Adam Hardy
Das Prisenschiff Seeabenteuer-Roman
DIE AUTHENTISCHEN ERLEBNISSE, KAPERFAHRTEN UND SEESCHLACHTEN DES KÖNIG...
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Adam Hardy
Das Prisenschiff Seeabenteuer-Roman
DIE AUTHENTISCHEN ERLEBNISSE, KAPERFAHRTEN UND SEESCHLACHTEN DES KÖNIGLICHEN LIEUTENANTS FOX UNTER ADMIRAL NELSON Seewölfe Nr. 4 Mit einem Glossarium seemännischer Begriffe am Ende dieses Bandes
Originaltitel: TREASURE Aus dem Englischen übertragen von Dr. E. Sander
SEEWÖLFE-Bücher erscheinen 14täglich im Erich Pabel Verlag KG, 7550 Rastatt, Pabelhaus. Copyright © 1973 by Adam Hardy, 1975 by Erich Pabel Verlag KG. Redaktion: Pabel Verlag KG, 8 München 2, Augustenstraße 10. Vertrieb: Erich Pabel Verlag KG. Gesamtherstellung: Erich Pabel Verlag KG. Einzelpreis: DM 1,80 (inkl. 5,5% Mwst.). Alleinvertrieb und Auslieferung in Österreich: Waldbaur-Vertrieb, A-5020 Salzburg, Franz-Josef-Straße 21. NACHDRUCKDIENST: Edith Wöhlbier, 2 Hamburg 1, Buchardstraße 11, Telefon 040/33961629, Telex 02/161024. Printed in Germany. Mai 1975
1. Schon wieder spürte Lieutenant Fox diesen verdammten Ring aus Rot und Schwarz, der sich um sein linkes Auge schloß. Er stand auf dem Achterdeck der Raccoon, die vor Gibraltar vor Anker lag. Der unmittelbare Grund dieser Sehstörung, die von einer alten Verletzung herrührte, tauchte da drüben auf dem Leichter auf. Eine 4-Pfünder-Kanone! Der Leichter war sehr breit und hatte ein großes Fassungsvermögen. Fox starrte zu ihm hinüber, das häßliche Gesicht unbewegt, die Hände auf dem Rücken verschränkt. Noch ein letztes Mal wollte er seine Neunpfünder sehen. Seine! Denn er war es gewesen, der sie Bonaparte weggenommen hatte! Er hatte dem Korsen eine ganze Batterie von 9-PfünderFeldkanonen weggeschnappt und mit ihnen stolz das Deck der Raccoon bestückt. Sie sollten ihre Zähne zeigen und die verdammten Franzosen spöttisch angrinsen. Ja, bei Gott, das hatte er getan! Und jetzt hatte dieser Idiot Sanders mit den Goldfransen auf der linken Schulter, dem dicken, roten Gesicht und all dem Glück, das ihm in geradezu unverschämter Weise treu blieb, befohlen, die Kanonen an die Küste zurückzuschicken. An ihrer Stelle holte er wieder die Vierpfünder an Bord, die Fox so verärgert hatten, als er Kommandant der Raccoon gewesen war. Natürlich waren das nicht dieselben Vierpfünder - die waren nach der Belagerung von Akka Gott weiß wohin verschwunden. Aber für George Abercrombie Fox waren es dennoch Spielzeugkanonen. 5
Er hatte natürlich eine Erklärung abgeben müssen, warum er mit vierzehn Vierpfündern in See gegangen und mit sechs Neunpfündern zurückgekehrt war. „An Bord meines Schiffes halten wir uns an die Vorschriften, Mr. Fox", hatte Sanders gesagt, und sein Gesicht hatte sich so aufgebläht, daß die blauen Augen zwischen den Fettpolstern fast verschwunden waren. „Das sollten auch Sie berücksichtigen." Fox blieb natürlich nichts anderes übrig, als „Aye, aye, Sir" zu antworten. Die Mittelmeersonne brannte vom Himmel, die Felsenklippe hob sich aus den Wellen wie eine riesige Fischflosse. Die Geräusche der arbeitenden Männer, ihre gemurmelten Flüche, das Traben bloßer Füße auf gescheuerten Decksplanken,das Quietschen der Taue in den Taljen - all der vertraute Lärm hätte Fox zu anderen Zeiten besänftigt. Aber jetzt zerrte er an seinen Nerven. Schon wollte er den Mund zu einem scharfen Befehl öffnen, als Lassiter, der Bootsmann, schrie: „Los, mehr Tempo, ihr Faulpelze!" Und wie als Echo klatschte das spanische Rohr eines Maats auf einen Rücken. „Los, hieven, ihr Bastarde!" Die 4-Pfünder-Kanone schwang über Bord in die Arme der wartenden Männer. Fox' rechtes Auge starrte auf das Miniaturgeschütz, denn sein linkes Auge weigerte sich jetzt entschieden, noch mehr von dieser Schmach mitanzusehen. Ihm war, als beraube man die Raccoon ihrer Zähne und ersetzte sie durch Gummistummel. Die Brigg, die er kommandiert hatte, so zuzurichten! Aber jetzt war er nicht mehr Kommandant, sondern Erster Offizier. Das Leben war wieder einmal unfair - und wieder einmal war es George Abercrombie Fox, den es am stärksten benachteiligte. Er konnte natürlich verstehen, daß es Lassiter für notwendig hielt, dem neuen Kommandanten seine seemännischen Qualitäten zu beweisen. Und Lassiter mußte auch klarstellen, daß er als Bootsmann über Grimes stand, dem neuen Stückmeister, den Captain Sanders mit an Bord gebracht hatte. Sanders hatte eine ganze Menge eigener Leute mitgebracht, und die alte Be6
satzung der Raccoon spürte die kritischen Augen, mit denen sie betrachtet wurde. Joachim, der Geschützführer, war ein verläßlicher, in seinen Leistungen beständiger Mann. Nicht, daß Fox ihm das je zu verstehen gegeben hätte. Zweifellos litt Joachim darunter, daß man ihn übergangen hatte, als der Posten des Stückmeisters neu zu besetzen war. Aber Sanders kümmerte das natürlich einen Dreck. Er stampfte an Bord der Raccoon herum und warf alle sorgfältig ausgearbeiteten Arrangements über den Haufen, die Fox getroffen hatte. Es gab eben verschiedene Wege, ein Schiff des Königs zu kommandieren. Fox hatte schon fast alle im Lauf seiner Karriere erlebt - seiner Karriere! Der Gedanke entlockte ihm ein freudloses Grinsen. Er jedenfalls wußte, was er von seiner Besatzung zu erwarten hatte, und er wußte auch, wie er das Beste aus ihr herausholen konnte. Captain Richard Sanders hatte andere Methoden. Die 4-Pfünder-Kanone wanderte von Hand zu Hand und wurde auf ihre Lafette gesenkt. Fox beobachtete einäugig den Vorgang, sein häßliches Gesicht blieb steinern wie ein Fels. Heute abend würde er an Land gehen, bei Gott. Und Sanders würde ihn nicht davon abhalten. Nicht einmal, wenn er ihm das Buch mit den Dienstvorschriften an den Kopf warf, die er immer wieder mit solchem Genuß zitierte. Mr. Midshipman Lionel Grey kam an Deck und wandte Fox sein hübsches Profil zu, als er die Aktivität bei den Kanonen beobachtete. Der junge Lümmel und Fox waren ein paarmal aneinandergeraten. Trotz der Unterschiede in Herkunft, Alter und Aussehen spürte Fox immer wieder mit einem unbehaglichen Stich zwischen den Schulterblättern, daß Grey so etwas wie Zuneigung für ihn empfand. Das war so ungewohnt für Fox, daß es ihn mit dunklem Mißtrauen erfüllte. Aber jetzt war sein Zorn auf Sanders noch größer als dieses Mißtrauen, und deshalb marschierte er zu Grey hinüber. „Mr. Grey, Sie werden mich heute abend an Land begleiten." Er sagte das sehr abrupt, ohne Vorwarnung. Grey blickte auf und straffte den Rücken. Sein offenes Gesicht nahm den merkwürdigen Ausdruck an, den es immer zur 7
Schau trug, wenn er Fox begegnete. „Aye, aye, Sir." Sonst nichts. Keine Fragen, keine Andeutung, daß er gern Näheres wüßte. Fox wollte sich schon abwenden, als Grey mit ausdrucksloser Stimme, die Fox keine Sekunde lang täuschte, doch noch eine Frage stellte. „Sir, darf ich mir erlauben, meiner Hoffnung Ausdruck zu geben, daß ich Ihnen heute abend einen Hut leihen darf?" Taktvollerweise ging er nicht näher auf den Zustand des formlosen Dings ein, das auf Fox' Kopf saß und die Berechtigung dieser Frage nur zu deutlich dokumentierte. Fox zögerte. Natürlich, sein Hut war eine Katastrophe. Ruiniert vom Wetter, vom Salzwasser getränkt, über dem rechten Auge zerrissen und von Parsons nur notdürftig zusammengeflickt, stellte er für das Auge jedes rechtschaffenen Mitglieds der Royal Navy eine infame Beleidigung dar. Parsons war Fox' Aufklarer gewesen, aber Sanders hatte ihn wieder zum Vollmatrosen gemacht, denn Sanders hatte alle Veränderungen wieder umgestoßen, die Fox innerhalb der Besatzung vorgenommen hatte. Und dieser Hut! Fox beherrschte sich, um nicht nach oben zu greifen und ihn unnötigerweise geradezurücken. Dieser Hut hatte einen Säbelhieb in dem Kampf beim Minenschacht außerhalb der belagerten Mauern von Akka abgefangen. Es war sein Hut. Sobald er es sich leisten konnte, würde er sich einen anderen kaufen. Aber er mußte ja fast jeden Penny, den er zusammenkratzen konnte, seiner Familie an die Themse schikken. Fox zögerte noch immer, was ganz uncharakteristisch für ihn war. Natürlich sollte er das Angebot ablehnen. Grey verfügte über eine wohlausgestattete Garderobe, und er hatte ihm seine Hilfe ohne jeden Hintergedanken angetragen. Das irritierte Fox irgendwie. Sollte er annehmen? Sicher, der Junge wollte ihm in guter Kameradschaft den Hut leihen, aber... Er starrte in Greys Augen und versuchte, seinen Worten einen freundlichen Klang zu geben. Aber wie immer knarrte sei8
ne Stimme wie der Großmast in einem Sturm. „Danke, Mr. Grey. Das ist nicht nötig." Sekundenlang zögerte Grey mit halboffenem Mund und war sichtlich drauf und dran, zum erstenmal seine Disziplin zu vergessen. Aber zu Fox großer Erleichterung tippte er dann an den Hut und sagte: „Aye, aye, Sir." Fox wandte sich ab und ließ eine Reihe gefluchter Befehle los, die den Männern an den Kanonen galten. Wenn die Raccoon schon mit Spielzeuggeschützen bestückt werden sollte, dann wollte George Abercrombie Fox wenigstens dafür sorgen, daß sie auf bestmögliche Weise eingesetzt wurden. Er mußte sich jetzt unbedingt beschäftigen, um auf andere Gedanken zu kommen. Denn er spürte noch immer Greys leicht amüsierten Blick im Rücken. Dieser junge Satansbraten entwickelte ein Benehmen, das Fox immer stärker unter die narbige Haut ging. Wahrscheinlich glaubte Grey, der regelmäßig Post von seinen Eltern erhielt, der offenbar Geld besaß und im besten Sinn des Wortes ein Gentleman war, daß zwischen ihm und Fox spezielle Beziehungen bestünden. Gewiß, Fox mochte den Burschen. Das war seltsam genug. Aber in der Zeit, als er die Raccoon befehligt hatte, war er etwas weicher geworden. Er war nicht mehr jener alter Fox, der den noblen Lords am liebsten in die Augen gespuckt hätte. Dieser Gedanke weckte wieder seine Erinnerung an Lord Kintlesham und Sophie - eine schmerzliche Erinnerung. Fluchend sprang er vor, als wieder eine 4Pfünder-Kanone innenbords schwang und einen Teil der Wanten mitzureißen drohte. Die Raccoon war eine saubere, handige kleine Brigg mit Achterdeck. Seit sie in britischem Besitz war, bestand ihre Besatzung aus neunzig Mann. Nach der Belagerung von Akka war sie allerdings in alarmierender Weise unterbemannt. Diese Situation war für Fox nichts Neues, denn die Schiffe der Royal Navy waren chronisch unterbemannt. Fox konnte nur hoffen, daß Sanders seinen Einfluß, der ihm immerhin das Kommando der Raccoon eingebracht hatte, auch dazu nutzen würde, neue Männer zu erhalten. 9
Ein Boot tanzte über die Dünung zu ihnen, und Grey richtete bereits sein Teleskop darauf. „Nun, Mr. Grey?" „Etwa zwanzig Mann, Sir." Grey senkte das Glas. „Aber ich will auf der Stelle umfallen, Sir, wenn die Hälfte davon nicht ziemlich grün aussieht." „Wir haben Glück, wenn es nur die Hälfte ist", sagte Fox. Als die Männer an Bord kletterten, angetrieben von den grausamen Knüppeln der Bootsmannmaate, musterte Fox sie mit kritischem Auge. „Mr. Lassiter!" rief er dem Bootsmann zu. „Stellen Sie die Leute sofort unter die Pumpe! Und treten Sie alle die Wanzen und Flöhe aus, die vor dem Wasser davonlaufen!" „Aye, aye, Sir!" rief Lassiter zurück, und irgend jemand von der alten Besatzung lachte. Eine disziplinlose Bande hatte er sich da herangezogen. Gelächter auf einem Schiff des Königs, unerhört! Die alte Mannschaft betätigte willig die Pumpen. Die Neuen rissen sich die Kleider vom Leib und drehten sich unter dem Wasserstrahl. Sie trugen zerlumpte Sachen aus der Schlappkiste irgendeines Kahns, der sie von England zum Felsen von Gibraltar transportiert hatte. Es waren gepreßte Männer, die irgendein Preßkommando von ihrer ruhigen, friedlichen Arbeit im Heimatland weggerissen und gewaltsam auf ein Schiff des Königs geschleppt hatte. Jetzt mußten sie der Navy dienen, oder sie würden zu Tode gepeitscht. Wenn sie Glück hatten und die Behandlung überlebten, die gepreßten Leuten im allgemeinen zuteil wurde, würden sie in den nächsten zehn Jahren kaum festes Land unter den Füßen spüren. Es sah nämlich ganz danach aus, als würde der Krieg noch so lange dauern. Über den Fortschritt des Krieges ließ sich nichts Gutes sagen, obwohl Fox sich in dieser Beziehung auf Gerüchte verlassen mußte. Er hatte in letzter Zeit keine Briefe empfangen. Die hageren Körper der Männer glänzten unter den Wassermassen. Einer der Neuen fiel Fox auf - ein Kerl, der von den anderen abstach. Seine Muskeln schienen zu platzen, als er die weißen Hosen und die Jacke abstreifte. Seine Haare und sein 10
Bart waren leuchtend rot, sein Nasenbein war gebrochen und mit einer leichten Neigung nach Backbord wieder zusammengewachsen. Die Tätowierungen auf seinem Oberarm tanzten, als er den Bizeps spielen ließ. Er sah hart und seetüchtig aus, und der kleine goldene Ring in seinem linken Ohr schien diese Beobachtung noch zu unterstreichen. Ein Bootsmannsmaat ließ seinen Knüppel auf den Rücken des Rothaarigen sausen. Der Mann wirbelte herum, und Fox sah sein Gesicht - verzerrt vor Wut, wild, tierisch. Dieses Gesicht starrte den Bootsmannsmaat an, während die Tropfen über die breite, rotbehaarte, muskulöse Brust rannen. Fox beugte sich ein wenig vor, seine Hände umspannten die Reling des Achterdecks. Einige Offiziere hätten die Neuankömmlinge jetzt sicher gern auspeitschen lassen, um von Anfang an klarzustellen, daß keinerlei Verstoß gegen die Disziplin geduldet wurde. Noch einmal hob der Bootsmannsmaat den Knüppel. Der Blick des rothaarigen Riesen mißfiel ihm sichtlich. „Aufhören!" rief Fox. „Stellt die Pumpen ab, und dann will ich Ordnung an Deck sehen!" „Aye, aye, Sir", erwiderte der Maat und ließ den Knüppel sinken. Der Rothaarige blickte hinüber zum Achterdeck. Mit seinem rechten Auge sah Fox den harten, berechnenden Ausdruck im Gesicht des Mannes und fragte sich, ob er wieder einmal einen Fehler begangen hatte. Aber dann verschränkte er die Hände auf dem Rücken und ging nach achtern. Jetzt hatte er an wichtigere Dinge zu denken. Der neue Vormast, auf den sie schon lange gewartet hatten, war inzwischen geliefert worden. Ebenso hatten sie neue Segel und frische Spieren erhalten. Das Vorratslager und das Pulvermagazin waren gefüllt - Pulver für diese verdammten, idiotischen 4-Pfünder-Kanonen! Außerdem hatten sie Frischwasser übernommen. Grey stieß wieder einen Ruf aus, und Fox blickte zu ihm hinüber. Ja, da kam Captain Sanders höchstselbst. Der Bugmann seines Bootes schrie ,,Raccoon!", als könnte man an Bord der Brigg nicht sehen, daß der Kommandant zurückkehrte. Ein Tumult brach an Deck aus, als sich die Seesoldaten, die Boots11
mannsmaaten und Fallreepsgäste auf den Empfang vorbereiteten. Als Sanders an Bord stieg, salutierte Fox. Sein Gesicht blieb ausdruckslos. Pfeifen trillerten, Sergeant Cartwrights Seesoldaten präsentierten die Waffen, als der Kommandant über das Deck schritt. Kurze Zeit später ließ er Fox zu sich in die hintere Kammer rufen, die zwar winzig war, aber im Vergleich zu dem Segeltuchloch, in dem Fox hauste, immer noch geräumig wirkte. Der Posten vor der Kammer salutierte, als Fox an ihm vorbeiging. Sanders blickte auf, sein rundes Gesicht war gerötet, die blauen Augen, die so beleidigend blitzen konnten, strahlten eitel Freude aus. „Mr. Fox, lassen Sie die Raccoon sofort seeklar machen." Dagegen konnte Fox nichts sagen. Sein Ausflug an Land mit Grey mußte also ein Traum bleiben. Stereotyp erwiderte er: „Aye, aye, Sir." „Ich werde mit Mr. Macbridge den Kurs festlegen. Und heute abend möchte ich den Anker lichten lassen." Sanders sah so glücklich und zufrieden aus, als hielte er in jedem Arm eine Geliebte. „Und, Mr. Fox, es freut mich, Ihnen mitteilen zu können, daß ich ein Kaperschiff im Auge habe." Was eine verdammte Ungerechtigkeit war, überlegte Fox, als er wieder an Deck ging, um seine Pflichten als Erster Offizier zu erfüllen. Solange er die Raccoon befehligt hatte, war nicht einmal das Wunschbild eines Kaperschiffes am Horizont erschienen. Und Sanders kriegte es natürlich auf dem Präsentierteller serviert. Nun, da war ja immerhin noch der Schatz des Captain Louis Lebonnet. 2. Captain Richard Sanders hatte geradezu unverschämtes Glück. Die Spanier blieben dabei, ihre Küstensegler einzusetzen. Fox nahm an, daß sie dazu gezwungen waren, weil sie so schlechte Straßen hatten. Aber was immer auch der Grund war, es segelten hier jedenfalls genug Prisen herum. Die meisten 12
Küstensegler waren kleine Fahrzeuge, die meist nur von alten Männern und Jungen besetzt waren. Wenn sie ein britisches Schiff sahen, holten sie fast ausnahmslos die Segel ein und ruderten hastig an Land. Immer stärker fühlte Fox Neid und Gier in sich aufsteigen, als diese Prozedur sich stetig wiederholte. Was den Neid betraf, so versuchte er ihn zu unterdrücken, weil eine solche Emotion eines Mannes unwürdig war. Aber er konnte ein Zähneknirschen nicht unterdrücken, als er immer wieder mit ansehen mußte, wie Sanders ein Prisenschiff nach dem anderen aus der Meerestiefe heraufzubeschwören schien. Sie kaperten eine ganze Menge Küstensegler, verbrannten die wertlosen Fahrzeuge, nachdem sie alle halbwegs brauchbare Fracht herausgeholt hatten, und schickten andere nach Gibraltar zurück, mit kleinen Prisenmannschaften besetzt. Midshipman Prentiss befehligte einen der Prisensegler, John Carker einen anderen. Es irritierte Fox, Carker gehen zu sehen, denn der Bootsmann gehörte zum soliden, verläßlichen, gewissenhaften Typ des Deckoffiziers, dem die Royal Navy so viele ihrer Erfolge verdankte. Jetzt lastete alle Verantwortung auf den Schultern von Fox und Grey, da der Steuermannsmaat Macbridge so unbrauchbar wie eh und je war. Als auch Grey mit einem Prisenschiff weggeschickt wurde, sah Fox harte Arbeitswochen vor sich. Das war für ihn nichts Ungewohntes. Aber er hätte sich nur gewünscht, daß er aus all dieser Arbeit persönlichen Gewinn hätte ziehen können. Der Anteil eines Ersten Offiziers ließ sich leider mit dem eines Kommandanten nicht vergleichen. Während dieser Tage, als sie einen Küstensegler nach dem anderen kaperten, sah Fox keinen Grund, seine Spanischkenntnisse zu enthüllen. Sein Kastilisch, die vorherrschende Sprache in Spanien, war perfekt, sein Katalanisch fast ebensogut, während sein Aragonisch noch nicht vollkommen war. „Eine schöne Kreuzfahrt, Mr. Fox", bemerkte Sanders, als sie auf dem Achterdeck standen und zur spanischen Küste hinüberblickten. Es war ein schöner Tag, eine leichte Brise wehte von Norden, und die Raccoon würde keine Schwierigkeiten ha13
ben, sich nach Westen anzuschleichen und die Küstensegler aufzusammeln, die, wie Fox resignierend ahnte, nur so aus dem Wasser sprießen würden, sobald der Glückspilz Sanders erschien. Und dann würde die Brise leicht nach Osten drehen, um die nächste Kaperfahrt zu begünstigen. „Aye, aye, Sir", sagte Fox. „Die Leute sind guter Laune." Sanders verschränkte die Hände auf dem Rücken. „Und dazu haben sie auch allen Grund, oder der Teufel soll sie holen. Sie werden genug Prisengeld verdienen, um sich Huren und Gott weiß was noch zu kaufen, wenn sie wieder an Land sind." „Aye, aye, Sir." Es war Fox bisher nicht geglückt, diesen Sanders in den Griff zu kriegen, wie er es bisher mit noch fast allen seinen Kommandanten geschafft hatte - zuletzt noch mit dem armen Teufel Mortlock auf eben dieser Brigg. „Eine Prise noch, Mr. Fox, und dann wird Mr. Macbridge Kurs auf Gibraltar absetzen." Fox' Gesicht blieb unbewegt, die dünnen Lippen waren fest geschlossen. Er würde Macbridge nicht einmal zutrauen, einen Kahn über die Themse zu navigieren. Ein Schrei klang vom Vortopp herab. Dort oben saßen Wilson, der Mann, der die schärfsten Augen an Bord der Raccoon besaß. „Küstensegler, Sir! Backbord voraus! Zwei - nein, drei!" Diese Ungerechtigkeit verschlug Fox die Sprache. Als er die Raccoon kommandiert hatte, hatten sie einen einzigen französischen Segler gesichtet und es nicht geschafft, ihn einzuholen. Die Brigg war unten jetzt leicht beschädigt, und ihre Schnelligkeit ließ zu wünschen übrig. Aber Sanders hatte es gar nicht nötig, schnell zu sein. Er brauchte nur von den Spaniern gesehen zu werden und abzuwarten, bis diese ihre Schiffe verlassen hatten. Dann konnte er in aller Ruhe seine Entermannschaften losschicken und wieder eine hübsche Prise kassieren. Es war wirklich verdammt unfair. Aber wann war das Leben, besonders das Leben in der Royal Navy, schon jemals fair zu George Abercrombie Fox gewesen? 14
Die Küstensegler waren natürlich außerstande, ihrem Verfolger zu entfliehen. Die Raccoon würde sie eingeholt haben, lange bevor sie die Küste erreichten. Sogar Vierpfünder konnten die dünnen Schiffswände der Küstenfahrer leicht zerschmettern. Das mußte Fox zugeben. Die Raccoon glitt elegant dahin. Bald tauchten die Masten und plumpen schwarzen Rümpfe der Spanier über der Kimm auf. Kein Anzeichen von Leben war an Bord zu erkennen. An Stelle der Spanier hätte Fox die Segler in Flammen gesetzt und den Feind zum Teufel gewünscht. Aber keinem Seemann gefiel der Gedanke, ein Schiff zu verbrennen. Dazu war er viel zu abergläubisch. Die See wogte, der Wind wehte, die Sonne schien, und zu allem Überfluß segelte die Raccoon unter Captain Sanders auch noch siegessicher auf ihre allerneuste Prise zu. Es lag einfach in der Natur der Dinge, daß Sanders Erfolg hatte. Fox wußte bereits, daß die Natur ihn selbst verdammt hatte. Aber weil er eben Fox war, kämpfte er fluchend und mit allen Mitteln gegen diese Verdammung. Nein, er würde niemals resignieren. Die kleine Gruppe der drei Küstensegler schien noch dichter ineinander zu fließen, wie um in der Gemeinsamkeit Schutz und Stärkung zu finden. Die nördliche Brise trieb sie in scharfem Winkel zur Küste, zu dem zerklüfteten Vorgebirge, das sich grau und rosa vom Himmel abzeichnete. Fast automatisch begann Fox Winkel, Strömungen, Windstärken zu berechnen, während er mit zusammengekniffenen Augen auf die Masten der Spanier sah und sich fragte, wie sie wohl in zwei Stunden aussehen würden. Die Raccoon segelte über Backbordbug. Auf einen Befehl von Sanders fiel ihr Bug drei Strich ab, um den Wind achterlicher zu nehmen. Sofort schlingerte sie weniger und nahm Fahrt auf. Fox runzelte die Stirn. Sanders wollte offenbar um die Küstensegler herum und ihnen dann entgegensegeln, wenn sie von der Luvseite auf sie zukamen. Daß er sie auf diese Art schneller erreichte, daran bestand kein Zweifel. Fox spürte einen Stich zwischen den Schulterblättern, und sein Magen rebellierte. Die Spanier hatten alle Segel gesetzt, und der Wind füllte die 15
fleckige, schmutzige Leinwand. Die Segel blähten sich nach Fox' Geschmack zu absichtsvoll und verlockend. Sanders, der Glückspilz, schritt auf dem Achterdeck auf und ab. Sein dickes, gerötetes Gesicht strahlte zufrieden. „Die werden wir zur Gesellschaft behalten, Mr. Fox. Ein hübscher Anblick, was?" „Aye, aye, Sir", sagte Fox und fügte nach einer Weile hinzu: „Wir geraten ziemlich nahe an das Festland heran." Aber davon ließ sich Sanders nicht beirren. „Mr. Macbridge wird uns sicher um alle Klippen herumführen, nicht wahr, Mr. Macbridge?" Der Schiffsführer trat vom Peilkompaß herüber, seine Augen strahlten vor Freude. Macbridge hatte sich bei Sanders in einer Art eingeschmeichelt, die Fox Magenkrämpfe verursacht hätte, wenn er sich nur darum kümmern würde, was andere Leute taten. „Aye, aye, Sir. Dort bei den Klippen ist das Wasser tief genug. „Die Spanier fahren mit vollen Segeln, Sir", sagte Fox. Der stechende Schmerz zwischen seinen Schulterblättern verstärkte sich. Noch sah er mit beiden Augen sehr gut. Erst wenn das linke Auge ihn wieder einmal im Stich ließ, würde er sich ernstlich sorgen. „Sie werden sehr dicht herankommen. Wir sollten über Stag gehen ..." „Ja, ja, Mr. Fox", unterbrach ihn Sanders brüsk. Kommandanten konnten sich das natürlich leisten. Sie konnten einen Mann unterbrechen, wenn er sprach, ohne daß man ihnen schlechte Manieren nachsagen durfte. Kommandanten konnten überhaupt alles tun. Fox sah zu Wilson hoch, der noch immer im Vortopp hockte. „Halten Sie nur ja die Augen offen!" „Aye, aye, Sir." Noch immer hielt die leichte, trockene nördliche Brise an. Leicht glitt die Raccoon dahin. Fox spürte den Wind auf den Wangen, beobachtete die Schatten, die die Masten, Rahen und Segel auf das Deck warfen, fühlte, wie sein Körper sich mit der Brigg im Gleichklang bewegte, lauschte dem Zischen der Wellen, die sich am Vordersteven teilten, hörte das Knarren der 16
Taljen, das Schlappen der Takelage, das Ächzen des Holzes. Da die Raccoon nur mehr mit 4-Pfünder-Kanonen bestückt war, hätte sie mit phantastischer Geschwindigkeit dahinsegeln können, wenn ihr Rumpf nicht mit Muscheln, Tang und Seepocken bewachsen gewesen wäre. Und die spanischen Küstensegler kamen am Wind heran. Sie behielten mit bemerkenswerter Sicherheit den Kurs bei, ihre Segel killten nicht. Aber wenn sie nicht mehr bemannt waren, wenn keine Hand die Ruderpinne betätigte, warum standen dann ihre Segel so gut am Wind? „Mr. Fox", sagte Sanders, „bereiten Sie das Boot vor!" „Aye, aye, Sir." Fox ging davon. Das Boot wartete bereits darauf, ausgesetzt zu werden. Darum hatte er sich längst gekümmert. Hielt dieser Sanders ihn eigentlich für einen Volltrottel? Die Küstenfahrer waren merklich näher gerückt. Fox ärgerte sich über das Gefühl innerer Anspannung, das ihm jetzt zusetzte. Wenn er ehrlich mit sich selbst war, mußte er doch zugeben, daß er an Sanders' Stelle genau das gleiche tun würde. Und Sanders war nun einmal der Kommandant der Raccoon, daran ließ sich nichts ändern. Jetzt war es Zeit, das Vormarssegel backzuholen ... „Vormarssegel backholen!" brüllte Macbridge. Sanders nickte zufrieden und stampfte zur Steuerbordreling, um über das Wasser zu den drei Küstenseglern hinüberzustarren. Sie glitten mit ziemlicher Geschwindigkeit durch die Wellen. Fox als der Zweitälteste Offizier nach Sanders und dem Steuermann Macbridge würde das Entermanöver, das bestimmt schwierig werden würde, sorgfältig überwachen müssen. Lassiter hatte alles vorbereitet. Phillips, der unter Fox Bootssteurer gewesen war, kam heran und runzelte die Stirn. „Verzeihung, Sir, Jimmy Croker hat Magendrücken, es ist ziemlich schlimm. Er übergibt sich dauernd ..." „Dann müssen wir ihn eben ersetzen, Phillips." Fox war sich über die wahre Natur von Crokers Magenbeschwerden nur zu deutlich im klaren. „Verzeihung, Sir, ich würde gern Barnabas nehmen." 17
Barnabas war der rothaarige Riese, der bei Gibraltar an Bord gekommen war, zusammen mit einer ziemlich unfähigen Bande gepreßter Leute. Irgend etwas Kraftvolles, Unantastbares ging von dem Mann aus, das Fox bisher nicht zu deuten vermochte - abgesehen von der Tatsache, daß er in Barnabas einen ausgezeichneten Seemann zur Verfügung hatte. „Gut", sagte Fox. „Er sieht so aus, als ob er sich ordentlich in die Riemen legen könnte." „Aye, aye, Sir. Er ist sicher ein guter Seemann." Fox hatte keine Lust, weitere Worte mit dem ehemaligen Bootssteurer zu wechseln. Ein seltsames Gefühl der Freude überkam ihn, als er in den Kutter kletterte und auf dem Achtersitz Platz nahm. Die vertrauten bronzefarbenen Gesichter starrten ihn an. Nur ein Gesicht schien nicht dazu zu gehören Barnabas' Gesicht. Der Mann saß entspannt an seinem Platz und doch wie auf dem Sprung. Der kräftige Josephs hatte wie immer den Schlagriemen. Für einen kurzen trügerischen Augenblick durchlebte Fox noch einmal das Gefühl, wie es gewesen war, als er die Raccoon kommandiert hatte. Er gab Befehl zum Ablegen, die Riemen senkten sich in die Wellen, der Kutter entfernte sich rasch von der Brigg. Fox griff nach der Ruderpinne. Der Kutter näherte sich dem ersten Küstensegler. Weißes Wasser spritzte vom Vordersteven, das spanische Schiff schwankte machtvoll auf und ab. Der Bugmann, es war der junge Ben Ferris, hakte den Kutter fest, die Riemen an der Steuerbordseite schwangen innenbords, das Boot stieg an den Rumpf des Spaniers. Fox stieg als erster über das verkümmerte Tauwerk hoch. Er schwang sich über die Reling und landete lautlos wie eine Katze auf dem Deck. Josephs, Ferris und Barnabas folgten ihm. Die Männer sahen sich um, keine Menschenseele ließ sich blicken. Alle Bedenken erschienen Fox jetzt als völlig absurd und eines erfahrenen Offiziers unwürdig. In diesem Augenblick stieß Ferris einen Schrei aus. „Segel ho! Sehen Sie, Captain! Ein Spanier!" Fox stürzte fluchend an die Reling und starrte über die See, 18
auf der silberne Funken tanzten und ihn zu verspotten schienen. Eine spanische Korvette! Sie hatte sich aus einer Bucht geschlichen und segelte über Backbordbug auf die Raccoon zu. Und die Raccoon näherte sich dem verdammten Festland. Die Korvette trieb die Brigg gnadenlos auf die Klippen zu! Der Spanier war wahrscheinlich mit zwanzig 12-Pfünder-Kanonen bestückt und würde mit der Raccoon und ihren Spielzeuggeschützen kurzen Prozeß machen. Fox hatte kaum bemerkt, daß Ben Ferris ihn in der Aufregung mit dem alten Titel „Captain" angeredet hatte. Jetzt war nur die Tatsache wichtig, daß die Raccoon in der Falle saß. 3. „Sie wird unseren Kurs schneiden, Sir", sagte Phillips und lehnte sich über die Reling, um die näherkommende Korvette scharf zu beobachten. Fox rief ihm zu: „Schau unter Deck nach, ob noch Leute an Bord sind!" „Aye, aye, Sir." „Nimm Josephs und Barnabas mit. Und laßt nicht mit euch spaßen." Seit seinem Sprung über die Reling bis zur Entdeckung dieser spanischen Korvette, die sich da so verstohlen aus ihrer verdammten verborgenen Bucht heranschlich, waren nur wenige Minuten vergangen. Hielten sich die Leute versteckt, dann konnten sie sich jetzt zusammenrotten, um das Deck zu stürmen. Fox überlegte, ob die ganze Sache wohl eine riesige Falle gewesen sei: die drei Küstensegler, die sich zusammengedrängt hatten, alle Segel hart am Wind und mit Kurs auf das Festland, die Korvette, sprungbereit, sobald das britische Schiff leewärts gefahren war - alles paßte genau zusammen. Aber irgendwie hatte er in diesem augenblicklichen Durcheinander das Gefühl, als habe alles nur durch Zufall Gestalt angenommen. Es gab keinen Zweifel, daß die Spanier auf die Raccoon gewartet hatten. Die spanischen Behörden mußten ja schließlich 19
irgendwann einmal die ständigen Raubzüge entlang ihrer Küste satt haben, und diese Korvette war ihre Antwort darauf. Er starrte über das Wasser, wieder waren nur Augenblicke vergangen. Auf der Raccoon hatte man offensichtlich Alarm gegeben. Er konnte deutlich die Männer über das Deck hasten sehen. Sie kletterten die Wanten am vorderen Mast und am Großmast hinauf, und sofort fielen die Oberbramsegel. Wenn sie durchgeholt würden, konnte sich die Raccoon vor dem Spanier verdrücken - falls sie es schaffte, die Landspitze luvwärts zu umsegeln. Das allerdings bedeutete, daß er allein mit dem Kommando über die drei gekaperten Prisen zurückblieb. Die Korvette sah kampfbereit aus, war gut in Schuß und schien stark bemannt zu sein. Um sich der Raccoon zu nähern, würde sie - wie Phillips gesagt hatte - dicht an den drei Küstenseglern vorbeifahren müssen. Er warf einen Blick über die Decks und rümpfte die Nase bei ihrem schmutzigen Anblick. Die anderen beiden Küstenschiffe steuerten gegen sein Achterdeck und würden gleich vorbeischürfen. Fügten sie seiner Takelage keinen allzugroßen Schaden zu, dann hatte er Glück. Wenn er sie vorbeiließ, würden sie weitersegeln, allein und ohne Steuerung, bis sie auf die Klippen liefen. Phillips tauchte wieder an Deck auf. „Alles klar da unten, Sir." Barnabas, der mit seinem feuerroten Vollbart riesengroß und furchterregend aussah, seine roten Haare zerzaust, lief nach achtern. Mißmutig steckte er sein Entermesser in den Gürtel. „Darf ich rüber zu den Prisen, Sir?" Fox starrte ihn voller Verwunderung an, die aber sogleich in ein Gefühl tiefer Befriedigung umschlug. „Gut so, Barnabas. Zieh ab, wenn du willst." Er hob die Stimme. „Josephs, Hampton - ihr geht mit. Bergt die Segel." Er drehte sich zu Phillips um und erklärte ihm: „Das ist ein spanischer Vierpfünder, Phillips, aus Messing. Glaube aber 20
schon, daß er schießt. Hol Pulver und sieh nach, was für Munition in der Kiste ist. Ich brauche Ketten- und Stangenkugeln los, beeil dich, Mann!" „Aye, aye, Sir." Phillips sprang davon. Ben Ferris riß eine Munitionskiste auf und rief begeistert: „Genügend Schuß hier, Sir!" „Ben, he, Ben! Ketten- und Stangenkugeln her!" „Aye, aye, Sir - schon alles da!" Die Spanier heben diese Art von Munition aber auch wirklich griffbereit auf, dachte er. Jetzt mußte es schnell gehen, wie geschmiert. Er würde der Korvette einen Schuß draufbrennen, und dann würden sie ihn mit einer vollen Breitseite durchsieben. Dieser Schuß aber mußte sitzen. Er lud die Kanone selbst. Der Mündungspfropfen steckte noch drin, und das gefiel ihm. Er inspizierte, was Ferris vor ihm ausgebreitet hatte. „Die da, denke ich", sagte er. Ferris nahm den Kettenschuß und paßte die beiden Halbkugeln zusammen. So sah es aus wie ein normaler Kugelschuß. Eine Kettenkugel hatte zwar weniger Durchschlagskraft als eine Stangenkugel, dafür aber eine größere Breitenwirkung. Sie mußte genügen. Die starken Glieder lagen im Lauf obenauf, zur Mündung hin. Sie rammten das Geschütz fest, Fox nahm Ziel. In diesem Augenblick ertönten wüstes Gebrüll und das Knallen einer Pistole aus den beiden Prisen am Achterschiff. Fox blickte auf und fluchte wie ein Kaschemmenwirt. Drüben auf dem ersten Küstensegler, kämpften Männer neben den eingeholten Segeln, die in unordentlichen Haufen an Deck lagen. Das Blitzen eines Enterbeils, der gellende Schrei eines Mannes - ein wildes Durcheinander. „Die haben sich versteckt, Sir, diese Mistkerle!" „Ferris!" brüllte Fox. „Bleib hier bei mir - wir laden die Kanone. Alle anderen dort hinüber! Schmeißt die Kerle in den Teich! 21
Los - springt schon!" Mit wildem Geschrei stürzte sich die Mannschaft des Kutters in den Kampf. Fox hatte nicht die geringste Ahnung, wie viele Spanier es waren, aber die ganze Sache roch verdammt nach einer Falle. Seine vorhergehenden Vermutungen waren also falsch gewesen. Trotzdem hatte er das Gefühl, richtig gehandelt zu haben, und die Zeit wurde knapp. Die Korvette rauschte heran. Weißes Wasser gischtete vor ihrem Bug, der sich hob und senkte, wie sie so unter vollen Segeln vorwärtsstürmte - ein großartiger Anblick. Fox und Ferris richteten die kleine Messingkanone aus, und Fox nahm über das Rohr Ziel. Jetzt kam der Augenblick, wo sich zeigen konnte, was für ein tolles Geschütz sie war. Die Geschichte, wie er dem Bonaparte eine ganze Batterie von neunfündigen Feldkanonen geklaut hatte, hatte ihre Runde durch die ganze Flotte gemacht, wenn er nicht irrte, ebenso wie die, als er mit einem einzigen Schuß die Protzen der Batterie in die Luft gejagt hatte. Damals hatte er die Kanone gekannt, die er abfeuerte. Das war ein britischer Neunpfünder gewesen, der als eines der zuverlässigsten Geschütze galt. Jetzt aber bediente er einen spanischen Vierpfünder aus Messing, dessen Bohrung zweifellos so gerade war wie ein Korkenzieher - um es milde auszudrükken. Er verließ sich jetzt ganz auf sein Gefühl, sein Gehirn schien eins zu werden mit dem zielgerichteten Geschützlauf. Während langer Stunden in der Themsemarsch hatte er sich als Junge ein scharfes Auge und eine sichere Hand mit der Steinschleuder erworben, so daß er sich sein Abendessen so gut wie immer aus der Luft herunterholen konnte. Das hier war allerdings etwas anderes. Das Kampfgeschrei auf den dahinterliegenden Fahrzeugen dauerte an. Für sie hatte er jetzt keine Zeit. Diese Korvette aber würde der Raccoon wohl zeigen, wo es aus dem Wasser geht, wenn sie an die Brigg herankam. 22
Er spürte, wie der Küstensegler hin und her schwankte, und beobachtete dabei, wie sich die Korvette hob und senkte. Er bemerkte Männer in ihrer Bugspitze, ließ dann seine Augen - alle beide, Gott sei Dank - nach oben gleiten, zu der massiven Großartigkeit ihrer Takelage und Masten. Irgendwo um den Vormars herum - ja, das wäre die beste Stelle. Er wußte, daß er Glück haben würde. Er wußte es mit einer unerschütterlichen Überzeugung. Er wußte, selbst in diesem Augenblick noch, als er an der Abzugsleine riß, daß er treffen würde. Die Messingkanone wummerte und setzte auf ihren Rollen zurück. Qualm quoll heraus, und gereizt wedelte er die Rauchschwaden vor seinem Gesicht weg. „Ein Treffer!" jauchzte Ben Ferris und tanzte vor Begeisterung herum, während Fox sich wieder nach dem Pulver bückte. „Bring die nächste Ladung her, du verdammter Idiot!" brüllte er den Jungen so ekelhaft wie immer an. Ferris sprang zur Kiste und zerrte den nächsten Schuß heraus. Fox hatte den Lauf ausgeputzt und geladen, ließ nun vorsichtig die Kettenkugel hineingleiten und schob nach. Die Ladung saß etwas locker, und er würde diesen Spielraum beim nächsten Schuß berücksichtigen müssen. Mit einiger Kraftanstrengung brachten sie das Geschütz wieder in Stellung. Er peilte über den Messinglauf, und da sah er, wie der Fockmast der Korvette nach vorn schwankte. Dann, noch während er, mit der brennenden Lunte in der Hand, hinstarrte, klappte der Mast zurück und krachte in den Großmars. Ein Gewirr von Segeln und Spieren wirbelte durch die Luft, fiel herunter oder hing herab. Er warf die Lunte in die Pfanne. Die Kanone bellte und bockte zurück. Diesmal stand er da und paßte genau auf. Die Korvette war schwer angeschlagen, darüber gab es keinen Zweifel. Und das wiederum bedeutete ... „Schnell, Ben, nach hinten! Spring auf den nächsten Segler!" Ferris gehorchte mit der schnellen instinktiven Reaktion des geübten Seemannes. 23
Als die Rauchwölkchen erschienen, sahen sie eher hübsch als unheilvoll aus. Fox machte einen großen Satz, tauchte in voller Länge weg, und schon zerbarst hinter ihm die Seitenwand des Küstenseglers im splitternden Tod. Sicher hätte sich so ein mutiger Holzkopf von Seeoffizier hingestellt, um die Breitseite stolz entgegenzunehmen. Fox aber wollte lieber am Leben bleiben, und da war ein Begriff wie Würde ohne Bedeutung. Es sah, wie die Kanone durch die Luft flog und nach hinten geschleudert wurde. Ein riesiges Stück des Schanzkleides wurde herausgerissen und wirbelte wie eine zerstörende Säge durch die Luft. Trümmer von Spieren, Blökken, Takelage prasselten auf das Deck. Er wurde nicht getroffen. Er atmete tief durch und stand wieder auf. Zu wissen, wann man in Deckung gehen mußte, war eine Disziplin, die in der Navy kaum gebräuchlich war. Sie hatte Fox dennoch schon zu früheren Zeiten das Leben gerettet, und da er ja schließlich der alte Foxey war, hoffte er hingebungsvoll, daß es auch weiterhin so bleiben möge. Der Kampf an Bord des anderen Küstenseglers ging weiter. Die Korvette war in den Wind getrieben und fiel ab. An Bord waren alle in höchster Eile. Er grinste grimmig und absolut unliebenswürdig. Fox lächelte selten - es sei denn, unter derartigen Umständen. Die sollten ruhig schmoren! Er lief nach achtern und kletterte hinüber zum zweiten Küstensegler. Sobald er das Deck betrat, riß er seine Pistole heraus, eine Marinestandardpistole, noch trocken, weil sie sorgfältig in einem Stück Persenning eingewickelt war. Er spannte den Hahn. Männer wirbelten über das Deck. Zwei spanische Seeleute lagen, das Gesicht nach unten, an der Reling, ihr Blut lief über das Deck. Ben Ferris scheuchte zwei Spanier vor sich her, stieß wilde Schreie aus und schlug mit seinem Enterhaken drauflos. Das war Klein-Bens Lieblingswaffe. Barnabas hatte sein Entermesser verloren. Drei Spanier versuchten, mit Entermessern und 24
Dolchen an ihn heranzukommen. Doch er ergriff einen Kurzsäbel und schwang ihn so kampfwütig, daß sie vor ihm Reißaus nehmen mußten, wollten sie nicht zu Frikassee geschnitzelt werden. Phillips, Josephs, Hampton und die anderen vom Kutter stürzten sich ebenfalls auf die Spanier. „Bei Gott, die haben uns aufgelauert!" schrie Fox und war wütend, daß er in die Falle gegangen war. Er feuerte auf einen Mann mit Goldborten, anscheinend einen Offizier, riß sein Messer heraus und machte sich an die Arbeit. Das Handgemenge war eins von der heiteren Sorte - sofern ein Kampf überhaupt heiter sein kann - und dauerte nicht lange. In wenigen Augenblicken hatten die Briten die Spanier überwältigt, sie entwaffnet, und Phillips und Barnabas trieben sie unter Deck. Fox hielt nach der Raccoon Ausschau. Plötzlich fluchte er und fluchte noch einmal, und dann legte sich wieder dieser teuflische Ring von Purpur und Schwarz, der ihn während des ganzes Kampfes bis zu diesem Augenblick verschont hatte, heimtückisch über sein linkes Auge. Er verminderte die Sicht, und das ließ ihn vor Wut explodieren. Er blickte wieder zur Korvette. Sie lag beigedreht da. Nach der Geschäftigkeit an Bord zu schließen, mußte ihr Kommandant bald verrückt werden bei dem Versuch, das Durcheinander von zertrümmerten Masten und Segeltuch zu beseitigen, das über die Decks verstreut war. Er hatte seine Fockmarsstenge verloren. Seine Großstenge konnte jeden Augenblick herunterkrachen. Fox hoffte voller Bosheit, daß sie dann nicht über Bord ging, sondern quer über das ganze Deck schlug, um so zum allgemeinen Durcheinander noch beizutragen. Aber die Großstenge tat ihm nicht den Gefallen. Wieder blickte Fox zur Raccoon hinüber. „Diese Hundesöhne", sagte er und kümmerte sich wenig darum, daß seine Männer ihn hören könnten. „Was zum Teufel, denkt der sich eigentlich?" Denn die Raccoon, kommandiert von Richard Sanders, die eigentlich hätte heransegeln müssen, um dem Achterdeck der 25
Korvette eine ganze Breitseite zu verpassen, und dann herumschwenken, um die andere abzufeuern, zog friedlich vor dem Wind ab, um offenbar durch die Lücke zwischen der ramponierten Korvette und dem Festland zu schlüpfen. Seine Leute, einschließlich Barnabas, waren schlau genug, jetzt keine Kommentare von sich zu geben, nicht einmal untereinander. Phillips stürzte herauf und erstattete Meldung. „Entschuldigung, Sir. Der eine Küstensegler sinkt, und zwar ziemlich schnell, Sir." „Mist, verdammter!" Fox warf mit seinem gesunden Auge einen Blick voraus, weg von dem unglaublichen Anblick eines britischen Kriegsschiffes, das sich kümmerlich an einem zwar lädierten, doch immer noch kampffähigen Gegner vorbeischlich. Der Rumpf des Küstenseglers mußte von der Breitseite der Korvette durchlöchert worden sein. Das war ein typisch spanischer Schuß gewesen: eine Breitseite mit großer Fläche. Einige der Schüsse waren gut gewesen, einige schlecht. Paß auf, Fox, dachte er, als er nach vorn lief, solch unkontrolliertes Schießen hat seine Vor- und Nachteile. Er besah sich den Segler. Das Wasser mußte schnell eindringen, sein Rumpf lag bereits ziemlich tief im Wasser. Es brachte nichts, noch einen Gedanken an das Fahrzeug zu verschwenden. Sein Inhalt würde sich bald den Ladungen all der anderen Schiffe zugesellen, die auf dem Grund des Mittelmeeres verstreut lagen. Er wandte sich wieder dem zu, was ihm geblieben war. „Wir nehmen diese beiden Prisen mit nach Gibraltar", sagte er zu seinen Leuten. Seine Stimme klang so, daß selbst der Erzengel die Ohren gespitzt und sich zusammengerissen hätte. „Räumt den ganzen Mist weg!" Auf dem Deck des dritten Küstenseglers hing noch ein Boot in den Davits, obwohl diese Schiffe ihre Boote meist achtern an einem langen Tau hinter sich herschleppten, weil ihre Decks vollgepackt waren. „Bringt die Ausrüstung dort an Bord und fiert den Kahn zu 26
Wasser", sagte er und wies auf das Boot. „Du, Phillips, und Josephs, ihr scheucht die Spanier da unten raus und steckt sie ins Boot. Wenn's Ärger gibt, dann ..." Er hob bedeutungsvoll sein Entermesser. „Aye, aye, Sir." Das Boot wurde schnell über Bord gehievt und die verschreckten und jämmerlich dreinschauenden spanischen Seeleute hineingetrieben. Ihr schlauer Plan hatte sich in Nichts aufgelöst. Fox war beim Verhalten der Spanier jetzt auf alles gefaßt. Alle Briten hatten ein wachsames Auge auf die Spanier, doch die verhielten sich ruhig. Sie waren eigentlich gar keine richtigen Küstenfahrer. Erstens waren es zu viele, und zweitens waren sie fast alle fit und aktiv - im Gegensatz zu den alten Männern und den Kindern, die jetzt im Krieg den Handel betrieben, da alle gesunden Männer kämpfen mußten. Die spanischen Behörden hatten ihnen eine Falle gestellt, die auch beinahe funktioniert hätte. Auf der Korvette war das Vormarssegel eingeholt worden. Die Männer waren eifrig dabei, das Durcheinander zu beseitigen. Fox betrachtete den Großmars. Seine Hoffnungen würden sich nicht erfüllen. Trotz allem hatte er mit einem einzigen Schuß aus einem kleinen Vierpfünder immensen Schaden angerichtet. Die Korvette würde sich zwar nur noch wie eine alte Kuh manövrieren lassen - aber immerhin müßte es noch gehen. Fox jedenfalls hätte es gekonnt - wie jeder andere sachkundige Kapitän und Seemann auch. Wenn der Spanier ein Seemann war, würde er mit dem, was er noch hatte, weitersegeln und die Brigg jagen. Vielleicht glaubte er, daß die Falle auf den Küstenseglern funktioniert hatte, und ließ sie zurück in der Annahme, sie sei fest in spanischen Händen. Andererseits könnte dem auch nicht so sein. Er könnte die Hoffnung, die Brigg einzuholen, aufgeben und seine Aufmerksamkeit des Küstenseglern zuwenden. Vielleicht hatte er den Kampflärm gehört. Das Boot mit den Gefangenen war noch immer durch die Küstenschiffe vor seinen Blicken verborgen. Doch sobald er sie entdeckte, würde er wissen, was 27
los war. Fox verfluchte seine eigene gedankenlose Handlungsweise. Hätte er sie irgendwo eingesperrt, hätte es womöglich weiteren Ärger gegeben. Hätte er sie alle abgeschlachtet und das Problem auf diese Weise gelöst, wäre das wohl das beste gewesen. Fox starrte zu der Korvette. Er wurde eben weich auf seine alten Tage. „Phillips, nimm die Hälfte der Leute und geh an Bord des anderen Seglers. Und paß auf, daß du genauso manövrierst wie ich. Setz das gleiche Tuch wie ich. Mit dieser Takelung können wir höher als die Spanier segeln. Ich werde sie in Lee zurücklassen. Verstanden?" „Aye, aye, Sir. Ich mache das gleiche wie Sie, Sir." „Gut. Also los!" Fox unterdrückte augenblicklich die Enttäuschung, die er empfand, als er sah, daß Phillips Barnabas auswählte. Der große Rotschopf war ein brauchbarer Mann, darüber gab es keinen Zweifel. Doch Fox hatte schon vorher ohne ihn auskommen müssen, und bei keinem anderen hatte er den Unterschied so stark gespürt. Er sagte Ben Ferris, er solle das Ruder übernehmen. Der erste Küstensegler stand jetzt mit dem Schanzdeck unter Wasser und würde in wenigen Minuten verschwunden sein. Fox starrte es einen Augenblick traurig an. Er erlebte nicht gern das Ende eines Schiffes, ganz gleich, wem es gehörte. An Bord der Korvette ging etwas vor. Aber was, darüber war sich Fox nicht klar. Die Korvette luvte an und segelte etwa eine Minute lang am Wind, dann holten die Rahen über und das Schiff rauschte in Richtung Südost davon, so daß Fox glaubte, sie sei hinter der Raccoon her. Die Brigg begann ihrerseits wieder hinauszukreuzen und hielt von der Küste frei. Fox überantwortete die beiden Schiffe samt ihrem jeweiligen Kapitän dem Hades und versuchte weiterhin, seine Flotte - wie großartig das klang! - höher an den Wind zu bringen. „Halte luvwärts, Ben", sagte er knurrend. „Steuere einen geraden Kurs, Kerl, zum Teufel noch mal!" „Aye, aye, Sir." 28
Ben Ferris, ein ruhiger Bursche, wußte, wie man so ein Schiff zu führen hatte, jedenfalls soweit Fox das über die soziale Kluft hinweg beurteilen konnte, die beide in der Marinehierarchie trennte. Ohne Zweifel hatte Ben während seiner Zeit als Handelsfahrer genügend Erfahrungen gesammelt. Sein Vater, der in einem absaufenden Schiff im Hafen von Palermo ertrunken war, hatte seine Frau und den Sohn auf seine Fahrten mitgenommen. Die Korvette, für die er in regelmäßigen Abständen einen Blick mit seinem gesunden Auge erübrigte, schien unentschlossen zu sein. Sie hing da draußen herum. Die beiden Küstenschiffe segelten hart am Wind und hielten hinauf nach Nordost. Fox kam langsam der Gedanke, daß er sich so vielleicht davonschleichen könnte. „Fall zwei Strich ab, Ben." „Aye, aye, Sir." Er wollte soviel Raum wie möglich zwischen sich und die Küste bringen, und da er höher als die Korvette lief, war es Zeit, weiter nach Osten zu steuern. Er paßte auf, daß Phillips mithielt. Dabei, und während er den Wind um seinen Nacken spielen spürte, merkte er, daß er wieder mit beiden Augen sah. Langsam gewannen sie an Seeraum. Eine Stunde verging, zwei, dann sah man von der Korvette nur noch ein weißes Dreieck - und das auch nur vom Mastkorb aus. Jetzt war die Zeit gekommen. „Ruder nach Luv, Ben!" „Aye, aye, Sir." Die Nase des Schiffes schwang herum, die notwendigen Befehle, bereits bei der Vorbereitung erteilt, wurden jetzt ausgeführt. Die Segel fielen wieder voll, das Schiff wurde schneller und rauschte nach Südost. Fox unternahm einen Rundgang über Deck, fluchte, als er einen nachlässig aufgeschossenen Tauhaufen sah, gab scharf und ungeduldig Order, worauf einer von der Besatzung mit einem erschrockenen Satz hochfuhr, als sei da eine Anakonda, und schoß das Tau sorgfältig auf. Fox legte seine Hände auf den Rücken und marschierte zurück zum Ruder. 29
Phillips hatte seine Wende tadellos ausgeführt und segelte hinter Fox her, etwas nach Steuerbord gestaffelt. So wie er war, glaubte Fox keineswegs ernsthaft, daß er mit seinem unverschämten Verhalten ohne weiteren Kampf davonkäme. Als ihn der Ruf aus dem Ausguck erreichte, spürte er, wie ihn eine Stimmung müden, fast gleichgültigen Überdrusses überfiel. Auf der Korvette hatte man es sich anders überlegt und an Segeln gesetzt, was sie hatte. Jetzt jagte sie ihn und hatte das Oberbramsegel nur gesetzt, um den durch das Fehlen des Vormarssegels gestörten Trimm auszugleichen. Sie plantschte also heran, um ihn zu Treibgut und Möwenfutter kleinzuhacken, wenn er nichts dagegen unternahm. Er blickte hinüber und wartete. Bald war der Spanier über dem Horizont und rückte schnell näher. Fox dachte nicht daran, seine Segel zu streichen. Er war ein harter Mann, stahlhart, und während er das Irrationale in seinem Verhalten erkannte, hatte er doch bisher noch keine Veranlassung gehabt, seine Handlungsweise zu ändern. Er befahl den Männern ungeduldig, Pulver und Blei herbeizuschaffen und den Messingvierpfünder herumzufahren. Wenn dieses Exemplar genauso gut schoß wie die Kanone, mit der er die Korvette verkrüppelt hatte, konnte er zufrieden sein. ,,Raccoon, ahoi!" rief der Ausguck. Fox wartete in fiebriger Ungeduld, die er aber hinter einer eisernen Maske der Gleichgültigkeit verbarg. Er kletterte die Webeleinen halb hinauf und blickte sorgfältig durch das Bordfernrohr, das er aus der Krampe an dem Schott des Deckshauses genommen hatte. Ja, bei Gott, es war die Raccoon! Sie rollte direkt auf sie zu. Was wollte denn der Sanders nun eigentlich? Wieder rief der Ausguck. „Schiff ho! Toppsegel, Sir - drei - eine Fregatte!" Fox wartete ab. „Sie ist britisch, Sir!" Und dann: „Ich glaube, es ist die alte Nicky!'' Womit er die Nike meinte. Eine Fregatte mit 32 Achtzehn30
pfündern. Es sah ganz so aus, als sei George Abercrombie Fox wieder einmal glimpflich davongekommen. 4. Die Feier in der Messe der Nike fand aus einem guten Grund statt. Der 2. Offizier hatte nämlich Geburtstag. Die Nike und die Raccoon lagen vor Gibraltar und schwangen sanft an ihren Ankerketten unter dem Nachthimmel. Die Sterne schienen geradezu aufdringlich milde, wie Fox mißmutig feststellte, als er sich zur Feier begab, begleitet von Grey und Prentiss. Er brachte wie die anderen Offiziere der Raccoon Geschenke mit - Rum, eine Flasche Wein, einen Kuchen, den Prentiss auf irgendeine geheimnisvolle Weise an Land beschafft hatte. „Das hat man davon, wenn man Prisen kapern darf", sagte der 2. Offizier der Nike, ein großer, bleicher junger Mann, mit unverhohlenem Neid. Er schien ziemlich betrunken zu sein. „Ihr in euren Briggs und Kuttern habt den Spaß, und wir haben das Nachsehen." Ein Stöhnen erhob sich bei dieser Andeutung eines professionellen Gesprächs, und das Geburtstagskind wandte sich wieder dem Spiel zu, das gerade stattfand. Soweit Fox beurteilen konnte, ging es dabei darum, dem Gegner die Hosen herunterzuziehen und ihm dabei Scheuerlappen oder Segeltuchreste möglichst geräuschvoll auf die blanke Kehrseite zu klatschen. Fox zog sich in den Schatten einer 18-Pfünder-Kanone zurück, nippte an seinem Rumglas und beobachtete das bunte Treiben. Lionel Grey, mit wirrem Haar und wehenden Beinkleidern, war einer der besten Spieler. Jungens und erwachsene Männer, sie alle spielten mit einer Hingabe und Energie, von der sie einen so großen Überschuß hatten - jetzt, da sie sie nicht an Franzosen oder Spaniern abreagieren konnten. Die Messe war ein angenehm ausgestatteter Raum. An Bord der letzten Fregatte, auf der Fox gedient hatte, auf der Duchess, hatte Captain Grantley Struthers darauf bestanden, die Messe der Unteroffiziere als Offiziersmesse zu bezeichnen. Das hatte 31
Fox teils amüsiert, teils hatte es ihn beleidigt. Mittlerweile gab er allerdings keinen Pfifferling mehr auf die Duchess oder die Launen ihres Captains. Er trug den Säbel, den Lord Kintlesham ihm geschenkt hatte, an seiner rechten Seite. Es war ein schöner Säbel, der ausgezeichnet zu feierlichen Gelegenheiten paßte. Aber er erinnerte Fox nur schmerzlich an seinen eigenen spanischen Säbel und seine anderen Sachen, die er an Bord der Duchess zurückgelassen hatte, an den Galauniformrock, der zwar alt, aber immer noch tragbar war. Aber wahrscheinlich befanden sich die Sachen inzwischen längst im Lagerhaus von Plymouth. Wenn seine Kameraden sie nicht gestohlen hatten. Fox war in so hohem Maß ein Einzelgänger, daß er es schwierig fand, sich mit den anderen zu amüsieren. Ein paar Offiziere beschlossen, an Land zu gehen und das Fest an einem Ort zu beenden, der etwas delikatere Vergnügungen versprach. Ein glücksstrahlender Grey mit hochrotem Gesicht überredete Fox, sich dieser Gruppe anzuschließen. Irgendwie gerieten sie in ein Boot. Der Erste Offizier der Nike, ein fülliger Mann, der die Angewohnheit hatte, beim Sprechen den Kopf einzuziehen, schaffte es trotz allgemeiner Trunkenheit, als letzter ins Boot zu steigen und als erster an Land zu springen. Fox befand sich in einer Stimmung, in der er allen protokollarischen Kram am liebsten zum Teufel gejagt hätte. Er hatte die spanischen Prisen erfolgreich gekapert, dann hatte ihn diese verdammte Korvette verfolgt, und die Nike war als Retterin in höchster Not erschienen. Schön und gut. Aber die Raccoon war auch dagewesen, und deshalb war es logischerweise Sanders, dem die Prisen gehörten. Da die Nike sich nicht im Blickfeld befunden hatte, als Fox die spanischen Küstensegler gekapert hatte, erhielt ihre Besatzung auch keinen Anteil am Prisengeld, obwohl es ironischerweise die Ankunft der Nike gewesen war, die die knifflige Situation bereinigt und die triumphale Bergung der Prisen ermöglicht hatte. „Hier ist es!" rief der 2. Offizier der Nike, und ein Leuchten glitt über sein fahles Gesicht. Sie stolperten alle in das Haus, kreischend und lachend. Die dunklen Gassen und Gärten von Gibraltar, das Sternenlicht, das 32
sich auf Dächern spiegelte, die Luft, die lautlos zu atmen schien - all das vereinigte sich zu einer Nacht, in der niemand an Kampf und Krieg denken mochte. Fox ließ sich mit den anderen treiben. Plötzlich fand er sich allein mit Grey in einem Raum, in dem ein Mischlingsmädchen einen Entkleidungstanz zelebrierte. Schals und Tücher flatterten auf den Teppich. Fox musterte Grey aus schmalen Augen. Grey würde verschwinden müssen, verdammt! Das Orchester, falls man es als solches bezeichnen durfte, bestand aus alten Blechdosen, Trillerpfeifen und gequälten Katzen irgendwo hinter dem Vorhang und tat sein Bestes, um erotische Stimmung in den Herzen und der Lendengegend der britischen Seeleute zu erzeugen. Grey wich zurück, lächelte und sah unglaublich gut aus. Fox wurde sich nur noch deutlicher seiner eigenen Häßlichkeit bewußt. Das Mädchen tanzte und wand sich und ließ weitere Schleier fallen. Inzwischen gelangte sie zu Teilen ihrer Anatomie, die Fox' entschiedenes Interesse weckten. Was hatte das Biest eigentlich vor? Sie mußte doch wissen, daß zwei Männer im Zimmer waren. Und sie konnte doch wirklich nicht... Grey lächelte zufrieden. „Verdammt heiß hier drin, Sir." „Ja." „Soll ich noch Wein holen, Sir?" Fox erkannte erst jetzt, daß er irgendeinen widerlichen Rotwein trank. Bisher hatte er sich an Rum gehalten. Man konnte keinem britischen Seemann trauen, wenn es um Alkohol ging. Das war eine Art Naturgesetz. Genauso, wie es ein Naturgesetz war, daß sich dieser verdammte Sanders eine Prise nach der anderen aus den Wellen holte. Die Musik dröhnte in seinem Kopf, die runden Hüften des Mädchens schimmerten im Lampenschein. Er dachte an die Mädchen in Yassin Solimans Privatharem, an jene anderen Mädchen, die ihn in der Höllennacht vor Akka verfolgt hatten, und stöhnte. Ein roter Ring schloß sich immer enger um sein linkes Auge. Grey mußte verschwinden, soviel war sicher. Ein noch wilderer Lärm übertönte die Musik. Fox hörte 33
es mit Gleichmut. Grey richtete sich auf seinen Kissen auf. Das Mädchen war mittlerweile bei seinen letzten beiden Schleiern angelangt. Es drehte und bog sich, die Glöckchen an den Fußgelenken klirrten und jagten das Blut noch heißer durch Fox' Adern. Grey stand auf und spähte über einen purpurroten Vorhang, der eine Ecke des Raumes abteilte. Das Mädchen fingerte träge an einer Quaste des vorletzten Schleiers und starrte in Greys Richtung. Ihre Augen glänzten fast weiß im Lampenlicht. Fox schüttete sich den Rest des abscheulichen Rotweins in die Kehle und erhob sich ebenfalls. „Da - hören Sie, Sir", flüsterte Grey. „Was, zum Teufel..." Doch bevor Grey antworten konnte, schoß ein gigantisches weibliches Geschöpf an dem roten Vorhang vorbei. Im Vergleich zu diesem Wesen mußte die dicke Sophie wie eine Sylphide wirken. Sie gab einen Schwall von Schimpfworten in Spanisch und schlechtem Englisch von sich, und Grey schüttelte verwirrt den Kopf. Dann drang plötzlich, unerwartet, aber unmißverständlich, Waffengeklirr hinter dem Vorhang hervor. Beim zweiten Versuch bekam Fox seinen Säbelgriff zu fassen, und das ernüchterte ihn beinahe. „Hinaus! Vamose!" kreischte die Madam. Sie versuchte Grey zu einer zweiten, von einem Vorhang verhüllten Tür zu schieben. „Ich glaube, wir ziehen uns besser zurück, Sir." „Verdammt, was ..." „Irgendein Kampf, eine Fehde - wir halten uns da besser raus, Sir." Grey teilte den grünen Vorhang, der mit goldenen Fransen geschmückt war, öffnete die Tür dahinter und blickte hinaus. Dann sah er Fox über die Schulter an. „Die Leute von der Nike laufen davon, als sei der Teufel hinter ihnen her." „Dann soll sie der Teufel gefälligst einholen!" Fox kochte vor Wut. Grey blickte noch einmal durch die Tür. Die Madam schlich sich von hinten an, gab ihm einen Stoß, und mit einem verwirrten Schrei taumelte der Midshipman hinaus. 34
Nun, das ist auch eine Möglichkeit, sagte sich Fox. Ich habe ja schon die ganze Zeit behauptet, daß Grey verschwinden muß. „Raus!" Die Madam watschelte drohend auf ihn zu. Das tanzende Mädchen, immer noch mit den letzten beiden Schleiern bekleidet, wich zurück. Ihre Fußknöchelglöckchen klingelten und dann verstummten sie. Fox brüllte das dicke Weib an. Er wußte nicht genau, was er sagte. Aber es handelte irgendwie von Ehre und guter Bezahlung. Noch während er schrie, schnellte er vor, packte das Mädchen und riß es in seine Arme. Es hing wie eine ertränkte Katze an seiner Brust und kreischte, bis er mit seiner narbigen Hand quer über den Mund schlug. Die Madam heulte noch lauter als ein Großmarssegel, das im Sturm zerreißt. Der rote Vorhang blähte sich, dann drangen dunkle Gestalten herein, mit Säbeln bewaffnet. Die Madam begann zu schwanken. Fox sprang zu dem grünen Vorhang und hinaus ins Freie. Er schlug die Tür hinter sich zu und lief eine übelriechende Gasse entlang, immer noch das Mädchen im Arm. Er wußte nicht genau, was eigentlich los war. Über ihm schienen die Sterne mild wie zuvor. Sein Fuß trat in irgendeine schleimige Masse, er glitt aus, das Mädchen verlor das Gleichgewicht und begann erneut zu schreien. Er riß sie wieder auf die Beine und preßte sie enger an sich. „Schon gut, ma poule. Ich tu dir nichts." Da war ein Dröhnen - entweder in seinem Kopf oder irgendwo in Gibraltar. Der Mädchenkörper fühlte sich warm und weich an, und an dieses Gefühl klammerte sich Fox, als er von Schatten zu Schatten sprang. Den vorletzten Schleier hatte sie mittlerweile verloren, und der letzte wehte wie ein Wimpel von ihrer Hüfte. Sie versuchte ihn in die Finger zu beißen, er preßte sie aber nur noch fester an sich. Endlich fand er einen schattigen Eingang, vor dem aus einer großen Steinurne exotische Blumen wuchsen. Er stellte das Mädchen auf die Beine.Während er ihr mit einer Hand den Mund verschloß, lauschte er in die Nacht. Dann beugte er sich zu ihr und sagte in seinem fließenden Spanisch: 35
„Keinen Laut!" Er nahm die Finger von ihrem Mund, und sie ließ einen Redeschwall in Arabisch, Spanisch und Englisch los. „Ja, schon gut", sagte Fox. Er suchte in seiner Tasche und fand ein Goldstück - eine französische Münze, die er einem toten französischen Infanterieoffizier am Minenschacht von Akka abgenommen hatte. „Hier! Du bist, wie du bist, meine Kleine, und ich kann mich auch nicht ändern. Und deshalb müssen wir eben beide das tun, was wir tun müssen. Es gibt keine Alternative." Großzügig warf sie auch noch den letzten Schleier weg. Sie sah sehr verführerisch aus. Als er später zum Hafendamm schlenderte, lief ihm Grey aufgeregt entgegen. „Ich habe ein Boot gemietet, Sir. Wir sollten uns jetzt lieber beeilen. Die Patrouillen sind unterwegs, und die Armee würde nur zu gern Offiziere der Navy einsperren." „Einsperren ..." stammelte Fox. „Sie haben recht, Mr. Grey. Tatsächlich, Sie haben recht. Bitte, steigen Sie in das Boot." Fox kletterte als letzter in den Kahn. Sogar wenn er betrunken war, vergaß er keine Sekunde das Reglement der Navy. Als sie das Deck erreichten, hatte sich Fox wieder so weit in der Gewalt, daß er Grey würdevoll zunicken konnte. „Das haben Sie sehr gut hingekriegt - mit dem Boot, Mr. Grey." Kein Muskel bewegte sich im Gesicht des jungen Mannes. Aber Fox glaubte zu sehen, wie dem Midshipman das Blut in die Wangen stieg. „Danke, Sir. Gute Nacht, Sir." Abrupt wandte sich Fox ab. Wieder einmal hatte er die Grenze zwischen Beruf und jenem verwirrenden Niemandsland, das sich Freundschaft nannte, überschritten. Aber er hatte doch keine Freunde, mit einer einzigen Ausnahme, und das war Captain Rupert Colburn vom 43. Regiment. Warum war es denn immer wieder Grey, mit dem er in Situationen geriet, die mehr der privaten als der beruflichen Sphäre angehörten? Warum war es ihm immer wieder so schmerzlich bewußt, daß er sich in den Augen dieses jungen, aber schon sehr weltgewandten 36
Midshipmans lächerlich machte? Als er sich achtlos auszog und auf die Koje warf, die in der winzigen Kajüte kaum Platz hatte, überdachte er noch einmal die Erlebnisse des heutigen Abends. Die dicke Madam hatte offenbar die Briten ausnehmen wollen, ohne ihnen den Gegenwert für ihr gutes Geld zu gewähren. Aber Foxey war auch in dieser Beziehung wieder einmal schlauer gewesen als die anderen. Er hatte sich genommen, was ihm für sein Geld zustand. Er schlief ein, keineswegs zufrieden mit sich und der Welt. Aber es begleitete ihn doch wenigstens eine leise Ahnung von Triumph in seine Träume. 5. Lieutenant Fox ging auf der Leeseite des Achterdecks auf und ab, während die Raccoon rasch nach Osten segelte. An der Luvseite waren Captain Sanders und Macbridge in ein Gespräch vertieft. Fox runzelte die Stirn. Bei dieser neuesten Kreuzfahrt hatte das Glück den Goldjungen Sanders bisher im Stich gelassen. Bis jetzt hatte sich kein einziges feindliches Schiff gezeigt. Sie waren ein paar Schiffen aus neutralen Ländern begegnet, und Sanders mußte die Verantwortung übernehmen, zu beurteilen, ob diese Schiffe auch wirklich neutral waren. Wenn er eine Prise aus einem dieser infernalischen ägäischen Staaten kaperte und wenn dann vor dem Kriegsgericht der Beweis erbracht wurde, daß das Schiff tatsächlich als neutral klassifiziert werden mußte, würde Sanders die Kosten der Reparaturen tragen und für alle Schäden aufkommen müssen, die während des widerrechtlichen Entermanövers entstanden waren. Bis jetzt war die Kreuzfahrt also erfolglos verlaufen. Aber Fox wußte mit trauriger Gewißheit, daß Sanders Prisen finden würde, sobald sie Land sichteten. Dieses Unternehmen führte ins zentrale Mittelmeer. Vor Port Mahon hatten sie eine Order erhalten, die sie nach Osten rund um Sardinien führte, wobei sie einen Kontakt mit der Flotte vor Neapel vermeiden sollten. Jetzt nahmen sie Kurs auf 37
Nord und hielten nach Prisen Ausschau, wie kürzlich vor der spanischen Küste. Aber diese Prisen hier würden sich von den spanischen unterscheiden, wie Fox resignierend ahnte. Vor Gibraltar hatten sie die Gelegenheit zu einer Aufdokkung der Raccoon ergriffen und das Unterwasserschiff überholen lassen. Fox spürte jetzt den Unterschied in der Geschwindigkeit der Brigg. Sie ragte noch immer hoch aus dem Wasser, aber daran hatte er sich mittlerweile gewöhnt. Sanders fand sogar Geschmack an dieser Neigung der Raccoon. Die enorme Geschwindigkeit, die er aus der Brigg herausholen konnte, entzückte ihn. Captain Sanders hatte es nicht für nötig erachtet, Lieutenant Fox mit dem vollen Wortlaut der Order vertraut zu machen. Dieser Sanders unterschied sich deutlich von dem armen Teufel Mortlock, der sich bei allen anfallenden Problemen auf seine Untergebenen verlassen hatte. Aber wenn Fox den Kommandanten und den Steuermann beobachtete, die noch immer in ein ernsthaftes Gespräch vertieft waren, wurde ihm bewußt, daß er sich keineswegs um Sanders' Freundschaft riß. Auch an Macbridge lag ihm nicht sonderlich viel. Er hatte inzwischen zwar festgestellt, daß der Steuermann seinen Job einigermaßen verstand, aber es störte ihn, daß diesem Mann die Begeisterung fehlte, das innere Feuer, das in kritischen Augenblicken wichtiger war als alle Kenntnisse und Erfahrungen. Die Routine an Bord nahm ihren Lauf, während Fox Wache stand. Mit leichten Segeln, über Backbordbug, glitt die Raccoon dahin. Nur hin und wieder wurden notwendige Änderungen an der Segelführung vorgenommen. Es gab nicht viel zu tun, trotzdem sorgte Fox dafür, daß die Männer beschäftigt wurden. Er hatte festgestellt, daß sich die Besatzung in zwei Gruppen gespalten hatte. Das erschien ihm um so seltsamer, als die Männer, die früher unter seinem Kommando gestanden hatten, bevor Sanders alles verändert hatte, zu der schweigsamen, übellaunigen Gruppe gehörten. Sogar der junge Ben Ferris ging mit düsterem Gesicht umher. Als Fox Phillips auszuhorchen versuchte, erhielt er nur die Antwort: „Ich weiß von nichts, Sir." 38
Midshipman Prentiss lief auf das Achterdeck und mischte sich in die Konversation seines Kommandanten und des Steuermanns. Fox zwang sich, deshalb nicht nervös zu werden. Er schritt weiterhin auf und ab und achtete aufmerksam darauf, daß alles seine Ordnung hatte, daß sich nicht die geringste Nachlässigkeit einschlich. Wie es seine Gewohnheit war, strebte er auch an Bord der Raccoon nach höchster Perfektion, wie es ihm sein Lehrmeister, Captain Sir Cuthbert Rowlands, beigebracht hatte. Wenn Fox seinem instinktiven Gefühl Glauben schenken wollte, mußte er sich damit abfinden, daß sich die Raccoon in zwei Teile spaltete. Sanders war ein glücklicher Kommandant. Er war groß und kräftig, sein dickes rotes Gesicht mit den blitzenden blauen Augen trug stets Fröhlichkeit zur Schau. Er lachte gern und umgab sich mit einer Aurabilliger Kammeraderie - ein Mann, der leicht Freundschaften schloß und eine gute Hand im Umgang mit Menschen hatte. Und doch konnte Fox das boshafte Funkeln dieser blauen Augen nicht vergessen damals, als Sanders vor Palermo an Bord der Raccoon gekommen war und ihm mitgeteilt hatte, daß seine Zeit als Kommandant der Brigg abgelaufen sei. Natürlich spürten die Männer, daß Sanders ihnen Glück gebracht hatte. Sie kaperten Prisen, was ihnen unter Fox' Kommando nicht gelungen war. Nein - unter Fox hatten sie nur die mühsame Periode der Belagerung von Akka miterlebt. Wenn er etwas romantischer veranlagt gewesen wäre, hätte er glauben mögen, daß gerade jene Zeiten ihn und die Besatzung enger miteinander verbunden hätten. Aber in Wirklichkeit bevorzugten die Leute eindeutig Kommandanten wie Sanders. Er brachte ihnen Prisengeld ein, er war ein Gentleman und deshalb zum Kommandieren geboren, und er war beliebt. Aber eben doch nicht bei allen Männer an Bord der Raccoon. Die Zersplitterung innerhalb der Besatzung hatte also persönliche Gründe, und das irritierte und alarmierte Fox. Ein Schiff mußte eine Einheit bilden - eine kampfstarke Einheit. Es konnte sich nicht teilen, sonst war es unweigerlich dem Untergang und dem Tod geweiht. 39
Auf der anderen Seite des schmalen Achterdecks machte Sanders irgendeine scherzhafte Bemerkung, und Prentiss stieß sein schrilles, nasales Gelächter aus. Fox schnappte einige Worte auf. „ ...nein, die Tiger, Sir. Es war die Tiger..." Und Sanders erwiderte: „Mein Gott, ist das ein Hanswurst! Ein lächerlicher kleiner Seebär mit ein bißchen Goldlitze..." Macbridge und Prentiss kicherten - auf den geheiligten Planken des Achterdecks, an Bord eines königlichen Kriegsschiffes, weil der Kommandant mit schlechtem Beispiel voranging. Fox verspürte ein brennendes Gefühl in der Magengegend, das immer stärker und sengender wurde. Vorsichtig ging er ein paar Schritte, und sekundenlang sah er überhaupt nichts. Um beide Augen hatten sich jetzt jene rotschwarzen Ringe geschlossen, verbargen die Decksplanken, die Masten und Rahen, die Segel, die Brigg - die Welt. Stocksteif blieb er stehen. Er hörte Sanders mit jovialer Stimme sagen: „Lassen Sie bitte noch Segel setzen, Mr. Macbridge Royalsegel. Ich möchte möglichst weit nach Norden vorstoßen, solange die Brise anhält. Wahrscheinlich werden wir bald Flauten erleben. Und ich möchte noch ein paar Franzosen schnappen." In Fox' dunkle Welt drang das Geräusch zweier Handflächen, die zufrieden gegeneinander klatschten. „Prisen, Gentlemen, bei Gott..." „Aye, aye, Sir", sagte Macbridge, und Fox hörte, wie sich die Stiefel des Steuermanns über das Decke bewegten und den anderen Lärm an Bord übertönten. Sein Gehör war so unbestechlich wie das einer Katze. Und dann wichen endlich die rotschwarzen Kreise zurück, ganz langsam nur und widerstrebend, und vor seinem rechten Auge schimmerte wieder helles Tageslicht. Macbridge schrie seine Befehle, die Marsposten kletterten die Wanten hoch, ihre Körper zeichneten sich dunkel gegen den Himmel ab. Die Royalsegel entfalteten sich, hie und da sauste der Knüppel eines Bootsmannsmaats auf den Rücken einer Landratte. Die Fallen wurden belegt, die Royalrahen erhoben sich an ihren Masten. 40
Sofort verstärkten sich die Bewegungen der Raccoon. Nachdem Fox für den Augenblick seine Pflicht getan hatte, stellte er überrascht fest, daß er wieder mit beiden Augen sah. Er steckte seinen Finger in den Kragen, dann verschränkte er die Hände auf dem Rücken, riß sie aber schon nach wenigen Sekunden wieder auseinander und umklammerte die Reling des Achterdecks. Dieser verdammte, anmaßende Offiziersadel... Er spürte an der Art, wie er sein Gleichgewicht hielt, ohne daß er es bewußt registrierte, wie stark die Raccoon krängte. Fox blickte sich um. Alle Segel standen voll. Die Raccoon war eine hübsche, handige Brigg, aber sie hatte ihre Grenzen. Die Männer waren dagegen gewesen, die 9-Pf ünder-Kanonen zu bedienen, die er an Stelle der Vierpfünder an Bord gebracht hatte. Zumindest hatte er in letzter Zeit diesen Eindruck gewonnen. Und ebenso hatte er den Eindruck, der sich täglich verstärkte, daß Sanders und Macbridge und Prentiss und ein guter Teil der Besatzung ihn ablehnten, ihn aus der Gemeinschaft ausschlossen. Der Zahlmeister behandelte ihn sofort mit offener Unhöflichkeit. Natürlich, Fox war der Erste Offizier, und als solcher hatte er einiges an Bord zu sagen. Aber er spürte, daß einige Leute seinen Befehlen nur widerwillig gehorchten, wenn auch keiner versuchte, sich offen mit ihm anzulegen. Er hob den Kopf, Über den Horizont legte sich bereits ein dunkler Streifen. Mit zusammengekniffenen Augen sah er zum Vortopp hoch. Sanders' beiläufige Bemerkung über Flauten hatten Hoffnungen in Fox geweckt. Logan, einer von Sanders' Männern, hockte im Vortopp. Noch während sich Fox mit dem erstaunlichen Gedanken beschäftigte, daß sich einige Leute an den Kommandanten hielten und andere an den Ersten Offizier, daß es zwischen den beiden Gruppen bald zu offenen Feindseligkeiten kommen könnte, schrie Logan: „Segel ho! Steuerbord voraus!" Diesen Ruf hatte Fox nicht erwartet. Aber Logans Blickfeld war zweifellos größer als das seine. Logan würde auch sehen, daß das Wetter sich verschlechterte, daß der dunkle Streifen am 41
Horizont sich ausbreitete, und dann würde es das ganze Deck erfahren. Sanders schlug sich klatschend auf die in makelloses Weiß gekleideten Schenkel und rief: „Verdammt!" Seine blauen Augen verschwanden fast in den roten Fettpolstern. „Hab ich's nicht gesagt? Ein Franzose! Er wird uns gehören, noch bevor die Nacht einbricht, Freunde!" Irgendein Narr auf dem Mitteldeck begann zu grölen. „Hoch lebe Cap'n Sanders!" „Ruhe, ihr Bastarde!" brüllte Fox. Er trat von der Reling zurück. Natürlich war es ein französisches Schiff. In diesen Gewässern konnte es gar nicht anders sein. Aber es mußte nicht unbedingt eine Handelsbrigg sein. Vielleicht handelte es sich um eine Korvette oder Fregatte oder- was Gott verhüten möge - um ein Linienschiff. Wenn nicht Sanders die Raccoon befehligt hätte, so hätte Fox vielleicht gezögert, sich jenem fernen Segeldreieck zu nähern. Aber Sanders war ein Glückspilz. Und wahrscheinlich wartete da draußen schon wieder eine neue fette Prise auf ihn. Was immer für ein Fahrzeug das auch sein mochte, die Raccoon war schneller. Nach wenigen Minuten schrie Logan vom Vortopp herab: „Eine Brigg!" Jetzt sahen sie den Segler auch schon vom Deck aus, und bald hatte die Raccoon ihn eingeholt. Als der Franzose die Farben der Raccoon sah, drehte er bei. Er schien begriffen zu haben, daß es um seine Chance, dem Briten zu entwischen, schlecht stand. Es war eine häßliche, grobschlächtige, breit gebaute Brigg mit dicken Masten und Segeln, die dringend der Reparatur bedurften. Eine nicht sehr begehrenswerte Prise, aber Sanders schien trotzdem zufrieden. Diese Brigg war für ihn der Talisman dieser Kreuzfahrt. Wenn er sie kaperte, mußte auch der Rest des Unternehmens erfolgreich verlaufen. Macbridge wurde an Bord der Brigg gesandt, um sie zu inspizieren. Fox nahm das hin, ohne mit der Wimper zu zucken. Als der Steuermann zurückkehrte, sah er Sanders mit sonderba42
rem Blick an. Er hatte den Bootsmann John Carker an Bord der französischen Brigg gelassen, außerdem vier Seesoldaten Sergeant Cartwrights und zehn Besatzungsmitglieder. Macbridge salutierte und begann dann ein Privatgespräch mit Sanders. Nach wenigen Minuten wurde Midshipman Prentiss hinzugezogen. Fox hatte die Deckaufsicht Midshipman Grey übertragen. Er bemühte sich, Ruhe zu bewahren. Wenn Sanders es nicht für nötig hielt, seinen Ersten Offizier zu seinen Besprechungen heranzuziehen - Fox war ganz gewiß nicht der Mann, der sich bei seinem Kommandanten einschmeichelte. Wenn die Zeit reif war, würde Fox zuschlagen. Sanders rief nach ihm. „Mr. Fox! Darf ich Sie bitten, unter den Leuten für Ruhe zu sorgen!" „Aye, aye, Sir." Fox wich Greys Blick aus und ging nach vorn. Lassiter und der Schiffskorporal hatten Sanders' Worte gehört und duckten sich wie in böser Vorahnung, als Fox auf sie zumarschierte. „Wenn Sie wissen, wer hier den Mund nicht halten konnte", sagte er mit seiner scharfen Stimme, die die Schuldigen wie unter Peitschenhieben zusammenzucken ließ, „dann verprügeln Sie die Leute. Wenn Sie es nicht wissen, können Sie nicht so einfach einen Sündenbock büßen lassen." Fox hatte gelernt, Bottsmännern mit Vorsicht zu begegnen, und nach der langen Zeit auf der Raccoon wußte er noch immer nicht so recht, was er von Lassiter halten sollte. Der Mann tat seine Arbeit zufriedenstellend, aber zu diesem Zeitpunkt des Krieges fand man kaum noch an Bord irgendeines Schiffes Unteroffiziere, die ihren Job richtig verstanden. Der Krieg und die Navy hatten die Tüchtigen bereits aussortiert. Lassiter war auf die Raccoon kommandiert worden, sobald er in den Kriegsdienst getreten war, zusammen mit dem Schiffszimmermann und dem Stückmeistersmaat, und wenn man ihn nicht an Bord einer Fregatte holte, würde er auf der Raccoon bleiben, bis sie auf den Meeresgrund sank, verbrannte oder zum Wrack wurde. Aus schmalen Augen sah Fox den Bootsmann und den Schiffskorporal an. 43
„Verzeihung, Sir", sagte Lassiter, „es war der junge Ben Ferris." „Aye, Sir", bestätigte der Schiffskorporal, ein bärenstarker Mann mit unangenehmen Gesichtszügen. „Ben Ferris war es,;, das stimmt, Sir." „Dann verprügeln Sie ihn." „Aye, aye, Sir." Fox wandte sich ab. Warum verspürte er plötzlich ein so flaues Gefühl im Magen? Der junge Ben Ferris, der Bursche, dem er im Hafen von Palermo das Leben gerettet hatte, dessen Mutter gestorben war, ein Häufchen Elend in nassen Kleidern, mit wachsbleichem Gesicht - der junge Ben... Eine Stimme drang zu ihm, schrill und aufgeregt. „Ich war es nicht, Sir! Cap'n Fox! Sir! Ich war es nicht!" Das war offener Ungehorsam. Fox preßte hart die Lippen zusammen. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Barnabas, der rothaarige Riese, vortrat. Sein muskulöser Körper schien die fadenscheinigen Kleider aus der Seekiste fast zu sprengen. Fox hörte die heisere Stimme, die in besänftigendem Ton sagte: „Ruhig, Junge! Das nutzt dir doch nichts. Es ist auch nicht die Schuld des alten Foxey. „Aber ich ..." Lassiters harte Stimme brachte ihn zum Schweigen. „Mit Verlaub, Mr. Lassiter", sagte Barnabas, „der Junge ist jetzt okay. Komm, Ben, beiß da drauf!" Fox atmete auf, als er endlich wieder das Achterdeck erreichte. Er hatte jetzt keinen Grund mehr, an Deck zu bleiben. Grey stand Wache, die Prise schaukelte leicht längsseits der Raccoon in der Dünung. Er hörte Sanders' erregte Stimme, hörte Prentiss in nasalem Tonfall antworten. Sie sprachen über irgendwelche Silberschätze. Fox begann zu begreifen, und mit dem Verstehen stiegen Widerwille und dann Resignation in ihm auf. John Carker kehrte an Bord der Raccoon zurück, und Midshipman Prentiss wurde mit der neuesten Prise nach Port Mahon geschickt. Bootsmann Carker sah lächelnd zu Grey auf. 44
„Ich bin froh, daß ich die Prise nicht wegschaffen muß, Lionel." „Ich auch." Keiner der beiden Männer wußte, daß Fox ihre Worte belauscht hatte - und daß dieses kurze Gespräch den Ersten Offizier ziemlich irritierte. Bootsmänner und Midshipmen hatten nicht allzu häufig Gelegenheit, ein Prisenschiff zu kommandieren. Aber wenn sich eine solche Gelegenheit ergab, griff man stets mit beiden Händen zu. Und wenn man noch dazu eine Prise in den Hafen von Port Mahon bringen durfte, eine Prise, die mit Silbergeld für Bonapartes Armee beladen war... Und diese beiden Kerle freuten sich noch, daß ihnen eine solche Gelegenheit entgangen war. Erstaunlich. Später zählte Fox zwei und zwei zusammen. Der dunkle Streifen, den sie am Horizont gesehen hatten, mußte einer jener plötzlichen Mittelmeerstürme gewesen sein. Und dieser Sturm mußte die französische Brigg von ihrem Konvoi getrennt haben. Jedenfalls hatte der Sturm wieder einmal Sanders das Glück in die Arme geweht. Wieviel Silber sich an Bord befunden hatte, das erzählte Sanders seinem Ersten Offizier nicht. Aber die Gerüchte an Bord blühten üppig, und es gab die wildesten Spekulationen über die Höhe des Prisengeldes. Fox würde den Gerüchten erst Glauben schenken, wenn er von seiner Familie erfuhr, daß seine Prisenagenten Snellgrove und Dupre seiner Mutter das Geld ausbezahlt hatten. Bis dahin mußte seine Familie noch von der Hoffnung zehren, daß dem Captain der Raccoon bald bessere Zeiten beschieden sein würden. Aber dieser Traum war nur kurz gewesen, die Tage, da er die Welt durch einen rosenroten Schleier betrachtet hatte, waren allzubald verstrichen. Damals war er mit Sophie verlobt gewesen, der einzigen Tochter Lord Kintleshams, dessen gute Beziehungen zu Sir William Hamilton und damit zu Admiral Nelson ihm das zeitweise Kommando der Raccoon eingetragen hatten. Und der Lord hatte ihm sogar versprochen, ihm in nicht zu ferner Zeit das Kommando über eine Fregatte 45
zu verschaffen. Alles das waren nur leere Träume gewesen, grausam zerstört durch die Nachricht, daß Sophie und Lord Kintlesham nach England zurückgekehrt waren und Sophie sich mit dem Abenteurer Lord Fotherby verlobt hatte - Major Lord Fotherby in seinem scharlachroten Rock und den schwarzen Stiefeln, aber ohne einen Penny ,.. Was hatte es für einen Sinn, längst entschwundenen Hoffnungsträumen nachzuhängen? Vorerst wollte er sich lieber auf den Bootsmann Lassiter konzentrieren. Hogan, der Schiffszimmermann, und Joachim, der Geschützführer, zwei gewissenhafte, pflichtbewußte Männer, sprachen mit Lassiter, als Fox sich gerade von Grey und Carker abwandte, deren kurzen Wortwechsel er belauscht hatte. Die drei Männer standen dicht beisammen, und Fox fragte sich, was sie in so auffälliger Weise zu bereden hatten - noch dazu nach dem jüngsten Zwischenfall. Er öffnete den Mund, um sie mit einem scharfen Befehl auseinanderzutreiben, aber dann zögerte er. Vielleicht sprachen sie mit Lassiter über den jungen Ben. Der Bursche sollte für etwas bestraft werden, das er nicht getan hatte. Aber die Gesetze der See und Fox' Borniertheit hatten dafür gesorgt, daß Ben die Strafe trotzdem erleiden mußte. Jetzt konnte er nichts mehr in dieser Angelegenheit unternehmen. Lassiters hartes Gesicht zeigte keinerlei Bereitschaft zur Milde, und da beschloß Fox unter Deck zu gehen. Er hatte wirklich keine Lust, mitanzusehen, wie der junge Ferris verprügelt wurde. Man würde ihm die Kleider vom Leib reißen, und dann würden die Bootsmannsmaate mit ihren Knüppeln seinen Rücken bearbeiten, bis sie den Befehl zum Aufhören erhielten. Fox würde ihnen fünf Minuten Zeit geben - keine Sekunde länger. Wenn er die Strafe noch mehr verkürzte, würde er damit zum Ausdruck bringen, daß er den Bootsmann für einen Lügner hielt. Und das konnte böse Folgen für die Disziplin an Bord haben. Fünf Minuten später kehrte Fox an Deck zurück und befahl, die Bestrafung von Ferris zu beenden. Er brachte es nicht über 46
sich, den Jungen anzusehen und ging wieder nach unten, ohne ein Wort mit den Offizieren auf dem Achterdeck zu wechseln. Denn wenn er das getan hätte, hätte er womöglich Sanders Grund gegeben, ihn vor das Kriegsgericht zu bringen. 6. Die Royal Navy war eine gigantische Maschine mit Tausenden von Rädern, Zähnen und Hebeln. Die Winde des Meeres und die Muskeln der Männer stellten die Kräfte dar, die die Navy am Leben erhielten. Es war unvermeidbar, daß sich gewisse Teile in einer so riesigen Maschine aneinander rieben und beschädigt wurden. Dann arbeitete man mit Ersatzteilen so recht und schlecht weiter, bis man bessere Lösungen fand. Auch Fox wartete auf bessere Zeiten. Er verfügte zwar über alle Kompetenzen, die einem Ersten Offizier zustanden, aber er mußte sich immer wieder schmerzlich in Erinnerung rufen, daß Sanders nicht Mortlock war und der Kommandant seinen eigenen Kopf hatte. Nachdem die neueste Prise davongesegelt war, setzte die Raccoon ihre Kreuzfahrt fort. Wie immer blühten die Gerüchte an Bord. Nur Macbridge und John Carker waren von der Prise zurückgekehrt, und wenn sie auch nicht mit der Besatzung sprachen, so spukten doch immer größere Silbermengen in den Köpfen der Leute herum. Seit Parsons, Fox' Aufklarer zur Zeit seines Kommandos, durch Sanders eigenen Mann ersetzt worden war, erhielt die Mannschaft ihre Informationen über andere Kanäle. Jedenfalls hatten sie über die Prise genug erfahren, um sich in der Hoffnung zu wiegen, daß sie auf Lebenszeit ausgesorgt hätten. Fox allerdings bezweifelte das mit dem praktischen Verstand eines Mannes, der seit fünfundzwanzig Jahren zur See fuhr und noch immer ein armseliger Offizier war. In jeder anderen Hierarchie hätte diese Tatsache bedeutet, daß er unfähig, faul und ein Trunkenbold war. In der Navy bedeutete sie nur, daß er keine Beziehungen hatte. Leute mit Beziehungen wurden befördert, segelten womöglich unter eige47
ner Flagge und wurden immer fetter. Leute ohne Beziehungen blickten durch die Finger. So einfach war das. Am folgenden Tag legte Fox bei seinen Rundgängen an Bord eine Pedanterie an den Tag, die der Besatzung nur zu deutlich verriet, wie unzufrieden er war. Und die Leute wußten auch, worin die Schwierigkeiten bestanden. Er sah den jungen Ben Ferris, und da die Raccoon wie die meisten kleinen Fahrzeuge über keinen Schiffsarzt verfügte, hatte Fox einen guten Grund, den Rücken des Jungen zu inspizieren. Er sah übel aus, und Ben blickte dementsprechend mißmutig in die Welt. Aber eine Knüppelstrafe war wenigstens nicht so schlimm wie eine Peitschenstrafe. Fox befahl Barnabas, Bens Rücken mit einer Salbe einzureiben. Dann sagte er mit ausdruckslosem Gesicht: „Ich nehme an, du hast deine Lektion gelernt, Ferris." „Aye, aye, Sir", sagte Ben Ferris. Er konnte nichts anderes sagen, wenn er nicht riskieren wollte, erneut verprügelt zu werden. „Ich werde keinerlei Verstöße gegen die Disziplin dulden." Fox hatte lange überlegt, wie er dem Jungen das, was er empfand, am besten sagen sollte. Denn diesmal waren seine Gefühle trotz seines eisenharten Charakters mächtiger, als es ihm lieb sein konnte. Einerseits mußte er sprechen, andererseits durfte er die Disziplin nicht gefährden. Er fuhr fort und sprach mit rauher Stimme wie immer: „Glaub mir, ich werde die Übeltäter herausfinden, ob es sich nun um dich oder irgendeinen anderen handelt. Wer immer meinen Befehlen zuwiderhandelt, der Schuldige wird seine Strafe erhalten." „Aye, aye, Sir." Als Ferris seinen Blick erwiderte, fragte sich Fox, ob seine Worte wohl den Schmerz am Rücken des Jungen lindern konnten. Der Ausdruck in Bens Augen änderte sich, er hob das Kinn, die Nasenflügel bebten ein wenig. Ja, Ben hatte verstanden. Lassiter, der Bootsmann, würde seine Strafe erhalten, wenn die Zeit gekommen war, und bis dahin konnte dieses Wissen Ben Ferris ein wenig trösten. Aber der wirkliche Schurke in dieser schlechten Komödie, 48
der Idiot, den die Hauptschuld traf, hieß George Abercrombie Fox. Und das wußte er auch. Diesen hochgestochenen Bastarden vom Achterdeck war es gelungen, ihm unter die Haut zu gehen, und das nach fünfundzwanzig Jahren. Er hätte die Prügelstrafe nicht anordnen sollen, ohne sich vorher genau zu vergewissern, wen die Schläge treffen würden. Dieser verdammte Sanders! Fox platzte beinahe vor purem Neid. Er steckte die Hand in die Innentasche seiner Jacke und berührte das zerknitterte Papier, dessen eine Ecke ein Blutfleck bedeckte. Das Blut war jetzt getrocknet. Aber als ihm Captain Louis Lebonnet das Blatt Papier gegeben hatte, hatte das Blut des Franzosen darauf noch frisch und feucht geglänzt. Schreiend und stöhnend im Todeskampf hatte Lebonnet ihm den Plan zugesteckt. Wenn Fox dem Franzosen, den er vor der Folter der Türken errettet hatte, Glauben schenken konnte, so zeigte der Plan die Stelle, an der ein Schatz vergraben lag. Lebonnet und seine Männer hatten den Schatz angeblich aus italienischen Kirchen gestohlen und ihn dann auf einem Friedhof südlich von Livorno vergraben. Der Name, den Fox entziffern konnte, lautete „Cavallo". Wenn er also Captain Louis Lebonnet glauben durfte ... Fox hegte keinen Zweifel daran. Er hatte Lebonnet sterben sehen. Der französische Infanterieoffizier war mit Bonapartes Namen auf den Lippen gestorben. Er hatte den Plan Fox anvertraut wie in einem letzten verzweifelten Versuch, für alle Sünden Verzeihung zu erwirken. Wenn dieser Schatz tatsächlich existierte, dann würde George Abercrombie Fox ihn an sich bringen. Und er würde ihn unter keinen Umständen mit Admirälen und Captains teilen. Mit seinen Kameraden und Leuten würde er teilen. Und was ihm danach übrigblieb, jedes goldene Kreuz, jeder Kerzenhalter, jeder Louisdor, würde zu seiner Familie an die Themse wandern. Aber wenn er den Schatz nicht fand? Wenn er alles aufs Spiel setzte und eigenmächtig nach Livorno aufbrach, wenn sich dann sein Traum als nichtig entpuppte? Was wurde dann aus 49
seiner Familie? Würde sie dann erneut in jene finstere Armut fallen, aus der er sie so mühsam gerissen hatte? Nein, es gab noch andere Wege. Und George Abercrombie Fox würde diese Wege zu finden wissen. Mit dem heißen trockenen Wind von Backbord achtern, der von Afrika herwehte, segelten sie nach Norden. Ein zusätzlicher Ausguck war postiert worden. Nicht nur die Briten, auch die Franzosen unternahmen mit Vorliebe Kaperzüge, und die Raccoon mußte stets damit rechnen, in einen Kampf verwickelt zu werden. Sanders ließ die Raccoon nahe genug unter Land segeln, so daß sie sogar vom Deck aus gelegentlich die Küste im Osten sehen konnten. Purpurrote und braune Gipfel hoben sich immer wieder über die Kimm. Dann befahl der Kommandant dem Steuermann über Stag zu gehen, und die Raccoon glitt wieder weiter ins offene Meer hinaus. Bisher war das Wetter schön gewesen, wie immer auf dem sommerlichen Mittelmeer - wenn man auch darauf gefaßt sein mußte, von einem plötzlichen Sturm überrascht zu werden. Wie jeder gewissenhafte Schiffsoffizier studierte Fox die Windsysteme des Mittelmeers sehr sorgfältig, und wie jeder andere verabscheute er den Sirocco. Aber dieser unangenehme Wind, der staubtrocken über die Wüste und feucht über die See hinwegstrich, war im Sommer kaum zu befürchten. Der Mistral, meist auf das südliche Frankreich beschränkt, erstarb im Golf von Genua. Aber auch in den Gewässern, in denen die Raccoon jetzt kreuzte, konnten die Dämonen des Windes mit grausamen Krallen zupacken und ein Schiff gnadenlos durch die Wellen jagen. Fox erinnerte sich an den Sturm, der Admiral Nelson das unvergeßliche Erlebnis geschenkt hatte, an Bord seiner Vanquard die neapolitanische Königsfamilie zu beschützen. Damals hatte Fox die Raccoon sicher durch das Unwetter geführt. Ob das auch Sanders und Macbridge gelingen würde? Als der Sturm über sie hereinbrach, mit schwarzen, wirbelnden Wolken, als der Wind Sprühnebel über das Wasser jagte, verlor die Raccoon in zwei gigantischen Explosionen ihre Bramstengen, als die Segel rissen und die Rahen krachend her50
abbrachen. Fox sprang aus seiner Koje, fuhr hastig in die Kleider, in die alte weiße Hose und die schäbige Uniformjacke, und stülpte sich diese Karikatur von einem Hut auf den Kopf. Als er das Deck erreichte, taumelte er, der erfahrene Seemann, so stark schwankte die Brigg. Sekundenlang herrschte restlose Verwirrung. Dann hatte Fox die unmittelbaren Probleme erkannt, sah mit einem wütenden Fluch, daß viel zu viele Segel gesetzt waren, ließ sie bergen und befahl, nur mit Sturmsegeln die Fahrt fortzusetzen. Die Männer kletterten die Wanten hoch, klammerten sich krampfhaft fest, kämpften sich zu den Rahen vor, ihre Beine tanzten wild im Wind. Kein Mensch, der klar bei Verstand war, konnte jetzt nach oben klettern, und keiner, der alle fünf Sinne beisammen hatte, konnte das von anderen verlangen. Aber in kritischen Augenblicken wie diesen war kein Mann an Bord vernünftig. Sanders erschien an Deck und knöpfte seine Uniformjacke zu. Auch Macbridge kroch aus seinem Loch, und seine blutunterlaufenen Augen verrieten, daß er ziemlich ausgiebig der Flasche zugesprochen hatte. Grey hatte die Deckaufsicht, und Fox ging schwankend auf ihn zu. „Nun, Mr. Grey, was haben Sie mir zu sagen?" Grey sah elend und gleichzeitig wütend aus. Beleidigter Stolz stand in seinen Augen. „Ich will mich nicht entschuldigen, Sir, aber ich hatte Befehl, keine Segel wegzunehmen ..." Fox konnte im Heulen des Windes kaum verstehen, was der Midshipman ihm sagte. Er beugte sich vor. „Wer hat das befohlen, Mr. Grey?" „Der Captain, Sir." Sanders und Macbridge warfen den Kopf in den Nacken und starrten nach oben. „Ich verstehe, Mr. Grey. Aber sie hätten diesen verdammten Sturm früher erkennen müssen. Sie haben doch Augen im Kopf, oder?" 51
Die Raccoon krängte auch noch mit ihren verminderten Segeln. Der Rudergänger hatte schwer zu kämpfen, um nicht die Kontrolle über die Brigg zu verlieren. Es gefiel Fox gar nicht, wie sich die Raccoon gebärdete. Die Wellen rissen sie hoch, schleuderten sie vor, versuchten sie in grünschwarze Abgründe zu ziehen. Es war unmöglich, viel mehr als die Hand vor den Augen zu sehen. Fox konnte nur beten, daß der Sturm nicht länger dauerte. Der Gedanke, auch nur eine einzige Spiere seines Schiffes zu verlieren, schmerzte Fox genauso, als würde ihm ein Zahn gezogen. Ohne einen ausdrücklichen Befehl von Sanders abzuwarten, hatte Fox zuallererst für die Sicherheit der Brigg gesorgt. Das gehörte zu seinen Pflichten als Erster Offizier. Der Bootsmann kam nach achtern und stemmte sich gegen den Wind, durchnäßt von Kopf bis Fuß. Er tippte mit einer vagen Geste an den Hut und meldete: „Wir haben sechs Männer verloren, Sir, sie sind einfach über Bord gegangen." „Danke, Mr. Lassiter. Machen Sie weiter. Und merken Sie sich für die Zukunft, daß Männer nicht so einfach auf Bäumen wachsen." „Aye, aye, Sir." Fox wartete noch einen Augenblick, nachdem der Bootsmann sich abgewandt hatte. Jetzt hatte er eine Entscheidung getroffen, was diesen Mann betraf. Er mochte ihn nicht. Einige Leute neigten leicht zu der Auffassung, daß George Abercrombie Fox überhaupt niemanden mochte, abgesehen von den bekannten Ausnahmen, aber da irrten sie sich. Fox tolerierte seine Mitmenschen. Viele verabscheute er, einige wenige bewunderte er. Und er war stets gewillt, einen Mann an einer so langen Leine tanzen zu lassen, daß er sich daran aufhängen konnte. Er ging zu Sanders hinüber, um Bericht zu erstatten. Das rote Gesicht des Kommandanten glänzte feucht im Sprühnebel, er leckte sich über die Lippen. „Verdammtes Wetter", murmelte er, als Fox seine Meldung beendet hatte. In der Abenddämmerung begann der Sturm mit neuer Ener52
gie zu toben und jagte die Brigg über die zerklüftete Meeresoberfläche. Fox sah auf der Karte des Mittelmeeres nach, die er im Kopf hatte, und wußte sofort, daß die Raccoon auf ein paar Inseln zuraste. Wassermassen rollten über das Deck. Sie aßen zum Frühstück trockene Biskuits. Solange der Sturm andauerte, gab es kein warmes Essen für die Besatzung. Das hatte Sanders angeordnet. Der Schiffszimmermann drehte methodisch seine Runden an Bord, inspizierte die Bilge und stellte fest, welche Planken abgedichtet werden mußten. Der neue Stückmeister, den Kommandant Sanders an Bord gebracht hatte, untersuchte die Zurrings der Kanonen und ließ sie verdoppeln. Fox wußte, daß der Segelmacher bereits neue Segel hergestellt hatte, die die zerrissenen ersetzen sollten, ebenso einen Ersatzklüver, falls das Sturmsegel nicht hielt. Immer weiter rollte und stampfte die Raccoon. Die Seekranken mehrten sich, die auf den Zwischendecks lagen. Als die Sonne sank, sah Fox vor dem Bug einen schwarzen Landstreifen. Trotz der Anstrengungen, die der Sturm mit sich brachte, ließ ihn die Sehkraft beider Augen nicht im Stich. Die Decks standen fast ununterbrochen unter Wasser, das schäumend durch die Speigatten wirbelte. Die Vorstenge neigte sich in einem verrückten Winkel und drohte niederzubrechen. Fox überlegte, wie lange er noch warten sollte, bis er die Befehle erteilte, die weitere Männer in den Tod treiben würden. Sanders hatte in dieser Hinsicht noch keine Anstalten getroffen, und der Steuermann war offenbar zu vorsichtig, um eine Entscheidung herbeizuführen. „Land!" schrie der Ausguckposten. „Wir werden noch zerschellen, verdammt!" rief Sanders. Die Insel war sehr klein - ein winziger Punkt in der weiten Fläche des Mittelmeeres. Fox erinnerte sich, ohne lange zu überlegen, daß sie Santa Clara hieß. Die Insel war klein - aber doch groß genug, so daß die Raccoon in diesem Wetter unfähig war, abzudrehen und ihr auszuweichen. Fox blickte nach achtern. Der Sturm ließ nach, zweifellos. Wenn sie es jetzt wagten, achtern ein Segel zu setzen, konnten 53
sie es vielleicht schaffen. Macbridge hatte sich noch immer nicht entscheiden können, die Initiative zu ergreifen. Wie gelähmt stand er auf dem Achterdeck. Und Sanders starrte mit seinem dicken, feucht schimmernden Gesicht wie hypnotisiert nach vorn. Fox stemmte sich gegen den Wind und ging auf die beiden zu. „Wir könnten es schaffen, Sir", sagte er ohne Vorrede. Er hatte dem Kommandanten seinen Plan noch nicht ganz dargelegt, als dieser schon mit dumpfer Stimme sagte: „Los, Mann! Auf was warten Sie?" „Aye, aye, Sir." Fox schrie seine Befehle, und die Leute stoben an ihre Stationen, als hätte der Klang seiner Stimme ihnen neue Kraft im Kampf gegen Wind und Wetter verliehen. Ein Stück Segeltuch begann achtern zu flattern. Wenn die Raccoon jetzt zu hart anluvte ... Fox stand mit ausdruckslosem Gesicht an der Reling des Achterdecks. Nur unter größter Anstrengung gelang es Hawkins, der am Ruder stand, unterstützt von einigen Landratten, die mit in die Speichen griffen, den Bug herumzubringen. Jetzt durfte die Raccoon nur nicht allzu sehr schwanken. Und doch mußten sie die Brigg aus jener wilden Fahrt reißen, die sie blindlings gegen die Felsen der Insel schmettern würde. Der Sturm ließ endlich nach, und die See begann sich zu beruhigen. Der Horizont schien in Flammen zu stehen, als die Sonne unterging. Wolken ballten sich und flossen wieder auseinander. Als die Dunkelheit hereinbrach, zeigten sich die ersten Sterne zwischen den Wolkenfetzen und starrten wie Eisaugen auf die immer noch aufgewühlte Meeresoberfläche. „Sie schaffen es, Sir!" schrie Grey. Fox ließ kein Auge von der Vorstenge. Wenn er darauf einen Klüver hätte setzen können, hätte sich das Manöver leichter ausführen lassen. Aber so mußte sich die Raccoon mühsam gegen den Wind vorkämpfen. Sie bäumte sich auf wie ein wilder Hengst, dem ein gnadenloser Reiter Sporen in die Flanken hieb. Sie wühlte sich weiter durch die Wellen mit zum Zerreißen gespannten Segeln, die Masten ächzten, und doch ergab sie 54
sich nicht der Übermacht des Windes und der See. Die Insel glitt vorbei, ein weißer Brandungsstreifen im Dunkel. Sie sahen die Wellen, die fast masthoch an die Felsen schlugen. Gierig faßten die Felskrallen nach dem Kiel der Raccoon. Wenn sie jetzt nicht genug Wassertiefe hatten, war die ganze Anstrengung umsonst gewesen. Dann würden sie inmitten der wirbelnden Wrackteile der Raccoon an die Küste geschleudert werden. „Wir haben es geschafft!" schrie Sanders plötzlich. Er schlug sich mit beiden Händen auf die Schenkel. „Bei Gott - wir haben es geschafft!" Der Schiffszimmermann erschien auf dem Achterdeck und tippte an die Schläfe. „Verzeihung, Sir, aber da ist ein Leck in der Bilge..." „Das werden die Pumpen schon schaffen", unterbrach ihn Fox. „Mr. Lassiter! Stellen Sie noch mehr Leute an die Pumpen!" Am besten stellst du dich selber dran, du schwarzer Bastard, dachte er und konnte sich gerade noch beherrschen, um diese Worte nicht lauthals über das Deck zu schreien. Sanders starrte nach vorn. Er stand mit gebeugten Schultern an der Reling des Achterdecks. Fox sah an der Haltung seines Kommandanten, daß die Anspannung der letzten Stunden nicht spurlos an ihm vorübergegangen war. Auch die Mannschaft war erschöpft. Zu lange hatte sie gegen Sturm und Seegang gekämpft. Aber noch konnte Fox ihnen keine Ruhe gönnen - nicht, bevor die Raccoon endgültig in Sicherheit war. Als sie spürten, daß dieses zerbrechliche Gebilde aus Holz und Segeltuch sie besiegt hatte, gaben Wind und Wellen den Kampf auf. Und Fox überlegte, wie er wieder Ordnung in das entstandene Chaos bringen sollte. Sie würden die ganze Nacht hindurch arbeiten müssen. Aber auch das gehörte bei der Navy zur Routine des Alltags. „Mr. Fox!" sagte Sanders und stieß sich von der Reling des Achterdecks ab. Ein neuer Ton klang in seiner Stimme mit, ein sehr arroganter Ton. „Ich beabsichtige vor Anker zu gehen. Dort vorn sehe ich Land, und dort finden wir gewiß auch einen Ankerplatz." 55
Jetzt konnte auch Fox das Land sehen - ein dunkler Streifen, der sich vor dem Sternenhimmel abzeichnete und unter einer tiefhängenden Wolkenschicht erstreckte. Schwarz und unheimlich hob sich das Land aus den Wellen und wirkte seltsam deprimierend. „Wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, daß wir besser aufs offene Meer hinaussegeln, Sir ..." „Das genügt, Mr. Fox. Ich habe nicht vergessen, daß Sie die Ehre hatten, dieses Fahrzeug für kurze Zeit zu kommandieren. Aber soviel ich erfahren habe, verbrachten Sie einen Großteil dieser Zeit an Land." Fox schwieg. Es blieb ihm auch nichts anderes übrig. „Wir sind durchaus in der Lage, vor Anker zu gehen", fuhr Sanders fort. „Mr. Macbridge hat seine Karten studiert. Diese Insel heißt Santa Clara." „Wir haben Santa Clara soeben umsegelt, Sir. Dies hier ist Santa Anna." „Das mag sein. Diese verdammten kleinen Inseln - da ist doch eine wie die andere. Jedenfalls gibt es da irgendwo eine gesicherte Bucht. Sie ist auf der Karte eingezeichnet. Behalten Sie diesen Kurs bei. Mr. Macbridge wird die Raccoon an einen sicheren Ankerplatz bringen." „Aye, aye, Sir." Macbridge erschien und rieb sich die Hände. „Die Bucht ist ziemlich tief, Sir", berichtete er selbstbewußt. „Ein guter Ankerplatz. Keinerlei Probleme, Sir. Es freut mich, daß ich das sagen darf." „Das sind gute Neuigkeiten, Mr. Macbridge. Dann bringen Sie die Raccoon bitte in die Bucht." Macbridge postierte einen Lotgast und erteilte Hawkins seine Befehle in einem neuen selbstsicheren Ton, der Fox zuerst amüsierte und dann bestürzte. Hatte er den Steuermann die ganze Zeit über falsch beurteilt? Seine innere Unruhe wuchs. Der Wind hatte sich inzwischen in eine sanfte Brise verwandelt, die Raccoon glitt zwischen Felsklippen dahin und behielt ihren Kurs auf die Bucht bei - wie ein Pfeil, der sein Ziel sucht. Die Landstreifen zogen vorbei, einer an Steuerbord, einer an Back56
bord, schwarze Massen, die sich vom Nachthimmel abhoben. Der Geruch von Stechginster drang in Fox' Nase. Er runzelte die Stirn. Für einen guten Seemann waren das trügerische Düfte. Die Brigg glitt immer weiter. Die Bucht öffnete sich, und Macbridge steuerte die Raccoon mit einem Geschick hinein, das erneut Fox' Unbehagen weckte. Hatte er den Steuermann tatsächlich falsch eingeschätzt? Aber er spürte bereits den Atem der Katastrophe. Er konnte keinen vernünftigen Grund für dieses beängstigende Gefühl nennen. Aber es verstärkte sich von Sekunde zu Sekunde. Er ging auf das Vorschiff. „Hören Sie ja nicht auf, das Senkblei zu werfen!" fuhr er den Lotgast an. Die Wassertiefe würde auch ausreichen, ein Linienschiff aufzunehmen, das erkannte er deutlich. Und die Raccoon segelte weiter. Wenn es etwas gab, auf das Fox stolz sein konnte, dann war es seine Fähigkeit, ein Schiff durch Untiefen zu navigieren. Er schien einen sechsten Sinn zu besitzen, der ihm half, die Wassertiefe richtig einzuschätzen. Bis jetzt war alles gutgegangen. Damals, als die Culloden in der Bucht von Abukir auf Grund gelaufen war, hatte er keine böse Vorahnung gehabt. Aber diesmal spürte er ganz deutlich, daß Sanders einen Fehler begangen hatte. Die Gründe des Kommandanten waren allerdings stichhaltig. Die Brigg brauchte Zeit, um sich von dem Sturm zu erholen. Einige wichtige Ausbesserungsarbeiten mußten durchgeführt werden. Aber Fox hätte es vorgezogen, aufs offene Meer zu segeln und mit vielen Faden unter dem Kiel die nötigen Arbeiten erledigen zu lassen. In regelmäßigen Intervallen erklang die heisere Stimme des Lotgasts. Die Wassertiefe war ausreichend - aber dieses irritierende Gefühl, das an Fox' Nerven zerrte, wollte nicht weichen. Der Lotgast rief gerade wieder seine Messung, als die Brigg gegen etwas Hartes stieß. Ein Felsen, der aus dem Merresgrund aufragte, schlitzte ihren Bauch auf. Grüne Wassermassen strömten in ihre Vorpiek. Sie glitt weiter, zitternd und schwan5?
kend, das Loch im Rumpf vergrößerte sich. Und dann begann sie zu sinken, unaufhaltsam. 7. Ein wildes Chaos brach los. Fox stürzte zu den Wanten, kletterte auf halbe Höhe und blickte sich um. „Ruhe!" schrie er und ließ noch einige kaum salonfähige Flüche und Schimpfworte folgen. Messerscharf schnitt seine Stimme durch den Wirbel, die Männer verstummten, und dann zerriß Sanders das Schweigen. „Sie sinkt!" Fox wandte sich um. Das rote Gesicht des Kommandanten leuchtete wie ein Purpurkreis. Sanders verschwand unter Deck - wahrscheinlich, um seine persönlichen Habseligkeiten, die Schiffspapiere und das Logbuch zu retten. Macbridge schrie irgend etwas von Festhieven und Beidrehen und Boot aussetzen... „Nein, zurück der Befehl!" brüllte Fox. Auf Macbridges Befehle hin begannen die Leute bereits hastig die Focksegel einzuholen, aber Fox zwang sie mit wütenden Flüchen, die Segel neu zu setzen. Wieder füllte der Wind die Segelleinwand, die Raccoon glitt weiter vor. Aber sie torkelte wie ein lebloser Gegenstand im Wasser - oder wie ein tödlich verwundetes Tier, das in einen Schlupfwinkel kriecht. Vor sich konnte Fox bereits die dunkle Landmasse erkennen. Er konnte nur hoffen, daß sich am Ende der tiefen Bucht ein sanft ansteigendes Geröllufer befand. Wenn all ihre Wände steil aufragten, verschwendete er seine Mühe. Die Raccoon segelte weiter, sank immer tiefer, kämpfte sich schwer durch die Wellen. Jetzt waren alle Mann an Deck. Einige errieten, was Fox vorhatte, und starrten angespannt nach vorn. Sie redeten aufgeregt durcheinander, trotz seines scharfen Befehls von vorhin, aber aus ihren Gesten und Worten sprach jetzt nicht mehr die wilde Panik wie noch vor wenigen Minuten. Fox sprang zurück auf die Decksplanken. 58
Grey sah ihn fragend an. „Wird sie es schaffen, Sir?" „Ja, Mr. Grey - mit Müh und Not. Sie gehen jetzt besser unter Deck und retten, was zu retten ist." „Aye, aye, Sir. Und - Sie?" „Ich verlasse das Deck nicht." „In Ordnung, Sir." Grey wandte sich ab und lief zum Niedergang. Die meisten Männer hatten Bündel mit ihrem persönlichen Hab und Gut an Bord gebracht. Macbridge hantierte aufgeregt am Kutter herum, und Fox ließ ihn gewähren. Der Mann konnte vorderhand keinen Schaden anrichten, und der Kutter konnte sich noch als nützlich erweisen. Das Land ragte kalt und drohend in die Nacht. Und dann blinzelte Fox. Ein Licht flammte am Strand auf. Die Raccoon würde in wenigen Minuten auflaufen. Das Wasser strömte durch die lockere Stückpforte der dritten Kanone herein, und Fox befahl mit scharfer Stimme, die Pforte zu schließen. Einige Männer rannten los, um seinen Befehl auszuführen. Vor dem Achterdeck hatten sich ein paar Leute versammelt. Er erkannte Barnabas, Josephs und Phillips unter ihnen. Sie warteten schweigend. Das Licht blinkte dreimal. Wie sollte er die Antwort auf dieses Signal wissen? Er erteilte keine Befehle bezüglich des Lichts, statt dessen rief er nach Sergeant Cartwright, der seine Seesoldaten ordentlich in Reih und Glied postiert hatte. Der Tambour stand mit bleichem Gesicht, aber in aufrechter Haltung da. „Wir haben vielleicht geringfügige Feindseligkeiten zu erwarten, Sergeant. Bereiten Sie Ihre Leute auf den Schreck vor, wenn wir auflaufen. Und dann möchte ich, daß Sie sofort vormarschieren und feuern. „Ja, Sir." Wenigstens Cartwright war ein Mann, auf den Fox sich verlassen konnte. Dichtes Dunkel, Wellen, die von den Felsen zu beiden Seiten heranrollten, das blinkende Licht... Jetzt konnte Fox die Umrisse eines großen Bootes erkennen, das am Strand lag. Die 59
Raccoon hatte es beinahe erreicht. Jeden Augenblick mußte die Brigg jetzt auflaufen. Hell schimmerten die Sterne, noch immer bewegte sich die Raccoon vor - ganz langsam. Sanders erschien an Deck, gefolgt von seinem Aufklarer und seinem Bootssteurer, die sein Gepäck schleppten. Er riß den Mund auf, als er mit einem Blick die Situation erfaßte. „Warum ist der Kutter nicht im Wasser?" schrie er. „Mr. Lassiter!" Fox trat zu ihm hin. Er mußte zu dem größeren Mann aufblicken. „Wir werden jeden Moment auflaufen, Sir. Vielleicht sind Sie so freundlich, sich auf den Stoß des Aufpralls vorzubereiten ..." „Stoß! Stoß? Ich weiß, wer bald einen gehörigen Stoß erleben wird, das kann ich Ihnen versichern, Mr. Fox." „So, Sir...?" Die Raccoon strandete. Sanders wurde gegen seinen Aufklarer geschleudert, und Sanders und der Aufklarer und das Gepäck rollten in wirrem Durcheinander über die Decksplanken. Die Männer schrien auf. In das scharrende Geräusch, als sich der zerborstene Schiffsboden über das Geröll schob, mischte sich Wassergurgeln. Die Vorstenge krachte zusammen, Fox umklammerte fest die Reling des Achterdecks. „Sergeant Cartwright! Vorwärts!" Cartwright verschwendete keine Zeit, indem er den Befehl bestätigte. Er rannte mit seinen Männern nach vorn, Fox sah die scharlachroten Jacken nur als dunkle Flecken, die über den Bugspriet wirbelten. Als er selbst nach vorn stürzte, hatte sich die Raccoon ein wenig nach Backbord geneigt und schwankte nur leicht im Seegang. Dann durchlief ein Ruck den Schiffskörper, und sie schien zu erstarren. Sie lag wie ein totes Pferd auf dem Schlachtfeld. Cartwrights Soldaten waren nicht untätig gewesen, als sie auf den Aufprall gewartet hatten. Fox hatte gehört, wie der Sergeant befohlen hatte, die Musketen schußfertig zu machen. Deshalb waren die Seesoldaten jetzt, als ihnen aus der Dunkelheit Musketenfeuer entgegenblitzte, durchaus in der Lage, dem 60
Angriff zu begegnen und die Schüsse sofort zu erwidern. Mündungsblitze erhellten die Nacht, als Fox vom Bugspriet sprang und schwer im Wasser landete, das ihm bis zur Hüfte reichte. Er taumelte an Land, tief sanken seine Füße im Sand ein. Als er die Bucht erreichte, gab ihm eine kurze Feuerpause Gelegenheit, aus der Ferne einen zwar undeutlichen, aber unmißverständlich französischen Befehl zu hören - mit starkem Marseiller Einschlag. Dann krachte eine neue Musketensalve. „Verteilt euch entlang der Bucht!" rief Fox den Männern zu, die hinter ihm ins Wasser sprangen. Wenigstens hatte ihn die Stimme des französischen Offiziers der Sorge enthoben, daß sich hier in dunkler Verwirrung vielleicht Freunde bekämpfen könnten. Grey kam auf ihn zu, und Fox sah, daß der schmucken Uniform des Midshipmans nicht einmal diese wilde Nacht etwas anhaben konnte. Grey sah aus, als kehre er soeben von einem Strandspaziergang zurück. Er trug zwei Pistolen bei sich, die er sorgfältig in geteertes Tuch gewickelt hatte. „Mr. Grey! Sammeln Sie ein paar Männer, und dann greifen Sie diese Büsche dort an!" „Aye, aye, Sir. Wirklich keine feine Art, schiffbrüchige Soldaten willkommen zu heißen ..." „Sie werden schon noch andere Töne spucken, wenn wir erst einmal losschlagen ..." John Carker tauchte an Fox' Seite auf. „Dort drüben liegt ein sehr nützliches Boot am Strand, Sir. Es könnte alle Leute von der Raccoon aufnehmen. Es hat zwar kein Deck, aber..." „Ich weiß, Mr. Carker." In einem offenen Boot durch feindliche Gewässer zu navigieren, galt in der Royal Navy zwar nicht gerade als erstrebenswert, aber wenn es sich als notwendig erwies, erwartete man von einem fähigen Offizier, daß er auch das beherrschte. Wieder krachte eine Musketensalve, aber keine einzige Kugel traf. Die Franzosen konnten die Briten nicht sehr gut sehen und deshalb nur ungenau zielen. Fox schätzte am Lärm der Schüsse ab, daß es sich etwa um fünfundzwanzig oder dreißig Mann handeln mußte, die auf ihn und seine Leute feuerten. Ein ra61
scher, entschlossener Angriff konnte den Feind also leicht zurücktreiben. Er blickte sich um. Nach der nächsten Salve ... Barnabas und Ben Ferris wateten an Land. Wie alle anderen trugen sie die Bündel mit ihrem persönlichen Besitz bei sich. Grey war damit beschäftigt, seine Männer zu formieren, und Carker unterstützte ihn dabei. „Hier sind Sie ja, Sir!" rief Barnabas. Er hielt Fox einen Säbel hin, und der Erste Offizier griff danach. „Eine schöne Nacht für eine kleine Schlacht, Barnabas." „Aye, aye, Sir. Man hat das Gefühl, als ob einem endlich wieder Blut in den Adern fließt..." Fox sah den Mann scharf an. Das Sternenlicht schimmerte auf dem breiten Gesicht, der Bart wirkte tintenschwarz. Irgend etwas lag im Wesen dieses bärenstarken Riesen, das Fox noch nicht kannte. Es schien, als hätte Barnabas eine sehr bewegte Vergangenheit. Grey rutschte durch das Geröll heran, als die nächste Salve der Franzosen krachte. Irgendwo beim Vordersteven der gestrandeten Brigg klang ein schriller Schrei auf. „Ich habe ein paar hervorragende Leute versammelt, Sir", meldete Grey. „Aber ich kann keine Spur von Captain Sanders entdecken..." Fox sagte nicht: Zum Teufel mit dem Captain Sanders! Er nickte nur. „Sehr gut, Mr. Grey. Sobald die Kerle ihre nächste Salve abgefeuert haben, stürzen wir uns auf sie. Lautlos und möglichst schnell, denken Sie daran." „Aye, aye, Sir." Fox wartete auf die nächste Musketensalve. Seinen Befehl, sich entlang der Bucht zu verteilen, hatten die Männer nur teilweise befolgt. Dem zweiten, der ihnen auftrug, einen Trupp zu bilden, gehorchten sie williger. Es war nur natürlich, daß sie dazu neigten, sich um die Brigg zu scharen, die so lange ihr Heim gewesen war - auch wenn sie dadurch dem Feind ein leichtes Ziel boten. Die Sterne beleuchteten die Szenerie nur auf begrenzte Distanz. Die Franzosen konnten nicht klar erkennen, was in der Bucht vor sich ging. Als die nächste Salve die Nacht mit Feuer und Donner erfüllte, hob Fox seinen Säbel. 62
„Jetzt! Mir nach!" Die Männer der Raccoon setzten sich auf dem rutschigen Geröll in Bewegung, ungeschickt wie alle Seemänner, die nach langer Zeit wieder an Land gingen. Carker kämpfte sich an Fox' Seite vor, und dann tauchte auch Grey auf. Keuchend hielten die anderen Schritt bei den drei Anführern. Ben Ferris, dessen Rücken zweifellos noch immer schmerzte, stolperte mit gezogenem Entermesser hinter Fox her. Phillips hatte sich dem Trupp ebenfalls angeschlossen, und auch Joachim, der Geschützführer, und Josephs. Barnabas' mächtige Gestalt überragte alle anderen. Er bewegte sich mit einer Leichtigkeit voran, die Männer mit kürzeren Beinen versagt blieb. Es kostete Fox einige Anstrengung, vorn zu bleiben. Aber er war härter und entschlossener als jeder andere Mann von der Raccoon, und deshalb blieb er an der Spitze. Das Blut rauschte in seinen Ohren, nur verschwommen hörte er die Schritte der Männer hinter sich. Ging diese verdammte Bucht denn niemals zu Ende? Mit verdoppelter Anstrengung lief er weiter, und dann erreichten sie endlich den buschbestandenen Grat. Durch dürres Gras stürmten sie weiter. Allmählich wurde der Boden unter ihren Füßen fester. Fox hob den Kopf, als die Marseiller Stimme wieder einen schrillen Befehl ausstieß. „Die Köpfe runter!" rief Fox über die Schulter zurück. Er warf sich flach auf den Bauch, und die Musketenblitze zuckten über seinen Kopf hinweg. „Weiter!" brüllte er, sprang mit schwingendem Säbel auf und stürzte sich mitten unter die Franzosen, als sie gerade ihre nächsten Patronen aufbissen. Er sah wütende Blicke aus funkelnden Augen im Sternenschein glitzern, Tschakos flogen unter seinen Säbelhieben durch die Luft, Bajonette blitzten. Dann waren seine Männer an seiner Seite und warfen sich brüllend in den Kampf. Er sah, wie Halliwells Säbel einen Tschako zerschnitt und den Schädel eines Soldaten mit schwarzem Schnurrbart spaltete. Joachim riß sein Entermesser aus der Brust eines Franzosen und stürzte sich auf den nächsten. Barnabas tauchte vor Fox auf. Er hielt unter jedem Arm einen Franzosen und schmetter63
te die beiden Köpfe gegeneinander. Schmerzensschreie hallten hohl von den Felswänden wider. Und dann traten die Franzosen den Rückzug an. Grey stach seinen Säbel ins Gras, zog seine Pistolen und streckte mit gezielten Schüssen zwei der Flüchtenden zu Boden, bevor der blaugekleidete Haufen in der Nacht verschwand. Das letzte, was die Briten von den Franzosen sahen, waren die weißen Hosen, die wie Nachtfalter davonzuflattern schienen. „Verzeihung, Sir ..." Carker stand vor ihm, Blut tropfte von seinem Säbel, sein Gesicht war unbewegt. „Wenn Sie kommen könnten - es ist Phillips." Fox' ehemaliger Bootssteurer lag im Gras. Sie hatten ihm das Bajonett aus dem Bauch gezogen, aber es gab keinen Zweifel, daß er sterben würde. „Wir haben es geschafft, Sir", flüsterte Phillips. „Phillips..." Fox hatte schon viele Männer sterben sehen, und er wußte mit dunkler Angst, daß er noch viele sterben sehen würde, bevor sich auch sein Weg dem Ende näherte. „Ganz ruhig, mein Junge. Bald legen wir dich bequemer ..." Jeder wußte, daß er log. Phillips blickte auf. Jetzt war er kein Seemann mehr, den Gesetzen der Royal Navy unterworfen. Er war ein Sterbender, für den kein irdisches Gesetz mehr galt. „Wir haben fröhliche Zeiten erlebt, Sir. Erinnern Sie sich noch an den tollen Streich im Hafen von Palermo?" „Du warst ein..." Fox unterdrückte einen Fluch und biß sich auf die Lippen. Dann begann er noch einmal zu sprechen. „Du bist ein guter Bootssteurer, mein Junge, der beste, den ich je hatte. Und jetzt ruh dich aus." Phillips schloß die Augen. Fox spürte, daß der Mann mit dem bleichen Gesicht jetzt zum letztenmal ein Boot steuerte - ein Boot, daß ihn über den Styx führte, dorthin, wo alle ehrlichen britischen Seeleute die ewige Ruhe fanden. Fox richtete sich auf. Es gab wie gewöhnlich Hunderte von Dingen zu tun - und noch dazu möglichst alle auf einmal. Ein blutiger, gewaltsamer Tod konnte die Männer der Royal 64
Navy nicht erschüttern. Sie alle waren auf einen solchen Tod gefaßt, und sie sahen ihm furchtlos ins Auge. Aber als Fox über das Geröll der Bucht zurückging, fragte er sich, ob es ihm jemals gelingen würde, dem Tod eines Kameraden gleichmütig gegenüberzustehen. Vielleicht wurde man erst dann unverletzlicher, wenn man wußte, daß das eigene Ende bevorstand. Aber dann hatte er keine Zeit mehr, sich düsteren Gedanken hinzugeben. Er hatte Carker mit zwanzig Männern und den Seesoldaten auf dem Grat oberhalb der Bucht zurückgelassen. Carker war ein Mann, auf den er sich unbedingt verlassen konnte. Fox schob den merkwürdigen und irritierenden Gedanken beiseite, daß er Grey jetzt am liebsten an seiner Seite wüßte. Die Franzosen würden zurückkehren. Sie waren Soldaten, und das bedeutete, daß sie hartnäckig sein konnten und sicher nicht so leicht aufgaben. Fox war noch nie dem allgemein verbreiteten Irrtum verfallen, die Franzosen zu unterschätzen. Er wußte, daß die französischen Soldaten in den Revolutionskriegen Ruhm und Ehre erlangt hatten und jetzt durchaus in der Lage waren, sich auf einem Schlachtfeld der Welt zu behaupten. Auch der französische Seemann war ein guter Kämpfer, wenn er auch hinter seinen Kameraden an Land zurückstehen mußte. Fox wußte das. Aber er wußte auch, daß er und die anderen Briten die Franzosen jederzeit besiegen konnten. Hogan, der Schiffszimmermann, tauchte vor ihm aus dem Dunkel auf. Die meisten Sterne verbargen sich noch hinter den Wolken, die der Sturm nach sich zog. Die Finsternis verdichtete sich. „Verzeihung, Sir ..." begann Hogan. „Mr. Lassiter?" unterbrach ihn Fox. „Wo steckt denn der Bootsmann, zum Teufel?" Hogan griff sich an den Kopf, sein Gesicht glänzte feucht. Fox beugte sich vor, seine Augen verengten sich. „Sie sind verletzt, Mr. Hogan?" „Nein, Sir. Diese verdammten Franzosen haben nur ein Stück von der Backbordreling weggeschossen, und das hat mich an der Schläfe getroffen." Fox sah sich um. Kein Geräusch drang zu ihm, nur das Rau65
sehen der Wellen, die über das Geröll spülten, und das Pfeifen des Windes, der sich noch zu überlegen schien, in welche Richtung er wehen sollte. „Ich habe Mr. Lassiter nicht gesehen, Sir, seit der Capt'n zu dem französischen Boot rannte." Er strich sich über die blutende Schläfe. „Und gerade in diesem Augenblick wurde ich von einem Stück Holz getroffen und konnte nicht mehr sehen, was danach geschah." Die Raccoon schaukelte leicht im Wasser. Jetzt konnte Fox auch hören, wie die Bodenplanken über das Geröll scharrten. Er weigerte sich, daran zu denken, was mit seiner geliebten Brigg geschehen war. Sie war tot - genauso wie Phillips ... „Sie bricht immer mehr auseinander, Sir", sagte Hogan. „Unter dem Geröll befindet sich felsiger Boden, und sie sitzt darauf fest." „Ja", sagte Fox und ging in die Richtung, wo er das französische Boot vermutete, Grey tauchte keuchend neben ihm auf. „Bitte, suchen Sie Parsons, Mr. Grey. Er soll einen Verband für Mr. Hogans Kopf holen." „Aye, aye, Sir." Die Dunkelheit verschluckte Grey. Bleigewichte schienen an Fox' Füßen zu hängen, als er sich durch das Geröll arbeitete. Die lange, anstrengende Nacht begann an seinen Kräften zu zehren. Nach einer Weile verstummten hinter ihm die Geräusche der Raccoon, die ihre Lecks an scharfen Felskanten noch größer riß, und er hörte nur mehr das Plätschern der Wellen. Sein Fuß stieß gegen einen Fels, er blieb stehen und sah sich zögernd um. Schwarz und naß erstreckten sich die Felsklippen entlang der Bucht. Er war sich nicht sicher. War er tatsächlich schon an dem französischen Boot vorbeigegangen? Aber das war doch nicht möglich. Sie hatten das Boot doch halb aus dem Wasser gezogen, er konnte es nicht verfehlt haben. Langsam wandte Fox sich um - keine Spur von Captain Sanders, von Macbridge und Lassiter. Er konnte nur mehr mit den Männern rechnen, die mit ihm die Franzosen auf dem buschbestandenen Grat angegriffen hatten. Das französische Boot war verschwunden. 66
Plötzlich begann er zu frieren. Er konnte es nicht glauben, aber es war die reine Wahrheit... 8. Während der restlichen Nacht starrte er in düsterem Zorn vor sich hin. Er hatte die Wachen eingeteilt und dafür gesorgt, daß die Männer ein warmes Essen und ein paar Stunden Schlaf erhielten. Erst danach konnte er beginnen, seine Situation zu überdenken. In seinen Zorn mischte sich auch grimmige Befriedigung, denn was immer Sanders auch getan hatte, sein Erster Offizier hatte jetzt wenigstens freie Hand. Sanders war kein Feigling. Er war vielleicht unfähig, wenn es um höhere Taktik oder Strategie ging, und Fox hatte nie Gelegenheit gefunden. Sanders in extrem schwierigen Situationen zu beobachten. Aber was die Raccoon in den letzten achtundvierzig Stunden erlebt hatte, sollte einen Kommandanten der Royal Navy eigentlich nicht aus der Fassung bringen, und Fox konnte sich auch nicht vorstellen, daß Sanders den Kopf verloren hatte. Der Mann hatte offenbar geglaubt, richtig zu handeln, als er sich mit dem französischen Boot heimlich verdrückt hatte. Vielleicht hatte Sanders gedacht, daß sich noch mehr Franzosen auf der Insel befanden als die knappen dreißig, die Fox in die Flucht geschlagen hatte. Vielleicht hatte er angenommen, der Feind müsse jeden Augenblick aus seiner Deckung brechen und jeden Briten in der Bucht niedermetzeln. Die Nacht war wirr genug, so daß man beinahe alles annehmen konnte. Als die Sonne aufging, hatte sich Fox von seinem Schrecken bereits erholt. „Das Frühstück, bitte, Mr. Carker", sagte er, als John Carker vom Grat herunterstieg, wo Midshipman Grey ihn abgelöst hatte. „Aye, aye, Sir", sagte Carker mit einer Selbstverständlichkeit, als befänden sie sich noch immer an Bord der Raccoon, die mit vollen Segeln durch das Mittelmeer glitt. „Sehen Sie zu, daß Parsons ein paar Kaffeebohnen vom Vor67
rat des Capt'ns röstet, Mr. Carker." Carker zögerte nur den Bruchteil einer Sekunde. Dann nickte er und erwiderte grinsend: „Aye, aye, Sir." Und Fox sagte leise vor sich hin: „Wenn du schon davonläufst, Captain Sanders, dann wirst du wohl nichts dagegen haben, daß wir deinen Kaffee trinken." Die Raccoon riß sich allmählich selbst in Stücke. Die Dünung ließ zwar nach, aber der Schaden war kaum mehr zu beheben. Fox war zweimal im Lauf der Nacht eingeschlafen. Einmal hatte ihn ein splitterndes Geräusch aus seinen Träumen gerissen, als der Fockmast der Brigg über Bord in Geröll und Wellen stürzte. Bald darauf war auch der Großmast weggebrochen. Ein erfrischender Wind wehte, die Morgenluft war rein und klar, und es war noch nicht heiß, so daß man die Sonne als wärmenden Freund und nicht als sengenden Feind betrachten konnte. Die Männer beendeten das Frühstück. Noch im Lauf des Vormittags schickte Fox sie zu dem Wrack, damit sie den Kutter über Bord hievten. Als das Boot auf den Wellen tanzte, begann einer der Männer lauthals zu lachen, und Fox stellte mit Genugtuung fest, daß Carker „Ruhe" brüllte, noch bevor er selbst den Mund öffnen konnte. Carker diente nun schon eine Zeitlang unter Fox und kannte einige seiner Wesenszüge. Und dazu gehörte auch, daß Fox ein Verfechter absoluter Disziplin war. Grey schickte Halliwell vom Grat herunter. Halliwell hatte seinen Säbel im Gürtel stecken und tippte grüßend an die Schläfe. „Verzeihung, Sir, und die besten Empfehlungen von Mr. Grey, Sir. Heute morgen hat sich kein einziger Franzose blicken lassen." „Danke. Meine Empfehlungen an Mr. Grey. Bitten Sie ihn, zwei Männer als Beobachtungsposten zurückzulassen. Sie sollen sofort Bericht erstatten, falls sich etwas Ungewöhnliches ereignet. Die anderen sollen herunterkommen. Ich kann noch ein paar zusätzliche Hände gebrauchen. Los, Halliwell!" „Aye, aye, Sir." Er hatte nur fünfundzwanzig Seeleute zur Verfügung, 68
außerdem Sergeant Cartwright, seine sechs Seesoldaten und den Tambour. Zusammen mit Grey, Carker und ihm selbst ergab das die grandiose Streitmacht von fünfunddreißig Mann. Annähernd die gleiche Anzahl von Leuten war mit Sanders gegangen. Wen sollte er auf der Insel zurücklassen? Natürlich konnten sie alle im Kutter Platz finden. Aber wenn er das Boot sicher über das Mittelmeer steuern und noch Proviant mitnehmen wollte, mußten einige Leute hierbleiben. Welchen Offizier sollte er auf der Insel lassen? Er starrte das Wrack an, von düsteren Gedanken bewegt, als Grey über das Geröll herabschlitterte. Er schien die ganze Angelegenheit für eine Art Picknick zu halten, das nur veranstaltet worden war, um ihm wieder einmal das Vergnügen zu bieten, seinen Fuß an Land zu setzen. Fox empfing ihn mit einem Blick, der Greys gute Laune sofort dämpfte. „Darf ich Sie bitten, mit zwei jüngeren Leuten an den Rand der Bucht zu gehen und auszukundschaften, was sich auf dem Meer abspielt, Mr. Grey. Und nehmen Sie ein Teleskop mit." „Aye, aye, Sir. Wenn die Franzosen auf diesem Weg geflohen sind..." „Dann verlasse ich mich darauf, daß Sie noch schneller zurückkehren, um Bericht zu erstatten, als uns die Franzosen gestern davongelaufen sind." Grey sah ihn an. Und dann sagte er: „Aye, aye, Sir. Das schaffe ich bestimmt. Da habe ich nämlich einige Übung ..." Aber Fox' Blick brachte ihn sofort zum Schweigen. Der Midshipman lief rot an, schluckte und dann wandte er sich mit hocherhobenem Kopf ab. Er suchte Wilson aus, den Mann mit den schärfsten Augen, und den Amerikaner Slattery und kroch dann mit den beiden über die Felsklippen davon. Das würde dem jungen Satansbraten den Wind aus den Segeln nehmen, dachte Fox befriedigt. „Mr. Hogan!" brüllte er dann. Der Kopf des Schiffszimmermanns war verbunden worden, und er sah jetzt wieder fast wie ein menschliches Wesen aus. „Wir müssen ein Floß bauen, Mr. Hogan. Ein schönes, festge69
fügtes Floß. Hier gibt es genug Holz. Sie haben eine ganze Brigg, die sie in ihre Einzelteile zerhacken können. Nun, Mr. Hogan? Auf was warten Sie noch?" „Aye, aye, Sir - ein Floß." Hogan schluckte. „Für wieviel Leute, Sir?" „Für die Hälfte von uns. Der Kutter wird das Floß in Schlepptau nehmen." Hogan stampfte davon, und Fox beglückwünschte sich, weil Sanders ihm immerhin den Schiffszimmermann überlassen hatte. Sicher hätte der Kommandant Hogan mitgenommen, wenn er nicht von dem Splitter getroffen worden wäre. Es war eine glückliche Fügung, daß die Männer, die bei ihm geblieben waren, fast alle zur alten loyalen Mannschaft zählten, die unter seinem Kommando auf der Raccoon gedient hatten. Und das war kein Zufall. Denn es waren hauptsächlich „seine" Männer gewesen, die ihm bei dem Angriff auf die Franzosen in der vergangenen Nacht gefolgt waren. Carker erzielte gute Fortschritte, als er den Kutter seetüchtig machte, und auch Hogan und seine Leute kamen gut mit dem Floßbau voran. Hogan war ein Zimmermann, wie er sein sollte - ruhig, gewissenhaft, tüchtig. Fox wußte, daß er sich auf ihn absolut verlassen konnte, noch dazu unter den jetzigen Umständen, da die Mannschaft die meisten Deckoffiziere entbehren mußte. Slattery kletterte über die Felsen, sprang auf das Geröll hinunter und lief durch das aufspritzende Wasser auf Fox zu. „Sir, Capt'n, Sir!" schrie er keuchend, noch bevor er das Wrack erreichte. „Franzosen! Hunderte! Und sie wissen, daß wir hier sind, denn sie haben draußen am Ende der Bucht eine große Sperre gebaut." „Eine Sperre?" „Aye, aye, Sir." Slattery blieb vor Fox stehen und schnappte nach Luft. „Wir sitzen in der Falle." Fox hatte diese unangenehme Neuigkeit noch nicht verdaut, als Grey und Wilson herbeirannten. Und nach wenigen Augenblicken tauchten die Tschakos, die blauen Jacken und weißen Hosen der französischen Infanterie hinter der nächsten Fels70
biegung auf. „Sergeant Cartwright!" brüllte Fox wütend. Dann zwang er sich, in Ruhe zu überlegen. „Hunderte", hatte Slattery gesagt. Aber Fox konnte nur etwa zwanzig Soldaten zählen, die Grey folgten. Wenn sie auch noch nicht alle in Fox' Blickfeld aufgetaucht waren, es konnte sich kaum um „Hunderte" handeln. Höchstens um hundert. Aber wie dem auch war, es würde einen verdammt harten Kampf geben. „Sergeant, trommeln Sie Ihre Männer zusammen! Sie sollen hier nicht als Zielscheiben herumlaufen! Wir verschanzen uns beim Wrack und kämpfen von dort aus. Es dürfte den Franzosen höllisch schwerfallen, dort an uns heranzukommen." „Sehr gut, Sir." Es war Cartwright allerdings deutlich anzumerken, daß er andere Vorstellungen von einer Kampfhandlung an Land hatte. Fox scheuchte die Männer an Bord der zerschmetterten Raccoon. Sie hatten genug Waffen zur Verfügung, holten alle Musketen hervor, reinigten die Läufe und legten Pulver, Geschosse sowie Flintsteine bereit. Die Franzosen rückten immer näher. Jetzt schwang sich Grey über den Rest der Reling an Bord, keuchend, mit hochrotem Gesicht. „Wie viele sind es, Mr. Grey?" „Ich habe achtzig gezählt, Sir. Aber es sind vielleicht noch mehr. Wir konnten den Rand der Bucht nicht ganz erreichen, aber ich sah Marsstengen, Sir. Drei." „Ah..." sagte Fox gedehnt. „Und dann sah ich noch zwei andere Masten. Viel konnte ich nicht erkennen, aber ich möchte schwören, daß sie auch Lateinsegel gesetzt haben." „Danke, Mr. Grey. Und jetzt erscheint M'sieur Jen Crapeaud. Wir werden ihn stilvoll empfangen." Cartwright hatte es geschafft, seinen militärischen Ordnungsdrang darauf zu beschränken, daß er seine Leute in geschlossener Reihe entlang der Reling des Mittelschiffs postierte. Die Seemänner verteilten sich über das ganze Wrack. „Wenn einer feuert, bevor ich den Befehl dazu gebe, ziehe ich ihm die Haut über den Hintern!" schrie Fox. Und das meinte er 71
wörtlich. „Zielt tief!" Die französischen Soldaten waren stehengeblieben. Ein Offizier marschierte an die Front. Er wedelte mit seinem Säbel, und seine Truppe teilte sich in einzelne Gruppen. Fox war überzeugt, daß diese zwanzig Gestalten es niemals schaffen würden, das Wrack einzunehmen. Aber sie stellten trotzdem ein ziemliches Ärgernis dar. In den wenigen Minuten, bevor die Franzosen noch näher rückten, ließ Fox seine Augen über die zerschmetterte Brigg wandern. Der Anblick deprimierte ihn. Die Decks waren eingesunken, die Planken verbogen, die Masten waren über Bord gefallen, überall lagen Wrackteile, ein Großteil der Reling fehlte. Immer wieder spülten breite Wellen über die Steuerbordseite des Mittelschiffes. So also sah jetzt die stolze Brigg aus, die gestern noch selbstbewußt über die Wasser des Mittelmeeres gesegelt war. Vorbei waren ihre ruhmreichen Tage, dahin ihr strahlender Glanz. Jetzt war sie nur mehr ein morsches Bollwerk, das kaum Schutz vor dem Feind bot, ein Bretterhaufen, aus dem eine Schiffszimmermann ein Floß bauen sollte. Der französische Offizier hob seinen Säbel, und seine Männer folgten ihm. Die Franzosen rückten an, wie Fox es schon in Akka erlebt hatte - sorglos, tollkühn, im Bewußtsein des sicheren Sieges. „Ziel aufnehmen!" befahl Fox. Er wartete noch eine Sekunde, und dann schrie er: „Feuer!" Die Musketen der Seesoldaten krachten wie eine einzige Riesenfeuerwaffe. Die Seeleute kämpften nicht so diszipliniert, aber der Effekt war genauso tödlich. Die Soldaten in den blauen Röcken stürzten mit den Gesichtern in das Geröll. Einer schrie auf und wirbelte um die eigene Achse, seine Tschako flog vom Kopf, ein erstaunter, geistesabwesender Ausdruck trat in seine Augen, bevor er zusammenbrach. Ein anderer stierte auf den roten Fleck, der sich auf seiner weißen Weste ausbreitete. Dann sank er langsam auf die Knie. Die Unverwundeten zögerten, den Angriff fortzusetzen, aber da fuchtelte der Offizier, der wunderbarerweise unverletzt geblieben war, mit seinem Säbel und schrie seine Leute an. 72
Und sie rückten schreiend vor. Fox zielte mit seiner abgewetzten Pistole, deren Lauf zwölf Zoll und deren Kaliber vierundzwanzig Millimeter maßen. Er zielte rasch und sorgfältig, konzentrierte sich ganz auf den Schuß, als wolle er damit jeden Gedanken daran vertreiben, daß er tötete. Die Kugel traf den französischen Offizier mitten in der Brust. Im selben Augenblick hatte sich auch Grey erhoben, hatte kühlen Blicks mit seinen beiden Pistolen gezielt, erst mit der einen, dann mit der anderen. Es krachte zweimal - und zwei weitere französische Soldaten stürzten auf den Geröllboden. Wieder zögerten die restlichen Franzosen. Fox schwang sich über die Reling und stürmte durch das aufspritzende Wasser auf den Strand zu. Er schwang den Säbel über dem Kopf, was nicht sehr graziös wirkte, aber darauf kam es auch nicht an. Die heftigen Gesten sollten nichts anders bewirken, als den bereits geschlagenen Feind in die Flucht zu jagen. Brüllend rannten die Männer der Raccoon hinter ihm her, und die Franzosen traten in aller Eile den Rückzug an. Sie hasteten zu den Felsen zurück, hinter denen sie aufgetaucht waren, und Fox konnte sich endlich wieder wichtigeren Aufgaben widmen. „Mr. Hogan! Arbeiten Sie bitte an dem Floß weiter!" „Aye, aye, Sir." Und wieder hallte das Echo von Axt- und Hammerschlägen, von kreischenden Sägen von den Felswänden der Bucht zurück. Grey trat zu Fox, nachdem er seine kostbaren Pistolen wieder sorgfältig in wasserfestes Segeltuch gewickelt hatte. „Mr. Grey, sagen Sie bitte Mr. Parsons, er möge sich um diese armen Teufel dort kümmern. Einer scheint noch am Leben zu sein." Das herzerweichende Stöhnen, das eines der blauweißen Häufchen Elend dort oben am Strand ausstieß, konnte auch den härtesten Krieger zum Pazifisten werden lassen. Seufzend wandte sich Fox ab und sah, daß Carker zögernd auf ihn zukam. „Verzeihung, Sir ..." begann John Carker, dann verstummte 73
er und scharrte mit seiner durchlöcherten Stiefelspitze im Geröll. „Was immer es auch ist, Mr. Carker, spucken Sie es aus, bevor Sie mit Ihrer Verstopfung noch Bauchweh kriegen." „Aye, aye, Sir." Carker steckte einen Finger in den Kragen, zerrte heftig daran, und dann platzte er heraus: „Sie lassen ein Floß bauen, Sir - und der Kutter soll es in Schlepptau nehmen. Der Kutter kann die Sperre vielleicht passieren und auch den Scharfschützen am Ufer entwischen. Aber wie sollen wir das Floß hinüberkriegen?" Fox' Magen rebellierte bei dem Gedanken, daß Freund John Carker den Lieutenant George Abercrombie Fox ganz offensichtlich unterschätzte - daß er glaubte, ihm mit Rat und Tat beistehen zu müssen. Mühsam unterdrückte Fox seinen Zorn. Carker meinte es sicher gut und handelte nur so, wie er es für richtig hielt. Fox wunderte sich über seine eigene Sanftmut, mit der er erwiderte: „Wir kommen hinüber, Mr. Carker." Beim Klang seiner Stimme trat Carker einen halben Schritt zurück. Fox aber zog ein sorgsam gefaltetes schwarzes Tuch aus der Rocktasche. 9. „Jetzt ist wirklich nicht die Zeit, wegen irgendwelcher Fugen und Zapfen so ein großes Getue zu machen, Mr. Hogan", sagte Fox streng. „Binden Sie das Ganze einfach mit ein paar geteerten Tauen zusammen, schlagen Sie Nägel hinein und sorgen Sie dafür, daß es nicht bei der ersten besten Gelegenheit in alle Einzelteile zerfällt." „Aye, aye, Sir. Ich garantiere Ihnen, es wird nicht zerfallen." Fox überwachte mit unbestechlichem Auge die Männer, die das Floß zimmerten. Einer anderen Gruppe hatte er befohlen, einen Hebebaum zu errichten. Dieser ragte jetzt in schrägem Winkel aus einer soliden Konstruktion von Planken, die auf Horizontalbalken ruhten, in den Himmel. Carker persönlich sicherte mit einem starken Tau das untere Ende des Hebebaums, 74
wie Fox ihn angewiesen hatte. Er strich über das gefaltete schwarze Tuch, und dann steckte er es wieder ein. Als Junge hatte er mit dieser Schleuder an den Ufern der Themse Dutzende von saftigen Wildenten erlegt und auf diese Weise seine Familie mit Sonntagsbraten versorgt. Aber eine solche Schleuder würde wenig im Kampf gegen die Franzosen und ihre Sperre nutzen. Die Briten saßen in der Falle, und die Franzosen brauchten sich nur mit einer verstärkten Streitmacht auf sie zu stürzen, um sie zu erledigen. Gegen achtzig und mehr Feinde konnte Fox' kleine Truppe wenig ausrichten. Eine Schleuder nutzte also nichts. Aber wenn man das Prinzip einer Schleuder in größerem Maßstab anwandte? Fox hatte zuerst daran gedacht, eine Wurfmaschine alten Stils zu konstruieren. Aber als er an die flache Wurfbahn dieser altehrwürdigen Waffe dachte, und die hohen Felsklippen der Bucht betrachtete, gelangte er zu der Überzeugung, daß er eine Waffe mit hoher Flugbahn brauchte. In einiger Entfernung von dem aufgerichteten Balken beaufsichtigte Grey die Herstellung eines starken Hakens. Um den Haken sollten Taue laufen, die an den Horizontalbalken der Holzkonstruktion befestigt waren. Barnabas wickelte Segeltuch um die Querbalken. Jones, der letzte Mann, den Carker von seiner ursprünglichen Zimmermannstruppe noch zur Verfügung hatte, saß auf einem umgestülpten Eimer und arbeitete an einer gebogenen Vorrichtung, die aus nichts weiter als einem Stück Holz bestand und in die verschlungenen Enden der Taue gesteckt werden sollte, die Carker so säuberlich um die Balken wickelte. Joachim holte Pulverfässer aus den oberen Batteriedecks des Wracks - es widerstrebte Fox, den traurigen Trümmerhaufen noch als Raccoon zu bezeichnen. Die Fässer, die tiefer unten gestanden hatten, waren durchnäßt und unbrauchbar. „Zuerst ein nasses Faß, Joachim!" rief Fox. Wenn Joachim, der Geschützführer, sich wunderte, was Fox mit einem nassen Pulverfaß anfangen wollte, dann ließ er sich das nicht anmerken. 75
Als Fox die geschäftige Szenerie überblickte, empfand er tief im Herzen Zufriedenheit, sogar Dankbarkeit. Der Anblick britischer Seeleute, die eifrig bei der Arbeit waren, konnte seine Lebensgeister immer wieder von neuem wecken. Gutes Essen, Wein, ein Kartenspiel, Lampenschein, der auf einer nackten Frauenschulter schimmerte - das waren die guten Dinge des Lebens. Aber genausogut war es, arbeitswillige und begeisterungsfähige Männer zu kommandieren, die im Schweiß ihres Angesichts dem Vaterland dienten. Aus schmalen Augen betrachtete Fox das Ende des Hebebaums. Er war überzeugt, die Wurfbahn berechnen zu können, auch wenn er es nicht gewohnt war, daß seine „Schleuder" an einem Ende fest verankert war. Nachdenklich ging er auf dem Geröllboden auf und ab, während die Männer weiter arbeiteten und die Spähposten auf den Gipfeln der nächsten Felsklippen saßen. Das Monstrum, das er da konstruiert hatte, war eine Art Katapult. Die zusätzliche Geschwindigkeit, die er durch die Schleuder erzielte, würde die Wirkung der Maschine noch verstärken. „Ben", sagte er, „ich habe eine Aufgabe für dich." Ben Ferris gehorchte eifrig, und bald saß ein weiterer Bootshaken am Ende des Hebebalkens fest. Als Schleuder mußte ein Stück Segeltuch dienen, ein solides Sturmklüvermaterial, das mit einer festen Schlinge vorn und mit einer gleitenden hinten befestigt war. Wenn der Arm sich hob, löste sich die hintere Schlinge von dem Haken, die Schleuder wurde vorkatapultiert und schleuderte das Wurfgeschoß in die Luft. Alles schien bereit für einen ersten Versuch. „Joachim!" Der Geschützführer kam heran, das nasse Faß auf der Schulter. Jones, der Zimmermannsmaat, wand sein gebogenes Stück Holz um das Ende des Balkens. Bei jeder Windung hielt er den Atem an und riß die Brauen hoch, als befürchte er, die ganze Vorrichtung würde mit einem Knall bersten. Fox inspizierte den Griff am Hebel. 76
„Hier, Jones! Das muß noch fester angezogen werden!" „Aye, aye, Sir." Jones befestigte den Griff, der als Sperrhaken fungieren sollte. Joachim steckte geschickt das Pulverfaß in die Falten der Schleuder. Fox blickte auf die See hinaus. Er nickte Barnabas zu, der an Jones' Hebewinde zu drehen begann, der Hebearm senkte sich und bog sich beträchtlich unter dem Zug. Fox hatte befohlen, den Balken in regelmäßigen Abständen festzulaschen. Aus zusammengekniffenen Augen beobachtete er das zitternde Holz, dann rief er: „Aufhören, Barnabas!" Als Barnabas losließ, sprang der Arm zurück, die Schlinge löste sich vom Balkenende, die Schleuder öffnete sich, und das Pulverfaß raste in die Luft. Mit angehaltenem Atem starrte Fox dem Wurfgeschoß nach und sah die weiße Gischt, als es in die See klatschte. „Ich denke, wir versuchen das noch einmal", sagte er. Diesmal ließ er den Hebearm so weit wie möglich nach unten drücken. Als die Gischt aufspritzte, sah er, daß das Faß diesmal ein ganzes Stück weiter katapultiert worden war. Am liebsten hätte er sich den ganzen Tag mit seinem neuen Spielzeug beschäftigt, aber dazu war keine Zeit. Die französischen Soldaten würden sich mittlerweile so weit erholt haben, daß sie bald einen neuen Angriff planen konnten. Sollten sie! Das konnte Fox nur recht sein, vorausgesetzt, daß sie das Feuer nicht zu nah beim Kutter und beim Floß eröffneten. „Schaffen Sie bitte das Katapult auf das Floß, Mr. Hogan", befahl Fox. „Aye, aye, Sir", erwiderte der Schiffszimmermann. Seine Stimme klang leicht erstaunt. Fox ignorierte das und feuerte seine Männer an, als sie das Monstrum über das Geröll hinabschoben und an Bord des Floßes manövrierten. Er inspizierte persönlich die Zurrings, die seine Maschine festhielten, dann trieb er die Leute erneut zu größerem Tempo an, als sie Proviant, Wasservorräte, Musketen und Säbel auf das Floß luden. Das Wasser war warm und angenehm, die Sonne brannte jetzt heißer vom Himmel, und bald 77
würde die Hitze für die Männer in den blauen Uniformen unerträglich sein. „Mr. Carker, Sie haben das Kommando über den Kutter und nehmen das Floß in Schlepp. Pullen Sie immer weiter, bis Sie meinen Befehl hören." „Aye, aye, Sir." Joachim schleppte die Pulverfässer an. Es war nicht nötig, daß Fox ihm befahl, das Pulver vor Feuchtigkeit zu schützen. Der Geschützführer hatte jedes Faß sorgsam in geteertes Tuch gewickelt. Laternen und Behälter mit Lunten und Flintensteinen wurden ebenfalls an Bord des Floßes geschafft. Bisher war alles gutgegangen. Irgendwie spürte Fox, daß seine Zuversicht sich auf die Männer übertrug. Sie schienen genauso siegessicher wie er, und das war nur möglich, weil er gezeigt hatte, daß er Herr der Lage war, daß er genau wußte, was er tat, daß er seine Pläne bereits geschmiedet hatte. Er hatte keineswegs die Absicht, sich in dieser Bucht von den Franzosen festnageln zu lassen, und er kannte den besten Weg, wie man die Sperre des Feindes durchbrechen konnte. Fox sorgte dafür, daß seine abgewetzte Seekiste an Bord des Kutters gebracht wurde. Dann gab er Carker seinen Säbel mit der Bemerkung: „Bitte, Mr. Carker, sorgen Sie dafür, daß das nicht über Bord geht." Der Kutter legte ab. Die Taue zwischen dem Boot und dem Floß strafften sich, die Männer stießen das Floß vom Strand ab, schwankend schwamm es auf die See hinaus. Fluchend starrte Joachim auf die Wellen, die zwischen den Ritzen nach oben drangen und die Böden seiner kostbaren Fässer umspülten. Aber die dreifache Querbalkenkonstruktion, die das Floß stützte und die Hogan auf Fox' Anweisung angefertigt hatte, hielt das Floßdeck in ausreichender Höhe über dem Wasserspiegel, so daß die Wellen kaum Schaden anrichten konnten. Jetzt mußte der letzte traurige Akt dieser Katastrophe über die Bühne gehen. Die Männer hatten Zündstoff über die verborgenen Decks des Wracks verteilt. Fox zündete mit einem Flintstein eine Lunte an. Er blickte nicht zur Raccoon, bis er auf 78
dem Floß stand, das der Kutter langsam ins Meer hinauszog. Als er endlich zurücksah, züngelten in der Vormittagssonne blasse Flammen auf. Schwarzer Rauch hob sich in dichten Schwaden, ballte sich im Wind, bevor er hoch über die Felsklippen stieg und im blauen Himmel zerfloß. Die Raccoon brannte. Das Knistern, das Zischen und Spucken der Flammen deprimierten Fox. Er beobachtete das Feuer, bis er sicher sein konnte, daß die Brigg bis zum Wasserspiegel herunterbrennen würde. Dann riß er sich von dem traurigen Anblick los. Sein Gesicht schien seinen Männer wie aus Stein gemeißelt, wie die Züge eines alten Monuments in irgendeinem vergessenen Friedhof. Die Männer im Kutter legten sich kräftig in die Riemen. Fox hatte nicht befohlen, Segel zu setzen, weil das unter den jetzigen Umständen sinnlos war. Musketenschüsse krachten aus den Felsen. Fox sah die kleinen Rauchwolken, aber er konnte nicht erkennen, wohin die Kugeln gingen. Trotzdem mußte er auf die Schüsse reagieren, um seine Leute nicht zu beunruhigen. „Sergeant Cartwright! Sie können das Feuer eröffnen. Versuchen Sie nicht nur die Felsen zu treffen, sondern auch ein paar Franzosen." „Jawohl, Sir", antwortete Cartwright gelassen, als hätte Fox ihm befohlen, eine Paradeübung auf dem Achterdeck abzuhalten. Seine Männer zielten und erwiderten die Schüsse. Fox war sich der Tatsache bewußt, daß die Musketen auf diese Entfernung kaum etwas ausrichten konnten, aber das Donnern der Schüsse und der Rauch würden das Blut rascher durch die Adern seiner Männer jagen. Sie näherten sich der hohen Klippe, die den Rand der Bucht markierte. Das Floß lag sicher auf dem Wasser. Hogan hatte es sehr gut ausbalanciert. Die Kuttergäste kamen gut und schnell voran, und die Leute auf dem Floß konnten sie gelegentlich mit vier langen Riemen unterstützen, die in Dwarshölzern lagen. Die Klippe am Rand der Bucht war wie ein Hundelauf geformt, der in Stufen zum Wasser abfiel. Fox hatte Carker befohlen, in angemessener Entfernung von dem Felsvorsprung zu 79
bleiben. Er wußte von Grey, wo die Sperre lag, und hatte daraus seine Schlüsse gezogen. Die Franzosen hatten keine Zeit gefunden, eine wirklich solide Konstruktion zu bauen. Wahrscheinlich ließen sie ein paar Fässer auf dem Meer schwimmen, die durch Spieren verbunden waren. Ein solches Hindernis konnte ein kleines Boot natürlich stoppen. Aber ein Schiff, sogar eine Brigg von der Größe der ehemaligen Raccoon, mußte mit ihrem bloßen Gewicht das Holz zerschmettern. Carker drehte sich um und schrie: „Die Sperre ist in Sicht, Sir!" Und um diese Worte zu unterstreichen und die Sinnlosigkeit ihres Versuches, aus der Bucht zu fliehen, noch zu betonen, spritzte zwanzig Yards vor dem Kutter weiße Gischt auf. „Verdammt!" rief Grey. „Die Franzosen haben eine Kanone am Strand aufgestellt!" Als das zweitemal Gischt aufspritzte, konnte Fox aus der Zeitspanne zwischen den beiden Schüssen, die zum Auswischen des Rohres und zum Nachladen verwendet worden war, schließen, daß die Franzosen nur eine einzige Kanone zur Verfügung hatten. Er schätzte, daß es sich um ein 9-Pfünder-Geschütz handelte. Jetzt sah auch Fox die Sperre. Nachdem Carker im Kutter und Grey auf dem Floß die nötigen Befehle erteilt hatte, konnte er sich Joachim und den Pulverfässern widmen. Der Geschützführer und George Abercrombie Fox hatten bereits bei der Belagerung von Akka zusammengearbeitet, und sie verstanden sich ohne viele Worte. Fox mußte nur kurz andeuten, was geschehen sollte, und Joachim gehorchte mit seiner kühlen, ruhigen deutschen Gelassenheit. Mit gewohnter Sorgfalt deponierte der Geschützführer das erste Pulverfaß in den Falten der Schleuder, die Zündschnur hing heraus. Das Floß verlangsamte seine Fahrt. Fox hatte den Winkel der Wurfbahn genau berechnet, ebenso berücksichtigte er die Tatsache, daß jetzt statt eines durchnäßten Fasses trockenes Pulver geschleudert wurde. Seine Männer standen bereit, jeder kannte seine Aufgabe. Wenn er jetzt die Zündschnur ansteckte und das Katapult 80
nicht funktionierte, wenn das entzündete Faß aus der Schleuder auf die Floßbalken fiel, wenn die Schleuder sich nicht vom Haken löste ... O verdammt, wenn Hunderte von unvorhergesehenen Dingen passierten, dann würden sie eben mitsamt ihrem Floß und der kunstvollen Wurfmaschine in die Luft fliegen. Jetzt! Die Zündschnur sprühte Funken - und Fox riß an dem Hebel, der den Hebebaum nach unten drückte. Der Balken schnellte vor, die Schleuder löste und öffnete sich, das Ende des Hebearms schlug mit solch krachender Gewalt gegen das Holz, das Fox nach Luft schnappte. Aber sie warteten vergeblich auf die Explosion. „Steht nicht herum und starrt Löcher in die Luft!" schrie Fox. „Los, das nächste Faß!" Ein zweites Faß flog in die Luft. Aber noch immer explodierte nichts. Scharf sog Fox die Luft durch die Nase ein, mit wutverzerrtem Gesicht stieß er hervor: „Joachim! Schneiden Sie die verdammte Zündschnur kürzer - hier, an dieser Stelle!" Joachim warf einen Blick über die Schulter. Aber seine Disziplin verbot ihm, etwas anderes zu sagen als: „Aye, aye, Sir." Fox hörte, wie jemand hinter seinem Rücken die Luft anhielt, aber er ignorierte es. Wieder flog das Faß mit der brennenden Zündschnur in die Luft. Diesmal explodierte das Faß eine knappe Sekunde, bevor es hinter dem Felsvorsprung verschwand. „Hier!" rief Fox, und Joachim schnitt die Zündschnur an der bezeichneten Stelle ab. Plötzlich stieß Jones einen gurgelnden Schrei aus, seine Hand krallte sich in die Schulter. Er fiel gegen das Katapult, ein feuchter roter Fleck breitete sich rasch unterhalb der Schulter aus. Erst jetzt bemerkte Fox, daß Musketenkugeln ringsum ins Wasser spritzten und gegen das Holz des Floßes und der Wurfmaschine schlugen. „Parsons!" brüllte er. „Sergeant Cartwright! Tun Sie Ihre Pflicht!" Dann wandte er sich wieder seinem Katapult zu. Diesmal 81
mußte es klappen. Das nächste Faß flog über den Felsen - und dann... Jubelnd schrien die Männer auf, als es ohrenbetäubend krachte und dunkler Rauch aufwirbelte. Bevor Fox sie noch zum Schweigen bringen konnte, brachen sie in neue Freudenrufe aus, als Holzsplitter über den Felsen flogen. Aber Fox ruhte sich nicht auf seinen Lorbeeren aus. Noch drei Pulverfässer schleuderte er über den Felsvorsprung. Er zielte auf die Stelle, wo seiner Vermutung nach die Sperre mit dem Ufer verbunden war. Das war ihre einzige Chance. Denn wenn es ihnen hätte nicht gelingen sollen, die Sperre auf dem offenen Meer zu sprengen, hätten sie sich zu sehr auf ihr Glück verlassen müssen. Und an ein solches Glück glaubte Fox nicht. Zumindest hatte ihn die Erfahrung gelehrt, daß es nicht für ihn reserviert war. „Los, weiterpullen!" befahl er, Der Kutter setzte sich wieder in Bewegung und löste sich aus den schwarzen Rauchwolken. Sie umrundeten den Felsvorsprung, von Musketen- und Kanonenkugeln verfolgt, die über die Wasseroberfläche zischten oder ans gegenüberliegende Ufer der Bucht schlugen. Jetzt hatte der Kutter die Sperre erreicht. Carker feuerte die Männer an, sich noch kräftiger in die Riemen zu legen. Fox schleuderte ein Pulverfaß auf die blaugekleideten Gestalten am Ufer, die versuchten, die Halterungen der Sperre zu reparieren. Die Explosion schleuderte die Körper in alle Richtungen und schmetterte sie gnadenlos gegen die Felsen. Die Sperre schwankte und ächzte, die Fässer und Spieren tanzten auf den Wellen, dann begann sich das ganze Gebilde langsam von der Küste zu entfernen. Es rutschte zur Seite, der Kutter glitt vorbei und zog das Floß hinterher. Ein spöttisches Grinsen flog über Fox' Gesicht. Diese verdammten Narren! Sie hätten jedes einzelne Faß verankern müssen. Dann hätten sich die Briten mit ihrem Kutter und dem Floß nicht so leicht vorbeischieben können. Sie konnten sich an den Resten der Sperre sogar noch abstoßen, um ihre Geschwindigkeit zu beschleunigen. 82
Ein Matrose aus Litauen, dessen unaussprechlicher Name im Musterbuch auf Gromski verstümmelt worden war, krümmte sich lautlos zusammen und fiel gegen das Katapult. Er war sofort tot. Die Kugel mußte durch seine Rippen mitten ins Herz gedrungen sein. Fox konnte nichts anderes tun, als ihn über Bord werfen zu lassen. Das war Tradition in der Navy - die Decks von den Toten zu befreien, damit die Lebenden in ihrem Kampf nicht behindert wurden. Die Sperre blieb hinter ihnen zurück. Der Kutter glitt rasch voran. Das Floß neigte dazu, ein wenig zu gieren, aber Fox schrie die Männer an den vier langen Riemen an, und sie verdoppelten ihre Anstrengung, um das Floß gerade zu halten. „Feuer einstellen!" schrie Fox. Rasch öffnete sich die Bucht, die Küste fiel zurück. Direkt in ihrem Kurs lag ein kleines Fahrzeug mit zwei Lateinsegeln. Und dicht dahinter bewegte sich eine Fregatte in eine günstigere Position - eine 32-Kanonen-Fregatte mit Achtzehnpfündern. Die Geschütze waren bereits ausgefahren und grinsten den Männern der Raccoon zum Willkommensgruß entgegen. 10. Fox starrte die wunderschöne Fregatte an. Daß diese verdammten Franzosen immer so großartige Schiffe bauen mußten! Grey sah seinen Kommandanten unsicher an und stammelte : „Wir - wir haben hart gekämpft, Sir ..." Die Verzweiflung, die sich in Fox' Gesicht spiegelte, schien sich in den Herzen seiner Männer wie Feuer auf dürren Feldern auszubreiten. Er sah völlig niedergeschmettert aus. Beim Klang von Greys Stimme wandte er sich langsam dem jungen Midshipman zu. „Was sagten Sie da eben, Mr. Grey?" Grey schluckte. „Sie haben sich nichts vorzuwerfen, Sir. Sie haben alles getan, was ein Kommandant nur tun kann - noch mehr - aber daß jetzt..." Fox sah die Gesichter seiner Männer und verstand. Und bevor seine wütende Selbstverachtung ihn noch mehr lähmen 83
konnte, brüllte er: „Wollt ihr gottverdammten, feigen Wanzen euch etwa geschlagen geben? Natürlich bedaure ich es, ein schönes Schiff zerstören zu müssen ..." „Die Fregatte, Sir ...?" „Ja, Sie Schwachkopf! Die Fregatte! Denken Sie doch an all das schöne Prisengeld, das Sie da so einfach wegwerfen wollen!" Joachim plazierte ein Pulverfaß in der Schleuder, ohne einen weiteren Befehl abzuwarten, und die Männer lachten brüllend auf. Der Riese Barnabas übertönte sie alle. „Prisengeld, Kameraden! So viel, daß wir uns darin baden können! Der alte Foxey weiß schon, was er tut!" Fox wandte sich ab, um die Windungen der Hebevorrichtung zu studieren. Er verstand nicht, warum ihn so plötzlich diese Schwäche überfiel. Er sollte Barnabas, diesen undisziplinierten Kerl anbrüllen, ihm tausend Peitschenhiebe versprechen! Statt dessen ließ er sich ganz einfach „alter Foxey" nennen. Er grunzte, als er die Zündschnur in Brand setzte. Schon das erste Wurfgeschoß traf das Achterdeck der Fregatte, nur zwei Yards von Fox' ursprünglichem Ziel entfernt. Die Explosion mußte alles menschliche Leben auf dem Achterdeck mit einem Schlag ausgelöscht haben. „Und noch ein Faß!" schrie Fox. Die Männer im Kutter hatten inzwischen so kraftvoll gepullt, daß sie den Lateinsegler passierten. Fox befahl Cartwright, das Feuer auf das kleine Boot zu eröffnen. Das zweite Faß traf das Mittelschiff der Fregatte, zerriß die Beiboote in winzige Holzstücke, zerstörte das Oberdeck und schleuderte Männer und Kanonen in die Wellen. Das Kommando auf der Fregatte mußte längst zusammengebrochen sein. Die Schreie der Sterbenden hallten durch den Pulverrauch herüber, Flammen zuckten aus den Planken auf und begannen ihren wilden, mörderischen Tanz. Fox wußte, daß dieser Tanz mit einem verkohlten Wrack enden würde, das bis zum Wasserspiegel herabbrannte - wenn die ganze Fregatte nicht in die Luft flog wie damals die L'Orient in der Bucht von 84
Abukir. Noch immer gab es Männer an Bord der Fregatte, die die Kanonen bedienten. Sie feuerten eine halbe Breitseite ab. Die Geschosse zeichneten eine breite Gischtlinie in die See, dicht achtern vor dem Floß, und warfen grüne Wassermassen auf die Floßplanken, das Katapult und die Männer. Auch auf die Pulverfässer spritzte Wasser, aber Joachim hatte gerade noch rechtzeitig mit einem unaussprechlichen deutschen Fluch auf den Lippen das geteerte Segeltuch darübergeworfen. Das Floß glitt an dem Lateinsegler vorbei. Cartwright hatte Fox' Befehl befolgt, und auf den Decks des feindlichen Fahrzeugs atmete kaum mehr Leben. Zwei tote Männer hingen über die Reling. Auf Fox' Befehl glitt der Kutter auf den Lateinsegler zu. Als er gegen den Rumpf stieß, bewegte sich Fox an das vordere Ende des Floßes. Als die Floßbalken gegen das Heckbord des Kutters prallten, sprang er hinüber, traf mit seinen fliegenden Stiefelspitzen beinahe Carkers Kopf und landete im Vorschiff. Als er das Gleichgewicht wiedergefunden hatte, griff er nach der Hand eines toten Franzosen, die über die Reling baumelte. Er zerrte daran, fühlte, daß irgend etwas die Leiche an Deck festhielt, und zog sich hoch. Blitzschnell schwang er sich über die Reling und stürmte mit gezogenem Säbel über das Deck. Er hörte, wie seine Männer ihm aus dem Kutter folgten, und als das Floß gegen das Heck des Franzosen stieß, schwang sich auch noch die Floßmannschaft an Bord der Prise. Die wenigen Franzosen an Bord des Lateinseglers, die noch lebten, setzten ihnen kaum Widerstand entgegen. Sie trieben sie unter Deck, in eine hintere Kajüte mit niedriger Decke. „Schlagen Sie die Tür zu, Barnabas!" schrie Fox im Vollgefühl seines Triumphes. „Aye, aye, Sir!" Die Doppeltür schloß sich donnernd. Fox blickte sich um. Abgesehen von der Tatsache, daß dieses Fahrzeug in voller Länge eingedeckt war, konnte man es als Felucke bezeichnen. An jeder Seite befanden sich hohe Ruder, die sauber innenbords lagen. Die beiden Lateinermasten neigten sich dem scharfgeschnittenen Bug zu. Die Lateinerrahen 85
lagen ordentlich vorn und hinten. Das Fahrzeug war nicht nur am Vordersteven, sondern auch am Heck sehr spitz geformt. Ein massives Steuerruder hing frei vom Achtersteven. „Hierher mit dir, Ben!" rief Fox und zeigte auf das Steuerruder. Dann trieb er die anderen an die Arbeit. Die Lateinerrahen ließen sich leicht aufhissen, die Segel füllten sich mit dem Wind, die Leute holten sie back, ein Ruck ging durch das Schiff, als der Anker gelichtet wurde, und dann setzte es sich in Bewegung. „Über Bord mit den Franzosen!" rief Fox. „Die sollen schwimmen!" Die Franzosen sprangen nur zu gern über Bord. Auf Fox' Befehl hatte Hogan mit Joachim und Barnabas' Hilfe das Floß zerstört. Jetzt trieb es als lose Holzmasse dahin, und auch die Wurfmaschine hatte das Zeitliche gesegnet. Der Wind trieb den Rauch und die Flammen von der brennenden Fregatte zu der Felucke herüber, als wollte sich das vernichtete Schiff mit letzter Kraft an seinen Zerstörern rächen. Aber Fox fand keine Zeit, darauf zu achten. Er hatte sich auf dem hinteren Deck postiert, auf dem Teil dieses ungewöhnlichen Fahrzeugs, das noch am ehesten einem herkömmlichen Achterdeck glich. Hier standen zwei uralte Messingkanonen, 3-Pfünder-Geschütze in Spielzeuggröße. Kleine Kanonen mit Drehbassen, die an der hinteren und vorderen Reling standen, wiesen darauf hin, daß die Felucke hauptsächlich für den Piratenkampf im Mittelmeer ausgestattet worden war. Wahrscheinlich hatten die Franzosen sie von den Arabern gekapert, da es zwischen den beiden ja immer wieder zu Mißverständnissen kam. Jetzt hatten sich die Briten gerade einen Freundschaftspakt mit den Arabern mit teurem Gold erkauft. Nicht, daß Fox deshalb bereit war, irgendeinem Araber an Bord eines Schiffes zu trauen, das ihm in diesen Gewässern begegnete. Alte Gewohnheiten ließen sich nicht so leicht ausrotten. Sie glitten durch die Wellen, und Fox erkannte bald, wie sich die Segel seiner neuen Prise am besten führen ließen. Er teilte die Wachen ein, vergewisserte sich, daß sein Gepäck in Sicherheit war, und veranlaßte, daß Parsons für die Offiziere und ihn 86
das Essen bereitete. Die übrige Besatzung wählte einen Koch aus ihrer Mitte. So weit war alles gut gegangen - bis sie feststellten, daß sie kaum einen Tropfen Wasser an Bord hatten. „Wahrscheinlich sind die Franzosen deshalb an Land gegangen", sagte Grey. „Anzunehmen", erwiderte Fox in seiner kurzangebundenen Art. Barnabas hatte die Meldung gemacht. Bevor Fox seiner Wut in einem wilden Fluch Luft schaffen konnte, hallte ein Ruf Wilsons herab, der in ziemlich unbequemer Haltung auf der Lateinerrah des Großmastes kauerte. „Segel! Backbord achteraus!" Fox wartete erst einmal ab. Dieses weiße Segeldreieck, das er noch nicht einmal sah, konnte sich als alles Mögliche entpuppen. Vorerst wollte er den Kurs beibehalten. Dann schrie Wilson von neuem. „Ein Schiff, Sir! Royalsegel! Eine Korvette, nehme ich an - eine französische..." „Lassen Sie sie nicht aus den Augen, Wilson!" rief Fox. „Und beobachten Sie gleichzeitig den Horizont ringsum!" Das war die Art von praktisch durchführbaren Befehlen, wie sie tüchtige Seefahrer schätzten. Und Wilson rief dann auch begeistert: „Aye, aye, Sir!" Es war eine große Erleichterung für Fox, daß er Wilson mit seinen scharfen Augen an Bord hatte. „Geh vor den Wind, Ben!" Die Rahen der Felucke schwangen herum, und dann glitt sie schneller dahin. Fox bezweifelte, daß die Korvette sie einholen konnte, wenn sie den Kurs beibehielt. Das warf ein großes Problem auf. Er wußte genau, worin seine Pflicht bestand. Er mußte nach Port Mahon segeln und dem Admiral Bericht erstatten. Aber mit der Korvette auf den Fersen würde das schwierig sein, und vorläufig mußte er diesen nördlichen Kurs beibehalten. Und Captain Louis Lebonnets Schatz? Was schuldete er eigentlich den Admirälen und Captains der 87
Royal Navy? Hatten sie George Abercrombie Fox nicht stets zurückgesetzt, seiner Karriere Steine in den Weg gelegt? Aber seiner Familie schuldete er alles - alles, was an Kräften in ihm war, alles, was er verdienen oder rauben konnte. Zum Teufel mit den Interessen der Navy! Er würde jetzt erst einmal auf Schatzsuche gehen, verdammt! Fox rang sich nicht leicht zu dieser Entscheidung durch. Es vergingen schmerzliche Stunden, in denen er sich überdeutlich vor Augen führte, daß die Korruption der Vorgesetzten seine Ideen von Pflichtauffassung ohnehin schon längst wie ein Krebsgeschwür aufgefressen hatte. Er fühlte sich nurmehr seiner Familie verpflichtet. Aber - seine Männer! Was würde mit diesen Leuten geschehen, die vertrauensvoll zu ihm aufschauten? Wenn er sie mit nach Livorno nahm, würden sie als Meuterer gebrandmarkt sein. Er würde ihnen einfach nicht erzählen, was er vorhatte. Die Korvette, die sie verfolgte, genügte als Erklärung für den Kurs, den er beibehielt. Sie würden ihm gehorchen. Und er würde noch eine zusätzliche Kriegslist anwenden. „Mr. Carker soll zu mir kommen", sagte er zu dem Seemann, der in der Nähe des Achterdecks stand. Er ging in die Kajüte, die noch die Spuren ihres letzten Bewohners trug. Sie war mit üppigen orientalischen Ornamenten geschmückt, in französischem Geschmack leicht abgewandelt. Fox setzte sich an den kleinen Tisch, und als Carker eintrat und salutierte, hob er den Kopf. Sein harter Blick schien den Mann zu durchbohren. „Mr. Carker, unsere Wasservorräte sind knapp - gefährlich knapp. Die Korvette treibt uns nach Nordosten. Ich habe vor, in einer hübschen, ruhigen Bucht vor Anker zu gehen und Wasser an Bord zu holen. Haben Sie mich verstanden?" Carker ließ sich seine Überraschung, weil Fox seine Pläne so ausführlich darlegte, nicht anmerken. „Aye, aye, Sir", sagte er. Und dann fügte er noch hinzu: „Es tut mir leid, daß der arme Jones sterben mußte." „Mir auch. Verständigen Sie mich, wenn alles vorbereitet ist. Er soll ein würdiges Begräbnis haben." Er mußte nicht hinzu88
fügen: Die Leute erwarten das. Ein Seemannsbegräbnis gehörte genauso zur Tradition der Navy wie der Brauch, während einer Schlacht die Toten über Bord zu werfen. Bald nach dem Begräbnis, das mit allen erforderlichen Zeremonien zelebriert wurde, brach die Abenddämmerung herein. Zum Abendessen gab es drastisch rationierte Wassermengen. Fox beobachtete die Korvette, die ihnen auf den Fersen blieb. Sie segelte schneller, als er erwartet hatte. „Land in Sicht!" Fox richtete sein Teleskop über den Steuerbordbug. Ein länglicher Streifen in tiefem Grau und Purpurrot erstreckte sich am Horizont. Bevor die Nacht einbrach, würden sie zu nahe an der Küste segeln. Fox ließ das Fernglas sinken und wandte sich an Carker. „Wir segeln parallel zur Küste, Mr. Carker. Ich habe keine Lust, auf Grund zu laufen. Im Morgengrauen können wir dann Wasser an Bord holen, wo es uns günstig erscheint." Er mußte noch nördlicheren Kurs nehmen. Wenn Carker es seltsam fand, daß Fox sich so genau erklärte, so ließ er sich auch diesmal nichts anmerken. Fox fragte sich, was der Bootsmann wohl sagen würde, wenn er wüßte, daß sein Kommandant nur deshalb so viele Erklärungen abgab, weil vielleicht eines Tages jedes Wort vor dem Kriegsgericht wiederholt werden könnte. Natürlich konnte er behaupten, die Wasserknappheit habe ihn nach Livorno getrieben. Sobald er erst einmal einen Fuß an Land setzte, würden seine Männer ihm folgen, davon war er überzeugt. Sogar der alte Hogan. Und Fox war es, der seine Männer zur Meuterei anstiftete, sie der Gefahr aussetzte, ausgepeitscht oder sogar gehängt zu werden. Wild kreisten die Gedanken in seinem Kopf - Livorno, Gold und Juwelen, seine Familie an der Themse, der Galgen. Seine innere Unruhe wuchs, erregt tigerte er auf dem Achterdeck auf und ab. Vorläufig konnte er noch behaupten, daß er die Korvette an eine Stelle lockte, wo er sie leichter entern konnte. Ja, das klang ganz gut... Natürlich würde er den Schatz mit seinen Männern teilen. Das war nur fair. Aber für die Admiräle würde er nicht einmal 89
das kleinste Goldstück übriglassen. Sein Schatz! Angenommen, er erreichte den Friedhof, der auf dem blutigen Zettel eingezeichnet war, er drehte den Grabstein mit dem eingravierten Namen „Cavallo" um und fand darunter nur verrottete Gebeine und nicht einmal eine Kupfermünze? Wäre das nicht ein neuerlicher Beweis, daß das Schicksal für George Abercrombie Fox nicht viel übrig hatte? Aber andererseits wußte er instinktiv, daß der sterbende Captain Louis Lebonnet die Wahrheit gesprochen hatte. Auf dem Friedhof bei Livorno mußte ein Schatz vergraben liegen. Und Fox würde ihn finden, koste es, was es wolle. Als er mit seinen Gedanken bei diesem Punkt angelangt war, drang vom Bug der Felucke ein ohrenbetäubender Krach zu ihm. Die Männer schrien auf. Noch bevor er nach vorn lief, wußte er, was geschehen war. Die Großrah war gebrochen, hatte sich aus einem Fall gelöst, hing über Bord und schlug gegen die Bordwand der Felucke wie ein gigantischer Trommelschlegel. Barnabas tauchte vor ihm auf, einen Hammer in der Faust. Er beugte sich über Bord und hieb immer wieder auf die feuchten, glitschigen Taue ein. Die Rah schlug krachend gegen den Rumpf. Carker hatte bereits befohlen, die Vorderrah herunterzuholen. Die Männer stürzten sich in die wirbelnde Masse aus Segeltuch und versuchten sie unter Kontrolle zu bringen. Die Felucke rollte schwankend über die Wellen. Barnabas schrie auf, die Rah strich kratzend am Holz der Bordwand entlang, dann tanzte sie losgelöst auf dem Wasser. Es waren nur wenige Sekunden verstrichen, seit sie geborsten war. Fox warf einen Blick nach achtern. Die Korvette war näher gerückt, deutlich sichtbar im letzten Tageslicht, ein Gebilde aus weißen Segeln und schwarzem Rumpf. „Hoch mit dem Focksegel!" rief Fox. Die Fockrah glitt wieder am Mast hoch. Dadurch gewannen sie wieder an Fahrt - vielleicht genug, um noch zu entwischen, bevor das letzte Tageslicht erlosch. Danach konnte die Felucke der feindlichen Korvette spielend leicht im Dunkeln entfliehen, 90
davon war Fox überzeugt. „Ich will tot umfallen, wenn das nicht verdammtes Pech ist", sagte Grey. Fox ignorierte diese Worte. Die Korvette verkürzte rasch den Vorsprung der Felucke - viel zu rasch. Rasch erteilte er Carker seine Befehle. Jetzt zweifelte er nicht mehr daran, daß die Korvette sie doch noch im letzten Tagesschimmer einholen würde. Es gab kein Entkommen. Fox traf alle nötigen Vorbereitungen, untersuchte seine beiden abgewetzten alten Pistolen, gürtelte seinen Säbel um und bezog dann Stellung auf dem Achterdeck. Ein Ruf hallte über das Wasser und übertönte das Plätschern des Kielwassers. Fox zögerte nicht, in fehlerlosem Französisch zu antworten. „Erst einmal müßt ihr uns erwischen, ihr Schneckenfresser!" Heiseres Gelächter brach aus den Kehlen seiner Männer. Wie diese Burschen sich seit dem Tag verändert hatten, als er zum erstenmal seinen Fuß an Bord der Raccoon gesetzt hatte! Sicher, Barnabas und Ben Ferris waren Neulinge. Aber sie hatten sich in die Gemeinschaft gefügt, sie bildeten eine kampfstarke Einheit, sie würden ihm bis in die Hölle folgen, fluchend und lachend. Aber jetzt hatte er keine Zeit mehr für solch sentimentale Gedanken. Joachim hatte die beiden 3-Pfünder-Kanonen ausgefahren. Fox blickte zum unteren Achterdeck, die Kanonen glitzerten im letzten Tagesschein. Der westliche Horizont schien in Flammen zu stehen. Die Korvette rückte rasch näher. Fox ging hinunter und richtete eigenhändig die Kanonen. Bei dem flachen Krach und dem flachen Rückstoß runzelte er angewidert die Stirn. Das Ding war womöglich imstande, ihm eine Ladung ins Gesicht zu blasen. Der Schuß war ins Nirgendwo gegangen. Jetzt verbarg sich die Backbordseite der Korvette hinter schwarzen Rauchschwaden. Die Geschosse schlugen in das scharf zugespitzte Heck der Felucke und rissen das Holz auf. Keiner von Fox' Leuten war unter Deck. Sogar Joachim war oben und hatte persönlich Pulver und Kanonenkugeln ange91
schleppt. Wieder feuerte Fox. Er hatte die Achterkanone so gerichtet, daß das Geschoß möglichst weit flog. Aber wieder passierte der Korvette nicht das Geringste. Der nächste Schuß ging ebenfalls daneben. Inzwischen hatte die Korvette zwei weitere Breitseiten in die Felucke gefeuert, und beim nächsten Schuß brach das Steuerruder. Ben Ferris wurde von dem harten Anprall des Geschosses, das die Ruderpinne traf, auf die Decksplanken geschleudert. „Ich bin in Ordnung, Sir!" schrie er. „Habe ich auch nicht anders erwartet. Ein Satansbraten wie du..." Aber dann erinnerte Fox sich an die Wunden, die Ben vor Akka davongetragen hatte, und verstummte. Der Bugspriet der Korvette rückte drohend näher, und da das Steuerruder zerbrochen war, trieb der Lateinsegler dem Feind hilflos entgegen. Ein französischer Herkules, der im Bug stand, schleuderte einen Enterhaken, bevor ihn einer von Cartwrights Seesoldaten erschoß, und die beiden Schiffe waren aneinander gefesselt. „Raccoons!" schrie Fox. Als seine Männer nach achtern stürzten, blitzende Säbel in den Fäusten, mit wild glänzenden Augen, Kriegsgeschrei auf den Lippen, überlegte Fox, daß der französische Captain einen schwerwiegenden Fehler begangen hatte. Er hätte sich fernhalten und die Felucke mit weiteren gezielten Breitseiten erledigen sollen. Sein Versuch, zu entern, würde ihm empfindlichen Schaden zufügen. Die französische Entermannschaft stürzte in grimmiger Entschlossenheit an Bord der Felucke. Aber die Raccoons warfen sich ihnen so wild und todesmutig entgegen, daß die Franzosen zurücktaumelten, über die Reling fielen, verwirrt zusammenbrachen. Gelegentlich löste sich ein Rauchwölkchen aus einer Musketenmündung, aber die Raccoons kämpften in erster Linie mit ihren Säbeln. In Fox' Gehirn begannen sich bereits grandiose Pläne zu entwickeln. Er konnte die Korvette kapern, die Franzosen unter Deck zusammenpferchen, die Prise nach Port Mahon bringen. Vielleicht wurden die harten Herzen der hohen Herren angesichts der wunderschönen Korvette weich, 92
vielleicht übergaben sie die Prise seinem Kommando, vielleicht gaben sie ihm auch noch obendrein eine Epaulette. Ein neuer, entschlossenerer Angriff der Franzosen warf die Raccoons zurück, sie taumelten zum Achterdeck, einige brachen zusammen. Fox schrie in ungläubiger Wut auf. Da wurden ihm die Epauletten, die er im Geist bereits an seiner Schulter gesehen hatte, grausam von der Uniformjacke gerissen. Begleitet von zwei, drei Männern - Barnabas, Hampton, Joachim stürzte er sich dem Feind entgegen, mitten hinein in die Musketenschüsse und blitzende Bajonette. Wieder gelang es den Briten, die Franzosen zurückzuwerfen. Die See rollte unter dem Kiel der Felucke, der Tag war erloschen, der Kampflärm erfüllt die Nacht. Fox hörte das ächzende Bersten und duckte sich instinktiv, bevor er aufblickte. Der Vormars der Franzosen krachte herunter, schwankte in einem Wirrwarr von Takelage und Segeln, dann neigte er sich über Bord und klatschte in die Wellen. Fox grunzte und holte tief Luft. Einen unheimlichen Augenblick lang versanken die Kämpfer in regloses Schweigen. Die kleinen Spielzeugkanonen der Felucke hatten ihr Werk vollbracht, wenn auch mit einiger Verspätung. Dann erwachte der Kampfgeist von neuem. Fox wußte jetzt, daß seine großartigen Zukunftspläne ein Traum bleiben mußten.Die Franzosen griffen erneut an, rückten vom Mittelschiff vor und trieben seine Männer nach achtern. Fox wußte, daß er das Unvermeidliche möglichst würdevoll tun mußte. Und er mußte es rasch tun, bevor noch weitere Raccoons getötet wurden. Die Korvette war mit hundert und vielleicht noch mehr Leuten bemannt. Der Kampf war verloren gewesen, noch bevor er begonnen hatte. Aber - sein Schiff aufgeben müssen! Der Gedanke widerstrebte Fox zutiefst, und dennoch mußte er es tun. Es lag nicht in seinem Wesen, sich zu ergeben, und doch ... In der Dunkelheit, die von Musketenblitzen und vom Schein der Laternen erhellt wurde, die die Franzosen anschleppten, im Schimmer des Sternenhimmels, der sich über dem Mittelmeer wölbte, sah Fox, wie die Feinde die Reste vom Vormars über 93
Bord warfen. Die Wrackteile verschwanden im aufspritzenden Wasser. Auch Teile der Felucke trieben auf den Wellen. Der Nachtwind blies ihm ins Gesicht, er stand auf dem schwankenden Deck, den Säbelgriff in der Faust, und versuchte sich mit dem Unglaublichen abzufinden. Er, George Abercrombie Fox, mußte dem Feind sein Schiff übergeben! Er konnte es nicht. Er konnte sich ganz einfach nicht ergeben. In einem ungeordneten Haufen griffen die Franzosen erneut an, und er warf sich ihnen wild und ungehemmt entgegen, hieb mit dem Säbel auf sie ein, zwang sie zurück. Er würde auf das Achterdeck der Korvette springen, den französischen Captain bei der Gurgel packen, ihm die Säbelspitze unter das Kinn halten. Und er würde ihn zwingen, die Flagge zu streichen, bei Gott! Irgend etwas Hartes traf seine Stirn, er stolperte seitwärts, und sein Bewußtsein schwand, als er über Bord stürzte. 11. Als er aus der schwarzen Nacht seiner Ohnmacht erwachte, war sein erster Gedanke, daß er betrunken in irgendeinem Rinnstein läge und stinkendes Regenwasser auf sein Gesicht tropfte. Dann überzeugten ihn die schwankenden Bewegungen, daß er auf einem Mistwagen gelandet sein mußte. Endlich gelang es ihm, die Augen zu öffnen, und er starrte ins Dunkel. Ein silberner Mond warf Funken auf die schwarze See. Er lag auf einer Wrackmasse, die sich aus Teilen der Felucke und der Korvette zusammensetzte. Als die Erinnerung wiederkehrte, überlegte er mit leichtem Bedauern, daß seine Kopfschmerzen keineswegs von einer durchfeierten Nacht herrührten, wie er anfangs geglaubt hatte. Mit tastenden Fingerspitzen berührte er seine Schläfe und stöhnte. Er fühlte getrocknetes Blut, und er hatte nicht die geringste Ahnung, was geschehen war. Er konnte nur erraten, daß man ihn mit einem Musketenlauf niedergeschlagen hatte. Fox richtete sich halb auf und blickte sich aus trüben Augen um. Das Deck der Korvette lag unter dem Horizont, die Segel 94
schimmerten blaß im Mondlicht, und sie hatte die Felucke im Schlepptau. Seine Felucke! Er versuchte nicht einmal zu winken. Wenn sie ihn bisher auf diesem Durcheinander von Wrackteilen nicht gesehen hatten, würden sie ihn jetzt auch nicht sehen können. Er ließ sich wieder zurücksinken. Phantastische, wirre Traumbilder streiften die Oberfläche seines Bewußtseins. Aber irgendeine innere Kraft riß ihn immer wieder in die Wirklichkeit zurück und verhinderte, daß er die Kontrolle über sich selber verlor. Er würde liegenbleiben und sich ausruhen. Hier war er sicher. Wenn er nicht über Bord gefallen wäre, als er das Bewußtsein verloren hatte, würde er jetzt vielleicht nicht mehr leben. Die Vorstenge und die Fockrah, die Bramstenge und die Royalsegel lagen auf dem Meer ausgebreitet rings um ihn, von bauschigen Segeln umgeben. Ein geschnitztes Holzteil vom Heck der Felucke tanzte dicht neben seinem Kopf auf den Wellen. Fox schloß die Augen. Der Morgen würde kommen, und mit ihm die Sonne, und dann würde er quälenden Durst verspüren. Nun, die Morgensonne sollte erst einmal aufgehen, dann würde er weitersehen. Wann er wieder in Ohnmacht versunken war, wußte er nicht. Aber als er die Augen das nächstemal öffnete, sandte die Sonne goldene Strahlen auf ihn herab. Er blinzelte, und ein teuflischer Schmerz zuckte durch seinen Kopf. Östlich von ihm mußte Land liegen, und zwar direkt hinter seinem Kopf, nach dem Sonnenstand zu schließen. Er richtete sich auf dem schwimmenden Holzstück auf und stöhnte vor Anstrengung, als die Wrackmasse schwankte und Wasser durch die Ritzen drang. Er konnte das Land nicht sehen, und das bedeutete, daß es mehr als fünf Meilen entfernt lag. Er blieb aufrecht sitzen und versuchte, gegen das Schwindelgefühl in seinem Kopf anzukämpfen. Allmählich wurde ihm seine Indentität bewußt. Nein, von dem Schlag einer französischen Muskete ließ sich George Abercrombie Fox nicht unterkriegen. Nach einer Weile fühlte er sich kräftig genug, sein neues Kommando näher in Augenschein zu nehmen. Rings um ihn 95
schwammen Spieren, Holzstücke, Tauwerk, Segeltuch. Wenn ein Mann aus all diesen Teilen ein schiffbares Gefährt bauen konnte, dann hieß er George Abercrombie Fox. Er arbeitete langsam, um nicht ins Schwitzen zu geraten. Er mußte mit der Flüssigkeit in seinem Körper sparsam umgehen. Wasserfässer schwammen nämlich nur an der Wasseroberfläche, wenn sie halbvoll waren, und ein solches Faß konnte er nirgends entdecken. Er wickelte Taue um ein Balkenkreuz, das die Stütze seines Floßes bilden sollte. Dann fügte er noch weitere Balken hinzu, und allmählich nahm sein Floß Gestalt an. Er hatte seinen Säbel und seine Pistolen verloren. Aber er hatte immer noch sein Messer und sein schwarzes Tuch und ironischerweise auch noch seinen alten, verbeulten, von Säbelhieben zerschlissenen, notdürftig zusammengeflickten Hut. Er hatte zusammengedrückt unter seinem Kopf gelegen und ihm zweifellos das Leben gerettet, in dem er den harten Aufprall milderte. So sehr Fox dieses häßliche Ding auch verabscheute, die Entdeckung, daß er ihn nicht verloren hatte, befriedigte ihn. Er richtete einen Mast auf und riß Segel aus dem Fockroyalsegel der Franzosen. Dann bastelte er ein Ruder aus dem Steuer der Felucke, das das Feuer der Korvette zertrümmert hatte, und brachte es am Heck des Floßes an. Er würde vor dem Wind segeln, auf diese Weise konnte er am leichtesten an die italienische Küste gelangen. Im Osten lag die Toskana. Sie stand fast ganz unter französischer Herrschaft, und er würde sich also mit den Franzosen auseinandersetzen müssen. Fox strich über seine Uniformjakke. Er würde die breiten Messingknöpfe mit ihren winzigen Ankern abschneiden müssen. Seine Erinnerung wanderte in die Zeiten zurück, als sich diese Knöpfe in das weiche Fleisch von Kitty Higgins gepreßt hatten. Kitty - sie war ein Mädchen gewesen, das zu ihm gepaßt hätte. Ein Mädchen vom gleichen Schlag wie George Abercrombie Fox. Er hißte seinen Segelfetzen auf, der sich sofort im Wind blähte, und das Floß setzte sich in Bewegung. Das Ruder ließ sich gut handhaben. Fox zog sich seinen Uniformrock aus, dann die 96
Stiefel und Socken, damit er die Zehen in der leichten Brise bewegen konnte, und dann saß er in Hemd und Hose auf den Floßplanken, segelte zufrieden dahin und überlegte, was die nächste Zukunft ihm bringen würde. Der Schatz! Natürlich, er würde den Schatz ausgraben. Und danach? Sollte er zu den Franzosen überlaufen? Nein, allein schon der Gedanke beleidigte ihn zutiefst. Er war Engländer mit Leib und Seele, und die Franzosen, allen voran dieser verrückte Napoleon Bonaparte, waren seine Feinde. Zu den Franzosen überlaufen, das wäre ein Affront für all die tapferen Engländer, die Fox in diesem Krieg schon hatte sterben sehen. Es war nur merkwürdig, daß er die Franzosen irgendwie mochte. Sie waren gute Soldaten, bauten großartige Schiffe, und nach Fox' Meinung hatten die Briten gar keinen Grund, die seefahrerischen Qualitäten der Franzosen so milde zu belächeln. Purpurrot und braun erhob sich das Land über dem Horizont, keine einzige Wolke schwebte darüber. Bis jetzt hatte Fox keine Segel gesichtet. Er ließ sich vom Wind der Küste entgegentreiben. Wenn er erst einmal gelandet war, würde er überlegen, was er tun wollte. Sein Kopf schmerzte noch immer, obwohl er ihn mit Salzwasser gekühlt und verbunden hatte. Fox glaubte felsenfest an die heilsamen Kräfte von Salzwasser. Es wäre idiotisch, sich als Franzose auszugeben. Die Toskaner würden ihm sofort die Kehle durchschneiden. Nein, er mußte so tun, als sei er Italiener - ein nationaler Held, ein bedauernswerter Schiffbrüchiger. Sie würden ihn füttern, ihm ihren köstlichen Wein kredenzen. Bei diesem Gedanken hob sich seine Laune beträchtlich. Sein Italienisch war gut genug, so daß er nicht befürchten mußte, Verdacht zu erregen. Die Küste rückte immer näher. Jetzt konnte Fox eine sanftgeschwungene Bucht erkennen. Mit zusammengekniffenen Augen hielt er Ausschau nach irgendwelchen Bewohnern. Dieses Land war so alt wie die Zeit selbst - oder beinahe, und schon in grauer Vergangenheit hatten hier Menschen gelebt und die Landschaft gestaltet. 97
Er steuerte sein Floß in die kleine Bucht und zog es an Land. In seiner Tasche hatte er noch einen Feuerstein und Zunder und bald ging das Floß in Flammen auf. Als nur noch verkohlte Reste übrig waren, zog er seine Uniformjacke an, um sich vor der Kälte der kommenden Nacht zu schützen, und stieg einen schmalen Pfad zu einer braunen Klippe hinauf. Er hatte den Gipfel fast erreicht, als sich Schritte und laute Stimmen näherten. Rasch duckte er sich hinter ein Gestrüpp. Die Stimmen sprachen ein Italienisch, das er leicht nachahmen konnte. Aber noch hielt er es für verfrüht, mit den Bewohnern dieses Landstriches Kontakt aufzunehmen. Die Männer liefen zur Bucht hinunter, offenbar angelockt von seinem kleinen Feuer. Fox erhob sich und ging weiter. Aber schon nach kurzer Zeit spürte er die Müdigkeit in allen Knochen. Er mußte sich unbedingt ausruhen. In einer buschbestandenen Senke, drei Meilen von der Bucht entfernt, legte er sich nieder. Er hätte später nicht mehr sagen können, wie er sich zum Schlaf zusammengerollt hatte. Er spürte nur seine Schmerzen, die steifen Glieder, die pelzige Zunge. Und vage drang der Anblick irgendeines Ackergeräts in sein Bewußtsein. Die Sonne schien, kein Vogelgezwitschern störte seinen Schlaf. Die Brise war frisch und roch halb nach Land, halb nach Meer. Grunzend richtete er sich auf. Die beiden Burschen, die auf ihn herabstarrten, wichen einen Schritt zurück, das Ackergerät schwankte. „Laßt das Ding da lieber los, bevor ihr euch noch wehtut", knurrte Fox. Die scharfen Spitzen des Geräts begannen noch mehr zu zittern, aber sie zeigten weiterhin auf Fox' Kehle. „Wer sind Sie? Was tun Sie hier?" Und dann folgte die mißtrauische Frage: „Sind Sie ein Franzose?" „Ein Franzose?" Fox streckte sich und holte tief Atem. „Ein Franzose? Sehe ich etwa wie ein Franzose aus?" „Sie sehen wie der Teufel persönlich aus!" „Vielleicht bin ich es auch. Und vielleicht bin ich gekommen, um euch zum Frühstück zu verspeisen." Sie wichen erschrocken noch weiter zurück. Das Haar hing 98
ihnen ungekämmt in die Stirn, sie trugen braune Hemden und zerrissene Hosen, die ausgefranst oberhalb der Knie endeten, ihre Füße waren bloß. Sie starrten ihn aus kleinen schwarzen Augen an, und Fox mußte an zwei zerzauste Jagdhunde denken, die einen Löwen belauerten. Er stand auf. „Wie heißt du?" Er deutete auf den Burschen, der krampfhaft das Ackergerät umklammerte. „Pietro." „Und du?" „Antonio?" „Ich heiße Giorgio." Damit hatte er ihr Mißtrauen besiegt. Er erzählte ihnen irgendein Seemannsgarn, daß er eine Art Meeresbummler sei, und mit ein paar gezielten Fragen stellte er fest, daß sie die Franzosen wie die Pest haßten. Fox fragte sich, was die beiden wohl sagen würden, wenn sie erfuhren, daß er Engländer war. Aber er verspürte nicht den Wunsch, seine Neugier in dieser Beziehung zu befriedigen. Obwohl er seine Spielgewinne und Prisengelder seinen Prisenagenten Snellgrove und Dupre zukommen ließ, damit sie die Summen an seine Familie weiterleiteten, hatte er doch ein bißchen Geld für sich behalten. Er fand eine kleine neapolitanische Goldmünze in der Rocktasche, hielt sie den beiden Burschen hin und sagte: „Das ist neapolitanisches Geld." Dann strich er sich mit einem Finger über die Nase und fügte hinzu: „Gold!" Sie rissen die Münder auf. „Das kriegt ihr, wenn ihr mir ein Huhn, Brot und ein bißchen Wein bringt." Pietro steckte die Münze ein, sie schlenderten davon, blieben aber noch einmal stehen, als Fox ihnen mit Achterdeckstimme nachrief: „Daß ihr aber nicht versucht, mich übers Ohr zu hauen!" Er setzte sich auf einen Stein und wartete. Sein Mißtrauen war ungerechtfertigt. Schon nach kurzer Zeit tauchten Pietro und Antonio wieder auf und brachten ihm eine mageres Brat99
huhn, eine Flasche Wein, der man ansah, daß sie zuvor schon viele andere Flüssigkeiten enthalten hatte, und einen angebissenen Laib Brot. Fox griff nach dem Huhn, riß ein Bein ab und begann zu kauen. Dann stopfte er sich noch ein großes Stück Brot zwischen die Zähne, und mit vollen Backen blickte er zu den beiden Burschen auf, die vor ihm standen und ihn mit großen Augen anstarrten. Das Huhn, das Brot und der Wein verschwanden in Windeseile. Die Tatsache, daß er schon besser gegessen hatte, störte Fox nicht. Er war froh, zwei Männer gefunden zu haben, denen er trauen konnte, und begann sie geschickt auszuhorchen. Er erfuhr, daß im nächsten Dorf Franzosen einquartiert waren, die dreimal pro Woche auch in diese Gegend kamen. In letzter Zeit sei die Guillotine nicht mehr in Betrieb gewesen. Signora Trattine hätte ein Baby ohne Arme auf die Welt gebracht, und nächstes Jahr würde das Dorf einen neuen Priester kriegen. Fox lauschte und lächelte, was ihm zu seiner Überraschung nicht einmal schwerfiel, obwohl er kaum jemals lächelte. Und dann erzählte er den beiden, daß er sich jetzt wieder auf den Weg machen müsse. Er verabschiedete sich, ging zum Grat der nächsten Anhöhe hinauf, wo er sich noch einmal umdrehte und winkte. Er war sicher, daß Pietro und Antonio ihn nicht an die Franzosen verraten würden. Wenn er sich mit einfachen Gemütern auskannte, so sollte es ihn nicht wundern, wenn sie eine abenteuerliche Geschichte erzählen würden, wie sie in den Besitz der neapolitanischen Goldmünze gelangt waren. Fox marschierte eine Woche lang nach Norden. Dann setzte er seinen Weg etwas vorsichtiger fort, ging nur nachts weiter und schlief bei Tag, nachdem er im Morgengrauen irgendwelche Bauernvorratskammern geplündert hatte. Mittlerweile hatte er großes Geschick darin entwickelt, Hühnerhälse umzudrehen. Er litt während seines Fußmarsches weder Hunger noch Durst, und je näher er seinem Ziel kam, desto größer wurde seine Überzeugung, daß ihm Erfolg beschieden war. Er würde den Schatz von Cavallo finden, koste es, was es wolle. 100
Er zog seinen blauen Uniformrock noch enger um sich. Da die Jacke schon ziemlich schäbig aussah, würde man kaum den englischen Offizier erkennen. Die schwarze Kokarde, die Parsons schon mehrmals an seinem Hut festgenäht hatte, ließ sich leicht abreißen. Er steckte sie zusammen mit den Ankerknöpfen und dem schwarzen Tuch in die Jackentasche. Jetzt konnte er leicht als italienischer Seemann gelten - sogar als französischer, wenn die Umstände es erforderten. Er konnte sich auch als Spanier ausgeben. Nur eines durfte er auf keinen Fall sein, wenn er nicht riskieren wollte, sofort gefangengenommen zu werden - ein Engländer. Er kauerte auf der abbröckelnden Mauer eines Olivengartens - bereit, sich sofort zu verstecken, wenn eine Menschenseele auftauchen sollte. Mit gerunzelter Stirn rief er sich noch einmal in Erinnerung zurück, was ihm Captain Louis Lebonnet über den Schatz erzählt hatte, nachdem ihn Fox aus dem Feuer von Akka geschleppt hatte. „Im Mausoleum - Cavallo - eingegraben - Gold und Juwelen, Silber - ein Schatz ..." Und dann hatte Lebonnet mühsam seine letzten, pathetischen Worte hervorgestoßen. „Bonaparte - für dich sind wir gestorben - für dich, mon general..." Das Dorf hinter dem Olivengarten mußte Cavallo sein, wenn der Plan stimmte, den der französische Captain Fox gegeben hatte. Aber wenn das Dorf Cavallo hieß, wie wurde dann das Mausoleum genannt? In der Ferne sah er hohe Zypressen, die sich im Wind bewegten. Wenn die Dunkelheit einbrach, würde er dort seine Suche beginnen. Zu seiner Linken glitzerte das Tyrrhenische Meer im Schein der letzten Sonnenstrahlen. Die Schatten wurden länger, der Wind frischte auf. Er war verdammt hungrig, denn er hatte seit dem Frühstück nichts mehr gegessen. Seufzend strich er sich über den Magen. Bei den Rationen, von denen er derzeit lebte, bestand wirklich keine Gefahr, daß er zu fett wurde. Vorsichtig näherte er sich der Friedhofsmauer. Die Zypressen ragten schwarz und unheimlich in den Himmel. Er schwang sich über die Mauer und bewegte sich lautlos zwischen den geschmückten Gräbern hindurch. Immer wieder versperrten ihm 101
Stein- und Marmortrümmer den Weg, trauernde Gestalten aus Stein, verfallene Grabmäler. Er mußte es riskieren, ein Licht anzuzünden. Wenn irgend jemand die Flamme sah, würde er vielleicht glauben, der Geist eines Toten treibe sich zwischen den Gräbern herum, und würde sich hüten, einen Fuß auf den Friedhof zu setzen. Und wenn er sich trotzdem hierherwagte, würde ihn eine harte, hornhäutige Faust im Nacken treffen. In der Mitte des Friedhofs fand er eine Grabplatte mit toskanischem Namen. Den toskanischen Dialekt beherrschte er nicht, und er konnte es sich nicht leisten, ihn zu imitieren, da ihn dann die Einheimischen sofort als Ausländer erkennen würden. Er ging weiter und entdeckte in der anderen Ecke des Friedhofs ein Kunstwerk aus Marmor, halb verborgen hinter Zypressen, von großen Engelsfiguren geschmückt. Normalerweise hätte das kunstvolle Gebilde sein ungeteiltes Interesse geweckt. Aber in diesem Augenblick sah er nur den Namen, der in stolzen Lettern auf der eisenbeschlagenen Tür stand - „Cavallo". Er holte tief Atem. Ohne Werkzeug würde es ihm nicht gelingen, die schwere Tür aufzubrechen. Er prägte sich die Lage des Mausoleums sorgfältig ein und merkte sich auch alle anderen markanten Punkte des Friedhofs. Dann warf er seine Fackel auf den Boden, trat die Flamme aus, verwischte die Asche und ging davon. Es gab Leute, die um nichts in der Welt nachts einen Friedhof betraten. Sie fürchteten sich vor der unheimlichen Atmosphäre, die um dunkle Grabsteine hing, vor dem Atem des Todes, der aus offenen Gräbern stieg. Fox tat solche Ängste als barer Unsinn ab. Er ging eben an einer Reihe vergrabener Leichen vorbei, das war alles. Allerdings taten sie ihm leid, weil sie tot waren, und er konnte nur hoffen, daß sie drüben im Jenseits ein angenehmeres Dasein führten als er hier auf Erden. Als er durch den Friedhof marschierte, fielen ihm die Geschichten wieder ein, die er seinen kleinen Brüdern und Schwestern vor dem Einschlafen erzählt hatte. Er hatte ihnen erzählt, daß man demnächst Leichen ausgraben, die schönsten Glied102
maßen, Köpfe sowie Körper zusammensuchen, sie aneinanderfügen und diesen Wesen mit Hilfe von Mr. Watts Dampfmaschine neues Leben einhauchen würde. Leider hatten seine kleinen Geschwister nicht besonders gut geschlafen, wenn sie diese Geschichten gehört hatten. George Abercrombie Fox grinste, wenn er an die alten Tage daheim zurückdachte - an die Tage in jenem alten kleinen Haus, in dem er mit seinen Brüdern und Schwestern und mit seinen geliebten Eltern gelebt hatte. Er trat auf die Straße hinaus und überlegte, wo er ein Huhn stehlen konnte - und vielleicht auch eine Flasche Chianti, wenn er Glück hatte. Das Haus, das er aussuchte, stand klein, quadratisch und dunkel am Dorfrand. An die eine Wand grenzte ein gezäunter Hühnerhof. Fox schlich vorsichtig näher. Der Mond war aufgegangen, silbernes Licht spiegelte sich in den Fensterscheiben und legte sich wie feiner, heller Staub auf die Straße. Fox bereitete sich gerade zum Angriff auf den Hühnerstall vor, als Schritte auf der Straße ertönten. Dann klang eine schrille Stimme. „Santa Maria! Du verdammter Hurensohn! Erst nimmst du dir, was du brauchst, und dann bezahlst du nicht! Wenn du dich noch einmal hierher wagst, dann schneide ich dir die Kehle durch, das schwöre ich bei den gesegneten Beinen des Heiligen Petrus!" Eine andere Stimme antwortete in Italienisch mit französischem Akzent. „Besten Dank, ma chere! Du warst sehr süß ..." Die Worte erstickten in Gelächter, andere Soldatenstimmen fielen grölend ein. Entzückt lauschte Fox den wüsten Flüchen der weiblichen Stimme, die die französischen Soldaten begleiteten. Sie stolperten auf der Straße davon, ihre Schritte verklangen. Dieses Dorf befand sich also in französischer Hand. Wenn Fox Toskaner gewesen wäre, hätte er den betrunkenen Kerlen irgendwo aufgelauert und sie gnadenlos erstochen. Aber er war Engländer. Was ihn allerdings genauso verpflichtete, alles zu töten, was französisch war. Doch jetzt wollte er sich erst einmal auf sein Huhn konzentrieren. In dieser Nacht fand er nicht nur ein wohlgenährtes Huhn, 103
sondern auch eine massive Eisenstange, die am Tor des Hühnerhofs lehnte. Aber leider mußte er auf Brot und Wein verzichten. In einer geschützten Höhle entfachte er ein Feuer und briet sein Huhn. Nach dem Essen lehnte er sich an die Felswand und leckte sich das Fett von den Fingern. Morgen abend würde er die Tür des Mausoleums aufbrechen - und dann würde er zwischen verwesten Gebeinen seinen Schatz finden. Seinen Schatz Captain Louis Lebonnet hatte ihm die Planskizze gegeben, und deshalb war es sein Schatz. Als er am nächsten Abend in den Friedhof schlich, war seine kühle Gelassenheit, in vielen Schlachten erprobt, zitternder Erregung gewichen. Er zündete einen Ast an, sah sich um und genoß den erhebenden Augenblick. Schwarze Schatten flatterten über die Wände des Mausoleums, aber er verspürte nichts von der resignierenden Trauer, die zwischen den Mauern dieses Friedhofs hing. Für ihn begann jetzt ein neues, ein glücklicheres Leben, in dem kein Platz für den Gedanken an Tod und Verwesung war. Mit Hilfe der Eisenstange öffnete er die Tür des Mausoleums und trat ein. Mit bebenden Händen öffnete er den ersten Sarg ein Totenschädel, Leichentücher, Gebeine, Staub. Im nächsten Sarg fand er das gleiche. Ungeduldig trat er an das andere Ende des Mausoleums, öffnete den Deckel des letzten Sarges, starrte im Schein seiner Fackel hinein - und millionenfach spiegelte sich das Licht in funkelnden Steinen. Sein Schatz! George Abercrombie Fox' Schatz! Hier war er, hier glitzerte und schimmerte er, strahlte ihm in triumphierender Schönheit entgegen. Juwelengeschmückte Becher und Kelche, Kreuze, Buchhüllen. Er nahm eine Schüssel aus purem Gold aus dem Sarg, zwei Kreuze, deren Edelsteine wie Feuer blitzten, Ringe, Broschen, Reifen glitten aus einem Ledersack, den er hochhob, juwelenverzierte Spiegel und Kämme. Aber soviel er feststellen konnte, enthielt der Sarg keine einzige Münze. Natürlich, Captain Lebonnets Männer hatten den Schatz versteckt, aber die Münzen hatten sie mitgenommen, weil diese keinen Verdacht erregten. 104
Fox spürte, daß die Fackel seine Finger zu verbrennen begann und ließ sie fallen. Langsam ließ er den Deckel wieder auf den Sarg gleiten. Ob sich auch noch in anderen Särgen so unschätzbare Reichtümer befanden? Er ging hinaus, um sich eine neue Fackel anzuzünden. Aber in den anderen Särgen entdeckte er nur mehr Totenschädel und Gebeine - keine weiteren Schätze. Er überlegte, daß er zu großherzig veranlagt war, um das zu bedauern. Was er in dem einen Sarg gefunden hatte, war mehr als genug. Er war reich. Reich! Halb betäubt vor Glück kehrte er in seine Höhle zurück und wiegte sich in verlockenden Zukunftsträumen. Es dauerte lange, bis er in dieser Nacht einschlief. Am nächsten Morgen strich er über seine Bartstoppeln, rieb sich die Augen und kroch aus seiner Höhle. Am Stand der Sonne erkannte er, daß es bereits zehn Uhr sein mußte. Er blickte sich um. Drei Dorfbewohner schlichen auf ihn zu, mit Messern bewaffnet. Er wandte sich in die andere Richtung, und da sprangen zwei weitere Männer hinter einem Gebüsch hervor. Sie gingen auf ihn zu, mit wildentschlossenen Gesichtern. Wenn er jetzt davonlief, würde er alles verraten. Deshalb blieb er abwartend stehen. Die Wut, die in ihm kochte, zeigte sich nicht in seinem steinernen Gesicht. Ein älterer, bärtiger Mann, den eine Aura von Autorität umgab, zog eine Pistole und richtete sie auf Fox' Brust. „Hallo, Signor! Wir wissen, daß Sie schon seit drei Tagen in unserem Dorf herumlungern. Wir wollen mit Ihnen reden." Fox lächelte nicht, aber er verbeugte sich steif. „Gewiß, Signor. Ich stehe zu Ihrer Verfügung." 12. „Ich weiß, was Sie sind", sagte Maria und warf entschlossen das schwarze Haar in den Nacken. „Sie sind Engländer." Sie saßen in der Küche mit der niedrigen Decke, von Kochutensilien umgeben. Durch die offene Tür strömte Sonnenschein herein. Der Geruch von Zwiebeln und Fett hing in der Luft, auf dem Boden wälzten sich nackte Kinder. 105
Marias Vater, der grimmige, unbeugsame Patriarch des Dorfes, Signor Cosimo Trizzino, musterte Fox scharf. Fox riß seine Augen von dem rohgezimmerten Tisch los, auf dem neben einem Laib Brot und einem Butterkrug seine drei juwelengeschmückten Ringe lagen und die alte, massive Pistole, mit deren Mündung im Rücken er dieses Haus betreten hatte. Er seufzte tief auf. „Warum glauben Sie mir nicht, Maria?" Maria legte den Kopf schief. Sie trug eine weiße Faltenbluse, einen langen Rock, und ihre Füße waren bloß wie ihre Arme. Ihre Augen waren schwarz und unergründlich - die schönsten Augen, die Fox seit langem gesehen hatte. Ihr Anblick weckte sein Verlangen, trotz der mißlichen Lage, in der er sich befand. Sie war vielleicht neunzehn. In wenigen Jahren würde sie fett und formlos sein und womöglich auch noch einen Schnurrbart haben. „Sie sind ein Engländer. Ein Seemann - ich weiß es. Livorno ist zwar ziemlich weit weg, aber hier in Cavallo sind wir auch nicht so dumm, wie diese verdammten Franzosen glauben." „Franzosen!" Der alte Trizzino spuckte das Wort förmlich aus. „Wir sollten sie alle aufknüpfen und ihnen die schwarzen Diebsherzen aus dem Leib schneiden. Ihr General Macdonald wird nicht mehr lange durchhalten. Einmal haben wir die Franzosen schon geschlagen. Bald wird der große Herzog zurückkehren. Das hat uns der Papst persönlich versprochen. Wir jagen alle Franzosen aus unserem Land!" Fox kannte die derzeitige politische Situation nicht. Aber es war klar, daß sich die Franzosen in Schwierigkeiten befanden. Das war natürlich gut. „Wir werden sie bis an den Apennin zurücktreiben", sagte Trizzino. „Und dort werden sie verhungern." Natürlich würden die Franzosen in dieser Gegend bleiben, so lange es nur möglich war. Sie wußten, daß sie sich von der Bevölkerung alles nehmen konnten, was sie brauchten, während das korrupte Direktorium in Paris ihnen überhaupt nichts schickte. „Wenn die Österreicher kommen, müssen die Franzosen alle 106
sterben", sagte Maria. „Sie sind ein Engländer, Sie werden uns also helfen, wenn die Zeit dazu reif ist." „Ich habe nicht gesagt, daß ich ein Engländer bin", erwiderte Fox. Aber als er in Marias Augen sah, fühlte er, daß er nicht länger leugnen konnte, woran sie fest glaubte. „Und wenn ich Engländer wäre, was könnten wir tun?" „Die Franzosen sind Atheisten. Natürlich sind Sie auch ein Barbar, weil Sie ja ein Engländer sind, aber es gibt doch gewisse Unterschiede ..." „Ich bin sehr hungrig." „Wer ist das nicht?" „Hat das was mit dem Krieg zu tun?" „Nicht für mich", sagte Maria hastig. Ihr Vater griff nach der Pistole, fuchtelte damit in der Luft herum und schrie: „Krieg! Ja, wir müssen alle die französischen Schweine töten!" ,,Hier, Giorgio." Maria schob ihm Brot und Butter zu, und Fox stürzte sich gierig darauf. Während des Essens überlegte er, wie er aus dieser Situation Vorteile ziehen konnte. Vielleicht konnte er jetzt sogar den Schatz auf legale Weise an sich bringen. Wenn die Österreicher einen raschen Sieg erfochten, wenn sie die Franzosen vertrieben ... Die Toskaner standen ohnehin schon am Rand der Revolte, die hatten mit sich selbst genug zu tun und würden kaum auf ihn achten. Und er konnte sich neue Kleider und eine Kutsche kaufen und würde im Triumphzug heim nach England fahren. Was für eine Vorstellung! Cosimo Trizzino legte die Pistole auf den Tisch zurück und starrte Fox aus schmalen Augen an. Fox aß seelenruhig weiter. „Ich nehme an, Sie wollen für das Essen mit einem dieser Ringe bezahlen?" Trizzinos Stimme klang gefährlich sanft. Fox hob den Kopf. „Ja, daran habe ich tatsächlich gedacht." „Sie behaupten, daß Sie ein Neapolitaner sind. Aber Sie reden nicht wie ein Neapolitaner, wenn Sie auch wie ein Lazzaroni fluchen." Fox erschrak. Es war ihm nicht bewußt geworden, daß der alte Trizzino ihn auf dem Weg hierher hatte fluchen hören. „Ich kenne einen Fischer aus Sizilien, aus Palermo. Aber für 107
einen Sizilianer halte ich Sie nicht. Und was meine Tochter auch immer behaupten mag, ich halte Sie auch nicht für einen Engländer." „Doch, er ist ein Inglese", sagte Maria und schnitt sich eine Scheibe Brot ab. „An dem unglücklichen Tag, als die Franzosen in Rom einmarschierten, als sie Neapel besetzten, wurden wir nicht mit hineingezogen. Unser großer Herzog hielt sich heraus. Aber ein französisches Schiff zerschellte an unserer Küste. Die Franzosen wurden an Land gebracht und gepflegt. Ein paar von diesen verdammten Kerlen haben dann unsere Kirche geplündert." Der sterbende Captain Lebonnet hatte Fox also nicht die ganze Geschichte erzählt. Fox wußte genau, was im Kopf des Patriarchen vorging. Deshalb legte er sein häßliches Gesicht in ehrliche Falten, breitete die Arme aus und schluckte den Bissen Brot hinunter, den er gerade im Mund hatte. „Ich verstehe nicht, was das alles mit mir zu tun hat. Aber ich sehe ein, daß ich Sie nicht länger zum Narren halten kann. Maria hat recht, ich bin ein Engländer ..." „Da siehst du es!" rief Maria triumphierend. „Ich habe es dir doch gesagt, Vater!" „Ein Engländer?" Trizzino spielte mit seiner Pistole. „Vielleicht - vielleicht auch nicht. Vielleicht ist er doch ein Franzose." „Niemals!" rief Fox mit Achterdeckstimme. Maria und ihr Vater sprangen auf. „Wir werden die Wahrheit schon noch herausfinden. Aber vorläufig müssen wir Sie an einen sicheren Ort bringen." „Vater! Du willst ihn doch nicht einsperren?" „Und wie ich ihn einsperren werde, meine Kleine! Giuseppe soll ihn bewachen. Wir können nicht fischen gehen, weil diese verfluchten Franzosen... Die Franzosen! Dieser Gedanke erregte Trizzino, er spannte den Hahn der Pistole und starrte Fox wütend an. Fox bat im stillen seine Mutter um Verzeihung und fragte ruhig: „Und was geschieht mit den Ringen meiner Mutter?" „Die Ringe Ihrer Mutter?" Ein Schatten glitt über Marias Ge108
sicht. „Sie meinen, Ihre Mutter ist tot, und zur Erinnerung haben Sie diese Ringe aufbewahrt..." Bevor Fox noch etwas erwidern konnte, unterbrach Trizzino seine Tochter. „Seine Mutter - vielleicht. Vielleicht meint er aber auch unsere Mutter Kirche." „Er sagte doch, daß er einen Ring verkaufen will." „Das habe ich nur gesagt, weil Ihr Vater es vorgeschlagen hat, Maria", warf Fox ein. „Das stimmt." „Ein Mann muß schließlich was zum Leben haben." „Die Menschen müssen auch sterben, M'sieur", sagte Trizzino. „Ich bin kein Monsieur. Und ich habe keine Lust zu sterben." „Hol Giuseppe, Maria. Wir werden diesen Giorgio einsperren, und dann werden wir überlegen, was mit ihm geschehen soll." Maria ging zögernd zur Tür. „Ja, Vater." Ihr kindlicher Gehorsam war durch Fox sichtlich erschüttert worden. Giuseppe war einer der Männer, die Fox mit ihren Messern aufgelauert hatten. Er war ein großer, dunkelhaariger, wortkarger Mann, und man sah ihm an, daß er große Lust hatte, Fox sein Messer in den Bauch zu rennen. Fox konnte nur hoffen, daß sie das Päckchen mit seinen Messingknöpfen und der schwarzen Kokarde nicht fanden, das er in der Höhle zurückgelassen hatte. Denn in dem Päckchen befand sich auch die blutbefleckte Planskizze, die der französische Captain ihm gegeben hatte. Und wenn sie diesen Plan sahen, würde es keine Rolle mehr spielen, ob er ein Franzose, ein Engländer oder ein Italiener war. Die Mutter Kirche zu bestehlen, war für diese einfachen Leute ein unfaßbares Verbrechen. Und jeder, der dieses unwürdige Verbrechen beging, war ein Sünder, der auf keine Gnade hoffen durfte. Wenn diese Leute der Kirche nicht mit so blindem Gehorsam ergeben wären - aber Fox war jetzt nicht in der Lage, sich auf irgendwelche politischen oder religiösen Kontroversen einzulassen. Er stand mit einem Fuß im Grab, und das wußte er auch. Trizzino hatte ihn offensichtlich im Verdacht. 109
Er behielt die drei Ringe, die Fox aus dem Sarg im Mausoleum genommen hatte, und vielleicht ließ sich irgendwo die Herkunft dieser Ringe feststellen. Es sollte Fox nicht wundern, wenn die Kirche ihren Besitz katalogisiert hatte. Irgendwie mußte er fliehen und nach Livorno gelangen. Mit Giuseppes Messer im Rücken ging Fox um Trizzinos Haus herum und wurde in einen halbverfallenen Schuppen gesperrt. Natürlich könnte er mit diesem Giuseppe leicht fertig werden, ihm das Messer aus der Hand reißen und ihm die Kehle durchschneiden. Aber damit wollte er noch warten, bis er einen besseren Plan geschmiedet hatte, als nur ganz einfach den Rückzug anzutreten. Jedenfalls würde er nicht kampflos auf seinen Schatz verzichten. Er hatte noch nie im Leben so viel Reichtum auf einmal gesehen - und wahrscheinlich würde er auch nie wieder so viele wertvolle Schätze auf einem Fleck sehen, solange er nicht als Admiral eines Flottengeschwaders eine spanische Galione kaperte, die mit Gold und Juwelen beladen aus Amerika heimkehrte. Nein, er schuldete es seiner Familie und sich selbst, jetzt nicht klein beizugeben. Von Zeit zu Zeit fütterten ihn die Toskaner, und er wartete und überlegte, was sie wohl mit ihm vorhatten. Wahrscheinlich hielten sie zahllose Diskussionen ab. Wenn sie wollten, konnten sie ihn töten und irgendwo verscharren, und niemand außerhalb ihres kleinen Dorfes würde je erfahren, daß ein Engländer hier gewesen war. Natürlich mußten sie ihn zuerst einmal überwältigen, und das würde nicht so einfach sein. Aber sie würden es schaffen. Als Maria nach ihm sah, war er sehr höflich und versuchte, seiner in Wind und Wetter rauh gewordenen Stimme einen sanften Klang zu geben. Er mußte sie überzeugen, daß er ein Ehrenmann war, der niemals mit den Schätzen der Kirche davonlaufen würde. Maria zog ihren Schal eng um ihre Schultern und Brüste, als sie mit ihm sprach. Giuseppe stand draußen vor der Tür, der Schatten seines Messers fiel in die Lichtbahn, die die Sonne in den Schuppen warf. 110
„Sie wissen nicht, was sie mit Ihnen anfangen sollen, Giorgie." Sie stellte einen Teller mit Brotscheiben und fleckigen Oliven vor ihn hin, und er begann zu essen. „Ich bin ein einfacher, schiffbrüchiger Seemann. Alles , was ich brauche, ist ein Boot, damit ich davonsegeln kann." „Ein Boot! Genausogut könnten Sie nach einem goldenen Becher fragen." „Ein goldener Becher!" Er lachte heiser. „Seit wann hat unsereins goldene Becher gesehen?" „In den Kirchen hat es viele goldene Becher gegeben." „Sicher. Und die verdammten Franzosen haben wahrscheinlich alle gestohlen." „Ja." Fox biß ein Stück Brot ab, Maria sah ihn an, in ihren schönen dunklen Augen stand Mitleid. „Die Franzosen sind in unsere heiligen Kirchen eingebrochen", sagte sie, „haben alles entweiht, haben die Juwelen von den Statuen genommen, die goldenen Kelche gestohlen, die schönen Meßbücher - alles. Wir waren alle sehr traurig." „Da müssen die Priester aber bitterlich geweint haben!" „Verstehen Sie das nicht? Haben Sie denn kein Herz im Leib?" „Ich verstehe es sehr gut", log Fox. Und während er das Mädchen anstarrte, während er das Versprechen ahnte, das unter der dünnen Bluse und dem weiten Rock lag, schloß sich ein rotschwarzer Kreis um sein linkes Auge. Sie stand vor ihm, mit keuchendem Atem, die Hände vor der Brust zusammengepreßt, die Wangen glühend rot. „Aber wenn ich mir vorstelle, daß all die goldenen Kelche und Juwelen in den Kirchen herumliegen, während draußen die Menschen verhungern... Ist das die richtige Art, den Glauben an Gott zu predigen?" Er hatte sich mitreißen lassen und alle Vorsicht vergessen. „Können Sie das denn nicht begreifen, Giorgio? Wir haben ein hartes Leben, das stimmt. Wir bebauen unser Land, wir fischen, unser Leben ist eine endlose Plage. Und dann ziehen wir am Sonntag unsere schönsten Kleider an und gehen in die Kirche. Wir sehen ihren Reichtum, ihren Glanz ..." 111
„Und die fetten kleinen Priester murmeln Worte, die keiner versteht, drohen euch mit der Hölle und ewiger Verdammnis, nur weil ihr Menschen aus Fleisch und Blut seid ..." „Giorgio!" Maria hielt sich mit beiden Händen die Ohren zu. Fox seufzte tief auf. Was für ein Narr er doch war! Da stieß er Leute vor den Kopf, in deren Händen sein Leben lag, statt den Mund zu halten und auf ihre Milde zu hoffen. Er trat vor und legte Maria die Hände auf die Schultern. Ihr gerötetes Gesicht war dicht vor dem seinen. „Sie können glauben, woran Sie wollen, Maria. Das ist Ihr gutes Recht. Aber ich habe erlebt, wozu die Religion imstande ist. Sie kann die Menschen verderben, zu wilden Verbrechern und verrückten Fanatikern machen ..." Er schüttelte sie sanft. „Sie sind zu jung und zu schön, um in die Falle zu gehen, Maria." Ihre Lippen zitterten. Fox mußte sich gewaltsam zusammenreißen, sonst tappte er womöglich noch selbst in die Falle und geriet in eine Situation, in der es nur mehr zwei Alternativen gab. Entweder er heiratete Maria und würde ständig den alten Trizzino mit seiner Pistole vor Augen haben, oder sie schlugen ihn nieder und verscharrten ihn. Er schob Maria von sich. Sie zitterte am ganzen Körper wie im Fieber, sah ihn durch ihre gesenkten Wimpern an, und er spürte ein Prickeln, das über sein Rückgrat lief. „Wenn Sie wüßten, wo der Schatz ist, Giorgio ..." Sie atmete schwer, die Brüste unter dem dünnen weißen Stoff hoben und senkten sich. „Wenn Sie es wüßten - dann würden Sie es uns sagen, damit wir der Kirche ihr Eigentum zurückgeben könnten, nicht wahr?" Fox warf den Kopf zurück und brach in lautes Gelächter aus. „Woher soll ich das denn wissen? Woher soll ich wissen, wo dieser verdammte Johnny Crapaud den Schatz versteckt hat?" Als er Fox' satanisches Lachen hörte, stürzte Giuseppe mit gezücktem Messer in den Schuppen. Maria wich zurück und stieß einen leisen Schrei aus. Fox warf sich Giuseppe entgegen entwand ihm geschickt das Messer und streckte ihn mit einem Fausthieb an der Schläfe zu Boden. Maria starrte entsetzt auf die reglose Gestalt, beide Hände an der Kehle. 112
„Ich tue Ihnen nichts, Maria." Sie schüttelte wie betäubt den Kopf. Und weil er George Abercrombie Fox war, tat er wieder einmal das Unerwartete. Er ließ das Messer fallen und ging langsam auf Maria zu, die ihn mit großen glänzenden Augen ansah. Sanft umspannte er ihre Handgelenke, bog ihr die Arme auf den Rücken, preßte seine Lippen auf die ihren. Ihr Mund war warm und weich - und so leidenschaftslos wie ein Eisberg. Er ließ ihre Arme los und trat zurück. „Das hat nichts zu bedeuten, Maria ..." begann er. Aber da warf sie sich an seine Brust, schlang die Arme um seinen Hals und küßte ihn mit heißen, verlangenden Lippen. Für einen kurzen Augenblick war Fox vor Überraschung wie erstarrt. Aber dann erwiderte er ihren Kuß mit einer Glut, die ihrer Leidenschaft entsprach. Er preßte sie an sich, fühlte die weichen Rundungen ihres Körpers, wilde sündige Gedanken schossen durch seinen Kopf ... Es war Fox, der sich von der Umarmung losriß und mit zitternden Fingern über die Lippen wischte. „Giorgio", flüsterte sie und streckte ihm beide Hände entgegen. „Maria - das ist Wahnsinn." Er wußte nicht, wie er es ihr erklären sollte, er wußte nur, daß er diesem Mädchen wehtun mußte. Und sie war so schön und zauberhaft. Giuseppe richtete sich stöhnend auf, und Fox half ihm auf die Beine. Maria zog die Bluse zusammen, die sich über ihrer Brust geöffnet hatte. Fox starrte sie an, um sich ihr Bild einzuprägen, um sich eine Erinnerung für künftig dunkle Nächte zu bewahren. „Du - Teufel!" stieß Giuseppe keuchend hervor. „Ich dachte schon, du wolltest mich erstechen, Giuseppe", sagte Maria ruhig. „Du solltest vorsichtiger sein." Sie stand hoch aufgerichtet da, ihr Gesicht war seltsam starr. „Wenn Sie mit den Franzosen fertig werden wollen, müssen Sie geschickter sein, Giuseppe", sagte Fox. Giuseppe griff sich stöhnend an den Kopf, dann ließ er sich auf die Knie nieder, um nach dem Messer zu suchen. Fox beob113
achtete ihn aus schmalen Augen. „Wenn ich fliehen wollte, dann hätte ich das getan, solange Sie bewußtlos waren, Giuseppe. Aber ich habe es nicht getan, ich bin immer noch hier. Beweist das nicht, daß ich kein Franzose bin?" „Vielleicht - ich muß es dem Patron sagen." Bei diesen Worten zuckte Maria zusammen. Sie wandte sich ab und ging hinaus, ohne Fox noch einen Blick zu schenken. Auch Giuseppe verließ den Schuppen, schlug die Tür hinter sich zu, und Fox blieb allein im Dunkel, allein mit seinen Gedanken und Überlegungen, welche Fehler er begangen hatte. Giuseppe wußte nicht, was zwischen Maria und Fox geschehen war. Maria! Noch immer glaubte er die Wärme ihres Körpers an den Händen zu spüren. Er hatte sich von ihrer Leidenschaft hinreißen lassen - oder er hatte sich gerade noch im letzten Augenblick beherrscht. Nicht auszudenken, wenn er die Tochter des Patriarchen heiraten müßte. Die Tür flog auf, Signor Trizzino stand vor ihm, die Pistole in der Hand. Fox blinzelte in den grellen Sonnenschein. Jetzt war es so weit. Jetzt würde sich entscheiden, ob er heiraten oder sterben mußte. Trizzino bedeutete ihm mit der Pistole, den Schuppen zu verlassen. „Die Franzosen wollen Cavallo verlassen", sagte er. „Am Hafendamm wartet eine Felucke mit britischen Seeleuten - Gefangenen. Die werden wissen, ob Sie ein Engländer sind oder nicht." Rote Kreise begannen sich vor Fox' Augen zu drehen. Die Raccoons! Unterwegs in ein französisches Gefängnis! Sie waren hier - in der Felucke! Und sie warteten darauf, daß ihr Captain wieder das Kommando übernahm. Jetzt würde ihn keine Macht der Welt mehr daran hindern, sich den Schatz zu holen. 13. Vater Boniface war der Typ eines Priesters, der es Fox schwer machte, seine Abneigung gegen diesen Berufsstan zu festigen. 114
Er war hager und asketisch, und auf seinem Gesicht lag ein resignierender Ausdruck, der verriet, daß ihm nichts Menschliches mehr fremd war. Er strahlte Güte aus, aber auch unbeugsamen Gerechtigkeitssinn. Und er unterschied sich gewaltig von den fetten, korrupten Priestern, die Fox zur Genüge kennengelernt hatte. Sie hatten bis spät in die Nacht hinein diskutiert. Trizzino hatte Fox wieder in die Küche geführt, und da hatte Vater Boniface am Tisch gesessen. Fox hatte hartnäckig behauptet, keine Ahnung zu haben, wo sich der Schatz befinden könnte. Aber da hatte ihm der Priester den Rubinring unter die Nase gehalten und ihm erzählt, daß er aus dem Kirchenschatz von Saint Augustine in Carmelo stammte. Fox hatte erklärt, das könne nicht sein, da sein Vater den Ring für seine Mutter in London gekauft habe. Trizzino saß dabei, die Pistole auf den Knien, und schlief kein einziges Mal ein. Die Luft in der Küche wurde schal und abgestanden, Fox' Kopf begann zu dröhnen. Aber sein Gesicht blieb unbewegt, und er
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wiederholte geduldig, daß er nicht wisse, wo der Schatz versteckt sei. Vater Boniface lehnte sich seufzend zurück. Cosimo Trizzino stand auf, legte die Pistole auf den Tisch und holte Wein für den Priester. Vater Boniface trank einen kleinen Schluck, dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder dem Engländer zu. „Ich weiß, daß dieser Ring meinen Brüdern in Christo gehört. Aber natürlich können sie sich auch geirrt haben. Sie scheinen ein Ehrenmann zu sein, mein Freund. Sie machen einen harten, verbitterten, unnachgiebigen Eindruck. Aber ich kann auch Dinge in Ihnen sehen, die anderen Menschen verborgen bleiben - Eigenschaften, von denen vielleicht nicht einmal Sie selbst wissen, daß Sie sie besitzen." Fox starrte die Weinflasche an, und Vater Boniface schob sie mit einer resignierenden Geste beiseite. „Wir haben allen Grund zu der Annahme, daß die Franzosen den Schatz hier irgendwo in der Nähe vergraben haben. Sie tauchen hier auf - ein Fremder. Sie treiben sich im Dorf herum, und als stichhaltigen Beweis findet man auch noch drei Ringe bei Ihnen, deren einer aus dem verschwundenen Kirchenschatz stammt." „Und die beiden anderen?" Trizzino hielt den Atem an. Er hatte es längst aufgegeben, Fox zu zwingen, den Priester mit „Vater" anzureden. Aber der Affront erregte ihn jedesmal, wenn Fox das Wort an Vater Boniface richtete. Boniface schüttelte den Kopf. „Die beiden anderen Ringe konnten nicht identifiziert werden." „In London kann man sie leicht identifizieren", erwiderte Fox kühl. „Vielleicht ist es nur eine Frage der Zeit, daß man auch hier feststellen kann, wem sie gehören." Fox wußte, daß er zuviel Zeit verschwendet hatte. Ein Widerstreben, Trizzino niederzuschlagen, fesselte ihm die Hände. Giuseppe stellte kein Problem dar. Er hörte vielleicht immer noch die Glöckchen im Kopf bimmeln, wo ihn Fox' Faust getroffen hatte. 116
„Sie haben mir erzählt, daß die Franzosen die Gegend verlassen wollen, Cosimo", sagte Fox. „Die Engländer in der Felucke sind meine Männer, ich bin ihr Kommandant. Und ich werde sie aus der Gewalt der Feinde befreien. Sie können mir dabei helfen oder es sein lassen - ganz, wie Sie wollen. Über den Schatz habe ich nichts mehr zu sagen. Ist das klar?" Cosimo Trizzino tobte vor Wut, und es kostete Boniface einige Mühe, ihn zu beruhigen. Fox kehrte wieder in seinen Schuppen zurück, um noch ein paar Stunden Schlaf zu finden. Schon im Morgengrauen stand er wieder auf, entschlossen, allen Widerstand zu brechen, den Trizzino ihm bieten mochte. Aber der Patriarch schien zu resignieren. „Sie müssen wirklich ein Engländer sein, Giorgio. Denn Sie sind verrückt. Die Engländer sind alle verrückte Barbaren." Fox griff nach der Hand des Toskaners. „Ihr Land wird seine Freiheit wiedererlangen, Cosimo. Sie werden die Franzosen vertreiben, das weiß ich ganz sicher." Fox war fest entschlossen, sich in den Kampf mit den Franzosen zu stürzen, und Trizzino hielt ihn nicht zurück. Zuerst ging er in seine Höhle. Nachdem er sich vergewissert hatte, daß ihn niemand beobachtete, holte er das kleine Päckchen mit den Messingknöpfen und der Kokarde hervor. Er vernichtete den blutbefleckten Plan, den ihm Captain Louis Lebonnet gegeben hatte. Der Zettel hatte seinen Zweck erfüllt. Fox hütete sich, in die Nähe des Friedhofes zu gehen, denn er war sicher, daß ihm neugierige Blicke folgten. Er stieg zum Hafendamm hinab und blickte sich vorsichtig um. Am nächsten Morgen würden die Franzosen aufbrechen. Die Österreicher und die Toskaner hatten sie besiegt, und die Franzosen konnten von Glück reden, daß sie sich nicht in die Apenninen zurückziehen mußten, sondern in ihre Heimat segeln konnten. Fox beobachtete die Wachtposten und prägte sich ihren Standort ein. Die Felucke lag am Hafendamm vertäut. Die Toskaner hatten Fox erzählt, daß die Franzosen ihre britischen Gefangenen gezwungen hätten, das Boot auzubessern. Jetzt war alles still, nur ein paar Lampen brannten an Bord. Die Wachtposten marschierten auf und ab und riefen sich in regelmäßigen Abstän117
den zu, daß alles in Ordnung sei. Fox schlich näher heran. Seine Männer befanden sich an Bord der Felucke, besiegt und niedergeschlagen. Bevor sie sich der Felucke bemächtigten und die Flucht ergriffen, mußte er sie erst einmal an Land holen. Er wartete, bis ein Wachtposten an ihm vorbeimarschiert war, dann sprang er an Bord der Felucke und versteckte sich in den Schatten auf dem Vorderdeck, bis der Posten am Ende des Bootes kehrtmachte und zurückkehrte. Lautlos stieg er durch die Luke und den Niedergang hinunter und flüsterte in das Dunkel: „Seid ganz still, ihr schwarzen Bastarde! Sonst ziehe ich euch morgen die Haut über den Hintern!" Grinsend fragte er sich, was jetzt wohl in den Köpfen der Männer vorging. Da hockten sie im Dunkel, Gefangene der Franzosen, und plötzlich erteilte ihnen eine nur zu vertraute, heisere Simme Befehle. Fox war überzeugt, daß einige vor Staunen nach Luft schnappten. „Seid ganz leise!" knurrte er. „Parsons, bringen Sie alle Säcke nach oben, die Sie finden können. Mr. Carker, darf ich Sie bitten, an Deck zu kommen - aber möglichst lautlos! Mr. Hogan, Sie bleiben an Bord und tun so, als sei nichts passiert. Mr. Grey, hören Sie auf, so unverschämt zu grinsen, und steigen Sie an Deck, damit ich Sie sehen kann." George Abercrombie Fox amüsierte sich köstlich. Natürlich konnte er Grey nicht sehen. Aber er war überzeugt, daß dieser Satansbraten grinste. Der Gedanke, daß einer der Männer, die er angesprochen hatte, vielleicht tot sein könnte, kam ihm gar nicht. So grausam konnte das Schicksal nicht einmal George Abercrombie Fox behandeln. Und da bewegten sich Carker und Grey auch schon auf ihn zu, dicht gefolgt von Barnabas und Ben Ferris. Die anderen drängten nach, stumm und keuchend, schwarze Gestalten in der Nacht - Wilson und Hampton und Slattery und Parsons mit einem Stapel Säcke auf der Schulter. „Daß ich keinen Laut höre!" flüsterte Fox und ging voran. Einer nach dem anderen sprang auf den Hafendamm, mit bloßen 118
Füßen, um kein Geräusch auf dem harten Kies zu verursachen. Als der Wachtposten ihnen gerade den Rücken zuwandte, glitten sie rasch in die Schatten der Büsche, die am Ufer standen. Bis auf Mr. Hogan waren jetzt alle von Bord der Felucke gegangen. Die Franzosen hatten das Boot repariert, eine neue Großrah mit Lateinersegel errichtet, einige Spieren erneuert. Sie hatten das Heck ausgebessert, und ein neues Steuerruder hing in seinen Augbolzen. Aber nach dem Zustand des Decks zu schließen, hatten die Franzosen sonst nicht viel getan. Was sie getan hatten, genügte aber. Die Felucke sollte die französische Garnison wegbringen. Das bestätigten die ersten Worte Greys, nachdem er seiner unbändigen Freude Ausdruck verliehen hatte. „Sie haben uns zur Arbeit angehalten, Sir. Sie sagten, sie würden uns alle über Bord werfen, wenn wir nicht gehorchten ..." Fox hatte die Männer gezählt, als sie an Land gesprungen waren. „Wer fehlt, Mr. Carker?" „Williams und Laughton, Sir." Sie gingen leise durch die stillen Straßen, die Fensterläden waren geschlossen. „Sie wurden beim letzten Angriff der Franzosen getötet - als Sie auch getötet wurden, Sir - oh, Verzeihung!" „Ja", sagte Fox. „Ich bin ein abscheulicher Geist, der gekommen ist, um euch das Fürchten zu lehren. Und jetzt gehen wir auf den Friedhof..." Erschrocken brach er ab. Erst jetzt fiel ihm auf, daß keiner der Männer besonders überrascht gewesen war, ihn wiederzusehen. Aber sie hatten doch gesehen, daß er über Bord fiel, von einem Musketenlauf getroffen. Sie mußten geglaubt haben, daß er ertrunken sei. Waren sie so fest überzeugt gewesen, er müsse aus dem Totenreich wiederkehren, daß sein Anblick sie nicht im mindesten erstaunte? Jetzt erwarteten sie jedenfalls von ihm, daß er Wunder vollbrachte. Das war sicher. Gelegentlich waren Schüsse oder Schreie zu ihnen gedrungen, als sie durch die dunklen Gassen gingen. Die Franzosen konnten natürlich nicht hoffen, daß sie am nächsten Mor119
gen so einfach und ungeschoren verschwinden konnten. Die Dorfbewohner würden ihnen den Abschied keineswegs versüßen. Fox war überzeugt, daß am nächsten Morgen mehr als ein Franzose mit durchschnittener Kehle im Straßenstaub liegen würde. Er befahl seinen Männern mit leiser Stimme, anzuhalten. Feuerschein erhellte die Nacht, die schwarzen Silhouetten der Häuser hoben sich von der Glut ab. Fox runzelte die Stirn. Das konnte alle seine Pläne über den Haufen werfen. Keiner seiner Männer hatte bisher gewagt, Fragen zu stellen,wohin sie gingen, warum Fox sie von Bord der Felucke geholt hatte. Daß er Hogan zurückgelassen hatte, bedeutete, daß er auf die Felucke zurückkehren wollte. Das genügte ihnen. Außerdem wußten sie, daß sie eine empfindliche Strafe erwartete, wenn sie unaufgefordert sprachen. Trotzdem wagte es Grey, mit heller Stimme zu fragen: „Wir gehen auf einen Friedhof, Sir?" „Still!" stieß Fox hervor. Lärm aus der Richtung von Trizzinos Haus drang zu ihm. Keiner seiner Männer war bewaffnet. Ein paar solide Keulen und Giuseppes Messer kämen ihm jetzt sehr gelegen. Er führte seine Leute weiter, aber an der nächsten Ecke blieb er stehen und zischte Carker zu: „Wartet hier!" „Ave, aye, Sir." Er ging auf Trizzinos Haus zu, und jetzt hörte er deutlich den Kampfeslärm hinter den Mauern. Ein schriller Schrei - und dann folgte tiefes Schweigen. Er erreichte die Küchentür und riß sie auf. Das Lampenlicht blendete ihn, und es dauerte einen Moment, bis er alles deutlich sehen konnte. Der Schrei mußte der letzte Laut gewesen sein, den Giuseppe von sich gegeben hatte. Jetzt lag er in seinem Blut, sein Messer steckte in seiner Brust. Zwei lachende Soldaten hielten Cosimo Trizzino fest, zwei weitere umklammerten Marias Arme. Ihre Bluse war zerrissen, ihre Brüste schimmerten im Lampenlicht, sie war schöner denn je. Ein dritter Franzose riß ihr den Rock vom Leib. Die anderen beobachteten grinsend die Bemühungen ihres Kameraden. Fox stürzte sich auf ihn, warf ihm von hinten den Arm um 120
den Hals, riß ihn zurück und brach ihm das Genick. Die beiden Soldaten, die Maria festhielten, starrten ihn entsetzt und ungläubig an. Dann ließen sie die Arme des Mädchens los und warfen sich auf Fox. Er empfing den ersten mit einem Fußtritt in den Bauch. Stöhnend brach der Soldat zusammen. Vor dem dritten wich er zurück, dann sprang er vor, seine Faust traf den Mann hart an der Schläfe, gurgelnd ging der Franzose in die Knie. Cosimo wandte sich verzweifelt im Griff seiner Feinde. Die beiden Franzosen ließen ihn los und zogen ihre Säbel. Fox sprang zu dem Toten, dem er das Genick gebrochen hatte, riß ihm den Säbel aus der Scheide und parierte den ersten Hieb. Geschickt wich er dem Angriff des zweiten Franzosen aus, focht erbittert, während Trizzino unter den Tisch kroch und Maria wie erstarrt mit zerfetzter Bluse und zerrissenem Rock im Lampenlicht stand. Fox hieb dem einen Franzosen ein Ohr ab. Der brüllte wütend auf und ließ seinen Säbel fallen. Dann wirbelte Fox zu dem anderen herum und konnte gerade noch einem Hieb ausweichen, der seiner Brust gegolten hatte. Dann stürzten vier weitere Franzosen in die Küche. Sie schrien auf, als sie Fox sahen, und warfen sich auf ihn. Trizzino kroch unter dem Tisch hervor, seine alte Pistole in der Faust. Das Ding explodierte wie eine 9-Pf ünder-Kanone. Ein Franzose taumelte zurück, seine weiße Weste färbte sich purpurrot. Im selben Augenblick durchbohrte Fox' Säbel die Brust eines anderen Feindes. Zögernd wichen die Franzosen an die Tür zurück. Fox brüllte: „Raccoons!" Und dann focht er um sein Leben. Er hatte sich nie für einen guten Fechter gehalten. Der Degen eines Gentlemans war keine Waffe, die zu ihm paßte. Er bevorzugte einfache Säbel, wenn es galt, sich eines Feindes zu entledigen. Und je weniger kunstfertig der Kampf war, desto lieber war es ihm. Aber er wußte, daß er sich die Franzosen nicht lange vom Leib halten konnte. Sein Arm ermüdete nicht, aber es fiel ihm immer schwerer, die Hiebe zu parieren. Ein Degen zischte an seinem Ohr vorbei. Er holte tief Luft, wehrte den nächsten Hieb ab, und dann zerschnitt er das Ge121
sicht eines Franzosen, der schreiend und blutüberströmt zurückwich. Ein anderer griff ihn an, und mit einem gewaltigen Hieb zerbrach Fox den Degen seines Gegners. Barnabas erschien in der Tür, stürzte sich mitten zwischen die Franzosen, stieß einen Degen beiseite, packte einen Franzosen, hob ihn hoch und schleuderte ihn mit aller Kraft auf seine Kameraden. Als sie zu Boden stürzten, drängten die anderen Raccoons herein, und der Kampf war entschieden. „Fünf!" hörte Fox eine heisere Stimme schreien. „Dieser Wahnsinnskerl hat fünf Franzosen erledigt! Fünf Schneckenfresser hat der alte Foxey geschafft, bevor er uns gerufen hat!" Ein Toskaner steckte den Kopf zur Tür herein und rief: „Die Franzosen formieren sich! Sie marschieren auf das Dorf zu! Sie werden uns alle töten!" Der alte Trizzino hatte sich schützend vor seine Tochter gestellt. Maria sah Fox aus blitzenden Augen an. „Sie haben Ihre Männer befreit, Giorgio. Warum segeln Sie jetzt nicht einfach davon?" Fox schüttelte den Kopf. Alle seine Pläne hatten sich zerschlagen. „Wir müssen uns beeilen!" rief Cosimo Trizzino. „Die Franzosen werden keine Gnade kennen." Er machte eine vage Geste in die Richtung der Toten. „Wenn sie das sehen." Barnabas sammelte die Degen der Franzosen ein und verteilte sie an die Raccoons. Ben Ferris nahm sich Giuseppes Messer. „Warum sind Sie zurückgekehrt, Giorgio?" Was in der Küche in diesem Augenblick geschah, schien Maria nicht zu interessieren. Sie sah nur Fox. „Sie sind mit Ihren Männern zurückgekehrt, weil..." „Nein!" „Maria, wir haben jetzt keine Zeit, uns lang und breit zu unterhalten", sagte Trizzino. „Pack ein paar Sachen zusammen, wir müssen schleunigst verschwinden." Aber Maria achtete nicht auf ihren Vater. Sie sah in Fox' Augen, und er war außerstande, sich von diesem Blick loszureißen. Er spürte, wie ihm die Situation entglitt, und er konnte nichts dagegen tun. Carker baute sich salutierend vor ihm auf, in ge122
rader Haltung, als müßte er an Deck eines 74-Kanonen-Schiffs seinem Kommandanten Bericht erstatten. „Die Männer sind bereit, Sir. Alle sind bewaffnet." „Sehr gut, Mr. Carker. Die Leute sollen sich draußen formieren. Sorgen Sie dafür, daß Parsons die Säcke mitnimmt." Bei diesen Worten stieß Maria einen schrillen Schrei aus und zeigte anklagend auf Fox' Brust. Die Seeleute hielten den Atem an, aber noch bevor Maria etwas sagen konnte, schrie Fox mit voller Lungenkraft: „Mr. Carker! Führen Sie die Männer hinaus!" „Aye, aye, Sir." Die Männer drängten sich hinaus, und Maria starrte Parsons' Säcke an, bis er in der Nacht verschwunden war. Natürlich hatte sie Fox' in englischer Sprache erteilten Befehle nicht verstanden. Aber sie begriff auch so, was Parsons' Säcke zu bedeuten hatten. Noch immer gelang es Fox nicht, seine Blicke von ihr loszureißen. In königlicher Haltung stand sie da, den schönen Körper kaum von den Stoffetzen verhüllt, und streckte ihm beide Arme entgegen. „Giorgio!" Flehte sie um Liebe - oder um den Schatz? Er traf seine Entscheidung. Dieses Mädchen, so schön und begehrenswert es auch war, zählte nichts im Vergleich zu seiner Familie. Er lüftete seinen formlosen Hut, verbeugte sich leicht und ging hinaus. „Vorwärts!" sagte er zu seinen Männern. Der Nachthimmel reflektierte orangefarbenen Feuerschein. Schreie drangen aus den Häusern. Fox zweifelte nicht, daß der alte Cosimo Trizzino sich und seine Tochter in Sicherheit bringen würde, bevor die Franzosen auftauchten. Und dann verbannte er jeden Gedanken an Maria aus seinem Sinn. Jetzt mußte er sich auf den Schatz konzentrieren. Dunkle Gestalten bewegten sich in der Nacht, und Ben Ferris, der den Trupp anführte, schrie: „Franzosen, Sir!" „Versteckt euch in den Schatten!" Die Raccoons verschmolzen mit den tiefen Schatten am Straßenrand, wo die Häuser sich schutzsuchend aneinanderschmiegten. Irgend jemand schlug über Fox' Kopf einen Fen123
sterladen zu. Er zuckte zusammen, als der plötzliche Krach in seinen Ohren gellte. Die Franzosen rückten aus der Richtung des Hafendamms heran, aber Fox erkannte, daß sie nicht durch diese Straße marschieren würden. Fluchend führte er seine Männer durch eine Schmale Gasse zwischen zwei Häusern. Sie erreichten den Dorfrand, offenes breites Land breitete sich vor ihnen aus, in Schwarz gehüllt, das im Kontrast zu dem Feuerschein noch tiefer als sonst wirkte. Die Zeit rann Fox davon. Sie mußten den Friedhof erreichen und in das Mausoleum eindringen. „Irgend jemand folgt uns, Sir", meldete Grey. „Verdammt!" Er wußte, wer das war. Und er hatte nur eine kleine, armselig bewaffnete Streitmacht zur Verfügung. Die Dorfbewohner würden sich auf Fox und seine Männer stürzen, falls die Franzosen sie nicht alle getötet hatten. Dafür würde Cosimo Trizzino sorgen. Und Vater Boniface würde ein Dankgebet sprechen, wenn seine Gläubigen die Leichen der Engländer von dem Kirchenschatz wegzerrten. Der Gedanke schnitt wie ein schmerzendes Messer in Fox' Brust. Sein Schatz! Nein ... Nein! Es war niemals sein Schatz gewesen. So großartige Reichtümer hielt das Schicksal nicht bereit für einen Mann wie George Abercrombie Fox. Wenn er den Schatz auch nur berührte, würden seine Männer sterben müssen. Er könnte die Franzosen besiegen. Mit einer tollkühnen Schar von Desperados wie den Raccoons könnte es ihm gelingen, sich den Weg freizukämpfen, den Schatz davonzuschleppen. Aber die Toskaner? Fox beschloß, daß er nicht aus einer weichen Regung wie Mitleid heraus auf den Schatz verzichtete. Nein - er tat es, weil die Dorfbewohner ihn und seine Leute sonst töten würden. Er mußte sich zwischen dem Schatz und seinen Männern entscheiden. Er selbst könnte vielleicht mit einem Teil des Schatzes im Schutz der Nacht entkommen. Von den Juwelen konnte er eine Zeitlang leben. Wieviel er dann davon mit nach England nehmen würde, das war allerdings eine andere Frage. Aber wenn er sich auf dieses Wagnis einließ, mußten einige seiner Männer sterben. Er mußte wählen - zwischen den Raccoons und der winzi124
gen Chance, einen Teil des Schatzes nach England schaffen zu können. Aber weil er George Abercrombie Fox hieß, konnte es nur eine Entscheidung geben. „Umkehren!" rief er. „Alle Mann an Bord der Felucke! Mr. Hogan wird es geschafft haben, die Franzosen davon zu überzeugen, daß ihr noch immer alle unter Deck seid. Los!" In einem wilden Durcheinander von gleitenden Schatten, zuckenden Flammen, beißenden Rauchschwaden, schreienden Frauen und kämpfenden Franzosen traten die Raccoons den Rückzug an. Pistolen krachten, Bajonette klirrten, und all den Lärm übertönte der Kriegsruf des toskanischen Fischer und Dorfbewohner. „Viva Maria!" Der Traum der Weltherrschaft, aus der französischen Revolution, erlitt in diesem Jahr 1799 einen schweren Rückschlag. Und Cavallo war nicht das einzige kleine Dorf, in dem die Schreie sterbender Franzosen in „Viva-Maria"-Rufen untergingen. In wirrem Haufen stürmten die Raccoons auf den Hafendamm. Die Franzosen, die sich ihnen in den Weg stellten, wurden niedergestochen. Dorfbewohner drängten sich am Strand, hielten Trophäen ihres Triumphes hoch. Trizzino war da, mit noch einer zweiten Pistole bewaffnet - mit einer französischen. Maria war da und trug einen Säbel wie eine Standarte vor sich her. „Geht an Bord!" schrie Fox. „Wir legen ab! Werft die Festmacher los! Die Segel setzen!" Er spürte die Decksplanken unter den Füßen, und plötzlich war der Wunsch übermächtig in ihm, davonzusegeln, sich von allen Lockungen loszureißen, die Cavallo für ihn bereithielt. Wild zuckten die Flammen aus den Häusern, die den Hafendamm säumten, und hüllten die Szenerie in unheimliches Licht, in dem jeder Kopf wie ein Totenschädel wirkte. „Giorgio!" Sie stand am Rand des Damms, hielt ihren Säbel hoch. Hinter ihr spannten die Dorfbewohner die Hähne französischer Musketen, das orangefarbene Licht verwandelte ihre Gesichter in monströse Fratzen. 125
„Giorgio!" „Es war nichts zwischen uns, Maria - gar nichts!" Carker trieb die Männer an, eine frische Brise blähte das Focksegel, als es am Mast hochglitt. „Der Schatz, Giorgio! Er gehört uns! Er bringt Schönheit und Freude in unser Leben. Verstehst du das nicht? Giorgio, ich flehe dich an ..." Die Musketen richteten sich auf ihn, als ein Mann mit militärischem Schnurrbart den Arm hob. Maria stand allein, ihr Schal flatterte im auffrischenden Wind von den Schultern, die Flammen schienen ihre Gestalt in flüssige Bronze zu tauchen. „Du bist ein Engländer, Giorgio - du begreifst das nicht. Wir brauchen den Glauben an etwas Schönes, um unser Leben zu ertragen. Und unser Leben kann sehr hart sein, Giorgio ..." Er hob seine Stimme, die Stürme und Donner durchdringen konnte. „Cavallo! Der Leichnam dort im Mausoleum auf dem Friedhof ist reich geschmückt - reicher, als du dich jemals in deinem Leben wirst schmücken können, Maria!" Sie senkte den Säbel, und wie auf Kommando senkte sich hinter ihr auch die Reihe der Musketen. Die Felucke wurde vom Hafendamm abgestoßen. Ben Ferris legte die Steuerpinne herum, Carker schrie einen Befehl, die Trossen wurden eingeholt, auf den Segeln tanzten orangefarbene Lichter und warfen Spiegelbilder auf die dunklen Wellen, die wie Münzen glitzerten. So segelte Fox davon. Er blieb auf dem Deck stehen, bis der letzte flammendrote Schein hinter dem Horizont verschwand. Dann ging er in die kleine Kajüte, und niemand wagte es, das Wort an ihn zu richten. Sie würden ihm gehorchen, seine kleine Schar von Desperados. Ihnen zuliebe hatte er den wichtigsten Grundsatz seines Lebens verleugnet. Er konnte es kaum glauben. Wenn er auch angesichts zwingender Gründe gehandelt hatte, angesichts drohender Musketenmündungen, Pistolen und Säbel in den Händen gläubiger Fanatiker. Er hatte sich selbst und seine Familie getäuscht, hatte das Gold und das Silber und die Juwelen durch die Finger schlüpfen lassen. Die 126
Kirche, auf die Maria sich so leidenschaftlich berief, bedeutete ihm nichts. Warum also hatte er auf den Schatz verzichtet? Es ergab keinen Sinn für George Abercrombie Fox. Er würde Kurs auf Palermo oder Port Mahon nehmen, würde dem Admiral Bericht erstatten und erfahren, was die Zukunft für ihn bereit hielt. Wenn er Glück hatte, wurde er auf irgendeinem Kriegsschiff als Erster Offizier eingesetzt. Aber viel wahrscheinlicher war es, daß er Pech hatte und man ihn auf halben Sold setzte. Denn George Abercrombie Fox mußte sich mit den Schattenseiten des Lebens begnügen. Nein, er würde nie wieder tun, was er eben getan hatte. Wenn er das nächstemal einen Schatz in Händen hielt, würde er ihn nicht mehr leichtsinnig wegwerfen. Das nächstemal . . . Gab es überhaupt ein nächstes Mal im Leben eines Menschen - noch dazu im Leben eines Mannes wie George Abercrombie Fox? Er stülpte sich den verbeulten alten Hut auf den Kopf und ging an Deck, um die nötigen Befehle zu geben. ENDE
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In 14 Tagen erscheint SEEWOLFE Band 5
Der spanische Dreidecker von Adam Hardy
Lieutenant George Abercrombie Fox ließ niemanden absaufen — auch nicht die armen Teufel an Bord eines sinkenden türkischen Schiffes, das der Sturm kurz und klein geschlagen hatte. Oder war das wieder eine Falle? Vielleicht waren auf dem schwimmenden Sarg dort gar keine Türken, sondern Franzosen? Aber dennoch waren es Schiffbrüchige. Fox zögerte nicht länger. Zwei Beiboote ließ er aussetzen und zu dem sinkenden Segler pullen. Dann kehrten sie zurück — tanzende Nußschalen auf der kochenden See. Aber die da an Bord kletterten, waren keine Franzosen und schon gar nicht männlichen Geschlechts: Das war ein Haufen schnatternder Weiber, halbverschleiert und in quitschnassen Pumphosen, die mehr zeigten, als verbargen. George Abercrombie Fox' Männer grinsten, als Midshipman Grey seine Meldung machte. Grey sagte: „Das ist ein ganzer, verdammter Harem, Sir!"
Glossarium seemännischer Ausdrücke in diesem Band An den Wind gehen im spitzen Winkel gegen den Wind segeln, um ein Ziel durch Kreuzen zu erreichen, Anker lichten den Anker aus dem Ankergrund aufholen, z. B. Nordkurs - mit dem Bug des Schiffes Anliegen nach Norden gerichtet sein. Posten auf dem Mars oder einer erhöhten Ausguck Stelle an Bord eines Schiffes, der alles zu melden hat, was er ringsum an der Kimm sieht. Boote von Deck über Bord heißen und neben Aussetzen der Bordwand aufs Wasser niederlassen. die Luvbrassen (s. d.) anholen, bis der Wind Backbrassen von vorn auf die Segel fällt. große Eisenstücke im untersten Schiffsraum, Ballast um eine bessere Stabilität des Schiffes zu erzielen. Seegewächse, die sich am Unterwasserschiff Bart festsetzen und fahrthemmend wirken. Sie müssen von Zeit zu Zeit abgekratzt werden. Rundholz am unteren Teil eines Segels — Baum meist des Großsegels. im Sturm mit möglichst wenigen Segeln dicht Beiliegen am Wind liegen, damit das Schiff beinahe auf der Stelle bleibt. Dies ist eine der Möglichkeiten, einen Sturm „abzureiten". ein Tau mit einigen Schlägen an einer KlamBelegen pe (s. d.) so festsetzen, daß es sich bekneift und nicht ausrauschen kann. eine kleine Kanone, die an Deck in einem Drehbasse Gestell drehbar montiert ist. ein Segelschiff mit drei gedeckten Batterien. Dreidecker Die größten Dreidecker ihrer Zeit hatten 120 bis 130 Kanonen an Bord. Sie wurden auch Linienschiffe genannt.
Felucke
Fieren Freikreuzen Gaffel
Klampe Luvbrassen Messe Oberliek
Speigatten
Steuer Steven Vorpiek
ein im Mittelmeer gebräuchliches Küstenfahrzeug mit zwei senkrechten oder leicht nach vorn geneigten Masten. Beide Masten führten dreieckige Lateinersegel. Diese Segler waren sehr schnell und wurden im Mittelmeerraum zum Schmuggel und Sklavenhandel benutzt. einem Tau oder einer Kette nachgeben, bzw. einen Gegenstand herunterlassen. von einer Küste, auf die der Wind steht, offenen Seeraum gewinnen. eine Spiere, an der das Oberliek (s. d.) eines Gaffelsegels befestigt ¡st. Gaffelsegel hatten meist die Form eines unregelmäßigen Vierecks. ein Stück Hartholz oder Eisen, meist in Form eines kleinen Ambosses, um das Taue belegt werden können. Brassen (Taue) in Luv einer Rah. Das, Gegenteil sind die Leebrassen auf der anderen Seite der Rah. Aufenthaltsraum an Bord eines Schiffes — so die Offiziersmesse, Kapitänsmesse usw. die oberste Kante eines Gaffelsegels, an der die Gaffel (s. d.) befestigt wird. Die unterste Kante heißt Unterliek, die vordere Vorliek und die hintere Achterliek. Öffnungen unterhalb des Schanzkleides am sogenannten Wassergraben, durch die übergekommenes Wasser nach außenbords abfließen kann. Laienausdruck für Ruder. Man spricht zwar vom Steuern eines Schiffes, dies geschieht aber mittels des Ruders. vorderer oder hinterer Abschluß eines Schiffes. Man spricht von Vor- bzw. Achtersteven. der vorderste, unterste Raum in einem Schiff.