten, erratischen Geflacker, das gewöhnlich nur ein paar Hundertstelsekunden dauerte. Sonst nichts. Allmählich wich mein Mißtrauen. Wir fuhren mit voll aktivierten Schutzschirmen, jederzeit bereit, beim ersten Anzeichen von Gefahr umzukehren und die Deckung der Sonne von neuem aufzusuchen. Es konnte uns, nach meinem Ermessen, nichts geschehen. Mochten die Quaitti auch einen leistungsfähigen Ortungsschutz besitzen, so gut war er nicht, daß sie unmittelbar vor unserer Nase aus dem Nichts hätten auftauchen können. Aus spätestens 150.000 km Entfernung, schätzte ich, würden wir sie wahrnehmen. Langsam strebte die ZWERBUS auf den Planeten Brusquez zu. Man sah Dhonat an, daß ihm allmählich die Geduld ausging. Er sorgte sich um die Mitglieder seines Teams, die er irgendwo auf der Oberfläche der paradiesischen Welt verstreut wußte. Er besaß eine gehörige Portion Mitgefühl. Er konnte sich ausmalen, wie ihnen zumute sein mußte: gestrandet auf einem fremden Planeten, abgeschnitten vom Rest des Universums, ihres zukünftigen
Schicksals ungewiß. Es war eine häßliche Lage, in der sie sich befanden, zumal sie auf mich von vornherein nicht den Eindruck entschlossener, an Initiative reicher Kämpfer gemacht hatten. Viele von ihnen waren ohne Zweifel am Rand des seelischen Zusammenbruchs. »Wir sollten versuchen, sie über Funk zu erreichen«, schlug Dhonat vor. Ich hatte keinen Einwand. Die Quaitti hatten sich anscheinend zurückgezogen – und selbst wenn sie irgendwo auf der Lauer lagen, hatten sie die ZWERBUS längst bemerkt, und wir lieferten ihnen keine zusätzliche Information, indem wir auf Hyperwelle zu funken begannen. Dhonat wirkte erleichtert, als niemand ihm widersprach. Er selbst übernahm den Posten an der Funkkonsole. Seine Worte waren voller Sorge und Mitgefühl. »Hier spricht Dhonat an Bord der ZWERBUS. Haltet aus, meine Freunde! Wir sind unterwegs, euch abzuholen. Ich muß wissen, wo ihr euch aufhaltet. Sendet mir Peilsignale, damit ich euch aufspüren kann.« Viermal, fünfmal wiederholte er die Nachricht. Dann lehnte er sich zurück und wartete. Das Antennensystem war auf höchste Empfindlichkeit getrimmt. Aus dem Empfänger drang das stete Rauschen des kosmischen Störpegels; aber jedes Signal, das von Brusquez aus gezielt an die ZWERBUS abgestrahlt wurde, würde als gellender Pfeifton zu hören sein. Ein Segment des Bordcomputers war für die Analyse der eintreffenden Impulse reserviert. Wir würden in Sekundenschnelle erfahren, wo sich der Sender befand, von dem das Signal ausgegangen war. Ein paar Minuten verstrichen. Ich ertappte mich dabei, wie mir das monotone Rauschen immer nachhaltiger auf die Nerven ging. Hatte ich früher Schwierigkeiten gehabt, in Dhonats Miene zu lesen, so gab es jetzt nicht mehr die geringste Ungewißheit. Er war verzweifelt, und seine Verzweiflung wuchs mit jeder
verstreichenden Sekunde. Fünf Minuten waren inzwischen vergangen, und noch kein einziges Mal hatte der Empfänger auf eines der erwarteten Peilsignale angesprochen! »Es gibt verschiedene Möglichkeiten«, sagte ich schließlich. »Entweder sie haben ihre Fahrzeuge verloren und besitzen deswegen keine Hypersender mehr, mit denen sie dir antworten können. Oder sie trauen sich nicht zu antworten, weil sie fürchten, daß die Quaitti sie sonst aufspüren.« Wenn mich einer um meine wahre Meinung gefragt hätte, wäre ich in Verlegenheit geraten. Ich glaubte nämlich an keine der beiden Möglichkeiten. Wenn die Fahrzeuge verlorengegangen waren, dann die Besatzungen mit ihnen. Wenn es aber noch Überlebende mit Gleitern gab, dann würde wenigstens einer von ihnen auf die Idee kommen, daß es relativ sicher war, ein kurzes Peilsignal abzustrahlen und sich dann ein neues Versteck zu suchen. Das Signal war freilich dann für uns nicht mehr brauchbar; aber er konnte sich ja von neuem melden, kurz bevor die ZWERBUS zur Landung ansetzte. Dhonat sprach auf meinen Versuch der Aufmunterung nicht an. Es mangelte ihm nicht an Intelligenz. Er wußte so gut wie ich, daß das Ausbleiben jeglichen Peilimpulses kaum anders als auf die schlimmste aller Weisen gedeutet werden konnte: Auf Brusquez lebte niemand mehr. In der Kommandozentrale herrschte bittere Stille, während die ZWERBUS sich langsam auf die Oberfläche des Planeten hinabsenkte. Schräg unter uns lag das Hügelland, in dem wir vor den Quaitti Zuflucht gesucht hatten. Für Sekundenbruchteile bekam ich den geschwärzten, von Trümmern übersäten Fleck zu sehen, an dem früher die alte Transmitterstation gestanden hatte. Auch das Ruinenfeld, in dem ich den Fremdwesen zum erstenmal begegnet war, kam kurz in Sicht. Dann aber konzentrierte sich unsere Aufmerksamkeit auf die Ebene am westlichen Fuß der Hügelketten und auf die verwüstete, verbrannte und mit Explosionstrichtern
besäte Fläche, die einst das Lager der Steppenforscher gewesen war. Wir hielten geradeswegs darauf zu. Die Feldschirme waren desaktiviert; die Tätigkeit des Prallfelds erzeugte ein intensives Flimmern auf den Bildschirmen, als sänke das Schiff durch aufwärtsströmende Massen hocherhitzter Luft. Die Quaitti hatten wir längst vergessen. Ein einziger Gedanke beherrschte unser Bewußtsein: Lebt dort unten wirklich niemand mehr? Das war der Augenblick, in dem Almergund mit überschnappender Stimme schrie: »Ortung! Wir werden angegriffen!« 5. Wir würden nie erfahren, woher sie gekommen waren. Diesmal hatten sie sich nicht hinter ihrem Ortungsschutz verborgen. Sie waren auf Brusquez gelandet und hatten sämtliche Aggregate desaktiviert, so daß unsere Orter keinerlei Impulse registrierten. Natürlich hatten sie gewußt, in welcher Gegend wir zur Landung ansetzen würden. Als die ZWERBUS infolge der Landevorbereitungen vergleichsweise hilflos war, vollführten sie einen Blitzstart und stürzten sich auf uns. Ihr Raumschiff hatte sich von den Wunden, die ihm von Almergund beigebracht worden waren, gründlich erholt. Es war der ZWERBUS an Geschwindigkeit, Manövrierfähigkeit und Bewaffnung bei weitem überlegen. Wir hatten von Anfang an nicht die geringste Chance. Almergund dirigierte unser Abwehrfeuer, während Wasterjajn und Duun versuchten, soviel Distanz wie möglich zwischen uns und den Gegner zu legen. Aber die Quaitti hatten ihre Schutzschirme voll ausgefahren, und Almergunds wohlgezielte Salven bewirkten weiter nichts als ein helles Flackern in der energetischen Hülle. Dafür erhielten wir, bevor unsere Schirmfelder reaktiviert werden konnten, einen Treffer, der das
heckwärtige Drittel des Rumpfes aufriß und uns von einer Sekunde zur anderen in ein nicht mehr raumflugtaugliches Fahrzeug verwandelte. Das Triebwerk wurde in Mitleidenschaft gezogen. Daraufhin leiteten mehrere Generatoren ihre Leistung automatisch auf den Antriebssektor um, wodurch die ZWERBUS zwar in halbwegs flugfähigem Zustand erhalten, die soeben entstehenden Feldschirme jedoch erheblich geschwächt wurden. Infolgedessen schlug der nächste Treffer der Quaitti‐Geschütze ebenfalls voll durch. Inzwischen war unser Schiff nach Osten hin ausgewichen. Unter uns, fünfzehn Kilometer tiefer, lagen die bewaldeten Hügel. Alarmgeräte blökten. Schadensmeldungen aus allen Sektoren der ZWERBUS liefen ein. »Wir halten uns nicht mehr lange«, erklärte Wasterjajns rechter Kopf. Der Ring des Interkommikrophons hing ihm unmittelbar vor dem Mund, so daß jedermann an Bord hören konnte, was er zu sagen hatte. »Die Mannschaft geht von Bord und bedient sich dabei jedes beliebigen Mittels, das ihr zur Verfügung steht. Die Kommandozentrale hält …« Weiter kam er nicht. In dieser Sekunde erhielten wir den dritten Treffer. Der Boden tat sich unter mir auf. Eine Stichflamme schoß an mir vorbei und versengte mir das Gesicht. Ich empfand Schwerelosigkeit und stürzte in eine Tiefe, aus der mir rote Glut entgegenquoll. Der Sessel, in dem der Gurt mich noch immer hielt, prallte gegen ein Hindernis und wurde zur Seite geschleudert. Der mörderische Ruck hätte mir um ein Haar das Genick gebrochen. Die Hand tastete verzweifelt nach dem Schalter, mit dem der Gurt sich lösen ließ. Das war vorläufig mein letzter Eindruck. Es gab einen donnernden Knall. Etwas Hartes traf mich am Schädel. Und dann war nichts mehr …
* Es stank ganz erbärmlich – wonach, das konnte ich nicht entscheiden. Ich hörte knisternde und tropfende Geräusche und von weither einen Laut, der sich wie der Schmerzensschrei einer organischen Kreatur anhörte. Feurige Pein rann mir den Rücken, die Arme und die Beine entlang. Es gab in der Tat kaum noch eine Stelle meines Körpers, die nicht schmerzte. Von irgendwoher kam fahles Licht. Ich befand mich noch immer im Innern des Schiffes. Der Sessel war halb zur Seite gekippt; der Gurt versah weiterhin seine Pflicht und hielt mich fest. Diesmal hatte ich mehr Glück. Die tastende Hand fand den Schalter. Der Gurt ließ mich los. Über die Armlehne des Sessels hinweg stürzte ich in ein Durcheinander aus zerbrochenen und zerrissenen Dingen, die früher einmal wichtige Bestandteile der komplexen Maschinerie des Raumschiffs ZWERBUS gewesen sein mochten. Es fiel mir schwer, mich aufzurichten. Es war mir zumute, als hätte der Sturz mir sämtliche Knochen im Körper zerschlagen. Ich versuchte schließlich, mir auf allen vieren einen Weg zu bahnen. Weit wäre ich auch auf diese Weise wohl nicht gekommen. Aber plötzlich war Bewegung vor mir. Ich hörte Stimmen. Schrott klapperte und schepperte. Feingliedrige und doch kräftige Hände griffen mir unter die Achseln, hoben mich in die Höhe, zerrten mich fort. Die Helligkeit wurde intensiver. Durch eine unregelmäßig geformte Öffnung blickte ich hinaus in eine sonnige Landschaft, die mit metallenen Trümmerstücken übersät war. Im Widerschein des Sonnenglanzes erkannte ich meine beiden Retterinnen: Duun und Almergund. »Danke«, ächzte ich. »Ich glaube, von hier aus kann ich allein.« Sie wichen nicht von meiner Seite. »Wir haben nicht mehr viel Zeit«, warnte Duun. Sie dirigierten mich nach rechts. Im Schutz eines hohen Gebüschs
stand ein Gleiter, lädiert und zerbeult, aber offensichtlich noch fahrbereit. Ich sah die Umrisse von Gestalten hinter der gläsernen Abdeckung des Cockpits. Mich umzusehen, fand ich keine Gelegenheit. Jedesmal, wenn ich das Schrittempo verringerte, faßten die beiden Kjokerinnen mich bei den Armen und zogen mich mit sich. Als mir beim Einstieg durch das enge Luk die Schmerzen zu schaffen machten und ich einen Augenblick zögerte, gaben sie mir einen Schubs, so daß ich recht unsanft auf dem Boden der Kanzel landete. Mit gewohnter Behendigkeit kamen sie hinter mir hergeklettert. Ich hörte das Luk zuklappen. »Alles an Bord«, sagte jemand. »Dann nichts wie fort«, hörte ich eine zweite Stimme sagen. Es gab einen mächtigen Ruck, als der Gleiter mit hell summendem Triebwerk abhob. Ich raffte mich auf. Mit Mühe schleppte ich mich zu einem Sitz und schnallte mich an. Das Fahrzeug hatte inzwischen eine Höhe von 300 Metern erreicht. Als es sich zur Seite neigte, um eine enge Kurve zu fliegen, bekam ich die Stelle, an der die ZWERBUS abgestürzt war, zwei Sekunden lang zu sehen. Es war ein Wunder, daß es bei diesem Absturz noch Überlebende gab. Das Schiff war in vier Teile zerborsten. Der Gleiter kehrte zu ebener Fluglage zurück, und die Szene entzog sich meinem Blick. Ich sah mich im Innern des Fahrzeugs um. Am Steuer saß Wasterjajn Kaz, neben ihm Dhonat mit finsterem, verbissenem Gesicht. Unmittelbar hinter dem, den er zu beschützen hatte, hockte Kolport, der Riese. Die beiden Kjokerinnen kauerten auf dem Boden. Ihr Götter Arkons – sind das alle? Dhonat wandte sich um. Er begegnete meinem fassungslosen Blick und wies auf die Videofläche des Orters. Fünf oder sechs Reflexe waren zu sehen. Sie näherten sich dem Zentrum des Bildes. »Sie sind uns ziemlich dicht auf den Fersen«, sagte er. Seine Stimme klang rauh. Das also war der Grund für ihre Eile, dachte ich. Aber dann fuhr Dhonat fort:
»Außerdem läuft der zentrale Reaktor überkritisch. Die Kontrollsysteme funktionieren nicht mehr. Es gibt keine Möglichkeit, ihn abzuschalten.« Es lief mir kalt über den Rücken. Ich kannte den Antriebsmechanismus, den die Raumschiffe der Steppenforscher benützten, noch immer nicht, und was für ein Typ von Reaktor es war, von dem Dhonat sprach, darüber konnte ich nur spekulieren. Aber wenn er unkontrolliert in ein überkritisches Stadium getreten war, dann würde er über kurz oder lang explodieren. Wenn Almergund und Duun mich nicht gefunden und in Sicherheit gebracht hätten … Der Gleiter bewegte sich jetzt mit Höchstgeschwindigkeit. Es war ein leistungsfähigeres Fahrzeug als jenes, das wir vor dem Auftauchen der ZWERBUS benützt hatten. Mit mehr als Mach 2 schossen wir hoch über die bewaldete Hügellandschaft dahin. Die Verfolger blieben hinter uns zurück. Ihre Reflexe tummelten sich in der Nähe eines matt leuchtenden Lichtkleckses, der das Wrack der ZERBUS darstellte. Wir bewegten uns in südöstlicher Richtung. Da zuckte ein fahler Blitz über dem Himmel. Ich wandte mich um und sah weit hinter uns, im Nordwesten, einen strahlend weißen Feuerball sich über die Konturen der Hügel in die Höhe schieben. Es flackerte auf dem Orterbild. Die Druckwelle holte uns nicht ein. Binnen einer halben Minute verwandelte sich der Glutball in eine schlanke Dampfsäule, die mit bedeutender Geschwindigkeit in die höheren Schichten der Atmosphäre hinaufstrebte. An Bord des Gleiters wurde kein Wort gesprochen. Mein Blick fiel auf das Ortervideo. Der Lichtklecks war verschwunden. Nur noch drei Reflexe waren zu sehen. Der Gegner hatte für seinen Mangel an Umsicht teuer bezahlt. Zumindest zwei seiner Fahrzeuge waren von der explodierenden ZWERBUS vernichtet worden. Dumpfe Niedergeschlagenheit ergriff von mir Besitz. Der Schmerz verebbte allmählich. Der Zellaktivator tat seine Pflicht. Auf die Seele allerdings hatte er keinen Einfluß. Zweimal hatte ich geglaubt,
hoffen zu dürfen, daß ich nicht für längere Zeit an diesen Planet gefesselt sein würde. Jetzt war auch die zweite Hoffnung zerstört. * Wir landeten in einem stillen, tief eingeschnittenen Tal, am Ufer eines Flüßchens, dessen Wasser mit bedeutender Geschwindigkeit dahineilte. Die Routine war uns schon bekannt: Jeweils einer von uns tat an Bord des Gleiters Wachdienst. Die anderen machten es sich am Waldrand oder am Ufer des Flusses so bequem wie möglich. Unsere Aufmerksamkeit galt in erster Linie den Aktivitäten der Quaitti. Sie hatten ohne Zweifel bemerkt, daß ein Fahrzeug das Wrack der ZWERBUS verlassen hatte und ins östliche Hügelland geflohen war. Sie gehorchten, davon war ich seit dem Verhör des gefangenen Fremdwesens überzeugt, willenlos einer engstirnigen Programmierung, die darauf abzielte, alles zu vernichten, was in die Nähe der Sonnensteppe vorzudringen wagte. Als eine Bedrohung dieser Art waren wir inzwischen eingestuft. Es bedeutete den Quaitti wahrscheinlich nichts, daß wir mit diesem Gleiter nicht einmal die atmosphärische Hülle des Planeten Brusquez verlassen konnten. Sie handelten, wie es die Programmierung ihnen gebot. Sie waren weiter nichts als Roboter in organischem Gewand. Sie würden nicht ruhen, bis sie auch den letzten Steppenforscher ausgeschaltet hatten. Im Augenblick allerdings schienen wir sicher. Ab und zu wurde ein Reflex weit draußen am Rand des Orterblickfelds gesichtet. Die Quaitti hatten unsere Spur verloren. Ich unterhielt mich mit Wasterjajn Kaz und Dhonat. Als sich nach dem dritten Treffer in der Kommandozentrale der ZWERBUS der Boden unter mir geöffnet und mich mitsamt meinem Sessel verschlungen hatte, war es dem Feliden noch einmal gelungen, das Schiff halbwegs unter Kontrolle zu bringen. Nur dadurch war die
ultimate Katastrophe abgewendet worden. Die Landung war überaus hart gewesen, aber wenigstens eine Handvoll Besatzungsmitglieder hatten überlebt: die beiden Kjokerinnen, Wasterjajn Kaz, Dhonat, Kolport und ich. Was aus der übrigen Mannschaft geworden war, wußte niemand. Es mochte sein, daß einige sich noch rechtzeitig in Sicherheit hatten bringen können, als Wasterjajn den Befehl zum Verlassen des Schiffes gab; aber es war zweifelhaft. Nach dem dritten Treffer hatte kaum noch eines der Hangarschotte funktioniert. Die Expedition der Steppenforscher war beendet, bevor sie noch hatte beginnen können. Zwei Raumschiffe vernichtet, mehr als neunzig Forscher tot, verschollen, verloren. Dhonat sprach kaum noch ein Wort. Sein Gesicht war verschlossen und von Gram gezeichnet. Er tat mir leid. Er war Wissenschaftler und hatte den größten Teil seines erwachsenen Lebens in jenem Elfenbeinturm verbracht, in den Nachrichten von der Grausamkeit der Welt nicht dringen. Er machte sich Vorwürfe; man sah es ihm an und hörte es aus seinen wenigen Worten. Ich nahm mir vor, ein längeres Gespräch mit ihm zu fuhren, sobald der Schock des ersten Schmerzes nachließ. Aber zu guter Letzt kam es ganz anders, als ich es mir ausgemalt hatte. Es ging auf Abend. Die Sonne versank hinter den Bergen im Westen, und im Himmel glomm in jenem unbeschreiblichen Rot, das ich zum erstenmal wahrgenommen hatte, als Almergund mich aus der alten Transmitterstation befreite. Ich hörte einen hellen Ruf und wandte mich um. Duun stand im offenen Luk des Gleiters und winkte mir zu. Ich stand auf und ging auf das Fahrzeug zu. Ich empfand längst keine Schmerzen mehr. Unter dem Einfluß des Zellaktivators hatte sich der Körper innerhalb weniger Stunden vollkommen regeneriert. »Jemand verlangt dich zu sprechen«, sagte Duun im halblauten Ton der Verschwörerin. »Mich?«
»Ein kurzer Hyperfunkspruch. Sie nennt dich beim Namen und verlangt, daß du dich auf irgendeine Art bemerkbar machst.« »Sie?« Ich war wie vor den Kopf geschlagen. »Sie spricht mit der Stimme eines weiblichen Wesens«, antwortete Duun bereitwillig. »Ihr Name ist Anima.« * ANIMA, die Schlummernde: Das Raumschiff mit Seele. ANIMA war ein belebtes Geschöpf, das zahlreiche erstaunliche Fähigkeiten besaß. Bis jetzt kannte ich erst ein paar davon. Solange ich mit ANIMA zusammen war, mußte ich jeden Augenblick auf neue Überraschungen gefaßt sein. Die Grundsubstanz ihres Körpers waren 150 Tonnen organisches Plasma. Im Normalzustand besaß ANIMA die Form einer Kugel von 45 Metern Durchmesser und silbergrauer Oberfläche. Die Bezeichnung »normal« ist in diesem Zusammenhang recht locker zu verstehen; denn in ihrer Normalgestalt bekam man ANIMA höchst selten zu sehen. Sie besaß die Fähigkeit der Morphotropie, der Gestaltwandlung in einem Maß, wie ich es noch nie zuvor an einem anderen Wesen beobachtet hatte. Sie konnte sich in alles und jeden verwandeln, schrumpfen, sich aufblähen, die Konsistenz ihrer Körpersubstanz verändern – kurz und gut: Es gab kein Kunststück im Buch der Tricks, das sie nicht beherrschte. Übernahm sie die Funktion eines Raumschiffs, dann nahm sie die Form einer Zigarre mit einhundert Metern Länge und fünfzehn Metern Durchmesser an. Sie schien dann aus kristalliner Materie zu bestehen. In ihrem Innern gab es Decks und Hohlräume wie in jedem anderen Raumfahrzeug, außerdem eine minimale technische Ausstattung, bestehend aus Sende‐ und Empfangsgeräten, einem Nahortungssystem und mehreren anderen Kleinigkeiten. Waffen
besaß ANIMA nicht, aber ihre Hülle widerstand mühelos allen energetischen und materiellen Einwirkungen. Sie war, soweit ich hatte feststellen können, unverwundbar. In ihrem Innern konnte sie nach Belieben eine atembare Atmosphäre, künstliche Schwerkraft und Licht erzeugen. Sie tat dies alles kraft ihres Geistes, wie sie sich ausdrückte, und auf demselben Prinzip beruhte auch der Antrieb, der ihr den überlichtschnellen Flug durch den Hyperraum ermöglichte. An vielen Stellen innerhalb des Raumschiffs ANIMA gab es Sprechanschlüsse, über die man sich mit dem Wesen ANIMA unterhalten konnte. ANIMA betrachtete sich als ein weibliches Geschöpf, insofern hatte Duun den Sachverhalt richtig beurteilt. Sie war temperamentvoll, nicht immer sachlich, manchmal streitlustig, eifersüchtig und sogar nachtragend – wobei zu sagen ist, daß ich die genannten keineswegs als typisch weibliche Eigenschaften betrachte. Lediglich die Art, wie ANIMA ihre Launen praktizierte, verriet das Feminine in ihrer Seele. Sie war von den Kosmokraten nach Alkordoom gesandt worden, um die Ursache des Übels zu erforschen, das sich hier auszubreiten begonnen hatte. In diesem Zusammenhang hatte sie bisher nur geringe Erfolge gezielt. Sie wußte aber von Anfang an, so behauptete sie, daß ihr die Kosmokraten Unterstützung schicken würden. Die Unterstützung war ich. ANIMA und ich bildeten ein Team, das im Auftrag der Kosmokraten arbeitete. Und jetzt hatte sie mich gefunden. Ich kletterte durch das Luk. Zwei grelle Lichtflecke auf dem Ortervideo stachen mir ins Auge. Der eine befand sich weit draußen am Rand der Bildfläche und bewegte sich nicht. Der zweite stand dem Zentrum des Bildes näher, bewegte sich jedoch von ihm fort, und zwar in der allgemeinen Richtung des ersten Echos. Der Zusammenhang war mir klar. Der erste Reflex stammte von ANIMA. Der zweite war das Raumschiff der Quaitti. Sie hatten den Neuankömmling erkannt und schickten sich an, mit ihm ebenso zu
verfahren wie mit der EITZBUS und der ZWERBUS. Ich zögerte. Das kleine Hypersendeaggregat war in Betrieb. Wenn ich zu sprechen begann, würden die Quaitti mich anpeilen können. Aber sie hatten jetzt Wichtigeres zu tun. Es näherte sich ihnen ein weiterer Angreifer, wie sie meinten. Sie würden zuerst ihn erledigen und sich dann erst um den kleinen Gleiter kümmern, der es bislang verstanden hatte, sich ihrem Zugriff zu entziehen. Ich ging also kein übergroßes Risiko ein, wenn ich ANIMA antwortete. Der Schock der ersten Überraschung war gewichen. Ich fühlte mich erleichtert, beschwingt, begeistert. Die traurige Vision des jahrzehntelangen Exils auf Brusquez war zerflossen. Ich steigerte mich in ein euphorisches Wohlbefinden. »ANIMA, Schiff meiner Träume«, rief ich in das kleine, ringförmige Mikrophon, »sprich zu mir!« * »Wie ist es dir gelungen, dich in einen derartigen Schlamassel hineinzumanövrieren?« fragte sie spöttisch. »Das solltest du mir sagen«, forderte ich sie auf. »Ich habe schließlich keine Ahnung, was dort hinten auf Kippelkart geschehen ist. Wie hast du mich gefunden?« »Wir haben keine Zeit, Tagebücher zu vergleichen«, antwortete sie schnippisch. »Wie mir scheint, befindest du dich nicht in der erfreulichsten aller Situationen. Das Schiff, das sich mir nähert, ist mit Wesen besetzt, die dir feindlich gesinnt sind?« »Mir und meinen Freunden, die ich auf dieser Welt gefunden habe«, erklärte ich. »Sie haben zwei Raumschiffe vernichtet und an die hundert intelligente Wesen getötet. Wir können uns nicht rühren, solange sie sich in der Nähe aufhalten.« »Ich werde sehen, was ich tun kann«, versprach ANIMA. »Du weißt, ich besitze keinerlei Waffen. Aber gewisse Möglichkeiten
stehen mir dennoch zur Verfügung … Ich habe jetzt keine Zeit mehr zum Sprechen. Ich melde mich später wieder.« Die Verbindung war getrennt. Ich schaltete das Aggregat aus. Gebannt verfolgte ich auf dem Orterbild die Bewegung der beiden Reflexe. Draußen war es inzwischen finster geworden. Über uns wölbte sich ein wolkenloser Nachthimmel mit den Lichtpunkten vereinzelter Sterne und den leuchtenden Wolken des galaktischen Hintergrunds. Ein bläulicher Blitz zuckte durch das Firmament. Eine Fontäne sprang auf, die wie ein explodierender Feuerwerkskörper leuchtende Spuren nach allen Richtungen versandte. Mein Herz verkrampfte sich. Die Quaitti hatten das Feuer eröffnet. Ihr erster Schuß hatte ANIMA getroffen und war von ihrer Oberfläche abgeprallt. Aber was wußte ich wirklich über die Beschaffenheit ihres Körpers. Gab es tatsächlich keine Waffe, mit der sie verletzt werden konnte? Und was, wenn ausgerechnet die Quaitti diese Waffe besaßen. Ein zweiter Blitz, eine zweite Fontäne. Das Feuer der Angreifer wurde rascher. Sie mochten erwartet haben, ein drittes Raumschiff von der Sorte der EITZ‐ und ZWERBUS vorzufinden. ANIMAS Unempfindlichkeit ihren Geschützen gegenüber machte sie nervös. Eine Lichtfontäne nach der anderen sprühte durch den Nachthimmel. Draußen, jenseits des offenen Luks, sah ich die Gestalten der Freunde näher kommen. Sie sahen das Feuerwerk und ahnten, daß ich ihnen eine Erklärung dafür geben könne. Duun stand hinter mir. »Sie ist ein Geschöpf, wie es sie in diesem Universum nicht allzuoft gibt, nicht wahr?« sagte sie sanft. »Oh ja«, antwortete ich. »Du wirst sie kennenlernen. Sie ist einmalig.« »He, was ist das dort droben?« rief Wasterjajn Kaz von draußen. Ich wollte ihm antworten, da geschah etwas Unerwartetes. ANIMAS Energieecho setzte sich in Bewegung – nicht allmählich
und gemächlich, wie man es von einem herkömmlichen Raumschiff erwartet, sondern sprunghaft, ruckartig. Mit unerhörter Geschwindigkeit schoß der Reflex auf den Lichtpunkt des Quaitti‐ Schiffes zu. Mir stockte der Atem. Ich wußte, was ANIMA vorhatte: Sie wollte den Gegner rammen! »Ihr Geister von Kjok!« hauchte Duun hinter mir. Sie hatte den Zusammenhang ebenfalls begriffen. Eine neue Art von Licht erschien im nächtlichen Firmament: ein rötlich loderndes Feuer. Die Blitze und Fontänen blieben von jetzt an aus. Das rote Feuer dagegen begann zu taumeln und wurde intensiver. Auf dem Orterbild sah ich, wie das Echo des Quaitti‐Schiffs sich dem Bildmittelpunkt zu nähern begann. Kein Zweifel – ANIMAS Manöver war erfolgreich gewesen! Der Quaitti war beschädigt! Er stürzte ab! Es war mir nach einem triumphierenden Aufschrei zumute. Aber noch bevor ich den Mund öffnen konnte, meldete sich der Hyperkom mit schrillem Zirpen. Mit einem Tastendruck schaltete ich das Gerät ein. »Schraubʹ deine Hoffnungen nicht zu hoch«, warnte ANIMA, als könne sie meine Gedanken lesen. »Ich habe sie gerammt. Ihr Schiff ist beschädigt, aber sie werden noch eine einigermaßen saubere Landung bauen können.« »Was kommt jetzt?« fragte ich. »Ich versuche, in deiner Nähe zu landen. Wieviel Überlebende gibt es dort unten?« »Sechs, mich eingerechnet.« »Eine stattliche Zahl«, spottete sie. »Bleib dort, wo ich mich mit dir verständigen kann.« »Selbstverständlich«, antwortete ich. Der rote Feuerklumpen fuhr fort zu sinken. Er drang in die obersten Schichten der Atmosphäre ein. Streulicht breitete sich aus und erhellte den Nachthimmel. Der Kampf hatte annähernd 100.000 km über der Oberfläche des Planeten stattgefunden. Das Schiff der
Quaitti stürzte rasch; aber schließlich zeigte es sich doch, daß ANIMA die Lage richtig beurteilt hatte. Das Triebwerk des schwer angeschlagenen Fahrzeugs flammte noch einmal auf. Minuten später drang das rumpelnde Dröhnen an unsere Ohren. Der Sturz des Schiffes verlangsamte sich. Der Ort, an dem es seine Notlandung baute, konnte nicht mehr als zweihundert Kilometer von unserem Versteck entfernt sein. Wir warteten mit bangen Herzen auf den Blitz und den Donner der Explosion. Aber nichts dergleichen war wahrzunehmen. Das dumpfe Grollen erlosch. Die Nacht fand zu ihrer natürlichen Stille zurück. Die Quaitti waren gelandet, nicht abgestürzt. Ihr Schiff würde sich wahrscheinlich niemals wieder in den Weltraum erheben können; aber wenn sich auch nur eines ihrer Geschütze noch bedienen ließ, stellten sie nach wie vor eine ernst zu nehmende Gefahr dar. Es vergingen mehrere Minuten. Der Orterreflex des Quaitti‐Schiffs war nur noch ein matter, verwaschener Fleck. ANIMA dagegen strahlte als deutliches, scharf gezeichnetes Energieecho. Sie näherte sich mit bedeutender Geschwindigkeit. Ich wußte, was sie plante. Es war wichtig für uns zu erfahren, wie intensiv der Gegner sich noch wehren konnte. Die gewünschte Information wurde uns alsbald zuteil. ANIMA stand vierzig Kilometer über dem Versteck unseres Gleiters, als plötzlich ein gleißend heller Energiestrahl durch die Nacht stach. Der Vorgang war völlig lautlos; erst Minuten später hörten wir ein halblautes Rumpeln, das uns eine Ahnung vermittelte, welch gewaltige Kräfte hier zum Einsatz gelangten. Ich beobachtete ANIMAS Reflex auf dem Orterbildschirm. Ich sah, wie er ruckartig anhielt, als sei er gegen eine Mauer geprallt. Ich wußte, wie es ANIMA erging. Die Energie konnte ihr wenig anhaben; aber die mechanische Wucht des Aufpralls brachte sie in Bedrängnis. Sie versuchte es ein zweites, ein drittes Mal. Der Effekt war stets derselbe. Die Quaitti eröffneten das Feuer und trieben sie zurück. Sie änderte ihre Taktik, näherte sich aus anderer Richtung. Aber der
Erfolg blieb ihr versagt. Der Gegner war auf der Hut. Sie würde uns auf diese Weise nicht erreichen – und der Himmel mochte wissen, wieviel Energie den Quaitti für die Bedienung ihres Geschützes noch zur Verfügung stand. Sie meldete sich schließlich. »So geht es nicht«, sagte sie niedergeschlagen. »Ich allein komme nicht durch. Sie haben, soweit ich erkennen kann, nur noch ein einziges Geschütz, das zuverlässig funktioniert. Du hilfst mir?« Ich wußte nicht, ob sie einen Plan hatte. Selbst wenn es so war, hätten wir uns nicht darüber unterhalten dürfen. Die Quaitti hörten mit. »Ich helfe dir, aber ich brauche zusätzliche Mittel.« »Koralle«, sagte sie. Dann wurde die Verbindung unterbrochen. * Ich kletterte hinaus. Duun folgte mir. Es war mit einemmal nicht mehr so wichtig, Orter und Äther ständig zu überwachen. Denen, die von mir wissen wollten, was geschehen war, gab ich mit knappen Worten Bescheid. Ich bezweifle, daß sie mehr als die Hälfte verstanden. Es ist ziemlich schwierig, in verständlicher Weise über ein intelligentes, beseeltes Raumschiff zu sprechen, besonders wenn man unter Zeitdruck steht. Minuten später glitt sie aus der Nacht heran: KORALLE, der Fünfmeter‐Gleiter, den ich auf Thorrat von Loth Colders Crynn‐ Brigade erbeutet hatte, ein vortreffliches Fahrzeug, mit der modernsten Technik der inzwischen verblichenen Hexe Zulgea von Mesanthor ausgestattet. Das Fahrzeug bewegte sich unter der Steuerung des Autopiloten. ANIMA hatte ihm vorzügliche Anweisungen gegeben. Es landete nicht mehr als zwanzig Meter von unserem Gleiter entfernt. Almergund und Duun waren an meiner Seite. Sie wollten wissen,
was ich vorhatte. Die anderen, selbst der so begriffsschnelle Wasterjajn Kaz, wußten noch immer nicht so richtig, was hier eigentlich gespielt wurde. Wir kletterten durch den Einstieg, ich als letzter. Bevor ich das Luk schloß, mahnte ich Wasterjajn Kaz und Dhonat zur Vorsicht. Es war unwahrscheinlich, daß die Quaitti in diesem Augenblick noch an eine Verfolgung der überlebenden Steppenforscher dachten. Aber ihre Mentalität war fremdartig, ihr Denken vorprogrammiert. Wir durften nicht den Fehler begehen, ihre Reaktion nach Überlegungen, die uns plausibel erschienen, vorausberechnen zu wollen. Bevor wir starteten, sah ich mich um. Die KORALLE war mit allem ausgestattet, was zur Ausschaltung eines gegnerischen Geschützes benötigt wurde. Unser einziges Problem war, unbehindert an den Ort zu gelangen, an dem die vorhandenen Mittel zum Einsatz gelangen konnten. Ich konnte mich auf ANIMA verlassen. Sie würde alles tun, was nötig war, um die Quaitti abzulenken. Uns allerdings blieb die Aufgabe, das Ablenkungsmanöver zu nützen und unser Ziel zu finden. Ich hatte Almergund und Duun mit knappen Worten erklärt, wozu die Dinge gut waren, die wir an Bord führten, und auf welche Weise sie eingesetzt wurden. Ich klemmte mich hinter die Konsole des Piloten. Wenige Augenblicke später war die KORALLE unterwegs. »Wir wissen nicht, wieviel Quaitti noch handlungsfähig sind«, sagte Duun. »Wir können nicht zu dritt in das Quaitti‐Schiff eindringen und das Boot sich selbst überlassen. Es ist das einzig raumtaugliche Fahrzeug, das uns im Augenblick zur Verfügung steht.« »Wie sonst willst du es anfangen?« hatte ich vor zu fragen. Aber Almergund kam mir zuvor. »Wir brauchen einen Scout«, entschied sie. »Einen, der vorausgeht, die Lage erkundet und die andern nachholt.« Zu meiner Schande muß ich gestehen, daß ich ein paar Sekunden
brauchte, um die Bedeutung ihrer Worte zu verstehen. Es war schon eine Weile her, und die Ereignisse seitdem waren zu turbulent gewesen, als daß ich mich auf Anhieb an die Fähigkeit der transversalen Teleportation hätte erinnern können, die die beiden Kjokerinnen besaßen. Gewiß: Wenn es einer von ihnen gelang, in das Wrack der UNALASH einzudringen und die Energieversorgung des Geschützes zu finden, dann konnte sie die anderen zu sich holen – mit mir zusammen, falls ich physischen Kontakt wahrte – und die KORALLE befand sich inzwischen weit außerhalb der Reichweite der Quaitti in Sicherheit. »Ich gehe«, fuhr Almergund fort, bevor irgend jemand sonst Gelegenheit hatte, sich zu ihrem Plan zu äußern. »Setzt mich in der Nähe des Quaitti‐Schiffs ab.« Zum Antworten kam ich nicht mehr. Vor uns wurde die Nacht zum Tag, als das Geschütz des Gegners von neuem zu feuern begann. ANIMA hatte einen weiteren Vorstoß unternommen, zum Schein natürlich, um die Quaitti zu verwirren und uns die Möglichkeit einer relativ gefahrlosen Annäherung zu bieten. Auf meinen Befehl hin schoß die KORALLE vorwärts. Sie glitt nördlich an dem gleißenden Energiestrahl vorüber, schlug einen Bogen und näherte sich dem Standort des Gegners von Süden her. Wir erkannten die Umrisse eines Fahrzeugs, das früher die Form einer kräftig gewölbten Scheibe von etwa 200 Metern Durchmesser gehabt haben mochte. Beim Aufprall war die Zelle des Quaitti‐Schiffs in drei Teile zerbrochen. Zwei davon waren total zertrümmert. Aus dem dritten stieg die unerträglich grelle Glutbahn des Energiestrahls in die Höhe. Unsere Rechnung ging auf. Die Quaitti waren mit der Abwehr ANIMAS beschäftigt. Sie hatten die KORALLE entweder nicht bemerkt oder keine Zeit, sich um das Boot zu kümmern. Ich landete in der Nähe des am weitesten südlich liegenden Trümmerstücks. An einem Gurt, den sie sich um die schmale Taille geschnallt hatte, trug sie eine der Vielzweckwaffen, die zur Standardausrüstung der
Steppenforscher gehörten. Das Luk schwang auf. Ohne sich noch einmal umzusehen, sprang die Kjokerin hinaus. Im selben Augenblick erlosch der Energiestrahl. Unsere Augen, die von seiner Helligkeit geblendet worden waren, erschien die Finsternis der Nacht nun vollends undurchdringlich. Ich sorgte mich um Almergund. Der Umstand, daß die Quaitti das Feuer im selben Augenblick eingestellt hatten, als die KORALLE landete, schien mir ein böses Omen. Es konnte bedeuten, daß der Gegner die Annäherung des Bootes bemerkt hatte und jetzt auf der Lauer lag, um die Kjokerin abzufangen. Die KORALLE startete. Ich dirigierte sie ein paar Kilometer weit nach Süden und setzte sie in bewaldetem Gelände ab. Duun und ich machten uns sofort an die Arbeit. Wir luden uns auf, was wir zur Ausschaltung des Energiegeschützes benötigten. Duun war mit einem ebensolchen Gurt ausgestattet, wie auch Almergund ihn trug. Daran befanden sich mehrere überaus sinnvoll konstruierte Haken. Ich reichte ihr mehrere Behälter mit Sprengkapseln. Sie befestigte sie an den Haken und sah nun, abgesehen von ihrer nichthumanoiden Erscheinung, aus wie ein Soldat des terranischen Altertums, der seinen Gürtel mit Handgranaten gespickt hatte. * Es verging eine halbe Stunde. Meine Zuversicht, von Anfang an schon nicht besonders intensiv, schwand weiter. Nach meiner Rechnung hätte Almergund uns schon längst zu sich holen müssen. Mit jeder verstreichenden Minute wuchs die Wahrscheinlichkeit, daß sie den Quaitti in die Falle gegangen war. Ich saß unmittelbar neben Duun, so daß sie jederzeit meine Hand ergreifen konnte, wenn sie Almergunds auslösenden Impuls empfing. Es bestand eine pseudo‐telepathische Verbindung zwischen den beiden Kjokerinnen. Die eine wußte, wann sich die
andere in Gefahr befand. Die Fähigkeit der transversalen Teleportation wirkte in beiden Richtungen. Unser nächtliches Unternehmen konnte durchaus auch so enden, daß Duun Almergund zu sich holte, weil sie spürte, daß ihre Artgenossin in Not geraten war. Gesprochen wurde kein Wort. Duun sah starren Blicks vor sich hin und konzentrierte sich auf das Signal, das sie von Almergund erwartete. Ich bemühte mich inzwischen, den Extrasinn zu einer Äußerung zu veranlassen, mit der sich die schwindende Zuversicht restaurieren ließ. Aber der Extrasinn schwieg beharrlich. Und dann ging alles blitzschnell. Ich nahm Duuns rasche Armbewegung kaum wahr. Ich spürte die sanfte Berührung ihrer Hand, und im nächsten Augenblick verschwand die Welt ringsum. Für den Bruchteil einer Sekunde hatte ich das Empfinden schwerelosen Fallens; dann wurde es plötzlich hell. Ein beißender Geruch drang mir in die Nase. Mein Blick fiel auf exotisch geformte Maschinen, Produkte einer fremden Technik. Neben einem der Aggregate stand Almergund. Ihre Augen leuchteten. Ich sah ihr an, daß sie auf ihren Erfolg stolz war. Ich löste die Hand aus Duuns Griff. Almergund wies auf die rückwärtige Wand des Raumes, in dem wir materialisiert waren. »Die Energieversorgung des Geschützes ist dort drinnen«, sagte sie. »Ich habe mich eine Zeitlang umgesehen; aber dann kamen zwei Quaitti und fingen an, an den Maschinen zu hantieren. Wartung, nehme ich an. Ich mußte mich zurückziehen.« Ich musterte die Wand, auf die sie gedeutet hatte, und erkannte die Umrisse eines Schottes. »Sind sie noch dort drinnen?« wollte ich wissen. »Ja. Man kann ihre Geräusche hören, wenn man am Schott lauscht.« Ich ließ mir von Almergund beschreiben, wie der Öffnungsmechanismus des Schottes funktionierte. Dann griffen wir an. Ich eröffnete das Feuer, kaum daß die Schottöffnung sich einen
Spalt weit aufgetan hatte. Die beiden Quaitti wurden völlig überrascht. Sie brachen im Energiefeuer unserer Waffen zusammen, bevor sie Gelegenheit erhielten, ihre tödliche Säure zu versprühen. Wir warteten ein paar Sekunden lang. Wenn der Lärm des Kampfes irgendwo gehört worden war, würde es nicht lange dauern, bis weitere Quaitti hier auftauchten. Aber es blieb alles still. Lediglich die Maschinen, die das Bordgeschütz mit Energie versorgten, gaben ein helles, leises Summen von sich. Wir brachten die Sprengkörper an. Wir wußten nicht, welche Funktion die einzelnen Aggregate hatten. Um unserer Sache sicher zu sein, verminten wir sie alle. Die Zünder waren auf eine Laufzeit von zwei Minuten eingestellt. Das war, meinte ich, genug, um uns in Sicherheit zu bringen. Almergund stieg als erste durch das offene Schott. Sie kannte den Weg, der zum Ausgang führte. Es ging durch den Raum, in dem Duun und ich materialisiert waren, und durch einen breiten, niedrigen Korridor bis zu einer Stelle, an der die Hülle des Schiffes durch den Aufprall aufgerissen war. Wir kletterten ins Freie. Die Räume, durch die wir uns bislang bewegt hatten, waren hell erleuchtet gewesen. In der Dunkelheit der Nacht waren wir zunächst wie blind. Ich kauerte mich zu Boden, und die beiden Kjokerinnen taten es mir gleich. Ihre großen Augen würden sich rascher an die Finsternis gewöhnen als die meinen. Sie würden mich führen müssen, bis ich wieder einigermaßen sehen konnte. Viel Zeit hatten wir nicht. In einer Minute würde hinter uns die konzentrierte Ladung der Sprengkapseln in die Luft gehen. Eine sanfte Hand berührte mich. Ich stemmte mich in die Höhe. Das war der Augenblick, in dem das Licht vor uns aufflammte. Ich war zum Sprung bereit gewesen, aber jetzt erstarrte ich mitten in der Bewegung. Das Licht, das uns überströmte, kam aus drei Scheinwerfern. Sie blendeten uns. Trotzdem erkannte ich dort, von wo die Helligkeit kam, die Umrisse fünf quallenähnlicher Gestalten. Die Quaitti hatten uns aufgelauert! Ein einziger Gedanke
beherrschte mein Bewußtsein: Wenn wir nicht schleunigst verschwinden, zerreißt uns die Explosion. Ich riß die Waffe hervor. »Euer Schiff explodiert in wenigen Sekunden«, schrie ich den Quaitti zu. »Geht in Deckung!« Ich rechnete nicht mit einem Erfolg. Die Fremdwesen gehorchten der Programmierung, die das Juwel ihnen eingegeben hatte. Die Beseitigung des Gegners, der in die Sonnensteppe einzudringen gedachte, war ihnen wichtiger als das eigene Leben. Ich wollte ihnen nicht übel; aber ich mußte sie vernichten, wenn ich mich selbst und die beiden Kjokerinnen retten wollte. Meine Rechnung ging nicht auf. Entweder hatte ich die Zünder falsch eingestellt oder die Zeit falsch berechnet: Die Ladung hinter uns ging hoch, bevor ich noch den ersten Schuß hatte abfeuern können. Greller Feuerschein brandete durch die Nacht und ertränkte selbst das intensive Licht der Scheinwerfer. Der brüllende Donner einer Serie von Explosionen zerriß die Stille. Die Druckwelle packte mich wie die Faust eines Riesen und schleuderte mich vorwärts, auf die Quaitti zu. Ich sah nicht, was mit ihnen geschah. Ich stürzte in zundertrockenes Gestrüpp, das bei der Hitze, die der Absturz des Quaitti‐Schiffs verursacht hatte, in Brand geraten sein mochte. Federnde Äste und Zweige milderten die Wucht des Aufpralls. Ich war benommen, aber binnen einer Sekunde stand ich schon wieder auf den Füßen. Vor mir loderten Flammen. Die Explosionen hatten den mittleren Teil des fremden Raumschiffs – jenen, in dem sich das Energiegeschütz befand – vollends zerrissen. ANIMA kann landen, war der erste Gedanke, der mir durch den Sinn schoß. Es raschelte im Hintergrund. Ich wandte mich um und sah eine der beiden Kjokerinnen sich aus dem verfilzten Buschwerk emporarbeiten. An einer zweiten Stelle hatte das Gestrüpp sich ebenfalls zu bewegen begonnen. Ein dunkler, im Glänze seiner Chitin‐Hülle schimmernder Körper kam zum Vorschein. Ich atmete erleichtert
auf. Duun und Almergund hatten die Explosion ebensogut überstanden wie ich. Die Detonation hatte den Quaitti weniger zugesetzt als uns. Ihre flachen, dem Boden verhafteten Körper boten der Druckwelle keine nennenswerte Angriffsfläche. Sie lagen vor uns, zwischen dem Gebüsch und dem brennenden Wrack. Ich hielt die Waffe schußbereit für den Fall, daß sie sich weiterhin feindselig zu verhalten gedachten. Einer von ihnen richtete sich auf. Faltige Hautlappen drangen unter dem Körper hervor. Mit ihrer Hilfe bewegte der Quaitti sich vorwärts. Er glitt auf die Flammen zu. Im ersten Augenblick konnte ich mir sein Verhalten nur so erklären, daß er ermitteln wolle, ob aus dem Wrack noch etwas geborgen werden könne. Aber kurz danach setzten sich auch die übrigen Quaitti in Bewegung und hielten ebenfalls auf das Wrack zu. Fassungs‐ und hilflos sah ich zu, wie der vorderste in die hell auflodernde Flammenwand eindrang. Es gab ein häßliches, zischendes Geräusch, als der quallenförmige Körper binnen weniger Sekunden zu einem gerade noch faustgroßen Klumpen verschmorter Substanz schrumpfte. Ich schrie auf. »Anhalten! Haltet an! Wozu wollt ihr euch …« Ich bin nicht sicher, ob sie mich überhaupt hörten. Der Brand erfüllte die Luft mit brausendem, knatterndem Lärm. Wahrscheinlicher kommt mir jetzt vor, da ich in Ruhe über den unglaublichen Vorgang nachdenken kann, daß ihnen die Programmierung, mit denen der Erleuchtete sie versehen hatte, es unmöglich machte, auf meine Warnung zu achten. Sie hatten die Schlacht verloren. Ihr Raumschiff war zerstört. Es blieb ihnen keine Möglichkeit mehr, die fremden Eindringlinge an einem weiteren Vorstoß in Richtung Sonnensteppe zu hindern. Sie hatten versagt. Für diesen Fall sah das Programm des Erleuchteten offenbar die Selbstzerstörung vor. Jetzt verstand ich die Worte, die der gefangene Quaitti ausgestoßen hatte, als ich ihn verhörte: »Nicht helfen … Ohnehin …
verloren …« * ANIMA war gelandet, keine zwei Kilometer von der Absturzstelle der UNALASH entfernt. Ich hatte mit der KORALLE die übrigen Steppenforscher herbeigeholt und ihnen von unserem Erfolg berichtet. In ANIMAS Hülle war eine Strukturlücke entstanden, durch die ich das Innere betrat. Ich ging zur nächsten Sprechstelle und ließ mir von ANIMA berichten, was seit meinem verunglückten Vorstoß nach Kippelkart geschehen war. So erfuhr ich von Parillyons heimtückischen Anschlag und dem doppelten Atlan, der von Colemayns Hand gestorben war. Der Weltraumtramp hatte ihr den Weg nach Brusquez gewiesen. Woher er die entsprechende Informationen besaß, wußte niemand. Er war sogar ein Stück weit mit ANIMA geflogen, hatte sich jedoch unterwegs ohne Angabe eines Grundes abgesetzt. Ich schilderte meinerseits die Erlebnisse auf Brusquez. ANIMA konnte sich ebensowenig wie ich einen Reim darauf machen; aber sie stimmte mir zu, daß mein Zusammentreffen mit den Steppenforschern ein durchaus glücklicher Zufall sei. Zumindest besaßen Dhonat und seine Begleiter eine gewisse, wenn auch rein theoretische Kenntnis des Gebiets, in das wir vorzustoßen gedachten und über das ANIMA und ich absolut nichts wußten. Ich bot Dhonat an, mit mir an Bord ANIMAS zu reisen. Er beriet sich mit seinen Begleitern und akzeptierte mein Angebot nach kurzer Debatte. ANIMA war damit einverstanden, daß wir – ohne vorher dorthin zurückzukehren, von wo ich durch den Transmitter auf Kippelkart so unerwartet verschlagen worden war – unverzüglich in Richtung Sonnensteppe aufbrachen. Das Kristallschiff schlug zunächst einen niederen Orbit um Brusquez ein. Wir suchten nach Spuren überlebender Steppenforscher. Ich
nützte die Gelegenheit, um mit der KORALLE, die bis dahin längst ihren Stammplatz in ANIMAS Zentrum wieder eingenommen hatte, die Gegend des ehemaligen Lagers abzusuchen. Weder ANIMAS Geräte noch meine Suche erbrachten auch nur das geringste Anzeichen, daß einer der Forscher noch am Leben war. Niedergeschlagen brachen wir auf. Das Kristallschiff verließ den Orbit. Brusquez und seine Sonne blieben hinter uns zurück. Der Kurs war auf die Sonnensteppe gerichtet. Wir wußten nicht, was uns dort erwartete. Die Begegnung mit dem Zerstörungskommando gab uns zu denken. Das Juwel würde sich gegen unser weiteres Vordringen zur Wehr setzen, und daß ihm Mittel zur Verfügung standen, denen unsere bescheidene Ausrüstung nicht gewachsen war, davon waren wir inzwischen überzeugt. Es würde auf unsere Initiative, unsere Schlauheit ankommen, wie gut oder schlecht wir in der Auseinandersetzung mit dem übermächtigen Gegner abschnitten. »Ich bin zuversichtlich«, sagte Almergund, als ANIMA sich anschickte, auf Überlichtfahrt zu gehen. »Das Schicksal hätte uns nicht übriggelassen, wenn es nicht überzeugt wäre, daß wir gegen den Herrn des Nukleus bestehen könnten.« Ihre Zuversicht entbehrte der logischen Grundlage. Aber es wirkte beruhigend, sie diese Worte sagen zu hören. ENDE Nur fünf Steppenforschern ist es gelungen, mit Hilfe von ANIMA, dem von Atlan befehligten lebenden Raumschiff, vor dem »Zerstörungskommando« zu flüchten. Was die Flüchtlinge nun erwartet, als sie in verbotenes Gebiet eindringen, das schildert Hans Kneifel im Atlan‐Band der nächsten Woche. Der Roman erscheint unter dem Titel: AM RAND DER SONNENSTEPPE