Fred McMason
Das Schiff
aus dem Nebel
April 1598 - norwegische Küste.
Die beiden Fischer Olaf und Knut Thorsten ...
154 downloads
928 Views
1006KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Fred McMason
Das Schiff
aus dem Nebel
April 1598 - norwegische Küste.
Die beiden Fischer Olaf und Knut Thorsten blickten irritiert von ihrer Arbeit auf
und sahen sich um.
Nebelfetzen waberten über dem Wasser, bizarre Gebilde schoben sich über die Dünung,
Gespensterköpfe tauchten auf, veränderten sich und verschwammen wieder zu
unheimlichen anderen Gestalten, die nichts Menschliches an sich hatten.
Als Fischer waren sie an den Nebel gewöhnt. Er gehörte zu ihrer harten Arbeit wie
Kabeljau und Hering, von denen sie bereits einen knappen Zentner gefangen hatten.
Aber diesmal war der Nebel anders - unheimlicher, denn er war an einer Stelle
nicht grauweiß, sondern fast schwarz, obwohl es heller Vormittag war.
Da waren eigenartige Konturen in diesem dunklen Nebel, etwas langgestreckt
Fließendes, das über die See kroch und sie ängstigte. Es war so ganz anders als sonst.
Nach einer Weile glaubten sie dumpfe Stimmen zu hören, dann ein heiseres
Knarren und Ächzen, das Plätschern von Wasser.
Ein riesiger Körper kroch aus dem Nebel - ein Geisterschiff...
Die Hauptpersonen des Romans: Thorfin Njal - der Wikinger wird von einer Karavelle zum Narren gehalten und er lebt eine unliebsame Überraschung. Siri-Tong - die Rote Korsarin warnt den nordischen Poltermann, aber der ist mal wieder auf beiden Ohren taub. Cookie - das schmierige Köchlein auf „Eiliger Drache über den Wassern" versucht seinen Kapitän zu beschummeln und hat die Folgen im Haar zu tragen. Knut Thorsten - fischt mit seinem Bruder Olaf vor der norwegischen Küste, und sie begegnen einem Geisterschiff. Philip Hasard Killigrew - der Seewolf erlebt auch eine Überraschung, als er einem Kerl, der nächtlich die Schebecke entert, die Faust unters Kinn hämmert.
1. Die beiden Fischer waren keine furchtsamen Naturen, aber sie waren abergläubisch wie die meisten Fi scher und Seeleute. Daß die See ihre Geheimnisse barg, das wußten sie, aber mitunter wurde so ein Rätsel ge löst, wobei sich auch eine meist ein fache Erklärung fand. Diesmal schien es keine einfache Erklärung zu geben, denn das „Ding" war zu unheimlich und zu fremd. Dem vier Jahre jüngeren Olaf kroch eine Gänsehaut über den gan zen Körper, und er fühlte, wie sich seine Nackenhaare langsam aufzu richten begannen. Knut, der ältere von beiden, schluckte hart und versuchte mit sei nen Blicken den Nebel zu durchdrin gen. Sie sahen sich kurz und schwei gend an und ließen sich dann vorsich tig auf der Ducht des kleinen Kahns nieder. Dabei tastete Knut nach einer Aalgabel. Es kroch weiter aus dem Nebel auf sie zu, dieses schwarze, immer grö ßer, immer verzerrter und unheimli cher werdende Gebilde, das mon ströse Ausmaße annahm.
Vor dem Ding wuchs eine helle Ne belwand in die Höhe, einer quellen den Rauchwolke vergleichbar. Dampf, der aus dem Meer brodelte wie aus einem gigantischen Kessel. Das alles verschmolz jetzt zu einem in den Himmel wachsenden Schatten, dessen Dimensionen man nicht mehr beurteilen oder abschätzen konn te. Keiner der beiden rührte sich. Sie hockten nur da und starrten in die wallenden Vorhänge. Knuts Arm mit der Aalgabel war wie erstarrt. Wieder waren die geisterhaften Stimmen zu hören, dann das entsetz liche Knarren und Ächzen, als wälze sich ein verwundetes Untier hilflos über das Meer. „Nimm das Ding weg", flüsterte Olaf mit zuckenden Lippen und deu tete auf die Aalgabel. „Es ist besser, wir sind unbewaffnet. Dann tut es uns vielleicht nichts." „Es" schob sich noch näher heran. Die verzerrten Geräusche waren deutlicher zu hören. Das Untier schien zu schmatzen und zu keuchen. Es zerteilte das Wasser mit mächti gen Armen. So wie die Nebel den schattenhaften Umriß vergrößerten
5 oder verzerrten, schien es direkt auf sie zuzugleiten. Knuts Arm mit der Aalgabel senkte sich langsam. Vielleicht war es wirk lich besser, das unbekannte Etwas nicht mit einer Art Waffe zu provo zieren. Die Aalgabel war außerdem ein lächerliches Ding, mit dem er nicht viel ausrichten konnte. Der schwarze Nebel ragte jetzt wie ein Turm vor ihnen auf. Zwischen der unheimlichen Schwärze waberten weiße Riesenköpfe, die immer wieder ihre Form veränderten. Ihre Blicke saugten sich angstvoll an dem Ding fest. Sie starrten so an gestrengt in den Nebel, daß sich rote Kreise vor ihren Augen bildeten. Dann war das Ding urplötzlich weg, verschwunden in einer quirligen Wolke aus Dampf, der alles mit sich nahm. „Was war das?" fragte Knut tonlos. „Ich glaube, es stieg von ganz tief un ten aus dem Meer auf. Aber ich habe es nicht erkennen können." „Es war der Satan persönlich", hauchte Olaf. „Unser Großvater hat gesagt, daß er alle zehn Jahre er scheint. Er reitet auf einem riesigen Schwefelfaß und verschlingt alles, was in seiner Nähe ist. Los, wir setzen die Fock und verschwinden schnell." Die Angst und das Grauen vor dem Unbekannten stand immer noch in ih ren Gesichtern, als sie die Fock kla rierten. Knut übernahm die Pinne, dann segelten sie in aller Eile weiter, so schien es jedenfalls. Der Wind wehte jedoch nur schwach, und nach einer Weile, die ihnen wie eine Ewig keit erschien, wurde das Segel schlaff. Sie hatten nicht die geringste Ahnung, wie weit sie von dem „Ding" entfernt waren. Mit angespannten Sinnen lausch
ten sie weiter angstvoll in den Nebel, der immer dichter wurde. „Es - es taucht wieder auf", flü sterte Knut. „Ich spüre es ganz deut lich. Es ist wieder in unserer Nähe. Wir können vor dem Teufel nicht flie hen." Ja, da war es wieder, das anfangs ferne Raunen und Ächzen, das jetzt fast unmerklich anschwoll. Alles schien sich zu wiederholen. Das Ding kreuzte erneut ihren Kurs, oder sie trieben darauf zu. Zuerst wollten sie nach den Riemen greifen, um aus der Gefahrenzone zu pullen. Dann unterließen sie es, denn der Riemenschlag würde in dieser entsetzlichen Stille nur Aufsehen er regen. Sie blieben auf der Ducht sit zen und hofften, daß das Ding endlich vorbeiglitt, ohne daß sie jemand be merkte. Es kam jedoch alles ganz anders, als sie dachten. Der Nebel verfinsterte sich wieder und wurde fast pechschwarz. Auch die riesige Wand war wieder da. Ein Poltern war zu hören, dann verzerrte Stimmen, die der Nebel zerfaserte. Knut und Olaf Thorsten wurden immer kleiner. Die Fischer hockten wie verängstigte Kinder auf der Ducht und starrten leichenblaß in den fürchterlichen schwarzen Nebel. Seine Ausmaße wurden noch gewalti ger. Vier schwarze Säulen schoben sich aus dem Nebel. An den Säulen hingen gewaltige Rahen, und an diesen Ra hen bewegten sich schwach Tücher, von denen feuerspeiende Drachen köpfe stierten. Diese monströsen Dra chenschädel spien gewaltige Flam menzungen nach allen Richtungen. Das alles war wie ein Spuk, aber die ser Spuk zog keinesfalls lautlos an ih nen vorbei. Da waren Stimmen, Flü
6 stern, ein unheimliches Raunen, das ganze Welt war angefüllt von diesem sich mit Knirschen, Ächzen und grauenhaften Schiff. Das Schlimmste folgte aber noch, Knarren vermischte. Außerdem war da noch das unheimliche Gurgeln als sie das Achterdeck des Geister schiffes sahen. Den beiden Fischern und Schmatzen von Wasser. Das Geisterschiff - jetzt schwarz setzte fast das Herz aus. Durch ihre wie die Nacht - schob eine Welle vor Adern lief Eiswasser. Auf diesem Achterdeck, wo eben sich her, die sich wie ein Rauschebart auftürmte und immer größer zu wer falls alles in Schwarz gehalten war, hockte auf einem gewaltigen Thron den schien. Olaf schloß für ein paar Augen oder Sessel der Teufel selbst. Es blicke krampfhaft die Augen, um das konnte niemand anderer sein, das entsetzliche Bild fortzuwischen. Als stand für die Fischer fest. er sie wieder öffnete, war alles nur Natürlich hatte er wieder eine sei noch schlimmer geworden. ner vielfältigen Verkleidungen ge Dieses Satansschiff schien den Ne wählt, damit ihn niemand auf Anhieb bel mit sich zu nehmen, denn er zog in erkannte. Auch davon hatte der einem riesigen Schleier mit dem Großvater der beiden Brüder immer Schiff fort. Hin und wieder riß der zu berichten gewußt. Nebel jedoch an einigen Stellen etwas Seine Hörner hatte er geschickt un auf, und da sahen sie zum ersten Mal ter einem gewaltigen Helm aus po die grauenhaften Gestalten an Bord. liertem Kupfer verborgen, damit sie Einige von ihnen schienen ohne Le niemand sah. Und einen rötlich-grau ben zu sein - Verdammte, die dazu en riesigen Bart hatte er sich verurteilt waren, ruhelos über das ebenfalls zugelegt. Der Unheimliche Meer zu ziehen, oder Diener des Sa war in rauchgraue Felle gehüllt und tans, die zur Bewegungslosigkeit hatte die mächtigen Arme auf die Lehnen des Sessels gestützt. Er trug erstarrt waren. Sie wußten nicht einmal, ob sie von die gleichen Riemensandalen wie die den Gestalten bemerkt wurden, denn alten Wikinger, und er hatte auch ein niemand war neugierig oder starrte großes Schwert an seiner Hüfte. sie direkt an. Diese Diener des Teu Seine Augen blitzten wild, als er fels schienen leblose Marionetten zu durch den Nebel blickte. Er schien sein. das einzige Wesen an Bord zu sein, Für die Thorsten-Brüder war das das sich bewegte. Aber das war alles wie ein fürchterlicher Alp schließlich auch kein Wunder. traum, aus dem es kein Erwachen Dieser Teufel in fast menschlicher gab. Ewigkeiten lang sahen sie das Gestalt warf ihnen einen sehr nach unheimliche Schiff und seine leblose denklichen Blick zu, und es gab gar Besatzung. Das schwarze Schiff zog keinen Zweifel daran, daß er sie be in einer fließenden Bewegung ganz merkt hatte. dicht vorbei und nahm dabei gewal Die beiden krochen noch tiefer auf tige Nebelmengen mit sich, oder aber ihrer Ducht zusammen. Ihre Herzen der Nebel stammte direkt von dem schlugen wie ein Hammerwerk. Schiff, so genau ließ sich das nicht Noch zwei weitere Kerle standen unterscheiden. Es ließ sich überhaupt bewegungslos und wie schwebend in nichts mehr unterscheiden, denn die dem Nebel herum. Sie glichen dem
7 Satan in der Statur und hatten eine gewisse Ähnlichkeit miteinander, aber sie trugen keine Helme. Dann entdeckten sie noch einen dritten mit einem auffallend langen Gesicht. Der unheimliche Spuk zog jetzt rasch vorüber. Die Drachenköpfe auf den Segeln spien noch einmal gewal tige Flammen und bewegten sich da bei. Dann war nur noch der in schwar zen Rauch gehüllte Besanmast zu sehen und ein gewaltiges Heck, das sich brodelnd und schäumend aus der See hob. Eine lange schwarze Nebelfahne verschluckte alles. Knut und Olaf starrten sich benom men an. Um sie her quirlte und brodelte es, dünte die See langgezo gen, tanzten unheimliche Elfen und Kobolde ihren Reigen auf dem Was ser. Noch einmal vernahmen sie das Ächzen und Knarren, dann herrschte eine beängstigende Stille. Ein paar Minuten vergingen schweigend. Jeder versuchte, seine Gedanken zu ordnen und über das Gesehene nachzudenken. „Es war wahrhaftig der Teufel", sagte Knut schaudernd. „Großvater hatte recht, er reitet auf einem riesi gen Schwefelfaß, und es hat aus allen Mäulern Feuer gespien." „Wollen wir zum Land segeln?" fragte Olaf beklommen. „Dorthin wird es uns nicht folgen." „Wir sollten lieber abwarten, damit es nicht noch einmal unseren Kurs kreuzt oder wir den seinen. Bleiben wir lieber noch hier. Ich habe fürch terliche Angst, denn gegen den Teufel kann man sich nicht wehren." „Nein, das kann man nicht. Wohin mögen sie wohl segeln?" „Sie segeln nicht, sie schweben
über dem Wasser, das habe ich ganz deutlich gesehen." Jetzt, nachdem der Spuk vorbei war, ging ihre Phantasie mit ihnen durch. Das, was früher der Großvater zu sehen geglaubt hatte, sahen sie noch viel deutlicher, eindringlicher und ausführlicher. Und sie spannen noch mehr Garn hinzu. Zwei Stunden später waren sie an Land und begaben sich eiligst in den nächsten Krug, um ihre erstaunliche und unheimliche Geschichte an den Mann zu bringen. Sie fanden überall offene Ohren. Im Krug hockten andere Fischer und Seeleute, die wegen des immer stärker werdenden Nebels nicht aus laufen konnten. Es dauerte nicht lange, dann hatten sich sämtliche Gäste um die beiden Thorsten-Brüder geschart und spitzten die Ohren. Auch der Wirt war natürlich mit dabei, und jeder wußte etwas anderes zu berichten. Aus dem Viermaster war ein Gei sterschiff geworden, mit dem Teufel an Bord, der jetzt die Küsten heimsu chen würde. An Bord hatte er Trolle, Dämonen und Kobolde, die zu Stein erstarrt waren. Keiner der gespannten Zuhörer zweifelte an dem Schauermärchen, das immer abstraktere Formen an nahm. Sie waren abergläubisch, und so wurde die Geschichte weidlich ausgeschlachtet, und jeder wußte noch etwas mehr zu berichten. „Das Schiff aus dem Nebel war schon einmal hier, vor etlichen Jah ren", erzählte der Wirt. „Immer, wenn es nach einer gewissen Zeit wieder erscheint, gibt es ein Unglück. Ein Sturm sucht die Küsten heim und vernichtet alles, oder eine Krankheit bricht aus." „Oder es gibt eine Feuersbrunst",
8 sagte eifrig ein anderer, „wie damals, als es ganz überraschend auftauchte. Es erscheint immer in einer schwar zen Nebelwolke, und es hat so große Geschütze an Bord, daß es mit einem einzigen Schuß die ganze Welt ver nichten kann." „Mit einem einzigen Schuß?" fragte der Wirt entsetzt. Die beiden Thorsten-Brüder bestä tigten das sehr eifrig. „Wir haben die Rohre, gesehen", sagte Knut. „Man kann hineinschau en wie in einen riesigen pechschwar zen Schlund. Ein ganzer Wal paßt mühelos in so ein Rohr hinein. Und ganz hinten brennt in dem Rohr ein gewaltiges Feuer." Auch das wurde geglaubt. Die bei den Fischer standen wegen ihres Er lebnisses im Mittelpunkt, und das schmeichelte ihnen. Natürlich erho ben sie sich auch selbst zu Helden, die unerschrocken mit der Aalgabel auf den Satan losgegangen waren. Nach ein paar weiteren Schnäpsen und Bier war aus einem harmlosen Schiff ein weltbedrohendes Unge heuer geworden, das die Küsten nach ahnungslosen Opfern abgraste und alles verschlang, was sich auf seinem Kurs befand. Später, als die beiden schon so viel gekümmelt hatten, daß sie kaum noch auf den Beinen stehen konnten, war aus dem Nebelschiff ein Dämon geworden, der zweifellos vorhatte, den gesamten Norden zu verschlin gen. Ein ganz Schlauer wußte auch zu berichten, daß die alten Wikinger nach jahrhundertelangem Schlum mer wieder zum Leben erwacht wä ren. Natürlich hatte der Teufel das bewirkt, und Knut, der alles durch einanderbrachte, entsann sich jetzt
auch, einen Wikinger an Bord gese hen zu haben. Damit lag er, unbeabsichtigt, fast auf dem richtigen Kurs. 2. „Eiliger Drache über den Was sern", der viermastige Schwarze Seg ler, im Jahre 1560 in China unter dem Großen Chan aus Harthölzern er baut, wirkte auf die meisten, die ihn zum ersten Male sahen, wie ein Schock. Das Schiff, eine gelungene Kombi nation zwischen einer Dschunke und einer Galeone, war schwarz wie die Nacht. Schwarz war der Rumpf, pechschwarz die Masten und Rahen, und schwarz waren die Segel, auf die feuerspeiende Drachenköpfe und an dere unheimliche Gestalten genäht waren. Der nordische Riesenschrat, Thor fin Njal, hockte auf dem Achterdeck in seinem „Sesselchen". So jedenfalls pflegte er in liebevoller Verzärtelung jenen thronartigen gewaltigen Sitz zu nennen, der in den Planken verbolzt war und einem nordischen Götter thron glich. Auch sein sogenanntes „Messer chen" hing an seinem Gürtel. Das Ding war über ein Yard lang und wog knapp einen Zentner. Dieses Messer chen, von den meisten anderen kaum zu handhaben, pflegte Thorfin bei ei ner Auseinandersetzung mit einer Hand zu schwingen. Der Nordmann wischte mit einer Hand über seinen rötlichgrauen Bart. Der Bart war feucht wie ein großer Lappen, denn der Nebel hatte seine Feuchtigkeit darin hinterlassen, und so schimmerten immer wieder kleine Perlen in dem gewaltigen Gestrüpp.
9 Der Nebel war so dicht, daß er von legte Backbordruder, bis der Dau seinem Sesselchen aus nicht einmal men wieder nach oben wies. das Vorschiff sah. Sein Blick reichte Was die Kursänderungen sollten, gerade bis zur Kuhl, wo alles in bizar war dem Stör absolut nicht klar, denn ren Formen und Umrissen wie in ei Thorfin sah in dieser Nebelsuppe ner Waschküche verschwamm. auch nicht weiter als bis zur Kuhl. Den Mann, den alle den Wikinger Dort war die Welt endgültig zu Ende, nannten, juckte der Nebel nicht. Von und es schien nicht mal ein Vorschiff seinem Sesselchen aus gab er Ruder zu geben. Der Wikinger aber bewegte kommandos auf seine ganz beson sich in diesem zähen Brei so sicher, dere eigenwillige Art, die den Ruder als sei die Sicht bis zur Kimm frei. gänger schier zur Verzweiflung trieb. „Weiter so", sagte der Poltermann Zur Zeit stand der Stör am Ruder. mit seiner Donnerstimme. „Du Er hatte den Steuermann Barba abge bleibst jetzt auf diesem Kurs, bis du löst und fühlte sich in der dicken Land siehst. Verstanden? Und wenn Suppe höchst unbehaglich, zumal er du um Haaresbreite aus dem Kurs absolut nichts sah. läufst, dann fliegt dir Thors Hammer Der Stör, einer der fünf Wikinger, ins Kreuz." wurde so genannt, weil er ein so end „Fliegt dir Thors Hammer ins los langes Gesicht wie ein Stör hatte. Kreuz", wiederholte der Stör, weil es Er hieß nur der Stör. Seinen wirkli eine lausige Angewohnheit von ihm chen Namen kannte keiner. war, oftmals Thorfins letzten Satz Der Stör hatte zur Zeit die traurige nachzuquatschen. Aufgabe, auf Thorfins gewaltigen „Dir", brüllte der Wikinger erbost. Daumen zu peilen, den der Nord „Nicht mir! Außerdem habe ich dir mann augenblicklich senkrecht in die schon tausendmal gesagt, daß du Höhe hielt. Senkrecht hieß soviel wie: nicht immer alles nachquasseln Kurs so halten. Gut so! sollst, du gelabsalbter Stint. Ich will Bewegte sich dieses gewaltige Ding jetzt essen und dabei nicht gestört von einem Daumen jedoch plötzlich werden." nach links oder rechts, bedeutete dies Das Essen brachte Arne, der andere einen Kurswechsel nach Backbord Wikinger. Zubereitet hatte es Cookie, oder Steuerbord, der jedes Mal von das schmierig wirkende Köchlein an einem kurzen energischen Pfiff be Bord. Er traute sich nicht, dem Pol gleitet wurde. termann das Essen aufs Achterdeck Wer bei Thorfin am Ruder stand, zu bringen, denn er hatte Angst da konnte also beruhigt eine Weile vor vor, daß die Riesensandalen des Wi sich hindösen. Der Pfiff weckte ihn, kingers wieder in seinem Achterste denn er war durchdringend und grell, ven landeten, wenn Thorfin mit dem und dann sah er immer noch rechtzei Fraß nicht zufrieden war. tig die Daumenbewegung. Allerdings Arne schleppte eine riesige Platte döste niemand bei der Ruderwache, herbei. Darauf lagen drei sehr knus denn darin verstand der Nordmann prig gebratene Hühner, eine arm keinen Spaß. lange Hartwurst, ein halber Laib Der Stör zuckte entnervt zusam Brot, ein halbierter Käselaib, eine men, als der schrille Pfiff erklang große Kumme mit Butter und ein rie und der Daumen nach links zeigte. Er siges Speckstück.
10 „Mehr Hühner hatten wir leider nicht", sagte Arne. „Hier ist auch noch etwas zu trinken." Er stellte die Kanne neben das monströse Sessel chen. Sie enthielt eine knappe Gal lone Dünnbier. „So ist es recht", sagte der Nord mann. Dann begann er genüßlich zu essen. Die Hühnchen riß er auseinander, von der Hartwurst schnitt er daumen starke Stücke ab, ebenso vom Speck. Das Brot schnitt er in riesige Würfel, packte fingerdick Butter darauf und legte Käsescheiben darüber. Der Stör stand weiterhin am Ruder und duckte sich, wenn die abgenag ten Hühnerknochen heranflogen. Die meisten sausten haarscharf an sei nem Kopf vorbei. „Aufpassen!" knurrte der Wikin ger. Der Stör bezog das auf die Kno chen, und er gab acht, damit ihn ja keiner traf, denn sie flogen fast so schnell wie Musketenkugeln. Aber dann traf ihn doch einer ziem lich schmerzhaft, und er verzog är gerlich und beleidigt das lange Ge sicht. „Aufpassen, habe ich gesagt", grollte Thorfin wütend. ,,Hast du keine Augen in deinem verdammten Schädel?" „Ich kann nicht jedem Knochen ausweichen", maulte der Stör. „Ich sprach nicht von den Knochen. Du sollst auf den kleinen Kahn auf passen und ihn nicht untermangeln." Der Stör sah keinen kleinen Kahn und starrte finster in den Nebel. „Da drüben, an Backbord, du Blindfisch! Da hocken zwei Fischer in einem Torfkahn. Halte etwas wei ter ab! Oder glaubst du, ich werfe dir die Knochen aus Spaß an den Schä del?"
Der Stör sah immer noch nichts. Erst als sich Thorfins Gesicht verfin sterte und er Anstalten traf, sich aus seinem Sesselchen zu erheben, er kannte der Stör etwas - einen kaum sichtbaren Schatten, der auf dem Wasser zu schweben schien. Die anderen, die ebenfalls an Deck standen, der Boston-Mann, Juan, Mike Kaibuk, der Kreole Tammy und Pedro Ortiz, sahen ebenfalls nichts und stierten ausdruckslos in die zäh wabernden Schleier. Dann sah der Boston-Mann das Fi scherboot ebenfalls für einen winzi gen Augenblick ganz deutlich. Auch der Stör entdeckte schließlich das Boot mit den zwei wie erstarrt wir kenden Männern. Aber schon wieder verschwand es im allesverschlingen den Nebel. Der Stör schluckte hart und wich dem „Torfkahn" aus. Thorfin Njal aß in aller Seelenruhe weiter. Die drei Hühner waren verputzt, und jetzt war der schäbige Rest an der Reihe. Die Kanne mit dem Dünnbier war auch bereits zur Hälfte leer. Etwas später, eine knappe halbe Stunde mochte vergangen sein, gab Thorfin erneut Daumenzeichen und stieß einen Pfiff aus. „Da ist der Torfkahn schon wie der", brummte er. „Krebsen hier her um, die Kerle, obwohl sie nichts se hen. Hoffentlich bist du bald auf dem anderen Kurs!" fuhr er den Stör an. Der Stör verzweifelte fast. Er hatte gute und scharfe Augen, und dennoch nahm er nur wieder einen winzigen Strich wahr und zwei kaum sichtbare Schatten, die sofort im Nebel wie ein Spuk verschwanden. „Ha, die haben Angst, die Kerle", sagte Thorfin und rülpste laut. „Das sieht man deutlich an ihren Gesich tern."
11 Der Stör schluckte abermals. Er sah die Gestalten nicht mehr, so sehr er sich auch anstrengte. Dafür spuck ten diese Nebelgebilde auf dem Was ser in seinem Schädel herum und ver wandelten sich alle Augenblicke in neue monströse Figuren und Gestal ten. Er glaubte in den wabernden Fet zen Ägirs wilde und schreckliche Töchter zu sehen, die nicht nur absto ßend aussahen, sondern auch schreckliche Namen wie Heulerin und Raffgierige hatten. Thorfin hatte dem Stör die nor dische Mythologie so lange vorge quatscht, bis er sie endlich glaubte. Seitdem sah er sich im Nebel ständig von Odins Raben Hugin und Munin umlauert. Oder er sah Thor selbst, den rothaarigen Gesellen mit seinem wilden aufbrausenden Tempera ment, der seinen gewaltigen Hammer schwang. Auch Ran war da, Ägirs Gattin, die ihm einen bösen Blick aus dem Wasser zuwarf. Alle waren sie da, die nordischen Götter, die das Meer beherrschten, und selbst die riesige Weltesche Ygg drasil wuchs aus den Nebeln. „Kurs halten!" rief Thorfin. „Die Kerle sind verschwunden." Der Stör hielt Kurs, aber nicht lange, dann scheuchte Thorfins riesi ger Daumen ihn wieder auf und nervte ihn, denn der nordische Polter mann hatte ständig was zu meckern. „Du siehst doch in dem Nebel gar nichts", maulte der Stör nach einer Weile. „Wir wissen nicht einmal, wie weit die Küste entfernt ist." „Du vielleicht nicht, aber ich weiß es. Ich kann die Küste sogar sehen." „Glaube ich nicht", widersprach der Stör. „Der Nebel ist so dicht, daß ich nicht mal das Vorschiff sehe." „Was heißt hier: Das glaubst du
nicht!" brauste der Wikinger auf. „Was ich dir vorbete, hast du gefäl ligst zu glauben, du triefäugiges Sumpfhuhn. Noch bin ich hier der Kapitän, und mein Wort gilt. Wenn du noch einmal widersprichst, nagle ich dich an den Großmast." „An den Großmast", murmelte der Stör entsetzt. Thorfin runzelte schon finster die Stirn, und der Stör zog vorsichtshal ber das Genick ein, denn er kannte seinen Herrn und Meister, der mitun ter sehr übellaunig reagierte. Aber da erschien die Erlösung, und für den Stör war es, als ginge in dem dichten Nebel strahlend die Sonne auf. Siri-Tong, die Rote Korsarin, er schien an Deck. Sie trug ihre obligato rische Kluft, der sie auch den Beina men Rote Korsarin verdankte - eine rote Bluse und blaue Hosen. Da es noch unangenehm kühl war, hatte sie sich eine Segeltuchjacke um die Schultern gehängt. Ihr langes, schwarzblau schimmerndes Haar fiel über den Kragen der Segeltuchjacke. Sie blickte Thorfin aus ihren schwarzen mandelförmigen Augen etwas nachdenklich an. Ihr roter Mund verzog sich zu einem knappen Lächeln. „Ist was?" fragte der Nordmann grinsend. „Man hört dich von vorn bis ach tern und von morgens bis abends", sagte sie. „Seit fast zwei Stunden meckerst du mit dem Stör herum. Muß das eigentlich sein? Er ist doch ein guter Rudergänger." „Ein guter Rudergänger", wieder holte der Stör erfreut. „Ein übler Nachquatscher ist das", sagte Thorfin grollend. „Und als Ru dergänger sieht er nicht einmal das
12 Land, weil seine Klüsen zugewachsen sorgen. Die eigentliche Idee dazu stammte von dem alten Schiffbau sind." „Siehst du denn etwa das Land?" meister Hesekiel Ramsgate, und die fragte Siri-Tong noch einem kurzen sen Gedanken hatte der Nordmann sofort und sehr begierig aufgegriffen. Blick in den Nebel spöttisch. Eisen oder Eisenerz brauchten sie für „Ich - äh - manchmal schon", sagte Thorfin etwas lahm. „Hauptsächlich die Werft im Stützpunkt Great Abaco auf den Bahamas. Sie wollten es dann, wenn..." „ . . . der Nebel aufreißt", ergänzte selbst schmelzen und weiterverarbei sie freundlich, „und andere Schiffe in ten, wie Hesekiel vorgeschlagen hatte, denn Eisenbarren oder Erze Sicht sind, die man rupfen kann." „Ich habe mich nur meiner Haut ge waren im karibischen Raum nur sehr wehrt", brummte Thorfin unbehag schwer zu beschaffen. lich. „Die Kerle von der ,Ragnhylt' Thorfin hatte sofort versprochen, sind frech geworden, als ich sie die Reise anzutreten, zumal er gera freundlich etwas fragte. Dabei habe dezu „prädestiniert" für den hohen ich nur die Gelegenheit genutzt. Sie Norden war, wie er selbst versichert hätten sich ja besser wehren kön hatte. Auf dieser Reise wollte er zu nen." gleich einen kleinen Abstecher nach „Und die drei Holländer im Skager Island unternehmen, um dort einmal rak?" fragte die Rote Korsarin. nach dem Erbe seiner Frau Gotlinde, „Die Holländer?" Thorfin tat so, als dem Thorgeyrschen Hof, zu sehen. müsse er sich erst mühsam daran er Daß man dabei unterwegs, so ganz innern. Er hatte sowieso seine eigene nebenbei, ein paar Handelsschiffe Logik, der Schrat aus dem hohen Nor rupfte, war nur selbstverständlich. den. „Die haben es nicht besser ver Thorfin war allerdings nicht der dient", knurrte er dann. „Sie haben Mann, der andere Schiffe hinterrücks nur ein bißchen Zunder gekriegt, überfiel und ausplünderte. Er tat das mehr nicht." mehr auf die feine nordische Art, wie „Na ja, das sind deine Ansichten", er es selbst nannte. Er fing meist ein meinte Siri-Tong. „Bis wann, glaubst bißchen Stunk an, und wenn die an du, sind wir in Bergen?" deren dann voll aufgebraßt waren, „In vier bis fünf Tagen etwa, falls ging es zur Sache. Die waren dann der Nebel nicht so lange anhält. Sonst „frech" geworden, wie jener Handels kann es mindestens eine Woche dau segler „Ragnhylt", dessen Kapitän ern." ihm üble Drohungen zugerufen hatte. Die Rote Korsarin war von der Aus Hinterher sah der Däne dann ein biß sicht nicht gerade begeistert. Sie chen gerupft aus. Seine Segel waren hatte die Reise in den Norden nicht mehr die besten, und auch das ohnehin nur aus einer spontanen Holz des Schiffes war rußgeschwärzt. Laune heraus angetreten. Aber dieser „Und wie lange gedenkst du, dich in Wind war verdammt kalt, und lange Island aufzuhalten?" erkundigte sich nicht so angenehm wie der Wind in Siri-Tong. Die Tochter einer Chinesin der Karibischen See. Sie wollte nur und eines portugiesischen Seeman einmal hinaus, weiter nichts. nes zog die Segeltuchjacke enger um In Bergen wollte Thorfin eine La ihre Schultern, denn der Wind dung Eisenerz oder Eisenbarren be frischte auf und wurde immer kühler.
13 „Zuerst will ich in Bergen das Zeug rote Schärpe über dem Hemd. An der kaufen, aber noch nicht laden. Dann rechten Hand fehlte ihm der Daumen. brauche ich nicht mit einem voll ab Dort hatte ihn einmal eine Musketen geladenen Schiff in den Norden zu kugel erwischt. törnen. In Island selbst werden wir „Frierst du nicht?" fragte die Rote uns nicht lange aufhalten, nur mal Korsarin. „Wenn man dich sieht, kurz nachsehen, was es an Neuig könnte man meinen, wir haben keiten gibt und wie es um den Hof be Hochsommer." stellt ist. Dann segeln wir zurück „Nein, Ma'am, ich friere nicht." nach Bergen, nehmen die Ladung an „Ich kann mich an den kühlen Nor Bord und gehen über die Orkneys den nie so richtig gewöhnen", sagte wieder in den Atlantik. So ungefähr Siri-Tong. „Nebel, Kälte, eisiger habe ich mir den Verlauf der Reise Wind, und es wird noch schlimmer, vorgestellt." wenn wir Island ansteuern." „Nicht wieder an der Südküste Eng „Halb so wild", sagte Thorfin in sei lands vorbei?" ner polternden Art. „Hier kann man Der Riesenschrat zuckte mit den ge wieder frische Luft atmen. In der Ka waltigen Schultern. Mit der linken ribik ist es mir langsam zu heiß ge Hand wischte er durch seinen feuch worden. Bin froh, daß ich wieder im ten Bart. Norden bin. Da unten schwitzt man „Du hoffst immer noch, dort ir sich ja die Seele aus dem Leib." gendwo auf den Seewolf zu treffen", Siri-Tong und der Bostonmann meinte er, „aber das ist aussichtslos. wechselten einen schnellen Blick. Weiß der Teufel, wo die Kerle zur Während die Rote Korsarin ein wenig Zeit stecken. Sie können an jedem lächelte, blieb das Gesicht des Bo Punkt der Welt sein. Wir haben seit stonmannes ernst und zeigte keine Ewigkeiten nichts mehr von ihnen ge Regung. Aber alle beide dachten das hört. Ich würde die Kerle auch gern gleiche. einmal wiedersehen." Kein Wunder, daß sich Thorfin in „Ja, sie sind schon sehr lange weg", der Karibik die Seele aus dem Leib sagte Siri-Tong nachdenklich. schwitzte. Er trug selbst bei der aller Sie blickte den Bostonmann an, der größten Hitze seine rauchgrauen sich ihnen näherte. Sein goldener Felle und den Kupferhelm. Für die Ring am linken Ohr baumelte hin Arwenacks war das immer ein Anlaß und her. Er hatte sich mit dem kühlen zu spöttischen Bemerkungen, doch Wetter offenbar angefreundet. Die das juckte den Wikinger absolut Ärmel seines Hemdes waren bis zu nicht. den Oberarmen aufgekrempelt. Das Auch Carberrys laut ausgesproche Leinenhemd stand drei Knopf breiten ner Verdacht, der Wikinger züchte offen, daß man seine schwarzen unter seinem Helm nordische Riesen Brusthaare sah. läuse, ließ den Poltermann kalt. Er Der Bostonmann war ein schweig zählte sich zu den letzten Vertretern samer Mann mit einem kühnen eines längst ausgestorbenen Seefah scharfgeschnittenen Profil. Er war rergeschlechtes, und davon brachte das, was man einen Bilderbuchpira ihn niemand ab. ten nennt, denn auch heute trug er Er gab dem Stör am Ruder erneut wieder sein rotes Kopftuch und eine ein Zeichen mit dem Daumen und
14 pfiff einmal scharf. Kursänderung nach Steuerbord, hieß das. „Bist du sicher, daß du in dem Ne bel etwas siehst?" fragte Siri-Tong spöttisch. „Meinem Gefühl nach steuern wir direkt auf die schwe dische Küste zu, ohne daß ich auf den Kompaß geblickt habe." „Wir laufen jetzt genau Nordnord west", behauptete Thorfin, der von seinem thronartigen Sesselchen aus den Kompaß ebenfalls nicht sehen konnte. Am Stand der Sonne konnte er sich ebenfalls nicht orientieren, denn der Himmel hörte scheinbar am Marssegel auf. Weiter oberhalb war alles in undurchdringlichen Dunst ge hüllt. Siri-Tong wollte es nicht glauben. Sie sah den nordischen Schrat etwas erstaunt an, wandte sich dann ab und trat neben den Stör, um einen Blick auf den Kompaß zu werfen. Thorfin lehnte sich mit halbge schlossenen Augen in seinem Sessel chen zurück und faltete die Hände über dem Bauch. Der Bostonmann stand neben ihm und blickte auf die Rote Korsarin, die schweigsam wie der zurückkehrte. „Welcher Kurs liegt denn genau an?" fragte Thorfin behäbig. „Nordnordwest", erwiderte SiriTong leise. Thorfin grinste in seinen rötlich grauen Bart. „Habe ich doch gesagt", erklärte er belustigt. „Uns Wikingern ist das in die Wiege gelegt worden. Wir haben früher schon ohne Kompaß über die Meere gefunden. Schon als kleiner Windelpisser wußte ich immer ge nau, auf welchem Kurs ich ..." „Thorfin", mahnte Siri-Tong. „So genau wollte ich das gar nicht wis sen."
Thorfin brummte etwas in seinen Bart und nickte dem Bostonmann zu. „Wird Zeit, daß wir etwas zwischen die Zähne kriegen, Bostonmann. Sag dem Schmierlappen Cookie, er soll das Essen zubereiten. Für mich soll er einen Schellfisch zubereiten und keine Sardine wie gestern. Und schön durchgebraten", rief er dem Boston mann nach, „sonst sollen den Kerl Odins Raben fressen!" Der Bostonmann nickte schwei gend und verschwand in der Kom büse, die Thorfin als Kakerlakenburg zu bezeichnen pflegte. 3. An Bord von „Eiliger Drache" gab es zwei Kerle, die es mit der Sauber keit nicht allzu genau nahmen. Der eine hieß Robinson und war die dreckigste Ratte, die an Bord herum lief. Von den übrigen Kerlen wurde er nur Muddi genannt. Da Muddi oft mals vergaß, sich zu waschen, wurde er in regelmäßigen Abständen von den rauhen Burschen kurzerhand über Bord geworfen, wieder aufge hievt und von den anderen rigoros mit Schmierseife eingerieben und harten Schrubbern abgebürstet, bis ihm alle Knochen weh taten. Der andere war Cookie. Er hieß Rod Bennet, war Engländer, dick, sehr träge und hatte auf der linken Schädelhälfte keine Haare mehr. Die borgte er sich immer von rechts und pappte sie mit öl an seinem Schädel fest. Bei starkem Wind standen sie ihm dann mindestens ein halbes Yard lang vom Schädel ab und flatterten wie eine Fahne im Wind. „Einen Schellfisch will er?" fragte Cookie verärgert. „Der will immer nur das, was wir nicht an Bord haben.
15 Kabeljau haben wir, also kriegt der eins ausgewischt zu haben, genügte Kapitän einen Kabeljau. Die sehen ihm. Als der Fisch nach einer guten hal sowieso nicht viel anders aus als ben Stunde fertig war, trug Cookie Schellfische." „Deine Sache", entgegnete der Bo ihn persönlich nach achtern. Die stonmann knapp. „Geordert hat der Platte war so groß, daß er vorsichtig Kapitän einen Schellfisch, schön damit balancieren mußte. „Der Fisch ist fertig", verkündete durchgebraten." „Gestern hat er mir in den Arsch Cookie. „Er ist auch nicht so klein, ein getreten, weil der Fisch zu klein war", ausgesprochen schöner Schellfisch." maulte Cookie. „Bißchen matschig", sagte der Wi „Auch deine Sache", sagte der Bo kinger und drückte mit dem Finger stonmann. „Habe dir nur die Order auf den Fisch. „Das ist nur vom Öl, aber er ist überbracht." Als der Bostonmann gegangen war, schön groß." „Das sehe ich selbst. Wenn er nicht sah Cookie sich die Vorräte an. In der Fischkiste lag noch ein Schellfisch, durchgebraten ist, fliegt dir Thorsaber der hatte noch die Geburtsur Hammer an den verdammten Schä kunde zwischen den Kiemen und wog del." bestenfalls zwei Pfund. Thorfin begann zu essen. Einmal Cookie dachte wieder an den erschien eine kleine Falte des Un schmerzhaften Tritt in die Kehrseite, muts auf seiner Stirn, aber sie ver nur, weil der Fisch zu klein gewesen schwand wieder, wie Cookie erleich war. Daher entschloß er sich für Ka tert feststellte. Der Nordmann beljau. Der war zwar nicht mehr ganz merkte nichts, er aß weiter. frisch, hatte aber ein beachtliches Ge Niemand hätte behauptet, daß wicht aufzuweisen. Der Bursche Thorfin Njal verfressen sei. Er ver mochte gut und gern seine zehn schlang zwar ungeheure Mengen auf Pfund haben. einen Sitz, aber diese Mengen ent Na ja, ein bißchen duftete er schon, sprachen ganz einfach seinem Ge aber das würde sich beim Braten wicht, und das war sehr beachtlich, noch geben. Er nahm den kapitalen obwohl der Wikinger kein überflüssi Burschen aus und schnitt ihm die ver ges Gramm Fett am Körper hatte. räterischen Flossen ab, die beim Seine Vorfahren hatten auch so ge Schellfisch etwas spitzer waren. Nur waltige Mengen vertilgt. den Bartfaden am Maul ließ er ste Cookie sah mit steigendem Vergnü hen, damit der Wikinger auch keinen gen, wie Thorfin den riesigen Fisch Zweifel daran hatte, daß es wirklich bis auf das Skelett vertilgte. Die üb ein Schellfisch war. Die Haut würde riggebliebene Wirbelsäule war so ohnehin bis zur Unkenntlichkeit ge groß, daß er sie als Keule hätte benut bräunt sein. zen können. Bei der Arbeit grinste er hinterhäl „Was grinst du so dämlich?" fragte tig vor sich hin. Er freute sich, dem Thorfin. Wikinger auf diese Tour eins auswi „Ich habe nicht gegrinst", sagte schen zu können. Seinen Triumph Cookie schnell. „Ich staune nur über konnte er zwar mit niemandem tei die Menge. Soll ich gleich abräu len, aber das Bewußtsein, Thorfin men?"
16 Er wollte schon nach der Wirbel Seine Muskeln drohten das grobe Lei säule greifen, um sie über Bord zu nenhemd zu sprengen. „Was tust du mit einem Verschwö werfen, doch Thorfin schlug ihm auf die Finger. Cookie zuckte zusammen, rer, Barba?" fragte Thorfin. als habe ihn die Neunschwänzige ge „Ich weiß nicht, was ein Verschwö troffen. rer ist, Nordmann", sagte Barba. „Ein schöner Fisch", sagte der Wi „Das ist einer, der falsch geschwo kinger anerkennend. „Wirklich ein ren hat. Er hat sich verschworen, also sehr schöner großer Fisch." ist er ein Verschwörer." „Nicht wahr? Er war doch pracht „Ah, so ist das." Das narbige Mon voll." strum nickte. „Bei so einem laß ich „Ich habe nur gesagt, daß es ein die Kuh fliegen." sehr schöner großer Fisch ist", ent „Genau das dachte ich mir." gegnete Thorfin. „War es vielleicht Barbas seltsamen Ausdruck hatte ein Kabeljau?" anfangs niemand zu deuten gewußt. „Gott bewahre", sagte Cookie eif Er ließ immer in seinem Zorn „die rig. „Es war ein Schellfisch." Kuh fliegen", manchmal bis zur „Das kannst du beschwören, bei Kimm, wie er versicherte. Odin und seinen Raben?" Das bedeutete nichts anderes, als „Natürlich kann ich das." daß er kräftig zuzulangen gedachte. „Dann schwöre bei Odins Raben Und wo seine Fäuste hinlangten, Hugin und Munin, daß du deinem Ka wuchs ohnehin nichts mehr. Barba pitän einen Schellfisch serviert hast, verfügte über gewaltige Kräfte. keinen Kabeljau." Er drehte sich um und musterte Cookie schluckte nervös. Sein Blick Cookie aus seinen kleinen zusam wurde unruhig, aber er hob die Hand mengekniffenen Augen. Dem schmie und schwor, er habe seinem Kapitän rigen Köchlein brach der Angst einen Schellfisch serviert. schweiß aus, wenn er nur an die Pran Als er mit seinem Schwur fertig ken dieses Monstrums dachte. war, nickte Thorfin. Aber sein Nicken „Es war ein Schellfisch!" kreischte galt nicht Cookie, sondern dem er in seiner Angst. „Ich bin kein Ver Steuermann Barba, einem Monstrum schwörer, es war wirklich ein Schell von einem Kerl, untersetzt, unglaub fisch!" lich kräftig, und mit einem solch nar „Es war ein lausiger Kabeljau", bigen Gesicht, daß sogar der Profos donnerte Thorfin ihn an. „Ich kenne Carberry beim ersten Anblick zu den Unterschied genau, du Kanal tiefst erschrocken gewesen war. ratte. Der Schellfisch ist schmackhaf Dieser Mann, den sie Barba nann ter und sein Fleisch zart und locker. ten, war eigentlich Siri-Tongs ergebe Ich habe mehr Schellfische vertilgt, ner Steuermann von dem Schiff „Ro als du in deinem lausigen Leben je ge ter Drache", das die Rote Korsarin sehen hast. Aber du hast gelogen und befehligte. Dieses fürchterliche Unge das auch noch beschworen." heuer hatte Siri-Tong auf den „Es war bestimmt kein Kabeljau", Schwarzen Segler mitgenommen. versicherte Cookie noch einmal mit Barba, düster und unheimlich, schwacher Stimme. Aber sie klang baute sich neben dem Wikinger auf. längst nicht mehr so überzeugend,
17 und das Grinsen war ihm auch ver ken hin und her. Dabei nickte er kläg lich. gangen. „Es - es war nur ein Spaß", jam Thorfin schickte den Kreolen Tammy in die Kombüse. Dort sollte merte er. „Ich wollte nur wissen, ob er den Abfallkübel holen und an man den Unterschied wirklich fest Deck bringen. Tammy, stiernackig, stellen kann." dunkeläugig und immer sehr schnell „Jetzt weißt du es - man kann!" mit dem Messer, marschierte los. In „Wirklich nur ein Spaß", jaulte Spanien suchten sie Tammy immer Cookie. noch, weil er damals einen Alkalden „Aber das mit Odins Raben war dir umgebracht hatte. Dem Hängen war ernst!" brüllte Thorfin. „Und damit er nur sehr knapp entwischt. Seitdem hast du die nordischen Götter belei befand er sich auf dem Schwarzen digt!" Segler. Cookie putzte weiter und wusch die Der Abfallkübel wurde gebracht. Planken mit Seewasser nach, bis alles Cookie hatte nicht daran gedacht, ihn wieder sauber war. auszuleeren, um die verräterischen „Kennst du vielleicht nicht den Un Spuren zu entfernen. Das wurde ihm terschied zwischen einem Kabeljau jetzt zum Verhängnis. und einem Schellfisch?" fragte der „An Deck mit dem Mist!" donnerte Wikinger lauernd. der Wikinger. Cookie sah einen Rettungsanker Der Kübel war ziemlich voll, und vor sich, eine Notbrücke, über die er der Inhalt roch nicht gerade ange vielleicht noch spazieren konnte. nehm, als er auf die Planken gekippt „So ist es", sagte er hastig, „so ge wurde. Sogar der Wikinger verzog nau kenne ich den Unterschied wirk angewidert die Nase. lich nicht. Ich glaube, ich muß noch „Schon tausendmal habe ich dir viel von den Fischen lernen." Wanze gepredigt, den Kübel nicht im Thorfin nickte grimmig. mer voll herumstehen zu lassen. Such „Das glaube ich auch. Zum Lernen jetzt die Flossen heraus." wirst du eine einmalige Gelegenheit Barba drückte Cookie den Zeigefin erhalten. Du darfst dich jetzt unter ger ins Genick. Das genügte bereits, Wasser ein bißchen umsehen. Da um das schmierige Köchlein auf die schwimmen Heringe, Barsche, Kabel Planken zu zwingen. Dann begann er jau und Schellfische in großen mit zitternden Händen in dem übel Schwärmen herum. Sieh sie dir ge riechenden Matsch herumzufischen. nau an und unterhalte dich ein wenig Es dauerte nicht lange, dann hatte mit ihnen, bis du den Unterschied ka Cookie die abgeschnittenen Kabel piert hast." jauflossen in der Hand. Dem Köchlein war jetzt tatsächlich „Also doch ein Kabeljau", sagte der zumute, als hätte ihm Thor seinen ge Wikinger zufrieden. „Das habe ich waltigen Hammer ins Kreuz gewor gleich gewußt. Jetzt werden Odins fen. Gehetzt sah er sich um. Raben dich zwacken. Pack das Zeug „Ich - ich soll ins Wasser?" fragte wieder in den Kübel und klar das er entsetzt. Deck auf. Hast du mich nun angelo „Sollen die Fische vielleicht an gen, oder nicht?" Deck steigen, um sich mit dir zu un Cookie kroch ächzend auf den Plan terhalten?" donnerte Thorfin. „Das
18 Barba packte Cookie wie ein Bün wäre wohl ein bißchen zu viel ver langt. Also gehst du zu ihnen. Barba, del Lumpen, das kaum Gewicht hat. nimm den Verschwörer an die Leine Mit der rechten Hand hievte er ihn mühelos bis zum Handlauf des und tunke ihn ein bißchen." Cookie wollte voller Panik davon Schanzkleides hoch. Dort zappelte Cookie und brüllte rennen, aber da streckte Barba be reits seine riesige Pranke aus. Das sich die Seele aus dem Leib. Doch das Köchlein blieb so ruckartig stehen, nutzte ihm herzlich wenig. Als der Wikinger den Daumen nach als sei es an die Bordwand geprallt. Tammy brachte eine lange Leine, unten senkte, ließ Barba den zappeln schlang sie dem Koch um die Hüften den und schreienden Kerl einfach los. Der Kreole Tammy wartete, bis es und zog den Knoten fest. Cookie schrie zum Gotterbarmen. Er selbst in der See laut aufklatschte und ein hatte sich immer gern an den rauhen heiserer Schrei abrupt abbrach. Späßen beteiligt und am lautesten ge Dann leerte er den Abfallkübel genau lacht, wenn Muddi wieder mal an der in dem Augenblick aus, als Cookie Reihe war. Aber diesmal grinste auftrieb und mit dem Kopf das Was Muddi bis an die Ohren. ser durchbrach. Cookie ging sofort wieder unter, als Mißjöh buveur hielt sich ebenfalls den Bauch vor Lachen, als er den zap ihn der matschige Inhalt traf. Es pelnden Koch sah. Den Namen hatten blubberte noch einmal, dann ver sie ihm auf dem Schwarzen Segler schwand er in einer übelriechenden verpaßt, weil er ständig soff und je Wolke aus Dreck und matschigen den der Kerle mit Mißjöh anredete. Abfällen, die sich innerhalb einiger Ein flüchtiger Blick des Wikingers Tage in der Kombüse angesammelt ließ ihn jedoch heftig zusammenfah hatten. Eine undurchdringlich schei ren. Das Grinsen verschwand aus sei nende Schmiere begleitete den Koch nem aufgedunsenen Gesicht. auf seiner raschen Fahrt nach ach Thorfin überzeugte sich persönlich, tern. ob der Knoten fest war. Cookie sollte Barba fierte die Leine nach, beugte schließlich nicht irgendwo achteraus sich über das Schanzkleid und starrte in der See verschwinden. Er sollte unbewegt in die Suppe aus Nebel, nur ein bißchen geläutert werden, Wasser und fauligem Dreck. Im Kiel obwohl das sehr fragwürdig war. Er wasser des Schwarzen Seglers tauch war schon zu oft geläutert worden. te Cookie wieder auf, brüllend und „Und jetzt über Stag mit dem Ver prustend und heftig um sich schla schwörer", sagte Thorfin. „Wenn er gend. Er paddelte wie ein Verrückter im Bach hängt, leert ihm den Kübel und schrie sich die Kehle heiser. nach, damit er auch das in Zukunft Der Wikinger gab das Zeichen, ihn nicht vergißt." noch ein bißchen weiter achteraus zu „Das Wasser ist zu kalt!" schrie hängen. Dann wurde die Leine belegt. Cookie in wahnsinniger Angst. „Ich Die Kerle hängten sich ans Schanz vertrage kein kaltes Wasser!" kleid und sahen schadenfroh grin „Und ich vertrage keinen Kabeljau send zu, wie Cookie sich abzappelte. und keine Lügen!" röhrte Thorfin. „Auf Kurs bleiben", Sagte Thorfin „Sieh dir die Außenbordkameraden zum Stör, der sich mit langem Ge jetzt genau an." sicht umgedreht hatte. „Ich halte
19 jetzt ein kleines Nickerchen. Wenn was los ist, weckst du mich sofort." „Weckst du mich sofort", sagte der Stör. „Umgekehrt", sagte der Wikinger friedlich. „Umgekehrt, Stör, sonst hängst du auch für eine Weile außen bords." Er lehnte sich in seinem Sesselchen zurück, ließ den behelmten Schädel auf die Brust sinken und begann be reits zu schnarchen. Er träumte von einem riesigen Fisch, der hinter dem Schiff herschwamm und neugierig das Ruderblatt betrachtete.
Zwanzig Minuten später erwachte der Wikinger mit der Geräuschent wicklung eines brünftigen Sauriers. Ein wilder Ratzer, der alle verstört zusammenzucken ließ, beendete sein Nickerchen. Er sah hoch und gähnte laut. „Hängt der Spillerhering noch im mer draußen?" fragte er. „Ja, noch immer", erwiderte der Stör. „Zappelt er noch?" „Ein bißchen." „Dann lebt er auch noch", stellte Thorfin fest. „Nehmt den Kerl wieder an Bord." Barba, der Bostonmann und der taube Jonny holten die Leine Hand über Hand ein. Dann hievten sie das Köchlein an Bord. Cookie lag vor dem Sesselchen keuchend auf den Planken. Die Zunge hing ihm aus dem Hals, und er japste wie ein Fisch auf dem Trockenen. „Kennst du jetzt den Unterschied zwischen Schellfisch und Kabeljau?" erkundigte sich der Wikinger. „Oder bringst du sie immer noch durchein ander?"
„Das - das wird nie mehr passie ren", keuchte Cookie. „Ich - ich schwöre es." „Schwöre lieber nicht, sonst ver schwörst du dich wieder. Frierst du?" Die Frage war überflüssig, denn der Koch zitterte an allen Gliedern zum Gotterbarmen und schnatterte beim Sprechen wie eine Ente. Thorfin holte aus seiner Fellklei dung eine beachtliche Kruke hervor und reichte sie dem Köchlein. „Hier, trink einen Schluck, und dann verziehst du dich in deine Ka kerlakenburg. Zehn Minuten später will ich dich wieder an Deck sehen. Ist das klar?" Der Koch versprach hoch und hei lig, alles zu tun. Dann griff er nach der Kruke und trank gierig einen lan gen Zug. Mißjöh buveur stand dane ben und leckte sich noch gieriger die Lippen. In der Kruke befand sich ein Le benselixier, ein nordisches Wässer chen mit der Wirkung von feinge schrotetem Schießpulver. Der Wikin ger fügte dem Wässerchen außer ein paar Zaubersprüchen immer noch getrocknetes isländisches Moos und ein paar Torffasern hinzu, damit das Wässerchen auch etwas hergab. Außerdem vergriff sich niemand daran, denn wer einmal davon ge trunken hatte, vergaß es sein Leben lang nicht. Die Wirkung auf den Koch war ver blüffend. Kaum war der Extrakt in seinem Magen, da sprang er auch schon mit einem lauten Schrei auf und schüt telte sich wild. Er erweckte den Ein druck, als sei er von etlichen Muske tenkugeln getroffen worden. Hin und her warf es ihn, bis er endlich mit ei nem urigen Schrei auf den Lippen in der Kombüse verschwand.
20 Die Kerle lachten wild hinter ihm her. Mißjöh buveur stürzte sich auf die Kruke, die einsam auf den Planken stand, und wollte sie aufheben. „Dir soll ich wohl das Kreuz aus hängen?" rief Thorfin. Der Säufer zuckte zusammen und verholte schnell zum Großmast, wo er verlegen grinsend stehenblieb. Nach zehn Minuten war das Köch lein wieder da, immer noch schnat ternd und frierend, aber in trockene Plünnen gehüllt. Thorfin betrachtete ihn von oben bis unten. „Wenn du noch einmal die nordi schen Götter bescheißt, werden dich Ägirs schreckliche Töchter holen", versprach er drohend. „Und damit du die nächsten drei Tage daran denkst, kriegst du die Wirbelsäule von dem lausigen Kabeljau als Andenken." Cookie wirkte erleichtert. Das Bad in der kalten See hatte ihn zwar er heblich mitgenommen, aber jetzt konnte ihm nichts mehr passieren. Die Wirbelsäule würde er drei Tage lang aufbewahren und sie dann weg werfen. Er brachte sogar ein schief mäuliges Grinsen zustande. Der Wikinger griff nach Cookies endlos langer Haarsträhne und zog sie in die Länge. Cookies Halbglatze war jetzt deutlich zu sehen. Sie schim merte rötlichweiß. Zu seinem grenzenlosen Entsetzen nahm der Nordmann die Haar strähne und verknüpfte sie ungerührt mit der riesigen Fischgräte. Der Kopf des Kabeljaus befand sich ebenfalls noch daran. Er konnte nicht gerade behaupten, daß das Ding angenehm roch. Mit einem letzten Ruck zurrte Thorfin den Kadaver fest. „Damit wirst du jetzt drei Tage
lang Spazierengehen", sagte er dro hend. „Ich werde dich auch nachts in der Koje kontrollieren, und wehe dir, das Ding fehlt! Du Bastard hast ja heute abend schon wieder vergessen, was du getan hast. Aber das wird drei Tage lang wirken. Dann kannst du den Schmuck abnehmen." Cookie stand da wie vom Donner gerührt. Der riesige Fischknochen hing ihm achtern bis zu der Hüfte hin unter und baumelte hin und her wie der Ohrring des Bostonmannes. Nur sah der viel besser aus. „Dann stinkt aber die ganze Koje", sagte er kläglich und der Lächerlich keit preisgegeben. „Und ich kann mit dem Fisch nicht schlafen." „Deine Koje stinkt sowieso, da fällt das nicht weiter auf. Und wenn du nicht schlafen kannst, dann legst du dir den Fischrest einfach auf den Bauch. Das ist ein gutes Schlafmit tel." Cookie bezweifelte das zwar, aber das ließ er nicht laut werden, sonst wurde alles nur noch schlimmer. Wei terer Protest war ebenfalls zwecklos, sonst ersann der Wikinger womög lich noch schlimmere Dinge. Die Augen tränten ihm, als er sich abwandte. Die Gräte war höllisch schwer und zerrte mächtig an den paar noch verbliebenen Haaren. Und zu allem Überfluß mußte er sich die Hänseleien und das wilde Gelächter der anderen Kerle anhören. Auf dem Schwarzen Segler war wieder mal was los, aber das war es eigentlich immer bei den rauhen Ker len. 4. In der Frühe des nächsten Morgens begann sich der Nebel langsam zu
21 lichten. Der Stand der Sonne war nur und jetzt sah er das fremde Schiff be zu ahnen, doch es wurde merklich deutend besser. Es schälte sich auch langsam aus dem Nebel heraus, wo heller. Cookie begann sein Tagewerk in bei es gleichzeitig immer mehr Kon der Kombüse mit todunglücklichem turen gewann. „Eine Karavelle", brummte Thor Gesicht. Der Zopf bedrückte ihn doch sehr, denn bei jeder noch so kleinen fin, „ein wirklich schönes Schiff. Es Bewegung flog der Fischrest von ei ist nur halb abgeladen. Würde mich ner Seite zur anderen, zerrte wild an verdammt interessieren, was es wohl seiner Kopfhaut und verbreitete dazu an Ladung mit sich führt." nicht gerade das, was man als liebli Er legte das Spektiv beiseite und chen Duft bezeichnet. kratzte sich nachdenklich die Stirn Sobald er an Deck erschien, began seite. Daß er auf dem Helm mit dem nen die Kerle dreist und unverschämt Zeigefinger herumkratzte nahm er zu grinsen, worüber sich Cookie jedes nicht wahr. Es war eine seiner Ge Mal ärgerte. Es dauerte lange, bis er sten, die Edwin Carberry und Ferris es mit einiger Gelassenheit hinnahm. Tucker stets zur Verzweiflung trie Dann aber kümmerte sich niemand ben. Auf dem Schwarzen Segler war mehr um Cookie. Es gab weitaus in es jedoch ein gewohntes Bild. teressantere Dinge. „Du willst ihn doch nicht etwa rup Diego Valeras stand im Ausguck fen?" fragte die Rote Korsarin. Der des Großmarses und versuchte mit Wikinger schien sie nicht zu hören. Er seinen Blicken den Nebel zu durch griff wieder nach dem Spektiv und dringen. Mitunter waren es nur noch warf einen langen Blick hindurch. vereinzelte Bänke, die dicht über dem Dann grinste er. Wasser schwebten. An anderen Stel „Ein Däne, wahrhaftig ein Däne. Er len war der Nebel noch zäh. hat mit seltener Frechheit und Unver In einer dieser Bänke tat sich eine schämtheit den Danebrog gehißt." Gasse auf. Fast schwarzes Wasser „Ich kann darin keine Frechheit er wurde sichtbar und darüber ein kennen. Und eine Unverschämtheit schlanker Rumpf, hinter dem blasen erst recht nicht. Er kann doch die werfendes Kielwasser zu sehen war. Flagge seines Heimatlandes führen, Das fremde Schiff schien nur aus die wenn er will." sem Rumpf zu bestehen. Alles andere „Er will mich provozieren!" rief der steckte noch im Nebel. Wikinger. „Dieser Bastard hat es dar „Schiff Steuerbord voraus!" rief auf angelegt, mich zu ärgern. Weißt der Protugiese. „Entfernung etwa du übrigens, daß die Flagge vom eine halbe Meile." Himmel gefallen ist?" Thorfin Njal fuhr von seinem Ses „Das ist mir nicht bekannt", sagte sel hoch und starrte in die wabernden Siri-Tong mit leisem Spott in der Nebelfetzen. Dann sah auch er den Stimme. „Vielleicht hat sie der Wind Schiffsrumpf und zuckte im ersten übers Meer geweht." Augenblick zusammen. Das Gebilde „Nein, nein, sie fiel wahrhaftig vom sah wahrhaftig wie ein Geisterschiff Himmel, das weiß ich genau. Vor aus, das ohne Masten und Segel dicht mehr als dreihundert Jahren zog Wal über dem Wasser schwebte. demar der Zweite gegen Estland, und Thorfin blickte durch den Kieker, plötzlich fiel die Flagge vom Himmel.
22 Seither haben die Dänen ihren Da nebrog." „Ich habe dich soeben etwas ge fragt, Thorfin", erinnerte die Rote Korsarin sanft. „Und zwar, ob du vor hast, das Schiff zu rupfen." „Mich interessiert nur, was er gela den hat. Das ist so eine Art Neugier von mir", erwiderte Thorfin auswei chend. „Aber ich kann den Kapitän ja mal höflich fragen." „Wir sind schon ein paarmal unan genehm aufgefallen mit deiner Rup ferei. Laß es diesmal lieber bleiben. Auf der Rückreise begegnen wir ganz sicher spanischen Schiffen. Da kön nen wir uns noch einmal kräftig ins Zeug legen. Das bringt auch mehr ein. Der Däne wird keine großen Reichtü mer mit sich herumschleppen. Und auf deine sogenannte höfliche Frage wirst du vermutlich keine befriedi gende Antwort erhalten." „Wenn der Kerl rotzig wird, kann er was erleben", knurrte der Nord mann. „Ich laß mich doch nicht von jedem hergelaufenen Dänen beleidi gen." Siri-Tong seufzte leise. Mit Thorfin, diesem dickschädeligen Schrat, war es manchmal ein Kreuz. Wenn der sich etwas in den sturen Schädel ge setzt hatte, war er nicht mehr davon abzubringen. Jetzt redete er sich wie der ein, der Däne provoziere und be leidige ihn. Damit hatte Thorfin dann wieder einen Grund zum Drauf schla gen. „Wir sehen uns den Kerl mal an", sagte er zum Bostonmann. „Du über nimmst jetzt das Ruder. Ihr anderen flitzt an die Kanonen, falls der Ba stard uns angreift." „Er greift uns ganz sicher nicht an", sagte Siri-Tong. „Dazu hat er über haupt keinen Anlaß." „Ha, eine Bande von lausigen Ska
gerrakpiraten ist das", erklärte der Nordmann. „Die kenne ich. Die lauern nur darauf, mir mein schönes Schiff in Fetzen zu schießen." „Tu, was du willst, du Dickschä del", fauchte die Rote Korsarin. „Mit dir kann man ja nicht mehr vernünf tig reden, du vernagelter Schrat." Thorfin schluckte brummend das Ding. Von der Roten Korsarin war er noch wesentlich stärkeren Tobak ge wohnt. Die blies ihm hin und wieder kräftig den Marsch - allerdings meist ohne Erfolg. „Ich will nur sehen, was er geladen hat", sagte Thorfin stur. „Vielleicht ist es ein getarnter Spanier, der Spi one an den Küsten absetzt. Oder der will Island angreifen." „Du hast auch schon bessere Ausre den gehabt. Deine Logik ist heute nicht gerade bestechend. Ein Däne, der spanische Spione an den Nordi schen Küsten absetzt und anschlie ßend Island überfällt. Siehst du darin einen Sinn?" „Das ist es ja gerade, womit er uns in die Irre führen will. Wir sollen kei nen Sinn darin erkennen, deshalb hat er auch so frech und rotzig den Da nebrog gesetzt, um uns zu täuschen." Die Distanz der beiden Schiffe ver ringert sich, nachdem der Boston mann den Kurs nach Steuerbord ge ändert hatte. Sie waren jetzt noch etwa vier Kabellängen von der Kara velle entfernt. Sie war jetzt auch deutlich zu sehen - ein rankes, schlankes und schnelles Schiff, das leicht und wendig durchs Wasser lief. Der Däne war auch gut bestückt. Auf seiner Backbordseite waren sechs Rohre zu erkennen. Zudem hatte er eine Menge Drehbassen an Bord. Drüben hatte man den Schwarzen Segler ebenfalls bemerkt, behielt aber den eingeschlagenen Kurs bei.
23 „Es könnte ein dänisches Kriegs schiff sein", warnte Siri-Tong. „Denk mal an die letzten Tage und Wochen. Die Dänen sind nicht gerade gut auf uns zu sprechen." „Ich auf die Dänen auch nicht", knurrte der Nordmann. „Immerhin haben uns drei Dänen angegriffen." „Mit dir ist doch nicht mehr zu re den!" rief die Korsarin erbost. „Die drei Schiffe waren Niederländer, und sie haben nicht uns im Skagerrak be schossen, sondern wir sie." „Das kann man auch anders se hen." Abrupt wandte sich Siri-Tong ab. Sie wollte in ihre Kammer gehen, denn jeder weitere Wortwechsel mit dem Querkopf war zwecklos und är gerte sie nur. Gerade als sie sich umdrehte, blitzte es bei der dänischen Karavelle grell auf. Eine Feuerlanze zuckte gelbrot herüber. Der rollende Donner folgte sofort danach. Vor der Kara velle hing ein Vorhang aus dunklem Rauch wie ein Todesschleier. Fassungslos drehte die Rote Korsa rin sich um. Sie blickte auf die Stelle im Wasser, wo die Kugel eingeschla gen hatte. Jetzt spritzte dort eine Gischtfontäne hoch, stand für einen Augenblick wie eine Säule im Meer und fiel dann rauschend zusammen. Der Wikinger blickte direkt ver zückt drein und grinste dabei diabo lisch. Sein Gesicht drückte Triumpf aus, und der Schuß aus der Kanone war Wasser auf seine Mühle und Bal sam für seine Seele. „Diese Bastarde", sagte er kehlig, „diese dreimal verfluchten Bastarde! Ich habe es ja gleich gesagt. Schnapp hähne, lausiges Piratenpack, das friedliche Handelsschiffe überfällt. Von wegen Kriegsschiff!" höhnte er. „Sehen diese Galgenvögel etwa wie
Soldaten aus mit ihren ausgefransten Plünnen?" Bevor die Rote Korsarin etwas er widern konnte, brüllte erneut eine Kanone auf. Ein wilder Blitz, ein Röhren, und schon entstand die näch ste Wassersäule. Etwa fünfzig Yards entfernt vor der Steuerbordseite des Schwarzen Seglers versank sie in der See. „Drauf auf die Halunken, und so fort hinterher!" brüllte Thorfin. Sein Gesicht war vor Zorn und Wut knall rot angelaufen, und er fuchtelte wild mit den Händen in der Luft herum. Eike, Arne, Olig und der Stör gin gen sofort zur Sache. Die Kanonen waren geladen, die Luntenstöcke sprühten Funken. Vier der zwölf Steuerbordge schütze spien ihr Eisen aus. Durch „Eiliger Drache" ging ein spürbarer Ruck. Das Aufbrüllen der Fünfund zwanzigpfünder übertönte jedes an dere Geräusch. Durch den langsam verwehenden Nebel stachen lange Feuerzungen. Eine Wolke aus grauem Qualm zog bis aufs Achterdeck. Die Karavelle hatte nach dem zwei ten Schuß abgedreht und zeigte dem total verbiesterten Nordmann das schmale Heck. Er hob wütend die Faust und brüllte ihnen einen wilden Fluch nach. Einen zweiten Fluch ließ er vom Stapel, als er sah, daß die Ku geln viel zu weit lagen. Die Entfer nung war mittlerweile größer gewor den. Vier mächtige Wassersäulen ver deckten das Heck der Karavelle für ein paar Augenblicke. „Bastarde - Höllenhunde - Rat tenschwänze - dreckiges Lause pack!" brüllte der Wikinger voller Zorn. „Wenn ich euch kriege, wickel ich jeden einzelnen zehnmal ums Bratspill! Und eure verdammten
24 Schädel klopf ich zu Mus, ihr lausi gen Torfköppe!" Er, der sonst wirklich nicht zimper lich war und gern mal kräftig zu langte, war mächtig empört und in Braß, daß es ein verdammter Bastard gewagt hatte, ihn unter Feuer zu neh men. Das blieb in Thorfins rauch grauen Fellen hängen und erfüllte ihn mit berstender Wut. „Das scheinen tatsächlich Schnapp hähne zu sein", sagte Siri-Tong nach einem Blick durch das Spektiv. „Nach Soldaten sehen sie wahrhaftig nicht aus. Da hast du also recht ge habt, Thorfin." „So was hat ein Wikinger im Ge fühl", tönte der Nordmann. „Aber so bald ich die Kerle habe, such ich mir einen heraus und hänge ihn an die Rah, damit er weiß, mit wem er es zu tun hat. In einer knappen Stunde ha ben wir die Bastarde." „Eiliger Drache" segelte versetzt im Kielwasser des Dänen nach, der hin und wieder bewußt eine Nebel bank ansteuerte und darin ver schwand. Thorfin konnte sein Versprechen jedoch nicht einlösen. „Eiliger Drache über den Wassern" tat seinem Namen zwar alle Ehre an, aber die Karavelle war doch schneller als der riesige Viermaster. Thorfin fühlte sich von den Kerlen außerdem auf den Arm genommen, und das wurmte ihn ganz besonders. Sie ließen ihn einmal ein wenig auf holen, aber auf Schußweite gelangte er nicht heran, und das Stück, das er aufgeholt hatte, war er nach einer Weile wieder los. Da half auch sein Fluchen nicht. „Und ich kriege sie doch", knurrte er wild.
5.
Der Nebel hatte die Arwenacks schon tagelang genervt, und auch jetzt hatte sich nicht viel daran geän dert. Das Meer sah aus, als sei es mit rie sigen Wattebergen gespickt. Der Ne bel formte die bizarrsten Gebilde. Mal waberte er wie ein langgezogener Schleier über das Wasser, dann wie der bildete er riesige Wolkenberge oder türmte Gebirge auf. Kimm und Himmel waren nicht zu sehen, alles war weißgrau, feucht, klamm und voller Nebel. Auch der Wind blies nur schwach und schob die Schebecke langsam über das Meer. „Ich weiß nicht, ob es richtig war, sich auf diesen Törn einzulassen", sagte der Seewolf. „Gewiß, wir woll ten ein paar Informationen über un seren Stützpunkt, aber ob wir Thor fin noch erwischen, scheint mir im mer fraglicher zu werden. Wir kreb sen nur noch im Nebel herum." „Deine Entscheidung war schon richtig, Sir", sagte Ben Brighton. „Wir wissen nicht, wann wir wieder in die Karibik zurückkehren, und da ist es ganz gut, wenn wir ein paar In formationen erhalten." „Thorfin krebst auch im Nebel her um und kann sich nicht schneller be wegen", meinte Dan O'Flynn. „Wir sind dem nordischen Rabauken ganz dicht auf den Fersen. Er hat ja über all Spuren hinterlassen, von der ,Ragnhylt' über die Holländer, den Runensteinen und den Feuern. In etwa zwei oder drei Tagen müssen wir ihn erwischen. Thorfin trödelt be kanntlich im Norden immer herum, weil er sich hier wohl fühlt." „Sehr wohl offenbar", sagte Hasard sarkastisch. „Der Riesenschrat rupft
25 hier und dort ein bißchen, hält hin holten sie das Netz ein, in dem eine und wieder ein kleines Besäufnis ab Menge silbriger Leiber zappelten. Es und trödelt weiter. Aber das ent war ein großer Fang, mit dem sie of spricht eben seiner Art, und niemand fenbar nicht gerechnet hatten. wird es ändern können." „Wir halten Kurs auf sie", sagte Ha „Ich freue mich trotzdem, den be sard. „Vielleicht können wir von ih helmten Nordpolaffen wieder mal zu nen etwas erfahren." „Wir könnten ihnen Fische abkau sehen", meinte Carberry. „Dann gibt es wieder was über seine dämlichen fen", schlug der Kutscher vor. „Si Angewohnheiten zu lachen. Ob er cher haben sie Kabeljau, Schellfisch wohl immer noch an seinem Helm oder Butt gefangen." kratzt, wenn er überlegt?" „Oder Heringe", setzte Mac Pellew „Ganz sicher", sagte Ferris Tucker verträumt hinzu. „Die stärken die lachend. „Er wird auch noch seine Manneskraft, besonders Räucherhe nordischen Riesenläuse unter dem ringe." polierten Kübel züchten. Darauf „Wirst du wohl wieder mal nötig halte ich jede Wette." haben", flachste Matt Davies. Der Wikinger gab wieder mal Stoff Big Old Shane dachte seufzend an her für saftige Gespräche. Wenn er die geräucherten Heringe, die sie da die Vermutungen alle gehört hätte, mals in Bornholm gekauft hatten. würde es ganz sicher unter seinem Später hatten sie sie dann in einem Helm zu läuten beginnen. Räucherofen selbst geräuchert, und Die angeregte Unterhaltung wurde die ganze Mannschaft war hellauf be unterbrochen, als Dan O'Flynn mit geistert gewesen. dem Finger nach Steuerbord voraus Dem Ex-Schmied von Arwenack zeigte. lief das Wasser im Mund zusammen. „Ein Fischerboot", sagte er, „der „Wir haben doch noch eine ähnli Ausguck hat es noch nicht bemerkt. che Konstruktion an Bord", sagte er Ich habe es auch nur durchs Spektiv eifrig. „Das Ding ist gleich zusam-? gesehen." mengebaut. Was haltet ihr von geräu Etwas später meldete es auch der cherten Heringen?" Ausguck. Es war eine kleine Nuß Welche Frage! Die Kerle stimmten schale mit einer Fock. Zwei Männer fast ein Geheul an. waren zu erkennen, die ihre Netze „Ein guter Vorschlag", sagte Ha über Bord gehängt hatten, jetzt aber sard. „Dann versuchen wir es." untätig warteten und zu der heranse Die beiden Fischer hievten immer gelnden Schebecke starrten. noch an dem gefüllten Netz. Ihre „Große Helden scheinen die beiden Angst vor dem fremden Schiff war nicht zu sein", meinte Hasard la offenbar groß, aber ihre gewaltige chend. „Sie treffen Anstalten, die Beute wollten sie denn doch nicht im Netze einzuholen und zu türmen. Sie Stich lassen. haben offenbar Angst." „Sag ihnen ein paar freundliche „Oder schlechte Erfahrungen hin Worte, Nils." ter sich", sagte Ben. Der fröhliche Däne Nils Larsen, der Die Untätigkeit der beiden Fischer außer seiner Muttersprache noch war vorbei, oder sie waren aus ihrer Spanisch, Schwedisch und Deutsch Erstarrung erwacht. Ziemlich eilig beherrschte, trat ans Schanzkleid
26 und winkte den Fischern zu. Die bei den blickten bei ihrer Arbeit kaum auf und zerrten weiter heftig an dem Netz. Sie hatten ihren Fang immer noch nicht an Bord. Nils Larsen legte die Hände trich terförmig an den Mund und brüllte laut hinüber: „Wir wünschen euch ei nen guten Fang, Freunde! Ihr sollt euch nicht ängstigen, wir möchten euch nur ein paar Fische abkaufen! Wir sind friedliche Handelsfahrer auf dem Weg nach Bergen!" Jetzt blickten beide hoch und unter brachen ihre Arbeit. In den Gesich tern lag ehrliche Überraschung. „Dänisches Schiff?" fragte einer der beiden. „Wir haben so eins noch nie gesehen." „Engländer!" rief Nils zurück. „Aber ich bin Däne. Seid ihr damit einverstanden, uns den Fang zu ver kaufen? Wir zahlen gut." Die beiden wirkten sehr erleichtert und nickten gleichzeitig. „Wollt ihr alles?" wurde gefragt. Hasard nickte Nils zu. Der Däne antwortete, daß sie gern alles haben wollten, den ganzen Fang. Damit war der Bann gebrochen. Die beiden waren einverstanden, setzten das Focksegel und gingen mit der Schebecke auf Parallelkurs. Hasard ließ Tuch wegnehmen, ge rade so viel, daß die Schebecke schwache Fahrt lief und die Fischer keine Schwierigkeiten beim Anlegen hatten. Das Netz hatten sie jetzt an Bord, und sie musterten neugierig die Arwenacks. Der Kutscher sah mit Vergnügen, daß das Fischerboot fast abgeladen war. Seiner Schätzung nach waren es mindestens sechs Zentner Fisch, die sich in dem Kahn befanden. Als sie längsseits lagen und vertäut waren, handelte der Kutscher den
Preis aus. Er feilschte nicht herum und bezahlte anständig. An der Küste hätten die beiden bestenfalls den hal ben Preis erhalten, und so waren bei de Seiten zufrieden. „Was gibt es an Neuigkeiten?" ließ Hasard über Nils Larsen fragen, nachdem der Fang an Bord war. Hasards Söhne, Mac Pellew und Stenmark verstauten die Fische vor erst in leeren Fässern und ein paar Kisten. Den Rest ließ der Profos vor übergehend in die Waschbalje pak ken, weil kein Platz mehr war, und die Gefahr bestand, daß die zappeln den Fische durch die Speigatten rutschten. „Hier gibt's nie viel Neuigkeiten", sagte der eine. „Aber wir haben vor ein paar Tagen etwas Unheimliches gesehen. Wir sind nämlich die Thor stenbrüder und fahren am weitesten zum Fischen hinaus. Ich bin Knut, und das ist mein Bruder Olaf." „Ein Schiff etwa?" fragte Hasard. „Ein unheimliches Schiff vielleicht, das ganz plötzlich auftauchte?" „Ah, ihr habt es also auch gese hen!" rief Olaf. „Aber es ist kein rich tiges Schiff, es ist ein - ein Geister schiff, und immer wenn es vor den Küsten erscheint, passiert ein Un glück." „Dann erzähl doch mal", forderte der Seewolf die beiden auf. „Es erscheint alle paar Jahre. Un ser Großvater hatte es schon gesehen, und jetzt sahen wir es selbst. Es ist pechschwarz und schwebt ein Stück über dem Wasser. Selbst die Segel sind schwarz auf diesem Höllen schiff. Es hat feuerspeiende Unge heuer an Bord, Dämonen, Trolle und erstarrte Kobolde." „Und der Teufel ist persönlich an Bord", wußte Knut zu berichten. „Das Schiff ist ein riesiges Schwefel
27 faß, das vom Meeresgrund aufsteigt. Der leibhaftige Satan kommandiert es. Wir haben ihn selbst auf dem Ach terdeck gesehen." Hasard ließ sich nicht anmerken, daß er sich amüsierte. Die Fischer waren abergläubisch und spannen gern ihr Garn. Und so wurde aus ei nem harmlosen Schiff schon bald ein Teufelskahn, der über dem Wasser schwebte. Der Kutscher amüsierte sich ebenfalls und ließ den beiden Män nern ein Wässerchen einschenken, das sie gierig tranken. „Soso", sagte Hasard ernst. „Dann treibt sich das Geisterschiff womög lich noch vor den Küsten herum." „Und verschlingt alles", versicherte Olaf. „Den ganzen Norden." „Fast glaube ich, daß die den Wi kinger gesehen haben", meinte Dan. „Nur ihre Phantasie geht mit ihnen etwas durch." „Schon möglich, natürlich übertrei ben sie gewaltig. Aber die feuer speienden Ungeheuer könnten die Se gel gewesen sein, auf die Thorfin wü ste Drachen genäht hat." „Habt ihr das Schiff bei Tage oder nachts gesehen?" fragte Nils. „Morgens, bei ganz dichtem Nebel. Es war in schwarzen Nebel gehüllt, und wir hatten fürchterliche Angst, als es ganz dicht in unserer Nähe vor beizog. Den Teufel sahen wir auch für ein paar Augenblicke ganz klar und deutlich. Es war fürchterlich." „Wie sah er denn aus?" Olaf Thorsten schüttelte sich bei dem Gedanken an das Bild, das sich in seine Seele eingebrannt hatte. „Er saß auf einem schwarzen Thron in einer unheimlichen Verklei dung. Er verkleidet sich immer, da mit ihn niemand erkennt. Diesmal trug er zottige Felle und einen gewal
tigen Bart aus Feuer. An seiner Hüfte hing ein Schwert, das größer als ein Mann war." „Hatte er denn keine Hörner?" wollte Nils wissen und verbarg seine Heiterkeit hinter einem betont ernsten Gesicht. „Doch, er hatte Hörner, aber die versteckte er unter einem gewaltigen blinkenden Helm, der ebenfalls aus Feuer war. Zur Tarnung hatte er sich zwei Kuhhörner an den Helm ge klebt." Als Nils Larsen das übersetzt hatte, begann der Profos brüllend zu la chen. Er konnte einfach nicht anders und lachte so schrecklich, bis ihm die Seiten wehtaten. „Der behelmte Nordpolaffe!" bölkte er los und konnte sich kaum beruhigen. Die Thorstenbrüder sahen sich ent setzt an. Sie glaubten wohl, daß der Narbenmann plötzlich verrückt ge worden sei, denn so benahm sich nur ein Irrer, wenn vom Teufel die Rede war. Zu ihrer grenzenlosen Verwunde rung begann aber auch bei den ande ren ganz plötzlich das große Feixen. Erst grinsten einige dieser eigenarti gen Kerle, dann lachten sie, und schließlich wieherten die Kerle wie die Hengste los und krümmten sich vor Lachen. Da konnte auch Nils Larsen nicht mehr an sich halten. Er prustete los und lachte laut. Für die beiden Thorstenbrüder war damit alles klar. Die Kerle machten sich über den Satan und sein schwe bendes Schwefelfaß lustig, und das konnte ganz fatale Folgen haben, denn Old Nick verstand absolut kei nen Spaß und würde sie alle zur Re chenschaft ziehen und bestrafen. Während die Kerle alle noch brüll
28 ten, sich auf die Schenkel hieben oder die Bäuche hielten, enterten Knut und Olaf in rasender Eile ab. Hasard wollte sie noch aufhalten, doch da sah er das Entsetzen in den Gesichtern und mußte selbst lachen. Für die beiden war das das Zeichen, daß auch der Kapitän dieses seltsa men Schiffes nicht mehr alle Mucks im Schapp hatte. Die ganze Besat zung schien verrückt zu sein. Der behelmte Nordpolaffe hatte eine Kettenreaktion ausgelöst. Mit ei nem letzten entsetzen Blick sah Olaf Thorsten, daß ein riesiger Hund laut zu bellen begann und hin und her flitzte. Ein Affe hüpfte kreischend und keckernd an Deck herum, und ein großer buntschillernder Vogel fluchte in Englisch wie ein Rohrspatz. „Bleibt noch hier!" rief Hasard. „Wann ist euch denn dieser Satan be gegnet?" Er erhielt keine Antwort mehr, und als Nils übersetzte, da sprangen die Fischer in ihr Boot, lösten mit zittern den Händen die Leine, legten völlig verängstigt ab und setzten die Fock. Zusätzlich pullten sie noch, um nur ja schnell das seltsame Schiff hinter sich zu lassen. Hasard sah ihnen nach. Er hätte gern noch erfahren, wann die Begeg nung erfolgt war, aber auf die Ant wort mußte er verzichten. Die beiden Pullermänner hauten ab, so schnell sie konnten. Die Kerle beruhigten sich nur lang sam. Hin und wieder war immer noch Gelächter zu hören, und dem Profos liefen die Tränen über die Wangen, die er schluchzend abwischte. „War ja sehr lustig", sagte Hasard. „Aber daß man den Wikinger mit dem Teufel vergleicht, habe ich auch noch nie gehört. Die beiden haben ein
hübsches Garn gesponnen und alles aufgebauscht." „Aber sie sind ihm begegnet", sagte Don Juan de Alcazar. „Daran dürfte wohl kein Zweifel bestehen. Der Be schreibung nach war es einwandfrei der Wikinger, der hier seine Bahn zog und wieder mal die Leute erschreckt hat." „Natürlich war er es, kein Zweifel. Aber diese Beschreibung war einfach zu köstlich. Wir sind ihm also wieder ganz dicht auf den Fersen. Das Erleb nis hat die beiden sichtlich mitge nommen, sie wirkten noch ein biß chen verstört. Es kann also höchstens zwei oder drei Tage her sein, seit sie dem Schwarzen Segler begegnet sind. Ich kann mir das Entsetzen der bei den abergläubischen Kerle gut vor stellen, als unvermittelt Thorfins schwarzer Kahn aus dem Nebel auf tauchte. Die ganze Umgebung und die Stimmung haben das bewirkt, und da begann es in den Köpfen der beiden ein bißchen zu spuken." „Vielleicht war doch etwas Wahres dran", erklärte Old O'Flynn wieder einmal, der von dem Gehörten ebenfalls beeindruckt war. „Solche Geisterschiffe mit dem Teufel an Bord gibt es ja." „Hast du schon mal eins gesehen?" fragte Smoky. „Etliche schon", sagte Old Donegal. „Daran ist der kleine grüne Wurm schuld", sagte Carberry. „Was für'n kleiner grüner Wurm?" Old O'Flynn zeigte sichtliches Inter esse. „Den hat jeder im Gehirn", tönte der Profos. „Ein kleiner grüner Wurm. Den hat man schon bei der Ge burt im Kopf, aber meist ist er un sichtbar. Er leuchtet immer nur dann auf, wenn man dem Satan begegnet
29 oder Geisterschiffe sieht. Dann leuch tet er grünlich." „Habe ich noch nie gehört", staunte Old O'Flynn. „Hast du denn auch ei nen?" „Ich hatte mal einen, aber gerade als er zu leuchten anfing, flog eine Möwe an - und schwupp! hat sie ihn rausgezogen. Seither sehe ich den Teufel nicht mehr und auch keine Geisterschiffe." „Ich sehe immer noch welche." „Klar, weil du den kleinen grünen Wurm noch hast." „Darf ich höflichst daran erinnern, daß wir noch Fische zu putzen ha ben", meldete sich der Kutscher. „Wenn sie noch lange herumliegen, entwickeln sie bekanntlich einen abenteuerlichen Geruch, und den kann wiederum der kleine grüne Wurm in euren Köpfen nicht ver tragen. Dann gibt's 'ne Meuterei in dem Zeug, was ihr als Gehirn be zeichnet. Ich darf dann also um freundliche Mithilfe bitten. Schließ lich wollt ihr ja auch alle geräucherte Heringe haben." „Ich kann keine Fische putzen", be hauptete Carberry. „Da wird mir im mer ganz schlecht dabei." „Beim Essen merkwürdigerweise nicht. Falls du es vorziehst, dich nicht daran zu beteiligen, Mister Carberry, ziehe ich es vor, dich vom Essen aus zuschließen. Liegt ganz an dir." „Na schön, du sitzt am längeren He bel", murrte der Profos. „Aber wenn mir schlecht wird, hast du die Schuld." „Habe ich immer", entgegnete der Kutscher gelassen. „Aber der Herr in seiner großen Güte hat mir immer vergeben." Der Fang, der immer noch zappelte und zuckte, bestand aus einer Menge Heringe. Etliche Plattfische waren
dabei, große Kabeljaus und noch grö ßere Schellfische. Zwei große Aale waren den Fischern ebenfalls ins Netz gegangen, oder sie hatten sie mit Grundleinen geangelt. Als Mac die Aale sah, hellte sich sein Essiggurkengesicht auf. „Meine Lieblingsfische, außer Räu cherheringen", erklärte er. Er langte in das Faß und packte blitzschnell ei nen der Aale. Als er ihn triumphie rend in die Höhe hielt, wand sich der Aal zwischen seinen Fingern hin durch. Mac Pellew konnte ihn nicht mehr halten. Da half alles Zupacken nichts. Aber der Aal schien eine Vorliebe für Mac Pellew zu haben. Er flutschte ihm von oben ins Hemd - und da war die Hölle los. Zunächst sah es nach einem alteng lischen Tanz aus, was Mac Pellew dort auf die Planken legte. Er zitterte los, wackelte mit den Hüften, hob das rechte Bein und stieß ein langgezoge nes „Aiiihhh" aus. „So ähnlich wie der Bauchtanz in Instanbul", sagte Old O'Flynn. „Aber was will er damit andeuten?" Er hatte nicht mitgekriegt, was da so eben passiert war. „Er hat einen Aal im Hemd", sagte Blacky. „Und zu was soll das gut sein? Ich meine, das muß doch irgendeine Be deutung haben." Old O'Flynn sah in teressiert zu, als Mac jetzt beide Hände hob und einen weiteren mark erschütternden Schrei ausstieß. „Ein Aal im Hemd hat nie eine Be deutung", erläuterte Blacky. „Der ist ihm nur einfach so da reingeflutscht, verstehst du?" Old Donegal verstand zwar nicht, aber er nickte zustimmend. Mac Pellew grapschte verzweifelt ins Hemd, um seinen Lieblingsfisch
30 zu packen. Aber der verstörte Aal beulte inzwischen den Hemdrücken aus und äugte kurz einmal über den Kragen, bevor er wieder verschwand. Mac wand sich nach allen Seiten und unternahm die wildesten Verrenkun gen, doch den Aal erwischte er nicht. So raste er wie ein Derwisch über das Deck, von vorn nach achtern und wieder zurück. Es sah aus, als würde er von einer wilden unsichtbaren Meute verfolgt. „Mac ist und bleibt ein Unglücks rabe", sagte Hasard kopfschüttelnd. „Was er anpackt, geht meistens schief." Er griff zu, als Mac Pellew mit ei nem Affenzahn an ihm vorbeitobte und hielt ihn fest. Mac schrie noch lauter und schüttelte sich vor Entset zen. „Er beißt mich!" kreischte er. „Das Mistvieh beißt mich!" Hasard öffnete Macs Hemd, packte dann am Kragen zu und hielt es in der Hand. Der Aal flutschte auf die Plan ken und wand sich auf die Bordhün din Plymmie zu, die zähnefletschend zurückwich. Philip Junior erwischte den Aal schließlich und warf ihn geschickt in die kleine Tonne zurück. Mac Pellew hing die Zunge aus dem Hals. Er japste nach Luft und keuchte angstvoll. Mit nacktem Oberkörper stand er da und blickte sich gehetzt um. „Alles vorbei", sagte der Profos. „Dein Tänzchen ist beendet. Es war wirklich sehr originell. Beim näch sten Mal paßt du eben ein bißchen besser auf." „Ich fasse nie wieder einen Aal an", jammerte Mac. „Nur noch geräu cherte, die können nicht mehr bei ßen." Der Kutscher sah nach den „Biß
wunden", die es natürlich nicht gab und nur in Mac Pellews Phantasie existierten. „Da ist gar nichts", sagte er. „Ich habe auch noch nie gehört, daß Aale wie Schlangen beißen." „Na klar, die beißen", versicherte Mac mit Trauermiene. „In der Südsee ist auch mal einer auf mich losgegan gen. Der war mindestens zwei Yards lang und wollte . . . " „Das war kein Aal, du Hirsch, das war eine Muräne, und das ist immer hin ein kleiner Unterschied. Zieh dich wieder an." Aber Mac zog das Hemd nicht mehr an. Er holte sich ein frisches. Als es dann ans Ausnehmen der Fische ging, schlug er um die Aale einen großen Bogen. 6. Den Wikinger plagten zur Zeit ganz andere Sorgen. Die Kerle auf der Karavelle hielten ihn ganz offensichtlich zum Narren und trieben ein lausiges Spielchen mit ihm. Thorfins Zornesader schwoll noch mehr an, als er sah, daß die schlanke Karavelle den Kurs än derte und nach Osten törnte. „Hinterher!" brüllte er wieder. „Ich laß mich doch nicht an der Nase her umführen. Wir jagen die Halunken so lange, bis wir sie haben." „Es sieht eher so aus, als jagen sie uns", meinte Siri-Tong. „Sie halten uns ein bißchen hin, lassen uns aufho len, feuern und verschwinden dann wieder. Ich habe das Gefühl, als woll ten sie uns an die Küste locken." „An der Küste erwische ich sie", versicherte der Nordmann finster. „Dann ist es aus mit der Piraten bande."
31 „Möglicherweise haben sie irgend wo an der Küste noch ein paar wei tere Schiffe liegen, ähnlich wie wir im Stützpunkt. Dann fallen sie alle auf einmal über uns her." „Mir egal. Wir haben die stärkeren Geschütze. Was würdest du denn an meiner Stelle tun?" „Ich würde diese Jagd abbrechen, weil sie nichts einbringt", erwiderte die Rote Korsarin. „Die Schnapp hähne haben vielleicht ein bißchen Ladung an Bord, aber es lohnt ganz sicher nicht, deswegen hinter ihnen herzusegeln. Am Ende lachen sie sich eins ins Fäustchen." „Die Jagd wird nicht abgebro chen", erklärte Thorfin grimmig. „Jetzt erst recht nicht. Die Jagd ist hiermit eröffnet." „Deine Sache", erklärte Siri-Tong kühl. „Du willst immer mit dem Kopf durch die Wand. Manchmal bleibt man darin stecken." „Ich habe meinen Helm auf, ich bleibe nicht stecken." Vernüftigen Argumenten war der Schrat nicht mehr zugänglich. Jetzt hatte er sich die Karavelle in den Kopf gesetzt, und von der würde er nicht mehr ablassen - so oder so. „Es ist ein Kreuz mit ihm", sagte Si ri-Tong zu dem kreolischen Boots mann Juan, der ihr treu wie ein Hund ergeben war. „Das bringt doch über haupt nichts ein." Der vierschrötige Mann, anderen gegenüber oft unehrlich oder ver schlagen, nickte langsam und so vor sichtig, als könne ihm dabei der Kopf abbrechen. Auch mit dem Denken tat er sich schwer und mußte immer lange überlegen. „Ganz recht, Madam", sagte er dann. Siri-Tong hatte auch keine andere Antwort erwartet und wandte sich
ab. Sie blickte zu der Karavelle hin über, die Kurs auf eine dichte Nebel bank nahm und darin verschwand. Der Wikinger segelte unter groben Flüchen hinterher, bis der Nebel das Schiff von allen Seiten wieder ein hüllte und die Sicht so schlecht wurde, daß vom Vorschiff nichts mehr zu sehen war. „Wir sollten uns ein wenig vorse hen", warnte jetzt auch der Boston mann. „Die Kerle kennen sich hier aus, die sind hier zu Hause und kön nen uns jederzeit in eine Falle lok ken." „Ich bin hier auch zu Hause und kenne mich aus", polterte der Wikin ger. „Halt dein Maul und den Kurs. Ich weiß, was ich tue." Der Bostonmann zuckte mit den Schultern und sagte nichts. Verbissen starrte er in die Nebelfetzen, die alles einhüllten. Thorfin hatte sein Sesselchen ver lassen und stand auf der Kuhl. Von dort aus versuchte er den Nebel mit seinen Blicken zu durchdringen. Dann gab es ein fauchendes Ge räusch, ein Heulen, dem ein urweltli ches Krachen und Donnern folgte. Der Poltermann zog das Genick ein und duckte sich. Den Blitz hatte er nicht gesehen, aber er sah die noch rauchende Eisenkugel, die den Groß mast getroffen hatte, abgeprallt war und nun auf die Planken fiel. Der schwere Mast wackelte ein bißchen, das war alles. Die Eisenkugel hüpfte ein paarmal auf und nieder und rollte zum Schanzkleid, wo sie liegenblieb. Dem Hartholz hatte der Treffer nicht geschadet, und den eisenharten Planken ebenfalls nicht. Thorfins Schiff war aus allerhärtestem Holz gebaut und hatte schon so manches Bombardement heil überstanden. Die Kugel hatte auch nicht mehr die rich
32 tige Geschwindigkeit draufgehabt. Außerdem mochte es ein Zufallstref fer gewesen sein. Aber Thorfins Gemüt hatte die Ku gel geschadet. Er benahm sich, als hätte sie seinen Helm getroffen. Er brüllte und schrie herum, rannte zu der einen Drehbasse an Backbord und feuerte eine Ladung Grobschrot blindlings in den Nebel. Dann stand er mit grimmigem Gesicht da und wartete. Es schlug nirgendwo ein, er hörte jedenfalls kein Bersten oder Kra chen, und so ließ er voller Wut noch zweimal mit den großen Geschützen in den Nebel feuern. Als der gedämpft klingende Don ner verhallt war, tat sich zu seinem Ärger auch weiter nichts. Alles blieb still und unheimlich ruhig. Dann hörte er von allen Seiten gleichzeitig - so glaubte er jedenfalls - hämisches und schadenfrohes Ge lächter. Dieses höhnische Kichern und Lachen ertönte aus allen vier Himmelsrichtungen und ließ sich nicht einmal ungefähr orten. Die Schnapphähne, welche die Schüsse des Viermasters gehört hat ten, lachten ihn aus. Thorfin packte in wilder Wut die immer noch auf den Planken liegende Eisenkugel. Sie war noch glühend heiß, doch das störte ihn nicht. Mit aller Kraft schleuderte er sie in die Richtung, wo er jetzt zum zweiten Male das höhnische Gelächter zu hö ren glaubte. Das schien auf der Steu erbordseite zu sein. Ein leises Aufklatschen im Meer war zu hören, dann trat wieder be ängstigende Stille ein. Der Nebel wurde jetzt so dicht und kompakt, daß Thorfin nicht einmal mehr erkennen konnte, wer am Ru der stand. Er sah nur einen Schemen,
der völlig konturlos war und mehr ei nem Gespenst als einem Menschen ähnelte. Die gedrungene Gestalt Barbas trat auf ihn zu. Das narbige Monstrum lachte hohl. „Ein Vorschlag, Nordmann", sagte er. „Wir sollten diese Nebelbank ver lassen, und zwar ganz schnell. Wenn wir draußen sind, haben wir eine gün stigere Position und können sehen, wenn die Kerle heraussegeln. Dann lassen wir die Kuh fliegen, denn da mit rechnen sie nicht." Thorfin wischte mißmutig und är gerlich über seinen Bart. „Nicht schlecht, dein Vorschlag, Barba", sagte er. „Hier krebsen wir doch nur herum und sehen nichts. Einmal haben die Bastarde uns schon getroffen, wohl mehr aus Zufall. Gut, dann übernimm du jetzt das Ruder und löse den Bostonmann ab. Wenn wir nach Backbord steuern, gelangen wir aus der Suppe heraus." Barba löste den Bostonmann ab, der vom ewigen Starren in den Nebel schon rötliche Augen hatte, und legte den neuen Kurs an. Da erlebte Thorfin die nächste Überraschung. Die Kerle auf der Karavelle hatten bereits gehandelt und erwarteten ihn. Der Bug des Schwarzen Seglers war noch nicht richtig aus dem Nebel her aus, als es weiter drüben auch schon zweimal hintereinander aufblitzte. Thorfin Njal blieb die Luft weg. „Feuer!" brüllte er. „Wir können nicht feuern", sagte der Stör kläglich. Er duckte sich, als zwei dicke Säulen nur ganz knapp vor der Bordwand aus dem Wasser wuchsen und ein Zischen und Rau schen zu hören war. „Wir müssen erst wieder nach Steuerbord drehen." Thorfin riß seinen Helm vom Kopf,
Den folgenden Brief, der nachdenklich stimmt, erhielten wir von P L , straße , 6057 Dietzenbach (siehe auch Forum in SW-Nr. 589). Sie schreibt: Liebe Seewölfe-Macher! Ihre Reaktion auf das Verkaufsangebot von Herrn B aus Moosburg (Heft 601) kann ich eigentlich nur unterstreichen. DM500,-sind wohl wirklich zuviel Geld auf einmal. Auch ich habe meine komplette Sammlung, sauber in Sammel mappen gebunden, für diesen Betrag ange boten, allerdings - wie Herr B - nur An fragen nach Einzelheften erhalten. Ich möchte diese Sammlung nicht auseinander reißen und habe folgenden Vorschlag: je 1 Sammelmappe mit 13 Heften zum Preis von DM 20,- inkl. Versandkosten monatlich. Das dürfte eher finanzierbar sein, und mei ne Sammlung ginge so nach und nach weg. Wer hat Interesse ? Mein Angebot, das jeweils neueste Heft zu verschenken (d. h. Kosten für Porto wären zu tragen), hat nur zwei Interessenten gefun den - eine junge Dame aus der Schweiz (da käme das Porto teurer als ein neuer Roman) und M L aus Schwäbisch Gmünd/Bettringen, der nun jede Woche den aktuellen Seewolf von mir erhält. Ehrlich gesagt, hat mich diese dürftige Re aktion doch überrascht. Entweder haben die in der Börse so häufig auftauchenden armen Schüler doch mehr Geld als erwartet, oder sie sind anscheinend nicht einmal be reit, die Portokosten zu übernehmen. Da muß ich allerdings sagen: Lieber schmeiße ich die Hefte weg. Vielleicht findet sich ja ein Kaufinteressent auf ,,Raten" - ich würde mich sehr freuen. Macht ansonstenweiter so, ich lese wohl wei ter bis Band 1000! Liebe Grüße - P L Herzlichen Dank für Ihren Brief, liebe Frau L . Ihr Vorschlag, Ihre gesamten Hefte in Raten (zu je 13 Heften inkl. Sammelmap pe) anzubieten, scheint uns fair und prakti
kabel zu sein. Jedenfalls wird Ihre Samm lung so nicht „zerrupft", was ja wohl nicht der Sinn einer Sammlung sein kann. Viel leicht ist Ihr Vorschlag ein Beispiel für jene (oder ein gangbarer Weg), die ihre Samm lung geschlossen verkaufen möchten, wenn auch „ratenweise" und monatlich. Mal abwarten, ob das klappt. Daß sich auf Ihr Schenkangebot (bis auf die Portoko sten) nur zwei Interessenten gemeldet ha ben, ist allerdings erstaunlich. Wir hätten ebenfalls angenommen, es würden mehr sein, welche die günstige Gelegenheit beim Schopf packen. Immerhin, so hatten Sie nicht die Qual der Wahl! Hier haben wir noch jemanden, der hofft, seine gesammelten SW-Hefte geschlossen verkaufen zu können. B H , straße , 3414 Moringen l, bietet zum Preis von DM 400,- die SW-Hefte 125-600 an. Ein weiteres Verkaufsangebot hat R C , straße , 4200 Oberhausen 1, Tel.:0208/ .Zum Preis von DM 1,- pro Heft bietet er die SW-Nummern 31, 32, 35, 38-17, 51-53, 57-59, 64, 67-572 an. Und die SW-Taschenbücher Nr. 1-57 sollen pro Band DM 2,- kosten! Noch einen Komplettverkauf plant H H , straße , 6500 Mainz, Tel.: 06131/ (nur abends). Er bietet zum Preis von DM 500,- die SW-Sammlung Nr. 1-600 an, die in einem sehr guten Zustand sein soll. Es fehlen in der Sammlung ledig lich die Nummern 1,8,20,442 und 446. Und M Z , Straße , 8760 Miltenberg, verkauft die SW-Ta schenbücher 15,20-22, 24, 27,28,42,44,47 49, 50-57 (letztere in Dreier-Sammelbän den) zum Gesamtpreis von DM 60,- (per Nachnahme). Mit herzlichen Grüßen Ihre SEEWÖLFE-Redaktion und die SEEWÖLFE-Autoren
Der Segler auf den beiden vorigen Seiten stellt eine sogenannte Viermast-Bark dar. Mit „Bark" bezeichnet man allgemein einen Dreimaster, der an den beiden vorderen Masten Rahsegel und am achteren Mast Schratsegel fährt. Hat eine Bark mehr als drei Masten, spricht man von Viermast- bzw. Fünfmast-Bark. Die „Passat", von der wir in mehreren Seemannskisten berichteten, ist zum Beispiel eine Viermast-Bark. Dieser Segelschiffstyp hatte um die 3000 BRT und konnte an die 4400 Quadratmeter Segel an den vier Masten führen. Die Nummern bedeuten: 1 Fockmast, 2 Großmast, 3 Kreuzmast, 4 Besanmast, 5 Vor-Marsstenge, 6 Groß-Marsstenge, 7 Kreuz-Marsstenge, 8 Besanstenge, 9 Vor-Bramstenge, 10 Groß-Bramstenge, 11 Kreuz-Bramstenge, 12 BesanBramstenge, 13 Fockrah, 14 Großrah, 15 Kreuzrah (Bagienrah), 16Vor-Unter marsrah, 17 Groß-Untermarsrah, 18 Kreuz-Untermarsrah, 19 Vor-Obermars rah, 20 Groß-Obermarsrah, 21 Kreuz-Obermarsrah, 22 Vor-Bramrah, 23 Groß-Bramrah, 24 Kreuz-Bramrah, 25 Vor-Royalrah, 26 Groß-Royalrah, 27 Kreuz-Royalrah, 28 Außen-Klüverbaum, 29 Klüverbaum, 30 Bugspriet, 31 Be sanbaum, 32 Besangaffel, 33 Fock, 34 Großsegel, 35 Kreuzsegel, 36 Vor-Unter marssegel, 37 Groß-Untermarssegel, 38 Kreuz-Untermarssegel, 39 Vor-Ober marssegel, 40 Groß-Obermarssegel, 41 Kreuz-Obermarssegel, 42 Vor-Bram segel, 43 Groß-Bramsegel, 44 Kreuz-Bramsegel, 45 Vor-Royalsegel, 46 GroßRoyalsegel, 47 Kreuz-Royalsegel, 48 Außenklüver, 49 Großer Klüver, 50 Bin nenklüver, 51 Vor-Stengestagsegel, 52 Besan-Stagsegel, 53 Besan-Mittelstag segel, 54 Besan-Stengestagsegel, 55 Besan-Bramstagsegel, 56 Besan, 57 Gaffel toppsegel, 58 Wasserstagen, 59 Fockstag, 60 Großstag, 61 Kreuzstag, 62 Be sanstag, 63 Vor-Stengestag, 64 Binnen-Klüverstag, 65 Klüverstag, 66 GroßStengestag, 67 Kreuz-Stengestag, 68 Besan-Mittelstagsegelleiter, 69 AußenKlüverstag, 70 Groß-Bramstag, 71 Kreuz-Bramstag, 72 Besan-Stengestag, 73 Vor-Royalstag, 74 Groß-Royalstag, 75 Kreuz-Roy aistag, 76 Besan-Bramstag, 77 Außen-Klüverschot, 78 Groß-Klüverschot, 79 Binnen-Klüverschot, 80 VorStengestagsegelschot, 81 Fockschot, 82 Großschot, 83 Kreuzschot, 84 Besan schot, 85 Besan-Stagsegelschot, 86 Besan-Mittelstagsegelschot, 87 Besan-Sten gestagsegelschot, 88 Besan-Bramstegsegelschot, 89 Fockbrassen, 90 Großbras sen, 91 Kreuzbrassen, 92 Vor-Untermarsbrasse, 93 Groß-Untermarsbrasse, 94 Kreuz-Untermarsbrasse, 95 Vor-Obermarsbrasse, 96 Groß-Obermarsbrassen, 97 Kreuz-Obermarsbrassen, 98 Vor-B rambrassen, 99 Groß-Brambrassen, 100 Kreuz-Brambrassen, 101 Vor-Royalbrassen, 102 Groß-Royalbrassen, 103 Kreuz-Royalbrassen, 104 Fock-Bauchgordinge, 105 Groß-Bauchgordinge, 106 Kreuz-Bauchgordinge, 107 Vor-Untermars-Bauchgordinge, 108 Groß-Unter mars-Bauchgordinge, 109 Kreuz-Untermars-Bauchgordinge, 110 Vor-Ober mars-Bauchgordinge, 111 Groß-Obermars-Bauchgordinge, 112 Kreuz-Ober mars-Bauchgordinge, 113 Vor-B ram-Bauchgordinge, 114 Groß-Bram-Bauch gordinge, 115 Kreuz-Bram-Bauchgordinge, 116 Vor-Royal-Bauchgording, 117 Groß-Royal-Bauchgording, 118 Kreuz-Royal-Bauchgording, 119 Fock-Nock gordinge, 120 Groß-Nockgordinge, 121 Kreuz-Nockgordinge, 122 Vor-BramNockgordinge, 123 Groß-Bram-Nockgordinge, 124 Kreuz-Bram-Nockgordin ge, 125 Besan-Geitaue, 126 Besan-Gaffelbrasse, 127 Affenschwanz (kleiner eiserner Flaggengalgen an der Gaffelnock, an dem die Flaggleine geführt wird), 128 Flaggleine.
37 warf ihn auf die Planken und stülpte ihn wieder auf. Er war außer sich vor Wut und pfiff Barba an, endlich mit dem verdammten Torfkahn auf den anderen Bug zu gehen. Die Karavelle entfernte sich schon wieder, in wenige Nebelfetzen gehüllt wie ein Schemen, und törnte weiter nordwärts. Aber das Gelächter, das von drüben erklang, schnitt dem Wi kinger schmerzhaft in die Ohren. „Eiliger Drache" war nicht so wen dig wie die Karavelle, das mußte der Nordmann zähneknirschend zuge ben. Bis sie auf dem neuen Bug lagen, war die dänische Karavelle bereits außer der Reichweite ihrer Kanonen. „Diese verdammten Mistböcke!" wetterte der Nordmann. „Die freuen sich zu früh. Ich erwische sie noch, diese lausigen Bastarde." Seine Nerven wurden immer ärger strapaziert, und auf dem Schiff ging ihm jeder aus dem Weg, denn er sah so aus, als wolle er rücksichtslos alles zerschmettern, was ihm die die Quere geriet. Die dänischen Schnapphähne aber nervten ihn weiter. Sie steuerten jetzt wieder östlichen Kurs und führten ihn langsam, aber sicher immer wei ter an die Küste heran. „Willst du den Unsinn immer noch nicht aufgeben?" fragte Siri-Tong. „Das führt doch zu nichts." „Jetzt erst recht nicht. Ich will die Kerle haben, und ich kriege sie auch." „Du stehst wieder mal mit beiden Beinen auf den Wolken", erklärte die Rote Korsarin. „Aber das merkst du erst dann, wenn es wieder mal zu spät ist. Wir vertrödeln nur unsere Zeit. Die Kerle haben etwas vor, das ich noch nicht durchschaue, denn sie tun es nicht aus reiner Freude. Dahinter steckt eine ganz bestimmte Absicht." „Mir können sie nichts wollen.
Wenn ich dicht genug dran bin, krie gen sie was in den Rumpf geballert, und dann sacken sie ab!" „Du wirst nicht dicht genug heran gelangen, Thorfin. Sie lassen es gar nicht zu." Der Nordmann blieb stur und dick schädelig. Er winkte nur ab, zum Zei chen, daß er die Diskussion nicht fort zusetzen gedenke. Da erst gab Siri-Tong auf. Es war zwecklos, dem Wikinger etwas auszu reden, was er sich in den Kopf gesetzt hatte. „An der Kimm ist die Küste zu se hen", meldete der Bostonmann. „Ein kaum sichtbarer Strich im Nebel. Die Kerle halten genau darauf zu." Thorfin nahm das nickend zur Kenntnis. Er ließ sich das Spektiv ge ben und blickte hindurch. Ja, da war die Küste zu sehen, ganz schwach nur, etwas bergig und im Dunst liegend, der langsam wieder zunahm. Er hielt nach anderen Schif fen Ausschau, doch er sah keine. Dann legte er das Spektiv weg und starrte mißmutig in den Nebel, der an vielen Stellen so dicht schien wie eine kompakte Wand. Die Karavelle drehte weiter ab und hielt genau auf den schmalen Land strich zu. Sie segelte ein paar lang same Schläge, damit „Eiliger Drache" etwas aufholen konnte. Thorfin sah verbiestert aus. Er schätzte die Entfernung und knuffte dann dem Stör in die Seite. „Gib ihnen eins zwischen die Hör ner", sagte er grob. „Laß das Eisen raus und sieh mich nicht so dämlich an. „Wir sind zu weit weg", murmelte der Stör. „Wir verschwenden nur Pul ver und Kugeln und treffen sie doch nicht." „Soll ich dir erst die Löffel langzie
38 hen?" fragte Thorfin drohend. „Du sollst feuern, habe ich gesagt. Oder willst du einen Tritt in den Hintern?" Der Stör sah nervös auf die gewalti gen Riemenlatschen des Wikingers und verzichtete auf den Tritt. Wenn Thorfin diese Tritte verteilte, dann sah man alt und krank aus, und dann wurde nicht nur der Achtersteven durchgeschüttelt. Das ging immer bis ins Mark. Die Kerle zeigten jetzt gerade ihre Breitseite. Thorfin fand, daß die Ge legenheit äußerst günstig sei. Der Stör zündete die Kanone und verzog das Gesicht, als das riesige Stück aufbrüllte und auf der Lafette zurücksauste. Die Brooktaue fingen es mit einem harten Ruck ab. Der Blitz schien hundert Yards lang zu sein, und der Knall hörte sich an, als sei der Himmel eingestürzt. Thorfin linste durch den Qualm und Rauch. Die Kugel donnerte ins Wasser. Die See schien an jener Stelle zu kochen, wo sie eingeschlagen war. Ein riesi ger Wasserschwall erhob sich für ei nige Augenblicke. Um mindestens zwei Kabellängen lag der Schuß zu kurz, wie der Nord mann verärgert feststellte. „Ich habe ja gleich gesagt..." „Halt's Maul!" rief Thorfin grob. „Und erzähle mir nicht, was du gleich gesagt hast. Du hast eben nicht ge troffen, weil du ein mieser Schütze bist." „Ich bin kein mieser Schütze", be gehrte der Stör auf. Er hatte heute of fenbar seinen energischen Tag und gab dem Nordmann Kontra. „Die Entfernung ist zu groß, das ist alles." Thorfin hob schon den rechten Fuß an, doch da zuckte er zusammen. Auf dem Dänen sprangen die Kerle an Deck herum und lachten im Chor,
daß es weit über die See dröhnte. Sie lachten ihn aus. Die Karavelle steuerte die nächste Nebelbank an, doch Thorfin folgte ihr nicht blindlings, als sie in dem quirligen Dunst verschwand. „Wir legen uns jetzt auf die Lauer", verkündete er grimmig. „Wir runden diese Nebelbank solange, bis die Rat tenschwänze wieder auftauchen, und dann geht es ihnen an den Kragen." Die Nebelbank zog sich auf eine knappe halbe Meile hin und stand wie eine langgestreckte Wolke in der See. Vom Ausguck aus war sie in ih rer gesamten Länge zu überblicken. Thorfin verließ sich nicht auf seine Ausgucks. Er enterte selbst auf und schärfte Barba ein, sofort seine Kom mandos auszuführen. Dann hatte er den Ausguck im Großmars erreicht und blickte in den Nebel. „Diesmal entwischen sie nicht", sagte er. „Das war ihr Fehler, in diese Wand hineinzusegeln. Kannst du sie sehen?" fragte er Arne. „Nicht mal die Mastspitzen, sie stecken offenbar mitten drin." Thorfin ließ einen Schlag nach Nor den segeln und hielt von der Nebel bank einen Abstand von zwei Kabel längen. Als sie die Höhe erreicht hatten, ließ er auf Westkurs gehen und die Nebelbank in ihrer ganzen Ausdeh nung runden. Immer wieder stierte er in die weißliche Masse, ohne etwas er kennen zu können. „Verdammt, die können doch nicht ewig da drin stecken", grollte er. Es dauerte endlos lange, bis sie die Bank gerundet hatten. Von der Kara velle zeigte sich keine Mastspitze. Es schien, als habe der Nebel das Schiff verschlungen. Thorfin enterte nach einer gerau men Weile ab. Seine Stimmung hatte
39 sich noch weiter verschlechtert. Er sah zum Fürchten aus. „Wir segeln jetzt genau durch die Mitte der Nebelbank mit Kurs auf die Küste", befahl er. „Und wenn wir mit ten drin sind, dann gibt es nach allen Seiten Zunder. Die Bastarde werden sich wundern." Barba schnitt die Nebelbank an und segelte mitten hinein, wie Thor fin befohlen hatte. Er war nicht ge rade davon begeistert, aber der Nord mann wollte es so, auch wenn es zwecklos und unsinnig war. Dichter Nebel hüllte sie von allen Seiten urplötzlich ein. Selbst der Aus guck konnte nichts mehr erkennen. Die Geschütze waren feuerbereit. Als Thorfin den Eindruck hatte, daß sie mitten in der Nebelbank steckten, ließ er nach beiden Seiten feuern. „Eiliger Drache" spie lange Flam menzungen nach Backbord und Steuerbord. Jedesmal, wenn ein Fünfundzwan ziger auf die Reise ging, bebte das Schiff in allen Verbänden. Donner grummelte über die See, es hallte nach im Nebel, aber das Echo war nur schwach. Als das Brüllen verklang, lauschte Thorftn nach allen Seiten. Er legte die Hände an die Ohren und lauerte auf das Splittern und Bersten von Holz. Es gab jedoch kein derartiges Geräusch. Es war nichts weiter zu hö ren als das leise Murmeln des Was sers, das an den Schiffswänden vor beifloß. Der Poltermann haute mit der fla chen Hand wütend aufs Schanzkleid, daß die anderen erschreckt zusam menfuhren. Barba segelte weiter in Richtung der felsigen Küste, und als sie aus der Nebelbank heraus waren, erwartete sie die Karavelle und eine Meute ho
merisch brüllender Kerle, die ihnen zuwinkten und sich vor Lachen kaum halten konnten. Die Karavelle ergriff die Flucht und zeigte das Heck. Thorfins Flüche waren bis an die ferne Küste zu hören. 7. Die seltsame Verfolgung ging wei ter, jetzt in Küstennähe, nachdem die dänische Karavelle auf nördlichen Kurs gegangen war. Der Küstenstreifen war felsig und unbewohnt. Kein einziges Nest war in der Nähe zu sehen, auch gab es weit und breit kein anderes Schiff. Thorfin blickte immer wieder durch das Spektiv, denn ihm klangen noch die Worte der Roten Korsarin in den Ohren, daß irgendwo dicht unter der Küste andere Schiffe liegen könn ten und sie auf diese Art in eine Falle liefen. Er sah jedoch nichts und schöpfte auch weiterhin keinen Verdacht. Er ärgerte sich nur über die »Bastarde«, die ihn ganz offensichtlich zum Nar ren hielten. Jetzt befanden sie sich zwischen Nebelbänken, wabernden Fetzen oder langen Schleiern dicht unter der Küste. Thorfin belauerte die Kara velle wie ein Fuchs seine Beute und hielt dann wieder nach vorspringen den Landzungen Ausschau, hinter de nen sich gute Verstecke anboten. Der Ausguck gab jedoch keine Meldung an Deck. „Der nimmt zwei Segel weg", sagte der Bostonmann erstaunt. „Was mag das zu bedeuten haben?" „Das alte Spiel", knurrte Thorfin. „Er segelt etwas langsamer, bis wir aufgeholt haben, und wenn wir auf
40 Schußweite heran sind, segeln die Ha lunken wieder unter vollem Preß. Aber die können segeln, solange sie wollen, ich bleibe ihnen auf den Hak ken." Mißtrauisch sah er zu, wie weiter vorn die Segel weggenommen wur den und die Karavelle bis auf knapp drei Kabellängen unter die Küste ging. Die Schnapphähne feuerten gleich zeitig einen Schuß aus der achteren Drehbasse ab, über den der Wikinger höhnisch lachte. Dann verging ihm das Lachen aller dings schlagartig. Er wollte sich gerade wieder in sei nem Sesselchen niederlassen, als ihn eine Riesenfaust packte und hart nach vorn schleuderte. Er segelte über das Deck, krachte auf die Plan ken und verlor seinen Helm. Er war aber nicht der einzige, der so überraschend den Halt verlor. Auch Barba wurde von der unbe kannten Kraft gepackt und auf die Planken geschleudert. Ein paar an dere Kerle gingen ebenfalls fluchend auf die Schiffsplanken. Der Bug von „Eiliger Drache" bäumte sich auf. Eine harte Erschüt terung durchlief das Schiff von vorn bis achtern. Die schwarzen Masten wackelten bedrohlich. Dann ein Knir schen, ein Schaben und ein weiterer Ruck. Dem Wikinger dämmerte die Er kenntnis, daß sie aufgelaufen waren. Das Schiff war auf eine Untiefe ge brummt und saß fest. Auf der Karavelle schrien sie sich die Kehlen heiser, brüllten, tobten und sprangen schadenfroh an Deck herum. Die Hölle war da drüben los, und die Kerle konnten sich kaum be ruhigen. Weiß vor ohnmächtigem Zorn
mußte der Wikinger mit ansehen, wie sie sich über ihn lustig machten. Er rappelte sich auf, nahm seinen Helm und stand dann wie ein nordischer Rachegott an Deck. Drüben drehten ihm die Bastarde lange Nasen und krümmten sich im mer noch vor Lachen. Jeder an Bord erwartete jetzt einen Tobsuchtsanfall des Wikingers. Er würde wie ein Faß Schießpulver ex plodieren und dann wie ein Berserker herumtoben. Doch nichts dergleichen geschah. Thorfin Njal war sehr kleinlaut ge worden, und er blickte auch sehr be lemmert drein, zumal noch der sehr spöttisch-überlegene Blick der Roten Korsarin ihn traf. Er hatte seinen Helm aufgestülpt und sah finster auf die Planken. „Verdammter Scheiß", brummte er. „Das ist mir auch noch nicht pas siert. Aber daran ist natürlich der Ausguck schuld. Der Himmelhund hätte die Sandbank sehen müssen, und zwar rechtzeitig." „Natürlich ist der Ausguck schuld", sagte Siri-Tong. „Einer muß ja schuld sein, wenn du störrischer Ochse auf eine Sandbank segelst. Der Ausguck sieht von oben noch weniger als du auf dem Achterdeck. Er starrt nur auf den Nebel, der über dem Wasser schwebt." Barry Winston, der Ausguck hatte, enterte auf eine Daumenbewegung des Wikingers langsam ab. Er strich über seine Glatze und stand verlegen vor dem Wikinger herum. Thorfin blickte auf seine linke Kopfhälfte, wo das Ohr fehlte. Statt dessen war da nur etwas, das wie eine verunstaltete Muschel aussah. Sein linkes Ohr hatte er bei einem Enter kampf in der Karibik gelassen. Win ston bedauerte das noch heute. Nicht
41 wegen des Ohrs, sondern wegen des schweren Ohrrings daran, der auch in der Karibik geblieben war. „Du Elchbullenarsch", sagte der Wikinger. „Hast du keine Augen in deinem verwanzten Strohkopf? Du hättest die Sandbank sehen und mich sofort Wahrschauen müssen. Wieder gepennt, du Hundesohn, was?" „Von oben ist nicht einmal das Was ser zu sehen", verteidigte sich Win ston. „Wirklich, ich sah nur die Ne belschleier, die immer dichter wur den. Ich konnte nur weit vorausse hen, aber nach unten war alles ver hüllt." „Such nicht wieder nach einem Schuldigen, wenn keiner da ist", sagte die Rote Korsarin und sprang für Winston in die Bresche. „Er konnte wirklich nichts sehen, ich habe mich vorhin selbst davon über zeugt." „Aber die Bastarde lachen sich krank über uns. Ihr Freudengeheul ist meilenweit zu hören." „Natürlich. Sie haben dich ganz be wußt auf diese Sankbank gelockt, weil sie den Küstenverlauf genau kennen. Du bist ihnen stur gefolgt, und jetzt haben sie genau das er reicht, was sie wollten. Kein Wunder, daß sie vor Schadenfreude fast plat zen." „Du meinst, das war kein Zufall?" „Ganz sicher nicht. Es war Absicht, und du bist darauf hereingefallen, wie sie es geplant haben." Thorfin sah immer noch vernagelt aus und kratzte mit dem gekrümmten Zeigefinger am Helm. Ein Zeichen, daß er nachdachte. „Gut, wir sitzen also fest", knurrte er. „Ich bin in meiner Wut den Ba starden auf den Leim gegangen. Zum Glück ist es nur eine Sandbank, und wenn wir bei Ebbe aufgelaufen sind,
schwimmen wir nach ein paar Stun den auch wieder auf. Aber was, bei Odins Raben, wollen sie damit be zwecken? Nur, damit sie über uns la chen können?" „Sie haben etwas vor", erwiderte die Rote Korsarin nachdenklich. „Es kann sein, daß sie jetzt ihre Kumpane alarmieren und dann gemeinsam ver suchen, uns auszuplündern. Es sind zweifellos Nordmeerpiraten." „Weiß ich selbst. Man sieht es ihnen ja an. Aber mit dem Ausplündern werden sie trotzdem kein Glück ha ben. Sie gelangen gar nicht an uns heran, weil der Schwarze Segler eine schwimmende Festung ist. Ich kann nach allen Seiten ballern - und wei ter als die Kerle. Irgendwie ergibt das keinen richtigen Sinn." „Warten wir es ab. Ich bin jeden falls fest davon überzeugt, daß uns noch ein paar unangenehme Stunden bevorstehen. Noch unangenehmer wird es natürlich, wenn wir bei Flut aufgelaufen sind. Dann sitzen wir nicht nur für ein paar Stunden fest." Thorfin sah wieder zu der Kara velle hinüber. Sie war noch etwas dichter unter Land gesegelt und hatte die Segel aufgepackt. Jetzt setzten sie in sicherer Entfernung gerade den Anker, und sie taten das sehr unbe kümmert. Auch ein Beiboot fierten sie ab und vertäuten es neben dem Schiff. Für den Nordmann war diese Hand lung ein einziges Rätsel. Er begriff den Sinn nicht, der dahintersteckte und grübelte weiter. Alle Augenblicke sah er mißtrau isch hinüber. Inzwischen hatten zwei Männer in den unteren Räumen nachgesehen und meldeten, daß „Eiliger Drache" keinerlei Beschädigungen aufweise. Der Poltermann nickte dazu, als habe
42 er es nicht anders erwartet. Schließ lich bestand das Schiff ja auch aus al lerbestem Holz. „Da geht sowieso nichts kaputt", behauptete er. „Mich interessiert viel mehr, was die Bastarde vorhaben. Wenn ich das nur wüßte." Auf der Karavelle tat sich danach nicht mehr viel. Das Beiboot war ver täut worden, und ein paar Kerle schienen nichts anderes zu tun zu ha ben, als grinsend zu ihnen zu starren. Zu Thorfins Ärger begann nun auch der Nebel langsam, aber sicher immer dichter zu werden. Die Küste war noch zu sehen, aber sie ver schwamm mitunter zu einem bizar ren Gebilde, das in den Himmel zu rücken schien. „Sie werden uns im Nebel überfal len", sagte Barba. „Wenn wir nichts mehr sehen, dann lassen sie die Kuh fliegen." „Bestimmt werden sie uns im Nebel überfallen", meinte auch Cookie sehr eifrig, um sich bei dem Wikinger wie der einzuschmeicheln. „Ja, ich glaube es ganz bestimmt." Cookie bot eine lächerliche Figur. Die Riesengräte des Kabeljaus bau melte noch immer achtern von sei nem Schädel hinunter wie ein großer, quergestellter Zopf. „Dich hat überhaupt niemand ge fragt", ranzte Thorfin den Grätenträ ger an. „Verzieh dich in deine Kom büse und kümmere dich um den Fraß, den du Essen nennst." Cookie verzog sich in auffallender Eile, tat einen Kratzfuß vor dem Wi kinger und grinste entschuldigend. Das große Rätselraten, was die Schnapphähne wohl planen mochten, ging inzwischen an Deck weiter. „Ich will aber keine Vorwürfe mehr hören", sagte Thorfin mit einem Blick auf die Rote Korsarin. „Jeder
soll nur überlegen, was sie wohl tun werden." Für Siri-Tong gab es nicht viel zu überlegen. Sie blickte zu der Kara velle, sah aber nur noch einen ver schwommenen Strich. Drüben war auch alles auffallend ruhig. „Sie haben eine Aktion im Nebel vor, wie Barba schon sagte. Ich kann mir nichts anderes vorstellen. Wir müssen vorn, achtern und an allen Stellen bewaffnete Wachen postie ren, wo jemand an Bord klettern kann." „Die Vorstellung behagt mir trotz dem nicht", sagte Thorfin. „Es sind nicht einmal so viele Kerle wie wir. Sie haben selbst im Nebel den Nach teil, daß sie sich bei uns an Bord nicht auskennen. Sie müssen damit rech nen, daß sie sofort abgeräumt wer den." „Sie haben einen Vorteil. Sie sind beweglich, während wir festliegen und uns nicht rühren können." Thorfin kratzte wieder an seinem Helm. Es gab ein leises schabendes Geräusch. „Wir sollten jetzt nicht länger ta tenlos warten", erklärte er. „Be waffnet euch mit Musketen und Pi stolen. Ein paar Mann nehmen an den Drehbassen Aufstellung, und der Rest der Mannschaft bleibt bei den Kanonen. Der Nebel wird immer dichter. Jetzt ist die Küste kaum noch zu sehen." Die Karavelle war verschwunden, als hätte sie sich in Luft aufgelöst. Gelächter oder Geräusche waren ebenfalls nicht mehr zu hören. Die Kerle belauerten sie und warteten auf eine günstige Gelegenheit. Zwei Musketenschützen schickte Thorfin in den Großmars. Von dort aus sollten sie sofort feuern, wenn sich auch nur ein Schemen auf dem
43 Er fuhr herum, packte sein Messer Wasser zeigte. Die anderen nahmen an den Schanzkleidern Aufstellung chen und blickte nach vorn. Das Ge und blickten aufmerksam aufs Was lächter hörte wieder auf. „Die wollen uns nur zermürben", ser, obwohl sie kaum etwas sahen. Über dem Wasser hing eine dicke Ne raunte der Bostonmann. „Wir sollen belschicht. Die vier Wikinger standen die Nerven verlieren." an den Drehbassen und lauerten auf „Das war da vorn", murmelte Thor einen unsichtbaren Feind. fin, „oder täusche ich mich?" Sie konnten sich über die Geräusch Überall an Deck standen außerdem Messing- und Kupferbecken mit glü quelle nicht einigen. Einer behaup hender Holzkohle herum. „Eiliger tete, das Gelächter an Backbord ge hört zu haben, ein anderer sagte, es Drache" war feuerbereit. „Nur noch das Nötigste sprechen", sei mehr achtern gewesen und ein sagte Thorfin, „und dann auch nur dritter glaubte zu wissen, es sei direkt leise. Veranstaltet keinen Krach. aus der See aufgestiegen. Genau Wenn ich euch ein Zeichen gebe, wußte es keiner. Es ließ sich wegen dann feuert ihr sofort nach beiden der Verzerrung auch nicht feststellen. Seiten. Irgendwie werden wir die Ba Die Gestalten an Bord waren un starde schon erwischen, und sei es wirkliche Schemen in einer unwirkli nur durch Zufall." chen Welt. Kalt und feucht drang es Er selbst ging langsam von vorn von allen Seiten auf sie ein. Lange nach achtern und hatte die Faust um Schleier zogen vorüber. den riesigen Griff seines „Messer Thorfin wollte nicht länger warten. chens" gelegt. Siri-Tong kontrollierte Er sah den Bostonmann und gab ein die andere Seite des Schiffes. Zeichen mit der rechten Hand. Luntenstöcke senkten sich. Funken Sie achteten auf Geräusche, doch wenn mal ein Block knarrte oder das fraßen sich durch das Zündkraut, Tauwerk ächzte, wurden die Ge und dann schien „Eiliger Drache" zu räusche vom Nebel geschluckt und explodieren. verzerrt. Der Nebel wurde aufgerissen. Dif Thorfin fühlte sich unbehaglich. Er fuse Helligkeit verbreitete sich für ei sah seinen Gegner nicht, aber der nige Augenblicke, als die Stücke die Gegner konnte ihn auch nicht sehen. schweren Fünfundzwanziger aus Allerdings hatte dieser Gegner den spien und rumpelnd auf ihren Lafet Vorteil zu wissen, wo das Schiff lag. ten zurückfuhren. Durch das Schiff Angespannte Stille herrschte auf ging ein harter Ruck. Es zitterte wie dem Schwarzen Segler, eine Ruhe wie ein gestrandeter Wal. Unter dem Kielschwein hörte man schwach den in einer Gruft. Eine halbe Stunde lang rührte sich Sand knirschen. nichts. Alle warteten. Das ständige Den größten Krach schluckte der Starren in den Nebel wurde zur Qual. Nebel, der durch den Vorhang aus Die Augen brannten, und alles ver Qualm und Rauch noch dichter schwamm vor den Blicken. wurde. Fast schwarz war er jetzt. Mit Thorfin zuckte zusammen, als dem Verklingen des Donners war ein plötzlich Gelächter aufklang. Es Rauschen zu hören - Wassersäulen, hörte sich nach einer Horde Geister die in der See entstanden und wieder an, die dumpf im Nebel lachte. in sich zusammenfielen.
44 „Jetzt die Drehbassen", raunte der Wikinger und gab erneut das Hand zeichen. Eike, Arne, Olig und der Stör zün deten die schwenkbaren Drehbassen, die mit Grobschrot geladen waren. Ein neuer Eisenhagel, einem tödli chen Gewitter gleich, fegte brüllend und fauchend über das Meer durch den Nebel. Im Wasser schlug es ein, als würden Steine nach allen Richtun gen geworfen. Thorfin lauschte wieder ange strengt und sah grimmig zu, wie in al ler Eile die Kanonen und Drehbassen nachgeladen wurden. Er hatte gehofft, irgendwo in dem dichten undurchdringlichen Vorhang Schreie oder Gebrüll oder das Split tern von Holz zu hören. Möglicher weise schlichen die Kerle gerade mit ihren Jollen heran. Aber da war kein Geräusch mehr. Er hatte das Gefühl, ganz allein mit seiner Mannschaft auf der Welt zu sein, und um sie herum war alles in dichte Watteberge gepackt. Die Stille war fast greifbar, wie vor hin schon. Eine Minute nach der an deren verrann in gespenstischer Lautlosigkeit.
Das Problem mit dem Nebel hatten die Arwenacks auf der Schebecke ebenfalls. Es zog wieder mal zu und wurde immer dichter. Das Navigie ren wurde dadurch beträchtlich er schwert, und auch die Koppelnaviga tion ließ zu Dan O'Flynns Ärger im mer mehr zu wünschen übrig. Der Wind war fast eingeschlafen und schob sie nur noch mit schwacher Fahrt durch das Wasser. Hasard ahnte mehr, als daß er sah, wie sie von einer schwachen Strö
mung langsam, aber unaufhaltsam nach Nordost versetzt wurden. Eine Gefahr bestand jedoch vorerst nicht. Die Küste von Norwegen war noch weit entfernt. Smoky hatte einmal die Tiefe ge messen, doch das Lot fand keinen Grund. „Wenigstens haben wir etwas ge gessen", sagte Paddy Rogers zufrie den. „Da erträgt man den verdamm ten Nebel gleich viel leichter." Für ihn war das offenbar wieder mal die Hauptsache. Sie hatten eine Menge von den He ringen geräuchert. Ein paar Makre len waren ebenfalls in den Rauch ge hängt und mit zerstoßenen Pfeffer körnern eingerieben worden. Dem Kutscher und Mac hatte das eine Menge Anerkennung beschert, denn die Pfeffermakrelen, zart geräuchert, waren ihnen nur so aus den Händen gerissen worden. Die Aale hatten es ebenfalls nicht überlebt. Mac Pellew war zu ihnen auf Distanz gegangen und behauptete steif und fest, sie würden sich im Ma gen noch winden, und wenn sie hun dertmal geräuchert seien. Jetzt hingen weitere Heringe in dem Räucherofen. Über die Decks verbreitete sich ein lieblicher Duft. „Eigentlich brauchen wir den Räu cherofen gar nicht", sinnierte Bob Grey, der zusah, wie der Kutscher weitere Heringe aufspießte und sie in den Rauch hängte. „Ich meine, du könntest sie gleich in den Nebel da draußen hängen, der ist noch dichter als der Qualm im Räucherofen." Der Kutscher blickte kopfschüt telnd hoch. „Der Vergleich stimmt in etwa, aber du kannst es gern mal versu chen. Ich bin davon überzeugt, daß
46 sich der Geschmack ganz beträcht lich unterscheidet." „Klar, dann kriegt Bob künftig Ne belfisch", meinte Stenmark. Er blickte in den Räucherofen und schloß dann die Tür. Darauf ver harrte er in kniender Stellung und schien zu lauschen. Der Profos blickte stirnrunzelnd auf ihn hinunter. Stenmark hatte das Ohr am Räucherofen, und blickte gleichzeitig starr auf die Planken. „Unterhältst du dich mit ihnen?" fragte er spöttisch. „Oder haben dir die Heringe was zu erzählen, Sten?" Der blonde Schwede ging ganz auf die Planken und legte das Ohr daran. „Da rumpelt etwas", sagte er nach einer Weile. „Man hört es ganz deut lich, wenn man das Ohr an die Plan ken legt." „Das ist teredo navalis", sagte der Kutscher grinsend. „Teredo - äh?" fragte der Profos. „Hört sich an, als würde ein Spanier in der Bilge sitzen. Aber ich weiß ge nau, daß kein Spanier in der Bilge sitzt." „Teredo navalis ist unser alter Freund, der Schiffsbohrwurm", er klärte der Kutscher. „Der rumort wieder mal im Holz." „Das rumpelt aber nicht", wider sprach Stenmark. „Vielleicht haben die Bilgenfrösche gehustet", sagte Carberry. „Sten hört ja sogar die eingelegten Seegurken flüstern." „Überzeugt euch doch selbst, ihr Spinner. An Deck hört man nichts, aber im Wasser um so deutlicher. Der Kutscher hat selbst gesagt, daß der Schall im Wasser wesentlich stärker trägt. Im Gegensatz dazu verschluckt der Nebel die Geräusche und ver zerrte sie. Legt eure Lauscher doch selbst mal an die Planken."
Carberry ließ sich auf alle viere nie der und legte sein Ohr ebenfalls an die Planken. Die anderen standen herum und grinsten, denn er bot ei nen komischen Anblick, wie er da mit seinem wüsten Narbengesicht ange strengt lauschte und es verblüfft ver zog. Old O'Flynn, an Bord immer für unerklärliche Dinge zuständig - ihm konnte ja was entgehen - ließ sich ebenfalls auf die Planken nieder. Als Schallverstärker legte er zusätzlich die Hand hinter das Ohr. Dann stierte er auf die Planken, als wolle er sie mit seinen Blicken durchbohren. „Na?" fragte der Profos gespannt. „Hörst du nichts?" „Da grummelt was", versicherte der Admiral. „So ähnlich wie ein klei nes Seebeben." Auf dem mittleren Deck tat sich wieder mal was. Da Neugier schon immer ansteckend war, wollten auch die anderen nicht tatenlos dabeiste hen. Nach kurzer Zeit lagen ein knappes Dutzend Arwenacks wie hingemäht auf den Planken. Vom Achterdeck aus nahm Hasard das mit einem leisen Seufzen zur Kenntnis. Seiner Ansicht nach schien sich der Profos wieder mal einen üb len Scherz zu leisten. „Das ist der Räucherofen, der da bullert", behauptete Sam Roskill. „Das Geräusch überträgt sich auf die Planken." „Oder auf deinen Affenarsch", sagte Carberry. „Seit wann bullert denn ein Räucherofen, du triefäugi ger Knurrhahn? In dem Ding qualmt es nur ein bißchen, von Bullern kann keine Rede sein." Die Zwillinge Hasard und Philip hörten das Geräusch ebenfalls, und etliche andere auch. Sobald sie sich
47 aber erhoben, herrschte wieder die gewohnte Stille im Nebel. Nach ein paar Minuten gab es das Geräusch nicht mehr. Es wiederholte sich jedoch eine Viertelstunde später erneut. Old O'Flynn gelangte schließlich zu der folgenschweren Erkenntnis, daß es nordische Wassermänner seien, die da ihr Unwesen trieben. Vermut lich seien sie auf der Jagd oder wür den Seekühe melken. „Dann ist ja alles klar", sagte der Kutscher. „Donegal hat das wieder mal auf Anhieb erkannt, und ihr zer brecht euch die Köpfe. Klar, da wer den Seekühe von nordischen Was sermännern gemolken. Ich für meine Person glaube bescheiden bemerken zu dürfen, daß es sich um weit ent fernten Kanonendonner handelt. Ir gendwo wird in unregelmäßigen Ab ständen gefeuert, und zwar aus ziem lich großkalibrigen Geschützen." Smoky kratzte sich das stoppelige Kinn und grinste verlegen. Roger Brighton und Al Conroy, die neben ihm standen, nickten zustimmend. „Sehr richtig", sagte der Stückmei ster. „Genau das ist es. Es handelt sich um Schüsse. Man muß nur sehr genau hinhören. Es scheint auch noch sehr weit entfernt zu sein." Diese Theorie wurde schließlich fast ausnahmlos akzeptiert, außer von Old Donegal. Der blieb eisern bei seinen Wassermännern und setzte noch einen drauf, indem er behaup tete, sämtliche nordischen Geister gä ben sich auf dem Meeresgrund ein Stelldichein und feierten das Ende der Nebeltage. Etwas später gingen ein paar Arwe nacks in den Laderaum hinunter und lauschten dort. Das Geräusch war noch deutlicher geworden. In unre gelmäßigen Abständen vibrierten
ganz leicht die Bordwände der Sche becke. In der Unregelmäßigkeit lag aber doch ein gewisser Rhythmus. Meist dauerte es eine Viertelstunde, bis das Rumpeln begann. Danach herrschte dann bis zu etwa zwanzig Minuten Stille, ehe es von neuem begann. Auch der Seewolf überzeugte sich davon, als Batuti berichtete. „Kein Zweifel", meinte er, „es han delt sich um Kanonendonner. Wie weit er entfernt ist, läßt sich aller dings nicht abschätzen. Da wird doch wohl nicht unser lieber Freund Lö cher in den Nebel schießen?" Mit dem „lieben Freund" war kein anderer als der Wikinger gemeint. Es war durchaus möglich, daß sich der Poltermann wieder mal mit einem an deren Schiff angelegt hatte und jetzt vielleicht in der Klemme steckte. Wenn das wirklich der Fall war, dann konnten sie ihm in der jetzigen Situation ohnehin nicht helfen. Sie waren so gut wie manövrierunfähig und trieben in dem Nebel blind da hin. 8. Der erste, der in dem zähen Nebel etwas sah, war der Stör. Er lauerte neben der Kanone und hatte sein lan ges Gesicht in die rechte Hand ge stützt. Vom vielen Starren taten ihm die Augen weh, und er sah wieder die quirligen Nebelgeister, die über dem Wasser schwebten und sich ständig veränderten. Dann zuckte er etwas zusammen, schluckte aufgeregt und stierte nach Backbord. Da schien mittem im Meer ganz zart die Sonne aufzugehen, so sah es jedenfalls im ersten Moment aus. Ein zaghaftes rötliches Leuchten
48 war da, das sich langsam näherte und größer wurde. Kleine tanzende Ko bolde schienen in dem Leuchten zu flackern. Sie wurden mal größer, dann kleiner oder breiter. In dem Ne bel sahen sie wie unheimliche Geister aus, und so langsam sträubten sich dem Stör die Haare. Er drehte sich um und winkte Thor fin heran, der in seinen rauchgrauen Fellen und mit dem Helm nur ver schwommen erkennbar war und wie ein Relikt aus grauer Vorzeit wirkte. Erregt deutete der Stör ins Wasser. Thorfin trat ans Schanzkleid und blickte finster in die Richtung. Dann schluckte auch der Nordmann heftig, denn was er sah, das ging nicht mit rechten Dingen zu. Winzige Flammen züngelten hoch, aber sie waren verschwommen und sahen mehr nach einem Leuchten aus, das vom Meeresboden zu stam men schien. Der Wikinger hatte so et was noch nie gesehen. „Was ist das?" fragte der Stör mit zuckenden Lippen. „Sind das Ägirs wilde Töchter?" „Das ist die Meeresgöttin Ran, die die Krieger ins Walhall lockt", sagte der Wikinger verunsichert. „Glaube ich jedenfalls." Mittlerweile hatten sich noch mehr eingefunden und starrten auf das dü ster leuchtende Gebilde. Es schien tausend Arme zu haben, mit denen es in den Nebel griff. Auch die Farbe veränderte sich ständig. Mal leuch tete es gelblichweiß, dann wieder orangefarben. Den Kerlen lief ein Schauer nach dem anderen über den Rücken, weil sich keiner das leuchtende Gebilde erklären konnte. Außerdem waren sie so gut wie alle abergläubisch. Vom Satan war die flüsternde Rede, von Ägirs Töchtern und von
Schwefelfässern, die Old Nick nach oben geschickt hatte. Die ersten wi chen auch langsam vom Schanzkleid zurück, als das Leuchten sich weiter näherte und etwas heller wurde. Selbst die Rote Korsarin war an fangs verblüfft. „Das stammt von den Schnapphäh nen da drüben", sagte sie. „Damit wollen sie uns vermutlich ablenken. Seht euch vor!" Thorfin blickte sich wild nach allen Seiten um, ob sich da irgendwo viel leicht schon ein Kopf an Deck zeigte. Er hatte sein Messerchen gezogen und hielt es in der Faust. Das leuchtende Ding befand sich jetzt noch etwa sieben oder acht Yards vom Schiff entfernt und trieb ganz langsam auf die Bordwand zu. Offenbar lenkte es die leichte Strö mung in diese Richtung. Im Nebel war Rauch zu spüren, als brenne es. Qualm war allerdings keiner zu se hen, denn der mischte sich mit dem Nebel. „Das hat nichts mit übersinnlichen Dingen zu tun", sagte Siri-Tong in die entsetzliche Stille hinein. „Das Ding ist ein Brander, ein kleiner Brander, den die Bastarde uns mit der Strö mung geschickt haben. Da ist auch et was zu erkennen, ein dunkler Gegen stand." Bevor noch einer der anderen et was tat, handelte die Rote Korsarin. Sie griff nach einer Lederpütz und hievte sie nach einem kurzen Ruck wieder hoch. Dann hielt sie sie abwar tend in der Hand und beugte sich über das Schanzkleid. „Steht nicht so herum!" fuhr sie die Kerle an. „Nehmt euch Pützen und beeilt euch! Auf dem kleinen Floß steht offenbar ein Faß voller Schieß pulver." Die Kerle erwachten aus ihrer
49 Erstarrung. Das Ding war jetzt etwas kleid zurück. Glühende Holzteile flo deutlicher zu erkennen. Den Umris gen durch die Luft und regneten nie sen nach zu urteilen, war es tatsäch der. lich ein kleines Floß, das nur aus ein Der Wikinger setzte sich mit einem paar Stämmen bestand. Auf dem urigen Schrei auf die Planken. Der „Zwergbrander" brannte aufgesta Stör kreiselte ihm nach, wollte sich peltes Holz, und dieses glimmende festhalten und landete dann auf dem und brennende Holz war um ein klei Wikinger, den er zum zweitenmal um nes dunkles Fäßchen gruppiert, an riß. dem die Flammen leckten. Schauderhafte Flüche waren zu hö Der Wikinger holte einen langen ren. Auch Pedro sin obras hatte die Bootshaken und schwang ihn über Bord, um das brennende Gebilde ab Druckwelle erwischt. Er taumelte wie zustoßen. Es glitt jetzt bedrohlich ein welkes Blatt über Deck und nahe. Jeden Augenblick konnte das knallte dem Wikinger den Kolben der brennende Faß in die Luft fliegen. Muskete vor die Brust. Siri-Tong kippte den Inhalt der „Du Idiot!" brüllte Thorfin und Pütz mit schnellem Schwung über holte aus. Er klebte Pedro eine, die so Bord. Ein paar andere taten es ihr hart war, daß er die Druckwelle als nach. Doch das Wasser erreichte den zartes Säuseln empfand. Der Kerl kleinen, aber wirksamen Brander zischte ab, rannte und taumelte bis nicht. Zwei Yards davor klatschte es zum Vordeck und brach am Nieder in die See. gang benommen zusammen. Ein ganz Schlauer handelte auf „So ein Scheiß", knurrte er, „ich seine Art. Er war der großmäulige wollte doch nur den Kahn retten." Pedro Ortiz, den Thorfin vor Jahren Zu allem Überfluß ertönte jetzt ir in einer Hafenkneipe auf Tobago auf gendwo in dem Nebel das horme gelesen hatte. Pedro sin obras nann rische Gelächter der Schnapphähne. ten sie ihn - ein Großmaul, das alles mögliche versprach, aber nie etwas Sie sahen nicht, ob sie Erfolg hatten, hielt. Pedro ohne Taten lautete sein aber sie hörten die Schreie und das Spitzname. Der hielt sich jetzt für Fluchen. Die höhnische Lachsalve den Retter der Welt, nahm die Mus verebbte nur langsam. kete, zielte auf das dunkle Fäßchen Thorfin blickte an der Bordwand und feuerte. hinunter. Das Holz hatte sich etwas Es war wahrhaftig eine Heldentat. schwärzlich verfärbt, aber das fiel Die Kugel traf das Fäßchen, und das nicht weiter auf, weil das Holz Fäßchen flog auch sofort in die Luft. ohnehin schwarz war. Er zerbiß einen Es war nur gut, daß „Eiliger Drache" weiteren Fluch zwischen den Zähnen. aus Eisenholz war. „Es ist nichts passiert", sagte SiriVor der Bordwand donnerte eine Tong. „Aber es hätte beinahe ins Explosion in den Himmel, ein grell Auge gehen können. Wie kann man weißer Blitz zuckte auf, und dann nur auf ein Faß voller Schießpulver schien wieder einmal der Weltunter feuern, wenn es auch noch zu brennen gang nahe zu sein. Die Druckwelle, anfängt." brüllend heiß und den Nebel zerrei Pedro sin obras mußte sich eine ßend, fegte alle Mann vom Schanz ganze Menge anhören. Sehr bedrückt
50 nahm er wieder am Schanzkleid Auf stellung. „Stellt überall Pützen bereit", be fahl Thorfin. „Nehmt auch Haken und paßt nach allen Seiten auf. Es kann sein, daß die Bastarde zu entern versuchen, wenn wir durch die klei nen Brander abgelenkt sind." Es verging etwa eine Viertelstunde, da entdeckte der Ausguck wieder ein rötliches Glimmen in der See. Es trieb auf den Bug von „Eiliger Drache" zu und näherte sich langsam mit der Strömung. Gerade, als er das an Deck meldete, wurde der nächste Kleinbrander ent deckt. Er loderte heller als der an dere. Er trieb, etwas weiter zur Mitte des Schiffes versetzt, auf sie zu. „Wir sollten die Jolle abfieren und die Kleinbrander noch weit vor dem Schiff abfangen, Thorfin", schlug die Rote Korsarin vor. „Dort können wir sie wirksamer bekämpfen. Sind sie erst an die Bordwand herangetrie ben, kann es zu spät sein." Der Wikinger, der sonst immer ver suchte seinen eigenen Dickschädel durchzusetzen, nickte schnell. „Der Vorschlag ist gut. Fiert die Jolle ab, nehmt Pützen und Haken mit. Die Kerle treiben mich noch zum Wahnsinn." Die anderen standen auf dem Sprung. Immer wenn Cookie sich ha stig oder schnell bewegte, baumelte der Fischrücken wild hin und her und flog ihm um die Ohren. „Kann ich das Ding nicht abneh men?" fragte er kläglich. „Es behin dert mich sehr." „Hast du jetzt nichts anderes zu tun, als an deine verdammte Fisch gräte zu denken?" bölkte der Wikin ger. „Das Ding bleibt dran, bis die drei Tage um sind." Vier Mann waren damit beschäf
tigt, die kleine Jolle abzufieren, wäh rend die anderen gebannt auf die her antreibenden Kleinbrander blickten. Auch Thorfin ließ sie nicht aus den Augen. Dabei gab er den anderen vier Wikingern sein schon bekanntes Handzeichen. Vier Kanonen brüllten mit urweltli chem Getöse auf. Im Rumpf knirschte es wieder einmal. Die schweren Eisen kugeln jagten aus den Rohren und donnerten irgendwo in die See. Es klatschte laut, dann herrschte wieder Ruhe, und nur das leise Knistern der unheimlichen Lichter war zu hören. Die Jolle war immer noch nicht ab gefiert. Thorfin wollte die Kerle an brüllen, doch eine gewaltige Detonati on verschlang seine Worte. Zwanzig Yards vor dem Bug stieg eine gewaltige Feuersäule in den Him mel. Es sah wie ein gigantisches Wet terleuchten aus, denn auch der Nebel wurde wieder blutigrot erhellt. Glü hende Partikel wurden nach allen Sei ten geschleudert. Ein paar Funken regneten über die Decks. Ein glühen der Holzprügel fuhr ins Focksegel. Am Liek begann es sofort zu glim men. Hilo, ein hellhäutiger und sehr reiz barer Neger, von Thorfin ebenfalls auf Tobago eingesammelt, raste mit einem nassen Schwabber heran und schlug wie wild auf die Funken und glimmenden Ränder. Die Glut fraß sich nicht mehr wei ter, die Gefahr war vorerst gebannt. Die Druckwelle hatte diesmal kei nen Schaden angerichtet, weil das Faß vorzeitig explodiert war. Zum Glück konnten die Schnapphähne die Strömung nicht genau berechnen und auch nicht den Zeitpunkt der Explo sion. Trotzdem gingen diese Feuerin seln dem Wikinger immer mehr auf den Geist.
51 Im Nebel trieben noch ein paar ver kohlte und glimmende Holzstücke vorbei. Sie gossen Wasser darüber und sahen mit gemischten Gefühlen der nächsten Feuerinsel entgegen. Inzwischen war auch das Beiboot abgefiert worden und lag jetzt neben der Bordwand im Wasser. Tammy, Hilo und der Bootsmann Juan nahmen die Riemen auf und wollten dem nächsten Zwergbrander entgegenpullen. Im Boot hatten sie lange Haken und Lederpützen. Der Wikinger sah sie durch den Rauch und Nebel gerade noch recht zeitig. Sie hielten genau auf das glim mende Feuer zu. „Zurück!" brüllte er. „Es ist schon zu dicht dran! Das Faß kann euch je den Augenblick um die Ohren flie gen!" Die drei verharrten unschlüssig und sahen zu dem leuchtenden Fleck im Nebel, auf dem es flackerte und brannte. Das Feuer schien sich immer weiter nach den Seiten hin auszudeh nen. Dann war laut und deutlich ein scharfes Knistern zu hören. „Habt ihr nicht gehört?" fauchte Thorfin. „Ihr sollt sofort..." Wieder wurden ihm die Worte von den Lippen gerissen. Die drei Kerle im Boot duckten sich jäh, als im Was ser eine mächtige Säule aus Feuer und Rauch aufwuchs. Wie ein riesiger Pilz raste sie in den Himmel und wurde gleichzeitig breiter. Der Donner war diesmal so laut, daß sie fast taub wurden: Es mußte sich um ein großes Faß Schießpulver gehandelt haben. Dementsprechend stark war auch die Druckwelle. Hilo, der sich gerade geduckt hatte, wurde von einer mächtigen Faust an gehoben und in weitem Bogen in die See geschleudert. Die beiden anderen
verschwanden zwischen den Duch ten, als hätten Riesenfäuste sie ruck artig niedergeschmettert. Eine heiße Druckwelle breitete sich nach allen Seiten aus. Sie überzog auch den Schwarzen Segler mit einem heißen Schwall, wobei sich alle Män ner gleichzeitig duckten und hinter dem Schanzkleid in Deckung gingen. Danach herrschte Ruhe. Sie fisch ten Hilo auf und legten sich mit der Jolle auf die Lauer. Der Neger wurde an Bord gebracht. Er fror entsetzlich. Ein anderer nahm seinen Platz ein, und dann pullten sie wieder jener Stelle zu, wo die Feuerinseln auf tauchten. Sie warteten länger als eine halbe Stunde. Nichts tat sich. „Zermürbungstaktik", sagte SiriTong lakonisch. „Lasse deinen Geg ner in Ungewißheit, und er wird im mer nervöser." Als keine Kleinbrander mehr auf tauchten, winkte der Wikinger die Jolle heran und enterte ab. „Was hast du vor?" fragte SiriTong. „Ich will die Strömung peilen. Wir sitzen jetzt seit fast zwei Stunden fest. Entweder sacken wir noch mehr ab, oder die Flut hebt uns langsam hoch. Das will ich feststellen." Mit einem langen Bootshaken sto cherte Thorfin am Rumpf des Schif fes herum. Er ließ sich einmal um den Schwarzen Segler pullen und sto cherte mit geschlossenen Augen bis auf den Grund. Dabei konnte er sich besser konzentrieren. „Hat sich nicht viel verändert", sagte er wütend. „Aber die Strömung ist offenbar gekippt. Die Bastarde schicken auch keine Feuerinseln mehr herüber, weil es nicht geht. Viel leicht haben sie es ganz und gar aufge geben."
52 Er riß ein paar Fusseln aus seinem Fell, warf sie ins Wasser und stierte sie an. Dabei beugte er sich so weit über das Dollbord, daß er fast über Bord gegangen wäre. „Keine Strömung mehr", stellte er fest. „Damit haben wir von den Feuerinseln nichts mehr zu befürch ten." Er lachte dröhnend und wischte die Feuchtigkeit aus seinem Bart. Sie hatten aber doch noch etwas zu befürchten, denn die nordischen Schnapphähne schienen selbst im Ne bel noch Luchsaugen zu haben. Eine knappe Stunde später wurde der nächste Kleinbrander entdeckt. Diesmal trieb er von der anderen Seite ganz langsam heran, ein siche res Zeichen, daß die Strömung ge kippt war. Für Thorfin war das aller dings gleichzeitig der Beweis, daß sie bei Ebbe aufgebrummt waren. Daher war es nur noch eine Frage der Zeit, bis „Eiliger Drache" wieder auf schwamm und manövrierfähig war. Er sah sich nach allen Seiten um, doch der Nebel war immer noch so dicht wie zuvor. Es gab kein Anzei chen dafür, daß er sich bald auflösen würde. Der Wikinger wirkte jetzt gelöster und grinste auch einmal, als sie mit der Jolle auf die Feuerinsel zuhielten. Sie war nur ein schwach orangefarbe ner Fleck im Nebel, von dem dunkler Rauch aufstieg. Er ließ das Boot ganz dicht heran pullen, nahm dann den Haken und hielt das treibende Ding fest, um es einer genaueren Betrachtung zu un terziehen. Es war eine überaus einfache und simple Konstruktion. Ein brennendes kleines Floß, auf dem Reisig und Holz brannten. In der Mitte war ein Faß festgezurrt, das Schießpulver ent
hielt. Das Feuer brauchte eine Weile, bis es sich an das Faß herangefressen hatte. Es detonierte erst dann, wenn die Hitze zu groß wurde. Das konnte in fünf Minuten oder auch erst in ei ner Viertelstunde der Fall sein. Blieb diese Feuerinsel aber irgendwo un entdeckt unter dem Heck hängen, dann konnte die Explosion verhee rende Folgen haben. Thorfin war jetzt so nahe heran, daß er mit dem Haken das brennende Holz auseinanderreißen konnte. Dann wollte er das primitive Floß mit einem weiteren Ruck zum Kentern bringen. In seinem Eifer verhedderte er sich jedoch mit dem Haken in der Verzur rung des Fasses. „Mutter Maria", sagte Diego Vale ras, „das Faß ist ja schon ganz rot vom Feuer." Thorfin Njal verlor den Halt. Sein Körper streckte sich in die Länge, bis er eine Art Brücke zwischen Jolle und Feuerinsel bildete. Den Haken hielt er dabei immer noch in den Hän den. Der Wikinger wurde länger und länger. Die beiden anderen versuch ten verzweifelt, den schweren Polter mann in die Jolle zu ziehen. Es ging nicht, sie kriegten ihn nirgendwo zu packen. Der Kleinbrander kenterte, das Faß flog ins Wasser. Es gab eine helle Stichflamme, und dann hörten sie den Wikinger lauthals fluchen. Die Explosion fand zu Thorfins Glück nicht mehr statt. Das Wasser hatte rechtzeitig alles überdeckt. Da für war Thorfin über Stag gegangen und zappelte jetzt in Nebel und Was ser herum. Bis sie ihn endlich wieder an Bord hatten, mußten sie sich eine ganze Menge Gemeinheiten sagen lassen.
54 entnervend, in dieser milchigen Suppe herumzukrebsen. Die einzige Abwechslung bot eben Für die Arwenacks verliefen die nächsten Stunden so gespenstisch der „Horchposten", doch seit sich da wie seinerzeit im Meer der toten See nichts mehr rührte, begann das Inter esse langsam zu erlöschen. len. Einmal glaubte Dan O'Flynn Ge Um sie her war alles grau in grau. Vom Meer brodelten immer wieder räusche zu hören. Es klang wie ein Dämpfe auf und bildeten neue Nebel dumpfer Fall in weiter Ferne. Aber das Geräusch wiederholte sich nicht, wände. Die Schebecke trieb dahin. Sie hat und so war Dan der Ansicht, der Ne ten jegliches Orientierungsvermögen bel habe ihm einen Streich gespielt. „Wir könnten ja wieder ein paar verloren. Hasard hatte schon beschlossen, Kakerlaken fangen und ein neues vor Anker zu gehen, um den Nebel ab Spielchen ersinnen", schlug der Pro zuwarten, doch es gab keinen Anker fos vor. „Das haben wir doch schon grund. Das Meer unter ihnen war un mal getan, und es war sehr lustig. Wir endlich tief. Also ließen sie sich mit haben uns krank gelacht." der sanften Strömung weitertreiben. Über den Vorschlag waren die mei Niemand wußte, wie weit sie von der sten jedoch nicht sehr begeistert. Sie norwegischen Küste entfernt waren. blickten den unternehmungslustigen Sie konnte dicht vor ihnen, konnte Profos nur gelangweilt an. aber auch noch sehr weit entfernt „Na, dann nicht", sagte Carberry sein. Passieren konnte nicht viel, und ließ sich auf die Stufen des Nie selbst wenn sie vor der Küste irgend derganges sinken. Dort blieb er lange wo aufliefen. Es würde bei der lang ruhig sitzen und starrte in die trübse samen Geschwindigkeit nur ein sanf lige Umgebung. ter Ruck werden. Die anderen Arwenacks standen „Seit mehr als einer Stunde ist ab ebenfalls gelangweilt herum. solut nichts mehr zu hören", sagte Hasard wollte gerade das Achter Smoky. „Ich habe immer wieder ge deck verlassen, um für einen Augen lauscht, doch der Kanonendonner, blick in seine Kammer zu gehen, als oder was immer das sein mag, hat die Arwenacks jäh aus ihren trüben sich nicht wiederholt." Betrachtungen gerissen wurden. „Nein, nichts mehr zu hören", Ein bestialischer Krach dröhnte meinte auch Batuti. „Es hat aufge überlaut in ihren Ohren, und dann hört. Wenn sich da zwei Schiffe be splitterte auch schon Holz. Über das schossen haben, dann hat der Nebel Meer zog ein wilder Donner. sie inzwischen auseinandergetrie Im ersten Augenblick glaubten sie, ben." ein Blitz habe eingeschlagen. Die In regelmäßigen Abständen gingen Schebecke wurde durchgeschüttelt. sie wieder auf Horchposten, doch es Hasard blieb so abrupt stehen, als tat sich nichts mehr. Vermutlich habe ihn der Blitz selbst getroffen. hatte Batuti recht. Erstaunt sah er sich um und folgte da An Bord herrschte Langeweile. Je mit den entsetzten Blicken der Arwe der wartete sehnsüchtig darauf, daß nacks. Die starrten alle gleichzeitig der Nebel sich auflösen möge. Es war auf den Handlauf des Steuerbord 9.
55 Schanzkleides, von dem jetzt ein erst kürzlich neu eingesetztes Stück fehlte. Es war einfach herausgefetzt worden. Ein paar kleinere Holzsplit ter lagen noch auf den Planken her um. „Was war das denn?" fragte Ferris Tucker verwirrt. „Da hat jemand auf uns geschos sen", sagte Hasard lakonisch. „Hörte sich so an und sieht auch so aus. Das ist ja ein Ding." Die Seewölfe liefen zusammen. Gleichzeitig hielten sie nach allen Sei ten Ausschau. Es gab nichts zu sehen, außer dem quirligen Nebel. Der Schuß hatte sie unvermittelt und wie aus dem Nichts getroffen. Das war wirklich ein Ding. Ihre Verblüffung war echt. Sie starrten sich ziemlich ratlos an. „Da soll doch der Satan dreinfah ren", empörte sich Carberry. „Da krebst hier irgendein Rübenschwein in Nebel herum und nimmt uns unter Feuer. Die Kerle können uns doch gar nicht sehen." „Nein, das können sie ganz sicher nicht", sagte der Seewolf nachdenk lich. „Sie sind in dem Nebel so blind wie wir. Ich vermute, daß es dasselbe Schiff ist, dessen Kanonen wir vorhin hörten. Die Blödmänner feuern offen bar ziemlich wahllos in den Nebel hinein." „Wir sollten mal zur Warnung zu rückfeuern", schlug Al Conroy vor. „Das halte ich für sinnlos. Dabei können zu leicht ein paar verirrte Ku geln großen Schaden anrichten. Au ßerdem wissen wir nicht, mit wem wir es zu tun haben." Jeden Augenblick waren sie jetzt darauf gefaßt, daß es wieder ein schlug. Es war eine scheußliche Situation, nicht zu wissen, was um sie herum geschah und wer sie belauerte.
„Ganz ruhig bleiben", sagte Ha sard. „Wir wollen unsere Position nicht verraten." „Da knarren Riemen", flüsterte Dan in die Stille hinein, die sich jetzt ausgebreitet hatte. ,Eine Jolle ist ganz in der Nähe, und dann dürfte auch das Schiff nicht weit sein." „Beobachten und hinter dem Schanzkleid in Deckung bleiben", raunte der Seewolf. Die Jolle war nicht zu sehen, aber zu hören. Stimmen wisperten, dann war Stille. Die Riemen knarrten auch nicht mehr. Ein paar Minuten später zeigte Dan aufs Wasser und raunte: „Sie haben uns entdeckt. Vier Kerle sind es, den Schatten nach." Ganz schwach wurde jetzt die Jolle sichtbar. Die Schatten darin waren kaum wahrzunehmen. Mehr als daß sie etwas sahen, spürten sie, daß die Jolle an der Schebecke anlegte und drei Kerle lautlos aufenterten, wäh rend der vierte im Beiboot blieb. Sie waren noch nicht richtig über dem Schanzkleid, als die Arwenacks blitzschnell in Aktion traten. Hasard riß den ersten Kerl mit ei nem wilden Ruck heran und donnerte ihm gleichzeitig die Faust bretthart unter das Kinn. Den zweiten räumte der Profos mit einem Volltreffer ab, und den dritten nahm Big Old Shane eisenhart in Empfang. Der Schatten empfing ein Ding an die rechte Schläfe, das ihn wie wild an den Mast trieb. Dort brach er zusammen. Hasard riß den Kerl hoch und erstarrte. Es war der, dem er die Faust unters Kinn gesetzt hatte. Der Seewolf war völlig perplex und fand keine Worte. Schluckend sah er auf den riesigen Mann, der jetzt mit einem Auge blinzelte. „Der behelmte Nordpolaffe", sagte
56 Garberry andächtig. Er stieß die Luft aus und stimmte ein unbändiges Ge lächter an. Thorfins Blicke waren etwas glasig. Er stierte von einem zum anderen und kapierte die Vorgänge noch nicht so richtig. Sie hatten das dänische Schiff entern wollen, nachdem sie in den Nebel gefeuert hatten, aber das Schiff hatte plötzlich ganz anders ausgesehen. Und dann hatte Thors Hammer ihn offenbar voll getroffen. Er starrte den Seewolf an, ver drehte die Augen, hieb sich dann mit der Hand vor die Stirn und wich ei nen Schritt zurück. Dann erst über fiel ihn das Licht der Erkenntnis, und er stieß einen Schrei aus, der höllisch an das Brüllen eines Elches erinnerte. Jetzt dämmerte auch bei den ande ren etwas. Die Arwenacks waren ge nauso verblüfft und verdattert. Der Kerl im Boot zuckte entnervt zusam men und wußte nicht, was da über ihm vorging. Danach war auf der Schebecke die Hölle los. Ein Gebrüll und Gelächter erklang, das noch andere Auswirkun gen hatte. Die dänischen Schnapp hähne hörten es nämlich und hatten keine Erklärung dafür. Daher verhol ten sie ihr Schiff vorsichtshalber erst einmal um eine knappe Meile weiter nach Norden. Eine der Gestalten war der Boston mann, die andere der Stör, und der Mann im Boot war Bill, the Dead head, der jetzt bei dem allgemeinen Gebrüll rasch aufenterte. Er war auch der einzige, der sich keinen har ten Brocken eingefangen hatte. Die Begrüßung war unbeschreib lich. Da wurden Hände geschüttelt und Schultern geklopft, daß die Kno chen krachten. „Hinter dir sind wir seit einer Ewig keit her, Thorfin", sagte Hasard. „Wir
sind deinen etwas versengten Spuren gefolgt, und jetzt haben wir euch end lich erwischt. Ich denke, wir haben uns eine ganze Menge zu erzählen." Dem rauhen Wikinger standen Trä nen in den Augen, die er verstohlen fortwischte. „Verfluchter Nebel", sagte er brum mig, „da steht einem ja das Wasser im Bart. Aber du hast recht, Sir, wir ha ben uns verdammt viel zu erzählen. Wir liegen ganz in der Nähe vor der norwegischen Küste und werden von ein paar dänischen Schnapphähnen belauert, die sich mit mir angelegt ha ben. Wir sollten die Schiffe zusam menbringen. Dann können wir ein kleines Fest veranstalten. Siri-Tong ist auch drüben - und all die anderen, die ihr kennt." „Siri-Tong ist auch an Bord?" fragte Hasard überrascht. „Dann stimmt es also doch, was wir in Lon don gehört haben, daß eine Frau an Bord sei. Gut, wir legen uns zusam men, aber wo seid ihr? Findet ihr überhaupt selbst noch zurück?" „Wir haben eine große Rolle Kabel garn in der Jolle. An der brauchen wir nur zu ziehen, dann haben wir das Schiff. Wir wollten nämlich gerade die Schnapphähne ein bißchen aus der Nähe betrachten. Ich weiß aber nicht genau, wo sie liegen. Das ist ja ein toller Zufall." „Kein Zufall", sagte Hasard. „Wir haben euch gesucht und sind euch im mer hinterhergesegelt. Und jetzt trei ben wir ausgerechnet auf euch zu. Liegt ihr vor Anker?" „Wir sind aufgebrummt. Die Ba starde haben uns auf eine Sandbank gelockt. Aber wir haben bald Flut, und dann schwimmen wir wieder auf. Für euch besteht bei eurem Tiefgang keine Gefahr. Was ist das eigentlich für ein Schiff, das ihr da habt?"
57 „Eine Schebecke. Wir haben sie tu nesischen Schnapphähnen abgenom men, aber davon später."
Nicht lange, und die beiden Schiffe lagen nebeneinander. Durch das laute Gebrüll waren die anderen schon aufmerksam und sehr mißtrau isch geworden. Jetzt ging das Gebrüll erst einmal weiter, denn die beiden Mannschaf ten hatten sich lange nicht mehr gese hen. Sie hatten aber gemeinsam so manchen harten Strauß ausgefoch ten, und schließlich gehörten sie dem Bund der Korsaren an. „Du hast dich nicht verändert", sagte Siri-Tong, als sie Hasard die Hand gab und ihn anblickte. Die Freude hatte ihre Wangen rot ge färbt. „Du hast inzwischen etwas sil bergraue Schläfen bekommen, aber das läßt dich noch interessanter er scheinen. Ich denke, wir sollten unser Wiedersehen mit einem kleinen Fest feiern." „Einverstanden, Lady", sagte Ha sard lachend. „Das hat Thorfin auch vorgeschlagen. Was ist aber mit den Schnapphähnen?" „Wir haben Wachen aufgestellt. Alle Kanonen sind geladen. Sie trauen sich nicht heran." „Dann werden wir uns gemeinsam um sie kümmern, wenn sich der Ne bel etwas gelichtet hat. Ich glaube, du wirst jetzt eine Menge Fragen zu be antworten haben, Siri-Tong. Die Kerle bersten vor Neugier." Don Juan, Smoky und Old O'Flynn hatten schon glänzende Augen. Sie waren verheiratet und wollten natür lich wissen, wie es ihren Frauen und den Kindern ging. Thorfin ließ den Laderaum für eine
Bordfeier herrichten, damit auch alle Platz hatten. Dann wurden Getränke aufgefahren, und die Erzählerei wollte kein Ende nehmen. Die Arwe nacks steuerten ein paar Fässer Bier und Wein bei. Die irgendwo im Nebel lauernden Schnapphähne waren für die Wikin ger jetzt Nebensache geworden. Er konnte sich über das Wiedersehen lange nicht beruhigen und verzieh Hasard den harten Brocken grinsend, den er eingesteckt hatte. „Im karibischen Stützpunkt ist al les in Ordnung", sagte die Rote Kor sarin. „Wir haben ihn noch weiter ausgebaut und stärker befestigt. Dein Vetter Arne von Manteufel hat uns kürzlich einen Besuch abgestattet. Sein Handelshaus in Havanna be steht ebenfalls noch. Es gibt nichts, was euch irgendwelche Sorgen berei ten könnte." Sie hoben ihre Mucks und Becher und stießen miteinander an. Dabei grinste der Profos wie ein Heupferd, wenn er Cookie ansah. Der Kerl schien nicht mehr ganz dicht im Schä del zu sein, denn er hatte sich eine mächtige Fischgräte in die Haare ge bunden. Den Hintergrund erfuhr der staunende Profos erst später. Jetzt gab es Wichtigeres zu erzählen. Old O'Flynn war ganz kribbelig und nervös. „Wie geht es meiner lieben Snug glemouse und dem kleinen Windel pisserchen Edwin Shane? Der muß doch schon ziemlich gewachsen sein." „Beiden geht es gut. Edwin Shane ist ein strammer Bursche geworden, der uns allen Freude bereitet. Deine ,Empress of Sea' hält Martin Correa in Schuß und segelt öfter mal nach Tortuga." „Und meine Kneipe, die Rutsche?"
58 fragte Old Donegal begierig. „Die steht doch auch noch, oder?" „Aber sicher. Mary, Martin und der ehemalige Gouverneur bewirtschaf ten sie. Es ist eine wahre Goldgrube geworden." „Der dicke Ex-Gouverneur de Quin tanilla - klaut der auch nicht?" fragte Old Donegal. Es war ganz zappelig vor Freude und Aufregung. „Nein, er hat sich völlig verändert. Ihr werdet ihn kaum wiedererken nen. Er ist ein bißchen schlitzohrig, aber ehrlich." Dann war Smoky an der Reihe, der sich natürlich sofort nach seiner Frau Gunnhild und dem Söhnchen David erkundigte. Auch ihm konnte Siri-Tong nur Er freuliches mitteilen, genau wie Don Juan, der mit der Eingeborenen Taina verheiratet war, aber noch keine Kinder hatte. Dann wurden Einzelheiten gefragt, die den Stützpunkt betrafen. Dort war alles bestens und in Ordnung. Das Frage- und Antwortspiel über den Stützpunkt Great Abaco nahm mehr als eine Stunde in Anspruch. Die Arwenacks fieberten geradezu danach, sich endlich wieder einmal an Ort und Stelle umzusehen. Dann mußten die Arwenacks be richten, was inzwischen passiert war, und da gab es erneut eine Menge Ge sprächsstoff, der nicht ausgehen wollte. Hasard gab einen groben Ab riß über die Vergangenheit und die Geschehnisse. „Wann segelt ihr denn in die Kari bik zurück?" fragte Siri-Tong. „Es hindert euch doch niemand, den Stützpunkt so schnell wie möglich an zulaufen." „So einfach ist das nicht. Wir haben der Königin von England eine Silber galeone als Gastgeschenk mitge
bracht, ein fettes Vögelchen, das wir unterwegs gerupft hatten. Dann er fuhren wir, daß ihr in England gewe sen seid. Wir nahmen uns vor, euch zu sehen, denn euer Ziel war uns be kannt. Die Königin hat jedoch noch eine Bitte an mich, und die kann ich nicht abschlagen. Nach unserer Rück kehr werde ich erfahren, was sie will. Wie sieht denn nun genau eure Route aus?" „So ähnlich, wie sie dir bekannt ist", sagte Thorfin. „Wir wollen in Bergen, hier ganz in der Nähe, eine Ladung Eisenerz oder Eisenbarren kaufen. Das dürfte ohne Schwierig keiten vor sich gehen. Ich nehme das Zeug aber erst auf dem Rückweg mit, denn wir wollen noch nach Island se geln. Dort will ich mich auf dem Thorgeyrschen Hof umsehen, ob alles in Ordnung ist, und was der Dinge mehr sind. Das Eisenerz nehme ich dann auf dem Rückweg mit." „Sagtest du gerade." „Ho, ich bin noch ein bißchen durcheinander vor Freude." „Wer hatte denn die Idee mit dem Eisenerz?" wollte Hasard wissen. . „Hesekiel Ramsgate", erwiderte Si ri-Tong. „Er hat Überlegungen ange stellt und ist zu dem Schluß gelangt, daß wir künftig auf Eisen nicht ver zichten können, wenn wir unabhän gig bleiben wollen. Er will es selbst schmelzen und verarbeiten." Der Seewolf nickte anerkennend. „Eine gute Idee", lobte er. „Hese kiel ist ein tüchtiger Mann, der weit vorausdenkt und plant. Eisen ist im karibischen Raum Mangelware. Hat er denn die Anlagen zur Verarbei tung schon gebaut?" „Es ist noch im Anfang", erklärte Thorfin. „Aber er hat uns versichert, daß es keine Probleme gäbe. Na ja, als ich das hörte, nahm ich sofort die
59 Gelegenheit wahr. Schließlich bin ich ja für den hohen Norden zuständig und kenne mich hier aus. Außerdem wollte ich ganz gern einmal weg, um zu sehen, was hier los ist. Die Leute sind alle von meinem Schlag." „Ja, das fiel uns auf", sagte Hasard trocken. „Fast überall konnten sie sich gut an dich erinnern. Wir trafen unter anderem auf die ,Ragnhylt', ei nen Segler, der reichlich zerrupft war. Wir haben ihm geholfen und sein Schiff repariert. Er konnte sich ganz besonders gut an einen in Felle gekleideten riesigen Kerl erinnern, der ihm ein paar Brandfackeln in die Segel geworfen hat." Thorfin versteckte sein Gesicht hin ter einem gewaltigen Humpen und grinste entschuldigend. „Der hat mit mir Streit angefan gen", sagte er dumpf. „Da mußte ich ihm eine kleine Lektion erteilen." „Den drei Holländern im Skager rak auch?" „Die - ach ja, diese Holländer. Ein freches Völkchen. Man muß sich eben seiner Haut wehren, so gut man kann." „Und jetzt hast du dich mit einem dänischen Schnapphahn angelegt, der dich noch immer belauert", sagte Hasard seufzend. „Nun, ich will dir keine Moral predigen, du bist schließ lich für dich selbst verantwortlich. Aber auf unserem gemeinsamen nächsten Raid unterlassen wir die Rupferei von harmlosen nordischen Kauffahrern lieber." „Heißt das, du willst mit uns zu sammen nach Island segeln?" fragte Siri-Tong erfreut. „Genau das heißt es. Wir haben vor, euch zu begleiten. Auf dem Törn kön nen wir uns in aller Ruhe unterhal ten. Es gibt noch viel zu erzählen." „Das freut mich wirklich", sagte
der Wikinger. „Dann begleitet ihr uns auch nach Bergen?" „Wenn ihr wollt - gern. Deshalb sind wir euch ja auch nachgesegelt." Die Kerle klatschten in die Hände und freuten sich. „Darauf müssen wir noch einen trinken", sagte der Wikinger und hob seinen Humpen. Sie tranken ihm zu, und es gab wie der ein lautes Hallo. Auch der Profos hob seinen Humpen und blickte Coo kie an. Dann grinste er. „Ganz neue Mode, was, wie?" fragte er und deutete auf die riesige Fischgräte, die ihm Köchlein von der Schulter baumelte. „Manche haben einen Ring im Ohr oder einen Kno chen durch die Nase. Aber Fischge rippe habe ich noch nie im Haar gese hen. Was soll das also?" Cookie grinste beschämt. „Das ist eine neue Anordnung vom Kapitän", sagte er kläglich. „Wenn man ihm den falschen Fisch serviert, kriegt man die Gräten drei Tage lang als Andenken." „Dem Geruch nach trägst du sie schon mindestens zwei Tage", schätzte der Profos grinsend. „Fällt bei ihm nicht auf", sagte Thorfin. „He! Was war das denn?" Durch „Eiliger Drache" war ein leichter Ruck gegangen. Das Schiff begann ein wenig zu rucken und lag dann wieder still. „Wir schwimmen auf", sagte SiriTong. „Die Flut hebt uns langsam von der Sandbank herunter." Es dauerte aber nochmals eine halbe Stunde, bis der zweite Ruck er folgte. „Eiliger Drache" drehte sich ein wenig. „Wir gehen besser an Deck", schlug Hasard vor. „Du hast gesagt, ganz dicht vor uns befindet sich die Küste. Wenn sie felsig ist, müssen wir ja
60 nicht unbedingt gleich wieder auf brummen." An Deck war der Nebel immer noch sehr dicht. Hasard glaubte jedoch, daß es inzwischen ein bißchen heller geworden war. „Wir sollten Anker setzen", sagte Ben Brighton. „Vorhin glaubte ich einmal, ganz kurz die Küste gesehen zu haben. Die Flut schiebt zwar nur ganz schwach, aber sie kann uns trotzdem zur Küste hin versetzen." Der Anker wurde geworfen. Nach einer weiteren Viertelstunde begann der Wikinger zu grinsen. „Wir sind aufgeschwommen", teilte er mit. „Wir haben wieder ein paar Handbreiten unter dem Kiel." „Trotzdem können wir vorerst nicht weitersegeln", meinte Don Juan. Er hatte Siri-Tong schon zum x-ten Male nach seiner Taina gefragt und freute sich ebenfalls, sie bald wieder zusehen. Aber bis dahin war es doch noch ein weiter und langer Weg. 10. Der Nebel riß nur zögernd auf. Hin und wieder entstand eine schmale Bresche in dem Zeug, das wie Milch suppe aussah. Dann konnte man ein paar Yards weit sehen. Gelegentlich schloß sich die Bresche wieder, aber dafür tauchte eine andere auf. Lange Nebelfetzen wurden nach oben in die Höhe getrieben und begannen dort weiterzubrodeln. „Wie weit stehen wir etwa vor Ber gen?" fragte Hasard den Wikinger. Thorfin tat das, was Ferris Tucker und Edwin Carberry schon sehr lange vermißt hatten. Er starrte Hasard nachdenklich an und krümmte dann den Zeigefinger. Damit kratzte er
wieder nachdenklich an seinem Helm herum. Der Profos warf seinem Freund ei nen Blick zu und schüttelte den Kopf. „Er tut es immer noch", sagte er in komischer Verzweiflung. „Dieser Elch kratzt wie früher an seinem Helm, wenn er nachdenkt. Merkt der das denn gar nicht?" „Anscheinend nicht", sagte Ferris. „Vielleicht gibt er seinen nordischen Riesenläusen unter dem Helm auch nur ein Zeichen, daß sie weiterbrüten können. Wer weiß, was sich unter dem Topf im Laufe der Jahre so alles angesammelt hat." Die beiden lachten und hieben sich auf die Schenkel. Der Wikinger hörte mit dem Kratzen auf. „Etwa zwanzig Meilen, grob ge schätzt", sagte er. „Wenn der Nebel heute wirklich noch aufreißt, können wir es gut schaffen." Der Nebel riß zu ihrer Freude schneller auf, als sie erwartet hatten. Ein dünner Lichtfinger tastete sich durch die Waschküche und erwei terte die Gasse, die den Blick auf die Wasseroberfläche freigab. Der Stör fuhr herum und zeigte nach Norden. „Dort liegen die Bastarde", sagte er. „Sieht so aus, als wollten sie ge rade ankerauf gehen." „Dann tun wir es auch", meinte der Wikinger.„Die Kerle haben mich ge nug genervt. Denen werde ich es zei gen. Sie haben mir Brandinseln rü bergeschickt, und es hätte nicht viel gefehlt, dann wären wir in die Luft geflogen." Für ein paar Minuten wurde die Karavelle wieder in ein milchigwei ßes Laken gehüllt. Als sie dann erneut zu sehen war, hatte sie alle Segel gesetzt und den Anker gelichtet. Sie drehte von der
61 Küste ab und ging langsam auf west lichen Kurs, wobei sie einen kleinen Bogen beschrieb. Danach wurde sie wieder unsicht bar. Dafür hörten sie gleich darauf rollenden Donner, der jetzt viel wei ter über die See hallte. Weit vor ihnen war in der See das Einschlagen der Kugeln zu hören. „Die fangen wieder mit demselben Scheiß an", schimpfte Thorfin. „Sie verschwinden im Nebel, nehmen uns unter Feuer und drehen ab. Und sie sind nicht zu fassen, diese dänischen Bastarde." „Aber sie haben offenbar keine Angst, es mit zwei Schiffen aufzuneh men", meinte Hasard. ,,Mal sehen, ob wir sie nicht ein bißchen in die Enge treiben können." „Willst du ihnen eins verbraten, Seewolf?" fragte Thorfin. „Nur ein bißchen ärgern", versi cherte Hasard. „Ich habe es auch nicht gern, genarrt zu werden, und ich kann es ebenfalls nicht ausstehen, im Nebel plötzlich getroffen zu wer den. Du hast uns auch so ein Ding ver paßt, als wir nicht darauf vorbereitet waren." „Das war von mir? Oh, dann muß ich mich entschuldigen. Ich habe nur nach allen Seiten gefeuert und wußte nicht..." „Schon gut", meinte Hasard. „Es ist ja weiter nichts passiert und niemand hat Schaden erlitten. Das bißchen bessert Ferris mit links aus. Reden wir nicht mehr davon." Sie lösten sich vom Schwarzen Seg ler. Mit schwacher Fahrt segelten sie auf südlichem Kurs an der Nebel wand vorbei und gingen dann auf ei nen langen Schlag nach Norden. „Eiliger Drache" törnte in den Ne bel hinein und wurde nach wenigen
Sekunden restlos von ihm ver schluckt. Dann sahen sie übergangslos die Dänen. Die Karavelle tauchte lang sam aus der Nebelbank auf. Sie hatte die Schebecke noch nicht richtig ge sichtet, als drüben auch schon drei Stücke aufblitzten. Dumpf rollte der Donner über die See. „In die Nebelbank hinein", sagte Hasard zu Pete Ballie. „Voll hinein und dann auf gleicher Höhe bleiben." Die Schebecke verschwand im Ne bel und zeigte nur noch das Heck. Die drei Schüsse waren wirkungslos ins Wasser gegangen. „Jetzt müßten wir ziemlich dicht dran sein", sagte Dan nach einer Weile, „und auch die Höhe dürfte in etwa stimmen, wenn mich mein Ge fühl nicht täuscht." Hasard nickte. Auch er war davon überzeugt, daß die Höhe stimmen mußte. Er verließ sich ganz auf sein Gefühl. „Sie dürften höchstens dreihundert Yards entfernt sein", sagte er. „Laß die Backbordseite sprechen, Al." Sechs Kanonen auf Backbord wa ren ausgerichtet. Zu sehen war aller
62 dings nichts, nicht einmal die Um risse der Karavelle. Sie würden blind in den Nebel feuern, und es war sehr fraglich, ob sie einen Treffer erziel ten. Die sechs Culverinen spien ihre ei serne Ladung aus. Donnern, Brüllen, ein paar lange Flammenzungen. Die Schebecke legte sich leicht nach Steuerbord über, als reite sie eine Dü nung ab. „Westkurs", befahl der Seewolf. „Da hat was gekracht, wenn mich mein Gehör nicht im Stich läßt." Das Geräusch schien sehr weit ent fernt zu sein, doch das täuschte. Die Karavelle hatte zwei Treffer empfangen, wie die Arwenacks sa hen, als sie jäh aus dem Nebel vorstie ßen und jene Stelle erreichten, wo das Wasser wieder zu sehen war. Eine Kugel hatte achtern alles kurz und klein geschlagen und offenbar das Ruderblatt erwischt, aber so ge nau ließ sich das nicht erkennen. Ein zweiter Treffer befand sich eine Handbreite über der Wasserlinie etwa mittelschiffs. Der Däne lief aus dem Kurs. Er ging mit killenden Se geln erneut in die Waschküche hinein und verschwand wie ein Spuk vor ih ren Augen. „Zwei Treffer", sagte Al Conroy, „das habe ich deutlich gesehen. Die anderen sind zu den Fischen gegan gen. Aber sie hat einen Ruderscha den, da bin ich ganz sicher." „Stimmt", sagte Hasard. „Sie haben Probleme mit dem Manövrieren." Noch einmal wurde das Nebelge biet gerundet, wobei sie auf Thorfin trafen. Der Nordmann hatte die Kara velle gesichtet und zeigte zur Küste hin. Der Däne gierte von einer Seite zur anderen und lief immer wieder aus dem Kurs. Er hielt scharf auf die Küste zu. Die Kerle verstanden ihr
Handwerk trotz Ruderschaden. Sie manövrierten mit den Segeln und konnten ihr Schiff einigermaßen auf Kurs halten. Im spitzen Winkel jagten jetzt „Eili ger Drache" und die Schebecke auf die Karavelle zu. Thorfin feuerte ihr einen Schuß ins Achterkastell. Dort zersplitterte ein Teil des Hecks. Die Bleiglasfenster flogen in einem Trümmerregen aus einander. Eine Drehbasse wurde über Bord gewirbelt und versank aufklat schend im Meer. Die Schnapphähne konnten sich auf kein Gefecht mehr einlassen, dazu waren sie zu lahm. Aber sie wollten ihre Haut retten, denn jetzt saß ihnen offenbar die Angst im Nacken, als sie von zwei Sei ten attackiert wurden. Hasard segelte auf „Eiliger Drache" zu. „Laß sie laufen!" brüllte er zu dem Wikinger hinüber. „Dicht unter der Küste sind Riffe und Muschelbänke. Wenn du da aufbrummst, nutzt dir auch dein Eisenholz nichts mehr. Die rennen ihr Schiff allein in Grund und Boden." Thorfin zog wieder mal einen Flunsch. Es paßte ihm nicht, den Geg ner jetzt laufenzulassen. Er wäre gern weiter hinterhergesegelt und hätte ihn zu Kleinholz verarbeitet. Er tat so, als höre er nichts. „He, du behelmter Nordpolaffe!" brüllte der Profos mit Donnerstimme. „Hast du wieder Seegurken in den Oh ren? Du kannst auf den Riffen sit zen bleiben, bis dein Bart ans Kiel schwein wächst." Jetzt erst drehte Thorfin mißmutig ab. „Man muß nur liebevoll mit ihm re den", sagte Carberry. „Das versteht er."
63 Für den eifrigen Nordmann er folgte die Warnung gerade noch rechtzeitig. Stenmark hatte die Muschelbank rechtzeitig entdeckt. Aber Thorfins Ausguck hatte sie nicht gesehen. Die Schnapphähne versuchten durch eine schmale Lücke durchzuse geln, aber Hasard sah jetzt schon, daß es nicht langte. Mit einem intakten Ruder hätten sie es sicherlich ge schafft. Die Karavelle brummte von der Seite her auf und krängte hart über. Der Fockmast ging mit Getöse über Bord. Das Schiff fiel zurück und setzte erneut hart auf. Dann hörten sie ein wüstes Knirschen und Kra chen, als sich die Karavelle den Rumpf an der Muschelbank aufriß. Damit war das Schiff erledigt. Es würde nie wieder segeln.
Die Schnapphähne ließ der Seewolf laufen. Er drehte ab und gab dem Wi kinger das Zeichen zum Folgen. Die Dänen sollten sehen, wie sie klarka men. Sie hatten genug mit sich selbst zu tun.
Ein paar Stunden später liefen sie in Bergen ein. Hasard und Thorfin meldeten sich beim Hafenkommandanten. Der ver mittelte sie gleich weiter und ver kaufte ihnen eine Ladung Eisenerz und Eisenbarren zum günstigen Preis. Die Ladung wurde bezahlt und sollte auf der Rückfahrt abgeholt werden. „Dann sehen wir uns heute mal das Städtchen an", schlug der Seewolf
64
vor. „Es gibt immer noch eine Menge zu erzählen und zu berichten. Ich schlage vor, daß wir morgen weiter nach Island segeln." Der Vorschlag wurde mit Begeiste rung angenommen, und so verbrach
ten sie den Tag in der norwegischen Hafenstadt Bergen. Am anderen Morgen segelten sie los. Die See wurde wieder einmal recht kabbelig, aber das waren sie längst gewohnt...
Nächste Woche erscheint SEEWÖLFE Band 618
Die Bucht der Schwarzen Raben
von Frank Moorfietd Die Schebecke der Seewölfe stieß wie ein angriffslustiger Schwan zwischen die beiden Segler. Während auf deren Decks Musketenfeuer einsetzte, hob Hasard die Hand und gab den Feuerbefehl. Und da brach in der einsamen Bucht der Schwarzen Raben urplötzlich die Hölle los. Grelle Feuerzungen leckten aus den Mündungen der Culverinen, ein infernalisches Brüllen und Orgeln erfüllte die Luft und ließ die Schebecke bis in die letzten Verbände erzittern. Pulverdampf wölkte auf und verbreitete einen beißenden Geruch. Die Schaluppe und die Karavelle der Kerle wurden nahezu gleichzeitig wie von unsichtbaren Riesen hämmern durchgeschüttelt. Ein ohrenbetäubendes Krachen, Bersten und Split tern folgte dem Kanonendonner und ließ einen Trümmerregen niedergehen, vor dem sogar die Arwenacks die Köpfe einziehen mußten...
ex libris KAPTAIN STELZBEIN