Atlan - Das Grosse SF-Abenteuer Nr. 781 Kampf um Manam-Turu
Das Ultimatum der Sturmreiter von Arndt Ellmer Die Flotte ...
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Atlan - Das Grosse SF-Abenteuer Nr. 781 Kampf um Manam-Turu
Das Ultimatum der Sturmreiter von Arndt Ellmer Die Flotte der Hyptons erscheint Der Anfang des Jahres 3820 bringt eine einschneidende Veränderung der Machtkonstellation in der Galaxis Manam-Turu. Atlans Hauptgegner, der Erleuchtete, ist nicht mehr. Trotzdem hat sich die Lage in Manam-Turu nicht entspannt. EVOLO, der vom Erleuchteten Erschaffene, ist im Juni 3820 bereits stärker, als der Erleuchtete es jemals war. Welche Gefahr das Psi-Geschöpf darstellt, ist längst bewiesen. Allerdings gibt es laufend Verschiebungen in den Machtstrukturen von Manam-Turu. Da ist zum einen EVOLOS wachsende Instabilität – und die Tatsache, daß das Psionische Tor, das das Psi-Geschöpf stabilisieren half, zerstört wurde. Da sind zum anderen hoffnungsvolle Anzeichen für eine künftige Koalition zwischen Daila, Bathrern und Krelquotten erkennbar. Und da kommt es zum endgültigen Bruch zwischen den Partnern des Zweiten Konzils, als die Ligriden aus dem an ihnen verübten Betrug die Konsequenzen ziehen, ihre Streitkräfte sammeln und Manam-Turu verlassen. Die Hyptons sind somit auf sich allein gestellt und ohne militärische Unterstützung – doch nicht für lange! Denn eine riesige Flotte erscheint – und Atlan empfängt DAS ULTIMATUM DER STURMREITER …
Die Hauptpersonen des Romans: Atlan - Der Arkonide startet eine lebensgefährliche Mission. Anima und Don Quotte - Atlans Begleiter. Chandor - Er gibt sich für einen Ligriden aus. Raspor - Ein angeblicher Unterhändler. Aksuum - Rat der Daila von Aklard.
1. Wieder einmal hatten sie seine Spur aufgenommen. Von seinem Beobachtungsposten hoch über dem Wasser hatte er den Schweber ausgemacht, der sich von südlicher Richtung näherte, aus der Ebene mit den Schießdornbäumen. Der Schweber landete an der dünnen Trennlinie zwischen dem Ufersand des Nordmeers und dem moosigen Boden, unter dessen Oberfläche kleine, gefährliche Stachelwürmer lebten, die sich immer an jenen Stellen orientierten, an denen von oben Druck auf den Boden ausgeübt wurde. Sie suchten diese Stellen auf und richteten ihre Stacheln nach oben. Wie Pfeile schnellten sie sie empor, und wo sie auf Widerstand trafen, verspritzten sie ihr tödliches Gift. Sie blieben unter der Oberfläche. Sie warteten, bis das Opfer verendete und Regen und Tau die Nährstoffe des verwesenden Kadavers in den Boden spülten, wo sie sie aufnahmen. Chandor ekelte sich vor den Stachelwürmern, und er sehnte sich nach der friedlichen Umgebung seiner Heimat. Aber was war Heimat? Der Schweber öffnete sich. Sie traten heraus, eine Kette metallisch blinkender Leiber, die sich über das Moos bewegte, ohne es nötig zu haben, auf Gefahren von unten zu achten. An verschiedenen Stellen bewegte sich der Moosboden, weil sich unter ihm die Stachelwürmer dem Ziel näherten. Sie schleuderten ihre Stacheln nach oben, und Chandor glaubte das Quietschen zu hören, mit dem
sie abbrachen. Jetzt kamen die Würmer zum Vorschein und wälzten sich waidwund auf dem Moos, um nach kurzer Zeit zu verenden. Chandor achtete kaum darauf. Er zählte die Stahlmänner. Fünfzehn der Roboter waren es, die sich in alle Richtungen verteilten. Es gab keinen Zweifel, daß sie etwas suchten. Sie wollten ihn. Chandor verfluchte sich und den Tag, an dem er diesen unseligen Auftrag angenommen hatte. Er war als einziger in Frage gekommen, und ausschlaggebend waren seine vorstehenden Wangenknochen und seine Größe gewesen, die für sein Volk mehr als ungewöhnlich waren. Und dann hatte er die Anweisung erhalten, sich nicht von UspharGulp zurückzuziehen, sondern in der Art eines Einzelgängers auszuharren. Ein seltsamer Befehl, wie Chandor sofort gewußt hatte. Es gab nur einen einzigen Grund, so etwas von ihm zu verlangen. Seit jenem Zeitpunkt wußte er, daß er auf einem Vulkan saß. Es war ein Auftrag, bei dem sich die Schale des Todes an der Waage der Gerechtigkeit bedenklich nach unten neigte. Er beobachtete die Stahlmänner, die sich nicht um die Würmer kümmerten. Sie besaßen Infrarottaster und konnten jeden größeren Körper ausmachen, der Wärme ausstrahlte. Chandor machte sich nichts vor. Sie würden ihn finden, wie sie ihn schon früher gefunden hatten. Sie würden ihn dorthin bringen, wo die metallene Kugel in der Senke lag. Zu den Geflügelten. Zu den Hyptons. Er blieb ruhig liegen und wartete auf die Roboter. Noch schützten ihn die feuchten und kalten Felsen gegen eine Entdeckung von unten, und gegen oben war er teilweise durch den überhängenden Gesteinsvorsprung gesichert, den er für sich Himmel der Wohlbehaltenheit getauft hatte. Nach seinem Zeitgefühl dauerte es etwa eine halbe Stunde, bis sie eine Spur von ihm entdeckt hatten. Im Gesteinsmehl an der Rückseite der Erhebung waren seine Spuren erhalten geblieben. Die
Flut war am Zurückgehen, sie hatte es nicht mehr geschafft, mit ihren lechzenden Wasserzungen die Spur zu verwischen. Stille kehrte ein, die Stahlmänner waren stehengeblieben. Chandor blickte zu der weißblauen Sonne empor, die in ihrer Winzigkeit soviel Hitze abstrahlte, daß sie alle Planeten verbrannte bis auf den fünften und äußersten. In diesem Sonnensystem im westlichen, ausladenden Arm Manam-Turus hatte außer Würmern und schießwütigen Bäumen und ein paar Fischen in den Ozeanen nichts entstehen können. Der Planet eignete sich hervorragend für einen unauffälligen Stützpunkt, wie ihn die Hyptons benötigten. Von der galaktischen Position her lag Usphar-Gulp unter seiner namenlosen Sonne etwa achttausend Lichtjahre über der zentralen Ebene und siebzigtausend Lichtjahre vom galaktischen Zentrum entfernt. Weitab und weit vom Schuß und dennoch von hoher Wichtigkeit, wie die Anweisung an Chandor gezeigt hatte. Aber was war nicht wichtig in dieser gefährlichen Zeit, in der die gesamte Galaxis vor der Gefahr zitterte, die EVOLO darstellte. Der Gedanke an EVOLO ließ Chandor ein wenig ruhiger und ausgeglichener werden. Im Vergleich mit EVOLO waren die Hyptons harmlos. Sie waren ein Gegner, den man greifen konnte. Und sie hielten seit einiger Zeit still und entwickelten keinerlei Aktivitäten. Zumindest hatte es den Anschein. Chandor hörte das Mahlen von Steinen. Die Stahlmänner kamen herauf zu ihm, und er bewegte sich lautlos zur Seite, so daß die Sonne auf ihn schien und er noch immer durch die aufragenden Felsen vor einer direkten Ortung geschützt war. Jetzt hatten sie ihn endgültig ausgemacht. Ein Felsbrocken polterte in die Tiefe, das Stampfen der Roboter wurde lauter. »Kommt herauf!« rief er ihnen zu. Aus seinem Mund klangen die Worte harmlos. Viel zu harmlos. Der erste Schatten eines Stahlmanns tauchte zwischen den Felsen
auf. Kalte Linsen richteten sich auf Chandor. Der einsame Mann ließ sich nach hinten fallen. Mit einem einzigen Schwung warf er sich über die Kante des Steilhangs und stürzte in die Tiefe. Oben war es im Augenblick ruhig. Neben sich sah Chandor den dunkelbraunen Streifen des Gummiseils, das er sich um den Leib gebunden hatte. Jetzt! Er zog die Beine an. Das Seil straffte sich und federte. Er wurde mindestens vier Meter nach oben gerissen, bevor er wieder fiel. Fünf-, sechsmal dauerte die Pendelbewegung, dann hing das Gummiseil still. Er hatte sein Körpergewicht richtig verlagert und war nicht gegen die Felswand geprallt. Chandor streckte die Beine aus. Der Boden befand sich einen Meter unter ihm. Er löste die Schlaufe und glitt aus dem Seil in den Sand. Hastig sprang er davon, direkt auf den Schweber zu. Er achtete darauf, daß er nicht in das Moos geriet. Allein der Sand war harmlos an diesem Gestade. Oben auf der Felskante tauchten die Roboter auf. Wenn sie schießen wollten, dann mußten sie es jetzt tun. Aber sie mußten berücksichtigen, daß er sich genau zwischen ihnen und dem Schweber befand. Die Stahlmänner schossen nicht. Sie hatten keinen Auftrag dazu. Wie jedesmal sollten sie ihn nur abholen. Und sie waren es gewohnt, daß sie ihn suchen mußten, weil er jedesmal in ein anderes Gebiet des Kontinents wanderte, um ungestört seiner Tätigkeit nachgehen zu können. In ihren Augen war es die übliche Tätigkeit eines jeden Suchenden und Findenden, der sich auf der Suche nach der Weisheit befand. »Diener des Gward!« vernahm er die monotone Stimme eines der Roboter. Die Stahlmänner erkannten, daß er sie zum Narren gehalten hatte. In der Art seelenloser Maschinen verarbeiteten sie es nüchtern und ohne Zorn. Sie machten kehrt und kamen auf demselben Weg zum Schweber zurück, den sie zuvor gegangen waren. Aus den übrigen Richtungen tauchten die anderen Roboter
auf. Chandor empfing sie unter dem offenen Einstieg des Schwebers. Er hatte sich auf den Rand gesetzt und erhob sich jetzt. »Hört meine Worte«, verkündete er. »Es gibt nichts Unwürdigeres unter dem Licht aller Sonnen, als einen Weisen bei seiner Meditation zu stören. Warum habt ihr nicht gerufen, um eure Ankunft zu melden?« »Es hätte nichts genützt wie schon so oft«, erhielt er die Antwort. »Wir haben einen Auftrag, und den werden wir ausführen!« »Ich kenne den Auftrag. Ich werde euch begleiten!« »Dann steig ein! Die Traube erwartet dich!« Chandor erhob sich und kletterte in das Innere des Schwebers. Da er nichts bei sich hatte als das, was er unter seiner Kutte trug, machte es ihm keine Schwierigkeiten, sich in einen der Sitze zu zwängen, die viel zu eng für ihn waren. Er hatte es früher einmal bemängelt, daß die Hyptons ihm keine Ligridengleiter zur Verfügung stellten, aber sie hatten es abgelehnt. Die Ligriden waren weit von Usphar-Gulp und auch weit von den Hyptons. Das zweite Volk des Neuen Konzils hatte nichts mehr mit dem ersten gemein außer der Tatsache, daß beide nicht aus ManamTuru stammten. Chandor war mit Sicherheit der einzige, der sich noch loyal verhielt. Es war kein Zufall. Die Stahlmänner polterten herein und blieben unbeweglich stehen. Der Gleiter hob automatisch ab und flog über das Nordmeer bis zum östlichen Rand des Kontinents, zu der Senke, in deren Metallkugel sie ihn erwarteten. Die Traube der Schalenwächter, wie sie sich nannten. Es war Chandor nicht klar, welche Schale sie meinten. Vermutlich würde er es auch nie erfahren. Er wußte nur, daß die Traube aus vierundzwanzig Hyptons bestand. Die genaue Anzahl der Stahlmänner auf dem Planeten war ihm nicht bekannt. Eine Stunde flog der Gleiter beharrlich geradeaus. Dann beschrieb
er einen sanften Bogen nach links. Am Horizont tauchte der kleine Kraterwall mitten in der roten Ebene auf, hinter dem die Senke mit der Station lag. Chandor hielt die Augen geschlossen. Er dachte nach, und nach außen hin hatte es den Eindruck, als meditierte er. Er tat es immer, wenn er sich mit den Stahlmännern unterwegs befand. Er prüfte alle seine Verhaltensweisen auf ihre Logik. Und er unterdrückte den instinktiven Zwang in sich, die Roboter mit Hilfe seiner Begabung davonzuschleudern und endlich das Schiff zu rufen, das irgendwo in einer Entfernung von zwanzig Lichtjahren unbemannt in einer engen Bahn um einen Roten Riesen lief, allein für ihn und seinen letzten Weg bestimmt. Er sehnte den Zeitpunkt herbei, da es ihn endlich in Sicherheit bringen würde. Der Schweber neigte sich in die Senke hinab und setzte neben der Station auf. Die metallene Kugel ragte fast zur Gänze aus dem Boden heraus. Sie war nur das Oberteil der Station, die eigentlichen Anlagen befanden sich darunter. Sie waren durch Schirme geschützt, während die Kugel nur so etwas wie eine Tarnung und der Aufenthalt der Stahlmänner war. Die Hyptons hatten sich sogar auf diesem verlassenen Planeten gegen alle Eventualitäten abgesichert. Die Stahlmänner brachten Chandor in die Station hinein. In einem Antigrav ging es abwärts bis in die unterste Etage. Dort brannte dunkelblaues, düsteres Licht. Chandors Augen benötigten länger als üblich, sich daran zu gewöhnen. Er kniff ein wenig die Augen zusammen, um mit den harten Lidern von oben und von unten die Kontaktlinsen fest an die Augäpfel zu drücken. Danach sah er besser. Vor dem dunkelgrünen Panzerschott hielten die Stahlmänner an und machten ihm Platz. Das Schott öffnete sich, und er trat in die Dämmernis hinein. Geraschel empfing ihn, und er blieb an dem Schott stehen, das sich geräuschlos schloß.
»Diener des Gward«, schrillte eine Stimme. Sie war schwer zu verstehen, aber für einen Ligriden konnte das keine Schwierigkeit darstellen. »Ihr habt mich gerufen«, stellte Chandor mit leiser Stimme fest. Das Geraschel verstärkte sich. Der Mann erkannte die Traube der Schalenwächter, die in der Mitte des ovalen Raumes an einem Netz hing, das unter der Decke angebracht war. Hyptons waren koboldartige Wesen, durchschnittlich sechzig bis siebzig Zentimeter hoch. Von den Händen über die Arme und an den Beinen entlang spannten sich Flughäute. Die beiden Arme und Beine endeten in vierzehigen Greifhänden und einem daumenartigen großen Zeh. Die Köpfe ähnelten am deutlichsten terranischen Fledermäusen mit ziemlich plumpen Schnauzen. Ohren waren nicht vorhanden, dafür erstreckte sich an beiden Seiten des Schädels ein filigranes Gewirr von zartrosa Farbe, das aussah wie ein Trichter mit nach außen gedrehter Öffnung. Damit hörten die Hyptons und nahmen UltraSchallwellen auf, werteten andere Impulse aus, die sie anmaßen. Ihre Haut war unbehaart und milchig weiß. Das hervorstechendste Körpermerkmal dieser Wesen waren die Augen. Trotz der kleinen Köpfe waren sie so groß wie Billardkugeln oder Kinderfäuste, nachtschwarz und sanftmütig wirkend, dabei weit hervorquellend und starr. Bei längerer Betrachtung wirkten diese Augen unangenehm und zwingend. Hyptons waren Paralogik-Psychonarkotiseure. Sie beeinflußten andere Wesen nicht direkt, ihre Gabe wirkte wie eine schwache Narkose, die erst nach längerer Zeit zur Wirkung kam. Diese Aufpfropfung des fremden Willens wurde von dem Betroffenen überhaupt nicht bemerkt, wenn er nicht selbst über parapsychische Fähigkeiten verfügte. »Wir benötigen deine Hilfe«, fuhr der Sprecher der Hyptons fort. »Ich bin Tete und teile dir die Wünsche unserer Traube mit.« Die hohe Stimme des Hyptons klang sanft und einschmeichelnd, und Chandor wurde seiner vergeistigten Rolle voll gerecht, indem
er darauf einging. »Ich höre«, erwiderte er ebenso sanft. Das Geraschel der Traube verstummte. Außer der Sprechöffnung Tetes bewegte sich nichts mehr. »Einst wurde unser Volk groß, weil es sich auf einem eisbedeckten Planeten entwickelt hatte und immer um sein Überleben kämpfen mußte. Es errang die Vormachtstellung in seiner Heimatgalaxis. Es würde dir nichts nützen, wenn du erführst, warum wir uns nach Manam-Turu orientieren. Glaube auch nicht, was deine Artgenossen auf manchen Welten erzählen. Es gibt kein drittes Konzilsvolk, und die Geschichte mit Bennerton ist ein Märchen. Es wird der Tag kommen, da wird dein Volk dies erkennen und reumütig zu uns zurückkehren. Solange können wir aber nicht warten. EVOLO ist ein zu gefährlicher Gegner für uns!« »Ich bin ein Einsiedler auf dieser Welt. Ich habe viel nachgedacht, und ihr wißt, daß ich euch treu ergeben bin«, sagte Chandor. »Nie käme ich auf den Gedanken, euch meine Dienste zu verweigern. Ja, ich glaube, daß ich durch meine Treue zu großen Dingen vorherbestimmt bin. Ich werde den Vertrag nicht brechen, den die Führer meines Volkes einst mit eurem Volk ausgehandelt haben!« »Du bist erstaunlich weise, Diener des Gward namens Chandor. Du bist so weise, wie dein Name sanft klingt. Chandor! Chandor!« Der Diener des Gward versteifte sich ein wenig. Selbst in der Wiederholung seines eigenen Namens verbarg sich eine starke, hypnotische Kraft. Er spürte sie, und ein wenig begann er unsicher und ängstlich zu werden. Aber er unterdrückte das Gefühl und konzentrierte sich auf die wichtigen Dinge. »Wie kann ich euch helfen?« fragte er leise. Die Hyptons empfanden seine Stimme als wohltuend. Erneut begann die Traube zu rascheln, und Chandor wußte, daß sie sich jetzt mittels Ultraschall unterhielten. »Du sollst unser Botschafter sein«, verkündete Tete, nachdem es wieder ruhig geworden war. »Du sollst zu deinen Brüdern gehen
und ihnen mitteilen, daß wir sie als gleichberechtigte Partner des Neuen Konzils akzeptieren, wenn sie sich uns erneut zuwenden. Es wird keine Strafe geben, wir werden verzeihen. Aber es muß schnell gehen. Es ist unser letztes Angebot an dein Volk!« »Ich werde die Botschaft überbringen. Gebt mir eine Gelegenheit, mich mit einem Schiff meines Volkes in Verbindung zu setzen!« »Wir werden dies für dich tun. Sobald es soweit ist, werden wir dich benachrichtigen. Tage spielen jetzt keine Rolle mehr, obwohl die Zeit drängt. Aber dein Volk wird sehr bald einsehen, daß es Selbstmord wäre, wenn es unser Angebot ablehnte.« »Ich werde es bedenken und darüber meditieren!« »Du wunderst dich nicht?« »Nein. Ihr werdet mir zu gegebener Zeit mitteilen, welche Trümpfe ihr in der Hinterhand habt!« »Du bist wirklich erstaunlich weise, ein Sonderfall in deinem Volk«, sagte Tete. »Du sollst es sofort erfahren. Unser Stillhalten wird von den Bewohnern Manam-Turus falsch eingeschätzt. Es ist nicht so, daß wir plötzlich Angst vor EVOLO bekommen hätten. Wir warten. Wir warten auf etwas, was bald eintreffen wird. Und dann müssen sich die Ligriden entscheiden. Entweder stehen sie zu uns, oder sie müssen mit allem rechnen.« »Was wird das sein?« »Der Tod oder die Freiheit. Darüber hat die Traube der Schalenwächter nicht zu entscheiden. Wir werden Verstärkung durch starke Verbände aus unserem Volk erhalten. Wir werden wie ein Insektenschwarm über Manam-Turu herfallen und uns zunächst gegen Aklard und den Einflußbereich der Daila wenden. Wir werden dieses Volk überrennen. Und jene, die unserer Macht widerstehen, werden von den Stahlmännern niedergewalzt werden!« »Bei Illard!« entfuhr es Chandor. »Jeder Ligride wäre lebensmüde, wenn er diesen Hinweis nicht verstünde! Ich werde aufbrechen, sobald ihr es erlaubt!«
»Ja, tu dies!« sagte Tete und verstummte dann. Der Diener des Gward blieb abwartend stehen. Er wartete auf ein Wort oder eine Geste der Hyptons, aber der Sprecher der Traube meldete sich nicht. Im Licht, das violett und rot von den Wänden strahlte, sah er, daß ein paar der Hyptonkörper sich veränderten. Er empfand plötzlich einen starken Druck auf seinem Geist, ließ sich jedoch nichts anmerken. Die Körper der betroffenen Hyptons wurden farblos und schließlich durchsichtig. Er konnte die Eingeweide und die blutführenden Gefäße erkennen. Diese Veränderung, wußte Chandor, trat nur unter großer geistiger Anstrengung auf. Sie geschah ohne bewußte Willensanstrengung und ging einher mit der Abgabe fünfdimensionaler Schutzimpulse. Es war eine natürliche Verteidigungswaffe, die sich die Hyptons im Lauf ihrer Evolution angeeignet hatten. Was war geschehen? »Geh jetzt!« sagte Tete plötzlich. Es klang so schrill und hoch, daß er es erst nach einer halben Sekunde verstand. Er wandte sich um. Das Schott fuhr auf, und die Stahlmänner empfingen ihn an der Stelle, an der sie zurückgeblieben waren. Hinter ihm klang lautes Geraschel auf, und Chandor vernahm mehrere erregte Hyptonstimmen. Dann schloß sich das Schott, und er hörte nichts mehr. Die Stahlmänner brachten ihn hinaus vor die Station und in den Schweber. Sie flogen ihn aus der Senke hinauf in die Ebene, wo er aussteigen mußte. Chandor machte sich auf den Weg. Er wandte sich nach Norden, wo ein dunkler Saum das Vorhandensein eines Waldes anzeigte. Er suchte nach einer Erklärung für das seltsame Verhalten der Hyptons und fand sie nicht. Chandor hatte nur plötzlich das Gefühl, daß er einen Fehler begangen hatte.
* Die Ebene war weitläufig, der Wald fern. Chandor hatte es eilig, und so rannte er immer schneller. Sein kuttenähnliches Gewand von dunkelgrauer Farbe umschlotterte seine Beine und brachte ihn mehrmals an den Rand eines Sturzes. Nie im Leben wäre ein Diener des Gward so gerannt, aber Chandor war in jeder Beziehung eine Ausnahme. Er erfüllte einen Auftrag, und er wußte, daß er verloren war, wenn er den Wald nicht rechtzeitig erreichte. Irgendwann würden die Hyptons eine Entscheidung treffen und ihn zurückholen. Der Luftzug fegte die Kapuze vom Kopf des Ligriden. Darunter trug er eine lederne Haube, die seinen kahlen Schädel zusätzlich verhüllte. Es gab nichts Schmachvolleres für einen Ligriden, als sein bloßes Haupt zu zeigen. Ligriden waren von humanoider, hoher Gestalt. Ihre Haut besaß eine olivbraune Farbe. An den Außenseiten der Gelenke, sowie an Händen und Füßen war sie leicht geschuppt. Hände und Füße waren sechsgliedrig, die Füße breitflächig, die Hände mit langen und dünnen Fingern. Der Kopf besaß eng anliegende Ohren, eine hohe Stirn und schwach ausgeprägte Brauenwülste. Die Augen wurden durch doppelte Lider geschützt. Einmal war es eine dünne, durchscheinende, von unten nach oben schließende Haut, zum anderen ein von oben nach unten sich senkendes Lid, das mit haarartigen Schuppen besetzt war. Die Augäpfel waren weiß mit sehr großer Iris und runder Pupille. Die Augenfarbe schwankte individuell zwischen Gelb und Braun. Die Nase war flach und breit, die Kieferpartie ragte stark hervor. Der Mund war breit und von schmalen Lippen eingerahmt. Chandor gehörte nach eigenen Aussagen zu den niedrig geborenen Ligriden. Diese hatten kaum eine Chance, in höhere Stellungen aufzusteigen. Sie konnten eine wissenschaftliche oder technische Laufbahn einschlagen und sich dadurch gewisse
Sonderrechte erwerben. Aber sie blieben stets Untergebene ihres Gefolgsherrn, der sie auch in den Tod schicken konnte, wenn es notwendig war. Demgegenüber gab es die Hochgeborenen mit ihren Privilegien. Bindeglied zwischen den beiden Gruppen war die Religion mit ihren beiden Anschauungen. Gward stellte den Geist über den Körper und die passiven über die aktiven Fähigkeiten. Die Diener des Gward waren Weise, Philosophen und Künstler oder strebten danach, es zu werden. Gwyn dagegen aktivierte die körperlichen Fähigkeiten der Ligriden und zielte darauf ab, diese bis zur Vollkommenheit zu steigern. Diener des Gwyn waren Athleten, Akrobaten und vor allem Kämpfer. Chandor also sagte von sich, daß er ein Diener des Gward sei und nach Weisheit strebte. Wer ihn jetzt so rennen sah, der hätte daran gezweifelt und ihn eher dem Gwyn zugeordnet. Aber war jemals ein Diener des Gwyn in so unligridischer Weise gerannt? Dazu kam noch, daß Chandor keinen Gefolgsherrn besaß. Auch das war außergewöhnlich, wenn nicht gar verdächtig. Es bestand für ihn jedoch kein Grund, auf eine diesbezügliche Frage zu antworten. Den Hyptons kam es nicht in den Sinn, nach solchen Dingen zu fragen, auf die Ligriden erfahrungsgemäß allergisch reagierten. Chandor war sich allerdings nicht mehr so sicher, ob die Hyptons nicht daran dachten, ihm solche und ähnliche Fragen zu stellen. Während er mit aller Kraft und unter Vernachlässigung seiner Identität auf den Wald zurannte, wurde ihm bewußt, welchen Fehler er begangen hatte. Er hatte den Begriff Illard erwähnt, und dieser gehörte nicht zur Weltanschauung eines Ligriden. Er erinnerte sich daran, was man ihm vor seinem Einsatz eingebleut hatte. Er durfte nur falsche Spuren legen, die überzeugend waren und nachgeprüft werden konnten. Es durfte ihm nichts Verräterisches herausrutschen. Chandor entschloß sich, das Hasenpanier zu ergreifen. Er änderte geringfügig die Richtung, um nicht durch eine Unbedachtsamkeit
jene Stelle zu verraten, an der er den Datenspeicher vergraben hatte. Zu seinem Glück war die rote Ebene frei von Stachelwürmern. Sie war zu trocken und zu hart im Untergrund. Immer näher kam der Wald, und er zog sich zum ungezählten Mal die Kapuze über den Kopf. Schließlich hielt er sie mit einer Hand fest, und er benutzte fünf Finger seiner sechsfingrigen Hand dazu. Er hatte den Waldrand greifbar vor sich, als er hinter sich am Horizont den Schatten sah. Wieder war es eines der Fahrzeuge der Stahlmänner, das durch die Luft glitt und seinen Weg nach Norden verfolgte. Chandor hatte viel gelernt während seines Aufenthalts auf Usphar-Gulp. Er kannte die meisten Pflanzen und ihre Wirkungsweise. Er verschwand zwischen samtblättrigen Büschen und suchte die Deckung unter den Metallbäumen auf. Es waren nicht wirklich Metallbäume, aber die Zweige und Blätter schimmerten wie Eisen, und sie reflektierten alle Arten von Suchstrahlen und absorbierten Wärme. Solange er sich in ihrer Deckung befand, konnten die Stahlmänner ihn nicht einmal mit hochempfindlichen Geräten wahrnehmen. Der Schweber näherte sich dem Wald. Dem leisen Singen nach zu urteilen, flog er am Waldsaum weiter und verschwand schließlich aus dem Hörbereich des einsamen Mannes. Chandor wartete. Er wußte, daß die Roboter nach einem genau festgelegten Muster vorgingen. Sie würden innerhalb kürzester Zeit überraschend zurückkommen. Und genau das taten sie auch. Der Vorgang wiederholte sich, und erst dann begann der Schweber die Bäume zu überfliegen. Suchstrahlen tasteten sich voran. Der Ligride tat, was am besten war. Er sah zu, daß er sich direkt unter dem Gleiter hielt und die Metallbäume zwischen sich und dem Fahrzeug hatte. Er rannte und vermied es, Geräusche oder Bewegungen zu verursachen. Ewig konnte er nicht im Wald bleiben, das wußte er. Irgendwann würden die Roboter aussteigen und ihn durchkämmen.
Womit er nicht rechnete, war, daß die Roboter aus großer Höhe einfach aus ihrem Fahrzeug sprangen und wie reife Früchte in den Wald hineinsegelten. Chandor blieb keuchend stehen und bog nach links ab. Er befand sich etwa hundert Meter vom Speicher entfernt. Geduckt hastete er zwischen den Büschen hindurch. Es war seltsam. Er hätte eigentlich Angst verspüren müssen. Aber da war nur dieses dumpfe Gefühl einer inneren Bereitschaft vorhanden, das Bewußtsein, daß die Chancen auf Null gesunken waren. Er würde nie mehr in seine Heimat zurückkehren. Das Robotschiff war wertlos für ihn geworden. Er konnte es nicht mehr herbeirufen. Es hatte keinen Sinn mehr. Es würde den Hyptons nur unnötige Aufschlüsse geben. Alles hing jetzt an ihm. Chandor, unter diesem Namen war er geboren worden. Er war nicht in irgendeiner Fabrik erzeugt, nein, er war von einer Mutter geboren worden. Er war ein normales Lebewesen, und noch immer trug er seinen Namen, der neutral war und zu dem einen Volk paßte wie zu dem anderen. Chandor seufzte. Vor ihm tauchte die Lichtung mit der Buschgruppe in der Mitte auf. Längst hatte er die Metallbäume hinter sich gelassen. Die Roboter mußten ihn bereits ausgemacht haben. Er rannte über die Lichtung und zwischen die Büsche hinein. Er warf sich flach zu Boden und zog an dem Gestrüpp, das hier wucherte. Ein Stück des Bodens klappte auf und gab den winzigen Speicher frei, der mit einer Sendeeinheit gekoppelt war. Er rührte den Sender nicht an, aktivierte nur den Speicher und sprach hastig seine neuesten Erkenntnisse hinein. Dann schaltete er das Ganze ab und deckte es zu. Im nächsten Augenblick rannte er bereits weiter. Am Rand der Lichtung schlug er einen Haken und kehrte wieder ein Stück auf sie zurück. Er verschwand dann seitlich im Wald, so daß es aussah, als habe er einen ganz anderen Weg verfolgt. Die
Roboter würden sich vielleicht ablenken lassen, weil er auf seine alte Spur zurückkehrte und mit deutlichen Stapfen nach Osten weiterging in die Richtung, die er ursprünglich hatte einschlagen wollen. Er hörte nichts. Die Stahlmänner der Hyptons durchkämmten den Wald nicht. Sie trieben ihn nicht wie ein Wild. Sie hielten sich an bestimmten Positionen versteckt und beobachteten. Sie warteten darauf, daß er sich verriet oder ihnen in die stählernen Arme lief. Chandor hielt an und lehnte sich an einen Baum, dessen Stamm warm und weich war. Er blieb stehen, und nach einer Weile setzte er sich sogar. Er schloß die Augen und aktivierte sein Gehör auf das schärfste. Die Abenddämmerung setzte ein, und die namenlose Sonne versank hinter dem Horizont. Die Nacht kam, und Chandor sah nichts mehr und war den Robotern ausgeliefert. Er rührte sich nicht von dem wärmenden Stamm weg. Irgendwo im Wald vernahm er knackende Geräusche, die zu einem oder mehreren Robotern gehörten, die in verschiedenen Richtungen durch das Unterholz gingen. Sie suchten ihn und fanden ihn nicht. Chandor war zum Umfallen müde, aber er hielt sich wach und preßte sich gegen den Stamm des wärmenden Baumes. Er hielt durch bis zum Morgengrauen, und mit dem hereinbrechenden Tag verstummten auch die Geräusche im Wald. Langsam löste sich der Gejagte von dem Stamm und schlich davon. Er näherte sich dem östlichen Waldrand, wo ihn die Roboter sicherlich nicht vermuteten. Vorsichtig spähte er zwischen den Zweigen und Ästen hindurch in die Ebene. Eine schmale Bodenwelle gab es dort, die in Nord-Süd-Richtung lief. Wenn er sie erreichte, dann besaß er wenigstens eine geringfügige Deckung, um sich aus der Nähe des Waldes entfernen zu können. Er schlug einen Haken, dann huschte er hinaus ins Freie und eilte geduckt zu der Bodenwelle hinüber. Nichts rührte sich im Wald, und Chandor atmete befreit auf. Er hatte sie zum Narren gehalten. Sie dachten, daß er sich weiterhin im Wald aufhielt.
Ein flüchtiges Grinsen huschte über sein Gesicht. Er glitt über den Wellenkamm in die Senke hinein und blieb abwartend stehen. Die Bodenwelle war kahl und leer. Nach kurzer Pause rannte er davon, immer nach Norden zu. Chandor war weit herumgekommen auf dieser Welt und diesem Kontinent. Er wußte genau, wohin er sich wenden mußte, um vorläufig nicht gefunden zu werden. Er kannte exakt die Positionen der anderen Speicher und Sender, die er zu Beginn seiner Tätigkeit hier verteilt hatte. Von einem der Standorte aus würde er das Automatikschiff rufen, damit es ihn aufnahm und in Sicherheit brachte. Nach etwa einer Stunde erreichte er das Ende der Bodenwelle. Längst war vom Wald nicht mehr als ein dunkler Strich am Horizont zu erkennen. Eine kleine Biegung lag vor ihm, die er hinter sich ließ. Er wollte sich befreit aufrichten, sank dann erschöpft zu Boden. Sie hatten ihn erwartet. Roboter dachten eben doch logischer als Intelligenzwesen. Vor allem ließen sie keine Möglichkeit außer acht. »Du fliehst. Du hast etwas zu verbergen!« verkündete einer der Stahlmänner. »Was ist es?« »Nichts!« keuchte Chandor. Sein Atem ging rasselnd, seine Brust hob und senkte sich hektisch. Für ein paar Sekunden wurde ihm schwarz vor den Augen. Unter Anwendung aller Kräfte gelang es ihm, den beginnenden Schwächeanfall zu überwinden. »Die Hyptons wollen dich etwas fragen, komm mit!« Chandor rührte sich nicht. Er fixierte die Roboter. Es waren sechs Stück, zu viele, um etwas gegen sie ausrichten zu können. Chandor war ein Diener des Gward und trug keine Waffen bei sich. Er sah das Aufblitzen an der Brust des vordersten Stahlmanns. Instinktiv warf er sich zur Seite. Der Energiestrahl fauchte haarscharf an seinem Körper vorbei und riß eine Furche in den Boden. Erneut schoß der Roboter. Diesmal warf sich Chandor nach der
anderen Seite. Seine Reflexe waren aufs Stärkste aktiviert. Dennoch, wußte er, war eine Maschine schneller als er. Er verlor die Kontaktlinsen. Der Schuß streifte ihn an der linken Hand und ließ einen Finger verschmoren. Er blutete nicht, es stank nach verbranntem Plast. Es war ein falscher Finger gewesen. Chandor merkte, wie sich Teile seines Gesichts zu lösen begannen. Die Roboter analysierten genau, was mit ihm vorging. Über Funk standen sie mit den Hyptons in Verbindung. »Du bist kein Ligride«, stellte der Schütze fest. »Wer oder was bist du?« »Spielt das noch eine Rolle?« keuchte Chandor. »Ist es nicht viel wichtiger, daß ich deine Herren unterstütze? Ich bin nach wie vor ein Verbündeter!« »Du bekommst eine Chance«, erklärte der Roboter. »Bist du ein Wesen EVOLOS, dann kannst du deine Gestalt verändern. Tu es, und wir werden dich in Ruhe lassen!« »Ich bin in Panik«, schrie Chandor. »Ich kann mich nicht konzentrieren!« Er wunderte sich selbst darüber, wie rasch er reagierte und sich auf die neue Situation einstellte. Es lag an seiner psionischen Begabung, die ihm jetzt jedoch nicht viel nützte. Er war kein Telekinet und konnte die Roboter auch auf andere Weise nicht beeinflussen. »Wieviel Zeit brauchst du?« »Ich weiß es nicht. Stunden, Tage!« Heiße Glut fauchte an seinem Gesicht vorbei und löste endgültig seine künstlichen Teile auf. Sie flossen über seine natürliche Haut und brannten. Sein Gesicht wurde zu einer häßlichen Fratze. Er riß sich die Lederkappe vom kahlen Kopf und preßte sie gegen die Augen, um diese zu schützen. An seiner Hand hing die künstliche Haut in Fetzen, lugten die Fingernägel glitzernd darunter hervor. »Ich bin ein Arkonide«, log er. »Ein neues Geschöpf EVOLOS!« »Nein«, sagte der Roboter. »Deine Körperwerte sind organisch. Deine Zeit ist um! Die Hyptons verlangen die Antwort!«
Ja, dachte Chandor mit einem letzten Funken Hoffnung. Meine Zeit ist um. Wichtig ist nur, daß der Speicher schnell gefunden wird. Ein Routinesignal an das Schiff ist bald fällig. Wenn es ausbleibt … Er haßte diesen Auftrag, den er aufgrund seiner Körpergröße angenommen hatte. Keiner war dafür so geeignet gewesen wie er. Illard, der Unglücksstern. Der Fluch allen Lebens. Er war ihm zum Verhängnis geworden. »Hier gebe ich die Antwort!« schrie Chandor auf. »Deine Hyptons können mir die Ohren putzen oder sonst etwas!« Er sah den Schuß im Ansatz und warf sich wieder zur Seite. Der Roboter hatte die Bewegung voll einkalkuliert. Chandor warf sich mitten in die Schußbahn, aber er bekam es nicht mehr mit. Er war tot, ehe er die Hitze spürte, die der Energiestrahl in seinem Körper verursachte. »Er war ein Spion«, sagte der Stahlmann und wandte sich mit schwerfälligen Bewegungen ab.
2. Diesmal war es nur ein Beiboot mit zwanzig Mann Besatzung. Sie stürzten sich mitsamt dem Boot in die nahe Sonne, und das Schiff, das hinter ihnen hergejagt war, drehte ab. Die Funkgeräte und Bildschirme glühten und drohten unter der Dauerbelastung zusammenzubrechen. »Knufza an Hadram!« kam eine Meldung aus dem Hauptquartier. »Solche Vorkommnisse sind in Zukunft zu vermeiden. Wenn es noch einen einzigen Fall von Selbstmord gibt, lasse ich dich vor ein Kriegsgericht stellen!« Hadram starrte den Befehlshaber der dreißig Schiffe starken Teilflotte an. Knufzas Augen blitzten ihn an, der Diener des Gwyn konnte sich nur mühsam beherrschen. Auch Hadram war ein Anhänger des Gwyn, das erleichterte die Kommunikation
ungemein. »Es läßt sich nicht verhindern, Kommandeur«, sagte Hadram. »Das weißt du so genau wie ich. Seit es sich unter unseren Mannschaften herumgesprochen hat, daß wir Kunstwesen sind, die aus den Fjukern hergestellt wurden, da …« »Ich will das Wort Fjuker nicht mehr hören!« schrie Knufza und unterbrach die Verbindung. Hadram wandte sich ab und warf seinem Cheffunker einen giftigen Blick zu. Der Soldat wagte es nicht, dem Blick standzuhalten. Er beugte sich wieder über seine Anlage. Hadram warf sich auf ihn und riß ihn empor. In seinen Augen irrlichterte es. Er zuckte mit den Händen nach oben und beobachtete beinahe unbeteiligt, wie diese sich um den Hals des Funkers legten und sich wie zwei automatische Klammern schlossen. Der Ligride wurde rot im Gesicht, dann blau. »Hadram!« erklang eine laute Stimme hinter dem Schiffskommandanten. »Halt ein!« Die Stimme klang ruhig und war von solchem Zwang, daß sich die Hände des Ligriden automatisch von seinem Opfer lösten. Der Funker schnappte nach Luft, stieß Hadram von sich und eilte in weiten Sätzen durch die Zentrale. Er verschwand durch einen der vielen Ausgänge. »Parag!« Der Kommandant keuchte. »Du! Ich … weiß nicht, wie das alles …« »Spare dir deine Worte, Kommandant. Wir sind gleichen Standes und können ungehindert miteinander darüber sprechen«, sagte der Diener des Gward mit ruhiger Stimme. »Es ist für einen Krieger schwerer zu begreifen als für einen Mann des Geistes und der Weisheit!« »Was meinst du? Was willst du sagen?« Hadram griff nach der Lehne eines Sessels. Schwerfällig wie ein alter Mann zog er sich hinein und ließ sich in die Polster fallen. Parag, mehr als doppelt so alt wie er, folgte ihm mit geschmeidigen Schritten.
»Wir denken!« flüsterte der Diener des Gward. »Wir sind denkende und intelligente Wesen. Wir sind ein Volk! Das allein ist wichtig. Wir stellen eine Macht dar. Und wir können über unser Schicksal selbst bestimmen. Wir sind nicht abhängig von den Hyptons!« Jedes seiner Worte klang eindringlich und fest, als sei es Gesetz. Der Alte besaß keine hypnotischen Fähigkeiten, und dennoch wirkten seine Worte deutlich sichtbar auf den Diener des Gwyn. Hadram entspannte sich, er schloß die Augen. »Und wie sie aussehen, die Fjuker«, hauchte er. »Es ist entsetzlich!« »Sie sind von den Hyptons mißbraucht worden, vergiß das nicht«, schärfte Parag ihm ein. »Das ist es ja gerade. Wir haben uns die ganze Zeit eingebildet, wir seien gleichberechtigte Partner der Hyptons. Und sie haben uns lange in diesem Glauben gelassen. Und nun müssen wir erfahren, daß das alles nur Lüge war, daß sie uns künstlich erschufen.« Er fuhr empor. »Wir sind keine normalen Lebewesen. Wir besitzen eine künstliche Erinnerung. Wir wissen nichts von unserer wirklichen Vergangenheit!« »Aber wir gehen den Pfad der Eigenständigkeit. Ist das nichts? Würden wir anders reagieren, wenn wir das Wissen um unsere Herkunft nicht hätten? Wir haben uns seit langem von den Hyptons distanziert, Hadram. Alles war nur eine Frage der Zeit. Wir Ligriden waren bereits auf dem Weg zur Selbständigkeit. Unter anderen Umständen hätten wir das Geheimnis von Bennerton auch entdeckt. Etwas später vielleicht!« Hadram setzte sich. Diesmal benutzte er seinen Kommandantensessel. Er rief den Cheffunker zu sich, aber dieser war unauffindbar. Hadram wurde um eine weitere Nuance blasser. »Dennenhor«, knirschte er. »Wir müßten diesen Dennenhor kriegen. Er könnte uns sicherlich viele Fragen beantworten!« »Wir müßten an die Führungstraube der Hyptons heran und sie
fragen«, hielt Parag entgegen. »Aber sie hält sich versteckt. Niemand kennt ihren derzeitigen Aufenthalt. Du wolltest zunächst jedoch etwas anderes tun!« Mißmutig betrachtete der Kommandant den Bildschirm. Er zeigte die Unglückssonne und die drei innersten Planeten. Auf dem zweiten von ihnen befand sich ein Stützpunkt der Ligriden. Das Schiff war gekommen, um die Besatzung dieses Stützpunkts abzuholen und ihn zu zerstören. Der Auftrag erfolgte auf ausdrücklichen Befehl des obersten Flottenkommandeurs. Hadram knurrte etwas, was der Diener des Gward nicht verstand. Er rief seine Mannschaft zum Dienst und wartete, bis alle ihre Plätze eingenommen hatten. In verschiedenen Positionen mußten die Stellvertreter eingesetzt werden, weil Ligriden nicht erschienen. Mehrere Patrouillen waren im Schiff unterwegs und suchten nach Artgenossen, um sie daran zu hindern, daß sie durchdrehten und zerstörten oder sich etwas antaten. Endlich war das Schiff klar und änderte seinen Kurs. Es entfernte sich von der Sonne und steuerte den zweiten Planeten an. Grün leuchtete er auf dem Schirm, eine Dschungelwelt ohne Kontinente, nur mit wenigen Felsinseln, die aus dem umfassenden Ozean ragten, der ein einziger, grüner Schlamm war. Der Planet war unbewohnt, und die Ligriden hatten hier einen ihrer Stützpunkte angelegt, von denen nicht einmal die Hyptons eine Ahnung hatten. Die Ligriden landeten auf der größten der Gesteinsschollen. Die Station war mit hundert Mann ausgestattet. Ein Funkkontakt war bisher nicht zustande gekommen, und jetzt erkannten die Ligriden auch die Ursache. Die Sendeanlagen waren zerstört. Auch in dieser Station war es zu Problemen gekommen. Hadram schickte seine, Soldaten in die Kampfanzüge. Er wählte diejenigen aus, die Parag ihm nannte. Es handelte sich dabei um diejenigen, die psychisch noch am stabilsten waren. Der Kommandant selbst leitete das Unternehmen und verließ als erster
das Schiff. Wie tot lag die Station da. Kein Ligride ließ sich sehen. Der Eingang zur Station war verschlossen, und Hadram öffnete ihn mit Hilfe eines Kodegebers. Er sendete den gültigen Kode und wurde als autorisiert erkannt. Die Automatik öffnete und ließ die Soldaten des Neuen Konzils ein. Stille empfing die Ligriden. Sie eilten einen Korridor entlang und verteilten sich auf Gleitbahnen und Antigravs. Sie suchten, ohne fündig zu werden. Knapp eine halbe Stunde später stand das Ergebnis fest. Die Station war leer. Ihre Besatzung hatte sie verlassen. Hadram war erschüttert. Er rief nach Parag und anderen Dienern des Gward. Längst war von dem Kommandanten jede Arroganz des Höhergestellten abgefallen. Er unterhielt sich mit den Niederrangigen wie mit Seinesgleichen. Für das Verschwinden der Besatzung gab es keine Erklärung. Sie hatten nicht über ein flugtaugliches Fahrzeug verfügt. Hadram fuhr plötzlich herum. Er ließ die Ligriden stehen und rannte hinüber zu den Klippen, wo der Fels steil abfiel. Er blieb dicht am Klippenrand stehen und sah hinab. Der Kommandant vergaß die Welt um sich herum. Er sah nur noch das Schreckliche unter sich. Sein Schrei lockte die Artgenossen herbei. Dort unten waren sie. Ein Teil von ihnen lag zerschmettert auf den Felsen dicht über dem schlammigen Meer. Die meisten trieben in dem brackigen, nach Fäulnis stinkenden Wasser, die Körper seltsam aufgebläht. »Weg hier!« keuchte Hadram. Er rannte zum Schiff zurück und sperrte sich in seiner Kabine ein, bis er zum Start gerufen wurde. Es hatte zum Glück keine weiteren Zwischenfälle gegeben. Seine Mannschaft war vollzählig in das Schiff zurückgekehrt. »Was soll ich tun?« Fragend blickte er Parag an, der in diesen schweren Stunden so etwas wie sein Ratgeber wurde. Es war das
erstemal in seinem Leben, daß Hadram auf die Aussagen eines Dieners des Gward Wert legte. »Meldung machen. Knufza muß es erfahren. Er wird es weiterleiten. Ich bin mir sicher, es wird nicht mehr lange dauern, bis die endgültige Entscheidung fällt.« »Du meinst, wir …« Hadram wagte nicht, es auszusprechen. »Ja«, sagte Parag nur. »Es bleibt keine andere Wahl!« Hadram startete das Schiff und verließ das System dieser Sonne, als seien tausend Raumteufel hinter ihm her. Das Schiff hatte kein Ziel. Es irrte stundenlang durch die Schwärze des Alls, und es wechselte mehrere Funksprüche mit dem Kommandeur der Teilflotte. Knufza war inzwischen ebenso ratlos, und als Hadram endlich am Standort der Flotte eintraf, da mußte er erkennen, daß die Lage weitaus schlimmer war, als er bisher angenommen hatte. Von den dreißig Schiffen waren nur noch zweiundzwanzig vorhanden. Acht wurden als vermißt gemeldet. »Es gibt keinen Ligriden, der noch vollständig Herr über seine Sinne ist«, sagte Knufza abgehackt. »Bilde dir dein eigenes Urteil. Es liegt nicht mehr in meinem Ermessensbereich, dir Vorschriften zu machen oder Anweisungen zu geben. Du hast dich nur noch an das zu halten, was vom Oberkommando zu dir gelangt!« »Ich habe verstanden«, sagte Hadram. Er sehnte herbei, daß alles ein böser Traum sei, aus dem er bald erwachte. Seine Hoffnung erfüllte sich nicht. Die Ligriden in Manam-Turu waren am Ende.
* Sie kamen vereinzelt und zögernd. Immer wieder tauchte ein Echo auf, in wenigen Fällen waren es ein paar. Einmal fanden sich zweiundzwanzig Schiffe auf einmal am Sammelpunkt ein, aber das war die Ausnahme.
So klein sollte die vereinigte Flotte aller Schiffe sein? Wäre Ghorbor etwas sicherer und ruhiger gewesen, so hätte er sich dieser Frage mit der entsprechenden Eindringlichkeit angenommen. Er hätte nach dem Verursacher des Fiaskos suchen lassen. So aber brauchte er keine Ursachenfinder und keine Philosophen, um sich das Schicksal deuten zu lassen. Der Fluch war über die Ligriden hereingebrochen. Mit einer Expedition in eine andere Galaxis hatte es angefangen. Sie hatten ein Schiff losgeschickt mit dem Auftrag, in Chmacy-Pzan, der Heimatgalaxis der Hyptons, nach dem vermuteten dritten Konzilsvolk zu forschen. Die Expedition war in die Kleingalaxis Bennerton gelangt und hatte dort Ligriden entdeckt. Und sie hatte auf der Welt Fjukium die grausame Wahrheit erkannt. Aus Fjukern wurden im Rahmen genetischer Umzuchtexperimente Ligriden gemacht. Hoonrust war der einzige, der noch lebend nach ManamTuru zurückgekehrt war. Er hatte Unzusammenhängendes berichtet. Es hatte ausgereicht, um eine zweite Expedition in jene Galaxis auszusenden. Dabei war es dann endgültig ans Tageslicht gekommen. Es gab kein Volk der Ligriden. Sie stammten sehr wohl aus einer anderen Galaxis, aber niemals aus Chmacy-Pzan. Sie wurden in Bennerton künstlich hergestellt, und es mochte nicht nur diese Kleingalaxis sein, in der die Hyptons von der Traube der Denkenden Biologen ihre Experimente durchführten. Taten sie es auch in Chmacy-Pzan? Oder in Enterny, die als Heimatgalaxis der Ligriden galt, was ebenso gelogen war wie alles andere? Die Ligriden glaubten den Hyptons kein Wort mehr, seit sie die Wahrheit wußten. Der Schock war langsam und schleichend in ihre Seelen gekrochen. Immer stärker waren sie sich ihrer Unnatürlichkeit bewußt geworden, und jetzt, in diesen entscheidenden Tagen des Schicksals am Rand von Manam-Turu,
da brach es über sie herein wie eine Woge interstellarer oder intergalaktischer Gravitation. Die Opfer zählten nach Tausenden, und allein der Gedanke daran, daß die Hyptons rasch für Nachschub an Kunstligriden sorgen könnten, veranlaßte weitere Hundertschaften dieses Volkes, den Weg in den Freitod zu suchen. Wenn irgendwo in einem Schiff sich unangemeldet eine Außenschleuse öffnete und die entweichende Luft einen dunklen Körper hinaus in das Vakuum riß, dann hatte wieder ein Ligride den vermeintlich einzigen Ausweg aus dem inneren Dilemma gewählt. Ghorbor hatte es längst aufgegeben, die Einzelmeldungen solcher Vorfälle zu beachten oder weiterzuleiten. Er war der stellvertretende Kommandant der Flotte. Dieselben Meldungen erreichten auch den Kommandanten, der sich zur Zeit in einer Ruhephase befand. War der Schlaf so gnädig, über ihn zu kommen. Oder hielten ihn Alpträume gefangen, wie Ghorbor sie vor Stunden gehabt hatte? Der Diener des Gward seufzte. Längst spielten die beiden Anschauungen ihrer Religion keine Rolle mehr. Gwyn und Gward waren absurd angesichts der Erkenntnis, daß dies alles nur eine künstliche Erinnerung und ein künstliches System war. Ein paar Weise unter den Anhängern des Gward schafften es, Ruhe und Besonnenheit unter den Mannschaften der Schiffe zu verbreiten. Es war nicht viel mehr als der Tropfen auf den sprichwörtlichen heißen Fels von Abonsman. Dieses Sprichwort. Klang Abonsman nicht wie Absommaner, die neben den Perghern der zweite Fjukerstamm auf Fjukium waren? Das Rohmaterial für Ligriden? Ghorbor begann zu zittern, und er heftete seine Augen eindringlicher auf den Bildschirm, als wollte er die Echos dort draußen verschlingen. Wieder ein Schiff mehr. Dort kamen zwei. Eines traf ein, auf das sich andere wie Vögel auf ein Opfer stürzten, weil es im Triebwerksbereich brannte. Dort mußten Ligriden evakuiert
werden. Aber die Hälfte kam zu spät. Sekunden später explodierte das Schiff, ohne einen Funkspruch abgeschickt zu haben. Wieder traf eine kleine Gruppe von acht Schiffen ein. Ghorbor zählte im Geist mit. Noch immer ging der Hyperfunkspruch in alle Teile Manam-Turus. Längst mußte den einheimischen Völkern bekannt sein, wo sich die Ligriden sammelten. Niemand reagierte, nicht einmal die Hyptons meldeten sich. Es war, als würden die Ligriden sich am Rand einer toten Galaxis und in der Nähe einer riesigen Rotsonne versammeln, die ihr Grab werden könnte. Kamen wenigstens über tausend Schiffe zusammen? Ein Teil der Flotte, mit der sie nach Manam-Turu gekommen waren? Ghorbor schloß die Augen. Es hatte keinen Sinn, wenn er sich diese Fragen stellte. Es war zu spät, sich Fragen zu stellen. Wenn er noch etwas tun konnte, dann war es eines: Er mußte den Rest der Flotte in Sicherheit bringen, bevor die Hyptons ihn daran hinderten. Meldungen aus anderen Teilen der Galaxis trafen ein. Aus dem Nichts waren dort Schiffe aufgetaucht, mehrere Verbände. Sie brachten neue Hyptons und Scharen von Stahlmännern. Noch nahmen diese keine Notiz von den Ligridenschiffen. »Die Stunde der Wahrheit ist gekommen«, murmelte Ghorbor. Er rief seine direkten Untergebenen und befahl sie auf ihre Plätze. »Die Sammelaktion läuft weiter. Inzwischen helft mir, die Brücken hinter uns abzubrechen. Steht die Verbindung mit den Hyptons?« Der Funker meldete, daß mehrere Trauben Kontakt hergestellt hatten. Es war dem stellvertretenden Flottenkommandanten egal, wie die Trauben hießen. »Hier spricht Ghorbor«, begann er. Jeder Hypton kannte seinen Namen und wußte um seine Stellung. »Ich spreche zu euch im Namen aller Ligriden, die sich in der Galaxis Manam-Turu aufhalten. Und auch im Namen jener, die in anderen Galaxien leben oder dahinvegetieren. Und vielleicht spreche ich auch für alle jene bedauernswerten Kreaturen, die durch verbrecherische Machenschaften ihre Existenz und ihr Leben verlieren.
Ja, Verbrecher nenne ich euch. Ihr seid ein gewissenloses Volk, und eines Tages werdet ihr für eure Verbrechen bestraft werden. Das Schicksal läßt nicht mit sich spielen. Ihr habt euch zu Göttern aufgeschwungen, indem ihr mit intelligenten Lebewesen manipuliert. Ihr habt euch verrechnet. Ich drohe euch nicht, aber der Zeitpunkt wird kommen, da ihr froh sein würdet, ihr hättet nie einen einzigen Ligriden geschaffen. Wir trennen uns von euch. Wir haben nichts mehr mit euch zu schaffen. Wer auch immer das dritte Konzilsvolk sein mag, es ist ab nun das zweite. Kein Ligride wird mehr an der Seite eines Hyptons stehen. Es gibt nichts mehr, was uns verbindet, und es wird in Zukunft nichts mehr geben. Wir haben alle unsere Soldaten aus Manam-Turu abgezogen. Die Stützpunkte sind gesprengt oder haben sich selbst vernichtet. Es ist nichts mehr übrig, was für euch von Wert sein wird. Ihr seid auf euch und eure Roboter angewiesen. Niemand hilft euch mehr gegen EVOLO. Er wird euer Verderben sein. Ich wünsche es euch. EVOLO soll euch vergewaltigen, wie ihr die Fjuker vergewaltigt habt. Ihr könnt uns nicht hindern, jetzt zu gehen. Damit ihr es wißt. Wir haben unsere Entscheidung getroffen. Ligriden waren immer konsequent. Neben euch ist für uns kein Platz. Wir werden warten, bis es euch nicht mehr gibt!« Er machte eine Pause. Die Hyptons gaben keine Antwort. Sie ließen nicht erkennen, ob die Worte sie erschütterten. Sie waren gefühlskalte Wesen, die durch so etwas nicht aus der Ruhe zu bringen waren. »Das Eis soll euch holen!« schloß Ghorbor seine Rede und strafte die Hyptons mit dem schlimmsten Fluch ihres eigenen Volkes, das einst aus dem Eis einer kalten Welt gekrochen war. Er wünschte sich in diesen Augenblicken, daß seine Worte ein wenig Prophetie beinhalten mögen. Mit einer entschlossenen Handbewegung unterbrach er die Verbindung. Er wandte sich um, starr im Blick und mit bebenden
Mundwinkeln. Er sah jetzt eher aus wie ein Kämpfer, nicht wie ein in Ehren ergrauter Diener des Gward, der den grauen Helm zum Zeichen seines hohen Alters trug. Noch immer sammelte sich die Flotte. Ghorbor wartete. Er wartete zehn Stunden, dann zwanzig. Kein Schiff traf mehr ein. Es kam auch keine Antwort mehr auf den Dauerfunkspruch im Hyperbereich. Ghorbor ließ ihn abschalten. »Formationsflug!« ordnete er an, und die Ligriden neben ihm führten die Anordnung aus und gaben die Daten der Formation an die übrigen Schiffe durch. Ghorbor sank in den Sessel des Kommandanten. Dieser war noch nicht in die Kommandozentrale der BENNETER zurückgekehrt. Er schickte keinen Adjutanten zu ihm und vermied es, die Bildverbindung zur Kabine Harlyms herzustellen. Es hatte keinen Sinn. Harlym war tot. Die Flotte formierte sich endgültig und nahm Fahrt auf. Es waren wenig mehr als die Hälfte der Schiffe, mit der die Ligriden einst nach Manam-Turu gekommen waren, die Nachschubverbände eingerechnet. Der Kurs der Flotte deutete irgendwo in den Rand der großen Galaxis hinein. Es war nicht direkt erkennbar, ob er in die rote Riesensonne hineinführte oder an ihr vorbei. Es spielte auch keine Rolle. Innerlich hatten die Ligriden längst Abschied von dieser Galaxis genommen.
3. »Du willst deine Unzufriedenheit ausdrücken«, erklärte der Arkonide. »Deshalb hältst du den Kurs nicht ein, YTTRAH! Falls dir der Name geläufig ist.« »Das ist teils richtig, teils falsch. Ich habe in einer Entfernung von
etwa hundertfünfzig Lichtjahren hyperenergetische Aktivitäten ausgemacht. Dies ist der eigentliche Grund der Kursänderung. Im übrigen ist deine Bemerkung ein ausgemachter Blödsinn, um mit Don Quotte zu sprechen. Natürlich ist mir der Name YTTRAH bekannt, denn er wurde oft genug in meiner Gegenwart genannt. Ihr habt es auch nicht unterlassen, mich rechtzeitig darauf hinzuweisen, daß ich mich gefälligst erinnern sollte. Ich habe euch allen diesen Gefallen getan. Ohne Erfolg. Ich kann nur das sagen, was ich immer gesagt habe. Ich habe im Lauf meiner Existenz viele Namen gehabt, und der derzeitige lautet STERNSCHNUPPE. Ich kann mich nach wie vor nicht daran erinnern, jemals YTTRAH geheißen zu haben!« »Laß es gut sein«, wandte sich Anima an Atlan. »Es gibt wichtigere Dinge, als sich um die ehemaligen Besitzansprüche der Chadda zu kümmern. Die Sache ist erledigt!« Atlan runzelte die Stirn. Sein Blick verdüsterte sich. Es war richtig, daß Dschadda-Moi angedeutet hatte, daß sie keinerlei Besitzansprüche mehr auf das Schiff stellte. Aber sie hatte es in verallgemeinernde Worte gefaßt und so abrupt das Thema gewechselt, daß es aufgefallen war. Der Arkonide glaubte nicht daran, daß in dieser Angelegenheit tatsächlich das letzte Wort gesprochen war. Sie kehrten nach Aklard zurück. In den über zwanzig Tagen nach dem vermeintlichen Schlag gegen EVOLO waren sie bis auf die eine Ausnahme nicht von der Oberfläche des Planeten weggekommen. Genaugenommen waren es einundzwanzig Tage, und damit war die Frist, die EVOLO noch geblieben war, abgelaufen. Das harte Vorgehen des Arkoniden gegen EVOLO und der entscheidende Schlag gegen das Psionische Tor hatten sich als Scheinerfolg herausgestellt. Atlan hatte erkennen müssen, daß EVOLO auf diese Weise nicht beizukommen war. EVOLO hatte durchblicken lassen, daß er noch andere Möglichkeiten zur Verfügung hatte.
Und wenn es ein Bluff ist? fragte der Arkonide sich. Dann müßten die Auswirkungen jetzt sichtbar sein, erinnerte ihn der Extrasinn. EVOLO müßte seine Konsistenz verlieren und sich in seine Einzelteile auflösen. Das würde bedeuten, daß EVOLO den ursprünglichen Plan des Erleuchteten nicht verhindern konnte. EVOLO war eine Gefahr für das gesamte Universum, und Atlan fragte sich zum wiederholten Mal, ob es tatsächlich sinnvoll war, nach einer friedlichen Lösung des EVOLO-Problems zu suchen. Das Psionische Tor war vernichtet, die Ikuser von Yumnard und den hyptonischen Anlagen inzwischen vollständig nach Aklard evakuiert und in Unterkünften untergebracht. Aber das war noch nicht alles. Fartuloon war da, und er hatte nicht nur Inua bei sich. Dennenhor! Der Name verband sich in Atlans Erinnerung mit einem der großen Kapitel terranischer und galaktischer Geschichte. Einwandfrei hatte er in diesem Wesen einen Zgmahkonen erkannt. Dennenhor gehörte zu den Fjukern, mit denen die Hyptons ihre verbrecherischen Experimente betrieben und betrieben hatten. Die Brücke zu einem unheilvollen Rätsel war geschlagen. Hyptons und Zgmahkonen. Beide Völker hatten einst dem Konzil der Sieben angehört. Jetzt wollten die Hyptons ein neues Konzil ins Leben rufen. Sie wollten die Grundzelle in der Galaxis Manam-Turu legen. Der Erleuchtete, EVOLO und die Ligriden hatten ihnen bisher einen Strich durch die Rechnung gemacht. Daran hatten auch die Drohungen der Hyptons mit einem dritten Konzilsvolk nichts ändern können. Inzwischen wußte Atlan, daß dieses Konzilsvolk nicht existierte. Es stand zudem nicht fest, ob die Hyptons ursprünglich Partner oder ein Hilfsvolk der Zgmahkonen gewesen waren. Hier fehlte noch der Beweis. Und solange der Beweis fehlt, brauchst du dir keine Gedanken darüber zu
machen, Mascaren! Mascaren. Das war der Name, unter dem er geboren worden war. Ein Name, der ihn an seine Jugendzeit erinnerte und natürlich an Fartuloon, der sich auf Aklard aufhielt. Auch Fartuloon hatte einiges herausgefunden. Ja, wenn Atlan ehrlich war, dann mußte er eingestehen, daß die entscheidenden Erkenntnisse von seinem alten Lehrer gekommen waren. Es war sicher, daß es sich bei Raumherr Dulugshur um einen Zgmahkonen handelte, der mit einer zgmahkonischen Flotte nach Manam-Turu oder zumindest nach Bennerton gekommen und gescheitert war. Später hatten die Hyptons die überlebenden Zgmahkonen unter ihre Kontrolle gebracht und in ihrem Sinn manipuliert. Wahrscheinlich waren alle Ligriden aus diesen Wesen gemacht worden. Atlan wandte sich wieder der gegenwärtigen Situation zu. »Was sind es für Aktivitäten«, fragte er die STERNSCHNUPPE. »Handelt es sich um EVOLO?« Sie waren losgeflogen, um eine Spur des gefährlichen Wesens zu suchen. Sie hatten keine gefunden. Es waren auch keinerlei Meldungen anderer Raumfahrer bekanntgeworden, daß EVOLO irgendwo aktiv gewesen war. Das psionische Wesen war nicht auffindbar. Welche Möglichkeit ist wahrscheinlicher? dachte der Arkonide. Daß EVOLO sich disloziert und aufgespaltet hat oder daß er noch immer herumvagabundiert? Er stellte die Frage dem Extrasinn, und dieser antwortete: Es entspricht einer zwingenden Logik, daß beides der Fall sein kann und jedes von beiden allein. Du kannst in jedem Fall davon ausgehen, daß die Wahrscheinlichkeit bei etwas mehr als dreiunddreißig Prozent pro Möglichkeit liegt. »Es handelt sich um die Ligriden«, sagte das Schiff, noch während Atlan seine Gedanken mit dem Logiksektor wechselte. »Sie operieren in einem Sektor, in dem es mehrere mutmaßliche
Stützpunkte von ihnen gibt. Sie haben sich zu einer kleinen Flotte zusammmengefunden. Im Augenblick erlischt jegliche Aktivität. Es wird ruhig in dem betreffenden Raumsektor. Die Schiffe sind verschwunden.« Sie tauchten auch nicht wieder auf, und der Arkonide gab dem Schiff die Anweisung, ohne Unterbrechung nach Aklard zurückzufliegen. Die STERNSCHNUPPE verschwand im Linearraum. Anima und Atlan saßen schweigend in ihren Sesseln. Die mädchenhafte Frau blickte starr auf den Bildschirm. Manchmal blinzelte sie mit den Augenlidern. Eine rätselhafte Orbiterin war sie. Manchmal schien es, als habe sie ihre Verbindung zu Hartmann vom Silberstern noch immer nicht verloren, so als lebte der Ritter der Tiefe noch. Dann wieder zeigte sie deutlich, daß sie sich zu Atlan hingezogen fühlte, den sie faktisch längst als ihren Ritter akzeptiert hatte, auch wenn sie es nicht in der Weise aussprach. Das Schiff kehrte in den Normalraum zurück, und auf dem Schirm leuchtete der feurige Ball der rötlich-gelben Sonne Suuma, die vier Planeten besaß, von denen jedoch nur Aklard bewohnt war. Der Planet war als kleines Bällchen rechts von Suuma zu erkennen, das rasch anwuchs und bald einen beträchtlichen Teil des Bildschirms ausfüllte, während Suuma aus dem Erfassungsbereich der Aufnahmeoptik wanderte und seitlich verschwand. »Funkkontakt mit Ghyltirainen«, meldete das Schiff. »Aksuum ist da. Er ist von Bajukkan hergeflogen. Er spricht mit Vertretern anderer Völker!« »Das ist wichtig«, stellte der Arkonide fest. »Es geht so ziemlich um alles. Aklard benötigt Unterstützung!« Er erinnerte sich an jene Zeit, als die Traykon-Schiffe des Erleuchteten den Daila gegen die Ligriden und Hyptons zu Hilfe gekommen waren. Damals war der engere Einflußbereich der Daila von den Invasoren und Okkupatoren befreit worden. Seither hatten
die Hyptons keinen neuen Angriff gegen Aklard geführt. Diese Hilfe war jetzt nicht mehr möglich. Der Erleuchtete existierte nicht mehr, und EVOLO und die Hyptons waren immer noch miteinander im Sinn eines Paktes verbunden. So genau war das nicht erkennbar, aber Atlan glaubte, daß beide Parteien dabei einzig und allein ihre Interessen verfolgten. Die Hyptons hätten EVOLO nicht das Psionische Tor zur Verfügung gestellt, wenn sie nicht eine Politik der Stärke verfolgt hätten. Gegen einen solchen Pakt gab es nur ein einziges Mittel. Ganz Manam-Turu mußte zusammenstehen wie ein Volk. Die Einzelinteressen hatten in einer solchen Zeit nichts zu gelten. Die Daila waren unermüdlich als Botschafter dieses Gedankens unterwegs, und sie hatten nicht überall Zustimmung gefunden. Jene Völker, die bisher nicht direkt von dem Tauziehen betroffen waren, lehnten es ab, das Risiko eines Kampfes gegen eine solche Übermacht einzugehen. Es war ein Problem, ihnen klarmachen zu wollen, daß es gar keine Übermacht gab. Oder täuschte der Eindruck? Atlan fragte sich, warum sich die Hyptons nicht rührten und die Ligriden seltsame Truppenmanöver durchführten. Die STERNSCHNUPPE erreichte Aklard und senkte sich auf den südlichen Kontinent Akbarry hinab, dessen Hauptstadt Ghyltirainen war. Der Raumhafen leuchtete als grauer Fleck zwischen vielen Grünanlagen und den gelben und blauen Flächen, die die Stadt markierten und die ausgedehnten Wohnbezirke darstellten. »Die GHYLTIROON«, rief Anima aus. Sie wandte den Kopf und blickte Atlan freudig an. »Sie steht da unten!« Das Schiff, mit dem sich einige ihrer Abenteuer und Erfolge verbanden, hatte bei ihrem Abflug noch auf dem Hafen Bajukkans gestanden. Da kaum anzunehmen war, daß sie einfach aus Spaß an der Freude den Kontinent gewechselt hatte, mußte sie wie sie einen
Raumflug hinter sich haben. »Ist bekannt, in welcher Mission die GHYLTIROON unterwegs war?« erkundigte sich Atlan beim Schiff. Augenblicke später hatte die STERNSCHNUPPE die Auskunft eingeholt. »Aksuum läßt grüßen. Die GHYLTIROON war auf Cairon und hat einen Vertreter des Volkes der Bathrer abgeholt. Es stand derzeit kein Schiff in der Nähe Cairons, das ihn hätte mitnehmen können, so daß der Flug nötig war. Es gibt noch eine zweite Überraschung!« »Welche?« Anima erhob sich. Ihr Gesicht spannte sich an. »Sprich!« »Das darf ich nicht verraten«, erklärte das Schiff knapp. »Ende des Gesprächs!« »Und Ende des Fluges«, sagte Atlan und erhob sich ebenfalls. Der Diskus sank dem Belag des Raumhafens entgegen und setzte sanft auf. Die beiden Insassen gingen zum zentralen Antigrav und ließen sich hinab zur Bodenschleuse bringen. Sie stiegen aus und nahmen in einem Wagen Platz, der bereits wartete. Ein Daila bediente die Steuerung. »Wir fliegen zum Ratsgebäude«, erklärte er. Der Wagen hob ab und schwebte drei Meter über dem Boden davon.
* Das Gebäude besaß die Form eines Hufeisens mit nach oben schmaler werdendem Querschnitt. Es war um eine natürlich gewachsene Felsbarriere errichtet, auf der in allen Farben schillerndes Moos wuchs. Ansonsten gab es auf dem grau bis silbrig schimmernden Gestein keinerlei Vegetation. Aus verborgenen Düsen sprühte gleichmäßig Wasser auf das Moos. Wenn Suuma günstig stand, dann setzte sich das farbige Moos in Form von Regenbögen in den Wassertropfen der Berieselungsanlage fort. Der Eingang befand sich auf der Innenseite des Hufeisens in der
Mitte der Krümmung. Der Wagen setzte auf und hielt an. Der Arkonide und die Orbiterin stiegen aus und schritten nebeneinander auf das breite Portal zu. Sie wurden bereits erwartet. Aksuum empfing sie. Der Daila, der alle seine Artgenossen um gut einen Kopf überragte, hieß sie mit der gewohnten Herzlichkeit willkommen. »Es tut sich etwas in Ghyltirainen«, sagte er. »Die Vertreter von achtzehn Völkern haben auf unsere Einladung reagiert und sind gekommen. Sie wollen sich mit uns einigen. Weißt du, was das heißt, Atlan?« Der Arkonide nickte. »Achtzehn, das ist nicht viel, aber immerhin ein Anfang!« Es war nicht das erstemal, daß die Daila zu einer solchen Konferenz eingeladen hatten. Überall in Manam-Turu hatten sie ihre Botschafter, teils normale Daila, teils solche mit Mutantenfähigkeiten. Überall klärten sie die Völker und Einzelwesen über das auf, was in anderen Bereichen der Galaxis vor sich ging. Aber noch war viel Arbeit nicht getan, und die sich laufend verändernde Situation erleichterte es auch nicht gerade, die wichtigsten Völker der Galaxis in einer geschlossenen Front zu vereinen. Sie traten in das Gebäude und folgten Aksuum in den großen Saal, in dem gewöhnlich der Rat des Planeten tagte, wenn er seine Sitzungen in Ghyltirainen abhielt. Atlan erkannte ein paar Rassenvertreter, denen er bisher nicht begegnet war. Eine Gestalt stach ihm besonders stark ins Auge. Plötzlich umklammerte Anima seinen rechten Unterarm und blieb stehen. Wohl oder übel verhielt er ebenfalls seinen Schritt, sonst hätte er sie umgerissen. »Sie ist da, sie ist gekommen«, flüsterte Anima. »Sie erinnert sich daran, daß ich sie geweckt habe, und zeigt Dankbarkeit.« Es war ohne Zweifel eine Krelquottin. Sie war etwas größer als normale Krelquotten und besaß keinen Pelz. Ihre lederartige Haut war tiefbraun und runzlig und wurde von einem weit fallenden
Gewand umhüllt, unter dem an wenigen Stellen ein dunkelblauer Raumanzug hervorleuchtete, der ihren Körper eng umgab. Sie richtete ihre Aufmerksamkeit zum Eingang und erkannte, wer eingetroffen war. »Atlan! Anima!« Dschadda-Moi rauschte heran und machte mit den Händen und dem Kopf fahrige Bewegungen, die eine Begrüßung sein sollten. »Was sagt ihr dazu? Ein solches Wiedersehen habt ihr nicht erwartet!« »Nein, wirklich nicht«, gestand der Arkonide. »Wie sieht es auf Cirgro aus? Können wir auf die Unterstützung der Krelquotten hoffen?« Die Chadda stieß geräuschvoll die Luft aus. Ihre Arme verschwanden unter dem Umhang. Ihre Augen glitzerten. »Aksuum«, sagte sie. »Warum mußte ich auch ohne meine Zofen reisen. Sie fehlen mir. Es ging alles so schnell. Ich habe sie auf Cirgro zurückgelassen. Jetzt weiß ich, daß dies ein Fehler war. Auch ich hätte ruhig daheim bleiben können. Mein Volk braucht mich!« »Du hast Schwierigkeiten?« »Aber nein, Atlan, wo denkst du hin? Es geht darum, ob ich den Titel Chadda tragen darf! Nicht alle Krelquotten glauben das, was ich berichtet habe. Es gibt Kräfte, die nach wie vor auf die Psionik bauen. Wißt ihr, unser Volk ist durch die Psionik groß geworden. Von Anfang an war es von ihr durchdrungen. Alles folgte diesem natürlichen Impuls. Der Untergang war die Folge. Mein Volk scheut sich vor allem, was außerhalb seiner Welt liegt. Es hat kein Interesse und keinen Mut, sich an etwas zu beteiligen, wozu es seine Isolation aufgeben muß. Ich kann ihm keinen Vorwurf machen!« »Aber die Beweise, Dschadda-Moi!« Anima trat dicht vor die ehemalige Herrscherin der Krelquotten hin. »Akzeptieren sie die Beweise nicht? Sieh dir Atlan an! Er hat dich auf Cirgro abgesetzt. Er baut auf dich. Und er ist nicht der einzige, der auf die Hilfe deines Volkes rechnet!« »Die Beweise sind nicht vorhanden«, sagte die Chadda leise. »Ich
weiß, daß es sie gibt. Dschamo oder einer seiner Nachfolger muß damals das Modell mit dem Berg Cirgro versteckt haben. Ich habe das Versteck bisher nicht gefunden. Und von den Stelen gibt es keine Spur auf unserer Welt, die einst Torquan hieß. Kann es sein, daß sie sich im Innern des Berges befinden? Nein, es ist unwahrscheinlich. Aber die Tafeln mit den Namen sind da, und sie sind der Beweis. Könnt ihr es verstehen? Ich habe Probleme, von meinem Volk als ehemalige Herrscherin anerkannt zu werden mit dem Recht, auch jetzt die Herrschaft anzutreten. Was habe ich mehr als Worte, die genausogut ein Märchen sein können.« »Das ist keine gute Nachricht«, sagte der Arkonide jetzt. »Wenn wir dir helfen können, dann sage es. Sollen wir mit dir fliegen und deine Worte bezeugen?« »Ich weiß nicht, ob es einen Sinn hat. Eure Hilfe war wertvoll, aber sie bringt nichts. Weder für euch noch für mein Volk noch für Manam-Turu!« Sie wandte sich um und kehrte in den Kreis der Fremdrassigen zurück, die respektvollen Abstand zu ihr hielten. Aksuum winkte dem Arkoniden und der Orbiterin und führte sie zu dem Bathrer. »Jurnaun hat sich lange mit der Chadda unterhalten«, sagte er. »Dabei hat er einiges über die Vergangenheit des bathrischen Volkes erfahren. Jurnaun ist unglücklich darüber.« »Und ich bezweifle, daß wir etwas gegen den Gegner ausrichten können. Es war nicht unser Verdienst, daß wir EVOLOS Angriff auf Cairon abwehren konnten. Wir sind zu schwach. Aber auch gemeinsam dürften wir nicht Kraft genug besitzen!« Jurnaun schluckte und schwieg. Atlan blickte in die Runde. Keiner der Anwesenden wagte einen Widerspruch, und der Arkonide legte sich die Worte zurecht, die er sagen wollte. Längst wußte er, daß er bei diesen Völkern nur mit Behutsamkeit vorgehen konnte. Irgendwie schienen sie alle unter einem Trauma aus ferner Vergangenheit zu leiden. In diesem Augenblick begann eine Alarmsirene zu schrillen, und
sie verhinderte den Fortgang oder den eigentlichen Beginn der Konferenz von Ghyltirainen.
* Sie brachten Chandor heim. Nachdem das Automatikschiff Alarm gegeben hatte, war ein aklardischer Aufklärer aufgebrochen. Er hatte die Station entdeckt und sie mitsamt den Hyptons und den Stahlmännern in die Luft gesprengt. Nur dadurch hatte das Leben der sieben Daila gerettet werden können. Sie hatten Chandor gefunden. Er hatte seinen Mut und sein aufopferungsvolles Verhalten mit dem Leben bezahlt. Sie brachten die Leiche in das Schiff und suchten dann die Verstecke mit den Speichern auf. Sie holten alle an Bord und begannen mit der Auswertung, während der Aufklärer zurück in das Heimatsystem flog. Sie wuschen den Leichnam und legten ihn in einen Kühlbehälter. Noch im Tod spiegelte sich in Chandors Gesicht das Erstaunen, so, als sei etwas eingetreten, womit er nicht gerechnet hatte. Es fiel kaum auf, aber die Daila empfanden es so, wenn sie seine Physiognomie betrachteten. War er überrascht worden? Hatten die Stahlmänner der Hyptons ihn getötet? Chandor war einer der Daila-Mutanten gewesen. Aufgrund seiner enormen Körpergröße, die die Aksuums noch überstieg, hatte er sich dafür geeignet, die Rolle eines Ligriden zu spielen. Der Speicher mit Chandors Nachricht wurde abgehört, und die Daila gaben bereits unterwegs Alarm. Sie wechselten auf ein größeres, leistungsfähigeres Schiff über, um schneller auf Aklard sein zu können. Während die Daila der Heimatwelt über die neuesten Nachrichten in helle Aufregung gerieten, näherte sich das Schiff Aklard und landete in der Nähe der STERNSCHNUPPE. »Die Hyptons!« rief Anima aus. »Atlan, wir müssen etwas tun!« Sie sah den Arkoniden fast flehentlich an.
»Natürlich«, bestätigte Fartuloon. Sie hatten sich im Steuerraum der STERNSCHNUPPE versammelt. Fartuloon war von dem nördlichen Kontinent Akjunth herübergekommen. Chipol hatte sich auf Uschriin aufgehalten, was ihm ein paar spöttische Bemerkungen eingebracht hatte. »Bereitest du deine Wallfahrt nach Rhyikeinym vor?« hatte Atlan gefrotzelt. »Soweit sind wir doch noch gar nicht. Vorher gibt es einiges zu tun!« Jetzt warf sich der junge Daila in die Brust. »Sie kommen wieder aus ihren Löchern. Ich wußte es die ganze Zeit, daß diese häßlichen Kreaturen nicht aufgegeben haben!« In mehreren Randbezirken Manam-Turus waren starke Verbände aufgetaucht, die einwandfrei identifiziert werden konnten. Es handelte sich um Schiffe aus Chmacy-Pzan, der Heimatgalaxis der Hyptons. Die Verbände bezogen am Rand Manam-Turus Stellung. »Der Rauchstreifen vom verlöschenden Feuer soll sie verschlingen«, entfuhr es Aksuum. Er war mit den Gefährten an Bord des Schiffes gegangen. Die STERNSCHNUPPE verfügte über leistungsfähigere Anlagen als die aklardischen Schiffe, so daß sie auch Nachrichten empfangen konnte, die nicht direkt für das Suuma-System bestimmt waren. Dennenhor und Inua befanden sich zusammen mit dailanischen Wissenschaftlern in einer Medostation in Bajukkan. Sie hatten sich für ein paar Zellproben zur Verfügung gestellt. Der Rauchstreifen vom verlöschenden Feuer war ein Bestandteil der dailanischen Mythologie, die eng mit den Ereignissen verknüpft war, die sich in der Vergangenheit dieser Galaxis abgespielt hatten und an denen die damaligen Torquanturs nicht ganz unschuldig waren. Aksuums Worte waren ein frommer Wunsch. Niemand glaubte, daß er in Erfüllung gehen würde. »Im Augenblick können wir gar nichts tun. Weitere Ligridenverbände fliegen quer durch Manam-Turu. Es steht fest,
daß sie alle ein bestimmtes Ziel haben«, meinte Atlan. »Anima, wir müssen jetzt noch diplomatischer vorgehen als bisher. Es hat keinen Sinn, den Vertretern der anderen Völker Nachrichten vorzuenthalten. Sie würden sich zu einem späteren Zeitpunkt hintergangen fühlen. Welche Möglichkeiten haben wir, doch noch zu einer Verständigung mit den Krelquotten und den Bathrern zu kommen?« »Keine!« erklärte Aksuum an Animas Stelle. »Das Auftauchen neuer Hyptonverbände macht alle unsere Versuche zunichte!« »Es ist ein Teufelskreis«, bestätigte der Arkonide. »Solange wir es mit zwei Gegnern zu tun haben, ist es fast aussichtslos. Dennoch, wir müssen es schaffen. Wir müssen den entscheidenden Schachzug gegen EVOLO machen. Aber dazu müssen wir ihn erst einmal finden. EVOLO darf in seiner bisherigen und jetzigen Form nicht mehr existieren!« »Das klingt schief. Willst du schon wieder mit dem Knüppel dreinschlagen?« Die mädchenhaften Augen der Orbiterin blitzten den Arkoniden an. Es waren menschliche Augen. Anima behielt ihre jungmädchenhafte, menschliche Gestalt bei, war aber aufgrund ihrer Fähigkeiten immer noch imstande, alle möglichen Formen und Strukturen anzunehmen. »Nein«, erklärte Atlan. »Aber sage mir, wie du das Problem EVOLO lösen willst!« »Man muß EVOLO verändern, das ist die einzige Möglichkeit!« Verändern. Es war ein nichtssagendes Wort, und es war nicht das erstemal, daß sie sich über dieses Thema unterhielten. Irgendwie wich Anima ihm jedesmal aus, sie umging eine Konkretisierung ihres Vorschlags. EVOLO verändern. Das konnte auf unterschiedliche Art geschehen. Mit Hilfe des psionischen Potentials der Krelquotten und der Bathrer vielleicht. Oder mit Hilfe der Hyptons? Der Arkonide spürte, daß da ein Loch war, das er nicht mit Wissen
füllen konnte. »Wie verändern?« fragte er. »Positivieren!« sagte Anima und blieb weiterhin allgemein. Sie weiß entweder nicht, wie so etwas vor sich gehen könnte, oder sie verschweigt dir etwas, meldete sich der Logiksektor. Aber sie wird es dir jetzt nicht sagen. Nicht vor so vielen Leuten. Die STERNSCHNUPPE meldete starke Hyperschockwellen wie von einer gewaltigen Flotte. »Aksuum«, stieß Atlan hervor. »Wir müssen möglicherweise einen Alarmstart durchführen. Nimm Verbindung mit dem Ratsgebäude auf. Wenn die Hyptons mit einer riesigen Flotte kommen, ist Manam-Turu verloren.« »Dann kann uns nur noch EVOLO helfen!« beharrte Anima. Sie ist zu sehr davon überzeugt, daß EVOLO positiviert werden kann, dachte der Arkonide. Er wollte auf dieses Thema zurückkommen, aber da erreichten die ersten Aufzeichnungen eines Gesprächs Aklard, das von einem Ligriden geführt wurde, der zu den Hyptons sprach. Das Gespräch hatte etwa eine halbe Stunde Standardzeit vor dem Hyperwellenschock stattgefunden. Kurz darauf kam die Erklärung. Die Ligriden hatten ihre Flotte gesammelt und hatten Manam-Turu mit unbekanntem Ziel verlassen. Sie hatten sich von dem Bündnis mit den Hyptons losgesagt. Damit hatten die Hyptons ihre wichtigsten Bündnispartner verloren. Wie es aussah, waren sie bestrebt, die Lücke durch eigene Kräfte zu füllen. »Die Ligriden, wo werden sie hinfliegen?« sagte Anima. »Sie sind zu bedauern. Was wird aus ihnen?« Es stand nicht in der Macht der Gefährten, hier lenkend einzugreifen. Die Ligriden waren als Angreifer und Invasoren gekommen. Jetzt standen sie vor dem Nichts, ein verstörtes und entwurzeltes Volk mit einer kranken Seele. Man mußte kein Psychologe sein, um das zu erkennen.
»Sie sind weg, und die Hyptons kommen«, knurrte Fartuloon. »Und wir wären keine alten und erfahrenen Kämpen, wenn wir nicht auch damit fertig würden.« »Ich glaube, Fartuloon nimmt den Mund ein wenig voll«, kommentierte Chipol. Aksuum stimmte ihm zu. »Als die Ligriden kamen, da bin ich nur noch gebückt gegangen, um unter meinem Volk wegen der Größe nicht aufzufallen und die Aufmerksamkeit der Okkupatoren zu erregen.« Er lächelte schief. »Ich bin es also schon gewohnt, mich zu ducken. Falls die Hyptons nach Aklard kommen, werdet ihr mich nicht mehr erkennen.« In Atlans Augenwinkeln bildeten sich feine Lachfältchen. Nur zu gut war ihm und seinen Gefährten bekannt, wie Aksuum damals aus dem Untergrund gegen die Invasoren gearbeitet hatte.
* Das Erlebnis in der Vergangenheit des Planeten Torquan hatte deutliche Aufschlüsse darüber gegeben, warum die Völker der Jetztzeit so reagierten, insbesondere die Krelquotten. Es änderte nichts an der gegenwärtigen Lage und trug auch nichts dazu bei, sie zu bereinigen. Im Gegenteil. Die Aussichten, jetzt noch mit der Hilfe anderer Völker rechnen zu können, waren so gering, daß sie nicht ins Gewicht fielen. Lediglich die Daila bildeten so etwas wie eine verschworene Gemeinschaft, seit sie sich mit den Mutanten in ihrem Volk ausgesöhnt und die Notwendigkeit einer Kooperation eingesehen hatten. Die Gefährten waren von der STERNSCHNUPPE in das Ratsgebäude zurückgekehrt. Das Schiff hielt eine Sprechverbindung aufrecht, so daß es die Versammelten mit neuen Informationen beliefern konnte. Weitere Verbände der Hyptons hatten am Rand der Galaxis Stellung bezogen. Sie verharrten dort, als würden sie auf
weitere Unterstützung warten. Überall auf Aklard kehrte Nachdenklichkeit ein, und in dem Saal mit den versammelten Gesandten, Botschaftern und Vertretern anderer Dailaplaneten und fremder Völker hätte man eine Stecknadel fallen hören können. Atlan blickte die Wesen der Reihe nach an. Er prägte sich ihre Gesichter und ihre Mienen ein. In manchen las er wie in einem offenen Buch, andere waren undeutbar für ihn. Er ging seine Erinnerung durch. Einige der Völker, denen er begegnet war, hielten sich nicht hier auf. Andere hatte er bisher weder dem Namen nach noch von Angesicht kennengelernt. Er sah keinen Tessaler. Von den Tessalern wußte er, daß sie in einem Zusammenhang mit der Geschichte Manam-Turus standen. Einst hatten sie ein eigenes Reich besessen und zeitweise freundliche Kontakte zu den Torquanturs unterhalten. Damals waren sie Fratoskopen genannt worden, ihre Hauptwelt hieß Frato. In der Jetztzeit hielten sie die Position ihrer Interessensphäre so geheim wie möglich. Und wären sie damals bei ihrem zweiten Besuch im System Cirgro nicht mit Tessalern zusammengetroffen, dann hätten Atlan und seine Gefährten vorläufig nichts über die Existenz dieses Volkes erfahren. Die Tessaler waren gekommen, und sie hatten versucht, an Cirgro heranzukommen. Sie mußten gewußt haben, daß dies die Welt der Torquanturs war. Goman-Largo und Neithadl-Off hatten sich auf den Weg gemacht, die Spur der Tessaler zu verfolgen. Rund einen Monat war es schon her, und in dieser Zeit hatten der Modulmann und die Vigpanderin nichts von sich hören lassen. Auch dies war ein Punkt, der nicht gerade dazu beitrug, Atlans Sicherheit zu bestärken. Die in dem Saal Versammelten wurden hellhörig. Die STERNSCHNUPPE meldete, daß sich einzelne Hyptonschiffe in Bewegung gesetzt hatten. Sie steuerten die Hundert-LichtjahreRaumkugel an, den Einflußbereich der Daila. Sie drangen in ihn ein.
Die Daila ließen sie gewähren, aber sämtliche Schiffe in diesem Sektor Manam-Turus waren in Alarmbereitschaft versetzt. Planetare Abwehrforts öffneten ihre Sichtblenden und machten ihre Waffen feuerbereit. Um wichtige Anlagen herum wurden Projektoren für Energieschirme aufgefahren. Es war nicht viel, was die Daila tun konnten. Raumforts und Stationen mit Angriffsbewaffnung besaßen sie so gut wie keine. Und um der geballten Macht einer vereinigten Hyptonflotte widerstehen zu können, hätte es Millionen und Abermillionen Schutzschirmen bedurft. Das einzige, was die Bewohner der Raumkugel einigermaßen beruhigte, war die Tatsache, daß die Hyptons es nicht auf eine Ausrottung der dailanischen Völker abgesehen hatten. Das hätten sie in der Vergangenheit leichter tun können als jetzt. »Da habt ihr es!« Dschadda-Moi baute ihren wuchtigen Körper vor Aksuum als dem höchsten Vertreter des Rats von Aklard auf. Der Planetare Rat streckte sich ein wenig, aber der Körper der Chadda wirkte auch so noch erdrückend genug. »Es war damit zu rechnen, daß die Hyptons nicht ewig stillhalten würden«, sagte Fartuloon. »Es hätte jeder Kriegstaktik widersprochen. Die Hyptons gehen in die Offensive!« »Und genau das ist der Anhaltspunkt, wo wir nicht länger herumstehen und debattieren dürfen«, warf Atlan ein. »Wir unterhalten uns schon zu lange. Entweder erhalten die Daila die Unterstützung, oder sie erhalten sie nicht. Dann wissen sie wenigstens, daß sie auf sich selbst angewiesen sind!« Für kurze Zeit herrschte betretenes Schweigen, dann war es wieder die Herrscherin der Krelquotten, die das Wort ergriff. »Es fehlt ein Bindeglied. Das müßt ihr alle einsehen. Und solange es nicht gefunden ist, können wir tun, was wir wollen. Wir werden keinen Erfolg haben und immer wieder ins Leere stoßen. Es wären vergeudete Kräfte, und ihr werdet einer Chadda glauben, daß sie weiß, was sie sagt!«
»Was ist denn dieses fehlende Bindeglied?« Chipol trat neben Aksuum und sah die Krelquottin erwartungsvoll an. »Kannst du es beschreiben?« »Ich kann es nicht. Ich bin nicht in der Lage, darüber eine Auskunft zu geben!« Atlan wurde hellhörig, aber er sagte nichts. Du hast recht, sagte der Extrasinn. Es hört sich an, als wüßte sie etwas. Aber mehr nicht. Es hört sich eben nur so an. »Atlan!« Anima zog den Arkoniden beiseite und sprach leise auf ihn ein. Sie sprach mit energischen Gebärden, und der Arkonide konnte nicht umhin, ihr mehrmals zuzustimmen. »EVOLO ist derzeit wichtiger«, zog er das Resümee. »Das ist auch meine Meinung. Aber die Bedrohung durch die Hyptons ist gegenwärtiger. Wenn EVOLO sich bereits disloziert hat, dann werden wir ihn nicht mehr lokalisieren können. Er hat keine Gewalt über seine Teile, die er verliert. Sie sind selbständig handelnde Einheiten, die einem fest umrissenen Programm folgen. Es geht auf den Erleuchteten zurück und hat wenig mit EVOLOS eigenem Machtstreben zu tun. Es ist eine Katastrophe. Wenn sie gerade eintritt, können wir sie nicht verhindern. EVOLOS Frist ist abgelaufen. Die Hyptons aber kommen näher. Sie wissen, daß Aklard das Zentrum des Widerstands gegen sie und die Ligriden geworden ist. Sie verzichten darauf, die faulen und eigensüchtigen Naldrynnen zu aktivieren. Sie kommen selbst. Ihr Ziel kann es nur sein, Aklard auszuschalten. Noch zögern sie, es in einem raschen Angriff zu tun.« »Dennoch, es hat keinen Sinn«, schrillte Dschadda-Moi. Sie besaß jetzt beinahe einen Tonfall wie ihre Zofen, die sie auf Cirgro zurückgelassen hatte. Die Zofen fehlten ihr. Wenn sie die Keifenden und Scheltenden um sich hatte, dann war sie ruhig und ausgeglichen. Jetzt aber verhielt sie sich selbst wie Yopta oder Lixter. »Gut«, sagte Aksuum. »Beenden wir das Gerede. Welches Volk ist
bereit, die Daila zu unterstützen?« Es kam keine Antwort, bis der Bathrer sagte: »Wir wollen abwarten, wie sich die Situation entwickelt!« Das war eine Absage. Wenn jetzt nichts getan wurde und keine Einigung zustande kam, dann war alles zu spät.
* »Sie müssen ihre halbe Heimatgalaxis mobilisiert haben«, stellte Chipol fest. Angesichts der großen Anzahl von Verbänden war es müßig, in irgendeiner Weise an den Absichten der Hyptons zu zweifeln. Die Ratsversammlung hatte bereits ein notstandsähnliches Programm zum Schutz des Heimatsystems ausgerufen. Von überall her eilten Schiffe mit Daila-Mutanten, um erneut zu helfen. Die Vertreter der anderen Völker machten, daß sie wegkamen. Als erstes startete das Schiff, mit dem die Chadda gekommen war. Sie verabschiedete sich nicht einmal. Sie suchte ihr Heil in der Flucht, und Atlan konnte es ihr nicht einmal übelnehmen. Sie hatte genug Probleme mit ihrem eigenen Volk. Die ersten konkreten Nachrichten über die Flottenstärken trafen auf Aklard ein. Selbst Atlan blieb nicht ruhig bei den Zahlen, die genannt wurden. Die ersten Kundschafterschiffe der Hyptons näherten sich dem Suuma-System und flogen ein, ohne gehindert zu werden. Sie erhielten ungefähr einen Eindruck davon, wie die Daila reagierten. Sie zogen wieder ab, ohne daß es zu Kampfhandlungen gekommen wäre. Zusammen mit den Hyptons, die bereits in Manam-Turu Fuß gefaßt hatten, bildeten sie eine Streitmacht, der auch die vereinigten Kräfte vieler Völker kaum standgehalten hätten. Das erkannten auch die Daila, und deshalb waren sie niemand böse, der angesichts dieser Bedrohung den kürzeren zog. Dschadda-Moi hat sich sehr geschickt verhalten. Sie hat von einem fehlenden Bindeglied gesprochen und es auf die Auseinandersetzung mit
den Hyptons bezogen, machte sich der Extrasinn bemerkbar. Aber in Wirklichkeit hat sie vom Problem EVOLO gesprochen. Atlan fiel es wie Schuppen von den Augen. Er wollte sich mit der STERNSCHNUPPE in Verbindung setzen und die Verfolgung der Chadda aufnehmen. Er wollte sie zur Rede stellen und sie daran erinnern, daß sie ihm versprochen hatte, ihn zu unterstützen, so gut es ging. »Die Hyptons kreisen die Hundert-Lichtjahre-Raumkugel ein«, meldete das Schiff in diesem Augenblick. »Sie formieren ihre Schiffe!« Damit war klar, daß die Zeit des Zauderns vorbei war. Der entscheidende Konflikt stand bevor. Die Hyptons wollten es jetzt wissen. Sie warfen alle ihre Kräfte in Richtung Aklard. Die Zeichen standen auf Sturm. Es hatte den Anschein, als sei eine gewaltige Raumschlacht mit hohen Opfern unvermeidlich. Und gerade das wollte Atlan nicht einsehen. Und auch Anima wehrte sich mit ihrem ganzen Sein dagegen. Der Arkonide bemerkte ihren hilfesuchenden Blick. »Damit sind die Würfel gefallen«, erklärte er. »Die Hyptons sind das drängendere Problem!« »Was willst du tun?« wollte Aksuum wissen. Es rauschte unter dem Eingang. Einer, der sich in den vergangenen Tagen überhaupt nicht hatte blicken lassen und unter normalen Umständen als verschollen gegolten hätte, trat ein. »Da steht ihr herum und haltet Maulaffen feil«, verkündete er in seiner unnachahmlichen, künstlichen Krelquottensprache. »Das Schiff ist startbereit. Also steht nicht unnütz herum!« »Don Quotte!« rief Fartuloon aus. »Du Blechkasten. Was soll das?« Der Krelquottenroboter in seinem weißen Pelz baute sich vor ihm auf. »Geht dich nichts an, Fartuloon«, erwiderte er. »Du bleibst sowieso auf Aklard!« »Oho!« machte Fartuloon. »Von wegen. Aber vielleicht hast du
recht, und es ist wirklich besser, daß ich hierbleibe und den Daila beistehe.« Atlan wandte sich an Aksuum. »Wir können nicht viel tun. Bereitet ihr alles für diesen sinnlosen Kampf vor. Anima, Chipol und ich werden versuchen, ein wenig Zeit zu gewinnen.« »Ich begleite euch«, stellte Don Quotte fest. »Wenn du erlaubst, dann gehe ich diesmal voran. Es schickt sich zwar nicht für einen Großwesir, vor seinem Herold zu gehen, aber die Umstände …« »Wenn wir EVOLO und die Hyptons gegeneinander ausspielen wollen, dann wird es höchste Zeit. Aber das ist nicht Atlans Plan«, fuhr Anima dazwischen. Sie ging auf den Arkoniden zu und umarmte ihn kurz. Sie löste sich ruckartig von ihm und wandte sich ab. Nur der Roboter bemerkte, daß sie errötete. »Was ich vorhabe, ist der einzige Weg, der uns noch bleibt«, bestätigte der Arkonide. »Wollen wir hoffen, daß es ein Ausweg wird!«
4. Die STERNSCHNUPPE verließ das Aklard-System. Die drei anderen Planeten Illard, Ris und Rim tauchten kurz auf dem Bildschirm auf, dann verschwanden sie ebenso wie Suuma, die rötlich-gelbe. Die STERNSCHNUPPE war in den Linearraum übergewechselt und vollführte ihre erste Etappe, die sie über eine Distanz von etwa achtzig Lichtjahren führte. Sie näherte sich dabei dem äußeren Rand der Hundert-Lichtjahre-Kugel, die als Einflußbereich der Daila galt. Innerhalb dieses Gebiets gab es noch viele unerforschte Systeme, aber die Daila waren bemüht, sie nach und nach zu erschließen und mit möglichen Bewohnern Handelsbeziehungen anzuknüpfen. Ein Teil der bisher unbekannten Welten wurde von DailaMutanten bewohnt. Die übrigen hatten sich außerhalb der Kugel
angesiedelt, jedoch nicht weiter weg als unbedingt nötig. So waren sie auch galaktographisch immer ein Volk mit einem gemeinsamen Zentrum gewesen, wenn den Mutanten die Rückkehr nach Aklard auch lange Zeit untersagt gewesen war. Erst in letzter Zeit war es auf der Heimatwelt aller Daila zu einem Sinneswandel gekommen. Die Mutanten hatten sich für ihr Volk eingesetzt und gegen die Hyptons und die Ligriden gekämpft. Und das hatte den normalen Daila ein wenig die Urangst vor den Psibegabten genommen. Atlan hatte lange nach dem Grund für dieses Trauma gerätselt, das es nicht nur beim Volk der Daila zu beobachten gab. Inzwischen wußte er den Grund. In grauer Vorzeit war eine Psisonne gezündet worden, die mit ihren Eruptionen viele Völker vernichtet und andere an den Rand ihrer Existenz gebracht hatte. Aus jener dunklen Zeit stammte die Angst der Daila vor allem Übernatürlichen. Aus jener Zeit stammte auch das Bewußtsein der Krelquotten, großes Unheil angerichtet zu haben. Deshalb isolierten sie sich auf Cirgro nach wie vor und kümmerten sich nicht um das, was in anderen Sektoren Manam-Turus vorging. Die STERNSCHNUPPE meldete einen kurzen Funkkontakt mit einem Schiff, das Daila-Mutanten nach Aklard brachte. Das Schiff war überladen, es mußte in einen Orbit um die Heimatwelt gehen und Zubringerschiffe rufen. Aus eigener Kraft konnte es nicht landen. »Gib uns eine Ortungsübersicht«, verlangte Atlan. »Wie sieht es am Rand der Hundert-Lichtjahre-Raumkugel aus?« Die STERNSCHNUPPE projizierte ein Lichtgitter auf den Schirm, der das Bild des schwarzen Leerraums mit den glitzernden Sternen ein wenig transparenter und dreidimensionaler machte. Atlan und seine Gefährten sahen, daß sich allein in Flugrichtung mehrere Verbände von Hypton-Schiffen aufhielten. Keiner hatte weniger als hundert Einheiten, und sie bewegten sich entlang dem mathematischen Horizont der Raumkugel. Der größte Verband hielt sich in der Nähe des Latos-Tener-Systems auf, das bereits außerhalb
der Raumkugel lag. Atlan kannte dieses System von früher her. Unter anderen Umständen hätte er es angeflogen und den Tenern einen Besuch abgestattet und sich nach dem Befinden jener kleinen Daila-Kolonie erkundigt, die damals auf Tener gelebt hatte. Auf diesem Planeten hatte er den ersten Kontakt mit dem Pre-Lo gehabt. Jetzt aber war er froh, daß das Schiff wieder in den Linearraum ging und mit der nächsten Etappe die unsichtbare Grenze hinter sich ließ. Siebzig Lichtjahre legte es auf diesem Weg zurück. Es materialisierte in der Nähe eines kleinen Hypton-Verbandes und nahm Funkkontakt auf. »Wir kommen von Aklard«, begann Atlan, als auf dem Bildschirm der Oberkörper eines Stahlmanns erschien. »Wir sind auf der Suche nach einer Hyptontraube, die autorisiert ist, mit uns zu sprechen!« »Es gibt keine solche Traube in der Nähe«, erklärte der Stahlmann monoton. »Und zudem gibt es nichts zu besprechen! Setzt eure Reise fort, oder wir vernichten euch umgehend!« Sie haben keinen Befehl dazu, sonst würden sie bereits schießen, stellte der Extrasinn fest. Atlan dachte, daß dies wenigstens ein kleiner Hoffnungsschimmer war. Er nickte und befahl dem Schiff, die nächste Etappe einzuleiten. Der Vorgang wiederholte sich mehrmals, und er wurde begleitet von dem erwachenden Funkverkehr zwischen den Hyptonschiffen. Schließlich steuerte der Arkonide einen jener Verbände an, die beinahe mit Nullfahrt im Raum hingen. Die STERNSCHNUPPE zählte über siebzig Schiffe, und Atlan funkte sie erneut an. »Was willst du?« ertönte es aus den Lautsprechern. Diesmal erhielten sie keine Bildverbindung. »Verhandeln«, sagte Atlan. »Mit wem muß ich sprechen? An wen kann ich mich wenden?« »Warte!« Noch immer blieb der Bildschirm dunkel. Hyperfunksprüche verließen den Hypton-Verband, und ehe die STERNSCHNUPPE die
Gelegenheit erhielt, sie zu entschlüsseln, trafen Antworten ein. Die Stimme meldete sich wieder. »Es gibt eine Traube, die bereit ist, dich anzuhören, Arkonide. Du bekommst die Koordinaten jenes Verbands, der eine Entscheidung herbeiführen kann!« »Koordinaten eingetroffen«, meldete das Schiff. »Es handelt sich um einen Punkt, der sich tausend Lichtjahre vom Zentrumsektor Manam-Turus entfernt befindet!« Atlan nickte finster. Der nicht sichtbare Stahlmann hatte ihn als Arkonide bezeichnet. Man war sich also bei den Hyptons inzwischen darüber im klaren, wer mit der STERNSCHNUPPE unterwegs war. »Etappe!« sagte er. Der Verband verschwand, und das Schiff tauchte kurz darauf an seinem Zielpunkt in den Normalraum ein. »Wo ist die Flotte?« fragte Chipol. Es war nichts zu erkennen, nichts bis auf ein winziges Schiff, das einsam und allein in der Leere zwischen den Sternen hing. Atlan sandte einen Funkspruch zur Identifizierung. Augenblicke später erhielt er eine Verbindung. »Was willst du?« klang die helle Stimme eines Hypton-Sprechers auf. »Ich will mit euch reden. Es muß eine Möglichkeit geben, eine Einigung zwischen euren Interessen und den der Daila herbeizuführen«, erwiderte der Arkonide. »Deshalb bin ich unterwegs.« Die STERNSCHNUPPE gab leise zu verstehen, daß es sich bei dem kleinen Schiff lediglich um eine unbemannte Relaisstation handelte. Der eigentliche Sprecher befand sich an einem anderen Ort. Das war eine Vorsichtsmaßnahme, die bei der Massierung der Flottenverbände, die die Hyptons am Einflußbereich der Daila zusammenzogen, geradezu lächerlich wirkte. »Einer solchen Einigung bedarf es gar nicht«, kam die Antwort. »Unsere Interessen sind klar abgesteckt. Und die der Daila
interessieren uns nur zum Teil.« »Und dieser Teil?« fragte Atlan. »Ist der nichts wert? Denkt an die Verluste, die die Hyptons erleiden würden, bis der letzte Daila umgekommen ist. Ist das euer Ziel? Wollt ihr das Volk der Daila ausrotten? Benötigt ihr leere Planeten?« »Mische dich nicht in unsere Angelegenheiten ein, Atlan von Arkon, den man früher den Kristallprinzen genannt hat!« »Sie erinnern sich. Durch den Nachschub aus Chmacy-Pzan haben sie auch Detailinformationen über dich erhalten!« sagte der Extrasinn. »Es liegt mir fern. Aber wenn ihr die Vorgänge im System der Sonne Suuma genau verfolgt, werdet ihr feststellen, daß die Daila sich zum alles entscheidenden Kampf rüsten. Sie werden euch die Stirn bieten bis zum letzten Mann!« »Unsere Beobachtungen bestätigen deine Worte. Du hast richtig erkannt, daß wir an diesem hochbegabten Volk interessiert sind. Unter diesem Gesichtspunkt ist es sinnvoll, ein Gespräch zu führen.« »Aber nicht über ein Relais«, konterte Atlan. »So etwas kann man nicht als Gespräch bezeichnen.« Kurze Zeit herrschte Schweigen. Der Arkonide nickte Anima und Chipol aufatmend zu. Daß die Hyptons sich herabließen, aus ihrer überlegenen Position heraus ein Gespräch zu erwägen, kam für ihn überraschend. Er hatte mit stärkeren Schwierigkeiten gerechnet. Er wäre sogar bereit gewesen, im Fall eines Mißerfolgs die nächstbeste Station der Hyptons anzufliegen und mit ihnen zu sprechen, ohne sie vorher zu fragen. »Wir sind einverstanden«, erklärte der Hypton-Sprecher. »Eine der wichtigsten Trauben unseres Volkes erklärt sich bereit, mit dir und deinen Begleitern zu verhandeln. Wir bieten euch einen Treffpunkt an.« »Wir sind einverstanden«, sagte Atlan rasch. »Nennt uns die Koordinaten des Treffpunkts!« »Nicht so rasch«, zischte Anima neben seinem Ohr. »Es kann eine
Falle sein. Wenn sie uns erst als Geiseln haben …« »Es ist die Welt namens Tobly-Skan«, klang die schrille Stimme auf. »Es ist der einzige Planet einer kleinen, roten Sonne ohne Namen. Sie ist auch ohne Koordinaten zu finden. Sie befindet sich exakt 121 Lichtjahre vom Rand der südlichen Ausläufer ManamTurus entfernt. Es gibt nur einen einzigen Stern dieser Klassifikation, auf den das zutrifft.« »Das ist euer Vorschlag. Wir hätten einen anderen Vorschlag für einen Treffpunkt. Er ist etwas neutraler als Tobly-Skan.« »Abgelehnt. Wir sind nicht bereit, wegen euch auch noch Umstände zu machen. Entweder ihr kommt nach Tobly-Skan, oder es gibt keine Verhandlungen. Dann greifen wir Aklard sofort an!« Atlans Augen suchten Anima. Die Orbiterin senkte den Blick. Sie hatte nun nichts mehr entgegenzusetzen. Auch der Arkonide konnte nichts tun. Die Hyptons saßen am längeren Hebel und diktierten die Bedingungen. »Einverstanden«, erklärte er. »Wir kommen. Ende!« Er ließ das Schiff die Verbindung abschalten und wandte sich an die Gefährten. »Es bleibt uns nichts anderes übrig«, meinte er. »Oder hast du einen Vorschlag, Großwesir?« Don Quotte warf sich in Positur. Er bewegte sich ein wenig nach vorn und dann wieder zurück. »Mein Rat ist erwünscht?« sagte er mit deutlichem Unglauben in der Stimme. »Wenn ich nicht wüßte, daß die Situation so ernst ist, würde ich es nicht glauben. Aber ich habe da bereits eine Idee. Sie in die Tat umzusetzen, ist eure Sache!« »Sprich!« verlangte Chipol. Don Quotte zog sich zurück und spielte den Beleidigten. »Ich bin keine Schwatzbase. Alles zu seiner Zeit!« verkündete er. Die STERNSCHNUPPE verließ den Bereich des Zentrumsektors endgültig und machte sich auf den Weg durch die im größten Durchmesser 120.000 Lichtjahre messende irreguläre Galaxis. Sie
steuerte die südlichen Ausläufer an. Ihre Insassen hofften, daß sie am Ziel des Fluges wenigstens einen geringen Erfolg erzielen würden.
* Diese Welt also war Tobly-Skan. Vom Klima her war sie erdähnlich, und sie besaß mehrere kleine Ozeane. Es gab Steppen und Berge, riesige Wälder und tiefe Täler. Aber es gab keine Anzeichen einer Zivilisation. Eigentlich hätte man diese Welt ein Paradies nennen können. Trotzdem empfand Atlan sie als öde. Die Farben, die Tobly-Skan ihm bot, machten ihn nervös. Aus dem Raum betrachtet, bildeten sie ein Gemisch aus Grün, Graublau und Rotorange, durchzogen von grauen und schwarzen Tönen. Dieser Planet wirkte bedrohlich. Er stieß ab, und es konnte nicht von ungefähr kommen, daß die Hyptons ausgerechnet ihn als Stützpunkt gewählt hatten. Tobly-Skan lag weitab von den Schauplätzen der galaktischen Entwicklung, ein Brückenpfeiler zwischen Chmacy-Pzan und Manam-Turu war der Planet. Das verabredete Signal von Chipol kam. Der junge Daila blieb in der STERNSCHNUPPE zurück, während der Arkonide, Anima und Don Quotte an der Bodenschleuse auf den Ausstieg warteten. Sie hatten sich darauf geeinigt, daß Chipol für den Notfall an Bord blieb. Die STERNSCHNUPPE würde auf sein Wort hören, falls sie nicht in der Lage war, mit Atlan zu kommunizieren und sich nach seinen Anweisungen zu richten. Die Schleuse öffnete sich. Augenblicklich entstand ein Sog. Es war der Sog der Hochatmosphäre. Das Schiff drang in sie ein und streifte sie lediglich. Das Manöver diente dazu, den Gegner zu verwirren. Atlan wollte nicht das Risiko eingehen, daß die Hyptons bei einer Landung der STERNSCHNUPPE sich des wertvollen Schiffes
bemächtigten und ihm damit jede Gelegenheit zur Flucht nahmen. Das Schiff stellte ein Instrument dar, einen Trumpf, den er nicht aus der Hand geben wollte. Don Quotte hatte den Vorschlag mit dem heimlichen Ausstieg gemacht, und jetzt riß der Sog die beiden Gestalten in ihren Einsatzanzügen und den Roboter in seinem weißen Krelquottenpelz aus dem Schiff hinaus und wirbelte sie davon. Der Diskus raste über ihnen davon, während sie langsam nach unten trudel- ten und immer schneller wurden. Die Oberfläche des Planeten befand sich noch weit entfernt. »Anima!« rief Atlan in sein Funkgerät. »Schalte den Schutzschirm ein. Sonst wird die Reibungshitze auf deinem Anzug zu groß!« Die junge Vardi kam der Aufforderung eilig nach. Der Sturz durch die Hochatmosphäre machte die drei Gestalten zu drei glühenden Meteoriten, die rasch nach unten sanken und schließlich ganz erloschen, als sie die untersten Luftschichten erreichten und die Antigravitationsaggregate ihre Fallgeschwindigkeit so weit abgebremst hatten, daß keine Reibungshitze mehr entstand. Die Schutzschirme wurden desaktiviert, und nach einer Weile tauchte unter ihnen das Geröll einer Felswüste auf. Atlan deutete hinunter. Er hatte sich dicht neben Anima gebracht und hielt das Funkgerät auf geringste Sendeweite. »Wir suchen uns erst einmal ein Versteck dort unten. Wenn wir Pech haben, hat man unsere Gravoaggregate bereits geortet. Mit ein wenig Glück jedoch können wir uns trennen und uns bis an den Stützpunkt herantasten. Wir werden zwar eine Weile suchen müssen, bis …« »Müssen wir nicht«, meldete sich Don Quotte. Schräg über Atlan tauchte der weiße Pelzkörper auf. »Von der SCHNUPPE trifft gerade ein geraffter und verschlüsselter Funkspruch ein. Er ist mit normalen Ortungsgeräten nicht erkennbar. Ich habe ihn empfangen, weil er direkt auf meinen Körper gerichtet war. Es gibt auf der Oberfläche insgesamt drei Stützpunkte. Einer davon liegt etwa
tausend Kilometer südlich der Felswüste, in der wir landen.« Atlan hatte sich die Oberfläche des Planeten ein wenig eingeprägt. Zwischen dem Landeplatz und dem Stützpunkt lag eines der kleinen Meere. Er hatte es Nabelmeer getauft, weil es mit zwei anderen Ozeanen durch schmale, nabelschnurähnliche Flußläufe verbunden war. Sie mäandrierten stark, ein deutliches Zeichen, daß sie auf natürliche Weise entstanden waren. Ähnliche Erscheinungen gab es in anderen Gebieten des Planeten ebenfalls. Überhaupt hatte er bereits beim Anflug auf Tobly-Skan festgestellt, daß der geologische Entwicklungsprozeß auf dem Planeten sehr vielfältig gewesen war und viele unterschiedliche Erscheinungsformen hervorgebracht hatte. Am Horizont tauchte in der Luft ein Schwarm dunkler Schatten auf. Sie glitten stolz und majestätisch durch die Luft. Sie warfen winzige, bizarre Schatten auf die Felsen dort unten. Anima stieß einen unterdrückten Schrei aus. Sie hielt die Schatten für Gleiter der Stahlmänner. Atlan beruhigte sie. Der Schwarm war zu groß. Einen solchen Aufwand wegen drei heimlich gelandeter Personen war zu groß. Neben der Vardi und vor Don Quotte setzte er auf. Er schaltete den Antigrav ab und eilte zu einer kleinen Felsformation hinüber. Sie bildete einen kleinen Steinkreis mit staubigem Innern wie ein Miniaturkrater. Er stieg hinein und rief Anima und den Roboter zu sich. Im Schatten der Felsen beobachteten sie, was sich da durch die Luft auf sie zuschob. Es war ein riesiger Schwarm Vögel, der mit dem Wind nach Westen trieb. Sie kamen immer näher und flogen sehr tief. Es waren kondorähnliche Tiere mit Spannweiten bis zu fünf Metern. Zwischen ihnen flogen kleinere Vögel mit Pfeilspitzen Schnäbeln und gezackten Flügeln. Mehrere andere Vogelarten gehörten zu dem riesigen Schwarm, der mindestens eine Fläche von hundert mal hundert Metern bedeckte. »Da!« Anima deutete nach oben. Der Schwarm hatte die Felsen erreicht und zog in etwa dreißig Metern Höhe über sie hinweg. Das
Rauschen der Schwingen hörte sich wie das Sirren von Maschinen an. Dazwischen klang das heisere Krächzen der Kondore auf, unterbrochen von einem abgehackten, schrillen Rufen der gezackten Vögel. »Was meinst du?« wollte Atlan wissen. Er blickte empor. Er hatte den Helm seines Einsatzanzuges zurückgeklappt und beschattete mit der Hand die Stirn. »Einer der Vögel frißt den anderen!« Nicht einer, zwei der Vögel mit den gezackten Flügeln waren über einen anderen hergefallen, der einer Krähe ähnlich sah. Der Vogel pfiff und zeterte, aber es half ihm nichts. Er wurde in der Luft zerrissen, und die beiden Räuber schlangen ihn mitsamt den Federn hinunter, ohne daß eine von ihnen auf den Boden hinabgefallen wäre. »Das ist der Lauf der Natur«, sagte Atlan. »Du wirst noch oft solche Dinge beobachten!« Anima wandte sich schaudernd ab, und Don Quotte dozierte: »Der Schwarm bildet ein soziologisches Gefüge. Einer frißt den anderen. Die ganz Kleinen ernähren sich vermutlich von den Parasiten der ganz Großen. Zwar gibt es kein anschauliches Beispiel für diese Vermutung, aber es spricht sehr viel dafür.« Der Schwarm zog über sie hinweg, ohne von ihnen Notiz zu nehmen. Nach vier Minuten waren die letzten Vögel vorübergezogen und verschwanden jenseits der Felsformation. »Wie lange werden sie wohl benötigen, bis sie den Trick durchschaut haben?« überlegte der Arkonide. Er meinte die Hyptons und die Stahlmänner. Die Stahlmänner waren Roboter und zogen immer alle denkbaren Möglichkeiten in Betracht. Sie führten jedoch die Anweisungen der Hyptons aus, und da würde es vermutlich etwas länger dauern, bis die Wesen aus Chmacy-Pzan eine Entscheidung ausdiskutiert hatten. Oberflächlich mußte es für sie zunächst so aussehen, daß es sich die Insassen der
STERNSCHNUPPE in letzter Sekunde doch noch überlegt hatten. Das Schiff war abgedreht und hatte das System der kleinen roten Sonne längst wieder verlassen. »Eine Viertelstunde, länger nicht«, sagte Don Quotte ohne Angabe von Gründen. »Ihr werdet es sehen!« Atlan musterte den Roboter in der Gestalt eines Krelquotten. Dschadda-Moi hatte den Wesir zum Leben erweckt, indem sie ihm eine gefundene Positronik eingebaut hatte, die des ehemaligen Roboters Schwiegermutter in der Gestalt von Traykon-6. Jedesmal, wenn Atlan den selbsternannten Großwesir ansah, dann beschlich ihn ein Gefühl der Ungläubigkeit. Das kann nicht sein, redete er sich ein. Aber er kam an den Tatsachen nicht vorbei, und Don Quotte stellte mit seinen Fähigkeiten zudem einen brauchbaren Helfer in allen Lebenslagen dar. Sie verließen den kleinen Krater. Die Passivortung des Roboters zeigte, daß sich niemand in der Nähe befand. Unterstützt durch ihre Aggregate schwebten sie langsam nach Süden, jede Deckung ausnutzend. Ab und zu machten sie eine kleine Rast. Die Sonne ohne Namen wanderte in den Zenit und von dort dem abendlichen Horizont entgegen. Sie würde dazu etwa sieben Stunden benötigen. In dieser Zeit wollten die drei Mitglieder der Einsatzgruppe ihrem Ziel nähergekommen sein. Nach einer halben Stunde waren sie überzeugt davon, daß niemand sie suchte. Sie beschleunigten und erreichten Geschwindigkeiten, wie sie von Überschalljägern geflogen wurden. Sie hatten die Schutzschirme aktiviert. Nach einer weiteren Stunde tauchte unter ihnen der kleine Ozean auf. Sie überflogen ihn in niedriger Höhe, und dies stellte sich als Fehler heraus. Sie erreichten seinen südlichen Rand. Eine weite Steppe mit einzelnen Waldgruppen schloß sich an, geeignet für ein Versteck. »Keine Ortung«, meldete Don Quotte, aber irgendwie mußte jemand ihm einen Streich spielen. Atlan erhielt einen Schlag gegen den Schutzschirm, der ihn von Kopf bis Fuß zusammenstauchte.
Sein Schirm leuchtete grell auf, und gleichzeitig baute sich vor ihm eine bläuliche Wand auf. Grelle Entladungen krachten und verfingen sich in seinem Schirm. Er erhielt von den Überschlagsenergien einen Stromstoß, der ihm fast das Bewußtsein raubte. Er kniff die Augen zusammen. Neben ihm schrie Anima. Don Quotte schwieg. Ein Ruck ging durch Atlan. Sein Individualschirm stabilisierte sich, und die Entladungen hörten auf. Hinter ihm hing ein bläulicher Vorhang in der Luft, den er bei der Annäherung nicht wahrgenommen hatte. Die Anzeigen seines Anzuges hatten versagt, und Don Quotte hatte sich handfest geirrt. Atlan verlor die Balance in der Luft. Es zog ihn zum Boden hinab, und die Energie seines Flugaggregats zeigte plötzlich Null an. Er schlitterte schräg gegen den Boden und über diesen hinweg. Er sah Anima, die mit hängendem Kopf soeben den Boden berührte. Weiter hinten tat es einen Schlag, als sich der Großwesir ungespitzt in den Boden rammte. Sein Körper blieb unterhalb der Schultern in dem weichen Moosgras stecken. Atlan wälzte sich herum. Sein Schirm stand noch und verursachte Schwelbrände im Gras. Er erhob sich hastig und schaltete den Schirm ab, nachdem er sich vergewissert hatte, daß ihm keine direkte Gefahr drohte. Er trat zu Anima, rief die Kleinpositronik ihres Anzugs per Kodewort an und desaktivierte ihren Schirm. Er beugte sich über sie und untersuchte sie. Sie hatte sich nicht verletzt, war lediglich ohnmächtig geworden. Atlan schob den rechten Arm unter ihre Schultern und richtete ihren Oberkörper auf. Mit der freien Hand tätschelte er ihre Wangen. Nach einer Weile öffnete die Orbiterin die Augen. Sie sah ihn an. Erst wußte sie nicht, wo sie war. Dann kehrte die Erinnerung zurück. Sie sprang auf. »Bist du unverletzt?« rief sie aus. Atlan beruhigte sie. Er deutete auf den Roboter, der mit den Beinen strampelte. Sie gingen hinüber und befreiten Don Quotte aus seiner Zwangslage. Schultern und
Kopf des Großwesirs waren total verdreckt, und der Krelquottenroboter begann sich zu reinigen. »Hast du Dreck auf den Linsen?« fragte der Arkonide die Maschine. »Warum hast du den Energieschirm nicht erkannt, der sich mitten durch die Landschaft spannt?« Er wies nach hinten, wo sich das bläuliche Flimmern quer durch die Steppe zog. Er hatte den Gleiter bereits gesehen, der sich zwischen den Baumgruppen, näherte. Er tat, als bemerkte er ihn nicht. Der Gleiter flog geräuschlos. Er kam heran. Inzwischen hatte auch Anima ihn bemerkt. Nur Don Quotte tat nicht, als könnte er ihn erkennen. »Es ist wohl der Dreck«, sagte er kleinlaut. »Es wir Zeit, daß ich ein gründliches Bad nehme. Es hat doch niemand etwas dagegen, wenn ich mich für eine kurze Weile entferne?« Er setzte sich langsam in Bewegung, aber da griff ein Fesselfeld von dem Gleiter nach ihm und verdammte ihn zur Bewegungslosigkeit. Der Gleiter berührte den Boden und kam zum Stillstand. Er öffnete sich, und mehrere Stahlmänner stiegen aus. Die Roboter kreisten die drei Gestalten ein. Sie wandten sich an Atlan, und der vorderste von ihnen verkündete: »Wir haben euch erwartet. Der Dom der Ruhe kann es kaum erwarten, eure Bekanntschaft zu machen. Folgt uns in den Gleiter!« Der Arkonide setzte sich übergangslos in Bewegung. Er stieg ein, und Anima folgte ihm. Draußen erhob sich ein Lamentieren und Zetern. Das war Don Quotte, der sich gegen die Verladung zur Wehr setzte und den Stahlmännern Strafen androhte, als handle es sich um lebende Wesen. Die Stahlmänner reagierten nicht. Sie hatten ihn als ihresgleichen erkannt und steckten ihn im hinteren Teil des Gleiters in eine ausbruchsichere Ladebox. Anschließend kehrten sie in das Innere des Gleiters zurück. »Der Dom der Ruhe«, sagte Atlan, »dabei kann es sich nur um den Stützpunkt handeln, der sich irgendwo südlich von uns befindet.
Wieviele Hyptons halten sich darin auf?« »Alles zu seiner Zeit«, erhielt er zur Antwort. »Die Hyptons haben euch ein Gespräch angeboten. Bis dahin habt ihr zu schweigen!« Achte auf die Feinheiten, Arkonide, meldete sich der Extrasinn. Nicht du bist es gewesen, der Verhandlungen führen wollte. Die Hyptons haben sich herabgelassen, dir ein Gespräch anzubieten! Der Gleiter hob ab und flog nach Süden. Er hob sich über die Waldgruppen, und nach kurzer Zeit tauchte ein zweiter Schutzschirm in der Landschaft auf. Diesmal war er optisch bereits von weitem auszumachen. Er leuchtete in zartem Grün. Atlans Gesicht wurde starr. Der Arkonide begriff, daß diese umfangreichen Sicherheitsvorkehrungen nicht extra seinetwegen getroffen worden waren. Sie waren ständig hier vorhanden. Sie übertrafen alles, was er von anderen Hyptonstützpunkten gewohnt war. Die Schirme ließen sich aus dem All nicht orten und nicht einmal bei einer Annäherung. Zumindest galt dies für den äußeren Schirm, den sie mit Gewalt durchstoßen hatten. Dadurch hatten sie die Roboter auf den Plan gerufen. Der Gleiter durchdrang den Schirm mittels einer Strukturlücke, die sich augenblicklich hinter ihm schloß. Wieder ging es über Steppenland. Dann tauchte ein Tal auf. Es war von markanten Felsen umgeben, die mitten in der Landschaft aufragten. Die Seitenwände des Felsmassivs mochten bis zu dreihundert Meter hoch sein. Das Tal selbst war annähernd kreisförmig. Atlan schätzte den Durchmesser auf acht Kilometer. In seiner Mitte erhob sich eine Kuppel von hundert Metern Höhe. »Der Dom der Ruhe!« sagte einer der Stahlmänner. Der Arkonide musterte die Umgebung. Außer dem Dom gab es eine große Anzahl flacher Gebäude, die sich in mehreren Zonen um den Dom gruppierten. Zwischen dem Dom und der ersten Zone befand sich eine freie Fläche, auf der Stahlmänner patrouillierten. Das Tal glich einer kleinen Festung. Die Gedanken, die Atlan
damit verband, entbehrten jedoch bisher der Untermauerung durch handfeste Beweise. Der Extrasinn, dem seine Gedanken gegenwärtig waren, warf ein: Es handelt sich hier um einen wichtigen Stützpunkt. Es ist jedoch verfehlt, anzunehmen, er sei die Zentrale der Hyptons in Manam-Turu. Dazu liegt er zu weit abseits! »Don Quotte ist nicht irgendein Roboter«, sagte der Arkonide unvermittelt. »Er gehört zu unserer Delegation. Wir bestehen darauf, daß er uns begleitet, wenn wir mit den Hyptons sprechen!«
* Die Stahlmänner brachten sie unter die Kuppel in den Saal, in dem die Hyptons residierten. Umgeben von technischem Gerät in unüberschaubaren Aufbauten hing mitten unter der Kuppel das Netz, an dem die Hyptons sich festklammerten. Das Geraschel dieser fledermausähnlichen Wesen war weit zu hören. Die Roboter wiesen Atlan und seine Begleiter an, Aufstellung an einem Geländer zu nehmen, von dem aus sie wie von einer Empore über diese Etage der Kuppel schauen konnten. Das Netz über ihren Köpfen schwankte hin und her. Es hing weit nach unten durch, obwohl es straff gespannt war. Trotz seiner Haltbarkeit machte es einen zerbrechlichen Eindruck. Schuld daran war die riesige Traube der Hyptons. Atlan hatte noch nie eine so große Traube dieser Wesen gesehen. Er schätzte die Zahl ihrer Mitglieder auf mindestens zweihundert. In der Traube herrschte ständige Bewegung. Körper veränderten ihre Position. Die aneinander reibenden Körper verursachten eine ständige elektrostatische Aufladung der Luft. Das Rascheln wurde von einem Knistern begleitet, und die Atemluft roch leicht nach Ozon. Und dann trat plötzlich Ruhe ein. Gleichzeitig erklang eine ruhige, hohe und melodisch klingende Stimme. Sie kam von dem Hypton, der zu Unterst an der Traube hing. Er nahm die Position des
Sprechers ein, und er begann zu sprechen. »NEO-PZAN hat euch empfangen«, verkündete sie. »Ihr seid gekommen. Ihr wollt verhandeln. Zu Verhandlungen gehören immer zwei, deshalb haben wir beschlossen, euch einen Schritt entgegenzukommen. Wir sind bereit, mit euch ein Gespräch auf der Grundlage von Verhandlungen zu führen. Dazu vernehmt zunächst, was die Traube der Sturmreiter euch zu eröffnen hat.« Er machte eine Kunstpause, und Atlan und seine beiden Gefährten benutzten die Gelegenheit, die neuen Informationen zu verdauen. Don Quotte, der ebenfalls hereingelassen worden war, benötigte so gut wie keine Zeit dazu. Atlan sah Anima an. In ihren Augen spiegelten sich Verwunderung und Fassungslosigkeit angesichts des Anblicks, der sich ihr bot. Die Hyptons waren zur Bewegungslosigkeit erstarrt und wirkten wie ein plumper, nach unten ragender Berg, dessen Spitze die Gabe des Sprechens erhalten hatte. NEO-PZAN wurde der Kuppelstützpunkt also genannt. Und die Traube nannte sich »Die Sturmreiter«. Das klang aggressiv und gefährlich. Anima schlug die Augen nieder, und Atlan legte ihr für eine Sekunde beruhigend die Hand auf den Unterarm. »Die Hyptons sind nach Manam-Turu gekommen, um hier das Neue Konzil zu manifestieren«, fuhr der Hyptonsprecher fort. »Sie haben die Ligriden mitgebracht, die ihre rechte Hand waren. Die Ligriden haben jedoch die Sache verraten und den bestehenden Vertrag gebrochen. Sie sind abgezogen, und niemand hat sie daran gehindert. Keinem Hypton liegt etwas daran, die Ligriden mit Gewalt zu ihrem Glück zu zwingen.« »Uns ist das Geheimnis der Entstehung der Ligriden bekannt«, unterbrach Atlan. »Ihr wißt das. Halte dich nicht mit pathetischen Reden auf. Wir wollen über das Schicksal der Daila verhandeln, und wir sind gekommen, um etwas zu verhindern, was sich verhindern läßt!« »Du hast zu warten«, wurde er von dem Sprecher
zurechtgewiesen. »Wir haben dir eine Anhörung gewährt. Beanspruche unsere Geduld nicht unnötig!« Das Gesicht Atlans verfinsterte sich. Diese Sprache kannte er aus vielen Situationen seines Lebens. Sie war schon deutlicher als die allgemeinen Floskeln des Anfangs. Die Hyptons waren nicht bereit, eine ehrliche Diskussion zuzulassen und ihm Gelegenheit zu geben, seine Meinung zu sagen. »Wir lassen uns nicht von unserem Weg abbringen«, fuhr der Sprecher fort. Er hatte seinen Namen nicht genannt, was soviel hieß, wie daß er eine gehörige Distanz zu dem Verhandlungspartner beibehalten wollte. »Wir haben uns zunächst mit EVOLO verbündet. Gemeinsame Stärke führt immer zum Ziel, und im Fall EVOLOS ist es eine Stärke, der niemand widerstehen kann. Wer EVOLO kontrolliert, der kontrolliert Manam-Turu und bald das ganze bekannte Universum. Auch die Milchstraßengalaxis. Inzwischen hat sich die Situation jedoch geändert. Die Sturmreiter werden sich auf Manam-Turu konzentrieren.« »Was wollt ihr tun?« rief Anima aus. »EVOLOS Aufenthalt, ist er euch bekannt? Wenn ja, ihr müßt ihn mir sagen. EVOLO ist zu wichtig, als daß es verlorengehen dürfte.« »EVOLO interessiert uns nur noch in einem Punkt«, sagte der Hypton mit schriller Stimme. »Du wirst es erkennen. Nachdem wir euch die Absichten unseres Volkes klargemacht haben, kommen wir nun zu den Verhandlungen. Ihr seid gekommen, um über das Schicksal der Daila zu verhandeln. Von unserer Seite gibt es da nicht viel zu verhandeln. Wir haben jedoch bereits eine Übereinstimmung erzielt. Ihr und wir sind der Ansicht, daß das Volk der Daila viel zu wertvoll ist, um in einem aufreibenden Kampf vernichtet zu werden. Wir machen deshalb folgende Vorschläge. Sie sind verbindlich, und ihr könnt sie als absolute Forderungen betrachten. BILD Nur wenn sie erfüllt werden, kann die drohende Schlacht vermieden werden, die durchaus zur Vernichtung des gesamten Suuma-Systems und aller seiner Bewohner führen könnte.
Die Daila liefern sofort alle Ikuser aus. Die Daila übergeben ihr Heimatsystem kampflos und mit der Erlaubnis, daß auf allen wichtigen Welten Hypton-Trauben zugelassen werden und sich die führenden Persönlichkeiten zur regelmäßigen Kontaktpflege zu den Trauben begeben.« »Ist das alles?« donnerte Don Quotte los. Seine Stimme dröhnte durch den Saal. Er machte Atlan dabei ein Zeichen, das dem Arkoniden nicht ganz klar war. Es sollte wohl bedeuten, daß der Roboter versuchte, Zeit zu gewinnen. Stahlmänner näherten sich und machten Anstalten, den Wesir zu entfernen. Don Quotte entschlüpfte ihnen und floh entlang des Geländers die Halle entlang, bis er den Bereich mit der Traube umrundet hatte und wieder an seinen alten Standort zurückgekehrt war. Inzwischen hatte Atlan flüsternd Gedanken mit Anima ausgetauscht. Sie kamen zu einem übereinstimmenden Ergebnis. Das zaudernde Verhalten der Hyptons gehörte endgültig der Vergangenheit an. Sie agierten zielstrebig und würden sich nicht hinhalten lassen. Bei der Kontaktpflege handelte es sich um die übliche paranarkotische Beeinflussung, mit deren Hilfe sich die Hyptons die führenden Persönlichkeiten gefügig machten, so daß diese unbewußt ganz im Sinn des Konzilsvolks agierten. »Es ist nicht alles«, verkündete der Sprecher. Die Stahlmänner hatten Don Quotte inzwischen mit einem Fesselfeld umgeben, das keine Signale und Geräusche durchließ. Der Roboter war isoliert. »Was sonst noch?« sagte Atlan laut. »Ich kann mir keine weitere Forderung vorstellen.« »Du, Arkonide, und deine Gefährten, ferner die Daila und alle anderen Völker oder Einzelwesen, die noch von Bedeutung sind, müssen sich verpflichten, den Kampf der Hyptons gegen EVOLO zu unterstützen und zu einem Abschluß zu bringen. Dieser Kampf ist ein absoluter Vernichtungskampf, bei dem es nur einen Sieger geben darf.«
Also doch. Es war zuvor bereits angeklungen, daß die Hyptons nicht mehr völlig von EVOLO überzeugt waren. Jetzt ließen sie die Katze aus dem Sack. »Das mit EVOLO hätte euch früher klar sein müssen«, warf der Arkonide ein. »Er war von Anfang an eine Gefahr. Ihr hättet das nicht übersehen dürfen!« »Wir haben es nicht übersehen. Ein starker Verbündeter ist immer besser als ein starker Gegner. Dennoch wissen wir inzwischen, daß es ein Fehler war, EVOLO für unsere eigenen Ziele einsetzen zu wollen. Er hat sich unserem Einfluß entzogen und mit dazu beigetragen, daß das psionische Tor letztlich zerstört wurde. Solange EVOLO existiert, wird es keine Ruhe in Manam-Turu geben. EVOLO ist der Feind allen Lebens!« Es war pathetisch gesagt, und Atlan hatte nicht viel mehr als ein schiefes Grinsen dafür übrig. Er ließ sich die drei Forderungen nochmals wiederholen. Sie hatten nichts von Verhandlungen an sich, und er hatte ihnen nichts entgegenzusetzen. Sie hatten ihn und seine Begleiter nur kommen lassen, damit er dafür sorgte, daß die Forderungen so schnell wie möglich erfüllt wurden. Die Hyptons wollten die Entscheidung, bevor EVOLO ihnen wieder in die Quere kam. »Helft uns also, EVOLO zu vernichten«, schloß der Sprecher der Sturmreiter-Traube. »EVOLO darf nicht eliminiert werden«, meldete Anima sich zu Wort. »Er hat Macht, aber er besitzt etwas, was sich ändern läßt. EVOLO darf nicht zerstört werden. EVOLO ist etwas, worin ich mich gedanklich hineinversetzen kann. In ihn und in etwas anderes. So sehr er derzeit eine Gefahr darstellt, er darf nicht vernichtet werden!« »Damit sind die Verhandlungen gescheitert«, erklärte der HyptonSprecher. »Wir werden den Angriff auf …« »Halt, warte!« Der Arkonide warf Anima einen warnenden Blick zu. »Ehe wir zu einem Ergebnis kommen können, müssen wir uns
beraten. Ich muß die Meinung jener Wesen einholen, die auf Aklard über das Wohlergehen ihres Volkes wachen. Ich muß mit den Daila sprechen, um eine Entscheidung herbeiführen zu können. Ich bin sicher, wir werden uns einig und finden einen Weg, eure Forderungen zu eurem Vorteil zu erfüllen.« Der Sprecher schwieg. Das Geraschel der Traube setzte wieder ein. Das Netz schwankte. Anima trat näher zu Atlan und flüsterte mit ihm. Der Arkonide schüttelte mehrmals den Kopf. »Nein«, sagte er hart. »Ich respektiere deine Einstellung und stimme mit dir überein. Aber im Augenblick geht es um das Schicksal eines ganzen Volkes. Und das ist wichtiger als dein EVOLO!« Er sagte absichtlich dein EVOLO und sah, wie sie zusammenzuckte wie ein Kind, das man bei einem Mißgeschick ertappt hatte. Fünf Minuten vergingen, dann zehn, und schließlich war es eine Viertelstunde. Endlich verstummte die Traube, und ihr Sprecher meldete sich erneut. »Ihr erhaltet eine Frist. Innerhalb dieser Zeit müßt ihr eine Entscheidung herbeiführen. Und vergeßt mit keinem Gedanken, daß die Flotten aus Chmacy-Pzan nur auf einen Befehl warten, um sich auf die Welten der Daila zu stürzen!«
5. Die Stahlmänner führten sie hinab in jene Bereiche des Kuppelgebäudes, die unter der Oberfläche des Planeten lagen. Hier erstreckten sich die Anlagen weitläufiger als oben in der Kuppel. Sie machten einen beträchtlichen Teil des Tales aus. Eine Flucht von Korridoren tat sich vor ihnen auf. Sie wurden noch weiter nach unten gebracht und dann in einen Raum geführt, der etwa fünfzig Quadratmeter Grundfläche hatte. Mehrere Sitzgelegenheiten standen herum, aus Verpackungsmaterial
zusammengesetzt. Die Roboter nahmen Atlan und Anima ihre Einsatzanzüge und die gesamte Ausrüstung ab. Sie filzten Don Quottes Pelz, ohne etwas zu entdecken. Sie verzichteten darauf, den Roboter auseinanderzunehmen. Einer von ihnen gab Atlan ein kleines Hyperfunkgerät zurück, das dieser zwecks Kontaktaufnahme mit der STERNSCHNUPPE mit sich führte. Dann zogen die Stahlmänner ab. Die Tür schloß sich. Die schwache Deckenbeleuchtung erhellte den Raum nur notdürftig. Anima eilte zur Tür und betätigte den Öffner, der in Hüfthöhe in die Wand eingelassen war. Wie erwartet funktionierte er nicht. Die junge Vardi ließ die Schultern sinken. »Ich habe es die ganze Zeit über gefühlt und gewußt«, sagte sie leise. »Es lag ihnen gar nichts daran, mit uns zu verhandeln. Sie wollten uns von Anfang an als Geiseln haben. Sie werden versuchen, die Daila unter Druck zu setzen. Sie und unsere Gefährten, die auf Aklard zurückgeblieben sind!« Atlan setzte sich vorsichtig in einen der Sitze, der aussah, als seien mehrere Metallflächen ineinander gesteckt worden. Das Sitzmöbel knarrte leicht, aber es hielt. Der Arkonide nahm das Hyperfunkgerät auf und betätigte es. Es funktionierte, und er versuchte, eine Verbindung mit der STERNSCHNUPPE herzustellen. »Hier Atlan«, sagte er. »Chipol, bitte melde dich!« Aus dem kleinen Lautsprecher drang ein verhaltenes Rauschen. Die Frequenz war tot, und der Arkonide betätigte den Frequenzsucher und hielt nach jener Stelle Ausschau, an der es klappen mußte. Das Ergebnis war niederschmetternd. Die gesamte Bandbreite des Hyperfunkgeräts war gestört. Es gab keine Möglichkeit, mit dem Schiff in Verbindung zu treten. »Quotte!« sagte Atlan und drückte dem Roboter das Gerät in die Hände. »Kannst du etwas herausfinden?« Wieselflink huschten die künstlichen Krelquottenfinger über die
Tastatur. Das Rauschen wurde ab und zu von einem kurzen, abgehackten Pfeifton unterbrochen. Es war nichts. Die STERNSCHNUPPE und Chipol meldeten sich nicht. »Es liegt nicht an dem Gerät«, sagte Don Quotte. »Die Störung liegt außerhalb unserer Zelle!« »Die Hyptons!« rief Anima aus. »Sie blockieren uns!« Irgendwie war es unlogisch, sagte Atlan sich. Auf der einen Seite wollten sie, daß er so schnell wie möglich eine Entscheidung herbeiführte, auf der anderen verhinderten sie es. »Es kann nicht sein. Die Hyptons handeln nicht unlogisch.« Das ist richtig. Sie haben dich ganz einfach in eine Falle gelockt, meldete sich der Logiksektor zu Wort. Sie führen dich an der Nase herum. Die nächsten zwei Stunden verbrachten die Gefährten damit, doch noch einen Fehler an dem Gerät zu finden. Don Quottes Worte bestätigten sich. Es gab keinen Fehler. Der Fehler lag irgendwo draußen. Etwas über drei Stunden hatten die Hyptons ihnen als Frist gesetzt. In dieser Zeit mußte es ihnen möglich sein, mit Hilfe der STERNSCHNUPPE als Relais eine Entscheidung von Aklard einzuholen. Wenn es ihnen nicht gelang, würde der Angriff beginnen. »Es ist alles eine leere Drohung«, sagte Anima. »Sie können es nicht ernst meinen. Und sie schicken keine Stahlmänner zu uns, um das Ergebnis zu erfahren.« Atlan suchte nach verborgenen Abhörgeräten. Er fand keine, und das war auch kein Wunder. Es war den Hyptons durchaus möglich, mit Hilfe von Richtmikrofonen ihre Unterhaltung auf eine Entfernung von etlichen hundert Metern mitzuhören. Kurz darauf erschien ein Stahlmann. Er betrat die Zelle und wartete, bis sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte. Dann erst gab er den Ausgang frei und trat ein paar Schritte nach vorn. »Die Entscheidung, wie lautet sie?« vernahmen die Gefährten die
Stimme des Hypton-Sprechers aus dem Lautsprechergitter des Roboters. »Es kommt keine Verbindung zustande«, berichtete der Arkonide wahrheitsgemäß, und Don Quotte sagte: »Ein schöner Dolch, wirklich!« »Das kann nicht sein«, erwiderte der Hypton über den Stahlmann. »Du hast es bisher noch nicht versucht. Du verweigerst uns die Auskunft. Aber so leicht ist es nicht, einen Hypton zu täuschen!« »Das ist keine Täuschung!« fuhr Anima dazwischen. »Wir haben es die ganze Zeit über versucht, und ihr wißt das genau. Etwas stört das Funkgerät. Es hat mit eurem Stützpunkt zu tun!« »Versucht nicht, euch herauszureden«, schrillte der Hypton. »Ihr wollt uns die endgültige Auskunft verweigern. Ihr wißt längst, wie die Entscheidung der Daila lautet. Es ist eine Ausrede und Lüge, wenn ihr von Störungen redet. Von unserer Station gehen keine Störfaktoren aus, und euer Hyperfunkgerät ist in Ordnung. Eure Taktik ist klar. Aber wir lassen uns nicht hinhalten. Atlan von Arkon, in der Galaxis, der du entstammst, gibt es ein Volk, das einen sehr einprägsamen Spruch besitzt. Er trifft auf die jetzige Situation zu: Die Würfel sind gefallen!« Der Stahlmann wandte sich abrupt um und trat zur Tür. Er verließ die Zelle. Zurück blieben zwei niedergeschlagene Lebewesen und ein Roboter, der sich seltsam benahm. »Ein zauberhafter Dolch«, sagte Don Quotte, aber noch immer wurden seine Worte nicht beachtet. Anima hatte sich an Atlan geklammert. »Wir müssen hier verschwinden«, hauchte sie. »Es muß einen Weg geben, die STERNSCHNUPPE zu informieren. Sie muß Aklard warnen!« Sie waren beide überzeugt, daß die Hyptons aus irgendwelchen Gründen ein Psychospiel trieben. Wollten sie ihre Gefangenen zermürben oder wirklich angreifen? Bleib ruhig! mahnte der Extrasinn. Handle überlegt. Don Quotte
versucht, dir etwas begreiflich zu machen.' Atlan war verzweifelt. Er hatte sich aufgemacht, das Volk der Daila vor dem Untergang zu bewahren. Er hatte seine persönliche Sicherheit und die Animas geopfert, um dieses Ziel zu erreichen. Er hatte den Hyptons damit die beiden wichtigsten Gegner mit Ausnahme EVOLOS in die Hand geliefert. War der Plan Wahnsinn gewesen? Konnte er wirklich ergründen, was die Hyptons tatsächlich beabsichtigten? Eisiger Schreck durchfuhr ihn. Deutete nicht alles darauf hin, daß es anders war? Daß EVOLO sich längst disloziert hatte und in den Hyptons war? Daß er sein grausames Spiel trieb, um leichter an die Völker heranzukommen? Dafür gibt es keine Beweise. Verliere nicht den Kopf. »Atlan!« Der Ausruf Don Quottes ließ den Arkoniden aus seinen Gedanken aufschrecken. Er warf den Kopf zurück und starrte den Roboter an. »Was gibt es?« Der Großwesir näherte seinen Kopf dem des Arkoniden und flüsterte so leise, daß Atlan es kaum hörte. »Ein Dolch war da. Vielleicht ist er an allem schuld!« »Ein Dolch? Wo?« »Eine Waffe aus dem Nichts. Ich konnte sie nur nicht festhalten, weil der Stahlmann sonst aufmerksam geworden wäre.« Der Arkonide sah sich um. Der Raum, der ihre Zelle bildete, war mit Ausnahme der Sitzgelegenheiten leer. Da lag nicht der kleinste Gegenstand herum. Atlan blickte hinter die Sitze, aber auch da gab es nichts. »Wo hast du ihn gesehen?« Der Roboter deutete auf eine Stelle mitten in der Luft. Atlan ging hin und tastete. Er spürte nichts und schüttelte den Kopf. »Du hast dich bestimmt getäu …«, begann er und lachte dann auf. Ein Roboter konnte sich nicht täuschen. Seine Beobachtungsgabe war unfehlbar. Es sei denn, jemand brachte seine Positronik
durcheinander. »Wann und wo sind die Kosmokraten?« fragte er den vor längerer Zeit mit dem Roboter einstudierten Testsatz. »The evil is everywhere«, antwortete Don Quotte und gab damit zu erkennen, daß er einwandfrei funktionierte. Und er fügte hinzu: »Da! Dort!« Atlan folgte mit den Augen dem Arm, der sich ausstreckte. Und er sah den Dolch. Er hing mitten in der Luft, kunstvoll verziert und fein ziseliert, ein Dolch aus einer Werkstatt, die ihr Handwerk verstand und selbst eine so kleine Waffe mit einem Detailreichtum an Verzierungen ausstattete, daß bereits der erste Anblick faszinierte. Atlan trat zwei Schritte nach vorn und betrachtete den Gegenstand. »Er ist es«, flüsterte er beinahe andächtig. »Er ist es tatsächlich. Aber wie kommt er hierher?« Anima trat zu dem Arkoniden und griff nach seiner Hand. »Ich sehe ihn auch«, sagte sie. »Aber woher kennst du ihn? Was ist mit diesem Dolch?« Sie machte eine kleine Pause und fuhr dann fort: »Er ist herrlich. Er ist warm. Ich vertraue ihm. Laß mich an ihn heran!« »Einen Augenblick!« Don Quotte stellte sich zwischen die beiden und den Dolch. »Ich verstehe gar nichts. Bevor ihr euch über meine Entdeckung hermacht, seid ihr mir eine Erklärung schuldig!« Atlan schluckte. Dann berichtete er von dem Geisterdolch, den er zum erstenmal auf dem Planeten Cairon gesehen hatte. Das war ganz zu Beginn seines Aufenthalts in Manam-Turu gewesen. Er hatte Chossoph gehört, und wie die Ereignisse auf dem Planeten Phurthul, der Welt der erloschenen Sonne, gezeigt hatten, war Chossoph ein Diener Gurays gewesen oder war es noch immer. »Der Dolch ist ein Zeichen für uns«, schloß er, noch immer in dem kaum hörbaren Flüsterton sprechend in der Hoffnung, daß die Hyptons nichts verstanden. Zu langes Schweigen ist verdächtig, sagte der Extrasinn. Redet!
Sie begannen sich laut über die Chancen zu unterhalten, doch noch eine Verbindung mit der STERNSCHNUPPE herstellen zu können. Zwischendurch betrachteten sie den Dolch, der jetzt endgültig materialisiert schien, denn er verschwand nicht mehr. Wer hatte ihn in ihre Nähe gebracht? Der Arkonide beobachtete Anima, die um den Dolch herumschlich und ihn nicht aus den Augen ließ. Sie blieb stehen und holte tief Luft. »Ich habe diese Waffe noch nie gesehen«, hauchte sie. »Es geht Wärme von ihr aus, psychische Wärme. Ich spüre sie!« Sie spürt immer wieder Wärme bei den unterschiedlichsten Dingen, rief Atlan sich in Erinnerung. Jetzt auch bei diesem Dolch. In diesem Augenblick verschwand der Dolch. Atlans Arm schnellte nach vorn auf die Stelle zu, an der er gewesen war. Aber Don Quotte griff nach ihm und hielt ihn fest. »Störe sie nicht«, sagte der Roboter. Anima hatte die Augen geschlossen. Jetzt öffnete sie sie wieder, und fast gleichzeitig tauchte der Dolch wieder auf. Der Vorgang wiederholte sich. Anima! Sie ließ ihn unsichtbar und wieder sichtbar werden! »Es ist ganz einfach«, flüsterte die Vardi. »Du mußt dich nur konzentrieren. Mit Gedankenkraft kannst du es bewerkstelligen.« Atlan starrte den Dolch an und konzentrierte sich auf ihn. Das Bild der kunstvoll gearbeiteten Ziselierungen prägte sich seinem fotographischen Gedächtnis ein. Werde unsichtbar! dachte er, und der Dolch verschwand. Werde sichtbar! Auch diesmal gehorchte der Dolch, der so unvermutet erschienen war und ihnen zeigte, daß irgendwo Kräfte zu ihrer Unterstützung zu wirken begannen. War Chossoph in der Nähe? Wollte er ihm zeigen, daß er sich auf Tobly-Skan befand, um ihm zu helfen? Dir, Arkonide?
Atlan starrte Anima an. Die Vardi hatte auf Barquass Kontakt zu Guray gehabt. Sie kannte die Zusammenhänge zwischen ihm und dem Erleuchteten, der in EVOLO aufgegangen war. Er kannte sie auch, aber Anima hatte sie erlebt. Und jetzt streckte Guray seine Fühler nach Tobly-Skan aus. »Der Geisterdolch ist voller Geheimnisse«, hauchte Anima. »Wir werden ihn sofort benutzen, ehe die Hyptons etwas merken. Kommt!« Sie bewegte sich auf die Tür zu, schüttelte dann den Kopf und entfernte sich drei Meter vom Ausgang. Sie blieb vor der Wand stehen, und der Dolch schwebte neben ihr. Er glitt vorwärts, und Atlan sah aus geweiteten Augen, wie die Klinge des Dolches in die Wand fuhr und der Knauf sich abwärts bewegte. Dort, wo er gewesen war, bildete sich ein Riß in der Metallwand. Der Dolch beschrieb ein Viereck, und Anima ließ ihn rückwärts schweben, wobei er die ausgeschnittene Wand mitzog. Don Quotte stemmte sich gegen das schwere Metall, umfaßte es und ließ es geräuschlos zu Boden gleiten. Vor ihnen befand sich der Gang und Atlan spähte hinaus. Die Luft war rein, und er trat hinaus. Anima folgte ihm. Sie ließ den Dolch unsichtbar werden, aber Atlan wußte, daß er immer noch bei ihnen war und vor der Vardi herschwebte. Sie eilten den Korridor entlang bis an eine Biegung. Sie waren von oben gekommen, diesmal hielten sie sich auf derselben Ebene. Sie schlugen die Richtung ein, die nach ihrem Orientierungssinn und Don Quottes Wegspeicherungen zum Rand des Tales führte. Ein heller Piepston am Ende der Biegung lieferte den endgültigen Beweis, daß die Hyptons sie betrogen hatten. Sie wollten sie weiter unter Druck setzen. Das Hyperfunkgerät meldete Bereitschaft. Atlan schaltete es sofort aus, um die Streustrahlung zu unterbinden, die ihnen zum Verräter werden konnten. »Diese Verbrecher«, zischte er. »Was haben sie mit den Daila gemacht? Wie steht es um Aklard?«
Der Gedanke an die Bedrohung ließ ihn alle Vorsicht vergessen. Er schaltete das Gerät wieder ein. Augenblicklich meldete sich Chipol, und der Arkonide gab in knappen Worten einen Bericht durch. »Warne die Daila«, schloß er. »Wir kommen vorerst allein zurecht. Wir melden uns wieder, sobald wir Hilfe brauchen!« Sie eilten hastig weiter, einen Korridor entlang und in eine Halle. Sie kamen an eine Absperrung. Wieder war es der Dolch, der ihnen den Weg öffnete und ein Loch schnitt. Don Quotte beseitigte mit robotischen Kräften das herausgeschnittene Hindernis und stellte es so hin, daß es nicht sofort auffiel. Sie orientierten sich kurz. Vor ihnen lag ein Labyrinth aus Gängen, jeder führte in eine andere Richtung und eine andere Tiefe oder Höhe. Don Quotte ortete vorsichtig und meldete, daß sich absorbierende Schaumwände auf reflektierendem Fels befanden, so daß eine Möglichkeit der Ortung nicht gegeben war. Sie konnten sich jetzt schneller bewegen und gelangten nach einer knappen Viertelstunde in einen Trakt, der jenem zum Verwechseln ähnlich sah, in dem sie gefangengehalten worden waren. Nur das Loch in der Wand zu der einen Zelle fehlte. Dafür nahmen sie etwas anderes wahr. Irgendwo polterte es, und ab und zu drangen gedämpfte Rufe an ihre Ohren. Sie hörten sich nicht nach Hyptons und nicht nach Stahlmännern an, und einmal sagte Don Quotte spontan: »Da ruft jemand nach den Dienern des Gwyn!« Atlan lachte unterdrückt. »Ligriden? Die haben Manam-Turu doch verlassen. Wenn, dann könnte es sich höchstens um einen handeln, der den Anschluß verpaßt hat!« Sie machten sich daran, die Herkunft der Laute zu ermitteln.
*
Es handelte sich um eine winzige Zelle am hinteren Ende des Traktes. Wieder hörten sie die Klopfzeichen. Don Quotte untersuchte den Öffnungsmechanismus. Er war mit einem Alarmsender gekoppelt, und Anima ließ erneut den Dolch in Aktion treten. Hinter der Zellentür wurde es plötzlich still. Die blitzende Klinge des Dolches, die durch die Wand fuhr und sie zerschnitt wie Butter, mußte einen nachhaltigen Eindruck auf den Zelleninsassen hinterlassen. Der Roboter stemmte das Metall zur Seite und warf einen Blick durch die Öffnung. Der Dolch kehrte zu Anima zurück und blieb dicht vor ihr in der Luft hängen. Werde unsichtbar! dachte Atlan, und der Dolch verschwand. Anima wandte den Kopf und lächelte den Arkoniden in einer Weise an, bei der ihm abwechselnd heiß und kalt wurde. »Guten Morgen!« sagte Don Quotte. »Wie ist das werte Befinden?« Aus der Zelle kam ein unterdrückter Aufschrei. Atlan schob sich neben dem Roboter in das Loch. Es war tatsächlich ein Ligride, der sich in der Zelle befand. Er trug einen grauen Anzug und schwarze Stiefel. Auf seinem Kopf saß ein grüngelber Helm, der farblich überhaupt nicht zu der übrigen Erscheinung und dem fahlen Gesicht paßte. Aber über Geschmack läßt sich bekanntlich streiten. »Komm heraus!« sagte der Arkonide. »Wir sind ebenfalls Gefangene, die sich befreit haben!« Langsam setzte sich der Ligride in Bewegung. Er kam auf das Loch zu, und Atlan und der Roboter machten ihm Platz. »Ihr seid das«, stellte der Ligride fest. »Ich bin Raspor. Ich habe von den Stahlmännern erfahren, daß Atlan und zwei Begleiter sich als Gefangene in diesem Stützpunkt befinden. Ihr seid weit gereist.« »Das sind etwas seltsame Worte, nicht wahr?« sagte Anima scharf. »Uns steht der Sinn überhaupt nicht nach dummen Späßen!« Atlan musterte seine Gefährtin unauffällig. Animas Gesicht war verschlossen. Deutlich war ihr anzusehen, daß sie sich mit der
Anwesenheit des Ligriden nicht anfreunden konnte. Sei vorsichtig, warnte der Extrasinn. Achte auf ihren Tonfall. Es steckt mehr dahinter, als es den Anschein hat. Atlan deutete den Korridor entlang. »Wir sollten verschwinden, bevor unsere Flucht entdeckt ist«, sagte er. »Wie kommst du hierher?« Der Ligride schlug die Fäuste zusammen. »Ich wurde von den Hyptons gefangen«, sagte er. »Sieht man das nicht?« »Nein!« sagte Anima scharf. »Wer bist du?« Der Ligride zuckte zusammen, sein Gesicht war ausdruckslos. »Sagte ich es nicht? Ich bin Raspor, ein Diener des Gwyn!« »Das wollte ich nicht wissen. Woher kommst du?« fuhr die Vardi fort. Atlan wandte sich ihr zu. »Ist das so wichtig?« sagte er besänftigend. »Wir können uns über Details unterhalten, wenn wir hier heraus sind. Die STERNSCHNUPPE wird uns in Sicherheit bringen.« »Die STERNSCHNUPPE?« rief Rasport übermäßig laut. »Ihr habt sie bei euch? Oh, ich weiß genau Bescheid. Euer Schiff ist bekannt unter den Ligriden. Viele meiner Artgenossen haben es schon gesehen. Ich gehöre nicht zu ihnen. Ich bin ganz begierig, es zu betreten.« Anima stieß ihm beide Fäuste vor die Brust. »Dazu wird es wohl nie kommen«, schrie sie. »Wir wollen nichts von dir. Also hast auch du nichts von uns zu wollen!« »Anima!« Atlans scharfer Ausruf brachte die junge Frau wieder zur Besinnung. Sie begann am ganzen Körper zu beben, und gleichzeitig wurde der Dolch wieder sichtbar. Die Aufmerksamkeit des Ligriden wandte sich augenblicklich der Waffe zu. Er betrachtete sie und streckte eine Hand nach ihr aus. Die Waffe zuckte zurück und entzog sich seinem Zugriff. Raspor wollte nachfassen, aber da legte sich eine Eisenklammer in Form einer Krelquottenhand um sein Handgelenk.
»Kümmere dich um deine eigenen Angelegenheiten«, stellte Don Quotte fest. »Sonst könnte es sein, daß du plötzlich ohne Helm dastehst!« »Na und?« fuhr der Ligride auf, aber im nächsten Augenblick fügte er hinzu: »Eine solche Schande würde ich nicht überleben. Laßt mich lieber gleich hier!« Atlan setzte sich in Bewegung. Er machte ihnen begreiflich, daß sie kostbare Zeit vergeudeten. Er hatte das Ende des Korridors und damit das Ende dieses Traktes fast erreicht, als Raspor ihn einholte. »Ihr sollt mich nicht umsonst befreit haben«, sagte er. »Ihr werdet mir Gelegenheit verschaffen, zu meinem Volk zurückzukehren. Dafür werde ich euch zu eurer Ausrüstung führen. Die Stahlmänner haben sie in diesem Sektor deponiert, um sicherzugehen, daß ihr sie nicht findet!« Er deutete auf einen Seitengang und führte sie bis zu einem Schott, das nicht gesichert war. Dahinter befand sich ein Ausrüstungslager, und hier fanden die Gefährten ihre Einsatzanzüge und alle Details der Ausrüstung, die die Stahlmänner ihnen im Auftrag der Hyptons abgenommen hatten. »Achtung«, meldete Don Quotte. »Verstärkte Funkaktivität innerhalb des Stützpunkts. Die Stahlmänner haben sich in Bewegung gesetzt!« Die Hyptons hatten ihr Verschwinden also entdeckt. Hastig stiegen Atlan und Anima in ihre Anzüge und nahmen die Ausrüstung an sich. »Weg hier«, zischte der Arkonide. »Raspor nehmen wir mit. Er kann uns noch nützlich sein!« Anima schwieg dazu. Sie folgte Atlan, der sich wiederum auf die Orterfähigkeiten des Krelquottenroboters verließ. Raspor hatte inzwischen gemerkt, daß es sich bei dem Weißpelz nicht um einen echten Krelquotten handelte. Er schenkte dem Roboter keinerlei Aufmerksamkeit mehr. Hin und wieder aber wanderte ein rascher Blick zu Anima.
Atlan überlegte. Das Verhalten des Ligriden war nicht völlig überzeugend. Er erging sich in oberflächlichen Äußerungen und sagte Dinge, die zu auffällig waren, um nicht bemerkt zu werden. Der Ligride deutete auf eine Wand, die den Gang zur rechten Seite abschloß. »Dahinter liegen Hangars für kleinere Fahrzeuge«, sagte er. »Wir können keine benutzen, denn die Gleiter und Wagen sind gesichert. Und sie besitzen keinen Kodegeber für die Schutzschirme wie die großen Gleiter. Aber wir können einen der Ausgänge benutzen, ohne entdeckt zu werden. Hier werden uns die Hyptons nicht vermuten!« Sie nicht, aber die Logik der Stahlmänner, sagte der Extrasinn. Es spielte keine Rolle, wo sie sich den Weg in die Freiheit suchten. Es würde ein langer Weg werden, davon war Atlan überzeugt. Zudem hatte Don Quotte bereits begonnen, zwei Dellen in die Wand zu schlagen, während Anima mit dem Geisterdolch arbeitete. Die Wand besaß drei Schichten, dreimal schnitt der Dolch ein ovales Stück aus ihr heraus. Der Roboter entfernte die Platten und setzte sie hinterher wieder ein, wobei er eine seiner technischen Anlagen dazu benutzte, die Stücke mit mehreren Schweißpunkten so zu befestigen, daß sie nicht umstürzten. Von weitem fiel es nicht auf, daß hier eine Öffnung geschaffen worden war. Der Dolch arbeitete so fein und glatt, daß die Platten wie eingegossen paßten. Im Eilschritt durchquerten sie die Hangars. Atlan überließ Raspor die Führung. Da der Ligride in diesem Teil des Stützpunkts gefangengehalten worden war, war es nicht verwunderlich, daß er sich wenigstens teilweise auskannte. Am gegenüberliegenden Ende des Hangars befand sich eine Schachtöffnung. Es handelte sich um einen Antigrav. Er war desaktiviert. Atlan schaltete seinen eigenen Antigrav ein und schwebte nach oben. Anima folgte ihm, und Don Quotte griff sich den Ligriden, der über keinen nennenswerte Ausrüstung verfügte. Er trug ihn empor.
Eigentlich war auch das verwunderlich. Der Diener des Gwyn war entsprechend seiner Lebenseinstellung sicher nicht ohne Waffen nach Tobly-Skan gekommen. Wenn die Hyptons und Stahlmänner sie ihm abgenommen hatten, dann hätte er zumindest den Versuch gemacht, sie wiederzubekommen. Statt dessen hatte er nur gewußt, wo sich die Ausrüstung Atlans und Animas befand. Mit keinem Wort erwähnte er seine eigenen Sachen. Die Streustrahlung der Antigravaggregate wurde angemessen. Irgendwo erwachte ein Lautsprecher zum Leben und teilte mit, daß ihr Standort ausgemacht worden war. Sie wurden aufgefordert, die Flucht zu beenden und das Eintreffen von Stahlmännern abzuwarten. Sie reagierten nicht darauf. Sie erreichten das obere Ende des Schachtes. Durch ein Panoramafenster konnten sie das Tal überblicken. Sie eilten zum nächstbesten Ausgang. Er war bereits blockiert, aber Don Quotte rammte mit der Gewalt seines Körpers ein Loch in das Material und verbog die Tür so stark, daß sie hindurchschlüpfen konnten. Hinter ihnen ragten die steilen Felswände auf, die das Tal mit dem Stützpunkt einrahmten. Sie waren in einem kleinen Gebäude herausgekommen, das außen mit Gestein umkleidet war, so daß man es vom Talgrund aus nicht erkennen konnte. »Weg hier!« schrie Raspor. Er deutete hinüber zur Kuppel, wo die ersten Gleiter vom Boden abhoben. Atlan schaltete sein Flugaggregat auf höchste Leistung. Er raste nach oben, die Feldwand zum Greifen nahe. Hinter ihm kam Don Quotte mit dem Ligriden, Anima bildete den Abschluß. Als sie die obere Felskante erreicht hatten, befanden sich die Gleiter der Stahlmänner auf der Höhe des verkleideten Gebäudes. Etwas flog durch die Luft, es glitzerte im rötlichen Schein der namenlosen Sonne, die noch tief über dem morgendlichen Horizont hing. Don Quotte hatte einen Arm frei gemacht. Aus einer Box seines robotischen Körpers hatte er einen eiförmigen Gegenstand
entnommen und ihn in die Tiefe geworfen. Es war eine Hochenergiegranate. Sie wurde vom Metall der Gleiter angezogen und explodierte dort. Die Fahrzeuge mit den Robotern wurden zerrissen und stürzten ab. Sie verwandelten sich in rauchende Trümmer, während drüben zwischen den einzelnen Zonen weitere Gleiter aufstiegen. Die Flüchtlinge hatten die Felsenkämme inzwischen überwunden und flogen hinaus in die Steppe. Sie suchten die unmittelbare Nähe des Bodens auf, wo sie zumindest teilweise hinter Büschen und unter Baumgruppen Schutz fanden. Rasch näherten sie sich dem ersten Schutzschirm. Er flammte hoch in den Himmel, und diesmal hatte Don Quotte keinerlei Schwierigkeiten, ihn zu orten. Er bremste ab und blieb an der Grenze hängen, keine zwei Meter über dem Boden. Raspor verhielt sich still. Er wartete gespannt, was jetzt geschehen würde. »Wir kommen nicht durch«, sagte Anima. »Wenn wir ein Loch graben, nützt das nichts. Der Schirm geht bis tief in den Boden hinein!« »Nehmt den Dolch. Es wäre einen Versuch wert!« meinte der Ligride. Der Dolch wurde sichtbar. Er befand sich zwischen Atlan und der Vardi und trieb jetzt zu ihr hinüber. Atlan überließ ihr die Arbeit mit dem Dolch. Sie konnte ihn gezielter beeinflussen, gezielter und schneller. Der Dolch näherte sich dem Schirm. Dicht davor blieb er hängen. Die Berührung erfolgte. Der Geisterdolch Chossophs glühte auf. Dort, wo er sich befand, verwandelte sich der Schutzschirm in ein Funkengestöber in allen Regenbogenfarben. Es trieb abwärts, dem Boden entgegen und bildete eine bogenförmige Lücke im Schirm. Don Quotte machte den Test. Mit Raspor im Arm schob er sich an die Lücke heran und berührte die Funken. Sie blieben erhalten, und er marschierte hindurch, ohne daß sein positronischer Körper
reagierte. »Alles in Ordnung!« meldete er. Nun traten auch Atlan und Anima hindurch, und die junge Frau holte den Dolch wieder zu sich. Die Lücke verschwand, der Schirm war wieder durchgehend vorhanden. »Das erste Problem wäre erledigt«, sagte der Arkonide erleichtert. »Weiter. Dort hinten kommen die Gleiter. Fliegt, was das Zeug hält!« Es war ihnen gelungen, ihre Spur wenigstens teilweise zu verwischen. Es war das Verdienst Don Quottes, der die Logik der Stahlmänner besser berechnen konnte als jedes Lebewesen. Die Roboter der Hyptons hatten von ihnen erwartet, daß sie auch den zweiten Schutzschirm durchqueren würden. Sie hatten es nicht getan. Sie waren zur Seite abgebogen, als sie eine ausgedehnte Waldfläche im Osten erspäht hatten. Sie hatten ihre Flugaggregate ausgeschaltet und den Rest des Weges zu Fuß zurückgelegt. Sie waren im Wald verschwunden und hatten beobachtet, wie die Stahlmänner landeten und die Suche zu Fuß aufnahmen, nachdem feststand, daß sie sich noch innerhalb des äußeren Schirms aufhielten. »Das beste Versteck wäre der Grund des Ozeans«, sagte Anima. Don Quotte brach in gespieltes Gezeter aus. Er besaß keine Kleidung, die seinen Körper schützte. Über seine Schutzschirmaggregate schwieg er sich wohlweislich aus. Überhaupt war auch er zurückhaltender, als Atlan es von ihm gewohnt war. Es konnte nur daran liegen, daß sich ein undurchsichtiger Ligride bei ihnen befand. Raspor hatte einen kleinen Baum erstiegen, um Ausschau zu halten. Jetzt kehrte er an den gemeinsamen Treffpunkt zurück. »Sie haben das Wäldchen im Visier«, meinte er. »Aber wir werden sie an der Nase herumführen. Wir legen eine falsche Spur, und ehe sie wissen, wie ihnen wird, sind wir in ihrem Rücken und haben den Gleiter für uns. Mit ihm dürfte es keine Schwierigkeit sein, ihnen zu
entkommen oder solange auszuharren, bis die STERNSCHNUPPE eintrifft. Wo habt ihr sie überhaupt versteckt?« »Das binden wir dir sicher nicht auf die Nase«, sagte Anima. »Überhaupt solltest du froh sein, daß wir dich aus deiner mißlichen Lage befreit haben.« Der Diener des Gwyn verzog das Gesicht. Bedächtig strich er sich über die blanke Oberfläche seines Helmes. »Wer hat hier wem was zu verdanken?« konterte er. »Ohne mich hättet ihr eure Ausrüstung nicht. Ihr hättet eure Flucht niemals bis hierher geschafft. Die Möglichkeit, das Schiff zu rufen, bestünde gar nicht.« Anima setzte zu einer Entgegnung an, aber der Arkonide ging dazwischen. Die ersten Gruppen der Stahlmänner näherten sich dem Wäldchen, und aus der Luft sanken ebenfalls die Roboter der Hyptons und drangen in den Wald ein. Die drei Lebewesen folgten dem Weißpelz in eine Senke, in der sie vorläufig vor direkter Ortung sicher waren. Reglos warteten sie, bis sich die Stahlmänner hinter ihrem Rücken befanden. Keiner von ihnen war dem Versteck so nahe gekommen, daß seine Infrarottaster angesprochen hätten. Auf ein Zeichen Don Quottes erhoben sich die Flüchtlinge. In langen Sätzen rannten sie hinaus auf den Gleiter zu, der am nächsten stand. Jetzt mußten die Stahlmänner sie auf der Ortung haben. Jetzt wußten sie, was gespielt wurde. Hoch in der Luft erklang ein Singen. Einer der Gleiter schoß heran, dahinter kam im Abstand von zweihundert Metern der nächste. Der erste Gleiter schoß. Der Schuß ging haarscharf an Anima und Don Quotte vorbei. Atlan wollte etwas rufen, aber da reagierte der Roboter bereits und entfaltete einen Teil seiner Kräfte, die er besaß. Ein gezielter Schuß aus dem Laufen heraus traf den Gleiter am Heck und ließ seine Triebwerke explodieren. Plötzlich war die Luft von scharfkantigen, nach allen Seiten davonschießenden Metalltrümmern erfüllt. Die
Gefährten warfen sich zu Boden und versuchten, nicht getroffen zu werden. Atlan und Anima hatten ihre Schutzschirme eingeschaltet, der Ligride lag ungeschützt hinter Don Quotte. Atlan starrte zu ihm hinüber. Raspor schaute gleichgültig zu, als würde ihm die Bedrohung so gut wie nichts ausmachen. Er wartete, bis Don Quotte sich wieder ihm zuwandte. Er erhob sich und rannte neben dem Roboter her, der den zweiten Gleiter aufs Korn nahm. Die Trümmer des ersten waren inzwischen vollzählig zu Boden gefallen. Keiner der Stahlmänner war noch fähig, sich an die Verfolgung zu machen. Beim zweiten Gleiter hatte Don Quotte jedoch Pech. Dieser hüllte sich in seinen Schirm und schoß ununterbrochen. Der Roboter mußte den Ligriden an sich pressen und ihn in seinen Schutzschirmbereich mit einbeziehen und konnte dadurch keine Waffe mehr auslösen. Der Gleiter war erreicht, sie warfen sich hinein. Atlan ließ sich vor die Kontrollen sinken. Ein Schlag traf den Gleiter, aber dann stand der Schirm, und das Fahrzeug schoß schräg in den Himmel hinein. Der Einstieg schloß sich, die Distanz zum Verfolger vergrößerte sich rasch. »Das Fahrzeug hat nur noch wenig Treibstoff«, meldete Don Quotte. Er kommunizierte mit der Positronik des Gleiters. »Wir müssen zusehen, daß wir möglichst weit kommen.« Raspor schwieg. Er hatte alles über sich ergehen lassen, ohne eine Miene zu verziehen. Es war nicht erkennbar, was in ihm vorging. Er erhob sich nach einer Weile und trat hinter Atlan. Der Gleiter erreichte den Schutzschirm und flog durch eine Strukturlücke hindurch, die sich automatisch bildete. Er erreichte den Ozean und dann die Steppe, und er verschwand für kurze Zeit aus der Ortung der Verfolger, weil er mehrere riesige Vogelschwärme passierte und dazwischen brachte. Und dann war der Treibstoff zu Ende. Gleichzeitig warf sich Raspor auf Atlan. Er stieß ihn zur Seite und aktivierte den Funk.
»Hier Atlan«, rief er aufgeregt. »STERNSCHNUPPE bitte melden!« Der Gleiter besaß nur Normalfunk, und so war es sinnlos, was der Ligride tat. Atlan reagierte gar nicht darauf. Er wartete, bis Raspor von allein aufhörte und sich nach hinten zurückzog, wo Don Quotte ihn unsanft in einen Sessel stieß und ihn bewachte. Der Arkonide fragte sich, warum Raspor unbedingt Wert darauf legte, diese Welt an Bord der STERNSCHNUPPE zu verlassen. Was versprach er sich davon? Die Frage nach den eigentlichen Absichten des Ligriden wurde immer dringender und bohrender. Atlan entschloß sich, vorläufig keinen Kontakt mit dem Schiff zu suchen und erst abzuwarten, bis Licht in das Dunkel um Raspor gekommen war, auf den Anima so allergisch reagierte wie seinerzeit Chipol auf Chossoph. Der Gleiter berührte den Boden und zog eine Furche in das Gras. Atlan öffnete den Ausstieg und erhob sich aus dem Pilotensitz. Er trat hinaus und flog augenblicklich davon. Anima folgte ihm. Ihre Augen waren finster auf den Ligriden gerichtet, aber Raspor beachtete es nicht. Er ließ sich von dem Krelquottenroboter unter den Arm nehmen. »Weiter östlich gibt es felsiges Gelände mit ein paar Höhlen«, rief er. »Dort könnten wir uns verstecken!« »Woher willst du das wissen?« Anima verzögerte ihren Flug, bis Don Quotte aufgeholt hatte und neben ihr flog. »Ich habe es durch Zufall entdeckt, als ich nach Tobly-Skan kam.« »Es klingt wenig glaubhaft. Und es stellt sich die Frage, warum du überhaupt kamst. Doch nicht, um uns zu befreien!« Der Ligride gab keine Antwort, aber sie folgten seinem Vorschlag und wandten sich nach Osten. Die verfolgenden Gleiter waren als kleine Schatten im Hintergrund zu erkennen. Sie näherten sich erst einmal der Absturzstelle, wo der Gleiter in dem Augenblick explodierte, in dem sich die Maschinen über ihm befanden. Als sich der Rauch der Explosion verzog, war kein Gleiter mehr in der Luft.
»Eine kleine Bombe nur«, ließ Don Quotte sich hören. »Aber sie verschafft uns Gelegenheit, ein wenig zu verschnaufen und Klarheit darüber zu schaffen, wie es weitergehen soll.« Das, erkannte Atlan, bezog sich eindeutig auf den Ligriden. Also hatte auch der Roboter allen Grund, Rasports Worten zu mißtrauen. Und er fragte sich, wer Raspor war. Du wirst es herausfinden, stellte der Extrasinn fest. Im Dunst des Morgens, der über dem Boden lag, tauchten die ersten Felsen auf. Sie ragten als steile Zacken in die Höhe. Ihre Formen waren einander so ähnlich, als hätte hier ein Steinmetz eine Schule unterhalten. Um die Felsen herum lag Geröll wie der Abraum eines Steinbruchs. Und doch war das alles natürlich entstanden. Sie setzten auf und schalteten alle Aggregate ihrer Anzüge ab. Raspor ging ihnen voran. Eine Viertelstunde marschierten sie nach Osten. Der Felsboden stieg langsam an, dann fiel er schräg nach unten ab und endete in einem schmalen Taleinschnitt. An der gegenüberliegenden Seite waren dunkle Flecken zu erkennen, Höhleneingänge. Der Ligride führte sie hinab und hinüber. Sie kletterten in eine der Höhlungen hinein und untersuchten sie. Sie führte weit in den Fels, und sie besaß mehrere Abzweigungen, die zu anderen Öffnungen an der Talseite führten. Die Höhlen waren untereinander verbunden, sie eigneten sich gut, sich vor einem Gegner zu verstecken, besaßen jedoch den Nachteil, daß sie zur Falle werden konnten, wenn die Gegner zahlreich genug waren. Vorläufig waren sie hier sicher. Don Quotte stellte mit Hilfe der Passivortung fest, daß sich noch kein Gleiter und kein Stahlmann näherte und sie folglich davon ausgehen konnten, daß sie ihre Spur verwischt hatten. Sie suchten sich die bequemste Höhle aus und trugen ein paar Steine zusammen, auf die sie sich setzten. Nur Raspor blieb stehen, und nach kurzer Zeit begann er, unruhig auf und ab zu gehen. Er
tat, als beschäftige ihn etwas, und Atlan fragte sich, ob sich ein Ligride wirklich so verhielt, wenn er sich in einer solchen Lage befand. »Warum ruft ihr die STERNSCHNUPPE nicht endlich?« stieß Rasport dann hervor. »Was soll das? Habe ich euch umsonst den Weg in die Freiheit gezeigt? Seid ihr im Besitz eines Wunderdolchs, nur um dessen Fähigkeiten durch eigene Unzulänglichkeit zu verscherzen? Ich verstehe euch nicht.« »Wir dich auch nicht«, sagte Atlan. »Wir rufen das Schiff aus einem einzigen Grund nicht herbei. Der Grund bist du. Wir trauen dir nicht. Und es ist Zeit, dir Fragen zu stellen!«
* Der Ligride hatte sich auf einen flachen Stein gesetzt. Dennoch überragte er Atlan und blickte von oben auf ihn hinab. »Ich bin der Unterhändler der Ligriden, der zu den Hyptons geschickt wurde, um mit ihnen über den Abzug unseres Volkes aus Manam-Turu zu verhandeln. Ihr werdet euch denken können, in welcher Situation sich meine Artgenossen und ich befinden, seit wir die furchtbare Wahrheit wissen. Wir sind verwirrt. Manchmal tun wir völlig widersinnige Dinge. Ich wurde ausgesucht, weil ich von allen in Frage kommenden Kandidaten den stabilsten Eindruck machte. Meine Aufgabe war es, die Trennung und damit die Auflösung des Neuen Konzils unter Dach und Fach zu bringen. Die Drohung der Hyptons mit einem dritten Konzilsvolk kann uns nicht mehr schrecken. Wir Ligriden haben nur noch einen Wunsch: nämlich Manam-Turu für immer zu verlassen. Wir können keine Hyptons mehr sehen!« »Das ist recht und gut«, erwiderte Atlan. »Du willst uns damit zu verstehen geben, daß dein merkwürdiges Verhalten darauf zurückzuführen ist. Steckt wirklich nicht mehr dahinter?«
»Doch!« rief Anima aus. »Ich bin davon überzeugt. Raspor lügt!« Der Diener des Gwyn sprang auf und beugte sich über die junge Vardi. Er streckte die Hände nach ihrem Hals, zog sie dann jedoch rasch wieder zurück. »Du kannst vieles behaupten«, entgegnete er. »Auch, daß ich lüge. Aber du wirst den Beweis antreten müssen. Laß mich zuerst ausreden. Ich kam nach Tobly-Skan, um meine Mission zu erfüllen. Die Hyptons gingen nicht auf mich ein. Sie betrachteten mich als Gefangenen und sperrten mich sofort ein. Ich versuchte, mich zu befreien. Als dies nicht gelang, beschränkte ich mich darauf, in regelmäßigen Abständen Zeichen zu geben und zu rufen in der Hoffnung, daß irgendwann jemand kommen würde, um mich zu befreien. Ich bin euch zu Dankbarkeit verpflichtet, wie eure Anzüge unter Beweis stellen. Was also wollt ihr von mir? Reicht euch mein Wort nicht?« »Laß es gut sein«, meinte Atlan. Er sah an Raspor vorbei. Verschiedene Gedanken gingen ihm im Kopf herum. Da war einmal die Tatsache, daß Raspor nichts davon zu wissen schien, daß seine Artgenossen inzwischen Manam-Turu verlassen hatten. Daß die Hyptons nicht auf ihn eingegangen waren, widersprach dem offen erkennbaren Vorgang, daß die Hyptons die Ligriden hatten ziehen lassen. Was war los? Wo lag der Irrtum oder der Fehler? War Raspor ein Relikt? Gehörte er zu einem ursprünglichen Plan der Ligriden, der sich nicht mehr hatte verwirklichen lassen? Und wenn ja, wann war dieser Plan ins Leben gerufen worden? »Ich habe lange mit mir gehadert«, fuhr der Ligride fort. »Ich mußte erkennen, daß die Hyptons unnachgiebig vorgehen. Sie wollen ihre Macht in Manam-Turu endgültig festigen. Sie bedürfen der Ligriden nicht mehr. Aber mich haben sie nicht ziehen lassen!« »Sie sind nur wenige«, sagte Atlan. »Sie werden der geballten Macht der Völker dieser Galaxis nichts entgegenzusetzen haben!« »Sie besitzen ihre eigenen Methoden, auch wenn sie wenige sind,
Atlan!« Die Worte berührten irgend etwas in dem Arkoniden. Er konnte nicht sagen, was es war. Vielleicht lag es auch nur an der Aussprache seines Namens durch Raspor. Er lauschte dem Tonfall nach. Nein, er mußte sich getäuscht haben. Diesem Ligriden war er noch nie begegnet. Und Raspor wußte nicht darüber Bescheid, daß die Hyptons gewaltige Flottenverbände aus Chmacy-Pzan als Verstärkung erhalten hatten. »Du mußt bereits lange ein Gefangener der Hyptons sein«, sagte er beiläufig. »Ich habe Mitleid mit dir. Wie konntest du es nur aushalten in all den Wochen!« »Es sind nur zwanzig Stunden«, gab Raspor zurück. »Es war nicht allzu schlimm. Seit meinem Aufbruch von der Stählernen Festung sind knapp zwei Tage und eine Nacht vergangen!« Atlan mußte nicht nachrechnen, um festzustellen, daß das nicht stimmen konnte. Der Abzug der Ligriden aus Manam-Turu war bereits vier Tage her. Er hob warnend eine Hand, um Anima nicht zu einer übereilten Äußerung zu verleiten. »Nun gut«, meinte er. »Wir werden jetzt die SCHNUPPE rufen, bevor die Stahlmänner der Hyptons uns gefunden haben. Hast du den Dolch, Anima?« Der Geisterdolch wurde sichtbar. Er leuchtete matt im Halbdunkel der Höhle. Raspor betrachtete ihn fasziniert. Er ließ die Augen nicht mehr von ihm. Schließlich sagte er: »Diese Waffe ist eine wichtige Hilfe. Für die Ligriden könnte sie schicksalsentscheidend sein. Ich will gar nicht wissen, woher du sie hast, Anima. Aber ich biete euch etwas an: Ich werde dafür sorgen, daß ihr endgültig die Freiheit erlangt. Langsam glaube ich nicht mehr daran, daß ihr die STERNSCHNUPPE in der Nähe habt, die euch helfen könnte. Ich bringe euch von Tobly-Skan weg, wenn ihr mir diesen Dolch gebt!« Anima stieß einen Ruf, des Entsetzens und des Abscheus aus. Atlan sprang auf und faßte Raspor an der Kleidung.
»Schluß jetzt mit dem Unfug«, sagte er, sich mühsam beherrschend. »Du bist ein selten dummes Geschöpf. Willst uns an der Nase herumführen. Die Ligriden haben Manam-Turu verlassen, lange bevor du der Stählernen Festung den Rücken kehrtest. Kein einziger Ligride ist mehr in Manam-Turu, und du gibst dich als Unterhändler aus. Und du interessierst dich für den Dolch. Für wie dumm hältst du eine Vardi und einen Arkoniden eigentlich? Ein Ligride willst du sein? Laß uns zu den Stahlmännern gehen. Wir werden die Hyptons fragen, ob du wirklich ihr Gefangener warst. Es würde mich nicht wundern, wenn sie von deiner Anwesenheit im Stützpunkt nichts wüßten. Bist du etwa allein aus dem Grund gekommen, um dich über den Dolch herzumachen?« Er griff nach der schwebenden Waffe. Er packte sie am Knauf und stieß die Klinge in Richtung des Ligriden. Raspor fuhr mit einem Aufschrei zurück und brachte sich hastig bis zum Ausgang der Höhle in Sicherheit. Er blieb dort stehen und kehrte dann hastig zurück. »Es ist zu spät für Erklärungen«, sagte er. »Die Stahlmänner haben die Spur gefunden. Sie sind hier. Sie besetzen gerade die übrigen Höhleneingänge!« Anima lachte. Atlan wandte sich an Don Quotte, aber dieser konnte innerhalb des Felsgesteins nichts orten. »Ich weiß nicht, was du meinst«, sagte der Ligride. »Alle deine Vorwürfe sind unbegründet und entsprechen nicht den Tatsachen!« »Alarm!« schrillte Don Quotte jetzt. »Sie kreisen uns ein. Weg hier!« Er sauste zum Höhleneingang. Atlan konnte nicht genau erkennen, was dort draußen geschah. Er hörte nur, wie Don Quotte plötzlich Alarmsignale gab, die ihn und Anima warnen sollten. Raspor vertrat dem Arkoniden den Weg. »Also gut«, sagte er. »Wie ihr wollt. Ihr verzichtet auf meine Hilfe. Aber ich gehe nicht mehr in Gefangenschaft. Ich halte mein Angebot aufrecht. Den Dolch gegen eure Freiheit. Und ich kann euch weitere
Angebote machen, die euch und den Daila helfen könnten, gegen die Hyptons zu bestehen!« Mit diesen Worten wurde seine Gestalt durchscheinend und löste sich auf. Der Dolch glühte, und Anima stieß einen unterdrückten Schrei aus. Raspor war verschwunden. Durch Teleportation? Eine Projektion war er nicht gewesen. Was aber dann? Von zwei Seiten drangen die Stahlmänner auf sie ein. Sie konnten ihre Waffen nicht einsetzen und auch die Schutzschirme nicht aktivieren, ohne daß sie sich nicht gegenseitig gefährdet hätten. Anima machte rasch den Dolch unsichtbar, dann waren die Stahlmänner heran und nahmen sie gefangen. Die Flucht aus NEO-PZAN war zu Ende, und Atlan schalt sich einen Narren, daß er Raspor auf den Leim gegangen war. Der angebliche Ligride wollte in den Besitz des Dolches kommen, das war sein einziges Ziel. Und dafür ging er auch das Risiko ein, daß seine Begleiter nochmals in die Gefangenschaft der Hyptons gerieten. Raspor war ein schändlicher Verräter, ein schmieriger Geschäftemacher irgendeiner Herkunft, aber auf keinen Fall ein Unterhändler, der von seinem Volk zu den Hyptons geschickt worden war.
6. Die Traube der Hyptons tobte. Die Verfolgung hatte zwei Dutzend Stahlmänner gekostet. Sie konnten durch die Produktionsanlagen rasch ersetzt werden, aber sie waren unnötig zerstört worden. Und daß die Flüchtlinge wieder hatten eingefangen werden können, lag mehr an deren Dummheit als an dem Mißgeschick der sie verfolgenden Roboter. Einer von ihnen hatte mitten zwischen den Felsen etwas fallen gelassen, was kaum wahrnehmbare Signale aussandte.
Als Atlan es aus dem Mund des Hypton-Sprechers hörte, wußte er endgültig, daß Raspor sie verraten hatte in der Absicht, auf irgendeine Weise an den Dolch heranzukommen. »Er soll mir nicht mehr begegnen«, zischte Anima erbost. »Ich werde ihn zur Rechenschaft ziehen!« Atlan beobachtete die junge Vardi nachdenklich. Von Anfang an hatte sie allergisch auf Raspor reagiert, während sie dem Dolch gegenüber positive Gefühle empfand. Er zweifelte nicht daran, daß der Dolch Chossophs tatsächlich etwas ausstrahlte, was positiv wirkte. Dennoch hätte er liebend gern gewußt, wo sich der Besitzer der Waffe aufhielt. »Eure Flucht war also nicht mehr als eine dumme Idee von zwei Verblendeten und einem Roboter«, sagte der Hypton. Die Traube raschelte vernehmlich, sie konzentrierte sich nicht völlig auf die Unterredung. »Ein zweites Mal wird euch der Ausbruch nicht gelingen. Was glaubt ihr, was in der Zwischenzeit geschehen ist? Ihr werdet kaum denken, daß Aklard und das Volk der Daila noch existieren!« Damit war die kurze Unterredung einseitiger Art beendet. Die Stahlmänner brachten sie zurück in ihr früheres Quartier. Die Wand war erneuert worden. Die Roboter schlossen die Tür, und Don Quotte stellte umfangreiche Messungen an. »Es sind keine Mikrospione eingebaut worden«, verkündete er. »Aber die Zelle ist von einem System paratronähnlicher Sperrschirme umgeben. Sie werden verhindern, daß uns nochmals die Flucht gelingt!« Atlan nickte ernst, dann aber fiel sein Blick auf den materialisierten Dolch. Anima hatte seine Unsichtbarkeit aufgehoben. »Vielleicht hilft er uns wieder«, meinte der Arkonide. »Wenn er die Schirme draußen durchdringen kann, wird er es auch hier tun!« »Sollen wir es gleich ausprobieren?« fragte Anima. Sie lenkte den Dolch in Richtung Tür, aber da verschwammen seine Konturen. Er
wurde halb durchscheinend und verfestigte sich wieder. Don Quotte bemerkte den Vorgang und eilte herbei. Er brachte seinen Kopf dicht an die Waffe heran. »Haltet ihn!« schrillte er. Es war zu spät. Der Dolch löste sich wieder auf, und alle geistigen Aristrengungen Animas und Atlans halfen nichts. Der Dolch verschwand und wurde nicht mehr sichtbar. Er war nicht mehr vorhanden. Damit waren sie eingesperrt ohne eine Chance, jemals aus diesem Gefängnis entkommen zu können. Sie hatten nur ihre Ausrüstung und ihre Anzüge. Die Roboter hatten sie ihnen diesmal nicht abgenommen. Sie konnten aber auch nichts damit anfangen. Mutlos sanken sie in die wackeligen Sitzgelegenheiten und warteten darauf, daß etwas geschah. Sie erwarteten, daß die Hyptons sich meldeten. Aber diese wollten nichts von ihren Gefangenen wissen. Nur die Stahlmänner kamen. Sie brachten Lebensmittel, Getränke und Hygieneeinrichtungen und einen Öl- und Schmiernapf für Don Quotte, den dieser empört ablehnte. Dann schloß sich die Tür, und die starken Schutzschirme bauten sich wieder auf. Am dritten Tag dann lag plötzlich ein Fetzen Papier auf dem Fußboden. Atlan entdeckte ihn als erster. Er hob ihn auf und drehte und wendete ihn. Er war in verschnörkelter Handschrift mit einer Botschaft bedeckt. »Ich wiederhole mein Angebot«, verkündete Raspor darauf. »Eure Freiheit gegen den Dolch. Und ich verlange, daß ihr EVOLO uneingeschränkt bei seinem Kampf gegen die Hyptons unterstützt. Ihr wißt, daß ihr keine andere Wahl habt. Die Hyptons schicken sich an, Aklard zu Staub zu zerblasen, wenn ihr weiter gegen sie arbeitet. Ihr seid aber auch nicht in der Lage, für sie zu arbeiten. Sie brauchen euch nicht. Deshalb arbeitet gegen sie und macht euch keine Gedanken über die Dinge, die ihr sowieso nicht beeinflussen könnt. Atlan muß EVOLO helfen, seine Stabilisierung zu erneuern!« Hier endete die Botschaft. Atlan reichte sie an Anima weiter, und
diese händigte sie Don Quotte aus, der sie speicherte. Kurz darauf zerfiel der Zettel, der auf geheimnisvolle Weise durch die Schutzschirme in die Zelle gelangt war, zu Staub. Atlan begann langsam die Zusammenhänge zu durchschauen. Raspor, der angebliche Ligride, entpuppte sich als ein Teil EVOLOS, als ein Agent der Gegenseite im Machtbereich der Hyptons. Vermutlich war er noch immer in der Nähe oder unterwegs, um EVOLO Bericht zu erstatten. Und eigentlich konnte es sich bei Raspor um niemand anders handeln als um Dharys. Deshalb hatte der Arkonide einmal geglaubt, daß ihm etwas an Raspor bekannt vorgekommen war, und wenn es nur ein bestimmter Tonfall war, in dem der Ligride seinen Namen ausgesprochen hatte. Ein Versuch, mit Chipol und der STERNSCHNUPPE Kontakt aufzunehmen und die neuen Erkenntnisse weiterzugeben, scheiterte kläglich. Das Funkgerät rauschte nicht einmal, es blieb einfach tot. Für Atlan und seine Gefährten blieb nichts als das Erdulden ihrer Gefangenschaft und die Hoffnung, daß sie bald zu Ende sein würde. Offensichtlich hatte Guray ein Interesse am augenblicklichen Geschehen um die Hyptons. Und zum anderen benötigte EVOLO dringend Helfer, die sein Problem lösten. »EVOLO könnte zu unserem Befreier werden«, meinte der Arkonide. »Aber er will, daß wir für ihn gegen die Hyptons arbeiten. Es ist unmöglich.« »Ich bin dafür«, sagte Anima. »Ihr kennt EVOLO nicht. Er muß positiviert werden, das ist alles!« »Alles!« bekräftigte der Großwesir. Und Atlan fragte sich, ob er nicht zufällig unter lauter Narren geraten war. EVOLO war die größte Bedrohung des Universums, die er kannte. Es war eine Gefahr, die immer größer wurde. Und da redete Anima von einem Pakt und einer Veränderung, die leicht herbeizuführen sei. Es war unglaublich und zu schön, um wahr zu sein.
ENDE
Mit dem Auftauchen der Hypton-Flotte beginnt sich die Situation in ManamTuru, die eben erst begründeten Anlaß zur Hoffnung bot, wieder zum Schlechten zu wenden. Zu allem Unglück sind Atlan und Anima gegenwärtig handlungsunfähig, denn sie befinden sich in der Gewalt der Hyptons. Mehr über diesen Themenkomplex berichtet Hans Kneifel im Atlan-Band der nächsten Woche. Der Roman erscheint unter dem Titel: CHAOS IN MANAM-TURU