José Saramago
Das Zentrum
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José Saramago
Das Zentrum
scanned by ute corrected by maoi In einem portugiesischen Dorf betreibt der alte Cipriano Algor eine kleine Töpferei. Seine Waren verkauft er an ein hypermodernes Einkaufszentrum in der Stadt. Eines Tages wird ihm mitgeteilt, dass Plastik besser sei als Ton und dass man künftig auf seine Dienste verzichtet. Der Markt will es so. Doch der Markt hat seine Rechnung ohne Cipriano gemacht. Der weise Alte wehrt sich und lernt, dass es nie zu spät ist, zu Neuem aufzubrechen.
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JOSÉ SARAMAGO Das Zentrum ROMAN
Deutsch von Marianne Gareis
ROWOHLT
Die Originalausgabe erschien 2000 unter dem Titel «A Caverna» bei Editorial Caminho, Lissabon Umschlaggestaltung any.way, Walter Hellmann (Foto: Bavaria)
1. Auflage März 2002 Copyright © 2002 by Rowohlt Verlag GmbH Reinbek bei Hamburg «A Caverna», Copyright ©José Saramago & Editorial Caminho, SA, Lisboa - 2000 Alle deutschen Rechte vorbehalten Satz Stempel Garamond PostScript, PageMaker bei Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin Druck und Bindung Clausen & Bosse, Leck Printed in Germany ISBN 49806351 0
FÜR PILAR
Ein gar wunderliches Bild stellst du dar. Und wunderliche Gefangene. - Uns ganz ähnliche. Platon, Politeia, Buch VII
DER MANN, der den Lastwagen fährt, heißt Cipriano Algor, er ist Töpfer von Beruf und vierundsechzig Jahre alt, obgleich er nicht so alt wirkt. Der Mann, der neben ihm sitzt, ist sein Schwiegersohn, er heißt Marçal Gacho und ist fast dreißig. Doch seinem Gesicht nach würde ihn niemand für so alt halten. Bemerkenswert ist, dass bei dem einen wie bei dem anderen dem Vornamen ein recht ungewöhnlicher Nachname folgt, dessen Ursprung, Bedeutung und Hintergrund beiden unbekannt sind. Wahrscheinlich wären sie enttäuscht, wenn sie erführen, dass algor Schüttelfrost bedeutet, Vorbote des Fiebers, und gacbo nicht mehr und nicht weniger ist als der Teil des Ochsennackens, auf dem das Joch sitzt. Der Jüngere der beiden trägt eine Uniform, ist aber nicht bewaffnet. Der Ältere hat eine normale Jacke und eine halbwegs dazu passende Hose an, das Hemd trägt er bis zum Kragen zugeknöpft, ohne Krawatte. Die Hände auf dem Lenkrad sind groß und kräftig, Bauernhände, und dennoch, vielleicht wegen des täglichen Umgangs mit dem weichen Ton, den sein Beruf mit sich bringt, verheißen sie Feinfühligkeit. Die rechte Hand Marçal Gachos ist nicht auffällig, doch der Handrücken der linken Hand weist eine Narbe auf, die nach Verbrennung aussieht, ein diagonal verlaufendes Mal, das vom Daumenansatz bis zum kleinen Finger reicht. Der Lastwagen verdient diesen Namen gar nicht, ist nur ein mittelgroßer, altmodischer Lieferwagen, der mit Töpferware beladen ist. Als die beiden Männer das Haus verließen, das war vor zwanzig Kilometern, begann es gerade erst zu dämmern, doch inzwischen sandte der Morgen genügend Licht in die Welt, dass man Marçal Gachos Narbe erkennen und die Feinfühligkeit der Hände Cipriano Algors erahnen konnte. Sie fahren mit gedrosselter Geschwindigkeit, wegen der Zerbrechlichkeit ihrer Fracht und auch wegen der 6
Unebenheiten im Straßenbelag. Die Lieferung von Waren, die nicht als besonders dringlich gelten, und dazu gehört rustikale Keramik, erfolgt laut Vereinbarung im Laufe des Vormittags, und wenn diese beiden Männer so früh unterwegs sind, dann liegt das daran, dass Marçal Gacho mindestens eine halbe Stunde, bevor die Tore des Einkaufszentrums für die Kunden geöffnet werden, seine Stempelkarte in die Stechuhr gesteckt haben muss. An den Tagen, an denen der Schwiegersohn nicht dabei ist, er aber dennoch Keramik ausliefern muss, braucht Cipriano Algor nicht so früh aufzustehen. Dennoch ist es immer er, der Marçal Gacho alle zehn Tage von der Arbeit abholt, damit dieser die ihm zustehenden vierzig Stunden Freizeit mit seiner Familie verbringen kann, und ihn dann, mit oder ohne Keramik auf der Ladefläche, wieder pünktlich zu seinen Aufgaben und Pflichten als Wachmann im Innendienst zurückbringt. Die Tochter Cipriano Algors, die mit Vornamen Marta heißt und mit Nachnamen Isasca Algor, Ersteres vonseiten der bereits verstorbenen Mutter und Letzteres von väterlicher Seite, kann sich an der Anwesenheit ihres Mannes in Haus und Bett nur sechs Nächte und drei Tage im Monat erfreuen. In der vorletzten Nacht ist sie schwanger geworden, aber das weiß sie noch nicht. Die Gegend ist dunkel und schmutzig, nicht wert, dass wir sie näher betrachten. Irgendjemand hat diesen riesigen Flächen, die so gar nichts Ländliches an sich haben, den Fachausdruck Agrargürtel verliehen, oder auch Grüngürtel, des poetischen Klangs wegen, doch die einzige Landschaft, die das Auge auf beiden Seiten der Straße wahrnimmt und die ohne erkennbare Begrenzung Tausende von Hektar einnimmt, sind große, rechteckige, mit Flachdächern versehene Konstruktionen aus einst durchsichtigem Plastik, das die Zeit und der Staub nach und nach grau oder braun färbten. Darunter, für die Vorbeifahrenden nicht sichtbar, wachsen Pflanzen. Auf kleineren, in die Hauptverkehrsstraße mündenden Straßen sieht 7
man hier und da Lastwagen und Traktoren, deren Anhänger mit Gemüse beladen sind, doch die Mehrzahl der Transporte erfolgte bereits während der Nacht, wer jetzt unterwegs ist, hat entweder eine ausdrückliche Sondergenehmigung für die späte Lieferung, oder er hat verschlafen. Marçal Gacho schiebt diskret den linken Ärmel seiner Uniformjacke nach oben, um auf die Uhr zu sehen, er ist beunruhigt, weil der Verkehr immer dichter wird und er weiß, dass es von nun an, wenn sie erst in den Industriegürtel kommen, immer langsamer gehen wird. Der Schwiegervater bemerkt seine Geste, schweigt jedoch dazu, dieser Schwiegersohn ist zweifellos ein netter Kerl, aber er ist nervös, gehört zum Schlag der ewig Ruhelosen, ist stets beunruhigt über den Lauf der Zeit, selbst wenn er zu viel davon hat, und in letzterem Fall scheint er nie zu wissen, womit er sie füllen soll, die Zeit, versteht sich, Wie wird das nur, wenn er so alt ist wie ich, denkt er. Sie haben den Agrargürtel hinter sich gelassen, die Straße, nun zunehmend schmutziger, durchquert den Industriegürtel, bahnt sich ihren Weg durch Fabrikanlagen jeglicher Art und Größe, mit runden oder zylindrischen Brennstofftanks, mit Stromversorgungsanlagen, Kanalisationssystemen, Luftschläuchen, Hängebrücken, Rohren in allen möglichen Durchmessern, mal rot, mal schwarz, mit Kaminen, die giftige Rauchwolken in die Atmosphäre jagen, langarmigen Kränen, Chemielabors, Erdölraffinerien, durch ekelhafte, bittere oder süßliche Gerüche, das schrille Lärmen von Bohrern, das Kreischen aus dem Sägewerk, brutale Schläge von Maschinenhämmern, gelegentlich auch durch eine ruhige Zone, niemand weiß, was dort produziert wird. Da sagte Cipriano Algor schließlich, Mach dir keine Sorgen, wir kommen schon pünktlich an, Ich mach mir keine Sorgen, antwortete der Schwiegersohn, seine Unruhe nur schlecht verbergend, Das weiß ich doch, es war nur so dahin gesagt, sagte Cipriano Algor. Er bog in eine Seitenstraße ab, die nur für Anlieger war. Wir nehmen hier die 8
Abkürzung, sagte er, falls die Polizei uns fragt, warum wir von der Hauptstraße abgefahren sind, denk an unsere Abmachung, wir haben in einer dieser Fabriken etwas zu erledigen, bevor wir in die Stadt fahren. Marçal Gacho atmete auf, wenn der Verkehr auf der Straße zu chaotisch wurde, wählte der Schwiegervater früher oder später einen anderen Weg. Was ihn ängstigte, war die Möglichkeit, dass er aus Zerstreutheit zu spät auf diese Idee käme. Glücklicherweise waren sie trotz der Ängste und Warnungen nie von der Polizei angehalten worden, Irgendwann muss er kapieren, dass ich kein kleines Kind mehr bin, dachte Marçal, dass er mich nicht jedes Mal daran erinnern muss, dass wir etwas in den Fabriken zu erledigen haben. Keiner der beiden kam auf die Idee, dass ausgerechnet die Wachmannuniform des Zentrums, die Marçal Gacho trug, der Grund für die beständige Toleranz oder wohlwollende Nachsicht der Verkehrspolizei war, dass dies nicht einfach Resultat vielfacher Zufälle oder hartnäckigen Glücks war, wie wahrscheinlich die Antwort der beiden gelautet hätte, hätte man sie nach dem Grund gefragt, weshalb sie wohl bislang nie bestraft worden waren. Hätte Marçal Gacho den Grund gekannt, hätte er vielleicht das Gewicht der Autorität, die die Uniform ihm verlieh, bei seinem Schwiegervater geltend gemacht, hätte Cipriano Algor ihn gekannt, hätte er seinen Schwiegersohn vielleicht mit weniger ironischer Nachsicht behandelt. Es ist wohl wahr, dass weder die Jugend weiß, was sie kann, noch das Alter kann, was es weiß. Nach dem Industriegürtel beginnt die Stadt, das heißt, nicht die eigentliche Stadt, denn die erblickt man erst in der Ferne, sanft liebkost von den ersten, rosafarbenen Sonnenstrahlen, das, was man hier sieht, sind chaotische Ansammlungen von Baracken, bestehend aus allen möglichen, meist zweifelhaften Materialien, die diese so armselig behausten Bewohner vor Unwettern und in erster Linie vor Regen und Kälte schützen sollen. Es ist, wie die Stadtbewohner sagen, ein Ort zum 9
Fürchten. Von Zeit zu Zeit wird in dieser Gegend im Namen der klassischen Maxime, der Zweck heiligt die Mittel, ein mit Lebensmitteln beladener Lastwagen überfallen und in weniger Zeit, als man zum Erzählen des Vorgangs braucht, leer geräumt. Die ausgesprochen effiziente Vorgehensweise wurde nach langwieriger kollektiver Reflexion des Scheiterns der ersten Versuche erarbeitet, welches, wie sich später herausstellte, auf das völlige Fehlen einer Strategie zurückzuführen war, auf die völlig veraltete Taktik, wenn man es überhaupt als solche bezeichnen kann, und schließlich auch auf eine unzureichende, falsche Koordination der beteiligten Kräfte, die in der Praxis einfach sich selbst überlassen waren. Da der Verkehrsfluss auch nachts kaum unterbrochen war, bewirkte das Absperren der Straße zum Anhalten eines Lasters, wie ursprünglich geplant, dass die Straßenräuber in ihre eigene Falle tappten, denn hinter diesem einen Lastwagen kamen sofort andere Laster nach, und somit auch Verstärkung und prompte Hilfe für den in Not geratenen Fahrer. Die Lösung des Problems, die in der Tat genial war, was hinter vorgehaltener Hand sogar die Polizeibeamten zugaben, bestand darin, dass sich die Straßenräuber in zwei Gruppen aufteilten, eine taktische und eine strategische, und zwei Sperren errichteten statt einer, wobei die taktische Gruppe damit begann, blitzschnell die Straße abzusperren, sobald ein Laster, der von den nachfolgenden weit genug entfernt war, vorbeigefahren war, und dann errichtete die strategische Gruppe, die mit Hilfe eines Leuchtsignals sofort verständigt wurde, ein paar hundert Meter weiter ebenso blitzschnell eine zweite Sperre, wo dem vom Schicksal verdammten Fahrzeug keine andere Wahl blieb, als anzuhalten und sich ausrauben zu lassen. Für die Fahrzeuge in der Gegenrichtung war keine Straßensperre erforderlich, denn die Fahrer hielten ganz von selbst an, wenn sie erkannten, was dort vorn vor sich ging. Eine dritte Gruppe, die schnelle Einsatztruppe genannt, hatte die Aufgabe, mit einem 10
Steinhagel etwaige mutige Einzelkämpfer abzuschrecken. Die Sperren wurden aus großen Steinblöcken errichtet, die mit Holztragen herangeschafft wurden und bei deren Beseitigung später sogar einige der Straßenräuber mithalfen, unter wortreichen Schwüren, nichts mit dem Vorfall zu tun zu haben, Diese Leute bringen unser Viertel in Verruf, wir sind anständige Menschen, pflegten sie zu sagen, und die Fahrer der anderen Lastwagen, deren einziges Anliegen es war, den Weg freigeräumt zu bekommen, damit sie nicht zu spät ins Zentrum kämen, antworteten nur Ja, ja. Von dieser Art von Zwischenfällen ist der Lieferwagen Cipriano Algors, der außerdem fast immer bei Tageslicht dort entlangfährt, bisher verschont geblieben. Zumindest bis zum heutigen Tag. Doch gefeit ist der Töpfer in der Tat nicht dagegen, schließlich kommt gerade bei den Armen für gewöhnlich tönernes Geschirr auf den Tisch, und das geht zudem noch am leichtesten kaputt, also kann es ohne weiteres passieren, dass eines Tages eine Frau, eine der vielen, die mehr recht als schlecht in diesen Baracken leben, zum Oberhaupt ihrer Familie sagt, Wir brauchen dringend neue Teller, worauf er mit Sicherheit erwidern wird, Ich kümmere mich darum, ab und zu kommt hier ein Lieferwagen mit der Aufschrift Töpferwaren vorbei, und der hat ganz bestimmt auch Teller geladen. Und Becher, wird die Frau hinzufügen, die günstige Konjunktur ausnutzend. Und Becher, ich denk dran. Zwischen den Baracken und den ersten Häusern der Stadt erstreckt sich, wie ein zwei gegnerische Parteien trennendes Niemandsland, ein unbebautes Gelände, dessen Boden bei genauerer Betrachtung ein Muster aus sich kreuzenden Bulldozerspuren aufweist, Zeichen einer Einebnung, die nur von großen, mechanischen Schaufeln stammen können, von diesen unerbittlichen, gekrümmten Metallschiebern, die ohne Mitleid und Erbarmen alles niederreißen, das alte Haus, den neuen Baum, die stützende Mauer, den kleinen schattigen Ort, den es nie wieder 11
geben wird. Doch wie auch im richtigen Leben, wenn wir glauben, dass uns alles entrissen wurde, und später feststellen müssen, dass uns am Ende doch noch etwas geblieben ist, zeigen uns auch hier ein paar verstreute Scherben, ein paar verdreckte Lappen, Überreste von schützenden Behausungen, einige verrostete Dosen und verfaulte Bretter, eine Plastiktüte, die der Wind hin und her fegt, dass dieses Stück Land einmal den Ärmsten der Armen gehörte. Es wird nicht mehr lange dauern, bis die Gebäude der Stadt in geschlossener Front vorrücken und dieses Stück Land erobern, sodass zwischen den vordersten Häusern und den ersten Baracken nur noch ein schmaler Streifen übrig bleibt, ein neues Niemandsland, das in der Form weiter existieren wird, bis die dritte Phase eingeläutet wird. Die Hauptverkehrsstraße, auf die sie zurückgekehrt waren, war nun breiter, mit einer Extraspur für Lastkraftwagen, und obgleich der Lieferwagen nur mit sehr viel Phantasie zu dieser Kategorie gezählt werden kann, darf sein Fahrer aufgrund der Tatsache, dass es sich zweifelsfrei um ein Lastentransportfahrzeug handelt, gleichberechtigt mit jenen langsamen, elefantösen Maschinen konkurrieren, die schnarchend und schnaubend giftige Abgaswolken in die Luft jagen, und er darf sie mit solch schlängelnder Behändigkeit überholen, dass das Tongeschirr auf der Ladefläche zu klirren beginnt. Marçal Gacho sah erneut auf die Uhr und atmete auf. Er würde rechtzeitig ankommen. Sie waren bereits am Stadtrand angelangt, mussten nur noch ein paar verwirrend angelegte Straßen hinter sich bringen, nach links abbiegen, dann nach rechts, wieder nach links, wieder nach rechts, dann rechts, rechts, links, links, rechts, geradeaus, und schließlich würden sie auf einen Platz kommen, von dem aus es kein Problem mehr war, eine schnurgerade Allee würde sie an ihr Ziel bringen, dahin, wo Marçal Gacho, der Wachmann im Innendienst, erwartet wurde, dorthin, wo der Töpfer Cipriano 12
Algor seine Fracht abliefern würde. Im Hintergrund versperrte eine überdimensionale, dunkle, selbst das höchste Gebäude der Straße weit überragende Mauer unvermittelt den Weg. Eigentlich versperrte sie ihn gar nicht, wer dies annahm, erlag einer optischen Täuschung, gab es doch Straßen, die an beiden Seiten entlang der Mauer weiterführten, welche wiederum auch keine Mauer war, sondern die Rückseite eines riesigen Bauwerks, eines gigantischen, rechteckigen Gebäudes, dessen glatte Wand keine Fenster aufwies und auf der gesamten Fläche gleich aussah. Da sind wir, sagte Cipriano Algor, und wie du siehst, sind wir pünktlich, es fehlen sogar noch zehn Minuten bis zu deinem Dienstantritt, Du weißt genauso gut wie ich, warum ich nicht zu spät kommen darf, das würde meine Position auf der Bewerberliste für den Wachdienst mit Wohnberechtigung im Zentrum schwächen. Deine Frau ist nicht gerade begeistert von der Idee, dass ihr im Zentrum wohnen sollt, Es ist besser für uns, wir haben dann mehr Komfort, bessere Lebensbedingungen. Cipriano Algor hielt an der Ecke des Gebäudes an, er schien dem Schwiegersohn etwas erwidern zu wollen, doch stattdessen fragte er, Warum reißen sie denn dieses Wohnviertel ab, Dann ist es also doch wahr, Was ist wahr, Seit Wochen reden sie schon von einer Erweiterung, antwortete Marçal Gacho, während er aus dem Lieferwagen stieg. Sie hatten vor einer Tür angehalten, über der ein Schild mit der Aufschrift Zutritt nur für Sicherheitspersonal angebracht war. Cipriano Algor sagte, Vielleicht, Wieso vielleicht, hier haben wir doch den Beweis, die Zerstörung hat bereits begonnen, Ich meinte nicht die Erweiterung, sondern das, was du vorher gesagt hast über die Lebensbedingungen, über den Komfort will ich gar nicht streiten, aber wir können uns auch nicht beklagen, zu den Allerärmsten zählen wir nicht, Ich respektiere deine Meinung, aber ich habe meine eigene, und du wirst sehen, Marta wird mir zustimmen, wenn es so weit ist. Er tat zwei Schritte und 13
blieb stehen, bestimmt war ihm eingefallen, dass dies nicht die richtige Art für einen Schwiegersohn war, sich von seinem Schwiegervater zu verabschieden, der ihn gerade zur Arbeit gebracht hatte, und sagte, Danke, komm gut nach Hause, Bis in zehn Tagen, sagte der Töpfer, Bis in zehn Tagen, sagte der Wachmann im Innendienst, während er einem ankommenden Kollegen zuwinkte. Sie gingen gemeinsam hinein, die Tür fiel ins Schloss. Cipriano Algor ließ den Motor an, fuhr jedoch nicht sofort los. Er blickte auf die Häuser, die dem Erdboden gleich gemacht werden sollten. Diesmal verwendeten sie keinen Sprengstoff, vermutlich wegen der geringen Höhe der abzureißenden Gebäude, wandten nicht diese moderne, schnelle und effektive Methode an, mit der man in drei Sekunden eine fest gefügte, funktionierende Struktur in einen chaotischen Trümmerhaufen verwandeln kann. Wie erwartet war die nächste Querstraße für den Autoverkehr gesperrt. Um seine Ware abliefern zu können, musste der Töpfer nun das Abrissviertel umfahren und dann wieder zurückkommen, die Tür, an der er anklopfen musste, befand sich, von seinem Standpunkt aus betrachtet, an der gegenüberliegenden Ecke des Gebäudes, am anderen Ende einer imaginären Linie, die das Gebäude, in dem Marçal Gacho verschwunden war, schräg durchquerte, Diagonal, präzisierte der Töpfer im Geiste, um die Erklärung abzukürzen. Wenn er in zehn Tagen den Schwiegersohn abholen kommt, wird von diesen Abrisshäusern nichts mehr übrig sein, der Staub, der nun in der Luft hängt, wird sich gelegt haben, und vielleicht hat man sogar schon die große Grube ausgehoben, in der die Ausschachtungen vorgenommen und die Fundamente des neuen Bauwerks gelegt werden. Dann werden sie die drei Seitenwände hochziehen, eine wird mit der Straße abschließen, durch die Cipriano Algor sogleich zurückfahren muss, die anderen beiden werden das auf Kosten der dazwischen liegenden Straße und der zerstörten 14
Häuser gewonnene Terrain begrenzen und die derzeit sichtbare Seitenfassade des Gebäudes schlucken, die Zugangstür für das Sicherheitspersonal wird verlagert werden, und es wird nur ein paar Tage dauern, bis nicht einmal mehr der scharfsichtigste Beobachter von außen einen Unterschied zwischen dem neuen und dem alten Teil feststellen kann, und erst recht nicht von innen. Der Töpfer sah auf die Uhr, es war noch früh, an den Tagen, an denen er den Schwiegersohn zur Arbeit brachte, ließ es sich nicht vermeiden, dass er zwei Stunden warten musste, bis der Empfangsschalter, der sein Ziel war, öffnete, und dann noch so lange, bis er an der Reihe war, Aber zumindest kann ich mir einen guten Platz in der Schlange sichern, vielleicht bin ich sogar der Erste, dachte er. Das war er noch nie gewesen, immer gab es jemanden, der noch früher aufgestanden war als er, bestimmt verbrachten diese Fahrer einen Teil der Nacht in der Kabine ihres Lasters. Wenn es hell wurde, gingen sie hoch zur Straße, um ein belegtes Brötchen zu essen und einen Kaffee zu trinken, einen Schnaps an den feuchtkalten Morgenden, danach blieben sie noch sitzen und unterhielten sich, bis zehn Minuten bevor die Türen geöffnet wurden, denn dann stürzten die jüngeren von ihnen bereits die Rampe hinab, nervös wie Lehrlinge, um rechtzeitig auf ihrem Posten zu sein, während die älteren, vor allem dann, wenn sie zu den Letzten in der Schlange zählten, gemütlich plaudernd und noch einmal an ihrer Zigarette ziehend hinabstiegen, denn in dem Kellergeschoss war das Rauchen wegen der laufenden Motoren nicht erlaubt. So schnell geht die Welt nicht unter, fanden sie, in der Ruhe liegt die Kraft. Cipriano Algor ließ den Motor an. Er hatte sich von den Abrissarbeiten ablenken lassen und wollte nun die verlorene Zeit aufholen, welch unsinnige Worte, welch absurder Ausdruck, mit dem wir die harte Realität, dass verlorene Zeit niemals wiedergewonnen werden kann, leugnen wollen, als glaubten wir stattdessen, dass die für immer verloren geglaubte 15
Zeit doch noch beschlossen hätte, irgendwo stehen zu bleiben, und mit der Geduld derer, die über sämtliche Zeit der Welt verfügen, darauf wartete, dass wir den Verlust bemerkten. Plötzlich angespornt durch die Überlegungen, wer wohl zuerst und wer später ankommen würde, fuhr der Töpfer eilig um das Viertel herum und bog dann in die Straße ab, die die andere Seite des Gebäudes begrenzte. Wie gewöhnlich warteten bereits Leute vor dem Zentrum darauf, dass die Tore für die Kunden geöffnet würden. Er wechselte auf die linke Spur, die Abbiegerspur zu der Rampe, die in das Untergeschoss hinabführte, zeigte dem Wachmann seinen Lieferantenausweis und reihte sich hinter einem Lastwagen, der laut der Aufkleber auf den Kisten Glaswaren geladen hatte, in die Schlange ein. Dann stieg er aus und zählte, wie viele Lieferanten vor ihm waren, um ungefähr abschätzen zu können, wie lange er würde warten müssen. Er war die Nummer dreizehn. Da zählte er erneut, doch es bestand kein Zweifel. Obgleich er kein abergläubischer Mensch war, ließ ihn der schlechte Ruf dieser Zahl nicht kalt, gab es doch bei jeder Unterhaltung über Zufall, Unheil und Schicksal jemanden, der über Fälle berichten konnte, in denen er am eigenen Leib den negativen und manchmal unheilvollen Einfluss der Dreizehn zu spüren bekommen hatte. Er versuchte sich daran zu erinnern, ob ihm jemals dieser Platz in der Schlange zugefallen war, doch entweder war es nie vorgekommen, oder er hatte es einfach vergessen. Er schalt sich selbst, das sei doch albern, völliger Unsinn, sich über etwas zu sorgen, das in der Realität nicht existierte, ja, das stimmte, darüber hatte er noch nie nachgedacht, in der Realität existieren die Zahlen tatsächlich nicht, den Dingen ist es gleichgültig, welche Zahl wir ihnen zuordnen, es spielt keine Rolle, ob wir sie Nummer dreizehn oder vierundvierzig nennen, oder zumindest kann man davon ausgehen, dass sie nicht wissen, welcher Platz ihnen zuteil wurde. Die Menschen sind keine Dinge, die Menschen wollen 16
stets die ersten Plätze einnehmen, dachte der Töpfer, Und sie wollen sie nicht nur einnehmen, sondern wollen auch, dass man darüber spricht und dass die anderen es bemerken, murmelte er. Außer den beiden Wachleuten, die die Ein- und Ausfahrt kontrollierten, war das Untergeschoss menschenleer. Es war immer das Gleiche, die Fahrer reihten sich in die Schlange ein und gingen hinauf ins Café. Wenn ihr glaubt, dass ich hier stehen bleibe, dann habt ihr euch geirrt, sagte Cipriano Algor laut. Er setzte zurück, als hätte er doch nichts abzuliefern, und scherte aus der vorgegebenen Spur aus, Jetzt bin ich nicht mehr der Dreizehnte, dachte er. Wenige Augenblicke später fuhr ein Laster die Rampe herunter und hielt an der Stelle, an der der Lieferwagen gestanden hatte. Der Fahrer verließ die Kabine, sah auf die Uhr, Ich hab noch etwas Zeit, dachte er sich wohl. Als er oben auf der Rampe verschwunden war, wendete der Töpfer rasch und stellte sich hinter den Lastwagen. Jetzt bin ich Nummer vierzehn, dachte er, zufrieden mit seiner Schlauheit. Er lehnte sich in seinem Sitz zurück und seufzte, über sich hörte er das Summen des Straßenlärms, normalerweise ging er auch nach oben wie die anderen, um einen Kaffee zu trinken und die Zeitung zu kaufen, aber heute hatte er keine Lust dazu. Er schloss die Augen, als ziehe er sich in sich selbst zurück, und begann sofort zu träumen, sah den Schwiegersohn vor sich, der ihm erklärte, dass sich über Nacht alles ändern würde, wenn er erst Wachmann mit Dienstwohnung wäre, dass Marta und er nicht in der Töpferei bleiben würden, es sei für sie an der Zeit, ein Leben unabhängig von der Familie zu beginnen, Hab Verständnis, was sein muss, muss sein, so lautet das Sprichwort, die Welt geht davon nicht unter, und wenn die Menschen, von denen man abhängt, einen befördern, dann muss man die Hände zum Himmel erheben und sich dankbar zeigen, es wäre töricht, dem Glück den Rücken zu kehren, wenn es sich auf unsere Seite stellt, außerdem bin ich mir 17
sicher, dass es dein größter Wunsch ist, Marta glücklich zu sehen, daher solltest du dich freuen. Cipriano Algor hörte den Schwiegersohn an und lächelte innerlich, Das sagst du alles nur, weil du glaubst, dass ich der Dreizehnte bin, aber du weißt nicht, dass ich inzwischen der Vierzehnte bin. Er wachte schlagartig auf, als die Türen der anderen Fahrzeuge knallten, ein Zeichen dafür, dass das Entladen begann. Da dachte er, noch halb im Traum, Meine Nummer hat sich nicht geändert, ich bin der Dreizehnte auf dem Platz des Vierzehnten. Und so war es auch. Ungefähr eine Stunde später kam er an die Reihe. Er stieg aus dem Lieferwagen und ging zum Abfertigungsschalter, die üblichen Papiere in der Hand, den Lieferschein in dreifacher Ausfertigung, die Rechnung über den bei der letzten Lieferung getätigten Verkauf, die stets mitzuführende Erklärung über die industrielle Qualität der Waren, in der die Töpferei die Verantwortung für jegliche Fabrikationsfehler übernahm, die bei der Inspektion der Töpferware entdeckt würden, und die ebenfalls bei allen Lieferungen unerlässliche Exklusivitätsbescheinigung, in der die Töpferei sich unter angedrohten Sanktionen verpflichtete, keinerlei Handelsbeziehungen zum Zwecke der Warenabnahme mit anderen Betrieben zu unterhalten. Wie gewöhnlich kam ein Angestellter herbei, um beim Entladen behilflich zu sein, doch der Unterabteilungsleiter der Warenannahme rief ihn zu sich heran und befahl ihm, Lade die Hälfte von dem ab, was er dabei hat, und prüf es anhand des Lieferscheins nach. Überrascht und alarmiert fragte Cipriano Algor, Die Hälfte, warum, Die Verkaufszahlen sind in den letzten Wochen stark zurückgegangen, wahrscheinlich werden wir Ihnen wegen des schlechten Absatzes sogar das zurückgeben müssen, was wir noch auf Lager haben, Zurückgeben, was Sie auf Lager haben, Ja, das steht so im Vertrag, Ich weiß sehr gut, was im Vertrag steht, aber da steht auch, dass Sie mir nicht erlauben, andere Kunden zu haben, 18
dann sagen Sie mir doch, an wen ich die zweite Hälfte verkaufen soll. Dafür bin ich nicht zuständig, ich führe nur die Anordnungen aus, die ich erhalte, Kann ich mit dem Abteilungsleiter sprechen, Nein, das hat keinen Zweck, er würde Sie nicht anhören. Cipriano Algors Hände zitterten, er blickte verwirrt um sich, als wolle er um Hilfe bitten, doch in den Gesichtern der drei Fahrer, die nach ihm gekommen waren, las er nur Desinteresse. Dennoch versuchte er, an ihre Klassensolidarität zu appellieren, Sehen Sie sich das mal an, hier steht ein Mann, der das Produkt seiner Arbeit anbringt, der den Ton ausgehoben und geknetet hat, der das Geschirr, das man bei ihm bestellt hat, geformt und im Ofen gebrannt hat, und jetzt wird ihm hier gesagt, dass sie nur die Hälfte davon abnehmen und ihm sogar die Restbestände aus dem Lager zurückgeben wollen, da will ich doch wissen, ob man das ein gerechtes Vorgehen nennen kann. Die Fahrer sahen sich an, zuckten mit den Achseln, waren sich unsicher, was wohl die passende Antwort wäre und wem es am ehesten zustände zu antworten, einer von ihnen zog sogar an seiner Zigarette, um deutlich zu machen, dass er mit dieser Sache nichts zu tun haben wollte, doch dann fiel ihm ein, dass man hier ja gar nicht rauchen durfte, und so drehte er sich um und zog sich in die Kabine seines Lasters zurück, fernab vom Geschehen. Der Töpfer begriff, dass er alles verlieren würde, wenn er nicht aufhörte zu protestieren, er wollte das Feuer löschen, das er selbst angefacht hatte, denn es war auf jeden Fall besser, die Hälfte zu verkaufen als gar nichts, es wird sich schon alles wieder einrenken, dachte er. Unterwürfig wandte er sich an den Unterabteilungsleiter der Warenannahme, Können Sie mir sagen, wie es dazu kam, dass der Verkauf so zurückgegangen ist, Ich glaube, das lag daran, dass dieses Plastikgeschirr, eine Art Tonimitat, auf den Markt kam, es ist so gut gemacht, dass es völlig echt aussieht, nur hat es den Vorteil, dass es weniger wiegt und viel billiger ist. Das ist doch kein Grund, mein 19
Geschirr nicht mehr zu kaufen, Ton ist schließlich Ton, er ist echt, natürlich, Sagen Sie das den Kunden, ich will Sie nicht beunruhigen, aber ich glaube, Ihr Geschirr wird von nun an nur noch die Sammler interessieren, und die werden auch immer weniger. Das Abzählen der Ware war beendet, der Unterabteilungsleiter bestätigte in dem Lieferschein den Erhalt der Hälfte der Ware und sagte, Bringen Sie nichts mehr, solange Sie nichts von uns hören, Meinen Sie, ich kann weiterhin produzieren, fragte der Töpfer, Das müssen Sie entscheiden, ich übernehme keine Verantwortung, Und die Rückgabe, werden Sie mir wirklich alles zurückgeben, was Sie dort gelagert haben, seine Stimme zitterte vor Verzweiflung und Bitterkeit, sodass der andere sich versöhnlich zeigte, Das werden wir dann sehen. Der Töpfer stieg in seinen Lieferwagen und fuhr so ruckartig los, dass ein paar Kisten, die nach der Teilentladung nicht mehr gesichert waren, durch den Wagen rutschten und heftig gegen die hintere Tür knallten, Soll doch alles kaputtgehen, schrie er wütend. Er musste am Fuß der Rampe anhalten, es war Vorschrift, den Ausweis auch bei der Ausfahrt vorzulegen, das sind bürokratische Zwänge, niemand weiß, wozu sie gut sind, denn wer als Lieferant hereinkommt, wird wohl auch als Lieferant hinausfahren, doch offensichtlich gibt es Ausnahmen, und hier haben wir den Fall Cipriano Algors, der noch Lieferant war, als er einfuhr, und nun, wenn die Drohungen wahr werden, bald keiner mehr ist. Schuld war nur die Dreizehn, das Schicksal lässt sich nicht mit Tricks überlisten, die das rückgängig machen, was vorher passiert ist. Der Lieferwagen fuhr die Rampe hoch und hinaus ans Tageslicht, nun blieb nichts anderes zu tun, als nach Hause zu fahren. Der Töpfer lächelte traurig. Es war nicht die Dreizehn, die Dreizehn existiert nicht, wäre ich Erster gewesen, hätte mich dasselbe Schicksal ereilt, heute nur die Hälfte, danach wird man sehen, Scheißleben. Die Frau in der Barackensiedlung, die neue Teller und 20
Becher brauchte, fragte ihren Mann, Und, hast du den Lieferwagen von der Töpferei gesehen, und der Mann antwortete, Ja, ich hab ihn gestoppt, aber dann hab ich ihn weiterfahren lassen, Warum, Wenn du das Gesicht von diesem Mann gesehen hättest, ich wette, du hättest das Gleiche getan.
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DER TÖPFER brachte den Lieferwagen zum Stehen, kurbelte auf beiden Seiten die Fenster herunter und wartete darauf, dass jemand kam, um ihn auszurauben. Es kommt nicht selten vor, dass seelische Verzweiflungszustände oder Schicksalsschläge den Betroffenen dazu bringen, so dramatische Entschlüsse zu fassen wie diesen, wenn nicht gar schlimmere. Irgendwann ist es so weit, dass der geistig verwirrte oder zutiefst verletzte Mensch eine Stimme in seinem Kopf schreien hört, Verloren, verloren, du hast sowieso verloren, und dann gibt er, je nachdem, in welcher Situation und an welchem Ort er sich befindet, entweder sein letztes Geld für ein Lotterielos aus, oder er wirft die vom Vater geerbte Uhr und das silberne Zigarettenetui, das ihm die Mutter geschenkt hat, auf den Spieltisch, oder er setzt alles, was er hat, auf Rot, obgleich er gesehen hat, dass diese Farbe bereits fünfmal hintereinander kam, oder er steigt einfach aus dem Schützengraben und läuft mit nicht aufgepflanztem Bajonett ins Maschinengewehrfeuer des Feindes, oder aber er hält den Lieferwagen an, kurbelt die Fenster herunter, öffnet die Türen und wartet darauf, dass die Leute aus den Baracken ihn mit ihren Knüppeln und Messern überfallen, oder auch mit anderen Waffen, je nach den Erfordernissen der Situation, Wenn sie dort meine Sachen nicht wollen, dann sollen eben die hier sie kriegen, war Cipriano Algors letzter Gedanke. Es vergingen zehn Minuten, ohne dass jemand kam und den ersehnten Raubüberfall verübte, eine Viertelstunde verstrich, ohne dass auch nur ein streunender Hund an der Straße auftauchte und gegen einen Reifen pinkelte oder an der Ladung des Wagens schnüffelte, und es war bereits eine halbe Stunde vergangen, als sich schließlich ein schmuddeliger, grimmig aussehender Mann näherte und den Töpfer fragte, Sind Sie in Schwierigkeiten, brauchen Sie Hilfe, dann schieb ich Sie ein bisschen an, vielleicht ist es ja die 22
Batterie. Nun, wo doch selbst die stärksten Seelen Augenblicke unvermeidbarer Schwäche erleben, nämlich dann, wenn es dem Körper nicht mehr gelingt, jene Zurückhaltung und Besonnenheit zu wahren, die der Geist ihn in langen Jahren gelehrt hat, dann sollte es uns nicht wundern, dass das Angebot zu helfen, obendrein noch von einem Mann, der selbst wie ein Straßenräuber aussah, die empfindsamste Saite in Cipriano Algors Seele anschlug und ihm gar eine Träne in die Augen trieb, Nein, vielen Dank, sagte er, doch gleich darauf, als der eifrige Helfer sich bereits wieder entfernte, sprang er aus dem Lieferwagen, riss die hintere Tür auf und rief, Hallo, Sie da, hallo, kommen Sie doch mal. Der Mann blieb stehen, Brauchen Sie doch Hilfe, fragte er, Nein, nein, das nicht, Was dann, Kommen Sie, seien Sie so gut. Der Mann kam, und Cipriano Algor sagte, Nehmen Sie diese sechs Teller hier, bringen Sie die Ihrer Frau mit, ich schenke sie Ihnen, und nehmen Sie auch diese sechs Suppenteller, Aber ich hab doch gar nichts gemacht, sagte der Mann misstrauisch, Das spielt doch keine Rolle, es ist, als hätten Sie es gemacht, und wenn Sie noch einen Wasserkrug brauchen, dann greifen Sie zu, Einen Wasserkrug könnte ich zu Hause wirklich brauchen, Dann nehmen Sie ihn, nehmen Sie ihn. Der Töpfer stapelte die Teller, zuerst die flachen und dann die tiefen, dann stapelte er Letztere über Erstere, legte sie in die linke Armbeuge des Mannes, und da der Wasserkrug bereits von der rechten Hand des Beschenkten herabhing, blieb diesem nun nicht mehr viel, womit er sich hätte bedanken können, außer dem einfachen Wort Danke, das sowohl aufrichtig wie auch unaufrichtig sein kann, und einer überraschenden Verbeugung, die gar nicht zu der sozialen Schicht passte, der er angehörte, was wiederum bedeutet, dass wir viel mehr über die Komplexitäten des Lebens erfahren würden, wenn wir uns daran machten, dessen Widersprüche ernsthaft zu studieren, anstatt so viel Zeit mit den Übereinstimmungen und Kohärenzen zu verlieren, denn 23
Letztere sollten sich aus sich selbst heraus erklären. Als der Mann, der aussah wie ein Straßenräuber, aber schließlich doch keiner war, oder es einfach diesmal nicht hatte sein wollen, etwas verwirrt zwischen den Baracken verschwunden war, fuhr Cipriano Algor los. Gewiss wären nicht einmal die scharfsichtigsten Augen in der Lage gewesen, einen Unterschied festzustellen bei dem Druck, der nunmehr auf die Stoßdämpfer und Reifen des Lieferwagens ausgeübt wurde, das Gewicht von zwölf Tellern und einem Tonkrug bedeutet bei einem Transportfahrzeug, selbst von nur mittlerer Größe, so viel wie zwölf weiße und ein rotes Rosenblatt in dem glücklichen Gesicht einer Braut. Es ist kein Zufall, dass hier das Wort glücklich auftaucht, denn das ist das Mindeste, was wir über Cipriano Algors Gesichtsausdruck sagen können, dem, so wie wir ihn nun sehen, niemand glauben würde, dass man ihm nur die Hälfte der Ladung abgenommen hat, die er zum Zentrum brachte. Leider fiel ihm, als er zwei Kilometer weiter in den Industriegürtel vordrang, das zuvor erlittene geschäftliche Fiasko wieder ein. Der unheilvolle Anblick der Qualm spuckenden Fabrikschlote drängte ihm die Frage auf, in welcher dieser verdammten Fabriken wohl diese verdammten Plastiklügen produziert wurden, diese hinterhältigen Tonimitate, Das ist doch gar nicht möglich, murmelte er, weder den Klang noch das Gewicht können sie so hinkriegen, und dann ist da ja noch diese Beziehung zwischen Sehen und Fühlen, worüber ich mal irgendwo was gelesen habe, die Augen, die in der Lage sind, über die Finger, die den Ton berühren, zu sehen, die Finger, die, ohne den Ton zu berühren, das fühlen können, was die Augen sehen. Und als wäre es der Qualen noch nicht genug, fragte sich Cipriano Algor auch noch, und dachte an den alten Ofen in der Töpferei, wie viele Teller, Tassen, Becher und Krüge diese verfluchten Maschinen wohl pro Minute ausspuckten, wievielmal man die Wasserkrüge und Tongefäße multiplizieren musste. Die 24
Antworten auf diese und andere Fragen, die hier nicht aufgezeichnet wurden, verdüsterten erneut die Züge des Töpfers, und der Rest des Weges war ein einziges Grübeln über die schwierige Zukunft, die der Familie Algor bevorstände, wenn das Zentrum weiterhin den Absatz jener Produkte förderte, deren erstes Opfer vielleicht die Töpferei war. Doch Ehre, wem Ehre gebührt, in keinem Augenblick ließ Cipriano Algor sich dazu verleiten, Reue darüber zu empfinden, dass er so großzügig zu dem Mann gewesen war, der ihn eigentlich hätte ausrauben sollen, wenn es stimmte, was man so alles über die Leute aus der Barackensiedlung hörte. Am Rande des Industriegürtels gab es einige bescheidene, kleine Fabriken, bei denen man sich wunderte, wie sie dem Expansionsdrang und der Produktvielfalt der modernen Industriegiganten hatten widerstehen können, doch es gab sie in der Tat, und für Cipriano Algor war es stets ein Trost gewesen, sie im Vorbeifahren zu betrachten, wenn er sich in den eher sorgenvollen Stunden des Lebens Gedanken über die Zukunft seines Berufsstandes gemacht hatte. Lange werden sie es nicht mehr machen, dachte er, und diesmal meinte er die kleinen Fabriken und nicht die Töpfereien, doch das lag nur daran, dass er sich nicht die Mühe machte, lange genug nachzudenken, das gibt es öfters, wir meinen, von vornherein behaupten zu können, es lohne nicht die Mühe, auf Schlussfolgerungen zu warten, nur weil wir beschlossen haben, auf halbem Wege stehen zu bleiben. Cipriano Algor durchquerte schnell den Grüngürtel, nicht ein einziges Mal blickte er auf die Felder, das monotone Spektakel der Plastikflächen, die von Natur aus milchig und durch den Dreck dunkeltrüb geworden waren, hatte immer schon eine deprimierende Wirkung auf ihn gehabt, und man stelle sich vor, was es heute, bei seiner schlechten Gemütsverfassung, bedeuten würde, diese Wüste zu betrachten. Wie jemand, der bereits einmal die geweihte Tunika einer Altarfigur gelüftet 25
hat, um nachzusehen, ob das, was die Heilige von unten stützt, richtige Beine waren oder ein paar schlecht geschliffene Stelzen, erlag der Töpfer schon lange nicht mehr der Versuchung, den Lieferwagen anzuhalten und nachzusehen, ob es wirklich stimmte, dass unter diesen Plastikkonstruktionen echte Pflanzen wuchsen, mit Früchten, die man riechen, anfassen und essen konnte, mit Blättern, Knollen und Knospen, die man kochen, mit denen man würzen und die man auf den Teller legen konnte, oder ob die düstere Melancholie, die sie ausstrahlten, sich mit unheilbarer Tücke auf das, was auch immer dort drinnen war, übertrug. Hinter dem Grüngürtel bog der Töpfer auf die Landstraße ab, man erblickte ein paar schmutzige Überreste eines Waldes, ein paar schlecht bestellte Felder, einen Fluss mit schwarzem, stinkendem Wasser, schließlich tauchten in einer Kurve die Ruinen von drei Häusern auf, bereits ohne Fenster und Türen, die Dächer halb verfallen und der Innenraum völlig überwuchert von jenem Unkraut, das stets aus den Trümmern hervorbricht, als hätte es dort seit den ersten Ausschachtungen auf seine Stunde gewartet. Das Dorf begann ungefähr hundert Meter dahinter, es war kaum mehr als die Straße, entlang der es angesiedelt war, ein paar wenige Gassen, die auf die Durchgangsstraße führten, ein asymmetrischer, nur auf einer Seite ausgebuchteter Dorfplatz, ein alter, bereits abgestellter Brunnen mit seiner Wasserpumpe und dem großen Eisenrad im Schatten zweier Platanen. Cipriano Algor winkte ein paar Männern zu, die dort ein Schwätzchen hielten, doch gegen seine Gewohnheit hielt er nicht an wie sonst, wenn er Keramik im Zentrum abgeliefert hatte, in diesem Augenblick konnte er gar nicht sagen, wonach ihm der Sinn stand, jedoch gewiss nicht nach einem Schwätzchen, selbst nicht mit Menschen, die er kannte. Die Töpferei und das Haus, in dem er mit seiner Tochter und dem Schwiegersohn lebte, befanden sich am anderen Ende des Dorfes, abseits, in den Feldern gelegen, hinter den letzten 26
Häusern. Als Cipriano Algor in das Dorf eingefahren war, hatte er bereits die Geschwindigkeit des Lieferwagens verringert, doch nun fuhr er noch langsamer, die Tochter hatte bestimmt schon das Mittagessen fertig, es war ihre Zeit, Was mach ich bloß, sag ich es ihr gleich oder erst nach dem Essen, fragte er sich. Lieber hinterher, ich stelle den Lieferwagen in den Holzschober, sie wird nicht auf die Idee kommen nachzusehen, ob ich etwas mitgebracht habe, heute ist kein Einkaufstag, so können wir in Ruhe essen, das heißt, sie wird in Ruhe essen, und danach erzähle ich ihr, was passiert ist, oder vielleicht auch erst am Nachmittag, wenn wir arbeiten, es wäre doch genauso schlecht, es vor dem Essen zu erfahren wie direkt danach. Am Dorfausgang machte die Straße eine große Kurve, und hinter dem letzten Haus sah man in der Ferne einen großen Maulbeerbaum, der bestimmt gut zehn Meter hoch war, dort befand sich die Töpferei. Der Wein wurde gereicht, nun muss er wohl getrunken werden, sagte Cipriano Algor mit einem müden Lächeln und dachte, dass er den Wein lieber ausspucken würde. Er bog nach links in einen leicht ansteigenden Weg ab, der zu seinem Haus führte, auf halber Strecke hupte er dreimal, um sein Kommen anzukündigen, das tat er immer, die Tochter würde sich wundern, wenn er es heute nicht täte. Das Wohnhaus und die Töpferei waren auf einem großen Gelände errichtet worden, das vermutlich einmal eine alte Tenne oder ein Dreschplatz gewesen war, in dessen Mitte der Großvater Cipriano Algors, der ebenfalls Töpfer gewesen war und sich auch des gleichen Namens bediente, an einem lange zurückliegenden Tag, über den es weder einen Eintrag noch eine Erinnerung gibt, einen Maulbeerbaum pflanzte. Der Ofen, der ein wenig abseits stand, war bereits von Cipriano Algors Vater, dem ebenfalls der gleiche Name gegeben wurde, modernisiert worden, und er ersetzte einen alten, um nicht zu sagen archaischen Ofen, der von außen betrachtet die Form 27
zweier übereinander gestellter konischer Klötze hatte, über deren Ursprung man auch nichts mehr wusste, wobei der obere Klotz kleiner war als der untere. Auf seinen alten Grundmauern war der neue Ofen errichtet worden, jener, in dem die Ladung gebrannt wurde, von der das Zentrum nur die Hälfte abnehmen wollte, und der nun, bereits erkaltet, darauf wartete, erneut gefüllt zu werden. Mit übertriebener Vorsicht parkte Cipriano Algor den Lieferwagen in dem Holzschober zwischen zwei Stapeln trockenen Holzes ein, überlegte dann, noch kurz nach dem Ofen zu schauen, um ein paar weitere Minuten zu gewinnen, doch es fehlte ihm der Grund, die Begründung, es war nicht wie an solchen Tagen, wenn er aus der Stadt kam und der Ofen noch an war, dann warf er immer einen Blick in die Muffel und schätzte anhand der Farbe des glühenden Tons die Temperatur ab, prüfte, ob das Dunkelrot bereits in Kirschrot übergegangen war, oder Letzteres in Orange. So blieb er einfach dort stehen, als sei der Mut, den er brauchte, hinter ihm zurückgeblieben, doch die Stimme seiner Tochter zwang ihn, sich zu rühren, Warum kommst du nicht rein, das Mittagessen ist fertig. Beunruhigt über die Verzögerung war Marta an der Tür erschienen, Komm doch, das Essen wird kalt. Cipriano Algor trat ein, küsste seine Tochter und schloss sich im Badezimmer ein, jener häuslichen Annehmlichkeit, die eingebaut worden war, als er noch ein junger Mann war, und daher längst einer Vergrößerung und Renovierung bedurfte. Er betrachtete sich im Spiegel und fand keine Falte zu viel in seinem Gesicht, Bestimmt habe ich sie innerlich, dachte er, dann urinierte er, wusch sich die Hände und ging hinaus. Sie aßen in der Küche, an einem Tisch, der schon bessere Zeiten und größere Gesellschaften erlebt hatte. Seit dem Tod der Mutter Justa Isasca, über die in dieser Geschichte vielleicht gar nicht mehr viel gesprochen werden wird, deren Vorname hier jedoch festgehalten werden soll, denn den Nachnamen kennen wir ja bereits, essen die beiden nun an einem Ende des Tisches, 28
der Vater am Kopfende, Marta an dem Platz, den die Mutter leer gelassen hat, ihr gegenüber Marçal, wenn er da ist. Wie war dein Vormittag, fragte Marta, Gut, wie immer, antwortete der Vater und senkte den Kopf über den Teller, Marçal hat angerufen, Ach ja, was wollte er denn, Er meinte, er hätte mit dir darüber gesprochen, dass wir ins Zentrum ziehen, wenn er Wachmann mit Dienstwohnung wird, Ja, wir haben darüber geredet, Er war verärgert, weil du wieder gesagt hast, dass dir das nicht passt, Inzwischen habe ich es mir anders überlegt, ich glaube, es wäre eine gute Lösung für uns alle, Wie kommt es, dass du plötzlich deine Meinung geändert hast, Du wirst bestimmt nicht den Rest deines Lebens als Töpferin arbeiten wollen, Nein, obwohl mir diese Arbeit Spaß macht, Du musst an der Seite deines Mannes bleiben, wirst bald Kinder kriegen, drei Generationen, die vom Ton gelebt haben, sind mehr als genug, Und du, Vater, bist du auch bereit, mit uns ins Zentrum zu ziehen und die Töpferei aufzugeben, fragte Marta, Das hier aufgeben, niemals, das kommt gar nicht in Frage, Willst du damit sagen, dass du alles allein machen willst, den Ton ausheben, ihn kneten, an der Arbeitsplatte und an der Scheibe arbeiten, den Ofen anmachen, ihn beladen, entladen, säubern, danach alles in den Lieferwagen packen und zum Verkauf fahren, du weißt doch selbst, dass jetzt schon alles immer schwieriger wird, trotz Marçals Unterstützung, in der wenigen Zeit, die er da ist, Ich werde schon jemanden finden, der mir hilft, es gibt genügend junge Kerle hier im Dorf, Du weißt doch ganz genau, dass heute niemand mehr Töpfer sein will, die, die das Land satt haben, gehen in die Fabriken im Industriegürtel, sie geben nicht ihre Landwirtschaft auf, um zum Ton zurückzukehren, Das ist noch ein Grund mehr, dass du hier weggehst, Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich dich hier allein zurücklasse, Du kommst mich doch ab und zu besuchen, Vater, bitte, ich meine es ernst, Ich auch, Kind. Marta stand auf, um die Teller abzuräumen und die Suppe zu 29
servieren, die die Familie aus alter Gewohnheit hinterher aß. Der Vater folgte ihr mit den Augen und dachte, mit diesem Gespräch mache ich alles nur noch schwieriger, es wäre besser, es ihr gleich zu sagen. Er tat es nicht, denn plötzlich war die Tochter acht Jahre alt, und er sagte zu ihr, Pass gut auf, das ist so wie bei deiner Mutter, wenn sie den Brotteig knetet. Er rollte den Tonbatzen vor und zurück, drückte ihn an den Seiten zusammen und dann mit dem Handballen wieder platt, schlug ihn kräftig auf den Tisch, klopfte, drückte, begann wieder von vorn und wiederholte die ganze Prozedur, einmal, zweimal, noch einmal, Warum machst du das, hatte die Tochter gefragt, Damit keine Klümpchen und Luftblasen im Ton bleiben, das wäre schlecht für die Arbeit, Für das Brot auch, Beim Brot sind es nur die Klümpchen, die Blasen machen nichts aus. Er stellte den kompakten Zylinder, in den er den Ton verwandelt hatte, beiseite und knetete einen anderen Batzen, Es ist an der Zeit, dass du es lernst, hatte er gesagt, doch gleich darauf bereute er es, So ein Blödsinn, sie ist doch erst acht, und er versuchte es wieder gut zu machen, Geh draußen spielen, geh, hier drin ist es kalt, doch die Tochter antwortete, sie wolle nicht gehen, aus einem Rest Ton versuchte sie gerade eine Puppe zu modellieren, doch der Ton blieb an ihren Fingern kleben, da er zu weich war, Der taugt nichts, versuch es mit dem da, damit schaffst du es bestimmt, sagte der Vater. Marta sah ihn beunruhigt an, es war nicht seine Art, den Kopf so tief über den Teller zu senken, als wolle er, indem er sein Gesicht versteckte, auch die Sorgen verstecken, vielleicht ist es wegen des Gesprächs mit Marçal, aber darüber haben wir doch gesprochen, und er hat nicht dieses Gesicht gemacht, oder er ist krank, er sieht so eingefallen aus, so erschöpft, an jenem Tag hat die Mutter zu mir gesagt, Sei vorsichtig, übernimm dich nicht, und ich habe ihr geantwortet, Dazu braucht man doch nur die Kraft der Arme und die Bewegung der Schultern, der übrige Körper ist nur Zuschauer, Sag so was nicht, mir tun 30
nach einer Stunde Kneten sogar die Kopfhaare weh. Das ist nur, weil du in letzter Zeit immer so müde warst, Vielleicht werde ich auch einfach alt, Bitte rede dir nicht so was ein, Mutter, du wirkst kein bisschen alt, aber wer hätte das für möglich gehalten, keine zwei Wochen nach dieser Unterhaltung war sie schon tot und beerdigt, das sind die Überraschungen, die der Tod dem Leben bereitet, Woran denkst du, Vater. Cipriano Algor wischte sich seinen Mund an der Serviette ab, nahm sein Glas, als wollte er trinken, stellte es jedoch wieder ab, ohne es an die Lippen zu führen. Sag, Vater, bitte, drängte die Tochter, und um ihm das Reden zu erleichtern, fragte sie, Bist du immer noch in Sorge wegen Marçal, oder ist es etwas anderes. Cipriano Algor ergriff sein Glas, trank den restlichen Wein in einem Zug aus, und antwortete hastig, als verbrenne er sich mit den Worten die Zunge, Sie haben mir nur die Hälfte der Ladung abgenommen, und sie sagen, dass es weniger Käufer für Tonwaren gibt, weil im Handel so ein Plastikgeschirr aufgetaucht ist, das aussieht wie Ton und das die Kunden vorziehen, Das ist doch nichts, was wir nicht erwartet hätten, früher oder später musste so etwas passieren, der Ton springt leicht, splittert ab, geht beim kleinsten Schlag kaputt, während Plastik alles aushält und sich nicht beschwert, Der Unterschied besteht darin, dass der Ton ist wie die Menschen, man muss ihn gut behandeln, Plastik auch, aber gewiss weniger, Und das Schlimmste ist, dass sie mir gesagt haben, ich soll ihnen nichts mehr bringen, solange sie nichts bestellen, Dann hören wir auf zu arbeiten, Aufhören sollten wir nicht, denn wenn der Auftrag eingeht, müssen wir Geschirr parat haben, um es noch am selben Tag ausliefern zu können, wir sollten nicht erst nach Eingang des Auftrags losrennen und den Ofen anheizen, Und was machen wir in der Zwischenzeit, Warten, Geduld haben, morgen werde ich hier in der Gegend herumfahren, irgendwas werde ich schon verkaufen, Vergiss nicht, dass du das erst vor zwei Monaten 31
gemacht hast, du wirst nicht mehr allzu viele Leute finden, die etwas kaufen wollen, Musst du mich immer so entmutigen, Ich versuche nur, die Dinge so zu sehen, wie sie sind, Vater, du hast doch gerade erst gesagt, dass drei Töpfergenerationen in der Familie mehr als genug sind, Du wirst nicht die vierte Generation sein, sondern mit deinem Mann ins Zentrum ziehen, Ich werde wohl gehen müssen, aber du wirst mitgehen, Vater, Ich habe dir bereits gesagt, dass du mich nie dazu bringen wirst, ins Zentrum zu ziehen, Das Zentrum hat uns bis heute ernährt, indem es uns das Produkt unserer Arbeit abgekauft hat, und es wird uns weiterhin ernähren, wenn wir dort wohnen und ihm nichts mehr verkaufen können, Dank Marçals Gehalt, Es ist keine Schande, wenn der Schwiegersohn den Schwiegervater unterhält, Das hängt davon ab, von wem der Schwiegersohn abstammt, Vater, es ist nicht gut, wenn du so stolz bist, Es geht nicht um Stolz, Um was geht es dann, Das kann ich dir nicht erklären, es ist irgendwie komplizierter als Stolz, es ist etwas anderes, eine Art Beschämung, aber entschuldige, ich sehe ein, dass ich das nicht hätte sagen dürfen, ich möchte einfach nicht, dass du Not leidest, Ich kann ja versuchen, an die Händler in der Stadt zu verkaufen, das muss nur das Zentrum genehmigen, wenn sie mir weniger abnehmen, haben sie auch kein Recht mir zu verbieten, an andere zu verkaufen, Du weißt doch besser als ich, dass die Händler in der Stadt ganz große Probleme haben und ihnen das Wasser bis zum Hals steht, alle Leute kaufen im Zentrum ein, immer mehr Leute wollen im Zentrum wohnen, Ich will das nicht, Was willst du machen, wenn das Zentrum uns keine Ware mehr abnimmt und die Leute von hier anfangen, Plastiksachen zu benutzen, Ich hoffe, ich sterbe vorher, Mutter ist vorher gestorben, Sie starb an der Drehscheibe, während der Arbeit, hoffentlich kann ich mein Leben auch auf diese Art beenden, Sprich nicht über den Tod, Vater, Solange wir leben, können wir über den Tod sprechen, danach nicht mehr. 32
Cipriano Algor nahm noch einen Schluck Wein, stand auf, wischte seinen Mund mit dem Handrücken ab, als galten die Tischsitten nicht mehr, wenn man den Tisch bereits verlassen hat, und sagte, Ich muss den Ton klein machen, wir haben kaum noch was da. Er war bereits in der Tür, als seine Tochter rief, Vater, mir kam da gerade eine Idee, Eine Idee, Ja, nämlich Marçal anzurufen, damit er mit dem Leiter der Einkaufsabteilung spricht und herauszubekommen versucht, was das Zentrum beabsichtigt, ob die Reduzierung der Bestellung nur kurzzeitig ist oder dauerhaft, du weißt, Vater, dass Marçal von seinen Vorgesetzten geschätzt wird, Zumindest sagt er das, Wenn er das sagt, dann stimmt es auch, erwiderte Marta ungeduldig und fügte hinzu, Aber wenn du nicht willst, dann rufe ich eben nicht an, Ruf ihn an, ja, ruf an, das ist eine gute Idee, die einzige, die uns jetzt etwas bringen kann, auch wenn ich bezweifle, dass ein Abteilungsleiter des Zentrums so ohne weiteres bereit ist, einem Wachmann zweiter Klasse über seine Geschäfte Auskunft zu geben, ich kenne die besser als er, man muss nicht da drin arbeiten, um zu verstehen, aus welchem Holz diese Leute geschnitzt sind, sie fühlen sich wie die Könige, und trotzdem ist ein Abteilungsleiter auch nur ein Befehlsempfänger, er führt die Anordnungen aus, die von oben kommen, es kann sogar passieren, dass er uns mit irgendwelchen nichts sagenden Erklärungen abspeist, nur um sich wichtig zu machen. Marta hörte sich diese lange Tirade bis zum Schluss an, erwiderte jedoch nichts. Wenn der Vater unbedingt das letzte Wort haben musste, dann wollte sie ihm dieses Vergnügen nicht nehmen. Sie dachte lediglich, als er hinausging, Ich muss mehr Verständnis zeigen, muss mich in seine Lage versetzen, mir vorstellen, wie es ist, plötzlich ohne Arbeit dazustehen, sich von dem Haus zu trennen, der Töpferei, dem Ofen, seinem Leben. Sie wiederholte die letzten Worte laut, Seinem Leben, während sich ihr Blick trübte, denn sie hatte sich in die Lage des Vaters versetzt und litt nun 33
ebenso sehr wie er. Sie blickte um sich und bemerkte zum ersten Mal, dass alles um sie herum wie mit Ton überzogen war, nicht beschmutzt, es hatte nur alles die Farbe des Tons angenommen, die Farbe all jener Farben, in denen er aus der Tongrube herauskam, drei Generationen haben sie hinterlassen, tagtäglich beschmutzten sich ihre Menschen die Hände mit dem Staub und dem Wasser des Tons, und auch dort draußen, dieses leuchtende Grau des Ofens, diese letzte, abklingende Wärme, die er ausstrahlte, wenn man ihn leer zurückließ, wie ein Haus, das von seinen Besitzern verlassen wurde und nun einfach dasteht, geduldig wartet, und morgen, wenn jetzt nicht alles für immer vorbei ist, wieder dieses erste Aufflammen des Holzes, dieser erste heiße Hauch, der den trockenen Ton wie mit einer Liebkosung umfängt, und dann, ganz allmählich, das Flimmern der Luft, ein plötzliches Aufflackern der Glut, das Erwachen des Glanzes, der leuchtende Ausbruch des vollen Feuers. Das werde ich nie wieder sehen, wenn wir von hier fortgehen, sagte Marta, und ihr Herz schnürte sich zusammen, als müsste sie sich von dem Menschen verabschieden, den sie am meisten liebte, wobei sie in diesem Augenblick gar nicht sagen konnte, wer dies war, die bereits verstorbene Mutter, der verbitterte Vater oder vielleicht ihr Ehemann, ja, es könnte der Ehemann sein, das ist am nahe liegendsten, schließlich war sie seine Frau. Sie hörte das dumpfe Geräusch des Holzhammers, der den Ton zerteilte, als käme es aus der Erde, doch die Schläge klangen heute irgendwie anders, vielleicht, weil nicht die einfache Erfordernis der Arbeit sie antrieb, sondern die ohnmächtige Wut, diese zu verlieren. Ich gehe telefonieren, sagte Marta zu sich selbst, wenn ich solche Gedanken hege, werde ich noch genauso traurig wie er. Sie verließ die Küche und ging in das Zimmer ihres Vaters. Dort, auf dem kleinen Tisch, an dem Cipriano Algor die Buchführung der Töpferei machte, stand ein altmodisches Telefon. Sie wählte eine der Nummern der Zentrale und ließ sich mit dem Sicherheitsdienst 34
verbinden. Fast augenblicklich ertönte eine trockene Männerstimme, Sicherheitsdienst, das prompte Abnehmen überraschte sie nicht, schließlich ist allgemein bekannt, dass bei Fragen der Sicherheit selbst die winzigste Sekunde zählt, Ich hätte gern den Wachmann zweiter Klasse Marçal Gacho gesprochen, sagte Marta, Wer ist bitte am Apparat, Seine Frau, ich rufe von zu Hause aus an, Der Wachmann zweiter Klasse Marçal Gacho befindet sich derzeit im Dienst und kann nicht abgerufen werden, Dann möchte ich Sie bitten, ihm etwas auszurichten, Sind Sie seine Frau, Ja, mein Name ist Marta Algor Gacho, Sie können es nachprüfen, Dann ist Ihnen bestimmt nicht unbekannt, dass wir nichts ausrichten, wir notieren lediglich, wer angerufen hat, Es geht nur darum, ihm zu sagen, er möchte zu Hause anrufen, sobald er kann, Ist es dringend, fragte die Stimme, Marta dachte nach, ist es dringend, dringend ist es eigentlich nicht, ein plötzlicher Blutsturz war es nicht, auch keine schwer wiegenden Probleme mit dem Ofen, eine Frühgeburt noch viel weniger, doch schließlich antwortete sie, Ja, es hat eine gewisse Dringlichkeit, Ich habe es vermerkt, sagte der Mann und legte auf. Mit einem resignierten Seufzen ließ Marta den Hörer zurückgleiten, es war nichts zu machen, der Sicherheitsdienst war einfach stärker als sie, und er konnte es einfach nicht lassen, den Leuten seine Autorität ins Gesicht zu schleudern, selbst in einem so banalen Fall wie diesem, so unbedeutend, so alltäglich, eine Frau, die im Zentrum anrief, weil sie mit ihrem Mann sprechen musste, sie war gewiss nicht die Erste gewesen und bestimmt auch nicht die Letzte. Als Marta auf den Hof hinausging, klang das Hämmern plötzlich nicht mehr, als käme es aus der Erde, es kam von dort, wo es auch herkommen musste, nämlich aus der dunklen Ecke der Töpferei, wo der aus der Grube gehobene Ton aufbewahrt wurde. Sie ging bis an die Tür, trat jedoch nicht über die Schwelle, Ich habe angerufen, sagte sie, sie wollten es ihm ausrichten, Dann hoffen wir, dass sie das auch 35
tun, antwortete der Vater, und ohne ein weiteres Wort attackierte er mit dem Holzhammer den größten der Blöcke, den er vor sich hatte. Marta machte kehrt, da sie wusste, dass sie nicht in einen Raum eindringen durfte, den ihr Vater sich bewusst ausgesucht hatte, um allein zu sein, aber auch, weil sie selbst Arbeit zu erledigen hatte, ein paar Dutzend großer und kleiner Krüge warteten darauf, dass sie ihnen die Henkel anklebte. Sie trat durch die Tür nebenan.
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MARÇAL GACHO rief am späten Nachmittag an, als seine Schicht zu Ende war. Er antwortete seiner Frau mit knappen, unzusammenhängenden Sätzen, ohne Anzeichen von Bedauern, Beunruhigung oder Empörung über die geschäftliche Brüskierung, die seinem Schwiegervater widerfahren war. Seine Stimme klang abwesend, als sei er in Gedanken ganz woanders, er sagte, Ja, ach so, verstehe, das kommt darauf an, ich vermute, das ist so üblich, ich mache es, so bald ich kann, manchmal nicht, ohne Zweifel, ja, bestimmt, ich hab schon verstanden, du musst es nicht wiederholen, und beendete das Gespräch mit einem richtig vollständigen Satz, der jedoch nichts mit der Sache zu tun hatte, Mach dir keine Sorgen, ich werde schon an die Einkäufe denken. Da begriff Marta, dass ihr Mann nicht allein war, dass Arbeitskollegen mitgehört hatten, vielleicht auch ein Vorgesetzter, der gerade den Schlafsaal inspizierte, und daher hatte er sich verstellen müssen, um unliebsame oder gar gefährliche Nachfragen zu vermeiden. Die Organisation des Zentrums war nach einem Modell der strikten Trennung der jeweiligen Aktivitäten und Funktionen konzipiert worden, und ihre Funktionsträger, die natürlich dennoch nicht gänzlich voneinander abgeschirmt werden konnten, vermochten nur mittels spezifischer, schwer durchschaubarer und identifizierbarer Kanäle miteinander zu kommunizieren. Natürlich ist ein einfacher Wachmann zweiter Klasse sowohl aufgrund der spezifischen Natur seiner Aufgabe wie auch seines geringen Stellenwerts innerhalb des Kaders der unteren Angestellten, wobei das eine sich unweigerlich aus dem anderen ergibt, in der Regel nicht mit einem ausreichenden Unterscheidungs- und Wahrnehmungsvermögen ausgestattet, um derartige Feinheiten und Abstufungen, die im Grunde auch gar nicht fassbar sind, zu verstehen, doch Marçal Gacho kann, obgleich er nicht gerade der Schlaueste seiner 37
Gruppe ist, eine Spur Ehrgeiz für sich verbuchen, dessen bereits bekanntes Ziel die Beförderung zum Wachmann mit Dienstwohnung ist, und in einer zweiten Phase zum Wachmann erster Klasse, und wir wissen nicht, wohin ihn dieser Ehrgeiz in der nächsten Zukunft noch führen wird, oder gar in einer fernen, sofern es diese für ihn gibt. Da er seit dem Tag, an dem er seinen Dienst im Zentrum antrat, Augen und Ohren stets offen gehalten hatte, lernte er in kürzester Zeit, wann und wie es angebracht war zu reden, zu schweigen oder so zu tun als ob. Nach zwei Jahren Ehe glaubt Marta, den Mann gut zu kennen, der ihr in diesem Spiel des Gebens und Nehmens zufiel, auf das sich das Eheleben fast immer beschränkt, sie schenkt ihm all ihre ehefrauliche Liebe und würde, vorausgesetzt, es läge im Interesse dieser Geschichte, Martas Privatleben näher zu beleuchten, ohne Zögern und mit äußerstem Nachdruck beteuern, dass sie ihn liebt, aber sie ist auch kein Mensch, der sich selbst etwas vormacht, weshalb es auch wieder wahrscheinlich ist, dass sie, wenn wir länger insistierten, schließlich auch zugäbe, dass er ihr manchmal zu vorsichtig, um nicht zu sagen berechnend erscheint, gesetzt den Fall, wir wagten es, diese so negative Seite seiner Persönlichkeit näher zu erforschen. Sie war sich sicher, dass ihr Mann nach dem Gespräch verstimmt aufgelegt hatte, dass ihn bereits die Vorstellung einer Unterredung mit dem Leiter der Abteilung Einkauf beunruhigte, und zwar nicht aus der Schüchternheit oder Bescheidenheit des Untergebenen heraus, sondern weil es Marçal Gachos erklärtes Ziel war, nicht aufzufallen, außer durch seine Arbeit, und vor allem dann nicht, wird der hinzufügen, der ihn besser zu kennen glaubt, wenn es ihm keinen Vorteil einbringt. So erschien also diese gute Idee, die Marta zu haben glaubte, nur deshalb gut, weil sie in jenem Augenblick die einzig mögliche war, wie der Vater gesagt hatte. Cipriano Algor befand sich in der Küche, er konnte die zusammenhanglosen Satzfetzen, die der 38
Schwiegersohn von sich gegeben hatte, gar nicht gehört haben, doch es war, als hätte er sie von dem niedergeschlagenen Gesicht seiner Tochter abgelesen und danach die Lücken ausgefüllt, als diese, eine lange Minute später, aus dem Zimmer kam. Und da es die Mühe nicht lohnte, die Zunge für so wenig zu bemühen, verlor er keine Zeit damit, sie zu fragen, Und, was meint er, sie musste schließlich das Naheliegende mitteilen, Er wird mit dem Abteilungsleiter reden, doch um nur dies zu sagen, hätte Marta sich nicht anstrengen müssen, zwei Blicke hätten genügt. So ist das Leben, ausgefüllt mit Worten, die nicht der Mühe wert sind oder es waren und es nun nicht mehr sind, jedes Wort, das wir noch sagen werden, wird einem anderen Wort den Platz wegnehmen, das diesen eher verdient hätte, nicht so sehr wegen seiner selbst, sondern wegen der Konsequenzen aus dem Gesagten. Das Abendessen verlief still, still waren auch die beiden Stunden, die sie anschließend vor dem unbeteiligten Fernsehapparat verbrachten, und irgendwann schlief Cipriano Algor, wie so häufig in den letzten Monaten, davor ein. Seine Augenbrauen waren zusammengezogen, der Gesichtsausdruck grimmig, als tadele er sich selbst im Schlaf dafür, sich diesem so leichtfertig hingegeben zu haben, wo es doch viel eher angebracht wäre, dass Wut und Schmerz ihn Tag und Nacht wach hielten, der Schmerz, um das erlittene Unrecht voll ausleben zu können, die Wut, um das Leid erträglich zu machen. Wie er so dalag, wehrlos, den Kopf hintüber gefallen, den Mund halb geöffnet, verloren in sich selbst, stellte er das schmerzliche Bild hoffnungsloser Verlassenheit dar, wie ein aufgeplatzter Sack, dessen Inhalt sich auf den Weg ergossen hatte. Marta sah ihren Vater voll Inbrunst an, mit leidenschaftlicher Intensität, und dachte, Das ist mein alter Vater, eine solche Übertreibung mag man entschuldigen bei einem Menschen, der sich gerade in der ersten Blüte des Erwachsenseins befindet, dennoch sollte man einen vierundsechzigjährigen Mann, selbst wenn seine Seele 39
etwas welk ist, wie man es bei diesem hier beobachten kann, nicht mit so sorgloser Leichtfertigkeit alt nennen, das traf vielleicht in Zeiten zu, in denen einem die Zähne bereits mit dreißig auszufallen begannen und die ersten Falten sich mit fünfundzwanzig zeigten, heutzutage verdient das Alter, das echte, unleugbare Alter, bei dem es kein Zurück mehr gibt und das auch nicht mehr kaschiert werden kann, erst ab achtzig unwiderruflich und gnadenlos diesen Namen, den wir der Zeit des Abschieds gegeben haben. Was wird aus uns werden, wenn das Zentrum uns nichts mehr abnimmt, für wen werden wir dann Keramik herstellen, wo doch der Geschmack des Zentrums den Geschmack der Leute bestimmt, fragte sich Marta, es war nicht der Abteilungsleiter, der beschlossen hat, die Abnahme um die Hälfte zu reduzieren, der Befehl kam von oben, von den Vorgesetzten, von jemandem, dem es gleichgültig ist, ob es einen Töpfer mehr oder weniger gibt auf dieser Welt, Vielleicht ist das, was passiert ist, nur der erste Schritt, der zweite wird sein, dass sie uns gar nichts mehr abnehmen, wir müssen auf diese Katastrophe vorbereitet sein, ja, vorbereitet, aber ich würde gerne wissen, wie ein Mensch sich darauf vorbereiten soll, einen Hammerschlag auf den Kopf zu bekommen, und wenn Marçal zum Wachmann mit Dienstwohnung befördert wird, was mache ich dann mit dem Vater, lasse ich ihn hier in diesem Haus allein, ohne Arbeit, unmöglich, einfach unmöglich, Rabentochter würden mich die Nachbarn schimpfen, aber schlimmer noch wäre, dass ich mich selbst als solche bezichtigen würde, alles wäre anders, wenn Mutter noch lebte, denn im Gegensatz zu dem, was es immer heißt, ergibt die Summe aus zwei Schwachen nicht eine doppelte Schwäche, sondern eine neue Kraft, aber wahrscheinlich ist das doch nicht so und war noch nie so, aber es gibt Situationen, in denen es praktisch wäre, wenn es so wäre, nein, mein Vater, nein, Cipriano Algor, wenn ich hier weggehe, gehst du mit, und wenn ich dich gewaltsam 40
mitschleppen muss, ich bezweifle nicht, dass ein Mann in der Lage ist, allein zu leben, aber ich bin überzeugt davon, dass du genau in dem Moment zu sterben beginnst, in dem ich die Tür deines Hauses hinter mir zumache. Als hätte ihn jemand heftig am Arm gerüttelt oder als hätte er gemerkt, dass man über ihn sprach, öffnete Cipriano Algor plötzlich die Augen und richtete sich auf dem Stuhl auf. Er strich sich mit der Hand über das Gesicht, mit dem leicht verwirrten Ausdruck eines Kindes, das bei einer Dummheit erwischt wurde, Ich bin irgendwie eingeschlafen, murmelte er. Er benutzte immer diesen Ausdruck, Ich bin irgendwie eingeschlafen, wenn er aus seinem kurzen Schläfchen vor dem Fernseher erwachte. Doch dieser Abend war nicht wie die anderen, daher fügte er noch hinzu, Ich wäre besser gar nicht mehr aufgewacht, zumindest im Schlaf war ich ein Töpfer mit Arbeit, Mit dem großen Unterschied, dass die Arbeit, die man im Traum macht, niemals ein fertiges Werk hinterlässt, sagte Marta, Genau wie im richtigen Leben, du arbeitest, arbeitest und arbeitest, und eines Tages wachst du aus diesem Traum oder Albtraum auf und sie sagen dir, dass das, was du gemacht hast, nichts getaugt hat, Es hat etwas getaugt, Vater, Aber es ist so, als hätte es nichts getaugt, Heute war ein schlechter Tag für uns, morgen denken wir in Ruhe darüber nach, und dann werden wir sehen, wie wir dieses Problem, vor das sie uns gestellt haben, lösen können, Ja, wir werden sehen, ja, ja, wir werden darüber nachdenken. Marta ging zu ihrem Vater und gab ihm einen zärtlichen Kuss. Geh schlafen, geh, und schlaf gut, gönne deinem Kopf ein bisschen Ruhe. An der Tür zu seinem Schlafzimmer blieb Cipriano Algor stehen, drehte sich um, zögerte einen Augenblick und sagte schließlich, als wolle er sich selbst überzeugen, Vielleicht ruft Marçal ja morgen an, vielleicht hat er gute Nachrichten für uns, Wer weiß, Vater, wer weiß, antwortete Marta, er hat mir gesagt, dass er sich dafür einsetzen wird, er hat es wirklich vor. 41
Marçal rief am nächsten Tag nicht an. Der ganze Tag verstrich, es war ein Mittwoch, dann verstrich der Donnerstag, der Freitag, es verstrichen der Samstag und der Sonntag, und erst am Montag, fast eine Woche nach dem Verhängnis mit der Ware, klingelte wieder das Telefon im Hause Cipriano Algors. Entgegen seiner Ankündigung war der Töpfer nicht in die umliegenden Dörfer gefahren, um Kunden zu werben. Er widmete sich in seinen langen Stunden kleineren Arbeiten, von denen einige unnötig waren, wie zum Beispiel die Inspektion und gründliche Säuberung des Ofens, von oben bis unten, von innen und außen, Fuge für Fuge, Ziegel für Ziegel, als bereite er ihn auf den größten Brand seiner Geschichte vor. Er knetete eine Portion Teig, den seine Tochter benötigte, doch im Gegensatz zu der pedantischen Gründlichkeit, die er dem Ofen hatte zuteil werden lassen, strengte er sich dabei nur wenig an, so wenig, dass Marta sich gezwungen sah, ihn heimlich noch einmal zu kneten, um die Klümpchen zu verringern. Er hackte Holz, kehrte den Hof, und an jenem Nachmittag, an dem mehr als drei Stunden lang dieser feine, monotone Regen fiel, den man früher Spreu nannte, saß er die ganze Zeit auf einem Baumstamm im Holzschober und stierte vor sich hin, mit der Unbeweglichkeit eines Blinden, der weiß, dass er auch dann nicht wieder sehen wird, wenn er seinen Kopf wendet, oder er starrte auf seine eigenen Hände, als suche er in ihren gekreuzten Linien einen Weg, den kürzeren oder den längeren, welchen man einschlägt, hängt in der Regel davon ab, wie eilig man es hat, sein Ziel zu erreichen, ganz zu schweigen von den Fällen, in denen uns jemand oder etwas von hinten anschiebt, ohne dass wir wissen, wohin und weshalb. An diesem Nachmittag ging Cipriano Algor, als es zu regnen aufhörte, den Weg hinunter, der zur Hauptstraße führte, er hatte nicht bemerkt, dass seine Tochter ihn von der Tür der Töpferwerkstatt aus beobachtete, doch weder hielt er es für nötig, ihr zu sagen, wohin er ging, noch sie, dass er es ihr sagte. 42
Dickkopf, dachte Marta, er hätte den Lieferwagen nehmen sollen, es kann jeden Augenblick wieder regnen. Martas Besorgnis war ganz normal, war das, was man von einer Tochter erwarten konnte, und in der Tat konnte man sich auf den Himmel noch nie so recht verlassen, auch wenn es in der Geschichte zahllose Gegenbeispiele dafür gibt. Heute jedoch wird er nicht völlig durchweicht werden, selbst wenn sich ein neuerlicher Regenschauer aus diesem eintönigen Grau löst, das die Erde bedeckt und umhüllt, der Dorffriedhof ist nicht weit, er liegt am Ende einer dieser Querstraßen zur Hauptstraße, und Cipriano Algor hat sich trotz seines nicht mehr jugendlichen Alters einen energischen Gang bewahrt, mit großen Schritten, wie Jüngere sie machen, wenn sie in Eile sind. Alt oder Jung, niemand sollte heute Eile von ihm verlangen. So wie es auch unklug gewesen wäre, wenn Marta ihm geraten hätte, den Lieferwagen zu nehmen, denn zu den Friedhöfen, vor allem zu denen auf dem Dorf, den ländlichen und bukolischen, sollten wir stets zu Fuß gehen, nicht aufgrund eines kategorischen Imperativs oder transzendentalen Gebotes, sondern weil es der Anstand gebietet, schließlich sind schon so viele Menschen zu Fuß auf Pilgerwanderungen gegangen, um das Bein eines Heiligen zu verehren, sodass man sich gar nicht vorstellen kann, wie man sonst an diesen Ort gelangen könnte, von dem wir von vornherein wissen, dass uns dort nur unsere eigene Erinnerung und vielleicht eine Träne erwartet. Cipriano Algor wird ein paar Minuten vor dem Grab seiner Frau verweilen, nicht um Gebete aufzusagen, die er bereits vergessen hat, und auch nicht, um sie zu bitten, dort in ihrem Reich der Seligen, falls ihre Tugenden sie so weit gebracht haben, bei jenem Fürbitte einzulegen, von dem manche sagen, er könne alles, nein, er wird sich einfach nur beschweren, Das ist nicht gerecht, Justa, was sie mir angetan haben, dass sie sich über meine und unserer Tochter Arbeit lustig machen, sie sagen, Keramikgeschirr interessiert keinen mehr, niemand will es 43
mehr haben, also sind auch wir nicht mehr nötig, wir sind wie ein Suppentopf, der einen Sprung hat, in den man nicht einmal mehr Katzen wirft, du hattest mehr Glück, als du noch am Leben warst. Die engen Kieswege des Friedhofs sind voller Pfützen, überall wuchert Unkraut, es wird keine hundert Jahre mehr dauern, bis niemand mehr weiß, wer unter diesen kleinen Schlammhügeln begraben wurde, und selbst wenn man es noch weiß, dann ist es fraglich, ob es noch von ernsthaftem Interesse ist, die Toten, hat einmal jemand gesagt, sind wie gesprungene Teller, bei denen es sich nicht mehr lohnt, sie mit diesen ebenfalls aus der Mode gekommenen Eisenhäkchen zusammenzuklammern, die das, was zerbrochen oder entzweigegangen war, wieder verbanden, oder aber, wie in diesem speziellen Fall, wenn man Ähnliches mit anderen Worten ausdrücken will, mit den Klammern der Erinnerung und der Sehnsucht. Cipriano Algor trat an das Grab seiner Frau, drei Jahre liegt sie nun schon hier unter der Erde, drei Jahre, ohne dass sie irgendwo wieder auftauchte, weder zu Hause, noch in der Töpferei, noch im Bett, noch im Schatten des Maulbeerbaumes oder in der sengenden Sonne der Tongrube, nie wieder setzte sie sich an den Tisch oder die Töpferscheibe, nie wieder holte sie die durch den Rost gefallene Asche heraus oder wendete die zum Trocknen ausgelegten Teile, schälte die Kartoffeln, knetete den Ton, sagte, So ist das eben, Cipriano, das Leben hat nicht mehr als zwei Tage zu geben, und viele Menschen haben nur anderthalb gelebt, wieder andere nicht einmal das, du siehst also, wir können uns nicht beklagen. Cipriano Algor blieb nicht länger als drei Minuten, er war intelligent genug, um zu wissen, dass es nicht darum ging, dort zu verweilen, betend oder nicht betend, einen Grabstein betrachtend, wichtig war, dass er gekommen war, das Wichtige ist der Weg, den man zurückgelegt hat, die Reise, die man gemacht hat, wenn einem bewusst wird, dass man die Betrachtung verlängert, dann 44
beobachtet man nur sich selbst, oder schlimmer noch, man wartet darauf, dass man beobachtet wird. Verglichen mit der blitzartigen Geschwindigkeit des Gedankens, der selbst dann geradlinig verläuft, wenn er die Richtung verloren zu haben scheint, wir glauben das, weil wir nicht bemerken, dass er, wenn er in eine Richtung eilt, gleichzeitig in alle Richtungen vordringt, verglichen damit, sagten wir, kann das arme Wort immer nur einen Fuß vor den anderen setzen, und trotzdem stolpert es ständig, zweifelt, vergnügt sich damit, um ein Adjektiv zu kreisen, um eine Verbform, die ihm in die Quere kam, ohne von einem Subjekt angekündigt zu werden, dies muss der Grund dafür sein, dass Cipriano Algor nicht die Zeit hatte, seiner Frau all das zu sagen, was ihm im Kopf herumging, es ist nicht gerecht, Justa, was sie mir angetan haben, doch es ist durchaus möglich, dass die gemurmelten Worte, die wir jetzt aus seinem Munde vernehmen, während er sich zum Ausgang des Friedhofs begibt, genau jene sind, die er noch hatte sagen wollen. Er war bereits verstummt, als ihm eine Frau in Trauerkleidung entgegenkam, so ist es immer schon gewesen, die einen kommen, die anderen gehen, sie sagte, Guten Tag, Senhor Cipriano, die respektvolle Anrede erklärt sich sowohl aus dem Altersunterschied als auch aus den ländlichen Gepflogenheiten, und er erwiderte, Guten Tag, und wenn er sie nicht beim Namen nannte, so lag das nicht daran, dass er ihn nicht kannte, sondern dass er dachte, diese Frau, die wegen eines Mannes so strenge Trauer trug, würde nicht an den düsteren, zukünftigen Ereignissen, die sich ankündigten, teilhaben und auch nicht an deren Erzählung, wobei jedoch feststeht, dass sie zumindest beabsichtigte, am nächsten Tag zur Töpferei zu gehen, um einen Tonkrug zu kaufen, wie sie gerade verkündet, Morgen komm ich zu Ihnen hoch und kaufe einen Tonkrug, der hoffentlich besser ist als der alte, bei dem ich plötzlich den Henkel in der Hand hatte, als ich ihn hochhob, in tausend Scherben ist er zerbrochen und hat mir die 45
ganze Küche überschwemmt, Sie können sich ja vorstellen, was das heißt, aber der Gerechtigkeit halber muss man auch sagen, dass der Arme schon ziemlich alt war, und Cipriano Algor antwortete ihr, Sie müssen nicht zur Töpferei kommen, ich bringe Ihnen einen neuen Wasserkrug vorbei, als Ersatz für den zerbrochenen, Sie müssen ihn auch nicht bezahlen, es ist ein Geschenk der Töpferei, Sagen Sie das, weil ich Witwe bin, fragte die Frau, Nein, wo denken Sie hin, es ist einfach eine kleine Aufmerksamkeit, nichts weiter, wir haben eine Menge Krüge, die wir vielleicht nie mehr verkaufen werden, Wenn das so ist, dann danke ich Ihnen, Senhor Cipriano, Nichts zu danken, Doch, ein neuer Wasserkrug ist schon etwas, Ja, aber auch nur das, eben etwas, Dann bis morgen, ich erwarte Sie, und noch einmal vielen Dank. Bis morgen. Und da der Gedanke in alle Richtungen gleichzeitig eilt, wie vorher so schön erklärt wurde, und mit ihm auch die Gefühle, wird es uns nicht wundern, dass die Freude der Witwe über den neuen Wasserkrug, den sie erhalten würde, ohne ihn bezahlen zu müssen, der Grund dafür war, dass von einem Augenblick zum anderen der Kummer, der sie dazu gebracht hatte, an einem so tristen Nachmittag das Haus zu verlassen und die letzte Wohnstätte ihres Mannes aufzusuchen, erträglicher wurde. Natürlich wird sie, auch wenn wir nur sehen, wie sie am Eingang zum Friedhof steht und sich in ihrer Hausfrauenseele über das unerwartete Geschenk freut, dennoch dorthin gehen, wohin sie die Trauer und die Pflicht rief, aber vielleicht wird sie am Ende nicht so viel weinen, wie sie erwartet hatte. Der Nachmittag geht langsam in den Abend über, die ersten blassen Lichter erhellen die umliegenden Häuser, doch das Dämmerlicht wird noch so lange andauern, bis diese Frau, ohne von Irrlichtern oder gepeinigten Seelen erschreckt zu werden, ihr Vaterunser und Ave-Maria zu Ende gebetet hat, Friede sei mit ihm und seiner Seele. Als Cipriano Algor das letzte Haus des Dorfes hinter sich 46
gelassen hatte und in Richtung Töpferei blickte, sah er, wie die Außenbeleuchtung anging, eine alte Blechlaterne, die über der Tür zum Wohnhaus hing, und obwohl keine einzige Nacht verging, in der sie nicht brannte, fühlte er in diesem Augenblick, wie sein Herz getröstet wurde und seine Seele sich beruhigte, als wollte das Haus ihm sagen, Ich warte auf dich. Kaum spürbar, getragen von den launigen, unsichtbaren Wellen, die die Luft hin und her bewegen, berührten ein paar winzige Tröpfchen sein Gesicht, es wird nicht lange dauern, bis die Wolkenmühle wieder ihr Wassermehl zu versprühen beginnt, bei dieser ewigen Nässe weiß ich gar nicht, wie unsere Keramik trocknen soll. Vielleicht lag es an dem Einfluss der sanften Dämmerung, oder an dem kurzen, Erinnerungen heraufbeschwörenden Besuch auf dem Friedhof, oder gar, und das wäre ein echter Dank für seine Großzügigkeit, daran, dass er der trauernden Frau einen Wasserkrug versprochen hatte, dass Cipriano Algor in diesem Augenblick die Enttäuschung, nichts mehr zu verdienen und die Angst, alles zu verlieren, vergaß. In einer Stunde wie dieser, wo man die nasse Erde unter den Füßen und die erste Schicht des Himmels direkt über dem Kopf spürt, kann man einfach keine so absurden Sachen gesagt bekommen wie die, dass man mit der Hälfte der Ladung zurückfahren soll, oder dass die Tochter einen bald verlassen wird. Der Töpfer kam oben auf dem Weg an und atmete tief durch. Gegen den trüben Hintergrund der grauen Wolken zeichnet sich der schwarze Maulbeerbaum so schwarz ab, wie es sein Name erwarten lässt. Das Licht der Laterne reicht nicht bis zu seiner Krone, streift nicht einmal die Blätter der unteren Äste, lediglich der Boden ist mit einem schwachen Licht überzogen, das sich fast bis zu dem kräftigen Stamm erstreckt. Dort steht die alte Hundehütte, seit Jahren leer, seit ihr letzter Bewohner in Justas Armen starb und sie zu ihrem Mann sagte, Nie wieder will ich so ein Tier in meinem Haus haben. Im dunklen Hütteneingang blitzte etwas auf und erlosch sofort 47
wieder. Cipriano Algor wollte wissen, was es war, also trat er näher und bückte sich, um hineinzuspähen. Dort drinnen war es absolut dunkel. Er bemerkte, dass er mit seinem Körper das Licht der Laterne noch verdunkelte und trat ein wenig zur Seite. Es war ein zweifaches Aufblitzen, zwei Augen, ein Hund, Oder eine Ginsterkatze, am wahrscheinlichsten ist, dass es ein Hund ist, dachte der Töpfer, und er hatte bestimmt richtig geraten, denn an die Spezies Wolf gibt es in dieser Gegend keine glaubwürdigen Erinnerungen mehr, und die Augen der Katzen, sowohl der zahmen als auch der wilden, sind, wie allseits bekannt sein müsste, wirklich Katzenaugen, sie ließen sich höchsten- und schlimmstenfalls mit denen eines Tigers verwechseln, solange dieser klein ist, denn ein ausgewachsener Tiger würde natürlich nie in eine Hundehütte von dieser Größe passen. Cipriano Algor sprach nicht von Katzen, und auch nicht von Tigern, als er das Haus betrat, er verlor auch kein Wort über seinen Gang zum Friedhof, und was den Wasserkrug betrifft, den er der Frau in Trauerkleidung schenken wird, so ist ihm klar, dass das kein Thema für diesen Augenblick ist, und so sagte er zu seiner Tochter lediglich, Da draußen ist ein Hund, dann hielt er kurz inne, als erwarte er eine Antwort, und fügte hinzu, Unter dem Maulbeerbaum, in der Hundehütte. Marta hatte sich gerade gewaschen und umgezogen, sie wollte sich soeben hinsetzen und eine Minute lang ausruhen, bevor sie mit der Zubereitung des Abendessens beginnen würde, daher war sie gar nicht in der Stimmung, sich darüber Gedanken zu machen, welche Orte streunende oder ausgesetzte Hunde aufsuchten oder wo sie Unterschlupf fanden, Am besten lässt du ihn in Ruhe, wenn es kein Tier ist, das gern nachts unterwegs ist, dann verschwindet es morgen wieder, sagte sie, Hast du nicht irgendwas zu essen, was man ihm bringen könnte, fragte der Vater, Ja, ein paar Reste vom Mittagessen und ein paar Brocken Brot, Wasser wird er nicht brauchen, es kam genügend vom Himmel herunter, Ich bring es 48
ihm, Wie du willst, Vater, aber denk dran, er wird uns nicht mehr von der Schwelle weichen, Das ist gut möglich, wenn ich an seiner Stelle wäre, würde ich das Gleiche tun. Marta schüttete die Essensreste auf einen alten Teller, den sie unter dem Kaminsims stehen hatte, krümelte ein wenig trockenes Brot darüber und würzte alles mit ein bisschen Suppe, Hier, nimm, und merk dir, das ist erst der Anfang. Cipriano Algor nahm den Teller und war bereits mit einem Fuß aus der Tür, als seine Tochter ihn fragte, Weißt du noch, was Mutter gesagt hat, als Constante starb, dass sie nie wieder Hunde im Haus haben will, Ich weiß es noch, ja, aber ich könnte schwören, wenn sie noch am Leben wäre, dann wäre es nicht dein Vater, der diesen Teller zu dem Hund bringt, den sie nicht haben wollte, antwortete Cipriano Algor und ging hinaus, ohne die Worte zu hören, die seine Tochter murmelte, Vielleicht hat er ja nicht ganz Unrecht. Der Regen hatte wieder eingesetzt, es war das gleiche trügerische Es-regnet-aber-macht-nicht-nass, derselbe tanzende Wasserstaub, der die Entfernungen verschwimmen ließ, selbst der weißliche Umriss des Ofens schien entschlossen, sich in andere Gefilde aufzumachen, und auch der Lieferwagen sah eher aus wie ein Geistergefährt als wie ein modernes Fahrzeug mit Verbrennungsmotor, wenn auch nicht gerade das neueste Modell, wie wir wissen. Unter dem schwarzen Maulbeerbaum tropfte das Wasser in dicken, vereinzelten Tropfen von den Blättern herab, einer, dann wieder einer, ganz willkürlich, als fänden die Gesetze der Hydraulik und der Dynamik der Flüssigkeiten, die außerhalb dieses behelfsmäßigen Regenschirms noch immer galten, hier keine Anwendung. Cipriano Algor stellte den Teller mit dem Essen auf den Boden und ging drei Schritte zurück, aber der Hund verließ seinen Unterschlupf nicht, Es kann gar nicht sein, dass du keinen Hunger hast, sagte der Töpfer, aber vielleicht bist du ja ein Hund mit Selbstachtung, vielleicht willst du ja nicht, dass ich sehe, wie hungrig du bist. Er wartete noch eine 49
Minute, dann ging er zurück ins Haus, doch er machte die Tür nicht ganz zu. Durch den Türspalt konnte man kaum etwas erkennen, dennoch sah er einen schwarzen Schatten, der aus der Hundehütte herauskam und auf den Teller zuging, und er bemerkte auch, dass der Hund, denn es war ein Hund, kein Wolf und auch keine Katze, zunächst zum Haus herüberblickte und dann erst seinen Kopf zum Teller senkte, als dachte er, dass er diese Zuwendung jenem Wesen verdanke, das Wind und Wetter getrotzt hatte, um ihm den Hunger zu nehmen. Cipriano Algor zog schließlich die Tür ins Schloss und ging in die Küche, Er frisst, sagte er, Wenn er großen Hunger hatte, dann dürfte er jetzt schon fertig sein, antwortete Marta lächelnd. Bestimmt, lächelte der Vater zurück, wenn die Hunde von heute noch so sind wie die von früher. Das Abendessen war einfach, und kurze Zeit später stand es bereits auf dem Tisch. Als sie fertig gegessen hatten, sagte Marta, Wieder ein Tag ohne Nachricht von Marçal, ich verstehe nicht, weshalb er nicht anruft, ein Wort, ein einfaches Wort würde genügen, wir verlangen doch keine großen Reden von ihm, Vielleicht konnte er noch nicht mit dem Chef sprechen, Dann soll er uns wenigstens das sagen, Dort im Zentrum ist alles nicht so einfach, das weißt du doch auch, sagte der Töpfer, unerwartet versöhnlich. Die Tochter sah ihn überrascht an, mehr noch wegen des Tonfalls als wegen der Bedeutung seiner Worte, Es ist eigentlich nicht deine Art, Marçal zu entschuldigen oder zu verteidigen, sagte sie, Ich mag ihn, Du magst ihn vielleicht, aber du nimmst ihn nicht ernst, Wen ich nicht ernst nehmen kann, das ist der Wachmann, in den sich dieser freundliche und nette Junge, den ich kannte, verwandelt hat, Jetzt ist er ein freundlicher und netter Mann, und der Beruf des Wachmanns ist eine genauso würdevolle und ehrenhafte Art, seinen Lebensunterhalt zu verdienen wie jede andere, Nicht wie jede andere, Worin besteht der Unterschied, Der Unterschied besteht darin, dass dein Marçal, so wie wir ihn jetzt kennen, 50
durch und durch Wachmann ist, Wachmann von Kopf bis Fuß, und ich vermute, dass er sogar in seinem Herzen Wachmann ist, Vater, bitte, so kannst du nicht über den Mann deiner Tochter reden, Du hast Recht, entschuldige, heute sollte kein Tag für Tadel und Vorwürfe sein, Heute, weshalb, Weil ich auf den Friedhof gegangen bin, einer Nachbarin einen Wasserkrug geschenkt habe und wir einen Hund dort draußen haben, alles Ereignisse von großer Bedeutung, Was ist das mit dem Wasserkrug für eine Geschichte, Sie hat den Henkel abgebrochen und der Krug ist zerbrochen, Das kommt vor, nichts hält ewig, Aber sie hatte den Anstand zuzugeben, dass der Krug schon alt war, und daher dachte ich, dass ich ihr einen neuen schenken sollte, wir nehmen einfach an, der andere hätte einen Fabrikationsfehler gehabt, aber eigentlich braucht man gar nichts anzunehmen, schenken ist schenken und bedarf keiner Erklärungen, Wer ist die Nachbarin, Es ist Isaura Estudiosa, die, die vor ein paar Monaten verwitwet ist, Das ist eine junge Frau, Ich habe nicht die Absicht, wieder zu heiraten, wenn es das ist, was du meinst, Wenn ich es gemeint habe, dann war es mir nicht bewusst, aber vielleicht hätte ich es meinen sollen, dann würdest du hier wenigstens nicht allein bleiben, Vater, wenn du dich schon weigerst, mit uns ins Zentrum zu ziehen, Ich sage es noch einmal, ich habe nicht die Absicht zu heiraten, und schon gar nicht die erstbeste Frau, die mir über den Weg läuft, und was das andere betrifft, so möchte ich dich bitten, mir nicht die Nacht zu verderben, Das war nicht meine Absicht, entschuldige. Marta stand auf, räumte die Teller und das Besteck weg, faltete die Tischdecke und die Servietten zusammen, es irrt sich, wer glaubt, dass das Handwerk des Töpfers, auch wenn es sich, wie in diesem Fall, um eine grobe Arbeit handelt, auch wenn es, wie man bereits erraten haben dürfte, in einem kleinen, uninteressanten Dorf ausgeübt wird, nicht vereinbar sei mit feinen Manieren und gutem Geschmack, der doch eher die höheren Schichten 51
unserer heutigen Gesellschaft auszeichnet, jene, die die Einfachheit ihrer Ururgroßeltern und die Grobschlächtigkeit von deren Ururgroßeltern entweder vergessen oder nie gekannt haben. Diese Algors sind Leute, die schnell lernen, was man ihnen beibringt, und die das Gelernte später anzuwenden wissen, um noch mehr zu lernen, und Marta, die der letzten, wegen der vielen Entwicklungshilfe privilegierten Generation angehörte, hatte bereits den großen Vorzug genossen, in der Stadt zur Schule zu gehen, denn irgendeinen Vorteil müssen diese großen Ballungszentren schließlich gegenüber dem Dorf haben. Und wenn sie trotzdem Töpferin geworden ist, dann lag das an ihrer klaren und eindeutigen Berufung zum Modellieren, obwohl ihre Entscheidung auch dadurch beeinflusst wurde, dass es in der Familie keine Brüder gab, die die Familientradition hätten weiterführen können, ganz zu schweigen von dem dritten und hehren Grund, dass nämlich die starke Liebe zu ihren Eltern es ihr niemals erlaubt hätte, diese ihrem Schicksal und Gottes Händen zu überlassen, wenn sie einmal alt wären. Cipriano Algor hatte den Fernseher eingeschaltet, doch kurz darauf schaltete er ihn wieder aus. Wenn man ihn in diesem Augenblick fragen würde, was er zwischen dem Einschalten und dem Ausschalten gesehen und gehört hatte, wüsste er keine Antwort, doch würde die Frage anders gestellt, Woran denken Sie gerade, Sie wirken so zerstreut, dann gäbe er einfach keine Antwort. Er würde sagen, aber woher denn, er sei doch gar nicht zerstreut, nur um nicht seine kindischen Gedanken zugeben zu müssen, dass er sich nämlich Sorgen machte wegen des Hundes, ob dieser sich noch in der sicheren Hundehütte befände oder ob er, mit vollem Magen und frischer Energie, von dannen gezogen sei, auf der Suche nach besserem Fressen und einem Herrn, der an einem weniger den Stürmen und dem Nieselregen ausgesetzten Ort wohnte. Ich geh auf mein Zimmer, sagte Marta, ich habe ein paar Näharbeiten ständig aufgeschoben, aber heute muss es 52
sein, Ich bleibe auch nicht mehr lange auf, sagte der Vater, ich bin müde, ohne dass ich etwas getan habe, Du hast Ton geknetet, den Ofen inspiziert, hast wohl was getan, Du weißt genauso gut wie ich, dass man diesen Ton noch einmal kneten muss, und der Ofen hat gar keinen Maurer nötig gehabt, und noch viel weniger eine Amme, Die Tage sind alle gleich, nur die Stunden nicht, wenn der Tag zur Neige geht, sind immer vierundzwanzig Stunden um, selbst wenn sie nicht gefüllt waren, aber das ist weder bei deinen Stunden noch bei deinen Tagen der Fall, Marta, die Philosophin der Zeit, sagte der Vater und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. Die Tochter erwiderte die Zärtlichkeit und sagte lächelnd, Vergiss nicht, nach deinem Hund zu sehen, Noch ist es nur ein Hund, der hierher kam und fand, dass die Hundehütte ihm einen guten Schutz vor dem Regen bietet, vielleicht ist er ja krank oder verletzt, vielleicht steht auf dem Halsband auch die Telefonnummer von dem Menschen, den man anrufen muss, vielleicht gehört er jemandem aus dem Dorf, womöglich hat man ihn geschlagen und er ist abgehauen, und wenn es so war, dann ist er morgen früh nicht mehr da, du weißt, wie die Hunde sind, der Herr ist immer der Herr, selbst wenn er straft, also rede nicht so vorschnell von meinem Hund, ich habe ihn nicht einmal gesehen, weiß nicht, ob er mir gefällt, Du weißt, dass du willst, dass er dir gefällt, das ist auch schon was, Jetzt bist du auch noch Philosophin der Gefühle, sagte der Vater, Angenommen, der Hund bleibt, welchen Namen wirst du ihm geben, fragte Marta, Es ist noch zu früh, um darüber nachzudenken, Falls er morgen noch hier ist, müsste dieser Name das erste Wort sein, das er aus deinem Munde hört, Ich werde ihn nicht Constante nennen, denn das war der Name eines Hundes, der nicht zu seiner Besitzerin zurückkehren wird und der sie auch nicht mehr vorfinden würde, wenn er käme, vielleicht sollte ich ihn Perdido, Verloren, nennen, der Name passt gut zu ihm, Es gibt einen Namen, der noch besser passen würde, Welcher, Achado, 53
Gefunden, Achado ist kein Hundename, Perdido wäre auch keiner, Ja, das ist eigentlich eine gute Idee, er war verloren und wurde gefunden, das wird sein Name werden, Bis morgen, Vater, schlaf gut, Bis morgen, näh nicht so lange, denk an deine Augen. Nachdem die Tochter sich zurückgezogen hatte, öffnete Cipriano Algor die Tür, die nach draußen führte, und blickte in Richtung Maulbeerbaum. Die unermüdliche Wassermühle ließ es noch immer leise rieseln, und in der Hütte sah man kein Lebenszeichen. Ob er wohl noch dort ist, fragte sich der Töpfer. Er überzeugte sich selbst mit falschen Argumenten, um nicht nach ihm zu sehen, Das wäre ja noch schöner, dass ich wegen einem streunenden Hund nass werde, einmal hat mir gereicht. Er ging in sein Zimmer und legte sich hin, las noch eine halbe Stunde und schlief schließlich ein. Mitten in der Nacht wachte er auf, machte das Licht an, der Wecker auf dem Nachttisch zeigte halb fünf. Er stand auf, nahm die Taschenlampe, die er in einer Schublade aufbewahrte, und öffnete das Fenster. Es hatte aufgehört zu regnen, die Sterne waren am dunklen Himmel zu erkennen. Cipriano Algor knipste die Taschenlampe an und richtete den Lichtkegel auf die Hundehütte. Das Licht war nicht stark genug, als dass man hätte erkennen können, was sich darin befand, doch Cipriano Algor brauchte gar nicht so viel, ein zweifaches Aufblitzen würde ihm genügen, zwei Augen, und die waren da.
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SEIT CIPRIANO ALGOR mit der Hälfte der Ware nach Hause geschickt worden war, die er, wie hier in Klammern erwähnt sei, noch nicht einmal ausgeladen hat, verdient er plötzlich, von einem Tag auf den anderen, nicht mehr den Ruf des fleißigen Frühaufstehers, den er sich durch ein arbeitsames Leben mit nur wenig Urlaub erworben hat. Er steht auf, wenn die Sonne bereits am Himmel steht, wäscht und rasiert sich mit mehr Muße, als es für ein bartloses Gesicht und einen an Sauberkeit gewöhnten Körper nötig ist, frühstückt wenig, aber in aller Ruhe, und geht schließlich arbeiten, ohne dass man nach außen hin eine Veränderung an der wortkargen Stimmung, mit der er aufgestanden ist, feststellen kann. Heute jedoch, nachdem er gegen Ende der Nacht von einem Tiger geträumt hatte, der ihm aus der Hand fraß, schlüpfte er aus seinen Decken, als die Sonne noch kaum begonnen hatte, den Himmel einzufärben. Er öffnete nicht das Fenster, sondern lugte nur durch den inneren Fensterladen, um nachzusehen, wie das Wetter werden würde, das dachte er zumindest, oder wollte er denken, dass er es gedacht hätte, aber eigentlich war dies nicht seine Gewohnheit, denn dieser Mann hat schon mehr als genug gelebt, um zu wissen, dass das Wetter immer da ist, mit Sonne, so wie es heute aussieht, mit Regen, wie es gestern der Fall war, in Wirklichkeit wollen wir, wenn wir das Fenster öffnen und die Nase hinausstrecken, nur nachprüfen, ob das Wetter so ist, wie wir es uns erhofft haben. Was Cipriano Algor wollte, als er nach draußen spähte, war, ohne weitere Umschweife seiner- oder andererseits, zu erfahren, ob der Hund noch immer darauf wartete, dass man ihm einen anderen Namen gäbe, oder ob er sich, müde und enttäuscht von der Warterei, aufgemacht hatte, um einen fürsorglicheren Herrn zu suchen. Man sah nur seine Schnauze, die auf den gekreuzten Vorderpfoten ruhte, und die anliegenden Ohren, doch es gab 55
keinen Grund zu der Befürchtung, dass der Rest des Körpers nicht ebenfalls in der Hundehütte geblieben wäre. Er ist schwarz, sagte Cipriano Algor. Als er ihm das Essen gebracht hatte, war es ihm bereits so vorgekommen, als hätte das Tier diese Farbe oder auch Nicht-Farbe, wie mit Sicherheit jemand einwenden wird, aber das war nachts gewesen, und wenn nachts sogar die weißen Katzen grau sind, so kann man das Gleiche, oder einen Ton dunkler, auch von einem Hund sagen, den man erstmals unter einem schwarzen Maulbeerbaum sah, als ein feiner nächtlicher Regen die Trennungslinie zwischen den Lebewesen und den Dingen auflöste und sie, die Lebewesen, den Dingen annäherte, in die sie sich früher oder später verwandeln würden. Der Hund ist nicht richtig schwarz, nur die Schnauze und die Ohren sind es annähernd, der Rest wirkt eher grau, mit dunklen Flecken, die bis ins Tiefschwarze gehen. Einem vierundsechzigjährigen Töpfer mit den typischen, altersbedingten Augenproblemen, der wegen der Hitze im Ofen keine Brille mehr trägt, kann man es nicht verdenken, dass er gesagt hat, Er ist schwarz, zumal es beim letzten Mal Nacht war und geregnet hat und diesmal die Entfernung und das morgendliche Dämmerlicht alles verschwimmen lassen. Wenn Cipriano Algor sich endlich dem Hund nähert, wird er erkennen, dass er nie mehr wiederholen kann, Er ist schwarz, doch dass er auch eindeutig gegen die Wahrheit verstößt, wenn er behauptet, Er ist grau, vor allem dann, wenn er entdeckt, dass sich ein schmaler weißer Streifen, wie eine kleine Krawatte, über die Brust des Tieres zum Bauch hinabzieht. Da erklang Martas Stimme hinter der Schlafzimmertür, Vater, wach auf, der Hund wartet auf dich, Ich bin schon wach, ich komme gleich, antwortete Cipriano Algor, doch gleich darauf bereute er, dass ihm die letzten drei Worte herausgerutscht waren, es war kindisch, fast lächerlich, ein Mann in seinem Alter, der sich wie ein Kind begeisterte, dem man das erträumte Spielzeug mitgebracht hatte, wo wir 56
doch alle ganz genau wissen, dass an Orten wie diesem ein Hund vor allem dann geschätzt wird, wenn er seinen praktischen Nutzen beweist, eine Eigenschaft, die das Spielzeug nicht nötig hat, und was die Träume und deren Erfüllung betrifft, so würde da ein Hund, von dem man in dieser Nacht noch geträumt hat, er sei ein Tiger, nicht ausreichen. Trotz des Tadels, mit dem er sich selbst bedacht hatte, verlor Cipriano Algor diesmal keine Zeit mit Sauberkeits- und Schönheitspflege, er kleidete sich rasch an und verließ sein Zimmer. Marta fragte ihn, Soll ich ihm was zu fressen herrichten, Später, jetzt würde ihn das Essen nur ablenken, Dann geh, geh die Bestie bändigen, Er ist keine Bestie, der arme Kerl, ich habe ihn vom Fenster aus beobachtet, Ich habe ihn auch gesehen, Was meinst du zu ihm, Ich glaube nicht, dass er jemandem von hier gehört, Es gibt Hunde, die ihren Hof nie verlassen, die dort leben und sterben, es sei denn, sie werden aufs Feld gebracht und an einem Baum erhängt oder mit einer Ladung Blei in den Kopf niedergestreckt, So was zu hören ist keine schöne Art, den Tag zu beginnen, Das stimmt, dann beginnen wir ihn also auf weniger menschliche, aber dafür mitfühlendere Art, sagte Cipriano Algor und trat auf den Hof hinaus. Die Tochter folgte ihm nicht, sie blieb in der Tür stehen und sah ihm nach, Das ist sein Fest, dachte sie. Der Töpfer tat ein paar Schritte und rief mit klarer, fester Stimme, ohne diese jedoch allzu sehr zu verändern, den ausgewählten Namen, Achado. Der Hund hatte bereits den Kopf gehoben, als er ihn kommen sah, und nun, da er endlich den Namen hörte, auf den er gewartet hatte, kam er mit seinem ganzen Körper aus der Hütte heraus, es war kein großer und auch kein kleiner Hund, ein junges, schlankes Tier, mit lockigem Fell, und er war tatsächlich grau, mit einem Stich ins Schwarze und einem schmalen weißen Streifen, der seine Brust wie eine Krawatte teilte. Achado, wiederholte der Töpfer und wagte sich noch zwei Schritte vor, Achado, komm her. Der 57
Hund blieb, wo er war, hielt seinen Kopf erhoben und begann langsam mit dem Schwanz zu wedeln. Da hockte sich der Töpfer hin, um auf einer Höhe mit dem Tier zu sein, und sagte noch einmal, diesmal in einem bittenden, eindringlichen Tonfall, als drücke er ein persönliches Bedürfnis aus, Achado. Der Hund tat einen Schritt vorwärts, noch einen Schritt, und noch einen, ohne anzuhalten, bis er den Arm jenes Menschen erreicht hatte, der ihn rief. Cipriano Algor streckte seine rechte Hand aus, berührte fast die Nase des Hundes und wartete. Dieser schnüffelte ein paar Mal, dann reckte er seinen Hals nach vorn, und seine kalte Nase berührte die Spitzen jener Finger, die ihn spüren wollten. Die Hand des Töpfers tastete sich langsam zu dem Ohr auf seiner Seite vor und streichelte es. Der Hund tat den letzten, noch fehlenden Schritt, Achado, Achado, sagte Cipriano Algor, ich weiß nicht, was für einen Namen du vorher hattest, aber von heute an heißt du Achado. Da erst bemerkte er, dass das Tier kein Halsband trug und dass sein Fell nicht nur grau, sondern auch verdreckt und voller Pflanzenrückstände war, vor allem an den Beinen und am Bauch, ein untrügliches Zeichen dafür, dass er Felder und Wiesen durchquert hatte und nicht bequem auf der Straße gewandert war. Marta war näher gekommen, sie brachte einen Teller mit etwas Essen für den Hund, nichts Großartiges, nur um die erste Begegnung zu besiegeln und die Taufe zu begehen, Gib du es ihm, sagte der Vater, aber sie antwortete, Nein, gib es du, ich werde noch genug Gelegenheiten haben, ihn zu füttern. Cipriano Algor stellte den Teller auf den Boden, dann erhob er sich mühsam vom Boden, O weh, meine Knie, was gäbe ich dafür, wenn ich wenigstens noch die vom letzten Jahr hätte, Macht das so einen Unterschied, fragte die Tochter, In meinem Alter macht sogar ein Tag einen Unterschied, wichtig ist nur, dass man manchmal so tut, als ginge es einem besser. Der Hund Achado, denn nun, da er einen Namen hat, sollten wir auch keinen anderen mehr verwenden, weder Hund, 58
was wir aus alter Gewohnheit soeben noch getan haben, oder Tier, was für alles passt, das nicht zur Welt der Mineralien oder Pflanzen gehört, doch das eine oder andere Mal werden wir wohl auf diese Varianten zurückgreifen müssen, um lästige Wiederholungen zu vermeiden, was auch der einzige Grund dafür ist, dass wir statt Cipriano Algor der Töpfer oder auch der Mann, der Alte oder der Vater von Marta geschrieben haben. Nun, wie wir gerade erzählen wollten, der Hund Achado hob also, nachdem er das Essen auf dem Teller mit zwei hastigen Bissen vertilgt hatte, wodurch deutlich wurde, dass er den Hunger von gestern als noch nicht ausreichend gestillt betrachtete, den Kopf, als wartete er auf die nächste Portion, so zumindest interpretierte Marta seinen Blick, und deshalb sagte sie zu ihm, Hab Geduld, das Mittagessen gibt es erst später, vorerst musst du dich mit dem begnügen, was du im Magen hast, doch sie hatte vorschnell geurteilt, was beim menschlichen Gehirn bekanntlich öfter vorkommt, denn trotz des noch vorhandenen Appetits, den er auch nie geleugnet hätte, war es nicht das Essen, das Achado in diesem Augenblick Sorgen machte, vielmehr wollte er, dass man ihm sagte, was er als Nächstes zu tun hätte. Er hatte Durst, und diesen hätte er natürlich an irgendeiner der vielen Wasserlachen stillen können, die der Regen um das Haus herum hatte entstehen lassen, doch es hielt ihn etwas davon ab, das wir, ginge es hier um menschliche Gefühle, ohne zu zögern Skrupel oder gute Manieren nennen würden. Wenn sie ihm das Essen auf einen Teller gelegt hatten, wenn es ihnen nicht recht gewesen war, dass er es einfach vom dreckigen Boden fraß, dann sollte das Wasser doch bestimmt auch aus einem geeigneten Gefäß getrunken werden. Er hat bestimmt Durst, sagte Marta, Hunde brauchen viel Wasser, Hier gibt es doch genug Pfützen, antwortete der Vater, er trinkt nichts, weil er nicht will, Wenn wir ihn behalten, dann nicht, damit er Wasser aus den Pfützen trinkt, als hätte er keine Bleibe und kein 59
Zuhause, Pflichten sind Pflichten. Während Cipriano Algor damit beschäftigt war, zusammenhanglose Sätze ohne erkennbaren Sinn von sich zu geben, die einzig dazu dienen sollten, den Hund an den Klang seiner Stimme zu gewöhnen, und in denen absichtlich und mit der Hartnäckigkeit eines Schlagwortes immer wieder das Wort Achado vorkam, brachte Marta einen großen tönernen Napf, der mit klarem Wasser gefüllt war, und stellte ihn neben die Hundehütte. Auch wenn wir skeptische Reaktionen herausfordern, die angesichts der unzähligen schriftlichen und mündlichen Berichte über außergewöhnliche Hunde und ihre Wundertaten mehr als gerechtfertigt sind, muss dennoch gesagt werden, dass Achado seine neuen Besitzer ein weiteres Mal überraschte, indem er dort sitzen blieb, wo er war, Auge in Auge mit Cipriano Algor, und allem Anschein nach darauf wartete, dass dieser zu Ende führte, was er ihm zu sagen hatte. Erst als der Töpfer verstummte und ihm ein Zeichen gab, als wolle er ihn verabschieden, machte der Hund kehrt und ging das Wasser trinken. Ich habe noch nie einen Hund gesehen, der sich so verhält, bemerkte Marta. Das Schlimmste wird hinterher sein, wenn mir jemand von hier sagt, der Hund gehöre ihm, antwortete der Vater, Ich glaube nicht, dass das passiert, ich könnte sogar schwören, dass Achado nicht aus dieser Gegend stammt, Hirtenhunde und Wachhunde verhalten sich anders als dieser Hund, Nach dem Frühstück fahre ich ein bisschen herum und höre mich um, Dann kannst du ja gleich den Wasserkrug für unsere Nachbarin Isaura mitnehmen, sagte Marta, ohne sich die Mühe zu machen, ihr Lächeln zu verbergen, Daran habe ich auch schon gedacht, was hat mein Großvater immer gesagt, Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen, antwortete Cipriano Algor, während er in eine andere Richtung blickte. Achado hatte sein Wasser ausgetrunken, und da keiner der beiden ihm Beachtung schenken wollte, beschloss er, sich vor den Eingang der Hundehütte zu legen, 60
dorthin, wo der Boden nicht so nass war. Nach dem Frühstück suchte Cipriano Algor in dem Lager für die fertige Ware einen Wasserkrug aus, verstaute ihn sorgsam in seinem Lieferwagen zwischen den Kisten mit den Tellern, damit er nicht wegrollen konnte, dann setzte er sich ans Steuer und startete den Motor. Achado hob den Kopf, offensichtlich wusste er, dass ein solches Geräusch stets ein Sich-Entfernen, gefolgt von einem Verschwinden bedeutete, doch die Erfahrungen aus seinem früheren Leben müssen ihn daran erinnert haben, dass es, zumindest manchmal, eine wirkungsvolle Methode gibt, dieses Unheil abzuwenden. Er richtete sich in voller Größe auf seinen langen Beinen auf, wedelte heftig mit dem Schwanz, als schwinge er eine Peitsche, und zum ersten Mal, seit er hier um Asyl angefragt hatte, bellte Achado. Cipriano Algor lenkte den Lieferwagen langsam in Richtung des schwarzen Maulbeerbaumes und hielt in der Nähe der Hundehütte an. Er glaubte verstanden zu haben, was Achado wollte. Er machte die Beifahrertür auf und ließ sie offen stehen, doch noch ehe er Zeit fand, den Hund zu einem Ausflug einzuladen, saß dieser bereits im Wagen. Cipriano Algor hatte nicht daran gedacht, den Hund mitzunehmen, hatte lediglich beabsichtigt, von Bewohner zu Bewohner zu fahren, um zu fragen, ob sie einen Hund so und so kannten, mit jenem Fell und jener Figur, mit dieser Krawatte und diesen Eigenschaften, und während dieser Beschreibung hätte er alle Heiligen im Himmel und alle Dämonen auf Erden angefleht, damit sie bitte, bitte, im Guten wie im Bösen, den Befragten zu der Antwort veranlassten, er hätte nie im Leben solch ein Tier besessen oder davon gehört. Mit dem Hund im Lieferwagen könnte er sich die ewigen Beschreibungen ersparen, müsste nur fragen, ist das Ihr Hund, oder dein Hund, je nach dem Vertrautheitsgrad mit dem Gesprächspartner, und würde als Antwort ein Nein oder Ja erhalten, in ersterem Fall würde er unverzüglich zum nächsten Nachbarn weitergehen, 61
um keine Gelegenheit für Meinungsänderungen zu bieten, im zweiten Fall würde er aufmerksam Achados Reaktionen beobachten, denn Achado war kein Hund, der sich fälschlicherweise aufgrund von irgendwelchen lügnerischen Ansprüchen eines vermeintlichen Besitzers mitnehmen ließe. Marta, die, als sie den Motorlärm hörte, mit tonverschmierten Händen an der Tür der Töpferei erschienen war, wollte wissen, ob der Hund mitfuhr. Der Vater antwortet ihr, Ja, er fährt mit, und eine Minute später war das Gelände so verlassen und Marta so allein, als wäre es für beide das erste Mal. Bevor er in die Straße bog, in der Isaura Estudiosa wohnte, die einen Nachnamen hat, dessen Bedeutung und Ursprung wie bei Gacho und Algor nicht bekannt sind, klopfte der Töpfer bei zwölf Dorfbewohnern an und erhielt zu seiner Freude stets dieselbe Antwort, Meiner ist das nicht, Ich habe keine Ahnung, wem er gehören könnte. Der Frau eines Händlers gefiel Achado so gut, dass sie sogar ein großzügiges Kaufangebot machte, das Cipriano Algor zunächst ablehnte, und in drei Häusern, wo niemand aufmachte, hörte man das energische Bellen der Wachhunde, was den Töpfer zu der gewagten Schlussfolgerung verleitete, dass Achado nicht von dort stammen konnte, als stünde in einem universellen Gesetz über Haustiere geschrieben, dass, wer bereits einen Hund besitzt, keinen weiteren haben darf. Schließlich hielt Cipriano Algor den Lieferwagen vor der Tür der trauernden Frau an, klingelte, und als sie, bekleidet mit ihrer schwarzen Bluse und dem schwarzen Rock, erschien, begrüßte er sie mit weitaus lauterer Stimme als angebracht, Schuld an diesem plötzlichen stimmlichen Missklang war Marta, weil sie diese unsinnige Idee einer Heirat zwischen zwei betagten Witwern aufgebracht hatte, eine Bezeichnung, die übrigens strengen Tadel verdient, wie hier vorweggenommen sei, zumindest was Isaura Estudiosa betrifft, die nicht älter als fünfundvierzig sein dürfte, und wenn für die genaue Angabe noch ein paar Jahre 62
hinzugefügt werden müssen, dann sieht man ihr diese wirklich nicht an. Ach, guten Morgen, Senhor Cipriano, sagte sie, Ich komme, mein Versprechen einzulösen und bringe Ihnen Ihren Krug, Vielen Dank, aber das wäre wirklich nicht nötig gewesen, nach unserem gestrigen Gespräch auf dem Friedhof habe ich mir überlegt, dass es wirklich keinen großen Unterschied gibt zwischen den Dingen und den Menschen, sie haben ihr Leben, halten eine Weile und gehen schnell wieder kaputt, so wie alles im Leben, Dennoch, ein Wasserkrug kann zwar einen anderen Krug ersetzen, ohne dass wir in diesem Fall an mehr denken müssen, als die Scherben des alten wegzuwerfen und den neuen mit Wasser zu füllen, aber bei den Menschen ist das anders, es ist, als ob bei der Geburt eines jeden Menschen die Form, aus der er schlüpft, entzweibricht, deshalb wiederholen sich die Menschen auch nicht, Die Menschen entschlüpfen zwar keiner Form, aber ich glaube, ich verstehe, was Sie meinen, Es war nur das Gerede eines Töpfers, nehmen Sie es nicht ernst, hier haben Sie ihn, und hoffentlich bricht bei diesem der Henkel nicht so schnell ab. Die Frau streckte ihm beide Hände entgegen, um den Bauch des Kruges zu umfassen, drückte ihn gegen ihre Brust und bedankte sich erneut, Vielen Dank, Senhor Cipriano, und in diesem Augenblick sah sie den Hund im Lieferwagen, Dieser Hund, sagte sie. Cipriano Algor bekam einen gehörigen Schrecken, die Möglichkeit, dass ausgerechnet Isaura Estudiosa die Besitzerin von Achado sein könnte, war ihm gar nicht in den Sinn gekommen, und nun hatte sie gesagt, Dieser Hund, als hätte sie ihn wieder erkannt, mit einem Ausdruck der Überraschung, wie bei jemandem, der endlich das gefunden hat, nach dem er gesucht hat, man stelle sich vor, mit wie wenig Lust Cipriano Algor fragte, Ist es Ihrer, man stelle sich auch die Erleichterung vor, mit der er die Antwort vernahm, Nein, es ist nicht meiner, aber ich habe ihn vor zwei oder drei Tagen hier herumstreunen sehen, habe ihn sogar gerufen, aber 63
er tat so, als hätte er mich nicht gehört, es ist ein schönes Tier, Als ich gestern vom Friedhof nach Hause kam, habe ich ihn entdeckt, er war kaum zu sehen in der Hundehütte unter dem Maulbeerbaum, die noch von einem anderen Hund stammt, den wir mal hatten, von Constante, es war schon dunkel, nur seine Augen leuchteten. Er hat einen geeigneten Herrn gesucht, Ich weiß nicht, ob ich der geeignete Herr für ihn bin, vielleicht gibt es ihn ja bereits, das versuche ich gerade herauszubekommen, Wo, hier, fragte Isaura Estudiosa, und ohne die Antwort abzuwarten, fügte sie hinzu, An Ihrer Stelle würde ich mir nicht die Mühe machen, dieser Hund ist nicht von hier, er kam von weither, von einem anderen Ort, aus einer anderen Welt, Warum sagen Sie aus einer anderen Welt, Ich weiß nicht, vielleicht, weil er mir so anders vorkommt als die heutigen Hunde, Sie haben ihn doch kaum gesehen, Was ich gesehen habe, war genug, und es war so viel, dass ich mich anbiete, ihn zu nehmen, falls Sie ihn nicht wollen, Wenn es ein anderer Hund wäre, würde ich ihn Ihnen ja gern geben, aber bei dem hier haben wir bereits beschlossen, ihn zu behalten, falls sich kein Besitzer findet, versteht sich, Dann haben Sie ihn wirklich gern, Wir haben ihm sogar schon einen Namen gegeben, Wie heißt er denn, Achado, Für einen verloren gegangenen Hund ist das der passende Name, Das hat meine Tochter auch gesagt, Nun, wenn Sie ihn für sich wollen, dann suchen Sie nicht weiter, Ich bin verpflichtet, ihn seinem Besitzer zurückzugeben, ich selbst fände es auch gut, wenn man mir meinen verloren gegangenen Hund zurückbringen würde, Wenn Sie es tun, dann verstoßen Sie gegen den Willen des Tieres, denken Sie daran, er wollte sich eine neue Bleibe suchen, So gesehen, muss ich Ihnen Recht geben, aber das Gesetz verlangt es, der Anstand, Denken Sie nicht an Gesetz und Anstand, Senhor Cipriano, nehmen Sie sich das, was Ihnen bereits gehört, Das ist zu viel des Vertrauens, Manchmal muss man das Vertrauen ein wenig ausnutzen, Meinen Sie wirklich, 64
Ja, das meine ich, Es war schön, mit Ihnen zu reden, Für mich auch, Senhor Cipriano, Bis zum nächsten Mal, Bis zum nächsten Mal. Den Krug an die Brust gepresst, sah Isaura Estudiosa von ihrer Tür aus dem Lieferwagen nach, der wendete, um auf demselben Weg, auf dem er gekommen war, wieder zurückzufahren, sie sah den Hund und den Mann, der den Wagen lenkte, der Mann winkte ihr mit der linken Hand zum Abschied zu, der Hund dachte bestimmt schon an sein Zuhause und an den schwarzen Maulbeerbaum, der für ihn eine Art Himmel war. So kehrte der Töpfer viel früher als geplant in die Töpferei zurück. Der Ratschlag der Nachbarin Isaura Estudiosa oder, der Kürze halber, einfach nur Isaura, war klug gewesen, vernünftig, genau das Richtige für diese Situation, und auf das allgemeine Funktionieren der Welt angewandt, könnte man ihn problemlos in ein Ordnungssystem der Dinge einbeziehen, dem nur wenig fehlt, um als perfekt zu gelten. Das Verwunderliche an der Sache war jedoch, dass sie ihn mit der größten Selbstverständlichkeit ausgesprochen hatte, ohne ihren Kopf anstrengen zu müssen, wie jemand, der, um zu sagen, dass zwei und zwei vier ist, nicht erst umständlich im Kopf zwei und eins und dann drei und eins zusammenrechnen muss, Isaura hat Recht, in erster Linie muss ich den Wunsch des Hundes respektieren, und den Willen, der ihn in die Tat umgesetzt hat. Wer immer der Besitzer ist, oder, um es richtig zu sagen, wer immer es gewesen ist, er wird nicht mehr das Recht auf seiner Seite haben, die Forderung zu erheben, Dieser Hund gehört mir, wo doch aller Anschein und Augenschein beweisen, dass Achado, verfügte er über die menschliche Gabe des Sprechens, nur eine Antwort für ihn hätte, Ich will diesen Herrn nicht. Tausendmal gesegnet sei daher der zerbrochene Krug, gesegnet die Idee, der Frau in Trauer einen neuen Krug zu schenken, und, um vorwegzunehmen, was später kommen wird, gesegnet sei die Begegnung an jenem regnerischen und 65
trüben Nachmittag, der nur Nässe verströmte, nur Trostlosigkeit, im materiellen wie im spirituellen Sinne, und von dem man ganz genau weiß, dass eine solche Wetterlage, außer in den Ausnahmefällen, die auf einen kürzlich erfolgten Todesfall zurückzuführen sind, die Trauernden nicht veranlasst, auf den Friedhof zu gehen und die Toten zu beklagen. Es besteht kein Zweifel, der Hund Achado hat das Glück auf seiner Seite, er kann dort bleiben, wo er bleiben wollte, und zwar so lange er will. Und es gibt noch einen anderen Grund, der Cipriano Algors Erleichterung und Zufriedenheit verstärkt, dass er nämlich nicht bei Marçals Eltern anklopfen muss, die ebenfalls in dem Dorf wohnen und zu denen er nicht das beste Verhältnis hat, und das zwangsläufig noch schlechter würde, ginge er an ihrer Haustür vorbei, ohne sie zu begrüßen. Im Übrigen ist er überzeugt davon, dass Achado ihnen nicht gehört, denn die Gachos haben, seit er sie kennt, immer schon eine Vorliebe für Doggen und andere scharfe Hunde gehabt. Der Vormittag ist gut gelaufen für uns, sagte Cipriano Algor zu dem Hund. Wenige Minuten später waren sie zu Hause. Als der Lieferwagen geparkt war, sah Achado seinen Herrn aufmerksam an, er begriff, dass er vorerst aus seiner Pflicht als Beifahrer entlassen war, und trollte sich, er ging jedoch nicht in Richtung Hütte, sondern machte eher den Eindruck, als hätte er gerade beschlossen, dass es nun an der Zeit sei, das Terrain zu erkunden. Ob ich ihn besser an die Kette lege, fragte sich der Töpfer beunruhigt, doch dann, als er das Verhalten des Hundes beobachtete, der schnüffelte und hier und dort sein Revier mit Urin markierte, dachte er, Nein, ich glaube, es ist nicht nötig, ihn an die Leine zu legen, wenn er gewollt hätte, wäre er längst abgehauen. Er ging ins Haus und hörte die Stimme seiner Tochter, die gerade telefonierte, Warte, warte, Vater ist gerade gekommen. Cipriano Algor ergriff den Hörer, und ohne jegliche Einleitung fragte er, Gibt es was Neues, Am anderen 66
Ende der Leitung reagierte Marçal Gacho, als hielte er dies nicht für die richtige Art, ein Gespräch zwischen zwei Menschen, Schwiegervater und Schwiegersohn, zu beginnen, die eine gute Woche lang nichts voneinander gehört hatten, daher begrüßte er ihn betont ruhig, fragte, Wie geht es dir, Vater, worauf dieser den Gruß erwiderte, jedoch sehr reserviert, und ohne eine Pause oder eine andere Art von Überleitung sagte, Ich habe gewartet, eine ganze Woche lang gewartet, ich möchte wirklich wissen, wie es dir ginge, wenn du in meiner Situation wärst, Entschuldige, aber ich konnte erst heute früh mit dem Abteilungsleiter sprechen, erklärte Marçal und versuchte nicht mehr, seinem Schwiegervater, wenn auch nur indirekt, zu verstehen zu geben, dass dieser ihn mit unverdienter Schroffheit behandelte, Und was hat er gesagt, Dass sie noch nichts entschieden haben, aber dass du kein Einzelfall bist, Ware, die einmal interessant war und dann plötzlich uninteressant wird, ist eine fast tägliche Routine im Zentrum, das waren seine Worte, eine fast tägliche Routine, Und du, was hattest du für einen Eindruck, Was ich für einen Eindruck hatte, Ja, wie war der Ton, der Blick, meinst du, er war uns wohl gesonnen, Du dürftest aus eigener Erfahrung wissen, dass sie immer den Eindruck erwecken, als würden sie an etwas ganz anderes denken, Ja, das stimmt, Und wenn ich ganz offen meine Meinung sagen darf, dann glaube ich, dass sie dir keine Keramik mehr abnehmen werden, für die ist das alles ganz einfach, entweder das Produkt interessiert oder es interessiert nicht, alles andere ist egal, für sie gibt es nichts dazwischen, Und für mich, für uns, ist es für uns auch einfach, ist es auch egal, gibt es auch nichts dazwischen, fragte Cipriano Algor, Ich habe getan, was mir möglich war, aber ich bin nur ein einfacher Wachmann, Du hättest nicht viel mehr machen können, sagte der Töpfer mit einer Stimme, die beim letzten Wort versagte. Marçal Gacho verspürte Mitleid mit seinem Schwiegervater, als er die Veränderung in dessen Stimme 67
bemerkte, und versuchte, die düstere Prognose abzumildern, Auf jeden Fall ist noch nicht alles verloren, er hat nur gesagt, dass sie die Angelegenheit gerade prüfen, bis dahin müssen wir uns die Hoffnung bewahren, Ich bin nicht mehr in dem Alter für Hoffnungen, Marçal, ich brauche Gewissheiten, und zwar sofortige, die nicht auf ein Morgen warten, das vielleicht nicht mehr meines ist, Ich verstehe dich, Vater, das Leben ist ein stetiges Auf und Ab, alles ist im Wandel, aber verzweifle nicht, du hast doch uns, Marta und mich, egal ob mit Töpferei oder ohne. Es war leicht ersichtlich, worauf Marçal mit seinen Worten über die Familiensolidarität hinauswollte, seiner Meinung nach würden sich alle Probleme, die jetzigen wie die zukünftigen, an dem Tag lösen, an dem die drei ins Zentrum zögen. Bei anderer Gelegenheit und in anderer Gemütsverfassung hätte Cipriano Algor gewiss mit Schroffheit reagiert, doch heute, vielleicht, weil die Resignation ihn mit ihren melancholischen Flügeln gestreift hatte, oder weil der Hund Achado ihnen erhalten geblieben war, oder, wer weiß, vielleicht auch wegen einer kurzen Unterhaltung zwischen zwei Menschen, die objektiv nur ein Wasserkrug trennte, sprach der Töpfer in sanftem Ton, Am Donnerstag hole ich dich zur gewohnten Zeit ab, falls du bis dahin irgendetwas hörst, ruf an, und ohne Marçal Zeit zum Antworten zu lassen, beendete er das Gespräch, Ich geb dir jetzt deine Frau. Marta wechselte noch ein paar Worte mit ihm, sagte, Wir werden sehen, wie das alles ausgeht, dann verabschiedete sie sich bis Donnerstag und legte auf. Cipriano Algor war bereits hinausgegangen, mit gesenktem Kopf saß er in der Töpferei an einer der Drehscheiben. Es war die Stelle, an der ein plötzlicher Herzstillstand das Leben von Justa Isasca beendet hatte. Marta setzte sich auf den Hocker an der anderen Scheibe und wartete. Nach einer langen Minute sah der Vater sie an, dann wandte er den Blick wieder ab. Marta sagte, Du warst nicht lang im Dorf unterwegs, Das stimmt, Hast du in allen Häusern nachgefragt, 68
ob sie den Hund kennen, ob er jemandem gehört, Ich habe in einigen nachgefragt, dann fand ich, dass es sich nicht lohnt weiterzumachen, Warum, Ist das hier ein Verhör, Nein, Vater, es ist nur ein Versuch, dich auf andere Gedanken zu bringen, es tut mir so weh, wenn du traurig bist, Ich bin nicht traurig, Dann eben entmutigt, Ich bin auch nicht entmutigt, Na schön, was immer du bist, erzähl mir jetzt, warum du gemeint hast, es lohne sich nicht weiterzufragen, Ich dachte mir, wenn der Hund im Dorf einen Herrn hatte und vor ihm geflüchtet ist und nicht zurückgekehrt ist, obwohl er hätte zurückkehren können, dann war es deswegen, weil er frei sein wollte, um sich einen anderen zu suchen, und dass ich daher nicht das Recht habe, ihn gegen seinen Willen zu etwas zu zwingen, Wenn man es so sieht, hast du Recht, Das habe ich auch gesagt, mit genau denselben Worten, Zu wem hast du das gesagt. Cipriano Algor antwortete nicht. Schließlich, da die Tochter nur dasaß und ihn ruhig ansah, antwortete er doch, Zu unserer Nachbarin, Zu welcher, Zu der mit dem Krug, Ach ja, du hast ihr ja den Krug gebracht, Wenn ich ihn in den Lieferwagen gepackt habe, dann war es genau deswegen, Natürlich, Ja, Also, wenn ich das richtig verstehe, dann war sie es, die dir erklärt hat, warum es sich nicht lohnt, sich auf die Suche nach Achados Besitzer zu machen, Ja, es war sie, Sie ist ohne Zweifel eine intelligente Frau, Sieht so aus, Und den Krug hat sie angenommen, Findest du das schlimm, Nicht böse werden, Vater, wir unterhalten uns doch nur, wieso sollte ich eine so einfache Sache wie das Verschenken eines Krugs schlimm finden, Ja, aber es gibt schwerwiegendere Dinge in unserem Leben, und du tust jetzt so, als liefe in unserem Leben alles wie geschmiert, Genau darüber will ich mit dir reden, Dann verstehe ich nicht, wozu die ganzen Umschweife nötig waren, Weil ich mit dir reden möchte, als wärst du nicht mein Vater, ich möchte so tun, als seien wir einfach zwei Menschen, die sich sehr mögen, Vater und Tochter, die sich lieben, weil sie Vater und Tochter sind, 69
die aber auch eine freundschaftliche Liebe füreinander empfinden würden, wenn sie dies nicht wären, Du bringst mich gleich zum Weinen, und in diesem Alter sind die Tränen trügerisch, das sage ich dir, Du weißt, dass ich alles tun würde, um dich glücklich zu sehen, Aber du versuchst mich dazu zu bringen, ins Zentrum zu ziehen, obwohl du weißt, dass dies das Schlimmste ist, was mir passieren kann, Ich dachte, das Schlimmste, was dir passieren kann, ist von deiner Tochter getrennt zu werden, Das ist nicht fair, vielleicht solltest du dich bei mir entschuldigen, Ja, das tue ich, es war wirklich nicht fair, verzeih mir. Marta stand auf und umarmte ihren Vater, Verzeih mir, wiederholte sie, Ist schon gut, antwortete der Töpfer, Wären wir weniger unglücklich, würden wir nicht so miteinander reden. Marta stellte ihren Hocker neben den des Vaters, setzte sich, nahm seine Hand und begann zu reden, Ich habe mir etwas überlegt, als du mit dem Hund herumgefahren bist, Erzähl, Lass uns die Sache mit dem Zentrum erst einmal ruhen lassen, ich meine deine Entscheidung, ob du mit uns kommst oder nicht, Gute Idee, Das ist nichts, was morgen schon ansteht, und auch nicht nächsten Monat, wenn es so weit ist, wirst du dich entscheiden, ob du mitgehst oder nicht, dein Leben gehört dir, Danke, dass du mich endlich wieder atmen lässt, Das tue ich nicht, Was gibt es denn noch, Nachdem du weg warst, wollte ich hier arbeiten, zuerst hatte ich das Lager überprüft und dabei festgestellt, dass wir keine kleinen Blumenvasen mehr haben, daher wollte ich ein paar machen, als mir plötzlich, als ich den Ton bereits auf der Scheibe hatte, klar wurde, wie absurd es doch ist, diese Arbeit so blindlings weiterzumachen, Warum blindlings, Weil niemand bei mir kleine oder große Blumenvasen bestellt hat, weil niemand ungeduldig darauf wartet, dass ich sie fertig stelle und dann gleich herbeieilt, um sie zu kaufen, und wenn ich Blumenvasen sage, dann meine ich jedes der Produkte, die wir herstellen, große und kleine, nützliche und nutzlose, Ich verstehe, aber 70
trotzdem müssen wir vorbereitet sein, Vorbereitet auf was, Darauf, dass die Aufträge eingehen, Und was machen wir, solange die Aufträge nicht eingehen, was machen wir, wenn das Zentrum uns nichts mehr abnimmt, wie sollen wir leben, und wovon, sollen wir darauf warten, dass die Pflaumen reifen und Achado es schafft, irgendein krankes Kaninchen zu jagen, Du und Marçal, ihr werdet dieses Problem nicht haben, Vater, wir haben ausgemacht, dass wir nicht über das Zentrum reden, In Ordnung, mach weiter, Also gut, nehmen wir an, irgendein Wunder bringt das Zentrum dazu, es sich anders zu überlegen, woran ich eigentlich nicht glaube, und du auch nicht, wenn du dir nicht selbst etwas vormachen willst, wie lange sollen wir hier also noch mit verschränkten Armen sitzen oder Keramik herstellen, ohne zu wissen wofür und für wen, In der Situation, in der wir uns befinden, sehe ich nicht, was wir sonst tun könnten, Dazu habe ich eine andere Meinung, Und was für eine Meinung ist das, was für eine wunderbare Idee ist dir gekommen, Dass wir andere Dinge herstellen, Wenn das Zentrum uns die einen nicht mehr abnimmt, dann ist es doch mehr als unwahrscheinlich, dass es uns die anderen abkauft, Vielleicht, vielleicht auch nicht, Was redest du da, Frau, Dass wir damit beginnen sollten, Figuren herzustellen, Figuren, rief Cipriano Algor hell entsetzt aus, Figuren, was Dümmeres habe ich ja noch nie gehört, Ja, mein lieber Vater, Tonfiguren, Statuetten, Götzenfiguren, Kitschmännchen, Nippesfiguren, Bleimännchen, nenne es, wie du willst, aber sag nicht von vornherein, dass es Blödsinn ist, ohne es vorher versucht zu haben, Du redest, als hättest du die Gewissheit, dass das Zentrum dir diesen Figurenkram abnimmt, Ich habe gar keine Gewissheit, außer der, dass wir so nicht weitermachen können, ohne Arbeit, und nur darauf warten, dass die Welt über uns zusammenbricht, Über mir ist sie schon zusammengebrochen, Alles, was über dir zusammenbricht, bricht auch über mir zusammen, hilf mir, dann helfe ich dir, Nach so vielen Jahren 71
Töpferarbeit habe ich bestimmt keine Hand mehr zum Modellieren, Das könnte ich auch sagen, aber wenn unser Hund verloren gegangen ist, um wieder gefunden zu werden, wie Isaura Estudiosa so intelligent erklärt hat, dann können vielleicht, wer weiß, auch diese verlorenen Hände, die deinen und die meinen, vom Ton wieder gefunden werden, Das ist ein Abenteuer, das zum Scheitern verurteilt ist, Gescheitert ist auch das, was kein Abenteuer war. Cipriano Algor sah seine Tochter schweigend an, dann nahm er sich ein wenig Ton und formte die ersten Umrisse einer menschlichen Figur. Womit beginnen wir, fragte er, Womit man immer beginnen muss, mit dem Anfang, antwortete Marta.
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AUTORITÄR, LÄHMEND, redundant, manchmal elliptisch, die Sprichwörter, bisweilen auch spielerisch geflügelte Worte genannt, sind eine schlimme Plage, eine der schlimmsten, die die Welt je heimgesucht hat. Wir sagen den Verwirrten, Erkenne dich selbst, als wüssten wir nicht, dass die Selbsterkenntnis die fünfte und schwierigste Rechenart der menschlichen Arithmetik ist, wir sagen den Willensschwachen, Wollen ist Können, als vergnügten sich die grausamen Realitäten der Erde nicht damit, jeden Tag die Stellung der Verben zu vertauschen, wir sagen den Unentschlossenen, Beginne am Anfang, als sei dieser Anfang das stets sichtbare Ende eines schlecht aufgewickelten Fadens, an dem wir nur zu ziehen und immer weiter zu ziehen brauchen, bis wir ans andere Ende gelangen, als hätten wir zwischen den beiden Enden einen glatten, fortlaufenden Faden in unseren Händen gehalten, bei dem es keine Knoten zu lösen und keine Verwicklungen zu entwirren gab, was völlig unmöglich ist im Leben der Wollknäuel, und, wenn ein weiterer Spruch erlaubt ist, im Geknäuel des Lebens. Marta hat zu ihrem Vater gesagt, Lass uns am Anfang beginnen, und es schien nur noch zu fehlen, dass die beiden sich an den Arbeitstisch setzten und mit überraschend flinken und präzisen Fingern anfingen, Figuren zu modellieren, mit der früheren, nach langer Lethargie wiedererlangten Geschicklichkeit. Was schlichtweg eine Täuschung der Unschuldigen und Ahnungslosen ist, denn der Anfang war nie der klare und exakte Beginn eines Fadens, der Anfang ist ein äußerst langsamer, langwieriger Prozess, der Zeit und Geduld erfordert, damit man erkennen kann, in welche Richtung er gehen will, er, der seinen Weg wie ein Blinder ertastet, der Anfang ist nur der Anfang, was er gemacht hat, ist so gut wie nichts wert. Daher war auch das, was Marta gleich darauf zu bedenken gab, sehr viel weniger kategorisch, 73
Wir haben nur drei Tage Zeit, um die Präsentation des Projektes vorzubereiten, so nennt man das, glaube ich, in der Sprache der Geschäftsleute, Erklär mir das, ich komme nicht mit, sagte der Vater, Heute ist Montag, am Donnerstagnachmittag holst du Marçal ab, also musst du an diesem Tag dem Leiter der Einkaufsabteilung unseren Vorschlag über die Figurenherstellung präsentieren, und zwar mit Zeichnungen, Modellen, Preisen, eben allem, was sie dazu bringen kann, sie zu kaufen, und was ihnen hilft, eine Entscheidung zu treffen, die nicht erst nächstes Jahr kommt. Ohne zu merken, dass er die Worte wiederholte, die er gerade gesagt hatte, fragte Cipriano Algor, Womit beginnen wir, doch Martas Antwort war nicht mehr dieselbe, Wir werden uns auf ein halbes Dutzend Typen konzentrieren müssen, oder vielleicht sogar auf noch weniger, damit die Arbeit nicht zu kompliziert wird, wir müssen überlegen, wie viele Figuren wir pro Tag herstellen können, und das hängt davon ab, wie wir sie konzipieren, ob wir sie direkt modellieren, als Ganzes, wie eine Skulptur, oder ob wir gleiche Grundfiguren für Männer und Frauen herstellen und sie dann entsprechend ihren Berufen einkleiden, ich denke natürlich an stehende Figuren, meiner Meinung nach müssen sie alle stehen, das lässt sich leichter machen, Was verstehst du unter einkleiden, Einkleiden heißt richtig einkleiden, sprich, auf den nackten Körper der Figur Kleider und die Accessoires kleben, die sie charakterisieren und ihr Individualität verleihen, ich glaube, wenn zwei Menschen mit dieser Methode arbeiten, dann geht es schneller, und danach muss man nur noch mit der Farbe aufpassen, es dürfen keine Kleckse draufkommen, Ich sehe, du hast viel nachgedacht, sagte Cipriano Algor, So viel auch wieder nicht, ich habe nur sehr schnell gedacht, Und gut, Ich werde gleich rot, Und viel, auch wenn du das abstreitest, Siehst du, wie rot ich schon geworden bin, Zu meinem Glück bist du in der Lage, schnell zu denken, viel zu denken und gut zu denken, und das 74
alles gleichzeitig. Die Augen eines Vaters, die Liebe eines Vaters und die Irrtümer eines Vaters, Und was für Figuren, meinst du, sollen wir machen, Keine zu altmodischen, es gibt so viele Berufe, die ausgestorben sind, und heute weiß keiner mehr, wozu diese Leute gut waren und was für eine Aufgabe sie hatten, aber ich glaube auch, dass es keine Charaktere von heute sein dürfen, dafür gibt es diese Plastikfiguren mit ihren Helden, ihren Rambos, Astronauten, Mutanten und Monstern, ihren Superpolizisten und Superbanditen, und ihren Waffen, vor allem ihren Waffen, Mir fällt gerade was ein, ab und zu ringe ich meinem Gehirn auch mal ein paar Ideen ab, wenn auch nicht so gute wie du, Lass die falsche Bescheidenheit, das passt nicht zu dir, Ich dachte mir, wir könnten diese Bildbände durchsehen, die wir besitzen, zum Beispiel diese alte Enzyklopädie, die dein Großvater gekauft hat, wenn wir da Modelle fänden, die wir direkt für die Figuren hernehmen könnten, hätten wir schon das Problem mit den Zeichnungen gelöst, die ich mitnehmen muss, der Abteilungsleiter wird nicht merken, dass wir sie abgemalt haben, und selbst wenn er es merken würde, wäre es ihm egal, Wunderbar, das ist eine Idee, die zwanzig Punkte verdient hätte, nach dem alten Bewertungssystem in der Schule, Ich bin auch mit elf zufrieden, das fällt weniger auf, Also, an die Arbeit. Wie man sich leicht vorstellen kann, ist die Familienbibliothek der Algors weder umfassend in puncto Quantität, noch ausgesucht, was die Qualität angeht. Von einfachen Menschen, die an einem Ort wie diesem, abgeschnitten von der Zivilisation, wohnen, kann man kein Übermaß an Bildung erwarten, dennoch sind es zwei- bis dreihundert Bücher, die sich dort in den Regalen reihen, einige davon sehr alt, andere mittleren Alters, und das ist die Mehrzahl, die restlichen sind mehr oder weniger neu, auch wenn nur ein paar echte Neuerscheinungen darunter sind. In der Gemeinde gibt es keine Einrichtung, die den ehrwürdigen 75
Titel Buchhandlung verdienen würde, es existiert lediglich ein kleiner Papierwarenladen, der es übernimmt, bei den Verlagen in der Stadt die erforderlichen Schulbücher zu bestellen, und ganz selten auch einmal ein literarisches Werk, über das im Radio und im Fernsehen immer wieder berichtet wurde und das in Inhalt, Stil und Absicht den bescheidenen Interessen der Dorfbewohner entspricht. Marçal Gacho ist kein Mensch, der sich oft und ausdauernd der Lektüre widmet, dennoch muss man anerkennen, dass er jedes Mal, wenn er mit einem Buchgeschenk für Marta in der Töpferei ankam, in der Lage war, den Unterschied zwischen dem, was gut ist, und dem, was nur mittelmäßig ist, zu erkennen, wenngleich man natürlich immer einen Grund finden wird, um über die schwammigen Begriffe von gut und mittelmäßig zu diskutieren und zu streiten. Die Enzyklopädie, die Vater und Tochter nun auf dem Küchentisch aufgeschlagen haben, galt zum Zeitpunkt ihrer Publikation als die beste, während sie heute nur noch dazu dienen kann, Wissen nachzuschlagen, das bereits überholt ist oder zum damaligen Zeitpunkt noch in den Kinderschuhen steckte. Nebeneinander aufgereiht würden die Enzyklopädien von heute, gestern und vorvorgestern eine Bilderreihe von angehaltenen Welten darstellen, von Gesten, die mitten in der Bewegung gestoppt wurden, von Worten auf der Suche nach ihrem letzten oder vorletzten Sinn. Die Enzyklopädien sind wie unveränderbare Zykloramen, Maschinen, die Wundersames darstellen, deren Zahnräder jedoch blockiert sind, und sie zeigen mit fast manischer Unbeweglichkeit eine Landschaft, die, weil sie dazu verdammt ist, für immer und ewig nur das zu sein, was sie gewesen ist, gleichzeitig immer älter wird, immer hinfälliger und nutzloser. Die Enzyklopädie, die Cipriano Algors Vater einst kaufte, ist so wunderbar und so unnütz wie ein Vers, an den wir uns nicht mehr erinnern können. Wir wollen jedoch nicht überheblich und undankbar sein, sondern uns lieber an die kluge Empfehlung unserer Eltern erinnern, 76
auch das aufzubewahren, was wir nicht brauchen, da es früher oder später, ohne dass wir es jetzt schon wissen, genau das sein wird, was uns fehlt. Über die alten, vergilbten Seiten gebeugt, die jenen feuchten Geruch verströmten, der jahrelang in dem weichen Papier verschlossen gewesen war, ohne je einen Hauch von Luft oder Licht zu verspüren, lernen Vater und Tochter heute ihre Lektion und suchen das, was sie brauchen, in jener Sache, von der sie dachten, dass sie sie nicht mehr brauchen würden. Beim Durchblättern fanden sie bereits einen Akademiker mit federgeschmücktem Zweispitz, Degen und Beffchen am Hemd, sie fanden einen Clown und einen Seiltänzer, fanden ein Skelett mit Sense und blätterten weiter, sie fanden eine Amazone zu Pferde und einen Admiral ohne Schiff, sie fanden einen Stierkämpfer und einen Mann mit Kittel, fanden einen Boxer und seinen Gegner, sie fanden einen Gendarmen und einen Kardinal, fanden einen Jäger und seinen Hund, sie fanden einen Matrosen auf Urlaub und einen Beamten, einen Narren und einen Römer mit Toga, sie fanden einen Derwisch und einen Landsknecht, einen Zollbeamten und einen sitzenden Schriftgelehrten, sie fanden einen Briefträger und einen Fakir, sie fanden auch einen Gladiator und einen Fußsoldaten, eine Krankenschwester und einen Jongleur, einen Lord und einen Minnesänger, sie fanden einen Fechter und einen Imker, einen Bergarbeiter und einen Fischer, einen Feuerwehrmann und einen Flötenspieler, sie fanden zwei Marionetten, fanden einen Fährmann, fanden einen Gräber, fanden einen Heiligen und eine Heilige, sie fanden einen Dämon, fanden die Heilige Dreifaltigkeit, sie fanden Soldaten und Kämpfer aller Rangordnungen, fanden einen Taucher und einen Schlittschuhläufer, sahen einen Wächter und einen Holzfäller, sahen einen Schuster mit Brille, sie fanden einen Trommler und einen Hornbläser, sie fanden eine alte Frau in Mantel und Tuch, fanden einen alten Mann mit Pfeife, sie fanden eine Venus und einen Apollo, sie fanden einen Kavalier 77
mit hohem Hut, fanden einen Bischof, fanden eine Karyatide und einen Atlanten, sie fanden einen Lanzenreiter zu Pferde und einen zu Fuß, fanden einen Araber mit Turban, fanden einen chinesischen Mandarin, sie fanden einen Händler, fanden einen Konditor und einen Bäcker, sie fanden einen Musketier, fanden eine Hausangestellte mit Schürze und einen Eskimo, sie fanden einen bärtigen Assyrer, fanden einen Weichensteller der Eisenbahn, fanden einen Gärtner, fanden einen nackten Mann, dessen Muskeln, Nervensystem und Blutkreislauf zur Schau gestellt waren, sie fanden auch eine nackte Frau, die jedoch mit der rechten Hand ihre Scham und mit der linken ihre Brüste bedeckte. Sie fanden noch viel mehr, doch diese Figuren waren entweder für ihre Zwecke nicht geeignet, oder sie wären in der praktischen Ausführung mit dem Ton zu kompliziert geworden, oder es war deswegen, weil ein unbedachtes Verwenden der naturgetreu, realistisch oder auch phantasievoll in der Enzyklopädie abgebildeten alten und jüngeren Berühmtheiten böswillig als Respektlosigkeit interpretiert werden könnte und gar, im Falle von noch lebenden Berühmtheiten, oder von verstorbenen mit aufmerksamen und wachsamen Erben, zu ruinösen Prozessen wegen Beleidigung, Rufschädigung oder Missbrauch der Abbildung führen könnte. Wen sollen wir von all diesen Menschen bloß aussuchen, fragte Cipriano Algor, vergiss nicht, dass wir nicht mehr als drei oder vier schaffen werden, wobei wir außerdem, solange das Zentrum noch nicht entschieden hat, ob es sie nimmt oder nicht, noch sehr viel üben müssen, wenn unsere Arbeit sauber und präsentabel erscheinen soll, Ich glaube trotzdem, Vater, dass es am besten wäre, ihnen sechs Vorschläge zu unterbreiten, sagte Marta, entweder sie sind einverstanden, dann teilen wir die Produktion in zwei Phasen ein, da müssten wir dann nur die Lieferfristen entsprechend legen, oder aber, und das wird für den Anfang das Wahrscheinlichste sein, sie wählen erst einmal zwei oder drei Figuren aus, um das 78
Kundeninteresse und die Nachfrage zu testen, Vielleicht belassen sie es dann auch bei diesen, Das kann sein, aber trotzdem glaube ich, dass die Wahrscheinlichkeit, sie zu überzeugen, bei sechs Zeichnungen größer ist, die Masse zählt, die Masse beeinflusst, das ist eine Frage der Psychologie, Die Psychologie war noch nie meine Stärke, Meine auch nicht, aber selbst die Ignoranz bringt manchmal prophetische Intuitionen hervor, Aber richte diese prophetischen Intuitionen nicht auf die Zukunft deines Vaters, der hat es nämlich immer vorgezogen, jeden Tag das zu erleben, was der Tag ihm, im Guten wie im Schlechten, zu bringen gedachte, Eine Sache ist das, was der Tag uns bringt, die andere ist das, was wir selbst aus eigener Kraft in ihn hineinlegen, Den Vortag, Ich versteh nicht, was du meinst, Der Vortag ist das, was wir in jeden Tag hineinlegen, den wir leben, das Leben ist ein Anhäufen von Vortagen, wie wenn man Steine anhäuft, und wenn wir sie nicht mehr schleppen können, ist es aus, der letzte Tag ist der einzige Tag, den man nicht Vortag nennen kann, Willst du mich traurig machen, Nein, mein Kind, aber vielleicht bist du schuld daran, Schuld an was, Bei dir komme ich immer auf so ernste Themen, Dann lass uns über etwas noch viel Ernsteres reden, lass uns unsere Figuren auswählen. Cipriano Algor ist kein Mensch, der viel lacht, und selbst ein offenes Lächeln sieht man an seinem Mund nur selten, man bemerkt es höchstens kurz in seinen Augen, wie ein Glanz, der plötzlich aufblitzt, manchmal kann man es auch an dem Kräuseln seiner Lippen erkennen, als müssten diese lächeln, um sich das Lächeln zu verbieten. Cipriano Algor ist kein Mensch, der viel lacht, doch gerade haben wir gesehen, dass er sich für den heutigen Tag ein Lächeln aufgespart hat, das noch nie in Erscheinung treten durfte. Also los, sagte er, ich wähle eine aus, du die nächste, und so weiter, bis wir sechs haben, aber Vorsicht, wir müssen immer die Machbarkeit der Figuren berücksichtigen und auch den Geschmack der Leute, so wie 79
wir ihn kennen und einschätzen, In Ordnung, fang bitte an, Der Narr, sagte der Vater, Der Clown, sagte die Tochter, Die Krankenschwester, sagte der Vater, Der Eskimo, sagte die Tochter, Der Mandarin, sagte der Vater, Der nackte Mann, sagte die Tochter, Der nackte Mann nicht, das geht nicht, du musst eine andere Figur aussuchen, den nackten Mann wollen sie im Zentrum nicht haben, Warum, Genau deswegen, weil er nackt ist, Dann eben die nackte Frau, Die ist noch schlimmer, Aber sie ist doch bedeckt, Sich auf diese Weise zu bedecken ist schlimmer als alles zu zeigen, Ich bin überrascht über deine Kenntnisse auf diesem Gebiet, Ich habe gelebt, gesehen, gelesen und gefühlt, Was hat das Lesen damit zu tun, Wenn man liest, erfährt man fast alles, Ich lese auch, Dann dürftest du auch etwas wissen, Da bin ich mir nicht mehr so sicher, Dann musst du auf andere Art lesen, Wie, Es gibt keine Art, die auf alle passt, jeder erfindet seine eigene, die, die ihm entspricht, es gibt Menschen, die lesen ihr Leben lang, ohne je über das Lesen hinauszukommen, sie kleben an den Seiten, verstehen nicht, dass die Wörter nur Steine sind, mit deren Hilfe man einen reißenden Fluss überqueren kann, sie sind nur dazu da, dass wir ans andere Ufer gelangen, das andere Ufer ist es, was zählt, Es sei denn, Es sei denn, was, Es sei denn, diese Flüsse haben nicht zwei Ufer, sondern viele, dass jeder lesende Mensch sein eigenes Ufer ist, und dass es sein Ufer ist, einzig und allein sein Ufer, an das er gelangen muss, Gut beobachtet, sagte Cipriano Algor, womit wieder einmal bewiesen ist, dass die Alten nicht mit den Jungen diskutieren sollten, sie verlieren am Ende doch, aber gut, man muss auch anerkennen, dass sie etwas gelernt haben, Vielen Dank für den Teil, der mich dabei betrifft. Aber nun zurück zur sechsten Figur, Es kann nicht der nackte Mann sein, Nein, Und auch nicht die nackte Frau, Nein, Dann eben der Fakir, Die Fakire sieht man in der Regel sitzend, so wie die Schriftgelehrten und die Töpfer, ein stehender Fakir ist ein Mann wie jeder andere, und sitzend 80
wäre er kleiner als die anderen Figuren, Dann eben der Musketier, Der Musketier wäre nicht schlecht, aber wir müssten das Problem mit der Muskete und den Federn an seinem Hut lösen, die Federn würden wir schon irgendwie hinkriegen, die Muskete jedoch nur, wenn wir sie an seinem Bein anlegen, und eine am Bein angelegte Muskete sieht eher wie eine Schiene aus, Dann den bärtigen Assyrer, Vorschlag angenommen, nehmen wir also den bärtigen Assyrer, der ist leicht, ist kompakt, Ich dachte auch an den Jäger mit dem Hund, aber der Hund würde uns noch mehr Probleme bereiten als die Muskete des Musketiers, Und das Gewehr ebenfalls, bestätigte Cipriano Algor, und wo wir gerade von Hunden reden, was macht eigentlich Achado, wir haben ihn völlig vergessen, Er wird schlafen. Der Töpfer stand auf, zog den Vorhang des Fensters zur Seite, Ich sehe ihn nicht in der Hundehütte, sagte er, Er streunt wahrscheinlich ein bisschen herum, kommt seinen Pflichten als Hüter des Hauses nach, bewacht das umliegende Land, Wenn er nicht abgehauen ist, Alles kann passieren im Leben, aber das glaube ich nicht. Unruhig und bange öffnete Cipriano Algor mit einem Schlag die Tür und wäre fast über den Hund gestolpert. Achado lag auf der Fußmatte, halb auf der Schwelle, mit der Schnauze in Richtung Tür. Er stand auf, als er seinen Herrn sah und wartete. Hier ist er, verkündete der Töpfer. Das sehe ich, antwortete Marta von drinnen. Cipriano Algor wollte die Tür wieder zumachen, Er schaut mich so an, sagte er, Das wird nicht das einzige Mal sein, Was soll ich denn machen, Entweder du machst die Tür zu und lässt ihn draußen, oder du winkst ihn herein und machst dann die Tür zu, Du machst Witze, Ich mache keine Witze, du musst jetzt entscheiden, ob du Achado ins Haus lassen willst oder nicht, du weißt, wenn er einmal hereinkommt, kommt er immer herein, Constante kam doch auch immer herein, wenn er Lust hatte, Ja, aber normal wäre es, die Unabhängigkeit der Hundehütte 81
vorzuziehen, doch dieser Hund hat, wenn ich das richtig sehe, die Gesellschaft so nötig wie das tägliche Brot, Das scheint mir ein guter Grund zu sein, sagte der Töpfer. Er machte die Tür weit auf und winkte ihn herein, Komm. Ohne die Augen von seinem Herrn abzuwenden, tat Achado einen schüchternen Schritt vorwärts, dann blieb er stehen, als wollte er zeigen, dass er sich nicht sicher war, ob er den Befehl richtig verstanden hatte, Komm rein, insistierte der Töpfer. Der Hund schritt langsam vorwärts und blieb in der Mitte der Küche stehen. Willkommen in unserem Heim, sagte Marta, aber ich muss dich gleich warnen, am besten merkst du dir jetzt schon unsere Hausordnung, die natürlichen Bedürfnisse eines Hundes, seien es die flüssigen oder die festen, müssen draußen erledigt werden, und gegessen wird auch draußen, tagsüber kannst du rein- und rausgehen, so oft du Lust hast, aber in der Nacht bleibst du in deiner Hütte und bewachst das Haus, und wenn ich das zu dir sage, brauchst du nicht zu meinen, dass ich dich weniger mag als dein Herrchen, schließlich habe ich ihm gesagt, dass du ein Hund bist, der Gesellschaft braucht. Während des ganzen Vertrags wandte Achado seine Augen kein einziges Mal ab. Er konnte nicht verstehen, was Marta von ihm wollte, doch sein kleines Hundegehirn begriff, dass man, um etwas zu lernen, hinsehen und zuhören musste. Als Marta fertig war, wartete er noch ein paar Augenblicke ab, dann rollte er sich in einer Ecke der Küche ein, aber er hatte noch nicht einmal seinen Platz angewärmt, als er, kaum dass Cipriano Algor sich gesetzt hatte, seine Lage bereits wieder veränderte und sich neben dessen Stuhl ausstreckte. Und damit in den Köpfen seiner Besitzer kein Zweifel darüber aufkäme, dass er sich sehr wohl seiner Pflichten und Verantwortung bewusst war, erhob er sich nach einer knappen Viertelstunde erneut und legte sich neben Marta. Ein Hund weiß sehr gut, wenn jemand seine Gesellschaft nötig hat. Es waren drei Tage intensiver Arbeit, nervöser Aufregung, 82
eines ständigen Schaffens und Zerstörens auf dem Papier sowie mit dem Ton. Keiner der beiden wollte sich vorstellen, dass das Ergebnis ihrer Idee und der Arbeit, die sie nun mit deren Umsetzung hatten, vielleicht eine schnöde Abfuhr sein könnte, ohne weitere Erklärung als die, die Zeit für solche Figuren sei vorbei. Schiffbrüchige, die auf eine Insel zuruderten, ohne zu wissen, ob es eine wirkliche Insel war oder nur ihr Trugbild. Marta war die Geschicktere im Zeichnen, daher übernahm sie es, die sechs ausgewählten Typen auf das Papier zu übertragen, sie mit Hilfe des klassischen Kästchenrasters auf genau die Größe zu bringen, die die Figuren nach dem Brand haben sollten, nämlich eine gute Handspanne, nicht an ihrer Hand gemessen, denn sie hatte kleine Hände, sondern an der des Vaters. Danach folgte die Farbzuordnung zu den einzelnen Zeichnungen, eine Aufgabe, die nicht deswegen so schwierig war, weil sie übertriebene Ansprüche an die Vollkommenheit der Ausführung stellten, sondern weil es Farben auszuwählen und zu kombinieren galt, von denen man nicht wusste, ob sie wirklich denen der Figuren entsprachen, zumal die Enzyklopädie mit den graphischen Techniken der damaligen Zeit illustriert worden war und daher nur Tiefdruckgravuren enthielt, die zwar in ihren Details fein gearbeitet waren, jedoch über keine anderen Farbeffekte verfügten als die Variationen eines Graus, das das Resultat der gedruckten schwarzen Linien auf der unveränderlichen Papiergrundlage war. Von allen am leichtesten zu kolorieren ist ohne Zweifel die Krankenschwester. Weiße Haube, weiße Bluse, weißer Rock, weiße Schuhe, alles weiß, weiß, weiß, alles von makelloser Reinheit, als handele es sich um einen Engel der Nächstenliebe, der zur Erde hinabgestiegen war, um Kummer und Schmerz zu lindern, solange noch nicht, was früher oder später passieren würde, eilends ein weiterer, gleich gekleideter Engel gerufen werden musste, um Schmerzen und Kummer des ersten zu lindern. Auch der Eskimo stellt keine größere 83
Schwierigkeit dar, die Felle, die ihn bekleiden, können teils in beige, teils in grau gemalt werden, mit ein paar helleren Flecken, und das Ganze soll die Rückseite eines Bärenfells darstellen, das Wichtigste ist, dass der Eskimo das Gesicht eines Eskimos hat, denn um das zu sein, kam er schließlich zur Welt. Bei dem Clown wird es sehr viel schwerwiegendere Probleme geben, und zwar aus dem einfachen Grund, weil er arm ist. Wenn er anstelle des bedürftigen Bettlers ein reicher Clown wäre, würde irgendeine helle, leuchtende Farbe, versetzt mit ein wenig Glimmer, den man beliebig auf der kegelförmigen Kappe, dem Hemd und den Pluderhosen verteilen könnte, das Problem lösen. Doch der Clown ist arm, arm im Sinne von Armut, er trägt ein geschmackloses, zerschlissenes, bunt zusammengewürfeltes Lumpengewand, eine Weste, die ihm bis zu den Knien reicht, eine an den Waden schlotternde Pluderhose, einen Kragen, in den bequem drei weitere Hälse passen würden, ein Halstuch, das aussieht wie eine Wetterfahne, ein auffälliges Hemd, ein Paar Schuhe wie zwei Kähne. All dies wird man beliebig bemalen können, denn da es sich um einen armen Clown handelt, wird sich niemand die Mühe machen nachzuprüfen, ob die Farben dieses Tonerzeugnisses den Anstand besitzen, die Farben zu repräsentieren, mit der sich die Realität des Armen darstellt, selbst wenn dieser gerade nicht als Clown auftritt. Das Schlimme ist, dass dieser Spaßmacher bei näherer Betrachtung nicht leichter zu modellieren sein wird als der Jäger und der Musketier, die so viele Zweifel aufgeworfen hatten. Denn bereits der Übergang zum Narren wird ein Übergang vom Ähnlichen zum Gleichen sein, vom Gleichartigen zum Identischen, vom Verwandten zum Analogen. Anders zusammengestellt, können die Farben des einen ebenso für den anderen dienen, und zwei oder drei Veränderungen an der Kleidung werden den Narren rasch in einen Clown verwandeln und den Clown in einen Narren. Genau genommen sind es 84
Figuren, die sich sowohl von ihrer Kleidung wie auch ihrer Funktion her nahezu wiederholen, der einzige Unterschied, den man, vom gesellschaftlichen Standpunkt aus betrachtet, erkennen kann, ist der, dass der Clown für gewöhnlich nicht im Königspalast auftritt. Der Mandarin mit seinem weiten Oberkleid und der Assyrer mit seiner Tunika werden keine besondere Mühe machen, zumal man mit zwei kleinen Veränderungen an den Augen das Gesicht des Eskimos für den Chinesen wird hernehmen können, und der wallende, lockige Bart des Assyrers wird die Arbeit an dessen unterer Gesichtshälfte erleichtern. Marta machte drei Serien von Bildern, die erste absolut naturgetreu, die zweite ohne Accessoires und die dritte ohne jegliche überflüssige Details. Dies würde demjenigen, der im Zentrum das letzte Wort über das Schicksal ihres Vorschlags zu fällen hatte, die Prüfung erleichtern, und falls dieser angenommen würde, vielleicht sogar, zumindest war dies zu hoffen, künftige Reklamationen aufgrund von Abweichungen zwischen Bild und Figur verringern. Solange Marta mit der ersten und der zweiten Serie beschäftigt war, hatte Cipriano Algor sich darauf beschränkt, den Fortgang der Arbeit zu verfolgen, ungeduldig, weil er nicht helfen konnte und weil ihm außerdem bewusst war, dass jede Einmischung seinerseits das Werk nur erschweren oder verzögern würde. Als Marta jedoch das Blatt Papier vor sich ausbreitete, mit dem sie die dritte Serie der Illustrationen beginnen wollte, sammelte er geschwind die ersten Abbildungen ein und ging hinüber in die Töpferei. Die Tochter konnte ihm gerade noch nachrufen, Ärgere dich nicht, wenn es nicht beim ersten Mal klappt. Stundenlang saß der Töpfer an diesem und auch am darauf folgenden Tag da, bis er Marçal Gacho vom Zentrum abholen musste, und formte, zerstörte, formte wieder und wieder die Figuren der Krankenschwester, des Chinesen, Narren, Assyrers, Eskimos und Clowns, die bei den ersten Versuchen kaum als solche zu erkennen waren, doch 85
nach und nach Gestalt annahmen, sobald die Finger begannen, auf eigene Faust und nach ihren eigenen Gesetzen die Instruktionen, die der Kopf ihnen gab, auszuführen. In der Tat wissen nur wenige, dass in jedem unserer Finger ein kleines Gehirn sitzt, irgendwo zwischen dem ersten, zweiten und dritten Fingerglied. Jenes andere Organ, das wir Gehirn nennen, mit dem wir zur Welt kamen, das wir in unserem Schädel tragen und das wiederum uns trägt, damit wir es tragen, vermochte noch nie mehr zu produzieren als vage, diffuse und vor allem kaum variierte Angaben über das, was Hände und Finger zu tun haben. Zum Beispiel, wenn dem Gehirn im Kopf die Idee eines Bildes oder einer Musik oder Skulptur oder Literatur oder Tonfigur kommt, dann drückt es seinen Wunsch aus und wartet, was passiert. Nur weil es einen Befehl an Hände und Finger ausgesandt hat, glaubt es, oder tut zumindest so, als glaubte es, dass dies allein schon ausreicht, um nach ein paar von unseren Gliedmaßen ausgeführten Operationen die fertige Arbeit präsentiert zu bekommen. Es war nie so neugierig, sich zu fragen, aus welchem Grund das Endergebnis dieser Manipulation, selbst bei den einfachsten dieser stets komplexen Vorgänge, so wenig dem ähnelte, was es sich vorgestellt hatte, bevor es die Instruktionen an die Hände aussandte. Man beachte, dass die Finger bei unserer Geburt noch keine Gehirne haben, diese bilden sich erst im Laufe der Zeit und mit Hilfe dessen, was die Augen sehen, aus. Die Mithilfe der Augen ist wichtig, ebenso wie die Mithilfe dessen, was von ihnen gesehen wird. Und daher ist das, was die Finger immer schon am besten konnten, das Enthüllen des Verborgenen. Das, was im Gehirn vielleicht als eingetrichtertes, magisches oder überirdisches Wissen verstanden wird, was auch immer die Begriffe überirdisch, magisch und eingetrichtert bedeuten mögen, es waren die Finger und ihre kleinen Gehirne, die es ihm beigebracht haben. Damit das Gehirn im Kopf wusste, was ein Stein war, mussten 86
die Finger diesen zuerst berühren, seine Rauheit, sein Gewicht und seine Dichte erspüren, mussten sich daran verletzen. Erst viel später begriff das Gehirn, dass man aus diesem Stück Felsen auch etwas machen konnte, das es später Messer nennen würde, und etwas anderes, das es später Götze nennen würde. Das Gehirn des Kopfes hinkte sein Leben lang hinter den Händen her, und selbst dann, wenn es uns scheint, als hätte es sie überholt, sind es immer noch die Finger, die dem Gehirn die Erkundungen des Tastsinns erklären müssen, das Erzittern der äußersten Hautschicht bei der Berührung mit dem Ton, das scharfe Ritzen des Meißels, das Beißen der Säure auf dem Blech, das zarte Vibrieren eines dargereichten Blattes, die Unebenheiten der Gewebe, das Gewirr der Fasern, das Alphabet der Erhöhungen der Welt. Und die Farben. Um der Wahrheit gerecht zu werden, müssen wir zugeben, dass das Gehirn viel weniger von den Farben versteht, als es glaubt. Es stimmt, dass es mehr oder weniger klar erkennt, was die Augen ihm zeigen, doch in den meisten Fällen leidet es, sobald es das Gesehene in Wissen umwandeln soll, an etwas, das wir vielleicht als Orientierungsschwäche bezeichnen könnten. Dank der unbewussten Sicherheit, die ihm die Lebenserfahrung mit der Zeit verliehen hat, benennt es ohne zu zögern die Farben, die wir Grund- und Komplementärfarben nennen, doch es verliert sich augenblicklich, irrt und zweifelt, wenn es versucht, Worte zu finden, die als Etiketten oder Benennungen für etwas nahezu Unaussprechliches dienen sollen, für etwas, das das Unsagbare streift, für jene Farbe, die noch nicht ganz geboren ist, die mit der Zustimmung, Komplizenschaft und nicht selten sogar zur Überraschung der Augen selbst von den Händen und Fingern langsam geschaffen wird und wahrscheinlich nie ihren richtigen Namen erhalten wird. Vielleicht hat sie ihn auch schon, doch nur die Hände kennen ihn, weil sie die Farbe zusammengestellt haben, so wie man in der Musik eine Note zerlegt, weil sie sich mit ihr beschmutzten 87
und den Fleck tief im Inneren ihrer Haut verwahrten, weil man nur mit diesem unsichtbaren Wissen der Finger einmal die unendliche Leinwand der Träume bemalen kann. Vertrauend auf das, was die Augen zu sehen glaubten, bestätigt das Gehirn des Kopfes, dass der Strand, je nach Licht oder Schatten, Wind oder Windstille, Feuchtigkeit oder Trockenheit, weiß ist oder gelb, oder golden, oder grau, oder violett, oder irgendetwas dazwischen, doch dann kommen die Finger, und mit einer erntenden Bewegung, als mähten sie ein Kornfeld, sammeln sie all die Farben vom Boden auf, die es auf dieser Welt gibt. Was einzigartig erschien, ist vielfältig, was vielfältig ist, wird es noch mehr sein. Es ist jedoch nicht weniger wahr, dass in dem jähen Aufblitzen eines einzigen Tons oder in seiner musikalischen Modulation alle anderen Töne präsent und lebendig sind, die Farbtöne, die bereits einen Namen haben, wie auch diejenigen, die noch darauf warten, genau wie eine glatt erscheinende Fläche die Spuren von allem in der Weltgeschichte Gelebtem und Geschehenem verdecken und zugleich aufzeigen kann. Jede Archäologie des Materiellen ist eine Archäologie des Menschen. Was dieser Töpferton verbirgt und zeigt, ist die Reise des Seins durch die Zeit und seine Wanderung durch den Raum, die Fingerabdrücke, die Kratzer, die Asche und die Glut erloschener Feuer, die eigenen und die fremden Knochen, die Wege, die sich ewig gabeln und immer weiter voneinander entfernen, bis sie sich verlieren. Dieses Korn, das an die Oberfläche tritt, ist eine Erinnerung, diese Einbuchtung der Abdruck, den ein liegender Körper hinterlassen hat. Das Gehirn fragte und verlangte, die Hand antwortete und führte aus. Marta sagte es auf andere Art, Jetzt hast du es schon raus.
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ICH GEHE zu einem Geschäft unter Männern, diesmal musst du zu Hause bleiben, sagte Cipriano Algor zu dem Hund, der auf ihn zugerannt kam, als er sah, dass er auf den Lieferwagen zuging. Es ist klar, dass man Achado nicht erst befehlen musste einzusteigen, man musste nur lange genug die Tür offen lassen, damit er verstand, dass man ihn nicht wieder wegjagen würde, doch der wahre Grund für sein erschrockenes Herbeieilen war, so seltsam dies auch erscheinen mag, dass seine ängstliche Hundeseele annahm, man würde ihn allein lassen. Marta, die mit auf den Hof gekommen war und sich mit ihrem Vater unterhielt, während sie ihn zum Lieferwagen begleitete, hatte den Umschlag mit den Zeichnungen und dem Angebot in der Hand, und obwohl der Hund Achado keine genaue Vorstellung darüber hat, wozu Briefumschläge, Angebote und Zeichnungen gut sind, weiß er doch so viel vom Leben, dass Menschen, die sich anschicken, ins Auto zu steigen, für gewöhnlich etwas dabeihaben, das sie, meist noch bevor sie einsteigen, auf den Rücksitz legen. Aus diesen Erfahrungen heraus ist es verständlich, dass Achados Erinnerung ihn zu der Annahme veranlasste, Marta würde ihren Vater bei diesem Ausflug mit dem Lieferwagen begleiten. Obgleich er erst seit ein paar Tagen in der Töpferei ist, besteht für ihn kein Zweifel daran, dass das Haus seiner Besitzer auch sein Haus ist, doch sein Besitzersinn erlaubt es ihm vorerst noch nicht, sich umzublicken und zu sagen, Dies alles gehört mir. Im Übrigen würde ein Hund, egal welcher Größe, Rasse oder Wesensart, es niemals wagen, so brutal besitzergreifende Worte zu äußern, sondern allerhöchstens, Dies alles gehört uns, und trotzdem wird der Hund Achado, um zu dem besonderen Fall dieser Töpferfamilie und ihren beweglichen und unbeweglichen Gütern zurückzukommen, nicht einmal in zehn Jahren in der Lage sein, sich selbst als den dritten Besitzer zu bezeichnen. Er 89
wird allerhöchstens, wenn er einmal alt ist, das dunkle und vage Gefühl erlangen, etwas gefährlich Komplexem und, wenn man so will, nicht Fassbarem teilzuhaben, an einem aus Teilen bestehenden Ganzen, bei dem jeder Teil der Teil ist, der er ist, und gleichzeitig auch das Ganze, an dem er teilhat. Solch abenteuerliche Ideen wie diese, die das menschliche Gehirn in der Regel mehr oder weniger erfassen kann, die es jedoch nur mit großer Mühe im Detail darzulegen vermag, sind für die verschiedenen Hundestämme das tägliche Brot, sei es von einem rein theoretischen Standpunkt aus betrachtet, sei es in Bezug auf seine praktischen Konsequenzen. Man stelle sich jedoch den Kopf eines Hundes nicht wie eine heitere Wolke vor, die langsam vorüberzieht, eine frühlingshafte Morgendämmerung mit ihrem sanften Licht, ein Gartenteich, auf dem weiße Schwäne treiben, wenn das so wäre, hätte Achado nicht plötzlich so jämmerlich zu winseln begonnen, Und ich, und ich, sagte er. Als Antwort auf diese Verwirrung in seiner bangen Hundeseele hatte Cipriano Algor, der nervös war wegen der schwierigen Mission, die ihn ins Zentrum führte, keine besseren Worte gefunden als Diesmal bleibst du zu Hause, doch was das verängstigte Tier schließlich beruhigte, war, dass Marta wieder zwei Schritte zurückging, nachdem sie ihrem Vater den Umschlag übergeben hatte, dadurch wurde Achado klar, dass er nicht ganz allein gelassen würde, denn es ist tatsächlich so, dass zwei Teile, sobald sie vereint sind, auch wenn jeder Teil per se das Ganze darstellt, zu dem er gehört, wie wir mit a + b bereits bewiesen zu haben glauben, doch eine ganz andere Summe ergeben. Marta winkte dem Vater müde hinterher und ging ins Haus zurück. Der Hund folgte ihr nicht sofort, er wartete noch, bis der Lieferwagen den Weg bis zur Straße hinuntergefahren und hinter den ersten Häusern des Dorfes verschwunden war. Als er wenig später in die Küche kam, sah er seine Herrin auf genau dem Stuhl sitzen, auf dem sie die ganzen letzten Tage gearbeitet hatte. Sie fuhr sich 90
immer wieder mit den Fingern über die Augen, als müsste sie sich von einem Schatten oder einem Schmerz befreien. Gewiss lag es an der zarten Blüte seiner Jugend, dass Achado noch keine Zeit gehabt hatte, sich eine klare und eindeutige Meinung über die Notwendigkeit und die Bedeutung der Tränen für den Menschen zu bilden, dennoch dachte er, dass es angesichts der Tatsache, dass diese flüssigen Körpersäfte immer wieder auftauchten in diesem merkwürdigen Gemisch aus Gefühl, Verstand und Grausamkeit, aus dem besagter Mensch bestand, vielleicht kein allzu schwerer Fehler wäre, wenn er zu seiner weinenden Herrin hinginge und sanft seinen Kopf auf ihre Knie legte. Nimmt man einmal an, man müsse im Alter doppelte Schuld tragen, dann hätte ein älterer Hund, der dann zwangsläufig zynischer wäre als gemeinhin üblich, diese liebevolle Geste bestimmt mit Sarkasmus kommentiert, doch auch nur deswegen, weil die Leere des Alters ihn hatte vergessen lassen, dass in Herzens- und Gefühlsdingen mehr stets besser war als weniger. Gerührt strich Marta ihm über den Kopf und liebkoste ihn, und da er sich nicht von der Stelle bewegte und sie unentwegt anblickte, nahm sie sich ein Stück Holzkohle und begann ihn auf einem Blatt Papier zu skizzieren. Anfangs verhinderten die Tränen noch, dass sie richtig sah, doch ganz allmählich, sowie die Hand an Sicherheit gewann, klärten sich auch die Augen, und mit all seiner inneren Schönheit und Kraft, all seinem Geheimnis und seinen Fragen, tauchte wie aus einem trüben Wasser der Kopf des Hundes auf. Von diesem Tag an wird Marta den Hund Achado genauso mögen, wie Cipriano Algor ihn bekanntlich mag. Der Töpfer hatte das Dorf und die drei verlassenen Häuser, deren Ruinen niemand mehr aufbauen wird, hinter sich gelassen, er fährt nun an dem in Fäulnis erstickenden Fluss entlang, wird bald die schlecht bestellten Felder durchqueren, den vernachlässigten Wald, so oft hat er diese Strecke schon zurückgelegt, dass er die Trostlosigkeit, die ihn umgibt, kaum 91
noch wahrnimmt, doch heute hat er zwei Gründe zur Besorgnis, die seinen abwesenden Gesichtsausdruck rechtfertigen. Einer davon, nämlich die geschäftliche Angelegenheit, die ihn ins Zentrum führt, muss nicht eigens erwähnt werden, doch der andere, von dem man nicht weiß, wie lange er ihn noch beschäftigen wird, quält seinen Geist viel mehr, dieser so unerwartete, unerklärliche Impuls, durch die Straße zu fahren, in der Isaura Estudiosa wohnt, sich nach dem Krug zu erkundigen, ob sich bei seinem Gebrauch nicht irgendein versteckter Fehler herausgestellt hat, ob er richtig ausgießt und ob er das Wasser auch frisch hält. Natürlich kennt Cipriano Algor diese Nachbarin nicht erst seit heute und auch nicht seit gestern, aus beruflichen Gründen ist es sogar gänzlich unmöglich, dass er irgendjemanden im Dorf nicht kennt, und obwohl er nie so etwas wie freundschaftliche Beziehungen im eigentlichen Sinne mit dieser Familie gepflegt hatte, waren die Algors, Vater wie Tochter, doch zur Beerdigung des verstorbenen Joaquim Estudioso gegangen, denn von ihm stammte der Nachname, unter dem Isaura, die von einem entlegenen Dorf gekommen war, um sich hier zu verheiraten, nach dörflichem Brauch bekannt wurde. Cipriano Algor erinnerte sich daran, dass er ihr am Friedhofsausgang sein Beileid ausgesprochen hatte, genau an der Stelle, an der sie sich später wieder sehen sollten, um Meinungen und Versprechen über einen zerbrochenen Krug auszutauschen. Sie war doch nur eine weitere Witwe im Dorf, eine Frau mehr, die sechs Monate lang strenge Trauer trug, worauf sechs weitere mit Halbtrauer folgten, und sie hatte großes Glück, denn es gab Zeiten, da lasteten die strenge Trauer und die Halbtrauer jeweils ein ganzes Jahr lang, Tag und Nacht, auf dem Körper der Frau, und wer weiß, vielleicht sogar auf ihrer Seele, ganz zu schweigen von jenen Frauen, die das Gewohnheitsrecht aufgrund ihres Alters dazu zwang, bis ans Ende ihrer Tage Trauerkleidung zu tragen. Cipriano Algor fragte sich, ob er in 92
diesem langen Zeitraum zwischen den beiden Begegnungen je mit Isaura Estudiosa gesprochen hatte, und die Antwort überraschte ihn selbst, Wenn ich sie doch nicht einmal gesehen habe, und das stimmte, doch wir müssen uns nicht wundern über diese offensichtliche Besonderheit der Situation, wenn der Zufall regiert, ist es egal, ob man in einer Zehn-Millionen-Stadt wohnt oder in einem Dorf mit ein paar hundert Einwohnern, es passiert nur, was passieren muss. Zu diesem Zeitpunkt versuchten Cipriano Algors Gedanken gerade, auf Marta umzuschwenken, es schien, als wollten sie erneut Marta für die Phantasien, die ihm im Kopf herumgingen, verantwortlich machen, doch sein Gerechtigkeitssinn, seine kritische Selbsteinschätzung gewannen schließlich die Oberhand, Versteck dich nicht, lass deine Tochter in Frieden, sie hat nur das gesagt, was du hören wolltest, jetzt musst du herausfinden, ob du Isaura Estudiosa tatsächlich mehr zu geben hast als einen Wasserkrug und ob sie, das darfst du nicht vergessen, auch bereit ist, das anzunehmen, was du ihr vielleicht geben kannst, sofern dir überhaupt etwas einfällt. Das Selbstgespräch endete jäh mit diesem derzeit noch unüberwindbaren Einwand, und die plötzliche Unterbrechung wurde sogleich von dem zweiten Grund seiner Besorgnis ausgenutzt, der eigentlich aus drei Gründen in einem bestand, den Tonfiguren, dem Zentrum und dem Leiter der Abteilung Einkauf, Mal sehen, was das wird, murmelte der Töpfer, und bei genauerer Betrachtung ist dies ein syntaktisch ungenauer Satz, der ebenso gut das aufregende Thema Isaura Estudiosa mit zerstreuter, stillschweigender Nachsicht abtun könnte. Zu spät, denn wir durchqueren bereits den Agrargürtel oder Grüngürtel, wie er immer noch von denjenigen genannt wird, die gern die raue Realität mit schönen Worten verbrämen, diese Farbe schmutzigen Eises, die den Boden überzieht, dieses endlose Plastikmeer, in dem die Gewächshäuser, die alle gleich hoch sind, wie versteinerte Eisberge wirken, wie gigantische Dominosteine ohne Farbe. 93
Dort drinnen ist es nicht kalt, ganz im Gegenteil, die Menschen, die dort arbeiten, kommen fast um vor Hitze, sie schmoren in ihrem eigenen Saft, fallen in Ohnmacht, sind wie nasse Lappen, die von grober Hand ausgewrungen werden. Heißt es auch nicht alles gleich, ist es doch dasselbe Leid. Heute ist der Lieferwagen leer, Cipriano Algor gehört nicht mehr zum Kreis der Verkäufer, und zwar aus dem unleugbaren Grund, dass sein Erzeugnis nicht mehr interessiert, nun führt er ein halbes Dutzend Zeichnungen auf dem Beifahrersitz mit sich, denn dort hat Marta sie hingelegt, nicht auf den Rücksitz, wie der Hund Achado vermutet hatte, diese Zeichnungen sind der einzige, zerbrechliche Kompass für diese Reise, glücklicherweise hatte er das Haus bereits verlassen, als diejenige, die die Blätter bemalt hatte, ein paar Augenblicke lang alles für verloren hielt. Es heißt, die Landschaft sei ein Seelenzustand, und wir nähmen die äußere Landschaft mit unserem inneren Auge wahr, aber heißt es das vielleicht deshalb, weil diese außerordentlichen inneren Sehorgane nie diese Fabriken und Lagerhallen zu Gesicht bekamen, diesen Rauch, der den Himmel auffrisst, diese giftigen Staubwolken, diesen ewigen Schlamm, diese Rußablagerungen, den Müll von gestern, der über den Müll aller Tage gekehrt wurde, den Müll von morgen, der über den Müll von heute gekehrt wird, hier reichen selbst die normalen Augen aus, um die zufriedenste aller Seelen an dem Glück, in dem sie sich gerade wiegt, zweifeln zu lassen. Hinter dem Industriegürtel, bereits auf Höhe des von den Baracken okkupierten Brachlandes, erblickt man einen ausgebrannten Lastwagen auf der Straße. Es gibt keinerlei Hinweise auf die Waren, die er geladen hatte, nur ein paar verstreute, angeschwärzte Kartonreste, ohne Angabe von Inhalt oder Herkunft. Entweder ist die Ladung verbrannt, oder man konnte sie noch retten, bevor sich das Feuer ausbreitete. Der umliegende Boden ist nass, was darauf hinweist, dass die 94
Feuerwehr gerufen wurde, doch offensichtlich kam sie zu spät, da der Lastwagen völlig ausgebrannt ist. Vor dem Laster parken zwei Wagen der Verkehrspolizei, auf der anderen Straßenseite ein militärisches Personentransportfahrzeug. Der Töpfer fuhr langsamer, um besser sehen zu können, was passiert war, doch die finster dreinblickenden Polizisten befahlen ihm mit barschen Worten, unverzüglich weiterzufahren, er hatte nur noch Zeit zu fragen, ob es Tote gegeben hätte, doch er erhielt keine Antwort. Weiter, weiter, schrien sie und fuchtelten heftig mit ihren Armen. Da sah Cipriano Algor zur Seite und bemerkte, dass zwischen den Baracken Soldaten umherliefen. Wegen der zu hohen Geschwindigkeit konnte er nichts weiter erkennen, außer dass sie anscheinend die Bewohner aus ihren Häusern herausholten. Es war offensichtlich, dass die Straßenräuber sich diesmal nicht damit begnügt hatten zu plündern. Aus irgendeinem unerklärlichen Grund, denn dies war bisher noch nie passiert, hatten sie den Lastwagen in Brand gesteckt, vielleicht, weil der Fahrer die ihm zugefügte Gewalt in gleicher Weise erwidern wollte, oder weil die organisierten Banden aus den Baracken beschlossen hatten, ihre Strategie zu ändern, obgleich schwer nachvollziehbar ist, was zum Teufel sie sich von einer so gewaltsamen Aktion wie dieser versprachen, im Gegenteil, sie wird lediglich dazu dienen, die ebenso gewalttätigen Aktionen seitens der Staatsmacht zu rechtfertigen, So viel ich weiß, dachte der Töpfer, ist dies das erste Mal, dass die Armee in eine Barackensiedlung eindringt, bislang waren die Razzien immer Sache der Polizei gewesen, im Übrigen rechneten die Barackenbewohner bereits mit ihnen, die Polizisten kamen, stellten Fragen, oder auch nicht, nahmen zwei oder drei Männer fest, und das Leben ging weiter, als sei nichts gewesen, früher oder später würden die Festgenommenen wieder auftauchen. Der Töpfer Cipriano Algor denkt nicht mehr an die Nachbarin Isaura Estudiosa, der er einen Krug geschenkt hat, 95
und auch nicht an den Leiter der Abteilung Einkauf im Zentrum, von dem er nicht weiß, ob er ihn von den ästhetischen Vorzügen der Figuren wird überzeugen können, sein Denken konzentriert sich auf einen Lastwagen, den die Flammen derart verkohlt haben, dass keine Spur mehr übrig blieb von der Fracht, die er geladen hatte, wenn er sie denn geladen hatte. Wenn, wenn. Er wiederholte diese Konjunktion wie jemand, der über einen Stein stolpert und dann zurückgeht, um noch einmal darüber zu stolpern, als stoße er ihn nur an, damit dieser einen Funken ausstoße, doch der Funke schien sich nicht zeigen zu wollen, inzwischen hatte Cipriano Algor bereits gut drei Kilometer für diesen Gedanken verschwendet und wollte fast aufgeben, denn er war schon so weit, dass Isaura Estudiosa sich darauf vorbereitete, mit dem Abteilungsleiter über ihr Land zu verhandeln, doch da funkte es plötzlich, wurde Licht, der Laster war gar nicht von den Leuten aus der Barackensiedlung angezündet worden, sondern von der Polizei selbst, es war nur ein Vorwand für die Militärintervention, Ich reiß mir den Kopf ab, wenn es nicht so war, murmelte der Töpfer und fühlte sich plötzlich sehr müde, nicht, weil er seinen Kopf zu sehr angestrengt hatte, sondern weil er erkannte, dass die Welt genau so ist, dass die Lügen zahlreich und die Wahrheiten nicht vorhanden sind, oder vielleicht gibt es auch mal eine, ja, irgendwo muss es eine geben, doch sie verändert sich unaufhörlich, lässt uns nicht nur keine Zeit, sie als mögliche Wahrheit zu erfassen, sondern wir müssen erst noch herausfinden, ob es sich nicht um eine Lüge handelt. Cipriano Algor warf einen Blick auf die Uhr, doch wenn er damit die Uhrzeit erfahren wollte, nützte ihm diese Handlung nichts, denn da sie in unmittelbarer Folge auf die Debatte um die Wahrscheinlichkeit der Lügen und die Möglichkeit der Wahrheiten ausgeführt wurde, war es so, als hätte er erwartet, die Schlussfolgerung an der Stellung der Zeiger ablesen zu können, ein rechter Winkel bedeutete Ja, ein 96
spitzer Winkel signalisierte ihm ein vorsichtiges Vielleicht, ein stumpfer Winkel ein glattes Nein, ein gestreckter Winkel hieße Besser du denkst nicht mehr daran. Als er gleich darauf wieder auf das Zifferblatt sah, zeigten die Zeiger nur noch die Stunden, Minuten und Sekunden an, hatten sich wieder in echte, funktionale und gehorsame Uhrzeiger verwandelt, Ich bin gut in der Zeit, sagt er, und das stimmte, er war gut in der Zeit, letztendlich waren wir immer gut in der Zeit, mit der Zeit, zur Zeit, doch nie außerhalb der Zeit, sooft uns dies auch vorgeworfen wird. Er befand sich nun in der Stadt, fuhr die Allee entlang, die ihn zu seinem Ziel brachte, vor ihm, schneller als der Lieferwagen, rannten seine Gedanken, Leiter der Abteilung Einkauf, Leiter der Abteilung, Leiter des Einkaufs, und Isaura Estudiosa, die Arme, hatte er hinter sich gelassen. Am Ende der Straße, an der überdimensionalen grauen Wand, die den Weg versperrte, prangte ein gigantisches weißes, rechteckiges Plakat, auf dem in leuchtend blauen, riesigen Lettern die Worte LEBEN SIE IN SICHERHEIT, LEBEN SIE IM ZENTRUM zu lesen waren. Darunter, in der rechten Ecke, entdeckte man eine weitere kurze Zeile, nur drei Wörter, schwarz gedruckt, die Cipriano Algors kurzsichtige Augen auf diese Entfernung nicht entziffern konnten, die aber dennoch nicht weniger Beachtung verdienen als die der großen Botschaft, wir können sie, wenn wir wollen, als komplementär bezeichnen, doch niemals als gänzlich überflüssig, INFORMIEREN SIE SICH, wurde dort angeraten. Dieses Plakat taucht immer wieder einmal an dieser Wand auf, mit stets denselben Worten, doch farblich variiert, manchmal zeigt es auch Bilder von glücklichen Familien, der Mann fünfunddreißig, die Frau dreiunddreißig, ein elfjähriger Sohn und eine neunjährige Tochter, außerdem, allerdings nicht immer, ein Großvater und eine Großmutter unbestimmten Alters, mit weißen Haaren und kaum Falten, die alle ihre makellosen, strahlend weißen Gebisse zum Lächeln zwangen. 97
Cipriano Algor mutete diese Aufforderung wie ein schlechtes Omen an, hatte er doch sofort die Stimme des Schwiegersohns im Ohr, der zum hundertsten Mal verkündete, dass sie ins Zentrum ziehen würden, sobald er seine Beförderung zum Wachmann mit Dienstwohnung in der Tasche hätte, Irgendwann enden wir drei auch noch auf so einem Plakat, dachte er, das junge Paar wären Marta und ihr Mann, der Opa ich, wenn sie es schaffen, mich zu überzeugen, eine Oma gibt es nicht, die ist vor drei Jahren gestorben, und die Enkel fehlen bisher noch, aber stattdessen könnten wir Achado mit auf das Bild nehmen, ein Hund macht sich immer gut auf den Fotos von glücklichen Familien, so seltsam das auch klingen mag, denn da es sich dabei um etwas Irrationales handelt, verleiht es ihnen einen subtilen und dennoch deutlichen Anstrich von höherer Menschlichkeit. Cipriano Algor bog rechts in die Straße ab, die parallel zum Zentrum verläuft, während er dachte, nein, das geht ja gar nicht, das Zentrum duldet doch weder Hunde noch Katzen, wenn es hoch kommt, lässt es Ziervögel zu, Wellensittiche, Kanarienvögel, Stieglitze, Wellenastrilde und mit Sicherheit auch Zierfische, vor allem exotische, mit übermäßig vielen Flossen, aber keine Katzen, und erst recht keine Hunde, das würde uns noch fehlen, wenn wir den armen Achado wieder seinem Schicksal überlassen müssten, einmal ist genug, in diesem Augenblick gelang es dem Bild Isaura Estudiosas, sich in Cipriano Algors Gedanken einzuschleichen, das Bild, wie sie an der Friedhofsmauer stand, dann mit an die Brust gepresstem Krug, schließlich winkend an der Tür, doch so plötzlich, wie es aufgetaucht war, musste es auch wieder weichen, denn dort vorn ist bereits die Einfahrt zum Untergeschoss zu erkennen, wo die Waren abgeliefert werden und der Leiter der Abteilung Einkauf die Lieferscheine und die Rechnungen prüft und darüber entscheidet, was bleibt und was nicht. Außer dem Laster, der gerade entladen wurde, warteten nur 98
zwei weitere in der Schlange. Der Töpfer überlegte sich, dass er sich, da er ja keine Waren abzuliefern hatte, logischerweise auch nicht dort einreihen musste. Zuständig für sein Anliegen war einzig und allein der Leiter der Abteilung Einkauf, und deshalb wollte er auch nicht mit niedrigen, prinzipiell widerstrebenden Angestellten verhandeln, sondern gleich an der Theke vorsprechen und erklären, weshalb er hier war. Er stellte den Lieferwagen ab, nahm die Papiere und überquerte mit einem Schritt, der fest wirken sollte, bei dem jedoch jeder halbwegs aufmerksame Beobachter den Einfluss eines leichten Zitterns der Beine auf das Körpergleichgewicht bemerkt hätte, die mit alten und neuen Ölflecken beschmutzte Fahrbahn und ging zur Empfangstheke, wo er den dort Zuständigen mit einem ausgesucht höflichen Guten Tag begrüßte und den Abteilungsleiter verlangte. Der Angestellte gab das Gesuch weiter, kam kurz darauf wieder und sagte, Er kommt gleich. Es vergingen zehn lange Minuten, bis schließlich nicht der gewünschte Abteilungsleiter, sondern einer der Unterabteilungsleiter auftauchte. Cipriano Algor gefiel es gar nicht, dass er seine Geschichte einem Menschen erzählen musste, dessen Funktion im Organigramm und auch in der Praxis eines Unternehmens in der Regel die eines Puffers für den Ranghöheren war. Zum Glück erkannte der Unterabteilungsleiter im Verlauf der Erklärungen selbst, dass es für ihn nur Arbeit bedeuten würde, wenn er sich der Sache annähme, und dass die Entscheidung so oder so von demjenigen gefällt werden würde, der genau dafür da war und genau deswegen auch das verdiente, was er verdiente. Der Unterabteilungsleiter ist, wie sich aus diesem Verhalten leicht schließen lässt, unzufrieden mit seiner Position. Er schnitt dem Töpfer unvermittelt das Wort ab, schnappte sich das Angebot und die Zeichnungen und verschwand. Es dauerte ein paar Minuten, bis er aus der Tür, durch die er verschwunden war, wieder herauskam, dann forderte er Cipriano Algor mit einer 99
Handbewegung auf, näher zu treten, es muss nicht eigens erwähnt werden, dass in solchen Situationen die Beine, die bereits ein Zittern in sich tragen, unweigerlich die Tendenz haben, noch stärker zu zittern, und kehrte, nachdem er ihn hatte eintreten lassen, zu seinen eigenen Aufgaben zurück. Der Abteilungsleiter hielt das Angebot in der rechten Hand, die Zeichnungen hatte er vor sich auf dem Schreibtisch ausgebreitet, wie die Karten einer Patience. Er bedeutete Cipriano Algor, sich zu setzen, eine glückliche Fügung, die es dem Töpfer erlaubte, nicht mehr an seine Beine zu denken, sondern sich auf die Präsentation seines Anliegens zu konzentrieren, Guten Tag, Herr Abteilungsleiter, entschuldigen Sie, dass ich Sie bei der Arbeit störe, aber das ist eine Idee, die meine Tochter und ich hatten, um ehrlich zu sein, mehr sie als ich. Der Abteilungsleiter unterbrach ihn, Bevor Sie fortfahren, Senhor Algor, muss ich Ihnen mitteilen, dass das Zentrum beschlossen hat, die Erzeugnisse Ihres Betriebs nicht mehr zu kaufen, ich beziehe mich auf die Produkte, die Sie uns geliefert haben, bis wir den Ankauf einstellten, dies ist nun unwiderruflich entschieden. Cipriano Algor senkte den Kopf, er musste seine Worte gut abwägen, egal, was passierte, er durfte nichts tun, was dem Geschäft mit den Figuren schaden könnte, daher murmelte er nur, Damit habe ich fast gerechnet, aber erlauben Sie mir diese Gefühlsäußerung, es ist hart, nach all den Jahren, die ich für Sie produziert habe, dies aus Ihrem Munde hören zu müssen, So ist das Leben, es besteht zum großen Teil aus Dingen, die zu Ende gehen, Es besteht auch aus Dingen, die beginnen, Das sind nie die gleichen. Der Abteilungsleiter machte eine Pause, spielte zerstreut mit den Zeichnungen herum und sagte dann, Ihr Schwiegersohn kam gestern zu mir, Auf mein Geheiß hin, Herr Abteilungsleiter, auf mein Geheiß, um mir die Ungewissheit zu nehmen, in der ich mich befand, da ich nicht wusste, ob ich weiterproduzieren sollte oder nicht, Jetzt wissen Sie es, Jetzt weiß ich es, Es 100
dürfte Ihnen bewusst sein, dass im Zentrum stets die Regel galt, und das ist fast so etwas wie ein Ehrenkodex des Zentrums, niemals Druck oder Einmischung seitens Dritter in unsere Handelsaktivitäten zuzulassen, und schon gar nicht seitens der Angestellten unseres Hauses, Es war kein Druck, Herr Abteilungsleiter, Aber es war eine Einmischung, Ich bitte um Entschuldigung. Weitere Pause, Wie viel muss ich mir denn noch anhören, dachte der Töpfer angstvoll. Er sollte nicht lange warten, um es zu erfahren, der Abteilungsleiter öffnete ein Register, blätterte es durch, sah sich eine Seite an, dann noch eine, rechnete mit einem kleinen Taschenrechner ein paar Posten zusammen und sagte schließlich, Wir haben eine große Menge an Artikeln aus Ihrer Töpferei auf Lager, für die es keine Absatzmöglichkeiten mehr gibt, nicht einmal als Sonderangebote, nicht einmal, wenn wir sie unter Preis verkaufen, es sind alle möglichen Artikel, die Platz wegnehmen, den wir brauchen, daher sehe ich mich gezwungen, Sie dazu aufzufordern, innerhalb einer Frist von maximal vierzehn Tagen die Rücknahme vorzunehmen, ich wollte Sie morgen sowieso anrufen lassen und darüber informieren. Ich werde wer weiß wie viele Fahrten machen müssen, der Lieferwagen ist klein, Bei einem Transport pro Tag müsste es zu schaffen sein. Und an wen soll ich jetzt meine Keramik verkaufen, fragte der Töpfer niedergeschlagen. Das ist Ihr Problem, nicht meines. Bin ich wenigstens berechtigt, mit den Händlern aus der Stadt Geschäfte zu machen, Unser Vertrag ist aufgehoben, Sie können Geschäfte machen, mit wem Sie wollen, Wenn es sich lohnt, Ja, wenn es sich lohnt, dort draußen herrscht eine große Krise, außerdem, der Abteilungsleiter verstummte, nahm sich die Zeichnungen, legte sie zusammen und sah sie dann langsam einzeln durch, betrachtete sie mit einer Aufmerksamkeit, die echt wirkte, als sähe er sie zum ersten Mal. Cipriano Algor konnte nicht nachfragen, Außerdem was, er müsste warten, seine Unruhe 101
verbergen, letzten Endes, oder auch von Anfang an, es war immer der Abteilungsleiter, der die Regeln des Spiels festlegte, und das, was hier gerade gespielt wird, ist ein ungleiches Spiel, in dem die Karten alle an eine Seite gingen und in dem, sollte dies nötig sein, der Wert der Spielkarten entsprechend dem Willen desjenigen, der am Zug ist, verändert werden kann, so kann der König mehr wert sein als das Ass, und das Ass weniger als die Dame, und der Bube genauso viel wie die Zwei, und diese wiederum mehr als das ganze Königshaus zusammen, obgleich man sagen muss, wozu auch immer dies dienen mag, dass der Töpfer sechs Figuren angeboten und somit mengenmäßig im Vorteil ist, wenn auch nur ganz knapp. Der Abteilungsleiter legte die Zeichnungen wieder zusammen und dann mit einer nachlässigen Handbewegung beiseite, sah noch einmal im Register nach und beendete dann seinen Satz, Außerdem, das heißt, abgesehen davon, dass sich der traditionelle Handel in einer katastrophalen Situation befindet, die gerade für Artikel, die im Laufe der Zeit durch die Geschmacksveränderungen uninteressant geworden sind, ungünstig ist, wird es der Töpferei untersagt sein, anderweitige Geschäftsabschlüsse zu tätigen, sollte das Zentrum die Waren, die ihm in diesem Augenblick angeboten werden, bestellen, Ich glaube, ich verstehe, Herr Abteilungsleiter, wir können also die Figuren nicht an die Händler in der Stadt verkaufen, Sie verstehen es gut, aber das ist noch nicht alles, Ich weiß nicht, worauf Sie hinauswollen, Sie können ihnen nicht nur die Figuren nicht verkaufen, sondern Sie werden auch nicht berechtigt sein, ihnen irgendwelche Restposten aus der Töpferei zu verkaufen, selbst wenn diese, nehmen wir einmal diesen abwegigen Fall an, bei Ihnen bestellt würden, Ich verstehe, sobald Sie mich wieder als Lieferanten des Zentrums akzeptieren, kann ich es für niemand anders sein, Genau, im Übrigen dürfte Sie dies nicht überraschen, denn diese Regel galt schon immer, Aber in einer Situation wie dieser, Herr 102
Abteilungsleiter, wenn bestimmte Produkte für das Zentrum uninteressant geworden sind, wäre es doch nur gerecht, dem Lieferanten zu erlauben, andere Abnehmer dafür zu finden, Wir leben in der Welt der ökonomischen Tatsachen, Senhor Algor, Überlegungen, die sich diesen Tatsachen nicht unterordnen und sie nicht bestätigen, zählen für das Zentrum nicht, und lassen Sie sich auch gleich gesagt sein, dass auch wir in der Lage sind, Überlegungen anzustellen, und wir waren bereits gezwungen, einige davon auf dem Markt zu verbreiten, allerdings nur solche, die dazu dienten, die Tatsachen zu untermauern und sie, falls nötig, zu entlasten, falls sie sich einmal schlecht benommen haben sollten. Cipriano Algor sagte sich, dass er auf diese Herausforderung nicht antworten durfte. Es würde üble Folgen haben, wenn er der Versuchung nachgäbe, sich auf ein Sag-du-dann-sage-ich mit dem Abteilungsleiter einzulassen, auf ein Ich behaupte, du verneinst, ich protestiere, du konterst, man kann nie wissen, wann ein falsch interpretiertes Wort die katastrophale Auswirkung hat, dass die subtilste und ausgefeilteste Überredungstaktik scheitert, wie hieß es doch bereits in dem alten Sprichwort, Spiel nicht mit deinem Herrn um die Birnen, denn er isst die reifen und gibt dir die grünen. Der Abteilungsleiter sah ihn mit einem leisen Lächeln an und fügte hinzu, Eigentlich weiß ich gar nicht, warum ich Ihnen das alles erzähle, Wenn ich ehrlich sein soll, Herr Abteilungsleiter, finde ich es auch erstaunlich, ich bin nur ein einfacher Töpfer, das bisschen, das ich zu verkaufen habe, ist es nicht wert, dass Sie Ihre Geduld an mich verschwenden und mich mit Ihren Überlegungen beehren, antwortete Cipriano Algor und biss sich sofort auf die Zunge, gerade eben hatte er noch beschlossen, kein Öl in das Feuer einer Unterhaltung zu schütten, die bereits eindeutig angespannt war, und nun gab er schon wieder eine Provokation von sich, die nicht nur sehr direkt, sondern auch unangebracht war. In dem Glauben, so der 103
befürchteten harschen Antwort entgehen zu können, stand er auf und sagte, Entschuldigen Sie, dass ich Ihnen so viel Zeit gestohlen habe, Herr Abteilungsleiter, ich lasse Ihnen die Zeichnungen zur Begutachtung hier, es sei denn, Es sei denn, was, Es sei denn, Sie haben Ihre Entscheidung bereits getroffen, Welche Entscheidung, Ich weiß nicht, Herr Abteilungsleiter, ich kann Ihre Gedanken nicht lesen, Die Entscheidung, die Figuren nicht in Auftrag zu geben, zum Beispiel, fragte der Abteilungsleiter. Ja, Herr Abteilungsleiter, antwortete der Töpfer, ohne die Augen abzuwenden, während er sich innerlich als dumm und unklug bezichtigte, Ich habe noch keine Entscheidung getroffen, Darf ich fragen, ob es lange dauern wird, es ist, weil, wissen Sie, die Situation, in der wir uns befinden, Ich werde schnell entscheiden, unterbrach ihn der Abteilungsleiter, vielleicht erhalten Sie morgen schon Nachricht von uns, Morgen, Ja, morgen, ich möchte nicht, dass Sie überall herumerzählen, das Zentrum hätte Ihnen nicht noch eine Chance gegeben, Ich meine aus dem Gehörten schließen zu können, dass die Entscheidung positiv ausfallen wird, Sie kann positiv ausfallen, mehr kann ich dazu im Augenblick nicht sagen, Danke, Herr Abteilungsleiter, Sie haben noch keinen Grund, mir zu danken, Ich danke Ihnen für die Hoffnung, die ich mit nach Hause nehme, das ist schon etwas, Auf die Hoffnung konnte man sich noch nie besonders verlassen, Dieser Meinung bin ich auch, aber was sollen wir denn machen, an irgendetwas müssen wir uns doch klammern in den schweren Stunden, Auf Wiedersehen, Senhor Cipriano Algor, Auf Wiedersehen, Herr Abteilungsleiter. Der Töpfer legte seine Hand auf die Türklinke und schickte sich an zu gehen, doch der Abteilungsleiter hatte noch etwas zu sagen, Machen Sie draußen mit dem Unterabteilungsleiter, der Sie hereingeführt hat, einen Rückzugsplan für Ihre Keramik aus, und denken Sie daran, dass Sie nur zwei Wochen Zeit haben, um alles hier wegzuschaffen, alles, bis auf den letzten Teller, 104
Ja, Herr Abteilungsleiter. Das Wort Rückzugsplan aus dem Munde eines Zivilisten ist unpassend, es klingt eher nach einer militärischen Operation als nach einer routinemäßigen Warenrückgabe, und wenn es wörtlich auf die jeweiligen Positionen der beiden Einheiten Zentrum und Töpferei bezogen wird, kann es sowohl einen willkommenen taktischen Rückzug bedeuten, dessen Ziel es ist, die verstreuten Kräfte zu bündeln, um im geeigneten Augenblick, nämlich dann, wenn die Herstellung der Figuren genehmigt ist, erneut anzugreifen, als auch, im gegenteiligen Fall, das völlige Aus, die Niederlage auf der ganzen Linie, das Chaos, das Rette sich wer kann. Cipriano Algor hörte, wie der Unterabteilungsleiter ihm, ohne auch nur eine Pause zu machen oder ihm das Gesicht zuzuwenden, erklärte, Sie werden sich täglich um vier Uhr nachmittags hierher bemühen müssen, allein oder mit einem Helfer, das hiesige Personal kann nicht freigestellt werden, selbst gegen Bezahlung nicht, und er fragte sich, ob es sich lohne, hier zu sein und diese beschämende Szene zu erleben, wie ein Einfaltspinsel behandelt zu werden, wie ein Nichtsnutz, und zudem noch zugeben zu müssen, dass sie Recht hatten, dass ein paar rustikale Teller aus glasiertem Ton oder ein paar lächerliche Figuren, die Krankenschwestern, Eskimos und bärtige Assyrer darstellen wollten, keinerlei Bedeutung hatten, nichts, Null, Das sind wir für sie, eine Null. Er setzte sich schließlich in den Lieferwagen, sah auf die Uhr, er würde noch fast eine Stunde warten müssen, bis er den Schwiegersohn abholen konnte, es kam ihm in den Sinn, ins Zentrum zu gehen, es war lange her, dass er die Eingänge für die Kunden benutzt hatte, sei es, um herumzubummeln, oder um etwas einzukaufen, die Einkäufe erledigt stets Marçal, wegen der Prozente, die ihm als Angestelltem zustehen, und hineingehen, um nur herumzubummeln ist, man erlaube mir die Wiederholung, nicht gern gesehen, jemand, der dort drin mit schlenkernden Armen herumspaziert, kann sich sicher sein, 105
dass es nicht lange dauert, bis er zum Gegenstand spezieller Aufmerksamkeit seitens der Wachleute wird, es könnte gar zu der komischen Situation kommen, dass sein eigener Schwiegersohn ihn anspräche, Vater, was machst du hier drin, wenn du nichts kaufst, und er würde ihm antworten, Ich gehe zur Keramikabteilung, um nachzusehen, ob sie dort noch irgendetwas aus der Töpferei Algor anbieten, um zu erfragen, wie viel dieser mit kleinen Marmorintarsien verzierte Wasserkrug kostet, um zu sagen, Ja, das ist wirklich ein schöner Krug, es gibt nur noch wenige Töpfer, die eine solche Arbeit beherrschen, mit solcher Präzision in der Ausführung, vielleicht würde der zuständige Verkäufer, angeregt durch das Urteil des bedeutenden Spezialisten, dem Leiter der Abteilung Einkauf die dringende Anschaffung von hundert solcher Krüge empfehlen, von denen mit den Marmorstückchen, dann müssten wir uns nicht in dieses Abenteuer mit den Clowns, Narren und Chinesen stürzen, von dem wir nicht wissen, wie es ausgeht. Cipriano Algor musste sich nicht eigens sagen, Ich gehe nicht da rein, seit Wochen sagt er dies schon zu seiner Tochter und dem Schwiegersohn, einmal sollte genügen. Diesen Überlegungen gab er sich, den Kopf auf das Lenkrad gestützt, gerade hin, als der Wachmann, der für die Ausfahrt des Untergeschosses zuständig war, auf ihn zukam und sagte, Wenn Sie die Sache, die Sie regeln müssten, erledigt haben, dann fahren Sie bitte, das hier ist keine Garage. Der Töpfer sagte, Ich weiß, ließ den Motor an und fuhr ohne ein weiteres Wort davon. Der Wachmann notierte sich die Autonummer des Lieferwagens auf einem Stück Papier, was nicht nötig gewesen wäre, denn er kennt den Wagen fast seit jenem ersten Tag, an dem er seinen Dienst als Wachmann im Untergeschoss antrat, der Grund, weshalb er ihn so demonstrativ aufschrieb, war dieses trockene Ich weiß gewesen, das ihm nicht gefallen hatte, man muss die Menschen mit Respekt und Achtung behandeln, vor allem dann, wenn sie Wachleute sind, man antwortet nicht 106
einfach so mit einem Ich weiß, der Alte hätte sagen müssen Ja, Herr Wachmann, das sind freundliche und gehorsame Worte, die immer passen, doch eigentlich ist der Wachmann eher verunsichert als verärgert, und so dachte er sich, dass er vielleicht auch nicht hätte sagen sollen Das hier ist keine Garage, vor allem nicht in dem verächtlichen Ton, in dem es ihm herausgerutscht war, als wäre er der König dieser Welt, wo er es doch nicht einmal von diesem schmutzigen Untergeschoss war, in dem er seine Tage verbrachte. Er zerriss die Nummer und kehrte auf seinen Posten zurück. Cipriano Algor suchte sich eine ruhige Straße, in der erwarten konnte, bis es Zeit war, den Schwiegersohn am Eingang für das Wachpersonal abzuholen. Er parkte den Lieferwagen an einer Ecke, von der aus man, drei Häuserblocks weiter, einen Teil der überdimensionalen Fassade des Zentrums erkennen konnte, und zwar genau die des bewohnten Teils. Außer den Türen, die nach draußen führen, gibt es an keiner der übrigen Fassaden irgendwelche Öffnungen, sie sind wie undurchdringliche Planen aus Mauergestein, an denen die Sicherheit versprechenden Plakate prangen, die jedoch nicht dafür verantwortlich gemacht werden können, dass sie den darin Wohnenden das Licht wegnehmen. Im Gegensatz zu den glatten Fassaden ist die zu seiner Seite gewandte Front mit Fenstern überzogen, Hunderte und Aberhunderte von Fenstern, Tausende von Fenstern, die wegen der klimatisierten Innenräume stets geschlossen sind. Bekanntlich sagen wir, wenn wir die genaue Höhe eines Gebäudes nicht wissen, aber einen ungefähren Eindruck seiner Größe vermitteln wollen, dass es eine bestimmte Anzahl von Stockwerken hat, sie kann zwei sein, oder fünf, oder fünfzehn, oder zwanzig, oder dreißig, und so weiter, weniger oder mehr als diese Zahlen, von eins bis unendlich. Das Zentrum ist weder so klein noch so groß, es begnügt sich damit, achtundvierzig Stockwerke über dem Niveau der Straße zu 107
präsentieren und zehn Etagen darunter zu verstecken. Und wo wir nun, da Cipriano Algor den Lieferwagen an dieser Stelle abgestellt hat, bereits begonnen haben, einige der Zahlen darzulegen, die das Volumen des Zentrums näher bestimmen, sei hier gesagt, dass die Länge der Seitenwände circa hundertfünfzig Meter beträgt und die der Vorder- und Hinterfront ein wenig mehr als dreihundertfünfzig, wobei wir vorerst natürlich den Anbau, auf den wir am Anfang dieser Geschichte ausführlich eingegangen sind, nicht mit berücksichtigt haben. Führt man die Berechnungen noch ein wenig weiter und nimmt man als Durchschnittswert eine Höhe von drei Metern pro Stockwerk an, einschließlich der sie trennenden Schichten, einschließlich auch der zehn unterirdischen Etagen, kommen wir auf eine Gesamthöhe von hundertvierundsiebzig Metern. Wenn wir diese Zahl mit den hundertfünfzig Metern Breite und den dreihundertfünfzig Metern Länge multiplizieren, erhalten wir, Irrtum, Auslassung oder Verwechslung vorbehalten, ein Volumen von neun Millionen und hundertfünfunddreißigtausend Kubikmetern, ganz grob über den Daumen gepeilt. Das Zentrum, und es gibt niemanden, der dies nicht mit Staunen anerkennen würde, ist wirklich groß. Und dort, sagte Cipriano Algor zähneknirschend, soll ich nach dem Willen meines lieben Schwiegersohnes wohnen, hinter einem dieser Fenster, die man nicht öffnen kann, angeblich deswegen, weil sonst die thermische Stabilität der Klimaanlage gestört würde, aber dahinter steckt etwas anderes, die Leute können sich so zwar umbringen, wenn sie wollen, aber sie können sich nicht aus hundert Meter Höhe auf die Straße stürzen, denn das wäre ein Akt der Verzweiflung, der zu viel Aufsehen erregen und die krankhafte Neugier der Passanten auf sich ziehen würde, die immer gleich wissen wollen, weshalb. Cipriano Algor sagte bereits, nicht nur einmal, sondern viele Male, dass er nicht mit ins Zentrum ziehen würde, dass er niemals die Töpferei aufgeben würde, die 108
seinem Vater und seinem Großvater gehörte, und selbst Marta, seine einzige Tochter, die Arme, der nichts anderes übrig bleiben wird, als ihrem Mann zu folgen, wenn dieser zum Wachmann mit Dienstwohnung befördert wird, hat vor zwei oder drei Tagen mit dankenswerter Offenheit zugegeben, dass diese Entscheidung letztlich nur der Vater selbst treffen konnte, ohne Zwang oder Druck seitens Dritter, auch wenn die töchterliche Liebe oder jenes weinerliche Mitleid, das die Alten, auch wenn sie es ablehnen, in den Herzen der anständigen Menschen hervorrufen, diesen rechtfertigten. Ich gehe nicht mit, ich gehe nicht mit, nein, ich gehe nicht mit, und wenn sie mich umbringen, knurrte der Töpfer, doch er war sich auch bewusst, dass diese Worte, gerade weil sie so dick aufgetragen wirkten, so endgültig, vielleicht nur ein Überzeugt sein vorspiegelten, das er im Grunde gar nicht empfand, dass sie eine innere Unentschlossenheit verschleierten, die wie ein kleiner, noch nicht sichtbarer Sprung an der dünnsten Stelle eines Kruges war. Natürlich war dies ein willkommener Anlass, da man bereits wieder von einem Krug sprach, um Isaura Estudiosa in Cipriano Algors Gedanken zurückkehren zu lassen, und genau das passierte auch, doch der Weg, den dieser Gedanke, diese Überlegung nahm, wenn es überhaupt eine Überlegung war und nicht nur das Aufleuchten eines jähen Blitzes, führte diesen unweigerlich zu einer ziemlich heiklen Schlussfolgerung, die in einem verträumten Murmeln so formuliert wurde, Dann müsste ich nicht mehr ins Zentrum ziehen. Die ärgerliche Handbewegung Cipriano Algors, unmittelbar nachdem er diese Worte ausgesprochen hatte, erlaubt es uns nicht, der Tatsache den Rücken zu kehren, dass der Töpfer es zwar genießt, an Isaura Estudiosa zu denken, wie wir bemerkt haben, aber dennoch eine Gefühlsregung, die dies zu negieren scheint, nicht vermeiden konnte. Zeit mit einer Erklärung zu verschwenden, weshalb er sie mag, wäre reichlich sinnlos, es gibt Dinge im Leben, die sich von selbst erklären, 109
ein bestimmter Mann, eine bestimmte Frau, ein bestimmtes Wort, ein bestimmter Augenblick, es hätte genügt, es so auszudrücken, damit alle verstehen, worum es geht, doch es gibt auch noch andere Dinge, und es können sogar derselbe Mann und dieselbe Frau sein, dasselbe Wort und derselbe Augenblick, die aus einem anderen Blickwinkel, in einem anderen Licht betrachtet, plötzlich Zweifel und Verwirrung hervorrufen, Anzeichen von Unruhe, ein ungewöhnliches Flattern, und so verging Cipriano Algor plötzlich die Lust, an Isaura Estudiosa zu denken, schuld daran war dieser Satz, Dann müsste ich nicht ins Zentrum ziehen, als hätte man gesagt, Wenn ich sie heirate, dann hätte ich jemanden, der sich um mich kümmert, womit wieder einmal bewiesen wäre, was keines Beweises bedarf, nämlich dass es das Schwierigste für einen Mann ist, seine Schwächen zu erkennen und sie zuzugeben. Vor allem, wenn sie sich nicht zur rechten Zeit zeigen, wie eine Frucht, die der Ast nicht mehr richtig halten kann, weil sie für die Jahreszeit zu spät geboren wurde. Cipriano Algor seufzte, dann sah er auf die Uhr. Es war an der Zeit, den Schwiegersohn am Eingang für das Wachpersonal abzuholen.
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DER HUND Achado mochte Marçal nicht. So viel gab es zu erzählen, so viele Neuigkeiten, so viele Höhen und Tiefen in Hoffnung und Stimmung, die sie in diesen Tagen durchlebt hatten, dass Cipriano Algor auf dem Weg vom Zentrum zur Töpferei gar nicht daran gedacht hatte, dem Schwiegersohn von dem mysteriösen Auftauchen des Tieres und seinem so außergewöhnlichen Verhalten zu berichten. Die Wahrheitsliebe und das Pflichtbewusstsein des Erzählers erfordern es jedoch, dass wir das einmalige, kurze Aufblitzen des denkwürdigen Ereignisses in dem lückenhaften Gedächtnis des Töpfers nicht unerwähnt lassen, doch es konnte nicht weiter ausgebaut werden, da Marçal den Bericht des Schwiegervaters mit mehr als berechtigtem Groll unterbrach, um zu fragen, warum zum Teufel weder er noch Marta daran gedacht hätten, ihn darüber zu informieren, was zu Hause los war, über die Idee mit den Figuren, die Zeichnungen, die Versuche mit dem Modellieren, Ich scheine für euch gar nicht zu existieren, war sein bitterer Kommentar. Schuldbewusst stammelte Cipriano Algor eine Erklärung, in der die Nervosität und Konzentration vorkamen, die jeglichem künstlerischen Schaffen zu Eigen sind, die mangelnde Freundlichkeit, mit der die Diensthabenden im Zentrum stets die Anrufe der Verwandten von nicht im Zentrum wohnenden Wachleuten entgegennahmen, und schließlich, zur Abrundung des Ganzen, noch ein paar gestotterte Floskeln. Glücklicherweise wurde die Aufmerksamkeit von dieser Meinungsverschiedenheit, die in einen Familienstreit auszuarten drohte, abgelenkt, als sie an dem ausgebrannten Laster vorbeifuhren, doch wird sie, dies sei bereits vorweggenommen, auch später über die Bedrohung nicht hinausgehen, obwohl Marçal Gacho sich vornahm, die Sache noch einmal zur Sprache zu bringen, wenn er mit seiner Frau im Schlafzimmer hinter verschlossener Tür allein wäre. 111
Mit sichtlicher Erleichterung ließ Cipriano Algor das Thema der Tonfiguren fallen und legte den Verdacht dar, den der Brand in seinem Kopf hatte entstehen lassen, eine Ansicht, die Marçal, der noch immer verstimmt war wegen der ihm widerfahrenen Missachtung, etwas brüsk zurückwies und sich auf das Pflichtbewusstsein, die Moral und Transparenz berief, die per definitionem das Militär als Ganzes und die Sicherheits- und Polizeibehörden im Einzelnen auszeichneten. Cipriano Algor zuckte die Achseln, Das sagst du nur, weil du Wachmann im Zentrum bist, wärst du Zivilist wie ich, dann sähst du die Dinge anders, Die Tatsache, dass ich Wachmann im Zentrum bin, hat noch keinen Polizisten oder Soldaten aus mir gemacht, antwortete Marçal trocken, Das nicht, aber du bist nahe dran, bist eine Art Grenzfall, Jetzt musst du mir aber sagen, ob es dir peinlich ist, dass ein Wachmann des Zentrums hier neben dir sitzt, in deinem Lieferwagen, und die gleiche Luft einatmet wie du. Der Töpfer antwortete nicht sofort, er bereute es, erneut dieser törichten, billigen Laune nachgegeben zu haben, den Schwiegersohn zu reizen, Warum mache ich das nur, fragte er sich, als wüsste er die Antwort nicht auswendig, dieser Mann, dieser Marçal Gacho, wollte ihm seine Tochter wegnehmen, hatte sie ihm im Grunde bereits genommen, als er sie heiratete, unweigerlich und unwiederbringlich, Selbst wenn ich, des Neinsagens müde, doch noch mit ihnen ins Zentrum ziehe, dachte er. Dann sagte er langsam, als müsste er jedes Wort hinter sich herziehen, Verzeih mir, ich wollte dich nicht verletzen, wollte nicht gemein zu dir sein, manchmal kann ich es einfach nicht lassen, es scheint stärker zu sein als ich, und es nützt nichts, wenn du mich fragst, weshalb, ich würde dir nicht antworten, oder dich höchstens anlügen, aber es gibt Gründe, und wenn wir sie suchen, finden wir sie, es hat noch nie an Gründen gemangelt, um etwas zu erklären, auch wenn es nicht die richtigen sind, es sind die Zeiten, die sich ändern, sind die Alten, die mit jeder Stunde einen Tag älter werden, es ist die 112
Arbeit, die nicht mehr das ist, was sie einmal war, und wir, die wir nur das sein können, was wir waren, erkennen plötzlich, dass wir auf dieser Welt nicht mehr nötig sind, falls wir es denn je gewesen sind, doch zu glauben, dass wir es sind, erschien uns schon viel wert, schien schon auszureichen, und war in gewisser Weise ewig, für die Zeit, die das Leben dauern würde, denn das ist die Ewigkeit, nicht mehr als das. Marçal sagte nichts, er legte nur seine linke Hand auf die rechte Hand des Schwiegervaters, die das Steuer hielt. Cipriano Algor musste schlucken, blickte auf die Hand, die weich und stark die seine zu beschützen schien, auf die gezackte, schräg verlaufende Narbe, die den ganzen Handrücken überzog, letzte Erinnerung an eine brutale Verbrennung, bei der man nicht weiß, durch welch wundersamen Zufall nicht die darunter liegenden Adern angegriffen wurden. Unerfahren und ungeschickt wollte Marçal beim Anheizen des Ofens behilflich sein, wollte vor dem Mädchen, mit dem er erst seit wenigen Wochen zusammen war, eine gute Figur machen, vielleicht sogar mehr noch vor ihrem Vater, wollte ihm zeigen, dass er ein richtiger Mann war, während er in Wirklichkeit kaum seine Jugend hinter sich gelassen hatte, und das Einzige, was er in seinem Leben und seiner Welt ganz genau zu wissen glaubte, war, dass er die Tochter des Töpfers liebte. Wer selbst einmal eine solche Gewissheit verspürt hat, dem wird es nicht schwer fallen, sich die Begeisterung auszumalen, mit der er Ast für Ast das Holz aus dem Schuppen anschleppte und dann in den Brennofen stopfte, welch große Belohnung wäre für ihn damals Martas freudige Überraschung gewesen, das wohlwollende Lächeln der Mutter oder der ernste, widerstrebend anerkennende Blick des Vaters. Doch plötzlich, ohne dass man je verstanden hätte, weshalb, hat es doch so etwas in der Erinnerung der Töpferfamilie noch nie gegeben, brach sich zischend eine schlanke Flamme aus der Öffnung des Ofens Bahn, flink und wendig wie die Zunge einer Schlange, und biss 113
auf grausame Weise in die unschuldige, arglose Hand des Jungen. Dies war der Ursprung der stummen Abneigung, die die Familie Gacho den Algors entgegenbrachte, da Letztere, laut dem unbeugsamen Urteil der Gachos, nicht nur unverzeihlich nachlässig und verantwortungslos seien, sondern auch noch unverschämt ausbeuterisch, denn sie hätten die Gefühle eines naiven Jungen ausgenutzt, um ihn umsonst arbeiten zu lassen. Nicht nur in den von der Zivilisation abgeschnittenen Dörfern sind die Auswüchse des menschlichen Gehirns in der Lage, solche Ideen hervorzubringen. Marta heilte viele Male Marçals Hand, viele Male tröstete und erfrischte sie sie mit ihrem Atem, und der Wille der beiden war so stark, dass sie nach Jahren endlich heiraten durften, obgleich die Familien nie zusammenkamen. Jetzt scheint die Liebe der beiden eingeschlafen zu sein, was will man machen, das scheint eine normale Auswirkung der Zeit und der Sorgen im Leben zu sein, aber falls die alte Weisheit doch noch gilt, falls sie doch noch von Nutzen ist für die moderne Ignoranz, dann wollen wir diskret, um nicht ausgelacht zu werden, daran erinnern, dass es, solange es Leben gibt, auch Hoffnung gibt. Ja, es stimmt, so dicht und schwarz die Wolken über unseren Köpfen auch sein mögen, der Himmel darüber ist ewig blau, auch wenn der Regen, der Hagel und die Blitze immer von oben kommen, eigentlich weiß man gar nicht, was man davon halten soll, wenn man sich mit diesen Wissenschaften beschäftigt. Marçals Hand hat sich bereits zurückgezogen, zwischen Männern ist das so üblich, die Gefühlsbezeugungen müssen kurz sein, um als männlich zu gelten, flüchtig, es gibt Leute, die behaupten, das läge an dem männlichen Schamgefühl, vielleicht stimmt das ja, doch muss man auch sehen, dass es viel mannhafter gewesen wäre, im eigentlichen Sinne des Wortes, und bestimmt auch nicht weniger männlich, wenn Cipriano Algor den Lieferwagen angehalten und auf der Stelle seinen Schwiegersohn umarmt hätte, um ihm seine Geste 114
mit den einzig möglichen Worten zu danken, Danke, dass du deine Hand auf meine gelegt hast, das hätte er sagen müssen, anstatt den Ernst des Augenblicks auszunutzen, um sich über das Ultimatum zu beschweren, das ihm der Leiter der Abteilung Einkauf gestellt hatte, Stell dir vor, zwei Wochen hat er mir gegeben, um die ganze Keramik abzuholen, Zwei Wochen, Ja, zwei Wochen, und ohne dass mir jemand hilft, Es tut mir Leid, dass ich dir nicht zur Hand gehen kann, Das kannst du natürlich nicht, weder hast du Zeit dafür, noch wäre es für deine Karriere gut, wenn sie dich als Laufburschen sähen, aber das Schlimmste ist, dass ich nicht weiß, wie ich diesen Scherbenhaufen, den niemand mehr haben will, loswerden soll, Vielleicht kannst du ja noch etwas von den Sachen verkaufen, Dafür haben wir in der Töpferei noch mehr als genug, Wenn das so ist, dann scheint es wirklich schwierig zu sein, Ich werde mal sehen, vielleicht lade ich die Sachen irgendwo hier auf dem Weg ab, Das wird die Polizei nicht zulassen, Wenn diese Klapperkiste nicht so ein kleiner Lieferwagen, sondern einer von diesen großen Lastern wäre, bei denen man die Ladefläche kippen kann, dann wäre es ganz einfach, ein Knopfdruck und in weniger als einer Minute läge alles im Straßengraben, Du würdest der Verkehrspolizei vielleicht ein- oder zweimal entgehen, aber irgendwann würden sie dich auf frischer Tat ertappen, Eine andere Möglichkeit wäre, hier auf dem Land eine Höhle zu finden, wo wir alles reinstellen können, sie müsste gar nicht besonders groß sein, stell dir vor, was das für ein Witz wäre, wenn wir in tausend oder zweitausend Jahren die Debatten der Archäologen und Ethnologen über die Herkunft und die Gründe für das Vorhandensein einer so großen Menge von Tellern, Krügen und Töpfen und über ihren Verwendungszweck an einem unbewohnten Ort wie diesem mitverfolgen könnten, Unbewohnt ist er jetzt, in ein- bis zweitausend Jahren kann es gut sein, dass die Stadt bis hierher reicht, bemerkte Marçal. Er 115
machte eine Pause, als zwängen ihn die Worte, die er gerade ausgesprochen hatte, zu einem erneuten Nachdenken, und fügte verwirrt, als sei er, ohne zu verstehen wie, zu einer absolut logischen Schlussfolgerung gelangt, hinzu, Oder das Zentrum. Nun wissen wir bereits, dass im Leben dieses Schwiegervaters und dieses Schwiegersohnes die schicksalhafte Frage nach dem Zentrum alles andere als eine friedliche ist, daher ist es doch sehr verwunderlich, dass die unerwartete Anspielung des Wachmanns im Innendienst Marçal Gacho keine weiteren Folgen hatte, dass der gefährliche Satz, Oder das Zentrum, nicht sofort einen neuerlichen Streit entfachte, bei dem es wieder zu den gleichen, bereits bekannten Missverständnissen und derselben Leier von stummen oder ausgesprochenen Anschuldigungen gekommen wäre. Der Grund, weshalb sie beide in Schweigen verharrten, vorausgesetzt, einem außenstehenden Beobachter wie uns ist es überhaupt möglich, das zu enthüllen, was womöglich nicht einmal den beiden selbst klar war, dürfte der sein, dass jene Worte aus Marçal Munde eine absolute Neuheit darstellten, vor allem, wenn man den Kontext mit berücksichtigt, in dem sie ausgesprochen wurden. Nun wird es heißen, das sei doch gar nicht so, Marçal Gacho, der Wachmann im Innendienst, unterstreiche doch vielmehr die räumlich und zeitlich expansive Macht des Unternehmens, das ihm seine bescheidenen Dienste bezahlt, und befürworte sie in seinem tiefsten Inneren, wenn er die Möglichkeit einräumt, das Zentrum könnte diese Felder, durch die der Lieferwagen gerade fährt, durch seine stete territoriale Ausweitung eines Tages verschwinden lassen. Diese Interpretation wäre zulässig und würde die Frage ein für alle Mal beantworten, wäre da nicht diese kleine, fast unmerkliche Pause gewesen, dieser Augenblick der offensichtlichen Verzögerung im Denken, der, man erlaube die gewagte These, auf das Zutagetreten eines Menschen hindeutet, der schlicht und einfach in der Lage ist, anders zu denken. Wenn dies so 116
war, dann ist es nur verständlich, dass Marçal Gacho nicht gleich auf diesem Weg, der sich vor ihm auftat, voranschreiten konnte, denn dieser Weg war für einen Menschen bestimmt, der nicht er war. Was den Töpfer betrifft, so hat dieser genügend Lebenserfahrung, um zu wissen, dass die einfachste Art, eine Rose zu töten, die ist, sie gewaltsam zu öffnen, solange sie noch nicht mehr als ein kleines knospendes Versprechen ist. Also bewahrte er die Worte des Schwiegersohnes in seinem Gedächtnis auf und tat so, als hätte er ihre eigentliche Tragweite nicht begriffen. Sie sprachen nicht mehr, bis sie in das Dorf einfuhren. Wie immer, wenn er seinen Schwiegersohn vom Zentrum abholte, hielt Cipriano Algor vor dem Haus von Marçals Eltern, mit denen er zerstritten war, an, nur so lange, dass Marçal hineingehen, der Mutter und auch dem Vater, falls er da war, einen Kuss geben und fragen konnte, wie es ihnen gesundheitlich seit dem letzten Mal ergangen sei, und dann, nachdem er versprochen hatte, Morgen komme ich wieder und bleibe etwas länger, wieder gehen durfte. In der Regel reichten fünf Minuten vollkommen aus, um die Routine dieser Gefühle zu erfüllen, alles Weitere, die näheren Ausführungen und wichtigeren Gespräche wurden auf den nächsten Tag verschoben, an denen er mal zum Mittagessen hinging, mal nicht, doch fast immer ohne Marta. Heute reichten die fünf Minuten jedoch nicht aus, auch keine zehn, es vergingen gut zwanzig Minuten, bis Marçal wieder auftauchte. Er stieg wortlos in den Lieferwagen und knallte die Tür zu. Sein Gesicht war ernst, fast düster, trug den harten Ausdruck eines Erwachsenen, auf den seine jugendlichen Züge noch nicht vorbereitet waren. Du hast lange gebraucht, ist jemand krank, gibt es irgendein Problem in der Familie, fragte der Schwiegervater besorgt. Nein, es ist nichts Ernstes, entschuldige, dass ich dich so lange habe warten lassen, Du bist aufgebracht, Es ist nichts Ernstes, das habe ich doch schon gesagt, mach dir keine Sorgen. Sie sind schon fast da, der 117
Lieferwagen ist bereits nach links abgebogen, um den Weg hochzufahren, der zur Töpferei führt, und als Cipriano Algor herunterschaltet, fällt ihm ein, dass er an Isaura Estudiosas Straße vorbeigefahren ist, ohne an sie zu denken, genau in diesem Augenblick kommt von oben ein bellender Hund angerannt, die zweite Überraschung, die Marçal heute erlebt, oder die dritte, wenn der Besuch bei den Eltern mitgezählt wird. Wo kommt denn der Hund her, fragt er, Er ist uns vor ein paar Tagen zugelaufen, und wir haben ihn aufgenommen, er ist ein lieber Kerl, wir haben ihn Achado, Gefunden, genannt, obwohl, wenn man es genau nimmt, wir von ihm gefunden wurden und nicht er von uns. Als der Lieferwagen am Ende der Auffahrt anhielt, passierten ein paar Dinge gleichzeitig oder ganz kurz hintereinander, Marta erschien an der Küchentür, der Töpfer und der Wachmann im Innendienst stiegen aus dem Auto, Achado knurrte, Marta ging auf Marçal zu, Marçal auf Marta, der Hund gab ein tiefes Knurren von sich, der Mann umarmte die Frau, die Frau umarmte den Mann, dann küssten sie sich, der Hund hörte auf zu knurren und attackierte einen von Marçal Stiefeln, Marçal versuchte, den Hund abzuschütteln, doch der ließ sein Opfer nicht los, Marta schrie, Achado, der Vater schrie das Gleiche, der Hund ließ den Stiefel los und versuchte den Knöchel zu fassen, Marçal versetzte ihm einen gezielten, jedoch nicht sehr heftigen Tritt. Marta sagte, Schlag ihn nicht, Marçal protestierte, Er hat mich gebissen, Doch nur, weil er dich nicht kennt, Mich kennen hier nicht einmal die Hunde, diese schrecklichen Worte kamen aus Marçals Mund, als weinten sie, jedes einzelne war unerträglicher Schmerz und Klage, Marta schlang ihre Arme um den Hals ihres Mannes, Sag das nie wieder, natürlich würde er es nie wieder sagen, es war auch gar nicht nötig, denn es gibt bestimmte Dinge, die werden nur einmal und dann nie wieder ausgesprochen, Marta wird diese Worte in ihrem Kopf bis an ihr Lebensende hören, und Cipriano Algor, wollen wir 118
erfahren, was er gerade macht, so wäre die einfachste Antwort, Nichts, wäre da nicht dieser verräterische Umstand, dass er schnell die Augen abwandte, als er hörte, was Marçal sagte, also doch etwas tat. Der Hund hatte sich in Richtung Hundehütte verzogen, aber auf halbem Wege hielt er an, drehte sich um und blickte die drei an. Ab und zu stieß er ein kehliges Knurren aus. Marta sagte, Er weiß nicht, was Umarmungen sind, vielleicht hat er gedacht, du tust mir weh, doch Cipriano Algor, der die Stimmung bereinigen wollte, kam ihr mit einer trivialeren Idee zu Hilfe. Es kann auch sein, dass er etwas gegen Uniformen hat, das soll es schon gegeben haben. Marçal antwortete nicht, er schwankte gerade zwischen zwei Gefühlen, dem der Reue, weil er Worte ausgesprochen hatte, die für immer und ewig als öffentliches Eingeständnis eines Unbehagens, das er bisher in seinem tiefsten Inneren verborgen hatte, bestehen bleiben würden, und dem der instinktiven Eingebung, dass das Aussprechen dieser Worte, und noch dazu auf diese Art, vielleicht bedeuten könnte, dass er im Begriff war, einen Weg aufzugeben, um einen anderen einzuschlagen, obgleich er noch nicht erkennen konnte, wohin ihn dieser führen würde. Er küsste Marta auf die Stirn und sagte, Ich gehe mich umziehen. Der Abend brach herein, in einer guten halben Stunde würde es Nacht sein. Cipriano Algor sagte zu seiner Tochter, Ich habe mit dem Menschen von der Einkaufsabteilung gesprochen, Wegen des Durcheinanders mit dem Hund hätte ich doch fast vergessen, dich zu fragen, wie das Gespräch gelaufen ist, Er hat gesagt, er würde mir vielleicht morgen schon Bescheid geben, So schnell, Es ist wirklich kaum zu glauben, und noch schwerer vorstellbar ist, dass die Entscheidung auch positiv ausfallen kann, das hat er mir zumindest zu verstehen gegeben, Hoffentlich täuschst du dich nicht, Die einzige Rose ohne Dornen, die ich kenne, bist du, Was soll das heißen, weshalb bringst du jetzt die Rosen und die Dornen ins Spiel, Weil auf eine gute Nachricht stets eine 119
schlechte folgt, Und welche ist das heute, Ich muss innerhalb von zwei Wochen die ganze Keramik, die sie auf Lager haben, abholen, Ich fahre mit und helfe dir, Nie im Leben, wenn das Zentrum uns den Auftrag erteilt, wird die Zeit hier sehr knapp werden, dann müssen die Prototypen modelliert und die Formen hergestellt werden, dann müssen wir gießen, bemalen, den Ofen füllen und leeren, ich würde gerne den ersten Auftrag abliefern, bevor die Regale in ihrem Lager leer geräumt sind, es sei denn, der Mann überlegt es sich doch noch anders, Und was machen wir mit der ganzen Keramik, Mach dir keine Sorgen, das habe ich bereits mit Marçal abgesprochen, ich lade sie irgendwo auf freiem Feld ab, in irgendeinem Loch, und wer will, kann sich bedienen, Bei so vielen Transporten wird das meiste zu Bruch gehen, Das ist anzunehmen. Der Hund kam und berührte mit seiner Nase Martas Hand, als bitte er darum, dass man ihm die neue Zusammensetzung der Familieneinheit, wie man das früher einmal nannte, erkläre. Marta schimpfte, Wir wollen mal sehen, wie du dich in Zukunft benimmst, aber eines kann ich dir sagen, wenn ich zwischen dir und meinem Mann wählen muss, werde ich mich für ihn entscheiden. Der letzte Schatten des schwarzen Maulbeerbaumes verblasste allmählich und ging in den tieferen Schatten der anbrechenden Nacht über. Cipriano Algor murmelte, Wir müssen mehr auf Marçal achten, was er vorhin gesagt hat, war wie ein Messerstich, und Marta antwortete, ebenfalls murmelnd, Es war ein Messerstich, und er tat sehr weh. Die Laterne über der Tür ging an. Marçal Gacho erschien auf der Schwelle, er hatte seine Uniform gegen gewöhnliche Freizeitkleidung eingetauscht. Der Hund Achado blickte ihn gespannt an und ging erhobenen Hauptes ein paar Schritte auf ihn zu, dann blieb er abwartend stehen. Marçal kam näher, Vertragen wir uns, fragte er. Die kalte Nase des Hundes berührte leicht die Narbe an der linken Hand, Wir vertragen uns. Der Töpfer sagte, Seht ihr, ich hatte Recht, unser Achado mag wirklich keine 120
Uniformen, Im Leben ist alles Uniform, der Körper ist nur dann wirklich in Zivil, wenn er entkleidet ist, antwortete Marçal, doch in seiner Stimme lag keine Bitterkeit mehr. Während des Abendessens wurde viel darüber geredet, wie Marta auf die Idee mit den Figuren gekommen war, und auch über die Zweifel, Ängste und Hoffnungen, die das Haus und die Töpferei in den letzten Tagen erschüttert hatten, und schließlich ging man zu den praktischen Fragen über, es wurde die für die einzelnen Produktionsphasen benötigte Zeit berechnet, die jeweiligen Sicherheitsfaktoren ermittelt, die ganz anders waren als bei den Erzeugnissen, die sie sonst herstellten. Alles hängt von der Bestellmenge ab, gut wäre, wenn es nicht zu viel und nicht zu wenig wäre, die Sonne für die Tenne und der Regen für den Acker, wie früher, als es noch keine Plastikgewächshäuser gab, meinte Cipriano Algor. Als der Tisch abgeräumt war, zeigte Marta ihrem Mann die Skizzen, die sie gemacht hatte, die Versuche, die Farbexperimente, die alte Enzyklopädie, aus der sie die Modelle kopiert hatte, so betrachtet sah es nach sehr wenig Arbeit aus für all die Aufregung, doch muss man auch berücksichtigen, dass das, was bei den großen Weltumsegelungen des Lebens für die einen eine leichte Brise ist, für die anderen ein tödlicher Sturm sein kann, das hängt vom Tiefgang des Schiffes und vom Zustand der Segel ab. Im Schlafzimmer, hinter verschlossenen Türen, dachte Marçal, dass es nicht mehr nötig sei, von Marta eine Erklärung zu verlangen, weshalb sie ihn nicht über die Idee mit den Figuren informiert hatte, zum einen, weil inzwischen schon so viel Wasser den Fluss hinabgeflossen war, das den Ärger und die schlechte Laune mit sich gerissen hatte, und zum anderen, weil ihn viel ernstere Sorgen quälten als die, beleidigt worden zu sein oder sich dies einzubilden. Ernstere und nicht weniger dringliche. Wenn ein Mann nach zehntägiger Entbehrung nach Hause zu seiner Frau zurückkommt, und zudem noch so jung 121
ist wie dieser Marçal, oder, falls er älter ist, wenn das Alter ihm noch nicht die Liebeslust zerstört hat, ist es nur natürlich, dass er seinen gereizten Sinnen sofort Befriedigung verschaffen möchte und die Gespräche auf später verschoben werden. In der Regel sind die Frauen damit nicht einverstanden. Wenn die Zeit nicht gerade drängt, wenn es im Gegenteil heißt, Die Nacht gehört uns, und wer Nacht sagt, der sagt auch der Abend oder der Morgen, dann zieht die Frau es mit Sicherheit vor, den Liebesakt ganz ohne Eile mit einer behutsamen Unterhaltung einzuleiten, die so wenig wie möglich zu tun hat mit dieser fixen Idee, die dem Mann wie ein surrender Kreisel im Kopf herumgeht. Wie ein tiefer Krug, der sich langsam füllt, nähert sich die Frau dem Mann oder bringt diesen auf vielleicht noch harmonischere Weise dazu, sich ihr zu nähern, bis die inzwischen erklärte Dringlichkeit des einen und die Lust des anderen stimmig und unaufschiebbar das Wasser zum Kochen bringen. Es gibt jedoch Ausnahmen, wie zum Beispiel diesen Fall, wo Marçal, so gern er Marta auch ins Bett zöge, dies nicht tun kann, bevor er nicht den schweren Sack voll Sorgen losgeworden ist, den er mitgebracht hat, nicht aus dem Zentrum und auch nicht aus dem Gespräch mit dem Schwiegervater auf dem Heimweg, sondern aus seinem Elternhaus. Doch auch diesmal sollte Marta das erste Wort haben. Es mag sein, dass die Hunde dich nicht kennen, Marçal, aber deine Frau kennt dich, Darüber möchte ich jetzt nicht reden, Wir müssen über das reden, was wehtut. Ich war dumm und ungerecht, Das dumm lassen wir mal beiseite, denn das bist du nicht, bleiben wir also bei dem ungerecht, Ich habe es doch schon eingesehen, Du warst auch nicht ungerecht, Lass uns das Ganze nicht noch komplizierter machen, Marta, bitte, was passiert ist, ist passiert, Die Dinge, die passiert zu sein scheinen, sind genau die, die letztlich nie passiert sind, denn wir waren es, die ungerecht waren, Wer ist wir, Ich und Vater, vor allem ich, der Vater hat seine Tochter verheiratet und hat 122
nun Angst, sie zu verlieren, einer anderen Begründung bedarf es bei ihm nicht, Und du, Für mich gibt es keine Entschuldigung, Warum, Weil ich dich liebe, und manchmal, zu oft, scheine ich zu vergessen, oder vergesse tatsächlich, dass es eine konkrete, in ihrem Sein vollständige Person ist, die ich liebe und der ich diese Liebe schulde, und nicht jemand, der sich mit einem eher diffusen Gefühl zufrieden geben muss, das sich nach und nach, als sei dies sein unweigerliches Schicksal, mit seiner eigenen, tödlichen Unbestimmtheit abfindet, Die Ehe ist genau das, so leben die Menschen, ich brauche mir nur meine Eltern anzusehen, Ich habe auch noch eine andere Schuld auf mich geladen, Hör auf, bitte, Wir gehen bis ans Ende, Marçal, heute gehen wir bis ans Ende, Bitte, Marta, Du willst nicht, dass ich weitermache, weil du ahnst, was ich dir zu sagen habe, Bitte, Als du sagtest, dass dich nicht einmal die Hunde kennen, hast du in Wirklichkeit zu deiner Frau gesagt, dass sie dich nicht nur nicht kennt, sondern auch nichts getan hat, um dich kennen zu lernen, nun, sagen wir fast nichts, Das stimmt nicht, du kennst mich, niemand kennt mich besser als du, Nur gut genug, um den Sinn deiner Worte verstehen zu können, aber damit war ich nicht klüger als mein Vater, der sie auch sofort verstanden hat, Von uns beiden bist du die Erwachsene, ich bin immer noch ein Kind, Vielleicht hast du Recht, zumindest gibst du mir Recht, denn diese wunderbare Erwachsene, die ich bin, diese so vernünftige Frau von Marçal Gacho, war im entscheidenden Augenblick nicht in der Lage zu begreifen, was es bedeutet, wenn ein Mensch die Einfachheit und Ehrlichkeit besitzt, über sich selbst zu sagen, er sei ein Kind, Ich werde nicht immer so sein, Du wirst nicht immer so sein, daher werde ich, solange es noch geht, alles, was in meiner Macht steht, tun müssen, um dich zu verstehen, so wie du bist, und wahrscheinlich zu dem Schluss kommen, dass bei dir das Kindsein letztlich eine andere Form des Erwachsenseins ist, Auf diese Weise werde ich bald nicht mehr wissen, wer ich 123
bin, Cipriano Algor würde dir sagen, dass das zu den Dingen gehört, die häufig passieren in unserem Leben, Ich glaube, ich fange an, mich mit deinem Vater zu verstehen, Du kannst dir gar nicht vorstellen, doch du kannst es, wie mich das glücklich macht. Marta ergriff Marçals Hände und küsste sie, dann presste sie sie an ihre Brust, Manchmal, sagte sie, müssen wir auf bestimmte, alte Gesten der Zärtlichkeit zurückgreifen, Was weißt du denn darüber, du hast doch gar nicht in den Zeiten der Verbeugungen und Handküsse gelebt, Ich lese, was in den Büchern steht, das ist das Gleiche, wie selbst dabei gewesen zu sein, außerdem habe ich nicht an Handküsse und Verbeugungen gedacht, Das waren ganz andere Sitten, eine Art zu fühlen und miteinander umzugehen, die nicht mehr unsere ist, Auch wenn dir der Vergleich merkwürdig vorkommt, die Gesten sind für mich mehr als Gesten, sie sind wie Zeichnungen, die der Körper des einen auf dem Körper des anderen hinterlässt. Die Aufforderung war deutlich, doch Marçal tat so, als hätte er sie nicht verstanden, obgleich er wohl wusste, dass nun der Augenblick gekommen war, um Marta zu sich heranzuziehen, ihr Haar zu streicheln, sie sanft auf die Wange, die Lider zu küssen, als verspüre er keine Lust, als sei dies rein zufällig, doch es wäre ein schwerer Irrtum, dies anzunehmen, ist es doch in diesen Situationen so, dass die Lust sich gänzlich unseres Körpers bemächtigt, um sich seiner zu bedienen, man verzeihe den materialistischen und utilitaristischen Vergleich, als handle es sich um ein Mehrzweckwerkzeug, das zum Feilen genauso geeignet ist wie zum Hobeln, das sowohl die Kraft hat zu senden als auch zu empfangen, das so präzise ist, dass es gleichzeitig zählt und misst, so aktiv, dass es sowohl hochsteigt als auch hinabsteigt. Was hast du, fragte Marta, plötzlich verunsichert, Es ist nichts Schlimmes, nur ein paar kleine Ärgernisse, Auf der Arbeit, Nein, Was dann, Wir haben sowieso schon so wenig Zeit füreinander, und dann mischen sie sich auch noch in unser 124
Leben ein, Wir leben nicht unter einer Glasglocke, Ich bin bei meinen Eltern vorbeigefahren, Ist irgendwas passiert, gibt es ein Problem. Marçal schüttelte den Kopf und fuhr fort, Sie waren plötzlich höchst interessiert daran zu erfahren, ob ich schon wusste, wann ich damit rechnen könnte, zum Wachmann mit Dienstwohnung befördert zu werden, und ich habe gesagt, ich wüsste es nicht, es gäbe noch nicht einmal sichere Gründe für die Annahme, dass dies passieren wird, Du bist dir aber doch fast sicher, Ja, fast sicher, aber bis dahin kann noch viel Wasser den Fluss hinunterlaufen, Und dann, Dann haben sie noch ein bisschen um den heißen Brei herumgeredet, und ich wusste gar nicht, worauf sie hinauswollten, bis sie mir schließlich ihre großartige Idee verkündeten, Und was für eine großartige Idee ist das, Nicht mehr und nicht weniger, als dass sie überlegen, das Haus zu verkaufen, um mit uns zusammenzuleben, Mit uns, wo, Im Zentrum. Höre ich richtig, deine Eltern wollen im Zentrum leben, mit uns, Genau das wollen sie, Und du, Was hast du ihnen gesagt, Erst habe ich ihnen zu verstehen gegeben, dass es noch zu früh ist, um an so etwas zu denken, aber sie haben mir geantwortet, dass man ein Haus auch nicht an einem Tag verkauft, dass sie nicht erst einen Käufer suchen wollten, wenn wir, du und ich, uns bereits dort eingerichtet hätten, Und was hast du gesagt, In der Meinung, die Sache damit aus der Welt zu schaffen, habe ich gesagt, dass wir beabsichtigen, deinen Vater mitzunehmen, wenn wir umziehen, damit er hier nicht alleine zurückbleibt, zumal die Töpferei sich gerade in einer Krise befindet, Das hast du ihnen gesagt, Ja, aber das hat sie nicht weiter interessiert, sie fingen fast an zu brüllen und zu heulen, meine Mutter natürlich nur, mein Vater hat es nicht so mit den Gefühlen, dafür hat er protestiert und geschimpft, was ich für ein Sohn sei, der das Wohl von Menschen, die nicht sein eigen Fleisch und Blut sind, über die Bedürfnisse seiner eigenen Erzeuger stellt, sie haben wirklich das Wort Erzeuger benutzt, 125
ich weiß nicht, wo sie das herhaben, und dass sie nie gedacht hätten, je aus meinem Munde hören zu müssen, dass ich die Menschen, denen ich mein Leben verdanke, die mich aufgezogen und erzogen haben, verleugne, dass Ehe zwar Auszug von zu Hause bedeutet, aber Verachtung würden sie nicht dulden, ich sollte mir jedoch keine Sorgen machen, noch müssten sie nicht auf der Straße um Almosen betteln, aber ich dürfte auch nicht vergessen, dass mich irgendwann die Reue plagen würde, wenn nicht zu Lebzeiten, dann nach dem Tode, und die sei noch viel schlimmer, und dass ich hoffentlich keine Kinder bekäme, die mich später einmal bestrafen für die Unmenschlichkeit, mit der ich heute meine Eltern behandelt hätte, Und das war sein letzter Satz, Ich weiß nicht, ob es der letzte Satz war, bestimmt habe ich noch ein paar Sätze vergessen, aber der Tenor war immer der gleiche, Du hättest ihnen erklären sollen, dass sie sich gar keine Sorgen zu machen brauchen, du weißt doch, dass mein Vater gar nicht mit uns ins Zentrum ziehen will, Ja, aber das wollte ich lieber nicht sagen, Warum, Das würde sie zu der Annahme veranlassen, sie hätten freie Bahn, Wenn sie weiterhin darauf bestehen, hast du gar keine andere Wahl, Ich müsste nur auf die Beförderung verzichten, müsste einen Grund finden, der das Zentrum überzeugt, Ich bezweifle, dass du den findest. Sie saßen im Bett, hatten die Möglichkeit, sich zu berühren, doch der Augenblick der Zärtlichkeiten war vorbei, war allem Anschein nach so fern wie die Zeit von Handkuss und Verbeugung, oder jener andere Augenblick, als zwei Männerhände geküsst und dann an die Brust der Frau gedrückt wurden. Marçal sagte, Ich weiß, es gehört sich nicht, dass man als Sohn so etwas sagt, aber eigentlich will ich überhaupt nicht mit meinen Eltern zusammenleben, Warum, Wir haben uns nie verstanden, weder ich sie noch sie mich, Es sind deine Eltern, Ja, es sind meine Eltern, in jener Nacht sind sie zusammen zu Bett gegangen, und es überkam sie die Lust, so bin ich entstanden, ich erinnere 126
mich daran, wie sie das einmal erzählt haben, als ich klein war, so als wäre es ein guter Witz, und dass er bei diesem Anlass betrunken war, Mit Wein oder ohne Wein, entstehen tun wir alle gleich, Ich gebe zu, es ist ein bisschen übertrieben, aber es widert mich an, wenn ich daran denke, dass mein Vater betrunken war, als er mich gezeugt hat, es ist, als wäre ich der Sohn eines anderen Mannes, als hätte der, der in Wirklichkeit mein Vater sein sollte, es nicht sein dürfen, als sei sein Platz von jemand anderem belegt worden, nämlich von dem, den ich heute habe sagen hören, dass meine Kinder mich hoffentlich eines Tages strafen würden, So hat er es bestimmt nicht ausgedrückt, Aber so hat er es gemeint. Marta nahm Marçals linke Hand zwischen ihre beiden Hände und murmelte, Alle Eltern waren einmal Kinder, viele Kinder werden später einmal Eltern, aber die einen vergessen, was sie waren, und die anderen haben niemanden, der ihnen erklärt, was sie sein werden, Das ist nicht leicht zu verstehen, Nicht einmal ich verstehe es, es fiel mir nur so ein, nimm es nicht ernst, Lass uns ins Bett gehen, Ja. Sie entkleideten sich und legten sich hin. Der Augenblick der Zärtlichkeiten kehrte in das Schlafzimmer zurück, bat um Vergebung, weil er so lange draußen geblieben war, Ich habe den Weg nicht gefunden, rechtfertigte er sich, und plötzlich, wie es bei den Augenblicken manchmal so ist, wurde er ewig. Eine Viertelstunde später, ihre Körper waren noch immer ineinander verschlungen, flüsterte Marta, Marçal, Was ist, fragte er verschlafen, Ich bin zwei Tage überfällig.
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IN DER geschützten Stille des Schlafzimmers, zwischen den vom Liebesspiel zerwühlten Laken, vernahm der Mann die Mitteilung seiner Frau, dass ihre Menstruation zwei Tage im Verzug sei, und die Nachricht erschien ihm als etwas so Unerhörtes, so Wunderbares, eine Art zweites fiat lux in einer Zeit, in der die lateinische Sprache nicht mehr verwendet und praktiziert wird, ein wahrhaftiges surge et ambula, das keine Ahnung hat, wohin es geht und genau deshalb so erschreckend ist. Marçal Gacho, der noch vor einer Stunde, oder vielleicht sogar weniger, in einem Anflug rührender Hilflosigkeit, die man beim männlichen Geschlecht nur selten erlebt, zugegeben hat, dass er noch ein Kind sei, war nun unvermutet seit einigen Wochen embryonaler Vater, was wieder einmal zeigt, dass wir uns dessen, was wir zu sein glauben, nicht so sicher sein sollten, denn genau dann kann es passieren, dass wir bereits etwas anderes sind. Fast alles, was Marta und Marçal sich in dieser langen Nacht sagten, bevor sie vor lauter Müdigkeit einschliefen, wurde bereits in tausendundein Geschichten über Ehepaare mit Kindern niedergeschrieben, doch die Analyse ihrer konkreten Situation ließ auch ganz spezielle Fragen nicht aus, wie zum Beispiel Martas zukünftige geringere Belastbarkeit in Bezug auf die harte Arbeit in der Töpferei und, was derzeit nicht zu lösen war, da es von der erwarteten Nominierung abhing, die Ungewissheit, ob das Kind vor oder nach dem Umzug ins Zentrum zur Welt käme. Hinsichtlich der ersten Frage wandte Marta ein, sie glaube nicht, dass ihre Mutter, die verstorbene Justa Isasca, die bis zu ihrem letzten Lebenstag unermüdlich gearbeitet hätte, beschlossen hätte, die Freuden des völligen Nichtstuns zu genießen, nur weil sie schwanger geworden sei. Ich selbst könnte es bezeugen, würde ich die Erinnerung an die neun Monate, die ich in ihrem Bauch verbracht habe, wiedererlangen, Ein Kind, das sich im Bauch 128
der Mutter befindet, kann unmöglich wissen, was draußen vor sich geht, antwortete Marçal gähnend, Das mag sein, aber du musst auch zugeben, dass es völlig normal wäre, wenn das Kind ganz genau wüsste, was im Körper der Mutter vor sich geht, das Problem liegt meiner Meinung nach einzig und allein im Erinnerungsvermögen, Wenn wir uns nicht einmal an das erinnern, was wir während der Geburt durchmachen, Genau da verlieren wir wahrscheinlich diese allerersten Erinnerungen, Du phantasierst, gib mir lieber einen Kuss. Vor dieser versponnenen Unterhaltung und diesem Kuss hatte Marçal heftig dafür plädiert, dass der Umzug ins Zentrum vor der Geburt stattfände, Dann hast du die beste medizinische Versorgung und Betreuung, die du dir vorstellen kannst, es gibt weit und breit nichts Vergleichbares, sowohl bei der Allgemeinmedizin wie bei der Chirurgie, Woher weißt du das alles, wo du doch nie im Krankenhaus des Zentrums warst, wahrscheinlich hast du es noch nicht einmal betreten, Ich kenne jemanden, der dort gelegen hat, ein Vorgesetzter von mir, der wurde halbtot eingeliefert und kam wie neu geboren wieder heraus, es gibt sogar Leute von außen, die unbedingt aufgenommen werden wollen, aber die Regelung erlaubt keine Ausnahmen, Wenn man dich hört, könnte man meinen, im Zentrum stirbt keiner mehr, Natürlich stirbt man, aber man bemerkt den Tod kaum, Das ist ohne Zweifel ein Vorteil, Du wirst schon sehen, wenn wir mal dort sind, Was werde ich sehen, dass man den Tod kaum bemerkt, meinst du das, Ich habe nicht vom Tod gesprochen, Doch, hast du, Der Tod interessiert mich überhaupt nicht, ich habe von dir und unserem Kind gesprochen, von dem Krankenhaus, in dem du es bekommst, Wenn deine Nominierung nicht zu lange auf sich warten lässt, Wenn sie mich in neun Monaten nicht befördert haben, dann befördern sie mich nie, Gib mir einen Kuss, Wachmann mit Dienstwohnung, und dann lass uns schlafen, Hier hast du deinen Kuss, aber über eine Sache müssen wir 129
noch reden, Worüber, Dass du von heute an weniger in der Töpferei arbeitest und in zwei bis drei Monaten ganz damit aufhörst, Meinst du, mein Vater schafft das alles alleine, vor allem dann, wenn das Zentrum die Figuren bestellt, Dann muss eben jemand eingestellt werden, der ihm hilft, Du weißt doch ganz genau, dass das eine Illusion ist, niemand will mehr in der Töpferei arbeiten, Aber dein Zustand, Was ist mit meinem Zustand, meine Mutter hat auch immer gearbeitet, als sie mit mir schwanger war, Woher willst du das wissen, Ich erinnere mich daran. Sie lachten beide, dann schlug Marta vor, Lass es uns dem Vater vorerst noch nicht sagen, er würde sich zwar riesig freuen, aber es ist besser, er erfährt es noch nicht, Warum, Ich weiß nicht, es gehen ihm zu viele Dinge im Kopf herum, Die Töpferei, Die Töpferei ist nur eins davon, Das Zentrum, Das Zentrum auch, der Auftrag, der erteilt wird oder auch nicht, die Keramik, die er zurücknehmen muss, aber es gibt da auch noch andere Dinge, die Geschichte von einem Krug, dessen Henkel abgebrochen ist, zum Beispiel, aber das erzähle ich dir später. Marta schlief zuerst ein. Marçal war nicht mehr ganz so aufgewühlt, denn er wusste nun so ungefähr, welchen Weg er nach der Geburt des Kindes einschlagen musste, und als der Schlaf ihn nach einer knappen halben Stunde mit seinen Rauchfingern berührte, ließ er sich von ihm friedlichen Geistes und ohne Widerstreben mitnehmen. Sein letzter bewusster Gedanke war die Frage, ob Marta ihm wirklich etwas von dem Henkel eines Kruges erzählt hatte, So ein Quatsch, wahrscheinlich träume ich, dachte er. Er schlief als Letzter ein, und doch war er der Erste, der aufwachte. Das Morgenlicht drang durch die Ritzen der Fensterläden. Du bekommst ein Kind, sagte er sich, und er wiederholte, ein Kind, ein Kind, ein Kind. Dann hob er, in einem Anflug begierdeloser, fast unschuldiger Neugier, wenn es an diesem Ort der Welt, den wir Bett nennen, überhaupt noch Unschuld gibt, die Decke hoch, um Martas Körper zu 130
betrachten. Sie lag ihm zugewandt da, die Knie leicht angezogen. Der untere Teil des Nachthemdes hatte sich bis zu ihrer Taille hochgeschoben, das Weiß ihres Bauches war im Halbschatten kaum zu erkennen und löste sich im dunklen Bereich der Schamgegend völlig auf. Marçal ließ die Decke wieder zurückgleiten und begriff, dass der Augenblick der Zärtlichkeiten sich noch nicht wieder zurückgezogen hatte, sondern standhaft die ganze Nacht in ihrem Schlafzimmer ausgeharrt hatte und nun dort wartete. Ausgelöst durch den kühlen Lufthauch, der beim Anheben der Bettdecke vermutlich Martas Körper gestreift hatte, seufzte sie und veränderte ihre Position. Wie ein Vogel, der behutsam die Stelle für sein erstes Nest prüft, strich Marçals linke Hand leicht über ihren Bauch. Marta öffnete die Augen und lächelte, dann sagte sie scherzhaft, Guten Morgen, Herr Vater, doch ihr Ausdruck veränderte sich sofort, als sie bemerkte, dass sie nicht allein im Zimmer waren. Der Augenblick der Zärtlichkeiten hatte sich zwischen sie gelegt, sich unter die Laken geschoben, er konnte nicht erklären, was er wollte, aber sie ließen seinen Willen geschehen. Cipriano Algor lief bereits draußen herum. Er hatte schlecht geschlafen, weil er daran gedacht hatte, dass er heute vielleicht die Antwort des Leiters der Abteilung Einkauf erhalten würde, und wie sie wohl ausfiele, negativ oder positiv, nichts sagend oder aufschiebend, doch was ihm für ein paar Stunden völlig den Schlaf geraubt hatte, war eine Idee gewesen, die mitten in der Nacht in seinem Kopf aufgekeimt war und die er, wie alle Ideen, die uns in den toten Stunden der Schlaflosigkeit überfallen, für außergewöhnlich und einmalig hielt, und in diesem Fall sogar für den Ausdruck eines Verhandlungstalentes, das Beifall verdiente. Doch als er nach den knapp zwei Stunden unruhigen Schlafs, den der verzweifelte Körper seiner eigenen Entkräftung hatte abringen können, aufwachte, erkannte er, dass die Idee letztlich doch 131
nichts wert war, dass es am klügsten wäre, sich keine Illusionen zu machen über die Natur und den Charakter jener Menschen, die den Steuerknüppel in der Hand halten, und dass jeder Befehl von einem Menschen, der über mehr Autorität verfügt als die übrigen, als unwiderrufliches Gebot des Schicksals gelten muss. Betrachtet man jedoch die Einfachheit als eine Tugend, so könnte wahrlich keine Idee genialer sein als diese, wie man gleich sehen wird, Sehr geehrter Herr Abteilungsleiter, wollte Cipriano Algor sagen, ich habe über das nachgedacht, was Sie mir gesagt haben, nämlich dass ich zwei Wochen Zeit habe, um die Keramik abzuholen, die in Ihrem Lager Platz wegnimmt, in dem Augenblick ist es mir nicht eingefallen, wahrscheinlich, weil ich so aufgeregt war, als ich merkte, dass es doch noch eine kleine Hoffnung gibt, weiterhin Lieferant des Zentrums zu bleiben, doch danach habe ich nachgedacht, immer wieder nachgedacht, und gesehen, dass es nicht einfach ist, dass es gar unmöglich ist, gleichzeitig diesen beiden Pflichten nachzukommen, sprich, die Keramik abzuholen und die Figuren herzustellen, ja, ich weiß wohl, Sie haben noch nicht einmal gesagt, dass Sie sie bestellen, aber angenommen, Sie tun es, so wollte ich Ihnen rein vorsorglich einen Alternativvorschlag machen, und zwar, dass Sie mich die erste Woche freistellen, damit ich mit der Figurenproduktion fortfahren kann, in der zweiten Woche würde ich dann die Hälfte der Keramik abholen, in der dritten an den Figuren weitermachen und in der vierten den Rücktransport beenden, ich weiß, ich weiß, Sie brauchen gar nichts zu sagen, und ich will auch gar nicht so tun, als gäbe es da nicht noch eine andere Möglichkeit, nämlich die, mit dem Abtransport der Keramik in der ersten Woche zu beginnen und dann immer abzuwechseln zwischen Figuren, Keramik, Figuren, doch ich glaube, in diesem speziellen Fall sollte man die psychologischen Faktoren mitberücksichtigen, alle Welt weiß, dass der Gemütszustand des Schöpfers ein anderer ist als der des Zerstörers, desjenigen, 132
der etwas zerstört, wenn ich mit den Figuren beginnen könnte, das heißt, mit der Schöpfung, zumal ich mich gerade in einer so exzellenten seelischen Verfassung befinde, würde ich mich mit ganz anderem Elan der harten Aufgabe stellen, die Früchte meiner eigenen Arbeit zu zerstören, denn es ist, als würde ich sie zerstören, wenn ich niemanden habe, der sie kaufen will, und schlimmer noch, niemanden finde, der sie haben will, nicht einmal geschenkt. Diese Rede, die für ihren Autor um drei Uhr morgens eine unwiderstehliche Logik zu enthalten schien, kam ihm beim ersten Sonnenstrahl bereits absurd vor, und im grellen, verräterischen Licht der Sonne absolut lächerlich. Nun denn, was geschehen muss, wird geschehen, sagte der Töpfer zu dem Hund Achado, der Teufel wird schließlich nicht dauernd hinter der Tür stehen. Wegen des offenkundigen Unterschieds in den Auffassungen und des verschiedenartigen Vokabulars, dessen sich die beiden bedienten, konnte Achado nicht einmal zu einem vagen Verständnis dessen gelangen, was sein Herr ihm mitteilte, und in gewisser Weise war das auch besser so, denn eine unabdingbare Voraussetzung, um zu einem höheren Verständnis vorzudringen, wäre gewesen, ihn zu fragen, was dieser Teufel denn sei, eine Figur, ein Wesen oder eine konkrete Person, denn es ist anzunehmen, dass er in der spirituellen Welt der Hunde noch nie existiert hat, und wir sehen, dass die Diskussion nie enden würde, wenn gleich am Anfang eine solche Frage gestellt würde. Mit dem Erscheinen von Marta und Marçal, die ungewöhnlich strahlend wirkten, als hätte die Nacht sie diesmal mit mehr beschenkt als nur der üblichen Befriedigung ihrer in zehntägiger Trennung angestauten Lust, verabschiedete Cipriano Algor die letzten Reste von schlechter Laune, und, ausgelöst durch Gedankenabläufe, die für denjenigen, der die Vorgeschichte und den Schluss kennt, leicht nachvollziehbar sind, ertappte er sich sofort dabei, wie er an Isaura Estudiosa dachte, an sie als Person, doch auch an ihren Namen, bei dem nicht einzusehen 133
ist, weshalb sie sich weiterhin Estudiosa nennt, wo dies doch von ihrem Mann kommt, der tot ist, Bei nächster Gelegenheit werde ich sie fragen, wie ihr Nachname lautet, dachte der Töpfer, ihr eigener, der ihrer Herkunft, ihrer Familie. Mit der schwer wiegenden Entscheidung beschäftigt, die er gerade getroffen hatte, einem Vorhaben, das zu den kühnsten Unternehmungen im Reich der Namen zählt, denn in der Tat ist es nicht das erste Mal, dass beispielsweise eine Liebesgeschichte, um nur von diesen Geschichten zu sprechen, mit der fatalen Neugier beginnt, Wie ist Ihr Name, fragte sie, bemerkte Cipriano Algor nicht sofort, dass Marçal und der Hund sich verbrüdert hatten und wie alte Freunde, die sich lange nicht gesehen hatten, miteinander spielten, Es war die Uniform, sagte der Schwiegersohn, und Marta wiederholte, Ja, es war die Uniform. Der Töpfer sah die beiden verwundert an, als hätten plötzlich alle Dinge dieser Welt einen anderen Sinn bekommen, vielleicht, weil er an die Nachbarin Isaura mehr ihres Namens wegen gedacht hatte als der Frau wegen, die sie war, es ist wirklich ungewöhnlich, das zu verwechseln, selbst wenn man sehr zerstreut ist, außer es ist eine Folge davon, dass man viel gelebt hat, vielleicht gibt es ja Dinge, die wir erst begreifen, wenn wir dort ankommen, Dort ankommen, wo, Im Alter. Cipriano Algor entfernte sich in Richtung Ofen und flüsterte, als bete er eine Litanei ohne Bedeutung herunter, Marta, Marçal, Isaura, Achado, und dann in veränderter Reihenfolge, Marçal, Isaura, Achado, Marta, und wieder abgeändert, Isaura, Marta, Achado, Marçal, und schließlich, Achado, Marçal, Marta, Isaura, am Schluss fügte er noch seinen eigenen Namen hinzu, Cipriano, Cipriano, Cipriano, er wiederholte ihn so oft, bis er es nicht mehr zählen konnte, bis er spürte, dass ein Schwindel ihn aus sich selbst hinausschleuderte, bis er den Sinn des Gesagten nicht mehr verstand, da sprach er das Wort Ofen aus, das Wort Schuppen, das Wort Ton, das Wort Maulbeerbaum, das Wort Tenne, das 134
Wort Laterne, das Wort Erde, das Wort Holz, das Wort Tür, das Wort Bett, das Wort Friedhof, das Wort Henkel, das Wort Krug, das Wort Lieferwagen, das Wort Wasser, das Wort Töpferei, das Wort Kraut, das Wort Haus, das Wort Feuer, das Wort Hund, das Wort Frau, das Wort Mann, das Wort, das Wort, und alle Dinge dieser Welt, die benannten und die nicht benannten, die bekannten und die geheimen, die sichtbaren und die unsichtbaren, ließen sich nach und nach, wie ein Vogelschwarm, der des Fliegens müde war und aus den Wolken herabstieg, auf ihren Plätzen nieder, füllten die Leerstellen und brachten die Bedeutungen wieder in Ordnung. Cipriano Algor setzte sich auf eine alte Steinbank, die sein Großvater neben dem Ofen aufgestellt hatte, stützte die Ellbogen auf die Knie und legte das Kinn in die gefalteten Hände, er betrachtete nicht das Haus und nicht die Töpferei, nicht die Felder, die sich jenseits der Straße erstreckten, auch nicht die Dächer des Dorfes zu seiner Rechten, er betrachtete nur den Boden, der übersät war mit winzigen Stückchen gebrannten Tons, die helle, körnige Erde, die darunter hervorschien, eine vom Weg abgekommene Ameise, die mit ihren kräftigen Mundwerkzeugen eine Granne festhielt, die zweimal so groß war wie sie, den Umriss eines Steines, hinter dem der zierliche Kopf einer Eidechse hervorlugte, um gleich wieder zu verschwinden. Er hatte weder Gedanken noch Empfindungen, war einfach nur das größte dieser Tonstückchen, ein trockenes Klümpchen, das man mit einem leichten Fingerdruck zerkrümeln konnte, eine Granne, die sich von der Ähre gelöst hatte und durch Zufall von einer Ameise weggeschleppt wurde, ein Stein, auf dem sich gelegentlich ein lebendiges Wesen niederließ, ein Käfer, oder eine Eidechse, oder eine Illusion. Der Hund Achado schien aus dem Nichts aufzutauchen, er war nicht da gewesen und plötzlich war er da, legte unvermittelt seine Pfoten auf die Knie seines Herrn und zerstörte die Haltung des Betrachters der Nichtigkeiten dieser 135
Welt, der seine Zeit damit vergeudet, oder sie zu gewinnen glaubt, indem er die Ameisen, Käfer und Eidechsen befragt. Cipriano Algor strich ihm mit der Hand über den Kopf und stellte ihm eine weitere Frage, Was willst du, doch Achado antwortete nicht, sondern hechelte nur und öffnete sein Maul, als lächle er über die Belanglosigkeit dieser Frage. Da erklang Marçals rufende Stimme, Vater, komm, das Frühstück ist fertig. Es war das erste Mal, dass der Schwiegersohn so etwas tat, irgendetwas Unnormales musste im Haus und im Leben der beiden vor sich gehen, und er verstand nicht, was es war, stellte sich seine Tochter vor, wie sie sagte, Ruf du ihn, oder, was noch außergewöhnlicher wäre, Marçal, der sich anbot, Ich rufe ihn, irgendeine Erklärung muss es dafür geben. Er erhob sich von der Bank, streichelte dem Hund noch einmal über den Kopf, und dann verschwanden sie. Cipriano Algor bemerkte nicht, dass die Ameise niemals mehr den Pfad betreten würde, der zu ihrem Ameisenhaufen führt, noch immer hält sie die Granne mit ihren Mundwerkzeugen umklammert, doch ihre Reise endete dort, und schuld daran ist dieser Tollpatsch Achado, der nicht Acht gibt, wo er hintritt. Während sie frühstückten, teilte Marçal, als antworte er auf eine Frage, mit, dass er seine Eltern angerufen hätte, um ihnen zu sagen, dass er wegen einer dringenden Arbeit nicht mit ihnen zu Mittag essen könne, Marta wiederum äußerte die Meinung, dass sie mit dem Abtransport der Keramik heute noch nicht beginnen sollten, So könnten wir den Tag zusammen verbringen, man kann doch davon ausgehen, dass es bei zwei Wochen nicht auf einen Tag ankommt, Cipriano Algor meinte, dass er daran auch schon gedacht habe, vor allem wegen des Abteilungsleiters, der jederzeit anrufen könne, Ich muss hier sein, damit ich den Anruf entgegennehmen kann. Marta und Marçal blickten sich zweifelnd an, und Letzterer wandte vorsichtig ein, Ich an deiner Stelle würde mich nicht darauf verlassen, wir wissen doch, wie das Zentrum 136
funktioniert, Vergiss nicht, dass er selbst die Möglichkeit eingeräumt hat, mir heute schon eine Antwort zu geben, Trotzdem, es können auch nur schöne Worte gewesen sein, die man dahersagt, ohne ihnen allzu viel Bedeutung beizumessen, Es geht nicht darum, sich darauf zu verlassen oder nicht, wenn die Entscheidungsgewalt in den Händen anderer liegt und wir diese nicht in die eine oder andere Richtung beeinflussen können, dann bleibt uns nichts anderes übrig als zu warten. Sie mussten nicht lange warten, das Telefon klingelte, als Marta den Tisch abräumte. Cipriano Algor sprang auf, ergriff mit zitternden Fingern den Hörer, meldete sich mit Töpferei Algor, am anderen Ende fragte eine Sekretärin oder Telefonistin, Spreche ich mit Senhor Cipriano Algor, Ja, am Apparat, Einen Moment bitte, ich verbinde Sie mit dem Herrn Abteilungsleiter, eine endlose Minute lang wurde der Töpfer mit dieser Art Violinenmusik beschallt, wie sie mit manischer Insistenz solche Wartezeiten ausfüllt, er betrachtete seine Tochter, doch es war, als sähe er sie nicht, betrachtete den Schwiegersohn, doch es war, als sei dieser nicht da, plötzlich verstummte die Musik, die Verbindung war da, Guten Morgen Senhor Algor, sagte der Leiter der Abteilung Einkauf, Guten Morgen, Herr Abteilungsleiter, gerade eben habe ich zu meiner Tochter und zu meinem Schwiegersohn, der heute seinen freien Tag hat, gesagt, dass der Herr Abteilungsleiter heute bestimmt anruft, wo er es doch versprochen hat, Die gehaltenen Versprechen sollte man groß herausstreichen, um die nicht gehaltenen vergessen zu machen, Ja, das sollte man, Ich habe Ihr Angebot studiert, die verschiedenen Faktoren berücksichtigt, sowohl die positiven wie die negativen, Entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche, ich meine, etwas von negativen Faktoren gehört zu haben, Negativ nicht im strengen Sinne des Wortes, ich würde eher sagen Faktoren, die, obgleich sie im Grunde neutral sind, einen negativen Einfluss darstellen können. Ich habe gewisse Schwierigkeiten, dies zu verstehen, wenn Sie mir die 137
Bemerkung gestatten, Ich beziehe mich auf die Tatsache, dass Ihre Töpferei keine uns bekannte Erfahrung in der Herstellung der von Ihnen vorgeschlagenen Produkte vorzuweisen hat, Das stimmt, Herr Abteilungsleiter, aber sowohl ich als auch meine Tochter wissen, wie man modelliert, und ich kann ohne falsche Bescheidenheit sagen, dass wir gut modellieren, es stimmt zwar, dass wir uns nie im großen Stil dieser Arbeit gewidmet haben, aber das lag nur daran, dass die Töpferei von Anfang an auf die Herstellung von Keramikgeschirr ausgerichtet war, Ich verstehe, aber unter diesen Umständen war es nicht leicht, Ihren Vorschlag zu verteidigen, Heißt das, wenn Sie mir die Frage und Interpretation gestatten, Sie haben ihn verteidigt, Ja, ich habe ihn verteidigt, Und die Entscheidung, Die getroffene Entscheidung fiel positiv aus, für eine erste Phase, Ah, vielen Dank, Herr Abteilungsleiter, aber ich muss Sie bitten, mir das mit der ersten Phase zu erklären, Das bedeutet, dass wir einen Probeauftrag über jeweils zweihundert Figuren von jedem Modell erteilen werden, und dass die Möglichkeit zu weiteren Aufträgen natürlich davon abhängt, wie die Kunden das Produkt annehmen, Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll, Für das Zentrum, Senhor Algor, ist der beste Dank die Zufriedenheit unserer Kunden, wenn sie zufrieden sind, das heißt, wenn sie kaufen und immer wieder kaufen, dann sind wir es auch, sehen Sie sich an, was mit Ihrem Geschirr passiert ist, die Kunden haben sich nicht mehr dafür interessiert, und da sich, im Gegensatz zu anderen Fällen, bei diesem Produkt der Aufwand und die Ausgaben nicht gelohnt hätten, die Kunden davon zu überzeugen, dass sie im Irrtum sind, haben wir unsere Geschäftsbeziehung für beendet erklärt, das ist ganz einfach, wie Sie sehen, Ja, Herr Abteilungsleiter, das ist ganz einfach, hoffentlich ereilt diese Figuren nicht dasselbe Schicksal. Früher oder später wird es sie auch noch ereilen, so ist das mit allem im Leben, was nichts mehr wert ist, wird weggeworfen, Inklusive der Menschen, Genau, inklusive der Menschen, ich 138
selbst werde auch weggeworfen, wenn ich nichts mehr tauge, Sie sind doch ein Chef, Ich bin ein Chef, in der Tat, aber nur für die, die unter mir stehen, über mir gibt es andere Richter, Das Zentrum ist doch kein Gericht, Da täuschen Sie sich, es ist ein Gericht, und ich kenne kein unbarmherzigeres, Ehrlich gesagt verstehe ich nicht, warum Sie Ihre kostbare Zeit damit verschwenden, um mit einem unbedeutenden Töpfer über diese Dinge zu sprechen, Ich bemerke, dass Sie die Worte wiederholen, die Sie gestern von mir gehört haben, Ich glaube, mich vage daran erinnern zu können, Der Grund ist der, es gibt Dinge, die nur nach unten gesagt werden können, Und ich bin unten, Ich habe Sie nicht dort unten hingestellt, aber Sie sind es, Wenigstens dafür finde ich noch Verwendung, aber wenn Sie weiterhin Karriere machen, was mit Sicherheit der Fall sein wird, werden Sie noch viel mehr Menschen unter sich haben, Falls das passiert, wird Senhor Cipriano Algor für mich unsichtbar werden, Wie haben Sie vorher gesagt, so ist das Leben, So ist das Leben, aber vorläufig bin immer noch ich es, der Ihren Auftrag unterschreibt. Herr Abteilungsleiter, ich habe da noch eine Frage, die ich Ihnen gern unterbreiten würde, Was für eine Frage, Es geht um die Rücknahme der Keramik, Das ist doch schon beschlossene Sache, ich habe Ihnen eine Frist von vierzehn Tagen gegeben, Aber mir kam in der Zwischenzeit eine andere Idee, Was für eine Idee, Da es unser Interesse ist, unseres und das des Zentrums, den Auftrag so schnell wie möglich zu erledigen, würde es uns sehr helfen, wenn wir abwechseln könnten, Abwechseln, Ich meine, eine Woche Abholen der Keramik und eine Woche Arbeit an den Figuren, immer im Wechsel, Aber das würde bedeuten, dass es einen Monat statt zwei Wochen dauert, bis mein Lager geräumt ist, Ja, aber andererseits würden wir dadurch Zeit gewinnen, um mit der Arbeit voranzukommen, Sie sagten eine Woche Keramik, eine Woche Figuren, Ja, Herr Abteilungsleiter, Dann lassen Sie es uns doch 139
umgekehrt machen, die erste Woche soll für die Figuren sein, die darauf folgende für die Keramik, im Grunde ist es eine Frage der angewandten Psychologie, das Aufbauen war immer schon stimulierender als das Zerstören, Ich habe mich nicht getraut, so viel zu verlangen, Sie sind zu gütig, Herr Abteilungsleiter. Ich bin nicht gütig, nur praktisch, unterbrach ihn der Leiter der Abteilung Einkauf, Vielleicht ist Güte auch eine Frage des Praktischen, murmelte Cipriano Algor, Wiederholen Sie, was Sie gesagt haben, ich habe es nicht verstanden. Vergessen Sie es, Herr Abteilungsleiter, es war nicht wichtig, Was immer es war, wiederholen Sie es, Ich habe gesagt, dass die Güte vielleicht auch eine Frage des Praktischen ist, Das ist eine Töpferweisheit, Ja, Herr Abteilungsleiter, aber nicht alle Töpfer würden ihr zustimmen, Die Töpfer sterben aus, Senhor Algor, Meinungen wie diese ebenfalls. Der Abteilungsleiter antwortete nicht gleich, vielleicht überlegte er, ob es die Mühe lohne, sich weiterhin mit dieser Art Katz-undMaus-Spiel zu vergnügen, doch seine Position auf dem Organigramm des Zentrums erinnert ihn daran, dass die hierarchischen Konfigurationen sich dadurch definieren und erhalten, dass sie strengstens respektiert und niemals umgangen oder umgekehrt werden, ganz zu schweigen davon, dass es, wenn man Untergeordneten oder Untergebenen zu viel Vertrauen entgegenbringt, stets zu mangelndem Respekt und schließlich zu Liederlichkeit führt oder, um es mit deutlicheren, weniger zweideutigen Worten zu sagen, zu Aufmüpfigkeit, Disziplinlosigkeit und Anarchie. Marta, die seit einiger Zeit hartnäckig versucht hatte, die Aufmerksamkeit ihres Vaters auf sich zu lenken, jedoch ohne Erfolg, da dieser so gefangen war in dem verbalen Disput, kritzelte hektisch in großen Buchstaben zwei Fragen auf einen Zettel und hielt ihm diese vor die Nase, Welche, Wie viele. Als Cipriano Algor dies las, fasste er sich mit der freien Hand an den Kopf, seine Zerstreutheit war unverzeihlich, so viel Reden um des Redens 140
willen, so viel Argumente und Gegenargumente und das, was wirklich wichtig war, wusste er nur zum Teil, und auch nur, weil der Abteilungsleiter es ihm gesagt hatte, nämlich dass sie zweihundert Stück von jeder Figur bestellen wollten. Das Schweigen währte nicht so lange, wie es vielleicht schien, doch es muss noch einmal betont werden, dass in einem Augenblick des Schweigens, selbst wenn er kürzer ist als dieser, viele Dinge passieren können, und ist es, wie im vorliegenden Fall, nötig, diese aufzuzählen, zu beschreiben und zu erklären, um etwas verstehen zu können, das es wert ist, im Einzelnen wie im Ganzen betrachtet zu werden, dann gibt es bestimmt gleich wieder jemanden, der widerspricht, das sei unmöglich, die Welt passe nicht durch ein Nadelöhr, wobei doch erwiesen ist, dass das ganze Universum hindurchgepasst hat, und es würde noch viel mehr durchpassen, zwei Universen zum Beispiel. Aber nun ist es an der Zeit, dass Cipriano Algor, einen vorsichtigen Ton wählend, damit der schlafende Drache nicht zu unsanft geweckt wird, flüstert, Herr Abteilungsleiter, und es ist auch an der Zeit, dass der Leiter der Abteilung Einkauf einer Unterhaltung ein Ende setzt, die er morgen vielleicht aus oben dargelegten Gründen bereut, Gut, dann sind wir uns einig, Sie können mit der Arbeit beginnen, der schriftliche Auftrag geht heute noch raus, und es ist endlich an der Zeit, dass Cipriano Algor sagt, dass es da noch ein kleines Detail zu regeln gäbe, Und was für ein Detail ist das, Herr Abteilungsleiter, was für welche sind es, was heißt das, Sie haben von einem Detail gesprochen, nicht von mehreren, Welche von den sechs Figuren wollen Sie bestellen, das muss ich noch wissen, Alle, antwortete der Leiter der Abteilung Einkauf, Alle, wiederholte Cipriano Algor verdutzt, doch das hörte der andere schon nicht mehr, er hatte aufgelegt. Verwirrt sah der Töpfer seine Tochter an, danach den Schwiegersohn, Das hätte ich nie erwartet, ich habe es mit meinen eigenen Ohren gehört und kann es nicht glauben, er hat gesagt, dass er zweihundert von allen bestellen 141
will, Von den sechs, fragte Marta, Ich glaube, ja, genau das hat er gesagt, von allen. Marta lief auf ihren Vater zu und umarmte ihn fest, ohne ein Wort zu sagen. Marçal näherte sich ebenfalls dem Schwiegervater, Manchmal läuft alles schlecht, doch dann kommt ein Tag, der nur gute Nachrichten bringt. Hätte Cipriano Algor nur ein klein wenig mehr darauf geachtet, was gerade gesagt wurde, hätte ihn die Freude über die gesicherte Arbeit nicht derart abgelenkt, dann hätte er ganz bestimmt wissen wollen, welche andere gute Nachricht oder Nachrichten dieser Tag noch gebracht hätte. Im Übrigen wäre der erst vor wenigen Stunden zwischen den werdenden Eltern geschlossene Pakt des Schweigens hier fast gebrochen worden, Marta wurde dies bewusst, als sie bereits ihre Lippen formte, um zu sagen, Vater, ich glaube, ich bin schwanger, doch es gelang ihr, die Worte zurückzuhalten. Weder Marçal, der sich fest an die Abmachung hielt, noch Cipriano Algor, der völlig ahnungslos war, bemerkten es. In Wahrheit hätte dies nur von einem Menschen verstanden werden können, der, außer dass er von den Lippen ablesen kann, was eine relativ verbreitete Fähigkeit ist, auch noch in der Lage ist vorherzusagen, was diese verkünden wollen, wenn der Mund gerade erst geöffnet wird. Diese magische Fähigkeit ist so selten wie jene, die wir an anderer Stelle bereits erwähnten, nämlich die, in den Körper hineinsehen zu können, durch den Hautsack hindurch, der ihn umhüllt. Trotz des verführerischen Tiefgangs dieser beiden Themen, die Anlass gäben zu den spannendsten Reflexionen, müssen wir sie sofort wieder verlassen, um unsere Aufmerksamkeit dem zuzuwenden, was Marta gerade gesagt hat, Vater, rechne doch mal, sechs mal zweihundert macht tausendzweihundert, wir werden tausendzweihundert Figuren abliefern müssen, das ist viel Arbeit für zwei Menschen und unheimlich wenig Zeit, um sie auszuführen. Die erschreckende Zahl ließ die andere gute Nachricht des Tages in den Hintergrund treten, die als gesichert geltende Möglichkeit eines 142
Kindes von Marçal und Marta verlor plötzlich an Kraft, wurde wieder zu der bloßen Möglichkeit der vorhergegangenen Tage, die zufällige oder beabsichtigte Auswirkung eines Geschlechtsaktes zwischen einem Mann und einer Frau, den wir als natürlich und ungeschützt bezeichnen. Da sagte der Wachmann im Innendienst Marçal Gacho halb im Ernst, halb im Spaß, Ich ahne, dass ich ab jetzt in dieser Landschaft keinen Platz mehr habe, ich hoffe nur, dass ihr wenigstens nicht vergesst, dass ich existiere. Du hast noch nie so sehr existiert wie jetzt, antwortete Marta, und Cipriano Algor hörte für einen Augenblick auf, an die tausendzweihundert Figuren zu denken, um sich zu fragen, was sie wohl damit hatte sagen wollen.
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DIE LEUTE, die im Zentrum leben, sterben doch, sagte Cipriano Algor, als er, nachdem er den Schwiegersohn zu seinen Pflichten gebracht hatte, gefolgt von dem Hund das Haus betrat. Ich glaube kaum, dass irgendjemand je das Gegenteil behauptet hat, antwortete Marta, es ist doch allgemein bekannt, dass sie da drin ihren eigenen Friedhof haben, Den Friedhof sieht man von der Straße aus nicht, aber den Rauch schon, Was für einen Rauch, Den vom Krematorium, Im Zentrum gibt es doch kein Krematorium, Gab es nicht, aber gibt es jetzt, Wer hat dir das erzählt, Marçal, als wir in die Straße einfuhren, habe ich den Rauch über den Dächern aufsteigen sehen, darüber wurde immer schon gemunkelt, nun hat es sich bestätigt, Marçal sagt, sie hätten Platzprobleme bekommen, Was mich persönlich verwundert, ist der Rauch, ich hätte wetten können, dass die moderne Technik ihn längst eliminieren kann, Wahrscheinlich machen sie irgendwelche Versuche, verbrennen irgendwas anderes, altes Zeugs, das aus der Mode gekommen ist, wie unsere Teller, Denk nicht mehr an die Teller, auf uns wartet eine Menge Arbeit, Ich bin so schnell gekommen, wie ich konnte, habe Marçal nur am Eingang abgesetzt und bin sofort umgekehrt, antwortete Cipriano Algor. Er verschwieg den kleinen Umweg, der es ihm ermöglicht hatte, am Haus von Isaura Estudiosa vorbeizufahren, doch er merkte nicht, dass seine Worte nach einer improvisierten Rechtfertigung klangen, oder aber er begriff, dass sie es waren, konnte es jedoch nicht mehr verhindern. Es stimmt, dass ihm der Mut gefehlt hatte, den Lieferwagen anzuhalten und an der Tür der Witwe Joaquim Estudiosos anzuklopfen, doch das war nicht der einzige Grund, weshalb er gekniffen hatte, um einen starken Ausdruck zu wählen, was er in erster Linie befürchtete, war, der Frau gegenüberzustehen und nicht zu wissen, was er sagen 144
sollte, und dass er aus lauter Verzweiflung schließlich nach dem Krug fragen würde. Ein gewichtiger Zweifel wird für immer und ewig bestehen bleiben, und zwar der, ob Cipriano Algor, wäre es hi m möglich gewesen, diese zwei Minuten lang mit Isaura Estudiosa zu sprechen, beim Nachhausekommen genauso von den Toten, dem Rauch und den Krematorien gesprochen hätte, oder ob nicht stattdessen die Freude über eine angenehme Unterhaltung zwischen Tür und Angel in seinem Geiste ein gefälligeres Thema hätte aufkommen lassen, zum Beispiel die Rückkehr der Schwalben oder die Vielzahl der Blumen, die man auf den Feldern bereits sehen konnte. Marta breitete die sechs letzten Zeichnungen der Vorbereitungsphase auf dem Küchentisch aus, in der Reihenfolge, in der die Figuren ausgewählt wurden, der Narr, der Clown, die Krankenschwester, der Eskimo, der Mandarin und der bärtige Assyrer, die in jeder Hinsicht denen glichen, die dem Leiter der Abteilung Einkauf zur Beurteilung vorgelegt worden waren, der eine oder andere minimale Unterschied rechtfertigt es nicht, sie als eine andere Version desselben Vorschlags zu bezeichnen. Marta zog einen Stuhl heran, damit der Vater sich setzen konnte, doch dieser blieb lieber stehen. Er stützte sich mit den Händen auf der Tischplatte ab, betrachtete die Figuren eine nach der anderen und sagte schließlich, Es ist schade, dass wir nicht auch die Profilansichten haben, Wozu, Das würde uns eine klarere Vorstellung vermitteln, wie wir sie herstellen müssen, Meine Idee war, falls du dich erinnerst, sie nackt zu modellieren und dann zu bekleiden, Ich glaube nicht, dass das eine gute Lösung ist, Warum, Du vergisst, dass es tausendzweihundert sind, Ich weiß wohl, dass es tausendzweihundert sind, Tausendzweihundert nackte Statuetten herstellen und sie hinterher einzeln einkleiden hieße, etwas tun und es dann noch einmal tun, das wäre die doppelte Arbeit, Du hast Recht, es war dumm von mir, das nicht zu bedenken, Wenn es darum geht, 145
war ich genauso dumm wie du, weil wir dachten, das Zentrum würde nicht mehr als drei oder vier Figuren auswählen, und es kam uns gar nicht in den Sinn, dass der erste Auftrag so umfangreich sein könnte, Daher bleibt uns nur eine Wahl, sagte Marta, Richtig, Nämlich die sechs Figuren zu modellieren, die wir für die Negativformen brauchen, sie zu brennen, die Ummantelungen herzustellen, zu entscheiden, ob wir mit Gießton oder mit Eindrückformen arbeiten, Für den Gießton haben wir, glaube ich, nicht genügend Erfahrung, nur theoretisch zu wissen, wie man es macht, reicht nicht aus, wir haben hier immer mit den Fingern eingedrückt, sagte Cipriano Algor, So soll es denn auch der Finger sein, Die Ummantelungen können wir bei einem Schreiner aus der Gegend bestellen, Aber zuerst müssen die Profile gezeichnet werden, sagte Marta, und natürlich auch die Rückenansichten, Die wirst du erfinden müssen, Das ist nicht so schwer, nur ein paar einfache Linien, die das Modellieren im Groben anleiten. Sie waren wie zwei friedliche Generäle, die ihren Operationsplan studierten, die Strategie und die Taktik ausarbeiteten, die Kosten berechneten und die Opfer abschätzten. Die Feinde, die zu bezwingen sind, sind diese sechs halb ernsten, halb grotesken Figürchen aus bemaltem Papier, man wird sie mit den Waffen Ton und Wasser, Holz und Gips, Farbe und Feuer und auch der unermüdlichen Liebkosung durch die Hände zur Aufgabe zwingen müssen, denn das eine wie das andere braucht man nicht nur für die Liebe. Da sagte Cipriano Algor, Auf eine Sache müssen wir auch noch achten, dass nämlich die Formen nur aus zwei Teilen bestehen, wäre es auch nur einer mehr, würde uns das die Arbeit sehr erschweren, Ich glaube, zwei dürften hier ausreichen, die Figuren sind einfach, Vorderseite und Rückseite, fertig, ich will mir gar nicht ausmalen, was für Schwierigkeiten wir hätten, wenn wir uns an den Landsknecht oder den Fechter gewagt hätten, oder an den Gräber oder den 146
Flötenspieler, oder an den Lanzenreiter zu Pferde, oder an den Musketier mit Federhut, sagte Marta, Oder an das Skelett mit Flügeln und Sense, oder an die Heilige Dreifaltigkeit, sagte Cipriano Algor, Hatte es Flügel, Wen meinst du, Das Skelett, Ja, obwohl ich nicht verstehe, warum zum Teufel sie ihn mit Flügeln dargestellt haben, wo er doch sowieso schon überall ist, sogar im Zentrum, wie sich heute Morgen gezeigt hat, Ich vermute, das stammt aus deiner Zeit, dieses Sprichwort, wer von Schiffen spricht, will eine Reise tun, Das stammt nicht aus meiner Zeit, sondern schon aus der deines Urgroßvaters, der nie das Meer gesehen hat, doch spricht der Enkel von Schiffen, so will er nicht vergessen, dass er keine Reise tun will, Waffenstillstand, mein Herr Vater, Ich sehe keine weiße Fahne, Hier hast du sie, sagte Marta und gab ihm einen Kuss. Cipriano Algor legte die Zeichnungen zusammen, der Schlachtplan war entworfen, nun musste er nur noch in das Horn blasen und den Befehl zum Angriff geben, Avanti, an die Arbeit, doch im letzten Augenblick entdeckte er, dass an dem Hufeisen des Pferdes des Generalstabs noch ein Nagel fehlte, und vielleicht hinge ja das Kriegsglück gerade von diesem Hufeisen und diesem Nagel ab, denn bekanntlich gibt man einem lahmenden Pferd keine Botschaften mit, oder aber, falls doch, dann muss man damit rechnen, dass sie auf der Strecke bleiben. Es gibt da noch ein Problem, und ich hoffe, es ist das letzte, sagte Cipriano Algor, Was ist dir jetzt noch eingefallen, Die Formen, Darüber haben wir doch schon gesprochen, Wir haben von den Mutterformen gesprochen, nur von den Mutterformen, und die müssen wir aufbewahren, worum es mir geht, das sind die Formen für die Produktion, wir dürfen nicht glauben, dass wir zweihundert Figuren mit einer einzigen Form machen können, das würde sie nicht lange aushalten, wir würden mit einem bartlosen Clown beginnen und mit einer bärtigen Krankenschwester enden. Marta hatte ihre Augen abgewandt, als sie die ersten Worte gehört hatte, sie spürte, dass ihr das 147
Blut in den Kopf schoss und dass sie nichts tun konnte, um es wieder in das schützende Geflecht der Venen und Arterien zurückzuzwingen, dorthin, wo Peinlichkeit und Scham sich mit Natürlichkeit und Schlichtheit kleiden, schuld daran war dieses Wort Mutter, und all die anderen, die darin ihren Ursprung haben, Mutterschaft, Muttersein, mütterlich, schuld daran war ihr Schweigen, Vorerst sagen wir meinem Vater noch nichts davon, hatte sie gesagt, und nun konnte sie nicht mehr schweigen, es stimmt zwar, dass eine Verspätung von zwei oder drei Tagen, wenn wir den heutigen mitzählen, für die meisten Frauen gar nichts ist, doch ihre Regel war stets pünktlich gekommen, mathematisch genau, absolut regelmäßig, ein biologisches Pendel sozusagen, wenn in ihrem Kopf auch nur der allerwinzigste Zweifel bestanden hätte, dann hätte sie es nicht sofort Marçal mitgeteilt, und jetzt, was tun, der Vater wartet auf eine Antwort, der Vater schaut sie befremdet an, sie hatte nicht einmal über seinen Witz mit der bärtigen Krankenschwester gelächelt, weil sie es einfach nicht gehört hatte, Warum wirst du rot, sie konnte ihm unmöglich antworten, dass es nicht stimmt, dass sie gar nicht rot wird, ein wenig später, ja, da würde sie dies sagen können, weil sie plötzlich ganz blass wird, gegen dieses verräterische Blut und seine widersprüchlichen Arten der Anklage gibt es keinen anderen Schutz als ein vollständiges Geständnis, Vater, ich glaube, ich bin schwanger, sagte sie und senkte den Blick. Cipriano Algor zog schlagartig die Augenbrauen hoch, sein Gesichtsausdruck wechselte von Befremdung zu Überraschung und Verwirrung, dann schien er nach den passenden Worten zu suchen, doch er fand nur diese. Warum sagst du mir das jetzt, warum sagst du mir das so, natürlich wird sie nicht antworten, Es fiel mir plötzlich ein, jetzt war Schluss mit der Verstellung, Weil du das Wort Mutter verwendet hast, Habe ich wirklich dieses Wort ausgesprochen, Ja, als du von den Formen sprachst, Du hast Recht, jetzt fällt es 148
mir ein. Das Gespräch glitt schnell ins Absurde ab, ins Komische, Marta verspürte eine verrückte Lust zu lachen, doch plötzlich kamen ihr die Tränen, die Farben kehrten in ihr Gesicht zurück, es ist nichts Ungewöhnliches, dass so entgegengesetzte, so gegensätzliche Gefühlsregungen wie diese sich auf so ähnliche Weise äußern, Ich glaube es, Vater, ich glaube, dass ich schwanger bin, Du bist dir also noch nicht sicher, Doch, ich bin mir sicher, Warum sagst du dann, du glaubst es, Was weiß ich, die Verwirrung, die Nervosität, es ist doch das erste Mal, Weiß es Marçal schon, Ich habe es ihm gesagt, als er kam, Deswegen wart Ihr gestern früh so anders als sonst, Ach was, das hast du dir nur eingebildet, wir waren wie immer, Du glaubst doch nicht etwa, dass deine Mutter und ich wie immer waren an dem Tag, als es um dich ging, Natürlich nicht, entschuldige. Das Verhör, das Marta von Anfang an befürchtet hatte, war nun da, Und warum hast du es mir noch nicht gesagt, Sorgen hast du doch schon mehr als genug, Vater, Sehe ich so aus, als würde ich mir Sorgen machen, jetzt, wo ich es weiß, fragte Cipriano Algor, Besonders glücklich siehst du aber auch nicht aus, bemerkte Marta in dem Versuch, das Verhängnis abzuwenden, Ich freue mich innerlich, aber du hast doch nicht erwartet, dass ich zu tanzen anfange, das ist nicht meine Art, Habe ich dich verletzt, Ja, das hast du, wenn ich nicht das Wort Mutter verwendet hätte, wie lange noch hätte ich nicht gewusst, dass meine Tochter schwanger ist, wie lange noch hätte ich dich angesehen, ohne zu wissen, was los ist, Vater, bitte, Wahrscheinlich bis man es gemerkt hätte, bis die Übelkeit angefangen hätte, dann hätte ich dich fragen müssen Bist-dukrank-dein-Bauch-ist-so-aufgebläht, und du hättest geantwortet Was-für-ein-Unsinn-Vater-ich-bin-schwanger-ich-habe-ganz vergessen-es-dir-zu-sagen, Vater, bitte, wiederholte Marta, bereits unter Tränen, heute dürfte kein Tag für Tränen sein, Du hast Recht, ich bin egoistisch, Nein, das bist du nicht, Ich bin 149
egoistisch, aber so sehr ich mich auch bemühe, ich verstehe einfach nicht, warum du es mir nicht gesagt hast, du hast von Sorgen gesprochen, meine Sorgen sind doch auch deine Sorgen, die Töpferei, die Keramik, die Figuren, die Zukunft, wer eine Sache teilt, teilt doch auch die andere, Marta fuhr sich mit den Fingern über das feuchte Gesicht, Es gab noch einen anderen Grund, aber es war kindisch von mir, mir Gefühle vorzustellen, die höchstwahrscheinlich gar nicht vorhanden sind, und wenn sie vorhanden sind, dann muss ich mich auch nicht in Dinge einmischen, die mich nichts angehen, Was ist das für eine Geschichte, was willst du damit sagen, fragte Cipriano Algor, doch sein Ton hatte sich verändert, die Anspielung auf irgendwelche unklaren Gefühle, deren Existenz mal angezweifelt und dann wieder angenommen wurde, hatte ihn verwirrt, Ich meine Isaura Estudiosa, fuhr Marta fort, als schubse sie sich selbst ins kalte Wasser, Was, rief der Vater aus, Ich dachte mir, wenn du an ihr interessiert bist, wie es mir manchmal vorkommt, und ich komme dann damit an, dass du bald ein Enkelkind bekommst, das könnte, ich weiß, dass es absurde Skrupel sind, aber sie waren einfach da, Das könnte was, Ich weiß nicht, das könnte dich daran erinnern, du könntest dir vielleicht selbst komisch vorkommen, Das heißt idiotisch und lächerlich, Das hast du gesagt, nicht ich, Mit anderen Worten, der alte Witwer, der sich herumtreibt und einer Frau, die ebenfalls Witwe ist, nur etwas jünger, schöne Augen macht, und plötzlich kommt die Tochter von dem Alten an und teilt ihm mit, dass er Opa wird, das ist, als ob man sagt, lass es sein, die Zeiten sind für dich vorbei, begnüge dich damit, mit deinem Enkelchen spazieren zu gehen und danke dem Himmel mit erhobenen Armen, dass du so viel erleben durftest, O Vater, Es wird dir sehr schwer fallen, mich davon zu überzeugen, dass nicht genau so etwas der Grund für deine Entscheidung war, mir zu verschweigen, was du mir hättest gleich erzählen sollen, Jedenfalls war es nicht aus böser 150
Absicht, Das fehlte ja noch, Entschuldige bitte, flüsterte Marta niedergeschlagen, und das Weinen kehrte unweigerlich zurück. Der Vater strich ihr langsam mit der Hand über das Haar und sagte, Lass gut sein, die Zeit ist ein Zeremonienmeister, der uns letzten Endes immer wieder auf den Platz verweist, der uns zusteht, auf sein Geheiß hin schreiten wir voran, bleiben wir stehen und gehen zurück, unser Fehler ist, dass wir uns einbilden, wir könnten ihm entkommen. Marta ergriff die Hand, die sich bereits zurückzog, drückte sie heftig gegen ihre Lippen und küsste sie, Entschuldige, entschuldige, wiederholte sie. Cipriano Algor wollte sie trösten, doch die Worte, die aus seinem Mund kamen, Lass gut sein, im Grunde ist es nicht von Bedeutung, waren gewiss nicht die richtigen dafür. Verwirrt ging er hinaus zur Tenne, mit dem untrüglichen Gefühl, seiner Tochter Unrecht getan zu haben, und schlimmer noch, in dem Bewusstsein, soeben über sich selbst genau das gesagt zu haben, was er bisher nicht hatte wahrhaben wollen, dass nämlich seine Zeit als Mann vorbei war, dass die Frau namens Isaura Estudiosa in all diesen Tagen nicht mehr gewesen war als eine Phantasie in seinem Kopf, eine Illusion, der er aus freien Stücken erlegen war, eine letzte Erfindung des Geistes zum Troste des traurigen Fleisches, ein übersteigerter Effekt des blassen Dämmerlichts, ein kurzlebiger Hauch, der ihn streifte, ohne eine Spur zu hinterlassen, der winzige Regentropfen, der herabfiel und sofort wieder trocknete. Der Hund Achado spürte, dass sein Herr wieder nicht in bester Stimmung war, gestern erst, als er ihn am Ofen abgeholt hatte, war ihm dieser abwesende Ausdruck merkwürdig vorgekommen, als fände er es angenehm, an Dinge zu denken, die eigentlich nicht zu verstehen sind. Achado berührte mit seiner kalten, feuchten Nase Cipriano Algors Hand, irgendjemand musste dieses primitive Tier bereits gelehrt haben, wie man die Vorderpfote hebt, denn das machen Hunde, denen die sozialen Regeln beigebracht wurden, irgendwann 151
ganz selbstverständlich, im Übrigen ist dies auch die einzige Art zu vermeiden, dass die geliebte Hand des Gebieters sich plötzlich dem Kontakt entzieht, was letztlich der Beweis dafür ist, dass in der Beziehung zwischen den menschlichen und den hündischen Wesen noch nicht alles geklärt ist, vielleicht weil Feuchtigkeit und Kälte alte Ängste in den eher archaischen Schichten unseres Gehirns wecken, die Angst vor der hartnäckigen Schleimigkeit mancher Riesenschnecken, der kalten, wellenförmigen Berührung einer Schlange, dem eisigen Hauch einer von Wesen aus einer anderen Welt bewohnten Grotte. Deshalb zog Cipriano Algor tatsächlich seine Hand zurück, obwohl die Tatsache, dass er gleich darauf Achados Kopf streichelte, womit er offensichtlich um Entschuldigung bat, als Anzeichen dafür gesehen werden muss, dass er eines Tages vielleicht nicht mehr so reagieren wird, vorausgesetzt natürlich, die Zeit des Zusammenlebens der beiden wird so lange ausgedehnt, dass das, was sich bisher noch als instinktive Abwehr darstellt, zu etwas Gewohntem werden kann. Dem Hund Achado ist es verwehrt, diese Zimperlichkeiten zu verstehen, der Gebrauch, den er von seiner Nase macht, ist für ihn etwas Natürliches, Naturgegebenes und daher sehr viel Gesünderes und Authentischeres als der menschliche Händedruck, so herzlich dieser unserem Seh- und Tastsinn auch erscheinen mag. Der Hund Achado will einfach nur wissen, wohin sein Herr zu gehen gedenkt, wenn er beschließt, aus dieser fast starren Versunkenheit aufzutauchen, in der er ihn gerade erlebt. Um ihm zu verstehen zu geben, dass er auf eine Entscheidung wartet, wiederholt er die Berührung mit der Nase, und da Cipriano Algor sich gleich darauf in Richtung Ofen aufmacht, veranlasste der tierische Geist, der, so viel man auch protestieren mag, der logischste aller Geister dieser Welt ist, Achado zu der Schlussfolgerung, dass im Leben der Menschen ein Mal nicht ausreicht. Während Cipriano Algor sich schwer auf die Steinbank fallen ließ, schnüffelte der Hund 152
an dem großen Stein, unter dem die Eidechse aufgetaucht war, doch die offensichtlichen Sorgen seines Herrn übten einen stärkeren Einfluss auf sein Gemüt aus als die Verlockung einer zweifelhaften Jagd, daher dauerte es nicht lange, bis er sich in seiner vollen Länge vor seinem Herrn niederließ, bereit für eine interessante Unterhaltung. Das erste Wort, das der Töpfer aussprach, Schluss damit, präzise und lakonisch wie ein Urteil ohne Begründung, schien keine weiteren Ausführungen zu versprechen, dennoch, in solch einem Fall war es für einen Hund immer schon das Beste gewesen, sich so lange still zu verhalten, bis das Schweigen des Herrn müde wurde, Hunde wissen nämlich ganz genau, dass die menschliche Natur per definitionem geschwätzig ist, unvorsichtig, indiskret, klatschsüchtig und unfähig, den Mund zu schließen und geschlossen zu halten. In Wirklichkeit werden wir uns nie die abgründige Tiefe vorstellen können, die die Beobachtung eines solchen Tieres erreichen kann, wenn es uns fest ansieht, wir meinen, dass es uns einfach nur ansieht, und merken nicht, dass es nur so aussieht, als würde es uns ansehen, während es uns in Wirklichkeit gesehen und gleich danach abgeschaltet hat, es ließ uns wie Idioten an unserer eigenen Oberfläche herumstrampeln und die Welt mit geschwätzigen, wertlosen Erklärungen besprenkeln. Das Schweigen des Hundes und jenes berühmte Schweigen des Universums, das wir bei anderer Gelegenheit in einer theologischen Anspielung erwähnten, sind letztendlich, auch wenn ein Vergleich der beiden aufgrund ihrer so ungleichen materiellen und objektiven Dimensionen unmöglich erscheint, von ihrer Dichte und ihrem spezifischen Gewicht her genau das Gleiche wie zwei Tränen, der Unterschied liegt einzig in dem Schmerz, der sie hat austreten, hinabgleiten und hinunterfallen lassen. Schluss damit, sagte Cipnano Algor erneut, und Achado blinzelte nicht einmal, wusste er doch zu gut, dass das, womit Schluss war, nicht die Lieferung von Tellern an das Zentrum war, denn das 153
war bereits Geschichte geworden, der jetzige Fall hatte etwas mit Frauenröcken zu tun, und das konnten nur die von dieser Isaura Estudiosa sein, die er vom Lieferwagen aus gesehen hatte, als sein Herr ihr den Krug brachte, eine hübsche Frau, sowohl vom Gesicht als auch von der Figur her, obgleich hier angemerkt werden muss, dass diese Meinung nicht von Achado stammt, für ihn gibt es kein hässlich oder schön, der Schönheitsbegriff ist eine Erfindung des Menschen, Selbst wenn du der hässlichste aller Männer wärst, würde Achado, könnte er denn sprechen, zu seinem Herrn sagen, hätte deine Hässlichkeit keinerlei Bedeutung für mich, ich würde es nur wirklich befremdlich finden, wenn du plötzlich einen anderen Geruch hättest oder mir anders über den Kopf streicheln würdest. Das Unangenehme an den gedanklichen Abschweifungen ist die Leichtigkeit, mit der sie den Abschweifenden auf entfernte Wege führen und ihn so den Faden des Gesagten oder der Ereignisse verlieren lassen, was soeben Achado passierte, der den nächsten Satz Cipriano Algors erst aufschnappte, als dieser schon zur Hälfte gesagt war, deswegen fehlt ihm, wie man bemerken wird, die Majuskel, werde ich sie nicht mehr suchen, hatte der Töpfer zum Schluss gesagt, natürlich meinte er nicht die eigentliche Majuskel, zumal man diese beim Reden gar nicht verwendet, sondern die Frau namens Isaura Estudiosa, bei der er von diesem Augenblick an auf jegliche Art des Umgangs verzichten wollte, Ich habe mich benommen wie ein närrisches Kind, ab heute werde ich sie nicht mehr suchen, dies war der vollständige Satz, doch dem Hund Achado, der es zwar nie wagen würde, das wenige, das er gehört hatte, anzuzweifeln, konnte es nicht entgehen, dass der melancholische Gesichtsausdruck seines Herrn in offenem Widerspruch zu der Entschlossenheit seiner Worte stand, wir wissen jedoch, dass die Entscheidung Cipriano Algors endgültig ist, Cipriano Algor wird Isaura Estudiosa nicht mehr suchen, Cipriano Algor ist 154
seiner Tochter dankbar, dass sie ihn zur Vernunft gebracht hat, Cipriano Algor ist ein reifer, gereifter, aber noch nicht überreifer Mann und keiner dieser albernen Jünglinge, die, nur weil sie in dem Alter für unreflektierte Begeisterung sind, ständig hinter Phantasien, rosa Wolken und Einbildungen herlaufen, und diese selbst dann nicht aufgeben, wenn sie mit dem Kopf und den Gefühlen, die sie zu haben meinen, gegen die Wand rennen. Cipriano Algor erhob sich von der Steinbank, es schien ihm schwer zu fallen, sein eigenes Körpergewicht von dort hochzuziehen, was auch nicht weiter verwunderlich ist, denn das Gewicht, das ein Mensch selbst empfindet, ist nicht das gleiche, das die Mechanik der Waage anzeigen würde, manchmal ist es mehr, manchmal ist es weniger. Cipriano Algor wird das Haus betreten, doch im Gegensatz zu dem vorher Angekündigten wird er seiner Tochter nicht dafür danken, dass sie ihn zur Vernunft gebracht hat, das wäre zu viel verlangt von einem Mann, der gerade einen Traum beerdigt hat, auch wenn er noch so unerreichbar war wie dieser, einfach nur eine verwitwete Nachbarin, stattdessen wird er sagen, dass er die Ummantelungen beim Schreiner in Auftrag geben wird, das sei zwar nicht das Allerdringendste, was es zu tun gäbe, doch zumindest würde man dadurch ein wenig Zeit gewinnen, denn was Termine betrifft, konnte man sich auf Schreiner und Schneider noch nie verlassen, zumindest war das in den alten Zeiten so, mit der Konfektionskleidung und der Selbstbedienung hat sich die Welt sehr verändert. Bist du mir immer noch böse, fragte Marta, Ich war nie böse, es war nur eine kleine Enttäuschung, aber wir werden nicht den Rest unseres Lebens über diese Sache reden, du und Marçal, ihr werdet ein Kind bekommen, und ich ein Enkelkind, und alles wird sich zum Guten wenden, alles wird seinen Platz haben, es war an der Zeit, dass die Phantasien aufhörten, wenn ich zurückkomme, setzen wir uns hin und planen die Arbeit, wir müssen diese Woche so gut es 155
geht ausnutzen, denn nächste Woche werde ich mit dem Rücktransport beschäftigt sein, die meiste Zeit des Tages zumindest, Nimm den Lieferwagen, sagte Marta, dann wirst du nicht so müde, Das lohnt sich nicht, bis zur Schreinerei ist es doch nicht weit. Cipriano Algor rief den Hund, Lass uns gehen, Hund, und Achado lief hinter ihm her, Vielleicht trifft er sie ja, dachte er. So sind die Hunde, wenn es ihnen einfällt, denken sie für ihren Herrn.
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DIE GRÜNDE zur Klage über die unbarmherzige Geschäftspolitik des Zentrums, wie Cipriano Algor sie empfand, wurden in dieser Erzählung bereits ausführlich aus dem Blickwinkel einer offenen Klassensympathie dargelegt, ohne dass dadurch, wie wir meinen, der strenge Verzicht auf eine Wertung aufgegeben wurde, sie dürfen jedoch nicht vergessen machen, auch wenn wir dadurch riskieren, den hitzigen Konflikt in der historischen Beziehung zwischen Kapital und Arbeit wieder anzufachen, sie dürfen also nicht vergessen machen, wie wir bereits bemerkten, dass besagter Cipriano Algor auch einen Teil Eigenschuld an dem Ganzen trägt, dabei besteht seine erste, naive, unerfahrene Schuld, die jedoch, wie so oft bei Unerfahrenheit und Naivität, bösartige Wurzel weiterer Schuld ist, darin, dass er dachte, bestimmte Geschmacksrichtungen und Bedürfnisse der Zeitgenossen seines Großvaters, des Gründers der Töpferei, seien, was Keramikprodukte betrifft, per omnia saecula saeculorum oder zumindest zeit seines eigenen Lebens unveränderlich, was bei genauerer Betrachtung auf dasselbe hinausläuft. Wir haben bereits gesehen, auf welch höchst handwerkliche Art hier der Ton geknetet wird, haben bereits gesehen, wie rustikal und fast primitiv diese Drehscheiben sind, und wir haben gesehen, welch unzulässige Merkmale von Altertümlichkeit der Ofen dort draußen aufweist, in einer modernen Zeit, die trotz der empörenden Mängel und Unduldsamkeiten, die sie kennzeichnen, so gnädig war, bis heute die Existenz einer Töpferei wie dieser zuzulassen, wo doch ein Zentrum wie jenes existiert. Cipriano Algor beklagt sich, er beklagt sich, doch er scheint nicht zu begreifen, dass der Ton heute ganz anders gelagert werden muss, dass die moderne Gebrauchskeramik bald schon in Labors hergestellt werden wird, von Angestellten in weißen Kitteln, die Notizen machen, und makellosen 157
Robotern, die die Arbeit ausführen. Hier fehlen zum Beispiel ganz dringend die Hygrometer, die die Luftfeuchtigkeit messen, und elektronische Apparate, die in der Lage sind, diese konstant zu halten und korrigierend einzugreifen, wenn die Werte überschritten oder unterschritten werden, man kann nicht mehr nur mit Augenmaß und Über-den-Daumen-peilen arbeiten, mit Betasten und Beschnüffeln, nach den veralteten technischen Verfahren Cipriano Algors, der seiner Tochter gerade mit der größten Selbstverständlichkeit erklärte, Der Ton ist gut, er hat genau die richtige Feuchte und Plastizität, lässt sich leicht bearbeiten, aber, fragen wir uns, wie kann er sich dessen so sicher sein, wenn er nur seine Hand aufgelegt, wenn er nur ein wenig gedrückt und ein bisschen von der Masse zwischen Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger hin und her geknetet hat, als beurteile er mit geschlossenen Augen, ganz dem prüfenden Tastsinn hingegeben, nicht eine homogene Mischung aus rotem Ton, Kaolin, Kieselerde und Wasser, sondern das Gewebe eines Seidenstoffes. Am wahrscheinlichsten ist, wie wir an einem der letzten Tage bereits Gelegenheit hatten darzulegen, dass seine Finger es wissen, und nicht er. Auf jeden Fall muss das Urteil Cipriano Algors mit der physikalischen Beschaffenheit des Tons übereinstimmen, zumal Marta, die sehr viel jünger, sehr viel moderner ist, sehr viel mehr aus dieser Zeit stammt, und, wie wir wissen, auch keine Anfängerin in diesen Künsten ist, ohne einen Einwand zu einem anderen Thema überging und den Vater fragte, Meinst du, die Menge reicht für die tausendzweihundert Figuren, Ich denke, schon, aber ich werde versuchen, sie noch etwas zu strecken. Sie gingen hinüber in die Räume der Töpferei, in denen die Farben und anderen Materialien für die äußere Gestaltung aufbewahrt wurden, sie registrierten, was da war, schrieben auf, was fehlte, Wir werden mehr Farben brauchen, als wir jetzt haben, sagte Marta, die Figuren müssen etwas fürs Auge sein, Und wir brauchen 158
Gips für die Formen, und Trennseife und Petroleum für die Farben, fügte Cipriano Algor hinzu, wir holen am besten alles, was fehlt, auf einmal, damit wir nachher nicht die Arbeit unterbrechen und einkaufen gehen müssen. Martas Gesicht hatte plötzlich einen nachdenklichen Ausdruck angenommen, Was ist los, fragte der Vater, Ich sehe da ein echtes Problem, Was für eins, Wir hatten doch beschlossen, dass wir zur Herstellung der Negativformen mit der Eindrücktechnik arbeiten, Genau, Aber wir haben nicht über die Herstellung der eigentlichen Figuren gesprochen, wir können doch unmöglich tausendzweihundert Figuren auf diese Art herstellen, das würden auch die Formen niemals aushalten, und unsere Arbeit wäre völlig unrentabel, das wäre so, als wollte man das Meer mit einem Eimer ausschöpfen, Du hat Recht, Das heißt, wir werden auf die Gießtonmethode zurückgreifen müssen, Wir haben zwar keine große Erfahrung damit, aber schließlich sind wir immer noch in einem lernfähigen Alter, Das ist nicht das Hauptproblem, Vater, Was dann, Ich erinnere mich, dass ich einmal gelesen habe, das Buch müssen wir übrigens hier irgendwo haben, dass es bei Gießtonfüllungen nicht empfehlenswert ist, einen rot brennenden Ton zu verwenden, der Kaolin enthält, und unserer enthält mindestens dreißig Prozent davon, Dieser Kopf ist nicht mehr zu allzu viel nütze, warum bin ich nur selbst nicht darauf gekommen, Mach nicht dir allein die Vorwürfe, wir arbeiten eben normalerweise nicht mit Gießton, Ja, das stimmt, aber das ist doch das Grundwissen der Töpferei, das Abc dieses Handwerks. Sie sahen sich verunsichert an, waren nicht mehr Vater und Tochter, nicht zukünftiger Großvater und werdende Mutter, sondern einfach nur zwei Töpfer in Gefahr, angesichts der ungeheuerlichen Aufgabe, dem gekneteten Ton das Kaolin zu entziehen und dann mittels Zugabe von magerem, rot brennendem Ton seinen Fettgehalt zu verringern. Ganz davon abgesehen, dass ein solches, schon fast alchimistisches Verfahren schlichtweg 159
unmöglich ist. Was machen wir bloß, fragte Marta, lass uns in dem Buch nachsehen, vielleicht, Das lohnt sich nicht, man kann dem Ton das Kaolin nicht mehr entziehen und ihn auch nicht mehr neutralisieren, es ist völlig sinnlos, darüber zu reden, wie sollte man das Kaolin entziehen oder neutralisieren können, frage ich dich, die einzige Lösung wird sein, einen anderen Ton mit den richtigen Bestandteilen fertig zu stellen, Dafür reicht die Zeit nicht, Vater, Ja, du hast Recht, dafür reicht die Zeit nicht. Sie verließen die Töpferei, zwei verzagte Menschen, denen Achado sich nicht einmal zu nähern wagte, und nun saßen sie in der Küche, sahen die Zeichnungen an, die wiederum sie ansahen, und hatten keine Ahnung, wie sich das Problem lösen ließe, wussten sie doch aus Erfahrung, dass die fetten Tonarten dazu neigen, zu sehr zu schrumpfen, brüchig zu werden und sich zu verformen, sie sind zu geschmeidig, zu weich, zu nachgiebig, was sie nicht wussten, war, wie sich dies beim Gießton auswirken würde und vor allem, was für negative Folgen es letztlich für die fertige Arbeit hätte. Marta suchte das Buch und fand es, darin stand, dass es bei der Zubereitung des Gießtons nicht ausreiche, den Ton in Wasser aufzulösen, man musste ein Verflüssigungsmittel verwenden, wie zum Beispiel Natriumsilikat, Natriumkarbonat oder Kaliumsilikat, auch Ätznatron wäre denkbar, wenn es nicht so gefährlich wäre, damit zu arbeiten, die Keramik ist die Kunst, in der es gänzlich unmöglich ist, die Chemie losgelöst von physikalischen und dynamischen Prozessen zu betrachten, Doch was das Buch nicht sagt, ist, was mit meinen Figuren passiert, wenn ich sie mit dem einzigen Ton, den ich habe, herstelle, Und doch wird uns nichts anderes übrig bleiben, aber da stellt sich das Problem der Menge, wären es nur wenige, könnte man die Formen mit dem Finger stopfen, aber tausendzweihundert, Heilige Jungfrau Maria. Wenn ich das richtig verstehe, sagte Cipriano Algor, sind die wichtigsten Bedingungen, die der Gießton erfüllen muss, die Dichte und der Flüssigkeitsgrad, 160
Das wird hier erklärt, sagte Marta, Dann lies mal vor, Bei der Dichte ist der Idealwert 1,7, mit anderen Worten, ein Liter Gießton muss tausendsiebenhundert Gramm wiegen, falls man über keinen richtigen Dichtemesser verfügt. Wenn Sie die Dichte Ihres Gießtons errechnen wollen, dann nehmen Sie ein Reagenzglas und eine Waage, wobei natürlich das Gewicht des Reagenzglases abgezogen werden muss, Und wie ist das mit dem Flüssigkeitsgrad, Um den Flüssigkeitsgrad zu messen, verwendet man ein Viskosimeter, das es in verschiedenen Ausführungen gibt, wobei die Messungen jeweils auf Skalen beruhen, denen unterschiedliche Kriterien zugrunde liegen, Dieses Buch hilft uns nicht viel weiter, Doch, es hilft uns weiter, hör zu, Ja, ich höre zu, Eines der gebräuchlichsten ist das Torsionsviskosimeter, das in Gallenkampgraden misst, Wer ist dieser Herr, Das wird hier nicht gesagt, Lies weiter, Nach dieser Skala bewegt sich der ideale Flüssigkeitsgrad zwischen zweihundertsechzig und dreihundertsechzig Grad, Findest du da drin nichts, was auch ich verstehen kann, fragte Cipriano Algor, Das kommt jetzt, sagte Marta und las vor, In unserem Fall werden wir eine handwerkliche Methode verwenden, die auf Erfahrungen basiert und nicht sehr genau ist, mit der man jedoch, wenn man etwas Übung hat, eine ungefähre Angabe machen kann, Was für eine Methode ist das, Man taucht die Hand tief in den Gießton ein und zieht sie dann wieder heraus, wobei man den Gießton an den gespreizten Fingern hinabfließen lässt, der Flüssigkeitsgrad gilt als gut, wenn sich beim Herunterfließen zwischen den Fingern eine Haut wie bei den Enten bildet, Wie bei den Enten, Ja, wie bei den Enten. Marta legte das Buch beiseite und sagte, Wir sind nicht viel weitergekommen, Etwas weiter sind wir schon gekommen, wir wissen nun, dass wir nicht ohne Verflüssigungsmittel arbeiten können und dass wir, solange wir keine Schwimmhaut haben, keine brauchbare Füllmasse haben werden. Zumindest hast du gute Laune, Mit der Laune ist es wie mit Flut und Ebbe, mal 161
steigt das Wasser, mal fällt es, meines ist gerade gestiegen, mal sehen, wie lange es anhält, Es muss anhalten, dieses Haus liegt in deiner Hand, Das Haus ja, aber nicht das Leben, So schnell wird die Flut zu Ebbe, fragte Marta, Gerade im Moment zögert sie, zweifelt, weiß nicht, ob sie steigen oder fallen soll, Dann halte dich an mich, ich fühle mich, als würde ich auf dem Wasser treiben, als hätte ich nicht die Gewissheit, das zu sein, was ich zu sein glaube, Manchmal denke ich mir, es wäre besser, wir wüssten nicht, wer wir sind, sagte Cipriano Algor, Wie Achado, Ja, ich kann mir vorstellen, dass ein Hund weniger über sich selbst weiß als über seinen Herrn, er ist nicht einmal in der Lage, sich in einem Spiegel wieder zu erkennen. Vielleicht ist der Spiegel des Hundes der Herr, vielleicht kann er sich nur in ihm erkennen, schlug Marta vor, Das ist eine schöne Vorstellung, Wie du siehst, können sogar die falschen Vorstellungen schön sein, Wir werden Hunde züchten, falls wir die Töpferei aufgeben müssen, Im Zentrum gibt es keine Hunde, Armes Zentrum, nicht einmal die Hunde mögen es, Das Zentrum mag keine Hunde, Das Problem hat nur der, der dort wohnt, unterbrach Cipriano Algor sie barsch. Marta erwiderte nichts, denn sie spürte, dass jedes weitere Wort Anlass zu neuem Streit bieten würde. Sie dachte sich, während sie ein weiteres Mal die abgenutzten Zeichnungen sortierte, Wenn morgen Marçal nach Hause kommt und sagt, dass er Wachmann mit Dienstwohnung geworden ist und wir umziehen müssen, dann hat all das, was wir jetzt machen, keinen Sinn mehr, egal, ob der Vater mitgeht oder nicht, die Töpferei wird so oder so zum Untergang verdammt sein, selbst wenn er darauf besteht, hier zu bleiben, er könnte nicht alleine arbeiten, und das weiß er auch. Was für Gedanken Cipriano Algor in der Zwischenzeit hegte, weiß man nicht, und es ist auch nicht der Mühe wert, welche für ihn zu erfinden, die dann vielleicht doch nicht mit den wirklichen, tatsächlich gedachten übereinstimmen, es sei uns jedoch erlaubt, in der Annahme, das 162
Wort sei den Menschen nicht dafür gegeben worden, dass sie mit ihren Gedanken hinter dem Berg halten, etwas ganz Ähnliches aus dem zu folgern, was der Töpfer nach einem langen Schweigen schließlich sagte, Schlimm ist nicht, eine Illusion zu haben, schlimm ist, sich etwas vorzumachen, denn wahrscheinlich hatte er das Gleiche gedacht wie seine Tochter, und die Schlussfolgerung des einen musste logischerweise die des anderen sein. In jedem Fall, fügte Cipriano Algor hinzu, ohne die sibyllinische Einfärbung dieser drei einleitenden Worte zu bemerken, oder vielleicht doch, vielleicht fiel es ihm just in dem Moment auf, als er sie aussprach, In jedem Fall kann man mit einem vertäuten Boot keine Reise tun, was immer morgen geschieht, wir müssen heute arbeiten, wer einen Baum pflanzt, weiß auch nicht, ob er sich später einmal daran erhängt, Bei einer so schwarzen Stimmung wird unser Boot bestimmt nicht fahren, sagte Marta, aber du hast Recht, die Zeit sitzt nicht hier herum und wartet, wir müssen uns an die Arbeit machen, meine erste Aufgabe ist jetzt, die Seiten- und Rückenansichten der Figuren zu zeichnen und sie zu kolorieren, ich denke, ich kann sie bis heute Abend fertig haben, falls mich niemand ablenkt, Wir erwarten keinen Besuch, sagte Cipriano Algor, und ich kümmere mich um das Mittagessen, Du musst es nur aufwärmen, es reicht, wenn du einen Salat machst, sagte Marta. Sie holte das Zeichenpapier, die Wasserfarben, Tuschkästen, Pinsel und einen alten Lappen, um sie abzuwischen, ordnete alles methodisch auf dem Tisch an, setzte sich und zog den bärtigen Assyrer zu sich heran, Mit dem hier fange ich an, sagte sie, Vereinfache, so viel du kannst, damit wir nicht nageln und klammern müssen, wenn sie aus der Form kommen, zwei Teile und nicht mehr, einen dritten würden wir schon nicht mehr schaffen, Ich werd's mir merken. Cipriano Algor sah seiner Tochter noch ein paar Minuten beim Zeichnen zu, dann ging er hinüber in die Töpferei. Er wollte den Kampf mit dem Ton aufnehmen, Gewichte und Hanteln 163
stemmen im Prozess des Neulernens, seine schlaff gewordene Hand stärken und ein paar Probefiguren modellieren, die nicht erklärtermaßen Narren oder Clowns waren, auch keine Eskimos oder Krankenschwestern, keine Assyrer oder Chinesen, sondern Figuren, über die jeder Mensch, Mann oder Frau, jung oder alt, wenn er sie sähe, sagen würde, Sie sehen mir ähnlich. Und vielleicht kommt ja einmal einer dieser Menschen, Frau oder Mann, alt oder jung, in die Töpferei, weil die Figur ihm gefällt, oder auch aus Eitelkeit, weil er eine so naturgetreue Darstellung des Bildes, das er von sich selbst hat, mit nach Hause nehmen möchte, und fragt Cipriano Algor, Was kostet diese Figur dort, und Cipriano Algor wird sagen, dass diese Figur unverkäuflich sei, und jener Mensch wird fragen, Warum, und er wird antworten, Weil ich das bin. Es wurde Abend, die Dämmerung senkte sich langsam herab, da kam Marta in die Töpferei und sagte, Ich bin schon fertig, sie liegen auf dem Küchentisch zum Trocknen aus. Als sie das Werk des Vaters entdeckte, zwei unvollendete, aufrechte, circa zwei Handspannen hohe Figuren, männlich die eine, weiblich die andere, beide nackt, bei einer ragte ein Draht aus der Schulter, da sagte sie, Nicht schlecht, Vater, nicht schlecht, aber unsere Figuren müssen gar nicht so groß sein, vergiss nicht, dass wir an eine Handspanne von deinen Händen gedacht hatten, Wir sollten sie ein bisschen größer machen, dann fallen sie auf den Regalen des Zentrums mehr auf, und wir müssen auch berücksichtigen, dass sie im Ofen durch den Feuchtigkeitsverlust kleiner werden, außerdem sind das nur Versuche, Trotzdem gefallen sie mir, sehr sogar, und sie sind so anders als alles, was ich bisher gesehen habe, aber die Frau erinnert mich dennoch an jemanden, Was denn nun, du sagst, sie sind so anders als alles, was du bisher gesehen hast und fügst dann hinzu, dass die Frau dich an jemanden erinnert, Es ist dieser doppelte Eindruck von Fremdheit und Vertrautheit, Vielleicht muss ich doch keine Hunde züchten, vielleicht 164
widme ich mich der Bildhauerei, das ist eine der lukrativsten Künste, habe ich mir sagen lassen, Eine echte Künstlerfamilie, bemerkte Marta mit einem leicht ironischen Lächeln, Zum Glück ist Marçal nicht davon betroffen, sonst wäre alles verloren, antwortete Cipriano Algor, doch er lächelte nicht. Dies war der erste Tag der Schöpfung. Am zweiten Tag fuhr der Töpfer in die Stadt, um Formengips und Natriumkarbonat zu kaufen, das er als Verflüssigungsmittel verwenden konnte, außerdem die Farben, ein paar Plastikeimer, neue Abzieheisen, Spachteln und Lochstanzer. Die Farben waren an besagtem ersten Tag Gegenstand einer heftigen Diskussion während des Abendessens und danach gewesen, wobei es darum ging, ob die Figuren erst bemalt und dann gebrannt oder ob sie erst nach dem Brennen bemalt und gar nicht mehr gebrannt werden sollten. In dem einen Fall müssten es diese Farben sein, in dem anderen jene, daher musste die Entscheidung sofort gefällt werden und konnte nicht auf den letzten Augenblick, wenn sie bereits den Pinsel in der Hand hielten, verschoben werden, Das ist eine Frage der Ästhetik, argumentierte Marta, Es ist eine Frage der Zeit, entgegnete Cipriano Algor, und des geringeren Risikos, Wenn wir sie zuerst bemalen und dann brennen, erreichen wir mehr Qualität und Glanz in der Ausführung, insistierte Marta, Aber wenn wir sie kalt bemalen, sparen wir uns unangenehme Überraschungen, die Farbe, die wir verwenden, ist die, die auch bleibt, und wir sind nicht von der Hitzeeinwirkung auf die Farbpigmente abhängig, zumal der Ofen manchmal recht launisch ist. Die Meinung Cipriano Algors setzte sich schließlich durch, es sollten also jene Farben gekauft werden, die unter dem Fachbegriff Kaltkeramikfarben bekannt sind, sie sind einfach in der Anwendung, trocknen schnell, haben eine Menge Farbabstufungen, und als Lösungsmittel, das unerlässlich ist, weil die Farbe normalerweise viel zu dick ist, kann sogar Lampenpetroleum verwendet werden, sofern man kein synthetisches 165
Lösungsmittel verwenden will. Marta schlug erneut das Töpferhandbuch auf, suchte das Kapitel über das kalte Bemalen und las, Man wendet es bei bereits gebrannten Keramikgegenständen an, wobei diese mit feinem Sandpapier abgeschmirgelt werden, um sämtliche Gussnähte oder andere Ausführungsmängel zu beseitigen, wodurch die Oberfläche einheitlich glatt und eine bessere Haftung der Farben auf den stark gebrannten Stellen erreicht wird, Tausendzweihundert Figuren abschmirgeln, das wird dann die Krönung der Arbeit sein, Nach diesem Arbeitsgang, las Marta weiter, müssen sämtliche, durch das Schmirgeln verursachten Staubreste mit Hilfe eines Druckreinigers beseitigt werden, Wir haben keinen Druckreiniger, warf Cipriano Algor ein, Oder, was zwar aufwendiger, aber dennoch vorzuziehen ist, mit Hilfe eines harten Pinsels, Die alten Verfahren haben immer noch ihre Vorteile, Nicht immer, verbesserte Marta und fuhr fort, Wie bei fast allen Farben dieser Art behält die Kaltkeramikfarbe ihre homogene Konsistenz in der Dose nicht sehr lange bei, daher muss sie vor der Anwendung kräftig durchgerührt werden, Das ist doch Grundwissen, das jeder hat, überspring es, Die Farben können direkt auf die Keramik aufgetragen werden, doch ihre Haftung verbessert sich, wenn man zunächst grundiert, üblicherweise mit Mattweiß, Daran haben wir nicht gedacht, Denken ist schwer, wenn man etwas nicht weiß, Da bin ich anderer Meinung, man denkt genau deswegen, weil man etwas nicht weiß, Spar dir diese interessante Frage für ein andermal auf und hör mir zu, Ich tue nichts anderes, Die Grundierung kann mit dem Pinsel aufgetragen werden, doch kann es auch vorteilhaft sein, sie mit der Pistole aufzusprühen, um eine glattere Oberfläche zu erlangen, Wir haben keine Pistole, Oder mittels Eintauchen, Das ist die klassische Methode, die althergebrachte, also tauchen wir ein, Der ganze Prozess verläuft kalt, Sehr gut, Ist der Keramikgegenstand einmal bemalt und getrocknet, so soll und darf er keiner Art von Brand 166
mehr ausgesetzt werden, Genau das habe ich dir gesagt, die Zeit, die man damit spart, Es gibt hier noch andere Empfehlungen, doch die wichtigste ist, dass man eine Farbe gut trocknen lässt, bevor man die nächste aufträgt, außer man möchte Überlagerungs- und Vermischungseffekte erzielen, Wir wollen weder Effekte noch Transparenzen, wir wollen Schnelligkeit, das hier ist keine Ölmalerei, Trotzdem würde das Oberkleid des Chinesen eine sorgsamere Behandlung verdienen, gab Marta zu bedenken, sieh doch, allein die Zeichnung verpflichtet uns zu mehr Farbenvielfalt, Wir werden vereinfachen. Dieses Wort besiegelte die Debatte, aber es war in Cipriano Algors Kopf präsent, als er die Einkäufe tätigte, der Beweis dafür ist, dass er in letzter Minute doch noch eine Spritzpistole erstand. Bei der Größe der Figuren würden wir nichts gewinnen, wenn die Grundierung dick wäre, erklärte er später seiner Tochter, ich denke, mit der Pistole sind wir besser bedient, einmal um die Figur herumsprühen und fertig, Wir werden Masken brauchen, sagte Marta, Masken sind teuer, wir haben kein Geld für Luxus, Das ist kein Luxus, das ist eine Vorsichtsmaßnahme, wir werden mitten in einer Farbwolke stehen und die Farbe einatmen, Diesem Problem kann abgeholfen werden, Wie denn, Ich werde diese Aufgabe draußen erledigen, im Freien, das Wetter ist sicher, Warum sagst du, ich werde es erledigen und nicht wir werden es erledigen, fragte Marta, Du bist schwanger und ich nicht, jedenfalls nicht dass ich wüsste, Deine gute Laune ist zurückgekehrt, Vater, Ich tue mein Möglichstes, denn ich spüre, dass es Dinge gibt, die mir bereits aus den Händen gleiten, und andere, die mir zu entgleiten drohen, mein Problem ist, dass ich nicht unterscheiden kann, um welche Dinge es sich noch lohnt zu kämpfen und welche man ohne Schmerz ziehen lassen sollte, Oder mit Schmerz, Der schlimmste Schmerz, mein Kind, ist nicht der, den man in diesem Augenblick spürt, sondern der, den man hinterher 167
verspürt, wenn nichts mehr zu machen ist, Es heißt, die Zeit heilt die Wunden, Wir haben noch nicht lange genug gelebt, um einen Beweis dafür zu haben, sagte Cipriano Algor, und im nächsten Augenblick wurde ihm bewusst, dass er an genau der Töpferscheibe arbeitete, über der seine Frau zusammengebrochen war, als der Herzinfarkt sie niederstreckte. Und da fragte er sich, weil seine moralische Aufrichtigkeit ihn dazu verpflichtete, ob zu jenen allgemeinen Schmerzen, über die er gesprochen hatte, auch dieser Tod zählte, oder ob es stimmte, dass die Zeit in diesem speziellen Fall ihre Arbeit als erfahrene Heilerin verrichtet hatte, oder ob gar der zuvor angesprochene Schmerz letztlich gar nicht der über den Tod war, sondern über das Leben, über die Leben, das deine, das meine, das unsrige, über irgendjemandes Leben. Cipriano Algor modellierte die Krankenschwester, Marta war mit dem Clown beschäftigt, doch weder er noch sie waren zufrieden mit ihren Versuchen, weder mit den jetzigen noch den vorhergegangenen, vielleicht weil nachzubilden letzten Endes doch schwieriger war als frei zu schaffen, zumindest konnte Cipriano Algor das für sich sagen, hatte er doch mit solcher Kraft und Leichtigkeit die beiden Figuren von Mann und Frau entworfen, die dort stehen in feuchte Tücher gehüllt, damit der Geist, der sie aufrecht hält, statisch und dennoch lebendig, nicht austrocknet oder rissig wird. Marta und Cipriano Algor werden noch eine Weile mit dieser anstrengenden Übung beschäftigt sein, ein Teil des Tons, mit dem sie gerade eine Figur formen, stammt von anderen Figuren, die sie verwerfen und einkneten mussten, so ist das mit allen Dingen auf der Welt, selbst Worte, die keine Dinge sind, die diese nur bezeichnen, so gut sie können, und sie dabei formen, werden, auch wenn sie hervorragende Dienste leisteten, vorausgesetzt, das gibt es überhaupt, millionenfach gebraucht und ebenso oft weggeworfen, und dann müssen wir sie demütig und mit eingezogenem Schwanz, wie der Hund 168
Achado, wenn ihn die Scham niederdrückt, erneut suchen, zertretener Ton, der sie ebenfalls sind, zerquetscht und zerkaut, geschluckt und wieder ausgeschieden, die ewige Wiederkehr gibt es wirklich, ja, aber es ist nicht jene, sondern diese hier. Der Clown, den Marta modelliert hat, ist vielleicht ganz brauchbar, auch der Narr kommt fast an die Realität der Narren heran, doch die Krankenschwester, die so einfach erschien, so klar, so regelmäßig, will einfach nicht das Volumen ihrer Brüste aus dem Ton aufsteigen lassen, als wäre auch sie in ein feuchtes Tuch gehüllt, dessen Enden sie krampfhaft festhält. Wenn die erste Schöpfungswoche zu Ende geht, wenn Cipriano Algor zur ersten Woche der Zerstörung übergeht und die Keramik aus dem Lager des Zentrums fortschafft und sie irgendwo wie wertlosen Müll ablädt, dann werden die Finger der beiden Töpfer, frei und diszipliniert zugleich, endlich beginnen, den rechten Weg zu entwerfen und zu beschreiben, der sie zu der richtigen Fülle, der genauen Linie, dem harmonischen Bauplan führen wird. Die Augenblicke kommen nie zu spät und nie zu früh, sie kommen zu ihrer Zeit, nicht zu unserer, wir müssen ihnen nicht danken, wenn es einmal vorkommt, dass das, was sie vorzuschlagen haben, mit dem, was wir benötigen, übereinstimmt. Während dieses halben Tages, den der Vater mit der absurden Arbeit beschäftigt sein wird, sinnloserweise das abzuladen, was er überflüssigerweise aufgeladen hat, wird Marta in der Töpferei allein sein mit ihrem halben Dutzend praktisch fertiger Figuren, sie wird die eine oder andere stumpf gewordene Ecke nachformen oder eine Krümmung neu runden, die eine ungewollte Berührung platt gemacht hat, die Höhen angleichen, die Grundflächen festigen und für jede Figur die Trennungslinie für die beiden Teile der Negativform errechnen. Der Schreiner hat die Ummantelungen noch nicht geliefert, der Gips wartet in großen Säcken aus dickem, wasserdichtem Papier, doch die Zeit der Vervielfältigung naht bereits. 169
Als Cipriano Algor am ersten Tag der Woche der Zerstörung nach Hause kam, eher empört über die Schmach als erschöpft von der körperlichen Anstrengung, musste er seiner Tochter von dem lächerlichen Abenteuer eines Mannes erzählen, der durch die Felder streifte, auf der Suche nach einem einsamen Ort, wo er den unnützen Scherbenhaufen lassen konnte, den er mit sich führte, als handele es sich um seine eigenen Exkremente, Ich kam mir vor, als hätte ich die Hosen heruntergelassen, zweimal kam jemand an und hat mich gefragt, was ich dort auf privatem Grund mit meinem Lieferwagen voller Töpferware zu suchen hätte, ich musste ein paar alberne Erklärungen stammeln, dass ich eine dahinter verlaufende Strasse suchen würde und gedacht hätte, der Weg würde dorthin führen, sie sollten doch bitte entschuldigen, und dann meinte ich noch, Im Übrigen, falls Ihnen etwas von den Sachen, die ich geladen habe, gefällt, dann wäre es mir eine Ehre, es Ihnen zu schenken, einer wollte nichts haben, antwortete nur rüde, in seinem Hause würden solche Dinge nicht einmal für die Tiere verwendet, doch dem anderen gefiel eine Terrine und er nahm sie mit, Und wo hast du die Keramik dann schließlich gelassen, In der Nähe des Flusses, Wo, Ich hatte mir überlegt, dass eine natürliche Höhle am geeignetsten wäre, doch auch da stellte sich das Problem, dass man die Sachen von außen erkennen konnte, und zwar ganz deutlich, und die Leute, die dort vorbeigekommen wären, hätten sofort das Erzeugnis und den Hersteller erkannt, und Schimpf und Schande haben wir schon mehr als genug zu ertragen, Ich persönlich empfinde weder Schimpf noch Schande, Vielleicht würdest du sie empfinden, wenn du von Anfang an an meiner Stelle gewesen wärst, Ja, wahrscheinlich, und was hast du dann gefunden, Genau die ideale Höhle, Gibt es die ideale Höhle, fragte Marta, Das kommt immer darauf an, was man dort unterbringen will, stell dir in unserem Fall ein großes Loch vor, mehr oder weniger rund und ungefähr drei Meter tief, in das 170
man über eine kleine Böschung leicht hinabsteigen kann, mit Bäumen und Büschen drin, von außen betrachtet ist sie so etwas wie eine grüne Insel mitten im Feld, im Winter füllt sie sich mit Wasser, ganz hinten ist immer noch eine Pfütze, Und sie liegt ungefähr hundert Meter vom Fluss entfernt, sagte Marta, Du kennst sie auch, fragte der Vater, Ja, ich kenne sie, ich habe sie entdeckt, als ich zehn war, es war wirklich die ideale Höhle, jedes Mal, wenn ich sie betreten habe, hatte ich das Gefühl, das Tor in eine andere Welt zu durchschreiten, Es gab sie bereits, als ich so alt war wie du, Und bestimmt auch, als mein Großvater so alt war, Und als meiner so alt war, Alles geht einmal verloren, Vater, so viele Jahre lang war diese Höhle nur eine Höhle, ein magisches Tor für ein paar verträumte Kinder, und jetzt, mit dem Keramikschutt, ist sie weder das eine noch das andere, So viele Scherben sind es auch wieder nicht, Kind, und sie werden bald von Brombeergestrüpp überwuchert sein, dann wird man gar nichts mehr davon sehen, Dann hast du also alles da gelassen, Ja, Zumindest ist es in der Nähe des Dorfes, eines Tages wird dann einer der hiesigen Jungen, falls sie immer noch diese ideale Höhle aufsuchen, einen gesprungenen Teller nach Hause bringen, und man wird ihn fragen, wo er ihn her hat, und du wirst sehen, alle rennen los, um sich das zu holen, was sie heute nicht mehr wollen, Das ist die Natur des Menschen, wundern würde es mich nicht. Cipriano Algor trank die Tasse Kaffee aus, die seine Tochter ihm hingestellt hatte, als er nach Hause gekommen war, und fragte, Hat der Schreiner was von sich hören lassen, Nein, Dann muss ich ihn wohl aufsuchen und ihm ein bisschen Druck machen, Ja, ich glaube, das wäre das Beste. Der Töpfer stand auf, Ich geh mich waschen, sagte er, dann tat er zwei Schritte und blieb gleich darauf wieder stehen, Was ist das denn, fragte er, Was denn, Das da, er zeigte auf einen Teller, der mit einem bestickten Taschentuch abgedeckt war, Das ist ein Kuchen, Hast du einen Kuchen gebacken, Nicht ich, den hat man uns 171
gebracht, es war ein Geschenk, Von wem, Rate mal, Ich bin nicht in der Stimmung für Ratespiele, Aber es ist ganz einfach. Cipriano Algor zuckte mit den Achseln, als wollte er zeigen, dass ihn die Sache nicht mehr interessierte, sagte erneut, dass er sich waschen würde, tat jedoch nicht den Schritt, der ihn aus der Küche hinausführen würde, in seinem Kopf lieferten sich zwei Töpfer ein Wortgefecht, einer argumentierte, es sei unsere Pflicht, uns in allen Lebenslagen natürlich zu verhalten, und wenn jemand so liebenswürdig war, uns einen mit einem bestickten Taschentuch abgedeckten Kuchen zu bringen, dann sei es richtig und normal zu fragen, wem man denn diese unerwartete Großzügigkeit zu verdanken hätte, und wenn man uns als Antwort vorschlägt, wir sollten raten, dann wäre es mehr als verdächtig, so zu tun, als hätte man es nicht gehört, diese kleinen Familien- und Gesellschaftsspiele haben keine größere Bedeutung, niemand wird voreilige Schlüsse aus der Tatsache ziehen, dass wir es erraten haben, zumal es meist nicht viele Menschen gibt, die meinen, einen Grund zu haben, uns mit einem Kuchen zu beehren, manchmal sogar nur einen, so sprach der eine Töpfer, doch der andere antwortete, er sei nicht bereit, die Rolle des Komplizen in einem falschen Zirkusratespiel zu spielen, die Tatsache, dass er sich sicher war, was den Namen der Person anging, die den Kuchen gebracht hatte, sei genau der Grund, weshalb er den Namen nicht sagen wollte, außerdem seien, zumindest in einigen Fällen, die Schlussfolgerungen nicht so sehr deswegen schlimm, weil sie gelegentlich voreilig wären, sondern weil es einfach Schlussfolgerungen wären. Also was ist, willst du nicht raten, insistierte Marta lächelnd, und Cipriano Algor, der sich ein wenig über seine Tochter und sehr über sich selbst ärgerte, sich jedoch darüber im Klaren war, dass die einzige Möglichkeit, sich wieder aus der Schlinge zu ziehen, in die er selbst seinen Fuß gesetzt hatte, die war, sich seinen Fehler einzugestehen und einen Schritt zurück zu machen, nannte 172
widerwillig und umständlich umschreibend einen Namen, Es war die Witwe, die Nachbarin, Isaura Estudiosa, um sich für den Krug zu bedanken. Marta verneinte mit einer langsamen Kopfbewegung, Sie heißt nicht Isaura Estudiosa, verbesserte sie, ihr Name ist Isaura Madruga. Ach ja, äußerte Cipriano Algor und dachte, dass er die Betreffende nun gar nicht mehr fragen müsste Wie lautet denn eigentlich Ihr Geburtsname, doch gleich darauf erinnerte er sich selbst daran, dass er, auf der Steinbank neben dem Ofen sitzend, mit dem Hund Achado als Zeugen, die Entscheidung gefällt hatte, alle Worte und Taten, die zwischen ihm und der Witwe Estudiosa gefallen und geschehen waren, für null und nichtig zu erklären, wir wollen nicht vergessen, dass er wörtlich Schluss damit gesagt hatte, man beendet nicht auf so entschiedene Art eine Episode des Gefühlslebens, um zwei Tage später das Gesagte für nicht gesagt zu erklären. Die unmittelbare Auswirkung dieser Überlegungen war, dass Cipriano Algor eine gleichgültige und überhebliche Haltung annahm, die so überzeugend war, dass er ohne zu zittern das Taschentuch hochheben konnte, Sieht gut aus, sagte er. Da hielt Marta es für angebracht hinzuzufügen, In gewisser Weise ist es ein Abschiedsgeschenk. Die Hand senkte sich langsam, ließ das Taschentuch vorsichtig über den kranzförmigen Kuchen fallen, Abschied, hörte Marta ihn fragen und antwortete, Ja, falls sie hier keine Arbeit findet, Arbeit, Du sagst mir alles nach, Vater, Ich bin kein Echo, ich sage dir nicht alles nach. Marta beachtete die Antwort nicht weiter, Wir haben Kaffee getrunken, ich wollte den Kuchen anschneiden, aber sie hat es nicht zugelassen, sie war über eine Stunde hier, wir haben uns unterhalten, sie hat mir ein bisschen aus ihrem Leben erzählt, die Geschichte ihrer Ehe, bei der sie nicht genügend Zeit gehabt hat herauszufinden, ob sie das Glück war oder ob sie es gerade nicht mehr war, die Worte stammen von ihr, nicht von mir, kurz und gut, falls sie keine Arbeit findet, geht sie dorthin zurück, wo sie herkommt und wo 173
ihre Familie lebt, Hier gibt es für niemanden Arbeit, sagte Cipriano Algor trocken, So sieht sie das auch, daher ist der Kuchen so etwas wie die erste Hälfte eines Abschieds, Ich hoffe, dass ich bei der zweiten nicht zu Hause bin, Warum, fragte Marta. Cipriano Algor antwortete nicht. Er verließ die Küche und ging ins Schlafzimmer, zog sich rasch aus, warf einen kurzen Blick auf das, was der Kommodenspiegel ihm von seinem Körper zeigte, und stellte sich dann unter die Dusche. Ein wenig Salzwasser mischte sich unter das Süßwasser, das aus der Brause kam.
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MIT BEMERKENSWERTER und beruhigender Übereinstimmung im Hinblick auf die Wortbedeutung definieren die Wörterbücher all das als lächerlich, was sich des Lachens und Spottens würdig erweist, alles, was Hohn verdient, alles, was lachhaft ist, alles, was der Komik dient. Für die Wörterbücher scheint der begleitende Umstand nicht zu existieren, obgleich sie ihn, müssen sie erklären, was er bedeutet, als Zustand oder Besonderheit, der ein Ereignis begleitet, bezeichnen, was uns, wie hier in Klammern angemerkt sei, den klaren Rat erteilt, die Umstände nicht von den Ereignissen zu trennen und nicht die einen zu beurteilen, ohne die anderen mit in Betracht zu ziehen. Demnach ist also jener Cipriano Algor in höchstem Maße lächerlich, der seine Kräfte vergeudet, indem er, beladen mit der unerwünschten Keramik, die Grubenböschung hinabsteigt, anstatt die Töpferware einfach wahllos von oben in die Grube hinabzuwerfen, um sie in continenti auf das zu reduzieren, was er selbst so abschätzig als Scherbenhaufen bezeichnet hatte, als er seiner Tochter den Verlauf und die einzelnen Episoden der Umladeaktion beschrieb. Das Lächerliche kennt jedoch keine Grenzen. Sollte eines Tages, wie Marta sich ausgemalt hatte, ein Junge aus dem Dorf einen angeschlagenen Teller aus dem Schutt befreien und mit nach Hause nehmen, dann können wir uns sicher sein, dass der unschöne Makel bereits im Lager existiert hat oder aber während des Transports vom Zentrum zu der Höhle erfolgte, da es sich bei den schlechten Straßenverhältnissen nicht vermeiden ließ, dass die Tonwaren gegeneinander stießen. Man muss sich nur ansehen, wie vorsichtig Cipriano Algor jedes Mal den Abhang hinabsteigt, mit welcher Umsicht er die verschiedenen Keramikprodukte auf dem Boden abstellt, wie er Gleich zu Gleich gesellt, wie er sie stapelt, sofern dies möglich und ratsam ist, man muss sich 175
diese lächerliche Szene, die sich unseren Augen darbietet, nur ansehen, um berechtigterweise behaupten zu können, dass hierbei kein einziger Teller kaputtging, dass keine einzige Tasse ihren Henkel verlor, keine Teekanne ohne Schnabel blieb. Das gestapelte Geschirr bedeckt in gleichmäßigen Reihen den Boden des hinteren Teils der Höhle und lässt sich unter dem niedrigen Gestrüpp erahnen, als stünde in einem der bedeutenden Bücher geschrieben, dass es bis zum Ende aller Zeiten und der unwahrscheinlichen Auferstehung seiner Überreste nur auf diese Art und Weise angeordnet werden darf. Man wird sagen, das Verhalten Cipriano Algors sei absolut lächerlich, doch selbst in diesem Fall sollten wir keineswegs vergessen, dass es ganz entscheidend auf den Standpunkt ankommt, und diesmal beziehen wir uns auf Marçal Gacho, der, als er an seinem freien Tag nach Hause kam und jene elementaren Pflichten erfüllte, die man gemeinhin unter Familiensolidarität versteht, seinem Schwiegervater nicht nur ohne irgendein Anzeichen von Befremden oder zweifelhafter Verblüffung, ohne direkte oder indirekte Fragen, ohne ironische oder mitleidige Blicke, beim Abladen des Geschirrs half, sondern ganz ruhig dessen Beispiel folgte und sogar so weit ging, dass er von sich aus eine gefährliche Schieflage beseitigte, eine krumme Anordnung begradigte, eine übermäßige Höhe verringerte. Daher ist auch zu erwarten, dass in dem Fall, dass Marta dieses abwertende, unselige Wort wiederholt, das sie in der Unterhaltung mit ihrem Vater verwendete, ihr eigener Mann sie mit der unleugbaren Autorität, die dem gegeben ist, der mit eigenen Augen sah, was es zu sehen gab, sie verbessert, Das ist kein Schutt. Und wenn sie, die wir als einen Menschen kennen gelernt haben, der für alles eine Erklärung braucht, darauf besteht, dass das doch Schutt sei, denn das sei immer schon die Bezeichnung für wertlose Abfälle und Materialien gewesen, die in Gruben geworfen werden, um diese zu füllen, ausgenommen die 176
menschlichen Überreste, die einen anderen Namen hätten, dann wird Marçal ihr mit seiner ernsten Stimme sagen, Das ist kein Schutt, ich war da. Und es ist auch nicht lächerlich, würde er hinzufügen, falls diese Frage sich stellte. Als sie nach Hause kamen, gab es zwei Neuigkeiten, die beide auf ihre Art von Bedeutung waren. Der Schreiner hatte endlich die Ummantelungen geliefert, und Marta hatte in ihrem Buch gelesen, dass man bei einer flüssigen Füllung realistischerweise nicht mehr als vierzig zufrieden stellende Güsse von einer Form erwarten durfte, Das heißt, sagte Cipriano Algor, dass wir mindestens dreißig Formen brauchen, fünf für jeweils zweihundert Figuren, das bedeutet sehr viel Arbeit vorher und sehr viel Arbeit nachher, und ich bin mir nicht sicher, dass wir bei unserer mangelnden Erfahrung die Formen perfekt hinkriegen, Wann rechnest du, dass du das Geschirr aus dem Lager des Zentrums weggeschafft hast, fragte Marta, Ich glaube, ich werde nicht die ganze zweite Woche dafür brauchen, zwei oder drei Tage dürften genügen, Die zweite Woche ist die jetzige, verbesserte Marçal, Ja, die zweite der vier, aber die erste des Transports, die dritte wird die zweite der Herstellung sein, erklärte Marta, Bei diesem ganzen Durcheinander mit den Wochen, die mal solche und mal solche sind, ist es kein Wunder, dass du und Vater etwas konfus seid, Jeder von uns hat seine eigenen Gründe dafür, ich für meinen Teil bin schwanger und habe mich noch nicht so ganz an den Gedanken gewöhnt, Und Vater, Vater kann für sich selbst sprechen, wenn er will, Ich leide unter keiner schlimmeren Konfusion als der, dass ich tausendzweihundert Tonfiguren herstellen muss und nicht weiß, ob ich es schaffe, erwiderte Cipriano Algor brüsk. Sie befanden sich in der Töpferei, und die sechs auf der Werkbank aufgereihten Figuren zeigten sich als das, was sie auf dramatische Weise waren, sechs unbedeutende Gegenstände, die einen mehr, die anderen weniger grotesk, je nachdem, was sie darstellten, doch alle von 177
gleicher, herzzerreißender Nutzlosigkeit. Damit ihr Mann sie besser sehen konnte, hatte Marta die feuchten Tücher abgenommen, die sie einhüllten, doch nun bereute sie dies fast, es war, als seien diese groben Figuren die Arbeit nicht wert, die sie ihnen gemacht hatten, dieses wiederholte Schaffen und Zerstören, dieses Wollen und nicht Können, dieses Experimentieren und Ausbessern, es ist nicht wahr, dass nur die großen Kunstwerke unter Schmerzen und Qualen geboren werden, auch ein einfacher Tonkörper und ein paar einfache Tonglieder können sich den Fingern, die sie modellieren, entziehen, den Augen, die sie untersuchen, dem Willen, der sie verlangte. Unter anderen Umständen würde ich Urlaub beantragen, dann könnte ich euch ein wenig helfen, sagte Marçal. Obgleich der Satz von seinem Inhalt her vollständig wirkte, enthielt er doch problematische Fortsetzungen, die keiner Äußerung bedurften, um von Cipriano Algor verstanden zu werden. Was Marçal hatte sagen wollen und was er, ohne es gesagt zu haben, letztendlich doch gesagt hatte, war, dass seine Vorgesetzten es in einer Situation, in der er auf eine mehr oder weniger vorhersehbare Beförderung zum Wachmann mit Dienstwohnung wartete, nicht gerne sähen, wenn er genau in dieser Zeit urlaubsbedingt von der Arbeit fernbliebe, als wäre die öffentliche Bekanntgabe seines Aufstiegs auf der Karriereleiter keineswegs nur ein banales Ereignis von geringer Bedeutung. Diese Fortsetzung jedoch war offensichtlich, und mit Sicherheit die am wenigsten problematische, verglichen mit den anderen, die es sonst noch gab. Das grundsätzliche Problem, das Marçal Worten ungewollt zugrunde lag, war immer noch die Sorge um die Zukunft der Töpferei, um die Arbeit, die dort verrichtet wurde, um die Menschen, die diese ausführten und bisher von ihr gelebt hatten, mal besser, mal schlechter. Diese sechs Figuren waren wie sechs ironische, insistierende Fragezeichen, und jedes einzelne von ihnen wollte von Cipriano Algor wissen, ob er wirklich so viel 178
Selbstvertrauen hatte, dass er meinte, über die nötigen Kräfte zu verfügen, und wie lange noch, mein lieber Mann, um alleine die Töpferei weiterzuführen, wenn seine Tochter und sein Schwiegersohn ins Zentrum zögen, ob er wirklich so naiv war anzunehmen, er könne mit zufrieden stellender Regelmäßigkeit die Folgeaufträge erledigen, gesetzt den glücklichen Fall, es gäbe sie, und schließlich, ob er wirklich so dumm war zu glauben, dass seine Beziehungen zum Zentrum und zum Leiter der Abteilung Einkauf, sowohl die geschäftlichen wie auch die privaten, von nun an ein stetes, endloses Rosenmeer wären, oder, wie mit unbequemer Klarheit und bitterer Skepsis der Eskimo fragte, Glaubst du, dass sie mich immer mögen werden. In diesem Augenblick kam Cipriano Algor wieder Isaura Madruga in den Sinn, er stellte sich vor, wie sie ihm als Angestellte der Töpferei bei der Arbeit half, wie sie im Lieferwagen neben ihm saß, wenn er zum Zentrum fuhr, er dachte an sie in unterschiedlichen, immer intimer und tröstlicher werdenden Situationen, wie sie gemeinsam zu Mittag aßen, wie sie auf der Steinbank plauderten, wie sie dem Hund Achado zu essen gab, wie sie die Früchte des Maulbeerbaumes erntete, wie sie die Laterne über der Tür anzündete und wie sie eine Falte im Bettlaken glatt strich, es waren ohne Zweifel zu viele und zu abenteuerliche Gedanken für jemanden, der den Kuchen nicht einmal hatte kosten wollen. Natürlich erforderten Marçals Worte keine Antwort, sie waren nicht mehr gewesen als die Bestätigung einer für alle offensichtlichen Tatsache, er hätte genauso gut sagen können, Ich würde euch gerne helfen, aber ich kann nicht, dennoch fand Cipriano Algor, dass er einem Teil der Gedanken Ausdruck verleihen sollte, mit denen er das Schweigen, das auf Marçals Bemerkung folgte, gefüllt hatte, nicht den intimen Gedanken, die hielt er fest verschlossen im Tresor seines pathetischen Altenstolzes, sondern die, die auf die eine oder andere Art allen gemein sind, die in diesem Haus leben, ob sie sie zugeben oder 179
nicht, und die in einem guten halben Dutzend Wörter zusammengefasst werden können, was wird uns nur der nächste Tag bringen. Daher sagte er, Es ist, als gingen wir im Dunkeln, der nächste Schritt kann uns weiterbringen oder abstürzen lassen, wenn unser erster Auftrag zum Verkauf angeboten wird, werden wir abschätzen können, was wir zu erwarten haben, ab da können wir uns ausrechnen, wie lange sie uns noch mögen, wie sehr, wie wenig oder auch gar nicht, als entblätterten wir ein Gänseblümchen, um herauszufinden, was uns bevorsteht, Das Leben ist doch nichts anderes, bemerkte Marta, Ja, das stimmt, aber das, was wir früher in vielen Jahren aufs Spiel gesetzt haben, wird nun in wenigen Wochen oder Tagen aufs Spiel gesetzt, die Zukunft hat sich plötzlich verkürzt, wenn ich mich nicht irre, habe ich so was Ähnliches schon mal gesagt. Cipriano Algor machte eine Pause, dann fügte er mit einem Schulterzucken hinzu, Was beweist, dass es wirklich stimmt, Hier gibt es nur zwei Möglichkeiten, sagte Marta resolut und ungeduldig, entweder wir arbeiten wie bisher, ohne uns mehr den Kopf zu zerbrechen, als für eine ordentliche Erledigung der Arbeit nötig ist, oder aber wir geben alles auf, informieren das Zentrum darüber, dass wir von dem Auftrag zurücktreten und warten, Warten auf was, fragte Marçal, Dass sie dich befördern, dass wir ins Zentrum ziehen, dass der Vater sich endlich einmal entscheidet, ob er bleiben will oder mit uns geht, aber wir dürfen nicht mit diesem Sollen wir, sollen wir nicht weitermachen, was wir schon seit Wochen tun, Mit anderen Worten, sagte Cipriano Algor, Vogel friss oder stirb, Ich verzeihe dir, was du gerade gesagt hast, antwortete Marta, weil ich weiß, was in deinem Kopf vor sich geht, Bitte streitet euch nicht, bat Marçal, Zänkereien muss ich mir in meiner eigenen Familie schon genug anhören, Mach dir darüber keine Sorgen, sagte Cipriano Algor, auch wenn es vielleicht für Dritte anders aussieht, wird es zwischen deiner Frau und mir nie einen 180
echten Streit geben, Das stimmt, aber manchmal könnte ich dich wirklich schlagen, drohte Marta lächelnd, und passt auf, das wird von jetzt an noch schlimmer werden, nehmt euch bloß vor mir in Acht, wie ich gehört habe, sollen schwangere Frauen starken Gefühlsschwankungen ausgesetzt sein, Launen, Macken, Zimperlichkeiten, Weinkrämpfen, Ausbrüchen von Boshaftigkeit, macht euch also darauf gefasst, Ich für meinen Teil bin gewappnet, sagte Marçal, und dann, an Cipriano Algor gewandt, Und du Vater, Ich bin es schon seit vielen Jahren, seit sie auf der Welt ist, Endlich gehört alle Macht den Frauen, erzittert ihr Männer, erzittert und fürchtet euch, rief Marta aus. Diesmal stieg der Töpfer nicht auf den heiteren Ton seiner Tochter ein, sondern sprach ernst und ruhig, als müsse er die Worte, die irgendwo hinter ihm zurückgeblieben waren, einzeln an dem Ort zusammensuchen, an dem sie erdacht wurden und gereift waren, nein, diese Worte wurden nicht erdacht, sie mussten auch nicht reifen, sie entsprangen genau in diesem Augenblick seinem Geist, wie Wurzeln, die plötzlich aus der Erde wachsen, Die Arbeit wird ganz normal weitergehen, sagte er, ich werde unseren Verpflichtungen nachkommen, so weit mir dies möglich ist, ohne weitere Klagen oder Proteste, und wenn Marçal befördert wird, werde ich die Lage abschätzen, Du wirst die Lage abschätzen, fragte Marta, was soll das heißen, Angesichts der Unmöglichkeit, die Töpferei alleine zu betreiben, werde ich sie schließen und aufhören, das Zentrum zu beliefern, Sehr schön, aber wovon willst du hinterher leben, wo, wie, mit wem, bohrte Marta, Ich werde zusammen mit meiner Tochter und meinem Schwiegersohn ins Zentrum ziehen, falls diese mich noch bei sich haben wollen. Die unerwartete, entschiedene Erklärung Cipriano Algors wurde von Tochter und Schwiegersohn unterschiedlich aufgenommen. Marçal rief, Endlich, endlich, und umarmte seinen Schwiegervater stürmisch, Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr mich das freut, sagte er, das war 181
wie ein Stachel, der mich gequält hat. Marta blickte ihren Vater zunächst skeptisch an, als könne sie nicht glauben, was sie gehört hatte, doch ganz allmählich leuchtete Verständnis in ihrem Gesicht auf, ihr Gedächtnis hatte ihr den Dienst erwiesen, bestimmte gängige Redewendungen in Erinnerung zu bringen, Überbleibsel der Lektüre der Klassiker, bestimmte Metaphern, natürlich erinnerte sie sich nicht an alles, was es zu erinnern gab, doch an Ausdrücke wie die Flotte hinter sich verbrennen, die Brücken hinter sich abbrechen, einen klaren Schnitt machen, sich den Rückweg abschneiden, das Übel mit der Wurzel ausreißen, verlorene Stunde, verlorenes Leben, ein gescheiterter Mensch braucht keinen Rat, die Flinte ins Korn werfen, die Trauben sind mir zu sauer, besser den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach, diese und viele Redewendungen mehr, die letztendlich alle das Gleiche aussagten, nämlich Was ich will, das kann ich nicht, und was ich kann, das will ich nicht. Marta ging auf hi ren Vater zu und strich langsam und sanft, fast mütterlich über seine Wange, Es wird das Beste sein, wenn es wirklich das ist, was du willst, murmelte sie und zeigte nicht mehr Freude als dieses bisschen, das diese armseligen, kargen Worte vermitteln konnten, doch sie war sich sicher, der Vater würde verstehen, dass sie diese nicht aus Gleichgültigkeit gewählt hatte, sondern aus Respekt. Cipriano Algor legte seiner Tochter die Hände auf die Schultern, dann zog er sie zu sich heran, gab ihr einen Kuss auf die Stirn und äußerte mit leiser Stimme das kurze Wort, das sie hören oder in seinen Augen lesen wollte, Danke. Marçal fragte nicht, Danke wofür, hatte er doch längst begriffen, dass das Terrain, auf dem sich dieser Vater und diese Tochter bewegten, nicht einfach nur familiärer Privatgrund war, sondern dass es auf gewisse Art heilig und unzugänglich war. Es überkam ihn kein Gefühl von Eifersucht, lediglich die Melancholie desjenigen, der weiß, dass er ein für alle Mal ausgeschlossen ist, nicht nur aus diesem Reich, dem er nie angehören wird, 182
sondern auch aus einem anderen, in dem er endlich seinen eigenen Vater und seine eigene Mutter finden und erkennen würde, sollten diese sich an jenem Ort aufhalten und könnte er jemals dort mit ihnen zusammen sein. Er ertappte sich dabei, wie er ohne große Überraschung daran dachte, dass nun, da der Schwiegervater sich entschlossen hatte, im Zentrum zu leben, die Idee seiner Eltern, das Haus im Dorf zu verkaufen und mit ihnen umzuziehen, unweigerlich ad acta gelegt werden müsste, so hart es für sie auch wäre und so sehr sie auch protestierten, zum einen, weil es eine unbeugsame, durch die internen Wohnstrukturen selbst vorgegebene Regel des Zentrums war, keine großen Familien zuzulassen, und zum anderen, weil man sich, da es ja nie eine freundschaftliche Beziehung zwischen den beiden Familien gegeben hatte, leicht vorstellen kann, zu welcher Hölle das Leben für sie würde, müssten sie auf so engem Raum zusammen sein. Auch wenn es Situationen und Unmutsäußerungen gegeben hat, die eine gegenteilige Meinung nahe legen, hat Marçal es nicht verdient, dass wir ihn als schlechten Sohn bezeichnen, schuld an der Unvereinbarkeit der Gefühle und Wünsche in seiner Familie ist nicht er allein, trotzdem ist er froh, und das zeigt wieder einmal, was für ein Brunnen voller Widersprüche die menschliche Seele ist, dass er nicht mit denen unter einem Dach wohnen muss, die ihm das Leben geschenkt haben. Nun, da Marta bereits schwanger war, würde das unbekannte Schicksal hoffentlich nicht bei ihr und ihm jenes alte, strenge Sprichwort bewahrheiten, das lautet, Des Vaters Schritte sind des Sohnes Tritte. Eines ist jedoch gewiss, auf die eine oder andere Art, wie bei einem Tropismus, bringt die unergründliche Natur der Kinder diese stets dazu, sich Ersatzeltern zu suchen, wenn sie sich aus guten oder schlechten, triftigen oder weniger triftigen Gründen nicht in den eigenen wieder erkennen können oder wollen. Eigentlich liebt das Leben trotz all seiner Schwächen das Gleichgewicht, könnte es alleine bestimmen, dann gäbe es nur Glück und 183
Segen, dann hätte alles Konkave seine konvexe Entsprechung, dann gäbe es keinen Abschied ohne Wiederkehr, und das Wort, die Geste und der Blick wären wie unzertrennliche Drillinge, die in allen Lebenslagen dasselbe sagen. Über verschlungene Wege, zu deren näherer Darstellung wir uns nicht in der Lage sehen, von deren Existenz und Schöpfungskraft wir jedoch absolut überzeugt sind, so wie von unserer eigenen, löste das Zusammenspiel der hier dargelegten Überlegungen bei Marçal Gacho eine Idee aus, die er gleich darauf mit leicht vorstellbarer kindlicher Begeisterung seinem Schwiegervater darlegte, Wir können doch die restliche Keramik auf einmal abholen, verkündete er, Du weißt doch gar nicht, wie viel wir da noch haben, ich glaube, es sind noch einige Lieferwagenladungen, wandte Cipriano Algor ein, Ich rede auch nicht von Lieferwagenladungen, aber es wird doch auch nicht so viel Keramik sein, als dass man das Problem nicht mit einem normalen Laster mit einer Fuhre lösen könnte, Und wo wollen wir diesen wunderbaren Laster hernehmen, fragte Marta, Wir mieten ihn, Das kostet viel Geld, so viel habe ich nicht, sagte der Töpfer, doch die Hoffnung ließ bereits seine Stimme erzittern, Ein Tag würde für diese Arbeit ausreichen, und wenn wir unser Geld zusammenlegen, deines und meines, bin ich mir sicher, dass es reicht, und außerdem kriege ich vielleicht noch einen kleinen Rabatt, weil ich Wachmann im Innendienst bin, jedenfalls kostet es nichts, es zu versuchen, Ich weiß nicht, ob ich es schaffe, das alles alleine aufzuladen und abzuladen, ich kann ja jetzt schon kaum mehr meine Arme und Beine bewegen, Du wirst nicht allein sein, ich mache mit, sagte Marçal, Das geht doch nicht, sie könnten dich erkennen, und das wäre schlecht für dich, Ich glaube, da besteht keine Gefahr, ich war nur einmal in der Einkaufsabteilung, wenn ich eine Sonnenbrille aufsetze und eine Baskenmütze, dann bin ich irgendjemand, Die Idee ist gut, sehr gut sogar, sagte Marta, dann könnten wir uns gleich auf die Figurenherstellung 184
stürzen, Das habe ich mir auch gedacht, sagte Marçal, Ich auch, gestand Cipriano Algor. Sie sahen sich schweigend an und lächelten, bis der Töpfer fragte, Und wann, Gleich morgen, antwortete Marçal, wir nutzen meinen freien Tag, die nächste Gelegenheit wäre erst wieder in zehn Tagen, und da würde es sich schon nicht mehr lohnen, Morgen, antwortete Cipriano Algor, das heißt, wir könnten anschließend gleich mit voller Kraft arbeiten, Genau das, sagte Marçal, und fast zwei Wochen gewinnen, Du hast mir eine neue Seele gegeben, sagte der Töpfer, dann fragte er, Wie machen wir es, hier im Dorf gibt es wohl kaum Laster zu mieten, Wir mieten ihn in der Stadt, fahren morgens los, damit wir genügend Zeit haben, das beste Angebot ausfindig zu machen, Ich sehe ein, dass das am günstigsten wäre, sagte Marta, aber ich glaube, du solltest mit deinen Eltern zu Mittag essen, das letzte Mal bist du auch schon nicht hingegangen, und sie sind bestimmt nicht begeistert darüber. Marçals Gesicht verfinsterte sich, Ich habe keine Lust, und zudem, er wandte sich an den Schwiegervater und fragte, Um wie viel Uhr musst du im Lager sein, Um vier, Da hast du es, Mittagessen mit meinen Eltern, danach von hier aus in die Stadt fahren, der ganze Weg bis dahin, den Laster mieten und um vier da sein, um die Keramik abzuholen, das klappt nicht, Dann sag ihnen doch, dass du ganz dringend früher Mittag essen musst, Selbst dann klappt es nicht, und außerdem habe ich keine Lust, ich gehe an meinem nächsten freien Tag hin, Dann ruf deine Mutter wenigstens an, Ja, das werde ich tun, aber du darfst dich nicht wundern, wenn sie wieder fragt, wann wir umziehen. Cipriano Algor ließ seine Tochter und den Schwiegersohn die Frage des Mittagessens in der Familie Gacho ausdiskutieren und trat an die Arbeitsbank, auf der die sechs Figuren standen. Mit äußerster Vorsicht befreite er sie von den feuchten Tüchern und betrachtete sie eine nach der anderen aufmerksam, sie bedurften nur noch ein paar kleiner Retuschen an Kopf und Gesicht, denn das waren 185
die Stellen, die unweigerlich dem Druck der Tücher ausgesetzt waren, handelte es sich doch um kleine, nur eine gute Handspanne große Figuren. Marta wird es übernehmen, sie wieder in Ordnung zu bringen, danach bleiben sie unverhüllt, aufgedeckt, damit sie ihre Feuchtigkeit verlieren, bevor sie in den Ofen kommen. Ein lustvolles Zittern durchlief Cipriano Algors schmerzenden Körper, er fühlte sich, als beginne er die schwierigste und heikelste Aufgabe seines Töpferlebens, den abenteuerlichen Brand eines Gegenstandes von höchstem ästhetischem Wert, modelliert von einem großen Künstler, dem es nichts ausmachte, sein Genie an die einfachen Bedingungen dieses bescheidenen Ortes zu vergeuden, und der, wir sprechen von dem Gegenstand, aber auch von dem Künstler, die ruinösen Konsequenzen, die sich aus einer Abweichung von einem Wärmegrad ergaben, egal, ob nach oben oder nach unten, nicht zulassen würde. In Wirklichkeit wird es hier ohne jede Großartigkeit oder Dramatik darum gehen, ein halbes Dutzend unbedeutender Figuren in den Ofen zu schieben und zu brennen, die wiederum zweihundert unbedeutende Kopien hervorbringen sollen, es heißt, unser Schicksal sei von Geburt an vorgezeichnet, doch klar ist, dass nur wenige dazu geboren wurden, Adams und Evas aus Ton zu schaffen oder Brote und Fische zu vermehren. Marta und Marçal hatten die Töpferei verlassen, sie, um das Abendessen vorzubereiten, er, um die neu geknüpfte Beziehung zu dem Hund Achado zu vertiefen, der, obwohl es ihm immer noch widerstrebt, die Präsenz einer Uniform in der Familie ohne Protest hinzunehmen, geneigt scheint, stillschweigend Nachsicht zu üben, sofern besagte Uniform gleich bei der Ankunft durch irgendeine zivile Kleidung ersetzt wird, sei diese modern oder altmodisch, neu oder alt, sauber oder schmutzig, das ist ihm gleichgültig. Cipriano Algor war nun allein in der Töpferei. Er prüfte zerstreut die Festigkeit einer der Ummantelungen, verlagerte unnötigerweise einen Sack Gips und fand sich schließlich, als 186
hätte nur der Zufall und nicht der Wille seine Schritte gelenkt, vor den Figuren wieder, die er modelliert hatte, dem Mann, der Frau. In nur wenigen Sekunden hatte er den Mann in einen formlosen Tonklumpen verwandelt. Die Frau hätte vielleicht überlebt, hätte in Cipriano Algors Ohren nicht sofort Martas Frage, die sie am nächsten Morgen stellen würde, geklungen, Warum, warum der Mann und nicht die Frau, warum nur einer und nicht beide. Der Ton der Frau vermengte sich mit dem Ton des Mannes, und so sind sie wieder aus einem Ton.
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DER ERSTE Akt der Vorstellung ist vorbei, die Bühnenrequisiten wurden entfernt, die Schauspieler erholen sich von der Anstrengung des Schlussbildes. Im Lager des Zentrums blieb kein einziger Keramikgegenstand aus der Töpferei Algor zurück, nur ein wenig roter Staub auf den Regalen, und es kann nicht oft genug daran erinnert werden, dass der Zusammenhalt der Materie nicht ewig währt, denn wenn der Zahn der Zeit sogar mühelos mit Marmor- und Granitgestein fertig wird, wieso sollte dies nicht auch bei einfachem Ton zweifelhafter Zusammensetzung und vermutlich unregelmäßigen Brandes gelingen. Marçal Gacho wurde in der Abteilung Einkauf nicht erkannt, was zum einen sicher auf die Baskenmütze und die Sonnenbrille zurückzuführen war, zum anderen aber auch auf sein unrasiertes Gesicht, das er absichtlich so gelassen hatte, um die Wirksamkeit der schützenden Verkleidung zu verstärken, zumal eines der diversen Merkmale, die den Wachmann im Innendienst des Zentrums charakterisieren, eine perfekte und vollständige Rasur ist. Der Unterabteilungsleiter war jedenfalls sehr erstaunt über die plötzliche Verbesserung des Transportfahrzeuges, eine logische Reaktion bei einem Menschen, der es sich mehr als nur einmal erlaubt hatte, beim Anblick des altmodischen Lieferwagens ironisch zu lächeln, überraschend hingegen, und das ist unter den gegebenen Umständen die harmloseste Bezeichnung, war wiederum der unverhohlene Ärger, den sein Blick und seine Gesten zum Ausdruck brachten, als Cipriano Algor ihm mitteilte, er wolle die restliche Keramik abholen, Die ganze, fragte er, Die ganze, antwortete der Töpfer, ich habe einen Lastwagen und einen Helfer dabei. Hätte dieser offensichtlich bösartige Unterabteilungsleiter in dieser Erzählung, deren Lauf wir hier verfolgen durften, eine größere Zukunft zu erwarten, wären wir 188
bestimmt an einem der nächsten Tage auf die Idee gekommen, ihn zu bitten, uns doch den Hintergrund seiner Gefühle in jener Situation zu enthüllen, das heißt, den eigentlichen Grund für eine in jeder Hinsicht unlogische Verärgerung, die er nicht hatte verbergen wollen oder können. Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass er versucht hätte, uns zu täuschen, indem er zum Beispiel gesagt hätte, er hätte sich an die täglichen Besuche Cipriano Algors gewöhnt und diesen, obgleich er aus Wahrheitsliebe nicht schwören könne, dass sie Freunde seien, doch irgendwie ins Herz geschlossen, vor allem, weil sich der arme Teufel in einer so trostlosen beruflichen Situation befände. Heuchelei unverschämtester Art, wie man sehen kann, zumal wir, enthüllten wir nicht nur den Hintergrund seiner Gefühle, sondern buddelten weiter bis auf den tiefsten Grund, sofort erkennen würden, dass das, was diese offensichtliche Verbitterung des Unterabteilungsleiters letztlich verraten hatte, die Frustration war, mit ansehen zu müssen, wie ihm das perverse Vergnügen desjenigen genommen wurde, der sich selbst dann an den Niederlagen anderer ergötzt, wenn es ihm keinen eigenen Vorteil einbringt. Unter dem Vorwand, die beiden würden Stunden für diese Arbeit brauchen und dadurch den anderen Lieferanten das Entladen erschweren, versuchte dieser üble Mensch sogar, das Beladen des Lastwagens zu verhindern, doch Cipriano Algor setzte ihm die Pistole auf die Brust, wie man so schön sagt, indem er fragte, wer denn die Ausgaben für das Mietfahrzeug übernehmen würde, falls er zurückgeschickt würde, dann verlangte er das Beschwerdebuch, und sein letztes, verzweifeltes Druckmittel war zu erklären, er ginge nicht mehr weg, ehe er nicht den Abteilungsleiter gesprochen hätte. In den Handbüchern angewandter Psychologie heißt es in dem Kapitel Verhalten, dass Menschen mit schlechtem Charakter häufig feige sind, daher soll es uns auch nicht wundern, dass die Furcht, öffentlich von seinem Vorgesetzten entmachtet zu werden, bei 189
dem Unterabteilungsleiter einen plötzlichen Gesinnungswandel auslöste. Er stieß noch eine beleidigende Bemerkung aus, um seine eigene Niederlage zu überspielen, und zog sich in den hinteren Teil des Lagers zurück, aus dem er erst wieder auftauchte, als der Laster, nun endlich beladen, das Untergeschoss verließ. Cipriano Algor und Marçal Gacho besangen weder im wörtlichen noch im übertragenen Sinne ihren Sieg, sie waren einfach zu müde, um den Rest ihrer Kraft mit Jubeln und Frohlocken zu vergeuden, der Ältere sagte nur, Der wird uns das Leben noch schwer machen, wenn wir die neue Ware bringen, wird die Figürchen mit der Lupe begutachten und sie dutzendweise zurückgehen lassen, und der Jüngere antwortete, dass das vielleicht so sei, aber sicher sei es auch nicht, schließlich hätte sich der Abteilungsleiter der Sache angenommen, Das eine haben wir nun geschafft, Vater, und das andere kriegen wir auch noch hin, so muss es sein im Leben, wenn einer verzagt, fasst sich der andere ein Herz und packt die Sache an. Sie hatten den Lieferwagen an einer nahe gelegenen Straßenecke abgestellt, dort wird er stehen bleiben, bis sie sämtliches Keramikgeschirr in der Höhle am Fluss abgeladen haben, dann werden sie den Lastwagen in die Garage bringen und schließlich, wenn der Abend anbricht, erschöpft und mehr tot als lebendig nach Hause kommen, der eine, weil er in den glatten Fluren des Zentrums keine Möglichkeit zu gesunder, körperlicher Betätigung mehr hat, der andere wegen der bereits sattsam bekannten Auswirkungen des Alters. Der Hund Achado wird zu ihrem Empfang den Weg heruntergerannt kommen, wird sie seiner Art gemäß mit Sprüngen und Gebell begrüßen, und Marta wird an der Tür warten. Sie wird fragen, Und, habt ihr alles geschafft, und sie werden dies bejahen, es sei alles geschafft, dann werden die drei denken, oder sie werden es fühlen, falls es überhaupt einen Unterschied zwischen Fühlen und Denken gibt, dass dieser Teil, der zu Ende ging, ist wie der, der ungeduldig auf seinen 190
Beginn wartet, dass die ersten, zweiten und dritten Akte, im Theater wie im Leben, immer ein einziges Stück ergeben. Richtig ist, dass einige Requisiten von der Bühne entfernt wurden, doch der Ton, aus dem die neuen gemacht werden, ist der gleiche wie gestern, und die Schauspieler werden morgen, wenn sie hinter den Kulissen aus ihrem Schlaf erwachen, ihren rechten Fuß genau vor den Abdruck setzen, den ihr linker Fuß hinterlassen hat, dann werden sie den linken vor den rechten setzen, und, was immer sie auch tun, sie werden nicht vom Weg abweichen. Trotz Marçals Müdigkeit werden Marta und Marçal, als sei auch dies das erste Mal, die Gesten, Bewegungen und das Stöhnen und Seufzen der Liebe wiederholen. Und die Worte. Cipriano Algor wird traumlos in seinem Bett schlafen. Morgen früh wird er wie gewöhnlich den Schwiegersohn zur Arbeit bringen. Vielleicht kommt er auf dem Rückweg auf die Idee, an der Höhle am Fluss vorbeizufahren, aus keinem bestimmten Grund, nicht einmal aus Neugier, weiß er doch ganz genau, was er dort abgeladen hat, dennoch tritt er vielleicht an den Rand der Böschung, und wenn er es tut, wird er nach unten blicken, dann wird er sich fragen, ob er nicht ein paar Zweige von den Bäumen abschneiden sollte, um die Keramik besser abzudecken, offensichtlich will er, dass sonst niemand erfährt, was dort gelagert ist, dass sie so bleibt, verdeckt, geschützt, bis zu dem Tag, an dem sie wieder benötigt wird, ach, wie schwer fällt es uns doch, uns von dem zu trennen, was wir geschaffen haben, seien es Dinge oder Träume, selbst wenn wir sie bereits eigenhändig zerstört haben. Ich mache den Ofen sauber, sagte Cipriano Algor, als er nach Hause kam. Die früheren Erfahrungen des Hundes Achado ließen diesen annehmen, dass sein Herr beabsichtigte, sich erneut auf die Meditationsbank zu setzen, sollte der Arme immer noch betrübt sein, lief sein Leben etwa immer noch verkehrt, in solchen Situationen brauchen wir die Hunde am 191
dringendsten, wenn sie sich mit der unverkennbaren Frage in ihrem Blick vor uns aufbauen, Brauchst du Hilfe, und wenn es zunächst auch so aussieht, als vermöge ein solches Tier das Leid, die Ängste und anderen Nöte des Menschen nicht zu lindern, so kann das auch daran liegen, dass wir nicht in der Lage sind zu verstehen, was sich jenseits und diesseits unseres Menschseins befindet, als erlangten die anderen Besorgnisse dieser Welt nur eine greifbare Realität, wenn sie mit den Normen unserer eigenen Realität gemessen werden können, oder, um es in einfacheren Worten auszudrücken, als hätte nur das Menschliche eine Existenzberechtigung. Cipriano Algor setzte sich nicht auf die Steinbank, sondern ging daran vorbei zum Ofen, löste die drei schweren Bronzeriegel, die auf verschiedenen Höhen, oben, in der Mitte und unten angebracht waren, und öffnete die Tür, die bedrohlich in den Scharnieren quietschte. Nach den ersten Tagen der sinnlichen Erkundungen, in denen die unmittelbare Neugier des Neuankömmlings befriedigt wurde, hatte der Ofen aufgehört, Achados Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Er war für ihn eine alte, unverputzte Steinkonstruktion mit einer hohen, schmalen Tür, deren Verwendung unbekannt war und hinter der niemand lebte, ein Bauwerk, dessen oberer Teil drei kaminartige Gebilde aufwies, die jedoch gewiss keine waren, denn noch nie war ihnen irgendein verlockender Essensgeruch entwichen. Und nun war die Tür ganz unvermutet aufgegangen, und der Herr war dort so selbstverständlich hineingegangen, als wäre dies ebenfalls sein Haus, so wie das andere. Soll ein Hund angesichts so vieler Überraschungen in seinem Leben aus Vorsicht und aus Prinzip bellen, schließlich kann er im vorhinein nicht wissen, ob die guten Überraschungen sich nicht in schlechte verwandeln, oder ob die schlechten aufhören, das zu sein, was sie einmal waren, also bellte Achado und bellte, zuerst aus Sorge, weil die Gestalt seines Herrn sich im hintersten Winkel des Ofens aufzulösen 192
schien, dann vor Glück, als er ihn unversehrt und mit verändertem Gesichtsausdruck wieder auftauchen sah, das sind die kleinen Wunder der Liebe, denn seine Arbeit zu lieben sollte auch zu diesen Wundern zählen. Als Cipriano Algor erneut den Ofen betrat, diesmal mit dem Besen in der Hand, war Achado nicht mehr beunruhigt, ein Herr ist genau genommen so etwas wie die Sonne oder der Mond, wir müssen Geduld haben, wenn er verschwindet, hoffen, dass die Zeit vergeht, ob es wenig oder viel ist, vermag ein Hund nicht zu sagen, da er nicht unterscheiden kann zwischen der Dauer einer Stunde und der einer Woche, der eines Monats und der eines Jahres, für ein solches Tier gibt es nur Anwesenheit und Abwesenheit. Während der Reinigung des Ofens machte Achado keine Anstalten einzutreten, sondern drückte sich an eine der Seitenwände, damit ihn der Hagel aus gebrannten Tonstückchen und -scherben, die der Besen nach draußen beförderte, nicht traf, und legte sich der Länge nach hin, den Kopf zwischen die Pfoten. Er wirkte abwesend, fast schlafend, doch selbst der unerfahrenste Kenner von Hundetricks wäre in der Lage gewesen zu erkennen, und zwar nur daran, wie dieses Wesen immer wieder heimlich die Augen öffnete und schloss, dass der Hund Achado einfach nur wartete. Als Cipriano Algor die Reinigung beendet hatte, verließ er den Ofen und ging zur Töpferei. Solange er in Sicht war, rührte sich der Hund nicht, doch dann erhob er sich langsam, begab sich gestreckten Halses zum Eingang des Ofens und sah hinein. Es war ein merkwürdiges, leeres Haus mit gewölbter Decke, ohne Möbel oder Zierrat, ausgekleidet mit weißlichen Pflastersteinen, doch was die Nase des Hundes am meisten beeindruckte, war die extreme Trockenheit der Luft, die man dort einatmete, ebenso wie dieser intensive, beißende Geruch, der dort vorherrschte, der endgültige Geruch eines unendlichen Verbrennungsprozesses, der Leser möge sich nicht wundern über den offensichtlichen und beabsichtigten Widerspruch 193
zwischen endgültig und unendlich, denn wir haben hier keine menschlichen Empfindungen beschrieben, sondern das, was unserer menschlichen Vorstellung nach ein Hund empfunden haben könnte, als er das erste Mal den leeren Ofen der Töpferei betrat. Im Gegensatz zu dem, was naturgemäß zu erwarten wäre, steckte Achado den neu entdeckten Ort nicht mit Urin ab. Zwar schickte er sich an zu tun, was sein Instinkt ihm befahl, zwar hob er drohend ein Bein, doch er bezähmte sich, hielt sich im allerletzten Augenblick zurück, wer weiß, vielleicht weil ihn das steinerne Schweigen, das ihn umgab, ängstigte, oder die rustikale Rohheit des Bauwerks, die weißliche, gespenstische Farbe des Bodens und der Wände, wer weiß, vielleicht war es ganz einfach nur, weil er ahnte, dass sein Herr ihm Gewalt antun würde, wenn er das Reich, den Thron und Himmel des Feuers mit Urin beschmutzt vorfände, jenen Schmelztiegel, in dem der Ton Mal für Mal davon träumt, in einen Diamanten verwandelt zu werden. Mit gesträubtem Rückenfell und eingezogenem Schwanz, als sei er von weither angerannt gekommen, verließ der Hund Achado den Ofen. Er sah keinen seiner Besitzer, Haus und Feld lagen wie verlassen da, und der schwarze Maulbeerbaum schien, vermutlich aufgrund eines speziellen Einfallwinkels der Sonne, einen merkwürdigen Schatten zu werfen, der sich auf dem Boden ausbreitete, als käme er von einem anderen Baum. Im Gegensatz zu dem, was gemeinhin angenommen wird, haben Hunde, und werden sie auch noch so sehr verhätschelt und verwöhnt, kein leichtes Leben, erstens, weil sie es bis heute noch nicht geschafft haben, zu einem wenigstens zufrieden stellenden Verständnis der Welt, in die sie gebracht wurden, zu gelangen, zweitens, weil zu dieser Schwierigkeit erschwerend die ständigen Widersprüche und Unbeständigkeiten im Verhalten der Menschen hinzukommen, mit denen sie sozusagen Haus, Essen und manchmal auch das Bett teilen. Der Herr ist verschwunden, die Herrin läßt sich nicht blicken, 194
und der Hund Achado erleichtert seine Melancholie und seinen verhaltenen Harndrang an der Steinbank, die keinem weiteren Zwecke dient als dem der Meditation. Genau in diesem Augenblick traten Cipriano Algor und Marta aus der Töpferei. Achado rannte auf sie zu, in einem Augenblick wie diesem, ja, da hat er den Eindruck, dass er endlich alles verstehen wird, doch dieser Eindruck ist nicht von Dauer, war nie von Dauer, der Herr brüllte ihn an, Weg da, die Herrin schrie alarmiert, Platz, wer soll je diese Leute verstehen, der Hund Achado wird erst ein wenig später bemerken, dass seine Gebieter ganz vorsichtig ein paar Tonfiguren auf ein paar kleinen Brettern transportieren, jeder drei und drei pro Brett, man stelle sich nur das Unglück vor, wenn sie meinen Überschwang nicht rechtzeitig gebremst hätten. Die Gleichgewichtskünstler bewegen sich auf die langen Trockenbretter zu, die schon seit Wochen nackt daliegen, ohne Teller, Becher, Tassen, Untertassen, Suppenschüsseln, Krüge, Wasserkrüge, Blumenvasen und anderen Zierrat für Haus und Garten. Diese sechs Figuren, die im Lufthauch trocknen werden, beschützt vom Schatten des Maulbeerbaumes, doch gelegentlich auch berührt von der Sonne, die auf ihrer Wanderschaft immer wieder zwischen den Blättern hindurchscheint, sind die Vorhut einer neuen Besetzung, die Vorhut Hunderter gleicher Figuren, die in geschlossenen Bataillonen die langen Bretter bedecken werden, tausendzweihundert Figuren, sechs mal zweihundert laut der Berechnung, die damals angestellt worden war, doch die Rechnung war falsch, die Siegesfreude ist nicht immer die beste Ratgeberin, diese Töpfer, die über die Erfahrung dreier Generationen verfügen, haben damals anscheinend vergessen, dass es unerlässlich ist, stets einen Spielraum für die Verluste einzukalkulieren, frisst doch selbst die Schere den Stoff, den sie schneidet, einen Spielraum für das, was herunterfällt und zerbricht, für das, was sich verformt hat, für das, was sich zu sehr oder zu wenig zusammengezogen hat, für das, was die 195
Hitze hat zerspringen lassen, weil es schlecht gearbeitet war, für das, was aufgrund einer falschen Luftzirkulation schlecht gebrannt herauskam, und zu all diesen Dingen, die eindeutig mit den physikalischen Unwägbarkeiten einer Arbeit zu tun haben, die einiges mit der Kunst der Alchemie gemein hat, welche, wie wir wissen, keine exakte Wissenschaft ist, zu all diesen Dingen, sagten wir, kommt noch die strenge Prüfung hinzu, der das Zentrum wie üblich jede Figur unterziehen wird, und das bei diesem Unterabteilungsleiter, der ihnen anscheinend Rache geschworen hat. Cipriano Algor fielen beide Bedrohungen, die nachweisliche und die latente, erst ein, als er den Ofen ausfegte, das ist das Gute an den Assoziationen, eine zieht die andere nach sich, sie bilden eine Kette, und die Kunst liegt darin, nicht den Faden zu verlieren, zu erkennen, dass eine Scherbe auf dem Boden nicht nur ihre Gegenwart als Scherbe auf dem Boden ist, sondern auch ihre Vergangenheit, als sie dies noch nicht war, und auch ihre Zukunft, nämlich nicht zu wissen, was sie sein wird. Es heißt, in früherer Zeit hätte es einmal einen Gott gegeben, der beschlossen hätte, einen Menschen aus dem Lehm zu formen, den er zuvor selbst geschaffen hatte, und diesem Menschen hätte er dann, damit er über Atmung und Leben verfügt, seinen Atem in die Nasenlöcher eingehaucht. Einige eigensinnige, negative Geister behaupten hinter vorgehaltener Hand, wenn sie sich nicht trauen, es lautstark zu verkünden, dass besagter Gott sich nach diesem höchsten Akt der Schöpfung nie mehr den Künsten der Töpferei widmete, weshalb er indirekt bezichtigt wird, er hätte einfach aufgehört zu arbeiten. Diese Angelegenheit ist wegen ihrer Tragweite einfach zu gewichtig, als dass wir sie vereinfachend abhandeln könnten, sie erfordert vielmehr ein Abwägen, ein hohes Maß an Unparteilichkeit und sehr viel objektiven Geist. Es ist eine historische Tatsache, dass von jenem historischen Tag an die Arbeit des Modellierens nicht mehr ausschließlich Sache des 196
Schöpfers war, sondern langsam in die Zuständigkeit der Geschöpfe überging, die, was nicht eigens erwähnt werden muss, nicht mit ausreichend belebendem Atem ausgestattet waren. Das Ergebnis war, dass dem Feuer die Verantwortung für all jene nachfolgenden Operationen überschrieben wurde, mittels derer den Dingen, die aus dem Ofen kommen, eine annähernde Ähnlichkeit mit etwas Lebendigem verliehen wird, sei es von der Farbe, vom Glanz oder gar vom Klang her. Doch das war eine oberflächliche Betrachtungsweise. Das Feuer vermag viel, das will niemand bestreiten, aber es vermag nicht alles, es hat eindeutige Grenzen und sogar manch schlimmen Fehler, wie zum Beispiel seinen unersättlichen Heißhunger, der ihn alles, was es vor sich hat, verschlingen und zu Asche reduzieren lässt. Kehren wir jedoch zu dem Thema zurück, das uns beschäftigt, zu der Töpferei und ihrer Funktionsweise, wir wissen alle, dass feuchter Ton, wenn er in den Ofen kommt, in weniger Zeit, als zum Erzählen des Vorgangs nötig ist, springt. Eine erste, zwingende Bedingung stellt das Feuer, wenn es das tun soll, was wir von ihm erwarten, nämlich dass der Ton so trocken wie möglich in den Ofen kommt. Und hier kehren wir beschämt zum Einhauchen des Atems in die Nasenlöcher zurück, hier werden wir erkennen müssen, wie ungerecht und unvernünftig wir doch waren, als wir uns der unbarmherzigen Meinung anschlossen, besagter Gott hätte seinem eigenen Werk gleichgültig den Rücken gekehrt. Ja, es stimmt, seitdem hat ihn niemand mehr gesehen, doch er hat uns das gelassen, was vielleicht das Beste an ihm war, nämlich den Hauch, den Lufthauch, das Lüftchen, die Brise, den milden Wind, die jetzt alle sanft in die Nasenlöcher der sechs Tonfiguren eindringen, die Cipriano Algor und seine Tochter gerade ganz vorsichtig auf einem der Trockenbretter aufgestellt haben. Außer Töpfer ist besagter Gott nämlich auch noch Dichter, denn er weiß, wie man auf krummen Linien gerade schreibt, um ans Ziel zu gelangen, und da er selbst nicht da ist, um persönlich zu 197
hauchen, hat er jemanden geschickt, der die Arbeit für ihn erledigt, und alles nur, damit das zarte Leben dieser Tonfiguren nicht morgen in der blinden und brutalen Umarmung des Feuers ausgelöscht wird. Wenn wir morgen sagen, dann ist das nur so dahingesagt, es stimmt zwar, dass bei der Premiere ein einziger Hauch ausreichte, um dem Ton des Menschen Atmung und Leben zu verleihen, doch es werden viele Hauche nötig sein, um den hier aufgereihten Narren, Clowns, bärtigen Assyrern, Mandarins, Eskimos und Krankenschwestern sowie denen, die zukünftig in geschlossener Front auf diesen Brettern stehen werden, nach und nach das Wasser zu entziehen, ohne das sie nicht das geworden wären, was sie sind, und um sie gefahrlos in den Ofen stellen zu können, damit sie zu dem werden, was sie sein müssen. Der Hund Achado richtete sich auf den Hinterbeinen auf und stützte sich mit den Pfoten auf dem Rand des Brettes ab, um die vor ihm aufgereihten Figürchen besser sehen zu können. Er schnaubte einmal, zweimal, dann verlor er das Interesse an ihnen, doch es war nicht rechtzeitig genug, um dem harten, schmerzhaften Klaps seines Herrn zu entgehen, der ihn am Kopf traf, und auch nicht der Wiederholung der harten Worte, die er zuvor bereits gehört hatte, Weg da, wie soll er nur erklären, dass er keiner der Figuren etwas anhaben will, dass er sie nur besser sehen und riechen möchte, dass es nicht gerecht ist, dass du mich geschlagen hast wegen so einer Lappalie, anscheinend weißt du nicht, dass die Hunde sich nicht nur der Augen bedienen, um die Außenwelt zu untersuchen, die Nase ist so etwas wie ein zusätzliches Auge, sie sieht, was sie riecht, aber wenigstens hat die Herrin diesmal nicht Platz gebrüllt, glücklicherweise findet sich doch immer jemand, der in der Lage ist, fremde Beweggründe zu verstehen, sogar die jener Wesen, die aufgrund angeborener Stummheit oder sprachlicher Unzulänglichkeit diese nicht erklären können. Du hättest ihn nicht gleich schlagen müssen, Vater, er war doch nur neugierig, 198
sagte Marta. Höchstwahrscheinlich hatte Cipriano Algor dem Hund gar nicht wehtun wollen, es war einfach eine Reaktion des Instinkts gewesen, den die Menschen, im Gegensatz zu dem, was allgemein angenommen wird, noch nicht verloren haben und so schnell nicht verlieren werden. Er lebt Tür an Tür mit der Intelligenz, doch ist er unendlich viel schneller als sie, deswegen steht diese oft so dumm da und hat das Nachsehen, und genau das passierte auch in diesem Fall, aus Angst, dass ihm das zerstört würde, was ihm so viel Arbeit gemacht hatte, reagierte der Töpfer wie eine Löwin, die ihre Jungen in Gefahr sieht. Nicht alle Schöpfer können ihre Geschöpfe allein lassen, egal, ob es sich um Hundewelpen oder Tonfiguren handelt, nicht alle gehen weg und überlassen sie der Unbeständigkeit eines sanften Windes, der nur ab und zu bläst, als hätten wir nicht auch das Bedürfnis zu wachsen, in den Ofen zu kommen, zu erfahren, wer wir sind. Cipriano Algor rief den Hund, Komm her, Achado, komm her, also diese Geschöpfe soll einer verstehen, sie schlagen jemanden, und gleich darauf streicheln sie den, den sie geschlagen haben, sie werden geschlagen, und gleich darauf küssen sie die Hand dessen, der sie geschlagen hat, vielleicht ist das alles nur eine Auswirkung der Probleme, die wir seit Anbeginn der Zeit haben, nämlich uns gegenseitig zu verstehen, wir, die Hunde, wir, die Menschen. Achado hat den Schlag, den er erhielt, bereits vergessen, nicht jedoch sein Herr, sein Herr verfügt über Erinnerungsvermögen, er wird morgen oder in einer Stunde vergessen, doch vorerst kann er es nicht, in solchen Fällen ist die Erinnerung wie jenes kurze Auftreffen der Sonne auf der Netzhaut, das an der Oberfläche eine Verbrennung hervorruft, eine harmlose, unbedeutende Verletzung, die jedoch lästig wird, wenn sie andauert, das Beste wird sein, den Hund zu rufen, ihm zu sagen, Achado, komm her, und Achado wird kommen, er kommt immer, und wenn er die Hand leckt, die ihn streichelt, dann tut er dies deswegen, weil das die Art ist, wie Hunde küssen, bald 199
verschwindet die Verbrennung, das Sehen normalisiert sich, es ist, als sei nichts geschehen. Cipriano Algor zählte das Holz ab und fand, dass es zu wenig sei. Jahrelang hatte er mit dem Gedanken geliebäugelt, eines Tages den alten Holzofen abzureißen und stattdessen einen neuen Ofen zu errichten, einen modernen, einen von diesen Gasöfen, die sehr hohe Temperaturen erreichen, schnell aufgeheizt sind und exzellente Brennresultate erzielen. In seinem tiefsten Innersten war ihm jedoch immer klar gewesen, dass dies niemals geschehen würde, einmal wegen des vielen Geldes, das man dafür aufbringen musste und über das er einfach nicht verfügte, aber auch aus anderen, weniger materiellen Gründen, zum Beispiel, weil er von vornherein wusste, dass es ihm Leid tun würde, das zu zerstören, was sein Großvater gebaut und sein Vater vollendet hatte, täte er dies, dann wäre das, als ließe er die beiden im wahrsten Sinne des Wortes vom Erdboden verschwinden, denn auf eben diesem Erdboden stand der Ofen. Er hatte auch noch einen anderen Grund, den er ungern zugab, der sich in fünf Worten zusammenfassen ließ, Ich bin zu alt dafür, und der objektiv betrachtet den Umgang mit Pyrometern, Röhrensystemen Sicherheitsventilen, Brennern, das heißt, mit anderen Techniken und anderen Sicherheitsmaßnahmen beinhaltete. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als den alten Ofen weiterhin auf die alte Art zu speisen, mit Holz, Holz und nochmal Holz, vielleicht ist das am schwersten zu ertragen bei dem ganzen Töpferhandwerk. Wie der Heizer alter Dampflokomotiven, der unaufhörlich Kohlen in die Öffnung des Brennofens schaufelt, so rackert sich auch der Töpfer, zumindest dieser Cipriano Algor, damit ab, stundenlang das archaische Brennmaterial in den Ofen zu werfen, Zweige, die das Feuer erfasst und augenblicklich verschlingt, Äste, die die Flamme nach und nach anknabbert und anleckt, bis sie zu Glut geworden sind, am besten ist es noch, wenn wir ihn mit 200
Kiefernzapfen und Holzmehl verwöhnen können, denn das brennt langsamer und erzeugt mehr Hitze. Cipriano wird sich in der Umgebung des Dorfes mit Holz eindecken, wird bei den Holzfällern und Bauern ein paar Fuhren Brennholz bestellen, in den Sägewerken und Schreinereien des Industriegürtels ein paar Säcke Sägemehl kaufen, vorzugsweise von Hartholz wie Eiche, Nussbaum und Kastanie, und all das wird er allein machen müssen, natürlich kommt er nicht auf die Idee, die Tochter, die zudem noch schwanger ist, zu bitten, ihn zu begleiten und ihm zu helfen, die Säcke auf den Lieferwagen zu laden, er wird nur Achado mitnehmen, um sich endgültig mit ihm auszusöhnen, was offensichtlich bedeutet, dass die Verbrennung in Cipriano Algors Gedächtnis letztlich doch noch nicht ganz verheilt ist. Das Holz, das sich in dem offenen Schuppen befindet, würde vollkommen ausreichen für den Brand der sechs Figuren, die für die Formen dienen sollten, doch Cipriano Algor kommen Zweifel, es erscheint ihm absurd, schwachsinnig, eine unverzeihliche Verschwendung, dieses eklatante Missverhältnis zwischen den eingesetzten Mitteln und den zu erreichenden Zielen, sprich, dass man für das Brennen dieser materiellen Lächerlichkeit von einem halben dutzend Figuren den Ofen so beheizen muss, als handele es sich um eine Ladung bis an die Decke. Er sagte es Marta, die ihm Recht gab und eine halbe Stunde später den Ausweg fand, Hier in dem Buch wird erklärt, wie man das Problem lösen kann, es gibt sogar eine Zeichnung, damit man es besser versteht. Es kann gut sein, dass Martas Urgroßvater, der ja aus einer anderen Zeit stammte, am Anfang seiner Töpferlaufbahn noch gelegentlich das bereits damals veraltete Verfahren des Grubenbrandes verwendete, doch die Installation des ersten Ofens dürfte diese rustikale Technik, die er schon nicht mehr an Cipriano Algors Vater weitergab, in gewisser Weise überflüssig und vergessen gemacht haben. Zum Glück gibt es die Bücher. Wir können sie auf einem 201
Regalbrett oder in einer Truhe vergessen, sie dem Staub und den Motten überlassen, sie keines Blickes würdigen und sie auch jahrelang nicht berühren, es ist ihnen gleichgültig, sie warten geduldig, fest verschlossen, damit nichts, was sie enthalten, verloren geht, auf den Augenblick, der immer kommt, auf den Tag, an dem wir uns fragen, Wo kann bloß dieses Buch über das Tonbrennen sein, und das endlich wieder gefragte Buch taucht auf, hier hegt es, in Martas Händen, während ihr Vater neben dem Ofen eine kleine Grube von einem halben Meter Tiefe und ebensolcher Breite aushebt, bei der Größe der Figuren ist das ausreichend, dann legt er den Boden des Lochs mit einer Schicht aus kleinen Ästen aus und setzt diese in Brand, die Flammen steigen hoch, liebkosen die Wände, verringern deren Feuchtigkeit an der Oberfläche, gleich wird das Feuer absterben, übrig bleibt nur die heiße Asche und ein klein wenig Glut, und darauf stellt Marta, die ihrem Vater das aufgeschlagene Buch gereicht hat, ganz vorsichtig die sechs Probefiguren, eine nach der anderen, den Mandarin, den Eskimo, den bärtigen Assyrer, den Clown, den Narren, die Krankenschwester, die heiße Luft in der Grube flirrt noch immer, umspielt die graue, äußere Haut der Figuren, aus der, ebenso wie aus dem massiven Inneren ihrer Körper, bereits fast alles Wasser verdunstet ist, dank der Arbeit der Brise und des Lufthauchs, und nun legt Cipriano Algor, in Ermangelung eines für diese Zwecke besser geeigneten Rostes, in nicht zu großen, aber auch nicht zu kleinen Abständen, genau so, wie es das Buch lehrt, ein paar dünne Eisenstäbe über die Öffnung der Grube, zwischen denen die Glut durchfallen soll, die das Feuer, das der Töpfer bereits angefacht hat, hervorbringt. So glücklich waren Vater und Tochter über das Auffinden des rettenden Buches gewesen, dass sie gar nicht bemerkt hatten, dass sie die Arbeit bei hereinbrechender Dämmerung begonnen hatten, was sie dazu zwingen würde, das Feuer die ganze Nacht über zu speisen, bis die Grube 202
vollständig mit Glut gefüllt und der Brand zu Ende wäre. Cipriano Algor sagte zu seiner Tochter, Geh schlafen, ich sehe nach dem Feuer, und sie antwortete, Nicht für alles Gold der Welt würde ich das hier versäumen. Sie setzten sich auf die Steinbank und betrachteten die Flammen, Cipriano Algor stand ab und zu auf und legte Holz nach, nicht zu dicke Äste, damit die Glut auch durch die Zwischenräume der Eisenstäbe fallen konnte, als es Zeit war, zu Abend zu essen, ging Marta ins Haus und bereitete eine leichte Mahlzeit zu, die sie dann in dem Flackerlicht einnahmen, das sich an der Seitenwand des Ofens hin und her bewegte, als brenne auch dieser von innen. Der Hund Achado teilte das Essen mit ihnen, legte sich Marta zu Füßen und blickte starr in die Flammen, er hatte in seinem Leben bereits andere Feuer erlebt, doch keines war wie dieses gewesen, wahrscheinlich wollte er etwas anderes damit sagen, die Feuer, die großen wie die kleinen, ähneln sich alle, sie sind brennendes Holz, Funken, Glut und Asche, was Achado dachte, war, dass er nie so mit zwei Menschen, denen er für immer seine Hundeliebe geschenkt hatte, zusammen gewesen war, neben einer Steinbank, die sich für ernsthafte Meditationen eignete, was er von heute an aus eigener, persönlicher Erfahrung bezeugen konnte. Einen halben Kubikmeter mit Glut zu füllen dauert seine Zeit, vor allem wenn das Holz, wie in diesem Fall, nicht ganz trocken ist, was man daran erkennt, dass an den noch nicht brennenden Enden der Scheite brodelnd die letzten Säfte austreten. Interessant wäre, angenommen, es wäre möglich, einmal dort hineinzuschauen, nachzusehen, ob die Glut den Figuren bereits bis zur Taille reicht, doch zumindest kann man sich vorstellen, wie es in dem flirrenden, strahlenden Innern der Grube aussehen mag, das erhellt wird vom Licht zahlreicher kurzlebiger Flammen, die soeben die kleinen, weiß glühenden Holzstückchen verschlangen, die hinabgefallen waren. Da die Nacht langsam kühl wurde, ging Marta eine Decke holen, die 203
sich Vater und Tochter schützend um die Schultern legten. Von vorn brauchten sie keine, denn es passierte nun dasselbe wie in alten Zeiten, wenn wir in den offenen Kamin kletterten, um uns in den Winternächten zu wärmen, der Rücken zitterte vor Kälte, während Gesicht, Hände und Beine glühten. Die Beine vor allem, weil sie dem Feuer am nächsten waren. Morgen beginnt die harte Arbeit, sagte Cipriano Algor, Ich helfe dir, sagte Marta, Du wirst mir helfen, ohne Zweifel, es bleibt dir gar nichts anderes übrig, so schwer es mir auch fällt, Ich habe doch immer geholfen, Aber jetzt bist du schwanger, Im ersten Monat, wenn überhaupt schon, das macht noch keinen Unterschied, ich fühle mich wunderbar, Ich fürchte, wir kriegen das alles nicht hin, Wir kriegen es hin, Wenn wir nur jemanden finden würden, der uns hilft, Du hast doch selbst gesagt, Vater, dass niemand mehr in der Töpferei arbeiten will, außerdem würden wir Zeit mit dem Anlernen dieser Person vergeuden, und das würde sich bestimmt nicht lohnen, Natürlich, bestätigte Cipriano Algor, der plötzlich abwesend wirkte. Ihm war eingefallen, dass jene Isaura Estudiosa oder Isaura Madruga, wie sie sich anscheinend inzwischen nannte, Arbeit suchte, und dass sie, wenn sie keine fände, das Dorf verlassen würde, doch dieser Gedanke verwirrte ihn diesmal nicht, denn eigentlich konnte und wollte er sich diese Madruga nicht vorstellen, wie sie in der Töpferei arbeitete, wie sie mit dem Ton hantierte, die einzigen intuitiven Kenntnisse, die sie von dem Handwerk zu haben schien, war diese Art, einen Krug gegen die Brust zu drücken, aber das hilft einem nicht viel, wenn es darum geht, Figuren herzustellen, und nicht darum, sie im Arm zu halten. Das kann schließlich jeder, dachte er, doch er wusste, dass das nicht stimmte. Da sagte Marta, Was wir machen könnten, wäre jemanden einzustellen, der sich um die Hausarbeit kümmert, damit ich für die Töpferei freigestellt wäre, Wir haben kein Geld, um ein Dienstmädchen zu bezahlen, oder eine Hausangestellte, Putzfrau oder wie immer 204
man das nennt, unterbrach Cipriano Algor sie brüsk. Jemanden, der eine Beschäftigung sucht, dem es nichts ausmacht, eine Zeit lang wenig zu verdienen, beharrte Marta. Ungeduldig schüttelte der Vater die Decke ab, als würde er darunter ersticken, Wenn du das denkst, was ich meine, dann finde ich es besser, wir lassen das Gespräch, Ich würde aber gerne noch wissen, ob du das gemeint hast, weil ich es gedacht habe, sagte Marta, oder ob du es dir schon gedacht hattest, bevor ich es meinte. Hör bitte auf, mit den Worten zu spielen, du hast diese Begabung, ich nicht, von mir hast du das nicht geerbt, Irgendetwas an uns wird wohl unser Eigenanteil sein, jedenfalls ist das, was du mit Worten spielen nennst, einfach eine Art, diese sichtbarer zu machen. Dann kannst du sie gleich wieder zudecken, sie interessieren mich nicht. Marta nahm die Decke und legte sie dem Vater wieder um die Schultern, Sie sind schon zugedeckt, sagte sie, wenn irgendjemand sie eines Tages wieder sichtbar macht, dann werde das nicht ich sein, das verspreche ich dir. Cipriano Algor entledigte sich der Decke, Mir ist nicht kalt, sagte er und ging Holz nachlegen. Marta verspürte ein Gefühl der Rührung, als sie sah, mit welcher Sorgfalt er die neuen Holzstücke über die bereits glühenden Scheite schichtete, gewissenhaft und vorsichtig, wie jemand, der sich zwang, seine ganze Aufmerksamkeit auf eine unbedeutende Kleinigkeit zu lenken, um unbequeme Gedanken zu vertreiben. Ich hätte das Thema nicht wieder anschneiden dürfen, sagte sie sich, und schon gar nicht jetzt, wo er gesagt hat, dass er mit uns ins Zentrum zieht, außerdem würde uns das ein schier unlösbares Problem bereiten, gesetzt den Fall, sie verstünden sich so gut, dass sie zusammenleben wollten, denn es ist etwas ganz anderes, ob man mit Tochter und Schwiegersohn ins Zentrum zieht oder ob man seine eigene Frau mitbringt, das wären ja zwei Familien statt einer, ich bin überzeugt davon, dass sie uns dort gar nicht akzeptieren würden, Marçal hat mir schon gesagt, dass die Wohnungen 205
klein sind, also müssten die beiden hier bleiben, und wovon würden sie leben, zwei Menschen, die sich kaum kennen, wie lange würden sie sich verstehen, mehr noch als mit Worten spiele ich hier mit den Gefühlen der anderen, mit den Gefühlen meines eigenen Vaters, was für ein Recht habe ich dazu, was für ein Recht hast du, Marta, versuche, dich in seine Lage zu versetzen, das kannst du nicht, sicher, aber wenn du es nicht kannst, dann halt den Mund, es heißt, jeder Mensch sei eine Insel, aber das stimmt nicht, jeder Mensch ist ein Schweigen, das ja, ein Schweigen, jeder mit seinem Schweigen, jeder mit dem Schweigen, das er ist. Cipriano Algor kehrte zu der Steinbank zurück, er selbst legte sich die Decke um die Schultern, obwohl seine Kleidung noch die Hitze des Feuers ausstrahlte, Marta schmiegte sich an ihn, Vater, mein Vater, sagte sie, Was ist, Nichts, nimm es nicht weiter ernst. Es war bereits weit nach ein Uhr, als die Grube schließlich voll war. Jetzt sind wir hier nicht mehr nötig, sagte Cipriano Algor, morgen früh holen wir die Figuren heraus, wenn sie abgekühlt sind, dann werden wir sehen, ob sie was geworden sind. Der Hund Achado begleitete sie zur Haustür. Dann kehrte er zum Feuer zurück und legte sich hin. Unter der feinen Ascheschicht, die ein sanftes Licht ausstrahlte, zuckte die glühende Masse noch immer. Erst als die Glut ganz erloschen war, schloss Achado seine Augen, um zu schlafen.
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CIPRIANO ALGOR träumte, er säße in seinem neuen Ofen. Er war glücklich, weil er seine Tochter und seinen Schwiegersohn hatte davon überzeugen können, dass das plötzliche Anwachsen der geschäftlichen Aktivitäten der Töpferei eine radikale Umstellung der Herstellungsverfahren und eine sofortige Aktualisierung der Produktionsmittel und strukturen erforderlich mache, angefangen bei der dringenden Auswechslung des alten Ofens, der ein archaisches Überbleibsel aus seinem Handwerkerleben sei und bei dem es sich nicht einmal mehr lohne, ihn als Museumsruine zu erhalten. Lasst uns aufhören mit diesen Sentimentalitäten, die nur schädlich sind und uns aufhalten, hatte Cipriano Algor mit ungewohnter Heftigkeit gesagt, der Fortschritt schreitet unhaltbar voran, wir müssen uns entschließen, ihn zu begleiten, wehe denen, die aus Angst vor der Zukunft am Straßenrand sitzen bleiben und eine Vergangenheit beweinen, die in Wirklichkeit nicht besser war als die Gegenwart. So rund, vollendet und ausgegoren, wie dieser Satz war, überzeugte er die widerstrebenden jungen Leute. Dennoch muss man sagen, dass die technischen Unterschiede zwischen dem neuen und dem alten Ofen keineswegs aus einer anderen Welt stammten, was Ersterer an Antiquiertem gehabt hatte, hatte Letzterer nun an Modernem, die einzige Veränderung, die wirklich ins Auge stach, betraf die Größe des Bauwerks und sein doppeltes Fassungsvermögen, anders und irgendwie sogar unnatürlich waren auch die Größenverhältnisse zwischen Höhe, Länge und Breite des Innenraums, wenngleich dies weniger auffällig war. Da es sich jedoch um einen Traum handelt, soll uns dieser letzte Punkt nicht verwundern. Verwunderlich ist jedoch, und mag die Logik der Träume dem Träumenden auch noch so viele Freiheiten und Übertreibungen zugestehen, die Präsenz einer Steinbank dort drin, einer Bank, die exakt so aussieht wie 207
die Meditationsbank und von der Cipriano Algor nur die Rückenlehne sehen kann, da diese Bank merkwürdigerweise zur rückwärtigen Wand hin aufgestellt wurde, in einem Abstand von höchstens fünf Handlängen. Wahrscheinlich hatten die Maurer sie hier, um sich in der Mittagspause darauf auszuruhen, und haben sie dann vergessen, dachte Cipriano Algor, doch er wusste, dass das nicht stimmen konnte, die Maurer, und diese Tatsache ist historisch belegt, haben schon immer gern im Freien gegessen, sogar dann, wenn sie in der Wüste arbeiten mussten, und um so lieber natürlich an einem so angenehm ländlichen Ort wie diesem, mit den Trockenbrettern unter dem schwarzen Maulbeerbaum und dem sanften Lüftchen, das um die Mittagszeit weht. Wo immer du herkommst, in Zukunft wirst du den Dingen draußen Gesellschaft leisten, sagte Cipriano Algor, das Problem wird sein, dich hier rauszukriegen, zum Tragen bist du zu schwer, und wenn ich dich ziehe, machst du mir das Pflaster kaputt, ich versteh gar nicht, was das für ein Einfall war, dich in einen Ofen zu stecken und auf diese Art aufzustellen, ein Mensch, der dort sitzt, klebt ja fast mit der Nase an der Wand. Und um sich selbst zu beweisen, dass er Recht hatte, zwängte Cipriano Algor sich vorsichtig zwischen Bank und Seitenwand hindurch und setzte sich. Er musste zugeben, dass für seine Nase letztlich doch keinerlei Gefahr bestand, sich an den feuerfesten Kacheln aufzuschürfen, und dass seine Knie, obwohl sie dichter an der Wand standen, ebenfalls sicher waren vor unangenehmen Berührungen. Seine Hand, ja, die konnte die Wand ohne Mühe erreichen. Doch genau in dem Augenblick, als Cipriano Algors Finger sie berühren wollten, ertönte von draußen eine Stimme, Es lohnt sich nicht, dass du den Ofen anmachst, Alter. Der unerwartete Zuruf kam von Marçal, so wie auch der Schatten von ihm war, der eine Sekunde lang an der rückwärtigen Wand entlangstrich, um sogleich wieder zu verschwinden. Cipriano Algor empfand es als Unerhörtheit und 208
absolute Respektlosigkeit, wie sein Schwiegersohn ihn behandelte, Ich habe ihm nie einen derartigen Umgang erlaubt, dachte er. Er wollte sich gerade umdrehen und fragen, warum es sich nicht lohne, den Ofen anzumachen, und überhaupt, was hat das zu bedeuten, dass du mich Alter nennst, doch er schaffte es nicht, seinen Kopf zu drehen, das passiert häufig in den Träumen, wir wollen wegrennen und merken, dass uns unsere Beine nicht mehr gehorchen, normalerweise sind es die Beine, diesmal war es jedoch der Hals, der sich weigerte, sich zu drehen. Der Schatten war nicht mehr da, ihm konnte er keine Frage stellen, geht man einmal von der unsinnigen, irrationalen Annahme aus, ein Schatten könne sprechen und eine Antwort formulieren, doch die Harmoniumsklänge, die Marçals Worte begleitet hatten, klangen noch immer zwischen dem Deckengewölbe und dem Boden, zwischen der einen und der anderen Wand, nach. Bevor die Schwingungen gänzlich abgeklungen wären und die verstreute Materie des gebrochenen Schweigens wieder Zeit gehabt hätte, sich zusammenzufügen, wollte Cipriano Algor die mysteriösen Gründe erfahren, weshalb es sich nicht lohne, den Ofen anzumachen, ob es wirklich das gewesen war, was die Stimme des Schwiegersohns gesagt hatte, jetzt schien es ihm fast, als seien es andere, noch rätselhaftere Worte gewesen, Es lohnt sich nicht, dass du dich aufopferst, als meine Marçal, der Schwiegervater, den er offensichtlich doch nicht mit Alter angesprochen hatte, hätte beschlossen, die Kräfte des Feuers am eigenen Körper zu testen, bevor er diesen das Werk seiner Hände anvertraute. Er ist verrückt, murmelte der Töpfer, mein Schwiegersohn muss komplett verrückt geworden sein, wenn er so etwas annimmt, wenn ich in den Ofen gegangen bin, dann nur, weil, hier musste der Satz stocken, denn Cipriano Algor wusste in der Tat nicht, weshalb er sich dort befand, und das ist auch nicht verwunderlich, wo es uns doch, wenn wir wach sind, so oft passiert, dass wir nicht wissen, warum wir dieses 209
oder jenes tun, warum sollte das, wenn wir schlafen und träumen, nicht genauso sein. Cipriano Algor dachte, am besten, am einfachsten wäre es, einfach aufzustehen und hinauszugehen, um den Schwiegersohn zu fragen, was zum Teufel er da rede, doch sein Körper fühlte sich bleischwer an, oder mehr noch als das, denn in Wirklichkeit ist das Bleigewicht nie so schwer, als dass eine stärkere Kraft es nicht hochziehen könnte, er war ganz einfach an die Lehne der Bank gefesselt, gefesselt ohne Stricke oder Ketten, aber gefesselt. Er versuchte noch einmal, den Kopf zu drehen, doch sein Hals gehorchte ihm nicht, Ich bin wie eine Steinstatue, die auf einer Steinbank sitzt und eine Steinmauer betrachtet, dachte er, obgleich er wusste, dass das nicht ganz richtig war, die Mauer zumindest war nicht aus Stein, wie er mit dem Blick des Fachmanns für Gesteinskunde erkennen konnte, sondern aus feuerfesten Ziegeln. In diesem Augenblick zeichnete sich erneut Marçals Schatten an der Wand ab, Ich bringe dir die gute Nachricht, auf die wir alle schon so lange gewartet haben, sagte seine Stimme, dass ich endlich zum Wachmann mit Dienstwohnung befördert worden bin, und deshalb lohnt es sich nicht mehr, mit der Produktion weiterzumachen, wir werden dem Zentrum erklären, dass wir die Töpferei schließen mussten, und sie werden es verstehen, früher oder später musste das passieren, also komm heraus, der Lastwagen steht schon vor der Tür, um die Möbel abzuholen, schlecht investiert war das Geld, das für diesen Ofen ausgegeben wurde. Cipriano Algor öffnete den Mund, um zu antworten, doch der Schatten war bereits weggegangen, was der Töpfer sagen wollte, war, dass der Unterschied zwischen einem Handwerkerwort und einem Gebot Gottes darin bestehe, dass Letzterer es nötig gehabt hatte, sein Wort niederschreiben zu lassen, und trotzdem seien die Ergebnisse bekanntermaßen recht kläglich gewesen, und außerdem, wenn er es so eilig hätte, dann könne er doch schon mal losfahren, das war eine etwas unflätige 210
Bemerkung, die im Widerspruch stand zu der erst vor wenigen Tagen abgegebenen feierlichen Erklärung, mit der er seiner Tochter und dem Schwiegersohn versprochen hatte, mit ihnen zu gehen, wenn Marçal befördert würde, da der Umzug der beiden ins Zentrum das Weiterführen der Töpferei unmöglich machte. Cipriano Algor schimpfte gerade mit sich selbst, weil er etwas zugesagt hatte, was seine Ehre nie zulassen würde, als ein neuer Schatten an der rückwärtigen Wand des Ofens auftauchte. In dem schwachen Licht, das durch die schmale Tür eines Ofens von solcher Größe einzudringen vermag, sind zwei menschliche Schatten sehr leicht zu verwechseln, doch der Töpfer wusste sofort, um wen es sich handelte, weder der Schatten, der dunkler, noch die Stimme, die tiefer war, waren die des Schwiegersohns, Senhor Cipriano Algor, ich bin nur gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass unser Auftrag für die Tonfiguren soeben storniert wurde, sagte der Leiter der Abteilung Einkauf, ich weiß nicht und will auch gar nicht wissen, weshalb Sie sich dort drin aufhalten, wenn Sie sich den Anstrich eines romantischen Heldens geben wollen, der darauf wartet, dass eine Wand ihm die Geheimnisse des Lebens enthüllt, dann finde ich das einfach lächerlich, doch wenn Ihre Absicht weitreichender sein sollte, wenn Sie zum Beispiel beabsichtigen, sich selbst zu verbrennen, dann lassen Sie sich gleich gesagt sein, dass das Zentrum nicht bereit ist, irgendeine Verantwortung für Ihr Ableben zu übernehmen, das wäre ja noch schöner, wenn man uns die Schuld für Selbstmorde von inkompetenten Personen in die Schuhe schieben wollte, die bankrott gehen, weil sie nicht in der Lage waren, die Regeln des Marktes zu begreifen. Cipriano Algor wandte seinen Kopf nicht zur Tür, obwohl er sich sicher war, dass er dazu bereits wieder in der Lage war, er wusste, dass der Traum zu Ende war, dass ihn nichts mehr hindern würde, von der Steinbank aufzustehen, wenn er das wollte, nur ein Zweifel quälte ihn noch, der gewiss absurd war und dumm, aber dennoch 211
verständlich, wenn wir den Zustand geistiger Verwirrung berücksichtigen, den der Traum, ausgerechnet in jenes Zentrum ziehen zu müssen, das soeben seine Arbeit verschmäht hatte, bei ihm ausgelöst hatte, und dieser Zweifel, darum geht es, wir haben ihn nicht vergessen, hat mit der Steinbank zu tun. Cipriano Algor fragt sich, ob er vielleicht eine Steinbank mit ins Bett genommen hat, oder ob er taubedeckt auf der anderen Steinbank, der der Meditationen, aufwachen wird, so sind die menschlichen Träume, manchmal nehmen sie reale Dinge und verwandeln sie in Traumbilder, manchmal lassen sie das Delirium heimlich mit der Realität spielen, daher kommt es so oft vor, dass wir zugeben müssen, nicht zu wissen, der wievielte es ist, der Traum zieht an der einen Seite, die Wirklichkeit schiebt an der anderen, genau genommen existiert die Gerade nur in der Geometrie, und selbst da ist sie nur eine Abstraktion. Cipriano Algor öffnete die Augen. Ich bin im Bett, dachte er erleichtert, und in diesem Augenblick spürte er, wie ihm die Erinnerung an den Traum entglitt, dass er nur ein paar Fetzen behalten würde, und er wusste nicht, ob er sich über das wenige freuen oder über das viele trauern sollte, auch das passiert häufig, wenn wir geträumt haben. Es war noch dunkel, doch die erste, den Morgen ankündigende Veränderung des Himmels würde nicht mehr lange auf sich warten lassen. Cipriano Algor schlief nicht wieder ein. Er dachte an viele Dinge, daran, dass seine Arbeit nun endgültig wertlos geworden war, dass seine Existenz keine ausreichende, halbwegs akzeptable Berechtigung mehr hatte, Ich bin eine Fessel für sie, murmelte er, da kam ihm plötzlich mit solcher Klarheit ein Bruchstück seines Traumes in den Sinn, als sei es ausgeschnitten und an die Wand geklebt worden, es war der Leiter der Abteilung Einkauf, der ihm sagte, Falls Sie die Absicht haben, sich selbst zu verbrennen, werter Herr, dann möge es Ihnen wohl bekommen, ich muss Sie jedoch darauf aufmerksam machen, dass es nicht zu den Extravaganzen des 212
Zentrums zählt, falls es solche überhaupt gibt, Delegierte und Blumenkränze zu den Beerdigungen seiner Exlieferanten zu schicken. Cipriano Algor war für ein paar Augenblicke wieder in den Schlaf gefallen, man beachte übrigens, bevor wir auf den offensichtlichen Widerspruch hingewiesen werden, dass für ein paar Augenblicke in den Schlaf fallen nicht das Gleiche ist wie eingeschlafen sein, der Töpfer hatte lediglich im Schnellverfahren den Traum, den er gehabt hatte, noch einmal geträumt, und wenn die zweiten Worte des Leiters der Abteilung Einkauf nicht genau gleich ausfielen wie die ersten, dann liegt das einfach daran, dass die Worte, die wir aussprechen, nicht nur im Wachzustand von unserer momentanen Stimmung abhängig sind. Dieser unsympathischen und vollkommen abwegigen Anspielung auf eine mögliche Selbstverbrennung war es jedoch zu verdanken, dass Cipriano Algors Gedanken auf die Tonstatuetten gelenkt wurden, die sie zum Brennen in der Grube gelassen hatten, und dann, über Wege und Windungen des Gehirns, die wir unmöglich nachvollziehen oder mit ausreichender Präzision beschreiben können, auf die plötzliche Einsicht, dass die hohle Figur Vorteile hat gegenüber der massiven, sei es hinsichtlich des Zeitaufwandes wie auch des Tonverbrauchs. Diese so typischen Widerstände des Offensichtlichen, zutage zu treten, ohne sich zu sehr bitten zu lassen, müssten einmal Gegenstand einer gründlichen Analyse seitens der Fachleute werden, die es hier, in den unterschiedlichen, doch sicherlich nicht entgegengesetzten Naturräumen des Sichtbaren und des Unsichtbaren bestimmt gibt, damit herausgefunden wird, ob nicht vielleicht doch, was stark anzunehmen ist, im tiefsten Inneren dessen, was zutage tritt, etwas Chemisches oder Physikalisches mit einer perversen Tendenz zur Negation und Auslöschung existiert, ein bedrohliches Abgleiten in Richtung Null, ein zwanghafter Traum von Leere. Wie dem auch sei, Cipriano Algor ist mit sich zufrieden. Noch vor wenigen 213
Minuten hatte er sich als Fessel für seine Tochter und den Schwiegersohn empfunden, als Hemmschuh, Ballast, als Nichtsnutz, dieses Wort sagt alles aus, wenn wir das benennen müssen, das angeblich zu nichts mehr dient, und siehe da, er war in der Lage, eine Idee hervorzubringen, deren innerer Wert von vornherein dadurch bewiesen wird, dass andere sie vor ihm gehabt und viele Male umgesetzt haben. Man kann nicht immer originelle Ideen haben, es reicht schon, wenn sie einfach nur praktikabel sind. Cipriano Algor würde die Bettruhe gern noch etwas ausdehnen, den süßen Morgenschlaf genießen, der, vielleicht weil er uns nur vage bewusst wird, der erholsamste ist, doch die Aufregung über die Idee, die ihm gekommen war, die Erinnerung an die Figuren unter der bestimmt noch warmen Asche, und auch, warum sollte man es nicht zugeben, diese verfrühte vorherige Information, er sei nicht mehr eingeschlafen, all das zusammen ließ ihn die Decken zurückwerfen und schnell aus dem Bett schlüpfen, so behände und agil wie in seinen jungen Jahren. Er kleidete sich an, ohne Krach zu machen, verließ mit den Stiefeln in der Hand das Zimmer und ging, einen Fuß vor den anderen setzend, in Richtung Küche. Er wollte nicht, dass die Tochter aufwachte, doch er weckte sie, oder vielleicht war auch sie schon wach und setzte gerade die Bruchstücke ihrer eigenen Träume zusammen oder lauschte der blinden Arbeit, mit der Sekunde für Sekunde in ihrer Gebärmutter Leben aufgebaut wurde. Hell und klar erklang ihre Stimme in der Stille des Hauses, Vater, wohin gehst du so früh, Ich kann nicht mehr schlafen, ich will mal nachsehen, wie der Brand geworden ist, aber bleib du liegen, steh noch nicht auf. Marta sagte nur, Ja, ja, sie kannte ihren Vater und konnte sich gut vorstellen, dass er bei dieser schwierigen Operation des Aushebens der Asche und der Figuren aus der Grube allein sein wollte, wie ein Kind, das sich, zitternd vor Furcht und Aufregung, heimlich in der Nacht den dunklen Gang entlang tastet, um herauszubekommen, 214
welche der erträumten Spielsachen und Geschenke in seinen Stiefel gesteckt wurden. Cipriano Algor zog sich die Schuhe an, öffnete die Küchentür und ging hinaus. Das dichte Laubwerk des schwarzen Maulbeerbaumes hielt die Nacht noch fest umschlossen, würde sie so schnell nicht von dannen ziehen lassen, das erste Licht der Morgendämmerung würde noch wenigstens eine halbe Stunde auf sich warten lassen. Er sah hinüber zu der Hundehütte, dann blickte er sich um, verwundert darüber, dass der Hund nicht auftauchte. Er pfiff leise, doch Achado zeigte sich nicht. Die Verwirrung des Töpfers wandelte sich in eindeutige Beunruhigung, Ich kann nicht glauben, dass er weggelaufen ist, murmelte er. Er hätte den Namen des Hundes rufen können, doch er tat es nicht, weil er die Tochter nicht beunruhigen wollte. Er treibt sich hier irgendwo herum, treibt sich herum und jagt irgendein Nachttier, sagte er, um sich selbst zu beruhigen, doch in Wirklichkeit dachte er, als er die Tenne in Richtung Ofen überquerte, mehr an Achado als an die ersehnten Tonfiguren. Als er nur noch wenige Schritte von der Grube entfernt war, sah er den Hund unter der Steinbank hervorkommen, Du hast mir ja einen ordentlichen Schrecken eingejagt, du Lausebengel, warum bist du nicht gekommen, als ich dich gerufen habe, schimpfte er ihn, doch Achado gab keine Antwort, war er doch damit beschäftigt, sich zu rekeln, die Muskeln wieder in Form zu bringen, zuerst dehnte er mit aller Kraft die Vorderpfoten, wobei er Kopf und Wirbelsäule durchstreckte, dann führte er das durch, was seinem Verständnis nach eine unerlässliche Dehn- und Ausgleichsübung war, dazu senkte und streckte er die Hinterläufe derart, dass es fast so aussah, als wolle er sich von seinen Hinterpfoten trennen. Es heißt immer wieder, die Tiere hätten schon vor langer Zeit aufgehört zu sprechen, doch wird man nie beweisen können, ob sie nicht heimlich weiterhin von ihrem Denken Gebrauch machen. Man betrachte zum Beispiel den Fall dieses Hundes Achado, dem man trotz des 215
schwachen Lichts, das nun zögerlich vom Himmel herabfällt, vom Gesicht ablesen kann, was er gerade denkt, Für solch verrückte Worte habe ich nur taube Ohren, er will auf seine Art sagen, dass Cipriano Algor mit seiner langen, wenngleich wenig abwechslungsreichen Lebenserfahrung ihm nicht erklären müsste, was die Pflichten eines Hundes sind, bekanntlich wachen Menschen nur dann ernsthaft, wenn sie dafür einen ausdrücklichen Befehl erhalten haben, während Hunde, und insbesondere dieser hier, nicht darauf warten, dass man ihnen sagt, Du bleibst hier und passt auf das Feuer auf, wir können uns sicher sein, dass sie, solange die Glut nicht erloschen ist, die Augen offen halten werden. Doch man muss auch dem menschlichen Denken gerecht werden, seine hinlänglich bekannte Langsamkeit hindert es dennoch nicht immer daran, zu den richtigen Schlussfolgerungen zu gelangen, und das passierte gerade in Cipriano Algors Kopf, plötzlich ging ihm ein Licht auf, und dank diesem vermochte er zu lesen und gleich darauf mit lauter Stimme die anerkennenden Worte auszusprechen, die der Hund Achado wirklich verdient hatte, Während ich unter meinen warmen Decken geschlafen habe, hast du hier den aufmerksamen Wächter gespielt, und war deine Wachsamkeit für den Brand auch nicht von Bedeutung, so zählt doch die Geste. Als Cipriano Algor seine Lobrede beendet hatte, lief Achado los, um sein Bein zu heben und seine Blase zu erleichtern, dann kam er schwanzwedelnd zurück und ließ sich unweit der Grube nieder, bereit, der Operation des Aushebens der Figuren beizuwohnen. In diesem Moment ging in der Küche das Licht an, Marta war aufgestanden. Der Töpfer wandte sich um, in seinem Kopf herrschte keine Klarheit darüber, ob er lieber allein sein wollte oder ob er sich wünschte, dass seine Tochter dabei wäre, doch eine Minute später wusste er es, als er begriff, dass sie beschlossen hatte, ihm bis zum letzten Augenblick die Hauptrolle zu überlassen. Dem Rand eines leuchtenden 216
Gewölbes gleich, das die dunkle Kuppel der Nacht verdrängt, bewegte sich die Grenze des Morgens langsam westwärts. Ein plötzlicher tiefer Windstoß ließ die Asche an der Oberfläche der Grube aufwirbeln. Cipriano Algor kniete nieder, schob die Eisenstäbe zur Seite und begann mit derselben Schaufel, mit der er die Grube ausgehoben hatte, die mit Holzkohlestückchen versetzte Asche herauszuholen. Wie schwerelos hefteten sich die weißen Aschepartikel an seine Finger, ein paar besonders leichte stiegen ihm, durch seinen Atem angesogen, in die Nase und ließen ihn schnauben, wie Achado es manchmal tat. Je näher die Schaufel dem Grund der Grube kam, um so wärmer wurde die Asche, doch sie war nicht so heiß, dass sie ihn verbrannt hätte, sondern lediglich lauwarm, wie menschliche Haut, und weich und zart wie diese. Cipriano Algor legte die Schaufel beiseite und vergrub seine Hände in der Asche. Er spürte die feine, unverkennbare Rauheit des gebrannten Tons. Da nahm er, als helfe er bei einer Geburt, den noch verborgenen Kopf einer Figur zwischen Daumen, Zeige- und Mittelfinger und zog sie heraus. Es war die Krankenschwester. Er schüttelte die Asche von ihrem Körper ab, blies ihr ins Gesicht, es war in gewisser Weise, als hauche er ihr Leben ein, als gebe er den Atem seiner eigenen Lunge an sie weiter, das Pulsieren seines eigenen Herzens. Dann hob er, eine nach der anderen, die übrigen Figuren aus der Grube, den bärtigen Assyrer, den Mandarin, den Narren, den Eskimo, den Clown, und stellte sie neben die Krankenschwester, säuberte sie weitgehend von der Asche, ohne ihnen jedoch den zusätzlichen Lebenshauch zugute kommen zu lassen. Es war niemand da, der den Töpfer hätte fragen können, worin der Grund für diese unterschiedliche Behandlung lag, die auf den ersten Blick geschlechtsbedingt zu sein schien, es sei denn, dieser schöpferische Eingriff erfolgte nur deswegen, weil die Figur der Krankenschwester als erste aus dem Loch herauskam, denn seit die Welt Welt ist, ist es immer schon so gewesen, dass die 217
Schöpfer des Schöpfens müde wurden, sobald dies nichts Neues mehr war. Erinnert man sich jedoch an die schwer wiegenden Probleme, die Cipriano Algor zu bewältigen hatte, als er die Brust der Krankenschwester modellierte, dürfte es nicht zu verwegen sein anzunehmen, dass der Grund für das Beatmen, wenn auch auf obskure, unklare Art, letztlich in jenem verzweifelten Bestreben zu suchen ist, dorthin zu gelangen, wohin ihn die Dehnbarkeit des Tons lockte. Man wird es nie erfahren. Cipriano Algor füllte das Loch wieder mit der Erde, die ihm naturgemäß zustand, trat sie gut fest, damit auch keine einzige Hand voll draußen bliebe, und ging, drei Figuren in jeder Hand, zum Haus. Neugierig und erhobenen Hauptes tänzelte Achado neben ihm her. Der Schatten des schwarzen Maulbeerbaumes hatte sich von der Nacht verabschiedet, der Himmel begann sich ganz zu öffnen für das erste Blau des Morgens, bald würde die Sonne am Horizont auftauchen, der von dort aus nicht zu sehen war. Wie sind sie geworden, fragte Marta, als der Vater hereinkam, Gut, so wie es aussieht, aber man muss noch die Asche wegwaschen, die an ihnen klebt. Marta goss Wasser in eine kleine Tonschüssel, Wasch sie hier drin, sagte sie. Die Erste, die ins Wasser ging, die erste, die aus der Asche kam, Zufall oder Koinzidenz, diese Krankenschwester wird später vielleicht einmal Grund zur Klage haben, aber über mangelnde Zuwendung wird sie sich nicht beklagen können. Wie ist er geworden, fragte Marta, der die Genderdebatte, um die es in letzter Zeit so oft ging, kein Begriff war, Gut, wiederholte der Vater knapp. Sie war wirklich gut geworden, ganz gleichmäßig gebrannt, wunderschön rot, ohne Macken, ohne den winzigsten Riss, und die anderen Figuren waren ebenso perfekt, mit Ausnahme des bärtigen Assyrers, der einen schwarzen Fleck am Rücken aufwies, eine zum Glück harmlose Auswirkung eines beginnenden Verkohlungsprozesses, der auf unerwünschtes Eindringen von Luft zurückzuführen war. Das 218
spielt keine Rolle, er wird nicht darunter leiden, sagte Marta, und nun setz dich bitte hin und ruh dich aus, während ich dir das Frühstück mache, wie früh musste dieser Körper doch heute aufstehen, Die Schlaflosigkeit hat mich überfallen, ich konnte einfach nicht mehr einschlafen, Die Figuren hätten warten können, bis es Tag ist, Aber ich nicht, Wie heißt es in dem alten Sprichwort, Wer Sorgen hat, nicht schlafen kann, Oder: Der Schlafende von seinen Sorgen träumt, Bist du so früh aufgewacht, damit du nicht von deinen Sorgen träumst, fragte Marta, Es gibt Träume, aus denen man am besten ganz schnell wieder erwacht, antwortete der Vater, War das heute Nacht der Fall, Ja, das war heute Nacht der Fall, Willst du ihn erzählen, Es ist nicht wichtig, In diesem Haus sind die Sorgen des einen immer die Sorgen von allen gewesen, Aber nicht die Träume, Außer sie handeln von Sorgen, Mit dir kann man nicht diskutieren, Wenn das so ist, dann verlier keine Zeit mehr, erzähl, Ich habe geträumt, dass Marçal befördert worden ist und der Auftrag storniert wurde, Die Stornierung des Auftrags ist wohl am wenigsten wahrscheinlich, Das glaube ich auch, aber die Sorgen verhaken sich wie Kirschen ineinander, eine zieht die andere nach sich, und aus zweien wird ein ganzer Korb voll, und was Marçals Beförderung betrifft, so wissen wir, dass das jeden Augenblick passieren kann, Das stimmt, Der Traum war eine Warnung, schnell zu arbeiten, Träume geben keine Warnungen, Es sei denn, die Träumenden fühlen sich gewarnt, Mein lieber Vater, du bist heute wohl in sentenziöser Stimmung, Jedes Alter hat seine Fehler, und dieser hat sich in letzter Zeit bei mir verschlimmert, Das ist gut so, ich mag deine Sentenzen, und ich lerne was dabei. Auch wenn es bloße Wortspiele sind wie jetzt, fragte Cipriano Algor, Ich glaube, die Wörter sind nur dazu geboren, um miteinander zu spielen, eigentlich können sie gar nichts anderes, und es gibt auch keine leeren Worte, selbst wenn immer das Gegenteil behauptet wird, Jetzt bist du selber sentenziös, Das ist eine 219
Familienkrankheit. Marta stellte das Frühstück auf den Tisch, Kaffee, Milch, Rührei, Toast und Butter, ein wenig Obst. Sie setzte sich ihrem Vater gegenüber und sah zu, wie er aß. Und du, fragte Cipriano Algor, Ich habe keinen Appetit, antwortete sie, Schlechtes Zeichen, in deinem Zustand, Diese Appetitlosigkeit soll bei Schwangeren häufig vorkommen, Aber du musst dich gut ernähren, der Logik nach müsstest du für zwei essen, Oder für drei, falls ich Zwillinge bekomme, Ich meine es ernst, Mach dir keine Sorgen, die Übelkeit wird schon noch kommen und wer weiß was für andere lästige Sachen noch. Es entstand ein Schweigen. Der Hund rollte sich unter dem Tisch zusammen, tat so, als ließe ihn der Essensgeruch kalt, doch das ist nur Resignation, er weiß, dass er erst in ein paar Stunden an der Reihe ist. Wirst du gleich mit der Arbeit beginnen, fragte Marta, Sobald ich aufgegessen habe, antwortete Cipriano Algor. Erneutes Schweigen. Vater, sagte Marta, stell dir vor, Marçal riefe heute an und würde uns mitteilen, dass er befördert wurde, Gibt es einen Grund zu dieser Annahme, Nein, es ist nur eine Hypothese, Na schön, stellen wir uns also vor, das Telefon klingelt, du stehst auf und gehst ran, es ist Marçal, der uns mitteilt, dass er zum Wachmann mit Dienstwohnung befördert wurde, Was würdest du in dem Fall tun, Vater, Ich würde aufessen, die Figuren in die Töpferei bringen und mit den Formen beginnen, Als wäre nichts geschehen, Als wäre nichts geschehen, Glaubst du, das wäre eine vernünftige Entscheidung, kannst du dir nicht vorstellen, dass es konsequenter wäre, die Herstellung einzustellen, das Kapitel zu beenden, Meine liebe Tochter, es ist gut möglich, dass Unvernunft und Inkonsequenz für die Jungen ein Soll sind, für die Alten sind sie ein absolutes Muss, Ich werde mir den Teil merken, der mich betrifft, Selbst wenn du mit Marçal vorher ins Zentrum ziehen musst, ich bleibe hier und bringe die Arbeit zu Ende, die man bei mir in Auftrag gegeben hat, und danach werde ich wie versprochen zu euch 220
ziehen, Das ist doch Wahnsinn, Vater, Wahnsinn, Inkonsequenz, Unvernunft, du hast ja eine ziemlich schlechte Meinung von mir, Es ist wahnsinnig, eine solche Arbeit alleine machen zu wollen, was meinst du, wie ich mich fühlen werde, wenn ich weiß, was hier los ist, Und was meinst du, wie ich mich fühlen würde, wenn ich die Arbeit mittendrin abbräche, du verstehst nicht, dass ich in meinem Alter sonst nicht mehr viel habe, an dem ich mich festhalten kann, Du hast doch mich, wirst deinen Enkel haben, Entschuldige, aber das ist nicht genug, Das wird aber genügen müssen, wenn du mit uns zusammenlebst, Vermutlich wird es das, doch zumindest werde ich meine letzte Arbeit beendet haben, Sei nicht so dramatisch, Vater, wer weiß denn, was und wann deine letzte Arbeit sein wird. Cipnano Algor stand vom Tisch auf. Ist dir plötzlich der Appetit vergangen, fragte die Tochter, als sie sah, dass er nicht aufgegessen hatte, Ich bringe nichts mehr runter, es schnürt mir den Hals zu, Das sind die Nerven, Wahrscheinlich ist es das, die Nerven. Der Hund hatte sich ebenfalls erhoben, wollte seinem Herrn folgen. Ach, ich habe ganz vergessen, dir zu erzählen, dass Achado die ganze Nacht unter der Steinbank gelegen und das Feuer bewacht hat, Offensichtlich kann man auch von den Hunden etwas lernen, Ja, man lernt vor allem, nicht darüber zu diskutieren, was gemacht werden muss, irgendwelche Vorteile muss dieser simple Instinkt schließlich haben, Willst du damit sagen, dass dir ebenfalls ein Instinkt befiehlt, die Arbeit zu Ende zu machen, dass es bei den Menschen, oder zumindest bei einigen, einen Verhaltensregler gibt, der dem Instinkt ähnelt, fragte Marta, Ich weiß nur, dass die Vernunft mir höchstens einen Rat geben würde, Welchen, Dass ich nicht so dumm sein soll, dass die Welt nicht daran zugrunde geht, wenn ich die Figuren nicht fertig mache, Das ist wahr, welche Bedeutung können ein paar Tonfiguren mehr oder weniger für diese Welt schon haben, Ich wette, du würdest nicht so viel Gleichgültigkeit an den Tag legen, wenn es sich 221
um die neunte oder fünfte Symphonie handeln würde, statt um Tonfiguren, aber leider, meine liebe Tochter, ist dein Vater nicht zum Musiker geboren, Wenn du wirklich glaubst, dass ich Gleichgültigkeit an den Tag lege, dann macht mich das traurig, Natürlich glaube ich das nicht, entschuldige. Cipriano Algor wollte schon hinausgehen, da hielt er für einen Augenblick auf der Türschwelle inne, Trotz alledem muss ich zugeben, dass die Vernunft auch in der Lage ist, brauchbare Ideen zu produzieren, heute Nacht, als ich aufgewacht bin, fiel mir ein, dass wir viel Zeit und einiges Material sparen können, wenn wir die Figuren hohl machen, sie trocknen schneller, sind schneller gebrannt, und wir sparen Ton, Es lebe die Vernunft, Na ja, ich weiß nicht, die Vögel machen ihre Nester auch hohl und bilden sich nichts darauf ein.«
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VON DIESEM Tag an unterbrach Cipriano Algor die Arbeit in der Töpferei nur zum Essen und zum Schlafen. Seine mangelnde Erfahrung mit dieser Technik bewirkte, dass er bei der Herstellung der Teile für die Formen das Verhältnis zwischen Gips und Wasser nicht richtig bestimmte, dass er alles noch verschlimmerte, als er sich bei den Ton-, Wasserund Verflüssigermengen irrte, die für ein ausgewogenes Mischungsverhältnis des Gießtons nötig waren, und dass er schließlich die so erlangte Soße zu schnell eingoss, wodurch Luftblasen im Inneren der Formen entstanden. Die drei ersten Tage vertat er damit, dass er etwas herstellte und es dann wieder zerstörte, er verzweifelte an seinen Fehlern, verfluchte seine Ungeschicklichkeit oder jubelte vor Freude, wenn ihm eine schwierige Operation gelungen war. Marta bot ihm ihre Hilfe an, doch er bat sie, ihn in Frieden zu lassen, ein Ausdruck, der in keinster Weise der Realität dessen entsprach, was sich in der alten Werkstatt abspielte, zwischen zu schnell hart gewordenem Gips, zu spät hinzugefügtem Wasser, zwischen Pasten, die nicht trocken genug und Soßen, die zu dick waren, um sie durchsieben zu können, viel treffender wäre es gewesen zu sagen, Lass mich in Frieden mit meinem Krieg. Am Morgen des vierten Tages jedoch, als hätten die hinterlistigen, scheuen Kobolde, die die verschiedenen Materialien waren, die grausame Behandlung des unverhofften Anfängers in der neuen Kunst bereut, fand Cipriano Algor plötzlich Geschmeidigkeit vor, wo vorher nur Sprödigkeit war, Gefügigkeit, die ihn mit Dankbarkeit erfüllte, Geheimnisse, die sich lüfteten. Er hatte das feuchte, tonverschmierte Handbuch auf dem Arbeitstisch liegen, alle fünf Minuten holte er sich bei ihm Rat, manchmal verstand er falsch, was er gelesen hatte, dann wieder erschloss sich ihm dank einer plötzlichen Eingebung eine ganze Seite auf einmal, man kann ohne 223
Übertreibung behaupten, dass Cipriano Algor zwischen quälender Verzweiflung und vollkommener Glückseligkeit hinund hergerissen war. Er stand im ersten Morgengrauen auf, frühstückte hastig und vergrub sich bis zum Mittagessen in der Töpferei, dann arbeitete er den ganzen Nachmittag über, bis in den Abend hinein, wobei er die Arbeit nur kurz zum Abendessen unterbrach, das den anderen Mahlzeiten hinsichtlich seiner Frugalität in nichts nachstand. Die Tochter protestierte, Du wirst mir noch krank werden, so viel arbeiten und so wenig essen, Mir geht es gut, antwortete er, ich habe mich noch nie im Leben so gut gefühlt. Das stimmte und stimmte nicht. Nachts, wenn er sich endlich zur Ruhe legte, nachdem er den Geruch der Anstrengung und den Schmutz der Arbeit abgewaschen hatte, spürte er, dass seine Gelenke knackten, dass sein Körper ein einziger Schmerz war. Ich kann nicht mehr das, was ich mal konnte, sagte er zu sich, doch aus den Tiefen seines Bewusstseins widersprach ihm eine Stimme, die ebenfalls die seine war, Du hast noch nie so viel gekonnt wie jetzt, Cipriano, du hast noch nie so viel gekonnt wie jetzt. Er schlief, wie man sich gemeinhin vorstellt, dass ein Stein schläft, traumlos, ohne aufzuschrecken, gar schien es, ohne zu atmen, das Gewicht seiner unendlichen Müdigkeit der Welt überlassend. Manchmal stand Marta, die zukünftige Beunruhigungen vorausahnte, ohne dass ihr dies bewusst war, wie eine besorgte Mutter mitten in der Nacht auf, um nach dem Vater zu sehen. Sie betrat leise das Zimmer, näherte sich langsam dem Bett, beugte sich ein wenig über ihn, um zu lauschen, und dann ging sie genauso vorsichtig wieder hinaus. Dieser große Mann mit den weißen Haaren und dem zerfurchten Gesicht, ihr Vater, war gleichzeitig auch so etwas wie ein Kind für sie, wer dies nicht verstehen will, weiß wenig vom Leben, die Netze, die die menschlichen Beziehungen im Allgemeinen und die Verwandtschaftsbeziehungen im Besonderen bilden, vor allem die engen, sind komplexer, als 224
sie auf den ersten Blick erscheinen, wir sagen Vater, wir sagen Kinder, meinen genau zu wissen, wovon wir reden, und hinterfragen nicht die tieferen Gründe für die bestehende Zuneigung, oder für die Gleichgültigkeit, oder für den Hass. Marta geht aus dem Zimmer und denkt, Er schläft, ein Ausdruck, der offensichtlich nur die Bestätigung einer Tatsache ist, und doch vermochte er mit neun Buchstaben und zwei Silben die ganze Liebe auszudrücken, die in einem bestimmten Augenblick im Herzen eines Menschen Platz hatte. Man sollte vielleicht als Erläuterung für die Unbedarften hinzufügen, dass, je höher in Gefühlsdingen der Anteil an hochtrabenden Worten ist, umso geringer auch der Anteil an Wahrheit ist. Der vierte Tag fiel auf den Tag, an dem Marçal im Zentrum abgeholt werden musste, weil es sein freier Tag war, den man normalerweise als wöchentlich bezeichnen würde, wäre er nicht, wie wir wissen, dezimal, das heißt, alle zehn Tage. Marta sagte zu ihrem Vater, dass sie fahren würde, er solle die Arbeit nicht unterbrechen, doch Cipriano Algor antwortete ihr, nein, das käme nicht in Frage, Die Überfälle auf der Strecke sind zwar weniger geworden, aber ein gewisses Risiko besteht immer. Wenn Gefahr für mich besteht, dann besteht sie auch für dich, Erstens bin ich ein Mann, zweitens bin ich nicht schwanger, Beachtenswerte Gründe, die dir zustehen, Es fehlt noch der dritte Grund, und der ist wichtig, Sag schon, Ich könnte nicht arbeiten, solange du nicht wieder zurück bist, daher leidet die Arbeit auch nicht darunter, außerdem wird die Fahrt mir helfen, meinen Kopf ein wenig frei zu bekommen, der das wirklich nötig hat, ich kann nur noch an Formen, Formteile und Flüssigton denken, Mir wird sie auch helfen, mich abzulenken, also holen wir Marçal zusammen ab, Achado bleibt hier und bewacht die Burg, Wenn du das möchtest, Ach was, es war nur Spaß, du holst Marçal doch immer ab, Vater, und ich bleibe immer zu Hause, es lebe also die Gewohnheit, 225
Im Ernst, lass uns beide fahren, Im Ernst, fahr du allein. Sie lächelten beide, und die Diskussion der zentralen Frage, das heißt der objektiven und subjektiven Gründe für die Gewohnheit, wurde verschoben. Am Nachmittag, als es an der Zeit war, machte Cipriano Algor sich, ohne die Arbeitskleidung abzulegen, um keine Zeit zu verlieren, auf den Weg. Als er bereits am Ortsausgang war, fiel ihm auf, dass er gar nicht den Kopf zur Seite gewandt hatte, als er an der Straße, in der Isaura Madruga wohnte, vorbeigefahren war, und wenn es hier heißt, den Kopf zur Seite wenden, dann ist damit sowohl die eine wie auch die andere Seite gemeint, denn Cipriano Algor hatte an den vorhergehenden Tagen manchmal geschaut, um zu sehen, ob er etwas sah, und manchmal auch dorthin geschaut, wo er sich sicher war, dass er nichts sehen würde. Er wollte sich gerade selbst fragen, wie diese verwirrende Gleichgültigkeit wohl zu interpretieren sei, doch ein Stein mitten auf der Fahrbahn lenkte ihn ab, und die Gelegenheit war verpasst. Die Fahrt in die Stadt verlief ohne Zwischenfälle, er musste nur eine Verzögerung, bedingt durch eine Polizeisperre, hinnehmen, bei der jedes zweite Auto angehalten und die Papiere der Fahrer kontrolliert wurden. Während er darauf wartete, dass man sie ihm zurückgab, hatte Cipriano Algor Zeit zu beobachten, dass die Grenzlinie der Baracken sich offensichtlich ein wenig in Richtung Straße verlagert hatte, Irgendwann drängen sie sie wieder zurück, dachte er. Marçal wartete bereits. Entschuldige die Verspätung, sagte der Schwiegervater, ich hätte früher losfahren sollen, und dann wollte die Polizei auch noch ihre Nase in meine Papiere stecken, Wie geht es Marta, fragte Marçal, gestern konnte ich nicht anrufen, Ich glaube, es geht ihr gut, trotzdem solltest du mit ihr reden, sie isst wenig, hat keinen Appetit, meint, das sei normal bei Schwangeren, was ja möglich sein kann, davon verstehe ich nichts, aber ich an deiner Stelle würde mich nicht 226
darauf verlassen, Ich werde mit ihr reden, sei beruhigt, vielleicht geht es ihr so, weil sie am Anfang der Schwangerschaft steht, Wir wissen es nicht, in solchen Dingen sind wir wie hilflose Kinder, du musst unbedingt mal zum Arzt mit ihr. Marçal antwortete nicht. Der Schwiegervater blieb ebenfalls stumm. Bestimmt dachten beide das Gleiche, nämlich, dass Marta im Krankenhaus des Zentrums eine Versorgung wie sonst nirgendwo hätte, zumindest heißt es das allenthalben, im Übrigen muss sie als Frau eines Angestellten nicht einmal im Zentrum wohnen, um ordentlich versorgt zu werden. Nach einer Minute sagte Cipriano Algor, Wenn du willst, bringe ich Marta mal mit. Sie hatten die Stadt hinter sich gelassen und konnten nun schneller fahren. Marçal fragte, Wie läuft die Arbeit, Wir stehen erst am Anfang, haben die Figuren, die wir modelliert haben, gebrannt, jetzt kämpfe ich mit den Formen, Und wie läuft das, Wir machen uns was vor, meinen, dass Ton gleich Ton ist, dass, wer eine Sache macht, auch die andere machen kann, und dann begreifen wir, dass das nicht so ist, dass wir alles von Anfang an neu lernen müssen. Es folgte eine Pause, doch dann fügte er hinzu, Aber ich bin zufrieden, es ist fast so, als würde ich versuchen, noch einmal auf die Welt zu kommen, wenn man es etwas überspitzt ausdrückt, Morgen helfe ich dir ein bisschen, sagte Marçal, ich kann zwar so gut wie nichts, aber zu irgendwas werde ich schon taugen, Nein, du bleibst bei deiner Frau, fahrt mal weg, macht einen kleinen Ausflug in die Umgebung, Einen Ausflug machen wir nicht, aber wir werden morgen bei meinen Eltern zu Mittag essen müssen, sie wissen noch nicht, dass Marta schwanger ist, irgendwann wird man es merken, und du kannst dir ja vorstellen, was ich dann zu hören kriege, Und mit gutem Grund, man muss schließlich gerecht sein, sagte Cipriano Algor. Erneutes Schweigen. Das Wetter ist gut, bemerkte Marçal, Hoffentlich bleibt es noch zwei, drei Wochen so, sagte der Schwiegervater, die Figuren müssen so trocken wie 227
möglich in den Ofen kommen. Es folgte ein weiteres Schweigen, diesmal lang anhaltend. Die Polizei hatte die Sperre bereits aufgehoben, die Straße war frei. Zweimal setzte Cipriano Algor an, um etwas zu sagen, beim dritten Mal sprach er es aus, Gibt es was Neues in Bezug auf deine Beförderung, fragte er, Nein, vorerst nicht, antwortete Marçal, Meinst du, sie haben ihre Meinung geändert, Nein, das ist nur ein verwaltungstechnisches Problem, der bürokratische Apparat des Zentrums funktioniert auf die gleiche kleinkarierte Art wie der der Welt hier draußen, Mit Polizeipatrouillen, die Führerscheine, Versicherungspolicen und Gesundheitszeugnisse überprüfen, So ungefähr, Anscheinend können wir nicht anders leben, Vielleicht gibt es keine andere Art zu leben, Oder es ist zu spät für eine andere Art zu leben. Sie redeten nicht mehr, bis sie ins Dorf einfuhren. Marçal bat seinen Schwiegervater, vor dem Haus seiner Eltern anzuhalten. Ich will ihnen nur sagen, dass wir morgen zum Mittagessen kommen. Die Wartezeit dauerte in der Tat nicht lange, doch Marçal machte erneut keinen zufriedenen Eindruck, als er in den Lieferwagen stieg, Was ist diesmal passiert, fragte Cipriano Algor, Was passiert ist, mir gerät bei meinen Eltern einfach alles daneben, Übertreib nicht, mein Junge, im Familienleben war man noch nie auf Rosen gebettet, wir erleben ein paar gute Stunden, ein paar schlechte, und können von Glück reden, wenn die übrigen so la la sind, Nun ja, ich bin also reingegangen, es war nur meine Mutter da, mein Vater war noch unterwegs, ich habe ihr gesagt, was ich wollte, und um die Unterhaltung etwas anzuregen, habe ich ein Gesicht gemacht, das gleichzeitig feierlich und fröhlich sein sollte, um sie darauf vorzubereiten, dass ich am nächsten Tag eine große Überraschung für sie hätte, Und dann, Rate mal, was meine Mutter mir geantwortet hat, So weit reichen meine Ratefähigkeiten nicht, Sie hat mich gefragt, ob die große Überraschung die wäre, dass sie mit mir ins Zentrum ziehen, 228
Und du, was hast du gesagt, Nein, das sei es nicht, und dass es eigentlich doch nicht nötig sei, mit der Überraschung bis morgen zu warten, Ihr sollt es jetzt schon wissen, habe ich gesagt, Marta ist schwanger, wir werden ein Kind bekommen, Und sie hat sich natürlich gefreut, Ja, sie hörte gar nicht mehr auf, mich zu umarmen und zu küssen, Was willst du denn mehr, Ach, immer muss es bei ihnen irgendwelche dunklen Wolken am Himmel geben, und jetzt ist es diese fixe Idee, dass sie im Zentrum wohnen wollen, Du weißt doch, dass es mir nichts ausmachen würde, meinen Platz abzutreten, Sonst noch was, das kommt überhaupt nicht in Frage, und nicht etwa, weil ich meine Eltern gegen den Schwiegervater eintauschen möchte, sondern weil meine Eltern sich gegenseitig haben, während mein Schwiegervater alleine bliebe, Ich wäre nicht der einzige Mensch auf dieser Welt, der alleine lebt, Doch, für Marta wärst du das, das garantier ich dir, Jetzt weiß ich gar nicht, was ich antworten soll, Es gibt Dinge, die sind einfach das, was sie sind, sodass wir sie gar nicht erklären müssen. Angesichts einer so eindeutigen Demonstration von Grundweisheit wusste der Töpfer zum zweiten Mal keine Antwort. Ein weiterer Grund mag außerdem zu seiner plötzlichen Stummheit beigetragen haben, dass sie nämlich genau in diesem Augenblick an Isaura Madrugas Straße vorbeifuhren, und im Gegensatz zur Hinfahrt wollte es Cipriano Algors Bewusstsein diesmal einfach nicht gelingen, dies gleichgültig hinzunehmen. Als sie in der Töpferei ankamen, erlebte Marçal zu seiner großen Freude, dass Achado ihn empfing, als trüge er statt der einschüchternden Wachmannsuniform des Zentrums die friedlichste und zivilste Kleidung. Das sensible Herz des Jungen, das noch unter dem Eindruck des so unglücklich verlaufenen Gesprächs mit seiner Erzeugerin stand, war so gerührt über die überschwänglichen Gefühlsbezeugungen des Tieres, dass er ihn umarmte wie den innigst geliebten Menschen auf der Welt. Das sind ganz 229
besondere Augenblicke, und es muss wohl nicht eigens erwähnt werden, dass der Mensch, den Marçal in seinem Leben am meisten liebt, seine Frau ist, jene, die gerade neben ihm steht und mit einem zärtlichen Lächeln darauf wartet, ebenfalls umarmt zu werden, doch so wie es Momente gibt, in denen eine einfache Hand auf unserer Schulter uns beinahe zu Tränen rührt, so kann es auch vorkommen, dass die gleichgültige Freude eines Hundes uns für eine kurze Minute mit den Schmerzen, Enttäuschungen und Kümmernissen, die die Welt uns zugefügt hat, aussöhnt. Da Achado wenig weiß über die menschlichen Gefühle, deren Existenz, im Positiven wie im Negativen, zur Genüge bewiesen wurde, und Marçal noch weniger über die Gefühle der Hunde, über die es kaum Gewissheiten und unzählige Zweifel gibt, wird uns wohl eines Tages jemand erklären müssen, aus welchen verflixten, nur diesen beiden Parteien verständlichen Gründen sich die zwei dort umarmten, wo sie doch nicht einmal derselben Spezies angehören. Da die Formenherstellung in der Töpferei etwas absolut Neues war, konnte Cipriano Algor sich nicht davor drücken, dem Schwiegersohn zu zeigen, was er in diesen Tagen gemacht hatte, doch sein Stolz, der ihn bereits die Hilfe der Tochter hatte ausschlagen lassen, litt schon bei der Vorstellung, dieser könnte einen Fehler bemerken, einen schlecht vertuschten Patzer, eines der zahlreichen Anzeichen für die geistige Agonie, die er in diesen vier Wänden durchlebt hatte. Obgleich Marçal viel zu sehr mit Marta beschäftigt war, um sich auf Ton, Natriumsilikate, Gips, Ummantelungen und Formen zu konzentrieren, beschloss der Töpfer, den beiden nach dem Nachtmahl Gesellschaft zu leisten, was ihm endlich die Möglichkeit eröffnete, sich mit bemerkenswertem theoretischen Wissen über eine Materie auszulassen, bei der er besser als jeder andere wusste, wie sehr und mit welch fatalen Auswirkungen ihm die Praxis fehlgeschlagen war. Marçal teilte Marta mit, dass sie am nächsten Tag bei seinen Eltern zu 230
Mittag essen würden, doch er erwähnte mit keinem Wort das Gespräch, das er mit seiner Mutter gehabt hatte, womit er dem Schwiegervater zu verstehen gab, dass es sich um eine Sache handelte, die nun in die Privatsphäre übergegangen war, um ein Problem, das in der Intimität des ehelichen Schlafzimmers analysiert und nicht in einem Gespräch zu dritt breitgetreten und zerpflückt werden sollte, doch vielleicht wollte Marçal auch mit lobenswerter Umsicht einfach nur vermeiden, dass es wieder und wieder zu einer Diskussion über die heikle Frage des Umzugs ins Zentrum käme, bei der wir zur Genüge gesehen haben, wie sie beginnt, und zur Genüge gesehen haben, wie sie endet. Am nächsten Morgen, als Cipriano Algor bereits mitten in der Arbeit steckte, kam Marçal in die Töpferei, Guten Morgen, sagte er, hier kommt der neue Praktikant. Marta war mitgekommen, doch bot sie ihre Hilfe nicht an, obwohl sie sich sicher war, dass der Vater sie diesmal nicht wegschicken würde. Die Töpferei sah aus wie ein Schlachtfeld, auf dem ein einziger Mensch vier Tage lang gegen sich selbst und alles um sich herum gekämpft hatte. Es ist ein bisschen unaufgeräumt hier, entschuldigte sich Cipriano Algor, aber es ist eben nicht mehr so wie früher, als wir Geschirr herstellten, da hatten wir einen genauen Ablauf, eine festgelegte Routine, Das ist nur eine Frage der Zeit, sagte Marta, irgendwann haben sich Hände und Dinge aneinander gewöhnt, und von da an bringen weder die Dinge etwas durcheinander, noch lassen die Hände sich durcheinanderbringen, Abends bin ich immer so müde, dass mir bei der bloßen Vorstellung, dieses Chaos aufräumen zu müssen, die Arme schwer werden, Ich würde diese Aufgabe sehr gerne übernehmen, wenn mir hier nicht der Zutritt verwehrt wäre, Ich habe ihn dir nicht verwehrt, protestierte der Vater, Nicht exakt mit diesen Worten, Ich will doch nur nicht, dass du dich überanstrengst, wenn es ans Bemalen geht, dann wird das anders, da kannst du im Sitzen arbeiten, musst dich 231
nicht anstrengen, Warten wir's ab, ob dir dann nicht einfällt, dass der Farbgeruch dem Kind schadet, Mit dieser Frau lässt es sich einfach nicht reden, sagte Cipriano Algor zu Marçal, wie jemand, der resigniert um Hilfe bittet, Du kennst sie länger als ich, das hältst du schon aus, aber dass hier wirklich ordentlich geputzt und aufgeräumt werden muss, steht außer Frage, Darf ich eine Idee haben, fragte Marta, erlauben mir die Herren, eine Idee zu haben, Du hast sie doch längst gehabt, du würdest ja platzen, wenn du sie nicht ausspucken dürftest, knurrte der Vater, Was ist das für eine Idee, fragte Marçal, Heute Morgen ruht der Ton, wir bringen dies alles hier in einen vernünftigen Zustand, und da mein lieber Vater nicht möchte, dass ich mich anstrenge, werde ich die Befehle erteilen. Cipriano Algor und Marçal sahen sich an, warteten ab, wer als Erster antworten würde, da sich jedoch weder der eine noch der andere entschließen konnte, das Wort zu ergreifen, sagten sie schließlich im Chor, In Ordnung. Noch bevor Marçal und Marta zu Mittag essen gehen mussten, war die Töpferei und alles, was sich darin befand, so sauber und rein wie ein Arbeitsplatz, an dem das Grundmaterial für das hergestellte Produkt Schlamm ist, nur sein kann. Es ist tatsächlich so, wenn wir Wasser und Ton mischen, oder Wasser und Gips, oder Wasser und Zement, dann können wir unsere Phantasie noch so sehr anstrengen, um einen weniger ordinären, weniger prosaischen und gewöhnlichen Namen dafür zu finden, früher oder später werden wir immer auf das richtige Wort kommen, auf das Wort, das sagt, was es meint, nämlich Schlamm. Viele Götter, und sogar einige der bekanntesten, wollten kein anderes Material für ihre Schöpfungen, doch es ist fraglich, ob diese Vorliebe heute einen Plus- oder einen Minuspunkt für den Schlamm darstellt. Marta stellte ihrem Vater das fertige Mittagessen bereit. Du musst es nur aufwärmen, sagte sie, als sie mit Marçal wegfuhr. Das Motorengeräusch des Lieferwagens wurde schwächer und 232
war bald gar nicht mehr zu hören, Schweigen legte sich über das Haus und die Töpferei, für eine gute Stunde würde Cipriano Algor nun allein sein. Da die nervöse Aufregung der letzten Tage nachgelassen hatte, dauerte es nicht lange, bis er merkte, dass sein Magen Signale von Unzufriedenheit aussandte. Er brachte zuerst Achado sein Essen, dann ging er in die Küche, nahm den Deckel des Kochtopfs ab und roch an dem Essen. Es roch gut und war immer noch warm. Es gab keinen Grund zu warten. Als er fertig gegessen hatte und bereits in seinem Lehnstuhl saß, verspürte er einen inneren Frieden. Es ist hinlänglich bekannt, dass die Zufriedenheit des Geistes sehr viel zu tun hat mit einer ausreichenden Ernährung des Körpers, doch wenn Cipriano Algor in diesem Augenblick einen inneren Frieden empfand, wenn sein ganzes Sein eine Art jubelnde Freude verspürte, dann lag das nicht nur an dem materiellen Umstand, gegessen zu haben. Zu diesem glücklichen Seelenzustand trugen in folgender Reihenfolge auch die unleugbaren Fortschritte auf dem Gebiet der Formentechnik bei, die Hoffnung, dass von nun an die Probleme wirklich gelöst wären oder sich zumindest als weniger hartnäckig erwiesen, die ausgesprochene Harmonie, die zwischen Marta und Marçal herrschte und einem förmlich ins Auge sprang, wie es so schön heißt, und zuletzt, aber dennoch nicht weniger wichtig, die absolute Sauberkeit, die in der Töpferei herrschte. Cipriano Algors Lider fielen langsam herab, hoben sich noch einmal, und noch einmal, diesmal mit größerer Anstrengung, der dritte Versuch entbehrte jeglicher Überzeugungskraft. Mit Seele und Magen in einem Zustand der Fülle sank Cipriano Algor in den Schlaf. Draußen, im Schatten des schwarzen Maulbeerbaumes, schlief Achado ebenfalls. So hätten die beiden bis zu Marçals und Martas Rückkehr verharren können, hätte der Hund nicht plötzlich angeschlagen. Das Bellen klang weder bedrohlich noch erschrocken, war lediglich eine routinemäßige Warnung, ein 233
Wer-kommt-da aus Pflichtbewusstsein, Auch wenn ich die Person, die gerade gekommen ist, kenne, muss ich bellen, weil man das von mir erwartet. Es war jedoch nicht Achados nachlässiges Bellen, das Cipriano Algor aufweckte, sondern eine Stimme, die Stimme einer Frau, die draußen rief, Marta, und dann fragte, Marta, sind Sie zu Hause. Der Töpfer erhob sich nicht von seinem Stuhl, er richtete lediglich seinen Körper auf, als bereite er sich auf die Flucht vor. Der Hund bellte schon nicht mehr. Die Küchentür stand offen, dort kam die Frau, kam immer näher, gleich würde sie auftauchen, sollte dieses neuerliche Treffen nicht mehr als ein glücklicher Zufall, eine bloße, unerwartete Koinzidenz sein, sollte es im Buch der Schicksale vorgesehen und registriert sein, dann wird ihm selbst ein Erdbeben nicht den Weg versperren können. Schwanzwedelnd kam zuerst Achado herein, dann tauchte Isaura Madruga auf. Ach, stieß sie überrascht aus. Cipriano Algor fiel es nicht leicht aufzustehen, der niedrige Stuhl und die plötzlich schwachen Beine waren schuld an der traurigen Figur, die er abgab. Er sagte, Guten Tag, Sie sagte, Guten Tag, guten Morgen, ich weiß gar nicht, wie spät es ist. Er sagte, Es ist schon nach zwölf, der Morgen ist vorbei, Sie sagte, Ich dachte, es sei noch nicht so spät. Er sagte, Marta ist nicht da, aber kommen Sie doch herein. Sie sagte, Ich will Sie nicht stören, ich komme ein andermal wieder, was ich wollte, ist nicht so eilig. Er sagte, Sie ist mit Marçal bei den Schwiegereltern zum Mittagessen, sie dürfte bald wiederkommen. Sie sagte, Ich bin nur gekommen, um Marta zu sagen, dass ich Arbeit gefunden habe. Er sagte, Wo haben Sie denn Arbeit gefunden. Sie sagte, Direkt hier im Dorf, glücklicherweise. Er sagte, Und was werden Sie arbeiten. Sie sagte, In einem Laden, ich werde an der Theke bedienen, es gibt Schlimmeres. Er sagte, Gefällt Ihnen diese Arbeit. Sie sagte, Wir können im Leben nicht immer das machen, was uns gefällt, das Wichtigste war für mich, hier zu bleiben, darauf 234
antwortete Cipriano Algor nicht, er blieb stumm, verwirrt von den Fragen, die fast automatisch aus seinem Mund geströmt waren, es ist doch für alle offensichtlich, dass jemand, der fragt, etwas wissen will, und wenn man etwas wissen will, dann deswegen, weil man einen Grund dafür hat, die grundsätzliche Frage, die Cipriano Algor nun im Durcheinander seiner Gefühle klären muss, ist der Grund für diese Fragen, die, wörtlich genommen, und offenbar kann es in diesem Fall keine andere Art der Interpretation geben, ein Interesse an dem Leben und der Zukunft dieser Frau widerspiegeln, das bei weitem das übersteigt, was man normalerweise von einem guten Nachbarn erwartet, ein Interesse, das andererseits, wie wir nur zu gut wissen, in radikalem und unversöhnlichem Widerspruch steht zu Entscheidungen und Gedanken, die Cipriano Algor selbst im Verlauf dieser Seiten in Bezug auf Isaura Madruga, vormals Estudiosa getroffen hat. Das Problem ist schwerwiegend und bedürfte einer ausgiebigen, längeren Reflexion, doch die innere Logik und Disziplin dieser Erzählung, die zwar das eine oder andere Mal missachtet werden können oder, wenn dies angebracht ist, sogar missachtet werden müssen, erlauben uns nicht, Isaura Madruga und Cipriano Algor länger in dieser beunruhigenden Situation zu lassen, beklommen und schweigend einander gegenübersitzend, mit einem Hund, der sie ansieht und nicht versteht, was los ist, mit einer Wanduhr, die sich mit ihrem Tick-Tack fragen muss, wofür diese beiden die Zeit überhaupt haben wollen, wenn sie sie nicht nutzen. Es muss also etwas geschehen. Ja, etwas muss geschehen, aber nicht irgendetwas. Wir können und müssen die innere Logik und Disziplin der Erzählung missachten, doch niemals, niemals den einzigartigen, essentiellen Charakter eines Menschen, das heißt seine Persönlichkeit, seine Art, sein eigenes, unverwechselbares Wesen. Bei der Romanfigur werden alle Arten von Widersprüchen zugelassen, doch keine Inkohärenz, 235
und auf diesen Punkt legen wir ganz besonderen Wert, weil im Gegensatz zu dem, was die Wörterbücher normalerweise angeben, Inkohärenz und Widerspruch keine Synonyme sind. Ein Mensch oder eine Romanfigur widerspricht sich nämlich innerhalb seiner eigenen Kohärenz, während die Inkohärenz, die sehr viel mehr als der Widerspruch eine Verhaltenskonstante ist, den Widerspruch von sich weist, ihn eliminiert, nicht bereit ist, mit ihm zu leben. Von diesem Standpunkt aus betrachtet sollte, auch wenn wir dabei Gefahr laufen, in die lähmenden Netze des Paradoxen zu fallen, die Hypothese, der Widerspruch sei letztlich genau einer der kohärentesten Gegner der Inkohärenz, nicht ausgeschlossen werden. Schande über uns, diese Spekulationen, die vielleicht nicht gänzlich uninteressant sind für diejenigen, die sich nicht mit der oberflächlichen, gewohnheitsmäßigen Betrachtung der Begriffe zufrieden geben, haben uns noch mehr von der schwierigen Situation abgebracht, in der wir Cipriano Algor und Isaura Madruga zurückgelassen haben, die nunmehr alleine miteinander sind, da Achado, als er erkannte, dass es hier kein Weiterkommen gab, sich lieber wieder in den Schatten des schwarzen Maulbeerbaumes zurückzog, um sein unterbrochenes Schläfchen fortzusetzen. Es ist also an der Zeit, eine Lösung für diesen unzumutbaren Zustand zu finden, indem wir beispielsweise Isaura Madruga, die aufgrund der Tatsache, dass sie eine Frau ist, resoluter ist, ein paar Worte aussprechen lassen, nur um zu sehen, was passiert, es können irgendwelche sein, Nun, ich gehe dann mal, manchmal bedarf es nicht mehr, es reicht, das Schweigen zu brechen, eine kleine Bewegung zu machen, um anzudeuten, dass man beabsichtigt, sich zurückzuziehen, zumindest war das in diesem Fall das gesegnete Mittel, obwohl dem Töpfer Cipriano Algor leider nichts Besseres einfiel, als eine Frage zu stellen, wegen der er später seinen eigenen Schädel mit Fausthieben bearbeiten wird, es möge jeder selbst beurteilen, ob sie das wirklich wert ist, 236
Was wissen Sie Neues über unseren Krug zu berichten, fragte er, leistet er weiterhin gute Dienste. Cipriano Algor wird sich die Fausthiebe als Strafe für etwas auferlegen, das er als unverzeihliche Dummheit ansah, doch wir wollen hoffen, dass er sich später, wenn sein selbstzerstörerischer Wutanfall vorbei ist, daran erinnert, dass Isaura Madruga nicht in beleidigendes Spottgelächter ausbrach, dass sie ihn nicht erbarmungslos auslachte, nicht einmal dieses kleine ironische Lächeln zeigte, das die Situation förmlich erforderte, sondern dass sie ganz im Gegenteil sehr ernst wurde, die Arme über der Brust verschränkte, als hielte sie noch immer den Krug umarmt, den Cipriano Algor, ohne den sprachlichen Ausrutscher zu bemerken, unseren genannt hatte, vielleicht wird ihn in der Nacht, wenn der Schlaf nicht kommen will, dieses Wort über die tatsächliche Absicht befragen, die er gehabt hatte, als er es aussprach, ob der Krug unserer war, nur weil er einmal von einer Hand in die andere übergegangen war und weil man gerade von ihm sprach, oder unserer, weil er unserer war, unserer ohne Umschweife, nur unserer, unserer von uns beiden, unserer und basta. Cipriano Algor wird nicht antworten, wird knurren, wie wir es schon des öfteren erlebt haben, So ein Blödsinn, doch wird er dies irgendwie automatisch sagen, ziemlich heftig zwar, doch ohne echte Überzeugung. Nun, da Isaura Madruga nach einem gemurmelten Bis irgendwann einmal gegangen ist, nun, da sie wie ein zarter Schatten durch diese Tür entschwand, nun, da Achado, der sie bis zu dem Weg, der zur Straße hinunterführt, begleitet hat, gerade mit eindeutig fragendem Ausdruck in Kopfhaltung, Schwanzwedeln und Ohrstellung in die Küche zurückkam, bemerkte Cipriano Algor erst, dass sie auf seine Frage kein Wort erwidert hatte, kein Ja, kein Nein, nur diese Geste, als umarme sie ihren eigenen Körper, vielleicht, um sich in ihm zu finden, vielleicht, um ihn zu verteidigen oder sich gegen ihn zu verteidigen. Cipriano Algor blickte wie verloren um sich, seine 237
Hände waren feucht, das Herz raste in seiner Brust, die Angst desjenigen, der gerade einer Gefahr entkommen ist, deren Ausmaß er noch nicht kennt. Und da verpasste er seinem Schädel den ersten Schlag. Als Marta und Marçal vom Mittagessen zurückkamen, fanden sie ihn in der Töpferei vor, wo er flüssigen Gips in eine Form füllte, Ging es dir gut hier ohne uns, fragte Marta, Ich bin nicht gleich vor Sehnsucht gestorben, wenn du das meinst, ich habe den Hund gefüttert, Mittag gegessen, ein bisschen ausgeruht, und jetzt bin ich wieder hier, und bei euch, wie ist es gelaufen, Nichts Besonderes, sagte Marçal, da ich ihnen das von Marta bereits gesagt hatte, gab es keinen großen Jubel, nur die Küsse und Umarmungen, die bei solchen Anlässen üblich sind, über das andere wurde nicht gesprochen, Besser so, sagte Cipriano Algor, und fuhr fort, die Gipssoße in die Form zu füllen. Seine Hände zitterten leicht. Ich helfe dir gleich, sagte Marçal, ich zieh mich nur noch um. Marta folgte ihrem Mann nicht. Eine Minute später fragte Cipriano Algor, ohne sie anzusehen, Willst du was, Nein, ich will nichts, ich habe mir nur deine Arbeit angesehen. Eine weitere Minute verstrich, und diesmal fragte Marta, Geht es dir nicht gut, Natürlich geht es mir gut, Ich finde, du bist merkwürdig, irgendwie anders, Das sind nur deine Augen, Im Allgemeinen stimmen meine Augen mit mir überein, Dann hast du Glück, ich weiß nie, mit wem ich übereinstimme, antwortete der Vater trocken. Marçal würde gleich wiederkommen. Marta fragte erneut, Ist irgendwas passiert, als wir weg waren. Der Vater stellte den Eimer auf den Boden, wischte seine Hände an einem Lappen ab, und antwortete, wobei er seine Tochter direkt ansah, Diese Isaura ist hier aufgetaucht, diese Estudiosa, Madruga, oder wie immer sie heißt, sie wollte mit dir reden, Isaura kam hier vorbei, Ich glaube, das habe ich, mit ein paar Wörtern mehr, soeben gesagt, Nicht alle verfügen über deine analytischen Fähigkeiten, und was wollte sie, wenn man fragen darf, Dir 238
mitteilen, dass sie Arbeit gefunden hat, Wo, Hier, Das freut mich, das freut mich sehr, ich werde sie nachher gleich besuchen. Cipriano Algor war inzwischen mit einer anderen Form beschäftigt, Vater, begann Marta, doch er unterbrach sie, Wenn es zu diesem Thema ist, dann bitte ich dich, nicht weiterzureden, was ich dir mitteilen sollte, das weißt du jetzt, alle weiteren Worte sind überflüssig, Die Samen werden auch begraben und gehen trotzdem auf, entschuldige, wenn es das gleiche Thema ist. Cipriano Algor antwortete nicht. Zwischen dem Weggehen der Tochter und der Rückkehr des Schwiegersohns sollte er seinem Schädel einen weiteren Fausthieb verpassen.
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DASS VIELE der anthropogenetischen Mythen bei der materiellen Schöpfung des Menschen nicht auf den Ton verzichten konnten, ist eine Tatsache, die wir hier bereits erwähnt haben und die all den Menschen bekannt sein dürfte, die sich in irgendeiner Weise für Ich-weiß-alles-Almanache oder Ich-weiß-fast-alles-Enzyklopädien interessieren. Für die Gläubigen der verschiedenen Religionen gilt dies in der Regel nicht, denn sie erhalten diese und viele andere Informationen von gleicher oder ähnlicher Bedeutung über die institutionellen Wege der Kirche, der sie angehören. Es gibt jedoch einen Fall, mindestens einen Fall, bei dem der Ton im Ofen gebrannt werden musste, damit das Werk als vollbracht angesehen werden konnte. Und das auch erst nach einigen Versuchen. Dieser einzigartige Schöpfer, auf den wir uns beziehen und dessen Namen wir vergessen haben, kannte wahrscheinlich nicht oder vertraute nicht genügend auf die wundersame Wirkung des Hauches in die Nasenlöcher, die einst ein anderer Schöpfer vor ihm eingesetzt hatte oder nach ihm einsetzen sollte, so wie in unserer Zeit bekanntlich Cipriano Algor, wenn auch nur mit der überaus bescheidenen Absicht, das Gesicht der Krankenschwester von Asche zu befreien. Kehren wir jedoch zurück zu jenem Schöpfer, der den Menschen in den Ofen stecken musste, diese Episode trug sich auf eine Art zu, die wir gleich erklären werden und aus der ersichtlich wird, dass die bereits erwähnten gescheiterten Versuche besagten Schöpfers auf dessen mangelnde Kenntnisse in Bezug auf die Brenntemperaturen zurückzuführen sind. Er begann also, aus Ton eine menschliche Figur zu formen, ob Mann oder Frau ist hier nebensächlich, dann stellte er sie in den Ofen und schürte das dafür nötige Feuer an. Als die Zeit, die ihm erforderlich schien, verstrichen war, holte er sie heraus, und, mein Gott, wie wurde ihm das Herz schwer. Die Figur kam dunkelschwarz 240
heraus und entsprach keineswegs der Vorstellung, die er sich von seinem Menschen gemacht hatte. Doch hatte er, vielleicht, weil er erst am Anfang seines Schaffens stand, nicht den Mut, das an seiner Unzulänglichkeit gescheiterte Produkt zu zerstören. Er verlieh ihm Leben, vermutlich durch einen Klaps auf den Kopf und schickte ihn los. Dann modellierte er eine neue Figur, stellte sie in den Ofen, und diesmal setzte er das Feuer vorsichtig ein. Es gelang ihm, ja, doch allzu sehr, denn die Figur kam weiß heraus, weiß wie das Weißeste aller weißen Dinge. Das war noch immer nicht das, was er wollte. Trotz des erneuten Misserfolges verlor er nicht die Geduld, bestimmt dachte er mitleidig, Der Arme, es war ja nicht seine Schuld, und so verlieh er diesem ebenfalls Leben und ließ ihn ziehen. Da gab es auf der Welt also schon einen Schwarzen und einen Weißen, doch der ungeschickte Schöpfer hatte immer noch nicht das Geschöpf erschaffen, das er sich erträumte. Er legte erneut Hand ans Werk, eine weitere menschliche Figur nahm ihren Platz im Ofen ein, das Problem dürfte nun, selbst ohne Pyrometer, leichter zu lösen sein, denn des Rätsels Lösung wäre, den Ofen nicht zu sehr und nicht zu wenig zu heizen, nicht zu stark und nicht zu schwach, und da alle guten Dinge drei sind, müsste es nun klappen. Weit gefehlt. Zwar kam die neue Figur nicht schwarz heraus und auch nicht weiß, doch lieber Himmel, sie kam gelb heraus. Jeder andere hätte vielleicht aufgegeben, hätte eiligst eine Sintflut ausgelöst, um dem Weißen und dem Schwarzen den Garaus zu machen, hätte dem Gelben das Genick gebrochen, was man sogar als logische Weiterführung jenes Gedankens bezeichnen könnte, der ihm in Form einer Frage durch den Kopf ging, Wenn ich selbst schon keinen vernünftigen Menschen zustande bringe, wie soll ich dann morgen von diesem Rechenschaft über seine Fehler verlangen. Ein paar Tage lang hatte unser improvisierter Töpfer nicht den Mut, die Töpferei zu betreten, doch dann überkam ihn erneut die 241
Schöpferwut, wie es so treffend heißt, und nach ein paar Stunden war die vierte Figur fertig modelliert und für den Ofen bereit. Angenommen, es hätte damals über diesem Schöpfer einen anderen Schöpfer gegeben, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass von dem unteren zu dem oberen eine Art Gebet ausgesandt wurde, ein Bittgesuch, ein Flehen, irgend so etwas, Mach, dass es nicht misslingt. Schließlich stellte er die Tonfigur mit zitternden Fingern in den Ofen, wählte mit Sorgfalt das Holz aus, wog die Menge ab, die ihm angebracht schien, entfernte die grünen und die zu trockenen Äste, sortierte das schlecht und unschön brennende Holz aus, fügte ein anderes hinzu, das eine heitere Flamme hervorbrachte, berechnete mit der ihm möglichen Genauigkeit die Dauer und Intensität der Hitzeeinwirkung und hielt schließlich, während er sein Stoßgebet, Mach, dass es nicht misslingt, wiederholte, ein Streichholz an das Holz. Wir Menschen von heute, die wir schon so viele angstvolle Situationen erlebt haben, eine schwierige Prüfung, eine Freundin, die nicht zum Rendezvous erschien, einen Sohn, der nicht nach Hause kam, eine Stelle, die wir nicht bekamen, können uns vorstellen, was dieser Schöpfer durchgemacht haben muss, als er auf das Ergebnis seines vierten Versuches wartete, den Schweiß, der vermutlich nur wegen des nahen Feuers nicht eiskalt war, die bis zum Nagelbett abgekauten Fingernägel, jede Minute, die verging, nahm zehn Jahre Leben mit sich, zum ersten Mal in der Geschichte der verschiedenen Schöpfungen des Universums Welt lernte der Schöpfer selbst die Qualen kennen, die uns im ewigen Leben erwarten, weil es ewig ist, nicht weil es Leben ist. Doch es hat sich gelohnt. Als unser Schöpfer die Tür des Ofens öffnete und sah, was sich darin befand, warf er sich verzückt auf die Knie. Dieser Mensch war nicht mehr schwarz, und auch nicht weiß oder gelb, nein, er war rot, rot wie die Morgenröte und das Abendrot, rot wie die feurige Lava der Vulkane, rot wie das Feuer, das ihn rot gemacht hatte, rot wie 242
jenes Blut, das bereits in seinen Adern floss, denn dieser menschlichen Figur musste man, da es die ersehnte war, keinen Klaps auf den Kopf geben, es reichte, ihr zu sagen, Komm, und sie kam auf ihren eigenen Füßen aus dem Ofen heraus. Wer nicht weiß, was sich in früheren Zeiten zugetragen hat, wird sagen, diese Geschichte sei trotz ihrer Menge an Fehlern und Ängsten, oder auch dank derselben, das heißt, durch die lehrreiche, pädagogische Wirkung des Experiments, am Ende gut ausgegangen. Wie bei allen Dingen dieser, und sicher auch aller anderen Welten, wird das Urteil jedoch vom Standpunkt des Betrachters abhängen. Jene Geschöpfe, die der Schöpfer verwarf, die er, wenn auch mit dankenswertem Wohlwollen, von sich wies, sprich, die Schwarz-, Weiß- und Gelbhäutigen, vermehrten sich, multiplizierten sich, bedecken sozusagen die ganze Erdkugel, während die Rothäutigen, für die er sich so angestrengt und deretwegen er ein Meer von Schmerzen und Qualen durchlitten hatte, heute die ohnmächtigen Zeugnisse dafür sind, wie ein Triumph sich nach einiger Zeit in das trügerische Vorspiel einer Niederlage verwandeln kann. Der vierte und letzte Versuch des ersten Schöpfers von Menschen, der seine Geschöpfe in den Ofen steckte, jener, der ihm offenbar den endgültigen Sieg einbrachte, wurde schließlich zu dem der endgültigen Niederlage. Cipriano Algor, der ebenfalls ein fleißiger Leser von Ich-weiß-alles-oder-fast-allesAlmanachen und -Enzyklopädien war, hatte diese Geschichte gelesen, als er noch ein Kind war, und obwohl er wirklich viel in seinem Leben vergessen hat, diese Geschichte hat er nicht vergessen, wer weiß, weshalb. Es war eine indianische Legende, genauer gesagt eine Legende über die so genannten Rothäute, mit der die einstigen Schöpfer des Mythos offensichtlich die Überlegenheit ihrer Rasse gegenüber irgendwelchen anderen beweisen wollten, sogar gegenüber denen, von deren tatsächlicher Existenz sie damals noch nichts wussten. Bei diesem letzten Punkt wollen wir gleich einen 243
etwaigen Einwand entkräften, das Argument, sie hätten sich, wenn sie doch keine Kenntnis von anderen Rassen hatten, diese auch nicht weiß, schwarz, gelb oder schillernd vorstellen können, entbehrt jeglicher Grundlage. Es ist einfach völlig falsch. Wer so argumentiert, wird lediglich seine Unkenntnis darüber bekunden, dass wir es hier mit einem Volk der Töpfer und auch der Jäger zu tun haben, das die mühevolle Arbeit der Umwandlung von Ton in ein Gefäß oder ein Götzenbild gelehrt hatte, dass im Inneren eines Ofens alles möglich war, Katastrophen und Glanzleistungen, Perfektion und Erbärmlichkeit, Heiteres und Groteskes. Wie oft und wie viele Generationen lang mussten sie wohl verformte, gesprungene, verkohlte, nicht gebrannte oder zu schwach gebrannte Gegenstände aus dem Ofen holen, die alle unbrauchbar waren. Eigentlich besteht kein großer Unterschied zwischen dem, was im Inneren des Ofens einer Töpferei und dem einer Bäckerei passiert. Der Brotteig ist nichts anderes als eine Art Ton, bestehend aus Mehl, Hefe und Wasser, und er kommt genau wie der andere gebacken, halb roh oder verbrannt aus dem Ofen heraus. Dort drin gibt es vielleicht keinen Unterschied, seufzte Cipriano Algor, doch hier draußen würde ich zurzeit alles geben, um Bäcker zu sein. Die Tage und Nächte verstrichen, ebenso wie die Nachmittage und die Vormittage. Aus den Büchern und dem Leben wissen wir, dass die Menschen immer schon mehr und härter gearbeitet haben als die Götter, man betrachte nur den bereits erwähnten Fall des Schöpfers der Rothäute, der insgesamt nicht mehr als vier menschliche Abbilder schuf, und für dieses bisschen, das ihm beim interessierten Publikum zwar zu bescheidenem Erfolg verhalf, fand er Eingang in die Geschichte der Almanache, während Cipriano Algor, der bestimmt keine Belohnung in Form eines in Schönschrift geschriebenen biographischen Eintrags zu erwarten hat, den Geheimnissen des Tons allein in dieser ersten Phase 244
hundertfünfzig Mal so viel abringen muss, das heißt sechshundert Figuren unterschiedlicher Herkunft, Charakteristik und sozialer Schicht, von denen drei, der Narr, der Clown und die Krankenschwester, über die ausgeübten Berufe näher definiert werden können, was auf den Mandarin und den bärtigen Assyrer nicht zutrifft, denn bei diesen ließ sich trotz der umfangreichen Informationen, die die Enzyklopädie lieferte, nicht herausfinden, was sie in ihrem Leben gemacht haben. Bei dem Eskimo kann man davon ausgehen, dass er immer noch jagt und fischt. Gewiss ist jedenfalls, dass Cipriano Algor dies inzwischen egal ist. Wenn die ersten Figuren aus den Formen herauskommen, alle gleich groß und aufgrund der einheitlichen Farbe auch anhand der Kleidung kaum zu unterscheiden, wird er gut Acht geben müssen, um sie nicht zu verwechseln und durcheinander zu bringen. Er wird so sehr auf die Arbeit konzentriert sein, dass er manches Mal vergessen wird, dass die Gipsformen nur eine begrenzte Anwendbarkeit haben, die bei etwa vierzig liegt, ab dann beginnen die Konturen zu verwischen, verlieren ihre Kraft und Klarheit, als würde die Figur nach und nach ihres Seins überdrüssig, als sehne sie sich nach einem Urzustand der Nacktheit, nicht nur ihrer eigenen, als menschliche Darstellung, sondern nach der absoluten Nacktheit des Tons, bevor noch die erste, Gestalt gewordene Idee diesen zu bekleiden begann. Um keine Zeit zu verlieren, hatte er die unbrauchbaren Figuren anfangs in eine Ecke geworfen, doch dann hob er sie, von einem seltsamen, unerklärlichen Mitleids- und Schuldgefühl geleitet, wieder auf und ordnete sie, so deformiert und gequetscht, wie sie von Sturz und Aufprall waren, behutsam auf einem Regalbrett in der Töpferei an. Er hätte sie auch wieder einkneten können, um ihnen eine zweite Lebenschance zu geben, hätte sie erbarmungslos platt machen können wie jene zwei Figuren von Mann und Frau, die er zu Anfang modelliert hatte, ihr Ton liegt immer noch da, trocken, rissig, 245
formlos, doch stattdessen nahm er jene verformten Erzeugnisse und beschützte und behütete sie, als liebe er seine Treffer weniger als die Fehler, die er nicht hatte vermeiden können. Diese Figuren werden nicht in den Ofen kommen, das Holz, das für sie abbrennen würde, wäre vergeudet, doch er wird sie stehen lassen, bis der Ton springt und bröckelt, bis sie auseinander brechen und herabfallen, und, falls die Zeit dafür reicht, bis der Staub, zu dem sie werden, erneut zu Ton erstehen wird. Marta wird ihn fragen, Was machen denn diese kaputten Teile hier, worauf er lediglich erwidern wird, Mir gefallen diese Figuren, er wird nicht sagen, Mir gefallen diese Teile, denn dann vertriebe er sie definitiv aus der Welt, in die sie geboren wurden, sähe sie nicht mehr als sein Werk an, sondern verdammte sie zu einem letzten, endgültigen Waisendasein. Sein Werk, ein ermüdendes Werk, werden auch diese Dutzende von fertigen Figuren sein, die jeden Tag auf die Trockenbretter gestellt werden, dort draußen, im Schatten des schwarzen Maulbeerbaumes, doch da es so viele sind und sie sich kaum voneinander unterscheiden, erfordern sie lediglich so viel Pflege und Aufmerksamkeit, wie nötig ist, damit sie nicht in letzter Minute noch zu Schaden kommen. Es blieb ihnen keine andere Wahl, als Achado anzuketten, damit er nicht auf die Bretter sprang, wo er ohne jeden Zweifel den größten Schaden angerichtet hätte, den die turbulente Geschichte der Töpferei, die bekanntlich reich ist an Scherben und ungewollten Verbindungen, je erlebt hätte. Wir wollen uns daran erinnern, dass damals, als die ersten sechs Figuren, die anderen, die Prototypen, hier zum Trocknen aufgestellt wurden und Achado durch direkten Kontakt herausfinden wollte, um was es sich dabei handelte, der Aufschrei und prompte Klaps Cipriano Algors genügt hatten, um seinen durch die provozierende Unbeweglichkeit der Figuren angestachelten Jagdinstinkt zu unterdrücken, sodass keinerlei Schaden entstand, doch wir wollen auch zugeben, dass es unvernünftig 246
wäre, jetzt von einem solchen Tier zu verlangen, dass es unerschrocken der Provokation einer Horde von Clowns und Mandarins, Narren und Krankenschwestern, Eskimos und bärtigen Assyrern widersteht, die sich alle mehr recht als schlecht als Rothäute verkleidet haben. Die Freiheitsberaubung dauerte eine halbe Stunde. Beeindruckt von dem gekränkten, fast beleidigten Ausdruck, mit dem Achado sich der Strafe unterwarf, ging Marta zu ihrem Vater und sagte zu ihm, man müsse doch mit der Erziehung etwas erreichen können, selbst bei Hunden, Man muss einfach nur die Methoden anpassen, erklärte sie, Und wie willst du das machen, Als Erstes muss man ihn laufen lassen, Und dann, Wenn er versucht, an den Brettern hochzuspringen, kommt er wieder an die Leine, Und dann, Dann lässt man ihn wieder frei und legt ihn wieder an die Leine, so lange, bis er es gelernt hat, Auf den ersten Blick mag das Erfolg haben, aber mach dir keine falschen Hoffnungen, wenn du glaubst, er hätte die Lektion gelernt, natürlich wird er es nicht wagen hochzuspringen, solange du dabei bist, doch wenn er sich alleine wähnt, unbeobachtet, dann, fürchte ich, werden deine Erziehungsmethoden nicht genug Kraft haben, um die Instinkte des Großvaters Schakal, der in Achados Kopf lauert, zu disziplinieren, Achados Großvater Schakal würde sich nicht einmal die Mühe machen, an den Figuren zu riechen, er würde sie überhaupt nicht beachten und seine Suche nach etwas wirklich Essbarem fortsetzen, Na schön, ich bitte dich nur zu bedenken, was passiert, wenn der Hund auf die Bretter steigt, die viele Arbeit, die dann umsonst war, Ob viel oder wenig, das werden wir dann sehen, aber falls das passiert, verspreche ich, dass ich die kaputten Figuren wieder herstelle, vielleicht ist das ja eine Möglichkeit, dich davon zu überzeugen, dass du mich helfen lässt, Darüber lasse ich nicht mit mir reden, und nun geh schon zu deinem pädagogischen Experiment. Marta verließ die Töpferei und löste, ohne ein Wort zu sagen, die Kette vom Halsband des Hundes. Dann 247
ging sie ein paar Schritte in Richtung Haus und blieb wie zufällig stehen. Der Hund beobachtete sie und legte sich hin. Marta ging ein paar Schritte weiter, hielt erneut an und betrat dann entschlossen die Küche, wobei sie die Tür offen ließ. Der Hund rührte sich nicht. Marta machte die Tür zu. Der Hund wartete eine Weile, dann erhob er sich langsam und näherte sich den Brettern. Marta ließ die Tür geschlossen. Der Hund blickte in Richtung Haus, zögerte, blickte noch einmal zurück und legte dann seine Pfoten auf den Rand des Brettes, auf dem die bärtigen Assyrer trockneten. Marta öffnete die Tür und kam heraus. Der Hund nahm schnell die Pfoten weg und blieb abwartend an derselben Stelle sitzen. Er hatte keinen Grund zu flüchten, schließlich war er sich keiner Schuld bewusst. Marta fasste ihn am Halsband und legte ihn, wiederum ohne ein Wort zu sagen, an die Kette. Dann ging sie wieder in die Küche und machte die Tür zu. Sie setzte darauf, dass der Hund darüber nachdachte, was passiert war, nachdachte oder was immer er in einer solchen Situation zu tun pflegte. Nach zwei Minuten befreite sie ihn wieder von der Kette, denn sie hielt es für angebracht, dem Tier keine Zeit zu geben, die Sache zu vergessen, das Prinzip von Ursache und Wirkung musste in seinem Gedächtnis verankert werden. Der Hund brauchte länger, bis er die Pfoten auf das Brett legte, doch schließlich tat er es doch, man könnte sagen, mit weniger Überzeugung als zuvor. Gleich darauf war er erneut angekettet. Ab dem vierten Mal begann er zu signalisieren, dass er verstanden hatte, was man von ihm wollte, doch erhob er weiterhin die Pfoten zu dem Brett, als wolle er sich ein für alle Mal vergewissern, dass er sie dort nicht hinlegen durfte. Während dieses ganzen Ankettens und Losmachens hatte Marta kein einziges Wort von sich gegeben, sie betrat und verließ die Küche, schloss und öffnete die Tür, auf jede Bewegung des Hundes, die stets die gleiche war, antwortete sie mit ihrer eigenen Bewegung, die stets die gleiche war, in einer Abfolge von sich wechselseitig 248
bedingenden Handlungen, die erst ein Ende fände, sobald einer von ihnen die Abfolge mit einer anderen Reaktion unterbrechen würde. Als Marta zum achten Mal die Küchentür hinter sich zuzog, näherte sich Achado erneut den Brettern, doch als er dort ankam, erhob er nicht die Pfoten, um so zu tun, als wolle er nach den bärtigen Assyrern langen, er blickte nur auf das Haus, unbeweglich, abwartend, als fordere er seine Herrin heraus, wagemutiger zu sein als er, als frage er sie, Was für eine Antwort hast du nun zu bieten auf meinen genialen Schachzug, der mir den Sieg bringen wird und dir die Niederlage. Marta murmelte, zufrieden mit sich selbst, Ich habe gewonnen, wusste ich's doch, dass ich gewinnen würde. Sie ging zu dem Hund, kraulte ihn am Kopf, sagte liebevoll, Braver Achado, lieber Achado, der Vater war an die Tür der Töpferei gekommen, um dem glücklichen Ausgang beizuwohnen, Sehr gut, jetzt müssten wir nur noch wissen, ob es von Dauer ist, Ich lege meine Hand dafür ins Feuer, dass er nie wieder an den Brettern hochspringt, sagte Marta. Es gibt nur sehr wenige menschliche Worte, die die Hunde in ihr eigenes Vokabular aus Knurren und Bellen übernehmen können, und nur deshalb, weil Achado die Worte nicht verstand, protestierte er nicht gegen die verantwortungslose Zufriedenheit, die seine Besitzer zur Schau stellten, wo doch jeder in dieser Materie bewanderte und zu einer objektiven Einschätzung der Lage befähigte Mensch sagen würde, dass der Sieger in dem Streit nicht Marta, die Herrin, war, so sehr sie auch davon überzeugt war, sondern der Hund, obgleich wir auch wieder zugeben müssen, dass Menschen, die nur nach dem äußeren Schein urteilen, genau das Gegenteil behaupten würden. So möge sich also jeder mit dem Sieg brüsten, den er meint, davongetragen zu haben, selbst die bärtigen Assyrer und ihre Kollegen, die nun glücklicherweise vor Aggressionen sicher sind. Was Achado betrifft, so werden wir uns nicht damit zufrieden geben, ihn mit dem ungerechten Ruf des 249
Verlierers dort zurückzulassen. Der angetretene Beweis dafür, dass der Sieg ihm gehörte, ist die Tatsache, dass er von diesem Tag an zu dem wachsamsten Hüter wurde, den es je für Tonfigürchen gegeben hat. Man musste sich nur das Bellen anhören, mit dem er seine Besitzer rief, als einmal ein plötzlicher Windstoß ein halbes Dutzend Krankenschwestern herunterriss. Die erste Ofenladung umfasste dreihundert Statuetten, oder besser gesagt dreihundertfünfzig, den möglichen Ausschuss bereits eingerechnet. Es passten nicht mehr hinein. Der Tag des Brennens fiel auf Marçals freien Tag, sodass es für Marçal wieder einmal ein harter Arbeitstag wurde. Geduldig und fleißig half er dem Schwiegervater, die Figuren auf den Brettern im Innern des Ofens anzuordnen, er übernahm auch das Beheizen des Ofens, was eine Aufgabe für robuste Naturen war, zum einen, weil das Heranschaffen des Holzes und das Befeuern des Ofens körperlich anstrengend war, zum anderen, weil es sehr viel Zeit in Anspruch nahm, denn ein Ofen wie dieser, so alt und unzureichend für die neuen Techniken, braucht ziemlich lange, bis er die optimale Brenntemperatur erreicht hat, und man darf auch nicht vergessen, dass diese, ist sie einmal erreicht, so konstant wie möglich gehalten werden muss. Marçal wird bis in die Nacht hinein arbeiten, bis der Schwiegervater mit der Arbeit, die er sich selbst auferlegt hat, fertig ist und ihn ablösen kann. Marta brachte erst ihrem Vater das Nachtmahl, dann brachte sie es Marçal, und auf der Bank, die stets der Meditation diente, nahm sie es gemeinsam mit ihm ein. Keiner der beiden hatte Appetit, und jeder hatte seine eigenen Gründe dafür. Du isst ja gar nichts, bist wohl sehr müde, sagte sie, Ja, ziemlich, ich bin keine Anstrengung mehr gewöhnt, daher fällt es mir noch schwerer, sagte er, Die Idee zur Herstellung dieser Figuren stammt von mir, Das weiß ich wohl, Sie stammt von mir, aber in den letzten Tagen quälen mich dauernd Gewissensbisse, ich frage mich ständig, ob es 250
wirklich richtig war, dass wir uns auf die Figurenherstellung eingelassen haben, oder ob nicht alles nur verlorene Liebesmüh ist, Derzeit ist für deinen Vater die Arbeit, die er macht, das Wichtigste, nicht der Nutzen, den sie bringt, wenn du ihm die Arbeit wegnimmst, egal welche, nimmst du ihm in gewisser Weise einen Grund zu leben weg, und wenn du ihm sagst, dass das, was er gerade macht, zu nichts gut ist, dann wird er das höchstwahrscheinlich nicht einmal glauben, selbst wenn die Tatsachen ins Auge springen, weil er es einfach nicht kann, Das Zentrum hat uns kein Geschirr mehr abgekauft, und er kam über den Schock hinweg, Weil du gleich darauf die Idee mit den Figuren hattest, Ich habe das Gefühl, uns stehen schlechte Zeiten bevor, noch schlechtere als diese, Meine Beförderung zum Wachmann mit Dienstwohnung, die nicht mehr fern ist, wird ein schlechter Tag für deinen Vater sein, Er hat gesagt, er würde mit uns ins Zentrum ziehen, Das stimmt, aber er hat es auf eine Art gesagt, wie wir sagen, dass wir eines Tages sterben müssen, ein Teil unseres Verstandes weigert sich, das zu akzeptieren, von dem er weiß, dass es das Schicksal aller Lebewesen ist, er tut so, als beträfe es ihn nicht, so ist dein Vater, er sagt uns, dass er mit uns umzieht, doch im Grunde ist es so, als glaubte er selbst nicht daran, Als warte er darauf, dass sich im letzten Augenblick ein Ausweg für ihn auftut, der ihn woandershin bringt, Er müsste wissen, dass es zum Zentrum nur einen Weg gibt, nämlich den, der vom Zentrum zum Zentrum führt, ich arbeite dort, ich weiß, wovon ich rede, Es gibt genügend Leute, die sagen, das Leben im Zentrum sei ein immerwährendes Wunder. Marçal antwortete nicht sofort. Er gab dem Hund, der von Anfang an geduldig darauf gewartet hatte, dass ein bisschen Essen für ihn übrig bliebe, ein Stück Fleisch und antwortete erst dann, Ja, so wie für Achado dieses Stück Fleisch, das ich ihm zu dieser nächtlichen Stunde gerade gegeben habe, ein Wunder gewesen sein muss. Er strich mit der Hand über die Lende des Tiers, 251
zweimal, dreimal, das erste Mal nur aus gewohnheitsmäßiger Zärtlichkeit, doch dann mit ängstlichem Nachdruck, als müsse er den Hund unbedingt und ohne Zeit zu verlieren beruhigen, in Wirklichkeit musste er jedoch sich selbst beruhigen, einen Gedanken verdrängen, der plötzlich aus einem versteckten Winkel seines Gedächtnisses hervorgekommen war, Im Zentrum sind keine Hunde zugelassen. Das ist richtig, Hunde sind im Zentrum nicht zugelassen, auch keine Katzen, nur Ziervögel oder Zierfische, und selbst die werden immer seltener, seit die virtuellen Aquarien erfunden wurden, ohne Fische, die nach Fisch riechen, und ohne Wasser, das man auswechseln muss. Darin schwimmen anmutig fünfzig Exemplare zehn verschiedener Spezies herum, die wie echte Lebewesen versorgt und ernährt werden müssen, damit sie nicht eingehen, auch die Wasserqualität des nicht existierenden Wassers muss überwacht werden, seine Temperatur kontrolliert werden, und man kann ferner, damit es nicht nur Verpflichtungen gibt, den Boden des Aquariums mit verschiedenartigen Felsen und Pflanzen dekorieren, außerdem hat der glückliche Besitzer dieses Wunders noch eine Bandbreite von Tönen zur Verfügung, die es ihm ermöglichen, sich mit so verschiedenartigen Lautwelten wie der eines karibischen Strandes, eines tropischen Urwalds oder eines Seesturms zu umgeben, während er seine Fische ohne Innereien und Gräten betrachtet. Im Zentrum wollen sie keine Hunde haben, dachte Marçal erneut und bemerkte, dass diese Sorge für kurze Zeit die andere verschwinden ließ, Erzähle ich es ihr oder nicht, anfangs tendierte er zu ja, dann fand er es besser, die Sache aufzuschieben, bis es wirklich sein musste, bis ihm nichts anderes mehr übrig bliebe. Er traf also die Entscheidung zu schweigen, aber wahrhaftig, wie unschlüssig gleitet doch unser Wille im virtuellen Aquarium unseres Kopfes umher, keine Minute später sagte er zu Marta, Mir fiel gerade ein, dass wir Achado nicht mit ins Zentrum nehmen 252
können, sie akzeptieren dort keine Hunde, das wird ein echtes Problem werden, das arme Tier, wenn wir es wieder aussetzen müssen, Vielleicht findet sich ja eine andere Lösung, sagte Marta, Ich schließe daraus, dass du bereits darüber nachgedacht hast, sagte Marçal überrascht, Ja, ich habe darüber nachgedacht, lange schon, Und was wäre das für eine Lösung, Ich habe mir gedacht, dass Isaura bestimmt nichts dagegen hätte, sich um Achado zu kümmern, ich glaube sogar, es wäre eine große Freude für sie, außerdem kennen sie sich schon, Isaura, Ja, Isaura, die mit dem Wasserkrug, erinnerst du dich, die uns einen Kuchen gebracht hat, die beim letzten Mal, als wir bei deinen Eltern Mittag essen waren, hier war und mit mir reden wollte, Das scheint mir eine gute Idee zu sein, Ich glaube, für Achado wäre es das Beste, Jetzt müssten wir nur noch wissen, ob dein Vater sich einverstanden erklärt, Es ist jetzt schon klar, dass eine Hälfte von ihm protestieren wird, sie wird sagen, Nein, das kommt nicht in Frage, eine allein stehende Frau sei keine gute Gesellschaft für einen Hund, ich kann mir vorstellen, dass er uns gar eine Unverträglichkeitstheorie auftischt, oder dass er sagt, es gäbe bestimmt noch andere Leute, die das Tier gern aufnehmen würden, aber wir wissen auch, dass die andere Hälfte von ihm sich nichts sehnlicher wünscht, und zwar mit allen Kräften des Sehnens, als dass die erste nicht gewinnt, Wie steht es denn um diese Liebe, fragte Marçal, Arme Isaura, armer Vater, Warum sagst du, arme Isaura, armer Vater, Weil es offensichtlich ist, dass sie ihn liebt, aber sie schafft es nicht, die Barriere zu überwinden, die er errichtet hat, Und er, Er, bei ihm ist es wieder mal diese Geschichte mit den zwei Hälften, eine denkt vermutlich an nichts anderes, Und die andere, Die andere ist vierundsechzig Jahre alt, die andere hat Angst, Die Menschen sind wirklich kompliziert, Das stimmt, aber wenn wir einfach wären, wären wir keine Menschen. Achado war nicht mehr da, ihm war plötzlich eingefallen, dass niemand aus dem ganzen 253
Haus seinem alten Herrn Gesellschaft leistete, der ganz alleine in der Töpferei saß und schon mit den zweiten dreihundert Figuren der ersten Lieferung von sechshundert zugange war, ein Hund sieht das alles, und es verwirrt ihn, er nimmt es wahr, kann es aber nicht verstehen, so viel Arbeit, so viel Mühe, so viel Schweiß, ganz abgesehen von dem Geld, das dieser Auftrag einbringt, das wenig sein kann oder auch ein wenig mehr, viel wird es bestimmt nicht sein, wo doch Marta ein Stück weiter vorne gesagt hat, wenn das nicht alles verlorene Liebesmüh ist. Was früher schon deutlich wurde, und was wir nun, dank des langen, tief schürfenden Dialogs zwischen Marta und Marçal, bestätigt sehen, verdient die Steinbank voll und ganz den ernsten und gewichtigen Namen, den wir ihr gegeben haben, nämlich Meditationsbank, doch angesichts zwingender Notwendigkeiten ist es nun an der Zeit, dass wir unsere Aufmerksamkeit wieder dem Ofen zuwenden, mehr Holz in das Maul des Brennofens stopfen, mit Bedacht jedoch, Marçal, vergiss nicht, dass die Erschöpfung die Selbstschutzmechanismen verlangsamt, gib ihnen mehr Zeit, um in Aktion zu treten, damit dich nicht wieder wie an jenem unseligen Tag die zischende Feuerschlange anfällt, die deine linke Hand für immer gezeichnet hat. Das war auch ungefähr das, was Marta sagte, Ich wasche noch das Geschirr ab und lege ich mich dann hin, sei du vorsichtig, Marçal. Am nächsten Tag brachte Cipriano Algor Marçal wie üblich früh morgens mit dem Lieferwagen zum Zentrum. Beim Verlassen des Hauses hatte er zu ihm gesagt, Ich weiß gar nicht, wie ich dir für deine Hilfe danken soll, und Marçal hatte geantwortet, Ich habe getan, was ich konnte, hoffentlich läuft weiterhin alles gut, Ich bin überzeugt davon, dass die nächsten Figuren weniger Arbeit machen, ich habe ein paar Tricks gefunden, um die Arbeit zu vereinfachen, das ist der Vorteil, wenn man Erfahrungen sammelt, ich glaube, die dreihundert Figuren der nächsten Ladung können schon in einer Woche auf 254
den Trockenbrettern stehen, Wenn sie in zehn Tagen, an meinem nächsten freien Tag schon so weit sind, dass sie in den Ofen können, kannst du auf mich zählen, Danke, soll ich dir mal was sagen, du und ich, wir gäben ein gutes Team ab, wenn nicht diese verdammte Krise in diesem Geschäft wäre, du würdest deinen Job als Wachmann im Zentrum aufgeben und dich der Töpferei widmen, Das könnte schon sein, aber es ist zu spät, um darüber nachzudenken, und überhaupt, vergiss nicht, dass wir jetzt beide ohne Arbeit dastünden, wenn wir das gemacht hätten, Ich habe doch noch Arbeit, Ja, natürlich. Später, bereits auf der Straße, die in die Stadt führte, und nach einem langen Schweigen, sagte Cipriano Algor, Ich habe da so eine Idee und möchte wissen, was du davon hältst, Erzähl, Wir könnten doch diese ersten dreihundert Figuren, sobald sie fertig bemalt sind, zum Zentrum bringen, dann würde das Zentrum sehen, dass wir wirklich ernsthaft arbeiten, und es könnte noch vor dem geplanten Termin mit dem Verkauf beginnen, das wäre gut für sie und noch besser für uns, wir müssten nicht so lange auf die Ergebnisse warten, und wenn alles wie erhofft läuft, dann könnten wir die weiteren Produkte mit mehr Ruhe vorbereiten, nicht so überstürzt, wie es diesmal sein musste, was hältst du von der Idee, Ja, sie ist gut, ich glaube, die Idee ist gut, sagte Marçal, und in diesem Augenblick erinnerte er sich daran, dass er auch die Idee, den Hund der Nachbarin mit dem Krug zur Pflege zu überlassen, die Marta gehabt hatte, gut gefunden hatte, Wenn ich dich bei der Arbeit abgeliefert habe, rede ich mit dem Leiter der Einkaufsabteilung, ich bin mir sicher, dass er einverstanden ist, sagte Cipriano Algor, Hoffentlich, antwortete Marçal, und erneut bemerkte er, dass er ein Wort wiederholte, das er kurz zuvor verwendet hatte, das passiert uns immer mit den Wörtern, wir wiederholen sie unentwegt, doch in manchen Fällen, wir wissen nicht, weshalb, fällt es uns mehr auf. Als der Lieferwagen die Stadt erreichte, fragte Marçal, Wer wird nun die Figuren bemalen, Marta 255
besteht darauf, dass sie das machen will, ihr Argument ist, dass ich nicht gleichzeitig die Messe lesen und die Glocke läuten kann, sie hat es zwar nicht mit diesen Worten gesagt, aber der Sinn war der Gleiche, Vater, die Farben sind giftig, Ja, sie sind giftig, Und in Martas Zustand erscheint mir das nicht angebracht, Ich werde die Grundierung vornehmen, mit der Pistole, das verteilt natürlich die Farbe in der Luft, aber es lohnt sich wegen der Zeitersparnis, Und dann, Dann wird mit dem Pinsel bemalt, das ist nicht schädlich, Man hätte zumindest eine Maske kaufen sollen, Sie war so teuer, murmelte Cipriano Algor, als seien ihm seine eigenen Worte peinlich, Wenn wir das Geld aufgebracht haben, um einen Lastwagen zu mieten, der uns das restliche Geschirr vom Zentrum wegschafft, dann hätten wir auch das Geld aufgebracht, um eine Maske zu kaufen, Wir haben einfach nicht daran gedacht, sagte Cipriano Algor, dann verbesserte er sich zerknirscht, Ich habe nicht daran gedacht. Sie befanden sich bereits auf der Allee, die auf das Zentrum zuführte, trotz der großen Entfernung konnte man die gigantische Werbung, die dort angebracht war, lesen, SIE SIND UNSER BESTER KUNDE, ABER SAGEN SIE DAS NICHT IHREM NACHBARN. Cipriano Algor gab keinen Kommentar dazu ab, Marçal wurde von dem Gedanken überrascht, Die amüsieren sich auf unsere Kosten. Als der Lieferwagen vor dem Eingang für das Sicherheitspersonal anhielt, sagte Marçal, Wenn du mit dem Abteilungsleiter gesprochen hast, dann komm nochmal hier vorbei, ich werde mal sehen, ob ich dir eine Maske besorgen kann, Für mich ist das nicht nötig, das habe ich dir doch schon gesagt, und Marta wird nur mit dem Pinsel arbeiten, Du kennst sie doch genauso gut wie ich, bei der erstbesten Gelegenheit, wenn du nicht aufpasst, wird sie doch sprühen, und dann ist es zu spät, Ich weiß nicht, wie lange ich in der Einkaufsabteilung brauche, soll ich hier nach dir fragen oder lieber reingehen und dich suchen, Nein, geh nicht rein, 256
das ist nicht nötig, ich werde die Maske bei meinem Kollegen an der Tür abgeben, Wie du willst, Bis in zehn Tagen, Bis in zehn Tagen, Pass mir auf Marta auf, Vater, Das werde ich tun, sei unbesorgt, du liebst sie bestimmt nicht mehr als ich, Ob es mehr oder weniger ist, weiß ich nicht, ich liebe sie auf andere Art, Marçal, Was ist, Umarme mich, bitte. Als Marçal aus dem Lieferwagen stieg, waren seine Augen feucht. Cipriano Algor verpasste seinem Kopf keinen Fausthieb, sondern sagte nur mit einem leicht traurigen Lächeln zu sich selbst, So weit kann ein Mensch kommen, dass er um eine Umarmung bettelt wie ein liebebedürftiges Kind. Er startete den Lieferwagen, fuhr um den Häuserblock herum, der infolge der Erweiterung des Zentrums nun größer war, Bald wird keiner mehr wissen, was es hier einmal gab, dachte er. Eine Viertelstunde später stieg er, befremdet wie jemand, der nach langer Abwesenheit an einen Ort zurückkehrt und dort zwar keine Veränderungen vorfindet, die dieses Gefühl objektiv rechtfertigen könnten, es aber dennoch nicht loswird, die Rampe hinab. Nachdem er dem Wachmann mitgeteilt hatte, dass er nur eine Information erbitten und nicht entladen wolle, parkte er den Lieferwagen auf dem Seitenstreifen. Er fand bereits eine lange Schlange von wartenden, zum Teil riesigen Lastern vor. Es waren noch fast zwei Stunden, bis die Warenannahme öffnen würde. Cipriano Algor machte es sich auf seinem Sitz bequem und versuchte zu schlafen. Der letzte Blick, den er, bevor er losgefahren war, durch das Guckloch des Ofens geworfen hatte, hatte ihm gezeigt, dass der Brennvorgang bereits abgeschlossen war, nun musste man den Ofen nur noch in Ruhe abkühlen lassen, ganz ohne Eile, in seinem eigenen Rhythmus. Um einschlafen zu können, begann er, die Figuren zu zählen, als zähle er Schäfchen, er begann mit den Narren und zählte sie alle, dann ging er zu den Clowns über und schaffte es, auch diese zu Ende zu zählen, fünfzig von denen, fünfzig von jenen, für die Überzähligen, die Reserve für etwaige Schäden, interessierte er 257
sich nicht, er wollte gleich zu den Eskimos übergehen, doch ohne eine Erklärung bauten sich die Krankenschwestern vor ihm auf, und bei dem Kampf, den er führen musste, um diese zurückzudrängen, schlief er ein. Es war nicht das erste Mal, dass er seinen morgendlichen Schlaf im Untergeschoss des Zentrums zu Ende führte, es war nicht das erste Mal, dass ihn der Motorenlärm der Laster, verstärkt und multipliziert durch das Echo, weckte. Er stieg aus und ging zum Abfertigungsschalter, sagte, wer er war und dass er eine Sache abklären und, falls möglich, den Chef sprechen müsse, Es ist eine wichtige Angelegenheit, fügte er hinzu. Der Angestellte, der ihn bediente, sah ihn mit zweifelndem Gesichtsausdruck an, es war mehr als offensichtlich, dass weder die Angelegenheit noch der Mensch vor ihm, der einem armseligen Lieferwagen mit der Aufschrift Töpferei Algor entstiegen war, wichtig sein konnte, daher antwortete er, der Chef sei beschäftigt, in einer Besprechung, präzisierte er, und er sei auch noch den ganzen Vormittag beschäftigt, er möge daher sagen, weshalb er gekommen sei. Der Töpfer erklärte, was es zu erklären gab, und vergaß dabei auch nicht, um bei seinem Gesprächspartner Eindruck zu schinden, auf das Telefongespräch anzuspielen, das er mit dem Abteilungsleiter geführt hatte, und endlich hörte er den anderen sagen, Ich werde einen Unterabteilungsleiter fragen. Da befürchtete Cipriano Algor, es könnte wieder dieser bösartige sein, der ihm das Leben so schwer gemacht hatte, doch der Unterabteilungsleiter, der erschien, war wohlerzogen und aufmerksam, stimmte ihm zu, dass es eine ausgezeichnete Idee sei, Sehr gut überlegt, jawohl, es ist gut für Sie und noch besser für uns, während Sie die zweite Lieferung der dreihundert Figuren fertig stellen und die Produktion der restlichen sechshundert vorbereiten, die Sie entweder in zwei Fuhren liefern, wie in diesem Fall oder auf einmal, werden wir die Aufnahme des Produktes durch die Käufer beobachten, ihre 258
Reaktionen, die expliziten und impliziten Kommentare, wir werden sogar die Zeit haben, ein paar Befragungen durchzuführen, die sich an zwei Vektoren orientieren, einmal die Situation vor dem Kauf, das heißt das Interesse, die Lust, das spontane oder motivierte Verlangen des Kunden, und zum zweiten die Situation, die sich aus dem Gebrauch ergibt, das heißt, das erlangte Vergnügen, die erkannte Nützlichkeit, die Befriedigung der Eigenliebe, sowohl von einem individuellen wie einem Gruppenstandpunkt aus betrachtet, wobei letzterer familiär, beruflich oder auch ein anderer sein kann, die Kernfrage, die sich für uns stellt und die es zu erforschen gilt, ist, ob der Gebrauchswert, der ein fließendes, instabiles Element und im höchsten Maße subjektiv ist, sich zu weit unter oder zu weit über dem Tauschwert ansiedelt. Und wenn das der Fall ist, was machen Sie dann, fragte Cipriano Algor, nur um etwas zu fragen, worauf der Unterabteilungsleiter ihm in nachsichtigem Ton antwortete, Mein lieber Herr, ich nehme an, Sie erwarten nicht, dass ich Ihnen das Geheimnis der Bienen enthülle, Es hieß doch immer, das Geheimnis der Bienen gäbe es nicht, das sei nur ein Mythos, ein falsches Geheimnis, eine Fabel, die noch erfunden werden muss, ein Märchen, das hätte sein können, aber nicht war, Sie haben Recht, das Geheimnis der Bienen gibt es nicht, doch wir kennen es. Cipriano Algor zuckte zusammen, als wäre er Opfer einer unerwarteten Aggression geworden. Der Unterabteilungsleiter lächelte, betonte noch einmal liebenswürdig, dass die Idee gut sei, sehr gut sogar, dass er auf die erste Lieferung warten würde und dann von sich hören ließe. Niedergedrückt von einem unbestimmten Gefühl der Bedrohung stieg Cipriano Algor in den Lieferwagen und verließ das Untergeschoss. Der letzte Satz des Unterabteilungsleiters ging ihm nicht mehr aus dem Kopf, Das Geheimnis der Bienen gibt es nicht, doch wir kennen es, es gibt es nicht, doch wir kennen es, wir kennen es, wir kennen es. Er hatte eine Maske fallen sehen und bemerkt, 259
dass dahinter eine andere, genau gleiche Maske war, hatte erkannt, dass die nächsten Masken auf fatale Weise identisch wären mit denen, die gefallen sind, es stimmt, das Geheimnis der Bienen gibt es nicht, doch sie kennen es. Er würde mit Marta und Marçal nicht über diese Beunruhigung reden können, weil sie es nicht verstehen würden, und zwar aus dem Grunde, weil sie nicht mit ihm dort vor dem Schalter gestanden hatten und einen Unterabteilungsleiter hatten sagen hören, was Tauschwert und Gebrauchswert seien, möglicherweise liegt das Geheimnis der Bienen darin, dass man bei den Kunden genügend Anreize und Suggestionen schafft und stimuliert, damit die Gebrauchswerte nach und nach höher eingeschätzt werden, worauf kurze Zeit später die Erhöhung des Tauschwertes erfolgt, die der Scharfsinn des Herstellers einem Käufer auferlegt, dem nach und nach, fast unmerklich, die inneren Abwehrmechanismen entzogen wurden, die aus dem Bewusstsein seiner eigenen Persönlichkeit resultierten und die ihm früher, falls es überhaupt je ein intaktes Früher gegeben hat, eine gewisse, wenn auch fragwürdige Möglichkeit des Widerstandes und der Selbstbestimmung geboten hatten. Verantwortlich für diese schwierige und verwirrende Erklärung ist einzig und allein Cipriano Algor, der sich, weil er das ist, was er ist, nämlich ein einfacher Töpfer ohne Soziologiediplom oder ökonomische Ausbildung, erdreistete, in seinem bäuerlichen Kopf einer Idee nachzujagen und sich schließlich eingestehen musste, dass er, in Ermangelung des entsprechenden Vokabulars und aufgrund der schwer wiegenden, offenkundigen Ungenauigkeiten bei den zu verwendenden Fachausdrücken, nicht in der Lage war, diese Idee in eine hinreichend wissenschaftliche Sprache zu bringen, die es uns vielleicht irgendwann ermöglicht hätte, das zu verstehen, was er auf seine Art hatte sagen wollen. Jener andere Augenblick der Verwirrung im Leben und der Irrung im Verständnis desselben, der Augenblick, als er zur 260
Einkaufsabteilung ging, um die einfachste Frage der Welt zu stellen, und von dort mit der komplexesten und obskursten Antwort zurückkam, wird in Cipriano Algors Erinnerungen eingehen, und so unheilvoll und obskur war jene Antwort, dass der Töpfer sich unweigerlich im Labyrinth seines eigenen Gehirns verlieren musste. Zumindest die Absicht war gut gewesen. Zu seinen Gunsten wird Cipriano Algor stets anführen können, dass er alles, was seine geistigen Fähigkeiten als Töpfer hergaben, nutzte, um den verborgenen Sinn des sibyllinischen Ausspruchs des lächelnden Unterabteilungsleiters zu entschlüsseln, und wenn sogar ihm selbst klar wurde, dass ihm dies nicht gelungen ist, so hat er doch zumindest denen, die nach ihm kommen, deutlich gemacht, dass man auf dem von ihm eingeschlagenen Weg nirgendwohin kommt. Das ist etwas für kluge Leute, dachte Cipriano Algor, doch er wurde seine innere Unruhe einfach nicht los. Wir sagen trotzdem, andere haben weniger getan und sich viel mehr gebrüstet. Das Päckchen, das Marçal bei dem Wachmann an der Tür hinterlassen hatte, enthielt zwei Masken, nicht nur eine. Für den Fall, dass bei einer der Luftfilter kaputtgeht, hieß es auf einem Zettelchen. Und wieder die Bitte, Pass mir auf Marta auf. Es war fast Mittagessenszeit. Ein verlorener Vormittag, dachte Cipriano Algor und erinnerte sich an die Formen, den Ton, der auf ihn wartete, an den Ofen, der gerade abkühlte, an die darin aufgereihten Figuren. Dann, als er bereits auf der Straße fuhr, mit dem Rücken zu der Fassade des Zentrums, auf der der Satz, Sie sind unser bester Kunde, aber sagen Sie das nicht Ihrem Nachbarn, mit ironischer Impertinenz das Beziehungsdiagramm darlegte, in dem sich die unbewusste Komplizenschaft der Stadt mit dem bewussten Betrug, der sie manipulierte und absorbierte, vollzog, da kam Cipriano Algor der Gedanke in den Sinn, dass nicht nur dieser Morgen verloren war, dass der empörende Satz des 261
Unterabteilungsleiters all das zunichte gemacht hatte, was von der Lebensrealität, in der er zu leben gelernt hatte und zu leben gewohnt war, noch übrig war, dass von heute an alles nicht viel mehr wäre als Schein, Illusion, Fehlen von Sinn, Fragen ohne Antworten. Man möchte am liebsten mit dem Lieferwagen gegen eine Wand fahren, dachte er. Er fragte sich, warum er das nicht tat und warum er es wahrscheinlich auch niemals tun würde, dann begann er, seine Gründe aufzuzählen. Obwohl es in diesem Zusammenhang abwegig erscheinen mag, weil die Leute sich eigentlich genau deswegen umbringen, weil sie noch am Leben sind, war der erste wichtige Grund, weshalb Cipriano Algor dies nicht tat, die Tatsache, dass er am Leben war, danach kam gleich seine Tochter Marta, die ihm so nahe stand, so eng an das Leben des Vaters gebunden war, als wäre sie gleichzeitig mit ihm eingetreten, dann kam die Töpferei, der Ofen, und natürlich sein Schwiegersohn Marçal, der ein so guter Junge war und Marta so sehr mochte, und Achado, wenngleich es für manche empörend sein mag, so etwas zu sagen, und objektiv gesehen lässt es sich auch nicht erklären, aber selbst ein Hund ist in der Lage, einen Menschen an das Leben zu binden, und außerdem, und außerdem, außerdem was, Cipriano Algor fand keine weiteren Gründe, gleichzeitig hatte er den Eindruck, dass ihm noch einer fehlte, und der wäre, wäre nicht, da schleuderte ihm sein Gedächtnis plötzlich und ohne Vorwarnung den Namen und das Bild seiner verstorbenen Frau ins Gesicht, Name und Bild von Justa Isasca, warum, wo Cipriano Algor doch Gründe suchte, um den Lieferwagen nicht gegen eine Wand zu fahren, und wo er doch bereits zahlreiche, durchaus gewichtige Gründe gefunden hatte, nämlich sich selbst, Marta, die Töpferei, den Ofen, Marçal, den Hund Achado, und außerdem den schwarzen Maulbeerbaum, der bei der vorherigen Aufzählung vergessen wurde, es war absurd, dass der letzte, unerwartete Grund, dessen Vorhandensein er voll Unruhe gespürt hatte, als sei er ein 262
Schatten oder Trugbild, jemand sein sollte, der nicht mehr zu dieser Welt gehörte, natürlich handelt es sich nicht um irgendjemanden, es ist schließlich die Frau, mit der er verheiratet war, die Arbeitsgefährtin, die Mutter seiner Tochter, und dennoch wird man, so viel dialektisches Geschick man auch ins Spiel bringt, schwerlich die Behauptung aufrechterhalten können, die Erinnerung an einen Toten könne ein Grund dafür sein, dass ein Lebender beschließt weiterzuleben. Ein Liebhaber von Sprichwörtern, Sprüchen und anderen Volksweisheiten, einer dieser bereits seltenen Exzentriker, die meinen, mehr zu wissen als das, was man ihnen beigebracht hat, würde sagen, hier hat sich eine Katz versteckt, das sieht man an dem Schwanz. Man entschuldige den unpassenden, respektlosen Vergleich, mit dem wir sagen wollen, dass der Schwanz des Katzentiers in dem vorliegenden Fall die verstorbene Justa ist, und dass man, um das zu finden, was von der Katze noch fehlt, nur einmal um die Ecke biegen muss. Das wird Cipriano Algor nicht tun. Doch wird er, wenn er in das Dorf kommt, den Lieferwagen am Eingang zum Friedhof abstellen, den er seit jenem Tag nicht mehr betreten hat, und zum Grab seiner Frau gehen. Dort wird er nachdenklich ein paar Minuten verharren, vielleicht um ihr zu danken, vielleicht um zu fragen, Warum nur bist du erschienen, vielleicht wird er die Frage auch hören Warum bist du nur erschienen, dann wird er den Kopf heben und sich umblicken, als suche er jemanden. Bei dieser Sonne, zur Mittagszeit, es ist nicht sehr wahrscheinlich.
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DIE ERSTE halbe Zenturie, die aus dem Ofen kam, war die der Eskimos, denn da sie direkt am Eingang standen, waren sie am einfachsten zu erreichen. Ein glücklicher Zufall, wie Marta fand, Zum Üben könnte es für den Anfang gar nicht besser sein, sie sind leicht zu bemalen, einfacher wären höchstens noch die Krankenschwestern, die ganz in weiß gekleidet sind. Als die Figürchen vollständig erkaltet waren, stellten sie diese auf die Trockenbretter, wo Cipriano Algor, mit der Sprühpistole bewaffnet und vom Filter der Maske geschützt, sie methodisch mit dem matten Weiß der Grundierung überzog. Er brummelte vor sich hin, dass es sich nicht lohne, dieses Ding aufzusetzen, das ihm Mund und Nase verstopfe, Es würde genügen, sich richtig in den Wind zu stellen, dann würde es die Farbe wegwehen, sie könnte mir gar nichts anhaben, doch gleich darauf dachte er, dass er ungerecht und undankbar sei, schließlich dürfte man auch nicht vergessen, dass es bei diesem guten Wetter genügend Tage gab, an denen kein Lüftchen wehte. Als sein Teil der Arbeit beendet war, half Cipriano Algor seiner Tochter, die Farben aufzubauen, das Gefäß mit dem Petroleum, die Pinsel, die bunten Zeichnungen, die als Vorlage dienten, er brachte den Hocker, auf den sie sich setzen sollte, und kaum dass sie den ersten Pinselstrich getan hatte, bemerkte er, Das war schlecht überlegt, wenn die Figuren so aufgereiht sind, musst du ständig den Hocker entlang des Brettes verschieben, das wird dich anstrengen, Marçal hat gesagt, Was hat Marçal gesagt, fragte Marta, Dass du sehr auf dich aufpassen und übermäßige Anstrengung vermeiden sollst, Ermüdend ist für mich, dass ich mir dauernd denselben Ratschlag anhören muss, Es ist doch nur zu deinem Besten, Sieh mal, wenn ich hier ein halbes Dutzend Figuren vor mir aufstelle, schau es dir an, dann kann ich sie alle erreichen und muss den Hocker nur viermal verschieben, und 264
im Übrigen tut es mir gut, mich zu bewegen, und jetzt, wo ich dir die Funktionsweise dieses gegenläufigen Fließbandes erklärt habe, möchte ich dich daran erinnern, dass es für einen arbeitenden Menschen nichts Schlimmeres gibt als die Anwesenheit von Menschen, die nichts zu tun haben, so wie das bei dir gerade der Fall zu sein scheint, Das werde ich mir merken und dir das Gleiche sagen, wenn ich einmal arbeite, Das hast du bereits getan, das heißt, schlimmer noch, du hast mich gleich hinausgeworfen, Ich geh ja schon, mit dir kann man nicht reden, Zwei Dinge noch, bevor du gehst, erstens, wenn es jemanden gibt, mit dem du reden kannst, dann bin ich das, und zweitens, Gib mir einen Kuss. Erst gestern bat Cipriano Algor seinen Schwiegersohn um eine Umarmung, jetzt ist es Marta, die von ihrem Vater einen Kuss verlangt, irgendetwas stimmt nicht mit dieser Familie, es fehlt nur noch, dass plötzlich Kometen am Himmel erscheinen, Nordlichter und auf Besen reitende Hexen, dass Achado die ganze Nacht lang den Mond anheult, auch wenn kein Mond zu sehen ist, und dass der schwarze Maulbeerbaum von einem Augenblick auf den anderen abstirbt. Es sei denn, dies alles ist lediglich auf übersteigerte Sensibilitäten zurückzuführen, bei Marta, weil sie schwanger ist, bei Marçal, weil Marta schwanger ist, bei Cipriano Algor aus all den bekannten Gründen und noch einigen mehr, die nur er kennt. Nun, der Vater küsste die Tochter, die Tochter küsste den Vater, Achado wurde auch ein wenig von der Aufmerksamkeit zuteil, nach der er verlangte, er kann sich nicht beschweren. Wie sagt man doch, Es wird wohl nichts sein. Cipriano Algor ging in die Töpferei, um mit dem Gießen der dreihundert Figuren der zweiten Lieferung zu beginnen, und Marta bereitete sich im Schatten des schwarzen Maulbeerbaumes, unter dem aufmerksamen Blick Achados, der zu seinen Wachhundpflichten zurückgekehrt war, auf das Bemalen der Eskimos vor. Aber das war nicht möglich, hatte sie doch vergessen, dass man die Figuren erst abschmirgeln, 265
die Gussnähte, die Unregelmäßigkeiten an der Oberfläche, die kleinen Ausführungsfehler glatt schleifen und dann den Staub entfernen musste, und da ein Unglück selten allein kommt und eine vergessene Sache in der Regel eine weitere nach sich zieht, konnte sie die Figuren zudem auch nicht so bemalen, wie sie es sich vorgestellt hatte, nämlich eine Farbe nach der anderen, ohne Unterbrechung, bis zum letzten Pinselstrich. Sie erinnerte sich an jene Seite in dem Handbuch, auf der eindeutig gesagt wurde, man dürfe erst, wenn eine Farbe ganz trocken sei, die nächste auftragen. Jetzt käme mir ein echtes Fließband doch sehr gelegen, sagte sie, dann zögen die Figuren an mir vorbei, um zunächst das Blau zu erhalten, dann das Gelb, schließlich das Violett, das Schwarz, das Rot, das Grün, das Weiß, und zum Schluss den letzten Segen, der alle Farben des Regenbogens in sich birgt, Möge Gott dir Kraft geben, denn ich für meinen Teil habe getan, was ich konnte, und es wird weniger diese zusätzliche Kraft sein, mit der Gott, der wie jeder gewöhnliche Sterbliche zu Vergesslichkeit und Nachlässigkeit neigt, zur Krönung dieser ganzen Bemühungen beiträgt, sondern das bescheidene Bewusstsein, dass wir es nur deswegen nicht besser hinbekommen haben, weil wir es nicht besser konnten. Über etwas zu diskutieren, was sein muss, war immer schon Zeitverschwendung, für das, was sein muss, sind die Argumente nur mehr oder weniger zufällige Wortgruppierungen, die sich von ihrer syntaktischen Anordnung eine Bedeutung erhoffen, von der sie sich selbst nicht sicher sind, ob sie sie überhaupt besitzen. Marta ließ Achado auf die Figuren aufpassen und ging ohne weitere Diskussionen über das Unvermeidbare in die Küche, um den einzigen Bogen feinen Schmirgelpapiers zu holen, den sie ihres Wissens nach zu Hause hatten, Damit komme ich nicht weit, dachte sie, ich werde wohl noch ein paar mehr kaufen müssen. Hätte sie einen Blick durch die Tür der Töpferei geworfen, wäre ihr klar geworden, dass auch dort die Dinge nicht gut 266
liefen. Cipriano Algor hatte sich Marçal gegenüber gebrüstet, ein paar Tricks gefunden zu haben, um die Arbeit zu beschleunigen, was von einem, wenn man so will, globalen Standpunkt aus betrachtet richtig war, doch das schnellere Vorankommen hatte sich rasch als unvereinbar mit der Perfektion herausgestellt, und das Ergebnis war ein sehr viel höherer Anteil an schadhaften Figuren als bei der ersten Serie. Als Marta zu ihrer Arbeit zurückkehrte, sammelten sich in der Töpferei bereits die ersten Krüppel auf dem Brett an, doch Cipriano Algor rechnete die Zeit, die man gewann, und die Figuren, die man verlor, gegeneinander auf und beschloss daraufhin, nicht auf seine fruchtbaren, wenngleich nicht perfekten und auch nie zu offenbarenden Tricks zu verzichten. Und so vergingen die Tage. Auf die Eskimos folgten die Clowns, dann kamen die Krankenschwestern heraus, danach die Mandarine, die bärtigen Assyrer und schließlich die Narren, die an der hinteren Wand aufgereiht wurden. Marta war am zweiten Tag ins Dorf hinuntergegangen, um zwei Dutzend Bogen Schleifpapier zu kaufen. Es war in dem Laden, in dem Isaura angefangen hatte zu arbeiten, wie Marta bereits wusste, da sie diese nach dem verwirrenden Treffen mit dem Vater, in emotionaler Hinsicht verwirrend, versteht sich, gleich besucht hatte. Die beiden Frauen sehen sich nicht oft, doch es gibt mehr als genug Gründe dafür, dass sie einmal gute Freundinnen werden. Diskret, damit der Besitzer des Ladens es nicht hörte, fragte Marta Isaura, ob sie sich wohl fühlte an ihrem neuen Arbeitsplatz, und sie bejahte dies, es ginge ihr gut, Man gewöhnt sich daran, sagte sie. Sie hatte ohne Begeisterung gesprochen, doch mit Bestimmtheit, als wolle sie deutlich machen, dass die Freude an der Arbeit nichts zur Sache tat, dass es der Wille gewesen sei, und nur der, der bei der Entscheidung, die Arbeit anzunehmen, den Ausschlag gegeben hatte. Marta erinnerte sich daran, was sie Isaura vor einiger Zeit hatte sagen hören, Irgendeine Arbeit, solange ich nur hier 267
bleiben kann. Die Frage, die Isaura danach stellte, während sie das Schmirgelpapier lose einrollte, wie es sich gehörte, kam Marta wie ein Echo dieser Worte vor, verzerrt zwar, aber dennoch zu verstehen, Und bei euch zu Hause, wie geht es allen, Müde sind wir, haben viel Arbeit, aber sonst geht es gut, der arme Marçal musste an seinem freien Tag im Ofen arbeiten, er ist bestimmt jetzt noch ganz fertig. Das Schmirgelpapier war eingerollt. Als sie das Geld in Empfang nahm und das Wechselgeld zurückgab, fragte Isaura, ohne die Augen zu erheben, Und der Vater. Marta konnte nur antworten, dass es dem Vater gut ginge, ein angstvoller Gedanke war ihr plötzlich durch den Kopf geschossen, Was wird diese Frau nur mit ihrem Leben machen, wenn wir weg sind. Isaura verabschiedete sich, sie musste einen anderen Kunden bedienen, Grüßen Sie zu Hause, sagte sie, und wenn Marta sie in diesem Augenblick gefragt hätte, Was werden Sie mit Ihrem Leben machen, wenn wir weg sind, dann hätte sie vielleicht, wie gerade eben, ganz ruhig geantwortet, Man gewöhnt sich daran. Ja, wir hören es oft oder sagen es selbst, Man gewöhnt sich daran, wir sagen es, oder andere sagen es, mit einer Ruhe, die echt wirkt, weil es wirklich keine andere Möglichkeit gibt, oder diese noch nicht entdeckt wurde, um unsere Resignation möglichst würdevoll zum Ausdruck zu bringen, niemand fragt jedoch, auf wessen Kosten man sich daran gewöhnt. Marta war fast in Tränen aufgelöst, als sie das Geschäft verließ. Von verzweifelten Gewissensbissen gequält, als beschuldige sie sich selbst, Isaura hintergangen zu haben, dachte sie. Sie weiß ja gar nichts, nicht einmal, dass wir bald von hier weggehen. Zweimal vergaßen sie, dem Hund sein Fressen hinzustellen. Achado, der sich an die Zeiten der Bedürftigkeit erinnerte, als die Hoffnung auf den nächsten Tag das einzige Brot war, das ihm in den vielen Stunden, in denen sich sein Magen nach Nahrung sehnte, blieb, beschwerte sich nicht, sondern streckte 268
sich einfach, seine Wächterspflichten vernachlässigend, neben der Hundehütte aus, ist es doch eine alte Weisheit, dass der liegende Körper den Hunger besser erträgt, und wartete geduldig darauf, dass einer seiner Besitzer sich mit der Hand an die Stirn fasste und ausriefe, Teufel nochmal, wir haben den Hund vergessen. Dies ist nicht weiter verwunderlich, wo sie in diesen Tagen sogar sich selbst vergessen hatten. Doch dieser völligen Hingabe an die jeweiligen Aufgaben, die ihnen viele Stunden Schlaf raubten, war es zu verdanken, auch wenn Cipriano Algor nie aufhörte, Marta ins Gewissen zu reden, Du musst ausruhen, du musst ausruhen, diesen parallelen Anstrengungen war es also zu verdanken, dass genau an dem Tag, an dem Cipriano Algor seinen Schwiegersohn im Zentrum abholen musste, die dreihundert Figuren, die aus dem Ofen gekommen waren, allesamt abgeschmirgelt, abgebürstet, bemalt und schließlich getrocknet waren, und dass die anderen dreihundert, gesund und stolz in ihrem rohen Tongewand, ohne sichtbare Fehler und mit Hilfe der Wärme und des Windes ebenfalls von Feuchtigkeit befreit, nun zum Brennen bereit waren. Die Töpferei schien sich von einer großen Anstrengung zu erholen, das Schweigen hatte sich schlafen gelegt. Im Schatten des schwarzen Maulbeerbaumes betrachteten Vater und Tochter die sechshundert, auf den Brettern aufgereihten Figuren, und es schien ihnen, als hätten sie saubere Arbeit geleistet. Cipriano Algor sagte, Morgen arbeite ich nicht in der Töpferei, Marçal soll nicht wieder die ganze Arbeit mit dem Ofen alleine machen, und Marta sagte, Ich glaube, wir sollten ein paar Tage ausspannen, bevor wir uns an den zweiten Teil des Auftrags machen, und Cipriano Algor fragte, Was hältst du von drei Tagen, und Marta antwortete, Das ist besser als nichts, und Cipriano Algor fragte wieder, Wie fühlst du dich, und Marta antwortete, Müde, aber gut, und Cipriano Algor sagte, Also, ich fühle mich, wie ich mich noch nie gefühlt habe, und Marta sagte, Nach getaner Arbeit ist gut ruhn, das ist es 269
wahrscheinlich, was du empfindest. Auch wenn es vielleicht anders erscheinen mag, es lag keine Ironie in ihren Worten, was in ihnen mitschwang, war lediglich eine Erschöpfung, die wir gern als unendlich bezeichnen würden, wäre dies nicht eine so offensichtliche und maßlose Übertreibung. Wie dem auch sei, Martas Müdigkeit war weniger körperlich, sondern kam eher daher, dass sie hilflos die bittere Verzweiflung und schlecht verborgene Traurigkeit des Vaters mit ansehen musste, seine Stimmungsschwankungen, sein albernes Vorspielen von Überzeugtheit, die kategorische, quälende Selbstbestätigung der eigenen Zweifel, als glaubte er, sie sich so aus dem Kopf schlagen zu können. Und dann war da noch diese Frau, Isaura, Isaura Madruga, die Nachbarin mit dem Krug, auf deren Frage, Und der Vater, die diese gesenkten Kopfes während des Geldzählens gemurmelt hatte, sie kürzlich nicht mehr als Es geht ihm gut erwidert hatte, wo sie sie doch am Arm von dort hätte fortführen, mit ihr zur Töpferei hochsteigen und sie dorthin hätte bringen sollen, wo der Vater arbeitete, Hier ist sie, hätte sie sagen sollen, die Tür verschließen und die beiden so lange dort drin lassen sollen, bis die Wörter ihnen zu irgendetwas nützten, denn das Schweigen, das arme, ist einfach nicht mehr als das, Schweigen, und alle wissen, dass oft selbst jenes Schweigen, das so beredt erscheint, Anlass gibt zu falschen Interpretationen mit äußerst schwer wiegenden und manchmal fatalen Konsequenzen. Wir sind zu ängstlich, zu feige, um eine solche Tat zu wagen, dachte Marta, während sie den Vater betrachtete, der eingeschlafen zu sein schien, wir sind zu sehr gefangen im Netz der so genannten gesellschaftlichen Konventionen, im Spinnennetz des Gehörigen und des Ungehörigen, wenn es herauskäme, dass ich das gemacht habe, dann würde es gleich heißen, einem Mann eine Frau vor die Nase setzen, so würden sie es nennen, das sei eine absolute Missachtung der Persönlichkeit des anderen, und zudem eine unverantwortliche 270
Unbesonnenheit, wer weiß denn, was den beiden in der Zukunft widerfährt, das Glück der Menschen ist keine Sache, die man heute fabriziert und die unter Garantie morgen auch noch hält, eines Tages treffen wir die, die wir einst vereint haben, entzweit wieder und laufen Gefahr, dass sie uns vorwerfen, Es war alles Ihre Schuld. Marta wollte sich diesem Gerede der Allgemeinheit, das die logische, bittere Frucht der harten Kämpfe des Lebens war, nicht ausliefern, Es ist eine Dummheit, die Gegenwart verstreichen zu lassen, nur aus Angst, die Zukunft nicht zu gewinnen, sagte sie zu sich selbst und fügte gleich darauf hinzu, Im Übrigen wird nicht alles morgen passieren, es gibt Dinge, die sind erst für übermorgen, Was hast du gesagt, fragte der Vater sofort, Nichts, antwortete sie, ich war ganz still, um dich nicht zu wecken, Ich habe nicht geschlafen, Es sah mir aber so aus, Du hast gesagt, dass es Dinge gibt, die erst für übermorgen sind, Wie merkwürdig, habe ich das wirklich gesagt, fragte Marta, Ich habe nicht geträumt, Dann habe ich geträumt, ich muss wohl eingeschlafen und gleich wieder aufgewacht sein, so sind die Träume, sie haben weder Hand noch Fuß, oder besser gesagt, sie haben Hand und Fuß, doch fast immer kommen die Füße von der einen und die Hände von der anderen Seite, das erklärt auch, weshalb die Träume so schwierig zu interpretieren sind. Cipriano Algor stand auf, Es ist bald an der Zeit, Marçal abzuholen, aber ich habe mir gerade überlegt, dass es vielleicht nicht schlecht wäre, ein bisschen früher zu fahren, dann kann ich noch bei der Einkaufsabteilung vorbeischauen, ich teile ihnen mit, dass die ersten dreihundert Figuren fertig sind, und wir vereinbaren einen Liefertermin, Gute Idee, sagte Marta. Cipriano Algor ging sich umziehen, er zog ein frisches Hemd an, andere Schuhe, und nach knapp zehn Minuten stieg er bereits in den Lieferwagen, Bis später, sagte er, Bis später, Vater, fahr vorsichtig, Und komm noch vorsichtiger zurück, du brauchst es gar nicht erst zu sagen, Ja, noch vorsichtiger, weil 271
ihr dann zu zweit seid, Ich sag es doch dauernd und werde es immer wieder sagen, mit dir kann man einfach nicht diskutieren oder argumentieren, du findest auf alles eine Antwort. Achado kam an und wollte von seinem Herrn wissen, ob er diesmal mitkommen dürfe, doch Cipriano Algor verneinte, bat ihn um Geduld, die Städte seien kein guter Ort für Hunde. Und zum wiederholten Male wäre diese Fahrt nicht erwähnenswert gewesen, hätte der Töpfer nicht diese unbestimmte Vorahnung gehabt, dass etwas Schlimmes passieren würde. Irgendwie war ihm in den Sinn gekommen, was er die Tochter hatte sagen hören, Es gibt Dinge, die sind erst für übermorgen, ein paar zusammenhanglose Worte ohne ersichtlichen Sinn, die sie nicht hatte erklären können oder wollen, Ich bezweifle, dass ich geschlafen habe, aber ich verstehe nicht, warum sie meinte, ich hätte geschlafen, dachte er, und dann ließ er, den erinnerten Satz weiterführend, seine Gedanken in dieselbe Richtung schweifen und begann, eine quälende Litanei in seinem Kopf anzustimmen, Es gibt Dinge, die sind erst für übermorgen, es gibt Dinge, die sind erst für morgen, Es gibt Dinge für heute schon, dann nahm er sie in umgekehrter Reihenfolge wieder auf, Es gibt Dinge für heute schon, es gibt Dinge, die sind erst für morgen, es gibt Dinge, die sind erst für übermorgen, und er wiederholte und wiederholte dies so oft, dass der Klang und der Sinn und die Bedeutung von morgen und übermorgen völlig verloren gingen, übrig blieb in seinem Kopf, wie eine blinkende Alarmleuchte, lediglich Schon heute, schon heute, schon heute, heute, heute, heute. Heute was, fragte er sich unwirsch, in dem Versuch, die absurde Nervosität, die seine Hände am Steuer erzittern ließ, zu bekämpfen, ich fahre in die Stadt, um Marçal abzuholen, ich gehe zur Einkaufsabteilung, um ihnen mitzuteilen, dass der erste Teil des Auftrags lieferbereit ist, alles, was ich tue, ist wie üblich, wie immer, ist logisch, ich 272
habe keinen Grund zur Beunruhigung, und ich werde vorsichtig fahren, es ist wenig Verkehr, die Überfälle auf der Straße haben aufgehört, zumindest hat man nichts mehr davon gehört, daher kann mir nichts passieren, was nicht Teil der ewigen Routine wäre, dieselben Schritte, dieselben Worte, dieselben Gesten, der Warenannahmeschalter, der lächelnde Unterabteilungsleiter, oder der andere, der unhöfliche, oder auch der Chef, wenn er nicht in einer Besprechung ist und gerade in der Laune, mich zu empfangen, dann die Tür des Lieferwagens, die aufgeht, Marçal, der einsteigt, Guten Tag, Vater, Guten Tag, Marçal, wie ist es dir diese Woche bei der Arbeit ergangen, ich weiß nicht, ob man zehn Tage eine Woche nennen kann, aber mir fällt nichts Besseres ein, Wie üblich, wird er sagen, Wir haben die erste Serie der Figuren fertig, ich habe bereits mit der Einkaufsabteilung den Liefertermin vereinbart, werde ich sagen, Wie geht es Marta, wird er fragen, Sie ist müde, aber es geht ihr gut, werde ich antworten, und diese Worte sagen wir auch immer wieder, und es würde mich keineswegs wundern, wenn wir selbst beim Übergang von dieser Welt in die andere noch die Kraft aufbrächten, jemandem, der auf die idiotische Idee kam, uns zu fragen, wie es uns geht, zu antworten, Ich sterbe, aber es geht mir gut, genau das werden wir sagen. Um die unheilvollen Gedanken loszuwerden, die nicht aufhören wollten, ihn zu quälen, versuchte Cipriano Algor, sich auf die Landschaft zu konzentrieren, er tat es aus purer Verzweiflung, wusste er doch ganz genau, dass das deprimierende, sich ins Endlose erstreckende Spektakel der Plastikgewächshäuser ihm nichts Beruhigendes bieten konnte, auf der einen Seite genauso wie auf der anderen, bis zum Horizont, wie man von dem Bergrücken aus, den der Lieferwagen gerade erklamm, noch besser erkennen konnte. Und das nennen sie Grüngürtel, dachte er, dieses Elend, dieses gruselige Feldlager, diese Herde von schmutzigen Eisblöcken, in denen man verschmachtet, wenn 273
man darin arbeitet, für viele sind diese Gewächshäuser Maschinen, Maschinen, die Gemüse herstellen, und es gibt wirklich keinen Unterschied, es ist wie bei einem Rezept, man vermengt die entsprechenden Zutaten, reguliert den Thermostat und das Hygrometer, drückt auf einen Knopf, und kurz darauf kommt ein Salatkopf heraus. Natürlich muss Cipriano Algor trotz seines Missfallens zugeben, dass man dank dieser Gewächshäuser nun das ganze Jahr über Gemüse auf dem Teller hat, doch er erträgt es einfach nicht, dass ein Landstrich Grüngürtel getauft wurde, bei dem genau diese Farbe überhaupt nicht vorkommt, außer bei den paar Kräutern, die man neben den Gewächshäusern wachsen lässt. Wärst du denn glücklicher, wenn es grünes Plastik wäre, überfiel ihn plötzlich einer jener Gedanken, die sich an der unteren Schwelle des Gehirns abmühen, jene aufmüpfigen Geister, die sich nie zufrieden geben mit dem, was die Gedanken an der oberen Schwelle denken oder beschließen, doch Cipriano Algor zog es vor, auf diese absolut richtige Frage nicht zu antworten, er tat so, als hätte er sie nicht gehört, vielleicht, weil die richtigen Fragen immer irgendwie unverschämt klingen, allein dadurch, dass sie gestellt werden, so sehr man sie auch schönzufärben versucht. Der Industriegürtel, der immer mehr einer in stetiger Ausdehnung begriffenen Röhrenkonstruktion glich, einem Gebilde aus Schläuchen, von einem Tobsüchtigen entworfen und einem Wahnsinnigen gebaut, verbesserte seine Stimmung auch nicht, obgleich es zugegebenermaßen das kleinere Übel war und sein angstvolles, unbestimmtes Vorgefühl jetzt nur noch leise vor sich hin knurrte. Er bemerkte, dass die sichtbare Grenzlinie der Barackensiedlung nun wieder viel dichter an der Straße verlief, wie ein Ameisenhaufen, der nach dem Regen wieder an die Ameisenstraße zurückkehrte, mit einem Schulterzucken dachte er, dass die Überfälle auf die Laster nun auch bald wieder begännen, und dann tauchte er ein in den chaotischen Stadtverkehr, während er sich verzweifelt 274
bemühte, den Schatten, der sich neben ihn gesetzt hatte, zu vertreiben. Es war noch zu früh, um Marçal abzuholen, er hatte also noch jede Menge Zeit, um zur Abteilung Einkauf zu gehen. Er fragte nicht mehr nach dem Chef, wusste er doch ganz genau, dass die Sache, wegen der er kam, nicht mehr war als ein Vorwand, um sich in Erinnerung zu rufen, eine flüchtige Nachricht, damit sie nicht vergaßen, dass es circa dreißig Kilometer vom Zentrum entfernt einen Ofen gab, der fleißig Ton brannte, und eine Frau, die diesen bemalte, und ihren Vater, der Figuren goss, und alle hatten sie ihre Augen auf das Zentrum gerichtet, und erzählen Sie mir bloß nicht, die Öfen hätten keine Augen, sie haben sehr wohl welche, wenn sie sie nicht hätten, dann wüssten sie nicht, was sie tun, ja, sie haben Augen, aber sie sehen nicht aus wie unsere. Es bediente ihn der Unterabteilungsleiter vom letzten Mal, der sympathische, lächelnde, Nun, was führt Sie heute hierher, fragte er, Die dreihundert Figuren sind fertig, ich wollte fragen, wann ich sie bringen soll, Wann es Ihnen passt, gleich morgen, Morgen weiß ich nicht, ob ich kann, mein Schwiegersohn wird zu Hause sein und seinen freien Tag genießen, und er nutzt ihn auch, um mir zu helfen, die anderen dreihundert in den Ofen zu bringen, Dann übermorgen, so bald Sie können, ich hatte da eine Idee, die ich schnellstmöglich umsetzen möchte, Geht es um meine Figuren, Ganz genau, erinnern Sie sich noch, dass ich Ihnen von einer Umfrage erzählt habe, Ja, ich erinnere mich, diese Umfrage über die Situation vor dem Kauf und über die Situation, die sich aus dem Gebrauch ergibt, Bravo, Sie haben ein gutes Gedächtnis, Für mein Alter ist es nicht schlecht, Also, diese Idee, die im Übrigen in anderen Fällen mit bemerkenswertem Erfolg umgesetzt wurde, besteht darin, dass man an eine bestimmte Anzahl von potenziellen Käufern, die aus einem sozialen und kulturellen Milieu stammen, das noch zu definieren ist, eine bestimmte Menge von Figuren verteilt und dann die Meinung, die sie über diesen Artikel 275
haben, erforscht, das ist jetzt etwas vereinfacht erklärt, das Schema unserer Fragen ist komplexer, wie Sie sich bestimmt vorstellen können, Ich habe keine Erfahrung damit, Herr Unterabteilungsleiter, habe selbst nie befragt, und mich hat auch nie jemand befragt, Ich denke sogar daran, Ihre ersten dreihundert Figuren für die Umfrage zu verwenden, ich wähle fünfzig Kunden aus, stelle jedem gratis eine komplette Sammlung von sechs Figuren zur Verfügung, und in wenigen Tagen werde ich die Meinung wissen, die sie sich über das Produkt gebildet haben, Gratis, fragte Cipriano Algor, wollen Sie damit sagen, dass Sie mir sie nicht bezahlen werden, Keineswegs, mein lieber Herr, das Experiment geht auf unsere Rechnung, wir werden also die Kosten übernehmen, schließlich wollen wir Sie nicht schädigen. Die Erleichterung, die Cipriano Algor verspürte, ließ ihn für einen Augenblick die Beunruhigung vergessen, die plötzlich seine Gedanken erfasst hatte, nämlich, Was passiert, wenn das Ergebnis dieser Umfrage ungünstig für mich ausfällt, wenn die Mehrzahl oder alle der befragten Kunden die Fragen auf eine einzige, definitive Weise beantworten, Das Produkt ist uninteressant. Er hörte sich selbst sagen, Danke, nicht nur aus Wohlerzogenheit, sondern auch, das musste er der Gerechtigkeit halber sagen, weil nicht jeden Tag jemand auftaucht, der uns mit der wohlwollenden Information beruhigt, dass er uns nicht schädigen will. Die Unruhe drückte wieder auf seinen Magen, doch nun war er es, der seine Frage nicht aus dem Mund herauslassen wollte, er würde von dort weggehen, als trage er in seiner Hosentasche eine versiegelte Order, die auf offener See zu öffnen und in der sein Schicksal festgelegt war, heute, morgen, übermorgen. Der Unterabteilungsleiter hatte gefragt, Was führt Sie heute hierher, dann hatte er gesagt, Gleich morgen, und zum Schluss, Dann also übermorgen, es stimmt, genau so sind die Worte, sie kommen und gehen, und sie kommen, und sie gehen, und sie 276
gehen, und sie kommen, aber wieso haben diese hier auf mich gewartet, warum sind sie mit mir von zu Hause weggefahren und haben mich den ganzen Weg über nicht losgelassen, nicht morgen, nicht übermorgen, sondern heute, genau jetzt. Plötzlich verabscheute Cipriano Algor den Menschen, der vor ihm stand, diesen sympathischen, herzlichen, fast liebevollen Unterabteilungsleiter, mit dem er sich beim letzten Mal quasi von Gleich zu Gleich hatte unterhalten können, abgesehen natürlich von den unverkennbaren Unterschieden in Alter und sozialer Stellung, die jedoch, wie es damals schien, einer auf gegenseitigem Respekt basierenden Beziehung keineswegs im Wege standen. Wenn sie dir ein Messer in den Bauch jagen, dann sollen sie zumindest so viel Anstand haben, ein Gesicht zu machen, das zu dieser mörderischen Aktion passt, ein Gesicht, das Hass und Wildheit verrät, ein Gesicht wahnsinniger Wut oder unmenschlicher Kälte, aber sie sollen dich um Gottes willen nicht anlächeln, während sie dir die Eingeweide zerfetzen, dich nicht auf diese grausame Art erniedrigen, dir keine falschen Hoffnungen machen, indem sie zum Beispiel sagen: Machen Sie sich keine Sorgen, das ist nicht tragisch, mit einem halben Dutzend Punkten stehen Sie wieder genauso gut da wie vorher, oder aber, Ich hoffe von ganzem Herzen, dass das Ergebnis der Umfrage günstig für Sie ausfällt, es gibt kaum etwas, was mich mehr freuen würde, glauben Sie mir. Cipriano Algor nickte vage mit dem Kopf, es war eine Geste, die ebenso gut ja wie nein bedeuten konnte, die vielleicht auch gar keine Bedeutung hatte, dann sagte er, Ich muss meinen Schwiegersohn abholen. Er verließ das Untergeschoss, fuhr um das Zentrum herum und parkte den Lieferwagen in Sichtweite des Eingangs für das Sicherheitspersonal. Marçal brauchte länger als gewöhnlich, und er wirkte nervös, als er einstieg, Guten Tag, Vater, sagte er, und Cipriano Algor sagte, Guten Tag, wie ist es dir diese 277
Woche bei der Arbeit ergangen, Wie üblich, antwortete Marçal, und Cipriano Algor sagte, Wir haben die erste Serie der Figuren fertig, ich habe bereits mit der Einkaufsabteilung den Liefertermin vereinbart, Wie geht es Marta, Sie ist müde, aber es geht ihr gut. Sie sprachen nicht mehr, bis sie aus der Stadt draußen waren. Und da erst, bereits auf Höhe der Baracken, sagte Marçal, Vater, sie haben mir soeben mitgeteilt, dass ich befördert worden bin, ich bin ab heute Wachmann mit Dienstwohnung im Zentrum. Cipriano Algor wandte sein Gesicht dem Schwiegersohn zu und betrachtete ihn, als sähe er ihn zum ersten Mal, heute, nicht übermorgen, und auch nicht morgen, heute, die Vorahnung hatte sich bestätigt. Heute was, fragte er sich, die Bedrohung, die sich in den Fragen der Untersuchung versteckt hält oder diese, die endlich wahr macht, was so lange versprochen war. Das hat es schon gegeben, zwar weniger im realen Leben als in den Büchern, in denen Geschichten erzählt werden, dass eine plötzliche Überraschung der überraschten Person für ein paar Sekunden die Stimme verschlagen kann, doch eine halbe Überraschung, die sich stets bedeckt gehalten hatte, vielleicht, um etwas vorzutäuschen, vielleicht, weil sie wollte, dass man sie als ganze Überraschung erlebte, sollte eigentlich nicht gelten. Vorsicht, nur eigentlich. Wir wissen schließlich schon lange, dass dieser Mann, der den Lieferwagen fährt, keinen Zweifel darüber hegte, dass die befürchtete Nachricht eines Tages eintreffen würde, doch es ist auch verständlich, dass er heute, wo man ihn zwischen zwei Feuer gestellt hat, plötzlich nicht mehr die Kraft hat zu entscheiden, welches er zuerst löschen soll. Wir wollen an dieser Stelle gleich verraten, wohl wissend, dass wir der regulären Ordnung schaden, der sich die Ereignisse zu unterwerfen haben, dass Cipriano Algor in den nächsten Tagen weder seinem Schwiegersohn noch seiner Tochter auch nur ein einziges Wort über das beunruhigende Gespräch mit dem Unterabteilungsleiter der Einkaufsabteilung 278
mitteilen wird. Er wird über die Angelegenheit sprechen, ja, später, wenn alles verloren ist. Jetzt sagt er lediglich zu seinem Schwiegersohn, Herzlichen Glückwunsch, ich kann mir denken, dass dich das sehr freut, banale und fast gleichgültige Worte, die zu äußern nicht so viel Zeit erfordert hätte, und Marçal wird sich nicht dafür bedanken, er wird auch nicht bestätigen, dass er sich freut, so wie der Schwiegervater annahm, vielleicht ein bisschen weniger oder ein bisschen mehr, was er sagt, ist so ernst wie eine dargereichte Hand, Für dich ist das keine gute Nachricht. Cipriano Algor verstand die Absicht, mit einem kleinen Lächeln, das sich über seine eigene Resignation lustig zu machen schien, sah er zur Seite und sagte, Nicht einmal die besten Nachrichten sind für alle Menschen gut, Du wirst sehen, es wird sich alles auf die beste Weise lösen, sagte Marçal, Mach dir keine Sorgen, es ist seit dem Tag, an dem ich euch gesagt habe, dass ich mit euch ins Zentrum ziehe, beschlossene Sache, ich habe euch mein Wort gegeben und nehme es nicht zurück, Im Zentrum zu leben ist keine Verbannung, Ich weiß nicht, wie es ist, im Zentrum zu leben, ich werde es erst wissen, wenn ich dort wohne, aber du, du weißt es schon, und aus deinem Mund hat man nie eine Erklärung gehört, keine Schilderung oder Beschreibung, die mich das hätte verstehen lassen, richtig verstehen, meine ich, was keine Verbannung ist, wie du so selbstsicher behauptest, Du warst doch schon im Zentrum, Vater, Ganz selten, und immer nur ganz kurz, als Käufer, der wusste, was er will, Ich glaube, die beste Erklärung für das Zentrum wäre, es als Stadt innerhalb einer anderen Stadt anzusehen, Ich weiß nicht, ob das die beste Erklärung ist, mir jedenfalls reicht sie nicht aus, um zu verstehen, was es im Zentrum gibt, Es gibt genau das Gleiche, was es in jeder beliebigen anderen Stadt gibt, Geschäfte, Menschen, die an einem vorbeigehen, die einkaufen, sich unterhalten, die essen, sich vergnügen, arbeiten, Willst du etwa sagen, genauso wie in dem rückständigen Nest, 279
im dem wir leben, Ungefähr so, im Grunde ist es nur eine Frage der Größe, Die Wahrheit kann nicht so einfach sein, Ich denke, dass es ein paar einfache Wahrheiten gibt, Das ist möglich, aber ich glaube nicht, dass wir sie im Zentrum finden. Es entstand eine Pause, dann sagte Cipriano Algor, Und wo wir schon über Größe reden, es ist merkwürdig, jedes Mal, wenn ich das Zentrum von außen betrachte, habe ich den Eindruck, dass es größer ist als die Stadt selbst, ich meine, das Zentrum liegt in der Stadt, aber es ist größer als die Stadt, es ist ein Teil, und doch ist es größer als das Ganze, wahrscheinlich kommt das daher, dass es höher ist als die Gebäude darum herum, höher als jedes Gebäude in der Stadt, wahrscheinlich auch, weil es von Anfang an Straßen geschluckt hat, Plätze, ganze Stadtviertel. Marçal antwortete nicht sofort, der Schwiegervater hatte gerade auf fast plastische Art das diffuse Gefühl von Verlorenheit ausgedrückt, das ihn jedes Mal überfiel, wenn er nach seinem freien Tag ins Zentrum zurückkehrte, vor allem während seiner nächtlichen Runden bei reduzierter Beleuchtung, wenn er durch die verlassenen Galerien strich, mit den Aufzügen hinauf- und hinunterfuhr, als bewache er das Nichts, damit es weiterhin nichts bliebe. Wenn wir in einer großen, leeren Kathedrale die Augen zu dem Deckengewölbe erheben, zu den Gemälden über uns, dann haben wir den Eindruck, dass die Kathedrale höher ist als der Himmel, den wir auf freiem Feld sehen. Nach einem Schweigen sagte Marçal, Ich glaube, ich verstehe, was du meinst, und mehr sagte er nicht dazu, denn er wollte nicht im Kopf seines Schwiegervaters eine Gedankenkette auslösen, die diesen dazu bringen könnte, sich hinter einer neuen verzweifelten Widerstandsfront zu verstecken. Doch die Sorgen Cipriano Algors waren in eine andere Richtung gegangen, Wann wollt ihr umziehen, So bald wie möglich, ich habe bereits die Wohnung gesehen, die mir zugeteilt wurde, sie ist kleiner als unser Haus, aber das ist klar, das Zentrum ist zwar sehr groß, 280
dennoch ist der Platz nicht unbegrenzt, er muss eingeteilt werden, Meinst du, wir passen alle hinein, fragte der Töpfer und wünschte sich, sein Schwiegersohn würde den melancholisch-ironischen Unterton nicht bemerken, der sich im letzten Augenblick unter seine Worte gemischt hatte, Wir passen schon rein, keine Sorge, für eine Familie wie die unsere ist die Wohnung vollkommen ausreichend, antwortete Marçal, wir müssen nicht in Schichten schlafen. Cipriano Algor dachte, Jetzt habe ich ihn verärgert, es wäre besser gewesen, die Frage nicht zu stellen. Sie sprachen nicht mehr, bis sie nach Hause kamen. Marta nahm die Nachricht ohne jegliche Gefühlsregung entgegen. Weiß man von einer Sache, dass sie passieren wird, dann ist es fast so, als sei sie schon passiert, die Erwartungen machen nicht nur die Überraschung zunichte, sie stumpfen auch die Gefühle ab, lassen sie banal werden, alles, was man erhofft oder befürchtet hat, ist bereits durchlebt worden, als man es erhoffte oder befürchtete. Während des Abendessens teilte Marçal ihnen schließlich etwas sehr Wichtiges mit, das er vorher vergessen hatte, und das missfiel Marta ganz eindeutig, Willst du damit sagen, dass wir unsere Sachen nicht mitnehmen können, Ein paar ja, die zum Ausschmücken der Wohnung zum Beispiel, aber keine Möbel, und auch kein Geschirr, keine Gläser, kein Besteck, keine Handtücher, keine Vorhänge, kein Bettzeug, in der Wohnung ist alles vorhanden, was man braucht, Dann wird es also gar keinen richtigen Umzug geben, ich meine, das, was wir unter einem Umzug verstehen, sagte Cipriano Algor, Die Menschen ziehen um, das ist der Umzug, Dann werden wir dieses Haus mit allem, was es enthält, zurücklassen, sagte Marta, Du siehst doch, dass uns nichts anderes übrig bleibt. Marta dachte ein wenig nach, dann musste sie sich notgedrungen in das Unvermeidbare fügen, Ich werde ab und zu mal hierher kommen, um zu lüften, ein verschlossenes Haus ist wie eine Pflanze, die man vergessen hat zu gießen, es stirbt, vertrocknet, verkümmert. Als sie fertig 281
gegessen hatten und Marta gerade aufstehen wollte, um die Teller wegzuräumen, sagte Cipriano Algor, Ich habe mir gerade was überlegt. Tochter und Schwiegersohn blickten sich an, als wollten sie sich gegenseitig warnen, Man kann nie wissen, was dabei herauskommt, wenn er sich etwas überlegt. Meine erste Idee, fuhr der Töpfer fort, war die, dass Marçal mir morgen bei der Arbeit mit dem Ofen hilft, Ich möchte dich an unsere Vereinbarung erinnern, dass wir drei Tage ausruhen wollten, sagte Marta, Deine freien Tage beginnen bereits morgen, Und deine, Meine beginnen auch bald, sie müssen nur noch ein bisschen warten, Gut, das war die erste Idee, und die zweite, wie ist die, oder die dritte, fragte Marta, Wir räumen morgen früh gleich die Figuren zum Brennen in den Ofen ein, aber wir heizen ihn noch nicht an, das werde ich dann später machen, und anschließend helft ihr mir, die fertigen Figuren in den Lieferwagen zu laden, und während ich sie zum Zentrum bringe und wieder zurückfahre, habt ihr hier eure Ruhe, ohne einen Vater und Schwiegervater, der sich in Dinge einmischt, die ihn nichts angehen, War das so abgemacht mit der Einkaufsabteilung, dass du die Figuren morgen ablieferst, fragte Marçal, irgendwie hatte ich das anders verstanden, ich dachte, wir würden sie mitnehmen, wenn wir alle drei fahren, So ist es besser, antwortete Cipnano Algor, dadurch gewinnen wir Zeit, Einerseits gewinnen wir Zeit, andererseits verlieren wir sie, die anderen Figuren werden später fertig, Sie werden nicht viel später fertig, ich heize den Ofen an, sobald ich aus dem Zentrum zurück bin, wer weiß, ob es nicht das letzte Mal ist, Wie kommst du denn darauf, wir müssen doch noch sechshundert Figuren machen, sagte Marta, Da bin ich mir nicht so sicher, Warum, Erstens wegen des Umzugs, das Zentrum wartet bestimmt nicht darauf, dass der Schwiegervater des Wachmanns mit Dienstwohnung Marçal Gacho seinen Auftrag zu Ende bringt, obwohl ich ihn mit etwas Zeit, mal angenommen, ich hätte sie, bestimmt auch alleine fertig 282
kriegen würde, und zweitens, Zweitens was, fragte Marçal, Im Leben gibt es immer etwas, das hinter dem, was als Erstes auftaucht, nachkommt, manchmal meinen wir zu wissen, was es ist, würden es aber gerne ignorieren, dann wiederum können wir uns überhaupt nicht vorstellen, was es ist, wissen jedoch, dass es da ist, Hör bitte auf, wie ein Orakel zu reden, sagte Marta, Na schön, dann schweigt eben das Orakel, bleiben wir also bei dem, was zuerst kam, was ich sagen wollte, ist, dass uns, falls der Umzug schnell gemacht werden muss, keine Zeit bleiben wird, das Problem mit den sechshundert noch fehlenden Figuren zu lösen, Man müsste eben mit dem Zentrum reden, sagte Marta, sich an ihren Mann wendend, drei oder vier Wochen mehr dürften doch keinen Unterschied machen, rede mit ihnen, wenn sie so lange gebraucht haben, um über deine Beförderung zu entscheiden, dann können sie uns jetzt doch hier entgegenkommen, im Übrigen wäre es in ihrem eigenen Interesse, weil sie so den kompletten Auftrag erhielten, Ich werde nicht mit ihnen reden, das hat keinen Zweck, sagte Marçal, wir haben genau zehn Tage Zeit für den Umzug und keine Stunde mehr, das ist Vorschrift, meinen nächsten freien Tag werde ich bereits in der Wohnung verbringen müssen, Du könntest ihn auch hier verbringen, sagte Cipriano Algor, in deinem Landhaus, Das würde einen schlechten Eindruck machen, zum Wachmann mit Dienstwohnung befördert zu werden und gleich am ersten freien Tag das Zentrum zu verlassen, Zehn Tage sind wenig Zeit, sagte Marta, Es wäre vielleicht wenig Zeit, wenn wir die Möbel und den ganzen Rest mitnehmen müssten, aber das Einzige, was wirklich umzieht, sind unsere Körper und die Kleidung, die wir am Leib tragen, und die wären in einer knappen Stunde in der Wohnung, wenn es sein müsste, Wenn das so ist, was machen wir dann mit dem restlichen Auftrag, fragte Marta, Das Zentrum weiß es, Das Zentrum wird Bescheid geben, wenn es meint, dass es an der Zeit ist, sagte 283
der Töpfer. Mit Hilfe ihres Mannes räumte Marta den Tisch ab, dann ging sie zur Tür, um die Tischdecke auszuschütteln, sie sah eine Zeit lang hinaus, und als sie zurückkehrte, sagte sie, Es gibt da noch eine andere Sache zu regeln, die nicht auf den letzten Augenblick verschoben werden darf, Was ist das für eine Sache, fragte Marçal, Der Hund, antwortete sie, Achado, berichtigte Cipriano Algor, und Marta fuhr fort, Da wir keine Menschen sind, die ihn töten oder aussetzen würden, müssen wir eine Bleibe für ihn finden, ihn jemandem anvertrauen, Im Zentrum akzeptieren sie keine Hunde, erklärte Marçal, an den Schwiegervater gerichtet, Nicht mal eine Familienschildkröte, nicht mal einen Kanarienvogel, nicht wenigstens eine zahme Turteltaube, wollte Cipriano Algor wissen, Man könnte meinen, das Schicksal des Hundes interessiert dich plötzlich nicht mehr, sagte Marta, Das Schicksal von Achado, Des Hundes, von Achado, das ist doch gleichgültig, es geht jetzt darum, dass wir beschließen, was wir mit ihm machen, ich für meinen Teil habe bereits einen Vorschlag, Und ich eine Absicht, sagte Cipriano Algor kurz angebunden, stand auf und ging ins Schlafzimmer. Nach ein paar Minuten kam er wieder heraus, durchquerte wortlos die Küche und ging hinaus. Er rief den Hund, Komm, wir gehen spazieren, sagte er. Er stieg mit ihm den Weg hinab, und als er an die Straße kam, bog er nach links, nicht ins Dorf, sondern in die entgegengesetzte Richtung, ab und begab sich aufs freie Feld. Achado wich seinem Herrn nicht von den Fersen, wahrscheinlich erinnerte er sich an die Zeiten des unglückseligen Herumstreunens, als man ihn aus den Gärten verjagt hatte und ihm nicht einmal den Durst auf Wasser zugestehen wollte. Obgleich er keineswegs ängstlich war, obgleich ihn die nächtlichen Schatten nicht erschreckten, hätte er jetzt lieber in seiner Hundehütte gelegen, oder, besser noch, eingerollt in der Küche, zu Füßen von einem von ihnen, er sagt nicht aus Gleichgültigkeit einem von ihnen, als sei es ihm völlig egal, sondern weil er die anderen beiden genauso 284
bewachen würde, so weit seine Augen und sein Geruchssinn ihm dies ermöglichten, und weil er, wann immer er Lust hätte, seinen Platz wechseln könnte, ohne dass die Harmonie und das Glück des Augenblicks unter der Veränderung litten. Der Spaziergang dauerte nicht sehr lange. Der Stein, auf den Cipriano Algor sich gerade gesetzt hat, wird die Meditationsbank ersetzen, nur deswegen ist er von zu Hause weggegangen, hätte er auf der echten Bank Zuflucht gesucht, dann hätte die Tochter ihn von der Küchentür aus gesehen und wäre früher oder später gekommen, um ihn zu fragen, ob mit ihm alles in Ordnung sei, diese Fürsorglichkeit ist natürlich lobenswert, doch die menschliche Natur ist so seltsam beschaffen, dass sogar die aufrichtigste und spontanste Anteilnahme unter bestimmten Umständen ungelegen kommen kann. Über das, was Cipriano Algor dachte, lohnt es sich nicht zu sprechen, weil er dasselbe schon bei anderer Gelegenheit gedacht hat und darüber bereits mehr als genug berichtet wurde. Wenn hier etwas Neues passierte, dann war es das, dass er einige schmerzliche Tränen sein Gesicht hinabfließen ließ, die sich seit langer Zeit dort angestaut hatten und immer kurz vor dem Ausbruch standen, sollten sie oder sollten sie nicht, schließlich waren sie für diese traurige Stunde bestimmt, für diese mondlose Nacht, für diese Einsamkeit, die nicht weichen wollte. Keinerlei Neuigkeit war auch, weil es sich bereits das eine oder andere Mal in den Fabeln und Wundern der Hundewelt ereignete, dass Achado an Cipriano Algor herantrat und ihm die Tränen ableckte, eine Geste höchsten Mitgefühls, die uns dennoch, mag sie auch noch so anrührend erscheinen und selbst jene Herzen beeindrucken, die für Sensibilitätsbezeugungen weniger empfänglich sind, die nüchterne Wahrheit nicht vergessen lassen sollte, dass der ausgeprägte Salzgeschmack der Tränen von der Allgemeinheit der Hunde in höchstem Grade geschätzt wird. Das eine schließt jedoch das andere nicht aus, würden wir Achado fragen, ob es 285
wegen des Salzes war, dass er Cipriano Algor das Gesicht leckte, dann würde er uns wahrscheinlich antworten, dass wir das tägliche Brot, das wir verspeisen, nicht verdienten, dass wir unfähig seien, über unseren eigenen Tellerrand zu blicken. An diesem Ort verweilten sie gut zwei Stunden lang, der Hund und sein Herr, jeder in seine eigenen Gedanken vertieft, bereits ohne Tränen, die der eine weinte und der andere trocknete, wer weiß, vielleicht hofften sie, dass die Bewegung der Erde alles wieder ins rechte Lot bringen würde, selbst das, was bisher noch nie im Lot war.
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AM NÄCHSTEN Morgen brachte Cipriano Algor, wie beschlossen, die fertigen Figuren zum Zentrum. Die anderen waren bereits im Ofen und warteten darauf, ebenfalls gebrannt zu werden. Cipriano Algor war früh aufgestanden, die Tochter und der Schwiegersohn schliefen noch, und als Marçal und Marta sich schließlich verschlafen an der Küchentür zeigten, war die Hälfte der Arbeit bereits getan. Sie frühstückten zusammen und wechselten die in einer solchen Situation üblichen Worte, magst du noch Kaffee, reich mir doch das Brot, gibt es noch Marmelade, danach half Marçal dem Schwiegervater, den Rest der Arbeit zu erledigen, und widmete sich anschließend der heiklen Aufgabe, die dreihundert fertigen Figuren in die Kisten zu packen, die früher für den Transport des Geschirrs verwendet worden waren. Marta sagte dem Vater, dass sie Marçal zu ihren Schwiegereltern begleiten würde, sie müssten über den bevorstehenden Umzug informiert werden, mal sehen, wie sie die Nachricht aufnehmen, aber sie würden nicht zum Essen bleiben, Wahrscheinlich sind wir schon wieder hier, wenn du vom Zentrum zurückkommst, schloss sie. Cipriano Algor sagte, er würde Achado mitnehmen, und Marta fragte ihn, ob er an jemanden aus der Stadt gedacht hätte, als er gestern Abend meinte, er hätte auch eine Idee, wie man das Problem mit dem Hund lösen könnte, und er verneinte, doch das wäre durchaus zu überlegen, auf diese Weise bliebe Achado in ihrer Nähe und sie könnten ihn sehen, wann immer sie wollten. Marta meinte, ihres Wissens hätte der Vater keine engeren Freunde in der Stadt, Menschen, die so viel Vertrauen verdienten, sie benutzte bewusst das Wort verdienen, dass man ihnen ein Tier anvertrauen könnte, das in ihrem Haus wie ein Mensch geliebt wurde. Cipriano Algor antwortete, er könne sich auch nicht entsinnen, je behauptet zu haben, er hätte engere Freunde in der Stadt, und wenn er den 287
Hund mitnähme, dann nur deswegen, um sich von Gedanken abzulenken, die er nicht haben wollte. Marta sagte, wenn er solche Gedanken hätte, dann solle er diese doch mit der Tochter, die vor ihm stünde, teilen, worauf Cipriano Algor antwortete, es sei vergeudete Zeit, ihr seine Gedanken mitzuteilen, sie kenne diese genauso gut, wenn nicht gar besser als er, natürlich nicht Wort für Wort, wie eine Tonbandaufnahme, aber doch in ihrem wesentlichen Kern, und da sagte sie, ihrer bescheidenen Meinung nach sei es in Wirklichkeit genau das Gegenteil, dass sie von dem wesentlichen Kern gar nichts wisse und dass viele Worte aus seinem Munde nicht mehr seien als ein Vorhang aus Rauch, was wiederum keineswegs verwunderlich sei, denn oftmals seien die Worte einfach nur das, aber es gäbe noch etwas Schlimmeres, wenn sie nämlich ganz verstummten und zu einer Mauer undurchdringlichen Schweigens würden, angesichts der man nicht wüsste, was man tun sollte, Gestern Nacht habe ich hier auf dich gewartet, nach einer Stunde ist Marçal ins Bett gegangen, und ich habe gewartet und gewartet, während mein Herr Vater da draußen, wer weiß wo, mit dem Hund herumspazierte, Da hinten, auf den Feldern, Natürlich, auf den Feldern, es gibt ja wirklich nichts Angenehmeres, als nachts über die Felder zu streifen, wenn man nicht sieht, wo man seinen Fuß hinsetzt, Du hättest schlafen gehen sollen, Das habe ich schließlich auch getan, klar, sonst wäre ich zur Statue erstarrt, Dann ist doch alles in Ordnung, und wir brauchen nicht mehr darüber zu reden, Nichts ist in Ordnung, nein, Warum, Weil du mir das genommen hast, was ich mir in dem Augenblick am sehnlichsten gewünscht habe, Vater, Und was war das, Dich zurückkommen zu sehen, nur das, dich zurückkommen zu sehen, Eines Tages wirst du verstehen, Ich hoffe sehr, aber bitte nicht mit Worten, ich habe die Wörter so satt. Martas Augen glänzten voller Tränen, Nimm es nicht ernst, sagte sie, offensichtlich können wir schwachen Frauen 288
uns nicht anders verhalten, wenn wir schwanger sind, wir erleben alles auf übersteigerte Art. Marçal rief von der Tenne her, dass alles eingeladen sei, dass der Vater fahren könne, wenn er wolle. Cipriano Algor ging hinaus, stieg in den Lieferwagen und rief Achado. Der Hund, dem gar nicht in den Sinn gekommen war, dass ihm dieses Glück zuteil werden könnte, war wie der Blitz im Wagen und neben seinem Herrn, und dort blieb er sitzen, lächelnd, mit offenem Mund und heraushängender Zunge, glücklich über die Reise, die er vor sich hatte, darin, wie auch in vielen anderen Dingen, gleichen die Menschen den Hunden, sie setzen alle ihre Hoffnungen auf das, was als Nächstes kommt, und dann warten sie einfach ab. Als der Lieferwagen hinter den ersten Häusern der Siedlung verschwunden war, fragte Marçal, Hast du dich mit ihm gestritten, Es ist immer dasselbe Problem, wenn wir nicht reden, sind wir unglücklich, und wenn wir reden, gibt es Missverständnisse, Wir müssen Geduld haben, man braucht keinen übermäßig geschulten Blick, um zu erkennen, dass dein Vater sich fühlt, als befände er sich auf einer Insel, die mit jedem Tag kleiner wird, Stück für Stück, jetzt bringt er gerade die Figuren ins Zentrum, dann kommt er wieder und macht den Ofen an, aber er macht all diese Dinge so, als zweifle er den Sinn an, den sie einst hatten, als wünsche er sich, dass sich vor ihm ein unüberwindbares Hindernis auftut und er endlich sagen kann, es ist Schluss, Ich glaube, du hast Recht, Ich weiß nicht, ob ich Recht habe, ich versuche nur, mich in seine Lage zu versetzen, in einer Woche wird all das, was wir hier sehen, einen großen Teil der Bedeutung, die es hatte, verlieren, das Haus wird zwar weiterhin uns gehören, aber wir werden nicht darin leben, der Ofen wird seinen Namen nicht mehr verdienen, wenn es niemanden mehr gibt, der ihn jeden Tag so nennt, der schwarze Maulbeerbaum wird weiterhin seine Maulbeeren hervorbringen, doch es wird niemanden geben, der sie pflückt, und wenn es selbst mir, der ich nicht in diesem 289
Haus geboren und aufgewachsen bin, schwer fällt, mich von allem hier zu trennen, was soll denn da dein Vater sagen, Wir werden oft hierher kommen, Ja, in unser Landhaus, wie er es ironisch genannt hat, Gibt es denn eine andere Lösung, fragte Marta, gibst du deinen Wachmannsjob auf und arbeitest mit uns hier in der Töpferei, stellst Geschirr her, das keiner haben will, oder Figuren, die auch nicht lang Gefallen finden werden, So wie die Dinge stehen, gibt es für mich auch nur eine Lösung, nämlich die, Wachmann mit Dienstwohnung im Zentrum zu sein, Du hast doch das, was du haben wolltest, Als ich dachte, dass es das wäre, was ich haben wollte, Und jetzt, In letzter Zeit habe ich von deinem Vater etwas gelernt, das ich vorher noch nicht gekannt habe, vielleicht ist es dir ja nicht aufgefallen, aber es ist meine Pflicht, dich darauf hinzuweisen, dass der Mann, mit dem du verheiratet bist, viel älter ist, als er aussieht, Das ist nichts Neues für mich, schließlich habe ich das Privileg genossen, diesem Alterungsprozess beizuwohnen, sagte Marta lächelnd. Doch dann wurde ihr Gesicht ernst, Es ist wahr, unser Herz krampft sich zusammen, wenn wir daran denken, dass wir dies alles verlassen müssen, sagte sie. Sie saßen zusammen unter dem schwarzen Maulbeerbaum auf einem der Trockenbretter und blickten auf das Haus und die Töpferei, die sich daran anschloss, drehten sie den Kopf ein wenig zur Seite, würden sie durch das Laub hindurch die geöffnete Tür des Ofens sehen, es ist ein schöner Morgen, sonnig, aber kühl, vielleicht gibt es einen Wetterumschwung. Sie fühlten sich gut, trotz der Traurigkeit, fühlten sich fast glücklich, auf diese melancholische Art, die das Glück nicht selten wählt, um sich zu manifestieren, doch plötzlich sprang Marçal von dem Trockenbrett auf und rief, Meine Eltern, jetzt hätte ich doch fast meine Eltern vergessen, wir müssen mit meinen Eltern reden, ich wette zwei zu eins, dass sie wieder damit anfangen, dass sie und nicht dein Vater im Zentrum leben sollten, Wenn ich dabei bin, reden sie bestimmt nicht 290
darüber, das gebietet der Anstand, der gute Ton, Ich hoffe es, ich hoffe, du behältst Recht. Sie behielt nicht Recht. Als Cipriano Algor auf dem Rückweg vom Zentrum das Dorf in Richtung seines Hauses durchquerte, sah er die Tochter und den Schwiegersohn vor sich auf der Straße. Er hatte den Arm um ihre Schultern gelegt und schien sie zu trösten. Cipriano Algor hielt an, Steigt ein, sagte er und verwies Achado nicht auf den Rücksitz, da er wusste, dass sie zusammenbleiben wollten. Marta versuchte, ihre Tränen zu trocknen, während Marçal ihr sagte, Ärgere dich nicht, du weißt doch, wie sie sind, wenn ich das geahnt hätte, hätte ich dich nicht mitgenommen, Was ist denn passiert, fragte Cipriano Algor, Dasselbe wie beim letzten Mal, dass sie im Zentrum wohnen wollen, dass sie es eher verdient haben als andere Leute, dass sie endlich das Leben genießen wollen, es war ihnen völlig egal, dass Marta dabei war, es war wirklich eine erbärmliche Szene, ich muss mich für meine Eltern entschuldigen. Cipriano Algor wiederholte nicht, dass er bereit sei zu tauschen, wollte er doch nicht an alte Wunden rühren, sondern fragte nur, Und wie ging der Streit aus, Ich habe ihnen gesagt, dass die Wohnung, die mir zugeteilt wurde, eigentlich nur für eine Familie mit einem Kind gedacht ist und dass höchstens noch ein weiteres Familienmitglied zugelassen werden kann, sofern man es in dem kleinen Raum unterbringt, das eigentlich als Abstellkammer gedacht ist, aber zwei Personen niemals, die würden gar nicht dort reinpassen, Und dann, Dann wollten sie wissen, was passiert, wenn wir weitere Kinder bekommen, und ich habe ihnen wahrheitsgemäß geantwortet, dass das Zentrum uns dann in eine andere Wohnung umsetzen würde, woraufhin sie gefragt haben, warum es das denn nicht jetzt schon machen kann, wenn die Eltern des Wachmanns mit Dienstwohnung auch mit einziehen möchten, Und was hast du gesagt, Ich habe ihnen gesagt, dass der Antrag nicht rechtzeitig gestellt wurde, dass es Regeln gibt, 291
Fristen, Vorschriften, die eingehalten werden müssen, aber dass man vielleicht später noch einmal darüber nachdenken könnte, Konntest du sie überzeugen, Ich glaube nicht, Dennoch hat die Aussicht, später einmal ins Zentrum zu ziehen, ihre Laune leicht gebessert, Bis zur nächsten Gelegenheit, Ja, das zeigt sich auch daran, dass sie mir immer wieder gesagt haben, die Schuld daran, dass die Sache nicht rechtzeitig in Angriff genommen wurde, läge nicht bei ihnen, Deine Eltern sind gar nicht dumm, Vor allem meine Mutter nicht, im Grunde geht dieser Kampf viel mehr von ihr aus als von ihm, sie war immer schon eine harte Nuss. Marta hatte aufgehört zu weinen, Und du, wie fühlst du dich, die Frage kam von Cipriano Algor, Erniedrigt und beschämt, zuerst war es die Erniedrigung, einem solchen Streit, der mich direkt betraf, bei dem ich mich aber nicht einmischen durfte, beiwohnen zu müssen, und jetzt fühle ich mich beschämt, Erklär mal, Ob ihr es wahrhaben wollt oder nicht, sie haben das gleiche Recht wie wir, wir sind diejenigen, die die Sache so hinbiegen, dass sie nicht ins Zentrum ziehen können, Nicht wir, ich, unterbrach sie Marçal, ich bin es, der nicht mit meinen Eltern zusammenleben will, du und dein Vater, ihr habt nichts damit zu tun, Aber wir sind Mittäter bei einer Ungerechtigkeit, Ich weiß, dass meine Haltung bei oberflächlicher Betrachtung Anlass zu Kritik bietet, aber ich habe mich aus freien Stücken und ganz bewusst dafür entschieden, um schlimmeres Übel zu vermeiden, wenn ich selbst schon nicht mit meinen Eltern zusammenleben möchte, dann werde ich doch noch viel weniger wollen, dass meine Frau und mein Kind unter ihnen leiden müssen, die Liebe vereint, aber nicht alle, und es kann sogar vorkommen, dass die gleichen Gründe, die die einen vereinen, die anderen entzweien, Und woher nimmst du die Gewissheit, dass sie uns vereinen werden, fragte Cipriano Algor, Es gibt nur einen Grund, weshalb ich froh bin, nicht dein Sohn zu sein, antwortete Marçal, Lass mich raten, Es ist nicht schwer, Weil 292
du sonst nicht mit Marta verheiratet wärst, Richtig, du hast es erraten. Sie lachten beide, Und Marta sagte, ich hoffe, mein Kind hat bereits die weise Entscheidung getroffen, als Mädchen zur Welt zu kommen, Warum, fragte Marçal, Weil die arme Mutter nicht die Kraft hätte, allein und schutzlos die intellektuelle Übermacht von Vater und Großvater zu ertragen. Sie lachten wieder, zum Glück kamen nicht gerade die Eltern von Marçal vorbei, sie hätten sonst gedacht, die Algors machten sich über sie lustig, brachten ihren Sohn so weit, dass er sogar über die lachte, die ihm das Leben geschenkt hatten. Die letzten Häuser des Dorfes lagen bereits hinter ihnen. Achado bellte vor Freude, als er oben auf dem Hügel das Dach der Töpferei auftauchen sah, den schwarzen Maulbeerbaum, eine Seitenwand des Ofens. Kluge Menschen sagen, das Reisen sei ganz wichtig für die Geistesbildung, doch muss man keine große Leuchte sein, um zu verstehen, dass der Geist, so reiselustig er auch sein mag, gelegentlich nach Hause zurückkehren muss, weil er sich nur dort ein halbwegs zutreffendes Bild von sich selbst machen kann. Marta sagte, jetzt reden wir hier über familiäre Unverträglichkeiten, Beschämungen, Eitelkeiten und die ewig gleichen, schäbigen Ambitionen und haben keinen Gedanken für dieses arme Tier hier übrig, das sich gar nicht vorstellen kann, dass es in zehn Tagen schon nicht mehr bei uns ist. Ich denke daran, sagt Marçal. Cipriano Algor sagte nichts. Er nahm die rechte Hand vom Steuer und streichelte dem Hund über den Kopf, wie er es bei einem Kind tun würde. Als der Lieferwagen neben dem Holzschuppen anhielt, stieg Marta als Erste aus, Ich mache das Mittagessen, sagte sie. Achado wartete nicht darauf, dass man ihm die Tür auf seiner Seite öffnete, sondern zwängte sich zwischen den beiden Vordersitzen hindurch, sprang auf Marçals Beine und schoss wie der Blitz in Richtung Ofen davon, da seine Blase plötzlich nach dringender Entleerung verlangte. Marçal sagte, Jetzt, wo wir allein sind, sag mir doch, 293
wie die Auslieferung der Ware gelaufen ist, Ohne Besonderheiten, alles wie üblich, ich habe die Papiere abgegeben, die Kisten abgeladen, dann wurde gezählt, der Angestellte, der mich bedient hat, hat jede einzelne Figur untersucht und nichts beanstandet, keine war zerbrochen, die Farben hatten keinen einzigen Kratzer, du hast ausgezeichnete Arbeit geleistet, als du sie eingepackt hast, Und sonst, Warum fragst du, Seit gestern habe ich den Eindruck, dass du mit etwas hinter dem Berg hältst, Vater, Ich habe dir erzählt, wie es gewesen ist, und habe nichts verschwiegen, Ich meinte gerade nicht die Warenablieferung, ich habe dieses Gefühl, seit du mich im Zentrum abgeholt hast, Was meinst du denn, Ich weiß nicht, ich warte darauf, dass du mir zum Beispiel die rätselhaften Untertöne der Unterhaltung von gestern Abend erklärst. Cipriano Algor blieb stumm, trommelte mit den Fingern auf dem Lenkrad herum, als wollte er, je nachdem, ob das letzte Trommeln eine gerade oder ungerade Zahl wäre, entscheiden, welche Antwort er geben würde. Schließlich sagte er, Komm mit. Er stieg aus und ging, gefolgt von Marçal, zum Ofen. Seine Hand lag bereits auf einem der Riegel, als er einen Augenblick innehielt und sagte, Du wirst Marta kein Sterbenswörtchen von dem erzählen, was du hören wirst, Ich verspreche es dir, Nicht ein Wort, Ich hab es doch schon versprochen. Cipriano Algor öffnete die Tür des Ofens. Das grelle Tageslicht brachte urplötzlich die aufgereihten Figuren zum Vorschein, die vorher blind gewesen waren wegen der Dunkelheit und nun blind waren wegen des Lichts. Es ist gut möglich und sogar sehr wahrscheinlich, dass diese dreihundert Figuren hier gar nicht mehr rauskommen, Aber warum das denn, fragte Marçal, Die Einkaufsabteilung hat beschlossen, eine Umfrage zu machen, um das Kundeninteresse zu erforschen, die Figuren, die ich ihnen heute gebracht habe, sollen dafür verwendet werden, Eine Umfrage wegen ein paar Tonfiguren, fragte Marçal, So wurde es mir von einem der 294
Unterabteilungsleiter erklärt, Von dem, der dich nicht leiden kann, Nein, von einem anderen, der sympathisch aussieht, immer lächelt, einer, der mit uns redet, als wollte er uns in sein Herz schließen. Marçal dachte eine Weile nach und sagte dann, Im Grunde genommen macht es keinen Unterschied, es kann uns egal sein, in zehn Tagen wohnen wir sowieso im Zentrum, Glaubst du wirklich, dass es keinen Unterschied macht, dass es uns egal sein kann, fragte der Schwiegervater, Ja, denn sieh mal, wenn das Ergebnis der Umfrage positiv ist, dann haben wir immer noch Zeit, diese Figuren fertig zu machen und abzuliefern, während der Rest des Auftrags logischerweise automatisch storniert wird, und zwar aufgrund der unleugbaren Tatsache, dass die Töpferei die Produktion eingestellt hat, Und wenn das Ergebnis negativ ausfällt, Nun, dann möchte man beinahe sagen Besser so, denn das erspart dir und Marta die Arbeit des Brennens und des Bemalens. Cipriano Algor schloss langsam die Tür des Ofens und sagte, Du vergisst einige, wenn auch sicherlich unwesentliche Gesichtspunkte, Welche, Du vergisst, dass es wie eine Ohrfeige ist, wenn du zusehen musst, wie sie die Frucht deiner Arbeit ablehnen, du vergisst, dass wir, wenn diese unheilvollen Ereignisse nicht zufällig mit dem Umzug ins Zentrum zusammengefallen wären, heute in genau derselben Situation wären wie an dem Tag, als sie uns unser Geschirr nicht mehr abnehmen wollten, aber dann sogar noch ohne die verrückte Hoffnung, dass uns ein paar lächerliche Tonfiguren das Leben retten könnten, Wir müssen mit dem leben, was ist, und nicht mit dem, was wäre oder hätte sein können, Eine bewundernswerte und friedliche Philosophie hast du da, Entschuldige, aber zu mehr reicht es bei mir nicht, Bei mir reicht es auch nicht zu allzu viel, aber ich bin mit einem Kopf zur Welt gekommen, der an der unheilbaren Krankheit leidet, sich genau über das, was wäre oder hätte sein können, Sorgen zu machen, Und was hast du mit dieser Sorge gewonnen, fragte Marçal, Nichts, du hast Recht, wir müssen 295
mit dem leben, was ist, wie du mir sehr deutlich gemacht hast, und nicht mit den Phantasien über das, was hätte sein können, wenn. Achado, der sich inzwischen von seinem physischen Druck befreit hatte und auch seine Beine durch wildes Herumtoben wieder gelenkig gemacht hatte, kam schwanzwedelnd angelaufen, was üblicherweise ein Ausdruck von Zufriedenheit und Zuneigung ist, doch diesmal wies es, angesichts der sich nähernden Mittagszeit, auch auf ein anderes dringendes Bedürfnis seines Körpers hin. Cipriano Algor streichelte ihn und zog ihn vorsichtig am Ohr, Wir müssen warten, bis Marta uns ruft, mein Junge, es macht keinen guten Eindruck, wenn der Haushund vor den Hausherren isst, die Hierarchie muss gewahrt werden, sagte er. Dann, an Marçal gerichtet, als sei ihm die Idee gerade erst gekommen, Ich werde den Ofen heute anheizen, Du hast doch gesagt, dass du ihn morgen anheizt, wenn du aus dem Zentrum wiederkommst, Ich habe noch einmal darüber nachgedacht, auf die Art bin ich beschäftigt, während ihr euch ausruht, oder ihr nehmt den Lieferwagen und macht einen kleinen Ausflug, wenn euch das lieber ist, wahrscheinlich habt ihr nach dem Umzug nicht gleich Lust, die neue Wohnung zu verlassen, und noch viel weniger werdet ihr in diese Gegend kommen wollen, Ob und wann wir hierher kommen oder nicht, das werden wir dann sehen, aber jetzt möchte ich gerne von dir wissen, ob du wirklich glaubst, dass ich es fertig bringen würde, einen Ausflug mit Marta zu machen, während du hier alleine das Holz in den Ofen wirfst, Ich schaffe das auch ohne Hilfe, Natürlich, aber ich möchte, wenn du nichts dagegen hast, gern dabei sein, wenn der Ofen zum letzten Mal angeheizt wird, falls es wirklich das letzte Mal ist, Wenn du das wirklich willst, fangen wir nach dem Mittagessen an, Einverstanden, Und vergiss bitte nicht, kein Wort über die Sache mit der Umfrage, Sei unbesorgt. Gefolgt von dem Hund gingen sie in Richtung Haus, und als sie nur noch ein paar Meter davon entfernt 296
waren, erschien Marta in der Küchentür, Ich wollte euch gerade rufen, sagte sie, das Mittagessen ist fertig, Ich werde zuerst dem Hund etwas zu essen geben, die Fahrt muss ihn hungrig gemacht haben, sagte der Vater, Sein Essen steht da, zeigte ihm Marta. Cipriano Algor nahm den Topf und sagte, Komm mit, Achado, du hast großes Glück, dass du kein Mensch bist, sonst wärst du längst misstrauisch geworden wegen der vielen Zuwendung und Aufmerksamkeit, die dir in letzter Zeit zuteil wird. Achados Napf stand wie immer neben der Hundehütte, und dorthin begab sich Cipriano Algor. Er schüttete den Inhalt des Topfes hinein und blieb noch einen Moment stehen, um dem Hund beim Fressen zuzusehen. In der Küche sagte Marçal, Wir werden nach dem Mittagessen den Ofen anheizen, Heute, wunderte sich Marta, Dein Vater möchte die Arbeit nicht auf morgen verschieben, Es wäre doch nicht so eilig, wir wollten eigentlich drei Tage Pause machen, Er wird schon seine Gründe haben, Und wie üblich kennt diese Gründe nur er selbst. Marçal zog es vor, nicht zu antworten, der Mund ist ein Organ, dem man um so mehr vertraut, je stiller es sich verhält. Kurz darauf betrat Cipriano Algor die Küche. Das Essen stand bereits auf dem Tisch, Marta tat auf. Gleich wird der Vater sagen, Wir heizen heute den Ofen an, und Marta wird antworten, Ich weiß, Marçal hat es mir gesagt. Mit dem einen oder anderen Wort wurde hier bereits erwähnt, dass alle vergangenen Tage einmal Vortage waren und alle zukünftigen Tage dies einmal sein werden. Wieder Vortag zu sein, wenigstens für eine Stunde, ist der unerfüllbare Wunsch eines jeden Gestern, das vergangen ist, und eines jeden Heute, das gerade vergeht. Kein einziger Tag kann so lange, wie er will, Vortag sein. Gestern erst stopften Cipriano Algor und Marçal Gacho Brennholz in die Öffnung des Ofens, wäre dort jemand vorbeigekommen, der nicht mit den aktuellen Ereignissen vertraut ist, so hätte dieser Mensch, in der Überzeugung, damit richtig zu liegen, sich bestimmt gedacht, 297
Da sind sie schon wieder, sie tun ihr Leben lang nichts anderes, und nun sehen wir sie hier im Lieferwagen sitzen, der immer noch an der Seite die Aufschrift Töpferei Algor trägt, auf dem Weg in die Stadt und zum Zentrum, und mit dabei ist Marta, die neben dem Fahrer sitzt, der diesmal ihr Mann ist. Cipriano Algor befindet sich hinten auf der Rückbank, alleine, Achado ist nicht mitgekommen, er bewacht das Haus. Es ist morgens, jedoch noch sehr früh, die Sonne ist noch nicht aufgegangen, gleich wird der Grüngürtel auftauchen, danach der Industriegürtel, dann die Barackensiedlung, dann das Niemandsland, dann die im Bau befindlichen Gebäude am Stadtrand, schließlich die Stadt, die große Allee, endlich das Zentrum. Jeder Weg, den man nimmt, führt zum Zentrum. Keiner der Mitfahrenden wird während der Fahrt den Mund aufmachen. Diese Menschen, die sonst so gesprächig sind, scheinen sich nun nichts zu sagen zu haben. Doch kann man auch verstehen, dass es sich nicht lohnt zu reden, Zeit und Spucke zu vergeuden, indem man Sätze, Wörter und Silben artikuliert, wenn das, was der eine denkt, auch von den anderen gedacht wird. Würde zum Beispiel Marçal sagen, Lasst uns die Wohnung anschauen, in der wir bald wohnen werden, dann wird Marta sagen, Was für ein seltsamer Zufall, ich habe gerade das Gleiche gedacht, und obwohl Cipriano Algor es abstreiten wird, Ich nicht, ich habe mir gerade gedacht, dass ich nicht mitgehen werde, dass ich lieber hier draußen auf euch warte, so dürfen wir dies dennoch, so entschieden sein Ton in unseren Ohren auch klingen mag, nicht weiter ernst nehmen, Cipriano Algor ist vierundsechzig Jahre alt, die kindliche Trotzphase ist längst vorbei, und er hat noch einige Jahre vor sich, bis die Alterstrotzphase einsetzt. In Wirklichkeit denkt Cipriano Algor, dass ihm nichts anderes übrig bleiben wird, als die Tochter und den Schwiegersohn zu begleiten, das bestmögliche Gesicht zu den Kommentaren der beiden zu machen, seine Meinung abzugeben, wenn er gefragt wird, nun, 298
den bitteren Kelch bis auf den Grund auszutrinken, wie es in den alten Romanen und Dramen immer hieß. Dank der frühen Stunde fand Marçal einen Parkplatz, der nur zweihundert Meter vom Zentrum entfernt war, das wird anders werden, wenn sie erst dort wohnen, die Wachleute mit Dienstwohnung haben nämlich Anspruch auf sechs Quadratmeter Garage im Zentrum. Wir sind da, sagte Marçal unnötigerweise, als er die Handbremse anzog. Das Zentrum war von hier aus noch nicht zu sehen, doch als sie um die Ecke bogen, tauchte es sogleich vor ihnen auf. Wie es der Zufall wollte, war es genau die Seite, der Teil, die Hälfte, das Ende, der Ort, der bewohnt war. Der Anblick war für keinen der drei neu, doch es macht einen großen Unterschied, ob man einfach nur schaut, um zu schauen, oder ob man schaut, während einem jemand sagt, Zwei von diesen Fenstern gehören uns, Nur zwei, fragte Marta, Wir können uns nicht beschweren, es gibt Wohnungen, die haben nur eins, sagte Marçal, ganz zu schweigen von denen, die Fenster nach drinnen haben, Wie nach drinnen, Zum Innenraum des Zentrums natürlich, Willst du etwa sagen, dass es Wohnungen gibt, deren Fenster auf den Innenraum des Zentrums gehen, Ich kann dir sagen, dass viele Leute das vorziehen, sie meinen, der Ausblick sei dort unendlich viel schöner, abwechslungsreicher und interessanter, während es auf der anderen Seite immer dieselben Dächer und derselbe Himmel sind, Trotzdem werden die, die in diesen Wohnungen leben, auch nur das Stockwerk des Zentrums sehen können, das auf Höhe ihrer Wohnung liegt, bemerkte Cipriano Algor, jedoch nicht aus echtem Interesse, sondern nur, um nicht den Anschein zu erwecken, er hätte sich demonstrativ aus der Unterhaltung zurückgezogen, Die Verkaufsetagen haben eine ganz beträchtliche Höhe, sie sind geräumig und weitläufig, ich habe immer wieder gehört, dass die Leute sich nicht satt sehen können an dem Spektakel, vor allem die älteren, Diese Fenster sind mir nie aufgefallen, sagte Marta schnell, um den 299
vorhersehbaren Kommentar des Vaters über die Vergnügungen, die alten Menschen eher zustehen, abzuwenden, Sie verbergen sich in der Fassade, sagte Marçal. Sie gingen an der Fassade entlang, an der sich der Eingang für das Sicherheitspersonal befand, Cipriano Algor folgte ihnen widerstrebend mit zwei Schritten Abstand, als würde er von einem unsichtbaren Faden zurückgehalten. Ich bin nervös, sagte Marta leise, damit der Vater es nicht hörte, Du wirst sehen, wenn wir erst mal hier wohnen, wird alles einfacher, wir müssen uns nur eingewöhnen, antwortete Marçal, ebenfalls mit leiser Stimme. Ein wenig später fragte Marta, bereits in normaler Lautstärke, Im wievielten Stock liegt die Wohnung, Im vierunddreißigsten, So hoch, Es gibt immer noch vierzehn Stockwerke über uns, Ein Vogel in einem Käfig, der am Fenster hängt, muss sich wie in Freiheit fühlen. Diese Fenster kann man nicht öffnen, Warum, Wegen der Klimaanlage. Ja, natürlich. Sie waren bei der Tür angelangt. Marçal trat als Erster ein, grüßte die beiden Dienst habenden Wachleute, sagte im Vorbeigehen, Meine Frau, mein Schwiegervater und hielt den Windschutz auf, durch den man in den Innenraum gelangte. Sie betraten einen Aufzug, Wir müssen noch den Schlüssel holen, sagte Marçal. Im zweiten Stock stiegen sie aus, gingen durch einen langen, schmalen Flur mit grau gestrichenen Wänden und ein paar Türen an beiden Seiten. Marçal öffnete eine davon. Das hier ist meine Abteilung, sagte er. Er begrüßte die Dienst habenden Kollegen, stellte erneut vor, Meine Frau, mein Schwiegervater, dann fügte er hinzu, wir wollen uns die Wohnung ansehen. Er ging zu einem Schrank, auf dem sein Name stand, machte ihn auf, nahm einen Schlüsselbund heraus und sagte zu Marta, Das sind sie. Dann stiegen sie in einen anderen Aufzug. Es gibt zwei Geschwindigkeiten, erklärte Marçal, wir beginnen mit der langsamen. Er drückte den entsprechenden Knopf, dann den mit der Nummer zwanzig, Wir fahren erst einmal bis zum 300
zwanzigsten Stock, damit ihr Zeit habt, alles zu begutachten, sagte er. Die auf das Innere des Zentrums gerichtete Seite des Aufzugs war ganz aus Glas. Der Aufzug durchquerte langsam die verschiedenen Ebenen, präsentierte nach und nach die einzelnen Stockwerke, Galerien, Geschäfte, prunkvolle Treppen, Rolltreppen, Treffpunkte, Cafés, Restaurants, Terrassen mit Tischen und Stühlen, Kinos und Theater, Diskotheken, einige riesige Monitore, die unterschiedlichsten Dekorationen, Videospiele, Ballons, Springbrunnen und andere Wasserspiele, Plattformen, Hängegärten, Plakate, Wimpel, Werbeflächen, Schaufensterfiguren, Umkleidekabinen, die Fassade einer Kirche, ein Zugang zum Strand, ein BingoCenter, ein Spielcasino, einen Tennisplatz, ein Sportstudio, eine Achterbahn, einen Zoo, eine elektrische Autorennbahn, einen magischen Kreis, einen Wasserfall, alles wartete, alles schwieg, und weitere Geschäfte, und weitere Galerien, und weitere Schaufensterfiguren und weitere Hängegärten, und Dinge, unter denen man sich nichts vorstellen kann, wie einen Aufstieg in den Himmel. Und wozu ist diese Geschwindigkeit gut, um die Aussicht bestaunen zu können, fragte Cipriano Algor, Mit dieser Geschwindigkeit werden die Aufzüge als zusätzliches Überwachungsmittel eingesetzt, sagte Marçal, Reichen dafür die Wachleute nicht aus, die Detektoren, die Videokameras und all der andere Überwachungskram, fragte Cipriano Algor wieder, Hier gehen täglich Zehntausende von Menschen ein und aus, die Sicherheit muss gewährleistet sein, antwortete Marçal mit angespannter Miene und einem genervten Vorwurf in der Stimme, Vater, sagte Marta, hör bitte auf zu sticheln, Mach dir keine Sorgen, sagte Marçal, wir verstehen uns immer, selbst wenn es nicht so aussieht. Der Fahrstuhl stieg langsam nach oben. Die Beleuchtung der einzelnen Stockwerke war immer noch auf das Minimum reduziert, es waren kaum Menschen zu sehen, nur der eine oder andere Angestellte, der gezwungenermaßen oder aus freien 301
Stücken so früh aufgestanden war, es dauert noch eine gute Stunde, bis die Türen für das Publikum geöffnet werden. Die Bewohner, die im Zentrum arbeiten, brauchen sich nicht zu beeilen, die anderen, die auswärts arbeiten, kommen nicht durch die Verkaufs- und Vergnügungsflächen, sondern fahren direkt von ihren Wohnungen aus in die Tiefgarage hinunter. Marçal drückte auf den schnellen Knopf, und in wenigen Sekunden waren sie im vierunddreißigsten Stockwerk angelangt. Während sie durch den Flur gingen, der zum Wohnbereich führte, erklärte Marçal, dass es Aufzüge gäbe, die nur die Bewohner benutzen durften, und wenn sie heute diesen genommen hätten, dann nur deswegen, weil sie noch den Schlüssel hatten abholen müssen. Von heute an können wir die Schlüssel behalten, es sind unsere, sagte er. Entgegen den Erwartungen Martas und des Vaters gab es nicht nur einen Flur, der den Apartmentblock mit Blick nach draußen von dem mit Blick nach drinnen trennte. Nein, es gab zwei Flure und dazwischen lag ein weiterer Block mit Apartments, der jedoch doppelt so breit war wie die beiden anderen, und das bedeutet, wenn man es ausführlich erklären will, dass der bewohnte Teil des Zentrums aus vier vertikalen, parallelen Blöcken besteht, die wie die Elemente einer Batterie oder die Waben eines Bienenstocks angeordnet sind, die inneren Rücken an Rücken, die äußeren durch das System der Flure mit den mittleren verbunden. Marta sagte, Diese Menschen sehen kein Tageslicht, wenn sie zu Hause sind, Die in den Wohnungen mit Blick auf das Innere des Zentrums auch nicht, antwortete Marçal, Aber sie können sich, wie du meintest, ja immer noch an dem Ausblick und dem Trubel erfreuen, während die hier praktisch eingeschlossen sind, es ist bestimmt nicht leicht, in diesen Wohnungen zu leben, ohne Sonnenlicht, nur mit Luft aus der Konserve, den ganzen Tag über, Trotzdem gibt es Leute, die diese vorziehen, sie finden sie viel komfortabler, viel besser ausgestattet, sie verfügen zum Beispiel alle über 302
Sonnenbänke, Luftverbesserer und so differenzierte Temperatur- und Feuchtigkeitsregler, dass man in der Wohnung Tag und Nacht und zu jeder Jahreszeit eine konstante Luftfeuchtigkeit und Temperatur haben kann, Zum Glück ist uns keine solche Wohnung zugefallen, ich weiß nicht, ob ich dort lange leben könnte, sagte Marta, Die Wachleute mit Dienstwohnung müssen sich mit einer gewöhnlichen Wohnung zufrieden geben, mit einer mit Fenstern, Ich hätte mir nie träumen lassen, dass Schwiegervater eines Wachmanns mit Dienstwohnung zu sein für mich das größte Glück und Privileg bedeuten könnte, das das Leben mir zu bieten hat, sagte Cipriano Algor. Die einzelnen Wohnungen waren wie Hotelzimmer gekennzeichnet, mit dem einzigen Unterschied, dass zwischen der Zahl des Stockwerks und der Zimmernummer ein Bindestrich eingefügt war. Marçal steckte den Schlüssel ins Schloss, öffnete die Tür und trat beiseite, Tretet ein, das ist unser neues Zuhause, sagte er mit lauter Stimme, einen Enthusiasmus vortäuschend, den er nicht empfand. Sie freuten sich nicht und waren nicht einmal gespannt auf das Neue. Marta blieb auf der Schwelle stehen, dann tat sie drei unsichere Schritte vor und blickte sich um. Marçal und der Vater blieben hinter ihr zurück. Sie zögerte ein paar Augenblicke, als wüsste sie nicht, wie sie sich verhalten sollte, und ging schließlich alleine zur nächsten Tür, sah in das Zimmer hinein und ging weiter. Das war ihr erstes Kennenlernen der Wohnung, ein schnelles Abschreiten zwischen Schlafzimmer und Küche, Küche und Badezimmer, zwischen dem Wohnzimmer, das auch Esszimmer war, und der kleinen Kammer, die für ihren Vater bestimmt war, Es gibt keinen Platz für das Kind, dachte sie, und dann, Solange es klein ist, wird es bei uns schlafen, später wird man sehen, wahrscheinlich werden sie uns eine andere Wohnung zuteilen. Sie ging zurück zum Eingang, wo Marçal und Cipriano Algor auf sie warteten. Hattest du sie dir schon angesehen, fragte sie 303
ihren Mann, Ja, Wie hat sie dir gefallen, Mir gefiel sie gut, du hast bestimmt gemerkt, dass die Möbel neu sind, alles ist neu, wie ich dir gesagt habe, Und du, Vater, was meinst du, Ich kann keine Meinung äußern über etwas, das ich nicht gesehen habe, Dann komm, ich werde dich herumführen. Es war ihr anzumerken, dass sie angespannt war, nervös, so weit entfernt von ihrer normalen Verfassung, dass sie die Namen der einzelnen Zimmer aussprach, als wollte sie sie anpreisen, Hier ist das Schlafzimmer, hier ist die Küche, hier ist das Badezimmer, hier ist das Wohnzimmer, das auch als Esszimmer dienen wird, hier ist das komfortable und geräumige Zimmer, in dem mein geliebter Vater schlafen und seine verdiente Ruhe genießen wird, wo das Mädchen hin soll, wenn es einmal groß ist, sehe ich nicht, aber für die erste Zeit wird sich wohl eine Lösung finden. Gefällt dir die Wohnung nicht, fragte Marçal, Es ist die Wohnung, die wir haben werden, es bringt nichts, darüber zu diskutieren, ob sie einem gut gefällt, weniger gut oder gar nicht, als zupfte man die Blätter eines Gänseblümchens ab. Marçal wandte sich Hilfe suchend an den Schwiegervater, er sagte nichts, richtete nur seine Augen auf ihn, Man muss zugeben, dass die Wohnung keinen schlechten Eindruck macht, sagte Cipriano Algor, sie ist wie neu, die Möbel sind aus gutem Holz, natürlich sind sie anders als unsere, heute hat man das eher so, in helleren Tönen, sie sind nicht wie die, die wir zu Hause haben, die aussehen, als wären sie im Ofen gewesen, und was den Rest betrifft, daran werden wir uns schon gewöhnen, man gewöhnt sich an alles. Marta zog die Augenbrauen hoch, als sie der Rede des Vaters zuhörte, eine Art Lächeln umspielte ihre Lippen, und dann machte sie sich zu einem weiteren Rundgang durch die Wohnung auf, wobei sie diesmal Schubladen und Schränke öffnete und wieder schloss, um zu begutachten, was sie beinhalteten. Marçal bedankte sich mit einer Geste bei seinem Schwiegervater, dann blickte er auf die Uhr und sagte, So 304
langsam muss ich meinen Dienst antreten. Marta sagte von drinnen, Ich brauche nicht mehr lang, ich komme gleich, das sind die Vorteile der kleinen Wohnungen, man stößt klammheimlich einen Seufzer aus, den man in sich trug, und gleich darauf verkündet jemand am anderen Ende der Wohnung, Du hast geseufzt, gib es zu. Und da gibt es immer noch Leute, die sich über das Wachpersonal beschweren, die Videokameras, die Detektoren und all den Kram. Die Wohnungsbesichtigung war abgeschlossen, und den Gesichtern nach zu urteilen, die sie beim Hineingehen und beim Hinausgehen machten, ohne dass wir hier auf Herzensgeheimnisse eingehen wollen, schien es sich gelohnt zu haben. Sie fuhren direkt vom vierunddreißigsten Stock ins Erdgeschoss hinunter, weil Marçal sie zum Ausgang begleiten musste, da Marta und der Vater noch nicht über Dokumente verfügten, die sie als Bewohner auswiesen. Kaum hatten sich die Türen des Aufzugs geschlossen und sie die ersten Schritte getan, da sagte Cipriano Algor, Was für ein merkwürdiges Gefühl, es ist, als würde der Boden unter meinen Füßen beben. Er blieb stehen, lauschte angestrengt und fügte hinzu, Ich meine, so etwas wie das Geräusch von Baggern zu hören, Das sind auch Bagger, sagte Marçal und beschleunigte seinen Schritt, sie arbeiten im Sechs-Stunden-Takt, unaufhörlich, und befinden sich einige Meter unter der Erde, Bauarbeiten, fragte Cipriano Algor, Ja, es heißt, es würden neue Kühllager gebaut und bestimmt noch irgendwas anderes, vielleicht weitere Parkplätze, hier hören die Bauarbeiten nie auf, das Zentrum wächst täglich, selbst wenn man es nicht bemerkt, wenn es nicht zur Seite wächst, dann nach oben, wenn nicht nach oben, dann nach unten, Ich kann mir vorstellen, dass man das Baggergeräusch gar nicht mehr wahrnimmt, wenn hier Betrieb ist, sagte Marta, Mit der Musik, der Produktwerbung aus den Lautsprechern, dem Stimmengewirr der Leute, die sich unterhalten, den Rolltreppen, die ständig rauf- und 305
runterfahren, ist es so, als wäre es gar nicht da. Sie waren an der Tür angelangt. Marçal sagte, er würde anrufen, sobald es Neuigkeiten gäbe, und sie sollten in der Zwischenzeit das Nötige für den Umzug bereitstellen und nur das auswählen, was wirklich unerlässlich wäre, Jetzt, wo ihr den Raum gesehen habt, über den wir verfügen, dürfte euch klar geworden sein, dass wir nicht viel Platz haben. Sie standen auf dem Bürgersteig und wollten sich gerade verabschieden, doch da sagte Marta noch, Eigentlich ist es so, als würden wir gar nicht umziehen, das Haus mit der Töpferei gehört weiterhin uns, was wir von dort mitnehmen können, ist so gut wie nichts, irgendwie ist es so, als würden wir ein Kleidungsstück ausziehen, um ein anderes anzuziehen, wie bei einem Maskenball, Ja, bemerkte der Vater, nach außen hin ist das so, aber im Gegensatz zu dem, was stets angenommen und gedankenlos behauptet wird, macht eine Kutte doch einen Mönch, der Mensch besteht auch aus der Kleidung, die er trägt, das merkt man vielleicht nicht sofort, aber man muss der Zeit einfach nur Zeit geben. Tschau, tschau, sagte Marçal, während er sich von seiner Frau mit einem Kuss verabschiedete, ihr könnt noch die ganze Fahrt über philosophieren, nutzt es aus. Marta und der Vater gingen in die Richtung, in der sie den Lieferwagen geparkt hatten. An der Fassade des Zentrums, über ihren Köpfen, verkündete ein neues, gigantisches Plakat, WIR WÜRDEN IHNEN ALLES VERKAUFEN, WAS SIE BRAUCHEN, WENN ES UNS NICHT LIEBER WÄRE, SIE WÜRDEN ALLES BRAUCHEN, WAS WIR IHNEN VERKAUFEN KÖNNEN.
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WÄHREND DER Rückfahrt nach Hause oder zum Haus mit der Töpferei, wie Marta es zur Unterscheidung von dem neuen Zuhause genannt hatte, sprachen Vater und Tochter trotz Marçals halb spöttischer, halb liebevoller Bemerkung wenig, sehr wenig, dennoch wird selbst die einfachste Analyse der vielfältigen, aus der Situation resultierenden Wahrscheinlichkeiten ergeben, dass sie viel gedacht haben. Mittels gewagter Vermutungen oder abenteuerlicher Schlüsse oder gar voreiligen Gedankenlesens vorwegzunehmen, was sie dachten, wäre im Prinzip keine unmögliche Aufgabe, bedenkt man, mit welcher Voreiligkeit und Unverfrorenheit doch in Erzählungen dieser Art Herzensgeheimnisse missachtet werden, es wäre also nicht unmöglich, sagten wir, doch da diese Gedanken sich früher oder später in Handlungen niederschlagen werden, oder in Worten, die zu Handlungen führen, erschien es uns vorteilhafter, voranzuschreiten und gelassen abzuwarten, bis die Handlungen und Worte die Gedanken zum Ausdruck bringen. Auf den ersten mussten wir nicht lange warten. Vater und Tochter hatten schweigend zu Mittag gegessen, was darauf hindeutet, dass sich neue Gedanken zu denen der Rückfahrt gesellten, und plötzlich beschloss sie, das Schweigen zu brechen, Deine Idee, drei Tage auszuruhen, war ausgezeichnet und zum damaligen Zeitpunkt nicht nur dankenswert, sondern auch absolut gerechtfertigt, aber Marçals Beförderung hat unsere Situation komplett verändert, vergiss nicht, dass wir nur noch eine Woche Zeit haben, um den Umzug vorzubereiten und die dreihundert bereits gebrannten Figuren, die im Ofen stehen, zu bemalen, zumindest die müssen wir liefern, Ich habe auch an die Figuren gedacht, aber ich bin zu einem anderen Schluss gekommen als du, Das verstehe ich nicht, Das Zentrum hat bereits eine Vorhut von dreihundert Figuren, das dürfte fürs Erste genügen, 307
Tonfigürchen sind keine Computerspiele und auch keine magnetischen Armbänder, die Leute werden sich nicht schreiend um sie reißen, ich will meinen Eskimo, ich will meinen bärtigen Assyrer, ich will meine Krankenschwester, Nun ja, ich denke, die Kunden des Zentrums werden sich nicht gerade prügeln wegen des Mandarins oder des Narren oder des Clowns, aber das heißt doch nicht, dass wir unsere Arbeit nicht zu Ende bringen müssen, Natürlich heißt es das nicht, aber ich glaube, wir sollten jetzt trotzdem nicht alles überstürzen, Ich erinnere dich noch einmal daran, dass wir für alles nur eine Woche Zeit haben, Das habe ich nicht vergessen, Aber, Aber wie du selbst beim Verlassen des Zentrums gesagt hast, im Grunde ist es gar kein richtiger Umzug, das Haus mit der Töpferei, so hast du es genannt, ist hier, und wenn das Haus hier ist, ist natürlich auch die Töpferei hier, Ich weiß, dass du ein großer Liebhaber von Rätseln bist, Vater, Ich bin kein Liebhaber von Rätseln, ich mag Klarheit, Das ist mir jetzt egal, du magst keine Rätsel, aber du sprichst in Rätseln, daher wäre ich dir sehr dankbar, wenn du mir erklären würdest, worauf du hinauswillst, Ich will genau dahin, wo wir uns gerade befinden, wo wir noch eine Woche verbringen werden und hoffentlich noch viele weitere, Bitte lass mich nicht die Geduld verlieren, Bitte sage ich, es ist so einfach wie zwei und zwei vier ist, In deinem Kopf waren zwei und zwei immer schon fünf, oder drei, oder irgendwas, alles andere, nur nicht vier, Das wirst du noch bereuen, Das bezweifle ich, Dann stell dir also vor, wir bemalen die Figuren nicht, ziehen ins Zentrum und lassen sie so, wie sie sind, im Ofen, Ich stelle es mir vor, Im Zentrum zu wohnen bedeutet keine Verbannung, wie Marçal gestern mit aller Deutlichkeit erklärt hat, die Menschen dort leben nicht in einem Gefängnis, sie haben die Freiheit wegzugehen, wann immer sie wollen, können den ganzen Tag in der Stadt verbringen oder auf dem Land und abends zurückkommen. Cipriano Algor machte eine Pause und sah die Tochter 308
neugierig an, wusste er doch, dass er gleich miterleben würde, wie ihr ein Licht aufging. So war es auch, Marta sagte lächelnd, Ich nehme alles zurück, manchmal sind zwei und zwei in deinem Kopf doch vier, Ich hab doch gesagt, es ist einfach, Wir werden die Arbeit zu Ende bringen, sobald dies erforderlich ist, und wir müssen auch nicht den Auftrag über die noch fehlenden sechshundert Figuren absagen, sondern einfach nur eine Lieferfrist mit dem Zentrum vereinbaren, die beiden Seiten gerecht wird, Genau. Die Tochter applaudierte dem Vater, der Vater bedankte sich für den Beifall. Und wir könnten sogar die Produktion aufrechterhalten, falls das Zentrum weiterhin an den Figuren interessiert ist, sagte Marta, plötzlich ganz euphorisch ob dieses Ozeans von Möglichkeiten, der sich ihr eröffnete, und müssten die Töpferei nicht schließen, Richtig, Und wer zu den Figuren ja sagt, wird auch irgendeiner anderen Idee zustimmen, die uns einfällt und die überzeugend ist, oder wir nehmen noch weitere Figuren zu den sechs, die wir jetzt haben, dazu. Genau das. Und während Vater und Tochter sich an den rosigen Zukunftsaussichten ergötzten, womit wieder einmal bewiesen wäre, dass der Teufel nicht immer hinter der Tür lauert, wollen wir die Pause nutzen, um den tatsächlichen Wert und die tatsächliche Bedeutung der Gedanken der beiden zu untersuchen, dieser Gedanken, die nach einem so langen Schweigen endlich ihren Ausdruck fanden. Wir wollen jedoch gleich vorwarnen, zu einer Schlussfolgerung, und sei es nur zu einer vorläufigen, wobei im Übrigen alle Schlussfolgerungen provisorisch sind, werden wir nur dann gelangen, wenn wir eine Prämisse zulassen, die mit Sicherheit die aufrichtigen, redlichen Seelen schockieren wird und dennoch nicht weniger wahr ist, nämlich die Prämisse, dass in vielen Fällen der ausgesprochene Gedanke von einem anderen Gedanken vorgeschoben, sozusagen an die Front geschleudert wird, dem es gerade nicht gelegen kommt, sich zu zeigen. Was Cipriano Algor betrifft, so wird man 309
unschwer begreifen, dass einige seiner ungewöhnlichen Handlungen auf die innere Unruhe wegen der bevorstehenden Umfrageergebnisse zurückzuführen sind, und dass er seine Tochter, als er ihr klar machte, dass sie, selbst wenn sie im Zentrum wohnten, weiterhin zum Arbeiten in die Töpferei kommen könnten, einfach nur davon abhalten wollte, die Figuren zu bemalen, damit nicht der Fall einträfe, dass morgen oder in ein paar Tagen die Order des lächelnden Unterabteilungsleiters oder seines höchsten Vorgesetzten erginge, den Auftrag zu annullieren und sie die leidvolle Erfahrung machte, ihre Arbeit nicht vollenden, oder aber, sollte sie bereits fertig sein, nicht verwerten zu können. Verwunderlicher wäre jedoch Martas Verhalten, diese unbändige und irgendwie unpassende Begeisterung angesichts der fragwürdigen Aussicht, die Töpferei zu erhalten, stellten wir nicht eine Beziehung her zwischen diesem Verhalten und dem Gedanken, der es ausgelöst hat, dem Gedanken, der sie, seit sie die Wohnung im Zentrum betreten hatte, hartnäckig verfolgte und bei dem sie sich geschworen hatte, ihn niemandem zu verraten, nicht einmal ihrem Vater, obwohl er ihr so nahe stand, und nicht einmal ihrem eigenen Mann, man stelle sich das vor, obwohl sie ihn doch so lieb hatte. Was Marta durch den Kopf ging und sich schließlich dort festsetzte, als sie die Schwelle zu ihrem neuen Heim überschritt, dieser Wohnung hoch oben im vierunddreißigsten Stock, mit hellen Möbeln und zwei Schwindel erregenden Fenstern, an die sie sich gar nicht heranzutreten gewagt hatte, war, dass sie es nicht aushalten würde, dort den Rest ihres Lebens zu wohnen, ohne weitere Gewissheit als die, die Frau des Wachmanns mit Dienstwohnung Marçal Gacho zu sein, ohne eine andere Zukunft als die Tochter, die sie in sich zu tragen glaubte. Oder der Sohn. Sie dachte die ganze Fahrt über daran, bis sie zum Haus mit der Töpferei kamen, sie dachte immer noch daran, als sie das Mittagessen zubereitete, und sie dachte auch daran, als 310
sie lustlos in ihrem Essen herumstocherte, sie dachte immer noch daran, als sie zu ihrem Vater sagte, sie müssten unbedingt die Figuren, die im Ofen warteten, fertig machen, bevor sie ins Zentrum umzögen. Die Figuren fertig zu machen bedeutete, sie zu bemalen, und das Bemalen war genau die Arbeit, die ihr zustand, dadurch hätte sie wenigstens noch drei oder vier Tage, an denen sie unter dem schwarzen Maulbeerbaum sitzen konnte, mit Achado an ihrer Seite, der mit offenem Mund und herausgestreckter Zunge lachte. Als ginge es um den letzten, verzweifelten Willen, den ein Verurteilter diktierte, verlangte sie einfach nur das, und plötzlich, mit einem simplen Wort, hatte der Vater ihr das Tor zur Freiheit geöffnet, sie würde vom Zentrum hierher kommen können, wann immer sie wollte, die Tür ihres Hauses mit dem Schlüssel ihres Hauses aufsperren, alles, was sie hier zurückgelassen hatte, an seinem alten Platz vorfinden, die Töpferei betreten, um nachzusehen, ob der Ton die richtige Feuchte hatte, sich dann an die Scheibe setzen, die Hände dem kühlen Ton anvertrauen, erst jetzt verstand sie, dass sie diese Orte liebte, so wie ein Baum, wäre ihm dies möglich, die Wurzeln lieben würde, die ihn nähren und in die Höhe treiben. Cipriano Algor sah seine Tochter an, las in ihrem Gesicht wie in einem aufgeschlagenen Buch, und das Herz tat ihm weh, weil er ihr falsche Hoffnungen machte, sollten die Ergebnisse der Umfrage so negativ ausfallen, dass die Einkaufsabteilung des Zentrums ein für alle Mal von den Figuren Abstand nahm. Marta hatte sich von ihrem Stuhl erhoben, gab ihm einen Kuss und umarmte ihn, Was wird wohl in ein paar Tagen sein, dachte Cipriano Algor, während er ihre Zärtlichkeiten erwiderte, doch die Worte, die er aussprach, waren andere, waren die gängigen, Solange es Leben gibt, ist uns die Hoffnung sicher, daran haben unsere Großeltern auch schon geglaubt. Der ernste Ton, in dem er sie aussprach, hätte Marta vielleicht stutzig gemacht, wäre sie nicht so sehr mit ihren eigenen glücklichen Erwartungen beschäftigt gewesen. 311
Dann lass uns also in Frieden unsere drei Tage Urlaub genießen, sagte Cipriano Algor, wir haben sie uns wahrhaftig verdient und nehmen sie auch niemandem weg, danach beginnen wir mit den Umzugsvorbereitungen, Dann geh du jetzt mit gutem Beispiel voran und mach einen Mittagsschlaf, sagte Marta, du hast gestern den lieben langen Tag im Ofen gearbeitet, heute musstest du früh aufstehen, selbst ein Vater wie der meine ist nicht grenzenlos belastbar, und was den Umzug betrifft, das schaffen wir schon, das ist Sache der Hausfrau. Cipriano Algor zog sich in sein Zimmer zurück, legte mit langsamen Bewegungen eine Müdigkeit ab, die nicht nur körperlich war, und streckte sich mit einem tiefen Seufzer in seinem Bett aus. Doch so blieb er nicht lange liegen. Er richtete sich auf dem Kopfkissen auf und blickte um sich, als hätte er dieses Zimmer zum ersten Mal betreten und müsse es sich aus irgendeinem merkwürdigen Grunde in sein Gedächtnis einprägen, als sei er zum letzten Mal an diesem Ort und wolle sein Gedächtnis dazu bringen, dass es ihm in Zukunft zu ein wenig mehr diene als nur dazu, sich an diesen Fleck an der Decke zu erinnern, an diesen Lichtstrahl auf dem Boden, an das Bild der Frau auf der Kommode. Draußen bellte Achado, als hätte er einen Fremden den Weg heraufkommen hören, doch er verstummte sogleich wieder, wahrscheinlich hatte er nur gelangweilt auf das Bellen irgendeines Hundes in der Ferne geantwortet oder wollte einfach auf sich aufmerksam machen, er spürte bestimmt, dass irgendetwas in der Luft lag, das er nicht verstand. Cipriano Algor schloss die Augen, um den Schlaf herbeizurufen, doch deren Wille war ein anderer. Es gibt nichts Traurigeres, nichts erbärmlich Traurigeres als den Anblick eines weinenden alten Mannes. Die Nachricht traf am vierten Tag ein. Das Wetter war umgeschlagen, es kam nun immer wieder zu heftigen Schauern, die binnen einer Minute die Tenne überfluteten und auf den welligen Blättern des schwarzen Maulbeerbaumes 312
einen Wirbel wie von tausend Trommeln veranstalteten. Marta hatte die Liste der Sachen erstellt, die sie voraussichtlich in die neue Wohnung mitnehmen würden, wobei sie sich in jedem Augenblick der beiden widersprüchlichen Impulse bewusst gewesen war, die in ihrem Inneren gegeneinander ankämpften, der eine sagte ihr die reinste aller Wahrheiten, dass nämlich ein Umzug kein Umzug ist, wenn es nichts umzuziehen gibt, der andere riet ihr einfach, alles so zu lassen, wie es war, Zumal du doch, vergiss das nicht, oft hierher zurückkommen wirst, um zu arbeiten und die Landluft zu genießen. Cipriano Algor hingegen, der das Spinnennetz von Sorgen aus seinem Kopf wegfegen wollte, das ihn zig Mal pro Tag auf die Uhr sehen ließ, hatte sich damit abgelenkt, dass er die Töpferei komplett auskehrte und putzte, wobei er erneut Martas Hilfe ausschlug, Hinterher müsste ich mir dann Marçals Vorwürfe anhören, sagte er. Achado war gerade in seine Hütte geschickt worden, nachdem er den ganzen Küchenboden mit Schlamm verdreckt hatte, der bei seinem ersten Streifzug in einer regenfreien Periode an seinen Pfoten kleben geblieben war. Das Wasser wird bestimmt nicht so hoch steigen, dass es in seine Hütte läuft, dennoch stellte der Herr des Hundes vier Ziegelsteine unter die Hütte und verwandelte so einen neuzeitlichen, gewöhnlichen Hundeunterschlupf in einen prähistorischen Pfahlbau. Damit war er gerade beschäftigt, als das Telefon klingelte. Marta nahm ab, und im ersten Augenblick, als sie die Stimme am anderen Ende sagen hörte, Hier ist das Zentrum, dachte sie, es sei Marçal und sie würde nun verbunden werden, doch es folgten andere Worte, Der Herr Abteilungsleiter der Abteilung Einkauf möchte mit Senhor Cipriano Algor sprechen. Eine Sekretärin kennt in der Regel die Angelegenheit, um die es ihrem Chef geht, wenn er sie bittet, ihm eine Verbindung herzustellen, doch eine echte Telefonistin weiß absolut nichts, daher hat sie auch diese neutrale, gleichgültige Stimme, als gehöre sie nicht mehr dieser Welt an, 313
aber wir wollen ihr dennoch nicht unrecht tun und einmal annehmen, dass sie so manches Mal Mitleidstränen vergossen hätte, wenn sie geahnt hätte, was auf das folgte, was sie mechanisch dahinsagte, Sie können jetzt sprechen. Zu Anfang nahm Marta an, der Leiter der Abteilung Einkauf wolle seinen Ärger über die späte Lieferung der dreihundert noch ausstehenden Figuren zum Ausdruck bringen oder, wer weiß, vielleicht gar über die sechshundert noch nicht einmal begonnenen, und als sie, nachdem sie zu der Telefonistin Einen Moment, bitte gesagt hatte, in die Töpferei rannte, um den Vater zu holen, beabsichtigte sie, ihm auf die Schnelle eine Rüge zu erteilen, weil es ein fataler Fehler gewesen sei, nicht gleich weiterzuarbeiten, als die erste Serie fertig war. Die tadelnde Bemerkung blieb ihr jedoch im Hals stecken, als sie sah, wie das Gesicht des Vaters sich veränderte, als er sie sagen hörte, Es ist der Leiter der Einkaufsabteilung, er will dich sprechen. Cipriano Algor fand nicht, dass er laufen musste, es war schon genug, dass er festen Schrittes vor jenes Gericht trat, das ihm das Urteil verkünden würde. Er ergriff den Hörer, den seine Tochter auf dem Tisch hatte liegen lassen, Hier spricht Cipriano Algor, die Telefonistin sagte, Gut, ich verbinde Sie, man hörte ein Schweigen, ein leises Summen, ein Knacken, und dann erklang am anderen Ende die sonore, volle Stimme des Leiters der Abteilung Einkauf, Guten Tag, Senhor Cipriano Algor, Guten Tag, Herr Abteilungsleiter, Ich nehme an, Sie können sich denken, weshalb ich Sie heute anrufe, Ihre Annahme ist richtig, Herr Abteilungsleiter, bitte fahren Sie fort, Ich habe hier Ergebnisse und Schlussfolgerungen der Umfrage über Ihre Produkte vorliegen, die einer unserer Unterabteilungsleiter mit meiner Zustimmung durchgeführt hat, Und wie sehen diese Ergebnisse aus, Herr Abteilungsleiter, fragte Cipriano Algor, Ich bedaure, Ihnen mitteilen zu müssen, dass sie nicht so gut waren, wie wir uns erhofft hatten, Wenn das so ist, dann kann es niemand mehr bedauern als ich, Ich 314
fürchte, Ihre Beteiligung am Leben unseres Zentrums ist damit beendet, Jeden Tag beginnen Dinge, doch früher oder später finden alle ein Ende, Wollen Sie nicht, dass ich Ihnen die Ergebnisse vorlese, Die Schlussfolgerungen interessieren mich mehr, und die habe ich bereits erfahren, das Zentrum wird uns unsere Figuren nicht mehr abnehmen. Marta, die mit wachsender Angst den Worten des Vaters gelauscht hatte, führte ihre Hände zum Mund, als wollte sie einen Schrei unterdrücken. Cipriano Algor bedeutete ihr mit einer Geste, still zu sein, während er auf eine Frage des Leiters der Abteilung Einkauf antwortete, Ich verstehe, dass es Ihr Wunsch ist, alle Zweifel in meinem Kopf zu zerstreuen, und stimme dem, was Sie gerade gesagt haben, zu, wenn man Schlussfolgerungen präsentiert, ohne vorher die Gründe, die dazu führten, darzulegen, dann kann dies als ungeschickter Versuch, eine Willkürentscheidung zu kaschieren, verstanden werden, was natürlich beim Zentrum niemals der Fall wäre, Wenigstens sind wir einer Meinung, Man kann nur schwer anderer Meinung sein, Herr Abteilungsleiter, So hören Sie sich nun die Ergebnisse an, Bitte sprechen Sie, Das Spektrum der Kunden, die an der Umfrage beteiligt werden sollten, wurde von vornherein so definiert, dass Menschen, die aufgrund ihres Alters, ihrer sozialen Stellung, ihres Bildungsstandes oder auch ihres uns bekannten Konsumverhaltens eindeutig gegen den Erwerb eines solchen Gegenstandes eingestellt wären, ausgeschlossen wurden, und Sie sollten wissen, Senhor Algor, dass wir diese Entscheidung getroffen haben, um Ihnen nicht von vornherein zu schaden, Vielen Dank, Herr Abteilungsleiter, Um ein Beispiel zu nennen, wenn wir fünfzig moderne Jugendliche, fünfzig Jungen und Mädchen unserer Zeit, ausgewählt hätten, dann können Sie sich sicher sein, Senhor Algor, dass kein Einziger auch nur eine ihrer Figuren mit nach Hause genommen hätte, oder höchstens, um damit auf Zielscheiben zu werfen, Ich verstehe, Wir haben je 315
fünfundzwanzig Personen beiderlei Geschlechts ausgewählt, mit durchschnittlichen Berufen und Einkommen, Menschen bescheidener familiärer Herkunft und einem eher traditionellen Geschmack, in deren Wohnungen die Rustikalität des Produktes nicht unangenehm auffallen würde, Und trotzdem, Ja, es ist wahr, Senhor Algor, und trotzdem waren die Ergebnisse schlecht, Dann kann man wohl nichts machen, Herr Abteilungsleiter, Zwanzig Männer und zehn Frauen haben geantwortet, dass sie keine Tonfiguren mögen, vier Frauen sagten, dass sie sie eventuell kaufen würden, wenn sie größer wären, drei würden sie kaufen, wenn sie kleiner wären, von den fünf Männern, die noch übrig bleiben, haben vier gesagt, sie seien nicht mehr in dem Alter für solche Spielereien, und der andere beschwerte sich darüber, dass drei der Figuren Ausländer darstellen, und noch dazu so exotische, und was die acht noch fehlenden Frauen betrifft, so haben zwei davon erklärt, sie reagierten allergisch auf Tonprodukte, vier verbanden schlechte Erinnerungen mit derlei Gegenständen, und nur die beiden letzten bedankten sich herzlich dafür, dass man es ihnen ermöglicht hatte, ihre Wohnung umsonst mit so hübschen Tonfiguren zu schmücken, wobei man hinzufügen muss, dass es sich dabei um alte Menschen handelt, die allein leben, Ich würde gern Namen und Adressen dieser beiden Damen wissen, um mich bei ihnen bedanken zu können, Ich bedauere, aber ich darf die persönlichen Daten der Befragten nicht herausgeben, eine strikte Voraussetzung für Untersuchungen dieser Art ist, dass die Anonymität der Antworten gewahrt wird, Vielleicht können Sie mir dennoch sagen, ob diese Menschen im Zentrum leben, Wen meinen sie, alle, fragte der Leiter der Abteilung Einkauf, Nein, Herr Abteilungsleiter, nur die zwei, die die Güte besaßen, unsere Figürchen hübsch zu finden, sagte Cipriano Algor, Da es sich hierbei um keine wichtige persönliche Angabe handelt, nehme ich an, dass ich nicht gegen den Kodex verstoße, der den 316
Umfragen zugrunde liegt, wenn ich Ihnen sage, dass diese beiden Frauen außerhalb des Zentrums in der Stadt wohnen, Vielen Dank für die Information, Herr Abteilungsleiter, Hat sie Ihnen weitergeholfen, Leider nein, Wozu wollten Sie es dann wissen, Es könnte ja sein, dass ich einmal Gelegenheit habe, sie zu treffen und mich persönlich bei ihnen zu bedanken, aber wenn sie in der Stadt leben, ist das nahezu unmöglich, Und wenn sie hier leben würden, Als Sie mir am Anfang dieser Unterhaltung sagten, meine Beteiligung am Leben des Zentrums sei beendet, hätte ich Sie fast unterbrochen, Warum, Weil mein Leben entgegen Ihrer Annahme, auch wenn Sie das Geschirr und die Figuren dieses Töpfers hier nicht mehr haben wollen, weiterhin mit dem Zentrum verbunden bleiben wird, Ich verstehe nicht ganz, bitte drücken Sie sich deutlicher aus, In fünf oder sechs Tagen werde ich dort meinen Wohnsitz haben, denn mein Schwiegersohn wurde zum Wachmann mit Dienstwohnung befördert, und ich werde mit meiner Tochter und meinem Schwiegersohn dort leben, Es freut mich, dies zu hören, meinen herzlichen Glückwunsch, Was sind Sie doch für ein Glückspilz, Sie können sich wirklich nicht beschweren, denn Sie haben alles gewonnen, als Sie meinten, alles verloren zu haben, Ich beschwere mich nicht, Herr Abteilungsleiter, In diesem Fall muss man sagen, dass die Wege des Zentrums verschlungen sind, doch führen sie immer zum Ziel, muss es mit der einen Hand etwas wegnehmen, so kommt die andere zu Hilfe und fügt etwas hinzu, Wenn ich mich recht entsinne, pflegt man das mit den verschlungenen Wegen über Gott zu sagen, bemerkte Cipriano Algor, In der heutigen Zeit läuft das praktisch auf das Gleiche hinaus, ich habe keineswegs übertrieben, als ich behauptete, das Zentrum als der perfekte Verteiler von materiellen und spirituellen Gütern habe aus sich selbst heraus und innerhalb seiner selbst, aus purer Notwendigkeit, etwas geschaffen, das göttlicher Natur ist, wenngleich dies so manche empfindlichere orthodoxe 317
Glaubensbrüder schockieren mag, Werden dort auch spirituelle Güter vertrieben, Herr Abteilungsleiter, Ja, und Sie können sich gar nicht vorstellen, wie weit das geht, die Gegner des Zentrums, die übrigens zahlenmäßig immer schwächer und immer weniger kämpferisch werden, sind absolut blind für die spirituelle Seite unserer Aktivitäten, während doch in Wahrheit das Leben für Millionen und Abermillionen von Menschen, die unglücklich, frustriert und hilflos umherirrten, genau dadurch einen neuen Sinn bekommen hat, und das war kein Teufelswerk, das können Sie mir ruhig glauben, sondern ein Werk des hehren Geistes, Ja, Herr Abteilungsleiter, Ich freue mich, Ihnen sagen zu können, Senhor Algor, dass ich in Ihnen jemanden gefunden habe, mit dem es selbst in einer so schwierigen Situation wie dieser stets angenehm war, über die eine oder andere ernsthafte Frage zu diskutieren, Fragen, die mich auch sehr beschäftigen, weil sie meiner Arbeit in gewisser Weise eine transzendentale Komponente verleihen, ich hoffe, dass wir uns nach Ihrem baldigen Umzug ins Zentrum wieder sehen und weiterhin unsere Gedanken austauschen können, Das hoffe ich auch, Herr Abteilungsleiter, Auf Wiederhören, Auf Wiederhören. Cipriano Algor legte den Hörer auf die Gabel und sah seine Tochter an. Marta saß da und hatte die Hände in den Schoß gelegt, als müsste sie plötzlich diese erste, noch kaum wahrnehmbare Rundung ihres Bauches beschützen. Sie kaufen nichts mehr, fragte sie, Nein, sie haben eine Umfrage unter den Kunden gemacht, und das Ergebnis war negativ, Sie kaufen also nicht einmal mehr die dreihundert Figuren, die noch im Ofen sind, Nein. Marta stand auf, ging zur Küchentür, betrachtete den Regen, der unaufhörlich herabfiel, und fragte von dort aus, den Kopf ein wenig zur Seite gewandt, Hast du mir nichts zu sagen, Doch, antwortete der Vater, Dann sprich, ich bin ganz Ohr. Cipriano Algor lehnte sich an den Türpfosten, holte tief Luft und begann, Ich war schon vorgewarnt, ich wusste, dass das 318
passieren konnte, einer der Unterabteilungsleiter hat mir gesagt, dass sie diese Umfrage machen wollten, um das Interesse der Kunden an den Figuren zu untersuchen, höchstwahrscheinlich kam sogar der Chef selbst auf die Idee, Dann wurde ich also drei Tage lang getäuscht, von dir, meinem Vater, getäuscht, als ich von einer funktionierenden Töpferei träumte, mir vorgestellt habe, wie wir früh morgens das Zentrum verlassen, hier ankommen und die Ärmel hochkrempeln, den Geruch des Tons einatmen, wie ich neben dir arbeite, wie Marçal an seinen freien Tagen hier bei mir ist, Ich wollte nicht, dass du leidest, Jetzt leide ich doppelt, deine gute Absicht hat mir nicht ein Leid erspart, Verzeih mir, bitte, Und bitte verschwende keine Zeit damit, mich um Verzeihung zu bitten, du weißt ganz genau, dass ich dir immer vergeben werde, ganz egal, was du tust, Wenn die Entscheidung anders ausgefallen wäre, wenn das Zentrum beschlossen hätte, uns die Figuren abzunehmen, hättest du nie von dem Risiko erfahren, dem wir ausgesetzt waren, Jetzt ist es schon kein Risiko mehr, sondern eine Gewissheit, Wir haben das Haus, können kommen, wann immer wir wollen, Ja, wir haben das Haus, ein Haus mit Blick auf den Friedhof, Was für einen Friedhof, Die Töpferei, der Ofen, die Trockenbretter, der Holzschober, das, was war und nicht mehr ist, willst du einen noch größeren Friedhof als diesen, fragte Marta, den Tränen nahe. Der Vater legte ihr die Hand auf die Schulter, Weine nicht, ich sehe ein, es war ein Fehler, dir nicht zu erzählen, was los war. Marta antwortete nicht, sie rief sich selbst in Erinnerung, dass sie kein Recht hatte, den Vater zu schelten, hatte sie doch selbst ein Geheimnis vor ihrem Mann, das sie diesem niemals preisgeben würde, Wie sollst du nun, da alle Hoffnung verloren ist, in dieser Wohnung leben, fragte sie sich. Achado hatte die Hundehütte verlassen, die dicken Regentropfen, die von dem schwarzen Maulbeerbaum herabrannen, fielen auf ihn nieder, doch er wagte sich nicht hervor. Er hatte schmutzige Pfoten, 319
ein triefnasses Fell und die Gewissheit, nicht gern gesehen zu sein. Und doch sprach man an der Küchentür gerade über ihn. Als Marta ihn dort auftauchen und zu ihnen herüberblicken sah, hatte sie gefragt, Was machen wir nur mit diesem Hund. Ganz ruhig, als handele es sich um eine Sache, die bereits tausendmal diskutiert worden war und daher nicht noch einmal besprochen werden musste, antwortete der Vater, Ich werde die Nachbarin Isaura Madruga fragen, ob sie ihn nehmen will, Ich höre wohl nicht richtig, wiederhole das bitte, Vater, hast du wirklich gesagt, du wirst die Nachbarin Isaura Madruga fragen, ob sie Achado nimmt, Du hast genau richtig gehört, genau das habe ich gesagt, Isaura Madruga, Wenn du noch mehr Wirbel darum machst, werde ich antworten, Isaura Madruga, und du wirst wieder fragen, Isaura Madruga, und das wird dann den ganzen Nachmittag so weitergehen, Das hat mich doch sehr überrascht, Die Überraschung kann gar nicht so groß gewesen sein, schließlich ist es dieselbe Person, an die du auch gedacht hast, Die Überraschung ist für mich nicht die Person, die Überraschung ist, dass du auf diese Idee kamst, Es gibt im ganzen Dorf und vielleicht auch auf der ganzen Welt sonst niemanden, dem ich Achado anvertrauen würde, eher würde ich ihn töten. Erwartungsvoll und langsam mit dem Schwanz wedelnd sah das Tier noch immer aus der Ferne zu ihnen herüber. Cipriano Algor bückte sich und rief, Achado, komm her. Der Hund begann sich zu schütteln, Wasser spritzte nach allen Seiten, es schien, als wolle er seinem Herrn nur ordentlich und manierlich gegenübertreten, dann rannte er los, und im nächsten Augenblick presste er bereits seinen dicken Schädel gegen Cipriano Algors Brust, mit einer Wucht, als wolle er diesen nach drinnen schieben. Da fragte Marta den Vater, Damit wieder alles in Ordnung kommt und du nicht nur Achado im Arm halten kannst, sag mir, ob du mit Marçal über die Umfrage gesprochen hast, Ja, das habe ich, Er hat mir nichts davon erzählt, Aus demselben Grund wie ich. An diesem 320
Punkt der Unterhaltung mag man vielleicht erwarten, dass Marta antwortet, Wirklich, Vater, es ist unerhört, dass du es ihm erzählt hast und ich nichts wusste, in der Regel reagieren die Menschen so, niemand wird gerne ausgeschlossen, seines Rechts auf Information und Wissen beraubt, doch gelegentlich trifft man auch einmal auf eine der seltenen Ausnahmen in dieser schrecklichen Welt der Wiederholungen, wie die orphischen Weisen, die Pythagorer, die Stoiker und Neoplatoniker sie auch hätten nennen können, hätten sie es nicht vorgezogen, ihr mit poetischer Inspiration den hübscheren, klangvolleren Namen Welt der ewigen Wiederkehr zu geben. Marta protestierte nicht, machte keine Szene, sondern sagte lediglich, Ich wäre dir böse gewesen, wenn du es Marçal nicht erzählt hättest. Cipriano Algor löste sich von dem Hund, schickte ihn zurück zur Hundehütte und sagte, Ab und zu tue ich auch einmal das Richtige. Sie blieben dort stehen und sahen dem Regen zu, der unaufhaltsam herabfiel, lauschten dem Monolog des schwarzen Maulbeerbaumes, und schließlich fragte Marta, Was könnten wir denn mit diesen Figuren machen, die dort im Ofen stehen, und der Vater antwortete, Nichts. Trocken, schneidend ließ das Wort keinen Zweifel zu, Cipriano Algor hatte keinen dieser im Portugiesischen so geläufigen Sätze verwendet, die, weil sie sich als absolut negativ darstellen wollen, nichts dabei finden, eine doppelte Verneinung zu enthalten, wodurch laut der illustren Meinung der Grammatiker eine glatte Bejahung entsteht, und das würde in unserem Fall bedeuten, dass man doch noch etwas tun kann. Marçal rief nach dem Abendessen an, Ich telefoniere von zu Hause aus, sagte er, ich habe heute mein Bett im Schlafsaal für das Sicherheitspersonal geräumt und werde diese Nacht bereits in unserem Bett schlafen, Das ist doch schön, du bist bestimmt froh darüber, Ja, und ich habe Neuigkeiten zu berichten, Wir auch, sagte Marta, Womit fangen wir an, mit meinen oder 321
euren, fragte er, Am besten fangen wir mit den schlechten an und heben die guten, wenn es sie denn gibt, für den Schluss auf, Meine sind weder gut noch schlecht, es sind einfach Neuigkeiten, Dann fange ich mit unseren an, heute Nachmittag hat uns das Zentrum mitgeteilt, dass sie uns die Figuren doch nicht abnehmen, sie haben eine Umfrage gemacht und das Ergebnis war negativ. Am anderen Ende herrschte Schweigen. Marta wartete. Dann sagte Marçal, Ich wusste von dieser Umfrage, Ich weiß, dass du es wusstest, Vater hat es mir erzählt, Ich habe befürchtet, dass das dabei herauskommt, Die Befürchtung hat sich bestätigt, Bist du mir böse, weil ich dir nicht gesagt habe, was los war, Weder dir noch ihm, die Dinge sind, wie sie sind, und wir müssen uns bemühen, sie zu verstehen und zu akzeptieren, am schwersten fiel es mir, mich von der Illusion zu verabschieden, wir könnten vielleicht, selbst wenn wir im Zentrum wohnen, weiterhin in der Töpferei arbeiten, An diese Möglichkeit habe ich noch gar nicht gedacht, Die Idee stammt nicht von mir, sie kam in einem Gespräch mit Vater auf, Aber er konnte sich doch gar nicht sicher sein, dass die Figuren akzeptiert werden, Er wollte mich schonen, so wie du, der Erfolg dieser Täuschung war, dass ich ein paar Tage lang glücklich wie ein Vogel herumlief, deswegen kann man auch sagen, dass nicht alles umsonst war, nun ja, lass uns nicht über Verlorenes weinen, das hat schon so viele Tränen auf dieser Welt hervorgebracht, erzähl mir lieber die Neuigkeiten, die du für uns hast, Sie haben mir drei Tage Urlaub für den Umzug zugestanden, inklusive meinem freien Tag, der diesmal auf einen Montag fällt, daher werde ich am Freitag am späten Nachmittag mit dem Taxi hier losfahren, dein Vater braucht mich nicht abzuholen, am Samstag bereiten wir alles vor, und am Sonntag früh hissen wir die Segel, Die Sachen zum Mitnehmen sind bereits aussortiert, sagte Marta mit abwesender Stimme. Es herrschte wieder Schweigen. Freust du dich nicht, fragte Marçal, Doch, doch, ich freue 322
mich, antwortete Marta. Dann wiederholte sie, Doch, doch, ich freue mich. Draußen bellte der Hund, irgendein nächtlicher Schatten musste sich bewegt haben.
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DER LIEFERWAGEN war gepackt, Fenster und Türen von Töpferei und Haus bereits geschlossen, sie mussten nur noch, wie Marçal vor ein paar Tagen gesagt hatte, die Segel hissen. Mit angespanntem, nervösem Gesichtsausdruck rief Cipriano Algor, der plötzlich viel älter wirkte, den Hund. Trotz des angstvollen Untertons, den ein aufmerksames Ohr hätte heraushören können, munterte die Stimme seines Herrn Achado auf. Verwirrt und unruhig war er umhergelaufen, von einer Seite zur anderen gerannt, hatte an den Koffern und Paketen geschnüffelt, die aus dem Haus geschafft wurden, hatte laut gebellt, um sich Aufmerksamkeit zu verschaffen, denn dies hier war der Beweis dafür, dass seine Vorahnung richtig gewesen war, dass sich in der letzten Zeit etwas Eigentümliches, Außergewöhnliches angebahnt hatte, und nun war die Stunde gekommen, in der das Glück, das Schicksal, der Zufall, oder die Unbeständigkeit des menschlichen Willens und Wollens über seine Existenz entscheiden würde. Er hatte sich, den Kopf auf die Pfoten gelegt, neben der Hundehütte niedergelassen und wartete. Als sein Herr sagte, Achado, komm, da dachte er, sie riefen ihn, damit er in den Lieferwagen einstiege, wie er es früher auch schon getan hatte, ein Zeichen dafür, dass sich letztlich doch nichts geändert hätte in seinem Leben, dass der heutige Tag gleich wäre wie der gestrige, so wie es sich jeder Hund stets erträumt. Er wunderte sich, dass er an die Leine gelegt wurde, das war nicht üblich, wenn sie verreisten, doch die Verwunderung wuchs noch, wurde zur Verwirrung, als die Herrin und der jüngere Herr ihm plötzlich über den Kopf strichen und dabei unverständliche Worte murmelten, in denen sein eigener Name Achado so beunruhigend klang, obwohl das, was sie ihm sagten, gar nicht so schlimm war, Wir kommen dich bald besuchen. Ein leichtes Rucken gab ihm zu verstehen, dass er seinem Herrn folgen 324
sollte, die Situation wurde wieder klar, der Lieferwagen war für die beiden anderen Herrchen bestimmt, mit diesem hier würde er zu Fuß gehen. Trotzdem wunderte er sich noch über die Leine, doch das war eine unbedeutende Kleinigkeit. Wenn sie auf die Felder kämen, würde der Herr ihn loslassen, damit er hinter irgendeinem Tier herjagen konnte, das er vor sich erblickte, auch wenn es nicht mehr war als die Winzigkeit einer Eidechse. Der Morgen ist frisch, der Himmel bewölkt, aber es sieht nicht nach Regen aus. Als sie an der Straße angelangt waren, bog der Herr nicht wie erwartet nach links auf das freie Feld ab, sondern nach rechts, sie würden also ins Dorf gehen. Dreimal musste Achado während des Spaziergangs seinen Schritt plötzlich bremsen. Cipriano Algor ging so, wie wir unter ähnlichen Umständen alle gehen, wenn wir überflüssigerweise mit unserem Inneren eine Diskussion begonnen haben, ob wir das, von dem vorher klar war, dass wir es wirklich wollen, nun wollen oder nicht, man beginnt einen Satz und bringt ihn nicht zu Ende, bleibt plötzlich stehen, rennt, als wolle man seinen Vater vor dem Galgen retten, bleibt wieder stehen, selbst der geduldigste und hingebungsvollste Hund würde sich schließlich fragen, ob er nicht einen entschlosseneren Herrn verdient hätte. Dieser hier ahnt jedoch nicht, wie endgültig die Entschlossenheit ist, die ihn führt. Cipriano Algor steht bereits vor Isaura Madrugas Tür, streckt die Hand aus, um zu klingeln, zögert, streckt sie erneut aus, in diesem Augenblick geht die Tür auf, als hätte sie auf ihn gewartet, doch das war gar nicht der Fall, Isaura Madruga hatte das Klingeln gehört und kam nachsehen, wer es war. Guten Morgen, Senhora Isaura, sagte der Töpfer, Guten Morgen, Senhor Algor, Verzeihen Sie, dass ich Sie zu Hause belästige, aber es gibt da eine Sache, die ich gerne mit Ihnen besprechen würde, einen großen Gefallen, um den ich Sie bitten möchte, Kommen Sie doch herein, Wir können auch hier reden, ich muss nicht hereinkommen, Also so was, kommen Sie herein, 325
machen Sie keine Umstände, Kann der Hund mitkommen, fragte Cipriano Algor, seine Pfoten sind schmutzig, Achado gehört doch fast zur Familie, wir sind alte Bekannte. Die Tür ging zu, und sie tauchten in das Halbdunkel des kleinen Wohnzimmers ein. Isaura wies ihm mit einer Handbewegung einen Stuhl zu, dann setzte sie sich selbst. Ich habe den Eindruck, Sie wissen bereits, weshalb ich komme, sagte der Töpfer, während er den Hund anwies, sich zu seinen Füßen niederzulassen, Möglicherweise, Vielleicht hat meine Tochter sich ja schon mit Ihnen darüber unterhalten, Worüber, Über Achado, Nein, wir haben nie in dem Sinne, den Sie meinen, über Achado gesprochen, In welchem Sinne, In dem, den Sie meinen, dass wir uns über ihn unterhalten haben, wir haben bestimmt mehrmals über Achado gesprochen, aber wir hatten nie eine wirkliche Unterhaltung über ihn. Cipriano Algor senkte den Blick, Worum ich Sie bitten möchte, ist, dass Sie Achado aufnehmen, wenn ich nicht mehr hier bin, Ziehen Sie weg, fragte Isaura, Ja, und zwar jetzt gleich, und wie Sie sich sicher vorstellen können, können wir den Hund nicht mitnehmen, im Zentrum sind keine Hunde zugelassen, Ich werde ihn aufnehmen, Ich weiß, dass Sie für ihn sorgen werden, als wäre er Ihr eigener, Ich werde besser für ihn sorgen als für meinen eigenen, weil es Ihrer ist. Ohne darüber nachzudenken, was er tat, vielleicht, um seine Nerven zu beruhigen, hatte Cipriano Algor dem Hund die Leine abgenommen. Ich glaube, ich sollte mich bei Ihnen entschuldigen, sagte er, Warum, Weil ich mich Ihnen gegenüber nicht immer gut benommen habe, Ich erinnere mich da an andere Dinge, an den Nachmittag, als ich Sie auf dem Friedhof getroffen habe, an das, was wir über den abgebrochenen Henkel des Krugs gesprochen haben, wie Sie eigens zu mir nach Hause kamen, um mir einen neuen Wasserkrug zu bringen, Ja, aber danach habe ich mich nicht mehr korrekt verhalten, war unfreundlich, und das nicht nur 326
ein- oder zweimal, Es war nicht wichtig, Doch, Der Beweis dafür, dass es nicht wichtig war, ist, dass Sie jetzt hier sind, Jetzt, wo ich weggehe, Ja, jetzt, wo Sie weggehen. Dunkle Wolken mussten am Himmel aufgezogen sein, denn das Halbdunkel im Haus verstärkte sich, eigentlich sollte Isaura nun aufstehen und das Licht einschalten. Doch sie tat es nicht, nicht aus Gleichgültigkeit oder irgendeinem anderen Grund, sondern einzig deswegen, weil ihr gar nicht aufgefallen war, dass sie Cipriano Algors Gesichtszüge nicht mehr richtig erkennen konnte, obwohl er ihr direkt gegenübersaß, nicht weit von ihrem Arm entfernt, wenn sie sich ein wenig nach vorn beugte. Bewährt der Krug sich weiterhin, kühlt er das Wasser, fragte Cipriano Algor, Wie am ersten Tag, antwortete Isaura, und da bemerkte sie, wie dunkel es in dem Wohnzimmer war. Ich müsste das Licht einschalten, sagte sie sich, doch sie erhob sich nicht. Man hatte ihr nie gesagt, dass das Schicksal vieler Menschen dieser Welt durch diesen einfachen Handgriff des An- oder Ausmachens eines Lichts, sei es das einer alten Öllampe, einer Kerze, einer Petroleumleuchte oder einer dieser modernen Lampen, eine radikale Wende nahm, natürlich dachte sie, sie müsste nun aufstehen, weil sich das so gehörte, doch ihr Körper weigerte sich, bewegte sich nicht, sträubte sich dagegen, den Befehl des Kopfes auszuführen. Dies war das Dunkel, das Cipriano Algor gefehlt hatte, um ihr endlich gestehen zu können, Ich mag Sie, Isaura, und sie antwortete ihm mit einer Stimme, die traurig klang, Und das sagen Sie mir an dem Tag, an dem Sie weggehen, Es wäre sinnlos gewesen, es vorher zu sagen, ebenso wie es letztlich auch sinnlos ist, es jetzt zu sagen, Und doch haben Sie es gesagt, Es war die letzte Gelegenheit, nehmen Sie es als Abschied, Warum, Ich kann Ihnen nichts bieten, ich gehöre einer Gattung an, die im Aussterben begriffen ist, habe keine Zukunft, habe nicht einmal eine Gegenwart, Eine Gegenwart haben Sie, nämlich diese Stunde, dieses Zimmer, Ihre Tochter und Ihren Schwiegersohn, 327
die Sie mitnehmen, diesen Hund, der zu Ihren Füßen liegt, Aber nicht diese Frau, Sie haben doch gar nicht gefragt, Ich will gar nicht fragen, Warum, Ich sage es noch einmal, weil ich nichts habe, was ich Ihnen bieten kann, Wenn Sie das, was Sie gerade gesagt haben, wirklich so gefühlt und gemeint haben, dann haben Sie die Liebe, Die Liebe ist kein Haus, keine Kleidung, kein Essen, Aber Essen, Kleidung und Haus für sich alleine sind keine Liebe, Lassen Sie uns nicht mit Worten spielen, ein Mann wird doch einer Frau keinen Heiratsantrag machen, wenn er keine Möglichkeit hat, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, Ist das bei Ihnen so, fragte Isaura, Sie wissen das sehr wohl, die Töpferei gibt es nicht mehr, und ich habe nichts anderes gelernt, Aber Sie werden auf Kosten Ihres Schwiegersohns leben, Mir bleibt gar nichts anderes übrig, Sie könnten auch von dem leben, was Ihre Frau verdient, Wie lange würde dann wohl die Liebe halten, fragte Cipriano Algor, Ich habe auch nicht gearbeitet, als ich verheiratet war, habe von dem gelebt, was mein Mann verdient hat, Das hat doch niemanden gestört, schließlich war das so üblich, aber bringen Sie einmal einen Mann in diese Lage und sagen Sie mir, was dann passiert, Müsste denn unweigerlich die Liebe deswegen sterben, fragte Isaura, hört die Liebe aus einem so simplen Grund auf, Ich bin nicht in der Lage, Ihnen das zu beantworten, dazu fehlt mir die Erfahrung. Achado stand diskret auf, seiner Meinung nach zog sich der Höflichkeitsbesuch schon zu lange hin, er wollte jetzt zur Hundehütte zurückkehren, zu dem schwarzen Maulbeerbaum, zur Meditationsbank. Cipriano Algor sagte, Ich muss gehen, sie warten auf mich, Ist das unser Abschied, fragte Isaura, Wir werden ab und zu herkommen, um zu hören, wie es Achado geht, um zu sehen, ob das Haus noch steht, es ist kein Abschied für immer und ewig. Er hakte die Leine wieder ein und überreichte sie Isaura, Hier haben Sie ihn, es ist nur ein Hund, aber trotzdem. Wir werden nie erfahren, welche ontologischen 328
Überlegungen Cipriano Algor nach dieser Konjunktion, die er so stehen ließ, anstellen wollte, da sich seine rechte Hand, die die Leine festhielt, zwischen den Händen Isaura Madrugas verirrte oder sich einfach dort wiederfand, zwischen den Händen jener Frau, die er nicht in seine Gegenwart hatte einschließen wollen und die ihm dennoch gerade sagte, Ich mag Sie, Cipriano, Sie wissen, dass ich Sie sehr mag. Die Leine rutschte zu Boden, Achado, der sich plötzlich frei fühlte, trollte sich, um an der Fußleiste zu schnüffeln, als er kurze Zeit später wieder aufblickte, bemerkte er, dass der Besuch vom rechten Weg abgekommen war, dass diese Umarmung keine einfache Höflichkeit mehr war, und diese Küsse auch nicht, ebenso wenig wie das heftige Atmen und die Worte, die ebenfalls beginnen und nicht enden, wenngleich aus ganz anderen Gründen. Cipriano Algor und Isaura hatten sich erhoben, sie weinte vor Freude und Schmerz, er stotterte, Ich komme wieder, ich komme wieder, es ist wirklich schade, dass nicht von Zeit zu Zeit die Tür zur Straße aufgeht, damit die Nachbarschaft auch miterleben und kommentieren kann, dass die Witwe von dem Estudioso und der Alte von der Töpferei sich mit echter, endlich eingestandener Liebe lieben. Mit einer Stimme, die ihren normalen Klang wiedergewonnen hatte, wiederholte Cipriano Algor, Ich komme wieder, ich komme wieder, es muss eine Lösung für uns geben, Die einzige Lösung ist, dass du bleibst, sagte Isaura, Du weißt genau, dass das nicht geht, Wir werden hier auf dich warten, Achado und ich. Der Hund verstand nicht, weshalb die Frau die Leine in der Hand hatte, die ihn gefangen hielt, wo sie doch zu dritt zur Tür gingen, was ein eindeutiges Zeichen dafür war, dass der Herr und er nun endlich gehen würden, er verstand nicht, weshalb die Leine noch nicht in die Hand jenes Menschen übergegangen war, der sie ihm angelegt hatte, weil dies sein gutes Recht war. Die Panik stieg ihm von den Gedärmen hoch bis zum Hals, doch gleichzeitig zitterten seine Glieder vor 329
Aufregung über den Plan, den sein Instinkt ihm blitzschnell entworfen hatte, dass er sich nämlich mit einem heftigen Ruck losreißen würde, sobald die Tür aufginge, um dann triumphierend dort draußen zu warten, bis sein Herr nachkäme. Die Tür ging erst nach weiteren Umarmungen und Küssen auf, nach weiteren geflüsterten Worten, doch die Frau hielt ihn ganz fest, während sie sagte, Du bleibst hier, du bleibst hier, so ist das mit den Worten, genau jenes Verb, das nicht in der Lage gewesen war, Cipriano Algor zurückzuhalten, verhinderte nun, dass Achado flüchtete. Die Tür ging zu, trennte das Tier von seinem Besitzer, so ist das mit den Gefühlen, die Angst vor dem Verlassenwerden des einen konnte, zumindest in diesem Augenblick, kein Mitgefühl und auch keine Entsprechung in dem schmerzlichen Glück des anderen finden. Es dauert nicht mehr lange, dann werden wir erfahren, wie Achados Leben in seinem neuen Zuhause verlief, ob es einfach oder schwierig für ihn war, sich an die neue Herrin zu gewöhnen, ob die gute Behandlung und die grenzenlose Zuneigung, die sie ihm zuteil werden ließ, ausreichten, um ihn die Trauer darüber vergessen zu machen, dass er zu Unrecht verlassen wurde. Wir müssen jetzt Cipriano Algor folgen, nichts weiter tun, als ihm folgen, hinter ihm hergehen, seinen schlafwandlerischen Schritt begleiten. Fragen wir uns, wie es sein kann, dass in einer Person so entgegengesetzte Gefühle, wie beispielsweise im vorliegenden Fall tiefste Freude und stechendster Schmerz, zusammenfinden, um anschließend jenen einzigartigen Namen, mit dem dieses besondere, aus dieser Verbindung resultierende Gefühl bezeichnet wird, zu entdecken oder zu schaffen, dann ist das eine Aufgabe, die in der Vergangenheit zwar häufig in Angriff genommen wurde, jedoch stets aufgegeben werden musste, als hätte man es mit einem Horizont zu tun, der sich unaufhörlich verlagert und dennoch nicht einmal die Schwelle des Unaussprechlichen erreicht, das nur darauf wartet, dies nicht mehr zu sein. Der verbale menschliche Ausdruck ist noch 330
nicht in der Lage, und wird es wahrscheinlich nie sein, all das, was menschlich erfahrbar und fühlbar ist, zu erfassen, zu erkennen und mitzuteilen. Es wird manchmal behauptet, der Hauptgrund für dieses Unvermögen läge darin, dass der Mensch im Wesentlichen aus Ton besteht, der, wie die Enzyklopädien uns so wunderbar erklären, ein detritogenes Lockergestein ist, das sich aus winzigen mineralischen Überresten von der Größe eines 256stel Millimeters zusammensetzt. Bis heute ist es nicht gelungen, einen Namen für diese Teilchen zu finden, so sehr man die Sprachen auch dreht und wendet. Inzwischen war Cipriano Algor am Ende der Straße angekommen, er bog in die Hauptstraße ein, die das Dorf in zwei Hälften teilte, und gelangte nicht gehend und nicht kriechend, nicht laufend und nicht fliegend, vielmehr wie in einem Traum, in dem er sich von sich selbst befreien wollte und dabei ständig gegen seinen eigenen Körper stieß, oben auf dem Weg an, wo ihn der Lieferwagen mit dem Schwiegersohn und der Tochter erwartete. Der Himmel hatte vorher nicht so ausgesehen, als sei ihm nach Regen zumute, doch nun hatte ein zögerlicher, träger Regen eingesetzt, der vielleicht nicht lange andauern würde, der jedoch die Melancholie jener Menschen verstärkte, die kurz davor standen, sich von dem geliebten Ort zu trennen, und selbst Marçal spürte, wie sich sein Magen schmerzlich zusammenzog. Cipriano Algor stieg ein, setzte sich auf den Beifahrersitz, den man ihm zugedacht hatte, und sagte, Fahren wir. Dann gab er kein Wort mehr von sich, bis sie im Zentrum angelangt waren, bis sie in den Lastenaufzug stiegen, der sie mit ihren Koffern und Paketen in den vierunddreißigsten Stock brachte, bis sie die Tür zu ihrer Wohnung öffneten und Marçal ausrief, Da sind wir, erst da machte er den Mund auf, um ein paar zusammenhängende Laute von sich zu geben, doch es kam nichts Eigenständiges dabei heraus, er beschränkte sich darauf, den Satz des 331
Schwiegersohnes zu wiederholen, mit einem kleinen rhetorischen Zusatz, Jawohl, da sind wir. Marta und Marçal hatten auch wenig miteinander gesprochen während der Fahrt. Die einzigen Worte, die es wert sind, Eingang in diese Geschichte zu finden, wenn auch nur am Rande und fast beiläufig, da sie sich auf Menschen beziehen, die wir nur vom Hörensagen kennen, sind jene, die sie wechselten, als sie am Haus von Marçals Eltern vorbeifuhren, Hast du ihnen gesagt, dass wir heute weggehen, fragte Marta, Ja, vorgestern, als ich vom Zentrum kam, ich war nur kurz drin, weil das Taxi wartete, Willst du nicht anhalten, fragte sie erneut, Ich habe diese Streitereien so satt, satt bis obenhin, Du solltest aber dennoch, Denk daran, wie sie sich dir gegenüber verhalten haben, als wir bei ihnen waren, du willst doch bestimmt nicht, dass sich diese Szene wiederholt, sagte Marçal, Es ist ein Jammer, denn trotz alledem sind sie deine Eltern, Das ist ein merkwürdiger Ausdruck, Was, Trotz alledem, So sagt man das, Ja, natürlich, Wörter, die auf den ersten Blick nicht mehr zu sein scheinen als eine gänzlich überflüssige Ausschmückung, machen uns plötzlich Angst, wenn wir über sie nachdenken und verstehen, was sie sagen wollen, Trotz alledem, sagte Marta, ist eine versteckte Art zu sagen, was bleibt uns übrig, was sollen wir machen, wenn es so sein muss, oder einfach Resignation, das ist der stärkere Begriff, Nun, wir werden immer mit den Eltern leben müssen, die wir haben, sagte Marçal, Und wir dürfen auch nicht vergessen, dass irgendjemand mit uns als Eltern leben muss, schloss Marta. Da sah Marçal nach rechts und sagte lächelnd, Natürlich hat diese Unterhaltung über uneinige Eltern und Kinder nichts mit dir zu tun, doch Cipriano Algor antwortete nicht, er begnügte sich damit, vage mit dem Kopf zu nicken. Marta, die hinter ihrem Mann saß, sah den Vater nur von der Seite. Was mag wohl mit Isaura gewesen sein, dachte sie, er ist bestimmt nicht nur hingegangen, hat Achado abgegeben und ist dann 332
zurückgekommen, so lange, wie es gedauert hat, müssen sie sich noch etwas anderes gesagt haben, ich würde wer weiß was geben, um zu erfahren, worüber er gerade grübelt, sein Gesicht wirkt ruhig, doch gleichzeitig ist es das Gesicht von jemandem, der nicht ganz bei sich ist, von jemandem, der einer Gefahr entronnen ist und sich wundert, dass er noch am Leben ist. Sie hätte sehr viel mehr erfahren, wenn sie den Vater von vorn hätte sehen können, dann hätte sie vielleicht gesagt, ich kenne diese Tränen, die nicht abfließen und sich in den Augen verzehren, ich kenne diesen glücklichen Schmerz, diese Art schmerzliches Glück, dieses Sein und Nicht-Sein, dieses Haben und Nicht-Haben, dieses Wollen und Nicht-Können. Doch noch war es zu früh, als dass Cipriano Algor ihr geantwortet hätte. Sie hatten das Dorf verlassen, die drei Häuserruinen lagen bereits hinter ihnen, und nun überquerten sie gerade die Brücke über den Bach mit dem trüben, stinkenden Wasser. Vor ihnen, mitten auf den Feldern, dort, wo man diese Baumgruppe erkennen kann, befindet sich, unter Brombeergestrüpp versteckt, der archäologische Schatz der Töpferei Cipriano Algor. Ein jeder würde sagen, dass bereits zehntausend Jahre vergangen sind, seit dort die letzten Überreste einer alten Kultur abgeladen wurden. Als Marçal am Morgen nach seinem freien Tag vom vierunddreißigsten Stock nach unten fuhr, um seinen Dienst als Wachmann mit eindeutig genutzter Dienstwohnung anzutreten, war die Wohnung bereits aufgeräumt, sauber, geordnet, die aus dem anderen Haus mitgebrachten Sachen waren an ihrem Platz und warteten darauf, dass die Bewohner ebenfalls, ohne Widerstand zu leisten, die Plätze einnähmen, die ihnen in dem Ganzen zustanden. Das wird nicht so einfach sein, ein Mensch ist kein Gegenstand, den man einfach irgendwo abstellen und dort stehen lassen kann, ein Mensch bewegt sich, denkt, fragt, zweifelt, untersucht, will wissen, und selbst wenn es tatsächlich so aussieht, als hätte er sich dank der Gewohnheit, sich mit 333
allem abzufinden, doch den Gegenständen unterworfen, dann darf man nicht meinen, dass diese Unterwerfung in jedem Fall endgültig ist. Das erste Problem, das die neuen Bewohner werden lösen müssen, mit Ausnahme von Marçal Gacho, der seine altbekannte Arbeit als Wächter über die Sicherheit der Menschen und die institutionell oder okkasionell mit dem Zentrum in Beziehung stehenden Güter fortführen kann, das erste Problem, sagten wir, wird sein, eine befriedigende Antwort auf die Frage, Und jetzt, was mache ich jetzt, zu finden. Marta trägt die Verantwortung für die Haushaltsführung, und wenn sie niedergekommen ist, wird sie ein Kind zu versorgen haben, und das wird völlig ausreichen, um sie viele Stunden am Tag und auch noch einige in der Nacht zu beschäftigen. Dennoch, der Mensch ist, wie oben erklärt, nicht nur Subjekt des Handelns, sondern auch Subjekt des Denkens, und daher darf es uns nicht wundern, wenn Marta sich mitten in einer Arbeit, die sie bereits eine Stunde lang beschäftigt hat und die sie noch zwei weitere Stunden beschäftigen wird, fragt, Und jetzt, was mache ich jetzt. Doch es ist Cipriano Algor, der sich in der schwierigsten Situation befindet, der seine Hände betrachtet und weiß, dass sie zu nichts nütze sind, der auf die Uhr schaut und weiß, dass die kommende Stunde genau gleich sein wird wie die jetzige, der an den morgigen Tag denkt und weiß, dass er so leer sein wird wie der heutige. Cipriano Algor ist kein Jüngling mehr, er kann nicht den ganzen Tag auf dem Bett herumliegen, das kaum hineinpasst in sein winziges Zimmer, und an Isaura Madruga denken, die Worte wiederholen, die sie sich gegenseitig gesagt haben, die Küsse und Umarmungen, die sie austauschten, wieder aufleben lassen, falls man den geistigen Vorgängen im Gedächtnis einen so hochtrabenden Namen geben darf. Sicherlich wird es nicht an Leuten mangeln, die meinen, die beste Medizin für Cipriano Algors Leiden sei es, sofort in die Garage hinunterzufahren, sich in den Lieferwagen zu setzen 334
und Isaura Madruga zu besuchen, die dort in der Ferne ganz bestimmt die gleichen Sehnsüchte des Körpers und des Geistes durchlebt, sie werden meinen, für einen Mann in einer Situation wie der seinen, dem das Leben keine industriellen und künstlerischen Triumphe ersten oder zweiten Ranges mehr zu bieten hat, sei es doch der höchste Segen und das größte Glück, eine Frau zu haben, die er liebt und die ihm bereits gestanden hat, dass sie diese Liebe erwidern wird. Das hieße jedoch, Cipriano Algor schlecht zu kennen. Genauso wie er uns gesagt hat, ein Mann dürfe einer Frau keinen Heiratsantrag machen, wenn nicht einmal sein eigener Unterhalt gesichert ist, würde er uns auch jetzt sagen, es sei nicht seine Art, einen günstigen Umstand auszunutzen und sich so zu benehmen, als stünde ihm dieses vermeintliche Recht auf die aus diesem Ausnutzen resultierenden Befriedigungen nicht nur wegen der ihn auszeichnenden Eigenschaften und Tugenden zu, sondern auch deswegen, weil er ein Mann sei und seine männliche Aufmerksamkeit und Begierde auf eine Frau gerichtet hätte. Mit anderen, klareren und direkteren Worten, Cipriano Algor ist nicht bereit, selbst wenn er dafür sämtliche Schmerzen und Bitternisse der Einsamkeit in Kauf nehmen muss, sich selbst gegenüber die Rolle jenes Menschen zu spielen, der in regelmäßigen Abständen seine Geliebte besuchen fährt und von dort lediglich die sentimentalen Erinnerungen an einen Abend oder eine Nacht mitbringt, in der die Körper heftig bewegt und die Sinne durchgerüttelt wurden, zum Abschied noch ein zerstreuter Kuss auf ein Gesicht, das die Schminke verloren hat, und in unserem besonderen Fall noch ein Streicheln über den Kopf eines Hundetiers, Bis zum nächsten Mal, Achado. Dennoch hat Cipriano Algor zwei Möglichkeiten, dem Gefängnis zu entrinnen, in das sich die Wohnung plötzlich für ihn verwandelt hat, abgesehen von dem simplen, doch wenig dauerhaften Linderungsmittel, ab und zu ans Fenster zu treten und den Himmel hinter den Scheiben zu 335
betrachten. Die erste Möglichkeit ist die Stadt, das heißt, Cipriano Algor, der immer in diesem unbedeutenden Dorf gelebt hat, das wir kaum kennen gelernt haben, und der von der Stadt nicht mehr kennt als das, was auf seinem Weg lag, kann nun seine Zeit damit zubringen, spazieren zu gehen und umherzustreifen. Außerdem hat er die öffentlichen Parks und Grünanlagen der Stadt zur Verfügung, wo sich die älteren Herren am Nachmittag zu treffen pflegen, Männer, die das typische Gesicht und die typischen Gesten von Rentnern und Arbeitslosen haben, was zwei unterschiedliche Ausdrucksweisen für ein- und dieselbe Sache sind. Er kann sich zu ihnen gesellen und mit ihnen Freundschaft schließen und begeistert bis zum Einbruch der Dunkelheit Karten spielen, bis seine kurzsichtigen Augen nicht mehr unterscheiden können, ob die Symbole auf den Karten noch rot sind oder schon schwarz. Er wird Revanche fordern, wenn er verliert, und diese gewähren, wenn er gewinnt, die Regeln im Park sind einfach und schnell gelernt. Die zweite Möglichkeit, das braucht man eigentlich nicht eigens zu erwähnen, ist das Zentrum selbst, in dem er lebt. Er kennt es natürlich von früher, jedoch weniger gut als die Stadt, weil es ihm bei den wenigen Malen, die er hier war, stets mit seiner Tochter, um etwas einzukaufen, nie gelungen war, sich die Wege einzuprägen. Jetzt gehört das Zentrum sozusagen ihm, es wurde ihm auf einem Tablett aus Klang und Licht serviert, er kann es durchstreifen, wie er gerade Lust hat, sich an seichter Musik und einladenden Stimmen ergötzen. Hätten sie damals, als sie hierher kamen, um die Wohnung zu besichtigen, einen Aufzug auf der gegenüberliegenden Seite benutzt, dann hätten sie während des langsamen Aufstiegs neben weiteren Galerien, Geschäften, Rolltreppen, Treffpunkten, Cafés und Restaurants viele andere Einrichtungen bewundern können, die den Ersteren an Attraktivität und Vielfalt in nichts nachstehen, wie zum Beispiel ein Karussell mit Pferden, ein Karussell mit 336
Weltraumraketen, ein Zentrum für die Kleinen, ein Zentrum für die Alten, einen Liebestunnel, eine Hängebrücke, einen Geisterzug, ein astrologisches Kabinett, einen Annahmeschalter für Wetten, einen Schießstand, einen Golfplatz, ein Luxuskrankenhaus, ein anderes, weniger luxuriöses Krankenhaus, einen Salon, in dem ein Stöckchenspiel gespielt wurde, einen Billardsalon, eine Batterie von Kickerautomaten, eine riesige Landkarte, eine Geheimtür, eine andere mit der Aufschrift Erleben Sie die Naturereignisse, Regen, Wind und Schnee nach Belieben, eine Chinesische Mauer, ein Taj Mahal, eine ägyptische Pyramide, einen Tempel von Karnak, ein Aquädukt wie das in Lissabon, das vierundzwanzig Stunden pro Tag in Betrieb war, ein Kloster von Mafra, einen Torre dos Clerigos wie in Porto, einen Fjord, einen Sommerhimmel mit dahinziehenden weißen Wolken, einen See, eine echte Palme, das Skelett eines Tyrannosaurus, einen anderen, lebendig wirkenden Saurier, einen Himalaja mit Mount Everest, einen Amazonas mit Indianern, ein steinernes Floß, den Christus vom Corcovado, ein trojanisches Pferd, einen elektrischen Stuhl, ein Exekutionskommando, einen Trompete spielenden Engel, einen Fernsehsatelliten, einen Kometen, eine Milchstraße, einen großen Zwerg, einen kleinen Riesen, nun, eine so endlos lange Liste von Wundern, dass nicht einmal achtzig müßige Lebensjahre ausreichen würden, um dieses ganze Angebot zu nutzen, selbst dann nicht, wenn man im Zentrum geboren wäre und die Außenwelt nie zu Gesicht bekommen hätte. Schließt man die Möglichkeit der Betrachtung der Stadt und der Dächer durch die Fenster wegen ihrer eindeutigen Unzulänglichkeit aus, streicht man auch die Parks und die Grünflächen, weil Cipriano Algor noch nicht in einer Gemütsverfassung ist, die man als stille Verzweiflung oder absoluten Überdruss bezeichnen könnte, und nimmt man auch aus den bereits dargelegten schlagkräftigen Gründen Abstand 337
von den verlockenden, aber problematischen Besuchen bei Isaura Madruga zum Zwecke der körperlichen und seelischen Linderung, dann bleibt Martas Vater, wenn er nicht den Rest seines Lebens gähnen und bildlich gesprochen mit dem Kopf gegen die Wand seines inneren Gefängnisses stoßen will, eigentlich nur noch die Möglichkeit, sich an die methodische Entdeckung und Erkundung jener wunderbaren Insel zu machen, auf die man ihn nach seinem Schiffbruch gebracht hat. So wirft Cipriano Algor nun jeden Morgen nach dem Frühstück seiner Tochter ein knappes Bis später hin, und wie jemand, der zur Arbeit geht, fährt er entweder hoch bis zum obersten Stockwerk oder auch hinunter zum Erdgeschoss, wobei er die Aufzüge so einsetzt, wie es seine Beobachterbedürfnisse gerade erfordern, mal mit maximaler und dann wieder mit minimaler Geschwindigkeit, er dringt in Flure und Gänge vor, durchquert die Salons, umkreist riesige, komplexe Schaukästen, Schaufenster, Vitrinen und Glaskästen mit allem, was es an Essen und Trinken gibt, an Kleidung und Schuhwerk, an Produkten für Haut und Haar, für Nägel und Körperhaare, für oben und unten, für Hals und Ohren, für Finger und Handgelenke, zum Überstreifen und Klingeln, zum Aufbauen und zum Zerstören, zum Kochen und zum Backen, zum Färben und zum Entfärben, zum Verlängern und zum Kürzen, zum Verdicken und zum Verdünnen, zum Ausdehnen und zum Schrumpfen, zum Füllen und zum Leeren, und dies alles aufzusagen ist gleichbedeutend damit, gar nichts zu sagen, denn auch hier würden achtzig müßige Lebensjahre nicht ausreichen, um die fünfundfünfzig Bände mit je tausendfünfhundert Seiten im Din-A4-Format, die der Warenkatalog des Zentrums umfasst, durchzulesen und zu analysieren. Natürlich sind es nicht die ausgestellten Artikel, die Cipriano Algor in erster Linie interessieren, zumal das Einkaufen nicht zu seinen Aufgaben und Zuständigkeiten zählt, das ist Sache desjenigen, der das Geld verdient, sprich, des 338
Schwiegersohnes, und derjenigen, die es verwaltet und ausgibt, sprich, der Tochter. Er ist der Müßiggänger, der hier und dort stehen bleibt, einen Wachmann nach dem Weg fragt, nie jedoch Marçal, selbst wenn er zufällig auf ihn trifft, damit die Familienbande nicht durchscheinen, und der vor allem den größten und viel begehrten Vorteil des Wohnens im Zentrum ausnutzt, nämlich den, gratis oder verbilligt die vielfältigen Attraktionen genießen zu können, die den Kunden zur Verfügung stehen. Auf diese Attraktionen sind wir bereits zweimal in nüchterner, knapper Form eingegangen, das erste Mal auf das, was man vom diesseitigen Aufzug aus sehen konnte, das zweite Mal auf das, was man vom jenseitigen Aufzug aus hätte sehen können, aus Rücksicht auf die Objektivität und die Richtigkeit der Angaben wollen wir jedoch daran erinnern, dass wir nie über den vierunddreißigsten Stock hinausgekommen sind. Darüber befindet sich, wie Sie sich erinnern werden, ein Universum aus vierzehn weiteren Stockwerken. Da wir es mit einem Menschen von recht neugieriger Veranlagung zu tun haben, muss wohl kaum erwähnt werden, dass Cipriano Algor seine ersten Forscherschritte zu der mysteriösen Geheimtür lenkte, die jedoch weiterhin mysteriös bleiben muss, da trotz beharrlichen Klingelns und mehrmaligen Klopfens mit den Fingerknöcheln niemand herauskam, um sich zu erkundigen, was er wolle. Doch einem Wachmann, den der Lärm angelockt oder, was wahrscheinlicher ist, den die Bilder des internen Videoleitsystems dorthin gelenkt hatten, musste er prompt eine ausführliche Erklärung abgeben, als dieser ihn fragte, wer er sei und was er dort mache. Cipriano Algor erklärte, dass er im vierunddreißigsten Stock wohne und dass das Schild an der Tür seine Aufmerksamkeit erregt hätte, als er dort zufällig vorbeigekommen sei, Schlichte Neugier, Herr Wachmann, schlichte Neugier eines Menschen, der nichts mehr zu tun hat. Der Wachmann verlangte seinen Personalausweis und das 339
Dokument, das ihn als Bewohner auswies, verglich die Lichtbilder der beiden miteinander, untersuchte die Fingerabdrücke in den beiden Ausweisen mit der Lupe und nahm zum Schluss einen neuen Abdruck von demselben Finger, wobei Cipriano Algor diesen nach ordentlicher Belehrung gegen etwas drücken musste, was wohl der Scanner eines tragbaren Computers war, den der Wachmann aus einer Umhängetasche geholt hatte, während er sagte, Machen Sie sich keine Sorgen, das sind nur Formalitäten, aber lassen Sie sich dennoch raten, kommen Sie nicht wieder hierher, das könnte Sie in Schwierigkeiten bringen, einmal neugierig zu sein reicht, im Übrigen lohnt es sich gar nicht, es gibt nichts Geheimes hinter dieser Tür, früher gab es das einmal, aber jetzt nicht mehr, Wenn das so ist, warum nehmen Sie das Schild dann nicht weg, fragte Cipriano Algor, Es dient als Lockmittel, damit wir erfahren, wer von den Zentrumsbewohnern neugierig ist. Der Wachmann wartete, bis Cipriano Algor gut zehn Meter weitergegangen war, dann folgte er ihm, bis er einen Kollegen traf, dem er diese Mission übertragen konnte, damit es weniger auffiele, Was hat er denn gemacht, fragte der Wachmann Marçal Gacho, seine Beunruhigung verbergend, Er hat an die Geheimtür geklopft, Das ist doch nicht schlimm, das passiert doch jeden Tag ein paar Mal, sagte Marçal erleichtert, Ja, aber die Leute müssen lernen, nicht neugierig zu sein, bestimmte Dinge nicht zu beachten, ihre Nase nicht in Dinge zu stecken, die sie nichts angehen, das ist eine Frage der Zeit und des Feingefühls, Oder des Zwangs, sagte Marçal, Zwang ist heute, außer in ganz extremen Fällen, nicht mehr nötig, natürlich hätte ich ihn verhaften und verhören können, aber ich habe ihm lieber gute Ratschläge erteilt, habe die Psychologie eingesetzt, Ich muss hinter ihm her, sagte Marçal, sonst entwischt er mir noch, Falls du etwas Verdächtiges bemerkst, sag mir Bescheid, damit ich es noch in den Bericht aufnehmen kann, wir unterschreiben dann gemeinsam. Der andere Wachmann ging 340
weg, und Marçal ließ den Schwiegervater, nachdem er dessen Streifzug noch über zwei Stockwerke aus der Ferne beobachtet hatte, schließlich ziehen. Er fragte sich, was wohl richtiger wäre, mit ihm zu reden und ihm größte Vorsicht bei seinen Erkundungen des Zentrums ans Herz zu legen, oder so zu tun, als hätte er nichts von dem kleinen Zwischenfall erfahren und beten, dass sich keine weiteren, schwerwiegenderen mehr ereigneten. Er entschied sich für Letzteres, doch als Cipriano Algor ihm beim Abendessen lachend erzählte, was sich zugetragen hatte, blieb ihm nichts anderes übrig, als in die Rolle des Belehrenden zu schlüpfen und ihn zu bitten, sich so zu verhalten, dass er niemandes Aufmerksamkeit auf sich zöge, egal, ob Wachmann oder nicht. Das ist für die Menschen, die hier wohnen, die einzig korrekte Verhaltensweise. Da zog Cipriano Algor einen Zettel aus der Tasche, Ich habe diese Sätze hier von ein paar Plakaten abgeschrieben, sagte er, ich hoffe, ich habe nicht die Aufmerksamkeit eines Spions oder Beobachters auf mich gezogen, Das hoffe ich auch, sagte Marçal schlecht gelaunt, Ist es verdächtig, Sätze abzuschreiben, die aushängen, damit die Kunden sie lesen, fragte Cipriano Algor, Sie zu lesen ist normal, sie abzuschreiben nicht, und alles, was nicht normal ist, ist zumindest verdächtig, anormal zu sein. Marta, die sich bisher nicht an dem Gespräch beteiligt hatte, bat den Vater, Lies die Sätze vor. Cipriano Algor glättete den Zettel auf dem Tisch und begann zu lesen, Seien Sie wagemutig, träumen Sie. Er sah die Tochter und den Schwiegersohn an, und da diese offensichtlich nicht gewillt waren, einen Kommentar abzugeben, fuhr er fort, Es lebe der Wagemut zu träumen, das ist eine Variante des ersten, und jetzt kommen die anderen, Nummer eins, Erlangen Sie Effektivität, zwei, Genießen Sie die Südsee, ohne das Haus zu verlassen, drei, Das ist nicht Ihre letzte Gelegenheit, aber es ist die beste, vier, Wir denken die ganze Zeit an Sie, jetzt sind Sie dran, an uns zu denken, fünf, Bringen Sie ihre Freunde mit, 341
vorausgesetzt, sie kaufen, sechs, Mit uns werden Sie nie mehr etwas anderes sein wollen, sieben, Sie sind unser bester Kunde, aber sagen Sie das nicht Ihrem Nachbarn, Der hing draußen an der Fassade, sagte Marçal, Jetzt hängt er drinnen, er hat den Kunden wohl gefallen, antwortete der Schwiegervater. Was hast du sonst noch gefunden auf deiner abenteuerlichen Entdeckungsreise, Du wirst einschlafen, wenn ich anfange, es zu erzählen, Dann schläfer mich ein, Was ich am lustigsten fand, begann Cipriano Algor, waren die Naturereignisse, Was ist das denn, Versuche es dir vorzustellen, Ich versuche es, Du kommst in ein Empfangszimmer, bezahlst deine Eintrittskarte, ich musste nur 10 Prozent bezahlen, da ich eine Ermäßigung von 45 Prozent bekam, weil ich Bewohner bin, und nochmal die gleiche Ermäßigung, weil ich über sechzig bin, Es scheint ja großartig zu sein, über sechzig zu sein, sagte Marta, Richtig, je älter du wirst, umso mehr gewinnst du, und wenn du stirbst, dann bist du reich, Und was ist dann passiert, fragte Marçal ungeduldig, Bist du nie dort gewesen, wunderte sich der Schwiegervater, Ich wusste immer, dass es das gibt, bin aber nie reingegangen, hatte keine Zeit, Dann hast du ja keine Ahnung, was dir da entgangen ist, Wenn du es nicht gleich erzählst, gehe ich ins Bett, drohte Marta, Na schön, wenn du also bezahlt hast und sie dir einen Regenmantel, eine Mütze, ein Paar Gummistiefel und einen Regenschirm gegeben haben, alles bunt, man kann auch in Schwarz gehen, aber das kostet extra, gehst du weiter in eine Umkleidekabine, in der dir eine Stimme über Lautsprecher befiehlt, die Stiefel, den Regenmantel und die Mütze anzuziehen, und dann kommst du in eine Art Flur, wo die Leute sich in Viererreihen aufstellen, aber mit viel Abstand dazwischen, damit sie sich frei bewegen können, wir waren ungefähr dreißig, darunter ein paar, die zum ersten Mal dabei waren wie ich, andere, die, wenn ich es richtig verstanden habe, ab und zu mal hingehen, und mindestens fünf davon schienen Veteranen zu sein, einen habe ich sogar sagen 342
hören, Das ist wie eine Droge, man probiert sie aus und wird süchtig. Und dann, fragte Marta, Dann begann es zu regnen, zunächst nur ein paar Tröpfchen, dann etwas stärker, wir haben alle unsere Regenschirme aufgespannt, und schließlich gab uns die Stimme aus dem Lautsprecher den Befehl loszugehen, und was dann kam, das kann man gar nicht beschreiben, man muss es erlebt haben, der Regen wird zum Sturzbach, plötzlich kommt ein Wind auf, eine Bö, und noch eine, Regenschirme klappen nach oben, Mützen fliegen davon, die Frauen schreien, um nicht zu lachen, die Männer lachen, um nicht zu schreien, und der Wind wird stärker, wird zum Taifun, die Leute rutschen aus, fallen hin, stehen auf, fallen wieder hin, der Regen wird zur Sintflut, wir haben gut zehn Minuten gebraucht, um schätzungsweise fünfundzwanzig bis dreißig Meter zurückzulegen, Und dann, fragte Marta gähnend, Dann sind wir wieder zurückgegangen, und als Nächstes fing es an zu schneien, am Anfang nur ein paar vereinzelte Flocken, dann wurden sie immer dichter, sie fielen vor uns herab wie ein Vorhang, sodass man kaum noch seine Nachbarn erkennen konnte, einige hatten immer noch die Schirme aufgespannt, was noch mehr Durcheinander verursachte, schließlich kamen wir wieder in die Umkleidekabine, und dort schien eine Sonne, die eine wahre Pracht war, Sonne in der Umkleidekabine, fragte Marçal zweifelnd, Zu dem Zeitpunkt war es schon keine Umkleidekabine mehr, sondern so eine Art Flur, Und das waren die Naturereignisse, fragte Marta, Ja, Das ist doch nichts, was man nicht Tag für Tag draußen erleben könnte, Das war genau mein Kommentar, als wir die Sachen zurückgaben, aber ich hätte besser nichts gesagt, Warum, Weil einer der Veteranen mich voll Verachtung ansah und meinte, Ich empfinde Mitleid für Sie, Sie werden es nie verstehen. Zusammen mit ihrem Mann räumte Marta den Tisch ab. Morgen oder an einem anderen Tag gehe ich an den Strand, verkündete Cipriano Algor, Da war ich schon einmal, sagte 343
Marçal, Und wie ist das, Eher tropisch, sehr heiß, und das Wasser ist lauwarm, Und der Sand, Sand gibt es nicht, der Boden ist ein Plastikimitat, von weitem sieht es sogar richtig echt aus, Aber Wellen gibt es natürlich nicht, Genau da täuscht man sich, denn die haben da drin so einen Mechanismus, der Wellen produziert, genau solche wie im Meer, Das gibt's doch nicht, Doch, Was der Mensch nicht alles erfinden kann, Ja, sagte Marçal, es ist ein bisschen traurig. Cipriano Algor erhob sich, drehte zwei Runden in der Wohnung, erbat sich von seiner Tochter ein Buch und sagte, bereits an der Tür zu seinem Zimmer, Ich war da unten, der Boden vibriert nicht mehr, und man hört auch nicht mehr dieses Baggergeräusch, worauf Marçal antwortete, Dann sind sie bestimmt fertig mit der Arbeit.
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MARTA HATTE ihrem Mann vorgeschlagen, seinen ersten freien Tag seit dem Umzug ins Zentrum zu nutzen, um in dem Haus mit der Töpferei ein paar Sachen zu holen, die ihrer Meinung nach noch fehlten, Bei einem normalen Umzug nimmt man alles mit, was man hat, aber bei uns war das anders, und im Übrigen bin ich überzeugt davon, dass wir noch ein paar Mal hinfahren müssen, und das ist eigentlich auch ganz schön, wir können die Nacht in unserem Bett verbringen und am nächsten Morgen wiederkommen, so wie du es früher gemacht hast. Marçal antwortete, er fände es nicht erstrebenswert, eine Situation zu schaffen, in der sie am Schluss gar nicht mehr wüssten, wo sie wirklich wohnten, Dein Vater will uns zwar offensichtlich den Eindruck vermitteln, dass es ihm großen Spaß macht, die Geheimnisse des Zentrums zu erkunden, aber ich kenne ihn, hinter dieser Maske arbeitet es in seinem Kopf, Er hat mir gegenüber kein einziges Wort darüber verloren, was bei Isaura passiert ist, hat sich vollkommen verschlossen, und das war noch nie der Fall, auf irgendeine Weise, und sei es auf wütende oder unflätige, hat er sich mir gegenüber immer geöffnet, ich denke, es könnte ihm helfen, wenn wir jetzt nach Hause führen, er würde bestimmt gerne wissen, wie es Achado geht und könnte noch einmal mit ihr reden, Na schön, wenn du meinst, dann fahren wir, aber denk an das, was ich dir gesagt habe, entweder wohnen wir hier, oder wir wohnen in der Töpferei, so zu leben, als wären diese beiden Orte eins, das ist, als würde man nirgendwo wohnen, Vielleicht muss das für uns so sein, Was muss so sein, Dass wir nirgendwo wohnen, Alle Menschen brauchen ein Zuhause, und wir sind da keine Ausnahme, Das Haus, das wir hatten, wurde uns genommen, Es gehört immer noch uns, Aber nicht mehr so wie früher, Jetzt ist das hier unser Zuhause. Marta blickte sich um und sagte, Ich glaube nicht, dass es das 345
jemals wird. Marçal zuckte mit den Achseln, dachte sich, dass diese Algors Menschen seien, die nur schwer zu verstehen waren, aber dass er sie trotzdem gegen nichts auf der Welt eintauschen würde. Sagen wir es deinem Vater, fragte er, Erst kurz vorher, damit er sich nicht zu lange den Kopf zerbricht und sich nicht mit Selbstzweifeln quält. Cipriano Algor erfuhr nicht, dass die Tochter und der Schwiegersohn Pläne für ihn geschmiedet hatten. Marçals freier Tag wurde gestrichen, und das Gleiche passierte seinen Schichtkollegen. Unter dem Siegel der Verschwiegenheit wurde den Wachmännern mit Dienstwohnung, und nur diesen, da sie als vertrauenswürdiger galten, mitgeteilt, dass bei den Bauarbeiten für die neuen Kühllager im Stockwerk 05 etwas freigelegt worden sei, das einer sorgsamen und langwierigen Untersuchung unterzogen werden musste, Fürs Erste haben nur ausgewählte Personen Zugang zu diesem Ort, sagte der Kommandant den Wachleuten, in ein paar Tagen wird eine Gruppe von Spezialisten dort arbeiten, Geologen, Archäologen, Soziologen, Anthropologen, Gerichtsmediziner, Publizisten, es hieß sogar, es seien zwei Philosophen dabei, fragt mich nicht, weshalb. Er machte eine Pause, ließ seinen Blick über die zwanzig Männer schweifen, die sich vor ihm aufgestellt hatten, und fuhr fort, Euch ist es untersagt, mit irgendjemandem, ganz egal mit wem, über das, was ich euch gerade mitgeteilt habe, zu sprechen, und auch nicht über das, was ihr noch erfahren werdet, und wenn ich irgendjemand sage, dann meine ich wirklich alle, Frau, Kinder, Eltern, ich verlange von euch absolute und strikte Verschwiegenheit, habt ihr das verstanden, Jawohl, antworteten die Männer im Chor, Sehr gut, der Eingang zur Höhle, ich habe vergessen zu sagen, dass es sich um eine Höhle handelt, wird Tag und Nacht bewacht werden, ohne Unterbrechung, in Vier-Stunden-Schichten, aus diesem Plan könnt ihr die Abfolge der Wachdienste ersehen, es ist jetzt fünf Uhr, um sechs fangen wir an. Einer der Männer hob die 346
Hand, er wollte wissen, ob man erfahren dürfe, wann die Höhle entdeckt wurde und wer sie seitdem bewache, Die Verantwortung für die Sicherheit, sagte der Kommandant, wird erst ab sechs Uhr auf uns übergehen, also wird man uns auch nicht für Unkorrektheiten, die sich vorher ereignet haben, verantwortlich machen können. Der Eingang zu der Höhle wurde heute früh entdeckt, als man die Erde per Hand ausschaufelte, daraufhin wurde die Arbeit unverzüglich eingestellt und die Verwaltung verständigt, seitdem sind drei Ingenieure der Bauleitung die ganze Zeit über dort gewesen, Befindet sich etwas in der Höhle, wollte ein anderer Wachmann wissen, Ja, antwortete der Kommandant, Ihr werdet Gelegenheit haben, mit euren eigenen Augen zu sehen, worum es sich dabei handelt, Ist es gefährlich, sollten wir besser eine Waffe tragen, fragte derselbe Wachmann, So viel man weiß, besteht keinerlei Gefahr, dennoch dürft ihr aus Sicherheitsgründen nichts anfassen und auch nicht zu dicht rangehen, wir wissen nicht, welche Folgen ein Kontakt haben könnte, Für uns oder für das, was da drin ist, beschloss Marçal zu fragen, Für die einen wie die anderen, Gibt es mehr als einen in der Höhle, Ja, sagte der Kommandant, und sein Gesichtausdruck veränderte sich, dann riss er sich zusammen und fuhr fort, Wenn ihr jetzt keine weiteren Fragen mehr habt, dann merkt euch bitte Folgendes, erstens, was die Frage betrifft, ob ihr bewaffnet oder unbewaffnet gehen sollt, so erachte ich es als ausreichend, wenn ihr euren Stock mitnehmt, nicht weil ich denke, dass ihr ihn werdet einsetzen müssen, sondern damit ihr euch sicherer fühlt, der Stock gehört sozusagen zur Grundausstattung, ohne ihn fühlt sich der uniformierte Wachmann nackt, zweitens, wer gerade keinen Wachdienst hat, wird sich Zivilkleidung anlegen und durch sämtliche Stockwerke patrouillieren, um Gespräche zu belauschen, die irgendetwas mit der Höhle zu tun haben könnten, sollte ein solcher Fall eintreten, auch wenn dies 347
praktisch unmöglich ist, muss unverzüglich der zentrale Sicherheitsdienst benachrichtigt werden, wir werden die nötigen Vorkehrungen treffen. Der Kommandant machte eine Pause und schloss dann mit dem Satz, Das ist alles, was ihr wissen müsst, und noch einmal, befolgt die Anweisung, absolutes Stillschweigen, es ist eure Karriere, die auf dem Spiel steht. Die Wachleute gingen zu dem Plan, in dem die Wachdienste eingetragen waren, Marçal sah, dass seiner der neunte war, also hätte er am übernächsten Tag zwischen zwei und sechs Uhr morgens Dienst. Dort unten, in dreißig bis vierzig Meter Tiefe, würde man den Unterschied zwischen Tag und Nacht nicht merken, bestimmt gäbe es dort nichts anderes als Dunkelheit, durchbrochen von dem grellen Licht der Scheinwerfer und Glühbirnen. Während der Aufzug ihn in den vierunddreißigsten Stock brachte, überlegte er sich, was er Marta sagen könnte, ohne das Versprechen, das er gegeben hatte, allzu sehr zu brechen, das Verbot erschien ihm absurd, ein Mensch hat doch wohl das Recht, wenn nicht gar die Pflicht, der eigenen Familie zu vertrauen, dennoch, das ist alles graue Theorie, so viel er auch hin und her überlegt, es wird ihm nichts anderes übrig bleiben, als die Anweisung zu befolgen, Befehl ist Befehl. Der Schwiegervater war nicht zu Hause, war vermutlich wieder auf Entdeckungstour, wie ein neugieriges Kind, auf der Suche nach dem Sinn der Dinge, und schlau genug, diesen auch zu finden, egal, wie versteckt er war. Er sagte zu Marta, dass man ihm vorübergehend eine andere Aufgabe zugeteilt hätte, er müsse jetzt in Zivil gehen, es wäre nicht für immer, nur für ein paar Tage. Marta fragte, warum, und er antwortete, das dürfe er nicht sagen, es sei vertraulich, Ich habe mein Ehrenwort gegeben, rechtfertigte er sich, und das war nicht wahr, der Kommandant hatte nicht von ihm verlangt, sich bei seiner Ehre zu verpflichten, das sind Formeln aus einer anderen Zeit, einer Zeit mit anderen Gepflogenheiten, sie kommen uns manchmal in den Sinn, ohne dass wir darüber 348
nachdenken, so wie das auch bei der Erinnerung passieren kann, die uns immer mehr zu geben hat als das bisschen, das wir von ihr verlangen. Marta antwortete nicht, sondern öffnete den Schrank und nahm einen der zwei Anzüge, die ihr Mann besaß, vom Bügel, Ich denke, der ist richtig, sagte sie, Genau richtig, sagte Marçal, zufrieden, dass sie in diesem wichtigen Punkt übereinstimmten. Er dachte, dass es vielleicht am besten wäre, ihr das andere auch gleich zu erzählen, alles in einem Aufwasch zu erledigen, denn wäre er statt deines Kollegen für den ersten Wachdienst eingeteilt worden, dann müsste er es Marta auch jetzt mitteilen, Ich habe gleich einen Dienst, von sechs bis zehn, frag mich nichts weiter, es ist geheim, dieser Satz ist gut, er müsste nur noch die Stunden und den Tag ändern, Ich habe übermorgen von zwei bis sechs Uhr morgens Dienst, frag mich nichts weiter, es ist geheim. Marta sah ihn misstrauisch an, Um diese Uhrzeit ist das Zentrum geschlossen, Nun, es ist nicht direkt im Zentrum, Dann ist es also draußen, Es ist drin, aber nicht im Zentrum, Das verstehe ich nicht, Ich fände es besser, wenn du mich nichts mehr fragen würdest, Ich sage doch nur, dass ich nicht verstehe, wie eine Sache gleichzeitig draußen und drinnen stattfinden kann, Es ist in den Baugruben für die Kühlanlagen, aber mehr sag ich nicht, Haben sie Öl gefunden, eine Diamantenmine oder den Stein der Weisen, fragte Marta, Ich weiß nicht, was sie gefunden haben, Und wann wirst du es wissen, Wenn ich Schicht habe, Oder wenn du deine Kollegen fragst, die vorher da waren, Es wurde uns verboten, untereinander darüber zu sprechen, sagte Marçal und wandte den Blick ab, denn das waren keine Worte, die die Bezeichnung wahr verdient hätten, eher waren sie eine aus den rhetorischen Schwierigkeiten des Augenblicks resultierende eigenwillige Interpretation der Befehle und Empfehlungen des Kommandanten, Das scheint ja ein großes Geheimnis zu sein, Sieht so aus, gab Marçal zu, während er mit übertriebener Sorgfalt versuchte, die Manschetten seines 349
Hemdes zurechtzuzupfen, damit sie unter den Ärmeln des Jacketts die richtige Länge hätten. In Zivil wirkte er älter, als er war. Kommst du zum Abendessen, fragte Marta, Es liegt kein gegenteiliger Befehl vor, aber falls ich nicht kommen kann, rufe ich an. Er ging hinaus, bevor es seiner Frau einfiele, noch mehr Fragen zu stellen, erleichtert darüber, ihrer hartnäckigen Neugier entkommen zu sein, doch auch verdrossen, weil das Gespräch von seiner Seite aus nicht gerade ein Musterbeispiel für Loyalität gewesen war, Ich war doch loyal, widersprach er sich selbst, ich habe ihr gleich gesagt, dass es sich um ein Geheimnis handelt. Obwohl dieser Widerspruch tatkräftige Unterstützung seitens der Vernunft fand, gelang es Marçal nicht, sich selbst zu überzeugen. Als eine gute halbe Stunde später Cipriano Algor, noch kaum erholt von dem Schrecken der Geisterbahn, nach Hause kam, fragte Marta ihn, Hast du deinen Schwiegersohn gesehen, Nein, habe ich nicht, Wahrscheinlich hättest du ihn auch gar nicht erkannt, wenn du ihn gesehen hättest, Warum, Er kam nach Hause und hat sich umgezogen, jetzt macht er seinen Wachdienst in Zivil, Das ist ja was ganz Neues, Es wurde angeordnet, Wachdienst in Zivil ist kein Wachdienst, das ist Spionage, urteilte der Vater. Marta erzählte ihm, was sie wusste, was so gut wie nichts war, doch es war genug, um Cipriano Algors Interesse für den Amazonas und die Indianer, zu denen er am nächsten Tag hatte reisen wollen, schwinden zu lassen, Es ist merkwürdig, ich hatte von Anfang an so eine Ahnung, dass hier irgendwas passiert, Was willst du damit sagen, von Anfang an, fragte Marta, Dieser Boden, der so gezittert und vibriert hat, das Baggergeräusch, erinnerst du dich, als wir die Wohnung besichtigt haben, Wir wären schlecht beraten, wenn wir jedes Mal Vorahnungen hätten, wenn wir einen Bagger hören, der gerade arbeitet, das erinnert mich an dieses Nähmaschinengeräusch, das wir an der Küchenwand immer zu hören glaubten und zu dem die Mutter gesagt hat, es bedeutet, dass eine arme Schneiderin für die 350
Sünde, am Sonntag gearbeitet zu haben, bestraft wird, Aber diesmal scheint es zuzutreffen, Es sieht so aus, sagte Marta, die Worte ihres Mannes wiederholend, Wir werden sehen, was er uns zu erzählen hat, wenn er kommt, sagte Cipriano Algor. Sie erfuhren nichts Neues. Marçal versteckte sich hinter den Antworten, die er bereits gegeben hatte, wiederholte sie ein ums andere Mal, und schließlich beschloss er, der Sache ein Ende zu bereiten, Wenn Ihr so weitermacht, gebe ich gern zu, dass dieser Befehl unsinnig ist, aber ich habe ihn nun mal erhalten, und mehr gibt es dazu nicht zu sagen, Sag uns wenigstens, wieso ihr plötzlich eure Patrouillen in Zivil macht, bat der Schwiegervater. Wir machen keine Patrouillen, wir wachen über die Sicherheit des Zentrums, mehr nicht, Na schön, dann ist es eben das, Ich kann dir nicht mehr sagen, frag mich bitte nicht, sagte Marçal schroff und verärgert. Er sah seine Frau an, als wollte er sie fragen, weshalb sie schwieg, weshalb sie ihn nicht verteidigte, und sie sagte, Marçal hat Recht, Vater, lass es gut sein, und an ihn gewandt, während sie ihn auf die Stirn küsste, Verzeih uns, wir Algors sind manchmal ein wenig unsensibel. Nach dem Abendessen sahen sie sich eine Fernsehsendung an, die über den internen Kanal des Zentrums, nur für die Bewohner, ausgestrahlt wurde, dann zogen sie sich in ihre Schlafzimmer zurück. Als das Licht bereits gelöscht war, bat Marta Marçal erneut um Entschuldigung, Marçal gab ihr einen Kuss, und wenn es nicht zu zweiten und dritten Küssen kam, dann nur deshalb, weil er rechtzeitig begriffen hatte, dass er ihr auf diese Weise doch noch alles erzählen würde. Cipriano Algor hatte, auf dem Bett sitzend, lange nachgedacht und war nun zu dem Schluss gekommen, dass er herausfinden musste, was in den Tiefen des Zentrums vor sich ging, und sollte es dort eine weitere Geheimtür geben, dann würde man ihm diesmal jedenfalls nicht sagen können, dass sich dahinter nichts befand. Marçal noch einmal zu löchern hatte keinen Zweck, außerdem taten sie 351
dem armen Jungen unrecht, wenn er den Befehl, nicht zu reden, erhalten hatte und diesen nun befolgte, dann sollte man ihn dazu beglückwünschen und ihn nicht schamlosem Psychodruck aussetzen, worin Familien Meister sind, ich bin dein Schwiegervater, du bist mein Schwiegersohn, erzähl mir alles, Marta hatte Recht, dachte er, wir Algors sind ziemlich unsensibel. Morgen würde er den Amazonas und die Indianer in Ruhe lassen und sich der Aufgabe widmen, das Zentrum von oben bis unten abzulaufen, um die Gespräche der Leute zu belauschen. Im Grunde ist ein Geheimnis so etwas Ähnliches wie die Zahlenkombination eines Safes, auch wenn wir sie nicht kennen, wissen wir doch, dass sie aus sechs Zahlen besteht, dass sich möglicherweise sogar eine oder auch mehrere Zahlen wiederholen und dass die möglichen Kombinationen, so zahlreich sie auch sein mögen, dennoch nicht unendlich sind. Wie bei allen Dingen im Leben ist es eine Frage der Zeit und der Geduld, ein Wort hier, ein anderes dort, eine Andeutung, ein Blickwechsel, ein plötzliches Schweigen, kleine, vereinzelte Risse, die in der Wand auftauchen, die Kunst des Untersuchenden liegt darin, sie zusammenzufügen, die Trennungslinien zu eliminieren, und es wird stets der Augenblick kommen, in dem wir uns fragen, ob der Traum, der Ehrgeiz, die stille Hoffnung der Geheimnisse letztlich nicht die vage und ferne Möglichkeit ist, kein Geheimnis mehr zu sein. Cipriano Algor entkleidete sich, löschte das Licht, dachte, dass ihm eine schlaflose Nacht bevorstünde, doch nach fünf Minuten war er bereits in einen so tiefen, so undurchdringlichen Schlaf gefallen, dass es nicht einmal Isaura Madruga gelungen war, durch jene Tür zu spähen, die sich darin als letzte schloss. Als Cipriano Algor später als gewöhnlich aus seinem Zimmer kam, war der Schwiegersohn bereits zur Arbeit gegangen. Noch etwas verschlafen wünschte er seiner Tochter einen guten Morgen, setzte sich, um das Frühstück 352
einzunehmen, und in diesem Augenblick klingelte das Telefon. Marta nahm den Hörer ab und kam sofort zurück. Es ist für dich. Cipriano Algors Herz schlug höher, Für mich, wer kann denn mich sprechen wollen, fragte er, bereits in der Gewissheit, dass die Tochter ihm antworten würde, Es ist Isaura, doch stattdessen antwortete sie, Es ist die Einkaufsabteilung, einer der Unterabteilungsleiter. Hin- und hergerissen zwischen der Enttäuschung, dass der Anruf nicht von der ersehnten Person kam, und der Erleichterung, seiner Tochter nicht den Grund für die Vertrautheit mit der Nachbarin erklären zu müssen, obgleich das Telefonat natürlich auch nur Achado hätte betreffen können, seine Traurigkeit über die Abwesenheit des Herrn zum Beispiel, ging Cipriano Algor ans Telefon, sagte, wer er war, und hatte kurz darauf den sympathischen Unterabteilungsleiter am Apparat, Es war eine Überraschung für mich zu hören, dass Sie jetzt im Zentrum wohnen, Sie sehen, der Teufel lauert doch nicht immer hinter der Tür, das ist ein altes Sprichwort, aber es ist sehr viel wahrer, als man denkt, Da haben Sie in der Tat Recht, sagte Cipriano Algor, Der Grund für meinen Anruf ist, dass wir Sie bitten wollen, heute Nachmittag hier vorbeizukommen, damit wir Ihnen die Figuren bezahlen können, Was für Figuren, Die dreihundert, die Sie uns für die Umfrage geliefert hatten, Aber die Figuren wurden doch gar nicht verkauft, daher gibt es auch nichts zu bezahlen, Mein lieber Herr, sagte der Unterabteilungsleiter mit unerwarteter Strenge in der Stimme, lassen Sie dies bitte unsere Sorge sein, dennoch sei Ihnen hiermit gesagt, dass das Zentrum, selbst wenn eine Zahlung, wie in diesem Fall, einen Schadenswert von über hundert Prozent darstellt, trotzdem seine Rechnungen begleicht, das ist eine Frage der Moral, jetzt, wo Sie hier bei uns wohnen, werden Sie dies bald besser verstehen, Mag sein, aber dennoch verstehe ich nicht, wie ein Schaden sich auf mehr als hundert Prozent belaufen kann, Genau darum, weil Familienbetriebe diese Dinge nicht 353
berücksichtigen, gehen sie ein, Es ist zu schade, dass ich das nicht früher gewusst habe, Nehmen Sie also zur Kenntnis, wir werden erstens die Figuren zu genau dem Preis bezahlen, der uns in Rechnung gestellt wurde, und zu keinem Centavo weniger, Das habe ich noch begriffen, Zweitens werden wir natürlich auch die Umfrage bezahlen müssen, das heißt, die verwendeten Materialien, die Menschen, die die Daten analysiert haben, die Arbeitszeit, die dies in Anspruch nahm, wenn Sie sich einmal vorstellen, dass diese Materialien, diese Menschen und diese Zeit für rentable Aufgaben hätten verwendet werden können, dann ist wirklich keine große Intelligenz erforderlich, um zu der Schlussfolgerung zu gelangen, dass es sich in der Tat um einen Verlust von über hundert Prozent handelt, betrachtet man das, was man nicht verkauft hat, und das, was man ausgegeben hat, um zu der Schlussfolgerung zu gelangen, dass man es nicht verkaufen sollte, Es tut mir Leid, dass ich Ihrem Zentrum so großen Schaden zugefügt habe, Das muss man in Kauf nehmen, beim einen Mal verliert man, beim andern gewinnt man, es war jedenfalls nicht so schlimm, schließlich ging es nur um ein sehr kleines Geschäft, Ich könnte mich, sagte Cipriano Algor, ebenfalls auf meine moralischen Grundsätze berufen und mich weigern, Geld für eine Arbeit anzunehmen, die man mir nicht abkaufen wollte, doch das Geld kommt mir ganz gelegen, Das ist ein guter Grund, der beste überhaupt, Ich komme also heute Nachmittag bei Ihnen vorbei, Sie brauchen nicht nach mir zu fragen, gehen Sie direkt zur Kasse, dies ist die letzte Geschäftshandlung, die wir mit Ihrem bereits gelöschten Betrieb durchführen, wir wollen, dass Sie sie in bester Erinnerung behalten, Vielen Dank, Und nun genießen Sie den Rest Ihres Lebens, das hier ist der ideale Ort dafür, Das scheint mir auch so, Herr Unterabteilungsleiter, Nutzen Sie Ihre Glückssträhne, Genau das werde ich tun. Cipriano Algor legte auf, Sie zahlen uns die Figuren, sagte er, es war also doch nicht 354
alles umsonst. Marta machte eine Kopfbewegung, die alles bedeuten konnte, Zustimmung, Widerspruch, Gleichgültigkeit, und zog sich dann in die Küche zurück. Geht es dir nicht gut, fragte der Vater, als er an die Küchentür trat, Ich bin nur ein bisschen müde, das kommt bestimmt von der Schwangerschaft, Du machst auf mich einen apathischen und abwesenden Eindruck, du solltest dich mehr ablenken, dich hier ein bisschen umsehen, So wie du, Vater, Ja, so wie ich, Interessiert dich das wirklich alles, was es da draußen gibt, fragte Marta, denk zweimal nach, bevor du mir antwortest, Da brauche ich nur einmal nachzudenken, es interessiert mich überhaupt nicht, ich tue nur so, Dir selbst gegenüber, nicht wahr, Du bist alt genug, um zu wissen, dass es nur diese Möglichkeit gibt, auch wenn es anders aussieht, tun wir nie den anderen, sondern immer nur uns selbst gegenüber so, Es freut mich, das aus deinem Mund zu hören, Warum, Weil es das bestätigt, was ich mir bei der Geschichte mit Isaura Madruga immer gedacht habe, Die Situation hat sich verändert, Das freut mich noch mehr, Irgenwann erzähle ich es dir, aber noch bin ich wie Marçal, ein Buch mit sieben Siegeln. Die Lauschexpedition Cipriano Algors verlief ergebnislos, und danach, beim Mittagessen, wagte keiner der drei, als hätten sie dies stillschweigend vereinbart, das heikle Thema der Ausgrabungen und der dort getätigten Funde anzuschneiden. Schwiegervater und Schwiegersohn verließen die Wohnung gleichzeitig, Marçal, um seine Spionage- und Abhörtätigkeit wieder aufzunehmen, die wahrscheinlich genauso ergebnislos verlaufen würde, wie die am Vormittag für den einen wie den anderen verlaufen war, und Cipriano Algor, um sich erstmals zu erkundigen, wie man vom Innenraum des Zentrums zur Einkaufsabteilung gelangte. Er begriff, dass seine Bewohnerkennkarte, die ebenfalls mit Lichtbild und Fingerabdruck ausgestattet war, ihm gewisse Zugänge erleichterte, denn der Wachmann, dem er die Frage gestellt 355
hatte, wies ihm den Weg, als sei dies die selbstverständlichste Sache der Welt, Gehen Sie diesen Flur entlang, immer geradeaus, und wenn Sie am Ende angekommen sind, müssen Sie nur den Schildern folgen, Sie können sich gar nicht verlaufen, sagte er. Er befand sich im Erdgeschoss, irgendwo würde er ins Untergeschoss hinabsteigen müssen, wo er in glücklicheren Zeiten, eine Meinung, die der sympathische Unterabteilungsleiter bestimmt nicht teilen würde, immer vorstellig geworden war, um seine Teller und Becher zu entladen. Ein Pfeil und eine Rolltreppe wiesen ihm den Weg. Ich fahre hinunter, dachte er. Ich fahre hinunter, ich fahre hinunter, wiederholte er, und gleich darauf, So ein Blödsinn, natürlich fahre ich hinunter, dafür sind die Rolltreppen doch da, wenn sie nicht dazu da sind hinaufzufahren, eine Treppe, die nicht hinunterführt, führt hinauf, und die, die nicht hinaufführt, führt hinunter. Er schien zu einer unwiderlegbaren Schlussfolgerung gelangt zu sein, auf die es keinerlei logischen Widerspruch gab, doch plötzlich durchzuckte ein anderer Gedanke ihn wie ein Blitz, Hinunterfahren, hinunterfahren bis dorthin. Ja, hinunterfahren bis dorthin. Cipriano Algor hat soeben die Entscheidung getroffen, dass er in dieser Nacht versuchen wird, dorthin zu gelangen, wo Marçal Wache hält, zwischen zwei und sechs Uhr morgens, das wollen wir nicht vergessen. Der gesunde Menschenverstand und die Vernunft, die in solchen Augenblicken immer ein Wörtchen mitreden wollen, haben ihn bereits gefragt, wie er, ohne die Wege zu kennen, an einen so verborgenen Ort gelangen will, und er antwortete, dass die Wege und Möglichkeiten des Zufalls zwar in der Tat sehr vielfältig seien, aber dennoch nicht unendlich, und dass wir immer besser daran tun, das Risiko einzugehen, auf einen Feigenbaum zu klettern, um vielleicht eine Feige zu erreichen, als uns in seinen Schatten zu legen und darauf zu warten, dass uns eine in den Mund fällt. Jener Cipriano Algor, der schließlich an der Kasse der Einkaufsabteilung vorsprach, 356
nachdem er sich zweimal verlaufen hatte, trotz der Hilfe der Pfeile und Wegweiser, war nicht der, den wir bisher kennen gelernt haben. Dass seine Hände so zitterten, lag nicht an der lächerlichen Aufregung darüber, für seine Arbeit Geld in Empfang zu nehmen, mit dem er nicht gerechnet hatte, sondern weil die Befehle und Anweisungen in seinem Gehirn, das gerade mit Dingen von weitaus größerer Bedeutung beschäftigt war, verworren, verdreht und widersprüchlich an ihren jeweiligen Endstationen ankamen. Als er in den Verkaufsbereich des Zentrums zurückkehrte, wirkte er ein wenig ruhiger, die Aufregung hatte sich bereits nach innen verlagert. Da er sich nicht mehr um seine Hände sorgen musste, produzierte sein Gehirn nun eine List und Tücke nach der anderen, Kunstgriffe, Strategien, Intrigen, scharfsinnige Pläne, er ging sogar so weit, die Möglichkeit der Telekinese in Betracht zu ziehen, um seinen nervösen Körper, den er gerade so schwer unter Kontrolle hatte, blitzschnell vom vierunddreißigsten Stockwerk zu der mysteriösen Ausgrabung zu katapultieren. Obgleich ihm noch lange Wartestunden bevorstanden, beschloss Cipriano Algor, nach Hause zu gehen. Er wollte seiner Tochter das Geld geben, das er erhalten hatte, doch diese sagte, Behalte es für dich, ich brauche es nicht, und dann fragte sie, Willst du einen Kaffee, Ach ja, das ist eine gute Idee. Der Kaffee wurde gekocht, in eine Tasse gegossen, getrunken, alles deutet darauf hin, dass nun keine weiteren Worte mehr fallen werden zwischen den beiden, es scheint so zu sein, wie Cipriano Algor es sich schon manches Mal gedacht hat, obwohl wir diese Gedanken zum gegebenen Zeitpunkt nicht aufgezeichnet haben, dass das Haus, dieses, in dem sie nun wohnen, die böse Gabe besitzt, die Menschen zum Schweigen zu bringen. Dennoch, Cipriano Algors Gehirn, das mangels ausreichender Schulung die Möglichkeit der Telekinese bereits ad acta legen musste, ist auf eine ganz bestimmte Information 357
angewiesen, ohne die sein Plan für den nächtlichen Streifzug ganz einfach den Bach hinuntergeht. Also stellt er die Frage, während er wie zerstreut mit dem Löffel das Restchen Kaffee umrührt, das in der Tasse zurückgeblieben ist, Weißt du, in welcher Tiefe sich die Ausgrabung befindet, Wozu willst du das wissen, Aus reiner Neugier, nichts weiter, Marçal hat nicht darüber gesprochen. Cipriano Algor verbarg seine Enttäuschung so gut es ging und sagte, er wolle einen Mittagsschlaf machen. Er verbrachte den ganzen Nachmittag im Schlafzimmer und kam erst heraus, als die Tochter ihn zum Abendessen rief, Marçal saß bereits am Tisch. Während des ganzen Abendessens wurde, wie bereits beim Mittagessen, nicht über die Ausgrabung gesprochen, erst als Marta ihren Mann daran erinnerte, Du solltest noch etwas schlafen, bevor du da hinuntergehst, du wirst eine ganze Nacht ohne Schlaf zubringen, und er antwortete, Es ist zu früh, ich bin noch nicht müde, griff Cipriano Algor das unerwartete Stichwort auf und wiederholte seine Frage, In welcher Tiefe befindet sich eigentlich diese Ausgrabung, Wozu willst du das wissen, Um mir eine Vorstellung zu machen, aus reiner Neugier. Marçal zögerte, bevor er antwortete, doch diese Information schien ihm nicht zu den streng vertraulichen zu gehören, Der Zugang befindet sich in Stockwerk 05, sagte er schließlich, Ich dachte, die Bagger hätten sehr viel tiefer gearbeitet, Es ist immerhin fünfzehn bis zwanzig Meter unter der Erdoberfläche, sagte er, Du hast Recht, das ist ganz schön tief. Dann wurde nicht weiter über das Thema gesprochen. Marçal machte nicht den Eindruck, verärgert zu sein wegen dieses kurzen Gesprächs, im Gegenteil, fast könnte man meinen, dass er irgendwie erleichtert wirkte, weil er, ohne gefährliche oder verbotene Themen anschneiden zu müssen, ein bisschen über das Thema hatte reden können, das ihn so beunruhigt, wie leicht zu bemerken ist. Marçal ist nicht ängstlicher als die meisten Menschen, doch die Perspektive, vier Stunden lang in einem 358
Loch zu sitzen, in dem Totenstille herrscht, und zu wissen, was sich hinter ihm befindet, gefällt ihm überhaupt nicht. Wir sind auf eine solche Situation nicht vorbereitet worden, hatte ihm einer seiner Kollegen gesagt, hoffentlich kommen bald diese Fachleute, von denen der Kommandant gesprochen hat, damit wir diesen Dienst nicht mehr machen müssen, Hast du Angst gehabt, fragte Marçal, Angst, das, was man gemeinhin Angst nennt, vielleicht nicht, aber ich kann dir sagen, du wirst das Gefühl haben, als würde dir jeden Augenblick jemand von hinten die Hand auf die Schulter legen, Das wäre nicht das Schlimmste, was passieren kann, Das kommt auf die Hand an, wenn ich dir meine ehrliche Meinung sagen soll, dann sind das vier Stunden, während der du ständig mit einer wahnsinnigen Lust zu flüchten kämpfst, abzuhauen, von dort zu verschwinden, Ein vorgewarnter Mensch ist so viel wert wie zwei, jetzt weiß ich wenigstens, was mich erwartet, Das weißt du nicht, du stellst es dir nur vor, und das auch nicht richtig, verbesserte der Kollege. Jetzt ist es halb zwei, Marçal verabschiedet sich gerade von Marta mit einem Kuss, sie bittet ihn, Trödel bitte nicht herum, wenn deine Schicht zu Ende ist, Ich komme sofort, und morgen erzähle ich dir alles, das verspreche ich dir. Marta begleitete ihn zur Tür, sie küssten sich erneut, dann kam sie wieder herein, räumte noch ein paar Sachen weg und ging dann zu Bett. Sie war nicht müde. Sie sagte sich, dass es keinen Grund zur Sorge gäbe, hatten doch bereits andere Wachleute dort Dienst gehabt, und nichts war passiert, wie oft schon wurde um nichts und wieder nichts ein großes Geheimnis gemacht, als handele es sich um ein siebenköpfiges Wesen, und wenn man dann vor Ort nachsah, war es nichts anderes als Einbildung, eine Täuschung, der Wunsch, an das Unglaubliche zu glauben. Die Minuten vergingen, der Schlaf wollte nicht kommen, Marta hatte sich gerade gesagt, dass es besser wäre, das Licht anzumachen und ein Buch zu lesen, als sie plötzlich zu hören glaubte, dass die 359
Tür zum Schlafzimmer ihres Vaters aufging. Da er nicht die Angewohnheit hatte, nachts aufzustehen, spitzte sie die Ohren, wahrscheinlich wollte er auf die Toilette, doch gleich darauf erklangen seine Schritte, leise, aber deutlich, in der kleinen Eingangsdiele. Vielleicht geht er in die Küche, um Wasser zu trinken, dachte sie. Das unverkennbare Klicken des Türschlosses ließ sie aufspringen. Sie schlüpfte rasch in einen Morgenmantel und eilte hinaus. Ihr Vater hatte die Hand auf der Türklinke. Wohin gehst du um diese Uhrzeit, fragte Marta, Mich ein bisschen umsehen, sagte Cipriano Algor, Du hast das Recht hinzugehen, wohin du willst, du bist alt genug, um zu wissen, was du tust, aber du kannst nicht einfach so verschwinden, ohne ein Wort zu sagen, als gäbe es sonst niemanden in der Wohnung, Lass mich, ich verliere nur Zeit, Warum, hast du Angst, nach sechs anzukommen, fragte Marta. Wenn du bereits weißt, wohin ich gehe, dann brauchst du auch keine Erklärungen mehr, Du könntest wenigstens daran denken, dass du deinen Schwiegersohn in Schwierigkeiten bringst, Wie du selbst gesagt hast, bin ich alt genug, um zu wissen, was ich tue, Marçal kann nicht für meine Taten verantwortlich gemacht werden, Das sehen seine Chefs vielleicht anders, Niemand wird mich sehen, und falls doch jemand auftaucht und mich zurückschickt, dann sage ich ihm, dass ich manchmal schlafwandle, Deine Witze sind in diesem Fall völlig unangebracht, Dann rede ich ernsthaft, Das hoffe ich, Dort unten geschieht etwas, das ich herausfinden muss, Was immer es ist, es wird nicht unser Leben lang geheim bleiben, Marçal hat mir gesagt, dass er uns alles erzählt, wenn er von seiner Schicht zurückkommt, Schön, aber seine Beschreibung allein reicht mir nicht, ich will es mit meinen eigenen Augen sehen, Wenn das so ist, dann geh, geh, und quäle mich nicht weiter, sagte Marta, sie weinte bereits. Der Vater ging auf sie zu, legte ihr einen Arm um die Schultern und umarmte sie, Bitte weine nicht, sagte er, das Schlimmste an 360
dem Ganzen ist, dass wir nicht mehr dieselben sind, seit wir hierher gezogen sind. Er gab ihr einen Kuss, dann ging er hinaus und zog langsam die Tür hinter sich zu. Marta holte sich eine Decke und ein Buch, setzte sich auf eines der kleinen Sofas im Wohnzimmer und legte die Decke um ihre Knie. Sie wusste nicht, wie lange sie würde warten müssen. Cipriano Algors Plan hätte nicht einfacher sein können. Er wollte in einem Lastenaufzug bis zum Stockwerk 05 hinunterfahren und sich dort dem Schicksal und dem Zufall überlassen. Es wurden schon Schlachten mit viel weniger Waffen gewonnen, dachte er. Und mit viel mehr verloren, fügte er in einem Anflug von Unparteilichkeit hinzu. Ihm war aufgefallen, dass die Lastenaufzüge, wahrscheinlich, weil sie fast ausschließlich für den Gütertransport bestimmt waren, nicht mit Videokameras ausgestattet waren, zumindest sah man keine, und falls es doch irgendwo welche gab, diese winzigen, versteckten, dann konnte man davon ausgehen, dass die Aufmerksamkeit der Wachleute in der Zentrale sich auf die Zugänge von außen und vom Verkaufs- und Vergnügungsbereich aus konzentrierte. Sollte er sich irren, so würde er es bald erfahren. Er ging davon aus, dass die bewohnten Etagen über der Erde und die zehn unterirdischen einen Block bildeten, deshalb erschien es ihm sinnvoll, jenen Lastenaufzug zu benutzen, der am dichtesten an der Innenfassade des Zentrums gelegen war, um nicht so viel Zeit zu verlieren auf seiner Suche nach einem Weg zwischen den tausend Containern verschiedenster Art und Größe hindurch, die es dort unten wahrscheinlich gab, vor allem in dem besagten Stockwerk 05, das ihn interessierte. Dennoch war seine Überraschung nicht allzu groß, als er dort einen weitläufigen, offenen Raum vorfand, ganz ohne Waren, der offensichtlich den Zugang zu der Ausgrabungsstelle erleichtern sollte. Aus der tragenden Wand war zwischen zwei Pfeilern ein Stück Mauer entfernt worden, und dort war der Zugang. Cipriano Algor sah auf die Uhr, es war zwei Uhr 361
fünfundvierzig. Obgleich die Dauerbeleuchtung des Untergeschosses reduziert worden war, konnte man nicht erkennen, ob irgendein Licht im Inneren der Ausgrabungsstätte die Schwärze jenes Riesenmauls erhellte, das ihn gleich verschlingen würde. Ich hätte eine Taschenlampe mitbringen sollen, dachte er. Da erinnerte er sich daran, einmal gelesen zu haben, dass die beste Art, einen dunklen Ort zu betreten, an dem man sofort etwas erkennen wollte, die war, die Augen zu schließen, bevor man eintrat, und sie dann wieder zu öffnen. Ja, dachte er, genau das muss ich machen, ich schließe meine Augen und falle dort hinunter, ins Zentrum der Erde. Er fiel nicht. Fast am Boden, zu seiner Linken, entdeckte er einen schwachen Lichtschein, nach ein paar Schritten bemerkte er, dass es Glühbirnen waren, die mit einem Draht verbunden waren. Sie beleuchteten eine Rampe aus festgetretener Erde, die etwas weiter unten eine Art Absatz bildete, der in eine weitere Rampe überging. So dicht, so schwer war die Stille, dass Cipriano Algor sein eigenes Herz schlagen hörte. Also los, dachte er, Marçal wird den größten Schrecken seines Lebens bekommen. Er begann die Rampe hinabzusteigen, kam zu dem Absatz, stieg die nächste Rampe hinunter, ein weiterer Absatz, dort hielt er an. Vor sich sah er zwei Strahler, die so an dem ovalen Eingang der Höhle angebracht waren, dass das Licht nicht direkt in den Innenraum der Höhle strahlte. Rechts daneben, auf einem Erdwall, befanden sich zwei kleine Bagger. Marçal saß auf einem Schemel, neben ihm ein Tisch, auf dem eine Taschenlampe stand. Er hatte seinen Schwiegervater noch nicht bemerkt. Cipriano Algor trat aus dem Halbdunkel des letzten Absatzes hervor und sagte mit lauter Stimme, Nicht erschrecken, ich bin es. Marçal sprang auf, wollte etwas sagen, doch seine Kehle ließ die Worte nicht heraus, das war wirklich zu viel für ihn, wer meint, er würde mit der größten Ruhe der Welt sagen, Na, auch schon da, der werfe den ersten Stein. Erst als der Schwiegervater direkt vor ihm stand, brachte er, wenn 362
auch mit Mühe, heraus, Was machst du hier, was für eine dumme Idee, hier herunterzukommen, doch entgegen aller Logik lag kein Ärger in seiner Stimme, was darin mitschwang, außer der verständlichen Erleichterung darüber, doch nicht von einem schrecklichen Gespenst bedroht worden zu sein, war eine Art verschämte Freude, so etwas wie Rührung aus Dankbarkeit, die er vielleicht eines Tages gestehen würde. Was machst du hier, wiederholte er, Ich muss es sehen, sagte Cipriano Algor, Und an die Schwierigkeiten, die ich kriegen werde, wenn das rauskommt, hast du nicht gedacht, dass mich das meinen Job kosten kann, Du sagst einfach, dein Schwiegervater sei ein Vollidiot, ein unzurechnungsfähiger Mensch, der eigentlich ins Irrenhaus gehört, in eine Zwangsjacke, Mit diesen Erklärungen würde ich sehr viel gewinnen, ohne Zweifel. Cipriano Algor wandte seinen Blick der Höhle zu und fragte, Hast du gesehen, was da drin ist, Ja, antwortete Marçal, Was ist es, Sieh es dir selbst an, hier hast du eine Taschenlampe, wenn du magst, Kommst du mit, Nein, ich bin auch allein gegangen, Gibt es einen vorgegebenen Weg, einen Trampelpfad, Nein, du musst dich nur immer links halten und darfst den Kontakt mit der Mauer nicht verlieren, ganz hinten findest du, was du suchst. Cipriano Algor knipste die Taschenlampe an und trat ein. Ich habe vergessen, die Augen zu schließen, dachte er. Das indirekte Licht der Strahler erhellte noch ungefähr drei bis vier Meter des Bodens, dahinter war alles schwarz wie im Inneren eines Körpers. Es ging leicht, aber unregelmäßig bergab. Vorsichtig, mit der linken Hand die Wand abtastend, begann Cipriano Algor hinunterzusteigen. Auf einer bestimmten Höhe schien es ihm, als wäre rechts von ihm so etwas wie eine Plattform und eine Mauer. Er nahm sich vor, dies zu erkunden, wenn er zurückkäme, Wahrscheinlich haben sie das gebaut, um die Erdmassen zurückzuhalten, und er stieg weiter hinab. Er hatte den Eindruck, schon weit gegangen zu sein, vielleicht dreißig oder vierzig Meter. Er 363
blickte zurück zum Eingang der Höhle. So wie er sich im Scheinwerferlicht abzeichnete, schien er wirklich weit weg zu sein, Ich bin gar nicht so weit gegangen, dachte er, aber ich verliere langsam die Orientierung. Er merkte, dass die Panik klammheimlich an seinen Nerven zu zerren begonnen hatte, für so mutig hatte er sich gehalten, Marçal so überlegen, und nun war er fast so weit, auf dem Absatz kehrtzumachen und stolpernd den Abhang hinaufzurennen. Er lehnte sich an die Felswand, atmete tief durch, Und wenn ich hier sterben muss, sagte er und ging weiter. Plötzlich, als hätte sie sich im rechten Winkel um sich selbst gedreht, war die Wand vor ihm. Er war am Ende der Höhle angelangt. Er leuchtete mit der Taschenlampe auf den Boden, um sich zu versichern, dass dieser fest war, tat zwei Schritte vorwärts und führte gerade den dritten aus, als sein rechtes Knie gegen etwas Hartes stieß, was ihn aufstöhnen ließ. Durch den Stoß schwankte das Licht hin und her, vor seinen Augen erschien einen Augenblick lang etwas, das aussah wie eine Steinbank, und im nächsten Augenblick nahm er, darauf aufgereiht, ein paar dunkle Schatten wahr, die gleich wieder verschwanden. Ein heftiges Zittern erfasste Cipriano Algors Glieder, sein Mut schwand dahin wie ein Strick, dessen letzte Fasern gerade rissen, doch in seinem Inneren vernahm er eine Stimme, die ihn zur Ordnung rief, Denk daran, und wenn du stirbst. Das flackernde Licht der Taschenlampe bewegte sich langsam über den weißen Stein, tastete sich vorsichtig über ein paar dunkle Tücher nach oben, stieg höher, und er erkannte, dass das, was dort saß, ein menschlicher Körper war. Daneben, in dieselben dunklen Tücher gehüllt, fünf weitere, ebenfalls sitzende Körper, alle so aufrecht, als hätte man sie vom Schädel aus mit einem Eisenpflock durchbohrt und an den Stein genagelt. Die glatte Rückwand der Höhle war zehn Handbreit von ihren tiefen Augenhöhlen entfernt, in denen die Augäpfel wie ein Staubkorn gewirkt hätten. Was ist das denn, murmelte Cipriano 364
Algor, was ist das für ein Albtraum, wer waren diese Menschen. Er ging näher heran, ließ langsam den Lichtstrahl der Taschenlampe über die dunklen, verdörrten Köpfe schweifen, das ist ein Mann, das eine Frau, noch ein Mann, noch eine Frau, und nochmal ein Mann und eine weitere Frau, drei Männer und drei Frauen, er sah die Überreste von Fesseln, mit denen sie offensichtlich am Hals festgebunden worden waren, dann senkte er das Licht nach unten, die gleichen Fesseln hielten ihre Schenkel fest. Da kam Cipriano Algor langsam, ganz langsam, wie ein Licht, das keine Eile hat aufzuscheinen, das jedoch unweigerlich kommen wird, um die Wahrheit der Dinge bis in die dunkelsten und verborgensten Schlupfwinkel aufzudecken, das Bild in den Sinn, wie er den Ofen der Töpferei betrat, er sah die Steinbank, die die Maurer dort vergessen hatten, und setzte sich darauf, und erneut hörte er Marçals Stimme, doch diese Worte hier sind anders, sie erklingen immer wieder, beunruhigt, dort aus der Ferne, Vater, hörst du mich, antworte mir. Die Stimme hallt im Inneren der Höhle nach, die Echos prallen von Wand zu Wand, vervielfältigen sich, wenn Marçal nicht für eine Minute still ist, wird es uns nicht möglich sein, Cipriano Algors Stimme zu vernehmen, die tonlos, als sei sie selbst bereits ein Echo, ruft, Mir geht es gut, mach dir keine Sorgen, ich komme gleich. Die Angst war verschwunden. Das Licht der Taschenlampe streichelte ein weiteres Mal über die elenden Gesichter, über diese gefalteten Hände, die nur Haut und Knochen waren, und mehr noch, es führte Cipriano Algors eigene Hand, als diese mit einer Achtung, die man religiös nennen würde, wäre sie nicht einfach nur menschlich, die trockene Stirn der ersten Frau berührte. Es gab für ihn dort nichts mehr zu tun. Cipriano Algor hatte verstanden. Wie bei einem kreisförmigen, nie enden wollenden Kreuzweg, war der Aufstieg langsam und beschwerlich. Marçal war heruntergekommen und streckte ihm seine Hand entgegen, um ihm zu helfen, und als sie aus der 365
Dunkelheit ins Licht traten, hielten sie sich umklammert und wussten nicht, wie lange schon. Völlig erschöpft ließ Cipriano Algor sich auf den Schemel fallen, legte seinen Kopf auf den Tisch und begann ganz leise, kaum dass man es am Zittern seiner Schultern wahrnehmen konnte, zu weinen. Ist schon gut Vater, ich habe auch geweint, sagte Marçal. Kurze Zeit später, als er sich wieder einigermaßen gefasst hatte, sah Cipriano Algor seinen Schwiegersohn schweigend an, als hätte er in diesem Augenblick keine bessere Möglichkeit, ihm zu sagen, dass er ihn mochte, dann fragte er, Weißt du, was das ist, Ja, ich habe vor einiger Zeit mal was darüber gelesen, antwortete Marçal, Und weißt du auch, dass das, was dort ist, so wie es ist, keine Wirklichkeit ist, nicht wirklich sein kann, Ich weiß, Und doch habe ich mit dieser Hand die Stirn einer dieser Frauen berührt, es war kein Trugbild, es war kein Traum, wenn ich jetzt dorthin zurückginge, würde ich dieselben drei Männer und dieselben drei Frauen dort vorfinden, dieselben Fesseln, dieselbe Steinbank, dieselbe Mauer davor, Wenn es nicht diese anderen sind, die ja gar nicht existiert haben, wer sind sie dann, fragte Marçal, Ich weiß es nicht, aber seit ich sie gesehen habe, denke ich ununterbrochen, dass vielleicht das, was in Wirklichkeit nicht ist, das ist, dem wir den Namen NichtSeiendes geben. Cipriano Algor stand langsam auf, seine Beine zitterten noch, doch ansonsten waren seine Körperkräfte wieder zurückgekehrt. Er sagte, Als ich da hinuntergestiegen bin, hatte ich auf einer bestimmten Höhe den Eindruck, so etwas wie eine Mauer oder eine Plattform zu sehen, wenn du vielleicht die Richtung von einem dieser Strahler ändern könntest, er musste seinen Satz gar nicht zu Ende führen, Marçal begann bereits an einem Rad zu drehen, einen Hebel zu bedienen, und schon breitete sich das Licht auf dem Boden aus, bis es an den Sockel einer Mauer stieß, die die Höhle in ihrer ganzen Länge durchzog, jedoch ohne die Wände zu berühren. Eine Plattform gab es nicht, nur einen Weg entlang der Mauer. Jetzt fehlt nur 366
noch eine Sache, murmelte Cipriano Algor. Er tat ein paar Schritte und blieb plötzlich wieder stehen, Hier ist es, sagte er. Auf dem Boden sah man einen großen schwarzen Fleck, die Erde war an dieser Stelle versengt, als hätte dort über lange Zeit ein Feuer gebrannt. Es lohnt sich nicht mehr, sich weiterhin Gedanken zu machen, ob sie existiert haben oder nicht, sagte Cipriano Algor, hier ist der Beweis, und jeder ziehe daraus die Schlüsse, die er für richtig hält, ich habe meine bereits gezogen. Der Lichtstrahl kehrte an seinen Platz zurück, wie auch die Dunkelheit, dann fragte Cipriano Algor, Soll ich dir Gesellschaft leisten, Nein danke, sagte Marçal, geh zurück nach Hause, Marta ist bestimmt sehr besorgt und malt sich das Schlimmste aus, Bis später also, Bis später, Vater, er machte eine Pause und fügte mit einem etwas verlegenen Lächeln, das an einen Jugendlichen erinnerte, der sich in dem Augenblick, in dem er sich öffnet, gleich wieder verschließt, hinzu, Danke, dass du gekommen bist. Cipriano Algor blickte auf die Uhr, als er in Stockwerk 05 ankam. Es war halb fünf. Der Lastenaufzug brachte ihn in den vierunddreißigsten Stock. Niemand hatte ihn gesehen. Marta öffnete ihm leise die Tür und schloss sie genauso vorsichtig wieder, Wie geht es Marçal, fragte sie, Es geht ihm gut, mach dir keine Sorgen, du hast da unten einen großartigen Mann sitzen, das kann ich dir sagen, Was ist dort unten, Lass mich erst hinsetzen, ich fühle mich, als hätte man mich durchgeprügelt, solche Anstrengungen sind nichts mehr für mein Alter, Was ist dort unten, fragte Marta wieder, als sie sich gesetzt hatten, Dort unten sind sechs tote Menschen, drei Männer und drei Frauen, Das überrascht mich nicht, denn es ist genau das, was ich mir gedacht habe, dass es sich nämlich um menschliche Überreste handelt, das kommt bei Ausgrabungen häufig vor, was ich nicht verstehe, ist, warum man so ein Mysterium daraus gemacht hat, so ein Geheimnis, so viel Bewachung, die Knochen hauen doch nicht ab, und ich glaube 367
auch nicht, dass es sich lohnen würde, sie zu stehlen, Wenn du mit mir hinuntergegangen wärst, würdest du es verstehen, im Übrigen hast du immer noch Zeit hinunterzugehen, Rede keinen Unsinn, Es ist nicht einfach, keinen Unsinn zu reden, wenn man gesehen hat, was ich gesehen habe, Was hast du denn gesehen, wer sind diese Menschen, Diese Menschen sind wir, sagte Cipriano Algor, Was soll das heißen, Dass das wir sind, ich, du, Marçal, das ganze Zentrum, wahrscheinlich die ganze Welt, Bitte erkläre das näher, Pass auf und hör mir zu. Es dauerte eine halbe Stunde, bis die Geschichte erzählt war. Marta hörte sie sich an, ohne auch nur ein einziges Mal zu unterbrechen. Am Schluss sagte sie lediglich, Ja, ich glaube, du hast Recht, das sind wir. Sie sprachen nichts mehr, bis Marçal kam. Als er hereinkam, umarmte Marta ihn fest, Was sollen wir tun, fragte sie, doch Marçal hatte keine Zeit, ihr zu antworten. Mit fester Stimme sagte Cipriano Algor, Ihr werdet über euer Leben entscheiden, ich gehe.
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HIER SIND deine Sachen, sagte Marta, viel war es nicht, sie passen problemlos in den kleinen Koffer, fast könnte man meinen, du hättest gewusst, dass du nur drei Wochen hier bleiben würdest, Es kommt einmal eine Zeit im Leben, da sollte man zufrieden sein, wenn man noch den eigenen Körper tragen kann, sagte Cipriano Algor, Das ist ein schöner Satz, ja, aber ich würde gerne von dir erfahren, wovon du leben wirst, Schauet die Lilien auf dem Felde, wie sie wachsen: sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht, Dieser Satz ist auch schön, aber genau deswegen haben sie es nicht geschafft, was anderes als Lilien zu sein, Du bist eine schreckliche Skeptikerin, eine widerliche Zynikerin, Vater, bitte, ich meine es ernst, Entschuldige, Ich verstehe, dass es ein Schock für dich war, so wie es auch für mich einer war, ohne dass ich dort unten gewesen bin, ich verstehe, dass diese Männer und diese Frauen mehr sind als einfach nur tote Menschen, Rede nicht weiter, genau deshalb, weil sie mehr sind als einfach nur tote Menschen, möchte ich nicht mehr hier leben, Und wir, und ich, fragte Marta, Ihr entscheidet selbst über euer Leben, ich habe über meines bereits entschieden, ich werde nicht den Rest meines Lebens an eine Steinbank gefesselt verbringen und eine Wand anstarren, Und wie wirst du leben, Ich habe das Geld, das sie mir für die Figuren bezahlt haben, das wird ein bis zwei Monate reichen, danach wird man weitersehen, Ich meinte nicht das Geld, irgendwie wirst du es schon schaffen, das Nötige für Essen und Kleidung zusammenzubringen, was ich meine, ist, dass du alleine wirst leben müssen, Ich habe doch Achado, und ihr werdet mich ab und zu besuchen kommen, Vater, Was ist, Und Isaura, Was hat Isaura damit zu tun, Du hast mir doch gesagt, dass sich die Situation zwischen euch geändert hat, du hast nicht erklärt, wie, und auch nicht, weshalb, aber gesagt hast du es, Und das stimmt auch, Wenn 369
das so ist, Wenn das so ist, was, Dann könntet ihr zusammenleben, meine ich. Cipriano Algor antwortete nicht. Er nahm seinen Koffer, Ich gehe dann mal, sagte er. Die Tochter umarmte ihn fest, Wir besuchen dich an Marçals erstem freien Tag, und lass in der Zwischenzeit was von dir hören, ruf mich an, wenn du ankommst, und sag mir, wie du das Haus vorgefunden hast, und Achado, vergiss Achado nicht. Mit einem Fuß bereits draußen, sagte Cipriano Algor noch, Umarme du Marçal von mir, Du hast ihn doch schon umarmt, hast dich doch schon von ihm verabschiedet, Ja, aber umarme ihn noch einmal. Als er am Ende des Flurs angelangt war, wandte er sich um. Die Tochter stand ganz hinten in der Tür und winkte ihm mit einer Hand zum Abschied zu, während sie mit der anderen ihren Mund zuhielt, um nicht in Schluchzen auszubrechen. Bis bald, sagte er, doch sie hörte es nicht mehr. Der Lastenaufzug brachte ihn in die Garage, nun musste er nur noch sehen, wo sie den Lieferwagen geparkt hatten, und ob dieser nach drei Wochen Stillstand ansprang, manchmal spielt einem die Batterie einen Streich, Das würde mir gerade noch fehlen, dachte er beunruhigt. Das Befürchtete trat nicht ein, der Lieferwagen tat seinen Dienst. Natürlich schaffte er es nicht gleich beim ersten Mal, und auch nicht beim zweiten, doch beim dritten Mal sprang er mit einem Geräusch an, das eines besseren Motors würdig gewesen wäre. Ein paar Minuten später befand sich Cipriano Algor auf der Allee, er hatte nicht gerade freie Fahrt, doch es hatte viel schlimmer sein können, denn obgleich er langsam vorankam, wurde er vom Verkehrsfluss getragen. Es war nicht verwunderlich, dass der Verkehr so dicht war, die Autos lieben den Sonntag, und dem Autobesitzer ist es schier unmöglich, sich diesem so genannten Psychodruck zu entziehen, es reicht, wenn das Auto einfach nur dasteht, es braucht gar nichts zu sagen. Nun, die Stadt hat er hinter sich, die Außenbezirke liegen ebenfalls zurück, gleich werden die Baracken auftauchen, in drei Wochen werden sie 370
die Straße erreicht haben, nein, es fehlen noch circa dreißig Meter, und da ist schon der Industriegürtel, wo fast alles stillsteht außer ein paar wenigen Fabriken, die aus der Dauerarbeit eine Religion zu machen scheinen, und nun der triste Grüngürtel, die bräunlichen, gräulichen, blässlichen Treibhäuser, deswegen haben bestimmt auch die Erdbeeren ihre Farbe verloren, es fehlt nicht mehr viel, dann sind sie außen genauso weiß wie innen und schmecken nach gar nichts mehr. Jetzt werden wir nach links abbiegen, dort hinten in der Ferne, wo man diese Bäume erkennen kann, ja, die, die beisammenstehen, als wären sie ein Blumenstrauß, gibt es noch eine wichtige archäologische Fundstätte zu erforschen, ich weiß das aus sicherer Quelle, man hat nicht jeden Tag das Glück, eine solche Information direkt aus dem Munde des Herstellers zu erhalten. Cipriano Algor hat sich bereits gefragt, wie es möglich gewesen war, dass er sich drei Wochen lang hatte einsperren lassen, ohne die Sonne und die Sterne zu sehen, außer wenn er seinen Hals verrenkte, von einem vierunddreißigsten Stockwerk mit Fenstern aus, die sich nicht öffnen ließen, während er hier diesen Fluss hatte, der gewiss übel riechend und mickrig war, diese Brücke, die gewiss alt und baufällig war, und diese Ruinen, die einst bewohnte Häuser waren, und das Dorf, in dem er geboren und aufgewachsen war, in dem er gearbeitet hatte, mit seiner Straße in der Mitte und dem Platz daneben, die beiden, die da entlanggehen, dieser Mann und diese Frau, das sind die Eltern von Marçal, wir haben sie im Verlauf dieser ganzen Handlung noch gar nicht zu Gesicht bekommen, wenn man sie so sieht, würde niemand denken, dass sie diesen schlechten Charakter haben, den man ihnen zuschreibt und wofür sie genügend Beweise geliefert haben, das ist die Gefahr des Scheins, wenn er uns trügt, dann immer zum Schlechten. Cipriano Algor hatte seinen Arm zum Fenster hinausgestreckt und ihnen zugewinkt, als seien sie seine besten Freunde, das hätte er besser nicht 371
getan, jetzt denken sie wahrscheinlich, er wollte sich über sie lustig machen, und das war gar nicht so, war nicht beabsichtigt, Cipriano Algor freut sich einfach nur, in drei Minuten wird er Isaura sehen und Achado in seinen Armen halten, wenn es nicht genau umgekehrt ist, nämlich dass er Isaura im Arm hält und Achado um ihn herumhüpft, ungeduldig darauf wartend, dass man auch ihn beachtet. Der Platz lag bereits hinter ihm, plötzlich schnürte sich Cipriano Algors Herz zusammen, er weiß genug über das Leben, beide wissen es, dass die Seligkeit von heute die Bitternis von morgen niemals lindern kann, dass das Wasser dieser Quelle dir nicht den Durst in einer Wüste löschen kann, Ich habe keine Arbeit, ich habe keine Arbeit, murmelte er, und das war die Antwort, die er ohne Beschönigungen und Ausflüchte hätte geben sollen, als Marta ihn gefragt hatte, wovon er leben würde, Ich habe keine Arbeit. Auf derselben Straße, an derselben Stelle wie an dem Tag, als er mit der Nachricht aus dem Zentrum nach Hause kam, dass man ihm keine Keramik mehr abnehmen würde, verringerte Cipriano Algor die Geschwindigkeit des Lieferwagens. Er wollte nicht ankommen, wollte bereits angekommen sein, und da vorn beginnt bereits die Straße, in der Isaura Madruga wohnt, das dort hinten ist ihr Haus, Plötzlich hatte es der Lieferwagen sehr eilig, plötzlich hielt er an, plötzlich sprang Cipriano Algor heraus, plötzlich stieg er die Stufen hoch, plötzlich drückte er auf die Türklingel. Er klingelte einmal, zweimal, dreimal. Niemand erschien an der Tür, niemand meldete sich, es kam nicht Isaura, es bellte nicht Achado, die Wüste, die erst morgen sein sollte, war heute schon da. Und die beiden müssten doch zu Hause sein, heute ist Sonntag, da arbeitet man nicht, dachte er. Verwirrt ging er zum Lieferwagen zurück, legte seine Arme auf das Lenkrad, normal wäre gewesen, die Nachbarn zu fragen, doch er hatte noch nie gern sein Leben preisgegeben, denn wenn wir nach jemandem fragen, sagen wir in Wirklichkeit viel mehr über uns aus, als 372
man denkt, was uns zugute kommt, ist, dass die befragten Personen in den meisten Fällen nicht das entsprechende Gehör haben, um zu verstehen, was sich hinter den nach außen hin so unschuldigen Worten wie, Haben Sie zufällig Isaura Madruga gesehen, verbirgt. Zwei Minuten später erkannte er, dass es bei genauerer Betrachtung wahrscheinlich genauso verdächtig war, vor ihrem Haus zu stehen und zu warten, als mit dem Gebaren falscher Natürlichkeit bei dem nächstbesten Nachbarn nachzufragen, ob er zufällig gesehen hätte, ob Isaura weggegangen sei. Ich werde mal ein bisschen herumfahren, dachte er, vielleicht finde ich sie ja. Die Runde durch das Dorf verlief ergebnislos, Isaura und Achado schien der Erdboden verschluckt zu haben. Cipriano Algor beschloss, nach Hause zu fahren, er wollte es am späten Nachmittag noch einmal versuchen, Sie sind bestimmt weggefahren, dachte er. Der Motor des Lieferwagens sang das Lied der Heimkehr, sein Fahrer erblickte bereits die obersten Blätter des Maulbeerbaumes, und plötzlich jagte wie ein schwarzer Blitz Achado den Weg herunter, mit lautem Bellen, als wäre er verrückt geworden, Cipriano Algors Herz schlug so schnell, als stünde er kurz vor der Ohnmacht, und es war nicht des Tieres wegen, so weit reicht diese Liebe doch nicht, mag sie auch noch so groß sein, sondern weil er dachte, dass Achado vielleicht nicht alleine wäre, und dass, wenn er nicht alleine wäre, nur ein Mensch auf dieser Welt bei ihm sein konnte. Er öffnete die Tür des Lieferwagens, und mit einem Satz sprang der Hund in seine Arme, also war doch er der Erste, und leckte ihm das Gesicht, sodass er den Weg gar nicht mehr richtig sehen konnte, auf dem gerade ganz oben eine völlig sprachlose Isaura Madruga erscheint, und nun wollen wir bitte alles anhalten, niemand möge sprechen, niemand sich bewegen, niemand sich einmischen, dies ist die absolut anrührendste Szene, das Auto, das die Auffahrt hochfährt, die Frau, die zwei Schritte tut und plötzlich nicht mehr kann, seht, wie sie die 373
Hände auf ihre Brust presst, Cipriano Algor, der aus dem Lieferwagen aussteigt, als würde er sich in einen Traum begeben, Achado, der ihm nachläuft und sich um seine Beine schlingt, es wird jedoch nichts Schlimmes passieren, das wäre ja noch schöner, wenn eine der Hauptfiguren sich auf dem Höhepunkt der Handlung auf unästhetische Weise fallen ließe, diese Umarmung und dieser Kuss, diese Küsse und diese Umarmungen, wie oft wird man euch noch daran erinnern müssen, dass genau diese alles verschlingende Liebe darum bettelt, selbst verschlungen zu werden, das war schon immer so, immer, doch es gibt Situationen, in denen wir es stärker wahrnehmen. In einer Pause zwischen zwei Küssen fragte Cipriano Algor, Und wie kommt es, dass du hier bist, doch Isaura antwortete nicht sofort, es mussten erst weitere Küsse gegeben und empfangen werden, so dringend wie die ersten und alle weiteren, doch schließlich fand sie genügend Atem, um zu sagen, Achado ist gleich an dem Tag, an dem du weggegangen bist, ausgerissen, er hat sich durch die Hecke im Hof gezwängt und kam hierher, es gab einfach keine Möglichkeit, ihn zur Rückkehr zu bewegen, er war wild entschlossen, hier bis wer-weiß-wann auf dich zu warten, die einzige Lösung war, ihn dort zu lassen, ihm sein Essen und sein Wasser zu bringen, ihm ein wenig Gesellschaft zu leisten, obwohl ich glaube, dass er sie gar nicht gebraucht hat. Cipriano Algor kramte in seinen Taschen nach dem Hausschlüssel, während er sich vorstellte, Wir werden beide hineingehen, werden zusammen eintreten, und als er den Schlüssel schließlich in der Hand hielt, sah er, dass die Tür bereits offen stand, dass es so war, wie es sein musste für jemanden, der aus der Ferne wiederkehrt, er brauchte nicht zu fragen weshalb, Isaura sagte ihm ganz ruhig, Marta hat mir einen Schlüssel dagelassen, damit ich ab und zu lüfte und ein bisschen Staub wische, und wegen der Sache mit Achado bin ich nun jeden Tag gekommen, morgens, bevor ich arbeiten ging, und am 374
späten Nachmittag, nach der Arbeit. Sie schien noch etwas hinzufügen zu wollen, doch ihre Lippen verschlossen sich ganz fest, als wollten sie den Wörtern den Weg versperren, Ihr kommt mir da nicht raus, befahlen sie, doch diese taten sich zusammen, vereinten ihre Kräfte, und das Einzige, was die Scham noch erreichen konnte, war, Isaura den Kopf senken zu lassen und ihre Stimme zu einem Murmeln zu reduzieren, Eine Nacht habe ich in deinem Bett geschlafen, sagte sie. Damit wir uns richtig verstehen, dieser Mann ist Töpfer, ein Handwerker also, ohne die Finessen der intellektuellen und künstlerischen Bildung, abgesehen von denen, die er zur Ausübung seines Berufes benötigt, in einem mehr als reifen Alter, der in einer Zeit aufwuchs, in der es gang und gäbe war, dass die Menschen jeder bei sich und alle bei allen die Gefühlsregungen und Sehnsüchte ihres Körpers zügeln mussten, und gibt es in seinem sozialen und kulturellen Umfeld auch gewiss nicht viele Menschen, die ihm in Sachen Sensibilität und Intelligenz überlegen sind, so hätte er dennoch, als er so unerwartet aus dem Munde einer Frau, mit der er niemals intim gewesen war, zu hören bekam, sie hätte in seinem Bett geschlafen, plötzlich stehen bleiben müssen, auch wenn er noch so energisch auf das Haus zuschritt, in dem sich dieser zweifelhafte Vorfall ereignete, und dieses verwegene Wesen voll Entsetzen anblicken müssen, die Männer, das wollen wir an dieser Stelle auch noch bekennen, werden die Frauen nie verstehen, zum Glück ist es diesem hier, ohne zu wissen wie, trotz seiner Verwirrung gelungen, die richtigen Worte für diese Situation zu finden, Du wirst nie mehr in einem anderen schlafen. Wirklich, dieser Satz war genau so, wie er sein musste, seine ganze Wirkung wäre dahin gewesen, hätte er beispielsweise gesagt, wie jemand, der seine Unterschrift zu einer Vernunftehe abgibt, Na gut, wenn du in meinem Bett geschlafen hast, dann schlafe ich in deinem. Isaura hatte sich, nachdem er dies gesagt hatte, erneut an Cipriano Algor 375
geschmiegt, und man kann sich leicht vorstellen, mit welcher Freude sie dies tat, doch ihm fiel plötzlich etwas ein, das allem Anschein nach gar nichts mit den leidenschaftlichen Gefühlen zu tun hatte, Ich habe vergessen, den Koffer aus dem Wagen zu holen, das war alles, was er sagte. Ohne noch die Folgen dieser prosaischen Handlung vorherzusehen, ging er, den tänzelnden Achado an seiner Seite, zum Lieferwagen, machte die Tür auf und nahm den Koffer heraus. Die erste Ahnung, was passieren würde, hatte er, als er in die Küche kam, die zweite, als er ins Schlafzimmer kam, doch die absolute Gewissheit hatte er erst, als Isaura ihn mit einer Stimme, die sich sehr bemühte, nicht zu zittern, fragte, Bist du gekommen, um zu bleiben. Der Koffer stand auf dem Boden, wartete darauf, von jemandem geöffnet zu werden, doch diese, wenngleich nötige Handlung konnte auf später verschoben werden. Cipriano Algor machte die Tür zu. Es gibt Momente im Leben, da muss man eine Tür schließen, damit der Himmel sich öffnet. Eine halbe Stunde später, als die beiden wieder friedlich dalagen, wie ein Strand nach der Flut, berichtete Cipriano Algor, was sich im Zentrum zugetragen hatte, die Entdeckung der Höhle, die Verhängung der Schweigepflicht, die Bewachung, sein Hinabsteigen zu der Ausgrabung, die Schwärze dort drinnen, seine Angst, die an der Bank festgebundenen Toten, die Asche an der Feuerstelle. Am Anfang, als sie ihn mit dem Lieferwagen den Weg hatte hochkommen sehen, hatte Isaura gedacht, Cipriano sei nach Hause zurückgekehrt, weil er die Trennung von ihr nicht länger ausgehalten hätte, und diese Vorstellung schmeichelte, wie man sich leicht vorstellen kann, dem sehnsuchtsvollen Herzen der Geliebten, doch jetzt, wo ihr Kopf auf seiner Schulter ruhte und sie seine Hand an ihrer Taille spürte, erschienen ihr die beiden Gründe gleichermaßen berechtigt, und außerdem, wenn wir uns die Mühe machen, uns zu vergegenwärtigen, dass es zumindest einen Aspekt gibt, in dem die beiden Gründe sich treffen und zu etwas Gemeinsamem werden, nämlich den des 376
Nicht-Aushaltens, dann gibt es automatisch keinen ernsthaften Grund mehr zu behaupten, sie würden sich widersprechen. Isaura Madruga ist nicht besonders versiert in alter Geschichte und Mythologie, doch sie brauchte nur drei einfache Worte, um den Kern des Problems zu erfassen. Obwohl wir diese schon kennen, kann es nicht schaden, diese noch einmal niederzuschreiben, Das waren wir. Am Nachmittag rief Cipriano Algor, wie vereinbart, Marta an, um ihr zu sagen, dass er gut angekommen sei, dass das Haus in einem Zustand sei, als hätten sie es gestern erst verlassen, dass Achado fast wahnsinnig würde vor Glück und dass Isaura sie ganz lieb grüßen lasse. Von wo rufst du an, fragte Marta, Von zu Hause natürlich, Und Isaura, Isaura ist hier bei mir, willst du mit ihr reden, Ich will mit ihr reden, aber sag mir erst, was los ist, Was meinst du denn, Genau das, dass Isaura bei dir ist, Gefällt dir das nicht, Rede keinen Unsinn und hör auf, um den heißen Brei herumzureden, antworte mir, Isaura bleibt bei mir, Und bei wem bleibst du, Vater, Wir bleiben einer bei dem anderen, wenn es das ist, was du hören willst, Am anderen Ende der Leitung entstand ein Schweigen. Dann sagte Marta, Das freut mich sehr, Wenn man dich so hört, kann man das kaum glauben, Das, was du hörst, hat damit nichts zu tun, sondern mit etwas anderem, Womit, Mit dem morgigen Tag, der Zukunft, Wir werden noch Zeit haben, an die Zukunft zu denken, Tu nicht so, verschließe nicht die Augen vor der Realität, du weißt ganz genau, dass die Gegenwart für uns zu Ende ist, Euch geht es doch gut, und wir hier werden uns schon irgendwie arrangieren, Weder mir noch Marçal geht es gut, Warum, Wenn es dort bei euch keine Zukunft gibt, dann gibt es sie hier auch nicht, Erklär mir das, bitte, In meinem Bauch wächst ein Kind heran, und wenn dieses Kind, sobald es einmal über seine Handlungen selbst bestimmen kann, an einem Ort wie diesem leben will, dann war das sein eigener Wille, doch ich werde es nicht hier zur Welt 377
bringen, Das hättest du dir früher überlegen müssen, Es ist nie zu spät, einen Fehler zu korrigieren, selbst wenn die Folgen schon nicht mehr abzuwenden sind, und hier sind sie es noch, Wie denn, Erst einmal müssen wir, Marçal und ich, uns damit auseinander setzen, und dann wird man weitersehen, Überleg dir das gut, überstürze nichts, Ein Fehler, mein lieber Vater, kann auch die Folge davon sein, sich etwas gut überlegt zu haben, außerdem steht meines Wissens nirgendwo geschrieben, dass überstürztes Handeln zwangsläufig zu schlechten Ergebnissen führt, Ich hoffe, du irrst dich nie, Ich bin gar nicht so ehrgeizig, ich möchte mich nur dieses eine Mal nicht irren, und jetzt lass uns bitte, wenn du entschuldigst, dieses VaterTochter-Gespräch beenden, gib mir doch bitte mal Isaura, ich habe einiges mit ihr zu bereden. Cipriano reichte den Hörer weiter und ging hinaus auf die Tenne. Da drüben ist die Töpferei, wo ein Restchen Ton einsam vor sich hintrocknet, da ist der Ofen, wo dreihundert Figuren sich gegenseitig fragen, warum zum Teufel man sie gemacht hat, da ist das Holz, das vergeblich darauf wartet, dass man es in das Ofenloch stopft. Und Marta, die sagt, wenn es dort keine Zukunft gibt, dann gibt es sie hier auch nicht. Cipriano Algor hat heute das Glück kennen gelernt, den offenen Himmel der Liebe, die sich erklärte und erfüllte, und jetzt sind da erneut diese Sturmwolken, diese bösen Schatten des Zweifels und der Furcht, man muss sich nur überlegen, dass das, was das Zentrum ihm für die Figuren bezahlt hat, höchstens zwei Monate reichen wird, selbst wenn sie den Gürtel ins engste Loch schnallen, und dass die Differenz zwischen dem, was die Verkäuferin Isaura in ihrem Laden verdient, und dem Nichts praktisch ein weiteres Nichts sein dürfte. Und danach, fragte er, den schwarzen Maulbeerbaum betrachtend, und dieser antwortete, Danach, alter Freund, wie immer, die Zukunft. Vier Tage später rief Marta wieder an, Wir kommen morgen Nachmittag. Cipriano Algor rechnete schnell nach, Aber 378
Marçals freier Tag kann doch jetzt noch gar nicht sein, Das stimmt, Aber, Spar dir deine Fragen auf, bis wir da sind, Soll ich euch abholen, Das ist nicht nötig, wir nehmen ein Taxi. Cipriano Algor sagte zu Isaura, dass ihm dieser Besuch merkwürdig vorkäme, Außer, fügte er hinzu, sie mussten die Einteilung der freien Tage wegen irgendeines bürokratischen Problems, das mit der Entdeckung der Höhle zusammenhängt, abändern, aber in dem Fall wäre es doch normal gewesen, das zu sagen, anstatt mich meine Fragen aufsparen zu lassen, bis sie da sind, Ein Tag geht schnell vorbei, sagte Isaura, morgen werden wir es wissen. Doch der Tag ging nicht so schnell vorbei, wie Isaura gedacht hatte. Vierundzwanzig Stunden Nachdenken sind eine lange Zeit, vierundzwanzig Stunden heißt es hier, weil es in der Nacht vermutlich nicht nur den Traum gibt, wir haben andere Gedanken in unserem Kopf, die einen Vorhang zuziehen und einfach weiterdenken, ohne dass es jemand merkt. Cipriano Algor hatte Martas kategorische Worte, das Kind betreffend, das sie gebären würde, nicht vergessen, Es hier zur Welt bringen, nein, ein absolut eindeutiger Satz, ohne jegliche Umschweife, keines dieser Gebilde aus mehr oder weniger klaren Stimmlauten, die, selbst wenn sie bejahen, noch an sich selbst zu zweifeln scheinen. Die Schlussfolgerung konnte also aller Logik nach nur eine sein, Marta und Marçal würden das Zentrum verlassen. Es wäre eine Dummheit, das zu tun, sagte Cipiriano Algor, wovon wollen sie denn dann leben, Dieselbe Frage könnte man uns auch stellen, und doch siehst du, dass ich nicht allzu beunruhigt bin, Glaubst du an die göttliche Vorsehung, die über die Schutzlosen wacht, Nein, ich glaube, es gibt Situationen im Leben, in denen wir uns einfach dem Strom der Ereignisse überlassen sollten, als hätten wir nicht die Kraft, uns ihr zu widersetzen, und plötzlich erkennen wir, dass der Fluss sich auf unsere Seite geschlagen hat, niemand sonst hat es bemerkt, nur wir, wer uns sieht, wird meinen, wir seien kurz vor dem 379
Kentern, und nie sind wir so sicher gesegelt, Hoffentlich ist die Situation, in der wir uns befinden, eine solche. Das sollte sich bald herausstellen. Marta und Marçal stiegen aus dem Taxi, luden einige Pakete aus dem Kofferraum, weniger als sie ins Zentrum mitgenommen hatten, Achado entlud seine Emotionen in zwei stürmischen Runden um den schwarzen Maulbeerbaum, und als das Auto den Weg hinabfuhr, um in die Stadt zurückzukehren, sagte Marçal, Ich bin nicht mehr Angestellter des Zentrums, ich habe meinen Dienst als Wachmann quittiert. Cipriano Algor und Isaura fühlten sich nicht verpflichtet, Überraschung zu zeigen, eine Überraschung, die überdies unecht geklungen hätte, doch eine Frage mussten sie zumindest stellen, eine jener nutzlosen Fragen, ohne die wir anscheinend nicht leben können, Bist du sicher, dass es das Beste für euch war, und Marçal antwortete, Ich weiß nicht, ob es das Beste oder das Schlechteste war, ich habe getan, was ich tun musste, und ich war nicht der Einzige, zwei andere Kollegen haben auch gekündigt, ein Externer und einer aus dem Zentrum, Und das Zentrum, wie haben sie reagiert, Wer sich nicht anpasst, taugt nicht, und ich hatte aufgehört, mich anzupassen, diese beiden letzten Sätze wurden bereits nach dem Abendessen ausgesprochen, Und wann hast du gemerkt, dass du aufgehört hast, dich anzupassen, fragte Cipriano Algor, Die Höhle war nur der letzte Tropfen, so wie für dich auch, Und für diese beiden Kollegen, Für sie ebenfalls. Isaura war aufgestanden und hatte begonnen, den Tisch abzuräumen, doch Marta sagte, Lass uns das später zusammen machen, wir müssen jetzt entscheiden, was wir tun, Isaura ist der Meinung, sagte Cipriano Algor, dass wir uns dem Strom der Ereignisse überlassen sollten, dass immer ein Augenblick kommt, in dem wir merken, dass der Fluss sich auf unsere Seite geschlagen hat, Ich habe nicht immer gesagt, korrigierte Isaura, ich habe gesagt, es gibt Situationen, aber nehmt es nicht weiter ernst, das ist nur so eine Phantasie, die mir durch den Kopf ging, Für 380
mich ist sie gut, fand Marta, zumindest passt sie sehr gut zu dem, was uns passiert ist, Was wollen wir also machen, fragte der Vater, Marçal und ich werden versuchen, weit weg von hier ein neues Leben zu beginnen, das ist schon beschlossene Sache, mit dem Zentrum ist Schluss, mit der Töpferei war es vorher schon vorbei, von einem Augenblick auf den anderen sind wir zu so etwas wie Fremden in dieser Welt geworden, Und wir, fragte Cipriano Algor, Du darfst nicht von mir erwarten, dass ich euch rate, was ihr zu tun habt, Verstehe ich das richtig, wenn ich glaube, dass du vorschlägst, wir sollten uns trennen, Du verstehst es falsch, was ich sagen will, ist, dass die Gründe der einen vielleicht nicht für alle anderen gelten, Darf ich eine Meinung äußern, etwas vorschlagen, eigentlich weiß ich gar nicht, ob ich schon das Recht dazu habe, ich gehöre seit einer knappen Woche zu dieser Familie und fühle mich immer noch so, als wäre ich nur probeweise hier, als wäre ich durch die Hintertür hereingekommen, Präsent warst du hier schon seit Monaten, seit diesem berühmten Wasserkrug, sagte Marta, auf das andere, das du gesagt hast, soll dir mein Vater antworten, Außer dass sie offensichtlich eine Meinung äußern, etwas vorschlagen möchte, habe ich nichts gehört, daher ist meine Meinung in diesem Augenblick nicht von Bedeutung, sagte Cipriano Algor, Was war das für eine Idee, fragte Marta, Sie hat mit dieser Phantasie von der Strömung zu tun, die uns mitnimmt, sagte Isaura, Erklär uns das, Es ist die einfachste Sache der Welt, Ich weiß schon, was das für eine Idee ist, unterbrach Cipriano Algor sie, Was ist es, fragte Isaura, Wir gehen auch weg, Richtig. Marta atmete tief durch, Um vernünftige Ideen zu haben, muss man keine Frau sein, Aber wir sollten nichts überstürzen, Was meinst du damit, fragte Isaura, Du hast dein Haus, deine Arbeit, Und wenn schon, Das alles einfach so aufgeben, allem den Rücken kehren, Ich habe doch vorher schon alles aufgegeben, habe doch vorher schon allem den Rücken gekehrt, als ich diesen Krug gegen meine 381
Brust gedrückt habe, du musstest wirklich ein Mann sein, um nicht zu verstehen, dass ich in Wirklichkeit dich an mich gedrückt habe, die letzten Worte verloren sich fast in einem plötzlichen Aufschluchzen. Cipriano Algor streckte schüchtern seine Hand aus und berührte sie am Arm, doch sie musste nur noch mehr weinen, oder sie brauchte dies, manchmal reichen die Tränen, die wir schon geweint haben, nicht aus, und wir müssen sie bitten weiterzufließen. Die Vorbereitungen nahmen den ganzen darauf folgenden Tag in Anspruch. Zuerst in dem einen Haus, dann in dem anderen. Marta und Isaura wählten aus, was sie für eine Reise, deren Ziel unbekannt war und von der man nicht wusste, wie und wo sie enden würde, für notwendig erachteten. Die Männer beluden den Lieferwagen, unterstützt durch das anfeuernde Gebell Achados, der heute kein bisschen beunruhigt war über das, was mit absoluter Sicherheit ein neuerlicher Umzug war, denn in seinem Hundekopf konnte gar nicht erst die Idee aufkommen, man könnte ihn ein zweites Mal zurücklassen. Am Morgen des Abreisetags war der Himmel grau, es hatte in der Nacht geregnet, auf der Tenne hatten sich hier und da ein paar kleine Pfützen gebildet, und der schwarze Maulbeerbaum, der sich für immer und ewig an die Erde klammerte, tropfte noch. Fahren wir los, fragte Marçal, Ja, sagte Marta. Sie stiegen in den Lieferwagen, die zwei Männer vorn, die beiden Frauen hinten, Achado zwischen ihnen, doch als Marçal losfahren wollte, sagte Cipriano Algor unvermittelt, Warte. Er stieg aus und lenkte seine Schritte in Richtung Ofen. Wohin geht er, fragte Marta, Was hat er bloß vor, murmelte Isaura. Die Tür zum Ofen wurde geöffnet, Cipriano Algor ging hinein. Als er kurze Zeit später wieder herauskam, war er in Hemdsärmeln, und seine Jacke diente ihm zum Transport von etwas Schwerem, von etlichen Figuren, es konnte nichts anderes sein. Er will sie als Erinnerung mitnehmen, sagte Marçal, doch er täuschte sich, Cipriano Algor ging auf die 382
Haustür zu und begann die Figuren auf dem Boden aufzustellen, drückte sie fest in den feuchten Boden, und als sie alle standen, kehrte er zurück zum Ofen, zu diesem Zeitpunkt waren die anderen Reisenden bereits aus dem Lieferwagen gestiegen, keiner von ihnen fragte etwas, einer nach dem anderen betrat den Ofen und holte Figuren heraus, Isaura lief zum Lieferwagen, um einen Korb zu holen, einen Sack, irgendetwas, und die Figuren nahmen nach und nach den gesamten Platz vor dem Haus ein, da ging Cipriano Algor in die Töpferei und holte ganz vorsichtig die verkrüppelten Figuren, die er dort angesammelt hatte, vom Regal und brachte sie mit ihren unbeschädigten, gesunden Schwestern zusammen, wenn es regnet, werden sie zu Schlamm werden, und dann zu Staub, wenn die Sonne den Schlamm wieder trocknet, doch das ist unser aller Schicksal, jetzt halten sie nicht mehr nur vor dem Haus Wache, sondern verteidigen auch den Eingang zur Töpferei, am Ende werden es über dreihundert Figuren sein, die geradeaus blicken, Clowns, Narren, Eskimos, Mandarins, Krankenschwestern, bärtige Assyrer, bis jetzt hat Achado noch keine einzige umgeworfen, Achado ist ein verständnisvoller, sensibler, fast menschlicher Hund, man braucht ihm nicht zu erklären, was hier vor sich geht. Cipriano Algor schloss die Tür des Ofens und sagte dann, Jetzt können wir losfahren. Der Lieferwagen wendete und fuhr den Weg hinunter. Als er an der Straße ankam, bog er nach links ab. Marta weinte mit trockenen Augen, Isaura umarmte sie, während Achado sich in einer Ecke des Sitzes zusammenrollte, da er nicht wusste, wen er trösten sollte. Als sie ein paar Kilometer gefahren waren, sagte Marçal, Ich werde meinen Eltern schreiben, wenn wir zum Mittagessen anhalten. Und dann, an Isaura und den Schwiegervater gewandt, An der Fassade des Zentrums hing ein Plakat, eins von diesen großen, könnt ihr euch denken, was darauf stand, fragte er, Wir haben keine Ahnung, antworteten beide, und da sagte Marçal, als rezitiere er, BALDIGE 383
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