Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht
Beiträge zum ausländischen öffentlichen Rech...
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Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht
Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht
Begründet von Viktor Bruns
Herausgegeben von Armin von Bogdandy · Rüdiger Wolfrum
Band 227
Sebastian Pritzkow
Das völkerrechtliche Verhältnis zwischen der EU und Russland im Energiesektor Eine Untersuchung unter Berücksichtigung der vorläufigen Anwendung des EnergiechartaVertrages durch Russland International Law Aspects of EU-Russia Energy Relations An Analysis with Special Reference to the Provisional Application of the Energy Charter Treaty by Russia (English Summary)
ISSN 0172-4770 ISBN 978-3-642-21167-6 e-ISBN 978-3-642-21168-3 DOI 10.1007/978-3-642-21168-3 Springer Heidelberg Dordrecht London New York Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © by Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V., to be exercised by Max-PlanckInstitut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Heidelberg 2011 Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Einbandentwurf : WMXDesign GmbH, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem Papier Springer ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media (www.springer.com)
Vorwort Diese Arbeit wurde der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln im Wintersemester 2009/2010 als Dissertation vorgelegt. Mein Dank gilt zuvorderst Frau Prof. Dr. Angelika Nußberger M.A für die zuvorkommende Betreuung und Förderung meines Promotionsvorhabens. Herrn Prof. Dr. Burkhard Schöbener danke ich herzlich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Danken möchte ich an dieser Stelle auch meinen Freunden und Kollegen am Institut für Ostrecht der Universität zu Köln. Ich hätte mir keine schönere wissenschaftliche Heimat wünschen können! Mein Dank gebührt auch zahlreichen Beamten der Europäischen Kommission, die mir für bereichernde Hintergrundgespräche zur Verfügung standen. Von diesen seien hier nur Richard Greenwood, Madelaine Tuininga und Ulrich Weins namentlich genannt. Prof. Dr. Avak’jan, dem Leiter der Abteilung Verfassungsrecht an der juristischen Fakultät der Moskauer Staatlichen Universität, danke ich herzlich für die freundliche Unterstützung meines Forschungsaufenthaltes in Russland. Der Studienstiftung des deutschen Volkes verdanke ich nicht nur die finanzielle Unterstützung meines Promotionsvorhabens, sondern auch eine enorme ideelle Förderung. Danksagen möchte ich in diesem Zusammenhang insbesondere Dr. Gabriele Kersting, Dr. Imke Thamm und Dr. Hans-Ottmar Weyand, die für mich „das Gesicht“ der Studienstiftung waren. Großen Dank schulde ich schließlich meinen Eltern, die mein Studium und mein Promotionsvorhaben stets unterstützt haben. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet. Köln, August 2010
Sebastian Pritzkow
Inhaltsverzeichnis A. Einleitung ........................................................................................... 1 B. Die Beteiligten und die Entwicklung ihrer Vertragsbeziehungen............................................................................ 3 I.
II.
Die Beteiligten................................................................................... 3 1. Die Russländische Föderation.................................................... 3 2. Die Europäischen Gemeinschaften und die Europäische Union...................................................................... 5 a) Geschichtlicher Überblick (Europäischer Einigungsprozess).................................................................. 5 b) Völkerrechtssubjektivität der EG und der EU.................... 6 c) Außenkompetenzen .............................................................. 8 Die Entwicklung der völkervertraglichen Beziehungen zwischen den Beteiligten .................................................................. 9 1. Die Entwicklung der sowjetischen Völkerrechtsdogmatik in Bezug auf die Europäischen Gemeinschaften ........................................................................... 9 2. Überblick über geschlossene Verträge und Abkommen ................................................................................ 11
C. Die Ausgangslage und die Interessen im Energiebereich ...................................................................................... 13 I.
II.
Verteilung von Energieressourcen und Organisation der Energiesektoren............................................................................... 1. Netto-Energie-Importeur und Netto-EnergieExporteur ................................................................................... a) Die EU als Netto-Importeur von Energieträgern............. b) Russland als Netto-Exporteur von Energieträgern sowie als Transitstaat ........................................................... 2. Organisation der Energiesektoren in der EU und in Russland ..................................................................................... a) Organisation des Energiesektors in der EU ...................... b) Organisation des Energiesektors in Russland ................... Interessen im Energiebereich ......................................................... 1. Interessen der im Energiesektor tätigen Unternehmen..........
13 13 13 14 15 15 16 18 18
VIII
Inhaltsverzeichnis
a) Interessen europäischer Unternehmen .............................. b) Interessen russischer Unternehmen ................................... 2. Interessen der EU-Mitgliedstaaten und der EU sowie Interessen der Russischen Föderation........................... a) Interessen der EU-Mitgliedstaaten und der EU................ b) Interessen der Russischen Föderation................................
18 19 20 20 23
D. Die Kompetenzen der EU im Energiesektor und Europäische Energieaußenpolitik ......................................... 27 I. II.
Kompetenzen der EU im Energiesektor....................................... 27 Kompetenzverteilung hinsichtlich der Energie-Außenpolitik .... 29
E. Energiebezogene völkerrechtliche Verträge zwischen der EU und Russland....................................................... 33 I.
Das Abkommen über Partnerschaft und Zusammenarbeit von 1994 (PCA)............................................................................... 1. Allgemeiner Überblick über die Bestimmungen des PCA ..................................................................................... 2. Regelungen mit Energiebezug im PCA................................... II. Der Energiecharta-Vertrag von 1994 (ECT)................................. 1. Historische Einordnung des ECT............................................ 2. Bestimmungen des ECT und der Protokolle .......................... a) Materielle Bestimmungen des ECT.................................... aa) Investitionsschutz ......................................................... bb) Handel............................................................................ cc) Transit ............................................................................ dd) Wettbewerb.................................................................... ee) Umwelt .......................................................................... ff) Streitbeilegung............................................................... (1) Streitbeilegung im Verhältnis InvestorVertragspartei.......................................................... (2) Streitbeilegung im Verhältnis zwischen zwei Vertragsparteien...................................................... b) Institutionelle Bestimmungen des ECT............................. III. Sonstige Vereinbarungen ................................................................
33 34 36 38 38 40 40 40 43 45 46 47 49 49 51 52 52
F. Wirkungsgrad des ECT während bzw. aufgrund seiner vorläufigen Anwendung durch Russland von 1994 bis 2009.................................................................................. 55 I.
Die vorläufige Anwendung des ECT allgemein ........................... 55
Inhaltsverzeichnis
II.
1. Generelle Anmerkungen zur vorläufigen Anwendung völkerrechtlicher Verträge .................................. 2. Zur Konzeption der vorläufigen Anwendung des ECT ........ a) Artikel 45 ECT und die den Vertrag vorläufig anwendenden Staaten .......................................................... b) Umkehrung des in Art. 27 WVK verankerten Grundsatzes ......................................................................... aa) Der All-or-Nothing-Approach ist abzulehnen............ bb) Konsequenz: Piecemeal-Approach............................... c) Zur Zulässigkeit der Umkehrung des in Art. 27 WVK verankerten Grundsatzes .................................................... aa) In Kraft getretene Verträge und der in Art. 27 WVK verankerte Grundsatz ........................................ bb) Vorläufig angewendete Verträge und der in Art. 27 WVK verankerte Grundsatz ........................................ cc) Der ECT und der in Art. 27 WVK verankerte Grundsatz ...................................................................... d) Variabilität der völkerrechtlichen Bindung durch Modifizierung des innerstaatlichen Rechts? ...................... aa) Wortlaut: Artikel 45 ECT als dynamischer Verweis auf das innerstaatliche Recht der Unterzeichner................................................................ bb) Völkerrechtliche Beschränkung der Modifizierung des innerstaatlichen Rechts .......................................... (1) Rechtsgedanke des Art. 18 lit. a) WVK ................ (2) Rechtsgedanke des Art. 26 WVK.......................... (a) Nachträgliche Akte des (Verfassungs-) Gesetzgebers........................................................... (b) Nachträgliche Regierungsakte............................... cc) Erworbene Rechte von Investoren anderer Unterzeichner................................................................ dd) Zusammenfassung......................................................... e) Zur Bindung der Vertragsparteien gegenüber einem den Vertrag nur vorläufig anwendenden Unterzeichner und dessen Investoren................................ Die vorläufige Anwendung des ECT speziell in Bezug auf Russland........................................................................................... 1. Bindung Russlands .................................................................... a) Vorläufige Anwendung des ECT durch Russland von 1994 bis 2009 ........................................................................ b) Zulässigkeit der vorläufigen Anwendung des ECT nach innerstaatlichem russischen Recht.............................
IX
55 60 60 62 62 64 65 65 66 69 70
70 72 72 73 73 74 77 78
79 82 82 82 84
X
Inhaltsverzeichnis
c) Wirkungsgrad des ECT während der vorläufigen Anwendung durch Russland unter Berücksichtigung von Art. 15 Abs. 4 VRF....................................................... aa) Hypothese entgegenstehenden Verfassungsrechts ..... bb) Hypothese entgegenstehender Gesetze oder sonstiger Rechtsvorschriften ........................................ (1) Problemaufriss: Möglichkeit einer Weiterverweisungssituation................................... (2) Völkerrechtliche Perspektive................................. (3) Russische Rechtsordnung...................................... cc) Ergebnis ......................................................................... 2. Bindung der ECT-Vertragsparteien gegenüber Russland und russischen Investoren ........................................ III. Die Beendigung der vorläufigen Anwendung des ECT durch Russland und künftige Bindung an den Vertrag...........................
88 88 89 89 90 91 94 95 95
G. Völkerrechtlicher Status quo zu zentralen Fragestellungen hinsichtlich der europäischrussischen Beziehungen im Energiebereich ................................ 97 I.
II.
Souveränität über Energieressourcen und weitere Souveränitätsaspekte im Verhältnis zwischen der EU und Russland ................................................................................... 97 1. Inhalt der relevanten Souveränitätsrechte ............................... 97 a) Souveränität allgemein......................................................... 97 b) Souveränität über Energievorkommen .............................. 98 c) Sonstige relevante Souveränitätsaspekte ............................ 99 d) Status quo und Interessenlage ............................................. 99 2. Räumliche Ausdehnung der relevanten Souveränitätsrechte ................................................................. 102 Handel mit Energieträgern, Strom und energieintensiven Produkten ...................................................................................... 104 1. Allgemeiner Überblick über europäisch-russische Handelsströme im Energiesektor........................................... 105 a) Erdöl ................................................................................... 105 b) Erdgas ................................................................................. 105 c) Nuklearmaterial ................................................................. 107 d) Elektrische Energie............................................................ 107 e) Welthandel mit Energieträgern und GATT/WTO ......... 108 2. Ausfuhrbeschränkungen und Einfuhrbeschränkungen ....... 108 a) Ausfuhrbeschränkungen für Primärenergieträger durch Russland................................................................... 109
Inhaltsverzeichnis
aa) Die Frage nach der völkerrechtlichen Zulässigkeit hypothetischer Ausfuhrbeschränkungen .................. bb) Souveränität ................................................................. cc) GATT/WTO ............................................................... dd) PCA.............................................................................. ee) ECT.............................................................................. ff) Zusammenfassung und Interessenlage ...................... b) Einfuhrbeschränkungen für Primärenergieträger und elektrische Energie durch die EU..................................... aa) Einfuhrbeschränkungen für Erdöl, Erdgas und Kohle............................................................................ (1) Die Frage nach der völkerrechtlichen Zulässigkeit hypothetischer Einfuhrbeschränkungen....................................... (2) Souveränität .......................................................... (3) GATT/WTO ........................................................ (4) PCA....................................................................... (5) ECT ....................................................................... (6) Zusammenfassung und Interessenlage................ bb) Einfuhrbeschränkungen für Nuklearmaterial .......... (1) Realität mengenmäßiger Einfuhrbeschränkungen für Nuklearmaterial.... (2) Souveränität .......................................................... (3) GATT/GATS/WTO ............................................ (a) Einfuhrbeschränkungen für Natururan und GATT .................................................................... (b) Einfuhrbeschränkungen für angereichertes Uran und GATT bzw. GATS.............................. (c) Ergebnis ................................................................ (4) PCA....................................................................... (5) ECT ....................................................................... (6) Zusammenfassung und Interessenlage................ cc) Einfuhrbeschränkungen für elektrische Energie (Strom) ......................................................................... (1) Die Frage nach der völkerrechtlichen Zulässigkeit hypothetischer Einfuhrbeschränkungen....................................... (2) Souveränität .......................................................... (3) GATT/WTO ........................................................ (a) Wareneigenschaft elektrischer Energie ...............
XI
109 109 109 112 112 114 115 116
116 116 117 117 118 119 120 120 121 122 122 123 124 124 125 126 127
127 127 128 128
XII
Inhaltsverzeichnis
(b) Möglichkeit mengenmäßiger Beschränkung nach dem GATT und Verweigerung der Interkonnektion ................................................... (i) Mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen für „schmutzigen Strom“........................................... (ii) Verweigerung der Interkonnektion .................... (iii) Zwischenergebnis ................................................. (4) PCA....................................................................... (a) Wareneigenschaft elektrischer Energie ............... (b) Möglichkeit mengenmäßiger Beschränkung nach dem PCA und Verweigerung der Interkonnektion ................................................... (i) Mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen für „schmutzigen Strom“........................................... (ii) Verweigerung der Interkonnektion .................... (iii) Zwischenergebnis ................................................. (5) ECT ....................................................................... (a) Elektrische Energie als Energieerzeugnis i.S.d. ECT ....................................................................... (b) Möglichkeit mengenmäßiger Beschränkung nach dem ECT und Verweigerung der Interkonnektion ................................................... (i) Mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen für „schmutzigen Strom“........................................... (ii) Verweigerung der Interkonnektion .................... (iii) Zwischenergebnis ................................................. (6) Zusammenfassung und Interessenlage................ c) Verbringung von Nuklearmaterial zur Wiederaufbereitung ........................................................... aa) Die Frage nach der völkerrechtlichen Zulässigkeit von Handelsbeschränkungen ..................................... bb) Souveränität ................................................................. cc) GATT/GATS/WTO................................................... dd) PCA und ECT............................................................. ee) Zusammenfassung und Interessenlage ...................... 3. Einfuhr- und Ausfuhrzölle für Primärenergieträger und Energieerzeugnisse sowie für energieintensive Produkte .... a) Russische Ausfuhrzölle und sonstige bei der Ausfuhr erhobene Abgaben ............................................................. aa) Die Frage nach der Zulässigkeit von Exportzöllen und von sonstigen bei der Ausfuhr erhobenen Abgaben bzw. deren Erhöhung .................................
129 129 133 133 133 133
134 134 135 135 136 136
136 136 137 137 138 139 139 140 140 141 141 142 142
142
Inhaltsverzeichnis
XIII
bb) Souveränität ................................................................. cc) GATT/WTO ............................................................... dd) PCA.............................................................................. ee) ECT.............................................................................. ff) Zusammenfassung und Interessenlage ...................... b) Europäische Einfuhrzölle und sonstige bei der Einfuhr erhobene Abgaben............................................... aa) Einfuhrzölle in Bezug auf Primärenergieträger und Energieerzeugnisse .............................................. (1) Die Frage nach der Zulässigkeit von Importzöllen bzw. deren Erhöhung ................... (2) Souveränität .......................................................... (3) GATT/WTO ........................................................ (4) PCA und ECT...................................................... (5) Zusammenfassung und Interessenlage................ bb) Antidumping-Maßnahmen hinsichtlich überdurchschnittlich energieintensiver Produkte .... 4. Das Problem langfristiger Lieferverträge für Gas mit Territorial-restriction-clauses ........................................... III. Transport und Transit von Energieträgern und Energieerzeugnissen...................................................................... 1. Transportproblematiken im europäischrussischen Verhältnis ............................................................... a) Gastransport innerhalb Russlands.................................... b) Gasexportmonopol Gazproms ......................................... 2. Transitproblematiken im europäisch-russischen Verhältnis ................................................................................. a) Einleitung ........................................................................... aa) Transit allgemein ......................................................... bb) Transit in Rohrleitungen............................................. b) Transit durch Russland von Energieträgern aus Drittstaaten......................................................................... aa) Schaffung neuer Pipelines........................................... bb) Zugang zu bestehenden russischen Gaspipelines ..... cc) Transittarife (transit tariffs) ........................................ c) Transit durch Drittstaaten von Energieträgern aus Russland ............................................................................. aa) Einleitung .................................................................... bb) Gasliefergefüge und Übergabepunkte....................... cc) Muster bisheriger Konflikte ....................................... dd) Rechtliche Betrachtung der Konflikte....................... ee) Zusammenfassung und Interessenlage ......................
143 143 143 144 146 148 148 148 148 149 149 149 150 152 154 155 155 158 159 159 159 161 163 163 165 170 172 172 173 175 176 179
XIV
IV.
Inhaltsverzeichnis
d) Fragen im Zusammenhang mit Infrastrukturprojekten zur Umgehung von Transitstaaten ................................... 181 aa) Völkerrechtliche Pflicht zur Beibehaltung bestimmter Transportrouten? .................................... 182 bb) Neue Pipelines im Meer ............................................. 183 cc) Zusammenfassung und Interessenlage ...................... 184 e) Streitpunkte hinsichtlich des Transitprotokolls zum ECT .................................................................................... 185 aa) Regional-integration-clause........................................ 185 bb) Right of first refusal..................................................... 187 cc) Bildung der Transittarife (transit tariffs) ................... 189 dd) Zusammenfassung........................................................ 189 Investitionsregime für Investitionen im Energiesektor.............. 190 1. Investitionsschutz für getätigte Investitionen im Energiesektor........................................................................... 190 a) Einleitung ........................................................................... 190 b) Investitionsbegriff und Formen von Auslandsinvestitionen im Energiesektor ......................... 193 c) Schwierigkeiten ausländischer Investoren in Bezug auf getätigte Investitionen in Russland................................... 194 d) Opportunität der Einleitung eines internationalen Schiedsverfahrens............................................................... 195 e) Zur Unterwerfung Russlands unter ein internationales Schiedsverfahren nach dem ECT während bzw. aufgrund seiner vorläufigen Anwendung ........................ 197 aa) Problemaufriss............................................................. 197 bb) Vorläufig angewendete Verträge und Schiedsklauseln generell ............................................. 198 cc) Vorläufige Anwendung des ECT allgemein und ECT-Schiedsklauseln .................................................. 200 dd) Vorläufige Anwendung des ECT speziell durch Russland und ECT-Schiedsklauseln .......................... 201 (1) Kein Verbot der Unterwerfung unter internationale (Schieds-) Gerichte....................... 202 (2) Ratifikationserfordernis für die Unterwerfung unter Schiedsgerichtsbarkeit nach dem ZMD?................................................... 203 (3) Schwache Stellung nichtratifizierter Verträge in der russischen Rechtsordnung ........................ 205 (4) Kontinuität des sowjetischen Souveränitätsdogmas............................................ 206 (5) Ergebnis ................................................................ 208
Inhaltsverzeichnis
f) Reichweite des Investitionsschutzes nach dem ECT während bzw. aufgrund seiner vorläufigen Anwendung........................................................................ aa) Enteignung................................................................... (1) Steuerrechtliche Maßnahmen .............................. (2) Umweltschutzrechtliche Maßnahmen................ (3) Lizenzentzug ........................................................ bb) Schlüsselpersonal......................................................... cc) Schutz vor Diskriminierung....................................... 2. Gegenseitige Öffnung für Investitionen ausländischer Investoren im Energiesektor .................................................. a) Einleitung ........................................................................... b) Souveränität........................................................................ c) GATT/TRIMs-Abkommen/WTO .................................. d) PCA .................................................................................... e) ECT .................................................................................... f) Nationale Rechtsgrundlagen für Beschränkungen von ausländischen Investitionen .............................................. g) Zusammenfassung und Interessenlage ............................. V. Umweltschutz ............................................................................... VI. Kooperation................................................................................... 1. Energieeffizienz und verbundene Umweltaspekte ............... 2. Weitergabe von Technologie................................................... 3. Nuklearsektor.......................................................................... 4. Sonstige Kooperation.............................................................. VII. Energieversorgungssicherheit und Energieabnahmesicherheit............................................................ 1. Annäherung an die Begrifflichkeiten ..................................... 2. Europas Energieversorgungssicherheit und Russland ................................................................................... 3. Russlands Energieabnahmesicherheit und Europa............... 4. Asymmetrische oder gegenseitige Abhängigkeit? ................ 5. Anmerkungen aus völkerrechtlicher Perspektive ................. VIII. Wettbewerb und Liberalisierung .................................................
XV
209 210 210 213 215 216 218 220 220 221 221 221 222 225 227 228 230 230 232 233 234 235 236 236 239 240 241 243
H. Zusammenfassung und Ausblick............................................ 247 I. II.
Zusammenfassung......................................................................... 247 Ausblick......................................................................................... 252
Summary: International Law Aspects of EU-Russia Energy Relations ............................................................................... 257
XVI
Inhaltsverzeichnis
Literaturverzeichnis ......................................................................... 259 Verzeichnis zitierter Pressemitteilungen und zitierter Reports des EU-Russland Energie-Dialogs ......................................................... Verzeichnis zitierter Agenturmeldungen ............................................. Verzeichnis erwähnter völkerrechtlicher Verträge .............................. Verzeichnis erwähnter Resolutionen des UN-Sicherheitsrates und der UN-Generalversammlung.......................................................... Verzeichnis erwähnter nationaler Rechtsakte sowie erwähnter EG/EU-Rechtsakte ........................................................................... Verzeichnis erwähnter (Schieds-) Gerichtsentscheidungen und WTO Panel-Reports .........................................................................
277 279 279 286 286 292
Anhang ................................................................................................. 295 Anhang 1 (Verzeichnis der zitierten russischsprachigen Arbeiten in kyrillischer Schreibweise) ............................................................. 295 Anhang 2 (Russische Rechtsakte in russischer Sprache)..................... 297
Sachregister ......................................................................................... 303
Abkürzungsverzeichnis a.A.
andere Ansicht, andere Auffassung
a.a.O.
am angegebenen Ort
ABl.
Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft
Abs.
Absatz
a.E.
am Ende
AEUV
Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union
a.F.
alte Fassung
AFDI
Annuaire Français de Droit International
AJIL
American Journal of International Law
Alt.
Alternative
a.M.
am Main
Art.
Artikel
ASIL
American Society of International Law
AtG
Atomgesetz
atw
Die Atomwirtschaft
Aufl.
Auflage
AVR
Archiv des Völkerrechts
Az.
Aktenzeichen
bearb.
bearbeitet, bearbeitete
BGBl.
Bundesgesetzblatt
BGR
Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe
BIOst
Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien
BIT
Bilateral Investment Treaty
BITs
Bilateral Investment Treaties
BMD
Bjulleten’ meždunarodnych dogovorov (Bulletin internationaler Verträge)
BNA
Bjulleten’ normativnych aktov federal’nych organov ispolnitel’noj vlasti (Bulletin der Normativakte der föderalen Organe der ausführenden Gewalt)
XVIII
BP
Abkürzungsverzeichnis
British Petroleum
BPS
Baltisches Pipelinesystem
BRD
Bundesrepublik Deutschland
BTC-Pipeline
Baku-Tiflis-Ceyhan-Pipeline
bzw.
beziehungsweise
Calif.
California
CEPMLP
Centre for Energy, Petroleum and Mineral Law and Policy
CEPS
Centre for European Policy Studies
CGES
Centre for Global Energy Studies
C.I.J.
Cour Internationale de Justice
CIS
Commonwealth of Independent States
CLCS
Commission on the Limits of the Continental Shelf
CRS
Congressional Research Service
ČSSR
Československá socialistická republika
DC
Destination-clause
DG
Directorate General
d.h.
das heißt
DIW
Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung
DNSC
Défense nationale et sécurité collective
durchges.
durchgesehen, durchgesehene
EAEC
European Atomic Energy Community
EAG
Europäische Atomgemeinschaft
EAGV
EAG-Vertrag
EC
European Community
ECs
European Communities
ECSC
European Coal and Steel Community
ECT
Energy Charter Treaty
ECT-TP
ECT-Transitprotokoll
ed.
edition
éd.
édition
EdF
Électricité de France
EEC
European Economic Community
EEG
Erneuerbare-Energien-Gesetz
Abkürzungsverzeichnis
XIX
EFA
European Foreign Affairs
EG
Europäische Gemeinschaft, Europäische Gemeinschaften
EGKS
Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl
EGKSV
EGKS-Vertrag
EGMR
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
EGV
EG-Vertrag (vor Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon)
EJIL
European Journal of International Law
EMRK
Europäische Menschenrechtskonvention
ENPI
European Neighbourhood Policy Instrument
EPC
European Policy Centre
erw.
erweitert, erweiterte
erweit.
erweitert, erweiterte
ESA
EURATOM Supply Agency
ET
Energiewirtschaftliche Tagesfragen
etc.
et cetera
EU
Europäische Union
EuGH
Europäischer Gerichtshof
EUPM
European Union Police Mission
EUV
EU-Vertrag
EuZW
Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht
EWG
Europäische Wirtschaftsgemeinschaft
EWGV
EWG-Vertrag
f.
und der folgende, und die folgende
FAS
Federal’naja antimonopolnaja služba (Föderaler Antimonopoldienst)
FAZ
Frankfurter Allgemeine Zeitung
FCO
British Foreign & Commonwealth Office
ff.
und die folgenden
FINSA
Foreign Investment and National Security Act
Fn.
Fußnote
FS
Festschrift
XX
Abkürzungsverzeichnis
FST
Federal’naja Služba po Tarifam (Föderaler Dienst für Tarife)
FT
Financial Times. London (UK)
FTD
Financial Times Deutschland
FZ
Federal’nyj zakon (Föderales Gesetz)
GA
General Assembly
GaO
Government and Opposition
GASP
Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik
GATS
General Agreement on Trade in Services
GATT
General Agreement on Tariffs and Trade
GdF
Gaz de France
ggf.
gegebenenfalls
GiP
Gosudarstvo i Pravo (Staat und Recht)
GVG
Gerichtsverfassungsgesetz
GYIL
German Yearbook of International Law
Hrsg.
Herausgeber
HS.
Halbsatz
ICJ
International Court of Justice
ICLQ
International and Comparative Law Quarterly
ICSID
International Centre for Settlement of Investment Disputes
IDG
Investitionsdurchführungsgesetz
i.d.R.
in der Regel
I.E.L.T.R.
International Energy Law and Taxation Review
IGH
Internationaler Gerichtshof
IIC
Investment Claims
ILC
International Law Commission
ILM
International Legal Materials
ILR
International Law Reports
IMO
International Maritime Organization
IP
Internationale Politik; Pressemitteilung der Europäischen Gemeinschaften
IPG
Internationale Politik und Gesellschaft
IPR
Internationales Privatrecht
Abkürzungsverzeichnis
XXI
i.S.d.
im Sinne des, im Sinne der
ITER
International Thermonuclear Experimental Reactor
i.V.m.
in Verbindung mit
Izd.
Izdatel’stvo (Edition)
JENRL
Journal of Energy & Natural Resources Law
Jg.
Jahrgang
JOR
Jahrbuch für Ostrecht
JORF
Journal officiel de la République française
JWT
Journal of world trade
KOM
Mitteilung der Kommission
lit.
Litera
LNTS
League of Nations Treaty Series
LTC
Long term contracts
MEES
Middle East Economic Survey
MIGA
Multilateral Investment Guarantee Agency
m.w.N.
mit weiteren Nachweisen
N
Nummer
n°
numéro
N°
Nummer
№
Nummer
NAFTA
North American Free Trade Agreement
n.F.
neue Fassung
NGL
Natural Gas Liquid
NGLs
Natural Gas Liquids
NILR
Netherlands International Law Review
NKRF
Nalogovyj kodeks Rossijskoj Federacii (Steuergesetzbuch der Russländischen Föderation)
No
Number
No.
Number
Nr.
Nummer
NYIL
Netherlands Yearbook of International Law
OAO
Otkrytoe Akcionernoe Obščestvo (Offene Aktiengesellschaft)
XXII
OECD
Abkürzungsverzeichnis
Organisation for Economic Co-operation and Development
OEEC
Organisation for European Economic Co-operation
ÖIAG
Österreichische Industrieholding AG
OIES
Oxford Institute for Energy Studies
OLG
Oberlandesgericht
OPEC
Organization of Petroleum Exporting Countries
Orig.-Ausg.
Original-Ausgabe
OSZE
Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa
p.
page
PCA
Partnerschafts- und Kooperationsabkommen
PCAs
Partnerschafts- und Kooperationsabkommens
PEEREA
Protocol on Energy Efficiency and Related Environmental Aspects
PJZS
Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen
PSA
Production Sharing Agreement
PSAs
Production Sharing Agreements
RAD
Russian Analytical Digest
RAO
Rossijskoe Akcionernoe Obščestvo (Russländische Aktiengesellschaft)
RdE
Recht der Energiewirtschaft
REDI
Revista Española de Derecho Internacional (Spanische Zeitschrift für Völkerrecht)
Reg.-Nr.
Registration Number
rév.
révisé, révisée
RF
Russlandische Föderation, Russländischen Föderation
RG
Rossijskaja gazeta
RGBl.
Reichsgesetzblatt
RGW
Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe
Rn.
Randnummer
ROW
Recht in Ost und West
Rs.
Rechtssache
RSFSR
Russische Sozialistische Föderative Sowjetrepublik
Abkürzungsverzeichnis
XXIII
S.
Seite, Satz
SCC
Stockholm Chamber of Commerce
SERIS
Sheffield Energy & Resources Information Services
SGP
Sovetskoe gosudarstvo i pravo (Sowjetstaat und Recht)
Slg.
Sammlung der Rechtsprechung
SRÜ
Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen
SSR
Sozialistische Sowjetrepublik
SU
Sowjetunion
SUEK
Siberian Coal Energy Company
SWP
Stiftung Wissenschaft und Politik
SZ-RF
Sobranie zakonodatel'stva Rossijskoj Federacii (Gesetzgebungssammlung der Russländischen Föderation)
TACIS
Technical Assistance to the Commonwealth of Independent States
TDM
Transnational Dispute Management
TENEX
OAO «Techsnabėksport»
TOP
take-or-pay
TP
Transit Protocoll
TPA
third party access
TRC
Territorial-restriction-clause
TRCs
Territorial-restriction-clauses
TRIM
Trade Related Investment Measure
TRIMs
Trade Related Investment Measures
TVEL
Korporacija «TVĖL»
Tz.
Textziffer
u.
und
u.a.
unter anderem, und andere
UdSSR
Union der sozialistischen Sowjetrepubliken
UE
Union Européenne
überarb.
überarbeitet, überarbeitete
UI
Uranium Institut
UKRF
Ugolovnyj kodeks Rossijskoj Federacii (Strafgesetzbuch der Russländischen Föderation)
UN
United Nations
XXIV
UNCITRAL
Abkürzungsverzeichnis
United Nations Commission on International Trade Law
UNCLOS
United Nations Convention on the Law of the Sea
UNCTAD
United Nations Conference on Trade and Development
UNO
United Nations Organisation
UNTS
United Nations Treaty Series
USA
United States of America
USSR
Union of Soviet Socialist Republics
usw.
und so weiter
v.
versus
vgl.
vergleiche
vol.
volume
Vol.
Volume
VRF
Verfassung der Russländischen Föderation
VwGO
Verwaltungsgerichtsordnung
WCO
World Customs Organization
WP
working paper
WTO
World Trade Organisation
WuW
Wirtschaft und Wettbewerb
WVK
Wiener Vertragsrechtskonvention (Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge)
YBILC
Yearbook of the International Law Commission
ZaöRV
Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht
z.B.
zum Beispiel
ZMD
Zakon o Meždunarodnych Dogovorach Rossijskoj Federacii (Gesetz über die völkerrechtlichen Verträge der Russländischen Föderation)
ZPO
Zivilprozessordnung
z.T.
zum Teil
A. Einleitung
Energiefragen im Verhältnis zwischen der EU und Russland werden häufig im politikwissenschaftlichen Schrifttum untersucht. Es fehlt jedoch – soweit ersichtlich – an einer breit angelegten völkerrechtlichen Untersuchung vieler Fragen. Dahingehende Überlegungen haben zur Entstehung dieser Arbeit geführt. Energiefragen sind Fragen, die sich mit dem Energiesektor beschäftigen, also im weiteren Sinne mit Energiegewinnung und Energieversorgung. Dazu gehören auch Fragen, die sich mit dem Zugang zu Energievorkommen, Handel, Transit, dem Schutz von Investitionen, der Öffnung für Investitionen und Umweltschutzaspekten beschäftigen. Das völkerrechtliche Verhältnis zwischen der EU und Russland richtet sich nach Völkergewohnheitsrecht und nach völkerrechtlichen Verträgen. Hervorzuheben sind das Abkommen über Partnerschaft und Zusammenarbeit (PCA) sowie der für den Energiesektor besonders wichtige Vertrag über die Energiecharta (ECT). Selbst wenn der ECT von Russland nicht ratifiziert wurde, so zeitigte er doch – durch dessen vorläufige Anwendung – während eines Zeitraums von 15 Jahren noch genauer zu bestimmende (und zum Teil fortbestehende) völkerrechtliche Wirkung. Wurde während des Energiecharta-Prozesses Anfang der 1990er Jahre noch weitgehend davon ausgegangen, dass sich die europäische und die russische Seite im Energiesektor gegenseitig ergänzen würden, zeigen sich seit geraumer Zeit hinsichtlich zahlreicher Energiefragen Interessengegensätze und Konflikte. Es geht dabei vor allem um Marktöffnung in beiden Richtungen, Sicherheiten für Investitionen europäischer Unternehmen in Russland sowie um den Problemkreis Energieversorgungssicherheit. In diesem Zusammenhang sei hier erinnert an Lieferunterbrechungen infolge des russisch-ukrainischen Gasstreits 2009 sowie an die Fälle Sakhalin-II und Kovykta, bei denen sich die beiden europäischen Unternehmen Shell und BP bedrängt fühlten, substantielle Beteiligungen an russischen Gasfeldern mit Abschlag zu veräußern. Gerade dort, wo sich in den europäisch-russischen Beziehungen Konflikte in Bezug auf Energiefragen zeigten bzw. zeigen, sollte genauer darauf geachtet werden, wozu die europäische und die russische Seite S. Pritzkow, Das völkerrechtliche Verhältnis zwischen der EU und Russland im Energiesektor, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 227, DOI 10.1007/978-3-642-21168-3_1, © by Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V., to be exercised by Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Published by Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011. All Rights Reserved.
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2
A. Einleitung
völkerrechtlich berechtigt und verpflichtet waren bzw. sind und inwieweit diese Rechte und Pflichten von den jeweiligen Interessen abwichen bzw. abweichen. Die Bestimmung der völkerrechtlichen Pflichten kann auch für private, im Energiebereich tätige Unternehmen von enormer Bedeutung sein. Bevor einzelne Energiefragen völkerrechtlich untersucht werden (G), ist dafür das Fundament zu legen. Es soll zunächst kurz auf die Vertragsbeziehungen zwischen der EU und Russland (B) sowie auf die Interessen der europäischen und der russischen Seite im Energiebereich eingegangen werden (C). Auch ist kurz auf die (Außen-)Kompetenzen der EU im Energiesektor einzugehen (D). Schließlich sollen die relevanten völkerrechtlichen Verträge genauer betrachtet werden (E). Aufgrund der Fassung des Art. 45 ECT ist dabei generell und grundlegend zur vorläufigen Anwendung eines völkerrechtlichen Vertrages unter dem Vorbehalt der Vereinbarkeit seiner Normen mit innerstaatlichem Recht Stellung zu nehmen (F).
B. Die Beteiligten und die Entwicklung ihrer Vertragsbeziehungen
Im Folgenden sollen Russland und die Europäischen Gemeinschaften bzw. die Europäische Union, um deren Beziehungen im Energiebereich es in der Untersuchung gehen wird, kurz vorgestellt werden (I). Anschließend wird ein Überblick über die Entwicklung ihrer Vertragsbeziehungen gegeben (II).
I. Die Beteiligten 1. Die Russländische Föderation Die Russländische Föderation (Rossijskaja Federazija), so der offizielle Name der Russischen Föderation bzw. Russlands, ist aus der Russländischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik (RSFSR) hervorgegangen. Diese war ihrerseits die größte und bedeutendste Teilrepublik der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR).1 Nach der Auflösung der UdSSR2 1991 trat das neue unabhängige Russland in vielerlei Hinsicht als „Fortsetzerstaat“ die Nachfolge der Sowjetunion an.3 So nahm die Russische Föderation den Sitz der UdSSR im
1
Zur Geschichte der UdSSR siehe z.B.: Bohn/Neutatz, Geschichte des Russischen Reiches und der Sowjetunion; Altrichter, Kleine Geschichte der Sowjetunion; Luks, Geschichte Russlands und der Sowjetunion; Kenez, A history of the Soviet Union from the beginning to the end; Ajupov/Zubairov/Mordvincev, Istorija gosudarstva i prava Rossii 1917 - 1993 gg. 2
Zur Geschichte des Zerfalls der UdSSR siehe z.B.: Willershausen, Zerfall der Sowjetunion; Pearson, The rise and fall of the Soviet Empire, S. 143 ff. 3
Umstritten ist, ob das Völkerrechtssubjekt UdSSR durch Dismembration untergegangen ist (Dismembrationstheorie), oder ob das Völkerrechtssubjekt UdSSR in der heutigen Russischen Föderation als „Rumpfstaat“ fortbesteht (Identitätstheorie). Siehe dazu Brexendorff, Rohstoffe im Kaspischen Becken, S. 137 ff. Zur Thematik auch: Kembayev, AVR 46 (2008), S. 122; Zimmermann, S. Pritzkow, Das völkerrechtliche Verhältnis zwischen der EU und Russland im Energiesektor, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 227, DOI 10.1007/978-3-642-21168-3_2, © by Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V., to be exercised by Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Published by Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011. All Rights Reserved.
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B. Die Beteiligten und die Entwicklung ihrer Vertragsbeziehungen
Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ein und übernahm die sowjetischen Auslandsvertretungen. Mit Note vom 13. Januar 1992 erklärte die Russische Föderation, dass sie die Ausübung der Rechte und die Erfüllung der Pflichten aus den von der UdSSR geschlossenen völkerrechtlichen Verträgen fortsetze.4 Dies galt auch für die Abkommen zwischen der UdSSR und Deutschland bzw. den Europäischen Gemeinschaften.5 Das heutige völkerrechtliche Verhältnis zwischen der Europäischen Union und Russland ist daher als Weiterentwicklung der völkerrechtlichen Beziehungen zwischen den Europäischen Gemeinschaften und der UdSSR zu verstehen. Die Russische Föderation besteht nach ihrer Verfassung aus unterschiedlichen Föderationssubjekten.6 Jedes Föderationssubjekt wird im Föderationsrat durch zwei Vertreter repräsentiert.7 Die Außenpolitik, völkerrechtliche Verträge und die außenwirtschaftlichen Beziehungen fallen in die Zuständigkeit der Föderation bzw. in die gemeinsame Zuständigkeit der Föderation und der Föderationssubjekte.8 Gesetze über die Ratifikation und Kündigung völkerrechtlicher Verträge werden von der Staatsduma beschlossen und unterliegen der notwendigen Verhandlung im Föderationsrat.9 Russland ist der flächenmäßig größte Staat der Erde und auf seinem Territorium befinden sich bedeutende Rohstoffvorkommen. So wird ein beachtlicher Teil der Weltproduktion an Nickel, Platin, Gold, Cobalt und Diamanten in Russland gefördert. Von besonderer Bedeutung ist Russlands Reichtum an den Energieträgern Erdöl, Erdgas und Kohle sowie an Elementen, die sich zu Nuklearbrennstoffen verarbeiten lassen. Darauf ist noch genauer einzugehen.10
Staatennachfolge in völkerrechtliche Verträge, S. 85 ff.; Schweisfurth, AVR 32 (1994), S. 99 ff. 4
Vgl. BGBl. 1992 II, S. 1016 f.
5
Ausführlicher Niedobitek, Die Beziehungen der Europäischen Union zu Russland, S. 12 ff. 6
Vgl. Art. 65 der Verfassung der RF vom 12. Dezember 1993 in der Fassung vom 30. Dezember 2006 (künftig nur VRF). 7 8 9 10
Vgl. Art. 95 Abs. 2 VRF. Vgl. Art. 71 lit. j) und lit. k) sowie Art. 72 lit. n) VRF. Vgl. Art. 106 lit. d) VRF. Siehe unten (C.I).
Die Beteiligten
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2. Die Europäischen Gemeinschaften und die Europäische Union a) Geschichtlicher Überblick (Europäischer Einigungsprozess) Der europäische Einigungsprozess11 nahm seinen Anfang mit der Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS). Hauptziel des zwischen Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und den Niederlanden geschlossenen und am 23. Juli 1952 in Kraft getretenen EGKS-Vertrages war die Sicherung des innereuropäischen Friedens. Zu diesem Zweck wurden die potentiell kriegswichtigen Güter Kohle und Stahl „vergemeinschaftet“ und für den Wiederaufbau nach den Zweiten Weltkrieg sichergestellt. Durch die Römischen Verträge, welche am 1. Januar 1958 in Kraft traten, wurde von den sechs Mitgliedstaaten der EGKS zum einen die Europäische Atomgemeinschaft (EAG) und zum anderen die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) gegründet. Mit dem EAG-Vertrag wurde der Nuklearsektor „vergemeinschaftet“. Der EWG-Vertrag sollte zu einer immer engeren Verflechtung der Volkswirtschaften führen, namentlich durch die innergemeinschaftliche Abschaffung von Zollschranken und Kontingentierungen, durch freien Dienstleistungs-, Personen- und Kapitalverkehr sowie durch die institutionelle Absicherung einer gemeinsamen Handelspolitik gegenüber Drittstaaten. Die Organe der EGKS, der EAG und der EWG wurden mit dem sogenannten Fusionsvertrag, der am 1. Juli 1967 in Kraft trat, zusammengelegt. Die drei Gemeinschaften wurden seither als die Europäischen Gemeinschaften zusammengefasst, gleichwohl blieben sie rechtlich voneinander unabhängig. Den Gemeinschaften traten in mehreren Erweiterungsrunden neue Mitgliedstaaten bei. Durch den am 1. November 1993 in Kraft getretenen Vertrag von Maastricht gründeten die Mitgliedstaaten der drei Gemeinschaften die Europäische Union (EU). Zugleich wurde die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft angesichts ihrer mittlerweile erweiterten Aufgabenstel11
Siehe dazu z.B.: Oppermann, Europarecht, § 1 Rn. 19 ff.; Streinz, Europarecht, Rn. 9 ff.; Hobe, Europarecht, Rn. 12 ff.; Herdegen, Europarecht, § 4; Bieber/Epiney/Haag, Die Europäische Union, § 1; Craig/de Búrca, EU law, S. 1 ff.; Manin, Les Communautés Européennes, Rn. 17 ff.; Moussis, Accès à l’Union Européenne, S. 5 ff.
6
B. Die Beteiligten und die Entwicklung ihrer Vertragsbeziehungen
lung in Europäische Gemeinschaft (EG) umbenannt. Die EU fungierte im Folgenden als Dachkonstruktion für die „drei Säulen“ des europäischen Einigungsprozesses: erstens die Europäischen Gemeinschaften, zweitens die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und drittens die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS). Der erste der europäischen Verträge, der EGKS-Vertrag, war nur für eine Dauer von 50 Jahren geschlossen worden und lief am 23. Juli 2002 aus. Seine Regelungsmaterie wurde anschließend dem EG-Vertrag zugerechnet. Der EU-Vertrag und der EG-Vertrag wurden zuletzt durch den Vertrag von Lissabon, der am 1. Dezember 2009 in Kraft trat, bedeutend verändert.12 Damit wurde eine weitere Stufe im Prozess der europäischen Integration erreicht. Die EU trat an die Stelle der EG, deren Rechtsnachfolgerin sie ist. Entsprechend nennt sich der modifizierte EG-Vertrag nunmehr Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV).13
b) Völkerrechtssubjektivität der EG und der EU Die Völkerrechtssubjektivität der Europäischen Gemeinschaften war nicht immer unumstritten.14 Sie steht jedoch seit langem außer Zweifel.15 Begründet wurde bzw. wird die Völkerrechtssubjektivität der drei Gemeinschaften überwiegend damit, dass ihre Mitgliedstaaten sie je-
12
Im Überblick dazu Streinz/Ohler/Herrmann, Der Vertrag von Lissabon zur Reform der EU. 13
Dessen konsolidierte Fassung findet sich im ABl. C vom 09.05.2008, S.
47. 14
Ausführlicher dazu Krück, Völkerrechtliche Verträge im Recht der Europäischen Gemeinschaften, S. 18. 15
Oppermann, Europarecht, § 30 Rn. 9; Lörcher, Der Abschluss völkerrechtlicher Verträge nach dem Recht der drei europäischen Gemeinschaften (EGKS, EWG und EAG), S. 47 ff.; speziell zur EG vgl. Zimmerling in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EU- und EG-Vertrag, Art. 281 Rn. 1 ff.; Nakanishi, Die Entwicklung der Außenkompetenzen der Europäischen Gemeinschaft, S. 18.
Die Beteiligten
7
weils mit Rechtspersönlichkeit ausstatteten.16 Über 130 Staaten haben durch Eröffnung diplomatischen Verkehrs die Europäischen Gemeinschaften förmlich als Völkerrechtssubjekt anerkannt. Der EGKS kam bis zum Ablaufen des EGKS-Vertrages Völkerrechtssubjektivität zu; die EG war bis zum Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon Völkerrechtssubjekt und die EAG ist es noch. Die Völkerrechtssubjektivität der EU war hingegen bis zum Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon umstritten. Teilweise wurde sie mit der Begründung verneint, dass der EU trotz entsprechender Vorschläge – und im Gegensatz zu den drei Gemeinschaften – keine eigene Rechtspersönlichkeit verliehen worden war.17 Die Gegenauffassung stützte sich auf Art. 24 EUV a.F. und vor allem auf die völkerrechtliche Praxis.18 Der Streit ist nunmehr obsolet, da die Rechtspersönlichkeit der EU in Art. 47 EUV n.F. explizit verankert wurde. Der Streit um die Völkerrechtssubjektivität der EU war schon vor Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon dann nicht von Bedeutung, wenn es um die erste Säule der EU ging. Denn auf internationalem Parkett trat in diesem Fall ohnehin nicht die EU als Vertragspartner auf, sondern die EG bzw. die EAG. Insofern war der allgemeine Sprachgebrauch, in dem meist pauschal von Vertragsbeziehungen der EU die Rede war, unpräzise.19 Allerdings partizipierte die EU als Dachkonstruktion für die drei Säulen, auf denen sie ruhte, mittelbar an der Rechtssubjektivität der Gemeinschaften und an deren Verträgen.20 Deshalb soll auch im Folgenden – dem allgemeinen Sprachgebrauch folgend 16
Die EGKS hatte nach Art. 6 Abs. 1 EGKSV Rechtspersönlichkeit, die EG nach Art. 281 EGV. Die EAG besitzt nach Art. 184 EAGV Rechtspersönlichkeit. Ausführlicher dazu Bieber/Epiney/Haag, Die Europäische Union, § 3 Rn. 48 und § 33 Rn. 4 ff. Zu Abkommen mit Drittstaaten siehe auch Art. 6 Abs. 2 EGKSV, Art. 206 Abs. 1 EAGV und Art. 300 Abs. 1 EGV. 17
Oppermann, Europarecht, § 30 Rn. 9; Krück in: Schwarze (Hrsg.), EUKommentar, Art. 11-28 EUV, Rn. 20; de Zwaan, NYIL 1999, S. 98 f.; Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, Rn. 79 ff. 18
Vgl. Bieber/Epiney/Haag, Die Europäische Union, § 3 Rn. 49; Marquardt in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 24 EU Rn. 6; Cremer in: Calliess/Ruffert/Blanke (Hrsg.), EUV, EGV, Art. 24 Rn. 12; Pachinger, Die Völkerrechtspersönlichkeit der Europäischen Union, S. 133; Thym, ZaöRV 66 (2006), S. 874 f. 19 20
Vgl. Arndt, Europarecht, S. 2. Vgl. Oppermann, Europarecht, § 30 Rn. 9.
8
B. Die Beteiligten und die Entwicklung ihrer Vertragsbeziehungen
– von den völkerrechtlichen Beziehungen der EU die Rede sein, selbst wenn der eigentliche Vertragspartner die EGKS, die EG bzw. die EAG war bzw. ist. Dort, wo es der juristischen Präzision wegen angebracht erscheint, wird gleichwohl das eigentliche Völkerrechtssubjekt benannt.
c) Außenkompetenzen Die Europäischen Gemeinschaften bzw. nunmehr die EAG sowie die EU können sich auf geschriebene21 und auf ungeschriebene22 Außenkompetenzen stützen, um völkerrechtliche Verträge mit Drittstaaten zu schließen. Nach der AETR-Doktrin des EuGH verlaufen die Außenkompetenzen im Allgemeinen parallel zu den jeweiligen Innenkompetenzen.23 Liegen für eine Regelungsmaterie die Kompetenzen nicht ausschließlich auf europäischer Ebene und nicht ausschließlich bei den EU-Mitgliedstaaten, so bietet es sich an, sogenannte „gemischte Verträge“ abzuschließen. Bei diesen werden auf europäischer Seite sowohl die EG/EU und/oder die EAG als auch ihre Mitgliedstaaten Vertragspartner.24 Ein 21
Dazu Hobe, Europarecht, Rn. 98 f. Die Ermächtigung zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge durch die EAG ergibt sich aus Art. 101 Abs. 1 EAGV. Ermächtigungen zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge durch die EG ergaben sich z.B. aus Art. 133 EGV und Art. 310 EGV. 22
Dazu Hobe, Europarecht, Rn. 100 ff.
23
Herdegen, Europarecht, § 29 Rn. 1. Genauer zum Umfang der Vertragsschlusskompetenz und zur Entwicklung der AETR-Doktrin des EuGH (EuGH, Rs. 22/70, Slg. 1971, 263 – AETR), siehe: Neubauer, Implizite Vertragsschlußzuständigkeiten der Europäischen Gemeinschaft und Subsidiaritätsprinzip, S. 15 ff.; Bieber/Epiney/Haag, Die Europäische Union, § 33 Rn. 16; Hobe, Europarecht, Rn. 101. Zur Kodifizierung der AETR-Doktrin in Art. 216 Abs. 1 AEUV siehe Streinz/Ohler/Herrmann, Der Vertrag von Lissabon zur Reform der EU, S. 111 f. 24
Zu „Gemischten Abkommen“ bzw. „Gemischten Verträgen“ allgemein siehe: Streinz, Europarecht, Rn. 486; Hobe, Europarecht, Rn. 107; Oppermann, Europarecht, § 30 Rn. 22; Herdegen, Europarecht, § 29 Rn. 2; Arnold, AVR 19 (1980), S. 419 ff.; Sattler, Gemischte Abkommen und gemischte Mitgliedschaften der EG und ihrer Mitgliedstaaten, S. 32 ff. Zu den mit „gemischten Abkommen“ verbundenen völkerrechtlichen Fragen und Problemen siehe z.B. Neubauer, Implizite Vertragsschlußzuständigkeiten der Europäischen Gemeinschaft und Subsidiaritätsprinzip, S. 32 ff. und Streinz, Europarecht, Rn. 487 ff.
Die Entwicklung der völkervertraglichen Beziehungen
9
Beispiel für „gemischte Verträge“ sind die Lomé/Cotonou-Abkommen.25 Auch die beiden noch zu untersuchenden Abkommen, das Partnerschafts- und Kooperationsabkommen mit Russland (PCA) und der Energie Charta Vertrag (ECT), sind „gemischte Verträge“.26
II. Die Entwicklung der völkervertraglichen Beziehungen zwischen den Beteiligten Im Folgenden wird ein Überblick über die geschichtliche Entwicklung der völkerrechtlichen Beziehungen zwischen der EU und Russland gegeben. Zunächst ist die Evolution der sowjetischen Völkerrechtsdogmatik in Bezug auf die Europäischen Gemeinschaften zu betrachten (1), bevor ein Überblick über die Abkommen zwischen der EU und Russland gegeben werden kann (2).
1. Die Entwicklung der sowjetischen Völkerrechtsdogmatik in Bezug auf die Europäischen Gemeinschaften In der sowjetischen Völkerrechtslehre war lange Zeit vertreten worden, dass nur der Staat allein als Träger von Rechten und Pflichten im Völkerrecht in Betracht komme.27 Staatlicher Souveränität wurde nach sowjetischer Völkerrechtsdoktrin besondere Bedeutung beigemessen.28 Dementsprechend wurde von der sowjetischen Völkerrechtslehre eine Erweiterung des Kreises der Völkerrechtssubjekte auf internationale Organisationen zunächst abgelehnt und dies unter anderem mit der Na-
25
Siehe ABl. L 25 vom 30.1.1976, S. 2 und ABl. L 209 vom 11.8.2005, S. 27.
26
Für eine ausführliche Darstellung der kompetenzrechtlichen Gründe, wegen derer das PCA als „gemischtes Abkommen“ abgeschlossen werden musste, siehe Neubauer, Implizite Vertragsschlußzuständigkeiten der Europäischen Gemeinschaft und Subsidiaritätsprinzip, S. 54 ff. 27 28
Bracht, JOR 1963, S. 78; Frenzke, ROW 1985, S. 19 f.
Zum sogenannten Souveränitätsdogma als Grundpfeiler der sowjetischen Völkerrechtsdoktrin siehe: Meissner, Die Sowjetunion, die baltischen Staaten und das Völkerrecht, S. 159 ff.; Bracht, Entwicklung und Grundzüge der sowjetischen Völkerrechtstheorie, S. 139 ff.
10
B. Die Beteiligten und die Entwicklung ihrer Vertragsbeziehungen
tur des Völkerrechts als Zwischenstaatsrecht begründet.29 Verträge internationaler Organisationen galten demnach nur als eine besondere Kategorie von zwischenstaatlichen Verträgen.30 Die klassische Lehre von den Völkerrechtssubjekten ist jedoch später auch in der sowjetischen Völkerrechtslehre abgeschwächt worden. So hieß es im Völkerrechtslehrbuch von 1957, dass Völkerrechtssubjekte „in der Regel“ nur Staaten seien, wobei es jedoch an klaren Benennungen fehlte, welche Institutionen außerdem noch als Völkerrechtssubjekt im internationalen Rechtsverkehr rechtswirksam auftreten können.31 Frenzke nennt erst das Jahr 1978 als Zäsur, ab der die sowjetischen Autoren geschlossen von der Auffassung abrückten, nach welcher der Staat allein als Völkerrechtssubjekt betrachtet wurde.32 Schon 1967 konnte gleichwohl auch in der sowjetischen Völkerrechtslehre die Auffassung als herrschend bezeichnet werden, nach der allgemeine internationale Organisationen wie die UNO als Völkerrechtssubjekte sui generis angesehen wurden.33 Hingegen sollte für regionale internationale Organisationen deren Anerkennung, über welche jeder Staat nach eigenem Ermessen entscheiden konnte, von Bedeutung sein.34 Die Europäischen Gemeinschaften als regionale internationale Organisationen waren folglich nach sowjetischer Auffassung keine Völkerrechtssubjekte sui generis. Sie wurden von der UdSSR auch lange Zeit nicht anerkannt.35 Vielmehr wurden die Europäischen Gemeinschaften 29
Evgen'ev, SGP 1955, Nr. 2, S. 75.
30
Ausführlicher zur Ablehnung der Völkerrechtssubjektivität internationaler Organisationen siehe Modžorjan, Sub-ekty meždunarodnogo prava, S. 19 ff. Vgl. auch Schweisfurth, Der internationale Vertrag in der modernen sowjetischen Völkerrechtstheorie, S. 81 ff. m.w.N. 31
Koževnikov, Meždunarodnoe pravo 1957, S. 86; vgl. aber auch die späteren ausführlicheren Ausführungen bei Koževnikov, Meždunarodnoe pravo 1964, S. 38. 32
Frenzke, ROW 1985, S. 20.
33
Vgl. Schweisfurth, Der internationale Vertrag in der modernen sowjetischen Völkerrechtstheorie, S. 83 ff. 34 Vgl. Schweisfurth, Der internationale Vertrag in der modernen sowjetischen Völkerrechtstheorie, S. 86 m.w.N. 35
Genauer dazu Jacobs, Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und die sowjetische Völkerrechtsdoktrin, S. 79 ff.; vgl. auch Gerner, Die Europäische Union und Rußland, S. 21 f.
Die Entwicklung der völkervertraglichen Beziehungen
11
– allen voran die EWG – ideologisch bekämpft.36 Abkommen wurden von der UdSSR zwar mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften, nicht aber mit den Gemeinschaften selbst geschlossen. Allerdings trat die UdSSR 1986 dem Übereinkommen zur Lachserhaltung im Nordatlantik37 bei, welches von der EWG mitinitiiert worden war. Am 25. Juni 1988 erfolgte die Aufnahme offizieller Beziehungen zwischen der EWG und dem RGW.38 Die völkerrechtliche Ignorierung der Gemeinschaften durch die Sowjetunion wurde endgültig aufgegeben, als die UdSSR mit der EWG und der EAG ein bilaterales Abkommen über den Handel und die handelspolitische und wirtschaftliche Zusammenarbeit39 abschloss. Dieses Abkommen trat am 1. April 1990 in Kraft.40
2. Überblick über geschlossene Verträge und Abkommen Das Abkommen über den Handel und die handelspolitische und wirtschaftliche Zusammenarbeit galt nach dem Zerfall der UdSSR im Verhältnis zur Russischen Föderation fort.41 Ihm folgten etliche weitere Abkommen zwischen den Gemeinschaften bzw. der Union und Russland. So wurden zwischen der Russischen Föderation und der EGKS bzw. später der EG mehrere Abkommen geschlossen, die dem Handel mit bestimmten Eisen- und Stahlerzeugnissen galten.42 Andere Abkommen betrafen den Handel mit Textilwaren
36
Jacobs, Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und die sowjetische Völkerrechtsdoktrin, S. 40 ff. 37
ABl. L 378 vom 31.12.1982, S. 25.
38
ABl. L 157 vom 24.06.1988, S. 35. Vgl. dazu auch Niedobitek, Die Beziehungen der Europäischen Union zu Russland, S. 2. 39 40
ABl. L 68 vom 15.03.1990, S. 3. ABl. L 68 vom 15.03.1990, S. 20.
41
Ausführlicher Niedobitek, Die Beziehungen der Europäischen Union zu Russland, S. 12 ff. 42
Vgl. ABl. L 300 vom 04.11.1997, S. 52; ABl. L 195 vom 24.07.2002, S. 55; ABl. L 9 vom 15.01.2004, S. 22; ABl. L 255 vom 31.07.2004, S. 33; ABl. L 303 vom 22.11.2005, S. 39.
12
B. Die Beteiligten und die Entwicklung ihrer Vertragsbeziehungen
und die wissenschaftliche und technische Zusammenarbeit.43 Weitere Abkommen galten der Zusammenarbeit auf dem Gebiet der nuklearen Sicherheit und auf dem Gebiet der kontrollierten Kernfusion.44 Auch vereinbarten die EU und Russland die Beteiligung der Russischen Föderation an der Polizeimission der Europäischen Mission (EUPM) in Bosnien und Herzegowina.45 Diese nicht abschließende Aufzählung illustriert, dass sich europäischrussische Abkommen auf eine Vielzahl von Themenbereichen erstrecken. Eine herausgehobene Stellung nimmt das Abkommen über Partnerschaft und Zusammenarbeit (PCA) zwischen den drei Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Russischen Föderation andererseits ein.46 Dieses wurde am 24. Juni 1994 in Korfu unterzeichnet und trat am 1. Dezember 1997 in Kraft.47 Hinsichtlich des Energiesektors ist von besonderer Bedeutung, dass sowohl die Russische Föderation als auch die Europäischen Gemeinschaften und ihre Mitgliedstaaten am 17. Dezember 1994 den multilateralen Vertrag über die Energiecharta (ECT) unterzeichnet haben. Zwar hat Russland den ECT nicht ratifiziert, ihn aber immerhin während eines Zeitraums von knapp 15 Jahren vorläufig angewendet; zudem ist Russland – auch nach Beendigung der vorläufigen Anwendung des Vertrages – in einem gewissen Grade noch für weitere 20 Jahre an einzelne ECTBestimmungen völkerrechtlich gebunden.
43 Zum Handel mit Textilwaren siehe ABl. L 222 vom 10.8.1998, S. 2. Zur wissenschaftlichen und technischen Zusammenarbeit siehe ABl. L 299 vom 28.11.2000, S. 15 und ABl. L 299 vom 18.11.2003, S. 21. 44
Zur nuklearen Sicherheit siehe ABl. L 287 vom 31.10.2001, S. 24. Zur kontrollierten Kernfusion siehe ABl. L 287 vom 31.10.2001, S. 30. 45
ABl. L 197 vom 05.08.2003, S. 38.
46
ABl. L 327 vom 28.11.1997, S. 3. Zu den Protokollen zum Abkommen anlässlich der Erweiterungen der Gemeinschaften siehe: ABl. L 283 vom 09.11.2000, S. 19; ABl. L 216 vom 05.08.2006, S. 1; ABl. L 119 vom 09.05.2007, S. 32. 47
Die handelsbezogenen Teile des PCA wurden schon zuvor durch ein Interimsabkommen (ABl. L 247 vom 13.10.1995, S. 2) in Kraft gesetzt.
C. Die Ausgangslage und die Interessen im Energiebereich
Vor der Erörterung der völkerrechtlichen Beziehungen zwischen der EU und Russland im Energiebereich muss Klarheit über die dafür relevante faktische Ausgangslage (I) sowie über die relevanten Interessen (II) auf europäischer und auf russischer Seite bestehen.
I. Verteilung von Energieressourcen und Organisation der Energiesektoren 1. Netto-Energie-Importeur und Netto-Energie-Exporteur a) Die EU als Netto-Importeur von Energieträgern Es ist allgemein bekannt, dass die Staaten der EU auf den Import von Energieträgern angewiesen sind und dass – selbst bei einer angestrebten Erhöhung der Energieeffizienz – die Energie-Importabhängigkeit in Zukunft ansteigen wird.48 Die gegenwärtig 27 Mitgliedstaaten der EU bezogen im Jahr 2004 rund 82 % ihres Erdölbedarfs aus Nicht-EUStaaten.49 In Bezug auf Erdgas lag die Importabhängigkeit bei rund 63 %.50 Was Kohle betrifft, lag die Importabhängigkeit im Jahr 2004 bei 46 %.51 Schließlich stammten über 97 % des im Jahr 2007 in der EU ausgelieferten Natur-Urans aus Nicht-EU-Ländern.52 Der europäische Absatzmarkt für Energieträger ist wegen seiner Größe und der erzielbaren hohen Preise ein sehr interessanter.
48 49 50 51 52
Vgl. KOM(2007) 1 endgültig, S. 3. SEC(2007) 12, S. 12. SEC(2007) 12, S. 11. SEC(2007) 12, S. 12. EURATOM Supply Agency (Hrsg.), Annual Report 2007, S. 22.
S. Pritzkow, Das völkerrechtliche Verhältnis zwischen der EU und Russland im Energiesektor, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 227, DOI 10.1007/978-3-642-21168-3_3, © by Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V., to be exercised by Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Published by Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011. All Rights Reserved.
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C. Die Ausgangslage und die Interessen im Energiebereich
b) Russland als Netto-Exporteur von Energieträgern sowie als Transitstaat Allgemein bekannt ist auch, dass sich ein bedeutender Teil der Weltvorkommen an Erdöl, Erdgas, Kohle und Uran auf russischem Territorium befindet, selbst wenn das Zahlenmaterial zu den Weltvorkommen nur Schätzungen sind und sich von Quelle zu Quelle unterscheiden.53 Bedeutende Erdöl- und Erdgaslagerstätten befinden sich auf der Pazifikinsel Sachalin, in Sibirien und der Wolga-Ural-Region sowie in der Barentsee.54 Auf russischem Territorium werden gegenwärtig mehr Energieträger abgebaut als auf dem russischen Markt verbraucht werden; Russland ist ein bedeutender Netto-Exporteur von Energieträgern. Russland ist gleichfalls (potentiell) ein bedeutender Transitstaat für Energieträger mit Ursprung in anderen Staaten der ehemaligen UdSSR,55 da sich ein Großteil der schwer und zum Teil nicht wirtschaftlich substituierbaren Transportinfrastruktur auf russischem Territorium befindet.
53 Zum Anteil Russlands hinsichtlich der Weltreserven und Weltressourcen an Erdöl siehe z.B. BGR (Hrsg.), Reserven, Ressourcen und Verfügbarkeit von Energierohstoffen 2006, S. 49 und S. 48. Zum Anteil Russlands hinsichtlich der Weltreserven und Weltressourcen an konventionellem Erdgas siehe BGR (Hrsg.), a.a.O., S. 60 und S. 59. Zum Anteil Russlands hinsichtlich der Weltreserven und Weltressourcen an Hartkohle bzw. Weichbraunkohle siehe BGR (Hrsg.), a.a.O., S. 70 und S. 69 bzw. S. 78 und S. 77. Zum Anteil Russlands hinsichtlich der Weltreserven und Weltressourcen an Uran siehe BGR (Hrsg.), a.a.O., S. 83 und S. 84. Zum Anteil Russlands hinsichtlich der Weltförderung im Jahr 2006 an Erdöl, Erdgas, Hartkohle, Weichbraunkohle und Uran siehe BGR (Hrsg.), a.a.O., S. 50, 61, 71, 79 und 85. 54
Besonders erwähnenswert sind die Vorkommen Sakhalin-II, Kowykta, Urengoi und Smotlor sowie die Vorkommen auf der Jamal-Halbinsel und in den Shtokman-Feldern. Zu den beiden letzteren siehe Øverland, RAD 33/08, S. 12 ff. 55
Insbesondere ist damit Erdgas und Erdöl aus Aserbaidschan und den Zentralasiatischen Staaten (Kasachstan, Usbekistan, Turkmenistan) gemeint.
Verteilung von Energieressourcen und Organisation der Energiesektoren
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2. Organisation der Energiesektoren in der EU und in Russland a) Organisation des Energiesektors in der EU Die EU-Mitgliedstaaten unterscheiden sich hinsichtlich ihrer jeweiligen Energie-Importabhängigkeit und hinsichtlich ihres Energiemixes zum Teil sehr stark voneinander. So waren im Jahr 2006 Malta, Zypern, Luxemburg und Irland zu über 90 % auf Energie-Importe angewiesen, während Dänemark als Netto-Energie-Exporteur auftrat.56 Und während Frankreich im Jahr 2004 hinsichtlich der Stromerzeugung zu 77 % auf Nuklearenergie setzte, wurde im gleichen Zeitraum in Österreich überhaupt kein Atomstrom erzeugt.57 Auch hinsichtlich der Organisation der Energiesektoren bestehen von Land zu Land zum Teil erhebliche Unterschiede. Zahlreiche Unternehmen sind in der EU im Energiesektor – sei es bei Produktion, Umwandlung, Transport, Vermarktung oder in all diesen Bereichen – tätig. Hinsichtlich ihrer Eigentümerstruktur geht die Spannbreite von Privatunternehmen58 bis zu staatlichen bzw. staatlich dominierten Unternehmen.59 Lange Zeit war der Energiesektor – insbesondere was leitungsgebundene Energie (Strom und Gas) betrifft – durch vertikal integrierte Monopole oder Oligopole gekennzeichnet, welche einen freien Wettbewerb innerhalb der EU behinderten. Inzwischen ist Drittzugang zu Leitungsnetzen rechtlich gewährleistet. Zudem müssen Netzbetreiber in der EU, wenn sie zu einem vertikal integrierten Unternehmen gehören, hinsichtlich ihrer Rechtsform, Organisation und Entscheidungsgewalt von den restlichen Aktivitäten des betreffenden vertikal integrierten Unternehmens unabhängig sein (legal unbundling).60 Hingegen besteht für die EU-Mitgliedstaaten noch keine Verpflichtung, eine eigentumsrechtliche Entflechtung (ownership unbundling) sicherzustellen, obwohl dies zuletzt von der EU-Kommission stark befürwortet worden 56
Eurostat, Newsrelease 98/2008 - 10 July 2008: EU27 energy dependence rate at 54% in 2006. 57 58 59 60
SEC(2007) 12, S. 54 und S. 46. Beispielsweise Total, Shell und E.ON. Beispielsweise Gasunie und Eesti Energia.
Siehe Art. 10 der Richtlinie 2003/54/EG und Art. 9 der Richtlinie 2003/55/EG.
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C. Die Ausgangslage und die Interessen im Energiebereich
war. Netzzugangs- bzw. Netznutzungsentgelte unterliegen in der EU der Kontrolle durch die jeweils national zuständige Regulierungsbehörde.61 Im Übrigen unterliegen die Energiepreise im Binnenmarkt den Marktkräften, wobei allerdings bei langfristigen Erdgaslieferverträgen der Erdgaspreis häufig an den Erdölpreis gekoppelt ist.
b) Organisation des Energiesektors in Russland Der russische Erdölsektor war in den 1990er Jahre durch eine weitgehende Privatisierung von Erdölförderunternehmen gekennzeichnet. Im Rahmen von sogenannten Loans-for-Shares-Verfahren hatte die russische Regierung als Sicherheit für aufgenommene Kredite Anteile an Erdölunternehmen verpfändet; als später die Kredite nicht termingerecht zurückgezahlt werden konnten, gingen die verpfändeten Anteile an die Kreditgeber. Seit 2003 ist allerdings eine Tendenz zu verzeichnen, die Rohölförderung wieder mehr unter staatliche Kontrolle zu bringen. Die größten rohölfördernden Unternehmen sind Lukoil, TNK-BP, Rosneft und Surgutneftegaz. Der Inlandspreis für Erdöl ist staatlicherseits nicht reguliert. Das Erdölpipelinenetz, über das auch der größte Anteil der Rohölexporte erfolgt, wird durch das staatliche Unternehmen Transneft betrieben. Der russische Erdgassektor wird vom Unternehmen Gazprom dominiert, an dem die Russische Föderation zu über 50 % beteiligt ist. Gazprom kontrolliert mehr als 90 % der russischen Erdgasvorkommen und über 85 % der Erdgasförderung. Das über 150.000 km lange Erdgaspipelinenetz innerhalb Russlands gehört ebenfalls zum GazpromKonzern. Außerdem hat Gazprom ein Exportmonopol für Erdgas.62 Weitere Erdgas fördernde Unternehmen sind Novatek, Surgutneftegaz und Rosneft. Der Inlandspreis für Gas wird vom Föderalen Dienst für Tarife (FST) festgelegt. Der russische Kohlesektor hat seit dem Zerfall der UdSSR einen außergewöhnlichen Transformationsprozess durchlaufen. Zahlreiche Minen wurden geschlossen und die Privatisierung der übrigen vorangetrieben. Bedeutendster Kohle-Förderer ist heute das private Unternehmen 61
Siehe Art. 23 der Richtlinie 2003/54/EG und Art. 25 der Richtlinie 2003/55/EG. 62
Siehe Art. 3 Punkt 1 des Föderalen Gesetzes vom 18. Juli 2006 N 117-FZ „Über Gasexport“.
Verteilung von Energieressourcen und Organisation der Energiesektoren
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SUEK. Die Kohleförderung soll künftig zunehmen, nicht zuletzt weil die Energiestrategie Russlands für die Zeit bis 202063 auf einen verstärkten Einsatz von Kohle zur Stromerzeugung setzt. Der russische Nuklearsektor hat seit dem Tschernobyl-Unglück zahlreiche Umstrukturierungen durchlaufen.64 Die Uran-Förderung, die Herstellung von Nuklearbrennstäben, die Erzeugung von Strom in Kernkraftwerken und der Export von Kernbrennstoffen wird von staatlich kontrollierten Unternehmen (TVEL,65 Energoatom66 und TENEX67) betrieben. Russland verfügt auch über Aufarbeitungsanlagen für abgebrannte Brennelemente. Nach der Energiestrategie Russlands für die Zeit bis 2020 soll die Stromerzeugung aus Kernkraft künftig signifikant ansteigen. Die russische Elektrizitätswirtschaft war früher durch die monopolartige Stellung des Unternehmens RAO EES geprägt.68 Dieses kontrollierte über 70 % der Erzeugung elektrischer Energie und die überwiegende Mehrzahl der Leitungsnetze. Seit dem 1. Juli 2008 liegt die Stromerzeugung in den Händen von 20 Kraftwerksgesellschaften, an denen sich russische wie ausländische Unternehmen beteiligen. Wasserkraftwerke und Atomkraftwerke verbleiben weiterhin in staatlicher Hand. Überregionale Stromnetze wurden an die Föderale Netzgesellschaft (FSK EES) übertragen, an der die Russische Föderation über 75 % hält. Die Strompreise für die Bevölkerung Russlands werden staatlicherseits reguliert und sollen schrittweise angehoben werden; die Großhandelspreise sollen bis 2011 freigegeben werden.
63
„Energiestrategie Russlands für die Zeit bis 2020“, Verfügung der Regierung der Russländischen Föderation vom 28. August 2003 Nr. 1234-r. 64
Vgl. Stulberg, Osteuropa 2006, Nr. 4, S. 199 ff. Siehe auch die Gesetze vom 1. Dezember 2007 N 317-FZ und N 318-FZ sowie das Präsidialdekret vom 20.03.2008 N 369. 65 66 67 68
Korporacija „TVĖL“. Koncern Ėnergoatom. OAO „Techsnabėksport“.
Zur Reform des russischen Elektrizitätssektors siehe International Energy Agency (Hrsg.), Russian electricity reform, S. 31 ff.
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C. Die Ausgangslage und die Interessen im Energiebereich
II. Interessen im Energiebereich Die Forderung nach völkerrechtlichen Abkommen, deren Aushandlung sowie die Geltendmachung von vertraglichen Rechten ist interessengeleitet. Es besteht daher zunächst Bedarf, die Interessenlage im Energiebereich zu untersuchen. Im Folgenden soll ein Überblick über die energiesektorbezogenen Interessen gegeben werden. Zunächst ist dabei auf die Interessen der im Energiesektor tätigen Unternehmen einzugehen (1), bevor die gegebenenfalls davon beeinflussten Interessen der EU und ihrer Mitgliedstaaten bzw. die Interessen der Russischen Föderation angesprochen werden (2).
1. Interessen der im Energiesektor tätigen Unternehmen Bei der Betrachtung der Interessen im Energiebereich ist zu berücksichtigen, dass die Akteure im Energiesektor in erster Linie privatwirtschaftlich organisierte Unternehmen und Konzerne sind. Diese haben in der Regel eigene – wirtschaftliche – Interessen, welche gegebenenfalls auf völkerrechtlicher Ebene durch die jeweiligen Sitzstaaten vertreten werden.69
a) Interessen europäischer Unternehmen Bedeutende im Energiesektor tätige europäische Unternehmen sind z.B. Total, GdF SUEZ, Électricité de France (EdF), Royal Dutch Shell (Shell), Gasunie, British Petroleum (BP), E.ON, RWE, Vattenfall, EnBW, Wintershall, Eni, Enel und OMV. Im Bereich der Nukleartechnik – insbesondere der Urananreicherung – sind Areva und Urenco zu nennen. Die genannten Unternehmen sind zumeist in Form von Aktiengesellschaften organisiert. An einigen von ihnen bestehen signifikante Staatsbeteiligungen. So hält beispielsweise der niederländische Staat 100 69
Die Interessen der im Energiebereich tätigen privatwirtschaftlich organisierten Unternehmen können auch von den Interessen ihres jeweiligen Sitzstaates abweichen. Dies gilt selbst dann, wenn sich diese Unternehmen – wie Gaz de France vor der Fusion mit SUEZ oder Gazprom – mehrheitlich in Staatsbesitz befinden. Zur notwendigen Trennung von Unternehmens- und Staatsinteressen siehe Goldthau/Geden, IPG 2007, Nr. 4, S. 58.
Interessen im Energiebereich
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% der Anteile an Gasunie, und der französische Staat ist zu 35,7 % an GdF SUEZ beteiligt.70 Über die ÖIAG hält Österreich immerhin noch 31,5 % an OMV. Die europäischen Unternehmen haben vielfältige Tätigkeitsfelder. Konzerne wie z.B. Total und Shell sind in der Wertschöpfungskette um Erdöl und Erdgas sowohl upstream als auch downstream tätig, d.h. bei Exploration dieser Energieträger, deren Förderung, Transport und Verarbeitung sowie beim Vertrieb an Endverbraucher. Die niederländische Gasunie beschränkt sich hingegen auf das Betreiben eines ausgedehnten Pipelinenetzes. Bei anderen Unternehmen liegt der Schwerpunkt auf der Erzeugung von elektrischer Energie, zumeist in Kohle-, Gas- oder Kernkraftwerken, und auf der Vermarktung des erzeugten Stroms. Alle Unternehmen verbindet, dass sie daran interessiert sind, rentabel zu arbeiten und ihren Gewinn zu maximieren. Daher sind die Händler von Energieträgern zum Ersten bestrebt ihre traditionellen Absatzmärkte in Europa langfristig gegen Konkurrenten zu verteidigen und zu erweitern. Zum Zweiten sind sie bestrebt, upstream zu expandieren und Zugang zu vielversprechenden Energielagerstätten zu erhalten, sei dies durch den Erwerb von Förderlizenzen oder durch Beteiligungen. Wird in die Entwicklung und die Ausbeutung neuer Lagerstätten investiert, sollen die Investitionen so sicher und gesichert wie möglich sein und sich später als profitabel erweisen. Wird Energie in einer Form eingekauft, um sie in der gleichen oder in umgewandelter Form weiterzuverkaufen, so ist der Energie-Händler an einer möglichst hohen Gewinnmarge, also an geringen Einkaufspreisen und hohen Absatzpreisen interessiert.
b) Interessen russischer Unternehmen Bedeutende russische Unternehmen im Erdöl- und Erdgassektor sind Gazprom, Gazprom Neft, Lukoil, Rosneft, Surgutneftegaz, TNK-BP, Tatneft, Novatek, Slawneft und der Betreiber des russischen Erdölpipelinenetzes Transneft. Das größte Kohleförderunternehmen ist SUEK. Hinsichtlich des Uranabbaus und der Herstellung von Nuklearbrennstoffen sind TVEL bzw. TENEX zu nennen. Größter Stromerzeuger war bis zu seiner Aufspaltung im Jahr 2008 RAO EES. An einigen die70
Vor der Fusion von Gaz de France (GdF) und SUEZ lag die Staatsbeteiligung für GdF bei knapp 80 %.
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C. Die Ausgangslage und die Interessen im Energiebereich
ser Unternehmen bestehen signifikante Staatsbeteiligungen. So hält die Russische Föderation an Gazprom und Rosneft jeweils über 50 %; an Transneft und an TVEL hält die Russische Föderation 100 %. Die in der Förderung und Vermarktung von Energieträgern tätigen russischen Unternehmen sind daran interessiert, neue Lagerstätten der jeweiligen Energieträger zu erschließen und nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten auszubeuten. In Abbau- und Transportinfrastruktur getätigte Investitionen sollen später Gewinne einbringen. Dies ist nur dann garantiert, wenn der Absatz der geförderten Energieträger zu wirtschaftlich interessanten Preisen langfristig gesichert ist. Mit Blick darauf ist etwa Gazprom an langfristigen Gaslieferverträgen mit sogenannten Take-or-pay-Klauseln (TOP-Klauseln) gelegen.71 Zudem ist Gazprom und anderen – hinsichtlich der Energieströme von Russland nach Europa – upstream situierten russischen Förderunternehmen daran gelegen, in der Wertschöpfungskette downstream zu expandieren und damit in der gesamten Versorgungskette präsent zu sein.72 Sie haben insbesondere ein Interesse daran, sich an europäischen Infrastruktureinrichtungen zu beteiligen und in das lukrative Geschäft mit europäischen Endverbrauchern einzusteigen.73 Direkter Zugang zum europäischen Endverbraucher ist nicht nur potentiell lukrativ, sondern zugleich auch ein Weg, den Absatz für die in Zukunft zu fördernden Energieträger langfristig zu sichern.
2. Interessen der EU-Mitgliedstaaten und der EU sowie Interessen der Russischen Föderation a) Interessen der EU-Mitgliedstaaten und der EU Die Mitgliedstaaten der EU sind – was den Energiesektor betrifft – zuvorderst daran interessiert, die Energieversorgungssicherheit auf ihrem Hoheitsgebiet zu gewährleisten. Energieversorgung und Energieverbrauch sollen möglichst umweltfreundlich, CO2-arm und nachhal-
71 Als Take-or-pay-Klauseln werden in Gaslieferverträgen solche Klauseln bezeichnet, nach denen der Abnehmer auch dann den vereinbarten Preis zu zahlen hat, wenn er das entsprechende Gas nicht benötigt und nicht abnimmt. 72 73
Vgl. Perovic/Orttung, RAD 18/07, S. 4. Bayou/Verluise, DNSC 2007, Nr. 2, S. 62; Heinrich, RAD 34/08, S. 8.
Interessen im Energiebereich
21
tig74 sein. Auch auf EU-Ebene besteht ein besonderes Interesse an Energieversorgungssicherheit der EU als Ganzes und an einer umweltfreundlichen, CO2-armen und nachhaltigen Energieversorgung unter Wettbewerbsbedingungen.75 Auf der Ebene der Mitgliedstaaten wie auf EU-Ebene werden zur Erreichung des Ziels der Energieversorgungssicherheit Effizienzsteigerungen, die Diversifizierung der konsumierten Energieträger und der verstärkte Einsatz erneuerbarer Energie angestrebt. Dort, wo sich zu importierende Energieträger nicht bzw. noch nicht wirtschaftlich substituieren lassen, besteht das Interesse, die Sicherstellung einer ausreichenden Belieferung mit den betreffenden Energieträgern – insbesondere Erdöl und Erdgas – zu erreichen, und dies zu Konditionen, welche ein stabiles Wirtschaftswachstum ermöglichen. Letztlich geht es allen Netto-Energie-Importeuren darum, sich auf internationalen Energiebeschaffungsmärkten mit den benötigten Energieträgern einzudecken. Die Nachfrage nach Energieträgern steigt – insbesondere wegen des rasanten Wirtschaftswachstums in den Schwellenländern76 – weltweit an, während das Angebot nicht in gleichem Maße wächst. Aus diesem Grund wird die Bezugskonkurrenz der Netto-Energie-Importeure künftig an Schärfe gewinnen.77 In diesem Zusammenhang könnte es auch zu innergemeinschaftlichen Konflikten kommen, die es innerhalb des europäischen Rahmens zu vermeiden gilt. Unter anderem darauf fußt die immer wieder erhobene Forderung nach einer einheitlichen europäischen Energie-Außenpolitik.78 Was die Beschaffung von zu importierenden Energieträgern für den europäischen Binnenmarkt betrifft, so besteht auf EU-Ebene erstens ein 74
In Anlehnung an den Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung (World Commission on Environment and Development) von 1987 wird Nachhaltigkeit (sustainability) dergestalt verstanden, dass den Bedürfnissen der heutigen Generation entsprochen wird, ohne die Möglichkeiten zukünftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen. Vgl. Annex to document A/42/427. 75
KOM(2007) 1 endgültig, S. 3 ff.; siehe auch Lippert in: Leible/Lippert/ Walter (Hrsg.), Die Sicherung der Energieversorgung auf globalisierten Märkten, S. 11 ff. 76
Zum Anstieg des Energieverbrauchs in China und zu Chinas Energiesituation siehe Umbach, Globale Energiesicherheit, S. 103 ff. 77 78
Vgl. Schmidt-Preuß, RdE 2007, S. 282. Zu den dahingehenden Kompetenzen siehe unten (D).
22
C. Die Ausgangslage und die Interessen im Energiebereich
Interesse dahingehend, dass in Förderländern und Transitstaaten ausreichend moderne Infrastruktur zur Verfügung steht, damit es nicht zu technisch bedingten Engpässen in der Energieversorgung kommt. Zweitens besteht auf EU-Ebene ein Interesse daran, dass Europa die benötigten Energieträger aus vielen verschiedenen und voneinander unabhängigen Herkunftsorten bzw. Förderstaaten und über verschiedene Transportrouten bezieht, damit Ereignisse in einem Förderstaat oder einem Transitstaat die Energieversorgung innerhalb der EU nicht ernsthaft in Gefahr bringen können. Aus diesem Grund geht beispielsweise die Versorgungspolitik der Euratom-Versorgungsagentur (ESA) dahin, dass in der EU benötigtes Nuklearmaterial nur zu ungefähr 20 % aus den GUS-Republiken bezogen wird.79 Auch unterstützte die EU – ganz im Sinne einer Strategie zur Diversifizierung der Herkunftsstaaten von Energieträgern – das Nabucco-Pipelineprojekt durch die Förderung einer Machbarkeitsstudie.80 Dem Ostsee-Pipelineprojekt (Nord-StreamPipeline)81 steht die EU mit Blick auf die Diversifizierung der Transportwege positiv gegenüber. Die geplante Ostsee-Pipeline ist zugleich ein gutes Beispiel dafür, dass es durchaus innereuropäische Interessengegensätze im Energiebereich geben kann. Während die westeuropäischen Staaten und die Europäische Kommission das Pipelineprojekt grundsätzlich begrüßen, lehnen Polen und die baltischen Staaten es grundsätzlich ab, weil sie fürchten, dass sich die Realisierung des Projektes nachteilig auf die eigene Versorgungssicherheit auswirken könnte.82 Im innergemeinschaftlichen bzw. im innerstaatlichen Bereich kann es gleichfalls Interessengegensätze zwischen der Gemeinschaft bzw. einem Mitgliedstaat auf der einen Seite und einem in der Gemeinschaft bzw. in diesem Mitgliedstaat tätigen Energieunternehmen auf der anderen Seite 79 Zur Bestätigung dieser Versorgungspolitik durch den Europäischen Gerichtshof vgl. EuGH (Erste Kammer), Rs. C-161/97 P, Slg. 1999, I-2057 – Kernkraftwerke Lippe-Ems / Kommission; siehe auch KOM(2002) 605 endgültig, S. 6. 80
Die Nabucco-Pipeline soll die kaspischen und ggf. auch die iranischen Erdgasvorräte unter Umgehung des russischen Erdgaspipelinesystems für Europa zugänglich machen. 81 Die Ostsee-Pipeline soll bei Vyborg (Russland) beginnen und bei Greifswald (Deutschland) enden. Sie wird dabei die Wirtschaftszonen Finnlands, Schwedens und Dänemarks durchqueren. 82
Vgl. dazu Kempe, Osteuropa 2008, Nr. 2, S. 59; vgl. auch Harks, IP 2008, Nr. 4, S. 18.
Interessen im Energiebereich
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geben.83 Auf internationalem Parkett machen sich die Kommission bzw. die Regierungen der Mitgliedstaaten gleichwohl – zumindest teilweise – zum Anwalt der Interessen der in der EU bzw. dem betreffenden Mitgliedstaat ansässigen Unternehmen. Hinsichtlich des Energiesektors betrifft dies im europäisch-russischen Verhältnis insbesondere die Themenbereiche Marktöffnung und Investitionssicherheit, aber auch Maßnahmen zur Sicherstellung der Lebensfähigkeit im Energiesektor tätiger europäischer Unternehmen.84 Auch der Abbau von Wettbewerbsverzerrungen, welche dadurch entstehen, dass an Industrie- oder sonstige Betriebe in Russland oder anderen Staaten Energie zu einem Preis geliefert wird, der weit unter dem Weltmarktpreis liegt, gehört in diesen Themenbereich.
b) Interessen der Russischen Föderation Als Netto-Energie-Exporteur hat die Russische Föderation ein besonderes Interesse an der Wahrung der Souveränität über ihre Energieressourcen, an der Erzielung regelmäßiger Einnahmen aus dem Export von Energieträgern auf lange Sicht, an Minimierung der Risiken für die Umwelt bei der Ausbeutung der vorhandenen Energieressourcen sowie allgemein an wirtschaftlicher Entwicklung.85 Russland ist bestrebt, seine Energie-Exporte insgesamt und in Richtung Europa im Besonderen zu erhöhen.86 Dabei sollen tendenziell weniger Primärenergieträger und mehr Verarbeitungsprodukte ausgeführt werden. Zugleich ist Russland bestrebt, seine Exportgüter dergestalt zu diversifizieren, dass der Anteil von Gütern, welche nicht unmittelbar dem Energiesektor zuzurechnen
83 So entsprechen beispielsweise die Abnahme- und Vergütungspflichten gegenüber dem Erzeuger von Strom aus regenerativen Quellen nach dem deutschen Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) nicht den Interessen der Stromnetzbetreiber. 84
Siehe beispielhaft zur Lebensfähigkeit der europäischen Nuklear-Anreicherungs-Industrie: EURATOM Supply Agency (Hrsg.), Annual Report 2002, S. 16. 85 Sehr explizit: Andrej Denisov, erster stellvertretender Außenminister der Russischen Föderation, während seines Vortrages auf der internationalen Konferenz „The Challenges of a Changing International Energy Market“ am 8. November 2007 in Wien. 86
Götz, SWP-Studie 2004/S 06, März 2004, S. 29.
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C. Die Ausgangslage und die Interessen im Energiebereich
sind, erhöht wird.87 Langfristiges Ziel der russischen Regierung ist die WTO-Mitgliedschaft Russlands.88 Ausländische Investitionen in Infrastruktur zur Förderung von Energieträgern liegen im Interesse der Russischen Föderation, zum einen, weil russische Unternehmen nicht über genügend finanzielle Mittel zur Realisierung aller Förderinfrastrukturprojekte verfügen, zum anderen, weil russischen Unternehmen zum Teil das Know-how für besonders schwierige Infrastrukturprojekte fehlt.89 Ausländische Investitionen sollen aber die Kontrolle der Russischen Föderation über die eigenen Energieressourcen nicht beeinträchtigen. In diesem Sinne war Russland in den vergangenen Jahren erkennbar bemüht, den Einfluss ausländischer Unternehmen auf die Erdöl- und Erdgasförderung zu vermindern. Russland ist auf den Export seiner Energieträger wirtschaftlich angewiesen. Es hat insbesondere ein Interesse an deren Absatz in Europa, wo hohe Preise erzielt werden und wohin das bestehende Gaspipelinesystem ausgerichtet ist. Um die Lieferungen zu den Hauptabsatzmärkten so gut wie möglich abzusichern, hat Russland ein Interesse daran, die Transportrouten für seine Energieträger zu diversifizieren, insbesondere die Abhängigkeit von den Transitstaaten Ukraine und Belarus zu verringern. Die uneingeschränkte Unterstützung der russischen Regierung für die Jamal-Gaspipeline90, für das Baltische Pipelinesystem (BPS)91, für die geplante Ostsee-Pipeline92 und für die Erdölpipeline Burgas-Alexandroupolis93 ist auch in diesem Kontext zu sehen. Diversi87
Barysch in: Johnson (Hrsg.), Perspectives on EU-Russia relations, S. 23.
88
Der Wunsch Russlands nach WTO-Mitgliedschaft konnte von der europäischen Seite als Hebel genutzt werden, um eine Ratifikation des KyotoProtokolls durch Russland zu erreichen. Dazu Sander, Osteuropa-Wirtschaft 2007, Nr. 1, S. 15 ff. Siehe auch das Abkommen vom 21. Mai 2004, IP/04/673. 89
Vgl. Perovic/Orttung, RAD 18/07, S. 4.
90
Die Jamal-Gaspipeline führt durch Belarus und Polen und umgeht so die Ukraine als Transitstaat. 91
Durch das BPS, welches zum Verladehafen Primorsk führt, konnte die Abhängigkeit vom Transit durch Lettland, Litauen und Belarus vermindert werden. 92
Die Ostsee-Pipeline (Fn. 81) umgeht sowohl die Ukraine und Belarus als auch die baltischen Staaten und Polen. 93
Die Erdölpipeline Burgas-Alexandroupolis schafft eine Alternative zum Erdöltransport in Tankern durch den Bosporus und die Dardanellen.
Interessen im Energiebereich
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fizierungsstrategien auf Seiten der Europäischen Union insbesondere im Erdgassektor – etwa das Nabucco-Pipelineprojekt94 – werden auf russischer Seite als mögliche Gefährdung der Abnahmesicherheit für die in Russland geförderten Energieträger wahrgenommen. Russland hat mit Blick auf die Abnahmesicherheit zunächst ein Interesse daran, dass sich seine Bedeutung für die Energieversorgung Europas nicht vermindert.95 Zugleich hat Russland ein Interesse daran, die Abnehmerstaaten für in Russland geförderte Energieträger zu diversifizieren. Über die Blue-Stream-Pipeline96 wird bereits russisches Erdgas in die Türkei geliefert. Als neue Absatzmärkte kommen insbesondere Ostasien (vor allem China, Japan und Korea) sowie die USA in Betracht. Zur wirtschaftlichen Erschließung dieser Märkte sind jedoch kapitalintensive Maßnahmen zur Schaffung neuer Transportinfrastruktur (Gas- und Ölpipelines sowie Gasverflüssigungsanlagen) notwendig. Der Russischen Föderation wird gelegentlich unterstellt, ihre Stellung als bedeutender Netto-Energie-Exporteur außenpolitisch als Waffe gegen die EU oder einzelne EU-Mitgliedstaaten einsetzen zu wollen. Darauf ist an geeigneter Stelle noch einzugehen.97 Im innerstaatlichen Bereich kann es in der Russischen Föderation – wie auch in der EU – Interessengegensätze zwischen der russischen Regierung auf der einen Seite und einem in Russland tätigen Energieunternehmen auf der anderen Seite geben. Beispielhaft sei hier erwähnt, dass die Föderale Energiekommission entgegen den Forderungen von Gazprom über lange Zeit den Inlandsgaspreis extrem niedrig und zeitweilig auf einem nicht kostendeckenden Niveau festsetzte.98
94
Siehe dazu Fn. 80.
95
In diesem Zusammenhang ist das von Russland vorangebrachte SouthStream-Projekt (eine Gaspipeline von Russland durch das Schwarze Meer nach Bulgarien) zu sehen, dessen Realisierung das Ende des Nabucco-Pipelineprojektes bedeuten könnte. Ebenfalls in diesem Zusammenhang ist das Projekt Kaspi-Gaspipeline von Turkmenistan über Kasachstan nach Russland zu sehen. 96
Die Blue-Stream-Pipeline führt von Russland durch das Schwarze Meer in die Türkei. 97 98
Siehe dazu unten (G.VII.2).
Zum niedrigen Gaspreis siehe Johnson, GaO 2005, Nr. 2, S. 259 und Barysch in: Johnson (Hrsg.), Perspectives on EU-Russia relations, S. 25. Zu Interessenkonflikten zwischen Gazprom und der russischen Regierung vgl. außerdem Hosp, FAZ 05.02.2008, S. 9.
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C. Die Ausgangslage und die Interessen im Energiebereich
Wie die Kommission der Europäischen Gemeinschaften bzw. die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten, so macht sich auch die Regierung der Russischen Föderation auf internationalem Parkett zum Anwalt der auf ihrem Gebiet ansässigen Unternehmen. Dies betrifft im europäischrussischen Verhältnis insbesondere die Themenbereiche direkter Zugang zum europäischen Endverbraucher, Beteiligung russischer Unternehmen an Assets in der EU und Abbau von Handelsbeschränkungen dort, wo mengenmäßige Beschränkungen bestehen.
27
D. Die Kompetenzen der EU im Energiesektor und Europäische Energieaußenpolitik
Nach dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung bedarf es für jedes Handeln der EU einer Kompetenzgrundlage in den Verträgen. Im Folgenden werden die für den Energiesektor relevanten Kompetenzgrundlagen angesprochen (I). Anschließend ist kurz auf die innereuropäische Kompetenzverteilung hinsichtlich der Energie-Außenbeziehungen bzw. der Energie-Außenpolitik einzugehen (II).
I. Kompetenzen der EU im Energiesektor Die EAG hat nach dem EAG-Vertrag umfängliche Kompetenzen im Bereich Kernenergie. Die Versorgung mit Nuklearmaterial wird nach Art. 52 Abs. 1 EAGV durch eine gemeinsame Versorgungspolitik sichergestellt. Über deren Einhaltung wachen die Euratom-Versorgungsagentur (ESA) bzw. die Kommission, unter deren Aufsicht die Agentur steht. Wichtigster Hebel für die Arbeit der ESA ist deren ausschließliches Recht zum Abschluss von Lieferverträgen99 über „Erze, Ausgangsstoffe und besondere spaltbare Stoffe“100 nach Art. 52 Abs. 2 lit. b) EAGV. Die Ermächtigung zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge durch die EAG ergibt sich explizit aus Art. 101 Abs. 1 EAGV. Was den Energiesektor im Übrigen betrifft, sind die Kompetenzen der EU weniger umfänglich.101 Erst seit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon wird die Energiepolitik überhaupt als eigenständige Gemeinschaftspolitik ausdrücklich anerkannt.102 Zuvor fehlte im EG-Vertrag ein energiepolitischer Kompetenztitel; der Themenbereich „Energie“ 99
Gemeint sind alle Verträge über Erwerb und Verkauf aber z.B. auch Tausch- und Leihgeschäfte. 100
Die Begriffe sind in Art. 197 EAGV legal definiert.
101
Vgl. Sander, Osteuropa-Wirtschaft 2006, Nr. 1, S. 9 und Lukes, EuWZ 1992, S. 401. Siehe auch Umbach, IP 2006, Nr. 2, S. 9. 102
Siehe Art. 194 AEUV.
S. Pritzkow, Das völkerrechtliche Verhältnis zwischen der EU und Russland im Energiesektor, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 227, DOI 10.1007/978-3-642-21168-3_4, © by Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V., to be exercised by Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Published by Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011. All Rights Reserved.
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D. Die Kompetenzen der EU im Energiesektor und Energieaußenpolitik
wurde darin vielmehr nur an einer Stelle erwähnt, nämlich im Aufgabenkatalog bei Art. 3 Abs. 1 lit. u) EGV.103 Gleichwohl fanden sich schon in etlichen, nach dem EG-Vertrag bestehenden Gemeinschaftskompetenzen – allen voran in der allgemeinen Binnenmarkt- bzw. Harmonisierungskompetenz der Art. 94 und 95 EGV104 – Ansatzpunkte zur Gestaltung einer über den Nuklearsektor hinausgehenden Europäischen Energiepolitik. Dies hat nicht zuletzt die Liberalisierung und Öffnung der Strom- und Gasmärkte durch die sogenannten Beschleunigungsrichtlinien Strom105 bzw. Gas106 gezeigt. Neben der Harmonisierungskompetenz kamen noch weitere Kompetenzen in Betracht, auf die sich die Gemeinschaft im Energiesektor gegebenenfalls stützen konnte. Zu erwähnen sind etwa die Kompetenzen im Bereich der gemeinsamen Handelspolitik (Art. 131 ff. EGV), die Kompetenzen hinsichtlich des Auf- und Ausbaus transeuropäischer Netze einschließlich der Energieinfrastruktur (Art. 154 ff. EGV) sowie die Kompetenzen im Bereich Umweltpolitik (Art. 174 ff. EGV). Für Fälle von gravierenden Schwierigkeiten bei der Versorgung mit Energieträgern war an die Krisenbewältigungskompetenz des Art. 100 Abs. 1 EGV zu denken.107 Diese diente auch als Ermächtigungsgrundlage für vorsorgende Maßnahmen, wie beispielsweise für die Richtlinie zur Erdölbevorratung108 sowie für die Richtlinie zur Gewährleistung der sicheren Erdgasversorgung.109 Ermächtigungen der EG zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge, welche für den Energiesektor von Bedeutung sein konnten bzw. noch sein können, ergaben sich – wenn der Energieaspekt Überschneidungen zur Handelspolitik oder Umweltpolitik aufwies – explizit aus Art. 133 Abs. 3 EGV und Art. 174 Abs. 4 EGV.110 Darüber hinaus konnte die EG auf die AETR-Doktrin zurückgreifen, nach der die Au-
103
Dazu schon Schmidt-Preuß in: Pitschas/Uhle (Hrsg.), Wege gelebter Verfassung in Recht und Politik, S. 910. 104 105 106
Dazu Ludwigs, Rechtsangleichung nach Art. 94, 95 EG-Vertrag, S. 89 ff. Richtlinie 2003/54/EG, ABl. L 176 vom 15.07.2003, S. 37. Richtlinie 2003/55/EG, ABl. L 176 vom 15.07.2003, S. 57.
107
Dazu Schmidt-Preuß in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, Aufgaben des Staates, § 93 Rn. 54. 108 109 110
Richtlinie 2006/67/EG, ABl. L 217 vom 08.08.2006, S. 8. Richtlinie 2004/67/EG, ABl. L 127 vom 29.04.2004, S. 92. Siehe nun Art. 207 AEUV und Art. 191 AEUV.
Kompetenzverteilung hinsichtlich der Energie-Außenpolitik
29
ßenkompetenzen der Gemeinschaft parallel zu ihren Innenkompetenzen liegen.111
II. Kompetenzverteilung hinsichtlich der Energie-Außenpolitik Die Interessen eines Mitgliedstaates können in zahlreichen Fragen von den Interessen anderer Mitgliedstaaten oder den Interessen der EU abweichen. Dies gilt speziell dann, wenn es um die Beziehungen der Mitgliedstaaten oder der EU zu Russland geht, insbesondere wenn Fragen der Energieversorgungssicherheit betroffen sind. Dies hat unter anderem die Diskussion um das Ostsee-Pipelineprojekt gezeigt.112 Festzuhalten ist, dass ein rücksichtsloser Wettlauf der EU-Mitgliedstaaten um die Energieressourcen Russlands dem solidarischen Geist der Verträge nicht entsprechen würde.113 Es wird im Schrifttum vielmehr häufig die Forderung nach einer einheitlichen europäischen EnergieAußenpolitik erhoben.114 Auch von der Kommission115 und vom Europäischen Rat116 wurde 2007 der Themenbereich „Eine Energiepolitik für Europa“ aufgegriffen und dabei gleichfalls die Notwendigkeit betont, bei energiepolitischen Fragen nach außen mit einer gemeinsamen Stimme zu sprechen. Gemeinschaftsorgane wie Kommission und Rat konnten bzw. können gegenüber Drittstaaten – gestützt auf die oben genannten Kompetenzen – Energiethemen ansprechen und die Belange der Gemeinschaft artikulieren. Gestützt auf Art. 26 EUV a.F. konnte auch der Hohe Vertreter für die GASP den energie-außenpolitischen Dialog pflegen und dabei gebündelt die Interessen der EU-Mitglied-
111 112 113
Siehe dazu oben (B.I.2.c)). Siehe Kempe, Osteuropa 2008, Nr. 2, S. 59. Vgl. Schmidt-Preuß, RdE 2007, S. 283.
114
Siehe z.B.: Umbach, IP 2006, Nr. 2, S. 6 ff.; Perovic/Orttung, RAD 18/07, S. 6; Barysch in: Johnson (Hrsg.), Perspectives on EU-Russia relations, S. 32; Perovic, RAD 33/08, S. 3. 115 116
KOM(2007) 1 endgültig, S. 1 ff. und insbesondere S. 22.
Europäischer Rat (Brüssel), 8./9. März 2007, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, 7224/1/07 REV 1 CONCL 1, Anlage I, S. 16 ff. und insbesondere S. 19.
30
D. Die Kompetenzen der EU im Energiesektor und Energieaußenpolitik
staaten vertreten.117 Auf dem sechsten EU-Russland-Gipfel im Oktober 2000 wurde zudem ein Energie-Dialog EU-Russland eingerichtet.118 Dennoch wird vielfach der – allerdings nur zum Teil berechtigte – Vorwurf erhoben, der EU sei es bislang nicht gelungen, außer Absichtserklärungen eine gemeinsame Energiepolitik umzusetzen, was es Russland erleichtere, die EU-Staaten gegeneinander auszuspielen.119 Obwohl sich die EG vor Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon auf die Kompetenz des Art. 174 f. EGV stützen konnte, wenn es darum ging, den Anteil regenerativer Energien zu erhöhen,120 so ist gleichwohl festzuhalten, dass die Kompetenz für die Bestimmung des Energiemix’ in den EU-Mitgliedstaaten letztlich bei den Mitgliedstaaten selbst lag.121 Denn Beschlussfassungen auf Gemeinschaftsebene, welche die Wahl eines Mitgliedstaats zwischen verschiedenen Energiequellen und die allgemeine Struktur seiner Energieversorgung erheblich berührten, bedurften nach Art. 175 Abs. 2 lit. c) EGV der Einstimmigkeit.122 Auch nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon bleibt dieses Einstimmigkeitserfordernis bestehen.123 Dies bedeutet zugleich, dass die EUMitgliedstaaten – außerhalb des Nuklearsektors, in dem die Versorgungspolitik „vergemeinschaftet“ ist – befugt sind, völkerrechtliche Verträge abzuschließen, welche der Abdeckung des eigenen Importbe117
Dazu Schmidt-Preuß in: Pitschas/Uhle (Hrsg.), Wege gelebter Verfassung in Recht und Politik, S. 906 f.; Cremer in: Calliess/Ruffert/Blanke (Hrsg.), EUV, EGV, Art. 26 EUV Rn. 4. Nach Art. 18 EUV n.F. wird die Rolle des Hohen Vertreters für die GASP nunmehr dem Hohen Vertreter der Union zukommen. 118
Dazu Sumper, Die Beziehungen zwischen der erweiterten Europäischen Union und der Russischen Föderation, S. 109 ff. 119
Vgl. etwa Kempe, Osteuropa 2008, Nr. 2, S. 60. Zur langanhaltenden Präferenz Russlands für bilaterale Beziehungen mit den einzelnen EU-Mitgliedstaaten siehe Klitsounova in: Johnson (Hrsg.), Perspectives on EU-Russia relations, S. 39. 120
Siehe z.B. die Richtlinie 2001/77/EG zur Förderung der Stromerzeugung aus alternativen Energiequellen, ABl. L 283 vom 27.10.2001, S. 33. 121
Schmidt-Preuß, RdE 2007, S. 283.
122
Calliess in: Calliess/Ruffert/Blanke (Hrsg.), EUV, EGV, Art. 175 EGV Rn. 25. Zur Entscheidungskompetenz der EU-Mitgliedstaaten hinsichtlich eines Atomausstiegs siehe Schmidt-Preuß in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, Aufgaben des Staates, § 93 Rn. 63. 123
Vgl. Art. 194 Abs. 2 AEUV.
Kompetenzverteilung hinsichtlich der Energie-Außenpolitik
31
darfs an Erdöl und Erdgas dienen, bzw. privatrechtliche Lieferverträge zu begleiten, abzusichern und zu fördern.124 In diesem Sinne können die EU-Mitgliedstaaten eine von der EU unabhängige bilaterale Energie-Diplomatie betreiben. Diese darf sich jedoch nicht gegen andere Mitgliedstaaten richten.125
124
Vgl. Schmidt-Preuß, RdE 2007, S. 284, der jedoch nicht ausdrücklich den Nuklearbereich aus der Kompetenz der EU-Mitgliedstaaten herausnimmt. 125
Etwaige aufkommende Interessengegensätze der EU-Mitgliedstaaten untereinander müssen innereuropäisch auf politischer Ebene gelöst werden; ein Ansatzpunkt ist hier die Sicherstellung einer innereuropäischen Versorgungssolidarität, welche sich an dem Grundgedanken der EAG bei deren Gründung, namentlich das Ziel der gerechten Verteilung knapper Ressourcen, orientieren könnte.
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E. Energiebezogene völkerrechtliche Verträge zwischen der EU und Russland
Die völkerrechtlichen Beziehungen zwischen der EU bzw. ihren Mitgliedstaaten auf der einen und Russland auf der anderen Seite bestimmen sich nach Völkervertrags- und nach Völkergewohnheitsrecht. Alle EU-Staaten und Russland sind Mitglieder der UNO, der OSZE und des Europarates. Die Russische Föderation und die Mehrheit der EUMitgliedstaaten sind auch Vertragsstaaten der Wiener Vertragsrechtskonvention (WVK) vom 23. Mai 1969.126 Dies vorausgeschickt ist im Rahmen einer Untersuchung des völkerrechtlichen Verhältnisses zwischen der EU und Russland im Energiebereich nunmehr genauer auf das europäisch-russische Abkommen über Partnerschaft und Zusammenarbeit (I) sowie den Energiecharta-Vertrag (II) einzugehen. Anschließend sollen noch weitere Abkommen Erwähnung finden, welche für die Beziehungen zwischen der EU und Russland im Energiesektor von Bedeutung sind (III).
I. Das Abkommen über Partnerschaft und Zusammenarbeit von 1994 (PCA) Dem am 1. Dezember 1997 in Kraft getretenen Abkommen über Partnerschaft und Zusammenarbeit (PCA)127 kommt eine herausragende Stellung im europäisch-russischen Verhältnis zu.128 Zunächst soll dieses völkerrechtliche Abkommen allgemein vorgestellt werden (1), bevor jene Bestimmungen genauer betrachtet werden, die speziell im Energiebereich von Bedeutung sind (2). 126
Keine Vertragsstaaten der Wiener Vertragsrechtskonvention vom 23. Mai 1969 sind Frankreich, Malta und Rumänien. 127
ABl. L 327 vom 28.11.1997, S. 3. Zu den Protokollen zum Abkommen anlässlich der Erweiterungen der Gemeinschaften siehe Fn. 46. 128
Strukturell ähnliche Abkommen wurden auch mit zahlreichen anderen Staaten der ehemaligen UdSSR geschlossen. S. Pritzkow, Das völkerrechtliche Verhältnis zwischen der EU und Russland im Energiesektor, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 227, DOI 10.1007/978-3-642-21168-3_5, © by Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V., to be exercised by Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Published by Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011. All Rights Reserved.
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34
E. Energiebezogene Verträge zwischen der EU und Russland
1. Allgemeiner Überblick über die Bestimmungen des PCA Das PCA ist ein gemischtes Abkommen. Neben den drei Europäischen Gemeinschaften (zusammen als „Gemeinschaft“ bezeichnet)129 und Russland sind auch die EU-Mitgliedstaaten Vertragspartner. Die Europäische Union, in deren Rahmen die EU-Mitgliedstaaten handeln, wird an verschiedenen Stellen des Vertrages erwähnt. Im PCA wird die Bedeutung von Rechtsstaatlichkeit, Achtung der Menschenrechte und Demokratie betont.130 Den politischen Beziehungen zwischen der EU und Russland gilt ein besonderer Akzent (vgl. Titel II des PCA).131 Auch Regelungen über wirtschaftliche Beziehungen nehmen einen bedeutenden Platz im Vertrag ein. So finden sich in ihm Regelungen über den Warenverkehr (Titel III des PCA), durch welche im europäischrussischen Verhältnis bereits vor dem Beitritt Russlands zum GATT gewisse GATT-Normen in Geltung gesetzt werden.132 Außerdem untersagt das Abkommen eine auf der Staatsangehörigkeit beruhende Benachteiligung von rechtmäßig in der EU beschäftigten russischen Staatsangehörigen bzw. rechtmäßig in Russland beschäftigten Staatsangehörigen der EU-Mitgliedstaaten.133 Für die Niederlassung und Geschäftstätigkeit von Gesellschaften wurde grundsätzlich ein System der Meistbegünstigung vereinbart (vgl. Art. 28 ff. PCA). Gleiches gilt für die Behandlung von Gesellschaften, die zwischen der EU und Russland grenzüberschreitend Dienstleistungen erbringen (Art. 36 ff. PCA). Die Vertragsparteien gewährleisten darüber hinaus den freien Kapitalverkehr für Direktinvestitionen sowie den Transfer ins Ausland der aus diesen Direktinvestitionen resultierenden Gewinne bzw. Entschädigungsleistungen (Art. 52 Abs. 2 PCA). Außerdem verpflichteten sich dieVertrags 129
Nach dem Auslaufen des EGKS-Vertrages bilden nur noch die EG und die EAG die „Gemeinschaft“ i.S.d. PCA. 130
Vgl. den 7. Erwägungsgrund der Präambel sowie Art. 2 des PCA.
131
Zur politischen Dimension im PCA siehe Timmermann, Berichte des BIOst, Nr. 60/1994, S. 12 ff. 132 Zu speziellen vertraglichen Regelungen für den Handel mit Textilwaren und bestimmten Eisen- und Stahlerzeugnissen siehe Art. 20 PCA und Art. 21 PCA sowie Fn. 42 und Fn. 43. 133
Zur Anwendung des dahingehenden Art. 23 PCA siehe EuGH, Rs. C265/03, Slg. 2005, I-2579 – SIMUTENKOV.
Abkommen über Partnerschaft und Zusammenarbeit von 1994
35
die Vertragsparteien darauf hinzuarbeiten, Wettbewerbsbeschränkungen zu beseitigen, bekräftigten die Bedeutung, welche sie dem Schutz des geistigen Eigentums beimessen, und erkannten an, dass die Angleichung der Rechtsvorschriften eine wesentliche Voraussetzung für die Stärkung ihrer Wirtschaftsbeziehungen darstellt (Titel VI des PCA).134 Schließlich wurde die Förderung einer weitreichenden wirtschaftlichen und technischen Zusammenarbeit vereinbart, dies allerdings nur in der Form allgemeiner Programmsätze (Titel VII des PCA).135 Die Vertragsparteien vereinbarten auch eine Kooperation mit dem Ziel, gewisse Straftaten zu verhüten (Art. 84 PCA). Ebenso verpflichteten sie sich, die kulturelle Zusammenarbeit zu fördern (Art. 85 PCA). Im Rahmen der vereinbarten finanziellen Zusammenarbeit (Titel X des PCA) erhielt Russland von der Gemeinschaft TACIS-Finanzhilfe.136 Zwischen den Vertragsparteien wurde ein politischer Dialog auf höchster Ebene vereinbart. Grundsätzlich zweimal jährlich sollten Gipfeltreffen zwischen dem Präsidenten Russlands, dem Kommissionspräsidenten und dem „Präsidenten des Rates der Europäischen Union“ stattfinden (Art. 7 Abs. 1 PCA).137 Darüber hinaus findet der politische Dialog auf Ministerebene im – durch Art. 90 PCA eingesetzten – Kooperationsrat statt (Art. 7 Abs. 2 PCA). Schließlich wird der politische Dialog auf der Ebene hoher Beamter und auf parlamentarischer Ebene geführt (Art. 8 PCA und Art. 9 PCA). Das PCA wurde zunächst für den Zeitraum von zehn Jahren geschlossen; danach verlängert es sich um jeweils ein Jahr, sofern nicht eine Ver134 Dass das PCA auf den russischen Transformationsprozess abzielt, zeigt sich besonders deutlich an Art. 55 Abs. 2 PCA, der nahelegt, das russische Rechtssystem im Sinne des Acquis communautaire zu gestalten, vgl. dazu Fischer, SWP-Studie 2006/S 34, Dezember 2006, S. 12. 135
Angesprochen werden u.a. die Bereiche Investitionsförderung und Investitionsschutz, öffentliches Auftragswesen, Verbraucherschutz, Bergbau, berufliche Bildung, Energie, Raumfahrt, Bauwirtschaft, Umwelt, Verkehr, Finanzdienstleistungen und Zoll. 136
Zur insgesamt nicht positiven Beurteilung der TACIS-Projekte in der Russischen Föderation siehe Europäischer Rechnungshof (Hrsg.), Sonderbericht Nr. 2/2006 über die Leistung der im Rahmen von TACIS in der Russischen Föderation finanzierten Projekte, zusammen mit den Antworten der Kommission. 137
Tatsächlich nimmt der Vorsitzende des Europäischen Rates (Gremium der Staats- und Regierungschefs) neben dem Präsidenten Russlands und dem Kommissionspräsidenten an Gipfeltreffen teil. Vgl. dazu schon Niedobitek, Die Beziehungen der Europäischen Union zu Russland, S. 23 ff.
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E. Energiebezogene Verträge zwischen der EU und Russland
tragspartei das Abkommen spätestens sechs Monate vor Ende der Laufzeit schriftlich kündigt (Art. 106 PCA). Allgemeiner Konsens besteht darüber, dass das PCA inzwischen nicht mehr als angemessene Grundlage für die Beziehungen zwischen der EU und Russland angesehen werden kann.138 Schon auf dem Petersburger Gipfel im Mai 2003 wurde es durch die Definierung von „vier gemeinsamen Räumen“139 in einer völkerrechtlich nicht bindenden Erklärung ergänzt. Russland ist vor allem bestrebt, nicht mehr als Transformationsökonomie oder als Juniorpartner der EU, sondern als gleichberechtigter Partner einer strategischen Partnerschaft angesehen zu werden.140 Die Ausarbeitung eines neuen Vertrages wurde jedoch aus verschiedenen Gründen verzögert. Da das PCA von keiner Seite gekündigt wurde, hat es sich automatisch verlängert und ist für das Verhältnis zwischen der EU und Russland weiterhin maßgebend.
2. Regelungen mit Energiebezug im PCA Etliche im PCA verankerte Regelungen beziehen sich direkt oder indirekt auf Energiefragen im Verhältnis zwischen der EU und Russland. So betrifft der grundsätzliche Ausschluss mengenmäßiger Beschränkungen bei der Einfuhr nach Art. 15 PCA auch Energieträger mit Ursprung in Russland. Allerdings gilt Art. 15 PCA gem. Art. 22 Abs. 1 PCA nicht für den Handel mit Kernmaterial. Die Beschränkung der Einfuhr von Kernmaterial aus Russland sollte vorerst möglich bleiben, zum Ersten um bestehende Lieferbeziehungen zu erhalten und nicht von einer Lieferquelle abhängig zu werden, zum Zweiten, um in der Union ansässige Anreicherungsunternehmen zu schützen. Nach Art. 22 Abs. 2 PCA sollten die Vertragsparteien zwar alle notwendigen Schritte unternehmen, um bis zum 1. Januar 1997 zu einer Vereinbarung über den Handel mit Kernmaterial zu gelangen. Eine Einigung in diesem Bereich steht allerdings bis heute aus.
138
Fischer, SWP-Studie 2006/S 34, Dezember 2006, S. 20.
139
1. Wirtschaft, 2. Freiheit, Sicherheit, Justiz, 3. Äußere Sicherheit, 4. Wissenschaft, Erziehung, Kultur. 140
Fischer, SWP-Studie 2006/S 34, Dezember 2006, S. 20.
Abkommen über Partnerschaft und Zusammenarbeit von 1994
37
Die nach Art. 66 PCA angestrebte Zusammenarbeit im Nuklearsektor wurde hingegen durch den Abschluss des Abkommens über Kernfusion141 und des Abkommens über nukleare Sicherheit142 konkretisiert. Nach Art. 65 PCA umfasst die vereinbarte wirtschaftliche Zusammenarbeit insbesondere den Energiesektor. Als Bereiche, auf die sich die Zusammenarbeit erstreckt, werden u.a. genannt: Verbesserung von Qualität und Sicherheit der Energieversorgung, Förderung von Energieeinsparung, Modernisierung der Energieinfrastruktur sowie Verhütung von Umweltschäden durch Energieerzeugung, Energieversorgung und Energieverbrauch.143 Anerkannterweise besteht ein enormer Investitionsbedarf im russischen Energiesektor. In diesem Zusammenhang erlangt Art. 58 PCA Bedeutung, nach dem die vereinbarte wirtschaftliche Zusammenarbeit auf die Schaffung eines günstigen Klimas für inländische und ausländische Investitionen abzielt, dies insbesondere durch bessere Bedingungen für den Investitionsschutz, den Kapitaltransfer und den Austausch von Informationen über Investitionsmöglichkeiten. Der freie Kapitalverkehr für Direktinvestitionen ist in Art. 52 Abs. 2 PCA verankert; die auch im Energiesektor relevante Niederlassungsfreiheit in Art. 28 ff. PCA. Die vereinbarte wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen der EU und Russland hat nach Art. 69 PCA auch den Umweltschutz und insbesondere eine umweltgerechte und effiziente Energieerzeugung zum Ziel. Indirekte Bedeutung für den Energiesektor hat gleichfalls Art. 53 Abs. 1 PCA, nach dem die Vertragsparteien übereinkommen, darauf hinzuarbeiten, dass durch Unternehmen oder staatliches Eingreifen verursachte Wettbewerbsbeschränkungen beseitigt werden. Denn beispielsweise kann ein weit unter dem Weltmarktpreis liegender Inlandspreis für Erdgas den in Russland ansässigen Unternehmen nach europäischem Verständnis ungerechtfertigte Wettbewerbsvorteile verschaffen. Dieser
141 142 143
ABl. L 287 vom 31.10.2001, S. 30. ABl. L 287 vom 31.10.2001, S. 24.
Vor diesem Hintergrund ist der EU-Russland-Energiedialog zu sehen, welcher auf dem EU-Russland-Gipfel im Oktober 2000 ins Leben gerufen wurde. Dazu Sumper, Die Beziehungen zwischen der erweiterten Europäischen Union und der Russischen Föderation, S. 109 ff.
38
E. Energiebezogene Verträge zwischen der EU und Russland
Aspekt war auch ein Streitpunkt bei den bilateralen europäischrussischen Verhandlungen über den Beitritt Russlands zur WTO.144
II. Der Energiecharta-Vertrag von 1994 (ECT) Der multilaterale Vertrag über die Energiecharta (ECT)145 ist – auf eine Kurzformel gebracht – ein besonderes und völkerrechtlich verbindliches Investitionsschutz- und Handelsabkommen im Energiesektor.146 Unter (1) wird ein kurzer Überblick über die Entstehungsgeschichte des Vertrages gegeben. Anschließend werden die Bestimmungen des ECT kurz vorgestellt und deren Besonderheiten analysiert (2). Russland wendete den ECT seit seiner Unterzeichnung 1994 bis Oktober 2009 vorläufig an. Welche Bindungswirkung der Vertrag in diesem Zeitraum im europäisch-russischen Verhältnis entfaltete, wird in einem eigenen Abschnitt untersucht, wobei grundlegend auf die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge unter dem Vorbehalt der Vereinbarkeit ihrer Normen mit innerstaatlichem Recht einzugehen ist (F).
1. Historische Einordnung des ECT Auf der Sitzung des Europäischen Rates im Juni 1990 regte der niederländische Ministerpräsident Lubbers an, durch eine Kooperation im Energiesektor mit den Staaten Mittel- und Osteuropas sowie der damaligen Sowjetunion die Wirtschaftsentwicklung dieser Länder zu beschleunigen und zugleich die Energieversorgungssicherheit der Gemeinschaft zu verbessern. Diese Initiative mündete 1991 in der Unterzeichnung einer völkerrechtlich nicht bindenden Absichtserklärung, der Europäischen Energiecharta.147 Grundidee war, dass die ehemals kommunistischen und die westlichen Staaten sich gegenseitig im Energiesektor ergänzen könnten. Die westlichen Industriestaaten hatten mit Blick 144
Johnson, GaO 2005, Nr. 2, S. 259. Vgl. auch das Abkommen vom 21. Mai 2004 (IP/04/673). 145 146 147
ABl. L 380 vom 31.12.1994, S. 24. Scholten, RdE 2004, S. 85.
Zur Entstehungsgeschichte der Europäischen Energiecharta siehe Herx, ET 1991, S. 536 ff. und Lukes, EuWZ 1992, S. 401 ff.
Energiecharta-Vertrag von 1994
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auf die künftige Sicherheit ihrer eigenen Energieversorgung ein Interesse an der Verringerung ihrer Abhängigkeit von Energielieferungen aus dem Nahen Osten, an einer weltweiten Vergrößerung des Energieangebots, sei es durch Erschließung neuer Vorkommen, sei es durch Erhöhung von Energieeffizienz, sowie zugleich an der Verbesserung der globalen Umweltsituation, welche im Energiesektor z.B. durch die Nachrüstung von Kraftwerken erreicht werden kann. Die mittel- und osteuropäischen Unterzeichner der Energiecharta waren daran interessiert, ihre Energiewirtschaften in diesem Sinne weiterzuentwickeln, verfügten aber nicht über die dafür notwendigen finanziellen Mittel. Im Interesse aller Staaten lag es, einen günstigen Rahmen für die benötigten Investitionen zu schaffen. Auf der Energiecharta von 1991 aufbauend, wurde schließlich der völkerrechtlich bindende Vertrag über die Energiecharta ausgearbeitet.148 Er wurde am 17. Dezember 1994 zur Unterzeichnung aufgelegt und trat am 16. April 1998 in Kraft. Zugleich trat auch das Protokoll über Energieeffizienz und damit verbundene Umweltaspekte (PEEREA) in Kraft. Ziel des ECT ist die Förderung der Zusammenarbeit zwischen Ost und West sowie die Schaffung von Rechtssicherheit im Energiesektor, insbesondere für die Bereiche Investitionen, Transit und Handel. Insgesamt sollte so die internationale Energiesicherheit verbessert werden.149 Auf europäischer Seite sind sowohl die Gemeinschaften als auch die Mitgliedstaaten Vertragspartner. Die USA und Kanada haben den ECT, im Gegensatz zur Energiecharta von 1991, nicht unterzeichnet.150 Russland hat den ECT zwar unterzeichnet, jedoch verweigerte es über Jahre hinweg die Ratifikation des ratifikationsbedürftigen Vertrages.151
148
Zu den Verhandlungen über den ECT siehe Doré in: Wälde (Hrsg.), The Energy Charter Treaty, S. 137 ff. Zum Energiecharta-Vertrag im Überblick siehe: Böge, ET 1994, S. 762 ff.; Schütterle, atw 1998, S. 7 ff.; Kemper, ET 2003, S. 504 f. 149
Vgl. Konoplyanik/Wälde, JENRL 24 (2006), Nr. 4, S. 523.
150
Zu den Gründen für die Nichtunterzeichnung des ECT durch die USA siehe Fox in: Wälde (Hrsg.), The Energy Charter Treaty, S. 197 ff. 151
Zu den Gründen für die Nichtratifizierung durch Russland siehe: Konopljanik in: Konopljanik (Hrsg.), Dogovor k Ėnergetičeskoj CHartii: put’ k investicijam i torgovle dlja Vostoka i Zapada, S. 561 ff. und Konopljanik, Vedomosti 07.12.2007. Auch Australien, Belarus, Island und Norwegen haben den ECT bis heute nicht ratifiziert.
40
E. Energiebezogene Verträge zwischen der EU und Russland
Schließlich kündigte Russland im August 2009 an, nicht mehr Vertragspartei des ECT werden zu wollen.152
2. Bestimmungen des ECT und der Protokolle Der ECT enthält materielle (a)) und institutionelle (b)) Bestimmungen. Für deren Auslegung können die in der Wiener Vertragsrechtskonvention kodifizierten Regeln herangezogen werden.153
a) Materielle Bestimmungen des ECT aa) Investitionsschutz Der ECT bezweckt zuvorderst die Förderung und den Schutz ausländischer Direktinvestitionen im Energiebereich, vgl. Art. 10 Abs. 1 ECT.154 Diesem Themenkreis widmet sich Teil III des Vertrages, dessen Bestimmungen sich an Kapitel XI des NAFTA bzw. an klassische bilaterale Investitionsschutzabkommen (BITs) anlehnen. Die Regelungen in 152
Zu den Gründen und Konsequenzen im Überblick siehe Pritzkow, Russland-Analysen 188/09, S. 18 f. 153
Zwar sind nicht alle Unterzeichner des ECT auch Vertragspartei der WVK. Allerdings ist zum Ersten anerkannt, dass die Artikel 31 bis 33 WVK bereits bestehende Prinzipien des Völkergewohnheitsrechts umschreiben. Zum Zweiten haben die Vertreter der Mehrzahl der Verhandlungsparteien, darunter die Vertreter Russlands sowie die Vertreter der Europäischen Gemeinschaften und ihrer Mitgliedstaaten, vor Unterzeichnung erklärt, dass der Vertrag angewandt und interpretiert werden soll wie dies in Teil III des Wiener Übereinkommens über das Vertragsrecht vom 25. Mai 1969 dargelegt ist (siehe das Statement des Vorsitzenden der Energiecharta-Konferenz anlässlich der AnnahmeSitzung vom 17. Dezember 1994 in der im Vermerk des Sekretariats Nr. 42/94 CONF 115 wiedergegebenen Fassung). Zum Ganzen siehe auch Wolfgram, Investitionsschiedsgerichtsbarkeit nach dem Vertrag über die Energiecharta, S. 14 f. m.w.N. 154
Der Begriff „Investition“ ist in Art. 1 Nr. 6 ECT weit definiert. Schutz und Förderung betreffen u.a. die Aufsuchung, Gewinnung, Raffination, Lagerung, Beförderung und Vermarktung von Energieträgern oder Energieprodukten. Ausführlicher zum weiten Umfang des Begriffs Investition siehe Wälde in: Wälde (Hrsg.), The Energy Charter Treaty, S. 270 ff.; vgl. auch Punkt IV.2.b) der Schlussakte der Europäischen Energiechartakonferenz.
Energiecharta-Vertrag von 1994
41
Teil III des ECT sind zusammen mit Art. 26 ECT zu lesen, der Investoren die Möglichkeit zur Durchführung eines internationalen Schiedsverfahrens gegen Vertragsparteien eröffnet. Im Zentrum des Investitionsschutzes steht ein Diskriminierungsverbot, genauer die Gewährung von Inländerbehandlung oder Meistbegünstigung155 für die Investoren anderer Vertragsparteien – je nachdem was für den Investor günstiger ist.156 Dabei sind für die Zeit bis zur Tätigung einer Investition (pre-investment phase) die Verpflichtungen der Vertragsparteien weicher ausgestaltet, als für die Zeit nach Tätigung der Investition (post-investment phase).157 Hinsichtlich einmal getätigter Investitionen durch Investoren anderer Vertragsparteien sind gemäß Art. 13 ECT Verstaatlichungen bzw. Enteignungen (nationalization or expropriation) oder Maßnahmen gleicher Wirkung (measures having effect equivalent to nationalization or expropriation)158 grundsätzlich unzulässig;159 sind sie ausnahmsweise doch zulässig, so hat der Investor das Recht auf umgehende, wertentsprechende und tatsächlich verwertbare Entschädigung.160 Außerdem hat der Investor das Recht auf unverzüglichen Transfer von investiertem
155
Für ein Beispiel aus der Schiedsgerichtspraxis, bei dem sich ein Investor erfolgreich auf die Meistbegünstigungsklausel in einem Investitionsschutzvertrag berufen hat, siehe: International Centre for Settlement of Investment Disputes, 03.08.2004 – ICSID Case No. ARB/02/8, Siemens AG (Germany) v. The Argentine Republic, Decision on Jurisdiction. 156
Siehe z.B. Art. 12 Abs. 1 ECT für Verluste, welche auf Krieg, Unruhen oder ähnlichen Ereignissen beruhen. 157
Ausführlicher dazu siehe Konoplyanik/Wälde, JENRL 24 (2006), Nr. 4, S. 533 f. Zur pre-investment phase siehe Wälde in: Wälde (Hrsg.), The Energy Charter Treaty, S. 269 f. 158 Häufig wird in der englischen Sprachfassung von BITs bzw. multilateralen Investitionsschutzabkommen die (inhaltsgleiche) Terminologie „a measure tantamount to nationalization or expropriation“ verwendet; vgl. etwa Art. 1110 des NAFTA. 159 Zum Enteignungsbegriff im internationalen Investitionsschutzrecht allgemein siehe Krajewski/Ceyssens, AVR 45 (2007), S. 191 ff. 160
Zur Enteignung nach dem ECT siehe auch Norton in: Wälde (Hrsg.), The Energy Charter Treaty, S. 365 ff. sowie Sornarajah in: Wälde (Hrsg.), The Energy Charter Treaty, S. 386 ff.
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E. Energiebezogene Verträge zwischen der EU und Russland
Kapital und erwirtschafteten Erträgen in frei konvertierbarer Währung (Art. 14 ECT).161 Weitere Investitionsförderungs- und Investitionsschutzbestimmungen betreffen den Themenkreis „Personal in Schlüsselpositionen“ (Art. 11 ECT)162 sowie – in eingeschränktem Maße – die im Teil VI des ECT verorteten Bestimmungen zu Transparenz (Art. 20 ECT) und Besteuerung (Art. 21 ECT). Einmal getätigte Investitionen unterstehen auch dann noch dem Schutz des ECT, wenn der Zielstaat für die Investition oder der Herkunftsstaat des Investors vom Vertrag zurücktritt, und zwar für einen Zeitraum von 20 Jahren (Art. 47 Abs. 3 ECT). Generell ist Investoren anderer Vertragsparteien und deren Investitionen stets eine faire und gerechte Behandlung zu gewähren (Art. 10 Abs. 1 S. 2 ECT).163 Da sich das Investitionsschutzregime des ECT nur auf Investoren anderer Vertragsparteien erstreckt – nicht hingegen auf Investoren aus Drittstaaten oder aus dem Staat, in dem die Investition getätigt wurde – muss immer auf eine entsprechende Zuordnung des zu betrachtenden Investors geachtet werden. Ist der Investor eine natürliche Person, so erfolgt die Zuordnung gemäß Art. 1 Nr. 7 lit. a) (i) ECT entweder nach seiner Staatsangehörigkeit bzw. Staatsbürgerschaft oder nach seinem ständigen Aufenthalt.164 Für juristische Personen gilt – wie sich aus Art. 1 Nr. 7 lit. a) (ii) ECT ergibt – die Gründungstheorie; allerdings behält sich nach Art. 17 Nr. 1 ECT jede Vertragspartei das Recht vor, die Vorteile des Vertrages gegenüber einer juristischen Person zu verweigern, „wenn [...] Staatsangehörige eines dritten Staates Eigentümer dieser juristischen Person sind [...] und wenn diese juristische Person keine nennenswerte 161
Eine Ausnahme hiervon, etwa für den Fall von Finanzkrisen, sieht der ECT – im Gegensatz zu etlichen BITs – nicht vor. Siehe dazu Wälde, JWT 1995, Nr. 5, S. 56. 162
Dazu Wolfgram, Investitionsschiedsgerichtsbarkeit nach dem Vertrag über die Energiecharta, S. 97 ff. 163 Dies wird noch durch eine sogenannte Umbrella-clause präzisiert, welche den völkerrechtlichen Schutz des ECT auch auf vertragliche Verpflichtungen erstreckt, die der Gaststaat gegenüber dem Investor einer anderen Vertragspartei eingegangen ist (Art. 10 Abs. 1 S. 5 ECT). Generell zu Verträgen zwischen Staat und ausländischem Investor siehe Stoll, Vereinbarungen zwischen Staat und ausländischem Investor. 164
Der Investor kann frei zwischen beiden Zuordnungskriterien wählen; Doppelstaatlern steht es zudem frei, sich auf die eine oder die andere Staatsangehörigkeit zu berufen.
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Geschäftstätigkeit im Gebiet der Vertragspartei ausübt, in der sie gegründet wurde“. Einem Unternehmen, das in einer Vertragspartei (etwa Zypern) gegründet wurde, das einem Investor aus einem Drittstaat (etwa den USA) gehört und das im Gründungsstaat keine nennenswerte Geschäftstätigkeit ausübt (Briefkastenfirma), könnte also, wenn dieses Unternehmen Investitionen im Energiesektor einer anderen Vertragspartei (etwa der Ukraine) tätigt, der Schutz des Vertrages verweigert werden. Dies sollte – trotz des dahingehend missverständlichen Wortlautes – nach Sinn und Zweck des Vertrages (Förderung und völkerrechtlicher Schutz ausländischer Investitionen) – auch in Bezug auf Briefkastenfirmen gelten, welche im Energiesektor einer Vertragspartei investieren, wenn die besagte Briefkastenfirma im Eigentum von Personen steht, welche ausschließlich dem Zielstaat der Investition zuzuordnen sind.165
bb) Handel Der ECT bezweckt auch die Förderung des Handels im Energiebereich. Nach Art. 3 ECT wirken die Vertragsparteien darauf hin, im Energiesektor den Zugang zu den internationalen Märkten unter marktüblichen Bedingungen zu erleichtern und ganz allgemein einen offenen und wettbewerblichen Markt zu entwickeln. Die Bestimmungen des GATT und der dazugehörigen Rechtsinstrumente – bzw. des WTO-Übereinkommens166 – werden gemäß Art. 4 165
Zur Gegenauffassung vgl. International Centre for Settlement of Investment Disputes, 28.10.2005 – ICSID Case No. ARB/03/24, Plama Consortium Ltd. (Cyprus) v. Bulgaria, Decision on Jurisdiction, Rn. 78. In dieser Entscheidung wurde zudem die Auffassung vertreten, dass sich ein Zielstaat nur dann auf Art. 17 ECT berufen kann, wenn er sein danach bestehendes Recht ausgeübt hat, bevor die Investition, hinsichtlich derer ein Investitionsschutzverfahren begonnen wird, getätigt wurde (a.a.O., Rn. 161 f.). Zur Problematik, ob ein Investor sich erfolgreich auf ein Investitionsschutzabkommen berufen kann, wenn er von Investoren des Zielstaates der Investition beherrscht wird, vgl. auch International Centre for Settlement of Investment Disputes, 29.04.2004 – ICSID Case No. ARB/02/18, Tokios Tokelės v. Ukraine, Decision on Jurisdiction, sowie die dieser Entscheidung vom Präsidenten des dreiköpfigen Tribunals beigefügte abweichende Meinung. 166
Durch das Trade-Amendment von 1998 wurden die GATT-Bezüge durch WTO-Bezüge ersetzt. Zugleich wurden die Handelsbestimmungen des ECT, welche sich zunächst nur auf den Handel mit Primärenergieträgern und Energieerzeugnissen erstreckten, auf den Handel mit energiebezogener Ausrüstung
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E. Energiebezogene Verträge zwischen der EU und Russland
ECT nicht berührt. Im Gegenteil: Die GATT- bzw. WTO-Regeln werden nach Art. 29 ECT auf den energiebezogenen Handel zwischen den Unterzeichnern sogar dann angewendet, wenn einer von ihnen noch nicht Vertragspartei des GATT bzw. WTO-Mitglied ist.167 Dieser Regelung wurde große symbolische Bedeutung beigemessen, und sie stellte für viele ehemals kommunistische Staaten in Mittel- und Osteuropa einen Meilenstein auf dem Weg zur angestrebten WTO-Mitgliedschaft dar. Denn diese – in einer Übergangsphase stehenden – Staaten hatten so schon vor ihrer WTO-Mitgliedschaft Gelegenheit, sich mit den entsprechenden Regeln und Praktiken vertraut zu machen sowie Erfahrungen hinsichtlich der – bei Eintritt in die WTO gegebenenfalls nötigen – Umgestaltung ihrer internen Rechtsordnung zu sammeln. Solange noch nicht alle Unterzeichner des ECT WTO-Mitglieder sind, bleibt die Bedeutung des Art. 29 ECT weiter erhalten. In Bezug auf Einfuhr- und Ausfuhrzölle wurde für die Übergangszeit das Bemühen vereinbart, diese nicht über eine bestimmte Höhe hinaus zu erhöhen.168 Der Handel mit Kernmaterial zwischen den Europäischen Gemeinschaften und der Russischen Föderation wurde von den Bestimmungen des ECT ausgenommen.169 Darauf ist später noch einzugehen.
erweitert. Jedoch wurden bzw. werden die Änderungen der Handelsbestimmungen des ECT durch das Trade-Amendment nicht von allen Unterzeichnern vorläufig angewendet, siehe dazu Energy Charter Secretariat (Hrsg.), Status of Membership – Amendment to the Trade-Related Provisions of the Energy Charter Treaty, 08 May 2007. Auch Russland wendete das Trade-Amendment nicht vorläufig an. 167
Ausführlicher Frasl in: Wälde (Hrsg.), The Energy Charter Treaty, S. 465 ff. Für Unterzeichner, die das Trade-Amendment nicht vorläufig anwenden, gilt dabei eine statische Verweisung auf das GATT-Recht, wie es am 1. März 1994 angewendet wurde. 168
Der nicht zu überschreitende Einfuhrzollsatz ergibt sich für WTOMitglieder aus der in Art. II GATT 1994 genannten Liste. Der nicht zu überschreitende Einfuhrzollsatz ist für Nicht-WTO-Mitglieder identisch mit dem Satz, der zuletzt dem Sekretariat notifiziert wurde. Der nicht zu überschreitende Exportzoll ist gleichermaßen für WTO-Mitglieder und Nicht-WTOMitglieder identisch mit dem von ihnen jeweils zuletzt dem Sekretariat notifizierten Satz. 169
Vgl. Art. 29 Abs. 2 lit. a) ECT i.V.m. Anlage G Abs. 4 bzw. i.V.m. Anlage W Punkt A. Abs. 4.
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cc) Transit Energieträger und elektrische Energie müssen oft über weite Distanzen vom Produzenten bzw. Erzeuger zum Abnehmer transportiert bzw. geleitet werden. Von essentieller Bedeutung sind in diesem Kontext Fragen des energiebezogenen Transits, denen sich der ECT ebenfalls annimmt. Die Fassung des relevanten Art. 7 ECT lehnt sich an frühere völkerrechtliche Vereinbarungen an, namentlich an das Statut der Barcelona-Konvention von 1921170 und an Artikel V des GATT.171 Nach Art. 7 Abs. 1 ECT trifft jede Vertragspartei die erforderlichen Maßnahmen, um den Transit von Primärenergieträgern und Energieerzeugnissen zu erleichtern. Transit ist dabei – ebenso wie im Statut der Barcelona-Konvention und in Artikel V des GATT – als Durchgangstransit definiert.172 Während aber Art. V Abs. 2 GATT eindeutig die Freiheit des Transits betont, ist Art. 7 Abs. 1 ECT so formuliert, dass ein starker Akzent auf der Souveränität des Transitstaates liegt.173 Hinsichtlich des Ursprungs, der Bestimmung oder des Eigentums dürfen Primärenergieträger und Energieerzeugnisse im Transit nicht diskriminiert werden. Sie müssen vielmehr mindestens wie für den Import oder Export bestimmte Primärenergieträger bzw. Energieerzeugnisse behandelt werden (Art. 7 Abs. 3 ECT). Der Neuschaffung gewisser – für den Energietransit benötigter – Infrastruktur (Energiebeförderungseinrichtungen)174 legen die Vertragspartner keine Hindernisse in den Weg, wenn dies ohne Gefährdung der Sicherheit oder Effizienz der nationalen Energienetze möglich ist (Art. 7 Abs. 4 und 5 ECT). Dies geht über die Regelungen im Statut der Barcelona-Konvention hinaus.
170
Convention and Statute on Freedom of Transit, LNTS, Volume 7, N° 171,
p. 11. 171
Ausführlicher Roggenkamp in: Wälde (Hrsg.), The Energy Charter Treaty, S. 499 ff. 172 Siehe Art. 7 Abs. 10 lit. a) ECT. Durchgangstransit kann in bestimmten Fällen auch bei Beteiligung von nur zwei Vertragsstaaten möglich sein, vgl. Art. 7 Abs. 10 lit. a) (i) ECT. 173 174
Vgl. Roggenkamp in: Wälde (Hrsg.), The Energy Charter Treaty, S. 509. Zum Begriff siehe Art. 7 Abs. 10 lit. b) ECT.
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E. Energiebezogene Verträge zwischen der EU und Russland
Bei Streitigkeiten175 darf bestehender Transit vom Transitstaat für insgesamt bis zu 16 Monate nicht verringert oder unterbrochen werden; in dieser Zeit ist ein Schlichtungsverfahren durchzuführen (Art. 7 Abs. 6 und 7 ECT). Ein Transitstaat darf auch keiner unter seiner Gerichtsbarkeit stehenden Stelle gestatten oder diese dazu auffordern, einen bestehenden Fluss von Energieträgern oder Energieerzeugnissen zu unterbrechen, bevor das genannte Streitschlichtungsverfahren durchgeführt worden ist. Diese Regelungen sind von besonderer Bedeutung für die Sicherstellung der Energieversorgungssicherheit, insbesondere was elektrische Energie oder den nur aufwändig speicherbaren Energieträger Erdgas betrifft. Unklar ist, ob die Bestimmungen des ECT einem Staat auferlegen, die auf seinem Territorium befindliche Transportinfrastruktur (insbesondere das Pipelinesystem) für Transitzwecke zu öffnen. Dahingehende Befürchtungen sind einer der Gründe, weshalb der ECT von Russland nicht ratifiziert wurde.176 Über ein zwischen 2000 und 2003 erarbeitetes Transitprotokoll, welches die Bestimmungen des ECT zu Transitfragen noch ergänzen und stärken sollte, konnte letztlich keine Einstimmigkeit erzielt werden.177 Dies liegt im Wesentlichen darin begründet, dass sich die EU und Russland in Bezug auf mehrere Streitpunkte nicht einigen konnten. Diese Streitpunkte betreffen die Widerspiegelung der Unterhaltungskosten in den Transittarifen, das potentielle zeitliche Auseinanderklaffen zwischen langfristigen Versorgungsverträgen und den zu deren Erfüllung notwendigen Transitverträgen sowie die von der EU gewünschte Klausel zu Organisationen regionaler Wirtschaftsintegration.178
dd) Wettbewerb Nach Art. 6 Abs. 1 ECT wirkt jede Vertragspartei darauf hin, Marktverzerrungen und Wettbewerbsbeschränkungen bei einer Wirtschaftstätigkeit im Energiebereich zu beseitigen. Nach Art. 6 Abs. 2 ECT, der 175
Gemeint sind insbesondere Streitigkeiten über die Höhe des Transitent-
gelts. 176
Siehe dazu unten (G.III.2.e)bb) und G.III.2.b)bb)).
177
Der Entwurf (Draft) zum ECT-Transitprotokoll (ECT-TP) wurde 2003 der Energiecharta-Konferenz vorgelegt und ist auf der Internetseite des Energiecharta-Sekretariats veröffentlicht. 178
Siehe dazu unten (G.III.2.e)).
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den Grundsatz des Absatzes 1 präzisiert, sorgt jede Vertragspartei dafür, dass innerhalb ihrer Zuständigkeit Gesetze vorhanden sind und durchgesetzt werden, die erforderlich und geeignet sind, um gegen einseitiges und abgestimmtes wettbewerbswidriges Verhalten bei einer Wirtschaftstätigkeit im Energiebereich vorzugehen. Der ECT gibt auch einen Ansatzpunkt für Hilfe bei der Entwicklung und Umsetzung von Wettbewerbsregeln sowie für Informationsaustausch mit Blick auf die Durchsetzung dieser Regeln. Im Energiesektor können nationale Wettbewerbsregelungen insbesondere von Bedeutung sein, wenn es um die Kontrolle des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Position geht. Auch der Schutz von Verbrauchern vor exzessiven Energiepreisen kann in einem liberalisierten Energiemarkt durch Wettbewerbsregeln gewährleistet werden. Artikel 6 ECT betrifft allein die Beziehungen zwischen den Vertragsstaaten. Ein ausländischer Investor kann sich nicht direkt auf diese Norm berufen. Er kann nur dann von ihr profitieren, wenn eine Regierung für sein Anliegen eintritt.179 Dafür stehen dieser Regierung jedoch gemäß Art. 6 Abs. 7 ECT nur das Notifikationsverfahren nach Art. 6 Abs. 5 ECT sowie der diplomatische Weg nach Art. 27 Abs. 1 ECT offen, nicht hingegen das Verfahren nach Art. 27 Abs. 2 ECT.
ee) Umwelt Tätigkeiten im Energiesektor können teils erhebliche negative Auswirkungen auf Mensch und Umwelt haben. Beispielhaft seien hier das Unglück von Tschernobyl sowie durch den Ausstoß von Treibhausgasen verursachte Klimaänderungen genannt. Wenn es um die Vermeidung von Schädigungen der Umwelt geht, bietet sich häufig eine internationale Konzertierung an, weil bei einseitig staatlich veranlassten Umweltschutzmaßnahmen immer die Befürchtung besteht, dass diese wirtschaftlich betrachtet einen Wettbewerbsnachteil für den betreffenden Staat und seine Unternehmen zur Folge haben. Das gilt insbesondere im Energiesektor. Es verwundert deshalb nicht, dass Umweltschutz auch im ECT Erwähnung fand.180 Dabei waren zwei sich potentiell gegenüberstehende Interessen zu berücksichtigen und auszugleichen, nämlich zum einen das Interesse an einer sicheren und möglichst kos179 180
Vgl. Wälde in: Wälde (Hrsg.), The Energy Charter Treaty, S. 311.
Zum Umweltschutz im ECT insgesamt siehe Shine in: Wälde (Hrsg.), The Energy Charter Treaty, S. 520 ff.
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E. Energiebezogene Verträge zwischen der EU und Russland
tengünstigen Energieversorgung und zum anderen das Interesse an der Bewahrung der Umwelt im weitesten Sinne. In Art. 19 Abs. 1 S. 1 und 3 ECT vereinbarten die Vertragsparteien das Bemühen, Umweltschädigungen, die im Zusammenhang mit dem Energiekreislauf stehen, nach Möglichkeit zu vermeiden bzw. auf ein Mindestmaß zu beschränken. In Art. 19 Abs. 1 S. 4 HS. 1 ECT kamen die Vertragsparteien überein, dass grundsätzlich der Verursacher einer Umweltverschmutzung deren Kosten zu tragen hat, einschließlich der Fälle grenzüberschreitender Verschmutzungen.181 Schließlich enthält Art. 19 Abs. 1 S. 5 ECT eine Reihe von Good-practice-Indikatoren.182 Es fällt insgesamt auf, dass Art. 19 ECT zumeist nur weiche Verpflichtungen, etwa durch die Formel „ist bestrebt“, enthält. Sollten Streitigkeiten hinsichtlich der Auslegung und Anwendung des Art. 19 ECT aufkommen, so werden diese, und zwar nur sofern es kein anderes geeignetes internationales Forum gibt, gemäß Art. 19 Abs. 2 ECT auf Ersuchen einer oder mehrerer Vertragsparteien von der Chartakonferenz überprüft; das Verfahren nach Art. 27 Abs. 2 ECT findet hingegen keine Anwendung. Artikel 19 ECT wird durch das Protokoll über Energieeffizienz183 und damit verbundene Umweltaspekte (PEEREA) ergänzt. Dieses Protokoll widmet sich in seinen Artikeln 4 bis 6 unter anderem der Koordinierung von Energieeffizienzpolitiken, der Erarbeitung von Strategien und politischen Zielen zur Verbesserung der Energieeffizienz sowie dem Themenkreis „finanzielle Anreize“ mit Blick auf Energieeffizienz und Umweltschutz. Nach Art. 7 PEEREA fördern die Vertragsparteien Handel und Zusammenarbeit im Bereich energieeffizienter und umweltfreundlicher Technologien und Dienstleistungen. Nach Art. 8 PEEREA entwickeln die Vertragsparteien nationale Energieeffizienzprogramme, setzen diese um und aktualisieren sie. Das Protokoll ist insgesamt auf eine möglichst umfassende zukunftsgerichtete Zusammenarbeit ausgerichtet (vgl. Art. 9 PEEREA).
181
Dieses Prinzip wird allerdings dadurch in seiner Tragweite eingeschränkt, dass nach Art. 19 Abs. 1 S. 4 HS. 2 ECT dabei das öffentliche Interesse gebührend berücksichtigt wird und Investitionen in den Energiekreislauf oder der internationale Handel nicht verzerrt werden dürfen. Zu einer Kritik daran siehe Shine in: Wälde (Hrsg.), The Energy Charter Treaty, S. 528. 182
Ausführlicher siehe Shine in: Wälde (Hrsg.), The Energy Charter Treaty, S. 526 ff. 183
Zum Begriff siehe Art. 19 Abs. 3 lit. c) ECT sowie Art. 2 Nr. 6 PEEREA.
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Zwar ist das Protokoll über Energieeffizienz und damit verbundene Umweltaspekte völkerrechtlich bindend, jedoch sind die darin enthaltenen Verpflichtungen so weich ausgestaltet, dass das Protokoll insgesamt eher als politische Absichtserklärung erscheint.184 Gleichwohl bietet das Protokoll ein sehr effektives Instrumentarium, denn zum einen dient es als Grundlage für regelmäßige Assessments der Unterzeichner;185 zum anderen bietet es den Anknüpfungspunkt und Rahmen für internationale Begegnungen mit den Zielen Erfahrungsaustausch und Koordination der nationalen Energieeffizienzpolitiken.186
ff) Streitbeilegung Der ECT enthält verschiedene Regelungen hinsichtlich der Beilegung eventuell auftretender Streitigkeiten (Teil V des ECT). Diese können zum einen Streitigkeiten zwischen einem vom ECT geschützten Investor und einer Vertragspartei ((1)) und zum anderen Streitigkeiten zwischen zwei Vertragsparteien ((2)) betreffen.
(1) Streitbeilegung im Verhältnis Investor-Vertragspartei Eine vielbeachtete und vielthematisierte Besonderheit des ECT liegt in seinen Regelungen hinsichtlich der Streitbeilegung im Verhältnis Investor-Staat187.188 Der dahingehende Art. 26 ECT stützt sich auf entspre184
Vgl. Doré in: Wälde (Hrsg.), The Energy Charter Treaty, S. 141.
185
So wurden bisher Assessments für Dänemark, die Tschechische Republik, die Republik Moldau, Kroatien, Georgien, Schweden, Litauen und Mazedonien durchgeführt. Für Schweden siehe: Energy Charter Secretariat (Hrsg.), Indepth Review of Energy Efficiency Policies and Programmes - Sweden 2006; für Litauen siehe: Energy Charter Secretariat (Hrsg.), In-depth Review of Energy Efficiency Policies and Programmes - Latvia 2007; für Mazedonien siehe: Energy Charter Secretariat (Hrsg.), In-depth Review of Energy Efficiency Policies and Programmes - Former Yugoslav Republic of Macedonia 2007. Vgl. auch Energy Charter Secretariat (Hrsg.), Russian Federation Regular Review of Energy Efficiency Policies 2007. 186 Siehe z.B. die Konferenz „International Cooperation on Energy Efficiency: Working together for a Low-carbon Economy“, die am 28. Mai 2008 in Genf stattfand. 187
Genau genommen müsste es statt „Verhältnis Investor-Staat“ „Verhältnis Investor-Vertragspartei“ heißen. Denn das Verfahren kann auch gegen die Europäischen Gemeinschaften genutzt werden. Da bisher jedoch kein Verfahren
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E. Energiebezogene Verträge zwischen der EU und Russland
chende Klauseln in einer Vielzahl bilateraler Investitionsschutzverträge (BITs). Die Vertragsparteien erklären zugunsten der Investoren anderer Vertragsparteien ihre uneingeschränkte Zustimmung, eine Streitigkeit hinsichtlich einer Investition im Energiesektor internationaler Schiedsgerichtsbarkeit zu unterwerfen (Art. 26 Abs. 3 ff. ECT). Ein Investor im Energiebereich ist also, wenn ein Vertragsstaat eine Verpflichtung aus Teil III ECT verletzt hat, nicht auf dessen Zivil- oder Verwaltungsgerichte oder auf die Geltendmachung völkerrechtlicher Normen durch die Regierung seines Heimatstaates angewiesen,189 sondern kann auf Institutionen wie das Internationale Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (ICSID) und die Stockholmer Handelskammer (SCC) zurückgreifen oder ein Schiedsverfahren nach UNCITRAL-Regeln einleiten, um selbst Völkerrecht durchzusetzen. Diese Möglichkeit ist für Investoren von großer wirtschaftlicher Bedeutung, da so politische Risiken vermindert werden, deren Absicherung die Investition verteuern würde.190 Das Streitbeilegungsverfahren Investor-Staat nach Art. 26 ECT kann allerdings nur für Streitigkeiten mit Bezug auf die Verpflichtungen in Teil III des ECT – also hinsichtlich getätigter Investitionen im Energiesektor – durchgeführt werden. Streitigkeiten, welche die Zeit vor der Tätigung einer Investition betreffen (pre-investment phase) fallen nicht darunter.191 Ebenso fallen Streitigkeiten hinsichtlich der Artikel 6 und 7 ECT (Wettbewerb und Transit) nicht unter das Streitbeilegungsverfah-
gegen die Europäischen Gemeinschaften eingeleitet wurde, soll im Folgenden die Terminologie „Investor-Staat“ gleichwertig neben der Terminologie „Investor-Vertragspartei“ verwendet werden. 188
Siehe z.B.: Vandevelde in: Wälde (Hrsg.), The Energy Charter Treaty; Happ, Schiedsverfahren zwischen Staaten und Investoren nach Artikel 26 Energiechartavertrag; Wolfgram, Investitionsschiedsgerichtsbarkeit nach dem Vertrag über die Energiecharta. 189
Zum diplomatischen Schutz und dazu, dass dieser den heutigen wirtschaftlichen Anforderungen nicht mehr entspricht, siehe Wolfgram, Investitionsschiedsgerichtsbarkeit nach dem Vertrag über die Energiecharta, S. 9 ff. sowie Happ, Schiedsverfahren zwischen Staaten und Investoren nach Artikel 26 Energiechartavertrag, S. 199. 190
Vgl. Konoplyanik/Wälde, JENRL 24 (2006), Nr. 4, S. 531 und Muchlinski in: Wälde (Hrsg.), The Energy Charter Treaty, S. 220. 191
Wälde in: Wälde (Hrsg.), The Energy Charter Treaty, S. 305.
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ren Investor-Staat.192 Investoren können in diesen Fällen nur die Regierung ihres Sitzstaates bitten, für ihre Sache einzutreten.
(2) Streitbeilegung im Verhältnis zwischen zwei Vertragsparteien Der ECT enthält auch Regelungen, welche die Beilegung von Streitigkeiten im Verhältnis zwischen zwei Vertragsparteien betreffen. Deren Gegenstand können Investitionsstreitigkeiten – aber auch andere Streitigkeiten – sein. Zunächst bemühen sich die Vertragsparteien, alle Streitigkeiten über die Anwendung oder Auslegung des ECT auf diplomatischem Weg beizulegen (Art. 27 Abs. 1 ECT). Grundsätzlich kann jede Vertragspartei, sollte die Streitigkeit nicht innerhalb einer angemessenen Frist beigelegt sein, die Angelegenheit einem Ad-hoc-Schiedsgericht vorlegen (Art. 27 Abs. 2 ECT).193 Von dieser Regelung sind jedoch nach Art. 27 Abs. 2 ECT Streitigkeiten ausgenommen, welche die Auslegung oder Anwendung des Art. 6 ECT (Wettbewerb) oder des Art. 19 ECT (Umweltaspekte) betreffen.194 Auch Streitigkeiten über Anwendung und Auslegung der handelsbezogenen Artikel (Art. 5 ECT und Art. 29 ECT) werden gemäß Art. 28 ECT grundsätzlich nicht nach Art. 27 ECT beigelegt.195 Hinsichtlich einer transitbezogenen Streitigkeit greift das in Art. 7 Abs. 6 und 7 ECT spezifizierte Verfahren.196
192
Dazu Wälde in: Wälde (Hrsg.), The Energy Charter Treaty, S. 311.
193
Die Bildung des Ad-hoc-Schiedsgerichts und das Verfahren wird in Art. 27 Abs. 3 ECT spezifiziert. 194
Zur Beilegung wettbewerbsbezogener Streitigkeiten bleiben nur das Notifikationsverfahren mit ggf. anschließender Konsultation nach Art. 6 Abs. 5 ECT sowie der diplomatische Weg nach Art. 27 Abs. 1 ECT (siehe E.II.2.a)dd)). Bei umweltbezogenen Streitigkeiten besteht darüber hinaus noch die Möglichkeit einer Überprüfung der Angelegenheit durch die Chartakonferenz (siehe E.II.2.a)ee)). 195
Handelsbezogene Streitigkeiten zwischen zwei WTO-Mitgliedern sind nach den entsprechenden WTO-Verfahren beizulegen. Ist eine der beiden Streitparteien nicht Mitglied der WTO, so ist nach Art. 29 Abs. 7 ECT (bzw. nach Art. 29 Abs. 9 ECT in dessen durch das Trade-Amendment geänderten Fassung) i.V.m. Annex D grundsätzlich einem Streitbeilegungsverfahren nach dem WTO-Modell zu folgen. 196
Siehe oben (E.II.2.a)cc)).
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E. Energiebezogene Verträge zwischen der EU und Russland
b) Institutionelle Bestimmungen des ECT Der ECT enthält auch institutionelle Bestimmungen. Oberstes Entscheidungsorgan des Energiecharta-Vertrages ist die Chartakonferenz (Art. 34 ECT), zu der jede Vertragspartei einen Vertreter entsenden kann. Die Chartakonferenz wird von einem Sekretariat (Art. 35 ECT) unterstützt, das 1996 seine Arbeit aufgenommen hat und in Brüssel ansässig ist.197
III. Sonstige Vereinbarungen Neben dem PCA und dem ECT gibt es im europäisch-russischen Verhältnis noch weitere im Energiebereich relevante Verträge und Vereinbarungen. Am 3. Oktober 2001 schlossen die EAG und die Regierung der Russischen Föderation ein Abkommen über Zusammenarbeit auf dem Gebiet der nuklearen Sicherheit.198 Zugleich wurde zwischen beiden Vertragspartnern ein Abkommen über die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der kontrollierten Kernfusion geschlossen.199 Der Abschluss beider Abkommen war in Art. 66 PCA vorgesehen. Sie konkretisieren den Kooperationsrahmen auf zahlreichen Gebieten. Hinsichtlich des Abkommens zur nuklearen Sicherheit geht es insbesondere um die Forschung im Bereich Reaktorsicherheit, den Strahlenschutz, die Entsorgung radioaktiver Abfälle und die Stilllegung kerntechnischer Anlagen. Hinsichtlich des Abkommens zur kontrollierten Kernfusion geht es insbesondere um die Forschungsbereiche Plasmaverhalten in Tokamaks, alternative Entwicklungslinien neben Tokamaks, magnetische Fusionstechnologie, Plasmatheorie und angewandte Plasmaphysik sowie Entwicklung von Programmstrategien. Die EAG und Russland sind auch Gründungsmitglieder der Internationalen ITER-Fusionsenergieorganisation.200
197 198 199 200
Ausführlicher Konoplyanik/Wälde, JENRL 24 (2006), Nr. 4, 548 f. ABl. L 287 vom 31.10.2001, S. 24. ABl. L 287 vom 31.10.2001, S. 30.
Der Gründungsakt der Internationalen ITER-Fusionsenergieorganisation findet sich im ABl. L 358 vom 16.12.2006, S. 62.
Sonstige Vereinbarungen
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Das Kyoto-Protokoll,201 welches völkerrechtlich verbindlich Höchstwerte für den Ausstoß von Treibhausgasen festsetzt, wurde ebenfalls sowohl von der EG und den EU-Mitgliedstaaten als auch von Russland ratifiziert. Bedeutung im europäisch-russischen Verhältnis hat auch ein Abkommen, welches im Rahmen der Verhandlungen zum WTOBeitritt Russlands am 21. Mai 2004 geschlossen wurde, und das u.a. die Anhebung des inländischen Erdgaspreises für gewerbliche Verwender betrifft.202 Der durch das PCA geschaffene Rahmen für die Partnerschaft EURussland wurde recht früh von beiden Seiten als nicht ausreichend befunden und informell ergänzt. So wurde auf dem sechsten EURussland-Gipfel (Paris) im Oktober 2000 die Einrichtung eines Energie-Dialoges vereinbart. Dieser bietet ein Forum für die Diskussion problematischer Punkte, wobei sich drei Arbeitsgruppen verschiedenen Aspekten der Energie-Beziehungen zwischen der EU und Russland widmen. Jährliche Berichte geben einen Überblick über die behandelten Punkte und die erreichten Fortschritte. Allerdings kann der Dialog bisher kaum konkrete Erfolge vorweisen.203 Auch die – völkerrechtlich nicht bindende – Definierung von „vier gemeinsamen Räumen“204 auf dem Petersburger Gipfel im Mai 2003 ist dem Umstand geschuldet, dass die EU und Russland das PCA für die Gestaltung ihrer Beziehungen nicht mehr als zufriedenstellend empfanden.
201
BGBl. 2002 II, S. 966.
202
Das Abkommen wurde nicht veröffentlicht, jedoch gibt die Pressemitteilung IP/04/673 seinen wesentlichen Inhalt wieder. 203 204
Goldthau/Geden, IPG 2007, Nr. 4, S. 69.
1. Wirtschaft, 2. Freiheit, Sicherheit, Justiz, 3. Äußere Sicherheit, 4. Wissenschaft, Erziehung, Kultur.
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F. Wirkungsgrad des ECT während bzw. aufgrund seiner vorläufigen Anwendung durch Russland von 1994 bis 2009 Der ECT enthält eine bemerkenswerte Klausel hinsichtlich seiner vorläufigen Anwendung (I). Diese warf, solange Russland den Vertrag von 1994 bis 2009 vorläufig anwendete, ganz grundlegende völkerrechtliche Fragen auf (II). Diesen Fragen nachzugehen, ist auch nach Beendigung der vorläufigen Anwendung des ECT durch Russland noch von Interesse, nämlich aus rechtshistorischer Perspektive und wegen der ihnen zugrundeliegenden allgemeinen völkerrechtlichen Problematik; darüber hinaus entfaltet der ECT auch nach Beendigung seiner vorläufigen Anwendung noch für 20 Jahre völkerrechtliche Schutzwirkung zugunsten von Investitionen, die während der vorläufigen Anwendung des Vertrages getätigt worden sind (III).
I. Die vorläufige Anwendung des ECT allgemein 1. Generelle Anmerkungen zur vorläufigen Anwendung völkerrechtlicher Verträge Ein völkerrechtlicher Vertrag tritt grundsätzlich zu dem Zeitpunkt in Kraft, der von den Verhandlungsstaaten vereinbart wurde (vgl. Art. 24 Abs. 1 WKV). In Ermangelung einer solchen Vereinbarung tritt ein Vertrag in Kraft, sobald die Zustimmung aller Verhandlungsstaaten vorliegt, durch ihn gebunden zu sein (vgl. Art. 24 Abs. 2 WVK). Diese Zustimmung kann auf vielerlei Weise erfolgen (vgl. Art. 11 WVK). Häufig sehen bilaterale völkerrechtliche Verträge den Austausch der Ratifikationsurkunden vor, bevor der Vertrag in Kraft treten kann; bei multilateralen Verträgen wird deren objektives Inkrafttreten oft von der Hinterlegung einer gewissen Anzahl von Ratifikationsurkunden abhängig ge-
S. Pritzkow, Das völkerrechtliche Verhältnis zwischen der EU und Russland im Energiesektor, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 227, DOI 10.1007/978-3-642-21168-3_6, © by Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V., to be exercised by Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Published by Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011. All Rights Reserved.
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F. Wirkungsgrad des ECT von 1994 bis 2009
macht.205 Die völkerrechtliche Praxis kennt gleichwohl auch zahlreiche Fälle, in denen ein völkerrechtlicher Vertrag mit dem Zeitpunkt seiner Unterzeichnung in Kraft tritt (sogenanntes vereinfachtes Vertragsschließungsverfahren).206 Oft muss nach den verfassungsrechtlichen Normen zumindest eines Vertragspartners ein völkerrechtlicher Vertrag durch das Parlament ratifiziert werden. In diesem Fall wird zumeist das Inkrafttreten des Vertrages für den betreffenden Vertragspartner von der innerstaatlich notwendigen Ratifikation abhängig gemacht. Zugleich besteht jedoch häufig die Notwendigkeit, die getroffenen Vereinbarungen – zumindest zum Teil – sofort umzusetzen und nicht erst die – zeitlich zumeist viel später stattfindende – Ratifikation abzuwarten. Aus diesem Grund hat sich in der völkerrechtlichen Praxis das Konzept der vorläufigen Inkraftsetzung207 bzw. der vorläufigen Anwendung208 entwickelt.209 Diese Praxis fand schließlich auch Eingang in den Text der Wiener Vertragsrechtskonvention, wobei lange darüber diskutiert worden war, welche
205
Die völkerrechtliche Bindung eines Staates an einen multilateralen Vertrag (subjektives Inkrafttreten) kann nach dem Zeitpunkt des objektiven Inkrafttretens dieses Vertrages liegen, etwa wenn der betreffende Staat seine Zustimmung zu dem Vertrag erst nach dessen (objektiven) Inkrafttreten erteilt (vgl. Art. 24 Abs. 3 WVK). 206
Dies sah beispielsweise der zwischen Libyen und dem Tschad geschlossene Accord d’Alger vom 31.08.1989 (UNTS, Reg.-Nr. 26801, Volume 1545, S. 101) ausdrücklich vor. Ausführlicher zur Völkerrechtspraxis hinsichtlich des sogenannten einfachen bzw. vereinfachten Vertragsschließungsverfahrens (accord en forme simplifiée) siehe Krenzler, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge, S. 10 ff. m.w.N. Siehe auch die Kodifizierung dieser Praxis in Art. 12 WVK. 207 Englisch: Provisional entry into force. Französisch: Entré en vigueur provisoire. 208 209
Englisch: Provisional application. Französisch: Application provisoire.
Dazu Krenzler, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge, S. 16 ff. Zu den Vorteilen der Möglichkeit, die vorläufige Anwendung eines Vertrages vereinbaren zu können, siehe: Montag, Völkerrechtliche Verträge mit vorläufigen Wirkungen, S. 30; Lefeber in: Klabbers/Lefeber (Hrsg.), Essays on the law of treaties, S. 82 f.; Mathy in: Corten/Klein (Hrsg.), Les conventions de Vienne sur le droit des traités, S. 1051.
Vorläufige Anwendung des ECT allgemein
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Terminologie – „vorläufige Inkraftsetzung“ oder „vorläufige Anwendung“ – verwendet werden solle.210 Die Rechtsnatur der Vereinbarung der vorläufigen Anwendung im Völkerrecht und die damit zusammenhängende Frage nach der Bindungswirkung eines vorläufig angewendeten Vertrages ist bisher nicht endgültig geklärt.211 In einem ersten Schritt überzeugt es, die Vereinbarung der vollständigen oder teilweisen vorläufigen Anwendung eines völkerrechtlichen Vertrages (Basisvertrag) – zum besseren Verständnis derselben – als eigenständige völkerrechtliche Vereinbarung zu verstehen,212 und zwar unabhängig davon, ob diese Vereinbarung getrennt vom Basisvertrag festgehalten wird oder in dessen Vertragstext integriert ist, und unabhängig davon, ob diese Vereinbarung gleichzeitig mit dem betreffenden Basisvertrag oder zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt. In einem zweiten Schritt ist es überzeugend, davon auszugehen, dass die Vereinbarung der vorläufigen Anwendung des Basisvertrages im vereinfachten Vertragsschließungsverfahren abgeschlossen wird213 und zumeist sofort – zum Teil aber auch erst zu einem späteren Zeitpunkt214 oder zeitlich abgestuft215 – völkerrechtliche Bindungswirkung entfal210
Vignes, AFDI 1972, S. 186. Letztlich setzte sich der Terminus „vorläufige Anwendung“ durch, vgl. Art. 25 WVK, wobei streitig ist, ob dies Auswirkungen auf die völkerrechtliche Verbindlichkeit einer dahingehenden Vereinbarung hat. 211
Vgl. Montag, Völkerrechtliche Verträge mit vorläufigen Wirkungen, S. 33
ff. 212
Montag, Völkerrechtliche Verträge mit vorläufigen Wirkungen, S. 61; Picone, L’applicazione in via provvisoria degli accordi internazionali, S. 106; Mathy in: Corten/Klein (Hrsg.), Les conventions de Vienne sur le droit des traités, S. 1063; Geslin, La mise en application provisoire des traités, S. 185 ff. 213
Montag, Völkerrechtliche Verträge mit vorläufigen Wirkungen, S. 48 ff.; Picone, L’applicazione in via provvisoria degli accordi internazionali, S. 106. A.A. Geslin, La mise en application provisoire des traités, S. 287. 214
Siehe dazu z.B. Art. 7 Abs. 1 des Übereinkommens zur Durchführung des Teils XI des Seerechts-Übereinkommens der Vereinten Nationen, BGBl. 1994 II, S. 2566. 215
Siehe dazu z.B. Art. 16 des letztlich nicht ratifizierten Vertrages vom 18.10.2001 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Bundesrepublik Deutschland über die Durchführung der Flugverkehrskontrolle durch die Schweizerische Eidgenossenschaft über deutschem Hoheitsgebiet und über Auswirkungen des Betriebes des Flughafens Zürich auf das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland (Bundesblatt (Schweiz) Nr. 17 vom 30.04.2002, S. 3406).
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tet.216 Mit anderen Worten: Auch wenn der Basisvertrag noch nicht in Kraft getreten ist, so gibt es eine Einigung über dessen vorläufige Anwendung, welche ihrerseits in Kraft und – soweit sie reicht – für die Vertragsparteien obligatorisch ist. Dies bedeutet zugleich, dass grundsätzlich während der vorläufigen Anwendung eines Vertrages zwei völkerrechtliche Grundprinzipien gelten, namentlich das in Art. 26 WVK kodifizierte Fundament des Völkervertragsrechts pacta sunt servanda sowie der in Art. 27 WVK kodifizierte Grundsatz, nach dem sich eine Vertragspartei nicht auf ihr innerstaatliches Recht berufen kann, um die Nichterfüllung eines Vertrages zu rechtfertigen. Hält sich ein Staat nicht an die getroffene Vereinbarung zur vorläufigen Anwendung, ohne aber die vorläufige Anwendung zuvor beendet zu haben,217 so liegt darin ein Völkerrechtsverstoß, der die internationale Verantwortlichkeit dieses Staates begründet. Zwar begegnet die Einigung hinsichtlich der vorläufigen Anwendung eines internationalen Vertrages Bedenken verfassungsrechtlicher Art, welche bei der Ausarbeitung des Art. 25 WVK auch artikuliert wurden.218 Letztlich überwogen jedoch die Vorteile der schon vor Erarbei216
Mathy in: Corten/Klein (Hrsg.), Les conventions de Vienne sur le droit des traités, S. 1057 und 1066 ff.; Ipsen, Völkerrecht, S. 137; Lefeber in: Klabbers/Lefeber (Hrsg.), Essays on the law of treaties, S. 90 f.; Lukashuk, AJIL 83 (1989), Nr. 3, S. 516; Montag, Völkerrechtliche Verträge mit vorläufigen Wirkungen, S. 61 f.; Andrés Sáenz de Santa María, REDI 34 (1982), S. 73; Krenzler, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge, S. 58 f.; vgl. auch Villiger, Commentary on the 1969 Vienna Convention on the Law of Treaties, S. 354 sowie Blix, Treaty-Making Power, S. 298. A.A. Picone, L’applicazione in via provvisoria degli accordi internazionali, S. 113 ff. und S. 184, welcher von einer „natura non vincolante di tali acordi“ ausgeht. Ähnlich auch Geslin, La mise en application provisoire des traités, S. 287 ff., die der Einigung hinsichtlich der vorläufigen Anwendung nur den Charakter eines „acte juridique non contraignant“ zuspricht. 217
Die Beendigung der vorläufigen Anwendung ist grundsätzlich problemlos möglich (vgl. Art. 25 Abs. 2 WVK). 218
Vgl. Mathy in: Corten/Klein (Hrsg.), Les conventions de Vienne sur le droit des traités, S. 1050 und S. 1053 f. m.w.N. Die Bedenken beruhen darauf, dass Regierungen bzw. die Personen, welche einen völkerrechtlichen Vertrag aushandeln, zumeist nach innerstaatlichem Recht nicht dazu befugt sind, den betreffenden Staat völkerrechtlich zu binden. Diese Beschränkung würde durch die Vereinbarung der vorläufigen Anwendung aber umgangen. Nur wenige Verfassungen sehen die Möglichkeit zur vorläufigen Anwendung eines Vertrages überhaupt explizit vor, vgl. aber auch Art. 310 Abs. 2 S. 1 EGV.
Vorläufige Anwendung des ECT allgemein
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tung der Wiener Vertragsrechtskonvention weitverbreiteten Praxis. Dass durch die Zustimmung zur vorläufigen Anwendung eines internationalen Vertrages möglicherweise innerstaatliches Recht verletzt wird, ist aus völkerrechtlicher Sicht – mit Blick auf die Rechtssicherheit im Völkerrecht – grundsätzlich unbeachtlich. Dies auch deshalb, weil es jedem Verhandlungsführer – der letztlich innerstaatlich die Verantwortung für sein internationales Handeln zu tragen hat – unbenommen bleibt, der vorläufigen Anwendung eines Vertrages nicht zuzustimmen und gegebenenfalls zur Begründung auf innerstaatliche Zwänge zu verweisen. Die vorläufige Anwendung eines ratifikationsbedürftigen Vertrages – oder eines Teils dieses Vertrages – wird typischerweise im Vertragstext selbst,219 durch ein Zusatzprotokoll, welches mit seiner Unterzeichnung sofort in Kraft tritt,220 oder durch einen Briefwechsel221 vereinbart. Die Grundklausel zur Vereinbarung der vorläufigen Anwendung findet sich beispielsweise in Art. 8 Abs. 1 des Abkommens über den gegenseitigen Schutz der Rechte von Urhebern literarischer, wissenschaftlicher und künstlerischer Arbeiten zwischen der UdSSR und der ČSSR vom 18. März 1975:222 This Agreement is subject to ratification and shall enter into force on the date of the exchange of the instruments of ratification, which
219
Als Beispiel für die Vereinbarung der vorläufigen Anwendung im Vertragstext selbst – auch wenn dort noch von „vorläufigem Inkrafttreten“ (shall enter into force immediately on a provisional basis) die Rede ist – siehe: Art. 12 des Abkommens über den Lufttransport zwischen Irland und der Tschechoslowakei vom 29.01.1947 (UNTS, Reg.-Nr. 411, Volume 27, S. 266). 220
Als Beispiel für die Vereinbarung der vorläufigen Anwendung durch ein Zusatzprotokoll, welches mit seiner Unterzeichnung sofort in Kraft tritt, siehe: Protocol on the provisional application of the Revised Treaty of Chaguaramas (UNTS, Reg.-Nr. 40269, Volume 2259, S. 440). 221
Als Beispiel für die Vereinbarung der vorläufigen Anwendung durch einen Briefwechsel siehe: Abkommen in Form eines Briefwechsels über die vorläufige Anwendung des Protokolls zur Festlegung der Fangmöglichkeiten und der finanziellen Gegenleistung nach dem Abkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Republik Guinea über die Fischerei vor der guineischen Küste für die Zeit vom 1. Januar 2004 bis zum 31. Dezember 2008, ABl. L 99 vom 03.04.2004, S. 11. 222
UNTS, Reg.-Nr. 14856, Volume 1015, S. 129. Hervorhebung der Grundklausel durch den Verfasser.
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shall take place at Moscow. This Agreement shall apply provisionally from the date of its signature. Die Klausel hinsichtlich der vorläufigen Anwendung eines ratifikationsbedürftigen Vertrages kann jedoch auch andere Formen annehmen. Einige davon sind in den nun folgenden Betrachtungen anzusprechen.
2. Zur Konzeption der vorläufigen Anwendung des ECT a) Artikel 45 ECT und die den Vertrag vorläufig anwendenden Staaten Die Unterzeichner des Energiecharta-Vertrages haben grundsätzlich die vorläufige Anwendung dieses Vertrages vereinbart. Der dahingehend relevante Art. 45 ECT hat in seiner authentischen deutschen Fassung folgenden Wortlaut: (1) Jeder Unterzeichner ist damit einverstanden, diesen Vertrag bis zum Inkrafttreten für den Unterzeichner nach Artikel 44 in dem Maße vorläufig anzuwenden, in dem die vorläufige Anwendung nicht mit seiner Verfassung und seinen Gesetzen und sonstigen Rechtsvorschriften unvereinbar ist. (2) a) Ungeachtet des Absatzes 1 kann jeder Unterzeichner bei der Unterzeichnung gegenüber dem Verwahrer die Erklärung abgeben, daß er nicht in der Lage ist, der vorläufigen Anwendung zuzustimmen. Die in Absatz 1 enthaltene Verpflichtung gilt nicht für den Unterzeichner, der eine solche Erklärung abgibt. Er kann die Erklärung jederzeit durch schriftliche Notifikation an den Verwahrer zurücknehmen. b) Weder ein Unterzeichner, der eine Erklärung nach Buchstabe a abgibt, noch die Investoren des Unterzeichners können die Vergünstigungen der vorläufigen Anwendung nach Absatz 1 in Anspruch nehmen. c) Ungeachtet des Buchstabens a wendet ein Unterzeichner, der eine Erklärung nach Buchstabe a abgibt, bis zum Inkrafttreten des Vertrags für diesen Unterzeichner nach Artikel 44 den Teil VII vorläufig an, soweit die vorläufige Anwendung seinen Gesetzen und sonstigen Vorschriften nicht entgegensteht. (3) a) Jeder Unterzeichner kann die vorläufige Anwendung dieses Vertrags durch eine schriftliche Notifikation an den Verwahrer be-
Vorläufige Anwendung des ECT allgemein
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enden, in der er seine Absicht bekundet, nicht Vertragspartei des Vertrags zu werden. Die Beendigung der vorläufigen Anwendung wird für den betreffenden Unterzeichner nach Ablauf von 60 Tagen nach Eingang seiner schriftlichen Notifikation beim Verwahrer wirksam. b) Beendet ein Unterzeichner die vorläufige Anwendung nach Buchstabe a, so bleibt seine Verpflichtung aus Absatz 1, die Teile III und V in Bezug auf Investitionen, die Investoren anderer Unterzeichner in seinem Gebiet während der vorläufigen Anwendung des Vertrags vorgenommen haben, dennoch bestehen, und zwar für die Dauer von zwanzig Jahren nach dem Tag des Wirksamwerdens der Beendigung, sofern in Buchstabe c nichts anderes vorgesehen ist. c) Buchstabe b findet keine Anwendung auf einen Unterzeichner, der in Anlage PA aufgeführt ist. Ein Unterzeichner kann aus der Liste der Anlage PA gestrichen werden; die Streichung wird mit der Übergabe seines entsprechenden Antrags an den Verwahrer wirksam. [...] Von der in Art. 45 Abs. 2 ECT jedem Signatarsstaat gegebenen Möglichkeit, die vorläufige Anwendung nach Art. 45 Abs. 1 ECT durch Erklärung gegenüber dem Verwahrer auszuschließen (opt-out), haben insgesamt 12 Staaten Gebrauch gemacht, und zwar Australien, Bulgarien, Zypern, Ungarn, Island, Japan, Liechtenstein, Malta, Norwegen, Polen, die Schweiz und Turkmenistan. Alle anderen Unterzeichner, so etwa Deutschland und Russland, waren bereit, den Vertrag in dem von Art. 45 ECT umrissenen Maß vorläufig anzuwenden.223 Nachdem die meisten Unterzeichner des ECT den Vertrag ratifiziert haben, hat in Bezug auf sie die vorläufige Anwendung nach Art. 45 Abs. 1 ECT (bzw. ihre ursprüngliche Opt-out-Erklärung) keine besondere Bedeutung mehr.224 Auch in Bezug auf die Opt-out-Staaten Australien, Island und Norwegen, welche noch nicht durch Ratifikation ECT-Vertragsparteien geworden sind,225 ist die Norm ohne Bedeutung. Hingegen wendet Belarus den ECT vorläufig an, und Russland tat dies für den Zeitraum von 1994 bis 2009. Besonders wegen der vorläufigen 223 Etliche Staaten, darunter Deutschland, haben allerdings von der Einschränkungsmöglichkeit nach Art. 45 Abs. 3 lit. c) ECT Gebrauch gemacht. 224 225
Siehe aber auch unten (F.I.2.e)).
Siehe Energy Charter Secretariat (Hrsg.), Status of Membership – Energy Charter Treaty, 08 May 2007.
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Anwendung des Vertrages durch Russland war und ist die Norm des Art. 45 Abs. 1 ECT – und damit zusammenhängend die Frage nach dem genauen Umfang der völkerrechtlichen Bindung während des Zeitraums der vorläufigen Anwendung – von großem Interesse.
b) Umkehrung des in Art. 27 WVK verankerten Grundsatzes Artikel 45 Abs. 1 ECT weicht nicht unerheblich von der genannten Grundklausel226 zur Vereinbarung der vorläufigen Anwendung eines Vertrages ab. Jeder Unterzeichner, der von der Opt-out-Möglichkeit keinen Gebrauch machte, erklärte sich nämlich nur bereit, den Vertrag „in dem Maße vorläufig anzuwenden, in dem die vorläufige Anwendung nicht mit seiner Verfassung und seinen Gesetzen und sonstigen Rechtsvorschriften unvereinbar ist“.
aa) Der All-or-Nothing-Approach ist abzulehnen Das Ad-hoc-Tribunal in den Jukos-Fällen hat hinsichtlich dieser Norm einen – zuvor niemals diskutierten – All-or-Nothing-Approach vertreten.227 Nach Auffassung des Tribunals müsse nur gefragt werden, ob es im innerstaatlichen Recht eines Unterzeichners eine Vorschrift gebe, welche dem Institut der vorläufigen Anwendung völkerrechtlicher Verträge entgegenstehe. Falls dies nicht der Fall sei, so sei der Unterzeichner während der vorläufigen Anwendung völkerrechtlich vollumfänglich an alle ECT-Vertragsnormen gebunden. Dieses Verständnis des Art. 45 Abs. 1 ECT ist allerdings abzulehnen.
226 Die Grundklausel lautet: „Dieser Vertrag wird ab dem Tag seiner Unterzeichnung vorläufig angewendet“. 227
Siehe: Ad hoc Tribunal, 30.11.2009 – PCA Case No. AA 227, Yukos Universal Ltd. (UK – Isle of Man) v. Russian Federation, Interim Award on Jurisdiction and Admissibility, Rn. 301 ff., Ad hoc Tribunal, 30.11.2009 – PCA Case No. AA 228, Veteran Petroleum Trust (Cyprus) v. Russian Federation, Interim Award on Jurisdiction and Admissibility, Rn. 301 ff., Ad hoc Tribunal, 30.11.2009 – PCA Case No. AA 226, Hulley Enterprises Ltd. (Cyprus) v. Russian Federation, Interim Award on Jurisdiction and Admissibility, Rn. 301 ff.
Vorläufige Anwendung des ECT allgemein
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Zu Unrecht entnimmt das Tribunal der Norm ein „to apply [the] entire Treaty“. Dem „such“ in „such provisional application“,228 auf welches sich das Tribunal dabei maßgeblich stützt, ist dieses Verständnis keinesfalls zu entnehmen. Vielmehr deutet die der Wortverbindung „such provisional application“ unmittelbar vorangehende Wortverbindung „to the extend that“ („in dem Maße [...], in dem“) im Englischen wie im Deutschen sowie in allen übrigen verbindlichen Sprachfassungen229 eindeutig darauf hin, dass – wenn auch im Grundsatz der ganze Vertrag vorläufig angewendet wird – jede einzelne Vertragsnorm isoliert auf ihre Vereinbarkeit mit innerstaatlichem Recht überprüft werden kann und gegebenenfalls hinter entgegenstehendem innerstaatlichen Recht zurücktreten muss. Hätten die Verhandlungsführer den All-or-Nothing-Approach festschreiben wollen, hätten sie die Bedingung „if“ („falls“) anstelle der Wortverbindung „to the extend that“ gewählt. Gegen den All-or-Nothing-Approach spricht auch, dass Art. 45 Abs. 1 ECT auf „laws“ („Gesetze“) und „Regulations“ („sonstige Rechtsvorschriften“) – und zwar jeweils im Plural – verweist. Denn zum Ersten wird, wenn ein Staat sich in irgendeiner Weise gegen das Institut der vorläufigen Anwendung entscheidet, dies in einer Rechtsnorm geschehen, nicht in mehreren. Zum Zweiten ist die Vorstellung völlig fernliegend, dass untergesetzliche „Regulations“ („sonstige Rechtsvorschriften“) dem Institut der vorläufigen Anwendung völkerrechtlicher Verträge entgegenstehen und dass die Verhandlungsführer bei der Erarbeitung des Artikels genau diese Hypothese abdecken wollten. Auch ein systematisches Argument spricht gegen den vom Ad-hocTribunal in den Jukos-Fällen vertretenen All-or-Nothing-Approach und für den vom Tribunal abgelehnten Piecemeal-Approach. Artikel 45 Abs. 1 ECT muss nämlich in Zusammenschau mit Art. 45 Abs. 2 lit. a) und b) ECT gelesen werden. Wie bereits erwähnt, sieht Art. 45 Abs. 2 lit. a) ECT für die Vertragsunterzeichner eine Opt-out-Möglichkeit hinsichtlich der vorläufigen Anwendung vor; Art. 45 Abs. 2 lit. b) ECT legt dann fest, dass weder ein Unterzeichner, der eine Opt-out-Erklärung nach lit. a) abgegeben hat, noch Investoren dieses Unterzeichners die Vergünstigungen der vorläufigen Anwendung in Anspruch nehmen können. Vor diesem Hintergrund ist nicht davon auszugehen, dass 228
In der ebenfalls verbindlichen deutschen Sprachfassung steht an dieser Stelle „die vorläufige Anwendung“ und nicht „diese vorläufige Anwendung“. 229
Französisch: „dans la mesure où“; Italienisch: „nei limiti in cui“; Russisch: „v toj stepeni, v kotoroj“; Spanisch: „siempre y cuando“.
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Zweck der Formulierung in Art. 45 Abs. 1 ECT („in dem Maße“) einzig und allein sein sollte, einigen Staaten – nämlich solchen, in denen eine innerstaatliche Rechtsvorschrift dem Institut der vorläufigen Anwendung völkerrechtlicher Verträge entgegensteht – die Opt-outErklärung nach Art. 45 Abs. 2 lit. a) ECT zu ersparen. Dies gilt umso mehr, als eine solche Erklärung die in Art. 45 Abs. 2 lit. b) ECT genannte und für eigene Investoren negative Folge nach sich zieht. Aus diesem Grund steht der All-or-Nothing-Approach auch viel stärker in Konflikt mit dem Transparenzgebot230 des Vertrages als der noch zu erörternde Piecemeal-Approach.
bb) Konsequenz: Piecemeal-Approach Wie bereits eingangs festgestellt, weicht Art. 45 Abs. 1 ECT nicht unerheblich von der Grundklausel231 zur Vereinbarung der vorläufigen Anwendung eines völkerrechtlichen Vertrages ab. Während die Grundklausel zur Konsequenz hat, dass die Vertragsbestimmungen, solange der Vertrag vorläufig angewendet wird, genauso einzuhalten sind, als wäre der Vertrag in Kraft getreten, schränkt Art. 45 Abs. 1 ECT die völkerrechtliche Bindungswirkung der Vertragsbestimmungen für den Zeitraum der vorläufigen Anwendung des ECT potentiell erheblich ein. Jeder den Vertrag vorläufig anwendende Unterzeichner erklärte sich nur bereit, den Vertrag in dem Maße vorläufig anzuwenden, in dem die vorläufige Anwendung nicht mit seiner Verfassung und seinen Gesetzen und sonstigen Rechtsvorschriften unvereinbar ist. Folglich stellt Art. 45 Abs. 1 ECT den in Art. 27 WVK kodifizierten Grundsatz, nach dem sich eine Vertragspartei nicht auf ihr innerstaatliches Recht berufen kann, um die Nichteinhaltung eines völkerrechtlichen Vertrages zu rechtfertigen, auf den Kopf: Solange ein Unterzeichner den ECT noch nicht ratifiziert hat und den Vertrag „nur“ vorläufig anwendet, solange kann er sich auf sein innerstaatliches Recht berufen, um die Nichteinhaltung der einen oder anderen Norm des ECT zu rechtfertigen („Piecemeal“-Approach). Die Nichteinhaltung einer Vertragsnorm bedeutet – während der nur vorläufigen Anwendung des Vertrages – also nicht zwangsläufig einen Völkerrechtsverstoß.
230 231
Vgl. dazu Art. 20 ECT und Art. 26 Abs. 3 lit. b) (ii) ECT. Siehe Fn. 226.
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c) Zur Zulässigkeit der Umkehrung des in Art. 27 WVK verankerten Grundsatzes aa) In Kraft getretene Verträge und der in Art. 27 WVK verankerte Grundsatz Die Umkehrung des Grundsatzes aus Art. 27 WVK für einen gesamten völkerrechtlichen Vertrag stößt, zumindest bei in Kraft getretenen Verträgen, auf tiefgreifende Bedenken. Denn eine dahingehende Einigung nähme den Vertragsbestimmungen ihre völkerrechtliche Verbindlichkeit. Ginge man für die Hypothese einer dahingehenden Vereinbarung davon aus, dass jede Vertragspartei sich nur auf ihr eigenes innerstaatliches Recht berufen kann, um die Nichteinhaltung einer Vertragsbestimmung zu rechtfertigen, wäre eine ungleiche Bindung der Vertragsparteien die Folge; ginge man – im Sinne einer Reziprozität der bilateral wirkenden Pflichtenstruktur – davon aus, dass sich jede Vertragspartei auch auf das innerstaatliche Recht der anderen Vertragspartei berufen könnte, käme es mit hoher Wahrscheinlichkeit zumindest faktisch zu Ungleichheiten, da kaum ein Staat über die menschlichen Ressourcen verfügt, um das gesamte innerstaatliche Recht seines Vertragspartners permanent zu monitorisieren und das eigene Verhalten daran auszurichten. Generell wäre Rechtsunsicherheit die Folge. Die Vereinbarung der Umkehrung des in Art. 27 WVK kodifizierten Grundsatzes wirkte letztlich genauso paradox, wie ein Vertrag, der in seinem Schlussartikel den Grundsatz pacta sunt servanda für diesen Vertrag ausschlösse. Zwar kann einer Argumentation zugunsten des Grundsatzes aus Art. 27 WVK entgegengehalten werden, es bestehe keine Veranlassung, diese Norm als für die Vertragsparteien (Herren des Vertrages) nichtdisponibel anzusehen.232 Gleichwohl ist die Zulässigkeit der Umkehrung des in Art. 27 WVK kodifizierten Grundsatzes für einen gesamten in Kraft getretenen Vertrag – mit Blick auf die Klarheit hinsichtlich der völker-
232 Denkbar ist sogar, der Möglichkeit, die Umkehrung des in Art. 27 WVK verankerten Grundsatzes vereinbaren zu können, aus völkerrechtlicher Perspektive Nützlichkeit zuzusprechen. Diese könnte darin zu sehen sein, dass eine Einigung hinsichtlich eines solchen Vertrages leichter zu erzielen sein wird. Zudem wird durch einen solchen Vertrag durchaus der Tatbestand völkerrechtlicher Pflichten begründet. Die Nichteinhaltung der tatbestandlich begründeten völkerrechtlichen Pflichten kann zwar durch Berufung auf das innerstaatliche Recht gerechtfertigt werden. Dafür trüge jedoch der sich auf Rechtfertigungsgründe berufende Staat die volle Beweislast.
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rechtlichen Verpflichtungen und die daraus begründete völkerrechtliche Verantwortlichkeit – prinzipiell abzulehnen.233
bb) Vorläufig angewendete Verträge und der in Art. 27 WVK verankerte Grundsatz Fraglich ist aber, ob die Zulässigkeit der Umkehrung des in Art. 27 WVK verankerten Grundsatzes auch für die Zeit der vorläufigen Anwendung eines völkerrechtlichen Vertrages abzulehnen ist. Dafür spricht, dass die Einigung zur vorläufigen Anwendung eines Vertrages regelmäßig selbst als völkerrechtlicher Vertrag anzusehen ist, dem im vereinfachten Verfahren (Art. 12 WVK) zugestimmt wurde.234 Dieser ist folglich – zumeist schon mit der Unterzeichnung – völkerrechtlich in Kraft getreten. Konsequenterweise, so könnte argumentiert werden, muss für den Vertrag über die vorläufige Anwendung der Bestimmungen eines Basisvertrages das Gleiche gelten, wie für jeden normalen in Kraft getretenen völkerrechtlichen Vertrag, einschließlich der soeben beschriebenen Ablehnung in Bezug auf die Umkehrung des in Art. 27 WVK kodifizierten Grundsatzes. Dagegen spricht jedoch, dass der Vertrag über die vorläufige Anwendung – obwohl er als ein in Kraft getretener völkerrechtlicher Vertrag angesehen werden muss – im Vergleich zu normalen in Kraft getretenen Verträgen einem Sonderregime folgt. Dies liegt darin begründet, dass die Vereinbarung der vorläufigen Anwendung eines noch nicht in Kraft getretenen völkerrechtlichen Vertrages – auch wenn sie zum Teil eine Notwendigkeit ist – Ausnahmecharakter hat und gerade mit Blick auf die Verfassungen der überwiegen233
Zwar enthalten viele völkerrechtliche Verträge dermaßen weiche völkerrechtliche Verpflichtungen, dass ebenfalls kaum noch von Verbindlichkeit der betreffenden Verpflichtung die Rede sein kann. Auch wird in der Völkerrechtspraxis die Umkehrung des in Art. 27 WVK verankerten Grundsatzes für Einzelnormen vorgenommen (vgl. etwa Punkt 5 des Protokolls zum Abkommen vom 1. Dezember 2003 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik China über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen (BGBl. 2005 II, S. 732)). Allerdings betrifft dies immer nur Teile eines Vertrages, während die übrigen Vertragsnormen völkerrechtlich dergestalt verbindlich sind, dass auf ihrer Grundlage die völkerrechtliche Verantwortlichkeit des Vertragspartners begründet werden kann. In der Völkerrechtspraxis kommt es nicht vor, dass für einen gesamten in Kraft getretenen – und substantielle Verpflichtungen enthaltenden – Vertrag der in Art. 27 WVK kodifizierte Grundsatz umgekehrt wird. 234
Siehe oben (F.I.1).
Vorläufige Anwendung des ECT allgemein
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den Anzahl der Staaten mit Gewaltenteilung eine Anomalie darstellt. Denn das für die Zustimmung zum Basisvertrag zuständige innerstaatliche Organ wird – für den Zeitraum der vorläufigen Anwendung des Basisvertrages – umgangen, und nicht zu Unrecht hat daher Lefeber235 gemeint: „[T]he instrument [provisional application] lends itself for abuse“. Das Missbrauchsrisiko wird zwar völkerrechtlich wegen der Vorteile der vorläufigen Anwendung in Kauf genommen, jedoch nur mit einer sehr bedeutsamen Einschränkung: Jeder Staat kann die vorläufige Anwendung eines Vertrages einseitig und grundsätzlich jederzeit beenden (vgl. Art. 25 Abs. 2 WVK) – was auf eine einseitige Kündigung bzw. einen Rücktritt vom Vertrag hinsichtlich der vorläufigen Anwendung hinausläuft –, während normale in Kraft getretene völkerrechtlicher Verträge, selbst wenn sie im vereinfachten Verfahren abgeschlossen worden sind, grundsätzlich weder der Kündigung noch dem Rücktritt unterliegen (vgl. Art. 56 Abs. 1 WVK). So nützlich und notwendig die Vereinbarung der vorläufigen Anwendung eines Basisvertrages im Einzelfall sein kann, sie muss ihren ursprünglichen Ausnahmecharakter236 behalten. Dieses Ausnahmecharakters waren sich die Verhandlungsführer bei der Ausarbeitung internationaler Verträge, deren vorläufige Inkraftsetzung bzw. Anwendung vereinbart wurde, seit jeher bewusst. Dies zeigt sich zum einen daran, dass etliche Staaten, insbesondere Lateinamerikas, fast nie der vorläufigen Anwendung ratifikationsbedürftiger Verträge zustimmen.237 Zum anderen zeigt sich dies daran, dass in der Praxis eine ganze Reihe von anerkannten Wegen entwickelt wurden, um den Umfang der völkerrechtlichen Bindung für den Staat, der der vorläufigen Anwendung eines Vertrages zustimmt, einzuschränken. Ein klassisches Beispiel dafür ist die Vereinbarung der vorläufigen Anwendung „so far it is possible to do so under their [the signatories] respective constitutional systems“238 bzw. „soweit dies mit der Verfassung der Unterzeichnerregierungen verein-
235
Lefeber in: Klabbers/Lefeber (Hrsg.), Essays on the law of treaties, S. 82.
236
So schon Krenzler, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge, S. 17 f. mit Bezug auf Art. 18 der Konvention von Madrid vom 3. Juli 1880 (RGBl. 1881, S. 103). 237 238
Geslin, La mise en application provisoire des traités, S. 215.
Art. 22 des Allgemeinen Abkommens vom 2. September 1949 über die Vorrechte und Befreiungen des Europarates (UNTS, Reg.-Nr. 3515, Volume 250, S. 12).
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bar ist“.239 So enthielt der Gründungsvertrag der Organisation für Europäische Wirtschaftliche Zusammenarbeit (OEEC) vom 16. April 1948240 für den Zeitraum der vorläufigen Anwendung einen Vorbehalt hinsichtlich der Verfassungsbestimmungen der Unterzeichner.241 Auch sind zahlreiche Fälle bekannt, in denen die Vereinigten Staaten von Amerika ihre Zustimmung zur vorläufigen Anwendung einer völkerrechtlichen Abmachung mit der Erklärung versahen „the United States does not assume any obligations for which implementing legislation is necessary“.242 Einen vergleichbaren Bezug auf die Exekutiv- bzw. Administrativbefugnisse der Unterzeichner enthielt Art. XXIX Abs. 1 des GATT 1947:243 „The contracting parties [...] undertake [...] to observe to the fullest extent of their executive authority the general principles of the Draft Charter [...]“.244 Das Übereinkommen über ein Internationales Energieprogramm vom 18. November 1974245 sieht in Art. 68 Abs. 1 die vorläufige Anwendung vor „soweit dies möglich und mit [der] Gesetzgebung [der Unterzeichnerstaaten] nicht unvereinbar ist“. Auch das Übereinkommen zur Durchführung des Teils XI des SeerechtsÜbereinkommens der Vereinten Nationen246 sieht nach Art. 7 Abs. 2 die vorläufige Anwendung durch die Unterzeichner nur „in accordance with their national or internal laws and regulations“ vor.
239
Art. 3 des Abkommens vom 3. Juni 1955 zu dem am 6. Mai 1882 im Haag unterzeichneten Vertrag betreffend die polizeiliche Regelung der Fischerei in der Nordsee (BGBl. 1957 II, S. 213). 240
UNTS, Reg.-Nr. 12735, Volume 888, S. 140.
241
Der dahingehend relevante Art. 24 b) der Konvention vom 16. April 1948 lautet in seiner französischen Fassung: „[...], en attendant l’entrée en vigueur de la Convention dans les conditions prévues au paragraphe précédent, les signataires conviennent, afin d’éviter tout délai dans son exécution, de la mettre en application dès sa signature, à titre provisoire, et conformément à leurs règles constitutionnelles respectives.“ 242 243
Oxman/Sohn/Charney, AJIL 1994, S. 704. UNTS, Reg.-Nr. 814, Volume 55, S. 186.
244
Ähnlich war der Wortlaut im Protokoll über die vorläufige Anwendung des GATT 1947 (UNTS, Reg.-Nr. 814, Volume 55, S. 808): „The Governments [...] undertake [...] to apply provisionally [Part II of GATT] to the fullest extent not inconsistent with existing legislation“. 245 246
BGBl. 1975 II, S. 702. BGBl. 1994 II, S. 2566.
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Diese beispielhafte Aufzählung illustriert, dass Staaten bei der Vereinbarung der vorläufigen Anwendung eines internationalen Vertrages ein weiter Spielraum offensteht und dass in der Völkerrechtspraxis von diesem Spielraum auch rege Gebrauch gemacht wird.247 Die völkerrechtliche Bindung kann während des Zeitraums der vorläufigen Anwendung unter den Vorbehalt der Verfassung, der Gesetze oder untergesetzlicher Normen der Signatare gestellt werden. Das Risiko faktisch ungleicher Bindung sowie die mit der Umkehrung des in Art. 27 WVK verankerten Grundsatzes einhergehende generelle Rechtsunsicherheit werden in der Völkerrechtspraxis für den Zeitraum der vorläufigen Anwendung in Kauf genommen. Dies geschieht wohl vor einem doppelten Hintergrund. Erstens wird die vorläufige Anwendung grundsätzlich nur für einen überschaubaren Zeitraum vereinbart, nämlich für die Übergangsperiode bis das zuständige Organ über Ratifizierung oder Nichtratifizierung des Basisvertrages entschieden hat. Zweitens überwiegen bei einer Abwägung in der Völkerrechtspraxis häufig die Vorteile einer vorläufigen Anwendung mit Einschränkungen gegenüber den Nachteilen, welche ein Zuwarten bis zur Ratifikation des Vertrages mit sich bringen würde. Hätten aber die Verhandlungsführer keine Möglichkeit, die völkerrechtliche Bindung der Völkerrechtssubjekte, für die sie handeln, bei Zustimmung zur vorläufigen Anwendung einzuschränken, so stünde zu befürchten, dass – trotz der Nachteile eines Zuwartens – kaum ein Verhandlungsführer der vorläufigen Anwendung zustimmen würde.
cc) Der ECT und der in Art. 27 WVK verankerte Grundsatz Die Umkehrung des in Art. 27 WVK verankerten Grundsatzes begegnet daher für die Zeit der vorläufigen Anwendung keinen durchschlagenden Bedenken. Die dahingehende Möglichkeit ist wohl sogar notwendig für das Fortbestehen des Instituts der vorläufigen Anwendung in der Völkerrechtspraxis. Jedenfalls ist in der Völkerrechtspraxis die Umkehrung des in Art. 27 WVK verankerten Grundsatzes für den Zeitraum der vorläufigen Anwendung anerkannt. Demnach begegnet auch die Klausel des Art. 45 Abs. 1 ECT, der während der vorläufigen Anwendung des ECT die völkerrechtliche Bindung des den Vertrag vorläufig anwendenden Unterzeichners unter den Vorbehalt der Vereinbarkeit der Vertragsnormen mit innerstaatlichem Recht stellt, keinen
247
S. 84.
Vgl. Lefeber in: Klabbers/Lefeber (Hrsg.), Essays on the law of treaties,
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Bedenken.248 Ohne diese Einschränkung wäre im Übrigen nicht zu erwarten gewesen, dass die Mehrheit der Unterzeichner, insbesondere in den Umbruchsstaaten Mittel- und Osteuropas, der vorläufigen Anwendung zugestimmt hätte. Eine besonders zügige Anwendung der materiellen Bestimmungen des ECT – und sei es unter dem Vorbehalt der Vereinbarkeit mit innerstaatlichem Recht – war aber gerade im Sinne der Unterzeichner, die vor allem schnell ein günstiges Klima für Investitionen im Energiebereich schaffen wollten. Die Vereinbarung der vorläufigen Anwendung des ECT in der Form des Art. 45 ECT war deshalb nicht nur zulässig, sondern auch aus wirtschaftspolitischen Erwägungen opportun. Wälde249 hat dies sehr treffend ausgedrückt: „Provisional application increases the legal uncertainty, since States can [...] rely on the national law defence of Article 45(1). On the other hand, it provides the opportunity for investors and their counsel to raise, as of 17 December 1994, the Treaty’s treatment obligation and litigate directly against governments under Art. 26. It would be up to governments to prove that the national law defence applies.“
d) Variabilität der völkerrechtlichen Bindung durch Modifizierung des innerstaatlichen Rechts? aa) Wortlaut: Artikel 45 ECT als dynamischer Verweis auf das innerstaatliche Recht der Unterzeichner Aufgrund der Redaktion des Art. 45 Abs. 1 ECT stehen, während des Zeitraums der vorläufigen Anwendung des Vertrages, die Bestimmungen des ECT unter dem Vorbehalt ihrer Vereinbarkeit mit dem innerstaatlichen Recht (Verfassung, Gesetze, sonstige Rechtsvorschriften) des den Basisvertrag nur vorläufig anwendenden Unterzeichners. Gab es hinsichtlich einer Bestimmung des ECT bei Unterzeichnung des Vertrages entgegenstehendes innerstaatliches Recht, so ist der betreffende Unterzeichner, während des Zeitraums der vorläufigen Anwendung des ECT, völkerrechtlich nicht an diese Bestimmung gebunden. Völkerrechtliche Bindung tritt dann erst ein, wenn die entgegenstehende Rechtsnorm abgeschafft oder der Vertrag ratifiziert wird. Fraglich ist jedoch, ob ein ECT-Unterzeichner, welcher der vorläufigen Anwendung des Vertrages zugestimmt hat, den Umfang seiner völkerrechtli248 249
Klaus, TDM Volume 2, Issue 3, June 2005. Wälde in: Wälde (Hrsg.), The Energy Charter Treaty, S. 313 f.
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chen Bindung während des Zeitraums der vorläufigen Anwendung nachträglich durch innerstaatliche Rechtssetzung schmälern darf. Dahingehend ist zu untersuchen, ob Art. 45 Abs. 1 ECT als statischer Verweis auf das innerstaatliche Recht eines jeden Unterzeichners bei Vertragsunterzeichnung verweist, oder ob er als dynamischer Verweis auf das innerstaatliche (und nachträglich modifizierbare) Recht der Unterzeichner aufzufassen ist. Für das GATT 1947 wurde entschieden, dass negative Abweichungen vom Sollzustand des Abkommens auch während dessen nur vorläufiger Anwendung nicht durch nachträgliche Legislativakte erhöht werden dürfen („on-way-street“).250 Allerdings bezog sich die betreffende Klausel im Protokoll zur vorläufigen Anwendung des GATT 1947 auf „existing legislation“, für die als Referenzdatum der Tag der Unterzeichnung des Protokolls bzw. des Beitritts zu diesem festgelegt wurde.251 Demnach ergab sich aus dem Wortlaut des Protokolls ein statischer Verweis auf das innerstaatliche Recht des Unterzeichners bzw. des Beitretenden bei Unterzeichnung bzw. bei Beitritt. Im Wortlaut des Art. 45 Abs. 1 ECT hingegen fehlt jeglicher Anknüpfungspunkt für eine Referenztag-Festlegung. Darin unterscheidet sich die Norm nicht nur vom Protokoll zur vorläufigen Anwendung des GATT 1947, sondern auch von Art. 29 Abs. 2 lit. a) ECT, welcher auf GATT-Bestimmungen verweist, so wie diese am 1. März 1994 angewandt wurden. Wenn aber in Art. 29 Abs. 2 lit. a) ECT auf eine Referenztag-Festlegung zurückgegriffen wurde, um einen statischen Verweis auf Rechtsnormen außerhalb des ECT zu erzeugen, kann aus dem Fehlen einer Referenztag-Festlegung in Art. 45 Abs. 1 ECT nur gefolgert werden, dass die Norm nicht statisch auf das innerstaatliche Recht eines jeden Unterzeichners bei Vertragsunterzeichnung verweist, sondern vielmehr als dynamischer Verweis auf das innerstaatliche Recht der Unterzeichner aufzufassen ist.
250
GATT Secretariat (Hrsg.), Guide to GATT law and practice, S. 1002 ff. m.w.N. 251
GATT Secretariat (Hrsg.), Guide to GATT law and practice, S. 996 m.w.N.
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bb) Völkerrechtliche Beschränkung der Modifizierung des innerstaatlichen Rechts Aus dem Umstand, dass es sich bei Art. 45 Abs. 1 ECT um eine dynamische Verweisung auf das innerstaatliche Recht der den Vertrag vorläufig anwendenden Unterzeichner handelt, kann jedoch nicht ohne weiteres gefolgert werden, dass jede nachträgliche Änderung des innerstaatlichen Rechts (und damit jede nachträgliche Einschränkung der völkerrechtlichen Bindung an ECT-Bestimmungen) zulässig ist.
(1) Rechtsgedanke des Art. 18 lit. a) WVK Gegen die Zulässigkeit gewisser nachträglicher Einschränkungen des Wirkungsgrades des ECT könnte zunächst der in Art. 18 lit. a) WVK kodifizierte Rechtsgedanke sprechen. Nach diesem ist jeder Staat, der unter Vorbehalt der Ratifikation einen Vertrag unterzeichnet hat, verpflichtet, sich aller Handlungen zu enthalten, die Ziel und Zweck des Vertrages vereiteln würden, und dies solange er nicht seine Absicht klar zu erkennen gegeben hat, nicht Vertragspartei zu werden. Die Verpflichtung zur vorläufigen Anwendung eines Vertrages, die hinsichtlich des ECT von der Mehrzahl der Unterzeichner eingegangen wurde, geht sogar über die Verpflichtung des Art. 18 lit. a) WVK hinaus. Allerdings sprechen die besseren Argumente dafür, den in Art. 18 WVK kodifizierten Grundsatz nur in Ausnahmefällen für einschlägig zu erachten, wenn durch nachträgliche Änderung des innerstaatlichen Rechts der Umfang der Bindung an die Bestimmungen des Basisvertrages geschmälert wird. Denn nicht in jeder Änderung des innerstaatlichen Rechts, welche die Bindung an ECT-Bestimmungen potentiell schmälert, liegt eine Handlung, die zugleich Ziel und Zweck des Vertrages vereiteln würde. So ist es denkbar, dass ein den ECT vorläufig anwendender Unterzeichner zunächst eine innerstaatliche Norm, welche einer Bestimmung des ECT entgegengestanden hat, abschafft, sie aber nach kurzer Zeit wieder einführt, ohne zugleich die Ratifikation des ECT endgültig zu verweigern. Ebenso ist denkbar, dass ein den ECT vorläufig anwendender Unterzeichner ein den Wirkungsgrad des Vertrages schmälerndes Gesetz verabschiedet, das aber identisch mit Gesetzen etlicher anderer – den Vertrag vorläufig anwendender – Unterzeichner ist. Mit Blick auf den in Art. 18 lit. a) WVK kodifizierten Gedanken kann folglich nicht auf die Unzulässigkeit jeder einseitigen Einschränkung des Wirkungsgrades des ECT während des Zeitraums der vorläufigen Anwendung geschlossen werden.
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(2) Rechtsgedanke des Art. 26 WVK Möglicherweise muss sich ein Unterzeichner gleichwohl gewisser Änderungen seines innerstaatlichen Rechts enthalten, welche den Umfang seiner völkerrechtlichen Bindung während der vorläufigen Anwendung schmälern – wenn auch nicht Ziel und Zweck des Vertrages vereiteln – würden. Ansatzpunkt dafür könnte der allgemeine und in Art. 26 WVK kodifizierte Grundsatz sein, demgemäß ein internationaler Vertrag von den Vertragsparteien nach Treu und Glauben zu erfüllen ist (pacta sunt servanda). Zwar erscheint zunächst plausibel, dass, wenn für den Zeitraum der vorläufigen Anwendung eines Vertrages der in Art. 27 WVK kodifizierte Grundsatz umgekehrt wird, auch die Berufung auf den Satz pacta sunt servanda für diesen Zeitraum generell abgeschnitten sein muss. Dies ist aber nicht zwingend. Vielmehr gibt es gute Gründe, zur Beantwortung der Frage, ob in der nachträglichen innerstaatlichen Rechtsänderung ein Verstoß gegen Treu und Glauben liegt, danach zu differenzieren, welches innerstaatliche Organ den betreffenden Rechtsakt erlässt.
(a) Nachträgliche Akte des (Verfassungs-) Gesetzgebers Eine Analyse der Vertragsklauseln, mit denen die vorläufige Anwendung eines Vertrages in nur eingeschränktem Maße vereinbart wurde – bzw. eine Analyse der Erklärungen, welche mit der Zustimmung zur vorläufigen Anwendung eines Vertrages verbunden wurden – ergibt zunächst eines deutlich: Die von der Exekutive bestimmten Verhandlungsführer wollen den Verhandlungsführern anderer Vertragsparteien zumeist keinerlei Garantie für ein bestimmtes Verhalten des innerstaatlichen (Verfassungs-) Gesetzgebers geben.252 Die Verhandlungsführer sind im Gegenteil oft deutlich bemüht, jeden Anschein eines Vertrauenstatbestandes auszuschließen, der zum Anknüpfungspunkt einer völkerrechtlichen Bindung und Verantwortlichkeit des durch sie vertretenen Völkerrechtssubjektes werden könnte, wenn es um ein künftiges Verhalten des innerstaatlich zuständigen – und von der Exekutive un-
252
Dies wird besonders deutlich bei der oben (Fn. 242) zitierten USamerikanischen Praxis, nach der die Zustimmung zur vorläufigen Anwendung eines Vertrages mit der Erklärung „the United States does not assume any obligations for which implementing legislation is necessary“ versehen wurde. Vgl. auch Montag, Völkerrechtliche Verträge mit vorläufigen Wirkungen, S. 168.
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abhängigen – Legislativorgans geht. Dies gilt gleichermaßen in Bezug auf ein Unterlassen253 und ein Tun254 des betreffenden Organs. Kommt es dann während des Zeitraumes der vorläufigen Anwendung, deren Vereinbarung unter dem Vorbehalt der Vereinbarkeit der Normen des Basisvertrages mit dem innerstaatlichen Recht der Unterzeichner steht, zu einem Tun der Legislative, welches den Wirkungsgrad des Basisvertrages schmälert (ohne dessen vorläufige Anwendung zu beenden), so kann darin konsequenterweise kein völkerrechtlich relevanter Verstoß gegen Treu und Glauben gesehen werden; ein völkerrechtlich schützenswertes Vertrauen hat es in diesem Fall nämlich nie gegeben.255 Konkret in Bezug auf Art. 45 Abs. 1 ECT gilt, dass eine nachträgliche Einschränkung des Wirkungsgrades des ECT durch den Rechtsakt eines innerstaatlichen (Verfassungs-) Gesetzgebers mit Blick auf den Grundsatz pacta sunt servanda zulässig ist.256
(b) Nachträgliche Regierungsakte Die soeben mit Blick auf den Grundsatz pacta sunt servanda festgestellte völkerrechtliche Zulässigkeit nachträglicher Verfassungsänderungen bzw. Gesetzesänderungen, welche zulasten des Wirkungsgrades des ECT während seiner vorläufiger Anwendung gehen, muss jedoch nicht in gleicher Weise für nachträgliche Regierungsakte (z.B. Rechtsverordnungen) gelten, auch wenn diese nach dem Wortlaut des Art. 45 Abs. 1 ECT Verfassung und Gesetzen gleichgestellt zu sein scheinen. Eine Analyse der Vertragsklauseln, mit denen die vorläufige Anwendung eines Vertrages in nur eingeschränktem Maße vereinbart wurde – bzw. eine Analyse der Erklärungen, welche mit der Zustimmung zur vorläufigen Anwendung eines Vertrages verbunden wurden – zeigt 253
Nichtverabschiedung von formellen Gesetzen, welche zur Umsetzung des Basisvertrages während der vorläufigen Anwendung notwendig wären. Siehe dazu Fn. 252. 254
Verabschiedung von formellen Gesetzen, welche einer Bestimmung des vorläufig angewendeten Basisvertrages entgegenstehen. 255
Zum Sonderfall der vorläufigen Anwendung des Teils II des GATT 1947 siehe oben (F.I.2.d)aa)). 256
Zur Frage, ob eine zulässige Gesetzesänderung bzw. Verfassungsänderung auch einem durch den ECT geschützten ausländischen Investor, der seine Investition vor der betreffenden Änderung getätigt hat, entgegengehalten werden kann, siehe unten (F.I.2.d)cc)).
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vielmehr, dass ein der Exekutive zuzurechnender Verhandlungsführer seinen Staat zumeist sofort fest (wenn auch gewöhnlich zeitlich begrenzt bis zur Beendigung der vorläufigen Anwendung) für das binden will, was nach dem innerstaatlichen Recht des durch ihn vertretenen Staates in den Zuständigkeitsbereich der Exekutive fällt. Diese völkerrechtlichen Verpflichtungen kann nämlich die verhandelnde Regierung in eigener Kompetenz und ohne Tätigwerden eines von ihr unabhängigen Legislativorgans erfüllen. Hinsichtlich dieser Verpflichtungen könnte die Regierung sogar auf das Institut des Verwaltungsabkommens (executive agreement) zurückgreifen, diesem auf völkerrechtlicher Ebene im vereinfachten Verfahren zustimmen und somit den Staat definitiv völkerrechtlich binden. Wenn gleichwohl in Bezug auf die betreffende Regelungsmaterie kein Verwaltungsabkommen in vereinfachter Form abgeschlossen wird, sondern die Verhandlungspartner die vorläufige Anwendung des Vertrages unter dem Vorbehalt der Vereinbarkeit seiner Normen mit dem innerstaatlichen Recht jedes Unterzeichners vereinbaren, so gibt es dafür aus der Perspektive eines Verhandlungsführers im Wesentlichen drei mögliche Gründe. Zum Ersten kann es sein, dass die Regierung des anderen Verhandlungsführers nach dessen innerstaatlichem Recht nicht dazu befugt ist, das betreffende Sachgebiet ohne Parlamentszustimmung zu regeln bzw. sich dahingehend völkerrechtlich zu binden.257 Zum Zweiten kann es sein, dass die Verhandlungsführer bei Unterzeichnung des Abkommens wissen, dass die innerstaatlichen Rechtsverordnungen noch nicht dem Vereinbarten entsprechen und dass für die vollständige Implementierung des Vereinbarten noch Zeit in unklarem Ausmaß benötigt wird. Zum Dritten wird es häufig um ein Vertragspaket gehen, das zumindest in Teilen der Zustimmung durch das Parlament bedarf, wobei es sich nicht anbietet, diese Teile von anderen Teilen, welche in den Zuständigkeitsbereich der Regierung fallen, hinsichtlich der völkerrechtlichen Einigung abzutrennen. Die Vereinbarung der vorläufigen Anwendung des Vertrages unter dem Vorbehalt des innerstaatlichen Rechts hat hingegen erkennbar nicht den Zweck, der eigenen Regierung und der Regierung des Vertragspartners die Möglichkeit offenzuhalten, den Wirkungsgrad der völkerrechtlichen Bindung zu schmälern, ohne die vorläufige Anwendung gänzlich zu beenden. Darauf gestützt lässt sich argumentieren, dass, wenn ein völkerrechtlicher Vertrag vorläufig und unter dem Vorbehalt der Vereinbarkeit sei257
Vgl. Montag, Völkerrechtliche Verträge mit vorläufigen Wirkungen, S. 181.
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ner Normen mit innerstaatlichem Recht angewendet wird, zwischen den verhandelnden Regierungen ein völkerrechtlich relevanter Vertrauenstatbestand dergestalt besteht, dass sich die Regierungen des nachträglichen Erlasses von Rechtsverordnungen bzw. sonstigen Rechtsakten enthalten müssen, welche das Maß der völkerrechtlichen Bindung während des Zeitraums der vorläufigen Anwendung schmälern würden. Letztlich läge nämlich in einem gegenteiligen Verhalten ein venire contra factum proprium, mit dem die anderen Unterzeichner nicht rechnen müssen.258 Eine Ausnahme hiervon muss allerdings für den Fall anerkannt werden, dass der betreffende Regierungsakt zwingende Folge eines nachträglichen Legislativaktes ist. Es spricht demnach einiges dafür, dass während der vorläufigen Anwendung neu geschaffenes Recht des Staatsorganes, welches der vorläufigen Anwendung des ECT zugestimmt hat, die völkerrechtliche Bindung des Staates nicht schmälern darf. Hingegen verstößt die Beibehaltung z.B. einer Rechtsverordnung, welche bereits bei Vereinbarung der vorläufigen Anwendung des Vertrages den Umfang der völkerrechtlichen Bindung schmälerte, nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben.
258
Gleichwohl ist diese Betrachtung nicht ganz unproblematisch. Regierungen können sich verändern, und die Regierung, welche eine neue Rechtsverordnung verabschiedet, die – ihre Zulässigkeit vorausgesetzt – den Grad der völkerrechtlichen Bindung des betreffenden Staates während der vorläufigen Anwendung eines Vertrages schmälern würde, wird zumeist nicht identisch mit jener Regierung sein, welche der vorläufigen Anwendung des Vertrages zugestimmt hat. Letztlich wird aber bei dem hier gemachten Vorschlag auf ein altbekanntes völkerrechtliches Postulat zurückgegriffen, nämlich das der Identität eines Staates als Völkerrechtssubjekt – unabhängig von Regierungswechseln und gesellschaftlichen Umwälzungen. Wenn aber ein Staat unter einer neuen Regierung völkerrechtsidentisch mit dem Staat unter der Vorgängerregierung ist, und demnach eine neue Regierung aus völkerrechtlicher Sicht die Verpflichtungen erfüllen muss, die eine Vorgängerregierung für den betreffenden Staat eingegangen ist, so ist es auch konsequent, aus völkerrechtlicher Sicht die neue Regierung mit der alten Regierung zu identifizieren, wenn es um völkerrechtsrelevante Handlungen der Regierung geht. Dabei ist festzuhalten, dass das relevante Völkerrechtssubjekt nach wie vor der Staat und nicht die Regierung – alte oder neue – ist. Vgl. dazu auch schon Blix, Treaty-Making Power, S. 297.
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cc) Erworbene Rechte von Investoren anderer Unterzeichner Insofern bisher festgestellt wurde, dass es sich bei Art. 45 Abs. 1 ECT um einen Vorbehalt dynamischer Art mit Blick auf das innerstaatliche – auch nachträglich geschaffene – Recht der Vertragspartei handelt, die den ECT vorläufig anwendet, so ist diese Feststellung noch mit Blick auf Art. 45 Abs. 3 lit. b) ECT einzuschränken. Artikel 45 Abs. 3 lit. a) ECT regelt das Verfahren zur Beendigung der vorläufigen Anwendung. Diese wird für den betreffenden Unterzeichner 60 Tage nach Eingang seiner schriftlichen Notifikation beim Verwahrer wirksam. Gemäß Art. 45 Abs. 3 lit. b) ECT bleiben jedoch nach Wirksamwerden der Beendigung die Verpflichtungen des Unterzeichners in Bezug auf Investitionen, welche von Investoren anderer Unterzeichner während der vorläufigen Anwendung des Vertrages getätigt wurden, noch für die Dauer von 20 Jahren bestehen.259 Die Zulässigkeit einer solchen zeitlichen Versetzung des Auslaufens bestimmter völkerrechtlicher Verpflichtungen, welche aus der vorläufigen Anwendung des Basisvertrages resultieren, ergibt sich aus Art. 25 Abs. 2 WVK. Vereinbart wurde diese zeitliche Versetzung, um Investoren sofort mit Unterzeichnung des ECT so viel Sicherheit zu geben, dass sie nicht erst das Inkrafttreten des ECT abwarten würden, bevor sie mit der Tätigung von Investitionen beginnen. Vielmehr sollten sie mit Blick darauf, dass ihre Investitionen mindestens für 20 Jahre völkerrechtlich geschützt sind – selbst für den Extremfall, dass sich der Investitions-Zielstaat entscheiden sollte, doch nicht Vertragsstaat zu werden und die vorläufige Anwendung zu beenden – möglichst bald nach Unterzeichnung des ECT mit ihrer Investitionstätigkeit beginnen. Daraus ist ein ErstRecht-Schluss (argumentum a maiore ad minus) zu ziehen: Wenn eine Investition für 20 Jahre völkerrechtlichen Schutz genießt, selbst wenn sich der Zielstaat entschlossen hat, den ECT nicht zu ratifizieren und die vorläufige Anwendung zu beenden, dann muss die Investition für den Zeitraum von 20 Jahren ab ihrer Tätigung auch vor einem schleichenden Aushöhlen ihres durch den ECT bezweckten völkerrechtlichen Schutzes geschützt sein, etwa wenn der Zielstaat die vorläufige Anwendung formell beibehält, jedoch den völkerrechtlichen Schutzgrad für Investitionen von Investoren anderer ECT-Unterzeichner durch eine Reihe nachträglicher Rechtsakte immer weiter ein-
259
Die Regelung verläuft parallel zu der in Art. 47 Abs. 3 ECT getroffenen, welche ihrerseits im Fall des Rücktritts vom Vertrag Anwendung findet.
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schränkt.260 Zwar ist die Einschränkung des völkerrechtlichen Schutzgrades wie oben gezeigt durch Verfassungsänderungen und neue Gesetze möglich. Nachträgliche (Verfassungs-) Gesetze dürfen sich jedoch nicht nachteilig auf bereits getätigte und durch den ECT geschützte Investitionen auswirken. Für diese muss, für die Dauer von 20 Jahren, mindestens der Schutzgrad bestehen, der zu dem Zeitpunkt bestand, als die betreffende Investition getätigt wurde.
dd) Zusammenfassung Während der vorläufigen Anwendung des ECT steht die völkerrechtliche Bindung des betreffenden Unterzeichners unter dem Vorbehalt der Vereinbarkeit der betreffenden ECT-Bestimmungen mit innerstaatlichem Recht. Die Umkehrung des in Art. 27 WVK kodifizierten Grundsatzes für den Zeitraum der vorläufigen Anwendung des ECT begegnet keinen durchschlagenden Bedenken. Bei Art. 45 Abs. 1 ECT handelt es sich um einen dynamischen Verweis auf das innerstaatliche Recht des den Vertrag vorläufig anwendenden Unterzeichners, d.h. der Umfang der völkerrechtlichen Bindung kann während der nur vorläufigen Anwendung durch die Modifizierung innerstaatlichen Rechts zu- oder abnehmen. Die Modifizierung des innerstaatlichen Rechts mit dem Ergebnis einer Schmälerung der völkerrechtlichen Bindung ist nicht nach Art. 18 WVK unzulässig. Wohl aber verstoßen auch schon während der nur vorläufigen Anwendung des Vertrages nachträgliche, den ECT-Bestimmungen entgegenstehende Regierungsakte gegen den Grundsatz von Treu und Glauben. In jedem Fall kann einem Investor, der bereits eine vom ECT geschützte Investition in einem den Vertrag vorläufig anwendenden Staat vorgenommen hat, für die Dauer von mindestens 20 Jahren nicht – selbst nicht durch Gesetze oder Verfassungsänderungen – der völkerrechtliche Schutz genommen werden, den die Investition zum Zeitpunkt ihrer Tätigung genoss. Zwar ist die Verabschiedung von Gesetzes- oder Verfassungsänderungen, welche den Wirkungsgrad des ECT während dessen vorläufiger Anwendung schmälern, zulässig; die Änderungen haben jedoch nur Auswirkungen auf jene Investitionen, die der Modifizierung des innerstaatlichen Rechts zeitlich nachfolgen.
260
A.A., mit der nicht überzeugenden Berufung auf den Wortlaut des Art. 45 Abs. 1 ECT: Klaus, TDM Volume 2, Issue 3, June 2005.
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e) Zur Bindung der Vertragsparteien gegenüber einem den Vertrag nur vorläufig anwendenden Unterzeichner und dessen Investoren Bisher vernachlässigt wurde die – gleichwohl sehr relevante – Frage, in welchem Umfang die Unterzeichner des ECT, für die der Vertrag nach dessen Ratifikation in Kraft getreten ist (Vertragsparteien), im Verhältnis zu den Vertrag nur vorläufig anwendenden Unterzeichnern und deren Investoren gebunden sind. Zunächst ist denkbar, dass die Vertragsparteien auch gegenüber den ECT nur vorläufig anwendenden Unterzeichnern und deren Investoren vollumfänglich an die Bestimmungen des Vertrages gebunden sind. Die Folge wäre eine ungleiche völkerrechtliche Bindung. Ungleiche Bindung ist dem Völkervertragsrecht nicht grundsätzlich fremd; es gibt in der Völkerrechtspraxis vielmehr zahlreiche Verträge, in denen die Verpflichtung der einen Seite nicht mit der Gegenverpflichtung bzw. Gegenleistung der anderen Seite korreliert.261 Allerdings fällt der ECT nicht in diese Kategorie von Verträgen, denn er ist nicht auf ungleiche Bindung der Vertragsparteien, sondern auf gleiche Bindung der Vertragsparteien angelegt. Eine Ungleichheit in Bezug auf die völkerrechtliche Bindung einer Vertragspartei und eines den Vertrag vorläufig anwendenden Unterzeichners entspricht auch nicht dem Telos des Art. 45 Abs. 1 ECT. Zwar ist dieser Norm immanent, dass Unterzeichner während der vorläufigen Anwendung des Vertrages einzelne Vertragsbestimmungen faktisch unterschiedlich einhalten können. Im Sinne des Vertrages ist es jedoch nicht, dass ein Unterzeichner gegenüber einem anderen Unterzeichner (und dessen Investoren) völkerrechtlich vollumfänglich an alle Bestimmungen des ECT gebunden ist und sich von dieser Bindung allein durch Rücktritt vom gesamten Vertrag lösen kann, während der andere Unterzeichner nur à la carte gebunden ist und seine Bindung durch nachträgliche Gesetzesänderungen modifizieren kann. Genau diese Situation würde aber bestehen, wenn die Vertragsparteien vollumfänglich an die Bestimmungen des ECT nicht nur gegenüber anderen Vertragsparteien und deren Investoren gebunden wären, sondern auch gegenüber jenen Unterzeichnern, die den ECT nur vorläufig anwenden, so261
Dies gilt etwa für Entwicklungshilfeabkommen wie das 1975 unterzeichnete Abkommen von Lomé (ABl. L 25 vom 30.1.1976, S. 2). Zum Sonderfall der „unequal treaties“, welche ab Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg insbesondere mit China geschlossenen wurden, siehe Shaw, International law, S. 38 sowie Nozari, Unequal treaties in international law, S. 201 ff.
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wie deren Investoren. In dieser Hypothese hätte der letzte Unterzeichner, der den Vertrag vorläufig anwendet, ihn aber noch nicht ratifiziert hat, keinerlei Antrieb, den Vertrag überhaupt zu ratifizieren. Das kann aber nicht gewollt sein. Vielmehr überzeugt es, dass sich ein Unterzeichnerstaat, der den ECT nur vorläufig anwendet, oder ein Investor aus diesem, nur in dem Maße gegenüber einer Vertragspartei auf den ECT berufen können, als wäre jene Vertragspartei nur ein Unterzeichner, der den ECT vorläufig anwendet. Auf diese Weise ist sichergestellt, dass jeder Unterzeichner auch ein Eigeninteresse daran hat, selbst durch Ratifikation Vertragspartei zu werden; denn nur dadurch ist den anderen – inzwischen zu Vertragsparteien gewordenen – Unterzeichnern völkerrechtlich verwehrt, sich ihm oder seinen Investoren gegenüber auf innerstaatliches Recht zu berufen, um die Nichteinhaltung des Vertrages zu rechtfertigen. In diesem Sinne kann auch eine Parallele zum Vorbehaltsregime für multilaterale internationale Verträge, das in den Artikeln 19 ff. WVK kodifiziert wurde, gezogen werden. Denn letztlich spricht nichts dagegen, die in Art. 45 Abs. 1 ECT getroffene Vereinbarung als Zustimmung zum Vertrag unter Anbringung des Vorbehaltes anzusehen, dass sich der Unterzeichner (bis zur Hinterlegung der Ratifikationsurkunde) nur in dem Maße völkerrechtlich bindet, in dem seine innerstaatlichen Rechtsnormen den Vertragsbestimmungen nicht entgegenstehen.262 Die Hinterlegung der Ratifikationsurkunde ist bei dieser Sichtweise als Zurückziehen des eigenen Vorbehaltes zu sehen. Sowohl die Hinterlegung einer Ratifikationsurkunde als auch das Zurückziehen eines Vorbehaltes sind unilaterale Akte; insbesondere bedarf das Zurückziehen eines Vorbehaltes nicht der Zustimmung jener Staaten, die den Vorbehalt angenommen haben (vgl. Art. 22 Abs. 1 WVK). Das Regime der vorläufigen Anwendung eines ratifikationsbedürftigen Vertrages unter dem Vorbehalt der Vereinbarkeit seiner Normen mit innerstaatlichem Recht ist dem Vorbehaltsregime der Artikel 19 ff. WVK also durchaus vergleichbar. Nun ist für das Vorbehaltsregime aber anerkannt, dass durch den Vorbehalt nicht nur die Pflichten des den Vorbehalt erklärenden bzw. aufrechterhaltenden Staates eingeschränkt werden, sondern in gleichem 262 Die Umkehrung des in Art. 27 WVK verankerten Grundsatzes ist zwar – auch wenn sie nicht im Vertrag selbst, sondern durch die Anbringung eines Vorbehaltes erfolgt – kritisch zu sehen, jedoch ist die Umkehrung des in Art. 27 WVK verankerten Grundsatzes während der vorläufigen Anwendung eines ratifikationsbedürftigen Vertrages zulässig. Siehe dazu oben (F.I.2.c)).
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Maße die Pflichten der anderen Vertragsparteien im Verhältnis zu diesem Staat (vgl. Art. 21 Abs. 1 lit. a) und b) WVK). Ein einseitiger Vorteil zu Gunsten des einen oder anderen Staates kann folglich durch die Erklärung eines Vorbehaltes bzw. dessen Aufrechterhaltung nicht entstehen.263 Genauso wenig darf durch einen Vorbehalt in Bezug auf die Vereinbarkeit von völkerrechtlichen Normen mit innerstaatlichem Recht ein einseitiger Vorteil zu Gunsten der Investoren des den Vorbehalt anbringenden Staates entstehen. Übertragen auf den Energiecharta-Vertrag bedeutet dies: Solange ein den Vertrag nach Art. 45 Abs. 1 ECT vorläufig anwendender Unterzeichner diesen nicht ratifiziert hat (in Vorbehaltsterminologie: Solange er seinen Vorbehalt nicht zurückgenommen hat, an die Vertragsbestimmungen nur insoweit völkerrechtlich gebunden zu sein, wie dies nicht mit seinem innerstaatlichen Recht unvereinbar ist), solange sind die ECT-Unterzeichner, die den Vertrag ratifiziert (die ihren gleichlautenden Vorbehalt bereits zurückgezogen) haben, aufgrund der Reziprozität der bilateral wirkenden Pflichtenstruktur gegenüber dem Staat, der den Vertrag noch nicht ratifiziert (seinen Vorbehalt noch nicht zurückgezogen) hat – sowie gegenüber dessen Investoren – weiterhin berechtigt, sich auf ihr innerstaatliches Recht zu berufen.264 Nach alledem können sich ein den ECT nur vorläufig anwendender Unterzeichner und dessen Investoren gegenüber den ECT-Vertragsparteien nur insoweit auf die Bestimmungen des Vertrages berufen, als würden die betreffenden Vertragsparteien den ECT nur vorläufig anwenden. Umgekehrt formuliert: Gegenüber einem den Vertrag nur vorläufig anwendenden Unterzeichner sowie dessen Investoren können sich ECT-Vertragsparteien auf innerstaatliches Recht berufen, um die Nichteinhaltung von ECT-Normen zu rechtfertigen, ganz so, als würden sie den Vertrag nur i.S.d. Art. 45 ECT vorläufig anwenden. 263 264
Behnsen, Das Vorbehaltsrecht völkerrechtlicher Verträge, S. 112.
Eine deutliche Reziprozitätswertung lässt sich auch in Art. 45 Abs. 2 lit. b) ECT erkennen. Nach dieser Norm können weder ein Unterzeichner, der von der Opt-out-Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, noch ein Investor dieses Unterzeichners die Vorteile der vorläufigen Anwendung in Anspruch nehmen. Zwar geht es dabei nicht um die hier interessierende Pflichtenstruktur zwischen einem Unterzeichner, der den Vertrag vorläufig anwendet, und einem Unterzeichner, der den Vertrag bereits ratifiziert hat, sondern um das Verhältnis zwischen einem Unterzeichner, der den Vertrag nicht vorläufig anwendet, zu Unterzeichnern, die den Vertrag vorläufig anwenden. Jedoch zeigt die Norm, dass den Verhandlungsführern Reziprozitätsaspekte bei der Vereinbarung der vorläufigen Anwendung des ECT nicht gleichgültig waren.
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II. Die vorläufige Anwendung des ECT speziell in Bezug auf Russland Nachdem in abstracto für jeden Unterzeichner bestimmt wurde, wie der Umfang der völkerrechtlichen Bindung durch den ECT während dessen vorläufiger Anwendung zu ermitteln war bzw. ist, sollen diese Prinzipien nunmehr hinsichtlich des hier interessierenden Kasus Russland konkretisiert werden. Zunächst soll auf die Bindung Russlands eingegangen werden (1), anschließend auf die Bindung der anderen ECT-Unterzeichner gegenüber Russland und gegenüber russischen Investoren (2).
1. Bindung Russlands a) Vorläufige Anwendung des ECT durch Russland von 1994 bis 2009 Die Russische Föderation hat den ECT am 17. Dezember 1994 unterzeichnet. Russland hat dabei nicht von der nach Art. 45 Abs. 2 lit. a) ECT jedem Unterzeichner gegebenen Opt-out-Möglichkeit hinsichtlich der vorläufigen Anwendung Gebrauch gemacht. Ende Juli 2009 erließ die russische Regierung eine Verfügung, nach der Russland gegenüber dem Verwahrer des Energiecharta-Vertrages265 die Absicht bekunden sollte, doch nicht ECT-Vertragspartei zu werden.266 Die entsprechende Notifikation ging dem Verwahrer im August 2009 zu. In Übereinstimmung mit Art. 45 Abs. 3 lit. a) S. 2 ECT wurde die Beendigung der vorläufigen Anwendung dann zum 19. Oktober 2009 wirksam. Bis dahin wurde die Russische Föderation als Staat angesehen, der den ECT vorläufig anwendet. Nun mag es paradox erscheinen, dass die vorläufige Anwendung eines völkerrechtlichen Vertrages, die per definitionem ein Provisorium darstellt und der Sache nach nur für eine kurze Übergangsperiode gedacht
265
Verwahrer des Vertrages ist nach Art. 49 ECT die Regierung der Portugiesischen Republik. 266
Verfügung der Regierung der Russländischen Föderation vom 30. Juli 2009 N 1055-r.
Vorläufige Anwendung des ECT speziell in Bezug auf Russland
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ist, eine so lange Zeit (fast 15 Jahre) soll dauern können.267 Allerdings fand die – verständliche – Forderung, die Staaten hätten sich innerhalb eines bestimmten Zeitraums über die Ratifikation eines Vertrages oder die Beendigung der vorläufigen Anwendung dieses Vertrages zu erklären, keinen Eingang in den Text der Wiener Vertragsrechtskonvention.268 Die Völkerrechtspraxis kennt vielmehr zahlreiche Fälle, in denen Verträge über Jahre oder Jahrzehnte hinweg vorläufig angewendet wurden. Schulbeispiel dafür ist das GATT 1947.269 Allein aus dem Umstand, dass Russland den ECT Jahre nach seiner Unterzeichnung noch nicht ratifiziert hatte, bestanden folglich – bis zum Wirksamwerden der genannten Notifikation – keine Zweifel an der Bindung Russlands im Rahmen der vorläufigen Anwendung. Zweifel an dieser Bindung könnten sich jedoch möglicherweise daraus ergeben, dass Russland bereits zuvor immer wieder erklärt hatte, es werde den ECT in seiner bestehenden Form nicht ratifizieren.270 Diesen Erklärungen konnte allerdings nicht die Bedeutung einer Notifikation i.S.d. Art. 25 Abs. 2 WVK zukommen, welche ihrerseits der vorläufigen Anwendung ein Ende gemacht hätte. Denn die Notifikation ist ein formeller Akt und hat, was den ECT betrifft, nach Art. 45 Abs. 3 lit. a) ECT schriftlich beim Verwahrer zu erfolgen. Dies ist aber erst mit der Notifikation vom August 2009 geschehen. Zudem signalisierte Russland zuvor immer wieder, es könnte den ECT doch noch ratifizieren, wenn der Russischen Föderation auf gewissen Gebieten – insbesondere hinsichtlich des Transitprotokolls – entgegengekommen würde. Außerdem beteiligte sich Russland – trotz seiner ablehnenden Haltung hinsichtlich einer Ratifikation des Vertrages – sehr aktiv am institutionellen Gefüge des ECT (Chartakonferenz, Sekretariat). Nach alledem kann aus völkerrechtlicher Sicht nur der Schluss gezogen werden, dass Russland den ECT bis zum Ablauf des 18. Oktober 2009 vorläufig anwendete und völkerrechtlich im Rahmen der vorläufigen Anwendung an die Bestimmungen des Vertrages gebunden war. Die Normen des Vertrages waren bis dahin anzuwenden, es sei denn, innerstaatliches russisches 267
Vgl. dazu Krenzler, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge, S. 87 f. m.w.N. 268
Vgl. McDade, NILR 32 (1985), S. 24.
269
Zu weiteren Beispielen siehe Krenzler, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge, S. 88 f. 270
Vlg. RIA Novosti, 20.02.2007, „Putin: Russland wird Energiecharta nicht ratifizieren“ sowie RIA Novosti, 09.04.2008, „Meinung: Russland unterzeichnet Energiecharta nicht – Vize-Parlamentschef“.
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F. Wirkungsgrad des ECT von 1994 bis 2009
Recht stand dem entgegen; in diesem Fall ging das russische Recht vor. Diese Situation hätte theoretisch ewig währen können.271
b) Zulässigkeit der vorläufigen Anwendung des ECT nach innerstaatlichem russischen Recht Während der vorläufigen Anwendung des ECT durch Russland konnte der Vertrag allerdings für die Russische Föderation überhaupt nur dann völkerrechtliche Bindungswirkung entfalten, wenn nicht russisches Recht dem Institut der vorläufigen Anwendung generell entgegensteht. Stünde russisches Recht dem Institut der vorläufigen Anwendung entgegen, wäre nämlich nach der Fassung des Art. 45 Abs. 1 ECT eine ausdrückliche Erklärung i.S.d. Art. 45 Abs. 2 lit. a.) ECT entbehrlich gewesen.272 Wie die meisten Verfassungen enthält die russische Verfassung keine Norm, welche die vorläufige Anwendung von Verträgen, die der Ratifikation unterliegen, ausdrücklich sanktioniert oder verbietet.273 Insbesondere ist dem in der Russischen Verfassung verankerten Prinzip der Gewaltenteilung274 nicht zu entnehmen, dass die Russische Verfassung der vorläufigen Anwendung des ECT generell entgegensteht.275
271
Es sind gleichwohl Zweifel angebracht, ob generell eine „ewige“ Umkehrung des Prinzips aus Art. 27 WVK, und sei es über den Umweg der Vereinbarung einer „vorläufigen“ Anwendung, völkerrechtlich zulässig bzw. erwünscht ist. Der Rechtssicherheit ist diese jedenfalls abträglich. 272
Wolfgram, Investitionsschiedsgerichtsbarkeit nach dem Vertrag über die Energiecharta, S. 33. Vgl. auch International Centre for Settlement of Investment Disputes, 06.07.2007 – ICSID Case No. ARB/05/18, Ioannis Kardassopoulos v. Georgia, Decision on Jurisdiction, Rn. 227 f. 273
Zu den seltenen Beispielen, in denen die Verfassung eines Staates bzw. der Gründungsakt einer internationalen Organisation die vorläufige Anwendung internationaler Verträge erwähnt, siehe Geslin, La mise en application provisoire des traités, S. 214 ff. 274 275
Siehe insbesondere Art. 10 S. 1 und 2 VRF.
Da das Prinzip der Gewaltenteilung auch in den Verfassungen aller anderen ECT-Unterzeichner verankert ist, hätte es bei seiner Berücksichtigung im Rahmen des Art. 45 Abs. 1 ECT überhaupt keine vorläufige Anwendung des ECT geben können und die den Unterzeichnern gegebene Opt-out-Möglichkeit wäre sinnlos gewesen.
Vorläufige Anwendung des ECT speziell in Bezug auf Russland
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Unterhalb der Verfassung findet sich im Gesetz „Über die völkerrechtlichen Verträge der Russländischen Föderation“276 (ZMD), das sich stark an die in der Wiener Vertragsrechtskonvention kodifizierten Grundprinzipien anlehnt, eine Erwähnung der vorläufigen Anwendung (vremennoe primenenie). Nach Art. 23 Punkt 1 ZMD kann ein völkerrechtlicher Vertrag ganz oder teilweise bis zu seinem Inkrafttreten von der Russländischen Föderation vorläufig angewendet werden, wenn dies im Vertrag vorgesehen ist oder wenn dies anderweitig von den Unterzeichnern vereinbart wurde. Diese vom ZMD eingeräumte Möglichkeit kann auch nicht überraschen, da es nach Art. 6 Punkt 1 ZMD sogar möglich ist, die Zustimmung, durch einen völkerrechtlichen Vertrag gebunden zu sein, schon durch die bloße Unterzeichnung des Vertrages auszudrücken. Die Entscheidung über die vorläufige Anwendung trifft nach Art. 23 Punkt 2 Abs. 1 ZMD das Organ, welches die Entscheidung zur Unterzeichnung des Vertrages fällen kann. Zwar ist das ZMD erst im Juli 1995 – und damit nach der Unterzeichnung des ECT – in Kraft getreten. Allerdings gab es auch davor keine russische Norm, die der vorläufigen Anwendung völkerrechtlicher Verträge grundsätzlich entgegengestanden hätte.277 Vielmehr wies die Völkerrechtspraxis Russlands – wie zuvor die Völkerrechtspraxis der UdSSR – neben dem ECT zahlreiche Fälle auf, in denen von der Russischen Föderation internationale Verträge vorläufig angewendet wurden.278 Auf diese – schon vor Inkrafttreten des ZMD vorläufig angewenetenen
276
Föderales Gesetz vom 15. Juli 1995 N 101-FZ.
277
Letztlich ist dahingehend eine Kontinuität des sowjetischen Völkerrechtsdenkens auszumachen. Da es dem sowjetischen System inhärent war, dass es nicht zu internen Streitigkeiten zwischen verschiedenen Staatsorganen über die Ratifikation eines internationalen Vertrages kommen konnte (dazu Triska/Slusser, The theory, law, and policy of Soviet treaties, S. 65), musste die sowjetische Völkerrechtslehre auch der vorläufigen Anwendung eines internationalen Vertrages noch vor dessen Ratifikation, aufgeschlossen gegenüberstehen, vgl. auch Tunkin, YBILC 1965 vol. 1, S. 112, para 54. 278
Als Beispiele seien hier genannt die Vereinbarung vom 1. Juni 1990 zwischen den USA und der UdSSR über die Einhaltung der Abmachungen des Seegrenze-Abkommens vom 1. Juni 1990 bis zu dessen Inkrafttreten (UNTS, Reg.-Nr. 40300, Volume 2262, S. 408) sowie das Protokoll über die vorläufige Anwendung des Übereinkommens zur Gründung eines internationalen Wissenschafts- und Technologiezentrums (ABl. L 64 vom 08.03.1994, S. 2).
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wendeten – Verträge zielte explizit eine Präsidialverfügung von 1995.279 Folglich stand und steht kein innerstaatliches russisches Recht dem Institut der vorläufigen Anwendung generell entgegen. Problematisch könnte im Fall des ECT jedoch sein, dass nach Art. 23 Punkt 2 Abs. 2 S. 1 ZMD ein vorläufig angewendeter Vertrag innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab Beginn der vorläufigen Anwendung der Staatsduma zuzuleiten ist. Dies ist nämlich im Falle des ECT nicht geschehen; es verstrichen vielmehr über anderthalb Jahre.280 Zwar war – wie erwähnt – das ZMD bei Unterzeichnung des ECT noch nicht verabschiedet, jedoch hätte der Vertrag zumindest innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab Inkrafttreten des ZMD der Staatsduma zugeleitet werden müssen. Das sollte auch die soeben genannte Präsidialverfügung281 sicherstellen. Allerdings enthält das ZMD keine explizite Aussage über die Folgen einer verspäteten oder gänzlich unterlassenen Zuleitung eines vorläufig angewendeten Vertrages an die Staatsduma. Der Umstand, dass Art. 23 Punkt 2 Abs. 2 S. 2 ZMD die Möglichkeit vorsieht, den Zeitraum der vorläufigen Anwendung durch ein föderales Gesetz zu verlängern, spricht e contrario dafür, dass im Fall des Ausbleibens einer dahingehenden Entscheidung nach Ablauf der sechs Monate die vorläufige Anwendung aufzuhören hat.282 Eine solche Auslegung des ZMD würde zugleich die Position der Staatsduma stärken und dem entgegenwirken, dass die Exekutive das Einbringen eines vorläufig angewendeten Vertrages in die Duma unendlich lange aufschiebt. Allerdings wird überwiegend vertreten, dass, wenn innerhalb der Sechsmonatsfrist der Vertrag nicht in die Duma zur Ratifikation eingebracht wird, dies nicht automatisch dazu führen soll, die vorläufige Anwendung zu beenden.283 Die vorläufige Anwendung eines völkerrechtlichen Vertrages solle nicht einfach durch eine innerstaatliche Verfahrensnorm zu Fall gebracht werden; vielmehr solle die vorläufige Anwendung nur 279
Verfügung des Präsidenten der Russländischen Föderation vom 7. August 1995 N° 370-rp, SZ-RF 1995, N° 33, Art. 3363. 280
Der ECT wurde erst am 27. August 1996 zur Ratifikation in die Staatsduma eingebracht. 281 282 283
Fn. 279. Vgl. Šljancev, O meždunarodnych dogovorach Rossijskoj Federacii, S. 85.
Zvekov/Osminin, Kommentarij k Federal'nomu zakonu „O meždunarodnych dogovorach Rossijskoj Federacii“, S. 75; Långström, Transformation in Russia and international law, S. 329; Klaus, TDM Volume 2, Issue 3, June 2005.
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dann beendet werden, wenn der Wille, nicht mehr Vertragspartner werden zu wollen oder zumindest die vorläufige Anwendung zu beenden, explizit zu Tage tritt. Richtig ist, dass die Nichteinbringung eines Vertrages in die Duma nicht in jedem Fall einen neuen Willen der Regierung zum Ausdruck bringt, Russland möge nicht mehr Vertragspartner werden und die vorläufige Anwendung solle beendet werden. Die genannte Argumentation ist gleichwohl kritisch zu sehen, denn sie stellt zu sehr ab auf die Position der Regierung und zu wenig auf die Position des Parlaments. Letztlich birgt diese Argumentation das Risiko in sich, dass die Exekutive auf unbestimmte Zeit eine völkerrechtliche Bindung der Russischen Föderation für Verträge erreicht, die nach russischer Rechtsordnung der Ratifikation durch die Staatsduma unterliegen. Und dies ist mit Blick auf die verfassungsmäßigen Kompetenzzuweisungen mehr als zweifelhaft, wenn die Duma die Ratifikation des betreffenden Vertrages sofort verweigern und zugleich dessen vorläufige Anwendung beenden würde. Es überzeugt daher nicht, die Sechsmonatsfrist als bloße Formvorschrift zu verstehen, deren Verletzung in jedem Fall für die vorläufige Anwendung eines Vertrages unbeachtlich ist, insbesondere wenn – wie im Fall des ECT – der internationale Vertrag sich während der vorläufigen Anwendung unter den Vorbehalt der Vereinbarkeit seiner Normen mit dem innerstaatlichen Recht seiner Unterzeichner stellt. Vielmehr sollte in dieser Situation der Grund für das Überschreiten der Sechsmonatsfrist nicht unbeachtet bleiben, selbst wenn dieser im Einzelfall nicht leicht zu ermitteln sein wird. Ist eindeutig, dass die Regierung nur deshalb den Vertrag nicht zur Ratifikation an die Duma leitet, weil die Duma den Vertrag ablehnen würde, während die Regierung eine völkerrechtliche Bindung durch den Vertrag wünscht,284 so spricht vieles dafür, dass Art. 23 Punkt 2 Abs. 2 S. 1 ZMD mit Ablauf der Sechsmonatsfrist einer weiteren vorläufigen Anwendung des Vertrages entgegensteht. Wird das Einbringen in die Duma aus anderen Gründen über die Sechsmonatsfrist hinaus verzögert, so spricht hingegen nichts gegen die vorgenannte Auffassung, nach der Art. 23 Punkt 2 Abs. 2 S. 1 ZMD einer weiteren vorläufigen Anwendung des betreffenden Vertrages nicht entgegensteht. Wird dies nunmehr konkret auf den ECT bezogen, so ergibt sich, dass Art. 23 Punkt 2 Abs. 2 S. 1 ZMD dessen vorläufiger Anwendung nicht entgegenstand. Bis zu dem Zeitpunkt, zu dem der Vertrag schlussend284
Der Regierung kann etwa an einer fortdauernden Berechtigung durch den internationalen Vertrag schon während dessen nur vorläufiger Anwendung gelegen sein.
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lich am 27. August 1996 in die Duma zur Ratifikation eingebracht wurde, hatte weder die Russische Exekutive noch die Staatsduma die Absicht erkennen lassen, Russland solle nicht Vertragspartei des ECT werden bzw. die vorläufige Anwendung des ECT solle beendet werden.285 Dafür, dass es eine solche Absicht in der Staatsduma nicht gegeben hat, spricht auch, dass sie die Ratifikation des ECT nicht zeitnah endgültig verweigerte; vielmehr befand sich die Ratifikationsfrage noch bis 2009 zur Beratung in der Staatsduma. Insgesamt war folglich die vorläufige Anwendung des ECT durch Russland bis Mitte Oktober 2009 nach innerstaatlichem russischen Recht zulässig.286
c) Wirkungsgrad des ECT während der vorläufigen Anwendung durch Russland unter Berücksichtigung von Art. 15 Abs. 4 VRF Russland war im Rahmen des Art. 45 Abs. 1 ECT seit der Unterzeichnung des Vertrages am 17. Dezember 1994 bis zum Ablauf des 18. Oktober 2009 völkerrechtlich an dessen Bestimmungen gebunden. Nunmehr gilt es, den konkreten Umfang der völkerrechtlichen Bindung Russlands zu bestimmen. Dieser ist auch für die Bindung Russlands nach Beendigung der vorläufigen Anwendung des ECT von Bedeutung.287
aa) Hypothese entgegenstehenden Verfassungsrechts Soweit Normen der russischen Verfassung dem ECT entgegenstanden, gingen diese dem Vertrag vor. Dies ergibt sich eindeutig aus dem Vorbehalt des Art. 45 Abs. 1 ECT in Verbindung mit den Normen der Rus285
Klaus, TDM Volume 2, Issue 3, June 2005.
286
Im Ergebnis ebenso: Ad hoc Tribunal, 30.11.2009 – PCA Case No. AA 227, Yukos Universal Ltd. (UK – Isle of Man) v. Russian Federation, Interim Award on Jurisdiction and Admissibility, Rn. 330 ff., Ad hoc Tribunal, 30.11.2009 – PCA Case No. AA 228, Veteran Petroleum Trust (Cyprus) v. Russian Federation, Interim Award on Jurisdiction and Admissibility, Rn. 330 ff., Ad hoc Tribunal, 30.11.2009 – PCA Case No. AA 226, Hulley Enterprises Ltd. (Cyprus) v. Russian Federation, Interim Award on Jurisdiction and Admissibility, Rn. 330 ff. 287
Siehe dazu unten (F.III).
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sischen Verfassung, insbesondere mit Art. 15 Abs. 1 und Abs. 4 VRF sowie Art. 125 Abs. 6 VRF. Danach sind zwar die Normen des Völkerrechts Bestandteil des Rechtssystems der Russischen Föderation, stehen jedoch nicht über der Verfassung. Der Verfassung der Russischen Föderation kommt vielmehr die höchste juristische Kraft zu.
bb) Hypothese entgegenstehender Gesetze oder sonstiger Rechtsvorschriften (1) Problemaufriss: Möglichkeit einer Weiterverweisungssituation Standen jedoch nur russisches Gesetzesrecht oder sonstige Rechtsvorschriften dem ECT entgegen, so wurde die Situation dadurch verkompliziert, dass sich die russische Verfassung in Art. 15 Abs. 4 VRF bemerkenswert völkerrechtsfreundlich zeigt und in der innerstaatlichen Normenhierarchie internationale Verträge ohne weiteres über russisches Gesetzesrecht – selbst solches, welches zeitlich auf den Vertrag folgt – stellt.288 Darin liegt eine bewusste und deutliche Abkehr vom früheren sowjetischen Rechtssystem.289 Es könnte daraus zu folgern sein, dass sich aus Art. 45 Abs. 1 ECT i.V.m. Art. 15 Abs. 4 VRF während des Zeitraums der vorläufigen Anwendung des EnergiechartaVertrages eine Verweisungssituation ergab, welche mit dem Problem der Rück- bzw. Weiterverweisung (renvoi) im Internationalen Privatrecht vergleichbar ist: Der ECT verweist während dieses Zeitraums auf seine Nichtanwendbarkeit, wenn ihm russisches Gesetzesrecht entgegensteht; russisches Verfassungsrecht verweist auf den Vorrang des internationalen Vertrages vor dem russischen Gesetz, der Vertrag seinerseits verweist wieder auf den Vorrang russischen Gesetzesrechts usw. Wenn – wie oben geschehen290 – die Umkehrung des in Art. 27 WVK verankerten Grundsatzes für in Kraft getretene völkerrechtliche Verträge als unzulässig angesehen wird, so kann sich für in Kraft getretene Verträge die benannte Weiterverweisungsproblematik von vornherein nicht stellen.291 Wie oben292 gezeigt, ist die Umkehrung des in Art. 27 288
Siehe dazu Danilenko, AJIL 88 (1994), S. 464 ff.
289
Die gleiche Völkerrechtsfreundlichkeit zeigt sich auch in vielen Verfassungen anderer Staaten der ehemaligen UdSSR. Vgl. Danilenko, EJIL 10 (1999), S. 52. 290 291
F.I.2.c).
Wer der Gegenauffassung folgt, für den tritt die benannte Weiterverweisungsproblematik immer dann auf, wenn erstens ein objektiv und subjektiv in
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WVK verankerten Grundsatzes während der vorläufigen Anwendung hingegen generell zulässig. Wird dafür – wie in Art. 45 Abs. 1 ECT – optiert, so ist zu fragen, ob eine Verfassungsnorm, welche – wie Art. 15 Abs. 4 S. 2 VRF – völkerrechtliche Verträge in der innerstaatlichen Normenhierarchie über Gesetzesrecht stellt, während des Zeitraums der vorläufigen Anwendung zu der beschriebenen Weiterverweisungssituation führt. Bejahendenfalls müsste für diese eine Lösung gefunden werden. Diese Lösung könnte im Ergebnis zu einer umfangreicheren völkerrechtlichen Bindung des Staates an den betreffenden internationalen Vertrag während der vorläufigen Anwendung führen, als ohne die genannte Verfassungsnorm. Für Russland könnte dies im Falle des ECT bedeuten, dass die völkerrechtliche Bindung der Russischen Föderation während der vorläufigen Anwendung des Vertrages eventuell nicht in dem oben293 beschriebenem Ausmaß durch entgegenstehendes Gesetzesrecht geschmälert wurde.
(2) Völkerrechtliche Perspektive Die Frage, ob ein nur vorläufig angewendeter Vertrag während der vorläufigen Anwendung Vorrang vor nationalem Recht in jenen Staaten genießt, welche in ihren Verfassungen den Vorrang internationalen Rechts vor innerstaatlichem Recht anerkennen, wurde schon frühzeitig in der Völkerrechtswissenschaft aufgeworfen. Mit ihr verknüpft sind akute verfassungsrechtliche Bedenken, die noch schwerwiegender sind, Kraft getretener Vertrag seine Regelungen selbst unter den Vorbehalt der Vereinbarkeit seiner Normen mit dem innerstaatlichen Recht einer Vertragspartei stellt, es zweitens tatsächlich dem Vertrag entgegenstehendes Gesetzesrecht in einem Vertragsstaat gibt, und drittens die Verfassung dieses Vertragsstaates internationalen Verträgen den Vorrang gegenüber entgegenstehenden innerstaatlichen Gesetzen einräumt. Hinsichtlich des Umgangs mit der Weiterverweisungsproblematik scheinen die für das IPR angebotenen Lösungsmöglichkeiten, welche entwickelt wurden, um die ewige Weiterverweisung auf das Recht eines anderen Staates abzubrechen (siehe dazu etwa Mayer/Heuzé, Droit international privé, S. 158 ff.), nicht übertragbar zu sein. Das liegt vor allem darin begründet, dass Staaten – im Gegensatz zu Personen, welche von einer Weiterverweisungsproblematik im IPR betroffen sind – jederzeit einseitig dafür sorgen könnten, dass ihr innerstaatliches Recht die Verweisung annimmt, nämlich dadurch, dass die Verfassungsnorm, welche die innerstaatliche Ursache für die Weiterverweisungssituation darstellt, abgeändert wird. 292 293
F.I.2.c). F.I.2.d)bb)(2)(a).
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als die allgemeinen Bedenken hinsichtlich des Instituts der vorläufigen Anwendung internationaler Verträge. Die akuten Bedenken verfassungsrechtlicher Art hängen nun nicht nur damit zusammen, dass das eigentlich für die Begründung internationaler Verpflichtungen zuständige Organ umgangen wird, sondern zusätzlich damit, dass internationale Verträge eine Verkürzung von Freiheitsrechten für die Bürger und sonstigen Bewohner eines Staates mit sich bringen können. Und über eine Verkürzung von Freiheitsrechten darf gewöhnlich die Exekutive nicht allein entscheiden. Dies berücksichtigend hat schon Blix294 zu bedenken gegeben, ob die – auch von ihm befürwortete – vorläufige Anwendung internationaler Verträge nicht logisch auf dem Konzept beruhen müsse, dass der vorläufig angewendete Vertrag zwar völkerrechtlich zwischen den Vertragspartnern bindend sei, jedoch keine Rechtswirkung im innerstaatlichen Recht entfalte. Auch Bartoš295 äußerte sich bei der Ausarbeitung der Wiener Vertragsrechtskonvention in der ILC dahingehend, dass die meisten Rechtsordnungen, welche den Vorrang internationalen Rechts vor innerstaatlichem Recht anerkennen, der vorläufigen Anwendung nicht die Kraft zusprechen, internationale Normen in das nationale Rechtssystem einzufügen.296 Die Gegenauffassung vertritt, zumindest was die niederländische Rechtsordnung betrifft, Lefeber297 in seiner kritischen Auseinandersetzung mit dem Urteil des Arrondissment-Gerichts von Den Haag im Fall „Asylum Seeker X“.
(3) Russische Rechtsordnung Die Antwort auf die Frage, ob ein nur vorläufig angewendeter ratifikationsbedürftiger Vertrag während der vorläufigen Anwendung Vorrang vor russischem Gesetzesrecht genießt, muss letztlich durch die russische Rechtsordnung entschieden werden. Nur wenn sie positiv beantwortet wird, stellt sich die Folgefrage, wie mit Weiterverweisungsfällen umzugehen ist. 294 295
Blix, Treaty-Making Power, S. 297. YBILC 1965, vol. 1, 791st meeting, p. 110, para 21.
296
Dass für die Wiener Vertragsrechtskonvention statt des Terminus „vorläufiges Inkrafttreten“ (provisional entry into force, entrée en vigueur provisoire) der Terminus „vorläufige Anwendung“ (provisional application, application provisoire) gewählt wurde, lässt sich eventuell auch damit erklären. 297
94 f.
Lefeber in: Klabbers/Lefeber (Hrsg.), Essays on the law of treaties, S.
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Artikel 15 Abs. 4 VRF unterscheidet sich von den Vorgängerverfassungen Russlands bzw. der UdSSR dadurch, dass er die Frage über das Verhältnis zwischen Normen des internationalen und des innerstaatlichen Rechts explizit entscheidet. Nach Art. 15 Abs. 4 S. 1 VRF sind die allgemein anerkannten Prinzipien und Normen des Völkerrechts und die völkerrechtlichen Verträge der Russländischen Föderation Bestandteil ihres Rechtssystems. Legt ein völkerrechtlicher Vertrag der Russländischen Föderation andere Regeln fest als die gesetzlich vorgesehenen, so werden nach Art. 15 Abs. 4 S. 2 VRF die Regeln des völkerrechtlichen Vertrages angewandt. Die Bedingung der Ratifikation stellt dieser Verfassungsartikel nach seinem Wortlaut nicht. Dass es sich dabei um einen Zufall handelt, kann kaum angenommen werden, zum einen, weil die Bedeutung der Ratifikation für die Rechtsordnung zu groß ist, zum anderen, weil während der Verfassungsberatungen der Vorschlag gemacht und abgelehnt worden war, die Regelung explizit auf ratifizierte Verträge zu beziehen.298 Dies deutet darauf hin, dass der russische Verfassungsgeber ein Auseinanderklaffen zwischen internationalem Recht und nationalem Recht – wie dies im sowjetischen System vorkam299 – generell verhindern wollte. Da auch die Vereinbarung der vorläufigen Anwendung völkerrechtliche Verpflichtungen erzeugt, spricht dies auf den ersten Blick dafür, dass auch vorläufig angewendete Verträge während der vorläufigen Anwendung nach Art. 15 Abs. 4 S. 2 VRF übergesetzlichen Rang haben müssen. Wenn diese Argumentation hinsichtlich völkerrechtlicher Verträge plausibel erscheint, deren vorläufige Anwendung ohne Einschränkungen vereinbart wurde, so kann sie in Fällen wie dem des ECT jedoch nicht mehr ohne weiteres überzeugen. Denn, wird die vorläufige Anwendung eines Vertrages unter den Vorbehalt der Vereinbarkeit seiner Normen mit innerstaatlichem Recht gestellt, so droht aus Sicht der russischen Verfassung gar kein Auseinanderklaffen zwischen russischem Gesetzesrecht und internationalem Recht, welches die Verfassung zugunsten der Regeln des internationalen Vertrages zu entscheiden hätte. Auch spricht das genannte Wortlautargument, welches herausstellt, dass in Art. 15 Abs. 4 VRF die Bedingung der Ratifikation fehlt, nicht zwangsläufig dafür, dass auch noch nicht ratifizierte Verträge, deren vorläufige Anwendung nach den einschlägigen Gesetzen der Russischen
298
Lukašuk, Osteuropa-Recht 1997, Nr. 2-3, S. 187; Danilenko, AJIL 88 (1994), S. 464. 299
Danilenko, AJIL 88 (1994), S. 458.
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Föderation zulässig vereinbart wurde, erfasst sein sollen. Vielmehr ist der Wortlaut des Artikels für die Auslegung offen, dass darin die Bedingung der Ratifikation nur deshalb fehlt, damit die Norm auch völkerrechtlich bindende Verträge erfasst, welche – wie etwa Regierungsabkommen – gar nicht der Ratifikation unterliegen, nicht hingegen bloß vorläufig angewendete Verträge. Letztlich ist durch Wortlautauslegung nicht eindeutig ermittelbar, was unter „völkerrechtlichem Vertrag der Russländischen Föderation“ (meždunarodnyj dogovor Rossijskoj Federacii) in Art. 15 Abs. 4 VRF zu verstehen ist. Unter einer etwas überraschenden Bezugnahme auf die Wiener Vertragsrechtskonvention meint Strašun, dass darunter die Verträge zu verstehen seien, zu denen die Russische Föderation ihre Zustimmung ausgedrückt hat und die für sie in Kraft getreten sind.300 Doch selbst diese scheinbar klare Positionierung, bei der offensichtlich nicht an die Konstellation der vorläufigen Anwendung gedacht wurde, führt nicht zu einer eindeutigen Beantwortung der aufgeworfenen Fragestellung. Denn, zwar ist bei der vorläufigen Anwendung der Basisvertrag noch nicht in Kraft getreten, das Abkommen über dessen vorläufige Anwendung jedoch sehr wohl. Artikel 15 Abs. 4 S. 2 VRF erzwingt im innerstaatlichen System den Vorrang eines internationalen Vertrages gegenüber einem russischen Gesetz, wenn der Vertrag „andere Regeln als die im Gesetz vorgesehenen“ (inye pravila, čem predusmotrennye zakonom) vorschreibt. Genau die gleiche Formulierung findet sich in Art. 15 Punkt 1 Abs. 1 lit. a) ZMD.301 Nach diesem Artikel unterliegt ein völkerrechtlicher Vertrag der Ratifikation, wenn er „andere Regeln als die im Gesetz vorgesehenen“ vorschreibt. Durch diese gleiche Wortwahl drückt sich zumindest der klare Wille des russischen Gesetzgebers aus, dass ein internationaler Vertrag im Falle des Widerspruchs zu russischen Gesetzen nur dann Vorrang genießen soll, wenn der Vertrag ratifiziert wurde.302 Dieses Grundverständnis teilt der Oberste Gerichtshof der Russländischen Föderation.303 Auch Talalaev geht davon aus, dass sich Art. 15 Abs. 4 nichtauf
300
Strašun in: Kudrjavcev (Hrsg.), Kommentarij k konstitucii Rossijskoj Federacii, S. 80. 301 Sie findet sich darüber hinaus in Art. 5 Abs. 2 ZMD, der wortidentisch mit Art. 15 Abs. 4 S. 2 VRF ist. 302 303
Vgl. Lukašuk, Osteuropa-Recht 1997, Nr. 2-3, S. 186 f.
Oberstes Gericht der Russländischen Föderation (Plenum), Entscheidung Nr. 8 vom 31. Oktober 1995, Punkt 5.
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VRF nicht auf vorläufig angewendete Verträge erstreckt.304 Er begründet dies damit, dass vorläufig angewendete Verträge nicht zwingend der amtlichen Veröffentlichung unterliegen, und stützt sich somit überzeugend auf Art. 15 Abs. 3 VRF.305 Immer dann, wenn ein ratifikationsbedürftiger Vertrag vorläufig angewendet wird, bleibt es folglich – trotz der bewussten Abkehrung vom vorherigen sowjetischen System durch Art. 15 Abs. 4 VRF – bei der Abschirmung der innerstaatlichen russischen Rechtsordnung gegenüber den Normen des internationalen Vertrages bis dessen Ratifikation erfolgt ist. Auf diese Weise werden die Bürger sowie die sonstigen Bewohner der Russischen Föderation vor missbräuchlichen Eingriffen der Exekutive in die Freiheitsrechte geschützt.
cc) Ergebnis Die Frage, ob nach der russischen Verfassung ein nur vorläufig angewendeter ratifikationsbedürftiger Vertrag während der vorläufigen Anwendung Vorrang vor russischem Gesetzesrecht genießt, ist nach alledem negativ zu beantworten. Dementsprechend konnte bzw. kann es durch das Zusammenspiel von Art. 45 Abs. 1 ECT und Art. 15 Abs. 4 VRF nicht zu einem Weiterverweisungsproblem kommen. Im Rahmen dieser Untersuchung stellt sich daher nicht die Folgefrage, wie im Völkerrecht mit einer Weiterverweisungssituation umzugehen ist. Die völkerrechtliche Bindung der Russischen Föderation an die Bestimmungen des ECT während bzw. aufgrund dessen vorläufiger Anwendung bestimmte bzw. bestimmt sich allein nach den oben306 ermittelten Grundsätzen. Zu welchen Ergebnissen die Anwendung dieser Grundsätze bei einzelnen Fragen konkret führte bzw. führt, ist später zu untersuchen.307
304
Talalaev, GiP 1998, Nr. 3, S. 70.
305
Nach Art. 15 Abs. 3 VRF finden unveröffentlichte Gesetze und andere normative Rechtsakte keine Anwendung. Siehe dazu auch Zarubaeva, Obščepriznannye principy i normy meždunarodnogo prava i meždunarodnye dogovory v pravovoj sisteme Rossii, S. 91 f., Zimnenko, Meždunarodnoe pravo i pravovaja sistema Rossijskoj Federacii, S. 256 und 260 ff. sowie Långström, Transformation in Russia and international law, S. 332. 306 307
F.I.2.d)dd). Siehe dazu unten (G).
Beendigung der vorläufigen Anwendung des ECT
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2. Bindung der ECT-Vertragsparteien gegenüber Russland und russischen Investoren In Bezug auf die Frage nach der völkerrechtlichen Bindung der ECTVertragsparteien gegenüber Russland und russischen Investoren kann ebenfalls auf das oben308 Gesagte verwiesen werden. Aufgrund der Reziprozität der bilateral wirkenden Pflichtenstruktur galt: Solange Russland den ECT bloß vorläufig anwendete, konnten sich Russland und russische Investoren gegenüber den ECT-Vertragsparteien nur insoweit auf die Bestimmungen des Vertrages berufen, als hätten die betreffenden Vertragsparteien den ECT nur vorläufig angewendet. Umgekehrt formuliert: Gegenüber Russland und russischen Investoren konnten sich ECT-Vertragsparteien auf innerstaatliches Recht berufen, um die Nichteinhaltung von ECT-Normen zu rechtfertigen, ganz so, als wendeten sie den Vertrag nur i.S.d. Art. 45 ECT vorläufig an.
III. Die Beendigung der vorläufigen Anwendung des ECT durch Russland und künftige Bindung an den Vertrag Wie bereits erwähnt hat die Russische Föderation im August 2009 dem Verwahrer des ECT per Notifikation mitgeteilt, das Russland nicht mehr die Absicht hege, ECT-Vertragspartei zu werden.309 Die vorläufige Anwendung des Vertrages endete dann mit Wirkung ab dem 19. Oktober 2009. Dies bedeutet allerdings nicht, dass der Vertrag nunmehr im europäisch-russischen Verhältnis keinerlei Bedeutung mehr hätte. Denn nach Art. 45 Abs. 3 lit. b) ECT bleiben für einen Unterzeichner, der sich entschließt, doch nicht ECT-Vertragspartei zu werden, die Vertragsverpflichtungen in Bezug auf Investitionen, die Investoren anderer Unterzeichner in seinem Gebiet während der vorläufigen Anwendung des Vertrages vorgenommen haben, auch nach Beendigung der vorläufigen Anwendung bestehen, und zwar für die Dauer von 20 Jahren nach dem Tag des Wirksamwerdens der Beendigung.310 Dies bedeutet, Inves308
F.I.2.e).
309
Zu den Gründen und Konsequenzen im Überblick siehe Pritzkow, Russland-Analysen 188/09, S. 18 f. 310
Siehe dazu schon oben (F.2.d)cc)).
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F. Wirkungsgrad des ECT von 1994 bis 2009
titionen europäischer Investoren, die vor dem 19. Oktober 2009 im Energiesektor Russlands vorgenommen wurden, werden noch bis zum Ablauf des 18. Oktober 2029 jenen völkerrechtlichen Schutz nach dem ECT genießen, den sie zur Zeit ihrer Tätigung aufgrund der vorläufigen Anwendung des Vertrages durch Russland genossen. Umgekehrt genießen auch russische Investoren, welche bis zum genannten Stichtag Investitionen in den Energiesektor der europäischen Vertragsparteien getätigt haben, bis zum Ablauf des 18. Oktober 2029 jenen völkerrechtlichen Schutz, den sie ihrerseits aufgrund der vorläufigen Anwendung des Vertrages genossen.311
311
Dies ergibt sich zwar nicht aus dem Wortlaut des Art. 45 Abs. 3 lit. b) ECT, wohl aber aus dem Sinn und Zweck des Vertrages sowie aus der nach dem Vertrag gewollten Reziprozität der Pflichtenstruktur. Zu letzterem vgl. oben (F.I.2.e)).
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G. Völkerrechtlicher Status quo zu zentralen Fragestellungen hinsichtlich der europäischrussischen Beziehungen im Energiebereich Im Folgenden sollen zentrale Fragestellungen hinsichtlich der europäisch-russischen Beziehungen im Energiebereich betrachtet werden. Auf dem bisher gelegten Fundament aufbauend, werden dabei u.a. auch ECT-Bestimmungen immer wieder eine Rolle spielen. Zum einen, weil diese für einen Zeitraum von knapp 15 Jahren im europäisch-russischen Verhältnis (im Rahmen der vorläufigen Anwendung des ECT) völkerrechtliche Bindungswirkung entfalteten und die europäisch-russischen Beziehungen im Energiesektor generell stark prägten; zum anderen, weil auch in Zukunft damit zu rechnen ist, dass ECT-Bestimmungen bei der Gestaltung der europäisch-russischen Beziehungen im Energiebereich als Referenz herangezogen werden.
I. Souveränität über Energieressourcen und weitere Souveränitätsaspekte im Verhältnis zwischen der EU und Russland 1. Inhalt der relevanten Souveränitätsrechte a) Souveränität allgemein Souveränität ist einer der Zentralbegriffe des klassischen Völkerrechts.312 Auch in der modernen Völkerrechtskonzeption kommt dem Souveränitätsbegriff hohe Bedeutung zu. Er definiert sich zuvorderst durch staatliche Unabhängigkeit und durch das Nichtunterworfensein unter eine höhere Autorität. Staatliche Souveränität hat zahlreiche Aspekte, von denen ihr abwehrender Charakter besonders hervorzuheben 312
Siehe etwa die Hervorhebung der souveränen Gleichheit aller Mitglieder der UN in Art. 2 Abs. 1 UN-Charta. S. Pritzkow, Das völkerrechtliche Verhältnis zwischen der EU und Russland im Energiesektor, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 227, DOI 10.1007/978-3-642-21168-3_7, © by Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V., to be exercised by Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Published by Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011. All Rights Reserved.
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G. Fragestellungen hinsichtlich der Beziehungen im Energiebereich
ist.313 Zugleich ist Souveränität in der Völkerrechtsordnung aber auch mit gewissen Pflichten verbunden.314 Im Abschluss völkerrechtlicher Verträge durch einen Staat bzw. in der Anerkennung einer völkergewohnheitsrechtlichen Norm zeigt sich die Ausübung staatlicher Souveränität. Die dadurch erreichte Bindung beschränkt aber auch häufig die Handlungsoptionen des Staates; denn alle Souveränitätsattribute dürfen in der Völkerrechtsordnung nur im Einklang mit geltenden Völkerrechtsnormen ausgeübt werden.
b) Souveränität über Energievorkommen Die Souveränität eines jeden Staates über die sich auf seinem Territorium befindenden natürlichen Ressourcen (natural resources) – und damit auch über seine Energiereserven und Energieressourcen (Energievorkommen) – ist ein seit langem allgemein anerkannter Grundsatz des Völkerrechts.315 Nach diesem kann jeder Staat frei entscheiden, ob er seine Bodenschätze gegenwärtig überhaupt zum Abbau freigibt oder sie für spätere Generationen im Boden belässt.316 Auch ist jeder Staat, der sich entschlossen hat, gewisse Bodenschätze zum Abbau freizugeben, grundsätzlich in der Entscheidung frei, wen er den Abbau vornehmen lässt. Enteignungen sind ebenfalls grundsätzlich zulässig, wenn sie in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht vorgenommen werden.
313 So hat jeder souveräne Staat gegenüber den anderen Staaten im Grundsatz ein Anrecht auf Respekt seiner territorialen Integrität sowie auf Nichteinmischung in seine inneren Angelegenheiten. 314
So muss jeder Staat dafür sorgen, dass sein Staatsgebiet nicht genutzt wird, um einem anderen Staat zu schaden. 315
Siehe UN GA Resolution 1803 (XVII). Vgl. auch Wolfgram, Investitionsschiedsgerichtsbarkeit nach dem Vertrag über die Energiecharta, S. 136 m.w.N. 316 Daraus folgt zugleich, das ein rohstoffreicher Staat nicht gezwungen ist, seine Rohstoffe abzubauen bzw. abbauen zu lassen und diese dann rohstoffarmen Staaten zur Verfügung zu stellen bzw. zu verkaufen. Dazu Pröfrock, Energieversorgungssicherheit im Recht der Europäischen Union/ Europäischen Gemeinschaften, S. 158 ff.
Souveränität über Energieressourcen
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c) Sonstige relevante Souveränitätsaspekte Aus der Staatssouveränität resultiert darüber hinaus die Hoheit des Staates hinsichtlich der Nutzung und Umgestaltung seines Territoriums. Zwar ist die Freiheit des Transits ungefährlicher Güter, deren Transport über das Gebiet eines Staates hinweg diesen Staat nicht merklich belastet, im Völkerrecht anerkannt, jedoch geht die Einschränkung staatlicher Souveränität durch die Freiheit des Transits grundsätzlich nicht so weit, dass ein (potentieller) Transitstaat verpflichtet wäre, neue Transportinfrastruktur zu schaffen bzw. bestehende auszubauen.317
d) Status quo und Interessenlage Souveränitätsaspekte, die mit Transit, Handel, Steuerhoheit und Umweltaspekten im Zusammenhang stehen, werden an geeigneter Stelle weiter unten angesprochen. Hinsichtlich der Souveränität über Energievorkommen soll hingegen bereits an dieser Stelle etwas angemerkt werden. Souveränität über Energievorkommen wird – was nicht weiter verwundert – im GATT und im Text des PCA von 1994 nicht ausdrücklich angesprochen.318 Dafür taucht dieser Souveränitätsaspekt – und dies mag durchaus verwundern – an prominenter Stelle im Vertrag über die Energiecharta auf, nämlich im ersten Artikel des Teils IV (Art. 18 ECT). In Art. 18 Abs. 1 S. 1 ECT anerkennen die Vertragsparteien die Souveränität des Staates und seine souveränen Rechte über die Energievorkommen. Nach Art. 18 Abs. 2 ECT lässt der Vertrag – ungeachtet der Zielsetzung, den Zugang zu Energievorkommen und deren Aufsuchung und Erschließung auf kommerzieller Grundlage zu fördern – die Eigentumsordnung der Vertragsparteien in Bezug auf Energievorkommen unberührt. Insbesondere behält nach Art. 18 Abs. 3 ECT jeder Staat weiterhin das Recht, über die geographischen Bereiche innerhalb seines Gebiets zu entscheiden, die für die Aufsuchung und Erschließung seiner Energievorkommen zur Verfügung gestellt werden. Auch kann er
317 Ausführlicher zur Freiheit des Transits – insbesondere im Kontext von pipelinegebundenem Transport – siehe unten (G.III.2). 318
Siehe gleichwohl Art. XX lit. g) GATT sowie Art. 19 PCA, welche beide den Aspekt „Erhaltung erschöpflicher Naturschätze“ bzw. „Schutz natürlicher Ressourcen“ enthalten.
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G. Fragestellungen hinsichtlich der Beziehungen im Energiebereich
weiterhin bestimmen, wie und in welchem Tempo die Energievorkommen abgebaut werden. An anderer Stelle, nämlich in Art. 13 Abs. 1 ECT, wird klargestellt, dass zwar Enteignungen grundsätzlich nicht dem Geiste des Vertrages entsprechen, jedoch solche Enteignungen, die im öffentlichen Interesse liegen, nichtdiskriminierend sind, nach rechtstaatlichen Grundsätzen erfolgen und mit einer umgehenden, wertentsprechenden und tatsächlich verwertbaren Entschädigung einhergehen, auch nach dem Energiecharta-Vertrag zulässig sind. Der ECT bestätigt folglich vollumfänglich den allgemein anerkannten völkerrechtlichen Grundsatz der Souveränität eines jeden Staates über die auf seinem Territorium befindlichen Energievorkommen. Dass dieser Souveränitätsaspekt, wie alle Souveränitätsaspekte, von den Vertragsstaaten des ECT in Übereinstimmung mit den Regeln des Völkerrechts und nach Maßgabe dieser Regeln ausgeübt werden müssen, wie in Art. 18 Abs. 1 S. 2 ECT von den Vertragsparteien bekräftigt wird, verwundert nicht. Denn dies ist schon ebenso lange anerkannt, wie die Souveränität eines jeden Staates über seine natürlichen Ressourcen selbst. Wenn nach dem soeben Gesagten der Eindruck entsteht, die Erwähnung der Souveränität über Energievorkommen im ECT sei eigentlich redundant, so enthält dies zwar einen wahren Kern. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass erstens der Vertrag in einem bestimmten historischen Kontext erarbeitet wurde und dass zweitens die Unterstreichung der Staatssouveränität in einem eigenen Artikel bei der Lektüre anderer Artikel des Vertrages von Bedeutung sein kann.319 Zum ersten Punkt sei daran erinnert, dass schon die UdSSR – der Vorgänger vieler Vertragsstaaten des ECT – besonders auf ihre staatliche Souveränität bedacht war.320 Auch ihre Nachfolgestaaten legten nach dem Zerfall der UdSSR außerordentlichen Wert auf ihre wieder oder neu erlangte staatliche Souveränität.321 Generell ist für Staaten, die – wie z.B. auch Norwegen – an Energieträgern und sonstigen Rohstoffen 319
Vgl. auch Art. 1 der Chicago-Convention (Sartorius II, Nr. 399), in dem ebenfalls die staatliche Souveränität unterstrichen wird. 320
Zum sogenannten Souveränitätsdogma als Grundpfeiler der sowjetischen Völkerrechtsdoktrin siehe Meissner, Die Sowjetunion, die baltischen Staaten und das Völkerrecht, S. 159 ff. und Bracht, Entwicklung und Grundzüge der sowjetischen Völkerrechtstheorie, S. 139 ff. 321
Dies gilt ebenfalls für Russland, das seit der Deklaration über die staatliche Souveränität der RSFSR vom 12. Juni 1990 stark auf die Bewahrung seiner Souveränität fokussiert ist. Vgl. dazu etwa Barysch in: Johnson (Hrsg.), Perspectives on EU-Russia relations, S. 26.
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reich sind, die Betonung ihrer staatlichen Souveränität über diese natürlichen Ressourcen besonders wichtig. In diesem Kontext überrascht die ausdrückliche Bekräftigung des Grundsatzes der Souveränität über Energievorkommen im Energiecharta-Vertrag, der Energieexporteure und Energieimporteure verbindet, weniger. Zum zweiten Punkt sei angemerkt, dass die ausdrückliche Bekräftigung der Souveränität über Energievorkommen bei der Auslegung sonstiger Normen des ECT zur Konsequenz hat, dass der Auslegende im Zweifel die Auslegungsalternative zu wählen hat, welche die Souveränität der Vertragsstaaten und ihre souveränen Rechte über ihre Energievorkommen am wenigsten tangiert. Für das Verhältnis zwischen der EU und Russland ergibt sich aus dem Gesagten Folgendes: Erstens kann sich Russland vollumfänglich auf den allgemein anerkannten Grundsatz der Souveränität eines jeden Staates über seine Energievorkommen berufen. Russland könnte sich auch dann auf diesen Grundsatz vollumfänglich berufen, wenn es den ECT ratifiziert hätte. Zweitens und daraus folgend war und ist Russland völkerrechtlich nicht gehalten, die auf seinem Territorium befindlichen Energieträger abzubauen bzw. abbauen zu lassen, um damit das Bedürfnis nach Energie in Europa zu befriedigen. Russland wäre auch dann völkerrechtlich nicht dazu angehalten, wenn es den ECT ratifiziert hätte. Die Reduzierung der Fördermengen ist grundsätzlich völkerrechtlich nicht verboten. Dies ist insbesondere mit Blick auf einen möglichen Beitritt Russlands zur OPEC bzw. mit Blick auf die Gründung eines OPEC-Äquivalents für gasexportierende Staaten von Bedeutung. Drittens ist Russland, wenn es sich entschließt auf seinem Territorium befindliche Energieträger zum Abbau freizugeben, völkerrechtlich nicht gehalten, ausländischen und namentlich europäischen Unternehmen Zugang zu den Energielagerstätten zu gewähren. Auch daran hätte sich im Falle einer Ratifikation des ECT durch Russland nichts geändert; die verbreitete entgegengesetzte Auffassung ist irrig.322 Der völkerrechtliche Status quo in Bezug auf Russlands Souveränität über die auf russischem Territorium lagernden Energievorkommen entspricht den Interessen Russlands. Die Russische Föderation unterstreicht immer wieder die Bedeutung staatlicher Souveränität im Allge322 So auch Konopljanik, Političeskij žurnal, Nr. 116, 13. Juni 2006, S. 35 und Konoplyanik/Wälde, JENRL 24 (2006), Nr. 4, S. 539 f. Vgl. auch Footer in: Wälde (Hrsg.), The Energy Charter Treaty, S. 447 f. Zur Nichtdiskriminierung nach dem ECT in der Phase vor Tätigung einer Investition siehe unten (G.IV.2.e)).
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G. Fragestellungen hinsichtlich der Beziehungen im Energiebereich
meinen und die Bedeutung der Souveränität über natürliche Ressourcen im Besonderen. Auch wenn Russland den ECT ratifiziert hätte, entspräche die Regelungssituation dem Interesse Russlands an der Bewahrung seiner souveränen Rechte über Energievorkommen. Die auf Energieimporte angewiesene EU bzw. ihre auf Energieimporte angewiesenen Mitgliedstaaten könnten hingegen mit Blick auf ihre Energieversorgungssicherheit durchaus ein Interesse an einer völkerrechtlichen Verpflichtung Russlands haben, zumindest so viele Energieträger zum Abbau und zur Lieferung an die EU freizugeben, wie in der EU gerade benötigt werden. Eine solche Position wird aber von europäischer Seite nicht artikuliert; wohl aus der begründeten Befürchtung, dass ihr andernfalls eine koloniale Attitüde unterstellt würde.323 Vielmehr hat die europäische Seite das Prinzip der Souveränität über Energievorkommen im ECT selbst bekräftigt und sie versucht, die eigene Energieversorgung auf andere Weise, als durch ein Infragestellen dieses Prinzips, sicherzustellen.324 Es kann daher davon ausgegangen werden, dass der völkerrechtliche Status quo ebenso wie die Regelungssituation, die bestünde, wenn Russland ECT-Vertragspartei wäre, nicht den Interessen der EU bzw. ihrer Mitgliedstaaten entgegensteht.
2. Räumliche Ausdehnung der relevanten Souveränitätsrechte Die Ausübung staatlicher Souveränität ist räumlich begrenzt. Souveräne Rechte über natürliche Ressourcen auf dem Festland können Staaten nur dann geltend machen, wenn sich die natürlichen Ressourcen innerhalb ihrer Staatsgrenzen befinden. Was die natürlichen Ressourcen des Meeres betrifft, so gelten für die EU und Russland – wie auch für die meisten anderen Staaten – die Grundsätze des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1982 (SRÜ).325 Nach Art. 56 Abs. 1 SRÜ erstrecken sich die souveränen Rechte eines Küs323
Die EU fordert allenfalls von der russischen Regierung politischen Willen dahingehend ein, neue Felder zu erkunden. Siehe dazu etwa RIA Novosti, 08.10.2008, „EU plädiert für Investitionen in Ölindustrie Russlands“. 324 325
Siehe dazu unten (G.VII.2).
Zum Text des Seerechtsübereinkommens siehe BGBl. 1994 II, S. 1799. Sowohl die Russische Föderation als auch die EG und die EU-Mitgliedstaaten sind dem Übereinkommen beigetreten. Nicht beigetreten sind die USA.
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tenstaates zur Erforschung, Ausbeutung, Erhaltung und Bewirtschaftung natürlicher Ressourcen im Meer auf die ausschließliche Wirtschaftszone.326 Darüber hinaus – und dies ist hinsichtlich der im Meeresuntergrund lagernden Energieträger von besonderer Bedeutung – übt jeder Küstenstaat nach Art. 77 Abs. 1 SRÜ souveräne Rechte über den zu ihm gehörenden Festlandsockel (continental shelf, plateau continental) zum Zwecke seiner Erforschung und der Ausbeutung seiner natürlichen Ressourcen aus. Der Festlandsockel eines Küstenstaates umfasst nach Art. 76 Abs. 1 Alt. 1 SRÜ den jenseits des Küstenmeers gelegenen Meeresboden und Meeresuntergrund der Unterwassergebiete, die sich über die gesamte natürliche Verlängerung seines Landgebiets bis zur äußeren Kante des Festlandrandes (continental marge, marge continentale) erstrecken. Verläuft die äußere Kante des Festlandrandes in einer Entfernung von weniger als 200 Seemeilen ab der Basislinie, so gilt nach Art. 76 Abs. 1 Alt. 2 SRÜ der Meeresgrund und Meeresuntergrund innerhalb der 200-Seemeilen-Zone aber außerhalb der äußeren Kante des Festlandrandes gleichwohl als zum Festlandsockel gehörig (sog. rechtlicher Festlandsockel). Die folgenden Absätze des Art. 76 SRÜ enthalten Präzisierungen hinsichtlich der äußeren Grenzen des Festlandsockels sowie der Festlegung dieser Grenzen. Die Russische Föderation ist bestrebt, hinsichtlich des Meeresgrundes im Arktischen Ozean, in dem große Rohstoffvorkommen vermutet werden, umfangreiche Territorialansprüche zu stellen. Dies hat nicht zuletzt das Aufstellen der russischen Flagge auf dem Meeresgrund am geographischen Nordpol im Sommer 2007 deutlich gemacht. Dieser Markierung kommt allerdings keinerlei völkerrechtliche Bedeutung zu. Das SRÜ sieht für die Festlegung der Grenzen des Festlandsockels, wenn dieser über die 200-Seemeilen-Zone hinausgeht (sog. Erweiterter Festlandsockel), vielmehr ein internationales Verfahren vor. Danach übermittelt der Küstenstaat der Kommission zur Begrenzung des Festlandsockels (CLCS) Angaben über die Grenzen seines Festlandsockels einschließlich erläuternder wissenschaftlicher und technischer Daten (Art. 76 Abs. 8 S. 1 SRÜ i.V.m. Art. 4 S. 1 der Anlage II zum SRÜ). Die Kommission richtet an den Küstenstaat Empfehlungen in Fragen, die sich auf die Festlegung der äußeren Grenzen seines Festlandsockels beziehen; legt der Küstenstaat dann auf der Grundlage dieser Empfehlungen die Grenzen des Festlandsockels fest, so sind diese endgültig und 326
Die ausschließliche Wirtschaftszone darf sich nach Art. 57 SRÜ nicht weiter als 200 Seemeilen von der Basislinie erstrecken. Zum Begriff der Basislinie siehe Art. 5 ff. SRÜ.
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G. Fragestellungen hinsichtlich der Beziehungen im Energiebereich
verbindlich (Art. 76 Abs. 8 S. 2 und 3 SRÜ). Ist der Küstenstaat hingegen mit den Empfehlungen der Kommission nicht einverstanden, so bringt er innerhalb einer angemessenen Frist einen überarbeiteten oder neuen Antrag bei ihr ein (Art. 8 der Anlage II zum SRÜ). Russland hat bereits am 20. Dezember 2001 einen Antrag an die Kommission zur Begrenzung des Festlandsockels gerichtet. Die Kommission hat diesen Antrag 2002 weder abgelehnt noch angenommen, sondern vielmehr vorgeschlagen, Russland möge einen auf weitere Untersuchungen gestützten Antrag vorlegen. Vermutlich wird Russland bei seinem neuen Antrag zu beweisen versuchen, dass Teile des LomonosovRückens und des Mendeleev-Rückens zu qualifizieren sind als „unterseeische Erhebungen, die natürliche Bestandteile des Festlandrandes sind“ (submarine elevations that are natural components of the continental margin). Dann würde nämlich nach Art. 76 Abs. 6 S. 2 SRÜ die räumliche Beschränkung, nach der die äußere Grenze des Festlandsockels nicht weiter als 350 Seemeilen von der Basislinie entfernt sein darf, nicht gelten. Es könnten dann auch sich außerhalb der 350-SeemeilenZone befindende Meeresgrundgebiete zum Festlandsockel Russlands gehören, wenn sie nicht weiter als 100 Seemeilen von der 2500-MeterWassertiefenlinie entfernt liegen.327 Hinsichtlich der Ausdehnung des Festlandsockels der Russischen Föderation im Arktischen Ozean bleiben zunächst die Ergebnisse der geologischen Untersuchungen in der Arktis und die darauf gestützten Empfehlungen der Kommission zur Begrenzung des Festlandsockels abzuwarten. Zu beachten ist, dass die Kommission kein Mandat hinsichtlich der Abgrenzung sich überlappender Territorialansprüche hat (vgl. Art. 9 der Anlage II zum SRÜ), was insbesondere für mögliche Ansprüche Dänemarks und Kanadas von Bedeutung ist.
II. Handel mit Energieträgern, Strom und energieintensiven Produkten Wichtige Fragen, welche die Beziehungen zwischen der EU und Russland im Energiesektor betreffen, sind handelsbezogen. Sie betreffen zuvorderst mengenmäßige Einfuhr- und Ausfuhrbeschränkungen für 327
27.
Siehe schon Benitah, ASIL Insights, November 8, 2007, Volume 11, Issue
Handel mit Energieträgern
105
Energieträger und Strom (2) sowie Ein- und Ausfuhrzölle (3). Weitere Fragen betreffen langfristige Gaslieferverträge mit sogenannten Territorial-restriction-clauses (4). Zunächst soll ein kurzer allgemeiner Überblick über Handelsströme mit Energiebezug gegeben werden (1).
1. Allgemeiner Überblick über europäisch-russische Handelsströme im Energiesektor Russland ist reich an Energieträgern. Gegenwärtig ist im europäischrussischen Verhältnis der Handel mit den Energieträgern Erdöl, Erdgas und Nuklearmaterial von besonderer Bedeutung.
a) Erdöl Von dem in Russland geförderten Rohöl werden ungefähr 50 % direkt exportiert; der Rest wird in Russland raffiniert, wobei von den gewonnenen Ölprodukten wiederum 50 % für den Export bestimmt sind.328 Der Export von Rohöl nach Europa erfolgt vor allem über die DružbaPipeline, per Tanker und auf dem Schienenweg. Öllieferverträge werden zwischen Privatunternehmen geschlossen, auf russischer Seite etwa Lukoil und auf europäischer Seite etwa einem an der Raffinerie Schwedt/Oder beteiligten Unternehmen. Die Lieferverträge russischer Ölförderer bzw. russischer Öllieferanten mit europäischen Abnehmern sind in der Regel nicht langfristiger Natur.
b) Erdgas Der Export von in Russland gefördertem Erdgas nach Europa erfolgt gegenwärtig hauptsächlich leitungsgebunden über verschiedene Pipeline-Stränge. Der größte russische Gasförderer und Betreiber des einheitlichen Gaspipelinenetzes Gazprom hat ein gesetzlich verankertes Exportmonop
328
Vgl. Götz, SWP-Studie 2005/S 40, Dezember 2005, S. 14, Fn. 27.
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G. Fragestellungen hinsichtlich der Beziehungen im Energiebereich
portmonopol.329 Zum einen schließt Gazprom langfristige Lieferverträge (LTC) mit seinen europäischen Abnehmern, etwa E.ON Ruhrgas, GdF SUEZ oder ENI.330 Zum anderen beliefert Gazprom auch seine in den Importstaaten ansässigen Tochterunternehmen und Joint Ventures und hat über diese Zugang zu europäischen Endverbrauchern.331 Langfristige Gaslieferverträge zeichnen sich dadurch aus, dass sie sogenannte Take-or-pay-Klauseln (TOP-Klauseln)332 enthalten und dass der Bezugspreis für das gelieferte Erdgas leicht zeitversetzt an den Preis von Substitutionsenergieträgern (zumeist Erdöl) gekoppelt333 ist. Zudem enthielten langfristige Gaslieferverträge mit europäischen Abnehmern klassischerweise sogenannte Territorial-restriction-clauses.334 Zur Zeit des kalten Krieges wurden als Übergabepunkte für das gelieferte Erdgas Grenzpunkte der sowjetischen Einflusssphäre vereinbart. Für den ös329
Siehe Art. 3 Punkt 1 des Föderalen Gesetzes vom 18. Juli 2006 N 117-FZ „Über Gasexport“. Siehe auch Bollinger-Kanne in: Meier-Walser (Hrsg.), Energieversorgung als sicherheitspolitische Herausforderung, S. 141. 330
Der Abschluss von Gaslieferverträgen ist in erster Linie ein Akt zwischen Privatunternehmen; Staaten bzw. ihre Regierungen spielen dabei an sich keine Rolle, die über die eines Anteilseigners an den betreffenden Unternehmen hinausgeht. Gleichwohl haben Regierungen typischerweise ein Interesse daran, dass auf ihrem Staatsgebiet ansässige Unternehmen für sie günstige Verträge erreichen. Denn Verträge über Energielieferungen sind ein wichtiger Faktor für gesamtwirtschafltiche Entwicklung. Dies erklärt, weshalb der Abschluss mancher Verträge durch die Anwesenheit von Regierungsmitgliedern flankiert wird. 331
Siehe dazu etwa Mitrova, RAD 41/08, S. 3.
332
Der Begriff Take-or-pay-Klauseln hat sich für solche Vertragsbestimmungen eingebürgert, nach denen der jeweils anwendbare Preis für die vereinbarten Abnahmevolumina auch dann zu zahlen ist, wenn diese nicht gebraucht und daher nicht abgenommen werden. Langfristige Lieferverträge mit Take-or-payKlauseln wurden und werden heute noch als notwendig angesehen, um die enormen Investitionen in Förderkapazitäten und die Transportinfrastruktur langfristig abzusichern. Vgl. etwa Konoplyanik, JENRL 23 (2005), Nr. 3, S. 286 und 288. Siehe auch Laumann, Langfristige Bezugsbindungen in Gaslieferverträgen nach dem europäischen Kartellrecht, S. 16 f. 333
Zur Preisbildung für Erdgas aus Russland siehe z.B. Konoplyanik, JENRL 23 (2005), Nr. 3, S. 287. Zur Preisbildung für Erdgas auf den europäischen Märkten allgemein siehe Energy Charter Secretariat (Hrsg.), Putting a Price on Energy – International Pricing Mechanisms for Oil and Gas. 334
Territorial-restriction-clauses – auch Destination-clauses genannt – verbieten dem Abnehmer, das abgenommene Gas außerhalb seines Zielversorgungsgebietes zu verkaufen. Siehe dazu unten (G.II.4).
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terreichischen, den italienischen, den deutschen und den französischen Markt waren die Übergabepunkte Baumgarten335 und Waidhaus336 von Bedeutung. Diese Übergabepunkte wurden nach dem Zerfall der Sowjetunion als integraler Bestandteil der bestehenden langfristigen Lieferverträge beibehalten. Auch in langfristigen Gaslieferverträgen neueren Datums wurden diese Übergabepunkte vereinbart.337
c) Nuklearmaterial Die russische Nuklearwirtschaft ist nicht nur in der Lage, natürliches Uran (Natururan) zu fördern und zu exportieren, sondern auch, Natururan anzureichern und die Anreicherungsprodukte (insbesondere Brennstäbe) zu exportieren. Zudem verfügt die russische Nuklearindustrie über Wiederaufbereitungskapazitäten. Auf europäischer Seite darf nach Art. 52 Abs. 2 lit. b) EAGV allein die Euratom-Versorgungsagentur (ESA) Lieferverträge über Nuklearmaterial abschließen. In der Praxis schließen allerdings die Bezieher von Nuklearmaterial direkt mit ihren Versorgern Lieferverträge, welche aber von der letztlich entscheidenden Genehmigung der ESA abhängig sind.
d) Elektrische Energie Elektrische Energie kann gegenwärtig aus technischen Gründen nicht in größerem Umfang von Russland in Richtung EU oder von der EU in Richtung Russland gehandelt werden. Es fehlt an der dafür notwendigen Übertragungsinfrastruktur. Auch ist zumindest momentan noch zweifelhaft, ob in Russland genügend Erzeugungskapazitäten für den Export von elektrischer Energie im großen Stil zur Verfügung stehen.
335 Baumgarten an der March befindet sich an der österreichisch-slowakischen Grenze. 336 337
Waidhaus befindet sich an der deutsch-tschechischen Grenze.
Zu den Gründen und den Konsequenzen bei Transitproblematiken siehe unten (G.III.2.c)).
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G. Fragestellungen hinsichtlich der Beziehungen im Energiebereich
e) Welthandel mit Energieträgern und GATT/WTO Für das Welthandelssystem insgesamt ist festzustellen, dass das GATT im Energiesektor nur eine sehr geringe Bedeutung für den Handel mit Primärenergieträgern erlangt hat. Dies mag an einer informellen politischen Absprache (gentlemen’s agreement) liegen, wonach Energiegüter vom Anwendungsbereich des Handelsübereinkommens stillschweigend ausgenommen sein sollen.338 Vor allem wird dies aber daran liegen, dass im Energiesektor grundsätzlich eine atypische Interessenlage vorherrscht. Die historisch gewachsene Welthandelsordnung beruht nämlich auf der Ausgangslage, dass Handelsnationen ihre Überschussproduktion im Ausland zu günstigen und verlässlichen Bedingungen absetzen wollen und dass dieses Handelsinteresse häufig auf einen staatlichen Regulierungsansatz trifft, der die ausländische Gütereinfuhr beschränkt. Dahingehend treffen die Exporteure des im Welthandel extrem wichtigen Erdöls gewöhnlich auf keinerlei Behinderungen des Absatzes im Ausland. Dies erklärt schlüssig, weshalb GATT-Normen für NettoEnergie-Exporteure bisher – im Gegensatz zu Exporteuren anderer Güter – kaum Bedeutung hatten; es besteht jedoch keine Veranlassung daran zu zweifeln, dass Welthandelsrecht im Grundsatz auch auf Energieträger als Handelsware Anwendung findet.
2. Ausfuhrbeschränkungen und Einfuhrbeschränkungen Im Folgenden soll zunächst auf mengenmäßige Ausfuhrbeschränkungen eingegangen werden (a)), anschließend auf mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen (b)) und schließlich auf Sonderprobleme im Zusammenhang mit der Wiederaufbereitung von Nuklearmaterial (c)).
338
Vgl. dazu Schorkopf in: Leible/Lippert/Walter (Hrsg.), Die Sicherung der Energieversorgung auf globalisierten Märkten, S. 97.
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a) Ausfuhrbeschränkungen für Primärenergieträger durch Russland aa) Die Frage nach der völkerrechtlichen Zulässigkeit hypothetischer Ausfuhrbeschränkungen Gegenwärtig ist die Ausfuhr von Primärenergieträgern aus Russland mengenmäßig nicht beschränkt.339 Zwar hat der Umstand, dass Gazprom grundsätzlich ein Exportmonopol in Bezug auf Erdgas innehat und dass der Zugang zu Gazproms Leitungsnetzwerk sich zum Teil schwierig gestaltet, zur Konsequenz, dass Ölförderer in Russland ihr bei der Ölgewinnung als Nebenprodukt angefallenes Erdgas (associated gas) einfach vor Ort abgefackelt haben.340 Dies war jedoch nicht Folge einer auf mengenmäßige Ausfuhrbeschränkung gerichteten staatlichen Politik. Gleichwohl lohnt es, auch mit Blick auf doppelte Preisnotierung für Energieträger, die völkerrechtliche Zulässigkeit von Ausfuhrbeschränkungen für Primärenergieträger zu untersuchen.
bb) Souveränität Ausgangspunkt für Überlegungen zur Zulässigkeit von Ausfuhrbeschränkungen muss die staatliche Souveränität sein. Im Grundsatz ist ein Staat frei, die Ausfuhr von Rohstoffen – oder von anderen Waren – aus seinem Staatsgebiet zu verbieten oder mengenmäßig zu beschränken.
cc) GATT/WTO Bekanntlich strebt Russland – wenn auch mit schwankender Intensität – nach WTO-Mitgliedschaft. Dies führt zu der Frage, ob Russlands grundsätzliche Freiheit zum souveränen Erlass von Ausfuhrbeschränkungen für bereits geförderte und sich im Handel befindliche Energieträger durch den WTO-Beitritt eingeschränkt würde. Ausgangspunkt für dahingehende Betrachtungen muss Art. XI Abs. 1 GATT sein, nach dem Ausfuhrbeschränkungen im Verhältnis zwischen zwei Vertragsparteien grundsätzlich verboten sind. 339 340
186.
Zu Exportregulierung durch Exportzölle siehe unten (G.II.3). Vgl. Johnson in: Johnson (Hrsg.), Perspectives on EU-Russia relations, S.
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G. Fragestellungen hinsichtlich der Beziehungen im Energiebereich
Zunächst ist allerdings festzuhalten, dass die Anordnung der Drosselung der Förderung im Erdboden lagernder Energieträger wohl nicht als Erlass einer Exportbeschränkung anzusehen ist. Denn eine solche Anordnung betrifft nicht eine bereits im Handel befindliche Ware. Sie betrifft vielmehr allein die dem Handel vorgelagerte Erlaubnis, den betreffenden Energieträger aus der Erde zu fördern. Die Erteilung oder Verweigerung dieser Erlaubnis ist Ausdruck der seit langem allgemein anerkannten Souveränität eines jeden Staates über die sich auf seinem Territorium befindenden natürlichen Ressourcen.341 Zumindest sind nach dem GATT Anordnungen zur Drosselung der Förderung deshalb nicht verboten, weil Art. XX lit. g) GATT den Vertragsparteien erlaubt, Maßnahmen zur Erhaltung ihrer erschöpflichen Naturschätze zu ergreifen, wenn diese Maßnahmen im Zusammenhang mit Beschränkungen der inländischen Produktion angewendet werden. Deshalb konnten wichtige OPEC-Mitgliedstaaten auch WTO-Mitglieder werden, ohne dass die WTO-Mitgliedschaft etwas am System der Festlegung von Förderquoten geändert hätte. Für bereits geförderte und sich im Handel befindliche Energieträger greift hingegen das grundsätzliche Verbot mengenmäßiger Ausfuhrbeschränkungen nach Art. XI Abs. 1 GATT. Nach Art. XI Abs. 2 lit. a) GATT sind allerdings Ausfuhrbeschränkungen zulässig, die vorübergehend angewendet werden, um einen kritischen Mangel an wichtigen Waren zu verhüten oder zu beheben. In Bezug auf Ausfuhrbeschränkungen für Nuklearmaterial kann darüber hinaus auf die Ausnahme des Art. XXI lit. b) (i) und (ii) GATT zurückgegriffen werden.342 In Kriegszeiten oder bei sonstigen ernsten Krisen in den internationalen Beziehungen können Ausfuhrbeschränkungen auch auf Art. XXI lit. b) (iii) GATT gestützt werden. Zudem sind, wie sich auch aus Art. XXI lit. c) GATT ergibt, Ausfuhrbeschränkungen, die ein Embargo des UN-Sicherheitsrates343 umsetzen, zulässig. Auf die bereits erwähnte allgemeine Ausnahme des Art. XX lit. g) GATT (Maßnahmen zur Erhaltung erschöpflicher Naturschätze) kann hingegen zur Rechtfertigung von Ausfuhrbeschränkungen für bereits geförderte und im Handel befindliche Energieträger nur bedingt zurückgegriffen werden. Denn die in Art. XX lit. g) GATT genannten 341 342 343
Siehe dazu oben (G.I.1.b)). Vgl. Strack, Nuclear Law Bulletin 73 (2004), S. 41.
Siehe etwa das Embargo gegen Serbien und Montenegro, UN Security Council, Resolution 757 (1992).
Handel mit Energieträgern
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Maßnahmen müssen im Zusammenhang mit Beschränkungen der inländischen Produktion oder des inländischen Verbrauches angewendet werden. Dies ist zwar bei der Beschränkung der Förderung von im Boden lagernden Energieträgern der Fall, nicht hingegen, wenn durch Ausfuhrbeschränkungen dafür gesorgt wird, dass ein auf dem Weltmarkt knapper Energieträger auf dem Binnenmarkt reichlich vorhanden ist. Umstritten ist, ob das grundsätzliche Verbot mengenmäßiger Ausfuhrbeschränkungen einem System der doppelten Preisnotierung (dual pricing) für Energieträger entgegensteht. Bei einem solchen System liegt der Inlandspreis eines Energieträgers durch staatliche Maßnahmen (insbesondere Preisregulierung) im Exportstaat niedriger, als wenn er sich nur den Marktkräften folgend bestimmen würde.344 In Bezug auf Russland ist ein System doppelter Preisnotierung für Erdgas bekannt, bei dem der Inlandsgaspreis bedeutend unter den Preisen in Europa lag und immer noch liegt.345 Mit Ausfuhrbeschränkungen kann ein System doppelter Preisnotierung deshalb gedanklich verknüpft werden, weil sich eine auf doppelte Preisnotierung gerichtete Politik dagegen absichern muss, dass der betreffende Energieträger im Inland billig aufgekauft und exportiert wird.346 Dass eine doppelte Preisnotierung in Verbindung mit grundsätzlich verbotenen Ausfuhrbeschränkungen zu sehen ist, legt auch Art. XX lit. i) GATT nahe. Diese Ausnahmevorschrift befasst sich mit Ausfuhrbeschränkungen für inländische Rohstoffe in Zeiten, in denen der Inlandspreis dieser Rohstoffe im Rahmen eines staatlichen Stabilisierungsplanes unter dem Weltmarktpreis gehalten wird. Allerdings kann doppelte Preisnotierung auch über zulässige Ausfuhrzölle erreicht werden und gemeinhin wurde dual pricing nicht als unter Art. XI GATT fallend angesehen.347 Es ist daher überzeugender, davon auszugehen, dass ein System doppelter Preisnotierung
344
Siehe etwa die doppelte Preisnotierung für NGLs in Saudi-Arabien. Dazu Haghighi, MEES Vol. XLVIII, No 17, 25.04.2005. 345
Zur doppelten Preisnotierung für russisches Erdgas siehe Goldthau, RAD 46/08, S. 10. Siehe auch Tarr/Thomson, The World Economy 27 (2004), Nr. 8, S. 1173 ff. Die Preisregulierung für russische Industriekunden soll jedoch bis 2011 sukzessive abgeschafft werden; dazu Pleines, Russland-Analysen 170/08, S. 14. 346 347
Vgl. UNCTAD/ITCD/TSB/9, S. 16. Vgl. UNCTAD/ITCD/TSB/9, S. 17.
112
G. Fragestellungen hinsichtlich der Beziehungen im Energiebereich
grundsätzlich nicht dem Verbot mengenmäßiger Ausfuhrbeschränkungen unterfällt.348
dd) PCA Russland strebt zwar die WTO-Mitgliedschaft an, ist jedoch gegenwärtig kein WTO-Mitglied. Das PCA von 1994 lässt gleichwohl gewisse GATT-Regeln im europäisch-russischen Verhältnis Anwendung finden.349 Bezeichnenderweise wird aber Art. XI GATT (Allgemeine Beseitigung von mengenmäßigen Beschränkungen) nicht im PCA genannt. Zwar werden mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen in Art. 15 PCA grundsätzlich verboten. Mengenmäßige Ausfuhrbeschränkungen erwähnt das PCA jedoch nicht in gleicher Weise.350
ee) ECT Was den Handel im Energiebereich betrifft, geht der ECT weit über das PCA hinaus. Nach Art. 3 ECT wirken die Vertragsparteien darauf hin, für Primärenergieträger und Energieerzeugnisse351 den Zugang zu den internationalen Märkten unter marktüblichen Bedingungen zu erleich348
So auch Schorkopf in: Leible/Lippert/Walter (Hrsg.), Die Sicherung der Energieversorgung auf globalisierten Märkten, S. 104 f. Zum möglichen Konflikt der doppelten Preisnotierung mit dem Subventionsregime des GATT siehe unten (G.II.3.b)bb)). 349 Siehe Art. 10 ff. PCA. Bezug genommen wird u.a., teils in modifizierter Form, auf die allgemeine Meistbegünstigung (Art. I Abs. 1 GATT), die Freiheit der Durchfuhr (Art. V Abs. 2-5 GATT), den Zollwert (Art. VII GATT), Gebühren und Förmlichkeiten im Zusammenhang mit Einfuhr und Ausfuhr (Art. VIII GATT), Ursprungsbezeichnungen (Art. IX GATT) und auf die Veröffentlichung und Anwendung von Handelvorschriften (Art. X GATT). 350
Vielmehr hält Art. 19 PCA ausdrücklich die Möglichkeit offen, Ausfuhrverbote u.a. zum Schutz der natürlichen Ressourcen zu erlassen, wenn diese Beschränkungen weder ein Mittel der willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen den Vertragsparteien darstellen. Diese Ausnahmenorm ist Art. XX GATT ähnlich. Jedoch enthält Art. 19 PCA nicht die in Art. XX lit. g) GATT genannte Bedingung, dass Ausfuhrverbote im Zusammenhang mit Beschränkungen der inländischen Produktion oder des inländischen Verbrauches stehen müssen. 351
Der Begriff „Primärenergieträger und Energieerzeugnisse“ ist in Art. 1 Nr. 4 ECT i.V.m. Anlage EM legal definiert.
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113
tern und ganz allgemein einen offenen und wettbewerblichen Markt zu entwickeln. Diese Vertragsklausel lässt sich auch auf den Abbau von Exportbeschränkungen beziehen. Allerdings handelt es sich bei Art. 3 ECT nur um eine weiche internationale Verpflichtung („wirken darauf hin [...] zu erleichtern“), die in keinem Fall dem Verbot mengenmäßiger Ausfuhrbeschränkungen in Art. 29 EGV (Art. 35 AEUV) vergleichbar ist. Harte völkerrechtliche Verpflichtungen ergaben sich aber für Russland – solange es den ECT vorläufig anwendete – durch den über Art. 29 ECT bewirkten Verweis auf GATT-Regeln, wie diese am 1. März 1994 angewandt wurden.352 Dieser Verweis betrifft – im Gegensatz zum GATT-Verweis im PCA – auch das grundsätzliche Verbot mengenmäßiger Ausfuhrbeschränkungen nach Art. XI Abs. 1 GATT.353 Zulässig blieben hingegen Ausfuhrbeschränkungen in Bezug auf Nuklearmaterial.354 Zwar hätte die Russische Föderation, als sie den ECT noch vorläufig anwendete, das – über den Verweis in Art. 29 ECT für Russland geltende – grundsätzliche Verbot mengenmäßiger Ausfuhrbeschränkungen durch einen gesetzgeberischen Akt unwirksam machen können. Dabei wäre allerdings Folgendes zu beachten gewesen: Nach Art. 10 Abs. 1 S. 5 ECT erfüllt jede Vertragspartei alle Verpflichtungen, die sie gegenüber einem Investor oder einer Investition eines Investors einer anderen Vertragspartei eingegangen ist. Eine Verletzung der eingegangenen Verpflichtung und damit der genannten Umbrella-clause kann von dem betroffenen Investor auch in einem Investor-Staat-Schiedsverfahren angegriffen werden.355 Die von Russland im Rahmen von Production Sha352
Da Russland das Trade-Amendment nicht vorläufig anwendete, handelte es sich im europäisch-russischen Verhältnis bei dem Verweis auf GATTNormen in Art. 29 ECT um einen statischen Verweis. 353
Siehe dazu oben (G.II.2.a)cc)).
354
Dies ergab sich daraus, dass der Handel mit Kernmaterial zwischen den Europäischen Gemeinschaften und der Russischen Föderation von den Bestimmungen des ECT eindeutig über eine Normverkettung ausgenommen waren (siehe Art. 29 Abs. 2 lit. a) ECT i.V.m. Anlage G Abs. 4 und die Erklärung der Europäischen Gemeinschaften und der Russische Föderation). Zudem fallen Ausfuhrbeschränkungen für Nuklearmaterial unter die Ausnahme des Art. XXI lit. b) (i) und (ii) GATT. 355
Nur Australien, Kanada, Ungarn und Norwegen haben von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, sich nicht uneingeschränkt der Schiedsgerichtsbarkeit hinsichtlich einer Streitigkeit zu unterwerfen, die über Art. 10 Abs. 1 S. 5 ECT entsteht. Siehe Art. 26 Abs. 3 lit. c) ECT i.V.m. Anlage IA.
114
G. Fragestellungen hinsichtlich der Beziehungen im Energiebereich
ring Agreements (PSAs)356 gegenüber Investoren anderer Vertragsparteien des ECT eingegangenen Verpflichtungen fallen unter die Umbrella-clause des Art. 10 Abs. 1 S. 5 ECT. Dies gilt auch für die Verpflichtung, die Ausfuhr der geförderten Bodenschätze ohne mengenmäßige Beschränkung zu gestatten.357 Da ein geschützter Investor selbst durch einen gesetzgeberischen Akt in Bezug auf seine Investition für den Zeitraum von 20 Jahren nicht schlechter gestellt werden darf, als zum Zeitpunkt der Tätigung seiner Investition,358 wäre eine mengenmäßige Ausfuhrbeschränkung, die den Vereinbarungen eines PSA widerspricht, nach dem ECT völkerrechtlich nicht zulässig gewesen. Dies gilt auch nach Beendigung der vorläufigen Anwendung des ECT durch Russland für die Dauer von 20 Jahren.359 Im Übrigen ist die Russische Föderation seit dem 19. Oktober 2009 nicht mehr an das grundsätzliche Verbot mengenmäßiger Ausfuhrbeschränkungen nach Art. 29 ECT gebunden.
ff) Zusammenfassung und Interessenlage Für Russland galt während der vorläufigen Anwendung des ECT von 1994 bis 2009 über Art. 29 ECT i.V.m. Art. 45 Abs. 1 ECT das grundsätzliche Verbot von mengenmäßigen Ausfuhrbeschränkungen für nicht-nukleare Energieträger nach dem GATT; nukleare Energieträger konnten hingegen bei der Ausfuhr mengenmäßig beschränkt werden. Ausfuhrbeschränkungen für bereits geförderte nicht-nukleare Energieträger durften demnach prinzipiell nur vorübergehend zur Verhütung bzw. Behebung eines kritischen Mangels angewendet werden. Dies stand jedoch einem System der doppelten Preisnotierung grundsätzlich nicht entgegen. Während der nur vorläufigen Anwendung des Energiecharta-Vertrages hätte die Verweisung auf das GATT in Art. 29 ECT durch einen gesetzgeberischen Akt weitgehend unwirksam gemacht werden können. Allerdings hätte der Erlass mengenmäßiger Ausfuhrbeschränkungen, welche Investoren anderer ECT-Vertragsparteien entgegen bereits (etwa in 356
Zu den von Russland abgeschlossenen PSA siehe Krysiek, OIES, WP 34, November 2007, S. 2 und Rutledge, SERIS, November 2004, S. 3. 357
Vgl. Art. 9 Punkt 2 des Föderalen Gesetzes vom 30. Dezember 1995 N 225-FZ „Über Production Sharing Agreements“. 358 359
F.I.2.d)cc). Siehe oben (F.III).
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115
einem PSA) gemachten Zusagen belastet hätten, einen Verstoß gegen Art. 10 Abs. 1 S. 5 ECT dargestellt. Auch nach der Beendigung der vorläufigen Anwendung bleibt Russland an die gemachten Zusagen gebunden. Insoweit sind die Möglichkeiten Russlands, mengenmäßige Ausfuhrbeschränkungen zu erlassen, auch künftig begrenzt. Im Übrigen ist Russland nach Beendigung der vorläufigen Anwendung des ECT nicht mehr an das grundsätzliche Verbot mengenmäßiger Ausfuhrbeschränkungen gemäß Art. 29 ECT i.V.m. GATT gebunden. Sowohl der Beitritt Russlands zur WTO als auch die (hypothetisch mögliche, obgleich unwahrscheinliche) Ratifikation des ECT durch Russland hätten zur Folge, dass Russland die gegenwärtig bestehende Möglichkeit zum Erlass mengenmäßiger Ausfuhrbeschränkungen für Erdöl, Erdgas und Kohle genommen würde. Dies liegt im Interesse der auf Energieimporte angewiesenen EU-Staaten, für die in Bezug auf Russland und den Handel mit Primärenergieträgern eine Regelungssituation wünschenswert ist, die Art. 29 f. EGV (Art. 35 f. AEUV) entspricht. Zwar liegt es grundsätzlich im Interesse Russlands, sich Handlungsoptionen – also auch die zum Erlass mengenmäßiger Ausfuhrbeschränkungen für Energieträger – offenzuhalten. Allerdings hat Russland gegenwärtig keinerlei Interesse an mengenmäßigen Beschränkungen der Exporte von Primärenergieträgern. Es kann folglich davon ausgegangen werden, dass der völkerrechtliche Status quo zur Möglichkeit des Erlasses von mengenmäßigen Ausfuhrbeschränkungen zwar den Interessen Russlands entspricht, jedoch die Änderung dieses Status quo durch den Beitritt Russlands zur WTO bzw. durch (hypothetische) Ratifikation des ECT den Interessen Russlands nicht widerspricht.
b) Einfuhrbeschränkungen für Primärenergieträger und elektrische Energie durch die EU Hinsichtlich energiebezogener (hypothetischer) Einfuhrbeschränkungen bietet sich eine Unterscheidung an zwischen fossilen Energieträgern (aa)), Nuklearmaterial (bb)) und elektrischer Energie (cc)).
116
G. Fragestellungen hinsichtlich der Beziehungen im Energiebereich
aa) Einfuhrbeschränkungen für Erdöl, Erdgas und Kohle (1) Die Frage nach der völkerrechtlichen Zulässigkeit hypothetischer Einfuhrbeschränkungen Für die EU gibt es keine mengenmäßigen Einfuhrbeschränkungen oder Maßnahmen gleicher Wirkung in Bezug auf Erdöl. Auch hinsichtlich der Einfuhr von Kohle gibt es keine mengenmäßigen Einfuhrbeschränkungen.360 Russland hat sich in der Vergangenheit jedoch wiederholt über mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen für Erdgas aus Russland beschwert. In Rede stand eine Beschränkung dergestalt, dass maximal 30 % des nationalen Erdgasverbrauches von einem einzigen Nicht-EU-Mitglied bezogen werden durften. Das Thema war sogar Gegenstand der Gespräche im Rahmen der EU-Russland Energie-Dialoge.361 Im Ergebnis wurde festgehalten, dass es in der EU keine Auflagen gebe, die Importe von fossilen Energieträgern aus Russland mengenmäßig zu beschränken.362 Zwar sind mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen für die Energieträger Erdöl, Erdgas und Kohle durch die auf Energieimporte angewiesene EU und ihre Mitgliedstaaten gegenwärtig höchst unwahrscheinlich. Mit Blick auf das Ziel der Diversifizierung der Herkunftsquellen für importierte Energieträger soll gleichwohl die völkerrechtliche Zulässigkeit hypothetischer Einfuhrbeschränkungen im europäisch-russischen Verhältnis untersucht werden.
(2) Souveränität Ausgangspunkt für Überlegungen zur Zulässigkeit von Einfuhrbeschränkungen muss – wie schon bei den Überlegungen zur Zulässigkeit 360
Allerdings wird die Einfuhr von Kohle aus Nicht-EU-Staaten in die Gemeinschaft seit dem Jahr 2003 – an die frühere EGKS-Kohlestatistik anknüpfend – in einem Monitoring auf Basis der Verordnung Nr. 405/2003/EG (ABl. L 62 vom 06.03.2003, S. 1) überwacht. Siehe dazu auch Klaue/van de Loo, ET 56. Jg. Special 1/2006, S. 11 und Moussis, Accès à l’Union Européenne, S. 446 f. 361 EU-Russia Energy Dialogue, Third Progress Report (November 2002), S. 2; siehe auch Johnson in: Johnson (Hrsg.), Perspectives on EU-Russia relations, S. 189 f. 362
2.
EU-Russia Energy Dialogue, Third Progress Report (November 2002), S.
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von Ausfuhrbeschränkungen – die staatliche Souveränität sein. Im Grundsatz ist ein Staat bzw. ein Staatenverbund frei, die Einfuhr gewisser Waren mengenmäßig zu beschränken. Diese grundsätzliche Freiheit wurde jedoch vor allem im Rahmen des GATT stark eingeschränkt.
(3) GATT/WTO Nach Art. XI Abs. 1 GATT sind mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen für Waren mit Herkunft aus dem Gebiet einer anderen Vertragspartei grundsätzlich verboten. Diese Norm erfasst auch die Waren Erdöl, Erdgas und Kohle. Sind Ausnahmen zulässig, so gilt grundsätzlich das Gebot der Nichtdiskriminierung.363 Eine dauerhafte Befreiung vom Gebot der Nichtdiskriminierung, etwa um eine nach Auffassung des Importstaates ausgewogene Versorgungsstruktur zu erreichen und beizubehalten, sieht das GATT nicht vor. Sie wäre auch kaum mit dem freien Welthandel und mit dem Grundsatz der Nichtdiskriminierung vereinbar. Russland ist gegenwärtig jedoch noch kein WTO-Mitglied und kann sich nicht direkt auf GATT-Normen berufen.
(4) PCA Allerdings werden nach Art. 15 Abs. 1 PCA Ursprungswaren Russlands in die Gemeinschaft frei von mengenmäßigen Beschränkungen eingeführt. Eine Ausnahme gilt nach Art. 21 Abs. 1 PCA für den Handel mit den Erzeugnissen, die unter den EGKS-Vertrag fallen. Damit sind jedenfalls Stahlerzeugnisse gemeint; für diese gilt das Verbot mengenmäßiger Einfuhrbeschränkungen aus dem PCA nicht. Fraglich ist aber, ob sich die Ausnahme des Art. 21 Abs. 1 PCA auch auf den Handel mit Kohle bezieht. Dies liegt daran, dass in der – nach Art. 111 PCA verbindlichen – deutschen Fassung des Abkommens der Begriff „Erzeugnisse“ verwendet wird, der im gesamten Vertragswerk nur in Art. 21 PCA und im Anhang 1 Punkt 4 Verwendung findet und einen gewissen Verarbeitungsgrad zu implizieren scheint. Dies wird jedoch durch eine Lektüre der nach Art. 111 PCA ebenfalls verbindlichen anderen Sprachfassungen des PCA relativiert. Denn für den Term „Erzeugnisse“ steht in der englischen Fassung des Art. 21 PCA das Wort „products“, in der französischen Fassung das Wort „produits“ und in der russischen
363
Art. XIII Abs. 1 und 2 GATT und Art. XX GATT.
118
G. Fragestellungen hinsichtlich der Beziehungen im Energiebereich
Fassung364 das Wort „tovary“, welches in allen drei Sprachen in Singular und Plural an zahlreichen Stellen im PCA verwendet wird, u.a. in Art. 11 Abs. 1 PCA und Art. 17 Abs. 1 PCA, wo in der deutschen Fassung jeweils „Ware“ bzw. „Waren“ steht. Zudem wird in Art. 61 Abs. 4 PCA auf Art. 21 PCA in einer Weise verwiesen, welche impliziert, das sich Art. 21 PCA eingehender mit Rohstoffen befasst, was ebenfalls dafür spricht, dass Kohle von der Ausnahmeregelung des Artikels erfasst sein soll. Es ist daher davon auszugehen, dass sich Art. 21 Abs. 1 PCA generell auf Waren bzw. Produkte bezieht, die bis zu dessen Auslaufen unter den EGKS-Vertrag fielen, also auch auf Kohle. Folglich kann sich Russland hinsichtlich des Handels mit Kohle nicht auf Art. 15 Abs. 1 PCA und das Verbot mengenmäßiger Einfuhrbeschränkungen berufen. Hinsichtlich des Handels mit den Waren Erdöl und Erdgas, die nicht dem EGKS-Vertrag unterfielen, kann sich Russland hingegen auf Art. 15 Abs. 1 PCA berufen. Sind Ausnahmen nach Art. 19 PCA zulässig, so gilt das Gebot der Nichtdiskriminierung. Eine dauerhafte Befreiung vom Gebot der Nichtdiskriminierung, etwa um eine ausgewogene Versorgungsstruktur zu erreichen oder beizubehalten, sieht auch das PCA nicht vor.
(5) ECT Solange Russland kein WTO-Mitglied ist, kann sich Russland zwar nicht direkt auf GATT-Normen berufen. Hinsichtlich des Handels mit Primärenergieträgern und Energieerzeugnissen war Russland aber – solange es den Energiecharta-Vertrag vorläufig anwendete – über Art. 29 ECT ein Berufen auf GATT-Normen möglich. Die EG und ihre Mitgliedstaaten durften demnach von 1994 bis 2009 grundsätzlich keine dauerhaften mengenmäßigen Einfuhrbeschränkungen für Primärenergieträger und Energieerzeugnisse aus Russland erlassen. Dies betraf gleichermaßen die Primärenergieträger Erdöl, Erdgas und Kohle. Allerdings wäre es der EG bzw. ihren Mitgliedstaaten während der nur vorläufigen Anwendung des ECT durch Russland unbenommen geblieben, sich auf innerstaatliches Recht zu berufen, um die Nichteinhaltung des Art. 29 ECT zu rechtfertigen.365 Nach Beendigung der vorläufigen Anwendung des EnergiechartaVertrages durch die Russische Föderation ist es ihr – falls sie nicht doch 364 365
BMD 1998, N° 8, S. 1. Dazu oben (F.II.2).
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noch ECT-Vertragspartei würde – gänzlich abgeschnitten, sich auf Art. 29 ECT zu berufen.
(6) Zusammenfassung und Interessenlage Die EG und ihre Mitgliedstaaten sind beim Erlass von mengenmäßigen Einfuhrbeschränkungen für fossile Energieträger aus Russland nicht gänzlich frei. Nach Art. 15 Abs. 1 PCA i.V.m. Art. 21 Abs. 1 PCA sind mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen für Erdöl und Erdgas (nicht allerdings für Kohle) grundsätzlich unzulässig. Allein mit Blick auf eine Diversifizierungspolitik erlassene mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen wären auch mit Art. XI GATT nicht zu vereinbaren. Auf diese Norm kann sich Russland allerdings erst nach dem Beitritt zur WTO uneingeschränkt berufen. Nach Beendigung der vorläufigen Anwendung des Energiecharta-Vertrages steht die Option, dass Russland diesen ratifiziert und sich dann über Art. 29 ECT auf Art. XI GATT stützt, nicht mehr ernsthaft zur Debatte. Russland hat ein Interesse an der Ausschöpfung des Exportpotentials russischer Energieträger sowie an der Sicherstellung diskriminierungsfreien Zugangs russischer Energie-Exporteure auf die europäischen Absatzmärkte.366 Der völkerrechtliche Status quo in Bezug auf hypothetische mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen der EG für die Primärenergieträger Erdöl und Erdgas entspricht weitgehend den Interessen Russlands. Mehr Rechtssicherheit – und eine Verbesserung des Status quo in Bezug auf Kohle – würde Russland allerdings durch Beitritt zur WTO oder durch Ratifikation des ECT erreichen. Die dann bestehende Regelungssituation würde russischen Interessen in Bezug auf mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen für die drei genannten Primärenergieträger vollständig entsprechen. Sie widerspräche in dieser Hinsicht auch nicht den Interessen der EU und ihrer Mitgliedstaaten. Denn die auf Energieimporte angewiesene EU hat grundsätzlich kein Interesse daran, Energieflüsse aus Russland mengenmäßig zu beschränken. Die im Interesse der EU und ihrer Mitgliedstaaten liegenden Ziele Diversifizierung des Energiemixes und Diversifizierung der Herkunftsorte für nicht substituierbare Energieträger versucht die europäische Seite auf andere Weise zu verfolgen als durch diskriminierende mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen für fossile Energieträger. 366
Vgl. Zhiznin, Energy diplomacy, S. 136.
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bb) Einfuhrbeschränkungen für Nuklearmaterial (1) Realität mengenmäßiger Einfuhrbeschränkungen für Nuklearmaterial Was den Import von Natururan und angereichertem Uran mit Herkunft aus Russland betrifft, so bestehen in der EU, im Gegensatz zum Import der fossilen Energieträger Erdöl, Erdgas und Kohle, faktisch mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen, auch wenn offiziell keine Kontingentierung erfolgt. Im Ergebnis dürfen nur 20 % bis 25 % des Bedarfs der europäischen Verbraucher – wozu vor allem Kernkraftwerke zählen – aus Russland kommen.367 Sichergestellt wird die Quote durch die Befugnisse der EURATOM-Versorgungsagentur (ESA), insbesondere das in Art. 64 EAGV genannte ausschließliche Abschlussrecht. Wird die Ausübung dieser Befugnisse zur Beschränkung von Importen aus Russland nicht als Kontingentierung angesehen, so liegt darin zumindest eine Maßnahme gleicher Wirkung. Die mengenmäßigen Einfuhrbeschränkungen für Nuklearmaterial aus Russland gehen auf die Erklärung von Korfu (Corfu declaration) des Europäischen Rates von 1994 zurück, welche nicht veröffentlicht wurde, sondern vielmehr klassifiziert ist.368 Der wesentliche Inhalt der Erklärung von Korfu findet sich gleichwohl öffentlich zugänglich in der Entscheidung der Kommission über die Zulässigkeit des Zusammenschlusses im Fall Areva/Urenco/ETC JV.369 Aus dieser Entscheidung ergibt sich, dass die von der ESA und der Kommission verfolgte gemeinsame Versorgungspolitik – gestützt auf Art. 2 lit. d) EAGV und die Erklärung von Korfu370 – dahin geht, eine regelmäßige und gerechte 367
Dies wird allerdings flexibel gehandhabt. So wurden langfristige Lieferverträge zwischen dem russischen Lieferanten TENEX und Abnehmern aus Finnland bzw. aus den neuen EU-Mitgliedstaaten nach deren Beitritt nicht in Frage gestellt. Vgl. EURATOM Supply Agency (Hrsg.), Annual Report 2007, S. 8. 368 Einsicht in den Erklärungstext wurde dem Verfasser unter Berufung auf Art. 4 (1) a) Stichpunkt 3 und 4 der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 (ABl. L 145 vom 31.05.2001, S. 43) verweigert. 369
Fall Nr. COMP/M.3099 – Areva/Urenco/ETC JV, dort Tz. 121-126. Siehe außerdem KOM(2002) 605 endgültig, Punkt 7. Zum Hintergrund der Erklärung von Korfu siehe Grunwald, Das Energierecht der Europäischen Gemeinschaften, S. 250. 370
Zu früheren Ratserklärungen mit Bezug zur geographischen Diversifizierung von Lieferquellen vgl. Grunwald, Das Energierecht der Europäischen Gemeinschaften, S. 245, m.w.N.
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Versorgung mit Nuklearbrennstoffen für alle Verbraucher innerhalb der Gemeinschaft sicherzustellen und dabei eine übermäßige Abhängigkeit von einer Versorgungsquelle zu vermeiden. Diese betont auf Diversifizierung der Bezugsquellen gerichtete Versorgungspolitik – welche in der Praxis einzig und allein zur Beschränkung des Bezugs von Nuklearbrennstoffen aus Russland führte371 – wurde vom Europäischen Gerichtshof ausdrücklich in einem Fall bestätigt, in dem sich die ESA, unter Berufung auf ihre Diversifizierungspolitik, gegen den Bezug von Natururan aus Russland gestellt hatte.372 Russland greift die mengenmäßigen Einfuhrbeschränkungen schon seit geraumer Zeit energisch an.373 Es sieht seine Lieferanten von Natururan und angereichertem Uran im Geltungsbereich des EAGV diskriminiert und beziffert den der russischen Nuklearindustrie dadurch entstehenden wirtschaftlichen Schaden auf jährlich mehrere hundert Millionen US-Dollar.374 Im Folgenden soll die völkerrechtliche Zulässigkeit mengenmäßiger Einfuhrbeschränkungen für Nuklearmaterial untersucht werden.
(2) Souveränität Ausgangspunkt für Überlegungen zur Zulässigkeit von Einfuhrbeschränkungen für Nuklearmaterial muss erneut die staatliche Souveränität sein. Im Grundsatz ist ein Staat frei, die Einfuhr gewisser Waren mengenmäßig zu beschränken.
371
Vgl. Fall Nr. COMP/M.3099 – Areva/Urenco/ETC JV, Tz. 126.
372
EuGH (Erste Kammer), Rs. C-161/97 P, Slg. 1999, I-2057 – Kernkraftwerke Lippe-Ems / Kommission. 373
Erhellend dazu ist die permanente Erwähnung des Problemkreises „Handel mit Nuklearmaterial“ in den Fortschrittsberichten des EU-Russland Energie-Dialogs, deren tendenziell beschönigend wirkende Redaktion nicht über beachtliche Meinungsverschiedenheiten hinwegzutäuschen vermag. Siehe: EURussia Energy Dialogue, Synthesis Report (September 2001), S. 2; EU-Russia Energy Dialogue, Second Progress Report (May 2002), S. 6; EU-Russia Energy Dialogue, Fourth Progress Report (November 2003), S. 4; EU-Russia Energy Dialogue, Seventh Progress Report (November 2006), S. 5; EU-Russia Energy Dialogue, Eighth Progress Report (October 2007), S. 4. 374
Goldthau/Geden, IPG 2007, Nr. 4, S. 67.
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(3) GATT/GATS/WTO Das diese grundsätzliche Freiheit stark einschränkende GATT galt lange Zeit schon wegen der Ausnahmeregelung des Art. XXI lit. b) (i) GATT als auf den Handel im Nuklearbereich nicht anwendbar. Jedenfalls hatte GATT für den Handel mit Nuklearmaterial keinerlei Bedeutung.375 Inzwischen scheint gleichwohl der Umstand, dass Gespräche über Zolltarife für Nuklearbrennstoffe im Rahmen von WTO-Verhandlungen geführt werden, auf die Notwendigkeit einer differenzierenderen Betrachtung hinzudeuten.376
(a) Einfuhrbeschränkungen für Natururan und GATT Was das Importregime für Natururan betrifft, welches in geordnetem Verfahren den europäischen Verbrauchern zur Verfügung gestellt werden soll, sind die allgemeinen Ausnahmen des Art. XX lit. b) und lit. i) GATT nicht einschlägig. Der Ausnahmeregelung des Art. XXI lit. b) (i) GATT kommt folglich herausgehobene Bedeutung zu. Danach können die Vertragsparteien in Bezug auf spaltbare Stoffe oder Rohstoffe, aus denen sie erzeugt werden, Maßnahmen treffen, die nach ihrer Auffassung zum Schutz ihrer wesentlichen Sicherheitsinteressen notwendig sind. Die genaue Reichweite dieser Klausel wurde nie durch Case-law oder Sondervereinbarungen klargestellt.377 Drei mögliche Auslegungen der Norm werden diskutiert.378 Nach der engsten Auslegung bezieht sich die Ausnahme des Art. XXI lit. b) (i) GATT nur auf Exportbeschränkungen mit Blick auf die Nichtverbreitung von Kernmaterial. Nach einer breiteren Auslegung der Norm umfasst sie auch Importbeschränkungen, welche durch die Vertragsparteien mit Blick auf die eigene Versorgungssicherheit geschaffen bzw. aufrechterhalten werden. In diesem Zusammenhang werden namentlich die Importbeschränkungen erwähnt, welche aus der Diversifizierungspolitik der ESA resultieren. Nach einer noch weitergehenden Auslegung der Norm können sich Vertragsparteien auf die Ausnahme zur Wahrung der Sicherheit des Art. XXI lit. b) (i) GATT auch berufen, um Schäden von ihrer nationa375 376
Vgl. Strack, Nuclear Law Bulletin 73 (2004), S. 40 m.w.N. Vgl. Uranium Institute (Hrsg.), UI Trade Briefing, Issue 1, January 2001,
S. 2 377 378
Strack, Nuclear Law Bulletin 73 (2004), S. 40.
Vgl. Uranium Institute (Hrsg.), UI Trade Briefing, Issue 1, January 2001, S. 2 und Strack, Nuclear Law Bulletin 73 (2004), S. 41.
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len Nuklearindustrie abzuwenden bzw. deren Überlebensfähigkeit zu sichern. Der Wortlaut des Art. XXI lit. b) GATT deutet darauf hin, dass die GATT-Vertragsparteien einen weiten Spielraum hinsichtlich der Definierung ihrer wesentlichen Sicherheitsinteressen haben. Denn letztlich erlaubt der Artikel Maßnahmen der Vertragsparteien, die „nach ihrer Auffassung [...] notwendig sind“. Auch der Umstand, dass während der Uruguay-Runde (1986-1994) keine Einigung erzielt werden konnte, um die Grenzen des Art. XXI GATT genauer zu definieren, deutet auf einen weiten Spielraum der Vertragsparteien hin. Schließlich wird für einen weiten Spielraum der Vertragsparteien vorgebracht, Art. XXI lit. b) (i) GATT wäre überflüssig, wenn er sich nur auf Exportbeschränkungen mit Blick auf die Nichtverbreitung von Kernmaterial beziehen würde, da diese Ausnahme schon durch Art. XXI lit. b) (ii) GATT abgedeckt ist.379 Gegenwärtig ist davon auszugehen, dass die von der EU mit Blick auf die eigene Versorgungssicherheit (geographische Diversifizierung ihrer Versorgungsquellen) praktizierten mengenmäßigen Einfuhrbeschränkungen für Natururan keinen Verstoß gegen das GATT darstellen.
(b) Einfuhrbeschränkungen für angereichertes Uran und GATT bzw. GATS Aus dem gleichen Grund sind Einfuhrbeschränkungen für angereichertes Uran, die von der EU mit Blick auf die Diversifizierung ihrer Versorgungsquellen praktiziert werden, kein Verstoß gegen das GATT. Im Zusammenhang mit angereichertem Uran ist aber auch an die Bestimmungen des GATS, welches als Äquivalent zum GATT im Dienstleistungsbereich angesehen werden kann, zu denken. Dies deshalb, weil die Anreicherung von Uran auch als Dienstleistung verstanden werden kann. Folglich könnte GATS potentiell betroffen sein, wenn Anreicherungsdienstleistungen im Ausland ansässiger Unternehmen beschränkt werden. Im Jahr 2007 wurden ungefähr 62 % der von europäischen Unternehmen in Auftrag gegebenen Anreicherungsaktivitäten von EUAnreicherungsunternehmen durchgeführt; der Anteil russischer Anreicherungsunternehmen am europäischen Markt für Anreicherungsdienstleistungen lag 2007 bei ungefähr 31 %.380 379 380
Strack, Nuclear Law Bulletin 73 (2004), S. 41. EURATOM Supply Agency (Hrsg.), Annual Report 2007, S. 24 f.
124
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Wird die Anreicherungstätigkeit als Dienstleistung gesehen, so bedeutet dies jedoch nicht, dass sich die an die Anreicherung anschließende Verbringung der Anreicherungserzeugnisse nur nach dem GATS richtet. Es scheint vielmehr angemessen, dass die physische Verbringung von Erzeugnissen über Landesgrenzen dem GATT unterfällt. Zudem enthält Art. XIV bis GATS eine Ausnahmeklausel, die sich stark an Art. XXI GATT anlehnt. Nach Art. XIV bis Abs. 1 lit. b) (ii) GATS kann jedes Mitglied bezüglich spaltbarer und fusionsfähiger Stoffe oder der Rohstoffe, aus denen sie erzeugt werden, Maßnahmen treffen, die es zum Schutz seiner wesentlichen Sicherheitsinteressen für notwendig hält. Wegen der starken Anlehnung von Art. XIV bis GATS an Art. XXI GATT ist davon auszugehen, dass die Ausnahme gleich weit auszulegen ist.
(c) Ergebnis Nach alledem sind die von der EU mit Blick auf die eigene Versorgungssicherheit (geographische Diversifizierung ihrer Versorgungsquellen) praktizierten mengenmäßigen Einfuhrbeschränkungen für Natururan kein Verstoß gegen das WTO-Regime und könnten auch nach dem Beitritt Russlands zur WTO Bestand haben.
(4) PCA Das grundsätzliche Verbot der mengenmäßigen Einfuhrbeschränkungen für Waren mit Ursprung in Russland nach Art. 15 Abs. 1 PCA gilt gemäß Art. 22 Abs. 1 Stichpunkt 1 PCA nicht für den Handel mit Kernmaterial. Zwar räumten sich die EU und Russland nach Art. 22 Abs. 1 Stichpunkt 2 PCA i.V.m. Art. 7 des Abkommens von 1989381 bei der Einfuhr von Nuklearmaterial den höchstmöglichen Liberalisierungsgrad ein. Diese weiche Verpflichtung lässt aber die Möglichkeit zum Erlass bzw. zur Aufrechterhaltung mengenmäßiger Beschränkungen unberührt. Auch die in Art. 22 Abs. 1 Stichpunkt 2 PCA genannte Übereinkunft in Form eines Briefwechsels betrifft nicht die Zulässigkeit bzw. Unzulässigkeit mengenmäßiger Einfuhrbeschränkungen für Nuklearmaterial. In Art. 22 Abs. 2 PCA vereinbarten die Vertragsparteien, alle notwendigen Schritte zu unternehmen, um bis zum 1. Januar 1997 eine Verein381
ABl. L 68 vom 15.03.1990, S. 3.
Handel mit Energieträgern
125
barung über den Handel mit Kernmaterial zu erreichen. Zu einer solchen Vereinbarung ist es jedoch bis heute – trotz permanenter Hoffnungsbekundungen bzw. Anmahnungen im Rahmen des EU-Russland Energie-Dialogs – nicht gekommen. Nach dem PCA sind mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen für Nuklearmaterial demnach zulässig.
(5) ECT Der Handel mit Nuklearmaterial im Verhältnis zwischen der EU und Russland war auch bei den Beratungen zum Energiecharta-Vertrag Gesprächsgegenstand.382 Da der ECT in Handelssachen grundsätzlich auf GATT verweist und da mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen für Nuklearmaterial nicht gegen GATT verstoßen, wären Importbeschränkungen für Nuklearmaterial auch nach dem ECT i.V.m. GATT zulässig. Zudem wurde bei Unterzeichnung des ECT der Handel mit Kernmaterial zwischen den Europäischen Gemeinschaften und der Russischen Föderation ohnehin von den Bestimmungen des Vertrages eindeutig über eine Normverkettung ausgenommen. Nach Art. 29 Abs. 2 lit. a) ECT i.V.m. Anlage G Abs. 4 kann der Handel mit Kernmaterial nämlich durch Übereinkünfte geregelt werden, auf die in Erklärungen zu Anlage G Absatz 4 Bezug genommen wird und die in der Schlussakte der Europäischen Energiechartakonferenz enthalten sind. Eine solche Erklärung gaben die Europäischen Gemeinschaften und die Russische Föderation dereinst ab und legten darin fest, dass der Handel mit Kernmaterial zwischen ihnen –
382
Siehe das Statement des Vorsitzenden der Energiecharta-Konferenz anlässlich der Annahme-Sitzung vom 17. Dezember 1994 in der im Vermerk des Sekretariats Nr. 42/94 CONF 115 wiedergegebenen Fassung. In diesem Statement erklärte der Vorsitzende, dass er die Bedenken der Russischen Delegation bezüglich des Nuklearhandels mit den Europäischen Gemeinschaften zur Kenntnis genommen habe, ebenso wie die Tatsache, dass die Russische Föderation und die EG übereingekommen sind, dem Sitzungsbericht ein gemeinsames Memorandum beizufügen. Das gemeinsame Memorandum seinerseits nimmt Bezug auf eine Feststellung, nach der es zu keiner Zeit die Politik der Europäischen Kommission und der EURATOM-Versorgungsagentur gewesen sei, Kontingente für die Einfuhr von Kernmaterialien aus Russland aufzuerlegen, und dass sie dies auch in Zukunft nicht beabsichtigten, es sei denn, es ergäbe sich eine Situation, die Sicherungsmaßnahmen nach Art. 15 des Abkommens von 1989 erfordert.
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G. Fragestellungen hinsichtlich der Beziehungen im Energiebereich
bis zum Abschluss einer anderen Vereinbarung – durch Art. 22 PCA geregelt wird. Und wie bereits oben dargestellt, lässt Art. 22 PCA mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen für Nuklearmaterial zu. Mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen der EU für Nuklearmaterial aus Russland würden – selbst wenn Russland ECT-Vertragspartei wäre – nicht gegen den Energiecharta-Vertrag verstoßen.
(6) Zusammenfassung und Interessenlage Gegenwärtig ist es völkerrechtlich zulässig, die Einfuhr von Nuklearmaterial aus Russland in die EU mengenmäßig zu beschränken. An dieser Situation würde sich weder mit dem Beitritt Russlands zur WTO noch mit der Ratifikation des ECT durch Russland etwas ändern. Dieser Status quo entspricht nicht den Interessen der Russischen Föderation. Schon bei der Unterzeichnung des PCA und des ECT 1994 hatte die russische Seite Bedenken in Bezug auf die Beschaffungspolitik der ESA und den Wunsch geäußert, das Handelsvolumen zu steigern. Seither hat die russische Seite immer wieder – im Interesse der russischen Nuklearindustrie – faktische Einfuhrbeschränkungen angegriffen. Hingegen entspricht der Status quo den Interessen der EU. Ihre Versorgungspolitik ist auf Versorgungssicherheit ausgerichtet. Dieses Ziel sucht die ESA – unter der Aufsicht der Kommission – auf zweierlei Ebenen zu gewährleisten. Erstens wird eine geographische Streuung der Herkunftsländer beim Bezug von Natururan notfalls erzwungen, was nach Auffassung der ESA dazu beiträgt, dass alternative Versorgungsquellen erhalten bleiben und dadurch eine ausreichende Versorgung langfristig gesichert wird. Zweitens übt die ESA ihre Befugnisse derart aus, dass der Anteil europäischer Anreicherungsunternehmen am Markt für Anreicherungsdienstleistungen bei europäischen Kunden hoch bleibt, wodurch insgesamt die Überlebensfähigkeit der europäischen Nuklearanreicherungsindustrie gestärkt wird. Im Interesse der EU liegt es, den bestehenden Handlungsspielraum der ESA zu erhalten. Die EU möchte gegebenenfalls die Einfuhr von Natururan oder angereichertem Uran beschränken können.
Handel mit Energieträgern
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cc) Einfuhrbeschränkungen für elektrische Energie (Strom) (1) Die Frage nach der völkerrechtlichen Zulässigkeit hypothetischer Einfuhrbeschränkungen Der Import elektrischer Energie (Strom) aus Russland ist momentan marginal. Es fehlt die dafür notwendige Übertragungsinfrastruktur. Allerdings ist in Russland das Interesse daran gewachsen, das russische Stromnetz stärker mit dem europäischen zu verbinden. Zum einen würde dies Erzeugern in Russland erlauben, Überkapazitäten an europäische Abnehmer zu verkaufen; zum anderen könnte in Zeiten von Erzeugungsengpässen elektrische Energie aus der EU importiert werden.383 Die EU steht grundsätzlich auf der Position, dass Russland Zugang zum europäischen Elektrizitätsmarkt verdient.384 Allerdings betont sie, dass erst eine Reihe von Voraussetzungen erfüllt werden müssen, bevor ein substanzieller Stromhandel aufgenommen werden kann, namentlich die Gegenseitigkeit der Marktöffnung, kostenorientierte Preisbildung, Umweltschutz sowie ein Nuklearsicherheitsgrad, der dem in der EU bestehenden vergleichbar ist.385 Inwieweit die EU sich auf diese Punkte zur Beschränkung der Importe elektrischer Energie aus Russland stützen kann, soll im Folgenden untersucht werden.
(2) Souveränität Ausgangspunkt für Überlegungen zur Zulässigkeit von Einfuhrbeschränkungen hinsichtlich elektrischer Energie muss erneut die staatliche Souveränität sein. Im Grundsatz ist ein Staat frei, deren Einfuhr zu beschränken. Zu fragen ist jedoch erneut, ob diese grundsätzliche Freiheit durch völkerrechtliche Normen eingeschränkt ist.
383
Vgl. Barysch in: Johnson (Hrsg.), Perspectives on EU-Russia relations,
S. 28. 384 385
EU-Russia Energy Dialogue, Synthesis Report (September 2001), S. 6.
EU-Russia Energy Dialogue, Second Progress Report (May 2002), S. 5. Auch Regulierung des Netzzugangs und Unbundling wurden genannt, vgl. EU-Russia Energy Dialogue, Fifth Progress Report (November 2004), S. 5.
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G. Fragestellungen hinsichtlich der Beziehungen im Energiebereich
(3) GATT/WTO (a) Wareneigenschaft elektrischer Energie Hinsichtlich elektrischer Energie kann zunächst durchaus in Frage gestellt werden, ob es sich dabei um eine Ware handelt, auf die das GATTRegime anwendbar ist. Denn Strom kann nicht als körperlicher Gegenstand über eine Handelsgrenze transportiert werden und ist auch nicht ohne weiteres speicherbar. Gerade wegen der fehlenden Speicherbarkeit bestand im Allgemeinen Lenkungsausschuss, der das GATT 1947 vorbereitete, die Überzeugung, elektrische Energie sei nicht als Ware, sondern als Dienstleistung einzuordnen.386 Gleichwohl behandelt die Mehrzahl der GATT-Vertragsparteien Strom als Ware und auch das Harmonisierte System der Weltzollorganisation (WCO), das die Grundlage für die Warenklassifikation im GATT und für die Zollnomenklaturen fast aller Staaten und Staatenverbindungen ist, enthält eine optionale Warenkennung für Strom.387 Was den europäischen Binnenmarkt betrifft, hat der EuGH klargestellt, dass Elektrizität eine Ware i.S.d. EWGV (bzw. des EGV und heute des AEUV) darstellt und sich dabei u.a. auf das Zolltarifschema (Kombinierte Nomenklatur) berufen.388 Die Staatenpraxis389 und die Realitäten der Wirtschaft sprechen dafür, elektrische Energie unter das Handelsregime für den Warenverkehr zu subsumieren.390
386
Siehe Albath, Trade and energy, S. 88 m.w.N. Vgl. auch GATT Secretariat (Hrsg.), Guide to GATT law and practice, S. 541. 387
Siehe dazu Schorkopf in: Leible/Lippert/Walter (Hrsg.), Die Sicherung der Energieversorgung auf globalisierten Märkten, S. 102. 388
EuGH, Rs. C-393/92, Slg. 1994, I-1477 – ALMELO, Rn. 28. Siehe auch EuGH, Rs. C-158/94, Slg. 1997, I-5789 – Kommission der Europäischen Gemeinschaften / Italienische Republik, Rn. 17. 389
Neben der EG klassifizieren auch Japan, Kanada und die USA elektrische Energie als Ware, siehe dazu Schorkopf in: Leible/Lippert/Walter (Hrsg.), Die Sicherung der Energieversorgung auf globalisierten Märkten, S. 103, Fn. 31. Auch Russland klassifiziert elektrische Energie (ėlektroėnergija) als Ware, siehe dazu die Verordnung der Regierung der Russländischen Föderation vom 27.11.2006 N 718. 390
So auch Schorkopf in: Leible/Lippert/Walter (Hrsg.), Die Sicherung der Energieversorgung auf globalisierten Märkten, S. 103 und von Rottenburg, Importbeschränkungen für „schmutzigen Strom“ nach dem Welthandelsrecht, S. 84 f.
Handel mit Energieträgern
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(b) Möglichkeit mengenmäßiger Beschränkung nach dem GATT und Verweigerung der Interkonnektion (i) Mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen für „schmutzigen Strom“ Damit gilt auch für elektrische Energie grundsätzlich das Verbot mengenmäßiger Einfuhrbeschränkungen nach Art. XI Abs. 1 GATT. Zu fragen ist aber, ob dieses Verbot auch Einfuhrbeschränkungen entgegensteht, die unter Berufung auf Umweltschutzargumente erlassen bzw. aufrechterhalten werden und namentlich die Einfuhr von elektrischer Energie unterbinden, deren Herstellung nicht einem gewissen Standard genügt („schmutziger Strom“391). Festzuhalten ist zunächst, dass elektrische Energie, die in – nach europäischer Einschätzung – unsicheren Atomkraftwerken oder in umweltbelastenden Kohlekraftwerken erzeugt wird, sich physikalisch nicht von „sauberem Strom“ unterscheidet. Ob elektrische Energie umweltfreundlich oder umweltschädlich erzeugt wird, ist ohne Auswirkungen auf die Qualität der erzeugten Ware Strom, die Netzspannung (elektrische Spannung) und – bei Wechselstrom – die Frequenz. Deshalb können Importbeschränkungen nicht auf die Ausnahmebestimmung des Art. XI Abs. 2 lit. b) GATT (Normen über die Sortierung, die Einteilung nach Güteklassen) gestützt werden.392 Letztlich geht es um die Problematik der Zulässigkeit produktionsbezogener Importverbote für stofflich identische Produkte.393 Die Problematik produktionsbezogener Importverbote wurde bisher im GATT/WTO-Rahmen insbesondere anhand von Fischereimethoden 391
Als „schmutziger Strom“ wird im öffentlichen Diskurs zumeist elektrische Energie bezeichnet, die in unsicheren Atomkraftwerken oder in Kohlekraftwerken ohne effiziente Filteranlagen bzw. mit geringen Wirkungsgraden erzeugt wird. Weiterführend zum Begriff „schmutziger Strom“ siehe von Rottenburg, Importbeschränkungen für „schmutzigen Strom“ nach dem Welthandelsrecht, S. 57. 392
von Rottenburg, Importbeschränkungen für „schmutzigen Strom“ nach dem Welthandelsrecht, S. 143. 393
Produktionsbezogene Importverbote werden gerade dann erlassen, wenn sich die Herstellungsmethode nicht auf die Konsistenz der erzeugten Produkte auswirkt. Ein Beispiel dafür ist die Anknüpfung an bestimmte Fangmethoden (etwa bei Tierfellen die Verwendung von besonders grausamen Tellereisenfallen oder die Gefährdung geschützter Tiere durch gewisse Fischereimethoden). Weiteres Beispiel ist – insbesondere bei Tropenhölzern – die Anknüpfung an Raubbaumethoden.
130
G. Fragestellungen hinsichtlich der Beziehungen im Energiebereich
thematisiert, namentlich in den Fällen Tuna I (1991),394 Tuna II (1994)395 und Shrimp (1998).396 Die angegriffenen Importbeschränkungen, welche an die Umweltverträglichkeit der Erzeugung der Handelsware im Ausland anknüpften, wurden dabei alle als GATT-widrig eingestuft, allerdings lässt sich hinsichtlich der Frage der Rechtfertigung der Importbeschränkung nach Art. XX lit. g) GATT eine deutliche Evolution in der Argumentationsführung konstatieren. Von Bedeutung war dabei die Entscheidung des Appellate Body im Fall Gasoline (1996).397 Im Fall Tuna I wurde eine Rechtfertigung produktionsbezogener Importbeschränkungen nach Art. XX lit. b) und g) GATT schon deshalb abgelehnt, weil diese Norm nur bei Schutzgütern innerhalb des Hoheitsbereichs („within the jurisdiction“) des Importstaates einschlägig sei.398 Im Fall Tuna II wurde zwar der Anwendungsbereich der Norm bejaht, das Vorliegen ihrer Voraussetzungen aber verneint.399 Die Entscheidung des Appellate Body im Gasoline-Fall nahm eine Neubewertung des Art. XX GATT vor. Durch diese Neubewertung wurde ein Berufen auf Art. XX lit. g) GATT im Vergleich zum Tuna-Ansatz erleichtert. Eine Maßnahme kann nach dem Gasoline-Ansatz gemäß Art. XX lit. g) GATT provisorisch – d.h. bis zur Prüfung des durch die Ent-
394 WTO Report of the Panel, 03.09.1991 – DS21/R - 39S/155, United States - Restrictions on Imports of Tuna (Tuna I). 395
WTO Report of the Panel, 16.06.1994 – DS29/R, United States - Restrictions on Imports of Tuna (Tuna II). 396
WTO Report of the Panel, 15.05.1998 – WT/DS58/R, United States - Import Prohibition of Certain Shrimp and Shrimp Products und WTO Appellate Body, 08.10.1998 – WT/DS58/AB/R, United States – Import Prohibition of Certain Shrimp and Shrimp Products. 397
WTO Appellate Body, 29.04.1996 – WT/DS2/AB/R, United States - Standards for Reformulated and Conventional Gasoline. 398
WTO Report of the Panel, 03.09.1991 – DS21/R - 39S/155, United States - Restrictions on Imports of Tuna (Tuna I), para 5.26 und para 5.32. Ausführlicher: von Rottenburg, Importbeschränkungen für „schmutzigen Strom“ nach dem Welthandelsrecht, S. 161 f. 399
Ausführlicher: von Rottenburg, Importbeschränkungen für „schmutzigen Strom“ nach dem Welthandelsrecht, S. 163 f.
Handel mit Energieträgern
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scheidung aufgewerteten Einleitungssatzes zum Artikel (Chapeau) – gerechtfertigt (provisionally justified)400 sein.401 Unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Appellate Body im Gasoline-Fall sieht Schorkopf402 für Strom importierende WTO-Mitgliedstaaten die Möglichkeit, Einfuhrbeschränkungen unter Berufung auf Umweltschutzargumente zu erlassen und namentlich die Einfuhr von elektrischer Energie, deren Herstellung nicht einem gewissen Qualitätsstandard genügt („schmutziger Strom“), zu unterbinden. Diese unmittelbare Referenz auf die Gasoline-Entscheidung überzeugt indessen nicht. Denn im Gasoline-Fall ging es nicht um produktionsbezogene Importbeschränkungen. Es wurde letztlich nur festgestellt, dass „saubere Luft“ als erschöpflicher Naturschatz (exhaustible natural resource) anzusehen ist, und dass folglich Maßnahmen der USA,403 die mit Blick auf die Erhaltung der sauberen Luft in den USA angewendet wurden, unter die Ausnahme des Art. XX lit. g) GATT fallen, vorausgesetzt die Bedingungen des Chapeau werden beachtet.404 Bei Importbeschränkungen der EU für „schmutzigen Strom“ geht es aber nicht vordergründig darum, die saubere Luft oder sonst einen Naturschatz in Europa zu bewahren. Vielmehr geht es darum, auf eine Änderung der Politik hinsichtlich Produktionsmethoden im Ausland hinzuwirken. Dieses Ziel war aber in den Tuna-Entscheidungen nicht anerkannt worden, um Importbeschränkungen nach Art. XX lit. g) GATT zu rechtfertigen. Es gibt aber durchaus tragfähige Ansätze zur Rechtfertigung produktionsbezogener Importbeschränkungen, die mit Blick auf den Umweltschutz erlassen werden. Im GATT/WTO-Kontext wurde durch die Entscheidung des Appellate Body im Shrimp-Fall 1998 die Möglichkeit der Rechtfertigung produktionsbezogener Importverbote nach Art. XX lit. g) GATT grundsätzlich anerkannt, wobei die Entscheidung erstmals ausdrücklich das Umweltschutzziel der WTO-Präambel in die Prüfung 400
Siehe WTO Appellate Body, 08.10.1998 – WT/DS58/AB/R, United States – Import Prohibition of Certain Shrimp and Shrimp Products, para 125. 401
Ausführlicher: von Rottenburg, Importbeschränkungen für „schmutzigen Strom“ nach dem Welthandelsrecht, S. 164 ff. m.w.N. 402
Schorkopf in: Leible/Lippert/Walter (Hrsg.), Die Sicherung der Energieversorgung auf globalisierten Märkten, S. 110. 403
Im konkreten Fall berührten diese Maßnahmen Einfuhr von Gasoline aus Brasilien und Venezuela. 404
nen.
Diese Feststellung allein lässt keine Weiterentwicklung zu Tuna I erken-
132
G. Fragestellungen hinsichtlich der Beziehungen im Energiebereich
mit einbezog.405 Nach dieser Entscheidung, die insofern die in der Gasoline-Entscheidung aufgestellten Grundsätze fortsetzt, verlange die Norm in ihrem ersten Halbsatz nur eine enge und tatsächliche Beziehung zwischen Zielen und Mitteln (a close and genuine relationship of ends and means406) und in ihrem zweiten Halbsatz eine Gleichgewichtigkeit (even-handedness407) zwischen Importbeschränkung und im Inland ergriffenen Maßnahmen. Die vorläufige Rechtfertigung der angegriffenen Maßnahme müsse dann noch den Anforderungen des Chapeau zu Art. XX GATT genügen, der klarstelle, dass Art. XX GATT eine begrenzte und bedingte Ausnahme (limited and conditional exception408) zu substantiellen GATT-Verpflichtungen sei. Bei Anwendung des Chapeau gelte es, eine Gleichgewichtslinie (line of equilibrium409) zwischen dem Recht eines Mitgliedstaates, sich auf eine Ausnahme des Art. XX GATT zu berufen, und den Rechten der anderen Mitgliedstaaten zu finden. Die Freiheit, sich auf Art. XX GATT zu berufen, darf nicht rechtsmissbräuchlich angewendet werden.410 Werden die in Shrimp aufgestellten Grundsätze beachtet, lassen sich nach gegenwärtigem WTO-Recht produktionsbezogene Einfuhrbeschränkungen rechtfertigen. Dies ist grundsätzlich zu begrüßen. Außerhalb des GATT-Rahmens hatte sich eine dahingehende Tendenz bereits vorher abgezeichnet. So sah schon Art. 4 Abs. 4 des Montrealer Protokolls von 1987411 vor, die Durchführbarkeit von Einfuhrbeschränkungen für Erzeugnisse, die „mit geregelten [der Ozonschicht schädlichen] Stoffen hergestellt werden, jedoch keine geregelten Stoffe 405
Ausführlicher: von Rottenburg, Importbeschränkungen für „schmutzigen Strom“ nach dem Welthandelsrecht, S. 170 ff. 406
WTO Appellate Body, 08.10.1998 – WT/DS58/AB/R, United States – Import Prohibition of Certain Shrimp and Shrimp Products, para 136 und para 141. 407 408 409
WTO Appellate Body, a.a.O., para 143. WTO Appellate Body, a.a.O., para 157. WTO Appellate Body, a.a.O., para 159.
410
Im Shrimp-Fall sah der Appellate Body zwei Fälle von Rechtsmissbrauch gegeben: Fehlende ernsthafte Verhandlungsversuche mit den betroffenen Staaten (WTO Appellate Body, a.a.O., para 166) sowie willkürliche Diskriminierung zwischen diesen (WTO Appellate Body, a.a.O., para 184). 411
Montrealer Protokoll über Stoffe, die zu einem Abbau der Ozonschicht führen (BGBl. 1988 II, S. 1014). Das Montrealer Protokoll gehört zum Wiener Übereinkommen zum Schutz der Ozonschicht (BGBl. 1988 II, S. 901).
Handel mit Energieträgern
133
enthalten“, zu prüfen, und ggf. die Einfuhr dieser Erzeugnisse zu verbieten bzw. zu beschränken. Einfuhrbeschränkungen für „schmutzigen Strom“ sind nach gegenwärtigem WTO-Recht möglich.412 Ihrem Erlass stehen jedoch Hindernisse entgegen, nicht zuletzt die fehlende physische Trennbarkeit des „schmutzigen Stroms“ von „sauber erzeugtem Strom“. Eine Trennung ist zwar mathematisch möglich, dann könnte sich jedoch der Stromexporteur dahingehend positionieren, dass nur die „sauber erzeugte elektrische Energie“ exportiert würde, während der nicht „sauber erzeugte Strom“ für den Binnenverbrauch bestimmt sei.
(ii) Verweigerung der Interkonnektion Um darauf hinzuwirken, dass die Erzeugung elektrischer Energie im Ausland generell den innerstaatlichen Produktionsstandards genügt, ist daher die Verweigerung der Interkonnektion der Stromnetze von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Dahingehend ist darauf hinzuweisen, dass aus dem WTO-Recht keine Verpflichtung hervorgeht, sich am Ausbau von Übertragungsinfrastruktur zu beteiligen, welche ihrerseits die Voraussetzung für einen zunehmenden grenzüberschreitenden Handel mit elektrischer Energie ist.
(iii) Zwischenergebnis Auch wenn Russland WTO-Mitglied wäre, so könnte es eine Interkonnektion nicht verlangen. Zudem bietet gegenwärtiges WTO-Recht nach der Shrimp-Entscheidung einen tragfähigen Ansatz hinsichtlich produktionsbezogener Einfuhrbeschränkungen für „schmutzigen Strom“.
(4) PCA (a) Wareneigenschaft elektrischer Energie Der Handel mit elektrischer Energie ist im PCA nicht gesondert angesprochen. Es besteht aber keine Veranlassung daran zu zweifeln, dass 412
Denkbar ist auch, den Import von Strom, dessen Herstellung nicht einem gewissen Qualitätsstandard genügt und dessen Erzeuger gerade dadurch ungerechtfertigte Wettbewerbsvorteile genießen, nach Art. XIX GATT (Notstandsmaßnahmen) einzuschränken.
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G. Fragestellungen hinsichtlich der Beziehungen im Energiebereich
der Handel mit elektrischer Energie auch nach dem PCA dem Handelsregime für Waren unterfällt. Denn, was die europäische Seite betrifft, ist die Entscheidung des EuGH in der Sache ALMELO413 noch vor Unterzeichnung des PCA ergangen und elektrischer Strom war bereits 1987 in die Kombinierte Nomenklatur unter dem KN-Code 2716 00 00 aufgenommen worden.414 Was die russische Seite betrifft, so ist Russland seit 1992 Mitglied der Weltzollorganisation (WCO) und hat eine Zollnomenklatur erlassen, die auf dem Harmonisierten System beruht. Danach wird elektrische Energie (ėlektroėnergija) unter der Warennummer 2716000000 geführt.415
(b) Möglichkeit mengenmäßiger Beschränkung nach dem PCA und Verweigerung der Interkonnektion (i) Mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen für „schmutzigen Strom“ Folglich gilt das grundsätzliche Verbot mengenmäßiger Einfuhrbeschränkungen nach Art. 15 PCA auch für elektrische Energie. Gleichwohl können aber Russland und die EU nach Art. 17 PCA in einem dort spezifizierten Verfahren „geeignete Maßnahmen“ – einschließlich mengenmäßiger Beschränkungen – treffen, wenn eine Ware in derart erhöhten Mengen und unter solchen Bedingungen eingeführt wird, dass inländischen Herstellern ein erheblicher Schaden zugefügt wird oder droht.416 Dies kann immer dann von Bedeutung sein, wenn in Russland erzeugte elektrische Energie allein deshalb wesentlich billiger ist als in der EU erzeugte elektrische Energie, weil gewisse kostspielige Umwelt- oder Sicherheitsstandards in Russland nicht eingehalten werden müssen. Zudem dürfen nach Art. 19 S. 1 PCA Einfuhrbeschränkungen unter anderem mit Blick auf den Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen, Tieren oder Pflanzen sowie der natürlichen Ressourcen erlassen werden. Artikel 19 S. 1 und 2 PCA ähnelt stark der 413
EuGH, Rs. C-393/92, Slg. 1994, I-1477 – ALMELO.
414
Siehe Anhang I zur Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom 23. Juli 1987 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif, ABl. L 256 vom 07.09.1987, S. 1. 415 Siehe die Verordnung der Regierung der Russländischen Föderation vom 27.11.2006 N 718. 416
Zudem stellt Art. 18 PCA klar, dass diese Regelung nicht die Möglichkeit berührt, Antidumping- oder Ausgleichsmaßnahmen nach Art. VI GATT zu ergreifen.
Handel mit Energieträgern
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Ausnahmenorm des Art. XX GATT, enthält jedoch nicht die Einschränkung des Art. XX lit. g) GATT, nach der die Maßnahmen im Zusammenhang mit Beschränkungen der inländischen Produktion oder des inländischen Verbrauches angewendet werden müssen. Dies legt nahe, dass es leichter sein sollte, sich auf die Ausnahme des Art. 19 S. 1 PCA zu berufen, als auf die Ausnahme des Art. XX lit. g) GATT. Es ist daher davon auszugehen, dass produktionsbezogene Einfuhrbeschränkungen für „schmutzigen Strom“ auch nach Art. 19 S. 1 PCA gerechtfertigt sein können, wenn sie weder ein Mittel willkürlicher Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen Russland und der EU darstellen.
(ii) Verweigerung der Interkonnektion Im Gegensatz zum GATT finden sich im PCA Aussagen zum Themenkreis Interkonnektion. So wird in Art. 65 Abs. 1 PCA als Ziel der angestrebten wirtschaftlichen Zusammenarbeit die schrittweise Integration der Energiemärkte in Europa genannt. In Art. 65 Abs. 2 Stichpunkt 6 wird dann ausdrücklich erwähnt, dass die Zusammenarbeit zwischen der EU und Russland auch den Verbund (Interkonnektion) der Elektrizitätsversorgungsnetze umfasst. Darauf kann sich Russland stützen, um die Verbindung des russischen mit dem europäischen Netz voranzutreiben. Jedoch enthält Art. 65 PCA keine harte völkerrechtliche Verpflichtungen, sondern benennt vielmehr nur stichpunktartig Bereiche, auf die sich die in Art. 65 Abs. 1 PCA genannte Zusammenarbeit im Energiesektor erstrecken soll. Ein konkreter Zeitrahmen wird nicht gegeben. Zudem erfolgt die Zusammenarbeit im Rahmen der Grundsätze der Marktwirtschaft (Art. 65 Abs. 1 PCA) und umfasst nach Art. 65 Abs. 2 Stichpunkt 7 PCA – auf der gleichen Stufe wie die Modernisierung der Energieinfrastruktur und Interkonnektion – auch den Bereich, Umweltschäden durch Tätigkeiten im Energiebereich zu verhüten oder möglichst niedrig zu halten. Darauf kann sich die EU stützen, um den Ausbau von Interkonnektoren an gewisse Umweltschutz-Bedingungen zu knüpfen.
(iii) Zwischenergebnis Eine bedingungslose Verbindung der europäischen Elektrizitätsnetze mit den russischen Elektrizitätsnetzen kann Russland nach dem PCA nicht verlangen. Zudem ließe das PCA produktionsbezogene Einfuhrbeschränkungen für „schmutzigen Strom“ zu.
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G. Fragestellungen hinsichtlich der Beziehungen im Energiebereich
(5) ECT (a) Elektrische Energie als Energieerzeugnis i.S.d. ECT Elektrischer Strom zählt zu den „Primärenergieträgern und Energieerzeugnissen“ im Sinne des Energiecharta-Vertrages. Dies ergibt sich aus Art. 1 Nr. 4 ECT i.V.m. der Anlage EM zum Vertrag, in der elektrischer Strom unter der Nummer 27.16 als Position aufgenommen wurde.417
(b) Möglichkeit mengenmäßiger Beschränkung nach dem ECT und Verweigerung der Interkonnektion (i) Mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen für „schmutzigen Strom“ Demnach unterfiel – solange Russland den Energiecharta-Vertrag vorläufig anwendete – der Handel mit elektrischer Energie zwischen der EU und Russland dem Regime des Art. 29 ECT. Und da Russland nie der vorläufigen Anwendung des Trade-Amendment zum Energiecharta-Vertrag zustimmte, verwies Art. 29 ECT im europäisch-russischen Verhältnis auf GATT-Normen, so wie diese am 1. März 1994 angewandt wurden, ohne Berücksichtigung nachträglicher Veränderungen (statischer Verweis). Folglich galt hinsichtlich elektrischer Energie für die Vertragsstaaten des ECT im Verhältnis zu Russland das grundsätzliche Verbot mengenmäßiger Einfuhrbeschränkungen nach Art. XI Abs. 1 GATT. Dass sich im gegenwärtigen WTO-Recht tragfähige Ansätze finden, um produktionsbezogene Einfuhrbeschränkungen für „schmutzigen Strom“ zu erlassen,418 war für das Verhältnis zwischen der EU und Russland im Rahmen des Art. 29 ECT bedeutungslos. Denn zum relevanten Stichtag, dem 1. März 1994, wurde die Zulässigkeit umweltschützender produktionsbezogener Importbeschränkungen klar abgelehnt. Dahingehend ist auf die erwähnte Entscheidung im Fall Tuna I419 zu verweisen. Die entscheidenden Veränderungen im Welthandelsrecht, nach denen umweltschutzmotivierte produktionsbezogene Importbeschränkungen im GATT/WTO-Rahmen nicht mehr kategorisch ausgeschlossen werden – namentlich die Erwähnung des Umweltschutzes in
417 418 419
Siehe auch Energy Charter Secretariat (Hrsg.), Trade in Energy, S. 18. Siehe oben (G.II.2.b)cc)(3)(b)(i)).
WTO Report of the Panel, 03.09.1991 – DS21/R - 39S/155, United States - Restrictions on Imports of Tuna (Tuna I).
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der WTO-Präambel und die Entscheidung im Fall Shrimp (1998)420 –, erfolgten erst nach dem 1. März 1994. Folglich waren – solange Russland den ECT vorläufig anwendete –, aufgrund des Art. 29 ECT i.V.m. dem GATT 1947 (wie zum Stichtag angewandt), mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen für „schmutzigen Strom“ im europäisch-russischen Verhältnis grundsätzlich nicht zulässig. Solange Russland allerdings den ECT nur vorläufig anwendete, konnte es sich, wie oben421 dargestellt, nicht auf Art. 29 ECT berufen, wenn innerstaatliches Recht der EG bzw. ihrer Mitgliedstaaten Einfuhrbeschränkungen für „schmutzigen Strom“ festlegte. Eine solche Norm findet sich beispielsweise in § 13 Abs. 1 Nr. 1 des österreichischen ElWOG.422
(ii) Verweigerung der Interkonnektion Der allgemeinen Zielbestimmung des Art. 3 ECT, nach der die Vertragsparteien darauf hinwirken, für Primärenergieträger und Energieerzeugnisse den Zugang zu internationalen Märkten zu erleichtern, kann ebenso wenig wie dem GATT oder dem PCA eine harte völkerrechtliche Verpflichtung entnommen werden, für den Aufbau von Interkonnektoren zu sorgen. Gleiches gilt für die noch weichere Verpflichtung des Art. 7 Abs. 2 lit. d) ECT, nach der die Vertragsparteien die zuständigen Stellen zur Zusammenarbeit im Bereich Erleichterung des Verbunds von Energiebeförderungseinrichtungen „ermutigen“.
(iii) Zwischenergebnis Produktionsbezogene mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen für elektrische Energie, deren Erzeugung nicht den europäischen Umweltstandards genügt, waren – solange Russland den Energiecharta-Vertrag vorläufig anwendete – nach Art. 29 ECT i.V.m. GATT-Normen, wie diese am 1. März 1994 angewandt wurden, im europäisch-russischen Verhält420
WTO Appellate Body, 08.10.1998 – WT/DS58/AB/R, United States – Import Prohibition of Certain Shrimp and Shrimp Products. 421 422
F.II.2.
Bundesgesetz, mit dem die Organisation auf dem Gebiet der Elektrizitätswirtschaft neu geregelt wird (Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsgesetz – ElWOG). Zu § 13 Abs. 1 ElWOG in seiner am 13.04.2009 gültigen Fassung siehe BGBl. (Österreich), Teil I, Nr. 121/2000, S. 1257.
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G. Fragestellungen hinsichtlich der Beziehungen im Energiebereich
nis grundsätzlich unzulässig. Allerdings konnte sich Russland während der nur vorläufigen Anwendung des Vertrages nicht auf Art. 29 ECT berufen, wenn innerstaatliches Recht der EG-Mitgliedstaaten Einfuhrbeschränkungen für „schmutzigen Strom“ festlegte. Wäre die Russische Föderation hingegen ECT-Vertragspartei geworden, ohne das TradeAmendment zu ratifizieren, hätte ihr kein innerstaatliches Recht entgegengehalten werden können. Interkonnektion der Versorgungsnetze, welche einen substantiellen Handel von Elektrizität zwischen Russland und der EU erst möglich machen würde, könnte Russland jedoch auch als ECT-Vertragspartei nicht verlangen.
(6) Zusammenfassung und Interessenlage Produktionsbezogene mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen für elektrische Energie, deren Erzeugung bestimmten europäischen Umweltstandards nicht genügt, sind nach dem PCA zulässig. Sie wären auch nach gegenwärtigem WTO-Recht zulässig. Unzulässig wären sie hingegen nach Art. 29 ECT i.V.m. GATT-Normen, wie diese am 1. März 1994 angewandt wurden, wenn Russland den EnergiechartaVertrag ohne das Trade-Amendment ratifiziert hätte.423 Während die europäische Seite ein Interesse daran hat, produktionsbezogene Einfuhrbeschränkungen unter Berufung auf Umweltschutzgründe erlassen zu können (Status quo und Regelungssituation im Fall eines Beitritts Russlands zur WTO bzw. bei Anwendung des TradeAmendment zum ECT), hat die russische Seite, was den Handel mit Elektrizität betrifft, ein Interesse an der Regelungssituation, die beste-
423
Gesetzt dem Fall, Russland würde den Energiecharta-Vertrag doch noch ratifizieren und zugleich auch das Trade-Amendment zum ECT (zumindest vorläufig) anwenden, wären produktionsbezogene Einfuhrbeschränkungen in Bezug auf elektrische Energie wegen des dann dynamischen Verweises auf WTO-Recht zulässig. Zulässig wären produktionsbezogene Einfuhrbeschränkungen in Bezug auf elektrische Energie auch dann, wenn Russland zwar den ECT ratifizierte ohne das Trade-Amendment anzuwenden, dann aber Mitglied der WTO würde. In diesem Fall würde nämlich Art. 29 ECT nach dessen Absatz 1 seine Bedeutung für den Handel im europäisch-russischen Verhältnis verlieren. Der statische Verweis auf GATT-Recht, wie es am 1. März 1994 angewandt wurde, würde entfallen und der neuen Welthandelsordnung Platz machen, nach der produktionsbezogene Einfuhrbeschränkungen unter Berufung auf Umweltschutzgründe zulässig sein können.
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hen würde, wenn Russland – ohne WTO-Mitglied zu sein – den ECT ohne das Trade-Amendment ratifiziert hätte. Einem substantiellen Handel mit elektrischer Energie zwischen der EU und Russland stehen aber momentan ohnehin technische Hindernisse entgegen, insbesondere das Fehlen von Interkonnektoren. Eine Verpflichtung zum Aufbau von Interkonnektoren, die einen substantiellen Handel mit elektrischer Energie zwischen der EU und Russland erst ermöglichen würden, besteht weder nach dem GATT, noch nach dem PCA, noch nach dem ECT. Dies entspricht nicht dem Interesse Russlands, welches in der Vergangenheit mehrfach den Wunsch geäußert hat, das russische Stromnetz stärker mit dem europäischen zu verbinden. Die EU steht zwar einer Verflechtung der europäischen und der russischen Elektrizitätsnetze und -märkte nicht grundsätzlich ablehnend gegenüber, sie stellt jedoch eine Reihe von Bedingungen. Der völkerrechtliche Status quo zur Frage der Interkonnektion – wie auch die dahingehende Regelungssituation im Falle des Beitritts Russlands zur WTO oder im Falle der Ratifikation des ECT – gibt der EU in Bezug auf diese Bedingungen eine gewisse Verhandlungsmacht.
c) Verbringung von Nuklearmaterial zur Wiederaufbereitung aa) Die Frage nach der völkerrechtlichen Zulässigkeit von Handelsbeschränkungen Die Zulässigkeit eines Verbots der Abgabe von Kernbrennstoffen zur Wiederaufbereitung – wie etwa in § 9a Abs. 1 S. 2 AtG424 verankert – wird für innereuropäische Konstellationen mit Blick auf Gemeinschaftsrechtsnormen bestritten.425 Hier soll aber nur die Zulässigkeit von Beschränkungen im europäisch-russischen Verhältnis interessieren. Dahingehend können sich Ausfuhrbeschränkungen aus nationalen Vorschriften wie dem § 9a Abs. 1 S. 2 AtG sowie aus den Kontrollbefugnis-
424 425
Sartorius I, Nr. 835.
Siehe dazu Schmidt-Preuß in: Rengeling (Hrsg.), Handbuch zum europäischen und deutschen Umweltrecht, § 60 Rn. 93 ff.; König/Müller, EuWZ 2007, S. 144.
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G. Fragestellungen hinsichtlich der Beziehungen im Energiebereich
sen der EU-Kommission hinsichtlich der Ausfuhr von Nuklearmaterial426 ergeben.
bb) Souveränität Ausgangspunkt für Überlegungen zur Zulässigkeit von Beschränkungen sind erneut Souveränitätserwägungen. Im Grundsatz ist jeder Staat bzw. jede Staatenverbindung frei, die Ausfuhr gewisser Waren – und sei es zu deren Wiederaufbereitung und Wiedereinfuhr – zu beschränken. Zu fragen ist, ob Völkerrechtsnormen diese grundsätzliche Freiheit für wiederaufzubereitendes Nuklearmaterial einschränken.
cc) GATT/GATS/WTO Schon nach der engsten Auslegungsvariante des Art. XXI lit. b) (i) GATT sind Ausfuhrbeschränkungen für (abgebrannte) Kernbrennstoffe zulässig. Dies betrifft sowohl die Ausfuhr zum tatsächlichen Export als auch die Ausfuhr mit Blick auf eine Wiedereinfuhr nach einer Wiederaufbereitung. Das GATS könnte zwar potentiell betroffen sein, da es letztlich um Wiederaufarbeitungsdienstleistungen im Ausland ansässiger Unternehmen geht. Es überzeugt jedoch eher die Auffassung, nach der sich die der Wiederaufbereitung in einem anderen Staat vorangehende Verbringung des Aufbereitungsgegenstandes und die sich an die Wiederaufbereitung anschließende Verbringung der Wiederaufbereitungserzeugnisse nicht ausschließlich nach dem GATS, sondern zumindest auch nach dem GATT richten.427 Zudem enthält auch Art. XIV bis GATS eine Ausnahmeklausel, nach der jedes GATS/WTO-Mitglied in Bezug auf Kernbrennstoffe Maßnahmen treffen kann, die es zum Schutz seiner wesentlichen Sicherheitsinteressen für notwendig hält. Daher ist die Beschränkung der Ausfuhr von Nuklearbrennstäben zu deren Wiederaufbereitung nach dem gegenwärtigen WTO-Regime zulässig.
426
Siehe Art. 59 lit. b) EAGV, Art. 62 Abs. 1 lit. c) EAGV, Art. 73 EAGV und Art. 75 Abs. 2 S. 2 EAGV. 427
Vgl. oben (G.II.2.b)bb)(3)(b)).
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dd) PCA und ECT Auch das PCA und der ECT stehen einer Beschränkung der Ausfuhr von Nuklearbrennstoffen aus der EU zu deren Wiederaufarbeitung in Russland nicht entgegen. Insoweit kann auf die oben gemachten Ausführungen zum Handelsregime für Nuklearmaterial im europäischrussischen Verhältnis verwiesen werden.428
ee) Zusammenfassung und Interessenlage Gegenwärtig ist die Beschränkung der Ausfuhr von Nuklearmaterial zu dessen Wiederaufbereitung ebenso zulässig, wie die Beschränkung der Einfuhr von Nuklearmaterial. An dieser Situation würde sich weder mit dem Beitritt Russlands zur WTO noch mit der Ratifikation des ECT durch Russland etwas ändern. Die gegenwärtige Situation entspricht nicht den Interessen der Russischen Föderation. Die russische Nuklearindustrie ist auf allen Gebieten des Nuklearzyklus, auch auf dem Gebiet der Wiederaufbereitung, tätig. Es liegt im Interesse der Russischen Föderation, dass die russische Nuklearindustrie ihre wettbewerbsfähigen Wiederaufbereitungsdienste auch europäischen Unternehmen anbieten kann. Mit Blick darauf wurde – gegen den Widerstand verschiedener gesellschaftlicher Gruppen – im Jahr 2001 ein Gesetzespaket verabschiedet, das u.a. die Einfuhr von abgebrannten Kernbrennstäben in die Russische Föderation ermöglicht.429 Hingegen entspricht der Status quo den Interessen der EU, die mit Blick auf die eigene Versorgungssicherheit unter anderem bestrebt ist, die Überlebensfähigkeit der europäischen Nuklearindustrie – auch der Wiederaufbereitungsunternehmen430 – zu bewahren.431 Gegenwärtig verfügen Wiederaufbereitungsunternehmen in der EU über ausreichend Kapazität zur Wiederaufbereitung aller angebotenen Aufbereitungsgegenstände.432 Im Interesse der EU liegt es, den Marktanteil europäischer 428
Siehe oben (G.II.2.b)bb)(4) und G.II.2.b)bb)(5)).
429
Föderales Gesetz vom 10. Juli 2001 N 92-FZ; Föderales Gesetz vom 10. Juli 2001 N 93-FZ; Föderales Gesetz vom 10. Juli 2001 N 94-FZ. Siehe auch Art. 48 des Föderalen Gesetzes vom 10.01.2002 N 7-FZ „Über den Schutz der Umwelt“. 430
Europäische Wiederaufbereitungsanlagen befinden sich in La Hague, Frankreich, und in Sellafield, Großbritannien. 431 432
Siehe dazu schon oben (G.II.2.b)bb)(6)). Vgl. EURATOM Supply Agency (Hrsg.), Annual Report 2007, S. 14.
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G. Fragestellungen hinsichtlich der Beziehungen im Energiebereich
Wiederaufbereitungsbetriebe hoch zu halten und den bestehenden Handlungsspielraum mit Blick auf die Beschränkung der Ausfuhr von Nuklearmaterial oder abgebrannten Kernbrennstoffen bzw. mit Blick auf die Beschränkung nichteuropäischer Wiederaufbereitungsdienstleistungen zu erhalten.
3. Einfuhr- und Ausfuhrzölle für Primärenergieträger und Energieerzeugnisse sowie für energieintensive Produkte a) Russische Ausfuhrzölle und sonstige bei der Ausfuhr erhobene Abgaben aa) Die Frage nach der Zulässigkeit von Exportzöllen und von sonstigen bei der Ausfuhr erhobenen Abgaben bzw. deren Erhöhung Die Russische Föderation erhebt Zölle auf die Ausfuhr von Erdöl und Erdgas. Diese Exportzölle haben große Bedeutung für den russischen Staatshaushalt. Die 1999 eingeführten Exportzölle für Erdöl und Erdölprodukte433 wurden in der Vergangenheit mehrfach geändert.434 Im Folgenden soll die völkerrechtliche Zulässigkeit von Exportzöllen oder sonstiger beim Export erhobener Abgaben für Energieträger und Energieerzeugnisse untersucht werden.
433
Siehe dazu Energy Charter Secretariat (Hrsg.), Taxation along the Oil and Gas Supply Chain, S. 36. 434
Zur aufsehenerregenden Exportzoll-Erhöhung mit Wirkung zum 1. August 2008 siehe die Verordnung der Regierung der Russländischen Föderation vom 21.07.2008 N 547 „Über die Festsetzung der Exportzölle für Rohöl und für andere Erdölprodukte“. Zur nicht minder aufsehenerregenden ExportzollSenkung mit Wirkung zum 1. Januar 2009 siehe die Verordnung der Regierung der Russländischen Föderation vom 25.12.2008 N 1023 „Über die Festsetzung der Exportzölle für Rohöl und für andere Erdölprodukte“. Das System der Festlegung der Exportzölle und die dabei verwendete Formel, nach der sich der neue Exportzoll für Erdöl und Erdölprodukte am Durchschnittspreis für Erdöl in den beiden vorangegangenen Monaten orientierte, sind Ende 2008 wegen ihrer Schwerfälligkeit in Kritik geraten; ausführlicher dazu Fletcher, Oil and Gas Journal 01.12.2008.
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bb) Souveränität Ausgangspunkt für Überlegungen zur Zulässigkeit von exportbezogenen Abgaben und Zöllen sind erneut Souveränitätserwägungen. So wie jeder Staat im Grundsatz frei ist, die Ausfuhr gewisser Waren mengenmäßig zu beschränken, ist auch jeder Staat im Grundsatz frei, Ausfuhrzölle oder andere Abgaben beim Export bestimmter Waren zu erheben. Zu untersuchen ist, inwieweit diese grundsätzliche Freiheit durch Völkerrechtsnormen eingeschränkt wird.
cc) GATT/WTO Das GATT verbietet Ausfuhrzölle nicht.435 Dies erstaunt deshalb nicht, weil das GATT primär die Zielstellung verfolgt, Exportnationen faire Bedingungen beim Absatz ihrer Überschussproduktion im Ausland zu gewährleisten.436 Allerdings hat Russland im Rahmen der Beitrittsverhandlungen zur WTO 2003 gegenüber der EU zugesagt, den Exportzoll für Erdgas nicht über 30 % zu erhöhen.437
dd) PCA Auch das PCA verbietet Ausfuhrzölle nicht. Regelungen werden nur in Bezug auf die Einfuhrzollpolitik (Art. 16 PCA) und in Bezug auf die Zusammenarbeit im Zollbereich (Art. 78 PCA) getroffen.
435
Schorkopf in: Leible/Lippert/Walter (Hrsg.), Die Sicherung der Energieversorgung auf globalisierten Märkten, S. 104. 436
Es gilt jedoch auch in Bezug auf Ausfuhrzölle und sonstige mit der Ausfuhr verbundenen Belastungen der Grundsatz der allgemeinen Meistbegünstigung des Art. I Abs. 1 GATT. Eine Grenze hinsichtlich der Zulässigkeit von ausfuhrbezogenen Abgaben nach dem GATT kann aber dann erreicht werden, wenn durch die Ausfuhrabgabe der Preis der exportierten Ware nach dem Export derart erhöht wird, dass sie nicht mehr zum Weltmarktpreis verkauft werden kann. In diesem Fall ist es nämlich wirtschaftlich nicht mehr sinnvoll, überhaupt noch zu exportieren und im Ausland unter Verlust zu verkaufen, so dass die Ausfuhrabgabe im Ergebnis einer mengenmäßigen Ausfuhrbeschränkung gleichkommen könnte. 437
Stern, The future of Russian gas and Gazprom, S. 140.
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ee) ECT Der ECT hingegen enthält recht präzise Regelungen zu Ausfuhrzöllen. Nach Art. 29 Abs. 3 S. 1 ECT überlässt jeder Unterzeichner des Vertrages dem Sekretariat bei Unterzeichnung eine Liste sämtlicher Zollsätze und sonstiger Abgaben, die bei der Ausfuhr auf Primärenergieträger und Energieerzeugnisse erhoben werden, und teilt die Höhe dieser Zollsätze und Abgaben mit, wie sie an dem Tag der Unterzeichnung gültig ist. Nach Art. 29 Abs. 3 S. 2 ECT werden Änderungen dieser Zollsätze oder sonstiger Abgaben dem Sekretariat notifiziert, das seinerseits die anderen Vertragsparteien davon unterrichtet. In Art. 29 Abs. 4 lit. b) ECT vereinbarten die Vertragsparteien das Bemühen, Zollsätze oder sonstige Abgaben, die bei der Ausfuhr von Primärenergieträgern und Energieerzeugnissen erhoben werden, nicht über die dem Sekretariat zuletzt notifizierte Höhe hinaus zu erhöhen. Nach Art. 29 Abs. 5 lit. b) ECT darf eine Vertragspartei die Zollsätze und sonstigen Abgaben über die in Absatz 4 angegebene Höhe hinaus nur erhöhen, falls sie so weitgehend, wie aufgrund ihrer gesetzgebenden Verfahren praktisch möglich, dem Sekretariat ihren Vorschlag für eine derartige Erhöhung notifiziert, anderen interessierten Vertragsparteien hinreichende Gelegenheit zur Konsultation über ihren Vorschlag gegeben und Darstellungen dieser Vertragsparteien in Betracht gezogen hat. Ein Ziel der Verhandlungsführer bei der Ausarbeitung des Energiecharta-Vertrages war, wie sich aus Art. 29 Abs. 4 und Abs. 5 ECT ergibt, dass jene ECT-Vertragsstaaten, aus denen Primärenergieträger und Energieerzeugnisse exportiert werden, sukzessive die Ausfuhrzölle und mit der Ausfuhr verbundenen sonstigen Abgaben verringern. Hat eine Vertragspartei ihre Ausfuhrzölle oder sonstigen Abgaben für einen Primärenergieträger oder für ein Energieerzeugnis verringert und den geringeren Zollsatz bzw. die geringere Abgabenhöhe dem Sekretariat notifiziert, soll später nicht wieder eine Erhöhung erfolgen. Wortlaut und Systematik der Norm ergeben aber deutlich, dass es sich dabei nicht um eine harte völkerrechtliche Verpflichtung handelt.438 Zum Ersten wird in Art. 29 Abs. 4 ECT nur die weiche Formulierung „bemüht sich“ („shall endeavour“, „s’efforce“) verwendet. Zum Zweiten verpflichten sich die Unterzeichner in Art. 29 Abs. 6 ECT zur Aufnahme von Verhandlungen mit dem Ziel einer Vertragsänderung dergestalt, 438
Vgl. Energy Charter Secretariat (Hrsg.), Observations by the Energy Charter Secretariat Regarding the Committee on Economic Policy’s Report to the State Duma of the Russian Federation Concerning the Russian Ratification of the ECT, 18 January 2001, Rn. 12.
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dass nach Vertragsänderung jede Vertragspartei verpflichtet ist, Zölle und Abgaben nicht über die in der Änderung vorgeschriebenen Höhe hinaus zu erhöhen.439 Daraus geht im Umkehrschluss hervor, dass die Vertragsparteien nach der Ursprungsfassung des ECT nicht verpflichtet sind, sich einer Erhöhung der Zölle und Abgaben über die angegebenen Grenzen hinaus zu enthalten. Zum Dritten erwähnt Art. 29 Abs. 5 ECT die Möglichkeit der Erhöhung, auch wenn sie der Form nach eingeschränkt wird („darf [...] nur erhöhen, falls [...]“). Was eine eventuelle Erhöhung der Ausfuhrzölle bzw. der sonstigen mit der Ausfuhr verbundenen Abgaben betrifft, sind einzig Art. 29 Abs. 3 S. 2 ECT (Verpflichtung zur Notifikation einer Änderung der Zollsätze oder sonstigen Abgaben) sowie Art. 29 Abs. 5 lit. b) ECT (Erhöhung grundsätzlich nur nach Notifikation eines Erhöhungsvorschlags an das Sekretariat sowie gegebenenfalls durchzuführenden Konsultation) belastbar. Beide Normen gelten gleichermaßen für import- und exportbezogene Zölle und sonstige Abgaben. Sie galten auch für Russland, solange es den ECT vorläufig anwendete. Der Wortlaut des Art. 29 Abs. 3 ECT knüpft selbst schon unmittelbar an die Unterzeichnung an und gilt aus sich selbst heraus sogar für solche Unterzeichner, die den ECT nicht vorläufig anwenden. Artikel 29 Abs. 5 lit. b) ECT richtet sich zwar nicht an alle Unterzeichner, sondern an jede „Vertragspartei“;440 die Norm gilt aber auch für jene Unterzeichner, die den Vertrag nach Art. 45 Abs. 1 ECT vorläufig anwenden, soweit relevantes nationales Recht dem nicht entgegensteht. Im Falle Russlands war während des Zeitraums der vorläufigen Anwendung des Vertrages kein nationales Recht ersichtlich, das es der russischen Regierung vor der Erhöhung von Ausfuhrzöllen und sonstigen Abgaben praktisch unmöglich gemacht hätte, dem Energiecharta-Sekretariat vorab einen Vorschlag für eine derartige Erhöhung zu notifizieren und anderen interessierten Vertragsparteien Gelegenheit zur Konsultation zu geben. Zweifelhaft ist allerdings, ob die Notifikations- und Konsultationspflicht auch für die Erhöhung von Exportzöllen gilt, wenn die Erhöhung lediglich exakt einen gestiegenen Weltmarktpreis für den betreffenden Energieträger widerspiegelt – während der Exportzoll prozen439
Diese Änderungen wurden im Trade-Amendment eingeführt, das aber von Russland nie vorläufig angewendet wurde. 440
Der Begriff „Vertragspartei ist nach Art. 1 Nr. 2 ECT legal definiert als „Staat oder eine Organisation der regionalen Wirtschaftsintegration, die zugestimmt haben, durch diesen Vertrag gebunden zu sein und für die der Vertrag in Kraft ist“.
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tual gesehen gleich bleibt (so zumindest im Grundsatz das 1999 eingeführte russische System). Hingegen fällt eine prozentuale Erhöhung der Exportzölle für Energieträger eindeutig unter Artikel 29 Abs. 5 lit. b) ECT. Dieser Norm unterfiel demnach auch die Einführung der Exportzölle auf Erdöl und Erdölerzeugnisse 1999. Russland hat gleichwohl die seit Unterzeichnung des ECT erfolgten Änderungen der Ausfuhrzölle auf Energieträger und Energieprodukte dem Energiecharta-Sekretariat nicht formal notifiziert.441 In diesem Zusammenhang ist zu vermerken, dass Art. 29 Abs. 3 ECT – während der vorläufigen Anwendung des Energiecharta-Vertrages durch Russland – weder bei der Russischen Föderation noch bei der EU besondere Beachtung gefunden hat. Jedenfalls hat die EU nicht hartnäckig auf der Einhaltung dieser Norm bestanden. Nachdem Russland die vorläufige Anwendung des EnergiechartaVertrages mit Wirkung ab dem 19. Oktober 2009 beendet hat, bestehen die genannten Verpflichtungen nicht mehr.
ff) Zusammenfassung und Interessenlage GATT und PCA verbieten Ausfuhrzölle nicht. Dafür verfolgten die Verhandlungsführer bei der Ausarbeitung des ECT das Ziel, dass Ausfuhrzölle für Primärenergieträger sukzessive gesenkt werden. Dies zeigt sich besonders im Trade-Amendment von 1998,442 welches aber von Russland nicht einmal vorläufig angewendet wurde. Aus dem ECT in seiner – von Russland ab 1994 bis 2009 vorläufig angewendeten – Fassung resultierte die Verpflichtung zur Notifikation einer Änderung der Exportzölle für Primärenergieträger sowie die Verpflichtung, vor der Erhöhung der Exportabgaben die entsprechenden Pläne dem Energiecharta-Sekretariat zu notifizieren und interessierten anderen ECTVertragsparteien die Gelegenheit zu Konsultationen zu geben. Dem ist Russland seinerzeit in Bezug auf russische Exportzölle für Erdöl und andere Erdölprodukte nicht nachgekommen. Die europäische Seite hat auf der Einhaltung dieser Norm nicht nachdrücklich bestanden. Nach Beendigung der vorläufigen Anwendung des ECT durch Russland bestehen die genannten Verpflichtungen nicht mehr. Die – gegenwärtig unwahrscheinliche – Ratifikation des ECT durch Russland würde am völkerrechtlichen Status quo in Bezug auf die Er441 442
Auskunft des Energiecharta-Sekretariats vom 27.01.2009. Vgl. Art. 29 Abs. 6 des ECT in der Fassung des Trade-Amendment.
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höhung von Exportzöllen und sonstigen Exportabgaben für Energieträger keine unmittelbaren Änderungen bewirken. Es bliebe bei den beiden genannten Verpflichtungen. Eine stärkere Bindung Russlands würde erst erreicht, wenn Russland auch das Trade-Amendment ratifizierte bzw. dessen vorläufiger Anwendung zustimmte. Interessanterweise wird Art. 29 ECT – gleichgültig ob in seiner ursprünglichen oder in der durch das Trade-Amendment modifizierten Fassung – seine Bedeutung nach Art. 29 Abs. 1 ECT gänzlich verlieren, wenn alle Vertragsparteien des ECT auch WTO-Mitglieder sind. Im Interesse Russlands liegt es grundsätzlich, sich die Freiheit zur Veränderung und Erhöhung der Zölle und Abgaben, die beim Export von Primärenergieträgern erhoben werden, zu bewahren. Hingegen müssen die EU und ihre Mitgliedstaaten ein Interesse daran haben, dass russische Exportabgaben stabil bleiben bzw. sukzessive gesenkt werden,443 und dass Änderungen im russischen Exportzollregime geeigneten Stellen (wie dem Energiecharta-Sekretariat) notifiziert werden. Weshalb die europäische Seite während der vorläufigen Anwendung des Energiecharta-Vertrages durch Russland nicht nachdrücklich auf der Einhaltung des Art. 29 Abs. 3 ECT bestanden hat, ist wohl damit zu erklären, dass russische Exportzölle für Erdöl keinen unmittelbaren Einfluss auf den Preis dieses Energieträgers in Europa haben.444 Gleichwohl ist die europäische Haltung nur bedingt nachvollziehbar. Denn bei zu hoher Zollbelastung werden Exporteure Investitionen unterlassen und gegebenenfalls den Export des Energieträgers ganz einstellen.445 Zudem können Exportzölle einem offenen und wettbewerblichen Markt entgegenstehen und in Russland erzeugten energieintensiven Produkten einen Marktvorteil verschaffen.
443
Zur Forderung der EU nach Abschaffung des Exportzolls für Erdgas siehe Stern, The future of Russian gas and Gazprom, S. 139. 444
Bei Erdöl und Erdölerzeugnissen richtet sich der Kaufpreis nach dem Weltmarktpreis. Eine Erhöhung der Exportzölle wirkt sich – ebenso wie ein Beibehalten hoher Exportzölle bei fallendem Weltmarktpreis für den betreffenden Energieträger – zunächst nur auf die Gewinnmarge des Produzenten bzw. Exporteurs aus. 445 Da der Exportzoll für Erdöl und Erdölprodukte pro Tonne anfällt, kann es bei Erhöhung des Exportzolls oder bei fallendem Weltmarktpreis zu Situationen kommen, in denen sich der Export des Energieträgers finanziell nicht mehr lohnt. Dies war auch der Hintergrund für die Zollsenkung zum 1. Januar 2009, siehe Fn. 434.
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b) Europäische Einfuhrzölle und sonstige bei der Einfuhr erhobene Abgaben aa) Einfuhrzölle in Bezug auf Primärenergieträger und Energieerzeugnisse (1) Die Frage nach der Zulässigkeit von Importzöllen bzw. deren Erhöhung Die EU ist auf Energieimporte angewiesen. Dies erklärt, weshalb Importzölle – die zumeist dazu bestimmt sind, die inländische Produktion zu schützen – für Primärenergieträger und Energieerzeugnisse keine große Rolle spielen. Die entsprechenden Zollsätze werden jährlich festgelegt. Dies geschieht durch eine Verordnung zur Änderung des Anhangs I der Verordnung 2658/87 des Rates über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den gemeinsamen Zolltarif.446 Die Einfuhr von Steinkohle und Braunkohle ist frei. Gleiches gilt für die Einfuhr rohen Erdöls. Für Erdgas ist der geringe Zollsatz von 0,7 % für unbestimmte Zeit autonom ausgesetzt.447 Natururan und elektrischer Strom können ebenfalls frei eingeführt werden. Auf Verarbeitungsprodukte, etwa Benzine oder Flugturbinenkraftstoff, werden verschiedene Zölle erhoben. Im Folgenden soll die völkerrechtliche Zulässigkeit von Importzöllen auf Primärenergieträger und Energieerzeugnisse untersucht werden.
(2) Souveränität Ausgangspunkt für Überlegungen zur Zulässigkeit von Importzöllen sind erneut Souveränitätserwägungen. Im Grundsatz ist jeder Staat bzw. ist jede Zollunion frei, Einfuhrzölle bei der Einfuhr von Waren zu erheben bzw. bestehende Einfuhrzölle zu erhöhen.
446
ABl. L 256 vom 07.09.1987, S. 1. Siehe auch die Änderung des Anhangs I durch die Verordnung (EG) Nr. 1031/2008 der Kommission vom 19. September 2008 (ABl. L 291 vom 31.10.2008, S. 1) sowie die Änderung des Anhangs I durch die Verordnung (EG) Nr. 948/2009 der Kommission vom 30. September 2009 (ABl. L 287 vom 31.10.2009, S. 1). 447
Zollsätze werden gemeinhin dann autonom ausgesetzt, wenn die von ihnen betroffenen Waren in der Gemeinschaft unzureichend oder nicht erzeugt werden.
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(3) GATT/WTO Die grundsätzliche Freiheit zum Erlass oder zur Erhöhung von Einfuhrzöllen ist jedoch tatsächlich erheblich eingeschränkt, nämlich durch Zugeständnisse, welche die Europäischen Gemeinschaften im Rahmen des GATT gegenüber anderen GATT-Vertragsstaaten gemacht haben und die in den einschlägigen Listen (schedules of concessions) festgehalten sind. Auf diese könnte sich zwar Russland, solange es kein WTOMitglied ist, nicht direkt berufen. Allerdings hatten bzw. haben diese Zugeständnisse indirekt auch Bedeutung für Russland.
(4) PCA und ECT Zum Ersten haben sich Russland und die Europäischen Gemeinschaften nach Art. 10 Abs. 1 PCA die in Art. I Abs. 1 des GATT beschriebene allgemeine Meistbegünstigung gewährt.448 Zum Zweiten wurde – solange Russland den ECT vorläufig anwendete – nach Art. 29 Abs. 2 lit. a) ECT der Handel mit Primärenergieträgern und Energieerzeugnissen zwischen der EU und Russland durch die Bestimmungen des GATT 1947 und der dazugehörigen Rechtsinstrumente geregelt. Darüber hinaus verwies Art. 29 Abs. 4 lit. a) ECT im europäisch-russischen Verhältnis auf die benannten GATT-Listen und schrieb das Bemühen fest, Zollsätze und sonstige Abgaben nicht über die dort festgelegte Höhe hinaus zu erhöhen.449 Nach Beendigung der vorläufigen Anwendung des Energiechartavertrages kann sich Russland allerdings nicht mehr auf Art. 29 ECT berufen.
(5) Zusammenfassung und Interessenlage Seit dem 19. Oktober 2009 kann sich Russland, was Einfuhrzölle auf Primärenergieträger und Energieerzeugnisse betrifft, nicht mehr auf Art. 29 ECT und den darin enthaltenen Verweis auf das GATT und die GATT-Listen (schedules of concessions) berufen. Die Russische Föderation kann sich aber, über Art. 10 Abs. 1 PCA, im europäisch-russischen Verhältnis weiterhin (und noch vor dem Beitritt zur WTO) auf den 448
Darüber hinaus haben sich die EG und Russland in Art. 16 PCA zu Konsultationen über ihre Einfuhrzollpolitik verpflichtet, insbesondere für den Fall der Erhöhung des Zollschutzes. 449
Beachte allerdings das oben (F.II.2) Gesagte.
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Grundsatz der Meistbegünstigung nach dem GATT stützen. Dies liegt im Interesse Russlands, das auf den Absatz seiner Energieträger im Ausland angewiesen ist und deshalb großen Wert auf diskriminierungsfreien und möglichst ungehinderten Absatz russischer Energieträger im Ausland, insbesondere auf dem europäischen Markt, legt. Diesem völkerrechtlichen Status quo stehen die Interessen der auf Energie-Importe angewiesenen EU grundsätzlich nicht entgegen. Interessenkonflikte können dort gegeben sein, wo es der EU darum geht, die europäische verarbeitende Industrie zu schützen. Diesem Interesse wird auf europäischer Seite dadurch Rechnung getragen, dass auf verschiedene Verarbeitungsprodukte (Energieerzeugnisse) Importzölle erhoben werden.
bb) Antidumping-Maßnahmen hinsichtlich überdurchschnittlich energieintensiver Produkte Als überdurchschnittlich energieintensive Produkte werden Produkte bezeichnet, deren Herstellung im Vergleich zu anderen Handelswaren überdurchschnittlich viel Energiezufuhr benötigt. Der Endpreis überdurchschnittlich energieintensiver Produkte hängt daher stärker als der Endpreis anderer Produkte von den Kosten der zu ihrer Herstellung notwendigen Energie ab. So machen bei Aluminium die Stromkosten rund 40 % der Produktionskosten aus.450 Weitere energieintensive Produkte sind beispielsweise Elektrostahl, Düngemittel, Papier, Zement, Ziegel, Zucker und bestimmte Kunststoffe. Sie werden sowohl innerhalb der EU als auch in Russland hergestellt. Der Handel mit energieintensiven Produkten wirft im europäischrussischen Verhältnis Probleme auf, die damit zusammenhängen, dass der Preis für Gas und Strom in Russland aufgrund staatlicher Maßnahmen wesentlich geringer ist, als der betreffende Preis in Europa.451 Der Preis für Gas wird vom Föderalen Dienst für Tarife (Federal’naja Služba po Tarifam – FST) festgesetzt. Auch der Preis für elektrische Energie wird zu 95 % von der FST festgesetzt.452 450
Holzer, Europäische und deutsche Energiepolitik, S. 88.
451
Vgl. Götz, SWP-Studie 2005/S 40, Dezember 2005, S. 21; Goldthau, RAD 46/08, S. 10; Barysch in: Johnson (Hrsg.), Perspectives on EU-Russia relations, S. 25. 452
Vgl. OECD (Hrsg.), Russian Federation, Strengthening the Policy Framework for Investment, S. 50.
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Niedrige Energiepreise stellen für Produzenten von Waren einen Wettbewerbsvorteil dar, der sich besonders bei energieintensiven Gütern bemerkbar macht. Die europäische Seite hat aus diesem Grund wiederholt von Russland gefordert, die Energiepreise – insbesondere die Gaspreise – anzuheben. Zudem hat die EU Antidumping-Maßnahmen gegen russische Produzenten von energieintensiven Gütern eingeleitet.453 Die Rechtslage in Bezug auf Antidumping-Maßnahmen, die allein auf günstigen Energiepreisen im Erzeugerland des von den Maßnahmen betroffenen Produktes beruhen, ist allerdings nach dem GATT und dem PCA nicht eindeutig. Denn die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit einer Subvention beurteilt sich i.d.R. nach deren Spezifität für einzelne Güter oder Wirtschaftszweige, während günstige Energiepreise in einem Staat – ebenso wie niedrigere Löhne – typischerweise der gesamten Produktion dieses Staates zugute kommen.454 In diesem Kontext liegt es im Interesse der Russischen Föderation, der WTO beizutreten, da ihr dann die Nutzung des WTO-Streitschlichtungsverfahrens offen stünde und sie folglich in einer stärkeren Position wäre, Antidumping-Maßnahmen gegen russische Exporte anzugreifen.455 Die Problematik der Handelsmaßnahmen gegen energieintensive Produkte aus Russland wird allerdings bereits dadurch entschärft, dass Russland und die EU sich im Zuge der WTO-Beitrittsverhandlungen darauf verständigt haben, dass in Russland die inländischen Erdgaspreise für industrielle Verwender schrittweise angehoben werden.456 Werden in Russland – wie bisher – die Energiepreise der Vereinbarung gemäß schrittweise angehoben, so wird auch die Zulässigkeit von Handelsmaßnahmen gegen energieintensive Produkte aus Russland, die sich allein auf niedrige Energiekosten in Russland stützen, schrittweise zweifelhafter.
453
Thießen, Wochenbericht DIW 2007, Nr. 16, S. 226. Zu AntidumpingMaßnahmen allgemein siehe Osyka, Pravovoe regulirovanie importa : antidempingovye mery. 454
Vgl. Schorkopf in: Leible/Lippert/Walter (Hrsg.), Die Sicherung der Energieversorgung auf globalisierten Märkten, S. 104. Zu Einfuhrsteuern auf die in Fertigprodukten verkörperte Energie durch energy tax adjustments, deren Zulässigkeit insbesondere mit Blick auf die Zielstellung Umweltschutz diskutiert wird, siehe Goh, JWT 38 (2004), Nr. 3, S. 395 ff. 455 456
Barysch in: Johnson (Hrsg.), Perspectives on EU-Russia relations, S. 24. Siehe das Abkommen vom 21. Mai 2004, IP/04/673.
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G. Fragestellungen hinsichtlich der Beziehungen im Energiebereich
4. Das Problem langfristiger Lieferverträge für Gas mit Territorial-restriction-clauses Gazprom hat ein gesetzlich verbürgtes Monopol für den Export von Erdgas aus Russland. Seine europäischen Großabnehmer – etwa E.ON Ruhrgas, GdF SUEZ oder ENI – beliefert Gazprom vor allem auf der Grundlage langfristiger Lieferverträge (long term contracts), welche für die Dauer von 15 bis 25 Jahren geschlossen werden.457 Zwar sind in der EU langfristige Gaslieferverträge zwischen lokalen Gasversorgungsunternehmen (etwa Stadtwerken) und Großlieferanten wie E.ON Ruhrgas (den Großabnehmern von Gazprom) in das Visier der Kartellbehörden geraten.458 Jedoch werden langfristige Gaslieferverträge zwischen russischen Exporteuren und europäischen Importeuren als notwendig anerkannt, um Erschließungs- und Investitionsprojekte voranzubringen und dadurch die Energieversorgung Europas zu sichern.459 Langfristige Gaslieferverträge zwischen Gazprom als Exporteur und seinen Abnehmern zeichnen sich dadurch aus, dass sie sogenannte Take-or-pay-Klauseln (TOP-Klauseln) enthalten und dass der Bezugspreis für das gelieferte Erdgas leicht zeitversetzt an den Preis von Substitutionsenergieträgern (zumeist Erdöl) gekoppelt ist.460 Zudem enthielten langfristige Gaslieferverträge mit europäischen Abnehmern klassischerweise eine sogenannte Territorial-restriction-clause (TRC) bzw. Destination-clause (DC), welche dem Abnehmer verbietet, das abge-
457
Die wichtigsten bestehenden Verträge haben Auslaufdaten zwischen 2027 und 2036, siehe Energy Charter Secretariat (Hrsg.), Putting a Price on Energy International Pricing Mechanisms for Oil and Gas, S. 158. 458
Siehe OLG Düsseldorf, Beschluss vom 04.10. 2007 - Az. VI-2 Kart 1/06
(V). 459
Siehe Erwägungsgrund 11 der Richtlinie 2004/67/EG. Siehe auch EURussia Energy Dialogue, Second Progress Report (May 2002), S. 2 und EURussia Energy Dialogue, Third Progress Report (November 2002), S. 2. Vgl. auch: Bunte, Langfristige Gaslieferverträge nach nationalem und europäischem Kartellrecht, S. 45; Konoplyanik, JENRL 23 (2005), Nr. 3, S. 286; Goldthau/Geden, IPG 2007, Nr. 4, S. 60 f. 460
Siehe oben (G.II.1.b)).
Handel mit Energieträgern
153
nommene Gas außerhalb seines Zielversorgungsgebietes zu verkaufen.461 Territorial-restriction-clauses wurden jedoch in zahlreichen Fällen von der EU-Kommission beanstandet. Sie widersprächen dem freien Warenverkehr in der Gemeinschaft und behinderten die Entstehung eines funktionierenden einheitlichen europäischen Gasmarktes. In der Tat hatte die durch solche Klauseln bewirkte Abgrenzung der Absatzmärkte der Großabnehmer/Großlieferanten zur Konsequenz, dass von Gazprom Gas für verschiedene Absatzgebiete systematisch zu unterschiedlichen Preisen verkauft werden konnte, selbst wenn die Übergabe am gleichen Punkt (Waidhaus bzw. Baumgarten) erfolgte. Typischerweise lag der Nettopreis für Gas, das für den französischen Markt bestimmt war, wesentlich niedriger als der Nettopreis für Gas, welches für den österreichischen Markt bestimmt war.462 Die Argumentation, nach der Gazprom als nichteuropäisches Unternehmen europäischem Wettbewerbsrecht nicht unterworfen sei, konnte keinen Erfolg haben; denn europäisches Wettbewerbsrecht ist auf alle Sachverhalte anwendbar, bei denen ein relevanter europäischer Markt betroffen ist. Gazprom brachte jedoch vor, dass TRCs notwendig seien, um unberechtigte Gewinnmitnahmen (windfall profits) durch Importeure463 zu verhindern. Die Entfernung dieser Klauseln aus langfristigen Lieferverträgen ohne gleichzeitige Gewährung unbeschränkten Pipelinezugangs für den Gasexporteur würde zu einer unangemessenen Benachteiligung des Gasexporteurs gegenüber Gasimporteuren führen.464 Weder im PCA noch im ECT stand jedoch Gazprom eine Vertragsnorm zur Seite, welche die Kommission völkerrechtlich gehindert hätte, europarechtliche Wettbewerbsnormen durchzusetzen. Die Auseinandersetzung wurde schließlich auf dem Verhandlungswege zwischen der Kommission und den Be461
Zum Beispiel durfte GdF aufgrund einer solchen Klausel sein von Russland bezogenes Erdgas nicht in Österreich verkaufen bzw. nach Österreich reexportieren. Zu den Gründen für Territorial-restriction-clauses siehe Konoplyanik, JENRL 23 (2005), Nr. 3, S. 292. 462
Für Frankreich bestimmtes Gas musste allerdings vom Importeur noch bis zum französischen Markt transportiert werden, wobei weitere Kosten anfielen. 463 Windfall profits können z.B. dadurch realisiert werden, dass für Frankreich bestimmtes (billigeres) Erdgas in Österreich verkauft wird. Das Problem für die russische Seite liegt vor allem darin, dass der Gasexporteur an der Realisierung dieses Gewinns nicht beteiligt wird. 464
Vgl. Konoplyanik, JENRL 23 (2005), Nr. 3, S. 292 und 296.
154
G. Fragestellungen hinsichtlich der Beziehungen im Energiebereich
teiligten beigelegt. Aus den Lieferverträgen zwischen Gazprom und der italienischen ENI wurde die TRC im Jahr 2003 entfernt.465 Darauf folgend wurden TRCs auch aus den Lieferverträgen zwischen Gazprom und der österreichischen OMV sowie E.ON Ruhrgas entfernt.466 Zugleich wurden andere Vertragsklauseln geändert bzw. von den europäischen Unternehmen Zusagen in Bezug auf die Erweiterung von Pipelinekapazitäten bzw. Drittzugang zu Pipelines abgegeben. Das Ergebnis der jeweiligen Verhandlungen konnte die Kommission zu Recht als wichtigen Erfolg auf dem Weg zu einer wirksamen Liberalisierung im europäischen Energiesektor ansehen.
III. Transport und Transit von Energieträgern und Energieerzeugnissen Energieträger und Energieerzeugnisse müssen von dem Ort, an dem sie gefördert bzw. produziert werden, zum Zwischen- oder Endabnehmer gelangen. Dabei stellen sich Fragen, die mit Transport im Allgemeinen und mit Transit im Besonderen zusammenhängen. Im Folgenden wird „Transit“ als die Verbringung eines Energieträgers oder Energieerzeugnisses durch das Hoheitsgebiet eines Staates hindurch verstanden, ohne dass sich dessen Eigentümer bei Eintritt in das Gebiet oder auf diesem ändert. „Transport“ umfasst auch die darüber hinausgehenden Arten der Verbringung von Energieträgern und Energieerzeugnissen, namentlich die Verbringung von einem Ort innerhalb eines Staates an einen anderen Ort innerhalb des betreffenden Staates (innerstaatlicher Transport ohne Transit), die Verbringung von einem Ort innerhalb eines Staates an die Staatsgrenze oder an einen Ort in einem Nachbarstaat (Export ohne Transit) sowie die Verbringung von einem Grenzpunkt zu einem anderen Grenzpunkt (Beförderung eines Energieträgers über Staatsterritorium ohne Transit).467
465 466 467
IP/03/1345. IP/05/195 und IP/05/710.
In Zentralasien geförderte Gas- oder Erdölmengen können auch ohne Transit bis nach Europa transportiert werden. Siehe dazu Konoplyanik, JENRL 23 (2005), Nr. 3, S. 298.
Transport und Transit von Energieträgern und Energieerzeugnissen
155
1. Transportproblematiken im europäisch-russischen Verhältnis a) Gastransport innerhalb Russlands Der pipelinegebundene Transport von Energieträgern innerhalb Russlands war und ist ein wichtiger Erörterungsgegenstand im europäischrussischen Verhältnis.468 Dahingehend ist zunächst festzuhalten, dass third party access (TPA), also ein Recht auf diskriminierungsfreien Zugang zu freien Transportkapazitäten im Pipelinesystem Gazproms formal für in Russland ansässige Gasförderer besteht. Dies ergibt sich in allgemeiner Form aus Art. 8 Punkt 1 und 3 des Föderalen Gesetzes „Über natürliche Monopole“469 sowie präziser aus Art. 27 des Föderalen Gesetzes „Über die Gasversorgung in der Russländischen Föderation“470 und der RegierungsVerordnung vom 14. Juli 1997 N 858471.472 Faktisch begegnen jedoch von Gazprom unabhängige Gaserzeuger immer wieder Schwierigkeiten, Zugang zum Gastransportsystem zu erhalten. Dies liegt daran, dass zum einen die Transportkapazitäten des Systems fast vollständig ausgeschöpft sind, und dass zum anderen hinsichtlich freier Kapazitäten Intransparenz aufgrund der Informationspolitik von Gazprom besteht.473 Gazprom wurde in diesem Zusammenhang mehrfach unterstellt, den Zugang zu seinem Pipelinenetz missbräuchlich abzulehnen
468
Siehe z.B. EU-Russia Energy Dialogue, Second Progress Report (May 2002), S. 1 und EU-Russia Energy Dialogue, Third Progress Report (November 2002), S. 1. 469 Föderales Gesetz vom 17. August 1995 N 147-FZ „Über natürliche Monopole“. 470
Föderales Gesetz vom 31. März 1999 N 69-FZ „Über die Gasversorgung in der Russländischen Föderation“. 471
Verordnung der Regierung der Russländischen Föderation vom 14. Juli 1997 N 858 „Über die Sicherstellung des Zugangs unabhängiger Organisationen zum Gastransportsystem der Russländischen Aktiengesellschaft Gazprom“. 472 In Bezug auf die Sicherstellung des Zugangs zum TransneftPipelinesystem siehe Gudkov/Lachno in: Lachno (Hrsg.), Ėnergetika i prava, Vypusk 2, S. 530 ff. 473
OECD (Hrsg.), Russian Federation, Strengthening the Policy Framework for Investment, S. 58.
156
G. Fragestellungen hinsichtlich der Beziehungen im Energiebereich
bzw. freie Transportkapazitäten nicht oder in diskriminierender Weise zur Verfügung zu stellen. Zu einem Thema in den europäisch-russischen Beziehungen wurde der pipelinegebundene Transport von Energieträgern innerhalb Russlands insbesondere deshalb, weil Schwierigkeiten beim Zugang zum russischen Gaspipelinenetz in der Vergangenheit als Grund angeführt wurden, weshalb Ölförderer in Russland ihr bei der Ölgewinnung als Nebenprodukt angefallenes Erdgas (associated gas) einfach vor Ort abgefackelt – und damit Energieressourcen verschwendet – haben.474 Zudem hat TNK-BP in Bezug auf das Kovykta-Projekt erklärt, dass sich Gazprom geweigert habe, das in Kovykta gewonnene Gas durch seine Pipelines zu transportieren, weshalb die in der Förderlizenz vorgesehene Fördermenge unterschritten werden musste.475 Im Folgenden soll untersucht werden, welche völkerrechtliche Relevanz im europäischrussischen Verhältnis eine – hier unterstellte – faktische Nichteinhaltung der innerrussischen Vorschriften zum Pipelinezugang hat. GATT und PCA sind auf den innerrussischen Zugang zu Transportinfrastruktur nicht anwendbar. Auch die Transitbestimmungen des Energiecharta-Vertrages, die nur für den Durchgangstransit gelten,476 hätten – selbst wenn Russland ECT-Vertragspartei geworden wäre – auf den Sachverhalt des innerstaatlichen Transports keine Anwendung finden können.477 Solange Russland den ECT vorläufig anwendete, hätte sich jedoch ein Ansatzpunkt für völkerrechtliche Relevanz aus Art. 6 ECT ergeben können. Nach Art. 6 Abs. 1 ECT wirkt jede Vertragspartei darauf hin, Marktverzerrungen und Wettbewerbsbeschränkungen bei einer Wirtschaftstätigkeit im Energiebereich zu beseitigen; nach Art. 6 Abs. 2 ECT sorgt jede Vertragspartei dafür, dass innerhalb ihrer Zuständigkeit Gesetze vorhanden sind und durchgesetzt werden, die erforderlich und geeignet sind, gegen wettbewerbswidriges Verhalten bei einer Wirtschaftstätigkeit im Energiebereich vorzugehen. Wettbewerbswidriges
474
Vgl. Johnson in: Johnson (Hrsg.), Perspectives on EU-Russia relations, S.
186. 475
Vgl. RIA Novosti, 07.10.2008, „Russischer Ressourcenminister Trutnew ordnet Kontrolle von Lizenzen für Gasfeld Kowykta an“. 476 477
Art. 7 Abs. 10 lit. a) ECT.
Siehe auch Art. 4 Abs. 2 des Entwurfs von 2003 zum Transitprotokoll, welcher klarstellt, dass der Anwendungsbereich des Protokolls sich nur auf den Zugang zu Transportkapazitäten für Transitzwecke erstreckt, nicht hingegen auf den Zugang zu Transportkapazitäten für andere als Transitzwecke.
Transport und Transit von Energieträgern und Energieerzeugnissen
157
Verhalten im Sinne dieser Norm ist zumindest dann gegeben, wenn der Betreiber einer essential facility den Zugang zu dieser trotz entgegenstehender gesetzlicher Verpflichtungen missbräuchlich verweigert. Relevante gesetzliche Verpflichtungen waren und sind in Russland vorhanden; nur an deren Durchsetzung bestanden bzw. bestehen in konkreten Fällen Zweifel. Genau für solche Situationen sieht Art. 6 Abs. 5 ECT ein bestimmtes Verfahren vor, nach dem eine interessierte Vertragspartei eine andere ersuchen kann, dass deren Wettbewerbsbehörden geeignete Durchsetzungsmaßnahmen ergreifen. Darüber hinaus ist nach Art. 6 Abs. 7 ECT die Streitbeilegung zwischen den Vertragsparteien auf diplomatischem Weg nach Art. 27 Abs. 1 ECT das einzige zulässige Streitbeilegungsverfahren in Bezug auf die Auslegung oder Durchführung des Art. 6 ECT. Solange Russland den ECT vorläufig anwendete, hätte folglich ein europäischer Investor, der sich in Förderinfrastrukturprojekten auf russischem Territorium engagiert hatte, wenn ihm von Gazprom (nach Auffassung des Investors missbräuchlich) der Zugang zu Pipelinekapazitäten versagt worden wäre, zwar nicht ohne weiteres selbst gegen Russland in einem Investor-StaatStreitverfahren unter Berufung auf Art. 6 ECT vorgehen können; der Investor hätte jedoch die Regierung seines Heimatstaates oder die EUKommission bitten können, sich seiner Sache in einem Verfahren nach Art. 6 Abs. 5 ECT bzw. Art. 27 Abs. 1 ECT anzunehmen.478 Innerstaatliche russische Normen, welche internationalen Verpflichtungen aus Art. 6 ECT während der nur vorläufigen Anwendung des Vertrages nach Art. 45 Abs. 1 ECT in relevanter Weise entgegengestanden hätten, sind nicht ersichtlich. Bei Fragen um den Zugang zum russischen Pipelinesystem könnten im europäisch-russischen Verhältnis nach der Beendigung der vorläufigen Anwendung des Energiecharta-Vertrages durch Russland – und folglich nach dem Entfall der völkerrechtlichen Bindung an Art. 6 ECT – immerhin noch die ECT-Normen zum Schutz ausländischer Investitionen von Bedeutung sein. Dies deshalb, weil den Verhandlungsführern bei der Aushandlung des ECT klar gewesen sein muss, dass die vom ECT (als Investitionsschutz- und Investitionsstimulierungsvertrag) bezweckten ausländischen Investitionen – insbesondere in den russischen Energiesektor und dort namentlich in Förderinfrastruktur – nicht überlebensfähig wären, wenn den Investoren nicht zugleich diskriminierungs-
478
Vgl. Wälde in: Wälde (Hrsg.), The Energy Charter Treaty, S. 311.
158
G. Fragestellungen hinsichtlich der Beziehungen im Energiebereich
freier Zugang zu Beförderungsinfrastruktur gewährt würde.479 Dieser Punkt wird weiter unten480 erörtert. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass – solange Russland den ECT vorläufig anwendete – eine faktische Nichteinhaltung innerrussischer Vorschriften zum Pipelinezugang zumindest aufgrund des Art. 6 ECT völkerrechtliche Relevanz im europäisch-russischen Verhältnis hätte haben können. Die Norm wurde jedoch dahingehend nie getestet.
b) Gasexportmonopol Gazproms Im Rahmen der WTO-Verhandlungen 2003 war zwischen der EU und Russland auch das Exportmonopol Gazproms in Bezug auf Erdgasexporte Gesprächsgegenstand. Die europäische Seite forderte die Abschaffung des Monopols; Russland machte dahingehend jedoch keinerlei Konzessionen.481 Vielmehr wurde das bestehende Exportmonopol Gazproms 2006 gesetzlich zementiert.482 Weder das GATT483 noch das PCA verbieten die Einrichtung eines einzigen Exportkanals. Auch der ECT steht der Einrichtung bzw. Beibehaltung eines einzigen Exportkanals nicht entgegen.484 Dieser Status quo entspricht nicht den Interessen der EU, welche auf dem europäischen Gasmarkt gern mehr von Gazprom unabhängige Gaserzeuger als Anbieter sähe. Zudem könnte, wenn unabhängigen Gaserzeugern der Export von Gas generell gestattet wäre, dies Auswirkungen auf rechtliche Fragen im Zusammenhang mit dem Zugang zentralasiatischer Gasproduzenten zu Transitinfrastruktur innerhalb Russlands haben, wenn 479
Siehe dazu Wälde/Wouters, NYIL 1996, S. 159 und Chalker, Osteuropa 2004, Nr. 9-10, S. 61. Vgl. auch Konoplyanik/Wälde, JENRL 24 (2006), Nr. 4, S. 544, Fn. 29. 480 481
G.IV.1.f)aa)(3). Stern, The future of Russian gas and Gazprom, S. 139 f.
482
Siehe Art. 3 Punkt 1 des Föderalen Gesetzes vom 18. Juli 2006 N 117-FZ „Über Gasexport“. Das Gesetz erstreckt sich nach seinem Art. 2 Punkt 2 allerdings explizit nicht auf den Export von Gas, das gemäß einem bereits abgeschlossenen PSA gefördert wird. 483
Vgl. Art. XVII GATT, welcher die Gewährung besonderer Vorrechte an ein Unternehmen zulässt, jedoch Verpflichtungen für jene Vertragsparteien festlegt, die solche Vorrechte an Unternehmen gewähren. 484
Vgl. Art. 22 Abs. 4 ECT.
Transport und Transit von Energieträgern und Energieerzeugnissen
159
Russland doch noch Vertragspartei des ECT würde oder in einem neuen Vertrag dem ECT vergleichbare Verpflichtungen in Bezug auf Transit übernähme.485 Gerade mit Blick darauf – und generell, weil die Abschaffung des Exportmonopols für Gazprom einen Verlust an Kontrollmöglichkeiten über Energieflüsse bedingen würde – lag und liegt die Abschaffung des Exportmonopols nicht im Interesse Russlands bzw. der russischen politischen Führung.
2. Transitproblematiken im europäisch-russischen Verhältnis Wesentlich bedeutender als Transportproblematiken sind im europäisch-russischen Verhältnis die nun anzusprechenden Transitproblematiken.
a) Einleitung aa) Transit allgemein Aus der völkerrechtlichen Souveränität folgt im Grundsatz auch, dass kein Staat verpflichtet ist, den Durchgang von Personen bzw. die Durchfuhr von Waren durch sein Hoheitsgebiet zu gestatten. Dem ist jedoch schon sehr früh ein weiteres völkerrechtliches Konzept entgegengehalten worden, nämlich das Postulat der „Freiheit der Durchfuhr“ bzw. der „Freiheit des Transits“ (freedom of transit).486 Dieses Konzept wurde in zahlreichen bilateralen und multilateralen völkerrechtlichen Verträgen festgehalten.487 Zu erwähnen sind insbesondere das Statut der Barcelona-Konvention von 1921,488 die Konvention von 1923 hinsicht-
485
Siehe dazu unten (G.III.2.b)bb)).
486
Siehe dazu Grotius, De jure belli ac pacis, Zweites Buch, 2. Kapitel, XIII und XIV, S. 153 f. 487
Hinsichtlich des Transits über Wasserwege sowie des Transits über Landwege siehe die mit dem 12. Jahrhundert beginnenden Nachweise bei Lauterpacht, Transactions of the Grotius Society 44 (1958), S. 326 ff. Vgl. auch Ipsen, Völkerrecht, § 23 Rn. 80. 488
LNTS, Volume 7, N° 171, p. 11.
160
G. Fragestellungen hinsichtlich der Beziehungen im Energiebereich
lich der Transmission elektrischer Energie im Transit,489 Artikel V des GATT, Artikel 125 des SRÜ490 und Art. 7 ECT. Ob bei Fehlen einer Vertragsnorm die Freiheit des Transits völkergewohnheitsrechtlich allgemein491 anerkannt wird, ist umstritten.492 Zumindest hinsichtlich des klassischen Waren-Transits493 wird dies jedoch im Grundsatz – vorbehaltlich etwaiger Regulierungs- oder Untersagungsmöglichkeiten des Transitstaates – zu bejahen sein. Allerdings ist die komplexe Frage, wie weitgehend die im Grundsatz allgemein anerkannte Transitfreiheit einen souveränen Staat darin einschränkt, die Benutzung seines Hoheitsgebietes zu untersagen oder an Bedingungen zu knüpfen, bis heute nicht in vollem Umfang geklärt. Unterfragen sind beispielsweise, ob Transit für bestimmte (etwa vom Transitstaat als gefährlich oder unerwünscht empfundene) Güter untersagt werden kann, ob und in welcher Höhe ein Staat Gebühren für transitbezogene Verwaltungskosten und Dienstleistungen (Transitgebühren) bzw. eine Entschädigung für die Benutzung seines Territoriums (Transitabgaben) verlangen kann und ob die Freiheit des Transit auch eine Verpflichtung mit sich bringt, die für Transit notwendigen infrastrukturellen Voraussetzungen zu erhalten bzw. die für künftigen Transit notwendige Infrastruktur zu schaffen. Insbesondere das Statut der Barcelona-Konvention von 1921 und das GATT hatten starken Einfluss auf die Diskussion um den Ausgleich zwischen Souveränität und Transitfreiheit. Im Ergebnis lässt sich zunächst als Grundkonsens festhalten, dass ein Staat die Durchfuhr von Gütern untersagen kann, wenn dies dem Schutz des Lebens und der Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen bzw. der Staatssicherheit dient.494 Auch darf Transit vom Transitstaat gewissen Formalitäten
489 490
LNTS, Volume 58, N° 1380, p. 316. BGBl. 1994 II, S. 1799.
491
Zu regionalem Völkergewohnheitsrecht hinsichtlich der Freiheit des Transits siehe IGH, 12.04.1960, Right of Passage over Indian Territory (Portugal v. India), ICJ Reports 1960, p. 6 ff. 492
Bejahend z.B. Lauterpacht, Transactions of the Grotius Society 44 (1958), S. 346 ff. Zweifelnd Churchill/Lowe, The law of the sea, S. 323. 493
Transit mittels Straßenfahrzeugen, Eisenbahnen, Schiffen, Lasttieren oder Trägern. 494
Vgl. Art. 5 des Statuts der Barcelona-Konvention; Art. XX lit. b) GATT; Art. 23 Abs. 2 lit. b) (i) ECT.
Transport und Transit von Energieträgern und Energieerzeugnissen
161
unterworfen werden.495 Zudem ist die Erhebung von – mit dem Transit in Verbindung stehenden – Verwaltungskosten sowie von Beförderungskosten zulässig, wobei diese angemessen sein müssen bzw. nicht unverhältnismäßig sein dürfen.496 Gerade weil der Transit nicht absolut frei ist und weil Transitstaaten zulässige Beschränkungs- bzw. Regulierungsmöglichkeiten haben, kommt dem Gebot der Nichtdiskriminierung in Konventionen mit Transitbezug herausgehobene Bedeutung zu.497
bb) Transit in Rohrleitungen Was den Transit von Energieträgern anbelangt, so geht es im europäisch-russischen Verhältnis vorwiegend um pipelinegebundenen Transit. Dieser weist Besonderheiten im Vergleich zum klassischen WarenTransit auf und wirft daher generell spezielle rechtliche Fragestellungen auf. Die Besonderheiten des pipelinegebundenen Transits im Vergleich zum klassischen Waren-Transit liegen u.a. darin begründet, dass der Bau bzw. Ausbau von Pipelines mit erheblichen Eingriffen in die Ökosysteme des Transitstaates verbunden ist und zudem enorme Investitionen erfordert. Dadurch kann sich unter Umständen die Frage nach der Zulässigkeit von Transitabgaben498 und der Höhe angemessener Transitgebühren neu stellen. Zudem ist die Kapazität von Pipelines per se beschränkt, was Fragen nach dem Zugang zu Pipelinenetzen aufwirft. Durch Pipelines werden darüber hinaus Transportrouten auf Jahrzehnte festgelegt und ein System gegenseitiger Abhängigkeit geschaffen, in welchem die Verhütung möglicher Transitunterbrechungen ein besonders akutes Thema ist.
495
Vgl. Art. 2 des Statuts der Barcelona-Konvention; Art. V Abs. 3 GATT.
496
Siehe: Art. 3 und 4 des Statuts der Barcelona-Konvention; Art. V Abs. 3 und 4 GATT; Art. 7 Abs. 1 ECT. Vgl. schon Grotius, De jure belli ac pacis, Zweites Buch, 2. Kapitel, XIV, S. 154. 497
Art. 2 des Statuts der Barcelona-Konvention; Art. V Abs. 2 S. 2 und Abs. 5 GATT; Art. 7 Abs. 1 ECT. 498
Siehe dazu Brexendorff, Rohstoffe im Kaspischen Becken, S. 318 ff. m.w.N.
162
G. Fragestellungen hinsichtlich der Beziehungen im Energiebereich
Zwar ist das grundsätzliche Recht aller Staaten zur Verlegung von unterseeischen Rohrleitungen auf dem Festlandsockel in Art. 79 SRÜ499 geregelt. Hinsichtlich der Errichtung überseeischer Rohrleitungen fehlt hingegen eine vergleichbare Vertragsnorm. Unabhängig von der lückenhaften Regelungssituation zur Errichtung überseeischer Rohrleitungen ist zudem sehr zweifelhaft, ob sich die allgemein anerkannte Freiheit des Waren-Transits – außerhalb des Regelungsbereichs spezieller Konventionen – auch vollumfänglich auf pipelinegebundenen Transit bezieht. Denn zum Ersten spezifiziert Art. V GATT, selbst wenn er seinem Wortlaut nach gleichfalls auf pipelinegebundenen Transit Anwendung finden kann, nicht die Belieferung von regionalen Märkten durch Pipelines.500 Zum Zweiten unterfallen nach Art. 124 Abs. 2 SRÜ Rohrleitungen und Gasleitungen nur dann der Transitfreiheit des Übereinkommens, wenn dies gesondert zwischen dem Transitstaat und dem betreffenden Binnenstaat vereinbart wurde; e contrario bestand bei Abschluss des Seerechtsübereinkommens 1982 keine allgemeine Rechtsüberzeugung dahingehend, dass der Transit durch Pipelines über Land dem klassischen Waren-Transit mittels Straßenfahrzeugen, Eisenbahnen, Schiffen, Lasttieren oder Trägern vollumfänglich gleichzustellen sei. Im Folgenden sollen vier transitbezogene Themenbereiche im europäisch-russischen Beziehungskontext untersucht werden: Transit von Energieträgern aus Drittstaaten (insbesondere den zentralasiatischen Staaten) durch Russland (b)), Transit von Energieträgern aus Russland durch Drittstaaten (insbesondere die Ukraine) (c)), die Verlegung neuer Transportinfrastruktur insbesondere in der Ostsee und im Schwarzen Meer (d)) und Streitpunkte in Bezug auf den Entwurf für das ECTTransitprotokoll (e)).
499
BGBl. 1994 II, S. 1799. Eine entsprechende Norm findet sich in Art. 4 des Genfer Festlandsockelübereinkommens von 1958 (UNTS, Reg.-Nr. 7302, Volume 499, S. 311). 500
Borovskaja, Pravovoe regulirovanie tranzita ėnergoresursov v evropejskom političeskom kontekste, S. 24. Darüber hinaus gilt Art. V GATT schon ohne die Pipeline-Problematik als komplizierter Artikel, der kaum angewendet wurde, siehe dazu Roggenkamp in: Wälde (Hrsg.), The Energy Charter Treaty, S. 507 m.w.N.
Transport und Transit von Energieträgern und Energieerzeugnissen
163
b) Transit durch Russland von Energieträgern aus Drittstaaten Die EU ist bestrebt, die Herkunftsquellen für nicht substituierbare Energieträger zu diversifizieren. Dahingehend sind die in Zentralasien und Aserbaidschan lagernden Energieressourcen von Interesse. Während über die BTC-Pipeline erstes Öl aus Aserbaidschan unter Umgehung Russlands durch eine Pipeline auf die Weltmärkte gelangt, muss Erdgas aus dem zentralasiatischen Raum weiterhin durch Leitungen auf russischem Territorium nach Europa transportiert werden. Dabei gibt es Fragen hinsichtlich der Schaffung neuer Pipelines (aa)), vor allem aber hinsichtlich des Zugangs zu bestehenden russischen Leitungen (bb)) und hinsichtlich der Transittarife (cc)).
aa) Schaffung neuer Pipelines Explizite Verpflichtungen für einen (potentiellen) Transitstaat in Bezug auf den Bau neuer Transitinfrastruktur auf seinem Territorium enthält weder das Statut der Barcelona-Konvention, noch Art. V GATT, noch das PCA. Hingegen enthielt die Konvention von 1923 hinsichtlich der Transmission elektrischer Energie im Transit Bestimmungen, welche sich auf den Neubau von Infrastruktur und Verhandlungen bona fide mit dieser Zielstellung bezogen. Dieser Gedanke findet sich auch im ECT wieder. Artikel 7 ECT ist zwar generell so formuliert, dass er im Vergleich zu Art. V GATT mehr Gewicht auf die staatliche Souveränität als auf Transitfreiheit legt.501 Allerdings legen die Vertragsparteien – so der Vertrag in Art. 7 Abs. 4 ECT explizit – der Schaffung neuer Energiebeförderungseinrichtungen502 keine Hindernisse in den Weg. Diese außergewöhnliche Norm stellt ein klares Bekenntnis zu mehr Transit und zum Neubau bzw. der Erweiterung von Transit-Pipelines dar. Zwar ist eine Vertragspartei nach Art. 7 Abs. 5 ECT nicht verpflichtet, den Bau oder die Änderung von Energiebeförderungseinrichtungen zu gestatten, wenn dies die Sicherheit oder Effizienz ihrer Energiesysteme gefährden würde; die Beweislast dafür trägt aber nach dem Wortlaut der Norm
501
Roggenkamp in: Wälde (Hrsg.), The Energy Charter Treaty, S. 509; Borovskaja, Pravovoe regulirovanie tranzita ėnergoresursov v evropejskom političeskom kontekste, S. 88. 502
Der Begriff ist in Art. 7 Abs. 10 lit. b) ECT definiert.
164
G. Fragestellungen hinsichtlich der Beziehungen im Energiebereich
eindeutig die Vertragspartei, welche sich gegen den Bau neuer Energiebeförderungseinrichtungen stellt.503 Gleichwohl ist festzustellen, dass Art. 7 Abs. 4 ECT kein automatisches Recht auf Bau oder Erweiterung von Infrastruktureinrichtungen gegenüber dem (potentiellen) Transitstaat festschreibt. Vielmehr unterliegt der Neubau bzw. die Erweiterung von Energiebeförderungseinrichtungen den jeweiligen nationalen Gesetzen und der nationalen Genehmigungsprozedur. Dies ergibt sich aus dem Verweis auf „anwendbare Rechtsvorschriften“ in Art. 7 Abs. 4 ECT.504 Bei der Anwendung der nationalen Gesetze sind zwar die Grundsätze des Art. 7 Abs. 1 ECT und namentlich das Prinzip der Nichtdiskriminierung zu beachten. Im Übrigen aber lässt Art. 7 Abs. 4 und 5 ECT und das darin enthaltene Bekenntnis zugunsten neuer Transitinfrastruktur die territoriale Souveränität des (potentiellen) Transitstaates im Wesentlichen unbeschadet. Art. 7 Abs. 4 und 5 ECT machen daher konkrete Verhandlungen in Bezug auf Transitvereinbarungen keineswegs überflüssig.505 Dies gilt insbesondere in Bezug auf die Finanzierung der Baukosten, denn ein (potentieller) Transitstaat ist nicht gehalten, sich finanziell an der neuen Transitinfrastruktur zu beteiligen oder gar in Vorleistung zu gehen (vgl. auch Art. 7 Abs. 9 ECT). Nachdem die Russische Föderation die vorläufige Anwendung des Energiecharta-Vertrages beendet hat, ist sie nicht mehr an Art. 7 ECT gebunden. Vor Beendigung der vorläufigen Anwendung war Russland lediglich gehalten, gemäß Art. 7 Abs. 4 ECT der Schaffung neuer Transitkapazitäten keine Hindernisse in den Weg zu legen. Innerstaatliche Normen, welche der Einhaltung der damit verbundenen Verpflichtungen grundsätzlich i.S.d. Art. 45 Abs. 1 ECT entgegengestanden hätten, sind nicht ersichtlich. Mehr Pflichten in Bezug auf die Schaffung von Transitinfrastruktur träfen die Russische Föderation auch dann nicht, wenn sie ECT-Vertragspartei geworden wäre oder wenn sie in einem neuen Vertrag Verpflichtungen übernähme, die den in Art. 7 ECT enthaltenen vergleichbar sind. Insbesondere müsste Russland hinsichtlich 503
Gleichwohl wird Art. 7 Abs. 5 ECT z.T. als willkommenes Schlupfloch für Pipelinebetreiber gesehen, siehe etwa Brexendorff, Rohstoffe im Kaspischen Becken, S. 330. 504 Dass es kein automatisches Recht auf Bau oder Erweiterung von Infrastruktureinrichtungen gegenüber dem (potentiellen) Transitstaat gibt, stellt auch Art. 9 des Drafts zum ECT-TP klar. 505
Das Energiecharta-Sekretariat hat dahingehend Modellvereinbarungen erarbeitet.
Transport und Transit von Energieträgern und Energieerzeugnissen
165
neuer Transitkapazitäten nicht in finanzielle Vorleistung treten. Zudem unterläge die Schaffung neuer Transitinfrastruktur auf russischem Territorium den nationalen Genehmigungsverfahren; die Anwendung einschlägiger nationaler Rechtsvorschriften – insbesondere im Umweltbereich506 – könnte im Einzelfall einer bestimmten Trassenführung oder einem ganzen Erweiterungsprojekt entgegenstehen. Vor allem weil die Schaffung neuer Transitinfrastruktur mit enormen und risikobehafteten Investitionen verbunden ist, hat die nun anzusprechende Frage nach dem Zugang zum bestehenden russischen Pipelinesystem für den Transit von Erdgas aus Zentralasien besondere Aktualität.
bb) Zugang zu bestehenden russischen Gaspipelines Third party access (TPA), also ein Zugangsrecht zum Pipelinesystem Gazproms, besteht formal für in Russland ansässige Gasförderer,507 nicht hingegen für ausländische Unternehmen (Erzeuger wie Konsumenten), die Gazproms Pipelines für Transit nutzen wollen.508 Aus Zentralasien in Richtung Russland und Europa exportiertes Gas wird gewöhnlich entweder vom Gazprom-Konzern oder von einem Zwischenhändler aufgekauft, der seinerseits mit Gazprom den Zugang zu dessen Pipelinesystem aushandelt.509 Hintergrund dafür, dass Gazprom 506
Siehe auch in Punkt IV der Schlussakte der Europäischen Energiechartakonferenz die Klarstellung 8 zu Art. 7 Abs. 4 ECT. 507 Siehe Art. 8 Punkt 1 und 3 des Föderalen Gesetzes vom 17. August 1995 N 147-FZ „Über natürliche Monopole“, Art. 27 des Föderalen Gesetzes vom 31. März 1999 N 69-FZ „Über die Gasversorgung in der Russländischen Föderation“ sowie die Verordnung der Regierung der Russländischen Föderation vom 14. Juli 1997 N 858 „Über die Sicherstellung des Zugangs unabhängiger Organisationen zum Gastransportsystem der Russländischen Aktiengesellschaft Gazprom“. Siehe auch oben (G.III.1). 508
Energy Charter Secretariat (Hrsg.), Gas Transit Tariffs in selected Energy Charter Treaty Countries, S. 58. Das Gesetz vom 8. Dezember 2003 N 164-FZ „Über die Grundlagen der staatlichen Regulierung der innerstaatlichen Handelstätigkeit“ garantiert zwar in Art. 31 die Freiheit des Transits auf dem Schienen-, Wasser-, Luft- und Straßenweg, nicht jedoch für pipelinegebundenen Transit. 509
Energy Charter Secretariat (Hrsg.), Gas Transit Tariffs in selected Energy Charter Treaty Countries, S. 59. Bekannt geworden ist das Unternehmen ITERA als Zwischenhändler.
166
G. Fragestellungen hinsichtlich der Beziehungen im Energiebereich
zentralasiatisches Gas nicht ohne weiteres im Transit nach Europa transportieren möchte, sind wirtschaftlicher Natur: Gazprom ist bestrebt, seine Stellung auf dem europäischen Absatzmarkt zu behaupten und daher das Auftreten neuer Konkurrenten zu erschweren, die dem Unternehmen Marktanteile abnehmen und es in einen Preiskampf zwingen könnten. Die Befürchtung, die Ratifikation des ECT durch Russland würde Gazprom zwingen, sein Leitungsnetzwerk für Billiggas aus Zentralasien zu öffnen, war ein wesentlicher Grund für die Aufschiebung der Ratifikation des Vertrages durch die Duma im Jahr 2001. Der PipelineMonopolist hatte nicht unwesentlich zum Aufkommen dieser Befürchtung beigetragen.510 Im ECT gibt es tatsächlich einige Anhaltspunkte, die dafür sprechen, dass – wenn Russland den Vertrag ratifiziert hätte – Pipelines auf russischem Territorium für den Transit von Gas, dessen Ursprung in Zentralasien und dessen Bestimmung in der EU liegt, zu öffnen wären. Zunächst ist dahingehend die Verpflichtung aus Art. 7 Abs. 1 ECT zu nennen, nach der jede Vertragspartei die erforderlichen Maßnahmen trifft, um den Transit von Primärenergieträgern und Energieerzeugnissen zu erleichtern. Gleiches gilt für den dort ebenfalls erwähnten Grundsatz der Transitfreiheit, der sich auf Transportrouten bezieht, die am besten für den internationalen Transit geeignet sind. Das russische Pipelinesystem ist gegenwärtig zweifelsohne die am besten geeignete Transportroute für den Gastransit von Zentralasien nach Europa. Da bei den Vertragsverhandlungen zum ECT klar war, dass der Transit von Energieträgern (insbesondere Gas) durch einen Vertragsstaat in nicht unerheblichen Maße pipelinegebunden sein wird, ist Art. 7 Abs. 1 ECT immerhin offen für die Interpretation, nach der Russland zur Erleichterung des Transits zumindest dafür Sorge zu tragen hat, dass freie Beförderungskapazitäten im russischen Pipelinesystem für Transitzwecke zur Verfügung gestellt werden. Zudem verpflichtete sich in Art. 7 Abs. 3 ECT jede Vertragspartei, dafür zu sorgen, dass – in ihren Vorschriften über die Beförderung von Erdgas und die Nutzung von Pipelines – Gas im Transit nicht weniger günstig behandelt wird, als Gas, dessen Ursprung oder Bestimmung im eigenen Gebiet liegt. Insbesondere mit dieser Norm hat Gazprom die Befürchtung verbunden, dass sie die Russische Föderation zwingen würde, das russische Rechtssystem derart zu 510
Siehe Konopljanik in: Konopljanik (Hrsg.), Dogovor k Ėnergetičeskoj CHartii: put’ k investicijam i torgovle dlja Vostoka i Zapada, S. 564 und Johnson, GaO 2005, Nr. 2, S. 273.
Transport und Transit von Energieträgern und Energieerzeugnissen
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gestalten, dass TPA auch für Transitzwecke zu gewähren wäre.511 Ein weiteres Argument für obligatorischen TPA könnte darin liegen, dass der ECT in seiner Eigenschaft als Investitionsschutz- und -stimulierungsvertrag insbesondere bezweckte, Investitionen in den Energiesektor (namentlich in Infrastruktur für den Abbau von Energieträgern) in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion anzuregen. Denn den Verhandlungsführern muss bei Aushandlung des ECT klargewesen sein, dass ausländische Investitionen in Abbauinfrastruktur in diesen Staaten nicht überlebensfähig wären, wenn den Investoren bzw. ihren Investitionsprojekten nicht zugleich diskriminierungsfreier Zugang zu Beförderungsinfrastruktur (einschließlich Transitinfrastruktur) gewährt würde.512 Diskriminierungsfreier Zugang zu Energietransit-Einrichtungen erscheint auch deshalb im Sinne des ECT, weil dieser die Schaffung eines offenen und wettbewerblichen Marktes bezweckt (Art. 3 ECT).513 Es sprechen jedoch auch gewichtige Argumente gegen die Annahme, der ECT gebiete die Einführung zwingenden Zugangs Dritter zu Beförderungsinfrastruktur für Transitzwecke. Zunächst findet sich nirgendwo im ECT oder einem sonstigen Dokument des ECT-Paketes die explizite Benennung einer vertraglichen Pflicht, für Zugang zu Transitinfrastruktur zu sorgen.514 Im Gegenteil: In der Schlussakte der Europäischen Energiechartakonferenz halten die Vertragsparteien in Klarstellung 1. b) i)515 fest, dass die Bestimmungen des Vertrages eine Vertragspartei nicht verpflichten, den zwingenden Zugang Dritter (manda511
Vgl. Konopljanik in: Konopljanik (Hrsg.), Dogovor k Ėnergetičeskoj CHartii: put’ k investicijam i torgovle dlja Vostoka i Zapada, S. 564. Dies beruht auf folgendem Gedankengang: Wenn erstens unabhängige russische Gaserzeuger formal obligatorischen Zugang zum Gazprom-Pipelinnetz haben, und wenn zweitens ECT-Vertragsstaaten in ihren Vorschriften über die Nutzung von Pipelines Gas im Transit nicht weniger günstig behandeln dürfen, als im Inland gefördertes Gas, dann muss der unabhängigen russischen Gasförderern formal gewährte TPA auch ausländischen Förderern, die Zugang zum GazpromPipelinnetz für Transitzwecke begehren, gewährt werden. Dazu, dass dieser Gedankengang nicht ohne weiteres zutreffend ist, siehe sogleich. 512 513
Vgl. Wälde/Wouters, NYIL 1996, S. 159. Vgl. Chalker, Osteuropa 2004, Nr. 9-10, S. 61.
514
Statt vieler: Konopljanik in: Konopljanik (Hrsg.), Dogovor k Ėnergetičeskoj CHartii: put’ k investicijam i torgovle dlja Vostoka i Zapada, S. 565; Sorokin in: Konopljanik (Hrsg.), Dogovor k Ėnergetičeskoj CHartii: put’ k investicijam i torgovle dlja Vostoka i Zapada, S. 541. 515
Schlussakte der Europäischen Energiechartakonferenz, Punkt IV.
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G. Fragestellungen hinsichtlich der Beziehungen im Energiebereich
tory TPA) einzuführen. Dass es sich dabei um einen Irrtum handelt, kann kaum angenommen werden, denn auf dieses Understanding wird auch im Entwurf für das Transitprotokoll zum ECT, welches die transitbezogenen Pflichten aus dem Vertrag konkretisieren soll, erinnernd Bezug genommen.516 Zudem wird im ECT die Souveränität der Staaten vergleichsweise stark betont, und es wurde im Vertrag bewusst vermieden, die Essential-Facilities-Doktrin auf internationalem Niveau rechtlich bindend festzuschreiben.517 Auch enthält der Entwurf des ECTTransitprotokolls einen Hinweis darauf, wie Maßnahmen zur Erleichterung des Transits aussehen können, ohne zwingenden Zugang Dritter einzuführen: In Art. 8 Abs. 1 ECT-TP würden sich die Vertragsparteien verpflichten sicherzustellen, dass unter ihrer Jurisdiktion stehende Eigentümer bzw. Betreiber von Pipelines in gutem Glauben über den Zugang zu – und die Nutzung von – freier Transitkapazität verhandeln; dabei sollen die Verhandlungen auf der Grundlage transparenter Verfahren erfolgen und von kommerziellen Erwägungen geleitet werden sowie nichtdiskriminierend in Bezug auf Ursprung, Bestimmung oder Eigentümerschaft am Energieträger sein. Dementsprechend kann obligatorischer Pipelinezugang nach dem ECT (bzw. einem künftigen Vertrag mit vergleichbaren Verpflichtungen in Bezug auf Transit) nur dann begründet werden, wenn hinsichtlich des Gebots der Nichtdiskriminierung in Bezug auf die Benutzung von Transportinfrastruktur nach Art. 7 Abs. 3 ECT als Vergleichsmaßstab auch der russischen Gaserzeugern gesetzlich gewährte TPA herangezogen werden kann. Dahingehend ist aber festzuhalten, dass Vergleichsmaßstab für die Verpflichtung des Art. 7 Abs. 3 ECT einzig das Regime für Import oder Export, nicht hingegen das Regime für innerstaatlichen Transport ist.518 Unabhängige Gaserzeuger in Russland, für die formal das Recht auf diskriminierungsfreien Zugang zu freien Transportkapazitäten im Pipelinesystem Gazproms besteht, haben aber aufgrund des Gazprom-Exportmonopols519 rechtlich nicht die Möglichkeit, das von ihnen geförderte Erdgas zu exportieren, so dass ihr Zugangsrecht momentan nicht als Vergleichsmaßstab i.S.d. Art. 7 Abs. 3 ECT taugt.
516 517 518 519
Siehe die Präambel des Drafts zum ECT-TP, a.E. Wälde/Wouters, NYIL 1996, S. 152. Konoplyanik, I.E.L.T.R. 2005, Nr. 2, S. 33.
Siehe Art. 3 Punkt 1 des Föderalen Gesetzes vom 18. Juli 2006 N 117-FZ „Über Gasexport“.
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Nachdem die Russische Föderation die vorläufige Anwendung des Energiecharta-Vertrages beendet hat, ist sie ohnehin nicht mehr an Art. 7 ECT gebunden. Aber selbst wenn die Russische Föderation den ECT und das Transitprotokoll in der Entwurfsfassung von 2003 ratifiziert hätte bzw. wenn sie künftig einen Vertrag mit vergleichbaren Verpflichtungen, wie den in Art. 7 ECT enthaltenen, abschlösse, wäre Russland nicht gehalten, dafür Sorge zu tragen, dass Gazprom sein Pipelinesystem für Transit aus Zentralasien Richtung Europa öffnet. Die Russische Föderation wäre dann lediglich gehalten sicherzustellen, dass Gazprom in gutem Glauben in Verhandlungen über den Zugang zu – und die Nutzung von – freier Transitkapazität eintritt. Obligatorischen Zugang zum Gazprom-Netzwerk – eventuell gar zu Lasten der Transportkapazitäten für gazpromeigenes Gas – gäbe es jedoch nicht.520 Aus diesem Grund verwundert es nicht, dass Transitfragen gegenwärtig zumeist durch spezielle regionale oder bilaterale Abkommen geregelt werden.521 Das Interesse der EU geht dahin, dass faktische Restriktionen für den Transit von zentralasiatischem Gas aufgehoben bzw. dass für Transitzwecke Zugang Dritter zum Pipelinenetz Gazproms geschaffen wird.522 Hingegen kommt Russland eine gewisse Abhängigkeit der zentralasiatischen Exporteure vom russischen Pipelinenetz sehr gelegen.523 Die Stellung als Käufer oder Umschlagplatz für zentralasiatisches Gas ist finanziell für Gazprom und den russischen Staatshaushalt vorteilhaft. Einer Statusänderung, mit der Folge, dass Russland in Bezug auf zentralasiatisches Gas zu einem bloßen Transitland „degradiert“ würde, wird in Russland dementsprechend abgelehnt.524
520
Konopljanik, Političeskij žurnal, Nr. 116, 13. Juni 2006, S. 36.
521
Energy Charter Secretariat (Hrsg.), Transit of Natural Gas, S. 45. Zum Protokoll zwischen Russland und der Ukraine über den Transit turkmenischen Gases über russisches Territorium in die Ukraine siehe Energy Charter Secretariat (Hrsg.), Gas Transit Tariffs in selected Energy Charter Treaty Countries, S. 59. Zu bilateralen und regionalen Transitvereinbarungen in Bezug auf Erdöl siehe Energy Charter Secretariat (Hrsg.), From Wellhead to Market – Oil Pipeline Tariffs and Tariff Methodologies in Selected Energy Charter Member Countries, S. 37 f. und S. 69. 522 523 524
Vgl. Stern, The future of Russian gas and Gazprom, S. 139. Schmitz, SWP-Studie 5/2008, S. 16.
Vgl. Borovskaja, Pravovoe regulirovanie tranzita ėnergoresursov v evropejskom političeskom kontekste, S. 90.
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G. Fragestellungen hinsichtlich der Beziehungen im Energiebereich
cc) Transittarife (transit tariffs) Wird für Transitzwecke Zugang zum Pipelinesystem gegeben, stellt sich die Frage nach der Höhe der zulässigen Transittarife (Transitgebühren), die Gazprom als Pipelinebetreiber für den Transport von einer bestimmten Gasmenge über eine bestimmte Distanz verlangen darf. Gazprom hat sich u.a. auch deshalb gegen die Ratifikation des ECT gewendet, weil es befürchtete, zentralasiatisches Gas im Transit zu Tarifen für innerstaatlichen Transport befördern zu müssen. Dahin gingen auch die von der EU im sogenannten Lamy-Paket erhobenen Forderungen während der europäisch-russischen Verhandlungen in Bezug auf den Beitritt Russlands zur WTO. Tarife für innerstaatlichen Transport von Erdgas unabhängiger Produzenten werden in Russland gegenwärtig von der FST festgelegt.525 Sie liegen bedeutend unter den Beförderungstarifen in Europa. Wie u.a. Konopljanik526 allerdings zutreffend bemerkte, findet sich in Art. 7 ECT keine Stütze für die Befürchtung, diese niedrigen Tarife müssten nach einer Ratifikation des ECT durch Russland auch auf den Transit von Erdgas aus Zentralasien angewendet werden. Denn Art. 7 Abs. 3 ECT würde – wenn Russland ECT-Vertragspartei wäre – nur fordern, dass Gas im Transit nicht weniger günstig behandelt werden darf, als nach Russland importiertes oder aus Russland exportiertes Gas, sofern eine geltende internationale Übereinkunft nichts anderes bestimmt.527 Die Behandlung von russischem Gas, welches innerhalb Russlands zum Verbraucher transportiert wird, wäre hingegen nicht Vergleichsmaßstab.528 Da es nach dem Energiecharta-Vertrag keinen obligatorischen Zugang zum Pipelinenetz für Transitzwecke gibt, käme – auch wenn Russland 525
Siehe z.B. Anordnung des Föderalen Dienstes für Tarife vom 24.12.2007 N 414-ė/12. 526
Konoplyanik, I.E.L.T.R. 2005, Nr. 2, S. 33.
527
Artikel 7 Abs. 3 ECT a.E. Für den Fall des Exports werden – wie auch für den Fall des innerstaatlichen Transports – Transporttarife von der FST festgelegt, siehe Anordnung des Föderalen Dienstes für Tarife vom 24.12.2007 N 414ė/12. Dieser Tarif ist – falls nicht eine geltende internationale Übereinkunft etwas anderes festlegt – als Vergleichsmaßstab heranziehbar. 528
Auch Art. V GATT stellt keine Verknüpfung zwischen Transittarifen bzw. Transitgebühren – die nach GATT-Terminologie unter „Durchfuhrabgaben und Durchfuhrbelastungen“ (transit duties or other charges imposed in respect of transit) fallen – und Tarifen bei innerstaatlichem Transport her.
Transport und Transit von Energieträgern und Energieerzeugnissen
171
ECT-Vertragspartei wäre – der Aushandlung internationaler Transitvereinbarungen besondere Bedeutung zu. Diese könnten theoretisch die Bedeutung von Art. 7 Abs. 3 ECT (bzw. einer vergleichbaren Regelung in einem künftigen Abkommen) potentiell erheblich schmälern. Allerdings dürfte – wenn Russland ECT-Vertragspartei wäre – nach Art. 7 Abs. 1 ECT bei der Preisfestsetzung keine Diskriminierung auf der Grundlage von Unterscheidungen hinsichtlich des Ursprungs, der Bestimmung oder des Eigentums in Bezug auf Energieträger im Transit erfolgen.529 Dies hätte beispielsweise zur Konsequenz, dass Erdgas aus Turkmenistan, wenn es sich im Transit befindet, nicht schlechter behandelt werden dürfte, als im Transit befindliches Erdgas aus Usbekistan.530 Wäre Russland ECT-Vertragspartei (bzw. würde es in einem künftigen Abkommen in Bezug auf Transit dem ECT vergleichbare Verpflichtungen eingehen) dürften darüber hinaus Transittarife nicht unangemessen sein. Dies ergibt sich ebenfalls aus Art. 7 Abs. 1 ECT und dessen – zwischen der EU und Russland im Grundsatz nicht umstrittenen – Präzisierungen in Art. 10 Abs. 1, 2 und 3 des Drafts zum ECT-TP. Nach Art. 10 Abs. 1 ECT-TP trifft jede Vertragspartei die notwendigen Maßnahmen um sicherzustellen, dass Transittarife objektiv, angemessen und transparent sind, und nach Art. 10 Abs. 3 ECT-TP sollen Transittarife auf den Betriebs- und Investitionskosten (operational and investment costs) basieren, einschließlich eines angemessenen Gewinns.531 Nach Art. 10 Abs. 2 ECT-TP, der zugleich das Anliegen des Art. 6 Abs. 1 und 2 ECT stärkt, stellt jede Vertragspartei sicher, dass ein Betreiber von Pipelines nicht seine marktbeherrschende Stellung bei der Festsetzung von Transittarifen missbraucht.
529
Vgl. dazu auch Art. V Abs. 2 GATT und Art. 10 Abs. 1 ECT-TP.
530
Gegenwärtig bestehen keine Anhaltspunkte für diskriminierendes Verhalten bei der Erhebung von Transitgebühren. Dies kann jedoch auch an mangelnder Transparenz liegen, da Transittarife bilateral und mit geheimen Ergebnissen ausgehandelt werden. Siehe dazu Energy Charter Secretariat (Hrsg.), Gas Transit Tariffs in selected Energy Charter Treaty Countries, S. 11. Zu mangelnder Transparenz siehe auch Energy Charter Secretariat (Hrsg.), From Wellhead to Market – Oil Pipeline Tariffs and Tariff Methodologies in Selected Energy Charter Member Countries, S. 13. 531
Zu den Schwierigkeiten bei der Feststellung, inwieweit Transittarife tatsächlich die Betriebs- und Investitionskosten widerspiegeln (cost-reflectiveness) siehe Energy Charter Secretariat (Hrsg.), Gas Transit Tariffs in selected Energy Charter Treaty Countries, S. 11.
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G. Fragestellungen hinsichtlich der Beziehungen im Energiebereich
Den Interessen der EU würde es zwar entsprechen, wenn Transittarife für zentralasiatisches Gas nicht höher sein dürften, als die Tarife für inländischen Transport. Diese Regelungssituation würde jedoch weder mit dem Beitritt Russlands zur WTO noch mit Ratifikation des ECT und des ECT-TP durch Russland (bzw. der Bindung Russlands an Transitregelungen, welche den im ECT und im ECT-TP enthaltenen vergleichbar sind) eintreten. Wäre Russland an die Transitbestimmungen des ECT und des ECT-TP gebunden, hätte es jedoch dafür Sorge zu tragen, dass in seinen innerstaatlichen Vorschriften Transit nicht weniger günstig behandelt wird als Import oder Export, sofern eine geltende internationale Übereinkunft nichts anderes bestimmt. Zudem müsste Russland sicherstellen, dass Transittarife nicht unangemessen bzw. missbräuchlich sind. Diese Regelungssituation liegt im Interesse der EU. Russland hat daran zwar in Bezug auf zentralasiatisches Gas im Transit durch Russland kein Interesse, sehr wohl aber in Bezug auf russisches Gas, welches sich im Transit z.B. durch die Ukraine befindet. Insofern läge die Ratifikation des ECT, den die Ukraine ratifiziert hat, auch im Interesse Russlands.
c) Transit durch Drittstaaten von Energieträgern aus Russland aa) Einleitung Für Europa bestimmtes russisches Erdöl wird zu 40 % durch die Družba-Pipeline befördert.532 Russisches Exportgas muss zu 95 % Drittstaaten durchqueren.533 In der Vergangenheit hat es mehrfach Konflikte gegeben, die zu einer zeitweiligen Unterbrechung der Erdgas- bzw. Erdöllieferungen an europäische Abnehmer geführt haben. Zu nennen sind vor allem der Gasstreit Ukraine-Russland 2006534 und
532
Götz, SWP-Studie 2006/S 38, Dezember 2006, S. 13. Die Družba-Pipeline führt Erdöl im Transit durch Belarus. Der nördliche Strang der Pipeline führt nach Polen und weiter nach Deutschland; der südliche Strang der Pipeline führt durch die Ukraine nach Ungarn und in die Slowakei sowie von dort weiter nach Tschechien. 533
Energy Charter Secretariat (Hrsg.), Transit of Natural Gas, S. 43. Dazu, dass Russland derzeit in stärkerem Maße als andere Gasexporteure auf ungehinderten Transit angewiesen ist, siehe Zhiznin, Energy diplomacy, S. 307 f. 534
Dazu Pleines, Ukraine-Analysen 35/08, S. 8.
Transport und Transit von Energieträgern und Energieerzeugnissen
173
der Gasstreit Ukraine-Russland 2009535.536 Die genannten Lieferunterbrechungen werfen Fragen nicht nur im Verhältnis zwischen Russland und der Ukraine – die ihrerseits den ECT ratifizierte hat – auf, sondern auch im hier interessierenden Verhältnis zwischen den europäischen Staaten und Russland.
bb) Gasliefergefüge und Übergabepunkte Bevor diese Fragen aber einer rechtlichen Analyse unterzogen werden können, ist genauer auf das europäisch-russische Gasliefergefüge einzugehen.537 Gaslieferverträge bestehen nicht zwischen Staaten, sondern zwischen privatrechtlich organisierten Unternehmen, namentlich dem Gazprom-Konzern auf der russischen Seite und insbesondere E.ON, GdF SUEZ, ENI und OMV auf europäischer Seite. Die Lieferbeziehungen wurden lange vor dem Zerfall der Sowjetunion aufgenommen; damals stand auf sowjetischer Seite noch Soyuzgazexport. Gaslieferverträge zeichneten und zeichnen sich durch langfristige Bindung der Vertragspartner mit Liefer- und Abnahmepflichten aus. Diese langfristige Bindung gab und gibt allen beteiligten Unternehmen eine gewisse Planungssicherheit, welche ihrerseits notwendig ist, bevor Investitionen in Förder- und Transportinfrastruktur (in der Annahme ihrer späterer Amortisation) getätigt werden. Zu Zeiten des kalten Krieges wurden als Übergabepunkte (delivery points) für das zu liefernde Erdgas Grenzpunkte der sowjetischen Einflusssphäre vereinbart, namentlich Baumgarten538 und Waidhaus.539 Der Grund für die Vereinbarung dieser 535
Dazu Pleines in: Pleines (Hrsg.), Der russisch-ukrainische Erdgaskonflikt vom Januar 2009, S. 5 ff. und Pirani in: Pleines (Hrsg.), Der russisch-ukrainische Erdgaskonflikt vom Januar 2009, S. 15 ff. 536
Es hat noch weitere transitbezogene Streitigkeiten gegeben, etwa den als „Energiekrieg“ beschriebene Konflikt zwischen Russland und Belarus 2004 (dazu Timmermann in: Meier-Walser (Hrsg.), Energieversorgung als sicherheitspolitische Herausforderung und Götz, SWP-Studie 2006/S 38, Dezember 2006, S. 27) sowie den Ölstreit zwischen Russland und Belarus 2007 (dazu Zhiznin, Energy diplomacy, S. 217). Im Folgenden soll jedoch nur genauer auf Streitigkeiten eingegangen werden, bei welchen die Ukraine als Transitstaat involviert war oder ist. 537
Für einen allgemeinen Überblick über die europäisch-russischen Handelsbeziehungen im Energiesektor siehe oben (G.II.1). 538
Baumgarten an der March befindet sich an der österreichisch-slowakischen Grenze.
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G. Fragestellungen hinsichtlich der Beziehungen im Energiebereich
Punkte lag darin, dass Soyuzgazexport und letztlich die Sowjetunion nur bis dorthin (und nicht etwa bis an die deutsch-französische Grenze) die Lieferung des Erdgases garantieren konnte und wollte, sowie darin, dass die europäischen Abnehmer ihrerseits erst ab da (und nicht etwa schon ab der sowjetisch-tschechoslowakischen Grenze) in der Lage waren, den Transport des von ihnen gekauften Gases zu gewährleisten. Die Vereinbarung der genannten Übergabepunkte bildete einen integralen Bestandteil der jeweiligen langfristigen Lieferverträge. Da deren Gültigkeit vom Fall des Eisernen Vorhangs und dem Zerfall der Sowjetunion nicht beeinträchtigt wurde, blieben Baumgarten und Waidhaus die relevanten Übergabepunkte, auch nachdem der historische Grund für deren Vereinbarung weggefallen war. Interessanterweise wurden diese Übergabepunkte auch beibehalten, als die Lieferverträge später, und insbesondere im Jahr 2006, zwischen Gazprom und seinen westeuropäischen Vertragspartnern verlängert wurden.540 Infolge der OstErweiterung der EU liegen diese Übergabepunkte nun innerhalb der EU. Dass bei Vertragsverlängerung nicht andere Übergabepunkte vereinbart wurden, etwa an der russisch-ukrainischen Grenze, lässt sich historisch und auch mit wirtschaftlichen Erwägungen erklären. Zum Ersten hatten beide Seiten, unabhängig von politischen Umgestaltungen, langjährige positive Erfahrung mit der Vereinbarung dieser Übergabepunkte gemacht und sahen keine Veranlassung, den dahingehenden Status quo zu verändern. Zum Zweiten erlaubt die Vereinbarung genau dieser Punkte Gazprom, das Produkt „Gas an der deutschen Grenze“ bzw. das Produkt „Gas an der österreichischen Grenze“ als ein einziges Produkt und zudem nah am Endabsatzmarkt zu verkaufen.541 Zugleich erleichtert dies die Möglichkeit einer individuellen Preisgestaltung.542 Die Beibehaltung der historischen Übergabepunkte ist allerdings auch 539
Waidhaus befindet sich an der deutsch-tschechischen Grenze.
540
Zur Verlängerung der Verträge siehe Energy Charter Secretariat (Hrsg.), Putting a Price on Energy – International Pricing Mechanisms for Oil and Gas, S. 158 f. 541
Alternativen wären, das Gas an der russisch-ukrainischen Grenze zu übergeben und sich damit upstream zurückzuziehen oder für an der russischukrainischen Grenze übergebenes Gas noch Transportdienstleistungen anzubieten, wobei dann allerdings zwei Produkte (die Ware Gas und Transportdienstleistungen) verkauft werden müssten. 542
Würde Gas für alle europäischen Abnehmer an der russischen Außengrenze übergeben, wäre es schwerer, mit deutschen Abnehmern andere Preise auszuhandeln als mit österreichischen oder italienischen.
Transport und Transit von Energieträgern und Energieerzeugnissen
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mit wirtschaftlichen Risiken für Gazprom verbunden, denn Gefahrenübergang tritt erst mit Übergabe ein. Daher hat der russische Exporteur im bestehenden Liefergefüge das Risiko des Gasverlustes oder Gasdiebstahls vor den relevanten Übergabepunkten zu tragen. Dies gilt auch in Bezug auf andere Übergabepunkte, etwa Sayda im Erzgebirge, Beregovo an der ukrainisch-ungarischen Grenze und Chust an der ukrainischrumänischen Grenze.
cc) Muster bisheriger Konflikte Die beiden genannten Gaskonflikte 2006 und 2009 folgten im Wesentlichen einem Muster. Am Anfang standen jeweils Verhandlungen zwischen dem russischen Gazprom-Konzern und der ukrainischen Naftogaz Ukrainy u.a. über den von Naftogaz an Gazprom im Folgejahr zu zahlenden Gaspreis. Nachdem keine Einigung über den zu zahlenden Gaspreis erzielt worden war, stellte Gazprom die Lieferungen an Naftogaz mit Ende der Gültigkeit des alten Vertrages ein. Die Gaslieferungen für seine europäischen Kunden setzte Gazprom fort. Jedoch kam es in der Folge auf ukrainischem Gebiet zu illegalen Entnahmen (Diebstahl) von Erdgas im Transit. Aufgrund dieser Entnahmen erreichte weniger Erdgas, als zwischen Gazprom und seinen europäischen Abnehmern vereinbart, die in den langfristigen Lieferverträgen vereinbarten Übergabepunkte. Gazprom wurde somit gegenüber seinen Vertragspartnern in Bezug auf die gestohlene Gasmenge ungewollt vertragsbrüchig. Um die illegalen Gasentnahmen in der Ukraine zu unterbinden, stellte der Gasexporteur die Belieferung seiner europäischen Abnehmer über die vom Diebstahl betroffene Transitroute gänzlich ein.543 Dadurch vergrößerte sich der Unterschied zwischen geschuldeter und tatsächlich übergebener Liefermenge, obwohl Gazprom zugleich bemüht war, die Belieferung seiner Abnehmer über Lieferrouten unter Umgehung der Ukraine sicherzustellen. Infolgedessen brach 2009 für mehrere Tage die Gasversorgung in etlichen EU-Ländern ganz oder zum Teil zusammen. Die Lieferungen wurden erst wieder aufgenommen, nachdem Verhandlungen auf Regierungsebene zu einer Einigung der russischen und der ukrainischen Seite in Bezug auf Gaspreis und Transittarif geführt hatten. Die entsprechenden Vereinbarungen wurden
543
Nach allgemeiner Auffassung kann die Gazprom-Leitung diese Entscheidung nicht ohne Rückendeckung durch die politische Führung Russlands treffen.
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von den Vorstandsvorsitzenden Gazproms und Naftogaz’ im Beisein der Ministerpräsidenten beider Länder unterzeichnet.
dd) Rechtliche Betrachtung der Konflikte Die Lieferunterbrechungen wurden stark politisiert, wobei die westliche Öffentlichkeit überwiegend Partei gegen die russische Seite ergriff. Dies ist jedoch nur bedingt nachvollziehbar. Zum Ersten ist festzuhalten, dass keine rechtliche Verpflichtung besteht, einen Großabnehmer nach Auslaufen eines Liefervertrages weiter zu beliefern, wenn bis dahin keine Einigung über den zu zahlenden Kaufpreis erzielt wurde. Ein Kontrahierungszwang in Bezug auf den Abschluss eines neuen Liefervertrages zu den alten Bedingungen besteht nicht. Nach Ende der Gültigkeit der alten Verträge war Gazprom daher gegenüber Naftogaz vertraglich nicht verpflichtet, die Gaslieferungen an Naftogaz fortzusetzen. Auch andere rechtliche Verpflichtungen zur Weiterbelieferung des ukrainischen Großabnehmers sind nicht ersichtlich, wobei sogar ausgeblendet bleiben kann, dass Gazprom und Naftogaz auch über einen Zahlungsrückstand in Höhe von über 2 Mrd. US-Dollar und deren Begleichung stritten. Für die russische Regierung bestand ihrerseits keine rechtliche Verpflichtung, auf Gazprom dergestalt einzuwirken, dass ein neuer Liefervertrag zu bestimmten Konditionen abgeschlossen wird bzw. dass Naftogaz auch ohne Abschluss eines neuen Liefervertrages weiterbeliefert wird, selbst wenn die russische Regierung dazu faktisch in der Lage gewesen wäre.544 Zum Zweiten ist festzuhalten, dass die Ukraine, als sie für europäische Abnehmer bestimmtes Gas im Transit entweder selbst entnahm oder illegale Entnahmen nicht verbot bzw. verhinderte, gegen Völkerrecht verstoßen hat. Wäre das ECT-Transitprotokoll in Kraft, so wäre der Völkerrechtsverstoß der Ukraine offenkundig, denn dieses untersagt in seinem Art. 6 Abs. 1 ECT-TP ausdrücklich die Entnahme von Energieträgern im Transit und unterstreicht in Art. 6 Abs. 2 ECT-TP die Verpflichtung der Vertragsparteien, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die illegale Entnahme von Energieträgern im Transit zu
544 Selbst Art. 15 Abs. 1 ECT-TP würde, wenn das Transitprotokoll in Kraft träte und für Russland bindend wäre, allein eine Verpflichtung der Vertragsstaaten begründen, dafür Sorge zu tragen, dass unter ihrer Kontrolle stehende Energielieferanten gutgläubig und auf der Grundlage wirtschaftlicher Bedingungen über die Belieferung der Transitstaaten verhandeln.
Transport und Transit von Energieträgern und Energieerzeugnissen
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verbieten und zu verhindern.545 Zwar ist das Transitprotokoll nicht in Kraft; die genannten Verpflichtungen bestanden und bestehen für die Ukraine aber gleichwohl. Denn es handelt sich bei diesen Verpflichtungen lediglich um eine Präzisierung der Pflicht aus Art. 7 Abs. 6 ECT546 vor allem aber um eine Präzisierung des Grundsatzes der Transitfreiheit nach Art. 7 Abs. 1 ECT, Art. V GATT und Völkergewohnheitsrecht. Durchfuhrfreiheit bedeutet nämlich für den Transitstaat nicht nur die Pflicht, die Nutzung seines Territoriums für die Durchfuhr nichtgefährlicher Waren grundsätzlich ohne die Erhebung von Zöllen oder sonstigen Durchfuhrabgaben zu gestatten, sondern auch die Pflicht, die Waren im Transit nicht anstatt eines Zolles teilweise zu entwenden, bzw. die Pflicht, eine illegale Entwendung von Transitwaren nicht sehenden Auges hinzunehmen.547 Dies gilt nicht nur für klassischen WarenTransit, sondern auch für pipelinegebundenen Transit. Auf den Grundsatz der Transitfreiheit nach Völkergewohnheitsrecht konnte und kann sich Russland gegenüber der Ukraine uneingeschränkt berufen; auf Art. 7 ECT konnte sich Russland zum Zeitpunkt der genannten „Gaskrisen“ zumindest im Rahmen der vorläufigen Anwendung des ECT berufen, wobei keine innerstaatlichen ukrainischen Normen ersichtlich sind, welche die Ukraine der Russischen Föderation – nach Art. 45 Abs. 1 ECT zulässigerweise – hätte entgegenhalten können. Die europäischen Staaten, für die das durch die Ukraine geleitete Gas bestimmt war und ist, können sich ihr gegenüber nicht nur uneingeschränkt auf den Grundsatz der Transitfreiheit nach Völkergewohnheitsrecht, sondern 545
Art. 15 Abs. 2 ECT-TP stellt klar, dass auch das Fehlschlagen der Verhandlungen in Bezug auf die Belieferung des Transitstaates für den eigenen Verbrauch kein Grund dafür sein darf, Transit abzulehnen oder Transitvolumen zu verringern. Sowohl Art. 6 ECT-TP als auch Art. 15 ECT-TP waren nicht Gegenstand der Kontroversen um das Transitprotokoll. 546
Nach Art. 7 Abs. 6 ECT darf ein Transitstaat im Fall einer Streitigkeit über eine Frage im Zusammenhang mit bestehendem Transit, diesen Transit weder unterbrechen noch verringern, bevor das in Art. 7 Abs. 7 ECT vorgesehene besondere Streitbeilegungsverfahren abgeschlossen worden ist. Wenn aber schon bei einer transitbezogenen Streitigkeit, also etwa einer Streitigkeit über die Transitgebühren, der betreffende Transit nicht vom Transitstaat unterbrochen oder verringert werden darf, so darf dieser Transit erst recht nicht unterbrochen werden, wenn eine Streitigkeit nicht ihn – sondern andere Fragen – betrifft (argumentum a minore ad maius). 547
Ob eine völkergewohnheitsrechtliche Pflicht existiert, nach der ein Transitstaat Transitwaren aktiv gegen illegale Entwendung schützen muss, kann hier dahingestellt bleiben.
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G. Fragestellungen hinsichtlich der Beziehungen im Energiebereich
auch auf Art. 7 ECT und Art. V GATT berufen. Davon wurde in der Vergangenheit aus politischen Erwägungen abgesehen. Zum Dritten ist festzuhalten, dass weder Gazprom noch Russland einen Völkerrechtsverstoß begangen hat, als Gazprom die Belieferung seiner europäischen Abnehmer über die ukrainische Transitroute gänzlich einstellte. Zwar hat Gazprom dadurch die bestehenden Lieferverträge verletzt. Diese sind jedoch keine völkerrechtlichen Verträge, sondern privatrechtlicher Natur. Auch traf die Russische Föderation – selbst als sie den ECT noch vorläufig anwendete – keine völkerrechtliche Verpflichtung, auf Gazprom dergestalt einzuwirken, dass Gazprom die Lieferung an seine europäischen Abnehmer über bestimmte Transitrouten nicht gänzlich einstellt. Denn die Verpflichtung nach Art. 7 Abs. 6 und 7 ECT, einen bestehenden Transit von Energieträgern nicht zu unterbrechen, trifft allein den Transitstaat, nicht aber den Exportstaat.548 Zwar könnte Art. 7 Abs. 5 S. 2 ECT, nach dem die Vertragsparteien „den seit langem bestehenden Fluss von Primärenergieträgern [...] zu, von und zwischen den Gebieten anderer Vertragsparteien“ sichern, dahingehend missverstanden werden, dass diese Verpflichtung auch den Exportstaat trifft; denn dort wird die Wortgruppe „seit langem bestehende[r] Fluss von Primärenergieträgern“549 verwendet und die Präposition „zu“ neben die Präposition „zwischen [den Gebieten anderer Vertragsparteien]“ gestellt, während das Wort „Transit“ in den verbindlichen deutschen, englischen, italienischen und russischen Sprachfassungen nicht vorkommt. Allerdings wird erstens in den ebenfalls verbindlichen französischen und spanischen Sprachfassungen sehr wohl das Wort „Transit“ verwendet.550 Zweitens ergibt sich deutlich aus dem Kontext, dass Art. 7 Abs. 5 S. 2 ECT sich nur auf Transitstaaten und deren Verpflichtungen beziehen kann: Denn a) widmet sich Art. 7 ECT dem Transit, welcher in Abs. 9 als Durchgangstransit und nicht als Export-Transport definiert ist, b) folgt der Satz im Abs. 5 unmittelbar auf eine Beweislastenumkehr zulasten des Transitstaates, der sich gegen die 548 Siehe auch Energy Charter Secretariat (Hrsg.), Observations by the Energy Charter Secretariat Regarding the Committee on Economic Policy’s Report to the State Duma of the Russian Federation Concerning the Russian Ratification of the ECT, 18 January 2001, Rn. 20. 549
Englisch: „established flows of energy materials“. Italienisch: „flussi regolari di materiali […] energetici“. Russisch: „složivšiesja potoki Ėnergetičeskich Materialov“. 550
Französisch: „transit de flux établis de matières […] énergétiques“. Spanisch: „tránsito de flujos ya establecidos de materias [...] energéticos“.
Transport und Transit von Energieträgern und Energieerzeugnissen
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Erweiterung von Transitinfrastruktur auf seinem Hoheitsgebiet stellt, c) nimmt der Satz Bezug auf Art. 7 Abs. 6 und 7 ECT, die sich in allen Sprachfassungen eindeutig nur mit Pflichten von Transitstaaten befassen. Zum Vierten ist festzuhalten, dass ein verbindlicher Warnmechanismus, nach dem die russische Seite gehalten wäre, die europäische Seite zu informieren und zu konsultieren, wenn sich Konstellationen wie jene 2006 und 2009 abzeichnen, nicht existiert. Zwar bemängelte Timmermann551 mit Blick auf den Energiekrieg Russland-Belarus 2006/2007, dass sich Russland vor der berechtigten Durchsetzung der geänderten Lieferpreise gegenüber Belarus nicht rechtzeitig mit der EU konsultiert hatte, und im Rahmen des EU-Russland Energie-Dialoges552 wurde die Einrichtung eines Frühwarnmechanismus (Early Warning Mechanism) in Bezug auf die Belieferung mit und die Nachfrage nach Erdgas und Erdöl angesprochen. Diese politischen Wünsche haben sich de lege lata aber nicht zu einer harten völkerrechtlichen Konsultations-Verpflichtung verdichtet. Immerhin wurde inzwischen unter Nutzung bestehender Kooperationsmechanismen eine Art Frühwarnmechanismus durch die Erweiterung des Aufgabenkreises zweier Arbeitsgruppen des EURussland Energie-Dialoges eingerichtet.553
ee) Zusammenfassung und Interessenlage Für Gazprom besteht keine Pflicht, den Gasversorger in einem Transitstaat ohne Vertrag mit Erdgas zu beliefern; für Russland besteht keine Pflicht, auf eine Belieferung durch Gazprom hinzuwirken. Die Entwendung von Energieträgern im Transit (bzw. der Umstand, sehenden Auges nichts gegen die Entwendung der Energieträger im Transit zu unternehmen) stellt einen Völkerrechtsverstoß dar, auch wenn der Transitstaat selbst nicht mit Energieträgern beliefert wird. Unterbricht Gazprom seine Lieferungen an europäische Abnehmer – etwa wegen Entwendung der Energieträger im Transitstaat –, so liegt darin zwar eine Vertragsverletzung durch Gazprom, jedoch kein Völkerrechtsver551
Timmermann in: Meier-Walser (Hrsg.), Energieversorgung als sicherheitspolitische Herausforderung, S. 159 f. 552
EU-Russia Energy Dialogue, Eighth Progress Report (October 2007),
S. 6. 553
S. 7 f.
EU-Russia Energy Dialogue, Ninth Progress Report (October 2008),
180
G. Fragestellungen hinsichtlich der Beziehungen im Energiebereich
stoß Russlands. Ein völkerrechtlich verbindlicher Frühwarnmechanismus bei drohenden Lieferunterbrechungen existiert zwischen der EU und Russland bisher nicht. An diesem Status quo würde sich nichts ändern, wenn Russland den ECT und das Projekt des Transitprotokolls (bzw. einen anderen Vertrag mit vergleichbaren Transitbestimmungen) ratifizierte oder Mitglied der WTO würde. Gasdiebstähle im Territorium eines Transitstaates sind für europäische Großabnehmer und für die EU isoliert betrachtet nicht besorgniserregend. Denn zum einen bringt die Verringerung der gelieferten Mengen dann die eigene Versorgung noch nicht in Gefahr. Zum anderen bleibt es den europäischen Abnehmern – solange in Lieferverträgen Übergabepunkte downstream zum Transitstaat festgeschrieben sind – unbenommen, den Diebstahl als für sie irrelevant anzusehen, Gazprom an seine Lieferverpflichtungen zu erinnern und den Gasexporteur gegebenenfalls für die Verletzung seiner Bringschuld in Anspruch zu nehmen. Die Situation wäre anders, wenn in den Verträgen zwischen Gazprom und seinen europäischen Abnehmern als Übergabepunkt die russischukrainische Grenze vorgesehen wäre, denn dann wären Gasdiebstähle in der Ukraine ein Problem der europäischen Abnehmer. Im bestehenden europäisch-russischen Liefergefüge ist Besorgnis auf europäischer Seite vor allem damit verbunden, dass Gazprom Diebstähle im Transitland, wie 2006 und 2009 geschehen, zum Anlass nimmt, die Lieferungen über die betroffene Transitroute gänzlich einzustellen. Denn zwar kann Gazprom in diesem Fall von seinen Vertragspartnern erst recht wegen der Vertragsverletzung in Anspruch genommen werden; bevor aber überhaupt irgendwelche Ansprüche geltend gemacht werden können, ist die Energieversorgung zumindest in einigen Staaten der EU ernsthaft beeinträchtigt, was spürbare Konsequenzen sowohl für einzelne Wirtschaftszweige als auch für die Bevölkerung generell hat. Die EU hat daher ein besonderes Interesse daran, dass Gazprom seine Lieferungen auch im Falle von Diebstählen in einem Transitstaat nicht einstellt. Um die Interessenlage der EU auf den Punkt zu bringen: Im gegenwärtigen europäisch-russischen Liefergefüge ist völkerrechtswidriges Verhalten der Ukraine für die europäische Seite nicht so dramatisch, wie ein dadurch ausgelöster Vertragsbruch Gazproms, der seinerseits nicht erfolgen würde, wenn als Übergabepunkt für russisches Erdgas die ukrainisch-russische Grenze festgelegt würde. Im Interesse Russlands liegt es zunächst, dass Großabnehmer russischen Erdgases in Transitstaaten für den Bezug des für den Binnenverbrauch in diesen Staaten bestimmten Erdgases einen möglichst hohen Preis zahlen, idealerweise den Preis, den westeuropäische Großab-
Transport und Transit von Energieträgern und Energieerzeugnissen
181
nehmer aufbringen, abzüglich der Kosten für den Transport zwischen den relevanten Übergabepunkten.554 Russland hat darüber hinaus ein gesteigertes Interesse am ungehinderten Transit russischen Erdgases bis zu den im gegenwärtigen Liefergefüge relevanten Übergabepunkten. Dazu gehört auch, dass russische Energieträger im Transit nicht entwendet werden. Russland hat kein Interesse daran, dass Gazprom seine Bringschuld gegenüber seinen westeuropäischen Abnehmern verletzt. Dies betrifft sowohl Vertragsverletzungen, die allein dem Diebstahl von Gas im Transit geschuldet sind, als auch Vertragsverletzungen, welche die erste ungewollte Vertragsverletzung bewusst vergrößern, indem die Belieferung der europäischen Abnehmer über eine von Diebstahl betroffene Transitroute gänzlich eingestellt wird. Im Fall von Gasdiebstählen hat Russland ein Interesse daran, dass auch die europäische Seite auf den Transitstaat einwirkt, die illegalen Entnahmen zu unterlassen oder zu unterbinden. Vor die Wahl zwischen zwei Übel gestellt, nämlich einerseits das Hinnehmen von (völkerrechtswidrigen) Gasdiebstählen im Transitstaat (um die Lieferverträge mit europäischen Abnehmern so gut als möglich einzuhalten) und andererseits die Belieferung der Abnehmer über den betreffenden Transitstaat einzustellen, hat sich die russische Seite mehrfach für die zweite Variante entschieden. Ob dies objektiv im Interesse Russlands war – gerade mit Blick darauf, dass dadurch die Reputation als zuverlässiger Energielieferant massiv in der westlichen Wahrnehmung geschädigt wurde –, kann hier offen bleiben; festzustellen ist jedenfalls, dass die russische Seite jeweils davon ausging, dass die Option zugunsten der zweiten Alternative eher im Interesse Russlands liegt, als völkerrechtswidrige Gasentnahmen im Transitstaat hinzunehmen.
d) Fragen im Zusammenhang mit Infrastrukturprojekten zur Umgehung von Transitstaaten Aus Sicht eines staatlichen oder nichtstaatlichen Exporteurs von Energieträgern ist es günstig, nicht oder nur in geringem Umfang von Transitstaaten für die Belieferung der relevanten Absatzmärkte abhängig zu sein. Mit Blick auf die eigene Energieversorgungssicherheit ist es auch aus Sicht eines staatlichen oder nichtstaatlichen Energieimporteurs günstig, wenn die importierten Energieträger keine oder zumindest 554
Dass dieser Preis gegenwärtig gegenüber Naftogaz nicht durchsetzbar ist, ist sowohl Gazprom als auch der russischen Regierung bekannt.
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G. Fragestellungen hinsichtlich der Beziehungen im Energiebereich
möglichst wenige Transitländer durchqueren müssen.555 Zugleich ist es für den Importeur von Energieträgern mit Blick auf seine eigene Energieversorgungssicherheit günstig, wenn er als Transitstaat für Energieströme fungiert.556 Die Planung und Realisierung von Infrastrukturprojekten, mit denen Transitstaaten zumindest zum Teil umgangen werden, können – wegen gegensätzlicher Interessen der gegenwärtigen oder potentiellen Transitstaaten auf der einen Seite gegenüber Exportstaaten und Importstaaten auf der anderen Seite – zu politischen Spannungen führen und rechtliche Fragen aufwerfen.
aa) Völkerrechtliche Pflicht zur Beibehaltung bestimmter Transportrouten? Zu sowjetischer Zeit und noch in den neunziger Jahren erfolgte der Export von Erdöl aus Russland per Schiff zum Großteil über die baltischen Häfen Ventspils (Lettland) und Butinge (Litauen), welche ihrerseits per Pipeline beliefert wurden.557 Der Export über Ventspils wurde jedoch Ende 2002 eingestellt, die Lieferungen nach Butinge Ende 2006. Schiffsexporte von russischem Erdöl werden heute zum Großteil über den russischen Ostseehafen Primorsk abgewickelt, der seinerseits über das Ende 2001 in Betrieb genommene Baltische Pipelinesystem (BPS) beliefert wird.558 Heutige Transitstaaten für Erdgas aus Russland, namentlich Belarus, Polen und die Ukraine, befürchten, dass sie durch die Realisierung der Projekte Nord-Stream-Pipeline (Ostsee) und SouthStream-Pipeline (Schwarzes Meer) an Bedeutung verlieren werden. Diese Befürchtung ist nicht gänzlich unbegründet, was den zum Teil massiven politischen Widerstand gegen die genannten Projekte erklärt. 555
Für Exporteur und Importeur ist es zudem günstig, wenn die Versorgung über verschieden Transportrouten gewährleistet werden kann. 556 557 558
Harks, IP 2008, Nr. 4, S. 18. Vgl. Götz, SWP-Studie 2004/S 34, September 2004, S. 10.
Der Auf- und Ausbau des BPS wurde mit wirtschaftlichen Erwägungen begründet, insbesondere mit der Einsparung von Transitgebühren für die Durchleitung von Erdöl durch fremde Staaten. Es wird allerdings im politikwissenschaftlichen Schrifttum vermutet, dass der Auf- und Ausbau zumindest auch deshalb erfolgte, weil die Abkoppelung von den baltischen Exportterminals in Russland als geopolitischer Vorteil angesehen wurde. Dazu Götz, SWPStudie 2004/S 34, September 2004, S. 11 f.
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183
Gleichwohl ist festzuhalten, dass es keinerlei völkerrechtliche Pflicht für Export- oder Importstaaten gibt, auf die Beibehaltung bestimmter Transportrouten mit Durchquerung von Transitstaaten hinzuwirken. Sogar die aktive Beteiligung eines Staates an neuen Infrastrukturprojekten, mithilfe derer Energieträger ganz oder teilweise unter Umgehung eines Transitstaates vom Exportstaat zum Importstaat transportiert werden können, ist völkerrechtlich zulässig. Ein „droit de regard“ der bisherigen Transitstaaten in Bezug auf ein neues Projekt gibt es nicht.559
bb) Neue Pipelines im Meer Zur Realisierung eines Umgehungsprojektes müssen nicht selten Pipelines im Meer und namentlich auf dem Festlandsockel eines Küstenstaates bzw. mehrerer Küstenstaaten verlegt werden. Dabei können sich zahlreiche rechtliche Fragen ergeben. Dies insbesondere dann, wenn es sich um den Festlandsockel eines Staates handelt, der die Realisierung des Pipelineprojektes verhindern oder stören möchte (etwa der zu umgehende Transitstaat oder ein diesem verbundener Staat).560 Die Möglichkeiten eines Küstenstaates, die Verlegung von Pipelines auf dem ihm zugeordneten Festlandsockel zu stören, sind völkerrechtlich erheblich eingeschränkt. Denn die Verlegung von Kabeln und Rohrleitungen ist nicht nur auf Hoher See grundsätzlich frei,561 sondern nach Art. 79 Abs. 1 SRÜ auch auf dem Festlandsockel. Gemäß Art. 79 Abs. 2 SRÜ darf ein Küstenstaat das Legen oder die Unterhaltung von Rohrleitungen auf seinem Festlandsockel grundsätzlich nicht behindern.562 Zwar bedarf nach Art. 79 Abs. 3 SRÜ die Festlegung der Trasse für das Legen von Rohrleitungen der Zustimmung des Küstenstaates. Aller559
Rühl in: Meier-Walser (Hrsg.), Energieversorgung als sicherheitspolitische Herausforderung, S. 119. 560
Zu den hier ausgeblendeten Fragen im Zusammenhang mit der EspooKonvention von 1991 (BGBl. 2002 II, S. 1407) siehe Stiegel, Das Übereinkommen über die Umweltverträglichkeitsprüfung im grenzüberschreitenden Rahmen (Espoo-Übereinkommen). 561
Vgl. Art. 2 und Art. 26 der Konvention von 1958 über das offene Meer (UNTS, Reg.-Nr. 6465, Volume 450, S. 82) sowie Art. 87 SRÜ (BGBl. 1994 II, S. 1799). 562
Die grundsätzliche Freiheit, unterseeische Rohrleitungen zu legen, berührt jedoch, wie Art. 79 Abs. 4 SRÜ klarstellt, nicht das Recht des Küstenstaates, Bedingungen für Pipelines festzulegen, die in sein Hoheitsgebiet oder in sein Küstenmeer führen.
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G. Fragestellungen hinsichtlich der Beziehungen im Energiebereich
dings darf dieser seine Zustimmung nicht missbräuchlich verweigern. Er kann eine Änderung der geplanten Trassenführung nur verlangen, wenn dafür sachliche Gründe vorliegen, z.B. wenn die geplante Trassenführung durch ein Gebiet auf dem Festlandsockel führt, in welchem der Küstenstaat in absehbarer Zeit Bodenschätze abbauen möchte. Unzulässig ist hingegen, die Zustimmung zu einer geplanten Trassenführung allein zu verweigern, um ein politisch unliebsames Projekt zu verhindern; andernfalls bliebe nichts mehr von der grundsätzlichen Freiheit zur Verlegung unterseeischer Rohrleitungen übrig.
cc) Zusammenfassung und Interessenlage Es besteht für Export- oder Importstaaten keine völkerrechtliche Verpflichtung darauf hinzuwirken, dass eine bestimmte Transportroute nicht ganz oder zum Teil durch eine andere substituiert wird. Was die Verlegung neuer Pipelines auf dem Festlandsockel eines Küstenstaates betrifft, so sind dessen Einwirkungsmöglichkeiten auf das Projekt völkerrechtlich stark eingeschränkt. Dieser Status quo entspricht den Interessen sowohl Russlands als auch der europäischen Seite. Da bestehende Transportwege ersetzt werden können, hat Russland alle Optionen hinsichtlich der Weiterentwicklung von Infrastruktur auf nationalem Territorium (etwa des BPS) und der Diversifizierung der Transportrouten (Nord-Stream, South-Stream). Die EU kann ihrerseits Optionen nutzen, neben Infrastrukturprojekten, welche im gemeinsamen Interesse der EU und Russlands liegen, auch solche Infrastrukturprojekte politisch und/oder finanziell zu unterstützen, welche Russland als Transitstaat umgehen (Nabucco, BTC-Pipeline). Zwar sind die baltischen Staaten und Polen aus politischen Gründen und insbesondere aufgrund ihrer Eigenschaft als umgangene (potentielle) Transitstaaten dezidiert gegen das Nord-Stream Pipelineprojekt. Die westlichen EU-Mitgliedstaaten hingegen unterstützen das Projekt, und auch die EU selbst hat das Nord-Stream Pipelineprojekt durch die CoFinanzierung einer Machbarkeitsstudie unterstützt. Interessengegensätze bestehen in Bezug auf dieses Projekt nicht im europäisch-russischen sondern im inner-europäischen Verhältnis.
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e) Streitpunkte hinsichtlich des Transitprotokolls zum ECT Wie bereits erwähnt, ist es seinerzeit nicht zu einer Einigung in Bezug auf den zwischen 2000 und 2003 erarbeiteten Entwurf (Draft) für ein Transitprotokoll zum ECT (ECT-TP) gekommen.563 Zuletzt waren zwischen der EU und Russland drei Punkte umstritten. Diese sollen im Folgenden betrachtet werden; denn es ist damit zu rechnen, dass sie auch künftig von der einen oder der anderen Seite angesprochen werden, wenn über Transitfragen verhandelt wird.
aa) Regional-integration-clause Der erste Streitpunkt betrifft Art. 20 des Drafts. Es geht bei dieser Streitigkeit um die sogenannte Regional-integration-clause.564 Nach dieser Klausel würde das Transitregime des Transitprotokolls auf die Verbringung von Energieträgern durch einen Staat, der Mitglied einer Organisationen regionaler Wirtschaftsintegration ist, keine Anwendung finden, wenn die Energieträger zu einem Punkt außerhalb dieses Staates aber innerhalb der Organisation verbracht werden (bzw. werden sollen). In diesem Fall würde das Transitregime des Protokolls an der Außengrenze der Organisation regionaler Wirtschaftsintegration aufhören. Für den Transport von der Außengrenze der Organisation bis zum Bestimmungspunkt innerhalb der Organisation wäre dann allein das organisationsinterne Rechtsregime maßgeblich. Die EU ist gegenwärtig die einzige Organisation regionaler Wirtschaftsintegration im Geltungsbereich des ECT. Würde die Klausel gelten, wäre für EU-Staaten das Transitregime des Protokolls nur in Ausnahmefällen auf den Transport von Energieträgern aus Russland maßgeblich, etwa auf die Verbringung von russischem Erdgas in das NichtEU-Mitglied Schweiz. In allen anderen Fällen, insbesondere bei Belieferung der österreichischen, italienischen, deutschen und französischen Märkte bzw. bei Lieferung an die in langfristigen Lieferverträgen festgeschriebenen – und sich nunmehr inmitten der EU befindlichen – Über-
563
Der Entwurf wurde 2003 der Energiecharta-Konferenz vorgelegt und ist auf der Internetseite des Energiecharta-Sekretariats veröffentlicht. 564
Siehe dazu auch Konopljanik, Neft’, Gaz i Pravo 2002, Nr. 5, S. 49 ff., Konopljanik, Mirovaja ėnergetičeskaja politika 2003, Nr. 3, S. 56 ff. und Konoplyanik, Oil & Gas Journal 2003, volume 101, issue 40, S. 60 ff.
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G. Fragestellungen hinsichtlich der Beziehungen im Energiebereich
gabepunkte, würde das Transitregime des Protokolls keine Anwendung finden. Anwendung fände dann allein der Acquis communautaire. Aus Sicht der EU ist es wünschenswert, dass ein Transport innerhalb der als Binnenmarkt organisierten Gemeinschaft dem gemeinschaftsrechtlichen Acquis communautaire unterfallen soll. Die Anwendung eines den Acquis communautaire überlagernden Rechtssystems, wie die gleichzeitige Anwendbarkeit der Bestimmungen des ECT-Transitprotokolls oder des Art. V GATT wünscht die EU hingegen nicht.565 Sie verweist vielmehr darauf, dass der Acquis communautaire, hinsichtlich dessen insbesondere auf den freien Warenverkehr und das Prinzip der Nichtdiskriminierung Bezug genommen wird, mindestens genauso günstig sei, wie die Bestimmungen des ECT-Transitprotokolls. Diesen Standard hätte die EU nach Art. 20 Abs. 2 ECT-TP auch beizubehalten. Russland hingegen kritisiert, dass EU-Mitgliedstaaten de facto von den im Transitprotokoll enthaltenen multilateralen Bestimmungen ausgenommen sein sollen.566 Betroffen davon wäre die Verbringung russischen Erdgases von der Außengrenze der EU bis zu den relevanten Übergabepunkten innerhalb der EU, also insbesondere der Transport durch Polen, die Slowakei und die Tschechische Republik. Für die Verbringung von Energieträgern durch diese Länder würde – wenn Russland den Energiecharta-Vertrag ratifizierte – das Transitregime des Art. 7 ECT gelten; es ist für Russland daher nicht einsichtig, warum die Präzisierungen des Transitprotokolls darauf keine Anwendung finden sollen. Aus russischer Perspektive erscheint es extrem problematisch, auf die Anwendbarkeit der im Transitprotokoll enthaltenen multilateralen Bestimmungen zugunsten bestehender oder künftiger EU-Gesetzgebung zu verzichten, welche ohne Beteiligung Russlands und ohne Rücksicht auf russische Interessen erlassen wurde bzw. erlassen werden wird. Zudem hätte die Regional-integration-clause zur Konsequenz, dass von Russland bei den meisten Streitigkeiten in Bezug auf Transport durch EU-Länder nicht auf das in Art. 21 ECT-TP vorgesehene Streitbeilegungsverfahren zurückgegriffen werden könnte, sondern einzig europäischen Gerichten Jurisdiktion zukäme. Weder die Position Russlands noch die Position der EU vermochte und vermag vollständig zu überzeugen. Der russischen Position ist entgegenzuhalten, dass es bisher keinerlei Probleme bei der Verbringung von 565
Zur Nichtanwendbarkeit des Art. V GATT innerhalb der Gemeinschaft siehe EuGH, Rs. 266/81, Slg. 1983, 731 - SIOT, Rn. 12. 566
Statt vieler: Goldthau/Geden, IPG 2007, Nr. 4, S. 67.
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Energieträgern durch EU-Staaten gegeben hat; Probleme traten vielmehr nur hinsichtlich des Transits durch Nicht-EU-Staaten, namentlich die Ukraine und Belarus auf. Der europäischen Position ist entgegenzuhalten, dass der EU die Regional-integration-clause gleichgültig sein müsste, wenn der Acquis communautaire tatsächlich noch weitergehe, als das Transitprotokoll. Wohl aus diesem Grund wird in der Literatur gelegentlich die nicht verifizierbare Vermutung geäußert, dass die europäischen Bemühungen zugunsten der Klausel nicht auf dem Binnenmarktgedanken, sondern auf anderen Erwägungen beruhen.567
bb) Right of first refusal Der zweite Streitpunkt betrifft Art. 8 Abs. 4 des Drafts. Es geht bei dieser Streitigkeit um ein Vorzugsrecht bei Erneuerung von Transitverträgen, das sogenannte Right of first refusal. Hintergrund für die Diskussion um dieses Vorzugsrecht ist der Umstand, dass Lieferverträge und Transitverträge, durch welche eine Belieferung an den relevanten Übergabepunkten erst möglich wird, gewöhnlich unterschiedlicher Dauer sind. So hat Gazprom mit seinen westeuropäischen Großabnehmern Lieferverträge mit der Dauer von 15 bis 25 Jahren geschlossen; um jedoch die Lieferung an den vereinbarten Übergabepunkten Waidhaus und Baumgarten sicherstellen zu können, muss Gazprom Transitverträge schließen, welche ihrerseits zum Teil erheblich kürzere Laufzeiten haben.568 Wäre der Betreiber einer Transitinfrastruktur nach Auslaufen eines Transitvertrages völlig frei, die freiwerdende Transitkapazität einem anderen als seinem bisherigen Kunden zur Verfügung zu stellen, so könnten dadurch russische EnergieExporteure – allen voran Gazprom – in eine Situation geraten, in welcher sie ihren Lieferverpflichtungen nicht mehr nachkommen können. Dies ist die russische Regierung zu verhindern bestrebt. Sie fordert daher für Exporteure mit langfristigen Versorgungsverträgen ein Vorzugsrecht hinsichtlich der Erneuerung von Transitverträgen. Danach soll der 567
So meint Brexendorff, Rohstoffe im Kaspischen Becken, S. 332 f., dass die Bemühungen der EU zugunsten der Regional-integration-clause von der Befürchtung gezeichnet seien, dass russische Pipelinegiganten ohne die Klausel ihre Stellung auf dem europäischen Markt in politisch unerwünschter Weise ausdehnen könnten. 568
Der Transitvertrag zwischen Gazprom und Naftogaz Ukrainy vom 19. Januar 2009, dessen Wortlaut am 22. Januar 2009 auf der Internetseite der Ukrainskaja Pravda veröffentlicht wurde, hat eine Laufzeit von 10 Jahren.
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bisherige Nutzer freiwerdender Transitkapazitäten zwar grundsätzlich nicht besser gestellt werden, als andere potentielle Nutzer. Allerdings soll dem bisherigen Nutzer als erstem die Möglichkeit eingeräumt werden, die neu vorgeschlagenen Transitkonditionen für die bisher in Anspruch genommene – und mit Auslaufen des bisherigen Transitvertrages freiwerdende – Transitkapazität zu akzeptieren. Nur wenn der bisherige Nutzer ablehnt, etwa weil er einen anderen Transitkanal finden konnte, soll die Transitkapazität einem anderen potentiellen Nutzer angeboten werden dürfen; dem bisherigen Nutzer soll also das Vorrecht gebühren, als erster die Konditionen anzunehmen oder abzulehnen (Right of first refusal). Die europäische Seite sprach sich grundsätzlich gegen ein solches Vorrecht aus. Dies liegt darin begründet, dass ein Right of first refusal bestehende Lieferströme potentiell zementiert und – wegen nur beschränkter Transitkapazitäten – das Auftreten neuer, nicht zum Gazprom-Konzern gehörender Erzeuger auf den europäischen Märkten erschwert. Generell wird durch die vorrangige Zugangsgewährung zu einer Transportinfrastruktur die Entstehung eines offenen und wettbewerbsorientierten Marktes behindert. Daher stellt im innereuropäischen Bereich beispielsweise die vorrangige Zugangsgewährung zum Netz für grenzüberschreitende Stromübertragung eine verbotene Ungleichbehandlung dar, welche nicht dadurch gerechtfertigt ist, dass das begünstigte Unternehmen langfristige Verträge zu erfüllen hat.569 Im Rahmen der Verhandlungen zum Transitprotokoll hat die europäische Seite den Kompromissvorschlag gemacht, das von der russischen Seite gewünschte Vorzugsrecht hinsichtlich der Erneuerung eines Transitvertrages für eine Übergansperiode, nämlich bis zum Ende der seinerzeit bestehenden Lieferverträge, festzuschreiben. Das Vorzugsrecht sollte jedoch nicht zugunsten von Lieferanten oder Beziehern von Energieträgern gelten, die künftig Energielieferverträge abschließen. Dieser Kompromissvorschlag erschien allerdings der russischen Seite nicht akzeptabel. Im Ergebnis der Diskussion steht zwar die Klausel zum Right of first refusal in Art. 8 Abs. 4 des Drafts zum Transitprotokoll. Da die entsprechende Regelung jedoch nie völkerrechtliche Verbindlichkeit erlangte, gibt es dieses Vorzugsrecht gegenwärtig nicht.
569
Siehe EuGH (Große Kammer), Rs. C-17/03, Slg. 2005, I-04983 - Vereniging voor Energie, Milieu en Water.
Transport und Transit von Energieträgern und Energieerzeugnissen
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cc) Bildung der Transittarife (transit tariffs) Der dritte Streitpunkt betrifft Art. 10 Abs. 3 und 4 des Drafts. Es geht bei dieser Streitigkeit um die Bildung der Transittarife (transit tariffs), insbesondere für den Transit von Energieträgern aus Russland. Die Bemessung der Transittarife soll sich gemäß Art. 10 Abs. 1 des Drafts nach objektiven, angemessenen, transparenten und nichtdiskriminierenden Maßstäben richten. Nach Art. 10 Abs. 3 des Drafts sollen die Tarife auf Betriebs- und Investitionskosten (operational and investment costs) basieren, einschließlich einer angemessenen Gewinnspanne. Nach dem zwischen der europäischen und der russischen Seite streitigen Art. 10 Abs. 4 des Drafts zählen zu den geeigneten Mechanismen zur Festlegung von Transittarifen auch Congestion-management-mechanisms, zu denen insbesondere Auktionsmechanismen gehören. Die europäische Seite sieht in Auktionen einen effektiven und transparenten Preisbildungsmechanismus bei der Vergabe von Transitkapazitäten. Die Nutzung dieses Preisbildungsmechanismus kann nach europäischer Auffassung dazu beitragen, Engpässe in der Transitinfrastruktur zu erkennen, und Anreize zum Ausbau der Transitinfrastruktur geben. Hingegen werden Auktionsmechanismen von der russischen Seite abgelehnt, da sie befürchtet, dass Preisfindung im Rahmen von Auktionen zu Preisen führt, welche nicht mehr auf Betriebs- und Investitionskosten basieren, sondern erheblich darüber liegen. Dies würde nach russischer Auffassung zu exzessiven Gewinnen bei den Betreibern von Transitinfrastruktur zum Nachteil von Energielieferanten oder Energiekonsumenten führen. Dementsprechend sieht Russland in der Zulassung von Auktionsmechanismen einen Widerspruch zu Art. 10 Abs. 3 des Drafts. Letztlich befürchtet die russische Seite, dass hohe Transitgebühren, vor allem in der Ukraine, die Gewinnmarge Gazproms schmälert und im Extremfall Gazprom-Lieferungen nach Europa in Erfüllung langfristiger Lieferverträge unprofitabel macht.
dd) Zusammenfassung Zwischen der EU und Russland waren in Bezug auf das ECT-Transitprotokoll zuletzt drei Punkte streitig: die von der EU gewünschte Klausel in Bezug auf Organisationen regionaler Wirtschaftsintegration (Regional-integration-clause), das von Russland gewünschte Vorzugsrecht bisheriger Nutzer von Transitinfrastruktur bei der Erneuerung von Transitverträgen (Right of first refusal) sowie die von Russland ab-
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G. Fragestellungen hinsichtlich der Beziehungen im Energiebereich
gelehnte explizite Zulassung von Auktionsmechanismen zur Festsetzung von Transittarifen. Da Transitfragen mit der Osterweiterung der EU für diese an Dringlichkeit verloren haben, ist gegenwärtig nicht mit stärkerer Kompromissbereitschaft der europäischen Seite als noch 2003 zu rechnen. Hingegen bleibt die Sicherstellung des Transports russischer Energieträger im Transit – und insbesondere die von der russischen Seite erstrebte völkerrechtliche Absicherung des Right of first refusal – nach wie vor von zentraler Bedeutung für Russland.
IV. Investitionsregime für Investitionen im Energiesektor Im europäisch-russischen Verhältnis im Energiesektor gibt es Fragen in Bezug auf den Schutz getätigter ausländischer Investitionen (1) und in Bezug auf die Öffnung für ausländische Investitionen (2).
1. Investitionsschutz für getätigte Investitionen im Energiesektor a) Einleitung Mit Blick auf den Themenkreis „Energieversorgungssicherheit“ ist allgemein anerkannt, dass in den nächsten Jahren und Jahrzehnten enorme Investitionen im europäischen und russischen Energiesektor nötig sind. In Russland geht es vor allem um Investitionen in die Exploration neuer Lagerstätten, die Errichtung neuer Abbau- und Transportinfrastruktur, den Neubau von Kraftwerken sowie die Modernisierung bestehender Infrastruktureinrichtungen insbesondere unter Berücksichtigung von Energieeffizienzaspekten. In der Europäischen Union sind in großem Umfang Stromerzeugungskapazitäten zu erneuern.570 Die Notwendigkeit von Investitionen im Energiesektor steht sowohl in Russland als 570
Auch die Realisierung von Projekten zur stärkeren Interkonnektion europäischer Regionen, zur Erhöhung von Energieeffizienz, zur Verringerung des CO2-Ausstoßes und zur Steigerung des Anteils erneuerbarer Energien an der Gesamtenergieversorgung sind ohne erhebliche Investitionen nicht möglich.
Investitionsregime für Investitionen im Energiesektor
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auch in der EU auf der politischen Agenda.571 Der Themenkreis ist ebenfalls Gegenstand europäisch-russischer Gespräche.572 Als notwendig erachtete Investitionen in den Energiesektor sollen überwiegend von privatwirtschaftlich organisierten Konzernen getätigt werden. Diese entscheiden über das Ob einer Investition nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten, namentlich der Abschätzung von Gewinnaussichten, wobei sowohl kommerzielle als auch nichtkommerzielle Risiken einen bedeutenden Entscheidungsfaktor darstellen. Kommerzielle Risiken betreffen etwa die Unsicherheit in Bezug auf den Erfolg einer kostspieligen Exploration und geologische Schwierigkeiten beim Abbau von Energieträgern. Auch Markt- und Preisrisiken – also etwa die Frage, ob die zu bauende Transportpipeline überhaupt ausgelastet werden kann, oder die Frage, ob der geförderte Energieträger zu einem erwarteten Preis abgesetzt werden kann – zählen zu kommerziellen Risiken. Als Risiko nichtkommerzieller Art wird vor allem das Risiko genannt, wirtschaftliche Schäden durch Enteignung, enteignungsgleiche Maßnahmen (etwa durch Änderung des Rechtsrahmens) oder im Zuge von Kriegen, bewaffneten Auseinandersetzungen, Unruhen etc. zu erleiden.573 Nichtkommerzielle Risiken sind für Investoren insbesondere bei Investitionen im Ausland ein wesentlicher Entscheidungsfaktor. Zwar besteht ein völkergewohnheitsrechtlicher Eigentumsschutz für ausländische Investoren durch den Grundsatz der Gleichbehandlung zugelassener Investitionen und durch die Garantie eines internationalen Mindeststandards.574 Dieser völkergewohnheits-
571
Zu Russland siehe „Energiestrategie Russlands für die Zeit bis 2020“, Verfügung der Regierung der Russländischen Föderation vom 28. August 2003 Nr. 1234-r. Zur EU siehe KOM(2007) 1 endgültig. 572
Siehe etwa EU-Russia Energy Dialogue, Fifth Progress Report (November 2004) und EU-Russia Energy Dialogue, Ninth Progress Report (October 2008). 573 Ausführlicher siehe Gubarev, Priroda nekommerčeskich riskov v meždunarodnych investicionnych otnošenijach, S. 12 ff. 574
Häde, AVR 35 (1997), S. 185 ff. m.w.N. Nach dem Grundsatz der Inländergleichbehandlung ist zwar ein Staat nicht verpflichtet, Investitionen eines ausländischen Investors zuzulassen; tut er dies aber, so darf er später den ausländischen Investor nicht schlechter stellen, als einen inländischen. Zum völkerrechtlichen Mindeststandard siehe auch Dolzer, Eigentum Enteignung und Entschädigung im geltenden Völkerrecht, S. 17 f. und S. 22 f. m.w.N. sowie Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 19 Rn. 3. Allgemein zum Eigentumsschutz im Völkergewohnheitsrecht siehe Veith/Böckstiegel, Der Schutz von
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G. Fragestellungen hinsichtlich der Beziehungen im Energiebereich
rechtliche Schutz unterliegt jedoch gewissen Unsicherheiten und hat insbesondere den Nachteil, dass der Investor auf die Gewährung diplomatischen Schutzes durch die Regierung seines Heimatstaates angewiesen ist.575 Ein Großteil der notwendigen Investitionen in den Energiesektor Russlands und den Energiesektor einer Reihe von EU-Staaten kann ohne substantielle Auslandsinvestitionen nicht erfolgen. Ein Unternehmen, das Auslandsinvestitionen in Betracht zieht, kann sich zwar gegen eine Reihe von nichtkommerziellen Risiken absichern, etwa durch private Versicherungen oder Garantien der MIGA. Zum einen ist jedoch eine Absicherung nicht für jedes Investitionsprojekt und nicht gegen alle nichtkommerziellen Risiken möglich. Zum anderen erhöhen Absicherungen häufig die Projektfinanzierungskosten bzw. die Kosten einer Darlehensbeschaffung. Daran kann letztlich die Realisierung von Investitionen scheitern, die energiepolitisch als wünschenswert eingestuft werden. Vor diesem Hintergrund kann völkerrechtlichen Investitionsschutzabkommen, welche im Ergebnis die – bei der Entscheidung für oder gegen ein Projekt relevanten – nichtkommerziellen Risiken verringern, eine herausgehobene Rolle bei der Stimulierung ausländischer Investitionen zukommen.576 Bilaterale Investitionsschutzabkommen (BITs) moderner Art wurden ab den 1950er Jahren entwickelt und weiterentwickelt. Sie enthalten typischerweise eine Definition der durch sie geschützten Investitionen, schreiben Inländergleichbehandlung und Meistbegünstigung vor und enthalten Klauseln zum freien Transfer des Kapitals, der Erträge bzw. der Liquidationserlöse. Nicht zuletzt enthalten moderne BITs Klauseln zu Eigentumsschutz und Entschädigung und sehen für die Beilegung von Streitigkeiten im Verhältnis Investor-Staat einen Mechanismus zur Anrufung internationaler Schiedsgerichte vor. Diese Elemente finden sich auch in multilateralen Verträgen, welche u.a. den Schutz ausländischer Investitionen bezwecken, etwa in Kapitel XI des NAFTA und dem Energiecharta-Vertrag (ECT).
ausländischem Vermögen im Völkerrecht, S. 31 ff. sowie Herdegen, Völkerrecht, § 54 Rn. 1 ff. 575 Dazu, dass der diplomatische Schutz den heutigen wirtschaftlichen Anforderungen nicht mehr entspricht, siehe schon Fn. 189. 576
Vgl. Muchlinski in: Wälde (Hrsg.), The Energy Charter Treaty, S. 220, Konopljanik, Neftjanoe chozjajstvo 2003, Nr. 5, S. 24 ff. und Konopljanik, Neftjanoe chozjajstvo 2003, Nr. 6, 18 ff.
Investitionsregime für Investitionen im Energiesektor
193
Der Schutz von Investitionen nach dem ECT und dessen Normen zur Streitbeilegung im Verhältnis Investor-Staat sind allgemein bereits vielfach Gegenstand wissenschaftlicher Beschäftigung gewesen.577 Im europäisch-russischen Verhältnis ergaben und ergeben sich jedoch Besonderheiten zum allgemeinen ECT-Regime, welche darauf beruhen, dass Russland den Energiecharta-Vertrag nie ratifiziert hat, sondern diesen lediglich bis zum 18. Oktober 2009 vorläufig anwendete. Im Rahmen der folgenden Betrachtungen sollen diese Besonderheiten speziell berücksichtigt werden. Wiederholend anzumerken ist dahingehend, dass das Investitionsschutzregime des Energiecharta-Vertrages auch nach Beendigung der vorläufigen Anwendung des ECT durch Russland im europäisch-russischen Verhältnis Bedeutung behält. Denn gemäß Art. 45 Abs. 3 lit. b) ECT bleiben einmal vom Energiecharta-Vertrag geschützte Investitionen noch für 20 Jahre nach Beendigung der vorläufigen Anwendung des Vertrages geschützt, und zwar in dem Umfang, in dem sie zuvor völkerrechtlichen Schutz genossen.578
b) Investitionsbegriff und Formen von Auslandsinvestitionen im Energiesektor Für den Begriff „Investition“ (investment) bzw. – nach Terminologie deutscher BITs – „Kapitalanlage“579 hat sich bisher keine allgemeingültige Definition entwickelt. In Investitionsschutzverträgen der Bundesrepublik werden „Kapitalanlagen“ definiert als „Vermögenswerte jeder Art“, woraufhin eine beispielhafte nicht abschließende Aufzählung folgt.580 Im auf den Energiesektor zugeschnittenen Energiecharta-Vertrag ist „Investition“ definiert als „jede Art von Vermögenswert, der ei577 578
Siehe dazu die Nachweise oben (E.II.2.a)aa) und E.II.2.a)ff)(1)). Siehe dazu schon oben (F.III) sowie (F.I.2.d)cc)).
579
Siehe etwa das BIT zwischen der BRD und der Sowjetunion vom 13.06.1989 (BGBl. 1990 II, S. 342) sowie das BIT zwischen der BRD und Afghanistan vom 19./20.04.2005 (BGBl. 2007 II, S. 101). 580
Siehe etwa Art. 1 Nr. 1 des BIT zwischen der BRD und Afghanistan vom 19./20.04.2005. Umfasste Vermögenswerte sind insbesondere das Eigentum an beweglichen und unbeweglichen Sachen sowie sonstige dingliche Rechte, Anteilsrechte an Gesellschaften und andere Arten von Beteiligungen an Gesellschaften, Ansprüche auf Geld, das verwendet wurde, um einen wirtschaftlichen Wert zu schaffen, Rechte des geistigen Eigentums und öffentlich-rechtliche Konzessionen einschließlich Aufsuchungs- und Gewinnungskonzessionen.
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G. Fragestellungen hinsichtlich der Beziehungen im Energiebereich
nem Investor unmittelbar oder mittelbar gehört oder von ihm kontrolliert wird“ (every kind of asset, owned or controlled directly or indirectly by an investor), woraufhin ebenfalls eine beispielhafte Aufzählung folgt.581 Auslandsinvestitionen im Energiesektor nehmen in der Praxis verschiedene Formen an. Exploration neuer Lagerstätten und die Errichtung neuer Förderinfrastruktur werden von ausländischen Investoren zumeist direkt oder über eine hundertprozentige Tochtergesellschaft getragen. Verbreitet ist auch die Beteiligung ausländischer Konzerne an einem Joint Venture582, welches seinerseits Exploration und Errichtung neuer Förderinfrastruktur übernimmt. Insbesondere bei der Errichtung grenzüberschreitender Transportinfrastruktur ist eine Zusammenarbeit in Konsortien anzutreffen. Zu ausländischen Investitionen zählt aber auch der bloße Kauf existierender Assets oder der Kauf von Unternehmensanteilen.
c) Schwierigkeiten ausländischer Investoren in Bezug auf getätigte Investitionen in Russland Die Vorgänge um die Zerschlagung des Konzerns Jukos583 haben in der europäischen Öffentlichkeit erhebliche Zweifel an der Rechtssicherheit für Investitionen im Energiesektor in Russland hervorgerufen. Diese wurden durch die Ereignisse um die Projekte Sakhalin-II584 und Kovykta585 verstärkt, in deren Ergebnis jeweils Gazprom wesentlich – und
581
Siehe Art. 1 Nr. 6 ECT. Umfasste Vermögenswerte sind auch Erträge und jedes kraft Gesetzes oder eines privatrechtlichen Vertrags oder aufgrund gesetzlich zugelassener Lizenzen und Genehmigungen verliehene Recht auf Ausübung einer Wirtschaftstätigkeit im Energiebereich. 582
Siehe dazu Ehricke in: Leible/Lippert/Walter (Hrsg.), Die Sicherung der Energieversorgung auf globalisierten Märkten, S. 71. 583
Dazu Schober, Investitionsschutz nach dem Vertrag über die Energiecharta am Beispiel Jukos, S. 12 ff. 584 Dazu Bradshaw, Osteuropa 2008, Nr. 4-5, S. 131 ff. und Krysiek, OIES, WP 34, November 2007, S. 20 f. Deutliche Kritik am Sakhalin-II-PSA übt Rutledge, SERIS, November 2004, S. 3 ff. 585
Dazu Goldthau/Geden, IPG 2007, Nr. 4, S. 64. und Poussenkova, RAD 33/08, S. 15.
Investitionsregime für Investitionen im Energiesektor
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zu Lasten der ausländischen Investoren586 – am Förderprojekt beteiligt wurde. Generell wird davon ausgegangen, dass die russische Führung seit geraumer Zeit bestrebt ist, direkt oder indirekt, mehr staatliche Kontrolle über den – als strategisch wichtig eingestuften – Energiesektor, insbesondere über den Abbau von Energieressourcen, zu gewinnen. Vor diesem Hintergrund wird der russischen Regierung im Zusammenhang mit Jukos vorgeworfen, angebliche Steuerschulden nur als Vorwand benutzt zu haben, um Jukos-Assets einem Staatskonzern unter deren tatsächlichem Wert zuzuschlagen und sich zugleich eines unliebsamen Oligarchen zu entledigen. Im Zusammenhang mit Sakhalin-II wird der russischen Regierung vorgeworfen, umweltrechtliche Normen instrumentalisiert zu haben, um Druck auf die ursprünglichen Anteilseigner des Konsortiums Sakhalin Energy auszuüben. Im Falle von Kovykta lautet der Vorwurf, den Entzug der Förderlizenz wegen Unterschreitens der darin festgelegten Fördermenge missbräuchlich angedroht zu haben, da Grund für das Unterschreiten allein der Umstand gewesen sei, dass Gazprom nicht genügend Transportkapazitäten zur Verfügung gestellt hatte. Als es im Verlauf von Auseinandersetzungen der Anteilseigner des Unternehmens TNK-BP zu Durchsuchungen wegen Steuerhinterziehung und zu Visa-Streitigkeiten kam, stand ebenfalls die Vermutung im Raum, dass diese staatlichen Maßnahmen allein bzw. nur zu diesem Zeitpunkt erfolgten, um Druck auf den ausländischen Investor BP auszuüben.
d) Opportunität der Einleitung eines internationalen Schiedsverfahrens Die Zerschlagung des Jukos-Konzerns ist vielfach als Enteignung bzw. enteignungsgleiche Maßnahme aufgefasst worden; die Umstände der Zerschlagung wurden zugleich als nicht rechtsstaatlich und als diskriminierend wahrgenommen. Auch in den Fällen Sakhalin-II und Kovykta wird staatlichen Stellen vorgeworfen, vielgestaltige Drohkulissen missbraucht zu haben, um letztlich in diskriminierender Weise die ausländischen Investoren zu nötigen, einen Teil ihrer Investition unter Wert zu verkaufen. Das Verhalten der staatlichen Stellen könnte – die
586
Im Kasus Sakhalin-II vor allem Shell; im Kasus Kovykta BP.
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G. Fragestellungen hinsichtlich der Beziehungen im Energiebereich
Richtigkeit und Beweisbarkeit der Vorwürfe unterstellt – als enteignungsgleiche Maßnahme aufgefasst werden. Immer dann, wenn ausländische Investoren, die bereits erhebliche Investitionen in ein Projekt getätigt haben, sich diskriminiert, enteignet bzw. enteignungsgleichen Maßnahmen ausgesetzt fühlen, sind völkerrechtliche Investitionsschutzverträge, welche ein Schiedsverfahren im Verhältnis Investor-Staat vorsehen, von besonderer Bedeutung. Neben dem ECT ist auch an bilaterale Investitionsschutzverträge (BITs) zu denken. Zum 1. Mai 2008 waren für Russland 41 bilaterale Investitionsschutzverträge in Kraft,587 darunter jene noch von der Sowjetunion abgeschlossenen mit Deutschland,588 Frankreich,589 den Niederlanden590 und dem Vereinigten Königreich.591 Diese Verträge sehen bei Streitigkeiten im Verhältnis Investor-Staat in unterschiedlichem Ausmaß internationale Schiedsverfahren vor. Zum Teil wurden auf ihrer Grundlage bereits Schiedssprüche gefällt.592 Interessanterweise hat im Fall Sakhalin-II und im Fall Kovykta kein Investor ein internationales Schiedsverfahren eingeleitet. Möglicherweise spielten dahingehend ungewisse Erfolgsaussichten – insbesondere mit Blick auf die Beweisbarkeit der Vorwürfe, aber auch rechtliche Unwägbarkeiten – eine Rolle. Allgemein wird jedoch davon ausgegangen, dass ein Schiedsverfahren von der jeweiligen Unternehmensführung vor allem als nicht opportun erachtet wurde. Dies deshalb, weil die Einleitung eines solchen Verfahrens mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Kon-
587 OECD (Hrsg.), Russian Federation, Strengthening the Policy Framework for Investment, S. 46. 588 589 590
BGBl. 1990 II, S. 342. JORF n°243 du 17 octobre 1991 page 13600. UNTS, Reg.-Nr. 39913, Volume 2242, S. 175.
591
Veröffentlicht auf der Internetseite des FCO (USSR, Treaty Series No. 3 (1992)). 592
Siehe etwa: Ad hoc Tribunal, 07.07.1998, Sedelmayer v. Russian Federation, IIC 106 (1998); dazu auch Stockholm District Court (Sweden), 18 December 2002 – T 6–583—98, Sedelmayer v. Russian Federation, Judgment, IIC 107 (2002) und Stockholm Court of Appeal (Sweden), 15 June 2005 – T 525–03, Sedelmayer v. Russian Federation, IIC 108 (2005); Arbitration Institute of the SCC, 21.04.2006 – SCC Case No. 080/2004, Berschader and Berschader v. Russian Federation, IIC 314 (2006); Arbitration Institute of the SCC, October 2007 – SCC Case No. V079/2005, RosInvestCo UK Ltd v. Russian Federation, Jurisdiction Award, IIC 315 (2007).
Investitionsregime für Investitionen im Energiesektor
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sequenz hätte, dass die Investoren bzw. Unternehmen, an denen sie beteiligt sind, künftig keine Lizenzen für neue und potentiell lukrative Förderprojekte in Russland erhalten würden. Die Einleitung eines internationalen Schiedsverfahrens gegen Russland schränkt, nach der Befürchtung der relevanten Unternehmen, künftige Betätigungsmöglichkeiten in Russland ein, was nicht im Interesse dieser Unternehmen liegt. Vor diesem Hintergrund ist nachvollziehbar, dass es die europäischen Investoren im Fall Sakhalin-II nicht auf die Festsetzung einer Milliardenstrafe für Umweltschädigung und im Fall Kovykta nicht auf Entzug der Förderlizenz ankommen lassen wollten. Internationale Schiedsverfahren wurden hingegen im Zusammenhang mit der Zerschlagung des Jukos-Konzerns eingeleitet. Ein Verfahren stützt sich auf das BIT zwischen dem Vereinigten Königreich und der UdSSR;593 drei weitere Verfahren594 stützen sich auch auf den ECT.
e) Zur Unterwerfung Russlands unter ein internationales Schiedsverfahren nach dem ECT während bzw. aufgrund seiner vorläufigen Anwendung In Bezug auf gegen Russland eingeleitete und auf den ECT gestützte Schiedsverfahren ist zunächst von Interesse, ob Russland während der nur vorläufigen Anwendung des Vertrages den in Art. 26 ECT vorgesehenen Verfahren überhaupt unterworfen war (bzw. ob es gegenwärtig aufgrund der früheren vorläufigen Anwendung des Vertrages den genannten Verfahren unterworfen ist). Russland bestreitet dies.
aa) Problemaufriss Nach Art. 26 Abs. 3 lit. a) ECT erteilt jede Vertragspartei – vorbehaltlich nur der Buchstaben b) und c) – „ihre uneingeschränkte Zustimmung, eine Streitigkeit [zwischen ihr und einem Investor einer anderen Vertragspartei] einem internationalen Schieds- oder Vergleichsverfahren 593
Siehe dazu Arbitration Institute of the SCC, October 2007 – SCC Case No. V079/2005, RosInvestCo UK Ltd v. Russian Federation, Jurisdiction Award, IIC 315 (2007). 594
Yukos Universal Ltd. (UK – Isle of Man) v. Russian Federation; Hulley Enterprises Ltd. (Cyprus) v. Russian Federation; Veteran Petroleum Trust (Cyprus) v. Russian Federation.
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G. Fragestellungen hinsichtlich der Beziehungen im Energiebereich
[...] zu unterwerfen“. Nach der Definition in Art. 1 Nr. 2 ECT bedeutet „Vertragspartei“ im Sinne des Vertrages „einen Staat oder eine Organisation der regionalen Wirtschaftsintegration, die zugestimmt haben, durch diesen Vertrag gebunden zu sein, und für die der Vertrag in Kraft ist“. Der ECT ist nach Art. 44 Abs. 1 ECT am 16. April 1998 in Kraft getreten. Mangels Ratifikation und Hinterlegung der Ratifikationsurkunde nach Art. 44 Abs. 2 ECT ist der Vertrag jedoch nicht für Russland in Kraft getreten. Dementsprechend konnte und kann Russland nicht unter die in Art. 1 Nr. 2 ECT gegebene Definition des Begriffes „Vertragspartei“ subsumiert werden. Daraus folgert die russische Regierung, dass Russland nicht seine uneingeschränkte Zustimmung nach Art. 26 Abs. 3 lit. a) ECT erteilt habe. Allerdings überzeugt ein bloßer Verweis auf den Wortlaut des Art. 26 Abs. 3 lit. a) ECT, des Art. 1 Nr. 2 ECT und des Art. 44 Abs. 2 ECT nicht. Denn nach Art. 45 Abs. 1 ECT erklärte sich jeder Unterzeichner des Vertrages damit einverstanden, den Vertrag bis zum Inkrafttreten für den Unterzeichner in dem bereits beschriebenen Umfang auf vorläufiger Basis anzuwenden.595 Russland machte seinerzeit von der den Unterzeichnern gegebenen Opt-out-Möglichkeit, im Gegensatz zu anderen Staaten, keinen Gebrauch und wendete den Vertrag seit seiner Unterzeichnung bis zum 18. Oktober 2009 vorläufig an.596 Dementsprechend war die Russische Föderation – bis zur Beendigung der vorläufigen Anwendung – völkerrechtlich an die Bestimmungen des ECT gebunden, wenn auch die völkerrechtliche Bindung während der nur vorläufigen Anwendung des Vertrages unter dem Vorbehalt der Vereinbarkeit der ECT-Normen mit innerstaatlichem Recht stand. Es ist nicht ohne weiteres ersichtlich, weshalb die Normen über internationale Schiedsverfahren – sei es im Verhältnis Investor-Staat nach Art. 26 ECT oder im Verhältnis Staat-Staat nach Art. 27 ECT – davon ausgenommen gewesen sein sollten.
bb) Vorläufig angewendete Verträge und Schiedsklauseln generell Zur abstrakten Beantwortung der Frage, ob ein Investor grundsätzlich auf ein Schiedsverfahren zurückgreifen kann, welches in einem nur vorläufig angewendeten völkerrechtlichen Vertrag wie dem ECT oder ei-
595 596
Siehe oben (F.I0). Siehe oben (F.II).
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nem BIT597 vorgesehen ist, bietet es sich an, zunächst zu der Frage Stellung zu nehmen, ob ein Staat gegenüber einem anderen Staat auf das in einem von ihnen (nur) vorläufig angewendeten Vertrag vorgesehene Schiedsverfahren zurückgreifen kann. Picone598 hat die Auffassung vertreten, dass die nicht bindende Natur einer Vereinbarung über die vorläufige Anwendung eines Vertrages sowie die Möglichkeit, die vorläufige Vertragsanwendung mühelos zu beenden, ein Schieds- oder Gerichtsverfahren allgemein nicht zulassen, und zwar selbst dann, wenn die Zuständigkeit des Gerichts auf einer separaten Grundlage, etwa einer Erklärung nach Art. 36 Abs. 2 des IGH-Statuts (Fakultativklausel), beruht. Dies muss konsequenterweise erst recht gelten, wenn die Schiedsklausel in dem nur vorläufig angewendeten Vertrag selbst enthalten ist. Wer hingegen der auch hier vertretenen Auffassung folgt, nach der die Vereinbarung der vorläufigen Anwendung eines Vertrages als eine im vereinfachten Vertragsschlussverfahren abgeschlossene und völkerrechtlich bindende Vereinbarung angesehen wird,599 gelangt – wenn die Zuständigkeit des Gerichts auf einer separaten Grundlage beruht – klar zum entgegengesetzten Ergebnis: Als Vertrag mit voller Bindungswirkung unterliegt die Vereinbarung der vorläufigen Anwendung eines Vertrages Streitbeilegungsverfahren in demselben Umfang, wie andere völkerrechtliche Verträge.600 Dies gilt nicht nur dann, wenn die Gerichtszuständigkeit auf einer separaten Grundlage beruht, sondern muss grundsätzlich auch dann gelten, wenn die relevante Schiedsklausel selbst in dem nur vorläufig angewendeten Vertrag enthalten ist. Denn insoweit ähnelt die rechtliche Situation jener, die besteht, wenn eine Schiedsklausel in einem Vertrag enthalten ist, dessen (fortbestehende) Wirksamkeit oder dessen Anwendbarkeit auf den Streit von einer Partei angezweifelt wird.601 Zudem spricht aus völkerrechtlicher Perspektive nichts dagegen, dass eine Schiedsver597
Typischerweise werden BITs nicht vorläufig angewendet, denkbar ist dies jedoch. 598
Vgl. Picone, L’applicazione in via provvisoria degli accordi internazionali, S. 208 f. 599 600 601
Siehe oben (F.I.1). Montag, Völkerrechtliche Verträge mit vorläufigen Wirkungen, S. 73.
Vgl. dazu IGH, 19.05.1953, Ambatielos Case (Greece v. United Kingdom), ICJ Reports 1953, p. 10 ff. Diese Rechtsregel wurde auch für Schiedsverfahren zwischen Privaten und Staaten bestätigt. Siehe etwa Ad hoc Tribunal, Libyan American Oil Company (LIAMCO) v. the Government of the Libyan Arab Republic, ILM 20 (1981), S. 40.
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G. Fragestellungen hinsichtlich der Beziehungen im Energiebereich
einbarung bindend im vereinfachten Vertragsschließungsverfahren getroffen wird.602 Auch daraus kann a maiore ad minus gefolgert werden, dass sich ein Staat auf eine Schiedsklausel in einem nur vorläufig angewendeten Vertrag grundsätzlich stützen kann. Es besteht keine Veranlassung, von diesem Grundsatz abzuweichen, wenn Begünstigte einer Schiedsklausel nicht die vertragsschließenden Staaten, sondern deren Investoren sind. Auch ausländische Investoren können sich folglich grundsätzlich auf die Zustimmung eines Staates zu einem Schiedsverfahren berufen, wenn der Vertrag, der die Schiedsklausel enthält, von dem betreffenden Staat vorläufig angewendet wird.
cc) Vorläufige Anwendung des ECT allgemein und ECTSchiedsklauseln Auf den Energiecharta-Vertrag übertragen bedeutet dies, dass sich aus völkerrechtlicher Perspektive eine Jurisdiktion der in Art. 26 und 27 ECT vorgesehenen Schiedsgerichte nicht allein deshalb verbietet, weil dem Völkerrecht die Anwendung einer Schiedsklausel aus einem nur vorläufig angewendeten Vertrag fremd sei. Auch das formale Argument, dass Artikel 26 und 27 ECT sich auf „Vertragsparteien“ beziehen, während Russland nie „Vertragspartei“ wurde, sondern nur „Unterzeichner“ blieb, überzeugt nicht. Zwar wäre es klarer, wenn in Art. 26 Abs. 3 lit. a) ECT stünde „jede Vertragspartei und jeder Unterzeichner, der im Rahmen der vorläufigen Anwendung dieses Vertrages an dessen Bestimmungen gebunden [...]“. Notwendig ist eine solche Formulierung jedoch nicht. Denn Sinn der Vereinbarung der vorläufigen Anwendung nach Art. 45 Abs. 1 ECT war gerade, Pflichten, die der Vertrag für Vertragsparteien vorsieht, so umfänglich, wie dies nach dem innerstaatlichen Recht eines jeden einzelnen Unterzeichners möglich ist, auch auf den jeweiligen Unterzeichner zu erstrecken, wenn dieser (noch) nicht Vertragspartei ist. Jedes andere Verständnis des Art. 45 ECT würde diesen seines Sinnes entleeren und in sich widersprüchlich machen. So zeigt beispielsweise Art. 45 Abs. 3 lit. b) ECT, dass Verpflichtungen der Unterzeichner nach den Teilen III603 und V604 während der nur vorläu-
602 So geschehen im Accord d’Alger vom 31.08.1989 zwischen Libyen und dem Tschad (UNTS, Reg.-Nr. 26801, Volume 1545, S. 101). Zur Anwendung der Vereinbarung siehe IGH, 03.02.1994, Differend térritorial (Jamahiriya arabe libyenne/Tchad), C.I.J. Recueil 1994, p. 6 ff. 603
Förderung und Schutz von Investitionen.
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figen Anwendung des Vertrages gegenüber Investoren anderer Unterzeichner existieren müssen, denn diese bleiben gemäß der Norm bestehen, selbst wenn der Unterzeichner die vorläufige Anwendung des Vertrages beendet, und dies für eine Dauer von 20 Jahren.605 Daraus ist zu schlussfolgern, dass alle Unterzeichner des ECT, die nicht von der Optout-Möglichkeit des Art. 45 Abs. 2 lit. a) ECT Gebrauch gemacht haben, sich schon während der nur vorläufigen Anwendung des Vertrages den im ECT vorgesehenen Schiedsverfahren – im Rahmen des Art. 45 Abs. 1 ECT – unterworfen haben, namentlich zugunsten der Investoren anderer Vertragsparteien bzw. der Investoren anderer – den Vertrag vorläufig anwendender – Unterzeichner. Wälde606 hat daher treffend festgestellt: „[Provisional application] provides the opportunity for investors and their counsel to raise, as of 17 December 1994, the Treaty’s treatment obligation and litigate directly against governments under Art. 26. It would be up to governments to prove that the national law defence applies.“ Dem ist auch das Schiedsgericht in der Sache Kardassopoulos versus Georgia gefolgt, als es über seine Zuständigkeit ratione temporis zu entscheiden hatte.607
dd) Vorläufige Anwendung des ECT speziell durch Russland und ECTSchiedsklauseln Der soeben festgestellte Grundsatz gilt auch für Russland, welches den ECT vom 17. Dezember 1994 bis zum 18. Oktober 2009 vorläufig anwendete. Nachdem oben bereits dargestellt wurde, dass keine innerstaatliche russische Norm der vorläufigen Anwendung des ECT durch Russland in einer nach Art. 45 Abs. 1 ECT beachtlichen Weise entgegenstand,608 ist nun zu klären, ob eventuell die in Art. 26 Abs. 3 lit. a) ECT enthaltene 604
Streitbeilegung.
605
Die Regelung verläuft parallel zu der in Art. 47 Abs. 3 ECT getroffenen, welche ihrerseits im Fall des Rücktritts vom Vertrag Anwendung findet. 606
Wälde in: Wälde (Hrsg.), The Energy Charter Treaty, S. 314.
607
International Centre for Settlement of Investment Disputes, 06.07.2007 – ICSID Case No. ARB/05/18, Ioannis Kardassopoulos v. Georgia, Decision on Jurisdiction, Rn. 196 ff. Vgl. auch zuvor schon International Centre for Settlement of Investment Disputes, 28.10.2005 – ICSID Case No. ARB/03/24, Plama Consortium Ltd. (Cyprus) v. Bulgaria, Decision on Jurisdiction, Rn. 140. 608
Siehe oben (F.II.1.b)).
202
G. Fragestellungen hinsichtlich der Beziehungen im Energiebereich
Unterwerfung unter internationale Schiedsgerichtsbarkeit als unvereinbar mit – nach Art. 45 Abs. 1 ECT zu berücksichtigendem – innerstaatlichen russischen Recht angesehen werden musste. Bejahendenfalls wäre Russland während der vorläufigen Anwendung des EnergiechartaVertrages völkerrechtlich nicht an Art. 26 ECT gebunden gewesen.
(1) Kein Verbot der Unterwerfung unter internationale (Schieds-) Gerichte Weder in der russischen Verfassung noch in russischen Gesetzen noch in anderen russischen Rechtsakten findet sich ein explizites Verbot in Bezug auf die Unterwerfung unter die Gerichtsbarkeit eines internationalen (Schieds-) Gerichts. Dies kann auch nicht verwundern. Denn Russland erkennt die Zuständigkeit internationaler (Schieds-) Gerichte ohne weiteres an, wenn die entsprechende Schiedsklausel sich in einem völkerrechtlichen Vertrag befindet, der für Russland in Kraft getreten ist. Dies gilt gleichermaßen für die Beilegung von Streitigkeiten im Verhältnis Staat-Staat609 wie für die Beilegung von Streitigkeiten im Verhältnis Investor-Staat.610 Im Rahmen der Europäischen Menschenrechtskonvention hat sich Russland sogar der Zuständigkeit des EGMR für Individualbeschwerden nach Art. 34 EMRK unterworfen. Die Frage lautet jedoch nicht, ob eine innerstaatliche russische Norm dem Unterworfensein Russlands unter eine internationale Schiedsgerichtsbarkeit entgegensteht, wenn sich die Schiedsklausel in einem Ver609
Siehe etwa Art. IX der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes, Art. 22 des Internationalen Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form der Rassendiskriminierung, Art. 33 EMRK sowie die Russland bindenden BITs. 610
Davon zeugen sowohl die BITs, welche Russland gegenwärtig völkerrechtlich binden, als auch Art. 8 des Modellvertrages für russische BITs. Zu letzterem siehe die Verordnung der Regierung der Russländischen Föderation vom 9. Juni 2001 N 456 „Über den Abschluss von Vereinbarungen zwischen der Regierung der Russländischen Föderation und Regierungen ausländischer Staaten über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen“. Auch Art. 10 des Föderalen Gesetzes vom 9. Juli 1999 N 160-FZ „Über ausländische Investitionen in der Russländischen Föderation“ sieht – unter bestimmten Voraussetzungen – internationale Schiedsverfahren vor. Zudem darf nach Art. 22 des Föderalen Gesetzes vom 30. Dezember 1995 N 225-FZ „Über Production Sharing Agreements“ eine PSA-bezogene Streitigkeit zwischen dem Staat und einem Investor internationaler Schiedsgerichtsbarkeit unterworfen werden.
Investitionsregime für Investitionen im Energiesektor
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trag befindet, der für Russland in Kraft getreten ist.611 Die Frage lautet vielmehr, ob russische Rechtsvorschriften dem entgegenstehen, dass Russland einem Schiedsgericht unterworfen sein soll, obwohl der Vertrag, der die Schiedsklausel enthält, für Russland nicht in Kraft getreten ist, sondern bloß vorläufig – und darüber hinaus nur unter dem Vorbehalt der Vereinbarkeit mit innerstaatlichem Recht – angewendet wird. In dreierlei Hinsicht können sich dahingehend Bedenken ergeben.
(2) Ratifikationserfordernis für die Unterwerfung unter Schiedsgerichtsbarkeit nach dem ZMD? Erstens könnte der Verfassung und dem ZMD zwischen den Zeilen – gerade mit Blick auf grundsätzliche Bedenken verfassungsrechtlicher Art, denen die vorläufige Anwendung internationaler Verträge begegnet – zu entnehmen sein, dass die Unterwerfung unter ein Schiedsgericht der Ratifikation durch die Duma bedarf. Allerdings bietet dahingehend weder die Verfassung noch das ZMD einen wirklich greifbaren Ansatz. Im Gegenteil: Nach Art. 6 Punkt 1 ZMD ist es möglich, die Zustimmung, durch einen völkerrechtlichen Vertrag gebunden zu sein, schon durch die bloße Unterzeichnung des Vertrages auszudrücken, – und dies, ohne dass der Artikel Einschränkungen hinsichtlich der Unterwerfung unter internationale (Schieds-) Gerichtsbarkeit enthält. Nach Art. 15 Punkt 1 lit. a) ZMD unterliegen zwar Verträge der Ratifikation, wenn sie andere Regeln als die im Gesetz vorgesehenen vorschreiben. Da es aber keine gesetzliche Norm gibt, welche der Unterwerfung unter internationale Schiedsgerichtsbarkeit entgegenstünde, unterliegen Vereinbarungen, welche internationale Streitbeilegung vorsehen, diesem Ratifikationserfordernis nicht. Insbesondere ergibt sich nichts anderes aus dem Verfassungsgesetz über das Gerichtssystem,612 dem Verfassungsgesetz über Wirtschaftsgerichte,613 dem Zivilprozess-
611
Die Schiedsklausel in einem für Russland in Kraft befindlichen völkerrechtlichen Vertrag würde nach Art. 15 Abs. 4 S. 2 VRF ohnehin einer gegebenenfalls entgegenstehenden Gesetzesnorm vorgehen. 612
Föderales Verfassungsgesetz vom 31 Dezember 1996 N 1-FKZ „Über das Gerichtssystem der Russländischen Föderation“. 613
Föderales Verfassungsgesetz vom 28. April 1995 N 1-FKZ „Über Wirtschaftsgerichte in der Russländischen Föderation“.
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gesetzbuch614 oder dem Wirtschaftsprozessgesetzbuch.615 Diese Gesetze bzw. Gesetzbücher regeln zwar das Gerichtswesen der Russischen Föderation, enthalten aber kein Verbot der Unterwerfung Russlands unter internationale Schiedsgerichtsbarkeit. Die genannten russischen Gesetze bzw. Gesetzbücher sind insoweit vergleichbar dem GVG, der ZPO und der VwGO in Deutschland sowie entsprechenden Gesetzbüchern, Gesetzen und Prozessordnungen in allen anderen ECT-Unterzeichnern. Würde Art. 45 Abs. 1 ECT dergestalt verstanden, dass die Berufung auf Art. 26 ECT während der vorläufigen Anwendung des Vertrages durch einen Unterzeichner bereits dann ausgeschlossen ist, wenn der Unterzeichner sein Gerichtswesen gesetzlich organisiert und dabei Zuständigkeitsregelungen getroffen hat, so wäre faktisch gegen keinen Unterzeichner, der den Vertrag (noch) nicht ratifiziert hat, ein Schiedsverfahren denkbar gewesen. Dieses Verständnis ließe sich jedoch nicht mit Art. 45 Abs. 3 lit. b) ECT vereinbaren und widerspräche zugleich der Intention der Unterzeichner, möglichst schnell Investitionen ausländischer Investoren anzuregen. Auch das Ratifikationserfordernis nach Art. 15 Punkt 1 lit. d) ZMD für Verträge über die Teilnahme Russlands an internationalen Organisationen, falls deren Organe für Russland juristisch bindende Entscheidungen treffen können, erscheint in Bezug auf die Schiedsklauseln des ECT nicht einschlägig. Denn erstens hat das dort stipulierte Ratifikationserfordernis offensichtlich Organisationen wie die UN oder die EU im Sinn – während der Energiecharta-Prozess weniger Organisations- als vielmehr Konferenzcharakter hat. Zweitens können Entscheidungen von ad hoc gebildeten Schiedsgerichten schwerlich als Entscheidungen von Organen einer internationalen Organisation gelten, selbst wenn vom Vorhandensein einer internationalen Organisation ausgegangen würde.616 Wenn aber die Unterwerfung unter ein internationales Schiedsgericht nach Art. 6 Punkt 1 ZMD bereits im vereinfachten Vertragsschließungsverfahren möglich ist, so muss dies erst recht durch die Zustimmung zur vorläufigen Anwendung nach Art. 23 Punkt 1 ZMD – als Minus zum vereinfachten Vertragsschließungsverfahren – möglich sein.
614 615 616
Zivilprozessgesetzbuch vom 14. November 2002 N 138-FZ. Wirtschaftsprozessgesetzbuch vom 24. Juli 2002 N 95-FZ.
Vgl. auch Teil VII des ECT (Strukturelle und Institutionelle Bestimmungen), wo zwar die Energiechartakonferenz und das Sekretariat, nicht aber die Schiedsgerichte erwähnt werden.
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(3) Schwache Stellung nichtratifizierter Verträge in der russischen Rechtsordnung Bedenken hinsichtlich der Unterwerfung Russlands unter ein ECTSchiedsverfahren während der nur vorläufigen Anwendung des Vertrages – und dies unter dem Vorbehalt der Vereinbarkeit seiner Normen mit innerstaatlichem Recht – könnten sich zweitens darauf stützen, dass bloß vorläufig angewendeten Verträgen nach russischem Verständnis nur eine sehr schwache Stellung zukommt. Dahingehend ist zunächst auf die grundsätzlich einfache Beendbarkeit vorläufig angewendeter Verträge zu verweisen (vgl. Art. 25 Abs. 2 WVK). Bedeutender ist jedoch ein anderer Aspekt: Während nach Art. 15 Abs. 4 S. 1 VRF – neben allgemein anerkannten Prinzipien und Normen des Völkerrechts – die in Kraft getretenen völkerrechtlichen Verträge der Russländischen Föderation Bestandteil ihres Rechtssystems sind, gilt dies nicht für ratifikationsbedürftige jedoch noch nicht ratifizierte völkerrechtliche Verträge, selbst wenn diese vorläufig angewendet werden.617 Nicht ratifizierten aber ratifikationsbedürftigen Verträgen kommt in der innerstaatlichen russischen Rechtsordnung vielmehr keinerlei Bedeutung zu. Allerdings hat die Stellung eines internationalen Vertrages in der innerstaatlichen Normenhierarchie grundsätzlich keinerlei Einfluss auf die völkerrechtliche Bindung des betreffenden Staates durch den betreffenden Vertrag. Dies muss gleichermaßen für einen vorläufig angewendeten Vertrag gelten. Denn die Vereinbarung der vorläufigen Anwendung ist selbst als völkerrechtlicher Vertrag zu qualifizieren, der seinerseits im vereinfachten Vertragsschließungsverfahren abgeschlossen wird.618 Auch wenn, wie im Falle des Art. 45 Abs. 1 ECT, die Vereinbarung der vorläufigen Anwendung nur unter dem Vorbehalt der Vereinbarkeit der vorläufigen Anwendung mit innerstaatlichem Recht erfolgt, ändert sich daran nichts. Denn aus völkerrechtlicher Perspektive kann Grund für eine Verminderung des Grades der völkerrechtlichen Bindung nach Art. 45 Abs. 1 ECT nur konkretes – einer Norm des Vertrages entgegenstehendes – innerstaatliches Recht sein, nicht jedoch der Umstand, dass niemand sich im innerstaatlichen Bereich auf den nur vorläufig angewendeten Vertrag berufen kann.
617
Siehe oben (F.II.1.c)bb)(3)). Siehe auch Pritzkow, Osteuropa-Recht 2008, Nr. 6, S. 402 ff. 618
Siehe oben (F.I.1).
206
G. Fragestellungen hinsichtlich der Beziehungen im Energiebereich
(4) Kontinuität des sowjetischen Souveränitätsdogmas Bedenken hinsichtlich der Unterwerfung Russlands unter ein ECTSchiedsverfahren während der nur vorläufigen Anwendung des Vertrages nach Art. 45 Abs. 1 ECT könnten sich drittens mit Blick auf eine gewisse Kontinuität im sowjetisch-russischen Rechtsdenken ergeben, namentlich in Bezug auf das sowjetische Souveränitätsdogma.619 Dieses wirkt nämlich auch im modernen russischen Völkerrecht in vielgestaltiger Hinsicht fort, unter anderem bei der generellen Einstellung Russlands gegenüber internationalen (Schieds-) Gerichten.620 Die obligatorische Unterbreitung internationaler Streitigkeiten zur Erledigung durch den Internationalen Gerichtshof (IGH) ist von der sowjetischen Völkerrechtsdoktrin immer als mit der staatlichen Souveränität unvereinbar abgelehnt worden. Gleiches gilt für andere obligatorische Verfahren zur Streiterledigung. Letztlich, so die sowjetische Völkerrechtslehre, gebe es keine höhere Autorität als die Staaten selbst, welche entscheiden könnte, ob eine Norm des internationalen Rechts verletzt wurde oder nicht.621 Eine Erklärung nach Art. 36 Abs. 2 des IGH-Statuts (Fakultativklausel), hat die sowjetische Seite nie abgegeben. Zudem haben sich die UdSSR, die Ukrainische SSR und die Weißrussische SSR bei der Ausarbeitung der Wiener Vertragsrechtskonvention entschieden gegen die Zuständigkeit des IGH und das formalisierte Streitschlichtungsverfahren des Art. 66 WVK gestellt; als die drei sowjetischen Staaten dann 1986 der Konvention beitraten, erklärten sie den Vorbehalt, dass sie sich an die Konventionsregeln hinsichtlich der obligatorischen Streiterledigung nicht gebunden sehen. Die Zuständigkeit des IGH oder anderer internationaler (Schieds-) Gerichte wurde von sowjetischer Seite vielmehr nur punktuell – sowie nur für in Kraft getretene und die UdSSR völkerrechtlich bindende Verträge – anerkannt. Zwar steht Russland heute der Streiterledigung durch internationale (Schieds-) Gerichte tendenziell offener gegenüber als die Sowjetuni-
619
Zum Souveränitätsdogma als Grundpfeiler der sowjetischen Völkerrechtsdoktrin siehe Meissner, Die Sowjetunion, die baltischen Staaten und das Völkerrecht, S. 159 ff. und Bracht, Entwicklung und Grundzüge der sowjetischen Völkerrechtstheorie, S. 139 ff. 620 621
Ausführlicher Pritzkow, Osteuropa-Recht 2008, Nr. 6, S. 404 ff.
Vgl. Tunkin in der ILC, YBILC 1966, vol. 1, part II, 845th meeting, S. 5, para 30.
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on.622 Allerdings hat die Russische Föderation bisher weder eine Erklärung nach Art. 36 Abs. 2 des IGH-Statuts (Fakultativklausel) abgegeben noch den von der UdSSR abgegebenen Vorbehalt in Bezug auf Art. 66 WVK zurückgezogen. Dies deutet darauf hin, dass die Russische Föderation wohl – in Kontinuität zur sowjetischen Völkerrechtsdoktrin – einer obligatorischen Zuständigkeit internationaler Gerichte bzw. Schiedsgerichte ablehnend gegenübersteht.623 Zu fragen ist jedoch, ob die Fortsetzung des sowjetischen Souveränitätsdogmas hinsichtlich der generellen Einstellung gegenüber internationalen (Schieds-) Gerichten als erheblich i.S.d. Art. 45 Abs. 1 ECT angesehen werden kann bzw. angesehen werden muss. Dies ist im Ergebnis abzulehnen. Das Souveränitätsdogma lässt sich nämlich, selbst wenn es – was nicht der Fall ist – in seiner Absolutheit weiterbestünde, nicht unter die Voraussetzungen des Art. 45 Abs. 1 ECT subsumieren. Es war und ist nämlich – zumindest was den Aspekt der Unterwerfung unter internationale (Schieds-) Gerichtsbarkeit betrifft – nicht in der russischen Verfassung fixiert624 und kann auch nicht als eine der „sonstige Rechtsvorschriften“625 i.S.d. Art. 45 Abs. 1 ECT angesehen werden. Vielmehr handelt es sich bei ihm lediglich um ein (politisches) Postulat, welchem nicht die Qualität einer Rechtsvorschrift zukommt. Dass ein solches Postulat i.S.d. Art. 45 Abs. 1 ECT unbeachtlich sein muss, geht auch aus dem verbindlichen Vertragswortlaut in russischer Sprache 622
Siehe dazu Pritzkow, Osteuropa-Recht 2008, Nr. 6, S. 405, der dahingehend auf den Beitritt Russlands zur EMRK sowie auf die Ratifikation zahlreicher BITs durch Russland Bezug nimmt. 623
So schon Pritzkow, Osteuropa-Recht 2008, Nr. 6, S. 406. Vgl. auch Johnson in: Johnson (Hrsg.), Perspectives on EU-Russia relations, S. 189, die russischen Behörden eine generelle Abneigung bescheinigt, unabhängige Schiedsgerichtsbarkeit in PSAs einzuschließen. 624
Zwar ist in der russischen Verfassung an verschiedenen Stellen – etwa in Art. 3 Abs. 1, Art. 4 Abs. 1, Art. 67 Abs. 2 und Art. 80 Abs. 2 VRF – von Souveränität bzw. souveränen Rechten die Rede. Diese Erwähnungen stehen jedoch erkennbar in keinem Zusammenhang mit der Frage nach Zulässigkeit oder Unzulässigkeit einer Unterwerfung Russlands unter internationale (Schieds-) Gerichte. Es geht in den genannten Artikeln vielmehr allein um die Benennung des Trägers der Souveränität, um ihre räumlichen Erstreckung und um ihre Verteidigung durch den Präsidenten. 625
Englisch: „regulations“; Französisch: „règlements“; Italienisch: „regolamenti“; Russisch: „normativnye akty“; Spanisch: „reglamentos“. Nach Art. 50 ECT sind die Vertragswortlaute in deutscher, englischer, französischer, italienischer, russischer und spanischer Sprache gleichermaßen verbindlich.
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G. Fragestellungen hinsichtlich der Beziehungen im Energiebereich
deutlich hervor. Dort wird nämlich für „sonstige Rechtsvorschriften“ der Terminus „normativnye akty“ (Normativakte) verwendet, der untergesetzliche Rechtsnormen wie Verordnungen und Verfügungen bezeichnet, welche gewöhnlich im BNA veröffentlicht werden. Der ECT bezweckte insbesondere, Investitionen ausländischer Investoren in den Energiesektor der ehemals kommunistischen Staaten schnell zu stimulieren. Dies gilt namentlich für den Energiesektor Russlands. Gerade mit Blick darauf wurde die vorläufige Anwendung des ECT vereinbart. Investoren sollte sofort mit Unterzeichnung des ECT durch einen transparenten und stabilen Rechtsrahmen so viel Sicherheit gegeben werden, dass sie nicht erst das Inkrafttreten des ECT abwarten würden, bevor sie mit der Tätigung von Investitionen beginnen. Dies ergibt sich deutlich aus dem schon mehrfach erwähnten Art. 45 Abs. 3 lit. b) ECT, nach dem ein Unterzeichner, der den Vertrag vorläufig anwendet, selbst für den Fall, dass er sich entschließen sollte, nicht Vertragspartei zu werden und die vorläufige Anwendung des Vertrages zu beenden, in Bezug auf Investitionen, die während des Zeitraums der vorläufigen Anwendung von Investoren anderer Unterzeichner getätigt wurden, für 20 Jahre nach Beendigung der vorläufigen Anwendung verpflichtet bleibt, die Teile III und V anzuwenden. Teil III widmet sich der Förderung und dem Schutz von Investitionen; Teil V widmet sich der Streitbeilegung. Bei dieser expliziten Bezugnahme in Art. 45 ECT auf das Investitionsschutzregime des Vertrages und auf seine Schiedsverfahren erschiene es – auch mit Blick auf das Transparenzgebot des Art. 20 ECT – nicht nachvollziehbar, wenn Russland sich gegenüber einem Investor eines anderen Unterzeichners auf ein – seit Unterzeichnung des Vertrages bis heute – in keiner Rechtsnorm fixiertes Postulat berufen könnte, um sich der Jurisdiktion eines nach Art. 26 ECT gebildeten Schiedsverfahrens zu entziehen.
(5) Ergebnis Einwendungen Russlands ratione temporis gegen die Jurisdiktion eines nach Art. 26 ECT angerufenen Schiedsgerichtes können, wenn sie sich allein auf die Nichtratifizierung des ECT durch Russland stützen, nach alledem keinen Erfolg haben.626 Mangels einer entgegenstehenden innerstaatlichen russischen Rechtsnorm erstreckt sich die in Art. 45 Abs.
626
Der mögliche Erfolg von sonstigen Einwendungen, insbesondere Einwendungen ratione personae und ratione materiae bleibt davon unberührt.
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1 ECT gegebene Zustimmung zur vorläufigen Anwendung des Vertrages auch auf Art. 26 ECT.627 Zwar war Russland – während der vorläufigen Anwendung des ECT – nicht gehindert, ein Gesetz zu erlassen, welches explizit die Unterwerfung Russlands unter ein internationales Schiedsgericht in Bezug auf einen nur vorläufig angewendeten Vertrag untersagt hätte. Dies hat Russland jedoch nie getan. Zudem hätte durch eine solche Gesetzesänderung der für bereits getätigte Investitionen bestehende völkerrechtliche Schutzgrad, zu dem insbesondere die Möglichkeit zählt, ein internationales Schiedsgericht anzurufen, aufgrund des Art. 45 Abs. 3 lit. b) ECT nicht vermindert werden können.628 Sie hätte vielmehr nur Auswirkungen auf ihr zeitlich nachfolgende Investitionen gehabt.
f) Reichweite des Investitionsschutzes nach dem ECT während bzw. aufgrund seiner vorläufigen Anwendung Wenn sich ein Schiedsgericht nach Art. 26 ECT i.V.m. Art. 45 Abs. 1 für zuständig befindet, in einem Schiedsverfahren Investor-Russland zu entscheiden, so ist bei der Behandlung der Streitigkeit on the merits (Begründetheitsprüfung) die außergewöhnliche Fassung des Art. 45 Abs. 1 ECT weiterhin von Bedeutung. Nach den oben erarbeiteten Grundsätzen ist Russland nämlich an die Bestimmungen des ECT zum Investitionsschutz nur dann völkerrechtlich gebunden, wenn innerstaatliche russische Rechtsnormen dem nicht entgegenstehen. Maßgeblich sind jene Normen, die zum Zeitpunkt der angegriffenen Beeinträchtigung der Investition bestehen oder jene, die zum Zeitpunkt der Tätigung der Investition bestanden, je nachdem welches der beiden Rechtsregime für den Investor auf völkerrechtlicher Ebene mehr Schutz 627
Vgl. auch Klaus, TDM Volume 2, Issue 3, June 2005. Zum gleichen Ergebnis kam auch das Ad-hoc-Tribunal in den Jukos-Fällen; siehe dazu die Alternativbetrachtung des Tribunals zu dem von ihm vertretenen All-or-NothingApproach: Ad hoc Tribunal, 30.11.2009 – PCA Case No. AA 227, Yukos Universal Ltd. (UK – Isle of Man) v. Russian Federation, Interim Award on Jurisdiction and Admissibility, Rn. 347 ff., Ad hoc Tribunal, 30.11.2009 – PCA Case No. AA 228, Veteran Petroleum Trust (Cyprus) v. Russian Federation, Interim Award on Jurisdiction and Admissibility, Rn. 347 ff., Ad hoc Tribunal, 30.11.2009 – PCA Case No. AA 226, Hulley Enterprises Ltd. (Cyprus) v. Russian Federation, Interim Award on Jurisdiction and Admissibility, Rn. 347 ff. 628
Siehe oben (F.I.2.d)cc)).
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G. Fragestellungen hinsichtlich der Beziehungen im Energiebereich
bietet. Die Beweislast für die Existenz von russischen Rechtsnormen, die ECT-Bestimmungen entgegenstehen, trägt die Russische Föderation. Im Rahmen dieser Arbeit ist es nicht möglich, das gesamte gegenwärtige russische Rechtssystem auf Normen zu durchsuchen, die ECTBestimmungen entgegenstehen. Eine solche Suche ist auch nicht sinnvoll. Denn für einen Investor, der ein auf den ECT gestütztes Schiedsverfahren einleitet, ist vor allem das Rechtsregime relevant, welches zur Zeit der Tätigung seiner Investition bestand, sowie eventuell noch nachfolgende Rechtsregime. Die dahingehend notwendige Fall-zu-FallBetrachtung kann nur ein zuständiges Schiedsgericht durchführen. Gleichwohl sollen hier – vor allem mit Blick auf bisher zugängliche Informationen hinsichtlich der Ereignisse um Jukos, Sakhalin-II und Kovykta – einige allgemeine Überlegungen zu den Themenkreisen Enteignung, Schlüsselpersonal und Schutz vor Diskriminierung angestellt werden.
aa) Enteignung Artikel 13 ECT schützt – wie moderne BITs und Art. 1110 des NAFTA – vor Enteignung bzw. enteignungsgleichen Maßnahmen.629 In diesem Kontext können steuerrechtliche Maßnahmen, umweltschutzrechtliche Maßnahmen sowie Maßnahmen im Zusammenhang mit der Verletzung von Auflagen, welche bei einer Lizenzerteilung ausgesprochen wurden, von Bedeutung sein.
(1) Steuerrechtliche Maßnahmen Artikel 21 ECT, der Aussagen zum Themenkreis Besteuerung enthält, steht nicht in Teil III des Vertrages. Aus diesem Grund unterfällt der Artikel grundsätzlich nicht dem Schiedsverfahren Investor-Staat. Etwas anderes gilt allerdings nach Art. 21 Abs. 5 ECT i.V.m. Art. 13 ECT für den Fall, dass eine enteignende Besteuerung behauptet wird. Dahingehend ist in Art. 21 Abs. 5 lit. b) ECT ein besonderes Verfahren nieder629
Wann die Schwelle zwischen zulässiger staatlicher Regulierung und einer verbotenen Enteignung bzw. enteignungsgleichen Maßnahme überschritten wird, ist allerdings im Einzelnen umstritten. Siehe dazu Krajewski/Ceyssens, AVR 45 (2007), S. 180 ff. sowie Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 19 Rn. 6 ff.
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gelegt, welches Anwendung finden soll, wenn sich aufgrund des Art. 13 ECT die Frage ergibt, ob eine Steuer eine Enteignung darstellt630 oder ob eine Steuer, die angeblich eine Enteignung darstellt, diskriminierend ist. Im Rahmen dieses Verfahrens muss die zuständige Steuerbehörde involviert werden. Die simple Erhöhung einer Steuer und die Durchsetzung bestehender Steuernormen können grundsätzlich nicht als enteignende Besteuerung angesehen werden; wie sich u.a. aus Art. 18 Abs. 3 ECT ergibt, wollten die Unterzeichner ihre Souveränität und Gestaltungsspielräume in Bezug auf Steuern behalten. Die russische Steuergesetzgebung findet sich im Nalogovyj kodeks Rossijskoj Federacii (NKRF).631 Normen in diesem Gesetzbuch konnten grundsätzlich den Grad der völkerrechtlichen Bindung Russlands an ECT-Bestimmungen während der nur vorläufigen Anwendung des Vertrages einschränken; dies ist gegenwärtig noch von Bedeutung in Bezug auf Investitionen, welche nach dem 18. Oktober 2009 weiterhin – aufgrund der früheren vorläufigen Anwendung – grundsätzlich den Schutz des Energiecharta-Vertrages genießen. Wie bereits erwähnt, konnte und kann allerdings eine nachträgliche Gesetzesänderung nicht den Schutzgrad für eine bereits getätigte Investition eines ausländischen Investors vermindern.632 Zwar hatte und hat diese aus Art. 45 Abs. 3 lit. b) ECT abzuleitende Regel nicht zur Konsequenz, dass Investoren aus ECTVertragsparteien bzw. Unternehmen, an denen diese beteiligt sind, von jeder Art der Steuererhöhung oder von der Eintreibung geschuldeter Steuern verschont blieben bzw. bleiben – denn dies wäre auch dann nicht der Fall, wenn Russland durch Ratifikation ECT-Vertragspartei geworden wäre –, wohl aber, dass die Neueinführung einer Steuer mit enteignendem Charakter die bereits vor ihr getätigte Investition eines geschützten Investors nach Art. 13 ECT grundsätzlich nicht entschädigungslos beeinträchtigen darf. Da sich im russischen Steuergesetzbuch auch keine Normen finden, welche an die Staatsangehörigkeit anknüp630
Bei verständiger Würdigung der Norm scheint eine – gegebenenfalls sogar erhebliche – Verringerung der Gewinnmarge des von einer steuerlichen Maßnahme betroffenen Unternehmens nicht auszureichen. Vielmehr muss die Besteuerung im Ergebnis einer Enteignung bzw. enteignungsgleichen Maßnahme gleichkommen, also die Investition in ihrer Substanz in Frage stellen. Etwas anderes kann sich aber aus einer nach Art. 10 Abs. 1 S. 5 ECT geschützten Sondervereinbarung zwischen Investor und Gaststaat ergeben. 631
Zur Steuer auf den Abbau von Bodenschätzen siehe Kapitel 26 (Art. 334 ff.) des NKRF. 632
Siehe oben (F.I.2.d)cc)).
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G. Fragestellungen hinsichtlich der Beziehungen im Energiebereich
fende diskriminierende steuerliche Maßnahmen gestatten würden, ist Russland – hinsichtlich der aufgrund der vorläufigen Anwendung des ECT geschützten Investitionen – im Steuerbereich an die Diskriminierungsverbote des Energiecharta-Vertrages633 gebunden. Eine noch gänzlich offene Frage ist die, ob Art. 26 Abs. 5 ECT i.V.m. Art. 13 ECT bestimmte Anforderungen an das Verfahren zur Eintreibung von Steuerschulden stellt – etwa dessen Ausgestaltung derart, dass das Steuereintreibungsverfahren die Substanz einer Investition möglichst wenig beeinträchtigen muss. Zu denken wäre an eine Pflicht, dem Steuerschuldner Ratenzahlungen zu ermöglichen bzw. bei Zugriff auf seine Vermögensmasse zunächst den Kern der Geschäftsaktivität unberührt zu lassen.634 Allerdings finden sich kaum Anhaltspunkte für eine solche Pflicht im Vertrag. Allenfalls den Programmsätzen in Art. 10 Abs. 1 S. 1 und 2 ECT könnte dahingehend etwas entnommen werden. Nach Art. 10 Abs. 1 S. 1 ECT „fördert und schafft“ jede Vertragspartei stabile, gerechte, günstige und transparente Bedingungen für Investoren anderer Vertragsparteien; nach Art. 10 Abs. 1 S. 2 ECT umfassen diese Bedingungen die Verpflichtung, den Investitionen von Investoren anderer Vertragsparteien stets eine „faire und gerechte Behandlung“635 zu gewähren. Jedoch ist dem Programmsatz des Art. 10 Abs. 1 S. 1 ECT („fördert und schafft“) keine harte völkerrechtliche Verpflichtung zu entnehmen, und auch die Präzisierung der dort genannten Bedingungen im Folgesatz („faire und gerechte Behandlung“) kann kaum als die Festschreibung einer präzisen Verfahrensregelung angesehen werden. Jedenfalls ist eine Bezugnahme auf die allgemeinen Programmsätze des Art. 10 Abs. 1 S. 1 und 2 ECT zur Ableitung von (völkerrechtlich verbindlichen) Verfahrensregeln dann nicht sehr ergiebig, wenn der Vertrag vom Unterzeichner (noch) nicht ratifiziert wurde. Denn die Durchführung eines Steuereintreibungsverfahrens in voller Übereinstimmung mit innerstaatlichen Rechtsnormen kann in diesem Fall ohnehin – aufgrund der Fassung des Art. 45 Abs. 1 ECT – nicht als Völkerrechtsverstoß angesehen werden.
633
Art. 21 Abs. 5 lit. b) ECT, Art. 13 Abs. 1 lit. b) ECT, Art. 10 Abs. 1 S. 3 sowie Abs. 7 ECT. 634 Wird eine solche Pflicht bejaht, müssten zunächst Beteiligungen des Steuerschuldners an anderen Unternehmen verwertet werden, bevor die Verwertung von Assets und Kern-Assets in Betracht gezogen wird. 635
Zum Begriff der „Behandlung“ i.S.d. Art. 10 ECT siehe die Legaldefinition in Art. 10 Abs. 4 ECT.
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(2) Umweltschutzrechtliche Maßnahmen Die Grenzziehung zwischen erstens legitimer Umweltschutzregulierung bzw. Regulierung zum Schutz der Bevölkerung, welche entschädigungslos erfolgen kann, und zweitens Regulierung, die eine entschädigungspflichtige enteignungsgleiche Maßnahme darstellt, wird für multilaterale Investitionsschutzverträge kontrovers diskutiert.636 Allgemein wird davon ausgegangen, dass eine legitime, verhältnismäßige und nichtdiskriminierende Umweltschutzmaßnahme, welche Eigentumsrechte eines ausländischen Investors nicht wirtschaftlich nutzlos werden lässt und auch keine eindeutige Verletzung von Verpflichtungen darstellt, welche zuvor gegenüber dem Investor eingegangen worden sind, nicht als Enteignung bzw. enteignungsgleiche Maßnahme anzusehen ist.637 Die Zulässigkeit staatlicher Regulierung im Umweltschutzbereich wird im ECT an verschiedenen Stellen betont, u.a. in Art. 18 Abs. 3 ECT (Souveränität über Energievorkommen) und Art. 24 Abs. 2 lit. b) (i) ECT (Ausnahmebestimmungen). Darüber hinaus fordert Art. 19 ECT von den ECT-Vertragsparteien das Bemühen, schädliche Umweltauswirkungen im Zusammenhang mit einer Tätigkeit im Energiesektor auf ein Mindestmaß zu beschränken. Zwar sind die Verpflichtungen des Art. 19 ECT weich ausgestaltet; gleichwohl erscheint durch ihre Erwähnung die Gewichtung des Umweltschutzes im Vertrag gestärkt, was auch Auswirkungen auf die Grenzziehung zwischen zulässiger staatlicher Regulierung im Umweltschutzbereich und entschädigungspflichtiger Enteignung haben kann.638 Die Grenzziehung zwischen zulässiger Umweltschutzregulierung und entschädigungspflichtiger enteignungsgleicher Maßnahme folgt letztlich ähnlichen Überlegungen wie die Grenzziehung zwischen zulässiger Besteuerung und enteignender Besteuerung. Dahingehend ist festzuhalten, dass Normen, welche Umweltschutzregulierung zulassen, nicht missbraucht werden dürfen, um einen ausländischen Investor – am Investitionsschutzziel des Vertrages
636 637 638
Wälde/Kolo, ICLQ 50 (2001), S. 811 ff. Vgl. Wälde/Kolo, ICLQ 50 (2001), S. 814.
So geht beispielsweise Sornarajah in: Wälde (Hrsg.), The Energy Charter Treaty, S. 407 f. davon aus, dass ein Investor, welcher der Umwelt des Gaststaates nachweisbar Schaden zugefügt hat, nach dem ECT keine umgehende, wertensprechende und tatsächlich verwertbare Entschädigung verlangen könne, wenn mit der Enteignung weiterer Schaden von der Umwelt des Gaststaates abgehalten werden soll.
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G. Fragestellungen hinsichtlich der Beziehungen im Energiebereich
vorbei – willkürlich oder diskriminierend um seine Investition zu bringen. Dies galt und gilt im Grundsatz – und sofern kein innerstaatliches Recht dem entgegensteht – auch während der nur vorläufigen Anwendung des ECT bzw. hinsichtlich der aufgrund der vorläufigen Anwendung des Vertrages geschützten Investitionen. Artikel 42 der russischen Verfassung (VRF) postuliert das Recht eines jeden auf wohlbehaltene Umwelt sowie auf Ersatz des Gesundheitsoder Vermögensschadens, welcher ihm durch Verletzung von Umweltschutzvorschriften zugefügt worden ist. Zugleich ist nach Art. 58 VRF jeder verpflichtet, die Natur und die Umwelt zu erhalten und sorgsam mit den Naturreichtümern umzugehen. Nach Art. 36 Abs. 2 VRF wird zwar Besitz, Nutzung und Verfügungsbefugnis in Bezug auf den Boden und andere natürliche Ressourcen frei durch den Eigentümer ausgeübt, allerdings nur, sofern dies nicht der Umwelt Schaden zufügt und nicht die Rechte und gesetzlich geschützten Interessen anderer verletzt. Unterhalb dieser Verfassungsnormen gibt es eine Vielzahl von Gesetzen und untergesetzlichen Normen mit Bezug zum Umweltschutz.639 Die umfangreiche Umweltschutzregulierung in der Russischen Föderation ausführlich darzustellen, würde den Rahmen dieser Arbeit bei weitem sprengen. Erwähnt seien hier jedoch die für den Energiesektor wichtigsten Legislativakte, namentlich das Gesetz „Über den Schutz der Umwelt“,640 das Gesetz „Über technische Regulierung“,641 das Wassergesetzbuch,642 das Gesetzbuch über Ordnungswidrigkeiten643 sowie das Strafgesetzbuch.644 Alle gesetzlichen und untergesetzlichen Normen, welche Umweltschutz bezwecken, konnten bzw. können grundsätzlich den Grad der völkerrechtlichen Bindung Russlands durch den ECT während bzw. aufgrund der vorläufigen Anwendung des Vertrages nach Art. 45 Abs. 1 639
OECD (Hrsg.), Environmental Policy and Regulation in Russia, S. 24 ff.
640
Föderales Gesetz vom 10.01.2002 N 7-FZ „Über den Schutz der Umwelt“. 641
Föderales Gesetz vom 27. Dezember 2002 N 184-FZ „Über technische Regulierung“. 642
Wassergesetzbuch der Russländischen Föderation vom 3. Juni 2006 N 74-
FZ. 643
Gesetzbuch der Russländischen Föderation über Ordnungswidrigkeiten vom 30. Dezember 2001 N 195-FZ. Siehe dort Kapitel 8. 644
Strafgesetzbuch der Russländischen Föderation vom 13. Juni 1996 N 63FZ. Siehe dort Kapitel 26.
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ECT einschränken. Insofern kann auf das soeben zu steuerlichen Maßnahmen Gesagte verwiesen werden. Wie schon dort, kann auch für Gesetze und Gesetzbücher, welche Regeln zum Umweltschutz enthalten, festgestellt werden, dass sich in diesen keine Normen finden, welche an die Staatsangehörigkeit anknüpfende diskriminierende Maßnahmen gestatten würden. Diskriminierende umweltschutzrechtlich begründete Maßnahmen in Bezug auf Investitionen, welche aufgrund der vorläufigen Anwendung des ECT geschützt waren bzw. es noch sind, können daher nicht als zulässig angesehen werden; haben sie enteignenden Charakter unterfallen die davon betroffenen Investitionen dem Schutz des Art. 13 ECT.
(3) Lizenzentzug Die nach Art. 13 Abs. 1 ECT vor Enteignung bzw. enteignungsgleichen Maßnahmen geschützten Investitionen umfassen gemäß der Begriffsbestimmung des Art. 1 Nr. 6 lit. f) ECT auch das aufgrund gesetzlich zugelassener Konzessionen, Lizenzen und Genehmigungen verliehene Recht auf Ausübung einer Wirtschaftstätigkeit im Energiebereich. Konzessionsvereinbarungen werden in Russland gewöhnlich nach dem Gesetz „Über Konzessionsvereinbarungen“645 getroffen. Lizenzen für den Abbau von Energieträgern wurden bzw. werden insbesondere auf der Grundlage des Gesetzes „Über Production Sharing Agreements“646 und des Gesetzes „Über Bodenschätze“647 erteilt. Lizenzen können in Russland unter bestimmten Voraussetzungen wieder entzogen werden, etwa wenn Umweltschutzvorschriften oder Bestimmungen der Lizenzvereinbarung bzw. Auflagen nicht eingehalten werden.648 Wie schon die gesetzlichen Bestimmungen zu Besteuerung und Umweltschutz konnten bzw. können auch die gesetzlichen Bestimmungen, deren Anwendung letztlich zum Entzug einer Lizenz führen, den Umfang der völkerrechtlichen Bindung Russlands durch den ECT während bzw. aufgrund der vorläufigen Anwendung des Vertrages nach Art. 45 645
Föderales Gesetz vom 21. Juli 2005 N 115-FZ „Über Konzessionsvereinbarungen“. 646 Föderales Gesetz vom 30. Dezember 1995 N 225-FZ „Über Production Sharing Agreements“. Siehe dort Art. 4 Punkt 2. 647
Gesetz der Russländischen Föderation vom 21.02.1992 N 2395-1 „Über Bodenschätze“. Siehe dort Art. 11. 648
Siehe etwa Art. 20 und Art. 21 des Gesetzes „Über Bodenschätze“.
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G. Fragestellungen hinsichtlich der Beziehungen im Energiebereich
Abs. 1 ECT einschränken. In den relevanten russischen Regelungen finden sich jedoch – wie schon in den Regelungen zu Besteuerung und Umweltschutz – keine Normen, welche an die Staatsangehörigkeit anknüpfende diskriminierende Maßnahmen gestatten würden. Diskriminierender Lizenzentzug in Bezug auf Investitionen, welche aufgrund der vorläufigen Anwendung des ECT geschützt waren bzw. es noch sind, kann daher nicht als zulässig angesehen werden; die davon betroffenen Investitionen unterfallen dem Schutz des Art. 13 ECT. Zudem erscheint denkbar, dass ein vom ECT geschützter Investor dann den Entzug seiner Förderlizenz wegen Nichteinhaltung einer mit ihrer Erteilung verbundenen Auflage (etwa die Festlegung einer jährlichen Mindestfördermenge) beanstanden kann, wenn die Nichteinhaltung der Auflage ihre Ursache allein darin hat, dass Staatsorgane bestehende Gesetze gegen wettbewerbswidriges Verhalten (etwa in Bezug auf den Zugang zu Transportkapazität) nicht durchgesetzt haben bzw. nicht durchsetzen. Denn den Verhandlungsführern muss bei der Aushandlung des ECT klargewesen sein, dass die vom ECT bezweckten ausländischen Investitionen – insbesondere in den russischen Energiesektor und dort namentlich in Förderinfrastruktur – nicht überlebensfähig wären, wenn den Investoren nicht zugleich diskriminierungsfreier Zugang zu Beförderungsinfrastruktur gewährt würde.649
bb) Schlüsselpersonal Artikel 11 ECT enthält Regelungen zu dem für ausländische Investoren sehr wichtigen Themenkreis Personal in Schlüsselpositionen. Gemäß Art. 11 Abs. 1 ECT prüft eine Vertragspartei nach Treu und Glauben die Anträge von Investoren anderer Vertragsparteien bzw. von Personal in Schlüsselpositionen, das von solchen Investoren bzw. für deren Investitionen beschäftigt wird; dies allerdings vorbehaltlich nationaler Gesetze und sonstiger Vorschriften über Einreise, Aufenthalt und Beschäftigung natürlicher Personen. Nach Art. 11 Abs. 2 ECT erlaubt eine Vertragspartei Investoren einer anderen Vertragspartei, die in ihrem Gebiet Investitionen getätigt haben, sowie den Investitionen dieser Investoren, eine Person in Schlüsselposition ungeachtet ihrer Nationalität oder Staatsangehörigkeit zu beschäftigen; dies allerdings nur, sofern dieser Person erlaubt wird, einzureisen, sich im Staatsgebiet aufzuhalten und 649
Siehe dazu Wälde/Wouters, NYIL 1996, S. 159 und Chalker, Osteuropa 2004, Nr. 9-10, S. 61. Vgl. auch Konoplyanik/Wälde, JENRL 24 (2006), Nr. 4, S. 544, Fn. 29.
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dort zu arbeiten, und sofern die betreffende Beschäftigung den in der Erlaubnis für diese Person genannten Bedingungen, Auflagen und Fristen entspricht. Zwar ist der Begriff „Schlüsselposition“ im ECT nicht legal definiert650 und die Anforderungen an ECT-Vertragsparteien sind in diesem Zusammenhang sehr weich ausgestaltet („prüft vorbehaltlich ihrer Gesetze und sonstigen Vorschriften über die Einreise, den Aufenthalt und die Beschäftigung [...] nach Treu und Glauben“), gleichwohl hat diese Norm große praktische Bedeutung für Investoren, welche Personen ihres Vertrauens an zentralen Stellen in Bezug auf ihre Investition platzieren möchten. Die Erteilung von Einreise-, Aufenthalts- und Arbeitserlaubnissen in der Russischen Föderation richtet sich nach dem Gesetz „Über die Rechtsstellung ausländischer Staatsangehöriger“651 sowie mehreren untergesetzlichen Rechtsakten.652 Diese und andere Normen sind nach Art. 45 Abs. 1 ECT zu berücksichtigen, wenn es um die Bestimmung des Grades der völkerrechtlichen Bindung Russlands an Art. 11 ECT aufgrund der vorläufigen Anwendung des Vertrages geht. So schmälerte und schmälert beispielsweise Art. 7 Punkt 2 des PSA-Gesetzes,653 nach dem mindestens 80 Prozent der von dem PSA-Vertragspartner angeworbenen Arbeiter russische Staatsangehörige sein müssen, die völkerrechtliche Bindung Russlands an den soeben erwähnten Art. 11 Abs. 2 ECT. 650 So ist nicht klar, bis zu welcher Führungsebene noch von Schlüsselpositionen gesprochen werden kann und ob es prozentual eine Obergrenze für Schlüsselpositionen im Verhältnis zum Gesamtpersonal gibt. Bei der Auslegung des Begriffes „Schlüsselposition“ kann jedoch möglicherweise – zumindest im europäisch-russischen Kontext – Art. 32 PCA, der Pflichten Russlands und der EG bzw. der EG-Mitgliedstaaten in Bezug auf in Schlüsselpositionen beschäftigtes Personal festlegt, herangezogen werden. Eine Schlüsselposition bekleidet danach etwa, wer zu in der Norm genauer beschriebenen Kategorie der Führungskräfte zählt sowie wer über ungewöhnliche Kenntnisse verfügt, die für Betrieb, Forschungsausrüstung, Verfahren oder Verwaltung der Niederlassung notwendig sind. 651 Föderales Gesetz vom 25. Juli 2002 N 115-FZ „Über die Rechtsstellung ausländischer Staatsangehöriger in der Russländischen Föderation“. 652
Siehe u.a.: Verordnung der Regierung der RF vom 1. November 2002 N 789; Verordnung der Regierung der RF vom 1. November 2002 N 794; Verordnung der Regierung der RF vom 15. November 2006 N 681; Verordnung der Regierung der RF vom 18. März 2008 N 183. 653
Föderales Gesetz vom 30. Dezember 1995 N 225-FZ „Über Production Sharing Agreements“.
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G. Fragestellungen hinsichtlich der Beziehungen im Energiebereich
Darüber hinaus war und ist die Russische Föderation völkerrechtlich nicht gehalten, es hinzunehmen, dass die nationalen Bestimmungen über Einreise und Aufenthalt verletzt werden. Sie hätte dies selbst dann nicht dulden müssen, wenn sie ECT-Vertragspartei geworden wäre. Es ist daher völkerrechtlich nicht zu beanstanden, wenn die zuständige russische Behörde dagegen vorgeht, dass ausländische Staatsangehörige, welche für – aufgrund der vorläufigen Anwendung des ECT geschützte – ausländische Investoren tätig sind, mit Business-Visa einreisen und sich in Russland aufhalten, obwohl ihre Tätigkeit ein anderes Visum erfordert. Dass dieses Vorgehen in zeitlicher Nähe zu Steuerüberprüfungen stattfindet, gibt zu keiner anderen Beurteilung Anlass, selbst wenn ein vermeintliches Timing zu Mutmaßungen in Bezug auf die politische Instrumentalisierung von Visa-Vorschriften führen kann.654
cc) Schutz vor Diskriminierung Es ist bereits verschiedentlich angeklungen, dass Russland allgemein ein ambivalentes Verhältnis zu ausländischen Investoren im Energiesektor zugeschrieben wird. Zum einen sind ausländische Investitionen und Know-how ausländischer Investoren notwendig; zum anderen scheint es innerhalb der gegenwärtigen russischen Führung nicht (mehr) erwünscht, dass ausländische Investoren Mehrheitsanteilseigner an Projekten zur Förderung von Energieträgern sind. Für letzteres ist die noch anzusprechende neuere Gesetzgebung655 ein deutliches Indiz, aber auch die Ereignisse um Sakhalin-II, Kovykta und TNK-BP wurden dahingehend interpretiert.656 Wie bereits allgemein657 und zum Themenkreis Enteignung658 dargestellt, konnten und können zwar – aufgrund der nur vorläufigen Anwendung des Energiecharta-Vertrages von 1994 bis 2009 durch Russland – innerstaatliche russische Normen potentiell den Wirkungsgrad des ECT schmälern. Jedoch sind, da die relevanten Normen zu Besteuerung, Umweltschutz und Lizenzentzug keine an die Staatsangehörigkeit 654
Zu solchen Mutmaßungen siehe Pagnamenta/Halpin, The Times 26.03.2008, S. 44. 655
Dazu unten (G.IV.2).
656
Vgl. Bradshaw, Osteuropa 2008, Nr. 4-5, S. 131 f. und S. 143 sowie Kroder/Crooks, FTD 25.06.2007. 657 658
F.II.1.c)cc). G.IV.1.f)aa).
Investitionsregime für Investitionen im Energiesektor
219
anknüpfende Diskriminierung erlauben, Maßnahmen in Bezug auf – nach dem ECT659 geschützte – Investitionen dann unzulässig, wenn der geschützte ausländische Investor durch sie faktisch gegenüber Inländern benachteiligt wird. Letztlich entspricht dies dem allgemeinen völkerrechtlichen Grundsatz der Gleichbehandlung einmal zugelassener ausländischer Investoren bzw. einmal zugelassener Investitionen mit ausländischer Beteiligung,660 allerdings mit dem Unterschied, dass die durch den ECT (bzw. aufgrund seiner vorläufigen Anwendung durch Russland) geschützten Investoren nicht auf diplomatischen Schutz ihrer Sitzstaaten angewiesen sind, sondern Verstöße gegen den Grundsatz selbst vor einem nach Art. 26 ECT gebildeten Schiedsgericht angreifen können. Gemäß Art. 45 Abs. 3 lit. a) ECT gilt dies noch für die Dauer von zwanzig Jahren nach dem Tag des Wirksamwerdens der Beendigung der vorläufigen Anwendung des Energiecharta-Vertrages durch Russland, also bis zum 18. Oktober 2029. Das Vorliegen einer völkerrechtlich verbotenen Diskriminierung erscheint zumindest dann als möglich, wenn ein mehrheitlich ausländischen Investoren gehörendes Investitionsprojekt mit der Aufforderung zu Strafzahlungen oder anderen Maßnahmen wegen tatsächlicher oder behaupteter Umweltverstöße konfrontiert wird, während das gleiche Investitionsprojekt, wenn es mehrheitlich einem inländischen Investor gehört, nicht (mehr) mit einer solchen Aufforderung oder solchen Maßnahmen konfrontiert wird, obwohl es tatsächlich keinen Unterschied bzw. keine Änderung in Bezug auf die Umweltverstöße gibt. In diesem Sinne sind die Ereignisse um Sakhalin-II kritisch zu bewerten. Bei diesem Investitionsprojekt ist, seit Gazprom die Mehrheit an ihm erlangt hat, der zuvor bestehende Druck im Wesentlichen verschwunden.661 Ähnlich kritisch sind die Ereignisse um Kovykta zu bewerten. Auch dort ist von dem drohenden Lizenzentzug wegen Unterschreitens der in der Lizenz vorgegebenen Mindestfördermenge dann nicht mehr die Rede gewesen, als Gazprom das Projekt mehrheitlich übernommen hatte.662 In diesem Fall kommt erschwerend der – bisher allerdings unbewiesene – Vorwurf hinzu, nach dem die Mindestfördermenge nur des659
Art. 10 Abs. 1 S. 3 und Abs. 7 ECT, Art. 13 Abs. 1 ECT, Art. 21 Abs. 5 lit. b) ECT. 660 661 662
Siehe dazu Fn. 574. Vgl. Bradshaw, Osteuropa 2008, Nr. 4-5, S. 131 und 146. Vgl. Perovic/Orttung, RAD 18/07, S. 5.
220
G. Fragestellungen hinsichtlich der Beziehungen im Energiebereich
halb unterschritten werden musste, weil Gazprom rechtswidrig den Zugang zu Transportinfrastruktur verweigert habe und Staatsorgane dagegen nicht effektiv vorgegangen seien. In Bezug auf Besteuerung gilt zwar grundsätzlich – und dies aus gutem Grund –, dass es keine Gleichheit im Unrecht gibt, und dass sich ein Steuerschuldner folglich nicht darauf berufen kann, dass ein anderer Steuerschuldner seine Steuern nicht entrichtet hat. Allerdings ist es gleichwohl nicht gänzlich ausgeschlossen, dass sich ausländische Investoren in einem Schiedsverfahren erfolgreich auf das Gebot der Inländergleichbehandlung berufen, wenn eine von ihnen rechtmäßig erhobene Steuer bei einem inländischen Investor nicht erhoben wurde.663 Jedenfalls dann, wenn Steuerrecht selektiv und willkürlich zum Nachteil eines ausländischen Investors angewendet und damit missbraucht wird, können sich vom ECT (bzw. aufgrund seiner vorläufigen Anwendung durch Russland) geschützte Investoren auf die vor Diskriminierung schützenden Vertragsnormen stützen.
2. Gegenseitige Öffnung für Investitionen ausländischer Investoren im Energiesektor a) Einleitung Vom Themenkreis „Schutz einmal getätigter Investitionen ausländischer Investoren“ ist der Themenkreis „Zulassung ausländischer Investoren“ strikt zu trennen. Denn die Entscheidung über die Zulassung eines ausländischen Investors ist etwas gänzlich anderes, als die Behandlung eines ausländischen Investors bzw. seiner Investitionen, wenn diese Investitionen zugelassen worden sind und der Investor bereits Vermögenswerte in dem Investitionsprojekt gebunden hat.
663
Vgl. dazu International Centre for Settlement of Investment Disputes, 16.12.2002 – ICSID Case No. ARB(AF)/99/1, Marvin Feldman v. Mexico, Award. Siehe aber auch die dem Award beigefügte abweichende Meinung (Dissenting Opinion) des Arbitrators Covarriubias Bravo. Zur potentiellen Bedeutung dieser Entscheidung in den Jukos-Fällen siehe Schober, Investitionsschutz nach dem Vertrag über die Energiecharta am Beispiel Jukos, S. 37 f.
Investitionsregime für Investitionen im Energiesektor
221
b) Souveränität Im Grundsatz ist jeder souveräne Staat in der Entscheidung frei, ob er einen ausländischen Investor eine bestimmte Investition auf seinem Staatsterritorium vornehmen lässt oder nicht. Insbesondere ist jeder souveräne Staat grundsätzlich in der Entscheidung frei, ob er einem ausländischen Investor eine Lizenz zur Förderung von Bodenschätzen auf seinem Staatsterritorium erteilt und ihn Investitionen in die zu errichtende Förderinfrastruktur vornehmen lässt. Zu fragen ist, ob diese grundsätzliche Freiheit im europäisch-russischen Verhältnis völkervertragsrechtlich eingeschränkt wurde.
c) GATT/TRIMs-Abkommen/WTO An der grundsätzlichen Freiheit, die Tätigung bzw. Vornahme einer Investition (making of investment) zu untersagen oder zu regulieren, ist im GATT/WTO-Rahmen nichts geändert worden. Zwar verbietet das TRIMs-Abkommen664 – insoweit das GATT präzisierend – gewisse handelsbezogene Investitionsmaßnahmen, etwa das Erfordernis, Produkte inländischer Produktion zu erwerben oder zu verwenden. Dies betrifft jedoch nicht die Freiheit der Staaten, die Ansiedelung eines Investors generell nicht zuzulassen.
d) PCA An der grundsätzlichen Freiheit, die Tätigung bzw. Vornahme einer Investition zu untersagen oder zu regulieren, hat auch das PCA nichts geändert. Zwar bezweckt die Zusammenarbeit nach Art. 58 PCA auch die Schaffung eines günstigen Klimas für inländische und ausländische Investitionen und nach Art. 52 Abs. 2 PCA wird der freie Kapitalverkehr für Direktinvestitionen gewährleistet, jedoch enthält der Vertrag keine Verpflichtung in Bezug auf die Öffnung für ausländische Investitionen.
664
ABl. L 336 vom 23.12.1994, S. 100.
222
G. Fragestellungen hinsichtlich der Beziehungen im Energiebereich
e) ECT Auch der ECT hat die Freiheit, ausländische Investoren von Investitionsprojekten auszuschließen, nicht wesentlich eingeschränkt, denn die Vertragsunterzeichner waren darauf bedacht, ihre souveränen Rechte in Bezug darauf, wen – und unter welchen Bedingungen – sie Investitionen auf ihrem Staatsgebiet vornehmen lassen, soweit als möglich beizubehalten.665 Nach Art. 10 Abs. 2 ECT sind die Vertragsparteien lediglich „bestrebt“, Investoren anderer Vertragsparteien hinsichtlich der Vornahme von Investitionen in ihrem Gebiet die in Absatz 3 beschriebene Behandlung (Inländerbehandlung oder Meistbegünstigung, je nachdem, welche der beiden günstiger ist) zu gewähren.666 Wie sich aus Art. 10 Abs. 4 S. 1 ECT ergibt, wollten sich die Vertragsparteien dahingehend erst durch einen Zusatzvertrag verpflichten. Bisher wurde allerdings ein solcher Zusatzvertrag, trotz des in Art. 10 Abs. 3 S. 3 ECT vorgegebenen Zeitrahmens nicht abgeschlossen. Auch die nach Art. 10 Abs. 6 lit. b) ECT mögliche Selbstverpflichtung ist keine Vertragspartei eingegangen. Daher bestehen gegenwärtig nach Art. 10 ECT in Bezug auf die Vornahme von Investitionen zwischen den ECT-Vertragsparteien einzig weiche Bestrebens- bzw. Bemühensverpflichtungen (best endeavours commitment).667 Diese weichen Verpflichtungen unterfallen nicht dem Streitverfahren Investor-Vertragspartei, sondern allenfalls dem Verfahren nach Art. 27 ECT.668
665 Vgl. Wälde, JWT 1995, Nr. 5, S. 30, Footer in: Wälde (Hrsg.), The Energy Charter Treaty, S. 447 f. und Steeg in: Leible/Lippert/Walter (Hrsg.), Die Sicherung der Energieversorgung auf globalisierten Märkten, S. 87. Aus dem gleichen Grund wird generell die Öffnung für Investitionen in vielen bilateralen Verträgen allenfalls in Übereinstimmung mit den Gesetzen des Zielstaates der Investition gewährt; dazu Farchutdinov, Meždunarodnoe investicionnoe pravo: Teorija i praktika primenenija, S. 236 f. 666
Konkretisierend sind die Vertragsparteien in Bezug auf die Vornahme von Investitionen in ihrem Gebiet nach Art. 10 Abs. 5 ECT „bestrebt“, die Ausnahmen von der in Absatz 3 beschriebenen Behandlung auf ein Mindestmaß zu beschränken und bestehende Beschränkungen für Investoren anderer Vertragsparteien fortschreitend abzubauen. 667
Siehe Energy Charter Secretariat (Hrsg.), Making Investments in Energy Charter Member Countries, S. 4 ff. 668
Vgl. auch Wälde in: Wälde (Hrsg.), The Energy Charter Treaty, S. 283 und Wälde/Kolo, ICLQ 50 (2001), S. 815.
Investitionsregime für Investitionen im Energiesektor
223
Im Energiecharta-Vertrag findet sich neben Art. 10 ECT an relativ unerwarteter Stelle ein weiterer Bezug auf die Vornahme von Investitionen – nämlich in Artikel 18 ECT, der die Souveränität der Vertragsunterzeichner über ihre Energievorkommen betont. Nach Art. 18 Abs. 4 ECT verpflichten sich die Vertragsparteien, den Zugang zu Energievorkommen unter anderem dadurch zu erleichtern, dass sie in nichtdiskriminierender Weise auf der Grundlage veröffentlichter Kriterien Genehmigungen, Lizenzen, Konzessionen und privatrechtliche Verträge zur Aufsuchung und Erforschung sowie zur Förderung oder Gewinnung von Energievorkommen erteilen. Auch wenn es sich dabei nur um eine Verpflichtung handelt, den Zugang zu „erleichtern“ – und nicht etwa ihn sicherzustellen –, erscheint doch die Pflicht in Bezug auf den Zugang zu Energievorkommen härter ausgestaltet, als die Bemühensverpflichtungen des Art. 10 ECT. Letztlich ist der Artikel so zu lesen, dass sich die Vertragsparteien verpflichten, Genehmigungen zur Aufsuchung und Förderung von Energievorkommen in nichtdiskriminierender Weise zu erteilen, und zwar auf der Grundlage vorher veröffentlichter Kriterien. Dies kann in Zusammenschau mit den vorhergehenden Absätzen des Artikel 18 ECT dahingehen verstanden werden, dass jede Vertragspartei zwar im Sinne der Souveränität ihrer Energieressourcen weiterhin allein entscheiden darf, ob Energieträger auf ihrem Territorium überhaupt abgebaut werden, und – falls die Entscheidung positiv ausfällt – sich an der Ausbeutung der Energievorkommen durch unmittelbare Mitwirkung der Regierung oder über Staatsunternehmen zu beteiligen (Art. 18 Abs. 3 ECT am Ende), dass aber, insoweit sich der Staat nicht in diesen Formen an dem Ausbeutungsprojekt beteiligt, eine völkerrechtliche Pflicht zur Nichtdiskriminierung bei der Lizenz- bzw. Konzessionserteilung besteht. Würde bei diesem Verständnis „in nichtdiskriminierender Weise aufgrund veröffentlichter Kriterien“ („in a non-discriminatory manner on the basis of published criteria“) so ausgelegt, dass keine ungerechtfertigte Unterscheidung zwischen inländischen und ausländischen Investoren gemacht werden darf, so würden ausländische Investoren, die sich an Exploration und Förderung von Energievorkommen beteiligen wollen, nach dem ECT in der Vorinvestitionsphase (Vornahme einer Investition) besser gestellt, als ausländische Investoren, welche sich an anderen Projekten im Energiesektor, etwa dem Betrieb von Kraftwerken, beteiligen wollen. Dieser Auslegung des Art. 18 Abs. 4 ECT scheinen jene zu folgen, die befürchten, dass Energielagerstätten nach dem Vertrag für ausländische Investoren
224
G. Fragestellungen hinsichtlich der Beziehungen im Energiebereich
geöffnet werden müssen und dass der Vertrag Staaten, in denen viele Energieträger lagern, gegenüber Staaten, in denen keine Energieträger lagern, benachteilige.669 Ein solches Verständnis ist jedoch nicht zwingend. Es erscheint vielmehr sehr zweifelhaft, dass sich die ECT-Unterzeichner im Vertrag, der ganz besonders die Souveränität über Energieressourcen unterstreicht, für die Vorinvestitionsphase in Bezug auf den Zugang ausländischer Investoren zu Energieträgern zu mehr verpflichten – und ihre Souveränität damit stärker einschränken – wollten, als in Bezug auf die Öffnung für ausländische Investoren im Übrigen. In diesem Kontext überzeugt es eher, Art. 18 Abs. 4 ECT dahingehend zu verstehen, dass der Artikel zwar Transparenzanforderungen stellt, dass jedoch die „Kriterien“, auf Grundlage derer eine Lizenzerteilung erfolgt, auch Differenzierungen zwischen inländischen und ausländischen Investoren vorsehen können. Wenn allerdings diese Kriterien keinerlei Differenzierung in Bezug auf die Herkunft der Investoren erhalten und wenn ein ausländischer Investor alle aufgestellten Kriterien erfüllt, darf er nach dieser Auslegung bei der Zuteilung der Lizenz gegenüber den anderen potentiellen Investoren, welche die Kriterien erfüllen, nicht diskriminiert werden. Dieses Verständnis von Art. 18 Abs. 4 ECT lässt die Norm nicht überflüssig erscheinen und passt zugleich zum in Art. 10 ECT und in der Vertragspräambel erkennbaren Willen der Vertragsunterzeichner, die staatliche Entscheidungssouveränität über die Zulassung ausländischer Investoren gegenwärtig noch nicht einzuschränken. Nach alledem gewährt Art. 18 Abs. 4 ECT keinen obligatorischen diskriminierungsfreien Zugang für ausländische Investoren zu Energielagerstätten, welche zum Abbau freigegeben werden.670 Im Übrigen kann eine Verletzung der aus dem Artikel resultierenden Verpflichtung nur im Verfahren nach Art. 27 ECT, nicht aber in einem Schiedsverfahren Investor-Staat nach Art. 26 ECT gerügt werden, da Art. 18 ECT nicht im Teil III – sondern im Teil IV – des Vertrages steht. Nach alledem waren die in Russland gelegentlich artikulierten Befürchtungen, die Ratifizierung des Energiecharta-Vertrags würde die Russische Föderation zur Öffnung der russischen Energielagerstätten für ausländische Investoren zwingen, gänzlich unbegründet.
669 670
Vgl. dazu Konopljanik, Političeskij žurnal, Nr. 116, 13. Juni 2006, S. 35.
So auch: Konopljanik, Političeskij žurnal, Nr. 116, 13. Juni 2006, S. 35; Konoplyanik/Wälde, JENRL 24 (2006), Nr. 4, S. 539 f.; Footer in: Wälde (Hrsg.), The Energy Charter Treaty, S. 447 f.; Wälde in: Wälde (Hrsg.), The Energy Charter Treaty, S. 312.
Investitionsregime für Investitionen im Energiesektor
225
f) Nationale Rechtsgrundlagen für Beschränkungen von ausländischen Investitionen Rechtsgrundlagen zur Beschränkung der Investitionstätigkeit ausländischer Investoren existieren in zahlreichen Staaten, beispielsweise in Deutschland,671 Frankreich,672 Japan673 und den USA.674 Zwar sieht Art. 63 AEUV675 vor, dass Einschränkungen des Kapital- und Zahlungsverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern grundsätzlich verboten sind. Dies betrifft jedoch nicht die Beschränkungen im Zusammenhang mit Direktinvestitionen, welche bereits vor dem 31. Dezember 1993 bestanden haben (Art. 64 Abs. 1 AEUV). Zudem kann durch einstimmigen Ratsbeschluss der Kapitalverkehr mit Drittstaaten eingeschränkt werden (Art. 64 Abs. 2 AEUV) und den Mitgliedstaaten bleibt es unbenommen, Beschränkungsmaßnahmen nach Art. 65 AEUV zu treffen. Russland ist zwar generell für ausländische Investitionen geöffnet.676 Es gibt jedoch auch in Russland zahlreiche Einschränkungsmöglichkeiten und Einschränkungen, beispielsweise im Bankensektor677 und im Versicherungssektor.678 Beschränkungen gibt es auch im hier interessierenden Energiesektor. So sieht Art. 13.1 des Gesetzes „Über Bodenschät-
671
Siehe § 7 Abs. 1 Nr. 5 AWG (BGBl. 2006 I, S. 1386) i.V.m. § 52 der Verordnung zur Durchführung des Außenwirtschaftsgesetzes (AWV). 672
Siehe Art. L151-2 und Art. L151-3 du Code monétaire et financier i.V.m. Art. R152-5 und Art. R153-1 ff. du Code monétaire et financier. 673
Siehe dazu Art. 26 ff. des japanischen Gesetzes „Foreign Exchange and Foreign Trade Act“. 674 Einen Überblick über die gesetzlichen Beschränkungen für ausländische Investitionen in den USA gibt Seitzinger, Foreign Investment in the United States: Major Federal Statutory Restrictions. Siehe auch den “Foreign Investment and National Security Act of 2007” (FINSA). 675
Früher Art. 56 EGV.
676
Siehe Art. 6 des Föderalen Gesetzes vom 9. Juli 1999 N 160-FZ „Über ausländische Investitionen in der Russländischen Föderation“. 677 Siehe Art. 17 ff. des Föderalen Gesetzes vom 2. Dezember 1990 N 395-I „Über Banken und Bankentätigkeit“. 678
Siehe Art. 6 Punkt 3 ff. und Art. 7 Punkt 3 f. des Gesetzes der Russländischen Föderation vom 27. November 1992 N 4015-I „Über die Organisation des Versicherungswesen in der Russländischen Föderation“.
226
G. Fragestellungen hinsichtlich der Beziehungen im Energiebereich
ze“679 vor, dass ausländische Investoren von der Teilnahme an Ausschreibungen und Auktionen in Bezug auf das Nutzungsrecht an Bodenschätzen föderaler Bedeutung ausgeschlossen werden können; Art. 17.1 dieses Gesetzes sieht vor, dass das Nutzungsrecht an Bodenschätzen föderaler Bedeutung grundsätzlich nicht an juristische Personen übertragen werden darf, an denen ein ausländischer Investor oder eine ausländische Personengruppe mit über 10 Prozent des stimmberechtigten Kapitals beteiligt ist. Nach Art. 7 Abs. 1 des Gesetzes „Über den Kontinentalschelf“680 i.V.m. Art. 9 Abs. 3 des Gesetzes „Über Bodenschätze“ dürfen Nutzungsberechtigte in Bezug auf Bodenschätze föderaler Bedeutung, die sich auf dem Kontinentalschelf befinden oder auch auf den Kontinentalschelf erstrecken, allein juristische Personen sein, in welchen – neben anderen Voraussetzungen – die Russische Föderation ein Stimmengewicht von mehr als 50 Prozent hat.681 Nach Art. 7 Abs. 4 des Gesetzes „Über die Gasversorgung“682 dürfen ausländische Personen oder Organisationen nicht mehr als 20 Prozent der Aktien von Unternehmen halten, in deren Eigentum regionale Gasversorgungssysteme oder Gasverteilungssysteme stehen. Weitere Einschränkungen für ausländische Investoren ergeben sich daraus, dass im Gesetz vom 29. April 2008 N 57-FZ683 mehrere Tätigkeitsbereiche, u.a. solche, welche dem Energiesektor zuzurechnen sind, als strategisch wichtig definiert werden.684 Bei der Beteiligung eines ausländischen Investors am Grundbzw. Stammkapital eines russischen Unternehmens, welches sich einem 679
Gesetz der Russländischen Föderation vom 21.02.1992 N 2395-1 „Über Bodenschätze“. 680
Föderales Gesetz vom 30. November 1995 N 187-FZ „Über den Kontinentalschelf der Russländischen Föderation“. 681
Außerdem erfolgt nach Art. 7 Abs. 6 des Gesetzes „Über den Kontinentalschelf“ die Bewilligung der Nutzung von Bodenschätzen auf dem Kontinentalschelf ohne Ausschreibung oder Auktion. 682
Föderales Gesetz vom 31. März 1999 N 69-FZ „Über die Gasversorgung in der Russländischen Föderation“. 683
Föderales Gesetz vom 29. April 2008 N 57-FZ „Über das Verfahren zur Durchführung ausländischer Investitionen in kommerzielle Organisationen, die strategische Bedeutung für die Sicherstellung der Landesverteidigung und für die Staatssicherheit haben“ (Investitionsdurchführungsgesetz, IDG). Zu diesem Gesetz siehe Pritzkow/Schreiter, Osteuropa-Recht 2008, Nr. 3-4, S. 157 ff. 684
Siehe etwa Art. 6 Nr. 4-9 IDG (Kernmaterialien und Kernenergie), Art. 6 Nr. 36 IDG (gewisse natürliche Monopole), Art. 6 Nr. 39 IDG (Bodenschätze föderaler Bedeutung).
Investitionsregime für Investitionen im Energiesektor
227
dieser Bereiche widmet, ist bei Überschreiten bestimmter Schwellenwerte vorab ein Genehmigungsverfahren zu durchlaufen.685
g) Zusammenfassung und Interessenlage Die Verpflichtungen des ECT in Bezug auf die Tätigung von Investitionen sind schwach ausgestaltet; eine Öffnung für ausländische Investoren erzwingt der Vertrag nicht. Selbst wenn – entgegen der hier vertretenen Auffassung – ECT-Bestimmungen wie Art. 18 Abs. 4 ECT hinsichtlich der Öffnung für ausländische Investitionen weit verstanden würden, hätten – während der vorläufigen Anwendung des Energiecharta-Vertrages durch Russland – die genannten innerrussischen Normen, welche die Tätigung von Investitionen durch ausländische Investoren im Energiesektor beschränken oder regulieren, insoweit die Bindung an den Vertrag eingeschränkt. Auf Lizenzvergaben nach der Beendigung der vorläufigen Anwendung des ECT durch Russland ist Art. 18 Abs. 4 ECT im europäisch-russischen Verhältnis ohnehin nicht mehr anwendbar. Ob der völkerrechtliche Status quo in Bezug auf die Öffnung für Investitionen (sowie die Regelungssituation, die nach hier vertretener Auffassung bestehen würde, wenn Russland doch noch ECT-Vertragspartei würde) den europäischen oder den russischen Interessen entspricht, ist nicht eindeutig. Zwar erscheint Russland gegenwärtig bestrebt, ausländische Beteiligung an Exploration und Förderung von Energieträgern und in anderen Bereichen zu beschränken. Allerdings wendet sich Russland zugleich gegen die Beschränkung von Investitionen russischer Unternehmen im europäischen Downstream-Bereich.686 Umgekehrt ist die europäische Seite bestrebt, dass Russland sich für substantielle Investitionen europäischer Investoren in den russischen Energiesektor einschließlich neuer Förderprojekte öffnet. Zugleich aber besteht auch in der EU bei vielen Regierungen ein Interesse daran, den eigenen Energiesektor vor Übernahmen durch ausländische Investoren schützen zu können.687 Dies hat sich in Bezug auf russische Investoren unter
685
Auch sonstiger Kontrollerwerb wird durch das Gesetz erfasst, vgl. Art. 4 Punkt 1 IDG und Art. 7 Punkt 1 Nr. 1 lit. b) IDG. 686 687
EU-Russia Energy Dialogue, Sixth Progress Report (October 2005), S. 3. Siehe etwa Mihm, FAZ 04.07.2007, S. 9.
228
G. Fragestellungen hinsichtlich der Beziehungen im Energiebereich
anderem in den Fällen Centrica688 und Raffinerie Danzig689 sowie bei der sogenannten Staatsfondsdebatte690 gezeigt.
V. Umweltschutz Umweltschutz ist ein bedeutendes Thema auf nationaler wie auf internationaler Ebene. Viele internationale Verträge, welche Einschränkungen der staatlichen Souveränität mit sich bringen, erlauben in Ausnahmenormen das Ergreifen von Maßnahmen zum Schutz der Umwelt.691 Völkerrechtliche Verpflichtungen zum Umweltschutz – Verpflichtungen, welche ihrerseits die staatliche Souveränität einschränken würden – bilden sich gleichwohl nur langsam heraus. Nach Völkergewohnheitsrecht ist die Souveränität eines jeden Staates mit der völkerrechtlichen Verpflichtung verbunden, dafür Sorge zu tragen, dass Handlungen im eigenen Hoheitsgebiet keinen Schaden an der Umwelt auf dem Hoheitsgebiet anderer Staaten verursachen.692 Dieses Schädigungsverbot gilt allerdings nicht absolut, sondern verbietet lediglich die Verursachung erheblicher Schäden durch sorgfaltswidriges Verhalten; seine Anwendung scheitert häufig an verschiedenen Konkretisierungsproblemen.693 Der Energiecharta-Vertrag widmet sich in Art. 19 ECT recht ausführlich dem Themenkreis Umweltschutz.694 Dessen Sollziel für eine jede Vertragspartei ist nicht nur der Schutz der Umwelt auf dem Territorium anderer Vertragsparteien, sondern – über Völkergewohnheitsrecht hinausgehend – auch der Schutz der Umwelt auf dem eigenen Territorium. Sowohl das Vorsorgeprinzip als auch das Verursacherprinzip haben in den Vertragstext Eingang gefunden. Es fällt allerdings insgesamt auf, 688 689 690
Dazu Heinrich, RAD 34/08, S. 9. Dazu Pleines, Russland-Analysen 68/05, S. 13. Dazu Götz, SWP-Aktuell 2007/A 68, Dezember 2007.
691
Siehe etwa Art. XX lit. b) GATT, Art. XIV lit. b) GATS, Art. 30 EGV und Art. 24 Abs. 2 lit. b) (i) ECT. 692
Vgl. Ad hoc Tribunal, Trail Smelter (USA v. Canada). Siehe auch Prinzip 21 der Declaration of the United Nations Conference on the Human Environment vom 16. Juni 1972 (Stockholm Declaration on the Human Environment). 693 694
Vgl. Durner in: Möllers (Hrsg.), Internationales Verwaltungsrecht, S. 136. Siehe dazu oben (E.II.2.a)ee)).
Umweltschutz
229
dass Art. 19 ECT bindende substantielle und konkrete Verpflichtungen nicht enthält.695 Grund dafür ist vor allem das unterschiedliche Entwicklungsniveau der Vertragsparteien bei Unterzeichnung des ECT, aber auch der Umstand, dass es bei Unterzeichnung für sinnvoller gehalten wurde, die Festlegung bindender Umweltregeln internationalen Umweltinstanzen zu überlassen. Durch das Kyoto-Protokoll696 wurden erstmals völkerrechtlich verbindliche Zielwerte für den Ausstoß von Treibhausgasen festgelegt. Wegen des Ausstiegs der USA aus dem Kyoto-Prozess konnte das Protokoll erst nach seiner Ratifikation durch Russland in Kraft treten.697 Die Espoo-Konvention von 1991,698 die u.a. von der EU und den meisten Ostseeanrainern – bisher jedoch nicht von Russland – ratifiziert wurde, ist im Zusammenhang mit der Realisierung des Nord-StreamProjektes von Bedeutung. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl weiterer multilateraler Konventionen, die sich bestimmten Umweltschutzaspekten widmen.699 Auf diese soll hier jedoch nicht näher eingegangen werden, da sie sich nicht spezifisch Problematiken im europäisch-russischen Verhältnis, sondern vielmehr globalen und global angegangenen Problematiken widmen. Umweltschutz liegt gleichermaßen im Interesse der EU und ihrer Mitgliedstaaten sowie im Interesse Russlands. Sowohl in der EU als auch in Russland gibt es zahlreiche nationale Normen, welche den Schutz der Umwelt bezwecken. Zugleich ist jedoch mit vielen Umweltschutzmaßnahmen die Befürchtung verbunden, dass sie die innerstaatlichen Wirtschaftsakteure stark belasten und gegenüber ausländischen Wettbewerbern benachteiligen könnten.700 So haben etwa die USA die Ratifikation 695
Vgl. Shine in: Wälde (Hrsg.), The Energy Charter Treaty, S. 544 und Šilova, Meždunarodno-pravovoe regulirovanie sotrudničestva gosudarstv v oblasti ėnergetiki na osnove dogovora k ėnergetičeskoj chartii: učastie i perspektivy Rossijskoj Federacii, S. 84. 696
BGBl. 2002 II, S. 966.
697
Die Ratifikation des Protokolls durch Russland war ein Teil der Verhandlungsmasse bei den Gesprächen zwischen der EU und Russland um den WTOBeitritt Russlands. Dazu Sander, Osteuropa-Wirtschaft 2007, Nr. 1, S. 23 f. 698 BGBl. 2002 II, S. 1407. Zur Konvention siehe Stiegel, Das Übereinkommen über die Umweltverträglichkeitsprüfung im grenzüberschreitenden Rahmen (Espoo-Übereinkommen). 699
Zahlreiche Konventionen wurden beispielsweise im Rahmen der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation (IMO) geschlossen. 700
Vgl. Shine in: Wälde (Hrsg.), The Energy Charter Treaty, S. 530.
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G. Fragestellungen hinsichtlich der Beziehungen im Energiebereich
des Kyoto-Protokolls letztlich verweigert, weil Nachteile für die USamerikanische Wirtschaft durch eine Ratifikation befürchtet wurden; Russland hat das Kyoto-Protokoll erst ratifiziert, als feststand, dass die Ratifikation die russische Wirtschaft, deren CO2-Ausstoß nach dem Zerfall der Sowjetunion bereits stark zurückgegangen war, nicht belasten würde. Auch wenn – insbesondere beim Schutz der Ozonschicht und im Rahmen der Bemühungen hinsichtlich der Verhinderung eines massiven Klimawandels durch Treibhausgase – ein Umdenken erkennbar zu sein scheint, binden sich Staaten völkerrechtlich bisher nur zurückhaltend an die Einhaltung bestimmter Umweltstandards. Regierungen haben aber erkennbar ein hohes Interesse an Koordination und Kooperation im Umweltbereich.701
VI. Kooperation Kooperation im Energiesektor wurde sowohl im PCA als auch im ECT vereinbart. Im Folgenden sollen einige Kooperationsaspekte näher betrachtet werden.
1. Energieeffizienz und verbundene Umweltaspekte Die in Teil VII des PCA vereinbarte wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten auf der einen Seite und Russland auf der anderen betrifft nach Art. 65 PCA insbesondere den Energiesektor. Als Bereiche, auf die sich die Zusammenarbeit erstreckt, werden u.a. genannt: Verbesserung von Qualität und Sicherheit der Energieversorgung, Förderung der Energieeinsparung und der rationellen Energienutzung, Modernisierung der Energieinfrastruktur sowie Verhütung von Umweltschäden durch Energieerzeugung, Energieversorgung und Energieverbrauch. Allerdings benennt das PCA über diese allgemeine Aufzählung hinaus keine konkreten gemeinsamen Maßnahmen in Bezug auf Energieeffizienz und Umweltschutz. Solche wurden dann im Rahmen des EU-Russland-Energiedialoges entwickelt.702
701 702
Siehe dazu unten (G.VI.1).
Zu weiteren bilateralen und multilateralen Kooperationsformen siehe Kulagin, RAD 46/08, S. 8.
Kooperation
231
Artikel 19 ECT enthält, wie bereits erwähnt, nur sehr weiche Verpflichtungen, und dies nicht nur in Bezug auf von den Vertragsparteien übernommene Verpflichtungen zum Umweltschutz, sondern auch in Bezug auf Kooperation der Vertragsparteien.703 Immerhin wird unter anderem explizit erwähnt, dass die Vertragsparteien die Erforschung, Entwicklung und Anwendung energieeffizienter Technologien fördern und günstige Rahmenbedingungen für die Weitergabe und Verbreitung solcher Technologien anregen. Die Norm wird zudem durch das Protokoll über Energieeffizienz und damit verbundene Umweltaspekte (PEEREA) ergänzt. Dieses Protokoll widmet sich in seinen Artikeln 4 bis 6 u.a. der Koordinierung von Energieeffizienzpolitiken, der Erarbeitung von Strategien und politischen Zielen zur Verbesserung der Energieeffizienz sowie dem Themenkreis „finanzielle Anreize“ mit Blick auf Energieeffizienz und Umweltschutz. Nach Art. 7 PEEREA fördern die Vertragsparteien Handel und Zusammenarbeit im Bereich energieeffizienter und umweltfreundlicher Technologien und Dienstleistungen. Nach Art. 8 PEEREA entwickeln die Vertragsparteien nationale Energieeffizienzprogramme, setzen diese um und aktualisieren sie. Das Protokoll ist insgesamt auf eine möglichst umfassende zukunftsgerichtete Zusammenarbeit ausgerichtet (vgl. Art. 9 PEEREA). Obwohl das Protokoll über Energieeffizienz und damit verbundene Umweltaspekte völkerrechtlich bindend ist, sind auch die dort enthaltenen Verpflichtungen so weich ausgestaltet, dass es eher als politische Absichtserklärung erscheint.704 Gleichwohl bietet das Protokoll ein sehr effektives Instrumentarium. Denn erstens dient es als Grundlage für regelmäßige Assessments der Unterzeichner.705 Zweitens bietet es Anknüpfungspunkt und Rahmen für internationale Begegnungen mit den Zielen Erfahrungsaustausch und Koordination der nationalen Energieeffizienzpolitiken.706 Gerade an solchen Begegnungen hat Russland, solange es den Energiecharta-Vertrag vorläufig anwendete, sehr aktiv mitgewirkt. Energieeffizienz und dahingehende Zusammenarbeit liegt sowohl im Interesse der EU und ihrer Mitgliedstaaten als auch im Interesse Russlands. Wird davon ausgegangen, dass aufgrund von Lecks zwischen 5 703 704 705 706
Siehe dazu oben (E.II.2.a)ee)). Vgl. Doré in: Wälde (Hrsg.), The Energy Charter Treaty, S. 141. Siehe Fn. 185.
Siehe z.B. die Konferenz „International Cooperation on Energy Efficiency: Working together for a Low-carbon Economy“, die am 28. Mai 2008 in Genf stattfand.
232
G. Fragestellungen hinsichtlich der Beziehungen im Energiebereich
und 7 Prozent des in Russland geförderten Rohöls einfach verloren gehen,707 liegt die Verschwendung des kostbaren Energieträgers auf der Hand. Auch durch das Abfackeln (flaring) von bei der Ölgewinnung als Nebenprodukt gewonnenen Erdgases (associated gas) sowie durch eine – nach gegenwärtigem Stand der Technik – völlig ineffiziente Nutzung von Erdgas in veralteten Kraftwerken und Heizanlagen708 (aber auch durch die Wohnbevölkerung) werden wertvolle Energieressourcen vergeudet. Aus russischer Perspektive ließe eine höhere Energieeffizienz in diesen Bereichen mehr Ressourcen für den Export und für damit verbundene Einnahmen.709 Aus europäischer Perspektive würde höhere Energieeffizienz innerhalb der EU die Importabhängigkeit in Bezug auf Energieträger sowie den CO2-Ausstoß vermindern; zudem würden Energieeffizienzmaßnahmen im Ausland zur wünschenswerten Konsequenz haben, dass die Energieversorgung – insbesondere mit Blick auf die Befürchtungen zu einer Energielücke710 – generell sicherer wird. In zwei Pilotregionen, dem Oblast Archangelsk und dem Oblast Astrakhan, wurden konkrete Kooperationsprojekte zwischen der EU und Russland mit Bezug zur Energieeffizienz begonnen.711 Ein weiteres Kooperationsprojekt betrifft den Oblast Kaliningrad. Es geht dabei vorwiegend um die Organisation von Workshops und Seminaren, die Erarbeitung von Machbarkeitsstudien sowie die Begegnung von relevanten Akteuren aus Wirtschaft, Verwaltung und dem Bankensenktor.
2. Weitergabe von Technologie Der Energiecharta-Vertrag enthält explizite – wenngleich schwache – Bestimmungen zum Themenkreis Technologietransfer. Nach Art. 8 Abs. 1 ECT kommen die Vertragsparteien überein, den Zugang zu Energietechnologie und die Weitergabe dieser Technologie auf marktüblicher und nichtdiskriminierender Grundlage zu fördern. Wird Art. 707
Johnson in: Johnson (Hrsg.), Perspectives on EU-Russia relations, S. 184.
708
Statt vieler vgl. Götz, SWP-Studie 2007/S 21, August 2007, S. 18 und Kulagin, RAD 46/08, S. 5. 709 Unter anderem aus diesem Grund hat sich der Russische Gesetzgeber dem Themenkreis Energieeinsparung angenommen; siehe dazu das Föderale Gesetz vom 3. April 1996 N 28-FZ „Über Energieeinsparung“. 710 711
Dazu unten (G.VII.2). EU-Russia Energy Dialogue, Synthesis Report (September 2001), S. 4.
Kooperation
233
19 Abs. 1 lit. g) und h) ECT zusammen mit Art. 8 ECT gelesen, geht es dabei insbesondere – jedoch nicht ausschließlich – um Technologien, welche die Energieeffizienz erhöhen und schädliche Umweltauswirkungen von Tätigkeiten im Energiesektor verringern. Nach Art. 8 Abs. 2 ECT beseitigen die Vertragsparteien bestehende Hemmnisse und schaffen keine neuen Hemmnisse für die Weitergabe von Technologie, vorbehaltlich internationaler Verpflichtungen wie jenen in Bezug auf die Nichtverbreitung von Nukleartechnologie. Ziel des Art. 8 ECT ist nicht, die Vertragsparteien völkerrechtlich zum Transfer von Technologien zu verpflichten zumal nicht die Vertragsparteien – sondern die in ihnen ansässigen Unternehmen – Träger von technischem Know-how sind. Ziel ist vielmehr, auf die Schaffung eines günstigen Rahmens für die Weitergabe von Technologie hinzuwirken. In diesem Kontext ist vor allem die Finanzierung von Projekten zur Erleichterung des Technologietransfers zu nennen.712 Im Übrigen lässt sich Technologietransfer jedoch vor allem durch Direktinvestitionen realisieren, und abzielend darauf durch die Schaffung eines günstigen Rahmens für Direktinvestitionen mit Technologietransfer. Die Beendigung der vorläufigen Anwendung des Energiecharta-Vertrages durch Russland war indes dahingehend im europäisch-russischen Verhältnis nicht förderlich.
3. Nuklearsektor In Art. 66 PCA vereinbaren die EU und ihre Mitgliedstaaten auf der einen und Russland auf der anderen Seite eine Zusammenarbeit im zivilen Nuklearsektor. Daran anknüpfend schlossen die EAG und die Regierung der Russischen Föderation am 3. Oktober 2001 ein Abkommen über Zusammenarbeit auf dem Gebiet der nuklearen Sicherheit.713 Zugleich wurde zwischen beiden Vertragspartnern ein Abkommen über die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der kontrollierten Kernfusion geschlossen.714 Bei der Zusammenarbeit auf dem Gebiet der nuklearen Sicherheit geht es insbesondere um die Forschung im Bereich Reaktorsicherheit, den Strahlenschutz, die Entsorgung radioaktiver Abfälle, die Stilllegung kerntechnischer Anlagen und die Kernmaterialbuchführung. Bei der Zusammenarbeit auf dem Gebiet der kontrollierten Kernfusion 712 713 714
EU-Russia Energy Dialogue, Second Progress Report (May 2002), S. 4. ABl. L 287 vom 31.10.2001, S. 24. ABl. L 287 vom 31.10.2001, S. 30.
234
G. Fragestellungen hinsichtlich der Beziehungen im Energiebereich
geht es insbesondere um die Forschungsbereiche Plasmaverhalten in Tokamaks, alternative Entwicklungslinien neben Tokamaks, magnetische Fusionstechnologie, Plasmatheorie und angewandte Plasmaphysik sowie Entwicklung von Programmstrategien. Als Kooperationsformen nennt Art. 3 des Abkommens über die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der nuklearen Sicherheit explizit den Austausch von Fachwissen durch Berichte, Besuche, Seminare, Fachkonferenzen usw., den Austausch von Personal zwischen Laboratorien, den Austausch von Proben, Werkstoffen, Instrumenten und Geräten zu Versuchszwecken, die Beteiligung an gemeinsamen Studien und Maßnahmen sowie die Koordination der Tätigkeiten der Vertragsparteien, um unnötige Doppelarbeit zu vermeiden. Ähnliche Kooperationsformen sieht auch Art. 3 des Abkommens über die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der kontrollierten Kernfusion vor, namentlich den Austausch von wissenschaftlichem und technischem Wissen, den Austausch von Personal, gemeinsame Sitzungen, Konferenzen und Seminare, den Austausch von Proben, Werkstoffen, Instrumenten und Geräten für Versuchs- und Bewertungszwecke und die ausgewogene Beteiligung an gemeinsamen Studien und Maßnahmen. Darüber hinaus kooperieren die EAG und Russland auch als Gründungsmitglieder der Internationalen ITER-Fusionsenergieorganisation.715
4. Sonstige Kooperation Die EU unterstützte zahlreiche Projekte in Russland im Rahmen des TACIS-Programmes, welches 2007 im Finanzierungsinstrument ENPI aufging. Eines der TACIS-Projekte widmete sich dem Ausbau der Gasverteilungsnetze in Russland;716 auch die Pilotprojekte zu Energieeffizienz in den Gebieten Archangelsk, Astrakhan und Kaliningrad wurden mit TACIS-Geldern unterstützt717.718
715
Dazu Monaghan/Montanaro-Jankovski, EPC Issue paper No. 45, March 2006, S. 12. Der Gründungsakt der Internationalen ITER-Fusionsenergieorganisation findet sich im ABl. L 358 vom 16.12.2006, S. 62. 716 717 718
McCann in: Johnson (Hrsg.), Perspectives on EU-Russia relations, S. 207. EU-Russia Energy Dialogue, Sixth Progress Report (October 2005), S. 5.
Zur insgesamt nicht positiven Beurteilung der TACIS-Projekte in der Russischen Föderation siehe Europäischer Rechnungshof (Hrsg.), Sonderbericht
Energieversorgungssicherheit und Energieabnahmesicherheit
235
Zudem wurde im Rahmen der EU-Russland-Kooperation am 5. November 2002 in Moskau ein Energie-Technologiezentrum eingeweiht.719 Das Projekt, mit dem anfänglich große Erwartungen verbunden waren, muss jedoch inzwischen als gescheitert angesehen werden. Jedenfalls existiert das Zentrum seit 2008 nicht mehr. Schließlich sieht sowohl das PCA als auch der ECT die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Gesetzgebung und Rechtsdurchsetzung vor, beispielsweise Hilfe bei Ausarbeitung und Umsetzung von staatlichen Regeln gegen Wettbewerbsbeschränkungen.720 Ziel ist letztlich, wie Art. 55 Abs. 1 PCA deutlich zu erkennen gibt, eine möglichst weitgehende Angleichung der russischen Rechtsvorschriften an den Acquis communautaire.
VII. Energieversorgungssicherheit und Energieabnahmesicherheit Dem Themenkreis Energiesicherheit (energy security, ėnergetičeskaja bezopasnost’) wird in Europa und in Russland gleichermaßen besondere Aufmerksamkeit gewidmet.721 Wenn es in diesem Zusammenhang um das europäisch-russische Verhältnis geht, ist für die europäische Seite vor allem der Aspekt Versorgungs- bzw. Liefersicherheit (security of supply) und für die russische Seite vor allem der Aspekt Abnahmesicherheit (security of demand) von Bedeutung.
Nr. 2/2006 über die Leistung der im Rahmen von TACIS in der Russischen Föderation finanzierten Projekte, zusammen mit den Antworten der Kommission. 719
EU-Russia Energy Dialogue, Third Progress Report (November 2002), S.
3. 720
Siehe Art. 53 Abs. 4 PCA und Art. 6 Abs. 3 ECT. Siehe dazu auch unten (G.VIII). 721
Siehe: „Eine Energiepolitik für Europa“, KOM(2007) 1 endgültig; „Energiestrategie Russlands für die Zeit bis 2020“, Verfügung der Regierung der Russländischen Föderation vom 28. August 2003 Nr. 1234-r; Seliverstov, Ėnergetičeskaja bezopasnost’ Evropejskogo Sojuza.
236
G. Fragestellungen hinsichtlich der Beziehungen im Energiebereich
1. Annäherung an die Begrifflichkeiten Aus Konsumentenperspektive kann Versorgungs- bzw. Liefersicherheit in Bezug auf Energieträger als die ausreichende Verfügbarkeit dieser Energieträger zu möglichst günstigen Preisen definiert werden. Hauptaspekte der Liefersicherheit sind die Stabilität der Versorgung und die Preisgünstigkeit. Liefersicherheit sowie niedrige Energiepreise – insbesondere niedrige Strompreise – sind ein zentrales Anliegen deutscher und europäischer (Wirtschafts-) Politik; dies aus sozialen Erwägungen, aber auch als Vorleistung für die industrielle Produktion.722 Generell gilt eine sichere Energieversorgung als ein Gemeinschaftsgut höchsten Ranges.723 Abnahmesicherheit kann definiert werden als die Sicherheit dahingehend, die geförderten Energieträger auch tatsächlich zu bestimmten Bedingungen auf relevanten Absatzmärkten absetzen zu können. Letztlich geht es darum, dass sich die Kosten für getätigte oder zu tätigende Investitionen in Förder- und Transportinfrastruktur im Laufe der Zeit amortisieren. Damit dies gewährleistet ist, strebt Russland nach freiem und nichtdiskriminierenden Zugang für in Russland geförderte Energieträger zu den relevanten Absatzmärkten, nach langfristigen Abnahmeverpflichtungen sowie nach der Sicherstellung des freien Transports durch Transitstaaten.
2. Europas Energieversorgungssicherheit und Russland In Europa werden zahlreiche Risiken für die europäische Energieversorgungssicherheit thematisiert. Angeführt werden u.a. die Gefahren von Piraterie, terroristischen Anschlägen und Unfällen sowie politische Instabilität in wichtigen Produzentenländern.724 Für das europäischrussische Verhältnis werden im politikwissenschaftlichen Schrifttum vor allem zwei mögliche Risiken für die europäische Energieversorgungssicherheit thematisiert; zum einen die Gefahr einer „Gaslücke“,
722
Vgl. Holzer, Europäische und deutsche Energiepolitik, S. 88.
723
Lippert in: Leible/Lippert/Walter (Hrsg.), Die Sicherung der Energieversorgung auf globalisierten Märkten, S. 8. 724
Pröfrock, Energieversorgungssicherheit im Recht der Europäischen Union/ Europäischen Gemeinschaften, S. 155.
Energieversorgungssicherheit und Energieabnahmesicherheit
237
zum anderen die Gefahr des Einsatzes von Lieferunterbrechungen als „Waffe“. Darüber hinaus sind Transitrisiken725 zu nennen. Der Diskurs um die Gaslücke hat seinen Ursprung in einigen Berechnungen, nach denen die russische Erdgasförderung in naher Zukunft nicht ausreichen wird, um sowohl den russischen Binnenmarkt zu bedienen als auch die Exportverpflichtungen Gazproms zu erfüllen.726 Ursachen dafür seien die Verringerung der Förderung in bestehenden Feldern, der Anstieg der Binnennachfrage und vor allem unzureichende Investitionen.727 Der Gaslückentheorie ist jedoch auch entschieden widersprochen worden.728 Sie fuße auf falschen Zahlen und fragwürdigen Berechnungen.729 Der Diskurs um den Einsatz von Energie – bzw. genauer von Lieferunterbrechungen – als Waffe wird besonders polarisierend ausgetragen und hat mit hoher Wahrscheinlichkeit großen Einfluss auf etliche energiepolitische Positionierungen und Entscheidungen. Im Wesentlichen stehen sich zwei Lager gegenüber. Das erste Lager geht davon aus, dass die russische Regierung Energie als Instrument der russischen Außenpolitik missbrauchen könnte bzw. bereits missbraucht hat, wobei Gazprom und andere Unternehmen mit signifikanter staatlicher Beteiligung als verlängerter Arm des Kremls fungieren.730 Als Beispiele für die Instrumentalisierung der Energielieferungen werden verschiedene Lieferunterbrechungen in den 1990er Jahren genannt, von denen mehrere GUS-Staaten und die baltischen Staaten betroffen waren.731 Ähnli725
Siehe dazu oben (G.III.2.c)).
726
Vgl. Riley, CEPS Policy Briefs No. 116, October 2006, Goldthau/Geden, IPG 2007, Nr. 4, S. 63 und Hanson, RAD 38/08, S. 10. 727
Riley, CEPS Policy Briefs No. 116, October 2006, S. 1, Monaghan/Montanaro-Jankovski, EPC Issue paper No. 45, March 2006, S. 24 und Goldthau/Geden, IPG 2007, Nr. 4, S. 63. 728 Götz, SWP-Aktuell 2006/A 58, November 2006, S. 2 ff. und Götz, SWPStudie 2007/S 21, August 2007, S. 19 ff. 729 730 731
Götz, SWP-Studie 2007/S 21, August 2007, S. 19 ff. Vgl. Westphal, Russische Energiepolitik, S. 106.
Siehe Šilova, Meždunarodno-pravovoe regulirovanie sotrudničestva gosudarstv v oblasti ėnergetiki na osnove dogovora k ėnergetičeskoj chartii: učastie i perspektivy Rossijskoj Federacii, S. 60, Smith, CEPS Policy Briefs No. 90, Januar 2006 und Larsson, Russia’s Energy Policy: Security Dimensions and Russia’s Reliability as an Energy Supplier, S. 184 ff. Auch die späteren Liefereinstellungen an den lettischen Ölhafen Ventspils und die litauische Raffinerie
238
G. Fragestellungen hinsichtlich der Beziehungen im Energiebereich
ches gilt für die Unterbrechung der Lieferungen an Belarus 2004, für die Umstände der Umwandlung von Beltransgas in ein Joint Venture mit russischer Beteiligung und für die Unterbrechung der Erdgaslieferungen an die Ukraine 2006.732 Das Projekt Nord-Stream-Pipeline wird gerade deshalb in den baltischen Staaten mit Beunruhigung verfolgt, weil sie befürchten, dass die Balten durch diese Pipeline von der westeuropäischen Energieversorgung abgekoppelt und dadurch erpressbar werden.733 Das zweite Lager geht hingegen davon aus, dass die russische Regierung Energie nicht als Waffe gegen europäische Abnehmerländer eingesetzt hat und dazu auch künftig gar nicht in der Lage ist. Von Vertretern dieser Haltung wird darauf hingewiesen, dass Gazprom den größten Teil seines Gewinns durch Verkauf von Erdgas im europäischen Ausland erziele und dass die Verknappung des Angebots beim leitungsgebundenen Erdgas zwangsläufig unmittelbar mit Einkommenseinbußen für Gazprom einherginge.734 Gazprom würde Entscheidungen nach wirtschaftlichen, nicht nach politischen Kriterien treffen, und sei keineswegs geneigt, Exporterlöse und seinen Ruf als verlässlicher Lieferant aufs Spiel zu setzen oder sich einer nicht näher bezeichneten russischen Außenpolitik unterzuordnen.735 Zudem sei die UdSSR und später Russland über Jahre hinweg ein verlässlicher Energielieferant gewesen,736 und nicht nur Gazprom, sondern auch die Russische Föderation selbst, sei auf die Deviseneinnahmen durch den Export von Erdgas angewiesen.737
Mazeikiai wurden im Sinne der Anwendung der Energiewaffe gedeutet; vgl. dazu Götz, SWP-Studie 2006/S 38, Dezember 2006, S. 14 f., Zhiznin, Energy diplomacy, S. 242 und Pröfrock, Energieversorgungssicherheit im Recht der Europäischen Union/ Europäischen Gemeinschaften, S. 143. 732 Vgl. dazu: Chalker, Osteuropa 2004, Nr. 9-10, S. 64; Timmermann in: Meier-Walser (Hrsg.), Energieversorgung als sicherheitspolitische Herausforderung, S. 161; Umbach, IP 2006, Nr. 2, S. 13; Götz, SWP-Studie 2006/S 38, Dezember 2006, S. 15. 733 734
Kempe, Osteuropa 2008, Nr. 2, S. 59. Goldthau/Geden, IPG 2007, Nr. 4, S. 64 f.
735
Mitrova, RAD 41/08, S. 2 und S. 6; Götz, SWP-Studie 2006/S 38, Dezember 2006, S. 13; Götz, SWP-Studie 2007/S 21, August 2007, S. 22. 736
RIA Novosti, 28.08.2008, „Putin: Russland wird Energie nie als politische Waffe gegen den Westen nutzen“; Konoplyanik, JENRL 23 (2005), Nr. 3, S. 284. 737
Monaghan/Montanaro-Jankovski, EPC Issue paper No. 45, March 2006, S. 24. Vgl. auch Holzer, Europäische und deutsche Energiepolitik, S. 80.
Energieversorgungssicherheit und Energieabnahmesicherheit
239
Um Risiken für die Energieversorgungssicherheit zu begegnen, stehen mehrere Handlungsoptionen zur Verfügung. Die Bevorratung der EUStaaten mit strategischen Reserven738 zählt dazu ebenso, wie Maßnahmen mit dem Ziel der effizienteren Nutzung von Energie und umfassende Diversifizierungsstrategien. Hinsichtlich der Diversifizierungsstrategien geht es in der EU zunächst um die Veränderung des Energiemixes, insbesondere um die Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung (Diversifizierung bei der Energieerzeugung). Hinsichtlich zu importierender Energieträger, die nicht kostengünstig substituiert werden können, ist die EU bestrebt, diese aus möglichst vielen und voneinander unabhängigen Herkunftsstaaten bzw. Herkunftsquellen zu beziehen (Diversifizierung der Herkunftsquellen). Zudem liegt es im Interesse der EU, die zu importierenden Energieträger über verschiedene Transportrouten zu beziehen, damit Ereignisse in einem Transitstaat die Energieversorgung innerhalb der EU nicht ernsthaft in Gefahr bringen können (Diversifizierung der Transportrouten). Darüber hinaus ist die EU bestrebt, langfristige Liefergarantien zu erhalten. Allerdings setzt eine hoheitliche Bindung zwischen Export- und Importstaaten voraus, dass die betreffenden Staaten auf die relevanten Export- und Importunternehmen Einfluss haben, was häufig – beispielsweise in Bezug auf deutsche Importeure von Erdgas – nicht der Fall ist.739
3. Russlands Energieabnahmesicherheit und Europa Mit Blick auf die Abnahmesicherheit für in Russland geförderte Energieträger ist für die russische Seite zuvorderst die Problematik des Transits von Bedeutung. Dieser Problematik versucht sie durch die Diversifizierung ihrer Transportrouten insbesondere für den pipelinegebundenen Transport zu begegnen, so dass die in Russland geförderten Energieträger auch an von Russland als problematisch empfundenen Transitstaaten vorbei zum europäischen Abnehmer gelangen können. Die europäischen Bemühungen zur Steigerung der Energieeffizienz werden auf russischer Seite ohne Befürchtungen für die eigene Energie738
Zur Erdölbevorratung siehe Richtlinie 2006/67/EG, ABl. L 217 vom 08.08.2006, S. 8. 739
Ehricke in: Leible/Lippert/Walter (Hrsg.), Die Sicherung der Energieversorgung auf globalisierten Märkten, S. 67 f.
240
G. Fragestellungen hinsichtlich der Beziehungen im Energiebereich
abnahmesicherheit verfolgt; gleiches gilt für die Bemühungen, den europäischen Energiemix dahingehend zu verändern, dass alternative Energien einen prozentual höheren Anteil am Gesamtenergieverbrauch haben. Hingegen werden die europäischen Bemühungen zur Diversifizierung der Herkunftsquellen mit Besorgnis verfolgt, insbesondere wenn es um Energieträger aus Zentralasien und dem kaspischen Raum geht und wenn bei deren Transport Russland als Transitland umgangen werden soll. Für die russische Seite stellt sich in diesem Kontext die Frage, wie sicher mit dem europäischen Markt als Absatzmarkt gerechnet werden kann. Hingewiesen wird in diesem Zusammenhang darauf, dass Unterbrechungen von Energielieferflüssen oft das Ergebnis von Sanktionen oder Boykottmaßnahmen der Importstaaten sind,740 und dass sich Russland in Bezug auf Nuklearmaterial faktisch mit mengenmäßigen Einfuhrbeschränkungen durch die EU konfrontiert sah und sieht. In Russland sind zudem Befürchtungen präsent, nach denen sich russische Exporteure von Primärenergieträgern – insbesondere Exporteure des überwiegend leitungsgebundenen Erdgases – früher oder später einem europäischen Abnehmerkartell, welches seine Preise diktiert, gegenübersehen könnten. Russland verlangt einen freien und nichtdiskriminierenden Zugang für in Russland geförderte Energieträger zum europäischen Absatzmarkt. Ein Mittel zur Gewährleistung von Abnahmesicherheit sieht die russische Seite in langfristigen vertraglichen Bindungen zwischen den relevanten Unternehmen. Zudem ist die russische Seite bemüht, die Risiken in Bezug auf die eigene Energieabnahmesicherheit dadurch zu vermindern, dass sie selbst ihre Abnehmerstruktur diversifiziert, also anteilig weniger vom Export in die EU abhängig wird.
4. Asymmetrische oder gegenseitige Abhängigkeit? Die Diskurse um Energieversorgungs- und Energieabnahmesicherheit sind stark politisiert. Sowohl aus der europäischen als auch aus der russischen Perspektive spielt die Einschätzung über die eigene Abhängigkeit von der jeweils anderen Seite (sowie über die Abhängigkeit in umgekehrter Richtung) eine große Rolle. Während manche davon ausgehen, dass Europa auf die Lieferungen von Energieträgern – insbesonde740
Vgl. Monaghan/Montanaro-Jankovski, EPC Issue paper No. 45, March 2006, S. 14.
Energieversorgungssicherheit und Energieabnahmesicherheit
241
re Erdgas – aus Russland stärker angewiesen ist, als die russische Seite auf die durch den Export eingenommenen Devisen, gehen andere vom genauen Gegenteil aus. Eine dritte Strömung beurteilt das europäischrussische Beziehungsgefüge im Energiesektor als eines gegenseitiger Abhängigkeit bzw. Interdependenz. Es überrascht nicht, dass Warnungen und Handlungsempfehlungen je nach Strömung sowohl auf der europäischen als auch auf der russischen Seite sehr verschieden ausfallen.
5. Anmerkungen aus völkerrechtlicher Perspektive Zu den Diskursen um Energieversorgungs- und Energieabnahmesicherheit im europäisch-russischen Verhältnis ist anzumerken, dass in ihnen vor allem politische und machtpolitische Erwägungen, kaum jedoch rechtliche Erwägungen eine Rolle spielen. Durch eine selektive Auswahl der Sicherheitsaspekte wird zudem häufig der Blick von wesentlichen Punkten abgelenkt. Als erster wichtiger Aspekt ist zu nennen, dass die russische wie die europäische Seite gleichermaßen ein Interesse an ungehinderten Energieflüssen durch Transitstaaten und an einer Diversifizierung der Transitrouten für Energieträger aus Russland mit Bestimmung EU haben. In Bezug auf bestehenden Transit gibt es eine Reihe völkerrechtlicher Normen, auf die sich Russland und die EU gegenüber den Transitstaaten berufen können.741 In Bezug auf die Diversifizierung der Transportrouten sollte der Blick dafür geöffnet bleiben, dass diese nicht nur völkerrechtlich zulässig, sondern – trotz innereuropäischen Widerstandes vor allem in den baltischen Staaten und in Polen – ebenfalls im Interesse sowohl der EU als auch Russlands liegt.742 Wenn es um Maßnahmen zugunsten einer Diversifizierung der Herkunftsstaaten für importierte Energieträger geht, so sind diese völkerrechtlich ebenso zulässig wie Maßnahmen zugunsten einer Diversifizierung der Abnehmerstaaten. Ob mehr Diversifizierungsanstrengungen gefordert werden,743 oder ob im Gegenteil vor einem Diversifizierungswettlauf gewarnt wird,744 ist letztlich von dem Grad des Vertrauens abhängig, welches der jeweils anderen Seite und den jeweiligen Alternativen entgegengebracht wird. 741 742 743 744
G.III.2.c)dd). G.III.2.d)cc). Riley, Alan/ Umbach, Frank, IP 62 (2007), Nr. 6, S. 106 ff. Götz, SWP-Studie 2007/S 21, August 2007, S. 6 und S. 8.
242
G. Fragestellungen hinsichtlich der Beziehungen im Energiebereich
In diesem Zusammenhang ist zu vermerken, dass relevante europäische Wirtschaftsakteure in Bezug auf den Themenkreis Energieversorgungssicherheit und russische Lieferungen wesentlich unaufgeregter sind, als viele Politiker, Politikwissenschaftler und Medienkommentatoren.745 Als zweiter wichtiger Aspekt ist zu nennen, dass eine völkerrechtliche Bindung der europäischen und der russischen Seite in Bezug auf Liefergarantien und Abnahmegarantien für Erdgas – insbesondere aufgrund der Energieversorgungsstruktur in den europäischen Staaten durch privatwirtschaftlich organisierte Unternehmen – kaum vorstellbar und darüber hinaus wirtschaftspolitisch fragwürdig ist.746 Als dritter wichtiger Aspekt ist festzuhalten, dass langfristige Lieferverträge zwischen privatwirtschaftlich organisierten Unternehmen einen hohen Grad an Versorgungssicherheit und Abnahmesicherheit gewährleisten. An dieser Einschätzung vermögen auch die Lieferunterbrechungen, im Zusammenhang mit Diebstählen in Transitstaaten747 nichts zu ändern. Als vierter wichtiger Aspekt ist festzuhalten, dass die Sicherheit der europäischen Energieversorgung – ebenso wie die Sicherung stabiler Einnahmen aus dem Export von Energieträgern – bedeutender Investitionen in neue Förder- und Transportinfrastruktur bedürfen. In diesem Kontext ist das Ziel des Energiecharta-Vertrages, ein günstiges Klima für private in- wie ausländische Investitionen zu schaffen, nach wie vor aktuell und sowohl für die europäische als auch für die russische Seite von Interesse. Dies bedeutet wohlgemerkt nicht, dass ausländische Investitionen in unbeschränktem Ausmaß zugelassen werden müssen; ein günstiges Investitionsklima, in dem ausreichende Investitionen in Förder- und Transportinfrastruktur getätigt werden können, ist auch dann denkbar, wenn ausländische Investitionen zwar nur beschränkt, aber in einem transparenten Verfahren möglich sind. Vor allem sollte aber Gewissheit über die künftige Energienachfrage der EU bestehen.748 Als fünfter wichtiger Aspekt ist festzuhalten, dass die Sicherheit der europäischen Energieversorgung – ebenso wie die Sicherung stabiler Einnahmen aus dem Export von Energieträgern – nicht durch die Ratifikation des ECT seitens Russlands vergrößert worden wäre. Es ist nicht 745
Stern, Oxford Energy Comment, March 2008, S. 3.
746
Ehricke in: Leible/Lippert/Walter (Hrsg.), Die Sicherung der Energieversorgung auf globalisierten Märkten, S. 67 f. 747 748
G.III.2.c). Geden, SWP-Aktuell 2008/A 83, November 2008, S. 3.
Wettbewerb und Liberalisierung
243
davon auszugehen, dass die europäische Seite von der Unterstützung für Pläne zur Diversifizierung der Herkunftsquellen für Energieträger Abstand nähme, wenn Russland ECT-Vertragspartei geworden wäre, zumal der Vertrag selbst keinerlei Liefergarantien enthält. Auch ist nicht davon auszugehen, dass europäische Investoren – aufgrund des Ausstiegs Russlands aus dem Energiecharta-Vertrag – künftig nicht mehr bereit sein werden, substantielle Investitionen in Förder- und Transportinfrastruktur zu tätigen; vielmehr mangelt es trotz der Ereignisse um Jukos, Sakhalin-II und Kovykta nicht an Interesse europäischer Investoren, sich an neuen Projekten in Russland zu beteiligen.
VIII. Wettbewerb und Liberalisierung Die EG und ihre Mitgliedstaaten auf der einen Seite und Russland auf der anderen sind in Art. 53 Abs. 1 PCA übereingekommen, darauf hinzuarbeiten, dass Wettbewerbsbeschränkungen beseitigt werden, soweit sie den Handel zwischen der Gemeinschaft und Russland zu beeinträchtigen geeignet sind. Nach Art. 53 Abs. 2 Nr. 1 PCA stellen die Vertragsparteien zur Erreichung dieses Zieles sicher, dass in ihrem Zuständigkeitsbereich Rechtsvorschriften gegen Wettbewerbsbeschränkungen durch Unternehmen bestehen und durchgesetzt werden. Nach Art. 53 Abs. 4 PCA zieht jede Vertragspartei auf Antrag und im Rahmen der zur Verfügung stehenden Mittel in Erwägung, der anderen Vertragspartei technische Hilfe bei der Ausarbeitung und Durchführung von Wettbewerbsregeln zu leisten. Der bis zum 18. Oktober 2009 von Russland vorläufig angewendete Energiecharta-Vertrag enthält ähnliche Bestimmungen speziell bezogen auf Wirtschaftstätigkeit im Energiesektor, wobei es dort – im Gegensatz zum PCA – nicht nur um Wettbewerbsbeschränkungen geht, welche den internationalen Handel beeinträchtigen. Nach Art. 6 Abs. 1 ECT wirkt jede Vertragspartei darauf hin, Marktverzerrungen und Wettbewerbsbeschränkungen bei einer Wirtschaftstätigkeit im Energiebereich zu beseitigen. Nach Art. 6 Abs. 2 ECT sorgt jede Vertragspartei dafür, dass innerhalb ihrer Zuständigkeit Gesetze vorhanden sind und durchgesetzt werden, die erforderlich und geeignet sind, um gegen einseitiges und abgestimmtes wettbewerbswidriges Verhalten bei einer Wirtschaftstätigkeit im Energiebereich vorzugehen. Nach Art. 6 Abs. 3 ECT leisten Vertragsparteien, die in der Anwendung von Wettbewerbsregeln bereits Erfahrung haben, gegenüber anderen Vertragsparteien auf Ersuchen und im Rahmen verfügbarer
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G. Fragestellungen hinsichtlich der Beziehungen im Energiebereich
Mittel technische Hilfe bei der Weiterentwicklung und Anwendung von Wettbewerbsregeln. Die Normen des PCA und des ECT zwingen nicht zur Privatisierung von Transport- oder Verteilungsnetzen. Sie erzwingen auch nicht die Zerschlagung von Monopolen oder Unternehmen mit marktbeherrschender Stellung. Darüber hinaus stehen die Wettbewerbsnormen der beiden Verträge nicht der staatlichen Zuteilung von Abbaulizenzen für Energieträger ohne Ausschreibung entgegen. Artikel 53 PCA und Art. 6 ECT behandeln vielmehr nur die staatliche Kontrolle von Wettbewerbsbeschränkungen und Missbräuchen einer marktbeherrschenden Stellung; sie behandeln also insbesondere die Arbeit der Wettbewerbsbehörden. Und obwohl der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung auch negative Auswirkungen auf ausländische Investoren haben kann, betrifft Art. 6 ECT allein die Beziehungen zwischen den Vertragsstaaten. Ein ausländischer Investor kann sich nicht direkt auf diese Norm berufen; er kann grundsätzlich nur dann von ihr profitieren, wenn eine Regierung (bzw. die EU-Kommission) für sein Anliegen eintritt.749 Dafür stehen dieser jedoch gemäß Art. 6 Abs. 7 ECT nur das Notifikationsverfahren nach Art. 6 Abs. 5 ECT sowie der diplomatische Weg nach Art. 27 Abs. 1 ECT offen, nicht hingegen das Verfahren nach Art. 27 Abs. 2 ECT. Dergleichen ist indes, soweit ersichtlich, bisher nie geschehen. Die Zusammenarbeit zwischen europäischen und russischen Wettbewerbsbehörden funktioniert nach allgemeiner Einschätzung recht gut. Die russische Antimonopolbehörde (Federal’naja antimonopolnaja služba – FAS) und DG Wettbewerb stehen im Dialog; Mitarbeiter beider Wettbewerbsbehörden treffen sich regelmäßig auf Konferenzen und diskutieren Angelegenheiten der Wettbewerbspolitik. Bei der Ausarbeitung der modernen russischen Wettbewerbsgesetzgebung wurden europäische Experten konsultiert. Im Ergebnis ist das russische Wettbewerbsrecht relativ nah am europäischen Wettbewerbsrecht. Die FAS ist zudem dezidiert bestrebt, sich in das globale Netzwerk der Wettbewerbsbehörden zu integrieren; und es ist nicht ersichtlich, dass der Ausstieg Russlands aus dem Energiecharta-Prozess diese Bestrebungen dämpfen würde. Die Arbeit der Behörde, etwa verschiedentliches Vorgehen gegen Gazprom wegen Beschränkungen beim Pipelinezugang,750
749 750
Vgl. Wälde in: Wälde (Hrsg.), The Energy Charter Treaty, S. 311.
FAS, Press-release of 16.04.2008: «Case on restricted access to a gas transportation system».
Wettbewerb und Liberalisierung
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findet – auch außerhalb Russlands – immer wieder öffentliche Beachtung.
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H. Zusammenfassung und Ausblick I. Zusammenfassung Die Beziehungen zwischen der EU und Russland im Energiesektor sind stark – jedoch nicht ausschließlich – von der Energieimportabhängigkeit der EU und dem Ressourcenreichtum Russlands geprägt, sowie davon, dass europäische Unternehmen daran interessiert sind, im russischen Energiesektor zu investieren und dahingehend über ausreichend Investitionskapital und Know-how verfügen. Wurde Anfang der 1990er Jahre noch weitgehend davon ausgegangen, dass die EU bzw. ihre Mitgliedstaaten und Russland sich aufgrund dieser Ausgangslage im Energiesektor gegenseitig ergänzen würden, haben sich im Laufe der Zeit immer wieder Differenzen offenbart. Werden heutzutage Energiefragen im Verhältnis zwischen der EU und Russland in Presse und Schrifttum aus europäischer Perspektive behandelt, geht es zumeist in negativer Hinsicht um Aspekte der Energieversorgungssicherheit sowie um die Behandlung (potentieller) europäischer Investoren im russischen Energiesektor. Bei der Betrachtung aus russischer Perspektive stehen vor allem Marktzugangsfragen – insbesondere für Nuklearmaterial –, ungelöste Transitproblematiken, die Souveränität über Energieressourcen und der Themenkreis Abnahmesicherheit im Fokus. Es gibt jedoch darüber hinaus noch zahlreiche weitere Aspekte, denen in der Öffentlichkeit kaum Beachtung geschenkt wird. Die Behandlung von Energiefragen im europäisch-russischen Verhältnis ist häufig emotional und (macht-)politisch aufgeladen. Rechtliche und völkerrechtliche Aspekte treten zumeist in den Hintergrund. Es ist jedoch möglich und lohnend, Energiefragen im europäisch-russischen Verhältnis einer nüchternen rechtlichen und völkerrechtlichen Analyse zu unterziehen. Eine solche Analyse sollte Ausgangspunkt für Handlungsempfehlungen und die Suche nach Kompromissen sein. Das völkerrechtliche Verhältnis im Energiesektor zwischen der EU und Russland richtet sich nach Völkergewohnheitsrecht und nach völkerrechtlichen Verträgen. Für lange Zeit war in diesem Kontext insbesondere der Vertrag über die Energiecharta (ECT) von Bedeutung, namentlich seit seiner Unterzeichnung am 17. Dezember 1994 bis zum Ausstieg Russlands aus dem Energiecharta-Prozess mit Wirkung ab dem 19. S. Pritzkow, Das völkerrechtliche Verhältnis zwischen der EU und Russland im Energiesektor, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 227, DOI 10.1007/978-3-642-21168-3_8, © by Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V., to be exercised by Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Published by Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011. All Rights Reserved.
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H. Zusammenfassung und Ausblick
Oktober 2009. Denn obwohl Russland den ECT nicht ratifizierte, zeitigte der Vertrag in diesem Zeitraum wegen seiner vorläufigen Anwendung völkerrechtliche Wirkung. Dahingehend wurde in der Untersuchung zunächst allgemein auf das Institut der vorläufigen Anwendung völkerrechtlicher Verträge (F.I.1) sowie auf die vorläufige Anwendung des ECT (F.I.2) eingegangen; anschließend wurden Sonderfragen betrachtet, die speziell mit der vorläufigen Anwendung des Vertrages durch Russland zusammenhängen (F.II). Dies geschah nicht allein aus rechtshistorischem Interesse, sondern auch, weil die Bindungswirkung des Vertrages während seiner vorläufigen Anwendung teilweise noch bis zum 18. Oktober 2029 von Bedeutung ist, nämlich in Bezug auf Investitionen im Energiesektor, welche noch vor Beendigung der vorläufigen Anwendung des ECT getätigt wurden. Die vorläufige Inkraftsetzung bzw. Anwendung ratifikationsbedürftiger – aber noch nicht ratifizierter – völkerrechtlicher Verträge begegnet zwar Bedenken verfassungsrechtlicher Art; das Konzept der vorläufigen Anwendung ist gleichwohl wegen seiner Vorteile anerkannt und in der völkerrechtlichen Praxis weit verbreitet. Soweit die Vereinbarung der vorläufigen Anwendung eines Vertrages reicht, sind dessen Normen völkerrechtlich bindend, und es gelten die in Art. 26 WVK (pacta sunt servanda) und Art. 27 WVK (keine Berufung auf innerstaatliches Recht, um die Nichteinhaltung eines Vertrages zu rechtfertigen) kodifizierten Grundsätze (F.I.1). Artikel 45 ECT, in dem die vorläufige Anwendung des Energiecharta-Vertrages vereinbart wurde, weicht jedoch nicht unerheblich von der Grundklausel zur Vereinbarung der vorläufigen Anwendung völkerrechtlicher Verträge ab. Dadurch wird der in Art. 27 WVK kodifizierte Grundsatz auf den Kopf gestellt. Ein solches Aufden-Kopf-Stellen begegnet allerdings, wenn es auf den Zeitraum der vorläufigen Anwendung beschränkt ist, keinen durchschlagenden dogmatischen Bedenken (F.I.2.c)). Die konkrete Fassung des Art. 45 Abs. 1 ECT hat zur Konsequenz, dass während der nur vorläufigen Anwendung des Vertrages die Einschränkung der völkerrechtlichen Bindung durch Verfassungs- oder Gesetzesänderungen zulässig ist (F.I.2.d)bb)(2)(a)). Die Einschränkung der völkerrechtlichen Bindung durch Regierungsakte nach Vertragsunterzeichnung ist hingegen, trotz des scheinbar entgegenstehenden Wortlautes des Art. 45 Abs. 1 ECT, grundsätzlich unzulässig (F.I.2.d)bb)(2)(b)). Ist die Einschränkung der völkerrechtlichen Bindung während der nur vorläufigen Anwendung des Vertrages zulässig, so beeinträchtigt ein darauf abzielender Rechtsakt nicht die bereits erworbe-
Zusammenfassung
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nen Rechte (den bereits erworbenen völkerrechtlichen Schutzgrad) von Investoren anderer Unterzeichner (F.I.2.d)cc)). Russland wendete den Energiecharta-Vertrag vom 17. Dezember 1994 bis zum Ablauf des 18. Oktober 2009 gemäß Art. 45 ECT vorläufig an (F.II.1.a)). Der vorläufigen Anwendung des Vertrages stand kein – aufgrund der Fassung des Art. 45 Abs. 1 ECT völkerrechtlich relevantes – innerstaatliches russisches Recht entgegen (F.II.1.b)). Die Frage, ob – bei einer Divergenz zwischen russischen Gesetzen und ECTVertragsbestimmungen – das Zusammenspiel von Art. 45 Abs. 1 ECT und Art. 15 Abs. 4 VRF eine Weiterverweisungsproblematik erzeugte bzw. erzeugt, welche der Problematik des Renvoi im IPR strukturell ähnlich und eventuell zugunsten der Vertragsbestimmungen aufzulösen ist, war letztlich negativ zu beantworten (F.II.1.c)cc)). Russland konnte und kann sich daher nach den für den ECT allgemein beschriebenen Grundsätzen auf innerstaatliches Recht berufen, um gegenüber anderen ECT-Unterzeichnern und deren Investoren die Nichteinhaltung des Vertrages völkerrechtlich zu rechtfertigen. Umgekehrt waren und sind, aufgrund der Reziprozität der bilateralen Pflichtenstruktur, auch die anderen Unterzeichner, selbst wenn diese den Vertrag bereits ratifiziert haben und dadurch Vertragsparteien geworden sind, gegenüber Russland und russischen Investoren berechtigt, sich auf ihr innerstaatliches Recht zu berufen, um die Nichteinhaltung einer Vertragsbestimmung völkerrechtlich zu rechtfertigen (F.II.2). Im Laufe der Untersuchung wurden, ausgehend vom Postulat der staatlichen Souveränität, zentrale Energiefragen im europäisch-russischen Verhältnis rechtlich untersucht. Der ermittelte völkerrechtliche Status quo wurde mit der Interessenlage beider Seiten zum jeweiligen Beziehungsaspekt abgeglichen. Er wurde auch mit der Regelungssituation verglichen, die bestehen würde, wenn Russland den ECT und gegebenenfalls das Trade-Amendment und das Transitprotokoll in dessen Entwurfsfassung ratifiziert hätte bzw. wenn Russland der WTO beiträte. Diese hypothetische Regelungssituation wurde ebenfalls mit der Interessenlage beider Seiten verglichen. In einer Gesamtschau wurde dabei deutlich, dass die Hoffnungen, welche auf europäischer Seite mit der Ratifikation des ECT durch Russland verbunden wurden, klar überzogen waren. Der ECT bekräftigt die Souveränität eines jeden Staates über die auf seinem Territorium lagernden Energievorkommen. Als ECT-Vertragspartei wäre die Russische Föderation nicht dazu verpflichtet, Energieträger auf ihrem Territorium zum Abbau freizugeben oder europäi-
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schen Unternehmen Zugang zu Energielagerstätten zu gewähren (G.I.1.d)). In Bezug auf Handel mit Energieträgern und Energieerzeugnissen enthalten GATT/GATS, PCA und ECT eine Reihe von Regelungen zu den Fragen Ausfuhrbeschränkungen, Einfuhrbeschränkungen und Zöllen. Bemerkenswert sind in diesem Zusammenhang vor allem drei Aspekte. Zum Ersten ist die Beschränkung des europäisch-russischen Handels mit Nuklearmaterial (bzw. des Handels von Anreicherungsdienstleistungen) gegenwärtig völkerrechtlich zulässig und wird von der EU zur Sicherstellung einer ausgewogenen Versorgungsstruktur und zum Schutz der eigenen Nuklearanreicherungsindustrie auch praktiziert. Handelsbeschränkungen im Nuklearsektor wären auch zulässig, wenn die Russische Föderation ECT-Vertragspartei geworden wäre; im Falle des Betritts Russlands zur WTO würden diese Handelsbeschränkungen ebenfalls zulässig bleiben. Dies entspricht den Interessen der EU, nicht hingegen den Interessen Russlands (G.II.2.b)bb)(6) und G.II.2.c)ee)). Zum Zweiten sind gegenwärtig bestehende Einfuhrbeschränkungen für „schmutzigen Strom“ aus Russland völkerrechtlich zulässig. Sie wären auch zulässig, wenn Russland WTO-Mitglied würde. Wenn Russland allerdings den ECT ohne das Trade-Amendment ratifiziert hätte (oder dies noch tun würde), wären Einfuhrbeschränkungen für „schmutzigen Strom“ solange völkerrechtlich unzulässig, bis Russland auch das Trade-Amendment ratifizierte oder WTO-Mitglied würde. Eine Interkonnektion der Leitungsnetze, welche einen substanziellen Stromhandel erst möglich machen würde, könnte Russland jedoch auch nach Ratifikation des ECT nicht verlangen (G.II.2.b)cc)(6)). Zum Dritten ist ein System der doppelten Preisnotierung für Energieträger nach dem GATT, dem PCA und dem ECT nicht verboten. Russland und die EU haben sich im Zuge der WTO-Beitrittsverhandlungen allerdings darauf verständigt, dass in Russland die inländischen Erdgaspreise für industrielle Verwender schrittweise angehoben werden (G.II.3.b)bb)). In Bezug auf Transit von Energieträgern über das Territorium der Russischen Föderation ist festzuhalten, dass Russland gegenwärtig nicht gehalten ist, dafür Sorge zu tragen, dass Gazprom sein Pipelinesystem für Transit aus Zentralasien öffnet. Daran hätte auch die Ratifikation des ECT durch die Russische Föderation nichts geändert. Wenn Russland den ECT und das Transitprotokoll in der Entwurfsfassung von 2003 ratifiziert hätte (bzw. entsprechende Verpflichtungen in einem künftigen Übereinkommen übernähme), so wäre es jedoch immerhin gehalten sicherzustellen, dass Gazprom in gutem Glauben in Verhand-
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lungen über den Zugang zu – und die Nutzung von – freier Transitkapazität eintritt. Obligatorischen Zugang zum Gazprom-Netzwerk – eventuell gar zu Lasten der Transportkapazitäten für gazpromeigenes Gas – gäbe es aber auch dann nicht (G.III.2.b)bb)). Wird Transit gewährt, müssten die Transittarife selbst dann nicht genauso niedrig sein, wie die Tarife für innerstaatlichen Transport, wenn Russland den ECT und sein Transitprotokoll ratifiziert hätte (bzw. entsprechende Verpflichtungen in einem künftigen Übereinkommen übernähme) (G.III.2.b)cc)). In Bezug auf Transit für Erdgas aus Russland über das Territorium von Transitstaaten ist festzuhalten, dass die Entwendung von Energieträgern im Transit einen Völkerrechtsverstoß darstellt, auch wenn der Transitstaat selbst nicht mit Energieträgern beliefert wird. Der ECT stellte und stellt aus russischer Sicht kein effektives Instrumentarium bereit, um die Sicherheit bestehenden Gastransits bis zu den relevanten Übergabepunkten zu gewährleisten. Unterbricht Gazprom seine Lieferungen an europäische Abnehmer (etwa wegen der illegalen Entnahme von Gas im Transitstaat), so liegt darin zwar eine Vertragsverletzung Gazproms gegenüber seinen Abnehmern, jedoch kein Völkerrechtsverstoß Russlands. Diese Regelungssituation bestünde auch, wenn Russland den ECT und das Projekt des Transitprotokolls ratifiziert hätte (G.III.2.c)ee)). In Bezug auf Investitionsschutz ist festzuhalten, dass Russland auch während der nur vorläufigen Anwendung des ECT den darin vorgesehen Schiedsverfahren, insbesondere dem Schiedsverfahren InvestorStaat, unterworfen war (G.IV.1.e)dd)(5)). Dieses Unterworfensein besteht hinsichtlich der einmal aufgrund der vorläufigen Anwendung des ECT geschützten Investitionen noch bis zum 18. Oktober 2029 fort. Wegen der Fassung des Art. 45 Abs. 1 ECT standen und stehen die einzelnen Vertragsverpflichtungen zum Investitionsschutz jedoch unter dem Vorbehalt ihrer Vereinbarkeit mit innerstaatlichem Recht. So kann beispielsweise die Bindung an Art. 11 Abs. 2 ECT durch Normen wie Art. 7 Punkt 2 des PSA-Gesetzes geschmälert werden (G.IV.1.f)bb)). Unzulässig sind hingegen Maßnahmen, welche durch den Energiecharta-Vertrag (bzw. aufgrund seiner vorläufigen Anwendung) geschützte Investoren gegenüber Inländern willkürlich benachteiligen; von Diskriminierung betroffene Investoren können selbst – auch nachdem Russland die vorläufige Anwendung des Vertrages beendet hat – ein ECT-Schiedsverfahren einleiten und sind nicht auf diplomatischen Schutz ihrer Sitzstaaten angewiesen (G.IV.1.f)cc)).
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Die Beschränkung der Investitionstätigkeit ausländischer Investoren ist nach gegenwärtigem Völkerrecht im europäisch-russischen Verhältnis zulässig. Eine Öffnung für ausländische Investitionen hätte auch die Ratifikation des ECT durch Russland nicht erzwungen. Zwar wird auf europäischer Seite die Beschränkung von ausländischen Investitionen in Russland kritisch gesehen; zugleich besteht aber auch in der EU bei vielen Regierungen ein Interesse daran, den eigenen Energiesektor vor Übernahmen durch ausländische Investoren schützen zu können. Ob eine Änderung des Status quo im Interesse der EU liegt, kann daher nicht eindeutig beantwortet werden (G.IV.2.g)). Umweltschutz liegt im Interesse sowohl der EU und ihrer Mitgliedstaaten als auch Russlands. Aus verschiedenen Gründen wurden allerdings die umweltschutzbezogenen Verpflichtungen im ECT nur sehr schwach ausgestaltet; Sondervereinbarungen wie dem Kyoto-Protokoll kam und kommt daher besondere Bedeutung zu (G.V.). Aufgrund von Interessenidentität funktioniert die europäisch-russische Kooperation in Bezug auf Energieeffizienz und damit verbundene Umweltaspekte besonders gut, obwohl völkerrechtliche Verpflichtungen dahingehend ebenfalls nur schwach ausgestaltet sind (G.VI.1). Auch die Zusammenarbeit im Nuklearsektor ist wegen weitgehender Interessenidentität erfolgreich (G.VI.3). Die Bewertung anderer Kooperationsprojekte – etwa die des Energie-Technologiezentrums – fällt hingegen negativ aus (G.VI.4). Als positiv kann jedoch die Zusammenarbeit im Bereich Wettbewerb, insbesondere die Zusammenarbeit der Wettbewerbsbehörden, bewertet werden (G.VIII).
II. Ausblick Russland hat per Notifikation seine Absicht bekundet, nicht ECTVertragspartei zu werden; damit hat Russland zugleich die vorläufige Anwendung des Vertrages mit Wirkung ab dem 19. Oktober 2009 beendet. Die politische Führung Russlands ging offensichtlich nicht davon aus, dass die Ratifikation des Vertrages den russischen Interessen dienen würde.751 Dies liegt insbesondere daran, dass bestimmte Fragen, 751
Im russischen Schrifttum wurde gleichwohl vereinzelt die entgegengesetzte Auffassung vertreten. Siehe etwa: Žiznin, Strategičeskie interesy Rossii v mirovoj ėnergetike, S. 165 f.; Konopljanik in: Konopljanik (Hrsg.), Dogovor k Ėnergetičeskoj CHartii: put’ k investicijam i torgovle dlja Vostoka i Zapada, S. 559; Farchutdinov, Meždunarodnoe investicionnoe pravo: Teorija i praktika
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an denen Russland ein besonderes Interesse hat, aus der Regelungsmaterie des Vertrages ausgeklammert wurden, insbesondere der Handel mit Nuklearmaterial. Zudem hätte die Ratifikation Transitproblematiken wie jene mit der Ukraine nicht verhindern können; im Fall von Gasdiebstählen in Transitstaaten könnte Russland auch als ECTVertragspartei die von der EU erwartete Unterstützung rechtlich nicht einfordern. Mit einigen ECT-Regeln verband und verbindet die russische Führung außerdem die Befürchtung, Handlungsoptionen in Bezug auf den Transport von Erdgas aus Zentralasien und in Bezug auf ausländische Investitionen in den russischen Energiesektor zu verlieren. Generell wird in Russland darauf verwiesen, dass der ECT die Interessen energieexportierender Staaten nicht genügend berücksichtigt, weshalb auch Norwegen den Vertrag nicht ratifiziert habe (und ihn nicht vorläufig anwende). Zudem ist tatsächlich nicht davon auszugehen, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten im Falle der Ratifikation des ECT durch Russland ihre Diversifizierungsbemühungen, welche auf die Verminderung der Rolle Russlands als Herkunftsquelle oder als Umschlagplatz für Energieträger abzielen, einstellen würden. Handfeste rechtliche Vorteile für Russland, die mit einer Ratifikation des ECT verbunden gewesen wären (bzw. es noch sind), liegen nur in einem Plus an Investitionsschutz für russische Investoren im europäischen Energiesektor sowie darin, dass bei Ratifikation des ECT ohne TradeAmendment mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen der europäischen Staaten für „schmutzigen Strom“ bis zum Beitritt Russlands zur WTO völkerrechtlich unzulässig wären.752 Dass Russland durch die Ratifikation des ECT für europäische Investoren attraktiver würde, war und ist für die russische Staatsführung hingegen unerheblich, denn momentan stehen ausländische Investoren im Wettbewerb um die Beteiligung an Projekten in Russland – und nicht Russland im Wettbewerb mit anderen Staaten um einen ausländischen Investor. Wann und unter welchen Umständen Russland der WTO beitreten wird hängt nicht wesentlich von Energiefragen ab. Auf diese bezogen wird der Beitritt für Russland die positive Konsequenz haben, dass dann die Nutzung des WTO-Streitschlichtungsverfahrens offensteht, primenenija, S. 141; Šilova, Meždunarodno-pravovoe regulirovanie sotrudničestva gosudarstv v oblasti ėnergetiki na osnove dogovora k ėnergetičeskoj chartii: učastie i perspektivy Rossijskoj Federacii, S. 156. 752
Würde das Transitprotokoll in seiner Entwurfsfassung von 2003 angenommen, sähe Russland zudem das von Gazprom gewünschte Right of first refusal völkerrechtlich verankert.
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etwa in Bezug auf Maßnahmen gegen in Russland erzeugte energieintensive Güter. Wie Energiefragen im europäisch-russischen Verhältnis außerhalb des WTO-Rahmens künftig völkerrechtlich geregelt werden, ist momentan sowohl hinsichtlich der Form als auch hinsichtlich des Regulierungsinhalts unklar. Die europäische Seite hat sich mehrfach dafür ausgesprochen, möglichst viele Aspekte des Energiecharta-Vertrages sowie andere Energieaspekte in das neu auszuhandelnde Partnerschafts- und Kooperationsabkommen zu integrieren. Russland steht diesem Vorschlag jedoch kritisch gegenüber und möchte das neue PCA eher als Rahmen verstanden wissen, der nicht mit zu vielen – zudem sektorspezifischen – Details überladen werden sollte. Statt dessen schlug Russland zuletzt auf dem Gipfel 2009 in Chabarowsk vor, den Energiecharta-Vertrag – den die Russische Föderation trotz der Beendigung seiner vorläufigen Anwendung als einen wichtigen multilateralen Vertrag im Energiebereich ansieht753 – durch ein neues Dokument zu ersetzen, welches die Interessenlage von Energieexporteuren, Transitstaaten und Energieimporteuren neu ausbalancieren solle. Es erscheint jedoch unwahrscheinlich, dass dieser Vorschlag mit substantieller Unterstützung durch die EU bzw. wichtige EU-Mitgliedstaaten rechnen kann, zumal bisher noch keine konkrete Verhandlungsgrundlage vorgelegt wurde. Vermutlich werden unproblematische Fragen – wie die Verstärkung der Zusammenarbeit in den Bereichen Umweltschutz, Energieeffizienz, erneuerbare Energien und Zusammenarbeit der Wettbewerbsbehörden – im neuen Partnerschafts- und Kooperationsabkommen einen Platz finden. Für die wirklich problematischen Aspekte werden jedoch Sondervereinbarungen zu suchen sein, die gegebenenfalls zusammen mit dem neuen PCA abgeschlossen werden. Substantielle Umweltschutzverpflichtungen – etwa zur Bekämpfung des Klimawandels – sind allerdings auf globaler Ebene besser angesiedelt als im bilateralen europäisch-russischen Kontext, da in diesem Bereich Maßnahmen nur weniger Staaten keinen Erfolg versprechen und sich auf die Wirtschaftsakteure dieser Staaten nachteilig auswirken können. Hinsichtlich denkbarer Sondervereinbarungen zwischen der EU und Russland könnten auf europäischer Seite die faktischen Importbeschränkungen für russisches Nuklearmaterial zur Disposition stehen. Auch sind Zugeständnisse hinsichtlich des Voranbringens einer Inter753
Siehe das auf der Internetseite des Energiecharta-Sekretariats veröffentlichte Statement der Vertreter der Russischen Föderation anlässlich des 20. Treffens der Energiecharta-Konferenz am 9. Dezember 2009 in Rom.
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konnektion der Stromnetze denkbar. Beide Seiten könnten zudem Konzessionen in Bezug auf den Schutz getätigter Investitionen von Investoren der jeweils anderen Seite sowie in Bezug auf die Öffnung für Investitionen von Investoren der jeweils anderen Seite machen. Besonders dringend ist jedoch zunächst eine Lösung für die transitbezogene Problematik zu finden, welche zu Lieferunterbrechungen in europäischen Staaten geführt haben. Eine mögliche Lösung dieses Problempunktes läge darin, die in langfristigen Lieferverträgen zwischen Gazprom und seinen europäischen Abnehmern vereinbarten Übergabepunkte an die russische Außengrenze zu verschieben. Dann wären Gasdiebstähle in Transitstaaten nämlich kein Problem Gazproms, und Gazprom hätte folglich im Fall erneuter Diebstählen keine Veranlassung mehr, Lieferungen über die vom Diebstahl betroffenen Transitrouten gänzlich einzustellen. Allerdings ist eine solche Verschiebung der Übergabepunkte wohl weder im Interesse Gazproms, das eher downstream expandieren als sich upstream zurückziehen möchte, noch im Interesse europäischer Großabnehmer, welche nicht wirtschaftlich mit dem Risiko von Gasdiebstählen in Transitstaaten belastet werden wollen. Auch erscheint es kaum möglich, dass Regierungen Einfluss auf die Vertragsgestaltung der beteiligten Akteure gegen den Willen auch nur eines von ihnen nehmen können. Eine zweite mögliche Lösung bestünde darin, dass sich die russische Regierung völkerrechtlich verpflichtet, Gazprom zur Weiterbelieferung über eine Transitroute zu zwingen, auch in dem Fall, dass es auf dieser Route zu Diebstählen kommt. Dadurch würden jedoch aus russischer Sicht Transitstaaten erst recht zu Diebstählen ermutigt und die Transitproblematik würde, wenn eine solche Vereinbarung ohne Gegenleistung der europäischen Seite erfolgte, insgesamt den russischen Interessen zuwiderlaufen. Denkbar wäre aber eine Einigung dahingehend, dass die europäischen Staaten versprechen, für die Bezahlung des im Transit entwendeten Gases aufzukommen. Auch dies würde jedoch zweifelhafte Signale an Transitstaaten senden und kann kaum als im Interesse der europäischen Staaten liegend angesehen werden. Eine dritte Möglichkeit besteht darin, dass Russland und die EU-Staaten zusammenwirken, um Transitstaaten bzw. Abnehmer in Transitstaaten in die Lage zu setzen, die eigene Belieferung bezahlen zu können. Auf diese Weise würde die erste Stufe im Eskalationsmuster – Unterbrechung der Lieferungen an Großabnehmer in Transitstaaten – vermieden, so dass es auch nicht zu Gasdiebstählen und zur Einstellung der Lieferungen über die von Diebstählen betroffene Transitroute kommen würde. Kreditlösungen werden gegenwärtig diskutiert.
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Im Übrigen wäre es unklug, Kompromissmöglichkeiten allein im Energiesektor auszuloten, und für das Entgegenkommen in einer Energiefrage allein das Entgegenkommen in einer anderen Energiefrage anzubieten. Vielmehr erscheint ein pragmatischer Globalkompromiss, bei welchem Entgegenkommen in Energiefragen für Entgegenkommen in anderen Fragen geboten wird, angezeigt. Ein solcher Globalkompromiss muss sowohl der EU und ihren Mitgliedstaaten als auch Russland – abseits von Misstrauen in die Zuverlässigkeit der jeweils anderen Seite – berechenbare Zukunftsperspektiven und Entwicklungsmöglichkeiten bieten.
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Summary International Law Aspects of EU-Russia Energy Relations
- An Analysis with special Reference to the Provisional Application of the Energy Charter Treaty by Russia Questions related to energy issues in the relationship between the EU and Russia are often discussed from a political science perspective. At the same time, a broad analysis of these questions from an international law perspective is currently missing. The author endeavors to close this gap. Emanating from an overview on relevant actors and their respective interests, the present work addresses relevant legal instruments between the EU and Russia – paying special attention to the EU-Russia Partnership and Cooperation Agreement (PCA) and to the Energy Charter Treaty (ECT). Russia did not ratify the latter, but applied the ECT on a provisional basis for over 14 years. Thus, the specific regime of provisional application under Article 45 ECT is analyzed. In doing so, particular focus is put on a general problem of international law: The provisional application of a treaty, subject to the condition that treaty provisions are not inconsistent with the signatories’ respective municipal laws. Deriving from that, the author addresses several legal questions with respect to EU-Russia energy relations such as trade, transit, investment protection and security of energy supply. For each question, a description of the legal status quo is given. Also, it is demonstrated to which extent this status quo differs from the interests of the relevant actors, and how Russia’s WTO accession and/or Russia’s ratification of the ECT would change the situation. The work ends with concluding remarks and an outlook on the future.
S. Pritzkow, Das völkerrechtliche Verhältnis zwischen der EU und Russland im Energiesektor, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 227, DOI 10.1007/978-3-642-21168-3_9, © by Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V., to be exercised by Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Published by Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011. All Rights Reserved.
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Literaturverzeichnis Im Folgenden werden alle zitierten Arbeiten angegeben, die Autoren oder Herausgebern zuzurechnen sind. Bei Sammelwerken gibt es sowohl einen Eintrag für die aus dem Sammelwerk zititierte Arbeit als auch einen Eintrag für das Sammelwerk selbst. Russischsprachige Arbeiten werden in Transliteration angegeben. Fremdsprachigen Arbeiten wird – außer bei solchen in englischer oder französischer Sprache – in Klammern eine deutsche Übersetzung hinzugefügt. Zur Erleichterung des Wiederauffindens russischsprachiger Arbeiten werden diese im Anhang 1 in kyrillischer Schreibweise wiederholend angegeben. Da von einigen Autoren sowohl russischsprachige Arbeiten als auch anderssprachige Arbeiten zitiert werden, ist es möglich, dass der gleiche Autor unterschiedlich geschrieben wird. Dies betrifft etwa Konopljanik (Konoplyanik in englischsprachigen Veröffentlichungen), Lukašuk (Lukashuk) und Žiznin (Zhiznin).
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Verzeichnis erwähnter völkerrechtlicher Verträge Datum
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Abkommen zwischen der Europäischen Union und der Russischen Föderation über die Beteiligung der Russischen Föderation an der Polizeimission der Europäischen Mission (EUPM) in Bosnien und Herzegowina. ABl. L 197 vom 05.08.2003, S. 38
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Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Regierung der Russischen Föderation zur Änderung des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl und der Regierung der Russischen Föderation über den Handel mit bestimmten Eisen- und Stahlerzeugnissen vom 9. Juli 2002. ABl. L 9 vom 15.01.2004, S. 22
27.04.2004
Protokoll zum Abkommen über Partnerschaft und Zusammenarbeit zur Gründung einer Partnerschaft zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Russischen Föderation andererseits anlässlich des Beitritts der Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien und der Slowakischen Republik zur Europäischen Union. ABl. L 216 vom 05.08.2006, S. 1
26.07.2004
Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Regierung der Russischen Föderation zur Änderung des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl und der Regierung der Russischen Föderation über den Handel mit bestimmten Eisen- und Stahlerzeugnissen vom 9. Juli 2002. ABl. L 255 vom 31.07.2004, S. 33
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Verzeichnis erwähnter Resolutionen des UNSicherheitsrates und der UN-Generalversammlung UN Security Council: Resolution 757 (1992) of 30 May 1992 General Assembly: Resolution 1803 (XVII). Permanent Sovereignty over Natural Resources
Verzeichnis erwähnter nationaler Rechtsakte sowie erwähnter EG/EU-Rechtsakte 1. Zitierte russische Rechtsakte Im Folgenden sind russische Rechtsakte in deutscher Sprache angegeben. Zur Erleichterung des Wiederauffindens sind diese im Anhang 2 auch in russischer Sprache angegeben. 1.1. Russische Gesetze und Russische Verfassung (chronologisch geordnet) Föderales Gesetz vom 2. Dezember 1990 N 395-I „Über Banken und Bankentätigkeit“ (mit Änderungen und Ergänzungen) Gesetz der Russländischen Föderation vom 21.02.1992 N 2395-1 „Über Bodenschätze“ (mit Änderungen und Ergänzungen) Gesetz der Russländischen Föderation vom 27. November 1992 N 4015-I „Über die Organisation des Versicherungswesen in der Russländischen Föderation“ (mit Änderungen und Ergänzungen) Verfassung der Russländischen Föderation (angenommen durch Volksabstimmung am 12. Dezember 1993). RG, 21.01.2009
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dert, und die eine Arbeitsgenehmigung besitzen, für die Erfüllung von Arbeitstätigkeiten“ Verordnung der Regierung der Russländischen Föderation vom 21.07.2008 N 547 „Über die Bestätigung der Exportzölle für Rohöl und für andere Erdölprodukte“. SZ-RF 2008, N° 30, Art. 3633 Verordnung der Regierung der Russländischen Föderation vom 25.12.2008 N 1023 „Über die Bestätigung der Exportzölle für Rohöl und für andere Erdölprodukte“. SZ-RF 2009, N° 1, Art. 149 Verfügung der Regierung der Russländischen Föderation vom 30. Juli 2009 N 1055-r 1.3. Russische Präsidialakte Verfügung des Präsidenten der Russländischen Föderation vom 7. August 1995 N° 370-rp, SZ-RF 1995, N° 33, Art. 3363 Dekret des Präsidenten der Russländischen Föderation vom 20.03.2008 N 369 „Über Maßnahmen zur Gründung der staatlichen Körperschaft für Atomenergie ,Rosatom‘“. SZ-RF 2008, N° 12, Art. 1112 1.4. Sonstige russische Normativakte Anordnung des Föderalen Dienstes für Tarife vom 24.12.2007 N 414ė/12 „Über die Bestätigung der Tarife für unabhängige Wirtschaftsorganisationen hinsichtlich der Gastransportdienstleistungen durch die zum einheitlichen Gasversorgungssystem gehörenden Hauptgasleitungen der Gazprom AG“ 2. Zitierte nichtrussische nationale Rechtsakte 2.1. Deutschland Außenwirtschaftsgesetz. BGBl. 2006 I, S. 1386 Gesetz über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren. Sartorius I, Nr. 835 2.2. Frankreich Code monétaire et financier (accessible via legifrance.gouv.fr)
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Anhang Anhang 1 (Verzeichnis der zitierten russischsprachigen Arbeiten in kyrillischer Schreibweise) Hier genannte Literatur ist auch im Literaturverzeichnis in Transliteration angegeben. Dort wurden die Titel ins Deutsche übersetzt. Аюпов, Риф С./Зубаиров, Марат Г./Мордвинцев, Геннадий В.: История государства и права России, 1917-1993 гг., Уфа 1994. Боровская, Ольга Владимировна: Правовое регулирование транзита энергоресурсов в европейском политическом контексте, Москва, 2005. Губарев, Дмитрий Сергеевич: Природа некоммерческих рисков в международных инвестиционных отношениях, Москва 2001. Гудков, И. В./Лахно, Петр Г.: Магистральные трубопроводы и право; Лахно (ред.), Энергетика и право, Выпуск 2, Москва 2009, с. 486-546. Евгеньев, В. В.: Правосубъектность, суверенитет и невмешательсто в международном праве. Советское Государство и Право 1955 № 2, с. 75-84. Жизнин, Станислав Захарович: Стратегические интересы России в мировой энергетике, Москва 2001. Зарубаева, Евгения Юрьевна : Общепризнанные принципы и нормы международного права и международные договоры в правовой системе России, Москва 2003. Звеков, В. П./Осминин, Б. И.: Комментарий к Федеральному закону "О международных договорах Российской Федерации", Москва 1996. Зимненко, Б. Л.: Международное право и правовая система Российской Федерации, Москва 2006. Кожевников, Ф. И. (ответственный редактор): Международное право, Москва 1957. Кожевников, Ф. И. (ответственный редактор): Международное право, Москва 1964.
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Федеральный закон от 3 апреля 1996 г. N 28-ФЗ "Об энергосбережении" (с изменениями и дополнениями). Уголовный кодекс РФ от 13 июня 1996 г. N 63-ФЗ (УК РФ) (с изменениями и дополнениями). Федеральный конституционный закон от 31 декабря 1996 г. N 1-ФКЗ "О судебной системе Российской Федерации" (с изменениями и дополнениями). Налоговый кодекс Российской Федерации (НК РФ) (с изменениями и дополнениями), часть первая от 31 июля 1998 г. N 146-ФЗ. Федеральный закон от 31 марта 1999 г. N 69-ФЗ "О газоснабжении в Российской Федерации" (с изменениями и дополнениями). Федеральный закон от 9 июля 1999 г. N 160-ФЗ "Об иностранных инвестициях в Российской Федерации" (с изменениями и дополнениями). Налоговый кодекс Российской Федерации (НК РФ) (с изменениями и дополнениями), часть вторая от 29 декабря 2000 г. N 166-ФЗ. Федеральный закон от 10 июля 2001 г. N 92-ФЗ "О специальных экологических программах реабилитации радиационно загрязненных участков территории" (с изменениями и дополнениями). Федеральный закон от 10 июля 2001 г. N 93-ФЗ "О внесении дополнений в статью 50 Закона РСФСР "Об охране окружающей природной среды" (утратил силу). Федеральный закон от 10 июля 2001 г. N 94-ФЗ "О внесении дополнений в Федеральный закон "Об использовании атомной энергии". Кодекс Российской Федерации об административных правонарушениях от 30 декабря 2001 г. N 195-ФЗ (КоАП РФ) (с изменениями и дополнениями). Федеральный закон от 10 января 2002 г. N 7-ФЗ "Об охране окружающей среды" (с изменениями и дополнениями). Арбитражный процессуальный кодекс Российской Федерации от 24 июля 2002 г. N 95-ФЗ (АПК РФ) (с изменениями и дополнениями). Федеральный закон от 25 июля 2002 г. N 115-ФЗ "О правовом положении иностранных граждан в Российской Федерации" (с изменениями и дополнениями). Гражданский процессуальный кодекс РФ от 14 ноября 2002 г. N 138-ФЗ (ГПК РФ) (с изменениями и дополнениями).
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Федеральный закон от 27 декабря 2002 г. N 184-ФЗ "О техническом регулировании" (с изменениями и дополнениями). Федеральный закон от 8 декабря 2003 г. N 164-ФЗ "Об основах государственного регулирования внешнеторговой деятельности" (с изменениями и дополнениями). Федеральный закон от 21 июля 2005 г. N 115-ФЗ "О концессионных соглашениях" (с изменениями и дополнениями). Водный кодекс Российской Федерации от 3 июня 2006 г. N 74-ФЗ (ВК РФ) (с изменениями и дополнениями). Федеральный закон от 18 июля 2006 г. N 117-ФЗ "Об экспорте газа". Федеральный закон от 1 декабря 2007 г. N 317-ФЗ "О Государственной корпорации по атомной энергии "Росатом". Федеральный закон от 1 декабря 2007 г. N 318-ФЗ "О внесении изменений в отдельные законодательные акты Российской Федерации в связи с принятием Федерального закона "О Государственной корпорации по атомной энергии "Росатом". Федеральный закон от 29 апреля 2008 года N 57-ФЗ г. "О порядке осуществления иностранных инвестиций в хозяйственные общества, имеющие стратегическое значение для обеспечения обороны страны и безопасности государства". 2. Russische Regierungsakte Постановление Правительства РФ от 14 июля 1997 г. N 858 "Об обеспечении доступа независимых организаций к газотранспортной системе Российского акционерного общества "Газпром". Постановление Правительства РФ от 9 июня 2001 г. N 456 "О заключении соглашений между Правительством Российской Федерации и правительствами иностранных государств о поощрении и взаимной защите капиталовложений". Постановление Правительства РФ от 1 ноября 2002 г. N 789 "Об утверждении Положения о выдаче иностранным гражданам и лицам без гражданства разрешения на временное проживание" (с изменениями и дополнениями). Постановление Правительства РФ от 1 ноября 2002 г. N 794 "Об утверждении Положения о выдаче иностранным гражданам и лицам без гражданства вида на жительство" (с изменениями и дополнениями).
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Anhang
Энергетическая стратегия России на период до 2020 года, Утверждена распоряжением Правительства Российской Федерации № 1234-р от 28 августа 2003 года. Постановление Правительства РФ от 15 ноября 2006 г. N 681 "О порядке выдачи разрешительных документов для осуществления иностранными гражданами временной трудовой деятельности в Российской Федерации". Постановление Правительства РФ от 27 ноября 2006 года N 718 "О Таможенном тарифе Российской Федерации и товарной номенклатуре, применяемой при осуществлении внешнеэкономической деятельности". Постановление Правительства РФ от 18 марта 2008 г. N 183 "Об утверждении Правил подачи работодателем или заказчиком работ (услуг) уведомления о привлечении и использовании для осуществления трудовой деятельности иностранных граждан и (или) лиц без гражданства, прибывших в Российскую Федерацию в порядке, не требующем получения визы, и имеющих разрешение на работу". Постановление Правительства РФ от 21 июля 2008 г. N 547 "Об утверждении ставок вывозных таможенных пошлин на нефть сырую и на отдельные категории товаров, выработанные из нефти, вывозимые с территории Российской Федерации за пределы государств - участников соглашений о Таможенном союзе". Постановление Правительства РФ от 25 декабря 2008 года N 1023 "Об утверждении ставок вывозных таможенных пошлин на нефть сырую и на отдельные категории товаров, выработанные из нефти, вывозимые с территории Российской Федерации за пределы государств - участников соглашений о Таможенном союзе". Распоряжение Правительства РФ от 30.07.2009 N 1055-р. 3. Russische Präsidialakte Распроряжение президента Российской Федерации от 7 августа 1995 г. № 370-рп "Вопросы внесения в Государственную Думу времено применяемых Российской Федерацией международных договоров". Указ Президента Российской Федерации от 20.03.2008 № 369 «О мерах по созданию Государственной корпорации по атомной энергии "Росатом"».
Anhang
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4. Sonstige Normativakte Приказ Федеральной службы по тарифам от 24 декабря 2008 г. N 414э/12 "Об утверждении тарифов на услуги по транспортировке газа по магистральным газопроводам ОАО "Газпром", входящим в Единую систему газоснабжения, для независимых организаций".
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Sachregister Abhängigkeit: 240 Abnahmesicherheit, siehe Energieabnahmesicherheit All-or-Nothing-Approach: 62 Ausfuhrbeschränkungen: 109 Ausfuhrzölle: 142 Außenkompetenzen der EU: 8, 29 baltische Staaten: 22, 184, 237 Baltisches-Pipeline-System: 24, 182 Belarus: 24, 61, 172, 179, 238 Beschränkung ausländischer Investitionen: 225 BITs: 196, 202 Diskriminierungsverbot: 218, siehe i.Ü. die einzelnen Energiefragen Diversifizierung – EU: 21 f., 121 ff., 239 – Russland: 23 ff., 184, 240 Doppelte Preisnotierung: 111 f. Early Warning Mechanism, siehe Frühwarnmechanismus ECT: 38, 55, siehe i.Ü. die einzelnen Energiefragen Einfuhrbeschränkungen: 115 Einfuhrzölle: 148 Energieabnahmesicherheit: 25, 239 Energieaußenpolitik der EU: 29 Energie-Dialog EU-Russland: 30, 116, 179
Energieeffizienz: 48 f., 230 Energielücke: 237 Energieversorgungssicherheit: 20 f., 38, 122 f., 235 Enteignung: 40, 190, 210 erworbene Rechte: 77, 209 Frühwarnmechanismus: 179 Gasexportmonopol: 109, 158, 168 Gaslieferverträge: 106 f., 173, 176, 187 f. Gaslücke: 237 Gasstreit Ukraine-Russland: 172 f., 175 GATS: 123, 140 GATT: 108, siehe i.Ü. die einzelnen Energiefragen Importbeschränkungen, siehe Einfuhrbeschränkungen Importzölle, siehe Einfuhrzölle Interkonnektion der Stromnetze: 133, 135, 137 Investitionen – Öffnung für –: 220 – Schutz von –: 40, 190 Jukos: 62, 194 f. Kooperation: 230 Kovykta: 156, 195 ff. Kyoto-Protokoll: 53, 229 Langfristige Lieferverträge: 20, 106 f., 152 f. Liberalisierung: 243 Lizenzentzug: 215 Nord-Stream: 22, 238
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Nuklearmaterial: 107, 120, 139 Ostsee-Pipeline, siehe NordStream PCA: 33, siehe i.Ü. die einzelnen Energiefragen Piecemeal-Approach: 64 Pipelinezugang: 155 ff., 168 ff., 244 Polen: 22, 184 Regional-integration-clause: 185 Reziprozität: 79, 95 Right of first refusal: 187 Sakhalin-II: 194 ff., 219 Schiedsgerichtsbarkeit, Unterwerfung unter –: 49, 197 Schlüsselpersonal: 42, 216 schmutziger Strom: 129, 134, 136 South-Stream: 25, 184 Souveränität: 97, siehe i.Ü. die einzelnen Energiefragen Souveränitätsdogma, sowjetisches –: 206 Steuern: 210, 220 Streitbeilegung, siehe Schiedsgerichtsbarkeit Take-or-pay-Klausel: 20, 106 Technologietransfer: 232
Sachregister
Territorial-restriction-clauses: 152 third party access: 155, 165 Transit: 45, 159 – pipelinegebundener –: 161 – Transittarife (transit tariffs): 170, 189 – Transitprotokoll: 46, 185 Transport: 155 TRIMs-Abkommen: 221 Übergabepunkte: 106 f., 173, 180 Ukraine: 24, 172 ff. Umweltschutz: 47, 213, 228 Ungleiche Bindung: 65, 69, 79 Versorgungssicherheit, siehe Energieversorgungssicherheit Verstaatlichung, siehe Enteignung Vorbehaltsregime: 80 f. Vorläufige Anwendung: 55 – ECT: 60, 82, 95 Welthandel mit Energieträgern: 108 Wettbewerb: 46, 243 Wiederaufbereitung von Nuklearmaterial: 107, 139 WTO: 24, 43 f., 53, 108, 151 Yukos, siehe Jukos Zentralasien: 163, 165 ff.
Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht
Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht Hrsg.: A. von Bogdandy, R. Wolfrum Bde. 27–59 erschienen im Carl Heymanns Verlag KG Köln, Berlin (Bestellung an: Max-Planck-Institut für Völkerrecht, Im Neuenheimer Feld 535, 69120 Heidelberg); ab Band 60 im Springer-Verlag Berlin, Heidelberg, New York, London, Paris, Tokyo, Hong Kong, Barcelona € € € 227 Sebastian Pritzkow: Das völkerrechtliche Verhältnis zwischen der EU und Russland € Seiten. Geb. E 79,95 € im Energiesektor. € 2011. XXIV, 304 225 Clemens Feinäugle: Hoheitsgewalt im Völkerrecht. 2011. XXVI, 418 Seiten. Geb. E 89,95 € € Barthel: Die neue Sicherheits- € und Verteidigungsarchitektur der Afrikanischen Union. 224 David € € € XXV, 443 Seiten. Geb. E 94,95 2011.
223 Tilmann Altwicker: Menschenrechtlicher Gleichheitsschutz. 2011. XXX, 549 Seiten. Geb. E 99,95 222 Stephan Bitter: Die Sanktion im Recht der Europäischen Union. 2011. XV, 351 Seiten. € € € E 84,95 Geb. 221 Holger Hestermeyer, Nele Matz-Lück, Anja Seibert-Fohr, Silja Vöneky (eds.): Law of the Sea € in Dialogue. 2011. XII, 189 Seiten. Geb. E 69,95 zzgl. landesüblicher MwSt. 220 Jan Scheffler: Die Europäische Union als rechtlich-institutioneller Akteur im System der € Vereinten Nationen. 2011. XXXV, 918 Seiten. Geb. E 149,95 219 Mehrdad Payandeh: Internationales Gemeinschaftsrecht. 2010. XXXV, 629 Seiten. Geb. E 99,95 218 Jakob Pichon: Internationaler Strafgerichtshof und Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. 2011. XXVI, 399 Seiten. Geb. E 89,95 217 Michael Duchstein: Das internationale Benchmarkingverfahren und seine Bedeutung für den gewerblichen Rechtsschutz. 2010. XXVI, 528 Seiten. Geb. E 99,95 216 Tobias Darge: Kriegsverbrechen im nationalen und internationalen Recht. 2010. XXXV, 499 Seiten. Geb. E 94,95 215 Markus Benzing: Das Beweisrecht vor internationalen Gerichten und Schiedsgerichten in zwischenstaatlichen Streitigkeiten. 2010. L, 846 Seiten. Geb. E 139,95 214 Urs Saxer: Die internationale Steuerung der Selbstbestimmung und der Staatsentstehung. 2010. XLII, 1140 Seiten. Geb. E 169,95 213 Rüdiger Wolfrum, Chie Kojima (eds.): Solidarity: A Structural Principle of International Law. 2010. XIII, 238 Seiten. Geb. E 69,95 212 Ramin S. Moschtaghi: Die menschenrechtliche Situation sunnitischer Kurden in der Islamischen Republik Iran. 2010. XXIII, 451 Seiten. Geb. E 94,95 211 Georg Nolte (ed.): Peace through International Law. The Role of the International Law Commission. 2009. IX, 195 Seiten. Geb. E 64,95 zzgl. landesüblicher MwSt. 210 Armin von Bogdandy, Rüdiger Wolfrum, Jochen von Bernstorff, Philipp Dann, Matthias Goldmann (eds.): The Exercise of Public Authority by International Institutions. 2010. XIII, 1005 Seiten. Geb. E 149,95 zzgl. landesüblicher MwSt. 209 Norman Weiß: Kompetenzlehre internationaler Organisationen. 2009. XVIII, 540 Seiten. Geb. E 99,95 208 Michael Rötting: Das verfassungsrechtliche Beitrittsverfahren zur Europäischen Union. 2009. XIV, 317 Seiten. Geb. E 79,95 207 Björn Ahl: Die Anwendung völkerrechtlicher Verträge in China. 2009. XIX, 419 Seiten. Geb. E 289,95 206 Mahulena Hofmann: Von der Transformation zur Kooperationsoffenheit? 2009. XIX, 585 Seiten. Geb. E 299,95 205 Rüdiger Wolfrum, Ulrike Deutsch (eds.): The European Court of Human Rights Overwhelmed by Applications: Problems and Possible Solutions. 200 9. VIII, 128 Seiten. Geb. E 59, 95 zzgl. landesüblicher MwSt. 204 Niels Petersen: Demokratie als teleologisches Prinzip. 2 0 09. XXVII, 280 Seiten. Geb . E 79, 95 203 Christiane Kamardi: Die Ausformung einer Prozessordnung sui generis durch das ICTY unter Berücksichtigung des Fair-Trial-Prinzips. 2009. XVI, 424 Seiten. Geb. E 89, 95
202 Leonie F. Guder : The Administration of Debt Relief by the International Financial Institutions. 2009. XVIII, 355 Seiten. Geb. E 84, 95 zzgl. landesüblicher MwSt. 201 Silja Vöneky, Cornelia Hagedorn, Miriam Clados, Jelena von Achenbach: Legitimation ethischer Entscheidungen im Recht. 2009. VIII, 351 Seiten. Geb. E 84,95 200 Anja Katarina Weilert : Grundlagen und Grenzen des Folterverbotes in verschiedenen Rechtskreisen. 2009. XXX, 474 Seiten. Geb. E 94,95 199 Suzette V. Suarez: The Outer Limits of the Continental Shelf. 2008. XVIII, 276 Seiten. Geb. E 79,95 zzgl. landesüblicher MwSt. 198 Felix Hanschmann: Der Begriff der Homogenität in der Verfassungslehre und Europarechtswissenschaft. 2008. XIII, 370 Seiten. Geb. E 84,95 197 Angela Paul: Kritische Analyse und Reformvorschlag zu Art. II Genozidkonvention. 2008. XVI, 379 Seiten. Geb. E 84,95 196 Hans Fabian Kiderlen: Von Triest nach Osttimor. 2008. XXVI, 526 Seiten. Geb. E 94,95 195 Heiko Sauer: Jurisdiktionskonflikte in Mehrebenensystemen. 2008. XXXVIII, 605 Seiten. Geb. E 99,95 194 Rüdiger Wolfrum, Volker Röben (eds.): Legitimacy in International Law. 2008. VI, 420 Seiten. Geb. E 84,95 zzgl. landesüblicher MwSt. 193 Doris König, Peter-Tobias Stoll, Volker Röben, Nele Matz-Lück (eds.): International Law Today: New Challenges and the Need for Reform? 2008. VIII, 260 Seiten. Geb. E 69,95 zzgl. landesüblicher MwSt. 192 Ingo Niemann: Geistiges Eigentum in konkurrierenden völkerrechtlichen Vertragsordnungen. 2008. XXV, 463 Seiten. Geb. E 94,95 191 Nicola Wenzel: Das Spannungsverhältnis zwischen Gruppenschutz und Individualschutz im Völkerrecht. 2008. XXXI, 646 Seiten. Geb. E 99,95 190 Winfried Brugger, Michael Karayanni (eds.): Religion in the Public Sphere: A Comparative Analysis of German, Israeli, American and International Law. 2007. XVI, 467 Seiten. Geb. E 89,95 zzgl. landesüblicher MwSt. 189 Eyal Benvenisti, Chaim Gans, Sari Hanafi (eds.): Israel and the Palestinian Refugees. 2007. VIII, 502 Seiten. Geb. E 94,95 zzgl. landesüblicher MwSt. 188 Eibe Riedel, Rüdiger Wolfrum (eds.): Recent Trends in German and European Constitutional Law. 2006. VII, 289 Seiten. Geb. E 74,95 zzgl. landesüblicher MwSt. 187 Marcel Kau: United States Supreme Court und Bundesverfassungsgericht. 2007. XXV, 538 Seiten. Geb. E 99,95 zzgl. landesüblicher MwSt. 186 Philipp Dann, Michal Rynkowski (eds.): The Unity of the European Constitution. 2006. IX, 394 Seiten. Geb. E 79,95 zzgl. landesüblicher MwSt. 185 Pál Sonnevend: Eigentumsschutz und Sozialversicherung. 2008. XVIII, 278 Seiten. Geb. E 74,95 184 Jürgen Bast: Grundbegriffe der Handlungsformen der EU. 2006. XXI, 485 Seiten. Geb. E 94,95 183 Uwe Säuberlich: Die außervertragliche Haftung im Gemeinschaftsrecht. 2005. XV, 314 Seiten. Geb. E 74,95 182 Florian von Alemann: Die Handlungsform der interinstitutionellen Vereinbarung. 2006. XVI, 518 Seiten. Geb. E 94,95 181 Susanne Förster: Internationale Haftungsregeln für schädliche Folgewirkungen gentechnisch veränderter Organismen. 2007. XXXVI, 421 Seiten. Geb. E 84,95 180 Jeanine Bucherer: Die Vereinbarkeit von Militärgerichten mit dem Recht auf ein faires Verfahren gemäß Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 8 Abs. 1 AMRK und Art. 14 Abs. 1 des UN-Paktes über bürgerliche und politische Rechte. 2005. XVIII, 307 Seiten. Geb. E 74,95 179 Annette Simon: UN-Schutzzonen – Ein Schutzinstrument für verfolgte Personen? 2005. XXI, 322 Seiten. Geb. E 74,95 178 Petra Minnerop: Paria-Staaten im Völkerrecht? 2004. XXIII, 579 Seiten. Geb. E 99,95 177 Rüdiger Wolfrum, Volker Röben (eds.): Developments of International Law in Treaty Making. 2005. VIII, 632 Seiten. Geb. E 99,95 zzgl. landesüblicher MwSt. 176 Christiane Höhn: Zwischen Menschenrechten und Konfliktprävention. Der Minderheitenschutz im Rahmen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). 2005. XX, 418 Seiten. Geb. E 84,95