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Peter Kaiser, Norbert Moc,
Heinz-Peter Zierholz
DAS RICHTSCHWERT TRAF DEN
FALSCHEN HALS
Man schrieb das Jah...
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Peter Kaiser, Norbert Moc,
Heinz-Peter Zierholz
DAS RICHTSCHWERT TRAF DEN
FALSCHEN HALS
Man schrieb das Jahr 1730. Friedrich Wilhelm I., König von Preußen, saß mit einigen Offizieren und ihren Damen an der königlichen Tafel. Sie gehörten zu dem Gefolge, das den König morgen auf seiner Reise in das Zeithainer Lager seines königlichen Vetters, August des Starken, begleiten sollte. Aber, zum Teufel, wo war der Kronprinz, der Friedrich? Er hatte, wie alle aus der Zeithainer Begleitung des Königs, hier zu erscheinen. Ein gefährliches Licht glomm auf in den stahlblauen, über schweren Tränensäcken liegenden Augen des Königs. Er wandte sich an Grumbkow, seinen Kriegs- und Etatminister, seinen engsten Vertrauten. »Weiß Er, Grumbkow, wo der Bengel steckt? Er macht, was er will, er läßt mich warten, der Querpfeifer. Aber ich werde ihm, weiß Gott, schon die rechten Flötentöne beibringen, besser als sein Lehrer Quant, den die DorotheaSophia dem August für achthundert Taler abgekauft hat. Achthundert Taler, Grumbkow, für einen Flötenspieler! Und dann wundert sich die Sophia, daß das Geld nicht reicht) schimpft mich knauserig und pumpt sich, Königin von Preußen, bei den windigen Franzosen Geld.« Das fette, runde Gesicht des Königs rötete sich vor Zorn. Und Grumbkow war bereit und willens, den Zorn des Königs weiter zu schüren. Grumbkow, seit dem Regierungsantritt des Preußenkönigs Kriegs- und Etatminister, füllte sich nicht nur kraft seines Amtes seine Taschen, sondern
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auch als eine der Schlüsselfiguren im politischen Ränkespiel der Habsburger und der Bourbonen. Die Kaiserlichen vergoldeten den über alle Maßen verschwenderischen und geldgierigen Minister mit Hunderttausenden von Talern, damit er seinen ganzen Einfluß geltend mache, den König auf die Politik der Habsburger gegen die Engländer festzulegen. So war denn Grumbkow immer darauf bedacht, dem Kronprinzen und vor allem der Königin zu schaden, wo er nur konnte. Denn Friedrich und die Königin verfolgten mit Eifer ihre englischen Pläne, die Heirat des preußischen Prinzen mit der englischen Prinzessin. An diese Heirat aber knüpfte England seine wohlerwogenen politischen Bedingungen. Grumbkow war nicht bereit, auf seine österreichischen Einnahmen zu verzichten. Er hatte ein weit verzweigtes Spitzelsystem aufgebaut, das die Familie des Königs auf Schritt und Tritt überwachte, und war so in der Lage, die Antipathie gegen den Kronprinzen und die Königin, fein dosiert und genau bemessen, anzuheizen. Grumbkow saß so fest in seinem Sattel und hatte so sehr das Ohr des Königs, daß er bisher jedes Duell mit der Königin und dem Kronprinzen gewonnen hatte. Selbst als Sir Hotham, der englische Gesandte am preußischen Hof, dem König schriftliche Zeugnisse dafür auf den Tisch legte, daß Grumbkow von den Habsburgern bestochen sei und den König nach allen Regeln der Kunst betrüge, war der Minister Sieger geblieben. Damals hätte nicht viel gefehlt, und Seine allergnädigste Majestät hätte den feinen, distinguierten englischen Sir Hotham mit einem Tritt aus der Audienz befördert. Ja, Grumbkow hatte den König sogar schon so weit gebracht, daß er den Kronprinzen schriftlich aufforderte, zugunsten seines jüngeren Bruders auf den preußischen Thron zu verzichten. Aber Friedrich hatte geantwortet, dazu sei er nur bereit, wenn ihm der König bestätige, daß er nicht sein ehelicher Sohn sei. Vor dieser Konsequenz aber schreckte der puritanische König denn doch zurück. Eheliche Treue war für ihn ein gottgewolltes Verhalten, gegen das selbst Könige nicht verstoßen dürfen. Minister von Grumbkow sah den Zorn des Königs und stieß vor. »Mit Verlaub, Eure allergnädigste Majestät, es gibt da vielfältige Einflüsse für Seine Hoheit, den Kronprinzen, die nicht ganz Eurem Erziehungsreglement entsprechen und die den Kronprinzen in Schwierigkeiten bringen. Da ist der alte Duhan zum Beispiel, der trotz Eures ausdrücklichen Verbots insgeheim die Prädestination lehrt. Und heute morgen – Eure Majestät entsinnen sich vielleicht, der Kronprinz kam zu spät zur Morgentafel – war ich selbst
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Zeuge, wie sich diese Lehre auf die Gemütsverfassung des Prinzen auswirkt. Ich wollte, um Euch Ärger zu ersparen, eigentlich nicht berichten, aber…« »Zum Donnerwetter, Grumbkow, drücke Er sich geradezu aus und red Er nicht um den heißen Brei. Was also hat Er gesehen, was hat Er gehört? Heraus damit!« »Wie Majestät befehlen! Der Kronprinz hatte heute etwas länger geschlafen, als er nach Eurem Befehl durfte, und es waren nur noch wenige Minuten bis zu der Zeit, da er an Eurer Morgentafel zu erscheinen hatte. Ich, der ich bei seiner Toilette zufällig zugegen war, erlaubte mir, Seine Hoheit, den Kronprinzen, untertänigst daran zu erinnern, daß er sogleich an Eurer Tafel erwartet würde. ›Ja, ja, schon, schon‹, sagte der Kronprinz, ›aber der König hat vier Bedienstete zum Ankleiden, ich nur einen.‹« Die Stirn des Königs verfinsterte sich. »›Und dann, das Gebet am Morgen‹, fuhr der Kronprinz fort, ›das meine Ehrfurcht vor Gott und mein Respekt vor dem Willen des Vaters verlangt. Ich kann’s auch heute nicht auslassen.‹ So betet doch, sagte ich zum Prinzen, während des Ankleidens. So erzürnt Ihr Gott nicht und auch nicht Euren Vater.« »Kommt zur Sache, kommt zur Sache!« Der König trommelte ungehalten mit seinen dicken Fingern auf den Tisch. »Mit Verlaub, Majestät, nur noch einen Moment.« »Also, was weiter?«. »Man soll, so antworteten Ihre Hoheit, nicht zwischen Tür und Angel zu Gott beten, sondern in der Zwiesprache mit Gott durch nichts abgelenkt sein und Gott seine Zeit lassen.« »Lobenswert, lobenswert«, bemerkte der König, »aber wo bleibt endlich das, was Ihr mir eigentlich sagen wollt?« »Sogleich, Majestät. Ihre Prinzliche Hoheit wiesen mein Drängen mit dem Bemerken zurück, daß Gottes Gebot wichtiger als das Gebot des Königs sei. Gottes Gebot ist wichtiger als das Gebot des Königs.« – Grumbkow wiederholte genüßlich. »Das war es, was ich Euch sagen wollte.« Der Preußenkönig schwieg, aber Grumbkow bemerkte an seinen schwellenden Schläfenadern, daß der Hieb gesessen hatte. Gleich mußte der Ausbruch kommen. Und er kam. Friedrich Wilhelm sprang auf. »Zum Teufel mit den Querpfeifern.« Er hieb mit der Faust auf den Tisch, daß die Offiziere und ihre Damen
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erschrocken auf den König blickten. Und ohne darauf Rücksicht zu nehmen, daß viele Herren und Damen seines Hofes Zeuge seines Wutausbruchs wurden, schrie Friedrich Wilhelm: »Ja, das ist er wieder, dieser verfluchte Widerspruchsgeist. Was Feines hat sich der Lümmel jetzt ausgedacht. Versteckt seine Widerspenstigkeit hinter dem lieben Gott, versucht, mir Religionsunterricht zu geben. Aber ich werde ihm zeigen, daß Gott keinen anderen Willen und keine anderen Gebote hat als den Willen und die Gebote des Königs. Denn ich, Friedrich Wilhelm, bin König von Gottes Gnaden. Und dieser Kerl soll nicht versuchen, Gott gegen seinen König, gegen seinen Vater, auszuspielen. Mit dem Stock werde ich dem feinen Herrn Prinzen die Widersätzlichkeit aus den Rippen prügeln. Er soll unverzüglich vor seinem König erscheinen. Page, schaff Er mir den Kronprinzen herbei!« Der Page entfernte sich. Friedrich Wilhelm ließ sich, schwer atmend, in seinen Stuhl zurückfallen. Die Gäste starrten betroffen zu Boden, obwohl ihnen solche Wutausbrüche des jähzornigen Königs nicht fremd waren. Wenig später betrat der Kronprinz den Saal, schritt an den verlegen schauenden Herren und Damen vorbei zum Platz des Königs. Kaum achtzehn Jahre alt, wirkte er wesentlich älter und reifer, mitgenommen durch den harten Tagesablauf, den ihm sein despotischer Vater von frühester Jugend an aufgezwungen hatte. Friedrich beugte sein Knie. »Ihr habt mich rufen lassen, Königliche Majestät?« Friedrich Wilhelm nahm keine Notiz von seinem Sohn, starrte auf das weiße Tafeltuch. »Ich bin zur Stelle, Vater«, wiederholte Friedrich. »Soso, zur Stelle bist du.« Der Preußenkönig wandte sich Friedrich zu, und sein Blick glitt vom Tischtuch auf Friedrichs Schuhe, die wieder einmal nicht richtig gebunden waren, und blieb schließlich an seinem Gesicht hängen, das wie immer diesen dreimal verfluchten überheblichen Zug trug. »Und warum geruhen Eure Kaiserliche Majestät erst jetzt zu erscheinen, zwei Stunden nach der festgesetzten Zeit?« fragte Friedrich Wilhelm mit jenem gefährlichen Spott in der Stimme, der dem Eingeweihten nichts Gutes verhieß. »Eure Königliche Majestät haben mich erst jetzt durch Ihren Pagen zu sich befohlen.«
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»Eure Kaiserliche Majestät irren, wie so häufig, wenn es um die Interpretation meines königlichen und väterlichen Willens geht«, erwiderte der König. »Meine Order, um sieben Uhr hier zu erscheinen, bezog sich, soweit ich mich entsinne, auf mein gesamtes Gefolge, das mich morgen nach Zeithain begleiten wird. Und zu diesem Gefolge gehört auch Er. Merk Er sich das ein für allemal, Hundsfott.« Und plötzlich wurde der König wieder laut: »Auch der Kronprinz ist Gefolgsmann des Königs. Solange ich König bin, gilt mein Wille, ausschließlich mein Wille, an dem auch Er, das schreib Er sich hinter die Ohren, nichts zu deuteln hat. Übrigens, mit welchen dringenden, unabwendbaren Staatsangelegenheiten geruhten Eure Kaiserliche Majestät sich denn zu beschäftigen?« Der Blick des Königs war gefährlich lauernd. Friedrich spürte an der gedrückten Atmosphäre, die über dem Raum lag, an dem Ton der Stimme, daß Seine Majestät in ausgesprochen schlechter Laune war. Der Page hatte ihn beim Musizieren mit seiner Schwester Wilhelmine angetroffen. Friedrich wußte nicht, ob dem König die Art seiner Beschäftigung hinterbracht worden war. Aber er wußte, wie schlecht der König auf seine Flöte zu sprechen war. Trotzdem, es schien nicht ratsam, Ausflüchte zu gebrauchen. »Ich war in der Bibliothek und habe gelesen, sodann mit der Prinzessin die Flöte gespielt, allergnädigster Herr Vater.« Er wollte das, dem Gesetze der Klugheit folgend, leise und mit Demut sagen, aber sein Stolz verhinderte es, und sein Satz stand plötzlich, ganz ungewollt, trotzig und herausfordernd im Raum. Der König lachte, aber es war ein böses Lachen, und in seinen Augen stand der Haß. »Soso, Ihr habt gelesen. Aber merkt Euch eins, Friedrich: Es gibt keine andere Wissenschaft als die Wissenschaft von Soldaten und Krieg. Und es gibt nichts, was einen Prinzen besser kleidet als ein Pferd und ein scharfer Degen. Bücher und Nähzeug sind für die Weiber. Wenn wir in Preußen alle herumsitzen würden mit einem Buch in der Hand und einer Flöte vor dem Maul – hör Er mir gut zu, Herr Friedrich –, dann gäbe es Preußen nicht mehr. Dann wäre es von den Stiefeln seiner Feinde zerstampft und aufgestückelt. Ich habe diesen Staat nicht in ungeheurer Kraftanstrengung aufgebaut, damit er einem Poeten und Musikanten in die Hände gerät und zerfällt. Hier wird nicht gelesen und musiziert! Könige dienen nicht der Wissenschaft und der Musik, sie dienen der Größe und dem Ruhme des Vaterlandes – mit dem Degen in. der Faust. Und nun geht schlafen, kleiner Prinz, damit Ihr uns morgen nicht wieder warten laßt.« Brüsk wandte der König dem Kronprinzen den Rücken zu.
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Es wäre für Friedrich das Klügste gewesen, sich zu entfernen. Aber er sah in den Augen der Herren und Damen, die Zeuge seiner Demütigung geworden waren, versteckten Hohn und Schadenfreude. Und wieder bäumte sich sein Stolz auf. »Auf ein Wort noch, Majestät«, sagte er. Der König drehte sich langsam um. »Was gibt es noch, und was soll dieser Ton?« »Laßt Euch sagen, Herr Vater, es ist nicht Aufsässigkeit und Widersetzlichkeit, und es ist nicht Mißachtung Eures Willens, wenn ich mich zur Wissenschaft und zur Musik hingezogen fühle und wenn ich an Eurem kriegerischen Handwerk kein Interesse habe. In der Bibel steht geschrieben, daß ein friedfertig Reich komme auf die Erde. Das ist das Wort und der Wille Gottes. Und das Gebot Gottes, bei aller Achtung vor Euch, Majestät, geht vor dem Gebot der Könige.« Friedrich Wilhelm sagte mit äußerster Beherrschung: »Entfernt Euch endlich, Friedrich.« »Mißversteht mich nicht, mein Vater, laßt Euch erklären: Gott legt unsere Natur fest, Eure wie meine, und seinem eigenen Ich gehorchen heißt deshalb Gott gehorchen.« Und nun selber in Rage gekommen ob der Demütigungen vor versammeltem Hofstaat und ob der Kränkungen, die ihm der König bei ähnlichen Gelegenheiten schon mehr als einmal zugefügt hatte, sagte Friedrich noch einmal betont und herausfordernd: »Das Gebot Gottes steht vor dem Gebot der Könige. Und sosehr ich Euch auch ein gehorsamer Sohn sein will, Gott muß ich mehr gehorchen als Euch.« Da war es zum drittenmal, dieses ungeheuer freche ›Das Gebot Gottes steht vor dem Gebot der Könige‹. Und zum zweiten Male an diesem Abend überfiel den Preußenkönig sein alles niedermachender, sein zerstörerischer Jähzorn, den er während der ganzen Auseinandersetzung mit Friedrich mit gewaltiger Anstrengung unterdrückt hatte. Jäh riß er seine kurze Perücke vom Kopf, schleuderte sie auf die Erde und ergriff in hemmungslosem Zorn seinen Stock mit dem schweren Silberknauf. Der König stürzte sich in rasender Wut auf seinen Sohn und stieß den Silberknauf in das Gesicht des Kronprinzen, stieß, auch als sich der General von Wolzogen dazwischenwarf, immer wieder nach dem hochmütigen, aufsässigen Gesicht Friedrichs. Nur mit Gewalt konnte Wolzogen schließlich den König von seinem Sohne trennen.
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Da aber sagte Friedrich, blutig und übel zugerichtet, laut und vernehmlich, das Wutschnauben seines Vaters übertönend: »Majestät, Sie haben das künftige Preußen geschlagen!« Nach dieser Demütigung, deren Zeuge so viele Herren und Damen des königlichen Hofes geworden waren, wuchs in Friedrich der Entschluß, Preußen und seinen tobsüchtigen Landesherrn für immer zu verlassen. Dieser Entschluß, der in den letzten Monaten nach mehreren ähnlichen Szenen als Gedanke schon existierte, aber noch keine konkrete Form, keine faßbare Gestalt angenommen hatte, wurde nun fester, und Friedrich begann über seine Ausführung nachzusinnen. Schweigsam saß der Kronprinz in der Ecke seiner Kutsche. Der General Wolzogen und der Kammerherr Gummersbach, die der König zu den Mitreisenden in der kronprinzlichen Kalesche bestimmt hatte, erhielten auf jeden Versuch, ein Gespräch in Gang zu bringen, barsche und kurze Antworten, bis sie endlich, leicht pikiert, zur Kenntnis nehmen mußten, daß der Kronprinz keine Unterhaltung wünschte. Friedrich hatte ursprünglich die vage Vorstellung, eine Reise des Königs, die ihn bis Süddeutschland, in die Nähe der französischen Grenze, führen sollte, zur Flucht zu benutzen. Aber bis dahin war es noch Zeit, und bei den fixen Ideen des Preußenkönigs war es zudem auch durchaus möglich, daß er sich eines anderen besann und daß die Reise nach Süddeutschland noch vor dem Rhein ins Wasser fiel. Also warum aufschieben, was sich vielleicht schon jetzt, bei dem Besuch im Heer- und Lustlager Augusts, bewerkstelligen ließ. Die Situation war nicht ungünstig. August würde die Aufmerksamkeit des Preußenkönigs durch kriegerische Schaustellungen und Lustbarkeiten aller Art von früh bis spät in Anspruch nehmen, so daß dem König sicherlich weniger Zeit als sonst blieb, jeden Schritt seines Sohnes zu überwachen und mit seinem Erziehungsreglement persönlich in dessen Tagesablauf einzugreifen. Und außerdem: Im Gefolge seines Bruders, des Prinzen Heinrich, reiste sein Vertrauter, der Leutnant von Katte, der mit bedingungsloser Hingabe an dem Kronprinzen hing und der ihn bei der Ausführung seines Vorhabens unterstützen würde. Und er brauchte einen Vertrauten, einen verschwiegenen Helfer, der für ihn vortastete, der die notwendigen Fäden knüpfte, der die Pferde und vor allem das leidige Geld beschaffte. Man müßte, so überlegte der Kronprinz, vor allem mit dem englischen Residenten in Berlin, mit Sir Guy Dickens, ins
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Gespräch kommen, um beim englischen Hofe vorzufühlen. Es traf sich gut, daß ebendieser Herr Dickens, der übrigens die englische Heirat des Kronprinzen nach Kräften betrieb, im vielhundertköpfigen Gefolge des Königs nach Zeithain reiste. Und es traf sich noch besser, daß der englische Resident direkt vom Zeithainer Lager aus nach England gehen würde. Also könnte er König Georg V. darauf vorbereiten, daß er, der preußische Kronprinz, wenige Tage später in Britannien eintreffen wollte. Solchermaßen also waren die Gedanken, denen der Kronprinz nachhing und die sein königlicher Vater, der weit hinter ihm, in der Mitte des langen Reisezuges fuhr, Gott sei gedankt, nicht erahnen konnte. Mittlerweile hatten sich der König und sein Gefolge bis auf wenige Kilometer dem Orte Roßbach genähert. Hier wollte August seinen königlichen Vetter aus Preußen willkommen heißen und ihn höchstpersönlich in das Zeithainer Lager geleiten. Seine Majestät, Friedrich Wilhelm I. gaben das Zeichen zum Halten. Der Preußenkönig wollte August auf seinem weißen Zelter das letzte Wegstück entgegenreiten. Der Zug formierte sich neu. An der Spitze der König, angetan mit der Uniform des schwarzen Adlerordens, hinter ihm die Prinzen und seine Generale. Wenig später kündeten Trompetensignale das Nahen des Polenkönigs. August II. galoppierte im glänzenden Küraß, den der weiße polnische Adlerorden zierte, an der Spitze eines bunten, farbenprächtigen, mindestens dreihundert Mann zählenden Gefolges auf den Preußenkönig zu, sprang trotz des schweren Habitus mit Eleganz von seinem feurigen Rappen und ging mit ausgebreiteten Armen auf seinen königlichen Gast zu. Der allerdings kam angesichts seiner Leibesfülle weniger behende und nur mit fremder Hilfe vom Pferde herunter. Die beiden Könige umarmten sich, das Gefolge brach in laute Vivatrufe aus. »Herzlich willkommen in Sachsen, mein königlicher Bruder. Ihr seid der erste und sachverständigste Monarch in Europa, der meine neuorganisierte Armee begutachten und inspizieren soll. Ihr wißt, ich gebe viel auf Euer Urteil.« Und seinen prächtigen, mit Federn gezierten Hut schwenkend, rief August: »Es lebe der große König des mächtigen Preußen.« »Vivat!« Vielhundertstimmig fiel die Begleitung Augusts erneut in den Willkommensgruß ein.
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Friedrich Wilhelm war von diesem Empfang sichtlich geschmeichelt und sagte nun auch seinerseits August Liebenswürdigkeiten, obwohl sie ihm sichtlich schwer von der Zunge gingen. Hohe Offiziere reichten in goldenen Pokalen Wein, den die Monarchen jeder auf des anderen Gesundheit tranken. Dann stellten sie einander ihr engstes Gefolge vor. Was aber das Herz des Preußenkönigs am meisten erfreute, waren die fünfzehn langen Kerls, keiner unter sechs Fuß, die ein wenig abseits angetreten standen und die August dem preußischen König, dessen Vorliebe für lange Kerls er kannte, als Willkommensgeschenk übereignete. Friedrich Wilhelms feistes Gesicht strahlte in kindlicher Freude. Nach dem Begrüßungszeremoniell stiegen die Könige zu Pferd und ritten Seite an Seite an der Spitze ihrer Offiziere Zeithain entgegen, wo August sein Heerlager aufgeschlagen hatte. Als sie die Kuppe des Hügels, der vor ihnen lag, erreicht hatten, entfuhr Friedrich Wilhelm ein Ausruf des Erstaunens. Mit weiter, ausladender Geste schloß August den Kreis um das gewaltige bunte Panorama, das zu ihren Füßen lag. »Das, mein königlicher Vetter«, sagte er mit sichtlichem Stolz, »ist meine neue Armee, und sie wird, wie ich Euch versichern kann, der Euren nicht nachstehen.« Friedrich Wilhelm furchte die Brauen. Eine Armee, die seiner nicht nachstand! Es gab keine bessere als die preußische. Keine andere Armee der Welt war so gedrillt, so schnell und exakt im Laden und Schießen, so hervorragend organisiert wie die preußische. Aber eins mußte man August lassen: Der prunksüchtige Polenkönig hatte hier in einer seiner kostspieligen Launen eine militärische Schaustellung von wahrhaft gigantischem Ausmaß auf die Beine gebracht und dreißigtausend Mann in strahlendem Weiß, Blau und Rot völlig neu eingekleideter Truppen in Zeithain zusammengezogen. Eine riesige Stadt bunter, mit Fahnen und Fähnchen geschmückter Zelte breitete sich in der Ebene aus. Friedrich Wilhelm war von August schon einiges gewohnt, aber das übertraf alles bisher Dagewesene. Das muß den Sachsenprotz Millionen gekostet haben, dachte er. Nun, das war seine Sache, er wußte sein Geld auf jeden Fall besser anzulegen, Gott sei Dank. Mit prächtigen Zelten, mit Zirkus und Gaudi war kein Staat mächtig zu machen, war keinem Gegner Schrecken einzujagen. August hatte es sich nicht nehmen lassen, für seinen Gast in der riesigen Zeltstadt eine eigene, mit Wall und Graben umgebene Stadt herrichten zu lassen. Sie bestand aus vierzig prächtigen, mit den preußischen Farben gezierten Wohnzelten und einem massiven, schloßähnlichen Pavillon mit
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einer Flucht gediegen und prunkvoll eingerichteter Zimmer, die als Wohnung für den Preußenkönig bestimmt waren. Der sprichwörtliche Geiz trieb dem Preußen einen Schauer über den Rücken, wenn er diese nur für einen vorübergehenden Aufenthalt bestimmte Zimmerflucht mit seinen einfach möblierten Räumen im Berliner Schloß verglich. Zur Begrüßung der Gäste hatte August in seiner provisorischen Lagerresidenz, die des Taktes wegen ausnahmsweise nicht prunkvoller hergerichtet war als der Pavillon des Preußenkönigs, ein erlesenes Mahl anrichten lassen. Hunderte Musiker, Schausteller, Harlekine und Tänzer unterhielten die Gäste. Der preußische König, der wußte, daß er nicht aus seiner sorgsam gehüteten königlichen Kasse bezahlen mußte, sprach Wein und Bier reichlich zu. Der Kronprinz Friedrich, der nicht allzuweit von den beiden Königen entfernt an der langen Tafel neben seinem Bruder Heinrich und dem sächsischen Minister Hoym seinen Platz gefunden hatte, nippte nur wenig am Wein, denn es trieb ihn, noch heute mit Katte zu sprechen und die Einzelheiten seiner Flucht zu erwägen. Er suchte die Gelegenheit, sich unauffällig von der Tafel zu entfernen und sich in seinem Zelte mit dem jungen Leutnant zu treffen. Zufrieden nahm er wahr, daß die königliche Aufmerksamkeit seines Vaters heute ausnahmslos dem Wein und der Lustweil galt und er in seinem Gesichtskreis noch keinerlei Aufmerksamkeit gefunden hatte, sie sicherlich auch nicht finden würde. So erhob er sich denn von der Tafel und ging zu seinem Zelt, um durch seinen Pagen ein Billett an den Leutnant Katte zu schicken, das diesen sofort zum Kronprinzen rief. Aber Friedrich hatte auch dieses Mal die Rechnung ohne seinen unberechenbaren Vater gemacht. Zugleich mit dem herbeigerufenen Leutnant Katte betrat der Kammerdiener Friedrich Wilhelms das Zelt des Kronprinzen mit der ausdrücklichen Order, daß Friedrich sich sofort wieder an der Tafel einfinden solle. Friedrich befahl Katte, unbedingt auf seine Rückkehr zu warten, und begab sich, nichts Gutes ahnend, zurück zur königlichen Tafel. Allerdings machte er sich mit der berechtigten Hoffnung Mut, daß Seine Majestät Ihr Temperament in Gesellschaft des Kurfürsten von Sachsen und Königs von Polen und der vielen fremden und hohen Herren des sächsischen Hofes zügeln werde. Doch er irrte sich. Als Friedrich vor seinem Vater stand, erhob sich dieser schwerfällig von seinem Platze und versetzte seinem Sohn in
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Gegenwart des sprachlosen Gastgebers und seines ganzen Hofstaates ein paar schallende Ohrfeigen. Zum Glück trug er nicht wie zwei Wochen zuvor seinen Stock bei sich, und zum Glück lähmte offensichtlich auch der Alkohol seinen strafenden königlichen Arm, sonst hätte es Friedrich Wilhelm mit Sicherheit nicht bei diesen beiden Ohrfeigen bewenden lassen und dem versammelten sächsischen Hof ein noch beredteres Zeugnis seiner in Preußen schon bekannten Erziehungsmethoden gegeben. So aber bemerkte er so laut, daß es keinem verborgen blieb, nur noch höhnisch: »Schäm Er sich, wäre ich von meinem Vater so behandelt worden, ich würde davongelaufen sein oder mich totgeschossen haben. Er aber hat weder Mut noch Ehre. Ihm kann man alles bieten.« Dann fiel der betrunkene Preußenkönig auf seinen Stuhl zurück und hob den schweren Pokal gegen August und seine Herren, die nur mühsam ihre Fassung bewahren konnten. Ein prügelnder Fürst in irgendeinem unbedeutenden Winkel des Reiches, nun gut, das mochte angehen. Aber ein solcher Grobian auf dem Throne Preußens! Das hatte schon etwas von grotesker Einmaligkeit an sich. Um über die peinliche Situation hinwegzukommen, gab August ein Zeichen, und rauschend setzte die Musik ein. Der Kronprinz eilte zu seinem Zelt, wo Katte geduldig auf ihn wartete. Er gebot seinem Bediensteten, dem Kammerdiener Gummersbach, und seinem Pagen, das Zelt zu verlassen. Kaum war er mit Katte allein, brach es aus ihm heraus: »Ich muß fort, auf schnellstem Wege Preußen verlassen. Der König hat mich soeben wieder geschlagen und in übelster Weise beschimpft. Welche Schmach! In Gegenwart des polnischen Königs und des ganzen Hofstaates, mich, den Kronprinzen von Preußen, geohrfeigt wie einen Bauernlümmel. Ich kann und will diesen brutalen, engherzigen rachsüchtigen Menschen nicht mehr ertragen. Laß uns, ohne Zeit zu verlieren, die Flucht vorbereiten, Katte. Laß uns keinen Moment mehr zögern!« Katte erschrak bis ins Innerste. Die dichten, über der Nasenwurzel zusammengewachsenen Brauen zuckten wie sein ganzes pockennarbiges unschönes, aber dennoch anziehendes Gesicht, wie immer, wenn er in großer Erregung war. Diese folgenschwere, so bestimmt geäußerte Absicht des Kronprinzen war geeignet, ihn in die allerhöchste Erregung zu versetzen. Gewiß, sein hoher Freund und Gönner Friedrich hatte schon bei mehreren Gelegenheiten, und zwar stets nach heftigen Auseinandersetzungen mit seinem königlichen Vater, die in letzter Zeit leider immer häufiger wurden,
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von Flucht geredet. Aber vage und unbestimmt. Der Kronprinz hatte den jungen Leutnant bei solchen Gelegenheiten auch gefragt, ob er ihm bei der Flucht behilflich sein und ihn in das freiwillige Exil begleiten würde. »Hoheit«, pflegte Katte in solchen Momenten zu antworten. »Ihr wißt, wie sehr ich Euch zugetan bin, wie sehr ich Euch liebe. Gebietet über mich, und alles, was mir gehört, und sei es das Leben, gehört auch Euch. Mein Platz wird stets an Eurer Seite sein.« Aber das hatte er so dahingesagt, eben genauso, wie Friedrich unbestimmt seit langem von seiner Flucht redete, ohne ihre Ausführung ernstlich ins Auge zu fassen. Jetzt aber hatte der Kronprinz Katte gestellt. Jetzt war es unmißverständlicher Ernst geworden, jetzt verlangte der Kronprinz nicht mehr und nicht weniger als seinen tätigen Beistand bei diesem gefährlichen Unterfangen, bei dem man den Kopf riskierte. Katte fuhr sich instinktiv mit seinem Finger zwischen Hemdkragen und Hals, und er entsann sich in diesem Augenblick auch dessen, was erst kürzlich der Obrist von Rochow als unmißverständliche Warnung zu ihm gesagt hatte. Rochow, der dem jungen Katte, dem Sohn seines guten Freundes, des Generalleutnants von Katte, sehr zugetan war, beobachtete schon seit langem mit sehr zwiespältigen Gefühlen das enge Verhältnis des Leutnants zum Kronprinzen, dessen Grundlage die gemeinsame Liebe zur Musik, zu den Büchern, zu den Frauen, aber auch das gemeinsame Vergnügen an tollen Streichen war, die man den Bürgersleuten spielte. Rochow aber wußte auch, wie sehr der König die Musik, die Bücher, die Kunst und die Liebe zum schönen Geschlecht haßte, und er begriff, daß es keineswegs vorteilhaft für den jungen Leutnant war, wenn der König in Katte einen Menschen erkannte, der den Kronprinzen in solchen ungebührlichen Leidenschaften animierte und förderte. Aber was dem alten Obristen noch weit gefährlicher erschien: Durch hier und dort getane unbedachte Äußerungen des Kronprinzen munkelte man bereits im Offizierskorps davon, daß er wegzugehen beabsichtige. Schon das Mitwissen von einem solchen, wenn auch nicht ausgeführten Vorhaben würde in den Augen Seiner allergnädigsten Majestät als todeswürdiges Verbrechen erscheinen. Aus solchen Erwägungen heraus hatte der Obrist von Rochow den Leutnant von Katte, ernstlich ins Gebet genommen. »Hütet Euch vor Unbedachtem, Katte, Ihr seid der Vertraute, der Freund des Kronprinzen. Das mag Euch schmeicheln, das mag Euch zu großer Ehre gereichen, das mag Euch in Euren Augen erheben vor den anderen. Aber, hört gut zu, was
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ich Euch jetzt zu sagen habe: Ihr kennt das gespannte Verhältnis zwischen Seiner allergnädigsten Majestät und dem Prinzen, und Ihr wißt, wie sehr dem König gerade das verhaßt ist, was Ihr mit dem Kronprinzen so ausgiebig und manchmal ausschweifend treibt. Der Kronprinz ist jung und ein Hitzkopf, und die ab und zu von Seiner Majestät verabreichten Ohrfeigen und Nasenstüber könnten ihn zu gewissen Unbesonnenheiten verleiten. Hütet Euch, solche Unbesonnenheiten zu unterstützen, ja hütet Euch, von solchen Unbesonnenheiten auch nur zu wissen. Es ist gefährlich, die Geheimnisse der Großen zu kennen. Wenn der Zorn des Königs den Kronprinzen trifft, so mag das für Friedrich schon schlimm genug sein. Aber er ist von erlauchtem Blut. Er ist der Erbe des preußischen Staates. Wehe jedoch, wenn die Wut des Königs auf einen kleinen Leutnant niederrast. Da hilft Euch nicht der gute Name Eures Vaters, da helfen Euch nicht die Verdienste Eures Großvaters, des Generalfeldmarschalls von Wartensleben, und da hilft Euch auch nicht der Kronprinz, der in diesem Falle genug zu tun haben wird, um seine eigene Haut zu retten. Da kann Euch selbst der liebe Herrgott nicht mehr helfen, der wohl im tausendmal größeren Himmel kommandiert, aber im Staate Preußen weit weniger zu sagen hat als der König. Ihr braucht mir nicht zu antworten, Katte. Ich will nicht wissen, was Ihr wißt. Ich will zu Euren eigenen Gunsten, zu Eurem eigenen Wohl, daß Ihr nachdenkt über das, was ich Euch gesagt habe, und Euer Tun danach einrichtet.« Genau diese Warnung ging Katte jetzt durch den Kopf, als der Kronprinz seine Bitte so direkt an ihn richtete. Auf der anderen Seite: Rund heraus ablehnen, sich ganz entschieden von einem Wunsche Seiner Hoheit, des Kronprinzen von Preußen, zu distanzieren, war wohl für einen kleinen Leutnant der preußischen Armee ebensowenig möglich. Aber es gab auch noch andere Gründe, die eine Ablehnung ausschlossen. Mochte er es gewollt haben oder nicht, er war jetzt der einzige, der Kenntnis von dem festen Vorsatz des Prinzen hatte, den König von Preußen und die Armee auf schnellstem Wege zu verlassen. Als treuer Untertan Seiner Majestät hätte er diesen Vorsatz des Prinzen umgehend dem König entdecken müssen. Aber Katte, der sich im Umgang mit seinem hohen Gönner, dem Kronprinzen, sehr genaue Kenntnis von den Charaktereigenschaften des Königs angeeignet hatte, fürchtete nicht ohne Grund, daß Seine Majestät diese Untertanentreue mehr als schlecht belohnen würde. Und schließlich war da noch die echte, tiefe Zuneigung, die Katte zum Kronprinzen in den langen Monaten ihres Vertrautseins gefaßt hatte und die
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ihm sowohl die Ablehnung des prinzlichen Wunsches als auch seine Entdeckung unmöglich machte. Mit klarem, geschärftem Blick erkannte der intelligente Leutnant das Verderben, das auf sie beide zukam, auf ihn mehr als auf den Prinzen, wenn der Kronprinz seinen Fluchtvorsatz in die Tat umsetzte. Und er sah, was jetzt not tat: Er mußte dem Prinzen seinen Plan ausreden und, wenn das nicht gelang, bei Vortäuschung seiner Unterstützung den Plan hintertreiben. So antwortete er ausweichend: »Eure Hoheit, ich kann und will nicht glauben, daß das Euer Ernst ist, also weiß ich auch nicht, was ich auf Euer Ansinnen antworten soll.« »Es ist mein voller Ernst, mein unabänderlicher Beschluß, und ich habe dich nicht gerufen, Katte, um mit dir die Flucht zu erwägen, sondern die Einzelheiten der Ausführung, deine Mithilfe.« »Bedenkt, Königliche Hoheit, in welche Sache Ihr Euch da einlassen wollt. Von den schlimmen Folgen für Euch und mich ganz zu schweigen. Es gibt da auch einige sehr praktische Schwierigkeiten. Schon die Pferde zu beschaffen dürfte unmöglich sein. Im ganzen Sächsischen bekommt Ihr ohne die Genehmigung des Ministers Hoym in keinem Posthaus ein einziges Pferd.« »Das laß mich nur machen«, sagte der Kronprinz. »Was soll daran denn so schwierig sein. Geh zu Hoym und sag ihm, ich und einige Herren Offiziere möchten ganz inkognito einen Abstecher nach Leipzig machen. Laß uns die entsprechenden Pässe ausstellen. Und sind wir erst in Leipzig, so ist unsere Flucht so gut wie gelungen.« »Nein, ich glaube nicht, daß Euch der Kabinettsminister die Pässe ausstellt«, antwortete Katte, »denn er könnte, nachdem er Zeuge Eurer Demütigung geworden ist, ungefähr ahnen, was es mit der Reise nach Leipzig für eine Bewandtnis haben soll. Und dann, Hoheit, sagt mir, wohin wollt Ihr Euch wenden, wo hofft Ihr Aufnahme zu finden? Kein europäischer Hof würde Euch als Flüchtling haben wollen. Denn das könnte zu einem ernsten Zerwürfnis mit Eurem königlichen Vater, mit Preußen führen. Und welcher europäische Hof möchte das riskieren?« »Da irrst du, Freund. In Frankreich zum Beispiel würde man mir mit Freuden Asyl und Sicherheit und außerdem so viel Geld geben, wie ich immer verlangte.« »Verzeiht, Hoheit, aber worauf stützt Ihr diese Meinung?«
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»Der französische und preußische Hof stehen nicht gut miteinander, und schon deshalb würde ich dort willkommen sein. Und Frankreich ist neben England das einzige Land Europas, das mächtig genug ist, meinen jähzornigen Vater nicht fürchten zu müssen. Es gibt da ein gewisses Schreiben des französischen Gesandten in Berlin an den König von Frankreich, und ich kenne den Inhalt. Um den Vater zu entwaffnen, so schreibt der französische Resident, müßte man dem Kronprinzen eine Partei schaffen und eine Anzahl von Offizieren auf seine Seite bringen. Jedenfalls müßte man den Kronprinzen in einer für Frankreich günstigen Gesinnung erziehen.« Katte erschrak. »Aber Hoheit, das ist ja ein perfektes politisches Komplott gegen den König. Wollt Ihr dazu Eure Hand leihen? Wollt ihr die politischen Pläne unterstützen, die die Feinde Preußens gegen den König schmieden? Das, Hoheit, ist, mit Verlaub gesagt, Hochverrat, und für dieses Verbrechen gibt es keine andere Strafe als den Tod. Und bei meiner Offiziersehre, Hoheit, sosehr ich den Ärger gegen Euren Vater verstehen kann, zu einer solchen Sache dürft Ihr, könnt Ihr Euch nicht hinreißen lassen!« »Beruhige dich, mein lieber Katte, Frankreich ist nur das vorläufige Ziel meiner Flucht. Ich will nach England, aber ich muß den Umweg über Frankreich machen. Wenn ich gleich zu meinem Onkel nach England ginge, würde der König vermuten, die Königin, meine Mutter, und meine Schwestern hätten zusammen mit mir an diesem Komplott gearbeitet. Ihr wißt ja, mit welchem Eifer sie die englische Heirat betreiben. Nicht auszudenken, welchen Schikanen und welcher Rache Mutter und Schwestern schutzlos ausgesetzt wären, wenn ich England sofort zum Ziel meiner Reise machen würde.« »Aber mit allem Verlaub zu sagen, Königliche Hoheit, ich bezweifle, daß Ihr als Flüchtling auch in England noch der willkommene Gatte der Prinzessin von Wales sein würdet. Angenommen, der englische König bietet Euch durch seine engen verwandtschaftlichen Beziehungen zu Eurer Mutter den Schutz, den Ihr erwartet. Angenommen, er besitzt den Mut, Eurem Vater so offen die Stirn zu bieten, es auf ein Zerwürfnis mit Preußen ankommen zu lassen. In seinen politischen Plänen seid Ihr nicht mehr die Schlüsselfigur, die der Kronprinz als Erbe des preußischen Staates ist. Denn, Hoheit, bildet Euch selbst ein Urteil, der König würde Euch unweigerlich von der preußischen Thronfolge ausschließen und Euren Bruder, den Prinzen Heinrich, zum Erben von Thron und Staat einsetzen. Das Beste also, was Euch in England erwarten könnte, wäre das Leben eines Privatmannes und ein Leben ohne die Prinzessin von Wales, die Ihr zu lieben vorgebt.«
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»Argumente über Argumente, Ausflüchte über Ausflüchte! Ist das die Treue, der du mich immer wieder versichert hast?« rief der Kronprinz erregt. »Steh mir endlich klar und unzweideutig Rede und Antwort: Willst du mir bei meinem unabänderlichen Vorhaben behilflich sein oder nicht? Antworte mit Ja oder Nein!« Es gab kein Entrinnen mehr. Katte mußte sich bekennen. Blitzartig überdachte er noch einmal alle die verwickelten Zusammenhänge. Wenn er nein sagte, würde der Kronprinz in seiner jetzigen Stimmung und Lage die Flucht allein riskieren. Das war gefährlich für den Kronprinzen, noch gefährlicher für ihn selbst, der als engster Vertrauter des Prinzen bekannt war. Keiner würde ihm später abnehmen, daß er nichts von diesem Vorsatz der Flucht gewußt habe. Wenn er ja sagte, dann behielt er wenigstens die Möglichkeit, die Dinge zu beeinflussen, hinauszuzögern, immer neue Schwierigkeiten zu erfinden und geschickt aufzubauen, bis der Kronprinz schließlich ganz von seinem Fluchtgedanken ablassen würde. So entgegnete er: »Ich gebrauche keine Gegenargumente, weil ich in der Stunde des Risikos und der Gefahr nicht zu Euch stehen will, Hoheit. Ich versuche nur, Euch, Königliche Hoheit, das Komplizierte dieses Unterfangens, soweit ich es mit meiner bescheidenen Lebensweisheit beurteilen kann, vor Augen zu führen. Im übrigen aber zählt auf mich! Mein künftiges Leben gehört Euch genauso, wie Euch mein vergangenes Leben gehört hat.« »Ich wußte es, Katte, ich wußte es«, rief der Kronprinz und schloß den Leutnant voller Bewegung in die Arme. Aber sogleich führte er die Unterredung wieder auf das Sachliche zurück. »Ich bitte dich, mein lieber Katte, um zwei Dinge. Ich muß jetzt, das wirst du verstehen, Zurückhaltung üben, denn ich fürchte, daß mich der König nach dem heutigen Vorfall noch strenger überwachen läßt. Es ist mir deshalb unmöglich, mich selbst an den englischen Residenten zu wenden. Seine Exzellenz will übermorgen mit wichtigen Depeschen nach England gehen. Vorher brauche ich unbedingt eine streng vertrauliche Unterredung mit Seiner Exzellenz. Guy Dickens soll meinen Onkel Georg auf meine Ankunft in England sachte vorbereiten. Du, Katte, mußt diese Unterredung bewerkstelligen. Wie, das ist deinem Geschick überlassen. Das ist meine erste Bitte. Mein zweiter Wunsch ist der, daß du beim Kabinettsminister Hoym Pässe nach Leipzig beschaffst. Stell die Sache so harmlos wie möglich dar, und ich bin überzeugt, er schöpft keinen Verdacht. Haben wir erst die Pässe, so sind wir auch in Leipzig, und sind wir in Leipzig, so sind wir auch in Frankreich.« »Ich werde mein möglichstes tun«, sagte Katte und verabschiedete sich von seinem kronprinzlichen Freund.
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Schon am nächsten Tag entledigte er sich seines ersten Auftrages. Als er den englischen Residenten unter den Zuschauern fand, die dem Exerzieren der sächsischen Truppen beiwohnten, benutzte er einen günstigen Augenblick und näherte sich Dickens. »Exzellenz, Seine Königliche Hoheit, der Kronprinz, wünschen Euch in einer sehr vertraulichen Angelegenheit zu sprechen, die keinen Aufschub duldet. Die Gelegenheit wäre jetzt günstig. Seine Hoheit haben sich vom Exerzierplatz entfernt und sind mit Sicherheit allein in Ihrem Zelte zu treffen. Wenn auch Ihr geruhen wolltet, in einem unbeobachteten Moment das Schauspiel zu verlassen und den Prinzen in seinem Zelte aufzusuchen…« »Meldet Seiner Hoheit, daß ich die nächste Gelegenheit nutze, um zum Prinzen zu eilen.« Katte räusperte sich. »Sie wünschen, Herr Leutnant?« fragte der englische Gesandte. »Es ist mir äußerst unangenehm«, flüsterte Katte, obwohl niemand in der Nähe war, Guy Dickens zu, »aber ich fürchte, das, was Euch Eure Königliche Hoheit zu offenbaren haben, dürfte nicht die Billigung Seiner Majestät finden. Ich bitte Euch deshalb inständig, überlegt wohl, was Ihr dem Kronprinzen antwortet.« Der englische Resident runzelte die Stirn. »Erklärt Euch näher, Herr Leutnant, mit Euren Andeutungen weiß ich nichts anzufangen.« »Darf ich für das, was ich Euch jetzt anvertraue, mit Eurer tiefsten Verschwiegenheit rechnen, Exzellenz?« »Verlaßt Euch auf mich«, erwiderte Dickens, dessen Aufmerksamkeit geweckt war. »Der Kronprinz trägt sich mit dem Gedanken, Preußen zu verlassen, und ich baue darauf, daß Ihr die Folgen eines solchen Vorhabens richtig einschätzt und es zu unterbinden trachtet.« Der Engländer setzte seine undurchdringlichste Diplomatenmiene auf. »Ihr versteht Euch schlecht aufs Konspirieren, wenn Ihr solche Geheimnisse schon bei der ersten besten Gelegenheit preisgebt.« Guy Dickens merkte das Erschrecken, das sich auf dem blatternarbigen Gesicht des Leutnants malte. Es schien ihm angebracht, ihn zu beruhigen. »Auf meine Verschwiegenheit darf Seine Hoheit zählen, aber seid auch Ihr in Zukunft in dieser brisanten Angelegenheit so verschwiegen wie ich.« Für den geschulten Diplomaten stand fest, daß er dem Kronprinzen ausweichend
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antworten würde. Es gab, wie er eben gesehen hatte, bereits mindestens einen Mitwisser dieses gefährlichen Projektes, und er überrechnete sofort die Folgen, die politischen Verwicklungen. Nicht auszudenken, wenn herauskäme, daß der englische Resident in Preußen bei der Flucht des Kronprinzen geholfen hatte. Als Guy Dickens etwa nach einer Stunde das Zelt des Kronprinzen betrat, fand er Katte bei ihm. »Sie wünschen, wie mir durch Ihren Herrn Leutnant mitgeteilt wurde, Königliche Hoheit, eine streng vertrauliche Unterredung mit mir«, sagte der englische Resident mit besonderer Betonung des Wortes vertraulich. Der Kronprinz verstand sofort den Wink und befahl Katte, das Zelt zu verlassen. Kaum waren sie allein, begann der Kronprinz. »Ich habe lange auf eine Gelegenheit gewartet, um mit Ihnen über meine traurige Lage zu sprechen. Ich will die empörende Behandlung, welche ich täglich von meinem Vater erfahre, nicht länger ertragen und bin entschlossen, mich davon so bald wie möglich zu befreien. Auch bietet sich jetzt eine günstige Gelegenheit. Sollten besondere Umstände meine Flucht aus dem Lager dennoch verhindern, so begleite ich im Juli meinen Vater nach Anspach, um von dort einen Ausflug nach Stuttgart zu machen. Von dort will ich nach Strasbourg fliehen, dann auf sechs oder acht Wochen nach Paris gehen und endlich nach England hinüberkommen. Alle Maßnahmen zur Flucht«, schwindelte der Kronprinz, »sind ergriffen. Ich weiß, daß Eure Exzellenz morgen das Lager verlassen und mit wichtigen Depeschen nach England reisen werden. Seid so gütig und übergebt diesen Brief an meinen Onkel, Seine Majestät Georg den Fünften. Ihr sollt auch, wissen, was ich ihm mitzuteilen habe. Ich bitte Seine Majestät, sich beim französischen König zu verwenden, damit dieser mir Schutz angedeihen lasse, und ich bitte meinen Onkel weiter, daß er mir dann wenige Wochen später für immer in England eine Zuflucht gewährt.« Guy Dickens war auf der Hut. »Laßt den Brief, Königliche Hoheit, vernichtet ihn. Glaubt mir, es ist auch für einen Diplomaten zu gefährlich, solche Konterbande in seinem Gepäck zu führen. Ich will dem König gern als Euer persönlicher Kurier Euer Anliegen vortragen und, soweit es in meinen bescheidenen Kräften steht, dieses Anliegen auch fördern. Bis dahin aber, bis ich in etwa vier Wochen aus England mit der Nachricht zurück bin, bitte ich Euch in Eurem eigenen Interesse und auch im Interesse Eurer Mutter und Eures königlichen Onkels in England, der Euch wohlwill und der die geplante Heirat mit der Prinzessin von Wales gern sähe, nichts zu unternehmen. Vertagt Euer Vorhaben, schiebt es auf. Das ist der Rat, den ich
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Euch, Königliche Hoheit, in aller Bescheidenheit geben möchte. Und nun erlaubt, daß ich mich entferne, denn es ist sicherlich für Euch nicht von Vorteil, wenn ich längere Zeit in Eurem Zelte zubringe. Glaubt mir, die Späher des Königs halten ihre Augen und Ohren offen.« Mit einer tiefen Verneigung verließ Guy Dickens das Zelt. Warten aber war etwas, was Friedrich jetzt am allerwenigsten konnte. Deshalb befahl er, nachdem der englische Resident gegangen war, Katte erneut zu sich. »Hast du inzwischen schon mit Hoym Kontakt aufgenommen?« fragte er den Leutnant. »Verzeiht, Hoheit, aber ich hatte in der Kürze der Zeit noch keine Gelegenheit. Ihr könnt Euch darauf verlassen, daß ich Euren Auftrag sogleich erfülle, sobald ich Hoym begegne.« Diese Gelegenheit ergab sich zwei Tage später. »Ein paar Offiziere des Kronprinzen möchten gern einen kleinen Abstecher nach Leipzig machen. Wie ist es eigentlich, Exzellenz, können die Herren nach Leipzig herein, ohne gemeldet zu sein?« fragte Katte Seine Exzellenz, den Kabinettsminister Augusts. »Das wird schwer möglich sein, Herr Leutnant. Der alte Gouverneur ist mehr als gewissenhaft und läßt alles und jeden aufs genaueste examinieren.« »Nun, wäre es dann nicht möglich, daß Ihr, Exzellenz, für die Offiziere ein Begleitschreiben mitgebt, in dem Ihr die Herren als Eure Freunde bezeichnet? Mit einem solchen Schreiben ausgestattet, dürfte doch die Reise nach Leipzig ohne Schwierigkeiten sein?« »Schon, schon, mein lieber Herr Leutnant, aber ich habe den Verdacht, daß unter den Offizieren auch der Kronprinz selber sein möchte. Ich kann mir schon ungefähr denken, was das bedeutet. In diesem Spiel will ich nicht meine Finger haben.« Katte drang nicht weiter in ihn. Er war mit dem abschlägigen Bescheid sehr zufrieden. Denn dadurch war die Flucht des Prinzen zunächst einmal gescheitert. Hoym hielt die Unterredung mit Leutnant von Katte für so wichtig, daß er sie unverzüglich seinem obersten Herrn mitteilte. Der gerissene, mit allen Wassern gewaschene, im Intrigenspiel erfahrene August wußte sofort, was gespielt werden sollte. Nun, mochte das Bürschchen ruhig türmen. Er verstand schon, daß er es bei einem so brutalen Kerl, wie es sein königlicher Vetter aus Preußen war, nicht aushalten konnte.
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Er gönnte diesem Grobian auf dem Königsthrone sogar die Blamage und das Gelächter, das in ganz Europa losbrechen würde, wenn es erfuhr, daß der hoffnungsvolle Sprößling Friedrich Wilhelms aus der ruhmreichen Armee des Soldatenkönigs geflohen war. Aber hier aus seinem Lager weglaufen, nein, das sollten sich Seine Königliche Hoheit ein für allemal aus dem Kopf schlagen. Dafür wollte er, August, schon sorgen. August stellte Friedrich direkt zur Rede und sah, wie der erbleichte. Da wußte der polnische König ohne weitere Erklärungen, daß er und sein Kabinettsminister den Nagel auf den Kopf getroffen hatten. August nahm dem Kronprinzen das wenn auch widerwillig gegebene Versprechen ab, seine Flucht wenigstens nicht während des Aufenthaltes in Sachsen zu bewerkstelligen. August versprach, sich bei Friedrich Wilhelm dafür zu verwenden, daß er seinen Sohn auf die für Juli geplante Reise ins Reich mitnahm. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben, dachte Friedrich. So mußte der Kronprinz von Preußen, der um diese Zeit längst in Frankreich zu sein hoffte, wider seinen Willen im Gefolge des Königs die Rückreise nach Berlin antreten. Er tat dies mit der festen Absicht, in spätestens vier Wochen, auf der bevorstehenden Reise nach Süddeutschland nachzuholen, was er in Sachsen nicht hatte ausführen können. Mit Ungeduld erwartete er die Rückkehr des Residenten Guy Dickens aus London und erörterte unterdessen, um nicht müßig zu sein, mit seinem Vertrauten Katte Einzelheiten der bevorstehenden Flucht. Allerdings stieß er bei Leutnant Katte, genauso wie im Zeithainer Lager, immer wieder auf Ressentiments und Ausflüchte. Der Kronprinz attackierte Katte bei jeder nur denkbaren Gelegenheit, auf dem Exerzierplatz, bei Paraden, in seinen Privatgemächern, in der Kaserne, im Schloßpark. »Katte, ich halte es für das beste, wenn du vorausgehst, um die Flucht zu präparieren. Du kannst mich auf der Route nach Stuttgart, am besten in der Gegend von Cannstatt, wo der König Station machen wird, in einem an der Straße gelegenen Wirtshaus mit zwei guten Pferden erwarten. Ich will es einzurichten versuchen, daß ich ein Stück hinter dem König fahre. Stell deinen Kerl an die Straße, mit einer roten Feder am Hute zum Zeichen des Erkennens, zum Zeichen, daß du im Wirtshaus bist und in der Stallung zwei wackere Pferde stehen hast.« »Königliche Hoheit, so einfach wird das nicht zu bewerkstelligen sein. Wie soll ich von meinem Regimente Urlaub bekommen?« erwiderte Katte.
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»Du mußt eben zusehen, daß du in diese Gegend auf Werbung gehen kannst. Der Antrag ist doch schon lange gestellt?« »Aber nicht genehmigt, Königliche Hoheit. In der vom König zurückgegebenen Liste mit den bestätigten Werbeoffizieren ist mein Name nicht dabei.« Katte war froh darüber, daß er diese Antwort geben konnte. Für einen Moment erschrak der Kronprinz. Der Gedanke durchzuckte ihn, daß hier ein Zusammenhang mit seinem Komplott bestehen könnte. Doch er faßte sich sogleich wieder, denn diese Überlegung schien absurd. Und doch täuschte ihn sein Gefühl nicht. Denn der Obrist von Rochow, der sich seine eigenen Gedanken um das vertrauliche Verhältnis zwischen dem Kronprinzen und dem Leutnant Katte machte, hatte sich inzwischen an den Regimentskommandeur Kattes, an den Generalfeldmarschall von Natzmer, gewandt und diesen gebeten, auf Katte Obacht zu geben und ihn immer hübsch um sich zu behalten. So hatte denn Natzmer dem Leutnant einen Strich durch seine plötzlichen Werbeambitionen gemacht. »Nun, wenn du denn nicht auf Werbung gehen kannst, so nimm dir für zwei Wochen Urlaub von deinem Regiment. Das tut denselben Zweck. Wenn es sein muß, red’ ich selber mit dem alten Natzmer.« Katte war in die Enge getrieben. »Königliche Hoheit haben recht, das läßt sich sicher einrichten. Ich werde, wenn es an der Zeit ist, um meinen Urlaub nachsuchen. Aber laßt mich das allein tun, denn dem Generalfeldmarschall könnte es, ich möchte das Eurer Königlichen Hoheit zu bedenken geben, ungewöhnlich scheinen, wenn sich Eure Hoheit höchst persönlich um meinen Urlaub sorgt.« Während der Kronprinz mit Katte konspirierte, suchte er gleichzeitig Geld für seine Flucht aufzutreiben. Er hatte dabei nicht die leisesten Bedenken, Brillanten und andere Edelsteine, mit denen seine Orden geziert waren, über Mittelsmänner zu versetzen und zu klingenden Talern zu machen. Diese schickte er an den Leutnant Keith in Wesel, der ebenfalls in die Fluchtpläne des Kronprinzen eingeweiht war, mit der ausdrücklichen Order, sich im Juli samt dem Gelde nach Den Haag im Holländischen aufzumachen und dort bis auf weiteren Befehl zu verweilen. Unterdessen war der lang erwartete Guy Dickens am 10. Juli 1730 aus London zurückgekehrt. Noch am selben Tage schickte der Kronprinz Katte mit einem Billett zu dem englischen Residenten, in welchem er Guy Dickens mitteilte, daß er ihn gegen 10 Uhr desselben Abends am großen Portal des Schlosses bei der Stechbahn erwarten würde.
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»Euer Exzellenz«, begrüßte Katte den Residenten, »Seine Hoheit, der Kronprinz, haben Euch mit Sehnsucht erwartet und hoffen, durch Euch eine gute Nachricht aus England zu erhalten.« »In diesem Fall«, antwortete der englische Diplomat, »tut es mir leid, daß sich Seine Königliche Hoheit in Ihrer Meinung betrogen finden wird.« Katte fiel ein Stein vom Herzen. Der Prinz unterdessen erwartete bereits voller Ungeduld den englischen Residenten. Als er Katte und den Engländer nahen sah, ging er ihm mit ganz unprinzlicher Eile entgegen, und, ohne ein einziges Wort der Begrüßung zu sagen, überfiel er den Residenten mit der hastig geflüsterten Frage: »Nun, Euer Exzellenz, wie stehen meine Angelegenheiten in England?« Er faßte Guy Dickens vertraulich unter den Arm und führte ihn, während Katte ein wenig abseits patrouillierte, um die beiden vor Überraschungen zu bewahren, tiefer in das Dunkel des Parkes. »Ich muß Euch, Königliche Hoheit«, flüsterte Dickens zurück, »von Seiner Majestät, dem König von England, eine Nachricht übermitteln, die vielleicht nicht in allen Punkten Euren Hoffnungen entspricht.« »Sprecht, Dickens, Ihr spannt mich auf die Folter.« »Nun denn, Hoheit, Seine Majestät, Euer Onkel, ist nach reiflichem Überlegen zu der Auffassung gekommen, die Sache gütlich zustande zu bringen. Das beste, Euch aus der Reichweite Eures so leicht erregbaren Vaters zu bringen, ist und bleibt die Heirat mit der Prinzessin Wilhelmine von Wales und die damit verbundene Statthalterschaft von Hannover.« »Aber, Exzellenz, Ihr wißt selbst, daß der König immer wieder Ausflüchte sucht und die lange erwartete Zustimmung hinauszögert.« »Der König von England ist der Meinung, daß Ihr hier, Königliche Hoheit, Geduld zeigen müßt. Seine Majestät, Euer Onkel, glaubt, daß die Sache zu einem guten Abschluß kommt, und rät Euch dringend ab zu fliehen.« »Aber…« »Verzeiht, Königliche Hoheit, ich bin nur der Übermittler der Nachricht. König Georg kann Euch in Eurem Vorhaben seine Hilfe nicht leihen, weil sonst die ganze Welt glauben würde, er hätte diesen Schritt gebilligt oder Euch gar in Eurem Vorhaben unterstützt.« Friedrich stand wie gelähmt. »Ich bin noch nicht am Ende meines Auftrages, Königliche Hoheit. Seine Majestät, der König von England, meinen, daß Euch Eure Schulden –
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verzeiht, daß ich dieses Thema erwähne – möglicherweise so pressieren könnten, daß Ihr aus Angst, sie möchten herauskommen, fliehen wollt. Der König hat mich deshalb beauftragt, Eure Schulden zu begleichen, in der Hoffnung, daß Ihr dann Eure Fluchtgedanken aufgebt.« Das ist immerhin etwas, dachte Friedrich, nachdem er sich von dem eben erlittenen Schock erholt hatte. Denn seine Schulden begannen ihn tatsächlich immer heftiger zu beschweren. Das angestrengte Leben, das er mit seinem Freunde Katte führte, verschlang enorme Summen, und der von seinem Vater ausgesetzte Jahresetat von sechshundert Talern war demgegenüber viel zu schmal. Alle weiteren Quellen waren versperrt, seitdem sein königlicher Vater erfahren hatte, daß er bei den Kaufleuten Splittgerber und Daum mit siebentausend Talern in der Kreide stand. Die anderen fünfzehntausend Taler Schulden waren zum Glück nicht herausgekommen. Seine allergnädigste Majestät hatte damals die siebentausend Taler wutschnaubend bezahlt, aber gleichzeitig ein Edikt gegen das Verleihen an Minderjährige erlassen, das auch die Mitglieder seines königlichen Hauses einbezog. Geldverleiher bedrohte der König, sofern sie sich nicht an sein Gebot hielten, mit der Leibes- und Lebensstrafe. Da sich die Brutalität des Königs mittlerweile im Staate Preußen herumgesprochen hatte, fand auch der Kronprinz keine Geldgeber mehr, die bereit waren, sein kostspieliges Leben zu finanzieren. Also griff er jetzt zu. »Sagt meinem königlichen Onkel, Exzellenz, daß ich zwar tief betrübt bin, in England keine Aufnahme zu finden. Aber übermittelt gleichzeitig meinen herzlichen Dank für das großzügige Angebot. Ich werde Euch, Exzellenz, durch den Herrn Leutnant Katte morgen eine Aufstellung meiner Schulden überbringen lassen. Und ich danke Euch, verehrter Herr Dickens, noch einmal ausdrücklich und herzlich für Euer persönliches Bemühen.« Damit trennte sich der Kronprinz von dem englischen Gesandten. Aber den Vorsatz zur Flucht, wie der König von England gehofft hatte, gab der Kronprinz von Preußen nicht auf. Im Gegenteil! Er stellte das großzügige Angebot des englischen Königs sofort in den Dienst seines Fluchtgedankens, indem er der Aufstellung seiner Schulden noch fünftausend Taler hinzufügte, eine Summe, die er über die bisher zusammengebrachten Mittel hinaus als notwendig erachtete, um über die preußische Grenze zu kommen und die erste Zeit im Ausland überbrücken zu können. So hatte die Mission Guy Dickens dennoch ihr Gutes gehabt.
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Am 15. Juli 1730 verließen der König und sein Gefolge Potsdam, um die Reise nach Süddeutschland anzutreten, die über Leipzig, Meuselwitz, Anspach, Augsburg, Stuttgart, Mannheim, Darmstadt bis nach Frankfurt am Main führen sollte. Der Kronprinz wußte, daß ihn Katte unterwegs nicht mit zwei flinken Pferden erwarten würde. Denn der Leutnant hatte seinen Antrag auf Urlaub so ohne jede Courage und Dringlichkeit gestellt, daß er ihm ausgeschlagen worden war, zumal sich Generalfeldmarschall von Natzmer nur allzugut der Empfehlung des Obristen von Rochow entsann, Katte ja nicht aus den Augen zu lassen. Friedrich war mit seinen Fluchtgedanken und der Ausführung seiner Flucht ganz auf sich allein gestellt. In Friedrichs Wagen fuhren der Obrist von Rochow und die beiden Vertrauten des Königs, Buddenbrock und Waldow. Sie waren vom König, der seinem Sohne tief mißtraute, ausdrücklich angehalten, ein wachsames Auge auf den Kronprinzen zu haben. Trotz der geschärften Blicke seiner drei Begleiter aber versuchte Friedrich bereits in Anspach bei seinem Schwager, ein Pferd für einen »Jagdausflug« zu erhalten. Der Markgraf aber, dem der König alles andere als gnädig gesonnen war, wollte sich auf nichts einlassen. Es war geradezu die Tragik des Kronprinzen, immer an einem Pferde zu scheitern, obwohl er ein ganzes Königreich dafür zu bieten bereit war. Aber keiner wollte einen Gaul gegen sein künftiges Preußen eintauschen. Während der weiteren Reise gab sich der Kronprinz sehr leutselig gegen den Pagen des Königs, den Bruder seines Freundes Keith in Wesel. Natürlich war das keine Leutseligkeit ohne Hintergedanken, denn der Kronprinz hoffte, den Pagen durch seine fortwährenden Gunstbeweise den Wünschen und Ansinnen aufgeschlossen zu machen, die er bei passender Gelegenheit an den jungen Herrn von Keith stellen wollte. Und diese Gelegenheit kam bald. In dem bei Stuttgart gelegenen Orte Steinfurth befahl der König gegen Mittag, Station zu machen. Friedrich Wilhelm, der allen Bequemlichkeiten des Lebens abhold war, ließ einige Scheunen für sich und sein Gefolge zur Übernachtung herrichten. Diese Art der Unterbringung gehörte zu den gewohnten Strapazen, die der König während seiner Reisen für sein Gefolge im Übermaß bereithielt. Deshalb wohl auch betrachtete es keiner als eine Auszeichnung, ihn auf den häufigen Fahrten durch Deutschland zu begleiten. Der Kronprinz richtete in Gegenwart des Pagen Keith ein paar sehr freundliche Worte und Neckereien an die Tochter des Steinfurther
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Bürgermeisters, die sich dadurch nicht wenig geschmeichelt fühlte und tief errötete. Auch damit verfolgte Friedrich einen sehr bestimmten Zweck. Am Nachmittag faßte er den Pagen vertraulich unter den Arm. »Ihr müßt mir, Keith, eine kleine Gefälligkeit erweisen, sozusagen einen Dienst von Kavalier zu Kavalier.« Der Page lächelte verstehend. »Befehlt über mich, Königliche Hoheit, ich will Euch in allem von Herzen zu Diensten sein.« »Nun denn, Keith, ich habe an den hübschen Rundungen der Bürgermeisterstochter – Ihr habt sie ja selbst gesehen – Gefallen gefunden. Seid so gut und weckt mich morgen in aller Herrgottsfrühe gegen vier Uhr. Und noch eins, Keith: Haltet mir für mein verliebtes Abenteuer ein Pferd bereit, damit ich flugs zu meinem anderen hübschen Pferdchen kommen kann. Bei allem aber, Keith, ich bitt’ Euch«, und der Prinz legte lächelnd den Zeigefinger auf seinen Mund, »wahrt Verschwiegenheit. Denn Ihr wißt ja, daß mein königlicher Vater wenig Verständnis für verliebte Abenteuer hat.« »Ihr könnt Euch, Königliche Hoheit, in allen Dingen auf mich verlassen wie auf Euch selbst. Ich werde Euch pünktlich und heimlich des Morgens um vieren wecken und Euch mit einem guten Pferd vor der Scheune erwarten.« »Also dann, Keith, bis auf den nächsten Morgen!« Und damit entließ der Prinz den arglosen Pagen, der sich nicht wenig auf das Geheimnis zugute tat, das er, der kleine Leutnant, mit Seiner Königlichen Hoheit, dem Kronprinzen von Preußen, teilte. Endlich, endlich, dachte der Kronprinz, die Stunde meiner Freiheit ist gekommen. Und er nahm Papier und Feder zur Hand, um sogleich per Eilstafette einen Brief an seinen in Berlin zurückgebliebenen Freund Katte aufzusetzen: »Mon cher Katte! Morgen bin ich frei, ich habe Geld, Kleider, Pferde, meine Flucht wird unfehlbar gelingen, und sollte ich verfolgt werden, so will ich in einem Kloster mir eine Freistatt suchen, wo man unter der Kutte den argen Ketzer nicht herausfinden soll. Du wirst mir sogleich nachfolgen, mit dem, was ich Dir anvertraut habe, und wenn wir uns auch erst jenseits des Meeres wiederfänden: Nimm Deinen Weg über Leipzig und Wesel nach Holland, dort wirst Du von mir hören. Und dorthin wird auch der Keith aus Wesel kommen. Friedrich.« In seiner eifernden Ungeduld adressierte jedoch Friedrich den Brief unkorrekt. »An den Leutnant von Katte. Über Nürnberg.« Er hatte vergessen
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hinzuzusetzen »in Berlin«. Der Zufall wollte es, daß dem Nürnberger Postmeister ein Werbeoffizier gleichen Namens in Erlangen bekannt war. Und in dessen Hände geriet der hochbrisante Brief. An diesem Tage legte sich der Kronprinz zeitig auf sein Bündel Stroh in der Scheune, in der neben ihm auch der Obrist von Rochow und sein Kammerdiener Gummersbach schliefen. Friedrich tat in dieser Nacht kaum ein Auge zu, und wenn er für Momente schlief, dann sehr unruhig. Pünktlich um vier Uhr, wie verabredet, schlich der Page Keith in die Scheune, um den Kronprinzen zu wecken. Friedrich hatte in dem dämmrigen Spalt des leicht angelehnten Scheunentors die Gestalt des Pagen eintreten sehen, war sofort aufgestanden und begann, sich einen zivilen roten Rock aus französischem Tuch und schwarze Beinkleider anzulegen, die er sich vorsorglich in Ludwigsburg von einem Schneider für seine Flucht hatte anfertigen lassen. Aus dem heraufdämmernden Morgen in das Dunkel der Scheune getreten, erkannte Keith jedoch nicht, daß der Kronprinz schon aufgestanden war, und tastete sich, da er nicht wußte, daß auch noch andere in der Scheune schliefen, dorthin, von wo er regelmäßige, tiefe Atemzüge, unterbrochen durch leises Schnarchen, hörte. Und so weckte der Page in seinem Irrtum den Kammerdiener Gummersbach. Gummersbach rüttelte sofort nachdem der Kronprinz leisen, tastenden Schritts die Scheune verlassen hatte, den Obristen von Rochow wach, und dieser rief in fieberhafter Eile noch einige andere Offiziere herbei. Denn ihm saß der strenge Befehl des Königs im Nacken, ein wachsames Auge auf den ungehorsamen prinzlichen Sprößling zu haben. Von Rochow traf den Kronprinzen in dem Moment, als er das vom Pagen Keith bereitgehaltene, gesattelte Pferd besteigen wollte. Verzweifelt sah der Prinz, daß seine so sicher geglaubte Flucht auch für dieses Mal zu scheitern drohte. Hier half nur eins: Er mußte durch seine Autorität, durch Entschiedenheit, durch prinzlichen Befehl die Offiziere zurückzuschrecken suchen. »Was wollt Ihr so früh, Königliche Hoheit, und allein in dieser Kleidung? Was wird der König sagen, wenn er Euch statt in der preußischen Uniform in einem verhaßten französischen Rocke findet? Es ist jetzt die Zeit, da sich der König von seiner Nachtruhe erhebt. Kommt zurück, Königliche Hoheit, und wechselt die Kleidung.« Barsch fuhr der Prinz den Obristen an: »Haltet Eure Zunge im Zaum, Herr von Rochow. Ihr nehmt Euch viel heraus! Was schert’s Euch, wenn ich ausreite, und was schert’s Euch, welche Kleidung ich trage. Wollt Ihr, ein Obrist, den Kronprinzen von Preußen in seinem Tagesablauf kontrollieren,
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wollt Ihr dem Kronprinzen von Preußen Maßregeln erteilen, wie er sich zu kleiden hat? Aus dem Weg mit Euch!« Und der Kronprinz machte Anstalten, sich auf das Pferd zu schwingen. Aber der Obrist von Rochow fürchtete auf dieser Welt nichts so sehr wie den Zorn des Königs. So hängte er sich mit Todesverachtung mit seinem ganzen Gewicht an das kronprinzliche Bein, das gerade über die Kruppe des Pferdes schnellen wollte, und brachte den Kronprinzen zu Fall. Wutschnaubend, seiner Sinne nicht mehr mächtig, stürzte sich Friedrich auf von Rochow. Aber seine Wut prallte ohne sichtbares Ergebnis von dem Obristen und den anderen Offizieren ab. Mit Gewalt wurde der Kronprinz in die Scheune zurückgeführt. Seine Flucht, die er seit Wochen vorbereitet und für die er so oft eine Gelegenheit gesucht hatte, war auch dieses Mal gescheitert. Das Mißtrauen des Königs gegen seinen Sohn war aufs äußerste verschärft, als er noch am selben Morgen von diesem merkwürdigen Vorfall erfuhr. Er gab Weisung, von nun an keinen einzigen Schritt, keine einzige Äußerung seines Sohnes unbewacht, unbeobachtet zu lassen. Bereits von da an setzte Friedrich die Reise gleichsam als Gefangener fort. Das eigentliche Drama, das in seinem folgenden Verlaufe so viele Unschuldige ins Unglück stürzen sollte, begann in Frankfurt. Als der König die Stadt am Main erreichte, übergab man ihm einen Brief. Es war das Schreiben des Prinzen, das irrtümlicherweise in die Hände des Werbeoffiziers Katte in Erlangen geraten war und das dieser, nachdem er von seinem gefährlichen Inhalt Kenntnis genommen, sofort an den König geschickt hatte. Die Wut des Königs kannte keine Grenzen. Friedrich wurde sofort und ohne Pardon gefangengesetzt, auf eine Yacht gebracht und als Deserteur zur Festung Wesel, einer preußischen Enklave auf dem Territorium des Reiches, transportiert. Noch zur gleichen Stunde jagte der König Kuriere nach Wesel und Berlin, um die Leutnants Keith und Katte unverzüglich zu arretieren. Keith indes widerfuhr ein seltenes Glück, das seinen Kopf rettete. Er machte gerade zu dem Zeitpunkt, da der Kurier des Königs mit verhängten Zügeln in die Stadt sprengte, einen Spaziergang über den Marktplatz. Der Kurier aber war einer seiner früheren Kameraden. Und Keith fragte ihn denn nach Neuigkeiten vom Hofe, in der Hoffnung, etwas Neues vom Kronprinzen zu erfahren. »Schreckliches hat sich ereignet, mein lieber Keith. Der Kronprinz ist gefangen und wird auf die Festung Wesel gebracht. Nach Berlin ist ein Kurier unterwegs, um dem dortigen Stadtkommandanten die königliche
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Order zu überbringen, unseren gemeinsamen Freund Katte zu verhaften. Und ich selber trage eine versiegelte Ordre des Königs an den Kommandanten von Wesel, Generalmajor von Mosel, bei mir. Weiß der Himmel, was es damit auf sich hat.« Keith ahnte, daß diese versiegelte Ordre nur ihn betreffen konnte. Also eilte er nach Hause, sattelte sein Pferd und ritt in gestrecktem Galopp aus der Stadt. Dabei war er so klug, alle seine Habseligkeiten zurückzulassen und sich bei seinen Quartiersleuten auf einen kurzen Spazierritt abzumelden. Als wenig später die Gendarmen in seine Wohnung eindrangen, um ihn zu verhaften, machten sie dank seiner Vorsorge keine Anstalten, ihn zu verfolgen, in dem festen Glauben, daß er ja von seinem kurzen Spazierritt bald zurückkommen würde. So hatte Leutnant von Keith einen Vorsprung von mehreren Stunden, und es gelang ihm, sicher über die preußische Grenze nach Den Haag zu kommen. Dort stellte er sich sogleich unter den Schutz des englischen Gesandten, und als der vom preußischen König in solchen delikaten Aufträgen bewährte Obrist-Leutnant Doumolin in Den Haag eintraf, um Keith als Hochverräter zurückzufordern, blitzte er nach allen Regeln der englischen Diplomatie ab. Keith entkam auf diese Weise nach England, wurde aber dann, um es zu keiner ernsten Kontroverse mit Friedrich Wilhelm kommen zu lassen, nach Portugal abgeschoben. Von dort her holte ihn später Friedrich, nachdem er trotz aller Fährnisse den Thron bestiegen hatte, nach Preußen zurück. Auch Katte hätte aller Wahrscheinlichkeit nach entkommen können. Aber mit dem Leichtsinn seiner zweiundzwanzig Jahre schlug er eine gutgemeinte Warnung seines Freundes, des dänischen Gesandten in Berlin, der ihm mit Geld und einem Pferd zur Flucht verhelfen wollte, in den Wind. So wurde er verhaftet. Friedrich war auf Geheiß seines Vaters, unter strengster Bewachung, wie die ausdrückliche Weisung lautete, nach Wesel vorausgeschickt und in der Festung arretiert worden. Am dritten Tag seines Arrestes, am 12. August 1730, wurde er vor den König geführt, der inzwischen ebenfalls auf der Festung eingetroffen war. Der Kronprinz trat nicht ohne Plan vor seinen Vater, der auch den General von Schumacher hierherbefohlen. Friedrich hatte in den vielen Stunden seiner Haft Gelegenheit genug gehabt, sich auf dieses Zusammentreffen vorzubereiten. Und er hatte versucht, die Situation vorauszuberechnen. Er war darauf gefaßt, daß sein Vater bei seinem Anblick in eine mörderische
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Wut ausbrechen würde. Denn das war nach aller Erfahrung die typische Reaktion des so leicht zu Ausbrüchen neigenden Königs. Darauf war Friedrich eingestellt. Er wollte seinem Vater zu Füßen fallen und ihn um Verzeihung bitten. Aber die vorausberechnete Situation trat nicht ein. Dort saß der König, ruhig, ohne äußerliches Zeichen einer inneren Bewegung, und sein kalter, unbeteiligter Blick schloß Friedrich den Mund. »Sagt dem Delinquenten, er soll sich setzen«, hörte er die Stimme des Königs, »damit wir beginnen können.« Schumacher bedeutete dem Prinzen, auf dem freien Stuhl Platz zu nehmen. Er saß nun direkt dem General gegenüber. An diesen wandte sich jetzt der König. »Beginne Er mit dem Verhör, Schumacher, und ermahne Er den Delinquenten auf das Ernstlichste, in allen Punkten die Wahrheit zu sagen. Ermahn Er ihn, nichts von der Wahrheit zurückzuhalten und jeden anzugeben, der von der Desertion gewußt, der dazu geraten und geholfen hat. Und schärf Er ihm ein, Schumacher, daß wir Mittel und Wege kennen, die Wahrheit aus ihm herauszubekommen. Sag Er ihm das!« Schumacher wiederholte, an den Prinzen gerichtet, das, was ihm zu sagen befohlen wurde: »Ich ermahn’ Euch, in allen Punkten, zu denen Ihr jetzt vernommen werdet, wahrhaftig zu sein und nichts zu verschweigen.« Und an den König gewandt, sagte er: »Ich bitte Eure Majestät untertänigst zu sagen, auf welche Fragen Ihr eine Antwort wünscht.« Friedrich fühlte: Es stand schlimm um ihn. Die Ruhe des Vaters war etwas Ungewohntes und deshalb unheilversprechender als seine offene, zupackende Wut. Und noch etwas irritierte den Prinzen: Er existierte nicht mehr für seinen königlichen Vater. Der König sprach ihn nicht selbst an, er ließ durch einen dritten Mund zu ihm reden. Und er hatte nicht zu Schumacher gesagt: »Ermahn Er meinen Sohn« oder »Ermahn Er den Prinzen«, er hatte laut und vernehmlich gesagt: »Ermahn Er den Delinquenten.« Da kam die kalte, unheimlich beherrschte Stimme des Königs: »Schumacher, frag Er Inquisiten Friedrich zuallererst, wer sein Herr ist.« Schumacher tat, wie ihm geheißen. »Ich kenne keinen anderen Herrn als Seine allergnädigste Majestät, den König von Preußen. Ihr, mein königlicher Vater, seid mein Herr.« Friedrich beschloß, für dieses Mal den lieben Gott aus dem Spiel zu lassen, denn er begriff, daß die Macht Gottes in der Festung Wesel eine nur untergeordnete Rolle spielte.
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Und weiter ließ der König durch General von Schumacher fragen: »Wo habt Ihr nach der Desertion hingehen wollen?« »Nach Frankreich«, antwortete Friedrich mit einem leichten Zögern in der Stimme. »Und warum nicht«, hakte der König über Schumacher sofort ein, »warum nicht nach England? Nach England, zu den Hannoveranern, führen Familienbande. In England hättet Ihr eine gute Aufnahme erwarten können.« Friedrich begriff sofort die Gefährlichkeit dieser Frage. Der König sah hinter den durch seine Gemahlin und seinen Sohn betriebenen Heiratsplänen mit England ein politisches, gegen seine Interessen gerichtetes Komplott. »Ich habe zwar zuerst daran gedacht, nach England zu gehen, habe aber dann diesen Plan fallengelassen. Denn ich wollte Eure Königliche Majestät nicht noch mehr erzürnen. Ich habe gefürchtet, daß Eure Königliche Majestät darin mehr sehen könnten als meine Liebe zur englischen Prinzessin.« »Warum seid Ihr auf den Gedanken gekommen, Euren allergnädigsten Vater zu verlassen?« kam die nächste, durch Schumacher gestellte Frage. Friedrich beschloß, an die Gefühle seines Vaters zu appellieren. »Seine Königliche Majestät, der hohe Herr Vater, haben mich in der letzten Zeit des öfteren so hart traktieret, daß ich am Ende glaubte, ich hätte alle seine Gnade, alle seine Liebe verloren. Deshalb und nur deshalb bin ich darauf verfallen, nach Frankreich zu entweichen. Aber nicht, um meinen allergnädigsten Herrn Vater zu erzürnen. In Frankreich angekommen, so war mein fester Vorsatz, wollte ich Seiner Königlichen Majestät schreiben, sie alleruntertänigst um Vergebung bitten und ersuchen, mir in Zukunft gnädiger zu sein. Wenn er mir verziehen hätte, wäre ich auf der Stelle zurückgekommen. Ich wollte nicht, und dafür ist Gott mein Zeuge, für immer entfliehen.« »Soso«, und an dieser Stelle sparte sich der König den Umweg über Schumacher und richtete zum erstenmal in diesem Verhör die Frage direkt an den Kronprinzen. »Habe ich dir nicht, Friedrich, in deiner Jugend als dein Vater und Landesherr in allen Dingen Liebe erwiesen? Habe ich nicht alles getan, um deine Gegenliebe zu gewinnen?« »Ja, allergnädigste Majestät.« »Habe ich dir nicht Ermahnung gegeben zu deinem Besten, und fordert es nicht meine Vaterspflicht vor Gott, dem Sohn die Wahrheit zu sagen, ihn zu korrigieren und zu strafen, wenn es nötig ist?«
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»Ja, allergnädigste Majestät.« »Und ist es recht, daß du dich darüber beschwerst?« »Nein, allergnädigste Majestät, aber…« »Kein Aber«, zerschnitt die jetzt scharfe Stimme des Königs den Satz. »Hast du deinen verdammten Widerspruch noch immer nicht verlernt?« Aber der König beherrschte sich und wandte sich wieder Schumacher zu. »Setzt das Verhör fort, Schumacher!« Und die nächste Frage sprang auf den Prinzen zu. »Wer wußte von der vorbereiteten Flucht?« »Keiner, außer der Leutnant Keith.« »Du lügst, Friedrich!« Zum zweitenmal griff der König direkt in das Verhör ein. »Einer reicht nicht aus, um einen Kronprinzen über die Grenze zu schaffen. Wer also noch?« Jetzt lag wieder Wut in der Stimme. »Ich rate dir, mich nicht weiter zu hintergehen! Ich will alles wissen, verstehst du, alles! Keith war nicht der einzige! Hast du nicht auch mit dem Leutnant Katte konspiriert?« Friedrich erbleichte. Was wußte der König? Was wußte er nicht? Wie kam er auf Katte? Ausweichend antwortete er: »Ja, vielleicht habe ich auch Katte gegenüber eine Äußerung gemacht, das ist wohl möglich, gnädiger Herr Vater.« »Hast du nicht auch in Zeithain mit dem Grafen Hoym darüber gesprochen? Hast du nicht den Guy Dickens am englischen Hofe fragen lassen, ob du in England deinen Aufenthalt nehmen könntest?« Der König steigerte sich. »Hast du nicht über Mittelsmänner alles, was nicht niet- und nagelfest war, selbst meine Orden, stückchenweise versetzen lassen und sie zu Reisegeld gemacht?« Dem Prinzen stockte der Atem. Das war die Arbeit Grumbkows, des Oberspitzels im Staate Preußen. Mit wachsendem Zorn fuhr der König fort: »Nach dem Keith, der der einzige gewesen sein soll, kommt plötzlich der Katte, nach dem Katte kommt…, also, ’raus mit der Sprache. Wer kommt nach Katte?« Friedrich schwieg. Aus dem König brach jetzt wie eine Explosion heraus, was er in den letzten Wochen mit übergroßer Kraftanstrengung in sich verbergen mußte, sein Verdacht, daß die Königin, der Kronprinz und einige seiner adligen Herren gegen ihn arbeiteten. Er hatte sich nichts anmerken lassen, um sie nicht vorzeitig zu warnen. Aber jetzt war es soweit, jetzt hatte er den Faden in der Hand, an dem er die ganze Verschwörung aufrollen
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würde. Jetzt endlich, endlich konnte er ihnen den Verrat ins Gesicht schreien, konnte sie strafen für ihre Niedertracht. Friedrich Wilhelm raste von einer Ecke des großen Raumes zur anderen, blieb schließlich, die Beine gespreizt, die Hände zur Faust verkrampft, vor dem Kronprinzen stehen, riß ihn vom Stuhl. »Steh wenigstens, wenn du vor deinem Vater nicht kniest! Wer also gehört noch zu der Bande von Königsmördern, die mich an meine Feinde verraten wollten, die mich verraten haben?« Und er schüttelte Friedrich mit der Kraft des Wahnsinnigen, daß dieser in seinen Fäusten flog. »Der Kronprinz von Preußen, der Erbe des preußischen Staates, flüchtet, desertiert, stiehlt sich bei Nacht und Nebel aus der Armee. Welch ein Skandal in Europa! Welche Blamage für Preußen! Rede jetzt endlich, du Hundsfott, wer war noch mit von der Partie? Rede, oder ich breche dir alle Knochen im Leibe!« Friedrich fiel auf die Knie. »Vergebt mir, allergnädigster Vater, verzeiht meinen Leichtsinn, denn mehr als der Leichtsinn der Jugend und mehr, als Euch auf diese Art und Weise an Eure väterliche Liebe zu mahnen, war es nicht.« Das aber hörte der König nicht mehr. Er stürzte sich auf den Kronprinzen und riß ihn vom Boden. »Stirb wenigstens aufrecht, du niederträchtiger, gemeiner Verräter!« Er zog den Degen aus der Scheide. In diesem Augenblick sprang der Festungskommandant zwischen Vater und Sohn. »Sire, durchbohren Sie mich, aber verschonen Sie Ihren Sohn!« Schützend stand von Mosel vor dem Kronprinzen. Der König aber raste in hemmungsloser Wut zu General von Schumacher, hämmerte mit seinen Fäusten auf den Tisch. »Reißt ihnen das letzte, das tiefste Geheimnis aus ihren Verschwörerherzen! Mit glühenden Zangen! Stecht sie, brennt sie, werft sie auf die Folter! Ich will alles wissen! Alles, alles, alles!« Die Wut des Königs ging in ein Röcheln über. Der König raste von Wesel nach Berlin zurück. Seine Gemahlin, SophiaDorothea, hatte er vorab durch einen Brief von dem Vorfall in Kenntnis gesetzt. »Ich habe den Schurken Fritz verhaften lassen, ich werde ihn behandeln, wie seine Untat und Schlechtigkeit es verdienen. Ich erkenne ihn nicht mehr für meinen Sohn an, er hat mich und mein ganzes Haus entehrt. Ein solcher elender Mensch ist nicht mehr wert zu leben.«
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In der Residenz eingetroffen, beschied der König den General und Minister von Grumbkow und den General-Auditeur Mylius zu sich und befahl ihnen, unverzüglich den gefangenen Leutnant Katte zum Verhör herbeizuschaffen. Über dieses erste Verhör ist im Vernehmungsprotokoll verzeichnet: »Seine Königliche Majestät haben den Inhaftierten vorgefordert und ihm sehr ernstlich zugeredet, die Wahrheit zu bekennen.« Diese Umschreibung gibt nicht im entferntesten wieder, wie sich das Verhör tatsächlich abgespielt hat. Der König, der nach seiner mehrstündigen Toberei dank seiner hervorragenden Konstitution schnell wieder zu Kräften gekommen war, begann sein ernstliches Zureden damit, daß er dem Leutnant zuerst den Johanniter-Orden und Stück für Stück seiner Uniform vom Leibe riß. Dann bearbeitete er ihn mit seinen Füßen und schlug schließlich so lange mit dem Stock, diesem wichtigsten Instrument preußischen Soldatendrills, auf den Leutnant ein, bis er keinen Arm mehr rühren konnte und völlig erschöpft, nach Luft ringend, auf einem Stuhl zusammenbrach. Erst dann, nach dieser »ernstlichen Ermahnung, die Wahrheit zu bekennen«, begann das eigentliche Verhör, das sich bis in die Morgenstunden des folgenden Tages hinzog und das von General Grumbkow und General-Auditeur Mylius bestritten wurde. Katte ertrug es mit ruhiger Standhaftigkeit. »Ihr heißt?« »Hans Herrmann von Katte.« »Ihr habt von der Absicht des Prinzen gewußt zu fliehen?« »Ja.« »Sagt uns, Katte, wann zum erstenmal Verabredungen zwischen Euch und dem Kronprinzen zur Flucht getroffen worden sind.« »Seine Hoheit, der Kronprinz, haben des öfteren mit mir davon gesprochen. Ich kann mich aber nicht entsinnen, wann es das erstemal geschehen ist.« »Was hat Euch der Kronprinz als Grund für seine Flucht entdeckt?« »Daß er von seinem Vater mehrmals so hart traktieret worden sei, daß er es unmöglich länger habe aushalten können.« »Hat der Kronprinz von Euch verlangt, daß Ihr mit ihm gehen sollt?« »Ja.« »War es Euer Wille, mit dem Prinzen zu gehen?« »Nein«
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»Bleibt bei der Wahrheit, Katte! Habt Ihr mit dem Prinzen nicht die Abrede getroffen, ihm zu folgen, nach dem Holländischen zu gehen und dort auf seine Nachricht zu warten?« »Ja, das schon, aber ich habe nie geglaubt, daß die Flucht ernstlich zur Ausführung kommen könnte.« »Ihr lügt, Katte. Wollt Ihr bestreiten, daß Ihr dem Prinzen sogar Anschläge zur Flucht gemacht und verschiedene Ratschläge erteilt habt?« »Das ja, aber nicht die Flucht zu fördern, sondern sie zu hintertreiben.« »Ist Euch bei dem Antrage der Desertion etwas vom Prinzen versprochen worden?« »Nein.« »Ihr lügt schon wieder, Katte. Der Prinz hat Euch eine Schatulle mit Wertsachen übergeben, und Ihr habt sie angenommen. Also habt Ihr Euch für Eure Dienste bezahlen lassen.« »Keine Schatulle mit Wertsachen, sondern mit Briefen des Prinzen.« »Wann habt Ihr begonnen, die Einzelheiten der Flucht zu besprechen?« »Im sächsischen Lager zuerst und dann nach der Rückkehr aus Sachsen in Berlin.« »Ihr sagtet, Ihr hättet dem Prinzen keine Anschläge zur Flucht gemacht. Aber habt Ihr nicht im Sächsischen mit dem Minister von Hoym verhandelt und Pässe nach Leipzig verlangt?« »Ja, das schon. Aber ich wußte von vornherein, daß der Minister die Pässe abschlagen würde.« »Wohin sollte denn die Flucht gehen?« »Nach Frankreich meines Wissens.« »Ihr verstrickt Euch immer mehr in Eure eigenen Lügen, Katte! Habt Ihr nicht in Zeithain allweil mit dem englischen Residenten Guy Dickens zusammengesteckt? Konspiriertet Ihr mit englischen Diplomaten, um die Flucht nach Frankreich vorzubereiten?« »Es ging bei den Gesprächen mit Dickens darum, Geld aus England zu beschaffen, um die Schulden Seiner Hoheit zu bezahlen.« »Hat Dickens nicht auch von den Fluchtabsichten des Prinzen gewußt?« »Ja, ich habe mit Dickens darüber gesprochen und ihn inständig gebeten, doch um Gottes willen auf die Vorstellungen Seiner Königlichen Hoheit nicht einzugehen. Es fanden zwei Unterredungen des Prinzen mit Dickens
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statt. Die eine in Zeithain, bei der ich nicht zugegen war, die andere in Berlin.« »Wo denn in Berlin?« »Sie trafen sich nachts vor dem Portal des Schlosses, und Dickens hat dabei versprochen, die Schulden Seiner Hoheit zu bezahlen.« »Wer hat denn um diese Zeit die Wache im Schloß gehabt?« »Der Leutnant von Spaen.« »Kannte der Leutnant von Spaen die Absicht des Prinzen?« »Das weiß ich nicht.« »Aber der Leutnant von Spaen und Ihr seid in den letzten Wochen des öfteren zusammen gesehen worden.« »Das ist wohl möglich, denn der Spaen hat Seiner Hoheit gelegentlich bei verliebten Abenteuern Gesellschaft geleistet und den Postillion d’amour gespielt.« »Wohin ist denn der Postillion d’amour geritten?« »Mal dahin und mal dorthin. Zum Beispiel zu des hiesigen Rektors Ritter seiner Tochter.« »Und wer, Katte, hat sonst noch von den Fluchtplänen gewußt?« »Mir ist niemand sonst bekannt,« »Und der Name Keith, sagt Euch der nichts?« »Doch, er ist mein Freund und auch mit dem Prinzen befreundet. Aber ich weiß nicht, ob er in Fluchtpläne eingeweiht war.« »Das sei genug für heute«, sagte Minister von Grumbkow, der das Verhör geführt hatte. »Ihr sagt uns nicht die volle Wahrheit, Katte, und verstrickt Euch in Widersprüche. Ihr werdet in den nächsten Tagen Gelegenheit haben, darüber nachzudenken. Und ich rate Euch in Eurem eigenen Interesse, bei den nächsten Verhören aufrichtiger zu sein.« Als der König später das Protokoll dieses und anderer Verhöre Kattes mit Aufmerksamkeit, Satz für Satz und Wort für Wort durchgelesen hatte, schrieb er am 13. September 1730 an die Untersuchungskommission: »Ich habe die Verhöre durchgelesen und bin überzeugt, daß der Spitzbube mehr weiß, als darinnen steht, und mit der Sprache nicht herauswill. Also sollen sie ihn hinbringen nach der Hausvogtei in die Kammer, wo die Tortur beginnt. Die hochlöbliche Kommission soll diese Sache nicht so en bagatelle traktieren und nur gedenken, daß sie die Wahrheit herausbringen soll. Also
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sollen sie den Katte als wie Inquisit Friedrich, um die Wahrheit herauszukriegen, auf die Tortur legen. Das ist meine Order.« Das war es, worauf Grumbkow, der der erklärte Feind des Prinzen und der Königin war, gewartet hatte. Ein neuerliches Verhör des Prinzen, der inzwischen nach Mittenwalde gebracht worden war, begann er mit den Worten: »Ich werde aus Euch, Hoheit, und Euren Helfershelfern die Wahrheit herauszubringen wissen, und sei es durch die Folter.« »Ich fürchte die Folter nicht«, antwortete Friedrich immer noch mit herablassendem Hochmut. »Ich habe alles gestanden, bereue es jedoch sehr, weil es sich nicht für mich schickt, mich herabzulassen, einem Schurken, wie Sie es sind, zu antworten.« Doch von einem Verhör zum anderen begriff der Prinz immer mehr, daß er um seinen Kopf spielte. Und bei diesem hohen Einsatz wollte er begreiflicherweise nicht der Verlierer sein. Aus den anfänglich so stolzen Antworten wurden bescheidenere und aus dem großen Konspirator schließlich einer, der Wert darauf legte, als der Verführte zu gelten. Friedrich erkannte, daß seine einzige Rettung nur noch in der vollständigen Unterwerfung unter seinen despotischen Vater bestehen könne. So bat er am 16. September 1730 nach einem Verhör, noch zusätzlich folgendes zu Protokoll zu nehmen: »Ich erkenne wohl, ganz und gar in allen Stücken unrecht zu haben. Am meisten beklage ich, daß Seine Königliche Majestät so großen Ärger destowegen haben, und bitte Sie zu glauben, daß meine Intention niemals kriminell gewesen ist, noch daß ich gesuchet habe, Seiner Königlichen Majestät das geringste zu Leide zu tun. Ich submittiere mich in allem des Königs Willen und Gnade und bitte denselben um Vergebung.« Und am 11. Oktober 1730 sagt Friedrich bei einem weiteren Verhör: »Ich möchte versichern, was auch der König mit mir tun will, ich werde Seine Majestät dennoch von ganzem Herzen lieb haben und meinen Respekt und meine Liebe nimmermehr verlieren. Im übrigen unterwerfe ich mich nochmals der Gnade des Königs.« Indessen waren die Untersuchungen im Prozeß gegen Friedrich, Katte und die anderen Beteiligten so weit gediehen, daß keine weiteren Fakten mehr zu erwarten waren, und der König beauftragte am 22. Oktober 1730 den Generalleutnant Achatz von Schulenburg mit der Bildung eines Kriegsgerichtes zu Köpenick, das auf der Grundlage der Untersuchungsergebnisse seinen Spruch fällen sollte. Diesem Kriegsgericht
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gehörten sechzehn Offiziere der verschiedenen Chargen sowie der GeneralAuditeur Mylius und der Geheime Rat Gerbet an. Am 25. Oktober leisteten die Mitglieder des Kriegsgerichtes ihren Eid: »Ich schwöre zu Gott einen leiblichen Eid, daß ich in gegenwärtigem von Seiner Königlichen Majestät in Preußen angeordnetem Kriegsgericht auf die mir vorgelesenen Akta nach meinem besten Wissen und Gewissen und nach Seiner Königlichen Majestät Reglement, Kriegsartikeln, Edikten, Rechten und Gewohnheiten Recht sprechen und solches nicht unterlassen will, weder um Freund- oder Feindschaft, Geschenke, Furcht oder anderer menschlicher Absichten willen, so wahr mir Gott helfe, durch Jesum Christum unseren Herrn.« Die Herren des Kriegsgerichtes waren auf dem Schloß Köpenick vollzählig versammelt. Sie befanden sich allesamt in einer peinlichen Situation. Das preußische Kriegsrecht sah für weit geringfügigere Dinge, als es eine versuchte Desertion war, die härtesten Strafen vor. Für dieses schlimmste aller Vergehen aber gab es nur zwei Möglichkeiten: den Tod oder, im mindesten Falle, abgeschnittene Ohren und eine abgeschnittene Nase. Aber man konnte ja wohl schlecht den preußischen Kronprinzen an Nase und Ohren kupieren. Das war absurd. Aber ein Todesurteil, ein Todesurteil über den Thronfolger, über den leiblichen Sohn Seiner allergnädigsten Majestät? Das war nicht weniger absurd. Friedrich Wilhelm hatte immer wieder gemahnt, mit aller Strenge des Gesetzes zu verfahren. Er hatte sogar vom Foltern geredet. Aber man wußte, daß die preußische Justitia nach allen Erfahrungen der anwesenden Herren ein sehr zweischneidiges Schwert schwang. Auch war man sich keineswegs sicher, was denn in Wahrheit im Herzen des Königs vorging, was für ein Urteil er von seinen Herren Richtern erwartete. Und schließlich gab es da noch einen sehr heiklen Punkt, der die Herren am allermeisten beschäftigte. Angenommen, sie würden den Kronprinzen mit aller Härte und Gerechtigkeit des Gesetzes zum Tode verurteilen: Das letzte Wort sprach immer noch der König. Und wenn dieser nun den Kronprinzen begnadigte? Die Gesundheit des Königs stand nicht zum besten. Er litt an Wassersucht. Und es blieb zu erwarten, daß er noch vor manchem seiner Herren Kriegsgerichtsräte das Zeitliche segnete. Was dann? Dann würde der Kronprinz den Thron besteigen, dann war aus dem Deserteur die allergnädigste Majestät von Preußen geworden, dann galt sein Wille, ausschließlich sein Wort. Und sicherlich würde er dann mit seinen Richtern abrechnen. Rache war auch einem erhabenen königlichen Herzen kein fremdes Gefühl. Und in diesem Falle sahen sich alle die hier versammelten Herren um ihre wohlgefestigten Positionen, um ihren Einfluß und ihre nach
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preußischen Verhältnissen gut bestallten Ämter gebracht. Jeder der hier versammelten Richter machte sich seine Gedanken, keiner sprach sie aus. Der schwere, stark beleibte Präsident des Kriegsgerichtes, der Generalleutnant Achats von der Schulenburg, stand auf und schritt sorgenvoll durch den Raum. Die Dielen knarrten unter seinem Gewicht. »Also meine Herren Generale, meine Herren Obristen, Majores und Hauptleute. Wir müssen zu einem Urteil kommen, müssen unser Schuldig oder Nichtschuldig sprechen. Auf jeden Fall: Wir müssen uns entscheiden.« Aber die Herren schwiegen. »Schwerin«, Schulenburg wurde direkt, »wie denkt Ihr, wie denken die Generale über den Fall?« »Wenn Ihr mich so auf den Kopf zufragt, Euer Exzellenz, so bin ich für nicht schuldig. Aber gesetzt den Fall, wir kommen alle zu diesem Spruch, was machen wir dann mit dem Leutnant Katte? Erkennen wir den Prinzen für nicht schuldig, dann dürfen wir auch den Leutnant nicht an Leib und Leben strafen. Denn desertieren wollte Seine Hoheit und nicht der Leutnant. Und ich für meinen Teil glaub’ es auch dem Katte, daß er sein Möglichstes getan, um den Prinzen von seinem unheilvollen Plane abzuhalten.« »Laßt hier den Katte aus dem Spiel«, schaltete sich der Obrist von Derchau ein, »der Katte steht auf einem anderen Blatt. Der muß dran glauben. Wie wollt Ihr sonst Euer Nichtschuldig für den Kronprinzen motivieren? Ich seh’ da nur eine Möglichkeit: Der Katte muß den Prinzen zu diesem unbedachten Vorhaben verleitet haben. Schon das ist nach den Ergebnissen der Ermittlungen unglaubhaft genug, aber…« »Nein«, fiel da Generalmajor von Schwerin Oberst von Derchau ins Wort. »Bei meiner Soldatenehre, zu so einer Sentenz kann ich mich nicht entschließen. Das hieße, einen zu opfern, der unschuldiger ist als jener, der freigesprochen werden soll.« »Die Justiz ist dehnbar und noch dazu in einem solchen Fall«, schaltete sich der Kriegsgerichtsrat Gerbet in das Gespräch. »Und übrigens, warum erwärmt Ihr Euch so für den Katte? Ein Leutnant mehr oder weniger in der preußischen Armee – was tut das? Sie bleibt eine der größten auf dem ganzen Kontinent, auch wenn der kleine Leutnant von Katte fehlt.« »So hart das klingt, Derchau und Gerbet haben recht«, ließ sich jetzt der Oberst von Wachholz vernehmen. »Der König hat diesen Prozeß nicht angeordnet und sich selbst so stark engagiert, damit am Ende nichts herauskommt als die Bestätigung, daß den Beteiligten zu Unrecht ein Prozeß gemacht worden ist. Und denken Sie daran, meine Herren Offiziere, der
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König hat nicht nur einmal gefordert, den Katte recht hart und unversöhnlich anzufassen. Es reicht schon zu, daß er dem König den Plan von der vorgehabten Flucht des Prinzen nicht enthüllte.« »Dann aber bin ich dafür«, beharrte General von Schwerin, »daß der Leutnant nicht am Leben gestraft, sondern zur Festung verurteilt wird.« Der Präsident des Kriegsgerichtes hörte dem Disput seiner Offiziere aufmerksam zu. »Sie haben, meine Herren, viel Rechtes gesagt, aber die rechte Lösung ist es noch nicht. Ein Nichtschuldig für den Kronprinzen – ich für meinen Teil möchte das nicht so ausdrücklich formulieren, denn das könnte Seine Majestät mit Recht schwer erzürnen. Die vorgehabte Desertion ist, da gibt es gar keinen Zweifel, erwiesen. Und auch schon mit dem Vorhaben allein hat sich der Kronprinz schuldig gemacht. Die Treue zum König, zur Fahne und zur Armee ist ein staatserhaltendes Prinzip. Und wir können nicht durch ein Nichtschuldig, gleich, über welche Person es gesprochen wird, als königliches Kriegsgericht dieses Prinzip in Frage stellen. Meine Herren, Sie müssen wohl oder übel weiterdenken! Wir müssen dieses staatspolitische Prinzip in unserer Urteilsfindung wahren, müssen uns auf der anderen Seite aber auch stets bewußt sein, daß wir ein Urteil über den leiblichen Sohn unseres allergnädigsten Monarchen sprechen.« »Ich hätte da einen Vorschlag«, meldete sich Generalmajor von Dönhoff zu Wort. »Er geht genau in die Richtung Eurer Gedanken.« Dönhoff lehnte sich bequem in seinen Stuhl zurück. Er genoß die Aufmerksamkeit und Erwartung, die sich jetzt ganz auf ihn konzentrierte. Schließlich meinte er: »Philipp der Zweite, König von Spanien, hat seinen Sohn, Don Carlos, hinrichten lassen.« »Also ratet Ihr, Seiner Königlichen Hoheit, dem Kronprinzen, das Todesurteil zu sprechen?« Die Enttäuschung unter den Herren des Kriegsgerichtes war groß. »Ich sagte nicht, daß wir ein Todesurteil sprechen sollten. Ich meine, wir sollten überhaupt kein Urteil über den Kronprinzen sprechen«, fuhr Dönhoff gelassen und unberührt von den enttäuschten Gesichtern seiner Mitarbeiter fort. »Don Carlos wurde zwar hingerichtet, aber nicht durch den Spruch der Richter, sondern auf Befehl seines Vaters. Philipp selbst hat seinen Sohn in den Tod geschickt.« Die Mitglieder des Kriegsgerichtes atmeten erleichtert auf. Sie erkannten die Klugheit dieses Gedankens: Katte verurteilen und sich, was den
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Kronprinzen betrifft, aus der Sache heraushalten. Genau das war es! Damit fuhren sie immer gut, gleich, wie die Geschichte endete. »Wir wenden uns«, so fuhr Dönhoff indessen fort, »alleruntertänigst an Seine Majestät und erklären demütig, daß es uns als gewöhnlichen Sterblichen nicht zusteht, über königliches Blut zu richten. Wir legen es dem König und obersten Kriegsherrn anheim, selbst das Urteil über seinen Sohn zu sprechen.« Es gab keinen, der sich gegen diesen Vorschlag gewandt hätte. Verlangte der König das Todesurteil, gut, dann war das der Wille des Königs, über dessen Willen es keinen anderen Willen gab. Begnadigte der König seinen Sohn, so hatte man sich den Kronprinzen nicht zum Feinde gemacht. Den Katte würde man mit Härte strafen, am Leben, zumindest aber mit lebenslanger Festungshaft. Das war im Sinne des Königs. Damit war die Staatsraison gewahrt, das Verbrechen an seiner geheiligten Majestät, anderen zur Abschreckung, gesühnt. In die allgemeine Erleichterung hinein sagte der General von Schulenburg: »Meine Herren Offiziere, ich glaube, wir haben uns genügend verständigt. So sollen nun die Herren Generalmajores, die Obristen, die Majores und die Hauptleute sich zurückziehen und in aller Ruhe und nach reiflicher Überlegung, mit dem notwendigen Respekt vor der königlichen Familie, ihr Urteil formulieren. Auch ich werde meinen Spruch finden. Übergebt mir morgen Euer Urteil.« Die Herren waren entlassen, und die einzelnen Kammern des Kriegsgerichtes machten sich daran, Recht zu sprechen über Friedrich, Katte, Keith und andere, die dem Kronprinzen bei der Vorbereitung seiner Flucht geholfen, die davon gewußt hatten. Am nächsten Tag hatte jede Kammer des Kriegsgerichtes ihren Spruch gefällt. In Sachen des Kronprinzen gingen alle Sprüche dahin, diese Staats und Familiensache Seiner Königlichen Majestät höchster Gnade und Entscheidung zu überlassen. Gegen Leutnant Katte erkannte die Hälfte der Stimmen auf Todesstrafe, allerdings mit dem Zusatz, Seine Königliche Majestät möchten Gnade widerfahren lassen, die übrigen Offiziere und auch der Präsident sprachen sich für lebenslange Festungshaft aus. Leutnant von Spaen wurde durch die meisten Stimmen dreijähriger Arrest zuerkannt, und der geflohene Leutnant Keith sollte, nach Kriegsmanier dreimal durch Trommelschlag zitiert, im Falle des Ausbleibens ehrlos erklärt, der Degen zerbrochen und sein Bild an den Galgen genagelt werden. Nun, ihren letzten Spruch hatten die Herren
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des Kriegsgerichtes sozusagen umsonst, denn Keith saß, vor dem Zugriff des preußischen Königs sicher, in England. Als Friedrich Wilhelm die vom Präses des Kriegsgerichtes übergebenen Voten durchgelesen hatte, schleuderte er seinen Stuhl zur Seite und hieb seinem unglücklichen Sekretär die Blätter um die Ohren. Was denn, diesen Halunken, diesen ehrlosen Schuft, diesen Dreckskerl ohne jeden Respekt vor Seiner Majestät, diesen meineidigen Lumpen, diesen Verführer und Ränkeschmied wollten die hochwohllöblichen Herren des Kriegsgerichtes laufenlassen? Wollten ihn lebenslang in die Festung sperren, damit der Spitzbube, wenn er, Seine Majestät, vom Obersten Kriegsherrn in den preußischen Himmel abberufen wurde, nach ein paar Jährchen auf freien Fuß kam? Daraus wird nichts! »Her mit dem Wisch«, fuhr er seinen Sekretär an, der gerade damit beschäftigt war, die auf dem Boden verstreuten Papiere wieder aufzusammeln und zu ordnen. Eigenhändig schrieb Friedrich Wilhelm an den Rand des Papiers: »Sie sollen recht sprech und nit mit dem Flederwisch vorübergehen da Katte also wohlgetan und soll das Krichgerich eine anders sprechen. F. W.« Dieser in Wut geschriebenen Randbemerkung folgte am nächsten Tag eine ausführliche Order: »Seine Königliche Majestät haben das eingesandte Kriegsrecht durchgelesen und sind mit dem in allen Punkten bis auf einen sehr wohl zufrieden. Seine Königliche Majestät sind nicht gewohnt, die Kriegsrechte zu schärfen. Da aber dieser Katte mit der künftigen Sonne tramieret, zur Desertion mit fremden Ministern und Gesandten allemal durcheinandergestochen, so weiß ich nicht, was vor kahle Raison das Kriegsrecht genommen und ihm das Leben nicht abgesprochen hat. Seine Königliche Majestät werden auf die Art sich auf keinen Offizier und Diener, die in Eid und Pflicht sind, verlassen können. Es würden dann alle Täter den Prätext nehmen, wie es Katten wäre ergangen, und weil er so gut durchgekommen wäre, ihnen dergleichen geschehen müßte. Seine Königliche Majestät sind in dero Jugend auch durch die Schule geloffen und haben das lateinische Sprichwort gelernt: ›Fiat justitia, pereat mundus!‹ Also will ich hier mit Recht von Recht und Rechtswegen, daß Katte, obwohl er schon nach den Rechten verdient gehabt, wegen des begangenen Majestätsverbrechens mit glühenden Zangen gerissen und aufgehängt zu werden, er denn noch nur, in Consideration seiner Familie mit dem Schwerte vom Leben zum Tod gebracht werden soll.«
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Mit einem Federstrich setzte der König das Urteil über Katte, gesprochen von einem ordentlichen Kriegsgericht, außer Kraft und entschied seinen Tod. Katte, als er davon Kenntnis erhielt, schrieb ein herzbewegendes Gnadengesuch an den König: »Ich habe gefehlt, mein König, ich erkenne es mit treuem Herzen. Meine Jugend, Irrtum, Schwachheit, Unbedachtsamkeit, mein nichts Böses ahnender Sinn, ein eitler Wahn der Jugend, der keine verborgene Tücke im Schilde geführet, sind es, mein König, die demütigst um Gnade, Erbarmen, Mitleiden, Barmherzigkeit und Erhörung bitten und flehen. Gott als der König aller Könige und der Herr aller Herren läßt Gnade vor Recht ergehen und bringet durch Erbarmen den auf irrigen Wegen gehenden Sünder und Missetäter wiederum zu seiner Pflicht. Oh, so mein König, Sie als ein Gott auf Erden, lassen mir doch dieselbige Gnade als einen gegen Königliche Majestät handelnden Sünder und Missetäter zufließen.« Auch der greise Generalfeldmarschall von Wartensleben, der sich dem König durch seine jahrelangen treuen Dienste und durch die für Preußen gewonnenen Schlachten verpflichtet glaubte, schrieb, gleichsam im Namen des Vaters, des Generalleutnants von Katte, ein Gnadengesuch an den König: »Hiermit erkühne ich mich, Eurer Königlichen Majestät zu Füßen mich zu legen und im Namen meiner und des Generalleutnants von Katte alleruntertänigst, flehentlichst zu bitten, die Strenge der Gerechtigkeit durch dero Königliche Gnade und Barmherzigkeit in Ansehung der Angehörigen zu mildern und nicht geschehen zu lassen, daß ich am Ende meines achtzigsten Jahres auf eine so betrübte Art noch muß Blut triefen sehen von demjenigen, der von mir abgestammet, und dadurch mein graues Haar mit Herzeleid in die Grube gebracht werde.« Das Gnadengesuch des alten Generalfeldmarschalls beantwortete Friedrich Wilhelm, der Gnade und Barmherzigkeit nicht einmal vom Hörensagen kannte, abschlägig. Katte selbst erhielt überhaupt keinen Bescheid. Statt dessen erging am 2. November eine Order an den Generalfeldmarschall von Natzmer mit dem Befehl, Leutnant Katte am 3. November in einem Mietwagen nach Küstrin bringen zu lassen. Und da sich der König die Hinrichtung Kattes nicht allzuviel kosten lassen wollte, schrieb die Order auch die Ausgaben für die Begleitmannschaft und den Delinquenten vor, verbunden mit der Weisung, für den Mietwagen die Rechnung persönlich an den König einzuschicken. An den Generalmajor von Lepel und den Obristen von Reichmann in Küstrin erging die genaue Anweisung mit allen Einzelheiten der Hinrichtung.
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Entrüstung brach los an den Höfen Europas, nachdem das vollstreckte Urteil bekannt geworden war. Als Seine Königliche Majestät am 24. November 1730 vom preußischen Residenten Degenfeld in England einen Bericht über die verdrießlichen Diskurse in London zugeschickt erhielt, schrieb der König zurück: »Antwortet den Engländern, wenn es noch Hunderttausende solcher Katten wären, ich würde sie alle miteinander rädern lassen. Und wenn ich noch tausend der vornehmsten Köppe abschlagen muß, die Engländer sollen wissen, daß ich keine Nebenregenten an meiner Seite dulde.« Der Kronprinz aber unterwarf sich durch einen feierlichen Eid am 20. November 1730 in allem dem König und beschwor Gehorsam für alle Zeiten und mußte weiter beschwören, daß er an keinem, der am Kronprinzenprozeß mitgewirkt hatte, Vergeltung üben würde. Merkwürdigerweise hielt er auch nach dem Tode seines Vaters diesen Schwur, ja, mehr noch, er bezeugte auch keinem, der durch ihn in dieser Zeit zu leiden oder der ihn unterstützt hatte, irgendwelche Gunst.
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ISBN 3-327-00118-9
1. Auflage y © Militärverlag der Deutschen Demokratischen Republik (VEB) – Berlin, 1986 y Lizenz-Nr. 5 y Printed in the German Democratic Republic: Druckerei des Ministeriums für Nationale Verteidigung (VEB) – Berlin – 3 2312-5 y Lektor: Helga Paulus y Umschlaggestaltung: Bernd Kluge y Typografie: Günter Molinski y LSV: 7004 y 00045
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