Der Ausflug in die Naturschönheit des Parks verlor für Telzey Amberdon jeglichen Hauch von Romantik, als ihre Gedanken ...
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Der Ausflug in die Naturschönheit des Parks verlor für Telzey Amberdon jeglichen Hauch von Romantik, als ihre Gedanken den lautlosen Todesschrei eines lebenden Wesens auffingen. Gar nicht weit entfernt von ihrem Lagerplatz trieb sich eine Mörderbestie herum, gelenkt und angestachelt von einem pervertierten Geist. Und dann empfing Telzey eine Gedankenstimme, die Stimme eines Mannes, der sie einlud, sie in seinem Haus im Park zu besuchen, wo er nach einem schrecklichen Unfall das Leben eines Krüppels lebte, umgeben von seinen Maschinen und Erfindungen. Telzey ahnte nicht, daß sie sich in die Falle eines Wahnsinnigen begab ...
Vom selben Autor in der Reihe ULLSTEIN 2000 – Science Fiction: Dämonenbrut (Ullstein Buch 3022)
Ullstein Buch Nr. 3061 im Verlag Ullstein GmbH, Frankfurt/M – Berlin – Wien Titel der amerikanischen Originalausgabe: THE LION GAME Aus dem Amerikanischen übersetzt von Leni Sobez
Umschlagillustration: ACE/Kelly Freas Copyright © 1973 by James H. Schmitz Übersetzung © 1974 by Verlag Ullstein GmbH, Frankfurt/M – Berlin – Wien Printed in Germany 1974 Gesamtherstellung: Augsburger Druck- und Verlagshaus GmbH ISBN 3 548 03061 0
James H. Schmitz
Das Psi-Spiel SCIENCE-FICTION-Roman
Herausgegeben von Walter Spiegl
ein Ullstein Buch
1 Psi-Energie knisterte wie eine Entladung statischer elektrischer Energie. Dann kam das Gefühl einer entsetzlichen Angst vor einem Verfolger, vor dem es kein Entrinnen gab ... Telzey hielt den Atem an. Um ihren Geist hatte sich sofort ein Psi-Schild geschlossen und alle ankommenden Impulse blockiert. Das mentale Bild hatte nur einen Augenblick gedauert, doch sie verharrte noch einige Momente bewegungslos. Sie hatte die Augen geschlossen, und ihr Puls hämmerte. In der vergangenen Stunde hatte sie unruhig vor sich hin gedöst, denn sie war sich vage der Lebensenergie wilder Tiere im unendlich weiten Parkland bewußt. Vielleicht hatte sie auch nur geträumt. Vielleicht; sehr wahrscheinlich kam es ihr nicht vor. Sie war nicht entspannt genug, um in den Traumzustand hinüberzugleiten. Eher war es möglich, daß sie für einen Moment die Impulse eines wirklichen Ereignisses aufgenommen hatte; daß jemand irgendwo in der Nähe in eben diesem Moment auf gräßliche Art zu Tode gekommen war. Sie zögerte, lockerte dann aber den Schild, um ihr Bewußtsein durch den Park schweifen zu lassen und gleichzeitig eine Gedankensonde auszuschicken.
Wenn sie den Geist berührte, der die Angstgefühle ausgestrahlt hatte, dann mußte ihr das Echo weitere Information vermitteln – vorausgesetzt, der Geist war noch lebendig und zu einer Antwort in der Lage. Sie glaubte aber nicht, daß dieses Wesen noch am Leben war, denn sie hatte den Eindruck empfangen, daß der Tod nur Sekunden entfernt war. Allmählich drang das Rauschen der Gedankengeräusche wieder auf sie ein; es war ein Lebenspuls in vielen Formen, und dazwischen bebten die PsiEnergien, deren Wellen in der Ferne verebbten; sie kamen von ihren Gefährten, von Tieren auf der Ebene und in den Bergen, und die zarteren Emanationen der Pflanzen schwangen dazwischen. Aber sie enthielten keine Störungen mehr wie noch vor wenigen Minuten. Telzey öffnete die Augen und hielt nach den anderen Ausschau, die am Eingang zum Cil Canyon um das Lagerfeuer saßen. Es waren elf, alles Studenten des Pehanron College im dritten und vierten Jahr, die beschlossen hatten, ein paar Ferientage im Melna Park zu verbringen. Der älteste der Kameraden war zweiundzwanzig, sie war die jüngste – Telzey Amberdon, fünfzehn. Ein riesiger weißer Hund namens Chomir war dabei, doch der war gerade nicht zu sehen. Er gehörte einer Freundin, die mit einem sehr guten Freund während der Ferien auf eine Raum-
kreuzfahrt gegangen war. Chomir wäre auf einem Raumschiff immer ein bißchen im Weg gewesen, und deshalb hatte Telzey ihn in den Park mitgenommen. Am frühen Abend hatten sie dort ihr Lagerfeuer errichtet, wo sich der große Cil Canyon auf die weite, gewellte Ebene öffnete. Zu beiden Seiten des Lagers erhoben sich die steilen, von Immergrün bewachsenen Wände der Schlucht, und der Cil, ein wildschäumender Fluß, sprühte über Terrassen von Felsbändern wie über die Stufen eines Katarakts. Die Jungen hatten ein grünes, durchscheinendes Zelt aufgebaut, und darunter lagen schon die Schlafsäcke bereit. Aber Gikkes und zwei der anderen Mädchen hatten angekündigt, daß sie lieber in einem der Luftgleiter schlafen würden, den sie in sicherer Entfernung vor wilden Tieren in der Luft parken wollten. Die Parkaufseher hatten ihnen versichert, das sei nicht nötig. Melna Park war ein Reservat für wilde Tiere auf Orado, aber diese Tiere griffen Besucher niemals an; und was menschliche Räuber betraf – in dieser Hinsicht war der Park viel sicherer als die Städte des Planeten. Es war streng verboten, den Park zu überfliegen. Besucher kamen durch eine der verschiedenen Stationen herein; dort wurden ihre Luftgleiter mit versiegelten Sperren ausgerüstet, so daß sie keine Höhen über fünfzig Meter und keine Geschwindigkeiten über fünfzig Kilometer erreichen
konnten. Nur die Parkaufseher unterlagen keinen Einschränkungen, und nur sie durften Waffen tragen. Melna Park würde also eine Oase des Friedens, ein Waldgebiet von grandioser Ruhe sein. Als es dann Abend wurde, strahlten die Sterne des Großen Haufens über Orado in unwahrscheinlicher Glorie. Gikkes und ein paar andere waren an diese Himmelspracht nicht gewöhnt, weil sie kaum einmal eine Nacht außerhalb der Städte verbracht hatten. Dort wurden, wenn sich der Abend näherte, die Nachtschirme langsam aufgezogen, denn noch immer war eine dunkle Schlafperiode angenehmer. Hier wurde die Nacht nur zwielichtig, bis der Wind im Canyon zu heulen begann und schwarze Sturmwolken sich über den Bergen sammelten, um in die Ebenen hinauszuziehen. Zwielicht ging nun in tiefe Dunkelheit über, und der Fluß rauschte und plätscherte unaufhörlich. Der Wind erzeugte seltsame Geräusche im Canyon; plötzlich waren Tierstimmen zu vernehmen, und in den Büschen und Bäumen knackte es. »Hier komme ich von dem Gefühl nicht los, jeden Moment müßte ein Lullbär oder ein Spuktier hier heraustraben«, bemerkte Gikkes und schaute in den Canyon hinein. Ein paar von den anderen lachten ein wenig unsicher. »Sei doch nicht albern«, sagte Valia. »Seit mehr
als fünfzig Jahren gibt es im Melna Park keine solchen Tiere mehr. Stimmt das vielleicht nicht, Pollard?« Pollard war der älteste Junge. Er stand kurz vor dem Abschluß seines Biologiestudiums, und deshalb betrachtete ihn Valia bezüglich der Lullbären und Spuktiere als Autorität. »In den größeren Reservaten weiter nördlich kannst du sie schon noch finden«, antwortete er. »Aber in diesen öffentlichen Parks halten sie keine solchen Tiere, die am liebsten auf Menschen herumkauen. Gikkes, alles was du hier in der Gegend siehst, rennt genauso vor dir davon wie du vor diesen Tieren.« »Das ist ja allerhand«, meinte Rish lachend, und die anderen lachten mit, während Gikkes ein wenig verlegen dreinsah. Telzey hatte dem Gespräch nur mit einem Ohr gelauscht. Sie fühlte sich abgeschlossen von ihren Gefährten. Sie hatten den ganzen Nachmittag gebraucht, vom Parkeingang bis hierher zu kommen; sie waren mit drei Luftgleitern da, die sich langsam über das weite, wellige Gelände bewegten. Nachdem sie den Schluchteingang erreicht hatten, wo sie zu bleiben gedachten, war sie mit Rish und Dunker eine Stunde lang flußaufwärts in den Canyon gegangen, um zu fischen. Es war sehr lustig und aufregend gewesen,
und sie hatten so viele Fische gefangen, daß es zu einem reichlichen Abendessen für alle genügte. Natürlich mußten sie über schlüpfrige Steine klettern, durch eisiges, schnellfließendes Wasser waten, und gelegentlich nahm einer von ihnen auch ein nicht ganz freiwilliges Bad. Bei einem Sturz hatte Telzey ihr Armbandsprechgerät ruiniert. Es war nach so viel ungewohnter Anstrengung nicht verwunderlich, daß sie sich jetzt ein wenig schläfrig fühlte. Erstaunlich fand sie nur, daß sie sich einfach nicht ganz entspannen konnte. Normalerweise fühlte sie sich im Freien immer ungeheuer wohl, aber hier empfand sie etwas als störend. Anfangs hatte sie das nicht bemerkt; sie hatte sogar mit den anderen über Gikkes gelacht, weil sie von einem gewissen Unbehagen sprach. Aber als sie dann nach dem Abendessen satt und körperlich angenehm müde um das Feuer saßen, wurde sie sich vage eines Störfaktors bewußt. Langsam schien sich die Atmosphäre des Melna Parkes zu verändern. Eine Ahnung von grausamer Wildheit breitete sich aus, vermischt mit einem Hauch geheimer Angst. Telzey ertappte sich dabei, daß sie selbst über die Schulter zu den dunklen Schatten unter den Bäumen hinüberschaute, als könne dort vielleicht doch ein Lullbär oder Spuktier lauern. Und dann war da ganz plötzlich im Zustand müden Dahindämmerns ein Traumblitz durch ihr Ge-
hirn gezuckt, in dem jemand rannte und sich vor einem schrecklichen, gefährlichen Verfolger versteckte. Die verängstigte menschliche Beute sah den Verfolger als einen riesigen unheimlichen Tierschatten, der sich im Zwielicht rasch bewegte, aber keine Einzelheiten erkennen ließ. Und dann hatte Telzey dieses Aufflackern der PsiEnergie über der Szene wahrgenommen ... Sie schaute zu Gikkes hinüber, als diese fragte: »Solltest du dich nicht allmählich doch um Gonwils Hund kümmern? Seit einer guten halben Stunde ist er weg.« »Chomir schaut sich nur ein wenig die Umgebung an«, antwortete Telzey. Tatsächlich war Chomir nur ein paar hundert Meter weit entfernt und lief am Cil entlang tiefer in den Canyon hinein. Von Zeit zu Zeit hatte sie flüchtig nach des Hundes Gehirnausstrahlungen getastet, um zu sehen, was er tat. Gikkes konnte das natürlich nicht wissen, denn niemand in dieser Gruppe vermutete bei Telzey telepathische Fähigkeiten. Aber sie hatte mit Chomir sehr viel experimentiert, und jetzt konnte sie, wenn sie wollte, fast mit seinen Augen sehen, mit seiner Nase riechen, mit seinen Ohren lauschen. Im Moment beobachtete er einige Tiere, die so groß waren, daß Gikkes sich erschreckt hätte. Aber Chomirs Interesse am Wildbestand von Melna Park
ging über eine normale hündische Neugier nicht hinaus. Er war ein weißer Askanam, eine Rasse, die als Kampfhund gezüchtet worden war und bis zum Tod kämpfte; er war zu groß und stark, als daß er sich über andere Tiere Gedanken zu machen brauchte, und fremde Tiere wurden niemals ohne Befehl gejagt, wie es Hunde von minderer Rasse tun würden. »Wenn ich die Verantwortung für einen fremden Hund hätte«, sagte Gikkes, »dann würde ich mich davon überzeugen, daß er nicht davonläuft und sich vielleicht verirrt.« Telzey antwortete darauf nicht. Sie wußte auch ohne Gedankenlesen, daß Gikkes gereizt war, weil sich Pollak nach dem Abendessen nicht zu ihr gesetzt hatte, und dabei hatte sie doch Pollak zum Mitkommen aufgefordert. Er war der Vorsitzende verschiedener Organisationen und im Pehanron College ein junger Mann von Bedeutung. Und die sehr hübsche Gikkes mochte es gar nicht, daß er nun Telzey zu bevorzugen schien. Dabei hatte Telzey gar keine Absichten mit ihm. Sie konnte es Gikkes nur nicht sagen, ohne sie noch wütender zu machen. »Ich«, schloß Gikkes, »würde mich nach dem Hund umschauen.« Pollard stand auf. »Nun, es wäre freilich schlimm, liefe er davon«, gab er zu und lächelte Telzey an. »Ich komme mit, wenn du dich nach ihm umsehen willst.«
Das hatte Gikkes nun auch wieder nicht beabsichtigt. Rish und Dunker hielten ebenfalls wenig davon. Sie waren schon aufgestanden und schauten Pollard streng an. Telzey sah von einem zum anderen und dann auf die Uhr, die Dunker ihr geliehen hatte, nachdem ihre eigene mit dem kleinen Sprechgerät beim Fischen kaputtgegangen war. »Wir wollen noch fünf Minuten warten«, schlug sie vor. »Wenn er dann noch nicht da ist, können wir ja alle nach ihm suchen.« Sie setzten sich wieder, und nun schickte sie Chomir einen Gedanken zu, er solle kommen. Sie wußte noch nicht recht, was sie in der anderen Angelegenheit tun sollte, aber sie wollte auf gar keinen Fall davon abgelenkt werden, weil es mit Gikkes und den anderen Probleme gab. Sofort empfing sie Chomirs Antwort. Er stellte die Ohren auf und hatte die Nase auf dem Boden. Er watete in den Fluß und platschte lärmend durch das stellenweise seichte Wasser. Er schien den Weg zum Lager abkürzen zu wollen, aber diese Route würde ihn nur zur anderen Uferseite des sehr stark gewundenen Cil bringen. »Dummkopf, doch nicht dort hinüber«, dachte Telzey. »Umkehren, sofort umkehren!« Der Hund blieb einen Moment stehen und schien
zu überlegen. Und dann rief eine Stimme in ihrem Geist, und in der Stimme klang Staunen oder Angst mit: »Wer bist du? Wer hat das gesagt?«
2 Gelegentlich hatte Telzey Kontakt mit anderen Telepathen, aber im allgemeinen pflegte sie diesen nicht. Psi war eine Sache mit breit angelegten, vielfältigen Möglichkeiten. Für sie war alles noch ein bißchen neu, und sie hatte zur Zeit im College zuviel zu tun, so daß sie keine Zeit für Experimente fand. Überdies konnten daraus nur allzu leicht Probleme erwachsen; sie konnte sich dieser oder jener Situation bewußt werden, von der die anderen keine Ahnung hatten. Es war nicht immer möglich, so zu tun, als gebe es sie nicht. Sie wollte auch gar nicht allgemein wissen lassen, daß sie eine Psi war. Das, was heute im Melna Park geschehen war, konnte leicht solche Probleme schaffen. Doch dann hatte die Stimme zu ihr gesprochen, anscheinend aus dem Nichts heraus. Für den anderen Telepathen schien die Begegnung ebenso unerwartet gekommen zu sein wie für sie. Sie wollte nicht antworten, wenigstens nicht sofort, um Komplikationen möglichst zu vermeiden. Der Gedanke schien von einem Mann zu kommen, aber ein Freund brauchte er durchaus nicht zu sein, wenn er auch zweifellos menschlich war. Nichtmenschliche Gedanken strahlten anders aus. Seine Frage war so intensiv gewesen, daß er sie ver-
mutlich laut ausgesprochen hatte. Irgendwie schien der Gedanke gefiltert gewesen zu sein; bei anderen Kontakten hatte sie so etwas noch nicht bemerkt. Vielleicht hatte er durch einen Schirm dringen müssen, der eine leichte Verzerrung bewirkte. Sie wartete und dachte darüber nach. Es war jedoch nicht so, daß sie ungeduldig wartete. Er mußte wohl durch ihre klare Anweisung an den Hund überrascht worden sein. Jetzt hatte sie den Isolierschild ein wenig enger um ihren Geist gelegt, um das Gedankengeräusch ihres Unterbewußtseins, das sie verraten könnte, zurückzuhalten. Das hatte sie schon früh gelernt, und selbst ein erfahrener Telepath, der sich in ihren Geist vortastete, kam dann nicht weiter. Aber dieser Psi war kein Könner; ein solcher hätte ihr noch ein paar schnelle, erstaunte Fragen zugesandt. Normalerweise dachte sie nicht in Wortbegriffen, wie im Falle ihres Befehls an den Hund, und das wollte sie auch jetzt vermeiden. Sie schien jedenfalls die Sache fest in der Hand zu haben. Das Schweigen hielt noch immer an. Vielleicht bedauerte er jetzt schon seine heftige Reaktion. Telzey lockerte ihren Schild ein wenig, schickte Chomir einen Suchgedanken zu und fühlte, wie er sich in leichtem Trott dem Lager näherte. Da schloß sie ihren Schild wieder. Sie wartete ein paar Sekunden und öffnete ihn.
»Wer bist du?« fragte sie. »Also habe ich doch nicht geträumt«, kam die Antwort im gleichen Moment. »Ich dachte schon ... Sind dort zwei?« »Nein, ich habe mit meinem Hund gesprochen.« Seine Gedanken waren doch ziemlich seltsam. Es konnte sein, daß er sie auf eine Art abschirmte, die ihr bisher noch nie begegnet war. »Dein Hund? Ah, ich verstehe ... Es ist schon über ein Jahr her, daß ich mit anderen Leuten so gesprochen habe ... Du bist eine Frau ... jung ... ein Mädchen ...« Sie brauchte ihm ja nicht zu sagen, daß sie fünfzehn war. Telzey interessierte nur, ob er auch diese Unruhe im Melna Park gespürt hatte, deshalb setzte sie die Unterhaltung fort. »Wo bist du?« »In meinem Haus fünfzehn Kilometer südlich vom Cil Canyon, am Waldrand. Aus der Luft ist das Haus leicht zu sehen.« Vielleicht war er ein Parkaufseher. In der angegebenen Richtung hatte sie am Nachmittag ein Haus gesehen und sich gewundert, wer da wohl wohnen mochte. Es war fast ausgeschlossen, daß jemand die Erlaubnis bekam, in einem Staatspark zu wohnen. »Sagt dir das etwas?« fuhr die Stimme fort. »Ja«, antwortete Telzey. »Ich bin mit einigen Freunden hier im Park. Ich glaube, dein Haus habe ich gesehen.«
»Ich heiße Robane«, sagte die körperlose Stimme. »Du bist sehr vorsichtig, aber das ist dir nicht zu verdenken. Als Psi ist man immer besonderen Gefahren ausgesetzt. Wäre ich in einer Stadt, dann würde ich mich nicht verraten wollen. Aber hier ... Am Ausgang des Canyons hat heute jemand ein Feuer angezündet. Ich bin verkrüppelt und verbringe einen großen Teil meiner Zeit damit, den Park mit Suchgeräten zu beobachten. Ist es euer Feuer?« Telzey zögerte einen Moment. »Ja.« »Wissen deine Freunde, daß du und ich ... Ahnen sie überhaupt, daß du Telepathin bist?« »Nein.« »Könntest du mich einmal ohne ihr Wissen besuchen?« »Warum sollte ich das?« fragte Telzey. »Kannst du dir nicht denken, daß ich wieder einmal mit einem Psi reden möchte?« »Wir reden doch.« »Darf ich ein bißchen von mir selbst erzählen? Ich bin ungefähr mittleren Alters. Du würdest mich vielleicht für alt halten. Ich lebe hier allein mit einer recht gutmütigen aber ziemlich dummen Haushälterin namens Feddler. Von meinem Standpunkt aus ist sie alt. Vor vier Jahren war ich in einem wissenschaftlichen Institut der Föderation tätig und galt als einer der besten Spezialisten auf meinem Gebiet. Solange
man vorsichtig war, war die Arbeit nicht besonders gefährlich. Aber eines Tages paßte ein Leichtsinniger nicht auf. Ganz umgebracht hat er mich ja nicht, aber seither bin ich auf eine Maschine angewiesen, die mich am Leben hält. Wenn man mich von dieser Maschine abschaltet, bin ich in der nächsten Minute tot. Ich arbeite also nicht mehr, und in Städten leben wollte ich auch nicht. Es gibt dort zu viele verrückte Leute, die mich zu sehr an einen ganz bestimmten Verrückten erinnern, und den vergesse ich lieber. Da ich eine sehr wichtige Arbeit getan hatte, erlaubte mir die Föderation, mich im Melna Park niederzulassen, wo ich ungestört sein konnte ...« Die Gedankenstimme brach plötzlich ab, doch Telzey hatte den Eindruck, als spreche er noch weiter und wisse nicht, daß etwas den Psi-Kontakt zwischen ihnen gestört hatte. Sie wartete. Es konnte sich ein anderer, vielleicht boshafter, dazwischengeschaltet haben. »... gefällt es mir hier.« Da war sie wieder, Robanes Stimme. Er schien die Unterbrechung nicht bemerkt zu haben. »Ein Psi braucht sich ja nicht zu langweilen, und ich habe eine Menge Instrumente, die mich vergessen lassen, daß ich ein Krüppel bin. Ich kann den ganzen Park und die Tiere beobachten ... Magst du Tiere und ihre Gedanken?« »Manchmal«, antwortete sie zurückhaltend. »Eini-
ge.« Sie hatte gemerkt, daß dies keine zufällige Frage war. »Einige und manchmal? Die Einsamkeit zieht bisweilen das Unheimliche an ... Hast du heute abend in den letzten Stunden ... Gab es da etwas Besonderes ... Ich weiß nicht recht, wie ich mich da ausdrücken soll.« Es überlief sie eiskalt. »Es war etwas, nur für einen Moment«, gab sie zu. »Ich wußte nicht genau, ob ich träumte ...« »Etwas sehr Häßliches ...« »Ja.« »Angst, Schmerz und Tod ... Brutale Grausamkeit. Dann hast du es also auch empfangen. Merkwürdig! Vielleicht hat ein Echo aus der Vergangenheit uns berührt, aus jener Zeit, als die Tiere, die den Menschen haßten, noch in diesem Gebiet jagten. Bei solchen Gelegenheiten fühle ich mich hier sehr einsam. Verstehst du, wenn man dann einen anderen Psi hört ... Vielleicht habe ich jetzt ein bißchen Angst, in der Nacht allein zu sein. Ich würde gern mit dir sprechen, aber nicht auf diese Weise und jedenfalls nicht über alles. Man weiß ja nie, wer zuhört ... Ich denke, es gibt viele Dinge, die Psi-Begabte zu ihrem Vorteil miteinander besprechen könnten.« Die Stimme schwieg. Robane hatte sich vorsichtig ausgedrückt und erwartete offensichtlich nicht eine
sofortige Antwort auf seine Einladung. Telzey überlegte. Chomir war inzwischen herbeigetrottet, hatte sich von ihr den Kopf tätscheln lassen und lag nun neben ihr. Gikkes lockte ihn, aber Chomir hatte keine Lust, auf sie zu hören. Gikkes behauptete sonst immer, sie habe Angst vor dem Hund, aber hier im nächtlichen Park schien sie es irgendwie ganz angenehm zu finden, daß ein Kampfhund von Übergröße mit zur Gruppe gehörte. Robane hatte also auch den Eindruck unheimlicher Ereignisse empfangen, und er wollte nicht offen darüber sprechen. Nun, Angst brauchte er ja wirklich nicht zu haben, denn er war in seinem Haus, und da es so einsam lag, hatte es mit Sicherheit Schutzbarrieren. Sicher brauchte er nur die nächste Parkaufseherstation anzurufen, wenn er etwas Ungewöhnliches bemerkte, und innerhalb weniger Minuten hing ein Luftgleiter über seinem Haus. Wahrscheinlich wollte er nur ihr Mitleid wecken, um sie zu einem Besuch zu überreden. Gut, er hatte dasselbe bemerkt wie sie; seine vorsichtige Ausdrucksweise ließ darauf schließen. Telzey musterte Chomir. Er war nicht gerade ein Ausbund an Intelligenz, aber seine Sinne waren ungewöhnlich scharf, und er hatte die fast unheimliche Reaktionsbereitschaft eines zum Kampf gezüchteten Tieres. Hätte es tatsächlich eine solche Störung gegeben, dann
müßte es Chomir auch bemerkt haben, und sie hätte es aus seiner Instinktreaktion herausgelesen. Aber er hatte nicht reagiert. Und doch hatte es die Unruhe gegeben. Ihr Eindruck war der gewesen, daß der Unruheherd in recht unbehaglicher Nähe lag; ähnlich schien Robane empfunden zu haben, und er schien nicht die Absicht zu haben, etwas dagegen zu unternehmen. Es war eine recht schwierige Angelegenheit. Robane wollte auch nicht gern als Psi erkannt werden. Außerdem war die Parkverwaltung nicht ohne weiteres bereit, eine nächtliche Suche nur deshalb zu veranstalten, weil zwei Telepathen ihre Eindrücke ausgetauscht hatten. Anders wäre es natürlich, wenn jemand abhanden gekommen wäre, denn dann müßte man ein Raubtier hier vermuten. Es war nicht gut, so lange zu warten, bis ein Raubtier am Lagerfeuer auftauchte ... Sie zog eine Grimasse und sah sich um. Zugeben wollte sie es zwar nicht, aber sie wußte schon seit einiger Zeit, daß sie wohl oder übel nach einem Raubtier Ausschau halten mußte. Im Luftgleiter bestand für sie keine Gefahr, und im übrigen mußte sie eben vorsichtig sein. Am besten würde es wohl sein, sie schlüge zuerst die Richtung zu Robanes Haus ein, um auf dieser Route das Gebiet mental abzusuchen. Ortete sie eine
Spur des Raubtieres, konnte sie die genaue Position festlegen und vom Gleiter aus die Parkaufsicht informieren. Fand sie nichts, konnte sie sich mit Robane darüber unterhalten und den nächsten Schritt beraten. Chomir mußte als Aufpasser bei der Gruppe bleiben. Sie konnte ihm ein leicht unbehagliches Gefühl suggerieren, so daß er besonders wachsam war, solange sie sich auf der Suche befand. Fing sie dann von ihm irgendeine Warnung auf, daß etwas Ungewöhnliches vorging, brauchte sie nur die anderen über Gleiterfunk anzuweisen, sie sollten sich in die zwei Luftgleiter begeben und in der Luft bleiben. Gikkes würde schon dafür sorgen, daß sie das auch taten. Der Plan schien nicht schlecht zu sein. »Robane?« fragte sie. »Ja.« Die Antwort kam sofort. »Ich mache mich jetzt auf den Weg zu deinem Haus. Würdest du nach meinem Gleiter Ausschau halten? Wenn etwas Menschenfeindliches unterwegs ist, möchte ich aber lieber nicht vor dem Haus warten müssen ...« »Die Tür wird offen sein, wenn du herunterkommst«, versprach Robane. »Bis zu diesem Augenblick lasse ich sie versperrt. Ich habe meine Beobachtungsgeräte eingeschaltet und warte ... Hast du vielleicht weitere Gründe ...«
»Bis jetzt nicht, aber ich möchte gern einiges besprechen, wenn ich dort bin.« Sie hatte selbstverständlich nicht die Absicht, Robanes Haus zu betreten, solange sie so wenig über ihn wußte. Um diese Nachtzeit machte man ja schließlich keine Besuche, und in der Luft lagen zu viele Ungewißheiten. Der Luftgleiter gehörte ihr. Es war ein kleines, sehr schnelles und wendiges Fahrzeug. Keiner hatte etwas einzuwenden, als sie den anderen sagte, sie wolle jetzt für eine Stunde allein herumfliegen, um die Nachtruhe zu genießen. Gikkes hatte inzwischen Pollard mit Beschlag belegt und hielt Telzeys Plan anscheinend für ganz ausgezeichnet. Telzey hob ab. In fünfzig Meter Höhe schaltete sich die Höhen-Sperrautomatik ein. Telzey flog erst ein Stück parallel zur dichtbewaldeten Bergkette und dann auf die Ebene hinaus, genau nach Süden, wo Robanes Haus lag. Die Ebene war Hügelterrain, mit kleinen Plateaus in welligem Gelände. Hier war hauptsächlich Buschland, das von kleinen Gehölzen unterbrochen war. Auf dem offenen Gelände bewegten sich Herden einheimischer Tiere, die kein Interesse an dem Gleiter zeigten. Alles sah friedlich aus. Robane hatte sich still verhalten. Telzey öffnete ihren Psi-Schild erst ein wenig, dann weit, und ihr Bewußtsein tastete nach allen Richtungen ...
3 Etwa zwanzig Minuten vergingen, bis sie die erste Spur entdeckte. Vor dem dunklen Hintergrund des Waldes sah sie einen orangefarbenen Lichtpunkt. Das mußte Robanes Haus sein, das noch sieben oder acht Kilometer entfernt war. Robane hatte sich nicht mehr gemeldet, dafür hatte sie aber zahlreiche flüchtige Kontakte mit Tiergehirnen aufgenommen; mit Tieren, die einander gefährlich sein konnten, nicht aber einem Menschen. Plötzlich war es da, ein schwacher Impuls wachsamer Bosheit – und im nächsten Moment war es weg. Obwohl sie darauf gefaßt gewesen war, schlug ihr Bewußtsein Alarm. Natürlich war sie im Gleiter in Sicherheit, obwohl die Kreatur nicht weit entfernt sein konnte. Telzey schlüpfte für einen Augenblick in Chomirs Gehirn. Der große Hund stand ein wenig außerhalb des Feuerkreises und witterte nach Süden. Er war unruhig, doch seine Sinne entdeckten nichts Ungewöhnliches. Die Drohung zielte nicht auf das Lager. Also mußte die Quelle vor ihr, links oder rechts liegen. Telzey ließ den Gleiter ganz langsam weiterschweben. Nach einer Weile spürte sie wieder diese böse Ausstrahlung, verlor sie erneut ... Zögernd näherte sie sich Robanes Anwesen. Dann
sah sie es ziemlich klar vor sich, ein ansehnliches Haus in einem Garten, der bis zum Waldrand reichte. Ein Teil des Gebäudes war zweistöckig, und um das obere Stockwerk lief ein Balkon. Von dort kam auch das orangefarbene Licht, das durch Fensterläden fiel. Aus dieser Richtung war das zweite Aufflackern dieser Bosheit gekommen. Das wußte sie bestimmt. Wenn die Kreatur im Wald hinter dem Haus steckte, es vielleicht belauerte, dann waren Robanes Ahnungen doch nicht grundlos gewesen. Etwa fünfhundert Meter nördlich des Hauses blieb sie mit dem Gleiter in der Luft stehen; nach einer Weile bewegte sie sich nach links, dann auf den Wald zu, einen Bogen um das Haus schlagend. Sie hoffte, einen neuen Hinweis zu finden. Robane würde sie durch die Sucher beobachten, und sie war froh, daß er das Schweigen nicht gebrochen hatte. Vielleicht ahnte er, was sie vorhatte. Sie war hellwach und nahm das Leben unter ihrem Luftgleiter in allen Einzelheiten auf. Es war, als sei die Ebene nach allen Richtungen hin plötzlich lebendig geworden, denn von allen Seiten her kamen ihr die Emanationen der Lebenskraft entgegen. Es war gar nicht so leicht, unter diesen zahlreichen Eindrükken gerade den einen herauszufinden, den sie zweimal berührt hatte. Aber dann machte sie innerhalb weniger Sekunden zwei Entdeckungen.
Wieder hing sie mit dem Gleiter bewegungslos in der Luft. Sie befand sich jetzt links von Robanes Haus, höchstens knappe zweihundert Meter entfernt; da sah sie kleine vogelähnliche Tiere im Gebüsch des Gartens herumflattern. Ihr körperlicher Gesichtssinn war synchron mit ihrem geistigen Wahrnehmungsvermögen, und zwischen diesen kleinen Tieren und ihren Emanationen spürte sie einen dichteren, äußerst interessanten Eindruck. Er war menschlich und befand sich im Haus. Telzey war der Meinung, das müsse Robane sein. Merkwürdig, denn sein Geist war ja angeblich abgeschirmt, und dann hätte sie ihn gar nicht auf diese Art fühlen dürfen. Vielleicht war ihre Annahme nicht richtig. Sie hatte als selbstverständlich angenommen, daß er genau wie sie in der Lage war, sich vollkommen abzuschirmen. Wenn es Robane war, warum fühlte sie dann nicht auch die Anwesenheit der ältlichen, etwas beschränkten Haushälterin namens Feddler, von der er gesprochen hatte? Kaum hatte sich dieser Gedanke in ihr geformt, da fing sie ein zweites starkes Glühen auf. Das war nicht der Geist einer dümmlichen alten Frau oder von etwas Menschlichem. Es war noch ein undeutlicher Eindruck, doch es konnte nichts anderes sein als das, was sie gesucht hatte, der Geist eines bösen, intelligenten Tieres. Und es war sehr nahe.
Dann wußte sie es. Dieses Wesen befand sich nicht im Wald, sondern in Robanes Haus. Der Schock benahm ihr fast den Atem. Dann zog sie den Gleiter nach links und folgte dem Waldrand. »Wohin gehst du?« vernahm sie Robanes Stimme. Telzey antwortete nicht. Der Gleiter schwebte schon mit der im Park zugelassenen Höchstgeschwindigkeit davon. Ihr Zeigefinger tippte die Rufnummer von Rishs Gleiter am Eingang des Canyons in den Computer. Hier war eine Falle gestellt worden. Sie hatte keine Ahnung, um was für eine Falle es sich handelte, oder ob sie sich allein herausmanövrieren konnte. Sie mußte sofort den anderen mitteilen, wo sie war ... Plötzlich befiel sie eine bleischwere Müdigkeit. Sie sah, wie ihre Hand von der Tasterscheibe glitt. Sie fühlte, wie sie zusammensackte, wie der Antrieb des Gleiters erstarb. Die Falle hatte sich um sie geschlossen. Der Gleiter verlor schnell an Höhe. Telzey machte eine verzweifelte Anstrengung, sich aufzusetzen und ihre Hände auf die Instrumente zu legen. Nichts geschah. Sie wußte, es würde auch nichts geschehen, wenn sie die Instrumente erreichte. Wenn der Gleiter keine automatische Fallbremse gehabt hätte, wäre er jetzt wie ein Stein zu Boden gestürzt. So schwebte er allmählich im steuerlosen Gleitflug hinab.
»Ich würde gern wissen, was dich im letzten Moment veranlaßte, meine Einladung auszuschlagen und zu fliehen«, hörte sie Robanes Stimme. Mit einer fast übermenschlichen Anstrengung schob sie die Angst von sich und tastete nach Robanes Stimme. Psi-Energie knisterte, telepathische Kanäle öffneten sich weit und ließen ihr Bewußtsein hindurchfließen. Für einen Augenblick war sie ganz in seinem Geist. Dann knatterte die Psi-Statik, und sie wurde hinausgeschleudert. Ihr Bewußtsein trübte sich, wurde zur Mattscheibe. Es war zuviel gewesen, was sie registriert hatte. Sie hatte eine Art Foto von Robanes Geist aufgenommen, von einem erbarmenswert kranken, entsetzlichen Geist. Ihr Gleiter setzte auf dem Boden auf. Ihr Kopf kam auf die Seitenstütze zu liegen. Sie atmete. Dann blinzelte sie. Aber auch die größte bewußte Anstrengung brachte keine Muskelbewegung zustande. Ganz langsam verschwand der Schleier über ihrem Bewußtsein. Sie fühlte noch immer eine verzehrende Angst, aber nun glaubte sie wenigstens nicht mehr, daß sie hier sterben würde. Eine Chance hatte sie noch gegen Robane. Sie entdeckte, daß er wieder sprach, doch er schien nicht zu wissen, was geschehen war. »Siehst du, ich bin ja gar kein richtiger Psi«, hörte
sie seine Stimme. »Aber ich bin ein Bastler, noch dazu hoch intelligent. Und meine Intelligenz habe ich so eingesetzt, daß ich mir Instrumente geschaffen habe, die mich beschützen und meine Wünsche erfüllen. Einige dieser Instrumente verleihen mir nahezu die Kräfte eines Psi. Andere neutralisieren Antriebsmaschinen, wie du gerade gesehen hast oder lähmen das Bewegungssystem. Sie wirken von diesem Raum aus auf etwa einen Kilometer im Umkreis. Dein Zögern hat mich amüsiert, auch dein Fluchtversuch. Aber ich hatte dich schon eingefangen. Und dein Funkgerät kannst du auch nicht benützen. Ich habe es ausgeschaltet, sobald du in meine Reichweite kamst ...« Robane kein Psi? Für einen Moment schien in Telzeys Kopf das leise Lachen eines Wahnsinnigen widerzuhallen. Sie hatte vorhin seine telepathische Begabung gefühlt, die in jeder Beziehung voll funktionsfähig war. Aber er wußte nichts davon. Während er sprach, umgab Psi-Energie seine Worte. Die wurde natürlich von einer seiner Maschinen erzeugt, aber nur ein Psi konnte ein solche Maschine richtig einsetzen. Robane hatte davon keine Ahnung. Wenn das Statikgeräusch der Maschine ihren Kontakt mit seinem Gehirn nicht unterbrochen hätte, dann wäre sie jetzt ein gutes Stück weiter. Während er sprach, griff sie erneut nach ihm aus,
aber seine Worte wurden ja durch eine Maschine übertragen. Als ihre Gedankenimpulse die Maschine berührten, lösten sie ein erneutes knatterndes Störgeräusch aus Psi-Statik aus. Sie mußte also warten und auf eine Öffnung in seinem Geist hoffen, wenn die Maschine ihn nicht abschirmte. Aber jetzt schwieg er. Offensichtlich hatte er sie wie andere vor ihr zu töten versucht, und vielleicht gelang es ihm sogar. Aber er würde nichts unternehmen, ehe er nicht bestimmt wußte, daß es ihr nicht gelungen war, Hilfe herbeizuholen. Was er bis jetzt getan hatte, ließ sich den Behörden gegenüber erklären – er hatte einen Luftgleiter zu Boden gezwungen, der über seinem Haus schwebte, dabei aber dessen Insassen nicht verletzt. Daß er darüber hinaus etwas getan oder beabsichtigt hatte, war nicht zu beweisen, außer mit den Erkenntnissen, die Telzey registriert hatte. Und davon hatte Robane noch keine Ahnung. Vielleicht hatte sie ein paar Minuten Zeit, ohne von ihm gestört zu werden. »Was ist nur mit dem Hund los?« fragte Gikkes ziemlich nervös. »Er benimmt sich so, als strolche da jemand herum.« Alle schauten zu Chomir hin. Er stand auf einem Felsband am Ausgang des Canyons, witterte in die Ebene hinaus und knurrte tief in der Kehle.
»Er regt sich doch nur auf, weil Telzey noch nicht da ist«, versuchte Valia sie zu beruhigen. »Rish, wie lange ist sie denn schon fort?« »Zweiundvierzig Minuten«, antwortete er. »Sie sagte, sie würde eine Stunde ausbleiben. Das ist doch nicht besorgniserregend? Aber schaut euch wirklich mal den Hund an.« Chomir war zu Rishs Gleiter gelaufen und starrte mit gelben Augen zu ihnen herüber. Wieder knurrte er. »Vielleicht ist mit Telzey etwas passiert«, meinte Gikkes, die den Hund fasziniert beobachtete. »Das ist doch Unsinn!« fuhr Valia sie an. »Was soll ihr schon passieren?« Rish stand auf. »Nun, es kann ja wirklich nicht schaden, wenn wir sie anrufen.« Er lachte Valia an, um ihr zu zeigen, daß er nicht ernstlich besorgt war, ging zum Gleiter und öffnete die Tür. Chomir sprang an ihm vorbei sofort hinein. Rish sah zu Valia und Dunker zurück, als wolle er etwas sagen, schüttelte den Kopf, schlüpfte in den Gleiter und drückte auf die Ruftaste. Er wählte Telzeys Nummer. Dann wartete er. »Vielleicht ist sie ausgestiegen und läuft irgendwo herum«, bemerkte Valia nervös. »Sicher«, antwortete Rish. »Aber versuch's noch einmal«, bat Dunker.
»Das tu ich ja ständig.« Rish sah Chomir an. »Wenn sie irgendwo in der Nähe ihres Gleiters ist, muß sie antworten ...« »Warum sagst du nichts?« fragte Robane scharf. »Es wäre sehr dumm, wenn du mich wütend machen würdest. Hast du Angst, zu reden?« Telzey sagte nichts. Sie schaute zum strahlenden Nachthimmel hinauf. Geduldig, wie ein hungriges Tier, tastete ihr Bewußtsein herum, fühlte nach dem Schatten eines unbewußten Gedankens, eines Gefühls, das nicht durch die Maschine gefiltert war und ihr einen Zugang zu Robanes Geist verschaffen konnte. In den Minuten, da sie gelähmt auf dem Sitz gelegen hatte, war es ihr gelungen, die zahlreichen Einzelheiten genau zu sortieren. Jetzt verstand sie Robane sehr genau. Der Instrumentenraum seines Hauses war sein eigentliches Reich. Es war ein sehr großer Raum, ein Labor voll erstklassiger Präzisionsinstrumente. Robane hatte für seinen Gebrauch einen Luftgleiter entworfen, verließ aber das Haus kaum. Telzey wußte sogar, wie er aussah, denn sie hatte sein äußeres Bild aufgefangen, wenn sich sein Gesicht in den verchromten Instrumentengehäusen spiegelte. Sie wußte sogar, was er über sich selbst dachte. Er war nur ein halber Mensch; von den Hüften ab-
wärts steckte er in einer Maschine, die wie ein kleiner Luftgleiter aussah. Sie trug ihn und hielt ihn gleichzeitig am Leben. Der Oberkörper, der aus der Metallkonstruktion ragte, war stark und wirkte sehr energisch. Auch in seiner Einsamkeit verwandte er größte Aufmerksamkeit auf seine Erscheinung. Er trug eine Jacke, die vom besten Schneider aus Orado City zu stammen schien. Das dichte Haar war sorgfältig gescheitelt und gebürstet. Bis zu jenem Unfall, der ihn an die Maschine fesselte, war er Wissenschaftler, Sportler und Weltmann gewesen. Robane war besessen von der Idee, den für sein Unglück Verantwortlichen büßen zu lassen, und seine Pläne waren mit der Raffinesse eines Großwildjägers erdacht, der er einst gewesen war. Die Arbeit, die er für die Föderation getan hatte, befaßte sich mit der Entwicklung von Geräten, die für eine direkte Übertragung von Wahrnehmungen und Eindrücken von einem lebenden Gehirn auf ein anderes und deren Anpassung an verschiedene neue Gebrauchsmöglichkeiten gedacht waren. Und nun hatte Robane in der Abgeschlossenheit seines Hauses diese Erfindungen zu seinem eigenen Gebrauch weiterentwickelt; das war ihm auch in einem Maß gelungen, das weit über seine Hoffnungen hinausging, doch im Grunde nur deshalb, weil in ihm latent vorhandene Psi-Kräfte seine Experimente förderten.
Inzwischen hatte er sich auf die letzten Schritte seines Plans vorbereitet. Die Haushälterin hatte er entlassen. Die von ihm konstruierten Automaten ersetzten die Frau voll und ganz. Auf illegalem Wege hatte er sich ein sehr wildes Raubtier besorgt, das auf dem Kontinent heimisch war, und dieses Tier war neben dem Haus untergebracht. Robane richtete das Tier mit Hilfe seiner Instrumente ab und schickte es nachts auf die Jagd. Wenn es seine Beute schlug, erlebte er es über seine Instrumente mit. Das war für ihn viel erregender als frühere Jagderlebnisse. In die Falle gegangene Tiere behandelte er mit einer Droge, um sie durch seine Instrumente lenkbar zu machen; dann ließ er sie frei und setzte das Raubtier auf ihre Fährte. Er konnte die Verfolgung als Jäger oder Beute miterleben, wie er wollte, sogar in beiden Rollen gleichzeitig. Er genoß diese Jagd auf perverse Art und zog sich erst zurück, wenn die Beute Todesimpulse aussandte. Als er wußte, daß er nichts mehr dazuzulernen brauchte, hatte er entsprechende Kontakte zur Unterwelt geknüpft und auf diese Weise seinen Feind in die Nähe seines Hauses bringen lassen. Nachts weckte er den Mann aus dem Schlaf und sagte ihm, was er zu erwarten habe. Und dann ließ er ihn um sein Leben rennen. Eine Stunde später schlugen Robane und sein Raubtier zum erstenmal menschliche Beute, und
er hatte die Ängste und den grauenhaften Todeskampf seines persönlichen Feindes bis zur Neige ausgekostet. Damit hatte Robane seine Rache gehabt. Aber dieser neue Sport war viel zu erregend, als daß er den Wunsch verspürt hätte, ihn jetzt aufzugeben. Er vertiefte sich so sehr darin, daß er sich fast als Gefährte seines Raubtieres fühlte. In jeder dritten oder vierten Nacht gingen sie auf die Jagd, belauerten ihre Beute und schlugen sie. Niemals verursachten sie unter den Tieren des Parkes mit ihrer Jagd Unruhe, die über das Übliche hinausging. Am Morgen kehrten sie dann ins Haus zurück, und den Tag verschlief Robane in der Regel. Menschliche Besucher, die durch dieses Gebiet kamen, bemerkten nichts von irgendwelchen ausgefallenen und ungeheuerlichen Vorgängen. Robanes wissenschaftlicher Ehrgeiz und technische Geschicklichkeit waren ausschließlich auf dieses eine Ziel ausgerichtet. Er dehnte sein Forschungsgebiet immer weiter aus. Darüber konnte Telzey nichts Klares herausfinden, denn was sie aufgenommen hatte, wirkte ein wenig verzerrt. Sie hatte aber den Eindruck gewonnen, daß er an verschiedenen PsiMaschinen arbeitete und die nächtliche Jagd seine einzige Entspannung war. Jetzt brauchte er auch keine Angst vor Entdeckung mehr zu haben. Wenn er das Bedürfnis spürte, menschliches Wild zu Tode zu
hetzen, wurde es ihm von seinen verbrecherischen Zulieferanten zugeführt. Am liebsten waren ihm junge, gesunde Opfer, die verzweifelte Versuche machten, dem Verhängnis zu entgehen, bis er sie endlich vernichtete. Robane war der Meinung, dieses Vergnügen schulde ihm die Menschheit. Eine ganze Weile hatte ihn eine Sorge beschäftigt. Während seiner Arbeit für die Föderation hatte er Verbindung mit einem Telepathen aufgenommen, der ihm bei einer Anzahl von Experimenten helfen mußte. Robane hatte entdeckt, was er mit solchen Leuten tun konnte und glaubte, seine Instrumente würden ihn davor bewahren, von ihnen durchschaut zu werden. Ganz sicher war er sich dessen jedoch nicht, aber in den zwei Jahren im Melna Park, die ihn das Vergnügen der Jagd und der Arbeit ungehindert genießen ließen, waren seine diesbezüglichen Befürchtungen nahezu geschwunden. Telzeys Gedankenimpulse hatten ihn zutiefst erschüttert, weil sie dem Schlagen seiner letzten Beute unmittelbar gefolgt waren. Als ihm dann klar wurde, daß dies nur ein ganz zufälliger Kontakt und sie zum Vergnügen im Park war, fiel ihm ein, er könne jetzt ausprobieren, ob ihm ein telepathischer Geist gefährlich werden könne. Sie schien jung und unerfahren zu sein, und er brauchte kein Risiko einzugehen, wenn er sie mit seinen Instrumenten manipulierte.
4 Rish und Dunker würden mit Chomir in Rishs Gleiter sein, dachte Telzey, und hinter ihnen saß vermutlich Valia. Da sich der Gleiter bewegte, hatten sie also die Suche nach ihr aufgenommen. Falls sie nervös wurden, würden sie die Parkaufsicht benachrichtigen, dann würde auch die suchen; das hielt sie jedoch für unwahrscheinlich. Bei Chomir würde sie sehr vorsichtig sein müssen. Wenn er ihre Angst spürte, würde er aus dem Gleiter springen und in ihre Richtung rasen, um sie zu verteidigen. Das mußte sie unbedingt verhüten. Robane würde vermutlich nicht versuchen, ihnen etwas anzutun, wenn er nicht dazu gezwungen wurde. Telzeys Verschwinden im Wildpark konnte man als Unfall hinstellen; in dieser Beziehung riskierte er nichts. Wenn aber drei weitere Studenten vom Pehanron College gleichzeitig verschwanden, dann würde man sich sehr genau mit den Umständen dieses Verschwindens beschäftigen. Selbst Robane konnte sich das nicht leisten. »Warum antwortest du nicht?« Das klang enttäuscht und wütend. Das Lähmungsfeld, das sie zur Bewegungslosigkeit verdammte, hatte sie auch für ihn unerreichbar gemacht. Er war wie
ein Tier, das eine Glaswand anbellte. Er hatte ihr gedroht, er habe eine Waffe, mit der er sie sofort töten könne, und Telzey wußte, das dies stimmte, denn sie hatte es in seinem Geist gelesen. Vielleicht brauchte er nur das Lähmungsfeld ein wenig zu lüften, um ihre Atmung oder ihr Herz stillstehen zu lassen. Tat er etwas dergleichen, dann blieben allerdings seine Fragen bezüglich der Telepathen unbeantwortet. Aber sie hatte ihm Angst eingejagt. »Glaubst du vielleicht, ich hätte Angst, dich zu töten?« fragte er. »Du kannst mir glauben, daß ich den Knopf auch drücken werde, auf dem mein Finger liegt. Mich würde niemand nach deinem Verschwinden fragen. Die Parkbehörden wurden von unserer dankbaren Regierung angewiesen, jede Rücksicht auf mich zu nehmen, weil ich früher der Menschheit so große Dienste geleistet habe. Keinem würde es einfallen, mich hier zu belästigen, weil ein dummes kleines Mädchen im Melna Park verschwunden ist.« Die Gedankenstimme redete unaufhörlich weiter, aber sie drückte Wut und Bestürzung aus, die sogar durch den Filter der Maschine drangen. Manchmal entstand eine Lücke wie bei einer fehlerhaften Verbindung; aber der Kontakt war Sekunden später wieder da. Telzey wartete gespannt auf eine Lücke, um direkt in Robanes Gesicht einzudringen. Die durch die Maschine kanalisierten Gedanken verlagerten
sich, flackerten und nahmen manchmal gräulich verzerrte Formen an. Immer wieder schienen sich Gedankenmuster zu überlagern. Mit jeder gewonnenen Minute stiegen ihre Chancen, doch noch zu entkommen, aber sie fürchtete, viel länger könne sie ihn nun nicht mehr hinhalten. Die Möglichkeit, daß ein Gleiter der Parkaufsicht oder sonst jemand vorüberkäme und ihre Flugmaschine neben dem Haus sähe, war gering, aber Robane würde sich trotzdem Sorgen machen. Wenn sie weiterhin passiv blieb, würde er sie vielleicht in kurzer Zeit töten. Also mußte sie ihm etwas bieten. Wenn sie weiterhin nicht antwortete, würde er andere Methoden einsetzen, und dann mußte sie so tun, als habe sie Todesangst. Nun, sie hatte tatsächlich große Angst, obwohl diese Angst sie nicht am klaren Denken zu hindern schien. Sobald er das Lähmungsfeld abschaltete, würde er ihr befehlen, zum Haus zu kommen. Das mußte sie natürlich tun. Nur betreten durfte sie es auf keinen Fall. Die Tür führte in eine Druckkammer, die sich, sobald sie eingetreten war, automatisch schließen würde. Und mit dem nächsten Atemzug würde sie jene Droge einatmen, die Robane entwickelt hatte, um Lebewesen durch seine Instrumente lenken zu können. Sie wußte nicht, wie sie darauf reagieren würde. Vielleicht würden die Instrumente ihren Psi-
Schild durchdringen oder ihn ganz unwirksam machen; damit lägen ihre Gedanken für Robane offen da. Und wenn er sie lesen konnte, würde er sie auf der Stelle töten. »Mir scheint, du weigerst dich nicht absichtlich, mir zu antworten«, sagte Robane. »Möglich, daß du nicht kannst, entweder aus Angst, oder weil dich das Lähmungsfeld daran hindert.« Darauf hatte Telzey nur gewartet. »Ich werde das Lähmungsfeld sofort aufheben. Was dann geschieht, hängt ganz davon ab, wie du meine Befehle ausführst. Wenn du Tricks versuchst, kleine Psi, bist du tot! Ich weiß genau, daß du im gleichen Moment, wenn ich das Feld abschalte, dich bewegen kannst. Aber mach keine Bewegung, die ich dir nicht ausdrücklich befehle. Tu genau, was ich dir sage, und ohne zu zögern. Dein Leben hängt davon ab.« Nach einer Pause sagte er: »Das Feld ist abgeschaltet.« Telzey fühlte jetzt erst richtig, wie kräftig und gesund sie doch war. Sorgfältig vermied sie die kleinste Bewegung. »Berühre nichts im Gleiter, was du nicht berühren sollst«, befahl Robane. »Ich muß deine Hände sehen. Jetzt steigst du aus dem Gleiter, gehst zwanzig Schritte von ihm weg und bleibst stehen. Dann schaust du zum Haus.«
Telzey kletterte aus dem Gleiter. Sie zitterte, doch es hätte viel schlimmer sein können. Sie ging nach links, blieb stehen und wandte sich dem orangefarbenen Licht aus dem Fenster zu. »Schau deinen Gleiter an!« Sie drehte sich um. Er schaltete den Neutralisator aus, und der Gleiter setzte sich in Bewegung. Er stieg senkrecht in die Luft und schwebte dann auf den Wald hinter dem Haus zu. Er beschleunigte und verschwand hinter den Bäumen. »Er wird den Kurs ändern, bevor er die Bergkette erreicht«, sagte Robane. »Vielleicht wird er noch innerhalb des Parkes gefunden. Wahrscheinlicher ist, daß man ihn tausend Kilometer entfernt findet. Oh, wir werden uns natürlich Erklärungen für dein Verschwinden ausdenken ... Und jetzt hebst du deine Arme, kleine Psi. Ausbreiten. Weiter ausbreiten. Stehenbleiben.« Telzey hob die Arme und wartete. Dann tat sie einen erstaunten Ausruf, denn ihre Hände und Arme und die Ärmelränder ihrer Bluse glühten weiß. »Nicht bewegen«, befahl Robane scharf. »Das ist ein Suchstrahl. Er tut dir nichts.« Der weiße Lichtschein lag auch auf dem Stückchen Boden, auf dem sie stand. Es sah spukhaft aus, denn als sie ihre Hände anschaute, zeichnete sich deutlich das Knochengerüst unter dem Fleisch ab. Dann be-
fahl ihr Robane, alles wegzuwerfen, was sie in den Taschen hatte, sogar die kaputte Uhr an ihrem Handgelenk. Er wollte kein Risiko eingehen mit getarnten Funkgeräten oder Waffen. Dann schaltete er den Suchstrahl ab, und sie durfte die Arme sinken lassen. »Vielleicht kannst du nicht reden, oder vielleicht willst du auch nicht«, fuhr er fort. »Das ist auch unwichtig. Ich zeige dir etwas. Es wird dich daran erinnern, daß es nicht ratsam wäre, zu versuchen, mich zu übertölpeln.« Etwa zwanzig Meter von ihr entfernt und genau in der Richtung zum Haus nahm ein erst schwacher Umriß Formen an. Die Angst brannte wie Feuer in ihr, als ihr klar wurde, daß es eine Projektion war, die etwa eine Handbreit über dem Boden schwebte. Es war Robanes Raubtier, eine riesige, unförmige Tiergestalt, die noch wuchtiger wirkte, weil sie von einem langen flauschigen Fell wie von einem Mantel umgeben war. Das Tier hatte sich ein wenig geduckt und streckte mächtige Vorderpranken aus. Die Ohren waren wie seitlich am Kopf angebrachte Hörner, und die riesigen dunklen Augen eines nächtlichen Räubers standen über einem scharf gebogenen Schnabel. Innerhalb Sekunden verschwand die Projektion wieder. Sie wußte, welches Tier das war. Diese Spuktiere waren früher auf diesem Kontinent die beherrschende Lebensform gewesen. Die ersten menschli-
chen Siedler hatten sie gefürchtet und gehaßt, weil sie einen unstillbaren Hunger nach Menschenfleisch hatten. Obwohl sie bald zurückgedrängt und dezimiert wurden, ja sogar schließlich auf einige Reservate beschränkt blieben, bildeten sich zahllose Legenden um sie. Selbst in der Gefangenschaft, wenn starke trennende Kraftfelder sie umgaben, hatten ihr starrender Blick, ihr grotesk-spukhaftes Aussehen und ihre affenartige Geschwindigkeit eine oft recht nachteilige Wirkung auf sehr sensible Menschen. »Das ist mein Jagdgefährte«, erklärte Robane. »Mein anderes Ich. Es ist ganz und gar nicht angenehm zu wissen, daß dir dieser Bursche die ganze Nacht hindurch im Melna Park folgen wird. Sei vorsichtig und ärgere mich nicht noch einmal. Tu lieber sehr schnell das, was ich dir sage. Und jetzt geh auf das Haus zu!« Telzey sah, wie die Gartentür aufglitt. Sie bewegte sich nicht. Ihr Herz schlug wie verrückt. »Komm zum Haus!« wiederholte Robane. Sie spürte seine Erregung, die wie ein Suchtgefühl war. Die Sucht, Todesgefühle zu erleben. Darauf hatte sie gewartet, auf den direkten Zugang zu seinem ungeschützten Geist. Die Öffnung verschwand sogleich wieder. Wenn sie wieder käme, und sei es nur für eine Sekunde ... Aber nichts geschah. Es dauerte lange, ehe Robane erneut sprach.
»Merkwürdig«, sagte er langsam. »Du weigerst dich, obwohl du doch weißt, daß du hilflos bist. Du weißt auch, was ich tun kann. Und doch weigerst du dich. Ich möchte wissen ...« Jetzt war er mißtrauisch. Sie fühlte, daß er versucht war, auf den Knopf seiner Waffe zu drücken. Aber seine Neugierde war stärker. »Na, schön«, sagte die Stimme. »Ich habe dich satt. Ich wollte nur sehen, wie ein Psi in einer solchen Situation handeln würde. Das habe ich jetzt gesehen. Du hast so grauenhafte Angst, daß du kaum mehr denken kannst. Also lauf! Aber lauf so schnell du kannst, kleine Psi! Weil ich dir nämlich bald folgen werde.« Telzey starrte auf die Fenster. Sollte er doch glauben, daß sie kaum zu denken vermochte ... »Lauf!« Sie wirbelte herum und rannte weg von Robanes Haus. »Ich warne dich«, sagte Robanes Stimme, die sie zu begleiten schien. »Klettere nicht auf einen Baum! Dann haben wir dich nämlich sofort, weil wir besser klettern können als du. Oder wir schütteln dich ganz einfach herunter. Also lauf weiter.« Sie erreichte die ersten Bäume und schaute zurück. Die orangefarbenen Lichter in den Fenstern schienen sie anzustarren. Sie lief weiter, und dann sah sie das Haus nicht mehr.
»Und jetzt sei klug!« riet ihr Robane. »Oh, wir mögen die Klugen. Du hast eine Chance. Vielleicht sieht dich jemand, ehe wir dich fangen. Oder du denkst dir etwas aus, womit du uns von deiner Fährte ablenkst. Vielleicht hast du Glück und kommst davon. Uns würde das ja ungeheuer leid tun. Trotzdem, tu was du kannst und lauf!« Sie sandte einen Suchgedanken zu Chomir aus. Der Luftgleiter lag noch auf dem richtigen Kurs, aber er war noch zu weit entfernt, als daß er ihr hätte nützlich sein können. Sie rannte. Mit fünfzehn Jahren ist man in ausgezeichneter Verfassung, wenn man viel Sport treibt. Aber ein Kilometer ist weit, wenn man über unebenen Boden rennen muß, um der Reichweite der Geräte in Robanes Haus zu entkommen. Wie lange würde er ihr Zeit lassen? Robane schwieg eine ganze Weile. Als sie glaubte, nun allmählich einen Kilometer hinter sich zu haben, sah sie wieder Bäume vor sich. Ihr fiel ein, daß sie einen kleinen Wasserlauf überflogen hatte, ehe sie in die Nähe des Hauses gekommen war. Dann müßte sie doch einen Kilometer vom Haus entfernt sein ... Eine hungrige Erregung schlang sich wie ein Lasso um sie und war wieder verschwunden. Robanes Stimme kam einen Augenblick später. »Wir brechen jetzt auf.«
So bald schon? Er gab ihr also nicht die geringste Chance. Enttäuschung lief wie eine kalte Welle der Schwäche über ihren Körper, als sie durch den seichten Bach watete. Ein paar große blasse Tiere brachen aus den Büschen am Bachufer und stoben davon. Telzey bemerkte sie kaum. Nach links, bachabwärts, überlegte sie. Es war ein kleiner, aber ziemlich reißender Bach. Das Spuktier würde ihrer Geruchsspur folgen, und im Wasser würde die nicht zu wittern sein. Aber dann brauchte die Bestie nur so lange am anderen Bachufer zu suchen, bis es die Spur an der Stelle wieder aufnahm, wo sie den Bach verlassen mußte. Robane würde mit Sicherheit annehmen, daß sie am anderen Bachufer heraussteigen und nicht wieder in Richtung auf sein Haus laufen würde. Also mußte sie genau das Gegenteil tun. Sie rutschte auf glitschigen Steinen aus, und sie machte sich keine Mühe, Lärm zu vermeiden, denn sie durfte keine Zeit verlieren. Sie lief im Wasser weiter. »Du bist also ins Wasser gegangen«, meldete sich Robanes Stimme. »Die beste Entscheidung, die du treffen konntest.« Der Bach machte eine scharfe Biegung. Links war das Ufer ziemlich steil; keine geeignete Stelle zum Herausklettern. Wurzeln ragten aus dem Uferhang.
Sie mußte springen, um sie zu erreichen. Sie zog sich an ihnen hinauf, kletterte aufs Ufer und lief in Richtung auf Robanes Haus. Im hohen, dichten Gras ließ sie sich zu Boden fallen. Vorsichtig hob sie den Kopf und spähte zum Bach hinüber. Am anderen Ufer war eine breite Lücke in den Büschen. Etwa eine Minute verging. Dann schob sich eine dunkle Silhouette lautlos und schnell an der Lücke vorbei und bewegte sich am anderen Ufer weiter bachabwärts. Das Tier war größer als sie geglaubt hatte, nachdem sie das Projektionsbild gesehen hatte. Sie fand es erstaunlich, daß sich etwas so großes, plump Aussehendes so schnell und lautlos bewegen konnte. Die spitzen Ohren sahen wie Hörner aus. Ein Teufelsspuk, dachte Telzey, und ein Gefühl unabwendbarer Drohung schien ihr alle Kraft aus dem Körper zu saugen. Und aus der Seele. So mußte es allen anderen zumute gewesen sein, die sich hier irgendwo in ein Versteck geflüchtet hatten, um diesem grauenhaften Verfolger zu entgehen. Sie zählte bis hundert, stand vorsichtig auf und kehrte in spitzem Winkel zum Bach zurück, den sie etwa hundert Meter oberhalb jener Stelle erreichte, an der sie herausgeklettert war. Sie stieg lautlos ins Wasser und sah ein Stück weiter bachabwärts eine Stelle im Wald, die wie ein gutes Versteck aussah. Hier würde der Killer bestimmt unter den Bäumen nach
ihr suchen. Sie watete noch hundert Schritte weiter und kletterte lautlos auf das rechte Ufer. Vorsichtig schob sie sich durch das dichte Buschwerk und rannte dann auf einer leicht abfallenden Ebene nach Norden.
5 Einige hundert Meter weiter verloren ihre Beine die gummiartige Weichheit der aufgestauten Angst. Nun atmete sie wieder leichter und ruhiger. Sie war inzwischen näher bei ihren Freunden im Luftgleiter, und in wenigen Minuten würde sie außer Gefahr sein. Sie blickte nicht zurück. Was war mit Robane? Vielleicht bereitete es ihm Schwierigkeiten, sie mit seinen Suchgeräten aufzuspüren, um seinen Killer hinter ihr her zu schicken. Ab und zu fing sie ein sehr schwaches Bewußtsein seiner Nähe ein, aber es hatte keinen Kontakt mehr gegeben, seit er zuletzt gesprochen hatte. Ständig suchte sie mit den Blicken die Hügelketten ab nach einem grünen Blitz, der einen Luftgleiter anzeigte, oder nach einem Suchstrahl, der über den Boden strich. Jetzt konnten sie nicht mehr weit entfernt sein. Nun ging sie langsamer weiter. Sie war noch nicht erschöpft, aber sie wußte, daß sie ihre letzten Reserven angreifen mußte. Sie tastete nach Chomirs Geist, und fast im gleichen Moment entdeckte sie vor dem Sternenhimmel das pulsierende grüne Leuchten. Hoffnungsvoll wandte sie sich nach rechts und begann zu rennen.
Sie waren gekommen. Jetzt mußte sie ihre Aufmerksamkeit erregen. »Hier!« rief sie in Gedanken dem Hund zu. Mehr war nicht nötig. Chomir war hellwach und ein wenig nervös, ohne den Grund dafür zu kennen. Die geringste Andeutung, daß sie sich in Gefahr befand, konnte ihn so verstören, daß er nicht mehr zu bändigen war. Chomir wußte jetzt, daß sie in der Nähe war, und Rish und die anderen mußten es aus seinem Benehmen schließen. Bald würde der Suchstrahl den Boden nach ihr abtasten. Telzey sprang in eine kleine Rinne. Ihre Beine gaben nun vor Müdigkeit nach, und sie kletterte zitternd auf der anderen Seite hinauf. Dann tat sie ein paar Laufschritte und blieb wie angewurzelt stehen. Robane! Sie fühlte ihn, spürte seinen grausamen Erregungszustand. Es schien, als sei der Moment des Kontaktes gekommen, als habe sie eine Lücke in seinem Geist gefunden, jene Lücke, auf die sie gewartet hatte ... Vorsichtig schaute sie sich um. Etwas lag neben einem Dickicht niederer Büsche etwa zehn Meter vor ihr. Es schien ein Haufen vom Sturm zusammengewehter trockener Blätter zu sein, aber die Oberfläche bewegte sich merkwürdig im sanften Wind. Ein Hauch säuerlichen Tiergeruches trieb ihr entgegen. Eisige Furcht erfüllte sie.
Langsam hob das Spuktier den Kopf aus der fluffigen Mähne und schaute sie an. Dann erhob es sich langsam und leicht wie eine riesige Mooskugel. Es stand auf den Hinterbeinen, und das langhaarige Fell hing lose um den mächtigen Körper. Sie hörte einen Laut, der wie amüsiertes Kichern klang. Unter Telzeys Füßen schien die Ebene zu explodieren, aber die Explosion fand nur in ihrem Geist statt. Ihr Blickfeld trübte sich zur Mattscheibe. Robanes Untier und der Sternenhimmel verschwanden. Sie stürzte und schwebte sich überschlagend durch eine ganze Serie mentaler Bilder und Empfindungen. Rishs Gesicht erschien; seine Augen waren weit aufgerissen vor Angst, und der Luftgleiter fegte höchstens ein paar Handbreiten über einen grasbewachsenen Hügelrücken hinweg. Ein Stück voraus war ein Wäldchen. »Jetzt!« dachte Telzey. Dann ein Ruf, und der Gleiter zog in die Höhe. Der Boden bebte unter ihren Füßen ... Sie konzentrierte sich auf Robanes lauernde Erregung und schlüpfte durch sie in seinen Geist. Ihr Bewußtsein brauchte nur einen Moment, um sich durch ein Netz unterbewußter Psi-Kanäle zu zwängen, die ihr sofort bei der ersten Berührung bekannt waren. Maschinenstatik knisterte und prasselte, aber es war zu spät, sie hinauszudrängen. Sie hatte sich festgekrallt. Robane ahnte noch nichts und hielt durch die
Augen seiner Kreatur Ausschau nach ihr. Seine Hände lagen auf den Instrumenten, durch die er lebte, erlebte und mordete. In ein paar Minuten, überlegte Telzey, würde sie seinen Geist lenken können – falls sie so lange lebte. Aber sie war sich nicht ganz sicher, daß sie auch das Spuktier zu kontrollieren und es daran zu hindern vermochte, sich auf sie zu stürzen. Sie wurde sich ihrer Umgebung bewußt. Sie stand am Hang. Ihre Gedankenfühler hatten sich mit allen wichtigen Abteilungen von Robanes Geist fest verkettet. Das Tier öffnete den scharf gebogenen Schnabel und zeigte die dicke, sich schlängelnde Zunge. Es begann sich zu bewegen. Eine vierklauige Tatze kam aus dem langen, dichten Fell hervor. Langsam, ganz langsam zog sich Telzey vor dem sich nähernden Killer zurück. Das Spuktier duckte sich. Telzey sah noch, als sie herumwirbelte und rannte, wie es sprang. Sie hörte ein paar Meter hinter sich ein gurgelndes Kichern, sonst aber keinen Laut. Sie nahm ihre letzte Kraft zusammen und rannte den Hang hinauf. Auf einer anderen Bewußtseinsebene bewegte sie sich schnell durch Robanes Geist. Aber ihre Gedanken verwischten sich allmählich vor Erschöpfung. Der Hang war stark bewachsen. Mehr sah sie nicht. Das Spuktier überholte sie wie etwas, das der Wind
an ihr vorüberwehte. Zehn Meter vor ihr schwang es herum, und als sie sich nach rechts wandte, war es hinter ihr, überholte sie erstaunlich schnell. Als es an ihr vorüberjagte, spürte sie am Hinterkopf einen Kratzer ähnlich den vielen, die sie sich im Laufe der Nacht in den Dornbüschen geholt hatte. Aber das war kein Dorn gewesen. Das Tier folgte jede ihrer Bewegungen blitzschnell und geisterhaft, riß mit seiner Klaue eine Kratzwunde in ihren Arm und spielte mit ihr wie die Katze mit der Maus. Angst saß ihr wie ein Knäuel in der Kehle. Da blieb sie unvermittelt stehen, um sich dem Killer zu stellen. Im gleichen Moment blieb auch das Tier stehen, richtete sich zu seiner vollen Höhe auf. Dunkle Augen starrten sie an, und der gebogene Schnabel öffnete sich wie zu lautlosem Gelächter. Telzey atmete keuchend. Zwischen ihr und dem Tier flatterten Nebelstreifen. Robane entglitt allmählich ihrem Zugriff. Beim nächsten Schritt würde sie taumeln und fallen. Das Spuktier drehte den Kopf, und der Schnabel schloß sich mit einem lauten Klappen. Die hornspitzen Ohren stellten sich auf. Die weiße Gestalt, die lautlos den Hügel herabgerast kam, schien unwirklich zu sein, etwas, von dem sie nur geträumt hatte. Sie wußte, daß Chomir sich näherte, aber sie hatte nicht gedacht, daß er so nahe war. Sie konnte die Lichter des Luftgleiters im hellen
Sternenlicht nicht ausmachen, aber er mußte irgendwo in der Nähe sein. Wenn sie dem Hund gefolgt waren, als er aus dem Gleiter sprang, wenn sie seine Spur nicht verloren hatten, dann ... Chomir konnte Robanes Tier angreifen, vielleicht von ihr ablenken, es für einige Minuten beschäftigen. Sie schoß ihm Befehle zu und versuchte in seinen Geist zu schlüpfen. Plötzlich wußte sie, daß Chomir nicht mehr zu bremsen und zu beeinflussen war. Das Spuktier tat einen quiekenden, geisterhaften Schrei verblüffter Wut, als das große weiße Tier heranraste. Dann tat der Killer einen erstaunlichen leichten Satz seitwärts. Telzey sah enttäuscht, wie eine krallenbewehrte Tatze wie ein Blitz aus dem Pelz zuckte und zuschlug. Der Schlag wirbelte Chomir herum und schleuderte ihn ein Stück über den Boden, aber schon war der Hund wieder auf den Beinen. Es war Chomirs erster wirklich ernsthafter Kampf, aber er entstammte einer Folge von Vorfahren, die nichts anderes gekannt hatten als den Kampf gegen andere riesige Tiere oder bewaffnete Männer in den Arenen von Askanam. Ihr ungeheurer Mut und ihre Kampfesschläue war in Chomirs Genen eingeschlossen. Er hatte den Fehler gemacht, auf einen unbekannten Gegner loszurasen, aber innerhalb von Sekunden hatte er begriffen, daß er nun keinen Fehler mehr machen durfte.
Telzeys Welt schwankte vor Erschöpfung. Der Killer wog mindestens zehnmal soviel wie Chomir, und er war der Schrecken der frühen Siedler gewesen. Der scharfe, gebogene Schnabel konnte wie ein Schwert durch Muskeln und Knochen hauen, und die unheimliche Geschwindigkeit des Tieres kannte sie ja. Aber etwas schien nun langsamer abzulaufen. Das Spuktier sprang zu und hieb mit der Tatze nach unten, aber da schoß etwas Niederes, Weißes lautlos unter ihm durch. Jetzt begriff Telzey. Das Spuktier war der geborene Killer, von der Natur so geschaffen, daß es seine Beute geschickt schlug. Aber Chomir war von Menschen dazu erzogen und ausgebildet worden, mit solchen Killern fertig zu werden. Er schien sich jetzt in der Schulter des Spuktieres verbissen zu haben. Sie sah blutige Striemen auf dem weißen Fell, wo die Krallen des Killers ihn verletzt hatten. Er schüttelte sich heftig, dann brach etwas. Das Spuktier quiekte wie ein riesiger, verstörter Vogel. Dann rollte es sich über den Boden, der weiße Angreifer rollte mit, wich aus, sprang wieder zu. Dann stieß das riesige Tier wieder einen schrillen Schrei aus und floh in ein Gehölz. Chomir folgte. Ein weißer Lichtkegel griff nun nach ihr. Sie schaute nach oben und sah Rishs Gleiter durch die Luft schweben, hörte ihn ihren Namen rufen ... Nun hatte sie viel Zeit.
Sie schickte ihre Gedanken verstärkt in Robanes Geist zurück, breitete sich in ihm aus und spürte sofort den festen Griff seiner Hände auf den Instrumenten. Für Robane wurde die Zeit nun rasch sehr knapp. Er hatte versucht, sein Tier vor dem Hund zu retten und gleichzeitig den Menschen zu vernichten, der ihn verraten konnte. Es war ihm nicht gelungen, und jetzt beherrschte ihn panische Angst. Mit dem Spuktier konnte er jetzt nichts mehr ausrichten. Sie fühlte sein unvermitteltes Bemühen, den Kontakt mit dem Tier abzubrechen, um das Erlebnis zu vermeiden, das er sonst immer herbeigeführt und genossen hatte – das Verlöschen eines Geistes im Todeskampf. Seine Hand griff nach einem Schalter. »Nein«, sagte Telzey leise. Sie fiel auf das Instrumentenbrett. Nach einer Weile spannten sich die Muskeln und hoben die Hand erneut. »Nein.« Jetzt lag die Hand still. Telzey überlegte. Sie hatte genug Zeit. Robane glaubte, er müsse mit dem Spuktier sterben, wenn er sich nicht rechtzeitig von ihm lösen konnte. Und weil er das glaubte, würde es vielleicht auch so kommen. Aber sie würde es nicht zulassen. Sie mußte noch einiges von Robane erfahren. Vor allem wer zu dieser Bande gehörte, die ihn mit menschli-
chem Wild versorgte; jemand mußte sich dieser Leute später annehmen. Dann war seine Arbeit mit PsiMaschinen zu durchleuchten; auch hier mußte er wohl Komplicen haben, und vielleicht war ein großer Geheimplan damit verbunden. Das konnte wichtig sein. Sie mußte also Robanes Geist genau durchforschen. Sie ließ seine Hand frei. Blitzschnell griff er nach dem Schalter und drehte ihn. Er tat einen Seufzer der Erleichterung. Telzey hatte zu tun. Eine Nadel aus Psi-Energie stach geschickt da und dort in Kanäle, schnitt, blokkierte, ließ schrumpfen ... Dann war es geschehen. Robanes Geist war zur Hälfte ausgeschaltet, und er wußte es nicht einmal. Er lächelte das Instrumentenbrett vor sich an. Von jetzt an würde er als harmloser Idiot hier leben, von einer Maschine betreut, unwissender Verwalter von Erinnerungen, die noch erforscht werden mußten. »Ich komme zurück«, erklärte Telzey dem stumpf lächelnden Menschending, als sie es verließ. Sie stand am Hang des Hügels. Es hatte nur einen Moment gedauert. Dunker und Valia rannten ihr entgegen. Rish war eben aus dem Gleiter geklettert, den er ein paar Meter entfernt aufgesetzt hatte, und sein Suchstrahl bohrte sich in das Dickicht, wo Chomir, die Fänge in das gebrochene Rückgrat des Spuktieres gebissen, ihm den letzten Rest Leben aus dem Leib schüttelte.
6 Drei Wochen vergingen, bevor Telzey zu Robanes Haus zurückkehren konnte. Sie hatte ihre Kameraden gebeten, nicht über diese Angelegenheit zu sprechen, und so hatte ihre Begegnung mit dem Spuktier wenig Aufsehen erregt. Ihre Familie wäre sehr aufgeregt gewesen, hätte sie davon erfahren. Einige von der Gruppe meinten zwar, es sei eine Schande, eine solche Geschichte für sich behalten zu müssen, aber sie hatten dann doch geschwiegen. Die Parkaufsicht fand das ebenfalls besser. Offiziell hatte man nur mitgeteilt, daß ein Spuktier aus den nördlichen Wildreservaten in den Melna Park eingedrungen und dort vom Wachhund eines Besuchers getötet worden war. Selbstverständlich habe man den Park sehr sorgfältig durchsucht, und man habe sich davon überzeugt, daß keine weiteren Spuktiere eingedrungen seien. Ihren Freunden hatte Telzey erzählt, ihr Wolkengleiter habe eine Panne gehabt und sei niedergegangen. Als sie dann ausgestiegen sei, um nachzusehen, habe der Gleiter plötzlich abgehoben, so daß sie ihn nicht mehr habe erreichen können. Sie habe sich dann zum Cil Canyon auf den Weg gemacht und sei dabei dem Spuktier begegnet.
Am nächsten Tag hatte dann ein Polizeifahrzeug den Wolkengleiter gefunden – fünfundneunzig Kilometer jenseits der Parkgrenze. Bevor sie den Park verließen, hatte Telzey auch noch Dunkers Uhr und die anderen Dinge zurückgeholt, die sie auf Robanes Befehl neben dem Haus hatte wegwerfen müssen. Die einzigen, die einen Zusammenhang zwischen dem toten Spuktier und Robane herstellten, waren die Schmuggler, die ihm das Tier geliefert hatten, und die schwiegen ganz bestimmt über ihre Rolle in diesem Spiel. Wenn die Leute, die mit Robane wegen der PsiMaschinen in Verbindung standen, von seiner derzeitigen Verfassung erfuhren, dann würde man wohl den mentalen Schaden einem schiefgegangenen Experiment zuschreiben. Psi-Maschinen waren in dieser Beziehung ja noch immer außerordentlich unzuverlässig. Jedenfalls deutete nichts auf eine Verbindung mit Telzey hin, und es gab auch gar keinen Grund, daß sie nicht in aller Ruhe und ohne Aufsehen zu erregen in den Melna Park zurückkehren sollte, um ihre Nachforschungen zu Ende zu bringen. Sie brauchte ja dazu nicht in die Nähe des Hauses zu kommen. Sie schob die Fahrt hinaus und wußte nicht warum. Sie konnte einfach nicht. Es war sonst nicht ihre Art, eine Sache unfertig liegen zu lassen. Aber sie nahm sich vor, in der folgenden Woche hinauszufahren.
In der Nacht hatte sie einen seltsamen Traum. Es war jene Art Nachtmahr, die einen in Schweiß gebadet plötzlich in die Höhe fahren und noch lange ein sehr unbehagliches Gefühl zurückläßt. Sie schien in der unmittelbaren Nähe von Robanes Haus in der Luft zu schweben und es von verschiedenen Blickpunkten aus zu beobachten. Sie wußte, daß auch Robane sie beobachtete und sie glühend haßte. Er wartete nun auf eine Chance, sie zu vernichten. Im Traum war sich Telzey darüber klar, daß dies nicht möglich war, denn Robane konnte sich weder an sie noch an das erinnern, was sie mit ihm angestellt hatte. Er würde sie nicht einmal dann erkennen, wenn sie vor ihm stünde. Doch dann wurde ihr plötzlich klar, daß es das Haus war, von dem die giftige Bosheit ausging und daß ihr bald etwas zustoßen würde. Die panische Angst weckte sie auf. Lange lag sie da und dachte nach. Ein Wochenende stand bevor, und nach der letzten Vorlesung konnte sie zum Park fliegen und im Park Hotel wohnen. Sie hatte dann zwei Tage Zeit, um die Sache mit Robanes Haus abzuschließen. Die Zeit würde sicher reichen. Sie brauchte ja nur noch die restlichen Informationen, die sie haben wollte, aus ihm herauszuholen und dann dafür zu sorgen, daß die Parkaufsicht sich einen guten Grund ausdachte, den seltsamen Eremiten ein wenig genauer unter die Lupe zu nehmen. Wenn sie
seine geistige Verfassung erkannten, würden sie ihn sofort in eine Anstalt stecken. Dann würde Robane Telzeys Schlaf nicht mehr stören. Das tat er aber, als sie im Park Hotel wohnte. Oder etwas tat es an seiner Stelle. Telzey hatte sich bald nach dem Abendessen zurückgezogen, da sie sehr früh aufzustehen gedachte. Da sie nicht schläfrig war, schaltete sie Somnomusik ein und den Fensterschirm und ging durch den dunklen Raum, um zu dem strahlenden Sternenhimmel hinaufzuschauen. Eine weite, wellige Ebene zog sich bis zu den fernen Bergen hin. Robanes Haus lag hinter einer sanften Hügelkette. Bei der Geschwindigkeitsbeschränkung im Park würde sie etwa vier Stunden brauchen, um dorthin zu kommen, also die doppelte Zeit, die sie gebraucht hatte, über den halben Kontinent vom Pehanron College zum Hotel im Melna Park zu gelangen. Die Musik machte sie ein wenig schläfrig, aber ihre innere Spannung ließ sie nicht einschlafen. Es dauerte noch länger als eine Stunde, bis sie endlich zu Bett ging, und dann wurde es ein sehr unruhiger Schlaf. Sie schreckte aus kurzen, unangenehmen Träumen auf, an die sie sich nur bruchstückhaft erinnern konnte, und meistens döste sie nur leicht. Etwas in ihr wollte sich einfach nicht entspannen. Als sie dann
doch einschlief und ihr mentaler Schutzschirm ganz natürlich ein wenig undicht wurde, vibrierten ihre Gedanken und rissen sie aus dem Schlaf. Bei Tagesanbruch stand sie unausgeschlafen, müde und gereizt auf. Nach einer kalten Dusche und einem ausgiebigen Frühstück fühlte sie sich jedoch einigermaßen frisch. Zehn Minuten später befand sie sich unterwegs zu Robanes Haus. Es war ein etwas windiger Spätherbstmorgen. Melna Park war berühmt für die wundervolle Herbstfärbung der Wälder, und der Touristenverkehr hatte stark zugenommen. Überall schwebten Luftgleiter und folgten den Wellen des Geländes. Telzeys Wolkengleiter schnurrte leise und gleichmäßig dahin. Sie hatte die Kanzel geöffnet; die Sonne schien noch warm, wenn auch der Wind an ihren Haaren zerrte. Die Spannungen der Nacht waren zur Unwirklichkeit geworden. Jetzt fand sie endlich die Ruhe, die sie in der Nacht vorher vergeblich gesucht hatte. Am liebsten hätte sie jetzt den Gleiter auf den Boden gesetzt, um ein wenig in der Sonne zu dösen. Aber sie wollte so früh wie möglich zu Robanes Haus kommen, um die Sache hinter sich zu bringen. Gegen Mittag überflog sie weite Hochplateaus; sie fielen vom Cil Canyon zu den südlichen Wäldern ab, an deren Rand Robanes Haus stand. In einem weiten Bogen flog sie das Haus an, das wenig später auf ihrem Sichtschirm erschien. Es sah haargenau so aus,
wie sie es damals im Sternenlicht gesehen hatte, sauber, hübsch und ruhig. Im Garten bewegte sich ein Roboter. Sie überlegte, ob sie nicht ihren Gedankenschirm öffnen und einen Suchgedanken aussenden sollte, aber sie hatte noch viel Zeit, und ein Rest Unbehagen machte sie vorsichtig. Sie setzte den Gleiter hinter einer Hügelkette auf; hier war sie vom Haus aus nicht zu sehen. Sie hatte in ihrer Tasche einen Telschirm, um damit das Haus vom Kamm des Hügels aus zu beobachten, wo sie zwischen Bäumen nicht zu erkennen war. Etwa zehn Minuten lang schaute sie hinüber. Das einzige Lebenszeichen drüben war der Arbeitsroboter im Garten; er verschwand von Zeit zu Zeit hinter Büschen, und wo er arbeitete, stieg ein silberner Nebelschleier auf, weil er den Garten wässerte. Dann blieb er kurz vor dem Haus stehen; eine breite Tür öffnete sich, und der Roboter rollte hinein. Telzey hatte einen Blick durch die Tür werfen können, ehe diese wieder zuglitt. Innen stand ein großer Luftgleiter. Robane müßte also zu Hause sein. Dessen wollte sie sicher sein, und so sandte sie einen ganz behutsamen Gedankenfühler aus, der ihr sagen sollte, ob er sich noch in dem Zustand befand, in dem sie ihn verlassen hatte und daß es keine unvorhergesehene Entwicklung gab.
Sie lehnte am sonnenwarmen Stamm eines Baumes, schloß die Augen und schwächte die Barriere um ihren Geist ab, um die Fühler hindurchzulassen. Sie fühlte einen plötzlichen Widerstand, aber die Barriere blieb offen. Das vielfältige Wispern der Lebensströme um sie herum floß in ihr Bewußtsein. Alles schien ganz normal zu sein. Sie ließ einen Gedankenfühler zum Wald sehen, dann zu Robanes Haus, und für einen Moment berührte sie die Gedankenstruktur, an die sie sich noch erinnerte. Wie ein Schrei schnitt etwas durch ihren Geist; ein wortloser Schrei, aber es war ein deutlicher, scharfer Befehl, dem ein starkes Haßgefühl folgte und ein Fluch. Der Haß war gegen sie gerichtet. Und der Befehl ... In dem Sekundenbruchteil des Schocks, bevor sich ihr Schutzschirm wie unter einem Krampf zusammenzog, empfing sie den Eindruck einer dunklen Masse, die ihr entgegenraste. Dann wurden das Bild, die Befehl-Haß-Impression und die Berührung von Robanes Geist vom Schutzschirm unterbrochen. Telzey öffnete die Augen und schaute sich um. Sie blieb bewegungslos stehen. Ein Windstoß raschelte im Laub der Bäume. Hier in der Welt der Realitäten schien sich nichts verändert zu haben. Aber was war ihr in Robanes Haus begegnet? Ein Geräusch erreichte sie ... der rollende Donner
einer Explosion. Er verebbte, und gleichzeitig kam das Echo von den Bergen zurück. Er schien aus den Wäldern im Süden zu kommen. Telzey lauschte einen Moment und bewegte sich so weit vorwärts, daß sie hinter den Bäumen hervorspähen konnte. Eine häßliche Wolke gelben Rauchs hüllte die Stelle ein, wo das Haus gestanden hatte. Es war klar, daß nichts mehr davon übrig war. Als sie zu ihrem Wolkengleiter zurückkam und mit ihm vom Boden abhob, näherten sich einige Touristengleiter vorsichtig dem Ort der Explosion. Der Gleiter eines Parkaufsehers schoß aus dem Himmel heran. Telzey blieb hinter dem Hügelkamm und schwebte in westlicher Richtung weiter. Sie war davon überzeugt, daß derjenige, welcher die Explosion ausgelöst hatte, körperlich nicht in der Nähe war. Aber es war unnötig, daß sie sich weiter vorwagte, als sie es schon getan hatte. Robane hatte als Köder gedient, um einen Psi anzulocken. Die Tatsache seiner Vernichtung deutete darauf hin, daß der Zweck erfüllt und der Psi unter Kontrolle war. Sie mußte also besonders vorsichtig sein. Sie holte alle aufgenommenen Gedankeneindrücke in ihr Bewußtsein zurück und überprüfte sie genau. Sie waren kurz, sehr stark und deutlich. Allmählich
unterschied sie Einzelheiten, die sie im Moment der Aufnahme nicht wahrgenommen hatte. Dieser fremde Psi war menschlich, mußte es sein; und doch wies die Gedankenform auf eine fremde Spezies hin. Diese Rasse war ungemein arrogant, als fühle sich der Psi allen übrigen menschlichen Wesen weit überlegen. Eine Mitteilung war ausgesandt worden, die nicht für sie bestimmt war, und sie war auch nicht klar. Es mußte ein gedanklicher Kode sein, wie er zwischen befreundeten oder verbündeten Telepathen üblich ist: ein kurzer Psi-Blitz, der eine ganz spezifische Bedeutung hatte. Sie glaubte sogar den Sinn zu erraten: Erfolg! Die Beute war gestellt. Er hatte also einen oder mehrere Gefährten gehabt, vermutlich von seiner Art. Der letzte Teil der Gedankenstruktur hatte den Tod in sich. Es war ein Befehl gewesen. Ihr Tod. Sie war fast sicher, daß dieser Befehl an den Umriß gerichtet gewesen war, der ihr entgegengelaufen war. Es könnte ein großes Tier gewesen sein. Ihr Tod? Telzey schluckte heftig. Vielleicht standen diese Leute mit dem Verbrecherring um Robane in Verbindung, mit jenen Leuten also, die ihm Menschen zugeführt hatten, damit er sie zu Tode hetzen konnte. Aber Psis hätten in Robane ein kostbares Instrument gesehen, das sie mit Maschinen versorgen konnte, die ihre eigene Macht vervielfachen würden. Sein erfinderischer Geist hatte im Auftrag eines Tele-
pathen gearbeitet. Und Robane hatte die Aufträge ausgeführt, ohne es überhaupt zu wissen. Telzey hatte durch ihr Eingreifen Robanes Tätigkeit in fremdem Auftrag ein Ende gesetzt, und es hätte sicher nicht lange gedauert, da hätte sie in einem vergessenen Winkel seines Geistes Hinweise darauf gefunden, wer seine Auftraggeber waren. Aber diese hatten den Eingriff entdeckt. Telzey hatte Robanes Erinnerungen verschlossen und plombiert, sie aber unangetastet gelassen. Das hatte seinen Auftraggebern gezeigt, daß sie zurückkehren würde, um noch mehr zu erfahren. Sie hätten Robane sofort vernichten können, aber ihnen lag daran, auch den Psi zu erwischen, der an ihm herumgepfuscht hatte. Sie hatten also die Falle gestellt, in der Robanes Geist der Köder war. Der Psi, welcher an diesen Geist rührte, sollte in der Falle umkommen. Und vor zwanzig Minuten hatte sie mit ihrer leichten Gedankenberührung auf den Knopf des Auslösers gedrückt. Telzey hatte sofort ihren Schutzschirm geschlossen. Sie mußte trotzdem mit der Möglichkeit rechnen, daß sie noch immer in der Falle saß, aber sie wußte nicht, wie diese beschaffen sein könnte. Der Wolkengleiter schwebte in fünfzig Metern Höhe über das Plateau. Der südliche Wald, vor dem das Haus gestanden hatte, war nicht mehr in Sichtweite. Telzey hielt auf die Berge zu. Einen Kilometer links
von ihr glitt ein Gleiter knapp am Rande ihres Gesichtsfeldes dahin. Erst wollte sie ihm folgen, aber sie behielt dann doch ihren alten Kurs bei. Die Gesellschaft anderer Leute bedeutete keine Sicherheit für sie; sie konnte vielmehr ihre Aufmerksamkeit auf gefährliche Art ablenken. Sie schaltete den Antrieb auf Automatik und spähte durch die Schutzscheibe zu den Bergen hinüber. Der vage Schatten, den ihre Gedanken wahrgenommen hatten, konnte vielleicht eine Halluzination gewesen sein, etwa das Symbol einer tödlichen auf sie gerichteten Energie. Psi-Kraft konnte schnell töten, wenn jemand damit umzugehen verstand. Wenn das aber die eigentliche Gefahr gewesen wäre, dann hätte sie einen ganz anderen Gedankeneindruck davon haben müssen, nicht bloß einen Schatten, der sich bewegte. Was konnte es also sonst gewesen sein? Telzey schüttelte den Kopf. Sie wußte es nicht, konnte es nicht einmal vermuten. Aber sie konnte es herausbekommen. Es blieb ihr keine andere Wahl. Sie warf einen Blick auf den Zeitmesser. Noch eine Stunde. Wahrscheinlich hatten die anderen sie noch nicht körperlich identifiziert. Es würde jedoch nichts schaden, wenn sie sich möglichst weit von Robanes ehemaligem Haus entfernte.
7 Eine Stunde später machten sich die Auswirkungen der Nacht bemerkbar, die sie ohne ausreichenden Schlaf verbracht hatte. Es gab Augenblicke nachlassenden Bewußtseins und körperlicher Reaktionsverlangsamung, und das bemerkte Telzey schlagartig. Sie hätte allerdings nur den nächsten ParkaufsichtGleiter anzurufen brauchen, und man hätte sie mit einem Anregungsmittel versorgt, aber es war möglich, daß ihre Feinde den Park mit Mitteln überwachten, die sie nicht kannte. Deshalb wollte sie keine Aufmerksamkeit erregen. Sie mußte nur solange wach bleiben, bis sie sich über die Situation völlig klar geworden war. Sie hatte sich einen recht einfachen Test ausgedacht. Ihren Psi-Schild wollte sie für einen Sekundenbruchteil öffnen, dann aber sofort wieder ganz fest schließen. In diesem kurzen Moment hoffte sie zwei Eindrücke aufzufangen: Gedankenstrukturmuster des Telepathen, der die Falle gelegt hatte, und Ausstrahlungen des Tiers, das mit dieser Falle in Verbindung stand. War eines von beiden noch in ihrer geistigen Reichweite, dann würde sie wenigstens eine Spur wahrnehmen. Wenn nicht, war man einander ausgewichen. Sicher, das konnte nicht unendlich
lange der Fall bleiben. Ein Psi konnte durchaus herausbekommen, wer Robanes Geisteskraft blockiert hatte, falls er genug Geduld dafür aufbrachte. Das war jedoch ein anderes Problem. Wenn zwei Kontrahenten sie nicht unausgesetzt belauerten, konnte das sekundenschnelle Öffnen des Geistes des einen vom andern unbemerkt bleiben. Telzey öffnete den Schutzschild für einen Sekundenbruchteil, und ihr geschärftes Wahrnehmungsvermögen nahm die gesuchten Eindrücke auf. Dann saß sie ein paar Augenblicke da, und die Angst rauschte in ihren Ohren. Langsam holte sie die aufgenommenen Eindrücke in ihr Bewußtsein zurück. Ein dunkles Tier; welches Tier es war, wußte sie nicht. Vielleicht so etwas wie ein unförmiger, übergroßer Pavian mit einem schweren Kopf und einem ungewöhnlich kräftigen Körper, der sich auf vier riesige Handpfoten stützte. Als sich der Schild öffnete, hatte sie das Gefühl gehabt, es ganz nahe und dreidimensional in allen Einzelheiten zu sehen, da es sich klar vor einem vagen Hintergrund abhob. Kleine rote Augen starrten sie an. Sie war dessen sicher, einen Funken des Erkennens in ihnen bemerkt zu haben. Dann bewegte es sich auf sie zu, als sich der Schild wieder schloß. Was war das? Eine Projektion, die ein anderer Te-
lepathengeist durch den kurzen winzigen Spalt in ihrer Schutzhülle geschickt hatte? Vielleicht damit sie diese Projektion zu ihrer eigenen Vernichtung weiter entwickeln sollte? Das nahm sie nicht an, denn das Tier schien zu real, zu lebendig und drohend gewesen zu sein. Im physikalischen Raum mochte es vielleicht hundert Kilometer oder noch weiter entfernt sein, aber in der anderen, der geistigen Realität, die sie gemeinsam hatten, war es unendlich nahe. Und sie wußte, daß es sich langsam, aber sicher näherte, als sie ihren Schild wieder schloß. Was würde geschehen, wenn es sie erreichte und geistig berührte? Sie wußte es nicht. Deshalb ließ sie den Bildeindruck wieder verblassen und suchte nach den Spuren des damit verbundenen telepathischen Geistes. Nach langen Sekunden wußte sie, daß in ihrem Bewußtsein nichts davon aufgezeichnet war. Der Psi war weg. Er hatte die Falle vorbereitet und die Kreatur auf sie angesetzt, aber dann mußte er sich völlig abgewandt haben, als wisse er, daß alles getan war, um sie endgültig aus dem Weg zu schaffen. Der Gedanke ließ sie stärker frösteln als das Tierbild. Handelte es sich bloß um ein Tier, dann war es relativ einfach, ihm zu entkommen; menschliche Telepathengedanken waren schwieriger auszuschalten. Aber auch das Tier genügte schon. Sie hatte noch
nie gehört, daß es Tiere gab, die eine Beute aufspürten, indem sie geistiger Strahlung folgten, wie es hier offensichtlich der Fall war. Vielleicht handelte es sich um ein auf einem nichtregistrierten Planeten heimisches Tier, das in ganz besonderer Absicht hierher gebracht worden war – in der Absicht nämlich, menschliche Psis zu jagen, die jemandem gefährlich werden konnten. Das Tier kannte jedenfalls das Phänomen der Bewußtseinsabschirmung. Entweder war es ihm von Natur aus bekannt, oder man hatte es damit vertraut gemacht. Jedenfalls wußte es, daß es nur zu warten brauchte und der Geduld eines Raubtiers bedurfte, bis sich der Gedankenschirm des andern wieder öffnete. Telzey konnte ja nicht ewig wach bleiben, und im Schlaf ließ sich nicht verhindern, daß ein unablässig lauernder Beobachter eine Lücke in der Abwehr entdeckte. Es war also eine sehr raffinierte Falle. Hätte sie Robanes Haus betreten, wäre sie zusammen mit ihm bei der Explosion umgekommen. Da sie aber mißtrauisch gewesen war, hatte man ihr das Tierwesen entgegengeschickt. Entweder sollte es sie direkt vernichten oder sie dazu veranlassen, sich zu verraten. Also mußte sie das Tierwesen abschütteln, ehe die Müdigkeit sie wehrlos machte. Der Psi-Blitz brauchte beträchtliche Mengen von Energie. Es dauerte eine Weile, die Kraft zu konzen-
trieren, um sie gegen ihren unheimlichen Verfolger massiert einzusetzen. Zu lange durfte sie nicht warten; das wäre ein Nachteil. Da die feindlichen Psis selbst nicht in der Nähe waren, erschien ihr jeder Ort für eine Auseinandersetzung mit dem Tier geeignet. Der Wolkengleiter trieb über einem breiten Tal dahin, in die höhergelegenen Regionen des Parks. Es wehte ein kühler Wind. Hier waren nur wenige Touristen unterwegs. Telzey sah im Moment nur drei Luftgleiter weit voraus. Die Energiekonzentration in Telzeys Geist war nun stark genug. Sie faßte sie zusammen, bündelte sie wie zu einem Blitz und öffnete dann plötzlich den Schild. Sogleich sah sie aus dem geist-dimensionalen Raum einen dunklen Schatten heranspringen, und sie wußte, daß ihr Energieblitz an diesem Tier wirkungslos abprallen würde. Sie bot ihre ganze Energie auf und errichtete ihre Abwehr wieder, ehe es sie anspringen konnte. Gleichzeitig riß sie den Wolkengleiter herum, als wolle sie einen körperlichen Zusammenprall vermeiden. Sie hörte ein tiefes, blubberndes Heulen, das ihr fast das Mark in den Knochen erstarren ließ. Sie warf einen Blick zurück und sah es für einen Augenblick etwa zwanzig Schritte hinter dem Gleiter – kein Geistesbild, sondern einen massiven Tierkörper, der lang ausgestreckt und mit vorgerecktem
Kopf durch die Luft sprang. Dann war die Bestie verschwunden. Es war eine Psi-Kreatur, deren natürliche Beute andere Psi-Wesen waren; deshalb war Telzey auch nicht fähig gewesen, den Angreifer mit ihrem Gedanken-Energieblitz zu vernichten. Diese Spezies hatte eine hohe Immunität gegenüber solchen Angriffen mit geistigen Mitteln entwickelt. Sie hatte einen ganz bestimmten Sinn, mit dessen Hilfe sie die Geister möglicher Opfer aufspürte und sich ihnen näherte; und sie hatte auch die Psi-Fähigkeit, sich körperlich durch den Raum zu katapultieren, wenn sie über Gedankenkontakt den Ort aufgespürt hatte, wo die Beute zu finden war. Zum Schlagen der Beute brauchte es nur die Kraft des Körpers, die scharfen Reißzähne und die breiten, flachen, spitz auslaufenden Krallen, die die Beute festhielten. Wenn Telzey nicht im richtigen Sekundenbruchteil ihren Wolkengleiter herumgerissen hätte, wäre das Psi-Ungeheuer über ihr gewesen und hätte ihr die Kehle aufgerissen. Jetzt war die Situation sehr gefährlich für Telzey. Der ausgesandte Blitz tödlicher Energie hatte sie geschwächt. Sie war vor Müdigkeit benommen und fast wie gelähmt durch die Erkenntnis, daß sie diesem Tierwesen nicht entkommen konnte. Es dauerte einige Minuten, ehe sie diese Depression überwinden
und ihre Gedanken wieder in eine vernünftige Ordnung bringen konnte. Aber auch das Tier schien erschöpft zu sein. Es war nicht in der Lage, sich erneut in Telzeys Nähe zu materialisieren, obwohl es gedanken-dimensional nicht weit entfernt sein konnte. Es gab Momente, da ahnte Telzey seine Anwesenheit jenseits ihres Abwehrschildes. Vielleicht war es gar kein sehr intelligentes Tier, doch eine Gattung mit solcher Kraft und diesen Fähigkeiten brauchte nicht viel Intelligenz, um sich in dieser Welt behaupten zu können. Telzey war Gefangene eines Spiels, das nicht nach ihren, sondern nach den Regeln des Tieres gespielt wurde, und sie schien dieses Spiel und diese Regeln nicht umgehen zu können. Gegen Mitte des Nachmittags brachte sie den Wolkengleiter in ein Dickicht an einem sanften Hang, wo er völlig gegen Sicht geschützt war. Sie kletterte heraus und schwankte ein wenig unsicher auf den Beinen; dann verließ sie das Dickicht. Bliebe sie im Gleiter sitzen, dann würde sie innerhalb von Minuten eingeschlafen sein. Wenn sie dagegen auf den Füßen blieb, gewann sie vielleicht noch ein wenig Zeit, die sie dazu benützen konnte, eine Lösung ihres Problems zu finden. Aber lange würde sie nicht mehr durchhalten können. Dann mußte sie die Parkaufsicht anrufen.
Aber ein Hilferuf konnte auch von anderen Leuten aufgefangen werden und ihren Feinden als Peilstrahl zu ihr dienen. Sie mußte ja damit rechnen, daß sie auf der Lauer lagen und nur auf eine solche Gelegenheit warteten. Die frische Bergluft machte sie ein wenig munterer. Sie befand sich nun in jener Parkregion, in der es schon Winter war. Seit mindestens einer halben Stunde hatte sie keinen Touristengleiter mehr gesehen, und nichts deutete hier darauf hin, daß es auf diesem Planeten außer ihr auch noch andere Menschen gab. Sie schaute sich um und rieb sich mit den Händen die Arme warm. Sie stand oberhalb einer Senke zwischen zwei Bergkämmen. Hüfthohes braunes Gras und Krüppelbäume füllten die Senke aus, und ein kleiner Bach floß hindurch. Ihr Gleiter stand ziemlich weit oben am Westhang; auf der anderen Seite fiel der Fels fast senkrecht ab. Wie gelbe Spinnweben sah das Rankenwerk mit dem bunten Herbstlaub aus, das sich über die Wand zog. Die eine Hälfte der Senke war noch in Sonnenschein gebadet, die andere lag im Schatten. Telzey fröstelte und schüttelte den Kopf, um die Schläfrigkeit zu vertreiben. Sie konnte sich nicht mehr auf ihr Problem mit dem Psi-Ungeheuer konzentrieren. Ihre Gedanken schweiften hinüber zu den sonnenwarmen Felsen, die sie überflogen hatte, ehe sie
den Wolkengleiter im Gestrüpp versteckt hatte. Sie stellte sich vor, daß sie an einem sonnenwarmen Stein lehnte und sich wärmen ließ. In Gedanken fühlte sie die Wärme an ihren Schultern und auf dem Rücken und sah die trockenen Dornbüsche mit ihrer herbstlichen Färbung ... Nachdenklich rief sie sich das Bild noch einmal vor die Augen. Hier bin ich, dachte sie. Ich sitze in der Sonne. Mein Kopf fällt mir vor Müdigkeit auf die Brust. Ich fühle die Sonnenwärme. Und ich vergesse die Gefahr. Der Wind bläst über die Felsen, und um mich herum raschelt das Laub ... Sie öffnete den Schild einen Spalt. »Hier bin ich, Bozo!« Und schon hatte sie den winzigen Spalt wieder geschlossen. Sie stand im Schatten des Westkammes und zitterte im frischen Wind. Sie lauschte. Weiter oben hatte sie über sich Geräusche vernommen, als stürze etwas Schweres in das Gestrüpp auf der Kammhöhe. Dann hörte das Geräusch wieder auf. Telzeys Blicke schweiften in die Mulde zwischen den Bergkämmen und folgten dem kleinen Bachlauf aus dem Schatten bis dorthin, wo er glitzernd in der Nachmittagssonne und schrecklich eilig durch eine flache, sandige Stelle floß. Und dort blieb ihr Blick hängen. Jetzt bin ich hier, dachte sie und blickte starr auf
den Bach. Ich sitze im warmen Sand in einem windstillen Winkel und höre das freundliche Plätschern des Baches ... Sie öffnete kurz den Schild. »Hier bin ich!« Der Schild war wieder geschlossen. Und nun sah sie zum zweitenmal an diesem Tag Bozo im Melna Park erscheinen, halb im Bach, halb am Ufer. Der schwere Kopf schwang hin und her. Das Tier tat einen Sprung vorwärts, wirbelte herum und verschwand mit ein paar Sätzen zwischen den Bäumen. Dann hörte sie kurz die merkwürdig heulende Stimme, die wie das verstärkte Lachen eines Betrunkenen klang, der enttäuscht und zornig randaliert. Telzey lehnte sich an den Baum hinter ihr und schloß die Augen. Die Schläfrigkeit rollte in süßen weichen Wellen heran. Sie schüttelte heftig den Kopf und trieb sie zurück. Dunkelheit ... schwarze, kalte Dunkelheit um mich herum, dachte sie. Dunkelheit, weil ich eingeschlafen bin ... Bozo! Jetzt kannst du mich erwischen. Wie ein Windstoß fegte die Dunkelheit über ihren Geist. Sie öffnete ihre Abwehr. »Bozo, hier bin ich, hier!« Bozos Gedankenbild stand wie ein Blitz vor ihr in der Schwärze. Die roten Augen glühten, die langen Arme holten aus, sie zu greifen, und das riesige Maul stand weit offen.
Ihr Gedankenschild schnappte zu. Telzey klammerte sich mit geschlossenen Augen an den Baum und horchte auf das Echo der zweiten Explosion an diesem Tag. Diese war kurz und scharf gewesen, ungeheuer laut, so als fahre ein Blitz hundert Schritte vor ihr entfernt in den felsigen Grund. Sie schüttelte den Kopf, öffnete die Augen und blickte über das Tal hinweg. Der felsige Osthang hatte sich sehr verändert. Ein zerklüfteter dunkler Riß begann oben am Kamm und reichte fast die halbe Entfernung ins Tal hinab. Gesteinsstaub quoll noch immer aus dem Riß ins Freie. Was geschah, wenn sich plötzlich tief innen im gewachsenen Fels ein Tier von über fünfhundert Pfund Lebendgewicht materialisierte. Diesmal hatte Bozo nicht mehr rechtzeitig von der materiellen in die geistige Dimension zurückspringen können. »Leb wohl, Bozo«, rief sie laut über das Tal hinweg. »Du wirst mir ganz bestimmt nicht fehlen.« Das war also der eine Teil, überlegte sie, und jetzt kommt der andere. Sie verringerte die Abwehrkräfte und öffnete den Schild. Und ließ ihn offen. Eine Minute, zwei, drei. Ihr Wahrnehmungsvermögen griff aus nach Eindrükken des Psi-Geistes, der ihr Bozo auf den Hals gehetzt hatte, dort bei Robanes Haus. Aber da war nichts. Nirgends auf viele Kilometer
gab es im Moment ein denkendes Wesen, das ihr Beachtung geschenkt hätte. »So, ihr habt also meine Spur verloren«, sagte sie zu ihnen. Sie wandte sich um und zwängte sich durch das Buschwerk in das Dickicht, wo sie den Wolkengleiter zurückgelassen hatte. Eine Minute später ließ sie den Gleiter über den Bergkamm steigen und nahm Kurs nach Süden. Die Kanzel war geschlossen, und sie genoß die Wärme der Heizung. Oh, sie war unendlich müde, und der Schlaf war eine Verlockung; aber sie hatte noch etwas zu tun. Es mußte vorher getan werden; es war ja schon fast getan. Ein winziger Teil ihres Geistes wurde zu einer Alarmanlage. Sie würde ununterbrochen aufpassen und sie gegen alle Psi-Energien von jener Art abschirmen, deren Opfer sie um ein Haar geworden wäre. Das war notwendig. Sie hatte nicht den geringsten Grund, nun zu glauben, daß die anderen ihre Absicht aufgegeben hatten. Sie hatten sich auf ihre Falle verlassen, doch die war nicht zugeschnappt. Aber sie würden das merken und sich etwas anderes einfallen lassen. Die neue Alarmanlage war fertig. Nun konnte sie den Wolkengleiter auf Automatik schalten. Bald würde sie wieder über den warmen südlichen Ebe-
nen sein und mit anderen Touristengleitern dahintreiben. Später konnte sie sich dann überlegen, was sie in den beiden nächsten Wochen gegen ihre PsiFeinde unternehmen würde. Später ... Sie ließ sich in ihren Sessel zurückfallen, und dann schlief sie auch schon.
8 Telzey saß beim Imbiß in ihrem Bungalow, als der Ring, den sie am linken Zeigefinger trug, ihr einen Stich versetzte. Es war ein heftiger Stich; so nachdrücklich, daß er sie sogar aus tiefem Schlaf aufgeweckt hätte. Sie zog eine Grimasse, nahm den Ring ab, rieb ihren Finger und steckte den Ring zurück. Dann ging sie zum Kommunikator und tippte eine Nummer. Irgendwo auf dem Gelände des Pehanron College schnurrten einige Apparate ein ganz bestimmtes Signal. Irgend jemand würde es hören und auf den Knopf drücken. »Hier ist Telzey Amberdon«, sagte sie zu dem Vorlesungs-Computer. »Ich möchte heute die beiden Spätvorlesungen streichen.« Der Computer bestätigte die Streichung. Der Winterregen hatte den ganzen Nachmittag hindurch auf Pehanrons Wetterkuppel getrommelt. Telzey zog Stiefel, einen langen Mantel und Handschuhe an, wickelte sich einen langen Schal um den Hals und ging hinaus zum Abstellplatz ihres Gleiters hinter dem Bungalow. Wenige Minuten später passierte der Gleiter das Haupttor. Sie schaltete die Nebelleuchten ein und flog hinaus in den heulenden Sturm.
Jemand würde ihr über den dunklen Himmel folgen. Daran hatte sie sich nun schon gewöhnt. Wenig später betrat sie eine öffentliche Kommunikationszelle und wählte eine Nummer. Der Schirm leuchtete auf, ein Gesicht erschien. »Hallo, Klayung«, sagte sie. »Ich habe dein Signal empfangen. Ich rufe von Beale aus an.« »Ich weiß«, antwortete Klayung. Er war seit langem Abteilungsleiter beim Psychologischen Dienst, lang, dürr und von mildem Wesen. »Verlasse die Kabine, geh nach links um die Ecke; dort wartet ein Wagen.« »Schön. Sonst noch etwas?« »Im Moment nichts. Bis wir uns sehen.« In Beale regnete es ebenso wie in Pehanron, und dieses Stadtviertel hatte nicht einmal eine Wetterkuppel. Telzey zog den Kopf ein und rannte zur Ecke. Die Tür zum Rücksitz eines großen Luftgleiters stand offen, so daß sie sofort hineinschlüpfen konnte. Die Tür schloß sich. Sie trocknete sich das Gesicht ab. Der große Gleiter war ein Raumfahrzeug, obwohl er gar nicht so aussah. Hinter der Trennscheibe erkannte sie die Umrisse des Piloten. Sie waren allein im Wagen. Sie schickte ihm einen Gedankenfühler aus, berührte einen Abwehrschild vom Standardtyp des Psychologischen Dienstes. Da sie nicht das leiseste Zeichen
eines Erkennens oder einer Antwort empfing, konnte sie annehmen, daß er kein Psi-Operator war. Telzey setzte sich gemütlich zurück. In letzter Zeit war das Leben eine recht komplizierte Angelegenheit geworden. Sie hatte ihre Erlebnisse im Melna Park dem Psychologischen Dienst gemeldet, der unter anderem alle Probleme behandelte, die mit Psi-Kräften zu tun hatten, und es so unauffällig tat, daß keine Unruhe in der Öffentlichkeit entstand. Diese Leute gingen jeder Information nach, die Telzey ihnen geben konnte. Während sie auf die Ergebnisse wartete, war Telzey nicht untätig geblieben. Bis vor kurzem schien ihr Psi-Abwehrschild ausgereicht zu haben. Ihr Studium der Rechtswissenschaft in Pehanron hoffte sie, in einem Jahr beenden zu können, und so lange wollte sie noch warten, bis sie sich ernsthaft mit allen Möglichkeiten ihrer PsiBegabung befaßte, um herauszufinden, was sie damit vollbringen konnte. Was sie zunächst brauchte war ein Training, um sich gegen böswillige Gedankeneinflüsse von Urhebern mit mehr als durchschnittlicher Fähigkeit zu schützen. Im Psychodienst wäre man bereit gewesen, sie auszubilden, allerdings unter etwas veränderten Voraussetzungen. Telzey hatte es jedoch vorgezogen, sich dem Psychodienst nicht zu verpflichten und unabhängig zu bleiben.
Sie kannte einen Psi, der ebenso unabhängig war wie sie selbst und eigentlich die Erfahrungen haben müßte, die ihr fehlten. Vielleicht war er bereit, sie mit ihr zu teilen. Sams Larking war nicht gerade das, was man einen Freund nannte. Er war unzuverlässig, unmoralisch, heimtückisch und raffiniert. Wichtig war, daß er ein ausgekochtes Psi-Talent war und über eine enorme Geistesenergie verfügte. Telzey hatte ihn besucht. »Warum soll ich dich noch härter machen als du schon bist?« hatte Sams gefragt. Sie hatte ihm erklärt, daß die Psycho-Agenten ihr in letzter Zeit allzuviel Aufmerksamkeit geschenkt hätten, und sie könne es absolut nicht leiden, daß jemand ihr nachspioniere. Sams hatte gebrummt. Er haßte den Psychodienst. »Hast du wohl was 'rausgekriegt, was sie geheimhalten wollten, äh?« hatte er gefragt. »Na, schön. Wollen mal sehen, ob wir denen beim nächstenmal ein paar Überraschungen liefern können. Willst du sie erkennen, ohne daß sie dich erkennen, oder willst du sie lieber mit ein paar Beulen nach Hause schicken?« »Letzteres«, hatte Telzey geantwortet. »Ich möchte vor allem lernen, mit geschlossenem eigenen Schutzschild zu arbeiten. Ich habe bemerkt, daß du darin sehr gut bist. Und die Beulen können durchaus schmerzhaft sein.«
Sams hatte die Brauen hochgezogen. »He, du wirst ziemlich wild, was? Nun ja, wollen mal sehen, wieviel du vertragen kannst. Das geht natürlich nicht in ein paar Stunden, weißt du. Am besten ist, du kommst am Wochenende auf die Ranch, dann haben wir Zeit. Das Haus ist psi-dicht, falls jemand herumschnüffeln sollte.« Sie hatte ein bißchen zweifelnd dreingesehen. »Nein, nein, ich benehme mich schon, Ehrenwort!« hatte er ihr versichert. »Das ist reines Geschäft. Wenn ich dich richtig ausbilden kann, bist du eines Tages vielleicht für mich nützlich. Bevor du kommst, schläfst du dich ordentlich aus. Ich werde mit dir trainieren, bis du mich anflehst, daß ich aufhören soll.« Und das tat er auch. Aber Telzey bat nicht darum, daß er aufhören sollte. Er drillte sie in Techniken, für deren Entwicklung sie Monate gebraucht hätte, wäre sie auf sich selbst angewiesen gewesen. Sie entdeckten, daß sie gute Fortschritte machte. Und dann ging doch etwas schief. Sie wußte nicht sofort, was es war, und blickte Sams an. Er lächelte ein bißchen boshaft. »Merkst du den Fremdeinfluß?« fragte er. Telzey fühlte sich beklommen. Sie überlegte. »Ja, sicher. Muß ich ja wohl. Aber ...« Sams nickte. »Während der letzten halben Stunde
standest du unter meiner Kontrolle. Du hättest es aber nicht gewußt, wenn ich dich nicht darauf gestoßen hätte. Und du verstehst auch nicht, wie das gegangen ist. Deshalb kannst du nichts dagegen tun, oder?« Er grinste, und Telzey spürte, wie der Fremdeinfluß von ihr wich. Sie hatte es tatsächlich bis jetzt nicht gespürt. »Das war diesmal nur eine Demonstration«, sagte Sams. »Laß dich nicht noch mal überrumpeln. Jetzt schläfst du ein paar Stunden, dann machen wir weiter. Du bist eine sehr gelehrige Schülerin.« Gegen Mitte des zweiten Tages sagte er: »Du hast dich wunderbar gehalten. Sehr viel mehr kann ich jetzt nicht mehr für dich tun. Aber jetzt kommt ein Spezialtraining. Das wollte ich eigentlich keinem verraten, aber wir wollen mal sehen, ob du damit arbeiten kannst. Dazu ist sehr viel Koordination erforderlich. Abwehr dichtmachen. Dann suchst du. Wenn ich dich dabei erwische, kriegst du einen solchen Schlag, daß dir die Zähne klappern.« »Ich bin da«, sagte sie nach ein paar Sekunden. Sams nickte. »Gut. Ich hätte es nicht festgestellt. Jetzt lasse ich eine kleine Öffnung für dich, kurz wie ein Blitz. Du versuchst mich zu erwischen und mir eine zu verpassen.« »Gut. Aber Moment noch. Angenommen, ich versuche es nicht nur, sondern ich schlage richtig zu?«
»Keine Angst. Ich blockiere schon. Und jetzt paß auf.« Sams kurzes Öffnen blitzte fünf Sekunden später durch ihr Bewußtsein. Sie schlug zu. Doch nicht ganz so fest, wie ein Mann es getan haben würde. Es verging eine volle Stunde, bis Sams wieder zu sich kam. Er war noch ganz groggy, als er sich aufsetzte. »Wie fühlst du dich?« fragte sie. Er schüttelte den Kopf. »Frag mich nicht! Leb wohl und geh nach Haus. Du bist mit der Ausbildung fertig. Mir tun die armen Schweine vom Psychodienst aufrichtig leid.« Das war vor einigen Tagen gewesen. Telzey wußte, daß sie dem Psychodienst nicht sehr viel Material hatte geben können, mit dem er arbeiten konnte, aber ein paar Richtungen für allgemeine Nachforschungen waren schon vorgezeichnet. Da die unbekannten Psis vom Melna Park offensichtlich Robane die Aufgabe gestellt hatten, Psi-Maschinen für sie zu entwickeln, mußten sie ganz allgemein an Psi-Maschinen interessiert sein. Vielleicht konnte man sie mit dem Verbrecherring in Zusammenhang bringen, mit dem Robane in Verbindung gestanden hatte. Und wenn, dann kontrollierten sie diesen Ring. Natürlich bedienten sie sich auch Tieren, die teleportieren konnten; darüber
gab es sonst keine Unterlagen, aber Telzey wußte, daß sie Menschen töteten. Telzey war in der Lage gewesen, einige Bilder abzurunden, besonders über diese Kreaturen. Die Eindrücke der Gedankenformen ließen vermuten, daß sie menschliche Mutanten waren, wenigstens aber Mutanten, die menschliche Züge aufwiesen. Solche Gedankenformen hatte sie in menschlichen Geistern bisher noch nie gefunden. Eine Maschine registrierte die Eindrücke aus Telzeys Gedächtnis. Man analysierte sie und versuchte, sie mit Psychodienstunterlagen zu vergleichen. Sie waren sehr charakteristisch, aber nicht in der Datenbank. Spezialagenten begannen nun mit unterstützenden Arbeitsgruppen ganz systematisch Orado abzusuchen, um mentale Spuren zu finden, die sich mit den Eindrücken deckten. Erfahrene Psi-Technologen überprüften eine Reihe von kriminellen Organisationen auf Anzeichen von telepathischer Steuerung. Beide Gruppen brachten keinen Erfolg. Der Psychodienst konzentrierte den größten Teil seiner Aufmerksamkeit weiter auf Orado, griff aber auch nach den nächsten Planeten, um diese zu untersuchen. Die immense Bevölkerungszahl des Systems bereitete ihnen dabei ungeheure Schwierigkeiten. Viele hielten Psi-Maschinen für die einzige praktikable Lösung der Zukunft. Auf tausend Welten ver-
suchten die Völker realisierbare Pläne zu entwerfen. Andererseits hatte das organisierte Verbrechen immer größeren Zulauf. Exzentrische Formen von Mord, darunter eine ganze Anzahl, die durchaus von einem der von Telzey erwähnten Psi-Tiere hätte ausgeführt worden sein können, waren an der Tagesordnung. Vor einem solchen Hintergrund konnten geheime Psis ewig unsichtbar bleiben. »Trotzdem ist es möglich, daß wir hinter Teile dieses Plans kommen«, meinte Klayung hoffnungsvoll, der diese Ermittlungen leitete. »Was wir haben, ist nicht sehr viel, aber ungeheuer zuverlässig. Wenn bewiesen werden kann, daß es das ist, was es zu sein scheint, dann sind die Leute, mit denen du dich herumgeschlagen hast, keine kleine und vor allem keine ortsgebundene Gruppe. Sie scheinen ziemlich gleichmäßig über alle dichtbevölkerten Planeten der Föderation verteilt zu sein.« Das gefiel Telzey gar nicht. »Wie sieht der Plan aus?« »Gewaltsamer Tod ohne Zeugen und immer wieder vom gleichen Typ, der mit deinem Teleport-Tier erklärt werden könnte. Das Tier tötet, aber nicht auf tierische Art. Es unterliegt gewissen Beschränkungen. Wenn es dich zum Beispiel im Melna Park hätte erwischen können, hätte es dir wahrscheinlich das Genick gebrochen, dich aus dem Gleiter geworfen und wäre
verschwunden. Anderswo hätte es dich wahrscheinlich stranguliert, um einen menschlichen Angreifer vorzutäuschen. Es gibt da sehr viele Variationen, aber alle passen in das Schema. Und jetzt versuchen wir, eine Verbindung zwischen den einzelnen Opfern herzustellen. Bis jetzt ist es uns noch nicht gelungen. Du bist und bleibst unser bester Spurenlieferant.« Das hatte Telzey schon geahnt. Äußerlich war nichts Auffälliges zu bemerken, aber sie wurde vom Dienst scharf überwacht und sorgfältig beschützt. Wenn eine Kreatur wie Bozo sich plötzlich in ihrem Bungalow im College materialisieren würde, so wäre das Tier tot gewesen, ehe es sie hätte berühren können. Das war im Moment ziemlich beruhigend. Aber das Problem war damit noch lange nicht gelöst. Innerhalb von zehn Tagen stand fest, daß die unbekannten Psis Telzeys Aufenthaltsort entdeckt hatten. Klayung beschrieb es so, daß im Pehanron College ein ganz neues Telzey-Bewußtsein eingekehrt war. Das traf weniger auf ihre Freunde und Bekannten zu, sondern auf Leute, die sie kaum vom Sehen kannte, die aber als Gruppe genau wußten, wo Telzey war und was sie tat. Und dann war da die Sache mit den Kommunikatoren. Am Instrument in ihrem Bungalow war nicht herumgepfuscht worden, aber wenn sie es einschaltete, schalteten sich sofort einige weitere Geräte ein, und alle ihre Gespräche wurden überwacht.
»Diese Leute stehen im gewöhnlichen Sinn nicht unter Fremdeinfluß«, erklärte Klayung. »Man hat ihnen nur ein paar sehr spezifische Anweisungen gegeben, und sie wissen gar nicht, daß sie sie ausführen. Ein bewußtes Interesse an dir haben sie nicht, Telzey. Alle haben offene Gedanken. Jemand entnimmt ihnen vermutlich von Zeit zu Zeit Informationen. Wer das organisiert hat, ist ein sehr geschickter Planer. Im übrigen ist das ein sehr interessanter und raffinierter Kontrast zur ersten sehr groben Falle, die man dir gestellt hat.« »Die aber fast zugeschnappt wäre«, meinte Telzey nachdenklich. »Niemand hat hier versucht, mich auszuforschen oder dergleichen, obwohl ich darauf gewartet habe. Die wissen ja, wer ich bin, und sie müssen auch ziemlich sicher sein, daß ich es war, die Bozo erledigt hat. Glaubst du, sie wissen, daß ich von euch beschattet werde?« »Ich an ihrer Stelle würde es vermuten«, antwortete Klayung. »Sie wissen, wer du bist, aber nicht was du bist. Nun, beobachtet werden wir auch, aber eine Falle würde ich riechen. Wir müssen deshalb annehmen, daß auch die andere Seite ebenso eine Falle riechen würde.« »Was wird nun geschehen?« Klayung zuckte die Achseln. »Ich weiß, angenehm ist es nicht, Telzey, aber vorläufig heißt es abwarten.
Bis sie den ersten Zug in diesem Spiel tun. Vielleicht tun sie ihn nicht. Sie könnten ebensogut ganz einfach verschwinden.« Sie schnitt eine Grimasse. »Das fürchte ich ja.« »Ich weiß. Aber wir arbeiten an anderen Dingen. Bis jetzt sind sie uns aus dem Weg gegangen. Wir wissen, daß es sie gibt. Wir warten auf einen Ausrutscher, auf einen kleinen Riß in ihrer Tarnung, und früher oder später haben wir sie im Griff.« Früher oder später! Das gefiel ihr nicht. Sie wollte keine Geisel sein, eine sehr gut beschützte Geisel zwar, aber eine, die kein Privatleben mehr kannte, die aus zwei Richtungen genau beobachtet wurde. Sie gab die Schuld daran nicht Klayung oder dem Psychodienst. Denen war sie nur ein Problem unter vielen anderen, die sie zu lösen hatten, und immer hatten sie zuwenig geschickte und geschulte Leute. Immer mußten sie auf Psis zurückgreifen, die bereit waren, ihre Fähigkeit soweit schulen zu lassen, bis sie eingesetzt werden konnten. Telzey gehörte zu jenen, die nicht bereit waren, jene Beschränkungen zu akzeptieren, die man ihr auferlegen wollte. Aber sie konnte sich auch nicht beklagen. Für immer akzeptieren konnte sie die Situation aber trotzdem nicht. Man mußte das Problem lösen. Irgendwie ...
9 »Was weißt du über Tinokti?« fragte Klayung. »Tinokti?« Man hatte Telzey in Beale abgeholt und von dort zu einem kleinen Raumkreuzer gebracht, der Orado umkreiste. Sie, Klayung und der Pilot schienen die einzigen Leute an Bord zu sein. »Ich bin noch nie dort gewesen. Neunzehn Stunden mit dem Linienschiff von Orado entfernt. Ziemlich dicht bevölkert. Hoher Lebensstandard. Planetenumspannendes Portalsystem, das komplizierteste und vollständigste in der ganzen Föderation. Gesellschaftlich eine Kastenkultur, die ebenso kompliziert ist. Syndikatsregierung. Eine wissenschaftliche Körperschaft, die Tongi Phon. Korrupt, aber sie haben die Unterstützung der Völker. Als Wissenschaftler müssen sie auf einigen Gebieten überragend gut sein ... Ich glaube, das ist die Hauptsache. Genügt es?« Klayung nickte. »Für jetzt schon. Alles übrige erfährst du von mir. Die Tongi Phon sind nicht Mitglied beim Psychodienst. Sie haben sehr hart gearbeitet, um eine eigene Psi-Technologie zu entwickeln. Sie sind weiter gekommen als die meisten, aber doch nicht sehr weit. Zu konservativ. Widersprüche stören sie noch. Aber sie haben einiges gelernt und etliche Möglichkeiten. Deshalb sind sie so mißtrauisch uns gegenüber.«
»Nun, vielleicht haben sie viel zu verbergen«, meinte Telzey. »Ganz gewiß. Sie tun, was sie können, um unsere Tätigkeit einzuschränken. Ein großer Teil der Handels- und privaten Portalsysteme ist psi-blockiert. Natürlich auch das Tongi-Phon-Institut, und die Phons tragen Psi-Schirme. Auf Tinokti haben wir also sehr wenig zu bestellen. Es war also eine ziemliche Überraschung für uns, als wir heute von den Tongi Phon um Hilfe gebeten wurden.« »In welcher Beziehung?« wollte Telzey wissen. »Vier Phons von hohem Rang wurden in einem verschlossenen und bewachten Gewölbe im Institut tot aufgefunden. Man hatte ihnen das Genick gebrochen und den Schädel eingeschlagen, wahrscheinlich mit einem einzigen Schlag. Die Leichen wiesen Beulen auf, sonst aber keine besonderen Verletzungen.« »Hat das Institut irgend etwas herausgefunden?« »Ja. Erst nahmen die mit den Nachforschungen betrauten Leute an, daß insgeheim ein zweiter Eingang zum Gewölbe geschaffen worden sei, aber dann hätte eine Spur von Restenergie festgestellt werden müssen. Es war aber keine da. Dann kamen sie darauf, daß eine Lebensform unbekannten Typs zur Zeit der Morde anwesend gewesen sein mußte. Der Körper wog schätzungsweise tausend Pfund.« Telzey nickte.
»Das war einer von Bozos Verwandten.« »Das ist anzunehmen. Das Gewölbe hatte eine PsiSperre. Das scheint aber kein Hindernis für Bozos zu sein. Die Phons haben jetzt natürlich schreckliche Angst. Politische Morde sind im Institut keine Seltenheit, aber die vier waren führende Männer. Niemand fühlt sich mehr sicher. Sie kennen weder die Ursache, noch den Grund der Bedrohung, aber sie meinen, PsiKraft habe etwas damit zu tun. Sie sind bis zu einem gewissen Grad bereit, mit dem Psychodienst zusammenzuarbeiten. Zufällig haben wir Tinokti schon seit einiger Zeit genauer im Auge behalten. Es ist eine von vielleicht einem Dutzend Welten, wo eine geheime verbrecherische Psi-Organisation fast ideale Bedingungen antrifft. Da sie Interesse an Psi-Maschinen gezeigt haben, müßte die Arbeit des Instituts auf diesem Gebiet ein besonderer Anziehungspunkt sein. Psi-Schirme oder nicht – mich würde es gar nicht wundern, wenn unsere verbrecherischen Psis diese Projekte schon seit einiger Zeit verfolgten. Also wird der Psychodienst in ziemlicher Stärke auf den Plan treten. Wenn wir ein größeres Nest ausheben können, wäre das ein großer Schritt auf dem Weg zur Einkreisung der Bande in ihren verschiedenen Verstecken. Der ganzen Natur nach handelt es sich hier um ein hochtechnisiertes Unternehmen, das es offiziell nicht
gibt. Es kann es einfach nicht geben – wenigstens nach außen hin. Und wenn alles vorüber ist, hat sich absolut nichts ereignet.« »Das erzählst du mir wohl alles, weil du mich nach Tinokti schicken willst?« fragte Telzey. »Ja. Wir könnten dich sehr gut dort brauchen. Daß du diese Psi-Geister aufgestöbert hast, gibt dir einen gewaltigen Vorteil. Und dein plötzliches Interesse an Tinokti nach all diesen Geschehnissen könnte einige Reaktionen der dortigen Gruppe auslösen.« »Ich bin also der Köder?« »Teilweise, Telzey. Unsere Taktik muß sehr beweglich sein, und selbstverständlich hängt sie von der Entwicklung ab.« Sie nickte. »Nun, Köder bin ich ja auch hier, und ich will mir die Typen endlich vom Hals schaffen. Wie verbleiben wir dann?« »Das bestimmst du«, antwortete Klayung. »Du arbeitest für uns, aber nach außen hin trittst du nach wie vor als Jurastudentin auf. Du wirst in Penharon darum bitten, nach Tinokti versetzt zu werden, da du eine Arbeit über die legalistischen Aspekte der TongiPhon-Regierung schreiben willst.« »Das muß aber mit dem Institut so geklärt werden.« »Darum kümmern wir uns.« »Gut.« Sie überlegte. »Wann soll ich abreisen?«
»Heute in einer Woche.« Telzey nickte. »Das ist also kein Problem. Nur eines wäre da noch ...« »Ja?« »Die Psis haben es hier sehr sorgfältig vermieden, sich bloßzustellen. Warum haben sie dann auf Tinokti so ganz offensichtlich zugeschlagen?« »Das habe ich mir auch schon überlegt. Es könnte etwas vorgefallen sein, von dem die Phons uns nichts gesagt haben. Aber im Moment nimmt man an, daß das Tier seine Instruktionen nicht genau befolgt hat. Du hattest ja selber den Eindruck, daß Bozo nicht besonders intelligent war.« »Ja, den hatte ich«, bestätigte Telzey. »Aber mir erscheint es sowieso wenig intelligent, sich eines Tieres zu bedienen, wenn so leicht etwas schiefgehen kann, wie es im Institut der Fall gewesen sein kann.« Was und wer waren die Gegenspieler? Telzey hatte dem Computer des Informationszentrums zahlreiche Fragen gestellt. Berichte über PsiMutanten waren nicht ungewöhnlich, aber man mußte sehr weit zurückgehen, um Beweise zu finden. Sie filterte die erhaltenen Informationen und gab sie zusammen mit ihren eigenen Erfahrungen dem Wahrscheinlichkeitscomputer in Pehanron ein. Die Maschine stellte fest, daß ihre Kontrahenten Nachfahren
der legendären Telepathen von Nalakia, den Elaigar, waren. Das berichtete sie Klayung. Er war nicht überrascht. Der Wahrscheinlichkeitscomputer des Psychodienstes hatte dasselbe Ergebnis ausgespuckt. »Aber das ist doch unmöglich!« rief Telzey. Aus den Informationszentren hatte sie eine Menge Material über die Elaigar erhalten. »Wenn die Unterlagen richtig sind, dann müssen sie im Durchschnitt ja mehr als fünfhundert Pfund wiegen! Und außerdem sahen sie doch wie Menschenfresser aus. Wie könnte sich jemand mit einem solchen Erscheinungsbild in einer Stadt aufhalten, ohne aufzufallen?« Klayung meinte, es sei ja nicht unbedingt nötig, sich von Leuten sehen zu lassen, die darüber sprechen könnten. Falls sie aus einem anderen galaktischen Abschnitt zurückgekehrt sein sollten, könnten sie sich auch auf einem unbewohnten Planeten niedergelassen haben, von dem aus sie kurze Operationswege hatten und wo sie vor Entdeckung sicher waren, solange man ihre Anwesenheit dort nicht vermutete. Diese Möglichkeit konnte er jedenfalls nicht ausschließen. Telzey ging später das Material noch einmal durch und fand, daß ihr diese Möglichkeit nicht besonders gefiel. Die Elaigar stammten aus der ersten Kolonialperiode. Sie waren Körperriesen mit Psi-Fähigkeiten ge-
wesen, eine Biokonstruktion, die angeblich menschlichen Ursprungs war und die von einem wissenschaftlich orientierten Kult, dessen Anhänger Grisands hießen, entwickelt worden war. Diese Grisands waren erst kurz vorher aus dem Alten Territorium gekommen und hatten Nalakia zur Festung ausgebaut. In der Sprache der Grisands bedeutete Elaigar so viel wie Löwenvolk. Und der Name sagte auch aus, was die Grisands mit Hilfe des Löwenvolks zu erreichen hofften – die Herrschaft über andere Menschen auf Nalakia, aber auch über die benachbarten Kolonialwelten. Aber ihre Schöpfung entglitt ihnen. Die Elaigar wandten sich gegen sie, und die Grisands starben in den Ruinen ihrer Festung. Dann zogen die Elaigar aus, ihre eigenen Eroberungen zu machen. Offensichtlich waren sie viele Jahre lang der Schrecken einer ganzen Raumzone gewesen. Sie übernahmen eine Kolonie nach der anderen. Die Menschen, die sie nicht töteten, wurden von ihnen geistig versklavt und mußten ihnen dienen. Später wurden in anderen Gebieten des Sternhaufens Kriegsflotten zusammengezogen, und es stellte sich heraus, daß die Macht der Elaigar gegen die überlegene Feuerkraft der Raumflotten nichts ausrichten konnte. Die Überlebenden des Löwenvolks flohen in mit Sklaven bemannten Schiffen, und man hörte nie mehr etwas von ihnen.
Abbildungen einiger weniger solcher Mutanten waren in dem Bericht enthalten, den Telzey zusammengestellt hatte. Sehr viel hatte sie nicht bekommen können. Die Zeit der Kriege im Sternhaufen lag weit zurück, und die Unterlagen aus der Kolonialzeit waren vernichtet worden oder verlorengegangen. Aber so wenig auch über die Elaigar zu erfahren war, das Wenige genügte; ihr legendärer Ruf war denkbar schlecht. Im Sternhaufen hatte es verschiedene Riesengeschlechter gegeben, aber die meisten von ihnen hatten wenigstens annähernd menschlich ausgesehen. Die Elaigar schienen ganz anders gewesen zu sein. Die massiven Leiber glichen denen großer, starker Tiere, und die breiten, unbehaarten Gesichter erinnerten an die nackter Riesenkatzen. Aber der Prototyp mußte einst menschlich gewesen sein, wenn es tatsächlich ein Elaigar gewesen war, den Telzey im Melna Park auf Orado gesehen hatte. Die grundlegenden menschlich-mentalen Strukturen waren in den aufgenommenen Gedankenformen noch zu erkennen gewesen. Was anders war, konnte von den nalakianischen Telepathen stammen, vielleicht auch aus ihrer kurzen, blutigen Geschichte. Klayung konnte also recht haben.
10 In den Augen der Bürger von Tinokti waren die Megastädte anderer Föderationswelten nichts anderes als übergroße primitive Dörfer. Auf Tinokti lebten siebzig Prozent der Bevölkerung oder mehr in einem geschlossenen Portalsystem. Für die meisten war es eine sehr behagliche Existenz, für viele ausgesuchter Luxus. Ein Portalsystem ließ sich am besten mit zwei voneinander entfernten Punkten im Raum vergleichen, die jedoch zusammengelegt waren. Das vereinfachte die Überbrückung von Entfernungen ganz gewaltig. Ein Schritt genügt, um von einem Punkt zum anderen zu gelangen. Die Entfernungen waren natürlich begrenzt, aber trotzdem sehr groß. Portalsystemkreise waren auf zahlreichen Planeten anzutreffen. Auf Tinokti gab es sie überall. Sie unterschieden sich untereinander in ihrer Ausdehnung und Perfektion, dienten vielen Zwecken und bildeten den kulturellen Rahmen des Planeten. Telzey hatte in einem großen kommerziellen Portalsystem Wohnung genommen, das den Namen Luerral Hotel führte. Man hatte es deshalb für sie ausgewählt, weil es frei war von den Psi-Sperren, die sonst allgemein in Gebrauch waren. Das Luerral diente vorwie-
gend dem interstellaren Handel, und die Kraftfelder, welche die Psi-Sperren erzeugten, vermittelten Besuchern, die nicht daran gewöhnt waren, ein unangenehmes Gefühl des Abgeschlossenseins. Für Telzeys Arbeit waren sie natürlich große Hindernisse. Während sie sich registrieren ließ, wurde sie mit einem Gastschlüssel ausgestattet. Das Luerral war sehr exklusiv. Seine Portale konnten nur jene passieren, die einen Luerral-Schlüssel hatten oder in Begleitung eines Schlüsselträgers kamen. Die Schlüssel aktivierten auch den Luerral-Zentralcomputer und gaben auf Wunsch Auskünfte und andere Informationen. Der Schlüssel, den Telzey wählte, hatte die Form eines schmalen Fingerreifs. Sie ließ sich von ihm zu ihrem Zimmer führen, fand dort ihr Gepäck schon vor und rief das TongiPhon-Institut an. Auf Tinokti richtete man sich nach der Institutszeit. Der offizielle Arbeitstag würde also erst in drei Stunden beginnen. Aber man verband sie trotzdem mit jemandem, der von ihrem Wunsch wußte, juristische Studien zu betreiben, und man sagte ihr, ein Führer werde zu ihr kommen und sie zum Institut bringen, sobald es offen sei. Sie machte sich zu einem Spaziergang durch das Hotel auf und umkreiste den Planeten dabei zweimal in gemütlicher Gangart. Sie ging durch Portale, die auf Einkaufsstraßen hinausführten, in tropische Parks oder Wintersportgebiete, denn der Portalsystemkreis
berührte alle schönen Gegenden des gesamten Planeten. Sie hatte mit ihrer Tätigkeit für Klayung schon begonnen und arbeitete als Psi-Agent, der die Rolle eines ganz unschuldigen Studientouristen spielte. Sie trug einen Armreif, dessen Impulse von einer ganzen Kette von Raumschiffen empfangen wurden, die den Planeten umkreisten. Darüber hinaus stand sie in ständiger, wenn auch nur sehr loser Gedankenverbindung mit einem Psychodiensttelepathen, dessen Spezialgebiet es war, solche Kontakte von allen äußeren Einflüssen abgeschirmt zu unterhalten. Außerdem hatte sie einige unauffällige bewaffnete Begleiter. Sie durchforschten den Planeten sehr sorgfältig in verschiedener Beziehung. Telzeys Aufgabe war es, jeden Systemabschnitt genau abzutasten, besonders die offenen Gebiete, die der Systemkreis berührte. Sie nahm keine bewußten Eindrücke von den verbrecherischen Psis auf, aber zweimal während ihres Spazierganges schlossen sich die Sperren, die ihren Geist wie eine flexible Blase umgaben, zu einem festen Schild. Ihre elektronischen Detektoren, die viel empfindlicher waren als bewußt arbeitende Sinne, hatten auf eine flüchtige Berührung jenes Typs mentaler Struktur reagiert, vor dem sie gewarnt werden sollte. Die Psis waren also da und anscheinend viel weniger vorsichtig als auf Orado.
Als sie in die Halle des riesigen Hotels zurückkam, fragte Gudast, ihr Verbindungsmann zum Psychodienst, geistig an: »Macht dir ein weiterer Spaziergang etwas aus?« Telzey sah auf ihre Uhr. »Ich darf mich aber bei den Phons nicht verspäten.« »Wir holen dich rechtzeitig zurück.« »Gut. Wohin soll ich gehen?« »Diese Berührungen, von denen du berichtet hast, kamen doch von den Punkten, wo der Luerral-HotelSystemkreis durch große Stadtkomplexe führt«, sagte Gudast. »Dorthin solltest du zurückkehren, den Systemkreis verlassen und versuchen, ob du etwas von außen aufnehmen kannst.« Sie ließ sich vom Luerral-Computer den Weg sagen und ging. Die größeren Abschnitte hatten verschiedene Verkehrshilfen, aber im ganzen gesehen schienen die Leute hier sehr viel zu Fuß zu gehen. Fast alle Verkehrsteilnehmer, die sie sah, waren Fußgänger. Wenig später fand sie einen Ausgang zu einem der Stadtkomplexe, von denen Gudast gesprochen hatte. Ihr Luerral-Ringschlüssel informierte sie, daß ihr Hotel sie an einen Führer des Zonencomputers übergeben habe, daß aber natürlich der Hotelschlüssel weiter zu ihrer Verfügung stehe und gewünschte Informationen liefere. Auf Weisung Gudasts nahm sie einen Sitz auf einem der Rollwege und fuhr eine Hauptstraße ent-
lang. Oberflächlich gesehen wirkte alles etwa so wie in irgendeiner großen Stadt auf Orado. Die Unterschiede waren nicht grundsätzlicher Natur, sondern lagen eher in Äußerlichkeiten. Aber überall waren Psi-Sperren zu spüren. Höchstens ein knappes Viertel des Raumes in großen Gebäuden war offen; alles übrige wurde von verschiedenen Systemkreisabschnitten eingenommen, die mit anderen Punkten des Planeten in Direktverbindung standen. Milchig schimmernde horizontale Streifen an den Gebäuden zeigten, daß die Abschnitte größtenteils von Kraftfeldern geschützt waren. Tinkotis Bürger legten sehr großen Wert auf Zurückgezogenheit und Diskretion. Telzey gab es einen kleinen Ruck. »Abwehrreaktion«, meldete sie Gudast. »Hab's bemerkt«, flüsterte seine Gedankenstimme. »Hält weiter an.« Sie ließ die Zunge über ihre Lippen spielen. »Siehst du eine gute Gelegenheit, vom Rollweg abzusteigen?« Telzey schaute die Straße entlang und stand auf. »Ja. Vor mir sind große Schaufenster mit nur wenigen Leuten davor.« »Gerade richtig.« Sie trat vom Rollweg herunter, ging zu den Schaufenstern und schaute hinein. »Ich bin hier«, meldete sie Gudast. »Reaktion hat soeben aufgehört.«
»Sieh zu, was du tun kannst. Wir stehen bereit.« Ihre Psi-Fühler griffen aus. Sie ließ die Gedankenschablone entstehen, die sie im Melna Park registriert und in ihrem Gedächtnis gespeichert hatte, veränderte sie ein wenig, projizierte sie kurz wie einen Gedanken, den man achtlos durch den Kopf gehen läßt. Sie wartete. Der Abwehrschirm wollte sich wieder schließen, doch sie hielt ihn leicht geöffnet und überspielte die automatische Sperr-Reaktion. Der fremde Gedanke nahm unmerklich Bewußtseinsstärke an; ein Geist, der vorsichtig, vielleicht mißtrauisch, hellwach, aber kaum wahrzunehmen war. »Vorsichtig jetzt«, warnte Gudast. »Ich empfange es, ja, wir holen es heran. Nicht drängen! Laß uns fünfzehn Sekunden Zeit. Zehn ...« Psi-Block! Der Eindruck war wie ausgelöscht. Irgendwo war das Wesen in einen psi-blockierten Abschnitt des Stadtkomplexes gelangt. Vielleicht absichtlich, um ein mentales Versteck zu suchen. Der Eindruck war nicht so stark gewesen, daß man etwas darüber hätte sagen können; oder nur soviel, daß er der Gedankenstruktur glich, der sie auf Orado begegnet war. Für einen kurzen Augenblick hatten sie alle die spezifischen Eigenschaften empfangen, die sie im Melna Park registriert hatte.
Der Moment hatte aber bei weitem nicht genügt. Klayung hatte eine Anzahl Psi-Kompasse für die Agenten auf Tinokti mitgebracht, die unfehlbar die Position des Körpers hätten festlegen können, welcher diese nicht zu lokalisierende Mentalität beherbergte; sie hätten nur ein paar Sekunden mehr Zeit gebraucht. Wegen dieser paar fehlenden Sekunden ließ sich die Gedankenquelle nicht mehr orten. Telzey ging zu der anderen Stelle weiter, wo sie vorher eine plötzliche Warnung wahrgenommen hatte, und dort schlenderte sie eine Weile herum. Klayungs Leute warteten auf neue Hinweise, doch ihre Hoffnungen erfüllten sich nicht mehr. Wenigstens war bestätigt worden, daß die verbrecherischen Psis, oder wenigstens einige von ihnen, auf Tinokti waren. Das Problem war nicht einfach zu lösen. Wie sollte man sie aus einem Irrgarten von energiekreisgeschützten und psi-blockierten Systemkreisen herauslocken? Telzeys Institutsführer, ein junger Mann namens Phon Hajugan, erschien pünktlich bei Beginn des Arbeitstages. Er berichtete Telzey, daß er dem niedersten Rang der Tongi Phon angehörte. Diese Leute wußten offensichtlich nichts von den Morden im In-
stitutsgewölbe und von den Ahnungen der Vorgesetzten. Phon Hajugan war fröhlich und mitteilsam, aber Telzeys Gedankentest bewies, daß er mit einem chemischen Psi-Schild ausgestattet war. Zwischen dem Luerral-Systemkreis und dem des Instituts gab es keine direkte Portalverbindung. Telzey und ihr Führer gingen also durch ein Gebiet, das aussah wie eine mittelgroße Wohnstadt. Dann erreichten sie ein Eingangsportal zum Tongi-PhonKreis, wo Telzey einen weiteren Portalschlüssel erhielt. Sie hatte sich die Route genau eingeprägt. In Zukunft wollte sie sich nicht von der Anwesenheit eines Führers ablenken lassen. Sie wurde zum Büro eines älteren Phon namens Trondbarg geführt. Ihr war sofort klar, daß Phon Trondbarg keine Ahnung von dem hatte, was vorging. Er unterhielt sich höflich mit Telzey über die ihr in Pehanron gestellte Aufgabe, doch er war dabei etwas nervös. Dem Institut war angedeutet worden, daß sie eine Spezialagentin des Psychodienstes sei und daß ihr Forschungsauftrag nur als Formsache zu betrachten wäre. Die Besprechung dauerte nicht lange. Man würde ihr die entsprechenden Ausweise und sonstigen Unterlagen bereitlegen; in vier Stunden solle sie wieder zurückkommen. Damit bekäme sie dann Zugang zu Material, das normalerweise nur in beschränktem
Maß zugänglich sei und könne darüber hinaus sich alle Informationen beschaffen, die sie brauche. Das hieß, daß sie im Institut frei herumgehen und sogar forschen könne, und genau das hatte man ja gewünscht. Wenn die weitere Entwicklung nicht in eine ganz andere Richtung ginge, würde sich also die Aufmerksamkeit des Psychodienstes auf jene Gebiete und Personen konzentrieren, die mit den psitechnologischen Projekten der Tongi Phon in Verbindung standen. Dem Führergremium der Phon war das zwar nicht besonders angenehm, aber es blieb ihnen nichts anderes übrig, als damit einverstanden zu sein. Es wäre ihnen noch wesentlich unangenehmer gewesen, hätten sie vermutet, daß Gedankensperren unauffällig abgebaut wurden. Der Psychodienst wollte in erster Linie herausfinden, wer im Institut unter Fremdeinfluß kontrolliert wurde und auf welche Weise. Natürlich mußte man mit Gegenmaßnahmen der Untergrundopposition rechnen. Man bereitete sich darauf vor, und dazu gehörte auch Telzeys persönliches Warnsystem. Sie kehrte in den Luerral-Systemkreis und in ihr Hotelzimmer allein zurück – selbstverständlich in Begleitung und beschützt von ihrer Psychodiensteskorte, die aber so unauffällig und geschickt vorging, daß niemand sie bemerkte. Sie schlief zwei Stunden,
um sich an die Ortszeit zu gewöhnen, und kleidete sich nach Tinokti-Mode in eine himmelblaue Jacke im Militärschnitt und einen dazu passenden Rock. Dann nahm sie ein spätes Frühstück im Stratosphärenrestaurant des Hotels ein. Als sie in die große Hotelhalle zurückkehrte, begann sie die Route zum Tongi Phon Institut zu rekonstruieren, die sie vor fünf Stunden mit Phon Hajugan zurückgelegt hatte. Eine ganze Reihe von Fallschächten brachte sie zur Verbindungsstraße, die wiederum zu den schnellen Rollstraßen führte. Hier war ein Dreiportalübergang zur südlichen Hemisphäre des Planeten, wo sich die größeren Baulichkeiten des Instituts befanden. Sie bewegte sich durch ein ständig wechselndes System menschlichen Verkehrs, bis sie zum neunten Portal – von der großen Hotelhalle aus gesehen – kam. Auf der anderen Portalseite blieb sie stehen und hielt erst einmal den Atem an. Dann wirbelte sie herum – und starrte auf eine blanke Wand. Ihre Gedankenverbindung mit Gudast war unterbrochen. Das Portal hatte sie in einen großen, langen, sehr hohen Raum übersetzt. Er war leer, und es herrschte ein fast gespenstisches Schweigen. Mit Phon Hajugan war sie nicht durch einen solchen Raum gekommen. Sie berührte die Mauer, durch die sie vor einem Augenblick getreten war; sie fühlte sich so solid an,
wie sie aussah. Also war es ein Einbahn-Portal. Der Raum war eine Höhle der geistigen Stille, der Ausdruckslosigkeit; das hatte natürlich zu bedeuten, daß der Raum blockiert war und daß sich die PsiBarrieren in nächster Nähe befanden. Telzey beobachtete eine geschlossene Tür am anderen Ende des Raumes und schaltete den Armband-Kommunikator ein. Keine Antwort vom Psychodienst! Und einen Augenblick später auch keine Reaktion vom LuerralRingschlüssel! Sie hatte gehört, daß es in einem großen, sehr komplizierten Portalsystem schon einmal vorkommen konnte, daß eine Übertragung zeitweilig verzerrt erfolgte und man anderswo herauskam als dort, wohin man eigentlich gewollt hatte. Aber hier war das nicht der Fall gewesen. Direkt vor ihr waren andere Leute gewesen, weitere unmittelbar hinter ihr, und unter denen waren auch ihre Begleiter vom Psychodienst gewesen. Von all diesen Leuten war nicht einer in diesen großen Raum übersetzt worden. Also mußte sie in eine Falle geraten sein, die speziell für sie auf dem Weg vom Hotelzimmer zum Tongi-Phon-Institut errichtet worden war. Als sie das Portal erreichte, hatte ein versteckter Beobachter den Mechanismus eingeschaltet, der sie in diesen Raum schleuste und nicht in den anderen, der zu ihrer Route gehörte. Wenn der Psychodienst ihren Weg mit
dem Spurenzeichner verfolgt hatte, dann mußten sie ja wissen, was ihr zugestoßen war. Aber sie hatte ein recht unangenehmes Gefühl, daß die Leute, die sie so geschickt von Psi- und Kommunikatorkontakten abgeschnitten hatten, das Vorhandensein eines Spurenzeichners einkalkuliert und dafür gesorgt hatten, daß er hier nicht funktionierte. Es war sehr still im Raum. Direkt unter der hohen Decke lief an der linken Wand eine Fensterreihe entlang. Sie sah ein Stück blauen Himmels und Baumwipfel. Die Fenster waren viel zu hoch für sie und unmöglich zu erreichen. Selbst wenn sie etwas fände, um hinaufzuklettern, brauchte sie keinesfalls damit zu rechnen, daß sie dann auch durch die Fenster ins Freie gelangen könnte. Trotzdem ging sie vorsichtig weiter. Der Raum hatte die Form eines L. Die rechte Wand war nach etwa zwei Dritteln ihrer Länge von einem Mauervorsprung unterbrochen. Sie konnte nichts spüren, war sich jedoch nicht ganz sicher, ob hinter der Ecke nicht jemand auf sie wartete. Aber dort war niemand. Auch dieser Teil des Raums war kahl wie der übrige Raum. Am Ende sah sie eine zweite geschlossene Tür, die ein wenig kleiner war als die erste. Sie ging zur ersten Tür zurück; eine Gänsehaut überlief sie, als sie einen Gedankenfühler aussandte. Ihre Gedankensperren schlossen sich abrupt zu ei-
nem undurchdringlichen Schild. Jemand war in das psi-blockierte Gebäude gekommen. Einer oder mehrere ... Sekunden später ging die größere Tür auf. Drei hochgewachsene Leute kamen herein.
11 Telzey wußte sofort, daß es drei Psis von jenem Typ waren, die aufzuspüren man sie konditioniert hatte. Was immer sie auch waren, sie glichen in keiner Weise den Elaigar-Gedankenriesen, deren Abbildungen sie in den alten nalakianischen Unterlagen entdeckt hatte. Sie konnten allerdings etwa so groß wie diese sein, und die kleinste Gestalt in einem weiten blauen Kapuzenmantel, wie ihn die Frauen von Sparan trugen, maß sicherlich gute zwei Meter, reichte aber ihren beiden Gefährten, welche die grauen Mäntel der Sparanermänner trugen, nicht einmal bis zur Schulter. Ein goldener Schleier bei der Frau, weiße bei den Männern verhüllten ihre Gesichter unterhalb der Augen und fiel bis auf die Brust herab. Selbstverständlich waren sie keine Sparaner. Telzey lächelte ihnen entgegen, wenn auch ihr Herz raste. »Ich hoffe, ich bin hier nicht unerwünscht eingedrungen«, sagte sie. »Vor einer Minute war ich noch im Luerral Hotel, und ich habe nicht die mindeste Ahnung, wie ich hierher gekommen bin. Könnt ihr mir sagen, wie ich wieder zum Hotel zurückkomme?« »Ich bin davon überzeugt, du weißt selbst am besten, daß du nicht ganz so zufällig hier bist«, antwor-
tete die Frau mit unpersönlicher Stimme. »Wir werden dich später zu einigen Leuten bringen, die dich sehen wollen. Und jetzt bleib still stehen, damit ich dich durchsuchen kann.« Sie hatte sich, während sie sprach, Telzey genähert und dabei ihre goldfarbenen Handschuhe ausgezogen. Telzey stand still da. Die Männer hatten sich nach links zur Wand umgedreht, wo plötzlich eine Vertiefung sichtbar wurde, der Umriß eines Portals. Die Vertiefung sah aus wie ein halbgefüllter Vorratsschrank. Die Männer brachten verschiedene Gegenstände heran, während die Frau Telzey sehr schnell abtastete. Der Kommunikator und der Spurensucher des Psychodienstes verschwanden unter dem blauen Mantel. Sonst nahm ihr die Frau nichts weg. »Bleib stehen, wo du bist«, sagte sie und richtete sich auf. Sie wandte sich zu ihren Gefährten um, die nun einige ausgewählte Gegenstände in zwei Behälter packten, die sie dem Schrank entnommen hatten. Sie arbeiteten methodisch, wenn auch einigermaßen hastig, und sprachen ab und zu ein paar Worte in einer Sprache, die Telzey nicht kannte. Endlich schlossen sie die Behälter und legten schließlich ihre Sparanschleier und die weiten Mäntel ab. Telzey beobachtete sie. Der erste Blick in ihre Gesichter löste gemischte Gefühle in ihr aus. Es waren gut geschnittene, starke Gesichter von großer Famili-
enähnlichkeit. Aber sie verrieten deutliche Ähnlichkeit mit den grausamen Katzengesichtern von Nalakia. Sie brauchten in der Öffentlichkeit die Tarnung der Sparanschleier, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Die Körper paßten zu den Gesichtern. Die Frau trug Hosen, Stiefel und ein Hemd mit kurzen Ärmeln – die Männer waren sehr ähnlich gekleidet –, und um die Hüften trugen alle einen Waffengurt. Die Frau war langgliedrig, groß und sah ungemein schlank aus, wenn sich auch bei jeder ihrer Bewegungen erkennen ließ, daß ihre Arme und Beine mit kräftigen Muskeln ausgestattet waren. Ihr Hals war eine runde, kräftige Säule, die Schultern fielen ziemlich stark ab. Ihr Brustkorb war ungewöhnlich stark entwickelt, die Taille sehr schmal und der Bauch flach. Sie unterschied sich vom menschlichen Standard etwa so, wie sich Tiere einer Rasse voneinander unterscheiden, ungefähr wie Hunde, von denen eine Spezies für den Kampf gezüchtet worden war, die andere aber nicht. Ihre Gefährten waren die genauen männlichen Gegenstücke, nur größer, breiter, schwerer und mit viel kräftigeren Muskeln. Mentale oder emotionelle Eindrücke kamen von keinem der drei. Sie waren sehr dicht abgeschirmt. Jetzt öffnete sich die Tür am anderen Ende des Raumes, und ein dritter Mann des gleichen Typs kam
herein. Er war fast so gekleidet wie die anderen, nur war alles, was er trug, dunkelgrün. Statt einer Schußwaffe hing ein breites Messer in der Scheide an seinem Gürtel. Er warf Telzey einen Blick zu, sagte dann etwas in seiner Sprache, und die Frau schaute nun auch Telzey an. »Wer bist du?« fragte Telzey die Frau. »Ich heiße Kolki Ming. Ich fürchte, jetzt ist nicht die richtige Zeit für Fragen. Wir haben zu arbeiten«, antwortete sie und deutete auf den dritten Mann. »Tscharen wird dich jetzt übernehmen.« »Wir gehen«, befahl Tscharen Telzey. Sie waren wieder in einem Portalsystemkreis, aber als sie den Raum verlassen hatten, in dem Telzey in die Falle gegangen war, benützten sie keine Türen mehr. Die Portalabschnitte, durch die sie traten, waren klein und dürftig, verglichen mit den luxuriösen des Luerral Hotels; in diesen fensterlosen Löchern hatten sehr viel früher einmal Leute gelebt. Die Lichtanlagen und automatischen Einrichtungen funktionierten noch, auch einige Möbel standen herum. Aber alles erweckte den Eindruck, lange nicht mehr benützt worden zu sein. Psi-Barrieren umschlossen jede Abteilung. Die Portale waren in keiner Weise gekennzeichnet, aber Tscharen ging weiter, ohne zu zögern. Sie kamen zu einer Wand, und die Wand schien sich vor ihnen
aufzulösen; und als sie durch die Wand gegangen waren, befanden sie sich anderswo – irgendwo, und dieses Irgendwo unterschied sich kaum von der Abteilung, die sie eben verlassen hatten. Nach dem sechsten Portaldurchgang betrat Tscharen einen Raum und sperrte einen Wandschrank auf. In diesem Schrank befand sich ein Sichtschirm. Er drückte Knöpfe und drehte an Skaleneinstellungen, und auf dem Schirm erschien ein hell erleuchteter und reich möblierter Raum, der das Empfangszimmer eines großen Hauses sein konnte. Niemand war in Sicht, und es war auch nichts zu hören. Tscharen studierte den Raum etwa eine Minute lang und schaltete den Schirm wieder aus. Nachdem er den Schrank geschlossen und versperrt hatte, bedeutete er Telzey, sie solle ihm weiter folgen. Sie kamen durch zwei weitere Portale. Durch das zweite betraten sie den großen Raum, den Telzey auf dem Sichtschirm gesehen hatte. Sie taten ein paar Schritte über dicke Teppiche, doch dann wirbelte Tscharen unvermittelt herum. Telzey sah plötzlich eine Pistole in seiner Hand, dann stürzte er. Jemand landete hinter ihr mit einem grellen Schrei auf dem Boden, und eine große Pranke griff nach ihrem Jakkenrücken unter dem Kragen. Einen Augenblick lang starrte ein Gesicht in das ihre. Dann wurde sie heftig, fast brutal zur Seite gestoßen, und als sie vom Tep-
pich aufblickte, kamen die Riesen durch eine Tür am anderen Ende herein. Sie bewegten sich wie Raubtiere. Es gelang ihr gerade noch, wieder auf die Füße zu kommen, da waren sie auch schon da. Einer griff nach ihrem Arm und hielt sie wie mit einer Eisenklammer fest, aber ihre Aufmerksamkeit galt eigentlich nur Tscharen. Sie umringten ihn und blieben in ständiger Bewegung. Er schien sich wieder erholt zu haben und kämpfte erbittert. Ein paar zornige Rufe waren zu hören. Gefühlswellen brodelten, Psi-Energien brandeten wie Brecher heran. Telzeys Blick flog zur Wand, durch die sie und Tscharen gekommen waren. Dort, wo sich das Portal für kurze Zeit geöffnet hatte, waren Griffe über der Tür befestigt. Dort oben hatten Tscharens Angreifer gelauert. Er und die anderen hatten also gewußt, daß er und vielleicht noch jemand hier entlang kommen würden. Der Psi-Tumult verebbte allmählich. Das Knäuel löste sich und sie standen wieder auf. Tscharen lag mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden. Seine Hände waren ihm auf dem Rücken gefesselt. Er rührte sich nicht. Zwei blieben bei ihm zurück. Die anderen nahmen Telzey in einen Halbkreis. Sie schluckte heftig. Mehr als ein Dutzend dieser Riesen schauten sie an. Ihre Gesichter waren im Moment recht ausdruckslos. Sie waren so dunkelgrün
gekleidet wie Tscharen, und an ihren Gürteln hingen Pistolen und Messer. Die meisten waren vom gleichen Typ wie er, aber zwei waren kleiner, leichter, von nicht ganz so kräftigem Knochenbau; es waren Frauen. Vier aus der Gruppe gehörten einem anderen Typ an. Sie waren zwar nur wenig größer als die anderen, aber sehr viel wuchtiger gebaut. Aus den alten Unterlagen war unmißverständlich hervorgegangen, was sie sein mußten – die alten Psi-Riesen von Nalakia, die Elaigar. Einer sagte etwas zu dem, der Telzeys Arm festhielt. Für einen Augenblick zuckten Gedankenmuster durch ihr Bewußtsein. Sie schienen nicht recht zu wissen, was sie davon halten sollten, daß sie in Tscharens Gesellschaft gewesen war. Sie sah den Riesen an, der gesprochen hatte. Seine düsteren Augen zogen sich zusammen. Ein Gedankenfühler stieß nach ihr. Ihr Schild schirmte sie völlig ab. In dem breiten Gesicht zuckte Interesse auf. Die anderen bewegten sich und verhielten sich dann wieder ganz ruhig. Sie wußten jetzt also, daß sie eine Psi war. Der Elaigar stieß mit einem starken Gedankenfühler gegen ihren Schild. Das war kein Versuch, sondern Ernst. Telzeys Abwehr hielt stand. Ein paar von
den anderen grinsten. Er grunzte etwas und schien enttäuscht zu sein. Dann wiederholte er seinen Vorstoß, diesmal aber mit der Gewalt eines Rammbocks. Telzey schlug mit aller Kraft zurück und traf einen harten Schild. Seine Augen weiteten sich vor Staunen. Die anderen lachten röhrend. Der Lärm endete mit einem Schlag. Gesichter wandten sich der Tür zu, Hände bewegten sich zu den Pistolen und Messergriffen. Telzey folgte ihren Blicken. Ein Gedankenspeer von Angst stieß nach ihr. Etwa zehn Meter von ihr entfernt stand ein Tier im Raum, das sie aus roten Augen fixierte. Es hatte einen massiven Kopf und Körper und mächtige Vordertatzen – einer der Teleport-Killer. Das Tier bewegte sich nicht, aber Haltung und Blick waren die verkörperte Drohung. Selbst die Riesen schienen sich unbehaglich zu fühlen. Das Tier verschwand. Eine barsche Stimme war von der Tür her zu vernehmen, und ein weiterer riesiger Elaigar schritt in den Raum. Eine humanoide Gestalt in grüner Uniform folgte ihm. Erst einen Moment später bemerkte Telzey, daß der Neuankömmling eine Frau war. Sie unterschied sich kaum von den anwesenden Männern ihres Typs, wenigstens körperlich nicht. Aber sie strömte eine geradezu wütende Energie aus, die sich auch in ihrem brutalen Gesicht unter struppigem
schwarzem Haar ausdrückte. Durch ihren Schild wallte Telzey ein mächtiger Geist entgegen, der sich jedoch sofort wieder zurückzog. Die Riesin sagte etwas zu dem Humanoiden, während sie sich Telzey näherte, dann wandte sie sich zu Tscharen um und sprach die anderen mit tiefer, barscher Stimme an. Die anderen benahmen sich so, als sei die Frau ihnen in jeder Weise überlegen. Der Humanoid blieb vor Telzey stehen, nahm ein Instrument aus der Tasche der Uniform, hielt es an seinen Mund und sprach mit hoher, schriller Stimme ein paar Sätze. Dann steckte er das Ding wieder weg. Er schaute zu dem Riesen auf, der Telzeys Arm noch immer festhielt. Der Riese knurrte ein paar Worte und ging weg. Telzey und der Humanoid sahen einander an. Er war nicht viel größer als sie, aber seine Erscheinung ließ auch nichts besseres ahnen, als die der Riesen. Der große Kopf war kugelrund und war ebenso wie die Hände mit einer Haut bedeckt, die wie pflaumenfarbener Samt aussah. Die weitgesetzten Augen waren weiße Kreise, mit schwarzen Punkten als Pupillen. Ohren, Nasenlöcher oder andere Wahrnehmungsorgane waren nicht zu erkennen. Der Mund war eine lange, gerade und lippenlose Linie. Um den flachen Körper lag ein breiter Gürtel, an dem Pistolen, Messer und etliche Instrumente hingen, deren Zweck Telzey nicht zu erkennen vermochte.
Zwei von diesen Instrumenten nahm er ab, trat zu Telzey und ließ sie über ihre Kleider gleiten. Also wurde sie wieder durchsucht, und sie blieb ruhig stehen. Pflaumengesicht ging methodisch vor und sehr gründlich. Alles, was er fand, besah er sich kurz und steckte es dann in eine seiner Taschen. Sogar den Luerral-Ringschlüssel zog er von Telzeys Finger. Dann hängte er die Suchgeräte wieder an seinen Gürtel und sprach mit jemandem, der hinter Telzey stand. Dieser Jemand trat vor Telzey. Wieder ein neuer Typ. Dieser hier war auch nur etwa von Telzeys Größe und ging aufrecht auf zwei Beinen. Sonst hatte er keinerlei Ähnlichkeit mit den Menschen. Sein Kopf sah aus wie der eines großen grünen Käfers mit weichem Panzer, und seine Kiefergelenke waren so weit zurückgesetzt, daß der Mund fast um den ganzen Kopf zu gehen schien. Ein welliges Band mit gelben Kreisen lief über den oberen Teil des Gesichtes und schien die Augen darzustellen. Was von Armen und Beinen sichtbar war, endete in knochigen Händen und schmalen, beschuhten Füßen. Er war sehr grobknochig und von knorrigen Gelenken, und auch Hände und Füße waren so grün wie sein Kopf. Diese Kreatur blieb stehen. Pflaumengesicht hatte ihn wohl mit seinem Kommunikator herbeigeholt. Zwei der Gruppe hoben nun Tscharen auf und trugen ihn hinaus. Die Riesin schnarrte einen Befehl. Der
Rest der Leute ging zur Tür. Sie sah zu, wie sie verschwanden, und drehte sich dann brüsk um. Telzey fühlte eine erregende Angst. Dann sprach der Elaigar ein paar kurze, barsche Worte. Der grüne Fremde sprach Telzey in perfektem, weichem Translingua an. »Du bist in der Gegenwart von Stiltik, Oberbefehlshaberin der Elaigar. Ich soll dir ihre Instruktionen übersetzen, und ich rate dir dringend, ohne zu zögern genau all das zu tun, was sie dir aufträgt.« Die Kiefer hatten sich nicht bewegt, aber ein kurzes Rohr ragte nun aus dem Tierhals. Von da war auch die Stimme gekommen. Das Ende des Rohres war aufgespalten und formte flexible Lippen mit einer fleischigen blauen Zungenspitze dazwischen. Stiltik sagte etwas, und der grüne Fremde übersetzte: »Du mußt sofort deine Gedanken für Stiltik öffnen. Sofort.« Aber das wollte Telzey ganz gewiß nicht tun. »Ich soll meine Gedanken öffnen?« fragte sie. »Ich weiß gar nicht, was das bedeutet.« Stiltiks Blick ruhte hart auf Telzey. Sie knurrte eine kurze Antwort. Das Käferwesen schien betrübt zu sein. »Stiltik sagt, du lügst. Bitte, ärgere sie nicht. Sie wird sehr schnell zornig.« Telzey schüttelte hilflos den Kopf. »Aber das ist doch unmöglich! Ich ...«
Diesmal wartete Stiltik nicht auf die Übersetzung. Gegen Telzeys Schild drückte eine ungeheure PsiEnergie und preßte ihn wie mit einer riesigen Eisenfaust zusammen. Telzey keuchte. Sie hatte Angst vor Stiltik, wenn auch nicht vor diesem Angriff. Ihr Schild hatte gehalten, sogar unter dem Anprall der ungeheuren Psi-Energie einer großen Maschine beim Training. Ähnliche Kräfte wie solche Maschinen konnte, soviel sie wußte, kein lebender Geist erzeugen. Stiltik schien zu begreifen, daß sie auf diese Weise gar nichts erreichte. Abrupt hörte der Druck auf. Sie starrte auf Telzey hinab, schniefte und beugte sich vor. Der Mund zeigte ein Lächeln mörderischen Zornes, und die riesigen Pranken griffen nach Telzey. Und Telzey wußte, daß es im Moment eines unerträglichen Schmerzes keinen Schrei gibt, denn Lungen und Kehle scheinen gelähmt zu sein. Sie hätte den Schmerz etwas dämpfen können, aber Stiltik war in Mörderlaune, und irgendwie bot der Schmerz eine Fluchtmöglichkeit. Er floß durch sie wie Feuerströme. Der Schock umnebelte ihren Geist, und sie fand sich zitternd auf dem Boden liegen, doch ihr Schild hatte gehalten. Stiltik röhrte etwas. Schritte entfernten sich. Dann wurde es um sie herum dunkel.
12 So konnte sie nicht lange bewußtlos gewesen sein, und sie hatte auch lange nicht so große Schmerzen wie erwartet, als sie aufwachte; sie hielt die Augen geschlossen, wußte aber, daß sie nicht allein war. Sie lag auf der Seite, und jemand mußte sie auf ein hartes Polster gelegt haben. Die ganze Umgebung war psi-blockiert, aber die Barriere wirkte nicht beengend, und so mußte es also ein ziemlich großes Gebäude oder ein sehr großer Raum sein. Ihr Warnmechanismus registrierte die Anwesenheit von einem oder mehreren Elaigar. Etwas berührte sie an einer Körperstelle, die noch sehr schmerzte. Aber um die berührte Stelle herum begann sich der Schmerz aufzulösen, etwa so, als breite sich eine sanfte Kühle aus, die ihn betäubte. Also wurden ihre Verletzungen behandelt, die ihr Stiltik beigebracht hatte. Offensichtlich war es eine sehr wirksame Behandlung, das fühlte sie. Wer befand sich also in ihrer Umgebung? Telzey lockerte ganz vorsichtig ihren Schild und tastete langsam und behutsam. Nach einer Minute etwa berührte eine vage Gedankenform ihr Bewußtsein. Kein Psi-Talent ... Das war relativ leicht festzustellen. Dann ein Psi-Schild in der Nähe ... Die Berührung, die den Schmerz von ihr nahm, zog
sich zurück. Es blieb nur ein winziges körperliches Unbehagen. Dann wurde eine schmerzende Stelle nach der anderen behandelt. Eine Mischung fremder Gedankeneindrücke begleitete diese Tätigkeit. Allmählich wurden sie durchsichtiger, begreifbar wie eine halbverstandene Sprache. Der xenotelepathische Teil ihres Gehirns funktionierte. Ihr Schutzschild schloß sich. Ein ElaigarGedankenschwall hatte das ausgelöst. Jetzt war er wieder weg. Aber da wirbelte eine Wut um sie auf, die von einem telepathischen Geist herrührte, der nicht geschützt zu sein schien, sondern völlig offen lag. Ein Elaigar-Geist. Die Wut war jedoch nicht gegen Telzey gerichtet. Der Riese schien gar nicht zu wissen, daß sie in der Nähe war. Der Eindruck verblaßte und kehrte nicht wieder. Telzey wartete eine Minute, stieß mit einem Gedankenfühler gegen den Psi-Schild, den sie vorhin bemerkt hatte, nahm aber nichts auf. Es war ein dichter Schild. Ein psi-unbefähigter Geist, der jedoch gegen Gedankenfühler abgeschirmt war. Sie kehrte zu den fremden, offenliegenden Gedankenstrukturen zurück. Jetzt wußte sie auch, daß sie von zwei Individuen erzeugt wurden. Es war eine sanfte Spezies ohne Mißtrauen. Telzey bewegte sich mit Leichtigkeit in beiden Geistern. Der eine war Stiltiks grüner Dolmetscher namens Couse.
Couse war weiblich. Couses Rasse nannte sich die Tanven. Ihr Gefährte war Sasar, männlich, Arzt. Es waren freundliche Käfergesichter. Sie selbst hatten viele Probleme und keine glückliche Zukunft vor sich. Aber im Moment tat ihnen der Mensch unendlich leid, der von Stiltik mißhandelt worden war, und sie taten alles, was sie konnten, ihm zu helfen. Telzey las den Gedanken »die Menschin«. Das amüsierte sie. Sie konnten viel wirksamer helfen, als sie wahrscheinlich glaubten. Telzey zapfte ihre Gedächtnisspeicher an, aus denen sie unauffällig und vor allem ohne daß sie es wußten, Informationen erhalten konnte, und begann behutsam Fragen zu stellen. Sie spürte keinen Widerstand. Die Antworten kamen automatisch. Nachdem sie das Bewußtsein verloren hatte, hatte Essu sie hierher gebracht. Essu war das Pflaumengesicht, der uniformierte Humanoide. Er war ein Tolant, Chef von Stiltiks Tolant-Kompanie. Stiltik hatte Couse befohlen, Sasar herbeizurufen, welcher der geschickteste Arzt unter ihrem Kommando war; er sollte die Verletzungen der »Menschin« heilen und sie wieder zu Bewußtsein bringen. Sie war eine sehr wertvolle Gefangene, die in Essus Obhut bleiben sollte, bis Stiltik nach ihr schickte. Die Tanven wußten nicht, wann das sein würde. Aber es konnte lange dauern, denn Stiltik befragte nun den anderen Gefangenen.
Essu wartete auf dem Gang vor dem Raum, ihm gehörte also der Psi-Schild, wenn auch die Tanven nicht zu wissen schienen, daß Stiltik ihn mit diesem Schild ausgestattet hatte, der seine Gedanken vor anderen Psi-Talenten schützte. Essu war eine Art Adjutant und arbeitete als ihr Henker und Folterknecht. Eine grausame, gerissene Kreatur! Die Tanven fürchteten ihn fast so sehr wie Stiltik selbst. Sie wußten nicht, daß sich in der Nähe ein Elaigar befand. Sie glaubten, in diesem Gebäudeteil mit Essu und Telzey allein zu sein. Früher einmal war das Gebäude eine Klinik gewesen, wurde jetzt jedoch selten benützt. Die schlechtgelaunte Riesin schien jetzt weit entfernt zu sein. Telzey holte weitere Informationen ein. Die Elaigar hatten Angehörige vieler Rassen versklavt, nicht nur die Tanven und Tolant. Riesen von Stiltiks Art nannten sich Sattaram und stellten fast die gesamte Führerschaft. Die niederen Elaigar waren Otessaner. Tscharen gehörte zur dritten Kaste, die Alatter genannt wurden; sie sahen aus wie Otessaner und maskierten sich gelegentlich. Die Alatter waren mit den Sattaram und Otessanern verfeindet, und Couse und Sasar hatten Gerüchte vernommen, daß eine Alatter-Streitmacht gegenwärtig versuche, in den Systemkreis einzubrechen. Nun zog sich Telzey aus den Tanven-Gehirnen zurück, hielt aber den Kontakt aufrecht. Die beiden
Tanven waren im Moment nur von begrenzter Nützlichkeit. Sie wußten zu wenig über die Elaigar. Wenn Telzey versuchte, etwas ganz Spezifisches herauszuholen, verwischte sich sofort das Gedankenmuster. Sie erfuhren von ihren Meistern nur so viel, daß sie ihren Pflichten nachgehen konnten. Sie hatten auch nur ein sehr unklares Bild von den Portalsystemkreisen, welche die Elaigar auf Tinokti besetzt hielten. Es mußte ein sehr ausgedehntes System sein, aber sie kannten nur einen geringen Teil davon. Man hatte ihnen Schlüssel zur Verfügung gestellt, mit denen sie sich in einem begrenzten Gebiet bewegen konnten. Auf das, was jenseits lag, waren sie nicht neugierig. Sie hatten zum Beispiel nie über die Lage von Ausgängen zur Außenwelt nachgedacht. Flucht war etwas, an das sie keinen Gedanken verschwendeten. Sie kannten die Bedeutung des Wortes nicht einmal. Die Elaigar hatten sie ungemein geschickt konditioniert. Pflaumengesicht war als nächster an der Reihe. Er mußte auf sie aufpassen, und die Tatsache, daß er Stiltiks Adjutant war, konnte für die Föderation außerordentlich wichtig sein. Aber sein Psi-Schild war ein Problem. Telzey glaubte, es vielleicht durchstoßen zu können, wenn sie Zeit genug hatte. Aber Stiltik konnte zurückkehren und bemerken, was Telzey tat. Dann würde sie mit absoluter Sicherheit dafür sor-
gen, daß Telzey das Handwerk gelegt wurde. Bei Essu wollte sie daher noch ein wenig warten. Der Schild war vielleicht nicht sehr flexibel. Inzwischen konnte sie sich mit dem vierten Gehirn beschäftigen. Es war ein Elaigar. Gewisse Eindrücke ließen vermuten, daß dieser Elaigar nur wenig auf seinen Schild achtete. Er schien sich keiner anderen Psi-Gegenwart bewußt zu sein. Aber wenn er argwöhnte, daß man nach ihm tastete, würde er nach der betreffenden Person suchen. Er war jedenfalls wütend und mit anderen Gedanken beschäftigt, und Telzey glaubte schließlich, es wagen zu können. Langsam griff sie aus nach dem Bewußtsein dieses Elaigar. Ein Schirm war da, doch er saß so locker, daß er keine Schwierigkeiten bot. Die Gedankenströme dahinter liefen ungeordnet durcheinander. Verrückt, dachte sie. Ein alter kranker Mann, der nicht mehr klar zu denken und zu entscheiden vermochte und sich mit Problemen herumschlug, für die es gar keine Lösung gab. Und dabei steigerte er sich immer wieder in eine irre Wut hinein. Telzey ließ einen Gedankenfühler zurück und machte eine kleine Pause, und ... Stiltik! Sie zog alle Gedankenfühler ein und kapselte sich ab. Irgendwo war Stiltik. Innerhalb der diesen Kom-
plex umgebenden Psi-Barrieren hatte sich ein Portal geöffnet, und Stiltik war durchgekommen. Jetzt prallte ein Signal gegen Essus Schild, und er wurde durchlässig. Wenige Sekunden später schloß er sich wieder. Der Tolant hatte seine Befehle empfangen. Aber Stiltik war noch immer da. Telzey fühlte, wie ein Suchgedanke herumtastete. Sie konnte sich völlig sperren, aber dann würde Stiltik wissen, daß sie wieder bei Bewußtsein war. Deshalb ließ sie ein wenig Psi-Energie heraussickern, wie das bei einem Bewußtlosen der Fall ist. Etwas drückte sehr vorsichtig gegen ihren Schild, zog sich wieder zurück. Dann prallte ein harter, lähmender Pfeil gegen sie, ein zweiter. Ein bewußtloser Patient würde dadurch wohl kaum wieder zu Bewußtsein kommen. Vielleicht sah Stiltik das ein, denn sie unternahm nichts weiter. Als Telzey zwei Minuten später ihre Umgebung abtastete, war im Gebäude keine Spur der Riesin mehr wahrzunehmen. Essu stand unter der Tür des Raumes und wollte wissen, wie lange Sasar noch brauchen würde, bis die »Menschin« wieder auf den Beinen stehen konnte. Durch Couses Gehirn nahm Telzey die Unterhaltung auf. Essu verstand die Sprache der Tanven nicht, Sasar nicht die der Tolant oder Elaigar. Essus Ungeduld machte dem Arzt Angst, doch er verhielt sich tapfer. Couse erklärte, Stiltiks Instruktionen hätten gelautet, er
solle sich davon überzeugen, daß die »Menschin« keine ernstlichen Verletzungen habe. Ihre Genesung schien sehr gute Fortschritte zu machen, doch die noch immer fortdauernde Bewußtlosigkeit war kein gutes Zeichen. Essu erteilte ein paar sehr scharfe Anweisungen und kehrte auf seinen Posten vor der Tür zurück. Telzey kopierte das Signal, das Essus Schild geöffnet hatte. Ihr Suchgedanke schlüpfte in sein Gehirn. Jetzt mußte sie ungeheuer flink arbeiten. Wenn Stiltik zurückkam, ehe Telzey fertig war würde sie zweifellos entdeckt werden. Aber es war leichter, als sie erwartet hatte. Essus Geist war ausgezeichnet präpariert. Als sie so das ganze Gedankensystem durchforscht hatte, wußte sie auch, daß sie es verstand; die meisten Konzepte der Tolant wurden ihr verständlich. Sofort klärte sie eine wichtige Frage. Was hatte er zu tun, sobald Telzey erwachte und Sasar ihren Zustand für befriedigend erklärte? Die Antwort kam sofort. Essu würde sie zu Stiltiks Privatversteck bringen und dort bei Telzey bleiben, bis Stiltik sie zu sehen wünschte. Dieses Versteck war ein kleiner versiegelter Kreisabschnitt, den nur Stiltik und Essu kannten. Stiltik war der Meinung, der menschliche Psi sei ein sehr wichtiger Fang. Sie wollte nicht, daß ihre Feinde davon hörten, solange sie nicht aus dem Alatter die Wahrheit herausgequetscht
hatte. Und Telzeys Geist wollte sie ebenfalls nach Informationen durchsuchen, die sie politisch nutzen konnte. Stiltik schien mit Boragost einen erbitterten Machtkampf zu führen; er war der andere Oberbefehlshaber im Elaigar-Kreis. »Ich weiß, daß du diesem Elaigar entkommen willst«, flüsterte ihr ein Gedanke zu. »Willst du mir erlauben, dich zu begleiten?« Das war ein Schock für Telzey. Ein Menschengedanke. Und doch hatte nichts auf die Nähe eines anderen Menschen hingedeutet! Sie schickte also die Frage zurück: »Wer bist du?« »Ich heiße Thrakell Dees, bin ein Mensch und nicht weit entfernt. In einer Minute könnte ich bei dir sein.« »Mir scheint, hier ist etwas, das zu den beiden Tanven-Geistern gehört, mit denen ich in Verbindung stand«, bemerkte Telzey. »Vielleicht stammt es von einem dritten Tanven. Aber wenn man es genau prüft, ist es nur der Eindruck eines Tanven-Geistes.« Einen Moment herrschte Schweigen. »Eine projizierte Tarnung«, erwiderte Thrakell Dees' Gedanke. »Eines der von mir entwickelten Mittel, um in dieser Teufelshöhle am Leben zu bleiben.« »Wieso bist du hier?« »Vor mehr als sechs Jahren ging ich hier in die Falle, als plötzlich die Elaigar erschienen. Ich habe keinen Weg hinaus gefunden.«
Telzey tastete Essus Geist ab. »Soll das heißen, daß du nicht weißt, wo die Ausgänge nach Tinokti sind?« fragte sie, als sie festgestellt hatte, daß Essu keine Gefahr darstellte. »Ich habe nur eine ungefähre Ahnung, wo sie sein müßten. Sie sind aber auf alle Fälle sehr scharf bewacht.« »Ist außer dir noch jemand da?« »Nein, ich bin der letzte. Vor einem Jahr begegnete ich noch einem Überlebenden, der aber wenig später getötet wurde. Die Elaigar bringen von Zeit zu Zeit gefangene Menschen hierher, aber keiner ist je entkommen oder hat lange gelebt. Heute erfuhr ich von einem Diener, daß Stiltik einen menschlichen Psi in die Falle gelockt hat. Deshalb hielt ich nach dir Ausschau. Ich dachte, vielleicht könnte ich dir helfen. Aber du scheinst andere Pläne zu haben. Wir könnten uns zusammentun. Möglich, daß ich dir von großem Nutzen sein kann.« »Was weißt du über meine Pläne?« fragte Telzey. »Nichts genaues. Deine Gedanken sind zu sehr verschlossen. Aber ich habe die Antworten verfolgt, die du den Tanven entlockt hast. Sie deuten an, daß du zu fliehen beabsichtigst.« »Na, schön«, gab Telzey zu, »ich will fliehen. Wenn du willst, kannst du mitkommen. Aber jetzt stör mich nicht, denn ich habe zu tun. Die Tolant werden mich
bald wegbringen. Kannst du mir folgen, ohne daß man dich sieht?« »Mich sieht man nur, wenn ich es will.« Seine Antwort klang amüsiert. »Ich kann dir im allgemein zugänglichen Systemkreis leicht folgen, und ich habe auch einige Schlüssel für gewisse versiegelte Gebiete. Natürlich nicht für alle.« »Wir werden eine Weile in einem versiegelten Gebiet sein, aber wir kommen bald wieder heraus«, antwortete Telzey. »Jetzt wollen wir nicht mehr sprechen. Ich werde aufwachen.« Telzey bewegte sich, öffnete die Augen und schaute in Couses grünes Käfergesicht. Dann sah sie Sasar, der sich ein wenig zurückgezogen hatte, als sie sich bewegte. »Was ist passiert?« fragte Telzey. »Du bist doch der Dolmetscher ...« »Ja, ich bin die Dolmetscherin«, antwortete Couse. »Frag die Menschin, wie sie sich fühlt«, bat Sasar die Dolmetscherin. Telzey konnte den Gedanken sofort lesen, auch wenn sie die Sprache nicht verstand. Essu hörte die Stimmen und erschien unter der Tür. Couse gab die Frage weiter und erklärte, Sasar sei Arzt und habe Telzeys Verletzungen behandelt. Daraufhin bewegte sich Telzey vorsichtig und tastete ihren Körper ab.
»Er ist ein sehr guter Arzt«, sagte sie zu Couse. »Hier und da habe ich eine empfindliche Stelle, doch das ist alles.« Das übersetzte Couse erst für Sasar, dann für Essu, der ein wenig Translingua verstand, aber nie sicher war, ob er alles richtig mitbekommen hatte. »Wenn die Menschin wach ist, nur noch ein wenig Schmerzen hat und laufen kann, ist sie gesund genug, so daß wir den Arzt wegschicken können. Ihr beide verschwindet jetzt sofort!« Die Tanven gingen. Um Telzeys Taille lag ein Gürtel aus Metallgewebe; eine Leine hing daran, die an der Wand befestigt war. Diese Leine löste Essu von der Wand und zerrte daran, so daß Telzey zu Boden fiel. In Essus Hand erschien plötzlich ein grüner Stab. Er deutete damit auf Telzeys Beine, in denen sie zwei scharfe Stiche verspürte. »Auf!« herrschte Essu sie an. Sie stand auf. Er schob ihre Hände durch Schlingen und zog diese um die Handgelenke fest. Dann zerrte er Telzey an der Leine aus dem Raum. Essu wandte sich nach links; eine geschlossene Tür blockierte den Weg. Essu nahm etwas aus der Tasche und drückte das Instrument gegen das Türschloß; sofort schwang die Tür auf, fiel hinter ihnen aber wieder zu. Elaigar-Gedanken in Telzeys Geist ... Der alte Mann wurde aktiv. Das hier schien sein Gebiet zu
sein, und Essu wußte nichts davon. Vor ihnen war ein Durchgang in der Wand, vor dem schwere Vorhänge hingen. Als sie davor standen, wurden die Vorhänge zur Seite geschoben, und ein riesiger Sattaram stand vor ihnen. Essu hatte Angst. Die Hand des Riesen holte mit unglaublicher Geschwindigkeit aus, und Telzey taumelte, von dem Schlag halb betäubt, gegen die Wand. Mit gefesselten Händen konnte sie ihr Gleichgewicht nicht halten, und sie setzte sich auf den Boden. Der Riese zog ein großes Messer aus dem Gürtel und schaute auf sie hinab. Eine Menschin! Eine Menschenjagd hatte er schon lange nicht mehr erlebt. Er grinste. Telzey fühlte mehr Ekel als Angst. Essu rettete die Situation. Als Telzey stürzte, hatte er die Leine fest in der Hand gehabt, aber er stand mit ausgestreckten Armen da, als wolle er sich ganz von dieser unangenehmen Sache distanzieren. Er wandte sich mit einer Frage an den Elaigar. »Oh, Glorreicher, ist es deine Absicht, Stiltik ihrer Beute zu berauben?« Der alte Sattaram wurde von einer Angstwelle überflutet. Stiltik? Haß füllte seine Augen. Er wandte dem Tolant seinen schweren Kopf zu, drehte sich
dann um und stapfte zur Tür. Die Vorhänge schlossen sich hinter ihm. Essu zerrte Telzey auf die Füße. »Komm, komm!« zischte er in Translingua. Schweigend gingen sie einen Korridor entlang.
13 Die Begegnung hatte sogar den hartgesottenen Essu erschüttert und beschäftigte ihn noch immer. Die grüne Uniform von Stiltiks-Dienern bot sonst Sicherheit gegen schlechte Behandlung seitens anderer Elaigar, selbst wenn sie nicht wußten, daß er Stiltiks Adjutant war. Die alten Elaigar wurden übellauniger und unberechenbarer als je zuvor, und dabei durfte man nicht einmal in Notwehr einen von ihnen töten oder verletzen. Aber was hätte erst Stiltik gesagt, wenn er ihre kostbare Beute nicht lebend zu ihr gebracht hätte? Er überlegte, wie er sich an Telzey dafür rächen konnte, weil er es an dem alten Elaigar nicht tun durfte. Telzey las seine Gedanken, war jedoch viel zu beschäftigt, um darauf zu achten. Der Tolant wußte anscheinend eine ganze Menge über den Systemkreis und was darin vorging. Jetzt erhielt sie weitere Informationen. Die vier Alatter, die sie in den Systemkreis entführt hatten, waren in der Tarnung von Otessanern aufgetreten – Tscharen und Kolki Ming auf Stiltiks Befehl, die anderen beiden in Boragosts Auftrag. Tscharen waren dauernd im Systemkreis stationiert, die anderen wurden mit Aufträgen oft hinausgeschickt. Stiltik hatte Tscharen schon seit ei-
niger Zeit beobachtet, denn ihre Spione hatten ihr gemeldet, daß er in seiner Freizeit versiegelte Sektionen betrat. Sie ließ durch ihre Wissenschaftler Fallen stellen, und deshalb wußte sie auch, daß sie es mit Alatter-Infiltratoren zu tun hatte, die ihr dann auch in die Falle gegangen waren. Aber nur Tscharen und die Menschin waren wirklich gefangen worden, die anderen hatten in versiegelte Sektionen entwischen können. Bis jetzt hatten ihre Leute sie nicht gefunden. Das hier war offensichtlich ein riesiges Portalsystem und mußte etwa so groß sein wie das Luerral Hotel. Essu war in Stiltiks Diensten weit herumgekommen, aber auch er kannte nicht jede Ecke des Systems. Und er kannte auch nicht die Ausgänge; noch weniger hätte er sich ihrer bedienen können. Er wußte auch nicht, wie es den Elaigar gelungen war, einen solchen Komplex zu übernehmen, alle darin lebenden Menschen zu töten und sich hier festzusetzen, ohne daß es auf Tinokti einen Aufstand gab. Kaum eine der Sektionen an ihrem Weg wurde von den Elaigar benützt. Man schien sich durch verlassene Stadtteile zu bewegen, die von einer plündernden Armee überfallen worden waren, die alles mitgenommen hatte, was nicht angewachsen war. Stellenweise waren die Abschnitte wieder so gut erhalten, daß man glauben konnte, die früheren Bewohner hätten sie erst am Tag
vorher verlassen, denn ein großer Teil der Energieund Wasserversorgung funktionierte noch. Aber überall herrschte tiefes Schweigen, und alles war psi-blockiert. Selbst wo Tageslicht oder Sternenschein leere Höfe füllte und blühende Gärten vergoldete, lagen zwischen ihnen und der Welt draußen undurchdringliche Energiebarrieren. Stiltiks Versteck glich in mancher Beziehung den Räumen, durch die Telzey von Tscharen geführt worden war. Es lag in einer dicht versiegelten Sektion, und die Verbindungsportale blieben unsichtbar bis zu dem Augenblick, da Essu mit Telzey hindurchging. Der Tolant schob sie in einen kleinen Raum, schlug die Tür zu und sperrte ab. Sie folgte ihm aber geistig, als er zur Berichterstattung zu Stiltik ging, die jetzt vermutlich auf der anderen Hemisphäre des Planeten Tinokti war. Nach einer Weile kehrte er zurück. Die Befehlshaberin hatte ihm wohl gesagt, es könne noch Stunden dauern, ehe sie nach Telzey schicken würde. Als er die Tür öffnete, lehnte seine Gefangene an der Wand. Essu setzte sich auf das große Feldbett und schaute die Menschin aus runden weißen Augen an. Telzey musterte ihn. Folter und Mord waren die Höhepunkte in Essus Leben. Sie konnte es ihm nicht verdenken, denn er kannte außer Krieg kaum etwas
anderes. Hatten die Tolant einmal keine Nachbarn, die sie überfallen konnten, dann fochten sie Blutsfehden innerhalb des eigenen Volkes aus. Auf die Art wurde die Grausamkeit, das Gegengift für die Furcht, zu einer Tugend. Der Dienst für die Elaigar hatte diese Tendenz in Essu ganz gewiß nicht gebremst. Wäre ihm nicht die Verantwortung für die menschliche Gefangene übertragen worden, hätte er Stiltik bei ihrer Vernehmung Tscharens helfen können. Dieses Vergnügen blieb ihm nun versagt. Deshalb war Telzey ihm etwas schuldig. Er konnte ihr nicht viel antun, denn Stiltik würde ihn dafür zur Rechenschaft ziehen. Deshalb hielt Essu absichtlich Telzey seinen grünen Stab unter die Nase. Telzey seufzte. Essu erwartete von ihr, daß sie Angst zeigte. Den Gefallen konnte sie ihm tun, und sie wich entsetzt zurück. Wenn notwendig, konnte sie Teile von Schmerz einfach ausschalten und den Rest eine Weile ertragen. Zu weit würde es Essu schon nicht treiben, damit sie keine sichtbaren körperlichen Schäden davontrug. Sie hielt die Zeit jedoch für günstig, einiges aus ihm herauszuholen. Sie sandte eine Reihe von Impulsen durch die Kontrollstellen, die sie in Essus Geist geortet hatte. Unter ihrem Zwang richtete Essu den Stab auf seinen Fuß. Einer seiner Finger drückte einen Knopf. Er zog
schnell den Fuß weg und stieß einen schrillen Schrei aus. Dann steckte er den Stab wieder ein. Das war ein guter Beweis für eine wirkungsvolle Kontrolle. Aber sie fühlte sich des Tolant noch nicht ganz sicher. Sie brauchte etwa zehn Minuten, dann stand Essu ganz unter ihrem Einfluß. Zusammen verließen sie das versiegelte Gebiet und liefen leise weiter. Wenig später stand sie auf einem schmalen Balkon über einer riesigen Halle und sah Essu zu, wie er die Halle fast hundert Meter weiter unten durchquerte. Er wußte, wo er Systemkreiskarten finden konnte, ohne Aufmerksamkeit zu erregen, und war nun unterwegs, sie zu holen. Zuverlässige Karten des Portalsystems brauchte sie ganz dringend. Sie hatte eine von Essus Waffen zurückbehalten, eine kleine Pistole, die kaum Übung voraussetzte und auf kurze Entfernungen zur Verteidigung genügte. Sie hatte auch seine Schlüssel behalten und ihm nur jene gegeben, die er zur Erfüllung seines gegenwärtigen Auftrags benötigte. Sie folgte ihm mit den Gedanken. Essu wußte, was er tat, und es kam ihm gar nicht in den Sinn, sich zu überlegen, weshalb er es tat. Er diente ihr mit mechanischer Loyalität, weil er nicht anders konditioniert war. Als er durch das Portal ging, verschwand sein
Gedankenmuster. Aber in der großen Halle und im Gebäude hinter Telzey blieb noch etwas, der vage Eindruck einer Tolant-Mentalität. Also war Thrakell Dees ihr doch unauffällig gefolgt, wie er es gesagt hatte. Telzey überlegte. Kurz nach der Begegnung mit dem alten Elaigar hatte sie Thrakells leichtes, heimliches Tasten an ihrem Schild bemerkt. Gereizt hatte sie zurückgestoßen und eine verblüffte Reaktion notiert. Danach hatte Thrakell keinen weiteren Versuch mehr gemacht. Deshalb hatte sie nicht bestimmt gewußt, ob er in der Nähe war. Vielleicht, überlegte sie, war er eher ein Problem als eine Hilfe. Jedenfalls mußte er sich ganz einwandfrei mit ihr verständigen können, wenn sie zusammenarbeiten und einen Portalausgang erreichen wollten. Bald würde er bemerken, daß Essu die Sektion verlassen hatte, aber Telzey wollte noch etwas warten. Sie ließ sich auf dem Balkon hinter der Balustrade nieder; von hier aus konnte sie das Portal beobachten, durch das Essu bald wieder erscheinen mußte. Die Wartezeit benützte sie dazu, sich die Informationen aus dem Gehirn des alten Elaigar ins Gedächtnis zu rufen, um sie zu sichten. Ein Teil ihrer Aufmerksamkeit galt Thrakells Tolant-Tarnung. Allmählich kam Ordnung in das Durcheinander von Informationen, als sie das Chaos durch ihr Be-
wußtsein filterte. Der Elaigar hieß Korm. Er war ein Suan Uwin gewesen, ein Befehlshaber, doch dann war er in Ungnade gefallen. Und dann folgten ein paar unerwartete Entdekkungen. Diese Elaigar schienen eine viel seltsamere, fremdere Abart der menschlichen Rasse zu sein, als Telzey bisher angenommen hatte. Ihre Lebensspanne war kurz, zu kurz vermutlich, als daß sie aus sich selbst heraus die Zivilisation hätten entwickeln können, die sie brauchten. Andererseits hielten sie körperliche und geistige Anstrengungen für unwürdig. Sie brüsteten sich damit, daß sie die Beherrscher jener waren, die sich Zivilisation und technische Geschicklichkeiten erarbeitet und nun den Elaigar zu dienen hatten. Sie konnte nicht klar ausmachen, wie alt Korm in Föderationsmaßstäben war, aber nach normalen menschlichen Zeitbegriffen konnte er höchstens mittleren Alters sein. Als Elaigar war er dagegen sehr alt. Dieser Nachteil war ein Rassengeheimnis, das vor den Dienern sorgfältig verborgen gehalten wurde. Essu und die Tanven nahmen an, daß Sattaram und Otessaner zwei verschiedene Unterrassen der Elaigar seien, doch die eine war lediglich die reife, die andere die jugendliche Form, und letztere schien sehr plötzlich in die reifere Form überzugehen.
Die Alatter? Eine degenerierte Unterrasse. Sie hatten die Fähigkeit verloren, sich zu Sattaram zu entwickeln, und sie arbeiteten wie Diener, weil sie selbst keine hatten. Darüber hinaus waren die Alatter Feinde, die den Feldzug der Elaigar gegen die menschliche Föderation bedrohen konnten ... Telzey unterbrach ihre Untersuchung von Korms verworrenen, zornigen Gedankeninhalten. Hatte es eine Veränderung gegeben in den maskierten TolantEindrücken, die von Thrakell Dees ausgingen? Ja! »Thrakell?« Keine Antwort. Die Eindrücke schwanden langsam. »Ich weiß, du bist da, und du kannst dich ruhig melden!« fuhr sie ihn an. »Du warst vorher nicht besonders freundlich zu mir«, kam nach einer Weile die mürrische Antwort. Er mußte ziemlich nahe sein. Telzey blickte auf dem Balkon entlang, dann zur Tür, durch die sie gekommen war. Hinter der Tür verlief ein Gang parallel zum Balkon. Dort mochte Thrakell Dees sein. »Von dir war es auch nicht sehr freundlich, als du versuchtest, in meinen Geist einzudringen, als ich anderswo beschäftigt war! Wenn wir zusammenarbeiten sollen, kannst du dir solche Tricks in Zukunft nicht erlauben.« Die fremden Muster verschwammen, ordneten sich,
verschwammen erneut. »Wohin hast du den Tolant geschickt?« fragte Thrakell Dees plötzlich. »Er besorgt mir was.« »Was?« Telzey antwortete nicht. Er versuchte sie hinzuhalten. Ihre Haut begann zu prickeln. Was hatte er vor? Sie schaute den Balkon entlang. Er war nicht da. Aber ... Sie hielt den Atem an. Es war, als habe sie ein verblassendes Bild weggewischt. Sie nahm Essus Pistole aus der Jackentasche und zielte auf die Balkonwand rechts von ihr. Thrakell Dees kam lautlos auf sie zu, blieb zwei Schritte vor ihr stehen. Seine Augen wurden vor Verblüffung riesig groß. »Jetzt sehe ich dich«, sagte Telzey und war sehr zornig. »Den Trick kenne ich! Bei mir wirkt er nicht; hast du gehört?« Thrakell war verlegen. Er war ein dünner, knochiger Mann kaum mittelgroß und etwa vierzig Jahre alt. Gekleidet war er in Hemd und Hosen von verwaschener brauner Farbe, und um seine Taille lag ein weißer Gürtel in zwei Windungen. Er hatte kleine blaue Augen, die unter dicken Brauen lagen, und seine Stirn war hoch und gewölbt. Das lange Haar hatte er straff nach hinten gekämmt und dort zusammen-
gefaßt. Die untere Gesichtshälfte war mit einem struppigen Bart bedeckt. »Du brauchst keine Waffe auf mich zu richten«, sagte er und lächelte. »Ich wollte dich mit meinen Fähigkeiten nur ein bißchen beeindrucken. Aber das war gedankenlos von mir.« Telzey wußte, daß nichts daran gedankenlos gewesen war. Seine heimliche Annäherung war genau überlegt gewesen. »Thrakell«, sagte sie, »halte besser deine Hände so, daß ich sie sehen kann, und setz dich hierher neben die Balustrade. Du kannst mir helfen, die Halle zu beobachten, während ich dich beobachte. Ich möchte, daß du mir einige Dinge erzählst, aber mach mich nicht nervös, ehe Essu zurückkehrt.« Er zuckte die Achseln und gehorchte. Als er saß, legte sie die Pistole vor sich hin. Thrakell konnte ihr vielleicht nützlich sein, aber sie mußte ihn bewachen, bis sie ihn besser kannte. Er beantwortete ihre Fragen sofort, stellte selbst keine und bemühte sich sehr, ihren Unwillen nicht zu erregen. Das Bild, das sie vom Elaigar-Systemkreis erhielt, war recht erstaunlich. Der Psychodienst hatte es auf Tinokti mit einer riesigen, praktisch unsichtbaren Festung zu tun. Offiziell existierte der Systemkreis überhaupt nicht, und in den Aufzeichnungen der
Tongi Phon gab es keinen Hinweis darauf. Die einzelnen Sektionen waren über den ganzen Planeten verstreut, die meisten zwischen Tausenden von Sektionen anderer Systemkreise eingelagert, die sich äußerlich nicht voneinander unterschieden. Die Energieversorgungssektion selbst lag tief im Innern des Planeten. Man hätte ganz Tinoki umgraben müssen, um sie zu finden. Es gab ein Gerät namens Vingarran, das mit der Energieversorgungssektion in Verbindung stand. Telzey hatte Eindrücke davon aus Korms Geist empfangen. Korm wußte, wie das Vingarran benützt wurde, aber es hatte ihn nicht interessiert. Thrakell konnte dem nur wenig hinzufügen. Das Vingarran war die Entwicklung einer fremden Technologie und wurde von den Diener-Wissenschaftlern der Elaigar gebaut. Es war ein Superportal mit größter Reichweite. Sein ursprünglicher Zweck mochte zwischenplanetarer Transport gewesen sein, weil es auf einem kleinen Planeten nicht benützt werden konnte. Die Elaigar setzten es ein, zwischen den TinoktiSystemkreisen und Raumschiffen am Rand des Sonnensystems Verbindung zu haben. Es gab auch eine Anzahl von Portalausgängen auf der Planetenoberfläche. »Wie sind eigentlich diese Systemkreise entstanden?« fragte Telzey.
»Phons vom Institut haben sie geplant und errichtet. Wer sonst hätte das in aller Heimlichkeit tun können?« »Und warum taten sie es?« Er zuckte die Achseln. »Es war ursprünglich ihr privates Revier. Wer immer in diesen Systemkreis gebracht wird – wie ich – wird ihr Sklave. Eine Flucht war ausgeschlossen. Unsere Phon-Herren waren auch keinem verantwortlich und taten nur, was ihnen gefiel. Bis die Elaigar kamen. Dann waren sie auch nur mehr Sklaven.« »Und du hast Elaigar-Geister angezapft, ohne daß man dich dabei ertappte?« fragte Telzey. »Gelegentlich«, gab er zu. »Aber seit einiger Zeit habe ich es nicht mehr versucht. Einmal machte ich einen fast verhängnisvollen Fehler, als ich auf einen unerfahrenen Otessaner traf, und da ließ ich es dann sein. Die Elaigar-Geister sind immer gefährlich. Diese Kreaturen sind schon gegeneinander furchtbar mißtrauisch. Ich halte mich lieber an die Diener. Von denen erfahre ich alles, was ich wissen will, ohne ein Risiko dabei einzugehen. Natürlich kann der alte Korm ziemlich gefahrlos angezapft werden. Das hast du ja selbst auch schon getan.« »Das habe ich getan«, gab Telzey zu. »Und du hast nie versucht, einen von ihnen zu steuern?« »Das wäre nicht ratsam«, antwortete er.
»Möglich ... Nach unserem Zeitbegriff ist Korm doch noch nicht alt, oder?« »Absolut nicht. Vierundzwanzig Föderationsjahre, mehr nicht.« »Leben sie denn alle nicht länger?« »Einige nicht einmal so lange. Es war eine große Befriedigung für mich, als ich einen meiner Feinde nach dem anderen in den vergangenen sechs Jahren sterben sah. Stiltik ist siebzehn und auf dem Höhepunkt ihres Lebens. Boragost ist zwanzig und schon darüber hinaus. Korm ist nur noch ein Greis.« Telzey hatte das in Korms Geist gelesen. Die Sattaram, egal ob männlich oder weiblich, forderten, wenn sie allmählich schwächer wurden, junge, kräftige Sattaram heraus und starben im Kampf. Die das nicht wollten, wurden zu Korm geschickt. Er galt als abschreckendes Beispiel für alle, die zu sehr am Leben hingen. Sie erfuhr noch, daß die Otessaner der Elaigar mit vierzehn Jahren Erwachsene wurden. Auch diese plötzliche Metamorphose war ein Rassengeheimnis. Um diese Zeit verließen die Otessaner den Systemkreis. Die, welche als Sattaram zurückkehrten, wurden von den Dienern nicht erkannt. Über die Alatter konnte Thrakell nichts Neues beisteuern. Er wußte nur, daß gelegentlich deren Spione im Systemkreis gefangen wurden, und sie wurden entweder zu Tode gefoltert oder in
einem Ritualkampf von den Sattaram getötet. Zwischen den beiden doch offensichtlich eng verwandten Unterrassen herrschte tödliche Feindschaft. Die Heimatwelten der Elaigar mußten einige Monatsreisen vom Zentralgestirn entfernt sein. Korm wußte offensichtlich darüber auch nicht mehr. Raumnavigation war Dienerarbeit, die ein Elaigar gar nicht verstand. »Haben sie die drei Alatter gefangen, die Stiltik entkommen sind?« fragte Telzey. Thrakell war informiert. Es schien gar keine Aussicht zu bestehen, sie einfangen zu können. Sie schienen erstklassige Portaltechniker zu sein, konnten große Systemkreissektionen einfach abschalten, indem sie Portalstrukturen verzerrten und durch eigene ersetzten. Stiltiks Portalspezialisten kamen dagegen nicht an. Man hatte ihnen eine bewaffnete Gruppe mit Schlüsseln nachgeschickt, die man Tscharen abgenommen hatte, aber die hatte auch kein Glück gehabt. Das tat Stiltiks Prestige natürlich einigen Abbruch. »Stiltik und Boragost kommen wohl nicht gut miteinander zurecht?« fragte Telzey. Er lachte. »Die würden einander liebend gern umbringen! Stiltik hat keine Lust mehr, noch länger darauf zu warten, Suan Uwin zu werden, und sie wird für die tödlichste Kämpferin des Systemkreises gehal-
ten. Die Elaigar halten nichts von unseren feineren Unterscheidungen zwischen den Geschlechtern.« Man hatte, so schien es, Boragosts Führerqualitäten in Frage gestellt, und Stiltik wollte die Alatter aus der Föderation hinauswerfen. Sie hatte eine große Gefolgschaft. Boragost war dagegen, weil er sagte, die Menschen der Föderation würden damit nur auf die Fremden aufmerksam gemacht werden. Und jetzt hatte Boragost offensichtlich einen Fehler begangen. »Weißt du, was die Dagen sind?« fragte Thrakell. »Ja, das sind Psi-Hunde. Ich sah den von Stiltik, als sie mich fingen.« »Schreckliche Kreaturen!« seufzte er. »Zum Glück gibt es im Systemkreis augenblicklich nur drei, weil es nur wenigen Elaigar gelingt, sie zu bändigen. Vor kurzem hat Boragost außerhalb des Systemkreises einen Dagen-Mord verschuldet.« Telzey nickte. »Vier Phons im Institut. Das war also nicht geplant gewesen?« »Niemals! Nur einer der Phons sollte sterben, und das weder im Institut, noch vor Zeugen. Aber Boragost ließ seinen Psi-Hund los, ohne sich vergewissert zu haben, wo sich sein Opfer befand, und der Hund lief dorthin, wo der Phon war. Als er ihn in Gesellschaft anderer fand, tötete er auch sie. Stiltiks Anhänger behaupten, das habe den Psychodienst nach Tinokti gebracht.«
»Stimmt. Wie soll die Sache bereinigt werden?« »Vermutlich durch Stiltiks Herausforderung an Boragost. Die anderen hochrangigen Sattaram im Sternhaufen kamen mit ihren Leuten durch die VingarranPortale nach Tinokti. Sie werden entscheiden, ob Boragosts Verhalten noch tragbar ist. Wenn nicht, wird er seines Ranges enthoben und zu seiner Heimatwelt zurückgeschickt. Sie haben eiserne Regeln. Es ist aber auch die einzige Möglichkeit, Schlächtereien zwischen den einzelnen Gruppen zu vermeiden.« Telzey dachte eine Weile nach. »Thrakell«, sagte sie dann, »du hast mir, als wir einander begegneten, erklärt, du seist der letzte Mensch im Systemkreis.« Seine Augen wurden mißtrauisch. »Das stimmt auch.« »Aber außer uns ist seit einiger Zeit in dieser Sektion noch ein anderer menschlicher Geist«, erklärte ihm Telzey. »Der Name ist Neto. Neto Nayne-Mel.«
14 »Von der läßt du besser die Finger«, sagte Thrakell Dees rasch. »Die ist sehr unausgeglichen, geradezu gefährlich! Ich habe dir deshalb nichts von ihr erzählt, weil ich fürchtete, du könntest ihr vielleicht erlauben, bei uns mitzumachen.« »Das werde ich auch tun«, erwiderte Telzey. Thrakell schüttelte heftig den Kopf. »Nein, davon muß ich dir ganz entschieden abraten! Neto Nayne-Mel ist unberechenbar! Ich weiß das. Sie hat aus dem Hinterhalt heraus zwei Elaigar getötet. Mit ihrem Haß könnte sie uns beide in Gefahr bringen.« »Ich hörte, sie war Dienerin der Elaigar hier im Systemkreis und arbeitete jahrelang bei ihnen, ehe es ihr gelang, von ihnen wegzukommen. Ich nehme an, so etwas wirft einen Menschen schon aus dem Gleichgewicht. Aber sie hat etwas, das ich brauche. Ich sagte ihr, sie solle es hierher auf den Balkon bringen.« Thrakell schnitt nervöse Grimassen. »Neto hat mir gedroht, mich zu erschießen, wenn ich mich bis auf zweihundert Meter an sie annähere.« »Na, Thrakell, vielleicht hat sie dich erwischt, als du dich in ihren Geist mogeln wolltest, so, wie du's bei mir gemacht hast. Aber jetzt zählt das nicht. Wir
brauchen einander, und einer muß dem anderen helfen. Neto versteht das.« Thrakell diskutierte nicht weiter. Er sah ziemlich verstört drein, vor allem deshalb, weil zwischen Neto und Telzey ein Gedankenaustausch stattgefunden hatte, der ihm völlig entgangen war. Ein Mensch, der am Leben bleiben und sich im Elaigar-Systemkreis einigermaßen durchschlagen wollte, brauchte entweder ein gerütteltes Maß Glück, oder ganz spezielle Eigenschaften. Thrakell konnte zum Beispiel seine körperliche Existenz völlig verschleiern, sie sozusagen verneinen. Er verstand es ausgezeichnet, sich mental zu tarnen und war außerdem Xenotelepath, so daß er Informationen aus Gehirnen in seiner Umgebung ziehen konnte, ohne daß diese mißtrauisch wurden. Neto war anders ausgestattet. Ihr Geist hatte keinen Schildschutz, aber ihre Gedanken konnten nur in einem bestimmten Bereich von Psi-Sensitivität empfangen werden, der Thrakell Dees fehlte, er schien auch den Elaigar zu fehlen. Sie hatte eine Form körperlicher Versteckkunst entwickelt, die fast so wirksam war wie die Thrakells. Sie reagierte körperlich überaus schnell und konnte mit Schußwaffen meisterlich umgehen. Das hatte sie erst entdeckt, als sie ihren Herren entkommen war. Seither hatte sie vier Elaigar getötet, nicht nur zwei. Natürlich hatten sie
ihre Erlebnisse ein wenig aus dem Gleichgewicht geworfen, jedoch nicht auf eine Art, über die sich Telzey Sorgen gemacht hätte. Wenige Minuten später trat Neto unvermittelt etwa hundert Meter entfernt auf den Balkon und ging auf sie zu. Die Gestalt sah wie ein Fossily-Mechaniker aus; das waren Diener aus dem Systemkreis. Sie war sehr schlank, von menschlichem Typ, trug einen engsitzenden gelben Overall, der nur das Gesicht freiließ, und das Gesicht war eine Maske aus kräftigen schwarzen und gelben Linien. Neto war schon auf Sprechdistanz herangekommen, als das FossilyGesicht erst die menschlichen Züge darunter erkennen ließ. Das war die Maske, die Neto sich ausgesucht hatte. Fossily-Mechaniker trugen ihr Werkzeug in einem Rucksack und wurden überall dort innerhalb des Systemkreises eingesetzt, wo etwas zu reparieren war. So erregte sie keine Aufmerksamkeit. Da die FossilyMechaniker einen Körpergeruch hatten, den die Elaigar nicht ausstehen konnten, näherte sich ihr auch niemand unnötigerweise, obwohl die Overalls chemisch imprägniert waren, um den Geruch zu verdekken. An Netos linkem Handgelenk hing ein gelber Werkzeugbeutel. Darin hatte sie einen Anzug für Telzey und eine schwarz-gelbe Gesichtsmaske.
Wenig später kam Essu zurück. Telzey berührte seinen Geist, als er im Portal der großen Halle erschien, und sie wußte, daß er seinen Auftrag ausgeführt hatte. Unter seiner Uniformjacke hatte er einen ganzen Packen Systemkreisdiagramm-Mappen versteckt, und man hatte ihn nicht gesehen, als er sie an sich nahm. Er kam zu ihnen auf den Balkon, und die Anwesenheit zweier Menschen schien er als selbstverständlich hinzunehmen, ebenso die Tatsache, daß Neto und Telzey als Fossily-Mechaniker verkleidet waren. Telzey sah Thrakell Dees an. Thrakell konnte ein wertvoller Verbündeter werden. Konnte. Sie wußte noch nicht, was sie von ihm erwarten durfte. Neto hielt ihn für einen Mörder, der andere menschliche Überlebende aus dem Systemkreis auf dem Gewissen hatte. Einen Beweis dafür gab es allerdings nicht, aber Telzey hatte ihn unausgesetzt beobachtet, seit sie ihn dabei erwischt hatte, daß er sich heimlich auf den Balkon schlich. »Thrakell«, sagte sie, »ehe wir zum Geschäft kommen, stelle ich dich vor eine Wahl.« Er runzelte die Brauen. »Vor welche Wahl?« »Mir wäre lieber, du würdest diese FossilyTarnung aufgeben und deinen Schild für eine Minute öffnen, damit ich sehen kann, was du denkst. Das wäre wohl am einfachsten.« Thrakell schüttelte den Kopf. »Das verstehe ich nicht.«
Neto lachte leise. »Oh, du verstehst recht gut«, erwiderte Telzey. »Du wolltest doch mitkommen, wenn ich versuche, den Systemkreis zu verlassen. Aber wir hatten keinen guten Start, und ich bin gar nicht sicher, ob ich dir jetzt trauen kann. Das könntest du beweisen, indem du mich einen Blick in deinen Geist tun läßt. Nur die Oberfläche interessiert mich. Ich will wissen, weshalb du dich entschlossen hast, mit mir Kontakt aufzunehmen. Mehr nicht.« Thrakells kleine Augen glitzerten zornig, doch seine Stimme klang ruhig. »Und wenn ich mich weigere?« »Dann wird dir Essu deine Waffen wegnehmen und auch die Systemkreisschlüssel.« Thrakell war offensichtlich erschüttert. »Das ist unfair! Wenn wir getrennt werden, bin ich in der Sektion eingeschlossen, in der ich mich zufällig aufhalte. Ich wäre hilflos!« »Nun, du wirst also verstehen, wie unerläßlich es ist, daß wir nicht getrennt werden«, sagte Telzey. »Nun, was meinst du dazu?« Thrakell machte eine heftige Kopfbewegung zu Neto hin. »Und was ist mit ihr?« »Mir kann sie trauen«, erklärte Neto. »Sie kennt meine Gedanken.« Sie lachte. Essu hatte seine runden weißen Augen auf Thra-
kell gerichtet und griff nach einer Pistole an seinem Gürtel. »Soll der Tolant meine Sachen ruhig nehmen«, stieß Thrakell hervor. »Ich brauche sowieso selten eine Waffe. Ich lehne Gewalttätigkeiten ab.« Essu tastete ihn ab. Telzey und Neto sahen zu. Telzey konnte im Hinblick auf Neto tatsächlich sehr beruhigt sein. Neto hatte nicht die geringste Hoffnung gehabt, je mehr fliehen zu können. Sie war nur deshalb am Leben geblieben, weil sie sehr sorgfältig geplant hatte, immer wach und aufmerksam gewesen war – und das zwei Jahre lang. Sie war ein verzweifelter Rachegeist, der ständig in den Randgebieten umherirrte, wo sie vielleicht einmal mit den Portalschlüsseln, die sie im Lauf der Zeit in die Hände bekommen hatte, durchschlüpfen konnte. Sie hatte sich von den wilden Menschen ebenso ferngehalten, die es noch vor ein paar Jahren gegeben hatte, wie von den Elaigar und deren fremden Dienern. Es gab Zeiten, da sie nicht mehr an die Welt außerhalb des Systemkreises zu glauben vermochte, und manchmal schien sie sich nicht mehr an das erinnern zu können, was sie getan hatte, ehe sie für die Elaigar hatte arbeiten müssen. Dann wußte sie auch wieder genau, was um sie herum vorging und wie alles einmal enden mußte.
Manchmal kannte Neto so etwas wie Verehrung. Sie hatte in Telzey einen Beschützer gefunden und vertraute ihr willig und ohne Vorbehalt. Sollte sie entscheiden, was nun zu geschehen hatte; sie hatte schnell gewußt, daß Telzey eine Frau war. Gut, sollte sie die Führung übernehmen. Netos Hoffnungslosigkeit löste sich in blindem Vertrauen auf. Telzey sorgte schon dafür. »Zwei Probleme«, bemerkte Telzey etwas später. »Die Diagramme zeigen keine Ausgänge nach Tinokti, und sie scheinen Teil einer unvollständigen Karte zu sein. Dann können wir aber mit den Schlüsseln, die wir haben, in höchstens den vierten Teil jener Sektionen kommen, die es wert sind, daß wir sie erforschen. Wir könnten einen einzigen Portalschritt von der Freiheit entfernt sein, wissen, daß die Tür da ist und sie doch nicht öffnen können.« »Ich sehe keine Möglichkeit, das zu ändern«, warf Thrakell säuerlich ein. »Viele Sektionen haben eine ganz spezielle, oft auch geheime Bestimmung, und nur bestimmte Führer der Elaigar haben Zutritt zu ihnen. Das kann vor allem auf die Sektionen zutreffen, die mit interplanetaren Ausgängen versehen sind. Und dann dürfen wir die Tatsache nicht übersehen, daß die Alatter-Eindringlinge die Portalmuster von riesigen Komplexteilen verändert haben. Ich vermute allmählich, daß es dir ebensowenig möglich
sein wird, den Kreis zu verlassen, wie uns seit Jahren.« Er warf Neto einen vorsichtigen Blick zu. »Nun, wir wollen versuchen, das zweite Problem zuerst aus der Welt zu schaffen«, antwortete Telzey. »Essu weiß, wo er komplette Sätze von Portalschlüsseln bekommen kann. Aber er braucht natürlich Hilfe.« »Wo soll das sein?« fragte Thrakell argwöhnisch. »Soviel ich weiß, hat nur der Suan Uwin Universalschlüssel.« »Das meint auch Essu. Sie sind in einem Safe in einem von Stiltiks zahlreichen Büros. Er kann den Safe öffnen.« Thrakell schüttelte den Kopf. »Unmöglich! Das wäre reiner Selbstmord! Das Hauptquartier des Suan Uwin wird scharf bewacht gegen Umtriebe politischer Feinde. Selbst wenn wir in Stiltiks gesichertes Gebiet gelangen können, kämen wir niemals lebend wieder heraus.« »Warum sperrst du diesen Kerl nicht irgendwo ein?« fragte Neto abfällig. »Später können wir ihn dann wieder abholen, wenn du glaubst, du müßtest ihn mitnehmen.« Das erstickte Thrakells Proteste. Es war kein aussichtsloses Unternehmen, auf gar keinen Fall. Stiltik ließ Essu häufig Spezialaufträge ausführen, mit denen sie nicht einmal ihre treuen Anhänger betrauen
wollte. Es gab da ein Portal, das völlig unbewacht und unmarkiert war. Nur sie und der Tolant hatten einen Schlüssel dazu. Wenn sie vorsichtig waren, konnten sie in das umschlossene und bewachte Hauptquartier gelangen. Das taten sie wenig später. Sie standen dann in einem kleinen Raum hinter einer verschlossenen Tür. Auch zu dieser Tür hatten nur Stiltik und Essu einen Schlüssel. Wenn Stiltik nicht zufällig hereinkam, solange sie da waren, konnten sie sich vor Entdeckung sicher fühlen. Telzey suchte, während ihre Gefährten in Deckung blieben. Sie brauchte dazu einige Zeit, weil sie sehr vorsichtig arbeitete, da und dort einen Geist berührte. Das tat sie mit der Leichtigkeit eines Spinnwebfadens. Allmählich schälten sich die Einzelheiten heraus. Schließlich war sie davon überzeugt, ein ziemlich vollständiges Bild zu haben. Etwa zwei Dutzend Elaigar waren in der Nähe. Von Stiltik keine Spur. Die Suan Uwin schien sich noch mit einer umfassenden Befragung des gefangenen Alatters zu beschäftigen. Es gab Tolant-Gehirne und zwei unbekannte fremde Typen. Die Diener zählten nicht, und die einzigen Elaigar im Zentralbüro waren zwei gelangweilte Otessan-Frauen, die alle übrigen Arbeiten beaufsichtigten. Sie könnten viel-
leicht Essu bemerken, wenn er in Stiltiks Büro ging, aber das war nichts Außergewöhnliches. Sie würden auch gar nicht wissen, daß er eigentlich anderswo sein sollte. Ein anderes Gehirn konnte jedoch sehr wichtig werden. Es war das von Stiltiks Dagen. Jetzt machte es sehr viel aus, daß Telzey sich bemüht hatte, mit Sams Larking und in eigener Arbeit an sich selbst ihre Psi-Techniken zu verbessern. Ein Fühler griff nach dem Geist des Dagen aus; es war nur der Hauch einer Berührung. Es gab keine Reaktion. Vorsichtig folgte Telzey den erkennbaren Spuren. Das Tier befand sich in einem umschlossenen Raum ohne Ausgang. Es brauchte auch keinen, denn auf Stiltiks Befehl konnte es sich in diesen Raum hineinteleportieren und ebenso wieder heraus. Es konnte kaum etwas anderes tun als Stiltiks Gedankenbefehlen zu gehorchen. Stiltik hatte dem Ungeheuer sehr strenge und starre Kontrollen aufgezwungen. Ein menschlicher Geist wäre unter solchen Belastungen längst gelähmt gewesen. Die rauhe Psyche des Tieres nahm jedoch keinen Schaden. Es war nur nicht in der Lage, selbständig zu handeln, außer seine Herrin erlaubte es ihm ausdrücklich. Intelligent war das Tier nicht. Telzey studierte die Kontrollen, bis sie glaubte, sie
zu verstehen. Dann befahl sie Essu, er solle in Stiltiks Büro gehen und die Universalschlüssel holen. In Gedanken begleitete sie ihn, um bereit zu sein, falls es irgendwelche Probleme gäbe. Aber fünf Minuten später war Essu mit den Schlüsseln zurück. Man hatte ihn gesehen, aber nicht auf ihn geachtet. Nichts schien sich im Hauptquartier verändert zu haben. Durch ein Geheimportal verließen sie es wieder. Essu reichte Telzey den Schlüssel. Sie sagte zu den anderen: »Wartet hier auf mich, und wenn ich herauskomme, kehren wir auf dem Weg zurück, den wir gekommen sind. Durch die paar ersten Sektionen werden wir rennen.« Sie trat durch das Portal in den Raum. Ihr Geist kehrte verstohlen zum Dagen-Gehirn zurück. Das Tier schien halb zu schlafen. Telzey zerstörte die Erinnerungsmatrize im Gehirn des Hundes, in welchem Stiltiks Befehle gespeichert waren. Sofort wachte der Dagen auf. Telzey schlüpfte durch das Portal hinaus. »Jetzt rennt!« Essus Beute an Portalschlüsseln war ungemein zufriedenstellend gewesen. Einer war Tscharen nach seiner Gefangennahme abgenommen worden. Essu schloß ihn an einen Universalschlüssel an und gab die Kombination Telzey. Sie steckte sie in eine Tasche
ihres Fossily-Anzuges. Es war ein kleines Ding, das nur halb soviel wog wie Essus Pistole, die in einer anderen Tasche steckte. Aber dieser Schlüssel würde die meisten der wichtigen Sektionen öffnen. Essu hatte ein Duplikat für sich selbst zusammengestellt; die anderen Schlüssel fädelte er ganz wahllos auf und steckte beide Bunde in die Tasche. Thrakell Dees sah enttäuscht und bitter drein, sagte aber nichts. Man war übereingekommen, sich immer eng an Essu zu halten, damit alle zusammen mit dem Tolant durch die Portale gehen konnten. Neto würde sich in unmittelbarer Nähe Telzeys halten. »Und jetzt?« fragte Thrakell. »Jetzt suchen wir uns einen Weg zur Klinik, wo mich die Taven wieder geheilt haben«, sagte Telzey. »Wir brauchen einen Führer.«
15 Der Kontrollraum des dritten Planetenausgangs war sehr ruhig. Telzey stand an den Instrumenten und beobachtete den Schirm. Thrakell Dees saß links von ihr auf dem Boden und lehnte sich an die Wand. Sie beobachtete ihn unausgesetzt, wenn auch nicht allzu auffällig. Ein Sattaram-Riese befand sich hinter ihr in Türnähe. Er bedurfte keiner Aufmerksamkeit mehr, denn er war mausetot. Im Stockwerk unter ihnen warteten hinter der verschlossenen Tür eines Raumes Neto und Korm. Ab und zu mußte Telzey ihnen einen Überwachungsgedanken zuschicken, um sich davon zu überzeugen, daß Korms Gedankenschild dicht blieb. Allzu lange hatte er sich darin nicht mehr geübt. Sonst schien er bereit zu sein, was man auch von Neto in jeder Beziehung sagen konnte. Der Bildschirm zeigte den Systemkreis-Ausgang auf der anderen Seite der verschlossenen Tür. Das Portal, das sich auf Tinokti öffnete, befand sich in einer gewölbeartigen, sehr massiven Mauernische eines riesigen Gebäudes, und das war in erster Linie eine Vorsichtsmaßnahme gegen etwaige Versuche der Alatter, an dieser Stelle in den Kreis einzubrechen. Die Sperrschirm- und Portalkontrolle war vom In-
strumentenbrett aus zu betätigen, und Telzey war bereit, das zu tun und auch das Tor für Neto und Korm aufzuschließen. Im Moment war das jedoch noch nicht möglich. Etwa ein Dutzend Elaigar stand oder bewegte sich in der Nähe des Planetenausgangs. Niemals waren alle gleichzeitig zu sehen, deshalb wußte sie auch ihre genaue Zahl nicht. Die meisten waren Otessaner, aber mindestens drei Sattaram befanden sich unter ihnen. Technisch gesehen hatten sie Wachdienst, doch der war mehr oder weniger eine disziplinarische Maßnahme, wie sie den Gedanken der Elaigar entnahm. Sie nahmen ihre Pflicht nicht sehr ernst, aber alle waren bewaffnet. Immer etwa die Hälfte von ihnen war in Sicht; im Moment waren es nur vier. Vier waren auch schon zuviel. Jetzt wäre Essu recht nützlich gewesen, doch der war tot. Korm hatte sie durch eine Sektion geführt, die wie ein riesiges Treibhaus aussah, als ihnen eine Boragost-Patrouille entgegenkam. Telzey und Thrakell nahmen an dem folgenden Kampf nicht teil und wurden auch nicht gebraucht. Ein Sattaram, ein Otessaner und sechs oder sieben Tolant wurden in der dichten Vegetation überfallen und in wenigen Momenten vernichtet. Korm erbeutete eine Sattaram-Uniform in den BoragostFarben Schwarz und Silber, die eine viel bessere Tarnung war als seine jetzige. Aber Telzey verlor Essu.
Sie warf Thrakell Dees wieder einmal einen Blick zu; er beobachtete sie mit ausdrucksloser Miene. Als sie in den Kontrollraum eingedrungen waren und die Lage am Ausgangsportal überschaut hatten, hatte sie zu ihm gesagt: »Du bist dir doch wohl darüber klar, daß wir nur Neto hier durchbringen können. Du und ich, wir beide müssen uns etwas anderes einfallen lassen.« Korm wollte nicht mitkommen; darüber waren sich alle klar, nur Korm selbst wußte es noch nicht. Thrakell hatte nicht widersprochen, was Telzey nicht sehr erstaunte. Sie hatten ihn unterwegs ebenso studiert wie Korm, um so viele Informationen wie möglich aus ihm herauszuziehen. Sie war der Meinung, daß Thrakell Dees in Wirklichkeit den Kreis gar nicht verlassen wollte. Warum er sich an sie gewandt hatte, blieb unklar. Jetzt wollte er einen der Portal-Universalschlüssel haben, die sie im Besitz hatte; einer stammte von Essu, der ihn für sie zusammengestellt hatte, die anderen hatte sie Essu nach dessen Tod abgenommen. Es stand fest, daß sie jetzt noch nicht gehen konnte. In der Situation lagen so viele Möglichkeiten, die man nicht hatte ahnen können, und ihre Informationen waren noch nicht umfassend genug. Ein unvollständiger oder fehlerhafter Bericht konnte mehr Schaden anrichten als keiner. Durch Neto konnte sie den Psy-
chodienst alles wissen lassen, was sie im Moment vermutete. Also sollte Neto, falls es sich machen ließ, hier aus dem Kreis geschleust werden. Aber Neto sollte auch nicht sofort berichten. Der planetare Ausgang öffnete sich in eine alte, leerstehende Phon-Villa. Dort würde Neto Geld und Luftwagen vorfinden. Sie konnte ihre Fossily-Tarnung ablegen, weiterfahren und in einer von Tinoktis Städten für die nächsten zehn Tage untertauchen. Erst wenn Telzey bis dahin nicht gekommen war, sollte Neto den Psychodienst aufsuchen. Telzey beugte sich über die Instrumente und legte ihre Hände auf vorher von ihr bezeichnete Hebel und Knöpfe. Thrakell rutschte auf dem Boden herum. »Bleib wo du bist!« herrschte sie ihn an und behielt den Bildschirm im Auge. Essus Pistole lag neben ihr. Da weder Essu noch Neto da waren und ihn ständig beobachten konnten, mußte man mit Thrakell besonders vorsichtig sein. Sie stieß Neto und Korm mit einem sanften Gedanken an. Aufpassen! Neto bestätigte, Korm nicht. Bewußt hatte er den leisen Stoß gar nicht gespürt, aber er wußte nun, daß die Aktion losgehen sollte. Er konnte es kaum mehr erwarten. Telzey hatte vierzig Minuten lang an ihm gearbeitet, ehe er sie aus dem Klinikgebiet herausführte. Es war eine sehr mühsame Arbeit, eigentlich ein rechtes Flickwerk gewesen, aber
es würde halten, solange es nötig war. Korms zögernde Ängste waren zurückgedrängt und abgekapselt worden, und im Geiste war er der mächtige Suan Uwin, der er vor wenigen Jahren gewesen war. Man hatte ihn schwer beleidigt, und unter der Oberfläche dürstete er nach Rache. Am Gürtel hatte er ein großes Messer und zwei Elaigar-Schußwaffen hängen. Zwei der Otessaner standen nun unmittelbar neben der Portalnische. Die anderen waren zur Hausecke gegangen, und nun unterhielt sich ein Sattaram mit ihnen. Telzeys Finger lag auf dem Schalter für das Türschloß. Sie beobachtete die drei. Der Sattaram drehte sich um und verschwand zur anderen Seite hin. Die zwei Otessaner folgten. Als sie verschwunden waren, öffnete Telzey die Tür im Raum unter ihr. Neto wisperte eine Bestätigung. Jetzt mußte Korms Schild ganz dicht verschlossen bleiben ... Er kam unten in Sicht. Die beiden Otessaner drehten sich zu ihm um. Er ging auf sie zu, und der falsche Fossily-Mechaniker trottete demütig hinter ihm drein, so daß Korm immer zwischen ihm und den Otessanern blieb. Korm war riesig, selbst nach Sattaram-Maßstäben. Er trug die Uniform Boragosts, und sein vom Alter zerfurchtes Gesicht ließ sich unter den schwarzen Rangmarkierungen, die ihn als Boragosts Vertreter auswiesen, nicht erkennen. Die beiden wa-
ren sicher neugierig, welcher Sonderauftrag ihn hierher führte, mehr aber nicht. Plötzlich steckte sein Messer tief in der Brust des einen Otessaners. Die Reaktion kam blitzartig. Der andere tat einen Sprung seitlich-rückwärts und hatte seine Pistole in der Hand. Aber den erledigte Neto, noch ehe er die Waffe heben konnte. Sie rannte an ihm vorbei, als sich der Türschild hob und das Portal dahinter schimmernd aktiviert wurde. Dann hatte sich der Türschild hinter ihr auch schon wieder geschlossen. Korms Pistole und seine Wut explodierten gleichzeitig. Telzey sah flüchtig ein paar Elaigar-Umrisse heranrennen, zwei oder drei gingen zu Boden. Korm röhrte in wildem Triumph. Er würde nicht lange durchhalten, aber sie hatte die Tür unten wieder verschlossen. Überlebende konnten nicht heraus, außer es kam jemand, der die Tür öffnete. Und das konnte jetzt jeden Moment passieren ... Zweimal wurde sie auf dem Weg in den hellerleuchteten großen Raum gesehen, wo sie und Tscharen gefangengenommen worden waren, aber niemand achtete auf den sich energisch bewegenden Mechaniker. Und natürlich sah niemand Thrakell Dees. Telzey ließ ihre Gedankenfühler um die Otessaner treiben und hörte ihren Gesprächen zu.
Sehr interessante Gerüchte gingen um über einen Unfall in Stiltiks Hauptquartier, sie hörte zwei verschiedene Versionen darüber. Es war klar, daß der Dagen der Suan Uwin wild geworden und im ganzen Bürobezirk Amok gelaufen war. Stiltiks Unvorsichtigkeit ... Oder hatte vielleicht der tückische alte Boragost die Hand im Spiel gehabt? Darüber stritt man sich. Der Dagen war jedenfalls tot, dazu auch einige von Stiltiks Büroleitern. Das war Boragosts Schaden nicht. Aber wie hätte er das bewerkstelligen sollen? Leider war Stiltik nicht unter den Toten. Sie selbst hatte den Hund getötet. Telzey hoffte, das würde sie eine Zeitlang von den menschlichen Psis ablenken, obwohl das nicht als sicher angenommen werden durfte. Die überfallene Boragost-Patrouille wurde anscheinend noch nicht vermißt. Und von einem irren Sattaram, welcher die Wachen am Planetenausgang drei ausradiert hatte, war auch nicht die Rede. Endlich erreichten sie den großen Raum. Telzey bedeutete Thrakell, er solle sich an einer Seite aufstellen, während sie selbst zu einer vertäfelten Wand ging, durch die sie mit Tscharen gekommen war. Sie versuchte sich an die genaue Lage des Portals zu erinnern. Nicht weit weg vom Mittelpunkt ... Sie kam endlich zu dieser Stelle, doch kein Portalumriß zeigte sich. Sie tastete die Wand ab. Acht Schritte weiter
tauchte ihre Hand in die Mauer. In spukhaftem Umriß zeigte sich schwach leuchtend das Portal. Sie winkte Thrakell Dees heran. Fast automatisch hatte sie sich den Weg eingeprägt, den sie mit Tscharen gekommen war, aber ganz sicher war sie sich dessen nicht. Es waren sehr kleine Kreissektionen; ein Raum hier, einer dort; Thrakell benahm sich ordentlich. Er folgte ihr zwar etwas dichter aufgeschlossen, als es ihr behagte, aber das war nicht zu vermeiden. Essus Pistole steckte in einer Tasche, die sie bewußt aus seiner Reichweite hielt. Zwischen zwei Portalen ging er vor ihr her, ohne daß sie es ihm zu sagen brauchte. Er schien zu wissen, daß sie sich der Stelle näherten, wo sie aus der Stadt in den Kreis entführt worden war, doch sie sprachen nicht darüber. Telzey war davon überzeugt, daß er nicht die leiseste Absicht hatte, sie in seinen Geist schauen zu lassen, und konnte es nicht gewaltsam tun. Was er vorhatte, sobald er die Schlüssel hatte, blieb unklar. Durch seine projizierten fremden Gedankenmuster sickerte nicht ein verständlicher Gedanke, der von ihm persönlich stammte. Thrakell veränderte seine geistige Tarnung auch ununterbrochen, vielleicht um sie abzulenken. Sie brauchte ihn nicht mehr als Führer, und bald konnte er sogar lästig werden. Was sollte sie mit ihm anfangen?
Sie lokalisierte die acht Portale am Weg sehr schnell. Dann sah sie am Ende eines langen Ganges eine Tür. Sie winkte Thrakell zur Seite, zog die Tür auf und sah in den L-förmigen Raum, in den sie aus dem Luerral-Kreis gebracht worden war. Die andere Tür stand offen, ebenso der große Wandschrank. Es stank nach verbranntem Material. Also waren Stiltiks Schergen hier gewesen. Sie warf Thrakell einen prüfenden Blick zu. Seine kleinen stechenden Augen begegneten für einen Moment den ihren. Sie zeigte auf den Raum. »Stell dich dort an die Wand!« befahl sie. »Ich will mich umsehen. Und halte dich ruhig. Stiltik hat hier eine Menge Spielzeug installiert, das vielleicht noch funktioniert.« Er nickte und trat zur Wand. Telzey ging an ihm vorbei. Im anderen Teil des Raumes schien nichts verwüstet worden zu sein. Das Portal, das sie in den Kreis gebracht hatte, war vielleicht noch da, möglicherweise sogar unentdeckt. Einer von Tscharens Schlüsseln konnte es vielleicht aktivieren. Das wollte sie wissen. Im Notfall konnte es der einzige noch offene Fluchtweg sein. Hoch über ihr zischte und klapperte etwas. Sie wirbelte herum. Etwas peitschte um ihre Fußknöchel und zog ihre Beine mit einem heftigen Ruck zusammen. Sie verlor das Gleichgewicht.
16 Sie ging zu Boden, drehte sich dabei, als der Metallring, den Thrakell gegen das Fenster geworfen hatte, um ihre Aufmerksamkeit abzulenken, klappernd über den Boden rollte. Der Fossily-Rucksack wirkte wie ein Kissen. Thrakell tat einen Sprung auf sie zu, blieb aber unvermittelt ein paar Schritte von ihr entfernt stehen. »Fast hättest du's geschafft«, sagte Telzey leise. »Aber wage nur nicht, dich zu bewegen!« Er sah die Pistole, die auf seinen Bauch gerichtet war. Er wurde blaß. »Ich wollte dir keinen Schaden zufügen!« »Halt den Mund, Thrakell. Du weißt, ich muß dich vielleicht töten. Also sei vorsichtig.« Thrakell schwieg. Telzey setzte sich auf, musterte ihre Fußknöchel, dann Thrakell. Das Ding, das ihre Beine fast schmerzhaft verschnürt hatte, war der weiße Gürtel, den er um die Taille geschlungen getragen hatte. Es war kein Gürtel, sondern eine gefährliche Waffe, die sogar Essu entgangen war. »Wie läßt sich das Ding lockern und abnehmen?« fragte sie. In den zugespitzten Enden des glatten weißen Seiles schien eine Vorrichtung zu sein, mit der das Seil
manipuliert werden konnte. Telzey befahl Thrakell, sich auf Hände und Füße zu kauern und sie zu befreien. Die Pistole blieb dabei immer auf ihn gerichtet. »Und jetzt zeig mir, wie es gehandhabt wird.« Das tat Thrakell natürlich nicht gern, doch es war recht einfach. Er hielt das Ding an einem Ende fest und drückte einen winzigen Hebel, der das Seil zusammenzog. So ließ sich in Sekundenschnelle alles recht praktisch fesseln. Und Telzey benützte ihr neuerworbenes Wissen sofort dazu, Thrakell die Hände auf den Rücken zu binden. Er räusperte sich. »Ich will dir alles erklären. Ich ahnte ja, daß der Kreisausgang, den du erwähntest, ganz in der Nähe sein mußte, und ich fürchtete, du würdest mich allein zurücklassen. Ich wollte nur sicher sein, daß du das nicht tust. Und das verstehst du doch sicher, oder?« »Bleib dort, wo du bist«, warnte Telzey. Die Schlüssel erzeugten im Raum keinen Portal Schimmer, also mußte das Portal, durch das sie gekommen war, zerstört worden sein, als Stiltiks Suchgruppe es fand. Aus diesem Raum führte kein anderes Portal hinaus. »Stell dich mit dem Gesicht zu mir an die Wand«, befahl sie Thrakell. »Wir haben etwas zu klären.« Thrakell gehorchte zögernd. »Du nimmst mir also meine Erklärung nicht ab?« fragte er.
»Nein«, antwortete Telzey. »Ich hätte dir ja die Beine brechen können.« »Oder den Hals«, gab Telzey zu. »Das würdest du nie versuchen, aber ich muß wissen, was du erreichen wolltest. Also nimm die Mattscheibe von deinem Gehirn ab und öffne deinen Schild.« »Ich fürchte, das ist unmöglich. Mein Geist weigert sich offensichtlich, sich selbst bloßzustellen. Bewußt kann ich dagegen gar nichts tun.« »Ja, das ungefähr habe ich Stiltik auch gesagt, als sie verlangte, ich solle meinen Schild öffnen«, bemerkte Telzey nachdenklich. »Sie hat mir nicht geglaubt. Und ich glaube dir auch nicht.« Da lag auch schon Essus Pistole in ihrer Hand. Thrakell sah sie und schüttelte den Kopf. »Nein. Du hättest mich töten können, als ich dir das Seil um die Beine warf. Da hast du dich bedroht gefühlt. Einen, der hilflos ist und dir nicht gefährlich werden kann, tötest du nicht.« »Sei dessen nicht allzu sicher«, warnte Telzey. »Ich werde es vielleicht doch tun.« »Was meinst du damit?« fragte er ängstlich. »Wenn ich schieße, versuche ich so nahe wie möglich an dir vorbeizuschießen. Aber ich bin kein guter Schütze. Also wird es dich früher oder später doch erwischen.« Sie hob die Pistole und drückte ab. Eine Handbreite von Thrakells Ohr entfernt fiel Putz von
der Wand. Er tat einen entsetzten Schrei und zuckte zurück. »Dorthin habe ich gar nicht gezielt«, erklärte Telzey ein wenig nervös. »Du rührst dich besser nicht, denn ich schieße auch auf die andere Seite.« Diesmal traf der Schuß ein wenig weiter entfernt, aber Thrakell schrie und ging in die Knie. Und da verschwand die Mattscheibe vor seinem Geist. Thrakell schluchzte. Telzey steckte die Pistole mit zitternden Händen zurück und holte tief Atem. »Offen halten«, befahl sie. »Ich habe bekommen, was ich haben wollte«, stellte sie nach einer Weile fest. »Ich sehe schon, dich kann ich nicht beeinflussen. Steh auf. Wir gehen jetzt. Wie lange hast du für Boragost gearbeitet?« Thrakell schluckte. »Zwei Jahre. Mir blieb keine Wahl. Mir drohten Folter und Tod.« »Das sah ich. Komm jetzt.« Natürlich hatte sie mehr als nur das gesehen. Thrakell Dees war, wie sie vermutet hatte, gar nicht zu ihr gestoßen, um den Elaigar-Kreis zu verlassen, denn er konnte es nicht riskieren, draußen vom Psychodienst vernommen zu werden. Das war aber nicht zu umgehen, wenn Neto oder Telzey dem Psychodienst berichteten. Und es war ihm als Geheimagent für Boragost nicht schlecht gegangen. Warum sollte er also sein Leben ändern? Er war natürlich sofort bereit gewesen, seine Fahne in
den anderen Wind zu hängen, wenn ihm das Vorteile brachte. In der zweiten Sektion hinter diesem Raum fand Telzey ein Portal, ging mit Thrakell Dees hindurch und gelangte in einen großen, schwach beleuchteten Raum. Sie ließ Thrakell im Hauptgang, ging weiter in den anschließenden Raum und kehrte sofort wieder um. Da krachte ein morsches Dielenbrett, und etwas, das sie vorher übersehen hatte, drang blitzartig in ihr Bewußtsein. Sie ließ sich auf die Knie fallen und umklammerte Essus Pistole. Thrakells Seil hing einen Moment über ihr; sie rollte sich schnell zur Seite, als es fiel, aber schon war Thrakell über ihr und drückte sie fest auf den Boden. Sie konnte zweimal ihre Pistole abdrücken. Thrakell schrie und ließ von ihr ab. Sie drehte sich um und sah ihn zum Portal rennen, durch das sie gekommen waren, und sie wußte, daß er nun einen oder auch beide Schlüssel hatte. Sie schickte ihm fünf oder sechs Schüsse nach, traf ihn aber nicht, aber er gelangte nicht zum Portal, sondern verschwand durch eine Tür, die in den Korridor mündete. Keuchend kam Telzey auf die Knie und sah einen der Schlüssel auf dem Boden liegen. Die rechte Tasche hatte ihr Thrakell fast abgerissen, als er ihr die
anderen Schlüssel stahl. Hinter ihr bewegte sich etwas. Es war das Seil, das sich mit sprunghaften Bewegungen streckte, rollte, schlängelte und nichts von dem greifen konnte, was es berührt hatte. Ihre Beine zitterten, als sie aufstand und das Ding aus unmittelbarer Nähe mit der Pistole zerschoß. Thrakell würde es nie mehr verwenden können. Diesmal hatte er es ihr um den Hals legen wollen. Sie fand keine Spur von Thrakells Gedankenmuster, und das gefiel ihr nicht. Vorsichtig ging sie weiter in einen kleinen Raum, fand auch dort keine Spur von Thrakell und tat einen weiteren Schritt. Sie hatte die Türklinke noch in der Hand, als sie durch den Fußboden brach, als sei überhaupt keiner da. Und da fand sie, daß sie ebenso substanzlos geworden war wie der Fußboden. Sie lehnte sich zurück, so daß ihr Oberkörper noch im Gang lag. Ihre Knie hingen durch ein Nichts im Fußboden – durch ein Portal.
17 Nach Thrakell Dees brauchte sie also nicht mehr Ausschau zu halten. Als sie wieder aufstehen konnte, entdeckte sie in einem der untersuchten Räume ein Stück dünnen, leichten Rohrs, das sie herausziehen und geradebiegen konnte. Damit stieß sie in das Portalloch hinein, traf aber nirgends auf Widerstand. Aber als sie es wieder herauszog, fühlte es sich eiskalt an. Telzey mußte also nach einem anderen Portal suchen. Sie befestigte ihren Schlüssel am Ende des Rohres und tastete sich langsam damit weiter. Aus ihren Karten ließ sich nicht klar erkennen, wo sie sich befand, aber jedenfalls war sie außerhalb der Reichweite von Stiltiks Suchsystem. Was vor ihr lag, war mindestens zum Teil Alatter-Territorium. Die hatten ihr eigenes Suchsystem, und das mußte wohl bald ihre Spur aufnehmen. Sie fand einige Portal-Fallen, die sie jedoch entschärfen konnte. Dann kam sie durch Sektionen, die mit Vorräten angefüllt waren. Aus denen mußte sich Thrakell Dees versorgt haben, sonst hätte er nicht so lange durchgehalten. Dann nahm sie ihre FossilyTigermaske vom Gesicht. Schließlich kam sie in einen Raum, in dem ihr
Schlüssel am Rohrende plötzlich verschwand. Es war also ein Portal, das sie in seinen Umrissen bald festlegen konnte. Nun kehrte sie ihr Rohr um und stieß das andere Ende durch das Portal. Sie fühlte einen Zug und schien von einem Magneten zum äußeren Portalrand geführt zu werden, wo sie auf Widerstand stieß. Telzey blinzelte, lief schnell zu dieser Stelle, kniete nieder und wußte doch schon, was sie gefunden hatte. Sie zog das Rohr heraus, griff mit der Hand hinein und berührte eine glatte Oberfläche, die im rechten Winkel zu der Fläche stand, auf der sie kniete. Sie schob wieder das Rohr durch, beugte sich vorwärts und kroch durch die untere Öffnung eines Wandportals in eine neue Sektion. Nach zwei Stunden wußte sie, daß sie, das Ende ihrer Route erreicht hatte. Jetzt stand sie am äußeren Rand jenes Gebietes, das die Alatter für alle anderen unzugänglich gemacht hatten. Das einzige funktionierende Portal war das, durch welches sie gekommen war. Ihr Schlüssel brachte sie nun auch nicht mehr weiter. Es war ein großer, leerer, unbewohnter Komplex, in dem ihre Schritte ein hohles Echo weckten. Sie legte das Rohr weg, holte ihr Straßenkleid im TinoktiSchnitt aus ihrem Rucksack, zog sich um und lehnte sich an die Wand.
Das war jetzt ein Wartespiel, bei dem sie versuchen mußte, sich auszuruhen. Einige Zeit verging. Endlich schlossen sich warnend ihre Gedankensperren. Etwas rührte sich. Es war fast so, als hätten sich lauschende Ohren aufgestellt oder scharfe Augen in ihre Richtung geblickt. Ein Gedanke berührte sie plötzlich: »Wenn du dich bewegst, einen Laut von dir gibst oder einen Warngedanken ausschickst, wirst du sterben!« Ein kalter Schauer überlief sie. Dann sah sie etwa zehn Schritte entfernt einen riesigen Dagen auf seinen Hinterkeulen sitzen, der sie unverwandt anstarrte. Es war ein wesentlich größeres Tier als jene beiden, die sie bisher gesehen hatte. Die kleinen roten Augen im massigen Schädel funkelten mordlüstern. Sofort schlossen sich ihre Sperren. Der Psi-Hund verschwand. Links sah Telzey eine große Gestalt unter der Tür stehen. Es war die Alatter-Frau Kolki Ming. Sie musterte Telzey, ihre Kleidung, den Rucksack und das Rohr mit dem Schlüsselpack. »Das ist eine Überraschung«, sagte sie. »Hier haben wir dich nicht erwartet, wenn wir auch wußten, daß du Stiltik entkommen sein mußtest. Bist du allein?« »Ja.« Die Frau nickte. »Wir werden sehen.« Ihre Augen wurden ausdruckslos. Nach ein paar Minuten sagte
sie: »Du scheinst wirklich allein zu sein. Wie bist du entkommen?« »Stiltik hat den Tolant Essu zu meinem Wächter bestimmt.« »Wo ist Essu jetzt?« »Tot. Wir liefen einigen Boragost-Leuten in die Hände. Es war in einem verwilderten Gewächshaus.« »Aha! Diese Patrouille wurde als aufgerieben gemeldet. Erschossen. Jetzt erzähl mir den Rest.« Neto Nayne-Mel wurde nicht erwähnt in Telzeys kurzem Bericht, der im wesentlichen der Wahrheit entsprach. »Wo ist Boragosts Würger jetzt?« fragte die AlatterFrau. »Wir hatten Meinungsverschiedenheiten. Er fiel in eine eurer Portal-Fallen.« Kolki Ming schüttelte den Kopf. »Und du willst jetzt erfahren, was wir tun. Die Elaigar haben also einen Dagen weniger, und die Information ist für uns sehr wertvoll. Wir können nicht zulassen, daß du damit zum Psychodienst gehst. Und Essus Leiche wurde bei den Toten der Patrouille nicht gefunden.« »Wir haben ihn mitgenommen und dann versteckt«, antwortete Telzey. »Ich hätte nicht geglaubt, daß Stiltik schon von meinem Verschwinden weiß.« »Vielleicht weiß sie noch nichts. Wir haben jetzt gerade etwas außerordentlich Wichtiges zu tun. Tscha-
rens Gefangennahme hat uns gezwungen, unsere Pläne zu ändern. Jetzt wird alles viel schwieriger als vorher. Ich weiß nicht, wie wir dich da einplanen können, aber du kommst jedenfalls mit. Gib mir deine Pistole.« Als sie das Portal verlassen hatten, standen sie in einer dunklen, engen Straße. Das einzige Licht kam von schwachen Lampen. Als Telzey einmal zurückschaute, sah sie eine hohe Mauer aufragen, und aus dieser Mauer waren sie gekommen. Links und rechts drängten sich kleine, schäbige Häuser zusammen. Das Pflaster war holprig, und überall lagen Gerümpel und Unrat herum. Die Luft roch abgestanden, und von irgendwoher kam ein unbestimmtes Rumpeln. »Diese Sektion war das private Experimentiergebiet eines Phon«, sagte Kolki Ming. »Sie erscheint auf keiner normalen Systemkreiskarte, und die Elaigar haben sie nie gefunden. Deshalb benützen wir sie als temporäre Operationsbasis ... Hier wurden über zweihundert Leute eingeschlossen, als die Elaigar kamen. Sie entgingen zwar dem Massenmord, aber sie konnten die Sektion nicht verlassen, und mußten verhungern, als die Lebensmittel zu Ende gingen.« Etwas schoß unvermittelt durch Telzeys Bewußtsein – ein ganz kurzer, heftiger Psi-Pfeil. Dann war ein Gurgeln und Heulen zu vernehmen, und auf der Straßenseite gegenüber materialisierte sich ein Dagen.
»Scag hat auf uns gewartet. Er hoffte unentdeckt zu bleiben«, erklärte Kolki Ming. »Wollte er angreifen?« »Natürlich, wenn er die Möglichkeit gehabt hätte. Wenn er, wie gerade jetzt, unter leichter Arbeitslenkung steht, muß man sehr auf ihn aufpassen.« Sie bogen in eine andere Straße, die ein wenig breiter war als die erste, sonst aber kaum freundlicher. Links und rechts standen dieselben schäbigen Häuser. Der PsiHund lief jetzt zwanzig Schritte von ihnen entfernt mit. Die Alatter-Frau blieb vor einem der größeren Häuser stehen. »Hier ist mein Posten«, sagte sie. Das Erdgeschoß des Hauses war von allem geräumt worden, was es früher einmal enthalten haben mochte. An den Wänden schimmerten zwei Portalumrisse, und eine ziemlich reiche Auswahl anscheinend hastig zusammengetragener Instrumente stand herum. Kolki Ming sagte: »Ellorad und Sartes werden noch eine Weile nicht zurückkommen. Setz dich, während ich mich um meine Pflichten kümmere.« »Ich möchte etwas wissen«, sagte Telzey. »Ja?« »Wie alt bist du?« Die Alatter-Frau musterte sie. »So, dann weißt du es also. Ich zähle siebenundzwanzig eurer Standardjahre. Über alles andere können wir reden, sobald wir Zeit haben.«
Telzey setzte sich auf eine leere Kiste, während Kolki Ming kurz in einen Kommunikator sprach. Die Antwort blieb für Telzey unhörbar. Dann wandte sich die Alatter-Frau zu einer Instrumentenwand um. Wenig später fanden sie Zeit, miteinander zu reden. Der Übergang der Elaigar in die reife Form der Sattaram wurde von einem Todes-Gen bestimmt, das der Grisand-Kult auf Nalakia geformt hatte, um die Mutation unter Kontrolle zu halten. Die Elaigar wußten das nicht. Nachdem sie die Grisands vernichtet hatten, konnten sie selbst keine eigene biologische Wissenschaft entwickeln, und nach ihrem Kodex war es ganz ausgeschlossen, daß ihre wissenschaftlichen Diener mit den Herren Experimente anstellten. Aber vor langer Zeit hatte eine Gruppe diese Regel gebrochen. Sie setzten fremde Forscher an die Aufgabe, eine Methode zur Lebensverlängerung zu finden. Man sagte ihnen, für sie selbst als Persönlichkeiten gebe es gar nichts, aber das fragliche Gen könnte man ausschalten zugunsten der Nachkommen. Damit waren sie zufrieden. So entstanden die Alatter. Sie blieben der körperlichen Struktur nach Otessaner, hatten aber eine normale menschliche Lebenserwartung. Längst vergessene Ziele und Interessen wurden wieder verfolgt. Sie hatten Zeit zu lernen, und sie lernten
sehr schnell, denn sie konnten sich nach der Art der Elaigar an fremder Wissenschaft und Technologie bereichern. Hier spaltete sich die Rasse. Die meisten Elaigar verachteten die Alatter, weil sie die majestätische Struktur des Löwenvolkes aufgegeben hatten und weil sie sich selbst mit der Arbeit von Dienern degradierten. Sie setzten alles daran, diese neue Unterrasse auszurotten, aber der Vorsprung der Alatter war viel zu groß. »Das war natürlich schon vor Jahrhunderten«, erklärte Kolki Ming. »Jetzt haben wir unsere eigene Zivilisation und brauchen uns von anderen nichts mehr zu borgen. Natürlich war die Föderation bis vor achtzig Jahren noch immer unser Lehrmeister. Aber die Elaigar blieben abhängig von ihren Sklaven, und heute lassen sie sich mit uns überhaupt nicht mehr vergleichen. Ihr Kodex engt sie geistig viel zu sehr ein. Manche kommen aus eigenem Antrieb zu uns, aber wir können für sie selbst nichts mehr tun. Ihre Kinder haben jedoch dann dieselbe Lebenserwartung wie wir. Natürlich benützen wir jede Gelegenheit, einige Elaigar zu uns herüberzuziehen, und ihre Kinder werden als Alatter geboren. Selbstverständlich hassen sie uns deshalb, aber sie sind ja untereinander auch nicht einig. Deshalb haben sie ja bei diesem Unternehmen gegen die Föderation so viel riskiert. Sie meinten, wenn sie die Menschheit, ihren alten Feind,
unter Kontrolle brächten, dann wäre das eine sehr große Aufgabe, die sie wieder zusammenschweißen könnte. Als wir entdeckten, was sie zu tun vorhatten, kamen wir zur Föderation zurück.« »Ihr habt also versucht, sie aus der Föderation hinauszuwerfen, ehe wir entdeckten, daß sie sich hier eingenistet hatten?« fragte Telzey. »Das hatten wir jedenfalls vor. Wir wollen nicht, daß der uralte Streit wieder aufflackerte. Es war wirklich kein einfaches Unternehmen, aber wir haben sehr sorgfältig geplant, und unsere Vorbereitungen sind praktisch abgeschlossen. Wir drei hatten den Auftrag, die Zentralkontrollsektion des Tinokti-Kreises zu sichern, sobald es kritisch wurde. Wenn wir es jetzt tun können, ist der größte Teil der Führerschaft der Sattaram in der Falle. Wir haben viele Monate lang auf diese Gelegenheit gewartet. Wir haben uns darauf vorbereitet, gleichzeitig gegen alle Stützpunkte der Elaigar innerhalb der Föderation loszuschlagen. Es steht also sehr viel auf dem Spiel. Wenn wir die Elaigar nicht unbemerkt unter Kontrolle bekommen, ehe die menschlichen Kräfte mit ihnen zusammenstoßen, dann kann es für alle Seiten sehr unheilvoll werden. Wir dürfen doch nicht erwarten, daß die Kriegsschiffe der Föderation genau zwischen Alatter und Elaigar unterscheiden können, nachdem die Schießerei erst einmal begonnen hat. Das wäre zuviel verlangt. Und
eine einseitige Geschichte ist es ja auch nicht. Wir sind bis an die Zähne bewaffnet, die Elaigar aber auch. Sie sind unser größtes Problem, nicht das der Föderation. Wir stehen ihnen noch viel zu nahe, als daß wir sie als Feinde betrachten könnten. Meine Eltern waren von ihrer Art, und sie meldeten sich nicht freiwillig, um ihr Genemuster ändern zu lassen. Hätte man sie nicht gefangen und dazu gezwungen, dann hätte ich vermutlich zu gegebener Zeit ebenso rücksichtslos um den Rang des Suan Uwin gekämpft wie Boragost oder Stiltik. Ich glaube, du hättest es auch nicht anders gemacht, wenn deine Vorfahren zufällig Gegenstand der Grisand-Forschung auf Nalakia gewesen wären. Aber wir gewinnen allmählich überall Vorteile gegenüber den Elaigar. Wenn wir hier erfolgreich sind, dann wird der letzte Sattaram in weniger als dreißig Jahren tot sein.« Sie schwieg eine Weile, studierte ihre Geräte und nahm einen Kommunikator auf. Telzey vernahm Stimmengemurmel, das etwa zwei Minuten andauerte. Kolki Ming legte ohne zu antworten den Kommunikator weg. Einer der anderen Alatter hatte ihr offensichtlich eine wichtige Nachricht übermittelt. Sie stand auf und legte nachdenklich einen Waffengürtel um.
»Wir haben versucht, Boragost und Stiltik zu zwingen, das Löwenspiel mit uns zu beginnen«, sagte sie. »Das wird der schnellste Weg sein, unser Ziel zu erreichen. Vielleicht ist es im Moment sogar der einzige Weg. Mir scheint, es ist uns auch gelungen.« Sie wies auf eine zur Straße führende Tür. »Wir gehen hinaus. Der erste Schritt muß in kürzester Zeit getan werden. Ich muß Scag rufen.« Telzey stand auf. »Was ist das Löwenspiel?« »Das, welches du spielst, glaube ich«, antwortete Kolki Ming. »Ich glaube nicht, daß du ganz offen zu mir bist. Aber ob du das beabsichtigt hattest oder nicht – es scheint, du steckst nun mitten drin.«
18 Kolki Ming hatte vor dem Haus eine Leuchte aufgestellt, die auf eine Strecke von etwa hundert Metern die trübe Straße und die Häuserfronten beleuchtete. Sie blieb mit Telzey in der Nähe des Eingangs. Scag erschien unvermittelt im Lichtkreis, starrte die beiden unfreundlich an, warf einen raschen Blick über die Schulter und war wieder verschwunden. Telzey hatte den Alattern einen größeren Dienst erwiesen als sie ahnte, indem sie indirekt Stiltiks Dagen erledigt hatte. Als sie davon erfuhren, konnte sie ihrer Arbeit viel freier nachgehen. Wenn irgendwo Dagen eingesetzt wurden, komplizierte sich die Arbeit jener, die von ihnen bedroht waren, ungeheuer. Sie mußten viel Zeit und Kraft darauf verwenden, diese Psi-Hunde aus dem Weg zu schaffen. Scag hatte während des Überraschungsangriffes auf die versiegelten Gebiete einige von Stiltiks Leuten getötet, und deshalb wußte man, daß drei Alatter einen Psi-Hund mitgebracht hatten. Weitere zwei Dagen befanden sich gegenwärtig noch im Kreis. Boragost hatte einen, und der zweite gehörte einem Führer der Sattaram, der vor etwa einer Woche mit dem Tier angekommen war. Wenn nun Boragost etwas gegen die Alatter unternehmen
sollte oder wollte, und es hatte ganz den Anschein, dann müßte sein erster Schritt der sein, unter Einsatz der beiden Hunde Scag zu erledigen. Wenn die Elaigar-Dagen zur gleichen Zeit getötet werden konnten, dann wäre für die Alatter Scags Verlust nicht so schwerwiegend. Sie könnten dann sofort ihre Pläne in die Tat umsetzen. So stand also das Spiel im Moment. Scag kam und ging. Seine Rasse konnte jeden Artgenossen fühlen und aufspüren. Und er wußte auch, daß er von Jägern gesucht wurde, die ebenso wild und unbarmherzig waren wie er. Auf keinen Fall wich er ihnen aus. Seine Rolle war die, dafür zu sorgen, daß die erste Begegnung hier stattfand. Die Schußwaffe, die Kolki Ming griffbereit bei sich trug, war zum Einsatz gegen Dagen bestimmt, und die waren nicht leicht zu töten. Nun kam Scag zurück, blieb und duckte sich. Sein massiger Kopf drehte sich von einer Seite zur anderen. »Sie kommen!« sagte Kolki Ming. »Du bleibst hier und rührst dich nicht.« Plötzlich waren zwei andere Dagen da, je einer links und rechts von Scag. Er warf sich auf den, der näher war. Es wurde ein Durcheinander aus Bewegung und Lärm. Die Straße füllte sich mit dem tiefen Heulen der Psi-Hunde, das meistens wie das Gelächter von
Irren klang. Sie schlugen zu, bissen, sprangen einander an, sie verschwanden, waren plötzlich wieder da und belauerten einander. Flecken gelben Blutes zeichneten sich auf dem Pflaster ab. Scag schien sich von der Tatsache, daß er gegen zwei zu kämpfen hatte, nicht beeindrucken zu lassen. Beide waren kleiner, wenn auch einer davon nur wenig kleiner war als Scag. Telzey gewann den Eindruck, daß Scag die beiden Feinde ohne jede Unterstützung erledigen könne. Aber Hilfe war da. Kolki Ming war überall gleichzeitig, immer unmittelbar am Rande des Kampfes; dann und wann schoß sie. Die Dagen schienen sie völlig zu übersehen. Dann lag einer von Scags Gegnern auf dem Pflaster. Sein Kopf war unnatürlich verdreht, und er rührte sich nicht mehr. Scag und der andere Hund hatten sich ineinander verbissen und rollten über die Straße in Telzeys Richtung. Sie bemerkte, daß Scag am Hals und aus der Schnauze blutete. Die AlatterFrau folgte ihm, und der Lauf ihrer Pistole berührte fast den anderen Hund. Das Tier tat einen Satz und schnappte nach ihr. Scag kam auf die Füße, schwankte einen Moment, ließ den Kopf hängen, gab ein gurgelndes Geräusch von sich und fiel um. Der andere stemmte sich mit den Vorderbeinen ein. Seine Hinterbeine waren gelähmt, er zog sie nach. So versuchte er Kolki Ming zu erreichen. Sie tat einen
seitlichen Schritt und schoß ihn in die Flanke. Er heulte auf und verschwand. Sie wartete etwa eine Minute mit schußbereiter Pistole. Dann ließ sie die Waffe sinken und wandte sich an Telzey. »Er ist zu seinem Herrn zurückgegangen«, sagte sie. »Aber den schicken sie uns bestimmt nicht mehr. Natürlich erfahren sie von ihm, daß Scag und der andere tot sind. Dann vernichten sie ihn auch.« Sowohl in der Theorie wie auch in der Praxis war die größte Reichweite und Wirksamkeit eines Portals genau festgelegt. Darauf beruhte auch die Sicherheit des Kontrollzentrums der Elaigar-Kreise. Sektionen innerhalb der potentiellen Reichweite des Kontrollzentrums waren schwer bewacht; waren sie in Gefahr, so trat sofort ein ausgeklügeltes und überaus wirksames Verteidigungssystem in Aktion. Die Wissenschaftler der Alatter hatten es fertiggebracht, die Reichweite der Portale zu vergrößern. Für normale Zwecke war das nicht sehr wichtig, aber in diesem besonderen Fall konnten Alatter-Agenten bewachte Sektionen umgehen und das Kontrollzentrum erreichen, ohne Gegenmaßnahmen auszulösen. Die vier Agenten, die man in das Zentrum geschleust hatte, stellten eine ganze Reihe getarnter PortalKontakte her, die zum größten Teil durch versiegelte
Sektionen führten und direkt im Zentrum endeten. Die Verantwortung für diesen Teil der Operation hatte bei Tscharen gelegen. Als die Arbeit vollendet war, mußte man auf die nächste Zusammenkunft der Elaigar-Führerschaft warten. Tscharen gehörte zu Stiltiks engster Umgebung und blieb so über alles unterrichtet. Die anderen drei wurden zu bestimmten Aufgaben weggeschickt. Tscharen hatte vermutlich noch einige zusätzliche Sicherungsmaßnahmen getroffen und war dabei beobachtet worden. Deshalb wurden er und Telzey von Stiltik gefangengenommen, als seine Gefährten in den Kreis zurückkehrten, um die geplanten Operationen anlaufen zu lassen. Man stellte fest, daß sie AlatterAgenten waren. Man mußte also den ursprünglichen Plan aufgeben. Stiltik hatte Tscharen gezwungen, sich ihr in einem formellen Kampf zu stellen, und es fiel ihr leicht, ihn zu besiegen. Er war also ihr persönlicher Gefangener. Das, was sie aus ihm an Informationen herausquetschen konnte, war ihr Vorteil. Eine unmittelbare Gefahr war das nicht; es würde immerhin einige Stunden dauern, bis sie seine Barrieren niedergerissen hatte. Aber die Elaigar waren nun einmal alarmiert. Eine direkte Annäherung an das Kontrollzentrum würde man nun fast sofort entdecken. Die Alatter beschlossen, die Spannungen zwischen
den beiden Suan Uwin auszuspielen. Im Moment hatten sie einen Höhepunkt erreicht, weil niemand die Bedeutung jener Ereignisse richtig einzuschätzen verstand, für die Telzey und ihre Gruppe verantwortlich waren. Ellorad und Sartes, die anderen beiden Agenten, kontrollierten eine ganze Anzahl von Gehirnen unter Boragosts Kommando. Durch sie verbreitete sich unter Boragosts Anhängern und Gegnern das Gefühl, nachdem Stiltik den Löwenweg gegangen war, welcher den gefangenen Alattern eine Chance im rituellen Kampf gab, dürfe Boragost nun nicht weniger tun. Er müßte also die drei in den versiegelten Gebieten Eingeschlossenen persönlich zum Kampf herausfordern. »Willst du denn gegen diese Ungeheuer kämpfen?« hatte Telzey ein wenig ungläubig gefragt. »Wollen? Mir wäre lieber, ich würde keinen von beiden sehen«, antwortete Kolki Ming. »Besonders Stiltik nicht. Aber meine Aufgabe ist das hier sowieso nicht. Wenn Sartes und Ellorad ganz offen bekannt sind, dann muß es doch scheinen, als hätten wir zugegeben, daß wir besiegt seien und nun den Tod im Kampf einer Gefangennahme vorziehen. Das müßte die Aufmerksamkeit der Elaigar zeitweise von mir ablenken und mir eine Chance geben, unbemerkt zum Kontrollzentrum vorzudringen.« Nach einer Weile fuhr sie fort: »Der Kampf wird
nicht ganz so einseitig, wie du vielleicht glaubst. Tscharen hatte keine spezielle Kampfausbildung, aber wir anderen wurden darauf gedrillt, die Elaigar einfach einzusammeln, und wir sind im Gebrauch aller gängigen Waffentypen, soweit sie ihren und unseren Regeln entsprechen, erstklassig geschult. Boragost könnte es vorziehen, uns mit einer stärkeren Streitmacht aus Elaigar und Tolant zu jagen, aber nun steht sein Prestige auf dem Spiel. Seine Herausforderung hat darin bestanden, daß er seine beiden Dagen gegen unseren schickte. Dieser Teil ist nun abgeschlossen, und keine Seite hat davon einen Vorteil gehabt. Wir werden diese Herausforderung in Kürze damit beantworten, daß wir uns selbst zeigen. Boragost ist dann an den Kodex gebunden.« Sie hatte in den Absatz von einem von Telzeys Schuhen eine Öffnung geschnitten und stellte nun einen Miniaturpack von Portalschlüsseln zusammen, der in die Höhlung paßte. Jeder Alatter hatte einen solchen geheimen Schlüsselsatz bei sich und dazu noch – für den Pannenfall – einen besser sichtbaren, aber weniger vollständigen Pack von Standardgröße, wie jenen, den man Tscharen abgenommen hatte. Das war der Grund, weshalb sie sich so schnell vor Stiltiks erstem Angriff hatten zurückziehen können. »Es waren doch die Alatter, die mich auf Orado überwacht haben, nicht wahr?« fragte Telzey.
»Das war ich«, gab Kolki Ming zu. »Warum? Als du mich in den Kreis geschleust hattest, sagtest du, es gäbe hier Leute, die mich sehen wollten.« »Das stimmt auch. Wir haben noch nicht alle Informationen über alle Psi-Typen, die es gegenwärtig in der Föderation gibt. Hier haben wir alle Kontakte mit ihnen vermieden, und sogar die Elaigar hatten so viel Vernunft, sich von den Institutionen des Psychodienstes fernzuhalten. Aber jetzt sind einige der Meinung, daß die Macht des Psychodienstes in erster Linie auf dem Einsatz von Psi-Maschinen beruht, nicht auf den Psi-Fähigkeiten der Mitglieder; daß also Psis von der ursprünglichen menschlichen Richtung keine Fähigkeit entwickeln, die sich mit der unseren vergleichen läßt. Diese Denkweise kann einmal recht gefährlich werden. Wir haben ebenso unsere Narren wie ihr auch. Einige von ihnen könnten annehmen, daß man die Föderation ungestraft herausfordern kann.« »Und du bist nicht dieser Meinung?« wollte Telzey wissen. »Ich weiß es zufällig besser. Aber wir wollten in der Lage sein, diese Tatsache zweifelsfrei zu erklären. Auf Orado erfuhr ich, daß ein Sattaram seinen Dagen auf einen herumspionierenden menschlichen Psi angesetzt hatte, und der Hund sei dann auf unerklärli-
che Weise verschwunden. Dieser Psi schien es wert zu sein, daß man sich mit ihm befaßte, und der Meinung war ich erst recht, als ich dich identifizierte und dabei entdeckte, daß du ja noch nicht einmal deine volle körperliche Reife erreicht hast. Und daß es eine Verbindung zwischen dir und dem Psychodienst gab, fühlte ich auch. Also beschloß man, dich zu holen, um dich von Fachleuten analysieren zu lassen. Dann kam aber die Sache auf Tinokti dazwischen, und du wurdest hierher gebracht. Damit erhielt ich die Gelegenheit, dich in den Kreis hereinzuschleusen. Wir rechneten damit, daß wir unsere Operationen schnell zu Ende bringen und dich dann mitnehmen würden.« Telzey hob fragend die Brauen, und deshalb fuhr Kolki Ming rasch fort: »Wir planten für dich natürlich nicht ein lebenslanges Exil. Du wärst während des größten Teils der Analyse bewußtlos geblieben, und später hättest du dich wieder auf Orado befunden, ohne daß du irgend etwas mit uns hättest in Verbindung bringen können. Ich weiß nicht, was man jetzt vorhat – immer angenommen, daß wir die nächsten paar Stunden überleben.« Wenig später kamen Ellorad und Sartes an. Sie hatten durch ihre Gedanken die weitere Entwicklung überprüft. Boragost hatte in aller Öffentlichkeit seine Zweifel daran ausgedrückt, daß die Alatter-Agenten
den Kampf wählen würden. Und sollten sie es tun, dann würde es ihn unendlich freuen, sie in der Halle der Herausforderung treffen und ihre Köpfe zu seinen billigen anderen Trophäen hängen zu können. Stiltik würde solange persönlich nichts unternehmen, ehe Boragost nicht wenigstens einmal gekämpft hätte. »Wird Boragost einen Sekundanten haben?« fragte Kolki Ming. »Ja. Lishon, den Adjutanten, wie üblich«, antwortete Sartes. »Stiltik wird jedoch, ebenfalls wie üblich, ohne Sekundanten kämpfen. Es wird eine Jagd in der Kaht-Schlucht, sagt sie.« Ellorad berichtete weiter: »Sartes wird Boragost gegenübertreten. Ich bin dort sein Sekundant. Wir wollen Stiltik nicht allzu früh mit hineinziehen.« Er warf Telzey einen Blick zu. »Wenn wir uns selbst zeigen, wird sie zum erstenmal erfahren, daß sie ihren menschlichen Gefangenen verloren hat, und da wird sie dann sehr nach Taten hungern. Aber eine Jagd in der Schlucht kann man in die Länge ziehen. Dafür werde ich schon sorgen, daß dies ganz gehörig geschieht. Für das, was notwendig ist, müßtest du dann genügend Zeit haben.« Kolki Ming nickte. »Ja.« »Dann wollen wir jetzt unsere Route festlegen. Wenn man uns sieht, müssen wir in der unmittelbaren Umgebung der Halle der Herausforderung sein.
Dann verschwinden wir wieder, bis Sartes und ich die Halle betreten. Damit hat Stiltik keine Zeit, in die Pläne hineinzupfuschen.« Boragosts Techniker waren in den Randsektionen am Werk gewesen, um dort ein Überwachungssystem zu installieren. Kolki Ming hatte den Fortgang der Arbeit mit ihren Instrumenten beobachtet. Die Route, die sie festgelegt hatte, führte durch eine solche Sektion. Telzey wußte gar nicht, daß sie schon dort waren, bis sie die Stimme eines Sattaram hörte, die sie in der Sprache der Elaigar anredete. Sie blieben stehen. Die tiefe, barsche Stimme sprach langsam und mit großem Nachdruck. Als er zu Ende war, antwortete Ellorad und ging weiter zum Ende der Sektion. Die anderen folgten. Als sie dann die Sektion verlassen hatten, bewegten sie sich blitzschnell. Kolki Ming sagte zu Telzey: »Das war Boragosts Sekundant. Die Herausforderung ist von beiden Seiten bestätigt, und man hat uns gesagt, wir sollten den aussuchen, der zuerst Boragost gegenübertreten solle, und der soll dann sofort mit seinem Sekundanten zur Halle kommen. Das ist genau das, was wir wollten.« Sie eilten den Männern nach und kamen nach drei weiteren Sektionen in einen Raum, wo die beiden schon einen Bildschirm eingeschaltet hatten. Auf dem Schirm war eine riesige Halle mit schwarzen und sil-
bernen Wänden zu sehen. Zwei Sattaram standen da und bewegten sich nicht. Der eine trug einen Waffengurt, der andere hatte eine riesige Axt über der Schulter. »Gerade sind sie gekommen«, berichtete Ellorad. »Sartes freut sich, daß Boragost die lange Axt gewählt hat. Er glaubt, er kann den Kampf so lange hinausziehen, bis der Suan Uwin über seine eigenen Füße stolpert.« Die beiden gingen sofort. Sartes hatte seine Pistole weggelegt, Ellorad behielt die seine.
19 »Die Halle ist nur zwei Portale von hier entfernt«, sagte Kolki Ming. »Aber die Elaigar haben sich keinen Zugang zu diesen Sektionen verschaffen können. Boragost weiß nicht, daß wir ihn sehen können. Wir warten, bis der Kampf beginnt, aber dann mußt du dich sofort auf den Weg machen.« Telzey nickte stumm. Boragost sah fast so riesig aus wie Korm und schien keine Anzeichen von Alter aufzuweisen. Der Axtstiel mußte mindestens eineinhalb Meter lang sein. Ellorad und Sartes erschienen plötzlich auf dem Schirm. Sie gingen zum Mittelpunkt der Halle, Sartes voran. Ellorad folgte in einem Abstand von etwa zwölf Schritten. Die beiden Sattaram standen bewegungslos da und beobachteten sie. Als sie etwa ein Drittel des Weges hinter sich hatten, blieben die beiden stehen. Ellorad sagte etwas. Lishon rumpelte eine Antwort. Dann zog Sartes sein Messer. Boragost grinste, nahm die Axt mit beiden Händen und ging gemächlichen Schrittes vorwärts. Kolki Ming hielt den Atem an und rannte aus dem Raum. Telzey lief hinter ihr her. In ihrem Geist wirbelte es, denn sie war sich nicht darüber klar, was sie gesehen hatte. Plötzlich waren nämlich zu beiden Sei-
ten der großen Halle die pflaumenfarbigen Gesichter von je drei Tolant zu sehen gewesen. Jeder von ihnen hatte den einen Arm zurückgezogen; sie schwangen ihn vorwärts, dann nach unten. Sie schienen kurze Stöcke zu halten. Wie im Nebel hatte sie Ellorad gesehen, wie er seine Pistole aus dem Gürtel riß, dann nach vorn fiel. Sartes lag schon auf dem Boden ... Kolki Ming raste einen Gang entlang und verschwand an dessen Ende durch ein Portal. Momente später lief auch Telzey durch; die Alatter-Frau hatte den Abstand zwischen ihnen schon verdoppelt und die Pistole in der Hand. Kolki Ming blieb unvermittelt stehen und verschwand durch die Wand rechts von ihr. Durch dieses Portal gelangte Telzey in die große Halle, die sie auf dem Bildschirm gesehen hatte. Und hier spuckte Kolki Mings Pistole Tod und Verderben. Lishon lag auf der Seite, stieß um sich und brüllte. Boragost war auf Hände und Füße gegangen. Sein großer Kopf war blutüberströmt. Er schüttelte ihn langsam, als sei er sehr benommen. Kleinere pflaumenfarbene Körper lagen hier und da auf dem Boden. Zwei von ihnen rannten schreiend die Halle entlang. Die Pistole traf einen, schickte ihn wie eine schlaffe Puppe durch die Luft. Der andere wirbelte herum und verschwand durch die Wand.
Portale. Die Tolant-Truppe hatte ein Signal bekommen und war durch eine ganze Serie verborgener Portale in den Saal getreten, um in den Zweikampf einzugreifen. Boragost sackte zusammen, fiel auf das Gesicht, blieb bewegungslos liegen. Kolki Ming hielt nach Telzey Ausschau. Ihre Augen funkelten in einem leichenblassen Gesicht. Sie eilte an Boragost vorbei zu Lishon. Telzey lief hinter ihr her, um Sartes herum, der auf dem Boden lag, sah etwas Kleines, Schwarzes, Buschiges in Sartes' Schulter ... Es waren Wurfstöcke, vergiftete Pfeile. Wieder sprach Kolki Mings Pistole. Lishon röhrte vor Wut und Schmerz. Die Alatter-Frau erreichte ihn, beugte sich über ihn und richtete sich auf. Jetzt war seine Pistole in ihrer anderen Hand. Sie schob sie unter ihren Gürtel, ging zu Boragost zurück; Telzey folgte ihr und schaute hinab auf den Riesen. Kolki Ming stieß ihm mit dem Stiefel in die Rippen. »Tot«, sagte sie mit unbewegter Stimme. Sie schaute sich in der Halle um und wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn. »Alle tot, nur Lishon nicht, aber der teilt Boragosts Unehre. Und ein verängstigter Tolant ist noch übrig. Jetzt warten wir. Nicht lange, glaube ich. Der Tolant wird in seiner Angst zu den Elaigar rennen.« Sie sah Telzey an. »Unsere beiden Gefährten starben am Tolant-Gift.
Drei Pfeile in jedem. Boragost hat es nicht gefallen, wie der Löwenweg heute aussah. Wenn wir sie nicht beobachtet hätten, wäre er mit seinem schmutzigen Plan erfolgreich gewesen. Die Tolants und ihre Pfeile wären verschwunden gewesen, und die Pfeilwunden wären mit Axthieben unkenntlich gemacht worden. Wir ...« Sie schwieg. Eine breite Treppe schwang sich am Ende der Halle empor, ein Stück hinter der Stelle, wo Lishon lag. Sie schien erst an einer blanken Wand zu enden. Doch jetzt schob sich eine große Platte in dieser Wand zur Seite; es war der Zugang zu einem sich öffnenden Portal. Ein Sturm tiefer Stimmen und wütender Bewegung brach gleichzeitig durch das Portal. Als es groß genug war, quollen Massen von Elaigar herein. Die vordersten blieben plötzlich stehen, als sie Kolki Ming und Telzey sahen. Sie wandten sich um und brüllten den anderen etwas zu. Die Bewegung verlangsamte sich. Dann herrschte mit einem Schlag Schweigen. Kolki Mings Augen flammten. Sie schwang ihre Arme. In einer Hand hatte sie ein Messer, in der anderen eine Pistole. Sie schrie ihnen ein paar Worte zu. Einer der Sattaram schrie zurück und hob herrisch den Kopf. Das Pack rannte die Treppe hinab in die Halle. Der erste, der Sartes' Körper erreichte, bückte
sich, zog den Pfeil aus dessen Schulter; ein anderer riß den aus seiner Seite und hielt ihn hoch. Dann herrschte wieder Stille. Die Gesichter drückten Erschütterung und Wut aus. Der Sattaram, der Kolki Ming geantwortet hatte, knurrte etwas. Die Leute hinter ihm wurden unruhig. Ein Otessaner trat hervor und hielt einen Tolant am Hals fest. Der Tolant begann zu kreischen. Der Elaigar hob ihn hoch, er griff mit einer Hand seine Knöchel und schleuderte das kreischende Wesen im Kreis herum. Das Kreischen hörte erst auf, als der Körper zerschmettert auf dem Boden lag. Der Sattaram sah zu Lishon hinüber und knurrte wieder etwas. Drei andere liefen schnell herbei. Lishons Augen waren groß und voll Angst, als zwei ihn auf die Füße rissen und ihn aufrecht festhielten. Der dritte zog ein kurzes Messer, schob mit dem Handrücken Lishons Kinn zurück und stieß ihm das Messer tief in die Kehle. Der tote Boragost spürte es nicht mehr, aber ihm wurde auch noch die Kehle durchgeschnitten. Kolki Ming und Telzey schienen nicht eigentlich Gefangene zu sein, als sie von mehr als einem Dutzend Sattaram umringt waren. Man hatte ihnen die Schlüssel abgenommen – die sichtbaren –, aber Kolki Ming behielt ihre Waffen. Das forderte der Ehrenkodex der Elaigar.
Aus der lauten und sehr hitzigen Debatte war zu schließen, daß solche Situationen eigentlich nicht vorgesehen waren; alle Gedankenschirme waren geschlossen. Telzey konnte keine klaren Eindrücke auffangen, aber die allgemeine Richtung des Gesprächs war eindeutig. Kolki Ming sprach dann und wann ein paar scharfe Worte. Die Riesen hörten ihr zu; die meisten schauten dabei sehr düster und mürrisch drein, aber sie hörten zu. Sie war ein Feind, aber ihre Vorfahren waren Elaigar gewesen, und sie und ihre Gefährten hatten sich ihrer Abstammung würdig gezeigt. Der Suan Uwin der Löwenleute mit seinem Sekundanten hatte sich dagegen schwer gegen die Regeln vergangen, die vorschrieben, daß gegen Alatter nicht gekämpft werden dürfe. Es war eine ganz verteufelte Situation, und viele kratzten sich nachdrücklich die Köpfe. Dann sprach Kolki Ming erneut, diesmal länger. Die Gruppe drehte die Köpfe, um Telzey anzustarren, die ein wenig abseits bei einem Sattaram an der Wand stand, der sich selbst zu ihrem Gefangenenwärter ernannt zu haben schien. Dieses Ungeheuer sprach Telzey an, als Kolki Ming zu sprechen aufhörte. »Die Alatter-Frau sagt, du bist ein Agent des Psychodienstes«, rumpelte er. »Ist das wahr?« Telzey sah verblüfft zu ihm auf, weil er Translingua so fließend sprach. Vermutlich war er kaum älter
als sie, wenn er auch wesentlich älter wirkte; noch vor einem Jahr war er wahrscheinlich ein Otessaner gewesen, der sich in Sparan-Verkleidung zwischen den Völkern des Sternennebels bewegte. »Ja, das ist wahr«, sagte sie langsam. Die anderen murmelten etwas. Es schien, daß nur wenige Translingua verstanden. »Die Alatter-Frau sagt, du hättest Stiltiks Dagen zum Ungehorsam gezwungen«, fuhr der Sattaram fort. »Und du hast auch ihre Universalschlüssel gestohlen und dich zum Meister ihres obersten Tolant gemacht; auch von Korm Nyokee, der in Ungnade gefallen ist. Und du warst es auch mit deinen Sklaven, die Boragosts Patrouille in einen Hinterhalt lockte und sie tötete. Und dann hast du auch noch Korm Nyokee veranlaßt, seine verlorene Ehre wieder herzustellen, indem er den Tod im Kampf suchte. Ist das alles wahr?« »Ja.« »Ho!« rumpelte er, und seine struppigen Brauen hoben sich. »Du bist also zu den Alatter-Agenten gestoßen, um ihnen gegen uns zu helfen?« »Ja.« »Ho, ho!« Das breite Riesengesicht spaltete sich in einem langsamen Grinsen. Er kratzte sich mit dem Daumennagel das Kinn und schaute zu ihr hinab. Einer aus der Gruppe schien alles zu wiederholen, damit auch die nicht Sprachkundigen wußten, was ihr
Kamerad gesagt hatte. Telzey wurde noch mehr angestarrt. Ihr Wächter zerdrückte ihr fast die Schulter mit seiner Pranke. »Ich hab denen schon vorher immer gesagt, es müsse Menschen geben, die unser würdig sind.« Sein Gesicht verdunkelte sich. »Jedenfalls mehr als Boragost und Lishon. Keiner soll glauben, dies sei der erste Betrug von diesen beiden gewesen, der erste Verrat. Ah, sind das Zeiten!« stöhnte er und schüttelte verständnislos den Riesenkopf. Die allgemeine Unterhaltung wurde immer hitziger. Einer der Sattaram lief plötzlich hinaus. »Er soll herausbekommen, was Stiltik will«, berichtete der translinguakundige Riese. »Jetzt ist sie nämlich allein Suan Uwin. Aber egal, was sie will, wir sind die Häuptlinge und bestimmen, was unser Kodex verlangt.« Der Elaigar kam sehr bald wieder zurück und berichtete. Nun beteiligte sich auch Kolki Ming an der lebhaften Diskussion. Telzeys Wächter sagte: »Stiltik behauptet, es sei ihr Recht, die Alatter-Frau zu fordern, damit sie in der Kaht-Schlucht mit ihr kämpfe. Das entspricht dem Kodex, und Kolki Ming hat auch akzeptiert. Stiltik sagt auch, daß du sofort als Gefangene zu ihr zurückkehren mußt. Ich glaube, sie ist der Meinung, du hast sie lächerlich gemacht, und das stimmt ja auch. Darüber wird jetzt gesprochen.«
Telzey antwortete nicht. Sie fröstelte. Die Unterredung ging weiter. Ihr Wächter beteiligte sich ein paarmal daran, und dann grinste er breit. Einer der Riesen in der Gruppe redete sie in Translingua an. »Du hast zu wählen. Willst du zusammen mit Kolki Ming Stiltik in der Kaht-Schlucht gegenübertreten?« Telzey zögerte nicht. »Ja, das will ich.« Er übersetzte. Viele in der Gruppe nickten. Telzeys Wächter sagte etwas in seiner Sprache. Ein paar lachten. Dann streckte er seine riesige Pranke aus. »Gib mir deinen Gürtel.« Sie sah ihn verwundert an und nahm ihren Jackengürtel ab. Er griff in sein westenähnliches Obergewand, brachte ein Messer in einer schmalen Metallscheide zum Vorschein, befestigte es am Gürtel und reichte ihn zurück. »Du warst Stiltiks Gefangene und hast dich tapfer selbst befreit«, rumpelte er. »Ich sage, du hast Ehre, und das habe ich ihnen auch erklärt. Du sollst nicht ohne Waffe Stiltik gegenüberstehen. Wer weiß? Vielleicht wirst du noch Suan Uwin bei uns.« Das übersetzte er dann für die Gruppe. Sie lachten röhrend. Telzeys Wächter lachte mit, doch dann schaute er zu ihr hinab und schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er. »Stiltik wird erst dein Herz essen, dann das von Kolki Ming. Aber wenn es dir gelingt, dein Messer vorher zu röten, dann freue ich mich unheimlich.«
20 Kolki Ming und Telzey wurden zu einem Portal gebracht, das sich in eine Zone sanfter Hänge öffnete. Doch als Telzey sich umschaute, sah sie einen senkrecht abfallenden Felsen. Tinoktis Sonne schien durch unsichtbare Kreis-Barrieren über ihnen. Kolki Ming ging auf ein kleines Haus zu, das etwa hundert Meter entfernt lag. »Schnell! Stiltik wird nicht lange warten und bald nachkommen.« Telzey eilte ihr nach. Hinter dem Haus fiel der Hang steil ab und verschwand aus dem Blickfeld. Etwa einen Kilometer entfernt war ein anderer steiler Felsberg. Eine schmale Baumreihe zog sich hinauf. Einige Teile waren dick mit Rankenwerk überwuchert. Die hohe Felswand bog sich so nach links und rechts, daß sie nahezu an jene Bergformation stieß, aus der sie eben gekommen waren. Rechts, wo sich die beiden Berge am meisten näherten, stürzte ein Wasserlauf in langen Kaskaden dem unsichtbaren Boden der Kaht-Schlucht entgegen. Weit links strömte das schäumende Wasser durch eine weitere Schlucht. Wenn Wasser ... Telzey wischte den Gedanken weg. Egal welche Portaltechniken zur Anwendung kamen: die Tatsa-
che, daß Wasser in diesem riesigen Gebiet frei durch die Energiebarrieren fließen konnte, mußte noch lange nicht bedeuten, daß dort auch ein Ausgang war. Sie folgte Kolki Ming in das Gebäude. Es bestand aus einem einzigen sehr großen Raum. An Wänden und Pfosten hing Bergsteigergerät, das den Proportionen der Elaigar entsprach. Überall gab es Seile, Haken, Karabinerverschlüsse und Krampen. Kolki Ming wählte ein Seil aus transparentem Material, streifte davon die Haken ab und befestigte es in Schlingen neben dem langen Messer an ihrem Gürtel, das nun ihre einzige Waffe war. Vor dem Haus bückte sie sich. »Schnell auf meinen Rücken, und halt dich fest! Wir wollen möglichst schnell und weit von diesem Ort wegkommen.« Telzey kletterte hinauf und schlang ihre Beine um die Taille der Alatter-Frau und hielt sich am derben Stoff ihrer Bluse fest. Kolki Ming lief in langen Schritten den Hang hinab. »Das ist ein Übungsgebiet, wenn Stiltik nicht gerade zur Jagd hier ist«, erklärte sie. »In der Regel liebt sie lange Jagden, aber heute könnte sie ungeduldig sein. Sie ist unermüdlich, fast so schnell wie ich, aber doppelt so stark. Und auf den Felsen kämpft sie ebenso geschickt, wie unten im Wasser. Der einzige Ausgang ist am Ende der Schlucht, fast genau am Fuß der Wasserfälle, und er öffnet sich nur mit Stiltiks
Schlüssel. Dahinter liegt ihre Triumphhalle, wo die Elaigar warten werden, bis sie ihnen ihre neuen Trophäen vorführt.« Der Hang fiel plötzlich steil ab. Kolki Ming drehte ihr Gesicht der Felswand zu, kletterte mit Händen und Füßen daran hinab und bewegte sich dabei fast so schnell wie vorher. Telzey klammerte sich ein wenig fester an. Sie war öfter aus sportlichen Gründen in die Berge gegangen und geklettert, aber das war wesentlich zahmer gewesen als dieser wilde, schwankende Ritt quer über eine fast senkrechte Felswand. Ein paar Minuten später riet ihr Kolki Ming, sich besonders fest anzuklammern und drückte sich von der Felswand ab. Sie fielen. Es war recht unangenehm, wenn es auch nur drei oder vier Meter waren und sie sich dabei nicht verletzten. Kolki folgte nun einen ziemlich breiten Pfad, der um die Felsschulter führte. Telzey schluckte heftig. »Wie wird uns Stiltik finden?« fragte sie. »Sie folgt unserer Geruchsspur, bis sie uns sieht. Sie ist ein Gedankenjäger. Du mußt also deinen Schild fest verschlossen halten.« Kolki Ming atmete noch immer ruhig und ohne Anstrengung. »Für die Elaigar mag das wie ein Spiel mit recht ungleichen Chancen aussehen. Ich habe
aber schon immer damit gerechnet, daß ich mich eines Tages Stiltik hier stellen müßte. Deshalb habe ich immer dann, wenn ich in diesem Systemkreis war, hier trainiert. Und sie haben keine Ahnung, daß von uns dreien ich diejenige war, die den Dagen führte.« Jetzt wurde das Rauschen des Wassers deutlicher und immer lauter. Das Wildwasser mußte etwa dreihundert Meter unter ihnen über die Felsen stürzen. Nun kamen sie in den Schatten. Der Pfad wurde schmäler, zuletzt sehr schmal. Dann mußte die Alatter-Frau wieder einen Felsen überqueren, an dem Telzey keinen Handgriff oder Tritt erkannt hätte. Niemals schien sie einen Gedanken an den senkrechten Felsabsturz zu verschwenden. Allmählich ließ sich wieder die Andeutung eines Pfades erkennen, er wurde breiter, als die Felsbiegung in die Sonne führte, später erneut in den Schatten. Schließlich sah Telzey ein Stück voraus eine Gabelung des Pfades. Der eine Arm führte durch eine schmale Schlucht, der andere über steile Felsen abwärts. Einen Moment später flog ein Gedankenfühler gegen ihren Schild; er suchte, verweilte einige Momente und verschwand. »Ja, Stiltik ist in der Schlucht«, sagte Kolki Ming. »Sie wird in einigen Minuten auf unserem Pfad sein.« Sie schlug den nach unten führenden Pfad ein, der
bald wieder anstieg. An einer schmalen, hohen Höhlenöffnung blieb Kolki Ming stehen. Innen hatte sich Sand und Staub angesammelt, und einige Rankengewächse füllten fast die ganze Öffnung aus. Kolki Ming schob das Gewirr zur Seite. »So, du kannst jetzt absteigen«, sagte sie. Telzey stellte sich auf etwas unsichere Füße und holte tief Atem. »Und was kommt jetzt?« fragte sie. »Jetzt verlasse ich dich«, antwortete Kolki Ming mit ausdrucksloser Miene. »Denk nicht über mich nach. Warte hier hinter dem Gestrüpp. Du wirst Stiltik lange vorher sehen, ehe sie dich sehen kann. Dann mußt du das tun, was gerade nötig ist.« Sie verschwand im Halblicht der Höhle, und Telzey starrte ihr nach. Von weit drinnen hörte sie kratzende Geräusche, dann das Prasseln fallender Steine. Danach herrschte völlige Stille. Telzey duckte sich in das Rankenwerk und schaute den Pfad entlang, der den Felsbiegungen folgte. Stiltik mußte jetzt bald in Sicht kommen. Telzey kehrte in die Höhle zurück und tastete sich bis zu jener Ecke, hinter der Kolki Ming verschwunden war. Es war fast völlig dunkel, und sie mußte sich jeden Schritt vorsichtig ertasten. Dann war vor ihr ein Fels, und Fels war auch links und rechts von ihr, so daß nur etwa eine Spanne Zwischenraum blieb. Rechts rann ein wenig Wasser herab und versickerte im Staub zu ihren Füßen.
Sie stellte sich auf die Zehen und hob die Arme, so weit sie konnte. Im Gesicht spürte sie einen leichten Luftzug. Also mußte sich hier die Höhle nach oben fortsetzen. Und in diesen schwarzen Kamin war Kolki Ming eingestiegen. Telzey überlegte einen Moment, ob sie wohl folgen konnte, und kehrte zur Höhlenöffnung zurück. Dort setzte sie sich auf den Boden, um den Pfad zu beobachten. Die Ranken zog sie zu einem dichten Vorhang zurecht. Große Steine lagen herum, die sie zusammentrug und zu einem Haufen aufschichtete. Dabei ließ sie aber den Pfad nicht aus den Augen. Wenig später erschien Stiltik. Telzey hielt den Atem an. Aus dieser Entfernung sah sie riesig bis zur Unförmigkeit aus, aber sie bewegte sich leicht und sicher wie ein Tier, das auf Berghöhen aufgewachsen ist und auch im unwegsamsten Gelände seinen Weg findet. Dann verschwand sie um die Bergschulter und kam in wenigen Minuten erneut in Sicht. Telzey ließ ein wenig Angst durch ihren Schild sikkern, dann verschloß sie ihn wieder fest. Stiltik hob den Kopf, ohne jedoch stehenzubleiben. Ein flinker Gedanke tastete umher, glitt wieder weg, wenn auch nicht ganz. Sie fühlte eine abwartende Aufmerksamkeit, während Stiltik im Schatten verschwand und wieder auftauchte.
Bald konnte Telzey die groben Züge des schweren Gesichts erkennen. Ein Doppelkopfbeil mit kurzem Griff baumelte zusammen mit einem Seil und einem Messer an ihrem Gürtel. An der Stelle, wo sich der Pfad gabelte, duckte sie sich und ließ ihre Nase über den Boden gleiten, fast wie ein Hund, der eine Spur aufnimmt. Sie machte mit ihren kräftigen Muskelpaketen auch wirklich den Eindruck eines großen Raubtieres. Dann streckte sich die Riesin und schaute zur Höhle hinauf. Telzeys Hand stahl sich durch die Ranken, und der von ihr gesammelte Steinhaufen ratterte und polterte auf den Pfad unterhalb der Höhlenöffnung hinab. Ein kurzer heißer Strahl Angst schoß durch den Schild. Stiltik wandte den Kopf. Dann lief sie rasch weiter zur Höhle. Telzey blieb ruhig sitzen und atmete so flach, daß sie damit auszusetzen schien. Stiltiks Mund hing offen. Ihre Blicke bohrten sich in das Rankengewirr. Dann lockerte sie das Beil an ihrem Gürtel, und eiskalte Geistimpulse suchten nach Telzey. Ein schwerer, schneller, erschütternder Psi-Pfeil berührte Telzeys Schild, doch er war nicht gegen sie gerichtet gewesen. Stiltik schwankte ein wenig, tat einen gutturalen Ausruf der Überraschung, und dann zuckte etwas aus der Luft über ihr, das einer dünnen, gläsernen
Schlange glich. Das Schlingenende von Kolki Mings Seil fiel um ihren Hals und wurde fest angezogen. Eine Hand der Riesin griff nach dem Seil, mit der anderen schwang sie das Beil. Aber sie taumelte nach hinten und wurde vom Pfad gezerrt. Zwei Gedanken prallten aufeinander und ließen sich in ihrer Wut nicht mehr unterscheiden. Dann stürzte Stiltiks massiger Körper über die Felswand, und ein Steinregen folgte ihm. Er verschwand aus Telzeys Blickfeld. Das Seil spannte sich wieder. Dann krachte etwas wie ein dicker Ast. Das Seilende zuckte den Pfad hinab und folgte dem gestürzten Körper. Von oben kam ein wilder, gellender Triumphschrei, von unten das dumpfe Geräusch eines Aufpralls. Dann herrschte Stille. Telzey holte tief Atem, stand auf und zwängte sich durch die Ranken am Höhleneingang. Sie wartete ein paar Minuten; dann kam Kolki Ming durch den Kamin herab, durch den sie zum Felsgrat hinaufgeklettert war. Sie war am ganzen Körper mit dem Dreck des Kamins verschmiert. Bald erreichten sie den Boden der Schlucht, wo sie Stiltiks zerschmetterte Leiche fanden. Kolki Ming beschäftigte sich eine Weile mit ihrem Messer, während Telzey auf einem Felsen hockte und in die Schlucht hinaufschaute, wo der Wildbach durch einen schmalen Felsspalt stürzte. Sie glaubte dort an den Felsen einen schwachen Schimmer zu erkennen; das konnte
das Ausgangsportal aus der Schlucht sein, und es war gar nicht weit entfernt. Tinoktis Sonne war hinter dem Felsgrat verschwunden. Die unteren Teile der Schlucht lagen in tiefem Schatten. Als Kolki Ming fertig war, kam sie zu Telzey und hielt etwas Tropfendes in den Händen. »Blut von einem Suan Uwin!« sagte sie. »Die Elaigar werden sehen, daß dein Messer gerötet ist. Ob sie sich darüber wohl freuen? Weißt du, daß ich fühlte, wie du Stiltiks Aufmerksamkeit auf dich zogst, als sie mißtrauisch wurde? Ich weiß nicht, ob sonst diese Geschichte für uns beide so gut ausgegangen wäre.« Sie zog das Messer aus Telzeys Gürtel, schmierte das Blut von ihren Händen auf Klinge und Heft und steckte es zurück. Und dann beschmierte sie auch Telzeys Gesicht. »Sei nur nicht zimperlich«, mahnte sie. »Sollen sie doch sehen, daß du deinen gerechten Anteil am Tod ihres Suan Uwin hast.« Sie gingen neben dem Wildbach zum PortalSchimmer. Kolki Ming schwang in ihrer rechten Hand Stiltiks abgeschnittenen Kopf an den Haaren. Das Portal leuchtete auf, als sie sich näherten, und sie gingen hindurch. Die Elaigar füllten die riesige Halle. Sie warteten. Aber dann gingen sie langsam vorwärts zum nächsten Portal. Den Riesen blieben vor Verblüffung die Münder offen. Da und dort rumpelten ein paar Stim-
men, schwiegen aber bald wieder. Dann öffnete sich eine Lücke, und sie formten eine breite Gasse, als die beiden herankamen. Hinter den Riesen sah Telzey eine Rampe, die zu einem Podium am Ende der Halle führte. Sie schritten die Rampe hinauf. Oben wandte sich Kolki Ming um, dann auch Telzey. Unten standen die Löwenleute; schweigend, regungslos hoben sie ihre breiten Gesichter Kolki Ming entgegen. Ihr Arm holte weit nach hinten aus und schwang nach vorn. Sie schleuderte ihnen Stiltiks Kopf entgegen. Er hüpfte und rollte die Rampe hinab; das schwarze Haar flog, und Blut spritzte. Er rollte in die Halle, und die Riesen wichen ihm aus. Dann erhob sich ein vielstimmiges Röhren. »Hierher«, sagte Kolki Ming. Sie standen auf der Straße, gingen durch ein Portal und der Lärm hinter ihnen wurde unvermittelt abgeschnitten. »Und jetzt ganz schnell!« Sie rannten. Keine der Sektionen, durch die sie in den folgenden Minuten liefen, kam Telzey bekannt vor, aber Kolki Ming zögerte nicht. Und dann waren sie wieder im versiegelten Gebiet. Hier waren die Portale getarnt. Keuchend rannten sie weiter. Vor Erschöpfung verwischte sich Telzeys Blickfeld. Die Alatter-Frau legte ein Tempo vor, das sie nicht mehr lange mithalten konnte.
Dann gelangten sie in einen Raum, in dem in einer Ecke ein Bildschirm stand. Hier blieb Kolki Ming stehen. »Atme tief und ruhig durch«, riet sie Telzey. »Nur das hier noch, aber nicht länger, als bis Stiltiks Blut an uns getrocknet ist.« Sie schaltete den Schirm ein und drehte Wählscheiben. Die Triumphhalle schwamm ins Bild. Sie schien fast bersten zu wollen vom Lärm, den die Elaigar machten. Immer noch kamen neue Riesen an. Meistens redeten alle gleichzeitig, und sie schienen heftig zu streiten. »Sie debattieren jetzt, was der Kodex verlangt«, erklärte ihr Kolki Ming. »Was immer sie auch beschließen, unser Tod wird es immer sein. Aber erst müssen sie sich darüber einigen, welche Art ehrenvoll ist – für uns und für sie selbst. Dann erst fangen sie an zu fragen, wohin wir gegangen sein könnten.« Telzey beobachtete noch einen Moment den Schirm, bis ihr Atem sich beruhigt hatte. Kolki Ming hatte inzwischen einen Wandschrank geöffnet, eine Pistole herausgenommen und sie an ihrem Gürtel befestigt. Dann griff sie nach zwei flachen Scheiben aus Plastik und Metall, schloß den Schrank, legte die Scheiben auf den Tisch und wählte ein anderes Bild auf dem Schirm. »Die Kontrollsektion, unser jetziges Ziel«, erklärte sie. Das war ein riesiger Raum. Eine lange, gebogene Wand war völlig mit Instrumententafeln bestückt.
Rechts befand sich ein großes schwarzes Viereck in der Wand, dessen Schwärze den Geist in unendliche Tiefen zu ziehen schien. »Das Vingarran-Tor«, sagte Kolki Ming. Zwei Sattaram beobachteten von einem Ende der Sektion aus die Techniker. Sie waren bewaffnet. Die Techniker repräsentierten drei Lebensformen; zwei von ihnen waren humanoide Typen, etwa so wie Couses Volk. Der dritte war mehr oder weniger eine klumpige Scheibe, die mit gelben Schuppen bedeckt und einer Anzahl flexibler Beine ausgestattet war. »Diese beiden müssen sterben«, erklärte Kolki Ming und deutete auf die Sattaram. »Das sind kontrollierte Diener des Suan Uwin, von Boragost und Stiltik so konditioniert, daß einer den anderen nicht überraschen konnte. Auch die Techniker sind natürlich konditioniert, aber die sind kein Problem ... Und jetzt komm.« Sie schaltete das Gerät ab und nahm die zwei Scheiben vom Tisch. Sie bewegten sich noch immer schnell vorwärts, aber sie rannten nicht mehr. Fünf Sektionen weiter blieb Kolki Ming vor einer blanken Wand stehen. »Hier ist ein unvollständiges Portal. Man will die Entdeckung verhüten, indem man es so läßt. Es wird gelegentlich überprüft, weil man sich durch diese Sektion dem Kontrollzentrum nähert. Jetzt schließe ich das Feld.«
Sie tastete die Wand ab, legte eine der Scheiben dagegen; sie klebte. Dann öffnete sie die Rückseite der Scheibe, stellte etwas ein und schloß sie wieder. »Du kommst unmittelbar hinter mir durch«, wies sie Telzey an. »Und sei ganz ruhig und leise. Auf dem letzten Stück könnte sonst noch etwas mißlingen.« Im Halbdunkel kamen sie auf eine Treppe, an deren Fuß Kolki Ming wartete und lauschte. Auch Telzey hörte ferne Geräusche; das konnten Stimmen, mußten aber nicht unbedingt Elaigar-Stimmen sein. Dann verblaßten sie mehr und mehr. Kolki Ming ging leise voraus, Telzey folgte. Die zweite Scheibe wurde an die Wand gedrückt, und Kolki Ming stellte sie ein. Sie wartete ein wenig und trat zurück. Dann wandte sie sich zu Telzey um. »Das hier konnten wir nicht testen«, wisperte sie. »Wenn ich den letzten Kontakt schließe, wird ein Alarm ausgelöst, hier, in einer angrenzenden bewachten Sektion und im Kontrollzentrum. Also sei bereit!« Ihre Hand berührte die Scheibe. Alarm gellte durch die Dunkelheit, und Kolki Ming verschwand durch das Portal. Telzey folgte einen Augenblick später. Die beiden Sattaram hatten keine Chance. Kolki Mings Pistole explodierte, als sie aus der Wand trat. Und sie starben, ehe sie noch sahen, wer geschossen
hatte. Sie rannte an den Technikern vorbei zu den Instrumententafeln und schrie ihnen Elaigar-Befehle zu, die den schrillen Alarm übertönten. Die Techniker zögerten nicht. Am Ausgang herrschte ein paar Augenblicke lang ein groteskes Gedränge, dann waren sie alle weg. Kolki Ming steckte die Waffe in den Gürtel, dann drückte sie ganze Reihen von Knöpfen und legte zwei große Schalter um. Der Alarm hörte auf. »Und jetzt«, sagte sie zu Telzey und atmete auf, »ist es geschafft. Alle Sektionen des Kreises sind versiegelt. Kein Portal kann mehr geöffnet werden, wenn nicht von diesem Raum aus. Wo immer die Elaigar vor einem Moment noch waren, werden sie auch bleiben.« Sie lachte trocken. »Ah, die werden rasen! Aber nicht lange. Jetzt setze ich wieder die Vingarran, dann öffnet sich das Tor, und meine Leute kommen, um die Gefangenen aus den verschiedenen Sektionen herauszuholen. Sie und ihre Diener werden abtransportiert.« Sie ging zu einer anderen Instrumentenkonsole und beugte sich darüber. Telzey beobachtete sie. Die Alatter-Frau griff nach einer Reihe von Knöpfen und Hebeln, zögerte aber und runzelte die Brauen. Sie versteifte sich. Ihre Hand legte sich auf die Waffe an ihrem Gürtel, doch die Bewegung brach hier ab. Sie sah Telzey an und überlegte ungläubig, suchte
nach einem Weg, um diesem ungreifbaren Netz zu entkommen, obwohl sie doch wußte, daß es keinen gab, daß sie nicht einmal wußte, wie dieses Netz sie gefangen hielt. »Du?« fragte Kolki Ming schließlich. »Wie konntest ...« »Als du Stiltik erschlugst.« Ein telepathisch sehr verletzlicher Geist brach auf, nur für Momente, aber in dieser kurzen Zeit schlüpfte Telzey in ihren Geist. »Ich habe nichts gefühlt.« Kolki Ming schüttelte den Kopf. »Natürlich ... Das war das erste Bewußtsein, das du blockiert hast.« »Ja, das ist richtig. Und für den Rest hatte ich dann genug Zeit.« »Und jetzt?« »Jetzt gehen wir zu einem planetaren Ausgang.« Telzey berührte einen Punkt im gefangenen Geist. »Zu dem versteckten, den dein Volk eingerichtet hat ... Lege eine Route durch leere Sektionen fest und entsiegle die daran liegende Portal-Reihe.« Der planetare Ausgang öffnete sich auf einen umschlossenen Hof. Vier Luftgleiter warteten in einer Reihe vor einer Wand. Telzey blieb neben Kolki Ming stehen und sah sich um. In diesem Teil von Tinokti schien es früher Morgen zu sein. Der dünn besiedelte
Rand einer Stadt war zu erkennen. In der Ferne standen weitläufige Gebäude. Vage und aus ziemlicher Entfernung waren die normalen Stadtgeräusche zu vernehmen. Sie sah an sich herab. Unterwegs hatte sie Gesicht, Haar und Hände gewaschen, aber ihre Kleider hatte sie nicht sauber bekommen. Es fiel aber nicht auf. Sie hatte sich in einen langen, breiten, sehr bunten Schal gewickelt; den Streifen hatte sie in einer Kreissektion von einem Wandbehang abgeschnitten. Er verbarg Schmutz- und Blutflecken und auch das ElaigarMesser an ihrem Gürtel. Sie zog den Schal zurecht und musterte die unglaublich eindrucksvolle Gestalt neben ihr. Die Augen der Alatter-Frau erwiderten ihren Blick ausdruckslos. Telzey ging zu den Gleitern. Kolki Ming blieb, wo sie war. Telzey kletterte in den ersten, überprüfte die Instrumente; sie waren Standardausrüstung, doch den Abmessungen nach war er für die Sparan-Größe gebaut. Sie konnte den Gleiter bedienen. Sie löste die Sperre und startete. Ein rotes, grelles Licht erschien, das allmählich wieder verblaßte, als sich das unsichtbare Kraftfeld über dem Hof auflöste, um sie durchzulassen. Dann hob sie den Gleiter ab und verließ den Hof. Nach zweihundert Metern drückte sie auf den Knopf für den Bildschirm und drehte die Skala, bis sie die
bewegungslose Gestalt neben dem Portal scharf auf dem Schirm hatte. Sie wurde schnell winzig klein, als Telzey steil in die Höhe zog. Und da löste Telzey schnell ihren Griff um Kolki Mings Gehirn, schlug entschlossen ihren eigenen Schild zu und erinnerte sich ihrer Blitzreflexe. Aber nichts geschah. Kolki Ming blieb dort stehen, wo sie stand und schaute ihr nach. Dann wandte sie sich um und verschwand durch das Portal. Fünf Minuten später landete Telzey auf einem öffentlichen Parkplatz; dort ließ sie den Gleiter mit gesicherter Maschine und verschlossenen Türen stehen. Am Rand des Parkplatzes befand sich der Eingang zu einem öffentlichen Verkehrskreis. Sie ging hinein, orientierte sich an den Kreiskarten und machte sich auf den Weg. Wenig später verließ sie den Verkehrskreis neben einem riesigen Raumfrachthafen.
21 Dieser Hafen lag in unmittelbarer Nähe einer ziemlich heruntergekommenen Stadt, die im wesentlichen von den Almosen der Tongi Phon lebte. Sie hatte wenig Attraktionen zu bieten, dafür ungewöhnlich viel Räuber. Im übrigen war sie ein recht guter Ort für Leute, die unterzutauchen wünschten. Telzey ließ es zu, daß zwei recht verwegen dreinsehende Räuber, einer davon eine junge Frau etwa von gleicher Größe wie sie, ihr eine Weile auf der Hauptstraße folgten. Sie waren unkomplizierte Mentalitäten und sehr leicht zugänglich. Sie bogen schließlich in eine schmale Seitenstraße ein, und als sie wieder mit ihnen zusammentraf, waren sie ihre Roboter. In einem verlassenen Hinterhof tauschte sie Kleider mit der jungen Frau und verließ die Gasse mit dem Elaigar-Messer, das sie in ein Stück Stoff aus einem Abfallhaufen gewickelt hatte. Die beiden gingen in entgegengesetzter Richtung weiter, und die Frau hatte das Stück Vorhang, das sie beim Tausch gewonnen hatte, sauber zusammengelegt über dem Arm. Ihre Gedanken waren mit einer grimmigen, aber verständlichen Erklärung über den Erwerb dieses Stoffes und der teuren, blutbefleckten Kleidung, die sie jetzt trug, ausgestattet worden.
Telzey betrat einen nahen Laden, den sie von den beiden genannt bekommen hatte. Dort wurde alles bar bezahlt, was man zu verkaufen hatte. Als sie ein paar Minuten später wieder ging, hatte der Ladenbesitzer das Elaigar-Messer, sie dafür eine Tasche voll Tinokti-Münzen. Viel Geld war es nicht, doch es reichte für den Augenblick. Eine Stunde später hatte sie einen kleinen Raum über einem Laden für eine Woche gemietet. Sie sperrte die Tür ab, packte die paar Sachen aus, die sie mitgebracht hatte – darunter ein Bandgerät – und schaltete es ein. Es war höchste Zeit, daß sie sich einmal auf einem Bett ausstrecken konnte. Allzuviel war ihr in den letzten Tagen zugemutet worden, und jetzt war sie nahezu erschöpft. Verzerrte Gedanken, Gefühlswogen, Impulse aus fremden Gehirnen zuckten durch ihres. Bisher hatte sie alles unter Kontrolle behalten müssen. Tolant und Tanven, Elaigar und Alatter, Thrakell Dees – früher Phon Dees –, alle waren in den Raum ihrer persönlichen Erlebnisse hineingestopft, und er reichte nun fast nicht mehr aus. Sie hatte ein jedes Leben über die Erinnerung jeder Persönlichkeit miterlebt und nachempfunden, und jetzt mußte sie sich aus diesem Gewirr wieder herauswühlen. Sie ließ die geborgten Impressionen durch ihr Bewußtsein stürmen, sortierte sie aus und entzog ihnen die emotionellen Gifte. Ab und zu sprach sie etwas
auf Band. Es gab einige Dinge, die der Psychodienst erfahren mußte. Anderes konnte ihr einmal privat nützlich werden. Das ging zurück in eine geistige Datenbank und wurde zu sauberen, neutralen Tatsachen, zu Wissen. Vom Rest war viel überflüssig, nutzlos, zufällig aufgenommen. Das wurde gelöscht. Dann lockerten sich Drücke. In den beiden ersten Nächten wurde sie von Nachtmahren verfolgt, wenn sie schlief und fühlte Depressionen, wenn sie wach war. Endlich ebnete sich vieles wieder ein, und ihre Stimmung verbesserte sich. Sie aß, wenn sie hungrig war, machte ein paar Übungen oder Spaziergänge, wenn sie Lust dazu hatte und brachte ihr mentales Haus wieder in Ordnung. Am sechsten Tag hatte sie sich durchgeackert. Sie hatte eine kleine Kalenderuhr gekauft und las daran die Tage ab. Ihr ganzes Erlebnis mit den Elaigar nahm vom ersten Kontakt in Melna Park an perspektivische Dimensionen an, wurde zur Vergangenheit, um die sie sich keine Sorgen mehr zu machen brauchte. Wieder normal ... Ein paar Stunden brauchte sie für ihren Bericht an den Psychodienst; danach schlief sie zum erstenmal seit einer Woche wieder tief und fest. Früh am nächsten Morgen schob sie das kleine Bandgerät in ihre Tasche, sperrte die Tür auf und ging leise pfeifend die Treppe hinab. Der Ladenbesitzer, der gerade erst
aufgemacht hatte, schaute sie verwundert an und kratzte sich das Kinn. Wie konnte er nur vergessen haben, daß sich eine junge Dame bei ihm eingemietet hatte? Aber da hatte er sie auch schon wieder vergessen, diesmal endgültig. Telzey ging ein Stück die Straße entlang, lockerte ihren Gedankenschild und schickte einen Peilgedanken an ihre Kontaktleute vom Psychodienst. Vier Minuten später wurde sie von einem Gleiter aufgenommen. »Da möchte noch jemand mit dir über deinen Bericht reden«, sagte ihr Klayung zwei Tage später, als sie sich in einem Schiff des Psychodienstes befanden, das über Tinokti hing. »Wer ist es jetzt?« fragte Telzey müde. Sie hatte über ihre Erfahrungen im Elaigar-Kreis schon zu oft berichtet. Alles mußte doch schließlich seine Grenzen haben. »Es ist ein hoher Beamter aus einem Amt, das bei dieser Operation unterstützend eingriff«, antwortete Klayung. »Aus Sicherheitsgründen will er nicht, daß sein Name bekannt wird.« »Ah, ich verstehe. Und was ist mit meiner Identität?« »Wir werden dich während der Diskussion gut tarnen«, versprach Klayung. »Du sprichst über den Bildschirm.«
»Ist er denn mit meinem Bericht nicht zufrieden?« fragte Telzey. »Nein. Er hat das Gefühl, er gehe nicht weit genug und vermutet, du hältst absichtlich etwas zurück. Und der zeitliche Ablauf befriedigt ihn auch nicht.« Dann saß sie vor dem Schirm, und Klayung hatte weiter hinten im Raum Platz genommen. Der Mann auf der anderen Seite trug eine Gesichtsmaske. Das hätte er sich sparen können, denn als er zu reden anfing, wußte Telzey, wer er war. Sie kannte ihn von Orado her. Sie trug keine Maske, sondern ein sehr gekonntes Make-up; der Beamte sah und hörte einen ziemlich kleinen Mann mittleren Alters, der ein wenig stotterte. Es wurde eine politisch gefärbte Diskussion. Man hatte am Morgen den Portalkreis entdeckt und sofort alle Kraftfelder abgeschaltet. Man brauchte jetzt keine Portalschlüssel mehr, aber man erforschte den Kreis vorsichtig, da man zahlreiche Fallen vermutete. Die zerstörte man, wenn man eine aufspürte. Nirgends fand man einen Hinweis auf das Gerät, das am Vingarran-Tor angewandt worden war, und niemand wurde im Kreis gefunden. »Sie sind jetzt seit einer Woche weg, und Sie können aufhören, nach Leuten zu suchen«, sagte Telzey. »Inzwischen haben wir ausreichende Beweise für Ihre Aussage bekommen«, fuhr der Beamte fort, »daß
sowohl die Alatter als auch die Elaigar sich als menschliche Riesen in der Föderation tarnten. Sie waren sogar sehr wohlhabend. Vor drei Jahren wurde von einer Sparan-Organisation eine wohlbekannte Schiffahrtslinie errichtet, die ausschließlich von Sparanern betrieben wurde. All diese Gruppen sind nun verschwunden, und jede Spur bestätigt uns diese Geschichte. Innerhalb eines knappen Tages verschwanden sie spurlos und hinterließen nichts, woher sie kamen oder wohin sie gingen.« »Ja, das war der Plan der Alatter«, bestätigte Telzey. »Sie wollten einen schnellen, vollständigen und sauberen Bruch.« »Mir scheint, diese Information hatten Sie schon vor einer Woche. Was ließ Sie annehmen, daß Sie die Verantwortung für ihre Flucht übernehmen könnten?« »Erstens war nicht viel Zeit«, antwortete Telzey. »Hätte sich die Operation der Alatter verzögert, hätten sie ihren Plan nicht ausführen können. Zweitens war ich nicht sicher, daß hier jeder die Situation verstehen würde. Ich wollte, daß sie unsere Welten mit den Elaigar verlassen hatten, ehe jemand falsche Entscheidungen traf.« »Und was läßt Sie glauben, Sie hätten die richtige Entscheidung getroffen? Sie hätten uns für die Zukunft wahrscheinlich viel Ärger ersparen können.« Sie schüttelte den Kopf. »Sie kommen nicht zurück.
Und wenn sie kämen, würden wir sie sofort bemerken, denn wir kennen sie jetzt. Aber die Elaigar können nicht zurückkommen, die Alatter wollen es nicht. Sie halten es für besser, wenn für absehbare Zeit zwischen ihnen und der Föderation überhaupt keine Kontakte bestehen.« »Woher wissen Sie das?« »Ich schaute in einen ihrer Geister, denn ich wollte es unbedingt wissen. Vielmehr, ich mußte es wissen.« »Wenn Sie in einen Alatter-Geist schauten, müßten Sie doch etwas über ihre galaktische Heimat wissen.« »Nein, das wollte ich gar nicht wissen, denn ich glaube, es ist sehr viel besser, wenn wir sehr lange keine Kontakte mit ihnen haben.« Die Maske wandte sich an Klayung. »Es muß bei all den Instrumenten, die wir zur Verfügung haben, doch einen Weg geben, endgültig feststellen zu können, ob dieser Mann hier die Wahrheit spricht, Dr. Klayung.« Klayung kratzte sich das Kinn. »Ich kenne ihn und bin sicher, daß er das, was er nicht einmal unter Zwang enthüllen will, einfach aus seinem Geist wischt. Dann haben wir gar nichts gewonnen. Ich würde seine Aussage akzeptieren. Der Psychodienst ist jedenfalls dazu bereit.« »Dann hat es keinen Sinn, diese Diskussion fortzusetzen.«
»Du weißt also, wer der Beamte war?« fragte Klayung, als er mit Telzey den Raum verlassen hatte. »Sicher. Es war Ramadoon. Wie kam er eigentlich in die Sache hinein? Ich dachte, er sei nur ein Ratsabgeordneter.« »Er spielt viele Rollen, die von den Umständen abhängen. Er ist ein sehr wertvoller Mann, ein ausgezeichneter Organisator, ungewöhnlich intelligent und der Föderation bedingungslos ergeben.« Während sie sprachen, fing Telzey in einer reflektierenden Metallwand ihr Bild auf. Der kleine Mann mittleren Alters zog eine angewiderte Grimasse, und dann flog ihr Blick zur großen Uhr am Ende des Korridors. Sie uberlegte. »Klayung«, sagte sie, »schuldet mir der Psychodienst nicht eine kleine Gefälligkeit?« Klayungs Miene wurde vorsichtig. »Nun, ich würde sagen, daß wir dir einiges verdanken. An welche Gefälligkeit denkst du?« »Willst du bitte veranlassen, daß mir dieses Makeup sofort abgenommen wird?«