Atlan Im Auftrag der Kosmokraten Nr. 681
Das Spielhöllenschiff Zwischen Agenten und Drogenhändlern
von H.G. Ewers
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Atlan Im Auftrag der Kosmokraten Nr. 681
Das Spielhöllenschiff Zwischen Agenten und Drogenhändlern
von H.G. Ewers
Im Jahr 3818 wird Atlan ohne Vorwarnung aus seinem Dasein als Orakel von Krandhor herausgerissen. Der Grund für diese Maßnahme der Kosmokraten ist, daß Atlans Dienste an einem anderen Ort des Universums viel dringender benötigt werden als im Reich der Kranen. Da der Arkonide erfährt, daß vom Erfolg oder Mißerfolg seiner Mission das weitere Schicksal der Mächte der Ordnung abhängt, scheut er kein Risiko. Er läßt sich quasi in Nullzeit über weite Sternenräume in die Galaxis Alkordoom versetzen, wo er bereits in den allerersten Stunden seines Aufenthalts den ganzen Erfahrungsschatz seines nach Jahrtausenden zählenden Lebens einsetzen muß, um sich behaupten zu können. Der bestandene Todestest und der Einsatz im Kristallkommando beweisen Atlans hohes Überlebenspotential. Dennoch gerät der Arkonide in die Gewalt der Crynn-Brigadisten – und ihm droht die Auslöschung seiner Persönlichkeit. Doch Atlan wird rechtzeitig genug von Celestern gerettet, Nachkommen entführter Terraner, die den Arkoniden in ihre Heimat New Marion bringen. Und als Atlan von einer Gefahr erfährt, die den Bewohnern des Planeten droht, greift er ein. Die Gefahr kreist im Orbit um New Marion – und ist DAS SPIELHÖLLENSCHIFF…
Die Hauptpersonen des Romans: Atlan – Der Arkonide gibt sich als Celester aus. Sarah Briggs, Arien, Spooner und Volkert Richardson – Atlans Begleiter bei einer gefährlichen Mission. Ofox und Krootoor – Verantwortliche des »Raumschiffs der Sünde«. Cuur-Tok, Cuur-Bamyl und Colo – Mitglieder der Crynn-Brigade.
1. »Da ist es wieder!« schimpfte Arien Richardson und deutete gegen das transparente Kanzeldach unseres Gleiters. Ich brauchte nicht zu fragen, was er meinte. Im Dunkel der Nacht war die gigantische Leuchtschrift am Himmel von New Marion nicht zu übersehen. Die riesigen alkordischen Buchstaben spiegelten sich zitternd in der Oberfläche des Ozeans, über die die KORALLE in geringer Höhe dahinglitt. ANIMA war in komprimiertem Zustand auf dem Kontinent Hain zurückgeblieben. Es hätte zuviel Aufsehen erregt, wenn wir mit dem lebenden Raumschiff über dem Kontinent der Voorndaner aufgekreuzt wären, ganz abgesehen davon, daß der Zubringerdienst zum Spielhöllenschiff ausnahmslos dessen eigenen Beibooten vorbehalten war. Das Computersystem des Gleiters signalisierte mit einem blinkenden Kontrollicht, daß es Zeit für eine letzte Kursüberprüfung und -korrektur war. Ich rief die Daten durch Antippen der betreffenden Sensorpunkte ab und veranlaßte den Autopiloten, die erforderliche Korrektur vorzunehmen. Als ich damit fertig war, begegnete ich Sarahs fragendem Blick. »Tut mir leid«, sagte ich. »Alles dauert seine Zeit. Wir müssen abwarten, was für Verhältnisse wir dort oben vorfinden.« Ich blickte durch das Kanzeldach und kniff die Augen zusammen, um von dem künstlichen Polarlicht der Leuchtreklame nicht geblendet zu werden. Die ROULETTE selbst war natürlich nicht zu sehen. Ihrem Namen und dem Text ihrer Reklame nach handelte es sich um ein Spielhöllenschiff. Doch das konnte nicht alles sein. Die Voorndaner auf dem Kontinent Palmwiese lebten selbst hauptsächlich von den Einnahmen ihrer zahllosen Spielhöllen. Ein Schiff, das nicht erheblich größere Attraktionen bot, würde gegen diese Konkurrenz niemals ankommen. Die Celester hielten die ROULETTE für eine ernsthafte Bedrohung. Ich hatte der Bitte ihres Oberhaupts entsprochen und mich bereit erklärt, vor Ort nachzusehen, was gespielt wurde. Seine Tochter Sarah sowie Arien Richardson mit seinen Söhnen Spooner und Volkert begleiteten mich. »Das meinte ich nicht«, sagte Sarah. »Ich mußte nur daran denken, daß du uns früher oder später wieder verlassen wirst, weil du deine eigenen Ziele verfolgst.« Beinahe hätte ich ihr entgegnet, daß es nicht meine eigenen Ziele waren, sondern die der Kosmokraten, die ich in der Galaxis Alkordoom verfolgte. Ich schwieg, weil es nicht stimmte. Zwar handelte ich im Auftrag der Kosmokraten, doch da das meine eigene, freiwillige Entscheidung gewesen war, hatte ich ihre Ziele zu den meinen gemacht. Das Dumme war nur, daß ich so gut wie alles wieder vergessen hatte. Ich wußte nur noch, daß im Kerngebiet von Alkordoom der Erleuchtete herrschte und daß die übrige Galaxis unter den sogenannten Facetten aufgeteilt war – bis auf die Sonnensteppe. Niemand hatte mir bisher verraten können, was die Sonnensteppe eigentlich war. Aber wer etwas von ihr gehört hatte, schien sie für eine wahre Hölle zu halten. Von dort sollte auch die eigentliche Gefahr ausgehen, wegen der die Kosmokraten mich nach Alkordoom entsandt hatten. Sie hatte sogar einen Namen: EVOLO. Aber was war schon ein Name! Ich mußte unbedingt dahinterkommen, welches Spiel die Mächte des Chaos in Alkordoom spielten. Natürlich war es deshalb unvermeidlich, daß ich New Marion in absehbarer Zeit wieder verlassen mußte. »Das ist richtig«, gab ich zurück. »Aber ich werde immer wiederkommen. New Marion ist so etwas wie eine zweite Heimat für mich geworden.« Das stimmte sogar, erkannte ich in diesem Moment. Allerdings hätte ich lieber »dritte Heimat« sagen sollen, denn meine erste Heimat war Arkon. Das war allerdings nur eine nüchterne Tatsache. Emotional war ich überwiegend mit der Erde verbunden. Sie sah ich als meine wirkliche Heimat an, denn rund zehn Jahrtausende unter den Eingeborenen dieser Welt hatten mich zum Terraner werden lassen.
Kein Wunder, daß ich mich bei den Celestern sofort heimisch gefühlt hatte, denn sie stammten ausnahmslos von Terranern ab, die zwischen 1823 und 1872 von Voorndanern von der Erde entführt worden waren. Die meisten dieser Vorfahren waren Polynesier gewesen, wovon noch ihre goldbraune Hautfarbe zeugte. Nur einige Namen verrieten noch, daß unter ihren Ahnen auch ein paar Europäer beziehungsweise US-Amerikaner gewesen waren – und natürlich die Tatsache, daß sie sich Celester nannten, nach dem Segelschiff MARY CELESTE, von dem ein Teil der Entführten stammte. Die Leuchtreklame verblaßte, als die kleine, rote Sonne Littoni als blutroter »Tennisball« über den Horizont stieg. Voraus tauchte eine dunkle Linie auf: die Küste des Kontinents Palmwiese. Spooner und Volkert Richardson rutschten unruhig auf ihren Sitzen hin und her. Ihr Vater brummte tadelnd. Das half allerdings nichts. Arien und seine Söhne waren als »Feuerwehr« der Celester daran gewöhnt, blitzschnell zuzuschlagen und danach wieder zu verschwinden. Bei meiner Befreiung auf Crynn hatten sie bewiesen, daß sie darin gut waren. Eine Mission, die Geduld erforderte, war weniger nach ihrem Geschmack. Genau das aber war diesmal notwendig. Der Autopilot hob den Gleiter an, als wir die Küste von Palmwiese erreichten. Wenig später lag eine abwechslungsreiche Landschaft unter uns: Seen, Flüsse, Hügel, Ebenen, Gebirgszüge. Das Land war fast überall von dichtem tropischem Wald bedeckt. Nebel hingen in den Tälern. Hier und da gab es Viehweiden und bestelltes Land. Die Städte, die in diese Landschaft eingestreut waren, wirkten wie Fremdkörper. Ihre Abgrenzung gegenüber der natürlichen Umwelt konnte kaum schärfer sein. Kein Wunder: Sie lebten nicht von ihrer Umwelt, sondern von den Touristen, die von anderen Welten kamen und sich dem Rausch und dem Flitter der computergesteuerten Spielautomaten hingaben, die das Bild der voorndanischen Städte beherrschten. Drei bis fünf Städte teilten sich jeweils einen Raumhafen. Zwischen den Städten und den Raumhäfen von Palmwiese gab es Pneumotrain- und Gleiterverbindungen. In erster Linie wurden jedoch Transmitter benutzt. Auch zwischen Hain und Palmwiese existierten Transmitterverbindungen. Wir hätten ohne weiteres eine solche Verbindung benutzen können. Doch in letzter Zeit waren rund zwanzig Celester, die per Transmitter nach Palmwiese gereist waren, spurlos verschwunden. Bevor wir nicht wußten, was aus ihnen geworden war, erschien uns das Risiko einer Transmission zu groß. Hain hatte sämtliche Transmitterstationen geschlossen. Nach anderthalb Stunden tauchte am Horizont die Silhouette der Zwillingsstadt DotterblumeHeidesenf auf. Als ich den Namen zum erstenmal gehört hatte, war ich hellhörig geworden. Immerhin verriet der Name, daß die Voorndaner früher ein sehr naturverbundenes Volk gewesen waren. Warum sie sich der Natur so sehr entfremdet hatten, wußte ich nicht. Ich nahm jedoch an, daß es auf Manipulationen der Zulgea von Mesanthor oder ihres Konkurrenten Gentile Kaz zurückzuführen war. Die Luftraum-Überwachung der Zwillingsstadt setzte sich mit dem Computer der KORALLE in Verbindung und handelte mit ihm einen Landeplatz aus. Danach ging alles sehr schnell. Wir landeten auf dem Flachdach eines Parkhauses. Unser Gleiter versank in einem Antigravschacht und wir in einem anderen. Als wir das Gebäude verließen, befanden wir uns mitten im Spielhöllenbetrieb. Grelle Lichtreklamen ließen das Sonnenlicht verblassen. Musik und Werbespots säuselten und dröhnten aus Lautsprechern. Androiden und Roboter riefen uns alle möglichen Angebote zu. Zwischen ihnen bewegten sich zartgliedrige, rothäutige Voorndaner. Sie beachteten uns nicht stärker als die zahlreichen Besucher von anderen Planeten. Zweifellos hätten wir größere Aufmerksamkeit erregt, wenn ich unmaskiert aufgetreten wäre. So aber hatte ich meine Haut mit Pflanzensäften goldbraun und mein schulterlanges Haar schwarz gefärbt und entsprach wenigstens in diesen Details dem polynesiden Typ des Durchschnittscelesters. Selbstverständlich hatte ich meine silberfarbene Kombination auf Hain zurückgelassen. Ich trug statt dessen eine gelbe Kombination, wie celestische Raumfahrer sie
benutzten. Nun konnten wir nur noch darauf warten, daß sich uns eine Gelegenheit bot, zur ROULETTE zu kommen. * Die Gelegenheit kam schneller, als ich gedacht hatte. Wir waren in eine Spielhalle geschlendert und standen um Arien herum, der einen Beutel roter, grüner und gelber Spielmarken gekauft hatte und einen Automaten damit fütterte, als Sarah mich verstohlen anstieß und mir zuflüsterte: »Es gibt Smyrter hier.« Sie lenkte meinen Blick in eine bestimmte Richtung. Dort entdeckte ich inmitten einer Gruppe Voorndanern einen menschengroßen, grünhäutigen Hominiden mit haarlosem Kugelkopf. Sein Gesicht wirkte irgendwie platt und puppenhaft. Aber das kam wahrscheinlich daher, daß er keine herausragende Nase besaß. Er trug eine hellrote Kombination und erklärte etwas. Die Voorndaner hörten aufmerksam zu. »Smyrter?« wiederholte ich. »Welche Rolle spielen sie in Alkordoom?« »Wir wissen nicht viel über sie«, antwortete Sarah. »Aber wir haben gehört, daß Gentile Kaz sie für besonders heikle Aufgaben einsetzt.« »Für besonders heikle Aufgaben«, wiederholte ich. »Wie beispielsweise den Betrieb eines Spielhöllenraumschiffs. Wenn der Smyrter von der ROULETTE gekommen ist, hat Kaz sie hierhergeschickt.« Aber wozu? wandte mein Logiksektor ein. Es scheint erwiesen zu sein, daß der ganze Glücksspielbetrieb auf Palmwiese auf die Initiative von Gentile Kaz zurückzuführen ist. Warum, sollte er sich mit der ROULETTE selber Konkurrenz machen? Möglicherweise will er mit der ROULETTE die Moral der Celester aufweichen, die sich bisher erfolgreich gegen den Glücksspielrummel auf Palmwiese abgeschottet haben. Das klingt logisch! wisperte mein Extrasinn. »Worüber denkst du nach?« erkundigte sich Arien. »Unser Auftrag ist es, vor Ort nachzusehen, was gespielt wird«, erklärte ich und nickte unauffällig in Richtung des Smyrters. »Bisher hatten wir nur noch niemanden, der uns dazu überredete. Mir scheint, jetzt haben wir jemanden gefunden.« »Du meinst den Smyrter?« vergewisserte sich Arien. »Genau.« »Packen wir ihn!« schnaubte Volkert Richardson und machte Anstalten, sich auf den Smyrter zu stürzen. Ich hielt ihn am Arm fest. »Aber doch nicht so!« sagte ich mit mildem Tadel. »Er muß uns überreden, nicht umgekehrt. Aber er braucht einen Anlaß dazu. Arien, ich denke, daß dieser Spielautomat dich höllisch langweilt. Gehen wir zum nächsten! Er wird dich bestimmt noch ärger langweilen.« Arien begriff schneller als seine Söhne. Nachdem er den Automaten, an dem er gespielt hatte, mit einigen Schimpfwörtern bedacht hatte, stapfte er zum nächsten freien Automaten und fütterte ihn mit einigen Münzen.
Ich beobachtete unterdessen aus den Augenwinkeln den Smyrter, während wir Arien folgten. Wie ich erwartet hatte, musterte er uns verstohlen. Er hatte längst angebissen und brauchte nur noch einen Anstoß von uns, um aktiv zu werden, ohne unseren Verdacht zu erregen. »Laß mich mein Glück versuchen!« sagte ich zu Arien, als er »seinen« Automaten wütend mit den Fäusten bearbeitete. Auch ich schob ein paar Münzen in die dafür vorgesehenen Schlitze, legte die Finger auf die Sensorleisten und reagierte auf die Aktionen des Spiel-Computers. Der Spielinhalt war so primitiv wie bei fast allen Spielautomaten. Ich mußte ein fiktives Raumschiff durch einen Pulk feindlicher Raumschiffe steuern und dabei soviele Feinde vernichten, wie ich nur konnte. Die ersten Abschüsse waren relativ einfach zu erzielen, doch dann steigerte sich der Schwierigkeitsgrad ziemlich steil. Ich hätte vielleicht bis zum Schluß durchgehalten, aber ich wollte ja nicht mit meinen Fähigkeiten glänzen, sondern vom Spiel enttäuscht werden. Innerhalb weniger Minuten hatte ich eine Handvoll Münzen verloren – und scheinbar auch meine Selbstbeherrschung. »Entschuldige, bitte!« sagte jemand hinter mir, nachdem ich dem Automaten einen Tritt versetzt hatte. Ich fuhr herum und blickte in ein grünes, wegen der »fehlenden« Nase sehr glatt wirkendes Gesicht. Zum erstenmal bemerkte ich den Feuchtigkeitsfilm darüber. Er sah aus wie der Schleim auf der Haut einer Kröte. »Entschuldige, bitte!« wiederholte der Smyrter und lächelte so mit den Augen, daß jedes andere, nicht gerade extrem fremdartige Lebewesen davon angenehm berührt werden mußte. »Was willst du?« fragte ich mit scheinbar abflauender Aggressivität. »Ich kann verstehen, daß diese Spiele euch verärgern«, sagte der Smyrter. »Sie werden von veralteten Programmen gesteuert und bieten zu wenig Möglichkeiten für den Spieler.« »Wem sagst du das!« warf Arien ein. »Aber es scheint hier keine besseren Spiele zu geben.« »Hier gibt es tatsächlich keine besseren Spiele«, bestätigte der Smyrter. »Die Voorndaner sind zu konservativ. Aber ich vergaß, mich vorzustellen. Mein Name ist Maakaar.« »Ich heiße Arien«, erwiderte Arien Richardson. »Das sind meine Söhne Spooner und Volkert.« Er deutete auf mich und Sarah. »Unser Freund Ubal Meesters und Sarah Briggs.« »Wir kommen von Hain«, sagte ich. »Dort sind Spielautomaten verboten. Wir dachten, auf Palmwiese könnten wir uns amüsieren, aber wenn es hier keine besseren Spiele gibt, können wir gleich wieder nach Hause gehen.« »Das stimmt«, erwiderte Maakaar. »Es sei denn…« Er unterbrach sich. »Aber ihr seid Celester und verabscheut die Sünde. Deshalb werde ich euch nicht anbieten, euch zu verraten, wo ihr bessere Spielautomaten findet als auf Palmwiese.« »Jetzt hast du uns schon den Mund wäßrig gemacht«, erklärte ich. »Also rede schon!« »Ich weiß wirklich nicht…« zierte sich der Smyrter. »Ach, was!« mischte sich Sarah ein. »Wir wollten etwas Sündiges erleben. Es muß sich natürlich in Grenzen halten.« »Wo?« grollte Arien. Der Smyrter legte die Handflächen aneinander und deutete mit den Fingerspitzen nach oben. »Auf der ROULETTE«, flüsterte er, während seine Augen verheißungsvoll leuchteten. »Auf der ROULETTE!« hauchte Sarah beeindruckt. »Es stimmt also, was man sich bei uns hinter vorgehaltener Hand zuflüstert. Die ROULETTE ist ein Schiff der Sünde.«
»Ach, was, Sünde!« rief Maakaar abwiegelnd. »Die ROULETTE ist ein Schiff der Vergnügungen und der Zerstreuung. An ihren Automaten zu spielen, ist nicht sündiger, als an denen hier, aber es ist geistreicher und unterhaltsamer. Vor allem aber macht es Spaß. Ich muß es wissen, denn ich bin mit der ROULETTE gekommen, um den Voorndanern unsere modernsten Spielprogramme anzubieten. Aber, wie ich schon sagte, sie sind zu konservativ. Es ist schwer, mit ihnen ins Geschäft zu kommen.« Es klang alles so glaubwürdig, was er sagte, daß ich für einen Moment ernsthaft erwog, ob es nicht wirklich stimmte. Du Narr! rügte mein Extrasinn. Wenn er ein Vertreter für Spielprogramme wäre, würde er keinen Atemzug an ein paar Celester verschwenden. »Warum, bei allen Seeschlangen, verrätst du uns dann nicht, wie wir zur ROULETTE kommen?« rief Spooner. Er und sein Bruder waren auf Maakaar hereingefallen. Ihre Gesichter glühten vor Begeisterung. Sarah und Arien hatten sich noch einen Rest Skepsis bewahrt, aber sie waren ebenfalls nahe daran, an die Harmlosigkeit des Smyrters zu glauben. Ich würde ein paar ernste Worte mit ihnen reden müssen, sobald wir allein waren. Laut sagte ich: »Ja, verrate uns, wie wir auf die ROULETTE kommen, Maakaar! Ich möchte meinen Spaß haben.« »Dann folgt mir!« erwiderte der Smyrter.
2. Der Raumhafen von Dotterblume-Heidesenf war von Baustellen umgeben. Ich sah, daß die Kraftfelder der Abbruchmaschinen überwiegend alte, verwahrloste Gebäude niederrissen. Über die umliegenden Trümmerfelder huschte allerlei Ungeziefer. Staub wallte auf. In einem Abbruchviertel hatten sich einige hundert Voorndaner zusammengerottet. Ihnen standen etwa ebenso viele Angehörige der Ordnungskräfte gegenüber. Sprechchöre und Wutgeschrei mischten sich mit dem Schrillen von Pfeifen und dem Klappern von Schlagstöcken auf Plastikschilden. Niemand brauchte mir zu sagen, was dort vorging. Es war überall, wo intelligente Wesen durch schamlose Ausbeutungsmethoden entrechtet und verarmt wurden, das gleiche: Der Schrei nach Gerechtigkeit wurde erstickt, sobald er laut wurde. Das alles spielte sich jedoch nur in der Peripherie ab. Im Areal des eigentlichen Raumhafens herrschte Ruhe. Schallschutzwände und Prallfelder schirmten ihn gegen die Emissionen der Armut und Verzweiflung ab; Leuchtreklamen gaukelten den Besuchern von anderen Planeten eine heile Welt vor, in der jedermann seine Freizeit nach Herzenslust genießen durfte – wenn er Geld genug mitbrachte. Ich kannte das alles von zahllosen anderen Planeten anderer Galaxien und hatte im Laufe der Zeit gelernt, mich nicht nutzlos über Symptome aufzuregen. Falls ich etwas zur Beseitigung der Ursachen tun konnte – und wenn die Betroffenen bereit waren, sich entsprechend zu engagieren –, dann würde ich es tun. Alles andere wäre leeres Wortgeklingel gewesen. Maakaar und wir waren mit einem Gleitertaxi zum riesigen Abfertigungsgebäude gefahren. Intelligenzen von allen möglichen anderen Planeten bevölkerten die Hallen. Ich sah Thater, Fyrser, Thorrater und Angehörige mir noch unbekannter Völker. »Hier entlang!« flüsterte der Smyrter verschwörerisch. Er führte uns in einen Seitengang, in dem wir niemandem begegneten. Nach einigen Minuten erreichten wir eine kleine Halle. Sie war leer bis auf einen kastenförmigen Roboter mit zwei kurzen Armen, der sich auf Laufrollenfüßen bewegte und ständig mit den roten Augenzellen blinkte. »Führe uns zum Zubringer!« befahl Maakaar ihm. »Zu Diensten, Herr!« schnarrte der Roboter und rollte uns voran zu dem Schott am gegenüberliegenden Ende der Haue. Es öffnete sich, als er sich kurz davor befand. Dahinter führte eine transparente Rampe zur Flanke eines auf Kufen stehenden skurrilen Raumboots von zirka zehn Metern Länge. Es war in drei Teile gegliedert: einen elliptischen Hauptteil, einen daran angrenzenden stählernen Zylinder und eine Art Ableger, der sich von dem Zylinder wegkrümmte. Der Roboter rollte die Rampe hinauf und durch eine Öffnung in den Hauptteil. Wir folgten ihm und betraten wenig später eine luxuriös ausgestattete Passagierkabine, über der sich ein transparentes Dach wölbte. Die Kabine war allerdings nicht leer, wie ich eigentlich erwartet hatte. In den formvariablen Sitzen saßen zwei in schwarze Kombinationen gekleidete Thater sowie zwei Voorndaner. Ein zweiter Smyrter betrat die Kabine. Er kam von vorn, offenbar aus dem Cockpit. »Das sind Cuur-Tok und Cuur-Bamyl«, wandte er sich an Maakaar und deutete auf die Thater. »Sie möchten die ROULETTE kennenlernen. Das gilt auch für Huykers und Comerlat.« Er blickte die Voorndaner an. »Es ist gut«, erwiderte Maakaar und wandte sich an uns. »Soomoor«, stellte er den anderen Smyrter vor, dann nannte er unsere Namen. Achtung! raunte mir der Logiksektor zu. Einer der Voorndaner beobachtet dich. Es ist der, den
Soomoor als Comerlat vorstellte. Während Maakaar den Celestern und mir Plätze anwies und wir uns setzten, musterte ich verstohlen den bezeichneten Voorndaner. Er war schlanker und zierlicher als die meisten Voorndaner, die ich bisher kennengelernt hatte. Wahrscheinlich lag das daran, daß er noch ziemlich jung war, soweit sich das erkennen ließ. Außerdem hielt er sein Handgepäck, das er nicht in der Gepäckablage verstaut hatte, auf den Knien mit beiden Armen umklammert. Er hatte die Lider gesenkt, aber ich bemerkte dennoch, daß er mich unverwandt anstarrte. Es muß nichts weiter zu bedeuten haben! gab ich gedanklich zurück. Wahrscheinlich ist es bloße Neugier. Ich sehe zwar wie ein Celester aus, trage aber im Unterschied zu allen echten Celestern schulterlanges Haar. Im Unterschied zu allen männlichen Celestern! korrigierte mich mein Extrasinn. Aber das ist es nicht, was seine Aufmerksamkeit auf dich lenkt. Es steckt mehr dahinter. Ich zuckte innerlich die Schultern. Zweifellos konnte ich mich auf das »Gespür« meines Extrasinns verlassen, aber mit dem vagen Hinweis ließ sich nichts anfangen. »Wir starten in wenigen Minuten«, erklärte Soomoor. »Sobald die restlichen drei Passagiere an Bord sind.« Ich machte es mir in meinem Sitz bequem. Sarah, die neben mir saß, legte ihre linke Hand auf meine rechte. Sie war nervös und versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen. Die Richardsons dagegen schienen ungeduldig zu sein. Außerdem warfen sie immer wieder verstohlene Blicke zu den beiden Thatern. Das war nicht verwunderlich, denn sie waren schon mehrfach mit Thatern konfrontiert worden, die entweder in Zulgeas Diensten gestanden oder anderen verbrecherischen Organisationen angehört hatten. Ich hielt nichts von dem Vorurteil, das sie sich deswegen gebildet hatten. Als allerdings die erwarteten restlichen drei Passagiere an Bord kamen und sich ebenfalls als Thater entpuppten, erwachte auch in mir das Mißtrauen. Ich spürte, daß die fünf Haluterähnlichen nicht zufällig in dem Zubringerboot waren, das zur ROULETTE starten sollte. Kaum saßen die letzten Passagiere, als ein Signal ertönte. Gleich darauf startete das Boot. Es stieg geräuschlos und ohne spürbaren Andruck in den klaren Himmel. Wenige Minuten später »schwamm« es bereits im Weltraum. Für uns Passagiere schien es stillzustehen, denn wir hatten keinen Anhaltspunkt, an dem wir seine Bewegung zu erkennen vermochten. Bis die ROULETTE auftauchte. Das Spielhöllenraumschiff war von einem Augenblick zum anderen plötzlich da. Es schwebte als Ausgangspunkt zahlloser blinkender Lichtreflexe schräg über dem Zubringer und enthüllte immer mehr seiner leuchtenden und schattenhaften Konturen, je geringer seine Entfernung wurde. Mir drängte sich unwillkürlich der Vergleich mit einem gigantischen Bumerang auf. Die ROULETTE besaß aber nicht die weichen Formen eines echten Wurfholzes, sondern war eckig gekrümmt und deutlich in drei Sektionen gegliedert. Zwei Drittel der Gesamtlänge nahm die Sektion des »Griffstücks« ein. Von ihr knickte fast rechtwinklig die mittlere Sektion ab, an die ein schlanker Ausleger mit den Unterlichttriebwerken angeflanscht war. Die Dritte Sektion knickte im Winkel von zirka fünfundvierzig Grad von ihr ab – und an ihrem Ende steckte gleich einer aufgespießten Melone die abgeplattete Kugel von 180 Metern Durchmesser, die mit großer Wahrscheinlichkeit die sogenannten Vergnügungsbetriebe beherbergte. Unser Zubringerboot trieb mit atemberaubender Geschwindigkeit auf die Kugel zu. Als eine Kollision unvermeidlich schien, stoppte es jedoch ziemlich abrupt ab. Ein großes Schott öffnete sich vor ihm, dann schwebte es in einen hell erleuchteten Hangar, während sich das Schott wieder hinter ihm schloß. In dem Moment, in dem ich mich erhob, geschahen mehrere Dinge gleichzeitig. Das Zubringerboot
setzte auf seinen Kufen auf, ein Mannschott an der inneren Wand des Hangars öffnete sich, und ein beleibter Celester stürzte heraus und kletterte eine schmale Treppe hinab. Ich sah ihn nur kurz, da er gleich darauf aus unserem Blickfeld verschwand, aber diese Zeit genügte meinen Begleitern offenbar, um ihn zu erkennen. »Es ist Gill Goodschaad«, flüsterte Sarah mir ins Ohr, während ich beobachtete, wie dem Celester zwei Roboter folgten, die im Unterschied zu dem Roboter an Bord des Bootes je acht »Spinnenbeine« besaßen. Ich erstarrte innerlich. Gill Goodschaad, das war der Name eines der rund zwanzig Celester, die per Transmitter von Hain nach Palmwiese gereist waren und seitdem vermißt wurden. Genau gesagt war Gill Goodschaad der Prominenteste der Vermißten, ein wohlhabender Händler aus der Hauptstadt Celeste mit beträchtlichem politischen Einfluß. Seine Anwesenheit auf der ROULETTE mußte nicht bedeuten, daß die übrigen Vermißten sich ebenfalls hier befanden. Dafür verriet sein Verhalten etwas anderes. Er befand sich ganz offenkundig auf der Flucht und versuchte, das Zubringerboot zu erreichen, während jemand das zu verhindern trachtete, indem er ihm Roboter hinterhergeschickt hatte. Während ich noch zwischen dem Wunsch abwog, diesem Mann zu helfen und der Notwendigkeit, uns nicht verdächtig zu machen, brannten bei den beiden jungen Richardsons die Sicherungen durch. Auch sie hatten Gill Goodschaad erkannt und drängten erregt zum Ausgang. Aber der kastenförmige Roboter rollte ihnen genau vor die Füße. Es sah nach Zufall aus, aber ich erkannte, daß es kein Zufall war. Spooner und Volkert wurden sehr wirksam daran gehindert, den Ausgang zu erreichen. Der Kastenroboter plärrte ununterbrochen Warnungen und Entschuldigungen und schien ihnen ausweichen zu wollen. Doch das war nur Theater. Alle seine Bewegungen führten dazu, den Söhnen Ariens den Weg nur immer erfolgreicher zu versperren. Er spielte die Rolle des tolpatschigen und dummen Roboters dabei konsequent weiter. Halte sie zurück! raunte mir mein Logiksektor zu. Sie verraten sich sonst noch, ohne Goodschaad tatsächlich helfen zu können. Ich drängte mich zu Ariens Söhnen durch. Arien selbst hatte ebenfalls begriffen, daß seine Söhne sich unklug verhielten, denn er holte sie soeben ein und versuchte, sie zu beschwichtigen. Aber sie hörten nicht auf ihn. Als ich sie erreichte, drängte ich mich zwischen sie und den Roboter. »Was ist bloß in euch gefahren?« schnauzte ich sie an. »Könnt ihr es nicht erwarten, euer Geld zu verspielen?« »Aber dort war Gill Goodschaad!« schrie Volkert und deutete in die ungefähre Richtung der Treppe, die Goodschaad hinabgeklettert war. »Gill Goodschaad?« wiederholte ich den Namen, als hätte ich ihn zum erstenmal gehört. »Ein Bekannter von euch, wie? Seid ihr sicher, daß ihr von ihm hier gesehen werden wollt?« »Aber er befindet sich auf der Flucht«, erwiderte Spooner. »Auf der Flucht!« wiederholte Arien. »Ihr Dummköpfe! Wovor sollte jemand hier fliehen?« Ich zuckte die Schultern. »Und wenn schon!« erklärte ich. »Irgend jemand hat es eilig gehabt. Vielleicht ist er sogar wirklich vor jemandem geflohen.« Ich grinste. »Wahrscheinlich, weil er seine Spielschulden nicht bezahlen wollte. Das ist schließlich eine Spielhölle. Was erwartet ihr hier? Daß es wie in einer Bibelschule zugeht?« »Ubal hat recht«, warf Maakaar ein. »Auf einem Vergnügungsraumschiff gelten besondere Gesetze.
Es kommt immer wieder vor, daß Gäste ihren Verpflichtungen auszuweichen versuchen. In solchen Fällen werden sie, notfalls mit sanfter Gewalt, einem Psychologen zugeführt, dessen Aufgabe es ist, sie davon zu überzeugen, daß die Regeln eingehalten werden müssen.« Die Söhne Ariens hatten inzwischen begriffen, daß ihr Verhalten unklug gewesen war. Sie gaben nach und schimpften nur noch ein bißchen auf den Roboter, der ihnen vor den Füßen herumgetanzt war. Was Maakaar von dem Vorfall hielt, vermochte ich nicht zu erkennen. Vorsichtshalber rechnete ich damit, daß er uns überwachen lassen würde. Unterdessen war auch Soomoor wieder nach hinten gekommen. Er teilte uns mit, daß wir den Zubringer verlassen konnten. Der Roboter öffnete das Schott und gab uns danach den Weg frei. Maakaar eilte uns voraus auf die Öffnung eines Antigravlifts zu. In ihm schwebten wir zum nächsthöheren Deck und befanden uns plötzlich in einer anderen Welt. Ein großer Saal mit einer hohen, von zahlreichen Säulen getragenen Decke, sprudelnden Springbrunnen und duftenden Blumenarrangements nahm uns auf. Rings um die Wände zogen sich »lebende Bilder«, die alle möglichen Landschaften zeigten. Es war auch eine Landschaftsdarstellung dabei, die von New Marion stammen konnte: eine Wiese voller blühender Bäume, die wie Apfelbäume aussahen und dahinter die im Dunst liegende blaue Silhouette eines Mittelgebirges. Ich nahm sogar den Geruch von Blüten wahr und hörte den Gesang von Vögeln. Eine Empfangshalle! konstatierte ich. Maakaar klatschte in die Hände. Aus Öffnungen, die sich in den Wänden gebildet hatten, eilten vier andere Smyrter. Sie waren in lackschwarze Anzüge gekleidet und wirkten dienstbeflissen und devot. »Mitarbeiter unseres Hotelbetriebs«, erläuterte Maakaar. »Sie werden euch zu euren Unterkünften bringen, wo ihr euch erfrischen könnt, bevor ihr die Kasinospielräume oder andere Unterhaltungssektionen aufsucht.« »Aber wir wollten uns eigentlich nicht einquartieren«, wandte Arien ein. »Ihr seid auch nicht dazu verpflichtet«, sagte Maakaar. »Die Unterbringung gehört zu unserem kostenlosen Service. Außerdem haben viele Besucher Gepäck bei sich, das sie nicht dauernd mit sich herumschleppen wollen.« »Gepäck haben wir zwar nicht dabei, aber eine Erfrischung wäre mir angenehm«, erwiderte ich. »Gehen wir!« Ich wandte mich um – und stieß beinahe mit Comerlat zusammen, der unmittelbar hinter meinem Rücken gestanden hatte. Der Voorndaner wich erschrocken zurück und senkte den Kopf. Ich hatte aber noch sehen können, daß seine Augen fanatisch glühten. »Haben wir uns irgendwann schon einmal gesehen?« erkundigte ich mich und legte ihm eine Hand auf die linke Schulter. »Nein, nein«, antwortete Comerlat undeutlich, drehte sich um und eilte Huykers nach, der dabei war, mit einem Bediensteten die Empfangshalle zu verlassen. Ich blickte ihm kopfschüttelnd nach und sah dabei, daß er immer noch sein Handgepäck umklammerte, ein Zwischending von Koffer und Tragetasche, das eigentlich nicht so aussah, als würde es Kostbarkeiten bergen. »Hat er dich belästigt, Ubal?« erkundigte sich Maakaar. »Nein«, erwiderte ich leichthin. »Es war ein Mißverständnis, nichts weiter.« Er hat es auf dich abgesehen! teilte mir mein Extrasinn mit. Warum sollte er? gab ich zurück. Ich weiß, daß ich ihm nie zuvor begegnet bin.
Achte auf sein Handgepäck! mahnte der Logiksektor. Ich zerbrach mir darüber den Kopf, während ich mit Sarah und den drei Richardsons den beiden Bediensteten folgte, die uns zu unseren Unterkünften bringen sollten. Aber ich konnte mir nicht erklären, was an dem Handgepäck des Voorndaners Besonderes sein sollte. Verdächtig war sein Verhalten allerdings auf jeden Fall. Mir schwante, daß unsere Mission auf der ROULETTE alles andere als langweilig und ungefährlich verlaufen würde. Nachdenklich ging ich in das Zimmer, das die Stewards mir zuwiesen…
3. Das Zimmer war nicht nur luxuriös, sondern eigens für dekadente Genießer ausgestattet. Es gab eine automatische Bar mit einer reichhaltigen Palette alkoholischer Getränke, ein riesiges Servobett mit Konturanpassung, Traumprojektoren und Sensoren, die auf die leisesten Wünsche ansprachen. Die angrenzende Naßzelle diente nicht nur der körperlichen Hygiene, sondern bot Badefreuden mit allen möglichen Variationen. Doch ich war kein dekadenter Genießer. Ich war mit dem Ziel hergekommen, die Absichten, die sich hinter dem Auftauchen der ROULETTE verbargen, aufzudecken – und ihre Realisierung zu vereiteln, soweit sie den Celestern schaden konnten. Und soweit du dazu in der Lage bist! meldete sich der Logiksektor. Für die Ausstattung der ROULETTE scheinen Mittel in unbegrenzter Höhe zur Verfügung gestanden zu haben. Sie werden nicht nur im Sinn der größtmöglichen Befriedigung aller Gäste investiert worden sein. Mir war natürlich klar, daß die Warnung meines Extrasinns berechtigt war. Sicher würde ich an Bord des Spielhöllenschiffs keine Sekunde unbeobachtet sein und kein Wort sagen können, das nicht aufgezeichnet wurde. Das bewog mich dazu, mir keine lange Pause zu gönnen, sondern meine Unterkunft bald wieder zu verlassen, um die Celester wiederzutreffen, bevor sie ohne mich zusammenkamen und womöglich arglos über unsere Absichten plauderten. Ich hatte einen Fuß auf den Boden des Korridors gesetzt, als die Lichter ausgingen. Unwillkürlich wich ich in meine Unterkunft zurück. Ein Geräusch wie ferner Donner rollte hallend durch die Umgebung. Der Boden schwankte, drohte umzukippen und stabilisierte sich wieder. Schreie ertönten. Die Angst um Sarah griff so plötzlich nach mir, daß ich blindlings aus der Unterkunft stürzte und in die Richtung lief, in die meine Begleiter gegangen waren. Ich stieß mit jemandem zusammen, streckte die Hände aus und spürte feuchte Haut. Ein Smyrter! Wahrscheinlich einer der Stewards. Keine Panik! mahnte mein Extrasinn. Unwillig schob ich den Smyrter, der sich an mich zu klammern versuchte, von mir, dann eilte ich weiter, so schnell es die Dunkelheit zuließ. Trübrote Lichter einer Notbeleuchtung glommen auf und erhellten Boden und Wände wenigstens so weit, daß ich mich mit den Augen orientieren konnte. Rechts neben mir öffnete sich eine Tür. Ich erkannte in der Gestalt, die in der Öffnung erschien, Sarah. Ihre Augen waren weit geöffnet. »At…!« Sie verstummte erschrocken, als ich ihr eine Hand auf den Mund preßte. Beinahe hätte sie mich verraten. »Ganz ruhig!« flüsterte ich ihr zu und nahm die Hand von ihrem Mund. »Ich hatte Angst um dich«, sagte sie in halbwegs normaler Tonlage. Unwillkürlich mußte ich lachen. »Und ich um dich«, erwiderte ich. »Aber was immer da passiert ist, es ging offenbar nicht gegen uns.« »Was meinst du, was es war?« fragte sie. Ich zuckte die Schultern. »Eine Explosion wahrscheinlich. Es kann ein Unfall gewesen sein.«
Bei dieser perfekten technischen Ausstattung? meldete sich mein Logiksektor erneut. Sehr unwahrscheinlich. »Dann war es eben ein Anschlag«, entgegnete ich laut. »Wie?« fragte Sarah verwirrt. In dem Augenblick tauchte Arien Richardson mit seinen Söhnen auf. »Was geht hier vor?« dröhnte Ariens Stimme durch den Korridor. In diesem Augenblick flammte die normale Beleuchtung wieder auf, dann sagte eine Lautsprecherstimme: »Achtung, hier spricht die Direktion! Es hat einen unbedeutenden Zwischenfall gegeben, aber es besteht kein Grund zur Unruhe. Der normale Betrieb geht weiter. Wir müssen unsere Gäste nur bitten, unseren Ordnungskräften Auskünfte zu geben, wenn sie darum gebeten werden. Ich wiederhole: Es besteht kein Grund zur Unruhe. Die Lage ist völlig unter Kontrolle. Der Spielbetrieb geht wie gewohnt weiter. Ende der Durchsage.« Der Steward, mit dem ich zusammengestoßen war, kam heran. »Ich bitte um Entschuldigung«, wandte er sich an mich. Ich winkte ab. »Keine Ursache! Es ging alles ein wenig durcheinander, aber jetzt ist wohl alles wieder in Ordnung.« »Aber ich könnte einen kräftigen Schluck vertragen«, meinte Arien. »Wenn ich euch zur nächsten Bar begleiten dürfte…«, sagte der Bedienstete. Seine Worte standen in eigenartigem Kontrast zu seinem sonstigen Verhalten. Er war nervös und zitterte. Das erinnerte mich daran, daß Maakaar uns zwei Stewards zugeteilt hatte. Wo war der zweite Smyrter geblieben? Ich sah mich nach ihm um. »Was suchst du?« fragte Arien, als ich den Korridor zurück ging. Er eilte hinter mir her. Eine Antwort erübrigte sich. In einer Wandnische lag der Vermißte. Er schien zu schlafen, aber als ich seinen Kopf herumdrehte und in seine offenen Augen sah,’ wußte ich, daß er tot war. »Wie ist das passiert?« fragte Sarah erschrocken hinter mir. Ich richtete mich wieder auf. »Keine Ahnung. Es gibt keine sichtbaren Wunden und kein Blut. Möglicherweise hat die Aufregung ihn getötet.« Und anschließend hat er sich in die Nische geschleift, damit er nicht so leicht zu sehen war! spottete mein Extrasinn. Ich blickte mich nach dem anderen Steward um. Er war zögernd näher gekommen und starrte aus geweiteten Augen auf seinen Kollegen. »Kümmere dich darum!« sagte ich zu ihm. »Wo geht es zur nächsten Bar?« Stumm deutete er den Korridor entlang. Ich sah an seinem Ende die Kontrollichter eines Antigravschachts und nickte, dann nahm ich Sarahs Arm und zog sie mit mir. Die Richardsons folgten uns schweigend, bis wir den Lift erreichten. »War das nicht ein wenig herzlos von dir?« wandte sich Spooner an mich. »Ein Toter braucht keine Hilfe mehr«, gab ich härter als beabsichtigt zurück. »Aber wir wären
unweigerlich in die Untersuchung des Vorfalls verwickelt worden, wenn wir dort geblieben wären. Dafür haben wir keine Zeit. Kommt!« Ich hielt immer noch Sarahs Arm, als ich in den Liftschacht stieg. Sie lächelte mir dankbar zu. Langsam sanken wir den Schacht hinab. Ich nahm an, daß das abwärts gepolte Kraftfeld uns in die Kugelsektion mit den Vergnügungsbetrieben brachte. So war es auch. Als wir den Liftschacht verließen, wiesen zahllose Leuchtschilder uns die Wege zu allen möglichen Etablissements. Eigentlich folgte ich nur deshalb den zur nächsten Bar führenden Schildern, weil Arien und wir eine entsprechende Absicht geäußert hatten – und weil zur Zeit noch ein Ort auf der ROULETTE für uns so gut wie der andere war. Wir mußten uns erst einmal umsehen und danach überlegen, wie wir vorgehen wollten. Unterwegs begegneten wir nur wenigen Gästen. Fast ebenso viele Smyrter in der schwarzen Kleidung der Stewards waren unterwegs, außerdem einige kastenförmige Roboter. Wir wurden aufmerksam, aber nicht zudringlich gemustert. Das Überwachungssystem funktionierte anscheinend insoweit einwandfrei, daß wir nicht in den Kreis der eventuellen Verdächtigen eingestuft worden waren. Aber es hatte nicht so einwandfrei funktioniert, daß die Explosion verhindert worden war – was immer oder wer immer sie ausgelöst hatte. Entweder gab es schwerwiegende Mängel oder jemand operierte mit hochwertigen technischen Mitteln. Und bar aller Skrupel! ergänzte mein Extrasinn. * Die Bar erwies sich als ein mittlerer Ballsaal mit verwirrenden Laserlichtspielereien und einer Ausstattung, die extrem überladen wirkte, bis ich die Vertreter von mindestens zwanzig verschiedenen Spezies sah, die sich als Gäste hier befanden. Das erklärte die Ausstattung, denn es mußte für alle Geschmäcker etwas vorhanden sein. Die Richardsons, Sarah und ich steuerten einen der verschiedenen Tresen an, der eine für unsere Körpergröße zuträgliche Höhe aufwies. Es war eine unwirkliche Situation. Die Lichtblitze der Laser trafen in rascher Folge auf reflektierende bunte Kugeln – und die Reflexionen erfüllten die Bar auf eine so irrsinnige Weise, daß wir den Eindruck hatten, die Zeit liefe abwechselnd vorwärts und rückwärts. Dazu kamen die akustischen Brandungen zahlreicher Gespräche, spitzes Gelächter, kichernde Pfeiftöne, dumpfes Blubbern und raschelndes Klirren. Ich mußte mir unablässig einreden, daß dies alles völlig normal für einen solchen Ort war, um nicht die Nerven zu verlieren. Aber das genügte nicht. Sarah und die Richardsons waren nahe daran, hysterisch zu werden. Noch fanden sie psychischen Halt an meinen betont gleichmütigen Bewegungen. Doch sobald ihre Selbstbeherrschung sie nur für Sekundenbruchteile verließ, würde der Wahnsinn sie von innen heraus überrollen. Ich riß mich zusammen und zwang mich dazu, über Nebensächlichkeiten zu reden – nein zu brüllen, denn ich mußte den allgemeinen Lärm übertönen. Irgendwann half es ihnen – und mir selbst auch. Wir erreichten unser Ziel und befanden uns damit im sicheren Ort der akustischen Abschirmung, die dem Wohlbefinden der Gäste diente. Aber warum drehten die anderen Gäste, die sich zwischen den verschiedenen Tresen und damit außerhalb der akustischen Absperrung bewegten, nicht durch? Drogen! teilte mir der Logiksektor mit. Sie besitzen eine innere Abschirmung, die durch Drogen
bewirkt wird. Ich erschrak und musterte die videoplastische Reklamefläche hinter dem Tresen, die Hunderte verschiedener Getränke anpries. Es handelte sich zweifellos überwiegend um alkoholische Getränke, aber ich kannte keines von ihnen. Woher sollte ich wissen, welche mit gefährlichen Drogen versetzt waren und welche nicht? Die Richardsons schienen in der Hinsicht keine Bedenken zu haben. Aber woher auch! Sie ahnten bisher nichts davon, daß die ROULETTE nicht nur eine Spielhölle war, sondern auch eine Drogenhölle. »Wartet!« sagte ich, als Arien seine Bestellung bei einem der hinter dem Tresen stehenden Kastenroboter aufgeben wollte. »Wir nehmen reinen Äthylalkohol, ohne alle Zusätze.« »Äthylalkohol?« fragte der Roboter klirrend. »Aber das ist in allen Getränken enthalten. Warum nehmt ihr nicht einen Hughfgari oder einen Zhlato oder…« »Wir haben einen schwachen Magen«, unterbrach ich ihn. »Purer Äthylalkohol ist zur Zeit das einzige Getränk, das wir vertragen. Wenn ihr den nicht habt, nehmen wir klares Wasser, aber auch das nur pur.« »Wir haben auch Äthylalkohol«, erwiderte der Roboter. »Aber er ist unverdünnt.« »Dann gib jedem von uns ein großes Glas – und dazu ein großes Glas Wasser!« bestellte ich. »Wir verdünnen ihn individuell.« Erleichtert stellte ich fest, daß der Roboter meinen Wunsch respektierte. In gewisser Weise schien der Gast auch hier König zu sein. Dennoch wachte ich mit Argusaugen darüber, daß der Robot unsere Gläser nur an zwei Zapfhähnen füllte. Woher willst du wissen, daß der Äthylalkohol hier tatsächlich rein ist? warnte mein Extrasinn. Du kannst es nicht sehen. Aber wahrscheinlich riechen! gab ich zurück. Ich roch an meinem Glas mit Alkohol, ungefähr einem Zehntelliter. Meine Nase konnte keine Beimengungen entdecken. »Wartet noch!« forderte ich die Gefährten auf und nahm einen Schluck, ließ ihn auf der Zunge zergehen und stellte auch diesmal keine Beimengung fest. »Es ist gut.« Ich probierte auch das Wasser und fand es ebenfalls »sauber«. Dennoch trank ich es nicht, sondern bevorzugte den reinen Alkohol. Die Qualität war wirklich gut, so weit ich das in einer fremden Galaxis beurteilen konnte. Es wäre schade darum gewesen, diesen Stoff zu verwässern. Die Richardsons folgten meinem Beispiel, nur Sarah goß sich Wasser zu. Als wir die ersten Gläser geleert hatten, füllte der Roboter nach. Auch diesmal paßte ich scharf auf. Mir konnten Drogen dank meines Zellaktivators nichts anhaben, aber meine Gefährten waren nicht dagegen gefeit. Mit dem zum zweitenmal gefüllten Glas in der Hand drehte ich mich um, die Ellbogen auf dem Tresen und musterte die bunte Schar der anderen Gäste. Eine Alarmglocke schlug in meinem Kopf an, als ich die Voorndaner sah, die mit uns im Zubringer zur ROULETTE gereist waren. Sie hatten die Bar eben erst betreten und bewegten sich zögernd und irritiert. Comerlat trug noch immer sein Handgepäck bei sich. Kurz nachdem ich ihn entdeckt hatte, sah er mich ebenfalls. In seinen Augen blitzte es kurz auf, dann redete er auf seinen Begleiter ein. Mir fiel auf, daß die Voorndaner viel weniger unter Orientierungsschwierigkeiten litten als meine Gefährten und ich. Die Alarmglocke schlug zum zweitenmal an. Wenn die Voorndaner in dieser irren Umgebung sich besser zurechtfanden als ich mit meinen reichhaltigen einschlägigen Erfahrungen, mußten sie gegen diese Einflüsse
konditioniert sein. Sie haben Drogen genommen! konstatierte mein Extrasinn. Nein, ich glaube nicht. Vielleicht sind sie immunisiert worden. Meine Antwort war impulsiv gewesen, bestimmt durch einen inneren Zwang, gegen den Extrasinn zu opponieren. Erst nachträglich wurde mir klar, daß meine Behauptung gar nicht so abwegig war. Die ROULETTE mußte für die Spielhöllenbesitzer von Voorndan eine unliebsame Konkurrenz sein, denn sie schöpfte vom Potential derjenigen, die der Spiele wegen nach Voorndan gekommen waren, sozusagen den Rahm ab. Es erschien mir plötzlich einleuchtend, daß die Voorndaner eine Kundschaftertruppe zur Konkurrenz entsandt hatten, um die Stärken und Schwächen der hiesigen Vergnügungen aufzuspüren. Diese Kundschafter waren zweifellos mit allen Wassern gewaschen, würden also weitgehend immun gegen gefährliche Drogen sein. Huykers blickte ebenfalls zu uns herüber, dann setzten er und Comerlat sich in unsere Richtung in Bewegung. Ich winkte ihnen freundlich zu. Immerhin spielte ich einen Celester und hatte zu berücksichtigen, daß es zwischen diesen Terraner-Abkömmlingen und den eingeborenen Voorndanern gutnachbarschaftliche Beziehungen gab. »Was trinkt ihr?« erkundigte sich Huykers, als er und Comerlat uns erreichten. »Reinen Alkohol«, antwortete ich. »Reinen Alkohol?« echote er ungläubig und schnupperte an meinem Glas. »Bei diesem reichhaltigen Angebot an diversen Kostbarkeiten? Das ist nicht zu fassen.« »Wir sind keine routinierten Trinker«, erklärte ich. »Lieber reiner Alkohol, als den Magen verdorben.« »Wir nehmen zwei Koquatii!« rief Huykers der Bedienung zu, dann stieß er seinem Begleiter den Ellbogen in die Seite. »Stell deinen dummen Koffer wenigstens ab, wenn du ihn schon überall mit herumschleppst, Knabe!« Voorndaner konnten nicht erröten, da sie von Natur aus rothäutig waren. Aber bei Verlegenheit wurde die Röte ihrer Gesichter dunkler. Das geschah bei Comerlat. Auch seine Bewegungen, mit denen er den Handkoffer zwischen seinen Füßen abstellte, verrieten Verlegenheit. Mir wurde dieser Mann immer rätselhafter. Hatte ich anfangs vermutet, in seinem Handgepäck befände sich eine Kostbarkeit, und hatte ich später, als’ ich ihn und Huykers für Kundschafter hielt, angenommen, es wäre eine Spezialausrüstung darin, so belehrte mich Huykers’ Spott eines anderen. Offenbar wußte Huykers nicht, was sich im Koffer befand. Aber Comerlat war ein noch ziemlich junger Mann, wie ich inzwischen festgestellt hatte. Vielleicht ließ sich daraus sein seltsames Benehmen erklären! Der Roboter stellte zwei zylindrische Gläser auf den Tresen, die mit einer quittegelben Flüssigkeit gefüllt waren. Als Huykers und Comerlat danach griffen, hob ich mein Glas und prostete ihnen schweigend zu. »Ziemlicher Rummel hier, was?« sagte ich, nachdem wir alle getrunken hatten. »Nicht sehr gemütlich«, bestätigte Huykers und ließ sein Glas auffüllen. »Gefällt es euch nicht?« erkundigte sich ein schwarzgekleideter Smyrter, der so leise herangekommen war, daß wir ihn erst jetzt bemerkten. »Oh, doch!« antwortete Huykers. »Wir beklagen uns nicht. Ist es nicht so, Comerlat?« »Was?« fragte der junge Voorndaner. Er schien aus tiefem Nachdenken aufgeschreckt worden zu sein. Huykers und die Richardsons lachten schallend. Der Smyrter lächelte liebenswürdig, dann entfernte
er sich wieder auf leisen Sohlen. »Wir wollen nachher den Spielbetrieb kennenlernen«, wandte ich mich an die beiden Voorndaner. »Kommt ihr mit?« »Gern«, antwortete Huykers. »Nicht wahr, Comerlat?« »Ja, natürlich«, sagte Comerlat eilfertig. Ich wurde nicht schlau aus diesem Burschen. Für einen Moment dachte ich an die Möglichkeit, daß er sich zu mir hingezogen fühlen könnte, doch ich verwarf diesen Gedanken wieder. Warum? erkundigte sich der Logiksektor. Erscheint dir das so abwegig? Ich fühle, daß es nicht so ist, gab ich verärgert zurück. Um mich abzulenken, leerte ich mein Glas und ließ es nachfüllen. Die Richardsons folgten meinem Beispiel. Nur Sarah war noch bei ihrem ersten Glase. »Auf gute Unterhaltung!« sagte Huykers und prostete uns zu. Diesmal leerte ich mein Glas mit einem Zug, denn ich wurde allmählich ungeduldig und wollte endlich die Spielsäle kennenlernen. Als ich das leere Glas absetzen wollte, flimmerte es mir vor den Augen, und ich stellte es neben den Tresen. Ich sah, wie es auf dem Boden zerschellte, aber ich hörte kein Klirren. Verdammt! durchfuhr es mich. Drei Zehntelliter Alkohol machen mich doch nicht betrunken, auch wenn er unverdünnt ist! Ich schüttelte heftig den Kopf. Das Flimmern verblaßte, aber meine Umgebung schien sich hinter einer Wasserwand zu befinden. Du bist trinkfest! stellte mein Logiksektor fest. Man hat dir den Alkohol gedoktert. Das leuchtete mir ein. Wütend starrte ich den Roboter an, der uns bediente. Aber da er keiner Mimik fähig war, konnte ich natürlich nicht in seinem Metallplastikgesicht lesen. Beinahe hätte ich mich dazu hinreißen lassen, ihm die Kopfantennen abzubrechen. Im letzten Moment riß ich mich zusammen. Es würde mir gar nichts nützen, einem Robot gegenüber den wilden Mann zu markieren. Außerdem konnten Drogen bei mir nur vorübergehend und ziemlich abgeschwächt wirken. Ich merkte bereits, daß meine Sinne sich wieder klärten. Aber bei meinen Gefährten war das anders. Ich holte tief Luft, dann musterte ich Sarah und die Richardsons. Ihre Wahrnehmung schien nicht beeinträchtigt zu sein. Sie plauderten mit Huykers, als wäre nichts geschehen. Und genau das war es! Es war etwas geschehen. Ich hatte ein Glas zerbrochen und mußte zumindest ein wenig geschwankt haben. Doch meine Gefährten und die beiden Voorndaner benahmen sich, als hätten sie nichts davon gemerkt. Abschirmdrogen! stellte mein Extrasinn fest. Unwillkürlich nickte ich. Es konnte gar nicht anders sein. Jemand hatte meinen Gefährten eine Droge verabreicht, die ihre Psyche gegen die Wahrnehmung unangenehmer oder lästiger Dinge abschirmte. Ich mußte die gleiche Droge erhalten haben. Nur hatte ich im Unterschied zu ihnen eine Wirkung gespürt, weil mein Zellaktivator sich vehement gegen den Einfluß gewehrt hatte. »Aber wer hatte unsere Getränke gedoktert?« Ich blickte mich unwillkürlich nach dem Smyrter um, der sich kurz bei uns aufgehalten hatte. Er stand am Nachbartresen bei einer Gruppe von drei Voorndanern und unterhielt sich mit ihnen. War er es gewesen?
Möglich war es. Es konnte aber ebensogut unsere Robotbedienung gewesen sein. Oder Huykers? Warum nicht Comerlat? erkundigte sich der Logiksektor. Ich blieb ihm die Antwort schuldig. Irgendwie zog ich den jungen Voorndaner nicht mit in Betracht. »Wir gehen!« sagte ich frustriert. Meine Gefährten hörten es nicht, nur Huykers reagierte sofort. »Wir gehen!« wiederholte er. »Ich brenne darauf, ein paar Spielchen zu machen.« Erst da reagierten meine Gefährten. Sie lächelten zustimmend, leerten ihre Gläser und folgten Huykers und mir. Comerlat nahm seinen Koffer auf und trottete hinterher.
4. Wir waren der Beschilderung gefolgt, die zum »Großen Kasino« wies und standen plötzlich vor einem großen gläsernen Portal. Natürlich handelte es sich nicht wirklich um Glas. Ich bezweifelte, daß auf der ROULETTE solche zerbrechlichen Materialien für größere Bauelemente verwandt worden waren. Zumindest aber wirkte es optisch wie geschliffenes Glas. »Warum öffnet es sich nicht?« sagte ich, nachdem ich einige Sekunden davor gewartet hatte. »Ich habe keine Ahnung«, sagte Huykers, aber ich sah ihm an, daß er log. Er lächelte so eindeutig wissend, daß seine Lüge durchschaut werden mußte. War das Dummheit oder hatte er einen geheimen Trumpf im Ärmel, so daß er es sich leisten konnte, ein Wissen indirekt zuzugeben, über das ein normaler Besucher der ROULETTE niemals zu verfügen vermochte? Ein Smyrter huschte diensteifrig heran, wie alle Bediensteten, die wir bisher auf dem Spielhöllenschiff gesehen hatten, mit einem lackschwarzen Anzug bekleidet. »Wenn ihr das Große Kasino aufsuchen wollt, tretet bitte ganz dicht an das Portal heran!« sagte er geheimnisvoll. »Es wird euch mit allen notwendigen Informationen versorgen und danach ins Kasino bringen.« »Nun, denn!« sagte ich und befolgte die Aufforderung, ohne mir die Sorge um Sarah und die Richardsons anmerken zu lassen, die noch immer unter Abschirmdrogen standen. Aber ich durfte deswegen keinen Wirbel verursachen, wenn ich den Erfolg unserer Mission nicht in Frage stellen wollte – und wahrscheinlich waren die Abschirmdrogen sogar harmlos. Meine Gefährten und die Voorndaner folgten meinem Beispiel. Doch es waren nicht mehr nur Huykers und Comerlat, die uns begleiteten. Die drei Voorndaner vom Nebentresen der Bar hatten sich uns inzwischen auch angeschlossen. Sie schienen es aber nicht für nötig zu halten, sich vorzustellen. Warum auch? wandte mein Logiksektor ein. Ich runzelte die Stirn, als mir klar wurde, daß ich unwillkürlich davon ausgegangen war, die drei anderen Voorndaner gehörten zu Huykers und Comerlat. Das entbehrte allerdings jeder sachlich fundierten Grundlage, denn es mußte auf der ROULETTE Hunderte von Voorndanern geben. Dennoch kam ich nicht von dem Verdacht los, daß diese drei Voorndaner insgeheim mit Huykers und Comerlat zusammenarbeiteten. Ich vermochte diesen Gedankengang jedoch nicht weiter zu verfolgen, denn plötzlich fing das Portal an zu reden. Es teilte sich nicht akustisch mit, sondern mental. Mit höflich-distanzierten Formulierungen wies es darauf hin, daß das Große Kasino sich über mehrere Decks erstreckte und variabel unterteilt war. Es gab ein ganzes Netz von Servos und Sensoren, die nur dazu dienten, den Besuchern jeden akustisch geäußerten Wunsch zu erfüllen, soweit das den Regeln nach erlaubt war. Diese Informationen waren ein wenig vage. Deshalb wartete ich auf weitere. Doch sie kamen nicht. Statt dessen standen wir plötzlich in einer kleinen, halbkugelförmigen Halle, in deren Wandung sich ein Dutzend kleinere Ausgaben des Hauptportals befanden. »Ein Transmitter«, stammelte Sarah. »Das Portal ist ein Transmitter.« Ich nickte und deutete auf die kleineren Portale. »Richtig. Und diese Dinger da scheinen ebenfalls Transmitter zu sein. Wahrscheinlich wird man von jedem in eine andere Sektion des Großen Kasinos befördert.« Ich sah, daß die drei Voorndaner, die uns gefolgt waren, auf drei verschiedene Portale zugingen und
vor ihnen plötzlich verschwanden. Bedeutete das, daß sie doch nicht mit Huykers und Comerlat zusammenarbeiteten? »Verteilen wir uns ebenfalls!« sagte Huykers. »Wir können uns später hier wieder treffen und über unsere unterschiedlichen Erfahrungen berichten.« Er und Comerlat setzten sich in Bewegung. Ich winkte ihnen verabschiedend zu, dann wandte ich mich an meine Gefährten. Das heißt, ich wollte es tun, doch es war nicht mehr möglich, denn sowohl die Richardsons als auch Sarah hatten sich ebenfalls in Bewegung gesetzt und gingen auf je ein anderes Portal zu. Ich war so verblüfft darüber, daß ich reglos stehen blieb, bis sie verschwunden waren. Auch Sarah…? durchfuhr es mich. Es handelt sich wohl doch nicht um eine reine Abschirmdroge! meinte mein Logiksektor. Offenkundig bewirkt sie außerdem, daß alle Beeinflußten das tun, was direkt^ zu ihnen gesagt wird. Huykers! dachte ich grimmig. Also war er es, der unsere Getränke gedoktert hat. Nicht unbedingt! gab mein Logiksektor zurück. Erinnere dich daran, wie er und Comerlat reagierten, als du in der Bar sagtest, daß ihr gehen solltet! Sie reagierten wie Automaten! erkannte ich. Das heißt, sie stehen unter dem Einfluß derselben Droge. Mir wurde jedoch auch klar, daß das nichts über ihre Schuld oder Unschuld aussagte. Sie konnten die Wirkung der Droge auf sich selbst bewußt in Kauf genommen haben. Du solltest weniger deinen kriminalistischen Scharfsinn benutzen, als dich um Sarah kümmern! mahnte der Extrasinn. Solange die Droge bei ihr wirkt, wird sie alles tun, was man ihr sagt – egal, wer es sagt. Mich durchlief es heiß und kalt, als ich die volle Bedeutung dieser Erkenntnis zu erahnen begann. Ich wußte noch genau, auf welches Portal Sarah zugegangen war. Besorgt stürmte ich auf dasselbe Portal zu, wurde entstofflicht – und im gleichen Moment in einer anderen Umgebung rematerialisiert. Ein kleiner Saal mit Tischen, an denen jeweils zwei Spieler saßen und verschiedene Glücksspiele praktizierten. Gedämpfte Beleuchtung und Musik, schwere Vorhänge, weicher Teppichboden – und keine Spur von Sarah Briggs. Ich starrte wild umher. Doch das brachte Sarah auch nicht zurück. Dabei konnte sie nur hier rematerialisiert worden sein und das vor höchstens einer Minute. Wieso war sie dann nicht mehr hier? Und wohin war sie gegangen? Und wer hatte sie dazu veranlaßt? Meine Augen weiteten sich, als ich an einem der samtbeschlagenen Tische Gill Goodschaad sitzen sah, in ein elektronisches Würfelspiel mit einem rotgekleideten Smyrter vertieft. Ich wollte es zuerst nicht glauben, daß das derselbe Voorndaner war, der im Hangar versucht hatte, auf das Zubringerboot zu flüchten, aber mein photographisches Gedächtnis schloß jeden Irrtum aus. Gestalt und Gesichtszüge waren identisch. Vielleicht weiß er, wohin Sarah gegangen ist! Ich eilte zu dem Tisch, packte den Voorndaner an den Schultern und drehte ihn zu mir herum. »Hast du Sarah Briggs gesehen?« fragte ich scharf. Aber noch während ich sprach, wurde mir klar, daß ich von Goodschaad keine brauchbare Antwort bekommen würde. Dieser Mann war so gut wie tot, ein Wrack, das durch tausend Höllen gegangen war und nur deshalb noch lebte, weil es von Drogen bis zum Äußersten aufgeputscht worden war. Mein scharfer Ton, der normalerweise Aufmerksamkeit erzwang, bewirkte bei ihm das Gegenteil.
Er riß ihn von dem Höhenflug des Drogenrauschs und verwandelte ihn in einen stumpfsinnigen Idioten. »Wah?« lallte er und verdrehte die Augen. »Wah?« Er tat mir leid. Unter anderen Umständen hätte ich mich um ihn gekümmert und versucht, ihm zu helfen, denn er brauchte dringend Hilfe, wenn er nicht auch physisch zugrunde gehen sollte. Doch sein erschreckender Zustand steigerte meine Sorge um Sarah ins Unermeßliche. Ich ignorierte ihn und ließ ihn einfach sitzen. Erneut sah ich mich um – und ich entdeckte weitere Bekannte. Es waren Cuur-Tok und CuurBamyl, die beiden Thater aus dem Zubringerboot. Sie standen zwischen mehreren Voorndanern und Angehörigen noch unbekannter Spezies an einem Tisch, an dem dreidimensionales Roulette gespielt wurde. Die beiden Haluterähnlichen schienen eine Glückssträhne zu haben. Ich bemerkte, daß sie jedes Spiel gewannen. Wenn sie so weitermachten, würden sie die Bank sprengen. In einer Spielhölle kann niemand die Bank sprengen! erreichte mich der Hinweis des Logiksektors. Das stimmte. Aber noch, während ich das einsah, setzte Cuur-Tok eine Riesensumme und gewann abermals. Das ging nicht mit rechten Dingen zu. Anscheinend verfügten die beiden Thater über Psi-Fähigkeiten und manipulierten die Roulettkugel telekinetisch. Aber damit werden sie hier nicht durchkommen! teilte mir der Extrasinn mit. Es sei denn, sie hätten für Rückendeckung gesorgt! gab ich zurück. Meine Haltung versteifte sich, als ich erkannte, welchen Schluß ich ziehen mußte, falls meine Annahme zutraf. Es gab eigentlich nur einen: Cuur-Tok und Cuur-Bamyl waren nicht aus eigenem Antrieb zur ROULETTE gekommen. Jemand hatte sie geschickt, jemand, dem die ROULETTE ein Dorn im Auge war. Zulgea von Mesanthor? Wenn es so war, dann würde es auf dem Spielhöllenschiff zu einer Art Stellvertreterkrieg zwischen zwei miteinander konkurrierenden Facetten kommen. Aber, zum Teufel, was ging das mich an? Ich mußte Sarah wiederfinden und in Sicherheit bringen, sonst nichts. Warum mischte ich mich in Dinge ein, die mir gleichgültig sein konnten, anstatt mit Sarah nach Hain zurückzukehren und dort mit ihr zusammen das Leben zu genießen? Liebe macht blind! spottete der Extrasinn. Sonst würdest du dir nicht einbilden, irgendwo in dieser Galaxis einen Ort zu finden, der von den Rivalitätskämpfen der Mächtigen unberührt bleibt. Ganz davon abgesehen, daß du einen Auftrag angenommen hast. In diesem Moment verwünschte ich die Tatsache, daß ich einen Extrasinn besaß – noch dazu einen, der mir auch dann in den »Ohren« lag, wenn ich seine Ansichten gar nicht kennenlernen wollte. Pah! dachte ich zornig zurück. Ein kastenförmiger Roboter tauchte vor mir auf. Ich mußte mich beherrschen, um nicht nach ihm zu treten. »Zu Diensten!« schnarrte er. »Ich sehe, daß du ratlos bist. Darf ich dich daran erinnern, daß die Servos und Sensore des Großen Kasinos dir jeden akustisch geäußerten Wunsch erfüllen.« Mein Zorn verrauchte. »Ich bezweifle, daß sie mir jeden Wunsch erfüllen können«, erwiderte ich sarkastisch. »Aber es genügt mir, wenn ich erfahre, wo ich Sarah Briggs finden kann. Wo ist sie?« »Sie befindet sich im Großen Kasino«, flüsterte eine Stimme mitten aus der Luft vor mir, vermutlich aus einem winzigen Feldlautsprecher. »Sektion der Gelben Kuranneh. Der Roboter kann
dich hinführen, wenn du willst.« Mir fiel ein Stein vom Herzen. Ich mußte lachen. Da hatte ich mir den Kopf zermartert, wie ich Sarah wiederfinden könnte, dabei war alles so einfach. »Führe mich hin!« wandte ich mich an den Kastenroboter. »Zu Diensten«, schnarrte die Maschine. »Folge mir, Ubal Meesters!« * Ubal Meesters! Das System aus Robotern, Servos und Sensoren kannte also meine, wenn auch nur angenommene, Identität. Das bedeutete, daß ich die ganze Zeit über unter seiner Kontrolle gestanden hatte. In diesem Fall kam es mir allerdings gelegen, denn dadurch hatte ich auch Sarah wiedergefunden. Noch bist du nicht bei ihr! unkte mein Extrasinn. Schweige, Kassandra! dachte ich gutgelaunt zurück und folgte dem Roboter, der mich in wenigen Augenblicken zu Sarah führen würde. Für kurze Zeit schweiften meine Gedanken zu den Erinnerungen an den Kampf um Troja ab – und ich mußte wieder einmal daran denken, welche Fülle von Erlebnissen und Abenteuern ich auf meiner Spur durch Zeit und Raum zurückgelassen hatte. War es da nicht nur gerecht, daß ich dafür einen gewissen Preis zahlte, indem ich meine Fähigkeiten und Erfahrungen in den Dienst einer übergeordneten guten Sache stellte? Ich lauschte in mich hinein, denn ich erwartete eine ironische Bemerkung meines Extrasinns zu diesen Gedanken. Als sie ausblieb, wurde mir klar, wie extrem sich die Ansichten meines Logiksektors von meinen ureigensten unterschieden und daß er nur schwieg, um mir nicht alle meine Illusionen zu rauben. »Hierher!« sagte mein robotischer Führer. Erst da bemerkte ich wieder, wo ich tatsächlich war. Der Kastenroboter stand vor einer Nische, die von hellblauem Leuchten erfüllt war. Das mußte der Transmitter sein, durch den ich in die Sektion der Gelben Kuranneh kommen würde – und zu Sarah Briggs. Hinter dem Roboter trat ich in das hellblaue Leuchten. Der Vorgang der Entstofflichung verlief stets unmerklich, weil seine Zeitdauer für die Übermittlung von Reizen ins Gehirn viel zu kurz war. Das bedeutete aber nicht, daß niemals Schmerz- und andere Signale ausgelöst wurden. Sie konnten nur erst nach der Wiederverstofflichung im Gehirn ankommen und bewußt wahrgenommen werden. Bei normalen Transmissionen kam es aber niemals zu anderen Schmerzempfindungen als zum altbekannten Entzerrungsschmerz, dessen Stärke je nach überwundener Entfernung von unmerklich bis zu unerträglich reichte. Als ich nach der Rematerialisierung das Gefühl hatte, in Eiswasser gelandet zu sein, wußte ich deshalb sofort, daß diese Transmission regelwidrig verlaufen war, wie es im Fachjargon hieß. Ich stieß einen sogenannte »Befreiungsschrei« aus. Das bannte den Schock und preßte die verbrauchte Luft aus den Lungen, so daß ich anschließend voll einatmen und damit ein Maximum an Sauerstoff aufnehmen konnte. Die eisige Kälte ließ tatsächlich nach. Aber meine Glieder waren so taub, daß ich beim ersten Versuch, mich zu bewegen, haltlos umkippte. Dazu kam, daß ich absolut nichts sah. Ob die Finsternis objektiv oder subjektiv bedingt war, ließ sich allerdings noch nicht feststellen. Ich konnte nur hoffen, daß ich nicht erblindet war.
Diese Überlegungen beschäftigten mich aber nur am Rande. Das Gros meiner Gedanken galt zweierlei Dingen: erstens der regelwidrigen Transmission und zweitens der Frage, ob ich dadurch an einem Ort gelandet war, an dem ich weiterhin von Sarah getrennt blieb. Mein praktisches Handeln war eine ganz andere Sache. Ich tastete mich so vorsichtig und so schnell wie möglich vorwärts, um erst einmal aus dem Wirkungsbereich des Transmitters zu kommen, in dem ich materialisiert war. Ich mußte immerhin damit rechnen, daß er sich wieder aktivierte – oder von irgendwoher geschaltet wurde. Gleichzeitig rief ich nach dem Kastenroboter, der vor mir in den Transmitter gegangen war und nach dem Servosystem. Ich fand keine andere Resonanz als Schweigen. Unter diesen Umständen war ich heilfroh darüber, daß meine Finger allmählich wieder ihr Gefühl zurückerhielten und ich merkte, daß sich unter mir fester Boden befand. Nach einer Weile hatte ich herausgefunden, daß ich in einer kleinen Kammer mit rechteckigem Grundriß stand und daß es in einer der beiden Querwände eine Tür beziehungsweise ein Schott gab, das allerdings meinen Versuchen widerstand, es zu öffnen. Da ich außer meinem Kombimesser keine Waffe bei mir trug, sah ich keine Möglichkeit, das Schott aufzubrechen beziehungsweise die elektronische Verriegelung zu knacken. Ich hatte ja nicht einmal mein Chronometer mitgenommen, um mich nicht verdächtig zu machen, und mit einer Strahlwaffe hätte man mich niemals auf die ROULETTE gelassen. Es gab sicher in jedem Zubringerboot verborgene Detektoren. Als ich schon fast verzweifelt war, ertönte plötzlich ein leises »pling«. Im nächsten Moment schloß ich geblendet die Augen, denn durch das sich öffnende Schott fiel eine Lichtfülle in mein Gefängnis, an die ich mich erst wieder gewöhnen mußte. »Ich bitte um Entschuldigung!« sagte jemand. Die Person sprach Alkordisch und hätte demnach theoretisch der Vertreter einer der x-beliebigen Spezies aus der Galaxis Alkordoom sein können. Ich erkannte jedoch am Tonfall und an der Formulierung, daß es sich um einen Smyrter handelte. Blinzelnd spähte ich in die Helligkeit. Fast schwarz hoben sich die Konturen eines hominiden Lebewesens dagegen ab, bis meine Augen sich umgestellt hatten. Dann sah ich, daß ich tatsächlich einen Smyrter vor mir hatte. Er war jedoch weder schwarz noch rotgekleidet, sondern trug eine stahlblaue Kombination, die von ihrem Zuschnitt und den Accessoires her eine Bordkombination für Raumfahrer sein mußte. Ein Besatzungsmitglied der ROULETTE? »Ich bitte um Entschuldigung!« wiederholte der Smyrter. »Bist, du verletzt?« »Nicht, daß ich wüßte«, gab ich zurück. »Was ist passiert?« »Es gab einen Unfall«, antwortete der Raumfahrer. »Wahrscheinlich durch Sabotage verursacht. Eine fünfdimensionale Schockwellenfront ist offenbar zeitlich genau mit deiner Transmission zusammengefallen. Dank unserer Vorsorgemaßnahmen wurde deine Materie nicht im Hyperraum verstreut, sondern in diesem Rettungsgerät restrukturiert und materiell stabilisiert.« »Restrukturiert und materiell stabilisiert«, wiederholte ich mechanisch. Erst danach begriff ich die ganze Tragweite des Geschehens. Um ein Haar wäre es aus mit mir gewesen. Ich kannte einige Fälle, bei denen Leute auf Nimmerwiedersehen verschwunden waren, weil die Transmissionsträgerfrequenz des Transmitters, den sie benutzten, im Augenblick der Abstrahlung überlagert worden war. In anderen Fällen waren sie als irreguläre Zellhaufen im Zieltransmitter materialisiert. Im Fall von Alaska Saedelaere hatte sich das Fragment eines Wesens, mit dem der Betroffene im Hyperraum kollidiert war, in seinem Gesicht festgesetzt und emittierte eine Hyperstrahlung, die jeden Betrachter augenblicklich wahnsinnig werden ließ. Der hyperdimensionale Impuls, als den mein Strukturmuster vom Transmitter abgestrahlt worden war, mußte demnach von der Schockwellenfront zerschmettert worden sein, hatte aber von dem Rettungsgerät aufgefangen werden können. Hier war er dann rekonstruiert, in ein Strukturmuster
zurückverwandelt und materialisiert worden. Ich hoffte, daß ich mich nicht nur wie ich selbst fühlte, sondern auch noch oder wieder ich selbst war. Im nächsten Moment erschrak ich. Der Extrasinn! Er hatte sich seit der Wiederverstofflichung nicht mehr gemeldet. Bedeutete das, daß er deaktiviert worden war? Oder hatte der fragmentarische Gehirnsektor, der ihn beherbergte, nicht restrukturiert werden können? Melde dich! dachte ich konzentriert. Ein undefinierbares telepathisches Wispern war die einzige Antwort. Es war also nicht ganz erloschen. Hoffentlich konnte er sich selbst regenerieren. Er gehörte zu meiner Persönlichkeit. Ohne ihn würde ich unvollkommen sein. »Was kann ich für dich tun, Ubal?« erkundigte sich der Smyrter. »Du kannst mich in die Sektion der Gelben Kuranneh bringen«, antwortete ich. »Und natürlich danke ich dir dafür, daß du dich um mich gekümmert hast. Wie heißt du?« »Paaschuul«, erwiderte der Smyrter und blickte sich suchend um. »Eigentlich mußt du nicht mir danken, sondern dem jungen Voorndaner, der mich darauf aufmerksam machte, daß du in diesem Rettungsgerät eingesperrt warst. Unsere Kontrollen hatten nämlich nichts angezeigt. Ich weiß gar nicht, wohin er so plötzlich verschwunden ist. Eben war er doch noch hier.« »Heißt er Comerlat?« fragte ich ahnungsvoll. »Das weiß ich nicht«, sagte Paaschuul. »Er hat mir seinen Namen nicht gesagt.« »Trug er sein Handgepäck bei sich?« bohrte ich weiter. »Ja, das stimmt«, sagte der Smyrter. »Ich wunderte mich darüber.« Und ich wundere mich darüber, daß Comerlat wußte, wohin es mich verschlagen hatte! dachte ich bei mir. »Es ist nicht so wichtig«, sagte ich laut. »Würdest du mich jetzt in die Sektion der Gelben Kuranneh bringen?« »Ich weiß nicht, ob das möglich ist«, erwiderte Paaschuul zögernd. »Die Transmitterverbindung dorthin ist unterbrochen.« »Bloß keinen Transmitter!« entfuhr es mir. »Jedenfalls nicht so bald schon wieder. Es muß ja auch möglich sein, zu Fuß hinzukommen. Schließlich ist die ROULETTE nur ein mittelgroßes Raumschiff.« »Das stimmt zwar«, gab der Smyrter zu. »Aber die Lage ist zur Zeit ein wenig unsicher. Wir jagen ein paar Saboteure, und es ist schon zu mehreren Gefechten gekommen, bei denen es Tote und Verwundete gegeben hat.« Sofort war meine Sorge um Sarah wieder dominierend. »Um so dringender muß ich in die Sektion der Gelben Kuranneh«, erklärte ich. »Hast du eine Waffe für mich?« Der Smyrter musterte mich prüfend. »Eigentlich dürfen unsere Gäste keine Waffen tragen«, meinte er. »Aber da du von der Sabotage betroffen warst, wirst du wohl nicht zu unseren Gegnern gehören, so daß ich es verantworten kann, dir eine Waffe zu besorgen. Folge mir, Ubal!«
5. Paaschuul führte mich zu einem Ausrüstungsdepot, das von fünf jener spinnenbeinigen Roboter bewacht wurde, wie ich sie als Verfolger Gill Goodschaads beobachtet hatte. Erstmals sah ich sie aus unmittelbarer Nähe und fand Zeit, sie genau zu mustern. Ihre hellgrauen Rümpfe waren stark abgeplattete Kugeln mit einem äquatorialen Durchmesser von etwa einem Meter. Auf ihren Oberflächen saßen warzenförmige, unterschiedlich gefärbte Sensoren und Antennen. Bei Bedarf wurden aus Öffnungen, die sich an zahlreichen Stellen bilden konnten, Strahlwaffen ausgefahren. Die jeweils acht dünnen »Spinnenbeine« waren paarig angeordnete Metallplastiktentakel, die nur der Fortbewegung und dem Festhalten dienten, nicht aber dem Tragen von Waffen. Der Smyrter gab mir nicht nur einen Waffengurt mit je einem Lahm- und Impulsstrahler, sondern auch eine jener stahlblauen Kombinationen, wie er sie selber trug. Handschuh- und Stiefelteile schlossen hermetisch ab; aus dem wulstigen Halskragen konnte durch Berühren eines Sensorpunkts ein leichter Druckhelm aufgefaltet werden. Wurde er zugeklappt und verschlossen, übernahm ein kleines Überlebensaggregat für einige Zeit die Klimatisierung und Sauerstoffversorgung. Ich wunderte mich über diese Freigebigkeit – bis wir wenige Minuten später eine Sektion erreichten, in der gekämpft wurde. Drei schwerverletzte Smyrter wurden von Spinnenrobotern geborgen. Sie trugen schwarze beziehungsweise rote Anzüge, gehörten also nicht zur Schiffsbesatzung, sondern zum Spielhöllenpersonal. Zwei Smyrter in stahlblauen Kombinationen lagen in der fragwürdigen Deckung eines zerschossenen Kastenroboters und feuerten in unregelmäßigen Abständen auf ein – ebenfalls zerschossenes – Schott, aus dem hin und wieder ein greller Laserstrahl zuckte. Paaschuul und ich ließen uns zu Boden fallen und drückten uns gegen die Wand des Korridors. »Warum ruft ihr keine Verstärkung herbei?« erkundigte sich Paaschuul bei den anderen beiden Raumfahrern. »Wir haben welche angefordert«, gab einer von ihnen zurück. »Aber sie kommt nicht durch, sondern steckt in einem verminten Korridor fest.« Er gab einen Strahlschuß auf das Schott ab, dessen Ränder glühten. Ich beobachtete aufmerksam. Sekunden später zuckte wieder ein Laserstrahl aus der Öffnung. Er fuhr über das Wrack des Kastenroboters hinweg und streifte etwa zehn Meter weiter unter einem Funkenregen die Decke des Korridors. »Ich werde den Gegner ausschalten«, erklärte ich. »Das ist viel zu gefährlich«, warnte Paaschuul. Abermals fuhr ein Laserstrahl aus der Schottöffnung und vertiefte die Schmelzspur in der Decke, die von seinen Vorgängern eingebrannt worden war. Ich deutete hinauf. »Ein Gegner aus Fleisch und Blut würde nicht immer auf dieselbe Stelle zielen, auch ein Roboter nicht. Ich denke, daß wir es nur mit einer auf Feuerintervall geschalteten Automatwaffe zu tun haben.« Logisch! klang es in meinem Bewußtsein auf. Der Gegner will sich schließlich nicht zum Kampf stellen, weil er dann früher oder später erwischt würde. Mir wurde fast schwindelig vor Freude darüber, daß mein Extrasinn wieder voll da war. »Es ist dennoch gefährlich«, wandte einer der beiden Schützen hinter dem Roboterwrack ein. »Wartet, bis wir einen Treffer angebracht haben! Es kann nicht mehr lange dauern.«
»Von eurer Stellung aus trefft ihr nie«, gab ich zurück. »Die Schüsse liegen viel zu hoch. Stellt das Feuer ein und schießt nur dann, wenn doch noch ein mobiler Gegner auftauchen sollte!« . »Tut, was Ubal sagt!« erklärte Paaschuul. Ich wartete, bis ich an der Haltung der Schützen erkannte, daß sie sich danach richten würde, dann sprang ich auf und rannte geduckt und im Zickzack auf die Schottöffnung zu. Das mußte zwar so aussehen, als traute ich meinen eigenen Worten nicht, doch das war mir egal. Ich hatte schon zu viele Leute sterben sehen, weil sie in blinder Siegeszuversicht frontal vorgestürmt waren. Doch die Schaltung der Automatwaffe enthielt keine Finessen. Sie feuerte unverändert in die gleiche Richtung. Zweimal noch zuckte der Laserstrahl auf, dann war ich nahe genug, um die Waffe zu sehen – und den Grund dafür, warum sie viel zu hoch schoß. Sie war auf einem Dreibein montiert, das aus unerfindlichen Gründen umgekippt war. Ursprünglich hatte sie also erheblich flacher feuern und wahrscheinlich auch Seitwärtsbewegungen ausführen sollen. Ein Schuß aus meinem Impulsstrahler ließ sie zusammenschmelzen. Ich schob die Waffe ins Gürtelhalfter zurück, zog die Lähmwaffe und schoß einen Fächer in die Dunkelheit, die hinter dem ausgeschalteten Gegner lag. Es erfolgte keine Reaktion. Ich atmete auf. Natürlich war ich nicht daran interessiert, einen der Saboteure ans Messer zu liefern, denn sie standen faktisch auf der gleichen Seite wie ich, auch wenn ihre Beweggründe ganz andere sein mochten. Warum hast du dich dann überhaupt dazu verleiten lassen, für die Smyrter die Kastanien aus dem Feuer zu holen? erkundigte sich der Logiksektor. Ich brauche die Waffen! gab ich zurück. Ohne sie komme ich wahrscheinlich nicht zu Sarah durch. »Das hast du gut gemacht«, sagte Paaschuul neben mir. Ich musterte ihn spöttisch. Er stand halbgeduckt da, bereit, beim ersten Anzeichen feindlicher Aktivität die Flucht zu ergreifen. Auch die anderen beiden Raumfahrer verhielten sich zurückhaltend. Sie hatten zwar ihre Deckung verlassen, trafen jedoch keine Anstalten, in den Korridor hinter dem zerschossenen Schott einzudringen. Ich konnte zwar verstehen, daß sie ihre Haut nicht zu Markte tragen wollten, aber schließlich war die ROULETTE ihr Schiff. Folglich mußten sie selbst etwas tun, anstatt alles mir zu überlassen. »Wir gehen vor!« erklärte ich und winkte ihnen auffordernd zu. »Paaschuul bleibt neben mir! Ihr haltet euch links und rechts an den Wänden des Korridors! Es werden nur die Lähmstrahler eingesetzt, solange wir nicht gegen Automatwaffen oder Roboter kämpfen müssen!« Ich hakte den Handscheinwerfer, der am Gürtel meiner Kombination hing, los, leuchtete in den Korridor hinein und ging langsam voran, meine Lähmwaffe schußbereit in der rechten Hand. Paaschuul trottete neben mir her. Die beiden anderen Smyrter folgten uns halbherzig. Falls es zum Kampf kam, würden sie keine große Hilfe darstellen. Nach wenigen Minuten erreichten wir einen Spielsaal, an dessen Wänden sich Spielautomaten aneinanderreihten. Einige von ihnen brannten mit kleinen bläulichen Flammen, die übrigen waren dunkel und tot bis auf einen, in dem ein Raumkampfspiel lief. Vor diesem Automaten lag ein beleibter Celester. Ich bedeutete meinen Begleitern mit Handbewegungen, sich im Saal zu verteilen, dann kniete ich neben dem Celester nieder. Es überraschte mich nicht, als ich Gill Goodschaad erkannte. Er lebte noch, aber das Leben in ihm war nur eine Flamme, die kurz vor dem endgültigen Erlöschen noch einmal aufflackert. Aus Augen mit unnatürlich weiten Pupillen starrte er mich an. »Was ist hier passiert?« fragte ich ihn. »Gift!« flüsterte er mit blutleeren Lippen. »Voorndaner haben mir und anderen Gästen eine angeblich lebende Droge billig verkauft. Aber es war Gift.« Er keuchte rasselnd. »Es löst
Zerstörungswut aus und verbrennt die Gehirne.« Sein Gesicht verzog sich. Es sah aus, als lächelte er, doch dieser Eindruck täuschte. Die Gesichtszüge waren nur seiner Kontrolle entglitten, als er starb. Seine Augen brachen. Er atmete nicht mehr. »Was hat er gesagt?« rief Paaschuul. »Nichts«, erwiderte ich. »Jedenfalls nichts, was uns helfen könnte.« Was hätte ich anderes sagen sollen! Im Grunde waren die Betreiber des Spielhöllenschiffs an seinem Tode schuld. Sie hatten ihn unter Drogen gesetzt und ihn zum Spielen verführt. Als er versucht hatte, aus diesem Teufelskreis auszubrechen, war er offenbar noch stärker unter Drogen gesetzt worden. Natürlich hatte man ihn ausgeplündert, aber das erschien mir nur als vordergründiger Effekt. Im Grunde war es den Besitzern der ROULETTE darum gegangen, ihn moralisch zu vernichten. Sie hatten seinen körperlichen Tod dabei in Kauf genommen. Es war lediglich Zufall und eine Ironie des Schicksals, daß ihre Gegner ihnen zuvorgekommen waren. Für mich stand es jetzt fest, daß die Voorndaner einen Agententrupp eingeschleust hatten, die ein Chaos auf der ROULETTE anrichten und damit die lästige Konkurrenz ausschalten sollten. Doch konnte es nicht meine Aufgabe sein, die Smyrter darüber aufzuklären. Ich mußte mich vorerst damit begnügen, Sarah und die Richardsons aus dieser Auseinandersetzung herauszuhalten, bis ich mehr Informationen gesammelt hatte. Erneut mußte ich an Comerlat denken. Wahrscheinlich gehörte er zur Gruppe der voorndanischen Agenten. Aber daneben verfolgte er ganz andere Interessen. Er ist hinter dir her! flüsterte mein Extrasinn mir zu. Aber warum? dachte ich zurück. »Warum gehen wir nicht weiter?« fragte Paaschuul ungeduldig. Ich drückte dem toten Celester die Augen zu, dann richtete ich mich auf und musterte die drei Türen, die sich in den Wänden des Spielsaals befanden. »Mein Ziel ist immer noch die Sektion der Gelben Kuranneh«, sagte ich zu den Smyrtern. »Dann müssen wir dort entlang«, erklärte Paaschuul und ging zögernd auf eine der Türen zu. »Kommt mit!« wandte ich mich an die beiden anderen Raumfahrer und folgte ihm. Ich hatte mich wieder beruhigt. Es war sinnlos, mich verrückt zu machen. Was auf der ROULETTE vor sich ging, glich einem fünfdimensionalen Strategie-Spiel. Es gab dabei nicht nur einen einzigen möglichen Ansatzpunkt, von dem man ausgehen konnte, sondern stets mehrere, die gleichzeitig benutzt werden mußten – und jeder Weg konnte sich als Irrweg erweisen. * Bleib stehen! warnte mein Extrasinn. Ich gehorchte augenblicklich und erstarrte förmlich zur Salzsäule. Diese Reaktion hatte sich in mehr als zehntausend Jahren so »eingefahren«, daß sie einem Automatismus glich. Paaschuul und ich hatten soeben einen leeren Korridor betreten. Er war hell beleuchtet, so daß wir unsere Lampen nicht mehr benötigten – und es war still, fast unnatürlich still. Meine Augen musterten wachsam den Boden, die Wände und die Decke. Ich vermochte kein Anzeichen von Gefahr zu entdecken. Doch ich hatte zu oft erfahren, daß es besser war, auf die Warnungen meines Extrasinns zu hören, als daß ich mich ohne weiteres über sie hinwegsetzen würde.
Paaschuul ging noch einen Schritt weiter, bevor er merkte, daß ich stehengeblieben war und ebenfalls anhielt. Er sah mich fragend an. Im gleichen Augenblick gab es ein Geräusch wie von einer zerreißenden Violinensaite. Paaschuul verdrehte die Augen und sackte zusammen. Die beiden anderen Raumfahrer schrien auf und warfen sich zu Boden. Ich sah, daß für Paaschuul jede Hilfe zu spät kommen würde. Er war tot, bevor sein Körper den Boden berührte. Ich vertauschte die Lähmwaffe mit dem Impulsstrahler und zerschoß die getarnten Schwingungsprojektoren an der Decke, deren unsichtbare Hyperschallkegel Paaschuuls Gehirn zerstört hatten. Sie wirkten in Ruhe, als gehörten sie zu dem dekorativen Muster, das die gesamte Decke dieses Korridors bedeckte. Nur mein Extrasinn hatte sie an winzigsten Anzeichen als Fremdkörper erkennen können, sonst wäre ich jetzt ebenso tot wie der Smyrter. Es war eine teuflische Falle. Als ich sicher war, daß alle Schwingungsprojektoren zerstört waren, tauschte ich den Impulsstrahler wieder gegen die Lähmwaffe aus. »Kommt mit oder bleibt hier, ganz wie ihr wollt!« sagte ich zu den beiden Raumfahrern, die die ganze Zeit über am Boden gelegen und sich am liebsten in ihm verkrochen hätten. Als ich weiterging, blieben sie jedoch nicht zurück, sondern sprangen auf und folgten mir. Anscheinend hielten sie es für gefährlicher, allein zu bleiben als mich zu begleiten. Nach wenigen Minuten erreichten wir eine kleine Verteilerhalle, von der vier Korridore abgingen. Mindestens ein Dutzend schwerbewaffneter Raumfahrer standen dort. Es waren Smyrter wie meine Begleiter. »Wer bist du?« wandte sich einer von ihnen an mich. »Ubal Meesters, ein Celester und Gast dieses Schiffes«, antwortete ich. »Wieso bist du dann bewaffnet und trägst die Kombination eines Besatzungsmitglieds?« forschte der Smyrter weiter. Ich sah, daß einige Waffen auf mich gerichtet wurden. »Einer von euch hat mir die Ausrüstung gegeben«, erklärte ich. »Sein Name war Paaschuul. Leider starb er vor kurzem, als wir in eine Falle gerieten.« »Aber du hast überlebt«, stellte der Smyrter lauernd fest. Ich zuckte die Schultern. »Das war reiner Zufall.« Ich deutete auf meine Begleiter. »Frage sie! Sie waren auch dabei, und sie überlebten ebenfalls zufällig.« Der Smyrter wandte sich an meine Begleiter und redete in einer mir unbekannten Sprache auf sie ein, Smyrtisch wahrscheinlich. Sie antworteten in derselben Sprache. »Es ist gut«, sagte der Smyrter daraufhin zu mir auf Alkordisch. »Du kannst weitergehen, Ubal. Aber du mußt deine Waffen abgeben.« »Und wenn ich angegriffen werde?« erwiderte ich. »Ich muß zur Sektion der Gelben Kuranneh.« »Es ist gefährlicher für dich, bewaffnet herumzulaufen als unbewaffnet«, entgegnete er. »Ofox hat die gesamte Besatzung in Alarmzustand versetzt. Einer von ihnen könnte voreilig handeln, wenn ein Außenstehender plötzlich bewaffnet vor ihm auftaucht.« Ich sah ein, daß ich mit solchen Reaktionen rechnen mußte und übergab ihm widerstrebend meine Waffen. Die Kombination durfte ich anbehalten. »Ist Ofox der Kommandant dieses Schiffes?« erkundigte ich mich wie beiläufig. »Das ist richtig«, antwortete der Smyrter. »Dann muß ich ihn sprechen«, erklärte ich.
Der Smyrter lächelte ironisch. »Es tut mir leid, aber Ofox ist für keinen Besucher zu sprechen«, erwiderte er. »Du könntest dich höchstens an Krootoor wenden. Er ist der Geschäftsführer.« »Wo erreiche ich ihn?« wollte ich wissen. »Das weiß ich nicht«, behauptete der Smyrter. »Dann sage mir, wie ich zur Sektion der Gelben Kuranneh komme!« forderte ich. »Hier ist die Sektion der Gelben Kuranneh«, sagte der Smyrter zu meiner Überraschung. »Jeder Korridor, der von dieser Verteilerhalle abgeht, endet in einem Unterhaltungsraum dieser Sektion.« Vor Erleichterung wurde mir schwindelig. Endlich hatte ich es geschafft. Sarah befand sich ganz in der Nähe. Zudem schien es hier ziemlich ruhig zu sein. Die Ansammlung von bewaffneten Raumfahrern schreckte die Saboteure offenbar ab. »Ich suche vier andere Celester: eine Frau und drei Männer«, erklärte ich. »Sie sollen in dieser Sektion sein. Hast du eine Ahnung, in welchem Raum?« »Nein«, antwortete der Smyrter. Warum wendest du dich nicht an die Sensoren und Servos? meldete sich mein Logiksektor. Denkst du im Ernst, sie würden noch funktionieren? dachte ich zurück und ärgerte mich gleichzeitig darüber, daß ich es nicht wenigstens versucht hatte. »Wo ist Sarah Briggs?« fragte ich in die Luft hinein. »Du erwartest doch nicht etwa, die Sensoren und Servos würden noch arbeiten?« fragte mich der Smyrter verwundert. »Nach all dem, was passiert ist?« »Natürlich nicht«, erwiderte ich. Wütend eilte ich in den erstbesten Korridor hinein. Nach kurzer Zeit öffnete sich ein Schott vor mir. Ich blickte in eine künstliche Landschaft, die in düsterrotes Licht getaucht war. Ein unregelmäßig geformter Hügel aus graugrünem Plastikmaterial ragte genau vor meinen Füßen auf. Dahinter waren einzelne Bäume zu sehen, entweder ebenfalls aus Plastik oder Holoprojektionen. Am künstlichen Himmel leuchtete eine kleine dunkelrote Sonne, deren Oberfläche wirkte, als wäre sie von Schlacke überzogen. Von Besuchern war nichts zu entdecken. »Sarah?« rief ich. »Arien, Spooner, Volkert? Hier ist Ubal!« Niemand antwortete. Ich ging rechts um den Hügel herum. Nirgends waren Spielautomaten oder Besucher zu sehen. Aber das war auch keine Spielhalle. Wie hatte der Smyrter gesagt? Jeder Korridor endet in einem Unterhaltungsraum dieser Sektion. Welche Art von Unterhaltung war es, die hier geboten wurde – falls die betreffende Steuerung noch funktionierte? Ich hatte den Hügel umrundet und blickte zu den Bäumen. Zwischen ihnen wuchs kein Unterholz, sondern nur niedriges Gras. Aber ich konnte nicht weit sehen, da ihre Laubdächer das meiste Sonnenlicht vom Boden fernhielten. Wenn Sarah hier wäre, hätte sie dir geantwortet! wisperte mein Logiksektor, als ich auf die Schatten unter den Bäumen zuging. Und wenn sie nickt antworten kann? dachte ich zurück und erschauderte bei dem Gedanken, was ihr alles zugestoßen sein mochte. Ich tauchte in die Schatten ein und stockte, als ich wenige Schritte vor mir einen dunkleren Schatten sah, der sich im Unterschied zu den Schatten der Laubdächer nicht bewegte. Plötzliche Panik trieb mich vorwärts und ließ mich jede Vorsicht vergessen. Ich erkannte die Formen eines hominiden
Körpers, riß die Lampe aus der Halterung und schaltete, sie ein. Der Lichtkegel badete das bleiche Gesicht einer Frau. Ich atmete auf. Es war nicht Sarahs Gesicht, sondern das einer Fremden. Es hatte etwas Vogelartiges an sich, obwohl ich nirgends Federn sah. Die Augen waren groß, hellgrün und tot. Der Lichtkegel wanderte weiter und beleuchtete eine zweite Gestalt. Sie war so spärlich bekleidet wie die Frau und lag auf dem Bauch, die Beine unter sich gezogen und völlig reglos. Ich blickte mich suchend um, dann ging ich zu der zweiten Gestalt und drehte sie mit dem Fuß um. Es war ein Mann. Zwar gehörte er nicht derselben Spezies an wie die Frau, aber auch seine Körperformen waren hominid. Die Augen standen weit auseinander und setzten sich aus Tausenden winziger Facetten zusammen. Aus der Oberlippe wuchsen dünne, wurmhafte Tastorgane. Im übrigen war dieses Wesen ebenso tot wie die Frau. Ich überlegte, ob ich den ganzen künstlichen Wald durchsuchen sollte. Die Unterhaltung, die hier geboten wurde, war nichts für Sarah! stellte mein Extrasinn spöttisch fest. Erst da wurde mir klar, welcher Art die Unterhaltung in diesem Raum gewesen war. Es war so offenkundig, daß ich mich wunderte, es nicht sofort bemerkt zu haben. Erneut bückte ich mich zu der Frau und suchte nach Anzeichen eines gewaltsamen Todes. Es gab jedoch keine Verletzungen, nur ein wenig gelblicher Schaum in den Mundwinkeln. Was hatte der sterbende Celester gesagt? Voorndaner hatten Gift als angeblich belebende Droge verkauft. Diese Frau hier mußte ebenfalls daran gestorben sein, wie ihr Kunde und die übrigen Frauen und Männer auch, die ich hier wahrscheinlich finden würde, wenn ich weitersuchte. Diesmal verspürte ich Zorn auf die Agenten. Es war eine Sache, wenn sie gegen die Betreiber des Spielhöllenraumschiffs kämpften, aber eine ganz andere, wenn sie dabei skrupellos den Tod Unschuldiger herbeiführten. Das war kaltblütiger Mord. Ich richtete mich wieder auf, schaltete die Lampe aus und verließ den Raum. Niemand begegnete mir, als ich den Korridor zurückeilte. Aber in der Verteilerhalle standen noch immer die schwerbewaffneten Raumfahrer der ROULETTE. »Sie sind alle tot dort hinten«, sagte ich zu dem Smyrter, mit dem ich vorhin gesprochen hatte. »Warum kümmert ihr euch nicht um sie und versucht, ihre Mörder zu finden?« »Das ist nicht unsere Aufgabe«, erwiderte der Smyrter mürrisch. Ich winkte ab und eilte in den nächsten Korridor hinein. Es wäre sinnlos gewesen, mich mit den Raumfahrern streiten zu wollen. Sicher stimmte es, daß sie nur ihre Befehle ausführten – und ich durfte ihnen nicht übelnehmen, daß sie nicht mehr als das taten. Hinter dem nächsten Schott, das sich vor mir öffnete, lag eine Art Labyrinth. Es wirkte jedoch nicht unheimlich, sondern eher lächerlich, denn seine Wände bestanden aus einem Material, das billigstem Pappmache ähnelte und sich auch so anfühlte und obendrein dick mit gelben, grünen und roten Farbflecken beschmiert war. Welcher Unterhaltungseffekt sich dahinter verbarg, war mir schleierhaft. Auch hier rief ich nach Sarah und den Richardsons. Ich erwartete keine Antwort und verspürte kein Verlangen, tiefer in das Labyrinth einzudringen und womöglich weitere Leichen zu entdecken. Um so überraschter war ich, als sich in der Pappmachewand links von mir eine runde Öffnung bildete und eine heisere Stimme flüsterte:
»Stecke deine linke Hand hier herein, dann sage ich dir deine Zukunft voraus!« »Wer bist du?« erkundigte ich mich. »Das brauchst du nicht zu wissen«, flüsterte es zurück. »Stecke nur deine linke Hand hier herein! Aber vergiß nicht, eine rote Spielmarke zwischen die Finger zu nehmen!« »Spielmarke?« echote ich, dann fiel mir ein, daß Arien Richardson gleich nach der Ankunft einen Beutel roter, grüner und gelber Spielmarken gekauft hatte. Wir waren leider getrennt worden, bevor er sie hatte verteilen können. »Ich besitze keine.« Die Öffnung schloß sich kommentarlos. »Ich bin nicht daran interessiert, mir meine Zukunft voraussagen zu lassen«, erklärte ich grimmig und wollte mich zurückziehen. Das war jedoch leichter gedacht als getan. Inzwischen hatte sich das Labyrinth hinter mir nämlich verändert. Dort, wo eben noch ein Gang zum Schott gewesen war, befand sich plötzlich eine Wand. Rechts zweigte jedoch ein Gang ab. Ich wählte ihn, um zum Ausgangspunkt zurückzukommen, aber er führte nur immer tiefer in das Labyrinth hinein. Bald mußte ich mir eingestehen, daß ich mich gründlich verirrt hatte. Nachdem ich mich mehrmals um mich selbst gedreht hatte, war mir klar, daß ich nicht mehr wußte, in welche Richtung ich gehen mußte, um zum Schott zu kommen. »Kannst du mich hören, Wahrsager?« rief ich kleinlaut. »Ich höre dich!« erscholl es aus allen Richtungen gleichzeitig. »Dann hilf mir, aus diesem Labyrinth herauszukommen!« sagte ich. »Ich verspreche dir, daß ich mit Spielmarken zurückkommen werde.« »An Versprechungen bin ich nicht interessiert«, tönte es zurück. »Gib mir eine rote Spielmarke, dann sage ich dir deine Zukunft voraus!« »Aber ich kann dir keine Spielmarke geben, wenn ich sie nicht zuvor hole«, erklärte ich. »Und um sie holen zu können, muß ich erst einmal aus diesem Labyrinth herauskommen. Ist das so schwer ’ zu verstehen?« »Ich verstehe dich schon«, sagte die heisere Stimme. »Aber das ist dein Dilemma.« »Das ist ja einfach lächerlich!« brach es aus mir heraus. »Ich werde mich von einem PappmacheLabyrinth doch nicht ins Bockshorn jagen lassen!« Ich zog mein Kombimesser, ließ die Klinge herausschnappen, hob die Hand, stieß die Klinge in die Wand vor mir und riß sie von oben nach unten. Ratschend entstand ein zirka anderthalb Meter langer, fingerbreiter Spalt. Meine Finger krallten sich in die Ränder und zogen sie auseinander. »Euch werde ich’s zeigen!« schimpfte ich frustriert. Hinter den auseinander klaffenden Rändern der Pappmache-Wand schimmerte eine hellgraue metallische Struktur. Als ich mit dem Messer darauf einstach, rutschte die Klinge mit häßlichem Kreischen daran ab, ohne eine Spur zu hinterlassen. Hattest du wirklich gedacht, so leicht davonzukommen? spottete mein Extrasinn. Siedendheißer Zorn durchflutete mich. Ich war nahe daran, blindlings mit dem Messer auf die Wände ringsum einzustechen. Mühsam drängte ich diese irrationale Regung zurück. Plötzlich schämte ich mich. Meine Augen füllten sich mit wäßrigem Sekret. Ich fühlte mich erniedrigt. Rund zehn Jahrtausende hatten mir nicht genug geistige Reife verliehen, um mich daran zu hindern, mich gleich einem blutjungen Heißsporn aufzuführen. Unbewußt wischte ich die Messerklinge an meinem Hosenbein ab, ließ sie einrasten und schob das Messer in die Kleidung zurück. Fast eine ganze Minute lang stand ich schweratmend da und rang mit mir selbst. Ich spürte, daß ich um ein Haar das Kodewort Varnhagher-Ghynnst gedacht hätte und dazu die Absicht, meine Mission
abzubrechen. Das Schlimmste aber war, daß ich es nicht deshalb nicht getan hatte, weil ich mir meiner Verantwortung gegenüber dem Universum bewußt war, sondern nur deshalb, weil ich an Sarah Briggs gedacht hatte. Nur? wisperte mein Extrasinn. Meine Augen tränten starker. Nein, natürlich wollte ich meine Empfindungen für Sarah nicht abwerten. Sie war ein Teilchen im Strom der Evolution, der sich zu den Höhen des Guten aufschwingen oder in die Tiefen der Verderbnis abstürzen konnte, je nachdem, nach welcher Richtung sich die Waage neigte. Das Gute aber konnte nicht namenlos sein, sondern existierte nur in Form der Summe aller Teile, die wie Sarah Briggs seinen Keim in sich trugen. So wie ich, wie ich hoffte – und wie Perry Rhodan, der im Inneren Kreis der ewigen Auseinandersetzung die Aufgabe übernommen hatte, die Waage zugunsten der Kräfte von Ordnung und Harmonie zu beeinflussen. Nur hatte dieser Terraner es leichter, weil er nicht soviel grübelte wie ich. Sein Temperament war noch wie junger, brausender Wein, während ich uralt und abgeklärt war und deshalb anfälliger für philosophische Skrupel. Du machst dir selbst etwas vor! Diese Mahnung des Extrasinns brach den Bann. Ich lachte befreit auf, denn ich begriff mit einemmal, was mit mir los gewesen war. Ich hatte mich selbst einer Art Gehirnwäsche unterzogen, um meine Motivationen, die von den kleinen Begebenheiten der Gegenwart unter den Teppich gekehrt worden waren, wieder an die Oberfläche zu spülen. Es ist viel leichter, sich für den Weg des Guten zu entscheiden als immer wieder die einzelnen Stufen zu bewältigen, die zu ihm hinaufführen! Das eine erzeugt einen hellen Glanz, in dem man sich gern badet, das andere bedeutet Mühsal, Blut, Schweiß, Tränen und einen ständigen Neubeginn. Ich wurde ganz ruhig. Dann ging ich systematisch daran, nach dem Weg aus dem Labyrinth zu suchen. Eine halbe Stunden später war ich draußen…
6. Ich wünschte, ich wäre im Labyrinth geblieben. Ringsum krachte es. Der Boden bebte unter den Erschütterungen von Explosionen. Dazwischen knatterten die Entladungen von Strahlwaffen. Schreie gellten. Während ich im Labyrinth umhergeirrt war, hatte sich die Lage dramatisch zugespitzt. Dennoch erkannte ich das wahre Ausmaß der Gefahr erst, als ich den Unterhaltungsraum verließ. Auf dem Korridor standen zwei Besatzungsmitglieder der ROULETTE. Als ich sah, was sich in ihren Augen abspielte, als sie mich entdeckten, begriff ich, welche Befehle sie hatten. Sie zögerten nur zulange, danach zu handeln, sonst hätte ich keine Chance mehr gehabt. Ich war bei ihnen, bevor sie ihre Impulswaffen ganz angehoben hatten. Zwei Dagorgriffe lähmten sie. Ihre Waffen entglitten den gefühllos gewordenen Fingern. Ich fing sie auf, schob eine davon in ein Gürtelhalfter, überprüfte die Ladung der anderen und nahm den beiden Smyrtern die Energiemagazine ab, die sie in den Gürteltaschen trugen. Danach eilte ich weiter. Ich mußte Sarah und die Richardsons finden! In der Verteilerhalle stand ein einzelner Smyrter. Er wirkte trotz seiner Bewaffnung mit einem Impulsnadelgewehr verloren – und genauso reagierte er auch, als er mich erblickte. Ich schoß ihm das Gewehr aus den Händen. Er lief schreiend davon. In dem -Korridor, den er sich für seine Flucht ausgesucht hatte, tauchten zwei Spinnenroboter auf. Sie schossen sofort. Glücklicherweise benutzten sie nur Lähmwaffen. Ich hörte den Körper auf den Boden prallen, während ich mich zur Seite warf. Danach rollte ich mich in die Halle zurück und feuerte aus der Bewegung auf die Maschinen. Glühende Linien entstanden auf ihren Rümpfen; ihre Beine zuckten unkontrolliert. Einer von ihnen gab einen letzten Schuß ab. Ich hörte das furchterregende Singen des Lähmstrahls, dann fühlte sich mein Rücken an, als wäre er mit flüssiger Luft geduscht worden. Im ersten Moment fürchtete ich, mich nicht mehr bewegen zu können. Doch dann merkte ich, daß ich über den Boden kroch. Offenbar war der Lähmstrahl nur dicht über meinen Rücken gefahren, ohne mich direkt zu treffen. Ich bewegte mich automatenhaft weiter. Mein Verstand arbeitete jedoch völlig klar. Ich wußte, daß ich irgendwie in Bewegung bleiben mußte, bis die Wirkung der Streuung auf mein Rückenmark abgeklungen war. Außerdem mußte ich die Mündungen von zwei Korridoren im Auge behalten, um nicht von Robotern oder Smyrtern überrascht zu werden. Doch es waren weder Roboter noch Smyrter, die Sekunden später in einem der beiden Korridore auftauchten. Ich erkannte die beiden Thater Cuur-Tok und Cuur-Bamyl, die mit uns im Zubringer geflogen waren. Bei ihnen waren drei andere Thater. Sie alle schienen auf der Flucht zu sein, denn sie schossen pausenlos mit Strahlwaffen in die Gegend, aus der sie gekommen waren. Als hinter ihnen zwei Roboter auftauchten, brach die Hölle los. Die Thater feuerten zu unkonzentriert, um die »Achillesfersen« der Roboter sofort zu treffen und sie außer Gefecht zu setzen. Deshalb konnten die Spinnenroboter ihr gesamtes Waffenarsenal einsetzen. Ein Thater verwandelte sich in eine glühende Gaswolke, ein anderer stürzte stocksteif zu Boden. Cuur-Tok brüllte vor Schmerz, als ein Impulsstrahl aus meiner Waffe nur wenige Zentimeter an ihm vorbeifuhr und dann in einen Spinnenroboter einschlug. Im nächsten Moment sang ein Lähmstrahl dicht über meine rechte Schulter. Die Finger meiner rechten Hand streckten sich und wurden steif; die Waffe entglitt ihnen. Ich versuchte, sie mit der Unken Hand zu ergreifen, doch da knickte mir der rechte Arm unter der gelähmten Schulter weg. Ich rollte hilflos auf die Seite. Wie in einem wildbewegten Kaleidoskop sah ich, daß auch der zweite Spinnenroboter von einem Energiestrahl ausgeschaltet wurde. Doch es war kein Thater, der den Schuß abgegeben hatte,
sondern ein Voorndaner. Comerlat! Der Kerl trug doch tatsächlich sein Handgepäck noch bei sich. Er hatte es unter den linken Arm geklemmt, während die rechte Hand einen kleinen Impulsstrahler hielt. Er rief den Thatern etwas zu und deutete dabei auf mich. Ich verstand ihn, wenn ich auch seine Worte nicht richtig hörte. Er wollte mich haben. Doch im Eifer des Gefechts waren die Thater nicht fähig, das zu begreifen. Sie wußten schließlich nicht das, was ich mir zusammengereimt hatte. Cuur-Bamyl schoß mit einem Lähmstrahler und traf Comerlats Füße. Sie blieben einfach stehen, während sein Körper sich weiter vorwärts bewegte. Der Voorndaner fiel praktisch über seine Füße. Sein Schädel prallte so hart auf den Boden, daß er eigentlich sofort besinnungslos werden mußte. Dennoch schrie er noch etwas, bevor er erschlaffte. Es hörte sich wie »Kuzz« an, aber wahrscheinlich war es nur ein Fragment des Wortes, das er hatte sagen wollen. Vor meinen Augen wallten schwarze Nebel. Ich spürte, daß ich von fremden Händen gepackt und fortgeschleift wurde und versuchte, dagegen zu protestieren. Es half mir nichts. Wahrscheinlich vermochte ich mich auch nicht verständlich zu machen. Woher hätten die Thater auch wissen sollen, daß mir meine Sicherheit weniger bedeutete als das Schicksal Sarahs! Dennoch taten sie, im Nachhinein betrachtet, das einzig Richtige, denn in meinem Zustand hätte ich Sarah nichts nützen können, sondern wäre wahrscheinlich ein wehrloses Opfer der nächsten Smyrter oder Spinnenroboter geworden. Als sie mich fortschleiften, dachte ich jedoch anders darüber. Ich verwünschte meine Hilflosigkeit und versuchte, meinen Körper wieder unter Kontrolle zu bekommen. Es nützte mir nichts. Ich spürte noch, wie ich fallen gelassen wurde, dann brandete eine Schmerzwelle über mich hinweg und mein Bewußtsein stürzte in einen unendlich tiefen dunklen Schacht… * Etwas katapultierte mich aus der Finsternis in die Ebene des bewußten Daseins. Ich stürzte schwer auf etwas, spürte aber so gut wie keinen Schmerz. Dafür erntete ich ein zorniges Brüllen, das mir fast die Trommelfelle zerriß. Im nächsten Moment wurde ich in die entgegengesetzte Richtung geschleudert. »Wumm!« Das Krachen rührte nicht von meinem Aufschlag her. Dennoch erschütterte es mich so stark, daß ich jede einzelne Zahnwurzel zu spüren glaubte. Seltsamerweise blieben mein Rücken und meine rechte Schulter davon verschont. Ich wunderte mich darüber, bis ich mich daran erinnerte, daß sie gelähmt beziehungsweise teilweise gelähmt waren. Die Erschütterungen ließen nach. Trübrote Helligkeit glomm auf. In ihr entdeckte ich einen dunkelgrauen, fast schwarzen Kugelkopf mit einem halboffenen Mund, der mich an ein Mahlwerk erinnerte. Im ersten Moment glaubte ich, einen Haluter vor mir zu haben, bis mir wieder einfiel, unter was für Lebewesen ich geraten war. Thater sahen auf den ersten Blick Halutern verblüffend ähnlich, aber sie waren nicht mit ihnen verwandt. Sie hatten nur zwei Arme, zwei Augen und ein einziges Gehirn. An körperlicher Größe und Stärke übertrafen sie zwar jeden normalen Menschen, aber gegen echte Haluter hätten sie zweifellos zierlich gewirkt.
Ein echter Haluter hätte wahrscheinlich auch nicht gewimmert, wie der Thater, dessen Kopf sich vor meinem Gesicht befand. Er hatte allerdings Grund dazu. Die Verbrennungen seiner Gesichtshaut waren scheußlich. Er schien nicht der einzige Verletzte in meiner Nähe zu sein. Ich hörte außer seinem Wimmern Stöhnen und Fluchen. War ich etwa in einem Lazarett gelandet? Du bist in einem Raumschiff! teilte mir mein Extrasinn mit. Sehr schlau! dachte ich ironisch zurück. Die ROULETTE ist ein Raumschiff. Aber das ist nicht die ROULETTE. Diese Feststellung riß mich aus meiner Lethargie, die zweifellos eine Folge der partiellen Lähmung gewesen war. Ich tastete mit den Füßen nach einem Halt und drehte den Kopf. In meiner näheren Umgebung lagen mehrere Thater. Ihre schwerfälligen’ Bewegungen, ihr Wimmern, Stöhnen und Fluchen sowie der eigentümliche Geruch, der von ihnen ausging, verrieten mir, daß sie schwerverwundet waren. Genaueres ließ sich aber wegen der unzureichenden Beleuchtung nicht erkennen. Ein Stück weiter weg erblickte ich die Rückenlehnen zweier Kontursessel. Auf den Seitenlehnen der Sessel bewegten sich Arme, die in den Ärmeln schwarzer Kombinationen steckten. Weiter vorn leuchteten Kontrollichter. Über den Sesseln gab es eine nach oben gewölbte transparente Fläche. Über sie huschten in schneller Folge Lichtpunkte, zwischen denen ab und zu ein kleiner rotleuchtender Ball auftauchte. Littoni! durchfuhr es mich. Der rotleuchtende Ball muß die Sonne Littoni sein. Dann stellen die Lichtpunkte weit entfernte Sterne oder Planeten dar. Ich befand mich also tatsächlich in einem Raumschiff – und zwar offenkundig nicht in der ROULETTE, sondern in einer Art Beiboot, das sich zudem ziemlich schnell überschlug, wie mir die draußen vorüberhuschenden Lichtpunkte verrieten. Aber wie kam ich von der ROULETTE in ein Beiboot? Durch einen Transmitter! verriet mir der Extrasinn. Die Thater sind durch einen Transmitter von der ROULETTE in ihr wartendes Beiboot geflohen. Es muß einen ziemlich schweren Treffer erhalten haben, wenn es sich überschlägt! dachte ich zurück. Danach ist es aber anscheinend entkommen. Eine völlig neutrale Stimme sagte etwas: eine Computerstimme. Ich verstand es nicht. Anscheinend aber hatte sie ein Manöver angekündigt, denn gleich darauf hörte ich dumpfes Dröhnen und sah, daß sich die Bewegung der Lichtpunkte jenseits des transparenten Kanzeldachs veränderte. Sie verlangsamte sich, schlug nach der entgegengesetzten Richtung und kam zum Stillstand. Dann ergoß sich eine grelle Lichtfülle ins Beiboot. In unmittelbarer Nähe mußte ein nuklearer Sprengkopf, ähnlich einer Transformbombe, explodiert sein. Das konnte das Ende bedeuten. Schlagartig wurde es dunkel. Es gab jedoch keine Erschütterung. Ich begriff, daß das Beiboot im letzten Moment vor dem expandierenden Glutball in den Hyperraum entkommen war. Damit warf sich eine neue Frage auf. »Wohin fliegen wir?« erkundigte ich mich in der Einheitssprache Alkordooms. Einer der Kontursessel schwenkte herum, und ich sah in Cuur-Bamyls dunkles Gesicht. »Nicht weit, Celester«, antwortete der Thater. »Bleib, wo du bist!« »Warum habt ihr mich eigentlich mitgenommen?« fragte ich. Doch da hatte sich Cuur-Bamyl wieder mit seinem Sessel in die alte Stellung zurückgeschwenkt. Er schien vollauf mit dem nächsten Flugmanöver beschäftigt zu sein, deshalb fragte ich nicht weiter.
Außerdem war ich beruhigt darüber, daß wir uns nicht weit von der ROULETTE entfernen würden. Nicht weit! echote der Logiksektor. Als ob die Entfernung eine Rolle spielte! Sie können so oder so nicht zurückkehren. Die Smyrter würden das Beiboot abschießen. Schließlich haben sie das schon mindestens zweimal versucht. Mir genügt es, wenn sie auf Voorndan landen! gab ich zurück. Und du bildest dir ein, von Voorndan einfach wieder zur ROULETTE fliegen zu können, nachdem du dort gegen ihre Besatzung und ihre Roboter gekämpft hast? Diese Entgegnung hätte mich frustrieren müssen. Aber das tat sie nicht. Ich wußte, daß ich wieder auf die ROULETTE zurückkehren würde. Ich mußte es, denn Sarah befand sich noch dort. Abermals sagte die Computerstimme etwas. Kurz darauf fiel das Beiboot in den Normalraum zurück. Schräg hinter ihr flammte an Backbord ein Höllenofen: die rote Sonne Littoni. Das Beiboot vibrierte. An der relativen Bewegung Littonis erkannte ich, daß wir abbremsten und uns danach der Sonne näherten. Das konnte nur eines bedeuten: Im Ortungsschutz Littonis wartete das Mutterschiff des Beiboots. Immer näher kamen wir dem wabernden roten Gasball. Die Granulation der Photosphäre glich der Oberfläche kochenden Stahles. Dunkle Abgründe taten sich darin auf; kleinere Fackeln tanzten darüber hin. Dazwischen pulsierten schlackenbedeckte Adern. Der Anflug auf eine Sonne war immer atemberaubend. Ich blieb jedoch ruhig dabei, denn ich hatte schon Anflüge auf erheblich aktivere Sterne mitgemacht. Als es rings um das Beiboot flackerte, wußte ich, daß wir in die sonnennahe Korona eingeflogen waren. Vor dem Hintergrund der Sonnenoberfläche war ihr Streulicht für das menschliche Auge nicht zu sehen. Sie manifestierte sich nur dann optisch am Schutzschirm, wenn ihre von Stoßwellen beschleunigten Elektronen mit ihm in größerer Zahl zusammenstießen. Durch die Übergangszone zur Chromosphäre flogen wir ziemlich schnell hindurch, danach bremste das Boot mit Maximalwerten ab, um sich wenig später dem Zugstrahl des noch unsichtbaren Mutterschiffs anzuvertrauen, das irgendwo vor beziehungsweise unter uns innerhalb der Chromosphäre kreiste. Ich bekam es erst zu sehen, als das Beiboot nur noch wenige hundert Meter von dem offenen Schleusenhangar entfernt war. Es handelte sich um ein riesiges Kugelschiff. Mehr vermochte ich nicht zu erkennen, denn Sekunden später befand sich das Boot im Hangar und wurde von den Ankerfeldern aufgefangen. Doch was ich gesehen hatte, genügte mir. Soviel mir bisher bekannt war, bauten die Thater keine Kugelschiffe, schon gar nicht dermaßen große. Bei dem Mutterschiff konnte es sich demnach nur um ein Raumschiff der Crynn-Brigade Zulgeas von Mesanthor handeln. War das der Grund, weshalb die Thater mich mitgenommen hatten? Unwahrscheinlich! erklärte der Logiksektor. Dann müßten sie wissen, wer du bist. Cuur-Bamyl aber hat dich einen Celester genannt. In den nächsten Minuten bekam ich keine Gelegenheit, mehr herauszufinden. Die Schleusen des Beiboots öffneten sich, Roboter kletterten herein und bargen die Verwundeten. Sie hätten sich trotz meines Protests auch um mich gekümmert, aber Cuur-Bamyl verbot ihnen, mich anzurühren. Er winkte mir zu, ihm und seinem Kollegen zu folgen, in dem ich Cuur-Tok erkannte. Nach kurzer Aufwärtsfahrt in einem Antigravlift betraten wir die Zentrale. Fünf andere Thater saßen dort hinter Kontrollpulten, ein sechster erwartete uns stehend. »Ubal Meesters«, stellte Cuur-Bamyl mich ihm vor, dann deutete er auf ihn. »Colo.« Ich wunderte mich über den Kurznamen, bis mir einfiel, daß die Angehörigen der Crynn-Brigade sich den Beinamen »Cuur« erst dann zulegen durften, wenn sie sich im Einsatz bewährt hatten.
Colo mußte demnach ein noch junger Thater sein, der der Crynn-Brigade noch nicht lange angehörte. »Ihr mußtet fliehen?« erkundigte sich Colo im Tonfall einer Feststellung. »Unsinn!« widersprach Cuur-Bamyl heftig. »Es handelte sich nur um einen taktischen Rückzug. Die Smyrter haben unsere Rolle nicht durchschaut. Sie halten Ubal und vier andere Celester für die Saboteure, die überall auf der ROULETTE Bombenattentate verübt und als Drogen getarntes tödliches Gift verbreitet haben.« »Wie dumm von ihnen!« rief Colo und sah mich mißbilligend an. »Warum habt ihr das getan?« »Sie waren es gar nicht«, erklärte Cuur-Tok. »In Wirklichkeit waren Agenten von Voorndan dafür verantwortlich. Sie haben den Verdacht nur auf die Celester gelenkt, um selber ungestört operieren zu können.« »So war das also«, erwiderte Colo. »Aber dann verstehe ich nicht, warum ihr euch aus der ROULETTE zurückgezogen habt.« »Weil wir Ubal retten wollten«, sagte Cuur-Bamyl. Ich schüttelte verständnislos den Kopf. Natürlich hatten die Thater mich im Endeffekt gerettet, aber ich wäre wahrscheinlich gar nicht in eine so schlimme Lage geraten, wenn sie sich nicht eingemischt hätten. »Einen Celester?« fragte Colo geringschätzig. »Was habt ihr davon, daß ihr einen Celester gerettet habt?« »Das wissen wir noch nicht«, antwortete Cuur-Tok. »Wir wissen nur, daß einer der Voorndaner Ubal für so wichtig hielt, daß er mit uns gemeinsame Sache machte und sogar riskierte, daß die Smyrter seine Rolle und die seiner Kumpane durchschauten. Ganz abgesehen davon, daß auch Krootoor, der Geschäftsführer der ROULETTE, diesen Celester in seine Gewalt bekommen möchte. Er hat seine Geliebte als Geisel genommen, um Ubal zu zwingen, sich ihm zu ergeben.« »Was?« rief ich entsetzt. »Sarah als Geisel? Und ihr verschleppt mich, so daß ich sie nicht befreien kann! Aber einmal davon abgesehen, sie ist nicht meine Geliebte. Ich verbitte mir solche Unterstellungen.« Das quittierten die drei Thater allerdings nur mit höhnischem Gelächter. Das hast du davon, daß du etwas abstreitest, was offensichtlich ist! spottete mein Logiksektor. Du weißt genau, daß ich nichts mit Sarah gehabt habe! dachte ich wütend zurück. Noch nicht. Aber darauf kommt es nicht an. Tatsache ist, daß du es willst: Und sie will es auch. Natürlich bildet ihr euch ein, niemand würde es merken. Aber Verliebte verraten sich mit jedem Wort und mit jeder Geste und vor allem mit jedem Blick. Na, und! dachte ich resignierend. Das ist ja wohl unsere Sache. »Wie geht es nun weiter?« sagte ich laut. »Das frage ich mich auch«, erklärte Colo. »Unser Auftrag lautet, die ROULETTE in unsere Gewalt zu bekommen. Da euch das mißlungen ist, werden wir wohl oder übel Verstärkung von Crynn anfordern müssen.« »Nein!« widersprach Cuur-Bamyl heftig. »Wir brauchen keine Verstärkung. Cuur-Tok und ich können die Mission allein zu Ende bringen. Wir brauchen nur eine neue Tarnung, dann fliegen wir wieder nach Voorndan und lassen uns von einem Zubringerboot zur ROULETTE bringen. Ubal aber wird hier bleiben. Er ist der Trumpf in unserem Ärmel, auf den wir notfalls zurückgreifen können.« »Ihr geht damit ein großes Risiko ein!« warnte Colo. »Außerdem, was sollen wir nach Crynn
berichten? Zumindest ein Zwischenbericht ist überfällig.« »Das laß unsere Sorge sein!« sagte Cuur-Tok. »Ich werde den Bericht nach Crynn absetzen.« Er ging zum Halbrund der Funkapparaturen, setzte sich vor einen Datensichtschirm und ließ seine Finger über die Tastatur einer Eingabekonsole huschen. Ich beobachtete ihn verstohlen, aber genau, denn sein und Cuur-Bamyls Verhalten erschien mir reichlich widersprüchlich. Sie waren überstürzt von der ROULETTE geflohen und hatten anscheinend vor, ebenso überstürzt wieder auf das Spielhöllenraumschiff zurückzukehren. Vielleicht glaubten sie wirklich, mit mir einen Trumpf im Ärmel zu haben, weil Krootoor mich in seine Gewalt bekommen wollte. Doch sie konnten nicht im Ernst annehmen, Krootoor würde sich damit unter Druck setzen lassen. Cuur-Tok legte eine Pause ein. Ich sah, daß sein Unker Arm, den er an seine Körperseite preßte, heftig zitterte. Im ersten Moment dachte ich an eine Nachwirkung meines Strahlenschusses, der ihn fast gestreift und zu einem Schmerzensschrei bewogen hatte. Doch dann sah ich, daß seine Kombination auf der rechten Seite angesengt war. Mir fiel es wie Schuppen von den Augen. Cuur-Tok und Cuur-Bamyl ging es längst nicht mehr darum, die ROULETTE in ihre Gewalt zu bekommen. Sie hatten ihre Rolle als vergnügungssüchtige Touristen zu perfekt gespielt und waren der Spielleidenschaft und dem Drogenmißbrauch verfallen. Ihre Mission war ihnen völlig gleichgültig geworden. Es ging ihnen nur noch darum, so schnell wie möglich auf die ROULETTE zurückzukehren und sich wieder in den Rausch der Glücksspiele, der Drogen und der anderen »Vergnügungen« zu stürzen. Das hätte mir egal sein können, aber wenn es stimmte, daß Krootoor Sarah als Geisel genommen hatte, würde die Handlungsweise der beiden Thater sie in größte Gefahr bringen. Ich mußte selbst auf die ROULETTE zurück und mich notfalls ihrem Geschäftsführer stellen. »Ihr müßt mich mitnehmen!« forderte ich, als ich sah, daß Cuur-Tok die Formulierung des Zwischenberichts beendet und auf SENDEN geschaltet hatte. »Nein, du bleibst hier!« erklärte Colo. Ich fuhr überrascht zu ihm herum und sah, daß er eine Strahlwaffe auf mich gerichtet hatte. Dabei war ich der Auffassung gewesen, daß er die Handlungsweise seiner Kumpane ebenso beurteilte wie ich. »Es ist gut, daß du uns hilfst, Colo«, sagte Cuur-Bamyl. »Sperr ihn ein! Er darf auf keinen Fall mit uns zur ROULETTE zurückfliegen, denn seine Anwesenheit würde uns nur stören.« Ich besaß keine Waffe mehr, deshalb wollte ich versuchen, Colo durch Argumente umzustimmen. Aber bevor ich ein Wort herausbringen konnte, drückte er ab. Der Lähmstrahl traf mich voll. Hilflos ging ich zu Boden. Meine Gedanken eilten zu Sarah, während ich von einem Roboter fortgeschleppt und in eine Kabine gesperrt wurde. Was würde Krootoor mit Sarah tun, wenn seine Forderung nicht erfüllt wurde? Das Gesicht des sterbenden Gill Goodschaad tauchte vor meinem geistigen Auge auf. Die Smyrter hatten sein Leben mit Drogen zerstört, um ihn auszuplündern. Sie würden auch nicht davor zurückschrecken, Sarah drogenabhängig zu machen, wenn sie sich davon einen Vorteil versprachen. Ich mußte auf die ROULETTE zurück. Du kannst gar nichts tun – in deinem Zustand! wisperte mein Extrasinn.
7. Ich hatte mir den Kopf zermartert und immer wieder versucht, mich gegen die Lähmung zu wehren. Mein Körper war schweißgebadet, aber das war auch alles, was ich erreicht hatte. Als sich das Schott der Kabine öffnete, in der ich lag und Colo auf mich zukam, glaubte ich, daß er sich an meinen Qualen weiden wollte. Statt dessen drückte er mir die Hochdruckdrüse einer Injektionsspritze gegen den Nacken, und Sekunden später spürte ich das peinigende Kribbeln, mit dem sich die Lösung der Paralyse anzukündigen pflegte. »Cuur-Tok und Cuur-Bamyl sind Narren«, sagte Colo. »Sie bilden sich ein, sie könnten den führenden Smyrtern der ROULETTE Paroli bieten, indem sie dich als ihren Trumpf ausspielen. Das wird nicht funktionieren.« »Genau das wollte ich dir erklären«, sagte ich mühsam, denn meine Zunge und die Stimmbänder gehorchten mir noch nicht richtig. »Aber du hast mich gelähmt, ohne mich anzuhören.« »Ich habe dich gelähmt, damit Cuur-Tok und Cuur-Bamyl deine Argumente nicht hören konnten«, erwiderte Colo und half mir auf die Beine. »Sie sind nicht zurechnungsfähig und hätten dich vielleicht in einer Kurzschlußhandlung umgebracht.« »Und das hätte dir etwas ausgemacht?« erkundigte ich mich ironisch. »Normalerweise nicht«, gab der Thater unumwunden zu. »Aber sie hätten mich vielleicht ebenfalls ausgeschaltet. Zumindest aber hätten sie dafür gesorgt, daß ich nicht eigene Pläne verfolge.« »Und was sind das für Pläne?« fragte ich. »Ich werde die ROULETTE in meine Gewalt bringen«, erklärte der Thater. »Du wirst mir dabei helfen.« Er sah mich durchdringend an. »Mir kannst du nichts vormachen. Du bist kein gewöhnlicher Celester. Ich weiß nicht, warum Krootoor dich haben will, und es interessiert mich auch nicht. Aber ich denke, daß du ihm zumindest ebenbürtig bist. Du hast, im Unterschied zu meinen Gefährten, auf der ROULETTE einen klaren Kopf behalten und bist weder der Spielleidenschaft noch der Rauschgiftsucht erlegen. Mit dir als Verbündetem wird es mir gelingen, meinen Plan auszuführen.« Ich lehnte mich gegen eine Wand, denn die Lähmung hatte mich stark geschwächt, und die Nebenwirkungen der Injektion griffen meine Kraftreserven noch mehr an. »Ich habe zwei Roboter präparieren lassen, so daß sie äußerlich wie Celester aussehen«, fuhr Colo fort. »Traunich und Schauviel fliegen mit einem Beiboot nach Voorndan und werden sich dort von einem Zubringer der ROULETTE aufnehmen lassen. Du kannst mit ihnen gehen, wenn du bereit bist, einige Bedingungen zu erfüllen.« »Was sind das für Bedingungen?« erkundigte ich mich, während ich mir alles durch den Kopf gehen ließ, was Colo gesagt hatte. Er war nahe daran, mich zu durchschauen und er hätte zweifellos meine wahre Identität inzwischen erraten, wenn er über die Vorgänge um »einen psionisch begabten Celester« informiert gewesen wäre. Doch davon wußte er offenkundig nichts. Außerdem würde er kaum in dieser Richtung Nachforschungen anstellen, denn seine Pläne waren ganz anderer Natur. Er wollte das ausbügeln, was Cuur-Tok und Cuur-Bamyl vermasselt hatten – und zwar so, daß ihm eindeutig das Verdienst zufiel und er das Ehrensymbol eines’ Doppelnamens zugesprochen erhielt. Die Namen, die er seinen beiden Robotern gegeben hatte, verrieten mir, welchen Auftrag sie ausführen sollten. Er bestand zweifellos darin, Informationen über die Verhältnisse auf der ROULETTE zu sammeln – und zwar nicht die an der Oberfläche liegenden Informationen, sondern die, die sich dahinter verbargen. Ich war gespannt, welche Rolle er mir dabei zugedacht hatte. »Du mußt dich Krootoor stellen«, beantwortete Colo meine entsprechende Frage.
»Was?« rief ich überrascht. Geh darauf ein! mahnte mein Logiksektor. Du mußt dich ja nicht daran halten. Hauptsache ist, daß du auf die ROULETTE kommst, denn nur dort hast du eine Chance, Sarah zu befreien. »Du mußt dich Krootoor stellen«, wiederholte der Thater. »Aber was hättest du davon?« fragte ich. »Das ist ganz einfach«, erklärte Colo. »Da Krootoor so an dir interessiert ist, wird er mit dir beschäftigt sein und sich weniger um meine Roboter kümmern.« Das ist zu vordergründig! teilte mein Logiksektor mir mit. Er bezweckt noch etwas anderes damit, das er dir verschweigt. Dieser Gedanke war mir ebenfalls gekommen – und ich ahnte sogar, was Colo in Wahrheit bezweckte. Aber ich versuchte, nicht daran zu denken, um meinen Extrasinn im Ungewissen zu lassen. »Es gefällt mir nicht, daß ich mich Krootoor ausliefern soll«, erwiderte ich. »Das kann ich mir denken«, gab Colo zurück. »Aber es wird nur für eine kurze Zeit sein. Sobald Traunich und Schauviel ihre Hauptaufgabe erfüllt haben, werden sie dich und Sarah Briggs befreien.« Vielleicht würden sie das wirklich tun, überlegte ich. Es war nur nicht sicher, ob sie ihre Hauptaufgabe auch wirklich erfüllen konnten. Doch im Grunde genommen waren solche Überlegungen in meiner Lage fruchtlos. Ich hatte gar keine Wahl, wenn ich Sarah helfen wollte. »Ich bin einverstanden«, erklärte ich. Endlich! raunte mir mein Extrasinn zu. Ich dachte schon, du würdest starrköpfig bleiben. Das tue ich allerdings! dachte ich zurück. Jedenfalls, was meinen Grundsatz betrifft, daß mein Wort überall und in jeder Situation gilt. »In Ordnung«, sagte Colo. »Ich hoffe, du weißt, daß es in deinem Interesse liegt, die robotische Natur von Traunich und Schau viel vor den Smyrtern geheimzuhalten?« »Allerdings«, erwiderte ich. »Von mir wird niemand erfahren, was es mit den beiden ›Celestern‹ auf sich hat. Auf Voorndan sollten sich unsere Wege allerdings vorübergehend trennen. Wir dürfen nicht zusammen beim Zubringerboot der ROULETTE auftauchen, damit die Smyrter Traunich und Schauviel nicht mit mir in Verbindung bringen.« »Sie wurden entsprechend instruiert«, erklärte der Thater. Er hatte wirklich an alles gedacht – oder doch an fast alles. Aber woher hätte er wissen sollen, daß ich inzwischen den Entschluß gefaßt hatte, die ROULETTE weder in den Händen der Smyrter noch in den Händen der Thater zu lassen. Nachdem ich wußte, daß dieses Spielhöllenschiff fast alle intelligenten Wesen zu korrumpieren vermochte, war mir klar, daß seine Existenz eine Bedrohung der Völker von Alkordoom darstellte, egal, ob Gentile Kaz oder Zulgea von Mesanthor sie als Werkzeug benutzten. * »Traunich und Schauviel«, sagte Colo und deutete auf die beiden »Celester«, die uns im Hangar des Beiboots erwartet hatten. »Das ist erstaunlich«, sagte ich.
Ich meinte es ehrlich. Hätte der Thater mir nicht verraten, daß es sich um Roboter handelte, ich wäre nicht auf den Gedanken gekommen, die beiden »Celester« könnten nicht echt sein. Größe, Statur und die Farbe von Haut und Haar waren die von durchschnittlichen Celestern. Sogar der Zuschnitt der Gesichter wirkte echt. Er enthielt klare Merkmale des polynesiden Typs. Colo mußte die Celester gründlich studiert haben. Aber das konnte er wahrscheinlich mit Hilfe von InfoSpeichern erreicht haben. Er freute sich sichtlich über meine Anerkennung. »Niemand wird sie durchschauen«, sagte er eifrig. Es sei denn, sie machen den Mund auf! spottete der Extrasinn. Dadurch hat sich schon so mancher verraten. »Der Wille des Herrn ist unerforschlich«, sagte ich, an die beiden »Celester« gewandt. »Aber seine Liebe überwindet Haß und Teufelswerk«, erwiderte Schauviel salbungsvoll. »Donnerwetter!« entfuhr es mir. Colo strahlte. »Das hattest du nicht gedacht, Ubal!« frohlockte er. »Roboter mit der Mentalität von Puritanern!« staunte ich. Es ist alles nur Tünche! warnte der Logiksektor. In Wirklichkeit handeln sie nur im Sinn der Hexe – und Zulgea ist alles andere als eine Puritanerin. Überflüssig! dachte ich verärgert zurück. Laut sagte ich zu Colo: »Sie sind wirklich perfekt. Ich bin bereit. Die Sache fängt allmählich an, mich zu reizen.« »Das wußte ich«, erklärte der Thater. »Ich wünsche euch viel Erfolg.« »Der Herr wird mit uns sein«, versicherte Traunich und stieg durch die offene Schleuse des Beiboots. Ich winkte Colo zu, dann folgte ich den Robotern. In der Steuerkanzel saß der Pilot bereits in seinem Sessel. Es war ein Wesen, wie ich es bisher noch nie kennengelernt hatte. Im Aussehen glich es einem Jutesack voller Kartoffeln, aber bei jeder Bewegung klapperte es so, daß man unwillkürlich an einen mit trockenen Knochen gefüllten Sack dachte. Als es sprach, haute es mich allerdings beinahe um. »Bitte, nehmt Platz!« sagte es auf Alkordisch, aber mit einer glockenhellen Jungmädchenstimme, die seinem Aussehen so vollkommen widersprach, daß ich mich unwillkürlich suchend umsah. »Wie du willst«, erklärte die Jungmädchenstimme, während die beiden Roboter Platz nahmen, ich aber noch herumstand. Aus der vorderen Wandung des »Knochensacks« fuhr eine unterarmlange »Schere« heraus und bewegte sich auf uns zu. Von den »Scherenblättern« hingen gleich hellblonden Haaren feine, drahtartige Fäden herab. Mit ihnen berührte das Sackwesen die Sensoren der Schiffskontrollen. Ich setzte mich auf den Boden, als die Hangarschleuse auffuhr und das Beiboot in den Weltraum katapultiert wurde. Offenbar hatte der Pilot die Andruckabsorber ein wenig gedrosselt, um mich für meinen Ungehorsam zu bestrafen. »Vielen Dank!« sagte ich, zog mich an der Seitenlehne eines freien Sessels hoch und plazierte mich in ihm. »Gern geschehen«, erwiderte das Sackwesen und normalisierte die Leistung der Andruckabsorber
wieder. »Ich heiße Lola. Du nennst dich Ubal, nicht wahr?« »Lola?« echote ich verblüfft. »Sie stammt von Sumah«, erklärte Schauviel. »Die Leute dort kennen keine Eigennamen. Sie legen sich nur dann welche zu, wenn sie mit anderen Intelligenzen zusammentreffen – und dann entleihen sie sich einfach welche aus einer beliebigen Zivilisation, in diesem Fall aus der celestischen.« »Sie?« fragte ich, weil ich noch immer nicht fassen konnte, daß das Sackwesen weiblicher Natur sein sollte. »Das sagt doch schon der Name, oder?« flötete Lola und bewegte sich in ihrem Sessel. Abermals hörte ich Knochen rasseln. »Ich bitte um Entschuldigung!« sagte ich und meinte es auch so, denn mir war klar geworden, daß ich Lola beleidigt hatte, weil ich wegen ihres Aussehens an ihrer Weiblichkeit gezweifelt hatte. Dabei hätte gerade ich mit meiner reichhaltigen Erfahrung kluger sein müssen. »Angenommen«, erwiderte Lola. »Aber du hast meine Frage noch nicht beantwortet.« »Ach, ja!« besann ich mich. »Es ist richtig. Ubal Meesters ist mein Name.« Ein Kichern ertönte. Es hätte ebenso zu einem terranischen Mädchen gepaßt wie Lolas Stimme. »Du magst keine Lügen«, stellte die Pilotin fest. Ich war froh darüber, daß sie nicht schon wieder die Frageform benutzt hatte. Das hätte mich in die Enge getrieben, denn ich mochte wirklich keine Lügen. Deshalb hatte ich auch auf ihre Frage, ob ich mich Ubal nennen würde, zuerst gar nicht und dann ausweichend geantwortet. Es wäre gelogen gewesen, hätte ich behauptet, Ubal Meesters zu sein, aber es war nicht gelogen, daß Ubal Meesters mein Name war. Ich hatte nur nicht hinzugefügt, daß es sich um einen Aliasnamen handelte. Aber der Himmel mochte wissen, wieso Lola mich durchschaut hatte. Ich beobachtete sie verstohlen, während das Beiboot die Chromosphäre verließ und durch die sonnennahe Korona jagte. Lola war schon ein merkwürdiges Wesen. Außer der unterarmlangen »Schere«, deren Schenkel durch überaus dehnbare und bewegliche Knorpel(?)-Stücke mit dem Rumpf verbunden waren, besaß sie keine Gliedmaßen. Es ließ sich auch nicht erkennen, ob der »Sack« eine natürliche Abgrenzung des Körpers war oder ein Kleidungsstück. Er war oben zugeschnürt wie ein richtiger Sack, aber mit der Abschnürung endete er auch schon. Es gab keinen Zipfel, der darüber hinausragte. Wo sich die Wahrnehmungsorgane und Sprechwerkzeuge befanden, vermochte ich nicht zu erkennen – jedenfalls nicht von meinem Platz aus. Ich war versucht, aufzustehen und Lola von vorn zu mustern, ließ es aber sein, denn das wäre aufdringlich und unhöflich gewesen. In Lolas Augen waren Celester sicher nicht weniger absonderlich als sie es in meinen Augen war. Ich schloß die Augen und stellte mir einen Planeten vor, der von Milliarden Sackwesen bevölkert war, die bei jeder Bewegung das Klappern von zundertrockenen Knochen erzeugten. Das heißt, ich versuchte, gab es jedoch auf, als mir klar wurde, daß das unmöglich war. Sumah mußte sich von allen Welten, die hominide Intelligenzen hervorgebracht hatten, grundlegend unterscheiden. Vielleicht auch nicht! wisperte mein Extrasinn. Sumah kann durchaus erdähnlich sein. Natürlich wollte er mich nur provozieren, deshalb ging ich nicht darauf ein. Aus der Tatsache, daß Lola offensichtlich Sauerstoff atmete und die gleichen klimatischen Bedingungen vertrug wie ich, darauf schließen zu wollen, daß ihr Heimatplanet erdähnlich sein könnte, wäre auf jeden Fall ein Trugschluß gewesen. Sumah und Terra mochten sich zu einer Zeit geglichen haben, als auf ihnen noch kein Leben existierte. Seither hatten die Evolutionen der betreffenden Lebensformen sich rückkoppelnd so stark auf beide Planeten ausgewirkt, daß es zu einer wechselseitigen Anpassung gekommen war. »Gott ist eine Spielernatur«, stellte Lola fest und traf damit die Wurzel meiner Überlegungen so
genau, als hätte sie sie telepathisch belauscht. Ich verkniff mir jedoch eine entsprechende Frage, da ich sicher war, daß Lola genau das von mir erwartete. Mit ihrer Antwort hätte ich bestimmt nichts anfangen können. Sie suchte ein geistiges Duell mit mir. Na schön, aber dann wollte ich mir nicht ihre Bedingungen diktieren lassen. Das Sackwesen unternahm jedoch keinen weiteren Versuch, mich aus meiner Reserve zu locken, und eine knappe Stunde später landeten wir auf einem der Raumhäfen von Palmwiese. Ich trennte mich von Traunich und Schauviel und ging per Transmitter zur Zwillingsstadt Dotterblume-Heidesenf. Dort begab ich mich sofort zum Raumhafen, um das nächste Zubringerboot zur ROULETTE zu bekommen. Das war gar nicht so einfach, denn im Unterschied zum erstenmal drängten sich mindestens hundert Passagiere in der kleinen Halle. Außer Voorndanern waren Angehörige von sieben verschiedenen Völkern aus Alkordoom anwesend. Wahrscheinlich waren sie ursprünglich nach Voorndan gekommen, um die dortigen Spielhöllen zu frequentieren. Unterdessen mußten sich die besonderen Vergnügungen, die auf der ROULETTE geboten worden, herumgesprochen haben. Von den Vergiftungen und Kämpfen sowie den Todesopfern schien jedoch niemand etwas gehört zu haben. Meine Sorge um Sarah bewog mich dazu mich vorzudrängen, denn ich konnte mir leicht ausrechnen, daß nicht alle Passagiere Platz im nächsten Zubringer haben würden. Das ging leichter, als ich es mir vorgestellt hatte. Ich wunderte mich darüber, bis ich merkte, daß zwei Smyrter mir unauffällig dabei halfen, indem sie die mir im Weg stehenden Leute ablenkten. Ich war demnach bereits von ihnen erkannt worden. Wahrscheinlich hatte Krootoor meinen »Steckbrief« an alle Besatzungsmitglieder und Bediensteten der ROULETTE ausgegeben. Möglicherweise war sogar ein Preis auf meinen Kopf ausgesetzt worden. Ich beschloß, jeder Gewaltanwendung gegen mich und jedem Gerangel um mich vorzubeugen und ging schnurstracks ins Cockpit durch. Die beiden dort sitzenden Piloten starrten mich erschrocken an, als ich für sie unverhofft dort auftauchte. »Meine Name ist Ubal Meesters«, erklärte ich lächelnd. »Ich habe gehört, daß Krootoor mich sucht und bin bereit, mich ihm zu stellen. Wenn ihr gestattet, nehme ich auf dem Notsitz Platz.« Ich wartete die Antwort nicht ab, sondern setzte mich einfach. »Nur, damit es in der Passagierkabine keine Aufregung gibt«, erläuterte ich meine Handlungsweise. »Ich bin übrigens unbewaffnet.« »Du stellst dich freiwillig?« wunderte sich einer der Piloten, nachdem er die Schrecksekunde überwunden hatte. In diesem Moment betraten die beiden Smyrter, die mir im Warteraum den Weg geebnet hatten, das Cockpit. »Oh, hier ist er!« rief einer von ihnen. Die beiden Piloten zogen ihre Handstrahler. »Wir haben ihn gerade gefangengenommen«, erklärte der, der schon zuvor gesprochen hatte, aber seine Waffe zeigte nicht auf mich, sondern auf die Stewards. »Er gehört uns.« »Ohne uns wäre er gar nicht an Bord gekommen«, entgegnete einer der Stewards. »Er ist unser Gefangener.« »Tut mir leid, aber ich habe mich den beiden Piloten gestellt«, versuchte ich den Streit zu beenden, bevor es wegen mir zu Handgreiflichkeiten oder Schlimmerem kam. »Verlaßt das Cockpit!« befahl der Pilot den Stewards und fuchtelte mit seinem Strahler herum. »Wir starten jetzt.« »Wir gehen, weil wir nicht gegen die Vorschriften verstoßen wollen«, sagte der Steward, der bisher gesprochen hatte. »Aber sobald Ubal Meesters das Boot verläßt, werden wir unseren Anspruch auf
ihn erneuern. Uns steht die Belohnung zu.« »Das kann ja heiter werden!« entfuhr es mir, nachdem die Stewards das Cockpit verlassen hatten. »Ich werde die ROULETTE anrufen und durchgeben, daß wir dich mitbringen«, sagte der Pilot, der bisher geschwiegen hatte. »Dann kann Ofox Vorbereitungen zu deinem Empfang treffen.« »Ofox?« fragte ich ahnungsvoll. »Es ist doch Krootoor, der mich sehen will. Oder irre ich mich da?« »Ofox ist der Schiffskommandant und’ damit unser Vorgesetzter«, stellte der andere Pilot fest. »Krootoor ist nur Geschäftsführer der Hotel- und Spielbetriebe. Er kann uns nichts befehlen.« Ich erwiderte nichts darauf, denn mir war klar geworden, daß ich in die Rolle eines Stückes Fleisch geraten war, um das zwei Rudel Wölfe sich stritten. Mir schwante Schlimmes, und ich überlegte, wie ich aus diesem Dilemma herauskommen konnte. Immerhin hielt Krootoor Sarah als Geisel – und nur darauf kam es mir an. Ich mußte also versuchen, mich dem Geschäftsführer der ROULETTE zu stellen. Allerdings würde ich da zuerst wieder den beiden Piloten entkommen müssen, in deren Gewalt ich mich eben erst freiwillig begeben hatte.
8. Während des Fluges zur ROULETTE erfuhr ich, wie die beiden Smyrter hießen, die als Piloten des Zubringerboots fungierten. Derjenige, der mich zuerst angesprochen hatte, hieß Utux und war der Erste Pilot. Kopilot und Funker war Gaanaar. Er war es auch, der die ROULETTE anrief und den Kommandanten darüber informierte, daß er und Utux mich gefangengenommen hätten. Ofox teilte ihm mit, er würde mich nach der Einschleusung durch ein Kommando abholen lassen. Bis zur Ankunft im Schleusenhangar blieb alles ruhig. Doch diese Ruhe trog. Kaum war das Zubringerboot verankert, als die Passagiere randalierten. Einige von ihnen drangen ins Cockpit ein und versuchten, die Piloten in ein Handgemenge zu verwickeln. Die Stewards hielten sich im Hintergrund. Aber es war nicht schwer zu erraten, daß sie den Aufruhr angezettelt hatten. Wahrscheinlich hofften sie, ich würde das Durcheinander ausnutzen und aus dem Cockpit fliehen. Ich tat ihnen jedoch den Gefallen nicht. Es hätte mir nichts genützt, denn auf den Bildschirmen der Außenbeobachtung war zu sehen, daß rings um das Boot zirka zwanzig schwerbewaffnete Raumfahrer aufmarschierten: das Kommando, das mich abholen und zu Ofox bringen sollte. Natürlich wollte ich immer noch alles tun, um zu Krootoor zu kommen anstatt zu Ofox, aber unter den gegebenen Umständen hätte ein Fluchtversuch meinerseits nur zu offenen Kampfhandlungen zwischen den rivalisierenden Gruppen geführt. Es würde Sarah jedoch nichts nützen, wenn ich getötet oder verletzt wurde. Also wartete ich erst einmal ab. Utux und Gaanaar mußten einige Passagiere paralysieren, um sich Luft zu verschaffen. Danach trat Ruhe ein. Wenig später erschienen die Raumfahrer und holten mich ab. Als wir das Boot verließen, gab es erneut Unruhe unter den Passagieren. Sie galt allerdings nicht mir, sondern der Tatsache, daß sich niemand um sie kümmerte. Die beiden Stewards waren nirgends zu sehen. Offenbar hatten sie das Boot verlassen. Ich ahnte, daß die Stewards noch nicht aufgegeben hatten. Wahrscheinlich waren sie dabei, anderes Personal zusammenzutrommeln, um mich aus den Händen der Raumfahrer zu befreien. Es bedurfte nicht der warnenden inneren Stimme meines Logiksektors, um die Gefahr zu erkennen, in der ich dadurch noch immer schwebte. Aber ich vermochte nichts zu tun, als abzuwarten und mich darauf vorzubereiten, bei Gelegenheit zu fliehen. Als es dann zu dem befürchteten Zwischenfall kam, lief allerdings alles ganz anders. Meine Eskorte marschierte mit mir gerade durch einen langen Korridor, als weit vor und hinter uns plötzlich Schotte zuschnappten. Gleichzeitig zischte es. Ich wußte sofort, was gespielt wurde. Wir sollten durch das Gas überwältigt werden. Es gelang mir noch, den Druckhelm meiner Kombination aufzufalten und zu verschließen, und ich hielt selbstverständlich die Luft an. Doch das Gas wirkte offenkundig nicht nur, wenn es eingeatmet wurde, sondern über die Haut auf das Nervensystem. Die Umgebung verschwamm vor meinen Augen. Ich stolperte gegen eine Wand und lehnte mich an, um nicht umzufallen. Ringsum sanken die Smyrter meiner Eskorte zu Boden – bis auf zwei Mann, die ebenfalls ihre Helme geschlossen hatten. Wie durch einen Nebelschleier sah ich, daß sich links und rechts Türen öffneten. Gestalten in gelben Raumanzügen stürmten in den Korridor. Aber durch ihre transparenten Druckhelme sah ich nicht in grüne Gesichter, sondern in rote. Es sind Voorndaner! teilte mir mein Extrasinn überflüssigerweise mit. Meine Gedanken waren durch das Nervengas ziemlich benebelt. Dennoch dachte ich sofort an Comerlat, als ich die Leute in den gelben Raumanzügen als Voorndaner erkannte. Dieser junge Mann hatte zu oft meine Wege gekreuzt, als daß es jedesmal Zufall gewesen sein konnte – und er hatte anscheinend immer genau gewußt, wo ich mich gerade befand. Es gab gar keine andere Möglichkeit, als daß er auch diesmal seine Hände im Spiel hatte, auch wenn ich sein Gesicht
nirgends entdeckte. Das Handgepäck! wisperte mein Logiksektor. Er hat sein Handgepäck immer bei sich gehabt. In ihm muß sich ein Gerät befinden, mit dessen Hilfe er dich ortet. Das war so einleuchtend, daß ich nicht daran zweifelte. Aber deshalb wußte ich immer noch nicht, was für ein Spiel das war, das der junge Comerlat spielte. Vor allem aber fragte ich mich, wie er an ein Gerät gekommen war, das mich anpeilte. Dazu hätte er doch meine Zellkernstrahlung oder mein Gehirnwellenmuster kennen müssen. Aber die kannte niemand in der ganzen Galaxis Alkordoom! Außer den Mitgliedern der Crynn-Brigade, die dich auf Crynn untersucht haben! meldete sich der Extrasinn wieder. Sie könnten diese Daten abgenommen und gespeichert haben. Um sie dann einem Voorndaner zuzuspielen? dachte ich ironisch zurück. Vielleicht ist er ein verkappter Crynn-Brigadist! argumentierte der Extrasinn. Das wäre eine Möglichkeit gewesen. Ich hielt sie aber für wenig wahrscheinlich, denn sie hätte vorausgesetzt, daß die Crynn-Brigade mich gezielt auf der ROULETTE suchte. In dem Fall wären aber auch Cuur-Tok, Cuur-Bamyl und Colo über meinen »Fall« informiert gewesen. Nein, das alles reimte sich nicht zusammen. Da war noch etwas anderes im Spiel, etwas, woran weder der Extrasinn noch ich dachten. Inzwischen hatten mich vier Voorndaner an Armen und Beinen gepackt und trugen mich davon, während die übrigen sich um die beiden Smyrter kümmerten, die das Bewußtsein nicht verloren hatten. Sie schossen ihnen irgend etwas mit Injektionspistolen durch die Kombination und setzten sie dadurch endgültig außer Gefecht. Ich sah das alles nur schemenhaft und fragte mich benommen, wohin die Voorndaner mich bringen wollten. Sie konnten mich schließlich nicht allzu lange auf einem Schiff verbergen, auf dem es von Smyrtern wimmelte, ganz davon abgesehen, daß den Smyrtern Hunderte von Robotern zur Verfügung standen. Als ich das häßliche Singen von Schockwaffen hörte, dachte ich natürlich zuerst an die beiden Stewards. Ich vermutete, daß sie mit ihrem Aufgebot hinter meiner Eskorte und mir her gewesen waren und dabei fast zwangsläufig meine neuen Besitzer »getroffen« hatten. Meine Träger ließen mich einfach fallen – oder sie brachen gelähmt zusammen, so genau bekam ich das nicht mit. Es interessierte mich im nächsten Moment auch nicht mehr, denn ich erlebte eine weitere Überraschung. Über mir war ein Gesicht aufgetaucht – und es war kein anderes als das von Arien Richardson. Er lachte dröhnend, als er meine Überraschung bemerkte. »Hättest du gedacht, die Feuerwehr ließe dich im Stich!« rief er und hob mich fast mühelos auf seine kräftigen Arme, nachdem er zuvor meinen Druckhelm zurückgeklappt hatte. Neben ihm tauchten Spooner und Volkert auf. Sie schwitzten, aber ihre Gesichter verrieten, daß ihnen die Aktion Spaß machte. Mir dagegen war nicht nach Lachen zumute. »Ich muß zu Krootoor!« stieß ich hervor. »Oh, ja, wir auch!« gab Arien grimmig zurück, während er mit mir loslief. »Dieser Hundesohn hat Sarah als Geisel genommen. Aber wir hauen sie schon wieder heraus. Keine Angst, Atlan!« Ich wollte ihm erklären, daß ich mich Krootoor stellen wollte, um die Freilassung Sarahs zu erreichen, aber ich unterließ es aus zweierlei Gründen. Einmal ahnte ich, daß Arien und seine Söhne nicht auf mich hören würden – und zum anderen erwachte in mir die Einsicht, daß die Handlungsweise der celestischen Feuerwehr logischer fundiert war als mein Plan. Schließlich gab
es für Krootoor keinen zwingenden Grund, Sarah freizulassen, wenn ich mich stellte. Er konnte im Gegenteil zu der Auffassung gelangen, daß zwei Geiseln besser wären als eine Geisel. Nach einer Weile wich die Benommenheit von meinem Gehirn allmählich. Dafür wurde mir übel, was sicher eine Nachwirkung des Nervengases war. Die Richardsons eilten immer weiter durch Korridore und über Nottreppen. Seltsamerweise wurden wir weder verfolgt noch begegneten wir jemandem. Es schien, als wäre die ROULETTE ein Totenschiff. Als meine Übelkeit soweit abgeklungen war, daß ich mich wieder stärker für die Umgebung interessierte, bemerkte ich, daß wir uns durch eine Schiffssektion bewegten, die ich nicht kannte. »Wir verstecken uns zwischen den Geonen-Wechselfeldtriebwerken«, erklärte Arien auf meine Frage. »Ihre Emissionen überlagern unsere mentalen Impulse, so daß wir auch durch Mutanten nicht aufgespürt werden können.« Die Richardsons wußten inzwischen offenbar mehr über die technischen Details der ROULETTE als ich und über die Verhältnisse auf ihr. Dennoch konnte ich mir ungefähr vorstellen, wo sich die Geonen-Wechselfeldtriebwerke befanden. Sie mußten im rückwärtigen Teil des Schiffes untergebracht sein, der gleich dem Griff stück eines terranischen Bumerangs geformt war. Der Weg dorthin war auf jeden Fall weit. »Laß mich herunter!« forderte ich. »Ich kann wieder allein gehen.« Arien setzte mich ab und wischte sich den Schweiß vom Gesicht. Er schien froh zu sein, mich nicht länger tragen zu müssen. Die ersten Meter bewegte ich mich noch ein wenig unsicher, aber unter Aufbietung aller Willenskraft hielt ich mich auf den Beinen und ließ mir meine Schwäche nicht anmerken. Wir durchquerten eine riesige Konverterhalle, krochen durch einen Kabeltunnel und erreichten schließlich einen schmalen Gang, der sich in weiten Spiralen um mehrere Decks wand, in denen unbekannte Aggregate montiert waren. Ich verspürte ein warnendes Kribbeln auf der Haut und sah, daß über das Haar der Richardsons winzige blaue Flämmchen tanzten. Es mußte etwas mit den Geonen-Wechselfeldtriebwerken zu tun haben, die anscheinend auch im Ruhezustand einige Strahlungsarten emittierten. Hoffentlich wissen die Richardsons, was sie tun! warnte mein Extrasinn. »Es ist ungefährlich hier«, sagte Arien, als hätte er die Gedankengänge meines Logiksektors erraten. »Wir haben die Warnschilder gelesen. Die GWTs setzen nur bei voller Aktivierung schädliche Strahlung frei. Doch dazu besteht kein Anlaß, solange die ROULETTE nicht zum Hyperspaceflug übergeht.« »Falls sie es entgegen aller Logik dennoch tun sollte, würden wir so schnell geröstet, daß wir nichts davon spüren würden«, fügte Spooner »beruhigend« hinzu. Ich lachte lautlos vor mich hin. Das war die unnachahmliche menschliche Art, Gegebenheiten hinzunehmen und für die eigenen Zwecke auszunutzen. So ausgeprägt hatte ich diesen Zug noch bei keinem anderen Volk der Galaxis vorgefunden. Des Universums! korrigierte mich der Logiksektor. Alkordoom ist schließlich nicht die Milchstraße. Haarspaltereien! dachte ich unwirsch zurück. Die Bemerkung des Extrasinns hatte mir die gute Laune schlagartig verdorben, war mir dadurch doch wieder ins Bewußtsein gerufen worden, daß ich mich fern von der Heimatgalaxis befand – und fern von Perry Rhodan, Bully, Julian Tifflor, Roi Danton und den anderen alten Freunden, bei denen ich mich trotz aller Meinungsverschiedenheiten zu Hause gefühlt und nach denen ich mich die ganze Zeit gesehnt hatte, während ich das Orakel von Krandhor gewesen war. »Wir sind da«, sagte Volkert.
Er stand vor einer Panzertür und drehte an einem Handrad. Nach einiger Zeit knackste es. Volkert und Spooner zogen die Tür auf. Dahinter schaltete sich eine Beleuchtung an. Hinter Arien betrat ich einen kleinen Raum, der auf den ersten Blick wie ein physikalisches Labor aussah. Aber die Datensichtschirme und Schaltkonsolen verrieten mir, daß es sich um eine Nebenzentrale zur Überprüfung des Hyperantriebs der ROULETTE handelte. Arien deutete auf ein Funkgerät. »Von hier aus können wir alle Funkgespräche abhören, die von der ROULETTE aus und innerhalb des Schiffes geführt werden«, erklärte er. »Dadurch wußten wir auch, daß du unterwegs zur ROULETTE warst. Vorher hatten wir schon befürchtet, dir wäre etwas Schlimmes zugestoßen.« »Aber wie bist du eigentlich aus dem Schiff und zurück nach Palmwiese gekommen?« wollte Spooner wissen. »Ich werde euch alles erklären«, sagte ich und deutete auf die Drehsessel, die in ausreichender Menge herumstanden. »Setzt euch!« * »Das ist wirklich eigenartig«, meinte Arien, nachdem ich geendet hatte. »Die Thater haben dich also aus der ROULETTE herausgeholt, weil dieser Comerlat sie dazu anstiftete, und als du wieder zurückkamst, wurdest du von Voorndanern befreit, die wahrscheinlich von Comerlat dazu angestiftet worden waren. Was will diese Rothaut von dir, Atlan?« Ich seufzte. »Wenn ich das wüßte, wäre mir wohler«, erklärte ich. »Leider kann ich sein Motiv nicht einmal ahnen. Aber ich bin sicher, daß er in seinem Handgepäck ein Gerät hat, mit dem er mich orten kann.« Ich musterte die Panzertür, die wir hinter uns wieder geschlossen hatten und zog unbehaglich die Schultern hoch. »Hoffentlich spürt er mich nicht auch hier auf.« »Fürchtest du dich vor ihm?« erkundigte sich Spooner. Er war wirklich ziemlich naiv, aber ich wollte ihn nicht kränken, deshalb sagte ich es nicht. »Dazubesteht kein Grund«, erwiderte ich. »Er trachtet mir ja erwiesenermaßen nicht nach dem Leben. Im Gegenteil, er versucht ständig, mich zu beschützen. Nur tut er das nicht meinetwegen, sondern weil…« Ich suchte vergeblich nach den richtigen Worten. Weil er dazu beauftragt ist! ergänzte mein Logiksektor. Jetzt war es heraus. Die ganze Zeit hat es in mir geschwelt, hatten mein Extrasinn und ich nach einer Erklärung für das Verhalten des jungen Voorndaners gesucht, ohne eine zu finden, die sofort einleuchtete. Dabei war sie so naheliegend gewesen wie nur etwas. Ich bemerkte, daß die Richardsons mich anstarrten, und mußte lächeln. Hatte ich doch tatsächlich für einen Moment geglaubt, mein Extrasinn hätte sich akustisch geäußert. »Er muß von jemandem dazu beauftragt sein«, teilte ich ihnen mit. »Und natürlich hat der Betreffende ihn auch mit dem Gerät ausgerüstet, mit dem er mich immer wieder aufgespürt hat.« »Oh!« machte Volkert. »Hm!« brummte Arien. »Aber wer hat ihn beauftragt?«
»Das werden wir auch noch herausbekommen«, sagte ich. »Die Crynn-Brigade ist es jedenfalls nicht, und deshalb scheidet wohl auch Zulgea von Mesanthor aus.« »Gentile Kaz?« überlegte Spooner laut. Ich wiegte nachdenklich den Kopf. Er ist nicht an dir interessiert, sondern höchstens an ANIMA! raunte mir der Extrasinn zu. Aber er kann nicht ahnen, daß er durch dich ANIMA wiederfinden könnte. »Nicht sehr wahrscheinlich«, beantwortete ich Spooners Frage. »Aber auch nicht völlig auszuschließen.« »Warum schnappen wir uns diesen Comerlat nicht und quetschen ihn aus?« meinte Volkert. »Das wäre eine Möglichkeit«, brummte Arien unlustig. »Aber es eilt nicht«, stimmte ich seinem unausgesprochenen Einwand zu. »Wirklich dringend ist nur die Befreiung Sarahs. Habt ihr denn etwas Neues über ihr Schicksal erfahren? Wie sind die Verhältnisse auf der ROULETTE überhaupt? Ich war schließlich einige Zeit abwesend.« »Es geht ziemlich drunter und drüber«, antwortete Arien. »Zuerst wurden wir gejagt, weil die Smyrter offenbar dachten, daß wir für die Attentate verantwortlich gewesen wären. Wir zogen uns in dieses Versteck zurück und wurden seitdem in Ruhe gelassen. Zwar haben die Attentate zugenommen, aber man scheint uns nicht mehr zu verdächtigen. Die Leute der ROULETTE verhalten sich vorsichtig und beschränken sich in erster Linie darauf, den Spielbetrieb aufrechtzuerhalten.« »Sie müssen zurückhaltend sein, seit ihre Roboter ausgefallen sind«, warf Volkert ein. »Ach, ja, richtig!« sagte Arien. »Jemand muß ihre Roboter durch Fernsteuerung beeinflußt haben. Sie fingen jedenfalls vor einigen Stunden damit an, sich seltsam zu benehmen, demontierten Spielautomaten, störten den Betrieb in den Bars und Sensitivkinos und so weiter. Kommandos der Smyrter zogen sie daraufhin in blitzschnellen Einzelaktionen aus dem Verkehr.« »Aber was ist mit Sarah?« bohrte ich nach. »Wir wissen es nicht«, gab Arien zu. »Es tut mir leid, aber auch die Abhörung der Interkomgespräche hat uns keinen Hinweis darauf geliefert, wie es Sarah geht. Wir hatten schon überlegt, ob wir versuchen sollten, durch einen Handstreich gegen die Hauptzentrale Krootoor oder Ofox zu fassen und den Smyrtern danach den Austausch gegen Sarah anzubieten. Da hörten wir, daß du unterwegs zur ROULETTE warst und beschlossen, erst einmal zu verhindern, daß du auch als Geisel genommen wirst.« »Was euch ja gelungen ist«, erwiderte ich. »Ich bin euch dankbar dafür. Doch jetzt müssen wir etwas für Sarah tun. Ich schlage vor, wir hören erst einmal alle Funkgespräche ab, um uns über die Lage an Bord zu informieren, und denken dann daran, wie wir Sarah befreien können. Krootoor oder Ofox als Gegengeisel zu nehmen, wäre kaum effizient. Zwischen den beiden herrscht erbitterte Rivalität. Keiner würde für den anderen ein Lösegeld zahlen, geschweige denn, eine Geisel hergeben. Wir müssen sie direkt befreien.« »Und was dann?« fragte Spooner. »Wir können uns nicht ewig hier verstecken.« »Du vergißt Traunich und Schauviel«, wandte ich ein. »Ich sagte euch doch, daß Colo mit ihrer Hilfe die ROULETTE in seine Gewalt bringen will. Es ist ganz unvermeidlich, daß es dabei zu Kämpfen kommt. In dem dabei entstehenden Durcheinander müssen wir eben ein Zubringerboot oder ein Beiboot in unseren Besitz bringen und damit fliehen.« »Und was wird aus dem Spielhöllenschiff?« maulte Volkert. »Warten wir’s ab!« bremste ich seinen Eifer.
Du hast beschlossen, daß es weder im Besitz von Gentile Kaz bleiben noch von der Hexe in ihre Gewalt gebracht werden darf! erinnerte mich mein Extrasinn. Für ihn und die Richardsons fügte ich deshalb hinzu: »Vielleicht wird es durch die Auseinandersetzungen unbrauchbar. Wenn nicht, müssen wir eben ein wenig nachhelfen. Ihr dürft aber auf keinen Fall mit einer eventuellen Zerstörung in Zusammenhang gebracht werden. Dem Rachefeldzug einer Facette wärt ihr Celester nicht gewachsen.« Arien stand auf, legte mir eine Hand auf die Schulter und sagte: »Du bist ein Mann nach meinem Geschmack, Atlan. Ich wollte, du könntest für immer auf New Marion bleiben. Und nun wollen wir uns anhören, was man sich so in der ROULETTE zuflüstert!«
9. Nach etwa einer Stunde wußten wir soviel: Es hatte keine neuen Bombenanschläge und Giftattentate mehr gegeben. Anscheinend waren die Voorndaner, die als Agenten an Bord waren, vorsichtig geworden und hatten ihre Aktivitäten vorübergehend eingestellt, um sich nicht entlarven zu lassen. Dafür waren die Rivalitäten zwischen Ofox und Krootoor an die Grenze offener Feindseligkeiten eskaliert. Der Schiffskommandant hatte offenbar die Leute des Geschäftsführers für den Überfall und meine Entführung verantwortlich gemacht und eine Durchsuchung des gesamten Schiffes angeordnet. Da seine Raumfahrer mich nicht gefunden hatten, war von ihnen kurzerhand Sarah Briggs vereinnahmt worden. Offiziell hörte sich das so an, daß sie zwecks besserer Bewachungsmöglichkeiten der Schiffsführung überstellt worden wäre. Seitdem belauerten sich beide Seiten, um nach Schwächen des Gegners zu suchen und sie für die eigenen Zwecke auszunutzen. Doch weder Ofox noch Krootoor tasteten den Spielbetrieb an. Was den anging, so arbeiteten sie weiterhin zusammen. Es war logisch, denn Gentile Kaz würde jeden ihrer Leute unnachsichtig bestrafen, der den eigentlichen Zweck der ROULETTE gefährdete. Wie es Sarah ging, war den internen Funksprüchen nicht zu entnehmen. Aus ihnen ließ sich auch nichts über eventuelle Aktivitäten von Traunich und Schauviel heraushören. »Wir müssen noch’ warten«, sagte Arien, der meine wachsende Ungeduld zu spüren schien. »Wenn wir planlos zuschlagen, gefährden wir Sarah eher, als daß wir ihr helfen.« »Ich ertrage es nicht, daß sie zum Spielball der Rivalitäten zwischen Ofox und Krootoor geworden ist«, erklärte ich. »Notfalls werde ich allein versuchen, sie zu befreien. Wenn ihr ein Ablenkungsmanöver durchführt, stehen meine Chancen gar nicht so schlecht.« Du redest wider besseres Wissen! warnte der Logiksektor. Durch blindes Zuschlagen würdest du Sarah nur unnötig gefährden. Ich wußte, daß mein Extrasinn recht hatte. Aber die Sorge um Sarah quälte mich und ließ mir keine Ruhe. Als das innere Handrad der Panzertür sich plötzlich drehte, waren diese Überlegungen jedoch vergessen. »Wir sind entdeckt!« flüsterte Volkert und zog seine Strahlwaffe. Die Richardsons hatten wie ich keine eigenen Waffen auf die ROULETTE mitgenommen, aber in dem allgemeinen Durcheinander während der Attentate waren die Depots für einige Zeit unbewacht gewesen, und sie hatten sich selbst bedient. »Es könnte eine harmlose Inspektion sein«, gab ich zu bedenken. »Haltet euch zurück!« »Einverstanden«, erwiderte Arien. »Wir werden nur dann schießen, wenn es unbedingt notwendig ist.« Er warf mir eine seiner beiden Waffen zu. »Hier!« Ich machte die Waffe, einen Paralysator, schußbereit, ging hinter einem Sessel in Deckung und beobachtete die Tür. Nach einer Weile schwang sie nach außen auf. Draußen wurden zwei Celester sichtbar. »Wie kommen die hierher?« wunderte sich Arien. Ich lachte und steckte die Waffe weg. »Es sind Traunich und Schauviel«, erklärte ich. »Nicht schießen!« Ich winkte den beiden Robotern. »Kommt herein!« »Wie haben sie uns gefunden?« erkundigte sich Spooner. »Das mochte ich auch wissen«, sagte Volkert.
»Jemand hat es uns verraten«, erklärte Schauviel. »Comerlat?« entfuhr es mir. »Richtig« antwortete Traunich. »Wir erfuhren von deiner Befreiung, Ubal. Da wir dir eine wichtige Information überbringen wollten, mußten wir dich finden. Der einfachste Wog dazu war ein Verhör Comerlats. Das erschien uns zumindest einen Versuch wert zu sein. Wir nahmen ihn gefangen, und er verriet uns, in welchem Teil des Schiffes wir dich finden würden.« »Ist er mitgekommen?« fragte ich. Schauviel schüttelte in echter menschlicher Art den Kopf. »Er wäre nur Ballast für uns gewesen. Wir haben ihn eingesperrt.« »Und damit die Chance vertan, den Namen seines Auftraggebers aus ihm herauszuholen!« rief ich enttäuscht. »Es erschien uns wichtiger, dir die Information schnellstens zu überbringen«, erklärte Traunich. »Betrifft sie Sarah Briggs?« fragte ich in jäher, dunkler Ahnung. »Sie betrifft Sarah Briggs«, bestätigte Traunich. »Wir erfuhren, daß sie sich jetzt in der Gewalt des Schiffskommandanten befindet.« »Das wissen wir inzwischen selbst«, warf Arien ein. »Dann wißt ihr auch, daß Ofox sie zwangsweise unter Drogen gesetzt hat?« erkundigte sich Schauviel. Ich erschrak und spürte, wie Hitzewellen mich durchfluteten. »Er hat sie rauschgiftabhängig gemacht?« schrie ich entsetzt. »Das stimmt«, erwiderte Schauviel. »Dann muß ich zu ihr!« erklärte ich mit wilder Entschlossenheit. »Ich werde mich stellen, wie ich es von Anfang an vorhatte.« Das wollen die Roboter ja nur erreichen! warnte mich der Logiksektor. Du hast dich nicht an die Abmachung gehalten, also versuchen sie es mit einem Trick. Glaube ihnen nicht! »Sie lügen«, erklärte auch Arien. »Ofox hätte es über Interkom verbreitet, wenn es wahr wäre, was die Roboter erzählen.« Es gelang mir, meine Erregung etwas zu dämpfen. »Das klingt logisch«, wandte ich mich an die Roboter. »Hört zu, ich wollte meine Verpflichtung erfüllen, aber ich ließ mich davon überzeugen, daß das unüberlegt gewesen wäre. Wenn ihr mir eine Lüge aufgetischt habt, um doch noch zu erreichen, daß ich mich stelle…« »Höre den Interkom ab, Ubal!« forderte Traunich mich auf. Er deutete auf Arien. »Dieser Mann hat recht. Ofox wird dir über Interkom mitteilen, daß er Sarah unter Drogen gesetzt hat.« Ich stürzte zum Funkgerät und stellte die Rundruffrequenz ein, denn der Kommandant würde zweifellos den Rundruf für seine Mitteilung wählen, wenn es stimmt, was die Roboter behaupteten. Meine Augen füllten sich mit wäßrigem Sekret, als ich gleich darauf Ofox’ Stimme sagen hörte: »…rufe ich den Celester namens Ubal Meesters dazu auf, sich innerhalb von fünf Stunden freiwillig zu stellen, wenn er nicht will, daß Sarah Briggs unwiderruflich rauschgiftabhängig wird. Ich wiederhole…« Ich schaltete das Gerät aus und blickte die Richardsons an. »Ihr habt es gehört. Sarah schwebt in höchster Gefahr. Ich habe die Pflicht, alles zu tun, um sie vor
Drogenabhängigkeit zu bewahren.« Auch die Sendung kann ein Trick sein! warnte der Extrasinn. Das glaube ich nicht! dachte ich zurück. Du willst es nicht glauben, du Narr! Vorübergehend gewann ich einen Rest Besonnenheit zurück. Wenn es ein Trick ist, kann ich ihn nicht durchschauen! dachte ich. Folglich muß ich davon ausgehen, daß die Sendung echt war. Ich habe keine Wahl. »Ich weiß, wann ein Mann dem Befehl seines Herzens folgen muß«, erklärte Arien verständnisvoll. »Dennoch warne ich dich. Wenn Ofox Sarah unter Drogen gesetzt hat, warum sollte er dann davor zurückscheuen, dich ebenfalls unter Drogen zu setzen? Dann wärt ihr beide verloren.« Ich schüttelte den Kopf. »Nein, denn ich bin immun gegen Drogen.« Beinahe hätte ich mich verraten, indem ich nach meinem Zellaktivator gegriffen hätte, den ich unter der Kleidung trug. »Zumindest kann ich nicht abhängig von Drogen werden.« »Dann geh!« sagte Arien. »Gott sei mit dir!« »Wir werden dich ein Stück begleiten«, erklärte Traunich. »Fürchte Gott und traue niemand«, spottete ich. * Traunich und Schauviel hatten offenbar fest damit gerechnet, daß es ihnen gelingen würde, mir klarzumachen, daß ich mich stellen mußte. Meine diesbezügliche Vermutung bestätigte sich, als sie mich nach dem Verlassen der GWT-Sektion in eine Abstellkammer führten. Dort lagen eine Gesichtsmaske, eine Perücke und ein bunter Umhang für mich bereit. »Es ist nur, damit die Leute Krootoors dich nicht erkennen«, erklärte Schauviel. »Sie würden dich gefangennehmen und Sarah ihrem Schicksal überlassen.« Traunich deutete auf eine blanke Metallfläche, die sich als provisorischer Spiegel eignete. Nachdem ich die »Maske gemacht« hatte, ähnelte ich einem etwas großgewachsenen Voorndaner. »Das genügt«, stellte Schauviel fest. »Von nun an mußt du allein gehen. Die Smyrter sind noch immer ein wenig mißtrauisch gegenüber Celestern und würden uns kontrollieren – und dich ebenfalls, wenn sie dich in unserer Begleitung antreffen. Weißt du, wo sich die Hauptzentrale befindet?« Als ich verneinte, erklärte er es mir. Sie war nicht einmal weit entfernt und lag noch in der mittleren Sektion der ROULETTE. Ich würde sie nicht verfehlen können. Unterwegs begegnete ich einer Touristengruppe, die unter Führung von drei Smyrtern das Schiff besichtigte. Es waren Angehörige von mindestens fünf verschiedenen Völkern dabei, unter ihnen mehrere Voorndaner. Ich entdeckte auch ein Wesen, das eine Art Cyborg sein mußte. Es bestand nur aus einem menschenähnlichen, haarlosen Kopf mit blauer Haut, der auf einer etwa drei Finger dicken Scheibe aus Metall saß. Es schwebte rund anderthalb Meter hoch in der Luft. Seine Augen waren »unnatürlich« groß und strahlten Wehmut und Trauer aus. Der Anblick faszinierte mich so, daß ich stehenblieb. Im nächsten Moment fiel mir der Voorndaner auf, der neben dem Wesen ging. Er benahm sich irgendwie merkwürdig, tastete an seinem Handkoffer herum und flüsterte dann aufgeregt zu dem Cyberg.
Es ist Comerlat! wisperte mein Extrasinn. Natürlich war es Comerlat. Ich hätte es sofort sehen müssen, wäre meine Aufmerksamkeit nicht zu sehr von dem seltsamen Cyborg abgelenkt gewesen. Traunich und Schauviel mußten ihn sehr nachlässig eingesperrt haben. Ich ging so unauffällig wie möglich weiter, behielt aber den jungen Voorndaner im Auge. Sein Handkoffer mußte tatsächlich ein Gerät enthalten, mit dem er mich orten konnte. Ich sah, daß er irgendwelche Skalen daran ablas und sich danach umsah. Einmal musterte er auch mich, aber meine Maske verhinderte, daß er mich erkannte. Zudem war eine zweite Touristengruppe aufgetaucht und bewegte sich zwischen der ersten Gruppe und mir. Aber Comerlat brauchte nur konsequent in die Richtung zu gehen, die sein Gerät ihm anzeigte, dann mußte er mich entlarven. Ich ging schneller. Als hinter mir ein Tumult losbrach, rannte ich. Die Hauptzentrale konnte nicht mehr weit sein. Dorthin würde Comerlat mir nicht zu folgen wagen. Oder doch? An der nächsten Kreuzung warf ich einen Blick zurück. Comerlat lief in meine Richtung, ungeachtet dessen, daß die smyrtischen Führer seiner Gruppe dagegen protestierten, daß er sich selbständig machte – und der Cyborg mit den traurigen Augen schwebte neben ihm her. Ich rannte schneller, bog um eine Ecke und sah das große Panzerschott vor mir, hinter dem die Zentrale liegen mußte. Zwei schwerbewaffnete Raumfahrer waren davor postiert und traten mir entgegen, um mich aufzuhalten. Kurz entschlossen riß ich mir meine Maske vom Gesicht. »Ich bin Ubal und will mich stellen!« rief ich den Posten zu. »Bringt mich zum Kommandanten!« Die Raumfahrer erkannten mich. Aber sie bestanden darauf, mich erst nach Waffen zu durchsuchen und taten das ziemliche umständlich. Comerlat und der Cyborg waren unterdessen an der Kreuzung aufgetaucht. Sie kamen noch ein paar Meter näher, dann hielten sie unschlüssig an und berieten sich. Plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Der Cyborg mußte der Auftraggeber Comerlats sein. Für ihn hatte der junge Voorndaner mir nachspioniert und mich immer wieder ausfindig gemacht. Anscheinend wollte der Cyborg etwas von mir. Und die Roboter Colos haben dich ihm quasi in die Hände gespielt, weil Colo wissen wollte, wer hinter dir her ist! raunte mein Logiksektor. Ich hätte es ebenfalls gern gewußt, und am liebsten hätte ich den Cyborg angesprochen. Aber dazu war es zu spät. Als die Posten mich durchsucht hatten – meine Waffe hatte ich im Versteck zurückgelassen –, packten sie mich bei den Armen und führten mich in die Hauptzentrale. Comerlat und Cyborg blieben zurück. Gleich darauf stand ich vor Ofox, einem kräftig gebauten Smyrter, der in einem Kontursessel saß und mich lauernd anstarrte. Er war mir sofort unsympathisch – und das lag nicht an seiner schleimigen Haut. »Ich wußte, daß du kommen würdest, Atlan«, sagte er mit unverhohlenem Triumph. »Für dich werde ich eine hohe Belohnung kassieren, wenn ich mit dir fertig bin.« Er wandte sich an die Posten. »Entfernt den Rest seiner Maskierung und wascht ihm die Farbe aus dem Gesicht und dem Haar!«
befahl er. »Dann gebt ihm eine Einstandsdosis Fumacyrin und sperrt ihn zu der süchtigen Celesterin!« »Wenn du sie süchtig gemacht hast, bringe ich dich um!« schrie ich außer mir und versuchte, ihm an die Kehle zu gehen. Die beiden Posten hätte ich vielleicht abschütteln können. Doch da stürzten sich von allen Seiten noch mehr Smyrter auf mich, und gegen diese Übermacht hatte ich keine Chance. Sie haben dich alle hereingelegt, du sentimentaler Narr! tobte mein Extrasinn. Die beiden Roboter und auch Ofox. Von einem Augenblick zum anderen gewann ich meine Selbstbeherrschung zurück. Sie werden sich nicht lange daran erfreuen können! dachte ich. Ich bin sicher, daß der Cyborg nichts unversucht lassen wird, um mich hier herauszuholen. Vor allem aber werde ich Sarah wiedersehen – und mit meinem Zellaktivator kann ich sie von der Sucht befreien. Ich hoffte es jedenfalls. ENDE
Der Konflikt zwischen Gentile Kaz und Zulgea von Mesanthor, den beiden Facetten, spitzt sich weiter zu. Leidtragende sind in erster Linie die Besucher des Spielhöllenschiffs und die Planetarier selbst, also die Celester und die Voorndaner. Ihnen droht die Auslöschung durch Bomben auf New Marion… BOMBEN AUF NEW MARION – unter diesem Titel erscheint auch der nächste Atlan-Roman, der ebenfalls von H. G. Ewers verfaßt wurde.