Atlan Im Auftrag der Kosmokraten Nr. 693
Das Rätsel der Psi-Container Tribut für den Erleuchteten
von Hans Kneifel
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Atlan Im Auftrag der Kosmokraten Nr. 693
Das Rätsel der Psi-Container Tribut für den Erleuchteten
von Hans Kneifel
Im Jahr 3818 wird Atlan aus seinem Dasein als Orakel von Krandhor herausgerissen. Sein neuer Einsatzort ist die Galaxis Alkordoom, wo eine Entwicklung im Gang ist, die das weitere Bestehen der Mächte der Ordnung in Frage stellt. Bereits die ersten Stunden von Atlans Aufenthalt in Alkordoom zeigen auf, wie gefährlich die Situation ist. Der bestandene Todestest und der Einsatz im Kristallkommando beweisen jedoch Atlans hohes Überlebenspotential. Dennoch hätte der Arkonide längst sein Leben verloren, hätten die Celester, nach Alkordoom entführte Terra-Abkömmlinge, oder ANIMA, das von den Kosmokraten ausgesandte Raumschiff, nicht zugunsten Atlans eingegriffen. In seinem Bestreben, mehr über die Zusammenhänge in Alkordoom zu erfahren, speziell im Hinblick auf die sogenannten Facetten und deren Lenker, den sogenannten Erleuchteten, ist unser Held bereits große Risiken eingegangen, wie die gewagten Unternehmungen in der Sonnensteppe beweisen. Gegenwärtig operiert Atlan in Janzomborr, dem Sektor von Yog-Mann-Yog, in dessen Gewalt er schließlich gerät. Aber auch auf Crynn steht die Lage nicht zum besten. Die Celesterin Flora Almuth, als Facette Zulgea fungierend, beschäftigt DAS RÄTSEL DER PSI-CONTAINER…
Die Hauptpersonen des Romans: Flora Almuth – Die Celesterin fungiert als Facette von Crynn. Arien und Volkert Richardson – Sie kommen ihrer Landsmännin zu Hilfe. Bolletz – Ein Thater in Diensten der Facette von Crynn. Mycara – Eine intelligente Birzerin. Puhlers – Herr des Planeten Birzt.
1. MYCARA: Ich bin ein Teil der Welt. Ich fühle mich wohl und allen zugehörig… Aber ich fange an, mich zu fürchten. Ich habe Grund dazu. Trecara, meinem Gefährten, ergeht es nicht anders. Auch er fürchtet sich. Warum? Eigentlich hat sich in unserem Leben nichts geändert. Es ist ein einfaches, aber leichtes Leben, denn irgendwann enden wir doch alle in den Fallen der Nyltings, den Schlingen der Ilbianer oder den Gabeln, die von den Mhargan benutzt werden. Unsere Welt – sie wird von denen, die von außen kommen, Birzt genannt – ist klein und schön. Sie hat, so sagen die anderen »Birzer«, wenige große Meere, dafür mehr Bäche und Flüsse. Dazwischen liegt unendlich viel Pflanzenreiches Land. Dschungel, Weiden und Lichtungen, es gibt unendlich viele Früchte. Wir wohnen in Höhlen, die durch gewundene Stollen zu erreichen sind. Wir liegen an den sonnigen Tagen zusammengerollt in der Hitze und gleiten in den Nächten durch die taufeuchten Pflanzen. Was fragst du, Fremder? Ah, wie wir aussehen? Das ist leicht gesagt. Wir Birzer sind zweigeschlechtlich und gebären lebende Junge. Ein Paar, das sich getroffen hat, trennt sich nur selten. Aber in diesen bösen Zeiten werden viele gefangen und getötet. Der Tod ist besser, weil… Also. Du denkst an eine Schlange, etwa so lang wie dein Unterarm. Statt der Schuppen tragen wir ein silbergraues, kurzhaariges Fell. Wir haben keine Arme oder Beine, nur noch rudimentäre Verdickungen der biegsamen Wirbelsäule. Unsere Köpfe sind so groß wie deine Faust, Fremder. Woher ich weiß, wie deine Faust aussieht? Ich habe dich gesehen, Fremder, als du auf einem von dir geschaffenen Pfad unweit von meinem Versteck vorbeigegangen bist. Unser Kopf hat zwei große, unabhängig voneinander bewegliche Augen. Das Riechorgan ist in zwei Löchern hinter den Augen verborgen. Überdies vermögen wir mit zwei Reihen von empfindlichen Sinnesorganen entlang des Körpers Vibrationen aller Art wahrzunehmen und genau zu bestimmen. Rechts und links von unserem Schlangenmund mit den spitzen Fangzähnen haben wir fingerartige Fortsätze, mit denen wir geschickt zu hantieren verstehen. Wir gebrauchen sie zur Nahrungsaufnahme, zum Spielen und zu allerlei Arbeiten. Nur selten essen wir Fleisch von kleinen Beutetieren; der Tisch auf Birzt ist sehr reich gedeckt. Es gibt Millionen und aber Millionen von uns Birzern. Warum sie uns jagen und fangen, fragst du? Das ist eine traurige Geschichte. Die meisten Birzer sind harmlose Halbintelligente. Sie können ihre Potentiale nicht benützen, oder jedenfalls nicht gezielt und richtig. Wir beide, Mycara und Trecara, entstammen aus einem Geschlecht, das mehr Intelligenz besitzt. Warum? Das sind Gründe, die sich unserem Wissen entziehen. Durch die lange Jagd auf uns sind die Erinnerungen verlorengegangen. Jedenfalls können wir jene Kraft benutzen, die du psionische Energie nennst. Woher ich diese Begriffe kenne? Viele von uns haben die Fremden belauscht. Wir haben sogar deren Sprache lernen können. Nicht gerade meisterhaft, aber wie du hören kannst, reicht es zu einer passablen Verständigung.
Meist benützen wir von der »intelligenteren Sorte« unsere Psi-Komponente willkürlich, etwa in Momenten der Gefahr oder der Liebe. Manchmal können wir sie gezielt anwenden. Einst gab es einen Fremden auf Birzt, der uns Muster und Zeichnungen für unsere Höhlenwände schuf. Ihn belohnten wir, indem wir suchten – Gold aus lockerem Flußsand, wertvolle Steine und Ähnliches. Wir fanden dies, und wir transportierten sie in seine Nähe, ohne uns zu bewegen. Und von ihm erfuhren wir auch, daß Psi-Potential gleichzusetzen sei mit Begriffen wie Seele oder Geist-Verstand. Er vermochte es uns nicht besser zu verdeutlichen. Eines Tages waren wir wieder allein, weil er auch gefangen wurde oder verschwand. Und wegen dieses Potentials jagen sie uns. Ich weiß, Fremder, daß du nicht zu den Jägern und Fängern gehörst. Die Mhargan, Dbianer und Nyltings haben dort drüben auf der Landzunge, auf dem schönsten Platz weit und breit, eine Fabrik gebaut. Sie steht schon endlos lange dort. Ununterbrochen macht man Jagd auf uns. Man fängt uns und bringt uns in großen Ladungen in diese Fabrik. Was dort geschieht, weiß niemand. Nach einiger Zeit, die sie in dem Gebäude verbringen, wirft man die noch lebenden Birzer am anderen Ende wieder hinaus. Sie kriechen davon. Sie sind dumme Tiere geworden, die sich gerade noch selbst ernähren können. Sie wollen nicht mehr in die Nähe der anderen. Diese anderen sind wir, Fremder. Verstehst du jetzt, warum ich traurig bin? Warum wir alle unter der furchtbaren Drohung leben? Wir intelligenten Birzer tun alles, um zu entkommen und zu den Überlebenden zu gehören. Aber die Jäger sind mächtig und haben Maschinen, die für sie arbeiten. Du sagst, daß die Fabrik und der Planet schwer bewacht sind. Das ist logisch, denn auch wir bewachen unsere Höhlen. Es gibt irgend jemanden, der die PsiPotentiale sammelt wie wir die Nüsse und Samenfrüchte für die Zeit des schweren Regens. Immer wieder erleben wir mit, wie riesige Dinger zwischen den Sternen hervorkommen und auf dem bebenden Fels aufsetzen. Die Donnervögel fliegen wieder fort, und jeder von uns weiß zwangsläufig, daß sie die Potentiale unserer mißhandelten Artgenossen mitnehmen. Wohin? Woher soll ich das wissen? Nein – viele Namen kann ich dir nicht nennen. Aber da ist Puhlers. Er gibt, so scheint’s, alle Befehle. Er hat vier Arme und schreckliche Waffen, die röhrenförmige Löcher in den Boden brennen und unsere Gänge und Höhlen freilegen. Bleibst du bei uns, Fremder? Nein! Du willst uns also nicht helfen? Ich verstehe. Alles, was du mir gesagt hast, werde ich weitergeben. Du meinst, daß dieses rücksichtslose Jagen bald aufhören wird. Das ist ein wenig Hoffnung. Sie ist so freundlich wie der Geruch jenes Dinges, das zwischen deinen Zähnen steckt. Du gehst fort und läßt uns ein wenig Hoffnung zurück. Wir danken dir. Wir werden die Vibrationen deiner Schritte noch lange hören. Und wenn du recht haben solltest, dann kommt jemand, der uns aus dieser Sklaverei erlöst. Leb wohl, Fremder. Ich muß fort, um deine Botschaft meinem Gefährten zu erzählen. Trecara wartet am Wasserloch.
2. KONTAGNAT/SUMPF: Zulgea von Mesanthor, die Hexe – alias Flora Almuth Jahr 5000 des Erleuchteten: Der Interkom, der hinter der riesigen Kristallscheibe des Baderaums eingebaut war, begann zu summen. Flora betätigte einen Kontakt. Integral Myth erschien auf dem Schirm und hob achtungsvoll grüßend einen Arm. »Du hast eine Botschaft?« fragte Flora ruhig. »Die Kontrollen der Crynn-Brigaden haben soeben gemeldet, daß über dem Planeten eine Flotte aus zwölf Raumschiffen erschienen und in einen Prä-Landeorbit eingeschwenkt ist.« »Welcher Typ?« Das Bild wechselte. Flora sah die Vergrößerung eines jener Schiffe. Sie waren von beachtlicher Größe und einer Form, die ihr völlig unbekannt war. Ein riesiger Diskus trug an einer Seite eine bügelartige, bis zum Mittelpunkt der sphärischen Konstruktion vorspringende Struktur. »Ich kenne diesen Typ nicht«, murmelte sie. »Ich bin gerade unter den Schönheitsmaschinen. In wenigen Minuten kannst du mich im Kommunikationszentrum erwarten. Ich kann die Behandlung nicht so schnell abbrechen.« »Verstanden. Bis dahin habe ich die letzten Meldungen und die erste Analyse.« Seit mehr als sechzig Tagen war Flora die Hexe von Mesanthor. Von Tag zu Tag hatte sie mehr Sicherheit gewonnen. Mit der Erfahrung ging auch der feste Wille einher, alle Annehmlichkeiten, sofern sie zu ihrem Lebensstil paßten, auszunutzen. In diesem speziellen Fall handelte es sich um die kosmetischen Einrichtungen ihrer Schwester. Floras Haar war effektvoll geschnitten und trug die unverkennbare Eleganz eines robotischen Meisters. Im Augenblick lag ein schmaler Goldreifen um ihre glatte Stirn. Sie beendete das Programm sämtlicher Massage- und Vibrationseinrichtungen, ließ ihren Körper mit derjenigen Duftkombination einsprühen, die sie beim Eintritt als für diesen Tag angemessen programmiert hatte und streifte ein schneeweißes Kleid über, das ihre Gestalt vorteilhaft betonte. Eine Maschine paßte ihr weiße, mit Goldfaden abgesetzte Stiefel an, die bis knapp unters Knie reichten. Die hohen Absätze ließen die Hexe, ohnehin groß und schlank, noch wichtiger aussehen. Während dieser Minuten überlegte sie und versuchte, ihre Begabung zielgerichtet einzusetzen. Die erste Reaktion nach der Lageanalyse würde sein, mit New Marion zu sprechen. Bis heute war Flora gezwungen gewesen, unablässig Entscheidungen zu treffen, die ihre persönliche Lage festigten. Dies schien zufriedenstellend gelungen zu sein. »Und jetzt diese fremden Schiffe!« flüsterte sie, gab sich innerlich einen Ruck und verließ diesen Trakt. Nachdem die Sicherheitseinrichtungen, auf ihren persönlichen Kode umprogrammiert, den Prunkkorridor im oberen Teil des Pyramidons freigegeben hatten, schritt sie an der Doppelreihe der Wachen vorbei und auf den nächsten Abschnitt des Wohnbereichs zu. Das Integral Zopp erwartete sie an den breiten Pforten, die unter der hochkünstlerischen Beschichtung massiven, verdichteten Stahl verbargen. »Neuigkeiten?« fragte sie kurz. Vor ihr schwebte das Integral. An den Schirmen und Geräten hantierten einige andere; sie verarbeiteten Nachrichten, die ununterbrochen aus allen Richtungen kamen. Zopp erklärte:
»In der Tat. Neuigkeiten von seltsamer Bedeutung.« »Wir werden alles in den Griff bekommen«, versicherte sie. »Zuerst die Nachrichten der Crynn-Brigaden.« Wieder wechselten Darstellungen auf den Schirmen, die im Sichtbereich von Floras eindrucksvollem Tisch standen, schwebten oder hingen. »Hier Kimnon«, meldete sich ein Thater. »Es sind zwölf Schiffe dieses Typs, Facette. Sie bilden einen Verband, der als nachdrückliche Drohung über dem Planeten schwebt. Hier sind die Meßdaten.« Ortungsbilder von eindrucksvoller Schärfe, Meßlinien und farbige Grafiken ließen erkennen, daß die Raumschiffe sich offensichtlich für einen längeren Aufenthalt vorbereitet hatten. Kimnon erschien wieder und erklärte: »Es hat keine Befehle gegeben, Facette. Wir haben bewußt nicht eingegriffen. Auch liegen keine gegenseitigen Kontakte vor. Was sollen wir tun?« »Abwarten, Kimnon, und Zeit gewinnen«, antwortete die Facette. Auch der Brigadist sagte ihr nicht, aus welchem Herrschaftsbereich diese ungewöhnlichen Schiffe stammten. Eine andere Nachricht kam herein. »Lagerhallenbezirk Anbay, Facette«, meldete sich ein Mhargan, hinter dem ein Integral zu sehen war. »Sämtliche Container, voll von Psi-Potentialen, sind spurlos verschwunden.« Der Schluß, daß beide Ereignisse ineinander griffen, lag nahe. »Die fremden Schiffe haben jemanden oder etwas ausgeschleust, der die Container gestohlen hat«, sagten Myth, Zopp und Flora fast gleichzeitig. »Sind irgendwelche Beobachtungen gemacht worden?« fragte die Facette den Verwalter von Anbay. »Nein. Es herrscht darüber, daß nichts zu sehen war, daß keine Sicherheitseinrichtungen angesprochen haben und niemand Alarm gegeben hat, große Verwirrung.« Flora mußte zwangsläufig ahnen, daß ein Kommando gekommen war, das die Container als Tribut für den Erleuchteten abgeholt hatte. Unsichtbare Ladearbeiter? Sie mußte sich noch eine Weile lang passiv verhalten, um sich gegenüber den Fremden – und nicht nur gegenüber diesen! – nicht zu verraten. Die Hoffnung, daß die Schiffe bald wieder abfliegen würden, hatte sie in diesem Moment längst nicht mehr. Zu den Thatern, Mhargans und Integralen, die auf eine Anordnung warteten, sagte sie mit fester Stimme: »Wir warten noch einige Zeit. Alle wichtigen Eingreiftruppen haben ab sofort Alarmbereitschaft. Klar?« »Verstanden.« Flora stand auf, ohne Eile zu zeigen. Sie schloß die Tür hinter sich und befand sich in einem anderen Teil ihrer privaten Wohnräume. Mit wenigen Griffen aktivierte sie die Verbindung zu ihrem Heimatplaneten. Spooner Richardson befand sich am Gegengerät. »Spooner«, sagte sie drängend, »ich habe nicht allzu viel Zeit. Folgendes ist eben auf und über Crynn passiert…« Sie gab einen kurzen Bericht ab, der alle wichtigen Einzelheiten und ihre ersten Vermutungen enthielt. »Wir bereiten uns vor, dir zu helfen und einzugreifen, wo nötig«, sagte Spooner. Sie erwiderte: »Ich werde zur Sicherheit noch einmal die Transmittereinrichtungen durchchecken. Das sage
deinem Vater. Hauptsächlich beunruhigt mich der Umstand, daß es angeblich Unsichtbare hier geben sollte.« »Du weißt, daß du dich auf uns verlassen kannst«, versicherte Spooner. Sie winkten einander kurz zu, dann ging Flora zurück in den großen Raum, der vor Geschäftigkeit förmlich summte. »Es gibt sie doch, die Unsichtbaren!« rief ihr Myth entgegen. Ungläubig schüttelte sie den Kopf. Obwohl sie in der vergangenen Zeit erfahren hatte, wie sehr sie sich auf Zopp und Myth verlassen konnte, blieb sie skeptisch. Endlich hatte sie es geschafft, daß sich die schlimmsten Auswüchse innerhalb des Sumpfes in immer engeren Grenzen hielten – und jetzt bedrohte dieser Zwischenfall ihre halbwegs gefestigte Macht. »Sprich!« forderte sie das Integral auf. »Es sind unterschiedliche Vorfalle innerhalb des Pyramidons festgestellt worden. Sie deuten darauf hin, daß unsichtbare Wesen sich hier befinden. Beispiele: Türen und Schleusen öffnen und schließen sich, ohne daß etwas oder jemand gesehen wurde. Weder unsere optischen Organe noch die verschiedenen optischen Systeme des Pyramidons konnten auch nur das geringste feststellen.« »Nicht einmal mit eurer Semi-Psi-Fähigkeit«, meinte die Facette. Es war mehr eine Feststellung als eine Frage. »Negativ«, lautete die übereinstimmende Auskunft. Ein Display machte die Stellen innerhalb der Anlage auf dem Berg Mauntenn kenntlich, an denen die »Nicht-Beobachtungen« gemacht worden waren. »Erstaunlich. Es muß von ihnen wimmeln!« Vielleicht wäre das alles nicht passiert, wenn die Facette die Crynn-Brigadisten nicht zur Grenzsicherung abgestellt hätte. Und daß sie – inoffiziell – die Jagd auf Psi-Potentiale eingestellt hatte, das rächte sich wohl jetzt durch diesen Angriff der Unsichtbaren. Neue Schreckensmeldungen trafen ein. Die Anzahl der flackernden Punkte im dreidimensionalen Schaubild des Pyramidons nahm zu. Einige Integrale meldeten aufgeregt, daß sie mitten in der Bewegung gegen etwas gestoßen waren, das unverkennbar sehr hart war – und unsichtbar. Jetzt, spätestens, wußte Flora, daß sie es allein nicht mehr schaffen konnte. Sie forderte über die Funkbrücke von New Marion Hilfe an. Die Transmitterstrecke war überprüft und für sicher befunden worden. Erwartungsgemäß lautete die Antwort von New Marion: »Wir kommen. Es dauert nur noch Minuten.« Genau in dem Augenblick, als die Facette wieder in den großen Raum zurückkam, hörte sie die Worte aus dem Nichts und aus allen Richtungen gleichzeitig. »Du hast erfahren, Facette Zulgea von Mesanthor, daß die Container aus deinen Lagerhäusern verschwunden sind. Wir haben sie an uns genommen, damit sie dem Fordernden zugeführt werden, wie es seit Äonen geschieht. Aber du hast dich eines schweren Vergehens schuldig gemacht.« Flora hörte und verstand, und sie dachte kurz daran, daß diese Stimmen entweder riesigen Lebewesen gehören konnten oder künstlich erzeugt wurden. Dies sagte ihr diese hellseherische Komponente in ihrem neu erwachten, scharfen Verstand. In ihrer wortkargen Art fragte sie in die Stille hinein, die sich nach dem Dröhnen der fremden Stimmen ausbreitete. »Was wollt ihr?« Ihr war, als würden kurze Windstöße den gleichmäßig umgewälzten Luftstrom unterbrechen.
»Du hast eine derart geringe Menge an Potential abgeliefert, daß es den Herrscher erschüttert. Die Menge ist völlig unzureichend. Wir müssen annehmen, daß du Probleme mit der Beschaffung hast.« »Habt ihr keine?« fragte sie mutig zurück. »Eine Antwort voller Irrelevanz«, lautete die Antwort der Unsichtbaren. Jetzt spürte sie selbst, wie eine unsichtbare Masse knapp an ihr vorbeiglitt. Sie wartete auf den nächsten Vorwurf und darauf, daß ihre Freunde helfend einspringen würden – im Sinne des Wortes. »Unter den Crynn-Brigadisten, das ist sicher, befinden sich viele Individuen mit hohen PsiPotentialen«, kam es aus einer Ecke. Aus einer anderen Richtung ertönte es: »Nehmt diese Psi-Begabten aus, im Namen des Erleuchteten. Er läßt in seiner großen Gnade eine Botschaft übermitteln. Sie lautet: Du hast acht Crynn-Tage Zeit, die fehlenden vollen Container bereitzustellen.« »Fünfzig weitere Container…«, schrie es über ihrem Kopf. »Du wirst beseitigt, wenn es in dieser lächerlich langen Zeit nicht gelingt!« schrie ein Unsichtbarer aus der Richtung der prachtvollen Portalflügel. »Dem Erleuchteten ist es gleichgültig, wie der Name der Facette ist. Das Juwel aus dem Nukleus wird zusehen, wie sich ein anderer an deine Stelle schiebt. Die vollzählige Lieferung zählt, sonst nichts.« Selbst ein Wesen von ungleich größerer Kaltblütigkeit als Flora Almuth wäre über den drohenden Geräuschorkan, der mehrstimmig aus wechselnden Richtungen auf sie hereinschlug, erschrocken. Sie schaffte es immerhin, regungslos stehenzubleiben. Wo waren die Freunde aus New Marion? »Fünfzig volle Container fehlen!« »Achtmal achtzig volle Container sind zu liefern – in einem Jahr des Erleuchteten!« »Allein dein Potential würde fünfzig Behälter füllen!« Ein vielstimmiges, gellendes Gelächter erschütterte den Raum und ließ gläserne Teile klirren. »Du kannst, wenn du es anders nicht schaffst, auch selbst in die Lücke springen!« »Und dein Rest darf in der Sonnensteppe als Idiot oder als Tier weiter existieren.« »Denke daran. Unsere erste und letzte Warnung.« »Wahrscheinlich erleben wir dein Ende in weniger als acht Tagen.« Wieder brandeten das metallisch klingende Gelächter und dessen Echo auf. An vier Stellen glitten plötzlich Schotte zur Seite, und Flora erhaschte einen Blick von Arien Richardson, der ebenso wie die anderen im schweren Kampfanzug steckte. »Zurück, Facette!« schrie er. Sie duckte sich unter die massive Steinplatte eines Tisches. Vier Celester waren eingetroffen. Einen Teil der Geräte, die sie jetzt anwendeten, hatten sie mitgebracht. Andere Waffen standen in der Transmitterstation bereit. Den Bauplan des Pyramidons kannten die Celester genau, denn sie nahmen die Unsichtbaren in diesem Raum unter Beschuß. Ein Gitter aus Fesselfeldern baute sich auf. Die Integrale besaßen genügend Selbsterhaltungstrieb, um ebenfalls in Deckung zu gehen. Einige Strahlerschüsse tobten in Brusthöhe durch die Luft. Einer davon traf auf ein unsichtbares Hindernis, und die Energie wurde umgeleitet und verformt.
Es zeigte sich, daß die Umrisse eine annähernd menschliche Gestalt andeuteten. Die Fesselfelder kreuzten sich, die Energie wurde verstärkt und dirigiert, und schwere Gegenstände krachten mit metallischem Geräusch zu Boden. Eine zweite Energieaura flackerte wild auf und zerbarst in einer blendenden Detonation. Ein Körper wurde deutlich sichtbar. Es war tatsächlich ein Roboter. Rund zwei Meter hoch, halb so breit, mit vier Waffenarmen und einer Reihe anderer Gliedmaßen oder Sensoren, die sich unkontrolliert bewegten. Buster McMooshel feuerte aus einer schweren Zweihandwaffe auf die Maschine, während die drei Freunde versuchten, noch mehr der Unsichtbaren sichtbar und angreifbar zu machen. Die Roboter wehrten sich nicht; es schien allen, daß sie vor Verwunderung erstarrt waren. Jedenfalls schien ihr Programm der Gegenwehr längere Zeit zu brauchen, bis es wirksam wurde. Denkbar war, daß sie ihrerseits – noch niemals im Lauf ihrer Existenz angegriffen worden waren. Ein Fesselfeldprojektor begann plötzlich zu glühen und explodierte mit einer hoch aufschießenden Stichflamme. »Vorsicht! Zurück!« schrie Arien. Der gestürzte Roboter kam auf die Beine. Aber die geisterhaften Stimmen sprachen nicht mehr. Aus den Projektoren der Waffenarme zuckten grelle Strahlen in alle Richtungen und kreuzten sich mit den zuckenden Energiespuren der Fesselfelder. Wieder wurde eine Maschine sichtbar, aber es gelang nicht, sie mit drei genau auf sie geschalteten Fesselfeldern zu bremsen oder gar von der Stelle zu bewegen. Dann, ebenso plötzlich wie der Angriff der Celester, schlugen die Maschinen zurück. Sie verrieten durch das Energiefeuer allerdings ihren Standort. Aber auch die beiden sichtbar Gewordenen hüllten sich wieder in ein geheimnisvolles Feld und wurden unsichtbar und unangreifbar. Die Celester gingen in Deckung und zogen sich in die angrenzenden Räume zurück, aus denen sie gekommen waren. Feuerstrahlen zuckten unaufhörlich hin und her. Die Luft begann zu kochen. Rauch verdunkelte die indirekten Lichter der Decke und des Wandabschlusses. Die Celester entgingen nur knapp dem Tod oder schweren Verletzungen. Flora lag hinter einem massiven Stahlblock, der der Steinplatte als Fuß diente und hörte die Glutstrahlen an sich vorbeiröhren. Ein neues, noch lauteres Geräusch mischte sich in den Kampflärm. Die Roboter lachten. Es waren schätzungsweise fünfzehn oder zwanzig Maschinen, und jede gab dieses Gelächter in hohen Phonzahlen von sich. Flora glaubte »noch acht Tage… sehen wir wieder…« zu verstehen, dann verschwanden die Maschinen, als würden sie hinwegteleportieren. Hustend stand sie auf und war absolut ratlos. Plötzlich herrschte atemlose Stille. Die ersten Integrale schwebten aus ihrer Deckung hervor. Flora wandte sich an sie und befahl: »Räumt alles auf und ersetzt das Zerstörte durch neue Anlagen. Holt euch ein paar Thater und, wenn nötig, einige Jukter. Ich ziehe mich vorläufig zurück.« Die Schotte, die geschlossen gewesen waren, hatten dem Feuersturm standgehalten. Nach und nach trafen die Celester in Floras privaten Räumen zusammen. Sie trugen noch die rußgeschwärzten und von Flammenspuren gezeichneten Kampfanzüge. »Danke, daß ihr gekommen seid. Zumindest habt ihr sie vertrieben«, stellte Flora erleichtert fest und begrüßte sie herzlich. »Und wir wissen sogar, wie sie aussehen, die Nichtsichtbaren«, brummte Arien und stürzte den Inhalt eines Bechers, den ihm Flora gab, hinunter.
Der Medizinmann nahm seinen Helm ab und strich über seinen schweißbedeckten, haarlosen Schädel. »Goldene Haare sollen mir wachsen«, sagte er und holte tief Luft. »Was war das da in dem Krug?« »Dunkles Bier«, sagte Flora und machte eine aufmunternde Geste. »Auch?« »Klar. Reden wir über deinen Bericht, in dem du sagtest, daß du nichts über die Hintergründe der Jagd nach Psi-Potentialen weißt.« »Immerhin weiß ich jetzt mehr«, erklärte sie. Ariens Söhne zogen Handschuhe aus und nahmen die Helme ab. »Also!« Der kleine Wissenschaftler ließ sich in einen Sessel fallen. Er trank in kleinen Schlucken und meinte dann: »Was haben deine Nachforschungen ergeben? Möglicherweise bin ich nicht auf dem letzten Stand der Dinge.« »An verschiedenen Orten in meinem Sektor stehen bestimmte Maschinen. Sie sind einzig und allein dazu da, Psi-Potentiale lebender Wesen zu orten und abzuzapfen.« »Das haben wir als fast sicher vorausgesetzt, nachdem wir zum erstenmal von den Containern gehört hatten«, stimmte Spooner zu. »Richtig, Doc?« »Nenne mich nicht Doc, du junger Spund«, wies ihn Buster zurecht. »Wir sprechen hier nicht über eine Grippe, sondern über den Kern des Nukleus und dessen Folgen für eine Galaxis.« Sie grinsten sich an. Arien hörte schweigend und in eigene Gedanken versunken zu. Er schien bereits Pläne zu machen und in diese Planungen allerlei Überraschungen für den Gegner einzubauen. »Die Lage wird wahrhaftig ernst«, sagte Richardson. »Wie meine Frau und die Mutter meiner Söhne stets zu sagen pflegt, ist sie hoffnungslos, aber nicht ernst.« »Weiter!« sagte Volkert drängend. Nachdem Flora einige Bildschirme aktiviert und sich auf diese Weise in das laufende Geschehen innerhalb des Pyramidons eingeschaltet hielt, fuhr sie fort mit ihren Erklärungen. »In den Containern befindet sich unintelligentes Bioplasma in einer besonderen Stasisform. Die PsiBewußtseinselemente, selbst materielos, werden darin eingefangen oder eingepackt und aufbewahrt. Ich fand einige Dutzend Container hier auf Crynn, aber ich wagte nicht, sie anzutasten.« »Und nun sind sie weg!« sagte Spooner lakonisch. Seih Vater nickte und stellte die nächste Frage. »Aber du besitzt noch genügend sozusagen ›leere‹ Container, Flora?« »Die Jukter versorgen sie, und ich kann ihre Anzahl genau feststellen lassen. Es ist eine große Menge.« Arien winkte ab. »Unwichtig.« Dann besann er sich und fügte hinzu: »Aber dieses Wissen könnte im späteren Verlauf unserer Arbeit nicht unwichtig sein.« Flora ließ sich nicht beirren und breitete weiterhin ihre Erkenntnisse vor den Freunden aus. »Ich ließ die Behälter also in Ruhe. Niemand auf diesem Planeten weiß, wie die verschiedenen Maschinen arbeiten. Es gibt viele Crynn-Brigadisten, von denen jeder die Maschinen meisterhaft bedienen kann. Die Funktionsweise bleibt auch ihnen ein Rätsel. Was die Gewinnung und das Speichern der Psi-
Potentiale betrifft, so redet jeder von ihnen nur nebelhaftes Zeug. Niemand weiß wirklich etwas. Wenn eine dieser Maschinen defekt werden würde, könnte sie niemand reparieren. Was dann passiert, kann ich nicht einmal ahnen.« Die Szene machte einen entspannten Eindruck. Aber jeder Anwesende in diesem Raum wußte ganz genau, daß es nur eine kurze Phase der Ruhe ’ war. »Woher stammen diese Maschinen?« wollte Richardson wissen. »Nach allem, was ich weiß, kommen sie aus dem Nukleus«, entgegnete die Facette. »Es gab natürlich Versuche, um ihre Funktionsweise zu entschlüsseln. Kein Versuch war erfolgreich. Die Neugierigen sprengten sich in die Luft, weil sich die Maschinen und Geräte selbst zerstörten, wenn man an ihnen manipulierte.« »Es ist nicht zu erwarten, daß der Erleuchtete mit Erklärungen um sich wirft. Eine verständliche Selbstschutzmaßnahme«, warf der Medizinmann ein. »Diese Geräte haben Namen, mit denen ich auch nicht gerade viel anfangen kann«, fuhr Flora fort. »Sie werden Psi-Zapfer, Potentialorter oder beispielsweise Psi-Converter genannt.« »Immerhin verraten die Bezeichnungen den Zweck der Maschinen«, sagte Volkert ruhig. »Die Ratlosigkeit hat einen vorläufigen Höchststand erreicht«, stellte der Medizinmann fest und trank den letzten Schluck aus seinem Krug. Die Facette fügte hinzu: »Die Uhr läuft. Ich habe angeblich acht Tage Zeit.« »Zweifellos kommen die Unsichtbaren wieder«, sagte der Feuerwehrmann. »Und dann werden sie sich holen, was sie wollen. Als letzte Maßnahme steht dein qualvoller Tod auf ihrem Programm. Das kann natürlich nicht hingenommen werden.« Floras bisher beherrschter Gesichtsausdruck änderte sich. Sie sagte sarkastisch: »Deine Fürsorge ist, wie mir scheint, grenzenlos.« »Du sagst es«, bestätigte Arien ruhig. »Laß mich nachdenken.« Nach einigen Sekunden fragte er: »Kannst du uns den Crynn-Brigadisten so anbieten, daß sie uns akzeptieren? Allein richten wir wohl kaum etwas aus. Wir brauchen Macht und Kraft. Sie müssen denken, daß wir deine ergebenen Werkzeuge sind. Eine Art Über-Integrale.« Mit einigem Stolz antwortete Flora Almuth: »Wenn ich Befehle gebe, werden sie befolgt. Kritiklos und nötigenfalls bis zum dem berüchtigten letzten Tropfen Lebenssaft.« Arien ließ sich nur mäßig beeindrucken. »Mir soll’s recht sein.« Die Verhältnisse innerhalb der Galaxis Alkordoom waren ihnen bis zu einem bestimmten Punkt bekannt. Ob ihr Wissen, ihre Kenntnisse und ihr Mut ausreichten, sich erfolgreich wehren zu können, war fraglich. Aber der Versuch, die Lage zu ändern, wurde von ganz anderer Seite unternommen. Ein Integral schwebte in den Raum und meldete, daß drei Vertreter der Crynn-Brigade mit der Facette sprechen wollten. *
BOLLETZ, Thater und Telepath: In einem Besprechungsraum der Crynn-Brigade, Operationshöhe Null, also mitten im agrarisch genutzten Planetengürtel, traf als letzter der drei Brigadisten Kimnon ein. Er warf durch das langgezogene Sichtfenster einen langen Blick auf das Pyramidon und meinte: »Es ist inzwischen auch mir klargeworden, daß wir der Facette einiges zu sagen haben.« »Wie du dir denken kannst«, sagte Houlart, der Koordinator verdrießlich, »wird sie uns auch einige Antworten geben. Ich bin nicht sicher, ob wir sie hören wollen.« »Mag sein.« Über dem Pyramidon und dem bewaldeten Berg trieben weiße Wolken dahin. Es war ein Bild trügerischen Friedens. »Die zwölf Schiffe stehen noch immer über Crynn!« stellte Bolletz fest. »Die Gefahr ist unverändert.« Sie nickten einander zu. »Was tun wir?« eröffnete Kimnon die Unterhaltung. »Wir gehen zur Facette und machen ihr einen Vorschlag. Auch von der Spitze herunter sind manche Dinge in Bewegung gekommen.« Keiner von ihnen war sicher, ob sie mit diesen Veränderungen einverstanden sein konnten. Ihre Loyalität stand außer Zweifel. Aber sie spürten, daß sich ein Wandel vollzog. Wie groß er war und wie tief, ahnten sie nicht. Sie fürchteten sich sogar davor, die Wahrheit kennenzulernen – wenn es eine neue Wahrheit gab. »Ich habe zum zweitenmal in meinem Leben Angst kennengelernt«, sagte der hünenhafte Bolletz. »Ohne Grund fürchte ich nicht um mein hohes Psi-Potential.« Sie hatten den Kampf gegen die Unsichtbaren mitten im Pyramidon zum Teil mit ansehen können, ehe die Kommunikationsgeräte ausgefallen waren. »Steht unsere Argumentation fest?« wollte Houlart wissen. »Meine ist mehrfach überlegt«,meinte der Telepath. Er verzichtete darauf, die Gedanken seiner Freunde und Kampfgefährten genauer unter die Lupe zu nehmen. Sie konnten sich von seinen eigenen nicht sonderlich unterscheiden. »Du hast schließlich die gesamte Erfahrung aus dem Dienst bei Gentile Kaz«, räumte Kimnon ein. »Und verschiedene andere Dinge dazu«, bemerkte Bolletz säuerlich. »Gehen wir. Wir sind angemeldet. Integrale werden uns zur Facette bringen«, erklärte Kimnon. »Ich habe das Nötige veranlaßt.« Die drei riesigen Kämpen in ihrer schimmernden Dienstuniform verließen den Raum, vor dem bereits der Dienstgleiter des Koordinators wartete. Auf den Feldern und den Agrarkulturen, die sich bis zum Horizont erstreckten, arbeiteten die Maschinen und die pygmäenhaften kleinen Jukter. Ohne auf diese Szenerie zu achten, auf die das verschleierte Licht Kahrmacrynns herunterbrannte, stiegen sie mit dem Gleiter auf und schlugen Nordkurs ein. Nach einiger Zeit schälte sich der Berg aus dem Dunst des Horizonts. Auf seiner Spitze blitzten irgendwelche Antennen oder andere Einrichtungen auf. Die Gebäude und Anlagen dieses hochtechnisierten Planeten zogen unter den drei Thatern vorbei. Sie landeten auf einem Schleusenvorplatz. Schattenwerfende Bäume umstanden einen gepflasterten Hof. Vor dem stählernen Schott warteten zwei Integrale, bewegungslos schwebend und mit eingerollten Armpaaren. Dunkel und abweisend wirkten die Sinnesmembranen der Diskusse.
»Wir sind angemeldet«, sagte Bolletz mit polternder Stimme. »Die Facette wird euch anhören«, sagte das Wesen unbetont. »Folgt uns.« Jeder von ihnen war ein einziges Mal innerhalb dieses wichtigsten Gebäudes des Sumpfes gewesen. Keiner aber war weit vorgedrungen – sie erhielten ihre Befehle in einer der untersten Etagen. Auch jetzt, als sie durch Korridore gingen, Lifts benutzten, Treppen hinauf und hinab stiegen und an zahllosen Knotenpunkten vorbeikamen, konnten sie nicht sagen, ob sie sich wirklich in einem eingegrabenen Raumschiff befanden. Bolletz versuchte, auf telepathischem Weg festzustellen, ob es Anzeichen für jene kühne Theorie gab, die da sagte, daß die Facette ausgewechselt worden war. Er registrierte lediglich Zeichen dafür, daß sich mehrere fremde Intelligenzen innerhalb des Pyramidons befanden. Von Zulgea von Mesanthor prallten seine sondierenden Vorstöße wirkungslos ab. Wenigstens in diesem Punkt schien die Legende weit am Ziel vorbeigeschossen zu sein. Endlich öffnete sich die letzte Doppeltür. Die Thater marschierten in einen mittelgroßen Saal hinein, machten ihre Ehrenbezeigungen und waren nicht sonderlich überrascht, rechts und links neben der Facette zwei Celester zu sehen. Jetzt erkannten sie die Männer genau. Während des Kampfes waren sie nur als undeutliche Gestalten zu sehen gewesen, weil sie sich in rasender Schnelligkeit bewegt hatten. »Facette«, fing Bolletz an, »wir sind gekommen, um dir einen Vorschlag zu machen. Wir alle wissen, daß es Probleme mit den Forderungen des Erleuchteten gibt.« Zulgea deutete auf die wuchtigen Sessel, die auch das Gewicht eines Thaters aushielten: »Nehmt Platz«, sagte sie knapp. »Es gibt Probleme. Deshalb auch diese Fremden. Fremde sind mitunter hilfreich, weil sie überraschende Ideen mit sich bringen.« Bolletz nickte und stellte fest, daß er auch bei beiden Celestern nichts ausrichten konnte. Sie waren wachsam und auf der Hut. Aber der Zustand würde nicht ununterbrochen anhalten können. Er fühlte sich aufgefordert, weil ihn beide Kameraden abwartend ansahen. Also sagte er: »Die Brigadisten haben gemerkt, daß der Druck der Führung aus dem Pyramidon nachgelassen hat. Wir haben mehr Gelegenheit, zu zeigen, was wir können. Insofern sind die meisten von uns damit zufrieden.« »Aber?« fragte mit unbewegtem Gesichtsausdruck die Hexe von Mesanthor. »Wir haben gesehen, daß dadurch eine unmittelbare Gefahr heraufbeschworen wurde. Die Unsichtbaren kamen und drohten. Wir sahen Teile des Kampfes.« Zulgea nickte nur. »Auch in früheren Jahren erschienen die Unsichtbaren und holten die Container. Aber nie gab es Probleme. Die Geschichte sagt, daß deine Vorgängerinnen und auch du in zurückliegender Zeit alle Forderungen des Erleuchteten zufriedenstellend erfüllt habt.« »So ist es«, meinte Zulgea. Bolletz sah ihr ins Gesicht. Er verglich das, was er sah, mit dem, woran er sich erinnerte. Gab es einen Unterschied? Nun, auch Zulgea war älter geworden, wie jeder andere auch. Er zuckte seine breiten Schultern und redete weiter. »Das was wir vor dir ausbreiten, Facette, ist unser ganzes Wissen.« »Ich höre.« Die Celester, ein kleiner und ein hoch aufgeschossener Mann, hörten schweigend zu und machten sich Notizen. Von ihnen strahlte eine klare, kraftvolle Entschlossenheit aus, wie der Telepath jetzt einwandfrei bemerkte. Sie waren auf seltsame Weise frei in ihren Entscheidungen. »Bis zum heutigen Tag hielten wir aus Scheu und Ehrfurcht mit diesen Kenntnissen zurück. Ich
sage dir, Zulgea von Mesanthor – wenn wir die festgelegte Menge gefüllter Container nicht abliefern, drohen uns allen schreckliche Strafen.« Jetzt stellte der große, breitschultrige Celester eine Frage. »Sind es die unsichtbaren Roboter, von denen die Strafe vollzogen wird?« Bolletz nickte und gab zurück: »Dort oben schweben zwölf Schiffe, angefüllt mit diesen Kriegsmaschinen. Da sie Roboter sind, mit klarem Auftrag und speziellen Programmierungen, kennen sie weder Angst noch den Gedanken an Selbstschutz, den selbst die Integrale besitzen. Ich weiß dies genau.« »Wie kommt’s?« fragte der kleine, haarlose Mann auf Zulgeas anderer Seite. Die Aufregung und die Spannung der Thater hatte sich etwas gelockert. Sie konnten mit dem mächtigsten lebenden Wesen dieses Sektors reden wie mit einem Kameraden. Sie war nicht gerade überströmend leutselig, die Hexe, und sie machte auch keinen dämonisch-rücksichtslosen Eindruck. Man spürte aber ihren harten, unbeugsamen Willen und einen Teil der Fähigkeiten, die sie bis in diesen Sessel gebracht hatten. »Ich stand früher in Diensten des Gentile Kaz, auf Kardoll im Sektor Ordardor. Ich habe erlebt, wie die unsichtbaren Maschinen wüteten. Sie hinterließen glühende Krater, und das ist noch das Freundlichste, was man über ihre Tätigkeit sagen kann.« Wieder entstand ein unangenehmes Schweigen. Schließlich erkundigte sich die Facette: »Offensichtlich hat Gentile Kaz überlebt. Wie konnte er die Forderung nach mehr Psi-Potentialen erfüllen?« Mutig sah Bolletz in ihre großen Augen. Schließlich rückte er mit seinem Vorschlag heraus. Das fast drei Meter große Wesen zögerte, auszusprechen, was er und seine Kameraden abgesprochen hatten. »Er tat genau das, was du auch unternehmen solltest, Facette.« In fast heiterem Ton machte der Celester eine Zwischenbemerkung. »Vermutlich hat er Potential gestohlen, wie?« »So und nicht anders!« pflichtete ihm Bolletz bei. Houlart und Kimnon nickten zustimmend. »Wenn du, Zulgea, innerhalb deines Sektors nicht genügend Psi-Potentiale sammeln kannst, hole sie dir mit Gewalt bei einer anderen Facette.« Die Facette stand auf und sprach aus, was die Thater befürchtet hatten. »Ich habe angefangen, nackten Terror und Gewalt hintanzustellen. Mein Sektor soll nicht mehr länger Sumpf genannt werden. Von solchen Aktionen will ich nichts wissen. Es gibt andere Wege.« »Welche?« fragte der Celester. »Übrigens, ich bin Arien. Und jener kleine Mann dort drüben wird Medizinmann genannt.« »Welche Lösung schlägst du vor, Facette?« fügte Houlart wesentlich leiser als Bolletz hinzu. »Ich fürchte, ich kenne die Lösung noch nicht«, sagte Zulgea. Wieder wandte sich der Celester an Bolletz. »Thater Bolletz«, sagte er ruhig, »sage uns, was euch in den Sinn gekommen ist. Möglicherweise finden wir gemeinsam einen Ausweg. Die Drohung ist auf eine Frist von acht Tagen ausgelegt. Wir müssen rasch handeln – und einfallsreich.« Bolletz bewies, daß er offensichtlich jeden Aspekt des Thater-Planes gut durchdacht hatte, wenigstens in den Augen des Celesters.
»Celester Arien«, erwiderte er bedächtig. »Wie ich sagte, war ich einst bei Gentile Kaz in Diensten. Sprechen wir nicht über eine Zeit, die unangenehm war und weit zurückliegt. Aber Kaz kam in dieselbe verzweifelte Klemme. Woher er damals seine Lieferung zusammenstahl, weiß ich nicht. Aber ich weiß, daß er das Geheimnis eines kleinen Planeten mit geradezu peinlicher Eifersucht hütet. Birzt heißt diese Welt. Sie stellt ein riesiges Reservoir für die Psi-Potentiale dieser Facette dar.« Mindestens sechs Wesen dachten zur gleichen Zeit daran, wozu wohl der Erleuchtete jene unfaßbare Menge von Potential brauchte. Sicherlich waren sie von einer Wichtigkeit, die jenseits aller Spekulationen diente. Hing das Leben dieses unbekannten Wesens tief im Nukleus davon ab? Oder gar die physikalische Stabilität der Galaxis Alkordoom? Seit allen Zeiten hatten unzählige Wesen solche Überlegungen angestellt. Ob eine davon auch nur in Teilen zutraf, konnte niemand wissen. Es kam keiner zurück, um davon zu berichten. »Du warst auf Birzt?« fragte Arien. »Nein. Aber ich hatte eine Mission auf dem äußersten Planeten durchzuführen, auf der äußersten Welt des Birzt-Systems. Dort gibt es eine Kontaktstelle, bei der man sich um Arbeit auf Birzt bewerben kann. Es ist überflüssig, zu erwähnen, daß Birzt selbst hervorragend geschützt ist. Angriffe von außen – denkt nicht daran.« »Ich kann nicht sagen«, erklärte die Facette mit gesenktem Kopf, »daß ich mich über die Inhalte eurer Unterhaltung freue.« »In diesem Fall stelle ich meine Skrupel hintan«, meldete sich Arien. »Es ist dem Überleben weitaus dienlicher, Kaz etwas zu klauen, als ausradiert zu werden. Nur wer lebt, kann handeln. Tote tun sich da erheblich schwerer, Facette von Mesanthor.« Eine eigentümliche Betonung lag in seinen Worten. Als Antwort deutete Zulgea mit der Hand auf ihn und bedeutete, daß er die Diskussion weiterführen wollte. »Einzelheiten klären wir später«, sagte Arien. »Aus welchen Gründen auch immer: Ich brauche eure Unterstützung, Thater-Brigadisten. Ich bin gern bereit, diese Aktion an verantwortlicher Stelle zu leiten. Ganz ohnmächtig sind wir auch nicht. Zusammen mit euch könnten wir es schaffen. Das vordringliche Problem wird wohl sein, mitten in die Geschehnisse auf Birzt zu gelangen.« Wieder bewies Bolletz, wie intensiv er sich mit dem Plan beschäftigt hatte. »Der Punkt ist, daß ich unter meinen Erinnerungen auch einen Paß für eben diese Anwerbestation habe. Eine Art Empfehlungsschreiben für Härte, Treue und große Arbeitsleistung. Zumindest ich könnte dort schnell anheuern. Zwar zahlt Kaz nicht sonderlich gut, aber es finden sich immer wieder gescheiterte Existenzen, die für ihn arbeiten wollen. Es ist dort wie überall.« »Ich hoffe, du meinst nicht uns damit«, knurrte der Medizinmann. »Welcher Art ist dieses Zertifikat?« »Eine Folie, mit einem molekular festgelegten und unveränderlichen Text. In der Mitte stehen mein Name und die wichtigsten Identifikationsmuster. Sie sind eingebrannt. Was hast du vor?« »Mit gütiger Erlaubnis der Facette die Einrichtungen des Pyramidons zu benutzen. Bringe mir das Dokument. Ich werde versuchen, die Namen dieses Celesters und seines hoffnungsvollen Sohnes daraufzusetzen. Zusätzlich zu deinem, Thater Bolletz. Und dann könnt ihr guten Mutes versuchen, in die Dienste des Gentile Kaz zu treten.« »Fünfzig Container oder mehr!« flüsterte die Facette. »Weniger als acht Crynn-Tage Zeit!« gab Arien zurück. »Du, Bolletz, solltest gehen und mit allem –
rasch! – wiederkommen, was uns hilft. Wir anderen setzen uns zusammen und arbeiten einen Plan aus, der uns die Psi-Container bringt. Und die Facette, die nunmehr einzusehen beginnt, daß in der Not viele ungewöhnliche Wege leichter beschritten werden können, gibt die entsprechenden Befehle.« »Einverstanden«, stieß Bolletz hervor, grüßte und verließ in Eile den Saal.
3. SPOONER RICHARDSON: Eine Stunde etwa wurde benötigt, um die wichtigsten Einzelheiten abzusprechen. Es wurden Kodierungen und Frequenzen festgelegt. Eine Botschaft nach New Marion ließ dort eine Flotte in Startbereitschaft gehen. Spooner benützte, mit sämtlichen Einzelheiten des Planes versehen, den Transmitter und verließ das Gegengerät auf seinem Heimatplaneten. Überdies, im Gegensatz zu den friedfertigen Gedanken Flora Almuths, hatte er von seinem Vater eine Handvoll äußerst präziser Wünsche an die Logistiker der »Feuerwehr« mitgebracht. Wenig später brach die Flotte auf, mit ihm als Verbindungsmann, und es dauerte nicht lange, bis sie zwischen Kahrmacrynn, der Sonne, und Crynn, im Ortungsschatten wartete. Diese Flotte bildete die Eingreifreserve. Die Wachhabenden wußten, daß ihr Einsatz blitzschnell erfolgen konnte und sie möglicherweise zu sehr überraschenden Zielen führen würde. Sie waren bereit. * Medizinmann Buster McMooshel stützte sich schwer auf die Platte des Geräts vor ihm. Zwischen wuchtigen Klammern eingespannt lag das Dokument, das der alte Thater ihm überreicht hatte. Sieben Bildschirme und Displays zeigten Teilvergrößerungen. In der Mitte des Empfehlungsschreibens, umrahmt von einer feinen Linie mit gerundeten Ecken, stand der Name des Thaters. Die Linie war in Wirklichkeit ein Datenträger, auf dem einige Auszeichnungen, der fast lückenlose Lebenslauf und die wichtigsten persönlichen Merkmale des Kämpfers verzeichnet waren. »Es gibt immer einen Weg«, murmelte der kleine Wissenschaftler. »Du siehst, Bolletz?« Rechts und links neben den Namen zauberte der Medizinmann je eine ebenso große Kartusche. Noch waren sie bloß Abbildungen auf dem Testschirm. Der Thater stieß ein anerkennendes Grunzen aus. »Es ist ausgewogen, und auf den ersten Blick würde ich glauben, daß wir drei gleichzeitig ausgezeichnet wurden.« »Bei Volkert Richardson bekommen wir Schwierigkeiten. Für dieses Datum ist er zu jung. Wir werden einen entsprechenden Text entwerfen und ihn älter machen müssen.« »Gute Idee.« Zuerst erfand McMooshel zwei Texte. Sie entsprachen in der Bedeutung der bereits vorliegenden Charakterisierung. Den »vorgedruckten« Text der Auszeichnung konnten sie vergessen; er war in der langweiligen Sprache aller Ämter abgefaßt und besagte lediglich, daß Gentile Kaz diesem(n) seinen Untertan(en) für »unten näher bezeichnete Dienste« dankte und ihn (sie) mit dieser Urkunde und so fort. Auch Siegel und (unleserliche) Unterschrift waren maschinell hergestellt und in die Struktur der metallischen Folie eingebettet. McMooshel erfand für die beiden Celester Lebenslauf und Auszeichnungen, die teilweise stimmten, zum anderen schiere Phantasie waren. Immer wieder kontrollierte er die Länge und machte auf dem Testschirm Probedurchläufe. Einmal war der Text zu lang, ein anderes Mal zu kurz.
Schließlich stimmte die Länge. Ein Band wurde programmiert. Der Medizinmann tippte, sich mehrmals kontrollierend, die Maße ein, testete die Länge auf dem Nebenschirm, und wieder waren die auszufüllenden Daten – sie erschienen auf der Folie als aufgedampfter schwarzer Kasten mit jenen gerundeten Ecken – präzise in der Länge und den Maßen. »Du bist ein Künstler, Celester Medizinmann!« grollte der Thater bewundernd. »Schade, daß du uns nicht begleitest.« »Für derlei manuelle Arbeit bin ich zu alt«, sagte Buster. »Hier, bei solchen Experimenten, ist mein Platz.« Er legte einen Schalter um. Summend begann das Druckgerät zu arbeiten. Millimeter um Millimeter schrieb es die Daten in die Moleküle eines feinen Drahtes aus Metallegierung, der schließlich das linke schwarze Viereck bildete. »Hier kommt Ariens Name hinein. Zweizeilig. Wir Celester haben unpraktisch lange Namen. Mit Bolletz, Schmolletz oder Knolletz hätte ich’s einfacher.« Natürlich stand in den Daten, warum diese beiden Männer ihre Heimat verlassen hatten und in den Dienst der Facette Kaz getreten waren. Laut Datum der Auszeichnung handelte es sich logischerweise um einen weit zurückliegenden Tag. Das zweite Viereck füllte sich. Nun standen in einer Reihe ein leeres Kästchen, ein von Bolletz’ Namen ausgefülltes und wieder ein leeres. »Raumschiffe, Waffen und Roboter – damit kann praktisch jeder leicht operieren«, erläuterte der Medizinmann in der angespannten Stille des Laborbezirks seine Überlegungen. »Ich gebe mir mit diesem Dokument deshalb so viele Mühe, damit erstens ihr drei leicht nach Birzt hineingelangt, euch dort ohne Schwierigkeiten bewegen und, was am wichtigsten ist, ungeschoren davonkommt. Dokumente dieser Art sind registriert.« »Ihr Celester – seid ihr alle so klug?« fragte der riesige Thater mit großen Augen. Er saß neben McMooshel auf einem Laborhocker, dessen stählerne Streben verdächtig knirschten. »Nein«, erklärte der Medizinmann in schlichter Untertreibung. »Nicht viele. Ich gehöre zu den Klügsten.« Die Schrift selbst nachzuahmen, war einfach und schwierig gleichermaßen. Einfach, weil es sich bei BOLLETZ um eine Normschrift handelte, der Medizinmann aber die fehlenden Buchstaben aus diesen sechs Lettern entwickeln mußte. Ein Computer hatte eine erste Analyse hergestellt und schrieb die fehlenden – neuen – Buchstaben auf einen Kontaktschirm. Mit einem Lasergriffel, dessen Spitze nur unter der beweglichen Speziallupe sichtbar wurde, korrigierte der Wissenschaftler in schweigender Konzentration die Unvollkommenheit der Maschine. »Probedurchlauf mit Namen!« sagte er schließlich, tippte die beiden Namen in die lautlose Tastatur und lehnte sich zurück. Auf seiner spiegelnden Glatze standen riesige Schweißtropfen. Er wischte sie mit dem Ärmel seines Hosenanzugs ab. Die Geräte kombinierten Umrahmung und Schriften, und der kleine Celester fügte letzte Korrekturen hinzu. »Von deiner Antwort können drei Leben abhängen«, sagte er nach einer Weile und fuchtelte vor den Augen des schuppigen Kopfes herum. »Sieh genau hin. Zufrieden?« Einige Minuten lang musterte Bolletz die Schriften. Er deutete auf ein K und murmelte:
»Die punktförmige Verdickung am rechten unteren Ende ist unvollkommen gerundet. Etwas anderes kann ich nicht entdecken.« Inzwischen hatte er einen Teil der Gedanken dieses erstaunlichen Wesens prüfen können. Er war erschrocken über die reiche Fülle dieses Verstandes, und noch mehr hatte ihn die Menge an Konzentration überrascht, mit der der Medizinmann arbeitete. Dieser Celester würde den Plan nicht verraten oder sabotieren; seine Sorge galt in gleichem Maß dem Thater wie den Celestern. Noch erstaunlicher! Bolletz’ Bild der Welt und der Beziehungen ihrer Wesen zueinander erhielt erste Risse. »Gut. Beenden wir die Arbeit!« McMooshel löste einen Kontakt aus. Mit derselben Technik, in der Bolletz vor einigen Jahren geschrieben worden war, schrieb die Maschine: ARIEN RICHARDSON und VOLKERT RICHARDSON. »Fertig.« Als der Medizinmann die Klammern löste und das Dokument hochhob, wollte Bolletz danach greifen. McMooshel riß es wieder zurück und sagte: »Mann! Du hast dieses Ding seit etlichen Jahren mit dir herumgeschleppt. Es ist voll von Schweiß, Prints, Schmutz und Hautpartikeln, Fasern und was weiß ich. Nur die beiden Felder nicht. Denke, bevor du arbeitest, du Koloß!« Der Thater wußte nicht, ob er sich ärgern sollte. Er begriff, wischte über die glänzenden Stellen, rieb sie an seiner Haut, schob sie in die Taschen und fand schließlich auf der Oberkante einer Maschine Staub und ölige Ablagerungen. Binnen weniger Minuten hatte das Dokument seinen Glanz verloren und wirkte benutzt und alt. Methodisch, wie er sie aktiviert hatte, schaltete der Medizinmann rund zwei Dutzend Maschinen und Geräte ab und sagte erschöpft: »Das war dies! Jetzt mußt du unser Kunstwerk nur noch verlieren. Hier, zum Auswendiglernen.« Eine Maschine hatte den Text aller drei Charakteristika ausgedruckt. Jeder mußte, da er angeblich zusammen mit den anderen ausgezeichnet worden war, über ihn gründlich Bescheid wissen. Fehler waren zulässig, aber nur solche, die unter die Rubrik »Erinnerungstrübung« fielen. »Keine Sorge«, murmelte Buster und wedelte mit den beiden anderen Ausdrucken. »Arien und sein Sohn haben damit auch noch etwas zu tun.« Sie verließen den Labortrakt und stießen zu Volkert, der inzwischen sein Haar an einigen Stellen grau und weiß gefärbt hatte, und zu Arien, der mit den Kommandanten von zwanzig »Wespen« verhandelte. »Ihr habt soeben eine interessante Vergangenheit verpaßt bekommen«, sagte der Medizinmann. »Für euch gilt, was ich ihm gesagt habe: lernt es auswendig und vernichtet die Blätter.« »Ist klar.« »Wo sind Houlart und Kimnon?« fragte der Thater und sah sich um. Volkert, der tatsächlich um Jahre älter wirkte, deutete auf die Kommunikationsschirme. »Sie sind die Chefs von je zehn Raumschiffen. Sie haben die Aufgabe, uns herauszuhauen, beziehungsweise die Beute abzutransportieren.« »Ihr hättet keine besseren finden können«, versicherte Bolletz. »Es sind die besten Raumfahrer, die ich kenne. Fragt die Facette. Sie haben niemals versagt. Kühne Heldentaten haben sie vollbracht.« »Ich weiß«, murmelte Arien zerstreut. »Aus Gründen der Taktik landet in einer Stunde eine Wespe. Sie wird die drei Arbeitslosen zu dem Büro bringen, in dem sie demütig um Unterkunft und Lohn bitten. Neunzehn andere Raumschiffe warten nahe Birzt, um euch zu helfen. Kimnon und Houlart
werden euch während des Fluges genau unterweisen.« Der Medizinmann ließ sich von einem Integral mit Getränken für sie alle versorgen und schloß: »Ich bleibe bei der Facette. Zwar ist sie eine mächtige, kluge ’ Planerin, aber zu zweit leisten wir noch mehr. Mit euch als Partnern müßte der Plan aufgehen. Und ihr drei: denkt an eure Rolle. Ihr tretet nicht wie Fürsten auf, in glänzenden Kampfanzügen und voll Hochmut, sondern als vom Schicksal gebeutelte Kreaturen. Schäbige Ausrüstung, unrasiert, abgerissen und arm, hungrig und für die unangenehmste Arbeit gut. Genießt die letzten Minuten in dieser luxuriösen Umgebung.« Sie hatten begriffen, worum es ging. Während die Facette mit gezielten Befehlen dafür sorgte, daß die drei Selbstmordkandidaten von Kopf bis Fuß entsprechend ausgestattet wurden, nahmen sie einen Abschiedsschluck, lasen in ihren Lebensbeschreibungen und tauschten noch die letzten Fragen und Antworten aus. Das Netz zwischen zwei oder drei Flotten, dem Pyramidon, New Marion und anderen Schaltstellen war gesponnen. An den Knotenpunkten saßen Wesen, deren Vertrauenswürdigkeit und Fähigkeiten gleich groß waren. Schließlich holte eine ramponierte Wespe, in der man ohne Mühe eine Art Fährschiff erkennen konnte, Bolletz und die beiden Richardsons ab. Kimnon war vorübergehend der Kommandant. Er würde sie kurz vor Erreichen des ersten Zieles verlassen und die Leitung der halben Crynn-Flotte übernehmen.
4. Zwölf Kommandos zu je sieben Nyltings grasten heute die Schilfbucht im Venga-Delta ab. Sie verständigten sich mit einem schrillen System gellender Pfiffe. Das war ein Zeichen für die Birzer, die Oberfläche zu verlassen. Es war sinnlos, im Schilf und zwischen tausend Büschen und Ranken zu suchen. Es dauerte zu lange und war ineffizient. Dhassan, die gelbe Sonne des Systems, taumelte dottergelb durch die Linearwolken des Horizonts. Im letzten Drittel der Nacht war ein Regenguß heruntergeprasselt und hatte die Nyltings geweckt. Sie waren allergisch gegen diese Art von Geräuschen, und sie würden heute einen schlechten Jagdtag haben. Das magere Ergebnis eines solchen Tages schlug sich in ausbleibenden Prämien und einem furchtbaren Tobsuchtsanfall von Puhlers nieder. Und dieses Bewußtsein trug zu der schlechten Laune der Jäger bei. Die großen, flachen Mehrzweckgleiter bildeten, vom See kommend, einen Drittelkreis. Ihre Käfige aus geflochtenem Mehrfachstahl waren leer; der Regen hatte das Blut und die Rückstände der letzten Jagd weggespült. Hinter den Rohren und Projektoren auf dem Bug hockten die Schützen hinter ihren Vergrößerungsvisieren und den anderen Such- und Zieleinrichtungen. Plötzlich war Puhlers Stimme in sämtlichen Ohrhörern. »Kaz kann keine Schwächlinge brauchen. Arbeitet schneller, fangt mehr! Und untersteht euch nicht wieder, ausgelaugte Tiere zu bringen. Sucht das gute Vieh! Mindestens zwei Einsätze heute. Meine Geduld ist groß, aber ihr habt sie überstrapaziert.« Niemand antwortete. In Wirklichkeit hatte der Antreiber keine Geduld. Aber wenn es nicht der Vierbeinige war, schickte Kaz einen anderen, und der war möglicherweise noch schlimmer. Puhlers erging sich noch in einigen weniger drastischen Beschimpfungen, dann schaltete er ab. Die Nyltings atmeten auf. Es gab einige tausend von ihnen auf dem Jagdplaneten. Sie waren flinkfingrige Wesen von etwa eineinhalb Metern Größe. Ihr Kopf war eine kugelige Form in der kreisförmigen Brustfläche des flachgebauten Körpers. An vier elastischen und dehnbaren Schlauchbändern hing der Schädel mit zwei Augen, die nach vorn sahen und einem dritten, das als lichtempfindliche Nervenzelle ausgebildet war. Obwohl sie gern Fleisch aßen, vermieden sie es, die Birzer als Nahrung zu gebrauchen. Da war etwas in dem Fleisch, das den Geschmack beim Kochen oder Braten unerträglich veränderte. Da waren die Ilbianer mit ihren Schlingen weniger wählerisch. Ein Signal ertönte. Die Jagd begann. Aus einem Dutzend Schallprojektoren donnerten, heulten und schrillten akustische Wellen von gewaltiger Lautstärke und Durchdringungskraft über das riesige Dreieck aus träge fließendem Wasser und Pflanzen dahin. Ein unsichtbarer Wind schien kurz darauf an allen Stengeln und Ranken zu zerren. Das Wasser, eben noch spiegelglatt, wurde von zahllosen Spuren durchfurcht. »Achtung. Die Tiere verlassen den Bereich. Vorrücken.« Die Gleiter schoben sich dicht über den trägen Wellen einer auslaufenden Brandung dem Schilf entgegen. Die ersten Projektoren wurden eingeschaltet. Sie lösten, waagrecht eingestellt, knapp über der Wasserlinie alle Gewächse fast ohne Rückstände und Spuren auf. Nur eine Art Rauchschleier, der aus winzigsten Pflanzenteilchen bestand, wirbelte in die Höhe und aufs Meer hinaus. Auf beiden Seiten und am entgegengesetzten Ende der Grünzone sah man die ersten flüchtenden Birzer. »Aufrücken. Gleiter Sieben und Acht deltaaufwärts.« Sechs Maschinen rasten los. Über die Bordwände hingen die Nyltings und zielten mit den langen
Läufen der Klebefadenwaffen auf die einzelnen Tiere. Unablässig ertönte das Plop! der semipneumatischen Waffen. Sie warfen eine Kugel aus, die einerseits beim Aufprall die Tiere meist betäubte und dazu ein Netz aus unzerreißbaren Spinnenfäden ausschleuderte, das jede weitere Bewegung nahezu unmöglich machte. Nur die Birzer interessierten deren Jäger – die anderen Tiere rasten in Sprüngen oder im Galopp davon. Wieder ertönte das chaotische Geräusch, der verderbliche Lärm der akustischen Anlagen. Abermals wurden große Flächen Gewächse zerstört. Zuerst war die Flucht der Birzer noch einigermaßen geordnet vor sich gegangen, obwohl sich die Anzahl der getroffenen Tiere vergrößert hatte. Man mußte darauf achten, die Beute am festen Land zu erlegen. Fielen die Geschockten und Gelähmten ins Wasser, ertranken sie – und ihr Psi-Potential wurde zugleich mit ihrem Leben ausgelöscht. Die Gleiter schwärmten nach allen Richtungen aus, nachdem die Gefahr, daß sie selbst in die Destruktorkegel hineingerieten, beseitigt war. Das Delta, in dessen Wasser der dünne Belag aus pflanzlichen Überbleibseln seltsam bizarre Strudel erkennen ließ, hallte wider von den Schüssen. Fast jeder Schuß traf, denn die Nyltings waren hervorragende Jäger. In einem riesigen Kreis rund um die Wasserfläche zogen die Flugmaschinen kleinere Kreise. Die Felsen, jedes freie Fleckchen Sand oder Erdreich, die Hänge voller Strandgräser, der breite Sandgürtel rechts und links des dreieckigen Mündungsgebietes – überall lagen zuckende Birzer, schwache pfeifende Schreie ausstoßend. Ein Gleiter schwebte über den Strand. Sechs Jäger, die keine erreichbaren Ziele mehr sahen, sprangen rechts und links über die Bordwand. Mit sicheren Griffen ihrer beiden sehnigen Arme packten sie die Birzer und warfen sie in den Trichter, der oberhalb des Käfigs angebracht war. Die Klebefaden-Geschosse kamen in den Bereich des Neutralisators, lösten sich, und der Birzer fiel zwei Meter tiefer auf den Boden des Käfigs. Der nächste versuchte instinktiv, seinen Fall abzufedern. Auch er schlug hart mit dem runden Kopf auf das Stahlblech. Unaufhörlich, einer nach dem anderen, in einem ständigen Strom lebender Wurfgeschosse, flogen die Birzer in den Trichter aus Stahlgitter. Ebenso oft knackte die Entladung des Neutralisators. Meter um Meter wurde der Strand abgesucht; die Menge der Beute, die sich in Schichten aus sich ringelnden und schreienden Individuen ablagerte, nahm zu. Als der erste Sammelgleiter den Rand des Wassers erreichte, in dessen Schicht die Körper einiger ertrunkener Birzer schwammen, war der Korb voll. »Gleiter Drei«, rief der Jagdleiter, »zurück zur Firma.« »Schon auf dem Weg dorthin. Neues Ziel?« »Die Steppe im Planquadrat Sieben zu Elf. Beeilt euch. Ihr habt gehört, wie gut die Laune des Vierbeinigen ist.« Ein Nylting schwang sich auf den Beifahrersitz, die anderen rannten flußaufwärts, um ihren Kameraden zu helfen. In jeden Sammelkorb paßten rund dreihundert Birzer. Der zweite füllte sich schneller, weil es mehr Einsammler gab. Das trockene Plop! der Schüsse war nur noch vereinzelt zu hören. Ein dritter, ein vierter Gleiter rasten, wegen der schweren Ladung nur schwer an Flughöhe gewinnend, in die Richtung der Firma. Rund um die Gebäude, die Zäune und die Sicherheitszonen gab es keine Birzer mehr – dort war stets zuerst gejagt worden. Schließlich jaulte aus dieser Richtung ein geschlossener Gleiter heran, dessen Sitzreihen leer waren. Die Nyltings kletterten hinein, denn bis zur Ankunft ihrer eigenen Gefährte wechselten sie die Jagdtechnik. In der savannenähnlichen Landschaft weiter nach Westen bot sich die Treibjagd an. Die Nyltings bildeten, in dem betreffenden Planquadrat ausgesetzt, eine lange Kette und schoben
gefüllte Magazine in die Waffen ein. Sie jagten, zu dieser Tageszeit die beste Methode, mit dem Sonnenlicht im Rücken. Die Nyltings waren die hervorragend ausgerüstete Elite der Birzer-Jäger. Ganz anders gingen, beispielsweise, die Mhargan vor. Sie benutzten die Gabel als Fanggerät. * BIRZT: PUHLERS, der Vierbeinige. Er wußte, daß er unentbehrlich war, solange der Nachschub problemfrei rollte. Kurze Zeit nach der ersten wirklichen Panne war er höchst entbehrlich. Und schnell ersetzbar. Er machte sich über diese Umstände keinerlei Illusionen. Er fand sich mit der Situation, so wie sie war, in ruhiger Resignation ab. Er hielt sich für ein Werkzeug, für eine Art Maschine. Noch funktionierte er, und es ging ihm gut. Er war der absolute Herrscher über einen ganzen Planeten, auf dem es etwa dreitausend Jäger gab, eine niemals genau festgestellte Anzahl von Robotern und etliche Milliarden Birzer. Er betrachtete sich selbst im spiegelnden Reflexbild eines Kommunikationsschirms. Sein Gesicht mit der vogelartig vorspringenden Nase war hager geworden, seit er auf diesem kleinen Planeten war. Das Haar, das in drei Zöpfen in seinen Nacken hing, zeigte hellgraue und stellenweise silberne Farbe. Aber die Zuverlässigkeit und Schnelligkeit seiner Reflexe hatte Puhlers nicht verloren. Er konnte sicher sein, daß sie durch die andauernde Spannung nur noch besser geworden waren. Noch immer rannte er mit seinen vier Gazellenbeinen schneller als jeder Ilbianer. Dort, wo das Gelände der Fabrik endete, an der engsten Stelle der Halbinsel, befand sich ein Turm. Er war aus Stein gemauert, von Stahlplatten-Elementen umgeben und innen mit Stahl und Kunststoff ausgekleidet. Durch den umlaufenden durchsichtigen Streifen hatte Puhlers einen hervorragenden Blick auf eine Flußmündung, die schwache Brandung eines der kleinen Ozeane und die riesige Fläche des Strandes und der Gegend weiter im Landesinneren. Puhlers war auch heute allein. Er war immer allein. Es gab nur die Gesellschaft seiner Gerätschaften und Hunderter von Anzeigeinstrumenten, mit deren Hilfe er alles überwachte. Er nickte, als er den letzten Sammelgleiter der Nyltings ankommen sah. Das Gefährt passierte die Sicherheitseinrichtungen, wartete, bis die Strahlsperre abgeschaltet war und ein Signal ertönte, dann schwebte es in das dicke Rohrelement eines Eingangs ein. Hinter dem ramponierten Gerät, das in einwandfreiem technischen Zustand gehalten wurde, schlossen sich Schotte und bauten sich gitterförmige Sperren wieder auf. Die Beute verschwand in der ersten Schleuse der Fabrik. Puhlers stieß mit seiner scharfen Stimme einen Fluch aus. »Zu wenige Kontrolleure! Ich brauche Helfer«, sagte er dann. Die Mhargan, die Ilbianer und die Nyltings taugten viel – aber nur als Jäger und Helfer bei technischen Aufgaben. Die Reparaturen an den unzähligen Maschinen erledigten die Roboter. Aber er spürte, daß er überfordert war mit der Kontrolle über alles. Nach kurzem Zögern schaltete er eine Sichtverbindung ein. »Marsena-Station!« meldete sich eine Robotstimme. Marsena war der vierte, äußerste Planet des Dhassan-Birzt-Sonnensystems.
»Puhlers hier. Den Wachhabenden will ich sprechen!« sagte der Vierbeinige mit dem längsgestreiften Fell und dem buschigen Schweif. »Schnell.« Der Robot schaltete mit gewohnter Schnelligkeit. Shwarph, das Quallenwesen, richtete die Stielaugen auf sein Gegenüber. »Herr des Birzer-Planeten!« schrillte Shwarph und wedelte grüßend mit mindestens sechs Tentakeln. »Deine Wünsche sind mir willkommene Befehle.« »Vermutlich nicht mehr lange«, gab Puhlers knarrend zurück. »Liegen bei euch Arbeitsersuchen oder ähnliche Meldungen vor?« »Trotz intensiver Bemühungen, leider nichts. Ich weiß, daß deine Wut wächst, Edler mit dem grauen Gesichtspelz.« »Vorläufig wächst mein Schlafmangel«, sagte Puhlers. »Zwei Kontrolleure sind beim Baden im Meer ertrunken. Ich brauche qualifizierten Ersatz. So bald wie möglich. Nichts in Sicht?« »Nicht einmal ein zweiter Shwarph! Und ich komme mit meinen Leuten auch nur knapp aus. Jeder Krankheitsfall wirft die Sicherheit des Systems um Lichtminuten zurück, großer Fänger der Birzer.« Das Leben, das sie alle führten, war zweifellos erbärmlich. Aber sie lebten, hatten ein Dach über dem Kopf und genügend zu essen, erhielten Lohn und sogar manchmal Urlaub. Der Tod oder das Dahinvegetieren auf irgendeinem Randplaneten war die Alternative. Also versuchten sie, das Beste daraus zu machen und weiterzuleben. »Solltest du etwas hören«, meinte Puhlers versöhnlicher, »dann melde dich. Ich nehme sogar Halbblinde.« »Nicht einmal Lahme kann ich dir gegenwärtig anbieten. Sei versichert, daß ich an die Sekretäre der Facette nicht nur eine dringende Botschaft abgeschickt habe.« Wieder nickte Puhlers. »Dir wird geglaubt, Herr von Marsena.« Sie winkten sich im stummen Einverständnis zu, dann löste sich die Verbindung auf. Von der Hauptstation, die jede noch so geringfügige Einzelheit des Sicherheitsbereichs bewachte und kontrollierte, kam ein weiteres Signal. Puhlers war gewohnt, mit mindestens drei Armen beziehungsweise deren Fingern zu hantieren. Er nahm vor dem U-förmigen Pult Platz, breitete seine Arme aus und legte die rechte obere Hand auf den Rand des Pultes, neben den Alarmschalter. Er tastete Drucken und Schrift ein und las die Meldungen des Überwachungs-Robotgehirns. Alltäglicher Kram. Dort war der Zaun beschädigt, zwei Maschinenteile wurden ersetzt, es gab eine vorübergehende Blockierung des Container-Transportbandes, und irgendein Idiot von einem Jäger war mit seinem Gleiter in eine Absperrung gerast. Puhlers drückte einen Feldschalter. Ein Mikrophon schwebte vor sein Kinn. »Robotgehirn. Abteilung planetare Sicherheit. Alles klar? Bericht.« Die Antworten kamen sofort. Das Sperrgebiet war weder angeflogen worden, noch war eine der vielen Stationen ausgefallen. Birzt war also sicher. Über das Pult und zwischen den Monitoren hindurch warf Puhlers einen langen Blick auf die kugelige Kuppel, unter der das Kontrollgehirn ruhte. Er protokollierte die Niederschrift, aber es wäre ihm lieber gewesen, selbst an Ort und Stelle nachsehen zu können. Aber schon kamen die ersten Lastengleiter der Mhargan aus dem Kontinentbereich herangeschwebt und strahlten ihren Kodeimpuls ab, um hereingelassen zu werden. Die Facette würde sich nicht zu
beklagen haben: die Jagden liefen gut an diesem Vormittag. Aber es würde in den nächsten Monaten zusehends schwieriger werden. Das Gebiet weit um die Fabrik war abgegrast. Er öffnete das größere Tor, und die Gleiter schwebten herein in den Schatten der Bäume. Wieder einige tausend Psi-Potentiale, die ihren Weg in die Container finden würden. Es ging weiter ohne Unterlaß. Sorgfältig kontrollierte Puhlers seine Anlagen. Er gab den Arbeitsrobotern neue Direktiven und schimpfte mit den Arbeitern der drei verschiedenen Jägervölker. Das Zählwerk der vollen Container lief wieder an und tickte laufend weiter. Behälter nach Behälter wurde gefüllt und verschlossen. Seine Müdigkeit gegen Mittag versuchte er mit einem belebenden Pflanzengetränk zu verscheuchen, in das er Stimulans hineintröpfelte. In einem steten Strom verließen die Gleiter die Station. Sie waren energetisch aufgetankt und mit Nahrungsmitteln für die Jäger ausgerüstet worden. Ebenso in einer langen Kette schwebten die beladenen Maschinen in die Fabrik zurück. Einige Jäger machten Pause. Andere, die sich verletzt hatten, wurden von den Robotern und den medizinisch ausgebildeten Artgenossen versorgt. Am entgegengesetzten Ende der aneinandergereihten kastenförmigen Bauteile in Tarnfarbe, aus denen die meisten Blöcke der Fabrik errichtet wären, mündeten Dreifachrohre in schrägem Winkel aus einer Wand. Sie überspannten, mit Schleusen versehen, die Sicherheitszäune. Aus den Öffnungen fielen, torkelten und sprangen unaufhörlich Birzer. Viele waren verwundet, manche waren tot. Eine Automatik beförderte sie wieder zurück in ihre alte Heimat. Zurück in die neue Freiheit. Puhlers machte sich über die Tiere wenig Gedanken. Für ihn bedeutete diese Arbeit des Psi-Potential-Sammelns nicht mehr oder weniger als eine Art Fischfang oder als Ernte einer Frucht. Er arbeitete konzentriert und wirkungsvoll, bis die Dunkelheit das Ende der Jagd über diesem Teil des Planeten bedeutete. Die letzten Jäger kamen mit gefüllten Käfigen zurück. Um sie gut motiviert zu halten, beschimpfte er sie ein wenig. Mitten in der Nacht weckte ihn der Ruf von Marsena-Station.
5. Das Raumschiff, das sich der Kontaktstelle näherte, bot schon in der ersten groben Vergrößerung das Bild eines Fluggeräts, das längst seine besten Zeiten hinter sich hatte. Der schlanke Rumpf trug die Spuren unzähliger Starts, Landungen, Gefechte und Festkörpereinschläge. Einige der Bullaugen waren milchig blind. Das Hochenergiegeschütz im Bug sah aus, als wäre es ausgeglüht. Die Energiemessung ergab, daß der Antrieb stockend arbeitete. Aber die Funkgeräte arbeiteten zuverlässig. Shwarph war bereits auf Empfang. Seine Ortungsgeräte hatten die »Wespe« längst entdeckt. Ein Raumschiff der Facette von Kontagnat! Ungewöhnlich für dieses Sonnensystem. Hier hatten sie eigentlich nichts zu suchen. »Marsena-Station, Diener von Gentile Kaz, Shwarph, ist bereit.« »Wir sind kein offizielles Schiff. Wir bringen Passagiere. Ich bin Kommandant Carthym«, sagte ein schmächtiger Thater auf dem Gegenbildschirm. »Passagiere? Hierher?« wunderte sich das Quallenwesen. »Sie suchen Beschäftigung. Wir wissen, daß man sich bei euch um einen schlechtbezahlten Arbeitsplatz bewerben kann.« Das schwarze, vielarmige Wesen kicherte schrill. Eine Anzahl Strahlprojektoren richteten sich auf das langsam herantreibende Schiff. »Grundsätzlich richtig. Wer sucht Arbeit?« »Einer von uns und zwei umherstreunende Celester. Sie machen einen ganz passablen Eindruck. Können wir andocken?« Offensichtlich hatte dieser Diener des Gentile Kaz seinen friedlichen, entgegenkommenden Tag. »Folgt dem Peilstrahl. Ihr könnt neben der Zentralstelle landen. Ich habe jemanden, der qualifizierte Mitarbeiter sucht. Zu den üblichen Bedingungen.« Auch der ungepflegt wirkende Thater bewies einen grimmigen Humor. »So, wie meine Passagiere aussehen, können sie sich bessere Bedingungen auch nicht leisten.« »Kommt herunter und erzählt mir die letzten Neuigkeiten aus der schönen Welt des Sumpfes.« Das torpedoförmige Raumschiff, etwas länger als fünfzehn Meter, hatte Schwierigkeiten bei dem letzten Abschnitt der Landung. Aber es setzte auf, ohne Raumhafeneinrichtungen oder eigene Teile zu beschädigen. Bewaffnete Roboter marschierten auf und eskortierten drei Gestalten in alten, abgetragenen Raumanzügen ins Hauptgebäude. Sämtliche Metallteile der Anzüge waren abgewetzt und stellenweise rostig. Die Passagiere trugen nicht mehr mit sich als je zwei Taschen aus löchrigem Kunstleder, die einst raumfest gewesen sein mochten. Das Quallenwesen erwartete sie hinter einem breiten Tisch, schwenkte begrüßend die Tentakel und sagte: »Willkommen. Ihr scheint Glück zu haben. Puhlers sucht Leute.« »Wer oder was ist Puhlers?« erkundigte sich grollend der wuchtige Thater. »Der Chef von Birzt-Fabrik«, lautete die Antwort. »Was könnt ihr eigentlich?« Der ältere Celester, der sich unaufhörlich am Kinn kratzte, zog einen Umschlag hervor und schob ihn auf das polierte Metall. »Kannst du lesen?« Bedächtig studierte die halb mannshohe Qualle, die in der gepolsterten Halbkugel eines hydraulisch bewegbaren Sessels thronte, ein ehrfurchtgebietendes Dokument.
»Beeindruckend. Aber nicht ganz aktuell«, bemerkte Shwarph endlich. »Aber Puhlers hat einen Dekoder für eure Daten.« »Das kann uns nur helfen«, sagte der jüngere Celester, der auch aussah, als habe er mehr als einen Tiefschlaf nötig. »Ganz verblödet sind wir nicht. Wir haben nur ein bißchen Pech gehabt in der letzten Zeit.« »Dann seid ihr gerade die Richtigen für Puhlers. Er wird euch zeigen, was harte Arbeit bedeutet. Außerdem ist er ein mißtrauischer Zeitgenosse. Wenn ihr versuchen solltet, ihn ernsthaft zu ärgern, dann fliegt am besten schnell wieder zurück.« Bolletz stieß ein dröhnendes Lachen aus. »Jetzt sind wir hier. Schlimmer als auf anderen Planeten wird’s hier auch nicht sein.« Grämlich bemerkte die Qualle: »Nein. Nur einsamer.« Er warf einen Blick auf das Chronometer, versetzte seinen kugeligen Körper in bedauernde Schwingungen und schaltete eine Verbindung nach Birzt. Mindestens eine Minute verging, bis auf dem aktivierten Schirm das Abbild eines vierarmigen, fellbedeckten Wesens mit Katzenohren und einer scharf vorspringenden Vogelschnabelnase erschien. Das Wesen blinzelte schlaftrunken. »Das ist Puhlers«, erklärte die Qualle. »Er sucht Arbeiter.« Puhlers hörte auf zu blinzeln, stieß einen Fluch aus und musterte die drei Fremden. »Ich brauche Kontrolleure. Habt ihr Erfahrung mit Maschinen, Geräten, Steuerungen, Computern?« »Ich bin Bolletz«, antwortete der Thater ruhig. »Seit mehr als fünfunddreißig Jahren fliege ich Raumschiffe. Ich denke, ich kann dir helfen, Puhlers.« »Und du?« Puhlers deutete zuerst auf Volkert, dann auf Arien. Beide erklärten sie etwa dasselbe wie der Riese zwischen ihnen, und schließlich hielt Arien die Auszeichnung in die Höhe. »Gentile Kaz zeichnete uns für genau jene Arbeiten und Leistungen aus, die du von uns haben willst. Wir müssen uns vorübergehend unsere Ansprüche abgewöhnen. Aber wenn wir eine Arbeit haben, dann schuften wir auch.« Puhlers riß seinen Rachen auf und gähnte. »Schick sie herauf«, sagte er und winkte mit zwei Händen. »Drei abgerissene Gestalten, aber besser als nichts. Und wecke mich nicht wieder, du Tiefseeungeheuer!« schrie er abschließend. Shwarph zeigte auf ein Schott und sagte: »Dort hindurch. Ihr habt, was ihr wolltet. Beklagt euch nicht, wenn es euch zuviel wird. Ich sage eurem Kapitän Bescheid.« »Wir danken auch recht herzlich«, bemerkte der jüngere Celester und hob seine Taschen auf. Die erste Stufe ist geschaßt, dachte Volkert. Wenn die Wespe zu den anderen Schiffen zurückkehrt, warten zwanzig von ihnen, gut versteckt im nächstgelegenen Sonnensystem. Sehen wir weiter. Nach einer Kontrolle ihrer Habseligkeiten durch Roboter führte sie ein kleines, pelziges Wesen schweigend in eine Transmitterkammer. Sie gingen durch die Anlage und kamen in einer Halle wieder heraus, von der ein verwirrendes System von Treppen abzweigte. Auf dem nächsthöheren Absatz stand der Vierarmige. Sie sahen, daß er einen schlanken Körper mit vier dünnen, eleganten Beinen hatte. An einem breiten Waffengurt, der um die Hüften geschnallt war, trug Puhlers zwei schwere Waffen. Mit einer von Müdigkeit gedrückten Stimme sagte er:
»Es ist Mitternacht hier. Ich bin todmüde. Dort ist euer Quartier – in sieben Stunden reden wir miteinander. Ihr findet Essen, Duschen und Betten. Das Gebäude könnt ihr nicht verlassen – zu meiner Sicherheit.« »Geht in Ordnung, Chef«, brummte Arien Richardson. Der zweite Schritt. Morgen würden sie ihre Chancen auskundschaften. Jeder von ihnen fand eine kleine, aber passabel eingerichtete Kammer. Hinter ihnen rasteten schwere Riegel ein und versperrten die Schotte. Der Blick durch ein kleines, offenes Fenster ging hinaus auf kleine Wellen, in denen Sternenlicht glitzerte. Ein frischer, salziger Geruch drang herein. Sie entledigten sich der Anzüge, verstauten die Ausrüstung in einem eingebauten Spind und hofften, daß die Tarnung ihrer verschiedenen Gerätschaften möglichst lange intakt blieb. Das Essen und die Getränke waren nicht unangenehm. Wenn sie wirklich vorgehabt hätten, hier für Gentile Kaz zu arbeiten… sie hätten es schlechter treffen können. * »Ich habe gesehen«, bemerkte Arien Richardson halblaut, »daß diese Welt Birzt angenehm ist. Die Luft riecht gut, das Sonnenlicht ist kräftig, und selbst mein Bett war weich genug. Ich glaube, wir kommen gut miteinander aus, Puhlers.« Sie saßen in seiner Zentrale in dem Turm, der die gesamte Anlage überragte wie ein riesiger, stumpfer Mast. Der Vierarmige ließ seinen Blick von einem zum anderen gleiten und nickte. »Das ist gut möglich. Ihr wißt natürlich, daß hier Psi-Potential gesammelt wird. Deshalb die vielen Sicherheitseinrichtungen.« »Wir haben nicht vor«, bemerkte der Thater, »Gentile Kaz zu bestehlen. Wir suchen eine gute Arbeit. Nichts anderes.« Er zeigte auf das Dokument, das zwischen ihnen lag. Sämtliche Bildschirme schienen unaufhörlich neue Datenströme zu zeigen. Zahllose Signallampen blinkten, erloschen, sprangen wieder an. »Mißtrauen ist die einzige Garantie für mein Überleben«, sagte Puhlers rücksichtslos. »Ich werde euch nicht aus den Augen lassen. Wenn ihr versagt, muß ich es ausbaden.« »Das ist durchaus verständlich«, erklärte der Jüngere. Sie hatten den Bart entfernt, frische, aber gebrauchte Kleidung angezogen und sahen genauso aus, wie sich ein grämlicher Arbeitgeber seine neuen Vorarbeiter vorstellt. Vielleicht hatten sie sogar ein wenig übertrieben. Aber sie wollten ihm zeigen, daß sie keine Schmarotzer waren. Unter den Ärmeln der Kleidung jener Celester zeichneten sich harte Muskeln ab. Sie machten einen ehrlichen, offenen Eindruck. »Ich brauche euch, um dafür zu sorgen, daß die unersetzlichen Maschinen nicht überstrapaziert werden.« »Weise uns ein«, meinte Arien. Die Maschinen aus dem Nukleus würden sich auch hier bei dem ersten Versuch, ihre Geheimnisse aufzudecken, selbst zerstören. Keiner der drei hatte vor, sie auch nur anzutasten. Innerhalb der kurzen Zeit ihres Aufenthalts hatten sie zumindest einen Teil der Anlage auf den Funktionsdiagrammen kennenlernen können. »Niemand tastet die Maschinen an!« knurrte Puhlers. »Nicht einmal ich.« »Welche Maschinen?« »Ich zeige sie euch später. Die Psi-Zapfer und die Conserver. Dasselbe gilt auch für die Container.
Ihr kontrolliert die Energieströme und die Reparaturrobots. Ihr werdet später die Schleusen für die Jäger öffnen und schließen.« Nach einem ausgiebigen Frühstück hatte sie der Verantwortliche zum ersten Gespräch zu sich befohlen. Die drei Neuen hatten erkannt, daß jeder unter ständiger Beobachtung stand. Genauer: Puhlers konnte sich überall in die Überwachung einschalten. Aber auch er hatte nur zwei Augen. Arien schaute den Thater von der Seite an. Während des Raumflugs von Crynn bis an die Grenze dieses Sonnensystems hatte er seine Meinung über dieses Wesen zum Teil bestätigt gefunden, zum größeren Teil aber ändern müssen. Es wäre mehr als interessant gewesen, mit Atlan darüber sprechen zu können! Bolletz schien, was die Thater betraf, aus einer anderen Generation oder einem anderen Zweig zu stammen. Zweifellos war er grau und verwittert, von vielen Kämpfen gezeichnet. Der Versuch Ariens und seines Sohnes, zusammen mit Bolletz die neue Ordnung oder den Versuch dazu zu stabilisieren, war nicht weniger gefährlich. Der Thater schien der richtige Partner für diese Mission zu sein. Unruhige und von Angst erfüllte Überlegungen beherrschten die Celester. Sie waren allein, mitten in Gentile Kaz’ Herrschaftsbereich und ohne allzu viele Chancen. Bolletz war allein durch seine physische Stärke wie ein Fels in der sprichwörtlichen Brandung. Er sprach nicht viel über sich selbst und seine Gedanken. Aber wenn sie an ihn dachten, empfanden sie so etwas wie unerschütterliche Zuverlässigkeit. Womit dies zusammenhing, und warum es so war – das vermochten weder Arien noch sein Sohn klar auszusprechen. »Wir warten noch immer darauf, daß du uns sagst, was wir tun sollen«, erinnerte Arien den Vertreter der Facette. »Bisher hast du nur über Verbote gesprochen.« »Da hast du natürlich recht«, gab Puhlers zu und deaktivierte eine Serie von Schaltern und Kontakten. »Gehen wir.« Ein Lift brachte sie aus dem obersten Teil des Turmes in ein unterplanetarisches Geschoß. Stollen und Kammern, in den gewachsenen Fels geschnitten oder herausgebrannt, ließen ein System von Abzweigungen und Rampen aufwärts erkennen. Mit jedem Schritt prägten sie sich die Lage, die Bezeichnungen, Nummern oder farbigen Lichtmarkierungen ein. Die Fabrik war’ riesengroß. »Die Sicherheitsautomatik wird von einem hervorragenden Robotgehirn kontrolliert«, sagte der Vierbeinige. »Sie schützt uns. Je mehr ich sie prüfe, desto weniger Zeit habe ich für alles andere.« »Wenn du willst«, versicherte der Thater ruhig, »dann übernehme ich diese Kontrollen. Ein Planet ist schließlich nichts anderes als ein riesengroßes Raumschiff. Die Ortungs- und Verteidigungseinrichtungen unterscheiden sich nicht im Prinzip, sondern nur in der Kapazität voneinander.« Jeder weitere Schritt war Neuland. Vage zeichneten sich die ersten Möglichkeiten ab, in den Besitz von gefüllten Containern zu kommen. Der Thater hatte ihnen zu verstehen gegeben, daß Puhlers kein Telepath war. Für eine Überprüfung standen ihm nur orthodoxe Methoden zur Verfügung. Andererseits – was er ahnte oder dachte, das hatte ihnen Bolletz noch nicht mitteilen können. »Das traust du dir zu? Wir fahren ein Testprogramm«, sagte das vierarmige Wesen und behielt zwei Hände an den Kolben seiner Waffen. »Diesen Lift.« Sie kamen im Inneren des riesigen robotischen Organismus heraus. Bolletz hatte ihnen erklärt, daß er zwar nicht alle Einzelheiten, aber doch ein umfassendes Bild von Birzt und dessen Einrichtungen kannte. Das traf weitestgehend zu, denn er bewegte sich in der Zentralrobotik, als sei es ein Wespen-Raumschiff.
Nach einigen Minuten sagte er selbstbewußt: »Ich sehe, Puhlers, daß die Anlage hervorragend funktioniert. Ausgeschlossen die Sektoren…«, er nannte eine Anzahl davon und verzog seinen halbkreisförmigen Mund voller spitzer Zähne, »die zumindest genauer überprüft werden sollten. Teilweise arbeiten sie mit zuviel Impulsen, teilweise mit zu wenigen. Hier, hier und dort drüben – deutlich zu erkennen.« Halb erschrocken, halb erleichtert meinte Puhlers: »Du hast das Problem erkannt. Bis heute nacht wirst du alles in ausgewogene Beziehungen gebracht haben.« »Falls ich etwas nicht sofort begreife«, erklärte der Thater. »Wo und wie kann ich dich erreichen?« Der bepelzte Zentaurenartige nannte eine einstellige Anschlußnummer und winkte den beiden Celestern. »Ihr kommt mir ebenso recht. Hier entlang.« Er ließ Bolletz zurück, der sich schweigend und mit zielstrebigen Bewegungen an die Arbeit machte. Die Celester folgten dem Herrscher des Planeten und gelangten nach einigen Minuten in die eigentliche Fabrik. Ein Fließband der Schrecklichkeiten! Ein gläsernes System der Ruchlosigkeit! So empfand es Volkert Richardson, als er erkannte, was hier vor sich ging. Einige Dutzend Sekunden lang herrschte schwer zu deutendes Schweigen. Ganz links, abgeschottet durch massive Glaswände, befand sich das Reservoir der gefangenen Birzer. Ein riesiger, zylindrischer Käfig, voll von Tausenden und aber Tausenden kleiner, etwa unterarmlanger Wesen mit gut faustgroßen Köpfen. Sie waren possierlich und liebenswert; der Gedanke an Kinderspielzeug drängte sich unwillkürlich auf. Schlangen mit Baby-Robbenköpfen, durchfuhr es Arien. Sie wanden, drehten und wuselten durcheinander wie Fische in einem Teich, dessen Wasser abgelassen wurde. Eine unübersehbar große Menge von silbergrau bepelzten Wesen war hier hineingeworfen worden. Die untersten erfaßte ein Band mit klauenartigen Winkeln und transportierte sie durch gläserne Röhren in eine würfelförmige Maschine. Von diesem »Psi-Zapfer« gingen Drähte, Kabel oder Leitungen, dick und in mehreren Farben isoliert, in ein anderes Gerät, das ebenso wie das erste eine Kantenlänge von mehr als fünfzehn Metern besaß. Von dort wurden die Birzer, die sich nicht mehr regten, weitertransportiert. Arien zwang sich dazu, obwohl er die ersten Zeichen einer würgenden Übelkeit spürte, mit teilnahmsloser Stimme zu sagen: »Du scheinst auf Birzt keine Probleme mit den Psi-Komponenten zu haben, wie?« »Es geht«, erwiderte der andere. »Vorausgesetzt, man hält etwa dreitausend Jäger ununterbrochen in Bewegung.« Die Fabrik, die vollrobotisch aus Zellkulturen für drei unterschiedliche Planetenvölker Nahrung herstellte, dies auch in einiger Abwechslung, kannten sie. Sie hatten das Menü bereits genossen. Puhlers deutete nach rechts. »Dort werden die Psi-Inhalte konserviert, im nächsten Block in die Zellgewebe-Container umgepflanzt. Die Maschinen sind, wie schon gesagt, tabu. Seit vierzehn Jahren arbeiten sie ununterbrochen und ohne Ersatz.« »Wenig bewegliche Teile, schätze ich«, gab Arien zurück, um Puhlers von dem Gesichtsausdruck seines Sohnes abzulenken. Arien, mehr als vierundvierzig Jahre alt, fühlte das Grausen in sich hochsteigen. Dazu kam, daß die Planetarier ausgesprochen harmlos und lieb anzusehen waren. Hier
liefen unentwegt Verbrechen ab, und das würde nicht mehr lange so weitergehen. Das schwor er sich in diesen Minuten. Durch eine transparente Röhre glitten langsam und ruckweise die zylindrischen Psi-Container in eine versiegelte Maschine hinein. Auf der anderen Seite kamen sie, eine Meßeinrichtung passierend, wieder hervor und verschwanden in einem schwarzen Schacht. Arien schätzte, daß pro hundertzwanzig Minuten ein Container gefüllt wurde. »Vermutlich. Nicht dein und auch nicht mein Problem«, sagte Puhlers hart. »Hier ist das Kontrollpult für die mechanischen Einrichtungen. Traust du es dir zu, es zu überwachen, oder brauchst du Hilfe?« Arien Richardson musterte die Anordnung der Instrumente und Flußdiagramme, der Schaltungen und Leuchtfelder, dann antwortete er selbstbewußt: »Nicht gerade eine Kleinigkeit. Aber morgen wirst du, hoffentlich ausgeschlafen, sehen können, daß alles so läuft, wie es sich die Erfinder dieses lautlosen Karussells vorgestellt haben.« »Wollen wir’s hoffen«, antwortete Puhlers. Er wirkte verwundert und doppelt mißtrauisch. »Und du, Kleiner?« Frech gab Volkert zurück: »Vielleicht hast du noch einen Hof auszukehren. Dafür eigne ich mich besonders gut. Im Ernst: Ich habe mit dem, was ich bisher sah, keine Probleme.« Puhlers schüttelte den Kopf, winkte ihm und trabte voraus. Nach etwa zweihundert Metern traten sie in eine große, aber niedrige Halle ein. Hier arbeiteten hundert oder mehr Robots in allen Größen und Formen, beweglich oder stationär, an ebenso vielen Reparaturen. Quer durch die Halle verlief ein Programmierpult mit etwa vierzig Monitoren. Zwei von ihnen leuchteten rhythmisch in grellem Rot. »Beseitige das Problem!« ordnete das Sicherheitsorgan mit heiserer Stimme an. Er sah schweigend zu, wie der junge Celester versuchte, das Problem einzukreisen und zu eliminieren. Nach dreißig Minuten hatte er es geschafft, und, versehen mit neuem Nachschub, arbeiteten die Reparaturrobots weiter. »Gut«, kommentierte Puhlers widerwillig. »Mach weiter. Heute abend sehen wir uns wieder.« »Vermutlich schon früher«, gab Volkert vorlaut zurück. »Ich sehe keine größeren Probleme.« Puhlers winkte ab, trabte zurück zum Zentrallift und schlief, nach langer Zeit, vier Stunden lang tief und ohne Träume. Dann machte er sich daran, das Empfehlungsschreiben von Gentile Kaz zu überprüfen. * Arien Richardson hatte an diesem ersten Tag viel gesehen. Er merkte sich die kleinste Einzelheit. Er wußte, wer die Mhargan waren, die Ilbianer oder die Nyltings. Als der letzte Birzer die Maschinen passiert und »ausgeleert« nach draußen geschleudert worden war, schaltete Arien nach einer gründlichen Reinigung die verschiedenen Transporteinrichtungen ab und gab eine Liste von Reparaturaufträgen an die Hilfskräfte. Noch immer hielt ihn das tiefe Grauen gepackt. Die Zeit lief weiter; noch weniger als sieben Tage. Zwanzig Wespen warteten auf einen blitzartig vorgetragenen Überfall. Als Arien seine Kommandopulte verließ, sah es im Innern dieses Gebäudeteils ganz anders aus als
am Morgen. Seine Helfer, die sonst auf die Kommandos von Puhlers gewartet hatten, waren den ganzen Tag beschäftigt gewesen; ununterbrochen putzten und reinigten sie, schleppten Unrat hinaus und stapelten ihn nahe einer Sicherheitsschleuse zu einem großen Haufen. Arien ging hinaus. Es war später Abend, und im weiten Umkreis waren die Gebäude angestrahlt, die Verkehrsflächen beleuchtet, die Warnanlagen aktiviert. Nach vierzehn Stunden im Lärm und im Gestank empfand es Arien als Erholung. Et sog tief die frische Meeresluft in seine Lungen und ging zwischen dem klobigen Klotz des Containerlagers und dem Turm auf den Abfallstapel zu, der, etwa einen Kilometer weit, im Schatten einer Baumgruppe lag. Unterschiedliche Eindrücke bestürmten ihn. Diesem Treiben mußte ein Ende gesetzt werden. Gerade weil die Birzer harmlos waren und liebenswert aussahen, traf es ihn härter. Von den Helfern und in den wenigen Gesprächen mit den eiligen Jägern und Gleiterpiloten hatte er erfahren, wie die Birzer lebten, und daß ihre Artgenossen, die man des Psi-Potentials beraubt hatte, kleine Gruppen bildeten und sich absonderten. Auch die anderen Birzer schienen ihre Verwandten abzulehnen. Zumindest erkannten sie die Opfer der Jagd nicht mehr als ihresgleichen an. Die Station konnte zerstört werden. Er hatte in den Aufenthaltsräumen, die sich nahe der Steuerpulte befanden und ebenfalls vom angehäuften Schmutz langer Jahre befreit worden waren, einige Waffen gefunden. Jetzt ruhten sie, durchgesehen und mit gefüllten Magazinen, in einem scheinbar verschlossenen Schrank. Schoß er mit einer solchen Waffe in die lebenswichtigen Teile eines Psi-Zapfers oder eines anderen Geräts, würden sie sich selbst zerstören. »Ob das einen Sinn hat?« murmelte er. Gentile Kaz würde dafür sorgen, daß die Station so schnell wie möglich wieder aufgebaut werden würde. Die Geräte würden aus dem Nukleus herbeigeschafft und angeschlossen werden. Eine drastische Verzögerung, nicht mehr. Ohne daß er es gemerkt hatte, befand er sich in der Nähe des Zaunes, der mit drei verschiedenen Energiesystemen geschützt war. »Fremder!« zirpte eine Stimme von links. Arien blickte um sich. Er sah niemanden. Vor ihm breitete sich die strahlend hell erleuchtete Riesenanlage aus. Hoch oben im Turm sah er die Lichter hinter der umlaufenden Scheibe von Puhlers Kontrollstation und seinen privaten Räumen. »Ja?« murmelte er. Möglicherweise existierten hier auch Abhöreinrichtungen. Offensichtlich kümmerte sich in diesem Moment niemand um ihn. »Du bist gegen die Fabrik, nicht wahr?« Jetzt sah er im dichten Gras zwei Augenpaare, in denen sich das Licht spiegelte. Birzer! Wie waren sie hereingekommen? Konnten sie aus den Käfigen der Jäger entkommen sein? »Sie ist schrecklich«, bestätigte er leise. »Für euch.« »Du bist die Hoffnung, die ein anderer hier gelassen hat?« Die Birzer sprachen abwechselnd. Trotz ihrer Sprechweise, die an pfeifende Mäuse und Zikaden erinnerte, waren sie gut zu verstehen. Abermals vertiefte sich der kalte Haß gegen die Psi-Fänger in Arien. Hatte ein zufälliger Besucher den geschundenen Kreaturen etwa gesagt, daß sie eines Tages befreit wurden? Er zuckte die Schultern. »Darauf würde ich mich nicht verlassen, das weiß ich selbst nicht«, sagte Arien. »Woher kennt ihr
meine Einstellung?« »Ihr jagt uns wegen der Psi-Kräfte. So nennt ihr sie. Wir haben die Kraft. Wir lasen in deinen Gedanken.« In den letzten Minuten waren seine Gedanken tatsächlich nur bei diesem Thema gewesen und bei den Möglichkeiten, die Lage drastisch zu ändern. »Wir versuchen, dem Herrn der Fabrik zu schaden«, gab er schließlich leise zu. »Wir helfen dir. Ich bin Trecara, ein Birzer -Mann.« »Was sucht ihr? Lange haben wir alles beobachtet. Unsere Gänge sind überall. Ich bin die Gefährtin von Trecara. Mycara heiße ich.« »Wir wollen die…, es ist zu gefährlich, jetzt darüber zu sprechen«, sagte Arien und merkte, wie seine Unruhe stieg. Puhlers würde ihn vermissen und suchen lassen. »Ich muß gehen.« »Morgen an derselben Stelle?« »Wenn ich es schaffe!« versprach er. Mycara und Trecara huschten raschelnd davon und verschwanden in einem unterplanetarischen Stollen. Also war auch dieser Zaun zu überwinden – allerdings nur für Birzer. Arien ging weiter und passierte schließlich, nach einem großen Umweg, den Bunker der schwer bewachten Container. Er war zu zwei Dritteln in den Fels eingebaut und würde selbst schweren Angriffen, etwa mit Schiffswaffen, widerstehen. Die Tore waren klein und gepanzert, und es wimmelte von Robotern mit aktivierten Waffenarmen. Vorsichtig hielt sich Richardson außerhalb der deutlich gekennzeichneten Abstandslinie. Bolletz war da, aber Volkert schien noch mit seinen Reparatureinheiten beschäftigt zu sein. Hier, in ihren Quartieren, war es selbstmörderisch, sich über ihre Pläne zu unterhalten. Sie sprachen, während sie mit geringem Appetit aßen, über die Probleme dieses ersten Arbeitstags.
6. Bolletz hatte keine Stunde versäumt, um den Kontrollraum in seinem Sinn zunächst auf die Möglichkeiten zu untersuchen, dann seine Kenntnisse anzubringen. Er besaß weder Bomben noch Sprengstoffe, und mit seiner eigenen Waffe konnte er das Robotgehirn nicht zerstören. Zwei Stunden nach Arbeitsbeginn hatte er von Volkert eine Putzkolonne angefordert und eine qualifizierte Reparatureinheit. Hinter und unter den Schaltschränken, den Speichern und Rechnereinheiten lagen eine Handbreit hoch öliger Schmutz, Lappen, Kabelenden und ein weiteres Sammelsurium von Abfällen und Resten. Beim Säubern, das stellenweise mit ätzenden Säuren vor sich ging, entstanden einige Kurzschlüsse. Kabel lösten sich aus den Steckverbindungen. Anhand des Energie-Fließdiagramms deaktivierte der Thater einzelne Blöcke, nachdem er, um ihre Leistung weiterhin zur Verfügung zu haben, Reserveeinheiten ins Netz schaltete. Erste Veränderungen konnte er selbst anbringen. Einige Schalter gehorchten schon bald dem Programm, das er schrieb. Wenn sie sich bewegten, leiteten sie Hochleistungsströme in Rechnerteile, die mit weitaus weniger Leistung arbeiteten. Natürlich waren die Reinigungsarbeiten an diesem Abend längst nicht beendet. Die Säuren, die wegen der giftigen, zerfressenden Dämpfe verdünnt und neutralisiert werden mußten, befanden sich im Innern des Robotgehirns. Bolletz war sicher, daß er während des ganzen Tages von Puhlers auf das genaueste kontrolliert wurde, und er las Puhlers mißtrauische Gedanken. Aber wahrscheinlich freute den Verantwortlichen, was er sah: Neue Sauberkeit breitete sich unübersehbar aus. Bolletz war kein gelernter Saboteur. Aber er wußte, daß durch gleichzeitig erfolgende Schläge diese gesamte Fabrik in ein Trümmerfeld verwandelt werden mußte. Fügte man die Zeit hinzu, die für den reinen Raub der Container – waren es fünfzig, hundert oder mehr? – gebraucht wurde, samt Landeanflug, Landung, Umladen und Start, dann gab es nichts anderes als eine Stunde Chaos. Weniger würde nicht reichen, mehr war sinnlos und von drei Männern nicht mehr beherrschbar. Der Ort, an dem er arbeitete, besaß Schlüsselposition. Und sie waren noch längst nicht soweit. Als nächstes überlegte sich der Thater eine Möglichkeit, die planetaren Abwehrmechanismen irrezuführen. Er programmierte ein Ziel, das es gar nicht gab. Die Technik entsprach einem Trainingsangriffeines beliebigen Raumschiffs, und das Robotgehirn würde diesen Befehl für eine Routineprüfung halten und durchführen. Zusätzlich baute Bolletz in den Nebencomputer das volle Energiemagazin einer Waffe ein, die er in einem Sessel gefunden hatte; vermutlich von Puhlers irgendwann liegengelassen. Alle diese Vorgänge waren durch ein Kontrollwort kodiert. Nur er wußte es. Niemand konnte die Sabotage herausfinden, abgesehen von einer gründlichen Untersuchung, bei der man das Magazin und den fast unsichtbaren Auslöser natürlich entdecken würde. Am frühen Nachmittag machte Bolletz einen ersten Probedurchlauf und las die notierten Fehlerquellen am Sichtschirm ab. Es war einiges getan worden. Noch mehr mußte er sich einfallen lassen. Und er hatte niemanden, den er fragen oder um Unterstützung bitten durfte. Und die Drohung, die fast greifbar über ihm hing, wurde stärker.
* Ulmuch-thun blieb unter dem weit vorspringenden Dach des Turmes stehen, knickte seine langen Ohren nach vorn und tippte mit dem dreieckigen Fingernagel gegen die Kontaktplatte. Vom Bildschirm herunter fragte Puhlers grimmig: »Was willst du?« Immerhin hatte er den obersten Mhargan-Jäger erkannt. »Mit dir sprechen«, sagte der zwei Meter große Mhargan. »Worüber? Ich bin müde und muß noch den Neuen Anweisungen geben.« Die Stimme klang durch den Lautsprecher noch unangenehmer als über Funk. »Es geht um Hie Neuen, Puhlers«, antwortete der Jäger. Wie alle seine Artgenossen verfügte er über eine gutturale Stimme, die zwischen den drei Lippenteilen seines Mundes hervorkam. »Herein mit dir«, sagte Puhlers und fügte einen Fluch hinzu. Mit dem Lift fuhr der Jäger hinauf und blieb stehen, weil er nicht zum Sitzen aufgefordert wurde. Puhlers funkelte ihn an. »Was ist los, Ulmuch?« Ulmuch-thun, der es haßte wie die schwarze Pest, wenn er nicht mit seinem ganzen Namen angesprochen wurde, beherrschte sich mühsam, kreuzte die langen Vorderbeine über dem Zeichen der Gabel auf seiner Jacke und fing an. »Sie spielen sich auf, als wären sie die Herren hier. Sie verbieten uns, diesen Weg zu nehmen und schreiben einen anderen vor. Überall stinkt es nach irgendwelchen scharfen Dingen, mit denen die Ilbianer und die Nyltings putzen. Sie sind alle verrückt.« »Noch etwas?« »Der Thater ist der Schlimmste. Viermal haben meine Leute heute vor den Schleusen warten müssen, Überprüfung der Sicherheitsmaßnahmen, sagte er. Als wir ihn bedrohten, hat er gesagt, daß er uns um die Zaunpfosten wickelt. Und wenn wir nicht genug Beute bringen, dann bestrafst du uns. Ist das richtig? Will das die Facette?« Schweigend hörte der Vierarmige zu und zeigte schließlich auf drei riesige Bildschirme. Die dazugehörigen Aufnahmegeräte schwenkten ständig hin und her und blickten in jeden Winkel von drei großen Hallen. Die Wiedergabe war stechend scharf, dreidimensional und farbig. Der Jäger kannte diese Bilder – aber nicht so. »Was siehst du?« fragte Puhlers grollend. Ulmuch-thun schüttelte sich. Die großen Säugetieraugen schienen noch größer zu werden. Die Ohren hingen traurig nach den Seiten. Er stotterte etwas, weil er den Sinn der Frage nicht ganz begriff. »Ich werde dir sagen«, begann Puhlers, »was wir sehen. Es ist so: Seit die drei Neuen da sind, gibt es zum erstenmal so etwas wie Ordnung und Sauberkeit in der Reparaturhalle und dem Zapfer.« Er holte Luft und wurde lauter. Ulmuch-thun ging zwei kleine Schritte rückwärts. »Sie schuften wie die Rasenden. Der Mist, den ihr in Jahren hereingebracht habt – dort draußen liegt er. Die Verbindungen funktionieren wieder besser. Sie scheuen sich nicht, unter die Geräte zu kriechen und selbst anzupacken. Sie haben schon heute den Lohn von einem Monat verdient.«
Puhlers schrie jetzt fast. Seine Augen traten hervor. Er hob alle vier Arme und schüttelte drohend die Fäuste. Ulmuch-thun wich zum Schott zurück. »Ich weiß, daß jeder Neue ein Risiko ist. Ich weiß aber auch, daß sie bis jetzt eben mehr geleistet haben als jeder von uns. Endlich kann ich einmal ausschlafen. In ein paar Tagen wird die Station laufen, als ginge alles von allein. Und warum? Weil ich endlich ein paar Leute bekommen habe, die weiter denken als bis zu ihrem Essen. Klar? Und wenn sie wieder etwas zu dir und deinen stinkfaulen Schlangenjägern sagen, dann senke den Kopf und freue dich darüber.« »Hinaus!« Das letzte Wort hatte er im schrillen Diskant hervorgestoßen. Abwehrend hob Ulmuch-thun die Arme und stolperte durch das aufgleitende Schott in den Vorraum. Er schüttelte verwirrt den Kopf und entfernte sich schweigend. Er würde sich noch mehr gewundert haben, wenn er gesehen hätte, was Puhlers wirklich tat. Ein Dekoder hatte die drei eingeätzten Lebensläufe abgetastet und ausschreiben lassen. Tagsüber hatte Puhlers den Text immer wieder studiert und versucht, Hinweise für sein ständig wachsames Mißtrauen zu finden. Drei Gelegenheitsarbeiter, die durch verschiedene Zufälle in Auseinandersetzungen hineingezogen worden waren. Kämpfe waren an der Tagesordnung; kein Grund, um zu stutzen. Immer wieder drehten sich seine Gedanken um den Thater. Er war einfach zu gut, zu vielseitig ausgebildet. Noch zögerte er, das Archiv auf Kardoll anzurufen und eine Überprüfung vornehmen zu lassen. Die Neuen arbeiteten wirklich wie die Rasenden! Plötzlich hatte er keine Lust mehr, sich um den Bericht der automatischen Fabrik zu kümmern, die Nahrungsmittel für die mehr als dreitausend Wesen produzierte, portionierte und ausgab. Das sollte morgen Arien machen. Gleiterreparaturen? Nachschub für die verschiedenen Waffen? Andere kleine Probleme? Eine Arbeit für Volkert. Blieb Bolletz und das Robotgehirn. Es hatte heute mehr Probeläufe gefahren als sonst in einem halben Jahr. Die Kampf- und Abwehrbereitschaft war gegeben. Und wenn tatsächlich ein Selbstmordkandidat den Planeten anflog, würde er, Puhlers, von den lärmenden Signalen auch aus einem Tiefstschlaf aufwachen. Er schaltete ab, was nicht mehr gebraucht wurde. Noch einen Blick in die Quartiere der Neuen! Volkert las in einem Buchwürfel. Bolletz und Arien gähnten und spielten Karten. Auf dem Tisch erkannte Puhlers den Versuch eines Schaltschemas. Bolletz hatte also mit dem Roboter das eine oder andere Problem. Also war er doch nicht so gut, wie es schien.
7. VERSCHWÖRUNG: Bolletz, Arien und Volkert Drei Stunden vor Morgengrauen war alles ruhig; jedermann schlief und erholte sich von den Anstrengungen. Es war undenkbar, daß die Fremden abgehört, wurden. Arien hatte seinem Sohn in einer Mischung aus Deutsch und Englisch erklärt, was er herausgefunden hatte. Volkert berichtete seinem Vater auf dieselbe Weise. Ausgeschlossen, daß jemand diese Sprachen kannte. Nicht einmal Gentile Kaz, wenn man ihm dieses Band vorspielte. »Wann?« fragte der Thater. Sie hatten die Stiefel ausgezogen und stapften durch Sand und knietiefes Wasser. Einen weiten Steinwurf weiter draußen ragten die Säulen und die Zäune aus den Wellen. Das Geräusch des Wassers verschluckte jedes Wort. Und einen Spaziergang konnte ihnen niemand verbieten. »Auf alle Fälle in der Nacht. Größere Verwirrung!« sagte Arien. »Der Sender ist zusammengebaut. Einmalgerät.« »Wissen wir. Das Band fertig?« »Bereit, aber noch nicht besprochen. Der Bunker ist das Problem.« »Auch erkannt«, antwortete Arien. Auch er hatte sich den ganzen Tag den Kopf zermartert, wie man den Bunker knacken und somit an die Container herankommen konnte. »Dein Roboter«, sagte Volkert. »Hast du ein Programm, das anspricht, wenn im Innern des Containerbunkers eine Panne passiert?« Der Thater schlug wütend eine Faust in die Handfläche. »Die Lösung«, brummte er. Das Wasser war frisch und angenehm. Per Widerschein der Lichtflut aus der Psi-Station lag auf den Wellenkämmen und den weißen Schaumkronen der Brandung. Ein herrlicher, unberührter Planet! »Also: Morgen nacht ist es noch zu früh. Wir müssen jeden Punkt fest im Griff haben. Das braucht Zeit«, erklärte Arien. »Die Birzer wollen uns helfen. Wie und mit welchen Mitteln, das ist fraglich.« Er berichtete, was er mit Mycara und Trecara erlebt hatte. Die Freunde wußten ebenso wenig wie er, was sie davon zu halten hatten. Daß einzelne Birzer gelernt hatten, die hier vorherrschende Sprache allein durch Hören und Vergleichen benutzen zu können, war im Bereich des durchaus Möglichen. Darüber machten sie sich keine Gedanken. Wichtiger war, daß Mycara festgestellt hatte, welche innere Einstellung Arien zu dem Massenmorden mit sich herumtrug. »Viel Zeit ist nicht mehr«, mahnte Bolletz. Er hatte das Mißtrauen von Puhlers gespürt. »Noch haben wir mehr als sechs Tage. Kann verdammt viel geschehen. Die Helfer sind in einer Stunde da.« »Vorausgesetzt«, antwortete Arien seinem Sohn einschränkend, »Puhlers deckt unsere Fälschungen nicht auf.« »Das wäre fatal.« »Die Untertreibung unseres Lebens«, brummte der Thater. »Übrigens, ihr Celester seid tatsächlich ganz brauchbar. Hätte ich vorher nicht gedacht.« Volkert und Arien blieben ruckartig stehen und sahen sich überrascht an. Welch ein Sinneswandel
bei diesem, riesigen, erfahrenen Kämpfer! »War das etwa ein Kompliment?« fragte Arien nach einer Weile. »Eine Feststellung. Meine ich ernst.« »Danke«, knurrte Arien. »Du bist auch ganz gut. Vorausgesetzt, du findest einen Weg, den Container-Bunker zu knacken.« »Morgen abend, oder besser heute nacht, wieder hier?« »Klar. Hier sind wir unbelauscht.« »Bis dahin habe ich gefunden, was wir brauchen.« Ihre Spuren waren deutlich zu sehen. Sie führten vom letzten Punkt des von Unrat und Schwemmgut bedeckten Weges zum Sand und bis in die Brandung hinein. Die Stiefel standen zwischen Wasser und trockenem Streifen, paarweise nebeneinander. Die Spuren führten durch den kühlen, feinkörnigen Sand weiter bis zum Wasser, worin sie verschwanden. Fluoreszierende Organismen bildeten in der auslaufenden Brandung Schleier, Linien und willkürliche Muster, die sich sekundenschnell änderten. Birzt lag unter dem überwältigenden Licht von Tausenden Sternen. Dazwischen bildeten sich Strukturen ab, aus Staub bestehend oder aus glühenden Gasen oder aus fernen Sonnen, die so sichtbar dicht aneinander standen, daß sie wie funkelnde Linien und Nester aus Diamantstaub wirkten. Die energetischen Sperren um den Planeten waren unsichtbar. Der Wind trug die Laute von Nachtvögeln heran, die es wagten, nahe der Umzäunung zu jagen. Die Fabrik zur Füllung der Psi-Container war in dieser Landschaft ein absoluter Fremdkörper. Die brutale Nicht-Architektur drückte genau das aus, was diese Bauten für die Planetarier bedeuteten: Verfolgung, Jagd und Verbrechen. Am äußersten Punkt des Strandes, der durch Mauern und Gittergeflechte abgesperrt war, kehrten die Fremden um. »Du kümmerst dich um die Störung der Planetenforts und um den Container-Terminal«, bestimmte Arien und deutete auf Bolletz. Der Thater stimmte lautlos zu. »Wir erledigen den Rest. Ab morgen abend brauchen wir die Armbandfunkgeräte .« »Alles klar.« Schweigend wanderten sie zurück, zogen die Stiefel an und kamen unbelästigt zurück in ihre Quartiere. * Der Bildschirm zeigte das Innere des Bunkers. Prüfend wanderten die Augen des Thaters über die Ansichten, Vergrößerungen und die veränderten Winkel. Die Halle, nicht sonderlich beeindruckend, hatte einen glatten Boden, auf dem die Container standen. Wenn Puhlers ihn gerade jetzt kontrollierte, würde sein Verdacht wachsen, sagte sich Bolletz. In den wenigen Stunden der Nacht, in der er keinen Schlaf mehr gefunden hatte, beschäftigte sich der Thater mit Überlegungen, die ihm bis zum heutigen Tag reichlich fremd gewesen waren. Er dachte nach: Über sein bisheriges Leben und die Erlebnisse, die er fast gedankenlos überstanden
hatte. Als er genug vom Innenraum des Bunkers gesehen hatte, schaltete er auf andere Beobachtungen um. Jeder, der sich den Containern ohne eine entsprechende Legitimation näherte, wurde getötet. Unzählige Roboteinrichtungen registrierten auch winzigste Eindringlinge. Während in dem großen Kontrollraum und zwischen den Computerelementen weiterhin gereinigt und aufgeräumt wurde, während mächtige Ventilatoren die ätzenden Dämpfe absaugten, suchte Bolletz ein Programm. Schließlich, nach vielen Ansätzen, fand er es. Die Unsichtbaren kamen, um die Container abzuholen. Wenn das Robothirn deren Ankunft registrierte, wurden sämtliche Sicherheitseinrichtungen unwirksam. Es galt, einen Zugang zu diesem Programm zu finden. Die Schaltungen konnten nicht einmal von dem Hauptpult aus gesteuert werden. Wie konnte die Ankunft der unsichtbaren Roboter simuliert werden? Roboter patrouillierten rund um den Bunker, der etwa zehn Stapel mit je zehn gefüllten Containern enthielt. Projektoren und Strahlen schützten den Innenraum, aber sie würden die Container nicht treffen. Der Thater fuhr mit seiner »normalen« Arbeit fort und überprüfte ein Subsystem nach dem anderen. Je mehr die Zeit fortschritt, desto besser arbeiteten die einzelnen Stellen. Er fand eine Möglichkeit, die Wachroboter zu steuern, und merkte sich die Schlüsselwörter. Damit war das Problem noch lange nicht gelöst. Aber Bolletz war hartnäckig, und er war noch lange nicht verzweifelt. Er schwor sich, eine Möglichkeit zu finden, die es der Flotte erlaubte, die Container einzuladen und so schnell zu verschwinden, wie sie gekommen waren. * Nach rund eineinhalb Tagen wurde Puhlers das alles zuviel. Er wußte nicht, aus welchen Gründen er plötzlich sicher war, daß zumindest der Thater ein Verräter war. Er konnte es wirklich nicht sagen. Die Jagden verliefen schnell und erfolgreich. Die Jagdgleiter, auch diejenigen, die von einem weit entfernt durchgeführten Einsatz unter schwersten Bedingungen zurückkamen, waren schwer beladen und hervorragend gewartet. Es gab keine Pannen mehr. Sämtliche Werte, die der Verantwortliche für Birzt abrief, waren einwandfrei. Die Bereiche, in denen die Neuen arbeiteten, funkelten inzwischen vor Sauberkeit. Irgend etwas stimmt nicht. Die Neuen waren zu perfekt. Zu schnell. Zu selbstsicher. An einem bestimmten Punkt fing Puhlers zu handeln an. Instinktiv wußte er, daß es nur noch eines winzigen Funkens bedurfte – und dann explodierte etwas. Puhlers wußte, daß er den wertvollsten Besitz der Facette Gentile Kaz besaß. Psi-Potentiale in solchen Mengen waren so gut wie unersetzlich. Er stellte alle Daten der drei Männer zusammen, die er auf dem Auszeichnungsschreiben der Facette besaß, fügte einige Beobachtungen hinzu und schnitt den Text auf einen Datenträger. Er tippte gerade die Bitte um schnellstmögliche Überprüfung, als sich der Thater aus der
Robotstation meldete. »Du mußt, glaube ich, zu mir kommen. Ich habe eine Unregelmäßigkeit entdeckt.« Puhlers sprang auf und winkte zwei Robotern. Es waren seine persönlichen Gardisten, die wachsam blinkend näherkamen. »Unregelmäßigkeit? Was bedeutet das?« Der Thater hob die Arme in einer Geste der Unschlüssigkeit und erwiderte: »Ich bin kein so großer Roboterspezialist. Auch Arien konnte nicht helfen. Die Mechanik blockiert den nächsten oder die nächsten vollen Container. Sie schieben sich auf dem Band in den Bunker zusammen. Ich habe das Band vorläufig gestoppt und finde den Grund nicht.« Tatsächlich hatte die Transporteinrichtung im Lauf der letzten Jahre zweimal versagt. Auf dem Kontrollbildschirm, den auch Puhlers einsehen konnte, stand die Störung verzeichnet, aber nicht der Grund. Da der Thater nicht damit fertig geworden war, schien die Ursache tiefer zu liegen. »Ich komme!« sagte er und fuhr hinunter. Auf dem Weg zur Schaltstation, einem Kubus direkt neben der Kuppel des Robotgehirns, sah er an vielen Stellen die Auswirkungen entschlossener, arbeitsamer Männer, die den Blick für das Wesentliche besaßen. Und er fühlte sich so gut ausgeschlafen wie schon seit langer Zeit nicht mehr. Das Schott zum Überwachungsraum stand offen. Bolletz erwartete ihn in der Anlage, die teilweise aussah, als sei vor wenigen Tagen eingerichtet worden. Überall standen noch die Werkzeuge der Putzkolonnen und einige Kanister der ätzenden Flüssigkeit herum. »Hier«, sagte der Thater. »Du mußt mir helfen. Ich bin fast sicher, daß es einer der letzten Schwachpunkte ist.« »Man wird sehen.« Das Transportband führte vom geschlossenen und versiegelten Ausgang der letzten Maschine, in der die Psi-Potentiale in das unintelligente Zellplasma der Container gepfropft wurden, bis zur Stapeleinrichtung. Natürlich lief das Band durch Röhren im Fels und durch stählerne Kammern, sicher vor jedem Zugriff. Auf Monitoren konnte man die einzelnen Container sehen, und Kontrollschirme zeigten auch die Störungspunkte. Der Verantwortliche stand vor den Pulten und versuchte sich an den Kode der Störungsanalyse zu erinnern. Dann fand er ihn, und zusätzliche Schirme erhellten sich. Die einfache Konstruktion war durch einen ausgefallenen Servomotor blockiert, fanden sie nach wenigen Minuten heraus. Puhlers führte einige Schaltungen durch. Aufmerksam sah ihm Bolletz über die Schultern. Das Band lief rückwärts. Die gefüllten Container, die darauf standen, wurden innerhalb des von Arien kontrollierten Gebäudes vom Band genommen, ehe sie wieder die rückwärtige Schleuse des Psi-Containerfüllers erreichten. Im Bunker fing der automatische Stapler zu arbeiten an. Bolletz mußte sich zusammenreißen, um nicht einen Laut der Überraschung auszustoßen. Er hatte die Lösung. Fasziniert sah er zu, wie die gesamte Anlage einige Zeit lang rückwärts lief. Dann, als der Reparaturrobot heranglitt und den Servomotor mit sich schleppte, schaltete Puhlers das System ab. »Man kann nicht alles wissen«, sagte er. »Der Motor hat mir schon einmal Sorgen gemacht. Warten wir.«
Bolletz nickte und prägte sich noch einmal die einzelnen Abläufe dieser Schaltung ein. Dann erkundigte er sich in beiläufigem Ton: »Nun, sind wir unser Geld wert?« Puhlers knurrte etwas Unverständliches. »Ihr arbeitet gut. Das habe ich erwartet und gefordert.« »Was soll ich unternehmen, wenn ich hier keine Arbeit mehr habe?« Die Pranke des Thaters machte eine Bewegung, die den Raum umfaßte. Ohne den Blick von dem arbeitenden Robot zu nehmen, erwiderte der Vierbeinige: »Weiß ich noch nicht. Das hängt nicht nur von mir ab. Keine Sorge, es wird sich Arbeit finden. Zuerst werdet ihr den Abfall und den Schmutz nach draußen schaffen. Arien und Volkert sind nicht so weit wie du.« »Dann gehe ich und helfe ihnen«, nickte Bolletz. Bisher war Puhlers gleichmäßig unfreundlich gewesen, sagte er sich. Genauso grimmig wie mit den Neuen verhandelte er mit den Jägern und mit allen anderen. In den letzten Stunden, seit der Nacht etwa, hatte sich sein Verhalten geändert. Mit Wesen dieser Rasse hatte Bolletz so gut wie keine Erfahrung; er konnte die feinen Zeichen sicher nicht völlig richtig deuten. Aber in diesem Punkt war er sicher: Der Vierbeinige hatte Verdacht geschöpft. Vermutlich hatten sie zu schnell und zu gut gearbeitet. »Wir haben uns abgesprochen«, sagte er schließlich. »Jüngst, beim Spaziergang. Wir wollten dir zeigen, was wir können. Du hast es gesehen.« Der Robot war mit dem Auswechseln des Motors fast fertig. »Ich hab’s gesehen«, gab Puhlers zu. »Was willst du damit sagen?« »In der nächsten Zeit werden wir es langsamer angehen lassen. Einverstanden? Und auf die Jagd wollen wir auch mitgenommen werden.« »Muß ich mir erst überlegen«, gab Puhlers zurück. »Ihr seid nicht die Wichtigsten hier. Ich bin auch nicht wichtig. Wichtig sind nur die Container.« »Das sehe ich nicht anders«, brummte der Thater und versuchte die beiden schwebenden Wächterrobots zu ignorieren. »Aber jedes Container-Problem ist automatisch dein Problem. Und dann auch das deiner Untergebenen.« »Es ist richtig, was du sagst. Darüber mache ich mir heute keine Sorgen. Der Robot ist fertig. Die Störung ist behoben.« Geschickt glitten seine Finger über Tasten und Sensoren. Die rückwärts abgelaufene Bewegung kehrte sich abermals um. Der Stapler holte die Container wieder vom Band und stellte sie übereinander. Das. Band lief erschütterungsfrei weiter. Die andere Automatik packte die Container aus dem stahlkammerartigen Raum, in dem sie zwischengelagert worden waren, wieder auf das Band. Aus der Psi-Maschine kam ein gefüllter Behälter und wanderte wie die anderen langsam in den Bunker. Der Mechanorobot schwebte in seine Zelle zurück. Bolletz merkte sich die Zeit, die ein Container von der Maschine bis zum fertigen Stapel brauchte. Es waren dreißig Sekunden. »Dank für die Hilfe«, sagte er, als sich Puhlers schließlich umdrehte. »Am Nachmittag organisiere ich den Abfall.« »Ruht euch nicht auf den lausigen Erfolgen aus«, drohte Puhlers in gewohnt harscher Art und entfernte sich, gefolgt von den Robotern. Jetzt wußte Bolletz, daß der Chef dieser Station irgend
etwas gemerkt haben mußte. So schnell wie möglich bereitete er seine Schaltungen vor. Sie mußten schon diese Nacht losschlagen. Die Zeit drängte nicht nur, sie raste. Auf dem Weg zwischen Schaltstation und seiner Klause konnte Puhlers niemanden überwachen. Mit großer Konzentration arbeitete der Thater an den Kontrollen und wiederholte im wesentlichen die Schaltungen, die er von Puhlers gelernt hatte. Noch elf Birzt-Stunden! Ohne sonderliche Eile beseitigte er die letzten Spuren der Reinigung, stellte die Säurebehälter in einen uneinsehbaren Winkel und verließ nach einem abschließenden Testlauf die Kontrollstation. Gemütlich schlenderte er die dreihundert Schritt hinüber zu Ariens Arbeitsstelle.
8. Bolletz stieß das Schott zur Seite. Seine massige Gestalt füllte den Rahmen fast aus. Langsam drehte sich Arien herum und hob grüßend die Hand. »Dein neuer Lehrling«, sagte der Thater und deutete auf seine Brust. »Puhlers hat tatsächlich schlechte Laune. Wir arbeiten zu schnell.« Das war eine Warnung, an Arien gerichtet. Arien verstand, nickte und deutete auf eine massive Kiste, die mit schrottreifen Bauteilen gefüllt war. »Dein Sessel. Du bist fertig?« »Es scheint so. Alles arbeitet wieder automatisch.« »Hier noch lange nicht.« Es war unmöglich, sich miteinander zu verständigen. Bei dem kleinsten Beweis für ihren Verrat würde Puhlers mit einem Schwarm Roboter über sie herfallen. »Kann ich dir helfen?« »Ja. Treibe die Kommandos dort vorn an. Sie arbeiten an der Reinigungsanlage. Der Wasserdruck ist noch zu niedrig. Ich finde die Pumpen nicht, die hier im Ersatzteilverzeichnis stehen.« »Bis Mitternacht oder zwei Uhr sollten wir auch hier fertig sein? Oder brauchst du noch mehr Unterstützung?« Der Tonfall des Thaters und der Umstand, daß er gesprochen hatte, als die Mhargan-Reparateure einen höllischen Lärm mit einem Rohrstapel vollführten, alarmierten Arien. Bolletz hatte gute Gründe, ihm zu erklären, daß die Schiffe heute nacht um zwei Uhr angreifen mußten. Bolletz bewegte sich schnell ans vordere Ende der riesigen Halle, rief den Kommandos aufmunternde Worte zu und packte selbst mit an. Er räumte auf, daß die Uniformierten auf ihren langen Beinen erschreckt zur Seite sprangen. Als der Hallenboden leer und alles auf einen uralten Lastengleiter verpackt war, stürmte er ins Ersatzteillager und begann dort aufzuräumen. Im Lauf einiger Stunden arbeitete er sich durch das gesamte Bauwerk, bis er schließlich in der Nähe der Kammer stand, in der die Container bei einer Störung standen. Riegel und Schlösser waren massiv, aber für die geeigneten Geräte kein echtes Hindernis. An den Wänden stapelten sich ringsherum die leeren Container. Als die Putzkolonnen mit ihren Maschinen ihn erreichten, ließ er die Mhargan einen Teil der Behälter zu exakten Stapeln aufstellen, griffbereit für die Arme und Saugvorrichtungen der Stapelanlage. Ab dem Augenblick, als Puhlers in seiner Station gewesen war, gab es für den Thater keine überflüssigen Gedanken und keine Handgriffe, die nicht wichtig für ihr Ziel waren. Immer wieder, während er arbeitete und einen einigermaßen unbeschwerten Eindruck zu machen versuchte, rief er sich die einzelnen Punkte ins Gedächtnis zurück, schätzte Entfernungen und Zeiten ab, verglich die Wirklichkeit mit seinen Überlegungen und bezog die Celester in den Plan ein. Er war, als es dunkelte, noch immer nicht sicher, ob alles programmgemäß ablaufen würde. * Noch schwankte Puhlers, wie er sich entscheiden sollte.
Seit Jahren leitete er diese Station. Sie erforderte seine ganze Kraft. Es gab für ihn keine Erholung, sondern eine unendlich lange Kette von Tagen, deren Ablauf sich wiederholte wie die Ziffern eines Chronometers. Das Hyperfunkgerät war eingeschaltet. Der Sender war auf Kardoll ausgerichtet; der Text seiner dringenden Anfrage war gespeichert. Auf der Hauptwelt würde er in Erfahrung bringen, was die Neuen verbargen – falls sein Verdacht zutraf. Traf er nicht zu, dann hatte er drei wertvolle Helfer gewonnen, die sein Leben erleichterten. »Ich werde es riskieren!« sagte er und aktivierte den Sender. Energie strömte in die Sender und die Antennen. Der Hyperfunkspruch ging nach Kardoll ab. Es dauerte nur Sekunden, bis auf dem Schirm die Antwort erschien. DRINGENDE ANFRAGE PERSONEN B, A UND V ERHALTEN. NACHFORSCHUNG BEGINNT. ANTWORT IN CA. DREI STUNDEN. ARCHIV ÜBERLASTET. KARDOLL. Puhlers war über seinen eigenen Entschluß erleichtert, rastete die Taste auf Empfang ein und gönnte sich eine Stunde Schlaf. Als er aufwachte, fühlte er sich müder als zuvor. Er sah sich schweigend und mit roten Augen um. Die Antwort war noch nicht eingetroffen. Sämtliche Roboter in seinem Kontroll- und Wohnbereich, die etwas mit seiner Sicherheit zu tun hatten, waren aktiviert. Er musterte die drei Monitoren, die auf jene Räume geschaltet waren, in denen die Neuen wohnten. Der Thater lag unter einer Decke und schlief. Die Celester aßen und sprachen miteinander. Auch sie wirkten müde. Puhlers hörte ihrer unwichtigen Unterhaltung eine Weile zu und drosselte dann den Lautstärkepegel. Er ließ sich eine einfache Mahlzeit zubereiten und aß selbst. Seine Unruhe wuchs mit jeder Minute. Er wartete – unschlüssig und verwirrt. * Unter der dünnen Decke bewegten sich nur die Finger des Thaters. Aus Teilen seines Raumanzugs, aus Dingen, die wie kosmetisches Zubehör aussahen, winzigen Drahtstückchen und einer weiteren Anzahl von Gegenständen unterschiedlicher Größe versuchte Bolletz zu wiederholen, was er an Bord der Wespe bis zum Überdruß geübt hatte. Langsam und methodisch erweiterte er das entstehende Gerät Stück um Stück. Mit den Fingerkuppen tastete er die kleinen Zeichen auf den getarnten Einzelteilen ab und steckte sie ineinander und aneinander. Das Ding darf nicht versagen! Wenn es versagt, bin ich schuld! Es gibt nur einen Versuch! Bolletz arbeitete weiter. Es war der vierundzwanzigste und letzte Versuch. Ihr Leben und unendlich viel mehr hing einzig und allein von ihm ab. Nach einer quälend langen Zeitspanne fanden seine Finger kein Einzelteil mehr, und als er den winzigen Hyperraumsender noch einmal abtastete, sagte ihm die Erinnerung, daß er es geschafft hatte.
Unter der Decke öffnete er ein Auge, drückte einen Testknopf und sah die Bereitschaftslichter in der richtigen Reihenfolge aufleuchten. Ein Blick zum Chronometer. Noch war genügend Zeit. Mit tödlicher Sicherheit gab es Antennen, die auch das kürzeste Hyperraumsignal auffingen. Selbst wenn Puhlers nicht verstand, was gesendet worden war, bedeutete es für ihn, daß die drei Neuen Verräter waren. Der Thater versuchte sich zu entspannen, ehe er die Botschaft eintippte. Zwischen Houlart, Kimnon und ihm war ein Kode abgesprochen worden, der nicht einmal von einem Gigant-Computer geknackt werden konnte. Das erste Zeichen bedeutete den Tag. Für jeden Tag stand eine – was die Sprache betraf – unsinnige Entsprechung. Sie würden »morgen« angreifen, also nach Mitternacht des ausgehenden Tages. Die Landung sollte in der zweiten Stunde erfolgen. Zielgebiet: unverändert. Letzten Endes würden die Lichter dafür sorgen, daß die Schiffe ihr Ziel fanden. Auf Birzt gab es nur eine Lichtquelle; die Umrisse der Station würden schon bei der ersten Annäherung mehr als deutlich zu sehen sein. Alle anderen wichtigen Einzelheiten waren längst so genau wie möglich abgesprochen. Der Kommandant der einzelnen Wespe hatte genügend Informationen mitgenommen. Die Truppen der Facette Zulgea von Mesanthor wußten, wie man solche Überfälle durchführte. Fertig. Ein Knopfdruck genügte. Das Energiemagazin war angeschlossen. Der Thater stieß einen Laut der Erleichterung aus und drehte sich herum. Er öffnete die Augen und starrte in die Linse des Geräts, mit dem Puhlers sie kontrollierte. Er war bereit und streifte das Armbandfunkgerät über sein Handgelenk. Er gähnte, stand auf und stapfte hinüber zu seinen Freunden. »Habe nicht schlafen können«, sagte er. »Macht ihr mit? Einen Nachtspaziergang, so wie gestern.« »Meinetwegen«, sagte Arien. Er war kurz am ausgemachten Treffpunkt gewesen und hatte einige Worte mit den beiden Birzern gewechselt. Dann hatte er den Robotern und den Helfern, die einen riesigen Berg Abfälle aufgeladen hatten, den Befehl zum Aufhören gegeben. »Was ihr immer mit der Natur dort draußen habt? Nichts zu sehen außer ein paar Sternen«, meldete sich Volkert widerwillig. Alle Waffen, die sie an sich hatten bringen können, trugen sie unter ihren Kombinationen versteckt. Eine halbe Stunde vor Mitternacht. Noch zweieinhalb Stunden. »Ich ziehe nur noch die Stiefel an«, sagte der Thater, ging zurück und setzte sich aufsein Bett. Er schloß die letzte Schnalle seines Schuhwerks, griff unter die Decke und drückte den Kontakt. Dreißig Sekunden Vorlauf waren nötig, dann entlud das kleine Gerät seine Energie in einem ultrakurzen Hyperraumfunkspruch. Unhörbare Flüche ausstoßend, hoffte der Thater, daß er nicht versagt haben mochte. Das Gerät selbst zerstörte sich von innen heraus, ohne zu schmelzen oder zu rauchen. Er schaltete die Beleuchtung aus und schloß das Schott. Zum letztenmal? Höchstwahrscheinlich. Langsam gingen sie nebeneinander durch die hellerleuchtete Zone auf den Strand zu. Arien
murmelte, ohne die Lippen zu bewegen. »Rund um Station lauter Birzer. Wollen uns helfen. Wissen nicht, wie. Ich halte es vor Spannung nicht mehr aus.« »Funkspruch abgesetzt«, hauchte Bolletz. »Alles klar?« »Langsamer gehen«, setzte Volkert hinzu. Noch immer oder schon wieder brannte das Licht in Puhlers’ Kontrollraum. »Wird er das Signal auffangen?« »Ja. Aber nicht dekodieren«, meinte der Thater. Der kritische Punkt war unwiderruflich überschritten. Sie rechneten jede Sekunde damit, daß Puhlers reagierte. Trotzdem setzten sie ihren Weg zum Strand fort. Sie waren bereit, umzukehren und in die Richtung dreier Ziele zu rennen. Bolletz würde zum Kontrollzentrum, Arien zur PsiZapfhalle und Volkert an die Pulte der Schaltstellen hasten, von der aus er die größten Verwirrungen anrichten konnte. So leise wie möglich tauschten sie letzte Verhaltensregeln aus. Als sie sich knapp vor den ersten Spurender Brandung befanden, wurde der Alarm ausgelöst. Puhlers hatte sie entdeckt. Auf der Stelle drehten sie um. Sie hatten, so dachten sie gleichzeitig, den Beweis, daß der Hyperfunkspruch gesendet worden war. Die ersten zehn Schritte gingen sie noch langsamer, dann wurden sie schneller, und als sie wieder den Bereich der Wege und Gleiterpisten erreichten, rannten sie bereits so schnell sie konnten. * Die mächtigen Antennen des Robotgehirns hatten den schwachen Impuls aufgefangen. Die Programmierung sah vor, daß bei solchen Zwischenfällen zuerst Alarm ausgelöst, dann eine Analyse versucht wurde. Der Alarm ließ farbige Lichter flackern, schaltete blökende Hörner und aufjaulende Sirenen ein und aktivierte sämtliche Satelliten, die auf stationären Bahnen schwebend den Planeten schützten. Es dauerte nur Sekundenbruchteile, und Birzt verwandelte sich in eine waffenstarrende Festung. Puhlers erwachte mit einem Angstschrei. Er brauchte unverhältnismäßig lange, bis er die Monitoren und Schirme richtig ablesen konnte. Dann stand für ihn fest, daß aus unmittelbarer Nähe der Station oder aus ihren Räumen selbst ein Hyperfunksignal ausgestrahlt worden war. Eine genauere Lokalisierung war nicht möglich. Das Gellen des Alarms störte ihn. Das Robotgehirn schrieb die Worte, die es aufgefangen hatte, flackernd auf einen Bildschirm. Puhlers las sie, schwankend zwischen heller Wut und tiefer Enttäuschung. Also doch! Die drei Neuen waren Verräter. Von seinen Jägern und Hilfskräften war nicht einer in der Lage, einen Hyperfunksender von einem Wartungsrobot zu unterscheiden. Trotzdem fragte er mit rauher Stimme: »Irrtum ausgeschlossen?« Knarrend gab das Robotgehirn die Antwort. »Ausgeschlossen. Resultate einwandfrei.« Kardoll hatte noch immer nicht geantwortet.
Mit einem Sprung war Puhlers am Funkgerät, hieb mit zitternden Fingern immer wieder auf die Nottaste und las noch einmal die Wörter des Funkspruchs. Er konnte sie lesen, aber sie sagten ihm nichts. Die Kodierung war innerhalb kurzer Zeit nicht zu brechen. Er wies das Robotgehirn an, eine Lösung zu suchen, hatte aber nicht viel Hoffnung. »Roboter!« schrie er. »Sucht die neuen Arbeiter Bolletz, Arien und Volkert. Lähmt sie und bringt sie hierher. Höchste Eile!« Die Maschinen blinkten und schwebten in einer langen Prozession aus dem Turm hinaus. Puhlers bewaffnete sich und schnallte seine Kommunikationsgeräte um. Ein Blick durchs Fenster: Überall wimmelte es von aufgescheuchten Jägern, die nicht wußten, was der Alarm zu bedeuten hatte. »Ich bringe sie um!« stöhnte Puhlers. Für ihn war die Enttäuschung in diesen Sekunden größer als die Wut und die Angst vor den Repressalien der Facette Kaz. Er tappte, noch immer schlaftrunken, zum Schott. In diesem Augenblick traf die Antwort von Kardoll ein. THATER BOLLETZ VOR SIEBEN JAHREN DESERTIERT. LIEF VON GENTILE KAZ ZUR HEXE VON MESANTHOR ÜBER. DATEN UND AUSZEICHNUNGEN KORREKT. RICHARDSON, ARIEN UND VOLKERT: KEINE DATEN. UNBEKANNT. NIE IN DIENSTEN VON K. ’ GEWESEN. DOKUMENT BOLLETZ ECHT. ZUSÄTZE RICHARDSON A. UND V. FÄLSCHUNG. ÜBER LETZTE PERSONEN KEINE ANDEREN DATEN VORHANDEN. ARCHIVVERWALTUNG. ENDE. Puhlers stieß einen schrillen Schrei aus und sprang in den Lift. »Diese verdammten…«, schrie er und wartete ungeduldig, bis er den Boden erreicht hatte. Als die Panzerschotte des Lifts aufglitten, hörte er die ersten Schüsse. Ihre Echos wurden von den mächtigen Wänden der Gebäude zurückgeworfen. * Bolletz raste zwischen dem Turmschaft und der Gleiterabstellhalle entlang. Mit wenigen Griffen hatte er die Waffen aus seiner Kleidung hervorgezogen und hielt sie jetzt in beiden Händen. Auf dem Weg bis zur Schaltstation wurde er langsamer und feuerte gezielt auf die Tiefstrahler. Berstend erloschen vier Scheinwerfer. Der Thater erreichte die Schaltstation. Wenn er keinen Fehler gemacht hatte, lief seit Minuten ein erstes Programm. Jetzt kannte er die entschlossenen Gedanken von Puhlers. Er tippte mit dem Rücken zu Puhlers’ Verteidigungseinrichtungen die Kennziffern in die Schloßplatte. Es dauerte eine Ewigkeit, bis das Schott aufglitt. Keine zwei Sekunden danach klirrte die Sperre wieder herunter; eine der Maßnahmen nach dem Alarm. Die Maschinen liefen tatsächlich! Auf dem Schirm sah Bolletz, wie der Stapler einen vollen Container vom Stapel des Bunkers hob, ihn auf das Band stellte, wie das Band rückwärts lief, den Container in den Zwischenlagerraum transportierte, und wie der Behälter direkt auf einen anderen gestapelt wurde – und das alles mit maschinenhafter Exaktheit.
Bolletz sprang zum Schott zurück, hob die Waffe und feuerte auf zwei Robotwächter, die fünf Meter über dem Boden auf ihn zuschwebten. Seine Schüsse trafen wenigstens so gut, daß die Maschinen aus dem Kurs kamen und davonschwirrten. Auf das Klirren und Krachen, mit dem sie irgendwo aufprallten, achtete der Thater nicht mehr. Er brauchte nicht viel Zeit. Aber diese Minuten mußte er unbedingt haben. Mit einem Griff aktivierte er sämtliche Pulte und tippte die eigenen Kodebegriffe ein. Das Robotgehirn erhielt zunächst eine Reihe von fälschen Befehlen. Es rief die Daten von sämtlichen Abwehrsatelliten ab, erhielt aus mehreren Sektoren die Meldungen, daß sich Flottenverbände näherten, und überwachte die Satelliten. Die Projektoren richteten sich auf nicht vorhandene Ziele und waren feuerbereit. Irgendwo dort draußen rasten jetzt zweimal zehn Wespen heran. Sie durften nicht in den Bereich der abwehrbereiten Satelliten kommen. Wieder hechtete Bolletz zum Eingang und schoß auf Roboter. Von Puhlers hatte er noch nichts gesehen oder gehört. Aber auch dies war nur eine Frage von Sekunden. Wieder führte er Schaltungen durch und verwirrte durch falsche Datenströme die riesige Robotik. Unaufhörlich transportierte das Band die Container in die Fabrik zurück. Aus unzähligen Lautsprechern schrie dröhnend die Stimme des Vierbeinigen über die Psi-Station. »Puhlers befiehlt euch, die drei Neuen zu fangen. Sie haben sich irgendwo im Gelände versteckt! Sucht sie, Jäger, fangt sie, gleichgültig wie. Das befehle ich euch.« »Das kannst du noch lange befehlen«, lachte Bolletz knurrend und sprang in die andere Ecke des Raumes. Er riß den Verschluß eines Säurekanisters ab und kippte den Inhalt mit abgewandtem Gesicht in einen Leitungsschacht, der zum Robotgehirn führte. Aus dem Rohr kamen Zischen, Knistern und beißender Dampf. Irgendwo liefen schwere Maschinen an. »Arien!« schrie Bolletz, während er auf näherkommende Gruppen aus halb angezogenen Jägern schoß und sie zurückzutreiben versuchte, »alles klar bei dir?« Er winkelte den Arm an, um die Antwort besser verstehen zu können. Ariens Stimme kam keuchend aus dem Lautsprecher. »Wo sind die Schiffe, verdammt! Ich versuche, den Speicher aufzubekommen.« Über dem Planeten mußte ein gewaltiger Kampf toben. Unsichtbare Gegner wurden beschossen. Die Flotte mußte jeden Augenblick eintreffen… wo war sie? Bolletz blickte auf die Zeitanzeige des Robotgehirns. Es war wenige Minuten nach ein Uhr. Die Wespen mußten unmittelbar vor dem Schutzschirm und den Satelliten mit ihren Hochenergieprojektoren sein. Bolletz verschwand hinter einem Schaltpult und schlug mit der Hand einen Schalter herunter. Dann kippte er einen zweiten Säurebehälter in einen Schacht, in dem Energiekabel und Steuerleitungen verliefen. Als er hinter den kantigen Blöcken der Speicherelemente hervorkam, nahmen ihn zwei Roboter unter Beschuß. Sie feuerten durch die offene Schottür und trafen Bolletz an der Schulter und in, ein Rechnerelement. Die Detonation wirbelte glühende Trümmer durch die Schaltstation. Bolletz erwiderte das Feuer und fand, daß er in einer taktisch besseren Lage war. Mehr als zwei Gegner konnten gemeinsam nicht durch das Schott hereinkommen. Der aktivierte Schalter gab eine Starkstromleitung frei. Die entfesselten Energien vernichteten Leitungen, löschten Speicher mit allen Informationen aus, züngelten über die Metallteile anderer Aggregate und störten deren Funktion.
Sämtliche Tore und Schleusen der Anlage öffneten sich. Die Strahlensperren fielen zusammen. »Ich habe Schwierigkeiten mit der Vorratskammer«, rief Arien. »Hilf mir, wenn du kannst, Bolletz.« »Höllisch schwer. Puhlers rückt vor.« »Auf deine Schaltstation?« »Ja. Er hat sich organisiert.« »Ich komme.« Vor Puhlers schwebten mindestens zehn Roboter unerbittlich näher heran. Dahinter bildete sich langsam ein tiefgestaffelter Halbkreis von Birzer-Jägern. Sie hatten einige Gleiter aus den Unterständen hinaussteuern können, ehe Volkert die Türen versperrt hatte. Auch die Jagdwaffen der Gleiter richteten sich auf den Eingang der Station. »Das sieht nicht gut aus«, knurrte der Thater und schoß hinter seiner Deckung heraus auf die Punkte, die ihm am gefährlichsten erschienen. * Während Arien im blitzschnellen Zickzack zwischen dem Zaun und den Gewächsen rannte, warf er immer wieder einen Blick hinauf zu den Sternen. Nichts! Kein landendes Raumschiff! Und wenn Puhlers auch nur einen Funken kühle Überlegung besaß, würde er eine Flotte des Gentile Kaz alarmiert haben. Oder die Robotzentrale hatte dies automatisch beim ersten Alarm getan. Im Laufen schoß er den nächsten Scheinwerfer, der ihn störte, in Scherben. Dann warf er sich zu Boden. Zwei röhrende Schüsse pfiffen über ihn hinweg und brannten riesige Löcher in den Zaun. Wo waren die Birzer, die ihre Hilfe versprochen hatten? Er hob vorsichtig seinen Kopf und den Projektor lauf der schweren Waffe. Weit vor sich sah er die vorrückenden Gleiter der Jäger. Sie konzentrierten sich um den kubischen Anbau des Robotgehirns. Arien kannte die Wirkung der Projektoren, die in der Lage waren, Materie nahezu aufzulösen. Er zielte sorgfältig und hoffte dabei, daß sein Sohn in keiner gefährlicheren Lage war als er. Arien konnte fünf Schüsse in Ruhe abgeben. Die grellen Glutbalken zuckten donnernd quer durch die halbe Anlage und trafen die Projektoren und deren Drehgestelle. Die Vorderteile der Gleiter wurden hochgerissen, als die Energieumwandler in die Luft gingen. In panischer Flucht rannten die Jäger davon. Ein gewaltiges Geschrei drang bis hierher. Rechts vor ihm raschelte etwas. Arien duckte sich. Er sah die Maschinen nicht, die durch die dunkle Luft schwebten und auf ihn und die beiden anderen Saboteure programmiert waren. Aber immer wieder heulten Strahlerschüsse gefährlich in seiner Nähe vorbei. Er rief in sein Funkgerät: »Volkert! Bolletz! Meldet euch.« »Ich habe keine Zeit«, rief Thater. Durch seine Worte hörte Arien das Schreien, die verstärkte Stimme Puhlers’ und immer wieder die Geräusche eines schweren Feuergefechts. »Die Container?« rief er.
»Das Band läuft. Noch immer… rückwärts.« Arien wälzte sich auf den Rücken und hob die kleinere Waffe. Ein weißglühender Blitz spaltete einen schenkeldicken Ast keine fünf Meter von ihm entfernt. Das Rascheln wurde stärker, und vier Augen spiegelten die verschiedenen Lichter wider. »Wir sind da. Sie umzingeln dich, Arien«, sagte eines der possierlichen Wesen. »Lauf zum ZaunTor.« »Wir erwarten dich dort. Bringen dich ins Land hinaus.« »Genau dort gehöre ich nicht hin«, brummte der Celester, sprang auf und hastete davon, in die angegebene Richtung. Es war fast zu spät. Hinter sich hörte er das zornige Summen schwebender Roboter und änderte seine Richtung. Die Schüsse schlugen hinter seinen Absätzen ein und rechts und links vor ihm. Und vor ihm schlängelten sich die beiden Birzer in beachtlicher Geschwindigkeit auf das Tor zu. Eines der Wesen wurde vom nächsten Schuß getroffen und zerfetzt. Während sich Arien nach links warf, endlich diesen Roboter sah und mit dem letzten von drei Schüssen traf, packte er mit der linken Hand den anderen Birzer. Er wirbelte herum, und wieder wurde er beschossen. Glühender Schmerz raste an seinem Unterarm entlang, und es stank sofort nach verschmortem Stoff und blasenwerfender Haut. Und nach Fell. Wieder zirpte die Stimme des kleinen Wesens: »Nach links, Arien. Ich bin getroffen.« Er sprang in die angegebene Richtung. Dieser Schuß hätte ihn in den Rücken getroffen. Er wirbelte herum und sah zwei Mhargan mit Energiewaffen. Noch ehe sie reagieren konnten, erschoß er sie. Dann erst, im Licht des einzigen Schleusentorscheinwerfers, der noch übrig war, erkannte er, daß beide Augen des Birzers von der Hitze des Strahlerschusses glasigblind waren. »Im Schiff«, stotterte er hilflos und versenkte das Tierchen in seiner Jackentasche. »Wir können helfen.« Hätte ihn der Birzer nicht gewarnt, wäre er jetzt tot. Er empfand die erste, noch flüchtige Dankbarkeit. »Ich kann nichts sehen. Schmerzen!« beharrte der Birzer. »Wer bist du?« »Mycara.« Dann kannst du wenigstens nicht sehen, daß dein Gefährte Trecara tot ist, dachte Arien und hörte voller Erleichterung, wie die Stimme seines Sohnes sagte: »Ich bin in Ordnung. Habe eben ersten Kontakt mit der Flotte.« »Weißt du etwas von Bolletz?« »Nein. Er schießt noch.« An zwei Seiten des Würfels, in dem sich der Thater verteidigte, brannte es. Die Flammen auf der einen Seite sah Arien von seinem Versteck deutlich, die an der gegenüberliegenden Seite wurden von der Kuppel reflektiert. Einige Raumschiffe heulten dicht über die Psi-Fabrik hinweg. Arien bedeckte seine Augen mit dem Unterarm und wartete auf das helle Krachen. Die Wespen feuerten Blendgranaten ab, deren Helligkeit binnen einiger Sekunden jedes Wesen vorübergehend blind machte, das sich im Freien aufhielt. Noch während er erleichtert aufatmete, schossen zwei Gedanken durch seinen Kopf. Mycara hatte zweifellos gespürt, daß Trecara tot war.
Und er deutete die donnernden Geräusche über sich richtig: Unterschallknalle der Raumschiffe. Dann setzte das Geschrei der Geblendeten ein. Langsam nahm Arien den Arm herunter; durch den Stoff flackerten nicht mehr die ultrahellen Entladungen. Eben noch stand er zwischen den Trägersäulen des Schleusenapparates, dann sprang er ins Freie und sah, daß das erste Raumschiff tatsächlich neben dem größten Tor »seiner« Halle landete. Er sah den Blitz, und er lag schon wieder am Boden, als ihn der harte Schlag einer gewaltigen Detonation packte, einen Meter hochriß und auf den Rücken warf. Die Druckwelle tobte über ihn hinweg, erfüllte die Nachtluft mit Rauch und aufgewirbeltem Sand. Von dem krachenden Donner wurde er halb taub und halb besinnungslos. Trotzdem versuchte Arien Richardson, so schnell wie möglich seine unsichtbaren Gegner auszuschalten. Er merkte, daß er nicht beschossen worden war. Die Detonation hatte das Kuppeldach des Robotgehirns aufgerissen. Entweder hatte sich die riesige Maschine selbst zerstört, oder eines der Schiffe hatte das Buggeschütz eingesetzt. Verwirrt schüttelte Arien den Kopf und lief auf die Halle zu. Die Trümmer der Kuppel waren in weitem Umkreis undeutlich zu erkennen; sie hatten sich tief in den Boden gebohrt, viele Jäger getötet und schwere Schäden in den nahen Gebäuden hinterlassen. Überall sah der Celester rauchende Krater und kleine Brände. Er rannte weiter. Gerade senkte sich ein drittes Raumschiff vor der Front der Halle zu Boden. Die Besatzung verließ die Schleuse und feuerte auf die Jäger; sie verwendeten, wie Arien mit Erleichterung sah, Lähmstrahler. Es gab nicht mehr viel Widerstand. Arien blieb stehen, als sei er gegen eine unsichtbare Mauer gerannt. Er befand sich auf der Höhe der Gleiterpiste, die auf die würfelförmige Schaltstation zuführte. Dort, wo die Station an die Kuppel angebaut war, lagen seltsam geformte Trümmer übereinander, zwischen denen es fauchte und schwelte. Das Dach war in die Höhe gesprengt worden, während die Wände nach außen kippten und zerbrachen. Dann war die tonnenschwere Konstruktion wieder nach unten gesackt. Sie hatte Puhlers unter sich begraben. Arien sah einen Teil des Körpers unter der schartigen Kante des grauen Baumaterials hervorragen. Zwei Schritt neben ihm lag der Thater Bolletz. Seine Hand hielt noch die Waffe fest. Erschüttert wandte sich Arien ab. Offensichtlich hatte sich Puhlers auf die unersetzliche Robotkonstruktion zubewegt, um sie zu schützen. Bolletz mußte gewußt haben, daß sich die Station selbst zerstörte, und er hatte den Vierbeinigen bis zu diesem Zeitpunkt aufgehalten. Weitere Schiffe landeten im Areal der Fabrik. Die Besatzungen bildeten einen Kreis um die Wespen. Das Tor der Halle glitt rumpelnd zur Seite, und Volkert stürmte heraus. Sie winkten einander zu. Arien erkannte Kimnon, der seinen Männern befahl, eine Kette zu bilden. »Das Schott vor der Zwischenlagerkammer muß aufgesprengt werden«, sagte Arien. »Macht schnell. Volkert!« Zwei Thater schleppten einen geschützähnlichen Projektor aus dem Schiff und rannten in die Halle hinein. »Bolletz ist tot. Er hat Puhlers so lange aufgehalten, bis die Robotik in die Luft ging.« Schweigend blickte sein Sohn zu Boden. Sekunden später wirbelte er herum und sagte: »Komm. Wir müssen weg. Bildet eine Kette bis zu den Laderäumen!« Die Mannschaften von mindestens zehn Schiffen strömten zusammen. Andere Raumschiffe
landeten außerhalb der Psi-Fabrik. Aus dem dunklen Himmel waren die Antriebsgeräusche der kreisenden Wespen zu hören. Volkert erklärte, laut rufend, den Männern der Crynn-Brigade, an welchen Stellen die Strahlen des schweren Geräts eingesetzt werden mußten, und wohin sie auf keinen Fall gelenkt werden durften. »Es wird nicht mehr lange dauern«, sagte Kimnon, der neben Arien getreten war. »Willst du schon ins Schiff?« Arien dachte an den toten Bolletz und schüttelte schweigend den Kopf. Das Gerät heulte auf und spie einen langen, grüngoldenen Strahl aus. Wo er auftraf, löste sich das Metall in leuchtendes Gas auf. Der Strahl sägte durch die dicken Angeln wie eine Metallsäge durch Holz. Arien sagte sich, daß unter Umständen die Anlage noch immer rückwärts lief und Container nach Container hinter die dicken Metallwände stapelte. Die Hälfte der Angeln war durchschnitten. Ein Crynn-Brigadist, der wartend dastand, zog seine Waffe und feuerte in die Alarmanlage des Zwischenlagers. Das Gerät hörte zu heulen und zu blinken auf und zerschmolz. In Arien wuchs die Ungeduld. Das Tierchen in seiner Tasche hatte er völlig vergessen. Schließlich, nach einer endlos scheinenden Zeit, löste sich das riesige Vorderteil der Kammer, schwankte einen Augenblick hin und her und schlug dann wie eine Falltür in den Raum. Breite Risse knisterten im Hallenboden. Tatsächlich bewegte sich dahinter ruhig der hydraulische Arm und stellte einen Container zu den übrigen auf einen außerordentlich exakten Stapel. »Los!« Die Stimme Kimnons übertönte mühelos jeden Lärm. Rund hundert Container, einige mehr oder weniger, mochten in der Kammer sein. Binnen Sekunden bildeten die Crynn-Brigadisten eine Kette. Einige Thater sprangen auf die Platte, in die Kammer hinein und hoben den ersten Container vom Stapel, reichten ihn weiter, und er wanderte von einem zum anderen, durch das Tor hinaus und verschwand schließlich im Laderaum einer Wespe. Kimnon wartete, bis etwa zwanzig der glänzenden Zylinder mit den eingearbeiteten Griffen und den runden Rillen auf dem Weg waren. Er wandte sich an Volkert und Arien. »Den Rest erledigen wir. Ihr fliegt mit dem ersten Schiff. Die Verbände des Gentile Kaz werden nicht lange auf sich warten lassen. Alarmiert die Einsatzflotte, schließlich ist dein Sohn unser Verbindungsmann.« »Ich glaube«, stimmte Arien zu, »das ist eine kluge Entscheidung. Komm, Sohn!« Sie verabschiedeten sich kurz von Kimnon und gingen ins Schiff. Kurz nachdem sie in der Zentrale in die Sessel fielen, wurde die Schleuse geschlossen, und die Wespe startete mit dröhnenden Triebwerken. »Schmerzen, Arien. Hast du vergessen?« Arien hörte das pfeifende Stimmchen und verwünschte seine Gedankenlosigkeit. Er stand auf, hob vorsichtig das Birzer-Mädchen aus der Tasche und starrte in ihre erblindeten Augen. »Sprich mit Spooner!« sagte er zu Volkert und erkannte, daß die Wespe sich bereits weit von Birzt entfernt im Raum befand und kurz davor stand, den Linearsprung einzuleiten. Der Pilot sagte: »Wir sind gerade noch davongekommen. Die anderen werden es schwerer haben. Die Flotte der Facette taucht auf.« In den Funkgeräten war ein organisierter Lärm zu hören. Einige Wespen rasten der feindlichen Flotte entgegen. Ein Schiff nach dem anderen erhielt Startbefehl; einige befanden sich bereits hinter
dem letzten Schiff Kimnons tief im Raum und würden kaum angegriffen werden. Arien Richardson legte Mycara in dem kleinen Schiffslazarett auf eine weiße Platte, suchte eine bestimmte Salbe und strich sie zuerst auf das versengte Fell rund um die Augen. Er sprühte ein schmerzlinderndes Präparat auf die erloschenen Pupillen und bedeckte sie mit einem leichten Pflaster. Mycara lag still unter seinen vorsichtigen Fingern. »Ah! Kühl… gut. Ich danke dir!« zirpte sie und streckte sich. »Du mußt entschuldigen«, sagte Arien zögernd und starrte unschlüssig das unterarmlange Geschöpf an. »Ich habe dich buchstäblich vergessen.« »Wo sind wir?« »Zwischen den Sternen. Weit weg von Birzt. Wenn du willst, kannst du bei mir bleiben.« »Was soll ich sonst tun? Trecara ist tot, weißt du.« »Ich habe es gesehen«, gab er zu. Irgendwie fühlte er sich hilflos, und das Wesen vor ihm spürte es. Er überwand seine Verlegenheit, indem er versuchte, Mycaras Fell zu reinigen und sie fragte, ob sie Hunger habe. »Ja. Hast du Früchte mitgenommen von Birzt?« »Wir haben anderes Zeug an Bord. Es wird dir schmecken. Hast du noch Schmerzen?« »Nein. Das Kühle, Nasse auf meinen Augen ist gut.« Er hob Mycara auf. Sie ringelte sich zuerst um seinen Oberarm, suchte dann in seinen Taschen und legte sich schließlich um seinen Hals, wie ein leichtes, weiches Tuch. Er spürte keinen Druck; es war ein sehr angenehmes Gefühl. Dann setzte er sich vor den Hyperfunksender und versuchte, direkte Verbindung mit dem Medizinmann und Flora Almuth zu bekommen. Aus den Augenwinkeln nahm er wahr, daß sich weit hinter ihnen einzelne Raumgefechte abspielten. Er vertraute auf die größere Wendigkeit der Wespen; mindestens darin waren sie den Schiffen von Gentile Kaz überlegen. * Kimnon war einer der letzten Brigadisten auf dem Planeten Birzt. Er stand neben der weit offenen Schleuse des letzten Schiffes. Zwischen den Sternen zeichneten sich die verschiedenen Flammenspuren ab. Triebwerke der eigenen Schiffe, das Feuer der ersten Angreifer, die Strahlenbahnen der planetaren Forts, die nicht mehr kontrolliert und gesteuert wurden. »Habt ihr endlich den letzten Container?« brüllte er, als zwei Thater mit dem eineinhalb Meter hohen Zylinder die Gangway heraufrannten. »Es ist der letzte!« Arien und Volkert befanden sich in diesen Momenten wahrscheinlich längst in Sicherheit. Das Schiff startete, unbemerkt von den feindlichen Verbänden. Der Pilot flog einen Fluchtkurs, der ihn um den halben Planeten herum brachte. Hinter ihnen lag die halbzerstörte Fabrik, hinter ihnen blieb auch eine Menge Birzer-Jäger, bewußtlos, verletzt und in jedem Fall ratlos. Was aus ihnen wurde, war den Crynn-Brigadisten in dieser Stunde gleichgültig. Die Wespen lieferten sich mit den Verbänden des Gentile Kaz ein erbittertes Gefecht. Die eigenen Schiffe zogen den Kampf weit auseinander, beschleunigten und verschwanden nacheinander aus
dem Planetensystem. Als letztes Schiff führte jene Wespe die Linearetappe durch, in dessen Pilotenkanzel sich Kimnon befand. Als die zwanzig Raumschiffe die Grenze des Sektors Ordardor erreichten, raste der Verband Spooner Richardsons heran und schmetterte mit einem Feuerhagel die Verfolgerschiffe zurück. Die Container waren in Sicherheit. Die Wespen setzten ihren Flug in Richtung Crynn fort. * Arien blickte lange in das schmale, goldhäutige Gesicht Flora Almuths. Sie erkannte an seinem Gesichtsausdruck, daß diese verzweifelte Mission erfolgreich gewesen war. Aber noch immer gab es zwei Standpunkte: Sie zögerte, was Gewaltmaßnahmen wie diese betraf. Und das war nicht erstaunlich, denn sie war eine Frau. Arien hingegen zeigte den Ausdruck äußerster Entschlossenheit. Er war es, der auf eine Gewaltlösung drängte. »In einigen Stunden«, fing er schließlich an, »landen wir mit den Containern. Ich weiß nicht genau, wie viele es sind, aber es sind mehr als fünfzig – deine ausstehende Lieferung in den Nukleus.« »War es schlimm?« fragte sie halblaut. Auf den Bildschirmen zeichneten sich scharfe Bilder ab. Flora und Arien konnten mühelos erkennen, was den anderen bewegte. Arien senkte den Kopf und bekannte: »Mein Freund Bolletz, tapfer, klug und opferbereit, ist tot. Ich habe ihn erst jetzt richtig kennengelernt. Er hat sich für dich geopfert.« »Ich bin unendlich erleichtert, daß ihr die Container habt«, sagte Flora nach einer kurzen Weile. »Ich überlasse sie gern den unsichtbaren Robotern.« Arien wußte genau, daß seine Antworten die Celesterin keineswegs erfreuen würden. Aber spätestens während der Vorkommnisse auf Birzt hatte er sich entschlossen, einen harten Kurs einzuschlagen. Die Machenschaften der Facetten und das gnadenlose Erbeuten von Psi-Potentialen waren noch viel rücksichtsloser als er und so gnadenlos, daß die Vorstellung streikte. Es gab nicht den geringsten Grund, entgegenkommend zu sein – selbst wenn es auf Kosten der Nachtruhe oder des Seelenfriedens der neuen Facette ging. »Welche Gründe«, sagte er aggressiv, »hast du für diese zurückweichende Einstellung?« »Sind die Container einmal weg«, entgegnete Flora, »dann herrscht Ruhe. In dieser Zeit kann ich die Aufbauarbeit fortführen und alle – oder zumindest viele – Dinge für diesen Sektor tun, jene Dinge, die wir mit Atlan abgesprochen haben.« Arien schüttelte den Kopf und setzte zu einer längeren Rede an. »Hör gut zu, Facette«, sagte er halblaut, aber in einem Tonfall, der Flora erkennen ließ, daß sein Wille in diesem Punkt unbeugsam war und blieb. »Hör zu«, wiederholte er. »Wir haben wegen dieser Psi-Container unser Leben aufs Spiel gesetzt. Richtig?« Sie nickte. »Wir haben eine gefährliche Lage im Sektor Kontagnat entschärft. Der Kampf geht ohnehin noch
weiter. Die Container sind rechtzeitig in den Lagerhäusern, aus denen sie von den unsichtbaren Robotern abgeholt werden sollen.« »Zutreffend.« »Ich habe schon vor dem Abflug in dieses Abenteuer entsprechende Vorkehrungen getroffen«, erklärte Arien unnachsichtig. »In jeden der mindestens fünfzig Psi-Container wird eine Zeitbombe installiert, teuerste Freundin.« Sie sah ihn entsetzt an. »Wozu soll das gut sein? Vielmehr: was versprichst du dir von dieser Aktion?« »Bevor die Container an die Boten des Erleuchteten ausgeliefert werden, sind sie zu tödlichen Waffen geworden. Ich habe meine festen Pläne. Im einzelnen sprechen wir darüber, nachdem wir gelandet sind und alles wieder seinen normalen Gang geht.« »Ich verstehe dich noch immer nicht«, sagte Flora halblaut. »Du beschwörst mit dieser Aktion nur Gefahren für uns alle herauf.« »Es ist der erste Schritt auf einem langen und gefahrvollen Weg«, antwortete er. »Auch du hast freiwillig Verantwortung auf dich genommen. Natürlich verfolge ich damit einen bestimmten Plan! Der erste Schritt muß beschritten werden! Dieses Morden, Jagen und Versklaven muß an einem Punkt aufhören. Wenn du gesehen hättest, wie die Jäger mit diesen kleinen, wehrlosen Birzern umgehen, hätte sich dein Magen umgedreht. Wir sind nicht angetreten, um den alten Zustand mit allen unseren Kräften weiterleben zu lassen oder gar noch zu fördern. Wir wollen ihn beenden – das ist unser erklärtes Ziel. Habe ich recht?« »Ja. Von dieser Warte aus betrachtet…«, murmelte sie. Erstaunt hörten die Thater mit, wie die Facette und der Fremde miteinander sprachen. Auch ihnen begann zu dämmern, daß sie Zeugen waren, wie eine neue Zeit begann. »Also gut«, beendete Arien sein Gespräch. »Wir sind, soweit ich das beurteilen kann, alle heil aus diesem Abenteuer zurückgekommen und stehen an der Schwelle neuer Entwicklungen. Wir sprechen in Ruhe nach der Landung auf Crynn darüber.« »Einverstanden!« sagte Flora. Arien winkte und trennte die Verbindung. Er lehnte sich zurück. Noch immer war die Erregung der Kämpfe und der Anstrengungen nicht abgeklungen. Flüchtig spürte er den Druck des neuen »Halsbandes« um seinen Nacken. Mycara, der weibliche Birzer. Aus einen Impuls aus Schuldbewußtsein und Sympathie hatte er sie mitgenommen. Was sollte er mit Mycara anfangen, blind und heimatlos? Was fing sie mit ihrer Psi-Begabung an? War sie hinderlich oder ein Vorteil? Er sagte sich, daß es vorläufig das beste sei, sie als Maskottchen und als Erinnerung an eine lebensgefährliche Mission zu betrachten. Vielleicht änderten sich auch für die Birzer die Umstände! Dann konnte er vielleicht daran denken, Mycara wieder zurückzubringen. Er blickte auf die dunkle Nase und die spitzen Schlangenzähne und zuckte wieder einmal die Schultern. »Du siehst verdammt müde aus«, wandte sich der Pilot an Arien. »Du brauchst nicht zuzusehen, wie ich lande.« »Keine Sorge. Ich denke nach«, sagte Arien. Aber tatsächlich fühlte er sich erschöpft und ausgelaugt. »Dabei habe ich die Augen immer offen.« »Die Facette wird uns für diesen Einsatz auszeichnen!«
»Ganz ohne Zweifel. Aber wir haben gegen Gentile Kaz nicht gewonnen, und andere Kräfte bedrohen uns in weitaus stärkerem Maß«, warnte ihn der Celester. »Wir schaffen auch das!« versicherte der Pilot. Arien war alles andere als sicher. Er war in seinen Planungen über einen Punkt hinausgegangen, der sich als zu schwierig für die Kräfte des Widerstandes herausstellen konnte. Er gähnte einmal, zweimal, dann schloß er die Augen. Einer seiner letzten Gedanken war, daß die Welt nach dem Erwachen aus dem kurzen Schlaf ganz anders aussehen würde. Sicherlich nicht einfacher. Die unbekannten, unbegreiflichen Drohungen hingen über ihnen allen. Und ganz bestimmt gab es mehr Angreifer als Verteidiger. ENDE
Arien Richardson, »Feuerwehrmann« von New Marion, hat auf dem Planeten Birzt, der zum Herrschaftsbereich der Facette Gentile Kaz gehört, zugunsten seiner Landsmännin Flora Almuth eingegriffen und die benötigten Container mit den Psi-Potentialen geraubt. Auf diese Container warten die Diener des Erleuchten… DIENER DES ERLEUCHTETEN – unter diesem Titel erscheint auch der nächste Atlan-Roman, der von Hubert Haensel geschrieben wurde.